OTariä ^tmmelfatjrt
DIE CHRISTLICHE KUNST
SECHZEHNTER JAHRGANG 1919/1920
F. BRUCKMANN A.G., MÜNCHEN
DIE CHRISTLICHE KUNST
MONATSCHRIFT
FÜR ALLE GEBIETE DER CHRISTLICHEN KUNST
UND DER KUNSTWISSENSCHAFT SOWIE FÜR
DAS GESAMTE KUNSTLEBEN
SECHZEHNTER JAHRGANG 1919/1920
IX VERBINDUNG' MIT DER
DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
HERAUSGEGEBEN VON Dm<
GESELLSCHAFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
GMBH
MÜNCHEN
^
INHALT DES SECHZEHNTEN JAHRGANGES
(Die kleineren Ziffern bezeichnen die Seitenzahlen der •Beilage«)
Abkürzungen hinter den Künstlernamen; Aren. = Architekt; Bildh. == Bildhauer; M. = Maler; Glm. = Glasmaler.
A. LITERARISCHER TEIL
I. GRÖSSERE ABHANDLUNGEN
Brinzinger, Adolf, Historienmaler Bernhard von
Neher 100
Doering, Dr. Oskar, Xav. Dietrichs Hl. Abendmahl
für Straßburg 1
— Josef Maria Becken 173
— Neue Malereien von Matthäus Schiestl 25
— Tagung für Denkmalpflege 64, %
— Der Tiroler Maler Emanuel Raffeiner 137
Fäh, Dr. Ad., Franz Veitinger (1846— 1917) ..... 49
Fastlinger, K , Das Grabmal des Bischofs Mauricio
im Dom zu Burgos. Eine Schmelzarbeit aus
Limoges 37
Feulner, Dr. Adolf, Der Kreuzweg von Januarius
Zick zu St. Ulrich in Augsburg 156
Fuchsenberger, Fritz, Über Kirchenerweiterungen 197
Grienberger, Ritter von, Zierbauten von Hierony-
mus II 14
Handel Mazzetti, Hermann, Die Hungertücher und
ihre historische Entwicklung 190, 210
Heilmeyer, Alex, Ludwig Penz 9
Herbert, M., Etwas von Bäumen 167
Riegel, Dr. Josef, SixtGumpp. Der Meister des Hoch-
zu Breisach und seine Werke 113
Schlecht, Josef, Kiener Josef f 60
Staudhamer, S., Die kirchliche Kunst im Gesetzbuche
der Kunst 220
Steinacker, K , W. Immenkamp
Zils, W., Neue Düsseldorfer Kunst 69
— Ignaz Weiricb 149
II. BERICHTE ÜBER AUSSTEL-
LUNGEN (vergl. auch IV.)
Baden Baden, Ausstellung 191Q. Von Oskar Gehrig 26
— Deutsche Kunstausstellung 1920 66
Berlin, Freie Secess.on Sommer 1919 von Dr. Hans
Schmidkunz 6
— Berliner Secession von Dr. Hans Schmidkunz . 23
— Nationalgalerie in Berlin von Dr. Hans Schmid-
kunz 24
— Kunstausstellung Berlin 1919 von Dr. Hans
Schmidkunz 87, 44
— Feldgraue in Berlin von Dr. Hans Schmidkunz 6»
München, Die Neue Münchener Pinakothek von
Dr. Oskar Doering 231
— Ausstellung 1919 im .Münchener Glaspalast von
Dr. Oskar Doering 2, »
— Ausstellung de > n Künstlerbundes
Münchent von Dr. Oskar Doering 26
— Aquarellausstellung der Münchener Neuen Seces-
sion 58
Wien, Wiener Kunstbrief IT, 21 , m
III. KLEINERE AUFSATZE
Seite
Blum, Erhard Anna, Landshut und Trausnitz .... 129
Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst 53
Doering, Dr. Oskar, Ein Kriegerdenkmal in St.
Eineram zu Regensburg 34
Heibert, M., Der Kremser Schmidt 48
— Michelangelo, der Besiegte 48
— Der Sieger Michelangelo 48
— Der Tod der Michelangelo - . . . . 48
— Lionardo und Rembrandt 148
Müller, M., Grünewalds Isenheimer Altar 124
Schmidt, F., Der Erfurter Dom 133
Staudhamer, S., Zur Anschaffung von Weihnachts-
krippen 1
Steilen, Hngo, Die hl. Kreuzkirche in Augsburg, das
Vorbild der hl. Kreuzkirche in Innsbruck 135
Steiner - Wischenbart, Josef, Das Weihnachtslied
>Stille Nacht« — 100 Jahre alt! 24
IV. VON KUNSTAUSSTELLUNGEN,
SAMMLUNGEN, KUNSTVEREINEN,
MUSEEN
München, Juroren des Jahres 1920 172
— Münchener Kunstausstellung 1920 im Glaspalast 60
— Die neue Staatsealeric SS
— Schirmer-Ausstellung 67
— Ausstellung von Werken der Malerfamilie Zimmer-
mann 67
Nürnbergjanuar— Februar Ausstellung des Albrecht
Dürervereins in der Kunsthalle am Marientor in
Nürnberg 39
Salzburg, Krippenausstellung 85
Stuttgart, Eine Edelmesse lür kirchliche Kunst ... 60
V , Nationale Ausstellung christlicher Kunst 6t
W rhaltung der Kunstsammlung Albertina in
Wien 28
V. KÜNSTLER. WETTBEWERBE
Augsburg, Wettbewerb der Schwäbischen Kreisge-
sellschalt des Bayer. Architekten- und Ingenieur-
Vereins zur Erlangung von Entwürfen zum Neu-
bau eines Bankgcbändcs der Mitteldeutschen
Kreditbank 7
— Wettbewerb für die architektonische Ausbildung
der Kraftstation des neuen Wetuchkanals 19
— Wettbewerb zur Erlangung von Vorschlagen für
die Ausgestaltung des Heldenfriedhofes auf dem
Westfriedhof 2»
— Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen für
die Luitpoldbrücke über die Wcruch nach Pfcrscc 2»
VI
A. LITERARISCHER TEIL
Berlin, Wettbewerbsausschreiben der Berliner Aka-
demie der Künste 60
Bonn, Wettbewerb der 1 leischeKnnung zur Erinn-
ern Entwürfen für eine eiserne Amtskette
:isters 28
G instein, Wettbewerbsausschreiben für die
ibemalung in der katholischen Pfarr- und
Wallfahrtsl rche iS
Ingolstadt, Wettbewerb für ein Deckengemälde in
der katholischen St. Antoniuskirche a, ';i
Kaufbeuren, Wettbewerb für die malerische Aus-
schmückung der Dominikuskirche in Kaufbeuren 47
Kindsbach, Wettbewerbsausschreiben für einKru
in der katholischen Kirche in Kindsbach (B.-A.
Homburg, Pfalz) ''■'
München, Wettbewerb zu einem Denkmal im Ar-
meemuseum s"
Nürnberg, König Li tung für die baye-
rische Landesgewerbeanstalt Nürnberg 60
S i ibehhausen,Wettbewerbsausschreibehfüreinen
öffentlichen Brunnen 65
Schwaben undNeuburg, Wettbewerb zur Erlangung
von Musterentwürfen für Holzbauweise 20
Wien, Wettbewerb für Kleinplastik ' 50
Zusmarshausen, Ergebnis des Wettbewerbs zur Er-
langung von Entwürfen für ein Kriegerdenkmal
in Zusmarshausen bei Augsburg 7
Briefmarkenwettbewerb 6
Wettbewerb für Freimarken der Reichspostverwal-
tung 29
Internationaler Wettbeweib für ein Herz-Jesubild. . . 29, :•■'.<
ätzliches über Wettbewerbe 111
Wettbewerbe 49
VI. MITTEILUNGEN ÜBER
SONSTIGES KUNSTSCHAFFEN
Albrecht, Josef, M 29, 51
Beckert, von Frank, Josef, M 28
Busch, Gg., Prof., Bildh 12
Dietrich, X., M 13
Faller, H., Bildhauerin 13
Gangl, Josef, Bildh 28
( runtermann, Josef, M 39
Harrach, R:, Goldschmied • H
Kau, Gg., M 61, 56
Lechner, K., M U
Nokher, F., M 51
Osten, Johannes, M 28
Pacher, Augustin, M ■ • • 51
Rauecker, B., Prof. 19
Schädler, A., Bildh 51
Schmitt, Balth., Prof, M 51
Schumacher, Ph., M 11
Seitz, | , Goldschmied 15
Thoma, L., M 51
Wagenbrenner, Josef, M 51
Witte, August, Stiftsgoldschmied 62
VII. PERSONALNOTIZEN
Baer, Fritz j , 26
Baumeister, Karl, M 38
, Karl de t 51
Bradl, Jakob f l
Commans, Heinrich f 39
Faßnacht, Joseph, Bildh 56
Huber, .Sebastian, Dr. Prälat f 8
Kaulbach, Fritz August von f 54
Keller, Albert von f 04
Lippay, B. Dominik f 51
Lochner-Hüttenbach, Oskar, Freiherr, Msgre. f . . . 61
Martin, Hans, M 62
Schmidt, Heinrich Freiherr von 41
Schrott, Johannes, Baurat 38
Seidl, Emanuel von f 30
Stummel, Friedr., M 19
Totenliste Wiener Künstler 64
Wiener Totenschau 32
VIII. BESPROCHENE BUCHER
Abele, E., Subregens, Der Dom zu Freising :;2
Beringer, J. A., Wilhelm Trübner 29
Hardegen, Dr. August, Die alte Stiftskirche und
die ehemaligen Klostergebäude in St. Gallen ... s
Heinz, P. üdorich, Gebt uns die Weihnachtskrippe
wieder ! 32
Klose, Lukas, Weihnacht 20
Die Kunst dem Volke . 27 42
Kreitmayer, P. J., Der Kampf um die neue Kunst 56
Lehmann, Dr. Hans, Die Kirche von Jegenstorf und
ihre Glasgemälde 20
Neues niederrheinisches Dorf auf der deutschen
Werkbundausstellung in Köln 1914 8
Rhein sehe Beratungsstelle Anregungen für Grab-
denkmäler für Kriegerehrungen 32
Schreiber, Georg, Dr. Prof., Mutter und Kind in
der Kultur der Kirche 32
Schlecht, Jos., Der Kalender Bayerischer und
Schwabischer Kunst 1920 20, 40
Winkelmann, Dr., W., Edle Einfalt und stille
Große 40
IX. VERSCHIEDENES
Diebstahl der Bronzegruppe »Scherzo« von Prof.
Josef Müllner im Arenbergpark in Wien
Dresslers »Offizielles deutsches Kunsthandbuch«..
Fertigstellung der Kirche zu Berlin-Reinickendoif .
Freskenfund in der alten Wiener Hofburg
Jahresmappe 1919
Kriegerdenkmal für eine steierische Landfeirche . .
Ein Kunstbeirat im deutsch-österreichischen l'nter-
richtsamt •
Künstler-Lexikon
Kunstberaterstelle
LuMissteuer auf die Kunst
Neu aufgetauchter Unfug
Neue Kriegsgedenkzeichen
Rückgabe kirchlicher Kunstwerke an ihre ursprüng-
liche Stätte in Italien
Vandalismus in Wien
Verkauf von Gobelins aus dem Besitze des ehema-
ligen Kaisei hauses in Wien .
Vortrage über Friedhofskunst
Wiener Kunstsammlungen und deutsch-österrei-
chische Kunstschätze im Friedensvertrage von
St. Germain
Wirtschaftliche Stellung des Kunsthandwerkes in
ihrer besonderen Bedeutung für Innenösterreich
und Wien
B. REPRODUKTI«
VII
B. REPRODUKTIONEN
1. KUNSTBEILAGEN:
Becken, Josef Maria, Die Legende vom Maler
unserer lieben Fiau V
— Müde bin ich, geh' zur Ruh VI
Dietrich, F. X., Maria Himmelfahrt 1
Emonds-Alt, Der Heiland III
Huber-Sulzemoos, Nazareth IV
Kau, Georg, Herz-Jesu VII
Roßmann, AI., Die Ruhe auf der Flucht II
Seite
Becker!, |osefMaria,ScJ l.fje alei
— Käst der Hl. Familie bei den allen
rn 174
— Zum »Armen Heinrich! von Hart
v. d. Aue 175
nkopf 170
• 177
— Eisbein 178
;ebel I TU
— Unsere hebe Frau 180
— Unsere liebe Frau 181
— Heimkehr .182
— Heimkehr 1-:!
— St. |oscfs Heimkehr 1-1
— Mm« Verkündigung 185
— Traum. 186
— Weiboachtslied 1 - .
— Trösterin der Bcirühtcn 18«
— Heil der Kranken 1-9
— Stille Menschen 190
— Unserer lieben Frauen Besuch . . . 191
— Chnstgcsckenk 192
— Es ist ein Ros' entsprungen .... 193
— St. Augustin schreibt die Bekenn!
— U In .cht 195
Blum, Hans, Landshui Martinskirche und
Transnitz 132
Corde, Walter, Auferstehung der Toten 95
— Piojekt tür Ausmalung der Abdinghof-
kirche in PaJerborn 96
— Projekt tür die Ausmalung der Abding-
hofk.rche in Pjdcrborn '.17
— Entwurf zur Bem.ilung der Rückwand
der Abdinghoi. ... 98
— Frauenberuf 99
— Der Beruf der Frau 100
— Frauenberuf IUI
— Pieta 102
— Vesperbild 10S
— Der Krieg 101
Dietrich, F. X., De( Bctlehcmitischc
Kindermord 1
— Studie zu Jen Händen Christi ... 2
— Hl. Abendmahl 3
— Haupt Christi 5
— Vorstudien zu einem A.
idien zum Abendmahlsbild II). II 12
— Die Huldigung nige . 13
V., Mosaik: Engel von einem
i Karl, Job! '. '. '. '. '. '. '. '. '. 69
— Krem am Wege 71
— St Georgafensier 72
— Hl. Linker 7:'.
— Christoph Bernhard von Galen ... 71
• Groß«
Faulhahcr,Hans,StuJieei,uslel.l-ranen 126
_ Kl igserinnerungsallar 127
— Studie 138
— Trauerndes Ehepaar 138
— Studie
Friese, M
liehen Kl Hcuthcn . . 66
— Teil eines Glasfensi rs 07
Buber-Feldkirch.
— Prophet Isaias 78
— Prophet Ezcchicl 79
— Die Flucht nach Agvpten und die un-
schuldigen Kinder ' 90
— Jesus am Kreuz 81
— St. Michael .-2
II. ABBILDUNGHN IM TEXT:
Seite
Huber-Fcldkirch. eben
ibe, Holl'nung und I.iebc . . 83
84
. .muck 85 -
— III Mauritius 86
— St. 'Gereon 87
— Engel 88
— Mosaik 1916 89
— Modell eines Teiles der Aula dci Kunst-
gewerbeschnle in Dortmund lull . . 90
, zu einem Deckenbild . . . 91
or 92, 93
— li t 111. drei lv Ige 94
Immenkamp, W., Studienzeichnung . . 228
229
— Der Gelehrte .230
dmahl 231
— B.ldms 232
ift •
•entag im Gebirge 233
— Bildnis 234
— Bildnis 235
— Bildnis 236
Jung-Dorflcr, C, St. Georg 105
Kiencr, Joset, Kapuziner und Kinder . 60
— Betender '.I
rar Schule 62
nstudie 63
— Der Schäfer 64
köpf 65
Küstner, Karl, Rheininsel 172
Leistikow, Walter, Park 171
Muhlbachcr, Josef, |o»eph Mohr ... -'I
Oer, A M. von, Bruder Anton O. S. B.
in Beuron 68
Pen/., Ludwig, Krippenflgurcn .... 1
— Meine Krippe 14
_ Weihnacht 15
15
lieur li'
mit dem Cbristkindle.n , . 16, 17
— Mutterschaft 17
_ Christus am Ölberg
— Gedenkmedaille, Vorder- und
,ei,e
— III. Hubertus 19
19
. . 20
Haffeincr, Eman., Heer der Heers.
" itter 139
— Hl. Antonius . 140
in« und Kind mit ÖI«W1 I . . 141
ld 148
"— Mitteltruppe dei Deckengemälde« m
" Arzl
— Madonna 146
— Cbriitu. am Kreul I 17
— Die Kinder de« Künstler« vor der
Rcsch, W. F. S., Kriegerdenkn
I
Schicstl, Matniut, Wallfahl« . .
-
II, von
Henneberg mit seiner Gemahl
Schiestl, Mathäus, Grüßender Knal
Minnesänger
— Aus dem HochzeitSZOge des Grafen
Wilhelm III. von Henne
— Einnahme von Schloß Mainberg im
Bauernkrieg 1 ; 2 ;
— Wünburg
— Die Geburt Christi
— Die Hl. drei Könige
— l-'ra Angclico
. .
— Der Schwerhörige
— Einsiedler mit geschenkter Statuette . 37
— Heilige Nacht
■ cht im Zillcrtal
tljoi» 10
...derer dl
— Hugeliandacbafl 42
41'.
— Bildnis II
Schilling, Franz, Hl. Helen.. ...... 106
Schreiner, Georg, Kriegerdenkmal . . 131
Schuhmacher, Philipp. Kriegsgcdächt-
nrl.ifel in Mai
Si.\t, Gumi 111
;
— Schrein vom Schulzmanlelaltar im
zu Freiburg ... 117
_ Oberer Teil des Hochaltars in Breisach 11*
rein uud Flügel vom Hoclu
Brei.,..! 119
— III. Felia 121
Vcttiger, Franz, »ei Künstlet ur I
Im . •
. Der Hl. Georg
ristophortu
— Zwei Gruppen von Heiligen .
— Madonna auf dem Thron
— Vierte
sehen Reiter .
— Allcrbei gen . . • 57
III. laurentius .
Wcllicll, IgOaZ, El err-.ini .a
.... . 149
morrelicf für den
IUI »m Kreuz . .
_ Studie zu ein
DO . ■ I
Willibrord,Vcrkade,P.,O.S B , 1
Wlllroidcr, Lud«
Winkler, Georg.
. .
111
Winter. I
Zick, fanu r
VIII
B. REPRODUKTIONEN
Seite
Zick, Januarius, ]esus nimmt das Kreuz
auf sich 158
— Erster Fall unter dem Kreuze ... 159
lesus begegnet seiner Mutter .... 160
— Simon von Cvrene ... ..... 160
— Veronika reicht Jesu das Sehweißtuch 161
— [e«us und die Frauen 162
— Zweiter Fall unter dem Kreuze . . 162
_ Dritter Fall unter dem Kteuze ... 163
_ Jesus wird entkleidet 164
— Jesus wird tu diu Kreuz genagelt . 165
Zick,.Januariu9,
— Kreuzabnahme
_ Jesus wird in
gelegt
Seite
. 166
. 167
. 168
Illustrationen
zu kunsthistorischen Aufsätzen:
Fastlinger, K., Da:
M
46, 47
Burgo
Grienberger, Ritter von, Zum Artikel
.. Zierbauten in Neustift 22, 23
Fuchsenberger, Fritz, Zum Artikel Kir-
chenerweiterungen 198 199, 200, 201,
202, 203. 204, 205, 200, 207, 208,
209, 210,211,212, 213, 214, 215,
216, 217, 218, 219. 220, 221. 222,
223, 224, 225 326, 227
Schmidt, F., Der Eriurter Dom .... 133
Steffen, Hugo, Grundriß der Hl. Kreuz-
kirche zu Augsburg 134
_ Grundriß der Hl. Kreuzkirche zu Inns-
bruck 135
Nachbildung oder sonstige Verwertung der hier veröffentlichen Kunstwerke ist nicht gestattet.
XAVER DIETRICH
I ISCHE KISUEKMOKI)
XAVER DIETRICHS HL. ABENDMAHL FÜR STRASSBURG
(.Vgl. Abb. S. 2—12)
\/aver Dietrichs Schaffen ist in der »Christ-
** liehen Kunst« bereits gewürdigt worden.
Er ist der Künstler, der die auf dem an der
Spitze dieses Heftes farbig wiedergegebene
Himmelfahrt Maria für die Kirche von Neu-
stift bei Freising geschaffen hat.1) Sein neue-
stes Werk ist ein hl. Abendmahl. Das Bild ist
bestimmt, den Hochaltar der St. Magdalencn-
kirche zu Straßburg im Elsaß zu schmücken.
Die alte Magdalenenkirche ist im August 1904
ein Raub der Flammen geworden, wobei u. a.
auch die Malereien Martin von Feuersteins mit
zugrunde gingen. Das jetzige stattliche Bau-
werk ist in modernem Renaissancestil gehalten ;
besonders reich ist der Chor, der mit einer
kassettierten Halbkuppel eingewölbt ist und
durch große farbige Fenster ausgiebiges, dabei
') »Die Christliche Kunst«, XIII. |.ihrg., S. 1 s6 — 168) ;
VIII. Jahrg., S. 121 — 141 ; XI. Jahrg. S. 229 — 245, u. 3.
a. O. — Das farbige Blatt ist nach dem Vorentwurfe
hergestellt.
leicht gedämpftes Licht erhält. Der Altar ist
in schöner, mit ruhiger Linie gezeichneter
Architektur ausgeführt, der obere Teil mit
geschnitzten Blumengehängen geziert; die
Hauptfarbe seines gebeizten Holzes ist grün,
vergoldete Linien und Füllungen geben dem
Altare einen festlichen Charakter. Die für das
Altarbild ausgesparte, oben halbrunde Fläche
bietet einen Raum von 4,50 m Höhe und
2,50 m Breite. Der Auftrag zu dem Gemälde
wurde X. Dietrich schon 19 12 erteilt. Es war
die Aufgabe des Künstlers, ein Werk zu schaffen,
das sich in Stil und Auffassung der beschrie-
benen Umgebung anpaßte und im Gesamtbilde
der Kirche eine volltönige, auch für den 1 eru
blick standhaltende Wirkung ausübte. Als Ge-
genstand der Darstellung war die Einsetzung
des hl. Altarssakramentes gegeben.
Der hl. Vorgang ist in großartigen Linien,
mit mächtigen Akzenten glühender I
mit gewaltiger Tiefe der Charakteristik, mit
Die christliche Kumt. XVI. i. i iktol^r
XAVER DIETRICHS HL. ABENDMAHL FÜR STRASSBURG
monumentaler Vereinfachung gegeben. Jeg-
liches irgend entbehrliche Beiwerk fehlt. Die
Bildfläche gliedert sich in zwei Teile, von
denen der Himmel den oberen, die Gruppe
der Personen den unteren Teil einnimmt,
wobei gleichzeitig oben kalte, unten warme
Tönung vorherrscht. Die Örtlichkeit ist nur
im größten Zuge, aber dennoch für das Ver-
ständnis des Beschauers vollkommen aus-
reichend angedeutet. Auf einer Plattform, zu
der ein paar Stufen emporführen, befinden
sich die bei der Tafel versammelten Personen;
eine einzige mächtige Säule dient zur Cha-
rakterisierung einer stolzen Halle. Der Aus-
blick in die Landschaft ist durch die Personen
XAVER DIETRICH
STUDIE ZU DEN HÄNDEN CHRISTI
Sti/tzeiclmung. (Ygl. Abb. S. 3)
verdeckt, man sieht vom Hintergrunde nichts
als den tiefblauen Himmel, an dem leichte
weiße Wolken sich mit dem Rot der Abend-
sonne zart zu färben beginnen. Die Gruppe
der Figuren hat ihre Basis an den großen, quer
über das Bild laufenden Linien der Stufen, die
mit einem zwanglos darübergebreiteten dunkel-
blauen Teppich belegt sind; rechts (vom Bilde
aus gerechnet) fließt über sie der rote Mantel
des hl. Johannes hernieder. Die Gruppe ge-
winnt festen Halt durch den nur teilweise
sichtbaren, mit einem weißen Tuche bedeckten
Tisch. An dessen linker Schmalseite, aus der
Mittelachse des Bildes etwas nach links heraus-
gerückt, steht Jesus aufrecht; er ist von vorn
gesehen, der Oberkörper
leicht nach rechts ge-
beugt. Der von einem in
perspektivischer Verkür-
zung gezeichneten blauen
Strahlennimbus umge-
bene Kopf neigt sich ein
wen ig rückwärts, wodurch
die Halsmuskulatur stark
hervortritt, und wendet
sich derart nach rechts,
daß das Gesicht fast ganz
im Profil erscheint. Mit
der rechten Hand erhebt
der Heiland die strah-
lende, mit einem roten
Kreuze bezeichnete Ho-
stie, in der herabhängen-
den Linken hält er den
großen goldenen Kelch.
Zur Rechten des Herrn
gruppieren sich am Tische
sitzend oder stehend neun
Apostel; zu ihnen gehört
der ganz rechts ange-
brachte Verräter; hinter
und neben Jesus stehen
die übrigen drei. Beide
Figurenmassen zeigen
dichte Geschlossenheit.
Vor Jesus kniet der Lieb-
lingsjünger; er neigt das
Haupt, als spräche er:
»Herr, ich bin nicht wür-
dig«. Dasim Halbschatten
liegende Antlitz ist im
Profil gegeben; die Arme
hält Johannes wie in Ver-
zückung gegen den Er-
löserausgebreitet. Voll in-
nerlichster, lebendigster,
überzeugend geschilder-
ter Empfindung nehmen
XAVER DIETRICHS HL. ABENDMAHL FÜR STRASSBURG
die Apostel teil, in tiefster Andacht lauschen
sie den Worten ihres göttlichen Herrn und
Meisters. Mit dramatischer Kraft, die durch
künstlerischen Takt äußerlich in Schranken
gehalten und auf die psychologische An-
deutung beschränkt wird, äußert sich ihr
Gefühl, keine Bewegung ist überflüssig oder
gar theatralisch. Die große Stilisierung, die
in der mächtigen Zeichnung des Faltenwurfes
der Gewänder eines ihrer Ausdrucksmittel
findet, erinnert doch in keiner Linie an
jenen leeren Schematismus, der viele andere
Werke der kirchlichen Malerei wie Plastik
so uninteressant macht. Verinnerlichung ist
einer der besten Vorzüge dieses Bildes. Da-
bei verfällt es nicht etwa ins Sentimentale,
Scheinbarfromme; bei aller Pracht und Schön-
heit des Ganzen wie der Einzelheiten ist es
durch und durch echt, voll herber Gegensätze.
Einer derstärksten, der entscheidende in diesem
Werke überhaupt, ist der zwischen dem Ant-
litze Christi und den Gesichtern der Apostel.
Männer des einfachen Volkes sind die letzteren,
ihre Züge, ihre Hände hart und derb, aber sie
sind vergeistigt, veredelt durch den Umgang
mit Jesus und durch die Ahnung dessen, was
sein Leben, sein Wort, sein Wille ihnen schenkt
und bescheidet. In den bleichen Gesichtern und
den eingesunkenen, vom Wachen geröteten
Augen des einen von ihnen spricht sich aske-
tisches Streben und Ringen aus. Die beiden
äußersten Gegensätze in diesen Menschen-
naturen bilden der in tiefster Frömmigkeit
und Demut aufgehende Johannes, des Gott-
menschen erster priesterlicher Nachfolger auf
Erden, und Judas, dessen Charakter vom
Künstler mit rücksichtsloser Kraft und doch
ohne Übertreibung geschildert ist.
Im innerlichsten Gegensatz zu all diesen
Menschen steht der Herr. Der Künstler ist
darauf ausgegangen, Christi göttliche Natur
stärker zur Geltung zu bringen als die mensch-
liche, eine Auffassung, der man angesichts des
zu schildernden Vorganges nur recht geben
kann. Haltung und Ausdruck verkünden den
überirdischen Lehrer, den Wundertäter, den
zur Erde herniedergestiegenen Gottessohn, der
das ihm bestimmte Leiden vorher kennt und
bereit ist, es auf sich zu nehmen, den Erlöser,
der den Menschen seine Gegenwart im heilig-
sten Sakramente verbürgt. Einen ganz neuen
Christustyp hat X. Dietrich geschaffen. Man
könnte in diesem blassen Antlitze mit den tief-
liegenden Augen einen Anklang an Greco
finden, doch fehlt hier jener Zug von Über-
spannung, der den Gestalten des alten Künst-
lers so oft eigen ist, ihnen etwas unserem
Empfinden Fremdes gibt, das ein innerliches
Verhältnis des unbefangenen Beschauers zum
Bilde erschv/ert. Beim Dietrichschen Christus
ist gerade das Gegenteil der Fall. Er packt das
Gemüt vom ersten Augenblicke an, läßt es
nicht wieder los, prägt sich ihm ein. und wirkt
je länger je stärker als Verbildlichung der Vor-
stellung, die wir von der Erscheinung Jesu
selbst gehegt zu haben glauben, löst uns von
der Äußerlichkeit und Leere, in welche die
Nachfolgerschaft der Renaissance wie jene des
Nazarenismus mit ihrem Christustyp geraten
ist. Es gibt Echtheit und Kraft der Hoheit
und Verklärung im Sinne modernen Empfin-
dens, und hält doch die Überzeugung leben-
dig, daß diese Auflassung von keiner Zeit ab-
hängig, nicht neu entstanden sei, was sie
doch in Wirklichkeit ist, daß sie vielmehr
schon immer existiert habe und ihre Wahr-
heit in jeder Zukunft behaupten müsse. Diese
Eigenschaft des Dietrichschen Christus erkläit
aber, warum ersieh, wie Beobachtung gelehrt
hat, auch einfachen Gemütern ohne weiteres
zugänglich und begreiflich macht, und weist
ihm eine Bedeutung zu, die im höchsten
Grade, im eigentlichen Verstände künstlerisch
zu nennen ist. Indem diese Verkörperung
Christi sich mit derjenigen der Apostel zu
natürlicher, reicher Harmonie vereinigt, dehnt
sich jene Bedeutung auf das Bild in seiner
Gesamtheit aus.
Reich und prachtvoll ist die Farbenwirkung.
Von der Massenverteilung des Warm und Kalt
war schon die Rede. Mit feinem Takte und
kompositioneller Sicherheit ist die oberste
Partie des Bildes (der Himmel) und der unterste
(die Stufen) durch tiefes leuchtendes Blau in
Verwandtschaft gebracht und so für das Ganze
beiderseits einheitlicher fester Abschluß ge-
schaffen. Während nun oben größere Zartheit
herrscht, entfaltet sich unten gewaltige Kraft.
Sie kommt besonders in dem leuchtenden Rot
der Masse des Mantels des hl. Johannes zum
Durchbruch. Christus ist in ein ganz hellblaues
Untergewand gekleidet, über das sich ein
violetter Mantel legt. Die Wärme und Kälte
der Töne, die hier zusammentreffen, hilft die
zwiefache Natur des Gottmenschen in geist-
reicher Art versinnbildlichen. Helle Färbung
an einzelnen Apostelgewändern bringt Leben
in das Bild. Für das Tischtuch ist hellstes Weiß
gewählt. Es vervollständigt in einer Art, die
sonst von Modernen selten gewagt wird,
während sie bei den Alten häufig ist, das
Farbenkonzert und verleiht dem Gemälde
außerordentliche Leuchtkraft. Alle diese Farben
sind mit den grünlichen, bläulichen, rosigen
Reflexen der Abendbeleuchtung durchwoben.
Sie spiegeln sich auf dem großstilisierten Falten-
Sti/Iitiektami
KK II
HAI IM i H
XAVER DIETRICHS HL. ABENDMAHL FÜR STRASSBURG
XAVER DIETRICH
VORSTUDIE ZU EINEM APOSTEL
wuri der Gewänder und verhelfen ihm zu
plastischer Wirkung, sie spielen auf den Händen
und Gesichtern. Besonders dasjenige des er-
wähnten Asketen, vor allem aber das fast
leichenhaft fahle Antlitz Christi erhalten durch
diese Reflexe etwas Durchsichtiges, das der
Charakterisierung ungemein förderlich ist.
Mit großer Kunst ist das bleiche Haupt gegen
den Hintergrund weißen Gewölkes gesetzt,
von dem es sich doch vollkommen loslöst,
seine Körperhaftigkeit unangefochten behaup-
tet. Dieser Gegensatz gegen die Luft, wie
auch die Überleitung der Gestalten in sie, ist
vorzüglich gelungen. Wesentlich gefördert
wird die Wirkung der Farben durch die An-
wendung eines Bindemittels, das der Münchner
Maler Bernhard Otterpohl erfunden hat. In
seiner chemischen Beschaffenheit kommt es
dem von den Alten angewandten nahe, wenn
es nicht ihm gleich ist, verleiht den Farben
Tiefe, Geschmeidigkeit und Durchsichtigkeit
und verhindert sie am Reißen.
Dem Werke im ganzen wie jedem seiner
Teile sieht man die Liebe und Sorgfalt des
Malers an. Nicht in Hast und Übereilung ist
es entstanden, sondern es ist die Frucht jahre-
langer Mühe und geduldiger Vorbereitung.
Dreimal ist der Plan vollständig geändert
worden, nachdem die Lösungen den Absichten
des Künstlers nicht genügten. Die Architektur,
XAVER DIETRICHS HL. ABENDMAHL FÜR STRASSBURC,
«11
1
/
\AVEK DIETRICH
'
Sti/Itruhnung
die Gruppierung und Stellung der Personen,
die Anordnung der Farben waren bei den
ersten Entwürfen völlig anders. Als die end-
gültige Lösung gefunden war, hat Dietrich
nicht nur jede einzelne Figur, vor allem die
des Heilandes, sondern auch alle wichtigen
Einzelteile der Gewander, die Kopie, die so
äußerst charakteristischen Hände auls ge-
naueste zeichnerisch vorbereitet. Es bietet
großes Interesse, diese Vorstudien kennen zu
lernen. Sie enthalten eine Fülle von Fein-
heiten und kennzeichnen diesen Künstler
in seiner Gewissenhaftigkeit, seiner I
zügigkeit, seiner Zielbewußtheit (Abb S. 2,
6—12).
