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Full text of "Die Christliche Kunst; Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst und Kunstwissenschaft"

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OTariä  ^tmmelfatjrt 


DIE  CHRISTLICHE  KUNST 

SECHZEHNTER  JAHRGANG  1919/1920 


F.  BRUCKMANN  A.G.,   MÜNCHEN 


DIE  CHRISTLICHE  KUNST 

MONATSCHRIFT 

FÜR  ALLE  GEBIETE  DER  CHRISTLICHEN  KUNST 

UND  DER  KUNSTWISSENSCHAFT  SOWIE  FÜR 

DAS  GESAMTE  KUNSTLEBEN 


SECHZEHNTER  JAHRGANG  1919/1920 


IX  VERBINDUNG' MIT  DER 

DEUTSCHEN  GESELLSCHAFT  FÜR  CHRISTLICHE  KUNST 

HERAUSGEGEBEN  VON  Dm< 

GESELLSCHAFT  FÜR  CHRISTLICHE  KUNST 

GMBH 

MÜNCHEN 


^ 


INHALT  DES  SECHZEHNTEN  JAHRGANGES 

(Die  kleineren  Ziffern  bezeichnen  die  Seitenzahlen  der  •Beilage«) 
Abkürzungen  hinter  den  Künstlernamen;  Aren.  =  Architekt;  Bildh.  ==  Bildhauer;  M.  =  Maler;  Glm.  =  Glasmaler. 


A.  LITERARISCHER  TEIL 


I.  GRÖSSERE  ABHANDLUNGEN 


Brinzinger,  Adolf,  Historienmaler  Bernhard  von 
Neher 100 

Doering,  Dr.  Oskar,  Xav.  Dietrichs  Hl.  Abendmahl 
für  Straßburg 1 

—  Josef  Maria  Becken 173 

—  Neue  Malereien  von  Matthäus  Schiestl 25 

—  Tagung  für  Denkmalpflege 64,  % 

—  Der  Tiroler  Maler  Emanuel  Raffeiner 137 

Fäh,  Dr.  Ad.,  Franz  Veitinger  (1846— 1917)  .....     49 
Fastlinger,  K ,  Das  Grabmal  des  Bischofs  Mauricio 

im    Dom    zu    Burgos.    Eine   Schmelzarbeit   aus 

Limoges 37 

Feulner,  Dr.  Adolf,   Der  Kreuzweg   von  Januarius 

Zick  zu  St.  Ulrich  in  Augsburg 156 

Fuchsenberger,  Fritz,   Über   Kirchenerweiterungen    197 
Grienberger,  Ritter  von,  Zierbauten   von  Hierony- 

mus  II 14 

Handel  Mazzetti,  Hermann,  Die  Hungertücher  und 

ihre  historische  Entwicklung 190,  210 

Heilmeyer,  Alex,  Ludwig  Penz 9 

Herbert,  M.,  Etwas  von  Bäumen 167 

Riegel,  Dr.  Josef,  SixtGumpp.  Der  Meister  des  Hoch- 

zu  Breisach  und  seine  Werke 113 

Schlecht,  Josef,  Kiener  Josef  f 60 

Staudhamer,  S.,  Die  kirchliche  Kunst  im  Gesetzbuche 

der  Kunst 220 

Steinacker,  K  ,  W.  Immenkamp   

Zils,  W.,  Neue  Düsseldorfer  Kunst 69 

—  Ignaz  Weiricb 149 

II.  BERICHTE  ÜBER  AUSSTEL- 
LUNGEN  (vergl.  auch  IV.) 

Baden  Baden,  Ausstellung  191Q.  Von  Oskar  Gehrig       26 

—  Deutsche  Kunstausstellung  1920 66 

Berlin,  Freie  Secess.on  Sommer  1919  von  Dr.  Hans 

Schmidkunz 6 

—  Berliner  Secession  von  Dr.  Hans  Schmidkunz  .       23 

—  Nationalgalerie  in  Berlin  von  Dr.  Hans  Schmid- 
kunz         24 

—  Kunstausstellung  Berlin  1919  von  Dr.  Hans 
Schmidkunz 87,  44 

—  Feldgraue  in  Berlin  von  Dr.  Hans  Schmidkunz       6» 
München,    Die   Neue  Münchener  Pinakothek    von 

Dr.  Oskar  Doering 231 

—  Ausstellung  1919  im  .Münchener  Glaspalast  von 

Dr.  Oskar  Doering  2,  » 

—  Ausstellung  de  >  n  Künstlerbundes 
Münchent  von  Dr.  Oskar  Doering 26 

—  Aquarellausstellung  der  Münchener  Neuen  Seces- 
sion        58 

Wien,  Wiener  Kunstbrief IT,  21 ,  m 


III.  KLEINERE  AUFSATZE 

Seite 

Blum,  Erhard  Anna,  Landshut  und  Trausnitz  ....  129 

Deutsche  Gesellschaft  für  christliche  Kunst 53 

Doering,    Dr.  Oskar,    Ein   Kriegerdenkmal    in    St. 

Eineram  zu  Regensburg 34 

Heibert,  M.,  Der  Kremser  Schmidt 48 

—  Michelangelo,  der  Besiegte 48 

—  Der  Sieger  Michelangelo 48 

—  Der  Tod  der  Michelangelo -  . .  . .  48 

—  Lionardo  und  Rembrandt 148 

Müller,  M.,  Grünewalds  Isenheimer  Altar 124 

Schmidt,  F.,  Der  Erfurter  Dom 133 

Staudhamer,  S.,  Zur  Anschaffung  von  Weihnachts- 
krippen    1 

Steilen,  Hngo,  Die  hl.  Kreuzkirche  in  Augsburg,  das 

Vorbild  der  hl.  Kreuzkirche  in  Innsbruck 135 

Steiner  -  Wischenbart,    Josef,    Das    Weihnachtslied 

>Stille  Nacht«  —  100  Jahre  alt! 24 

IV.  VON  KUNSTAUSSTELLUNGEN, 

SAMMLUNGEN,   KUNSTVEREINEN, 

MUSEEN 

München,  Juroren  des  Jahres  1920 172 

—  Münchener  Kunstausstellung  1920  im  Glaspalast  60 

—  Die  neue  Staatsealeric SS 

—  Schirmer-Ausstellung 67 

—  Ausstellung  von  Werken  der  Malerfamilie  Zimmer- 
mann      67 

Nürnbergjanuar— Februar  Ausstellung  des  Albrecht 
Dürervereins  in  der  Kunsthalle  am  Marientor  in 

Nürnberg 39 

Salzburg,  Krippenausstellung 85 

Stuttgart,  Eine  Edelmesse  lür  kirchliche  Kunst  ...  60 

V             ,  Nationale  Ausstellung  christlicher  Kunst  6t 
W            rhaltung  der  Kunstsammlung  Albertina  in 

Wien 28 


V.  KÜNSTLER.  WETTBEWERBE 

Augsburg,  Wettbewerb  der  Schwäbischen  Kreisge- 
sellschalt  des  Bayer.  Architekten-  und  Ingenieur- 
Vereins  zur  Erlangung  von  Entwürfen  zum  Neu- 
bau eines  Bankgcbändcs  der  Mitteldeutschen 
Kreditbank    7 

—  Wettbewerb  für  die  architektonische  Ausbildung 

der  Kraftstation  des  neuen  Wetuchkanals 19 

—  Wettbewerb  zur  Erlangung  von  Vorschlagen  für 
die  Ausgestaltung  des  Heldenfriedhofes  auf  dem 
Westfriedhof 2» 

—  Wettbewerb  zur  Erlangung  von  Entwürfen  für 

die  Luitpoldbrücke  über  die  Wcruch  nach  Pfcrscc       2» 


VI 


A.  LITERARISCHER  TEIL 


Berlin,  Wettbewerbsausschreiben  der  Berliner  Aka- 
demie der  Künste 60 

Bonn,  Wettbewerb  der  1  leischeKnnung  zur  Erinn- 
ern Entwürfen  für  eine  eiserne  Amtskette 

:isters 28 

G          instein,   Wettbewerbsausschreiben    für    die 
ibemalung   in  der  katholischen  Pfarr-  und 
Wallfahrtsl  rche iS 

Ingolstadt,  Wettbewerb  für  ein  Deckengemälde  in 
der  katholischen  St.  Antoniuskirche a,  ';i 

Kaufbeuren,  Wettbewerb  für  die  malerische  Aus- 
schmückung der  Dominikuskirche  in  Kaufbeuren       47 

Kindsbach,  Wettbewerbsausschreiben  für  einKru 
in   der  katholischen  Kirche   in  Kindsbach  (B.-A. 
Homburg,  Pfalz) ''■' 

München,  Wettbewerb  zu  einem  Denkmal  im  Ar- 
meemuseum        s" 

Nürnberg,  König  Li  tung  für  die  baye- 
rische Landesgewerbeanstalt  Nürnberg 60 

S  i  ibehhausen,Wettbewerbsausschreibehfüreinen 
öffentlichen  Brunnen 65 

Schwaben  undNeuburg,  Wettbewerb  zur  Erlangung 
von  Musterentwürfen  für  Holzbauweise 20 

Wien,  Wettbewerb  für  Kleinplastik ' 50 

Zusmarshausen,  Ergebnis  des  Wettbewerbs  zur  Er- 
langung von  Entwürfen  für  ein  Kriegerdenkmal 
in  Zusmarshausen  bei  Augsburg 7 

Briefmarkenwettbewerb 6 

Wettbewerb  für  Freimarken  der  Reichspostverwal- 
tung         29 

Internationaler  Wettbeweib  für  ein  Herz-Jesubild.  .  .  29,  :•■'.< 
ätzliches  über  Wettbewerbe 111 

Wettbewerbe   49 


VI.  MITTEILUNGEN  ÜBER 
SONSTIGES  KUNSTSCHAFFEN 

Albrecht,  Josef,  M 29,  51 

Beckert,  von  Frank,  Josef,  M 28 

Busch,  Gg.,  Prof.,  Bildh 12 

Dietrich,  X.,  M 13 

Faller,  H.,  Bildhauerin 13 

Gangl,  Josef,  Bildh 28 

( runtermann,  Josef,  M 39 

Harrach,  R:,  Goldschmied • H 

Kau,  Gg.,  M 61,  56 

Lechner,  K.,  M U 

Nokher,  F.,  M 51 

Osten,  Johannes,  M 28 

Pacher,  Augustin,  M ■  •  •  51 

Rauecker,  B.,  Prof. 19 

Schädler,  A.,  Bildh 51 

Schmitt,  Balth.,  Prof,  M 51 

Schumacher,  Ph.,  M 11 

Seitz,  |  ,  Goldschmied 15 

Thoma,  L.,  M 51 

Wagenbrenner,  Josef,  M    51 

Witte,  August,  Stiftsgoldschmied 62 

VII.  PERSONALNOTIZEN 

Baer,  Fritz  j , 26 

Baumeister,  Karl,  M 38 

,   Karl  de  t 51 

Bradl,  Jakob f l 

Commans,  Heinrich  f 39 


Faßnacht,  Joseph,  Bildh 56 

Huber,   .Sebastian,   Dr.  Prälat  f 8 

Kaulbach,  Fritz  August  von  f 54 

Keller,  Albert  von  f 04 

Lippay,  B.  Dominik  f 51 

Lochner-Hüttenbach,  Oskar,  Freiherr,  Msgre.  f  . . .  61 

Martin,  Hans,  M 62 

Schmidt,  Heinrich  Freiherr  von 41 

Schrott,  Johannes,  Baurat 38 

Seidl,  Emanuel  von  f 30 

Stummel,  Friedr.,  M 19 

Totenliste  Wiener  Künstler 64 

Wiener  Totenschau 32 


VIII.  BESPROCHENE  BUCHER 

Abele,  E.,  Subregens,  Der  Dom  zu  Freising :;2 

Beringer,  J.  A.,  Wilhelm  Trübner 29 

Hardegen,  Dr.  August,    Die   alte  Stiftskirche   und 

die  ehemaligen  Klostergebäude  in  St.  Gallen  ...  s 
Heinz,  P.  üdorich,  Gebt  uns  die  Weihnachtskrippe 

wieder ! 32 

Klose,  Lukas,  Weihnacht 20 

Die  Kunst  dem  Volke . 27  42 

Kreitmayer,  P.  J.,  Der  Kampf  um  die  neue  Kunst  56 
Lehmann,  Dr.  Hans,  Die  Kirche  von  Jegenstorf  und 

ihre  Glasgemälde 20 

Neues   niederrheinisches  Dorf  auf  der   deutschen 

Werkbundausstellung  in  Köln  1914 8 

Rhein  sehe  Beratungsstelle  Anregungen  für  Grab- 
denkmäler für  Kriegerehrungen 32 

Schreiber,  Georg,  Dr.  Prof.,   Mutter   und  Kind  in 

der  Kultur  der  Kirche 32 

Schlecht,    Jos.,     Der    Kalender    Bayerischer    und 

Schwabischer  Kunst   1920 20,  40 

Winkelmann,    Dr.,    W.,    Edle    Einfalt    und    stille 

Große 40 


IX.  VERSCHIEDENES 

Diebstahl  der  Bronzegruppe  »Scherzo«  von  Prof. 
Josef  Müllner  im  Arenbergpark  in  Wien 

Dresslers  »Offizielles  deutsches  Kunsthandbuch«.. 

Fertigstellung  der  Kirche  zu  Berlin-Reinickendoif . 

Freskenfund  in  der  alten  Wiener  Hofburg 

Jahresmappe  1919 

Kriegerdenkmal  für  eine  steierische  Landfeirche  .  . 

Ein  Kunstbeirat  im  deutsch-österreichischen  l'nter- 
richtsamt • 

Künstler-Lexikon 

Kunstberaterstelle   

LuMissteuer  auf  die  Kunst 

Neu  aufgetauchter  Unfug 

Neue  Kriegsgedenkzeichen 

Rückgabe  kirchlicher  Kunstwerke  an  ihre  ursprüng- 
liche Stätte  in  Italien 

Vandalismus  in  Wien 

Verkauf  von  Gobelins  aus  dem  Besitze  des  ehema- 
ligen Kaisei  hauses  in  Wien . 

Vortrage  über  Friedhofskunst   

Wiener  Kunstsammlungen  und  deutsch-österrei- 
chische Kunstschätze  im  Friedensvertrage  von 
St.  Germain 

Wirtschaftliche  Stellung  des  Kunsthandwerkes  in 
ihrer  besonderen  Bedeutung  für  Innenösterreich 
und  Wien 


B.  REPRODUKTI« 


VII 


B.  REPRODUKTIONEN 


1.  KUNSTBEILAGEN: 


Becken,  Josef  Maria,   Die  Legende   vom  Maler 

unserer  lieben  Fiau V 

—  Müde  bin  ich,  geh'  zur  Ruh VI 

Dietrich,  F.  X.,  Maria  Himmelfahrt 1 


Emonds-Alt,  Der  Heiland III 

Huber-Sulzemoos,  Nazareth  IV 

Kau,  Georg,  Herz-Jesu VII 

Roßmann,  AI.,  Die  Ruhe  auf  der  Flucht II 


Seite 
Becker!,  |osefMaria,ScJ  l.fje  alei 

—  Käst    der    Hl.   Familie   bei    den    allen 

rn      174 

—  Zum  »Armen  Heinrich!  von  Hart 

v.  d.  Aue 175 

nkopf 170 

• 177 

—  Eisbein 178 

;ebel I  TU 

—  Unsere  hebe  Frau 180 

—  Unsere  liebe  Frau 181 

—  Heimkehr .182 

—  Heimkehr 1-:! 

—  St.  |oscfs  Heimkehr 1-1 

—  Mm«  Verkündigung 185 

—  Traum. 186 

—  Weiboachtslied 1  - . 

—  Trösterin  der  Bcirühtcn 18« 

—  Heil  der  Kranken 1-9 

—  Stille  Menschen 190 

—  Unserer  lieben   Frauen  Besuch    .    .    .  191 

—  Chnstgcsckenk 192 

—  Es   ist  ein   Ros'   entsprungen   ....  193 

—  St.  Augustin  schreibt  die  Bekenn! 

—  U       In  .cht 195 

Blum,  Hans,  Landshui  Martinskirche  und 

Transnitz     132 

Corde,  Walter,  Auferstehung  der  Toten     95 

—  Piojekt  tür  Ausmalung  der  Abdinghof- 
kirche in  PaJerborn 96 

—  Projekt  tür  die  Ausmalung  der  Abding- 
hofk.rche  in   Pjdcrborn '.17 

—  Entwurf  zur  Bem.ilung  der  Rückwand 

der  Abdinghoi.  ...     98 

—  Frauenberuf 99 

—  Der  Beruf  der  Frau 100 

—  Frauenberuf IUI 

—  Pieta 102 

—  Vesperbild 10S 

—  Der  Krieg 101 

Dietrich,    F.   X.,     De(    Bctlehcmitischc 

Kindermord 1 

—  Studie  zu  Jen   Händen  Christi     ...  2 

—  Hl.  Abendmahl 3 

—  Haupt  Christi 5 

—  Vorstudien  zu  einem   A. 

idien  zum  Abendmahlsbild  II).  II     12 

—  Die  Huldigung  nige  .      13 

V.,   Mosaik:  Engel  von  einem 

i  Karl,  Job!  '.  '.  '.  '.  '.  '.  '.  '.  '.     69 

—  Krem  am  Wege 71 

—  St  Georgafensier 72 

—  Hl.  Linker 7:'. 

—  Christoph  Bernhard   von  Galen  ...      71 

•   Groß« 

Faulhahcr,Hans,StuJieei,uslel.l-ranen    126 
_   Kl    igserinnerungsallar 127 

—  Studie 138 

—  Trauerndes  Ehepaar 138 

—  Studie 
Friese,  M 

liehen    Kl  Hcuthcn      .    .      66 

—  Teil  eines  Glasfensi  rs 07 

Buber-Feldkirch. 

—  Prophet  Isaias 78 

—  Prophet   Ezcchicl 79 

—  Die  Flucht  nach  Agvpten  und  die  un- 
schuldigen   Kinder    ' 90 

—  Jesus  am   Kreuz 81 

—  St.  Michael .-2 


II.  ABBILDUNGHN  IM  TEXT: 

Seite 
Huber-Fcldkirch.  eben 

ibe,    Holl'nung  und   I.iebc  .    .      83 

84 

.  .muck 85     - 

—  III   Mauritius 86 

—  St. 'Gereon 87 

—  Engel 88 

—  Mosaik    1916 89 

—  Modell  eines  Teiles  der  Aula  dci  Kunst- 
gewerbeschnle  in  Dortmund  lull  .   .     90 

,    zu  einem  Deckenbild     .    .    .     91 
or 92,  93 

—  li  t  111.  drei  lv     Ige 94 

Immenkamp,  W.,  Studienzeichnung    .    .    228 

229 

—  Der  Gelehrte .230 

dmahl 231 

—  B.ldms 232 

ift • 

•entag  im  Gebirge 233 

—  Bildnis      234 

—  Bildnis       235 

—  Bildnis 236 

Jung-Dorflcr,  C,  St.  Georg 105 

Kiencr,  Joset,   Kapuziner  und    Kinder    .      60 

—  Betender '.I 

rar  Schule 62 

nstudie 63 

—  Der  Schäfer 64 

köpf 65 

Küstner,  Karl,  Rheininsel 172 

Leistikow,  Walter,  Park 171 

Muhlbachcr,  Josef,  |o»eph  Mohr  ...  -'I 
Oer,   A    M.  von,   Bruder  Anton  O.  S.  B. 

in    Beuron 68 

Pen/.,   Ludwig,  Krippenflgurcn    ....  1 

—  Meine  Krippe 14 

_  Weihnacht        15 

15 

lieur li' 

mit  dem  Cbristkindle.n      ,    .  16,  17 

—  Mutterschaft 17 

_  Christus  am  Ölberg 

—  Gedenkmedaille,   Vorder-    und 
,ei,e  

—  III.  Hubertus 19 

19 

.    .  20 
Haffeincr,  Eman.,  Heer  der  Heers. 



"  itter 139 

—  Hl.  Antonius                                            .  140 

in«  und  Kind  mit   ÖI«W1    I  .    .    141 

ld         148 

"—  Mitteltruppe  dei  Deckengemälde«  m 
"       Arzl 

—  Madonna 146 

—  Cbriitu.  am  Kreul I  17 

—  Die    Kinder    de«    Künstler«    vor    der 

Rcsch,   W.   F.  S.,     Kriegerdenkn 
I 

Schicstl,  Matniut,  Wallfahl«    .    . 

- 

II,    von 
Henneberg  mit    seiner  Gemahl 


Schiestl,  Mathäus,  Grüßender  Knal 

Minnesänger     

—  Aus    dem    HochzeitSZOge     des    Grafen 

Wilhelm  III.  von  Henne 

—  Einnahme    von    Schloß    Mainberg    im 
Bauernkrieg  1  ;  2  ; 

—  Wünburg 

—  Die  Geburt  Christi 

—  Die  Hl.  drei  Könige 

—  l-'ra  Angclico 

.        . 

—  Der  Schwerhörige 

—  Einsiedler  mit  geschenkter  Statuette  .      37 

—  Heilige  Nacht 

■  cht  im  Zillcrtal 

tljoi» 10 

...derer dl 

—  Hugeliandacbafl 42 

41'. 

—  Bildnis       II 

Schilling,  Franz,  Hl.  Helen..  ......    106 

Schreiner,  Georg,  Kriegerdenkmal    .   .    131 
Schuhmacher,   Philipp.    Kriegsgcdächt- 

nrl.ifel    in   Mai 

Si.\t,  Gumi  111 

; 

—  Schrein  vom  Schulzmanlelaltar  im 

zu  Freiburg ...  117 

_  Oberer  Teil  des  Hochaltars  in  Breisach  11* 
rein  uud  Flügel  vom  Hoclu 

Brei.,..!         119 

—  III.  Felia 121 

Vcttiger,  Franz,  »ei  Künstlet  ur  I 

Im     .  • 

.  Der  Hl.  Georg 

ristophortu 

—  Zwei  Gruppen   von    Heiligen    . 

—  Madonna  auf  dem  Thron 

—  Vierte 

sehen  Reiter     . 

—  Allcrbei    gen  .    .        • 57 

III.  laurentius     . 

Wcllicll,     IgOaZ,    El       err-.ini     .a 

....  .    149 

morrelicf  für    den 

IUI  »m   Kreuz    .    . 

_  Studie  zu  ein 

DO   .       ■ I 





Willibrord,Vcrkade,P.,O.S  B  ,  1 

Wlllroidcr,  Lud« 
Winkler,  Georg. 

.   . 

111 
Winter.  I 
Zick,  fanu  r 


VIII 


B.  REPRODUKTIONEN 


Seite 
Zick,  Januarius,    ]esus  nimmt  das  Kreuz 

auf  sich 158 

—  Erster  Fall  unter  dem  Kreuze    ...  159 

lesus   begegnet  seiner  Mutter    ....  160 

—  Simon  von   Cvrene     ...     .....  160 

—  Veronika  reicht  Jesu  das  Sehweißtuch  161 

—  [e«us  und  die  Frauen 162 

—  Zweiter  Fall  unter  dem  Kreuze  .  .  162 
_  Dritter  Fall  unter  dem  Kteuze  ...  163 
_    Jesus  wird  entkleidet 164 

—  Jesus  wird    tu  diu  Kreuz  genagelt     .  165 


Zick,.Januariu9, 

—  Kreuzabnahme 
_  Jesus  wird  in 


gelegt 


Seite 
.  166 
.  167 
.   168 


Illustrationen 
zu  kunsthistorischen  Aufsätzen: 
Fastlinger,  K.,  Da: 


M 


46,  47 


Burgo 

Grienberger,   Ritter  von,  Zum  Artikel 
..    Zierbauten  in  Neustift 22,  23 


Fuchsenberger,  Fritz,  Zum  Artikel  Kir- 
chenerweiterungen 198  199, 200, 201, 
202,  203.  204,  205,  200,  207,  208, 
209,  210,211,212,  213,  214,  215, 
216,  217,  218,  219.  220,  221.  222, 

223,  224,  225  326,  227 
Schmidt,   F.,  Der  Eriurter  Dom   ....    133 
Steffen,  Hugo,  Grundriß  der  Hl.  Kreuz- 
kirche zu  Augsburg 134 

_   Grundriß  der  Hl.  Kreuzkirche  zu  Inns- 
bruck     135 


Nachbildung  oder  sonstige  Verwertung  der  hier  veröffentlichen   Kunstwerke  ist  nicht  gestattet. 


XAVER  DIETRICH 


I  ISCHE   KISUEKMOKI) 


XAVER  DIETRICHS  HL.  ABENDMAHL  FÜR  STRASSBURG 

(.Vgl.  Abb.  S.  2—12) 


\/aver  Dietrichs  Schaffen  ist  in  der  »Christ- 
**  liehen  Kunst«  bereits  gewürdigt  worden. 
Er  ist  der  Künstler,  der  die  auf  dem  an  der 
Spitze  dieses  Heftes  farbig  wiedergegebene 
Himmelfahrt  Maria  für  die  Kirche  von  Neu- 
stift bei  Freising  geschaffen  hat.1)  Sein  neue- 
stes Werk  ist  ein  hl.  Abendmahl.  Das  Bild  ist 
bestimmt,  den  Hochaltar  der  St.  Magdalencn- 
kirche  zu  Straßburg  im  Elsaß  zu  schmücken. 
Die  alte  Magdalenenkirche  ist  im  August  1904 
ein  Raub  der  Flammen  geworden,  wobei  u.  a. 
auch  die  Malereien  Martin  von  Feuersteins  mit 
zugrunde  gingen.  Das  jetzige  stattliche  Bau- 
werk ist  in  modernem  Renaissancestil  gehalten ; 
besonders  reich  ist  der  Chor,  der  mit  einer 
kassettierten  Halbkuppel  eingewölbt  ist  und 
durch  große  farbige  Fenster  ausgiebiges,  dabei 

')  »Die  Christliche  Kunst«,  XIII.  |.ihrg.,  S.  1  s6 — 168) ; 
VIII.  Jahrg.,  S.  121  — 141  ;  XI.  Jahrg.  S.  229  —  245,  u.  3. 
a.  O.  —  Das   farbige  Blatt   ist   nach    dem  Vorentwurfe 

hergestellt. 


leicht  gedämpftes  Licht  erhält.  Der  Altar  ist 
in  schöner,  mit  ruhiger  Linie  gezeichneter 
Architektur  ausgeführt,  der  obere  Teil  mit 
geschnitzten  Blumengehängen  geziert;  die 
Hauptfarbe  seines  gebeizten  Holzes  ist  grün, 
vergoldete  Linien  und  Füllungen  geben  dem 
Altare  einen  festlichen  Charakter.  Die  für  das 
Altarbild  ausgesparte,  oben  halbrunde  Fläche 
bietet  einen  Raum  von  4,50  m  Höhe  und 
2,50  m  Breite.  Der  Auftrag  zu  dem  Gemälde 
wurde  X.  Dietrich  schon  19 12  erteilt.  Es  war 
die  Aufgabe  des  Künstlers,  ein  Werk  zu  schaffen, 
das  sich  in  Stil  und  Auffassung  der  beschrie- 
benen Umgebung  anpaßte  und  im  Gesamtbilde 
der  Kirche  eine  volltönige,  auch  für  den  1  eru 
blick  standhaltende  Wirkung  ausübte.  Als  Ge- 
genstand der  Darstellung  war  die  Einsetzung 
des  hl.  Altarssakramentes  gegeben. 

Der  hl.  Vorgang  ist  in  großartigen  Linien, 
mit   mächtigen    Akzenten    glühender    I 
mit  gewaltiger  Tiefe    der  Charakteristik,  mit 


Die  christliche   Kumt.     XVI.     i.     i  iktol^r 


XAVER  DIETRICHS  HL.  ABENDMAHL  FÜR  STRASSBURG 


monumentaler  Vereinfachung  gegeben.  Jeg- 
liches irgend  entbehrliche  Beiwerk  fehlt.  Die 
Bildfläche  gliedert  sich  in  zwei  Teile,  von 
denen  der  Himmel  den  oberen,  die  Gruppe 
der  Personen  den  unteren  Teil  einnimmt, 
wobei  gleichzeitig  oben  kalte,  unten  warme 
Tönung  vorherrscht.  Die  Örtlichkeit  ist  nur 
im  größten  Zuge,  aber  dennoch  für  das  Ver- 
ständnis des  Beschauers  vollkommen  aus- 
reichend angedeutet.  Auf  einer  Plattform,  zu 
der  ein  paar  Stufen  emporführen,  befinden 
sich  die  bei  der  Tafel  versammelten  Personen; 
eine  einzige  mächtige  Säule  dient  zur  Cha- 
rakterisierung einer  stolzen  Halle.  Der  Aus- 
blick in  die  Landschaft  ist  durch  die  Personen 


XAVER  DIETRICH 


STUDIE  ZU  DEN  HÄNDEN  CHRISTI 
Sti/tzeiclmung.    (Ygl.  Abb.  S.  3) 


verdeckt,  man  sieht  vom  Hintergrunde  nichts 
als  den  tiefblauen  Himmel,  an  dem  leichte 
weiße  Wolken  sich  mit  dem  Rot  der  Abend- 
sonne zart  zu  färben  beginnen.  Die  Gruppe 
der  Figuren  hat  ihre  Basis  an  den  großen,  quer 
über  das  Bild  laufenden  Linien  der  Stufen,  die 
mit  einem  zwanglos  darübergebreiteten  dunkel- 
blauen Teppich  belegt  sind;  rechts  (vom  Bilde 
aus  gerechnet)  fließt  über  sie  der  rote  Mantel 
des  hl.  Johannes  hernieder.  Die  Gruppe  ge- 
winnt festen  Halt  durch  den  nur  teilweise 
sichtbaren,  mit  einem  weißen  Tuche  bedeckten 
Tisch.  An  dessen  linker  Schmalseite,  aus  der 
Mittelachse  des  Bildes  etwas  nach  links  heraus- 
gerückt, steht  Jesus  aufrecht;  er  ist  von  vorn 
gesehen,  der  Oberkörper 
leicht  nach  rechts  ge- 
beugt. Der  von  einem  in 
perspektivischer  Verkür- 
zung gezeichneten  blauen 
Strahlennimbus  umge- 
bene Kopf  neigt  sich  ein 
wen  ig  rückwärts,  wodurch 
die  Halsmuskulatur  stark 
hervortritt,  und  wendet 
sich  derart  nach  rechts, 
daß  das  Gesicht  fast  ganz 
im  Profil  erscheint.  Mit 
der  rechten  Hand  erhebt 
der  Heiland  die  strah- 
lende, mit  einem  roten 
Kreuze  bezeichnete  Ho- 
stie, in  der  herabhängen- 
den Linken  hält  er  den 
großen  goldenen  Kelch. 
Zur  Rechten  des  Herrn 
gruppieren  sich  am  Tische 
sitzend  oder  stehend  neun 
Apostel;  zu  ihnen  gehört 
der  ganz  rechts  ange- 
brachte Verräter;  hinter 
und  neben  Jesus  stehen 
die  übrigen  drei.  Beide 
Figurenmassen  zeigen 
dichte  Geschlossenheit. 
Vor  Jesus  kniet  der  Lieb- 
lingsjünger; er  neigt  das 
Haupt,  als  spräche  er: 
»Herr,  ich  bin  nicht  wür- 
dig«. Dasim  Halbschatten 
liegende  Antlitz  ist  im 
Profil  gegeben;  die  Arme 
hält  Johannes  wie  in  Ver- 
zückung gegen  den  Er- 
löserausgebreitet. Voll  in- 
nerlichster, lebendigster, 
überzeugend  geschilder- 
ter Empfindung  nehmen 


XAVER  DIETRICHS  HL.  ABENDMAHL  FÜR  STRASSBURG 


die  Apostel  teil,  in  tiefster  Andacht  lauschen 
sie  den  Worten  ihres  göttlichen  Herrn  und 
Meisters.  Mit  dramatischer  Kraft,  die  durch 
künstlerischen  Takt  äußerlich  in  Schranken 
gehalten  und  auf  die  psychologische  An- 
deutung beschränkt  wird,  äußert  sich  ihr 
Gefühl,  keine  Bewegung  ist  überflüssig  oder 
gar  theatralisch.  Die  große  Stilisierung,  die 
in  der  mächtigen  Zeichnung  des  Faltenwurfes 
der  Gewänder  eines  ihrer  Ausdrucksmittel 
findet,  erinnert  doch  in  keiner  Linie  an 
jenen  leeren  Schematismus,  der  viele  andere 
Werke  der  kirchlichen  Malerei  wie  Plastik 
so  uninteressant  macht.  Verinnerlichung  ist 
einer  der  besten  Vorzüge  dieses  Bildes.  Da- 
bei verfällt  es  nicht  etwa  ins  Sentimentale, 
Scheinbarfromme;  bei  aller  Pracht  und  Schön- 
heit des  Ganzen  wie  der  Einzelheiten  ist  es 
durch  und  durch  echt,  voll  herber  Gegensätze. 
Einer  derstärksten,  der  entscheidende  in  diesem 
Werke  überhaupt,  ist  der  zwischen  dem  Ant- 
litze Christi  und  den  Gesichtern  der  Apostel. 
Männer  des  einfachen  Volkes  sind  die  letzteren, 
ihre  Züge,  ihre  Hände  hart  und  derb,  aber  sie 
sind  vergeistigt,  veredelt  durch  den  Umgang 
mit  Jesus  und  durch  die  Ahnung  dessen,  was 
sein  Leben,  sein  Wort,  sein  Wille  ihnen  schenkt 
und  bescheidet.  In  den  bleichen  Gesichtern  und 
den  eingesunkenen,  vom  Wachen  geröteten 
Augen  des  einen  von  ihnen  spricht  sich  aske- 
tisches Streben  und  Ringen  aus.  Die  beiden 
äußersten  Gegensätze  in  diesen  Menschen- 
naturen bilden  der  in  tiefster  Frömmigkeit 
und  Demut  aufgehende  Johannes,  des  Gott- 
menschen erster  priesterlicher  Nachfolger  auf 
Erden,  und  Judas,  dessen  Charakter  vom 
Künstler  mit  rücksichtsloser  Kraft  und  doch 
ohne  Übertreibung  geschildert  ist. 

Im  innerlichsten  Gegensatz  zu  all  diesen 
Menschen  steht  der  Herr.  Der  Künstler  ist 
darauf  ausgegangen,  Christi  göttliche  Natur 
stärker  zur  Geltung  zu  bringen  als  die  mensch- 
liche, eine  Auffassung,  der  man  angesichts  des 
zu  schildernden  Vorganges  nur  recht  geben 
kann.  Haltung  und  Ausdruck  verkünden  den 
überirdischen  Lehrer,  den  Wundertäter,  den 
zur  Erde  herniedergestiegenen  Gottessohn,  der 
das  ihm  bestimmte  Leiden  vorher  kennt  und 
bereit  ist,  es  auf  sich  zu  nehmen,  den  Erlöser, 
der  den  Menschen  seine  Gegenwart  im  heilig- 
sten Sakramente  verbürgt.  Einen  ganz  neuen 
Christustyp  hat  X.  Dietrich  geschaffen.  Man 
könnte  in  diesem  blassen  Antlitze  mit  den  tief- 
liegenden Augen  einen  Anklang  an  Greco 
finden,  doch  fehlt  hier  jener  Zug  von  Über- 
spannung, der  den  Gestalten  des  alten  Künst- 
lers so  oft  eigen  ist,  ihnen  etwas  unserem 
Empfinden  Fremdes  gibt,  das  ein  innerliches 


Verhältnis  des  unbefangenen  Beschauers  zum 
Bilde  erschv/ert.  Beim  Dietrichschen  Christus 
ist  gerade  das  Gegenteil  der  Fall.  Er  packt  das 
Gemüt  vom  ersten  Augenblicke  an,  läßt  es 
nicht  wieder  los,  prägt  sich  ihm  ein.  und  wirkt 
je  länger  je  stärker  als  Verbildlichung  der  Vor- 
stellung, die  wir  von  der  Erscheinung  Jesu 
selbst  gehegt  zu  haben  glauben,  löst  uns  von 
der  Äußerlichkeit  und  Leere,  in  welche  die 
Nachfolgerschaft  der  Renaissance  wie  jene  des 
Nazarenismus  mit  ihrem  Christustyp  geraten 
ist.  Es  gibt  Echtheit  und  Kraft  der  Hoheit 
und  Verklärung  im  Sinne  modernen  Empfin- 
dens, und  hält  doch  die  Überzeugung  leben- 
dig, daß  diese  Auflassung  von  keiner  Zeit  ab- 
hängig, nicht  neu  entstanden  sei,  was  sie 
doch  in  Wirklichkeit  ist,  daß  sie  vielmehr 
schon  immer  existiert  habe  und  ihre  Wahr- 
heit in  jeder  Zukunft  behaupten  müsse.  Diese 
Eigenschaft  des  Dietrichschen  Christus  erkläit 
aber,  warum  ersieh,  wie  Beobachtung  gelehrt 
hat,  auch  einfachen  Gemütern  ohne  weiteres 
zugänglich  und  begreiflich  macht,  und  weist 
ihm  eine  Bedeutung  zu,  die  im  höchsten 
Grade,  im  eigentlichen  Verstände  künstlerisch 
zu  nennen  ist.  Indem  diese  Verkörperung 
Christi  sich  mit  derjenigen  der  Apostel  zu 
natürlicher,  reicher  Harmonie  vereinigt,  dehnt 
sich  jene  Bedeutung  auf  das  Bild  in  seiner 
Gesamtheit  aus. 

Reich  und  prachtvoll  ist  die  Farbenwirkung. 
Von  der  Massenverteilung  des  Warm  und  Kalt 
war  schon  die  Rede.  Mit  feinem  Takte  und 
kompositioneller  Sicherheit  ist  die  oberste 
Partie  des  Bildes  (der  Himmel)  und  der  unterste 
(die  Stufen)  durch  tiefes  leuchtendes  Blau  in 
Verwandtschaft  gebracht  und  so  für  das  Ganze 
beiderseits  einheitlicher  fester  Abschluß  ge- 
schaffen. Während  nun  oben  größere  Zartheit 
herrscht,  entfaltet  sich  unten  gewaltige  Kraft. 
Sie  kommt  besonders  in  dem  leuchtenden  Rot 
der  Masse  des  Mantels  des  hl.  Johannes  zum 
Durchbruch.  Christus  ist  in  ein  ganz  hellblaues 
Untergewand  gekleidet,  über  das  sich  ein 
violetter  Mantel  legt.  Die  Wärme  und  Kälte 
der  Töne,  die  hier  zusammentreffen,  hilft  die 
zwiefache  Natur  des  Gottmenschen  in  geist- 
reicher Art  versinnbildlichen.  Helle  Färbung 
an  einzelnen  Apostelgewändern  bringt  Leben 
in  das  Bild.  Für  das  Tischtuch  ist  hellstes  Weiß 
gewählt.  Es  vervollständigt  in  einer  Art,  die 
sonst  von  Modernen  selten  gewagt  wird, 
während  sie  bei  den  Alten  häufig  ist,  das 
Farbenkonzert  und  verleiht  dem  Gemälde 
außerordentliche  Leuchtkraft.  Alle  diese  Farben 
sind  mit  den  grünlichen,  bläulichen,  rosigen 
Reflexen  der  Abendbeleuchtung  durchwoben. 
Sie  spiegeln  sich  auf  dem  großstilisierten  Falten- 


Sti/Iitiektami 


KK   II 

HAI    IM    i    H 


XAVER  DIETRICHS  HL.  ABENDMAHL  FÜR  STRASSBURG 


XAVER  DIETRICH 


VORSTUDIE  ZU   EINEM  APOSTEL 


wuri  der  Gewänder  und  verhelfen  ihm  zu 
plastischer  Wirkung,  sie  spielen  auf  den  Händen 
und  Gesichtern.  Besonders  dasjenige  des  er- 
wähnten Asketen,  vor  allem  aber  das  fast 
leichenhaft  fahle  Antlitz  Christi  erhalten  durch 
diese  Reflexe  etwas  Durchsichtiges,  das  der 
Charakterisierung  ungemein  förderlich  ist. 
Mit  großer  Kunst  ist  das  bleiche  Haupt  gegen 
den  Hintergrund  weißen  Gewölkes  gesetzt, 
von  dem  es  sich  doch  vollkommen  loslöst, 
seine  Körperhaftigkeit  unangefochten  behaup- 
tet. Dieser  Gegensatz  gegen  die  Luft,  wie 
auch  die  Überleitung  der  Gestalten  in  sie,  ist 
vorzüglich  gelungen.  Wesentlich  gefördert 
wird  die  Wirkung  der  Farben  durch  die  An- 


wendung eines  Bindemittels,  das  der  Münchner 
Maler  Bernhard  Otterpohl  erfunden  hat.  In 
seiner  chemischen  Beschaffenheit  kommt  es 
dem  von  den  Alten  angewandten  nahe,  wenn 
es  nicht  ihm  gleich  ist,  verleiht  den  Farben 
Tiefe,  Geschmeidigkeit  und  Durchsichtigkeit 
und  verhindert  sie  am  Reißen. 

Dem  Werke  im  ganzen  wie  jedem  seiner 
Teile  sieht  man  die  Liebe  und  Sorgfalt  des 
Malers  an.  Nicht  in  Hast  und  Übereilung  ist 
es  entstanden,  sondern  es  ist  die  Frucht  jahre- 
langer Mühe  und  geduldiger  Vorbereitung. 
Dreimal  ist  der  Plan  vollständig  geändert 
worden,  nachdem  die  Lösungen  den  Absichten 
des  Künstlers  nicht  genügten.  Die  Architektur, 


XAVER  DIETRICHS  HL.  ABENDMAHL  FÜR  STRASSBURC, 


«11 

1 

/ 

\AVEK   DIETRICH 


' 


Sti/Itruhnung 


die  Gruppierung  und  Stellung  der  Personen, 
die  Anordnung  der  Farben  waren  bei  den 
ersten  Entwürfen  völlig  anders.  Als  die  end- 
gültige Lösung  gefunden  war,  hat  Dietrich 
nicht  nur  jede  einzelne  Figur,  vor  allem  die 
des  Heilandes,  sondern  auch  alle  wichtigen 
Einzelteile  der  Gewander,  die  Kopie,  die  so 
äußerst  charakteristischen  Hände  auls  ge- 
naueste zeichnerisch  vorbereitet.  Es  bietet 
großes  Interesse,  diese  Vorstudien  kennen  zu 
lernen.  Sie  enthalten  eine  Fülle  von  Fein- 
heiten und  kennzeichnen  diesen  Künstler 
in    seiner    Gewissenhaftigkeit,    seiner    I 


zügigkeit,    seiner    Zielbewußtheit   (Abb    S.  2, 

6—12). 

D.i.  Dietrichsche  Abendmahlsbild  läßt  in 
seiner  Anlage  und  seiner  Farbe  Erinnerungen 
an  Tizian,  Rubens,  die  grolien  Spaniel 
kommen,  steht  also  auf  dem  Boden  der  I 
tion,  und  ist  doch  das  äußerlich  wie  innerlich 
ureigene,  tiefernste,  andachtsvoll  feierliche 
mentalwerk  eines  im  besten  Sinne  neu- 
zeitlichen Malers,  eines  der  wenigen,  welche 
auf  eigenen  Wegen  EU  gehen  beginnen  und 
der  christlichen  Kunst  unserer  Zeit  hohen 
Autschwung  verheißen.  Docting 


PRÄLAT  DR.  SEBASTIAN  HUBER 


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XAVER  DIETRICH 


VORSTUDIE  ZU  EINEM  APOSTEL 


PRÄLAT  DR.  SEBASTIAN  HUBER  f 

Wenige  Monate  nach  dem  Heimgang  des 
Abtes  Prälat  Gregor  Danner  hat  die  Deut- 
sche Gesellschaft  für  christliche  Kunst  neuer- 
dings das  Ableben  eines  hochverdienten  Mit- 
gliedes zu  verzeichnen.  Am  10.  August  verschied 
Generalvikar  Prälat  Dr.  Sebastian  Huber 
in  München.  Ein  Mann  von  gründlicher  theo- 
logischer und  philosophischer  Bildung,  ein 
Mann  des  Wissens  und  der  Praxis,  für  alles 
Edle  eingenommen,  war  er  auch  ein  warmer 
Förderer  der  christlichen  Kunst.  In  den  langen 
Jahren  seiner  gesegneten  Lehrtätigkeit  am  Ly- 
zeum zu  Freising  ließ  er  sich  angelegen  sein, 


die  angehenden  Theologen  in  die  Kenntnis  der 
Kunst  einzuführen.  Aus  dieser  seiner  Wirk- 
samkeit heraus  verfaßte  er  einen  »Abriß  der 
Kunstgeschichte«.  Die  Sammlung,  Erhaltung 
und  Ordnung  der  Kunstdenkmäler  Freisings 
betrieb  er  mit  bestem  Erfolge.  Der  Deutschen 
Gesellschaft  für  christliche  Kunst  war  er  herz- 
lich zugetan  und  noch  in  den  Jahren  seines 
Freisinger  Aufenthaltes  wirkte  er  in  drei  Wahl- 
perioden als  Juror  mit,  die  Reisen  nach  München 
nicht  scheuend.  19 14  als  Domdekan  nach 
München  berufen,  trat  er  noch  im  gleichen 
Jahr  in  die  Vorstandschaft  der  Deutschen  Ge- 
sellschaft für  christliche  Kunst  ein,  wo  seine 
warmherzige    und    ruhige  Mitwirkung   dank- 


LUDWIG  PI-NZ 


XAVER  DIETKICH 


t  POSTEL 


bare  Würdigung  fand.  Eben  sollte  unter  seiner 
Führung  in  der  Erzdiözese  München-Freising 
eine  frische  Werbetätigkeit  für  die  Gesellschaft 
einsetzen,  als  eine  schwere  Krankheit,  die  ihn 
nicht  mehr  verließ,  seinem  Wirken  ein  allzu- 
frühes Ende  machte.  Schmerzlich  empfindet 
die  Gesellschaft  den   herben  Verlust. 

S.  Staudhamer 

LUDWIG  PENZ 

(Vgl.  Abb.  S.  14— 21) 

Fernab  von  dem  Getriebe  der  Welt  in  der 
ländlichen  Stille  des  Tiroler  Bergstädtchens 
Schwaz  am  Inn  lebte  Ludwig  Penz,  ein  Tiroler 


Bildschnitzer.  Schon  als  Knabe,  als  er  noch 
im  Stubai  Rinder  und  Schafe  hütete,  versuchte 
er  sich  in  der  Nachahmung  derselben  und 
schnitzte  mit  dem  Taschenmesser  kleine  Figur- 
chen  und  Tiere.  So  übte  er  früh  Beobach- 
tungsgabe, Nachahmungstrieb  und  technische 

keit  und  schulte  Auge  und  Hand.    Alle 

Hirtenjungen,   die  die  Kunstgeschichte  nennt, 

.ms  Defregger  und  Segantini,  haben 

gefangen.  Langsam  und  allmählich  wie 
eine  werdende  Welt  ging  ihm  das  Verständ- 
nis für  die  Aufgaben  der  Kunst  auf  und  wuchs 
er  im  Umgange  mit  seinen  geliebten  alten 
Tiroler  Bildschnitzern  in  sie  hinein.   Holz  war 


Die  christliche   Kumt.     XVI 


LUDWIG  PENZ 


XAVER  DIETRICH 


Sti  ftztichnutigeii 


VORSTUDIEN  ZUM  ABENDMAIILSlill.DE 


dasjenige  Material,  das  sich  für  seine  plastisch- 
malerische  Vorstellung  am  bildsamsten  erwies. 
Diese  Art  Plastik  hat  ihre  Vorläufer  schon 
im  Barock  und  Rokoko.  Penz  führte  diese 
Traditionen  unbewußt  weiter,  indem  er  zwar 
ein  Kenner  und  Bewunderer  von  Knoller  und 
seiner  Schule  war,  sich  aber  hütete,  im  Sinne 
einer  direkten  Stilnachahmung  in  den  Fuß- 
tapfen der  alten  Meister  zu  gehen.  Er  schuf 
sich  vielmehr  aus  seiner  malerischen  Anschau- 
ung der  Form  heraus  seinen  eigenen  Stil, 
der  durchaus  ein  Produkt  seiner  malerischen 
Formgestaltung  und  seiner  eigenen  Art,  das 
Schnitzmesser  zu  führen,  war.  Diese  eigen- 
artige Linien-  und  Kurvenwelt,  mit  vom  Lichte 


getroffenen  Flächen  und  Buckeln,  Rillen  und 
Rinnen,  in  denen  weiche  Schatten  spielen, 
läßt  das  Auge  wie  über  von  Licht  und  Schatten 
umwogte  Höhen  und  Tiefen  hinwandern. 
Der  Blick,  dadurch  aufs  lebhafteste  angeregt, 
gleitet  an  diesen  Linien  und  Kurven  dahin 
und  liest  so  Form  um  Form  gleichsam  ab. 
Solch  eine  Gestaltungsweise  hat  viel  Ähn- 
lichkeit mit  der  Griffelkunst.  Sie  erinnert  leb- 
haft an  Rembrandtsche  Radierungen,  wo  vom 
Lichte  getroffene  Formen  aus  dem  Helldunkel 
heraustauchen.  Und  wie  dieses  Helldunkel 
einen  mystischen  Untergrund  hat,  so  auch 
das  Naturgefühl  und  die  Naturanschauung 
dieses  Bildschnitzers. 


LUDWIG  PEN/ 


Damit  ist  auch  schon  gesagt,  daß  es  sich 
hier  nicht  um  eine  bloß  handwerksmäßig  aus- 
geübte Kunst  handelt,  bei  der  das  Material- 
empfinden das  Wesentliche  und  der  Effekt 
schon  erreicht  ist,  wenn  ein  Ding  nur  recht 
hölzern  aussieht.  Das  Holz  war  diesem  Bild- 
schnitzer allemal  nur  das  Material,  seinem 
Empfinden  und  seiner  eigentümlichen  An- 
schauung einen  ihm  gemäßen  Ausdruck  zu 
geben.  Wohl  regte  die  Materie  seinen  Form- 
und Gestaltungstrieb  an,  gab  ihm  eine  gewisse 
Richtung  auf  das  Gestaltungsmäßige.  Wunder 
voll  illustriert  das  die  Anekdote  des  Künst- 
lers: »Am  Ofen  sitzend  und  ein  Scheit  in  der 
Hand,  strich  ich  mit  den  Händen  darüber, 
streichelte  und  liebkoste  es  und  das  Bild  einer 
Mutter,  die  ihr  Wickelkind  streichelt,  stand 
mit  einem  Male  lebendig  vor  mir.« 


Auch  das  Hineinsehen  bestimmter  Gestalten 
ins  Holz  lag  in  diesem  Vermögen  der  Be 
seelung  und  Formung  der  Materie.  Aber  doch 
nur,  weil  ein  schöpferischer  Geist  im  Künstler 

lebendig  war.  So  beseelte  er  die  Natur  in  all 
ihren  Erscheinungen.  WiederTroubadour  der 
Gottesminne  jegliche  Kreatur  mit  aller  Liebe 
umfaßte  und  Fischen  und  Vögeln  predigte,  so 
ergriff  auch  der  Eros  des  Künstlers  die  Natur 
und  gestaltete  sie  lauter  und  einfältiglich.  Alle 
wahre  Kunst  kommt  aus  dem  Heizen.  Ein 
edler  Schwärmer,  konnte  man  sich  unseren 
Bildschnitzer  wie  den  Heiligen  unter  den 
Tieren  des  Waldes  und  unter  den  Lämmern 
auf  der  Weide  denken.  Nur  aus  so  inniger 
Einfühlung  in  die  Kreatur  konnten  Werke 
entstehen,  wie  die  rührend  schöne  Gruppe  des 
Mutterschafes   mit  dem  Jungen  (Abb.  S.  17). 


XAVER  DU 

Xu  dm  Fiißtn  Chriili  und  drs  hl.   Jckarnnri.   —  Sti/ttticknungtn 


LUDWIG  PENZ 


XAVER  DIETRICH 


Stundenlang  konnte  er  im  Grase  liegen  und 
mit  ehrfürchtigem  Erstaunen  die  Kleinwelt 
da  unten  betrachten.  Im  Walde  sah  er  leib- 
haftig Erscheinungen,  die  ihm  die  Vision  des 
heiligen  Hubertus  eingaben  (Abb.  S.  19).  Und 
aus  dieser  Welt  der  Romantik  erwuchsen  auch 
Vorstellungen,  wie  sie  in  seine  Krippendar- 
stellungen hineinspielen. 

Nur  ein  Sohn  des  Volkes  mit  einer  alten 
Tradition  konnte  darin  noch  Neues  und  Origi- 
nelles schaffen.  Man  fühlt  in  seinen  Schöp- 
fungen  wie  in  den  alten  Krippendarstellungen 
die  Kirchweihfreude  des  süßen  Wunders,  wie 
sie  sich  auch  in  alten  Krippenliedern  ausspricht: 

»Da  öffnet  sich  gachlings  das  himmlische  Tor, 
Da  wumelen    die  Engelen    ganz    haufenweis 

hervor, 
Die  Bubelen,  die  Madelen, 
Die  machen  Burzigagelen, 
Bald  aui,   bald  oi,   bald   hin  und  bald   her, 
Bald  unterschi,  bald  überschi,   dös  freut  uns 

umso  mehr.« 

Der  Beschauer  wird  aufs  innigste  angezogen 
und  mit  in  die  Welt  der  Krippendarstellungen 
hinein  versetzt.  Er  erlebt  alle  Phasen  der  Emp- 


findungen: Ehrfurcht, 
Erstaunen,  Bewunde- 
rung, naive  Freude  und 
Humor.  Realistisch  in 
der  Behandlung  einzel- 
ner Details,  webt  und 
schwebt  darüber  doch 
der  Hauch  urwüchsiger 
Poesie  (Abb.  S.  14 — 17). 
Sie  wirken  in  ihrer 
Unmittelbarkeit,  Wärme 
und  Frische  wie  ein  Ge- 
legenheitsgedicht. 

Klein  im  Maßstab,  er- 
schein tseineKleinplastik 
doch  groß  in  der  Form. 
Penz  vereinte  in  seiner 
Kunst  das  scharfe,  ge- 
naue Gesicht  für  Maße 
und  Verhältnisse  mit 
dem  zarten  Duft  und 
Hauch  malerischen  Emp- 
findens und  Schauens. 
Seine  Holzschnitzereien 
sind  in  Wirklichkeit  poe- 
tische Impressionen. 

Von  Jugend  auf  in 
dem  Gefühlskreis  und 
in  der  Vorstellungswelt 
religiöser  Kunst  lebend, 
wäre  er  auch  imstande 
gewesen,  derkirchlichen 
Kunst  neue  Werte  zuzuführen.  Leider  war  es 
ihm  nicht  mehr  vergönnt,  seine  Kunst  an 
größeren  Aufgaben  zu  entfalten.  Sie  fielen 
ihm  nur  spärlich  zu.  Wo  er  aber  solche  zu 
lösen  hatte,  brachte  er  immer  Neues  und  Ori- 
ginales hervor.  Eines  seiner  schönsten  Werke 
besitzt  das  Franziskanerkloster  in  Schwaz, 
einen  Christus  am  Ölberg  (Abb.  S.  18),  und 
ein  Haus  in  Bozen,  eine  Madonna  als  Hausbild 
(Abb.  S.  20).  Man  kann  beide  Werke  nicht  ohne 
innere  Bewegung  betrachten  ;  sie  stehen  beide, 
äußerlich  wieformal  besehen,  fern  allerKonven- 
tion  und  sind  der  Empfindung  nach  doch  voll 
edelster  Konvention  christlicher  Kunst.  Penz 
dachte  immer  daran,  etwas  ganz  Großes  zu 
schaffen.  Sein  letztes  Ziel,  der  Gipfel  seiner 
Wünsche,  war  die  Schöpfung  eines  Gesamt- 
kunstwerkes von  Architektur,  Plastik  und  Ma- 
lerei, wie  es  ihm  eben  nur  eine  große  Aufgabe 
der  kirchlichen  Kunst  bieten  konnte.  Der  Ge- 
danke des  Ausbaues  einer  Kapelle  im  Dom  zu 
Brixen,  den  ihm  der  dortige  Bischof  nahe  gelegt 
hatte,  verließ  ihn  nicht  mehr.  Er  erfüllte  sein 
ganzes  Sinnen  und  Denken.  AlleSchätze  desLan- 
des, seine  Hölzer,  seine  Erze,  sein  Silber,  sein 
Marmor  sollten  dazu  dienen.  Die  Glasfenster 


VORSTUDIE  ZUM  ABEKDMA1ILSBILD 


>> 


1 1 


LUDWIG  PENZ  -  ZIERBAUTEN  IN  NEUSTIFT  BEI  BRIXEN 


LUDWIG  PENZ 

Ttxt  S.  12 

wollte  er  selbst  malen,  die  Gewölbe  und  Wände 
mit  Mosaikbildern  schmücken,  den  Altar  aus 
Tiroler  Marmor  errichten  und  eine  Pietä  von  Erz 
daraufstellen,  dazu  kostbares  Geräte  aus  Gold 
und  Silber.  All  sein  Können  und  alle  Zeit  seines 
Lebens  wollte  er  daran  setzen,  dem  heiligen 
Land  Tirol  eine  Gnadenkapelle  zu  bauen,  die 
das  Allerschönste  darstellen  sollte,  was  moderne 
Kunst  vermöchte.  Dieser  kühne  Traum  seines 
Lebens  sollte  sich  nicht  erfüllen.  Es  kam  nur 
zu  Vorprojekten  und  Entwürfen.  Die  tückische 
Grippe  raffte  Ludwig  Penz  im 
Sommer  191 8  jäh  hinweg.  Er 
hat  das  Land  seiner  künstleri- 
schen Verheißung  nicht  mehr 
betreten,  er  konnte  es  nur 
mehr  von  ferne  schauen.  Das 
Andenken  an  den  prächtigen 
Menschen  und  edlen  Künstler 
wird  all  denen  teuer  sein,  die 
ihn  gekannt  und  geschätzt 
haben.        Alexander  Heilmeyer 

ZIERBAUTEN 

von  Hieron ym us  IL,   Prälat  von 
Neustift   bei    Brixen    a.  E.  in   Tirol 

(Abb.  S.  22  und  25) 
F^ie     Kunst    verdankt    der 
*-^  Geistlichkeit  ein  Großteil 
ihres  Ruhmes. 

Welch  herrliche  Schöpfun- 
gen sind  zufolge  des  feingebil-       ludwig  penz 


deten  Kunstsinnes  der 
Päpste  entstanden;  was 
alles  förderten  Priester  in 
geringerer  Stellung  auf 
profanem  oder  kirchli- 
chem Gebiete! 

Zu  allen  Zeiten  gab  es 
Diener  der  Kirche,  denen 
der  Kunstgeschmack  als 
Geschenk  in  die  Wiege 
gelegt  wurde,  welche 
Gabe  sie  in  der  Folge 
glänzend  zu  rechtferti- 
gen wußten.  Zu  solchen 
zählte  der  Prälat  Hiero- 
nymus  II.  von  Neustift, 
von  dessen  Wirken  hier 
die  Rede  sein  soll. 

Die  Baukunst  gibt  uns 
an  Hochbauten  die  herr- 
lichsten Beispiele  profa- 
ner wie  liturgischer  Rich- 
tung, in  ihr  schenkte 
man  aber  auch  Klein- 
bauten durchwegs  die 
größte  Aufmerksamkeit. 
Diese  Tatsache  können  wir  jederzeit  be- 
stätigt finden  und  solche  beachtenswerte 
Kleinbauten  vom  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
sind  es,  die  wir  hier  nachstehend  besprechen 
wollen. 

In  dem  schönen  Garten  des  Konventes 
des  nahe  bei  Brixen  gelegenen  Augustiner- 
Chorherrenstiftes  Neustift  in  Tirol  findet  sich 
ein  Lusthäuschen  geschichtlich  interessanter 
Vergangenheit  vor.     (Abb.  S.  22.) 

Von    ferne    aber   schon  bemerkt  ein  fach- 


KLEINK   KRIPPE 


KRIPPENFIGUREN 


ZIERBAl'TEN  IN  NEUSTIFT  BEI  BRIXEN 


'5 


l.l'DWIG   PENZ 


V  EIHN'AI  H 


männisch  geübtes  Auge,  daß  an  dem  Bau- 
werke eine  Veränderung  vorgenommen  wurde, 
weil  dasselbe  einerseits  eine  Unvollständigkeit 
in  seiner  gegenwärtigen  Konzeption  erkennen 
läßt,  während  sich  anderseits  einzelne  Bauteile 
ohne  gegenwärtig  konstruktive  Bedeutung 
erhalten  haben.  So  fällt  uns 
dieser  Bau  als  Stückwerk  so- 
gleich unangenehm  berüh- 
rend auf. 

Das  Lusthäuschen  besteht 
in  der  uns  entgegentretenden 
Form  aus  einem  zweigeschos- 
sigen Auf-  und  einem  durch 
Stufen  erhöhten  Portalvor- 
bau. An  letzterem  befindet 
sich  in  der  Giebelfüllung  eine 
Steintafel  mit  einem  von  einer 
Mitra  gekrönten  Wappen,  da- 
neben sich  die  Buchstaben 
H  P  links  und  rechts  ver- 
teilt und  die  Jahreszahl  1667 
befinden. 


Das    Wappen    zeigt    ein    mit    einem    latei- 
nischen Kreuz  belegtes  Buchenblatt  und  findet 
sich   dergestalt  auf  der  Wappentafel   dei    ! 
laten  des  Stiftes  wieder  und  /war  bei  Hiero- 
nvmus  II.  von  Rotten puecher. 

An  letzterem  ersieht  man  das  Kreuz  silbern 
auf  dem  Buchenblatt 
ter  Tinktur. 

Darauserhellt,  daß  der  Prä 
lat  von  Rottenpuecher  mit 
dem  Bauwerke  in  Verbin  düng 
steht  und  wären  wir  noch  in 
Zweifel,  so  müßten  uns  die 
Buchstaben  II  u  P  eines  lies 
sern  belehren,  denn  ci 
bezieht  sich  unleugbar  auf 
Hieronvmus  wie  letzteres 
aul  »PräpOsitUS  der  Vorge- 
setzte <  oder  auch  »PralatUSc. 
I  lieronymus  v.  Rottenpue 

eher    stand    dem   Stilte   von 

[66  j  Prälat  Hiero- 

weihnachi       nymus  II.  vor. 


ZIERBAUTEN  IN  NEUSTIFT  BEI  BR1XEN 


LUDWIG  I'EXX. 


MARIA   MIT  DEM   CHRISTK(NDLEIN 


Diese  für  Neustift  hervorragende  Persön- 
lichkeit lernen  wir  an  seinem  Grabsteine,  im 
Kreuzgange  des  Stiftes  befindlich,  auch  seinem 
Aussehen  nach  kennen. 

Darauf  zeigt  sich  uns  Hieronymus  II.  mit  an- 
genehm ansprechenden  Zügen,  aus  denen  Kraft 
und  Geist  leuchten,  sowie  doch  wieder  aus  dem 
stark  bebarteten  Antlitze  güt'ge  Milde  sieht. 

All  diesen  dem  Steinbilde  abzulesenden 
edlen  Eigenschaften  des  Verewigten  treten, 
dessen  Sinn  und  dessen  tiefes  Gefühl  für  das 
Schöne  erhärtend,  die  Handlungen  und  Unter- 
nehmungen auf  dem  Gebiete  der  Kunst  während 
seiner  Regierungszeit  im  Stifte  hinzu. 

Kaum  war  er  in  Amt  und  Würde  gelangt,  wur- 
den im  Garten  des  Konvents  zwei  Marmorbrun- 
nen und  einePiscina  errichtet, über  welch  letztere 
geschichtlicheBelege  vorliegen.  Diesesind  unter 
Hieronymus  II.  in  dem  Kodex  Nr.  931  der  Inns- 
brucker Universitäts-Bibliothek  zu  finden.  Die 
betreffende  Stelle  lautet  »Epitome  de  gestis 
Praelatorum  Neocellensium  et  rebus  memorabi- 
libus  a  Quinque  cum  Dimidio  Saeculis  conscrip- 
tum  1693 —  in  horto  conventuali  blande  mur- 
murantiumatquesaltantium  aquarum  thermam 
etgrottamcumpiscinaetediametrofontemcum 
marmoreis  duabus  conchis  fieri  indulsit.  Ob  sae- 
pesaepius  frigus  aquarum  septis  piscina  mox 
derserta  et  sola  aestivalis  domuncula  stare  per- 
missa  et  botorum  sirmate  circum  amicta  est«1). 

■)  Siehe  Note  3  auf  Seite  22. 


Es  ist  somit  von  einem  Häuschen  die  Rede, 
das  ein  Fischbehälter  war  und  das  wegen  der 
gar  zu  häufigen  Kälte  des  Wassers,  darin  die 
Fische  nicht  gedeihen  mochten,  abgebrochen 
wurde.  Man  ließ  den  Teich  aus  und  pflanzte, 
nachdem  die  Umfriedung  beseitigt  und  das 
Dach  entfernt  worden  war,  einen  Kranz  von 
Reben  um  das  Lusthäuschen,  wie  ein  solcher 
heute  noch  dasselbe  als  Zentralbergel  umgibt. 

Diese  Kunde,  die  uns  als  ziemlich  gewalt- 
samer Eingriff  erscheint,  dürfte  vollkommen 
aut  Wahrheit  beruhen,  denn  ein  Steinstich- 
bild von  der  Hand  des  Chorherren  Ingenuins 
Kaufmann,  in  der  Bibliothek  des  Stiftes  be- 
findlich und  aus  dem  ersten  Viertel  des  neun- 
zehnten Jahrhundertes  stammend,  zeigt  uns 
die  Piscina  genau  in  der  oben  beschriebenen 
Form,  dabei  auch  die  Reben  nicht  vergessen 
sind,  die  sich  über  das  dem  Vorbau  nachge- 
ahmte Holzgerüste  hinziehen.  Anderseits  ver- 
gewissert uns  auch  ein  Modell  des  Stiftes,  ver- 
mutlich aus  der  Zeit  um  181 6,  der  Wieder- 
errichtung nach  der  Aufhebung  desselben  durch 
die  Bayern  darüber,  daß  die  Piscina  bis  auf 
das  doppelstöckige  Lusthäuschen  zur  genann- 
ten Zeit  bereits  abgebrochen  war.  Der  einzigen 
uns  bisher  bekanntgewordenen  Jahreszahl  nach 
würde  das  Bauwerk  aus  demjahre  1 667stammen, 
wogegen  jedoch  der  Gesamteindruck  spricht, 
welcher  das  Bauwerk  in  eine  frühere  Zeit  ver- 
setzt; denn  schon  der  spitze  Helm  als  mäch- 
tige Bedeckung  gibt  dem  Ganzen  einen  früheren 
Charakterzug. 

Nun  fand  sich  in  der  Bibliothek  des  Stiftes 
eine  Orientierungstafel  (Kataster),  eine  feinstens 


LUDWIG    PEN'Z 


KKIl'I'ENHGUR 


ZIERBAUTEN  IN  NEUSTIFT  BEI  BRIXEN 


I  i  l>\\  IG  PENZ 


MARIA   MIT  DEM  CHRISTKINDLEIN 


mit  Deckfarben  bemalte  Federzeichnung  au! 
Papier  und  Leinen  autgezogen,  mit  dem  Plane 
der  Liegenschaften  des  Klosters  und  der 
weiteren  Umgebung  in  Vogelschau  darstellt, 
aus  dem  Jahre  1666  vor. 

Auf  diesem  Bilde  ist  auf  gleicher  Stelle  des 
Gartens  einSommerhaus  eingezeichnet, welches 
sich  als  ein  ebenerdiger,  einfacher  Bau  dar- 
stellt, daran  von  einem  Vorbau,  einer  Piscina, 
nichts  zu  sehen   ist. 

Säulen    tragen    ein    mächtiges,    von    roten 
Ziegeln   eingedecktes  Pyramiden- 
dach,siestützen  sichaufeine  starke, 
vieleckige  Brüstung,   die    Umfrie- 
dung des  Sommerhauses. 

Was  des  genannten  Baues  Zeit- 
bestimmung anbelangt,  so  gehen 
wir  nicht  fehl,  wenn  wir  die  Bau 
zeit  um  1600  suchen.  So  war 
denn  schon  im  Garten  des  Kon- 
ventes ein  Lusthäuschen  vorhan- 
den, als  1667  die  Piscina  entstand 
und  wir  dürfen  begründet  der 
Vermutung  Ausdruck  verleihen, 
daß  in  dem  Erdgeschosse  der  Pis- 
cina das  alte  Lusthäuschen  er- 
halten blieb.  Wir  begründen  diese 
Vermutung  in  dem  der  Renais- 
sance angehörenden  Charakter 
der  darin  befindlichen  Säulchen  so- 
wie an  dem  Vorhandensein  eines 
eingebauten  steinernen  Tisches 
von  der  Art  italienischer  Gar- 
tentische   aus     der    Renaissance. 


Aber  zugleich  geben  wir  der  Vermutung  Raum, 
daß  dieses  Lusthäuschen  mit  jenem  identisch 
ist,  welches  laut  der  Abbildung  auf  dem  01- 
bilde  »Maria  die  Schutzfrau  Neustifts«,  welches 
unter  dem  Prälaten  Markus  Hauser  1621  bis 
1625  gemalt  wurde,  im  Prälatengarten,  um- 
geben von  einem  Fischweiher,  gestanden  hat. 

Somit  dürfte  das  zur  Zeit  des  Prälaten 
Hauser  im  Prälatengarten  gestandene  Sommer- 
häuschen in  der  Zwischenzeit  von  1625  bis 
1666  in  den  Garten  des  Konventes  über- 
tragen worden  sein,  wo  es  von  HieronymuslI. 
zur  monumentalen  Piscina  ausgebaut  wurde. 

Die  von  dem  Chronisten  des  Jahres  1693 
genannte  Piscina  tritt  uns  heute  wieder  in  ver- 
einfachter abgebauter  und  gewissermaßen  ver- 
stümmelter Form,  nur  als  das  mehrlach  ge- 
nannte Lusthäuschen  entgegen,  daran  jedoch 
das  zwischen  Architrav  und  Dach  einge- 
schobene Stockwerk  als  neue  Zufügung  auf- 
fällt (Abb.  S.22).  Dieses  Häuschen  ist  auf  der 
Grundlage  des  Achteckes  erbaut  und  besteht 
aus  einem  unteren,  offenen  und  einem  oberen, 
geschlossenen  Geschosse. 

Ersteres,  das  wir  in  die  Zeit  um  1600  ver- 
setzen, wird  von  acht  gefälligen  Säulchen,  aus 
Granit  gefertigt,  auf  einer  Brüstungswand 
ruhend,  gebildet. 

Diese  Wand  schließt  das  Erdgeschoß  bis 
auf  einen  Eingang  ab  und  trägt  granitenen 
Brüstungsabschluß. 

Über  den  Säulchen  zieht  sich  ein  einfach 
gegliederter  Architrav  als  Träger  des  Ober- 
geschosses   hin,    der   ebenso   aus    Granit  ist. 

Von  hier  ab  beginnt  das  zweite  Geschoß, 


i.rnvvir;  pew 


mi  1 1  ER 


Die  christliche   Kumt.     XVI. 


iS 


ZIERBAUTEN  IN  NEUSTIFT  BEI  BRIXEN 


LUDWIG  TEXX 


ten  Stufen  sowie  das  in  ihrem 
Sturze  angebrachte  Wappen,  von 
dem  wir  eingangs  sprachen,  sind 
auch  aus  Granit  gearbeitet.  Rote 
Biberschwänze  decken  das  Dach 
lein  des  Portalvorbaues. 

Die  Deckung  der  Stiege  ist 
heute  in  ordinärem  Zinkblech 
hergestellt,  wo  vordem  ebenso 
Ziegel  diese  ausmachten. 

Beide  Geschosse  enthalten  be- 
malte Holzdecken,  und  während 
die  obere  eine  Spiegeldecke  mit 
in  den  Fliesen  sich  befindlichen 
Tafelbildern  ist,  welche  zum  Ge- 
genstande ihrer  Darstellungen  Be- 
gebenheiten aus  dem  Leben  des 
hl.  Augustin  nehmen,  ist  die  Decke 
des  Erdgeschosses  eine  Kassetten- 
decke von  reichem  geometrischem 
Figurennetze. 

Im  Mittel  dieses  ist  die  Mutter 
Gottes    mit    dem  Jesuskinde    auf 
dem  Arme,  die   »S.  Maria  adGra- 
tias«    in  eine   schildförmige   geo- 
metrische Figur,  in  Tempera  ge- 
malt, gesetzt.     Die   anderen  Fül- 
lungen des  Kassetten werkes  wer- 
den  von  Ornamenten    derselben 
Technik   belebt.    Vier   vielfarbige 
ßlätterrosetten  sitzen  im  Mittel  der  das  Ma- 
donnenbild umgebenden  größeren  Füllungen. 
Die  blau   gehaltenen  Stege   der  Kassetten 
zieren  flache,  gelbe  Kugelknöpfe   und    gelbe 
Stäbe  mit  grünen  Blattwellen  vermitteln  den 
Übergang  von  den  Stegen  zu  den  Füllungen. 
—    Leider    haben    die  Malereien   schon  sehr 
stark  gelitten  und  dies  um  so  mehr,  als  sie  im 
Jahre   1685    übermalt   worden    sein    dürften. 
Die  Ubermalung  zeigt  sich  darin,  daß  die  ur- 
sprüngliche Malerei  durch  das  Abspringen  der 


jenes,  welches  der  zweiten  Bauzeit,  die  mit 
1667  begann,  in  der  das  alte  Lusthäuschen 
zur  Piscina  umgewandelt  wurde.  An  ihm 
durchbrechen  Fenster  die  Wände  des  Ober- 
geschosses und  wieder  ein  schmucker  Pyra- 
midenhelm, eingedeckt  mit  grün  glasierten 
Biberschwänzen,  schließt  das  Bauwerk  ab.  Der 
Helm  endet  mit  einem  zierlich  gebuckelten 
Modus  und  einer  von  einem  Doppelkreuze 
durchbrochenen  Windfahne  mit  einem  Stern 
am  Ende.     Der  Aufsatz  ist  aus  Kupfer. 

Zu  diesem  Geschosse 
führt  eine  hölzerne,  mit 
einem  Satteldächlein 
gedeckte  Treppe,  von 
einem  gemauerten  Tür- 
vorbau ausgehend,  em- 
por. Desgleichen  ge- 
leiten solche  zu  dem 
dadurch  erhöhten  Vor- 
bau doppelseitig  hinan; 
sie  münden  auf  einen 
kleinen  Vorplatz,  von 
dem  aus  die  Stiege 
durch  den  genannten 
Vorbau  zu  betreten  ist. 
Das  Gewände  dieser 
Türe,    die    vorgenann-  ludwig  penz,  gedenkmedaille,  vorder-  und  Rückseite 


ZIERBAITEN  IN  NEUSTIFT  BEI  BRIXEN 


19 


LUDWIG  PEXZ 


HL.  HC  BERITS 


jüngeren  wieder  hervortritt,  wodurch  keine 
der  Malereien  klar  zu  sehen  ist.  —  An  ersterer 
Malerei  sind  die  ornamentalen  Rankenzüge 
in  jenen  lichtvioletten  Tönen  gehalten,  wie 
wir  ähnliche  Malereien  in  Tirol  um  1600  ge 
nügend  an  Fassaden  oder  Innendekorationen 
antreffen.  —  Leider  ist  die  Decke  auch  an- 
sonst  sehr  schadhaft  und  drohen  einzelne 
Füllungen  herabzufallen;  eine  fehlt  überhaupt. 
—  Soweit  tritt  uns  also  die  Piscina  erhalten 
entgegen,  von  der  wir  aus  dem  Jahre  1695 
die  schriftliche  Kunde  erhalten,  daß  sie  ge- 
fallen sei.  Das 
Fehlende     des 

vollkomme- 
nen Bildes,  so 
wieRottenpue- 
cher  die  Pi- 
scina erbauen 
ließ,  zu  ergän- 
zen vermögen 
ein  Ölbild  aus 

dem  Jahre 
1673,  im  Klo- 
stergang beim 
Eingange  zum 


Speisesaal 


PENZ,     KAISI.KI  \OI  RMEDAII.LL 


links  hängend,  sowie  ein  Doktordiplom,  ein 
Kupferstich  vermutlich  aus  dem  Jahre  1682, 
weil  nur  die  Jahreszahl  MDCLXXXI  (1681) 
bestimmt  leserlich  ist,  die  fehlende  Zahl  des 
kleinen  fehlenden  Teiles  wegen  nur  I  sein 
kann. 

Auf  beiden    Bildern    ist    die    Ansicht    des 
Klosters  in  Vogelschau  zu  sehen. 

Bei  ersterem  sind  die  Gestalten  des  Förderers 

des    Stiftes    und    des    Rembertus  von    Säben 

und    seiner    Gemahlin    Christina    sowie    des 

Gründers    desselben    B.   llartmanus    +   1164, 

verewigt. 

An  diesen 
Abbildungen 
ei  halten  wir 
einen  vollen 
Begriffvon  der 
Piscina  und 
ihrem  reichen 
Aussehen. 

Das  Ölbild 
lieli  nach  dem 
darauf  befind- 
lichen Wappen 
Hieronvmus 
VOH         Kutten 


ZIERBAUTEN  IN  NEUSTIFT  BEI  BRIXEN 


puecher  herstellen,  das  Diplom  Fortunatus 
von  Troyer,  der  Nachfolger  des  vorigen 
Prälaten. 

Diesen  Bildern  und  den  heute  noch  erkennt- 
lichen Dispositionen  nach,  umzog  das  Erd- 
geschoß einst  ein  2,4  Meter  breiter,  an  den 
Stufen  des  schon  vorher  genannten  Stiegen- 
aufganges vorbeiziehender  Wassergraben,  der 
am  Eingange  zum  Erdge- 
schoß entweder  überbrückt 
oder  abgesetzt  war. 

Nach  außen  schloß  das 
Becken  mit  einer  Mauer- 
brüstung ab,  darauf  an  den 
Ecken  Pfeiler  und  zwischen 
diesen  Paare  kleiner  Säul- 
chen standen,  mitderAufga- 
be  betraut,  ein  von  Kapfern 
durchbrochenes  Pyrami- 
dendach zu  tragen,  welches 
sich  an  den  Fuß  des  Ober- 
geschosses anlegte.  Die 
Eindeckung  des  Daches 
bildeten  Ziegel  und  dürften 
diese  sich  bis  auf  heute  der 
Form  nach  erhalten  haben. 
Vor  dem  Eintritte  zum 
Erdgeschosse  war  ein  Por- 
talbau mit  Oberlicht  er- 
richtet und  derselbe  mit 
roten  Ziegeln  gedeckt. 

Am  Ölgemälde  ersehen 
wir  aber,  daß  noch  weitere 
zierliche  Ausschmückungen 
an  der  Piscina  vorhanden 
waren.  So  führte  zur  Stein- 
treppe  am  Aufgange  zum 
Obergeschoß  ein  geschmie- 
detes Brüstungsgeländer  hi- 
nan, das  an  den  Stirnköpfen 
solche  Blumen  trug.  Die  Löcher,  worin  das 
Gitter  Befestigung  fand,  sind  noch  heute  an 
den  Stufen  ersichtlich.  Das  ganze  Geländer 
war  von  roter  Bemalung.  Ferner  war  die 
Stiege  zum  Obergeschoß  von  einer  Brüstung 
abgeschlossen,  daran  das  Dachgerüste  von 
grünen  Säulchen  getragen  wurde  und  rote 
Ornamente  in  Brettsägearbeit  die  Räume 
zwischen  den  Säulchen  zu  füllen  hatten. 

So  erhalten  wir  eine  überaus  freundliche 
und  reiche  Gestaltung  der  Piscina  vergegen- 
wärtigt, deren  Ausstattung  der  farbenfrohen 
Zeit  entsprechend  ganz  prächtig  gewesen 
sein  muß. 

Über  des  alten  Lusthäuschens  Umgestal- 
tung zur  Piscina  findet  sich  an  dem  bis  heute 
erhaltenen  Reste  desselben  überdies  eine  Auf- 
zeichnung   an    Schrifttäfelchen,    welche    an 


LUDWIG  PENZ 


der  Innenseite  der  Säulen  eingelassen  sind. 
Sie  bestehen  aus  schwarzem  Marmor,  der 
Text  lautet  sehr  gekürzt:  SUB  HIRONYMO 
SECUNDO,  DIVINAPROVIDENTIA  PK AE- 
POS1TO  CONVENTVS  NOVAECELLEN- 
SIS  HAC  PISC1A  POSVIT  M.  D.  C.  L.  XVIII. 
Bietet  uns  diese  Inschrift  die  Gewißheit  von 
der  einstigen  Bestimmung  des  Bauwerkes,  so 
erfahren  wir  gleichzeitig 
ausdrücklich,  daß  der  Kon- 
vent diesselbe  errichten  und 
im  Jahre  1668  vollenden 
ließ,  wofür  die  Mittel  ver- 
mutlich der  Konvent  trug. 
Für  die  Annahme  in  dem 
bestehenden  Lusthäuschen 
den  Torso  eines  Bauwer- 
kes, den  Kern  der  Piscina 
erblicken  zu  dürfen,  spricht 
auch  noch,  wie  eingangs 
erwähnt,  das  Vorhanden- 
sein von  Bauteilen,  die  sich 
an  dem  Bauwerk  erhalten 
haben  und  die  heute  völlig 
überflüssig  und  auch  stö- 
rend sind.  An  den  Wänden 
des  geschlossenen  Ober- 
baues treffen  wir  wagrecht 
eingelassene  Lagerhölzer 
an,  in  welche  offenbar  die 
Sparren  des  Vordaches  der 
Piscina  eingriffen.  Durch 
diese  nicht  zu  leugnende 
Tatsache  finden  auch  die 
sonst  unverständlich  vor- 
handenen Balken  ihre  Lö- 
sung. 

Über  den  Zeitpunkt  der 

Veränderung  der    Piscina, 

eigentlich  ihrerZerstörung, 

haben  wir  begründete  Mutmaßungen  und  wir 

glauben  nicht  fehlzugehen,    wenn  wir   diese 

in  das  Jahr  1685   setzen. 

Nach  noch  kenntlichen  Spuren  ist  die  Innen- 
seite des  Architraves  mit  einer  Inschrift  und 
mit  Wappenschildern  bemalt  gewesen,  darüber 
in  dem  genannten  Jahre  eine  neue  Bemalung 
gesetzt  wurde. 

Beide  Bemalungen  betreffen  die  Namen  und 
die  Wappen  der  Chorherren  sowie  der  vor- 
gesetzten Prälaten,  bei  gleichzeitiger  Bei- 
fügung ihrer  Wappen. 

Die  zuletzt  aufgemalte  Inschrift  wurde  unter 
Troyer  gemacht  und  gleichzeitig  die  Decke 
mit  neuen  Malereien  versehen.  Sie  lautet: 
»Rmus  PERIL  ET  AMPLmus  D  mus  D  ng 
ForTVNATVS  RENO  :  MDCLXXXV.« 
Sie  steht  in  Beziehung  mit  der  Erweiterung 


MADONNA  AN  EINEM  HAUSE 
Text  S.  13 


ZIERBAUTEN  IN  NEUSTIFT  BEI   BRIXEN 


der  Zahl  der  Wappenschilder  und  den  Namen 
ihrer  Träger. 

Zur  Zeit  der  ersten  Bemalung  waren  im 
Architrave  nur  38  Schildchen  und  vermutlich 
auch  das  Wappen  Hieronymus  II.  vorhanden, 
während  wir  gegenwärtig  44  zählen,  ent- 
sprechend der  Zahl  der  Chorherren,  die  unter 
Fortunatus  dem  Konvente  angehörten. 

Fortunatus  von  Troyer  stand  dem  Stifte 
von    1678 — 1707,  seinem  Sterbejahre  vor. 

So  erfahren  wir  von  der  Fertigstellung  der 
Piscina  (1668)  bis  zur  Meldung  ihrer  Auf- 
lassung (1693)  keine  Zeitangabe  mehr,  als 
die  über  die  sogenannte  Renovierung  im 
Jahre   1685. 

So  ist  die  Piscina  unter  der  Regierung 
v.  Troyers  entweder  im  Jahre  1685  oder  in 
der  Zwischenzeit  bis  1693  gefallen,  obgleich 
der  rauhe  Eingriff  mit  der  später  aufgeführten 
Kunstbestätigung  dieses  Abtes  nicht  recht  zu 
vereinbaren  ist  und  dies  umso  weniger  als  Troyer 
allseitig  gebildet  war  und  auch  als  Gelehrter 
mit  Ehren  genannt  zu  werden  verdient. 

Vermutlich  war  es  nicht  seine  treibende 
Kraft,  welche  zum  Ruine  der  ansehnlichen 
Piscina  führte. 

Um  nur  einiges  aus  seiner  Kunstbestätigung 
zu  bemerken,  wurde  unter  ihm  die  Decke 
des  oberen  Ganges  im  Stiftshaupttrakte  mit 
prächtigen  Stuckornamenten  versehen,  die 
Portale  architektonisch  geschmückt  und  ganz 
besonders  der  Stiegenbeginn  vom  ersten  zum 
zweiten  Stockwerke  als  pomphaftes  Portal  ge- 
bildet. Aber  wie  angezeigt,  wollen  wir  uns 
hier  mit  den  Kunstbestrebungen  v.  Rotten- 
puechers  im  weitern  Sinne  befassen  und  da 
linden  wir  bestätigt,  daß  dieser  überhaupt  sehr 
kunstliebend  war. 

Abgesehen  von  dem  Bilde,  das  wir  nannten 
und  das  zweifellos  über  seinen  Auftrag  tür 
das  Kloster  angefertigt  wurde,  finden  wir  im 
Gange  des  ersten  Stockwerkes  ein  zierliches 
laternenartiges  Lichterhäuschen  aus  dem  Jahre 
1669  mit  seinem  Wappen  geziert,  aus  Stein 
gefertigt,  die  hölzernen  Rahmen  mit  Schmied- 
eisenzierat ausgestattet,  sowie  am  Stiegen- 
aufgange zur  Propstei  eine  schöne  Kartusche 
aus  Marmor,  mit  der  Jahreszahl  1671  und  der 
Initiale  Christi  versehen  vor. 

Das  interessanteste  Werk  aber,  das  er  er- 
richten ließ,  dürfte  ein  Brunnen  im  Hofe 
sein,  den  er  an  Stelle  eines  solchen,  aus  der 
Gotik  herrührend,  neu  aufführen  ließ  (Abb. 
S.  123).  Es  soll  hier  davon  die  Rede  sein,  da 
ein  inniger  Zusammenhang  zwischen  der  Pi- 
scina und  ihm  zu  bemerken  ist  und  damit 
die  Kunstliebe  des  Stifters  v.  Rottenpuechers 
nur  noch  mehr  gekennzeichnet  wird. 


Im  Hofe  des  Stiftes  stand  ein  alter  Brunnen. 
Von  diesem  ist  noch  der  Trog  erhalten.  Er 
ist  mit  einem  Brunnenkranz  verbunden,  als 
Ziehbrunnen  eingerichtet,  das  ganze  ist  von 
einem  zierlichen  Häuschen  überbaut. 

Der  alte,  einfache  Trog  ist  von  spätgotischen 
Formen  und  aus  weißlichem  Marmor  gefer- 
tigt. Er  lehnt  sich  mit  seinem  Rücken  an 
den  genannten  Kranz  an  und  stützt  sich 
vorn  auf  kleine  Säulchen  von  gedrungener 
Form.  Am  Trog  befinden  sich  links  Wappen, 
rechts  eine  Schrift  eingemeißelt.  Die  Wappen 
sind  in  Tartschen  gesetzt,  das  rechte  zeigt 
in  einer  Spitze  einen  sechsteiligen  Stern,  das 
linke  ein  T  mit  einem  Stachel,  wie  er  bei 
Stöcken  am  Fuße  gebräuchlich  ist. 

Ersteres  ist  das  Wappen  des  Prälaten  Christo- 
phorus  I.  Niedermayr,  der  von  1504 — 15 19 
dem  Kloster  vorstand,  letzteres  das  Stifts- 
wappen.  Wir  erblicken  dieses  T  an  anderen 
Orten  im  Kloster  auch  als  Kreuz.  Für  dieses 
T  oder  den  Krückenstock  gibt  es  bis  heute 
noch  keine  bestimmt  zutreffende  Erklärung, 
will  man  nicht  der  Erklärung  des  Martin 
Warell  das  T  als  Buchstaben  zu  nehmen 
vollen   Glauben  schenken. 