D.i. Dietrichsche Abendmahlsbild läßt in
seiner Anlage und seiner Farbe Erinnerungen
an Tizian, Rubens, die grolien Spaniel
kommen, steht also auf dem Boden der I
tion, und ist doch das äußerlich wie innerlich
ureigene, tiefernste, andachtsvoll feierliche
mentalwerk eines im besten Sinne neu-
zeitlichen Malers, eines der wenigen, welche
auf eigenen Wegen EU gehen beginnen und
der christlichen Kunst unserer Zeit hohen
Autschwung verheißen. Docting
PRÄLAT DR. SEBASTIAN HUBER
' <y%ji
J
;%
■
H?^
XAVER DIETRICH
VORSTUDIE ZU EINEM APOSTEL
PRÄLAT DR. SEBASTIAN HUBER f
Wenige Monate nach dem Heimgang des
Abtes Prälat Gregor Danner hat die Deut-
sche Gesellschaft für christliche Kunst neuer-
dings das Ableben eines hochverdienten Mit-
gliedes zu verzeichnen. Am 10. August verschied
Generalvikar Prälat Dr. Sebastian Huber
in München. Ein Mann von gründlicher theo-
logischer und philosophischer Bildung, ein
Mann des Wissens und der Praxis, für alles
Edle eingenommen, war er auch ein warmer
Förderer der christlichen Kunst. In den langen
Jahren seiner gesegneten Lehrtätigkeit am Ly-
zeum zu Freising ließ er sich angelegen sein,
die angehenden Theologen in die Kenntnis der
Kunst einzuführen. Aus dieser seiner Wirk-
samkeit heraus verfaßte er einen »Abriß der
Kunstgeschichte«. Die Sammlung, Erhaltung
und Ordnung der Kunstdenkmäler Freisings
betrieb er mit bestem Erfolge. Der Deutschen
Gesellschaft für christliche Kunst war er herz-
lich zugetan und noch in den Jahren seines
Freisinger Aufenthaltes wirkte er in drei Wahl-
perioden als Juror mit, die Reisen nach München
nicht scheuend. 19 14 als Domdekan nach
München berufen, trat er noch im gleichen
Jahr in die Vorstandschaft der Deutschen Ge-
sellschaft für christliche Kunst ein, wo seine
warmherzige und ruhige Mitwirkung dank-
LUDWIG PI-NZ
XAVER DIETKICH
t POSTEL
bare Würdigung fand. Eben sollte unter seiner
Führung in der Erzdiözese München-Freising
eine frische Werbetätigkeit für die Gesellschaft
einsetzen, als eine schwere Krankheit, die ihn
nicht mehr verließ, seinem Wirken ein allzu-
frühes Ende machte. Schmerzlich empfindet
die Gesellschaft den herben Verlust.
S. Staudhamer
LUDWIG PENZ
(Vgl. Abb. S. 14— 21)
Fernab von dem Getriebe der Welt in der
ländlichen Stille des Tiroler Bergstädtchens
Schwaz am Inn lebte Ludwig Penz, ein Tiroler
Bildschnitzer. Schon als Knabe, als er noch
im Stubai Rinder und Schafe hütete, versuchte
er sich in der Nachahmung derselben und
schnitzte mit dem Taschenmesser kleine Figur-
chen und Tiere. So übte er früh Beobach-
tungsgabe, Nachahmungstrieb und technische
keit und schulte Auge und Hand. Alle
Hirtenjungen, die die Kunstgeschichte nennt,
.ms Defregger und Segantini, haben
gefangen. Langsam und allmählich wie
eine werdende Welt ging ihm das Verständ-
nis für die Aufgaben der Kunst auf und wuchs
er im Umgange mit seinen geliebten alten
Tiroler Bildschnitzern in sie hinein. Holz war
Die christliche Kumt. XVI
LUDWIG PENZ
XAVER DIETRICH
Sti ftztichnutigeii
VORSTUDIEN ZUM ABENDMAIILSlill.DE
dasjenige Material, das sich für seine plastisch-
malerische Vorstellung am bildsamsten erwies.
Diese Art Plastik hat ihre Vorläufer schon
im Barock und Rokoko. Penz führte diese
Traditionen unbewußt weiter, indem er zwar
ein Kenner und Bewunderer von Knoller und
seiner Schule war, sich aber hütete, im Sinne
einer direkten Stilnachahmung in den Fuß-
tapfen der alten Meister zu gehen. Er schuf
sich vielmehr aus seiner malerischen Anschau-
ung der Form heraus seinen eigenen Stil,
der durchaus ein Produkt seiner malerischen
Formgestaltung und seiner eigenen Art, das
Schnitzmesser zu führen, war. Diese eigen-
artige Linien- und Kurvenwelt, mit vom Lichte
getroffenen Flächen und Buckeln, Rillen und
Rinnen, in denen weiche Schatten spielen,
läßt das Auge wie über von Licht und Schatten
umwogte Höhen und Tiefen hinwandern.
Der Blick, dadurch aufs lebhafteste angeregt,
gleitet an diesen Linien und Kurven dahin
und liest so Form um Form gleichsam ab.
Solch eine Gestaltungsweise hat viel Ähn-
lichkeit mit der Griffelkunst. Sie erinnert leb-
haft an Rembrandtsche Radierungen, wo vom
Lichte getroffene Formen aus dem Helldunkel
heraustauchen. Und wie dieses Helldunkel
einen mystischen Untergrund hat, so auch
das Naturgefühl und die Naturanschauung
dieses Bildschnitzers.
LUDWIG PEN/
Damit ist auch schon gesagt, daß es sich
hier nicht um eine bloß handwerksmäßig aus-
geübte Kunst handelt, bei der das Material-
empfinden das Wesentliche und der Effekt
schon erreicht ist, wenn ein Ding nur recht
hölzern aussieht. Das Holz war diesem Bild-
schnitzer allemal nur das Material, seinem
Empfinden und seiner eigentümlichen An-
schauung einen ihm gemäßen Ausdruck zu
geben. Wohl regte die Materie seinen Form-
und Gestaltungstrieb an, gab ihm eine gewisse
Richtung auf das Gestaltungsmäßige. Wunder
voll illustriert das die Anekdote des Künst-
lers: »Am Ofen sitzend und ein Scheit in der
Hand, strich ich mit den Händen darüber,
streichelte und liebkoste es und das Bild einer
Mutter, die ihr Wickelkind streichelt, stand
mit einem Male lebendig vor mir.«
Auch das Hineinsehen bestimmter Gestalten
ins Holz lag in diesem Vermögen der Be
seelung und Formung der Materie. Aber doch
nur, weil ein schöpferischer Geist im Künstler
lebendig war. So beseelte er die Natur in all
ihren Erscheinungen. WiederTroubadour der
Gottesminne jegliche Kreatur mit aller Liebe
umfaßte und Fischen und Vögeln predigte, so
ergriff auch der Eros des Künstlers die Natur
und gestaltete sie lauter und einfältiglich. Alle
wahre Kunst kommt aus dem Heizen. Ein
edler Schwärmer, konnte man sich unseren
Bildschnitzer wie den Heiligen unter den
Tieren des Waldes und unter den Lämmern
auf der Weide denken. Nur aus so inniger
Einfühlung in die Kreatur konnten Werke
entstehen, wie die rührend schöne Gruppe des
Mutterschafes mit dem Jungen (Abb. S. 17).
XAVER DU
Xu dm Fiißtn Chriili und drs hl. Jckarnnri. — Sti/ttticknungtn
LUDWIG PENZ
XAVER DIETRICH
Stundenlang konnte er im Grase liegen und
mit ehrfürchtigem Erstaunen die Kleinwelt
da unten betrachten. Im Walde sah er leib-
haftig Erscheinungen, die ihm die Vision des
heiligen Hubertus eingaben (Abb. S. 19). Und
aus dieser Welt der Romantik erwuchsen auch
Vorstellungen, wie sie in seine Krippendar-
stellungen hineinspielen.
Nur ein Sohn des Volkes mit einer alten
Tradition konnte darin noch Neues und Origi-
nelles schaffen. Man fühlt in seinen Schöp-
fungen wie in den alten Krippendarstellungen
die Kirchweihfreude des süßen Wunders, wie
sie sich auch in alten Krippenliedern ausspricht:
»Da öffnet sich gachlings das himmlische Tor,
Da wumelen die Engelen ganz haufenweis
hervor,
Die Bubelen, die Madelen,
Die machen Burzigagelen,
Bald aui, bald oi, bald hin und bald her,
Bald unterschi, bald überschi, dös freut uns
umso mehr.«
Der Beschauer wird aufs innigste angezogen
und mit in die Welt der Krippendarstellungen
hinein versetzt. Er erlebt alle Phasen der Emp-
findungen: Ehrfurcht,
Erstaunen, Bewunde-
rung, naive Freude und
Humor. Realistisch in
der Behandlung einzel-
ner Details, webt und
schwebt darüber doch
der Hauch urwüchsiger
Poesie (Abb. S. 14 — 17).
Sie wirken in ihrer
Unmittelbarkeit, Wärme
und Frische wie ein Ge-
legenheitsgedicht.
Klein im Maßstab, er-
schein tseineKleinplastik
doch groß in der Form.
Penz vereinte in seiner
Kunst das scharfe, ge-
naue Gesicht für Maße
und Verhältnisse mit
dem zarten Duft und
Hauch malerischen Emp-
findens und Schauens.
Seine Holzschnitzereien
sind in Wirklichkeit poe-
tische Impressionen.
Von Jugend auf in
dem Gefühlskreis und
in der Vorstellungswelt
religiöser Kunst lebend,
wäre er auch imstande
gewesen, derkirchlichen
Kunst neue Werte zuzuführen. Leider war es
ihm nicht mehr vergönnt, seine Kunst an
größeren Aufgaben zu entfalten. Sie fielen
ihm nur spärlich zu. Wo er aber solche zu
lösen hatte, brachte er immer Neues und Ori-
ginales hervor. Eines seiner schönsten Werke
besitzt das Franziskanerkloster in Schwaz,
einen Christus am Ölberg (Abb. S. 18), und
ein Haus in Bozen, eine Madonna als Hausbild
(Abb. S. 20). Man kann beide Werke nicht ohne
innere Bewegung betrachten ; sie stehen beide,
äußerlich wieformal besehen, fern allerKonven-
tion und sind der Empfindung nach doch voll
edelster Konvention christlicher Kunst. Penz
dachte immer daran, etwas ganz Großes zu
schaffen. Sein letztes Ziel, der Gipfel seiner
Wünsche, war die Schöpfung eines Gesamt-
kunstwerkes von Architektur, Plastik und Ma-
lerei, wie es ihm eben nur eine große Aufgabe
der kirchlichen Kunst bieten konnte. Der Ge-
danke des Ausbaues einer Kapelle im Dom zu
Brixen, den ihm der dortige Bischof nahe gelegt
hatte, verließ ihn nicht mehr. Er erfüllte sein
ganzes Sinnen und Denken. AlleSchätze desLan-
des, seine Hölzer, seine Erze, sein Silber, sein
Marmor sollten dazu dienen. Die Glasfenster
VORSTUDIE ZUM ABEKDMA1ILSBILD
>>
1 1
LUDWIG PENZ - ZIERBAUTEN IN NEUSTIFT BEI BRIXEN
LUDWIG PENZ
Ttxt S. 12
wollte er selbst malen, die Gewölbe und Wände
mit Mosaikbildern schmücken, den Altar aus
Tiroler Marmor errichten und eine Pietä von Erz
daraufstellen, dazu kostbares Geräte aus Gold
und Silber. All sein Können und alle Zeit seines
Lebens wollte er daran setzen, dem heiligen
Land Tirol eine Gnadenkapelle zu bauen, die
das Allerschönste darstellen sollte, was moderne
Kunst vermöchte. Dieser kühne Traum seines
Lebens sollte sich nicht erfüllen. Es kam nur
zu Vorprojekten und Entwürfen. Die tückische
Grippe raffte Ludwig Penz im
Sommer 191 8 jäh hinweg. Er
hat das Land seiner künstleri-
schen Verheißung nicht mehr
betreten, er konnte es nur
mehr von ferne schauen. Das
Andenken an den prächtigen
Menschen und edlen Künstler
wird all denen teuer sein, die
ihn gekannt und geschätzt
haben. Alexander Heilmeyer
ZIERBAUTEN
von Hieron ym us IL, Prälat von
Neustift bei Brixen a. E. in Tirol
(Abb. S. 22 und 25)
F^ie Kunst verdankt der
*-^ Geistlichkeit ein Großteil
ihres Ruhmes.
Welch herrliche Schöpfun-
gen sind zufolge des feingebil- ludwig penz
deten Kunstsinnes der
Päpste entstanden; was
alles förderten Priester in
geringerer Stellung auf
profanem oder kirchli-
chem Gebiete!
Zu allen Zeiten gab es
Diener der Kirche, denen
der Kunstgeschmack als
Geschenk in die Wiege
gelegt wurde, welche
Gabe sie in der Folge
glänzend zu rechtferti-
gen wußten. Zu solchen
zählte der Prälat Hiero-
nymus II. von Neustift,
von dessen Wirken hier
die Rede sein soll.
Die Baukunst gibt uns
an Hochbauten die herr-
lichsten Beispiele profa-
ner wie liturgischer Rich-
tung, in ihr schenkte
man aber auch Klein-
bauten durchwegs die
größte Aufmerksamkeit.
Diese Tatsache können wir jederzeit be-
stätigt finden und solche beachtenswerte
Kleinbauten vom Ende des 17. Jahrhunderts
sind es, die wir hier nachstehend besprechen
wollen.
In dem schönen Garten des Konventes
des nahe bei Brixen gelegenen Augustiner-
Chorherrenstiftes Neustift in Tirol findet sich
ein Lusthäuschen geschichtlich interessanter
Vergangenheit vor. (Abb. S. 22.)
Von ferne aber schon bemerkt ein fach-
KLEINK KRIPPE
KRIPPENFIGUREN
ZIERBAl'TEN IN NEUSTIFT BEI BRIXEN
'5
l.l'DWIG PENZ
V EIHN'AI H
männisch geübtes Auge, daß an dem Bau-
werke eine Veränderung vorgenommen wurde,
weil dasselbe einerseits eine Unvollständigkeit
in seiner gegenwärtigen Konzeption erkennen
läßt, während sich anderseits einzelne Bauteile
ohne gegenwärtig konstruktive Bedeutung
erhalten haben. So fällt uns
dieser Bau als Stückwerk so-
gleich unangenehm berüh-
rend auf.
Das Lusthäuschen besteht
in der uns entgegentretenden
Form aus einem zweigeschos-
sigen Auf- und einem durch
Stufen erhöhten Portalvor-
bau. An letzterem befindet
sich in der Giebelfüllung eine
Steintafel mit einem von einer
Mitra gekrönten Wappen, da-
neben sich die Buchstaben
H P links und rechts ver-
teilt und die Jahreszahl 1667
befinden.
Das Wappen zeigt ein mit einem latei-
nischen Kreuz belegtes Buchenblatt und findet
sich dergestalt auf der Wappentafel dei !
laten des Stiftes wieder und /war bei Hiero-
nvmus II. von Rotten puecher.
An letzterem ersieht man das Kreuz silbern
auf dem Buchenblatt
ter Tinktur.
Darauserhellt, daß der Prä
lat von Rottenpuecher mit
dem Bauwerke in Verbin düng
steht und wären wir noch in
Zweifel, so müßten uns die
Buchstaben II u P eines lies
sern belehren, denn ci
bezieht sich unleugbar auf
Hieronvmus wie letzteres
aul »PräpOsitUS der Vorge-
setzte < oder auch »PralatUSc.
I lieronymus v. Rottenpue
eher stand dem Stilte von
[66 j Prälat Hiero-
weihnachi nymus II. vor.
ZIERBAUTEN IN NEUSTIFT BEI BR1XEN
LUDWIG I'EXX.
MARIA MIT DEM CHRISTK(NDLEIN
Diese für Neustift hervorragende Persön-
lichkeit lernen wir an seinem Grabsteine, im
Kreuzgange des Stiftes befindlich, auch seinem
Aussehen nach kennen.
Darauf zeigt sich uns Hieronymus II. mit an-
genehm ansprechenden Zügen, aus denen Kraft
und Geist leuchten, sowie doch wieder aus dem
stark bebarteten Antlitze güt'ge Milde sieht.
All diesen dem Steinbilde abzulesenden
edlen Eigenschaften des Verewigten treten,
dessen Sinn und dessen tiefes Gefühl für das
Schöne erhärtend, die Handlungen und Unter-
nehmungen auf dem Gebiete der Kunst während
seiner Regierungszeit im Stifte hinzu.
Kaum war er in Amt und Würde gelangt, wur-
den im Garten des Konvents zwei Marmorbrun-
nen und einePiscina errichtet, über welch letztere
geschichtlicheBelege vorliegen. Diesesind unter
Hieronymus II. in dem Kodex Nr. 931 der Inns-
brucker Universitäts-Bibliothek zu finden. Die
betreffende Stelle lautet »Epitome de gestis
Praelatorum Neocellensium et rebus memorabi-
libus a Quinque cum Dimidio Saeculis conscrip-
tum 1693 — in horto conventuali blande mur-
murantiumatquesaltantium aquarum thermam
etgrottamcumpiscinaetediametrofontemcum
marmoreis duabus conchis fieri indulsit. Ob sae-
pesaepius frigus aquarum septis piscina mox
derserta et sola aestivalis domuncula stare per-
missa et botorum sirmate circum amicta est«1).
■) Siehe Note 3 auf Seite 22.
Es ist somit von einem Häuschen die Rede,
das ein Fischbehälter war und das wegen der
gar zu häufigen Kälte des Wassers, darin die
Fische nicht gedeihen mochten, abgebrochen
wurde. Man ließ den Teich aus und pflanzte,
nachdem die Umfriedung beseitigt und das
Dach entfernt worden war, einen Kranz von
Reben um das Lusthäuschen, wie ein solcher
heute noch dasselbe als Zentralbergel umgibt.
Diese Kunde, die uns als ziemlich gewalt-
samer Eingriff erscheint, dürfte vollkommen
aut Wahrheit beruhen, denn ein Steinstich-
bild von der Hand des Chorherren Ingenuins
Kaufmann, in der Bibliothek des Stiftes be-
findlich und aus dem ersten Viertel des neun-
zehnten Jahrhundertes stammend, zeigt uns
die Piscina genau in der oben beschriebenen
Form, dabei auch die Reben nicht vergessen
sind, die sich über das dem Vorbau nachge-
ahmte Holzgerüste hinziehen. Anderseits ver-
gewissert uns auch ein Modell des Stiftes, ver-
mutlich aus der Zeit um 181 6, der Wieder-
errichtung nach der Aufhebung desselben durch
die Bayern darüber, daß die Piscina bis auf
das doppelstöckige Lusthäuschen zur genann-
ten Zeit bereits abgebrochen war. Der einzigen
uns bisher bekanntgewordenen Jahreszahl nach
würde das Bauwerk aus demjahre 1 667stammen,
wogegen jedoch der Gesamteindruck spricht,
welcher das Bauwerk in eine frühere Zeit ver-
setzt; denn schon der spitze Helm als mäch-
tige Bedeckung gibt dem Ganzen einen früheren
Charakterzug.
Nun fand sich in der Bibliothek des Stiftes
eine Orientierungstafel (Kataster), eine feinstens
LUDWIG PEN'Z
KKIl'I'ENHGUR
ZIERBAUTEN IN NEUSTIFT BEI BRIXEN
I i l>\\ IG PENZ
MARIA MIT DEM CHRISTKINDLEIN
mit Deckfarben bemalte Federzeichnung au!
Papier und Leinen autgezogen, mit dem Plane
der Liegenschaften des Klosters und der
weiteren Umgebung in Vogelschau darstellt,
aus dem Jahre 1666 vor.
Auf diesem Bilde ist auf gleicher Stelle des
Gartens einSommerhaus eingezeichnet, welches
sich als ein ebenerdiger, einfacher Bau dar-
stellt, daran von einem Vorbau, einer Piscina,
nichts zu sehen ist.
Säulen tragen ein mächtiges, von roten
Ziegeln eingedecktes Pyramiden-
dach,siestützen sichaufeine starke,
vieleckige Brüstung, die Umfrie-
dung des Sommerhauses.
Was des genannten Baues Zeit-
bestimmung anbelangt, so gehen
wir nicht fehl, wenn wir die Bau
zeit um 1600 suchen. So war
denn schon im Garten des Kon-
ventes ein Lusthäuschen vorhan-
den, als 1667 die Piscina entstand
und wir dürfen begründet der
Vermutung Ausdruck verleihen,
daß in dem Erdgeschosse der Pis-
cina das alte Lusthäuschen er-
halten blieb. Wir begründen diese
Vermutung in dem der Renais-
sance angehörenden Charakter
der darin befindlichen Säulchen so-
wie an dem Vorhandensein eines
eingebauten steinernen Tisches
von der Art italienischer Gar-
tentische aus der Renaissance.
Aber zugleich geben wir der Vermutung Raum,
daß dieses Lusthäuschen mit jenem identisch
ist, welches laut der Abbildung auf dem 01-
bilde »Maria die Schutzfrau Neustifts«, welches
unter dem Prälaten Markus Hauser 1621 bis
1625 gemalt wurde, im Prälatengarten, um-
geben von einem Fischweiher, gestanden hat.
Somit dürfte das zur Zeit des Prälaten
Hauser im Prälatengarten gestandene Sommer-
häuschen in der Zwischenzeit von 1625 bis
1666 in den Garten des Konventes über-
tragen worden sein, wo es von HieronymuslI.
zur monumentalen Piscina ausgebaut wurde.
Die von dem Chronisten des Jahres 1693
genannte Piscina tritt uns heute wieder in ver-
einfachter abgebauter und gewissermaßen ver-
stümmelter Form, nur als das mehrlach ge-
nannte Lusthäuschen entgegen, daran jedoch
das zwischen Architrav und Dach einge-
schobene Stockwerk als neue Zufügung auf-
fällt (Abb. S.22). Dieses Häuschen ist auf der
Grundlage des Achteckes erbaut und besteht
aus einem unteren, offenen und einem oberen,
geschlossenen Geschosse.
Ersteres, das wir in die Zeit um 1600 ver-
setzen, wird von acht gefälligen Säulchen, aus
Granit gefertigt, auf einer Brüstungswand
ruhend, gebildet.
Diese Wand schließt das Erdgeschoß bis
auf einen Eingang ab und trägt granitenen
Brüstungsabschluß.
Über den Säulchen zieht sich ein einfach
gegliederter Architrav als Träger des Ober-
geschosses hin, der ebenso aus Granit ist.
Von hier ab beginnt das zweite Geschoß,
i.rnvvir; pew
mi 1 1 ER
Die christliche Kumt. XVI.
iS
ZIERBAUTEN IN NEUSTIFT BEI BRIXEN
LUDWIG TEXX
ten Stufen sowie das in ihrem
Sturze angebrachte Wappen, von
dem wir eingangs sprachen, sind
auch aus Granit gearbeitet. Rote
Biberschwänze decken das Dach
lein des Portalvorbaues.
Die Deckung der Stiege ist
heute in ordinärem Zinkblech
hergestellt, wo vordem ebenso
Ziegel diese ausmachten.
Beide Geschosse enthalten be-
malte Holzdecken, und während
die obere eine Spiegeldecke mit
in den Fliesen sich befindlichen
Tafelbildern ist, welche zum Ge-
genstande ihrer Darstellungen Be-
gebenheiten aus dem Leben des
hl. Augustin nehmen, ist die Decke
des Erdgeschosses eine Kassetten-
decke von reichem geometrischem
Figurennetze.
Im Mittel dieses ist die Mutter
Gottes mit dem Jesuskinde auf
dem Arme, die »S. Maria adGra-
tias« in eine schildförmige geo-
metrische Figur, in Tempera ge-
malt, gesetzt. Die anderen Fül-
lungen des Kassetten werkes wer-
den von Ornamenten derselben
Technik belebt. Vier vielfarbige
ßlätterrosetten sitzen im Mittel der das Ma-
donnenbild umgebenden größeren Füllungen.
Die blau gehaltenen Stege der Kassetten
zieren flache, gelbe Kugelknöpfe und gelbe
Stäbe mit grünen Blattwellen vermitteln den
Übergang von den Stegen zu den Füllungen.
— Leider haben die Malereien schon sehr
stark gelitten und dies um so mehr, als sie im
Jahre 1685 übermalt worden sein dürften.
Die Ubermalung zeigt sich darin, daß die ur-
sprüngliche Malerei durch das Abspringen der
jenes, welches der zweiten Bauzeit, die mit
1667 begann, in der das alte Lusthäuschen
zur Piscina umgewandelt wurde. An ihm
durchbrechen Fenster die Wände des Ober-
geschosses und wieder ein schmucker Pyra-
midenhelm, eingedeckt mit grün glasierten
Biberschwänzen, schließt das Bauwerk ab. Der
Helm endet mit einem zierlich gebuckelten
Modus und einer von einem Doppelkreuze
durchbrochenen Windfahne mit einem Stern
am Ende. Der Aufsatz ist aus Kupfer.
Zu diesem Geschosse
führt eine hölzerne, mit
einem Satteldächlein
gedeckte Treppe, von
einem gemauerten Tür-
vorbau ausgehend, em-
por. Desgleichen ge-
leiten solche zu dem
dadurch erhöhten Vor-
bau doppelseitig hinan;
sie münden auf einen
kleinen Vorplatz, von
dem aus die Stiege
durch den genannten
Vorbau zu betreten ist.
Das Gewände dieser
Türe, die vorgenann- ludwig penz, gedenkmedaille, vorder- und Rückseite
ZIERBAITEN IN NEUSTIFT BEI BRIXEN
19
LUDWIG PEXZ
HL. HC BERITS
jüngeren wieder hervortritt, wodurch keine
der Malereien klar zu sehen ist. — An ersterer
Malerei sind die ornamentalen Rankenzüge
in jenen lichtvioletten Tönen gehalten, wie
wir ähnliche Malereien in Tirol um 1600 ge
nügend an Fassaden oder Innendekorationen
antreffen. — Leider ist die Decke auch an-
sonst sehr schadhaft und drohen einzelne
Füllungen herabzufallen; eine fehlt überhaupt.
— Soweit tritt uns also die Piscina erhalten
entgegen, von der wir aus dem Jahre 1695
die schriftliche Kunde erhalten, daß sie ge-
fallen sei. Das
Fehlende des
vollkomme-
nen Bildes, so
wieRottenpue-
cher die Pi-
scina erbauen
ließ, zu ergän-
zen vermögen
ein Ölbild aus
dem Jahre
1673, im Klo-
stergang beim
Eingange zum
Speisesaal
PENZ, KAISI.KI \OI RMEDAII.LL
links hängend, sowie ein Doktordiplom, ein
Kupferstich vermutlich aus dem Jahre 1682,
weil nur die Jahreszahl MDCLXXXI (1681)
bestimmt leserlich ist, die fehlende Zahl des
kleinen fehlenden Teiles wegen nur I sein
kann.
Auf beiden Bildern ist die Ansicht des
Klosters in Vogelschau zu sehen.
Bei ersterem sind die Gestalten des Förderers
des Stiftes und des Rembertus von Säben
und seiner Gemahlin Christina sowie des
Gründers desselben B. llartmanus + 1164,
verewigt.
An diesen
Abbildungen
ei halten wir
einen vollen
Begriffvon der
Piscina und
ihrem reichen
Aussehen.
Das Ölbild
lieli nach dem
darauf befind-
lichen Wappen
Hieronvmus
VOH Kutten
ZIERBAUTEN IN NEUSTIFT BEI BRIXEN
puecher herstellen, das Diplom Fortunatus
von Troyer, der Nachfolger des vorigen
Prälaten.
Diesen Bildern und den heute noch erkennt-
lichen Dispositionen nach, umzog das Erd-
geschoß einst ein 2,4 Meter breiter, an den
Stufen des schon vorher genannten Stiegen-
aufganges vorbeiziehender Wassergraben, der
am Eingange zum Erdge-
schoß entweder überbrückt
oder abgesetzt war.
Nach außen schloß das
Becken mit einer Mauer-
brüstung ab, darauf an den
Ecken Pfeiler und zwischen
diesen Paare kleiner Säul-
chen standen, mitderAufga-
be betraut, ein von Kapfern
durchbrochenes Pyrami-
dendach zu tragen, welches
sich an den Fuß des Ober-
geschosses anlegte. Die
Eindeckung des Daches
bildeten Ziegel und dürften
diese sich bis auf heute der
Form nach erhalten haben.
Vor dem Eintritte zum
Erdgeschosse war ein Por-
talbau mit Oberlicht er-
richtet und derselbe mit
roten Ziegeln gedeckt.
Am Ölgemälde ersehen
wir aber, daß noch weitere
zierliche Ausschmückungen
an der Piscina vorhanden
waren. So führte zur Stein-
treppe am Aufgange zum
Obergeschoß ein geschmie-
detes Brüstungsgeländer hi-
nan, das an den Stirnköpfen
solche Blumen trug. Die Löcher, worin das
Gitter Befestigung fand, sind noch heute an
den Stufen ersichtlich. Das ganze Geländer
war von roter Bemalung. Ferner war die
Stiege zum Obergeschoß von einer Brüstung
abgeschlossen, daran das Dachgerüste von
grünen Säulchen getragen wurde und rote
Ornamente in Brettsägearbeit die Räume
zwischen den Säulchen zu füllen hatten.
So erhalten wir eine überaus freundliche
und reiche Gestaltung der Piscina vergegen-
wärtigt, deren Ausstattung der farbenfrohen
Zeit entsprechend ganz prächtig gewesen
sein muß.
Über des alten Lusthäuschens Umgestal-
tung zur Piscina findet sich an dem bis heute
erhaltenen Reste desselben überdies eine Auf-
zeichnung an Schrifttäfelchen, welche an
LUDWIG PENZ
der Innenseite der Säulen eingelassen sind.
Sie bestehen aus schwarzem Marmor, der
Text lautet sehr gekürzt: SUB HIRONYMO
SECUNDO, DIVINAPROVIDENTIA PK AE-
POS1TO CONVENTVS NOVAECELLEN-
SIS HAC PISC1A POSVIT M. D. C. L. XVIII.
Bietet uns diese Inschrift die Gewißheit von
der einstigen Bestimmung des Bauwerkes, so
erfahren wir gleichzeitig
ausdrücklich, daß der Kon-
vent diesselbe errichten und
im Jahre 1668 vollenden
ließ, wofür die Mittel ver-
mutlich der Konvent trug.
Für die Annahme in dem
bestehenden Lusthäuschen
den Torso eines Bauwer-
kes, den Kern der Piscina
erblicken zu dürfen, spricht
auch noch, wie eingangs
erwähnt, das Vorhanden-
sein von Bauteilen, die sich
an dem Bauwerk erhalten
haben und die heute völlig
überflüssig und auch stö-
rend sind. An den Wänden
des geschlossenen Ober-
baues treffen wir wagrecht
eingelassene Lagerhölzer
an, in welche offenbar die
Sparren des Vordaches der
Piscina eingriffen. Durch
diese nicht zu leugnende
Tatsache finden auch die
sonst unverständlich vor-
handenen Balken ihre Lö-
sung.
Über den Zeitpunkt der
Veränderung der Piscina,
eigentlich ihrerZerstörung,
haben wir begründete Mutmaßungen und wir
glauben nicht fehlzugehen, wenn wir diese
in das Jahr 1685 setzen.
Nach noch kenntlichen Spuren ist die Innen-
seite des Architraves mit einer Inschrift und
mit Wappenschildern bemalt gewesen, darüber
in dem genannten Jahre eine neue Bemalung
gesetzt wurde.
Beide Bemalungen betreffen die Namen und
die Wappen der Chorherren sowie der vor-
gesetzten Prälaten, bei gleichzeitiger Bei-
fügung ihrer Wappen.
Die zuletzt aufgemalte Inschrift wurde unter
Troyer gemacht und gleichzeitig die Decke
mit neuen Malereien versehen. Sie lautet:
»Rmus PERIL ET AMPLmus D mus D ng
ForTVNATVS RENO : MDCLXXXV.«
Sie steht in Beziehung mit der Erweiterung
MADONNA AN EINEM HAUSE
Text S. 13
ZIERBAUTEN IN NEUSTIFT BEI BRIXEN
der Zahl der Wappenschilder und den Namen
ihrer Träger.
Zur Zeit der ersten Bemalung waren im
Architrave nur 38 Schildchen und vermutlich
auch das Wappen Hieronymus II. vorhanden,
während wir gegenwärtig 44 zählen, ent-
sprechend der Zahl der Chorherren, die unter
Fortunatus dem Konvente angehörten.
Fortunatus von Troyer stand dem Stifte
von 1678 — 1707, seinem Sterbejahre vor.
So erfahren wir von der Fertigstellung der
Piscina (1668) bis zur Meldung ihrer Auf-
lassung (1693) keine Zeitangabe mehr, als
die über die sogenannte Renovierung im
Jahre 1685.
So ist die Piscina unter der Regierung
v. Troyers entweder im Jahre 1685 oder in
der Zwischenzeit bis 1693 gefallen, obgleich
der rauhe Eingriff mit der später aufgeführten
Kunstbestätigung dieses Abtes nicht recht zu
vereinbaren ist und dies umso weniger als Troyer
allseitig gebildet war und auch als Gelehrter
mit Ehren genannt zu werden verdient.
Vermutlich war es nicht seine treibende
Kraft, welche zum Ruine der ansehnlichen
Piscina führte.
Um nur einiges aus seiner Kunstbestätigung
zu bemerken, wurde unter ihm die Decke
des oberen Ganges im Stiftshaupttrakte mit
prächtigen Stuckornamenten versehen, die
Portale architektonisch geschmückt und ganz
besonders der Stiegenbeginn vom ersten zum
zweiten Stockwerke als pomphaftes Portal ge-
bildet. Aber wie angezeigt, wollen wir uns
hier mit den Kunstbestrebungen v. Rotten-
puechers im weitern Sinne befassen und da
linden wir bestätigt, daß dieser überhaupt sehr
kunstliebend war.
Abgesehen von dem Bilde, das wir nannten
und das zweifellos über seinen Auftrag tür
das Kloster angefertigt wurde, finden wir im
Gange des ersten Stockwerkes ein zierliches
laternenartiges Lichterhäuschen aus dem Jahre
1669 mit seinem Wappen geziert, aus Stein
gefertigt, die hölzernen Rahmen mit Schmied-
eisenzierat ausgestattet, sowie am Stiegen-
aufgange zur Propstei eine schöne Kartusche
aus Marmor, mit der Jahreszahl 1671 und der
Initiale Christi versehen vor.
Das interessanteste Werk aber, das er er-
richten ließ, dürfte ein Brunnen im Hofe
sein, den er an Stelle eines solchen, aus der
Gotik herrührend, neu aufführen ließ (Abb.
S. 123). Es soll hier davon die Rede sein, da
ein inniger Zusammenhang zwischen der Pi-
scina und ihm zu bemerken ist und damit
die Kunstliebe des Stifters v. Rottenpuechers
nur noch mehr gekennzeichnet wird.
Im Hofe des Stiftes stand ein alter Brunnen.
Von diesem ist noch der Trog erhalten. Er
ist mit einem Brunnenkranz verbunden, als
Ziehbrunnen eingerichtet, das ganze ist von
einem zierlichen Häuschen überbaut.
Der alte, einfache Trog ist von spätgotischen
Formen und aus weißlichem Marmor gefer-
tigt. Er lehnt sich mit seinem Rücken an
den genannten Kranz an und stützt sich
vorn auf kleine Säulchen von gedrungener
Form. Am Trog befinden sich links Wappen,
rechts eine Schrift eingemeißelt. Die Wappen
sind in Tartschen gesetzt, das rechte zeigt
in einer Spitze einen sechsteiligen Stern, das
linke ein T mit einem Stachel, wie er bei
Stöcken am Fuße gebräuchlich ist.
Ersteres ist das Wappen des Prälaten Christo-
phorus I. Niedermayr, der von 1504 — 15 19
dem Kloster vorstand, letzteres das Stifts-
wappen. Wir erblicken dieses T an anderen
Orten im Kloster auch als Kreuz. Für dieses
T oder den Krückenstock gibt es bis heute
noch keine bestimmt zutreffende Erklärung,
will man nicht der Erklärung des Martin
Warell das T als Buchstaben zu nehmen
vollen Glauben schenken.
Derselbe Martin Warell legte mit Kaspar
Kemich 1672 — 76 die Annalen des Klosters
Neustift an.
Die Auffassung, das T als Stockkrücke an-
zusehen, wäre möglich und hätte die Aus-
legung auch eine sinnbildliche Bedeutung tür
das Stift, als dasselbe 11 90 abgebrannt, bald
darauf wieder erbaut, nebst einem Hause für
büßende Schwestern und einer Kapelle zum
hl. Michael, auch ein kleines Spital für arme
kranke Pilger angegliedert bekam.
So könnte wohl zweifellos die Ausle-
gung des T als Krücke einige Berechtigung
haben.
Die Erklärung des T als Wappenbild des
Stiftes Neustift durch Warell lautet:
Das Zeichen T wurde wohl schon vom
seligen Bischof Hartmann dem neugeweihten
Kloster als Unterpfand des Schutzes zum
Wappen gegeben.
Der Prophet Ezechiel erzählt uns im 9, K.i
pitel seines Buches eine Vision, die er gehabt
wegen des großen Sittenverderbnisses, das
in Jerusalem herrschte, daß Gott die Schul
digen zu töten beschloß.
Er schickte mehrere Engel in die gottlose
Stadt und sprach zum Anführer derselben,
(.ehe mitten durch die Stadt und zeichne
ein T auf die Stirn der Männer, die über
alle Greuel seufzen und wehklagen. Zu
den anderen Engeln aber sprach er: Gehet
hinter ihnen her und erschlaget G
ZIERBAUTEN IN NEUSTIFT BEI BRIXEN
EHEM. LUSTHAUSCHEN IN NEUSTIFT BEI BRIXEN
Tuet S. 14 ff.
Jünglinge . . . aber niemand, an dem ihr
das T sehet.«
Daß nun das T im Wappen des Stiftes
Neustift mit einem T des Propheten Ezechiel
im Zusammenhange steht, beweist der Um-
stand, daß an dem oberen Türpfosten der Türe
zum Turm, die jetzt nicht mehr vorhanden
ist, folgende Inschrift zu lesen war: »T'"u super
hos postes, intrantes ne terreant hostes«.
Das T über dieser Türe (auf diesem Pfosten)
bewirke, daß nicht niedrigende Feinde uns
schrecken.
Soweit Martin Warell.
Mag das T als Kreuz in einer Zeit nicht
verstanden worden und das Kloster als Spital
einst hervorgetreten sein, zur Auslegung des
T als Krücke führt nur ein kleiner Schritt2).
Die Aufschrift auf der rechten Seite des
Troges lautet wie folgend: huius fontis edi-
ficium anno grc. m. V. VII deeimo Kai mais
-f- comissionereverdi in xpö patf. +dni christo-
tori novecellesis monastery prepositi com-
pletü est.
Sie besagt von der Errichtung dieses
Brunnenbauwerkes, daß dieses im Jahre der
Gnade 1507, am 10. Tage vor den Kaienden
des Mai = 22. April über Auftrag des hoch-
würdigen Vaters in Christo, des Herrn Christo-
phorus, Propstes des Klosters Neustift, voll-
endet wurde.
Der Brunnen scheint nicht allgemein zu-
gänglich, sondern bis zum Jahre 1670 der
allgemeinen Benützung vorenthalten gewesen
zu sein, weil er von Mauern umschlossen
war. Hieronymus ließ diese Mauern um- und
den Brunnen freilegen.
Die Veränderung im Hofe des Stiftes dürfte
auch den Abbruch des Frauenklosters, das in
demselben stand, zur Folge gehabt haben.
Auf den Abbruch des Brunnens bezieht
sich eine Aufzeichnung in dem schon ein-
mal genannten Kodex der Innsbrucker Uni-
versität Nr. 931 und die betreffende Stelle über
den Hof- oder Wunderbrunnen befindet sich
etwas vorher als die erstgenannte. Sie lautet
»Neocellae vere puteus in atrio deiectis quibus-
dam muris, qui illum sepiebant, ita immuta-
tus est, ut omnibus occasionem bibendi prae-
staret quem idem praepositus etiam colum-
nis lapideis novisque lateribus circumornavit« 3).
In Neustiit aber wurde der Brunnen im
Hof, nachdem gewisse Mauern, die ihn um-
gaben, so verändert, daß er allen Gelegen-
heit zum Trinken bot. Diesen hat derselbe
Propst auch mit Steinsäulen und neuen Seiten
geschmückt.
Die Autzeichnung spricht deutlich die Ver-
änderung aus, welche mit dem alten Brunnen
vorgenommen wurde.
Die Ursache erwogen, warum sich Hiero-
nymus II. bewogen fühlte, den Brunnen in
ein neues künstlerisches Kleid zu fassen, führt
uns auf den Gedanken, Hieronymus hat die
Räumung des Hofes und ein vorhandenes
Brunnenhäuschen dazu benützt, demselben
eine Zierde und damit neues Leben zu geben.
Der Brunnenüberbau ist ein zierliches Häus-
chen mit acht romanisierenden Säulen, auf
einfach profilierten Postamenten stehend.
Dieser tragende Teil ist aus Granit. Ihre pri-
mitive Art, die frühen entlehnten Formen,
lassen ältere Herkunft vermuten.
Diese Säulen tragen einen Kranz mit ein-
fach gegliederten Architrav aus Granit. Au!
ihm ruht ein gemauerter mit eingestochenen
Blendbogen verzierter Fries, in dessen sieben
Feldern die sieben Wunder: IUPITER-OLIM
PIUS-PHAROS-PIRAMIDEN-MURUSBABY-
LONIAE MAUSOLAEUM DIANAE TEM
') Mitgeteilt
in Neustift.
fochw. Herrn Pater Marx Schrott
3) Mitgeteilt von hochw. Herrn Norbert Zündt,
Professor des k. k. Obergymnasiums in Brixen, Chor-
herr von Neustift.
ZIERBAUTEN IN NEUSTIFT BEI BRIXEN
2;
PLUM-COLOSSUS vielfarbig ge-
malt sind.
Dieser Malereien wegen wird
der Brunnen »Wunderbrunnen«
genannt. Bei der Darstellung des
Tempels der Diana trägt eine
Figur eine Tafel mit HSW und
H L ST, offenbar den Initialen
des Malers sowie die Jahreszahl
MDCLXXIII.
Das Jabr 1673 bedeutet aller
Voraussetzung nach die Zeit der
Vollendung des Baues. Im achten
Blendbogen befindet sich die An-
sicht des Stiftes mit dem Wappen
der Herren von Säben und am
Rahmen die Jahreszahl 1670, in
welche Zeit wohl der Beginn des
Baues fällt.
Abgeschlossen wird der Aufbau
von einem Pyramidendache mit
einem laternenförmigen Aufsatz.
Eine Kassettendecke, heute natür-
lich gebräunt, spannt sich unter
dem Aufbau aus; sie trägt vergol-
dete Rosetten.
Die Eindeckung hat von jeher
aus grün glasierten Ziegeln bestan-
den und ein Knauf mit Doppel-
kreuz den Abschluß gebildet, wo-
für wir eine Bestätigung in dem
Bilde aus dem Jahre 1675 erhalten,
das somit im Jahre der Vollendung des Brun-
nens und vielleicht aus Ursache der beiden
beschriebenen Bauten gemalt worden ist.
Aber auch dieses Bauwerk hat die Hand un-
angebrachten »Reinmachens« nicht unberührt
gelassen, indem die Malereien verweißt wurden,
welche die Innenflächen des Gebälkes zu
zieren hatten und auch heute noch schwach,
durch die Tünche durch erkenntlich sind.
Das Zeugnis, welches wir hiermit Hiero-
nymus II. als kunstliebendem Regenten von
Neustift auszustellen uns bemühten, ist an-
gesichts der genannten Kunstbauten wohl
begründet.
ZumSchluße unsrer Betrachtungen kommen
wir nochmals auf den Grabstein zurück, von
dem es den Anschein hat, als hätte Hiero-
nymus selbst Bestimmungen hiefür gegeben.
Jedenfalls ist er aber bald nach dem Heim-
gange des Abtes errichtet worden. Das Mo-
nument ist aus Laaser Marmor, teilweise be-
malt und vergoldet.
Es entspricht stilistisch dem Ausgange des
17. Jahrhunderts.
BRUNNEN IN NEUSTIFT BEI BRIXEN
Text S. 21 ff.
Hieronymus ist im Kniestück dargestellt
mit Rauchmantel, Mitra und Handschuhen
bekleidet und hält ein Meßbuch und Pasto-
rale in den Händen. So ist er in eine Nische
gestellt.
Das Ganze stützt sich auf eine Schrift-
tafel und wird von einem flachen Bogen ab-
geschlossen, dessen Mittel das Wappen Rot-
tenpuecher mit dem d«.s Stiftes als Alliance-
wappen trägt.
Die seitliche Umrandung der Nische bilden
barocke Rankenzüge, die der Schrilttalel kon-
solenartige Pilaster, während ein starkes Sol-
gesimse die Verbindung zwischen Tafel und
Nische herzustellen hat.
Die Inschrift für Hieronymus, den kunst-
sinnigen Prälaten, von Rottenpuecher. lautet:
PAX PAX PAX
HIERONIYMUS 2 dgt. Praepositus Novaecell :
Elect: 1665 + Obiit Oeniponti in Comitiis
1678 -f- Die 21. Febr. Aetat: 72 -f- Relig.
57 -f- Sacerd : 48 Veras Pacis Amator + Di-
gnissimus proinde, ut Qui in Pace Viixit. in
Face in idipsum dormiat c\ requiescat, Amen.
24
VOM WEIHNACHTSLIEDE: STILLE NACHT
JOSEPH MÜHI.BACHER (ZELL)
Denkmal in Wagrain, Text unten
DAS WEIHNACHTSLIED
»STILLE NACHT«... ioo JAHRE ALT!
(Abbildung oben)
ya Weihnachten 1918 ist das beliebteste aller Weih-
" nachts-, ja aller Friedenslieder hundert Jahie alt ge-
worden: das Lied »Stille Nacht, heilige Nacht«, gedich-
tet vom Priester Josef Mohr, vertont vom Lehrer Franz
Gruber, beide 1818 in Oberndorf bei Salzburg.
Um dieses Jubiläum würdig zu feiern und für spatere
Zeiten die Namen Mohr und Gruber zu verewigen, geht
nun daran, in Obern dorf ein eigenartiges » Stille-Nacht «-
Denkmal, ausgeführt vom akademischen Bildhauer und
Maler Josef Mühlbacher, Pfarrer in Zell-Kufstein, zu er-
richten.In diesem Denkmal soll der Dichter wie der Kom-
ponist in .sinniger Weise geehrt werden. Zu diesem Zwecke
ging ein Aufruf hinaus, aus dem man erkennt, welch hohen
Anteil Deutschland an der Sache nimmt, wie aus dem
Verzeichnisse der Ausschuümitgliederzu ersehen ist. Das
Denkmal kommt nicht, wie ursprünglich geplant war,
nach Wagrain (Salzburg^, sondern dem Wunsche maß-
gebender Faktoren gemäß, an einen größeren besuch-
teren Ort : nach Oberndorf im Flach-
gau, wo das Lied vor ioojahicn
entstand, in das Innere der Pfarrkir-
che, also an einen Ehrenplatz ersten
Ranges ! Angeregt wurde dieser
Gedanke vom Sektionschef des
ehemaligen k. k. Ministeriums für
Kultus und Unterricht JosefKhoss
R. v. Sternegg österreichischerseits
und von Seiten Deutschlands durch
den Dichter Dr. Otto Franz Gen-
sichen (Berlin W 57, Winterfeld-
straße 22/III), der eine epische Dich-
tung »Stille Nachteilige Nacht< ge-
dieh tethat,und durch den Schriftstel-
ler Josef Gottlieb in Frankfurt am
Main (Spohrgasse 29/I). Durchge-
führt wird dieser Plan durch den
tüchtigen Pfarrer Max Fe IIa eher
(geboren in M a r i a p f a r r im Lungau
i. J. 1864), den Erbauer der herrli-
chen, monumentalen neuen Pfarr-
kirche in Oberndorf, in welcher das
Denkmal zur Aufstellung kommt.
Mariapfarr, der älteste Pfarrort
im Lungau, verdient da besonders
hervorgehoben zu werden, da auch
der Priester Joseph Mohr,der Dichter
von» Stille Nacht «,i.J. 181 5 inMaria-
pfarr als Hilfspriester (Koadjutor)
wirkte (seit Ende September 181 5).
»Die Beschwerden diesergroßenGe-
birgspfarrei schädigten seineGesund-
heit, weshalb er im Sommer 1817
zur Erholung in die Vaterstadt Salz-
burg zurückkehrte. Nicht lange
dauerten Ruhe und Rast: denn nach
einem Monat (2 5. Aug.) übernimmt
Mohr wieder dieHilfspriesterstelle in
Oberndorf an der Salzach, wo er
auch seine kränklicheMutter und eine
arme Schwester unterstützen konn-
te. Hier machte er die Bekanntschaft
mit dem Lehrer Franz Gruber, dem
Organisten an der Nikolauspfarre in Oberndorf.« (Vergl.
»Stille Nacht, heilige Nacht«, die Geschichte eines Volks-
liedes von Franz Peterlechner, Verlag Haslinger, Linz.)
Mühlbacher ist der berufenste Künstler für das »Stille
Nacht« -Denkmal in Oberndorf, hat er doch auch das
Monument für den Dichter dieses Weihnachtsliedes,
Josef Mohr, in Wagrain geschaffen, dessen, nach Aus-
sage noch lebender alter Zeugen, gut gelungenes Por-
trät der Künstler mangels eines sonstigen Konterfeis nach
dem exhumierten Totenschädel des Dichters er eben-
falls herstellte. Mohr ist — im Himmel gedacht. Sin-
nend schaut er beim Fenster seines Himmelskämmerleins
hinaus. Plötzlich erschallt Engelgesang an sein Ohr.
Er lauscht — und erkennt freudig sein Lied »Stille
Nacht, heilige Nacht«, das er einst (181 8) auf Erden
gediehet. Demütig nimmt er sein Käppchen vom Haupte
und sein Lied wird zum Gebet! (Fensterguckermotiv,
ausgeführt in Bronze.) Hier betrat Mühlbacher bereits
seinen eigenen Weg. Seelische Vergeisterung in Aus-
druck und Bewegung ist das Ziel seiner Kunst, da ei
als Priester pfadweisend wirken will für das, was er als
Postulat religiöser Kunst erkennt.
Josef Steincr-Wiscl.ent.nrl (Graz)
lOSKI'tl MOHR
o
<
>
y
j
Cu
2
So
O
Q
H
H
OL
O
MATTHÄUS SCHIESTL
WALUAHRKR
NEUE MALEREIEN VON MATTHÄUS SCHIESTL
(Abb. S. 25-42)
r^\es 50. Geburtstages Matthäus Schiestls
*-^ wurde an dieser Stelle gebührend gedacht.
Die damals geäußerte Absicht, über neuere Ma-
lereien des Meisters zu berichten, sei nunmehr
erfüllt. Auch in den letzten Jahren hat Schiestl
mit nicht rastendem Fleiße gearbeitet, und aus
der herrlichen Tiefe seines Hmplindens heraus
einen Schatz von Werken geschaffen, die reich
sind an Herz und Gemüt und gleichzeitig von
der Vielseitigkeit des Künstlers Zeugnis ab-
legen.
Als malender Romantiker ist er bisher im
ganzen fruchtbarer gewesen, denn als Monu-
mentalmaler. Dennoch hat er sich auch auf
diesem Gebiete als berufenen Meister erwiesen;
man denke nur seiner kirchlichen Malereien in
Kaiserslautern, in St. Benno zu München. I lohe
Feierlichkeit der Auffassung und Großzügig-
keit des dekorativen Stiles vereinigen sich in
diesen seinen Werken mit Lebensfrische und
innerlicher Wahrheit. Zu den bemerkenswer-
testen neueren Leistungen dieser Art gehört
außer einem St. Michael als Drachenbesieger
ein für die Elisabethkirche zu Bonn a. Rh.
geschaffener Altarflügel mit den edeln Ge-
stalten der hl. Ursulaund Hildegard(Abb.S.27).
Die Gelehrsamkeit der berühmten Äbtissin ist
in ihren Zügen ebenso fein charakterisiert wie
ihr visionäres Wesen und auch wie ihre Ab-
kunft aus edelm Geschlechte. Antlitz und Aus-
druck der hl. Ursula sind in kennzeichnend
Schiestlscher Art aufgefaßt — kindlich rein,
fromm, innig und deutsch. Fdle Ruhe herrscht
in der Zeichnung der Gestalten, im Faltenflusse
28
MATTHÄUS SCHIE^TL
EINZUG DES GRAFEN WILHELM III. VON HENNEBERG MIT SEINER GEMAHLIN
Wandgemälde in Schloß Mainberg. — Text S. 26 und 2-j
MATTHÄUS SCH1ESTI.
GRÜSSENDER KNABE UND MINNESÄNGER
Teil von obigem Bilde
29
30
NEUE MALEREIEN VON MATTHÄUS SCHIESTL
anstoßende Wandfläche die
Einzelfigur des zu den Henne-
bergern gehörigen Konrad von
Megenberg, eines Gelehrten,
der eine deutsche Naturkunde
geschrieben hat. Er lebte von
1305 — 1370. Sein Wappen
steht neben ihm. — Eine reiz-
volle Gruppe schuf der Künst-
ler zum Schmucke einer klei-
neren Wandfläche: er zeigt
uns den Minnesänger Otto von
Bodenlaube mit seiner Gemah-
lin Beatrix von Courtenay, ne-
ben ihnen ihre Wappen. Beide
sitzen mitsammen in einem
Garten, sie begleitet mit den
Klängen ihrer Laute das Lied,
das er soeben erdacht und auf-
geschrieben hat. Im Hinter-
grunde sieht man eine Stadt.
— Die Flächen der Fenster-
wand und des Erkers sind mit
zierlichen Ranken geschmückt,
zwischen denen lustige Knäb-
lein ihr Wesen treiben. — In
einem andern Räume des
Schlosses zierte Schiestl 19 18
die Flächen des Aufzuges mit
Malereien. — Auf der einen
Seite (welche die Tür enthält)
schuf er die mächtige Gestalt
des Schutzherrn der Winzer,
St. Kilian (Abb. S. 26). Der
Heilige steht in prachtvoll ge-
musterter bischöflicher Ge-
wandung aufrecht, geradeaus
blickend, neben ihm in kleiner
Gestalt kniet ein Winzer. Die
andere Seite zeigt die Stadt und
das Schloß von Würzburg nach
einer alten Abbildung (Abb.
S. 31). Beischriften dienen al-
len Bildern zur Erläuterung.
Die Farben sind kräftig, dabei
von vornehmer Harmonie. In-
nige deutsche — recht Schiestl-
sche — Stimmung erfüllt die
Werke, deren Wirkung im Räu-
me eine überaus günstige ist.
Diese Stimmung erklingt in
allen Tönen, die uns bei die-
sem Meister lieb und vertraut
sind. Familienglück, Kinder-
freude, Schlichtheit und Wärme
der Volkesseele, Romantik des
Mittelalters, Begeisterung über
die Schönheit der deutschen
NEUE MALEREIEN VON MATTHÄUS SCHIESTL
Jl
Heimat, Klarheit und Hoheit religiösen Ge-
fühles — das alles findet sich hier in einer
großartigen Harmonie zusammen. Neu ist die
Leidenschaft, die sich in der Schilderung des
Bauernaufstandes kundgibt. Aus der Stärke
sozialen Empfindens, das aus so vielen Sehiestl-
schen Werken zu uns spricht, hervorgegangen,
zeigt diese Darstellung die verderblichen Fol-
gen der Yolksverführung. Das jahrelang vor
der Revolution entstandene Bild führt jetzt die
Sprache einer politischen Betrachtung und
Mahnung.
Ungewollt, denn dergleichen lag und liegt
unserem Künstler fern. Sein soziales Emp-
finden zeigt sich stets im Ausdrucke reinen,
innigen Mitgefühls, hat nichts im Sinne von
Klassen- und Massenhaß, steigt über das Ein-
zelne zum Allgemein-Menschlichen empor.
Am stärksten spricht sich dieser Zug Schiestl-
schen Seelenlebens in seinen Bildern vom
Tode aus. Sie sind häufig bei ihm, in Ma-
lereien und Zeichnungen behandelt er das
uralte Thema, das schon Künstlern des Alter-
tums, weit mehr noch des Mittelalters An-
regung zu ergreifenden Werken gegeben hat.
Schlicht und volkstümlich ist die Sprache
Schiestls, weit entfernt von allen Gesucht-
heiten, mit denen gerade auch bei diesem
Gegenstande modernste Künstler über ihre
innere Kälte und Leere hinwegzutäuschen
suchen.
Diese aus tiefstem Gemüte kommende Un-
befangenheit gehört zu den schönsten Zügen
der Schiestischen Kunst, schafft ihr dauernde
echte Wirkung und wird ihm einen Ehren-
platz im Herzen des deutschen Volkes sichern,
wenn ihn dieses erst besser, allgemeiner ken-
nen wird. Darin fehlt es leider immer noch
sehr, schon im Süden, geschweige im Nor-
den. Und doch ist es nur wenigen gegeben,
so mit dem Volke zu fühlen, so von Natur
dessen Sprache zu reden. Die Schlichtheit
und Echtheit der tirolischen Art verleugnet
sich nicht.
Was Schiestl malt, das hat er innerlich er-
lebt, und so wird es uns wiederum ein Er
lebnis, das zu begreifen und zu beherzigen es
keinerlei wissenschaftlichen oder sonstigen
gelehrten Apparates bedarf. Nicht als müßte
es so sein ;, sondern weil es für ihn gar nicht
anders sein kann, überträgt Schiestl auch die
Vorgänge der heiligen Geschichte in deutsches
Leben und deutsche Umgebung. Um der
hl. Jungfrau die Verkündigung zu bringen,
schaut der Erzengel Gabriel durchs Fenster
des Alpenhauses in die schlichte Stube herein,
woselbst Maria neben dem großen Ofen in
ihrem Gebetbuche liest. Es ist des Künstlers
MATTHÄUS SCHIESTL BURG
dgtmäldt au/ SdtlKfi Mainitrt. — Trxt S.jo
eigenes Zimmer in seinem Hause zuGreidere^u
hoch oben im Zillertale. Um das neugebo-
rene Jesuskindlein anzubeten, wandern die
Hirten des Zillertales in der Winternacht über
verschneite Bergwege zu dem einsamen Stadel,
aus dessen offener Tür ihnen der Glanz des
himmlischen Wunders entgegenstrahlt (Abb.
S. 39). Nicht schöner, nicht einfacher kann
die der Menschheit aller Linder und Zeiten
zuteil gewordene Gnade in Bildern gepriesen
werden.
Unermüdlich ist Matthias Schiestl. das Er-
eignis der Menschwerdung Christi zu preisen;
r-
MATTHÄUS SCHIESTL
Gtmdldt. — Ttxt S. 34
DIE GEBURT CHRISTI
MATTHALS SCHI! fl
Dl« chilitliche Kumt. XVI.
34
NEUE MALEREIEN VON MATTHÄUS SCHIESTL
immer neue, in ihrer Anspruchslosigkeit so
feine und geistreiche Züge weiß er dafür zu
finden. Auch zu seinen neuesten Werken
gehören mehrere Bilder dieses Inhaltes. Außer
der »Verkündigung auf Greideregg« schuf er
noch eine zweite, bei der er den Vorgang in
den mit herrlichen Lilien gezierten Garten
eines Bauernhäusleins verlegt; eine liebliche
Hügellandschaft bildet den Hintergrund (Abb.
S. 35). Herzlich hat der Engel der hl. Jung-
frau die Rechte zum Gruße gereicht, während
er unter beredter Haltung der Linken ihr das
Wunder verkündet. Traumverlorenen Blickes
sucht sie vergeblich es zu ergründen, aber
Glaube und Vertrauen helfen ihr. Von den
zwei neueren Darstellungen der »Heiligen
Nacht« entzückt besonders die mit der Haus-
ruine durch ihren stillen Reichtum an fein-
sinnigen, zart empfundenen Einzelheiten (Abb.
S. 32 u. 38). Schlicht und groß in ihrer Ver-
innerlichung, ihrem Vermeiden alles äußeren
Prunkes ist unsere »Anbetung der Könige,
der die so unendlich bescheidenen ruhigen
Flächen der Dorf häuser im Hintergrunde etwas
geradezu Erhabenes verleihen (Abb. S. 33).
MATTHÄUS SCHIESTL FRA AXGEL1C0
Gemälde. — Text oben
Ein kindlich gebliebenes Gemüt gehört da-
zu, bei aller Kunst solcher Auffassung Raum
zu geben. Auch nur ein solches, das gleich
dem des Volkes mit den Heiligen in nahem,
freundschaftlichem Verhältnisse steht, war im-
stande, ein Bild zu schaffen, wie Schiestls »Le-
gende«, wo die in der Kirche von ihrem Posta-
mente herabgestiegene Muttergottes ihr Kind
auf der Wiese mit Blumen spielen läßt. So
unbefangen empfindet Schiestl auch bei an-
deren Dingen — macht z. B. aus dem italie-
nischen Fra Angelico einen schlichten deut-
schen Klosterbruder, dem ein ganz und gar
nicht italienischer, sondern echt deutscher
Engel Pinsel und Palette zum löblichen Werke
überreicht (Abb. unten).
Beispiele wahrer Kunst für das Volk im
besten modernen Sinne. Zart und herb, kind-
lich und männlich zugleich, gemalte Lieder,
die in Worte gefaßt, von Tönen getragen,
treueste, schönste Volkslieder sein würden.
Deutsche Volkesseele, reinstes Deutschtum in
Bildern. Schiestl sollte sich auch mehr als
bisher mit dem deutschen Märchen beschäf-
tigen; er wäre der Zauberer, der uns jene
Welt neu erschließen könnte.
Ist dies seiner Kunst doch mit dem Reiche
der Romantik gelungen. Hat er uns doch im
Bilde gezeigt, wie Novalis in seiner Dich-
tung, daß es kindlichem Sinne gelingt, die
blaue Blume zu finden (Abb. S. 43). Sie er-
öffnet den Eingang zu den Bezirken der hol-
den Unwirklichkeit, die so durch und durch
deutsch ist und mild schimmerndes mittel-
alterliches Gewand trägt. Daher bei Schiestl
die Vorliebe für mittelalterliche Bauwerke,
stolze gotische Kathedralen, kleine Städte,
die, von der Zeit vergessen, in unversehrter
Schönheit noch heute ein träumerisches Da-
sein führen, für liebe, uralte Kirchlein in Dort
und Wald. Die Menschen, die in dieser Um-
gebung leben, sind bisweilen mittelalterliche
Gestalten, wie z. B. auf dem Bilde »Die Wall-
fahrer« (Abb. S. 25). Aber eigentlich sind sie
es nur dem Gewände nach. Etwas anderes
ist es natürlich bei Bildern, wie den Main-
berger Malereien, wo das historische Moment
den Ausschlag gibt.
Aber sonst sind die Schiestischen Menschen
zeitlos. Niemals sind sie bloße Zutat zur Land-
schaft, sondern gewissermaßen die mensch-
gewordene Seele der Natur. Oder die Ver-
körperung des Einflusses, den die Natur auf
das Seelenleben des Menschen übt. Stille
Freude und Versonnenheit deutscher Wan-
derschaft; Zwiegespräch zwischen Kind und
Vöglein in Unschuld und natürlicher Ursprüng-
lichkeit, die ihr Widerbild findet in der sanften
NEUE MALEREIEN VON MATTHÄUS SCHIESTL
3>
MATTHÄUS SCHIESTL
MARI \ \ i:KKl SDI&l'M,
Gemälde. - T?xt S. j4
Schönheit einer frühlingsgrünen Hügelland-
schaft (Abb. S. 42); weltabgeschiedenes Berg-
leben in felsiger Juralandschaft, Haus, Land
und Fels Stürmen preisgegeben (Abb. S. | .
durch den ernsten Anblick von Burgruinen
erweckte Gedanken, die zwischen Gegen-
wart und Vorzeit die Brücke bedeutungs-
voller Lehre und Mahnung bauen; in Feen
gestalt die geheimnisvolle Schönheit der
Alpennatur, von den Menschen ehrfurchtsvoll
und staunend verehrt; aber auch der schwei-
gende Schrecken toddrohender Bergeinsam-
keit, welcher der Wanderer eiligen Schrittes
zu entrinnen sich müht (.Abb. S. 41). So cha
rakterisiert das Wesen der Landschaft und
das des Menschen sich wechselseitig.
Man möchte sagen, daß die Charakiensie
rung der Schiestischen Menschen vorzugs-
weise durch solche Zusammenstellungen, oder
auch durch die geschilderten Vorgänge erreicht
werde. Hme gewisse Typik der Gesichtszüge,
namentlich bei den Frauen und den alleren
Männern, scheint dieses Urteil unterstützen
zu wollen. Und doch wäre es ganz verkehrt.
Denn jeder dieser Menschen ist ein Individuum,
.eine Eigenart spricht sich auch in seim
sichte aufs klarste aus, und daß er in Antlitz und
Gestalt manchmal eine Ähnlichkeit mit andern
besitzt, das liegt eben in der Ähnlichkeit der
inneren Art. Oder auch darin, daß es sich um
dieselbe Person, um das gleiche künstlerische
Ideal handelt, wie z. B. bei den zart mädchen-
haften Marienfiguren mit der engelhaften Rein-
heit und Unschuld ihres Gesichtsausdruckes.
Wo es Schiestl auf bestimmte Fin/elcharakte-
ristik ankommt, steht auch sie ihn
Damm gehört er zu unseren besten Bildnis-
malern (AI Gelier kop
nicht etwa nur die Gesichtszüge der betreffen-
den Persönlichkeit, noch wenigei kennzeichnet
36
NEUE MALEREIEN VON MATTHÄUS SCHIESTL
MATTHALS SCHIESTL
DEK SCIIW LKIH 'i|U(.H
er deren Eigenart durch leere Äußerlichkeiten,
oder gar, wie es jetzt so viele tun, durch ge-
sucht nachlässige Haltung, sondern er erfaßt
das innerlich Wesentliche des Charakters mit
scharfem Blicke und steigert, ohne die urkund-
liche Genauigkeit zu schmälern, das Indivi-
duelle in ein höheres Allgemeines. So scharf
ist die Charakterisierungskunst dieses Künstlers,
daß er gelegentlich gar seinem Humor nach-
gibt und Bilder schafft, die so treffend in ihrer
harmlosen Fröhlichkeit sind, daß der Beschauer
unwillkürlich davon angesteckt wird. Ein präch-
tiges Stücklein solcher fein humoristischen
Schilderung ist sein »Einsiedler«, der stillver-
gnügt mit einer geschenkt erhaltenen Statu-
ette heimwärts trottet (Abb. S. 37), oder sein
»Klosterbruder«, der dem schwerhörigen Al-
ten in unbelauschter Einsamkeit eine Nach-
richt in die Ohren schreit (Abb. oben). Die
Zeichenmappen des Künstlers enthalten noch
manches dergleichen, das wdhl einmal der
Veröffentlichung wert wäre. Doering
DAS GRABMAL DES BISCHOFS MAURICIO IM DOM ZU BURGOS 37
CHENKTER STATI I III
Ttxt S.JO
DAS GRABMAL DES BISCHOFS
MAURICIO IM DOM ZU BURGOS
— EINE SCIIMLI ZARBEIT AUS
I IMOGES
(Abb. S. |6 u.47)
Wenn man auf der Hochebene Altkastiliens
von Nordosten her dem I-lülkhen Arlan-
zon sich nähert, dann taucht aus der ziem-
lich einförmigen Ebene zuerst der Schloßhflgel
der alten Hauptstadt Kastiliens, Burgos, auf, der
die Trümmer des Grafensitzes tragt, und dann
ragen westwärts sich anschließend, wie Baum-
ien .uit ansteigendem Boden, die Fialen
der Condestablekapelle empor, die an den
Ostumgang des Domes angebaut ist, daraut
das über der Vierung sich erhebende Oktogon
mit seinen acht flankierenden Türmchen und
zuletzt und am höchsten in die Lüfte ragend
— dem deutschen Auge geläufig, in Spanien
ein seltener Anblick die durchbrochenen
steinernen Helme der beiden Westtürme der
Kathedrale selber. L'nd der Mann, der als
erster den Gedanken und das Modell einer
Domkirche im Stil von Mittelfrankreich auf
panischen Hoden verpflanzte und am
20. |uli 1221 den ( Irundstein dazu legte. Bischol
38
DAS GRABMAL DES BISCHOFS MAURICIO IM DOM ZU BURGOS
MATTHÄUS SCHIESTL
Gemälde.