Derselbe  Martin  Warell  legte  mit  Kaspar 
Kemich  1672  —  76  die  Annalen  des  Klosters 
Neustift  an. 

Die  Auffassung,  das  T  als  Stockkrücke  an- 
zusehen, wäre  möglich  und  hätte  die  Aus- 
legung auch  eine  sinnbildliche  Bedeutung  tür 
das  Stift,  als  dasselbe  11 90  abgebrannt,  bald 
darauf  wieder  erbaut,  nebst  einem  Hause  für 
büßende  Schwestern  und  einer  Kapelle  zum 
hl.  Michael,  auch  ein  kleines  Spital  für  arme 
kranke  Pilger  angegliedert  bekam. 

So  könnte  wohl  zweifellos  die  Ausle- 
gung des  T  als  Krücke  einige  Berechtigung 
haben. 

Die  Erklärung  des  T  als  Wappenbild  des 
Stiftes  Neustift  durch   Warell  lautet: 

Das  Zeichen  T  wurde  wohl  schon  vom 
seligen  Bischof  Hartmann  dem  neugeweihten 
Kloster  als  Unterpfand  des  Schutzes  zum 
Wappen  gegeben. 

Der  Prophet  Ezechiel  erzählt  uns  im  9,  K.i 
pitel  seines  Buches  eine  Vision,  die  er  gehabt 
wegen  des  großen  Sittenverderbnisses,  das 
in  Jerusalem  herrschte,  daß  Gott  die  Schul 
digen  zu  töten  beschloß. 

Er  schickte  mehrere  Engel  in  die  gottlose 
Stadt  und  sprach  zum  Anführer  derselben, 
(.ehe  mitten  durch  die  Stadt  und  zeichne 
ein  T  auf  die  Stirn  der  Männer,  die  über 
alle  Greuel  seufzen  und  wehklagen.  Zu 
den  anderen  Engeln  aber  sprach  er:  Gehet 
hinter     ihnen      her     und     erschlaget    G 


ZIERBAUTEN  IN  NEUSTIFT  BEI  BRIXEN 


EHEM.  LUSTHAUSCHEN  IN  NEUSTIFT  BEI   BRIXEN 
Tuet  S.  14  ff. 

Jünglinge  .  .  .  aber  niemand,  an  dem  ihr 
das  T  sehet.« 

Daß  nun  das  T  im  Wappen  des  Stiftes 
Neustift  mit  einem  T  des  Propheten  Ezechiel 
im  Zusammenhange  steht,  beweist  der  Um- 
stand, daß  an  dem  oberen  Türpfosten  der  Türe 
zum  Turm,  die  jetzt  nicht  mehr  vorhanden 
ist,  folgende  Inschrift  zu  lesen  war:  »T'"u  super 
hos  postes,  intrantes  ne    terreant  hostes«. 

Das  T  über  dieser  Türe  (auf  diesem  Pfosten) 
bewirke,  daß  nicht  niedrigende  Feinde  uns 
schrecken. 

Soweit  Martin  Warell. 

Mag  das  T  als  Kreuz  in  einer  Zeit  nicht 
verstanden  worden  und  das  Kloster  als  Spital 
einst  hervorgetreten  sein,  zur  Auslegung  des 
T  als  Krücke  führt  nur  ein  kleiner  Schritt2). 

Die  Aufschrift  auf  der  rechten  Seite  des 
Troges  lautet  wie  folgend:  huius  fontis  edi- 
ficium  anno  grc.  m.  V.  VII  deeimo  Kai  mais 
-f-  comissionereverdi  in  xpö  patf.  +dni  christo- 
tori  novecellesis  monastery  prepositi  com- 
pletü  est. 

Sie  besagt  von  der  Errichtung  dieses 
Brunnenbauwerkes,  daß  dieses  im  Jahre  der 


Gnade  1507,  am  10.  Tage  vor  den  Kaienden 
des  Mai  =  22.  April  über  Auftrag  des  hoch- 
würdigen Vaters  in  Christo,  des  Herrn  Christo- 
phorus,  Propstes  des  Klosters  Neustift,  voll- 
endet wurde. 

Der  Brunnen  scheint  nicht  allgemein  zu- 
gänglich, sondern  bis  zum  Jahre  1670  der 
allgemeinen  Benützung  vorenthalten  gewesen 
zu  sein,  weil  er  von  Mauern  umschlossen 
war.  Hieronymus  ließ  diese  Mauern  um-  und 
den  Brunnen  freilegen. 

Die  Veränderung  im  Hofe  des  Stiftes  dürfte 
auch  den  Abbruch  des  Frauenklosters,  das  in 
demselben    stand,    zur   Folge    gehabt    haben. 

Auf  den  Abbruch  des  Brunnens  bezieht 
sich  eine  Aufzeichnung  in  dem  schon  ein- 
mal genannten  Kodex  der  Innsbrucker  Uni- 
versität Nr.  931  und  die  betreffende  Stelle  über 
den  Hof-  oder  Wunderbrunnen  befindet  sich 
etwas  vorher  als  die  erstgenannte.  Sie  lautet 
»Neocellae  vere  puteus  in  atrio  deiectis  quibus- 
dam  muris,  qui  illum  sepiebant,  ita  immuta- 
tus  est,  ut  omnibus  occasionem  bibendi  prae- 
staret  quem  idem  praepositus  etiam  colum- 
nis  lapideis  novisque  lateribus  circumornavit« 3). 

In  Neustiit  aber  wurde  der  Brunnen  im 
Hof,  nachdem  gewisse  Mauern,  die  ihn  um- 
gaben, so  verändert,  daß  er  allen  Gelegen- 
heit zum  Trinken  bot.  Diesen  hat  derselbe 
Propst  auch  mit  Steinsäulen  und  neuen  Seiten 
geschmückt. 

Die  Autzeichnung  spricht  deutlich  die  Ver- 
änderung aus,  welche  mit  dem  alten  Brunnen 
vorgenommen    wurde. 

Die  Ursache  erwogen,  warum  sich  Hiero- 
nymus II.  bewogen  fühlte,  den  Brunnen  in 
ein  neues  künstlerisches  Kleid  zu  fassen,  führt 
uns  auf  den  Gedanken,  Hieronymus  hat  die 
Räumung  des  Hofes  und  ein  vorhandenes 
Brunnenhäuschen  dazu  benützt,  demselben 
eine  Zierde  und  damit  neues  Leben  zu  geben. 

Der  Brunnenüberbau  ist  ein  zierliches  Häus- 
chen mit  acht  romanisierenden  Säulen,  auf 
einfach  profilierten  Postamenten  stehend. 
Dieser  tragende  Teil  ist  aus  Granit.  Ihre  pri- 
mitive Art,  die  frühen  entlehnten  Formen, 
lassen  ältere  Herkunft  vermuten. 

Diese  Säulen  tragen  einen  Kranz  mit  ein- 
fach gegliederten  Architrav  aus  Granit.  Au! 
ihm  ruht  ein  gemauerter  mit  eingestochenen 
Blendbogen  verzierter  Fries,  in  dessen  sieben 
Feldern  die  sieben  Wunder:  IUPITER-OLIM 
PIUS-PHAROS-PIRAMIDEN-MURUSBABY- 
LONIAE  MAUSOLAEUM  DIANAE      TEM 


')  Mitgeteilt 
in  Neustift. 


fochw.   Herrn  Pater  Marx  Schrott 


3)  Mitgeteilt  von  hochw.  Herrn  Norbert  Zündt, 
Professor  des  k.  k.  Obergymnasiums  in  Brixen,  Chor- 
herr von  Neustift. 


ZIERBAUTEN  IN  NEUSTIFT  BEI  BRIXEN 


2; 


PLUM-COLOSSUS  vielfarbig  ge- 
malt   sind. 

Dieser  Malereien  wegen  wird 
der  Brunnen  »Wunderbrunnen« 
genannt.  Bei  der  Darstellung  des 
Tempels  der  Diana  trägt  eine 
Figur  eine  Tafel  mit  HSW  und 
H  L  ST,  offenbar  den  Initialen 
des  Malers  sowie  die  Jahreszahl 
MDCLXXIII. 

Das  Jabr  1673  bedeutet  aller 
Voraussetzung  nach  die  Zeit  der 
Vollendung  des  Baues.  Im  achten 
Blendbogen  befindet  sich  die  An- 
sicht des  Stiftes  mit  dem  Wappen 
der  Herren  von  Säben  und  am 
Rahmen  die  Jahreszahl  1670,  in 
welche  Zeit  wohl  der  Beginn  des 
Baues  fällt. 

Abgeschlossen  wird  der  Aufbau 
von  einem  Pyramidendache  mit 
einem  laternenförmigen  Aufsatz. 
Eine  Kassettendecke,  heute  natür- 
lich gebräunt,  spannt  sich  unter 
dem  Aufbau  aus;  sie  trägt  vergol- 
dete Rosetten. 

Die  Eindeckung  hat  von  jeher 
aus  grün  glasierten  Ziegeln  bestan- 
den und  ein  Knauf  mit  Doppel- 
kreuz den  Abschluß  gebildet,  wo- 
für wir  eine  Bestätigung  in  dem 
Bilde  aus  dem  Jahre  1675  erhalten, 
das  somit  im  Jahre  der  Vollendung  des  Brun- 
nens und  vielleicht  aus  Ursache  der  beiden 
beschriebenen  Bauten  gemalt  worden  ist. 

Aber  auch  dieses  Bauwerk  hat  die  Hand  un- 
angebrachten »Reinmachens«  nicht  unberührt 
gelassen,  indem  die  Malereien  verweißt  wurden, 
welche  die  Innenflächen  des  Gebälkes  zu 
zieren  hatten  und  auch  heute  noch  schwach, 
durch    die    Tünche    durch    erkenntlich    sind. 

Das  Zeugnis,  welches  wir  hiermit  Hiero- 
nymus  II.  als  kunstliebendem  Regenten  von 
Neustift  auszustellen  uns  bemühten,  ist  an- 
gesichts der  genannten  Kunstbauten  wohl 
begründet. 

ZumSchluße  unsrer  Betrachtungen  kommen 
wir  nochmals  auf  den  Grabstein  zurück,  von 
dem  es  den  Anschein  hat,  als  hätte  Hiero- 
nymus  selbst  Bestimmungen  hiefür  gegeben. 

Jedenfalls  ist  er  aber  bald  nach  dem  Heim- 
gange des  Abtes  errichtet  worden.  Das  Mo- 
nument ist  aus  Laaser  Marmor,  teilweise  be- 
malt und  vergoldet. 

Es  entspricht  stilistisch  dem  Ausgange  des 
17.  Jahrhunderts. 


BRUNNEN  IN  NEUSTIFT  BEI  BRIXEN 
Text  S.  21  ff. 


Hieronymus  ist  im  Kniestück  dargestellt 
mit  Rauchmantel,  Mitra  und  Handschuhen 
bekleidet  und  hält  ein  Meßbuch  und  Pasto- 
rale in  den  Händen.  So  ist  er  in  eine  Nische 
gestellt. 

Das  Ganze  stützt  sich  auf  eine  Schrift- 
tafel und  wird  von  einem  flachen  Bogen  ab- 
geschlossen, dessen  Mittel  das  Wappen  Rot- 
tenpuecher  mit  dem  d«.s  Stiftes  als  Alliance- 
wappen   trägt. 

Die  seitliche  Umrandung  der  Nische  bilden 
barocke  Rankenzüge,  die  der  Schrilttalel  kon- 
solenartige Pilaster,  während  ein  starkes  Sol- 
gesimse die  Verbindung  zwischen  Tafel  und 
Nische  herzustellen   hat. 

Die  Inschrift  für  Hieronymus,  den  kunst- 
sinnigen Prälaten,  von  Rottenpuecher.  lautet: 

PAX  PAX  PAX 

HIERONIYMUS  2  dgt.  Praepositus  Novaecell : 
Elect:  1665  +  Obiit  Oeniponti  in  Comitiis 
1678  -f-  Die  21.  Febr.  Aetat:  72  -f-  Relig. 
57  -f-  Sacerd  :  48  Veras  Pacis  Amator  +  Di- 
gnissimus  proinde,  ut  Qui  in  Pace  Viixit.  in 
Face  in  idipsum  dormiat  c\  requiescat,  Amen. 


24 


VOM  WEIHNACHTSLIEDE:  STILLE  NACHT 


JOSEPH  MÜHI.BACHER  (ZELL) 

Denkmal  in  Wagrain,    Text  unten 

DAS  WEIHNACHTSLIED 
»STILLE  NACHT«...  ioo  JAHRE  ALT! 

(Abbildung  oben) 

ya  Weihnachten  1918  ist  das  beliebteste  aller  Weih- 
"  nachts-,  ja  aller  Friedenslieder  hundert  Jahie  alt  ge- 
worden: das  Lied  »Stille  Nacht,  heilige  Nacht«,  gedich- 
tet vom  Priester  Josef  Mohr,  vertont  vom  Lehrer  Franz 
Gruber,  beide   1818  in  Oberndorf  bei  Salzburg. 

Um  dieses  Jubiläum  würdig  zu  feiern  und  für  spatere 
Zeiten  die  Namen  Mohr  und  Gruber  zu  verewigen,  geht 
nun  daran,  in  Obern dorf ein  eigenartiges  » Stille-Nacht «- 
Denkmal,  ausgeführt  vom  akademischen  Bildhauer  und 
Maler  Josef  Mühlbacher,  Pfarrer  in  Zell-Kufstein,  zu  er- 
richten.In  diesem  Denkmal  soll  der  Dichter  wie  der  Kom- 
ponist in  .sinniger  Weise  geehrt  werden.  Zu  diesem  Zwecke 
ging  ein  Aufruf  hinaus,  aus  dem  man  erkennt,  welch  hohen 
Anteil  Deutschland  an  der  Sache  nimmt,  wie  aus  dem 
Verzeichnisse  der  Ausschuümitgliederzu  ersehen  ist.  Das 
Denkmal  kommt  nicht,  wie  ursprünglich  geplant  war, 
nach  Wagrain  (Salzburg^,  sondern  dem  Wunsche  maß- 
gebender Faktoren  gemäß,  an   einen    größeren  besuch- 


teren Ort :  nach  Oberndorf  im  Flach- 
gau, wo  das  Lied  vor  ioojahicn 
entstand,  in  das  Innere  der  Pfarrkir- 
che, also  an  einen  Ehrenplatz  ersten 
Ranges !  Angeregt  wurde  dieser 
Gedanke  vom  Sektionschef  des 
ehemaligen  k.  k.  Ministeriums  für 
Kultus  und  Unterricht  JosefKhoss 
R.  v.  Sternegg  österreichischerseits 
und  von  Seiten  Deutschlands  durch 
den  Dichter  Dr.  Otto  Franz  Gen- 
sichen  (Berlin  W  57,  Winterfeld- 
straße 22/III),  der  eine  epische  Dich- 
tung »Stille Nachteilige  Nacht<  ge- 
dieh tethat,und  durch  den  Schriftstel- 
ler Josef  Gottlieb  in  Frankfurt  am 
Main  (Spohrgasse  29/I).  Durchge- 
führt wird  dieser  Plan  durch  den 
tüchtigen  Pfarrer  Max  Fe  IIa  eher 
(geboren  in  M  a  r  i  a  p  f  a  r  r  im  Lungau 
i.  J.  1864),  den  Erbauer  der  herrli- 
chen, monumentalen  neuen  Pfarr- 
kirche in  Oberndorf,  in  welcher  das 
Denkmal  zur  Aufstellung  kommt. 
Mariapfarr,  der  älteste  Pfarrort 
im  Lungau,  verdient  da  besonders 
hervorgehoben  zu  werden,  da  auch 
der  Priester  Joseph  Mohr,der  Dichter 
von»  Stille  Nacht  «,i.J.  181 5  inMaria- 
pfarr  als  Hilfspriester  (Koadjutor) 
wirkte  (seit  Ende  September  181 5). 
»Die  Beschwerden  diesergroßenGe- 
birgspfarrei  schädigten  seineGesund- 
heit,  weshalb  er  im  Sommer  1817 
zur  Erholung  in  die  Vaterstadt  Salz- 
burg zurückkehrte.  Nicht  lange 
dauerten  Ruhe  und  Rast:  denn  nach 
einem  Monat  (2  5.  Aug.)  übernimmt 
Mohr  wieder  dieHilfspriesterstelle  in 
Oberndorf  an  der  Salzach,  wo  er 
auch  seine  kränklicheMutter  und  eine 
arme  Schwester  unterstützen  konn- 
te. Hier  machte  er  die  Bekanntschaft 
mit  dem  Lehrer  Franz  Gruber,  dem 
Organisten  an  der  Nikolauspfarre  in  Oberndorf.«  (Vergl. 
»Stille  Nacht,  heilige  Nacht«,  die  Geschichte  eines  Volks- 
liedes von  Franz  Peterlechner,  Verlag  Haslinger,  Linz.) 

Mühlbacher  ist  der  berufenste  Künstler  für  das  »Stille 
Nacht« -Denkmal  in  Oberndorf,  hat  er  doch  auch  das 
Monument  für  den  Dichter  dieses  Weihnachtsliedes, 
Josef  Mohr,  in  Wagrain  geschaffen,  dessen,  nach  Aus- 
sage noch  lebender  alter  Zeugen,  gut  gelungenes  Por- 
trät der  Künstler  mangels  eines  sonstigen  Konterfeis  nach 
dem  exhumierten  Totenschädel  des  Dichters  er  eben- 
falls herstellte.  Mohr  ist  —  im  Himmel  gedacht.  Sin- 
nend schaut  er  beim  Fenster  seines  Himmelskämmerleins 
hinaus.  Plötzlich  erschallt  Engelgesang  an  sein  Ohr. 
Er  lauscht  —  und  erkennt  freudig  sein  Lied  »Stille 
Nacht,  heilige  Nacht«,  das  er  einst  (181 8)  auf  Erden 
gediehet.  Demütig  nimmt  er  sein  Käppchen  vom  Haupte 
und  sein  Lied  wird  zum  Gebet!  (Fensterguckermotiv, 
ausgeführt  in  Bronze.)  Hier  betrat  Mühlbacher  bereits 
seinen  eigenen  Weg.  Seelische  Vergeisterung  in  Aus- 
druck und  Bewegung  ist  das  Ziel  seiner  Kunst,  da  ei 
als  Priester  pfadweisend  wirken  will  für  das,  was  er  als 
Postulat  religiöser  Kunst  erkennt. 

Josef  Steincr-Wiscl.ent.nrl   (Graz) 


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MATTHÄUS  SCHIESTL 


WALUAHRKR 


NEUE  MALEREIEN  VON  MATTHÄUS  SCHIESTL 

(Abb.  S.  25-42) 


r^\es  50.  Geburtstages  Matthäus  Schiestls 
*-^  wurde  an  dieser  Stelle  gebührend  gedacht. 
Die  damals  geäußerte  Absicht,  über  neuere  Ma- 
lereien des  Meisters  zu  berichten,  sei  nunmehr 
erfüllt.  Auch  in  den  letzten  Jahren  hat  Schiestl 
mit  nicht  rastendem  Fleiße  gearbeitet,  und  aus 
der  herrlichen  Tiefe  seines  Hmplindens  heraus 
einen  Schatz  von  Werken  geschaffen,  die  reich 
sind  an  Herz  und  Gemüt  und  gleichzeitig  von 
der  Vielseitigkeit  des  Künstlers  Zeugnis  ab- 
legen. 

Als  malender  Romantiker  ist  er  bisher  im 
ganzen  fruchtbarer  gewesen,  denn  als  Monu- 
mentalmaler. Dennoch  hat  er  sich  auch  auf 
diesem  Gebiete  als  berufenen  Meister  erwiesen; 
man  denke  nur  seiner  kirchlichen  Malereien  in 
Kaiserslautern,  in  St.  Benno  zu  München.  I  lohe 


Feierlichkeit  der  Auffassung  und  Großzügig- 
keit des  dekorativen  Stiles  vereinigen  sich  in 
diesen  seinen  Werken  mit  Lebensfrische  und 
innerlicher  Wahrheit.  Zu  den  bemerkenswer- 
testen neueren  Leistungen  dieser  Art  gehört 
außer  einem  St.  Michael  als  Drachenbesieger 
ein  für  die  Elisabethkirche  zu  Bonn  a.  Rh. 
geschaffener  Altarflügel  mit  den  edeln  Ge- 
stalten der  hl.  Ursulaund  Hildegard(Abb.S.27). 
Die  Gelehrsamkeit  der  berühmten  Äbtissin  ist 
in  ihren  Zügen  ebenso  fein  charakterisiert  wie 
ihr  visionäres  Wesen  und  auch  wie  ihre  Ab- 
kunft aus  edelm  Geschlechte.  Antlitz  und  Aus- 
druck der  hl.  Ursula  sind  in  kennzeichnend 
Schiestlscher  Art  aufgefaßt  —  kindlich  rein, 
fromm,  innig  und  deutsch.  Fdle  Ruhe  herrscht 
in  der  Zeichnung  der  Gestalten,  im  Faltenflusse 


28 


MATTHÄUS  SCHIE^TL 


EINZUG  DES  GRAFEN   WILHELM  III.  VON   HENNEBERG   MIT  SEINER  GEMAHLIN 
Wandgemälde  in  Schloß  Mainberg.  —  Text  S.  26  und  2-j 


MATTHÄUS  SCH1ESTI. 


GRÜSSENDER  KNABE  UND  MINNESÄNGER 
Teil  von  obigem  Bilde 


29 


30 


NEUE  MALEREIEN  VON  MATTHÄUS  SCHIESTL 


anstoßende  Wandfläche  die 
Einzelfigur  des  zu  den  Henne- 
bergern  gehörigen  Konrad  von 
Megenberg,  eines  Gelehrten, 
der  eine  deutsche  Naturkunde 
geschrieben  hat.  Er  lebte  von 
1305  —  1370.  Sein  Wappen 
steht  neben  ihm.  —  Eine  reiz- 
volle Gruppe  schuf  der  Künst- 
ler zum  Schmucke  einer  klei- 
neren Wandfläche:  er  zeigt 
uns  den  Minnesänger  Otto  von 
Bodenlaube  mit  seiner  Gemah- 
lin Beatrix  von  Courtenay,  ne- 
ben ihnen  ihre  Wappen.  Beide 
sitzen  mitsammen  in  einem 
Garten,  sie  begleitet  mit  den 
Klängen  ihrer  Laute  das  Lied, 
das  er  soeben  erdacht  und  auf- 
geschrieben hat.  Im  Hinter- 
grunde sieht  man  eine  Stadt. 
—  Die  Flächen  der  Fenster- 
wand und  des  Erkers  sind  mit 
zierlichen  Ranken  geschmückt, 
zwischen  denen  lustige  Knäb- 
lein  ihr  Wesen  treiben.  —  In 
einem  andern  Räume  des 
Schlosses  zierte  Schiestl  19 18 
die  Flächen  des  Aufzuges  mit 
Malereien.  —  Auf  der  einen 
Seite  (welche  die  Tür  enthält) 
schuf  er  die  mächtige  Gestalt 
des  Schutzherrn  der  Winzer, 
St.  Kilian  (Abb.  S.  26).  Der 
Heilige  steht  in  prachtvoll  ge- 
musterter bischöflicher  Ge- 
wandung aufrecht,  geradeaus 
blickend,  neben  ihm  in  kleiner 
Gestalt  kniet  ein  Winzer.  Die 
andere  Seite  zeigt  die  Stadt  und 
das  Schloß  von  Würzburg  nach 
einer  alten  Abbildung  (Abb. 
S.  31).  Beischriften  dienen  al- 
len Bildern  zur  Erläuterung. 
Die  Farben  sind  kräftig,  dabei 
von  vornehmer  Harmonie.  In- 
nige deutsche  —  recht  Schiestl- 
sche  —  Stimmung  erfüllt  die 
Werke,  deren  Wirkung  im  Räu- 
me eine  überaus  günstige  ist. 
Diese  Stimmung  erklingt  in 
allen  Tönen,  die  uns  bei  die- 
sem Meister  lieb  und  vertraut 
sind.  Familienglück,  Kinder- 
freude, Schlichtheit  und  Wärme 
der  Volkesseele,  Romantik  des 
Mittelalters,  Begeisterung  über 
die    Schönheit    der   deutschen 


NEUE  MALEREIEN  VON  MATTHÄUS  SCHIESTL 


Jl 


Heimat,  Klarheit  und  Hoheit  religiösen  Ge- 
fühles —  das  alles  findet  sich  hier  in  einer 
großartigen  Harmonie  zusammen.  Neu  ist  die 
Leidenschaft,  die  sich  in  der  Schilderung  des 
Bauernaufstandes  kundgibt.  Aus  der  Stärke 
sozialen  Empfindens,  das  aus  so  vielen  Sehiestl- 
schen  Werken  zu  uns  spricht,  hervorgegangen, 
zeigt  diese  Darstellung  die  verderblichen  Fol- 
gen der  Yolksverführung.  Das  jahrelang  vor 
der  Revolution  entstandene  Bild  führt  jetzt  die 
Sprache  einer  politischen  Betrachtung  und 
Mahnung. 

Ungewollt,  denn  dergleichen  lag  und  liegt 
unserem  Künstler  fern.  Sein  soziales  Emp- 
finden zeigt  sich  stets  im  Ausdrucke  reinen, 
innigen  Mitgefühls,  hat  nichts  im  Sinne  von 
Klassen-  und  Massenhaß,  steigt  über  das  Ein- 
zelne zum  Allgemein-Menschlichen  empor. 
Am  stärksten  spricht  sich  dieser  Zug  Schiestl- 
schen  Seelenlebens  in  seinen  Bildern  vom 
Tode  aus.  Sie  sind  häufig  bei  ihm,  in  Ma- 
lereien und  Zeichnungen  behandelt  er  das 
uralte  Thema,  das  schon  Künstlern  des  Alter- 
tums, weit  mehr  noch  des  Mittelalters  An- 
regung zu  ergreifenden  Werken  gegeben  hat. 
Schlicht  und  volkstümlich  ist  die  Sprache 
Schiestls,  weit  entfernt  von  allen  Gesucht- 
heiten, mit  denen  gerade  auch  bei  diesem 
Gegenstande  modernste  Künstler  über  ihre 
innere  Kälte  und  Leere  hinwegzutäuschen 
suchen. 

Diese  aus  tiefstem  Gemüte  kommende  Un- 
befangenheit gehört  zu  den  schönsten  Zügen 
der  Schiestischen  Kunst,  schafft  ihr  dauernde 
echte  Wirkung  und  wird  ihm  einen  Ehren- 
platz im  Herzen  des  deutschen  Volkes  sichern, 
wenn  ihn  dieses  erst  besser,  allgemeiner  ken- 
nen wird.  Darin  fehlt  es  leider  immer  noch 
sehr,  schon  im  Süden,  geschweige  im  Nor- 
den. Und  doch  ist  es  nur  wenigen  gegeben, 
so  mit  dem  Volke  zu  fühlen,  so  von  Natur 
dessen  Sprache  zu  reden.  Die  Schlichtheit 
und  Echtheit  der  tirolischen  Art  verleugnet 
sich  nicht. 

Was  Schiestl  malt,  das  hat  er  innerlich  er- 
lebt, und  so  wird  es  uns  wiederum  ein  Er 
lebnis,  das  zu  begreifen  und  zu  beherzigen  es 
keinerlei  wissenschaftlichen  oder  sonstigen 
gelehrten  Apparates  bedarf.  Nicht  als  müßte 
es  so  sein  ;,  sondern  weil  es  für  ihn  gar  nicht 
anders  sein  kann,  überträgt  Schiestl  auch  die 
Vorgänge  der  heiligen  Geschichte  in  deutsches 
Leben  und  deutsche  Umgebung.  Um  der 
hl.  Jungfrau  die  Verkündigung  zu  bringen, 
schaut  der  Erzengel  Gabriel  durchs  Fenster 
des  Alpenhauses  in  die  schlichte  Stube  herein, 
woselbst  Maria  neben  dem  großen  Ofen  in 
ihrem  Gebetbuche  liest.     Es  ist  des  Künstlers 


MATTHÄUS  SCHIESTL  BURG 

dgtmäldt  au/  SdtlKfi  Mainitrt.  —  Trxt  S.jo 

eigenes  Zimmer  in  seinem  Hause  zuGreidere^u 
hoch  oben  im  Zillertale.  Um  das  neugebo- 
rene Jesuskindlein  anzubeten,  wandern  die 
Hirten  des  Zillertales  in  der  Winternacht  über 
verschneite  Bergwege  zu  dem  einsamen  Stadel, 
aus  dessen  offener  Tür  ihnen  der  Glanz  des 
himmlischen  Wunders  entgegenstrahlt  (Abb. 
S.  39).  Nicht  schöner,  nicht  einfacher  kann 
die  der  Menschheit  aller  Linder  und  Zeiten 
zuteil  gewordene  Gnade  in  Bildern  gepriesen 
werden. 

Unermüdlich   ist  Matthias  Schiestl.   das  Er- 
eignis der  Menschwerdung  Christi  zu  preisen; 


r- 


MATTHÄUS  SCHIESTL 


Gtmdldt.  —  Ttxt  S.  34 


DIE  GEBURT  CHRISTI 


MATTHALS  SCHI!     fl 


Dl«  chilitliche  Kumt.    XVI. 


34 


NEUE  MALEREIEN  VON  MATTHÄUS  SCHIESTL 


immer  neue,  in  ihrer  Anspruchslosigkeit  so 
feine  und  geistreiche  Züge  weiß  er  dafür  zu 
finden.  Auch  zu  seinen  neuesten  Werken 
gehören  mehrere  Bilder  dieses  Inhaltes.  Außer 
der  »Verkündigung  auf  Greideregg«  schuf  er 
noch  eine  zweite,  bei  der  er  den  Vorgang  in 
den  mit  herrlichen  Lilien  gezierten  Garten 
eines  Bauernhäusleins  verlegt;  eine  liebliche 
Hügellandschaft  bildet  den  Hintergrund  (Abb. 
S.  35).  Herzlich  hat  der  Engel  der  hl.  Jung- 
frau die  Rechte  zum  Gruße  gereicht,  während 
er  unter  beredter  Haltung  der  Linken  ihr  das 
Wunder  verkündet.  Traumverlorenen  Blickes 
sucht  sie  vergeblich  es  zu  ergründen,  aber 
Glaube  und  Vertrauen  helfen  ihr.  Von  den 
zwei  neueren  Darstellungen  der  »Heiligen 
Nacht«  entzückt  besonders  die  mit  der  Haus- 
ruine durch  ihren  stillen  Reichtum  an  fein- 
sinnigen, zart  empfundenen  Einzelheiten  (Abb. 
S.  32  u.  38).  Schlicht  und  groß  in  ihrer  Ver- 
innerlichung,  ihrem  Vermeiden  alles  äußeren 
Prunkes  ist  unsere  »Anbetung  der  Könige, 
der  die  so  unendlich  bescheidenen  ruhigen 
Flächen  der  Dorf  häuser  im  Hintergrunde  etwas 
geradezu  Erhabenes  verleihen  (Abb.  S.  33). 


MATTHÄUS  SCHIESTL  FRA  AXGEL1C0 

Gemälde.  —  Text  oben 


Ein  kindlich  gebliebenes  Gemüt  gehört  da- 
zu, bei  aller  Kunst  solcher  Auffassung  Raum 
zu  geben.  Auch  nur  ein  solches,  das  gleich 
dem  des  Volkes  mit  den  Heiligen  in  nahem, 
freundschaftlichem  Verhältnisse  steht,  war  im- 
stande, ein  Bild  zu  schaffen,  wie  Schiestls  »Le- 
gende«, wo  die  in  der  Kirche  von  ihrem  Posta- 
mente herabgestiegene  Muttergottes  ihr  Kind 
auf  der  Wiese  mit  Blumen  spielen  läßt.  So 
unbefangen  empfindet  Schiestl  auch  bei  an- 
deren Dingen  —  macht  z.  B.  aus  dem  italie- 
nischen Fra  Angelico  einen  schlichten  deut- 
schen Klosterbruder,  dem  ein  ganz  und  gar 
nicht  italienischer,  sondern  echt  deutscher 
Engel  Pinsel  und  Palette  zum  löblichen  Werke 
überreicht  (Abb.  unten). 

Beispiele  wahrer  Kunst  für  das  Volk  im 
besten  modernen  Sinne.  Zart  und  herb,  kind- 
lich und  männlich  zugleich,  gemalte  Lieder, 
die  in  Worte  gefaßt,  von  Tönen  getragen, 
treueste,  schönste  Volkslieder  sein  würden. 
Deutsche  Volkesseele,  reinstes  Deutschtum  in 
Bildern.  Schiestl  sollte  sich  auch  mehr  als 
bisher  mit  dem  deutschen  Märchen  beschäf- 
tigen; er  wäre  der  Zauberer,  der  uns  jene 
Welt  neu  erschließen  könnte. 

Ist  dies  seiner  Kunst  doch  mit  dem  Reiche 
der  Romantik  gelungen.  Hat  er  uns  doch  im 
Bilde  gezeigt,  wie  Novalis  in  seiner  Dich- 
tung, daß  es  kindlichem  Sinne  gelingt,  die 
blaue  Blume  zu  finden  (Abb.  S.  43).  Sie  er- 
öffnet den  Eingang  zu  den  Bezirken  der  hol- 
den Unwirklichkeit,  die  so  durch  und  durch 
deutsch  ist  und  mild  schimmerndes  mittel- 
alterliches Gewand  trägt.  Daher  bei  Schiestl 
die  Vorliebe  für  mittelalterliche  Bauwerke, 
stolze  gotische  Kathedralen,  kleine  Städte, 
die,  von  der  Zeit  vergessen,  in  unversehrter 
Schönheit  noch  heute  ein  träumerisches  Da- 
sein führen,  für  liebe,  uralte  Kirchlein  in  Dort 
und  Wald.  Die  Menschen,  die  in  dieser  Um- 
gebung leben,  sind  bisweilen  mittelalterliche 
Gestalten,  wie  z.  B.  auf  dem  Bilde  »Die  Wall- 
fahrer« (Abb.  S.  25).  Aber  eigentlich  sind  sie 
es  nur  dem  Gewände  nach.  Etwas  anderes 
ist  es  natürlich  bei  Bildern,  wie  den  Main- 
berger  Malereien,  wo  das  historische  Moment 
den  Ausschlag  gibt. 

Aber  sonst  sind  die  Schiestischen  Menschen 
zeitlos.  Niemals  sind  sie  bloße  Zutat  zur  Land- 
schaft, sondern  gewissermaßen  die  mensch- 
gewordene Seele  der  Natur.  Oder  die  Ver- 
körperung des  Einflusses,  den  die  Natur  auf 
das  Seelenleben  des  Menschen  übt.  Stille 
Freude  und  Versonnenheit  deutscher  Wan- 
derschaft; Zwiegespräch  zwischen  Kind  und 
Vöglein  in  Unschuld  und  natürlicher  Ursprüng- 
lichkeit, die  ihr  Widerbild  findet  in  der  sanften 


NEUE  MALEREIEN  VON  MATTHÄUS  SCHIESTL 


3> 


MATTHÄUS  SCHIESTL 


MARI  \   \  i:KKl  SDI&l'M, 


Gemälde.    -  T?xt  S.  j4 


Schönheit  einer  frühlingsgrünen  Hügelland- 
schaft (Abb.  S.  42);  weltabgeschiedenes  Berg- 
leben in  felsiger  Juralandschaft,  Haus,  Land 
und  Fels  Stürmen  preisgegeben  (Abb.  S.  |  . 
durch  den  ernsten  Anblick  von  Burgruinen 
erweckte  Gedanken,  die  zwischen  Gegen- 
wart und  Vorzeit  die  Brücke  bedeutungs- 
voller Lehre  und  Mahnung  bauen;  in  Feen 
gestalt  die  geheimnisvolle  Schönheit  der 
Alpennatur,  von  den  Menschen  ehrfurchtsvoll 
und  staunend  verehrt;  aber  auch  der  schwei- 
gende Schrecken  toddrohender  Bergeinsam- 
keit, welcher  der  Wanderer  eiligen  Schrittes 
zu  entrinnen  sich  müht  (.Abb.  S.  41).  So  cha 
rakterisiert  das  Wesen  der  Landschaft  und 
das  des  Menschen  sich   wechselseitig. 

Man  möchte  sagen,  daß  die  Charakiensie 
rung  der  Schiestischen  Menschen  vorzugs- 
weise durch  solche  Zusammenstellungen,  oder 
auch  durch  die  geschilderten  Vorgänge  erreicht 


werde.    Hme  gewisse  Typik  der  Gesichtszüge, 

namentlich  bei  den  Frauen  und  den  alleren 
Männern,  scheint  dieses  Urteil  unterstützen 
zu  wollen.  Und  doch  wäre  es  ganz  verkehrt. 
Denn  jeder  dieser  Menschen  ist  ein  Individuum, 
.eine  Eigenart  spricht  sich  auch  in  seim 
sichte  aufs  klarste  aus,  und  daß  er  in  Antlitz  und 
Gestalt  manchmal  eine  Ähnlichkeit  mit  andern 
besitzt,  das  liegt  eben  in  der  Ähnlichkeit  der 
inneren  Art.  Oder  auch  darin,  daß  es  sich  um 
dieselbe  Person,  um  das  gleiche  künstlerische 
Ideal  handelt,  wie  z.  B.  bei  den  zart  mädchen- 
haften Marienfiguren  mit  der  engelhaften  Rein- 
heit und  Unschuld  ihres  Gesichtsausdruckes. 
Wo  es  Schiestl  auf  bestimmte  Fin/elcharakte- 
ristik  ankommt,  steht  auch  sie  ihn 
Damm  gehört  er  zu  unseren  besten  Bildnis- 
malern  (AI  Gelier    kop 

nicht  etwa  nur  die  Gesichtszüge  der  betreffen- 
den Persönlichkeit,  noch  wenigei  kennzeichnet 


36 


NEUE  MALEREIEN  VON  MATTHÄUS  SCHIESTL 


MATTHALS  SCHIESTL 


DEK   SCIIW  LKIH 'i|U(.H 


er  deren  Eigenart  durch  leere  Äußerlichkeiten, 
oder  gar,  wie  es  jetzt  so  viele  tun,  durch  ge- 
sucht nachlässige  Haltung,  sondern  er  erfaßt 
das  innerlich  Wesentliche  des  Charakters  mit 
scharfem  Blicke  und  steigert,  ohne  die  urkund- 
liche Genauigkeit  zu  schmälern,  das  Indivi- 
duelle in  ein  höheres  Allgemeines.  So  scharf 
ist  die  Charakterisierungskunst  dieses  Künstlers, 
daß  er  gelegentlich  gar  seinem  Humor  nach- 
gibt und  Bilder  schafft,  die  so  treffend  in  ihrer 
harmlosen  Fröhlichkeit  sind,  daß  der  Beschauer 


unwillkürlich  davon  angesteckt  wird.  Ein  präch- 
tiges Stücklein  solcher  fein  humoristischen 
Schilderung  ist  sein  »Einsiedler«,  der  stillver- 
gnügt mit  einer  geschenkt  erhaltenen  Statu- 
ette heimwärts  trottet  (Abb.  S.  37),  oder  sein 
»Klosterbruder«,  der  dem  schwerhörigen  Al- 
ten in  unbelauschter  Einsamkeit  eine  Nach- 
richt in  die  Ohren  schreit  (Abb.  oben).  Die 
Zeichenmappen  des  Künstlers  enthalten  noch 
manches  dergleichen,  das  wdhl  einmal  der 
Veröffentlichung  wert  wäre.  Doering 


DAS  GRABMAL  DES  BISCHOFS  MAURICIO  IM  DOM  ZU  BURGOS  37 


CHENKTER  STATI  I  III 

Ttxt  S.JO 


DAS  GRABMAL  DES  BISCHOFS 

MAURICIO  IM  DOM  ZU  BURGOS 

—  EINE  SCIIMLI  ZARBEIT  AUS 

I  IMOGES 

(Abb.  S.  |6  u.47) 

Wenn  man  auf  der  Hochebene  Altkastiliens 
von  Nordosten  her  dem  I-lülkhen  Arlan- 
zon  sich  nähert,  dann  taucht  aus  der  ziem- 
lich einförmigen  Ebene  zuerst  der  Schloßhflgel 
der  alten  Hauptstadt  Kastiliens,  Burgos,  auf,  der 
die  Trümmer  des  Grafensitzes  tragt,  und  dann 
ragen  westwärts  sich  anschließend,  wie  Baum- 


ien  .uit  ansteigendem  Boden,  die  Fialen 
der  Condestablekapelle  empor,  die  an  den 
Ostumgang  des  Domes  angebaut  ist,  daraut 
das  über  der  Vierung  sich  erhebende  Oktogon 
mit  seinen  acht  flankierenden  Türmchen  und 
zuletzt  und  am  höchsten  in  die  Lüfte  ragend 
—  dem  deutschen  Auge  geläufig,  in  Spanien 
ein   seltener   Anblick  die    durchbrochenen 

steinernen  Helme  der  beiden  Westtürme  der 
Kathedrale  selber.  L'nd  der  Mann,  der  als 
erster  den  Gedanken  und  das  Modell  einer 
Domkirche   im  Stil   von  Mittelfrankreich  auf 

panischen  Hoden  verpflanzte  und  am 
20.  |uli  1221  den  ( Irundstein  dazu  legte.  Bischol 


38 


DAS  GRABMAL  DES  BISCHOFS  MAURICIO  IM  DOM  ZU  BURGOS 


MATTHÄUS  SCHIESTL 

Gemälde. 


HEILIGE  NACHT 


Mauricio  von  Burgos,  f  1238,  hat  mitten  auf 
dem  freien  Raum  zwischen  den  Chorstuhl- 
reihen im  Hauptschiff  sein  Grab  gefunden. 

Auf  einem  ziemlich  niedrigen  Steinsarg  in 
frühgotischen  Formen  mit  wenig  Dekoration 
ruht  sein  Reliefbild  voll  Würde  und  Ernst, 
als  wenn  er  eben  die  Augen  im  Tode  ge- 
schlossen hätte,  eine  stumme  Predigt  für  je- 
den Beschauer.  Das  Grabmonument  ist  nach 
seinem  Kunstwert  so  erhaben  über  die  gleich- 
zeitigen plastischen  Denkmäler  aufspanischem 
Boden  und  stilistisch  und  nach  seiner  tech- 
nischen Seite  so  eigenartig,  daß  es  eine  eigene 
Besprechung  verdient. 

Die  spanische  Kunstliteratur  hat  es  bis  in 
die  allerletzten  Jahre  herein  versucht,  das  Relief- 
bild des  toten  Burgaleser  Bischofs  für  eine 
kastilische  Werkstätte  anzufordern.  Bei  der 
Frage  jedoch,  wo  denn  ein  annähernd  ähn- 
liches lebensvolles  plastisches  Gebilde  gleichen 
Alters  oder  eine  kleinere  Arbeit  als  Vorläufer 
in  Spanien  zu  finden  sei,  schweigt  die  ganze 
Welt  der  unzähligen  skulpturalen  Denkmäler 
und  versiegt  und  versagt  die  reiche  Quelle 
schriftlicher  Urkunden.  Während  man  auf 
der  Halbinsel  nach  dem  Meister  sucht,  redet 


die  französische  Kunstliteratur  vielfach  vom 
Grabmonument  eines  unbekannten  Bischofs 
in  der  Kathedrale  von  Burgos,  das  aus  einer 
Limusiner  Werkstätte  stammt,  obschon  neuere 
wie  ältere  Beschreibungen  zurück  bis  Garcia  y 
Garcias  Führer  durch  Burgos  (Guia  de  viagero 
en  Burgos)  vom  Jahre  1867  und  bis  H.  Florez, 
Espaiia  sagrada,  Band  26,  vom  Jahre  1771  das 
Denkmal  im  Chor  immer  als  Grab  Mauricios 
bezeichnen.  Zudem  hat  es  seinen  Standort 
niemals  geändert,  auch  nicht  ums  Jahr  1500, 
als  Bischof  Pascual  von  Fuensanta  (1497  bis 
15 12)  die  Chorstühle  aus  dem  Presbyterium 
in  das  Hauptschiff  verlegte. ')  Zur  Verwechs- 
lung mit  der  Ruhestätte  eines  anderen  Bischofs 
war  somit  gar  keine  Veranlassung  gegeben. 
Es  kann  kein  Zweifel  darüber  bestehen:  das 
Monument  des  Mauricio  ist  aus  der  Hand  eines 
Limusiner  Künstlers  hervorgegangen,  dernicht 
bloß  die  Kunst  des  Glasschmelzes  beherrschte, 
sondern  auch  Meißel  und  Schnitzmesser  zu 
handhaben  verstand,  in  der  Treibarbeit  ein 
Meister  war  und  den  bedeutendsten  Skulp- 
toren  des  13.  Jahrhunderts  beigezählt  werden 
muß.  Die  liegende  Statue  des  Bischofs  in 
einem  Hochrelief,  das  der  Rundplastik  nahe 
kommt,  ist  von  Holz  geschnitzt  und  mit  ge- 
triebenen, z.  T.  vergoldeten  und  emaillierten 
dünnen  Kupferplatten,  die  durch  kleine  Nägel 
gehalten  werden,  überdeckt.  Die  Hände  sind 
in  Bronze  gegossen.  In  der  überlangen  hage- 
ren Figur  des  Prälaten  ist  wohl  ein  auch  in 
dortigen  Miniaturen  bemerkbarer  Nachklang 
der  byzantinischen  Kunstrichtung  des  ^.Jahr- 
hunderts mit  den  langgestreckten,  kleinköpfi- 
gen  Gestalten  zu  erkennen,  wie  sie  durch  die 
Handelsverbindung  von  Toulouse  mit  Venedig 
und  dem  Orient  für  den  Südwesten  Frank- 
reichs vermittelt  wurde,  während  in  der  Pro- 
vence mit  Arles  als  Mittelpunkt  reiche  Über- 
reste klassischer  Skulpturen  mit  der  gedrunge- 
nen Körperbildung  der  römischen  Kaiserzeit 
die  Menschenfigur  proportionierter  gestalten 
lassen.  Die  Züge  des  scharfgeschnittenen  As- 
ketengesichtes mit  den  großen  hervortreten- 
den Augen,  der  leicht  gekrümmten  spitzen 
Nase,  dem  schmalen  Mund  und  den  dünnen 
Lippen,  den  Falten  an  der  Stirne  und  den 
Wangen,  die  Ruhe  und  Sicherheit  in  der  gan- 
zen Formgebung  lassen  einen  Realismus  er- 
kennen, der  eine  Modellierung  nach  einer 
Totenmaske  und  das  Streben  vermuten  läßt, 
ein  naturgetreues  Porträt  wiederzugeben.  Die 
im  Kreuzgang  des  Domes  von  Burgos  befind- 
liche stehende  Figur  Mauricios  aus  Stein,  die 
dem  Ende  des  1 3  .Jahrhunderts  entstammt,  zeigt 


')  Espana  sagrada,  XXVI,  412. 


DAS  GRABMAL  DES  BISCHOFS  MAL  RICIO  IM  DOM  ZU  BURGOS 


59 


.MATTHAIS  SCHIESTL 


IHNACIIT   IM   /ll.LERTAl 


wohl  das  vergeistigte  Antlitz  des  Bischofs ');  die 
Gestalt  ist  jedoch  jugendlicher  gedacht  und  in 
breiteren  Formen  modelliert  und  kann  kaum 
mehr  zum  Vergleich  auf  Porträtähnlichkeit 
herangezogen  werden.  Die  etwas  schematisch 
geordneten  Haare  decken  ■/..  T.  das  übergroße 
Ohr.     Die  zu  kurz  geratenen  Arme  lassen  die 


')  Abgebildet  bei  V.  Carderera  y  Solano,   Iconogralia 
Kspanola,  I,  Taf  10. 


Haltung  etwas  steif  erscheinen.  Der  Kopf  ruht 
auf  einem  mit  Rauten  gemusterten  Kissen,  in 
deren  Mitte  abwechselnd  blaue  und  weiße 
Kreuze  in  Grubenschmelz  eingelassen  sind. 

Die  Gestalt  ist  bekleidet  mit  den  pontifika- 
len  Gewandern,  wie  sie  zum  feierlichen  < 
dienst  gefordert  sind.  Das  Haupt  ist  bedeckt 
mit  einer  Mitra  in  der  niedrigen,  im  12.  und 
13.  Jahrhundert  üblichen  Form,  das  ist  mit 
Spitzen  (Hörnern),  deren  Schrägseiten  in  einem 


4o 


DAS  GRABMAL  DES  BISCHOFS  MAURICIO  IM  DOM  ZU  BURGOS 


MATTIIAl'S  SCHII.STI 


HAUS  IM  JURA 


rechten  Winkel  zusammenlaufen.  Sie  hat  einen 
mit  großen  Edelsteinen  besetzten  Zierstreifen 
als  Randbesatz.  Die  von  den  beiden  Armen  ge- 
hobene und  zurückgestreifte  Kasel  in  Glocken- 
form wie  auch  Tunicella  und  Albe  mit  ihren 
tief  geschnittenen,  dem  Fluß  der  Parament- 
stücke  folgenden  Falten  zeigen  den  Künstler 
als  einen  Meister  in  der  Behandlung  der  Ge- 
wänder. Und  während  die  Rechte  segnet,  hält 
die  Linke  mit  dem  Manipel  den  jetzt  ver- 
schwundenen Bischofsstab.  Ein  versteifter,  auf- 
rechtstehender gezierter  Kragen,  der  sich  an 
den  Halsausschnitt  der  Kasel  anfügt,  ist  im 
12.  und  13.  Jahrhundert  in  Frankreich  keine 
Seltenheit.1)  Die  liturgischen  Handschuhe 
tragen  ein  Zierplättchen  im  Vierpaß.  Ähnlich 
wie  das  Kissen  trägt  auch  die  Kasel  und  der 
Manipel  eine  Musterung  von  getriebenen 
Rhomben  mit  eingefügtem  Lilienornament. 
Freilich  ist  von  der  ursprünglichen  Farben- 
pracht wenig  mehr  vorhanden;  nur  mehr 
schwache  Spuren  der  Emailzier  und  der  Vergol- 
dung sind  geblieben;  und  von  den  imitierten 
Steinen  am  Halskragen  und  an  der  Bordüre 
der  Tunicella  wie  an  der  Standplatte  sind  nur 
noch  wenige  onyxartige  trübrote  Glaspasten 


')  Vgl.  Rohault  de  Fleury,  La  Messe  VII,  pl.  DXCIV, 
DXCVI,  DXCVIII. 


in  ihren  Kapseln  geblieben.  Die  segnende 
Bronzehand  mit  ihren  langgestreckten  Fingern 
ruht  trotz  der  rohen  späteren  Benagelung  der 
Stulpen  lose  im  morschen  Holzkern.  Beim 
Mangel  eines  schützenden  Gitters  sind  solche 
Beschädigungen  leicht  erklärlich. 

Die  Charakterisierung  der  ruhenden  Figur, 
Verkürzung  und  Versteifung  der  Arme,  die 
einlache  Musterung  der  festlichen  Gewänder, 
Form  der  Mitra  und  die  unarchitektonische 
Gestaltung  der  Fußplatten  legen  die  Annahme 
nahe,  daß  das  Grabmal  bald  nach  dem  Tode 
des  Kirchenfürsten,  etwa  um  1240,  herge- 
stellt wurde.  Der  Steinsarg  in  seiner  exak- 
ten Ausführung  und  guten  Erhaltung  wird 
wohl  der  neueren  Zeit  entstammen. 

Unter  den  mit  Schmelzarbeit  dekorierten 
Grabdenkmälern,  die  aus  Limoges  hervor- 
gingen, gehören  die  flache  Platte  mit  dem 
in  Grubenemail  hergestellten  Bild  des  Grafen 
Gottfried  Plantagenet  im  Museum  in  Mans 
und  die  Stücke  mit  dem  Bild  des  Bischofs 
Eulger  von  Angers  dem  12.  Jahrhundert  an. 
Sie  tragen  kein  Relief;  es  ist  nur  das  Bild 
der  Personen  in  buntem  Email  auf  gemuster- 
tem Grund  wiedergegeben.  In  der  nachfol- 
genden Zeit  scheint  der  Wetteifer  mit  den 
im  deutschen  Norden,  in  der  Magdeburger 
Gießhütte,  zu  Ende  des   12.  Jahrhunderts  er- 


DAS  GRABMAL  DES  BISCHOFS  MAURICIO  IM  DOM  ZU  BURGOS 


4> 


stehenden  Bronzeepitaphien  mit  der  Reliet- 
figur  des  Verstorbenen  auch  in  Frankreich 
das  Verlangen  nach  einer  körperhaften,  in 
Metall  hergestellten  Gestalt  auf  den  Grab- 
monumenten erweckt  zu  haben.  Jedenfalls 
gingen  die"  in  der  Fabrikation  von  kirchlichen 
Metallgeräten  erfahrenen  Limusiner  Werk- 
meister zu  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  daran, 
in  ihrer  gewohnten  Technik,  Metallplatten 
über  Figuren  von  Holz  zu  legen,  Grabmonu- 
mente  auszustatten.  Von  den  bis  zu  60  cm 
hohen  mit  Silber-  oder  Kupferblech  überzoge- 
nen Limusiner  Madonnen  aus  Holz  war  nur 
ein  Schritt  bis  zu  den  lebensgroßen  Liege- 
tiguren  auf  den  Sarkophagen  berühmter  Män- 
ner. Abten,  Bischöfen,  fürstlichen  Persönlich- 
keiten, Königskindern,  wie  der  Blanka,  t  1243, 
und  dem  Johann,  f  1248,  zwei  Nachkommen 
des  hl.  Ludwig  von  Frankreich,  und  Rittern 
errichtete  man  Tumben  mit  dem  Rehetbild 
in  der  Standestracht  in  reicher  Vergoldung 
und  von  gleißendem  farbigem  Glasschmelz  um- 
geben. ')  Bis  in  das  7.  Jahrzehnt  des  14.  Jahr- 
hunderts hinein  sind  Bestellungen  solcher 
Monumente  der  Metallplastik  in  Limoges  ur- 
kundlich nachgewiesen  und  bis  in  die  Kathe- 
dralen Englands  landen  solche  Crabmäler  aus 

')  E.  Rupin,  L  oeuvre   Je  Limoges,  I. 


der  kunstgewerblichen  Zentrale  Südfrankreichs 
ihren  Weg. 

Allerdings  haben  die  Stürme  der  Revolution 
von  diesen  glanzvollen  Monumenten  der  hohen 
plastischen  Kunst  innerhalb  der  Grenzen  Frank- 
reichs wenig  übrig  gelassen.  Außer  dem  Grab- 
mal des  1296  verstorbenen  Wilhelm  von  Va- 
lence,  Grafen  von  Pembroke  in  der  Abtei- 
kirche von  Westminster  in  London  und  der 
Tumba  des  Mauricio  in  Burgos,  ist  heute  noch 
vorhanden  die  Figur  der  Blanche  von  Cham- 
pagne und  eine  männliche  Maske  als  Lber 
rest  eines  Denkmals  im  Louvre-Museum  in 
Paris,  während  die  zugehörige  Frauenmaske 
im  Museum  Saintjean  zu  Angers  einen 
Platz  gefunden  hat;  ferner  bewahrt  die  Kirche 
von  Saint  Denis  die  Grabreliefs  der  beiden 
Kinder  Ludwigs  des  Heiligen,  wenn  auch  m 
stark  beschädigtem  Zustand.  In  welchem  Um- 
fang die  Männer  der  Revolution  an  mittel- 
alterlichen Schmelzarbeiten  ihre  Zerstörungen 
anrichteten,  davon  nur  ein  Beispiel.  In  Limo 
ges  selbst  verkaufte  1791  ein  Gelbgießer  Cou- 
trand  46  Zentner  alten  Kupfers,  henuhrend 
von  dem  Emailaltar  des  Klosters  Crandmont, 
einem  Hauptsitz  der  Limusiner  Kunst,  die 
Glasschichte  hatte  er  abgeschlagen.  Ein  Ge- 
nosse desselben  schmolz  4  Zentner  dünnen 
Kupferbleches  ein.  nachdem  der  bunte  Schmelz 


Uli  chrutÜLh.  K« 


42 


DAS  GRABMAL  DES  BISCHOFS  MAURICIO  IM  DOM  ZU  BURGOS 


MATTHÄUS  SCIIIESTI. 


IIÜGELLAXDSCIIAFT 


entfernt  war.  Welche  Mengen  von  Emailge- 
räten setzen  diese  Kupfermassen  voraus,  da 
nur  dünn  geschlagenes  Blech  zur  Schmelz- 
arbeit verwendbar  ist?  Wenn  die  schlechten 
Abbildungen  in  Rupins  Werk  (S.  160,  166, 
1 6S)  einen  Schluß  auf  den  Kunstwert  der  noch 
vorhandenen  emaillierten  Grabmäler  gestatten, 
dann  ist  ohne  Zweifel  das  Monument  Mau- 
ricios  weitaus  an  die  erste  Stelle  zu  setzen. 
Daß  man  sich  zur  Herstellung  eines  email- 
lierten Grabmals  für  den  Kirchenfürsten  an 
einen  Limusiner  Meister  und  nicht  an  einen 
spanischen  Künstler  wandte,  erscheint  nicht 
verwunderlich.  Es  fehlt  auf  der  Pyrenäischen 
Halbinsel  seit  Beginn  des  10.  Jahrhunderts 
nicht  an  sicheren  Nachweisen,  daß  der  Glas- 
schmelz auf  Gold  geübt  wurde.  Das  in  der 
Camara  santa  in  Oviedo  heute  noch  verehrte 
Vortragskreuz  des  königlichen  Westgoten- 
sprößlings Pelagius,  der  um  703  als  der  erste 
nach  der  Überflutung  Spaniens  durch  arabische 
Armeen  die  zersprengten  Goten  sammelte 
und    mit   diesem   Kreuz    aus    Eichenholz   als 


Kriegsstandarte  die  Wiedereroberung  Spaniens 
begann,  hatte  Alfons  III.,  der  Große,  laut  In- 
schrift im  Jahre  908  auf  dem  Schloß  in  Gau- 
zon  am  Biskayischen  Meerbusen  mit  Gold  be- 
schlagen und  reich  mit  Filigran  und  Edel- 
steinen besetzen  lassen.  Es  trägt  grünes,  rotes 
und  blaues  Email,  z.  T.  in  Kapseln  einge- 
lassen. Das  zwei  Jahre  später  gefertigte,  in 
Gold  montierte  Achatkästchen  des  Fruela  und 
seiner  Gattin  Nunilo  Scemena  in  der  gleichen 
Schatzkammer  des  Domes  in  Oviedo  hat 
Schmelzschmuck  in  allen  Farben.  Ein  email- 
liertes Reliquiarkästchen  des  10.  Jahrhunderts, 
ehedem  im  Besitz  des  Klosters  San  Pedro  de 
Rodas,  beschreibt  der  Archäologe  Fidel  Fita. :) 
Die  rohe  Zeichnung  der  daran  befindlichen 
Christus-  und  Engelfiguren  läßt  auf  eine 
noch  frühere  Entstehung  schließen.  Aus  den 
Schmelzarbeiten  des  11.  Jahrhunderts,  wie 
dem    Evangeliardeckel    der    Königin    Felicia 


')  Boletin  de  la   real  academia  de  la  historia,  XLVI 
(190s),   171. 


43 


44 


MATTHÄUS  SCHIESTL 


BILDNIS 


DAS  GRABMAL  DES  BISCHOFS  MAURICIO  IM  DOM  ZU  BURGOS 


45 


(f  1085),  aufbewahrt  in  der  Kathedrale  von 
jaca,  aus  einer  Reihe  von  Yortragskreuzen 
und  anderen  Kirchengeräten  ragt  noch  heraus 
ein  verschwundenes  Goldfrontale  für  den 
Hochaltar  der  1052  gegründeten  Klosterkirche 
von  Najera1);  es  enthielt  23  große  Schmelz- 
bilder und  nennt  uns  den  Xamen  des  Künst- 
lers Almanius,  der  auf  deutsche  Herkunft 
schließen  läßt.  Auf  dem  im  Dom  von  Gerona 
bewahrten  Teil  des  goldenen  Antependiums 
der  Grätin  Gisla  vom  Jahre  1038  sieht  man 
das  Bild  der  Stifterin  auf  grünem  Emailgrand. 
Bei  der  Überführung  der  Reliquen  des  hei- 
ligen Isidor  aus  dem  Gebiete  der  Mauren  nach 
Leon  schenkt  König  Ferdinand  und  seine  Ge- 
mahlin Sancia  1063  an  die  dortige  Johannes- 
kirche außer  Elfenbeingeräten  ein  Frontale, 
eine  Hängekrone,  ein  Prozessionskreuz  und 
einen  Kelch  mit  Patene,  alles  von  reinem 
Gold,  geziert  mit  Edelsteinen  und  Schmelz- 
werk (olovitreum).  Von  der  großen  Schenkung 
sind  nur  einige  Elfenbeinstücke  auf  uns  ge- 
kommen. Von  anderen  goldenen  Altarver- 
kleidungen dieses  Jahrhunderts,  wie  jenen  in 
Santiago  de  Compostella  und  Barcelona  wird 
ein  Emailschmuck  nicht  erwähnt. 

Im  12.  Jahrhundert  hatte  Santiago  in  der 
Goldschmiede-  und  Schmelzkunst  die  Führung 
übernommen.  Von  den  Reliquiaren,  die  unter 
dem  hochstrebenden  Erzbischof  Gelmirez  um 
11 20  für  die  dortige  Jakobuskirche  gefertigt 
wurden,  waren  drei  mit  Schmelzwerk  aus- 
gestattet. Ambrosio  de  Morales,  vom  König 
Philipp  IL  in  den  siebziger  Jahren  des  16.  Jahr- 
hunderts zur  Sammlung  von  Reliquien  für 
die  neuerbaute  Escorialkirche  ausgesendet,  sah 
diese  emaillierten  Kästen  noch  an  Ort  und 
Stelle  und  beschreibt  sie  ziemlich  genau.  Außer 
den  in  Kirchen  und  Museen  heute  noch  ver- 
wahrten, sehr  zahlreichen  Schmelzarbeiten 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts,  deren  Aufzäh- 
lung zu  weit  führen  würde,  wird  uns  eine 
Reihe  von  Esmaltadores  genannt,  deren  Namen 
zweifellos  auf  spanische  Herkunft  schließen 
lassen.  Es  arbeiteten  zum  Teil  noch  im 
12.  Jahrhundert  ein  Arias  Perez,  ein  Pedro 
Martinez,  Fernan  Perez  und  ein  Pedro  Pclaez 
in  Santiago,  ein  Juan  Perez  um  1262,  ein 
Pablo  von  Mondova  um  1283  und  Juan 
Domingo  und  Dominus  Arias  in  Burgos  und 
in  Valladolid  ein  Juan  Yafiez  und  Bartolomc 
Rinalt.  Freilich  konnten  die  spanischen 
Schmelzwerke  mit  ihrem  Edelsteinbesatz,  dem 
sparsam  aufgetragenen  Emailschmuck  und 
ihren  unbeholfenen  figürlichen   Zeichnungen 

')  Vepes  A.  Coronica  gem.-r.il  de]  Orden  Je  san  Benito 
Valladolid   um;,  VI.  fol.  125. 


mit  den  Arbeiten  von  Limoges  und  ihrem  in 
neuem  Stil  die  ganze  Fläche  übermalenden 
Dekor  nicht  in  Konkurrenz  treten.  Dem  nach 
Farbe  dürstenden  Geschmack  der  romanischen 
Periode  kam  die  Limusiner  Art  offenbar  mehr 
entgegen.  Und  so  wandert  aus  dem  Kunst 
Zentrum  Aquitaniens,  das  schon  vor  1200  zum 
Export  gerüstet  war,  eine  Reihe  bis  heute 
erhaltener  Kirchengeräte  über  die  Pvrenäen- 
mauer,  in  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahr- 
hunderts ein  schmaldierter  Retablo  auf  die 
luftige  Wallfahrtskirche  von  San  Miguel  in 
Excelsis  in  Navarra,  in  der  zweiten  Hälfte 
desselben  Jahrhunderts  ein  Retablo  mit  Ante- 
pendium  in  das  Kloster  Silos  bei  Burgos  — 
das  Antependium  ist  jetzt  im  Museum  von 
Burgos  untergebracht  — ,  und  um  die  gleiche 
Zeit  in  die  Kathedrale  von  Orense  ein  Fron- 
tale, von  dem  noch  12  Platten  vorhanden 
sind.  Außer  diesen  Altarteilen  verwahrt  Sala- 
manca  als  Limusiner  Arbeiten  die  hochver- 
ehrte Madofia  de  la  Vega  und  das  Kreuz 
des  Cid«,  während  eine  Reihe  von  Reliquien- 
kästchen in  Huesca,  im  Escorial,  in  Madrid 
und  anderen  Orten  Spaniens  sich  finden. 

Und  nun  zur  Frage:  Wie  mag  Mauricio 
zu  der  Idee  gekommen  sein,  in  der  Haupt- 
stadt Altkastiliens  einen  Dom  im  Kathedral 
Stil  nicht  des  französischen  Südens,  wie  man 
vermuten  möchte,  sondern  der  Isle  de  France, 
sich  zu  erbauen,  des  Zentrums  des  französi- 
schen Königtums,  wo  das  Wölbungssystem 
der  Auvergne  mit  seinen  zweigeschossigen 
Seitenschiffen  und  den  mit  Halbtonnen  ge- 
wölbten Emporen  mit  dem  ausgebildeten 
Kreuzgewölbe  der  Kormandie  zusammenstieß 
und  so  den  gotischen  Baustil  schuf? 

Wir  wissen,  in  welch  nahen  Beziehungen 
der  Bischof  von  Burgos  zum  jungen  König 
Ferdinand  III.,  dem  Heiligen,  und  seiner 
Mutter  Berenguela  stand.  Als  Archidiakon 
an  der  Primatialkirche  in  Toledo  war  Mau 
ricio  121 3  abgerufen  und  zum  Bischof  der 
Hauptstadt  Kastiliens  ernannt  worden  In 
jener  Zeit«  erzählt  der  Chronist  Lukas  von 
Tuv,  >wurde  der  katholische  Glaube  in  Spa 
nien  erhöht  und  trotz  der  vielen  Kriege,  mit 
denen  man  das  Königreich  Leon  bedrohte, 
wurden  doch  die  Kirchen  derart  mit  komg 
liehen  Geschenken  überhäuft,  daß  man  die 
alten,  mit  großen  Kosten  erbauten  < ! 
hauser  abbrach,  und  viel  vornehmere  und 
schönere  im  ganzen  Königreich  Leon  ei 
baute«.1)  Das  von  Leon  Gesagte  galt  eben 
so  von  Kastilien.  Die  Sohne  des  hl.  Bern- 
hard, die  Zisterzienser,  seit  11 31  in  die  spani 

1    1  •-pan.i  tagrada,  \X\1\  . 


46 


DAS  GRABMAL  DES  BISCHOFS  MAURICIO  IM  DOM  ZU  BURGOS 


sehen  Länder  gerufen,  hatten  mit 
ihren  Äbten  an  der  Spitze,  die  häufig 
französischer  Herkunft  waren,  bis- 
her unerhörte  Größendimensionen 
ihren  neuen  Kirchenbauten  zu- 
grunde gelegt.  Die  Ruinen  von 
Veruela  im  Aragonischen,  die  Klo- 
sterkirchen von  Val-de-Dios  in  Astu- 
rien,  Santas  Creus  und  Pöblet  in 
Katalonien  und  vielleicht  die  größte 
unter  allen,  jene  von  Fitero  in  Na- 
varra,  mit  den  Ausmaßen  einer  Ka- 
thedrale, beweisen  es.  Vor  den 
Toren  der  Stadt  Burgos  selbst  er- 
hob sich  in  Las  Huelgas  ein  Zister- 
zienserbau. So  mag  dem  Bischof  von 
Burgos  seine  1096  konsekrierte  alte 
Domkirche  zu  enge  geworden  sein. 
Die  weiten  und  helleren  Räume 
der  neu  erstehenden  Klosterkirchen 
mögen  in  ihm  den  Wunsch  nach 
einer  größeren  Episkopalkirche  er- 
regt haben. 

Da  kam  noch  hinzu,  daß  Mauricio 
mit  dem  Abte  Pedro  von  Arlanza, 
Kodrigo,  dem  Zisterzienserabt  von 
Rioseco  und  dem  Johanniterprior 
Pedro  Ende  Mai  des  Jahres  1219 
von  Berenguela  nach  Deutschland 
gesandt  wurde,  um  für  den  jungen 
König  Ferdinand  bei  Kaiser  Fried- 
rich IL  um  die  Hand  der  Beatrix, 
der  jüngsten  Tochter  König  Philipps 
von  Schwaben,  anzuhalten.  Der 
Ruf  von  den  Tugenden  und  Geistes- 
gaben der  staurischen  Prinzessin  war 
bis  nach  Spanien  gedrungen.  In 
Hagenau  im  Elsaß  wurde  der  Heirats- 
vertrag nach  langen  Verhandlungen 
abgeschlossen.  Wir  kennen  den 
Weg  nicht  genau,  auf  dem  die  Reise- 
gesellschaft mit  der  königlichen 
Braut  heimwärtszog.  Sicher  ist  nur, 
daß  sie  am  Königshof  in  Paris  aufs 
ehrenvollste  empfangen,  mit  Fest- 
lichkeiten geehrt  wurde  und  vom 
König  Philipp  August  ein  Geleite 
bis  zur  Grenze  Spaniens  erhielt.  Am 
25.  November  konnte  Ferdinand 
die  Enkelin  Barbarossas  vor  Burgos 
begrüßen  und  am  30.  November 
nahm  Mauricio  in  seiner  Domkirche 
unter  großem  Gepränge  die  Trau- 
ung vor. 

Ist  es  nicht  mehr  als  wahrschein- 
lich, daß  der  Kirchenfürst  von  Bur- 
gos gerade  von  dieser  Reise  den 
Plan    an    eine    Kathedrale    in    der 


DAS  GRABMAL  DES  BISCHOFS  MAURICIO  IM  DOM  ZU  BURGOS 


47 


VOM  GRAUMAL  HKS  BISCHOFS  MAURICIO  IM  DOM  IV  BURGOS 
Tixt  S.  37—48-  —  Vgl.  AU.  S.  46 


Größe  und  im  Stil  Mittelfrankreichs  mit  in 
die  sonnige  Heimat  brachte?  Konnte  ihm  die 
Bewegung  entgangen  sein,  die  damals  die 
Städte  Frankreichs  ergriffen  hatte?  Die  Schil- 
derungen von  den  fast  fertigen  Kathedralen 
in  Soissons,  Novon,  Laon,  von  der  1212  be- 
gonnenen neuen  Krönungskirche  der  fran- 
zösischen Könige  in  Reims,  sollte  er  sie  nicht 
vernommen  haben?  Noch  mehr  muß  die 
Notre-Dame-Kirche  in  Paris,  von  der  nam- 
hafte Teile  damals  fertig  standen,  ihn  ergriffen 
und  gedrängt  haben  einen  gleichen  Prachtbau 
in  der  Heimat  zu  schallen.  So  glaubt  sich 
der  Wanderer  in  eine  Kathedrale  von  Mittel- 
frankreich versetzt,  wenn  er  den  Dom  von 
Burgos  betritt.  Nur  wenn  die  Lichtfülle  des 
Vierungsturmes,  in  Spanien  crucero  genannt, 
auf  ihn  herunterströmt,  dann  fühlt  er  spani 
sehen  Boden  unter  den  Füßen  und  spa 
nische  Eigenart,  denn  die  Hervorhebun 
Kreuzungsquadrates  zwischen  Fang-  und  Quer- 
schiff mit  eigenen  Turm,  konnten  die  spani 
sehen  Werkmeister  auch  in  der  Gotik  nicht 
vergessen. 

Der  Feuerbrand  der  Begeisterung   für  neue 
Dome  in  der  Art  des  opus  francigenum  griff 


rasch  und  weit  um  sich.  Aul  die  Grundstein- 
legung in  Burgos  folgte  1226  jene  für  die 
Primatialkirche  in  Toledo;  in  Leon  war  der 
Bau  schon  1199  begonnen  worden;  er  ruhte 
aber  ein  halbes  Jahrhundert,  erst  1252  wurde 
die  Bauhütte  wieder  eröffnet.  Und  wie  die 
Kirche  Mauricios  bleiben  auch  die  Kathedralen 
von  Orense  und  von  Burgo  de  Osma  unzei 
trennbar  mit  dem  Namen  des  heiligen  Fer- 
dinand verbunden.  Französische  Werkmeister 

lieferten   ohne    Zweifel    die    ersten    Plane. 

Auf  der  gleichen  Reise,  auf  der  der  Bischof 
von  Bui  gos  zum  Bau  einer  französischen  Käthe 
drale  kam,  wird  er  auch  zu  dein  Wunsch  nach 
einem  bunt  emaillierten  Grabmal  geführt  wor- 
den sein.  In  der  Kirche  von  Xotre  Dame  in 
Paris,  deren  Chor  1 1 77  bereits  bis  zur  Ge- 
wölbehöhe  emporgestiegen  war,  —  der  Hoch- 
altar war  11S2  konsekriert  worden')  -  hatte 
man  dem  [208  verstorbenen  Erzbischol  von 
Paris,  Odo  von  Sullv,  ein  Grabmonument  er- 
richtet. Die  auf  einer  Kupferplatte  liegende 
Figur  war  nach  I.imusiner  Art  in  Treibarbeit 
hergestellt,   emailliert  und  vergoldet  und  von 


1    Schnu  üite  der  bildenden  Künste,  V,  5  s 


DAS  GRABMAL  DES  BISCHOFS  MAURICIO  IM  DOM  ZU  BURGOS 


48 

vier  gleichfalls  mit  Kupfer  umkleideten  Säulen 
betragen1)-  Über  dem  Kopf  des  Bischofs  hatte 
sich  der  Schmelzkünstler  verewigt  mit  der  In- 
schrift :  Stephanus  de  Boisse  me  fecit.  Das  Denk- 
mal Odos  von  Sullv  war  eines  der  frühesten, 
vielleicht  die  erste"  Grabfigur  in  Relief,  die 
aus  einer  Limusiner  Werkstätte  hervorging. 
Der  Bischof  von  Burgos  hat  sicher  das  Monu- 
ment des  baufreudigen  Oberhirten  von  Paris 
zu  Gesicht  bekommen  und  den  Wunsch  nach 
einem  eben  solchen  Epitaph  mitheimgenom- 
men.  Und  so  steht  heute  sein  eigenes  Denk- 
mal als  Unikum  für  ganz  Spanien  in  der  von 
ihm  gegründeten  Kathedrale.  Ob  der  vor- 
genannte Stephan  von  Boisse  oder  ein  an- 
derer Limusiner  Meister  oder  einer  der  kunst- 
beflissenen Mönche  von  Grandmont  der  Fer- 
tiger des  Grabmals  ist,  wird  wohl  nie  ent- 
schieden werden.  Sicher  aber  ist,  daß  dieser 
mit  seiner  skulpturalen  Kunst,  der  Zeit  weit 
vorauseilend,  ungleich  höher  steht  als  mit  der 
manuellen  Fertigkeit  des  Emaillierens,  durch 
die  Limoges  über  alle  Kulturländer  Europas 
hinaus  berühmt  geworden  ist,  und  daß  er  es 
verdient,  als  ein  Vorläufer  in  der  schärfsten 
Charakterisierung  des  menschlichen  Antlitzes 
an  der  Liegefigur  Mauricios  und  als  erster 
Vertreter  einer  Schule  in  jeder  Kunstge- 
schichte einen  Ehrenplatz  einzunehmen. 

K.  Fastlinger 

MICHELANGELO  DER  BESIEGTE 

Als  er  sie  fand,  die  gütig  war  und  rein, 
Verharschte  seiner  Seele  offne  Wunde, 
Kein  leeres  Märchen  war  hinfort  die  Kunde 
Von  ew'ger  Liebe  ird'schem  Widerschein 
Sie  heilte  ihn  mit  ihrer  stillen  Hand, 
Sie  nahm  ihn  mit  auf  der  Entsagung  Wege, 
Und  lehrte  ihn  die  letzten,  steilen  Stege, 
erschuf  ihm  neu  sein  Heim  und  Vaterland. 
Da  gab  er  der  Bamherzigen  zum  Lohn 
Seliger  Gnade  ihre  milden  Züge, 
Daß  sie  des  Mitleids  heiße  Bitte  trüge 
Vor  den  Verwerfer,  ihren  ew'gen  Sohn2). 

M.  Herbert 

DER  SIEGER  MICHELANGELO 

Er  stieg  empor  aus  der  Antike  Schoß. 
Ihm  hielt  die  Heidenkunst  den  Sinn 

umsponnen; 
Trank  er  auch  tief  aus  dem  Erlöserbronnen, 
Ein  innrer  Zwiespalt  ließ  sein  Herz  nicht  los. 

')  Rupin  E.,  1.  c.  15S  ff. 

*)  Die  Maier  Dei  auf  dem  Jüngsten  Gericht  soll  die 
Züge  der  Vittoria  Colonna  tragen. 


Sohn  zweier  Zeiten  schritt  er  durch  die  Welt 
Doch  ging  zum  Ganzen  sein  unrastig  Streben: 
Mit  Riesenfäusten  formte  er  sein  Leben, 
Bis  er  es  nur  auf  seinen  Gott  gestellt. 
O  großer  Kämpfer!  Ungeheures  Bild 
Siegreichen  Wollens!  Lehre  uns  zu  steigen 
Zu  deinen  Höhn,  wo  aus  den  letzten  Neigen 
Des  Bechers  Stillung  ew'gen  Durstes  quillt. 

M.  Herbert 

DER  TOD  DES  MICHELANGELO 

Er  redete  nicht  mehr.  —  Geheimnis  tief 
Lag  über  seiner  letzter  Stunden  Qual,  — 
Es  ward  sein  stolzes  Antlitz  matt  und  fahl 
Von  schwerer  Müdigkeit,  eh  er  entschlief. 
Doch  einmal  wurde  noch  sein  Auge  klar, 
Er  hob  mit  starkem  Willen  sich  empor 
Zur  Abschiedsrede!  Leiht  mir  euer  Ohr! 
Sprach  er  leis  flüsternd  zu  der  Freunde  Schar. 
O  wißt  es!  Auf  der  Brust  sitzt  mir  die  Reu, 
Weil  ich  so  schlecht  befolgte  ew'gen  Rat, 
Für  meine  Seele  viel  zu  wenig  tat. 
Und  untreu  war  der  grenzenlosen  Treu. 
Ja,  dieses  schmerzt  mich,  daß  mich  der  Befehl 
Von  hinnen  ruft,  da  ich  auf  ew'ger  Bahn 
Die  ersten  Schritte  strauchelnd  nur  getan. 
Ja,  dieses  schmerzt  mich  in  der  tiefsten  Seel! 
Daß  ich  ein  schwaches  Stammeln  nur  begann 
In  meiner  Kunst.  Daß  mir's  im  Tode  tagt, 
Wie  ich  die  Anfangsworte  bloß  gesagt.  — 
So  voll  von  Demut  starb  der  größte  Mann. 

M.  Herbert 

DER  KREMSER  SCHMIDT 

Der  Kremser  Schmidt!  Ich  stand  im  dunklen 
[Schiff, 
Wo  Bettler  harrten  lahm,  gebeugt  und  blind. 
Wo  alte  Weiblein,  Gottes  Ingesind, 
Das  letzte  Stammeln  brachten  ihrem  Herrn. 
Da  ragte  hoch  ein  Altarblatt  empor: 
Am  Kreuzesstamm  sah  ich  den  einzig  Einen 
Und  ihm  zu  Füßen  Magdalenens  Weinen. 
Ich  hört'  es  in  die  Seele  tief  hinein. 
Aus  Düsternissen  flammte  ihr  Gewand, 
Türkisenblau.     Es    schimmerte   ihr  Haar, 
Das  goldgesträhnt  und  voller  Lichter  war. 
Doch  nebensächlich  schien  das  Farbenfest. 
Weil  gar  so  bitter  die  Erlösernot, 
Weil   gar   so   wirklich   dieser   Büßerschmerz. 
—  Vorjahren  war's :  doch  nie  verlor  mein  Herz 
Das  heilige  Bild,  die  stille  Meistertat. 
O  Unbekannter!    Wüßt'  ein  Herz  um  dich, 
Zu  deinen  Bildern  müßte  es  wallfahren, 
Die  Kräfte  Gottes  neu  zu   offenbaren, 
All  deiner  wundervollen  Schönheit  froh.1) 

M.  Herbert. 

')  Vgl.   »Die  ehr.  Kunst«,  XV.  Jg.,  S.  178. 


1  RANZ  YETIIGER 


DER  Kl  SSILEU  UND   SEINE  GEMAHLIN 


IRAN'/  VETTIGER  (1846-  in 


Von  Dr.  AD.  I  All 

'Abb.  S.   i 


pVe  schweizerische  religiöse  Malerei  der  letz 
*— '  ten Jahrzehnte  kennzeichnen  zwei  Meister: 
Paul  Deschwanden  und  Franz  Vettiger.  Beide 
standen  als  Lehrer  und  Schaler,  später  als 
Freunde  einander  nahe.  Denn,  kaum  der 
Schule  entlassen,  besuchte  der  junge  Vet 
tiger  die  Zeichnungsschule  in  Stans,  an  der 
Deschwanden  zwar  nicht  Unterricht  erteilte, 
wohl  aber  eine  gewisse  Oberleitung  der  be- 
gabteren Schüler  stets  innehatte. 

In  einer  nur  fragmentarisch  erhaltenen  Auto 
biographie  skizziert  Vettiger  seinen  Studien- 
gang mit  folgenden  Worten:  »Ich  besuchte 
auch  auf  dessen  (Deschwandens)  Rat  die  Aka 


demie  in  München  (1861     63  .  wo  ich  neben 
den  Bekannten.  Oberländer,  Haider,  Defi 
usw.  nach  Antiken  zeichnete.  Die  mir  von  Stans 
her    bekannten    und    befreundeten,    früheren 
Schüler  Deschwandens  waren  indes  in  Karls 
ruhe  und  bestimmten  mich,  dort  die  Malschule 
zu  besuchen  (1S63      64).    Dort  befanden  sich 
auch    die    spater    viel    genannten   H.  Thoma, 
er,  Balmer,  Troxler,  Kaiser,  Stirnimann, 
Stäbli  usw.«    ii-i'5  siedelte  Vettiger  für  ein  vol 
les  l.ilir  nach  Stans   über,   wo  er  frühe! 
die  Ferien  zugebracht  hatte,     meist  im  Atelier 
der    immer   mit   Arbeit   übet 
häuft   war       Die  erzielten  Resultate  scheinen 


■ 


So 


FRANZ  VETTIGER 


FRANZ  VETTIGER 

Karton  zu  einein  Bilde 


DER  HL.  GEORG 
xt  S.  so  und  51 


ganz  erfreuliche  gewesen  zu  sein,  nach 
der  Bemerkung:  »hatte  mir  seine  technische 
Fertigkeit  soweit  angeeignet,  daß  ich  einst 
während  seiner  Abwesenheit  zwei  Altar- 
bilder mehr  als  er  mir  aufgetragen,  ausge- 
führt hatte«. 

Einen  wichtigen  Schritt  kennzeichnen  die 
folgenden  Zeilen:  »Das  Jahr  66  widmete  ich 
hauptsächlich  Landschaftsstudien  in  Uznach 
und  Weesen  und  den  Winter  brachte  ich 
wieder  in  München  zu,  hauptsächlich  mit 
Kopieren  in  der  Alten  Pinakothek.  Im  März 
1868  trat  ich  den  Weg  über  den  Splügen 
nach  Italien,  dem  Ziele  und  Sehnen  aller 
Künstler,  an.« 

Das  Studium  der  Denkmäler  nahm  den 
jungen  Schweizer  sehr  in  Anspruch,  doch  wid- 
mete er  sich  rasch  wieder  künstlerischer  Tätig- 
keit. Sein  Landsmann,  Kunstmaler  Wüger, 
hatte  sich  im  Garten  des  Klosters  S.  Alfonso 
ein  reizendes  Künstler-Junggesellenheim  ge- 
schaffen, in  dem  er  ebenfalls  Aufnahme  fand 
und  damit  den  Bestrebungen  der  späteren  Beu- 
roner  Schule  nähertrat.  Er  bekundete  die- 
sen gegenüber  ein  ganz  außerordentliches 
Interesse. 

1869  ist  der  junge  Künstler  bereits  mit  sei- 
nem ersten  großen  Auftrage  beschäftigt.  In 
sieben  umfangreichen  Bildern  entwarf  er  Sze- 
nen aus  dem  Leben  des  hl.  Johannes  des  Täu- 
fers für  die  Kirche  von  Alt-St.-Johann  im 
Toggenburg.  Gegen  Ende  des  Jahres  kehrte 
Vettiger  wieder  nach  Rom  zurück. 


Das  Jahr  1871  bildet  einen  Markstein  im 
Leben  des  Künstlers.  Er  baute  sich  in  Uznach, 
in  seiner  Heimatgemeinde,  über  der  male- 
rischen Linthebene,  unfern  den  Ufern  des 
Zürcher  Sees,  ein  eigenes  Atelier  und  blieb 
damit  der  heimatlichen  Scholle  erhalten.  In 
Berta  Marty,  einer  Tochter  des  Kt.  Schwyz, 
fand  er  eine  edle  Gattin,  die  seiner  künst- 
lerischen Tätigkeit  alles  Verständnis  entgegen- 
brachte. Für  den  nun  ökonomisch  auch 
unabhängigeren  Mann  öffneten  sich  mehr  als 
vier  Jahrzehnte  einer  glücklichen  Wirksam- 
keit. Den  Aufträgen  vermochte  der  Künstler 
nie  nachzukommen.  In  seinem  Heime  sah 
er  seine  Kinder  heranblühen,  später  muntere 
Enkel,  die  stets  neues  Leben  ins  einsamer 
werdende  Haus  brachten. 

Fassen  wir  die  künstlerische  Entwicklung 
unseres  Meisters  näher  ins  Auge.  In  den 
Skizzenbüchern  und  Kartons,  in  den  letzteren 
wohl  am  deutlichsten,  tritt  uns  das  Streben 
des  unermüdlich  Tätigen  entgegen.  In  kühn 
hingeworfenen  Kohlenzeichnungen  offenbart 
sich  eine  virtuose  Beherrschung  der  Formen, 
die  gründliche  anatomische  Studien  voraus- 
setzt. Für  die  14  Nothelfer  der  Pfarrkirche 
in  Appenzell  sind  eine  Reihe  vorzüglicher 
Kartons  entstanden,  eine  Zierde  des  dortigen 
Kollegiums,  dem  sie  abgetreten  wurden.  Die 
jugendliche  Kraft  des  hl.  Georg  (Abb.  oben) 
siegt  mit  treffsicherem  Lanzenstoß  über  die 
aufbäumende  Wut  des  Ungetüms,  das  ver- 
endend zurücksinkt.  Körperliche  Ermüdung 
äußert  sich  dort,  wo  die  Riesenschultern  zum 


FRANZ  VETTIGER  HL.  CHRISTOPHORLS 

Karton  zu  einen:  Bilde  in  Appenzell.   —    Text  S.  JO  und  J l 


FRANZ  VETTIGER 


">' 


FRANZ  VETTIGER,  ZWEI  GRUPPEN  VON  HEILIGEN 
Kartons  für  Ingenlwhl.   —   Text  ur.t,n 


Throne  des  Allerhöchsten  werden  (Abb.  S.  50). 
Fest  umfaßt  die  Hand  den  Baumstamm,  der 
rechte  Arm  stemmt  sich  in  die  Seite,  fragend 
blickt  dennoch  das  Auge  empor,  um  den  Ge- 
gensatz zu  lösen,  zwischen  dem  Kinde  und 
dessen  in  körperlicher  Schwere  sich  äußern- 
den göttlichen  Majestät.  Vielleicht  am  zar- 
testen offenbart  sich  des  Künstlers  Individua- 
lität, wenn  wir  beobachten  können,  wie  ein 
Glied  gleichsam  beseelt  sich  zeigt.  Im  Karton 
zum  hl.  Agidius  ist  der  Gegensatz  zwischen 
der  rein  schematisch  behandelten  rechten 
Hand  und  der  Linken,  die  den  Pfeil 
liehst  leicht  und  leise  der  Wunde  zu  entziehen 
sucht,  geradezu  auffallend. 