HEILIGE NACHT
Mauricio von Burgos, f 1238, hat mitten auf
dem freien Raum zwischen den Chorstuhl-
reihen im Hauptschiff sein Grab gefunden.
Auf einem ziemlich niedrigen Steinsarg in
frühgotischen Formen mit wenig Dekoration
ruht sein Reliefbild voll Würde und Ernst,
als wenn er eben die Augen im Tode ge-
schlossen hätte, eine stumme Predigt für je-
den Beschauer. Das Grabmonument ist nach
seinem Kunstwert so erhaben über die gleich-
zeitigen plastischen Denkmäler aufspanischem
Boden und stilistisch und nach seiner tech-
nischen Seite so eigenartig, daß es eine eigene
Besprechung verdient.
Die spanische Kunstliteratur hat es bis in
die allerletzten Jahre herein versucht, das Relief-
bild des toten Burgaleser Bischofs für eine
kastilische Werkstätte anzufordern. Bei der
Frage jedoch, wo denn ein annähernd ähn-
liches lebensvolles plastisches Gebilde gleichen
Alters oder eine kleinere Arbeit als Vorläufer
in Spanien zu finden sei, schweigt die ganze
Welt der unzähligen skulpturalen Denkmäler
und versiegt und versagt die reiche Quelle
schriftlicher Urkunden. Während man auf
der Halbinsel nach dem Meister sucht, redet
die französische Kunstliteratur vielfach vom
Grabmonument eines unbekannten Bischofs
in der Kathedrale von Burgos, das aus einer
Limusiner Werkstätte stammt, obschon neuere
wie ältere Beschreibungen zurück bis Garcia y
Garcias Führer durch Burgos (Guia de viagero
en Burgos) vom Jahre 1867 und bis H. Florez,
Espaiia sagrada, Band 26, vom Jahre 1771 das
Denkmal im Chor immer als Grab Mauricios
bezeichnen. Zudem hat es seinen Standort
niemals geändert, auch nicht ums Jahr 1500,
als Bischof Pascual von Fuensanta (1497 bis
15 12) die Chorstühle aus dem Presbyterium
in das Hauptschiff verlegte. ') Zur Verwechs-
lung mit der Ruhestätte eines anderen Bischofs
war somit gar keine Veranlassung gegeben.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen: das
Monument des Mauricio ist aus der Hand eines
Limusiner Künstlers hervorgegangen, dernicht
bloß die Kunst des Glasschmelzes beherrschte,
sondern auch Meißel und Schnitzmesser zu
handhaben verstand, in der Treibarbeit ein
Meister war und den bedeutendsten Skulp-
toren des 13. Jahrhunderts beigezählt werden
muß. Die liegende Statue des Bischofs in
einem Hochrelief, das der Rundplastik nahe
kommt, ist von Holz geschnitzt und mit ge-
triebenen, z. T. vergoldeten und emaillierten
dünnen Kupferplatten, die durch kleine Nägel
gehalten werden, überdeckt. Die Hände sind
in Bronze gegossen. In der überlangen hage-
ren Figur des Prälaten ist wohl ein auch in
dortigen Miniaturen bemerkbarer Nachklang
der byzantinischen Kunstrichtung des ^.Jahr-
hunderts mit den langgestreckten, kleinköpfi-
gen Gestalten zu erkennen, wie sie durch die
Handelsverbindung von Toulouse mit Venedig
und dem Orient für den Südwesten Frank-
reichs vermittelt wurde, während in der Pro-
vence mit Arles als Mittelpunkt reiche Über-
reste klassischer Skulpturen mit der gedrunge-
nen Körperbildung der römischen Kaiserzeit
die Menschenfigur proportionierter gestalten
lassen. Die Züge des scharfgeschnittenen As-
ketengesichtes mit den großen hervortreten-
den Augen, der leicht gekrümmten spitzen
Nase, dem schmalen Mund und den dünnen
Lippen, den Falten an der Stirne und den
Wangen, die Ruhe und Sicherheit in der gan-
zen Formgebung lassen einen Realismus er-
kennen, der eine Modellierung nach einer
Totenmaske und das Streben vermuten läßt,
ein naturgetreues Porträt wiederzugeben. Die
im Kreuzgang des Domes von Burgos befind-
liche stehende Figur Mauricios aus Stein, die
dem Ende des 1 3 .Jahrhunderts entstammt, zeigt
') Espana sagrada, XXVI, 412.
DAS GRABMAL DES BISCHOFS MAL RICIO IM DOM ZU BURGOS
59
.MATTHAIS SCHIESTL
IHNACIIT IM /ll.LERTAl
wohl das vergeistigte Antlitz des Bischofs '); die
Gestalt ist jedoch jugendlicher gedacht und in
breiteren Formen modelliert und kann kaum
mehr zum Vergleich auf Porträtähnlichkeit
herangezogen werden. Die etwas schematisch
geordneten Haare decken ■/.. T. das übergroße
Ohr. Die zu kurz geratenen Arme lassen die
') Abgebildet bei V. Carderera y Solano, Iconogralia
Kspanola, I, Taf 10.
Haltung etwas steif erscheinen. Der Kopf ruht
auf einem mit Rauten gemusterten Kissen, in
deren Mitte abwechselnd blaue und weiße
Kreuze in Grubenschmelz eingelassen sind.
Die Gestalt ist bekleidet mit den pontifika-
len Gewandern, wie sie zum feierlichen <
dienst gefordert sind. Das Haupt ist bedeckt
mit einer Mitra in der niedrigen, im 12. und
13. Jahrhundert üblichen Form, das ist mit
Spitzen (Hörnern), deren Schrägseiten in einem
4o
DAS GRABMAL DES BISCHOFS MAURICIO IM DOM ZU BURGOS
MATTIIAl'S SCHII.STI
HAUS IM JURA
rechten Winkel zusammenlaufen. Sie hat einen
mit großen Edelsteinen besetzten Zierstreifen
als Randbesatz. Die von den beiden Armen ge-
hobene und zurückgestreifte Kasel in Glocken-
form wie auch Tunicella und Albe mit ihren
tief geschnittenen, dem Fluß der Parament-
stücke folgenden Falten zeigen den Künstler
als einen Meister in der Behandlung der Ge-
wänder. Und während die Rechte segnet, hält
die Linke mit dem Manipel den jetzt ver-
schwundenen Bischofsstab. Ein versteifter, auf-
rechtstehender gezierter Kragen, der sich an
den Halsausschnitt der Kasel anfügt, ist im
12. und 13. Jahrhundert in Frankreich keine
Seltenheit.1) Die liturgischen Handschuhe
tragen ein Zierplättchen im Vierpaß. Ähnlich
wie das Kissen trägt auch die Kasel und der
Manipel eine Musterung von getriebenen
Rhomben mit eingefügtem Lilienornament.
Freilich ist von der ursprünglichen Farben-
pracht wenig mehr vorhanden; nur mehr
schwache Spuren der Emailzier und der Vergol-
dung sind geblieben; und von den imitierten
Steinen am Halskragen und an der Bordüre
der Tunicella wie an der Standplatte sind nur
noch wenige onyxartige trübrote Glaspasten
') Vgl. Rohault de Fleury, La Messe VII, pl. DXCIV,
DXCVI, DXCVIII.
in ihren Kapseln geblieben. Die segnende
Bronzehand mit ihren langgestreckten Fingern
ruht trotz der rohen späteren Benagelung der
Stulpen lose im morschen Holzkern. Beim
Mangel eines schützenden Gitters sind solche
Beschädigungen leicht erklärlich.
Die Charakterisierung der ruhenden Figur,
Verkürzung und Versteifung der Arme, die
einlache Musterung der festlichen Gewänder,
Form der Mitra und die unarchitektonische
Gestaltung der Fußplatten legen die Annahme
nahe, daß das Grabmal bald nach dem Tode
des Kirchenfürsten, etwa um 1240, herge-
stellt wurde. Der Steinsarg in seiner exak-
ten Ausführung und guten Erhaltung wird
wohl der neueren Zeit entstammen.
Unter den mit Schmelzarbeit dekorierten
Grabdenkmälern, die aus Limoges hervor-
gingen, gehören die flache Platte mit dem
in Grubenemail hergestellten Bild des Grafen
Gottfried Plantagenet im Museum in Mans
und die Stücke mit dem Bild des Bischofs
Eulger von Angers dem 12. Jahrhundert an.
Sie tragen kein Relief; es ist nur das Bild
der Personen in buntem Email auf gemuster-
tem Grund wiedergegeben. In der nachfol-
genden Zeit scheint der Wetteifer mit den
im deutschen Norden, in der Magdeburger
Gießhütte, zu Ende des 12. Jahrhunderts er-
DAS GRABMAL DES BISCHOFS MAURICIO IM DOM ZU BURGOS
4>
stehenden Bronzeepitaphien mit der Reliet-
figur des Verstorbenen auch in Frankreich
das Verlangen nach einer körperhaften, in
Metall hergestellten Gestalt auf den Grab-
monumenten erweckt zu haben. Jedenfalls
gingen die" in der Fabrikation von kirchlichen
Metallgeräten erfahrenen Limusiner Werk-
meister zu Beginn des 13. Jahrhunderts daran,
in ihrer gewohnten Technik, Metallplatten
über Figuren von Holz zu legen, Grabmonu-
mente auszustatten. Von den bis zu 60 cm
hohen mit Silber- oder Kupferblech überzoge-
nen Limusiner Madonnen aus Holz war nur
ein Schritt bis zu den lebensgroßen Liege-
tiguren auf den Sarkophagen berühmter Män-
ner. Abten, Bischöfen, fürstlichen Persönlich-
keiten, Königskindern, wie der Blanka, t 1243,
und dem Johann, f 1248, zwei Nachkommen
des hl. Ludwig von Frankreich, und Rittern
errichtete man Tumben mit dem Rehetbild
in der Standestracht in reicher Vergoldung
und von gleißendem farbigem Glasschmelz um-
geben. ') Bis in das 7. Jahrzehnt des 14. Jahr-
hunderts hinein sind Bestellungen solcher
Monumente der Metallplastik in Limoges ur-
kundlich nachgewiesen und bis in die Kathe-
dralen Englands landen solche Crabmäler aus
') E. Rupin, L oeuvre Je Limoges, I.
der kunstgewerblichen Zentrale Südfrankreichs
ihren Weg.
Allerdings haben die Stürme der Revolution
von diesen glanzvollen Monumenten der hohen
plastischen Kunst innerhalb der Grenzen Frank-
reichs wenig übrig gelassen. Außer dem Grab-
mal des 1296 verstorbenen Wilhelm von Va-
lence, Grafen von Pembroke in der Abtei-
kirche von Westminster in London und der
Tumba des Mauricio in Burgos, ist heute noch
vorhanden die Figur der Blanche von Cham-
pagne und eine männliche Maske als Lber
rest eines Denkmals im Louvre-Museum in
Paris, während die zugehörige Frauenmaske
im Museum Saintjean zu Angers einen
Platz gefunden hat; ferner bewahrt die Kirche
von Saint Denis die Grabreliefs der beiden
Kinder Ludwigs des Heiligen, wenn auch m
stark beschädigtem Zustand. In welchem Um-
fang die Männer der Revolution an mittel-
alterlichen Schmelzarbeiten ihre Zerstörungen
anrichteten, davon nur ein Beispiel. In Limo
ges selbst verkaufte 1791 ein Gelbgießer Cou-
trand 46 Zentner alten Kupfers, henuhrend
von dem Emailaltar des Klosters Crandmont,
einem Hauptsitz der Limusiner Kunst, die
Glasschichte hatte er abgeschlagen. Ein Ge-
nosse desselben schmolz 4 Zentner dünnen
Kupferbleches ein. nachdem der bunte Schmelz
Uli chrutÜLh. K«
42
DAS GRABMAL DES BISCHOFS MAURICIO IM DOM ZU BURGOS
MATTHÄUS SCIIIESTI.
IIÜGELLAXDSCIIAFT
entfernt war. Welche Mengen von Emailge-
räten setzen diese Kupfermassen voraus, da
nur dünn geschlagenes Blech zur Schmelz-
arbeit verwendbar ist? Wenn die schlechten
Abbildungen in Rupins Werk (S. 160, 166,
1 6S) einen Schluß auf den Kunstwert der noch
vorhandenen emaillierten Grabmäler gestatten,
dann ist ohne Zweifel das Monument Mau-
ricios weitaus an die erste Stelle zu setzen.
Daß man sich zur Herstellung eines email-
lierten Grabmals für den Kirchenfürsten an
einen Limusiner Meister und nicht an einen
spanischen Künstler wandte, erscheint nicht
verwunderlich. Es fehlt auf der Pyrenäischen
Halbinsel seit Beginn des 10. Jahrhunderts
nicht an sicheren Nachweisen, daß der Glas-
schmelz auf Gold geübt wurde. Das in der
Camara santa in Oviedo heute noch verehrte
Vortragskreuz des königlichen Westgoten-
sprößlings Pelagius, der um 703 als der erste
nach der Überflutung Spaniens durch arabische
Armeen die zersprengten Goten sammelte
und mit diesem Kreuz aus Eichenholz als
Kriegsstandarte die Wiedereroberung Spaniens
begann, hatte Alfons III., der Große, laut In-
schrift im Jahre 908 auf dem Schloß in Gau-
zon am Biskayischen Meerbusen mit Gold be-
schlagen und reich mit Filigran und Edel-
steinen besetzen lassen. Es trägt grünes, rotes
und blaues Email, z. T. in Kapseln einge-
lassen. Das zwei Jahre später gefertigte, in
Gold montierte Achatkästchen des Fruela und
seiner Gattin Nunilo Scemena in der gleichen
Schatzkammer des Domes in Oviedo hat
Schmelzschmuck in allen Farben. Ein email-
liertes Reliquiarkästchen des 10. Jahrhunderts,
ehedem im Besitz des Klosters San Pedro de
Rodas, beschreibt der Archäologe Fidel Fita. :)
Die rohe Zeichnung der daran befindlichen
Christus- und Engelfiguren läßt auf eine
noch frühere Entstehung schließen. Aus den
Schmelzarbeiten des 11. Jahrhunderts, wie
dem Evangeliardeckel der Königin Felicia
') Boletin de la real academia de la historia, XLVI
(190s), 171.
43
44
MATTHÄUS SCHIESTL
BILDNIS
DAS GRABMAL DES BISCHOFS MAURICIO IM DOM ZU BURGOS
45
(f 1085), aufbewahrt in der Kathedrale von
jaca, aus einer Reihe von Yortragskreuzen
und anderen Kirchengeräten ragt noch heraus
ein verschwundenes Goldfrontale für den
Hochaltar der 1052 gegründeten Klosterkirche
von Najera1); es enthielt 23 große Schmelz-
bilder und nennt uns den Xamen des Künst-
lers Almanius, der auf deutsche Herkunft
schließen läßt. Auf dem im Dom von Gerona
bewahrten Teil des goldenen Antependiums
der Grätin Gisla vom Jahre 1038 sieht man
das Bild der Stifterin auf grünem Emailgrand.
Bei der Überführung der Reliquen des hei-
ligen Isidor aus dem Gebiete der Mauren nach
Leon schenkt König Ferdinand und seine Ge-
mahlin Sancia 1063 an die dortige Johannes-
kirche außer Elfenbeingeräten ein Frontale,
eine Hängekrone, ein Prozessionskreuz und
einen Kelch mit Patene, alles von reinem
Gold, geziert mit Edelsteinen und Schmelz-
werk (olovitreum). Von der großen Schenkung
sind nur einige Elfenbeinstücke auf uns ge-
kommen. Von anderen goldenen Altarver-
kleidungen dieses Jahrhunderts, wie jenen in
Santiago de Compostella und Barcelona wird
ein Emailschmuck nicht erwähnt.
Im 12. Jahrhundert hatte Santiago in der
Goldschmiede- und Schmelzkunst die Führung
übernommen. Von den Reliquiaren, die unter
dem hochstrebenden Erzbischof Gelmirez um
11 20 für die dortige Jakobuskirche gefertigt
wurden, waren drei mit Schmelzwerk aus-
gestattet. Ambrosio de Morales, vom König
Philipp IL in den siebziger Jahren des 16. Jahr-
hunderts zur Sammlung von Reliquien für
die neuerbaute Escorialkirche ausgesendet, sah
diese emaillierten Kästen noch an Ort und
Stelle und beschreibt sie ziemlich genau. Außer
den in Kirchen und Museen heute noch ver-
wahrten, sehr zahlreichen Schmelzarbeiten
des 12. und 13. Jahrhunderts, deren Aufzäh-
lung zu weit führen würde, wird uns eine
Reihe von Esmaltadores genannt, deren Namen
zweifellos auf spanische Herkunft schließen
lassen. Es arbeiteten zum Teil noch im
12. Jahrhundert ein Arias Perez, ein Pedro
Martinez, Fernan Perez und ein Pedro Pclaez
in Santiago, ein Juan Perez um 1262, ein
Pablo von Mondova um 1283 und Juan
Domingo und Dominus Arias in Burgos und
in Valladolid ein Juan Yafiez und Bartolomc
Rinalt. Freilich konnten die spanischen
Schmelzwerke mit ihrem Edelsteinbesatz, dem
sparsam aufgetragenen Emailschmuck und
ihren unbeholfenen figürlichen Zeichnungen
') Vepes A. Coronica gem.-r.il de] Orden Je san Benito
Valladolid um;, VI. fol. 125.
mit den Arbeiten von Limoges und ihrem in
neuem Stil die ganze Fläche übermalenden
Dekor nicht in Konkurrenz treten. Dem nach
Farbe dürstenden Geschmack der romanischen
Periode kam die Limusiner Art offenbar mehr
entgegen. Und so wandert aus dem Kunst
Zentrum Aquitaniens, das schon vor 1200 zum
Export gerüstet war, eine Reihe bis heute
erhaltener Kirchengeräte über die Pvrenäen-
mauer, in der ersten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts ein schmaldierter Retablo auf die
luftige Wallfahrtskirche von San Miguel in
Excelsis in Navarra, in der zweiten Hälfte
desselben Jahrhunderts ein Retablo mit Ante-
pendium in das Kloster Silos bei Burgos —
das Antependium ist jetzt im Museum von
Burgos untergebracht — , und um die gleiche
Zeit in die Kathedrale von Orense ein Fron-
tale, von dem noch 12 Platten vorhanden
sind. Außer diesen Altarteilen verwahrt Sala-
manca als Limusiner Arbeiten die hochver-
ehrte Madofia de la Vega und das Kreuz
des Cid«, während eine Reihe von Reliquien-
kästchen in Huesca, im Escorial, in Madrid
und anderen Orten Spaniens sich finden.
Und nun zur Frage: Wie mag Mauricio
zu der Idee gekommen sein, in der Haupt-
stadt Altkastiliens einen Dom im Kathedral
Stil nicht des französischen Südens, wie man
vermuten möchte, sondern der Isle de France,
sich zu erbauen, des Zentrums des französi-
schen Königtums, wo das Wölbungssystem
der Auvergne mit seinen zweigeschossigen
Seitenschiffen und den mit Halbtonnen ge-
wölbten Emporen mit dem ausgebildeten
Kreuzgewölbe der Kormandie zusammenstieß
und so den gotischen Baustil schuf?
Wir wissen, in welch nahen Beziehungen
der Bischof von Burgos zum jungen König
Ferdinand III., dem Heiligen, und seiner
Mutter Berenguela stand. Als Archidiakon
an der Primatialkirche in Toledo war Mau
ricio 121 3 abgerufen und zum Bischof der
Hauptstadt Kastiliens ernannt worden In
jener Zeit« erzählt der Chronist Lukas von
Tuv, >wurde der katholische Glaube in Spa
nien erhöht und trotz der vielen Kriege, mit
denen man das Königreich Leon bedrohte,
wurden doch die Kirchen derart mit komg
liehen Geschenken überhäuft, daß man die
alten, mit großen Kosten erbauten < !
hauser abbrach, und viel vornehmere und
schönere im ganzen Königreich Leon ei
baute«.1) Das von Leon Gesagte galt eben
so von Kastilien. Die Sohne des hl. Bern-
hard, die Zisterzienser, seit 11 31 in die spani
1 1 •-pan.i tagrada, \X\1\ .
46
DAS GRABMAL DES BISCHOFS MAURICIO IM DOM ZU BURGOS
sehen Länder gerufen, hatten mit
ihren Äbten an der Spitze, die häufig
französischer Herkunft waren, bis-
her unerhörte Größendimensionen
ihren neuen Kirchenbauten zu-
grunde gelegt. Die Ruinen von
Veruela im Aragonischen, die Klo-
sterkirchen von Val-de-Dios in Astu-
rien, Santas Creus und Pöblet in
Katalonien und vielleicht die größte
unter allen, jene von Fitero in Na-
varra, mit den Ausmaßen einer Ka-
thedrale, beweisen es. Vor den
Toren der Stadt Burgos selbst er-
hob sich in Las Huelgas ein Zister-
zienserbau. So mag dem Bischof von
Burgos seine 1096 konsekrierte alte
Domkirche zu enge geworden sein.
Die weiten und helleren Räume
der neu erstehenden Klosterkirchen
mögen in ihm den Wunsch nach
einer größeren Episkopalkirche er-
regt haben.
Da kam noch hinzu, daß Mauricio
mit dem Abte Pedro von Arlanza,
Kodrigo, dem Zisterzienserabt von
Rioseco und dem Johanniterprior
Pedro Ende Mai des Jahres 1219
von Berenguela nach Deutschland
gesandt wurde, um für den jungen
König Ferdinand bei Kaiser Fried-
rich IL um die Hand der Beatrix,
der jüngsten Tochter König Philipps
von Schwaben, anzuhalten. Der
Ruf von den Tugenden und Geistes-
gaben der staurischen Prinzessin war
bis nach Spanien gedrungen. In
Hagenau im Elsaß wurde der Heirats-
vertrag nach langen Verhandlungen
abgeschlossen. Wir kennen den
Weg nicht genau, auf dem die Reise-
gesellschaft mit der königlichen
Braut heimwärtszog. Sicher ist nur,
daß sie am Königshof in Paris aufs
ehrenvollste empfangen, mit Fest-
lichkeiten geehrt wurde und vom
König Philipp August ein Geleite
bis zur Grenze Spaniens erhielt. Am
25. November konnte Ferdinand
die Enkelin Barbarossas vor Burgos
begrüßen und am 30. November
nahm Mauricio in seiner Domkirche
unter großem Gepränge die Trau-
ung vor.
Ist es nicht mehr als wahrschein-
lich, daß der Kirchenfürst von Bur-
gos gerade von dieser Reise den
Plan an eine Kathedrale in der
DAS GRABMAL DES BISCHOFS MAURICIO IM DOM ZU BURGOS
47
VOM GRAUMAL HKS BISCHOFS MAURICIO IM DOM IV BURGOS
Tixt S. 37—48- — Vgl. AU. S. 46
Größe und im Stil Mittelfrankreichs mit in
die sonnige Heimat brachte? Konnte ihm die
Bewegung entgangen sein, die damals die
Städte Frankreichs ergriffen hatte? Die Schil-
derungen von den fast fertigen Kathedralen
in Soissons, Novon, Laon, von der 1212 be-
gonnenen neuen Krönungskirche der fran-
zösischen Könige in Reims, sollte er sie nicht
vernommen haben? Noch mehr muß die
Notre-Dame-Kirche in Paris, von der nam-
hafte Teile damals fertig standen, ihn ergriffen
und gedrängt haben einen gleichen Prachtbau
in der Heimat zu schallen. So glaubt sich
der Wanderer in eine Kathedrale von Mittel-
frankreich versetzt, wenn er den Dom von
Burgos betritt. Nur wenn die Lichtfülle des
Vierungsturmes, in Spanien crucero genannt,
auf ihn herunterströmt, dann fühlt er spani
sehen Boden unter den Füßen und spa
nische Eigenart, denn die Hervorhebun
Kreuzungsquadrates zwischen Fang- und Quer-
schiff mit eigenen Turm, konnten die spani
sehen Werkmeister auch in der Gotik nicht
vergessen.
Der Feuerbrand der Begeisterung für neue
Dome in der Art des opus francigenum griff
rasch und weit um sich. Aul die Grundstein-
legung in Burgos folgte 1226 jene für die
Primatialkirche in Toledo; in Leon war der
Bau schon 1199 begonnen worden; er ruhte
aber ein halbes Jahrhundert, erst 1252 wurde
die Bauhütte wieder eröffnet. Und wie die
Kirche Mauricios bleiben auch die Kathedralen
von Orense und von Burgo de Osma unzei
trennbar mit dem Namen des heiligen Fer-
dinand verbunden. Französische Werkmeister
lieferten ohne Zweifel die ersten Plane.
Auf der gleichen Reise, auf der der Bischof
von Bui gos zum Bau einer französischen Käthe
drale kam, wird er auch zu dein Wunsch nach
einem bunt emaillierten Grabmal geführt wor-
den sein. In der Kirche von Xotre Dame in
Paris, deren Chor 1 1 77 bereits bis zur Ge-
wölbehöhe emporgestiegen war, — der Hoch-
altar war 11S2 konsekriert worden') - hatte
man dem [208 verstorbenen Erzbischol von
Paris, Odo von Sullv, ein Grabmonument er-
richtet. Die auf einer Kupferplatte liegende
Figur war nach I.imusiner Art in Treibarbeit
hergestellt, emailliert und vergoldet und von
1 Schnu üite der bildenden Künste, V, 5 s
DAS GRABMAL DES BISCHOFS MAURICIO IM DOM ZU BURGOS
48
vier gleichfalls mit Kupfer umkleideten Säulen
betragen1)- Über dem Kopf des Bischofs hatte
sich der Schmelzkünstler verewigt mit der In-
schrift : Stephanus de Boisse me fecit. Das Denk-
mal Odos von Sullv war eines der frühesten,
vielleicht die erste" Grabfigur in Relief, die
aus einer Limusiner Werkstätte hervorging.
Der Bischof von Burgos hat sicher das Monu-
ment des baufreudigen Oberhirten von Paris
zu Gesicht bekommen und den Wunsch nach
einem eben solchen Epitaph mitheimgenom-
men. Und so steht heute sein eigenes Denk-
mal als Unikum für ganz Spanien in der von
ihm gegründeten Kathedrale. Ob der vor-
genannte Stephan von Boisse oder ein an-
derer Limusiner Meister oder einer der kunst-
beflissenen Mönche von Grandmont der Fer-
tiger des Grabmals ist, wird wohl nie ent-
schieden werden. Sicher aber ist, daß dieser
mit seiner skulpturalen Kunst, der Zeit weit
vorauseilend, ungleich höher steht als mit der
manuellen Fertigkeit des Emaillierens, durch
die Limoges über alle Kulturländer Europas
hinaus berühmt geworden ist, und daß er es
verdient, als ein Vorläufer in der schärfsten
Charakterisierung des menschlichen Antlitzes
an der Liegefigur Mauricios und als erster
Vertreter einer Schule in jeder Kunstge-
schichte einen Ehrenplatz einzunehmen.
K. Fastlinger
MICHELANGELO DER BESIEGTE
Als er sie fand, die gütig war und rein,
Verharschte seiner Seele offne Wunde,
Kein leeres Märchen war hinfort die Kunde
Von ew'ger Liebe ird'schem Widerschein
Sie heilte ihn mit ihrer stillen Hand,
Sie nahm ihn mit auf der Entsagung Wege,
Und lehrte ihn die letzten, steilen Stege,
erschuf ihm neu sein Heim und Vaterland.
Da gab er der Bamherzigen zum Lohn
Seliger Gnade ihre milden Züge,
Daß sie des Mitleids heiße Bitte trüge
Vor den Verwerfer, ihren ew'gen Sohn2).
M. Herbert
DER SIEGER MICHELANGELO
Er stieg empor aus der Antike Schoß.
Ihm hielt die Heidenkunst den Sinn
umsponnen;
Trank er auch tief aus dem Erlöserbronnen,
Ein innrer Zwiespalt ließ sein Herz nicht los.
') Rupin E., 1. c. 15S ff.
*) Die Maier Dei auf dem Jüngsten Gericht soll die
Züge der Vittoria Colonna tragen.
Sohn zweier Zeiten schritt er durch die Welt
Doch ging zum Ganzen sein unrastig Streben:
Mit Riesenfäusten formte er sein Leben,
Bis er es nur auf seinen Gott gestellt.
O großer Kämpfer! Ungeheures Bild
Siegreichen Wollens! Lehre uns zu steigen
Zu deinen Höhn, wo aus den letzten Neigen
Des Bechers Stillung ew'gen Durstes quillt.
M. Herbert
DER TOD DES MICHELANGELO
Er redete nicht mehr. — Geheimnis tief
Lag über seiner letzter Stunden Qual, —
Es ward sein stolzes Antlitz matt und fahl
Von schwerer Müdigkeit, eh er entschlief.
Doch einmal wurde noch sein Auge klar,
Er hob mit starkem Willen sich empor
Zur Abschiedsrede! Leiht mir euer Ohr!
Sprach er leis flüsternd zu der Freunde Schar.
O wißt es! Auf der Brust sitzt mir die Reu,
Weil ich so schlecht befolgte ew'gen Rat,
Für meine Seele viel zu wenig tat.
Und untreu war der grenzenlosen Treu.
Ja, dieses schmerzt mich, daß mich der Befehl
Von hinnen ruft, da ich auf ew'ger Bahn
Die ersten Schritte strauchelnd nur getan.
Ja, dieses schmerzt mich in der tiefsten Seel!
Daß ich ein schwaches Stammeln nur begann
In meiner Kunst. Daß mir's im Tode tagt,
Wie ich die Anfangsworte bloß gesagt. —
So voll von Demut starb der größte Mann.
M. Herbert
DER KREMSER SCHMIDT
Der Kremser Schmidt! Ich stand im dunklen
[Schiff,
Wo Bettler harrten lahm, gebeugt und blind.
Wo alte Weiblein, Gottes Ingesind,
Das letzte Stammeln brachten ihrem Herrn.
Da ragte hoch ein Altarblatt empor:
Am Kreuzesstamm sah ich den einzig Einen
Und ihm zu Füßen Magdalenens Weinen.
Ich hört' es in die Seele tief hinein.
Aus Düsternissen flammte ihr Gewand,
Türkisenblau. Es schimmerte ihr Haar,
Das goldgesträhnt und voller Lichter war.
Doch nebensächlich schien das Farbenfest.
Weil gar so bitter die Erlösernot,
Weil gar so wirklich dieser Büßerschmerz.
— Vorjahren war's : doch nie verlor mein Herz
Das heilige Bild, die stille Meistertat.
O Unbekannter! Wüßt' ein Herz um dich,
Zu deinen Bildern müßte es wallfahren,
Die Kräfte Gottes neu zu offenbaren,
All deiner wundervollen Schönheit froh.1)
M. Herbert.
') Vgl. »Die ehr. Kunst«, XV. Jg., S. 178.
1 RANZ YETIIGER
DER Kl SSILEU UND SEINE GEMAHLIN
IRAN'/ VETTIGER (1846- in
Von Dr. AD. I All
'Abb. S. i
pVe schweizerische religiöse Malerei der letz
*— ' ten Jahrzehnte kennzeichnen zwei Meister:
Paul Deschwanden und Franz Vettiger. Beide
standen als Lehrer und Schaler, später als
Freunde einander nahe. Denn, kaum der
Schule entlassen, besuchte der junge Vet
tiger die Zeichnungsschule in Stans, an der
Deschwanden zwar nicht Unterricht erteilte,
wohl aber eine gewisse Oberleitung der be-
gabteren Schüler stets innehatte.
In einer nur fragmentarisch erhaltenen Auto
biographie skizziert Vettiger seinen Studien-
gang mit folgenden Worten: »Ich besuchte
auch auf dessen (Deschwandens) Rat die Aka
demie in München (1861 63 . wo ich neben
den Bekannten. Oberländer, Haider, Defi
usw. nach Antiken zeichnete. Die mir von Stans
her bekannten und befreundeten, früheren
Schüler Deschwandens waren indes in Karls
ruhe und bestimmten mich, dort die Malschule
zu besuchen (1S63 64). Dort befanden sich
auch die spater viel genannten H. Thoma,
er, Balmer, Troxler, Kaiser, Stirnimann,
Stäbli usw.« ii-i'5 siedelte Vettiger für ein vol
les l.ilir nach Stans über, wo er frühe!
die Ferien zugebracht hatte, meist im Atelier
der immer mit Arbeit übet
häuft war Die erzielten Resultate scheinen
■
So
FRANZ VETTIGER
FRANZ VETTIGER
Karton zu einein Bilde
DER HL. GEORG
xt S. so und 51
ganz erfreuliche gewesen zu sein, nach
der Bemerkung: »hatte mir seine technische
Fertigkeit soweit angeeignet, daß ich einst
während seiner Abwesenheit zwei Altar-
bilder mehr als er mir aufgetragen, ausge-
führt hatte«.