Wahrend  bisher  die  Einzelfigur  maßgebend 
blieb,  sehen  wir  in  der  Komposition,  wie, 
nachdem  die  Grundzüge  festgelegt  sind,  eine 


zartere  Detaillierung  sich  geltend  macht.  Die 
Skizze  nähert  sich  den  Feinheiten  der  Dra- 
pierung und  scheint  bereits  der  künftigen 
Farbe  die  Pfade  weisen  zu  wollen.  Im  reli- 
giösen Genre  äußert  sich  die  Brauchbarkeit 
einer  sorgfältigen  Zeichnung  für  die  Zwecke 
der  Stickerei.  Wo  die  vorzeichnende  und 
die  ausführende  Hand  voneinander  verschie- 
den sind,  kann  nur  eine  erträgliche  textile 
Übersetzung  erwartet  werden,  wenn  der  Zeich- 
ner möglichst  die  Eigenart  der  Ausführung 
beobachtet.  Die  Vorzüglichkeit  der  Kartons 
tritt  dort  am  deutlichsten  zutage,  wo  der 
Kunstler  in  der  Durchluhrung  jeder  einzelnen 
Figur,  in  der  Komposition  der  Grup] 
weit  gegangen  ist  (Abb.  oben),  daß  die  Aus 
Führung  auf  die  Fläche   eigentlich   nur  von 

sekundärer   Bedeutung   ist. 


52 


FRANZ  VETTIGER 


ALTARBILD 
IN  UZNACH 


In  den  bisherigen  Werken  tritt  eine  Seite 
der  künstlerischen  Eigenart  Vettigers  hervor. 
Die  anatomischen  Studien  gehen  allmählich 
in  tüchtige  Gedächtnisübungen  über,  die  in 
den  Draperien  meist  maßgebend  blieben.  Der 
Aufenthalt  in  Rom,  selbst  ein  gewisses  Naza- 
renertum  äußert  sich  in  der  wohl  abgewogenen 
Komposition,  in  der  leisen  Verschiedenheit 
symmetrischer  Gruppen.    Jener   sinnige  reli- 


giöse Zug,  der  sich  in  gläubi- 
gem Vertrauen,  stiller  Demut 
und  wehmutsvoller  Sehnsucht 
äußert,  ist  Deschwanden  und 
Vettiger  in  gleicher  Weise 
eigen.  Er  äußert  sich  bei  letz- 
terem mehr  in  der  Zeichnung, 
bei  jenem  mehr  in  der  Farbe. 
In  einzelnen  Werken  der 
Frühzeit  macht  sich  die  ernste, 
feierliche,  monumentale  Auf- 
fassung der  Beuroner  Schule 
geltend,  mit  deren  Gründern 
Vettiger  stets  auf  bestem  Fuße 
stand.  Er  teilte  ihren  Idealis- 
mus, der  sich  in  die  Worte 
kleidete:  »Ich  hättegewünscht, 
in  der  Komposition  und  Groß- 
artigkeit dem  Giotto,  in  An- 
mut und  Lieblichkeit  dem  Fra 
Angelico  nahezukommen.« 
An  Deschwanden  ging  die 
Photographie  einer  Aufer- 
stehung aus  Vettigers  Atelier 
ab.  In  einem  offenen  Freun- 
deswort legte  der  Stanser 
Meister  seine  Ansicht  nieder 
—  Brief  vom  26.  Februar  1873: 
»Wohl  ersieht  man  aus  dem 
Ganzen  den  lobenswerten, 
frommen  Ernst,  der  den  Ent- 
wurf und  die  Ausführung  lei- 
tete. Allein  es  atmet  mehr 
die  Strenge  des  Alten  als  die 

Gnade  des  Neuen  Bundes 

Einen  solchen  Christus  hätten 
die  Jünger,  trotz  dem  »Friede 
mit  euch«  nicht  nahen  dür- 
fen   Verstehe  mich  wohl, 

ich  schätze  und  liebe  und  be- 
wundere  all  die    treuen   und 
unvergeßlichen     Freunde     in 
ihrem  nachahmungswürdigen, 
ernsten  Streben,  und  ich  ver- 
abscheue jenes  süßliche,  wei- 
che, oft  theatralische  Wesen, 
das  besonders  irüher  mich  an- 
ekelte.    Allein    geradezu    zu 
Ihrem    gedeihlichen    Wirken 
wünsche  ich,    daß  Sie  die  Klippen  eines  an- 
dern Extremes   glücklich   umschiffen,  ...um 
vom  Volke  besser  verstanden  zu  werden.« 

Wie  weit  der  Meisterden  Mahnungen  seines 
Freundes  nachgekommen,  ersehen  wir  aus 
seinem  Madonnenbilde  für  die  Pfarrkirche  in 
Uznach,  das  für  die  Entwicklung  des  Künst- 
lers als  maßgebend  bezeichnet  werden  darf 
(Abb.  oben).    Eine  gewisse  feierliche  Strenge 


MADONNA   ALI]    DEM    i  HRON 


FRANZ  VETTIGER 


J3 


FRANZ  V]  1  I  [Gl  R 


•u  in  Cznach.  —  Text  S.  S-l 


VIERTE  KREUZWEGSTATION 


tritt  dem  Beschauer  sofort  entgegen.  Der 
Mutterschoß  ist  nur  der  Thron  für  den  Sohn 
Gottes.  Bekleidet  mit  Albe  und  griechischer 
Stola,  will  er  der  Welt  den  Frieden  bringen. 
Irgendwelche  Beziehungen  zwischen  Mutter 
und  Kind  sind  nicht  einmal  angedeutet.  In 
den  beiden  Engelsgruppen  erkennt  man,  trotz 
des  Bestrebens  nach  Idealisierung,  noch  die 
Modelle.  Im  Linienschema  der  Komposition 
sind  die  Einflüsse  Italiens,  etwa  Andrea  del 
Sartos  zu  erkennen.  Von  den  Engelsköpf- 
chen aus  lassen  sich  Linien  ziehen,  die  im 
spitzen  Winkel  im  Haupte  des  Kindes  und 
der  Madonna  zusammentreffen,  Die  Köpf- 
chen der  Engel  schließen  sich  zu  einerweichen, 
nach  vorn  geneigten  Elipse  zusammen. 

Durch  die  Uznacher  Madonna  können  zahl- 
reiche Werke  des  Meisters  illustriert  werden. 
Ganze  Kirchen  wurden  ihm  zur  Ausschmückung 
mit  tiguralen  Szenen  übergeben.  Die  Legende 
einzelner  Heiliger  behandelte  Yettiger  in  Serien 
von  Bildern.  Seine  Altargemälde  erfreuten  sich 
beim  gläubigen  Volke  stets  eines  besondern 
Ansehens  und  freundlicher  Aufnahme. 


Die  ganze  Fruchtbarkeit  des  Ateliers  in 
Üznacb  zeigt  sich  auf  dem  Gebiete  der  Kreuz- 
wege. Es  sind  nicht  weniger  als  1 5  der- 
selben von  Vettiger  entworfen.  Den  ersten 
malte  er  schon  1862  unter  Deschwandens 
Aufsicht  in  Stans.  Seither  sind  die  Serien 
der  Stationen  auf  seiner  Stallelei  entstanden, 
keineswegs  als  einfache  Kopien,  sondern  stets 
folgten  neue  oder  leicht  veränderte  Entwürfe. 
Schon  ilie  äußere  form  bedingte  Varian- 
ten des  nämlichen  Themas.  Kur  selten  er 
laubte  die  disponible  Fläche,  den  Zug  vom 
Richthause  des  Pilatus  bis  auf  die  Schädel- 
Stätte  in  fortlaufender  Prozession,  die  etwa 
Säulchen  gliedern,  vorzuführen.  Auch  die  ein- 
zelne Station  mußte  eigens  komponiert  wer 
den,  je  nach  dem  weichen  (  Kai  einer  bereits 
vorhandenen  Rokoko-Umrahmung  oder  den 
mehr  hoch  als  breit  entwickelten  Flächen 
eines  gotischen  Bogens.  Sem  reifstes  Können 
zeigte  er  im  Kreuzwege  für  die  Pfarrkirche 
seiner  rleimatgemeinde. 

Die  Zahl  der  Figuren  wurde  bedeutend  ver 

mehrt,  so  d.iii  umfangreich*    Kompositionen 


54 


FRANZ  VETTIGER 
m 


entstehen.  In  der  4.  Station,  um  einem  Bei- 
spiele näher  zu  treten,  sahen  wir  früher,  wie 
die  Mutter  flehend  ihre  Hände  erhob,  so  um- 
fängt in  Uznach  (Abb.  S.  53)  mütterliche  Liebe 
zum  letzten  Male  sorgend  den  Sohn.  Die 
Wut  der  Schergen  hat  sich  gemildert,  sie 
weicht  teilweise  dem  Staunen  über  die  Größe 
und  Bedeutung  dieser  Liebe.  Ebenso  zart 
behandelt  ist  die  11.  Station  (Abb.  oben).  Der 
Blick  des  trefflich  gezeichneten  Dulders  wen- 
det sich  nach  dem  Beschauer.  Die  Henker 
sind  mit  der  Durchbohrung  der  Hände  und 
Füße  beschäftigt  und  würfeln  über  das  Kleid. 
Eine  Mauerbalustrade  trennt  diesen  Raum 
tiefster  Leiden  von  der  nachdrängenden  Menge 
der  Neugierigen  und  Schadenfrohen.  Einzig 
in  Maria  und  ihrer  Umgebung  fand  das  Mit- 
leid Zutritt.  Die  Wache  scheint  Milde  walten 
zu  lassen.  In  der  12.  Station  (Abb.  S.  55)  ist 
weniger  die  sonst  gebräuchliche  Kreuzigung, 
vielmehr  die  dieser  vorausgehende  Kreuz- 
erhöhung festgehalten,  wodurch  die  feierliche 
Ruhe  dieser  Szene  in  reiche  Bewegungs- 
motive   aufgelöst  wird.     Die  Anstrengungen 


zur  Hebung  des  Kreuzes  sind  sämtlich  nach 
rückwärts  verlegt,  wodurch  die  Hauptfigur  in 
ihrer  Bedeutung  um  so  entschiedener  hervor- 
tritt, durch  die  beiden  Gruppen  des  Mitlei- 
dens und  der  Verhöhnung,  rechts  und  links 
noch  markanter  gehoben  wird. 

Die  Gegensätze  zwischen  tiefem  Mitleid 
und  ohnmächtigem  Hasse  im  Kreuzwege,  zu 
jubelndem  Glücke  und  verzweiflungsvollem 
Untergange  zu  steigern,  bot  sich  in  der  Dar- 
stellung des  Jüngsten  Gerichtes  reichlich  Ge- 
legenheit. Nicht  weniger  als  sechs  verschie- 
dene Behandlungen  dieses  Gegenstandes  sind 
von  Vettiger  bekannt.  Keine  aber  kommt  an 
Umfang  und  künstlerischer  Durchführung  der- 
jenigen von  Rapperswil  gleich.  Sie  nimmt 
eine  Bildfläche  von  ca.  120  Quadratmeter  ein. 
Trefflich  ist  der  undankbare  Raum  des  Spitz- 
bogens ausgenützt.  In  dessen  Scheitel  thront 
der  Richter.  Vor  dem  Throne  brennen  die 
sieben  Fackeln,  ein  Regenbogen  mit  den  vier 
apokalyptischen  Symbolen  umschließt  densel- 
ben. Der  Hintergrund  zu  beiden  Seiten  ver- 
tieft  sich    in    die    lichtdurchtränkten    Reihen 


FRANZ  YETTIGER 


55 


FRANZ  V  ET]  IGER 


ZW(  '1.1  TE   KKEIYV.  lGSTATIOX 


des  Himmels,  dessen  Bewohner  die  24  Alte- 
sten anführen.  Links  sind  Maria,  in  deren 
Mantel  sich  die  Stammutter  Eva  birgt,  und  der 
hl.  Joseph  Zeugen  des  Gerichtes.  Über  Mar- 
mortreppen und  blumige  Wiesen  eilen  die 
Vertreter  der  Menschheit  jubelnd  ihrem  Ziele 
entgegen.  Eine  Fülle  sinniger  poetischer 
Details  ist  in  die  verschiedenen  Gruppen  ver- 
teilt. Ein  Engel  krönt  die  Glieder  der  Fa- 
milie. Die  Jungfrauen  im  Brautschmucke 
schweben  empor.  Vertreter  der  Orden,  Krie- 
ger, der  Reigen  der  Unschuldigen  Kinder 
werden  von  Engeln  emporgeführt.  Die  Stulen 
der  Hierarchie  erscheinen,  endlich  bekleiden 
beschwingte  Himmelsbewohner  die  Aufer 
stehenden  mit  dem  Gewände  der  Unsterb- 
lichkeit, auch  dem  Reinigungsorte  schlagt  die 
Erlösungsstunde. 

Rechts  entwickelt  sich  die  volle  Wucht 
dramatischer  Kraft.  Die  sieben  Engel  mit 
Posaunen,  Schwertern  und  den  Schalen  des 
Zornes  Gottes  sind  etwas  zurückgedrän 
den  im  Sturme  dahersausetuien  apokalyptj 
sehen    Reitern  (Abb.  S.  56).     In    kühnen   Bil 


dein  wird  der  Zusammenbruch  der  Welt  ge- 
schildert. Nur  Trümmer  des  Tempels  ihrer 
Größe  sind  noch  sichtbar.  Geborstene  Trom- 
meln der  Säulen,  Gebälkstücke  stürzen.  Am 
Opferaltare  lechzt  eine  schwarze  Rauchtlamme. 
In  ohnmächtigem  Kample  erheben  sich  die 
Repräsentanten  der  sieben  Hauptsünden.  In 
der  Tiefe  öffnet  sich  der  Rachen  des  höl- 
lischen Drachen.  Aus  diesen  erschütternden 
Keulenschlägen  sehnt  man  sich  nach  ruhigen 
Gefilden,  aus  der  sturmgepeitschten  Nacht 
nach   einem   friedlichen   Morgen. 

Wir  finden  diesen  im  Deckengemälde  der 
Pfarrkirche  von  Appenzell,  der  größten  Kom- 
position des  19.  Jahrhunderts  der  ganzt 
Schweiz.  I?ei  einer  Lange  von  16  Meter  mißt 
dasselbe  12  Meter  in  der  Breite  (Abb.  S.  571 
und  enthält  16;  Figuren.  Der  Gedanke  de. 
Aller   Heiligen   ist   in   tretl  lieber   Kom 

position  testgehalten.    Die  Dreifaltigkeit,  die 

Mutter  Gottes  krönend,  nimmt  die  ober. 

ein.     Auf  Wolkenthronen    haben   zu  beiden 

Seiten  die  Apostel  Platz  genommen.  Nach 
der  Tiefe  verteilen  sich  die  Gruppen  der  acht 


56 


FRANZ  VETTIGER 


I  KAN/  YETTIGKR 


DIE  APOKALYPTISCHEN  REITER 


Seligkeiten.  Links  ladet  der  hl.  Joseph  die 
Armen  im  Geiste  ein.  An  der  Spitze  der 
Heiligen  des  Neuen  Bundes  erblickt  man  den 
armen  Lazarus  im  Schöße  Abrahams.  Tie- 
fer schweben  die  Sanftmütigen  empor.  Man 
erkennt  sofort  die  hl.  Dominikus  und  Franz 
v.  Sales,  aber  auch  Noe  mit  der  Arche  und 
Moses  mit  seinen  Gesetzestafeln.  Der  Mittel- 
gruppe schenken  wir  momentan  noch  keine 
Aufmerksamkeit.  Links  in  der  Tiefe  grup- 
pieren sich  die  Trauernden.  Adam  und  Eva 
knien  in  der  Ferne.  Die  Hand  des  hl.  Aloy- 
sius  erfaßt  der  Engel.  David  berührt  die 
Saiten  seiner  Harfe.  Die  nach  der  Gerech- 
tigkeit Hungernden  und  Dürstenden  sind  um 
den  hl.  Michael  kniend  versammelt.  Es  sind 
teils  Ordensstifter,  teils  lokale  Patrone,  wie 
der  hl.  Gallus.  Rechts  steht  höher  die  Gruppe 
der  Barmherzigen:  Raphael  mit  dem  greisen 
Tobias,  dem  das  Augenlicht  geschenkt  wurde, 
Martinus,  dem  ein  Engel  das  Gewandstück 
überbringt;  ihnen  schließt  sich  Vinzenz  von 
Paula  mit  dem  Kinde  und  der  hl.  Karl  Borro- 
mäus  mit  dem  Kranken  an.  Höher  zieht 
sich  rechts  am  Rande  des  Bildes  die  Gruppe 


der  Heiligen  empor,  die  reinen  Herzens  sind. 
Die  duftigen  Figuren  sind  leicht  zu  erkennen. 
Über  Cäcilia  undTiburtius  schwebt  ein  himm- 
lischer Violinspieler.  In  der  Höhe  folgen  dem 
hl.  Johannes  dem  Täufer  die  Friedfertigen.  Wir 
beobachten  den  frommen  Job.  In  seiner  Nähe 
kniet  der  sei.  Nikolaus  von  der  Flüe.  Die  mitt- 
lere Gruppe  der  ganzen  Komposition  zeigt 
die  Verfolgung  Leidenden.  Der  hl.  Mauritius, 
der  Patron  der  Kirche,  wird  von  Engeln  empor 
gehoben.  Die  unschuldigen  Kinder  jubeln, 
Palmen  wehen  in  ihren  Händen.  Zu  beiden 
Seiten  schließen  sich  die  Märtyrer  beider  Ge- 
schlechter und  aller  Altersstufen  an. 

In  diesem  Bilde  zeitigen  die  ikonographi- 
schen  Studien  des  Künstlers  eine  reife  Frucht. 
Alle  Epochen  der  Kirchengeschichte  sind  ver- 
treten: Das  christliche  Altertum  im  Purpur- 
glanze  des  Martyriums,  das  Mittelalter  mit 
seinen  Vertretern  der  Wissenschaft,  endlich 
die  neuere  Zeit  in  ihrer  charitativen  Tätigkeit. 

Nach  der  Lösung  solcher  Aufgaben  dürfte 
man  wohl  erwarten,  daß  die  Schöpferkraft 
des  Künstlers  erlahmt  wäre,  wenigstens  vor 
großen    Aufträgen     zurückschrecken    würde. 


FRANZ  VETTIGER 


57 


I  RA\/  VETTIGER 


DtcktHfimäldt  in  Apftmell.  —    Ttxt  S.  jj 


\1  I  KKIIEILIGEN 


Vettiger  näherte  sich  noch  als  Sechziger  der 
schönsten  Aufgabe  seines  Lebens. 

In  der  Bundeshauptstadt  Bern  suchte  der 
damalige  Stadtpfarrer,  der  spätere  Bischof  von 
Basel,  Dr  J.  Stammler,  1906  für  die  Deko- 
ration seiner  neuen  Dreifaltigkeitskirche  einen 
tüchtigen  Kunstmaler.  >Ich  entschied  mich 
für  Vettiger  in  der  Meinung,  von  ihm  etwas 
Frommes  und  Volkstümliches  zu  erhalten<, 
wie  er  selbst  bemerkt. 


Mit  jugendlichem  Schaffensdrange  entwart 
der  Beauftragte  einen  umfangreichen  Plan. 
Ein  dreifacher  Fries  war  an  den  Längswän 
den  des  Mittelschiffes  vorgesehen.  Über  den 
Fenstern  sollten  die  Schopfungstage  und  die 
Sakramente  Aufnahme  linden.  Zwischen  den- 
selben würden  14  Vorbildet  des  Alten  Testa 
ments  auf  den  neuen  Bund  hinweisen,  wah- 
rend im  Hauptfries  in  12  großen  Kompo- 
sitionen  das  Leben   di  1   schildern 


58 


FRANZ  VETTIGER 


IRAK/  YETTIGEK 


MARTYRIUM   DES  HL.  LAURENTIÜS 


L'ntertr   Teil. 


wäre.  Der  Chor  sollte  die  Darstellung  der 
heiligsten  Dreifaltigkeit,  die  Zwickel  über  den 
Säulen  Kirchenlehrer,  der  Chorbogen  das 
Jüngste  Gericht  und  über  der  Orgelempore 
der  Weltheiland,  dem  die  Völker  der  Erde 
huldigen,  Aufnahme  finden.  Die  Riesenauf- 
gabe sah  53  Bilder  und  zwei  große  Kompo- 
sitionen vor.  Die  Spekulation  eines  künst- 
lerischen Geschäftsmannes  hätte  sich  nach 
einem  Stabe  von  Mitarbeitern  umgesehen. 
Unser  Meister  machte  sich,  umgeben  von 
zahlreichen  andern  Aufträgen,  an  die  Arbeit, 
zeichnete  und  malte  jeden  Strich  mit  eigener 
Hand.  Bei  seinem  Tode  fanden  sich  15  Dar- 
stellungen ausgeführt. 

Unsere  Abbildung  Seite  5  9  gibt  eine  Idee,  wie 
eigenartig  der  Künstler  seine  Aufgabe  löste. 
Die  Himmelfahrt  Christi  verlangt  schon  inhalt- 
lich eine  oblonge  Bildfläche.  Hier  stand  ein 
langgezogenes  Rechteck  zur  Verfügung.  Eben 
entschwebt  die  ätherische  Gestalt  des  Hei- 
landes der  Erde.  Die  Blicke  der  knienden 
Zeugen    verfolgen    den   Herrn,    teilweise    die 


glanzerfüllte  Bahn,  die  sich  emporzieht.  Maria 
faltet  ihre  Hände.  Petrus  und  Johannes  be- 
rühren das  Gewand  des  Scheidenden,  als 
wollten  sie  ihn  zurückhalten.  Einer  der  Engel 
weist  hin  auf  den  Herrn,  der  andere  auf  das 
Ziel  seiner  Fahrt. 

Das  Verzeichnis  der  Werke  des  Künstlers, 
von  seiner  Tochter,  Frau  Kantonsrat  Huber- 
Vettiger  genau  geführt,  weist  über  1000  Num- 
mern an  Ölgemälden  auf,  die  Skizzen  und 
Kartons  natürlich  nicht  gerechnet.  Wir  wäh- 
len aus  dieser  Überfülle  noch  vereinzelte  Bil- 
der heraus. 

Die  Vorliebe  für  die  Landschaft,  die  er  in 
Karlsruhe  erworben,  verließ  ihn  nicht  mehr. 
Im  Gallusbilde  konnte  seine  Phantasie  in  voller 
Freiheit  sich  entfalten.  Am  rauschenden  Flüß- 
chen,  in  der  wilden  Einsamkeit  ist  der  greise 
Missionär  niedergesunken.  Ein  Engel  macht 
ihn  aufmerksam  auf  ein  Zukunftsbild,  die 
heutige  Stiftskirche  von  St.  Gallen,  die  sich 
wie  ein  dämmerndes  Märchen  aus  dem  Ur- 
walde  erhebt. 


59 


6o 


JOSEPH  KIENER 


In  die  Glanzzeit  des  antiken  Rom  führt 
uns  das  Martyrium  des  hl.  Laurentius  (Abb. 
S.  58).  Richter,  heidnische  Priester,  Wachen 
und  Henker  bilden  eine  figurenreiche  Gruppe, 
aus  welcher  der  eben  auf  den  Rost  nieder- 
gebundene Märtyrer  eigentlich  hervorleuchtet. 
Den  Hintergrund  füllen  die  mit  Säulen  ge- 
schmückten, durch  statuarischen  Schmuck 
bereicherten  Bauten  der  Hügelstadt.  Die 
hohe  disponible  Fläche  bedingte  auch  die 
künstlerische  Berücksichtigung  der  obern  Par- 
tien. Christus  im  Kreise  von  verschiedenen 
Blutzeugen  erwartet  den  jugendlichen  Hei- 
ligen, dem  ein  Engel  mit  der  Palme  entge- 
genschwebt. 

Berühren  wir  zum  Schlüsse  eine  ganz  um- 
fangreiche Wirksamkeit  im  Porträt,  die  Vet- 
tiger  entfaltete.     Diese  Tätigkeit,    in    der   er 


vor  allem  nach  wirklicher  Ähnlichkeit  des 
Dargestellten  strebte,  zu  der  sich  die  Be- 
tonung des  Charakters  gesellte,  beschäftigte 
ihn  schon  in  Italien  vielfach.  Sie  äußerte 
sich  auch  in  seinen  religiösen  Bildern,  wie 
beim  Jüngsten  Gerichte  in  Rapperswil,  in  dem 
mehrere  Porträte  erscheinen.  Ein  sinniges 
Denkmal  stiftete  er  seiner  Familie  durch  sein 
Selbstbildnis,  in  das  auch  seine  treue  Lebens- 
gefährtin, die  stete  Förderin  seines  künst- 
lerischen Schaffens  aufgenommen  wurde 
(Abb.  S.  49).  Palette  und  Pinsel  sind  die 
Embleme  des  Meisters,  die  er  in  den  nie 
rastenden  Händen  trägt.  Das  Auge  der  stol- 
zen Männergestalt  weist  auf  jene  schaffens- 
freudige Energie  hin,  die  auch  der  Fernstehende 
anerkennt,  die  der  mit  seinen  Schöpfungen 
inniger  Vertraute  bewundern  muß. 


IOSEPH  KIENKR 


KAPUZINER  UND  KINDER 


Schattenbild.   —    Text  S.  63 


JOSEPH  KIENER  f 

(Hierzu  die  Abb.  S.  60—65) 

Allzufrühe  hat  sich  die  Gruft  geschlossen 
**  über  dem  liebenswürdigen,  bescheidenen 
Künstler,  der  dem  katholischen  Volke  Deutsch- 
lands durch  seine  poesievollen  Kinderszenen 
vertraut  geworden  ist  und  auf  die  Kinderwelt 
selbst,  die  er  so  trefflich  zu  schildern  verstand, 
wie  ein  Erzieher  zur  Kunst  gewirkt  hat.  Am 
9.  Februar  des  Jahres  1918  wurde  er  in  dasselbe 
Grab  gebettet,  in  das  wenige  Tage  zuvor  seine 
geistesverwandte  und  gleichaltrige  Gattin  hin- 
abgesenkt worden  war.  Seit  Gründung  der 
Deutschen  Gesellschaft   für  christliche  Kunst 


ein  tätiges,  warmherziges  Mitglied  derselben 
verdient  er,  daß  an  dieser  Stelle  mit  einigen 
Worten  seiner  gedacht  werde. 

Weitesten  Kreisen  ist  Joseph  Kiener  als  Illu- 
strator bekannt  geworden.  Die  schwarzen  und 
farbigen  Bilder,  die  er  für  Jugendzeitschriften 
und  Kinderbücher  entwarf,  zählen  nach  vielen 
Hunderten.  Aber  auch  einige  gute  Radierungen 
hat  er  geschaffen  (Abb. S.  61).  Sein  bedeuten- 
des Talent  für  Malen  auszubilden  und  zu  betä- 
tigen, dafür  fehlten  ihm  Mittel  und  Gelegenheit. 
So  ging  durch  sein  ganzes  Leben  ein  stiller, 
tiefer  Schmerz,  daß  er  die  Welt  der  bunten 
Bilder,  die  vor  seiner  Seele  schwebte,  nicht  in 
Form  und  Farbe  aussprechen  konnte.  Mit  einer 


JOSEPH  KIENER 


61 


seltenen  Weichheit  des  Gemütes,  die  ihn  mit 
der  Kinderwelt  innerlich  Verbund,  paarte  er 
eine  bayerisch  männliche  Kraft.  Seine  Bilder 
erinnern  an  die  alten  deutschen  Holzschnitte 
und  Kupferstiche  und  bleiben,  wie  diese,  stets 
auf  dem  Boden  des  Diesseits.  So  gern  er  hei- 
lige Stoffe  behandelte  und  so  tief  religiös 
ergriffen  er  selber  dabei  sein  konnte  —  er 
war  kein  Engelmaler,  schuf  keine  ätherischen 
Gestalten,  seine  Art  ist  grunddeutsch,  seine 
Schöpfungen  atmen  den  Erdgeruch  der  har- 
ten oberpfälzischen  Scholle. 

Zu  Schwarzenfeld,  wo  Graf  Holnstein  ein 
reizendes  Rokokoschlößchen  besitzt,  das  jetzt 
»restauriert«  ist,  wurde  Joseph  Kiener  am 
21.  Juli  1856  als  Sohn  eines  gräflichen  Schloß- 
und  Rentenverwalters  geboren  und  zeigte  früh 
eine  ausgesprochene  Neigung  zum  Zeichnen. 
Darum  wählte  er  sich  einen  Beruf,  der  ihm 
nach  seiner  kindlichen  Meinung  die  Möglich- 
keit bot,  es  gründlich  zu  lernen  und  zu  lehren, 
er  wurde  Volksschullehrer  und  vollendete  seine 
Ausbildung  in  den  hierfür  bestimmten  Schulen 
zu  Regensburg  und  Eichstätt.  Als  junger  Schul- 
gehilfe im  Dorfe  Pempfling  und  im  Städtchen 
Waldmünchen  beobachtete  er  mit  seinen  schar- 
fen,leuchtenden  Augen  die  rotwangigen  Büb- 
lein  und  blondbezopften  Mädchen  in  Schule 
und  Haus,  bei  Spiel  und  Arbeit  und  brachte, 
was  er  der  Natur  abgelauscht  hatte,  mit  siche- 
ren Strichen  aufs  Papier.  Er  sah  bald,  daß 
das  Zeichnen  ihm  melir  Freude  mache  als  das 
Schulhalten,  hängte  den  Bakel  an  den  Nagel 
und  ging  nach  München,  um  sich  zum  Zeich- 
nungslehrer auszubilden.  Die  Jahre  1878  —  82 
verbrachteer  dort  an  der  Kunstgewerbeschule 
und  an  derTechnischen  Hochschule.  Sie  waren 
nicht  nur  fruchtbar  für  seine  innere  Weiter- 
entwicklung, sondern  boten  auch  reiche  An- 
regung  durch  den  freundschaftlichen  Verkehr 
mit  gleichstrebenden  Freunden.  Bilder,  die  er 
tür  die  in  Donauwörth  erscheinenden  Familien- 
blätter gezeichnet  hatte,  vermittelten  ihm  die 
Bekanntschaft  mit  der  geistvollen  Kinderschrift- 
stellerin Emmy  Giehrl  (Tante  Emmv).  die 
sich  in  liebevoller  Weise  des  verwaisten  innren 
Mannes  annahm.  So  ist  Kiener  so  recht  ihr 
Illustrator  geworden,  für  den  Kinderkalender, 
den  Schutzengel,  die  Märchenbücher  und  an- 
dere Veröffentlichungen  schul  er  die  Illustra 
tionen  oder  gab  selber  durch  Zeichnungen  den 
Stoff  dafür  an.  Auf  diesem  Wege  gewann  er 
zugleich  die  Mittel,  seine  Studien  an  der  Mim 
chener  Akademie  fortzusetzen.  Es  waren  ent 
behrungsreiche  Lehrjahre,  in  denen  er  sich  zu 
seinem  Berufe  durchran  intert  durch 

den  Eifer  seiner  Studiengenossen  Bucher,  Sand, 
Samberger,  Stuck  und  anderer,  mit  denen  ihn 


IOSEPH  KIENER  BETF.S'DER 

Orig      ■  Oo 

auch  später  noch  treue  Freundschaft  verband. 
Schließlich  siedelte   er,  vom  Auerschen  Ver- 
lag darum  gebeten,  nach  Donauwörth  über, 
und    die  Leiter    der    dortigen   Anstalten    und 
Redakteure   der  Zeitschriften    gewannen  den 
ebenso    begabten    wie    bescheidenen    jungen 
Mann    lieb  und  schätzten    ihn   als  Men 
ebenso    hoch    wie   als   Künstler.    1 
endlich    im  Jahre    [889     .eine   Anstellurj 
/eiclmungslehrer  am  Schullehrerseminar  und 
am  Humanistischen  Gymnasium  in  Eich 
das  ihm  von  seinen  Studienjahren  her  vertraut 
war  und   von   nun   an   die  Statu    iein< 
liehen  Wirkens   und   künstlerischen   Schaffens 

wurde.    Im   Herbst  des  gleichen  Jahre 
mahlte  er  sich  mit  der  schönen,  gemüt-  und 
geistvollen    'Fochter   seines   Amtsvorgängers, 
des  Professors  Alois  Süßmayer,  der  einst  als 
Schuler  und  I  in  den  Kir 

chen  Münchens  und  in  den  I  leinen  von  Speyer 
und  Gran  gemalt  und  zuletzt  die  Kirche  in  Lud 
wigshal  indig  mit  Fresken  geschmückt 

hatte      I  .'      1  in   idealer,   in    heiliger   Liehe 

verankerter   Ehebund,    den    nicht   einmal    der 
1  trennen  vermochte.  Opfervoll  ; 


(-2 


JOSEPH  KIENER 


die  treue  Gattin  den  am  hl.  Weihnachts- 
abend 1917  plötzlich  erkrankten  Gatten,  bis 
sie  selber  todesmatt  an  seinem  Sterbelager 
zusammenbrach,  um  ihm  am  30.  Januar  1918 
in  die  Ewigkeit  vorauszueilen,  und  schon 
am  7.  Februar  waren  die  Getrennten  im  Jen- 
seits wieder  vereinigt. 


i  mxmm 


n 


IOSEPH   KIENER 


GANG  ZUR  SCHL' 


Gewiß  gehörte  die  Spannkraft  eines  starken 
Geistes  dazu,  um  mit  größter  Gewissenhaftig- 
keit einem  Dienst  von  22 — 24  Wochenstunden 
zu  obliegen  und  dennoch  Lust  und  Zeit  für 
eigene  künstlerische  Betätigung  übrig  zu  haben. 
Seinen  Zeichnungsunterricht  stellte  Kiener 
sofort  auf  das  Studium  der  Natur  ein,  soweit 
nicht  Linearzeichnen,  Einführung  in  die 
Projektionslehre  und  ähnliches  vorge- 
schrieben war.  Wieviel  seine  Schüler 
seiner  Lehrtätigkeit  und  seinem  reichen 
Wissen,  besonders  auch  in  der  Kunst- 
geschichte, verdankten,  kam  an  seinem 
Grabe  in  Nachrufen  zum  rührenden  Aus- 
druck. Für  das  eigene  Schaffen  ertüch- 
tigte er  sich  dadurch,  daß  er  sich  ein 
Atelier  baute,  Modelle  zeichnete  oder  mit 
dem  Skizzenbuch  hinauszog  und  fest- 
hielt, was  sich  ihm  in  Wald  und  Flur, 
auf  Bergeshöhen  des  Altmühltals  und  in 
den  alten  Gassen  der  fränkischen  Bi- 
schofsstadt darbot.  Nicht  nur  Kinder- 
gruppen und  alte  Leute,  auch  stimmungs- 
volle Landschaften  hat  er  gezeichnet  und 
gemalt.  Und  so  sehr  ihn  das  Malen 
freute,  so  kehrte  er  doch  immer  wieder 
zu  Stift  und  Feder  zurück.  Dabei  stu- 
dierte Kiener  Rembrandt  und  ?4enzel 
und  die  großen  französischen  Zeichner 
unserer  Tage,  am  liebsten  aber  waren 
ihm  Albrecht  Dürer  und  die  alten  deut- 
schen Meister.  Darum  ist  das  Beste  an 
ihm  und  was  an  all  seinen  Arbeiten 
so  erfreulich  wirkt,  sein  kerndeutsches 
Wesen  und  Empfinden.  Eine  gemein- 
schaftliche Ferienreise,  die  wir  beide  im 
Jahre  1896  nach  Italien  unternahmen, 
bot  für  Geist  und  Auge  längst  ersehnte 
Genüsse  und  hinterließ  die  stärksten  Ein- 
drücke in  seiner  Seele.  Der  Gedanke, 
seine  malerische  Ausbildung,  die  er  nie 
ganz  unterbrochen  hatte,  fortzusetzen 
und  zu  vollenden,  wirkte  wieder  mäch- 
tig auf  ihn  ein.  Ein  Brief  vom  27.  De- 
zember 1900  gibt  davon  noch  Zeugnis: 
>Gerade  in  der  letzten  Zeit  beschäftigte 
ich  mich  wieder  viel  mit  den  alten  Malern 
und  namentlich  mit  den  Florentinern. 
Ich  lernte  wieder  Fiesole  mehr  verstehen 
und  lieben.  So  viel  steht  jetzt  fest,  daß 
ich  mich  in  Zukunft  ganz  der  Malerei, 
und  zwar  der  religiösen  Malerei,  hin- 
geben werde.  Es  deckt  sich  das  ganz  mit 
meinem  inneren  Leben,  es  wird  die 
Verwirklichung  meines  Jugendtraumes. 
Schon  als  Kind  zeichnete  und  malte  ich 
am  liebsten  Heilige  oder  Szenen  aus  dem 
Leben  Maria  und   dem  Leiden  Christi. 


JOSEPH  KIENER 


63 


So  sehe  ich  auch  mit  größ- 
ter Sehnsucht  der  Zunahme 
der  Tageslänge  entgegen  . . . 
Ich  will  fleißig  die  Natur 
studieren  und  die  alten  Mei- 
ster, die  mir  den  rechten 
Weg  zeigen  müssen.  Als 
Illustrator,  der  alles  mög- 
liche von  heute  auf  morgen 
fertigen  soll,  finde  ich  kein 
Glück  und  keine  Zufrieden- 
heit. Ich  will  mir  ein  be- 
stimmtes Gebiet  erwählen, 
in  das  ich  mich  vertiefe  und 
auf  dem  ich  mich  betätigen 
kann.  Das  Illustrieren  ver- 
langt das  Daheimsein  auf 
allen  Gebieten  der  Kunst, 
das  zu  erreichen  mir  neben 
der  Schule  ein  Ding  der  Un- 
möglichkeit ist.  Die  Schule 
macht  doch  gewaltig  ernsten 
Sinn,  und  es  fällt  mir  immer 
schwerer,  jetzt  vier  Stun- 
den hindurch  den  strengen 
Schulmeister  bei  der  »lie- 
ben« Jugend  zu  machen  und 
gleich  darauf  den  tieffühlen- 
den Dichter  auf  demselben 
Gebiete.  Ich  werde  ja  das 
Illustrieren  nicht  ganz  an 
den  Nagel  hängen,  nament- 
lich den  .Schutzengel'  nicht 
vergessen  aus  vielen  Grün- 
den der  Pietät  und  der  Dank- 
barkeit, aber  mein  festes  Ziel 
ist  auf  die  Malerei  gerichtet. 
Gab  mir  der  liebe  Gott  den 
Sinn  dafür,  so  denke  ich, 
wird  er  mir  auch  weiter 
helfen.« 

Der  Zwang  äußerer  Um- 
stände verhinderten  Kiener, 
diesen  schönen  Phantasiegebilden  nachzu- 
jagen. Die  Rücksicht  auf  seine  Familie  vor 
allem  war  es,  die  ihn  zum  Bleiben  im  Dienste 
bestimmte.  Inzwischen  war  er  im  Jahre  1900 
zum  Gvmnasiallehrer  und  im  Jahre  1907 
zum  Gvmnasialprofessor  für  Zeichnen  ernannt 
worden,  und  im  Jahre  1908  erfolgte  die 
Einschränkung  seiner  Lehraufgabe  auf  den 
Unterricht  am  Gymnasium  allein.  Das  kam 
ihm  wie  eine  Erlösung,  und  mit  neuem  Eifer 
wurde  nun  gezeichnet  und  studiert,  radiert 
und  gemalt.  Er  blieb  auf  dem  Boden,  auf  dem 
er  nun  einmal  heimisch  geworden  war.  Manch 
reizende  Bilderfolge  ging  aus  seiner  Feder  her 
vor,  und  eine  Reihe  von  köstlichen  Schatten- 


IOSEPH  KIESER 


•  II  DIE 


rissen  aus  dem  Kinderleben  (Abb.  S.  60)  fand 
auf  Ansichtskarten  weiteste  Verbreitung.  Aber 
der  Krieg  brachte  auch  für  ihn  nicht  nur 
doppelte,  sondern  sogar  dreilache  Last,  da 
er  infolge  von  Einberufungen  den  Unterricht 
an  der  Lehrerbildungsanstalt  und  an  der  Real- 
schule aushilfsweise  ZU  übernehmen  hatte. 
Ohne  Murren  stellte  der  alternde  Mann  all 
seine  Kraft  in  den  Dienst  des  Berufes,  der 
für  ihn  ein  Dienst  am  Vaterlande  war,  bis 
er  unter  der  Last  von  27  Wochenstunden 
zusammenbrach. 

Wie  fruchtbar  sein  Schallen  gewesen, 
die   Kiener-Ausstellung  .dleinderPfingst 
woche  1918  von  seinen  1  reunden  im  Sti< 


64 


TAGUNG  FÜR  DENKMALPFLEGE 


|OSEPH  KIENER 


UHU   SCH  \l  PK 


haus  und  Festsaal  der  ehemaligen  fürstbischöf- 
lichen Sommerresidenz  (jetzt  Bibliothekge- 
bäude) in  Eichstätt  veranstaltet  und  am  12.  Mai 
in  Gegenwart  des  Bischofs,  der  Verwaltungs- 
undOrtsschulbehörden  feierlich  eröffnet  wurde. 
Die  vielen  Besucher,  die  aus  nah  und  fern 
sich  einfanden,  waren  überrascht  von  der  Fülle 
und  Schönheit  der  Bilder,  Blätter,  Studien, 
Skizzenbücher  und  Entwürfe.  -Selbst  die  näch- 
sten Bekannten  des  schlichten  Mannes  hatten 
kaum  geahnt,  welch  reiches  und  vielseitiges 
Schaffen  Kieners  Leben  ausgefüllt  hatte1).. 
Kieners  Bedeutung  für  die  Kunst  unserer 
Tage  eingehender  zu  würdigen,  muß  späteren 
Zeiten    vorbehalten    bleiben.    Den    Vergleich 

')  So  Oskar  Freiherr  von  H  üttenbach  in  dem 
schönen  Nachruf,  Jen  er  J.  Kiener  gewidmet  hat  im 
Sammelblatt  des  Historischen  Vereins  Eichstätt  32  (Eich- 
stätt 1918),  S.  12,  wo  sich  auch  ein  gutes  Selbstporträt 
des  Meisters  vom  Jahre  1912  wiedergegeben  findet.  Vgl 
auch  J.  Schlecht,  Ein  Leben  im  Dienste  der  Kunst, 
in  den  Historisch-Politischen  Blättern  161  (München  191 8), 
S.  S94— 607. 


mit  Ludwig  Richter  kann  er  ruhig  aus- 
halten, ihm  gegenüber  kommt  seine  baye- 
rische Eigenart  und  seine  künstlerische 
Selbständigkeit  recht  wohl  zur  Geltung. 
Gewiß  hat  auch  er  seine  Wandlung  in 
Stil  und  Ausdruck  durchgemacht,  aber  im 
schlichten,  deutschen  Empfinden 
ist  er  sich  stets  treu  geblieben.  Er  kannte 
keinen  andern  Lehrmeister  als  die  Natur, 
darum  sind  all  seine  Arbeiten  urwüchsig 
und  kraftvoll.  Für  den  kleinen  Künstler- 
kreis in  Eichstätt,  der  in  der  dortigen 
»Vereinigung  der  Kunstfreunde«  seinen 
Mittelpunkt  fand,  war  er  bestimmend  und 
tonangebend.  Sein  liebenswürdiges  und 
offenes  Wesen,  seine  ungeheuchelte  tiefe 
Religiosität,  seine  Geradheit  und  Schlicht- 
heit, sein  schelmischer  Humor  haben  ihm 
viele  Freunde  geschaffen,  und  die  das 
Glück  seines  persönlichen  Umganges  ge- 
nossen, blickten  tief  hinab  in  ein  reines 
Kindergemüt  wie  in  eine  frische,  klare 
Waldquelle.  Weiter,  viel  weiter  jedoch 
ist  der  Kreis  derer,  die  ihn  aus  seinen 
fröhlichen  Schilderungen  des  Kinder- 
lebens kennen  und  lieben  gelernt  haben 
—  sie  alle  werden  ihm  ein  dankbares 
Gedenken  bewahren.  Joseph  Schlecht 

TAGUNG 
FÜR  DENKMALPFLEGE 

Dei  der  1917  in  Augsburg  stattgehabten 
U  Denkmalpflegetagung  war  beschlos- 
sen worden,  die  des  folgenden  Jahres  in 
Köln  zu  veranstalten.  Die  Ereignisse 
und  Zeitschwierigkeiten  haben  nicht  nur  diese 
Absicht  vereitelt,  sondern  auch  jetzt  dazu 
gezwungen,  die  immerhin  nicht  länger  zu 
entbehrende  Tagung  nur  im  engen  Kreise 
zu  unternehmen.  So  versammelten  sich  denn 
diesmal  nur  die  deutschen  Konservatoren, 
soweit  ihnen  der  Eisenbahnerstreik  nicht  die 
Reise  unmöglich  machte,  sowie  eine  Anzahl 
von  Verwaltungsbeamten  nebst  Vertretern 
geistlicher  und  weltlicher  Behörden.  An- 
wesend war  auch  S.  K.  H.  Prinz  Johann  Georg 
von  Sachsen.  Das  Ausland  war  überhaupt 
unvertreten  geblieben.  Die  Beratungen  fanden 
am  7.  und  8  Juli  im  Sitzungssaale  der  Kunst- 
akademie zu  Berlin  statt  und  standen,  wie 
seit  langen  Jahren,  unter  der  Leitung  des  Geh. 
Hofrates  Prof.  Dr.  von  Oechelhäuser  (Karls- 
ruhe). Seinen  einleitenden  Worten,  in  denen 
er  ausführte,  daß  auch  trotz  der  größten  Be- 
schwerden und  gerade  um  ihretwillen  die  na- 
tionalen Güter  geschützt  werden  müssen,  und 
nichts  uns  helfe  als  treue  Arbeit,  konnte  man 


TAGUNG  FÜR  DENKMALPFLEGE 


*5 


nur  von  Herzen  zustimmen.  So  verliefen  denn 
auch  die  Sitzungen  unter  regster  Anteilnahme 
der  Versammelten,  und  man  darf  die  Hoffnung 
aussprechen,  daß  die  dort  geschaffenen  An- 
regungen wirklichen  Segen  und  Nutzen  im 
Interesse  des  Denkmalschutzes  stiften  werden. 

Nur  zwei  Themata  standen  diesmal  auf  der 
Tagesordnung  statt  der  bunten  Mannigfaltig 
keit,  die  sonst  geboten  worden  ist,  und  dennoch 
waren  sie  nicht  minder  reich,  ja  in  ihrer  Trag- 
weite sicher  wichtiger  als  manche  bisher  be- 
handelten Sonderfragen.  Das  erste  war  »Das 
künftige  Schicksal  der  Fürstenschlösser  und 
des  sonstigen  fürstlichen  Kunstbesitzes  ;  das 
zweite  ließ  Die  Trennung  von  Kirche  und 
Staat  und  ihre  Bedeutung  für  die  Denkmal- 
pflege    ins  Auge  fassen. 

Doch  kam  außerdem  ein  nicht  ursprünglich 
beabsichtigter  dritter  Punkt,  das  Thema  Krieg 
und  Denkmalpflege«  zu  kurzer  Erörterung. 
Es  geschah  aus  Anlaß  einer 
Anfrage,  die  der  Holländi- 
sche Altertumsverein  im 
Haag  an  die  beiden  Vorsit- 
zenden der  Denkmalpflege- 
tagung (außer  v.  Oechel- 
häuser  noch  Geh.-R.  Prof. 
Dr.  Paul  Clemen,  Bonn)  ge- 
richtet hatte.  Um  diesen 
Punkt,  der  am  Schlüsse  des 
ersten  Tages  eingeschoben 
wurde,  hier  gleich  zu  er- 
ledigen, so  sei  daran  erin- 
nert, daß  (wie  s.  Z.  an  die- 
ser Stelle  berichtet  worden 
ist)  schon  1917  in  Augs- 
burg dasselbe  Thema  mit 
großer  Ausführlichkeit  er- 
örtert wurde,  und  daß  das 
gleiche  auch  schon  auf  der 
Brüsseler  Tagung  des  Jahres 
191 5  geschehen  war.  So 
konnte  denn  diesmal  nichts 
wesentlich  Neues  gesagt 
werden.  Prof.  Dr.  Gurlitt- 
Dresden  sprach  von  neuem 
über  die  schon  früher  von 
ihm  gegebene  Anregung, 
Denkmaler  von  besonderer 
Wichtigkeit  in  Kriegszeiten 
mit  weithin  sichtbaren  Kenn- 
zeichen zu  versehen,  eine 
Maßregel,  die  bisher  wegen 
der  völlig  ablehnenden  1  lal- 
tung  unserer  Feinde  leider 
nicht  zur  Anwendung  kom- 
men konnte,  deren  Durch- 
führung er  aber  gleichwohl 


nicht  nur  für  vollkommen  möglich  hält  (hat  sich 
doch  auch  das  Rote  Kreuz  erst  nach  ai 
liehen  Schwierigkeiten  durchgesetzt),  und  von 
der  er  sich  für  die  Zukunft  Erfolg  verspricht. 
Er  verlangt  hierfür  die  Einsetzung  einer  inter- 
nationalen Kommission.  Der  Vorsitzende  be 
nutzte  die  Gelegenheit,  mit  Worten  höch- 
ster Anerkennung  der  unermüdlichen  Arbeit 
zu  gedenken,  welche  die  deutsche  Denkmal- 
pflege auf  feindlichem  Boden  geleistet  hat;  sie 
hat  sich  nicht  nur  in  Taten  praktischer  Für- 
sorge und  Erhaltung  gefährdeter  Kunst-  und 
Geschichtsdenkmäler  bewährt,  sondern  hervor 
ragend  auch  literarisch  durch  die  Herausgabe 
außerordentlich  wichtiger  Werke.  Erinnert  sei 
nur  an  das  über  die  Zisterzienserklöster  in  Bei 
gien.  Rühmend  hingewiesen  wurde  auch  au!  ein 
Werk  »Kunstschutz  im  Kriege  ,  das  P.  Giemen 
in  Gemeinschaft  mit  22  Männern  der  Denk- 
malpflege herausgibt,  und  das  soeben  zu  cr- 


KIENER 


ülthc  K« 


66 


TAGUNG  FÜR  DENKMALPFLEGE 


SFENSTER  IM  FL  RSTBISCHOELICHEN  KRUPPELHE1M  ZV  BEUTHEN 
Entwurf  von  Max  Friese,  Ausführung  von  Adolf  Seiler  in  Breslau 


scheinen  beginnt.  Der  Redner  nannte  es  ein 
Kulturdokument  ersten  Ranges  und  eine  Tat, 
die  unsere  Ehre  vor  der  Zukunft  einst  glänzend 
wiederherstellen  werde. 

Zu  dem  Thema  der  Fürstenschlösser  redete  als 
erster  der  Direktor  der  BerlinerNationalgalerie, 
Dr.  Mackowsky.  Unter  Einschränkung  auf  die 
preußischen  Verhältnisse  gab  er  einen  Überblick 
über  den  Besitz  der  Hohenzollernschen  Familie 
an  Schlössern  und  an  andern  mit  Denkmalwert 
versehenen  Wohnstätten.  Sie  sind,  etwa  65  an 
der  Zahl,  über  alle  Provinzen  des  Staates  ver- 
streut —  teils  selbst  errichtete,  teils  erworbene 
Bauwerke,  durchweg  Schöpfungen  von  größ- 
tem Wert  und  außerordentlicher  Bedeutung 
für  das  geistige  und  kulturelle  Leben,  höchst 
verschiedenartig  in  ihrer  Erscheinung.  Aus 
privaten  Bedürfnissen  entstanden,  sind  die 
Schlösser  längst  ein  Gemeingut  der  Nation 
geworden,  das  sie  in  erhöhtem  Grade  ferner- 
hin noch  werden  sollen,  und  deren  Erhaltung 
unbedingte  Pflicht  ist.  Das  großartigste  ist  das 
Schloß  zu  Berlin,  ein  Denkmal,  in  dem  sich 
nicht  nur  der  Geist  des  schönsten  Barock  mit 


dem  der  Gotik  und  der  Renaissance  vereinigt, 
sondern  das  auch  schon  längst  gleichsam  ein 
Museum  preußischer  Kunst  ist,  geschmückt 
mit  Werken  berühmtester  dortiger  Künstler; 
so  außer  Schlüter  Gontard,  Langhans,  Schadow, 
Rauch,  Schinkel.  Unter  einem  vergleichenden 
Hinweise  auf  die  als  vorbildlich  anzusehende 
Art,  mit  der  man  den  Louvre  zur  Gemälde- 
galerie gemacht,  schlug  der  Berichterstatter 
vor,  auch  das  Berliner  Schloß  zu  einem  Mu- 
seum zu  machen,  in  dem  sich,  als  in  ihren 
ursprünglichen  Ausgangsort,  viele  jetzt  ver- 
streute Werke  der  zuvor  genannten  Künstler 
von  neuem  vereinigen  ließen.  Auch  an  kunst- 
gewerblichen Meisterwerken  bietet  das  Berliner 
Schloß  eine  außerordentliche  Fülle,  einen  Schatz 
von  künstlerischer  Anregung  und  Belehrung. 
Was  man  auch  mit  den  Schlössern  anfange, 
so  sei  doch  das  als  wichtigstes  Gebot  festzu- 
halten, daß  sie  nicht  profaniert  werden  dürfen. 
Jedes  von  ihnen  besitzt  Räume,  die  Schutz 
verdienen.  Gefahr  liegt  aber  leider  vor,  und 
die  Wohnungsnot  spielt  dabei  eine  besonders 
schlimme  Rolle.    Demgegenüber  muß  daran 


TAGUNG  FÜR  DENKMALPFLEGE 


67 


festgehalten  werden,  daß  die  so 
stimmungsvollen  Innenbilder  nicht 
durch  Entführung  von  Einzelheiten 
gestört  werden.  Kann  doch  die 
schematische  Anordnung  im  Mu- 
seum niemals  Ersatz  für  das  natür- 
lich Gewordene,  oft  so  stark  Per- 
sönliche bieten,  dem  z.  B.  Schlösser 
wie  Sanssouci,  Babelsberg  und  an- 
dere ihren  Charakter  verdanke;! 
Bei  der  weiteren  Erörterung  der 
Frage,  was  aus  dem  Bilderbestande 
der  Schlösser  werden  solle,  be- 
rührte der  Redner  die  Schv 
keiten  einzelner  dabei  vorliegen- 
der Rechtsverhältnisse  und 
dachte  in  diesem  Zusammenhange 
der  Schackgalerie,  die  der  einstige 
Eigentümer,  als  er  gegen  München 
verärgert  sein  Testament  machte, 
aut  die  Art  von  München  zu  ent- 
fernen wünschte,  während  sie  aul 
Befehl  Wilhelms  II.  daselbst  ver- 
bleiben mußte.  Ob  es  fernerhin 
dabei  zu  bleiben  habe,  blieb  unent- 
schieden. Mit  Wärme  nahm  sich 
Dr.  Mackowsky  der  zu  den  Schlos- 
sern gehörigen  Parkanlagen  an,  die 
als  edle  Kunstgebilde  keinerlei  Ein- 
griffe ertragen.  Leider  ist  dennoch 
hiergegen  bereits  mancher  Verstoß 
begangen  worden.  Auf  diesen 
Punkt  kamen  weiterhin  noch  meh- 
rere Redner  zu  sprechen;  die  Ver- 
sammlung war  mit  ihnen  in  der 
Ablehnung  jeglicher  Beschädigung 
und  Profanierung  der  alten  herr- 
lichen Parks  einhellig  gleicher  Meinung.  Im 
Anschlüsse  an  den  Maekowskyschen  Vor- 
trag teilte  der  Vorsitzende  mit,  daß  der  ge- 
schäftsführende Ausschuß  des  Denkmalpflege- 
tages bereits  in  einer  Eingabe  die  Volks 
Vertretung  auf  die  Notwendigkeit  der  Erhal- 
tung des  Erhaltenswürdigen  an  und  in  den 
Schlössern  hingewiesen  habe.  Es  sei  aber 
bisher  nichts  geantwortet  worden,  während 
andererseits  Pläne  von  z.  T.  abenteuerlichster 
Art  auftauchen.  —  Von  den  folgenden  Red 
nern  sprach  Prof.  Gurlitt  über  die  sächsischen 
Verhältnisse.  Es  sind  dort  Verhandlungen  zwi- 
schen Fürst  und  Staat  im  Gange,  die  hoffent- 
lich zu  einem  befriedigenden  Ausgleiche  führen 
werden.  Den  Wünschen  der  Museumsverwal 
tungen  gegenüber  muß  die  Denkmalpflege  zu 
Rate  gezogen  werden,  damit  Verschleppungen 
unterbleiben.  Der  erzieherische  Wert  der  Mu- 
seen hängt  nicht  von  ihrem  äußeren  Umfange 
ab.  —  Generalkonservator  Dr.  Hager-München 


MAX  1  RIESE 


h\,r!  n.      fgl.  Abb.  S.  66 


vertrat  den  gleichen  Standpunkt.  Sorge  man 
aber  einerseits  dafür,  in  den  Schlössern  keine 
edle  Wirkung,  keinen  wichtigen  Zusammen- 
hang zu  stören,  so  müsse  man  andererseits 
für  weite  Zugänglichkeit  der  Schlosser  sorgen. 
Der  Redner  erörterte  dies  im  besondern  am 
Beispiele  der  Muncliener  Residenz.  Benutzung 
zu  Wohnungen,  Sanatorien  u.  dg!,  könne  bei 
wertvollen,  mit  reicher  Kunst  geschmückten 
Räumen  überhaupt  nicht,  bei  einfacheren  nur 
dann  in  Betracht  kommen,  wenn  der  \\  ( g 
zu  ihnen  nicht  etwa  durch  jene  kostbaren 
Inhre.  Zur  wissenschaftlichen  Verwaltung  der 
Schlösser  schlug  1  >r.  Ilager  die  Bestellung 
eines  Kunsthistorikers  im   Hauptamte   \ 

Dr.  Sauer  Freiburg  sprach  über  Baden 
und  in  Vertretung  des  nicht  erschienenen 
Prof.  Gradmann  auch  über  Württemberg  und 
berührte  dabei  die  auch  von  mehreren  .mdern 
Rednern  stark  hervorgehobene  I  I  irderung  nach 

einem  Gesetze  zum  Verbote  dei  A 


68 


TAGUNG  FÜR  DENKMALPFLEGE 


A.  M.  VON  OF.K  (GÖSSWEINSTE1X) 


Bleistiftzeichnung 


Kunstgegenständen.  Liegt  doch  die  dringende 
Gefahr  vor,  daß  gerade  unter  jetzigen  Ver- 
hältnissen eine  Unmenge  unseres  kostbarsten 
Kunstbesitzes  den  Weg  ins  Ausland  antreten 
würde.  Die  Erörterungen  am  zweiten  Sitzungs- 
tage nahmen  diesen  Punkt  gleichfalls  auf.  In 
Baden  hat  der  Großherzog  in  Würdigung  die- 
ser Gefahr  bei  der  jetzt  bereits  dort  erfolgten 
Auseinandersetzung,  wonach  der  Privatbesitz 
in  den  Händen  der  Familie  bleibt,  die  höchst 
dankenswerte  Zusicherung  gegeben,  niemals 
etwas  ins  Ausland  zu  verkaufen  und  im  Notfalle 
dem  Staate  das  Vorkaufsrecht  zu  lassen.  Der 
Redner  betrachtete  die  wichtigsten  Schlösser 
(Karlsruhe,  Bruchsal,  Rastatt,  Mannheim, 
Schwetzingen  usw.)  einzeln  und  verlangte, 
daß  jede  betreffs  ihrer  Benutzung  auftauchende 
Frage  nur  im  Zusammenhange  mit  der  Denk- 
malpflege behandelt  werden  dürfe.  —  Prof. 
Klopfer- Weimar  sprach  über  die  Schlösser  in 
den  thüringischen  Staaten  (die  Wartburg  wird 
Staatseigentum  und  bleibt  unberührt);  das 
Interesse  der  Regierungen  ist  im  allgemeinen 
rege,  das  der  Volksvertretungen  muß  noch  stark 


beeinflußt  werden.  An- 
dere Redner  gaben 
nicht  ungünstige  Mit- 
teilungen über  An- 
halt und  Braunschweig. 
Nachdem  die  gesamte 
Sachlage  noch  vom  ju- 
ristischen Standpunkte 
geprüft  war,  wobei  eine 
gesetzliche  Ausnahme- 
stellung für  die  Schlös- 
ser verlangt  und  vor 
den  unverhältnismäßig 
großen  Kosten  gewarnt 
wurde,  die  durch  die 
—  gleichwohl  ungenü- 
gend bleibende !  —  Um- 
wandlung der  Schlös- 
ser in  Sanatorien  und 
dgl.  erwachsen  müß- 
ten, kam  es  nach  län- 
geren Erwägungen  zu 
einer  Entschließung, 
die  der  Reichsregie- 
rung und  den  Regie- 
rungen der  Bundes- 
staaten überreicht  wer- 
den wird.  Sie  besagte : 
Bei  der  Auseinander- 
setzung zwischen  den 
ehemaligen  Fürsten 
und  der  neuen  Re- 
gierung ist  dafür  zu 
sorgen,  daß  die  Schlösser  und  sonstigen  fürst- 
lichen Wohnstätten  mit  ihrer  Ausstattung, 
ferner  die  zugehörigen  Parks  dauernd  er- 
halten werden,  um  den  Sinn  für  Kunst 
und  Natur  im  Volke  zu  stärken  und  erziehe- 
risch auf  dieses  zu  wirken.  Dies  gilt  auch 
von  den  in  fürstlichen  Händen  verbleibenden 
Schlössern  usw.  Der  Staat  verpflichtet  sich, 
die  künstlerischen  und  geschichtlichen  Werte, 
die  an  jenen  Stätten  vorhanden  sind,  nicht 
zu  beeinträchtigen  oder  ihre  Erhaltung  zu  ge- 
fährden. Seinen  ihm  zufallenden  Besitz  jener 
Art  unterstellt  er  der  Fürsorge  der  berufenen 
Organe  der  Denkmalpflege.  Besonders  diese 
letzte  Bestimmung,  die  einen  seit  lange  ge- 
hegten Wunsch  erfüllen  soll,  wurde  mit  Ge- 
nugtuung begrüßt.  Alles  zusammengenommen 
ist  nicht  zu  streiten,  daß  die  Aussichten  für 
eine  gutwillige,  allseits  nutzenbringende  Aus- 
einandersetzung wie  für  richtige  Behandlung 
von  wichtigsten  unserer  profanen  Denkmäler 
nicht  ungünstig  sind.  Hoffentlich  entspricht 
dem  die  dauernde  Durchführung  in  derZukunft. 

(Schluß  folgt) 


RRUnER   ANTON'  O.  S.  B.  IN  BEUKON 


KARL  EDliRF.R  (DÜSSELDORF) 


TtiuferaHld.    Privatbesitz.  —  Tixt  S.  73 


NEU-DÜSSELDORFER  KUNST 

Von  \Y.  ZILS-München 
(Hierzu  die  Abbildungen  S.  69 — 112) 


"T^Nas  Jahr  1919  gilt  in  der  Chronik  der  Düs- 
*-^  seldorfer  Kunst-Akademie  als  Jubiläums- 
jahr. Die  Zeiten  sind  nicht  dazu  angetan,  um 
Feste  zu  feiern  und  Festartikel  zu  schreiben, 
doch  bieten  die  vorliegenden  Arbeiten  Neu- 
düsseldorfer Künstler  religiöser  Richtung  Ge- 
legenheit, einleitend  auf  die  Bedeutung  der 
Düsseldorfer  Akademie  für  die  christliche  Kunst 
im  letzten  Jahrhundert  hinzuweisen  '). 

König  Friedrich  Wilhelm  III.  von  Preußen 
betrieb  1 S 1 9  die,  namentlich  infolge  der  das  kul- 
turelle Leben  Düsseldorfs  schwer  treffenden 
politischen  Ereignisse,  notwendige  Neugrün- 
dung der  1767  von  Kurfürst  Karl  Theodor 
gestifteten  Akademie.  Peter  Cornelius,  der 
größte  Maler  seiner  Zeit  in  Konzeption  und 
Komposition,  wurde  ihr  erster  Direktor.  In 
dem  von  ihm  aufgestellten  Lehrplan  bildeten 
Malerei  und  Baukunst  die  Hauptfächer.  Cor- 
nelius, der  überall  schöpferisch  und  lehrend 
die  Wiederbelebung  der  monumentalen  Ma 
lerei  wirksam  verfocht,  der  Maler  großen  Stils, 
sah  in  Gemälden,  die  unmittelbar  mit  dem 
Raum  zusammenhingen,  das  Höchste  in  der 
Kunst,  vor  allem  der  religiösen  Kunst.    Wenn 

')  Diese  Publikation  lag  schon  langst  zur  Veröffent- 
lichung vor.  Äußere  Umstände  haben  ihre  Herausgabe 
immer  wieder  verhindert.    D.  Red. 


auch  die  Düsseldorfer  Akademie  erst  unter 
seinem  Nachfolger  Wilhelm  Schadow  ihren 
frohgemuten  Geist  erhielt,  so  war  es  doch 
ihr  erster  Leiter,  der  die  Grundlage  legte, 
daß  die  Düsseldorfer  Künstlerschalt  neben 
der  Berliner  und  Münchener  während  des 
19.  Jahrhunderts  als  dritte  und  gleichwertige, 
insonderheit  was  die  Malerei  anging,  und 
hier  wieder  die  der  religiösen  Gattung,  stand 
Allerdings  unter  —  das  muß  zugegeben  wer- 
den —  weitblickender  und  sorgsamer  staat- 
licher Pflege. 

Schadow'),  dessen  organisatorische  und 
Lehrbegabung  Wolfgang  von  Müller2)  nicht 
hoch  genug  einzuschätzen  weiß,  suchte  na- 
mentlich nach  seiner  Rückkehr  aus  Italien 
lohnende  Motive  in  der  christlichen  Heilslehre, 
die  er  gemäßigter  in  der  Auffassung  und  lie- 
benswürdiger darstellte.  Daß  er  hierbei  kei- 
nen ein  [ei  EiDfluß  auf  den  Bildungsgang 
der  Schule  ausübte,  hebt  schon  W.  v.  Müller 
hervor.     Die   von    Schadow    neukreierte  Pro- 


')  Während  des  Interregnum!  leitete  die  Kunstschule 
Prof.  Mnsler,  dem      selbst  ohne  produktives  I 
1  .  .m  der  Kralt  fehlte,  Schüler  zu  unterrichten  und  in- 
curegen. 

isseldorfer  Künstler   aus  den    letzten    :  ,  Jahren. 
Leipzig   iSjj,  S 


ifistlKlic  Kunst.    XVI 


70-. 


NEU-DÜSSELDORFER  KUNST 


fessur  für  Landschaftsmalerei  erhielt  Wilhelm 
Schirm  er,  der  Bildner  biblischer  Landschaften, 
die  sich  durch  ihr  kräftiges  Wesen  auszeichnen 
und  hierdurch  die  innige  Wahlverwandtschaft 
zu  den  deutschen  Eichen  verraten.  Die  junge 
Akademie  war  bereits  damals  so  gekräftigt, 
daß  sie  (wie  noch  heute)  überschüssige  Kräfte 
nach  auswärts  senden  konnte  und  somit  nicht 
allein  in  den  engen  Grenzen  ihres  Bereichs 
wirkte. 

Ben  de  mann,  der  u.  a.  mit  Hübner  die 
Düsseldorfer  Kunst  nach  Dresden  verpflanzt 
hatte,  folgte  1858  Schadow  in  der  obersten 
Leitung.  Er  behandelte  von  seinem  ersten 
Bilde  im  Jahre  1832  (»Die  trauernden  Juden 
an  den  Wassern  Babylons«)  bis  zu  dem  figu- 
renreichen leidenschaftlichen  Werke  der»  Weg- 
führung  der  Juden  in  die  babylonische  Ge- 
fangenschaft« (1872,  in  der  National  Galerie 
in  Berlin)  mit  Vorliebe  biblische  Gegenstände. 
Ein  Zeitgenosse  Bendemanns,  Christian  Köh- 
ler, sei  als  Maler  alttestamentlicher  Frauen  nicht 
übergangen.  Auch  den  Eklektikern  im  bibli- 
schen Fache,  die  im  Sinne  Bendemanns  ar- 
beiteten, lassen  sich  besonders  in  der  Farben- 
gebung  künstlerische  Talente  nicht  absprechen, 
wie  überhaupt  den  Düsseldorfern  das  Ver- 
dienst eignet,  in  der  Zeit  farbloser  Malerei 
den  Kolorismus  hochgehalten  zu  haben.  Unter 
Bendemann  wurde  die  Akademie  der  Mittel- 
punkt für  jüngere  künstlerische  Kräfte,  die 
der  Geist  der  Führich,  Veit  und  Overbeck 
beseelte,  mit  denen  Cornelius  die  Geschichte 
Josephs  in  der  Casa  Bartholdi  in  Rom  in  der 
wiedergewonnenen  Freskotechnik  in  drama- 
tisch bewegten  Bildern  als  einen  Markstein 
monumentaler  Kunst  hingestellt  hatte. 

Zu  den  Nazarenern  Deger,  Karl  und  An- 
dreas Müller,  gesellten  sich  der  tiefreligiöse 
KupferstecherKeller,  Ittenbach,  H.Mücke, 
der  gefällige  Karl  Kl  äsen,  der  poetische 
Theodor  Mintrop  usw.  Und  die  Behauptung 
dürfte  wohl  richtig  sein,  daß  in  der  Folgezeit 
die  christliche  Kunst  unter  der  sorgsamen 
Pflege  der  Schüler  von  W.  Schadow  und 
C.  Sohn  das  Rückgrat  der  rheinischen  Aka- 
demiekunst bildete.  Die  Ausmalung  der  Apolli- 
nariskirche  zu  Remagen  (1843/57),  die  Male- 
reien im  Schlosse  Heitorf,  die  Tafelbilder 
Ernst  Degers  und  seines  Kreises,  der  Brüder 
Müller,  Franz  Ittenbachs  fallen  in  jene  Zeit. 
Den  Worten  W.  v.  Öttingens  über  Karl  Müllers 
Kunst  eignet  generalisierende  Bedeutung  für 
die  Hauptvertreter  aus  jenen  Tagen  religiösen 
Kunstschaffens,  denen  viel  und  oft  der  Cha- 
rakter der  Blüte  abgesprochen  wird.  »Überall«, 
schreibt  Ottingen,  »war  er  (Müller)  willkom- 
men, wo  gläubige  Gemüter  nach  dem  bildlichen 


Ausdruck  ihrer  Andacht  in  dem  durch  die 
Sitte  der  Kirche  gesetzten  Rahmen  verlangten.« 
Max  Schmid  (Aachen),  mit  der  einzige  neu- 
zeitliche Kunstgelehrte,  der  der  Düsseldorfer 
Akademiekunst  gerecht  zu  werden  versucht, 
äußert  sich1)  über  Deger  und  Ittenbach:  »Ein 
jedes  ihrerGemälde  bietet  einen  wahren  Schatz 
inniger  Empfindung,  absoluter  Keuschheit  des 
Leibes  und  der  Seele,  verklärter  Andacht  und 
süßen  Seelenfriedens,  alles  das  mit  einer  ge- 
wissen Frische  widergespiegelt.  War  auch  die 
etwas  weichliche  Art  dieser  Spätnazarener 
verachtet,  darf  man  doch  nicht  übersehen, 
wie  glücklich  sie  sich  in  dieser  freiwilligen 
Beschränkung  fühlten  und  wie  viel  feine  Na- 
turbeobachtung zugrunde  lag.  Karl  Müllers 
»Jünger  zu  Emmaus«  in  der  Remigiuskirche  zu 
Bonn  (1889),  Ittenbachs  engelhaft  zarte  Madon- 
nen, Josef  Kehrens  Altarbilder  sind  in  ihrer 
Art  so  vollendete  Werke  wie  Lessings  Histo- 
rien- oder  Schwinds  Märchendichtungen.  Ein 
gut  Teil  sonnigen  rheinischen  Wesens  offen- 
bart sich  in  ihnen  und  man  darf  auch  nicht 
vergessen,  daß  sie  deutscher  Kunst  im  Aus- 
lande einen  Ruhm  gebracht,  wie  ihn  die  ganze 
Berliner  Historienmalerei  der  sechziger  und 
siebziger  Jahre  —  von  Menzel  abgesehen  — 
niemals  errungen  hat.«  Durch  die  innere 
Tüchtigkeit  ihrer  Persönlichkeit,  die  sie  zu 
aufopfernder,  überzeugungs-  und  glaubens- 
voller Tätigkeit  befähigte,  sowie  durch  ihre 
treffliche  künstlerischeErziehung und  gewissen- 
hafte Arbeit,  gelang  es  ihnen,  Achtenswertes 
zu  schaffen2). 

Das  Düsseldorfer  Genre  eines  Knaus  und 
Vautier,  die  Historien  Camphausens  und 
Hunten  s  und  die  Landschaften  Achen- 
bachs  bezeichnen  wohl  künftig  die  Düssel- 
dorfer Kunst  schlechthin,  aber  sie  machen  sie 
nicht  aus.  Tüchtige  religiöse  Maler  heimischer 
Art  bildeten  die  glückliche  Ergänzung.  Erin- 
nert sei  nur  daran,  daß  Alfred  Ret  hei,  der 
1829  als  Schüler  Schadows  und  Veits  die  rhei- 
nische Akademie  bezogen  hatte,  von  der  reli- 
giösen Malerei  (hl.  Bonifatius  und  Predigt  des 
hl.  Bonifatius)  herkam.  Und  im  Jahre  1860 
betrat  Eduard  v.Gebhar  dt  Düsseldorfer  Boden 
und  Wilhelm  Sohns  Atelier.  Durch  ihn  wie 
auch  Peter  Janssen  fiel  der  Düsseldorfer 
christlichen  Kunst  zum  großen  Teil  die  Auf- 
gabe zu,  die  idealistische  Anschauung  zur 
realistischen  zu  überführen.  Die  ergreifen- 
den, mit  wirklichem  Leben  erfüllten  bibli- 
schen Gestalten  Gebhardts  legen  von  einem 

')  Max  Schmid,  Kunstgeschichte  d.  19.  Jahrhunderts, 
Leipzig  (Seemann)  1906,  II.  Bd.,  S.  181  f. 

2)  Vergl.  Schaarschmidt,  Gesch.  d.  Düsseldorfer  Kunst. 
1907. 


NHU-DÜSSELDORFER  KUNST 


KARL  EDEKIK 


\M  WEGE. 


Aquarell.    Privatbesitz.   —    Text  S.  TJ 


entschiedenen  Christentum  Zeugnis  ab.  Eine 
große  Zahl  von  seinen  Schülern,  die  der  rüstig 
von  früh  bis  spät  an  der  Staffelei  stehende 
Altmeister  noch  heute  um  sich  vereint,  wandte 
sich  ausschließlich  der  christlichen  Kunst  zu, 
darunter  Ludwig  Feldmann,  Stummel, 
Heinrich  Nuttgens,  Pfannschmidt,  El- 
rieh,  Döri  nger. 

Die  ganze  Vergangenheit  der  Düsseldorfer 
Akademie  ließ  es  nur  mehr  als  natürlich  er- 
scheinen, daß  kirchliche  Behörden  auf 
sie  zurückyrilfen,  als  sie  sahen,  wie  mangelndes 
Verständais,  Ungeschmack  und  fabrikmäßige 
Geschäftigkeit  unvergleichliche  Gebäude  schä- 
digten, wie  so  viel  unkünstlerische  Ware  an 
allen  Heilsorten,  wie  überall  in  Stadt  und  Land 
angeboten  wurden. 

Auf  Anregung  des  Kolner  Erzbischofs  Kar- 


dinal Fischer  und,  nachdem  auch  die  evan- 
gelischen Kirchenbehörden  ihre  volle  Be- 
reitwilligkeit erklärt  hatten,  eine  solche  Ab- 
teilung nach  Möglichkeit  zu  fordern,  schritt 
daher  das  preußische  Kultusministerium  im 
fahre  1908  an  die  Errichtung  einer  besonderen 
Abteilung  für  christliche  Kunst  an  der 
Akademie.  Als  Lehrkraft  wurde  auf  Vorschlag 
des  kunstsinnigen  Akademiedirektors  Fritz 
Röber,  der  den  Erfordernissen  der  christ- 
lichen Kunst  stets  verständnisvoll  entgegen- 
gekommen war  und  ihr  im  Rahmen  seiner  groß- 
zügigen Reorganisationsplane  den  gebühren- 
den Platz  anweisen  will,  Prot  Jos.  Huber- 
Feldkirch  aus  München  berufen  und  dazu 
von  den  in  Düsseldorf  ansäßigen  Künstlern 
der    die  Tradition    der 

Idorfer  Kunst  fortpflanzt  (Abi 


72 


NEU-DUSSELDORFER  KUNST 


KARL  EDEKF.R 


Teils/, ick.     //', 


Privatlesitz.  —  Text  S.  74 


ST.  GEORGSFEKSTER. 


Jahr  später  kam  noch  aus  Wien  Prof.  Karl 
Ederer,  dessen  Tätigkeit  die  der  erstgenann- 
ten Künstler  in  glücklicher  Weise  ergänzt. 
Obwohl  die  drei  Künstler,  deren  Ruf  bereits 
gefestigt  war,  bevor  sie  Düsseldorfs  Boden 
betraten,  katholisch  waren,  gewannen  sie 
durch  ihr  Können  auch  das  Vertrauen  der 
.evangelischen  Kreise  und  bewährten  sich  auch 
hier  bei  schwierigen  verantwortungsvollen  Auf- 
gaben. Bei  der  Neuordnung  der  Kunstver 
hältnisse  in  Düsseldorf  soll  der  Lehrplan  der 
Akademie  noch  durch  eine  stärkere  Betonung 
der  Baukunst,  Bildhauerei  und  Textilkunst 
erfolgen.  Um  den  Unterricht  in  der  christ- 
lichen Kunstlehre  eindringlicher  zu  gestalten, 
entschloß  sich  auf  Anregung  des  Kardinals 
von  Hartmann  der  Kultusminister,  an  die 
Akademie  einen  katholischen  Kunstgelehr- 
ten als  Dozenten  zu  berufen.  Dessen  Unter- 
weisungen sollen  durch  Vorträge  über  den 
Bau   und    die    Einrichtung    der  Gotteshäuser 


in  gleicher  Weise  für  beide  Konfessionen  ver- 
tieft werden. 

Es  kann  nicht  Aufgabe  dieser  Zeilen  sein, 
ein  Bild  des  gesamten  Kunstwirkens  der  Ab- 
teilung für  christliche  Kunst  zu  geben,  viel- 
mehr muß  der  Hinweis  genügen,  daß  als 
Ergebnisse  ihrer  Kunstbestrebungen  bereits 
eine  stattliche  Reihe  hochkünstlerischer  Werke 
in  den  Kirchen  des  Rheinlandes  und  West- 
falens und  sogar  darüber  hinaus  hervorging. 
In  den  folgenden  Zeilen  mögen  als  Stich- 
probe einige  Künstler  herausgegriffen  werden, 
um  auch  einen  weiteren  Kreis  nichtrheinischer 
und  fernerstehenderer  Kunstfreunde  mit  deren 
Schaffen  vertrauter  zu  machen.  Man  hat  sich 
daran  gewöhnt,  die  deutsche  Kunst  nach  den 
beiden  Kunstzentren  Berlin  und  München  ein- 
zuschätzen, wobei  man  an  den  kleineren  Stätten 
deutscher  Kunst,  wo  nicht  minder  intensiv  und 
tüchtig  gearbeitet  wird,  vorbeigeht.  Gerade 
die  Kunst    des  Westens    hat   auch  in    ihrem 


NEU  DÜSSELDORFER  KUNST 


rein  profanen  Teil  die  letzten  Jahre 
bewiesen,  welch  starke  Talente  am 
Einflüsse  der  Dussel  in  den  Rhein 
tätig  sind.  Freuen  wir  uns,  daß 
allen  politischen,  wirtschaftlichen 
und  kulturellen  Zentralisations- 
bestrehungen  zum  Trotz  die  grö- 
ßeren und  kleineren  Kunstzentren, 
die  Stärke  der  deutschen  Kunst, 
durch  ihre  Leistungen  ihre  Daseins- 
berechtigung einstweilen  noch  im- 
mer wieder  beweisen ! 

In  die  Bilder  der  »Neu-Düssel- 
dorfer  Künstler«  führt,  ohne  es  sein 
zu  wollen,  programmatisch  Karl 
Ederers  »Kreuz  am  Wege  ein, 
das  bezeichnenderweise  in  seines 
engeren  Kollegen  Huber-Feldkirchs 
Besitz  überging  (Abb.  S.  71).  Karl 
Ederer  stammt  aus  Wien,  wo  er 
am  23.  April  1S75  geboren  wurde 
und  nach  4 jährigem  Aufenthalte 
an  der  Kunstgewerbeschule  fünf 
Jahre  die  Kunstakademie  besucht 
hat.  Das  Reisestipendium  bot  die 
Unterlage  für  ein  einjähriges  Stu- 
dium Italiens,  worauf  Ederer  nach 
Wien,  dessen  Sezession  er  an- 
gehörte, zurückkehrte.  Die  dor- 
tige Kaiserin- Elisabeth-Gedächtnis- 
kirche schmückte  er  mit  Mosaiken. 
Im  Jahre  1910  erfolgte  der  Ruf  an 
die  Akademienach  Düsseldorf  Der 
Bildnismaler  Ederer,  der  die  Ol- 
technik  bevorzugt  und  das  Tem- 
pera zur  Abwechslung  heranzieht, 
ist  ein  frisches  farbiges  Talent. 
Unter  den  Wienern,  deren  Moderne 
nicht  frei  vom  Koketten  zu  sein 
pflegt,  ragt  er  durch  seinen  deko- 
rativ monumentalen  Stil,  der  auf 
die  herkömmliche  Auffassung  ver- 
zichtet, stark  hervor.  Das  »Kreuz« 
aus  dem  Jahre  191 1  erhebt  sich 
mächtig  ernst  »am  Wege«.  Noch 
besser  kennzeichnet  seinen  Stil  das 
Temperabild  »Job«  (Abb.  S.  69) 
von  19 12  (in  Privatbesitz)  mit  sei- 
ner einfachen  Linie  und  der  Aus- 
schaltung aller  Einzelheiten,  die 
überflüssig  erscheinen.  Der  seinen 
Bildern  eigene  feierliche  Zusam- 
menklang des  Ganzen  pflanzt  sich 
fort  in  seinen  Werken  der  ange- 
wandten Kunst,  auf  deren  I 
Prof.  Ederer  namhafte  Leistungen 
zu  verzeichnen  hat.  Die  politischen 
Ereignisse  der  letzten   Zeit  gaben 


74 


NEU-DÜSSELDORFER  KUNST 


KARL  EDERER  CHRISTOPH   BERNHARD  VON  GALEN. 

Glasfenster  im  Gymnasium  zu  Rheine  in   West/.   —   Text  nebenan 


uns  leider  nicht  die  Möglichkeit, 
Erkundigungen  über  den  Stand 
der  letzten  Arbeiten  einzuziehen  : 
die  Innenausschmückung  der  Lu- 
kaskirche in  Steglitz  bei  Berlin, 
deren  Glasfenster-  und  Mosaik- 
schmuck ebenfalls  Ederer  anver- 
traut ward,  und  dann  über  den 
Plan,  den  Musiksaal  des  neuen  Kur- 
hauses in  Aachen  mit  Fresken  zu 
versehen.  Die  Vielseitigkeit  des 
Künstlers  ergibt  sich  aus  diesen 
Andeutungen :  Er  malt  in  Ol,  Tem- 
pera und  Fresko,  beherrscht  die 
Glas-  und  Mosaiktechnik.  Sein 
»Aquavita«  für  Rheine  in  West- 
falen mit  der  doppelt  lebensgroßen 
Figur,  das  er  selbst  ausführte,  darf 
als  eine  besonders  starke  Tat  an- 
gesehen werden.  Wie  die  Alten 
der  christlichen  und  römischen 
Zeit  beschränkt  sich  der  Mosaik- 
künstler auf  nur  wenig  Farben ; 
auf  Goldgrund  bildet  er  das  Mo- 
saikbild. Von  dem  Gymnasium 
des  genannten  Rheine  stammen 
auch  die  drei  Fenster  hl.  Ludger, 
Christoph  Bernhard  und  Karl  der 
Große  (Abb.  S.  73 — 75),  die  Ederer 
in  den  unter  Hubers  Leitung  ste- 
henden akademischen  Werkstätten 
selbst  ausführte.  Sie  entstammen 
dem  Jahre  191 1  und  weisen  einen 
deutlichen  Unterschied  gegenüber 
dem  noch  in  Wien  1906  für  Privat- 
besitz angefertigten  St.  Georgs- 
fenstern (Abb.  S.  72)  auf.  Im  Georgs- 
fenster tritt  trotz  der  teppicharti- 
gen Flächenbehandlung  der  Bild- 
nismaler noch  mehr  hervor.  Das 
Roß  St.  Georgs  z.  B.  wirkt  noch 
plastisch.  Der  ganze  Eindruck  ist 
der  der  dramatisch  bewegten  Ka- 
binettscheibe, mehr  in  jener  Art, 
die  der  Westen  und  Norden  im 
15.  Jahrhundert  bevorzugte.  An- 
ders die  drei  Fenster  in  Rheine. 
Bei  großem  Formenadel  vereinigen 
sie,  ohne  daß  von  einer  Anlehnung 
die  Rede  sein  kann,  den  alten 
zeichnerischen  Flächenstil  Süd- 
deutschlands. Die  häufige  Ver- 
wendung von  Verbleiung  und  eini- 
ger hervorspringender  Farbenpunk- 
te, das  reiche  ornamentale  Beiwerk 
erhöht  den  wohltuenden  Teppich- 
charakter. Die  Gestalten  sind  da- 
bei individualisiert,  aus  dem  histo- 


NEU-DUSSELDORFER  KUNST 


75 


rischen  Empfinden  herauscharak- 
terisiert. Die  Fenster  lassen  sich 
weder  der  Gotik  noch  dem  Barock 
einfügen,  sondern  entsprechen  dem 
eigenen  Stil  des  selbständigen,  die 
Kunst  neubelebenden  Meisters. 

Professor  Joseph  Hub  er,  der 
den  Namen  seines  vorarlbergischen 
Geburtsortes  Feldkirch  zur  Un- 
terscheidung mitführt,  kennen  die 
Leser  der  »Christlichen  Kunst, 
durch  verschiedene  Veröffentlich- 
ungen. Auch  die  »Jahresmappe  der 
Deutschen  Gesellschaft  für  christ- 
liche Kunst  ')  nahm  Veranlassung, 
Kunstwerke,  die  aus  seinem  Atelier 
hervorgegangen  waren,  im  Bilde 
vorzuführen.  In  das  Schaffen  Hu- 
bers führte  in  dieser  Zeitschrift2) 
ein  Artikel  von  Josef  Wais  ein. 
Das  damals  gesagte  soll  jetzt  seine 
Ergänzung  finden  namentlich  nach 
der  Seite  der  Leistungen  Hubers 
seit  dem  Antritt  der  Professur  für 
kirchliche  Monumentalkunst  an  der 
Düsseldorfer  Akademie  im  Herbste 

1909.  Hubers  große  Bescheiden- 
heit ließ  bisher  eine  eingehendere 
Schilderung  seines  Lebenslaufes 
nicht  zu.  Was  wir  im  Verlauf  meh- 
rerer Jahre  in  manchen  Stunden 
des  Zusammenseins  erfahren  konn- 
ten, sei  daher  hier  kurz  nieder- 
gelegt. 

Joseph  Hub  er  wurde  am  16.  März 
1858ZU  Feldkirch  geboren. Franz 
Plattner  ward  sein  erster  Lehrer 
und  von  Einfluß  für  die  spätere 
Lebensführung  namentlich  durch 
das  starke  Stilempfinden  und  den 
Heroismus.  DerersteMeistersollte 
nach  Hubers  eigenem  Ausspruch 
ihm  stärker  als  irgendein  anderer 
Vorbild  bleiben,  mehr  auch  als 
Hackl,  Gysis  und  Löfftz,  deren 
Schulen  Huber  an  der  Münchner 
Akademie  besuchte.  Daß  der  Aka- 
demiestudierende in  allen  Klassen 
mit  Medaillen  ausgezeichnet  —  wie 
später  auf  Ausstellungen  mit  gol- 
denen Medaillen  —  wurde,  horten 
wir  von  dritter  Seite.  In  das  Jahr 
1887  fällt  ein  halbjähriger  Aufent- 
halt in  Paris,  wo  T.  R.  Fleury  und 
Bouguereau  zu  Lehrern  auserkoren 

')  Jahrg.   1903  und  1906. 

3    Die  Christi.  Kunst,  VII.  Jahrg.,   Dez. 

1910,  S.  65  ff. 


Tfe 


W.  DÖRINGER  (DÜSSELDORF)  MOSAIK :  ENGEL  VON  EINEM  GRABMAL 

Text  S.  yr 


NEU- DÜSSELDORFER  KUNST 


-77 


IOSEPH  HUBER -FELDKIRCH  (DÜSSELDORF) 

Mosaik.      l\l    VII.  Johl 


KOPF  DI  I 


waren.  Wohl  mit  aus  dem  Grunde,  um 
einen  allenfallsigen  französischen  Einfluß  in 
nerlich  zu  verarbeiten  oder  vielmehr  abzu- 
streifen, fuhr  Huber  von  Paris  nach  Feldkirch, 
wo  er  für  sich  malte  und  sich  namentlich  mit 
Entwürfen  beschäftigte.  Hier  in  der  bergum- 
standenen  Heimat  reiften  Ideen,  die  spater  zur 
Ausführung  gelangten.  Ende  1888  ging  Huber 
nach  München,  das  er  zum  dauernden  Auf- 
enthalt bis  zu  seiner  Berufung  nach  Düssel- 
dorfnahm. Den  Verkehr  suchte  und  fand  er 
im  Kreise  Sambergers,  von  Diez,  Albert  Welli, 
Floßmann  und  spater  M.  Dasio.  Das  monu- 
mentale Schaffen  Hubers  bedingten  zunächst 


die  erteilten  Aufträge,  wie  ja  stets  der  Maler 
vom  Stil  des  Bau«  sein  wird.  Durch 

die  Bemalung  der  Residenz  mußte  er  sich 
zuerst  eingehender  mit  dem  Barock  beschäf- 
tigen, jenem  Stil,  der  vielleicht  mehr  als  an 
dere  mit  seinem  souveränen  Schalten  und 
Walten  mit  Figuren,  rauschenden  Gewändern 
und  der  stürmischen  Bewegung  einen  kerni- 
gen Künstler  kräftiger  deutscher  Rasse  1 
Huber  gab  sich  dabei  —  das  gilt  auch  für 
die  jetzt  veröffentlichten  Arbeiten  —  keinem 
schrankenlosen  Schaffen  hin.  Die  strengere 
Auffassung  in  der  Kunst  ist  ihm  von  Hause 
aus  angeboren.    Die  Bemalung  der  Residenz 


Die  christliche  Kunst      Wl.    4/5 


78 


NEU-DÜSSELDORFER  KUNST 


IOSEPH   HUBER-FELDKIRCH 


PROPHET  ISAIAS 


Bremen.     Vgl.   VII.  Jahrg.,  S.70    —    Text  S.So 


wie  der  Entwurf  der  Bemalung  der  Halle  im 
Münchener  Ostfriedhof,  die  Malereien  für  das 
Landesmuseum  in  Bregenz  und  andere  Werke 
können  erst  bei  einem  Vergleich  mit  der  da- 
maligen dekorativen  Malerei  richtig  einge- 
schätzt werden,  wenn  man  die  Frage  aufwirft: 
Bestand    damals    in  Deutschland  eine   große 


Wandmonumentalkunst?  Die  Antwort  gibt 
der  Kenner  der  Verhältnisse  mit  einem  »Nein«. 
Neben  der  Ausmalung  der  Augustiner-,  Pschorr- 
und  verschiedener  anderer  Brauereien  beschäf- 
tigte sich  Huber  in  München  viel  mit  Kom- 
ponieren, wobei  die  Gestaltung  von  religiösen 
und  geschichtlichen  Darstellungen  in  figuren- 


NEU-DUSSELDORFER  KUNST 


79 


!  ,'l  <   IUI  I. 


reichen  Kompositionen  im  Vordergrund  stand, 
sowie  mit  der  Glasmal-  und  Mosaikkunst. 
Daß  er  außerdem  als  Architekt,  auch  in  Kon- 
kurrenzen, verschiedentlich  und  glücklich  titig 
war  und  endlich  als  ernstdenkender,  von  der 
Heiligkeit  der  Kunst  durchdrungener  Theore- 
tiker   in    bedeutsamen   Aufsätzen    zu    ästheti- 


schen und  organisatorischen  Fragen  Stellung 
nahm,  wurde  schon  im  Jahre  i>m<>  hervorge- 
hoben. 

Hubers    Kunst     weist    in    steigendem    Maße 

einen  Zug  ins  Große,  ins  Leidenschaftliche  auf. 
Wie  seine  Ölgemälde  auf  einen  ausgespro- 
chen realistischen,  dekorativen  Tun  gestimmt 


So 


NEU-DÜSSELDORFER  KUNST 


sind,  so  zeigen  Glas-  und  Mosaikbilder  diese 
von  einem  eminenten  zeichnerischen  Können 
getragene  Grundtendenz  seines  Schaffens.  Das 
Kleinliche,  Weichliche,  Seichte  in  der  Kunst- 
auffassung liegt  ihm  —  dem  geborenen  Öster- 
reicher —  fern,  er  bevorzugt  das  Gigantische, 
körperliche  und  geistige  Kraftnaturen,  wie  sie 


sich  darbieten  in  den  Prophetengestalten  der 
Bremer  Domfenster  (Abb.  S.  78  u.  79).  Huber  als 
gediegener  Kenner  der  Vergangenheit  weiß, 
daß  die  Glasfenster  keine  Unterbrechung  der 
Architektur  bilden,  daß  ihnen  vielmehr  die 
Aufgabe  der  Fortführung  der  Wand,  die  aus 
dem  praktischen  Grunde  der  Lichtzuführung 


lOSEI'H  HUBER-FELDKIRCH 


Glasfenster  für  die  St.  Fetr 


DIE  FLUCHT  NACH  ÄGYPTEN  UND  DIE  UNSCHULDIGEN  KINDER 
rche  zu  Mühlkeim-Ruhr,    Ausgeführt  rgrj.     Teilstück    —   Text  S.  83 


g] 


JOSEPH  IILBERIHLDKIRC1I 

K.„u- 


S2 


NEU-DÜSSELDORFER  KUNST 


JOSEPH  HÜBER-FELDKIRCH 

Glasfenstet 


ST.  MICHAEL 


■che  zu  Mühlhe. 


eine  scheinbare  Durchlöcherung  erfährt,  zu- 
kommt. Den  flächigen  Charakter  des  Glas- 
bildes betont  er  deshalb  scharf,  wobei  ihm 
die  von  Hause  aus  stark  dekorative  Veran- 
lagung zugute  kommt  wie  die  vollkommene 
Beherrschung  des  Handwerklichen  in  der  Kunst. 
Die  glaskünstlerische  Tätigkeit  lediglich  auf 
die  Kartonzeichnung  zu  beschränken  und  die 
Ausführung  fremden  Anstalten  zu  überlassen, 
hält  Huber  für  falsch.  Aus  dieser  Erwägung 
heraus  schuf  er  an  der  Düsseldorfer  Akademie 
die  akademischen  Glasmal-  und  Mosaikwerk- 
stätten, in  denen  er  seinem  Ideal  getreu  seine 
eigenen  Werke  und  die  seiner  Kollegen  zur 
Ausführung  bringt.  Welcher  Erfolg  hieraus 
den  angehenden  Künstlern  erwuchs,  vermag 
man  aus  der  bisherigen  negativen  Seite  der 
Akademien  zu  beurteilen.  Kunst  und  Kunstge- 
werbe gehören  zusammen,  an  die  Stelle  der 
Akademien  müssen  Meisterateliers  treten,  for- 


dert neuestens  ein  Teil  der  Künstlerschaft. 
Vor  ihrem  Auftreten  führte  Huber  in  Düssel- 
dorf diese  ihm  selbstverständlich  erscheinenden 
Dinge  allerdings  im  Rahmen  der  für  die  Ge- 
samtausbildung notwendigen  Kunstschule  vor 
zehn  Jahren  aus ! 

Einem  eminent  technischen  Geschick  des 
Meisters  verdanken  die  prächtigen,  flott  und 
groß  behandelten  Figuren  auf  Hubers  Fen- 
stern, die  einen  eigenen  malerischen  Reiz 
ausströmen,  ihre  Wirkung.  Der  Künstler  ist 
kein  Epigone,  kein  Nachahmer  des  Alten,  aber 
dieses  bietet  ihm  eine  Quelle  der  Anregung 
für  sein  Streben,  den  Gedanken  der  Gegen- 
wart ihren  sachgemäßen  Ausdruck  zu  geben. 
Durch  die  Vereinigung  des  monumentalen 
Fresko-  und  Glasmalstils  mit  den  großen,  weit- 
hin wirkenden  Flächen  des  Mosaik  erreicht 
er  seinen  eigenartigen  Stil.  Was  Huber  will, 
zeigt  sich  am  reinsten    in    der  evangelischen 


NEU-DÜSSHLDORIHR  KUNST 


JOSEPH  HUBER-FELDKIRCH 

Glas/enster  . 


DER  GUTE  HIRT,  UMGEBEN'  VON'  GLAUBE,  HOFFNUNG,   LIEBE 
der  St.  FelriKirche  zu  Miihlktim-Rukr.     Ttiltilä.    ig/.,'.—    'Fe.it  unten 


Petrikirche  zu  Mühlheim  a.  d.  R.  Gemeinsam 
mit  Gebhardt,  dem  mit  seinem  Meisterschüler 
Haverkamp  die  Freskomalerei  übertragen  war, 
wurde  er  berufen,  diese  alte,  bis  in  die  Karo- 
lingerzeit zurückgehende,  um  1250  im  goti- 
schen Stil  erweiterte  Kirche  zu  restaurieren. 
»Huber- Feldkirch  ist  der  eigentliche  Schöpfer 
jener  raumkünstlerischen  Gesamtwirkung,  die 
beim  Hintritt  den  Besucher  fesselt  und  voll 
und  ganz  gefangen  nimmt  ,  stellt  der  Präses 
Presbyterii  der  Evangelischen  Altstadtgemeinde 
Dr.  Ludwig  Wessel  in  den  7  Blättern  der  Er- 
innerung« fest,  die  bei  der  Wiedereinweihung 
der  Kirche  am  24.  März  1913  der  Gemeinde 
dargeboten  wurden.  Auf  diese  raumkünst- 
lerische Absicht  ist  alles  gestimmt:  Das  feier- 
liche Schimmern  des  Marmorgesteins  in  der 
Turmhalle  der  Kirche  wie  in  der  Umkleidung 
des  Altars,  die  konzentrierte  Flächenaufteilung 
und  ihre  farbenfreudige  Abgrenzung  im  gottes- 


dienstlichen Innenraum, das  smaragdene  Leuch- 
ten und  goldige  Funkeln  der  Mosaiken  .111 
der  Kanzel  und  in  jenen  beiden  großen,  dem 
Altar  nebengelagerten  figürlichen  Darstellun- 
ler  Heroen  des  apostolischen  und  refor- 
matorischen Zeitalters  und  dann  die  wunder- 
bar wechselnden  Reize  der  Glasmalerei  in  den 
Ghorfenstern  (Abb.  S.  80 — 83),  deren  Dar- 
stellungen im  inneren  Zusammenhange  stehen. 
Die  Kirche,  deren  Chorgestühl  und  Beleuch- 
tungskörper Huber  ebenfalls  entwarf,  stellt 
das  Produkt  aus  der  Vielseitigkeit  des  höchsten 
künstlerischen   Könnens  dar. 

Aufgebaut  auf  der  großzügigen  Zeichnung 
ist  die  Mosaikkunst,  deren  Technik  Huber 
studierte  und  wie  selten  einer  handhab'. 
Christus  in  dem  hervorragenden  Bauwerk  des 
Kolner  Architekten  Endler,  der  St  Mechtcm- 
kirche,  die  sich  vorzüglich  für  Mosaikschmuck 
eignet,  zeigt  die  ganze  Majestät  Gottes,   aus 


84 


NEU  DÜSSELDORFER  KUNST 


|OSKPH  HUBER. FELDKIRCH 


M;h:i,,l„:i;„hr 


dessen  Blick  gleichzeitig  Vaterliebe  und  -gute 
zu  uns  spricht.  Die  Apside  wird  im  Auftrage 
des  »Rheinisch-westfälischen  Kunstvereins« 
von  Huber  mit  Mosaikkunst  geziert.  In  welchem 
Stoffe  Huber-Feldkirch  auch  arbeitet,  immer 
bildet  er  aus  ihm  heraus  seine  Formensprache, 
die  er  braucht. 

Für  die  Tüchtigkeit  eines  Lehrers  und  die 
von  ihm  vertretenen  Anschauungen  zeugen 
die  Taten  der  Schüler.  Die  Künstler  Walter 
Corde,  Theo  Winter,  Georg  Wink ler 
und  Franz  Schilling,  die  jetzt  mit  Abbil- 
dungen folgen,  gingen  mehr  oder  weniger 
letzten  Endes  aus  Hubers  Schule  hervor. 

Walter  Corde  ist  ein  vielversprechender 
und  großzügiger  Künstler,  der,  nachdem  er 
kaum  zwei  Jahre   selbständig   sich   in  glück- 


lichster Weise  versucht  hatte,  mit  Kriegsbeginn 
ins  Feld  zog.  Geboren  in  Köln,  verbrachte 
Corde  seine  Lebenszeit  in  Düsseldorf  mit  Aus- 
nahme kurzer  Reisen,  die  nach  Belgien  und 
Oberitalien  führten.  Die  erste  künstlerische 
Ausbildung  erfuhr  Corde  an  der  Düsseldorfer 
Akademie  in  der  Zeichenklasse  bei  Peter  Janßen 
und  der  Malklasse  bei  Spatz.  Erst  im  letzten 
Jahr  seines  Akademiebesuches  lernte  er  Pro- 
fessor Huber  kennen,  dem  er  sich  für  die 
Dauer  anschloß  und  dem  er  als  Assistent  tat- 
kräftige Unterstützung  und  Mithilfe  wie  in 
Köln,  dann  vor  allem  beim  Entwurf  von  Glas- 
fensterkartons lieh.  Obwohl  Corde  in  der 
bodenständigen  niederrheinischen  Kunst  wur- 
zelt, steht  er  im  bewußten  Gegensatz  zur  sog. 
»Gelehrten  Kunst«,  die  vom  Künstler  abstra- 


NRU-DÜSSELDORFER  KUNST 


JOSEPH   HIBERFELDKIRCH 


KANZEL 


Muklktim-Kuk 


biert,  was  nicht  aus  seinem  künstlerischen 
Empfinden  heraus  schafft.  Seinen  Arbeiten,  die 
hier  im  Bilde  vorliegen,  eignet  abgerundete 
Raumwirkung  (Abb.  S.  95 — 104).  Bei  mächtig 
angelegter  Komposition  unterstützt  die  Farbe 
die  scharf  konturierte  Zeichnung,  ohne  daß 
seine  Werke  ausgesprochen  koloristisch  wirken. 
Cordes  Werke,  die  wir  als  charakteristisch 
tür  die  Schule  bei  deren  Aufführung  an  die 
Spitze  stellten,  lehnen  einen  Archaismus  ab, 
sie  suchen  eine  zeitgemäße  Lösung  der  mo- 
dernen Kunst  zu  linden,  wie  sie  aus  der  ge- 
stellten Aufgabe  hervorgeht.  Die  Moderne 
wird  nicht  gewaltsam  herbeigezogen,  sie  er- 
gibt sich  als  das  Produkt  eines  gesunden 
Empfindens.  Am  deutlichsten  erhellen  dies 
die  dekorativen  Wandgemälde,  wie  sie  Corde 
auf  Aufforderung  des  preußischen  Kultusmini- 
steriums für  die  Abdinghofkirche  zu  Pader- 
born entwarf  (Abb.  S.  95 — 98)  und  dann  in  dem 
Freskogemälde  für  die  Aula  der  Töchterschule 
inKöln-Mühlheim(Abb.  S.99— ioi).  >Der  Beruf 
der  Frau«  in  seiner  mannigfachen  hauslichen, 


charitativen  und  öffentlich-belehrenden  Varia- 
tion findet  bei  straffer  Gesamtkomposition  ihre 
jeweilige  Gruppenkristallisation.  Den  Pader- 
borner Entwurf  zeich  neu  klare  Wand  Gliederung 
und  freudige  Belebung  der  Flächen  aus.  Über 
den  rein  gedanklichen  Inhalt  von  Cordes  Bil- 
dernunterrichtender  Krieg  ,in  dem  der  Künst- 
ler seherisch  ein  Jahr  bevor  der  Weltbrand  ent- 
facht war,  den  Schrecken  dieses  Dämons  mit 
all  seinen  Folgen  vorausahnte  (Abb.  S 
und  dann  die  beiden  Vesperbilder.  Die 
gehört  ja  seit  dem  Mittelalter  zu  einem  der 
beliebtesten  Vorwürfe  religiös  empfindender 
Künstler  und  zu  einem  der  besten  Gradmesser 
künstlerischen  Gestaltungsvermögens.  Im 
1  |,  [ahrhundert  schalte  sich  aus  der  vollen- 
deten Kreuzabnahme  als  eigene  Szene  der 
Darstellung  die  Beweinung  des  auf  ihrem 
Schöße  liegenden  Leichnams  Christi  durch  die 
Gottesmutter  heraus.  Während  man  in  den 
ersten  Zeiten  Johannes,  Magdalena,  die  anderen 
Frauen,  auch  Nikodemus  und  Joseph 
Arimathäa  an  der  Klage  der  hl.  Mutter  teil- 


JOSEPH  HUBER  FELDKIRCH 

Von  Jen   AJ>s 


km  in  St.  Mechtern  zu  Köln. 


HL.  MAURITIUS 

Ausgeführt  igiö 


8? 


JOSEPH_HUBER-FELDKIRCH 

Von  den  Afiismosaiken  in  St.  Mechtern  zu  Kein.    Aus£t/uhrt  iqito 


ST.  GERI JON 


SS 


JOSEPH  HUBER-FELDKIRCH 

Von  den  Apstsmosaiken  in  St.  Mechtern  zu  Köln.    Ausgeführt  igtö 


ENGEL 


Für  ein  Privathaus  in  Düsseldorf 


JOSEPH  HUBER-1  li.DKIFCU 

MOSAIK      : 


90 


NEU-DUSSELDORFER  KUNST 


JOSEPH  HUBERFELDKIRCH 


MODELL  EINES  TEILES  DER  AULA  DER  KUNSTGEWERBESCHULE  IN  DORTMUND.    19. 


nehmen  ließ,  ging  man  später  daran,  Jesus 
und  Maria  allein  darzustellen.  In  der  »Pietä« 
stellt  Corde  den  Vorgang  rein  menschlich  dar 
(Abb.  S.  102),  wodurch  ihm  allerdings  die  reli- 
giöse Weihe  eines  Andachtsbildes  zu  entglei- 
ten droht.  Die  Gottesmutter  läßt  entsprechend 
dem  menschlichen  Schmerze  des  über  die 
Ermordung  des  Sohnes  zusammengebrochenen 
Herzens  ihren  Zähren  freien  Lauf.  Maria  ist 
die  in  Alltagsgewand  gekleidete  Mutter  aus 
dem  Volk,  deren  Leid  und  Klage  zu  jeder- 
manns Herzen  spricht.  Das  Dilemma,  das 
darin  besteht,  daß  die  schwache  Frau  den 
schweren  Körper  des  Leichnams  nicht  tragen 
kann,  vermied  Corde.  Einmal  setzte  er  die 
Mutter  Gottes  neben  den  gestorbenen  Heiland, 
beim  Karton  »Vesperbild«  (Abb.  S.  103)  läßt  er 
die  Wand  die  Last  des  Körpers  tragen.  Von 
größeren  Arbeiten  Cordes  wurden  uns  noch 
bekannt » Die  apokalyptischen  Reiter«  (Karton), 
die  Ölbilder  »Sommertag«  (Museum  Elberfeld) 
und  »Toter  Christus«  (Kirche  in  Erkratz). 

Corde,  dem  Maler  des  Kirchenbildes,  steht 
Theo  Winter,  der  Bildner  des  religiösen  Haus- 
gemäldes gegenüber.  Er  erscheint  unter  den 
hier  vertretenen  Künstlern  als  der  Lyriker. 
Wenn  Winter  die  Abendfahrt  schildert  (Abb. 
S.  109)  —  ein  Werk,  auch  malerisch  von  köst- 
lichem, schwer  zu  beschreibendem  Reiz  —  oder 
Christus  durch  das  Dorf  gehen  und  die  Kin- 
der um  sich  versammeln  läßt  (Abb.  S.  108),  so 
führt  der  feinsinnige  Dichter  den  Pinsel.    Da- 


bei ermangelt  seinen  Bildern  nicht,  was  älteren 
und  bisher  bekannteren  Künstlern  —  wir  den- 
ken an  Uhde  u.  a.  —  fehlt.  Die  religiöse  Ver- 
innerlichung  im  modernen  Gewände.  Der 
Künstler  ist  ja  im  Hause  christlicher  Kunst 
kein  Fremder  mehr;  die  Mappe1)  brachte  ver- 
schiedentlich Perlen  seiner  Kunst. 

Theo  Winter  besuchte  die  Akademie  seiner 
Vaterstadt  München,  nachdem  ihm  der  lang- 
gehegte Wunsch  namentlich  auch  durch  die 
Erlangung  eines  Staatsstipendiums  zur  Tat 
geworden  war.  Die  Professoren  Hackl,  Feuer- 
stein und  Diez  waren  seine  Lehrer.  1902  ent- 
warf er  ein  Wandgemälde,  das  die  Grund- 
steinlegung der  Frauenkirche  zu  München 
(1468)  zum  Vorwurf  hatte.  Das  Bild2)  trug  dem 
Verfasser  einen  Preis  ein.  Die  Vorliebe  für 
intim  gehaltene  altdeutsche,  volkstümliche 
Szenen,  die  des  äußeren  festlichen  Gepräges 
entbehren,  sprach  aus  ihm,  das,  leider,  soviel 
wir  wissen,  noch  der  Ausführung  in  München 
harrt.  Einfach  und  schlicht  erzählt  Winter, 
wie  auch  in  seinem  heiligen  Franziskus,  der 
den  Vögeln  predigt3).  Die  Poesie  lieblich  alt- 
deutscher religiöser  Lyrik  spricht  vor  allem 
aus  seiner  »Madonna  im  Grünen« ;  auf  dem 
in  tiefen  satten  Farben  gemalten  Maienbild 
tritt  zu   der  von    giottesker  Grazie    erfüllten 

')  A.  a.  O.  Jhrg.  1907,  1910  und  1914. 
')  Veröffentlicht   in   der  Jahresmappe  der  Deutschen 
Gesellschaft  f.  christl.  Kunst  1910,  S.  24. 
a)  A.  a.  O.,  Tafel  XI. 


91 


JOSEPH  HUBER-FELDKIRCH 


ENTWURF  ZU  EINEM  DECKENBILD     [< 


92 


NEU-DÜSSELDORFER  KUNST 


OSEPH   HUBER  FEI.DK1RCH 


ENGELCHOR 


Teil  eines  Entwürfe; 


aide.     Igt.  Abb.  S.  9 1 


Himmelskönigin  das  Gegenwartskind,  wie  es 
uns  Zumbusch  vertraut  machte,  mit  den  Feld- 
blumen. Im  gleichen  Jahre,  als  dieses  Bild 
entstand,  trug  der  Konkurrenzentwurf  für 
ein  Bonifatiusbild  dem  Künstler  einen  Preis 
ein.  Mit  Huber  zog  Winter  nach  Düsseldorf. 
191 1  ging  er  auf  des  erstgenannten  Künstlers 
Veranlassung  zu  dessen  Freund  Welti  nach 
Bern.  In  Düsseldorf,  wo  Winter  mit  Unter- 
brechung des  Kriegsdienstes  wohnt,  übte  Win- 
ter die  unter  Hubers  Anleitung  erlernte  Glas- 
und  Mosaikmalerei  aus.  So  führte  er  auf  Grund 
eines  Konkurrenzentwurfes  für  die  Herz-Jesu- 
kirche in  Burtscheid  bei  Aachen  fünf  Glas- 
gemälde selbst  aus,  von  denen  zwei  in  der 
Mappe  1914  veröffentlicht  wurden.  Die  Far- 
benpracht, die  kraftvolle  Art  der  Durchführung 
und  die  edle  Würde  in  der  Zeichnung  lassen 
die  hohe  künstlerische  Qualität  erkennen.  Von 
den  Fenstern  schrieb  19 14  der  Verfasser  der 
Jahresmappe:  »Auf  dem  Gebiete  der  moder- 
nen kirchlichen  Glasmalerei  nahmen  die 
Fenster  eine  hervorragende  Stelle  ein  und 
bedeuten  einen  Fortschritt  sowohl  in  Bezug 
auf  die  Zeichnung  als  auch  hinsichtlich  der 
Technik.« 

Durch  die  zwei  Vollbilder  St.  Meinrad  und 
der  hl.  Isidor  in  der  Jahresmappe  der  Deut- 
schen Gesellschaft  für  christliche  Kunst  wurde 
im  Jahre  1908  zum  ersten  Male  weiteren  Kunst- 
kreisen ein  junges  Talent  bekannt,  auf  das 
dann    von    uns    bei  Besprechung    der  Main- 


kofener  Anstalt1)  nachdrücklichst  verwiesen 
wurde.  Georg  Winkler  wurde  1879  in  Mün- 
chen geboren,  an  dessen  Akademie  er  sich 
als  Schüler  von  Prof.  Karl  von  Marr  und  Wilh. 
von  Diez  für  die  Künstlerlaufbahn  vorbereitete. 
Ein  Studienaufenthalt  in  Italien,  den  ihm  1906 
ein  Staatsstipendium  ermöglicht  hatte,  vertiefte 
die  Anschauungen.  Mit  Prof.  Huber  ging  der 
Künstler  als  Meisterschüler  nach  Düsseldorf, 
wo  er  Huber  ein  wertvoller  Gehilfe  ward  bis 
zum  Ausbruch  des  Krieges,  der  auch  ihn  zu 
den  Waffen  rief.  Aus  Winklers  Werken  spricht 
der  Geist  der  Romantik  im  modernen  male- 
rischen Gewände.  Seine  Farbenzusammen- 
stellung ist  kühn  bei  harmonischem  Zusam- 
menklang des  Ganzen.  Während  er  im  Öl- 
gemälde die  Idylle  bevorzugt,  sind  seine  Wand- 
gemälde großzügiger  angelegt.  In  eigenartiger 
Monumentalität  setzte  er  bei  strengster  Na- 
turwahrheit, wie  sie  sich  namentlich  aus  der 
Gewandbehandlung  ergibt,  über  die  Holzver- 
täfelung des  Mainkofner  Kirchenschiffes  seine 
Kaseingemälde.  Sie  stellen  auf  unsern  Bildern, 
(S.  1 10  u.  1 11),  von  links  nach  rechts  betrachtet, 
den  guten  Hirten,  den  hl.  Martinus,  Tobias  und 
die  Kirche  Christi  dar.  Ein  starkes  dekoratives 
Talent  verraten  auch  die  übrigen  Arbeiten  in 
Mainkofen,  die  Winkler  zum  Teil  selbst  aus- 
führte oder  für   die  er  die  Ideenskizzen  ent- 


')  Heil-   und   Pflegeanstalt   Mainkofen    von   W.  Zils. 
Christi.  Kunst,  XIII.  Jhrg.   1917,  S.  297  ff. 


NEU  DÜSSELDORFER  KUNST 


93 


JOSEPH   Hl'BKR  FELDKIRCH 


Teil  anes  Entwurf, 


Deckengemälde,    l'gl-  Al'b.  S.qi 


warf.  So  schuf  er  in  der  Apside  der  Kirche 
das  Freskogemälde  Gottvater,  die  Engel  (Abb. 
S.  112)  usw.,  im  Schiff  und  Chor  die  dekora- 
tive Malerei  mit  Keimfarben  und  bemalte,  wie 
sich  aus  Abbildung  S.  110  (unten)  ergibt,  wir- 
kungsvoll die  Orgel.  Am  Wasserturm  stammt 
das  7  m  hohe  dekorative  Fresko  St.  Florian  von 
ihm,  das  sich  infolge  seiner  technischen  Ge- 
diegenheit bis  auf  den  heutigen  Tag  unver- 
ändert erhielt.  Für  den  malerischen  Schmuck 
des  großen  Unterhaltungssaals,  dessen  Bühnen- 
umrahmung er  selbst  ausführte,  lieh  der  Kunst 
ler  die  Gesamtidee.  Im  Konversationszimmer 
tritt  Winkler  als  der  Landschaftler  im  dekora- 
tiven Sinne  auf.  Auch  sonst  wie  in  der  Vor- 
halle der  Direktion  und  dem  Vestibül  finden 
sich  die  Proben  von  seiner  Kunst,  die  sich 
nicht  einseitig  festlegt.  Künstlerische  Tüchtig- 
keit und  kindliche  Pietät  erfüllen  das  Mosaik 
(Abb.  S.  107),  das  Winkler  für  das  Grab  der 
Mutter  in  den  akademischen  Werkstätten  an- 
fertigte. Mit  innigem,  lioffnungsstarkem  Gebet 
vertraut  sich  die  Mutter  dem  durch  die  Grab- 
schaufel charakterisierten  Sterbeengel  an,  der 
sie  an  seiner  Hand  in  ein  besseres  Jenseits 
hinaufführt. 

Als  Franz  Schilling,  der  am  4.  Oktober 
1879  im  Rheinhessischen  zur  Welt  kam,  nach 
Düsseldorf  übersiedelte,  hatte  er  nicht  nur  be- 
reits seine  Ausbildung  abgeschlossen,  sondern 
bereits  Beweise  eines  hohen  Könnens  erbracht. 
Nach  einer  Lehrzeit  bei  seinem  Onkel,  in  die 


er  mit  15  Jahren  getreten  war,  und  noch  län- 
gerer Praxis  an  größeren  stilgerechten  Innen- 
dekorationen ging  er  mit  20  Jahren  an  die 
Münchener  Akademie,  wo  er  als  Schüler  Feuer- 
steins bis  Ende  1908  studierte.  Unterbrochen 
wurde  der  Aufenthalt  durch  Studienreisen  nach 
Italien  und  den  Niederlanden.  1902  erhielt  er 
die  kleine  Medaille  für  den  Entwurf  zur  Be- 
malung der  Chorapsis  in  Dornach,  1905  bei 
der  Weihnachtskonkurrenz  an  der  Akademie 
unter  dem  Thema  Arbeit  für  den  Entwurf 
»Schöpfungstage«  den  ersten  Preis,  1907  und 
1908  die  große  silberne  Medaille  für  das  Bild 
»Christus  an  der  Geißelungssäule«1).  Noch 
während  der  Studienzeit  fand  Schilling  Ge- 
legenheit, sich  praktisch  mit  größeren  monu- 
mental-dekorativen Arbeiten  zu  beschäftigen. 
Er  führte  1906  die  Entwürfe  für  die  Bema- 
lung des  Treppenhauses  und  Sitzungssaales 
in  dem  prächtigen  Neubau  des  er/bischöf- 
lichen Ordinariats  zu  Freiburg  und  bald  darauf 
die  figürlichen  Malereien  und  teilweise  die  orna- 
mentalen Ausschmückungen  daselbst  aus.  Im 
gleichen  Sinn  betätigte  sich  der  Künstler,  als 
ihm  1908  das  Reichsamt  des  Innern  den  Auf- 
erteilte, die  Hofgalerien  der  I  I 
bürg  i.  E.  mit  den  neun  guten  Helden  und 
Jungfrauen  im  Charakter  des  15.  Jahrhunderts 
zu  .schmücken.  Im  Oktober  desselben  Jahres 
begann  er    die  Chorbemalung    des  Munsters 

'    Mappe  1910. 


Hie  christliche  Ku 


94 


NEU-DÜSSELDORFER  KUNST 


JOSEPH  HUBER-FELDKIRCH 


DIE  HL.  DREI  KÖNIGE.    1919 


zu  Villingen  in  Baden.  In  den  Jahren  1908/09 
entstand  so  das  Schutzmantelbild1)  und  ein 
Jahr  darauf  das  Jüngste  Gericht,  Bilder  von 
gleichzeitig  großem  religiösem  und  natura- 
listischem Empfinden.  Praktische  Tätigkeit 
hatte  also  Schilling  zum  großen  monumen- 
talen Stil  geführt,  der  einerseits  einer  starken 
Befähigung  entsprang  und  anderseits  in  der 
Art  der  Aufträge  Förderung  fand.  Das  1909 
in  der  Jahresmappe  veröffentlichte  »Sieben- 
tagewerk« vom  Jahre  1904  sprach  aus  diesem 
Stilempfinden  heraus.  Schilling  steigert  in 
diesen  Werken  durch  das  Archaische  der 
Stilisierung,  die  mit  antiquierendem  Histo- 
rismus nichts  gemein  hat,  die  Erhabenheit 
der  Gesamterscheinung,  wie  sie  auch  seine 
Mosaikgebilde   dartun.     Für    einen    Kirchen- 


giebel entwarf  der  Künstler  eine  Christopho- 
rusfigur1),  dieses  Heft  enthält  das  Mosaikbild 
der  hl.  Helena  (Abb.  S.  106).  In  der  Mosaik- 
kunst unterscheidet  sich  Schilling,  der  nun- 
mehr zu  Freiburg  i.  B.  wohnt,  von  seinen 
neuen  Düsseldorfer  Kollegen  durch  die  freiere, 
mehr  malerischeBehandlung,  getreudem  durch 
seine  Kunst  gehenden  Zug. 

Wir  schließen  die  Betrachtung  der  Bilder 
mit  dem  St.  Georg  (Abb.  S.  105)  von  C.  Jung- 
Dörfler,  ebenfalls  einem  Meisterschüler 
Hubers ,  der  mit  seinen  ersten  Arbeiten  in 
der  angewandten  Kunst  die  Lehren  der  mo- 
dernen, vielmehr  alten,  aber  in  besonderem 
Maße  durch  die  Neu-Düsseldorfer  Schule  erst 
jüngst  wiedergewonnene  Glasmalkunst  in  die 
Tat  umsetzte. 


')  Abb.  in  Jahresmappe  1910. 


')  Abb.  Jahresmappe  1910,  S.   31. 


9) 


WALTER  CORDE  (DÜSSELDORF)  AUFERSTEHUNG  DER  TOTEN 

Entwurf  für  Bemalung  du   Ckorbogens  der  Abdingiwf -Kirche  i»  Paderborn      Vgl.  Abb.  S.  qb—98.     Teil  S.  Sj 


96 


TAGUNG  FÜR  DENKMALPFLEGE 


WALTER  CORDE  (DÜSSELDORF) 


TROJEKT  FÜR  AUSMALUNG  DER  ABDINGHOF-KIRCHE  IN  FADERBORN 
LangschiffsToand.  —  ft'xt  S.  Sj 


TAGUNG 
FÜR  DENKMALPFLEGE 

(Schluß) 

A  m  zweiten  Verhandlungstage,  der  den  Er- 
*»■  orterungen  über  die  Trennung  von  Kirche 
und  Staat  galt,  sprach  als  erster  der  Provinzial- 
konservator  Baurat  Schmid- Marienburg.  Er 
beschränkte  sich  auf  die  preußischen  Verhält- 
nisse. Unter  den  Umwälzungen  der  letzten 
Zeit  hat  die  Trennung  von  Kirche  und  Staat, 
Kirche  und  Schule  die  meiste  Erregung  her- 
vorgerufen. Zwar  ist  die  Trennung  erst  an- 
gekündigt, und  wenn  sie  auch  gewiß  kommt, 
so  ist  doch  jetzt  vielleicht  noch  Zeit,  etwas 
zu  retten.  Die  katholische  und  protestantische 
Kirche  waren  bisher  Gesellschaften  öffentlichen 
Rechtes;  ihre  Kulthäuser  heißen  Kirchen,  ihre 
Geistlichen  sind  Beamte.  Vielgestaltig  ist  das 
Patronatsverhältnis;  bei  derHälfte  aller  Kirchen 
war  bisher  der  Staat  Patron,  der  als  solcher 
auch  Baulasten  zu  tragen  hatte,  oft  sehr  er- 
hebliche Prozentsätze.  Dazu  kamen  freiwillige 
Gaben,  Geschenke  aus  Gnadenfonds  und  dem 
Dispositionsfonds  des  Kultusministers.  Was 
die  Kirchen  und  die  Gegenstände  ihrer  Aus- 
stattung unter  dem  Gesichtspunkte  des  Denk- 
malwertes betrifft,  so  hing  ihre  Veränderung 
und  Veräußerung  von  der  staatlichen  Ge- 
nehmigung ab.  Die  Trennung  bedeutet  die 
Aufhebung  aller  bisher  bestehenden  Gesetze 
und  Verordnungen,  eine  Stellung  des  Staates 
zu  den  zwei  Hauptkirchen,  wie  er  sie  gegen- 
über den  Juden,  Mennoniten  und  anderen 
einnimmt.  Wie  nun  bei  diesen  infolge  der 
mangelnden  Staatspflege  mit  der  Zeit  schon 
sehr    vieles    kunst-    und    kulturgeschichtlich 


Wichtige  abhanden  gekommen  ist,  so  würde 
es  auch  bei  den  Hauptkirchen  geschehen. 
Bisher  lag  für  ihre  beweglichen  Denkmäler 
keine  Veranlassung  zum  Verkaufe  vor,  die 
Scheu  vor  dem  Staate  hinderte  auch,  daß 
viel  Schlimmes  in  dieser  Beziehung  geschah. 
Die  finanzielle  Beihilfe  des  Staates  verhütete 
Veränderungen  und  Verfall.  —  Wie  wird  es 
aber,  wenn  die  Trennung  kommt?  Religiös 
gleichgültige  Gemeinden  werden  alles  ver- 
nachlässigen, es  werden  bei  ihnen  Zustände 
wiederkehren  wie  vor  ioo  Jahren,  als  man 
sich  z.  B.  nicht  scheute,  den  schönen  romani- 
schen Dom  von  Goslar  dem  Abbruche  preis- 
zugeben. Religiös  lebendige  Gemeinden  wer- 
den danach  trachten,  auch  gerade  wegen  der 
Zurückstellung  ihrer  Kirche,  das  kirchliche 
Leben  aufrechtzuerhalten.  Aber  sie  werden  als 
alleinige  Zahler  zu  größter  Sparsamkeit  ge- 
zwungen sein,  nur  das  Notdürftigste,  Unent- 
behrlichste ausführen  können  und  auf  alles 
andere,  wie  Heizung,  neue  Bemalungen,  An- 
schaffung von  Kunstgegenständen,  Herstellung 
alter  Kostbarkeiten  usf.  verzichten  müssen. 
Damit  wird  zusammenhängen,  daß  die  beweg- 
lichen Denkmäler  nun  in  Wahrheit  »beweglich« 
werden,  d.  h.  dem  Verkaufe  anheimfallen,  um 
das  dringend  nötige  Geld  dadurch  zu  beschaffen. 
Die  Auffassung,  die  sich  eingebürgert  hatte,  daß 
z.  B.  der  Verkauf  eines  alten  schönen  Altares 
etwas  Unehrenhaftes  sei,  wird  unter  solchen 
Umständen  verlorengehen,  gerade  die  wert- 
vollsten Denkmäler  werden  in  den  Handel 
gelangen  und  ins  Ausland  abwandern.  Alles, 
weil  der  Staat  versagt  und  die  unmittelbaren 
gottesdienstlichen  Zwecke  vorgehen.  Ein  wei- 
terer Übelstand    bei   der   Trennung   ist,    daß 


TAGUNG  FÜR  DENKMALPFLEGE 


•'7 


WALTER  CORDE  (DÜSSELDORF) 


PROJEKT  FÜR  AUSMALUNG  DER  ABDINGHOF-KIRCHE  IN  PADERBORN 
angschiffs-.uaud.     -    lext  S.  Sj 


infolge  von  ihr  bei  wichtigen  Aufgaben  der 
Denkmalpflege  das  früher  so  förderliche  Zu- 
sammenarbeiten vielseitig  erfahrener  Kräfte 
fortfällt  und  alles  immer  einer  einzelnen  Kraft 
überlassen  bleibt.  —  Demallen  gegenübersteht 
aber  doch  die  Hoffnung,  daß  die  kirchliche 
Denkmalpflege  auch  von  der  neuen  Regierung 
anerkannt  werden  dürfte.  Denn  erstens  ist  sie 
nicht  kulturfeindlich.  Sie  kann  und  wird,  schon 
aus  Rücksicht  auf  die  Stimmung  des  Volkes, 
nicht  den  Einfall  haben,  plötzlich  alles  von 
sich  werfen  zu  wollen.  Also  kann  sie  auch 
nicht  alle  Lasten  auf  die  Privatpatronate  ab- 
wälzen wollen.  Sie  wird  diese  aber  auch 
darum  bestehen  lassen ,  um  nicht  den  rei- 
chen Patronatsherren-  ein  Millionengeschenk 
zu  machen.  Folgende  Leitsätze  sollten  für  die 
Zukunft  festgelegt  werden:  Die  allmähliche 
Ablösung  der  Staatslasten  kann  nach  zivil- 
rechtlichen Grundsätzen  geschehen.  Der  Staat 
erklärt  sich  zur  Unterstützung  und  zum  Schutze 
der  weltlichen  und  kirchlichen  Denkmäler 
bereit  (wenn  schon  nicht  aus  Rücksicht  auf 
Kirche  und  Religion,  so  doch  auf  den  allge- 
meinen kulturellen  Wert  jener  Denkmäler). 
Er  behält  sich  die  Aufsicht  vor  und  läßt  dem- 
gemäß die  Denkmalpflege  ausüben.  Dringend 
nötig  ist  ein  Ausfuhrverbot  für  Kunstwerke 
von  Denkmalwert,  wie  andere  Staaten  es  schon 
besitzen.  —  Als  zweiter  Redner  behandelte 
Geh.  Reg. -Rat  Stutz  die  vorliegende  Frage  unter 
dem  Gesichtspunkte  des  Kirchenrechtes.  In 
den  für  die  protestantische  Kirche  gültigen 
Vorschriften  sind  gegen  früher  keine  Ver- 
änderungen eingetreten.  Wohl  aber  ist  dies 
bei  denen  der  katholischen  Kirche  der  Fall  und 
zwar   infolge    Inkrafttretens   des   Codex  juris 


canonici  seit  191 8.  Dieser  beschäftigt  sich  an 
mehreren  Stellen  mit  den  Denkmälern,  den 
bona  pretiosa,  die  einen  künstlerischen,  ge- 
schichtlichen und  Sachwert  besitzen  (can.  1497, 
§2),  mit  Rücksicht  auf  ihr  Alter,  ihren  Wert  für 
die  Kunst  oder  den  Gottesdienst  Schonung 
verdienen  (c.  1280).  Genau  sind  die  auf  ur- 
alten Auffassungen  beruhenden  Vorschriften 
über  die  Veräußerung  und  Veränderung.  Die 
erstere  betreffend  wird  in  c.  1529  ff.  bestimmt, 
Kirchengut  könne  unter  gewissen  Bedingungen 
veräußert  werden,  beim  Vorliegen  einer  justa 
causa,  einer  urgens  necessitas,  auch  wenn  sich 
ein  zwingender  Vorteil  zeige  oder  die  Pietät 
es  erheische.  Schriftliche  Abschätzung  muß 
erfolgen.  Die  Veräußerung  ist  bei  sehr  hohen 
Werten  nur  gültig  unter  Erlaubnis  des  Apo- 
stolischen Stuhles,  der  auch  darüber  zu  be- 
finden hat  (c.  1281),  ob  Reliquien  oder  für  die 
Verehrung  besonders  wichtige  Bilder  veräußert 
oder  dauernd  in  eine  andere  Kirche  überführt 
werden  dürfen.  Bei  Gegenständen  im  Werte 
von  30000  —  1000  Lire  ist  der  Bischof  zustän- 
dig, aber  unter  Zustimmuni;  des  Kathedral- 
kapitels, des  von  ihm  einzusetzenden  Diözesan- 
Verwaltungsrates  und  der  Interessenten.  Nur 
letztere  und  Verwaltungsrat  sind  von  ihm  zu 
hören  bei  Gegenständen  unter  1000  Lire  Was 
die  Veränderung  angeht,  so  bedarf  es  Für  sie  der 
schriftlichen  Einwilligung  des  Bischofs,  der  in 
dieser  Sache  prudentes  ac  peritos  fragen  soll 
—  also  eine  ausdrückliche  Anerkennung  der 
Organe  der  Denkmalpflege  '  Die  Verwaltung 
des  Kirchengutes  ist  im  Codex  nur  für  die 
Kirche  selbst  beansprucht,  die  zur  Erwerbung 
und  Verwaltung  ihrer  Guter  ein  nativum  jus 
besitzt  (c   1495,  i?  i)-  Sehr  kräftig  wird  also  in 


WALTER  CORDE  (DÜSSELDORF) 

Entwurf  für  Bemalung  der  Rückwand  der  Abdinghof -Kirche  in  Paderborn.  —    Text  S.  Sj 


TAGUNG  FÜR  DENKMALPFLEGE 


99 


WALTER  CORDE  (DÜSSELDORF)  FRAUENBERUF 

Fresko  in  der  Aula  der   Töchterschule  in  Koln-Muhlheim.     Vgl.  Abb.  S.  loo  und  101.   —   Text  S.  8j. 


dem  Codex  das  kirchliche  Selbstverwaltungs- 
recht betont.  Er  sucht  die  über  iooo jährige 
Geschichte  des  Patronates  abzuschließen.  Neue 
Patronate  sollen  nicht  mehr  errichtet  werden. 
C.  1469  bestimmt  die  onera  seu  officia  pa- 
tronorum,  die  sich  nicht  in  die  kirchliche 
Verwaltung  einzumischen,  aber  bei  Gefähr- 
dung des  Kirchengutes  den  Bischof  aufmerk- 
sam zu  machen  und  bei  Verfall  des  Gebäu- 
des für  Ausbau  und  nötige  Verbesserungen 
zu  sorgen  haben.  In  ähnlich  genauer  Weise 
betrachtete  der  Redner  auch  das  Recht  des 
Staates  (Bayern,  Württemberg).  Es  ist  zu  ver- 
muten, daß  der  Staat  sich  bei  der  Trennung 
nicht  ganz  schroff  und  kirchenfeindlich  ver- 
halten und  wenigstens  den  beiden  großen 
Glaubensgemeinschaften  die  nötige  Rücksicht 
nicht  versagen  wird.  Hier  ist  es,  wo  die  Denk- 
malpflege ansetzen  kann.  Zwar  wird  es  keine 
privilegierte  Kirchen  mehr  geben,  also  fällt 
auch  die  staatliche  Kirchenaufsicht  weg.  Aber 
eingreifen  kann  der  Staat  dennoch  auch  bei 
kirchlichen  Dingen,  wenn  es  sich  um  allge- 
meingültige Gesichtspunkte  handelt,  mithin 
ist  es  ihm  möglich,  Denkmalpflege  auch  nach 
dieser  Richtung  auszuüben.  So  wird  trotz  allem 


eine  vernünftige  Zusammenarbeit  von  Staat 
und  Kirche  dauernd  nötig  sein.  Freilich  er- 
fordert sie  viel  Geld,  und  das  ist  der  dunkle 
Punkt  bei  der  in  naher  Zukunft  zu  erwarten- 
den allgemeinen  Verarmung.  Sie  stellt  es  mit 
in  Frage,  ob  wir  ferner  auf  der  jetzigen  Kultur- 
höhe bleiben  werden.  —  Eingehend  berichtete 
Herr  Generalkonservator  Dr.  Hager  über  die 
aus  dem  bayerischen  Konkordate  sich  erge- 
benden günstigen  Verhältnisse.  Möchten  bei 
der  Trennung  alle  bisher  gemachten  Fort- 
schritte im  beiderseitigen  Interesse  erhalten 
bleiben.  —  Prof.  Dr.  Sauer  sprach  über  das 
Verhältnis  in  Baden.  Nachdem  der  Patronat 
dort  zumeist  schon  beseitigt  ist,  können  die 
Bau-  und  Erhaltungspflichten  nicht  aus  ihm 
hergeleitet  werden.  Somit  sind  die  Folgen 
dort  jetzt  auch  nicht  so  schwer  wie  anderswo. 
Die  Kirche  wird  ihr  Verhältnis  zur  Denkmal- 
pflege nicht  aufgeben.  Was  bei  der  Trennung 
wird,  hängt  von  der  Art  ihrer  Durchführung 
ab.  Entweder  gibt  es  eine  völlige  Scheidung 
wie  in  Frankreich,  oder  hoffentlich I  wegen 
der  im  Volke  wirksamen  moralischen  Kräfte 
und  der  Notwendigkeit  sittlicher  Hebung  des 
Volkes    eine    ruhige,    verständnisvolle    Aus- 


TAGUNG  FÜR  DENKMALPFLEGE 


WALTER  CORDE  (DÜSSELDORF) 

In  der  Aula  der  Töchterschu 


DER   BERIT-   DER  FRAU 


Köbl-Mühlkeim.    Vgl.  Abb.  S.  gg  u„,( 


einandersetzung,  wie  auch  für  die  Zukunft  die 
staatliche  Denkmalpflege  und  die  Gewährung 
der  nötigen  Mittel  für  sie.  Die  Verpflichtung 
hierzu  muß  reichsgesetzlich  festgelegt  werden. 
Wenn  aus  diesen  Dingen  aber  nichts  wird,  so 
müssen  wir  versuchen,  das  Volk  selbst  zum 
Denkmalpfleger  zu  machen,  ihm  durch  rast- 
losen Unterricht,  und  indem  schon  die  Kinder 
bei  jeder  Gelegenheit  auf  die  Wichtigkeit  dieser 
Sache  hingewiesen  werden,  die  Auffassung  ein- 
impfen, daß  den,  der  Denkmäler  schädigt,  ver- 
wüstet, verkommen  läßt,  ein  Brandmal  trifft. 
Als  Forderungen  sind  festzuhalten:  eine  grund- 
sätzliche Äußerung  der  Regierungen,  daß  sie 
auch  fernerhin  die  Lasten  der  kirchlichen 
Denkmalpflege  tragen  wollen,  außerdem  ein 
Sperrgesetz  gegen  die  Ausfuhr.  —  Im  ähn- 
lichen Sinne  äußerten  sich  noch  mehrere 
andere  Redner,  von  denen  Frhr.  von  Biege- 
leben (Darmstadt)  die  Gründung  eines  Denk- 
malrates vorschlug,  der  aus  Sachverständigen 
und  Verwaltungsleuten  zu  bestehen  habe  und 
dadurch  zum  Ausgleiche  aller  Gesichtspunkte 
geeignet  sei.  —  Am  Ende  der  Verhandlungen 
wurde  eine  Entschließung  angenommen,  die 
aus  den  zuvor  gekennzeichneten  Schmidschen 
Leitsätzen  hervorgegangen  war.  Sie  wird  der 
Reichsregierung  und  den  Regierungen  der  Bun- 
desstaaten vorgelegt  werden.  Ihr  Wortlaut  ist: 
Die  kirchliche  Denkmalpflege  als  das  weitaus 
bedeutendste  Gebiet  der  Denkmalfürsorge  darf 
durch  die  Trennung  von  Staat  und  Kirche 
nicht  beeinträchtigt  werden.    Bei  der  gesetz- 


lichen Regelung  der  Denkmalpflege  ist,  .'.o- 
weit  noch  ausreichende  Bestimmungen  fehlen, 
den  Regierungen  der  Einzelstaaten  eindring- 
lichst zu  empfehlen,  auf  die  Wahrung  der  an- 
geführten allgemeinen  Gesichtspunkte  Bedacht 
zu  nehmen.  Ferner  wurde  der  Entwurf  für 
ein  Gesetz  zum  Verbote  der  Ausfuhr  von 
denkmalwertigen  Kunstwerken  kundgegeben 
und  einmütig  angenommen.  Es  wird  Sache 
der  Reichsregierung  sein,  zu  ihm  Stellung 
zu  nehmen.  Seine  Einführung  wäre  sicher 
von  größter  Wichtigkeit.  Nicht  minder  alles, 
was  der  Erhaltung  unserer  Denkmäler  im  übri- 
gen dient.  Gerade  jetzt,  nachdem  wir  durch 
den  Krieg  so  vieles  verloren  haben,  aber  den 
Schatz  unserer  Denkmäler  noch  besitzen,  sollen 
uns  diese  kostbarer  sein  denn  je.  Doering 

HISTORIENMALER 
BERNHARD  VON  NEHER 

Von  ADOLF  BRINZ1NGER,  Stadtplane  a.  D. 

Bernhard  von  Neher  ist  geboren  in  Biberach 
16.  Januar  1806.  Er  ist  einer  der  letzten 
Schüler  von  Cornelius  und  ein  glänzender 
Stern  am  Himmel  der  christlichen  Kunst,  für 
Württemberg  mit  seinem  nur  6  Jahre  älteren 
Landsmann  Hofmaler  Anton  von  Gegenbaur1) 
(geboren  in  Wangen  i.  A.  6.  März  1800,  ge- 
storben in  Rom  31.  Januar  1896)  zugleich  ein 


')  Vgl.  Die  christliche  Kunst,  XV.  Jahrg.,  S.  100  ff. 


WALTER  CORDE  (DÜSSELDORF)  FRAU! 

Teil  des   FreskcfffmäÜUt  in  der  Aula  der   I ochtcrschuie  zu  Muhlheim  am   Rhein 


Die  christliche  Kim«.    XVI.    4'; 


HISTORIENMALER  BERNHARD  VON  NEHER 


WALTER  CORDE  (DÜSSELDORF) 


Vertreter  jener  Stilrichtung  in  der  Malerei, 
welche  das  Klassische  und  romantische  Ideal 
miteinander  zu  verschmelzen  strebte.  Im 
folgenden  möchten  wir  seine  interessante 
Lebensbeschreibung  darstellen,  und  zwar: 
i .  seine  Lehrjahre  in  Biberach,  Stutt- 
gart, München  und  Rom,  2.  seine 
Wirksamkeit  in  München,  3.  in  Wei- 
mar und  Leipzig  und  4.  zuletzt  in 
Stuttgart. 

1.  Bernhard  von  Neher  ist  ein  Sohn  des 
Malers  Joseph  Anton  Neher  und  seiner  Ehe- 
frau Theresia  Brunner  in  B  i  b  e  r  a  c  h  a.  d.  Riß, 
damals  badisch,  im  Herbst  hernach  württem- 
bergisch, vorher  freie  schwäbische  Reichsstadt. 
Sein  erster  Lehrer  der  Malerei  war  sein  Vater, 
von  seinem  13.  Lebensjahr  an  aber  Franz 
Müller  in  Biberach,  ein  Schüler  von  Maler  Joh. 
Bapt.  Pflug  (gestorben  1860)  und  von  Hof- 
maler Joh.  Bapt.  Seele  (gestorben  1814).  Bern- 
hard kopierte  bei  Müller  Studien  nach  Raffael 
und  Michelangelo,  malte  aber  dann  auch  in 
öl,  merkwürdigerweise  zuerst  religiöse  Bilder: 
»David,  die  Harfe  spielend«  und  »Christus  am 
Jakobsbrunnen«,  sodann  ein  Gruppenbild  seiner 
Familie.  Als  Müller  nach  Ulm  zog,  kam  der 
16 jährige  Kunstjünger  nach  Stuttgart  zu 
Hofmaler  Hetsch  und  Bildhauer  Johann  Hein- 


rich Dannecker  (gestorben  1841),  Kunstschul- 
direktor, im  Frühjahr  1822.  Das  Honorar  für 
ein  Familiengemälde  und  ein  Porträt  von 
König  Wilhelm  I.  von  Württemberg,  für  das 
Biberacher  Rathaus  gemalt,  verschaffte  ihm  die 
nötigsten  Mittel  zum  weiteren  Studium.  Er 
übte  sich  jetzt  im  Modellzeichnen,  besuchte 
auch  die  Sammlung  der  Gebrüder  Sulpice  und 
Melchior  Boisseree  und  las  Homer  und  Virgil. 
Von  Anton  von  Gegenbaur  aufgemuntert, 
ging  er  mit  einem  zweijährigen  Stipendium  des 
Biberacher  Stadtrats  im  Herbste  1823  nach 
München  und  fand  daselbst  freundliche  Auf- 
nahme bei  seiner  Tante,  welche  dem  Haushalt 
des  Domkapitulars  Freiherrn  von  Ow  vorstand. 
Er  studierte  jetzt  5  Jahre  lang  an  der  Akademie, 
zuerst  bei  Direktor  Langer,  seit  1825  bei  Peter 
von  Cornelius,  der  von  Düsseldorf  nach  Mün- 
chen berufen  worden  war.  »Mit  einmal  war 
ich  jetzt  in  eine  neue  geistige  Tätigkeit  ver- 
setzt«, sagt  Neher  selbst  von  jener  Zeit.  Der 
geniale  Cornelius  wurde  jetzt  sein  Lehrer  und 
Gönner  und  seiner  Schule  ist  Neher  zeitlebens 
treu  geblieben.  Unter  seiner  Leitung  fertigte 
er  in  lebensgroßen  Figuren  den  Karton:  »Die 
Wiedererkennung  Josephs  in  Ägypten  durch 
seine  Brüder«.  1826  bestand  er  in  Stuttgart 
eine  Kunstprüfung  und  wurde  jetzt  vom  Kriegs- 


HISTORIENMALER  BERNHARD  VON  NEHER 


103 


WALTER  CORDE  (DÜSSELDORF) 


YKSPERBILD. 


dienst  befreit.  1828  erhielt  er  für  das  Ölge- 
mälde :  »Klage  des  Grafen  Eberhard  um  seinen 
in  der  Schlacht  bei  Döflingen  gefallenen  Sohn 
Ulrich  <  1200  Gulden  vom  Stuttgarter  Kunst- 
verein und  von  König  Wilhelm  ein  mehrjähriges 
Reisestipendium  von  je  700  Gulden.  Im  Mai 
1828  reiste  er  nun,  erst  22  Jahre  alt,  über 
Florenz  nach  Rom.     Raffael  wurde  bald  sein 


Liebling  und  neben  ihm  die  Antiken.  Over- 
beck,  Voit,  Führich,  Genelli,  Ludwig  Richter 
und  besonders  der  Hamburger  Maler  Erwin 
Speckter  und  Anton  Dröger  aus  Trier,  der  ihn 
in  die  Farbengeheimnisse  der  Venezianer  ein- 
führte, dann  die  Schwaben  :  Bildhauer  Konrad 
Weitbrecht  (gestorben  1 836),  Landschaftsmaler 
Maier    und    Medailleur   Bruckmann    aus  Heil- 


104 


HISTORIENMALER  BERNHARD  VON  NEHER 


WALTER  CORDE  (DÜSSELDORF) 


bronn  (gestorben  1850)  wurden  mit  ihm  be- 
freundet. Von  Raffaels  Tapeten  im  Vatikan 
angeregt,  malte  er  in  Ol:  »Die  Auferweckung 
des  Jünglings  von  Naim«,  jezt  in  der  Stutt- 
garter Gemäldegalerie  (Nr.  837),  edel,  einfach, 
natürlich.  »Raffaelisch  in  den  Formen,  den 
Venezianern  in  der  Farbe  sich  nähernd,  aber 
doch  von  jener  deutschen,  genauer  gesagt 
oberschwäbischen  Einfalt,  Kraft  und  Tiefe  der 
Empfindung,  welche  Nehers  religiöse  Bilder 
trotz  aller  Verschiedenheit  des  Stils  doch  wieder 
in  die  Nachbarschaft  eines  Hans  Schülein 
und  Bartholomäus  Zeitblom  aus  der  Ulmer 
Schule  bringen«,  wie  August  Wintterlin  sagt. 
1832  besuchte  Neher  Neapel  und  verließ  Rom 
im  August  nach  vierjährigem  Aufenthalt,  stu- 
dierte dann  in  Assisi  und  Florenz  besonders 
Masaccio  und  Fiesole,  auch  in  Venedig  meh- 
rere Wochen  und  kehrte  über  Padua  und 
Verona  nach  München  zurück.  Seine  Lehr- 
jahre als  Historienmaler  waren  jetzt  beendigt. 
2.  In  München  erhielt  er  die  schmerz- 
liche Nachricht  vom  Tod  seines  Vaters  und 
eilte  jetzt  nach  Biberach,  um  seine  Mutter  und 
Geschwister  zu  unterstützen.  Fräulein  Emilie 
Linder,  Malerin    aus  Basel,    kaufte  von    ihm 


das  in  Rom  begonnene  Bild:  »Abraham  mit 
den  Engeln  vor  seinem  Zelt«,  jetzt  im  Baseler 
Museum.  Von  Cornelius  empfohlen,  erhielt 
er  jetzt  von  König  Ludwig  I.  den  ehrenvollen 
Auftrag,  das  von  Friedrich  Gärtner  restaurierte 
Isartor  im  Tal,  mit  dem  75  Fuß  langen  und 
8  Fuß  hohen  historischen  Freskobilde:  »Ein- 
zug des  Kaisers  Ludwig  des  Bayern  nach  der 
Schlacht  bei  Ampfing«  über  dem  Hauptein- 
gang zu  schmücken,  mit  den  Bildern  der 
Schutzpatrone  der  Stadt  München:  Maria  und 
St.  Benno,  über  den  Seiteneingängen.  Er  legte 
2  Skizzen  vor.  Cornelius  und  der  König  Lud- 
wig waren  sehr  damit  zufrieden.  In  3  Jahren 
fertigte  er  zuerst  den  riesigen,  jetzt  in  Weimar 
auibewahrten  Karton,  dann  die  Farbenskizze, 
und  begann  im  Sommer  1834  mit  dieser  Malerei 
in  der  ihm  fast  unbekannten,  schwierigen 
Freskotechnik,  mit  Hilfe  des  Freskomalers 
Kögel  aus  Oberdorf  in  Bayern  für  5000  Gulden 
Honorar.  Ende  September  1835  war  die  Ent- 
hüllung dieses  Freskobildes.  Das  lebensvolle, 
volkstümliche,  historische  Bild  fand  allgemeine 
Bewunderung.  Der  Sieger,  Ludwig  der  Bayer, 
mit  Krone,  Zepter  und  Reichsapfel  geschmückt, 
begleitet  von  einem  glänzenden  Gefolge,  wird 


HISTORIENMALER  BERNHARD  VON  NEHER 


105 


C.  JUNG-DÖRFLER  (DCSSELDORF) 


vom  Magistrat,  Klerus  und  Volk  empfangen. 
Ein  Reichsherold  und  Musikanten  eröffnen 
den  Zug,  Frauen  streuen  Blumen,  die  Ge- 
fangenen und  Trophäen  beschließen  das 
Ganze.  Die  Komposition  ist  abwechslungs- 
reich, hat  schönen  Rhythmus  der  Linien  und 


treffliche  Figuren:  stolze  Männer,  anmutige 
Frauen,  liebliche  Kinder,  prächtige  Pferde. 
Die  Farbe  ist  klar  und  heiter,  die  Zeichnung 
sicher,  der  Geist  des  großen  Freskomalers 
Masaccio  in  Florenz  scheint  über  dem  Bilde 
zu  schweben.     Leider  hat  das  schöne  Werk, 


io6 


HISTORIENMALER  BERNHARD  VON  NEHER 


FRANZ  SCHILLING 


HL.  HELENA 


wie  viele  andere  Fresken  in  München, 
durch  die  Unbild  der  Witterung  gelitten. 
Es  ist  1858  von  Professor  W.  Linden- 
schmitt und  1881  nach  Keims  Verfahren 
durch  seine  Schüler  restauriert  worden. 
Nehers  Schüler,  Friedrich  Zimmermann, 
fertigte  1881  einen  Stich  als  Vereins- 
gabe des  Münchner  Kunstvereins.  Der 
Einfluß  von  Cornelius  führte  Neher  auf 
diese  höhere  Bahn  und  bewahrte  ihn 
vor  der  Gefahr,  in  süße  Weichlichkeit 
oder  flaue  Glätte  zu  geraten ,  sagte 
August  Wintterlin. 

Die  zweite  Hälfte  des  Lebens  unsres 
Künstlers  hat  zum  Schauplatz  seines  Wir- 
kens die  Städte  Weimar,  Leipzig 
und  Stuttgart. 

3.  Durch  Vermittlung  des  Kunst- 
schriftstellers L.  Schorn  wurde  jetzt 
Neher  nach  Weimar  berufen,  um  in 
der  Residenz  der  Großherzogin  Maria 
Paulowna  und  ihres  Sohnes  Alexander 
2  Säle  mit  34  Bildern  zu  Schillers  und 
28  Bildern  zu  Goethes  Werken  zu 
schmücken,  in  den  Jahren  1836 — 46. 
1837  befiel  ihn  ein  hartnäckiges  Augen- 
leiden, weshalb  er  seinen  Freund  Kögel 
und  nach  dessen  Tod  einige  jüngere 
Kräfte  zu  Hilfe  nahm.  Im  Hause  des 
Oberbaudirektors  Wenzel  lernte  er  des- 
sen Tochter  Maria  kennen,  die  am 
10.  März  1840  seine  Gattin  wurde  und 
46  Jahre  lang  mit  ihm  in  glücklich- 
ster Ehe  gelebt  hat  (gestorben  Stutt- 
gart 21.  Januar  1893).  Aus  dieser  Ehe 
sind  3  Söhne  und  1  Tochter  hervorge- 
gangen. Neher  verstand  seinen  Schiller 
und  Goethe  und  entfaltet  jetzt  sein  großes 
Talent.  Unter  seinen  Schillerbildern  sind 
die  besten:  der  Tellschuß,  die  Kapu- 
zinerszene in  Wallensteins  Lager,  die 
Huldigung  der  Künste  und  die  kleinen 
Szenen  zum  Lied  von  der  Glocke.  Weit  be- 
deutender sind  die  Goethezimmerbilder, 
besonders  Erlkönig,  Gott  und  Bajadere, 
der  Fischer,  Kampf  um  Fausts  Seele, 
Prometheus,  Wanderers  Sturmlied.  »Sie 
gehören  zum  Besten,  was  wir  in  dieser 
Art  überhaupt  treffen«,  sagte  der  Kunst- 
historiker und  Kritiker  Friedrich  Pecht. 
Im  Geiste  der  antiken  Plastik  sind  die 
Reliefs  der  Türen  ausgeführt:  Amor  als 
Landschaftsmaler,  Gesang  der  Geister 
über  den  Wassern,  Urworte.  Im  Schiller- 
zimmer herrschen  mehr  die  hellen  Far- 
ben, im  Goethezimmer  dagegen  gedämpf- 
ter, vornehmer  Ton.  Im  Stuttgarter  Mu- 
seum der  bildenden  Künste   im   ersten 


HISTORIENMALER  BERNHARD  VON  NEHER 


107 


IT 

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GEORG  WINKLER  (DCSSELDORF) 


MOSAIK  Fi'R  DAS  GRAB  DER  MÜTTER  DES  KL:. 


Stock  sind  die  Originalkartons  an  den  Wän- 
den aufgehängt  von  diesen  Weimarbildern. 
F.  Hanfstaengl  hat  sie  Photographien,  im 
Verlag  von  W.  Spemann  erschienen,  Text 
von  Lübke.  40  Blätter  der  Glocke  hat  H.  Laut- 
mann auf  Holz  gezeichnet,  geschnitten  von 
J.  G.  Flegel.  184 1  erhielt  Neher  einen  Ruf  als 
Direktor  nach  Leipzig,  als  Nachfolger  von 
Veit  Hans  Schnorr  von  Carolsfeld.  Er  arbeitete 
in  den  Sommermonaten  in  Weimar  seine 
Fresken,  in  Leipzig  aber  hat  er  eine  Reihe 
tüchtiger  Schüler,  wie  Lautmann,  Zumpe  und 
Naumann  herangezogen.  Im  Frühjahr  1846 
wurde    er    nach  Stuttgart,    zunächst  als  Pro- 


fessor und  dann  als  Vorstand  der  Kunstschule 
daselbst  berufen. 

4.  Im  Herbst  iSj6  kam  Neher  nach  Stutt- 
gart, als  Professor  und  Nachfolger  seines 
Biberacher  Landsmannes,  des  Historienmalers 
Friedrich  Dietrich  (gest.  1846  in  Stuttgart),  der 
unter  anderem  auch  das  große  Auferstehungs- 
bild am  Hochaltar  der  katholischen  Eber- 
hardskirche in  Stuttgart  gemacht  hat,  das  am 
Osterfest  1840  enthüllt  wurde.  König  Wil 
heim  I.  hat  dem  Künstler  viele  ehrenvolle 
Aufgaben  gestellt:  den  Rosenstein  erschloß 
er  den  Göttern  Griechenlands  durch  zahlreiche 
antike  Skulpturen  und  Gegenbaurs  Kui 


ioS 


HISTORIENMALER  BERNHARD  VON  NEHER 


THEO   WINTER  (DÜSSELDORF) 


LASSET   DIE  KINDLEIN  ZU  MIR  KOMMEN 


mälde  mit  Psycheszenen  geschmückt,  im  Resi- 
denzschloß ließ  er  durch  denselben  Gegen- 
baur  seine  Ahnen  verherrlichen  in  einem 
Zyklus  von  historischen  Fresken,  die  Villa  in 
Berg  im  Renaissancestil  von  Christian  Leins, 
dieWilhelma  im  maurischen  Stil  der  Alhambra 
von  Ludwig  Zanth  erbauen.  Für  den  Fresken- 
maler Neher  gab  es  aber  damals  keine  Ge- 
legenheit neuer  Aufträge.  Er  widmete  jetzt 
seine  Tätigkeit  der  Kunstschule  und  der 
religiösen  Malerei.  Eine  Reihe  von  Jüngern 
Künstlern  verehrte  in  ihm  ihren  hochgeschätz- 
ten Lehrer  wegen  seiner  reichen  Kenntnisse, 


seiner  idealen  vornehmen  Gesinnung  und  sein  es 
vielseitigen  freundlichen  Rats.  Eine  eigent- 
liche Schule  hat  er  zwar  nicht  hinterlassen 
—  Düsseldorf,  Paris  und  München  zogen  die 
Geister  in  ihren  Bannkreis,  aber  sein  Einfluß 
als  Professor,  Vorstand  seit  1864,  und  zuletzt 
als  Direktor  (1867 — 79)  der  Kunstschule  war 
deswegen  doch  überaus  segensreich,  wie  alle 
seine  Schüler  es  rühmen.  Nonnenkamp  aus 
Hamburg,  und  besonders  Fidel  Bentele  (geb. 
Tettnang  1830,  gest.  Stuttgart  1901),  seit  1856 
Professor  an  der  Baugewerkschule,  der  das 
St.  Josephsbild  der  Stuttgarter  Eberhardskirche 


HISTORIENMALER  BERNHARD  VON  NEHER 


109 


THEO  WISTI.i; 


1916.  —  Ttxt  S.  90 


und  die  Enthauptung  des  Johannes  in  Tett- 
nang,  das  Abendmahl  in  Offenburg,  den  barm- 
herzigen Samariter  und  Poesie  und  Musik  in 
der  Stuttgarter  Galerie  gemalt  hat,  waren  seine 
zwei  Hauptschüler  in  der  religiösen  Malerei. 
Die  Kartons  der  Glasgemälde  für  die  Stutt- 
garter Stiftskirche  beschäftigten  ihn  jetzt  als 
Hauptwerk  seines  Lebens.  Zunächst 
übertrug  ihm  König  Wilhelm  die  Entwürfe 
von  3  Eenstern:  Geburt,  Kreuzigung  und  Auf- 
erstehung Christi,  1847 — 52  gemalt,  von  Ge- 
brüder Scherer  in  München  als  Glasgemälde 


ausgeführt.  Die  architektonische  Umrahmung 
ist  von  Werkmeister  Karl  Beisbarth  (gest.  1878 
in  Stuttgart).  1852  folgte  das  Bild  der  Orgel- 
empore in  der  Stuttgarter  Stiftskirche:  David 
und  Cäcilia,  dann  1864  das  PfingStwunder 
und  1871 — 73  das  Jüngste  Gericht,  endlich  die 
Krone  des  Ganzen  [883  das  sogenannte  Kapt- 
Fenster,  zum  Andenken  an  den  Prälaten  der 
Stiftskirche,  Karl  Sixt  Kapf,  erster  Stifts- 
prediger in  Stuttgart,  mit  der  Anbetung  des 
Lammes.  1SS7  von  Zeltlers  1  lolglasmalerei  in 
München    ausgeführt.      IM     Alte    und    Neue 


Die  christliche  Kunst.    XVI.     i/t. 


HISTORIENMALER  BERNHARD  VON  NEHER 


GEORG  WINKLER  (DÜSSELDORF 

Wandmalerei 


der  Kirche  zu  Mainkofa 


DER  GUTE  HIRT  (LINKS),  HL.  MARTIN  (RECHTS) 
Deggendorf  (Ndb.).   —    Text  S.  02 


Testament  gaben  die  Motive,  die  Italiener 
Giotto  und  Fiesole  die  Stilrichtung,  die  der 
3  ersten  Fenster:  Pfingstfest,  Gericht,  An- 
betung des  Lammes  haben  anmutigere,  freiere 
Formen,  alle  den  Geist  tief  empfundener 
Frömmigkeit  und  geistvoller  Komposition. 
Ein  herrliches  Meisterwerk  ist  jedes  einzelne 
Fenster,  reich  an  anmutigen  Szenen,  von  Prälat 
Monz  im  Christlichen  Kunstblatt  18S1  und 
1890  ausführlich  besprochen.  Auch  in  der 
Leonhardskirche  ist  der  Karton  des  Glasge- 
mäldes, ein  segnender  Christus  mit  den  vier 
Evangelisten,  von  Neher,  ebenso  die  Kartons 


der  Glasgemälde  in  der  Stuttgarter  Schloß- 
kirche :  Die  Anbetung  der  hl.  drei  Könige  mit 
dem  Grafen  Georg  und  mit  Herzog  Christoph 
und  ihren  Namenspatronen,  desgleichen  in 
der  Johanniskirche  :  Kreuzigung  und  Abend- 
mahl, sodann  Madonna,  St.  Nikolaus  und  zwei 
Engel  in  der  griechischen  Kapelle  im  Resi- 
denzschloß. Die  Kartons  dieser  Glasgemälde 
in  der  Stiftskirche  und  Johanniskirche  sind 
jetzt  in  der  Staatsgalerie  zu  Stuttgart.  Nach 
Empfindung  und  Stil  gehören  sie  zu  den 
besten  Werken  christlicher  Kunst  der  Zeit. 
Wir  nennen  sodann   noch  das  Kreuzigungs- 


GEORG  WINKLER  (DÜSSELDORF) 

Von  der  Orgelbetnalung 


der  Kirche  zu   Mainkofe. 


'  Deggendorf  (Ndb.).  —  Text  S.  93 


HISTORIENMALER  BERNHARD  VON  NEHER 


GEORG  WINKLER    DÜSSELDORF) 
Wandmalerei 


Kirche  zu  Mainlco/eu  iei  Deggendorf  (Sdc., 


TOMAS  (LINKS).   DIE  KIRCHE  .RECHTS) 
—    Vgl.  AU,.  S.  I/o 


bild,  ein  Chorbild  in  Ravensburg,  1850  ge- 
malt, und  die  Kreuzabnahme  in  der  Staats- 
galerie, 1850  gemalt,  ferner  das  Frühlingsbild 
im  Stuttgarter  Residenzschloß,  Xoahs  üank- 
opfer  und  das  Bild  des  göttlichen  Kinderfreun- 
des  in  Privatbesitz.  Auch  verschiedene  Porträts 
hat  er  gemalt.  Am  17.  Januar  1886  starb  Neher 
in  Stuttgart.  Von  Württemberg.  Bayern  und  Bel- 
gien erhielt  er  hohe  Orden  und  wurde  Mitglied 
der  Akademien  in  München  und  Wien.  Er  ist 
auf  dem  Pragfriedhof  beerdigt  worden.  1893 
am  12.  Januar  folgte  ihm  seine  Gattin  im 
Tode  nach.  Wer  seine  Kartons,  die  Kreuz- 
abnahme in  der  Staatsgalerie,  oder  seine  30 
Originalzeichnungen  im  Kupferstichkabinett 
studiert  und  seine  herrlichen  Glasgemälde 
in  den  Stuttgarter  Kirchen,  wird  ihn  be- 
wundern als  einen  großen  Künstler.  In  der 
Kunstgeschichte  Württembergs  gebührt  ihm 
ein  hervorragender  Ehrenplatz.  Auf  seinen 
Reisen  nach  München,  Brüssel,  Wien,  Paris 
sah  er  sich  von  den  angesehensten  Kunst- 
genossen gefeiert.  In  Stuttgart  wurde  er 
bald  nach  seiner  Ankunft  in  den  Kreis  der 
gebildetsten  Männer  aufgenommen,  zu  wel- 
chen Gustav  Schwab,  Karl  Ludwig  Zanth, 
Hofbaumeister.  Anton  von  Gegenbaur.  loh. 
Matthäus  Mauch,  Architekt,  Joseph  Egle,  Chri- 
stian    Leims,    Adolf    Donndorfer,     Häberlin, 


Rüstige  u.  a.  gehörten;    mit   ihnen  stand  er 
in  wechselseitig  fruchtbarem  Verkehr. 


w 


GRUNDSÄTZLICHES 
ÜBER  WETTBEWERBE 

reiche  Zwecke  die  Wettbewerbe  unter 
Künstlern  zur  Erlangung  von  Entwürlen 
(ür  ein  geplantes  Kunstwerk  verfolgen,  wie 
ein  Ausschreiben  und  die  Durchluhrung  eines 
Wettbewerbes  beschatten  sein  muß,  darüber 
verbreiteten  wir  uns  an  anderer  Stelle1).  Hier 
möchten  wir  nur  betonen,  daß  die  Deutsche 
Gesellschaft  für  christliche  Kunst  auch  bei 
Wettbewerben  auf  das  Wohl  der  Gesamt- 
mitgliederschaft  bedacht  ist. 

Wenn  die  Deutsche  Gesellschaft  für  christ- 
liche Kunst  einen  Wettbewerb  durchführt,  so 
ist  zu  unterscheiden,  ob  sie  selbst  die  Ver- 
anstalterin desselben  ist  oder  als  Be- 
auftragte eines  anderen,  einer  Privat- 
person, eines  Vereins,  einer  Behörde 
handelt.  Im  ersteren  Falle  bestimmt  sie 
allein  den  Gedanken  oder  Gegenstand  des 
Wettbewerbes,    stellt    die    Bedingungen,    be- 


■i   Konkurjen  en  dei   :>    I  Kunst. 

r.  Kunst.  —  Fern«  •  I 
-117. 


GRUNDSÄTZLICHES  ÜBER  WETTBEWERBE 


GEORG  WINKLER  (DÜSSELDORF) 


ENGEL  AN  DER  APSIDE  DER  KIRCHE  IN  MAINKOFEN 
Vgl.  XIV.  Jahrg  ,  5.  3^6.  —   Text  S.  <pj 


willigt  die  Preise  und  ernennt  das  Preisge- 
richt. Im  zweiten  Falle  hat  sie  mit  jener 
Instanz  Vereinbarungen  zu  treffen,  welche  sie 
mit  der  Durchführung  des  Wettbewerbes  be- 
traut. Jene  Instanz  stellt  die  Aufgabe,  kommt 
für  die  Preissumme  auf,  fordert  die  Einhal- 
tung gewisser  Vorschriften,  will  im  Preisge- 
richte zum  Worte  kommen  und  entscheidet 
letzten  Endes  darüber,  wer  berechtigt  sein 
soll,  sich  am  Wettbewerb  zu  beteiligen. 

Es  braucht  kaum  gesagt  zu  werden,  daß  die 
Deutsche  Gesellschaft  für  christliche 
Kunst  unter  keinen  Umständen  auf  Be- 
dingungen eingeht,  welche  das  Inter- 
esse des  Künstlerstandes  oder  derje- 
nigen Künstler  gefährden  könnten,  die 
ihrangehören.  Der  endgültigen  Beschlußfas- 
sung über  den  Wortlaut  der  Ausschreibungen 
pflegen  eingehende  Verhandlungen  vorauszu- 
gehen. Dem  Verlangen  nach  sogenannten 
engeren  Wettbewerben,  der  Einschrän- 
kung   der   Einladuno;    auf   einen    Kreis    von 


etlichen  Künstlern,  auf  die  Künstler  einer 
Stadt,  einer  Provinz,  eines  Landes,  unterwirft 
sie  sich  nur  dann,  wenn  ganz  besondere 
Gründe  dafür  sprechen  und  andern- 
falls den  Mitgliedern  der  Wettbewerb 
völlig  entginge. 

Die  Gesellschaft  glaubt,  daß  in  letzterer 
Hinsicht  die  Künstlerschaft  weitherzig  den- 
ken und  bei  Aufgaben,  wo  es  sich  in  erster 
Linie  um  hochkünstlerische  Leistungen  han- 
delt, wie  z.  B.  bei  Kirchenprojekten,  wirt- 
schaftliche Wünsche  nicht  zu  sehr  in  den 
Vordergrund  stellen  sollten.  Sie  hält  es  für 
gut,  wenn  sich  die  Künstlerschaft  hütet,  selbst 
die  Aufrichtung  örtlicher  Grenzen  für  künst- 
lerische Betätigung  zu  fordern,  da  diese  wirt- 
schaftliche Waffe  sich  bald  gegen  die  Künst- 
ler selbst  richten  würde.  Eine  solche  Kunst- 
politik wäre  unvereinbar  mit  dem  für  die 
Kunst  unentbehrlichen  Grundsatz:  »Freie 
Bahn  dem  Tüchtigen«  und  müßte  schlimm 
enden.  S.  Staudhamer 


M.EMONDS-ALT,  DER  HEILAND 

GES.  F.  CHR.  KUNST,  MÜNCHEN 


Nr.  3063  (AussAd'ü) 


SIXT  GUMPP: 
DER  MEISTER  DES  HOCHALTARES  ZU  BREISACH  UND  SEINE  WERKE 

Von  DR.  JOSEPH  RIEGEL-Bruchsal-Rheine 
(Vgl.  Abb.  S.  u;— 121) 


i.  SIXT  GUMPPS  WERKE 
T/ein  Denkmal  der  Bildhauerkunst  amOber- 
IX  rhein  ist  berühmter,  keines  so  heiß  um- 
stritten, keines  so   sagen-  und   legendenum- 
woben  wie    der    Hochaltar   im    Münster 
zu  Breisach.    In   weiten  Kreisen    kennt  man 
längst    das  Wunderwerk    spätmittelalterhcher 
Holzschnitzerei,   bewundert   die    meisterhafte 
Technik  in  der  Gesamtbehandlung,  die  wun- 
dersame künstlerische  Auffassung    und   Aus- 
gestaltung.   Jedem,  der  auch  nur  wenige  Au- 
genblicke   bewundernd   vor   ihm    gestanden, 
ans  es  wie  eine  Offenbarung  starken  künst- 
lerischen   Erlebens    durch     den    Sinn:     der 
Schöpfer  dieses  Werkes,  das  nach  der  Legende 
höheralsdas  Münster  selbstsei.weil  das  Ranken- 
werk sich  in  der  höchsten  Spitze  wieder  nach 
unten  biege  und  weiter  laufe,  war  nicht  allein 
ein  virtuosenhafter  Techniker;  er  war  wahr- 
haft ein  Künstler. 

Um  seinen  Namen    geht  seit   langem  der 
Streit.  Im  Jahre  1838  hatte  Dominik  Glanz, 
der  bekannte  Freiburger  Altarbauer  und  Re- 
staurator, sein  Spiel   in  Breisach,  wie  an   so 
vielen  andern  Orten  und  Werken  getrieben. 
Nicht  genug,  daß  er  den    ganzen  Altar   mit 
einer  mehrmillimeterdicken  braunen  Oltarbe 
von  oben  bis  unten  unterschiedslos  überzog 
und  so  die  überaus  feine  Arbeit  vergröberte 
und  verknöcherte  -  er  tat  noch  ein  übriges. 
In  dem  Rankenwerk  finden    sich   beiderseits 
Täfelchen.  Hieraufmalte  er  in  dicker  schwar- 
zer  Lackfarbe  die    beiden    Buchstaben    U.L. 
Und  seit  diesen  Tagen  ist  der  Streit  um  ihre 
Bedeutung  nicht  mehr  erloschen    bis  der  \  er- 
fasser   zusammen    mit  dem  Architekten   des 
Münsterbauvereins  Freiburg,  HerrnBernhard 

Müller,  den  ganzen  Altar  aufs  genaueste  un- 
tersuchte. Das  Ergebnis  war  überraschend: 
Was  frühere  Forscher  als  Reste  ursprünglicher 
Arabeskenmalerei  betrachtet  hatten  loste  sich 
zuerst,  dann  kam  sofort  die  dicke  Ölfarbe 
schiebt,  die  Glänz  aufgetragen  hatte.  Unter 

hr  abe  erschien  die  ursprüngUche  zartbraune 
Beize  mit  der  der  Schopfer  des  Hochaltare 
selbst'   sein  Werk    vor  dem  Wurmiraße    und 

gegen  die  Einwirkung  des  Staubes  schützte. 


Wir  können  daher  an  dieser  Stelle  darauf  ver- 
zichten, alle  Vermutungen  über  die  Bedeutung 
des  Monogrammes  aufzuzählen,  zumal  der 
Verfasser  im  Jahrlauf  1915  ^  Freiburger 
Münsterblätter  ausführlich  genug  darauf  ein- 

geDer8Hochaltar  zu  Breis  ach  bedeutet 
den  Höhepunkt  im  künstlerischen  Schatten 
des  Meisters  Sixt  Gtnnpp  von  Staufen  im  Breis- 
gau Weder  vordem  noch  nachmals  hat  weder 
fr  noch  ein  anderer  die  gleiche  Vollendung 
erreicht.  Wir  gehen  daher  am  besten  in  der 
Weise  vor,  daß  wir  seine  Werke  in  zeitlicher 
Reihenfolge  betrachten,  um  dann  am  Ende 
eine  kurze  Übersicht  über  die  Geschehnisse 
in  seinem  äußeren  Leben  zu  geben. 

Aus  dem  Beginne    des  2.  Jahrzehntes ;   des 
16.  Jahrhunderts  stammt  sein  frühestes ;  Werk 
e  i  n  e  Madonna    mit    K 1  n  d  (Abb.  S.  1 14), 
die  sich  heute  im  Besitze  des  Freiburger  Bild- 
hauers Dettlinger    befindet.     Leider    hat   der 
,etzige    Eigentümer    das   Christkind     dessen 
oberer  Teil  verloren  ist,  recht  ungeschickt  er- 
gänzt.   Die  ganze  technische  Behandlung  er- 
innert  schon   stark   an   die   spateren  Schöp- 
fungen.   Das  vorgestellte  Knie,  die  Gewand 
faltüng,  die  ziemlich  großen,  nach  unten  ge- 
richteten Füße  sind  hier  bereits  vorgebildet. 
Die  Haare  fallen  wohl  noch  nicht  in  so  brei- 
ten Locken  und  so  stark  wallend,  wie  die  der 
späteren  Gestalten.    Die  Backenknochen  sind 
33  zu  stark  ausgeprägt  und  die  Augen  zu 
sehr  verschnitten,  so  daß  sie  eher  zu  t  etlie 
gend  erscheinen.    Die  zu  großen,  knochigen 
pLde    sind    noch    ohne   Meisters,:  haft     ganz 
handwerksmäßig   geschaffen.     Außer    diesen 
technischen  Mängeln  führten .4eSjj«  de 
ehemaligen  Bekrönung   in    die  Fruhzeit  des 
Meters.    Seit  .5.0  ungefähr  verschwinden 
£ 1  Breisgau  die  bekrönten  Madonnenstatuen 
Wo  die  DettUnger-Mana  ursprünglich  sich  be 
funden,  ließ   sich   mit  Sicherheit  nicht  fest 
stellen.     Zu    Neuenbürg    am    Rhein    Solls* 
eewesen   sein,   ehe   sie   in   die  Hände   ihres 
Saugen  Inhabers   kam     Möglich  ist  d« 
dlerdings,  denn  dieses  schlafende  Städtchen 
und   Staufen,   die   Heimat  unseres  Meisters, 
liefen   nicht  weit  auseinander. 