Einen wichtigen Schritt kennzeichnen die
folgenden Zeilen: »Das Jahr 66 widmete ich
hauptsächlich Landschaftsstudien in Uznach
und Weesen und den Winter brachte ich
wieder in München zu, hauptsächlich mit
Kopieren in der Alten Pinakothek. Im März
1868 trat ich den Weg über den Splügen
nach Italien, dem Ziele und Sehnen aller
Künstler, an.«
Das Studium der Denkmäler nahm den
jungen Schweizer sehr in Anspruch, doch wid-
mete er sich rasch wieder künstlerischer Tätig-
keit. Sein Landsmann, Kunstmaler Wüger,
hatte sich im Garten des Klosters S. Alfonso
ein reizendes Künstler-Junggesellenheim ge-
schaffen, in dem er ebenfalls Aufnahme fand
und damit den Bestrebungen der späteren Beu-
roner Schule nähertrat. Er bekundete die-
sen gegenüber ein ganz außerordentliches
Interesse.
1869 ist der junge Künstler bereits mit sei-
nem ersten großen Auftrage beschäftigt. In
sieben umfangreichen Bildern entwarf er Sze-
nen aus dem Leben des hl. Johannes des Täu-
fers für die Kirche von Alt-St.-Johann im
Toggenburg. Gegen Ende des Jahres kehrte
Vettiger wieder nach Rom zurück.
Das Jahr 1871 bildet einen Markstein im
Leben des Künstlers. Er baute sich in Uznach,
in seiner Heimatgemeinde, über der male-
rischen Linthebene, unfern den Ufern des
Zürcher Sees, ein eigenes Atelier und blieb
damit der heimatlichen Scholle erhalten. In
Berta Marty, einer Tochter des Kt. Schwyz,
fand er eine edle Gattin, die seiner künst-
lerischen Tätigkeit alles Verständnis entgegen-
brachte. Für den nun ökonomisch auch
unabhängigeren Mann öffneten sich mehr als
vier Jahrzehnte einer glücklichen Wirksam-
keit. Den Aufträgen vermochte der Künstler
nie nachzukommen. In seinem Heime sah
er seine Kinder heranblühen, später muntere
Enkel, die stets neues Leben ins einsamer
werdende Haus brachten.
Fassen wir die künstlerische Entwicklung
unseres Meisters näher ins Auge. In den
Skizzenbüchern und Kartons, in den letzteren
wohl am deutlichsten, tritt uns das Streben
des unermüdlich Tätigen entgegen. In kühn
hingeworfenen Kohlenzeichnungen offenbart
sich eine virtuose Beherrschung der Formen,
die gründliche anatomische Studien voraus-
setzt. Für die 14 Nothelfer der Pfarrkirche
in Appenzell sind eine Reihe vorzüglicher
Kartons entstanden, eine Zierde des dortigen
Kollegiums, dem sie abgetreten wurden. Die
jugendliche Kraft des hl. Georg (Abb. oben)
siegt mit treffsicherem Lanzenstoß über die
aufbäumende Wut des Ungetüms, das ver-
endend zurücksinkt. Körperliche Ermüdung
äußert sich dort, wo die Riesenschultern zum
FRANZ VETTIGER HL. CHRISTOPHORLS
Karton zu einen: Bilde in Appenzell. — Text S. JO und J l
FRANZ VETTIGER
">'
FRANZ VETTIGER, ZWEI GRUPPEN VON HEILIGEN
Kartons für Ingenlwhl. — Text ur.t,n
Throne des Allerhöchsten werden (Abb. S. 50).
Fest umfaßt die Hand den Baumstamm, der
rechte Arm stemmt sich in die Seite, fragend
blickt dennoch das Auge empor, um den Ge-
gensatz zu lösen, zwischen dem Kinde und
dessen in körperlicher Schwere sich äußern-
den göttlichen Majestät. Vielleicht am zar-
testen offenbart sich des Künstlers Individua-
lität, wenn wir beobachten können, wie ein
Glied gleichsam beseelt sich zeigt. Im Karton
zum hl. Agidius ist der Gegensatz zwischen
der rein schematisch behandelten rechten
Hand und der Linken, die den Pfeil
liehst leicht und leise der Wunde zu entziehen
sucht, geradezu auffallend.
Wahrend bisher die Einzelfigur maßgebend
blieb, sehen wir in der Komposition, wie,
nachdem die Grundzüge festgelegt sind, eine
zartere Detaillierung sich geltend macht. Die
Skizze nähert sich den Feinheiten der Dra-
pierung und scheint bereits der künftigen
Farbe die Pfade weisen zu wollen. Im reli-
giösen Genre äußert sich die Brauchbarkeit
einer sorgfältigen Zeichnung für die Zwecke
der Stickerei. Wo die vorzeichnende und
die ausführende Hand voneinander verschie-
den sind, kann nur eine erträgliche textile
Übersetzung erwartet werden, wenn der Zeich-
ner möglichst die Eigenart der Ausführung
beobachtet. Die Vorzüglichkeit der Kartons
tritt dort am deutlichsten zutage, wo der
Kunstler in der Durchluhrung jeder einzelnen
Figur, in der Komposition der Grup]
weit gegangen ist (Abb. oben), daß die Aus
Führung auf die Fläche eigentlich nur von
sekundärer Bedeutung ist.
52
FRANZ VETTIGER
ALTARBILD
IN UZNACH
In den bisherigen Werken tritt eine Seite
der künstlerischen Eigenart Vettigers hervor.
Die anatomischen Studien gehen allmählich
in tüchtige Gedächtnisübungen über, die in
den Draperien meist maßgebend blieben. Der
Aufenthalt in Rom, selbst ein gewisses Naza-
renertum äußert sich in der wohl abgewogenen
Komposition, in der leisen Verschiedenheit
symmetrischer Gruppen. Jener sinnige reli-
giöse Zug, der sich in gläubi-
gem Vertrauen, stiller Demut
und wehmutsvoller Sehnsucht
äußert, ist Deschwanden und
Vettiger in gleicher Weise
eigen. Er äußert sich bei letz-
terem mehr in der Zeichnung,
bei jenem mehr in der Farbe.
In einzelnen Werken der
Frühzeit macht sich die ernste,
feierliche, monumentale Auf-
fassung der Beuroner Schule
geltend, mit deren Gründern
Vettiger stets auf bestem Fuße
stand. Er teilte ihren Idealis-
mus, der sich in die Worte
kleidete: »Ich hättegewünscht,
in der Komposition und Groß-
artigkeit dem Giotto, in An-
mut und Lieblichkeit dem Fra
Angelico nahezukommen.«
An Deschwanden ging die
Photographie einer Aufer-
stehung aus Vettigers Atelier
ab. In einem offenen Freun-
deswort legte der Stanser
Meister seine Ansicht nieder
— Brief vom 26. Februar 1873:
»Wohl ersieht man aus dem
Ganzen den lobenswerten,
frommen Ernst, der den Ent-
wurf und die Ausführung lei-
tete. Allein es atmet mehr
die Strenge des Alten als die
Gnade des Neuen Bundes
Einen solchen Christus hätten
die Jünger, trotz dem »Friede
mit euch« nicht nahen dür-
fen Verstehe mich wohl,
ich schätze und liebe und be-
wundere all die treuen und
unvergeßlichen Freunde in
ihrem nachahmungswürdigen,
ernsten Streben, und ich ver-
abscheue jenes süßliche, wei-
che, oft theatralische Wesen,
das besonders irüher mich an-
ekelte. Allein geradezu zu
Ihrem gedeihlichen Wirken
wünsche ich, daß Sie die Klippen eines an-
dern Extremes glücklich umschiffen, ...um
vom Volke besser verstanden zu werden.«
Wie weit der Meisterden Mahnungen seines
Freundes nachgekommen, ersehen wir aus
seinem Madonnenbilde für die Pfarrkirche in
Uznach, das für die Entwicklung des Künst-
lers als maßgebend bezeichnet werden darf
(Abb. oben). Eine gewisse feierliche Strenge
MADONNA ALI] DEM i HRON
FRANZ VETTIGER
J3
FRANZ V] 1 I [Gl R
•u in Cznach. — Text S. S-l
VIERTE KREUZWEGSTATION
tritt dem Beschauer sofort entgegen. Der
Mutterschoß ist nur der Thron für den Sohn
Gottes. Bekleidet mit Albe und griechischer
Stola, will er der Welt den Frieden bringen.
Irgendwelche Beziehungen zwischen Mutter
und Kind sind nicht einmal angedeutet. In
den beiden Engelsgruppen erkennt man, trotz
des Bestrebens nach Idealisierung, noch die
Modelle. Im Linienschema der Komposition
sind die Einflüsse Italiens, etwa Andrea del
Sartos zu erkennen. Von den Engelsköpf-
chen aus lassen sich Linien ziehen, die im
spitzen Winkel im Haupte des Kindes und
der Madonna zusammentreffen, Die Köpf-
chen der Engel schließen sich zu einerweichen,
nach vorn geneigten Elipse zusammen.
Durch die Uznacher Madonna können zahl-
reiche Werke des Meisters illustriert werden.
Ganze Kirchen wurden ihm zur Ausschmückung
mit tiguralen Szenen übergeben. Die Legende
einzelner Heiliger behandelte Yettiger in Serien
von Bildern. Seine Altargemälde erfreuten sich
beim gläubigen Volke stets eines besondern
Ansehens und freundlicher Aufnahme.
Die ganze Fruchtbarkeit des Ateliers in
Üznacb zeigt sich auf dem Gebiete der Kreuz-
wege. Es sind nicht weniger als 1 5 der-
selben von Vettiger entworfen. Den ersten
malte er schon 1862 unter Deschwandens
Aufsicht in Stans. Seither sind die Serien
der Stationen auf seiner Stallelei entstanden,
keineswegs als einfache Kopien, sondern stets
folgten neue oder leicht veränderte Entwürfe.
Schon ilie äußere form bedingte Varian-
ten des nämlichen Themas. Kur selten er
laubte die disponible Fläche, den Zug vom
Richthause des Pilatus bis auf die Schädel-
Stätte in fortlaufender Prozession, die etwa
Säulchen gliedern, vorzuführen. Auch die ein-
zelne Station mußte eigens komponiert wer
den, je nach dem weichen ( Kai einer bereits
vorhandenen Rokoko-Umrahmung oder den
mehr hoch als breit entwickelten Flächen
eines gotischen Bogens. Sem reifstes Können
zeigte er im Kreuzwege für die Pfarrkirche
seiner rleimatgemeinde.
Die Zahl der Figuren wurde bedeutend ver
mehrt, so d.iii umfangreich* Kompositionen
54
FRANZ VETTIGER
m
entstehen. In der 4. Station, um einem Bei-
spiele näher zu treten, sahen wir früher, wie
die Mutter flehend ihre Hände erhob, so um-
fängt in Uznach (Abb. S. 53) mütterliche Liebe
zum letzten Male sorgend den Sohn. Die
Wut der Schergen hat sich gemildert, sie
weicht teilweise dem Staunen über die Größe
und Bedeutung dieser Liebe. Ebenso zart
behandelt ist die 11. Station (Abb. oben). Der
Blick des trefflich gezeichneten Dulders wen-
det sich nach dem Beschauer. Die Henker
sind mit der Durchbohrung der Hände und
Füße beschäftigt und würfeln über das Kleid.
Eine Mauerbalustrade trennt diesen Raum
tiefster Leiden von der nachdrängenden Menge
der Neugierigen und Schadenfrohen. Einzig
in Maria und ihrer Umgebung fand das Mit-
leid Zutritt. Die Wache scheint Milde walten
zu lassen. In der 12. Station (Abb. S. 55) ist
weniger die sonst gebräuchliche Kreuzigung,
vielmehr die dieser vorausgehende Kreuz-
erhöhung festgehalten, wodurch die feierliche
Ruhe dieser Szene in reiche Bewegungs-
motive aufgelöst wird. Die Anstrengungen
zur Hebung des Kreuzes sind sämtlich nach
rückwärts verlegt, wodurch die Hauptfigur in
ihrer Bedeutung um so entschiedener hervor-
tritt, durch die beiden Gruppen des Mitlei-
dens und der Verhöhnung, rechts und links
noch markanter gehoben wird.
Die Gegensätze zwischen tiefem Mitleid
und ohnmächtigem Hasse im Kreuzwege, zu
jubelndem Glücke und verzweiflungsvollem
Untergange zu steigern, bot sich in der Dar-
stellung des Jüngsten Gerichtes reichlich Ge-
legenheit. Nicht weniger als sechs verschie-
dene Behandlungen dieses Gegenstandes sind
von Vettiger bekannt. Keine aber kommt an
Umfang und künstlerischer Durchführung der-
jenigen von Rapperswil gleich. Sie nimmt
eine Bildfläche von ca. 120 Quadratmeter ein.
Trefflich ist der undankbare Raum des Spitz-
bogens ausgenützt. In dessen Scheitel thront
der Richter. Vor dem Throne brennen die
sieben Fackeln, ein Regenbogen mit den vier
apokalyptischen Symbolen umschließt densel-
ben. Der Hintergrund zu beiden Seiten ver-
tieft sich in die lichtdurchtränkten Reihen
FRANZ YETTIGER
55
FRANZ V ET] IGER
ZW( '1.1 TE KKEIYV. lGSTATIOX
des Himmels, dessen Bewohner die 24 Alte-
sten anführen. Links sind Maria, in deren
Mantel sich die Stammutter Eva birgt, und der
hl. Joseph Zeugen des Gerichtes. Über Mar-
mortreppen und blumige Wiesen eilen die
Vertreter der Menschheit jubelnd ihrem Ziele
entgegen. Eine Fülle sinniger poetischer
Details ist in die verschiedenen Gruppen ver-
teilt. Ein Engel krönt die Glieder der Fa-
milie. Die Jungfrauen im Brautschmucke
schweben empor. Vertreter der Orden, Krie-
ger, der Reigen der Unschuldigen Kinder
werden von Engeln emporgeführt. Die Stulen
der Hierarchie erscheinen, endlich bekleiden
beschwingte Himmelsbewohner die Aufer
stehenden mit dem Gewände der Unsterb-
lichkeit, auch dem Reinigungsorte schlagt die
Erlösungsstunde.
Rechts entwickelt sich die volle Wucht
dramatischer Kraft. Die sieben Engel mit
Posaunen, Schwertern und den Schalen des
Zornes Gottes sind etwas zurückgedrän
den im Sturme dahersausetuien apokalyptj
sehen Reitern (Abb. S. 56). In kühnen Bil
dein wird der Zusammenbruch der Welt ge-
schildert. Nur Trümmer des Tempels ihrer
Größe sind noch sichtbar. Geborstene Trom-
meln der Säulen, Gebälkstücke stürzen. Am
Opferaltare lechzt eine schwarze Rauchtlamme.
In ohnmächtigem Kample erheben sich die
Repräsentanten der sieben Hauptsünden. In
der Tiefe öffnet sich der Rachen des höl-
lischen Drachen. Aus diesen erschütternden
Keulenschlägen sehnt man sich nach ruhigen
Gefilden, aus der sturmgepeitschten Nacht
nach einem friedlichen Morgen.
Wir finden diesen im Deckengemälde der
Pfarrkirche von Appenzell, der größten Kom-
position des 19. Jahrhunderts der ganzt
Schweiz. I?ei einer Lange von 16 Meter mißt
dasselbe 12 Meter in der Breite (Abb. S. 571
und enthält 16; Figuren. Der Gedanke de.
Aller Heiligen ist in tretl lieber Kom
position testgehalten. Die Dreifaltigkeit, die
Mutter Gottes krönend, nimmt die ober.
ein. Auf Wolkenthronen haben zu beiden
Seiten die Apostel Platz genommen. Nach
der Tiefe verteilen sich die Gruppen der acht
56
FRANZ VETTIGER
I KAN/ YETTIGKR
DIE APOKALYPTISCHEN REITER
Seligkeiten. Links ladet der hl. Joseph die
Armen im Geiste ein. An der Spitze der
Heiligen des Neuen Bundes erblickt man den
armen Lazarus im Schöße Abrahams. Tie-
fer schweben die Sanftmütigen empor. Man
erkennt sofort die hl. Dominikus und Franz
v. Sales, aber auch Noe mit der Arche und
Moses mit seinen Gesetzestafeln. Der Mittel-
gruppe schenken wir momentan noch keine
Aufmerksamkeit. Links in der Tiefe grup-
pieren sich die Trauernden. Adam und Eva
knien in der Ferne. Die Hand des hl. Aloy-
sius erfaßt der Engel. David berührt die
Saiten seiner Harfe. Die nach der Gerech-
tigkeit Hungernden und Dürstenden sind um
den hl. Michael kniend versammelt. Es sind
teils Ordensstifter, teils lokale Patrone, wie
der hl. Gallus. Rechts steht höher die Gruppe
der Barmherzigen: Raphael mit dem greisen
Tobias, dem das Augenlicht geschenkt wurde,
Martinus, dem ein Engel das Gewandstück
überbringt; ihnen schließt sich Vinzenz von
Paula mit dem Kinde und der hl. Karl Borro-
mäus mit dem Kranken an. Höher zieht
sich rechts am Rande des Bildes die Gruppe
der Heiligen empor, die reinen Herzens sind.
Die duftigen Figuren sind leicht zu erkennen.
Über Cäcilia undTiburtius schwebt ein himm-
lischer Violinspieler. In der Höhe folgen dem
hl. Johannes dem Täufer die Friedfertigen. Wir
beobachten den frommen Job. In seiner Nähe
kniet der sei. Nikolaus von der Flüe. Die mitt-
lere Gruppe der ganzen Komposition zeigt
die Verfolgung Leidenden. Der hl. Mauritius,
der Patron der Kirche, wird von Engeln empor
gehoben. Die unschuldigen Kinder jubeln,
Palmen wehen in ihren Händen. Zu beiden
Seiten schließen sich die Märtyrer beider Ge-
schlechter und aller Altersstufen an.
In diesem Bilde zeitigen die ikonographi-
schen Studien des Künstlers eine reife Frucht.
Alle Epochen der Kirchengeschichte sind ver-
treten: Das christliche Altertum im Purpur-
glanze des Martyriums, das Mittelalter mit
seinen Vertretern der Wissenschaft, endlich
die neuere Zeit in ihrer charitativen Tätigkeit.
Nach der Lösung solcher Aufgaben dürfte
man wohl erwarten, daß die Schöpferkraft
des Künstlers erlahmt wäre, wenigstens vor
großen Aufträgen zurückschrecken würde.
FRANZ VETTIGER
57
I RA\/ VETTIGER
DtcktHfimäldt in Apftmell. — Ttxt S. jj
\1 I KKIIEILIGEN
Vettiger näherte sich noch als Sechziger der
schönsten Aufgabe seines Lebens.
In der Bundeshauptstadt Bern suchte der
damalige Stadtpfarrer, der spätere Bischof von
Basel, Dr J. Stammler, 1906 für die Deko-
ration seiner neuen Dreifaltigkeitskirche einen
tüchtigen Kunstmaler. >Ich entschied mich
für Vettiger in der Meinung, von ihm etwas
Frommes und Volkstümliches zu erhalten<,
wie er selbst bemerkt.
Mit jugendlichem Schaffensdrange entwart
der Beauftragte einen umfangreichen Plan.
Ein dreifacher Fries war an den Längswän
den des Mittelschiffes vorgesehen. Über den
Fenstern sollten die Schopfungstage und die
Sakramente Aufnahme linden. Zwischen den-
selben würden 14 Vorbildet des Alten Testa
ments auf den neuen Bund hinweisen, wah-
rend im Hauptfries in 12 großen Kompo-
sitionen das Leben di 1 schildern
58
FRANZ VETTIGER
IRAK/ YETTIGEK
MARTYRIUM DES HL. LAURENTIÜS
L'ntertr Teil.
wäre. Der Chor sollte die Darstellung der
heiligsten Dreifaltigkeit, die Zwickel über den
Säulen Kirchenlehrer, der Chorbogen das
Jüngste Gericht und über der Orgelempore
der Weltheiland, dem die Völker der Erde
huldigen, Aufnahme finden. Die Riesenauf-
gabe sah 53 Bilder und zwei große Kompo-
sitionen vor. Die Spekulation eines künst-
lerischen Geschäftsmannes hätte sich nach
einem Stabe von Mitarbeitern umgesehen.
Unser Meister machte sich, umgeben von
zahlreichen andern Aufträgen, an die Arbeit,
zeichnete und malte jeden Strich mit eigener
Hand. Bei seinem Tode fanden sich 15 Dar-
stellungen ausgeführt.
Unsere Abbildung Seite 5 9 gibt eine Idee, wie
eigenartig der Künstler seine Aufgabe löste.
Die Himmelfahrt Christi verlangt schon inhalt-
lich eine oblonge Bildfläche. Hier stand ein
langgezogenes Rechteck zur Verfügung. Eben
entschwebt die ätherische Gestalt des Hei-
landes der Erde. Die Blicke der knienden
Zeugen verfolgen den Herrn, teilweise die
glanzerfüllte Bahn, die sich emporzieht. Maria
faltet ihre Hände. Petrus und Johannes be-
rühren das Gewand des Scheidenden, als
wollten sie ihn zurückhalten. Einer der Engel
weist hin auf den Herrn, der andere auf das
Ziel seiner Fahrt.
Das Verzeichnis der Werke des Künstlers,
von seiner Tochter, Frau Kantonsrat Huber-
Vettiger genau geführt, weist über 1000 Num-
mern an Ölgemälden auf, die Skizzen und
Kartons natürlich nicht gerechnet. Wir wäh-
len aus dieser Überfülle noch vereinzelte Bil-
der heraus.
Die Vorliebe für die Landschaft, die er in
Karlsruhe erworben, verließ ihn nicht mehr.
Im Gallusbilde konnte seine Phantasie in voller
Freiheit sich entfalten. Am rauschenden Flüß-
chen, in der wilden Einsamkeit ist der greise
Missionär niedergesunken. Ein Engel macht
ihn aufmerksam auf ein Zukunftsbild, die
heutige Stiftskirche von St. Gallen, die sich
wie ein dämmerndes Märchen aus dem Ur-
walde erhebt.
59
6o
JOSEPH KIENER
In die Glanzzeit des antiken Rom führt
uns das Martyrium des hl. Laurentius (Abb.
S. 58). Richter, heidnische Priester, Wachen
und Henker bilden eine figurenreiche Gruppe,
aus welcher der eben auf den Rost nieder-
gebundene Märtyrer eigentlich hervorleuchtet.
Den Hintergrund füllen die mit Säulen ge-
schmückten, durch statuarischen Schmuck
bereicherten Bauten der Hügelstadt. Die
hohe disponible Fläche bedingte auch die
künstlerische Berücksichtigung der obern Par-
tien. Christus im Kreise von verschiedenen
Blutzeugen erwartet den jugendlichen Hei-
ligen, dem ein Engel mit der Palme entge-
genschwebt.
Berühren wir zum Schlüsse eine ganz um-
fangreiche Wirksamkeit im Porträt, die Vet-
tiger entfaltete. Diese Tätigkeit, in der er
vor allem nach wirklicher Ähnlichkeit des
Dargestellten strebte, zu der sich die Be-
tonung des Charakters gesellte, beschäftigte
ihn schon in Italien vielfach. Sie äußerte
sich auch in seinen religiösen Bildern, wie
beim Jüngsten Gerichte in Rapperswil, in dem
mehrere Porträte erscheinen. Ein sinniges
Denkmal stiftete er seiner Familie durch sein
Selbstbildnis, in das auch seine treue Lebens-
gefährtin, die stete Förderin seines künst-
lerischen Schaffens aufgenommen wurde
(Abb. S. 49). Palette und Pinsel sind die
Embleme des Meisters, die er in den nie
rastenden Händen trägt. Das Auge der stol-
zen Männergestalt weist auf jene schaffens-
freudige Energie hin, die auch der Fernstehende
anerkennt, die der mit seinen Schöpfungen
inniger Vertraute bewundern muß.
IOSEPH KIENKR
KAPUZINER UND KINDER
Schattenbild. — Text S. 63
JOSEPH KIENER f
(Hierzu die Abb. S. 60—65)
Allzufrühe hat sich die Gruft geschlossen
** über dem liebenswürdigen, bescheidenen
Künstler, der dem katholischen Volke Deutsch-
lands durch seine poesievollen Kinderszenen
vertraut geworden ist und auf die Kinderwelt
selbst, die er so trefflich zu schildern verstand,
wie ein Erzieher zur Kunst gewirkt hat. Am
9. Februar des Jahres 1918 wurde er in dasselbe
Grab gebettet, in das wenige Tage zuvor seine
geistesverwandte und gleichaltrige Gattin hin-
abgesenkt worden war. Seit Gründung der
Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst
ein tätiges, warmherziges Mitglied derselben
verdient er, daß an dieser Stelle mit einigen
Worten seiner gedacht werde.
Weitesten Kreisen ist Joseph Kiener als Illu-
strator bekannt geworden. Die schwarzen und
farbigen Bilder, die er für Jugendzeitschriften
und Kinderbücher entwarf, zählen nach vielen
Hunderten. Aber auch einige gute Radierungen
hat er geschaffen (Abb. S. 61). Sein bedeuten-
des Talent für Malen auszubilden und zu betä-
tigen, dafür fehlten ihm Mittel und Gelegenheit.
So ging durch sein ganzes Leben ein stiller,
tiefer Schmerz, daß er die Welt der bunten
Bilder, die vor seiner Seele schwebte, nicht in
Form und Farbe aussprechen konnte. Mit einer
JOSEPH KIENER
61
seltenen Weichheit des Gemütes, die ihn mit
der Kinderwelt innerlich Verbund, paarte er
eine bayerisch männliche Kraft. Seine Bilder
erinnern an die alten deutschen Holzschnitte
und Kupferstiche und bleiben, wie diese, stets
auf dem Boden des Diesseits. So gern er hei-
lige Stoffe behandelte und so tief religiös
ergriffen er selber dabei sein konnte — er
war kein Engelmaler, schuf keine ätherischen
Gestalten, seine Art ist grunddeutsch, seine
Schöpfungen atmen den Erdgeruch der har-
ten oberpfälzischen Scholle.
Zu Schwarzenfeld, wo Graf Holnstein ein
reizendes Rokokoschlößchen besitzt, das jetzt
»restauriert« ist, wurde Joseph Kiener am
21. Juli 1856 als Sohn eines gräflichen Schloß-
und Rentenverwalters geboren und zeigte früh
eine ausgesprochene Neigung zum Zeichnen.
Darum wählte er sich einen Beruf, der ihm
nach seiner kindlichen Meinung die Möglich-
keit bot, es gründlich zu lernen und zu lehren,
er wurde Volksschullehrer und vollendete seine
Ausbildung in den hierfür bestimmten Schulen
zu Regensburg und Eichstätt. Als junger Schul-
gehilfe im Dorfe Pempfling und im Städtchen
Waldmünchen beobachtete er mit seinen schar-
fen,leuchtenden Augen die rotwangigen Büb-
lein und blondbezopften Mädchen in Schule
und Haus, bei Spiel und Arbeit und brachte,
was er der Natur abgelauscht hatte, mit siche-
ren Strichen aufs Papier. Er sah bald, daß
das Zeichnen ihm melir Freude mache als das
Schulhalten, hängte den Bakel an den Nagel
und ging nach München, um sich zum Zeich-
nungslehrer auszubilden. Die Jahre 1878 — 82
verbrachteer dort an der Kunstgewerbeschule
und an derTechnischen Hochschule. Sie waren
nicht nur fruchtbar für seine innere Weiter-
entwicklung, sondern boten auch reiche An-
regung durch den freundschaftlichen Verkehr
mit gleichstrebenden Freunden. Bilder, die er
tür die in Donauwörth erscheinenden Familien-
blätter gezeichnet hatte, vermittelten ihm die
Bekanntschaft mit der geistvollen Kinderschrift-
stellerin Emmy Giehrl (Tante Emmv). die
sich in liebevoller Weise des verwaisten innren
Mannes annahm. So ist Kiener so recht ihr
Illustrator geworden, für den Kinderkalender,
den Schutzengel, die Märchenbücher und an-
dere Veröffentlichungen schul er die Illustra
tionen oder gab selber durch Zeichnungen den
Stoff dafür an. Auf diesem Wege gewann er
zugleich die Mittel, seine Studien an der Mim
chener Akademie fortzusetzen. Es waren ent
behrungsreiche Lehrjahre, in denen er sich zu
seinem Berufe durchran intert durch
den Eifer seiner Studiengenossen Bucher, Sand,
Samberger, Stuck und anderer, mit denen ihn
IOSEPH KIENER BETF.S'DER
Orig ■ Oo
auch später noch treue Freundschaft verband.
Schließlich siedelte er, vom Auerschen Ver-
lag darum gebeten, nach Donauwörth über,
und die Leiter der dortigen Anstalten und
Redakteure der Zeitschriften gewannen den
ebenso begabten wie bescheidenen jungen
Mann lieb und schätzten ihn als Men
ebenso hoch wie als Künstler. 1
endlich im Jahre [889 .eine Anstellurj
/eiclmungslehrer am Schullehrerseminar und
am Humanistischen Gymnasium in Eich
das ihm von seinen Studienjahren her vertraut
war und von nun an die Statu iein<
liehen Wirkens und künstlerischen Schaffens
wurde. Im Herbst des gleichen Jahre
mahlte er sich mit der schönen, gemüt- und
geistvollen 'Fochter seines Amtsvorgängers,
des Professors Alois Süßmayer, der einst als
Schuler und I in den Kir
chen Münchens und in den I leinen von Speyer
und Gran gemalt und zuletzt die Kirche in Lud
wigshal indig mit Fresken geschmückt
hatte I .' 1 in idealer, in heiliger Liehe
verankerter Ehebund, den nicht einmal der
1 trennen vermochte. Opfervoll ;
(-2
JOSEPH KIENER
die treue Gattin den am hl. Weihnachts-
abend 1917 plötzlich erkrankten Gatten, bis
sie selber todesmatt an seinem Sterbelager
zusammenbrach, um ihm am 30. Januar 1918
in die Ewigkeit vorauszueilen, und schon
am 7. Februar waren die Getrennten im Jen-
seits wieder vereinigt.
i mxmm
n
IOSEPH KIENER
GANG ZUR SCHL'
Gewiß gehörte die Spannkraft eines starken
Geistes dazu, um mit größter Gewissenhaftig-
keit einem Dienst von 22 — 24 Wochenstunden
zu obliegen und dennoch Lust und Zeit für
eigene künstlerische Betätigung übrig zu haben.
Seinen Zeichnungsunterricht stellte Kiener
sofort auf das Studium der Natur ein, soweit
nicht Linearzeichnen, Einführung in die
Projektionslehre und ähnliches vorge-
schrieben war. Wieviel seine Schüler
seiner Lehrtätigkeit und seinem reichen
Wissen, besonders auch in der Kunst-
geschichte, verdankten, kam an seinem
Grabe in Nachrufen zum rührenden Aus-
druck. Für das eigene Schaffen ertüch-
tigte er sich dadurch, daß er sich ein
Atelier baute, Modelle zeichnete oder mit
dem Skizzenbuch hinauszog und fest-
hielt, was sich ihm in Wald und Flur,
auf Bergeshöhen des Altmühltals und in
den alten Gassen der fränkischen Bi-
schofsstadt darbot. Nicht nur Kinder-
gruppen und alte Leute, auch stimmungs-
volle Landschaften hat er gezeichnet und
gemalt. Und so sehr ihn das Malen
freute, so kehrte er doch immer wieder
zu Stift und Feder zurück. Dabei stu-
dierte Kiener Rembrandt und ?4enzel
und die großen französischen Zeichner
unserer Tage, am liebsten aber waren
ihm Albrecht Dürer und die alten deut-
schen Meister. Darum ist das Beste an
ihm und was an all seinen Arbeiten
so erfreulich wirkt, sein kerndeutsches
Wesen und Empfinden. Eine gemein-
schaftliche Ferienreise, die wir beide im
Jahre 1896 nach Italien unternahmen,
bot für Geist und Auge längst ersehnte
Genüsse und hinterließ die stärksten Ein-
drücke in seiner Seele. Der Gedanke,
seine malerische Ausbildung, die er nie
ganz unterbrochen hatte, fortzusetzen
und zu vollenden, wirkte wieder mäch-
tig auf ihn ein. Ein Brief vom 27. De-
zember 1900 gibt davon noch Zeugnis:
>Gerade in der letzten Zeit beschäftigte
ich mich wieder viel mit den alten Malern
und namentlich mit den Florentinern.
Ich lernte wieder Fiesole mehr verstehen
und lieben. So viel steht jetzt fest, daß
ich mich in Zukunft ganz der Malerei,
und zwar der religiösen Malerei, hin-
geben werde. Es deckt sich das ganz mit
meinem inneren Leben, es wird die
Verwirklichung meines Jugendtraumes.
Schon als Kind zeichnete und malte ich
am liebsten Heilige oder Szenen aus dem
Leben Maria und dem Leiden Christi.
JOSEPH KIENER
63
So sehe ich auch mit größ-
ter Sehnsucht der Zunahme
der Tageslänge entgegen . . .