Die  christliche  Kunit.    XVI 


ii4 


SIXT  GUMPP  UND  SEINE  WERKE 


SIXT  GUMPP 
Das  Kind  : 


MADONNA 
Tixt  S.  113 


Die  vorzügliche  Arbeit  veranlaßte  den  Stadt- 
rat zu  Freiburg  im  Breisgau,  Sixt  Gumpp 
den  Annenaltar  (Abb.  S.  115)  im  Münster  in 
Auftrag  zu  geben.  Er  gehört  der  Zeit  des 
Künstlers  an,  da  seine  künstlerische  Auffas- 
sung noch  nicht  ganz  auf  der  Höhe  stand, 
wo  aber  sein  technisches  Können  und  künst- 
lerischesWollen  schon  sehr  weit  fortgeschritten 
war.  Im  Jahre  1 5 1 5  schuf  der  Künstler  das 
erste  große  Werk,  das  fortan  bestimmt  war, 
seinen  Ruhm  durch  die  Lande  zu  tragen.  Die 
Münsterfabrikrechnungen  dieses  und  der  fol- 


genden Jahre  vermerken  des  öftern :  daß  der 
bildhouer  Sixt  von  Stoufcn  Geld  für  seine  Lei- 
stungen empfangen  habe.  Nun  ist  aber  in 
diesen  Tagen  für  das  Münster  kein  anderer 
Schnitzaltar  beschafft  worden  als  der  für 
St.  Annen.  Und  der  Abt  des  benachbarten 
Klosters  St.  Peter  im  Schwarzwald  entrichtet 
eine  besondere  Gabe  als  Beisteuer  für  diese 
Arbeit,  die  einige  Tage  nachher  keinem  an- 
dern als  Sixt  Gumpp  ausgehändigt  wird. 

Das  rein  Menschliche,  Weibhafte  im  Wesen 
der  Gottesmutter  fällt  stark  auf.  Der  Künstler 
wollte  keine  Weltfremdheit,  erliebte  das  Rein- 
natürliche und  erhob  es  in  seiner  Phantasie 
und  durch  seine  eigenartige  technische  Fer- 
tigkeit ins  Schwebende.  Leider  hat  auch  hier 
die  Restauration  durch  Glänz  und  die  dicke 
Ölfarbe,  die  Vinzenz  Hauser  im  Jahre  1827 
auftrug,  die  Feinheit  der  Arbeit  stark  beschnit- 
ten. Die  Figuren  starren  den  Beschauer  in 
einem  stumpfen  Braun  an,  das  durch  das  rote 
Inkarnat  der  Gesichter,  den  goldenen  Buch- 
decke], die  grauschwarzen  Haare  Joachims 
und  Josephs  nicht  gemildert  wird.  Gelegent- 
lich der  Erneuerung  verschwand  auch  das 
Reliefbrustbild  Gottvaters,  das  in  der  Mitte 
über  der  heiligen  Familie  angebracht  gewesen. 
In  der  Mitte  sitzen  Maria  und  Mutter  Anna 
nebeneinander  auf  einer  Bank  ;  das  Kind  strebt 
in  schwebender  Haltung  von  Maria  zu  Anna. 
Links  und  rechts  schauen  Joseph  und  Joachim 
auf  die  Gruppe  nieder.  Die  ganze  Arbeit  atmet 
Gumppschen  Geist.  Die  Gesichter  sämtlicher 
Personen  mit  ihren  vortretenden  Backenkno- 
chen, die  flatternden  Gewandfalten  mit  ihren 
S-Kurven,  die  Schlingen  und  Knoten,  die  un- 
motiviert geschlungen  erscheinen,  die  wallen- 
den Bart-  und  Haarlocken  geben  dem  Altar 
ein  beinahe  bizarres  Gefüge,  das  mit  lebhafter 
Deutlichkeit  auf  die  später  zu  besprechenden 
Altäre  in  Breisach    und  Niederrotweil   weist. 

Vor  diesen  größten  Werken  seines  Lebens 
begann  derKünstler  den  Locherer-  oder  Schutz- 
mantelaltar (Abb.  S.  117)  in  der  Lochererka- 
pelle  des  nördlichen  Kapellenkranzes  im  Frei- 
burger Münster.  Zu  Ende  des  Jahres  1520 
hatte  er  den  Auftrag  erhalten.  Wie  er  genau 
gelautet,  wissen  wir  nicht.  Aber  in  seiner 
Ruhe  wirkt  dieses  Werk  als  reifste  und  künst- 
lerisch vollendetste  Arbeit.  Der  ganze  Altar  hat 
etwas  ungemein  Leichtes  und  Zierliches.  Seine 
Spitze  scheint  sich  in  der  Unendlichkeit  zu 
verlieren,  so  durchsichtig  und  luftig  ist  alles 
gehalten.  Gotischer  und  Renaissancegeist  rei- 
chen sich  die  Hand.  Wohl  ist  die  äußere  Form 
noch  völlig  gotisch,  aber  der  Meister  hat  sich 
doch  schon  die  Ausdrucksmittel  der  Renais- 
sance   zu   eigen    gemacht.    Vor   allem    atmet 


S1XT  GUMPP  UND  SEINE  WERK], 


"5 


SIXT  Gl/MI'P 


SCHREIN  DES  FKEIBl'KGEK  ANKENALTARS 


das  eigentliche  Schreinbild,  Mariens  Schutz- 
mantel, Geist  und  Leben.  Das  ist  nicht  mehr 
die  weltenfremde  Madonna  des  älteren  Schutz- 
mantelbildes, die  gleichsam  aus  unnahbarer 
Höhe  segnend  ihr  Gewand  über  denen  hält, 
die  sich  in  kindlichem  Flehen  ihr  nahen.  Nein 
—  ein  wahrhaft  reines  Weib,  in  und  mit  der 
Welt  lebend,  ist  hier  dargestellt.  Ihr  ganzes 
Wesen  durchglüht  und  umstrahlt  ein  Hauch 
überirdischer  Erhabenheit.  Das  wundersame 
Hilfsbereitsein  der  Gottesmutter  ist  vortreff- 
lich zum  Ausdruck  gebracht.  Mit  ihren  Füßen 
steht  sie  auf  der  Erde,  die  sie  geboren,  ihre 
Seele  weilt  im  Himmel,  ihrer  Heimat.  Engel- 
knaben voll  ungemeiner  Lebendigkeit  stellen 
die  Verbindung  zwischen  der  Gottesmutter 
und  ihren  Schutzbefohlenen  her.  Sie  halten 
den  Mantel  und   tollen    auf  ihm  herum  wie 


die  Rangen  auf  dem  Freiburger  Münsterplatz, 
die  trefflich  Modell  für  sie  gestanden. 

Vor  ihr  knien  die  vorzüglichsten  Vertre 
ter  der  gesamten  Menschheit.  Die  Geistlich- 
keit auf  der  einen,  die  Laien  auf  der  andern 
Seite  scharf  getrennt,  wie  die  mittelalterliche 
Kirche  es  verlangte.  Der  Papst,  ein  Kardinal, 
Erzbischof,  Abt  und  Bischof,  ein  BettelmOnch 
und  Angehörige  der  alten  Orden  neben  Non- 
nen beten  auf  der  einen;  auf  der  anderen 
knien  der  Kaiser,  ein  Kurfürst,  Adlige  und 
Bürger,  Handwerker  und  Bauern,  reich  und 
arm,  Mann  und  Weib;  kurz  die  ganze  Welt 
fleht  um  ihren  Beistand  und  Segen.  Jedes 
einzelnen  Beters  Züge  und  Gewandung  sind 
eigenartig  und  treulich  ausgearbeitet.  Nirgends 

die   Spur    einer  Schabionisierung    oder   einer 
direkten  Anlehnung  an  ein  gleichzeitiges  oder 


n6 


SIXT  GUMPP  UND  SEINE  WERKE 


älteres  Kunstwerk;  obschon  der  eine  und  an- 
dere Zug,  der  dreiteilige  Aufbau,  die  Anord- 
nung der  Betergruppen  hie  und  da  an  Dürers 
»Dreifaltigkeit«  zu  gemahnen  scheint,  ist  doch 
der  Gedanke  einer  Vorlage  strikte  von  der 
Hand  zu  weisen.  Die  ungemeine  Lebenswahr- 
heit der  Charakterzüge  der  einzelnen  Personen 
zeugt  von  einer  unmittelbaren  Konterfeiung 
Freiburger  Bürger.  So  trägt  der  Bischof  die 
Züge  des  Weihbischofs  Kerer  und  der  hinter 
ihm  kniende  Kleriker  ist  dem  damaligen  Mün- 
sterfabrikschaffner  Nikolaus  Schefer  sprechend 
ähnlich. 

Man  kann  nicht  sagen,  bei  der  Madonna 
überwiege  das  Reinmenschliche.  Im  Gegen- 
teil: die  in  ihr  zum  Ausdruck  gebrachte  Got- 
tesmutter und  Menschenliebe  verleiht  ihrem 
ganzen  Wesen  gerade  den  Zug  des  Überir- 
dischen. Alles  ist  Leben  und  Bewegung.  Ihr 
Sein  und  Wesen  :  Jungfrau  und  Mutter  zugleich. 
Mit  einem  einzigen  wundersamsüßen  Blick 
umfaßt  sie  ihr  göttlich  Kind  und  die  ganze 
Menschheit  zugleich.  Ihre  Gestalt  nähert  sich 
mehr  der  einer  Jungfrau,  denn  einer  Mutter. 
Lange,  in  der  Mitte  des  Hauptes  gescheitelte 
Locken  fallen  herab,  um  sich  mit  den  Falten 
des  wallenden  Mantels  in  eins  zu  verweben. 
Das  Gewand  von  einer  rührenden  Anspruchs- 
losigkeit, die  überhaupt  Gumpps  Arbeiten 
charakterisiert  und  das  trotz  aller  Faltungen 
und  Kurven.  Das  Christkind,  ein  liebliches 
Knäblein  mit  langen  Locken,  kurzen,  dicken 
Beinchen  und  Armen,  wendet  seinen  Blick 
der  ihm  nahenden  leidumfangenen  Mensch- 
heit zu. 

Gleiche  technische  Behandlung  erfuhren 
die  Seitenfiguren:  Bernhard  von  Clairvaux,  zu 
dessen  Füßen  das  Wappen  des  von  ihm  ge- 
stifteten Zisterzienserordens  liegt;  zur  Rech- 
ten der  Einsiedler  Antonius  mit  seinem  Sinn- 
bild, dem  Schweine.  Beides  sind  die  Schutz- 
heiligen der  Familie  Locherer.  Die  Namens- 
patrone einzelner  Glieder  der  Stifterfamilie 
Johannes  Ev.,  Martin  und  Sebastian  stehen 
in  Baldachinen  innerhalb  des  sich  nach  der 
Decke  zu  immer  mehr  verjüngenden  Schrein- 
werks, dessen  Abschluß  eine  kleine  segnende 
Christusstatue  mit  der  Weltkugel  bildet. 

Noch  während  der  Meister  am  Schutzman- 
telaltar arbeitete,  gab  ihm  der  Rat  der  Stadt 
Breisach  den  Hochaltar  (Abb.  S.  1 18  u.  1 19)  im 
dortigen  Münster  in  Auftrag.  Wie  er  im  ein- 
zelnen gelautet,  läßt  sich  aus  dem  nur  lücken- 
haft erhaltenen  Quellenmaterial  nicht  mehr 
ermitteln;  aber  das  Werk  selbst  verbreitete 
den  Ruhm  seines  Schöpfers  weit  in  die  Lande. 
Und  noch  heute  gehört  es  zum  Besten,  was 
in  den  Kirchen  am  Oberrhein  noch  vorhan- 


den ist.  Wann  Sixt  Gumpp  an  die  Arbeit 
gegangen,  wissen  wir  sehr  genau.  Im  Archiv 
der  Stadt  Freiburg  hat  sich  in  einem  Sam- 
melbande »Eingelaufene  Missiven«  ein 
erst  vom  Verfasser  aufgefundener  Brief  erhal- 
ten, den  Bürgermeister  und  Rat  der  Stadt 
Breisach  am  Samstag  vor  dem  Palmtag,  das 
ist  am  28.  März  1523,  an  die  Stadtgemeinde 
Freiburg  schickten.  Hierin  bitten  sie,  dem 
meister,  ditz  hriefs  zeigen.,  dem  sie  »«'«  tafeln  in 
unser  chor  der  Küchen  zu  schulden  verdingt«  ha- 
ben, das  hierzu  nötige,  zu  Breisach  nicht  be- 
schaffbare Linden  holz-  umb  das  gelt  verfolgen  [zu] 
lassen«,  zumal  die  Freiburger  »sonders  verneinen 
zu  noch  die  gotteszierd  zu  fürderen  geneigt  seien. 
Da  in  der  Karwoche  zumeist  des  Gottesdienstes 
wegen  doch  nicht  sehr  viel  gearbeitet  wurde, 
und  der  Transport  des  Holzes  samt  dem  Ver- 
laden auch  noch  mindestens  2  Tage  in  An- 
spruch nahm,  begann  der  Künstler  am  Diens- 
tag nach  Ostern  des  Jahres  1523.  Wann  er 
das  Riesenwerk  vollendete,  wissen  wir  nicht. 
Die  allgemeine  Meinung  seit  Grieshaber  geht 
dahin,  daß  das  Jahr  1526  den  Abschluß  ge- 
sehen habe.  »Maria  Krönung«  ist  das 
Mittelbild,  das  dem  ganzen  Werke  auch  den 
Namen  gegeben.  Was  in  des  Meisters  bis- 
herigen Schöpfungen  angedeutet  und  ange- 
klungen, hier  wird  es  Vollendung  und  bei- 
nahe mehr  als  nur  künstlerisches  Erlebnis. 
Die  ganze  Ornamentik  gemahnt  in  ihrer  vir- 
tuosenhaften  technischen  Ausführung  in  man- 
chem an  die  bizarren  Gestaltungen  arabischer 
und  ostasiatischer  Kunst.  Alles  ist  eine  ein- 
zige wallende  Bewegung,  die  keine  Grenzen 
und  Enden  zu  kennen  scheint,  getragen  von 
einer  märchenhaften  Phantasie.  Die  in  breite 
Bänder  aufgelöst  erscheinende  Gewandung 
hat  nicht  mehr  allein  den  Zweck,  den  Kör- 
per zu  umkleiden,  nein,  der  Künstler  wandte 
sie  auch  an,  um  sein  geradezu  kühnes  tech- 
nisches Können  zu  entfalten  und  im  hellsten 
Lichte  zu  zeigen.  Viele  der  Falten  lassen  nicht 
einmal  mehr  erkennen,  von  wannen  sie  kom- 
men, wohin  sie  verlaufen.  Knoten  undSchlingen 
finden  sich  zahlreich,  zumal  an  Stellen,  wo 
man  sie  am  wenigsten  vermutete.  Das  Haar- 
gelocke  der  Gottesmutter  und  der  flatternde 
Bart  Gottvaters  eine  einzige  wallende  Woge. 
Die  Kronen  der  drei  Hauptfiguren:  Christus, 
Maria  und  Gottvater  sind  in  ihrer  Art  kleine 
Meisterwerke phantastischerKunst.  Nunzuden 
Personen  selbst:  Maria  mit  ihren  gekreuzten 
Armen  unddemdemütiglich  gesenkten  Haupte, 
ihrem  süßen,  leider  durch  die  dicke  Ölfarb- 
schicht vergröberten  Lächeln,  schwebt  in  der 
Mitte,  von  putzigen  Putten  getragen,  in  der 
Höhe,  indes  Gottvater  und  Sohn  ihr  die  Krone 


SIXT  GL'MPl'  UND  SEINE  WERKE 


SIXT  GUMPP 
Ttxt  S.  114-116 


SCHREIN  VOM  SCHUTZMANTEL- 

AU  AK    IM    DOM    ZU    1-RElBURG 


des  Lebens  aufs  Haupt  setzen,  und  der  Hei- 
lige Geist  über  ihr  auf  einer  Stange  in  Ge- 
stalt einer  Taube  sitzend,  seine  Schwingen 
breitet.  Der  Künstler  hat  versucht,  den  Au- 
genblick vor  der  eigentlichen  Krönung  fest- 
zuhalten. Es  ist  ihm  meisterlich  gelungen. 
Die  beiden  Personen,  schon  durch  ihre  ganze 


Haltung  zu  der  Gottesmutter  gekehrt,  schei- 
nen sich  vor  der  Himmelskönigin,  die  si< 

zu  krönen  sich  anschicken,  zu  neigen  Gott- 
vater, eine  feine  Greisengestalt  mit  großem 
wallendem  Barte,  hält  in  der  einen  Hand  das 
Zepter,  wahrend  die  bekreuzte  Weltkugel  aut 
seinem  Knie    ruht.    Christus,    als    Mann    im 


SIXT  GUMPP  UND  SEINE  WERKE 


OBERER  TEIL  DES  HOCHALTARS  IN  BREISACH 
Vgl.  AU.  S.  119 

kräftigsten  Mannesalter  mit  kleinem  Spitz- 
barte dargestellt,  hält  in  seiner  Rechten  gleich- 
falls ein  Zepter.  Seine  Brust  ist  vom  Ge- 
wände entblößt,  das  in  einem  wundervoll  ge- 
schwungenen, vielgestaltigen  Bogen  mit  zahl- 
reichen S-Kurven  und  Dreiecken  sich  um  ihn 
schlingt.  Eine  Unzahl  Putten  in  allen  Stel- 
lungen :  fliegend,  schwebend,  liegend,  stützend 
als  Gewandhalter  und  Thronträger,  Täfelchen 
haltend  und  zum  Teil    auch  nur  die  letzten, 


sonst  freigebliebenen  Lük- 
ken  füllend,  treiben  im 
bunten  Vereine  überall  ihr 
Wesen. 

Seltsam  abgeklärt,  im 
direkten  Gegensatz  zu  der 
ungemeinen  Lebhaftigkeit 
des  eigentlichen  Schrein- 
bildes, wirken  die  Flügel- 
gestalten, die  in  ihrer  Le- 
benswahrheit zweifelsohne 
Porträts  von  Zeitgenossen 
darstellen.  St.  Stephanus 
undneben  ihm  BischofLam- 
bertus  von  Lüttich  als  Kir- 
chenpatrone auf  der  einen, 
St.  Gervasius  und  Protasius, 
die  Stadtheiligen  von  Brei- 
sach auf  der  anderen  Seite. 
Zumal  St.  Gervas  in  der 
Patriziertracht  damaliger 
Zeiten  mit  dem  Symbol 
seines  Martyriums  in  den 
Händen  steht  da,  wie  wenn 
er  mit  nächstem  in  die  Rats- 
versammlung zu  gehen  sich 
anschicke. 

Als    Ganzes    betrachtet, 
steht  der  Hochaltar  zu  Brei- 
sach   ganz    am    Ende    der 
Gotik.  Die  breiten,  ruhigen 
Flächen      der      bisherigen 
Kunstwerke  werden  aufge- 
löst   in   wallende   Streifen, 
Schlingen  und  Knoten.  Wo 
früher    eine    einzige,    tiefe 
Ruhe  ausgebreitet  lag,  findet 
sich  jetzt     ein     wogendes 
Meer.  Keine  einzige  Person 
des    Schreines    kann    sich 
mehr  in  natürlicher,  unge- 
zwungener Weise  bewegen. 
Wie  die  Philosophie  des  aus- 
klingenden Mittelalters  sich 
in  Spitzfindigkeiten  und  selt- 
samen Deutungen  ergeht,  so 
bemüht  sich  Sixt  Gumpp  bei 
seinem    Breisacher  Werke, 
sich  in   möglichst   bizarren  Wendungen  und 
Haltungen     auszudrücken.      Seine     Gestalten 
können  weder  richtig  sitzen  noch  stehen  und 
gehen.    Sie  schweben.    Ihre  Gewänder  sind 
nur  dazu  da,  in  wogende  Falten  sich  aufzu- 
lösen.   Keine  einzige  Linie  läßt  sich  auch  nur 
für   eine    kleine  Spanne   als  Gerade  denken. 
Jeder  einzelne  Schnitt  verleitete  den  Künstler, 
der    mit    staunenswerter  Technik    mit    dem 
Holzmeißel  das  Lindenholz  bearbeitete,  Kurven 


U9 


S1XT  GUMPP  UND  SEINE  WERKE 


SIXT  GUMPP 


JOHANNES  D.  T. 


höheren  Grades  zu  schneiden.  Bei  dem  Ver- 
suche, dem  einen  und  anderen  Schnitte  genau 
nachzugehen,  hat  sich  diese  Tatsache  mit  aller 
Schärfe  kundgetan. 

Was  Hans  Baidung  zu  Freiburg  mit  seiner 
Marienkrönung,  dem  berühmten  Hochaltar- 
bildnis im  Münster,  angedeutet,  Gumpp  hat 
es  durch  seine  eigenartige  Behandlung  bis  an 
die  Grenze  zum  Maßlosen  gesteigert,  beinahe 
sogar  übertrieben. 

Nur  noch  einmal  erreichte  der  Künstler 
die  gleiche  Höhe  seiner  Schaffens-  und  Ge- 
staltungskraft. Von  einem  Altarwerke,  das  wohl 
nicht  in  seinen  Maßen,  —  die  Figuren  sind 
30  cm  niedriger  —  aber  in  seiner  gesamten 
Ausarbeitung  unmittelbar  an  den  Breisacher 
Hochaltar  angeschlossen  haben  muß,  sind  nur 


noch  die  beiden  Schrein-  oder  Baldachin- 
hguren:  Johannes  der  Täufer  (Abb.  nebenan) 
und  Johannes  der  Evangelist  erhalten.  Wo  es 
ursprünglich  gestanden  und  wie  es  in  die  1912 
versteigerte  Sammlung  Herdenberg  gelangte, 
von  der  es  das  Germanische  Museum  Nürnberg 
erwarb,  läßt  sich  nicht  mehr  feststellen.  Schon 
der  bloße  Anblick  genügt,  um  beideStatuen  Sixt 
Gumpp  zuzuschreiben.  DieGesichst-,Gewand- 
und  Haarbehandlung  schließen  einen  anderen 
Meister  von  vornherein  völlig  aus.  Die  ganze 
Behandlung  ist  noch  reicher,  noch  virtuoser, 
noch  schwebender  als  bei  dem  Bieisacher  Altar- 
werk. Die  Köpfe  mit  ihrem  Ausdruck  gestei- 
gerten Selbstbewußtseins  führen  schon  in  den 
Anfang  der  dreißiger  Jahre.  Sie  gemahnen 
noch  kaum  an  die  aus  dem  übernächsten 
Jahrzehnte  stammende  Niederrotweiler  Ar- 
beit. Das  wilde  Flattern  der  Gewandung  und 
das  Überwiegen  des  Reintechnischen  über  das 
eigentlich  Künstlerische  überschreitet  aller- 
dings schon  die  Grenze  des  Natürlichen  und 
kommt  dadurch  bereits  den  beiden  Statuen 
der  Heiligen  Felix  (Abb.  S.  121)  und  Regula 
zu  Reute  bei  Freiburg  im  Breisgau  nahe.  Für 
die  kleine  Dorfkirche,  deren  Kaufkraft  nicht 
so  groß  war  als  die  der  Amtsstadt,  beschränkte 
sich  Sixt  Gumpp  auf  eine  weniger  sorgfältige 
Arbeit,  wie  wir  das  sonst  bei  ihm  gewohnt 
sind.  Die  Gewandfalten  sind  nicht  so  zahl- 
reich und  reichgestaltig  ausgeführt.  Aber  die 
Überfülle  an  Gewandstoff,  die  lange,  immer 
wiederkehrendes  Kurve,  die  Dreiecke,  die  bei 
den  aufstehenden  Falten  am  schärfsten  und 
eindringlichsten  wiederkehren,  die  ganze  Haar- 
behandlung, die  großen,  nach  unten  gerich- 
teten, kein  Gehen,  nur  noch  ein  Schweben 
gestattenden  Füße,  lassen  des  Meisters  Hand 
in  allem  genau  erkennen.  Zu  der  Regula  hat 
die  gleiche  Frau  Modell  gestanden,  wie  zur 
Madonna  des  Schutzmantel-  und  Breisacher 
Altares.  Nur  ist  sie  jetzt  einige  Jahre  älter 
geworden.  Das  rundliche  Kinn,  die  hohe  Stirne, 
der  typische,  etwas  verdickte  Hals,  das  süße, 
verträumte  Lächeln  auf  den  Lippen,  die  ganze 
Tracht  und  Haltung  ist  genau  gleich.  Der 
heilige  Felix  zu  Reute  und  der  heilige  Joa- 
chim des  St.  Annenaltares  zu  Freiburg  schei- 
nen wie  zwei  gleichzeitige  Ausgaben  desselben 
Werkes.  Die  Totenstarre  der  Häupter,  die 
beide  Heilige  als  Gleichnis  ihres  Martertodes 
in  Händen  tragen,  in  ihrer  überaus  großen 
Naturwahrheit,  ihren  Verzerrungen,  den  in 
Todesqualen  erschauernden  Lippen,  den  qual- 
voll ins  Ungewisse  starrenden  Äugen,  haben 
in  der  Kunst  des  Oberrheins  kein  Eben-  und 
Nachbild.  Unter  allen  Malern  aber  hat  keiner 
so    meisterhaft  des  Todes  Schrecken    darzu- 


SIXT  CUMPP  UND  SEINE  WERKE 


stellen  verstanden  als  Sixt  Gumpps  Zeitge- 
nosse Matthias  Grünewald.  Er  hat  ihm  viel- 
leicht auch  die  Anregung  —  aber  nichts  mehr 
als  sie  —  gegeben.  Die  Ausarbeitung  des  Ge- 
dankens zeigt  zur  Genüge,  daß  der  Künstler 
vor  keinem  Problem  zurückschreckte  und  keine 
Aufgabe,  mochte  sie  da  lauten,  wie  sie  wollte, 
ablehnte,  sondern  sie  mit  einer  ans  Stupende 
grenzenden  Technik  und  Künstlerschalt  löste. 
Zu  der  heute  zu  Mülhausen  im  Elsaß  sich 
befindenden  verstümmelten  Madonna  stand 
die  gleiche  Frau  Modell  wie  zu  den  übrigen 
Werken.  Ihre  äußere  Form  ist  nur  noch  frau- 
licher, ihre  Züge  noch  reifer  und  mütterlicher 
geworden.  Zeitlich  fallen  die  Regulastatue 
und  diese  zusammen.  Beide  tragen  das  gleiche 
Gewand  mit  dem  viereckigen  Halsausschnitt. 
In  ihr  waltet  der  gleiche  Zug  der  Erhaben- 
heit, der  Gumpps  Werken  überhaupt  eigen 
ist.  Ob  sie  für  sich  allein  gedacht  war  oder 
den  Teil  eines  größeren  Altarwerkes  bildete, 
läßt  sich  bei  der  schlechten  Erhaltung  nicht 
feststellen.  Neben  der  Breisacher  Madonna 
ist  sie  das  reifste  Werk  des  Meisters.  Wohl 
ist  auch  an  ihr  alles  Leben  und  Bewegung, 
aber  immer  in  den  Grenzen  des  Natürlichen. 
Mutter  und  Kind  müssen  in  ihrer  Unversehrt- 
heit noch  weit  mehr  als  heute  auf  den  Be- 
schauer mit  ihrer  ganz  eigenen  Schöne  und 
Holdseligkeit  ganz  außerordentlich  gewirkt 
haben.  — 

Des  Künstlers  Schlußwerk  bildet  der  Altar 
in  dem  heute  nicht  mehr  gottesdienstlichen 
Zwecken  dienenden  Kirchlein  zu  Niederrot- 
weil  am  Kaiserstuhl.  Wohl  ist  die  ganze 
Arbeit  noch  gotisch;  aber  der  Meister  hat 
sich  mittlerweile  die  Ausdrucksmittel  der 
Renaissance  angeeignet.  Am  meisten  atmet 
Renaissancegeist  die  Enthauptungsszene  des 
rechten  Flügels.  Die  doppelte  Balustersäule, 
die  Muscheln  als  Lünettenlüllung  sind  gleich 
falls  als  Renaissanceelemente  anzusprechen. 
Sixt  Gumpp  war  mittlerweile  alt  und  müde 
geworden.  Er  gab  sich  nicht  mehr  die 
Mühe,  eine  neue  Idee  zu  gestalten.  Vielleicht 
hatte  ihn  auch  seine  Tätigkeit  als  Schreiner 
abgestumpft.  Wie  dem  auch  sei:  Niederrot- 
weil  bedeutet  den  Ausgang  des  Gumppschen 
Schaffens.  Zum  letzten  Male  entfaltet  er  sein 
hervorragendes  technisches  Können  in  dem 
Versuch,  das  Breisacher  Hochaltarwerk  relief- 
artig für  die  Zwecke  des  Dorfkirchleins  zu- 
sammenzudrängen. Das  Rankenwerk  ist  ge- 
radeso kraus,  wenn  nicht  barocker,  die  Ge- 
sichter der  Hauptfiguren  ähneln  sich  so,  daß 
die  ganze  Arbeit  nur  als  Kopie  erscheint.  Ob- 
schon  sie  in  etwa,  als  Ganzes  betrachtet,  ruhi- 
ger auf  den  Beschauer  wirkt,  sind  doch  alle 


SIXT  GUMPP 


Formen  und  der  ganze  Ausdruck  bizairer.  Die 

Art  und  Weise,  wie  die  Heiligen  Michael  und 
[ohannes  der  Täufer  in  den  Seitenwinkeln 
untergebracht  sind,  lassen  auf  eine  Planände- 
rung im  Verlaufe  der  Arbeit  schließen.  So 
verquälte  Figuren  wiederzugeben,  lag  Gumpp 
sonst  völlig   lern. 

Von  einer  eingehenderen  Besprechung 
kann  abgesehen  werden  Soviel  über  die  noch 
heute  erhaltenen  Schöpfungen  des  Meisters. 
Verloren  sind,  nach  Ausweis  der  Freiburger 
Münsterfabrikrechnungen:    ein    Pfeiler 


Dl«  chlluilchc  Kim«.   XVI.    -,. 


SIXT  GUMPP  UND  SEINE  WERKE 


Jahre  1527,  der  :  Roraffe«,  eine  phantastische 
Figur  in  der  Orgel  im  Langhaus  (1530),  der 
Taufsteindeckel  von  1539  und  zwei  reich  mit 
Schnitzereien  versehene  Kästen  in  der  Sakristei 
aus  dem  Jahre  1550.  Wie  viele  andere  Werke 
Sixt  Gumpps  spurlos  verschollen  sein  mögen, 
können  wir  überhaupt  nicht  urkundlich  belegen. 

2.  SIXT  GUMPPS  WESEN  UND 
PERSÖNLICHKEIT 

Zwischen  1485  und  1490  zu  Stauien  im 
Breisgau  geboren,  tritt  Meister  Sixt  Gumpp 
um  die  Mitte  des  2.  Jahrzehntes  des  16.  Jahr- 
hunderts als  fertiger  Künstler  auf  den  Plan. 
Wer  sein  Lehrer  gewesen,  vermögen  wir  nicht 
zu  sagen,  obschon  der  eine  und  andere  Zug 
in  seinen  Werken  an  Richtlinien  des  großen 
unbekannten  Kaisersberger  Meisters  erinnert. 
Wydyz,  der  im  ersten  Jahrzehnt  eine  Zeitlang 
zu  Freiburg  seine  Werkstatt  gehabt,  war  es 
sicherlich  nicht.  Vielleicht  hat  er  das  uns  seinem 
#Namen  nach  unbekannte  »Bildhauerlin  in  der 
Augustinergassen«,  das  kurz  vor  ihm  mehr- 
fach in  den  Fabrikrechnungen  des  Freiburger 
Münsters  genannt  wird,  gut  gekannt  und  von 
ihm  gelernt,  was  er  als  Bildschnitzer  wissen 
mußte.  Bis  zum  Jahre  1527  weilte  der  Künst- 
ler dauernd  in  seiner  Vaterstadt.  Hier  schuf 
er  die  Dettlinger  Madonna,  den  Annen-,  Schutz- 
mantel und  Breisacher  Hochaltar. 

Seitdem  nahm  Sixt  Gumpp  in  Freiburg  Auf- 
enthalt. In  den  Steuerlisten  erscheint  er  seit 
dem  Jahre  1533  als  »meister  Sixt  Gumpp,  der 
Kistler«.  Das  Bürgerrecht  hatte  er  schon 
vorher  erworben,  denn  es  war  hier  wie  an- 
derwärts Stadtrecht,  daß,  wer  in  die  Zunft 
wollte  aufgenommen  sein,  zuvorderst  das  Bür- 
gerrecht erworben  haben  mußte.  Als  Bild- 
hauer gehörte  er  nach  Freiburger  Brauch  zu- 
sammen mit  den  Apothekern,  Steinmetzen 
und  Maurern  der  Zimmerleute-  oder  Bauzunft 
an.  Es  war  ein  großer  Fehler  früherer  For- 
scher, den  Namen  des  Künstlers  in  der  Maler- 
zunft zu  suchen,  da  diese  ausdrücklich  einen 
Bildhauer,  »der  sich  des  Malwerks  nit  an- 
nimpt«,  aus  ihrer  Mitte  ausschließt  und  der 
Bauzunft  überweist.  So  mußten  ihre  Versuche 
von  vornherein  scheitern.  Seine  Vermögens- 
verhältnisse waren  nie  besonders  glänzend. 
In  seiner  besten  Zeit  bezahlte  er  einen  mitt- 
leren Satz,  zu  Anfang  und  gegen  Schluß  seines 
Lebens  einen  etwas  niedrigeren.  In  der  Herren- 
straße zu  Freiburg,  der  ehemaligen  Pfaffen- 
gasse  oder  Vorderen  Wolfshöhle,  hatte  er  das 
Haus  zwischen  dem  Münsterpfarrhofe  und 
der  ehemaligen  Münsterbauhütte  erworben. 
Seit  dem  Jahre  1540  erscheint  er  in  den  Herr- 


schaftsrechtbüchern des  Freiburger  Stadtar- 
chivs als  Besitzer  dieses  Hauses  »zum  Eich- 
horn«. Noch  im  Jahre  1558  hatte  er  jährlich 
4  Schillinge  zu  entrichten.  Einige  Jahre  später 
verlor  er  auf  unerklärbare  Weise  den  größten 
Teil  seiner  Habe  und  seines  Vermögens.  So 
hart  es  ihm  auch  ankam,  mußte  er  doch  am 
15.  Dezember  1564  um  völligen  Steuer-  und 
Abgabennachlaß  demütigst  nachsuchen.  Der 
Stadtrat  beschließt  am  gleichen  Tage  »ine  seiner 
armut  halben  bedenken  und  billig  [zu]  heilten.« 

Die  kleinliche  Streitsucht  seiner  Nachbarn 
und  Zunftgenossen  Balthasar  Isaac  und  Marx 
Samen  vergällte  ihm  die  letzten  Tage  seines 
sorgereichen  Lebens.  Einige  Male  mußte  sich 
sogar  der  Stadtrat  für  ihn  verwenden,  daß 
ihm  nicht  zu  großes  Unrecht  geschehe.  Sein 
hohes  Alter,  —  er  stand  längst  in  den  sieb- 
ziger Jahren  —  muß  ihm  schließlich  zu  einer 
großen  Last  geworden  sein.  Seine  rechtmäßi- 
gen Erben,  die  Männer  seiner  beiden  Töchter 
Gilg  Herod  und  Hans  Semer,  ließen  ihm  unter 
dem  21.  Mai  1568  von  Rats  wegen  einen 
Pfleger  setzen.  Die  Stelle  im  Ratsprotokoll 
für  diesen  Tag:  »Sixt  Gump[p)  ist  seiner  leibs- 
unvermöglichkeit  halben  uf  seiner  Tochtermänuer 
ansuchen  mit  HausPetern  bevögtigt  ,  läßt  die  ganze 
Tragik  seines  Künstlerschicksals  ahnen.  Noch 
vor  dem  Martinstag  des  gleichen  Jahres  ward 
er  zu  seinen  Vätern  versammelt.  In  der  Steuer- 
liste von  diesem  Tage  ist  seiner  als  Verstor- 
benen nicht  mehr  gedacht.  Am  12.  Februar 
1569  setzten  sich  seine  obengenannten  Erben 
über  den  Nachlaß  auseinander.  Mit  seinem 
Heimgang  erlischt  in  Freiburg  und  sonst  überall 
zugleich  der  Name  Sixt  Gumpp.  Keine  lite- 
rarische oder  urkundliche  Quelle  gedenkt  seiner. 
Nirgends  auch  nur  die  geringste  Spur  einer 
Erinnerung  an  ihn.  Man  hatte  ihn  schon  zu 
Lebzeiten  nicht  sonderlich  beachtet  und  nach 
seinem  Tode  war  man  ihm  nach  Freiburger 
Meinung  um  so  weniger  ein  Gedenken  schuldig, 
als  er  es  stets  vorzog,  seiner  eigenen  Wege 
zu  gehen.  Am  öffentlich-bürgerlichen  Leben 
beteiligte  er  sich  in  keiner  Weise.  Um  die 
Stelle  eines  Zunftmeisters  oder  gar  Ratsherrn 
hat  er  sich  niemalen  beworben.  Er  überließ 
es  den  Kleinen  seiner  Zeit,  nach  äußeren  Ehren 
zu  geizen  und  lebte  nur  sich  und  seiner  Kunst. 
Die  vielfach  kleinlichen  Kleinigkeitskrämereien 
der  damaligen  Stadtherren  und  Bürger  waren 
nichts  für  ihn  und  lagen  ihm  auch  ganz  und 
gar  nicht.  Bat  ihn  aber  ein  Nachbar  um  eine 
Gefälligkeit,  so  schlug  er  sie  ihm  nicht  aus. 
Mehrmals  erscheint  er  so  als  Zeuge  in  Erb- 
schaftsprozessen und  bei  Testamentsvollstrek- 
kungen,  ohne  sich  jedoch  für  seine  Mühe  ent- 
schädigen zu  lassen.  —  Sixt  Gumpp  nahm  das 


S1XT  GIMPP  LXD  SEINE  WERKE 


123 


WAli 


* / 


P.  WILLIBKORD  VERKADE,   O.  S.  B.  (BEI/KON) 
Ausstattung 


KREUZABNAHME 


KapeUt  der  Kat  ttuliUnkirche  zu   Wieit-DebUng 


Schöne  im  Leben  und  das  Leben  selbst  in 
sich  auf;  dankbarlich  er-  und  durchlebte  er 
das,  was  er  einmal  geschaut.  Daher  auch  seine 
herrlichen  Madonnen,  zu  der  er  immer  das 
gleiche  Modell  genommen.  Anfangs  klingen 
die  fraulichen  Formen  nur  leise,  kaum  ver- 
nehmlich an,  bis  sie  in  der  Schutzmantel-  und 
BreisacherMadonna  sich  zu  der  höchsten  Offen- 
barung der  reinen  WeiblichMütterlichkeit  ge- 
stalten. Nicht  auf  die  Betonung  des  Rem 
körperlichen  kommt  es  ihm  zuvörderst  an ; 
er  will  vor  allem  Seelisches  darstellen.  Er 
wußte  wohl,  daß  die  Schöne  des  Weibes  nicht 
in  dem  Körperlichen  liegt;  und  gerade  dieses 
Erkennen  und  sein  Erleben  gibt  in  der  wun- 
dersamen Ausgestaltung  den  Werken  aus  der 
Blütezeit  seines  Schaffens  den  ganz  eigenar- 
tigen Reiz,  den  schon  die  Zeitgenossen  und 
die  vielleicht  noch  mehr —  wie  wir  erkannten. 


Die  Wandlungen  der  Kunst  von  der  Gotik 
zur  Renaissance  sind  an  ihm  nicht  spurlos 
vorübergegangen.  Er  steht  am  Ausgange  der 
Gotik  seinem  ganzen  Wirken  nach;  aber  ein- 
zelne Elemente,  zumal  die  nahezu  bizarren 
Faltungen,  weisen  über  die  Renaissance  hinaus 
auf  den  Barock  hin.  Und  doch  herrscht  immer 
die  gleiche  Grundstimmung,  das  Göttliche, 
Erhabene  in  das  Gewand  des  Reinmensch- 
lichen zu  kleiden,  die  Menschengestalten  aber 
aus  der  Niedrigkeit  des  Alltags  in  höhere 
Sphären  zu  erheben.  Sein  Leitmotiv  eine  kühne 
Phantasie,  die.  gepaart  mit  einem  virtuosenhaf- 
ten  technischen  Können,  seinen  Schöpfungen 
trotz  allem  Wirklichkeitsstreben  etwas  unge- 
mein  Leichtes   und   Schwebendes   verleiht. 

So  gehören  Sixt  Gumpps  Werke  zu  dem 
Besten,  was  Holzbildhauerei  je  am  Oberrhein 
geschaffen. 


124 


ZU  GRÜNEWALDS  ISENHEIMER  ALTAR 


*im^i(ß^hgmßm^!Bßm 


.  S.  RESCH,  KRIEGERDENKMAL  IN  DER  PFARRKIRCHE  ZU  WALLER- 
STEIN  BEI  NÖRDLINGEN 


ZU  GRÜNEWALDS 
ISENHEIMER  ALTAR 

r^vurch  welche  Ideen  ist  die  Komposi- 
*-^  tion  von  Grünewalds  Isenheimer 
Altar  veranlaßt?  Wie  kommt  es,  daß 
die  abgeklärt  ruhige  Gestalt  des  Antonius 
neben  dem  schmerzzerrissenen  Bilde  der 
Kreuzigung  steht?  Wie  erklärt  sich  be- 
sonders die  Zusammenstellung  des  ein- 
mal geöffneten  Altares:  Maria  Verkün- 
digung, Engelkonzert,  Mutterglück,  Auf- 
erstehung? Ein  Beitrag  zur  Lösung  die- 
ser Frage  sei  in  folgendem  gegeben. 
Der  geschlossene  Altar  zeigt  in  der 
Mitte  den  Kreuzestod  Christi ,  rechts 
Sebastian  von  Pfeilen  durchbohrt,  links 
Antonius,  auf  den  ein  Teufel  fauchend 
losfährt.  Der  Gedanke,  der  diese  drei 
Darstellungen  zu  einer  Einheit  zusam- 
menfaßt, ist  das  Problem  des  Leidens. 
Grunewald  sucht  in  künstlerischer  Form 
die  Lösung  dieses  Problems  zu  geben 
und  zwar  auf  Grund  christlicher  Theo- 
logie und  Mystik.  In  der  Mitte  stellt  er 
darum  den  Leidensmann  katexochen, 
der  die  Frage  nach  dem  Ursprung  und 
Zweck  des  Leidens  theoretisch  gelöst: 
das  Leiden  ist  in  Gottes  Plan  und  soll 
zu  Gott  führen,  und  der  die  Durch- 
führung dieser  Lehre  in  seinem  Leiden 
und  Sterben  gezeigt  hat.  Rechts  und 
links  von  Christus  stellt  Grünewald  als 
Träger  des  menschlichen  Leidens  Se- 
bastian und  Antonius,  ersteren  als  Ver- 
treter des  körperlichen,  letzteren  als  Ver- 
treter des  seelischen  Leidens.  Um  die 
Theorie  vom  göttlichen  Ursprung  und 
Endziel  des  Leidens  möglichst  klar  ver- 
ständlich darzustellen,  wählt  Grünewald 
zwei  solche  Formen  von  Leiden,  deren 
Ursache  ersichtlich  in  Gottes  Ordnung 
liegt,  und  deren  Überwindung  nur  in 
vollkommener  Hingabe  an  Gott  möglich 
ist:  Martyrium  und  Versuchung.  Die 
Ruhe  und  Fassung,  mit  der  die  beiden 
Heiligen  ihr  Leid  tragen,  zeigt,  daß  sie 
Ursprung  und  Zweck  des  Leidens  voll 
erkannt  haben,  daß  sie  wissen,  daß  im 
Leiden  eine  neue  Schönheitsform  der 
Seele  heranreift  und  die  Persönlichkeit 
dadurch  in  innigere  Beziehung  zu  Gott 
tritt.  »Leiden  macht  mir  den  Menschen 
inniglich,  denn  der  leidende  Mensch 
ist  mir  ähnlich  ....  zwar  werden  die 
Leidenden  von  der  Welt  die  Armen  ge- 
nannt, von  mir  aber  die  Seligen,  denn 
sie    sind    meine    Auserwählten«,    läßt 


W.  F.  S.  RESCH    MÜNCHEN) 


VOM  KRIEGERDENKMAL  IN  WALLERSTEIN 

Vfl.  AU.  S.  i>4 


126 


ZU  GRÜNEWALDS  ISENHEIMER  ALTAR 


Heinrich  Suso  (f  1365)  einmal  Christum  spre- 
chen. So  wird  die  Bilderreilie  des  geschlos- 
senen Altars  zur  Darstellung  des  mensch- 
lichen Leidens,  das  durch  den  Glauben  als 
Fügung  Gottes  und  Mittel  zur  persönlichen 
Annäherung  an   Gott  erkannt  wurde. 

Der  geöffnete  Altar  zeigt  von  links  nach 
rechts  gehend  als  erstes  Bild  eine  Maria  Ver- 
kündigung, dann  das  sogenannte  »Haus  der 
Seelen«  oder  Engelkonzert,  im  dritten  Bild 
Mariens  Mutterglück,  im  vierten  die  Aufer- 
stehung Christi.  Zunächst  ist  klar,  daß  das 
zweite  Bild,  wenn  es  nicht  aus  dem  Rahmen 
der  beiden  Mariendarstellungen  herausfallen 
will,  in  erster  Linie  nicht  eine  Personifikation 


HANS  FAULHABER 


Vorarbeit  zu  dir  auf  S. 


der  Seele  oder  ein  Engelkonzert,  geschweige 
denn  eine  heilige  Katharina  darstellen  kann, 
sondern  eine  Szene  aus  dem  Marienleben  be- 
deuten muß.     Mit  Recht  erklärt  man  darum 
neuerdings  das  Bild  als  die  exspectatio  partus, 
ein  Fest,  das  damals    in  Oberitalien  gefeiert 
wurde  und  den  Intentionen  des  italienischen 
Bestellers  entsprechen  mochte.1)  Es  zeigt  dann 
das  erste  Bild  die  Empfängnis,  das  zweite  die 
Erwartung  der  Geburt,  das  dritte  das  Mutter- 
glück   Mariens.     Unerklärt    aber   bleibt  auch 
hier,  wie  Grünewald    als  viertes  Bild    hierzu 
eine    Auferstehung    Christi    stellen    konnte. 
Eine  Lösung  des  Problems  ergibt  sich,  wenn 
wir  auf  die  christliche  Mystik  zurückgreifen. 
Unter  Mystik  als  Leben 
versteht  man  die  dies- 
seits       größtmögliche 
Vereinigung  der  Men- 
schenseele mit  Gott  in 
Erkenntnis  und  Liebe. 
Ziel    des     mystischen 
Strebens  ist  die  »unio« 
der   Seele    mit    ihrem 
Gott  in  innigster  Liebe. 
Der  Werdegang  dieser 
unio  ist  nun  hier  dar- 
gestelltunterdem  Bilde 
Mariens,  der  Rosa  My- 
stika.  Deutlich  tritt  dies 
zutage  im  dritten  Bilde, 
Mariens    Mutterglück, 
das    die     Vereinigung 
Mariens      mit      ihrem 
göttlichen  Kinde  schil- 
dert.   Auge  schaut  in 
Auge ,     Seele     taucht 
in      Seele.      Ringsum 
schließt    sich    der   ab- 
geschlossene     Garten 
der    Mystiker,     rechts 
blüht     die    Rose    der 
Liebe,  links  die  Feige 
der  Erkenntnis  —  Sym- 
bole, die  in  der  Mystik 
eine     Rolle     spielten. 
Stellt  aber  das  Mutter- 
glück den  Gipfelpunkt 
der   Mystik,    die    unio 
der  Seele  mit  Gott  dar, 
dann  müssen  die  beiden 
vorausgehenden      Ge- 
mälde den  Werdegang, 
das  folgende  die  Voll- 
endung dieser  Vereini- 
gung zeigen. 

STUDIE  EINES  FELDGRAUEN  ')  Joseph  Walter  im  vor. 

Gn,Ppe  Jgg,d.  »Chr.K.«.    D.  Red. 


I27 


HANS  FAULHABER  (MÜNCHEN),  KRIEGSERINNERUNGS  ALTAR  IN  ST.  JOHANN  BAPT.  ZU  M  \GDl  BÜRG 

Trxl  S.  35  J'!  Btiblattti 


128 


ZU  GRÜNEWALDS  ISENHEIMER  ALTAR 


HANS  FAULHABER 


Von  dtr  auf  S.  127  abgebildeten   Gruppe 


Die  Verkündigung  offenbart  sich  unter  die- 
sem Gesichtspunkte  als  den  Beginn  des  mysti- 
schen Lebens:  das  Hereinbrechen  des  Über- 
natürlichen in  die  natürliche  Welt.  Die  Seele 
selbst  macht  sich  durch  Gebet  und  Lesung 
der  Hl.  Schrift  für  die  Aufnahme  des  Über- 
natürlichen empfänglich.  Dann  tritt  das 
Übernatürliche  mit  Wucht  in  die  irdische 
Sphäre  ein.  Wohl  wendet  sich  die  Seele 
noch  zurück,  wohl  fehlen  ihr  anfangs  die 
Qualitäten  zum  vollen  Verständnis  der  neuen 
Welt,  die  sich  vor  ihren  geblendeten  Augen 
öffnet.  Aber  schon  schwebt  der  Hl.  Geist 
über  sie  herab  und  das  neue  übernatürliche 
Leben  beginnt  in  ihr  zu  keimen. 

Das  zweite  Bild,  die  exspeetatio  partus,  zeigt 
dann  das  Heranreifen  des  übernatürlichen 
Lebens  in  der  Seele.  Ungeahntes  Glück  er- 
füllt das  Herz,  das  Auge  sieht  den  Himmel 
offen  und  Gottes  Engel  umspielen  die  Seele 
mit  heiligen  Tönen.  —  Ekstase  und  Visionen 
waren  stets  Lieblingsgedanken  der  Mystiker. 
—  Das  dritte  Bild  zeigt  dann  die  Vollendung 
des  mystischen  Innenlebens,  Gott  und  die 
Seele  sind  eins  geworden.  Alles  Irdische  ver- 
sinkt. Was  der  Glaube  lehrt,  ist  zum  per- 
sönlichen Erlebnis  geworden.  Die  Seele  emp- 
findet Gottes  heilige  Gegenwart,  sie  schaut 
gleichsam  den  Unendlichen.  .  Der  Himmel 
hat  sich  geöffnet,  um  ihr  schon  in  diesem 
Leben  eine  Vorwegnahme  jenes  Glückes  zu 
gewähren,  das  nur  der  Seligen  Anteil  ist, 
von  denen  es  heißt:  Sie  werden  Gott  an- 
schauen. 


Die  Auferstehung  Christi 
weist  dann  darauf  hin,  daß 
dieses  Innenglück  der  mysti- 
schen Seele  einst  auch  die 
Hülle  des  Leibes  durchbre- 
chen und  auch  diesen  mit  sei- 
nem freudigen  Lichte  durch- 
strahlen wird.  Dann  wer- 
den alle  Erdengrößen  achtlos 
unter  ihren  FüLSen  liegen  als 
»Schätze,  die  Rost  und  Mot- 
ten verzehren«  —  die  Rost- 
flecken amPanzerunddievon 
Motten  abgefressenen  Spuren 
am  Wamse  der  im  Vorder- 
grund liegenden  Wächter 
deuten  darauf  hin  —  wäh- 
rend sich  der  verklärte 
Mensch  zum  Himmel  erheben 
wird.  Die  Wundmale  des 
Auferstandenen,  die  mit  der- 
selben Gloriole  wie  das  Haupt 
ausgestattetsind,  weisen  noch 
einmal  zurück  auf  das  Leiden, 
das  im  ersten  Zyklus  dargestellt  ist,  und 
zeigen ,  daß  dieses  kein  Hindernis  in  der 
seelischen  Entwicklung  bedeutet.  Im  Gegen- 
teil, scheinen  die  auf  dieselbe  Höhe  wie 
die  Augen  erhobenen  Wundmale  der  Hände 
zu  sprechen:  Durch  Leid  sehend  geworden. 
Auf  diese  Weise  würde  die  Zusammenstel- 


TRAUERNDES  EHEPAAR 


Vgl.  obige  Abbildung 


LANDSHUT  UND  TRAUSNITX 


129 


lung  der  beiden  Zyklen  des  Isenheimer  Altars 
eine  einheitliche  und  befriedigende  Erklärung 
finden.  Ein  genaueres  Studium  der  Frage 
würde  wohl  unschwer  aus  der  mystischen 
Literatur  Belegstellen  für  die  angeführten 
Ideen  bringen  und  so  das  Material  liefern 
zur  Untersuchung  der  Frage,  wie  weit  Grüne- 
wald mit  diesen  Vorstellungen  vertraut  und 
von  ihnen  beeinflußt  war').  m.  Müller 

LANDSHUT  UND  TRAUSNITZ 

Von  ANNA  BLUM-ERHARD 

(Abb.  S.  132) 

r\ie  Isar  hat  ihr  lichtgrünes,  für  München 
*-J  typisches  Kleid  und  "den  sturzbachgieichen 
Lauf,  die  wilde,  vom  Gebirg  überkommene  Strö- 
mung; bereits  abgelegt,  wenn  sie  die  ehema- 
lige Residenz  der  niederbayerischen  Herzöge 
einladt,  sich  in  ihr  zu  spiegeln.  Sie  ist  ein 
Niederungsstrom  geworden;  braungrün  und 
sanfter  sind  ihre  Wellen,  und  ihre  Kraft  ist  auf 
und  ab  dienstbar  gemacht  worden  den  großen 
Mühlen  und  Fabriken,  durch  die  sich  Lands- 
hut wetteifernd  in  die  Reihe  der  süddeutschen 
Industriestädte  stellt. 

Das  linke  Ufer  ist  von  den  Höhenzügen  ver- 
lassen worden.  Zur  Rechten  schieben  sich  noch 
immer  kleine,  waldige  oder  obstbaumbestan- 
dene Hügel  heran,  auf  deren  einem  Ludwig 
zu  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  eine  Feste  be- 
gann, zum  Schutz  der  bürgerlichen  Talansie- 
delung. Damals  trug  beides,  Ort  und  Burg, 
die  Bezeichnung  Landshut.  Erst  viel  später  ist 
für  das  dräuend  über  den  Zuzugswegen  ragende 
trutzige  Bauwerk  der  den  Feind  warnende  Name 
>Trausnitz«  entstanden. 

Sie  ist  eine  der  vielen  im  Land  verstreuten 
Burgen  der  Witteisbacher;  auch  an  ihr  offen- 
bart sich  der  eifrige  Schönheitssinn,  der  nie 
das  Nur-Nützliche  herrschen  läßt  —  auf  breiter 
Basis  einfach  gegliederte  Formen,  von  einigen 
festen, unter  ihrem  Dache  wie  untereincr  Kappe 
vorlugenden  Vierecktürmen  unterbrochen;  zu 
denen  von  unten  her  die  Befestigun^smauer 
mit  dem  Schmuck  ihrer  ins  Buschgrün  ver- 
streuten kleineren  Warttürme  emporklettert. 
Außer  der  breiten  Fahrstraße,  an  deren  Wen- 
dungen mancherlei  malerische  Motive  auftau- 
chen und  die  an  Schloß  und  Hofgarten  vorüber, 
die  südlich  gelegenen  Ortschaften  aufsucht  — 
führt  ein  durch  flache  Stufen  in  aller  Steilheit 


')  Vgl.  den  ausführlichen  Redankenreichen  Auls.it/  im 
vor.  Jg.,  S.  73  ff.  von  Joseph  Walter.  Von  diesem  Autor 
werden  wir  demnächst  eine  Abhandlung  über  das  früher  als 
Engelkonzert  bezeichnete  Bild  veröffentlichen,  in  dem  der 
obige  Wunsch  des  Herrn  Verfasser]  erfüllt  wird.     I).  Red. 


HAS'S  IAULHAHER 

Vgl.  AU.  S.  117  und  Iti 

bequemer  Fußweg,  ein  Treppenweg,  rasch  und 
geradeaus  von  den  letzten  Häusern  der  Alt- 
stadt in  den  Burghof. 

Bevor  wir  ihn  betreten  —  der  lange  Zeit  hin- 
durch Schauplatz  für  militärische  Übungen  und 
Kriegsgefangene  gewesen  -  fesselt  uns  noch 
die  Stadt.  So  recht  ihr  Wahrzeichen  ist  der 
von  eifrigen  Dohlen  umschwärmte  mächtige 
Turm  der  Hauptkirche, derenSchutzpati  onMar- 


Kunst      XVI.     V 


130 


LANDSHUT  UND  TRAUSNITZ 


PHILIPP  SCHUMACHER  (MÜNCHEN) 


KRIEGSGEDÄCHTNISTAFEL  IN  MARIA  EICH   BEI  MÜNCHEN 
He/t  2  und  3,   S.  14 


tinus  ist.  Auch  ihr  Schiff  ist  innen  und  außen 
von  starker  Wirkung.  Staunend  schwingt  sich 
unser  Blick  in  dem  lichten  Raum  mit  den  schlan- 
ken Säulenpfeilern,  die  sparsam  kanneliert,  von 
keinem  Zierat  und  keiner  Empore  gehemmt 
zur  Wölbung  hinan.  Aber  noch  überraschter 
folgt  er  von  derStraße  aus  —  über  die  Dachung 
des  gewaltigen  Schiffs  derKirche  —  der  Riesen- 
höhe des  schöngegliederten,  von  anschmiegen- 
den Rundtürmchen  flankierten  Turmes  in  die 
blauen  Lüfte.  Die  gehören  so  recht  zum  Bild 
der  Stadt,  wie  ein  Goldgrund  zum  alten  Ge- 
mälde. Wie  eine  Verzeichnung  wirkt  es,  wenn 
das  Firmament  grau  und  dunstverhangen  ist! 
Denn  um  das  festliche  Gepränge  dieser  hoch- 
getürmten Dächer  und  vielgestaltigen  Giebel, 
die  alle  wie  mit  Augen  in  die  breitangelegten 
Straßen  hereingucken,  und  ihres  Anführers,  des 
heroischen  Martinsturmes,  recht  zur  Geltung 
zu  bringen,  müssen  sie  sich  vom  Blau  des 
Himmels  abheben.  Sie  wirken  dann  wie  eine 
bildgewordene  fröhliche  Fanfare  und  wir  brau- 
chen nur  ein  wenig  rege  Fantasie,  um  Hufschlag 
und  Trompetenstöße  zu  vernehmen  und  den 


Hochzeitszug  Georgs  des  Reichen  die  Straße 
heranwallen  zu  sehen,  der  um  1475  die  Re- 
sidenz Landshut  mit  ungewöhnlichem  Pomp 
erfüllte  und  durch  die  Steinwerkreichen  Por- 
tale in  die  Kirche  wallte.  Wir  sehen  auch  die 
schöne  Hedwig,  die  er  sich  aus  dem  fernen 
Polen  geholt,  mit  strahlendem  Blick  in  diese 
Ehe  schreiten,  die  ihr  dann  freilich  nicht  die 
Erwartungen  stillte,  mitdenen  sie  siebegonnen. 
Nicht  nur,  daß  der  ersehnte  Erbe  ausblieb  und 
die  Umwälzungen  in  der  Erbfolge,  die  der  rei- 
che Georg  vornahm  —  seiner  an  den  Pfälzer 
verheirateten  Tochter  zulieb  —  das  Land  mit 
Krieg  überzogen  —  diese  Wirren  hat  sie  wohl 
nicht  erlebt.  Aber  wir  begegnen  ihr  später,  ge- 
trennt vom  Gatten,  in  der  abgeschiedenen  Stille 
des  Burghauser Schlosses,  von  dessen  Fenstern 
sie  wohl  öfter  als  nach  den  Alpen  nach  der 
Stätte  ihres  jungen  Glücks  hinübersah  .  .  .  und 
träumte.  Denn  in  nichts  konnte  sich  ihr  jetzi- 
ges Leben  in  der  strengen  Kemenate  mit  dem 
Glanz derLandshuterHofhaltung  messen;  hier 
hohe  düstere  Gemächer  —  und  Langeweile; 
dort  helle  buntbemalte  Säle,  weites  Gelände 


LANDSHUT  UND  TRAUSNITZ 


zu  Füßen,  ein  rascher  Fluß, 
der  ostwärts  strömte  und  viel- 
leicht —  sie  wußte  das  nicht 
so  genau  —  Heimatgaue  be- 
spülte. Hier  ein  vom  steilen 
Abhang  nur  karg  bemessenes 
Gärtchen  mit  Rosmarin  und 
Epheu,  ein  enger  strenger 
Hof  und  als  einzige  Abwechs- 
lung die  Messen  in  der  klei- 
nen Kapelle  oder  der  Besuch 
und  die  geistlichen  Ermahnun- 
gen des  Kaplans.  Dort  Tanz 
und  Spiel  —  Tourniere  im 
weiten  Räume  des  Hofs  — 
breite  Bogengänge,  Ritter  und 
Gäste  .  .  . 

Die  Witteisbacher  haben  die 
Trausnitz,  haben  Landshut 
gegründet.  Beide  Entstehun- 
gen fallen  in  den  Beginn  des 
13.  Jahrhunderts.  Das  ältest 
erhaltene  Stück  Innenraum  ist 
die  schöne  romanische  Schloß- 
kapelle mit  den  Halbfiguren 
der  Apostel  an  der  Empore. 
Aus  den  Jahren  um  1400  stammt 
der  Bau  der  1 10  Meter  tiefen, 
in  Bruchstein  gehauenen  Zi- 
sterne, deren  Eimer  an  starken 
Ketten  das  Wasser  vom  Grund 
der  Isar  schöpften.  Großzügig 
ist  der  ganze  Schloßbau  auf 
dem  Hügelvorsprung  angelegt. 
Im  einen  Teil  ist  jetzt  das  Archiv  von  Nie- 
derbayern untergebracht  —  der  andere  Flügel 
birgt  im  ersten  Stockwerk  jene  reich  bemal- 
ten farbenfrohen  Säle,  in  denen  die  Herzöge 
wohnten  und  Hof  hielten.  Prächtige  Kachel- 
öfen legen  von  derTöpferkunst  des  Mittelalters 
Zeugnis  ab.  Ein  Gemach  enthält  die  Galerie 
der  fürstlichen  —  Hofnarren  in  Ölgemälden. 
Eine  Wendeltreppe,  die  sogenannte  »Narren- 
treppe«, überrascht  durch  die  — leider  wie  auch 
die  Saalbilder — z.T.  übertünchten,  ausgezeich- 
neten Fresken,  schalkhafte  und  ernste  lebens- 
große Gestalten,  die  Szenen  aus  Dantes  Gött- 
licher Komödie  vorstellen  sollen. 

Das  obere  Stockwerk  ist » wohnban  gemacht 
worden  unter  König  Ludwig  IL,  mit  Holz  an 
Wänden  und  Decken  vertäfelt  und  mit  ent- 
sprechenden Möbeln  ausgestattet  und  Vornan 
gen,  deren  prachtvoller  Brokat  und  Seidenstoff 
von  seiner  Frunkliebe  zeugt. 

Aber  gern  schweift  von  hier  der  Blick 
durch  die  Fenster,  die  das  weite  Land  mit 
den  buntverstreuten  Ortschaften,  alten  Kirch 
lein,  Schlössern  und  Herrensitzen  beherrschen 


GEORG  SCHREINER  (REGENSBURG) 

Jn  St.  Emmeram  zu  Regensbiirg. 


KRIEGERDENKMAL 
Text  S.  34  des  Beiblattes 


und  dem  mächtigen  Martinsturm  in  den  Glok- 
kenstuhl  und  auf  die  Kranzgesimse  seiner  Helm- 
spitze schauen. 

Das  weite  Land  —  das  reiche  Land!  Acker 
an  Acker,  Wald  an  Wald,  Obst  und  Wiesen  I 
In  den  Zeiten  der  Absperrung  vom  Ausland 
muß  solcheineZugehörigkeit  doppelt  geschätzt 
werden.  Landshut  ist  die  Zentrale  für  dies  frucht- 
bare Gebiet.  Und  über  Landshut  Hegt  nicht 
die  tote  Stille  andrer,  von  der  Erinnerung  an 
einstige  Bedeutung  zehrender  Orte  gebreitet 
Nicht  wie  Burghausen,  das  der  einstige  Salz- 
handel  flüssewäns  aufblühen  ließ  und  das  die 
Gnade  der  Herzöge  begabte,  ist  seine  Rivalin 
in  der  fürstlichen  Gunst  in  sich  selbst  zurück- 
gesunken. Burghausen  hat  unter  der  politi 
Abtrennung  des  ihm  vorgelagerten  Innvieitels 
gelitten;  es  ist  an  die  Grenze  gepreßt  worden. 
Das  hat  seinen  Aufschwung  gehemmt.  Laiuls- 
hut  ist  Mittelpunkt  geblieben,  wenn  auch  in 
anderer  Beziehung  als  früher.  Es  hat  den  Wohn- 
sitz der  llenscher,  es  hat  auch  die  ihm  aul 
kurze  Dauer  verliehene  Universität  an  Mim 
chen   abgegeben.    Aber  doch  quillt  und  quirlt 


132 


LANDSHUT  UND  TRAUSNITZ 


HANS  BLUM 


LANDSHUT,  MARTINSKIRCHE  UND  TRAUSNITZ 
Text  S.  12g— 133 


es  von  Leben.  Eine  rege  Industrie  auf  den  ver- 
schiedensten Gebieten  hat  zwar  Vorstädte  ge- 
schaffen, die  nicht  in  den  Schönheitstyp  der  inne- 
ren Stadt  passen  —  aber  sie  haben  ihre  Schlote 
und  Maschinen  anständigerweise  »vor  den  To- 
ren« aufgestellt.  Ist  also  der  Anblick  von  weitem 
und  von  der  Höhe  kein  ungetrübter  für  das 
Auge  des  Künstlers,  so  bieten  ihm  doch  die  drei 
Hauptstraßen,  Altstadt,  Neustadt  und  Untere 
Freyungund  diesieverbindendenGassenimmer 
noch  Bilder  genug,  an  denen  er  sich  die  alte 
Zeit  freudig  und  hemmungslos  aufbauen  kann. 
Die  Randverzierungen  der  Giebel,  die  nicht 
wie  in  den  meisten  Inn-  und  Salzachstädten 
wie  in  Burghausen,  Tittmoning,  Mühldorf, 
ja  wie  in  Sterzing,  nur  eine  gewisse  stattliche 
Höhe  pomphaft  über  flache  Dächer  hinaus  vor- 
täuschen wollen  —  dieseRandverzierungen  sind 

von  einer  geradezu  staunenswerten  Mannig-      ner  Gottesacker  mit  einigen  gräflichen  Gruf- 
faltigkeit,  an  der  sich  von  der  strengen  Gotik      ten  umfriedet  den  Bau.  Nahebei  fällt  ein  statt- 


als  blättere  man  lustige  Bil- 
derbogen durch.  Es  stimmt 
heiter  und  regt  an.  Es  ist, 
als  hätten  die  Baumeister  ein 
Wettspiel  begonnen ,  vom 
alten  Toreingang  bei  der 
Brücke  an,  wo  seitlich  die  be- 
scheidene »Stadtwohnung« 
der  Herzöge  wie  eines  neu- 
zeitlichen Torwärters  Bude 
anmutet,  bis  zum  oberen 
Trausnitztor,  wo  über  dem 
Dreihelmwappen  der  Stadt 
die  wundervolle  Kreuzi- 
gungsgruppe hingemnlt  ist 
—  sich  gegenseitig  zu  über- 
trumpfen in  Einfällen  und 
Launen  —  an  Treppen  und 
Stufen,  an  Schnecken  und 
Bogen  —  bis  endlich  der- 
jenige den  Sieg  davontrug, 
in  dessen  stolzem  Bau  dann 
Georg  der  Reiche  bei  sei- 
nen Hochzeitsfeierlichkeiten 
Wohnung  nahm. 

Das  schon  erwähnte  Ster- 
zing hat  auch  für  den  Eck- 
erker  des   Landshuter   Rat- 
hauses   das    Vorbild    abge- 
geben ,    und    echt    tirolisch 
muten  die  Laubengänge  an, 
die  durch  die  halbe  Altstadt 
die  Eingänge  der  Häuser  be- 
treuen.   Mancher  hübsche  alte  Hof  hat  sich 
in  den  tiefgeführten  Häusern  bewahrt,  eben- 
so   wie    die    schönen    Wölbungen    in    ihrem 
Erdgeschoß,  und  das  breite  Ladenfenster  der 
alten  Handelsstadt,  die  schon  in  ihren  weiten 
offenen   marktplatzartigen  Hauptstraßen   sich 
als  solche  dokumentiert. 

Wir  können  Landshut  nicht  verlassen,  ohne 
den  herrlichen  Schloß-,  d.  h.  »Hofgarten«  mit 
seinen  an-  und  absteigenden  Pfaden  und  Ser- 
pentinen, den  seltenen  Bäumen,  kleinen  ver- 
steckten Weihern  und  prächtigen  Ausblicken 
besucht  zu  haben  und  dabei  Heilig  Blut,  das 
uralte  Kirchlein  hinterm  Dorfe  Berg,  zu  ent- 
decken. Zwei  schlanke  Rundtürme,  eine  Sel- 
tenheit in  der  Gotik,  flankieren  die  durch  das 
Gezweig  der  Bäume  hinter  Schloß  und  Hof- 
garten herschimmernde  Vorderseite;  ein  klei 


bis  zumLaunischen, Gefälligen  des  Barock  jedes 
Jahrhundert  und  jede  Kunstströmung  versucht 
hat.  Immer  wieder  entdeckt  man  eine  noch 
übersehene,  reizvolle  Schöpfung,  die  sich  vom 
Dachfirst  in  den  Himmel  hineinbaut — es  ist, 


licher  Schloßbau  mit  der  architektonisch  wohl- 
überlegtenKrönung  durch  zwei  barockeSchorn- 
steine  auf — und  eine  Menge  verstreuter,  male- 
rischer Gehöfte  inmitten  reicher  Obsthalden, 
reizvoll  durch  alte   moosübersponnene  Hohl- 


DER  ERFURTER  DOM 


■33 


Ziegeldächer,  durch  anmutige  Erker  und  vor- 
springendes Obergeschoß.  Das  ist  Berg,  die 
alte  Hofmark. 

Von  hier  schweifen  die  Straßen  höhen wärts 
durch  Äcker,  aus  denen  trillernd  die  Lerche 
aufsteigt,  und  durch  Wälder,  die  der  Ruf  der 
Holztaube  belebt  —  und  freigegeben  ist  der 
Ausblick  ins  Gebirg.  Die  Isar  windet  sich  unten 
im  Tal  donauwärts,  immer  niederer  werden 
die  Höhen,  die  sie  geleiten,  immer  flacher  das 
Land.  Aber  man  hat  gelernt,  dies  flache  Land, 
unsre  mit  reichem  Ertrag  gesegnete  Vorrats- 
kammer, mit  anderen  Augen  zu  betrachten  als 
vor  dem  Krieg,  wo  es  wie  ein  Stiefkind  hinter 
den  Bergen  Oberbayerns  und  des  Allgäus 
hintanstehen  mußte,  und  woselbst  seine 
prächtigen,  architektonisch  interessanten  Orte 
eine  terra  incognita  für  manchen  guten 
Deutschen  waren. 


DER  ERFURTER  DOM 

Im  Laute  des  Sommers  1912  sind  die  Reno- 
*  vierungsarbeiten  im  Schilf  des  Domes  voll- 
endet worden.  Nach  Beseitigung  der  blauen 
Deckenfarbe  zeigt  sich  auch  dieser  Teil  des 
erhabenen  Gotteshauses  in  wirkungsvoller 
Schönheit.  An  den  schon  früher  erwähnten 
hochgotischen  Chor  (Jahrg.  VII,  Heft  11  die- 
ser Zeitschr.)  mit  seinen  zwölf  prachtvollen 
alten  Fenstern  schließt  sich  der  jetzige  Chor- 
hals, das  Presbyterium  der  alten  romanischen 
Basilika  aus  dem  12.  Jahrhundert,  als  Binde- 
glied zwischen  Chor  und  Langhaus  an.  Letz- 
teres setzt  sich  zusammen  aus  den  Überresten 
des  Quersehiffs  des  alten  Baues  und  einem 
vollständigen  Neubau  aus  dem  15.  Jahrhun- 
dert. Dieser  wurde  an  Stelle  der  alten,  bau- 
fälligen Basilika  errichtet.    Nachdem  dieselbe 


Dl.K   ER]  I  .'Kl  III   DOM 


134 


DER  ERFURTER  DOM 


abgetragen,  wurde  an  die  noch  vorhandenen 
Überbleibsel  des  Querschiffs  der  neue  Teil 
angebaut.  Über  den  Anfang  dieses  Bauwerks 
berichtet  uns  eine  in  Stein  gehauene  Inschrift 
an  einem  Strebepfeiler  der  nördlichen  Wand : 
»Anno  domini  M. cccc.lv.  in  die  Panthaleonis 
incepta  est  hec  structura.«  Jedenfalls  um 
Raum  zu  gewinnen,  machte  man  das  neue 
Gebäude  so  breit,  wie  das  alte  Querschiff 
lang  war.  Noch  vor  seiner  Vollendung  wurde 
der  Bau  samt  der  benachbarten  Severikirche 
1472  durch  einen  großen  Brand  zerstört,  aber 
bald  wieder  hergestellt,  so  daß  schon  im 
Jahre  1476  die  Kirche  wieder  geweiht  wer- 
den konnte.  Der  ganze  Raum  präsentiert 
sich  in  seiner  neuen  Gestalt  als  eine  große 
Hallenkirche  mit  spätgotischen  Formen.  Acht 
mächtige  Pfeiler,  in  der  Breite  des  Chorhalses 
voneinander  entfernt,  tragen  das  herrliche 
Sterngewölbe,  welches  in  einer  Höhe  von 
19  Metern  die  drei  gleichhohen  Schiffe  über- 
deckt. Die  Gewölberippen  vereinigen  sich 
im  Mittelschiff  auf  den  ganz  einfachen,  runden 
Kapitellen  der  rings  um  die  Pfeiler  sich  an- 
lehnenden Dienste  und  an  der  Südwand  auf 
aus  der  Mauer  hervorstehenden  Konsolen, 
während  an  der  Nordwand  schlanke  Halb- 
säulen ohne  jede  Unterbrechung  durch  Ka- 
pitelle gleich  in  die  Gewölberippen  übergehen. 
Eine  auffällige  Erscheinung  an  diesem  Ge- 
bäude ist  die,  daß  die  Seitenschiffe  breiter 
sind  als  das  Mittelschiff  und  zwar  in  einem 
Verhältnis  von  13  zu  ir.  Trotz  dieser  und 
noch  einiger  anderen  Unregelmäßigkeiten  die- 
ses Bauwerks,  wie  z.  B.  die  verschiedenen  Län- 
gen der  Seitenwände  und  die  ungleiche  Breite 


des  Querschiffs,  bieten  sich  dem  aufmerk- 
samen Beschauer  architektonische  Bilder  von 
ausgezeichneter  Schönheit.  Erwähnt  seien  nur 
der  Durchblick  vom  Westportale  längs  der 
Achse  zum  Hochaltar  im  Chor  (Abb.  S.  133) 
und  ein  solcher  von  der  westlichen  Ecke 
des  südlichen  Seitenschiffs  in  der  Diagonale 
zum  nördlichen  Abschlüsse  des  Querschiffs. 
Bei  letzterem  Bilde  gewinnt  man  auch  den 
besten  Überblick  über  das  bereits  erwähnte 
Sterngewölbe.  Leider  wird  der  Eindruck  des 
Ganzen  gestört  durch  nicht  ganz  einwandfreie 
bunte  Glasfenster  aus  den  Sechzigerjahren  des 
vorigen  Jahrhunderts.  Störend  wirkt  noch  für 
Kenner  die  große  Kanzel  aus  Holz,  auf  der  drei 
Prediger  auf  einmal  bequem  Platz  hätten,  und 
die  wie  die  Kanzel  aus  den  dreißiger  Jahren 
des  19.  Jahrhunderts  stammende  hölzerne  Or- 
gelbühne über  dem  westlichen  Eingange.  Ne- 
ben dieser  erhebt  sich  bis  in  die  Decke  ein 
turmartiger  Aufbau  von  Stein  und  Holz  in  For- 
men der  deutschen  Renaissance  als  Baptiste- 
rium.  Die  Aufmerksamkeit  der  Besucher  erregt 
ein  großes  Ölgemälde  auf  der  Steinwand  aus 
dem  Jahre  1499,  welches  einen  bedeutenden 
Teil  der  südlichen  Wand  bedeckt  und  Chri- 
stophorus  darstellt.  Unter  diesem  Bilde  hat  der 
Grabstein  des  Grafen  von  Gleichen  (13.  Jahrh.) 
Aufstellung  gefunden.  Ein  in  Sandsteinrelief 
ausgeführtes  Sakramentshäuschen  aus  dem 
16.  Jahrhundert,  vor  welchem  der  Sarkophag 
der  Heiligen  Adelar  und  Eoban,  Genossen  des 
hl.  Bonifatius,  aufgestellt  ist,  und  zwei  neue 
in  Sandstein  ausgeführte  gotische  Altäre  schlie- 
ßen das  südliche  Seitenschiff  nach  Osten  ab. 

F.  Schmidt 


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GRUNDRISS  DER  HL.  KREUZKIRCHE  ZU  AUGSBURG.   —    Vgl.  Abb.  S.  JSS-     Text  S.  136 


DIE  HL.  KREUZKIRCHEN  IN  AUGSBURG  UND  INNSBRUCK 


'35 


GRUNDRISS  DER  HL.  KREUZKIRCHE  ZU  INNSBRUCK.  -    Vgl.  Abi.  S.  134.     Irxt  S.  136 


DIE  HL.  KREUZKIRCHE 
IN  AUGSBURG,  DAS  VORBILD  DER 
HL.  KREUZKIRCHE  IN  INNSBRUCK 

Von  HUGO  STEFFEN1,  Architekt,  München 
(Vgl.  Abb.  S.  154  und  135) 

r^ie  um  ungefähr  50  Jahre  ältere  Hl.  Kreuz- 
*-^  kirche  in  Augsburg  zeigt  in  ihrem  Grund- 
riß die  gleiche  Anlage,  wie  die  Hl.  Kreuz-  und 
Hof  kirche  zu  Innsbruck,  welcher  sie,  nach  dem 
Wunsche  Kaiser  Maximilians  I.  bez  w.  König  Fer- 
dinands I.,  zum  Vorbilde  diente.  Ersterer  weilte 
wiederholt  in  Augsburg,  als  er  den  Gedanken 
gefaßt  hatte,  für  sich  und  seine  Ahnen  ein  mäch- 
tiges Denkmal  in  einer  Kirche  zu  errichten, 
das  Zeugnis  ablegen  sollte  von  der  Frömmig- 
keit und  Kunstliebe  Maximilians  und  des  habs- 
burgischen  Hauses.  Die  seinerzeit  zwischen  bei- 
den Monarchen  und  der  Innsbrucker  Regierung 
gepflogenen  Verhandlungen,  desgleichen  die 
alten  Bauakten  sind  für  beide  Kirchen  von  ho- 
hem Interesse.  Freilich  zeigte  sich  einstmals 
die  Augsburger  Hl.  Kreuzkirche  in  einer  andern 
Gestalt,  als  sie  jetzt  vor  uns  steht,  namentlich 
in  ihremprunkvollen  spätgotischen  Innern.  Ihre 
Wände  waren,  wie  berichtet,  mit  farbigem  Mar- 
mor bekleidet,  während  die  unteren  Flächen  in 
goldstrotzendem  Holzschnitzwerke  prangten. 
Weiter  wird  von  stimmungsvollen  Teppichen, 

Prächtigen  Chorstühlen,  reichbemalten  Gewöl- 
en und  glitzernden  Kronleuchtern  gesprochen, 
aber  von  all  diesen  Schätzen  ist,  infolge  mehr- 
facher Umbauten,  nichts  übriggeblieben. 

KeinWunder,  daß  den  kunstbegeisterten  Für- 
sten ein  solch  auserlesenes  Gotteshaus  mäch- 
tig anzog  und  zum  Vorbild  seiner  Pläne  wurde. 
Aber  wie  so  viele  mittelalterliche  Kirchen,  mußte 
auch  diese  im  Wechsel  der  Jahrhunderte  inehr- 
faeheNeubautenund  Restaurierungen  über  sich 
ergehen  lassen,  die  ja  auch  ihrer  Innsbrucker 
Schwester  nicht  erspart  blieben.  Beide  Gottes- 


häuser sind  Hallenkirchen  mit  sechs  Jochen, 
Seitenschiffen  und  runden  Säulen;  auch  zeigen 
ihre  Schilfe  fast  die  gleichen  Maße,  nur  mit 
dem  Unterschiede,  daß  der  Chorbau  in  Augs- 
burg um  das  Doppelte  länger  ist  als  bei  der 
Innsbrucker  Kirche. 

Zwei  der  denkwürdigsten  GotteshäuserAugs- 
burgs  liegen  jetzt,  nur  durch  einen  schmalen 
Hof  getrennt,  friedlich  nebeneinander,  das  eine 
dem  katholischen,  das  andere  dem  protestanti- 
schen Kultus  dienend.  Es  sind  die  beiden  Hl. 
Kreuzkirchen.  Die  älteste  von  beiden  ist  die 
in  Rede  stehende  katholische  Hl.  Kreuzkirche. 
An  ihrer  Stelle  stand  einst  ein  romanisches 
Gotteshaus,  von  dem  nur  noch  der  Turm  er- 
halten blieb.  Die  historischen  Anhaltspunkte 
über  die  Baugeschichte  widersprechen  sich  oft- 
mals, wie  dies  bei  alten  Denkmälern  infolge 
der  damaligen  Auffassung  der  Sprachweise  oft 
der  Fall  ist.  An  dem  stehengebliebenen  ro- 
manischen Turm  wurde  nun  die  jetzige  lange 
Chorpartie,  die  damals  nebstSeitenkapellen  die 
ganze  Kirche  bildete,  angebaut.  Einer  Inschrift 
zufolge  ist  dieser  Kirchenbau,  welcher  also  zu 
jener  Zeit  bloß  die  Hälfte  der  jetzigen  Bau- 
fläche einnahm,  1476  vollendet  worden.  Da 
aber  der  verhältnismäßig  kleineRaum  nur  kurze 
Zeit  den  Anforderungen  genügte,  erweiterte 
man  das  Langhaus  um  sechs  Joche,  als  deren 
Baubeendigung  eine  Urkunde  das  Jahr  1508 
angibt.  Am  25.  März  genannten  Jahres  soll  die 
Einweihung  feierlich  vor  sich  gegangen  sein. 
Vom  1.  bis  28.  März  [508  verweilte  Maximilian 
zum  letzten  Male  in  Augsburg,  WO  er,  wie  aus 
seinen  Briefen  hervorgeht,  die  Kirche  wieder- 
holt besichtigte.  In  jener  Zeit  reifte  in  ihm 
der  Flau  zur  Erbauung  einer  neuen  Hofkirche. 

Mitte  des  [7.  Jahrhunderts  wurde  die 
burger  Hl.  Kreuzkirche  in  der  Formensprache 
der  Zeit  umgebaut.  Ein  Stich  aus  jener  Epoche 
zeigt  den  damaligen  Baubestand.  1711 


i-6 


DIE  HL.  KREUZKIRCHEN  IN  AUGSBURG  UND  INNSBRUCK 


unterzog  man  die  Kirche  abermals  einem  Um- 
bau in  barocken  Formen,  welchen  der  um  die 
damalige  Zeit  bedeutende  Architekt  und  Maler 
Jakob  Herkomer  ausführte,  derselbe  Meister, 
der  auch  den  Umbau  des  Klosters  St.  Mang 
bei  Füssen,  an  der  Grenze  Tirols,  vollzog  und 
mit  jetzt  noch  bestehenden  herrlichen  Fassa- 
denmalereien schmückte1).  Aus  gotischer  Zeit 
hat  sich  noch  im  Innern  der  Kirche  das  reiche 
Gewölbe  der  Orgelempore  unter  dem  letzten 
Joche  und  die  laut  Inschrift  1476  vollendete 
Seitenkapelle  an  der  Nordseite  des  Chores  mit 
prächtigem  Netzgewölbe  erhalten.  Hat  die  Spät- 
renaissance hier  Treffliches  durch  ihre  im  Ein- 
klang mit  der  mittelalterlichen  Architektur  ge- 
haltenen Formen  hinterlassen,  so  trifft  man 
auch  auf  manches  tüchtige  Können  der  Barock- 
zeit sowohl  im  Innern  als  im  Äußern  des  Gottes- 
hauses. Wurde  in  der  Spätrenaissancezeit,  die 
bekanntlich  mehr  Achtung  vor  der  mittelalter- 
lichen Kunst  besaß  als  die  Barockperiode,  das 
Innere  der  katholischen  Hl.  Kreuzkirche  so  ziem- 
lich verschont,  um  so  rücksichtsloser  verfuhr 
letztere  mit  dem  Bestehenden.  Das  mittelalter- 
liche Gewölbe  wurde  eingeschlagen  und  durch 
den  Speicherzwischen  Langhausund  Chor  jener 
auf  quadratischer  Form  mit  Zwickelüberführung 
gehaltene  runde  Kuppelbau  errichtet,  nach  Art 
der  italienischen  Kirchenbauten.  Den  gotischen 
runden  Säulen  wurden  korinthische  Kapitale 
gegeben  und  darauf  ein  antikes  Gebälk  zum 
Tragen  des  neuen  Gewölbes  gesetzt. 

Wenn  auch  die  Kirchenanlage  aus  mittel- 
alterlicher Zeit,  die  die  beiden  habsburgischen 
Kaiser  begeisterte,  uns  Nachgeborenen  als  be- 
sonders prunkvoll  geschildert  ist,  so  müssen 
wir  doch  zugeben,  daß  auch  das  jetzige  Innere 
einen  feierlichen,  monumentalen  Eindruck  hin- 
terläßt. 

Das  Interesse,  welches  wir  der  Augsburger 
Hl.  Kreuzkirche  entgegenbringen,  liegt  jedoch 
in  dem  Umstand,  daß  aus  alten  Berichten  so- 
wie dem  Briefwechsel  Kaiser  Maximilians  und 
König  Ferdinands  hervorgeht,  daß  diese  mittel- 
alterliche Kirche  in  ihrem  prangenden  alten 
Bestände  beide  Fürsten  mächtig  anzog  und  vor- 
bildlich wurde  zu  der  von  ihnen  geplanten  Ge- 
dächtniskirche zum  Hl.  Kreuz,  der  Hofkirche 
Innsbrucks.  Doch,  wie  schon  erwähnt,  ist  von 
der  ursprünglichen  Augsburger  Hl.  Kreuzkirche 
nichtsWesentlichesmehr  auf  uns  überkommen 
als  ihre  einfache  Grundrißanlage  (Abb.S.  134). 
Jedoch  genügt  schon  dieser  Anhaltspunkt,  um 
im  Vergleiche  mit  dem  Grundrisse  der  Hof- 
kirche in  Innsbruck  eine  überraschende  Ahn- 


')  Vgl.   »Der  Pionier«,  XI.  Jg.,  S.  43. 


lichkeit  zu  finden.  Kaiser  Maximilian  ließ  durch 
den  Augsburger  Baumeister  Vetter  Pläne  zur  Er- 
bauung seiner  Hofkirche  für  Innsbruck  fertigen. 
Der  Augsburger  Stadtschreiber  und  Geschichts- 
gelehrte K.  Peutinger  mußte  Maximilian  in  Be- 
treff genealogischer  Dinge  für  Errichtung  eines 
im  großen  Stile  geplanten  Denkmalsfürden  Kai- 
ser und  seine  Ahnen,  das  die  Kirche  aufnehmen 
sollte,  zur  Seite  stehen.  Maximilian  starb  jedoch 
1 5 1 9, ehe  der  Bau  in  Angriff  genommen  werden 
konnte.  Inzwischen  waren  aber  zu  jener  Zeit 
schon  mehrere  Modelle,  selbst  einige  Statuen 
im  Gusse  für  das  großangelegte  Monument 
fertiggestellt.  Seinem  Nachfolger,  König  Fer- 
dinand, späteren  Kaiser  Ferdinand  1.,  war  es 
vorbehalten,  den  Plan  Maximilians  zur  Aus- 
führung zu  bringen.  Im  Jahre  1553  war  der 
Bauplatz  nach  langen  Verhandlungen  mit  der 
Innsbrucker  Regierung  endgültig  festgestellt. 
Kaiser  Ferdinand  kam  nach  dem  Tode  Ma- 
ximilians wiederholt  nach  Augsburg  und  aus 
einem  Schreiben  an  den  Maler  Dax  daselbst 
geht  hervor,  daß  er  diesen  veranlaßte,  Aufnah- 
men von  der  Kirche  zum  Hl.  Kreuz  zu  fer- 
tigen, die  dem  Baumeister  Vetter  als  Grund- 
lage für  die  neu  anzufertigenden  Pläne  dienen 
sollten.  Endlich,  nach  langen  Verzögerungen  in- 
folge desTürkenkrieges,  wurde  derlnnsbrucker 
Kirchenbau  im  Jahre  1 5  5  7  in  An  griff  genommen 
und  am  14.  Februar  1563  in  Gegenwart  Kaiser 
Ferdinands  L,  seines  Sohnes  und  der  fünf  Töch- 
ter eingeweiht.  Die  Grundrißidee  ist  ganz  die 
gleiche  wie  bei  der  Hl.  Kreuzkirche  in  Augs- 
burg nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  der  Chor 
reduziert  wurde  (Abb.  S.  135).  Auch  soll  sie 
im  Innern  mit  ihren  sechs  Jochen  und  runden 
Säulen  die  gleichen  Gewölbe  getragen  haben. 
Im  Wechsel  der  Zeiten,  durch  Umbauten  und 
Restaurierungen  hat  freilich  die  Innsbrucker 
Hl.  Kreuz-  und  Hof  kirche  fast  noch  mehr  Ver- 
änderungen erlitten,  als  das  in  Rede  stehende 
Augsburger  Gotteshaus  zum  Hl.  Kreuz.  Von 
dem  einst  gepriesenen  Schatzkästlein  der  bil- 
denden Kunst,  worüber  die  alten  Berichte  von 
der  Augsburger  Hl.  Kreuzkirche  zu  erzählen 
wissen,  hat  sich  allerdings,  wie  gesagt,  aus 
der  Stilepoche  des  späteren  Mittelalters  und 
der  Frührenaissancezeit  auf  unsere  Tage  so 
gut  wie  nichts  erhalten.  Nur  die  nackten  Um- 
rißmauern und  einige  prächtige  Gewölbe  der 
spätgotischen  Epoche  sind  geblieben.  Ihr  Äuße- 
res repräsentierte  sich  einst  in  stumpfgelbem 
Ziegelrohbau,  davon  verschiedene  Flächen  ver- 
putzt und  mit  lebhaften  Gemälden  geschmückt 
waren,  denn,  wie  bekannt,  war  Augsburg  die 
Stadt,  deren  Häuser  und  Kirchen  einst  in  präch- 
tigem Farbenkleide  prangten. 


PRRVUM  QUflNDO  CERNO  DEUM         IMTER  MflTRIS  BRRCHIR, 

COLLIQUESCIT  PECTUS  MEUM  IMTER  MILLE  QRUDIR.      saec  «v. 


EMANUEL  RAFFEINER  (INNSBRUCK) 


HERR  DER  HEERSCHAREN 


DER  TIROLER  MALER  EMANUEL  RAFFEINER 

(Abb.  S.  157—148) 


Auf  dem  Gebiete  der  großen  kirchlichen 
Schmuckmalerei,  des  Altar-  und  sonstigen 
religiösen  Tafelbildes  sind  in  Tirol  nur  wenige 
Künstler  tätig.  Einer  von  ihnen  ist  der  bei 
Innsbruck  wohnhafte  Emanuel  Raffeiner.  Er 
ist  am  9.  April  1881  zu  Schwaz  im  Unterinn- 
tale als  Sohn  eines  Altarbauers  zur  Welt  ge- 
kommen, also  recht  eigentlich  schon  für  die 
christliche  Kunst  geboren.  Für  die  Sicherung 
seines  Glaubenslebens  sorgte  die  im  tirolischen 
Volke  und  so  auch  im  väterlichen  Hause 
lebendige  Frömmigkeit,  die  der  Erziehung 
des  Knaben  von  selbst  die  Wege  wies.  Die 
ersten  Anregungen  für  die  hohe  Kunst  ver- 
dankte er  der  feinsinnigen  Mutter.     Eifriger 


Wunsch  des  strengen  Vaters  war  es.  daG 
Emanuel  sich  der  von  ihm  selbst  betriebener. 
Schnitzerei  zuwende.  Doch  machte  sich  schon 
früh  dessen  Begabung  tür  die  Malerei  geltend; 
ihr  sich  zu  widmen  war  des  Knaben  heißestes 
Sehnen.  Als  ihm  eines  Tages  -  er  war  da- 
mals erst  zwölf  Jahre  alt  —  eine  Abbildung 
des  Lionardoschen  Abendmahles  in  die  Hände 
fiel,  geriet  er  in  eine  fast  fieberhafte  Erregung. 
Mit  wahrem  Feuereifer  wart  er  sich  sogleich 
darauf,  das  Meisterwerk  zu  zeichnen,  und 
freute  sich,  daß  ihm  die  schwere  Arbeit  leid- 
lich glückte.  Noch  lange  Zeit  wirkte  jenes 
Ereignis  in  der  Seele  des  Knaben  nach.  Zu 
den    frühesten    Erscheinungen    seines   künst- 


Die  christliche  Kunst.    XVI.    7/8.    April  1930 


i38 


DER  TIROLER  MALER  EMANUEL  RAFFEINER 


EMANUEL  RAFFEINER  (INNSBRUCK) 


ENGELSTANDCHEN 


lerischen  Strebens  gehörte  auch,  daß  er  sich 
bemühte,  Körper,  Hände,  Füße,  Köpfe  ohne 
Vorbild,  rein  aus  dem  Gedächtnisse  zu  zeich- 
nen. Die  eifrigsten  Studien  seiner  späteren 
Zeit  haben  diese  Neigung  nicht  unterdrückt, 
der  der  Künstler  vielmehr  noch  heute  huldigt; 
er  hat  dabei  so  große  Vollkommenheit  her- 
ausgebildet, daß  er  mit  völliger  Sicherheit 
auch  Porträts  aus  dem  Kopfe  malt.  —  Als 
der  Knabe  14  Jahre  alt  geworden  war,  brachte 
ihn  der  Vater  auf  die  Gewerbeschule  zu 
Innsbruck.  Inmitten  seiner  Ausbildung  für 
die  Schnitzerei  versäumte  doch  Emanuel  kei- 
nen  freien  Augenblick,    um    zu    malen,    und 


schnell  machte  er  in  seiner  Lieblingskunst 
so  bedeutende  Fortschritte,  daß  endlich  der 
Vater  seinen  Widerstand  aufgab.  Nun  kam 
der  junge  Raffeiner  in  die  Lehre  des  Fresko- 
malers Heinrich  Kluibenschädl,  bei  dem  er 
bis  1897  blieb,  schon  als  Anfänger  mit  der 
Zeichnung  von  Kartons  beschäftigt.  Die  Praxis 
der  malerischen  Technik,  vor  allem  des  Fresko, 
war  es,  in  die  jener  Lehrer  ihn  treulich  und 
mit  bleibendem  Erfolg  einführte.  Ein  Jahr 
hindurch  (1898)  genoß  Raffeiner  alsdann  den 
Unterricht  des  in  Innsbruck  tätigen  Albrecht 
von  Felsburg,  der  vor  allem  auf  größte  Sorg- 
falt der  Zeichnung  Wert  legte  und  viel  nach 


DER  TIROLER  MALER  EMANUEL  RAFEEINER 


139 


EMANUEL  RAFFEINER  (INNSBRUCK) 


DIE  MUTTER 


Werken  alter  Meister  arbeiten  ließ.  Von  da 
ging  er  dann  nach  München.  Dort  war 
Raffeiner  Schüler  von  Martin  von  Feuerstein 
und  bildete  sich  außerdem  durch  ffeißiges 
Kopieren  in  der  Alten  Pinakothek.  In  den 
Jahren  1904  und  1905  war  Raffeiner  Mit- 
arbeiter M.  von  Feuersteins  bei  den  Malereien 
in  der  deutschen  Nationalkapelle  zu  Padua. 
Nachdem  er  alsdann  noch  eine  kurze  Zeit 
bei  Wilhelm  von  Diez  gearbeitet  hatte,  be- 
gann er  seine  selbständige  Tätigkeit  in  Tirol. 
Sogleich  wurden  ihm  zahlreiche  Aufträge  zu 
teil.  So  besorgte  er  die  Ausschmückung  der 
Kirche  von  Arzl  bei  Imst  im  oberen  [nntale. 


Umfangreiche  Gemälde  von  ausgezeichneter 
Wirkung  entstanden  dort.  So  ein  Decken- 
gemälde mit  der  Anbetung  der  Hirten  und 
der  drei  Weisen  (Abb.  S.  [42  und  145),  Bilder 
der  Propheten,  der  Muttergottes,  des  Heilan- 
des, der  alle  Mühseligen  und  Beladenen  ein- 
lädt, zu  ihm  zu  kommen.  —  Ein  halbes  |ahr 
lang  (1907 — 8)  oblag  Raffeiner  in  Rom  dem 
Studium  der  frühmittelalterlichen  Mosaiken. 
Es  bildete  die  Vorbereitung  für  die  alsbald 
folgende  Ausmalung  der  Kirche  zu  Roppen 
bei  Imst,  eine  Arbeit,  die  ihn  zwei  Jahre  in 
Anspruch  nahm.  Entsprechend  dein  Stile 
jener   alten  Vorbilder   herrscht   auch   in   den 


.»• 


140 


DER  TIROLER  MALER  EMANUEL  RAFFEINER 


EMANÜEL  RAFFEINER  (INNSBRUCK) 


HL.  ANTONIUS 


Roppener  Malereien  große,  feierliche  Strenge. 
Zwischen  der  Tätigkeit  in  Tirol,  die  nicht 
nur  im  Norden  des  Landes,  sondern  auch  im 
Süden  sehr  rege  war,  schob  sich  ein  längerer 
Aufenthalt  in  München.  Von  dort  zurück- 
gekehrt, erhielt  der  Künstler  19 14  den  Auf- 
trag für  die  Ausschmückung  der  Kirche  von 
Mals  im  Vintschgau.  Nur  das  Presbyterium 
konnte  er  vollenden.  Dann  kam  der  Krieg. 
Seit  der  Heimkehr  wohnt  der  Künstler  auf 
der  sog.  Weiherburg  bei  Innsbruck,  emsiger 
Arbeit  hingegeben.  Seine  neueste,  Ende  1919 
ausgeführte  Malerei  befindet  sich  in  der  Stifts- 
kirche zu  Hall  bei  Innsbruck;  es  ist  die  in 
monumentalen  Formen  gehaltene  Darstellung 
des    gekreuzigten    Heilandes    (Abb.  S.   147). 


Maria  und  Johannes  stehen  zu  seinen  Seiten, 
erstere  in  der  Haltung  der  Orans,  letzterer 
mit  dem  Buche  der  prophetischen  Weissagun- 
gen in  den  Händen.  Magdalena  kniet  trauer- 
voll am  Kreuze,  dessen  Stamm  sie  umschlun- 
gen hält.  Engel  schweben  in  den  Lüften, 
klagend,  anbetend,  auf  die  Erfüllung  des  gött- 
lichen Willens  hinweisend.  Aus  schwerem 
Gewölke  blickt  Gott-Vater  hernieder.  Unten 
breitet  sich  die  Stadt  Jerusalem  aus. 

Bis  191 8  stand  Raffeiner  im  Felde,  doch 
war  er  der  Gelegenheit  zu  künstlerischer 
Betätigung  immerhin  nicht  gänzlich  beraubt. 
So  manche  schöne  Arbeit  ist  inmitten  des 
Kampflärms  entstanden.  Ein  großartig  auf- 
gefaßtes Triptychon  schuf  er,    als  man  noch 


141 


EMANÜEL  RAFFEINER  (INNSBRUCK) 


MADONNA  UND  KISI)  MIT  ÖLZWEIG 


142 


EMANUEL  RAFFEINER  (INNSBRUCK)  GEBURT  CHRISTI,  DIE  HIRTEN  UND  KÖNIGE 

Text  S.  139 


'43 


EMANUEL  RAFFEINER 

(INNSBRUCK) 


MARIA   HIMMELFAHRT 

UNI)  KRIEGS- 
1  RINNERUNGSBILD 


Dicken/resko  in  Malt.    Gemalt  im  Herbit  IQ/4 
Text  S.  144 


i44 


DER  TIROLER  MALER  EMANUEL  RAFEEINER 


EMANUEL  RAFFEINER  (INNSBRUCK)        HL.  MAGDALENA,  BARBARA  UND  AGNES 
Text  S.  ijb 


den  Krieg  in  zweijähriger  Dauer  beenden  zu 
können  hoffte  (Abb.  S.  137).  Im  Mittelteile 
thront  der  Heiland  als  Herr  der  Schlachten. 
Auf  Erden,  in  der  Ferne,  tobt  der  Kampf. 
Engel,  auf  Wolken  kniend,  halten  die  Wappen 
Deutschlands  und  Österreichs.  Auf  den  Flü- 
geln des  Werkes  sieht  man  die  Prachtgestalten 
des  hl.  Michael  und  der  hl.  Barbara.  Raffeiner 
hat  aber  auch  das  Verdienst,  dem  Kriege  Öster- 


reichs mit  Serbien  und  Rußland 
das  erste  überhaupt  existierende 
Denkmal  errichtet  zu  haben.  Das 
geschah  schon  im  Herbst  19 14 
zu  Mals  auf  dem  Deckengemälde 
im  Presbyterium  (Abb.  S.  143). 
Das  Bild,  das  oben  die  Krönung 
Maria  darstellt,  enthält  unten  ne- 
ben anderen  Versinnbildlichun- 
gen menschlichen  Elends,  gegen 
das  die  Fürbitte  der  Mutter  der 
Barmherzigkeit  angerufen  wird, 
auch  Hindeutungen  auf  den  be- 
reits entbrannten  Kampf:  die  Ab- 
wehr der  frevelhaften  Nachbarn 
durch  den  männlichen  Zorn  des 
Verteidigers  der  österreichischen 
Heimat. 

Dergleichen  realistische  Ele- 
mente finden  sich  auf  nicht  we- 
nigen Bildern  Raffeiners,  mildern 
erfreulich  allzu  große  Strenge, 
vermitteln  zwischen  der  Über- 
natürlichkeit der  verbildlichten 
Gedanken  und  dem  irdischen 
Empfinden  des  Beschauers.  So 
betrachte  man  z.  B.  das  Bild  der 
Mutter  mit  den  Kindern  (Abb. 
S.  139).  Die  Verteilung  ist  von 
großer  Strenge:  eine  helle  obere 
Hälfte,  von  der  sich  die  dunkle 
untere  zunächst  scharf  absetzt, 
um  sich  ganz  unten  wieder  zu 
erhellen;  dem  Kreisbogen  des 
Baumgeästes  entspricht  jener  des 
Erdbodens;  die  Mutter  ist  genau 
in  die  Mittelachse  des  Bildes  ge- 
stellt. Die  freie  Gruppierung  der 
Kinder  löst  die  Strenge  mit  kom- 
positionellem  Takte,  aber  auch  in- 
nerlich sinnvoll  auf  —  Gegen- 
gewicht kindlicher  Fröhlichkeit 
gegen  den  Schmerz  des  Lebens. 
Am  weitesten  geht  naturgemäß 
der  Realismus  bei  den  Bildnissen, 
auch  bei  jenen  einzelnen  Charak- 
terköpfen, die  der  Künstler  neuer- 
dings gern  malt,  und  die  sich 
großer  Beliebtheit  erfreuen.  Ge- 
legentlich mischt  er  Bildnisgestalten  auch  in 
Heiligenszenen.  So  bei  einem  1 9 1 5,  vor  sei- 
nem Einrücken  zum  Heere  gemalten,  reizen- 
den Ovalbildchen  mit  mehreren  Kindern,  die 
dem  auf  dem  Schöße  der  Mutter  sitzenden 
Jesuskinde  Anbetung  darbringen  (Abb.  S.  148). 
Die  landschaftlichen  Elemente  spielen  fast 
durchweg  nebensächliche  Rolle.  Nicht  zum 
Vorteil  ist  bei  dem  Bilde  in  Hall  die  eingehende 


DER  TIROLER  MALER  EMANUEL  RAFFEINER 


MS 


EXGEMÄLDES  IX  ARZL 


1  'gl.  AU.  S.  142 


Schilderung  der  Stadt,  der  durch  ihre  orien- 
talisierenden  Formen  das  Wesen  des  allgemein 
Gültigen  genommen  wird.  Man  denke  ein- 
mal, mit  wieviel  einfacheren  Mitteln  Grüne- 
wald auf  seiner  Isenheimer  Kreuzigung  die 
ganze  Welt  geschildert  hat.  Die  Szene  in  Hall 
ist  überdies  derart  ins  Überirdische  erhoben, 
daß  das  Bild  der  irdischen  Stadt  dazu  nicht 
passen  will.  Sonst  zeigen  die  landschaftlichen 
Teile,  einzelne  Bäume,  ferne  Berge  und  der- 
gleichen häufig  eine  schöne  Stilisierung  voll 
malerischer  Freiheit.  Sie  bringen  in  die  Bilder 
jenen  feinen,  frischen  Klang,  der  uns  aus 
Werken  alter  Italiener  entgegentönt. 

Ihnen  folgt  der  Geist  der  Raffeinerschen 
Malerei  seit  jenen  Tagen  der  Kindheit,  als 
er  das  Lionardosche  Bild  staunend  sich  zum 
Vorbilde  nahm.  Der  weiche  Anhauch  ita- 
lienischer Schönheit  umweht  uns  zumal  vor 


seinen  Madonnenbildern.  So  vor  jenem  mit 
dem  Lamme,  jenem  mit  den  beiden  musi- 
zierenden Engeln  (Abb.  S.  138),  dem  Bilde 
mit  der  Schilderung  irdischen  Mutterglückes 
(Abb.  S.  139).  Aber  auch  herbe  Strenge  ita- 
lienischer Kunst  übt  ihren  Einfluß.  So  spürt 
man  das  Studium  der  römischen  Mosaiken 
außer  bei  den  Roppener  Malereien  auch  deut- 
lich bei  dem  thronenden  Ghristus  des  Kriegs- 
triptychons,  bei  der  Madonnenfigur  der  Ilallcr 
Kreuzigung  und  sonst.  Aber  dergleichen  ist 
vereinzelt.  Im  allgemeinen  herrscht  der  Zug 
zu  freier,  sanfter  Schönheit  und  Lieblichkeit, 
die  doch  nie  etwas  Weichliches  undTändelndes 
haben,  sondern  gesund,  ernst,  im  besten  Sinne 
erfreulich  wirken.  Die  männlichen  [deal- 
gestalten sind  kraftvoll,  in  ihrem  Wesen  stark 
charakterisiert,  voll  religiöser  Tiefe,  die  echt 
und    natürlich  wirkt.     Als  Beispiel    betrachte 


Die  christliche  Kun«.    XVI.    7/8 


146 


DER  TIROLER  MALER  EMANUEL  RAFFEINER 


EMANUEL  RAFFEINER  (INNSBRUCK) 

man  die  Zeichnung  mit  dem  hl.  Antonius. 
Die  häufigeren  weiblichen  Gestalten  lassen 
die  Schönheit  ihrer  Seele  schon  in  jener 
ihres  Äußern  erkennen.  Das  letztere  ist  fast 
durchweg  rein  ideal  aufgefaßt.  Ein  —  glück- 
lich gelungener  —  Versuch  zur  Individuali- 
sierung begegnet  uns  in  dem  von  ausgestan- 
denem Leide  zeugenden  Antlitze  der  Mutter 
mit  der  Kindergruppe.  Die  Madonnen  Raf- 
feiners sind  herrlich  idealisierte  Jungfrauen  in 
blühendem  Alter,  voll  Keuschheit,  mit  stillem 
Herzen,  klar  blickend,  in  ahnungsvoller  Weh- 
mut sinnend,  hoheitsreich  und  dabei  demütig 
in  ihrem  irdischen  und  überirdischen  Leben. 
Gleiches  gilt  von  den  andern  weiblichen 
Heiligen  (vgl.  Abb.  S.  144).  Die  Kinder  sind 
voll  lieblicher  Unschuld,  fein  von  Körper,  die 
Antlitze  idealisiert,  gelegentlich  mit  einem 
Stich  in  die  leise,    feierliche  Unbehilflichkeit 


der  Kindergestalten    des  Quattro- 
cento. 

Die  Ausführung  der  Einzelheiten 
zeugt  von  Liebe,  Sorgfalt  und  tüch- 
tigem Können,  die  der  Körper  und 
Körperteile  von  genauer  Kenntnis 
der  Anatomie;  das  beliebte  Aus- 
wendigzeichnen beeinträchtigt  die 
Richtigkeit  nie,  fördert  aber  eine 
dem  Stil  der  Bilder  entsprechende 
Vereinfachung.  Besonders  schön 
und  ausdrucksvoll  sind  die  Köpfe; 
einen  Hauptreiz  bei  ihnen  bildet 
das  lockige,  volle,  weich  fließende, 
mild  glänzende  Haar.  Wesentliche 
Wirkung  tut  die  Behandlung  der 
Augen,  die  tief  blicken,  strahlend 
leuchten,  aber  auch  hinter  gesenk- 
ten Lidern  nachdenklich  und  in 
demutvoller  Scheu  sich  verbergen. 
Die  Zeichnung  der  Gewänder  mit 
ihren  Stoffmassen  ist  großzügig  sti- 
lisiert ohne  Härten,  bisweilen  von 
einem  gewissen  Reichtum :  lang- 
fließende Ärmel,  künstliche  Bau- 
sche, malerische  Verknotungen 
nach  Renaissanceart,  phantastisch 
gebundene  Kopftücher  und  der- 
gleichen. Der  Aufzug  der  Weisen 
des  Morgenlandes  bei  dem  Weih- 
nachtsbilde in  Arzl  ist  voll  Pracht, 
leise  orientalisierend  und  altertü- 
melnd  ohne  Ethnographie  und 
Archäologie.  Die  Farbe  Raffeiners 
ist  volltönig,  reich,  frisch,  festlich, 
voll  Harmonie,  in  Übereinstim- 
mung mit  dem  Charakter  der  Dar- 
madonna  Stellung.  So  zeigt  das  Kreuzigungs- 
bild in  Hall  eine  Fülle  von  kühlen 
Tönen.  Leben  kommt  hinein  durch  das  helle 
und  doch  gedämpfte  Gelb  des  Himmels,  von 
dem  sich  der  Körper  des  Gekreuzigten  pla- 
stisch abhebt,  und  durch  einen  warm  leuch- 
tenden Querstreifen  am  fernen  Horizonte  — 
Töne,  die  das  vorwiegende  Graublau  und 
Violett  der  Gewandfiguren  ergänzen. 

Die  Erhabenheit  und  Heiligkeit  der  über- 
natürlichen Gegenstände  findet  ihren  äußeren 
Ausdruck  in  Monumentalität  der  Form  oder 
in  der  Feierlichkeit  der  Auffassung  und  Aus- 
führung. Sie  bekundet  sich  auch  in  der 
Mäßigung  der  Leidenschaften.  Selbst  die 
Magdalena  des  Kreuzigungsbildes  hält  ihren 
Schmerz  zurück,  Maria  und  der  Lieblings- 
jünger erringen  sich  Fassung  und  Zuversicht 
im  Aufblicke  zu  dem  Erlöser  der  Welt.  Und 
wie'  die  Gestalten  Raffeiners  keinen  Ausbruch 
lauten  Jammers  kennen,  so  auch  keinen  stür- 


147 


EMANOEL  RAFFHNER    INNSBRU«  I 


DER  TIROLER  MALER  EMANUEL  RAFFEINER 


mischen  Jubel.  Wohl  jauchzt  das  Jesuskind 
einmal  auf  und  wirft  sich  an  den  Hals  der 
Mutter.  Aber  sonst  ist  auch  die  Freude  still, 
dafür  um  so  tiefer,  innerlicher.  Geistiger 
Inhalt,  Empfindung,  Form  vereinigen  sich, 
um  die  Werke  dieses  Künstlers  zu  Andachts- 
bildern besten  Ranges  zu  machen.  Bilder, 
in  denen  das  Nazarenertum  zwar  nicht  zu 
verkennen  ist,  sich  aber  nicht  in  Unselb- 
ständigkeit, noch  weniger  in  den  Mängeln 
des  nazarenischen  Epigonentums  fühlbar 
macht.  Sondern  es  ist  der  wohlklingende 
Grundton,  der  das  Ganze  weihevoll  durch- 
schwebt.    Es   hat  sich  zur  Freiheit  durchge- 


rungen, ohne  sein  Bestes  zu  verlieren.  Es 
ist  Wahrheit,  verkündet  von  einem  echt  deut- 
schen Gemüte.  Raffeiners  Kunst  redet  nicht 
italienisch,  sondern  ein  gutes  edles  Deutsch, 
wie  es  unsere  großen  Meister  — ■  Führich  oder 
Steinle  —  vor  ihm  gesprochen  haben.  Des- 
halb bewegt  sich  sein  Denken  und  Empfinden 
auch,  ähnlich  dem  ihrigen,  in  den  Bahnen 
der  Romantik.  Märchenvisionen  schweben 
ihm  vor,  und  die  Sehnsucht  erfüllt  ihn,  als 
ihr  Verkünder  die  deutsche  Phantasie  aus 
ihrem  Schlummer  zu  erwecken,  das  verarmte 
deutsche  Herz  wieder  zu  bereichern. 


EMANUEL  RAFFEINER,  DIE  KINUEK  DES  KÜNSTLERS  VOR  DER  MADONNA 
Zeichnung  von  1915.    Im  Besitz  van  Dr.  Franz  Grüner.  —   Text  S.  144 


LIONARDO  UND  REMBRANDT 


Und  Lionardo  sprach  zuerst  vom  Licht.  — 
Er  band  der  Strahlenbündel  Helligkeit 
Ein  in  sein  Suchernetz.  Er  mischte  Schatten  tief 
Mit  warmer  Sonne  sanftem  Widerstreit 
Und  Gold  getränkt  in  Wärme  stand  sein  Werk. 
Er  holte  von  dem  Himmel  sich  den  Glanz: 
Ein  Promethide.    Erdendüsternis 
Fing  er  im  mag'schen  Spiegel  seiner  Kunst, 
Bis  er  der  Schönheit  Seele  an  sich  riß.  — 
Und  Lionardo  sprach  zuerst  vom  Licht. 

Doch  Rembrandt  war  des  Lichtes  größter  Sohn. 
Der  Daseinstrunk'ne  tauchte  in  das  Meer 


Des  Chaos  tief,  wo  es  der  Schöpferschein 
Des  Herrn  durchbrach  mit  seinem  Feuerspeer. 
Des  Werdetages  Funken  traf  sein  Herz 
Und  stach  ihm  jeder  Erdenblindheit  Star. 
Des  Lichtes  Seele  ward  ihm  offenbar. 
Das  selige  Geheimnis  ihrer  Kraft. 
Rembrandt  hat  erfurchtsvoll  und  still  erlauscht 
Wie  Licht  der  Farbe  Wesen  so  erhöht, 
Daß  Licht  geworden,   sie  das  Leben  sprüht. 
Und  ihres  Daseins  Skala  jubelnd  mißt, 
Bis  schimmernd  sie  im  Geiste  Gottes  glüht. 
Denn  Rembrandt  war  des  Lichtes  größter  Sohn. 

M.  Herbert 


IGNAZ  WEIRICH 


149 


IGNAZ  WEIRICH 


ET  VERBUM  CARO  FACTUM  EST 


IGNAZ  WEIRICH 

Vgl.  Abb.  S.  149—157 

Ami.  Dezember  191 6  erfüllte  sich  in  Wien 
**■  sein  Schicksal.  Waren  es  die  Sorgen  um 
sein  Vaterland,  seine  Familie,  Klimawechsel 
oder  die  Sehnsucht  nach  Rom,  die  schneller, 
als  er  oder  die  Seinen  es  ahnten,  die  Auf- 
lösung herbeiführten? 

Kein  Denkmal  schmückt  des  Künstlers  ein- 
faches Grab  auf  dem  Wiener  Friedhof,  des 
Künstlers,  der  sich  für  sein  Tagebuch  das 
Geständnis  abrang:  Ich  habe  ernst  gearbeitet, 
viel  gemacht  und  es  heilig  ernst  mit  meiner 
Kunst  genommen,  habe  wohl  viele  Gönner, 
aber  nichts  für  meine  Zukunft,  mein  —  Alter, 
mein  geliebtes  Weib  und  Kinder  —  nichts, 
nichts  —  habe  ich  Gottvertrauen?« 

Ign.u  Weirich  sKunstwarnichtkompliziert, 
er  selbst  kein  Revolutionär,  der  gewaltsam 
Neues  sucht,  um  des  Neuen,  des  Namens  willen. 
Er  baute  auf  dem  Alten,  das  er  studiert  und 
in  dem  er  in  Rom  lebte,  auf  und  führte  es 
weiter.  Aber  seine  Kunst  hob  sich  hinaus 
über  das  gute  Mittelmali  durch  die  plastische 


Wirkung  seiner  Werke,  den  Rhythmus,  der 
in  ihnen  fließt,  und  die  Formvollendung,  bis 
zu  der  er  seine  Figuren  formte 

Erst  spät  kam  Ignaz  Weirich  zum  eigent- 
lichen Studium.  Wie  er  geendet,  so  begann 
er  unter  Schwierigkeiten,  für  die  er  nicht  die 
Verantwortung  trug.  Geboren  am  22.  Juli  1856 
zu  Fugau  (Bezirk  Schlucken  au)  in  Nordböhmen, 
erregte  Weirich  schon  auf  der  Volksschule  die 
Aufmerksamkeit  von  Lehrer  und  Pfarrer,  auf 
deren  Veranlassung  er  die  Zeichenschule 
im  nahen  Taubenheim  in  Sachsen  besuchen 
durfte.  Die  ungünstigen  Verhältnisse  waren 
aber  stärker  als  der  gute  Wille  und  so  trat 
der  Junge  an  den  Webstuhl.  Dem  Zwanzig- 
jährigen gestattete  der  Vater  endlich  in  eine 
der  inneren  Veranlagung  des  jungen  Mannes 
entsprechende  Lehre,  bei  einem  Holzbildhauer 
und  Hoftischler  zu  Hegenbarth  einzutreten. 
Vier  Jahre  währte  die  Lehrzeit,  viel  zu  lang 
für  des  Künstlers  Seimen,  das  ihn  auch  wah- 
rend der  zweijährigen  GesellentStigkeit  bei 
einem  Dresdener  Hof  bildhauer  gefangen  hielt. 
Endlich  konnte  der  erste  Schritt  zur  eigent- 
lichen  künstlerischen   Ausbildung   getan   wer- 


T5° 


1GNAZ  WEIRICH,  MARMORRELIEF  FÜR  DEN  PILGERSAAL  IN  S.  MARIA 
DELL'ANIMA 

Im  An/trag  des  links  abgebildeten  Kardinals  Kopp.  —  Text  S.  Ij2 


i5i 


[GNAZ  whirich 


CHRISTUS  AM  KREUZ 


Bruren.   —    Text  S.  IS4 


152 


IGNAZ  WEIRICH 


den.  Nach  dem  Verlassen  der  Kunstgewerbe- 
schule in  Wien,  die  dem  strebsamen  Manne 
schon  nach  dem  ersten  Semester  des  Mini- 
steriums Stipendium  ermöglichte,  begann  Wei- 
rich  sein  selbstschöpferisches  Schaffen,  das 
er  in  erster  Linie  in  den  Dienst  als  Fachlehrer 
in  Staatsschulen  stellte.  Auch  diese  Tätigkeit 
befriedigte  Weirich  nicht  voll.  Er  wollte 
seiner  Kunst  die  höhere  Weihe  geben  und 
besuchte  deshalb  von  1886 — 1892  unter  un- 
geheuren Schwierigkeiten  selbst  auf  Kosten 
seiner  Gesundheit  aber  mit  großen  Erfolgen 
die  Akademie  der  bildenden  Künste  in  Wien. 
Professor  Helmer  und  C.  von  Zumbusch  waren 
hier  seine  Lehrer  und  namentlich  letzterer 
scheint  Einfluß  gewonnen  zu  haben.  Den 
Abschluß  der  akademischen  Studien  bildete 
im  Jahre  1892  die  Verleihung  des  Rompreises, 
der  Weirich  bis  zu  Beginn  des  Weltkrieges 
nach  Rom  führen  sollte. 

In  die  Romstipendienzeit  fällt  die  Entstehung 
der  lebensgroßen  Gruppe  »Der  tote  Abel«  >), 
die  bei  ihren  verschiedenen  Ausstellungen  in 
deutschen  und  österreichischen  Städten  die 
Anerkennung  der  Kritik  fand. 


')  Abb.  »Deutsche  Arbeit«,  Monatsschrift  für  das  geistige 
Leben  der  Deutschen  in  Böhmen,  Prag,  II.  Jahrg.,  H.  8. 


Die  Kunst  Weirichs  in  Rom  zerfällt  unter 
dem  Gesichtspunkte  der  Zweckmäßigkeit  in 
drei  Teile.  Ich  stelle  die  profane  Kunst  an 
die  Spitze,  um  über  die  Grabdenkmäler  zu 
den  religiösen  Werken  zu  kommen. 

War  es  auch  der  Geist  des  Christentums, 
der  den  Hauptinhalt  seiner  Kunst  erfüllte, 
so  hinterließ  Weirich  doch  eine  Reihe  von 
Arbeiten  profanen  Inhalts,  die  der  Beachtung 
wert  sind.  Sie  verraten  den  Ernst  seines 
Strebens,  sind  von  plastischer  Wirkung  und 
zeugen  von  gediegenem  bildhauerischem  Kön- 
nen. Ich  erwähne  hier  die  »Lebensabend«1) 
genannte  eindrucksvolle  Hermebüste  einer 
alten  Frau  oder  den  Kopf  des  alten  Mannes, 
die  lebenswahre  Porträtbüste  des  Professors  C. 
und  vor  allem  die  mit  besonderer  Liebe 
modellierte  Büste  seines  Söhnchens  »Marcus« 
mit  den  ausdrucksvollen  lebendigen  Augen, 
die  er  durch  die  erhabene  Behandlung  der 
Pupillen  erreichte.  Als  wahren  Künstler  be- 
schäftigte ihn  der  kindliche  Körper  mit  seinem 
ehrlichen,  der  Lüge  noch  fremden  Blick  und 
der  ganzen  Anmut  und  Drolligkeit  des  Ge- 
bahrens  noch  mehrmals.  Wie  in  dem  Zyklus 
>Die  Mächte  der  Musik«,  die  im  Besitze  des 
Markgrafen  Pallavicini  teils  in  Rom,  teils  von 
einem  Jugendfreund  vollendet,  in  Wien  stehen. 

Die  Putten  sind  es  auch,  die  bei  dem  Grab- 
mal für  den  Musiker  und  Liederdichter  Eduard 
Tauritz  durch  ihre  liebevolle  Mache  ins  Auge 
springen.  Die  beiden  Burschen  singen  —  das 
Volkslied  personifizierend  —  vom  Blatte, 
während  die  Fama,  der  trauernden  Muse 
trostsprechend,  den  Namen  des  Verstorbenen 
in  die  Grabplatte  einschreibt.  Kurz  vor  seinem 
Tode  machte  Weirich  noch  ein  Grabmalrelief 
für  den  kleinen  Grafen  Dulsky,  das  in  Mar- 
mor ausgeführt,  den  ganzen  Liebreiz  der 
Kunst  des  Meisters  zeigt.  Vertrauensvoll 
kommt  der  junge  Graf  auf  den  göttlichen 
Heiland  zugelaufen,  der  —  eine  hehre  lichte 
Figur  —  seine  Hände  zum  Empfang  liebevoll 
entgegenstreckt. 

Diese  Reliefkunst  führte  mich  zur  religiösen 
Kunstübung.  Kardinal  Kopp  bestellte  für  den 
Pilgersaal  in  S.  Maria  dell'  anima  in  Rom  ein 
Relief,  das  den  Moment  darstellt,  in  dem 
Pilger  vom  Besteller  geführt,  vom  Papste  den 
Segen  empfangen.  Im  Hintergrund  blickt 
Maria  mit  dem  Kinde,  vor  dem  zwei  Engel 
die  Knie  betend  beugen,  auf  die  heilige 
Handlung  herab.  Der  Eindruck  ist  plastisch 
bei  bester  Raumausfüllung  und  Behandlung  der 
Gewänder,  die  keine  Schemen,  sondern  Körper 


IGNAZ  WEIRICH  STUDIE  ZU  EINEM  JOHANNES  BAPT. 

")l3l'4-   ~   Text  S.  ISS 


»)  Vgl.  Heft  4,  Jahrg.  VII,  der  Monatsschrift  für  das 
geistige  Leben  der  Deutschen  in  Böhmen,  in  dem 
F.  Matras  über  Weirich  handelte. 


IGNAZ  WEIRICH 


'53 


IGNAZ  WEIRICH 


bekleiden.  In dieReihejenergelungenen  Reliefs 
gehört  auch  die  im  Jahrgang  191 1  der  Mappe 
abgebildete  »Madonnac.  Das  Relief  stellt  die 
zweite  Entwicklungsstufe  aus  dem  Marien- 
zvklus  dar,  in  dem  Weirich  die  Gottesmutter 
verherrlichte.  Maria  mit  dem  Kinde  in  der 
Krippe  mit  der  kennzeichnenden  Unterschrift 
»Et  verbum  caro  factum  estc  ist  das  eine  und 
die  >Pieta-i')  die  dritte  Darstellung. 

Das  alte  Motiv  der  bildenden  Kunst,  das 
kaum  noch  die  Möglichkeit  einer  Variation 
zuzulassen  scheint.  Weirich  macht  durch  die 
massive  Bank,  auf  die  er  Maria  setzt,  erklär- 

')  Abb.  und  Besprechung  in  Mappe  1906,  wo  auch 
das  kurz  >C.onsumatum  est<  betitelte  Kreuz,  der  hl. 
Bischof  Alfonso  und  der  hl.  Borromäus  zu  finden  sind. 


lieh,  daß  die  durch  die  vorhergegangenen 
körperlichen  und  seelischen  Anstrengungen 
gebrochene  Mutter  den  Leichnam  .ml  ihrem 
Schoß  noch  zu  halten  vermag.  Die  in  Carrara- 
marmor  in  den  Jahren  1903/04  ausgeführte 
Gruppe  steht  in  einer  von  Graf  Ballestrem 
erbauten  katholischen  Kirche  in  Oberschlesien. 
Eine  zweite  überlebensgroße  Pieü  arbeitete 
Weirich  im  Auftrag  des  Ministeriums  1913/14 
für  die  Kaiser-JubiTäums-Kirche  in  Wien,  wo 
sie  als  einziges  Werk  in  einer  dortigen  Kirche 
von  seiner  Kunst  erzählt.  Mit  dem  Bildnis 
seiner  schmerzensreichen  Mutter  ist  das  des 
Gekreuzigten  eng  verbunden.  Weirich  gab 
seinem  Kruzitixus,  den  er  1902  für  das  Mau 
soleum  des  Markgrafen  Alex.  Pallavicini  schuf, 


Die  chriftliche  Kumt      XVI.       ,*. 


154 


IGNAZ  WEIRICH 


IGNAZ  WEIRICH 


KILDNISBUSTE 


Vollendet  ig  10,  Jetzt  im  Coli.  Ger 


die  Unterschrift  »Consumatum  est«,  um  an- 
zudeuten, daß  es  ihm  nicht  um  die  Schilderung 
des  Leidens  zu  tun  war,  sondern  um  die  Ver- 
klärung, die  Ruhe  nach  dem  Schmerz.  Ver- 
zeihung und  ewige  Erlösung  spricht  aus  dem 
lebensgroßen  Kreuz,  das  bei  strenger  realisti- 
scher und  bester  anatomischer  Behandlung 
nicht  Schrecken,  sondern  Ruhe  und  Frieden 
verkündet,  der  den  Beter  emporzieht  zur  Er- 
hebung aus  irdischen  Qualen.  Noch  zweimal 
schuf  der  Künstler  aus  demselben  Gedanken 
heraus  das  Bildnis  des  Gekreuzigten,  das  von 
einem  Großindustriellen  bestellte  Kreuz  für 
die  Garnisonskirche  in  Berlin  und  das  von 
Kaiser  Wilhelm  II.  dem  Kloster  Beuron  ge- 
stiftete Kreuz  (Abb.  S.  151). 

Die  eigentliche  kirchliche  Rundplastik  Wei- 


richsist  inzahlreichen  Vertretungen  vorhanden. 
Sein  hl.  Bischof  Alfons  und  hl.  Borromäus, 
beide  1905  für  die  schon  oben  genannte  Gruft- 
kirche geschaffen,  sind  von  großer  plastischer 
Empfindung  und  von  einfacher  Monumen- 
talität. Während  der  Bischof  in  aktiver  Tätig- 
keit der  Segenspendung,  also  in  Bewegung 
gedacht  ist,  zeigt  der  hl.  Karl  die  stille  Ruhe 
des  im  Gebet  für  die  Verstorbenen  Ver- 
sunkenen. Entsprechend  ruhig  verlaufen  die 
Falten  des  Gewandes.  Ich  erinnere  daran, 
weil  auch  die  Herz-Jesu-Statue,  die  Papst 
Pius  X.  19 10  für  den  großen  Hörsaal  des 
Istituto  Biblico  aus  sechs  Skizzen  auswählte 
und  bestellte,  durch  die  Ruhe  des  Faltenwurfs 
überrascht,  auf  der  viel  der  erhabene  Eindruck 
beruht.    Die  Darstellung  der  Herz-Jesu-Figur 


IGNAZ  WEIRICH 


IGKAZ  WEIRICH 


gehört  bekanntlich  in  der  Kunst  wie  zu  der 
jüngsten,  so  auch  zu  der  schwierigsten  Auf- 
gabe. Weirich  löste  sie  hauptsächlich  durch 
den  sittlichen,  tief  religiösen  Ernst  seines  Bild- 
werkes. Äußerlich  laßt  er  mit  der  Linken 
den  Mantel  etwas  zurücknehmen,  damit  der 
Blick  ungehindert  sich  dem  Herzen  zuwendet, 
auf  das  nur  andeutend  die  Rechte  verweist. 
Auch  die  Wiederholung  in  Terrakotta  für 
die  Ausstellung  für  christliche  Kunst  aus  An- 
laß des  Eucharistischen  Kongresses  fand  all 
gemeine  Anerkennung.    Zum  Schlüsse  bleibt 


mir  noch  übrig,  auf  zwei  Werke  zu  verweisen. 
Im  Besitz  des  .Markgraten  l'allavicini  belinden 
sich  vier  Marmorreliefs  der  Evangelisten.  Die 
mir  vorliegende  Studie  zu  einem  Johannes 
dem  Täufer  aus  dem  Jahre  [913/14  mahnt  in 
der  charakteristischen  Auffassung  des  Antlitzes 
mit  den  träumerisch-seherischen  Augen  an 
Dürersche  Künstlerkraft.  Das  andere  ist  eine 
Büste,  die  Weirich  für  das  Collegiurn  Ger- 
manicum  fertigte.  Es  sei  auf  sie  hier  noch 
eigens  aufmerksam  gemacht  wegen  der  be- 
sonders intensiven  Durchbildung  des  Kopfes. 
\V.  Zfls-Mflnchen 


i56 


EIN  KREUZWEG  VON  JANUARIUS  ZICK 


IGNAZ  WEIRICH 


I  l.):KNSABEXD 


DER  KREUZWEG 

VON  JANUARIUS  ZICK 

IN  ST.  ULRICH  IN  AUGSBURG 

Von  DR.  ADOLF  FEULNER 

(Abbildungen    S.  157  bis   168) 

Die  Passion  Christi  war  von  jeher  das  wich- 
tigste Thema  der  deutschen  Kunst.  Die 
Maler  des  Mittelalters  haben  sich  um  die  kom- 
positionelle  Eösung  der  verschiedenen  Szenen 
bemüht,  denen  dann  Dürer  die  klassische 
Ausprägung  gegeben  hat.  Aber  künstlerisch 
wertvolle  Kreuzwegstationen  im  eigentlichen 
Sinne  sind  selten.  Im  späten  15.  Jahrhundert 
hat  Adam  Krafft  in  Nürnberg  die  ersten  deut- 
schen Kreuzwegbilder  geschaffen,  eine  Folge 
von  sieben  Stationen,  die  in  Abständen  des 
ursprünglichen  Leidensweges  Christi  in  Jeru- 
salem aufgestellt  waren.  Das  war  der  Anfang. 
Er   wurde    bald    frommer    Brauch.     In    Bild- 


stöcken auf  Feldwegen,  in  Stationshäuschen 
vor  Wallfahrtskirchen,  in  Werken  der  Plastik 
und  Malerei  wurde  das  bittere  Leiden  des 
Herrn  behandelt;  in  Szenen  von  verschiede- 
ner Folge,  mit  Auslassung  der  einen  oder  an- 
deren Station,  bis  eben  die  Kreuzwegandacht 
fixiert  worden  war.  Erst  als  diese  1686  in 
Form  einer  Ablaßverleihung  ihre  kirchliche 
Bestätigung  erhielt,  und  besonders  als  1726 
das  Privilegium,  das  anfänglich  nur  für  den 
Franziskanerorden  oder  für  Personen  im  Ver- 
band des  Ordens  gegolten  hatte ,  auf  alle 
Gläubigen  ausgedehnt  wurde,  da  wurden  die 
Kreuzwegstationen  in  allen  größeren  und  klei- 
neren Kirchen  eingeführt. 

In  jener  Zeit  enstanden  verschiedene  Sta- 
tionsdarstellungen von  Künstlern,  die  damals 
etwas  galten.  Sie  tragen  deutlich  das  Ge- 
präge der  gleichzeitigen  Kunst  an  sich  und 
sind  uns  deshalb  fremd  geblieben,  weil  das 
Urteil  des  vorigen  Jahrhunderts  über  die 
Schöpfungen  der  Barock-  und  Rokokozeit  bis 
jetzt  nachgewirkt  hat.  Jede  Zeit  ist  am  mei- 
sten ungerecht  gegen  die  unmittelbar  vorher- 
gehende Generation,  sagt  Goethe  einmal.  Das 
künstlerische  Urteil,  das  von  den  Theoretikern 
des  Klassizismus  gelernt  hatte,  das  im  Banne 
der  strengen  Kunst  der  Nazarenerzeit  stand, 
mußte  diese  leichten,  malerischen  Schöpfungen 
als  unwahr,  unkirchlich  empfinden.  Wir  ver- 
stehen die  Ursachen,  die  zu  dieser  Einwer- 
tung  führten,  aber  wir  teilen  das  Urteil  selbst 
nicht  mehr,  weil  wir  uns  bemühen,  die  Künst- 
ler des  Barock  aus  ihrer  Zeit  heraus  zu  ver- 
stehen. Man  hat  erst  jetzt  gelernt,  aus  der 
Menge  der  bürgerlichen  Meister,  die  man  un- 
ter dem  verachteten  Namen  Zopfmaler  zu- 
sammenfaßte, die  einzelnen  Persönlichkeiten 
herauszuschälen,  Eigenschaften  des  Zeitstiles 
und  die  persönliche  Note  zu  trennen.  Man 
hat  auch  erkannt,  daß  wir  nicht  eine  bloße 
»Akrobatenkunst«  vor  uns  haben,  die  »die 
tremenda  mysteria  mißbrauchten,  um  mit  ihrer 
Virtuosität  in  Verkürzungen  und  Perspektiven 
zu  prunken«,  sondern  um  eine  ernste,  volks- 
tümliche Kunst,  die  auch  noch  »mit  einem 
echten  Blutstropfen  aus  christlich-gläubigem 
Herzen  gesalbt«  war,  die  aus  der  Volksseele 
heraus  gedacht  und  empfunden  hat,  die  die 
Wirkung  auf  das  Volk  schon  deshalb  nicht 
verfehlen  konnte,  weil  sie  sich  der  Kunst- 
mittel ihrer  eigenen  Zeit  bediente,  nicht  in  ent- 
legenen Sphären  vergangener  Zeit  schwebte, 
wie  die  nachahmenden  Künstler  des  19.  Jahr- 
hunderts. Wir  wollen  hier  einen  Kreuzweg 
aus  der  späten  Zopfzeit  vorführen. 

Als  volkstümliche  Kunst  wollen  die  14  Sta- 
tionen   des    Kreuzweges   in    der   St.  Ulrichs- 


157 


JANUARIÜS  ZICK    1732—1797) 

/.  Station  des   Krtusweget 


ricktkinkt 


[ESUS  ZI  I  RUM  EILT 

Atftturt   - 


i58 


EIN  KREUZWEG  VON  JANUARIUS  ZICK 


IAN.  ZICK  JESUS  NIMMT  DAS  KREUZ  AUF  SICH 

2.  Station  in  St.  Ulrich  zu  Augsburg 


kirche  in  Augsburg  angesehen  werden.  Janua- 
rius  Zick,  der  sie  geschaffen  hat,  war  zu  seiner 
Zeit  ein  sehr  angesehener  Künstler,  im  vol- 
len Besitz  aller  Erfahrungen  der  Barockzeit. 
1732  war  er  in  München  geboren,  als  Sohn 
eines  ebenfalls  angesehenen  Meisters,  des 
Freskomalers  Johannes  Zick.  Bei  seinem  Vater 
erhielt  er  den  ersten  Unterricht,  mit  ihm  zog 
er  1749  nach  Würzburg,  zu  einer  Zeit,  als 
Tiepolo  in  der  Residenz  der  Fürstbischöfe 
die  berühmten  Fresken  malte,  und  einige 
Jahre  später  nach  Bruchsal,  als  Johannes  Zick 
die  Ausmalung  der  Residenz  der  Speierer 
Fürstbischöfe  übertragen  wurde.  Zur  weiteren 
Vervollkommnung  in  der  Kunst  mußte  dann 
der  junge  Maler  auf  Reisen.  So  war  es  all- 
gemeiner Brauch.  In  Paris  und  Rom,  bei  den 
Malern  höfischer  Rokokoeleganz,  und  be 
Mengs,  dem  Theoretiker  des  strengen  Klas 
sizismus,  hat  er  gelernt.  Nach  seiner  Rück 
kehr  wurde  ihm  1759  ein  Teil  der  Dekoratio 
nen  im  Bruchsaler  Schloß  übertragen.  Gleic 
darauf  kam  er  in  den  Dienst  der  Trierer  Fürst 
bischöfe.  In  Trier  und  Engers  bei  Koblenz 
(1760)  hat  er  seine  ersten  Fresken  gemalt. 
Von  da  ab  blieb  er  am  Rhein.    Er  verheiratete 


sich  mit  einer  angesehenen  Bürgerstochter 
aus  Ehrenbreitstein,  wo  er  dauernd  wohnte. 
Nach  Süddeutschland,  in  seine  Heimat,  wurde 
er  erst  später  berufen.  Die  Fresken  in  den 
großen  Klosterkirchen  in  Wiblingen  bei  Ulm 
(1778—81),  Oberelchingen  (1783),  Rot  in 
Württemberg  (1784)  sind  seine  bedeutendsten 
Werke.  In  dieser  Zeit,  in  den  achtziger  Jahren, 
sind  auch  die  Kreuzwegstationen  entstanden. 
Literarische  Nachweise  oder  inschriftliche  Da- 
tierungen scheinen  zwar  zu  fehlen;  aber  die 
Entstehungszeit  geht  aus  einem  Vergleich  mit 
den  Fresken  deutlich  hervor.  Weitere  Fres- 
ken sind  in  Koblenz  (i785),Triefenstein(i786), 
Mainz  (1787),  Koblenz  (1790);  andere  sind  ver- 
loren gegangen.  Am  14.  November  1797  ist 
Januarius  Zick  in  Ehrenbreitstein  gestorben, 
als  seine  Kunst  schon  unmodern  geworden 
war  und  von  den  Theoretikern  des  strengen 
Klassizismus  hart  angegriffen  wurde. 

Man  erwartet  in  dem  Kreuzweg  eines  Malers 
der  späten  Rokokozeit  eine  künstliche  Kunst 
zu  finden,  Werke  voller  Überladungen,  schwul- 
stig im  Inhaltlichen  und  Formalen,  ausgestattet 
mit  allegorischem  Beiwerk,  mit  Nebenerzäh- 
lungen, mit  virtuosenhaften  Verkürzungen  und 
kunstvollen  Perspektiven.  Aberdavonwirdman 
wenig  merken.  Es  fehlt  zwar  nicht  an  Er- 
innerungen daran,  daß  der  Meister  des  Kreuz- 
wegs ein  Freskomaler  war.  Dieschnellgewandte 
mehr  zeichnende  Technik,  die  überall  den 
ersten  Pinselstrich  unvertrieben  stehen  läßt, 
die  Art  der  Komposition  mit  dem  raschen 
Übergang  von  den  Figuren  des  Vordergrundes 
zu  den  Nebenfiguren  im  Hintergrund  ließen 
schon  Rückschlüsse  zu,  auch  wenn  wir  vom 
Maler  sonst  nichts  wüßten.  Aber  das  Wirk- 
same bleibt  die  einfache  Erzählung  mit  weni- 
gen Figuren.  Es  ist  eine  Folge  von  Bildern, 
die  durch  das  Inhaltliche  der  Darstellung,  durch 
die  klare  Handlung,  die  greifbare  Drastik  der 
Gebärden  des  Ausdrucks,  die  naive  Einfach- 
heit der  einzelnen  Szenen  wirken  will;  es  ist 
ein  volkstümliches  Werk,  in  dem  man  den  ge- 
schickten Arrangeur  der  dekorativen  Fresken 
kaum  mehr  erkennt. 

Das  künstlerische  Thema  bei  den  14  Statio- 
nen des  Kreuzwegs  ist  abwechslungsreich  und 
doch  auch  beengt;  es  schließt  die  Gefahr  von 
Wiederholungen  in  sich.  Fünfmal  muß  der 
kreuztragende  Heiland  in  wenig  verschiedenen 
Situationen  zur  Darstellung  kommen,  bei  der 
Aufnahme  des  Kreuzes,  bei  der  Begegnung 
mit  seiner  Mutter,  bei  der  Unterstützung  durch 
Simon  von  Cyrene,beim  Empfang  desSchweiß- 
tuches,  bei  der  Anrede  an  die  weinenden  Frauen 
von  Jerusalem;  dreimal  ist  der  Fall  unter  das 
Kreuz  zu  schildern.  Dazu  kommen  die  so  häufig 


J59 


IANUAR1US  /.ICK    1732-   1 


|    UNTER  DEM  KREUZ! 


i6o 


EIN  KREUZWEG  VON  JANUARIUS  ZICK 


JAN.  ZICK 


JESUS  BEGEGNET  SEINER  MUTTER 
4.  und  j.  Station  des  Kreuzwegs 


JAN.  ZICK 
der  St.  Ulrichskirche  zu  Augsburg 


SIMON  VON  CYRENE 


behandelten  Aufgaben,  Christus  auf  Kaivaria, 
die  Beweinung  und  die  Grablegung.  Seltenere 
Themen  sind  nur  die  1.  Station,  Christus  wird 
zum  Tode  verurteilt,  die  Entkleidung  und  die 
Annagelung  an  das  Kreuz.  Es  ist  keine  leichte 
Aufgabe,  in  allen  diesen  Szenen  die  Wieder- 
holungen zu  vermeiden  und  noch  schwerer 
ist  es  bei  den  Hauptthemen,  die  von  den  größten 
Meistern  der  Kunst  gleichsam  ihre  endgültige 
Fassung  erhalten  haben,  neue,  persönliche  Ge- 
danken zum  Ausdruck  zu  bringen.  Man  kann 
nicht  sagen,  daß  Zick  an  allen  Klippen  glück- 
lich vorbeigekommen  wäre;  die  Erinnerung 
an  fremde  Kompositionen,  wie  an  eigene  Werke 
seiner  früheren  Zeit  drängen  sich  unwillkür- 
lich auf,  und  anderseits  erscheinen  gegenüber 
den  klassischen  Fassungen  seine  neuen  Lö- 
sungen oft  als  triviale  Ausdeutungen.  Aber 
es  sind  trotzdem  selbständige  Leistungen,  die 
schon  deshalb  Beachtung  verdienen.  Wir  er- 
kennen dies  am  besten,  wenn  wir  die  gleich- 
artigen Szenen  zusammenstellen. 

Christus  fällt  unter  dem  Kreuz.  Der  Zug  der 
Gruppen  geht  in  allen  drei  Fällen  von  links 
nach  rechts ;  infolgedessen  wird  Christus  drei- 
mal von  der  gleichen  Seite  sichtbar,  wie  er 


sich  stützt  auf  die  rechte  Hand  und  das  rechte 
Knie.  Verschieden  ist  nur  die  Art,  die  Inten- 
sität des  Hingesunkenseins,  vom  Aufstützen 
auf  Knie  und  Hände  bis  zum  kraftlosen  Hin- 
sinken auf  den  Boden.  Verschieden  sind  auch 
die  Aktionen  der  Henker,  die  immer  wilder 
und  grausamer  werden.  Beim  dritten  Fall  ist 
Christus  gänzlich  ermattet  und  nun  umfaßt 
der  eine  Kriegsknecht  seinen  Oberkörper,  der 
andere  zerrt  heftig  an  der  Fessel,  wobei  er 
sich  mit  den  Füßen  gegen  den  Heiland  stemmt. 
Es  ist  eine  dreifache  Steigerung  in  der  Be- 
wegung wie  im  Ausdruck,  die  deutlich  ge- 
wollt ist.  Auf  allen  drei  Bildern  ist  die  Szenerie 
verschieden  behandelt.  Einige  Köpfe  oder 
Halbfiguren,  mehr  Füllfiguren,  die  mit  der 
Komposition  nicht  verwachsen  sind,  schieben 
sich  hinter  den  Hauptfiguren  des  Vordergrundes 
herein.  Sie  sind  perspektivisch  nicht  verkürzt, 
obwohl  sie  als  entferntere  Zuschauer  betrachtet 
werden  wollen;  ihr  Standpunkt  bleibt  unklar. 
Man  ist  gezwungen,  den  Vordergrund  sich  als 
ein  knappes  Podium  zu  denken,  hinter  dem 
das  Terrain  rasch  abfällt.  Es  ist  wie  auf  Decken- 
bildern, in  denen  nur  ein  Ausschnitt  aus  einem 
Stück  Boden  gegeben  wird,  das  nach  rückwärts 


i6i 


JANÜARIÜS  Z1CK  '•  ER(  >N1KA  EU  U  HT  JESU  DAS  SOTO  EISS 

r>.  Statö»  iüs  Krtuxwtge*  in  der  St.  Ulritkskirtk*  zu  Augshurg 


Die  christliclie  Kunst.     XVI.     ;i8. 


162 


EIN  KREUZWEG  VON  JANUARIUS  ZICK 


JAN.  ZICK 


ZWEITER  FALL  ÜN'TER  DEM  KREUZE 

7.  und  S.  Station  des  Kreuzweges 


JAN.  ZICK 
der  St.  Ulrichskirche 


JESUS  UND  DIE  FRAUEN  JERUSALEMS 
Augsburg 


abfällt,  weil  es  in  der  Verkürzung  gesehen 
wird.  Das  Theatralische  der  Deckenmalerei 
kommt  so  auch  auf  den  Tafelbildern  zum  Aus- 
druck. Wir  suchen  vergebens  nach  Vorbildern 
für  solche  Lösungen.  Zick  hat  sie  für  das 
Fresko  erfunden  und  hier  auf  das  Tafelbild 
übertragen. 

Das  Volkstümliche  liegt  im  eindeutigen  Aus- 
druck der  Gebärde,  in  der  Drastik  der  Be- 
wegungen. Man  betrachte  die  drei  Begeg- 
nungen. Bei  der  Szene  Christus  und  seine 
Mutter  und  Christus  tröstet  die  weinenden 
Frauen  eine  einfache  Gegenüberstellung  von 
Figuren  in  einer  Ebene  wie  in  einem  Relief, 
ohne  räumliche  Vertiefung.  Wenn  auf  dem 
einen  Bild  noch  ein  kahler  Strunk  und  ein 
deutscher  Tannenbaum  zur  Vervollständigung 
der  Szenerie  gegeben  sind,  so  dienen  auch 
diese  mehr  zur  Füllung  der  Fläche.  Die  etwas 
pathetischen  Gesten  des  Heilandes  wiederholen 
sich  auf  beiden  Bildern.  Maria  deklamiert  in 
der  Pose  eines  Redners,  wobei  der  Körper  und 
die  Hände  unschön  verkürzt  erscheinen.  Noch 
drastischer  wirkt  die  Antwort,  die  Christi 
Worte  in  den  deklamierenden  Gebärden  der 
weinenden  Frauen  finden.    Sogar  die  Tränen 


sind  dick  aufgetragen.  Das  gehört  auch  zum 
volkstümlichen  Stil,  der  wie  greifbare  Gesten, 
die  klare  Drastik  liebt.  Als  künstlerische  Kom- 
positionen sind  diese  Erfindungen  weniger 
bedeutend.  Viel  besser  ist  die  Begegnung  mit 
Veronika.  Christus  hat  sein  Antlitz  abgetrock- 
net und  wendet  sich  aus  dem  Zuge  heraus 
erhobenen  Hauptes  aufrecht  stehend  zu  Vero- 
nika, die  in  bestürztem  Staunen,  zurückgekauert 
dakniet  und  das  Schweißtuch  vorstreckt.  Die 
Wendung  Christi  wirkt  ungezwungen.  Blick 
und  Ausdruck  sind  frei,  nicht  übertrieben  oder 
gestellt,  wie  auf  den  vorigen  Bildern.  Alle 
übrigen  Figuren  sind  vielzusehr  als  Neben- 
figuren behandelt,  die  Umgebung  Christi  ist 
nur  angedeutet.  Man  könnte  ohne  Bedenken 
jeden  einzelnen  dieser  Köpfe  entfernen  ohne 
der  Handlung  zu  schaden;  es  würde  kaum 
eine  merkbare  Lücke  entstehen.  So  ist  es 
aber  nicht  auf  allen  Bildern. 

Als  Komposition  am  meisten  durchgefühlt 
ist  die  erste  Station,  Christus  vor  Pilatus.  Die 
großen,  rahmenden  Linien  der  Architektur 
des  Thrones  und  die  Mauern  des  Hofes  be- 
dingen die  Geschlossenheit  der  Wirkung.  Auf 
diesem  Podium  sind  die  Figuren  zwanglos  ver- 


i63 


JANUARIUS  ZICK 


9.  Station  dtt  Krsumwtges  in  ttti 


DR]  1 

.SV.  l'irichs 


164 


EIN  KREUZWEG  VON  JANUARIUS  ZICK 


JESUS  WIRD  ENTKLEIDET 
.SV.   I  i>  (1  h  zu  Augsburg 


teilt.  Christus,  eine  edle  Figur  mit  leidendem, 
nachdenklichem  Ausdruck,  steigt  die  Stufen 
herab  nach  vorne  und  kommt  dadurch  in  das 
volle  Licht,  das  von  links  hereinfällt.  Hinter 
ihm  in  der  Nische  sitzt  Pilatus  und  wäscht 
sich  nachdenklich  gebeugt  die  Hände.  Rechts 
im  Hintergrund  charakterisieren  eine  Halb- 
figur und  einige  Köpfe  das  aufgeregte  Volk. 
Das  Licht  ist  als  bestimmender  Eaktor  in  der 
Komposition  ausgenützt,  es  hebt  die  Haupt- 
figur heraus  und  stuft  sich  an  den  Neben- 
figuren ab.  Die  stärksten  Kontraste  treffen  im 
Vordergrund  aufeinander;  die  ganze  Szene 
wird  so  zurückgedrängt.  Die  weiche  Tonig- 
keit  der  Farben  erinnert  an  die  Holländer,  die 
Zick  in  seiner  Jugend  und  als  Schüler  der 
Franzosen  vielfach  nachgeahmt  hat.  Das  Bild 
ist  in  der  Anlage  sehr  durchdacht,  es  ist  auch 
besser  durchgeführt  als  die  übrigen  Stationen. 
Nach  solchen  Tafelwerken  muß  man  das 
Können  des  Meisters  bemessen,  nicht  nach  den 
Szenen,  die  ihm  weniger  am  Herzen  lagen,  in 
denen  er  schon  früher  Gesagtes  wiederholte. 
Die  strenge  zentrale  Anordnung  auf  dem 
Kaivariabild,  Christus  zwischen  den  beiden 
Schachern,    zu    Füßen   Magdalena,    zwischen 


Maria  und  Johannes,  hat  Zick  schon  einmal 
gegeben  im  großen  Altarblatt  in  Wiblingen 
und  auf  der  Skizze  dazu  in  Koblenz.  Ähnlich 
ist  ein  Fresko  in  Oberelchingen.  Die  Bewei- 
nung Christi  erscheint  öfters  unter  seinen  Früh- 
werken. Das  zurückgebeugte  Antlitz  Mariens 
mit  den  Zügen  der  Trauernden,  die  hier  etwas 
plump  geworden  sind,  der  verkürzte  Körper 
Christi  erinnert  entfernt  an  Rubens'  Beweinung 
Christi  in  Antwerpen.  Die  beiden  Seiten- 
figuren, Johannes  und  Nikodemus,  sind  unbe- 
deutend. Durch  das  Hochformat  leidet  die 
Komposition.  Es  fehlt  der  Ausklang  nach 
oben.  Auch  die  Grablegung  hat  Zick  in  seiner 
frühen  Zeit  öfters  behandelt  im  Anschluß  an 
die  Holländer.  Das  Licht  kommt  meist  von 
rückwärts,  aus  der  Grabeshöhle  heraus,  trifft 
die  Hauptfiguren  und  läßt  alles  Nebensäch- 
liche im  Halbdunkel  verschwimmen.  Hier  ist 
die  Lichtwirkung  mehr  nebensächlich  gewor- 
den. Die  Figuren  sind  zur  Seite  geschoben, 
sie  stehen  nebeneinander  wie  in  einem  Relief, 
in  einem  mehr  gleichmäßigen  Licht.  Maria 
hat  in  trostlosem  Schmerz  ihr  Antlitz  verhüllt. 
Nikodemus  gibt  mit  erklärender  Geste  seine 
Befehle.  Der  Körper  Christi  leuchtet  hell  aus 
der  bunten  Umgebung  heraus,  aber  das  Ant- 
litz des  toten  Heilandes  ist  unsichtbar,  ver- 
deckt im  Schatten.  Das  sind  einfache  Züge 
voll  feiner  Empfindung,  für  die  das  Volk  emp- 
fänglich ist. 

Das  schmückende  Beiwerk,  die  »Evolutio- 
nen, Manieren,  Gebilde  des  Zopfstiles«  fehlen 
gänzlich.  Die  Bewegungen  der  Figuren  sind- 
natürlich und  wahr,  die  Handlung  ist  klar  und 
eindrucksvoll,  eher  naiv  als  manieriert.  Nur 
die  Hauptfiguren  agieren.  Und  wann  eine 
Nebenfigur  in  den  Mittelpunkt  tritt,  wie  auf 
der  Szene:  Christus  wird  ans  Kreuz  genagelt, 
wo  der  neugierig  zustehende  Henker,  der  mit 
dem  Bohrer  in  der  Hand  zu  Häupten  Christi 
steht,  zunächst  den  Blick  auf  sich  zieht,  da 
wird  durch  die  Lichtwirkung  und  die  Anord- 
nung der  Farben  einer  Ablenkung  des  Auges 
entgegengearbeitet.  Es  fehlen  alle  inhaltlichen 
Phrasen,  die  zu  einem  Gemälde  des  18.  Jahr- 
hunderts ebenso  gehören  wie  die  bildliche 
Rhetorik  zu  einem  Poem  der  Zeit,  die  genre- 
haften Nebenfiguren,  die  verkürzten  Architek- 
turen, es  fehlen  selbst  die  Engel,  die  auf  den 
Deckengemälden  der  Barockzeit  eine  durch- 
aus nötige  Beigabe  bilden.  Was  wir  sehen, 
sind  schlichte,  einfache  Berichte  über  das  Lei- 
den des  Herrn,  die  ohne  auffallendes  Pathos, 
natürlich  und  ausdrucksvoll  vorgetragen  sind, 
die  aber  gerade  deswegen  ergreifend  wirken. 
Wenn  auch  in  manchen  Bewegungen  eine 
gewisse  Theatralik,  in  der  Zeichnung  eine  Art 


.65 


JANUARIL  S  Z1CK 


[ESI  S  WIRD  AN  DAS  KRE1 


166 


JANÜARIUS  ZICK 


JESUS  AM  KREUZE 


Station  lies  Kreuzweges  in  der  St.  Ulricliskirche  zu  Augsburg 


ETWAS  VON  BÄUMEN  IN  DER  KUNST 


167 


von  Manierismus  zur  Erscheinung  kommt,  so 
ist  das  Zeitstil.  Man  hat  die  lebhaften  Be- 
wegungen im  18.  Jahrhundert  mit  anderem 
Auge  angesehen  wie  wir. 

Hervorzuheben  ist  die  feine,  farbige  Behand- 
lung. Die  gebrochenen  Rokokofarben  sind 
auf  allen  Stationen  wie  zu  einem  Blumen- 
bukett zusammengebunden,  in  zartfarbiger, 
fröhlicher  Buntheit,  die  mit  dem  inhaltlichen 
Ernst  der  Szene  seltsam  kontrastiert. 


ETWAS  VON  BÄUMEN  IN  DER 
KUNST 

Plauderei  von  M.  HERBERT 

[n  der  Kasseler  Gemäldegalerie,  die  reich  an 
*■  niederländischen  Meisterwerken  ist,  und 
Schätze  von  Rembrandt  und  Rubens  beher- 
bergt, hängt  auch  ein  großes  Landschaftsbild 
des  berühmten  Haarlemer  Malers  Jakob  van 
Ruisdael,  der  um  1629 — 1682  lebte  und  als 
Spitaler  starb. 

Das  Gemälde  stellt  einen  Wasserfall  dar  und 
ist  nach  Albrecht  Dürers  Rezept  der  Natur 
aus  dem  Innersten  herausgerissen  mit  Riesen- 
kräften und  intimster  Beobachtung.  Schwer- 
mütiges graues  Licht  ist  über  der  Schlucht, 
durch  die  der  Gießbach  mit  Gischt  und  Schaum 
lebendig  über  Farn  und  moosigen  Stein  hüpft, 
springt,  stäubt,  rieselt  und  plätschert.  In 
diesem  stillen  Licht  stehen  auch  die  Hänge- 
birken am  Wasserrande  und  all  das  reiche 
Gepflanz  der  Uferflora,  das  sich  da  auftut, 
ganz  gesättigt  von  dem  feuchten  Segensele- 
ment. Gedämpft,  ruhig,  seelenvoll,  unauf- 
dringlich ist  das  alles  und  hält  fest,  wenn 
man  sich  einmal  hineinschaut.  Diesem  Bilde 
schulde  ich  die  Liebe  zur  Landschaft,  die  mir 
manche  Lebensstunde  erhellt.  Und  das  kam  so! 
Jemand  sagte  mir  einmal  in  meiner  ersten, 
unnachdenklichen  Jugend:  Dieser  Wasserfall 
Jakob  Ruisdaels  sei  ein  unvergleichliches  Kunst- 
werk und  meinem  langen  Bemühen,  die  Be- 
hauptung zu  begreifen,  ging  dann  endlich  die 
Erkenntnis  auf,  daß  das  Große  in  Landschaft, 
Leben  und  Kunst  im  Beobachten  dessen  liegt, 
von  dem  Alltagsaugen  gar  nichts  sehen.  Seit- 
dem lernte  ich  Schritt  für  Schritt  im  Unschein- 
baren die  Schönheit  erkennen  und  kam  auch 
zu  den  Bäumen  und  ihren  Herrlichkeiten. 
Vielleicht  fangen  weitere  Volkskreise  erst  an, 
die  ganze  malerische,  stetig  wechselnde  Schön- 
heit des  Baumes  zu  würdigen,  denn  die  Künst- 
ler sind  im  Schauen  und  Erkennen  der  Mit- 
welt oft  um  Jahrhunderte  voraus.  Ehe  Corot 
und  Rousseau,  ehe  die  von  Dachau  und  Worps- 
wede es  wagen  durften,  ein  ganzes  Leben  fast 


JAS.  ZICK  KREUZABNAHME 

/J.  Station  in  St.  Virich  zu  Augsburg 

nur  dem  Studium  des  Baumes  in  seinen  Sta- 
dien und  Beleuchtungen  und  immer  wieder 
des  Baumes  zu  widmen,  ohne  daß  deshalb 
jemand  behaupten  würde,  sie  könnten  nicht 
zu  den  großen  Künstlern  gezählt  werden, 
mußten  lange,  lange  Zeiten  verstreichen.  Die 
italienischen  Maler,  die  Primitiven  sowohl  als 
die  Humanistischen  der  Renaissance,  hatten 
nur  ein  Ziel.  Unermüdlich  in  tausend  Formen 
und  Farben,  in  tausend  Gedanken  behandelten 
sie  das  schier  unausschöpfliche  Thema:  Gott 
und  Mensch.  Sehr  oft  ward  denn  in  den 
Tagen  der  Hochrenaissance  Gott  vergessen 
und  nur  des  Menschenleibes  in  seine.' 
kommenheit  gedacht;  denn  viele  jener  Kunst 
ler  wandten  sich  wieder  der  Antike  zu,  aus 
der  die  Formschönheit  der  italienischen  Kunst 
wie  Aphrodite  aus  dem  Meere  gestiegen  war. 
Die  bildende  Kunst  der  Antike  aber  wußte  last 
nichts  von  den  Bäumen,  von  denen  doch  ihre 
Mythologie  so  manches  Tiefsinnige  fabelte. 
Botticelli,  der  anmutreiche  Florentiner,  liebte 
das  kl  assische  de  zwei  mi  es  Lorbeers,  liebte  es  so 
sehr,  daß  selbst  die  Bäume,  an  denen  auf  dem 
berühmten  Bilde  Allegorie  des  Früh! 
der  Hesperiden   goldene  Apfel   reifen 


JANUARIUS  ZICK 

14.  Slalü 


der  St.  Ulrichskirclie 


JESUS  WIRD  IN  DAS  GRAB  GELEGT 

1  Augsburg.   —   Text  S.  /jö — 166 


ETWAS  VON  BÄUMEN  IN  DER  KUNST 


169 


beerbäume  zu  sein  scheinen.  Auch  bei  Peru- 
gino,  dem  sanften,  verklärten  Umbrier,  dem 
Lehrer  Raffaels,  spielt  der  Lorbeerbaum  eine 
Rolle.  Aufseiner  Allegorie  »Kampf  der  Liebe 
mit  der  Keuschheit«  sieht  man  im  Hinter- 
grund, wie  die  von  Apollo  verfolgte  Daphne 
zum  Lorbeerbaum  wird.  Perugia  liebt  es 
außerdem,  den  lichten,  blauverschleierten  land- 
schaftlichen Hintergrund  seiner  schönen  Hei- 
ligen mit  leicht  gefiederten  Ebereschenbäumen 
zu  dekorieren.  Giovanni  Bellini,  der  seelen- 
volle Venezianer,  scheint  die  Kugelakazie  für 
malerisch  gehalten  zu  haben,  denn  auf  einem 
seiner  lieblichsten  Madonnenbilder  in  der  Ga- 
lerie der  schönen  Künste  zu  Venedig  rahmen 
zwei  dieser  künstlich  verschnittenen  Bäume 
Maria  und  das  Jesuskind  ein.  Wie  ärmlich 
frierend,  konventionell  das  arme  Gebäum  auf 
Pinturicchios  Anbetung  der  hl.  drei  Könige! 
Moretto  und  Sodoma  lieben  auf  ihren  schönen 
Bildern  den  Akazienast  als  Dekorationsfrag- 
ment. Moretto  verwendete  ihn  bei  seiner 
wundervollen  Santa  Justina,  Sodoma  auf  der 
berühmten  Darstellung  des  hl.  Sebastian.  Raf- 
fael  liebte  es,  von  Lorbeerbäumen  Zweige  ab- 
zuschneiden, um  lichte  Stirnen  damit  zu  krän- 
zen. Selbst  dieser  überragende  Meister  zeich- 
nete »Baumschlag«,  aber  keine  liebevoll  in- 
dividualisierten Bäume,  sie  waren  ihm  Staf- 
fage, dekoratives  Beiwerk,  Hintergrund  für 
irgendein  göttliches  Geschehen.  So  herrlich 
fein  die  Vögel  auf  seinem  Karton  im  Ken- 
sington-Museum »Fischzug  Petri«  erfaßt  sind, 
so  nebensächlich  die  Bäume.  Nur  die  Erlen 
auf  dem  Bilde  des  hl.  Georg  machen  eine 
Ausnahme. 

Der  große  Vollender  italienischen  Kunst- 
ringens, der  Titane  Michelangelo,  der  das  ge- 
waltige Drama  »Gott  und  Mensch«  auf  die 
letzte  erreichbare  Höhe  führte,  scheint  fast 
achtlos  an  Bäumen  vorbeigegangen  zu  sein. 
Die  Darstellung  des  Ringens  seelischer  Leiden- 
schaften am  Körper  absorbierte  ihn  ganz. 

Nur  zweimal  erscheint  in  dem  Werk  Buo- 
narrotis  der  Baum. 

In  zwei  Feldern  des  Gemäldezyklus  der 
Schöpfung  an  der  Decke  der  Sixtinischen  Ka- 
pelle tritt  ein  Baum  symbolisch  in  die  Er- 
scheinung. Bei  der  Darstellung  des  Sünden- 
falls ist  es  der  Baum  der  Erkenntnis  des  Guten 
und  des  Bösen,  welcher  der  Menschheit  die 
Früchte  des  Todes  trug.  Wir  sehen  nicht  viel 
von  dem  Baum.  Sein  Stamm  ist  ganz  und  gai 
von  den  Ringeln  der  riesigen  Schlange  um- 
wunden und  sein  Geläube  verliert  sich  mystisch 
in  den  Wolken. 

Noch  ein  anderer  symbolischer  Baum  reckt 
sich  uns  aus  der  Gedankenwelt   Buonarrotis 


entgegen.  Ich  meine  jenen  jammervoll  durch 
Wassersgewalt  von  Borke,  Zweig  und  Blatt 
entblößten,  sturmgepeitschten  Stumpf  auf  dem 
Felsen  der  Sündflut. 

Hier  ist  der  Baum  das  starre  Sinnbild  der 
rettungslosen  Zerstörung,  des  allgemeinen 
Untergangs.  Der  verzweifelnde  Mensch,  der 
den  halbentwurzelten,  sich  zu  den  Muten 
neigenden  Stamm  umklammert,  verstärkt  die 
Trostlosigkeit,  die  von  dem  Baume  ausgeht. 
Auf  dem  Olbergbilde  des  Carpaccio  in  Venedig 
findet  sich  übrigens  ein  ähnlicher  Baum.  Auch 
auf  ihm  lastet  die  Not  derölbergstunde.  Halb- 
verdorrt hängt  er  am  Gestein,  ein  einziger 
Ast  grünt  noch  am  starren  Holz.  Er  erlebt 
keinen  Sommer  mehr  und  ringt  wie  der  Hei- 
land mit  der  Todesnot. 

Lionardo  da  Vinci,  der  erste  Naturkenner 
und  Forscher  seiner  Tage,  hat  uns  keine  selb- 
ständige Baumstudie  hinterlassen,  wiewohl  er 
den  Reiz  der  Strauch-  und  baumbestandenen 
Landschaft  mit  feinem  Sinn  und  entzücktem 
Auge  zu  würdigen  wußte.  Wir  erinnern  nur 
an  sein  Bild  einer  jungen  Frau  in  der  Liechten- 
steingalerie zu  Wien,  wo  wunderbar  fein  und 
zart  gezeichnetes  Oliven-  oder  Weidengeläub 
den  Hintergrund  des  sonst  so  reizlosen  Frauen- 
kopfes bildet  und  weiterhin  ein  erlenbestan- 
dener spiegelnder  Fluß  das  Auge  zum  Ver- 
weilen einlädt.  Die  Felsen  scheint  Lionardo 
mehr  geliebt  zu  haben  als  den  Baum,  denn 
sowohl  auf  der  Auferstehung  Christi  zu  Berlin, 
als  auf  dem  Gemälde  »Die  hl.  Anna  selbdritt« 
in  Paris,  wie  auch  bei  der  Madonna  in  der 
Felsengrotte  ist  der  Baum  sparsam,  der  Stein 
ausgiebig  behandelt;  ebenso  verhielt  es  sich 
bei  der  abhanden  gekommenen  und  wieder- 
gekehrten Mona  Lisa  des  Louvre  und  dem  weib- 
lichen Bildnis  der  Eremitage  in  Petersburg. 
Es  wird  uns  von  Lionardo  erzählt,  daß  er  ver- 
standen habe,  den  Pfirsichbäumen  Gilt  einzu- 
impfen, so  daß  durch  Übersenden  ihrer  Früchte 
ein  argloser  Mißliebiger  leicht  ins  Jenseits 
befördert  werden  konnte.  Seltsam  genug, 
cm  brennendes  Fragezeichen  steht  dieser  Be- 
richt im  Leben  des  Malers  grenzenloser  Güte 
und  Milde.  Den  Baum,  diesen  großen  Men- 
schenfreund und  Wohltäter,  zum  tückischen 
Morde  gleichsam  zu  zwingen,  scheint  uns 
Germanen  unfaßbare  Gemütsroheit.  Soviel 
ich  weiß,  existiert  auch  von  unserem  Albrecht 
Dürer,  dem  liebevollen  Zeichner  des  Wiesen 
grundes  und  so  vieler  die  Madonna  umstehen- 
den lieblichen  Pflanzen  und  Blumen,  keine 
selbständige  Baumstudie.  Ausgiebigen  Baum 
schlag  finden  wir  bei  Dürer  nur  einmal  in  der 
Deckfarbenmalerei  in  kalten  Tonen  >Altes 
Schloß«.     Außerdem    dient    dem   Nürnberger 


Die  christlich«  Ku 


170 


ETWAS  VON  BÄUMEN  IN  DER  KUNST 


LUDWIG  WILLROIDER 


Meister  der  Baum  nur,  in  seinen  Gemälden 
und  Schnitten  die  Stimmung  zu  vertiefen. 
Wir  erinnern  an  den  kahlen,  im  Winde  frie- 
renden Weißdorn  auf  nacktem  Fels  auf  dem 
Blatte  »Ritter,  Tod  und  Teufel«. 

Dürer  hat  in  seiner  »Großen  Passion«  oft 
Steineichen  und  entlaubtes  Baumgeäst  ge- 
zeichnet. Diese  vom  Sturm  gebeugten  Bäume 
scheinen  an  dem  Schmerzensweg  des  Heilan- 
des innigst  teilzunehmen.  So  in  dem  Gebet 
am  Ölberg  oder  in  der  Beweinung  Christi, 
wo  das  Gebäum  sich  wie  unter  schweren 
Lasten  niederbeugt  und  jammernd  zu  ächzen 
scheint.    Das  ist  ein  mystischer  Zug. 

Rembrandt  in  seinen  Radierungen  scheint 
dem  Baume  an  sich  schon  viel  näher  ge- 
kommen zu  sein.  Wir  erinnern  nur  an  das 
wundervolle  Blatt  »Landschaft  mit  den  drei 
Bäumen«.  Das  Bild  mutet  an,  als  sei  es  dra- 
matisch bewegt.  Gewaltig  niederströmende 
Lichtfluten,  starke  Wolkenschatten  fallen  von 
einem  unermeßlichen  Horizonte  auf  die  stille, 
weitgedehnte  Ebene  herab  und  rechts  im  Vor- 
dergrund behaupten  sich  gleich  wachthaben- 
den Helden  oder  Riesen  drei  weitausladende 


kronenmächtige  Eichen  —  alt,  gewaltig  und 
stark.  Sie  geben  dem  Bilde  etwas  Heroisches, 
Monumentales. 

Das  Schützende,  Beruhigende,  Stillende  des 
schattengebenden  Baumes  drückt  Rembrandt 
als  stärkster  Malerpoet  aller  Zeiten  in  der 
Radierung  >Hütte  unter  großem  Baum«  aus. 

Doch  ist  es  bei  dem  eindringlichen  Kenner 
und  Durchschauer  des  menschlichen  Wesens 
eben  auch  immer  wieder  der  Mensch  und  das 
Menschenantlitz,  welche  die  tiefsten  Regungen 
und  Neigungen  seiner  Künstlerseele  in  An- 
spruch nehmen. 

Ähnlich  steht  es  auch  mit  Peter  Paul  Rubens 
und  Tizian,  den  Farbenfürsten,  obgleich  gerade 
Tizian  uns  einige  unvergleichliche  heroische 
Landschaften  mit  Bäumen  geschenkt  hat.  Die 
meisten  der  obengenannten  großen  Künstler 
kamen  erst  im  Alter  zum  beruhigenden  Baum, 
dem  Gleichnis  der  Abgeklärtheit   und  Reife. 

In  der  französischen  Kunst  stehen  wir  in 
der  Zeit  des  Klassizismus  bewundernd  vor  den 
goldenen,  arkadischen  Bäumen  Poussins,  unter 
deren  reichem  Gezweig  Nymphen,  Götter  und 
Amoretten    ein   olympisches   Dasein    führen, 


ETWAS  VON  BÄUMEN  IN  DER  KUNST 


171 


WALTER  LEISTIKOW  f  (BERLIN) 


auch  er  gelangte  zur  heiligen  Stille  dieser 
schönen  Bäume  erst  in  hohen  Jahren.  Claude 
Gelee —  »le  Lorrain  c,  der  von  der  Sonne  Italiens 
Berauschte  und  Glühende,  malte  die  Bäume  in 
herrlichen  Gruppen  und  en  masse.  Er  wählte 
sie  als  dunkle  Folie  für  eine  lichtdurchtränkte, 
sonnenfrohe  Gegend  oder  stellte  sie  selbst  in 
eine  leuchtende  Aureole. 

Watteau  wiederum  benützte  Gebüsch  und 
Gebäum,  wie  zärtlich  und  liebevoll  sein  Pinsel 
auch  ihre  weichen  Konturen  hinstrich,  nur 
als  Umrahmung  seiner  bekannten  höfischen 
Schäferszenen,  auf  denen  es  so  zierlich  und 
galant  herging.  Vernet  auch  beschäftigte 
sich  mit  Bäumen,  aber  er  sah  sie  in  fal- 
schem Licht  und  konnte  ihrer  nicht  recht 
habhaft  werden. 

Delacroix  wurde  ihrer  komplizierten  Gestal- 
tung gerechter,  aber  erst  seit  Corot,  der  starke 
Pfadtreter  auf  diesem  Gebiete,  den  Baum  im 
freien  Lichte  so  recht  für  die  Kunst  entdeckte, 
weht  seine  unausschöpfliche  Schönheit  aus 
tausend  Ölgemälden,  Aquarellen  und  Zeich- 
nungen uns  an,  ohne  daß  unser  Auge  sich 
daran  satt  sehen  könnte.    Vielleicht  war  sein 


Mitstrebender  Rousseau  ein  noch  stärkerer 
Baummaler  als  Corot;  vielleicht  lag  ihm  noch 
mehr  an  dem  Baum  als  solchem,  an  die- 
sem charaktervollen  Individuum,  das  vol- 
ler Bewegung  und  voller  Sammlung,  voller 
Wechsel  und  voller  Stetigkeit,  voller  Leben 
und  Stille  ist. 

Dennoch  sind  die  Baumstudienbilder  Corots 
noch  wundervoller  und  unvergeßlicher,  weil 
er  ein  so  intensiver  Liebhaber  und  Erfasser 
von  Licht,  Duft,  Nebel,  von  den  silberigen 
Tönen  der  Wasserausdünstungen,  von  den 
Schleiern  und  Floren  zartesten  Regengerieseis, 
der  sich  mit  der  Sonne  vermählt,  ist.  Er 
dringt  ein  in  das  schier  unfaßbare  Geheimnis 
der  schwimmenden  Morgenstimmung,  der 
traumhaftesten  Frühe,  da  das  Grau  der  Däm- 
merung in  strahlendes  Blau  übergeht.  Aul 
all  seinen  Gemälden  ist  es  das  künstlerische 
Ringen  um  diese  Stimmung,  um  diese  Pro- 
bleme des  Zwielichts,  welches  seine  Bäume 
fast  zu  höheren  Wesen  erhebt.  Und  wie  er 
sie  kannte,  aus  tiefster  Liebe  heraus,  diese 
wetterzerrissenen,  uralten  Eichen  bei  Fontaine- 
bleau,  die  weltfernen,  träumerischen  Baches- 


172 


ETWAS  VON  BÄUMEN  IN  DER  KUNST  —  JUROREN  1920 


KARL  KÜSTNER  (MÜNCHEN) 


RHEININSEL 


ufer  mit  den  gekappten  Weiden  und  Erlen, 
die  in  tausend  neuen  abenteuerlichen  Sprossen 
und  Trieben  ausschlagen,  die  sonnengebadeten 
Birken  mit  den  lilienweißen  Stämmen,  die 
weithin  die  Gegend  erleuchten  und  die  nie- 
beschnittenen Weidenherrscher  mit  den  Königs- 
locken, die  auf  freiem,  weitem  Wiesenplan  den 
Tau  und  die  wandernden  Lichter  des  Jahres 
trinken  ! 