Ich will fleißig die Natur
studieren und die alten Mei-
ster, die mir den rechten
Weg zeigen müssen. Als
Illustrator, der alles mög-
liche von heute auf morgen
fertigen soll, finde ich kein
Glück und keine Zufrieden-
heit. Ich will mir ein be-
stimmtes Gebiet erwählen,
in das ich mich vertiefe und
auf dem ich mich betätigen
kann. Das Illustrieren ver-
langt das Daheimsein auf
allen Gebieten der Kunst,
das zu erreichen mir neben
der Schule ein Ding der Un-
möglichkeit ist. Die Schule
macht doch gewaltig ernsten
Sinn, und es fällt mir immer
schwerer, jetzt vier Stun-
den hindurch den strengen
Schulmeister bei der »lie-
ben« Jugend zu machen und
gleich darauf den tieffühlen-
den Dichter auf demselben
Gebiete. Ich werde ja das
Illustrieren nicht ganz an
den Nagel hängen, nament-
lich den .Schutzengel' nicht
vergessen aus vielen Grün-
den der Pietät und der Dank-
barkeit, aber mein festes Ziel
ist auf die Malerei gerichtet.
Gab mir der liebe Gott den
Sinn dafür, so denke ich,
wird er mir auch weiter
helfen.«
Der Zwang äußerer Um-
stände verhinderten Kiener,
diesen schönen Phantasiegebilden nachzu-
jagen. Die Rücksicht auf seine Familie vor
allem war es, die ihn zum Bleiben im Dienste
bestimmte. Inzwischen war er im Jahre 1900
zum Gvmnasiallehrer und im Jahre 1907
zum Gvmnasialprofessor für Zeichnen ernannt
worden, und im Jahre 1908 erfolgte die
Einschränkung seiner Lehraufgabe auf den
Unterricht am Gymnasium allein. Das kam
ihm wie eine Erlösung, und mit neuem Eifer
wurde nun gezeichnet und studiert, radiert
und gemalt. Er blieb auf dem Boden, auf dem
er nun einmal heimisch geworden war. Manch
reizende Bilderfolge ging aus seiner Feder her
vor, und eine Reihe von köstlichen Schatten-
IOSEPH KIESER
• II DIE
rissen aus dem Kinderleben (Abb. S. 60) fand
auf Ansichtskarten weiteste Verbreitung. Aber
der Krieg brachte auch für ihn nicht nur
doppelte, sondern sogar dreilache Last, da
er infolge von Einberufungen den Unterricht
an der Lehrerbildungsanstalt und an der Real-
schule aushilfsweise ZU übernehmen hatte.
Ohne Murren stellte der alternde Mann all
seine Kraft in den Dienst des Berufes, der
für ihn ein Dienst am Vaterlande war, bis
er unter der Last von 27 Wochenstunden
zusammenbrach.
Wie fruchtbar sein Schallen gewesen,
die Kiener-Ausstellung .dleinderPfingst
woche 1918 von seinen 1 reunden im Sti<
64
TAGUNG FÜR DENKMALPFLEGE
|OSEPH KIENER
UHU SCH \l PK
haus und Festsaal der ehemaligen fürstbischöf-
lichen Sommerresidenz (jetzt Bibliothekge-
bäude) in Eichstätt veranstaltet und am 12. Mai
in Gegenwart des Bischofs, der Verwaltungs-
undOrtsschulbehörden feierlich eröffnet wurde.
Die vielen Besucher, die aus nah und fern
sich einfanden, waren überrascht von der Fülle
und Schönheit der Bilder, Blätter, Studien,
Skizzenbücher und Entwürfe. -Selbst die näch-
sten Bekannten des schlichten Mannes hatten
kaum geahnt, welch reiches und vielseitiges
Schaffen Kieners Leben ausgefüllt hatte1)..
Kieners Bedeutung für die Kunst unserer
Tage eingehender zu würdigen, muß späteren
Zeiten vorbehalten bleiben. Den Vergleich
') So Oskar Freiherr von H üttenbach in dem
schönen Nachruf, Jen er J. Kiener gewidmet hat im
Sammelblatt des Historischen Vereins Eichstätt 32 (Eich-
stätt 1918), S. 12, wo sich auch ein gutes Selbstporträt
des Meisters vom Jahre 1912 wiedergegeben findet. Vgl
auch J. Schlecht, Ein Leben im Dienste der Kunst,
in den Historisch-Politischen Blättern 161 (München 191 8),
S. S94— 607.
mit Ludwig Richter kann er ruhig aus-
halten, ihm gegenüber kommt seine baye-
rische Eigenart und seine künstlerische
Selbständigkeit recht wohl zur Geltung.
Gewiß hat auch er seine Wandlung in
Stil und Ausdruck durchgemacht, aber im
schlichten, deutschen Empfinden
ist er sich stets treu geblieben. Er kannte
keinen andern Lehrmeister als die Natur,
darum sind all seine Arbeiten urwüchsig
und kraftvoll. Für den kleinen Künstler-
kreis in Eichstätt, der in der dortigen
»Vereinigung der Kunstfreunde« seinen
Mittelpunkt fand, war er bestimmend und
tonangebend. Sein liebenswürdiges und
offenes Wesen, seine ungeheuchelte tiefe
Religiosität, seine Geradheit und Schlicht-
heit, sein schelmischer Humor haben ihm
viele Freunde geschaffen, und die das
Glück seines persönlichen Umganges ge-
nossen, blickten tief hinab in ein reines
Kindergemüt wie in eine frische, klare
Waldquelle. Weiter, viel weiter jedoch
ist der Kreis derer, die ihn aus seinen
fröhlichen Schilderungen des Kinder-
lebens kennen und lieben gelernt haben
— sie alle werden ihm ein dankbares
Gedenken bewahren. Joseph Schlecht
TAGUNG
FÜR DENKMALPFLEGE
Dei der 1917 in Augsburg stattgehabten
U Denkmalpflegetagung war beschlos-
sen worden, die des folgenden Jahres in
Köln zu veranstalten. Die Ereignisse
und Zeitschwierigkeiten haben nicht nur diese
Absicht vereitelt, sondern auch jetzt dazu
gezwungen, die immerhin nicht länger zu
entbehrende Tagung nur im engen Kreise
zu unternehmen. So versammelten sich denn
diesmal nur die deutschen Konservatoren,
soweit ihnen der Eisenbahnerstreik nicht die
Reise unmöglich machte, sowie eine Anzahl
von Verwaltungsbeamten nebst Vertretern
geistlicher und weltlicher Behörden. An-
wesend war auch S. K. H. Prinz Johann Georg
von Sachsen. Das Ausland war überhaupt
unvertreten geblieben. Die Beratungen fanden
am 7. und 8 Juli im Sitzungssaale der Kunst-
akademie zu Berlin statt und standen, wie
seit langen Jahren, unter der Leitung des Geh.
Hofrates Prof. Dr. von Oechelhäuser (Karls-
ruhe). Seinen einleitenden Worten, in denen
er ausführte, daß auch trotz der größten Be-
schwerden und gerade um ihretwillen die na-
tionalen Güter geschützt werden müssen, und
nichts uns helfe als treue Arbeit, konnte man
TAGUNG FÜR DENKMALPFLEGE
*5
nur von Herzen zustimmen. So verliefen denn
auch die Sitzungen unter regster Anteilnahme
der Versammelten, und man darf die Hoffnung
aussprechen, daß die dort geschaffenen An-
regungen wirklichen Segen und Nutzen im
Interesse des Denkmalschutzes stiften werden.
Nur zwei Themata standen diesmal auf der
Tagesordnung statt der bunten Mannigfaltig
keit, die sonst geboten worden ist, und dennoch
waren sie nicht minder reich, ja in ihrer Trag-
weite sicher wichtiger als manche bisher be-
handelten Sonderfragen. Das erste war »Das
künftige Schicksal der Fürstenschlösser und
des sonstigen fürstlichen Kunstbesitzes ; das
zweite ließ Die Trennung von Kirche und
Staat und ihre Bedeutung für die Denkmal-
pflege ins Auge fassen.
Doch kam außerdem ein nicht ursprünglich
beabsichtigter dritter Punkt, das Thema Krieg
und Denkmalpflege« zu kurzer Erörterung.
Es geschah aus Anlaß einer
Anfrage, die der Holländi-
sche Altertumsverein im
Haag an die beiden Vorsit-
zenden der Denkmalpflege-
tagung (außer v. Oechel-
häuser noch Geh.-R. Prof.
Dr. Paul Clemen, Bonn) ge-
richtet hatte. Um diesen
Punkt, der am Schlüsse des
ersten Tages eingeschoben
wurde, hier gleich zu er-
ledigen, so sei daran erin-
nert, daß (wie s. Z. an die-
ser Stelle berichtet worden
ist) schon 1917 in Augs-
burg dasselbe Thema mit
großer Ausführlichkeit er-
örtert wurde, und daß das
gleiche auch schon auf der
Brüsseler Tagung des Jahres
191 5 geschehen war. So
konnte denn diesmal nichts
wesentlich Neues gesagt
werden. Prof. Dr. Gurlitt-
Dresden sprach von neuem
über die schon früher von
ihm gegebene Anregung,
Denkmaler von besonderer
Wichtigkeit in Kriegszeiten
mit weithin sichtbaren Kenn-
zeichen zu versehen, eine
Maßregel, die bisher wegen
der völlig ablehnenden 1 lal-
tung unserer Feinde leider
nicht zur Anwendung kom-
men konnte, deren Durch-
führung er aber gleichwohl
nicht nur für vollkommen möglich hält (hat sich
doch auch das Rote Kreuz erst nach ai
liehen Schwierigkeiten durchgesetzt), und von
der er sich für die Zukunft Erfolg verspricht.
Er verlangt hierfür die Einsetzung einer inter-
nationalen Kommission. Der Vorsitzende be
nutzte die Gelegenheit, mit Worten höch-
ster Anerkennung der unermüdlichen Arbeit
zu gedenken, welche die deutsche Denkmal-
pflege auf feindlichem Boden geleistet hat; sie
hat sich nicht nur in Taten praktischer Für-
sorge und Erhaltung gefährdeter Kunst- und
Geschichtsdenkmäler bewährt, sondern hervor
ragend auch literarisch durch die Herausgabe
außerordentlich wichtiger Werke. Erinnert sei
nur an das über die Zisterzienserklöster in Bei
gien. Rühmend hingewiesen wurde auch au! ein
Werk »Kunstschutz im Kriege , das P. Giemen
in Gemeinschaft mit 22 Männern der Denk-
malpflege herausgibt, und das soeben zu cr-
KIENER
ülthc K«
66
TAGUNG FÜR DENKMALPFLEGE
SFENSTER IM FL RSTBISCHOELICHEN KRUPPELHE1M ZV BEUTHEN
Entwurf von Max Friese, Ausführung von Adolf Seiler in Breslau
scheinen beginnt. Der Redner nannte es ein
Kulturdokument ersten Ranges und eine Tat,
die unsere Ehre vor der Zukunft einst glänzend
wiederherstellen werde.
Zu dem Thema der Fürstenschlösser redete als
erster der Direktor der BerlinerNationalgalerie,
Dr. Mackowsky. Unter Einschränkung auf die
preußischen Verhältnisse gab er einen Überblick
über den Besitz der Hohenzollernschen Familie
an Schlössern und an andern mit Denkmalwert
versehenen Wohnstätten. Sie sind, etwa 65 an
der Zahl, über alle Provinzen des Staates ver-
streut — teils selbst errichtete, teils erworbene
Bauwerke, durchweg Schöpfungen von größ-
tem Wert und außerordentlicher Bedeutung
für das geistige und kulturelle Leben, höchst
verschiedenartig in ihrer Erscheinung. Aus
privaten Bedürfnissen entstanden, sind die
Schlösser längst ein Gemeingut der Nation
geworden, das sie in erhöhtem Grade ferner-
hin noch werden sollen, und deren Erhaltung
unbedingte Pflicht ist. Das großartigste ist das
Schloß zu Berlin, ein Denkmal, in dem sich
nicht nur der Geist des schönsten Barock mit
dem der Gotik und der Renaissance vereinigt,
sondern das auch schon längst gleichsam ein
Museum preußischer Kunst ist, geschmückt
mit Werken berühmtester dortiger Künstler;
so außer Schlüter Gontard, Langhans, Schadow,
Rauch, Schinkel. Unter einem vergleichenden
Hinweise auf die als vorbildlich anzusehende
Art, mit der man den Louvre zur Gemälde-
galerie gemacht, schlug der Berichterstatter
vor, auch das Berliner Schloß zu einem Mu-
seum zu machen, in dem sich, als in ihren
ursprünglichen Ausgangsort, viele jetzt ver-
streute Werke der zuvor genannten Künstler
von neuem vereinigen ließen. Auch an kunst-
gewerblichen Meisterwerken bietet das Berliner
Schloß eine außerordentliche Fülle, einen Schatz
von künstlerischer Anregung und Belehrung.
Was man auch mit den Schlössern anfange,
so sei doch das als wichtigstes Gebot festzu-
halten, daß sie nicht profaniert werden dürfen.
Jedes von ihnen besitzt Räume, die Schutz
verdienen. Gefahr liegt aber leider vor, und
die Wohnungsnot spielt dabei eine besonders
schlimme Rolle. Demgegenüber muß daran
TAGUNG FÜR DENKMALPFLEGE
67
festgehalten werden, daß die so
stimmungsvollen Innenbilder nicht
durch Entführung von Einzelheiten
gestört werden. Kann doch die
schematische Anordnung im Mu-
seum niemals Ersatz für das natür-
lich Gewordene, oft so stark Per-
sönliche bieten, dem z. B. Schlösser
wie Sanssouci, Babelsberg und an-
dere ihren Charakter verdanke;!
Bei der weiteren Erörterung der
Frage, was aus dem Bilderbestande
der Schlösser werden solle, be-
rührte der Redner die Schv
keiten einzelner dabei vorliegen-
der Rechtsverhältnisse und
dachte in diesem Zusammenhange
der Schackgalerie, die der einstige
Eigentümer, als er gegen München
verärgert sein Testament machte,
aut die Art von München zu ent-
fernen wünschte, während sie aul
Befehl Wilhelms II. daselbst ver-
bleiben mußte. Ob es fernerhin
dabei zu bleiben habe, blieb unent-
schieden. Mit Wärme nahm sich
Dr. Mackowsky der zu den Schlos-
sern gehörigen Parkanlagen an, die
als edle Kunstgebilde keinerlei Ein-
griffe ertragen. Leider ist dennoch
hiergegen bereits mancher Verstoß
begangen worden. Auf diesen
Punkt kamen weiterhin noch meh-
rere Redner zu sprechen; die Ver-
sammlung war mit ihnen in der
Ablehnung jeglicher Beschädigung
und Profanierung der alten herr-
lichen Parks einhellig gleicher Meinung. Im
Anschlüsse an den Maekowskyschen Vor-
trag teilte der Vorsitzende mit, daß der ge-
schäftsführende Ausschuß des Denkmalpflege-
tages bereits in einer Eingabe die Volks
Vertretung auf die Notwendigkeit der Erhal-
tung des Erhaltenswürdigen an und in den
Schlössern hingewiesen habe. Es sei aber
bisher nichts geantwortet worden, während
andererseits Pläne von z. T. abenteuerlichster
Art auftauchen. — Von den folgenden Red
nern sprach Prof. Gurlitt über die sächsischen
Verhältnisse. Es sind dort Verhandlungen zwi-
schen Fürst und Staat im Gange, die hoffent-
lich zu einem befriedigenden Ausgleiche führen
werden. Den Wünschen der Museumsverwal
tungen gegenüber muß die Denkmalpflege zu
Rate gezogen werden, damit Verschleppungen
unterbleiben. Der erzieherische Wert der Mu-
seen hängt nicht von ihrem äußeren Umfange
ab. — Generalkonservator Dr. Hager-München
MAX 1 RIESE
h\,r! n. fgl. Abb. S. 66
vertrat den gleichen Standpunkt. Sorge man
aber einerseits dafür, in den Schlössern keine
edle Wirkung, keinen wichtigen Zusammen-
hang zu stören, so müsse man andererseits
für weite Zugänglichkeit der Schlosser sorgen.
Der Redner erörterte dies im besondern am
Beispiele der Muncliener Residenz. Benutzung
zu Wohnungen, Sanatorien u. dg!, könne bei
wertvollen, mit reicher Kunst geschmückten
Räumen überhaupt nicht, bei einfacheren nur
dann in Betracht kommen, wenn der \\ ( g
zu ihnen nicht etwa durch jene kostbaren
Inhre. Zur wissenschaftlichen Verwaltung der
Schlösser schlug 1 >r. Ilager die Bestellung
eines Kunsthistorikers im Hauptamte \
Dr. Sauer Freiburg sprach über Baden
und in Vertretung des nicht erschienenen
Prof. Gradmann auch über Württemberg und
berührte dabei die auch von mehreren .mdern
Rednern stark hervorgehobene I I irderung nach
einem Gesetze zum Verbote dei A
68
TAGUNG FÜR DENKMALPFLEGE
A. M. VON OF.K (GÖSSWEINSTE1X)
Bleistiftzeichnung
Kunstgegenständen. Liegt doch die dringende
Gefahr vor, daß gerade unter jetzigen Ver-
hältnissen eine Unmenge unseres kostbarsten
Kunstbesitzes den Weg ins Ausland antreten
würde. Die Erörterungen am zweiten Sitzungs-
tage nahmen diesen Punkt gleichfalls auf. In
Baden hat der Großherzog in Würdigung die-
ser Gefahr bei der jetzt bereits dort erfolgten
Auseinandersetzung, wonach der Privatbesitz
in den Händen der Familie bleibt, die höchst
dankenswerte Zusicherung gegeben, niemals
etwas ins Ausland zu verkaufen und im Notfalle
dem Staate das Vorkaufsrecht zu lassen. Der
Redner betrachtete die wichtigsten Schlösser
(Karlsruhe, Bruchsal, Rastatt, Mannheim,
Schwetzingen usw.) einzeln und verlangte,
daß jede betreffs ihrer Benutzung auftauchende
Frage nur im Zusammenhange mit der Denk-
malpflege behandelt werden dürfe. — Prof.
Klopfer- Weimar sprach über die Schlösser in
den thüringischen Staaten (die Wartburg wird
Staatseigentum und bleibt unberührt); das
Interesse der Regierungen ist im allgemeinen
rege, das der Volksvertretungen muß noch stark
beeinflußt werden. An-
dere Redner gaben
nicht ungünstige Mit-
teilungen über An-
halt und Braunschweig.
Nachdem die gesamte
Sachlage noch vom ju-
ristischen Standpunkte
geprüft war, wobei eine
gesetzliche Ausnahme-
stellung für die Schlös-
ser verlangt und vor
den unverhältnismäßig
großen Kosten gewarnt
wurde, die durch die
— gleichwohl ungenü-
gend bleibende ! — Um-
wandlung der Schlös-
ser in Sanatorien und
dgl. erwachsen müß-
ten, kam es nach län-
geren Erwägungen zu
einer Entschließung,
die der Reichsregie-
rung und den Regie-
rungen der Bundes-
staaten überreicht wer-
den wird. Sie besagte :
Bei der Auseinander-
setzung zwischen den
ehemaligen Fürsten
und der neuen Re-
gierung ist dafür zu
sorgen, daß die Schlösser und sonstigen fürst-
lichen Wohnstätten mit ihrer Ausstattung,
ferner die zugehörigen Parks dauernd er-
halten werden, um den Sinn für Kunst
und Natur im Volke zu stärken und erziehe-
risch auf dieses zu wirken. Dies gilt auch
von den in fürstlichen Händen verbleibenden
Schlössern usw. Der Staat verpflichtet sich,
die künstlerischen und geschichtlichen Werte,
die an jenen Stätten vorhanden sind, nicht
zu beeinträchtigen oder ihre Erhaltung zu ge-
fährden. Seinen ihm zufallenden Besitz jener
Art unterstellt er der Fürsorge der berufenen
Organe der Denkmalpflege. Besonders diese
letzte Bestimmung, die einen seit lange ge-
hegten Wunsch erfüllen soll, wurde mit Ge-
nugtuung begrüßt. Alles zusammengenommen
ist nicht zu streiten, daß die Aussichten für
eine gutwillige, allseits nutzenbringende Aus-
einandersetzung wie für richtige Behandlung
von wichtigsten unserer profanen Denkmäler
nicht ungünstig sind. Hoffentlich entspricht
dem die dauernde Durchführung in derZukunft.
(Schluß folgt)
RRUnER ANTON' O. S. B. IN BEUKON
KARL EDliRF.R (DÜSSELDORF)
TtiuferaHld. Privatbesitz. — Tixt S. 73
NEU-DÜSSELDORFER KUNST
Von \Y. ZILS-München
(Hierzu die Abbildungen S. 69 — 112)
"T^Nas Jahr 1919 gilt in der Chronik der Düs-
*-^ seldorfer Kunst-Akademie als Jubiläums-
jahr. Die Zeiten sind nicht dazu angetan, um
Feste zu feiern und Festartikel zu schreiben,
doch bieten die vorliegenden Arbeiten Neu-
düsseldorfer Künstler religiöser Richtung Ge-
legenheit, einleitend auf die Bedeutung der
Düsseldorfer Akademie für die christliche Kunst
im letzten Jahrhundert hinzuweisen ').
König Friedrich Wilhelm III. von Preußen
betrieb 1 S 1 9 die, namentlich infolge der das kul-
turelle Leben Düsseldorfs schwer treffenden
politischen Ereignisse, notwendige Neugrün-
dung der 1767 von Kurfürst Karl Theodor
gestifteten Akademie. Peter Cornelius, der
größte Maler seiner Zeit in Konzeption und
Komposition, wurde ihr erster Direktor. In
dem von ihm aufgestellten Lehrplan bildeten
Malerei und Baukunst die Hauptfächer. Cor-
nelius, der überall schöpferisch und lehrend
die Wiederbelebung der monumentalen Ma
lerei wirksam verfocht, der Maler großen Stils,
sah in Gemälden, die unmittelbar mit dem
Raum zusammenhingen, das Höchste in der
Kunst, vor allem der religiösen Kunst. Wenn
') Diese Publikation lag schon langst zur Veröffent-
lichung vor. Äußere Umstände haben ihre Herausgabe
immer wieder verhindert. D. Red.
auch die Düsseldorfer Akademie erst unter
seinem Nachfolger Wilhelm Schadow ihren
frohgemuten Geist erhielt, so war es doch
ihr erster Leiter, der die Grundlage legte,
daß die Düsseldorfer Künstlerschalt neben
der Berliner und Münchener während des
19. Jahrhunderts als dritte und gleichwertige,
insonderheit was die Malerei anging, und
hier wieder die der religiösen Gattung, stand
Allerdings unter — das muß zugegeben wer-
den — weitblickender und sorgsamer staat-
licher Pflege.
Schadow'), dessen organisatorische und
Lehrbegabung Wolfgang von Müller2) nicht
hoch genug einzuschätzen weiß, suchte na-
mentlich nach seiner Rückkehr aus Italien
lohnende Motive in der christlichen Heilslehre,
die er gemäßigter in der Auffassung und lie-
benswürdiger darstellte. Daß er hierbei kei-
nen ein [ei EiDfluß auf den Bildungsgang
der Schule ausübte, hebt schon W. v. Müller
hervor. Die von Schadow neukreierte Pro-
') Während des Interregnum! leitete die Kunstschule
Prof. Mnsler, dem selbst ohne produktives I
1 . .m der Kralt fehlte, Schüler zu unterrichten und in-
curegen.
isseldorfer Künstler aus den letzten : , Jahren.
Leipzig iSjj, S
ifistlKlic Kunst. XVI
70-.
NEU-DÜSSELDORFER KUNST
fessur für Landschaftsmalerei erhielt Wilhelm
Schirm er, der Bildner biblischer Landschaften,
die sich durch ihr kräftiges Wesen auszeichnen
und hierdurch die innige Wahlverwandtschaft
zu den deutschen Eichen verraten. Die junge
Akademie war bereits damals so gekräftigt,
daß sie (wie noch heute) überschüssige Kräfte
nach auswärts senden konnte und somit nicht
allein in den engen Grenzen ihres Bereichs
wirkte.
Ben de mann, der u. a. mit Hübner die
Düsseldorfer Kunst nach Dresden verpflanzt
hatte, folgte 1858 Schadow in der obersten
Leitung. Er behandelte von seinem ersten
Bilde im Jahre 1832 (»Die trauernden Juden
an den Wassern Babylons«) bis zu dem figu-
renreichen leidenschaftlichen Werke der» Weg-
führung der Juden in die babylonische Ge-
fangenschaft« (1872, in der National Galerie
in Berlin) mit Vorliebe biblische Gegenstände.
Ein Zeitgenosse Bendemanns, Christian Köh-
ler, sei als Maler alttestamentlicher Frauen nicht
übergangen. Auch den Eklektikern im bibli-
schen Fache, die im Sinne Bendemanns ar-
beiteten, lassen sich besonders in der Farben-
gebung künstlerische Talente nicht absprechen,
wie überhaupt den Düsseldorfern das Ver-
dienst eignet, in der Zeit farbloser Malerei
den Kolorismus hochgehalten zu haben. Unter
Bendemann wurde die Akademie der Mittel-
punkt für jüngere künstlerische Kräfte, die
der Geist der Führich, Veit und Overbeck
beseelte, mit denen Cornelius die Geschichte
Josephs in der Casa Bartholdi in Rom in der
wiedergewonnenen Freskotechnik in drama-
tisch bewegten Bildern als einen Markstein
monumentaler Kunst hingestellt hatte.
Zu den Nazarenern Deger, Karl und An-
dreas Müller, gesellten sich der tiefreligiöse
KupferstecherKeller, Ittenbach, H.Mücke,
der gefällige Karl Kl äsen, der poetische
Theodor Mintrop usw. Und die Behauptung
dürfte wohl richtig sein, daß in der Folgezeit
die christliche Kunst unter der sorgsamen
Pflege der Schüler von W. Schadow und
C. Sohn das Rückgrat der rheinischen Aka-
demiekunst bildete. Die Ausmalung der Apolli-
nariskirche zu Remagen (1843/57), die Male-
reien im Schlosse Heitorf, die Tafelbilder
Ernst Degers und seines Kreises, der Brüder
Müller, Franz Ittenbachs fallen in jene Zeit.
Den Worten W. v. Öttingens über Karl Müllers
Kunst eignet generalisierende Bedeutung für
die Hauptvertreter aus jenen Tagen religiösen
Kunstschaffens, denen viel und oft der Cha-
rakter der Blüte abgesprochen wird. »Überall«,
schreibt Ottingen, »war er (Müller) willkom-
men, wo gläubige Gemüter nach dem bildlichen
Ausdruck ihrer Andacht in dem durch die
Sitte der Kirche gesetzten Rahmen verlangten.«
Max Schmid (Aachen), mit der einzige neu-
zeitliche Kunstgelehrte, der der Düsseldorfer
Akademiekunst gerecht zu werden versucht,
äußert sich1) über Deger und Ittenbach: »Ein
jedes ihrerGemälde bietet einen wahren Schatz
inniger Empfindung, absoluter Keuschheit des
Leibes und der Seele, verklärter Andacht und
süßen Seelenfriedens, alles das mit einer ge-
wissen Frische widergespiegelt. War auch die
etwas weichliche Art dieser Spätnazarener
verachtet, darf man doch nicht übersehen,
wie glücklich sie sich in dieser freiwilligen
Beschränkung fühlten und wie viel feine Na-
turbeobachtung zugrunde lag. Karl Müllers
»Jünger zu Emmaus« in der Remigiuskirche zu
Bonn (1889), Ittenbachs engelhaft zarte Madon-
nen, Josef Kehrens Altarbilder sind in ihrer
Art so vollendete Werke wie Lessings Histo-
rien- oder Schwinds Märchendichtungen. Ein
gut Teil sonnigen rheinischen Wesens offen-
bart sich in ihnen und man darf auch nicht
vergessen, daß sie deutscher Kunst im Aus-
lande einen Ruhm gebracht, wie ihn die ganze
Berliner Historienmalerei der sechziger und
siebziger Jahre — von Menzel abgesehen —
niemals errungen hat.« Durch die innere
Tüchtigkeit ihrer Persönlichkeit, die sie zu
aufopfernder, überzeugungs- und glaubens-
voller Tätigkeit befähigte, sowie durch ihre
treffliche künstlerischeErziehung und gewissen-
hafte Arbeit, gelang es ihnen, Achtenswertes
zu schaffen2).
Das Düsseldorfer Genre eines Knaus und
Vautier, die Historien Camphausens und
Hunten s und die Landschaften Achen-
bachs bezeichnen wohl künftig die Düssel-
dorfer Kunst schlechthin, aber sie machen sie
nicht aus. Tüchtige religiöse Maler heimischer
Art bildeten die glückliche Ergänzung. Erin-
nert sei nur daran, daß Alfred Ret hei, der
1829 als Schüler Schadows und Veits die rhei-
nische Akademie bezogen hatte, von der reli-
giösen Malerei (hl. Bonifatius und Predigt des
hl. Bonifatius) herkam. Und im Jahre 1860
betrat Eduard v.Gebhar dt Düsseldorfer Boden
und Wilhelm Sohns Atelier. Durch ihn wie
auch Peter Janssen fiel der Düsseldorfer
christlichen Kunst zum großen Teil die Auf-
gabe zu, die idealistische Anschauung zur
realistischen zu überführen. Die ergreifen-
den, mit wirklichem Leben erfüllten bibli-
schen Gestalten Gebhardts legen von einem
') Max Schmid, Kunstgeschichte d. 19. Jahrhunderts,
Leipzig (Seemann) 1906, II. Bd., S. 181 f.
2) Vergl. Schaarschmidt, Gesch. d. Düsseldorfer Kunst.
1907.
NHU-DÜSSELDORFER KUNST
KARL EDEKIK
\M WEGE.
Aquarell. Privatbesitz. — Text S. TJ
entschiedenen Christentum Zeugnis ab. Eine
große Zahl von seinen Schülern, die der rüstig
von früh bis spät an der Staffelei stehende
Altmeister noch heute um sich vereint, wandte
sich ausschließlich der christlichen Kunst zu,
darunter Ludwig Feldmann, Stummel,
Heinrich Nuttgens, Pfannschmidt, El-
rieh, Döri nger.
Die ganze Vergangenheit der Düsseldorfer
Akademie ließ es nur mehr als natürlich er-
scheinen, daß kirchliche Behörden auf
sie zurückyrilfen, als sie sahen, wie mangelndes
Verständais, Ungeschmack und fabrikmäßige
Geschäftigkeit unvergleichliche Gebäude schä-
digten, wie so viel unkünstlerische Ware an
allen Heilsorten, wie überall in Stadt und Land
angeboten wurden.
Auf Anregung des Kolner Erzbischofs Kar-
dinal Fischer und, nachdem auch die evan-
gelischen Kirchenbehörden ihre volle Be-
reitwilligkeit erklärt hatten, eine solche Ab-
teilung nach Möglichkeit zu fordern, schritt
daher das preußische Kultusministerium im
fahre 1908 an die Errichtung einer besonderen
Abteilung für christliche Kunst an der
Akademie. Als Lehrkraft wurde auf Vorschlag
des kunstsinnigen Akademiedirektors Fritz
Röber, der den Erfordernissen der christ-
lichen Kunst stets verständnisvoll entgegen-
gekommen war und ihr im Rahmen seiner groß-
zügigen Reorganisationsplane den gebühren-
den Platz anweisen will, Prot Jos. Huber-
Feldkirch aus München berufen und dazu
von den in Düsseldorf ansäßigen Künstlern
der die Tradition der
Idorfer Kunst fortpflanzt (Abi
72
NEU-DUSSELDORFER KUNST
KARL EDEKF.R
Teils/, ick. //',
Privatlesitz. — Text S. 74
ST. GEORGSFEKSTER.
Jahr später kam noch aus Wien Prof. Karl
Ederer, dessen Tätigkeit die der erstgenann-
ten Künstler in glücklicher Weise ergänzt.
Obwohl die drei Künstler, deren Ruf bereits
gefestigt war, bevor sie Düsseldorfs Boden
betraten, katholisch waren, gewannen sie
durch ihr Können auch das Vertrauen der
.evangelischen Kreise und bewährten sich auch
hier bei schwierigen verantwortungsvollen Auf-
gaben. Bei der Neuordnung der Kunstver
hältnisse in Düsseldorf soll der Lehrplan der
Akademie noch durch eine stärkere Betonung
der Baukunst, Bildhauerei und Textilkunst
erfolgen. Um den Unterricht in der christ-
lichen Kunstlehre eindringlicher zu gestalten,
entschloß sich auf Anregung des Kardinals
von Hartmann der Kultusminister, an die
Akademie einen katholischen Kunstgelehr-
ten als Dozenten zu berufen. Dessen Unter-
weisungen sollen durch Vorträge über den
Bau und die Einrichtung der Gotteshäuser
in gleicher Weise für beide Konfessionen ver-
tieft werden.
Es kann nicht Aufgabe dieser Zeilen sein,
ein Bild des gesamten Kunstwirkens der Ab-
teilung für christliche Kunst zu geben, viel-
mehr muß der Hinweis genügen, daß als
Ergebnisse ihrer Kunstbestrebungen bereits
eine stattliche Reihe hochkünstlerischer Werke
in den Kirchen des Rheinlandes und West-
falens und sogar darüber hinaus hervorging.
In den folgenden Zeilen mögen als Stich-
probe einige Künstler herausgegriffen werden,
um auch einen weiteren Kreis nichtrheinischer
und fernerstehenderer Kunstfreunde mit deren
Schaffen vertrauter zu machen. Man hat sich
daran gewöhnt, die deutsche Kunst nach den
beiden Kunstzentren Berlin und München ein-
zuschätzen, wobei man an den kleineren Stätten
deutscher Kunst, wo nicht minder intensiv und
tüchtig gearbeitet wird, vorbeigeht. Gerade
die Kunst des Westens hat auch in ihrem
NEU DÜSSELDORFER KUNST
rein profanen Teil die letzten Jahre
bewiesen, welch starke Talente am
Einflüsse der Dussel in den Rhein
tätig sind. Freuen wir uns, daß
allen politischen, wirtschaftlichen
und kulturellen Zentralisations-
bestrehungen zum Trotz die grö-
ßeren und kleineren Kunstzentren,
die Stärke der deutschen Kunst,
durch ihre Leistungen ihre Daseins-
berechtigung einstweilen noch im-
mer wieder beweisen !