Vielleicht  wäre  die  schöne  lichte  Kunst  eines 
Walter  Leistikow  (Abb.  S.  171),  eines  Ludwig 
Dill,  eines  Willroider  (Abb.  S.  170),  eines  von 
Bartels  und  aller  großen,  modernen  Impres- 
sionisten, die  den  Baum  verherrlichen,  ohne 
Corot  unmöglich  geblieben. 

Eigentümlich  faßte  der  Schweizer  große 
Farbenmusiker  Arnold  Böcklin  den  Baum  auf. 

Er  sah  ihn  als  Stilist  und  bevorzugte  seine 
geschlossene  Form. 

Die  Zypresse  —  freilich  oft  die  wetterzer- 
klüftete ■ —  hat  es  ihm  angetan,  auch  die  starre 


Silberpappel,  die  gerade  und  ernst  eine  auf- 
strebende Linie  bildet  und  der  klassische  Lor- 
beer —  für  den  Künstler  nun  einmal  der 
Baum  aller  Bäume. 

Die  im  leuchtenden  Herbstrot,  das  durch 
den  Purpur  des  Abends  gesteigert  wird,  pran- 
genden Bäume  von  Rudisühli  mahnen  schon 
wieder  an  Dekoration  und  entfernen  sich  von 
der  Stille  durch  eine  schauspielerische  Geste. 

JUROREN  DES  JAHRES  1920 

Der  Jury  des  laufenden  Jahres  gehören  fol- 
gende Künstler  an:  Architekten:  Pro- 
fessor Karl  Jäger  und  Professor  Hermann 
Selzer.  —  Bildhauer:  Hans  Angermair 
und  Hans  Faulhaber.  —  Maler:  Xaver 
Dietrich  und  Franz  Xaver  Fuchs.  —  Da- 
zu kommen  noch  zwei  geistliche  Kunstfreunde. 
Die  Jury  des  Jahres  1919  hielt  25  Sitzun- 
gen ab. 


IOSEPH  MARIA  BECKERT 


IQ  13  —    Text  S./S? 


SCHLAF  ,  JESl'I  f 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 

(Hierzu  die  Abbildungen  dieses  Heftes) 


Die  Münchner  Glaspalastausstellung  [918 
zeigte  in  dem  gleichen  Saale,  in  dem 
mehrere  Werke  Matthäus  Schiestls  sich  befan- 
den, auch  ein  Gemälde,  dessen  feine  Poesie  und 
sorgsame  liebevolle  Ausführung  ihm  schnell 
Freunde  erwarben.  Es  stellte  in  einer  Auf- 
fassung, die  neuartig  wirkte,  und  doch  recht 
als  dem  Geiste  unserer  alten  deutschen  Poesie 
und  Kunst  entsprechend  empfunden  wurde, 
die  Verkündigung  des  Engels  bei  der  hl.  Jung- 
frau dar.  Den  himmlischen  Boten  begleiteten 
zahlreiche,  lichtertragende  Engelein  in  das 
trauliche  Gemach  der  Gebenedeiten,   die   als 


g.m/  junges  Mägdlein  vor  ihrem  Betpulte 
kniete  und  sich  in  holder  Überraschung  und 
Demut  nach  dem  Engel  umwandte  (Abb. 
S.  185).  Das  ansprechende  Bild  war  von  dem 
Münchner  Maler  Joseph  Maria  Becker t.  Ls 
reiht  vermöge  seiner  technischen  und  inner- 
lichen Eigenschaften  den  Kunstler  jenen  un- 
serer neueren  und  früheren  Meister  an.  in 
deren  Werken  sich  das  Wiedererwachen  volks- 
mäßigen lühlens  und  Denkens  im  Sinne 
unserer  Romantiker  kundgibt  —  Boten  einer 
Neuromantik,  die  freilich  nichts  gemein  hat 
mit  modernster  Lvrik.  die  ihren  verworrenen 


Die  christliche  Kur, 


174 


'75 


176 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


*uuuiütni^*^^uikwiiu^i.i^iitt^ 


IOSEHH   MARIA  BECKER  1' 


M  \DCIlhNKOIM 


ig/4  —   Text  S.  178 


Geistesausgeburten  den  gleichen  Namen  zu 
geben  liebt.  Die  Romantik,  die  sich  in  den 
Werken  Beckerts  ausspricht,  ist  jene  eines 
Brentano,  einesSchwind,  seelenverwandt  jener, 
deren  reine  deutsche  Art  in  den  Malereien 
eines  M.  Schiestl,  eines  Wilh.  Steinhausen  neu 
belebt  erscheint.  Es  ist  Kunst,  die  das  Zeug 
dazu  besitzt,  Volkskunst  zu  werden,  etwa  jener 
Art,  wie  mancher  schöne  Sang  unserer  Dichter 
zum  Volksliede  geworden  ist:  jedem,  dessen 
Empfinden  unverfälscht  deutsch  und  christ- 
gläubig geblieben  ist,  als  Sprache  der  eigenen 
Seele  verständlich,  lieb  und  vertraut. 

Joseph  Maria  Beckert  ist  ein  noch  junger 
Künstler.  In  der  Reichshauptstadt,  mit  deren 
Auflassungen  von  Leben  und  Glauben  er,  der 
Katholik,  der  Romantiker,  nicht  übereinstimmt, 
wurde  er  am  19.  Dez.  1889  geboren.  Erziehung 
und  Unterricht  genoß  er  bei  den  Jesuiten  zu 
Mariaschein  in  Nordböhmen,  sowie  am  Gym- 
nasium   zu   Landshut.    Die    erste    und    nach- 


haltigste künstlerische  Unterweisung  aber  ver- 
dankt Beckert  seinem  Vater.  Dieser,  der  1856 
in  Hessen=Nassau  geboren  ist  und  jetzt  in 
Frankfurt  lebt,  gehört  zu  den  tüchtigsten 
deutschen  Bildnismalern,  ist  auch  mit  be- 
deutendem Erfolge  auf  dem  Gebiete  der  reli- 
giösen Kunst  tätig.  Treffliche  Wandmalereien 
von  ihm  befinden  sich  u.  a.  im  Collegium 
Germanicum  zu  Rom.  Er  lenkte  voll  warm- 
herziger Begeisterung  die  Liebe  seines  Sohnes 
auf  die  deutschen,  niederländischen  und  ita- 
lienischen Meister  des  Mittelalters,  aber  auch 
auf  die  volkstümlich  dichterische  Kunst  des 
Ludwig  Richter,  des  Moritz  von  Schwind,  auf 
die  edlen,  frommen  Schöpfungen  der  Naza- 
rener.  So,  mit  fest  ins  Auge  gefaßter  Richtung 
und  Art  kam  der  junge  Beckert  nach  München, 
wo  er  zuerst  an  der  K.  Kunstgewerbeschule, 
darauf  als  Schüler  C.  von  Marrs  an  der  K.  Aka- 
demie studierte.  In  die  künstlerische  Betäti- 
gung Beckerts  brachte  der  Militärdienst  eine 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


|OSEPH  MARIA  BtCkERT 


zweijährige,    die  Teilnahme   am  Kriege   eine 
halbjährige  Unterbrechung. 

Was  er  seit  seiner  Rückkehr  leistet,  beweist, 
daß  weder  seine  Eigenart  noch  seine  Schaf- 
fenskraft Einbuße  gelitten  haben.  Außer  dem 
zuvor  erwähnten  Verkündigungsbilde  hatte  er 
191 8  im  Glaspalaste  noch  zwei  Bildnisse  aus- 
gestellt, das  eines  Mannes  und  das  einer  alten 
Frau,  beide  durch  Frische  der  Beobachtung  und 
durch  Lebendigkeit  der  sorgfältigen  Wieder- 
gabe ausgezeichnet.  Doch  ist  damit  die  Art  der 
Beckertschen  Bildnismalerei  nicht  genügend 
gekennzeichnet.  Das  Wichtigste  und  Beste  an 
ihr  ist  die  Klarheit,  mit  der  die  Seele  der  dar- 
gestellten Personen  erkannt  und  geschildert 
ist.  So  bei  einem  besonders  feinen,  noch  vor 
dem  Kriege  begonnenen  Bildnisse  einer  älteren 
Dame,  vornehmlich  auch  in  seinen  Kinder- 
bildnissen. Aus  diesen  Darstellungen  spricht 
des  Künstlers  eigenste,   tiefblickende  Auffas- 


sungsweise so  lebhaft,  daß  sie  den  nachfühlen- 
den Beschauer  von  ihrer  Richtigkeit  zu  über- 
zeugen vermag.  Stilles  Sinnen  und  Ahnen  \  ei 
kündet  sich  in  den  Augen,  den  reinen  Zügen 
dieser  Mädchen  und  Knaben,  deren  Individuali- 
tät aufs  deutlichste  und  erfreulichste  zum  Aus 
drucke  gelangt,  ohne  dali  dabei  des  Malers 
subjektives  Urteil  sich  aufdrängt,  vielmehr  mit 
einer  scheinbaren  Objektivität,  wie  wir  sie 
in  den  Werken  alter  Meister  linden.  Zu  den 
besten  dieser  Leistungen  gehört  das  Bildnis 
eines  Mägdleins,  auf  dessen  blonden  1 
ein  Kranz  von  Rosen  ruht;  der  Hintergrund 
deutet  Köln  als  Heimatstadt  der  Irüh  Ver 
storbenen  an.  Doch  liebt  es  Becken  im  allge- 
meinen mehr,  seine  Bildnisse  vor  ganz  einlach 
behandelte  Hintergründe  zu  stellen.  Mit  um 
in!  Klarheit,  reliefartig, 
bebt  sich  das  Bildnis  hervor,  um  so  unge- 
störter entfaltet  es  die  Überzeugungskraft  und 


i78 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


Feinheit  seiner  Charakteristik.  So  bei  dem 
Bilde  eines  still  sinnend  blickenden  jungen 
Mädchens,  dessen  von  langen,  weich  fließenden 
Haaren  umrahmtes  Haupt  mit  einem  Blumen- 
kranze geschmückt  ist  (Abb.  S.  176).  So  bei 
dem  reizenden,  scharf  ausgeprägten  Profilbild- 
nisse eines  kleinen  Mädchens,  um  dessen  glattes 
Haar,  von  dem  ein  lustiges  Zöpfchen  vor  dem 
Ohre  herniederbaumelt,  ein  buntes  Band  ge- 


wunden ist;  die  linke  Hand  hält  ein  zartes,  blü- 
hendes Pflänzlein  (Abb.  unten).  Ein  trefflicher 
Charakterkopf  ist  auch  der  von  vorn  gesehene 
des  kühl  dreinschauenden  »Peter«  (Abb.  S.  177). 
Mit  gleicher  Meisterschaft  ist  in  allen  diesen 
Werken  die  echt  deutsche  Art..  wie  auch  das 
reine  kindliche  Wesen  der  jungen  Geschöpfe 
zum  Ausdruck  gebracht.  Gleichzeitig  befleißigt 
sich  die  Schilderung  bei  diesen  Dingen  mög- 


|OSEPH  MARIA  BECKER! 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


'79 


lichster  Schlichtheit  und 
Ruhe,  und  doch  fehlt  es 
nicht  an  einem  stillen 
Reichtum,  der  sich  in 
sorgfaltigst,  dabei  ohne 
Kleinlichkeit  durchge- 
i  u  lirten  Schmuckstücken, 
Gewandmustern  und  der- 
gleichen belebend  kund- 
gibt. Technisch  ist  diesen 
Arbeiten  große,  charak- 
teristisch deutsche  Si- 
cherheit der  Zeichnung, 
Feinheit  der  Modellie- 
rung, Klarheit  der  Farbe 
eigen.  Man  denkt  an  Hol- 
bein, an  Amberger,  ge- 
legentlich auch  an  frühe 
flämische  Meister,  und 
empfindet  doch,  daß  man 
etwas  durchaus  Selbst- 
ständigem gegenüber- 
steht; einer  Kunst,  die 
aus  altem  Geiste  erwach- 
sen, mit  seiner  Kraft  er- 
füllt und  dabei  ein  Kind 
neuer  Zeit,  über  das  Ein- 
zelneins Allgemeine,  aus 
derNaturalistik  zur  groß- 
zügigen Stilisierung  em- 
porstrebend, dabei  doch 
nicht  umstürzlerischer 
Art  ist,  sondern  zu  den 
Quellen  deutscher  Kunst 
zurückführt. 

Der  Einfluß,  den  die 
Romantik  auf  Beckert 
ausübt,  zeigt  sich  aufs 
klarste  in  seinen  poesie- 
reichen Szenen.  Nicht 
immer  ist  es  ohne  wei- 
teres leicht,  ihre  Bedeu- 
tung mit  Worten  wie- 
derzugeben. Dem  lyri- 
schen Dichter  verwandt, 
schildert  er  persönliche 
Stimmungen,  ohne  ihnen 
stets  einen  festen,  gegen- 
ständlichen Inhalt  zu  ge- 
ben. In  so  mehr  andeu- 
tender als  aussprechen- 
der Weise  feiert  z.  B.  eins 
der  neuesten  Gemälde 
Beckens  den  Geist  des 
Mittelalters.  Der  Künst- 
ler nennt  dieses  Werk 
»Romanze«  und  kenn- 
zeichnet  die    darin  sich 


IOSEPH  MAI     ■ 


NACH! 


i8o 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


UNSERE  LIEBE  FRAU 


■efiihrt  1920  —    Text  S.  1S6 


verkündende  Absicht  durch  die  dem  Bilde 
zur  Unterschrift  gegebenen  Verse  Brentanos: 
»  Wandelt  im  Dunkeln  freundliches  Spiel,  still 
Lichterfunkeln  schimmerndes  Ziel.  Sprich  aus 
der  Ferne,  heimliche  Welt,  die  sich  so  gerne 
zu  mir  gesellt!«  Ein  nicht  minder  edles,  tief- 
sinniges Gedicht  des  Malers  ist  das  Bild  ge- 
worden. In  einer  weiten  Hügellandschaft  sind, 
in  stille  Betrachtung  versunken,  Heilige  ver- 
einigt: ein  hl.  Ritter,  ein  kniender  Mönch,  die 
hl.  Jungfrau  mit  dem  Kinde,  ihr  zu  Füßen  zwei 
spielende  nackte  Kindlein.  Ein  großer  Zug 
waltet  in  dem  Gemälde,  sanfter  Farbenklang, 
in  welchem  das  zarte  Lila  des  Madonnen- 
gewandes einen  Hauptton  abgibt.  Die  Kom- 
position ist  etwas  locker,  der  Zusammenhang 
zwischen  den  Personen  mehr  durch  die  geisti- 
gen Beziehungen  hergestellt.    Im  Zusammen- 


hange mit  diesem  Werke  befindet  sich  das 
»Nachtgebet«  eines  greisen  Mönches,  der  vor 
einem,  am  Stamme  einer  Fichte  angebrachten 
schlichten  Kruzifixe  auf  dem  steinigen  Boden 
kniet  (Abb.  S.  179).  Den  Mittelgrund  durch- 
schneidet quer  ein  Zaun,  jenseits  dessen  in 
Wiesen,  vor  sanftem,  waldigem  Mittelgebirge 
eine  ferne  Burg  sich  wuchtig  erhebt.  Der 
zackige  Kamm  der  Alpenkette  schließt  das  Bild 
ab,  dessen  Schwermut  durch  die  Töne  des 
Abendhimmels  vertieft,  aber  auch  gemildert 
wird.  Es  ist  ein  Bild  reich  an  echter  Andacht 
und  voll  einer  Stimmung,  deren  Poesie  nur  in 
deutscher  Kunst  aus  der  Reinheit  und  Hoheit 
alten  deutschen  Geistes  heraus  verständlich  ist. 
Aufs  stärkste  gilt  dies  auch  von  Beckens  sehr 
früher  Zeichnung  zum  »Armen  Heinrich«  des 
Hartmann  von  der  Aue.  (Abb.  S.175).    Ernst 


3e|um*knebirtura*frurtum*wutri%-tui-nobß-pofj-l]or 
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JOSEPH  MARIA  BECKER!  UNSERE  LIEB]    FRAU 

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TfX! 


Die    chriitliclie  Kunst.    XVI. 


182 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


JOSEPH  MARIA   BECKERT 


HEIMKEHR 


und  Lieblichkeit  vereinen  sich  in  diesem  Bilde; 
letztere  wirkt  besonders  innig  in  der  Figur  des 
Mägdleins,  das  voll  still  begeistertem,  seiner 
Absicht  ahnungsvoll  sicheren  Erbarmens  zu 
dem  Leidenden  aufblickt,  während  sie  furcht- 
los den  Fuß  des  Aussätzigen  streichelt.  Sehr 
gut  charakterisiert  ist  auch  der  Meier  samt 
seinem  Weibe,  am  schönsten  der  arme  Heinrich 
selbst,  in  dessen  Antlitz  Gram  und  körperlicher 
Schmerz  sich  ausdrücken.  Sehr  fein  ist  die  An- 
deutung des  Zeitalters.  Es  kennzeichner  sich 
nicht  nur  in  der  romanischen  Form  der  Krone, 
sondern  auch  in  der  Haltung  Heinrichs,  die 
trotz  ihrer  Bewegtheit  doch  bewußt  an  die 
Stilisierung  der  thronenden  Kaiser-  und  ähn- 
licher   Gestalten    in    Miniaturen    des    frühen 


Mittelalters  erinnert;  auch  die  Zeichnung  des 
rauhen,  dennoch  thronartig  gebildeten  Sitzes 
mit  den  zu  beiden  Seiten  hervorquellenden 
Kissen  ist  dementsprechend  im  gleichen  Sinne 
entworfen. 

Bemerkenswert  offenbart  sich  in  dieser  wie 
in  zahlreichen  anderen  Arbeiten  des  Künstlers 
Begabung  für  die  Landschaft.  Er  malt  sie  leicht 
stilisiert  und  doch  mit  echtester  Naturwahrheit 
und  gibt  ihr,  ohne  große  Akzente  zu  vermeiden, 
die  Stimmung  sanfter  Lyrik.  So  in  einer  weich 
empfundenen  »Mondnacht«  (Abb.  S.  195),  auch 
in  den  Hintergründen  seiner  vielen  Werke 
religiösen  Inhaltes.  Nur  ausnahmsweise 
aber  sind  dies  Andachtsbilder.  Ein  solches  schuf 
Beckert  1918  für   die  Kirche  von  Bottrop  in 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


183 


IOSKPH  MARIA   BKCKERT 


igig  —    Text  S. 


Westfalen.  Es  zeigt  den  hl.  Joseph  und  den 
Jesusknaben  ').  Beide  sind  voreinander  auf- 
rechtstehend und  in  Frontalstellung  gezeichnet. 
Die  Komposition  ist  streng,  der  Feierlichkeit 
des  kirchlichen  Zweckes  angemessen,  und  doch 
lebendig.  Den  Hintergrund  für  die  Josephsfigur 
bildet  ein  Teppich,  in  dessen  gotischem  Muster 
das  Einhorn  und  das  Lamm  Gottes  zu  erkennen 
sind.  Wuchtig  und  einfach  ist  auch  bei  diesem 
Werke  die  Farbenwirkung.  Von  dem  Dunkel- 
rot des  Teppichs  hebt  sich  das  Hochrot  des 

>    Farbi  Idet   in   der  Jahresmappe    1919  der 

Deutschen  Gesellschaft  lür  christliche  Kunst. 


Gewandes  St.  Josephs,  hiervon  das  helle  Rot 
des  Kleides  Jesu  ab.  Der  obere  Teil  der 
Josephsgestalt  mit  dem  goldenen  Heiligen- 
schein hat  als  Hintergrund  eine  vom  fernen 
Gebirge  begrenzte  gelblich  graugrüne  Land- 
schaft. Der  Ausdruck  beider  Personen  ist 
freundlich  und  gütig,  schon  durchgeführt  der 
Gegensatz  zwischen  dem  irdischen  Manne  und 
dem  blondgelockten,  göttlichen  Kinde.  Ruhig 
und  edel  ist  die  Haltung  beider,  die  durch 
den  monumentalen  LinienfiuG  der  Gewänder 
noch  besonders  schön  hervorgehoben  wird. 
Im  Vordergründe    unten    stehen   zwei    Kruge 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


1919  —  Text  S.  187 


ST.  JOSEPHS  HEIMKEHR 


voll  Lilien  und  Veilchen.  Den  obersten  Teil 
des  Bildes  überdacht  ein  fein  entworfener,  in 
Goldfarbe  gehaltener,  spätgotischer  Baldachin. 
Am  unteren  Rande  des  Gemäldes  stehen  die 
Worte  »Lieber  heiliger  Joseph  bitte  für  uns«. 
Zur  Gruppe  der  Beckertschen  Kirchenbilder 
gehört  u.  a.  ferner  eine  in  strenger  Vorder- 
ansicht dargestellte  kniende  hl.  Jungfrau,  die 
den  Beschauer  anblickt  und  ihm  das  in  Win- 
deln gewickelte  Kind  so  entgegenhält,  daß 
beide  Gestalten  die  gleiche  Mittelachse  haben 
(Abb.  S.  181).  Die  Anordnung  der  Figuren  ist 
also  derjenigen  in  dem  soeben  beschriebenen 
Josephsbilde  ähnlich,    absichtlich    streng  und 


feierlich.  So  auch  in  der  Abgewogenheit,  mit 
der  die  Horizontalen  der  schwebenden  Engel 
den  unten  ausgebreiteten  Gewandmassen  das 
Gleichgewicht  halten.  Verwandt  der  Art  alt- 
kölnischer Malereien  ist  aber  dabei  auch  alles 
voll  Milde  und  Weichheit,  die  sich  in  den 
Gesichtern  und  der  zarten  Farbe  kundgibt. 
—  Zu  den  neuesten  Werken  des  Künstlers  ge- 
hört auch  das  entzückende  »Es  ist  ein  Ros' 
entsprungen«,  das  hier  mit  eingeordnet  werden 
darf,  weil  es  den  Charakter  eines  Kirchenbildes 
trägt,  und  von  unseren  Vorfahren  sicher  als 
solches  anerkannt  worden  wäre  (Abb.  S.  193). 
Auch  hier  klingt  die  Strenge  der  Stilisierung 


/  jUfiiiiiiiiiiiMUM»h»iiiy>iiMuiiiiiJMUUu«iiiM«MüiinMniiiuiMMi*imHiinMU««nMuyn£ 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


an,  die  zu  den  Merkzeichen  der  neueren  Ar- 
beiten Beckerts  gehört,  jedoch  nur  in  der  Figur 
der  hl.  Jungfrau,  zumal  in  der  Haltung  ihrer 
Hände,  sowie  in  der  Reliefartigkeit,  mit  der  die 
Gestalten  sich  von  dem  einfarbigen,  dunkeln 
Hintergrunde  ablösen  —  wenigerinden  übrigen 
Figuren,  in  deren  Gestaltung  und  Mienen  die 
Sonnenstrahlen  des  Frohsinns  unserer  deut- 
schen Kunst,  vom  alten  Cranach  an  bis  zu 
Richter,  Schwind  und  M.  Schiestl,  wie  in  einem 
Spiegel  gesammelt,  widerglänzen.  —  Den  Cha- 
rakter eines  Kirchenbildes  trägt  auch  ein  Werk 
von  echter  deutscher  Schönheit  und  Innigkeit: 
die  in  einer  Landschaft  sitzende  Himmels- 
königin zeigt  ihr  Kind  einer  jugendlichen 
Heiligen,  die   es   kniend   anbetet  und  seinen 


Segen  empfängt;  in 
der  Ferne  dehnt  sich 
eine  Stadt  aus  (Abb. 
S.  180). 

Diese  wenigen  Pro- 
ben der  Beckertschen 
kirchlichen  Malerei 
mögen  genügen. 

Denn,  wie  gesagt,  wid- 
met er  sich  dieser  bis- 
her weniger.  Sein  ver- 
sonnenes, dichteri- 
sches Empfinden  liebt 
stille  Schöpfungen 
voll  zarter,  kindlich 
gläubiger  Hingebung 
an  das  Heilige,  mit 
dem  Seele  und  Gemüt 
gewöhnt  sind,  einen 
das  ganzeLeben  durch- 
dringenden, verschö- 
nernden, vertrauten, 
fast  vertraulichen  Um- 
gang zu  pflegen;  Volks- 
kunst, oder  besser  ge- 
sagt, Kunst  für  das 
Volk,  ganz  in  jenem 
hohen  Schwünge,  je- 
nem abgeklärten  Sin- 
ne, wie  ihn  Brentano 
zu  fühlen,  zu  singen 
und  neu  zu  beleben 
berufen  war,  voll  Ernst 
und  Fröhlichkeit,  her- 
zenswarm, unschuldig 
und  rein.  Seiner  »Ver- 
kündigung« wurde  be- 
reits gedacht;  sie  ist 
bezeichnend  für  jene 
Art,  derer  bisher  seine 
meisten  und  besten 
Erfolge  zu  danken  hat. 
Von  jenem  Hange  zu  ausführlicher  Erzählung, 
den  wir  bei  einzelnen  seiner  älteren  Arbeiten 
(so  beim  Armen  Heinrich)  beobachteten,  und 
der  auch  in  der  gleichzeitig  entstandenen  Zeich- 
nung » Rast  der  hl.  Familie  bei  den  alten  Essenern 
auf  der  Flucht  nach  Ägypten«  (Abb.  S.  174)  her- 
vortritt, ist  Becken  dazu  übergegangen,  seine 
Szenen  auf  eine  Mindestzahl  von  Personen  ein- 
zuschränken. Soweit  diese  Bilder  religiösen  In- 
haltes sind,  feiern  sie  mit  besonderer  Liebe  und 
Wärme  das  Leben  und  Walten  der  hl.  Jungfrau, 
bisweilen  mit  Erweiterung  der  Szene  zur  Dar- 
stellung der  hl.  Familie.  Am  liebsten  schildert 
unser  Künster  die  Freude  Marias  als  Mutter  des 
neugeborenen  Jesuskindleins.  Werke  solcher 
Art  sind  Beckerts  »Heilige  Familie  im  Freien«; 


JOSEPH  MARIA  EECKERT 


lOSKPII    MAMA   I 


seine   Rast  auf  der  Flucht  nach  Ägypten  ;  seine  Tiefe  des  VolksempBndens  geschöpft:  die  - 

»Heimkehr  St.  Josephs«  mit  der  freundlichen  Mutter,  vor  andern  Muttern  verherrlicht  durch 

Schilderun.«  des  in  Frömmigkeit  und  Schlicht-  den  Heiligenschein,  von  dem  ihr  stilles  Antlitz 

heit  vorbildlichen  Familienlebens  (Abb.  S,  [84);  hell  sich  abhebt,  wie  sie  in  tiefem  Sinnen  zu- 

seine  hl.  Jungfrau  daheim;  dieselbe  mit  Kindern  kunftsahnend  binblickt  .tut  d.is  Neugeborene, 

an  der  Wiege  des  Christkindes    Abb.  S   i;r.  dasvom  göttlichen  Strahlenscheine  umleuchtet! 

Zumal  das  letztere  Bild    ist  so  recht  aus  der  seiner  Lebens-  und   Leidensbestimmung  ent- 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


]OSEPH  MARIA  BECKERT 


TRÖSTERIN   DER  BETRÜBTEN 


gegenschlummert  in  der  Wiege,  die  mit  den 
Namen  Jesus  und  Maria,  auch  mit  Sinnbildern 
ihres  gemeinsamen  Schmerzes  geschmückt  ist. 
Die  Kinder  und  der  hl.  Erzengel,  die  alle  so 
ernst  blicken,  als  sei  mitten  in  ihrer  Freude  die 
Offenbarung  eines  künftigen  großen  Leides 
gleich  einem  Schatten  über  ihre  Seele  gegan- 
gen; dabei  zu  Häupten  der  Wiege  das  Weih- 
nachtsbäumlein mit  den  brennenden  Kerzen; 
und  draußen  weit,  bis  an  fernen  Waldesrand 
sich  dehnend,  das  verschneite  Land  —  das 
Ganze  ein  zum  Bilde  gewordenes  schlichtes 
Krippenlied. 

Beckerts  Kunst  verkündet  aber  auch  das 
Lob  der  Muttergottes  ob  ihrer  Liebe  gegen  die 
Menschen.  Im  Dämmerlichte  eines  gotischen 
Domes,  begleitet  von  Scharen  der  Heiligen, 
erscheint  sie  als  Traumgesicht  einem  Manne 
(Abb.  S.  186);  ihm  ist,  als  sänke  er  vor  des 
Erlösers  Herrlichkeitund  von  der  überirdischen 
Hoheit  und  Gnade  der  Himmelskönigin  über- 
wältigt auf  seine  Knie.  —  Den  Besuch  der 
Muttergottes  bei  einem  Einsamen  schildert  eine 
neuerdings  entstandene  Skizze  (Abb.  S.  191). 
—  Hohe  Feierlichkeit,  fast  zur  Schwärmerei  ge- 
steigert, erfüllt  die  in  der  neuesten  Schaffens- 
periode Beckerts  entstandene  »Legende  vom 


Maler  Unserer  lieben  Frau*:;  es  wirkt  wie  Ent- 
wicklung des  in  der  eben  erwähnten  Skizze  ein- 
geleiteten Gedankens  (Beil.  vor  S.  173).  Man 
sieht  die  Himmelskönigin  mit  dem  Kinde  in 
einem  Zimmer  am  Tische  sitzen,  vor  ihr  kniet 
ein  schwarz  gekleideter  Mann;  im  Hinter- 
grunde wohnen  zwei  Engel  mit  brennenden 
Kerzen  dem  Vorgange  bei.  Ein  Sonnenstrahl 
malt  das  Bild  des  Fensters  auf  den  Fußboden. 
Die  Farben  sind  Schwarz,  Graubraun  und 
herrschendes  Blau.  Die  lateinische  Gebet- 
unterschrift gibt  die  Gedanken  und  Worte 
des  Malers  wieder:  »Dignare  nie  laudare 
te,  Virgo  sacrata,  o  clemens,  o  pia,  o  dulcis 
Virgo  Maria«.  Das  Thema  der  hl.  Jungfrau 
als  Trösterin  der  Betrübten  und  Vereinsam- 
ten nimmt  eine  Skizze  von  19 19  wieder  auf 
(Abb.  oben).  Immer  wieder  übt  in  diesen 
Schöpfungen  außer  dem  in  schlichtes  Gewand 
gekleideten  geistigen  Gehalte  auch  die  ihn 
charakterisierende  und  vertiefende  Schilderung 
der  ernsten  Innenräume  bestimmende  Wirkung 
aus,  nicht  minder  das  Helldunkel,  das  Becken 
mit  steigendem  Geschicke  zu  behandeln  ver- 
steht. Dem  Traum«  nahe  verwandt,  gleich- 
falls in  den  geistigen  Zusammenhang  mit  den 
Einsamkeits-  und  Trostbildern  gehörig,  ist  das 


Gemall  1919.   —Text  S.  189 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 
MÜDE  BIN  ICH,  GEH'  ZUR  RUH 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


L89 


IOSEPH   MAI 


ergreifende  »Christge- 
schenk s  (Abb.  S.  192), 
auch  die  Skizze  Heil 
derKranken  (Abb  ne- 
benan). Eine  Meister- 
leistung großzügiger 
Charakteristik  ist  die 
Skizze  mit  dem  hl.  Au- 
gustinus, der  über  sei- 
ne Bekenntnisse  nach- 
sinnt (Abb.  S.  194).  Alle 
diese  Werke  verdien- 
ten im  ganzen  christ- 
katholischen deut- 
schen Volke  verbreitet 
zu  werden,  sie  könnten 
unendlich  viel  geben 
undSegenstiften.Und 
wer  sie  wegen  ihrer 
Kunst  anschaut,  wird 
in  ihnen  Werte  der 
Zeichnung,  der  Kom- 
position, des  Lichtes 
und  Schattens,  der  lar 
be  rinden,  die  denen 
unserer  besten  alten 
Werke  nicht  nachste- 
hen. Das  gilt  auch 
von  einer  früheren  Ar- 
beit,   der    Zeichnung 

St.  Elsbeths  Tod«,  wo  neben  der  in  seligem 
Lächeln  Hingeschiedenen  ein  Engel  ein  Lied 
singt,  zu  dem  er  selbst  auf  der  Geige  sich 
begleitet;  draußen  aber  vor  dem  Fenster  zwit- 
schern und  jubilieren  die  Vögelein.  Eine  über- 
aus anmutige  Arbeit  verspricht  auch  ein  Kin- 
derbuch mit  Erzählungen  von  der  Geburt  des 
Herrn  zu  werden,  wozu  Beckert  die  farbigen 
Zeichnungen  geschaffen  hat. 

Seine  weltlichen  Themata  behandelt 
Beckert  mit  nicht  geringerer  Tiefe.  Die  liebliche 
Autfassung  wie  in  der  »Verkündigung  waltet 
auch  in  einem  seiner  neuesten  Werke.  Er  nennt 
es  Müde  bin  ich, geh'  zur  Ruh«  (Abb.  Einschalt- 
blatt nach  S.  188).  In  ihrem  recht  heimelig  ein- 
gerichteten Gemache,  aus  dessen  Halbdunkel 
allerlei  Reflexe  von  goldigen  Gemälden  ge- 
heimnisvoll aufblitzen,  und  durch  dessen  ge- 
maltes Fenster  das  letzte  Tageslicht  glutet,  steht 
eine  kindlich  holde  Jungfrau,  im  Begriffe  sich 
zur  nächtlichen  Ruhe  zu  rüsten.  Die  Krone 
hat  sie  neben  sich  gesetzt  und  fängt  nun  an, 
ihr  schönes,  blondes  Haar  zu  flechten.  Edel  ist 
die  Zeichnung  des  in  ruhigen,  großen  halten 
herabwallenden  weißen  Gewandes.  Kräftig  hebt 
sich  die  helle  Gestalt  von  ihrer  Umgebung  ab. 
Auf  die  Schilderung  solcher  in  deutschem  oder 
niederländischem  Charakter  des  16.  Jahrhun- 


derts gehaltener  Innenräume  wendet  der  Künst- 
ler eine  Sorgfalt,  der  man  recht  die  Freude  an- 
merkt, dergleichen  malerisch  und  traulich  zu 
denken  und  zu  schaffen.  Die  Behandlung  der 
Luft  und  der  Schattenabstufungen  geben  diesen 
Räumen  eine  Vertiefung,  die  durch  eine  ge- 
wisse Bevorzugung  des  zeichnerischen  Vor- 
trages —  manches  erinnert  fast  an  Intarsia  — 
leicht  in  Frage  gestellt  werden  könnte.  Die 
Farben  sind  immer  schön  untereinander  aus- 
geglichen, obgleich  der  Künstler  es  liebt,  eine 
einzelne  vorzüglich  stark  hervorzuheben.  So 
kleidet  er  einen  Reiter,  der  auf  seinem  Schimmel 
durch  eine  weite  Schneelandschaft  (geschickte 
Behandlung  des  zweierlei  Weiß!)  dahintrabt,  in 
einen  roten  Rock  (Abb.  S.  182).  Das  Bild  er- 
innert in  Zeichnung  und  Stimmung  last  an 
Fieter  Breughel.  Sehr  schön  wirkt  ferner  ein 
von  Beckert  gern  verwendetes  leuchtendes 
Blau.  Fs  dient  wesentlich  dazu,  die  stille,  ganz 
zurückhaltende  Färbung,  die  seine  Werke  neuer- 
dings im  Gegensatze  zu  seinen  früheren  bevor- 
zugen, zu  beleben.  So  in  einem  Gemälde 
Heimkehre  (Abb.  S  183)  Ein  Mann  in  mittel- 
alterlichem Reiseanzuge  betritt  mit  herzlicher 
Begrüßung  das  G  mach,  in  dem  seine  Braut 
seiner  wartet.  Von  dem  (,r.ui  und  Schwarz 
seiner  Kleidung  und  dem  (.raubraun  des /im 


Die  christliche  Kunsi 


190 


DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 


]OSEF  MARIA  EECKERT 


STILLE  MENSCHEN 


mers  sticht  das  Blau  des  Frauengewandes  wir- 
kungsvoll ab,  ohne  daß  doch  die  Ruhe  und 
Geschlossenheit  der  Farbenstimmung  darunter 
litte.  Die  seelische  Empfindung  aber  wird  da- 
durch besser  gehoben,  als  es  durch  irgend  eine 
andere  Farbe  geschehen  konnte.  Ganz  ähn- 
lich ist  die  Sache  bei  einer  schon  erwähnten 
»Heimkehr  des  hl.  Joseph«.  Hier  tritt  zu  Grau 
und  Blau  noch  das  gedämpfte  Grün  des  im 
Hintergrunde  stehenden  großen  Himmelbettes. 
Derselbe  Mann  erscheint  auf  dem  zweiten 
Bilde,  wie  er  Abschied  nehmend  vor  einem 
blaugekleideten  Mädchen  kniet.  Durch  das 
Dunkel  des  Zimmers  erglänzt  das  Gold  eines 
Flügelaltars.  Warme  Töne  findet  Beckert  in 
seinem  »Weihnachtslied«  (Abb.  S.  187).  Ein 
altniederländischer  Innenraum;  ein  Mann  sitzt, 
vom  Rücken  gesehen,  vor  einer  Orgel,  die 
junge  Wöchnerin  lauscht  dem  Liede,  das  er 
spielt.  Die  Unterschrift  nennt  es:  »Uns  ist  ein 
Kindlein  heut  gebor'n  usw.«.  —  Freundlich, 
ernst,  schlicht,  volkstümlich  ist  die  Skizze  » Stille 
Menschen « (Abb.  oben).  Tiefe  Stimmung  waltet 
auch  in  diesem  Werke  des  Maler-Dichters,  des- 
sen Kunst,  wie  es  nur  wenigen  gegeben  ist, 
der  Geist  echten  deutschen  Empfindens  erfüllt. 
Wie    sich  seine  Farbenauffassung  und  Kom- 


positionsweise neuerdings  ändert  und  abklärt, 
gehört  sie  zu  den  Kennzeichen  der  zuneh- 
menden Vertiefung  des  in  seinen  Werken  sich 
kundgebenden  Denkens  und  Fühlens.     Doenn? 


DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE 
HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 

Von  HERMANN  HANDEL-MAZZETTI 

Ctwa  eine  Stunde  innabwärts  der  alten  Berg- 
•L-'  werkstadt  Schwaz  liegt  an  steiler  Berges- 
lehne, von  prächtigem  Buchenwalde  umgeben, 
das  Schloß  Tratzberg.  Nicht  auf  die  herrlichen 
Räume,  in  welchen  sich  die  gotische  und  Re- 
naissancekunst harmonisch  die  Hand  reichen, 
und  seine  reichen  Sammlungen  will  ich  auf- 
merksam machen,  sondern  bei  einem  wenig 
beachteten  Stücke  verweilen.  An  der  Rück- 
wand der  Schloßkapelle  hängt  in  schlechter 
Beleuchtung  eine  bemalte  Leinwand  von  4  m 
Länge,  durch  einfache  orangegelbe  Leisten  in 
zwölf  zu  zwei  Reihen  übereinander  angeord- 
nete quadratische  Felder  geteilt.  Auf  denselben 
führt  der  Maler  in  fünf  figurenarmen  Bildern 
Leidensszenen     unseres     Herrn     und     zum 


DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG  191 


JOSEPH  MARIA   BECKERT 


1'S'SERER  LlfcHES   FRAUEN   BESUCH 


Skitxe,  igiS  —  Ttxt  S.  iSS 


Schlüsse  die  Verherrlichung  Christi,  im  Ab- 
stieg in  die  Vorhölle,  der  Auferstehung  und 
der  Himmelfahrt  vor.  Vor  jeder  entsprechen- 
den Darstellung  sind  als  Vorbilder  aus  dem 
AltenTestamente,  Isaak  das  Opferholz  tragend, 
lonas  in  das  Meer  geworfen  und  dem  Rachen 
des  Fisches  entsteigend,  und  Simson,  den 
Löwen  bezwingend,  eingestreut.  Diese  un- 
mittelbare Gegenüberstellung  geht  offenbar 
auf  die  Armenbibeln  zurück,  welche  um  die 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts  in  Süddeutschland 
erschienen  sind.  In  diesen  Bibeln  ist  auch 
Samson  zum  ersten  Male  als  Vorbild  des  Ab- 
stieges in  die  Vorhölle  aufgefaßt. 

Ein  Vergleich  mit  den  Fresken  des  Franzis- 
kanerklosters im  nahen  Schwaz  drängt  sich 
auf.  Unsere  Darstellung  verzichtet  auf  alle 
prunkvolle  Ausstattung  der  Gewänder,  auf 
welche  dort  so  großes  Gewicht  gelegt  ist.  doch 
zeigt  sich  auch  hier  das  Bestreben,  einmal 
angenommene  Typen  festzuhalten,  wie  beson 
ders  an  der  Figur  im  roten  anliegenden  Kleide, 
welche  bald  als  Hausknecht,  als  Schiffer,  der 
den  Jonas  ins  Meer  wirft  und  als  Joseph  von 
Arimathaea  auftritt,  zu  beobachten  ist. 

Ganz  auffallend  ist  die  Ähnlichkeit  der  Typen 
alter  Männer  (Adam  in  der  Yorhölle,  Abraham) 


und  der  verzerrten  Gesichter  der  Juden  mit 
den  gleichen  Darstellungen  des  Kreuzganges, 
während  der  Schmerz  der  Gottesmutter  da- 
gegen ruhig  und  mäßiger  aufgefaßt  ist.  Wir 
haben  es  mit  einem  Fragment  eines  größeren 
Werkes  zu  tun,  da  ein  Passionszyklus  niemals 
mit  der  Geißelung  beginnen  kann,  wie  es  auch 
klar  ist,  daß  das  Kunstwerk  nicht  ursprünglich 
dazu  dienen  konnte,  die  kahle  Rückwand  der 
Kapelle  zu  zieren.  Mit  Rücksicht  darauf,  daß 
die  Schloßkapelle  1 50S  eingeweiht  wurde,  mit- 
hin mit  dem  Kreuzwege  zeitlich  zusammen- 
fällt, wird  das  Werk  der  oberdeutschen  Schule 
des  beginnenden  [6. Jahrhunderts  zuzuweisen 
sein.  Um  den  Zweck  dieses  Bildertuches  zu 
erklären,  wollen  wir  Umschau  nach  ähnlichen 
Objekten  im  kunstreichen  Tirol  halten  Die 
Ausbeute  wird  eine  außerordentlich  g< 
sein. 

Leider  infolge  der  Kriegsereignisse  noch  in 
einer  Kiste  verwahrt,  findet  sich  ein  ähnliches 
Bildertuch  im  Museum  der  Handels-  und  Ge- 
werbekammer  in  Innsbruck;  ebenfalls  mit 
Wasserfarben  auf  Leinwand  gemalt  und  durch 
einfache  Linien  getrennt,  werden  Bilder  der 
heiligen  Geschichte,  chronologisch  in  unter- 
einander fortlaufenden  Reihen  angeordnet,  vor- 


DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 


lOSEPH  MARIA  «ECKERT 


geführt.  Trotz  der  großen  Anzahl  (34  Bilder) 
fehlt  nicht  nur  die  typologische  Gegenüber- 
stellung, sondern  überhaupt  alle  Darstellungen 
vom  Brudermorde  Kains  angefangen  bis  zur 
Verkündigung;  das  Neue  Testament  beginnt 
mit  der  Geburt  Christi  und  behandelt  sodann 
nur  die  Passion  und  die  Verherrlichung.  Eine 
besondere  Vorliebe  zu  architektonischen  An- 
sichten zeigt  sich  in  der  Zinnenmauer  des 
Paradieses  und  der  Stadt  Bethlehem  bei  der 
Geburt  Christi,  sowie  im  getäfelten  Zimmer, 
in  welchem  die  Verkündigung  stattfindet.  Merk- 
würdig erscheint  der  Erzengel  ohne  Flügel  in 
priesterlichem  Gewände.  Das  Tuch  ist  spät- 
gotisch und  soll  aus  Steiermark  stammen. 

Ein  weiteres  Bildertuch  ähnlicher  Art  wurde 
von  dem  Antiquitätenhändler  Rohracher  in 
Lienz  erstanden.  Dasselbe  stammt  ebenfalls 
aus  Steiermark  —  war  somit  eine  Zeitlang  in 
Tirol.  Es  dürfte  sich  gegenwärtig  im  Volks- 
kundemuseum in  Wien  befinden,  dessen  Di- 
rektor, Professor  Haberlandt,  es  kurz  vor  Kriegs- 
ausbruch gekauft  hat. 

Ferner  dürfte  ein  solches  Tuch  als  Vorlage 


zu  einer  Wandmalerei 
gedient  haben,  welche 
inderGemeindeOber- 
au  der  Wildschönau 
bei  Kundl  das  Haus 
Nr.  69  des  Weilers 
Haus  schmückt.  In 
35  kleinen,  in  mehre- 
ren Reihen  überein- 
ander angeordneten 
Feldern  wird  das  Le- 
ben Jesu  ohne  Bezie- 
hung auf  das  Alte  Te- 
stament in  sehr  pri- 
mitiv in  Rot  und  Braun 
gezeichneten  Bildern 
behandelt. 

Wasbezweckennun 
diese  eigenartigen  Bil- 
dertücher? Es  sind  Fa- 
sten- oder  Hungertü- 
cher. Unter  den  Fa- 
stentüchern (velum 
quadragesimale)  ver- 
stehen wir  Vorhänge, 
welche  in  früheren 
Zeiten  allgemeinin  der 
Fastenzeit  zwischen 
dem  Hochaltare  und 
demChore  aufgehängt 
wurden.  In  den  fol- 
genden Zeilen  wollen 
wir  die  Entstehung 
dieser  Einrichtung,  die 
symbolische  Bedeutung,  wie  sie  uns  in  der 
mittelalterlichen  Literatur  entgegentritt,  be- 
trachten, dann  der  Kirchenzeit,  welche  ihre 
Anwendung  bedingt  und  der  Art  ihres  Ge- 
brauches nachgehen,  ihren  allmählichen  Ver- 
fall und  den  heute  noch  stattfindenden  Gebrauch 
derselben  zeigen,  endlich  die  Fastentücher 
selbst,  soweit  sie  uns  überliefert  sind,  be- 
schreiben. 

Betrachtet  man  genau  die  herrlichen  Säulen- 
hallen der  alten  römischen  Basiliken  etwa 
S.  Maria  Maggiore,  so  findet  man  in  jeder 
Säule  in  ungefähr  3  m  Höhe  über  dem  Boden 
eine  Öffnung.  Im  7.  bis  9.  Jahrhundert,  in 
welchen  diese  Kirchen  einen  fast  märchen- 
haften Reichtum  an  herrlichen  Teppichen  be- 
saßen, dienten  diese  Löcher  zum  Einlassen 
der  Haken,  an  welchen  jene  Teppiche  belestigt 
waren,  welche  Mittel-  und  Seitenschiffe  trenn- 
ten. Durch  diese  Vorhänge  wurde  den  Laien, 
welche  sich  nur  im  Seitenschiffe  aufhalten 
durften,  der  Ausblick  auf  das  Allerheiligste 
entzogen,  während  ein  weiterer,  am  Triumph- 
bogen befestigter  Vorhang  denselben  Zweck 


CHRISTGESCHENK 


'93 


iq ig  —   Text  S.  i$4 


[OSl  PH    MARI  \    Bl 

IS  ls  i  l  |\  Uns  I  NTSPI  I 


194 


DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 


JOSEPH  MARIA  BECKERT 


ST.  AUGUSTIN  SCHREIBT  DIE  BEKENNTNISSE 
igig  —   Text  S.  iSq 


hinsichtlich  der  im  Mittelschiffe  versammelten 
Sänger  erfüllte;  weitere  Teppiche  trennten 
die  Confessio  (den  Altar  und  die  darunter 
liegenden  Martyrersarkophage)  von  den  im 
Chore  versammelten  Geistlichen.  Der  Opfer- 
priester glich  tatsächlich  dem  Hohenpriester 
im  Alten  Bunde,  welcher  allein  in  das  Aller- 
heiligste  trat.  Man  dürfte  nicht  fehlgehen, 
den  ausgedehnten  Gebrauch  der  Teppiche  im 
Gotteshause  nicht  nur  mit  der  damaligen  Prunk- 
liebe in  Stoffen,  sondern  auch  mit  der  Ge- 
pflogenheit des  Alten  Bundes  in  Zusammen- 
hang zu  bringen.  Alle  diese  Vorhänge  waren 
durch  Stricke  verschiebbar  und  wurden,  soweit 
das  Verständnis  der  Opferhandlung  es  not- 
wendig erscheinen  ließ,  jedenfalls  aber  während 
der  Verlesung  der  Epistel  und  des  Evangeliums, 
dann  während  der  Opferung  und  Kommunion 
zurückgezogen.  Von  allen  diesen  Vorhängen 
hat  sich  in  spätere  Zeit  nur  einer,  nämlich 
der  am  Triumphbogen  befestigte,  welcher  den 
Chor  vom  Schiffe  trennte,  erhalten. 

Aus  den  apostolischen  Zeiten  war  nämlich 


das  Institut  der  öffentlichen 
Buße,  wenn  auch  nicht  in  der 
Form  der  vier  Klassen,  in  der 
abendländischen  Kirche  erhal- 
ten geblieben.  Noch  im  9.  Jahr- 
hundert waren  die  Büßer  von 
der  heiligen  Handlung  ausge- 
schlossen und  mußten  vor  Be- 
ginn derselben  die  Kirche  ver- 
lassen. Erst  durch  die  Mög- 
lichkeit der  Umwandlung  der 
öffentlichen  Buße  in  ein  an- 
deres, leichter  zu  verrichtendes 
Werk,  zu  welcher  das  fränki- 
sche Wehrgeldsystem  wesent- 
lich beitrug,  verschwand  die 
öffentliche  Bußdisziplin  gänz- 
lich. Wie  nun  in  der  alten 
Disziplin  die  Pönitenten  viel- 
fach zu  Beginn  der  Fastenzeit 
aus  der  Kirche  feierlich  ver- 
stoßen wurden,  so  bekannte 
sich  auch  dasübrige  Volk  durch 
den  Empfang  der  Asche  als 
Büßer.  Dasselbe  konnte  aber 
nicht  aus  der  Kirche  ausgewie- 
sen werden,  doch  wurde  ihm 
der  Anblick  des  Allerheiligsten 
entzogen,  wodurch  es  sich 
wenigstens  figürlicherweise  als 
aus  der  Kirche  ausgestoßen 
betrachtete.  Aus  der  Zeit  die- 
ser Umänderung  hat  sich  nun 
die  erste  Nachricht  über  ein 
Hungertuch,  das  velum  Opti- 
mum des  Hartmodus  von  St.  Gallen,  erhalten. 
Es  ist  somit  das  Hungertuch  zunächst  das 
Sinnbild  der  Trauer  und  Buße,  welcher  sich 
der  Sünder  zu  unterwerfen  hat,  um  zur  Maje- 
stät Gottes,  die  er  durch  seine  Missetat  be- 
leidigt hat,  wieder  aufblicken  zu  dürfen.  Als 
Sinnbild  unserer  Unwürdigkeit,  die  überirdi- 
schen Geheimnisse  zu  schauen,  erklärt  der 
Verfasser  der  gemma  animae,  Honorius  von 
Autun,  welcher  zur  Zeit  des  Wormser  Kon- 
kordates in  Süddeutschland  tätig  war,  alle 
Tücher,  welche  das  Ciborium  verhüllten, 
während  Durandus  (gestorben  1296  als  Statt- 
halter der  Romagna)  diese  Deutung  nur  für 
das  eigentliche  Fastentuch  gibt.  Derselbe 
Schriftsteller  erblickt  aber  in  diesem  Schleier 
sehr  sinnreich  auch  das  Bild  der  Verdemüti- 
gung  Christi,  welche  den  Juden  ein  Ärgernis, 
den  Heiden  eine  Torheit  schien,  und  welche 
plötzlich  vor  dem  Glänze  der  Auferstehung 
verschwinden  sollte.  Bekanntlich  hat  die  Ver- 
hängung der  Altarbilder  und  Kruzifixe  auch 
in  der  heutigen  Liturgie  dieselbe  Bedeutung. 


»95 


[OS]  l'll  MARIA  BECKERT 


DNACm 


196 


DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 


Wir  rinden  bei  Durandus  aber  noch  eine 
weitere  Erklärung  in  der  Analogie  zum 
prächtigen  Vorhang  des  Tempels  zu  Jeru- 
salem, welcher  beim  Opfertode  Christi  zer- 
rissen ist. 

Seit  ihrem  nachweisbaren  Gebrauche  werden 
die  Hungertücher  zu  Beginn  der  Fastenzeit 
aufgehängt,  welche  das  Konzil  von  Benevent 
auf  den  Mittwoch  nach  Quadragesima  (Ascher- 
mittwoch) festsetzt,  ein  Zeitpunkt,  welcher 
auch  in  den  Schriften  Gerberts  von  St.  Blasien 
erwähnt  wird.  In  Westfalen  hat  sich  jedoch 
gegenwärtig  der  Brauch  eingebürgert,  nach 
der  Komplet  des  ersten  Fastensonntages  den 
Chor  mit  dem  Tuche  zu  verhüllen.  Ebenso 
wird  in  manchen  Pfarreien  Westfalens  diese 
Hülle  jedenfalls,  um  die  Zeremonie  nicht  zu 
behindern,  schon  am  Mittwoch  in  der  Kar- 
woche entfernt,  während  alle  Quellen  von 
Durandus  bis  zu  den  Constitutiones  Hirsau- 
genenses  dieselbe  erst  am  Karfreitag  entfernen 
lassen.  An  die  letzterwähnte  Erklärung  des 
Durandus  knüpft  der  in  England  in  früheren 
Zeiten  und  jetzt  zu  Coesfeld  (Diöz.  Münster) 
bestehende  Usus,  die  Scheidewand  bei  den 
Worten  »et  velum  templi  scissum  est«  fallen 
zu  lassen.  Durch  das  hierbei  absichtlich  ver- 
ursachte Geräusch  soll  zu  Coesfeld  außerdem 
das  Erdbeben  nachgebildet  werden.  Nachdem 
nun  die  Symbolik  des  Ausgeschlossenseins 
aus  der  Kirche  gegen  die  anderen  Deutungen 
zurückgetreten  war,  wurde  den  Gläubigen 
der  Anblick  der  heiligen  Messe  dadurch  er- 
möglicht, daß  man  das  Tuch  während  der 
heiligen  Messe  —  nach  dem  Zeugnisse  der 
Constitutiones  Hirsaugenenses  —  zurückzog, 
oder  wie  im  Dome  zu  Gurk  die  Messe  nur 
an  den  unverhüllten  Seitenaltären  liest.  Seit 
dem  17.  Jahrhundert  wurde  in  Westfalen  dieser 
Zweck  dadurch  erreicht,  daß  man  den  Schleier 
selbst  durchsichtig  herstellte. 

Als  der  in  der  Architektur  von  selbst  ge- 
gebene Platz  zum  Anbringen  des  Hunger- 
tuches erscheint  der  Triumphbogen.  Der  im 
oberen  Drittel  desselben  angebrachte  Balken 
eignete  sich  in  den  romanischen  Bauten  be- 
sonders hierfür.  Er  trug  als  das  Siegeszeichen 
die  große  Kieuzigungsgruppe,  welche  gleich- 
zeitig verdeckt  werden  konnte.  In  alten  Kirchen- 
anlagen stand  allerdings  dieses  Siegeszeichen 
auf  hohem  Sockel  in  der  Mitte  des  Kirchen- 
schiffes, dann  wurde  auch  das  Fastentuch,  wie 
von  jenem  Hartmods  von  St.  Gallen  berichtet 
wird,  vor  dem  Kreuze  in  der  Mitte  des  Schiffes 
ausgespannt.  Auch  am  Lettner,  zu  welchem 
sich  die  Chorschranken  besonders  in  England 
ausbildeten,  fand  das  Hungertuch  einen  ge- 
eigneten Halt.    Wo  in  der  Architektur  dieser 


Halt  fehlte,  behalf  man  sich  mit  einer  dünnen 
Stange,  welche  mit  Stricken  freischwebend 
befestigt  wurde. 

Neben  dem  Abschlüsse  des  ganzen  Chores 
durch  das  Hungertuch,  wurde  aber  auch  alles, 
was  zum  Schmucke  der  Altäre  diente,  schon 
von  alters  her  zur  Fastenzeit  verhängt.  Dies 
bezeugt  schon  der  Zeitgenosse  des  Honorius, 
Beleth  in  seinem  »rationale  divinarum  ofricio- 
rum«,  welchen  Brauch  Durandus  ganz  beson- 
ders als  Symbol  der  Verhüllung  der  Gottheit 
Christi  während  seines  Leidens  erklärt.  Diese 
beiden  Bräuche  führten  schon  frühzeitig  zu 
einer  Verschmelzung.  Denn  anders  ist  es  nicht 
zu  erklären,  wenn  das  Konzil  von  Exeter  1287 
für  jeden  Altar  ein  eigenes  Fastentuch  vor- 
schreibt. So  wird  heute  noch  in  Pinzon  (Diö- 
zese Trient)  jedes  Altarbild  mit  einem,  Passions- 
darstellungen enthaltenden  Tuche  überdeckt, 
während  zu  Milstadt  in  Kärnten  das  Fasten- 
tuch zur  Verdeckung  des  Hochaltarbildes  allein 
verwendet  wurde. 

Anderseits  erhielten  sich  beide  Bräuche  auch 
lange  nebeneinander.  So  bezeugt  der  Abt 
Martene  1654  für  Frankreich,  daß  neben  dem 
Fastentuche  die  Bilderverhüllung  (und  zwar 
die  letztere  über  die  kirchliche  Vorschrift 
hinaus,  schon  am  Passionssonntage  ange- 
fangen, wie  gegenwärtig  in  Tirol)  geübt 
wird. 

Nur  Reste  der  früher  allgemeinen  Sitte  der 
Hungertücher  haben  sich  bis  in  die  heutigen 
Tage  erhalten;  sie  werden  noch  gebraucht 
in  vielen  Pfarreien  Westfalens,  dann  wenig- 
stens vor  einigen  Jahren  noch  im  Dome  zu 
Freiburg  im  Breisgau,  sodann  in  einigen  Ort- 
schaften Kärntens.  Außerhalb  der  deutschen 
Lande  scheint  sich  der  Brauch  nur  in  Notre- 
Dame  in  Paris  erhalten  zu  haben. 

Ihrer  Bestimmung  gemäß,  die  ganze  Breite 
des  Chores  abzuschließen,  waren  die  Hunger- 
tücher oft  Werke  bedeutenden  Umfanges, 
mißt  ja  das  velum  des  Freiburger  Münsters 
10  m  Länge,  das  Gurker  bildet  ein  Quadrat 
von  9  m;  diesen  an  Größe  wenig  nach 
stehen  die  Tücher  von  Zittau  und  Telgte  in 
Westfalen.  Die  älteren  Fastentücher  waren 
undurchsichtige  Gewebe  aus  Leinwand  oder 
Seide,  nicht  selten  —  ebenso  wie  der  Tempel- 
vorhang in  Jerusalem  reich  verziert  war  — 
künstlich  gewirkt  und  mit  Bildnissen  in  Tam- 
burettstich  versehen.  Erst  gegen  Ende  der 
romanischen  Periode  wurde  die  Stickerei  durch 
den  Pinsel  verdrängt,  während  die  in  der 
Neuzeit  entstandenen  westfälischen,  —  wie 
schon  erwähnt  —  auf  Filetuntergrund  ge- 
stickt sind. 

(Schluß  folgO 


AUS  DEM   MUNDE  DER  KINDER  UND  SÄUGLINGE  HAST  DU  DIR  LOB  BEREITET 

Ps.  8,  13. 


ÜBER  KIRCHENERWEITERUN (il.X 


(Hierzu  die  Abbildungen  S.  198 — 227) 


Die  Behebung  des  Platzmangels,  der  gewöhn- 
lichen Ursache  der  baulichen  Umgestal- 
tung unserer  Kirchen,  kann  in  den  meisten 
Fällen  durch  eine  Erweiterung  im  Kirchen- 
inneren oder  -äußeren  behoben  werden.  Die 
Erweiterung  wird  zum  Zwange,  wenn  wirt- 
schaftliche, künstlerische  oder  städtebauliche 
Gründe  die  Beibehaltung  der  alten  Kirche  oder 
von  Teilen  derselben  verlangen. 

In  den  besten  Zeiten  christlicher  Kunstbe- 
tätigung eine  selbstverständliche  Lösung,  wenn 
auch  seltener  mit  vollständiger  Beibehaltung 
des  alten  künstlerischen  Ausbaues,  wird  sie 
in  den  Zeiten  des  Verfalles  im  19.  Jahrhun- 
dert eine  Seltenheit,  um  erst  neuerdings  wieder 
in  den  Vordergrund  spekulativer  Bautätigkeit 
zu  treten;  nicht  zum  mindesten  hilft  jetzt  aber 
auch  der  Zwang  der  Denkmalpflegefürsorge 
mit  und  die  Not  der  Zeit. 

Die  Fragen,  die  auf  diesem  Gebiete  der  be- 
tätigenden Kunstgeschichte  zu  iösen  sind,  sind 
so  mannigfaltig,  so  schwierig  und  so  ganz  los- 
geschält von  jeglichem  Schema  und  stehen 
noch  so  stark  im  Widerstreit  der  Meinungen, 
daß  nur  eine  ständig  auf  gleichem  Gebiete 
arbeitende,  das  ganze  reiche  Arbeitsfeld  über- 
schauende Zentralstelle  als  die  berufene  Be- 
hörde erscheint,  deren  Wirken  um  so  ersprieß- 
licher sein  wird,  wenn  künstlerisch  sich  be- 
tätigende Beamte  mit  den  Aufgaben  betraut 
werden  und  wenn  ihr  am  Amtssitze  anerkannte 
Künstler  beratend  zur  Seite  stehen  können. 

Die  Schwierigkeiten,  die  sich  schon  bei  dem 
Ausgleich  der  kunstgeschichtlichen  Bewertung 
und  der  Raumforderung  der  umzubauenden 
Kirche  ergeben,  häufen  sich  bei  der  Bauplanung. 

Wohl  kaum  eine  andere  Baufrage  kann  den 
künstlerisch  selbständig  schaffenden  Architek- 
ten so  vollständig  fesseln,  wie  gerade  die 
Frage  der  Erweiterung  und  oft  scheint  eine 
brauchbare  Lösung  der  Verbindung  des  Alten 
mit  dem  Neuen   schier  eine  Unmöglichkeit. 

Gar  nicht  selten  kann  man  daher  Beispiele 
finden,  bei  denen  vom  alten  Baue  nur  Teile. 
z.  B.  der  Ghor  oder  der  Turm  erhalten  blieben 
und  der  Neubau  völlig  selbständig  entfernt 
von  der  alten  Kirche  errichtet  wurde  oder 
nur  in  ganz  loser  Verbindung  mit  den  erhal- 
tenen Teilen  steht.    Derartige  Ausfuhrungen 


können  nicht  als  Lösungen  bezeichnet  werden 
und  vom  Standpunkte  der  Denkmalpflege  aus 
betrachtet  sind  sie  zu  bekämpfen: 

»Man  rette  wenigstens  den  Zusammenhang 
mit  der  Vergangenheit,  soweit  dies  nur  immer 
möglich  ist;  denn  das  Alte  ist  rasch  zerstört, 
es  dauert  aber  Jahrhunderte,  ehe  Altes  wieder 
entsteht.  Und  der  Ort  ist  elend  arm,  der  die 
Merkmale  der  eigenen  Geschichte  vernichtete  !< 

Dieser  Meinung  Cornelius  Gurlitts  kann 
man  nur  beipflichten,  denn  Tatsachen  be- 
weisen. Die  Unterhaltung  derartig  getrennt 
stehender  Bauteile  wird  bald  seitens  der  un- 
terhaltungspflichtigen  Gemeinde  als  Last  emp- 
funden, zumal  wenn  der  Bauteil  nach  An- 
schauung der  Gemeinde  »ungenutzt     bleibt. 

Von  der  rein  künstlerischen  Seite  aus  be- 
trachtet, sollte  dem  Architekten  die  Einbe- 
ziehung eines  alten  künstlerisch  bedeutsamen 
Bauteiles  nur  erwünscht  sein  und  in  edlem 
Wetteifer  kann  er  versuchen ,  seine  Kunst 
zur  gleichwertigen  Höhe  der  alten  Kunst 
zu   erheben. 

Der  Gemeinde  aber  sollte  die  Erhaltung  der 
alten  Kirche  schon  aus  Gründen  der  Pietät 
erstrebenswert  sein. 

Der  Architekt  muß  der  Gemeinde  eindring- 
lichst die  Vorteile  einer  Erweiterung  klarzu- 
machen   suchen: 

1.  Stellt  jede  Erweiterung  rein  sachlich  be- 
trachtet durch  die  Beibehaltung  noch  be- 
nutzbarer Teile  der  alten  Kirche  eine  ganz 
wesentliche  Einsparung  der  Baukosten  dar. 

2.  Wird  durch  die  Verringerung  der  Bau- 
kosten die  Baufrage  wesentlii 

3.  Besteht  meist  die  Möglichkeit,  in  dem  er- 
halten bleibenden  Teile  der  Kirche  den 
Gottesdienst  zu   leiern. 

4.  Wird  die  Bauzeit  durch  den  geringeren 
Aufwand   an    Mauerwerk   gekürzt. 

5.  Erhält  die  Kirche  in  der  Innen-  und 
Außenwirkung  ein  besonders  malerisches 
und  kimstierisches  Gepräge  durch  den 
Zusammenschluß  von  Altem  und  Neuem. 

(..  Werden  die  durch  die  kirchliche  Weihe 
geheiligten  Bauteile  und  Einzelheiten  der 
Kirche  ihrem  Zwecke  erhalten  und  keiner 
Entwürdigung  (z.  B.  durch  Verkauf  an 
den  Kunsthandel  u.  a.)  ausgesetzt. 


Die  chrivllKhc   KnnM.     XVI      10,  II.  f..    Juli   l»l" 


198 


K   II 


i99 


ÜBER  KIRCHENERWEITERUNGEN 


NEUMÜNSTER  ZU  WÜRZBÜRG.    ARCHITEKT  JOS.  GREIS1NG.  —  ERWEITERUNG  DURCH  ZENTRAL- 
BAU  IN   DER  ACHSENVERLÄNGERUNG.    VGL.  GRUNDRISS  UND   LÄNGENSCHNITT  S.  199  UND  198 


Immer  wieder  macht  man  bei  Bauten  aut 
dem  Lande  besonders  die  Wahrnehmung,  daß 
die  Gemeinde  eine  neue  Kirche  haben  will, 
selbst  unter  dem  Opfer  der  Erhaltungspflicht 
der  alten  Kirche. 

Diesem  Wunsche  der  Gemeinde  kann  der 


sich  seiner  Verantwortung  bewußte  Architekt 
nur  in  den  seltensten  Fällen  beipflichten,  wenn 
z.  B.  die  alte  Kirche  mit  der  nächsten  Um- 
gebung ein  in  sich  abgeschlossenes  Natur- 
oder Kunstdenkmal  darstellt,  das  durch  die 
geplante  Erweiterung  vernichtet  würde. 


ÜBER  KIRCHENERWEITERUNGEN 


Dem  weiteren  Einwände,  daß  durch  den 
Abbruch  der  alten  Kirche  Baumaterial  ge- 
wonnen werden  könnte,  ist  durch  die  Er- 
fahrungstatsache zu  begegnen,  daß  meist  kaum 
die  Abbruchkosten  gedeckt  werden  durch  den 
Erlös  aus  den  anfallenden,  etwa  noch  brauch- 
baren Baustoffen,  da  gerade  durch  den  Ab- 
bruch viel  zerstört  wird,  oder  in  der  vorhan- 
denen Form  für  den  Neubau  erst  durch  Um- 
arbeiten verwendbar  wird;  außerdem  handelt 
es  sich  meist  nur  um  geringwertige  Mauer- 
stoffe, Steine,  Ziegel,  denen  gegenüber  der 
Wert  des  zerstörten  Bauteiles  doch  ganz  an- 
ders zu  betrachten  ist. 

Auch  wird  öfters  noch  auf  die  Platzfreiheit 
hingewiesen,  die  der  neuen  Kirche  nach  Ab- 
bruch der  alten  Kirche  gegeben  wer- 
den könnte.  Ein  veraltetes  Schlag- 
wort, das  immer  noch  vorgebracht 
wird  unter  Hinweis  auf  leider  so 
viele  städtische  Vorbilder. 

Des  öfteren  begegnet  der  Archi- 
tekt auch  noch  ab  und  zu  der  Forde- 
rung nach  Einhaltung  eines  bestimm- 
ten Stiles,  meist  gotisch  und  roma- 
nisch. Das  Herabwürdigende  einer 
derartigen  Forderung  kann  dem  Bau- 
herrn nicht  verübelt  werden,  es  ist 
noch  ein  Zeichen  aus  einer  hoffent- 
lich bald  überlebten  Zeit,  in  der  die 
Künstler  nur  im  Nachahmen  alter 
Meister  ihr  Heil  zu  finden  glaubten. 

Die  Stilfrage  des  Erweite- 
rungsbaues soll  und  muß 
dem  Baukünstler  allein  über- 
lassen werden. 

Sklavische  Nachahmung  alter  Stile 
zeigt  stets  mangelndes  künstlerisches 
Empfinden  und  mangelnde  Selb- 
ständigkeit, zugleich  aber  auch  die 
Unfähigkeit,  auf  der  Basis  der  er- 
lernten alten  Formen  neue  Ge- 
danken zu  entwickeln. 

Der  Sakralbau  zeigt  in  seiner  ge- 
schichtlichen Entwicklung  ganz  be- 
sonders eindrucksvoll  den  künst- 
lerischen Fortschritt,  unterscheidbar 
fast  nach  jedem  Dezennium  bis  in 
das  19.  Jahrhundert  hinein.  Dieser 
Reichhaltigkeit  künstlerischer  Aus- 
drucksmittel stand  man  oft  recht  rat- 
los gegenüber  und  manch  vergnüg- 
licher Streit  erhob  sich  über  die 
Frage,  welcher  von  den  Stilen  soll 
jetzt  für  die  geplante  Erweiterung 
genommen  werden? 

An  die  gute  alte  Überlieferung 
aber  sollte  auch  die  Architektur  der 


jetzigen  Erweiterungsbauten  anschließen,  in 
selbständiger  Anpassung  an  das  Alte  sollte 
auch  sie  klar  den  künstlerischen  Ausdruck 
unserer  Zeit  darstellen. 

Die  Gestaltung  von  Grund-  und  Aufriß  ist 
stark  abhängig  von  den  örtlichen  Verhältnissen, 


PFARRKIKCIIi:  ST.  PETEH 

k  ALTEN   KIRCHE  MM 


ÜBER  KIRCHENERWEITERUNGEN 


PFARRKIRCHE  ST.  PETER  ZU  WURZBURG.    ARCHITEKT  |OSEPH  GREISING.    ERWEITERUNG  DURCH  ÜBER- 
BAUEN DER   ALTEN   KIRCHE   MIT   BEIBEHALTUNG   DER  TURME    (ÄLTESTER   TEIL)    UND   DES   CHORES. 
VGL.  GRUNDRISS  S.  201  UND  INNENANSICHT  S.  20; 


von  einem  Normalschema,  wie  es  sich  z.B.  Jeder  Erweiterungsbau  wird  im 
bei  den  Kirchenbauten  Ende  des  verflossenen  Grund-  und  Aufriß  sich  anders  ge- 
Jahrhunderts entwickeln  konnte,  kann  nicht  stalten,  jeder  Bau  braucht  seine 
die  Rede  sein.  eigene    Behandlung. 


ÜBER  KIRCHENERWEITERUNGEN 


Aufgabe  des  Bauherrn  und  des  Architekten 
muß  es  bleiben,  auch  ein  ausführbares 
Bauprogramm  aufzustellen  und   unter  Beibe- 


den verfügbaren  Mitteln,  den  geänderten  An- 
schauungen über  die  Einteilung  und  Vertei 
lung  der  Plätze  und  den  Anforderungen  neu- 


PFARRK1RCHE    M     PETER  Zu   WÜRZBÜRG.     CHOR    M  I. 

HT  s.  ii  j. 


i 


haltung  der  erhaltenswerten  Teile  eine  ge- 
schlossene Baugruppe  von  guter  Innen-  und 
Außenwirkung  zu  schaffen. 

Bei  Vergleich  der  Erweiterungsbauten  trübe- 
rer Jahrhunderte  mit  den  neuzeitlichen  Er- 
weiterungen linden  wir  manche  Gegensätz- 
lichkeit, die  aus  dem  Zwecke  der  Erweiterung, 


zeitlicher    Denkmalpflege    sich    hauptsächlich 
ergibt. 

Die    Umwandlung    einer    einlachen    Pfarr- 
kirche in   eine   Bischofskirchc.  die 
rung    einer    Klosterkirche,    einer    Wallfahrts- 
kirche oder  der  Grabeskirche  des  Diözesan- 
heiligen  bedingte  andere  Verhältnisse,  als  die 


204 


ÜBER  KIRCHENERWEITERUNGEN 


Erweiterung  einer  einfachen  Pfarrkirche.  Oft 
handelte  es  sich  auch  lediglich  um  eine  Art 
Konkurrenz  Vergrößerung. 

Im  Gegensatze  zu  den  mittelalterlichen 
Bauten,  an  denen  die  Geschlechter  langsam 
bauten,  müssen  unsere  Bauten  rasch  und 
vollständig  benutzbar  errichtet  werden. 
In  den  allerseltensten  Fällen  gelingt  es  auch, 
die  Mittel  aufzubringen,  die  eine  Bauweise 
im  Sinne  mittelalterlicher  Technik  gestatten. 
Mit  dem  Endzwecke  gleich  guter  Haltbarkeit 
und  Dauerhaftigkeit  der  gewählten  Baustoffe 
muß  der  Architekt  nach  neuen  Ausdrucks- 
mitteln suchen,  die  ihm  in  Beton  und  Eisen 
und  den  Ergebnissen  der  Statik  ja  reichlich 
zur  Verfügung  stehen,  er  muß  darnach  streben, 
alle  unnötigen  Bauteile  und  unnötigen  Räume 
zu  vermeiden  und  mit  einem  Geringstauf- 
wande  an  Baustoffen  den  statischen  und  räum- 
lichen Anforderungen  gerecht  zu  werden. 

Wesentlich  erleichtert  wird  ihm  diese  Auf- 
gabe  durch   die   neuzeitlichen   Forderungen: 
i.  Des     freien    Blickes    von    allen 
Plätzen    auf  Altar   und   Kanzel. 
2.  Der     guten     Tagesbeleuchtung 

aller  Plätze. 
3    Der    Verminderung    des    Chor- 
raumes auf  das  unerläßlich  nö- 
tige Mindestmaß. 
Forderungen,  die  geradezu  zur  Schaffung  eines 
einheitlichen      säulenlosen      Raumes 
zwingen    und   die    in   ihrer  strengen   Durch- 


führung geeignet  sind,  den  Typ  eines  Grund- 
risses unserer  Zeit  zu  schaffen,  wie  ihn  die 
Predigtkirche  des  Mittelalters,  die  wohl  gleiche 
Ziele  erstrebte,  nicht  erreichen  konnte.  Ihr 
fehlten  die  neuzeitlichen  Ausdrucksmittel  zur 
Überspannung  großer  Räume. 

Dem  hiedurch  bedingten  Mindestaufwand  an 
Baustoffen  entspricht  aber  auch  eine  Baukosten- 
minderung, im  Gegensatze  zu  den  in  neuerer 
Zeit  nicht  mehr  beliebten   »Steinkirchen«. 

Die  Einheitlichkeit  der  Raumbildung  erleich- 
tert die  geschlossene  Anordnung  und  Über- 
sichtlichkeit der  Plätze. 

Bei  weiterem  Vergleiche  der  alten  Erwei- 
terungsbauten finden  wir  den  belebenden  er- 
frischenden Hauch  urwüchsiger  Selbständig- 
keit, die  sogar  da,  wo  die  frühere  Kunst  er- 
heblich geschädigt  wurde,  kaum  ein  Bedauern 
aufkommen  läßt.  Ja  kaum  denkt  man  an  das, 
was  früher  die  Räume  schmückte,  atmet  doch 
alles  so  recht  die  selbstbewußte  künstlerische 
Meisterhaftigkeit  in  der  Ausführung  und  Dar- 
stellung. Nichts  Gequältes,  nichtsGekünsteltes, 
wie  ein  offenes  Buch  liegt  die  ganze  Bauge- 
schichte der  Kirche  vor  uns,  gleichsam  von 
Geschlecht  zu  Geschlecht  ein  steinerner  Zeuge 
der  Geschichte  unserer  Vorfahren. 

An  diese  ruhmvolle  Vergangenheit  muß  und 
wird  unsere  Kunst  wieder  anschließen. 


KÄPPELE  AUF  DEM  NIKOLAUS- 
BERG IN  WÜRZBURG.  ARCHI- 
TEKT BALTHASAR  NEUMANN. 
ERWEITERUNG  DURCH  NEU- 
BAU SENKRECHT  ZUR  ALTEN 
KIRCHE.  —  VGL.  AUSSENAN- 
SICHT  S.  20t.  —    Text  S. 


ÜBER  KIRCHENERWEITERUNGEN 


205 


KAPPELE    AUF   DEM  NIKOLAUSBERG    IN    'AI   RZBURG        IRCH 
RUNG    DURCH     NEUBAU    SENKRECHT    ZUR    ALTEN    KIRCHE. 


IEKT    BALTHASAR    NEUMANN,      ERWEITE. 
VGL.    GRUNÜRISS    S.  204      —    Text  S.  106 


Eine  außerordentlich  hohe  Stufe  der  Erwei- 
terungstechnik zeigen  die  Bauten  des  i S.Jahr- 
hunderts. So  rinden  sich  im  schönen  Franken- 
lande gute  Beispiele,  allein  schon  in  der  alten 
Bischofstadt  Würzburg,  die  unter  der  geseg- 
neten Regierung  stets  baulustiger  Fürstbischöfe 
errichtet  wurden  von  den  besten  Architekten 
der  damaligen  Zeit  überhaupt.  Durch  die  Auf- 
nahmen des  Landesamtes  iür  Denkmalpflege 
in  Bavern,  Bd.  XII,  »Stadt  Würzburg«,  bear- 
beitet von  Konservator  Prof.  Dr.  Felix  Mader, 
wurden  diese  Bauten  der  breiteren  Öffentlich- 
keit wieder  bekannter  gemacht. 

Diese  Erweiterungsbauten  sind  so  mannig- 
faltig, daß  wir  fast  alle  Erweiterungsmög- 
lichkeiten an  ihnen  studieren  können. 

Das  beste  Beispiel,  auch  in  städtebaulicher 
Hinsicht,  gibt  wohl  das  Neumünster  —  die 
Grabeskirche  des  Frankenapostels  S.  Kilian. 
Um  1056  ließ  Bischof  Adalbero  das  baufällige 
S.Kilianskirchlein  durch  die  Basilika  und  Chor 
zu  Ehren  Mariens  und  aller  Heiligen«,  die  er 


ganz  neu  erbaut,  ersetzen  und  >henkte<  sie 
durch  Mauerwerk  an  S.  Johannis  Chor  an. 
Es  dürfte  das  wohl  die  erste  und  älteste  Er- 
weiterung im   Frankeiilande  sein. 

Nach  wiederholten  Um-  und  Erweiterungs- 
bauten kam  die  große  Erweiterung  des  i  S.Jahr- 
hunderts. Der  Architekt  Jos.  Greising  erhielt 
durch  Fürstbischof  Joh.  Phil. Franz  von  Schön 
born,  1719  —  24,  »den  Auftrag,  dem  altfränki- 
schen Aussehen«  der  Kirche  neuen  Glanz  zu 
geben  (Abb.  S.  198 — 200).  In  der  Hauptsache 
wurde  ein  würdiger  Autbau  über  dem  Grabe 
des  Frankenapostels  geschaffen,  den  der  Archi- 
tekt durch  einen  Zentralbau  in  der  Achsen- 
verlängerung  der  alten  Kirche  nach  Westen 
meisterhaft  loste  Den  Anschluß  an  die  Nach- 
bargebäude erreichte  der  Architekt  durch  eine 
prächtige  Giebelfassade  von  erhabener  Wir- 
kung. Ende  des  iS.  Jahrhunderts  wurde  zu 
beiden  Seiten  dieses  Münsters  eine  si  idtebau 
liehe  Erweiterung  vorgenommen.  Durch  Ab- 
bruch des  alten  Landgerichtsgebäudes  rechts 


Die  christliche  Ku 


206 


ÜBER  KIRCHENERWEITERUNGEN 


PFARRKIRCHE  ST    BURKARD  ZU  WÜRZBÜRG      QUERSCHNITT  DURCH  DEN  ALTEN'  ROMANISCHES.'  TEIL  UND 
BLICK  AUF  DEN  ANBAU.    VGL.  GRUNDRISS  S.  207  UND  AUSSENANSICHT  DES  ANBAUES.  —    Text  S.  -208 


des  Münsters  wurden  drei  hotartig  wirkende 
Plätze  zerstört  und  eine  gähnende  Lücke 
zwischen  Dom  und  Münster  geschaffen,  links 
des  Münsters  verschlang  ein  Warenhausneubau 
die  alte  Baugruppe  und  schmälerte  den  Blick 
zur  Kuppel. 

Eine  andere  Erweiterungsmöglichkeit  durch 
teilweise  Überbauung  der  alten  Kirche 
zeigt  eine  weitere  Schöpfung  Jos.  Greisings  in 
der  Pfankirche  S.Peter  (1717  —  20).  Vom  alten 
Bau  wurden  nur  beibehalten  die  beiden  ro- 
manischen Türme  und  der  gotische  Chor  (Abb. 
S.  201).  Bemerkenswert  sind  die  über  den  Sei- 
tenschiffen errichteten  Emporen  als  Beispiel 
einer  inneren  Erweiterung,  hier  allerdings 
in  Verbindung  mit  dem  Neubaue  (Abb.  S.201 
bis  203). 

Das  Käppele,  der  so  beliebte  Wallfahrtsort 
auf  dem  Nikolausberge  bei  Würzburg  ist  eigent- 
lich ein  Erweiterungsbau  Balthasar  Neumanns. 


Der  Obrist  Leutnant  und  Architekt  der  fürst- 
bischöflichen Residenz  stellte  den  Erweiterungs- 
bau, einen  Zentralbau,  in  vollständig  selbstän- 
diger Entwicklung  senkrecht  zur  Achse  der 
alten  Gnadenkapelle.  Die  Gnadenkapelle 
blieb  als  Seitenkapelle  bestehen  (Abb.  S.  204 
bis  205). 

Die  Verlängerung  in  der  Längsachse 
nach  Osten  zeigt  die  frühere  Klosterkirche 
S.  Burkhardus  (Abb.  S.  207).  An  die  romanische 
Basilika  des  1 1.  Jahrhunderts  schloß  sich  un- 
mittelbar an  den  Chor  im  15.  Jahrhundert  ein 
Querschiffbau  an  mit  großem  Polvgonchor, 
der  so  hoch  geführt  wurde,  daß  unter  ihm  eine 
Straßendurchfahrt  angelegt  werden  konnte. 
Dieser  Erweiterungsbau  wurde  wohl  anfangs 
als  selbständige  Kirche  behandelt,  vielleicht 
nur  für  die  Laien  bestimmt,  denn  erst  im 
17.  Jahrhundert  berichtet  eine  Baurechnung, 
daß  »der  Bogen  zwischen  den  Türmen  dem 


2oy 


2o8 


ÜBER  KIRCHENERWEITERUNGEN 


TFARRKIRCHE   ST.  BURKARD  IN  WURZBURG.      GOTISCHER    ERWEITERUNGSBAU  DER    ALTEN  KIRCHE. 
VGL.   GRUNDRISS  S.  207  UND  QUERSCHNITT  S.  20S.   —   Text  S.  2Cö-2oS 


Gespreng  der  Kirche  gemäß«  gemacht  wurde 
(Abb.  S.  206  bis  208). 

Die  Franziskanerkirche  erhielt  unter  Fürst- 
bischof Julius  1612/13  einen  Anbau,  dieValen- 
tinuskapelle,  an  der  Südseite  des  Chores  un- 
mittelbar anschließend,  die  als  eine  Erweite- 
rung parallel  zur  Längsachse  der  Kirche 
aufgefaßt  werden  kann.  Über  dieser  Kapelle 
liegt  der  Valentinussaal.  In  der  Außenansicht 
erkennen  wir  an  der  Fensterbildung  deutlich 
den  jeweiligen  Zweck  des  Innenraumes  und 
finden  zugleich  die  Lösung  eines  ebenso  male- 
rischen wie  einfachen  Überganges  der  Gebäu- 
demasse von  Kirche  und  Kloster  (Abb.  S.  209). 

Wie  genial  selbständig  in  allen  Teilen  Bal- 
thasar Neumann,  glücklicher  als  sein  Sohn  bei 
der  Erweiterung  des  Mainzer  Domes  vorging, 
zeigt  der  Anbau  der  Schönbornschen  Gruft- 
kapelle an  den  Dom.  »Ein  fein  abgewogenes, 
derSituation  glücklich  eingegliedertes  Baudenk- 
mal« beurteilt  Felix  Mader  diesen  Bau,  der  so 
ganz  im  Grund-  und  Aufriß,  im  Ausbau,  kurz  in 
allen  Teilen  abweicht  vom  alten  Baue  und  doch 
welch  harmonische,  geklärte  Bildwirkung. 
(Veröffentlicht  in  Band  XII  »Stadt  Würzburg.) 

Die  immer  schwierige  und  selten  glücklich 
durchzutührende  Lösung  des  Anschlusses  eines 
Zentralbaues  an  den  stehenden,  bleiben- 
den   Turm    zeigt   uns    die    alte    Pfarrkirche 


S.  Jakobus  in  Bad  Kissingen,  ein  saalartiger  Bau 
des  Würzburger  Hofkammerrates  Joh.  Phil. 
Geigel  aus  dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts 
(Abb.  S.  210). 

Eine  Umkehrung  des  Chores  nach 
Westen,  wobei  der  alte  Chor  Langhaus  wurde 
mit  Beibehaltung  des  Turmes,  wurde  in  der 
Stadtpfarrkirche  zu  Dettelbach  B.-A.  Kitzingen 
versucht  (Abb.  S.  21 1  —  215).  Im  neuen,  1770 
bis  1774  errichteten  Westchore  fallen  die  goti- 
sierenden Strebepfeiler  auf,  FelixMader  schreibt 
dies  dem  Streben  nach  Symmetrie  zu,  das  sich 
auch  schon  bei  der  Entwicklung  des  Grund- 
risses im  eingezogenen  Chorbogenjoche  un- 
verkennbar äußert. 

Der  Absicht  des  Fürtstbischofs  Julius,  das 
spätromanische  Langhaus  der  Pfarrkirche  zu 
Randersacker  durch  einen  Neubau  zu  ersetzen, 
widersprach  die  Gemeinde  und  bat,  man  möge 
die  Seitenwände  des  Langhauses  auf  »durch- 
sichtige Bögen«  stellen  und  überdies  erhöhen, 
was  auch  genehmigt  wurde.  Wir  haben  hier 
das  Beispiel  einer  Erweiterung  durch  Anbau 
zweier  Seitenschiffe  an  das  Langhaus 
mit  Öffnung  der  Langhauswände  durch 
Bogenstellungen  (Abb  S.  214  unten). 

In  obigen  Beispielen  sind  so  ziemlich  die 
am  häufigsten  vorkommenden  Erweiterungs- 
möslichkeiten  gegeben. 


ÜBER  KIRCHENERYVEITERUKGEN 


209 


ii  it 


FRAXZISKANERK1RCHE  ZU  WÜRZBORG.     SELBSTÄNDIGER  ANBAU   PARALLEL  ZUR  LANGSACHSE. 
Text  S.  208 


Die  Erweiterungsbauten  der  neueren 
Zeit  beschränken  sich  meist  auf  Pfarrkirchen. 
Und  auch  unter  diesen  sind  es  zumeist  nur 
Landkirchen,  weniger  Stadtkirchen,  bei  denen 
meist  durch  Schaffung  vermehrter  Gottesdienste 
oder  neuer  Pfarreien  mit  neuen  Kirchen  dem 
Platzmangel  leichter  abzuhelfen  ist. 

Im  folgenden  sollen  kurz  einige  Beispiele 
—  Bauvorhaben  und  ausgeführte  Bauten  — 
aus  neuerer  Zeit  angeführt  werden,  lediglich 
in  Abbildungen  (Abb.  S.  216  bis  227). 

Auch  auf  diesem  Gebiete  sakraler  Bautätig- 
keit wird  der  Krieg  und  seine  Folgen  durch 
die  Forderung  äußersterSparsamkeit  seine  nach- 
haltigen Wirkungen  ausüben. 

Diese  Sparsamkeit  sollte  aber  nicht  zu  puri- 
tanischer Nüchternheit  und  ungenügender  Bau- 
weise unserer  Kirchen  führen. 

Mehr  wie  je  wird  daher  der  Architekt  als 


erster  Bauberater  des  Bauherrn  und  damit  als 
der  verantwortungsvollste  Leiter  des  Baues 
seine  ganze  Kraft  auf  eine  weise  und  spar- 
same Verteilung  der  technischen  und  künst- 
lerischen Ausdrucksmittel  zu  verlegen  haben. 
Auch  mit  den  einfachsten  Mitteln  lassen 
sich  stimmungsvolle  Räume  schallen,  in  Jener. 
trotz  alledem  noch  Plastik  und  Malerei  zur 
Geltung  kommen  könnten  und  sollten  I  in 
Verbauen  des  Architekten,  d.  b.  unn 
»Steinaufwand«  u.a.  am  unrechten  Platze  muli 
mehr  wie  je  verhütet  werden  und  eine  gl 
Bescheidenheit  auch  zugunsten  der  schmük- 
kenden  Künste  geziemt  sich  jetzt  und  wohl 
auf  lange  Zeit').  Fritz  Fuchs« 


Die  Abbildungen  S.  19*  mit  21 ;  sind  mit  gül 
laubnis  des  Landesamtes  für  Denl  Inven- 

tarisationswerke  entnommen. 


DIE  HUNGERTUCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 


ST. JAKOBUS  IN'  BAD  kissinge; 
ZENTRALBAU.     VGL. 


ERWEITERUNG 

MJERSCHNITT  S. 


JRCH  EINEN  AN  DEN  ALTEN  TURM  ANGEGLIEDERTEN 
UND  INNENANSICHT  S.  212.  —  Text  S.  208 


DIE  HÜNGERTÜCHER  UND  IHRE 
HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 

Von  HERMANN  HANDEL-MAZZETTI 
(Schluß) 

Als  das  älteste  in  der  Literatur  erwähnte 
L  Hungertuch  tritt  uns  das  velum  Optimum 
des  Hartmod  von  St.  Gallen  entgegen,  welches 
von  seiner  Schwester  Richlin  kunstvoll  ge- 
stickt war  (9.  Jahrh.).  Eine  ebenso  reich  gestickte 
Arbeit  scheint  das  Fastentuch  im  Dome 
von  Canterbury  (1214)  und  das  speciosissi- 
mum  velum  von  Auxerre  gewesen  zu  sein 
(14.  Jahrh.).  Von  besonderem  Interesse  ist  die 
Beschreibung  von  vier  solchen  Vorhängen, 
welche  uns  der  Catalogus  Abbatum  S.  Afrae 
et  Udalrici  in  Augsburg  um  die  Mitte  des 
12.  Jahrhunderts  überliefert  hat.  Welche 
Fülle  von  Motiven  belehrenden  und  erbauen- 
den Inhaltes  kamen  zur  Darstellung!  Das 
erste  beschreibt  das  Leben  der  beiden  Schutz- 
heiligen Augsburgs  und  zeigt  die  vier  Spender 
des  Werkes.  Der  zweite  Teppich  enthielt 
in  9  Reihen  übereinander  angeordnet  die 
9  Chöre  der  Engel  und  9  Personifikationen 
von  Tugenden  nebst  ihren  hervorragendsten 
Vertretern  aus  dem  Alten  und  Neuen  Bunde 
z.  B.  Jungfräulichkeit  —  Muttergottes,  Wahr- 
haftigkeit —  St.  Johann  der  Täufer,  Gehor- 
sam —  Abraham,    Unschuld  —  Abel.      Der 


dritte  Teppich  zeigte,  der  Armenbibel  weit 
vorauseilend,  Bilder  des  Neuen  Bundes  und 
Vorbilder  einander  gegenübergestellt,  wäh- 
rend das  vierte  Tuch  die  leiblichen  Werke 
der  Barmherzigkeit,  die  6  Tage  der  Schöpfung 
und  die  6  Lebensalter  des  Menschen  vorführte. 
Vielleicht  ein  Rest  eines  Hungertuches 
dürften  die  mit  leichten  Farben  auf  gröberer 
Leinwand  gemalten  Heiligenfiguren  aus  dem 
12.  Jahrhundert  sein,  welche  als  die  mutmaß- 
lich älteste  Leinwandmalerei  der  Rheinlande 
in  der  Sakristei  der  Apostelkirche  in  Köln 
aufbewahrt,  vor  einigen  Jahrzehnten  einem 
Brande  zum  Opfer  fielen.  Zu  Münster  in 
Westfalen  ist  ein  romanisches  Hungertuch 
nachweisbar,  wenigstens  erzählt  die  Chronik, 
daß  die  Feinde  des  im  Jahre  1306  gestorbe- 
nen Bischofs  Otto  von  Rietberg  Spottverse 
auf  denselben  in  das  Hungertuch  gestickt 
hätten.  Auf  der  Ausstellung  kunstgewerb- 
licher Altertümer  in  Düsseldorf  (1880)  war 
ein  großes  Leintuch  mit  Passionsdarstellungen 
von  Heiligenfiguren  aus  dem  14.  Jahrhundert 
zu  sehen,  welches  aus  dem  Kloster  Alten- 
berg stammt  und  von  einer  Sophia  Hade- 
wigis  Lucardis  verfertigt  war.  Bei  diesem 
und  zwei  ähnlichen  Arbeiten  im  Dome  zu 
Brandenburg  und  dem  Kloster  Lüne  ist  es 
unsicher,  ob  es  sich  um  Fastentücher  oder 
auffallend  große  Altartücher  handelt. 


DIR  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG  211 


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ST.  |AKOB  IS*  BAD  KISSINGEN'.    ERWEITERUNG  DURCH  ANGLIEDERUNG  EINES  ZENTRALBAUES  .. 
ALTEN  TURM.     VGL.  GRINDRISS  S.  »<  UND  INNENANSICHT  S.  ji2.  -  Text  S.  io8 


Aus  der  gotischen  Kunstperiode  ist  das  be- 
kannteste Hungertuch,  das  monumentale 
Werk,  welches  anläßlich  einer  Hungersnot 
1472  gestiftet  und  vom  Gewürzhändler  Gor- 
teler  der  Johanniskirche  in  Zittau  geschenkt, 
sich  jetzt  im  dortigen  Städtischen  Museum 
befindet.  Es  enthält  auf  grober  Leinwand 
gemalt  180  Darstellungen  des  Alten  und  Neuen 
Testamentes  in  chronologischer  Aufeinander- 
folge bis  zum  Weltgerichte,  mit  Reimen  in 
deutscher  Sprache  erläutert.  Anfangs  der 
neunzigerjahre  des  vergangenen  Jahrhunderts 
wurde  ein  ähnliches  Fastentuch  von  io'  2  m 
Breite  im  Dome  von  Freiburg  im  Breisgau 
aufgehängt,  welches  den  ganzen  Chor  des 
Münsters  bis  zu  den  Seitenpfeilern  abschloß. 
Mit  diesem  Riesentuche  dürften  die  Frag- 
mente, welche  Hann  in  einem  Aufsatze  über 
die  Kärntner  Fastentücher  erwähnt,  kaum  iden- 
tisch sein.  Aus  dem  16.  Jahrhundert  stammt 
auch  das  Palmtuch  von  Güglingen  in  Würt- 
temberg, welches  60  Darstellungen  aufwies, 
jedoch  1849  durch  Brand  zugrunde  ging  und 
das  ebenfalls  verschollene  zu  Gingen. 

Wenn  wir  von  den  wenigen,  in  der  Ein- 
leitung   erwähnten    tirolischen    Funden    ab- 


sehen, hat  in  den  gesamten  Alpenländern 
nur  Kärnten  einen  beachtenswerten  Schatz 
—  meist  gotischer  —  Fastentücher. 

An  Reichtum  der  Darstellung  und  Sorg- 
falt der  Ausführung  steht  das  Hungertuch 
im  Dome  von  Gurk  an  der  Spitze.  Dadurch, 
daß  jeder  der  10  der  Fange  nach  aneinander 
gereihten  Streuen  desselben  10  Quadrate  ent- 
hält, ergeben  sich  ioo  Flächen,  auf  welchen 
die  biblische  Geschichte  in  der  Weise  darge- 
stellt ist,  daß  das  Alte  Testament  die  linke, 
das  Neue  die  rechte  Seite  einnimmt.  Die 
Darstellungen  lehnen  sich  teils  an  dei 
ren  Freskenzyklus  der  Vorhalle  des  Domes, 
teils  der  Armi  nbibel  an,  vielfach  waltet  aber 
auch  die  freie  Phantasie  des  Künstlers.  So 
veranschaulicht  er  die  Stelle  der  Bibel,  daß 
das  Eisen  an  Goliaths  Speer  600  Seckel 
dadurch,  daß  drei  Gewichte  an  den  Schalt 
angehängt  sind  oder  er  läßt  im  Tempel  einen 
Schriftgelehrten  ein  Buch  nach  dem  Jesus- 
knaben schleudern.  Die  Szenen  auf  der  Flucht 
nach  Ägypten  sind  dem  syrischen  Evangelium 
der  Kindheit  Jesu  entnommen  Für  den  Zeit- 
raum nach  Alexander  dem  Großen  bietet  die 
Heilige  Schrift   zu   wenig  Stoff,   er  führt  uns 


DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 


daher  den  Tod  Cäsars  vor,  welchen  er  aller- 
dings als  Papst  darstellt.  Ein  sehr  genaues 
Studium  der  Schrift  beweist  die  genaue  Aus- 
einanderhaltung der  Büßerin  Magdalena  und 
der  Salbung  Christi  durch  Maria  (Lukas  VII, 
36  und  Johannes  XXII  3),  welche  zur  da- 
maligen Zeit    immer   verwechselt    wurden  ')■ 


')  In  der  Regel  wird  angenommen,  daß  die  Büßerin 
Maiia  Magdalena  mit  der  Maria  der  Schwester  des  Laza- 
rus identisch  ist.  Die  Annahme  dürfte  zutreffen.    D.  Red. 


Christus  als  Weltenrichter  schließt  dieses 
großartige  Lehrgedicht  des  Meisters  Konrad 
von  Friesach.  Kostüme  und  Architektur,  welche 
mit  besonderer  Sorgfalt  behandelt  sind,  wei- 
sen in  die  letzte  Periode  der  Hochgotik;  1457 
scheint  die  mehrjährige  Arbeit  beendet. 

Aus  dem  Jahre  1481  stammt  ein  Fasten- 
tuch, welches  sich  in  der  Kirche  von  St.  Mar- 
gareten in  der  Reichenau  befand  und  dort  in 
den  neunziger  Jahren   des    vorigen  Jahrhun- 


DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG  213 


STADTPFARRKIRCHE  ZU  DETTE1  HACH.     ERWEITERUNGSBAD    IM  WESTEN.     VGL.  GRI'N'DRISS  S. 
OBEN  LSD  GESAMTANSICHT  S.  ;iS.  -   Text  S.  20S 


derts  um  den  lächerlichen  Preis  von  10  Gul- 
den verkauft  wurde.  Sein  gegenwärtiger  Yer- 
wahrungsort   ist  unbekannt. 

Ein  ähnliches  Lehrgedicht  enthält  das  große 
Fastentuch  von  Heimburg  aus  dem  Jahre  1504 
in  36  Bildern.  Diese  sind  mit  Leimfarbe  auf 
Leinwand  gemalt,  später  aber  übermalt,  wo- 
durch es  zwar  noch  in  frischem  Farben- 
schmucke prangt,  viele  Einzelheiten  der  ur- 
sprünglichen Darstellung  mißverstanden  wur- 
den und  verloren  gegangen  sind.    Die  beiden 


Testamente  sind  untereinander  gestellt,  die 
Stoffe  nach  einem  genauen  Plane  sorgfältig 
ausgewählt.  Der  Schöpfung  folgt  der  Sun 
denfall,  dessen  Folgen  mit  ihrem  Jammer  und 
Elend  vorgeführt  werden.  Nach  der  Sünd- 
flut werden  nur  tröstende  Typen  gezeigt, 
welche  mit  der  Gesetzgebung  au!  Sinai  ab- 
schließen, während  Jas  Neue  Testament  (ent- 
sprechend der  Fastenzeit)  mit  der  Erfüllung, 
dem  Leiden  Christi  beginnt.  Als  besonders 
merkwürdige  und  seltene  Darstellung  finden 


Die  chnitllcbe  Ku 


214 


DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 


STADTPFARRKIRCHE  ZU  DETTELBACH  IM  UNTERFRANKEN.    ERWEITERUNG  DURCH  UMKEHRUNG  DES  CHORES 
NACH  WESTEN.     ANBAU  SCHRAFFIERT.    VGL.  ABB.  S.  aij  UND  2rS.  —  Text  S.  20S 


wir  den  Tod  Kains  durch  Lamcch,  welche 
Erzählung  aus  der  jüdischen  Tradition  in  die 
byzantinische  Kunst  übergegangen  war. 

Fragmente  eines  anderen  Fastentuches  fin- 
den sich  in  den  Sammlungen  des  Kärntner 
Geschichtsvereines.  Es  sind  noch  zehn  aus  dem 
Tuche  einzeln  herausgeschnittene  Blätter,  die 
Passion  bis  zur  Verurteilung  und  die  Schutz- 
heiligen des  (unbekannten)  Stifters  darstellend. 
Die  Kostüme,  insbesondere  die  Rüstungen 
mit   den    ausgebildeten   Krebsen,    weisen  auf 


das  Ende  des  15.  Jahrhunderts.  Die  Technik 
dieser  Leimfarbenmalerei  ist  im  ganzen  roh 
und  handwerksmäßig;  der  Maler  will  derb 
realistisch  wirken,  aber  es  fehlt  ihm  das  Ver- 
mögen hiezu.  Es  ist  eine  ungleich  geringere 
Arbeit  als  die  vorher  beschriebenen  Werke. 
—  Auch  die  auf  Leinwand  gemalten  Apostel- 
bilder von  Maria- Wörth  scheinen  von  einem 
Hungertuche  herzurühren. 

Schon  in  die  Renaissancezeit  ragen  herein 
die  beiden  Vorhänge  von  Baldramsdori,  wel- 


PFARRKIRCHE  ZU  RANDERSACKER.  -  ERWEITERUNG  DURCH  ANBAU  VON  SEITENSCHIFFEN  MIT 
ÖFFNUNG  DER  LANGHAUSWÄNDE.  —   Text  S.  20g 


DIE  HUNGERTUCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG  2.5 


STADTPFARRKIKCHE    IS    DEITELBACH. 


RECHTS   IÖNGSTE  ERWE1TERÜKG   VON 
AUSSEKANSICHT  S.  215.  —    Text  S.  208 


VGL.  GKINDRISS   S.  214    OBEN    DKD 


eher  die  Jahreszahl  1555  enthält,  und  jener 
von  Mariabichl  bei  St.  Peter  im  Walde,  welche 
in  39  bezw.  36  Bildern  das  Alte  und  Neue 
Testament  in  chronologischer  Reihenfolge 
beschreiben.  Besonders  zu  beachten  ist,  daß 
Gottvater  bei  der  Schöpfung  in  weißem  wal- 
lendem Barte  in  Anlehnung  an  David  (7,  9,  13, 
22)  mit  der  Tiara  auf  dem  Haupte  erscheint, 
ein  Typus,  der  erst  im  ausgehenden  Mittel- 
alter und  den  Holzschnitten  des  16.  Jahr- 
hunderts beliebt  war. 

An  monumentaler  Größe  dem  Gurker 
Hungertuche  steht  jenes  zu  Milstadt  wenig 
nach,  welches  auf  42  Bildflächen  in  Wasser- 
farben eine  ausführliche,  durch  Mannigfaltig- 
keit der  Motive  merkwürdige  Bibel  enthält, 
wobei  in  der  Regel  auf  einer  Fläche  mehrere 
Handlungen  zur  Darstellung  gelangen.  Die 
Vorliebe  des  Meisters  für  tigurenreiche  Dar- 
stellungen zeigt  sich  im  Durchzuge  durch 
das  Rote  Meer,  dem  Kampf  mit  Goliath,  der 
Vorhölle  und  dem  Weltgericht.   Gebäude  und 


Einrichtungen  (Maria  Verkündigung)  zeigen 
ganz  Renaissance-Charakter  und  scheint  Cra- 
nach  (in  den  Tierdarstellungen)  und  Stimmers 
Holzschnitte  neben  dem  vorerwähnten  Tuche 
zu  Baidramsdorf  als  Vorbild  gedient  zu  haben. 
Das  Tuch  ist  gut  erhalten  in  bunt  schillern 
den  Earben,  die  Ausführung  jedoch  ohne 
Sorgfalt  und  im  ganzen  handwerksmäßig. 
Oswald  Kneusel  nennt  sich  der  Maler,  wel- 
cher es  im  Jahre  1593  herstellte.  Es  wurde 
noch  vor  wenigen  Jahren  zur  Bedeckung  des 
Hochaltarbildes  verwendet;  wegen  der  Schwie- 
rigkeit des  Aufziehens  sowie  der  Vorliebe  des 
Malers  für  Nu  Jitäten  ist  dies  jetzt  außer  Übung 
gekommen.  Mit  den  Fragmenten  des  Fasten- 
vorhanges zu  Grafendorf  im  Gailtale,  wel- 
ches erst  aus  dem  17.  Jahrhundert  stammt, 
schließe  ich  die  Aufzählung  der  alpenländi- 
schen  Objekte. 

Auch  in  Kärnten  hat  die  Darstellungsweise 
der  Hungertücher  auf  die  Freskenmalerei 
ihren  Einfluß  ausgeübt.    So  zeigt  die  Außen- 


216  DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 


RICHARD  BERNDL,    ERWEITERUNG  DER  KIRCHE  IN  Gl'NZELHOFEN.    VGL.  GRUNDRISS  S.  217  RECHTS 


wand  der  Wallfahrtskirche  Maria-Feucht  bei 
Hohenfeistritz  in  32  Darstellungendie  Jugend-, 
Leidens-  und  Verherrlichungsgeschichte,  wo- 
bei aufgemalte  Nagelköpfe  auf  den  Tren- 
nungsstreifen sogar  die  Illusion  eines  Tuches 
hervorrufen  sollen.  Die  einzelnen  Darstel- 
lungen sind  jenen  des  Gurker  Tuches  auf- 
fallend ähnlich. 

Weit  häufiger  finden  wir  die  Fastentücher  im 
Lande  der  Roten  Erde,  besonders  in  der  Diö- 
zese Münster  im  Gebrauche.  Wie  schon  früher 
erwähnt,  sind  alle  auf  Filetuntergrund  gestickt. 

Das  älteste  ist  jenes  zu  Ewerswinkel  vom 
Jahre  1614;  es  besteht  aus  5  mittels  Hohl- 
säumen verbundenen  Leinwandstreifen,  deren 
3  mittlere  in  5  Feldern  Passionsdarstellungen 
aufweisen.  Gegenüber  dem  großartigen  Bil- 
derreichtum älterer  Tücher  fällt  es  auf,  daß 
hier  die  mit  Figuren  gezierten  Flächen  nicht 
ein  Fünftel  des  Vorhanges  beanspruchen. 


Ebenso  verzichtet  das  Hungertuch  von 
Vreden,  welches  1619  von  der  Äbtissin  Agnes 
von  Ehen  angefertigt  wurde,  auf  jede  Be- 
ziehung zum  Alten  Testamente.  Es  zeigt  — 
in  derselben  Technik  wie  alle  westfälischen 
—  in  einer  großen  Gruppe  die  Kreuzigung 
umgeben  von  9  Passionsszenen  und  der  Auf- 
erstehung. Die  Bildflächen  sind  von  breiten 
Streifen  dichten  Leinens  begrenzt,  in  deren 
Kreuzungspunkten  die  4  Evangelisten  und 
16  Wappen  angebracht  sind. 

Das  größte  westfälische  Fastentuch,  jenes 
zuTelgte  aus  dem  Jahre  1623,  7,2  m  X  4,2  m, 
zeigt,  schachbrettartig  geordnet,  quatratische 
Flächen  aus  dichtem  Leinen  abwechselnd  mit 
33  weitmaschigen  Flächen,  welche  in  gleicher 
Ausführung  wie  zu  Ewerswinkel  in  figuren- 
armen Gruppen  die  Passion  darstellen.  Wohl 
auf  die  Verehrung  des  hl.  Rockes  zu  Trier 
ist  es  zurückzuführen,  daß  der  Verlosung  des- 


DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 


217 


selben  ein  eigenes  Bild  gewidmet  ist.  Die 
5.  Reihe  dagegen  enthält  nur  Wappen,  wah- 
rend auf  der  untersten  5  Bilder  aus  dem 
Alten  Testament  vorgeführt  werden,  wovon 
allerdings  den  Kundschaftern  eine  vorbild- 
liche Bedeutung  nicht  zukommt.  Aus  dem- 
selben Jahre  stammt  ein  anderes  Tuch,  wel- 
ches aus  einer  Privatsammlung  in  Osnabrück 
stammt  und  aut  der  Ausstellung  westfälischer 
Altertümer  1879  zu  sehen  war. 

Ähnlich  wie  das  Hungertuch  von  Vreden 
hebt  jenes  von  Freekenhorst  aus  dem  Jahre 
1629  die  Kreuzigungsgruppe  als  Mittelpunkt 
hervor,  um  welchen  sich  14  Passionsbilder 
vom  Abendmahl  bis  zur  Grablegung  grup- 
pieren, in  den  Kreuzungspunkten  der  Tren- 
nungsstreifen mit  Wappen  geziert. 

Ein  Hungertuch  von  1659  mit  5  bildlichen 
Darstellungen  besitzt  die  Kirche  zu  Capelle, 
während  die  kleineren,  mit  einfachem  Kreuze 
gezierten  zu  Roxel  und  die  seit  einem  Men- 
schenalter verschollenen  von  Appelhülsen  und 
Nienberge  aus  schlichter  Leinwand  bestehen. 
Auch    der   schöne   Fastenvorhans:    der   Lam- 


bertikirche  in  Münster  ist  spurlos  verschwun- 
den. —  Ein  Fastentuch  aus  blauem  Zwirn 
mit  Passionsdarstellungen  wird  im  dortigen 
Diözesanmuseum  aufbewahrt.  In  fast  einem 
Dutzend  anderer  Kirchen  des  Münsterlandes 
sind  Vorhänge  aus  dem  19.  Jahrhundert  in 
Gebrauch,  welche  teils  auf  ältere  Vorbilder 
zurückgehen,  teils  nach  Zeichnungen  des  ver- 
storbenen Holkaplanes  Zehe  in  Münster  an- 
gefertigt wurden. 

Auch  in  außerdeutschen  Landen  ist  der 
Gebrauch  der  Fastentücher  vielfach  nachge- 
wiesen, doch  scheinen  sich  außer  jenen  zu 
Notre-Dame  nur  zwei  solche  in  Brügge  er- 
halten zu  haben '). 


■)  Benützte  Quell  en; 
Gütige  Mitteilungen  des  Herrn  Museumsvorstandes  Dr. 

Garber    in  Innsbruck    und    des  Antiquars   Rohracher 

in  Lienz. 
L.    Hornbach :     Malerischer    Hausschmuck    in    Tiroler 

Dörfern.  Dekanat    Reit:     Unediertes    Manuskript    im 

Statthalterei-Archive  in  Innsbruck. 
Wetzer-Welte  :      Kirchenlexikon«,  II  Auflage,  Band  IV: 

Heuser,  Fasten  und  Fastentuch. 
Laib  und  Schwarz:  Biblia  pauperum,  Zürich  1867. 


Ml  HARD  BERNDL,  .ERWEITERUNG  DER  KIRCHE  IX  GÜNZELUOFEM.  -  ERSTES  PROJEKT  SIEHE  GRUKDR1SS  LINKS, 
AUSGEFÜHRTES  PKO|EKT  SIEHE  GRUNDRISS  RECH  IS 


DIE  HUNGERTÜCHER  UND  IHRE  HISTORISCHE  ENTWICKLUNG 


\W/"  Vi-":'.  •:•#» 


ERWEITERUNG   DER   WALLFAHRTSKIRCHE  ZU  HÖCHBERG  IN  UFR.   DURCH  ARCHITEKT  RUDOLF  HOFMANN   IN  WÜRZBURG. 

ANBAU  WEISS.     VGL.  ABB.  S.  219 


Kunsttopographie  Band  Kärnten,  Wien  1889. 
Zeitschrift  Karinthia:  82.  Jahrg.   1892. 

Dr.  F.  G.  Hann :     Die  Fastentücher  in  Kärnten. 

Dr.  F.  G.  Hann:      Drei     Darstellungen     der     Welt- 

SChöpfung  auf  Malereien  Kärntens. 
Zeitschrift  Karinthia:     83.  Jahrg.  1895. 

Dr.  F.  G.  Hann :     Das  Fastentuch  in   der  Kirche  zu 

Millstatt. 
Zeitschrift  Karinthia:     84.  Jahrg.  1894. 

Dr.  F.  G.  Hann :     Literaturbericht. 
Mitteilungen    der    Zentralkommission     für    Kunst    und 

historische  Denkmale,  Jahrg.  XIX  ( 1 893)  und  XX  (1 894): 

Schnerich  Alfred:    Die   beiden   biblischen   Gemälde- 

Cyclen  des  Domes  zu  Gurk. 


Jahrg.  XXI  (1895),  Ilg:  Kunsttopographisches  aus 
Innsbrucks  Umgebung. 

Bock:  Geschichte  der  liturgischen  Gewänder  des  Mit- 
telalters. Bonn,  Henri  und  Cohen  1856,  Cap.il,  S.  187. 

Otte:  Handbuch  der  kirchl.  Kunstarchäologie  V.  Auf- 
lage, Band  I,  S.  383  ff. 

Thalhofer:  Handbuch  der  Liturgik.  Freiburg,  Herder  191 2. 

Zeitschrift  für  Christi. Kunst  Jahrg. VII  (1894).  L.Schwann, 
Düsseldorf.  C.  A.  Savels:  Hungertücher.  —  Stefan 
Beißet:  Gestickte  und  gewebte  Vorhänge  der  römi- 
schen Kirchen  usw. 

Sauer:  Symbolik  des  Kirchengebäudes.  Freiburg  1902. 

Thurston  Herbert:  Lent  and  Holy  Week.  Longmanns 
Green  and  Co.,  London  1904. 


219 


AÜSSENANSICHT  DER  VON  ARCHITEKT  RUDOLF   HOFMANN  ERWEITERTES   KIRCHE 
ZU  HÖCHBERG  IN  CFK.    VGL.  GRUNDRISS  S.  21S 


FRIEDRICH    IRHR 


SCHMIDT   :.      ERWEITERUNG    DIR   KIRCH1     IN    I  WM    BEI  '■' 
TÜRM  LND  SEIT!  NBAU  ALT 


DIE  KIRCHLICHE  KUNST  IM  GESETZBUCH  DER  KIRCHE 


ENTWURF  FÜR  DEN  UMBAU  DER  KAPELLE  ZU  STOCKHEIM  IN  UFR.    DER  ALTE  BESTAND  SCHWARZ 


DIE  KIRCHLICHE  KUNST  IM 
GESETZBUCH    DER    KIRCHE 

Die  Profankunst  wird  im  kirchlichen  Ge- 
setzbuch, dem  Codex  juris  canonici,  nicht 
erwähnt,  da  sie  nur  den  allgemeinen  Pflichten 
unterliegt,  wie  jegliches  andere  menschliche 
Tun.  Auch  würde  man  dort  vergeblich  nach 
einer  Vorschrift  suchen,  die  in  das  eigentliche 
Gebiet  des  Künstlerischen  regelnd  oder  be- 
engend eingreift,  wenn  von  kirchlicher  Kunst 
die  Rede  ist.  Der  größere  Teil  der  Canones 
(Einzelbestimmungen),  welche  die  kirchliche 
Kunst  unmittelbar  oder  nebenbei  berühren, 
bezieht  sich  auf  Neuschöpfungen,  die  übrigen 
sind  Anweisungen  zum  Schutze  des  Vorhan- 
denen.    Im    folgenden    geben    wir    die    ein- 


schlägigen Canones  wörtlich  wieder,  da  es 
für  Geistliche  und  christliche  Künstler  teils 
notwendig,  teils  beruhigend  ist,  sie  zu  kennen. 
Sie  lassen  sich  in  vier  Gruppen  zusammen- 
fassen :  I,  Der  Kirchenbau ;  IL  Altar  und  kirch- 
liche Geräte;  III.  Verehrung  der  religiösen 
Bilder;  IV.  Veräußerung  kirchlicher  Kunst- 
gegenstände. In  diesen  Canones  ist  öfters 
vom  Ordinarius  bzw.  Ordinarius  loci  die  Rede. 
Im  Kirchenrecht  versteht  man  nach  Can.  198. 
§  1  unter  dem  Ordinarius  (sofern  nicht  jemand 
ausdrücklich  ausgenommen  wird)  außer  dem 
Römischen  Papste  den  Bischof,  den  Abt  oder 
Praelatus  nullius  (d.  h.  einen  Abt,  der  einem 
eigenen,  keiner  Diözese  einverleibten  Gebiete 
vorsteht),  jeder  für  seinen  Sprengel  —  und 
deren    Generalvikar,    Administrator,    aposto- 


DIE  KIRCHLICHE  KUNST  IM  GESETZBUCH  DER  KIRCHE 


lischen  Vikar  und  Prä- 
fekten  und  auch  jene, 
die  beim  Fehlen  der 
Vorgenannten  inzwi- 
schen gemäß  der  Vor- 
schrift des  Rechtes 
oder  gemäß  gebillig- 
ten Bestimmungen  in 
der  Regierung  nach- 
folgen, für  ihre  Unter- 
gebenen aberdieSupe- 
riores  majores  (Abte, 
höchste  oder  Provin- 
zialobern)  in  den  ex- 
empten  geistlichen  Or- 
den. Nach  §  2  fallen 
unter  die  Bezeichnung 
Ordinarius  loci  oder 
locorum  alle  Vorge- 
nannten, mit  Aus- 
nahme der  Ordens- 
obern. Demnach 
kommt  im  folgenden 
als  Ordinarius  loci  in 
der  Regel  der  Diöze- 
sanbischofin  Betracht. 

I.  BESTIMMUNGEN 

ÜBER  DEN 

KIRCHENBAU 

Can.  1161.  Unter 
Kirche  versteht  man 
ein  heiliges, derGottes- 
verehrung  hauptsäch- 
lich zu  dem  Zwecke 
gewidmetes  Gebäude, 
um  allen  Christgläu- 
bigen zur  öffentlichen 
Ausübung  der  Gottes- 
verehrung zu  dienen. 

Can.  1162.  §  i. 
KeineKirchedarfohne 
ausdrückliche  schrift- 
liche Zustimmung  des 
Ordinarius  loci  erbaut 
werden, welche  jedoch 
der  General  vikar  ohne 
besonderen  Auftrag 
nicht    erteilen    kann. 

§  2.  DerOrdinarius 
soll  die  Zustimmung 
nicht  erteilen,  wenn 
er  nicht  verständiger- 
weise voraussieht,  daß 
die  nötigen  Mittel  zur 
Erbauung  und  Erhal- 
tung der  Kirche,  zum 
Unterhalt  der  Diener 


totb^c 


IlLIALKIKCHi:    GERACH. 


Rl  >,..    pi  k<  ii    FRITZ   l  i  I  HSEHBERGER. 
STAND  ALI    DKM  GRONDRISS  SCHWARZ 


Die  chri.tliche  Kun«.     XVI.     10.  11.  1J. 


DIE  KIRCHLICHE  KUNST  IM  GESETZBUCH  DER  KIRCHE 


und  für  die  anderen  Kosten  des  Kultus  nicht 
fehlen  werden. 

§  3.  Damit  nicht  eine  neue  Kirche  den 
übrigen  schon  bestehenden  einen  Schaden 
zufüge,  der  durch  den  größern  geistlichen 
Nutzen  nicht  aufgewogen  wird,  muß  der  Or- 
dinarius, bevor  er  die  Zustimmung  gibt,  die 
beteiligten  Vorstände  der  benachbarten  Kir- 
chen hören. 

Can.  1164.  §  1.  Die  Ordinarii  sollen  Sorge 
tragen,  wenn  nötig,  nach  Anhörung  des  Rates 
erfahrener  Männer,  daß  bei  Erbauung  oder 
Wiederinstandsetzung  der  Kirchen  die  von 
der  christlichen  Überlieferung  aufgenomme- 
nen Formen  und  die  Gesetze  der  heiligen 
Kunst  eingehalten  werden. 

§  2.  In  der  Kirche  soll  kein  Zugang  oder 
Fenster  zu  den  Häusern  von  Laien  angebracht 
werden  und  wenn  Räume  unter  dem  Kirchen- 
boden oder  über  der  Kirche  vorhanden  sind, 


KIRCHE  IN  PAFFRATH.    ERWEITERUNG  VON   ARCHITEKT   EDUARD  ENDLER   IN   KÖLN 
DER  ALTE  TEIL  SCHWARZ,  DER  ANBAU  SCHRAFFIERT.     Vgl.  Abb.  S.  223  und  224 


sollen  sie  nicht  zu  rein  weltlichen  Zwecken 
gebraucht  werden. 

Can.  1165.  §  4.  Eine  Kirche  aus  Holz  oder 
Eisen  oder  anderem  Metall  kann  benediziert, 
aber  nicht  konsekriert  werden. 

Can.  1262.  §  1.  Es  ist  wünschenswert, 
daß  gemäß  der  alten  Einrichtung  die  Frauen 
in  der  Kirche  von  den  Männern  abgesondert 
seien. 

Can.  1263.  §  i.  Die  Amtspersonen  können 
entsprechend  ihrer  Würde  und  Rangstufe  einen 
gesonderten  Platz  in  der  Kirche  haben  nach 
Maßgabe  der  liturgischen  Gesetze. 

§  2.  Ohne  ausdrückliche  Zustimmung  des 
Ordinarius  loci  soll  kein  Gläubiger  in  der 
Kirche  einen  ihm  und  den  Seinigen  vorbe- 
haltenen Platz  haben ;  der  Ordinarius  soll 
aber  die  Zustimmung  nicht  erteilen,  wenn  für 
die  Bequemlichkeit  der  übrigen  Gläubigen 
nicht  hinlänglich  gesorgt  ist. 

Can.  773.  Der  eigent- 
liche Ort  für  die  Spendung 
der  feierlichen  Taufe  ist 
das  Taufbecken  in  einer 
Kirche  oder  einem  öffent- 
lichen  Oratorium. 

Can.  774.  §  i.  Jede 
Pfarrkirche  muß  .  .  .  einen 
Taulhrunnen  besitzen. 

§  2.  Der  Ordinarius  loci 
kann  zur  Bequemlichkeit 
der  Gläubigen  erlauben 
oder  befehlen,  daß  ein 
Taufbrunnen  auch  in 
einer  andern  Kirche  oder 
einem  öffentlichen  Ora- 
torium innerhalb  derGren- 
zen  der  Pfarrei  aufgestellt 
werde. 

Can.  908.  Der  eigent- 
liche Ort  für  die  sakra- 
mentale Beicht  ist  die 
Kirche  oder  ein  öffent- 
liches oder  halböffentliches 
Oratorium. 

Can.  909.  §  i.  Der 
Beichtstuhl  zur  Abnahme 
der  Beichten  der  Frauen 
ist  immer  an  einer  offenen 
und  sichtbaren  Stätte  an- 
zubringen und  durchweg 
in  einer  Kirche  oder  einem 
für  Frauen  bestimmten 
öffentlichen  oder  halb- 
öffentlichen Oratorium. 

§  2.  Der  Beichtstuhl  soll 
mit  einem  befestigten  und 
eng  durchlöcherten  Gitter 


DIE  KIRCHLICHE  KUNST  IM  GESETZBUCH  DER  KIRCHE 


223 


INNERES  DER  VON  EDI/ARD  ENDLER    IN    KÖLN    ERWEITERTEN    KIRCHE    IN    PAFFRATH.      Vgl. 


und  Abb.  S   114 


zwischen  dem  Beichtenden  und  dem  Beicht- 
vater versehen  sein. 

Can.  1169.  §  I.  Es  ist  angemessen,  daß 
jegliche  Kirche  mit  Glocken  ausgestattet  sei . . . 

II.  VORSCHRIFTEN  ÜBER  ALTAR,  TABERNAKEL 
UNI)  KIRCHLICHE  GERÄTE 

Can.  1197.  §  1.  Im  liturgischen  Sinne  ver- 
steht man: 

1 .  Unter  einem  unbeweglichen  oder  befestig- 
ten Altar  (nomine  altaris  immobilis  seu  fixi) 
die  obere  Tischplatte  samt  den  als  einheitlich 
dazugehörig  mit  ihr  geweihten  Stützen  ; 

2.  unter  einem  beweglichen  oder  Tragahar 
(nomine  altaris  mobilis  sen  portatilis) 
einen  zumeist  kleinen  Stein,  der  allein  geweiht 
wird  und  den  man  auch  ara  portatilis  oder 
petra  sacra  (heiliger  Stein)  nennt;  oder  den- 
selben Stein  mit  der  Stütze,  die  jedoch  nicht 
gemeinsam  mit  ihm  geweiht  wurde. 

§  2.  In  einer  konsekrierten  Kirche  muß 
wenigstens  ein  Altar,  in  erster  Linie  der 
Hauptaltar,  unbeweglich  sein;  in  einer  bene- 
dizierten  Kirche  aber  können  alle  Altäre  be- 
weglich sein. 


Can.  1198.  §  1.  Sowohl  die  Mensa  des 
unbeweglichen  Altars,  als  auch  die  petra  sacra 
(Tragaltar,  vgl.  oben)  sollen  aus  einem  ein- 
zigen, natürlichen,  unbeschädigten  und  nicht 
bröckeligen  Stein  bestehen. 

^  2.  Auf  dem  unbeweglichen  Altare  muß 
die  steinerne  Platte  oder  mensa  sich  über  den 
ganzen  Altar  erstrecken  und  mit  dem  Unter- 
bau geeignet  zusammenhängen;  der  Unterbau 
aber  sei  steinern  öderes  sollen  wenigstens  die 
Seiten  oder  Säulchen,  durch  welche  die  Tisch- 
platte gestützt  wird,  aus  Stein   bestehen. 

^  3.  Die  petra  sacra  sei  so  lang  und  breit, 
daß  sie  wenigstens  die  Hostie  und  den  größeren 
Teil  des  Kelches  aufnehmen  kann. 

Can.  1268.  §  1.  Die  heiligste  Eucharistie 
kann  beständig  oder  gewohnheitsgemäß  nur 
auf  einem  Altar  einer  und  derselben  Kirche 
aufbewahrt  werden. 

S  2.  Sie  soll  am  ansehnlichsten  und  vor- 
nehmsten One  der  Kirche  und  daher  in  der 
Regel  auf  dem  Hochaltäre  aufbewahrt  werden, 
wenn  nicht  ein  anderer  für  die  Verehrung 
des  so  großen  Sakramentes  angemessener  und 
würdiger  erscheint .  .  . 


224 


DIE  KIRCHLICHE  KUNST  IM  GESETZBUCH  DER  KIRCHE 


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ALTE  KIRCHE  IN  PAFFRATH.    VGL.  DIE  ERWEITERUNG  DURCH  EDUARD  ENDLER  IN  KÖLN 
S-  22i  UND  22; 


PROJEKT  ZUR  VERGRÖSSERUNG  DER  KATH.  PFARRKIRCHE  IN  OBERBEUTELSBACH  IN  NIEDERBAYERN  VON 
MICHAEL  KURZ.     DIE  GESTRICHELTEN  TEILE  ALT,  DIE  SCHWARZ  GEZEICHNETEN  NEU 


DIE  KIRCHLICHE  KUNST  IM  GESETZBUCH  DER  KIRCHE 


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IXNEXERWE1TERUNG  DER  KIRCHE  ZU  RIENECK  IX  UFR.  DURCH  EMrORENAXLAGE,   DA  AUSSENERWEITERUNG  UNMÖGLICH 


§  3.  Aber  in  den  Kathedral-,  Kollegiat- oder 
Konventualkirchen,  in  denen  beim  Hochaltar 
die  Chorgebete  zu  verrichten  sind,  ...  ist  es 
angezeigt,  die  hl.  Eucharistie  in  der  Regel  nicht 
auf  dem  Hochaltare,  sondern  in  einem  andern 
Kapellenraum  oder  Altare  aufzubewahren. 

§  4.  Die  Kirchenvorstände  sollen  Sorge 
tragen,  daß  der  Altar,  auf  dem  das  hl.  Sakra- 
ment aufbewahrt  wird,  mehr  als  alle  anderen 
geschmückt  sei,  so  daß  er  schon  durch  seine 
Ausstattung  die  Frömmigkeit  und  Andacht  der 
Gläubigen  mehr  anregt. 

Can.  1269.  §  I.  Die  heiligste  Eucharistie 
muß  in  einem  nicht  wegnehmbaren,  auf  der 
Mitte  des  Altares  angebrachten  Tabernakel 
bewahrt  werden. 

§  2.  DerTabernakel  sei  kunstreich  errichtet, 
von  allen  Seiten  fest  verschlossen,  geziemend 
geschmückt  nach  Maßgabe  der  liturgischen 
Gesetze,  enthalte  keinen  andern  Gegenstand 
und  werde  so  sorgsam  bewacht,  daß  die  Ge- 
fahr jeglicher  gottesräuberischen  Entwürdi- 
gung fernbleibt. 

Can.  1270.  Die  konsekrierten  Partikeln, 
so  viele  als  für  die  Kommunion  der  Kranken 


und  anderen  Gläubigen  genügen,  sollen  be- 
ständig in  einer  Pyxis')  aus  solidem  und  ge- 
ziemendem Stoffe  aufbewahrt  werden  und 
diese  soll  rein  und  mit  ihrem  Deckel  gut  ge- 
schlossen sein,  bedeckt  mit  einer  weißen,  sei- 
denen, passend  geschmückten   Hülle. 

Can.  1296.  $  1.  Die  kirchlichen  Einrich- 
tungsgegenstände, zumal  die  nach  den  litur- 
gischen Bestimmungen  benediziert  oder  kon- 
sekriert  sein  müssen  und  beim  öffentlichen 
Gottesdienst  Verwendung  tinden,  sind  sorg- 
sam in  der  Sakristei  der  Kirche  oder  an  einem 
anderen  sichern  und  geziemenden  Orte  aul- 
zubewahren  und  nicht  zu  profanem  Gebrauche 
zu  verwenden. 

i;  2.  Nach  den  Bestimmungen  desCan.  1522, 
§§  2,  3  ist  über  die  gesamten  kirchlichen  Ein- 
richtungsgegenstände ein  Inventar  anzulegen 
und  genau  zu  führen2). 

^  3.  Hinsichtlich  des  Materials  und  der 
Form  der  heiligen  Einrichtungsgegenstände 
sind  die  liturgischen  Vorschriften,  die  kirch- 

■  irium. 
•)  Can.  1)22,   S  2  und  5  handeln  von  Jer  Ar.' 
und  Führung  zweier  Inventarc. 


226 


DIE  KIRCHLICHE  KUNST  IM  GESETZBUCH  DER  KIRCHE 


Grun'ctciSS  tobt 


KIRCHE  ZU  SALZ  BEI  NEUSTADT  A.  S.    OBEN  ALTER  BESTAND,    UNTEN    DAS  ERWEITERUNGSPROJEKT  VON  OTTO  SCHULZ 
IN  NÜRNBERG.     ANBAU  SCHWARZ.  —    Vgl.  AH..  S.  227 


liehe  Überlieferung  und  auf  möglichst  gute 
Weise  auch  die  Gesetze  der  heiligen  Kunst 
zu  befolgen. 

III.    VON    DER    VEREHRUNG    DER    RELIGIÖSEN 
BILDER') 

Can.  1279.  §  i.  Niemandem  soll  es  erlaubt 
sein,  in  Kirchen,  auch  exempten,  oder  an  an- 
deren heiligen  Stätten  ein  ungewohntes  Bild 
anzubringen  oder  anbringen  zu  lassen,  wenn 
es  nicht  vom  Ordinarius  loci  gutgeheißen  ist. 

§  2.  Der  Ordinarius  aber  soll  solche  hei- 
lige Bilder,  die  bestimmt  sind,  öffentlich  zur 
Verehrung  durch  die  Gläubigen  ausgestellt  zu 


*)  Vgl.  den  Aufsatz:   »Kirchliche  Bestimmungen  über 
die  Bilder  im  Gotteshausei  im  XIII.  Jg.,  S    1 — 7. 


werden,  nicht  gutheißen,  wenn  sie  mit  dem 
bewährten  Brauche  der  Kirche  nicht  überein- 
stimmen. 

§  3.  Niemals  lasse  der  Ordinarius  in  Kir- 
chen oder  anderen  heiligen  Orten  Darstel- 
lungen einer  falschen  Glaubenslehre  zeigen 
oder  solche,  welche  nicht  die  schuldige  Schick- 
lichkeit und  Ehrbarkeit  zur  Schau  tragen  eder 
Ununterrichteten  Anlaß  zu  einem  gefährlichen 
Irrtum  bieten. 

Can.  1280.  Wenn  kostbare,  d.  i.  durch  Al- 
ter, Kunstwert  oder  Kult  hervorragende  Bild- 
werke, die  in  Kirchen  oder  öffentlichen  Ora- 
torien zur  Verehrung  ausgestellt  sind,  einmal 
der  Ausbesserung  bedürfen,  sollen  sie  niemals 
ohne  vorherige  schriftliche  Zustimmung  des  Or- 
dinarius restauriert  werden;  dieser  soll,  ehe  er 


DIE  KIRCHLICHE  KUNST  IM  GESETZBUCH   DER  KIRCHE 


die  Genehmigung  erteilt,  klugeund 
erfahrene  Männer  zu  Rate  ziehen. 

Can.  1335.  i?  i.  Ohne  vorherige 
kirchliche  Prüfung  dürfen  auch  von 
Laien  nicht  herausgegeben  wer- 
den: 3.  Religiöse  Bilder,  die  in 
irgendeiner  Weise  gedruckt  wer- 
den sollen,  sei  es,  daß  ihnen  Ge- 
bete beigefügt  sind  oder  nicht. 

ij  2.  Die  Erlaubnis  zur  Heraus- 
gabe von  .  . .  Bildern,  von  denen 
in  §  1  die  Rede  ist,  kann  entweder 
der  Ordinarius  des  Verbreitungs- 
ortes oder  der  Ordinarius  des 
Druckortes  erteilen. 

Can.  1399.  Ohne  weiteres  sind 
verboten :  1 2.  Bilder  unseres  Herrn 
Jesu  Christi,  der  seligen  Jungfrau 
Maria,  der  Engel  und  Heiligen  oder 
anderer  Diener  Gottes,  die  dem 
Sinne  und  den  Erlassen  der  Kirche 
unangemessen  sind,  gleichgültig, 
auf  welche  Weise  sie  gedruckt  sind. 

IV.  VORSCHRIFTEN 
ÜBER  VERÄUSZERUNGEN 

Can.  1281.  §  1.  Ansehnliche 
Reliquien  oder  kostbare  Bildwerke, 
wie  auch  andere  Reliquien  oder 
Bildwerke,  die  in  einer  Kirche 
große  Verehrung  des  Volkes  ge- 
nießen, können  nicht  gültig  ver- 
äußert und  nicht  für  dauernd  ohne 
Erlaubnis  des  Apostolischen  Stuh- 
les in  eine  andere  Kirche  übergeführt  werden. 

Can.  1530.  §  1.  Vorbehaltlich  der  Vor- 
schrift des  Can.  1281,  §  i,  (s.  vorstehend)  ist 
zur  Veräußerung  beweglichen  oder  unbeweg- 
lichen kirchlichen  Eigentums,  das  erhalten 
werden  kann,  erforderlich: 

1.  Schriftliche  Abschätzung  des  Gegenstan- 
des   durch    rechtschaffene  Sachkundige; 

2.  ein  gerechter  Grund,  d.  i.  eine  dringende 
Notwendigkeit  oder  der  offensichtliche  Nutzen 
der  Kirche  oder  die  Pietät; 

3.  die  Erlaubnis  des  rechtmäßigen  Obern, 
ohne  die  eine  Veräußerung  ungültig  ist. 

§  2.  Auch  andere  zweckmäßige  Vorsichts- 
maßnahmen, die  vom  Obern  selbst  je  nach 
Umständen  vorgeschrieben  werden,  sollen 
nicht  unbeachtet  bleiben,  um  einen  Schaden 
der  Kirche  zu  vermeiden. 

Can.  1532.  ij  1.  Der  rechtmäßige  Obere, 
von  dem  Can.  1530,  $  i,n.  3  spricht,  ist  der 
Apostolische  Stuhl,  wenn  es  sich  handelt: 

1.  Um  kostbare  Dinge; 

2.  um  Dinge,  welche  den  Wert  von  30000 
Lire  oder  Franken  übersteigen. 


NEUER  TEIL  (VON-  OTTO  SCHULZ  IN  NÜRNBERG)  DER  KIRCHE  IN  SALZ. 
Vgl.  Grundriß  S.  226 


§  2.  Wenn  es  sich  jedoch  um  Dinge  han- 
delt, welche  den  Wert  von  ioooLire  oder  Fran- 
ken nicht  übersteigen,  ist  es  der  Ordinarius 
loci,  der  zuvor  den  Verwaltungsrat  ;u  hören 
hat,  wenn  es  nicht  geringfügige  Sachen  sind, 
und  mit  Zustimmung  der  Interessenten. 

§  3.  Wenn  es  sich  endlich  um  Dinge  han- 
delt, deren  Preis  zwischen  1000  Lire  und 
30000  Lire  oder  Franken  liegt,  ist  es  der  Or- 
dinarius loci,  soferne  die  Zustimmung  vorliegt 
sowohl  vom  Domkapitel  und  vom  Verwal- 
tungsrat, als  auch  von  den  Interessenten. 

Can.  1534.  §  i.  Die  Kirche  ist  berechtigt 
zu  persönlichem  Vorgehen  gegen  denjenigen, 
welcher  ohne  Einhaltung  des  pflichtn  ä 
Geschäftsganges  kirchliche  Güter  veräußert 
hat,  und  gegen  dessen  Erben;  zu  einem  ding- 
lichen aber,  wenn  die  Veräußerung  nichtig 
war,  gegen  jeglichen  Besitzer,  vorbehaltlich 
des  Rechtes  des  Käufers  gegen  den,  der  den 
Verkauf  widerrechtlich   vornahm 

ij  2.  Gegen  eine  ungültige  Veräußerung 
kirchlichen    Eigentums    können    einschreiten 

der  Veräußerer,    dessen   Vorgesetzter,   deren 


228 


WILHELM  IMMENKAMP 


Amtsnachfolger,    endlich    ein   jeder   Kleriker 
an  der  geschädigten  Kirche. 

Man  sieht,  daß  die  kirchliche  Gesetzgebung 
an  den  wenigen  Stellen,  die  eigentliche  Kunst- 
angelegenheiten berühren,  die  Beiziehung  von 
Fachleuten  sichert.  In  Fragen  des  Kirchen- 
baues soll  nach  Bedarf  der  Rat  erfahrener 
Männer  (peritorum)  eingeholt  werden  (Can. 
1164,  §  1,  vgl.  S.  222).   Vor  Erteilung  der  Er- 


W.  IMMENKAMI' 


.STUDIENZEICHNUNG 


Zum  Art.  5. 


laubnis  zur  Ausbesserung  kostbarer  Bildwerke 
in  Kirchen  muß  der  Ordinarius  kluge  und 
erfahrene  Männer  (prudentes  ac  peritos  viros) 
zu  Rate  ziehen  (Can.  1280,  vgl.  S.  226).  Nach 
Can.  1530,  §  1  (vgl.  S.  227)  sind  die  Gegen- 
stände vor  der  Erlaubniserteilung  zum  Ver- 
kauf von  rechtschaffenen  Sachkundigen  (a 
probis  peritis)  abzuschätzen.  Im  übrigen  be- 
schränken sich  die  Vorschriften  des  kirch- 
lichen Gesetzbuches,  welche  die  Kunst  strei- 
fen, auf  den  Kultus  und  den  gedanklichen 
Inhalt  der  Darstellung.  Das  Recht  und  die 
Pflicht,  darüber  zu  wachen,  wird  der  Kirche 
niemand  zu  bestreiten  wagen.  Hierin  hat  sich 
der  Künstler  der  Kirche,  die  ihm  auf  seinem 
Gebiete  Freiheit  läßt,  unterzuordnen,  was  für 
ihn  weder  ein  Opfer  des  Intellektes  noch  der 
Kunst  sein  kann,  wenn  er  Lehre  und  Leben 
der  Kirche  kennt  und  im  Herzen  trägt.  Was 
aber  die  künstlerische  Gestaltung  betrifft,  so 
stehen  ihm  verlässige  Führer  zur  Verfügung: 
das  angeborene,  durch  die  eigene  Vernunft 
und  die  Erfahrungen  der  Väter  erleuchtete 
Empfinden  für  das  Schöne  und  Bedeutsame 
in  der  sichtbaren  Welt,  die  Phantasie  und 
der  edle  Takt  des  innerlich  gebildeten  Men- 
schen, die  demütige  Ehrerbietung  vor  dem 
Heiligen.  S.  Staudhamer 

WILHELM  IMMENKAMP 

(Vgl.  Abb.  S.  228—256) 

Wilhelm  Immenkamp  wird  am  21.  Sep- 
tember dieses  Jahres  fünfzig  Jahre  alt,  ein 
willkommener  Anlaß,  dieses  Lebensjubiläum 
eines  Künstlers  zu  feiern,  auf  den  die  Leser 
unserer  Zeitschrift  zuerst  im  Jahre  191 1  durch 
einen  mit  15  Abbildungen  ausgestatteten  Auf- 
satz von  Joseph  Wais  gebührend  aufmerksam 
gemacht  worden  sind.  Inzwischen  ist  seine 
Anerkennung  als  Maler  weiter  gestiegen,  was 
durch  teilweise  sehr  umfangreiche  kirchliche 
Aufträge  zum  Ausdruck  gekommen  ist.  Mit 
Recht.  Die  ruhige  Stetigkeit  in  der  Entwicklung 
Immenkamps  hielt  in  der  unruhigen  und  ner- 
vösen Hast  des  Münchener  Kunstlebens,  dem 
unser  Künstler  angehört,  fest  an  der  sachlichsten 
Lösung  deutlich  und  anspruchslos  gewählter 
Aufgaben.  Doch  würde  man  irren,  daraus  aut 
innere  Kühle  und  äußere  Routine  zu  schließen, 
auf  eine  im  wesentlichen  nur  praktisch  einge- 
stellte Begabung.  Dem  widerspricht  schon  die 
Art,  wie  Immenkamp  gegen  alle  Überlieferung 
seiner  Familie  den  Weg  zur  Künstlerlaufbahn 
fand.  Bis  zu  seinem  22.  Jahre  blieb  er  im 
elterlichen  Hause  zu  Essen,  seiner  Geburtsstadr. 
Unter  Aufsicht  einer  Mutter  voll  Gemüt  und 
häuslichen  Tugenden  und  eines  wohl  strengen, 


WILHELM  IMMENKAMP 


229 


WILHELM  IMMEXKAMP 


ILK.E  FAMILIE 


aber  gerechten  Vaters,  im  Kreise  mehrerer 
Geschwister,  darunter  auch  ein  ebenfalls  kunst- 
begabter, in  England  heimisch  gewordener 
Bruder,  wuchs  er  in  der  lärmvollen,  zerstreu- 
ungsreichen Industriestadt  zu  einem  unverbil- 
deten, ja  ganz  weltunkundigen  Jüngling  heran. 
Nur  verstohlen  beschäftigte  er  sich  mit  Zeich- 
nen und  Malen  in  den  spärlichen  Mußestunden, 
die  ihm  seine  Arbeitszeit  unter  Aufsicht  des 
Vaters,  der  ihn  zu  seinem  Handwerke  heran- 
gebildet hatte,  übrig  ließ.  Camphausens 
Schlachtenbilder  fesselten  seine  Einbildungs- 
kraft, und  er  suchte  es  ihm  in  romantisch 
bewegten  Kompositionen  gleichzutun.  Aber 
nicht  weniger  wirkte  auch  der  sinnigere  De- 
fregger  auf  ihn.  Und  an  diesen  schickte  der 
bereits  Einundzwanzigjährige  schließlich  im 
ratlosen  Drange  nach  Entfaltung  seiner  An- 
lagen die  Kopie  eines  Defreggerschen  Ölbildes. 
Er  fand  Verständnis  an  dem  damals  im  Zenith 
seines  Ruhmes  stehenden,  aus  ähnl icher  Jugend- 
bedrängnis  noch  später  erst  befreiten  Tiroler 
Maler;  mehr  aber,  er  fand  auch  praktische  Hilfe. 
Durch  DefreggersVermittlurjggewannlmmen- 
kamp  einen  dauernden  Gönner  an  Friedrich 
Krupp,  derihm  die  Ausbildung  an  der  Münche- 


ner Kunstakademie  ermöglichte,  seine  Unter- 
nehmungslust und  sein  Selbständigkeitsgefühl 
durch  Aufträge  stärkte  und  durch  Reisemöglich- 
keiten, besonders  nach  Italien  in  den  Jahren 
1902  und  1903,  seinen  Gesichtskreis  wesent- 
lich erweiterte. 

So  kam  der  angehende  Maler  im  August 
1892  in  München  an  und  wurde  im  Oktober 
in  die  Zeichen-  resp.  Naturklasse  von  Prof. 
v.  Hacklan  der  Kunstakademie  aufgenommen. 
Später  kam  er  zu  Marr  und  endlich  als  Kom- 
ponierschüler zu  Professor  M.  v.  Feuerstein. 
Er  hatte  noch  hart  zu  arbeiten;  mehr  aber 
durch  äußerliche  Anpassung  an  die  neuen  Ver- 
hältnisse, als  durch  Aneignung  technischer 
Geschicklichkeit.  Denn  völlig  unvorbereitet 
war  er  aus  dem  engen  häuslichen  Interessen- 
kreise in  das  ungebundene  Künstlerleben 
Münchens  versetzt.  Immenkamp  hielt  sich 
dauernd  fern  von  bequem  ausnutzbaren,  aber 
so  leicht  zerstreuenden  und  verflachenden  ge- 
sellschaftlichen Beziehungen.  Er  blieb  sich 
dadurch  selbst  getreu.  Freilich  kamen  die  Er- 
folge auch  nur  langsam.  Schwer  hat  er  jahre- 
lang um  seine  Existenz  ringen  müssen.  Er 
fand   schließlich,   seit    190«),  an    seiner  Gattin 


Die  christliche  Kumt      XVI 


230 


WILHELM  IMMENKAMP 


Marie  geb.  Knabl  eine  musikbegabte  Lebens- 
gefährtin, die  in  liebevoller  Kameradschaftlich- 
keit ihm  den  Kampf  zu  mildern,  das  Aus- 
halten zu  erleichtern  wußte. 

Mit  seinem  bekannten  Bilde  der  Aufer- 
weckung  des  Lazarus  (Abbildung  in  dieser 
Zeitschrift  191 1,  S.  227  und  größer  im  Holz- 
stich »Illustrierte  Zeitung«,  1908,  26.  März)  er- 
rang er  sich  die  künstlerische  Selbständigkeit 
und  zugleich  den  großen  Preis  der  Akademie. 
Mit  sicherem  Geschmack  stellte  Immenkamp 
nicht  den  Augenblick  des  Wunders  selbst  dar, 
—  sogar  ein  Rembrandt  scheiterte  an  dieser 
Aufgabe  — ,  sondern  er  läßt  den  bereits  Wieder- 
erweckten durch  Christus  den  staunend  War- 
tenden zuführen.  Das  Bild  erscheint  wie  ein 
künstlerisches  Glaubensbekenntnis.  Hätte  es 
nur  an  ihm  gelegen,  so  würde  der  Künstler 
ein  eifriger  und  erfindungsreicher  Maler  großer 
Bildkompositionen  geblieben  sein.  Staatsauf- 
träge an  ihn  noch  als  Schüler  für  Altarbilder 
der  Gefängniskirchen  in  Stadelheim  und 
Eichstätt  ermutigten  ihn  zunächst  dazu. 
Indes  der  Lazarus  blieb,  trotz  aller  langdau- 
ernden Anerkennung  bis  heute  unverkauft. 
Das  wirkte  begreiflicherweise  hemmend  und 


WILHELM   IMMKN'K  \MI' 


DER  GELEHRTE 


Zu  nebtyistehendem  Artikel 


einschüchternd.  Immenkamp  war  nicht  in  der 
Lage,  so  große  Bilder,  —  der  Lazarus  ist 
mehrere  Meter  lang  und  hoch  —  auf  Vorrat 
zu  malen  oder  auch  nur  für  ihr  Entwerfen 
seine  Zeit  zu  verbrauchen. 

So  wurde  er  zunächst  zum  Bildnismalen 
gedrängt.  Seiner  analysierenden  Sachlichkeit 
bot  es  den  interessantesten  Stoff,  seinem  Farben- 
sinn, seiner  sicheren  Stiftführung  in  Kohle- 
zeichnung und  Pastell  —  auch  da  die  Herren- 
bildnisse besonders  wohlgelungen  ■ — ■  einen 
weiten  Umfang  der  Betätigung  und  Ausbil- 
dung. Unter  den  alten  Meistern  regte  ihn 
namentlich  van  Dyck  an,  unter  den  neueren 
F.  A.  von  Kaulbach  in  seiner  reifsten  Zeit, 
ohne  daß  er  sich  hätte  hindern  lassen,  als 
Porträtist  seine  in  der  Form  schlicht  sachliche, 
in  der  Farbe  gedämpfte  und  kühle  Eigenart 
immer  charakteristischer  zu  entwickeln.  Nur 
gelegentlich  sehen  wir  ihn  einmal  auf  einem 
Bildnis  einen  Schritt  von  diesem  Wege  ab- 
weichen zugunsten  einer  komplizierteren  Far- 
bigkeit und  einer  Verstärkung  des  Persönlichen 
durch  sie  und  durch  anderes  Beiwerk,  nicht 
stets  zugunsten  der  erstrebten  Wirkung.  Zu 
seinen  bekannten  und  besten  Bildnissen  ge- 
hören der  Kardinal  Fischer  (Ab- 
bildung in  dieser  Zeitschrift,  191 1, 
S.  19;  daselbst  auch  eine  Reihe  an- 
derer Bildnisse)  für  Essen,  der  Dichter 
Wilhelm  Raabe  für  Braunschweig, 
Bismarck  für  Bochum,  König 
Ludwig  III.  für  Selb,  Kardinal 
von  Bettinger,  Weihbischof 
von  Neudecker  und  Domherr 
Dr.  Hart  1  für  Freising.  Die  Bildnis- 
aufträge gingen  besonders  von  Bayern, 
seiner  künstlerischen  zweiten  Heimat, 
aus,  von  der  Essener  Industriegegend 
als  seinem  Geburtslande,  und  von 
Niedersachsen,  wo  ihm  namentlich 
das  braunschweigische  Raabebildnis 
(Skizze  dazu  abgebildet  in  dieser  Zeit- 
schrift, 1 9 r  1 ,  S.  235),  als  auch  vom 
Dichter  selbst  besonders  geschätzt, 
einen  ausgedehnten  Wirkungskreis 
verschaffte. 

Nebenher  übte  der  Künstler  weiter 
Auge  und  Hand  durch  Land- 
schaft Studien  in  verschiedenen 
Gegenden  Deutschlands  und  verar- 
beitete manches  davon,  wie  etwa 
eine  herbstliche  Kastanienallee,  ein 
schnittreifes  Kornfeld,  zu  auch  farbig 
ausgezeichneten  Bildern,  ohne  doch 
den  Anspruch  eines  berufsmäßigen 
Landschaftsmalers  zu  machen.  Aber 
gerade   das   verschafft   seinen  Land- 


231 


WILIII-LM   IMMENKAM1 


'^(»ui'iif.    —  Zk  Artikf. 


232 


WILHELM  IMMENKAMP 


W.  IMMKS'KAMP 


schaften  eine  eigene  Frische  und  Unbe- 
fangenheit. 

Nur  im  kleinen  Format  beschäftigte  sich 
Immenkamp  auch  weiterhin  mit  mehrfigurigen 
Phantasieschöpfungen.  Aber  das  Interesse  dar- 
an verließ  ihn  nie  und  hielt  seine  Einbildungs- 
kraft rege  auch  für  besondere  und  größte  Auf- 
träge. Wohl  das  formal  wie  seelisch  gelungenste 
dieser  Bilder  ist  die  schon  1902  entworfene, 
1907  erst  vollendete  Caritas.  Eine  Mutter, 
umgeben  von  ihren  vier  Kindern,  das  kleinste 
an  der  Brust,  ruht  auf  einer  Bank  am  Rande 
einer  Fabrikstadt.  Der  Vater  daneben  bear- 
beitet das  Feld.  Spatzen  erquicken  sich  an  den 
Resten  der  Mittagssuppe.  Das  schöne,  licht 
gehaltene  Bild  wurde  1909  im  Universum 
farbig  reproduziert,  trotzdem  in  seiner  Haupt- 
ausführung aber  erst  1920  verkauft,  der  beste 
Beweis  der  großen  Tugend  Immenkamps,  sich 
auf  Reklame  nicht  zu  verstehen. 

Das  Motiv  der  Caritas  streift  schon  den 
religiösen  Stoff  einer  heiligen  Familie.  Immen- 
kamps seelisches  Empfinden  hielt  ihn  zurück, 
es  dazu  umzubilden,  wie  das  etwa  einem  Fritz 
von  Uhde  natürlich  gewesen  wäre. 

Denn  die  religiöse  Malerei  gelingt 
Immenkamp  am  besten  in  einer  stilisierten 
Formensprache.  Das  ist  kein  Widerspruch  zu 
seiner   sonstigen   Unbefangenheit   gegenüber 


der  Natur.  Es  ist  eher  ein  Zeichen 
von  seelischer  Schüchternheit  und 
Zurückhaltung.  Die  hohen  Ideen  der 
Kirche,  die  zarten  religiösen  Gefühle 
persönlicher  Art  halten  ihn  in  einem 
gewissen  Respektsabstande  von  sol- 
chem Stoff,  er  mag  und  kann  ihn 
nur  in  einer  gebundenen,  von  der 
Natur  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
losgelösten  und  stilisierten  Kunstform 
darstellen.  Aber  auch  da  gibt  es  be- 
merkenswerte Ausnahmen.  So  die 
für  Ingolstadt  bestimmte  Darstellung 
des  seligen  Peter  Canisius,  wie 
er  den  Kindern  seinen  kleineren 
Katechismus  auslegt.  Hier  ist  die 
Gruppe  der  aufmerkenden  Kinder 
ganz  in  der  herzlichen  Frische  pro- 
faner Stoffe  wiedergegeben,  in  der 
Figur  des  lehrenden  Jesuitenpaters 
ringt  dagegen  der  feierlich  stilisie- 
rende Zug  mit  dem  einer  ebenfalls 
naturalistischen  Ausdrucksweise.  Sehr 
ansprechend  ist  die  stilistische  Ge- 
bundenheit der  1920  für  Stuttgart 
gemalten,  in  schattiger  Landschaft 
ruhenden  heiligen  Familie.  Zwei 
Bildnis  Engel  unterhalten  das  Christkind  mit 
Singen.  Auch  die  Gebenedeite  geht 
ganz  in  den  Tönen  auf,  während  der  hl.  Joseph 
mehr  väterlich  schützend  des  Kindes  sich  freut. 
Leuchtende  und  glühende  Farben  in  reicher 
Modulation  entsprechen  dem  milden  Ernst 
der  Szene  (Abb.  S.  229).  Ähnlichen  Charak- 
ters ist  die  Mutter  Gottes  im  Walde, 
eine  sinnige  und  selbständige  Variation  die- 
ses unerschöpflichen  Themas.  Auf  die  beste 
Weise  in  der  stilisierenden  Ausdrucksweise 
aufgegangen  ist  die  Darstellung  des  barm- 
herzigen Samariters  für  die  Landes- 
krüppelanstalt in  München.  Wir  sehen  da 
vom  Waldrande  eines  felsigen  Nebentales  in 
eine  fern  verschwimmende  Talebene,  wohin 
sich  der  mitleidlose  Pharisäer  entfernt.  Vorn 
kniet  der  Samariter  mit  dem  fast  nackt  geplün- 
derten Reisenden.  Ein  kühles  Blau  herrscht 
vor.  Eine  rötliche  Decke  auf  dem  Reitesel 
bringt  jedoch  einen  warmen  Kräfteausgleich, 
unterstützt  von  gelben  Tönen  namentlich  im 
Vordergrunde,  zu  dem  zerstreutes  mattes  Grün 
vermitttelt.  Das  Ganze  atmet  eine  feierliche 
Stille,  die  Einkehr  und  Andacht  des  Beschauers 
weckt  (Abb.  im  13.  Jahrg.  S.  199). 

Den  denkbar  umfangreichsten  Auftrag  er- 
hielt Immenkamp  im  Jahre  1910/11  zur  Aus- 
schmückung der  Mariä-Himmelfahrts-Kirche  in 
seiner  Vaterstadt  Essen  (Abb.  im  9.  Jg.).  Er  ver- 
breitete erst  recht  eigentlich  seinen  Ruf  auch 


233 


WILHELM   IMMEXkAMI' 


1  INDSCH  \FI 


WILHELM  imme: 


234 


DIE  MÜNCHENER  NEUE  PINAKOTHEK 


\V.  IMMENKAMP 


als  eines  religiösen  Malers.  Die  Wände  von 
Chor  und  Querhaus  waren  mit  einem  Zyklus 
von  Bildern  aus  dem  Leben  und  zur  Verherr- 
lichung der  Himmelskönigin  zu  schmücken.  Es 
war  eine  für  den  Künstler  ganz  neue  Aufgabe, 
nicht  nur  in  technischer,  sondern  auch  in 
kompositioneller  Beziehung.  Denn  hier  konnte 
er  weder  Atelier  noch  Modell  in  größerem 
Umfange  benutzen.  Alles  mußte  nach  kleinen 
Farbenskizzen  nah  und  auf  die  Ferne  wirkend, 
mehr  dekorativ  ausgeführt  werden.  Aber 
Immenkamps  Kräfte  wuchsen  mit  der  Auf- 
gabe. Klar  und  eindringlich,  auf  die  notwen- 
digsten Personen  beschränkt,  erzählen  uns 
diese  Wandflächen  von  der  Würde  und  den 
Heilstatsachen  des  Marienlebens  in  einer  für 
jedermann  verständlichen  und  doch  künst- 
lerisch reifen  Formensprache.  Diese  entfaltet 
sich  besonders  eindringlich  in  den  großen 
Breitbildern  der  Gottesmutter  als  Königin  der 
Heiligen  und  Trösterin  der  Menschen.  Da 
ist  das  nie  die  übersichtliche  Klarheit  verlie- 
rende Kompositionstalent  Immenkamps  ebenso 
anzuerkennen,  wie  die  hier  glücklicher  als  im 
Canisius  gelungene  Verarbeitung  schlichter 
Natureindrücke. 

Ganz  neuerdings  steht  dem  Künstler  eine 
ähnliche  Aufgabe  bevor  für  eine  große  Kirche 
in  Bilbao.  Es  hat  also  seiner  Essener  Leistung 


ihre  Rückwirkung  nicht  gefehlt.  Sie 
ist  ihm  und  seiner  Kunst  von  Herzen 
zu  wünschen.  Indem  wir  dieses  zu 
Immenkamps  Jubiläumstage  bekennen, 
tun  wir  das  auch  in  der  Hoffnung,  daß 
der  Künstler  noch  weiter  an  solchen 
Aufgaben  wachsen  und  sich  entfalten 
wird  zum  Ruhme  einer  solide  gegrün- 
deten Klarheit  und  Verständlichkeit 
im  Chaos  gegenwärtiger  Kunstexperi- 
mente über  alles  hochhaltenden  Kön- 
nerschaft ').  K.  Steinacker 


M;' 


DIE  MÜNCHENER 
NEUE  PINAKOTHEK 

itte  August  konnte  endlich  die  Neue  Pina- 
kothek wieder  eröffnet  werden,  nachdem 
in  jahrelanger  Arbeit  die  Sichtung  und  Um- 
gruppierung ihrer  Bilderbestände  durchgeführt 
worden  war.  Jedem  Kenner  des  alten  Zustandes 
war  es  klar,  daß  dieser  sich  gegenüber  den 
Fortschritten  der  künstlerischen  Erkenntnis  wie 
der  modernen  Museumstechnik  nicht  länger 
halten  ließ.  Die  Säle  und  Kabinette  waren  über- 
füllt, die  Gemälde  schlecht  gehängt  und  un- 
günstig beleuchtet.  Der  Vorrat  von  Gemälden 
bildete  eine  Masse,  in  der  Gutes  und  Unbedeu- 
tendes, Lebendiges  und  Überlebtes,  planvoll 
und  planlos  Erworbenes  vereinigt  war,  während 
LDNIS  andererseits  sich  das  Fehlen  vieles  unbedingt 
Wichtigen  fühlbar  machte.  Die  Neuordnung 
hat  sich  dieser  Übelstände  und  Ungleichheiten  mit 
frischem  Entschluß  und  sicherem  Blick  angenommen. 
Als  erstes  Ergebnis  brachte  sie  die  Eröffnung  der  Neuen 
Staatsgalerie  am  KönigsplaUe.  Über  diese  ist  hier  schon 
berichtet  worden;  in  fesselnd  und  einheitlich  durchge- 
führter Reihe  bietet  sie  einen  Überblick  über  die  Ent- 
wicklung der  Malerei  seit  dem  Ende  der  70  er  Jahre 
des  vorigen  Jahrhunderts  bis  zum  gegenwärtigen  Zeit- 
punkte. Durch  Ausscheidung  dieses  Abschnittes  war  es 
möglich,  die  Neue  Pinakothek  zu  entlasten,  für  richtige 
Aufstellung  ihrer  Gemälde  Raum  zu  schaffen.  Sie  be- 
ginnen zeitlich  da,  wo  die  Alte  Pinakothek  aufhört,  also 
am  Ende  des  18. Jahrhunderts.  Nicht  zu  streiten  ist,  daß 
bei  jener  Scheidung  keine  völlig  scharfe  Auswahl  gewaltet 
hat,  und  daß  die  Grenzlinien  etwas  verwischt  erscheinen. 
Ferner,  daß  gleich  der  Neuen  Staatsgalerie  auch  die 
Neue  Pinakothek  noch  im  jetzigen,  veränderten  Zustande 
so  manches  beherbergt,  was  nicht  ersten  Wertes  ist. 
Man  darf  dies  vom  ästhetischen  Standpunkt  tadeln,  kann 
es  aber  vom  kunstgeschichtlichen  gelten  lassen,  weil  auf 
die  Art  die  Nachwelt  von  unserer  künstlerischen  Kultur 
in  ihrer  Unausgeglichenheit  und  Unklarheit  ein  richtiges 
Bild  erhält.  Ist  doch  auch  die  Vorstellung  unzutreffend, 
die  wir  von  der  Kunst  alter  Zeiten  haben,  weil  im  Lau'e 
der  Jahrhunderte  von  ihr  nur  das  Allerbeste  und  Wert- 
vollste übriggeblieben  ist.  Was  trotzdem  jene  alte  KuDst 
von  unserer  neuen  unterscheidet,  ist  die  auf  fester  Über- 
lieferung begründete  Ruhe  ihrer  Entwicklung.  In  den 
beiden  neuen  Galerien  aber  erweisen  auch  die  ausge- 
zeichnetsten Darbietungen  das  Fehlen  jenes  gedeih- 
lichen   Zustandes,    zeigen    das    unsi.here    Tasten    nach 


J)  Vgl.  folgende  32  Abb.  nach  Werken  Immenkamps 
in  »D.  ehr.  K.« :  V.  Jg.  S.  369.  —  VII.  Jg.  S.  224—237-  — 
IX.  Jg.  S.  334—340.  — X.Jg.S.  32.  — XII. Jg.  S.  188.  — 
XIII.  Jg.  S.  199.  —XIV.  Jg.  S.  110.  —  XV.  Jg.  S.  102  —  105 


DIE  MUNCHENER  NEUE   1'IXAKOT.IEK 


Halt,  das,  je  naher  zu  unseren  Tagen,  um  so 
ruhelosere  Suchen  nach  neuen  Idealen.  In  der 
Neuen  Staatsgalerie  ist  dieser  kunstgeschichtlich 
kulturelle  Gesichtspunkt  klar  herausgearbeitet  wor 
den;  in  der  Neuen  Pinakothek  bleibt  es  der  Er- 
kenntnis des  Beschauers  überlassen,  ihn  sich  aus 
der  Vielfältigkeit  der  Erscheinungen  selbst  abzu- 
leiten. Technische  Gründe  mögen  maßgeblich 
dafür  gewesen  sein,  daß  man  hier  von  jener  wün- 
schenswerten größeren  Festigkeit  und  Folgerichtig- 
keit der  Anordnung,  somit  auch  von  der  in  der 
Neuen  Staatsgalerie  so  vorteilhalt  wirkenden  klaren 
Geschlossenheit  der  Gruppenbildung  absehen  mußte. 

Immerhin  konnten  bei  diesem  Verzicht  andere 
sehr  wichtige  Absichten  erreicht  werden.  Vor 
allem  wurden  die  Raum-  und  Lichtverhältnisse 
durchgreifend  gebessert.  Übermäßige  Größe  wurde 
eingeschränkt,  die  Decken  wurden  tiefer  gelegt, 
die  Belichtung  anders  und  geschickter  geführt  als 
bisher.  Die  Wände  erhielten  vornehm  farbige 
Tönungen  und  Bespannungen,  die  —  wenigstens 
zumeist  —  die  Wirkung  der  Kunstwerke  förderte. 
Ganz  wesentlich  kamen  diese  Dinge  den  beiden 
Reihen  der  Seitenkabinette  zustatten,  die  durch 
Verlegung  der  Türen,  durch  Abschrägung  der 
Ecken,  durch  richtige  Fensteranlage  für  ihren  Berul 
jetzt  eigentlich  erst  neu  geschaffen  worden  sind. 
Außerordentlich  wichtig  ist  ihre  Aufgabe.  Sollen 
sie  uns  doch  gerade  die  feinsten  Eindrücke  geben. 
Die  großen  Mittelsale  dienen  mehr  der  Repräsen- 
tation. Alles  zusammen  schafft  ein  reiches,  dabei 
voll  harmonisches  Bild,  vor  welchem  man  Mühe 
hat,  sich  das  von  der  Neuen  Pinakothek  ehedem 
gebotene  ins  Gedächtnis  zu  rufen. 

In  den  Sälen  der  Mittelreihe  ist  dies  noch  am  w 
ehesten  möglich.  Da  sieht  man  Kaulbachs  Er- 
oberung von  Jerusalem«,  Pilotys  riesenhaftes  Thusnelda- 
bild, auch  seinen  »Seni  an  der  Leiche  Wollensteins«. 
Außerdem  die  Erzählungen  des  P.  von  Heß  von  den 
Einzügen  des  Königs  Otto  in  Athen  und  in  Nauplia. 
Daneben  Bedeutenderes,  wie  Böcklins  »Spiel  der  Wellen« 
und  Defreggers  »Schmied  von  Kochel«,  das  Jugendbild 
Ludwigs  I.  von  Angelika  Kauffmann,  das  schöne  Bildnis 
der  Königin  Therese  von  Stieler.  Am  wertvollsten  inner- 
halb dieser  Zusammenstellung  sind  die  prachtvollen 
Schlachtenbilder  von  W.v.Kobell.  Mit  edler  Kraft  spricht 
in  diesem  Saale  der  Geist  jener  schönen,  nun  verscholle- 
nen Zeit  zu  uns,  in  der  Bayerns  Kunst  noch  unverfälscht, 
seine  Geschichte  noch  lebendig  war,  seine  Treue  zur  Hei- 
mat und  zum  angestammten  Fürstenhause  noch  leuchtend 
in  Ehren  stand!  Eine  Fülle  ausgezeichneter  Werke  bringt 
ein  anderer  Hauptsaal.  Darunter  die  große  Theresien- 
wiese  von  A.  Lier,  ein  Bild,  das  uns  den  längst  verloren- 
gegangenen, malerischen  Reiz  der  Bavaria  in  ihrer  ur- 
sprünglichen Umgebung  vor  Augen  führt.  Von  anderen 
Meisterwerken  dieses  Raumes  seien  A.  v.  Kellers  »Dame 
in  Weiß«,  Courbets  durchgehendes  Pferd,  auch  ein  Stück 
von  Uhde  deshalb  erwähnt,  weil  man  daraus  ersieht,  wie 
bunt  und  svstemlos,  nur  nach  dem  Maßstabe  des  Einzel- 
wertes die  Zusammenstellung  an  diesem  Platze  gemacht 
worden  ist.  —  Die  Wanderung  durch  die  Kabinette  der 
rechten  Seite  führt  zu  kostbarsten  Erzeugnissen  der  alten 
Münchener  Landschaftsmalerei.  Herausgegriffen  seiendes 
G.  v.  Dillis'  herrliche  Stimmung  von  Tegemsee,  Quaglios 
ruhigeMünchenerStadtansichten,C.D.  Friedrichs  wunder- 
bare »Nebelstudie  aus  dem  Riesengebirge«,  Fabers  »An- 
sicht von  Dresden i,  E.  Schleichs  Landschaft  mit  der  ab- 
sterbenden Eiche,  Liers  »Landschaft vom  StarnbergerSee«. 
Von  dem  wenig  bekannten  Olivier  sieht  man  zwei  sehr 
feine  Campagnastudien.  Weiter  findet  man  Landschaften 
des  noch  nicht  genug  gewürdigten  Tirolers  Jos.  Am  Koch, 
andere  von  Vogel,  Gurlitt,  Bürkel,  Brandes  u.  s.  f.  Wald- 


IMMENKAMP  BILDNIS 

müller  ist  durch  ausgezeichnete  Leistungen  vertreten. 
Von  Schwind  sieht  man  außer  einem  Damenbildnis  seine 
»Symphonie«  und  die  Entwürfe  zu  Malereien  im  Wiener 
Opernhause,  Neureuthers  Legende  vom  Pfarrerstöchter- 
lein von  Taubenhain,  von  Steinle  den  tiefsinnigen  Parsival- 
zyklus,  von  G.  v.  Max  sein  fein  weißes  Bild  der  Katha- 
rina Emmerich,  von  Feuerbach  die  »Medea«,  auch  ein 
(freilich  weniger  bedeuten  des)  Selbstbildnis,  von  W.  Busch 
sehr  tüchtige  landschaftliche  und  porträtistische  Studien. 
Dazu  kommen  Gemälde  von  W.  v.  Kaulbach  Bildnis 
Ludwigs  L),  Lindenschmit  (Landschaften),  Dctregger, 
Grützner,  Matthias  Schmid,  Diez,  Löfhz,  Wenglein, 
Strützel,  Stadler,  Menzel  und  vielen  andern.  Mehrere 
Spitzwegs(»BesuchdesI.andesvater«,  »Der Witwer  ,  »Der 
Bettelflötist«,  »Der  Brief  böte«)  gehören  zu  den  Neuerwer- 
bungen, mit  deren  Hilfe  einige  der  am  stärksten  emp- 
fundenen Lücken  der  Sammlung  ausgefüllt  werden.  Diese 
Neuerwerbungen,  zu  denen  sich  auch  zahlreiche  Leih- 
gaben gesellen,  stammen  zum  Teil  aus  der  Residenz  und 
anderen  staatlichen  Gebäuden,  auch  aus  dem  Kunstverein  ; 
ihre  Zahl    belauft   sich    aui    .  Als   besonders 

hervorragende  Stucke  nenne  ich  die  schon  erwähnte 
Friedrichsche  Nebellandschaft,  das  Watzmannbild  von 
L.  Richter,  von  Lenbach  (der  außerdem  mit  besten  Werken 
aucli  aus  seiner  Frühzeit  vertreten  ist,  das  Bildnis  einer 
russischen  Fürstin,  ein  Selbstportrat  von  W.  Busch,  eine 
Siegesfeier  von  Gysis. 

Der  Saal  mit  den  herrlichen  griechischen  Landschalten 
von  Rottmann  weist  —  mit  Kecht '  —  keine  Verände- 
rungen auf.  Immer  wieder  fragt  man  sich  beim  Anblick 
dieser  wunderbaren  Leistungen  der  ^toßen,  stilisierenden 
l.andschaltskunst,  wie  nun  glaubt  es  verantworten  zu 
können,  daß  man  tatenlos  zusieht,  wie  in  den  Hofg.nten- 
arkaden  die  italienischen  Fresken  desselben  Meisters 
jämmerlich  zugrunde  gehen.  —  Zu  allen  diesen  Werken 
deutscher,   vorzugsweise   natürlich   Münchener  Künstler 


236 


DIE  MÜNCHENER  NEUE  PINAKOTHEK 


des  19.  Jahrhunderts  gesellen  sich  solche  aus  dem  Ende 
des  18.  Sie  bilden  die  äußerst  lehrreiche,  künstlerisch 
außerordentlich  bedeutende  Überleitung  von  den  Grund- 
sätzen der  alten  zu  denen  der  neuen  Malerei.  Feinste 
Eindrücke  vermitteln  Edlinger,Graff,Tischbein,  G.F.Meyer, 
Dietrich.  Von  ausländischen  Meisterwerken  verdienen 
Hervorhebung  neben  dem  erwähnten  Courbetschen  solche 
von  Lawrence,  Reynolds,  Meissonier.  Große  Werte  stecken 
in  der  Sammlung  moderner  Franzosen.  Bahnbrechende 
Meister  gehören  dazu,  deren  Bedeutung  bestehen  bleibt, 
wenngleich  ihr  Einfluß  auf  die  deutsche  Kunst  nicht  so 
groß  war,  wie  man  lange  glaubte  annehmen  zu  müssen. 
Von  den  wichtigsten  der  in  der  Neuen  Pinakothek  ver- 
tretenen Künstlern  seien  Corot,  Daumier,  GeMcault,  Dela- 
croix  genannt. 

Gefühl    und    Verstand,    seelische    Empfindung    und 


Wissenschaft  finden  in  der  Anordnung  der  Neuen  Pina- 
kothek gleichermaßen  ihr  Genüge.  Im  Verein  mit  der 
Neuen  Staatsgalerie  bietet  sie  einen  vollständigen 
klaren  Überblick  über  die  Entwicklung  der  modeinen 
deutschen,  vorab,  jedoch  nicht  mehr  mit  ehemaliger  Ein- 
seitigkeit, der  Münchener  Malerei  nebst  lehrreichen  Seiten- 
blicken auf  fremdländische  Kunst.  Sie  tut  es  in  Formen, 
die  zu  beobachten  schon  allein  ein  Genuß  ist,  und  die 
wesentlich  dazu  beitragen,  das  Interesse  an  der  Samm- 
lung zu  fördern  und  ihr  —  ein  Optimist  sagt:  hoffent- 
lich! —  Einfluß  auf  die  Malerei  der  Zukunft  zu  ermög- 
lichen. Durch  die  Neuordnung  ist  ihre  Bedeutung  erat 
recht  ans  Licht  gestellt,  und  den  beiden  Münchner  Samm- 
lungen moderner  Malerei  der  von  mancher  Seite  gern 
bestrittene  Vorrang  auf  lange  Zeit  hinaus  gesichert  worden. 


\Y.  IMMENKAMP 


N        Die  Christliche  Kunst 

7810 

C4B 

Jg.  16 


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