In die Bilder der »Neu-Düssel-
dorfer Künstler« führt, ohne es sein
zu wollen, programmatisch Karl
Ederers »Kreuz am Wege ein,
das bezeichnenderweise in seines
engeren Kollegen Huber-Feldkirchs
Besitz überging (Abb. S. 71). Karl
Ederer stammt aus Wien, wo er
am 23. April 1S75 geboren wurde
und nach 4 jährigem Aufenthalte
an der Kunstgewerbeschule fünf
Jahre die Kunstakademie besucht
hat. Das Reisestipendium bot die
Unterlage für ein einjähriges Stu-
dium Italiens, worauf Ederer nach
Wien, dessen Sezession er an-
gehörte, zurückkehrte. Die dor-
tige Kaiserin- Elisabeth-Gedächtnis-
kirche schmückte er mit Mosaiken.
Im Jahre 1910 erfolgte der Ruf an
die Akademienach Düsseldorf Der
Bildnismaler Ederer, der die Ol-
technik bevorzugt und das Tem-
pera zur Abwechslung heranzieht,
ist ein frisches farbiges Talent.
Unter den Wienern, deren Moderne
nicht frei vom Koketten zu sein
pflegt, ragt er durch seinen deko-
rativ monumentalen Stil, der auf
die herkömmliche Auffassung ver-
zichtet, stark hervor. Das »Kreuz«
aus dem Jahre 191 1 erhebt sich
mächtig ernst »am Wege«. Noch
besser kennzeichnet seinen Stil das
Temperabild »Job« (Abb. S. 69)
von 19 12 (in Privatbesitz) mit sei-
ner einfachen Linie und der Aus-
schaltung aller Einzelheiten, die
überflüssig erscheinen. Der seinen
Bildern eigene feierliche Zusam-
menklang des Ganzen pflanzt sich
fort in seinen Werken der ange-
wandten Kunst, auf deren I
Prof. Ederer namhafte Leistungen
zu verzeichnen hat. Die politischen
Ereignisse der letzten Zeit gaben
74
NEU-DÜSSELDORFER KUNST
KARL EDERER CHRISTOPH BERNHARD VON GALEN.
Glasfenster im Gymnasium zu Rheine in West/. — Text nebenan
uns leider nicht die Möglichkeit,
Erkundigungen über den Stand
der letzten Arbeiten einzuziehen :
die Innenausschmückung der Lu-
kaskirche in Steglitz bei Berlin,
deren Glasfenster- und Mosaik-
schmuck ebenfalls Ederer anver-
traut ward, und dann über den
Plan, den Musiksaal des neuen Kur-
hauses in Aachen mit Fresken zu
versehen. Die Vielseitigkeit des
Künstlers ergibt sich aus diesen
Andeutungen : Er malt in Ol, Tem-
pera und Fresko, beherrscht die
Glas- und Mosaiktechnik. Sein
»Aquavita« für Rheine in West-
falen mit der doppelt lebensgroßen
Figur, das er selbst ausführte, darf
als eine besonders starke Tat an-
gesehen werden. Wie die Alten
der christlichen und römischen
Zeit beschränkt sich der Mosaik-
künstler auf nur wenig Farben ;
auf Goldgrund bildet er das Mo-
saikbild. Von dem Gymnasium
des genannten Rheine stammen
auch die drei Fenster hl. Ludger,
Christoph Bernhard und Karl der
Große (Abb. S. 73 — 75), die Ederer
in den unter Hubers Leitung ste-
henden akademischen Werkstätten
selbst ausführte. Sie entstammen
dem Jahre 191 1 und weisen einen
deutlichen Unterschied gegenüber
dem noch in Wien 1906 für Privat-
besitz angefertigten St. Georgs-
fenstern (Abb. S. 72) auf. Im Georgs-
fenster tritt trotz der teppicharti-
gen Flächenbehandlung der Bild-
nismaler noch mehr hervor. Das
Roß St. Georgs z. B. wirkt noch
plastisch. Der ganze Eindruck ist
der der dramatisch bewegten Ka-
binettscheibe, mehr in jener Art,
die der Westen und Norden im
15. Jahrhundert bevorzugte. An-
ders die drei Fenster in Rheine.
Bei großem Formenadel vereinigen
sie, ohne daß von einer Anlehnung
die Rede sein kann, den alten
zeichnerischen Flächenstil Süd-
deutschlands. Die häufige Ver-
wendung von Verbleiung und eini-
ger hervorspringender Farbenpunk-
te, das reiche ornamentale Beiwerk
erhöht den wohltuenden Teppich-
charakter. Die Gestalten sind da-
bei individualisiert, aus dem histo-
NEU-DUSSELDORFER KUNST
75
rischen Empfinden herauscharak-
terisiert. Die Fenster lassen sich
weder der Gotik noch dem Barock
einfügen, sondern entsprechen dem
eigenen Stil des selbständigen, die
Kunst neubelebenden Meisters.
Professor Joseph Hub er, der
den Namen seines vorarlbergischen
Geburtsortes Feldkirch zur Un-
terscheidung mitführt, kennen die
Leser der »Christlichen Kunst,
durch verschiedene Veröffentlich-
ungen. Auch die »Jahresmappe der
Deutschen Gesellschaft für christ-
liche Kunst ') nahm Veranlassung,
Kunstwerke, die aus seinem Atelier
hervorgegangen waren, im Bilde
vorzuführen. In das Schaffen Hu-
bers führte in dieser Zeitschrift2)
ein Artikel von Josef Wais ein.
Das damals gesagte soll jetzt seine
Ergänzung finden namentlich nach
der Seite der Leistungen Hubers
seit dem Antritt der Professur für
kirchliche Monumentalkunst an der
Düsseldorfer Akademie im Herbste
1909. Hubers große Bescheiden-
heit ließ bisher eine eingehendere
Schilderung seines Lebenslaufes
nicht zu. Was wir im Verlauf meh-
rerer Jahre in manchen Stunden
des Zusammenseins erfahren konn-
ten, sei daher hier kurz nieder-
gelegt.
Joseph Hub er wurde am 16. März
1858ZU Feldkirch geboren. Franz
Plattner ward sein erster Lehrer
und von Einfluß für die spätere
Lebensführung namentlich durch
das starke Stilempfinden und den
Heroismus. DerersteMeistersollte
nach Hubers eigenem Ausspruch
ihm stärker als irgendein anderer
Vorbild bleiben, mehr auch als
Hackl, Gysis und Löfftz, deren
Schulen Huber an der Münchner
Akademie besuchte. Daß der Aka-
demiestudierende in allen Klassen
mit Medaillen ausgezeichnet — wie
später auf Ausstellungen mit gol-
denen Medaillen — wurde, horten
wir von dritter Seite. In das Jahr
1887 fällt ein halbjähriger Aufent-
halt in Paris, wo T. R. Fleury und
Bouguereau zu Lehrern auserkoren
') Jahrg. 1903 und 1906.
3 Die Christi. Kunst, VII. Jahrg., Dez.
1910, S. 65 ff.
Tfe
W. DÖRINGER (DÜSSELDORF) MOSAIK : ENGEL VON EINEM GRABMAL
Text S. yr
NEU- DÜSSELDORFER KUNST
-77
IOSEPH HUBER -FELDKIRCH (DÜSSELDORF)
Mosaik. l\l VII. Johl
KOPF DI I
waren. Wohl mit aus dem Grunde, um
einen allenfallsigen französischen Einfluß in
nerlich zu verarbeiten oder vielmehr abzu-
streifen, fuhr Huber von Paris nach Feldkirch,
wo er für sich malte und sich namentlich mit
Entwürfen beschäftigte. Hier in der bergum-
standenen Heimat reiften Ideen, die spater zur
Ausführung gelangten. Ende 1888 ging Huber
nach München, das er zum dauernden Auf-
enthalt bis zu seiner Berufung nach Düssel-
dorfnahm. Den Verkehr suchte und fand er
im Kreise Sambergers, von Diez, Albert Welli,
Floßmann und spater M. Dasio. Das monu-
mentale Schaffen Hubers bedingten zunächst
die erteilten Aufträge, wie ja stets der Maler
vom Stil des Bau« sein wird. Durch
die Bemalung der Residenz mußte er sich
zuerst eingehender mit dem Barock beschäf-
tigen, jenem Stil, der vielleicht mehr als an
dere mit seinem souveränen Schalten und
Walten mit Figuren, rauschenden Gewändern
und der stürmischen Bewegung einen kerni-
gen Künstler kräftiger deutscher Rasse 1
Huber gab sich dabei — das gilt auch für
die jetzt veröffentlichten Arbeiten — keinem
schrankenlosen Schaffen hin. Die strengere
Auffassung in der Kunst ist ihm von Hause
aus angeboren. Die Bemalung der Residenz
Die christliche Kunst Wl. 4/5
78
NEU-DÜSSELDORFER KUNST
IOSEPH HUBER-FELDKIRCH
PROPHET ISAIAS
Bremen. Vgl. VII. Jahrg., S.70 — Text S.So
wie der Entwurf der Bemalung der Halle im
Münchener Ostfriedhof, die Malereien für das
Landesmuseum in Bregenz und andere Werke
können erst bei einem Vergleich mit der da-
maligen dekorativen Malerei richtig einge-
schätzt werden, wenn man die Frage aufwirft:
Bestand damals in Deutschland eine große
Wandmonumentalkunst? Die Antwort gibt
der Kenner der Verhältnisse mit einem »Nein«.
Neben der Ausmalung der Augustiner-, Pschorr-
und verschiedener anderer Brauereien beschäf-
tigte sich Huber in München viel mit Kom-
ponieren, wobei die Gestaltung von religiösen
und geschichtlichen Darstellungen in figuren-
NEU-DUSSELDORFER KUNST
79
! ,'l < IUI I.
reichen Kompositionen im Vordergrund stand,
sowie mit der Glasmal- und Mosaikkunst.
Daß er außerdem als Architekt, auch in Kon-
kurrenzen, verschiedentlich und glücklich titig
war und endlich als ernstdenkender, von der
Heiligkeit der Kunst durchdrungener Theore-
tiker in bedeutsamen Aufsätzen zu ästheti-
schen und organisatorischen Fragen Stellung
nahm, wurde schon im Jahre i>m<> hervorge-
hoben.
Hubers Kunst weist in steigendem Maße
einen Zug ins Große, ins Leidenschaftliche auf.
Wie seine Ölgemälde auf einen ausgespro-
chen realistischen, dekorativen Tun gestimmt
So
NEU-DÜSSELDORFER KUNST
sind, so zeigen Glas- und Mosaikbilder diese
von einem eminenten zeichnerischen Können
getragene Grundtendenz seines Schaffens. Das
Kleinliche, Weichliche, Seichte in der Kunst-
auffassung liegt ihm — dem geborenen Öster-
reicher — fern, er bevorzugt das Gigantische,
körperliche und geistige Kraftnaturen, wie sie
sich darbieten in den Prophetengestalten der
Bremer Domfenster (Abb. S. 78 u. 79). Huber als
gediegener Kenner der Vergangenheit weiß,
daß die Glasfenster keine Unterbrechung der
Architektur bilden, daß ihnen vielmehr die
Aufgabe der Fortführung der Wand, die aus
dem praktischen Grunde der Lichtzuführung
lOSEI'H HUBER-FELDKIRCH
Glasfenster für die St. Fetr
DIE FLUCHT NACH ÄGYPTEN UND DIE UNSCHULDIGEN KINDER
rche zu Mühlkeim-Ruhr, Ausgeführt rgrj. Teilstück — Text S. 83
g]
JOSEPH IILBERIHLDKIRC1I
K.„u-
S2
NEU-DÜSSELDORFER KUNST
JOSEPH HÜBER-FELDKIRCH
Glasfenstet
ST. MICHAEL
■che zu Mühlhe.
eine scheinbare Durchlöcherung erfährt, zu-
kommt. Den flächigen Charakter des Glas-
bildes betont er deshalb scharf, wobei ihm
die von Hause aus stark dekorative Veran-
lagung zugute kommt wie die vollkommene
Beherrschung des Handwerklichen in der Kunst.
Die glaskünstlerische Tätigkeit lediglich auf
die Kartonzeichnung zu beschränken und die
Ausführung fremden Anstalten zu überlassen,
hält Huber für falsch. Aus dieser Erwägung
heraus schuf er an der Düsseldorfer Akademie
die akademischen Glasmal- und Mosaikwerk-
stätten, in denen er seinem Ideal getreu seine
eigenen Werke und die seiner Kollegen zur
Ausführung bringt. Welcher Erfolg hieraus
den angehenden Künstlern erwuchs, vermag
man aus der bisherigen negativen Seite der
Akademien zu beurteilen. Kunst und Kunstge-
werbe gehören zusammen, an die Stelle der
Akademien müssen Meisterateliers treten, for-
dert neuestens ein Teil der Künstlerschaft.
Vor ihrem Auftreten führte Huber in Düssel-
dorf diese ihm selbstverständlich erscheinenden
Dinge allerdings im Rahmen der für die Ge-
samtausbildung notwendigen Kunstschule vor
zehn Jahren aus !
Einem eminent technischen Geschick des
Meisters verdanken die prächtigen, flott und
groß behandelten Figuren auf Hubers Fen-
stern, die einen eigenen malerischen Reiz
ausströmen, ihre Wirkung. Der Künstler ist
kein Epigone, kein Nachahmer des Alten, aber
dieses bietet ihm eine Quelle der Anregung
für sein Streben, den Gedanken der Gegen-
wart ihren sachgemäßen Ausdruck zu geben.
Durch die Vereinigung des monumentalen
Fresko- und Glasmalstils mit den großen, weit-
hin wirkenden Flächen des Mosaik erreicht
er seinen eigenartigen Stil. Was Huber will,
zeigt sich am reinsten in der evangelischen
NEU-DÜSSHLDORIHR KUNST
JOSEPH HUBER-FELDKIRCH
Glas/enster .
DER GUTE HIRT, UMGEBEN' VON' GLAUBE, HOFFNUNG, LIEBE
der St. FelriKirche zu Miihlktim-Rukr. Ttiltilä. ig/.,'.— 'Fe.it unten
Petrikirche zu Mühlheim a. d. R. Gemeinsam
mit Gebhardt, dem mit seinem Meisterschüler
Haverkamp die Freskomalerei übertragen war,
wurde er berufen, diese alte, bis in die Karo-
lingerzeit zurückgehende, um 1250 im goti-
schen Stil erweiterte Kirche zu restaurieren.
»Huber- Feldkirch ist der eigentliche Schöpfer
jener raumkünstlerischen Gesamtwirkung, die
beim Hintritt den Besucher fesselt und voll
und ganz gefangen nimmt , stellt der Präses
Presbyterii der Evangelischen Altstadtgemeinde
Dr. Ludwig Wessel in den 7 Blättern der Er-
innerung« fest, die bei der Wiedereinweihung
der Kirche am 24. März 1913 der Gemeinde
dargeboten wurden. Auf diese raumkünst-
lerische Absicht ist alles gestimmt: Das feier-
liche Schimmern des Marmorgesteins in der
Turmhalle der Kirche wie in der Umkleidung
des Altars, die konzentrierte Flächenaufteilung
und ihre farbenfreudige Abgrenzung im gottes-
dienstlichen Innenraum, das smaragdene Leuch-
ten und goldige Funkeln der Mosaiken .111
der Kanzel und in jenen beiden großen, dem
Altar nebengelagerten figürlichen Darstellun-
ler Heroen des apostolischen und refor-
matorischen Zeitalters und dann die wunder-
bar wechselnden Reize der Glasmalerei in den
Ghorfenstern (Abb. S. 80 — 83), deren Dar-
stellungen im inneren Zusammenhange stehen.
Die Kirche, deren Chorgestühl und Beleuch-
tungskörper Huber ebenfalls entwarf, stellt
das Produkt aus der Vielseitigkeit des höchsten
künstlerischen Könnens dar.
Aufgebaut auf der großzügigen Zeichnung
ist die Mosaikkunst, deren Technik Huber
studierte und wie selten einer handhab'.
Christus in dem hervorragenden Bauwerk des
Kolner Architekten Endler, der St Mechtcm-
kirche, die sich vorzüglich für Mosaikschmuck
eignet, zeigt die ganze Majestät Gottes, aus
84
NEU DÜSSELDORFER KUNST
|OSKPH HUBER. FELDKIRCH
M;h:i,,l„:i;„hr
dessen Blick gleichzeitig Vaterliebe und -gute
zu uns spricht. Die Apside wird im Auftrage
des »Rheinisch-westfälischen Kunstvereins«
von Huber mit Mosaikkunst geziert. In welchem
Stoffe Huber-Feldkirch auch arbeitet, immer
bildet er aus ihm heraus seine Formensprache,
die er braucht.
Für die Tüchtigkeit eines Lehrers und die
von ihm vertretenen Anschauungen zeugen
die Taten der Schüler. Die Künstler Walter
Corde, Theo Winter, Georg Wink ler
und Franz Schilling, die jetzt mit Abbil-
dungen folgen, gingen mehr oder weniger
letzten Endes aus Hubers Schule hervor.
Walter Corde ist ein vielversprechender
und großzügiger Künstler, der, nachdem er
kaum zwei Jahre selbständig sich in glück-
lichster Weise versucht hatte, mit Kriegsbeginn
ins Feld zog. Geboren in Köln, verbrachte
Corde seine Lebenszeit in Düsseldorf mit Aus-
nahme kurzer Reisen, die nach Belgien und
Oberitalien führten. Die erste künstlerische
Ausbildung erfuhr Corde an der Düsseldorfer
Akademie in der Zeichenklasse bei Peter Janßen
und der Malklasse bei Spatz. Erst im letzten
Jahr seines Akademiebesuches lernte er Pro-
fessor Huber kennen, dem er sich für die
Dauer anschloß und dem er als Assistent tat-
kräftige Unterstützung und Mithilfe wie in
Köln, dann vor allem beim Entwurf von Glas-
fensterkartons lieh. Obwohl Corde in der
bodenständigen niederrheinischen Kunst wur-
zelt, steht er im bewußten Gegensatz zur sog.
»Gelehrten Kunst«, die vom Künstler abstra-
NRU-DÜSSELDORFER KUNST
JOSEPH HIBERFELDKIRCH
KANZEL
Muklktim-Kuk
biert, was nicht aus seinem künstlerischen
Empfinden heraus schafft. Seinen Arbeiten, die
hier im Bilde vorliegen, eignet abgerundete
Raumwirkung (Abb. S. 95 — 104). Bei mächtig
angelegter Komposition unterstützt die Farbe
die scharf konturierte Zeichnung, ohne daß
seine Werke ausgesprochen koloristisch wirken.
Cordes Werke, die wir als charakteristisch
tür die Schule bei deren Aufführung an die
Spitze stellten, lehnen einen Archaismus ab,
sie suchen eine zeitgemäße Lösung der mo-
dernen Kunst zu linden, wie sie aus der ge-
stellten Aufgabe hervorgeht. Die Moderne
wird nicht gewaltsam herbeigezogen, sie er-
gibt sich als das Produkt eines gesunden
Empfindens. Am deutlichsten erhellen dies
die dekorativen Wandgemälde, wie sie Corde
auf Aufforderung des preußischen Kultusmini-
steriums für die Abdinghofkirche zu Pader-
born entwarf (Abb. S. 95 — 98) und dann in dem
Freskogemälde für die Aula der Töchterschule
inKöln-Mühlheim(Abb. S.99— ioi). >Der Beruf
der Frau« in seiner mannigfachen hauslichen,
charitativen und öffentlich-belehrenden Varia-
tion findet bei straffer Gesamtkomposition ihre
jeweilige Gruppenkristallisation. Den Pader-
borner Entwurf zeich neu klare Wand Gliederung
und freudige Belebung der Flächen aus. Über
den rein gedanklichen Inhalt von Cordes Bil-
dernunterrichtender Krieg ,in dem der Künst-
ler seherisch ein Jahr bevor der Weltbrand ent-
facht war, den Schrecken dieses Dämons mit
all seinen Folgen vorausahnte (Abb. S
und dann die beiden Vesperbilder. Die
gehört ja seit dem Mittelalter zu einem der
beliebtesten Vorwürfe religiös empfindender
Künstler und zu einem der besten Gradmesser
künstlerischen Gestaltungsvermögens. Im
1 |, [ahrhundert schalte sich aus der vollen-
deten Kreuzabnahme als eigene Szene der
Darstellung die Beweinung des auf ihrem
Schöße liegenden Leichnams Christi durch die
Gottesmutter heraus. Während man in den
ersten Zeiten Johannes, Magdalena, die anderen
Frauen, auch Nikodemus und Joseph
Arimathäa an der Klage der hl. Mutter teil-
JOSEPH HUBER FELDKIRCH
Von Jen AJ>s
km in St. Mechtern zu Köln.
HL. MAURITIUS
Ausgeführt igiö
8?
JOSEPH_HUBER-FELDKIRCH
Von den Afiismosaiken in St. Mechtern zu Kein. Aus£t/uhrt iqito
ST. GERI JON
SS
JOSEPH HUBER-FELDKIRCH
Von den Apstsmosaiken in St. Mechtern zu Köln. Ausgeführt igtö
ENGEL
Für ein Privathaus in Düsseldorf
JOSEPH HUBER-1 li.DKIFCU
MOSAIK :
90
NEU-DUSSELDORFER KUNST
JOSEPH HUBERFELDKIRCH
MODELL EINES TEILES DER AULA DER KUNSTGEWERBESCHULE IN DORTMUND. 19.
nehmen ließ, ging man später daran, Jesus
und Maria allein darzustellen. In der »Pietä«
stellt Corde den Vorgang rein menschlich dar
(Abb. S. 102), wodurch ihm allerdings die reli-
giöse Weihe eines Andachtsbildes zu entglei-
ten droht. Die Gottesmutter läßt entsprechend
dem menschlichen Schmerze des über die
Ermordung des Sohnes zusammengebrochenen
Herzens ihren Zähren freien Lauf. Maria ist
die in Alltagsgewand gekleidete Mutter aus
dem Volk, deren Leid und Klage zu jeder-
manns Herzen spricht. Das Dilemma, das
darin besteht, daß die schwache Frau den
schweren Körper des Leichnams nicht tragen
kann, vermied Corde. Einmal setzte er die
Mutter Gottes neben den gestorbenen Heiland,
beim Karton »Vesperbild« (Abb. S. 103) läßt er
die Wand die Last des Körpers tragen. Von
größeren Arbeiten Cordes wurden uns noch
bekannt » Die apokalyptischen Reiter« (Karton),
die Ölbilder »Sommertag« (Museum Elberfeld)
und »Toter Christus« (Kirche in Erkratz).
Corde, dem Maler des Kirchenbildes, steht
Theo Winter, der Bildner des religiösen Haus-
gemäldes gegenüber. Er erscheint unter den
hier vertretenen Künstlern als der Lyriker.
Wenn Winter die Abendfahrt schildert (Abb.
S. 109) — ein Werk, auch malerisch von köst-
lichem, schwer zu beschreibendem Reiz — oder
Christus durch das Dorf gehen und die Kin-
der um sich versammeln läßt (Abb. S. 108), so
führt der feinsinnige Dichter den Pinsel. Da-
bei ermangelt seinen Bildern nicht, was älteren
und bisher bekannteren Künstlern — wir den-
ken an Uhde u. a. — fehlt. Die religiöse Ver-
innerlichung im modernen Gewände. Der
Künstler ist ja im Hause christlicher Kunst
kein Fremder mehr; die Mappe1) brachte ver-
schiedentlich Perlen seiner Kunst.
Theo Winter besuchte die Akademie seiner
Vaterstadt München, nachdem ihm der lang-
gehegte Wunsch namentlich auch durch die
Erlangung eines Staatsstipendiums zur Tat
geworden war. Die Professoren Hackl, Feuer-
stein und Diez waren seine Lehrer. 1902 ent-
warf er ein Wandgemälde, das die Grund-
steinlegung der Frauenkirche zu München
(1468) zum Vorwurf hatte. Das Bild2) trug dem
Verfasser einen Preis ein. Die Vorliebe für
intim gehaltene altdeutsche, volkstümliche
Szenen, die des äußeren festlichen Gepräges
entbehren, sprach aus ihm, das, leider, soviel
wir wissen, noch der Ausführung in München
harrt. Einfach und schlicht erzählt Winter,
wie auch in seinem heiligen Franziskus, der
den Vögeln predigt3). Die Poesie lieblich alt-
deutscher religiöser Lyrik spricht vor allem
aus seiner »Madonna im Grünen« ; auf dem
in tiefen satten Farben gemalten Maienbild
tritt zu der von giottesker Grazie erfüllten
') A. a. O. Jhrg. 1907, 1910 und 1914.
') Veröffentlicht in der Jahresmappe der Deutschen
Gesellschaft f. christl. Kunst 1910, S. 24.
a) A. a. O., Tafel XI.
91
JOSEPH HUBER-FELDKIRCH
ENTWURF ZU EINEM DECKENBILD [<
92
NEU-DÜSSELDORFER KUNST
OSEPH HUBER FEI.DK1RCH
ENGELCHOR
Teil eines Entwürfe;
aide. Igt. Abb. S. 9 1
Himmelskönigin das Gegenwartskind, wie es
uns Zumbusch vertraut machte, mit den Feld-
blumen. Im gleichen Jahre, als dieses Bild
entstand, trug der Konkurrenzentwurf für
ein Bonifatiusbild dem Künstler einen Preis
ein. Mit Huber zog Winter nach Düsseldorf.
191 1 ging er auf des erstgenannten Künstlers
Veranlassung zu dessen Freund Welti nach
Bern. In Düsseldorf, wo Winter mit Unter-
brechung des Kriegsdienstes wohnt, übte Win-
ter die unter Hubers Anleitung erlernte Glas-
und Mosaikmalerei aus. So führte er auf Grund
eines Konkurrenzentwurfes für die Herz-Jesu-
kirche in Burtscheid bei Aachen fünf Glas-
gemälde selbst aus, von denen zwei in der
Mappe 1914 veröffentlicht wurden. Die Far-
benpracht, die kraftvolle Art der Durchführung
und die edle Würde in der Zeichnung lassen
die hohe künstlerische Qualität erkennen. Von
den Fenstern schrieb 19 14 der Verfasser der
Jahresmappe: »Auf dem Gebiete der moder-
nen kirchlichen Glasmalerei nahmen die
Fenster eine hervorragende Stelle ein und
bedeuten einen Fortschritt sowohl in Bezug
auf die Zeichnung als auch hinsichtlich der
Technik.«
Durch die zwei Vollbilder St. Meinrad und
der hl. Isidor in der Jahresmappe der Deut-
schen Gesellschaft für christliche Kunst wurde
im Jahre 1908 zum ersten Male weiteren Kunst-
kreisen ein junges Talent bekannt, auf das
dann von uns bei Besprechung der Main-
kofener Anstalt1) nachdrücklichst verwiesen
wurde. Georg Winkler wurde 1879 in Mün-
chen geboren, an dessen Akademie er sich
als Schüler von Prof. Karl von Marr und Wilh.
von Diez für die Künstlerlaufbahn vorbereitete.
Ein Studienaufenthalt in Italien, den ihm 1906
ein Staatsstipendium ermöglicht hatte, vertiefte
die Anschauungen. Mit Prof. Huber ging der
Künstler als Meisterschüler nach Düsseldorf,
wo er Huber ein wertvoller Gehilfe ward bis
zum Ausbruch des Krieges, der auch ihn zu
den Waffen rief. Aus Winklers Werken spricht
der Geist der Romantik im modernen male-
rischen Gewände. Seine Farbenzusammen-
stellung ist kühn bei harmonischem Zusam-
menklang des Ganzen. Während er im Öl-
gemälde die Idylle bevorzugt, sind seine Wand-
gemälde großzügiger angelegt. In eigenartiger
Monumentalität setzte er bei strengster Na-
turwahrheit, wie sie sich namentlich aus der
Gewandbehandlung ergibt, über die Holzver-
täfelung des Mainkofner Kirchenschiffes seine
Kaseingemälde. Sie stellen auf unsern Bildern,
(S. 1 10 u. 1 11), von links nach rechts betrachtet,
den guten Hirten, den hl. Martinus, Tobias und
die Kirche Christi dar. Ein starkes dekoratives
Talent verraten auch die übrigen Arbeiten in
Mainkofen, die Winkler zum Teil selbst aus-
führte oder für die er die Ideenskizzen ent-
') Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen von W. Zils.
Christi. Kunst, XIII. Jhrg. 1917, S. 297 ff.
NEU DÜSSELDORFER KUNST
93
JOSEPH Hl'BKR FELDKIRCH
Teil anes Entwurf,
Deckengemälde, l'gl- Al'b. S.qi
warf. So schuf er in der Apside der Kirche
das Freskogemälde Gottvater, die Engel (Abb.
S. 112) usw., im Schiff und Chor die dekora-
tive Malerei mit Keimfarben und bemalte, wie
sich aus Abbildung S. 110 (unten) ergibt, wir-
kungsvoll die Orgel. Am Wasserturm stammt
das 7 m hohe dekorative Fresko St. Florian von
ihm, das sich infolge seiner technischen Ge-
diegenheit bis auf den heutigen Tag unver-
ändert erhielt. Für den malerischen Schmuck
des großen Unterhaltungssaals, dessen Bühnen-
umrahmung er selbst ausführte, lieh der Kunst
ler die Gesamtidee. Im Konversationszimmer
tritt Winkler als der Landschaftler im dekora-
tiven Sinne auf. Auch sonst wie in der Vor-
halle der Direktion und dem Vestibül finden
sich die Proben von seiner Kunst, die sich
nicht einseitig festlegt. Künstlerische Tüchtig-
keit und kindliche Pietät erfüllen das Mosaik
(Abb. S. 107), das Winkler für das Grab der
Mutter in den akademischen Werkstätten an-
fertigte. Mit innigem, lioffnungsstarkem Gebet
vertraut sich die Mutter dem durch die Grab-
schaufel charakterisierten Sterbeengel an, der
sie an seiner Hand in ein besseres Jenseits
hinaufführt.
Als Franz Schilling, der am 4. Oktober
1879 im Rheinhessischen zur Welt kam, nach
Düsseldorf übersiedelte, hatte er nicht nur be-
reits seine Ausbildung abgeschlossen, sondern
bereits Beweise eines hohen Könnens erbracht.
Nach einer Lehrzeit bei seinem Onkel, in die
er mit 15 Jahren getreten war, und noch län-
gerer Praxis an größeren stilgerechten Innen-
dekorationen ging er mit 20 Jahren an die
Münchener Akademie, wo er als Schüler Feuer-
steins bis Ende 1908 studierte. Unterbrochen
wurde der Aufenthalt durch Studienreisen nach
Italien und den Niederlanden. 1902 erhielt er
die kleine Medaille für den Entwurf zur Be-
malung der Chorapsis in Dornach, 1905 bei
der Weihnachtskonkurrenz an der Akademie
unter dem Thema Arbeit für den Entwurf
»Schöpfungstage« den ersten Preis, 1907 und
1908 die große silberne Medaille für das Bild
»Christus an der Geißelungssäule«1). Noch
während der Studienzeit fand Schilling Ge-
legenheit, sich praktisch mit größeren monu-
mental-dekorativen Arbeiten zu beschäftigen.
Er führte 1906 die Entwürfe für die Bema-
lung des Treppenhauses und Sitzungssaales
in dem prächtigen Neubau des er/bischöf-
lichen Ordinariats zu Freiburg und bald darauf
die figürlichen Malereien und teilweise die orna-
mentalen Ausschmückungen daselbst aus. Im
gleichen Sinn betätigte sich der Künstler, als
ihm 1908 das Reichsamt des Innern den Auf-
erteilte, die Hofgalerien der I I
bürg i. E. mit den neun guten Helden und
Jungfrauen im Charakter des 15. Jahrhunderts
zu .schmücken. Im Oktober desselben Jahres
begann er die Chorbemalung des Munsters
' Mappe 1910.
Hie christliche Ku
94
NEU-DÜSSELDORFER KUNST
JOSEPH HUBER-FELDKIRCH
DIE HL. DREI KÖNIGE. 1919
zu Villingen in Baden. In den Jahren 1908/09
entstand so das Schutzmantelbild1) und ein
Jahr darauf das Jüngste Gericht, Bilder von
gleichzeitig großem religiösem und natura-
listischem Empfinden. Praktische Tätigkeit
hatte also Schilling zum großen monumen-
talen Stil geführt, der einerseits einer starken
Befähigung entsprang und anderseits in der
Art der Aufträge Förderung fand. Das 1909
in der Jahresmappe veröffentlichte »Sieben-
tagewerk« vom Jahre 1904 sprach aus diesem
Stilempfinden heraus. Schilling steigert in
diesen Werken durch das Archaische der
Stilisierung, die mit antiquierendem Histo-
rismus nichts gemein hat, die Erhabenheit
der Gesamterscheinung, wie sie auch seine
Mosaikgebilde dartun. Für einen Kirchen-
giebel entwarf der Künstler eine Christopho-
rusfigur1), dieses Heft enthält das Mosaikbild
der hl. Helena (Abb. S. 106). In der Mosaik-
kunst unterscheidet sich Schilling, der nun-
mehr zu Freiburg i. B. wohnt, von seinen
neuen Düsseldorfer Kollegen durch die freiere,
mehr malerischeBehandlung, getreudem durch
seine Kunst gehenden Zug.
Wir schließen die Betrachtung der Bilder
mit dem St. Georg (Abb. S. 105) von C. Jung-
Dörfler, ebenfalls einem Meisterschüler
Hubers , der mit seinen ersten Arbeiten in
der angewandten Kunst die Lehren der mo-
dernen, vielmehr alten, aber in besonderem
Maße durch die Neu-Düsseldorfer Schule erst
jüngst wiedergewonnene Glasmalkunst in die
Tat umsetzte.
') Abb. in Jahresmappe 1910.
') Abb. Jahresmappe 1910, S. 31.
9)
WALTER CORDE (DÜSSELDORF) AUFERSTEHUNG DER TOTEN
Entwurf für Bemalung du Ckorbogens der Abdingiwf -Kirche i» Paderborn Vgl. Abb. S. qb—98. Teil S. Sj
96
TAGUNG FÜR DENKMALPFLEGE
WALTER CORDE (DÜSSELDORF)
TROJEKT FÜR AUSMALUNG DER ABDINGHOF-KIRCHE IN FADERBORN
LangschiffsToand. — ft'xt S. Sj
TAGUNG
FÜR DENKMALPFLEGE
(Schluß)
A m zweiten Verhandlungstage, der den Er-
*»■ orterungen über die Trennung von Kirche
und Staat galt, sprach als erster der Provinzial-
konservator Baurat Schmid- Marienburg. Er
beschränkte sich auf die preußischen Verhält-
nisse. Unter den Umwälzungen der letzten
Zeit hat die Trennung von Kirche und Staat,
Kirche und Schule die meiste Erregung her-
vorgerufen. Zwar ist die Trennung erst an-
gekündigt, und wenn sie auch gewiß kommt,
so ist doch jetzt vielleicht noch Zeit, etwas
zu retten. Die katholische und protestantische
Kirche waren bisher Gesellschaften öffentlichen
Rechtes; ihre Kulthäuser heißen Kirchen, ihre
Geistlichen sind Beamte. Vielgestaltig ist das
Patronatsverhältnis; bei derHälfte aller Kirchen
war bisher der Staat Patron, der als solcher
auch Baulasten zu tragen hatte, oft sehr er-
hebliche Prozentsätze. Dazu kamen freiwillige
Gaben, Geschenke aus Gnadenfonds und dem
Dispositionsfonds des Kultusministers. Was
die Kirchen und die Gegenstände ihrer Aus-
stattung unter dem Gesichtspunkte des Denk-
malwertes betrifft, so hing ihre Veränderung
und Veräußerung von der staatlichen Ge-
nehmigung ab. Die Trennung bedeutet die
Aufhebung aller bisher bestehenden Gesetze
und Verordnungen, eine Stellung des Staates
zu den zwei Hauptkirchen, wie er sie gegen-
über den Juden, Mennoniten und anderen
einnimmt. Wie nun bei diesen infolge der
mangelnden Staatspflege mit der Zeit schon
sehr vieles kunst- und kulturgeschichtlich
Wichtige abhanden gekommen ist, so würde
es auch bei den Hauptkirchen geschehen.
Bisher lag für ihre beweglichen Denkmäler
keine Veranlassung zum Verkaufe vor, die
Scheu vor dem Staate hinderte auch, daß
viel Schlimmes in dieser Beziehung geschah.
Die finanzielle Beihilfe des Staates verhütete
Veränderungen und Verfall. — Wie wird es
aber, wenn die Trennung kommt? Religiös
gleichgültige Gemeinden werden alles ver-
nachlässigen, es werden bei ihnen Zustände
wiederkehren wie vor ioo Jahren, als man
sich z. B. nicht scheute, den schönen romani-
schen Dom von Goslar dem Abbruche preis-
zugeben. Religiös lebendige Gemeinden wer-
den danach trachten, auch gerade wegen der
Zurückstellung ihrer Kirche, das kirchliche
Leben aufrechtzuerhalten. Aber sie werden als
alleinige Zahler zu größter Sparsamkeit ge-
zwungen sein, nur das Notdürftigste, Unent-
behrlichste ausführen können und auf alles
andere, wie Heizung, neue Bemalungen, An-
schaffung von Kunstgegenständen, Herstellung
alter Kostbarkeiten usf. verzichten müssen.
Damit wird zusammenhängen, daß die beweg-
lichen Denkmäler nun in Wahrheit »beweglich«
werden, d. h. dem Verkaufe anheimfallen, um
das dringend nötige Geld dadurch zu beschaffen.
Die Auffassung, die sich eingebürgert hatte, daß
z. B. der Verkauf eines alten schönen Altares
etwas Unehrenhaftes sei, wird unter solchen
Umständen verlorengehen, gerade die wert-
vollsten Denkmäler werden in den Handel
gelangen und ins Ausland abwandern. Alles,
weil der Staat versagt und die unmittelbaren
gottesdienstlichen Zwecke vorgehen. Ein wei-
terer Übelstand bei der Trennung ist, daß
TAGUNG FÜR DENKMALPFLEGE
•'7
WALTER CORDE (DÜSSELDORF)
PROJEKT FÜR AUSMALUNG DER ABDINGHOF-KIRCHE IN PADERBORN
angschiffs-.uaud. - lext S. Sj
infolge von ihr bei wichtigen Aufgaben der
Denkmalpflege das früher so förderliche Zu-
sammenarbeiten vielseitig erfahrener Kräfte
fortfällt und alles immer einer einzelnen Kraft
überlassen bleibt. — Demallen gegenübersteht
aber doch die Hoffnung, daß die kirchliche
Denkmalpflege auch von der neuen Regierung
anerkannt werden dürfte. Denn erstens ist sie
nicht kulturfeindlich. Sie kann und wird, schon
aus Rücksicht auf die Stimmung des Volkes,
nicht den Einfall haben, plötzlich alles von
sich werfen zu wollen. Also kann sie auch
nicht alle Lasten auf die Privatpatronate ab-
wälzen wollen. Sie wird diese aber auch
darum bestehen lassen , um nicht den rei-
chen Patronatsherren- ein Millionengeschenk
zu machen. Folgende Leitsätze sollten für die
Zukunft festgelegt werden: Die allmähliche
Ablösung der Staatslasten kann nach zivil-
rechtlichen Grundsätzen geschehen. Der Staat
erklärt sich zur Unterstützung und zum Schutze
der weltlichen und kirchlichen Denkmäler
bereit (wenn schon nicht aus Rücksicht auf
Kirche und Religion, so doch auf den allge-
meinen kulturellen Wert jener Denkmäler).
Er behält sich die Aufsicht vor und läßt dem-
gemäß die Denkmalpflege ausüben. Dringend
nötig ist ein Ausfuhrverbot für Kunstwerke
von Denkmalwert, wie andere Staaten es schon
besitzen. — Als zweiter Redner behandelte
Geh. Reg. -Rat Stutz die vorliegende Frage unter
dem Gesichtspunkte des Kirchenrechtes. In
den für die protestantische Kirche gültigen
Vorschriften sind gegen früher keine Ver-
änderungen eingetreten. Wohl aber ist dies
bei denen der katholischen Kirche der Fall und
zwar infolge Inkrafttretens des Codex juris
canonici seit 191 8. Dieser beschäftigt sich an
mehreren Stellen mit den Denkmälern, den
bona pretiosa, die einen künstlerischen, ge-
schichtlichen und Sachwert besitzen (can. 1497,
§2), mit Rücksicht auf ihr Alter, ihren Wert für
die Kunst oder den Gottesdienst Schonung
verdienen (c. 1280). Genau sind die auf ur-
alten Auffassungen beruhenden Vorschriften
über die Veräußerung und Veränderung. Die
erstere betreffend wird in c. 1529 ff. bestimmt,
Kirchengut könne unter gewissen Bedingungen
veräußert werden, beim Vorliegen einer justa
causa, einer urgens necessitas, auch wenn sich
ein zwingender Vorteil zeige oder die Pietät
es erheische. Schriftliche Abschätzung muß
erfolgen. Die Veräußerung ist bei sehr hohen
Werten nur gültig unter Erlaubnis des Apo-
stolischen Stuhles, der auch darüber zu be-
finden hat (c. 1281), ob Reliquien oder für die
Verehrung besonders wichtige Bilder veräußert
oder dauernd in eine andere Kirche überführt
werden dürfen. Bei Gegenständen im Werte
von 30000 — 1000 Lire ist der Bischof zustän-
dig, aber unter Zustimmuni; des Kathedral-
kapitels, des von ihm einzusetzenden Diözesan-
Verwaltungsrates und der Interessenten. Nur
letztere und Verwaltungsrat sind von ihm zu
hören bei Gegenständen unter 1000 Lire Was
die Veränderung angeht, so bedarf es Für sie der
schriftlichen Einwilligung des Bischofs, der in
dieser Sache prudentes ac peritos fragen soll
— also eine ausdrückliche Anerkennung der
Organe der Denkmalpflege ' Die Verwaltung
des Kirchengutes ist im Codex nur für die
Kirche selbst beansprucht, die zur Erwerbung
und Verwaltung ihrer Guter ein nativum jus
besitzt (c 1495, i? i)- Sehr kräftig wird also in
WALTER CORDE (DÜSSELDORF)
Entwurf für Bemalung der Rückwand der Abdinghof -Kirche in Paderborn. — Text S. Sj
TAGUNG FÜR DENKMALPFLEGE
99
WALTER CORDE (DÜSSELDORF) FRAUENBERUF
Fresko in der Aula der Töchterschule in Koln-Muhlheim. Vgl. Abb. S. loo und 101. — Text S. 8j.
dem Codex das kirchliche Selbstverwaltungs-
recht betont. Er sucht die über iooo jährige
Geschichte des Patronates abzuschließen. Neue
Patronate sollen nicht mehr errichtet werden.
C. 1469 bestimmt die onera seu officia pa-
tronorum, die sich nicht in die kirchliche
Verwaltung einzumischen, aber bei Gefähr-
dung des Kirchengutes den Bischof aufmerk-
sam zu machen und bei Verfall des Gebäu-
des für Ausbau und nötige Verbesserungen
zu sorgen haben. In ähnlich genauer Weise
betrachtete der Redner auch das Recht des
Staates (Bayern, Württemberg). Es ist zu ver-
muten, daß der Staat sich bei der Trennung
nicht ganz schroff und kirchenfeindlich ver-
halten und wenigstens den beiden großen
Glaubensgemeinschaften die nötige Rücksicht
nicht versagen wird. Hier ist es, wo die Denk-
malpflege ansetzen kann. Zwar wird es keine
privilegierte Kirchen mehr geben, also fällt
auch die staatliche Kirchenaufsicht weg. Aber
eingreifen kann der Staat dennoch auch bei
kirchlichen Dingen, wenn es sich um allge-
meingültige Gesichtspunkte handelt, mithin
ist es ihm möglich, Denkmalpflege auch nach
dieser Richtung auszuüben. So wird trotz allem
eine vernünftige Zusammenarbeit von Staat
und Kirche dauernd nötig sein. Freilich er-
fordert sie viel Geld, und das ist der dunkle
Punkt bei der in naher Zukunft zu erwarten-
den allgemeinen Verarmung. Sie stellt es mit
in Frage, ob wir ferner auf der jetzigen Kultur-
höhe bleiben werden. — Eingehend berichtete
Herr Generalkonservator Dr. Hager über die
aus dem bayerischen Konkordate sich erge-
benden günstigen Verhältnisse. Möchten bei
der Trennung alle bisher gemachten Fort-
schritte im beiderseitigen Interesse erhalten
bleiben. — Prof. Dr. Sauer sprach über das
Verhältnis in Baden. Nachdem der Patronat
dort zumeist schon beseitigt ist, können die
Bau- und Erhaltungspflichten nicht aus ihm
hergeleitet werden. Somit sind die Folgen
dort jetzt auch nicht so schwer wie anderswo.
Die Kirche wird ihr Verhältnis zur Denkmal-
pflege nicht aufgeben. Was bei der Trennung
wird, hängt von der Art ihrer Durchführung
ab. Entweder gibt es eine völlige Scheidung
wie in Frankreich, oder hoffentlich I wegen
der im Volke wirksamen moralischen Kräfte
und der Notwendigkeit sittlicher Hebung des
Volkes eine ruhige, verständnisvolle Aus-
TAGUNG FÜR DENKMALPFLEGE
WALTER CORDE (DÜSSELDORF)
In der Aula der Töchterschu
DER BERIT- DER FRAU
Köbl-Mühlkeim. Vgl. Abb. S. gg u„,(
einandersetzung, wie auch für die Zukunft die
staatliche Denkmalpflege und die Gewährung
der nötigen Mittel für sie. Die Verpflichtung
hierzu muß reichsgesetzlich festgelegt werden.
Wenn aus diesen Dingen aber nichts wird, so
müssen wir versuchen, das Volk selbst zum
Denkmalpfleger zu machen, ihm durch rast-
losen Unterricht, und indem schon die Kinder
bei jeder Gelegenheit auf die Wichtigkeit dieser
Sache hingewiesen werden, die Auffassung ein-
impfen, daß den, der Denkmäler schädigt, ver-
wüstet, verkommen läßt, ein Brandmal trifft.
Als Forderungen sind festzuhalten: eine grund-
sätzliche Äußerung der Regierungen, daß sie
auch fernerhin die Lasten der kirchlichen
Denkmalpflege tragen wollen, außerdem ein
Sperrgesetz gegen die Ausfuhr. — Im ähn-
lichen Sinne äußerten sich noch mehrere
andere Redner, von denen Frhr. von Biege-
leben (Darmstadt) die Gründung eines Denk-
malrates vorschlug, der aus Sachverständigen
und Verwaltungsleuten zu bestehen habe und
dadurch zum Ausgleiche aller Gesichtspunkte
geeignet sei. — Am Ende der Verhandlungen
wurde eine Entschließung angenommen, die
aus den zuvor gekennzeichneten Schmidschen
Leitsätzen hervorgegangen war. Sie wird der
Reichsregierung und den Regierungen der Bun-
desstaaten vorgelegt werden. Ihr Wortlaut ist:
Die kirchliche Denkmalpflege als das weitaus
bedeutendste Gebiet der Denkmalfürsorge darf
durch die Trennung von Staat und Kirche
nicht beeinträchtigt werden. Bei der gesetz-
lichen Regelung der Denkmalpflege ist, .'.o-
weit noch ausreichende Bestimmungen fehlen,
den Regierungen der Einzelstaaten eindring-
lichst zu empfehlen, auf die Wahrung der an-
geführten allgemeinen Gesichtspunkte Bedacht
zu nehmen. Ferner wurde der Entwurf für
ein Gesetz zum Verbote der Ausfuhr von
denkmalwertigen Kunstwerken kundgegeben
und einmütig angenommen. Es wird Sache
der Reichsregierung sein, zu ihm Stellung
zu nehmen. Seine Einführung wäre sicher
von größter Wichtigkeit. Nicht minder alles,
was der Erhaltung unserer Denkmäler im übri-
gen dient. Gerade jetzt, nachdem wir durch
den Krieg so vieles verloren haben, aber den
Schatz unserer Denkmäler noch besitzen, sollen
uns diese kostbarer sein denn je. Doering
HISTORIENMALER
BERNHARD VON NEHER
Von ADOLF BRINZ1NGER, Stadtplane a. D.
Bernhard von Neher ist geboren in Biberach
16. Januar 1806. Er ist einer der letzten
Schüler von Cornelius und ein glänzender
Stern am Himmel der christlichen Kunst, für
Württemberg mit seinem nur 6 Jahre älteren
Landsmann Hofmaler Anton von Gegenbaur1)
(geboren in Wangen i. A. 6. März 1800, ge-
storben in Rom 31. Januar 1896) zugleich ein
') Vgl. Die christliche Kunst, XV. Jahrg., S. 100 ff.
WALTER CORDE (DÜSSELDORF) FRAU!
Teil des FreskcfffmäÜUt in der Aula der I ochtcrschuie zu Muhlheim am Rhein
Die christliche Kim«. XVI. 4';
HISTORIENMALER BERNHARD VON NEHER
WALTER CORDE (DÜSSELDORF)
Vertreter jener Stilrichtung in der Malerei,
welche das Klassische und romantische Ideal
miteinander zu verschmelzen strebte. Im
folgenden möchten wir seine interessante
Lebensbeschreibung darstellen, und zwar:
i . seine Lehrjahre in Biberach, Stutt-
gart, München und Rom, 2. seine
Wirksamkeit in München, 3. in Wei-
mar und Leipzig und 4. zuletzt in
Stuttgart.
1. Bernhard von Neher ist ein Sohn des
Malers Joseph Anton Neher und seiner Ehe-
frau Theresia Brunner in B i b e r a c h a. d. Riß,
damals badisch, im Herbst hernach württem-
bergisch, vorher freie schwäbische Reichsstadt.
Sein erster Lehrer der Malerei war sein Vater,
von seinem 13. Lebensjahr an aber Franz
Müller in Biberach, ein Schüler von Maler Joh.
Bapt. Pflug (gestorben 1860) und von Hof-
maler Joh. Bapt. Seele (gestorben 1814). Bern-
hard kopierte bei Müller Studien nach Raffael
und Michelangelo, malte aber dann auch in
öl, merkwürdigerweise zuerst religiöse Bilder:
»David, die Harfe spielend« und »Christus am
Jakobsbrunnen«, sodann ein Gruppenbild seiner
Familie. Als Müller nach Ulm zog, kam der
16 jährige Kunstjünger nach Stuttgart zu
Hofmaler Hetsch und Bildhauer Johann Hein-
rich Dannecker (gestorben 1841), Kunstschul-
direktor, im Frühjahr 1822. Das Honorar für
ein Familiengemälde und ein Porträt von
König Wilhelm I. von Württemberg, für das
Biberacher Rathaus gemalt, verschaffte ihm die
nötigsten Mittel zum weiteren Studium. Er
übte sich jetzt im Modellzeichnen, besuchte
auch die Sammlung der Gebrüder Sulpice und
Melchior Boisseree und las Homer und Virgil.
Von Anton von Gegenbaur aufgemuntert,
ging er mit einem zweijährigen Stipendium des
Biberacher Stadtrats im Herbste 1823 nach
München und fand daselbst freundliche Auf-
nahme bei seiner Tante, welche dem Haushalt
des Domkapitulars Freiherrn von Ow vorstand.
Er studierte jetzt 5 Jahre lang an der Akademie,
zuerst bei Direktor Langer, seit 1825 bei Peter
von Cornelius, der von Düsseldorf nach Mün-
chen berufen worden war. »Mit einmal war
ich jetzt in eine neue geistige Tätigkeit ver-
setzt«, sagt Neher selbst von jener Zeit. Der
geniale Cornelius wurde jetzt sein Lehrer und
Gönner und seiner Schule ist Neher zeitlebens
treu geblieben. Unter seiner Leitung fertigte
er in lebensgroßen Figuren den Karton: »Die
Wiedererkennung Josephs in Ägypten durch
seine Brüder«. 1826 bestand er in Stuttgart
eine Kunstprüfung und wurde jetzt vom Kriegs-
HISTORIENMALER BERNHARD VON NEHER
103
WALTER CORDE (DÜSSELDORF)
YKSPERBILD.
dienst befreit. 1828 erhielt er für das Ölge-
mälde : »Klage des Grafen Eberhard um seinen
in der Schlacht bei Döflingen gefallenen Sohn
Ulrich < 1200 Gulden vom Stuttgarter Kunst-
verein und von König Wilhelm ein mehrjähriges
Reisestipendium von je 700 Gulden. Im Mai
1828 reiste er nun, erst 22 Jahre alt, über
Florenz nach Rom. Raffael wurde bald sein
Liebling und neben ihm die Antiken. Over-
beck, Voit, Führich, Genelli, Ludwig Richter
und besonders der Hamburger Maler Erwin
Speckter und Anton Dröger aus Trier, der ihn
in die Farbengeheimnisse der Venezianer ein-
führte, dann die Schwaben : Bildhauer Konrad
Weitbrecht (gestorben 1 836), Landschaftsmaler
Maier und Medailleur Bruckmann aus Heil-
104
HISTORIENMALER BERNHARD VON NEHER
WALTER CORDE (DÜSSELDORF)
bronn (gestorben 1850) wurden mit ihm be-
freundet. Von Raffaels Tapeten im Vatikan
angeregt, malte er in Ol: »Die Auferweckung
des Jünglings von Naim«, jezt in der Stutt-
garter Gemäldegalerie (Nr. 837), edel, einfach,
natürlich. »Raffaelisch in den Formen, den
Venezianern in der Farbe sich nähernd, aber
doch von jener deutschen, genauer gesagt
oberschwäbischen Einfalt, Kraft und Tiefe der
Empfindung, welche Nehers religiöse Bilder
trotz aller Verschiedenheit des Stils doch wieder
in die Nachbarschaft eines Hans Schülein
und Bartholomäus Zeitblom aus der Ulmer
Schule bringen«, wie August Wintterlin sagt.
1832 besuchte Neher Neapel und verließ Rom
im August nach vierjährigem Aufenthalt, stu-
dierte dann in Assisi und Florenz besonders
Masaccio und Fiesole, auch in Venedig meh-
rere Wochen und kehrte über Padua und
Verona nach München zurück. Seine Lehr-
jahre als Historienmaler waren jetzt beendigt.
2. In München erhielt er die schmerz-
liche Nachricht vom Tod seines Vaters und
eilte jetzt nach Biberach, um seine Mutter und
Geschwister zu unterstützen. Fräulein Emilie
Linder, Malerin aus Basel, kaufte von ihm
das in Rom begonnene Bild: »Abraham mit
den Engeln vor seinem Zelt«, jetzt im Baseler
Museum. Von Cornelius empfohlen, erhielt
er jetzt von König Ludwig I. den ehrenvollen
Auftrag, das von Friedrich Gärtner restaurierte
Isartor im Tal, mit dem 75 Fuß langen und
8 Fuß hohen historischen Freskobilde: »Ein-
zug des Kaisers Ludwig des Bayern nach der
Schlacht bei Ampfing« über dem Hauptein-
gang zu schmücken, mit den Bildern der
Schutzpatrone der Stadt München: Maria und
St. Benno, über den Seiteneingängen. Er legte
2 Skizzen vor. Cornelius und der König Lud-
wig waren sehr damit zufrieden. In 3 Jahren
fertigte er zuerst den riesigen, jetzt in Weimar
auibewahrten Karton, dann die Farbenskizze,
und begann im Sommer 1834 mit dieser Malerei
in der ihm fast unbekannten, schwierigen
Freskotechnik, mit Hilfe des Freskomalers
Kögel aus Oberdorf in Bayern für 5000 Gulden
Honorar. Ende September 1835 war die Ent-
hüllung dieses Freskobildes. Das lebensvolle,
volkstümliche, historische Bild fand allgemeine
Bewunderung. Der Sieger, Ludwig der Bayer,
mit Krone, Zepter und Reichsapfel geschmückt,
begleitet von einem glänzenden Gefolge, wird
HISTORIENMALER BERNHARD VON NEHER
105
C. JUNG-DÖRFLER (DCSSELDORF)
vom Magistrat, Klerus und Volk empfangen.
Ein Reichsherold und Musikanten eröffnen
den Zug, Frauen streuen Blumen, die Ge-
fangenen und Trophäen beschließen das
Ganze. Die Komposition ist abwechslungs-
reich, hat schönen Rhythmus der Linien und
treffliche Figuren: stolze Männer, anmutige
Frauen, liebliche Kinder, prächtige Pferde.
Die Farbe ist klar und heiter, die Zeichnung
sicher, der Geist des großen Freskomalers
Masaccio in Florenz scheint über dem Bilde
zu schweben. Leider hat das schöne Werk,
io6
HISTORIENMALER BERNHARD VON NEHER
FRANZ SCHILLING
HL. HELENA
wie viele andere Fresken in München,
durch die Unbild der Witterung gelitten.
Es ist 1858 von Professor W. Linden-
schmitt und 1881 nach Keims Verfahren
durch seine Schüler restauriert worden.
Nehers Schüler, Friedrich Zimmermann,
fertigte 1881 einen Stich als Vereins-
gabe des Münchner Kunstvereins. Der
Einfluß von Cornelius führte Neher auf
diese höhere Bahn und bewahrte ihn
vor der Gefahr, in süße Weichlichkeit
oder flaue Glätte zu geraten , sagte
August Wintterlin.
Die zweite Hälfte des Lebens unsres
Künstlers hat zum Schauplatz seines Wir-
kens die Städte Weimar, Leipzig
und Stuttgart.
3. Durch Vermittlung des Kunst-
schriftstellers L. Schorn wurde jetzt
Neher nach Weimar berufen, um in
der Residenz der Großherzogin Maria
Paulowna und ihres Sohnes Alexander
2 Säle mit 34 Bildern zu Schillers und
28 Bildern zu Goethes Werken zu
schmücken, in den Jahren 1836 — 46.
1837 befiel ihn ein hartnäckiges Augen-
leiden, weshalb er seinen Freund Kögel
und nach dessen Tod einige jüngere
Kräfte zu Hilfe nahm. Im Hause des
Oberbaudirektors Wenzel lernte er des-
sen Tochter Maria kennen, die am
10. März 1840 seine Gattin wurde und
46 Jahre lang mit ihm in glücklich-
ster Ehe gelebt hat (gestorben Stutt-
gart 21. Januar 1893). Aus dieser Ehe
sind 3 Söhne und 1 Tochter hervorge-
gangen. Neher verstand seinen Schiller
und Goethe und entfaltet jetzt sein großes
Talent. Unter seinen Schillerbildern sind
die besten: der Tellschuß, die Kapu-
zinerszene in Wallensteins Lager, die
Huldigung der Künste und die kleinen
Szenen zum Lied von der Glocke. Weit be-
deutender sind die Goethezimmerbilder,
besonders Erlkönig, Gott und Bajadere,
der Fischer, Kampf um Fausts Seele,
Prometheus, Wanderers Sturmlied. »Sie
gehören zum Besten, was wir in dieser
Art überhaupt treffen«, sagte der Kunst-
historiker und Kritiker Friedrich Pecht.
Im Geiste der antiken Plastik sind die
Reliefs der Türen ausgeführt: Amor als
Landschaftsmaler, Gesang der Geister
über den Wassern, Urworte. Im Schiller-
zimmer herrschen mehr die hellen Far-
ben, im Goethezimmer dagegen gedämpf-
ter, vornehmer Ton. Im Stuttgarter Mu-
seum der bildenden Künste im ersten
HISTORIENMALER BERNHARD VON NEHER
107
IT
■fe ^■r^ 1 ff
■mm ■ V
v §1
.
GEORG WINKLER (DCSSELDORF)
MOSAIK Fi'R DAS GRAB DER MÜTTER DES KL:.
Stock sind die Originalkartons an den Wän-
den aufgehängt von diesen Weimarbildern.
F. Hanfstaengl hat sie Photographien, im
Verlag von W. Spemann erschienen, Text
von Lübke. 40 Blätter der Glocke hat H. Laut-
mann auf Holz gezeichnet, geschnitten von
J. G. Flegel. 184 1 erhielt Neher einen Ruf als
Direktor nach Leipzig, als Nachfolger von
Veit Hans Schnorr von Carolsfeld. Er arbeitete
in den Sommermonaten in Weimar seine
Fresken, in Leipzig aber hat er eine Reihe
tüchtiger Schüler, wie Lautmann, Zumpe und
Naumann herangezogen. Im Frühjahr 1846
wurde er nach Stuttgart, zunächst als Pro-
fessor und dann als Vorstand der Kunstschule
daselbst berufen.
4. Im Herbst iSj6 kam Neher nach Stutt-
gart, als Professor und Nachfolger seines
Biberacher Landsmannes, des Historienmalers
Friedrich Dietrich (gest. 1846 in Stuttgart), der
unter anderem auch das große Auferstehungs-
bild am Hochaltar der katholischen Eber-
hardskirche in Stuttgart gemacht hat, das am
Osterfest 1840 enthüllt wurde. König Wil
heim I. hat dem Künstler viele ehrenvolle
Aufgaben gestellt: den Rosenstein erschloß
er den Göttern Griechenlands durch zahlreiche
antike Skulpturen und Gegenbaurs Kui
ioS
HISTORIENMALER BERNHARD VON NEHER
THEO WINTER (DÜSSELDORF)
LASSET DIE KINDLEIN ZU MIR KOMMEN
mälde mit Psycheszenen geschmückt, im Resi-
denzschloß ließ er durch denselben Gegen-
baur seine Ahnen verherrlichen in einem
Zyklus von historischen Fresken, die Villa in
Berg im Renaissancestil von Christian Leins,
dieWilhelma im maurischen Stil der Alhambra
von Ludwig Zanth erbauen. Für den Fresken-
maler Neher gab es aber damals keine Ge-
legenheit neuer Aufträge. Er widmete jetzt
seine Tätigkeit der Kunstschule und der
religiösen Malerei. Eine Reihe von Jüngern
Künstlern verehrte in ihm ihren hochgeschätz-
ten Lehrer wegen seiner reichen Kenntnisse,
seiner idealen vornehmen Gesinnung und sein es
vielseitigen freundlichen Rats. Eine eigent-
liche Schule hat er zwar nicht hinterlassen
— Düsseldorf, Paris und München zogen die
Geister in ihren Bannkreis, aber sein Einfluß
als Professor, Vorstand seit 1864, und zuletzt
als Direktor (1867 — 79) der Kunstschule war
deswegen doch überaus segensreich, wie alle
seine Schüler es rühmen. Nonnenkamp aus
Hamburg, und besonders Fidel Bentele (geb.
Tettnang 1830, gest. Stuttgart 1901), seit 1856
Professor an der Baugewerkschule, der das
St. Josephsbild der Stuttgarter Eberhardskirche
HISTORIENMALER BERNHARD VON NEHER
109
THEO WISTI.i;
1916. — Ttxt S. 90
und die Enthauptung des Johannes in Tett-
nang, das Abendmahl in Offenburg, den barm-
herzigen Samariter und Poesie und Musik in
der Stuttgarter Galerie gemalt hat, waren seine
zwei Hauptschüler in der religiösen Malerei.
Die Kartons der Glasgemälde für die Stutt-
garter Stiftskirche beschäftigten ihn jetzt als
Hauptwerk seines Lebens. Zunächst
übertrug ihm König Wilhelm die Entwürfe
von 3 Eenstern: Geburt, Kreuzigung und Auf-
erstehung Christi, 1847 — 52 gemalt, von Ge-
brüder Scherer in München als Glasgemälde
ausgeführt. Die architektonische Umrahmung
ist von Werkmeister Karl Beisbarth (gest. 1878
in Stuttgart). 1852 folgte das Bild der Orgel-
empore in der Stuttgarter Stiftskirche: David
und Cäcilia, dann 1864 das PfingStwunder
und 1871 — 73 das Jüngste Gericht, endlich die
Krone des Ganzen [883 das sogenannte Kapt-
Fenster, zum Andenken an den Prälaten der
Stiftskirche, Karl Sixt Kapf, erster Stifts-
prediger in Stuttgart, mit der Anbetung des
Lammes. 1SS7 von Zeltlers 1 lolglasmalerei in
München ausgeführt. IM Alte und Neue
Die christliche Kunst. XVI. i/t.
HISTORIENMALER BERNHARD VON NEHER
GEORG WINKLER (DÜSSELDORF
Wandmalerei
der Kirche zu Mainkofa
DER GUTE HIRT (LINKS), HL. MARTIN (RECHTS)
Deggendorf (Ndb.). — Text S. 02
Testament gaben die Motive, die Italiener
Giotto und Fiesole die Stilrichtung, die der
3 ersten Fenster: Pfingstfest, Gericht, An-
betung des Lammes haben anmutigere, freiere
Formen, alle den Geist tief empfundener
Frömmigkeit und geistvoller Komposition.
Ein herrliches Meisterwerk ist jedes einzelne
Fenster, reich an anmutigen Szenen, von Prälat
Monz im Christlichen Kunstblatt 18S1 und
1890 ausführlich besprochen. Auch in der
Leonhardskirche ist der Karton des Glasge-
mäldes, ein segnender Christus mit den vier
Evangelisten, von Neher, ebenso die Kartons
der Glasgemälde in der Stuttgarter Schloß-
kirche : Die Anbetung der hl. drei Könige mit
dem Grafen Georg und mit Herzog Christoph
und ihren Namenspatronen, desgleichen in
der Johanniskirche : Kreuzigung und Abend-
mahl, sodann Madonna, St. Nikolaus und zwei
Engel in der griechischen Kapelle im Resi-
denzschloß. Die Kartons dieser Glasgemälde
in der Stiftskirche und Johanniskirche sind
jetzt in der Staatsgalerie zu Stuttgart. Nach
Empfindung und Stil gehören sie zu den
besten Werken christlicher Kunst der Zeit.
Wir nennen sodann noch das Kreuzigungs-
GEORG WINKLER (DÜSSELDORF)
Von der Orgelbetnalung
der Kirche zu Mainkofe.
' Deggendorf (Ndb.). — Text S. 93
HISTORIENMALER BERNHARD VON NEHER
GEORG WINKLER DÜSSELDORF)
Wandmalerei
Kirche zu Mainlco/eu iei Deggendorf (Sdc.,
TOMAS (LINKS). DIE KIRCHE .RECHTS)
— Vgl. AU,. S. I/o
bild, ein Chorbild in Ravensburg, 1850 ge-
malt, und die Kreuzabnahme in der Staats-
galerie, 1850 gemalt, ferner das Frühlingsbild
im Stuttgarter Residenzschloß, Xoahs üank-
opfer und das Bild des göttlichen Kinderfreun-
des in Privatbesitz. Auch verschiedene Porträts
hat er gemalt. Am 17. Januar 1886 starb Neher
in Stuttgart. Von Württemberg. Bayern und Bel-
gien erhielt er hohe Orden und wurde Mitglied
der Akademien in München und Wien. Er ist
auf dem Pragfriedhof beerdigt worden. 1893
am 12. Januar folgte ihm seine Gattin im
Tode nach. Wer seine Kartons, die Kreuz-
abnahme in der Staatsgalerie, oder seine 30
Originalzeichnungen im Kupferstichkabinett
studiert und seine herrlichen Glasgemälde
in den Stuttgarter Kirchen, wird ihn be-
wundern als einen großen Künstler. In der
Kunstgeschichte Württembergs gebührt ihm
ein hervorragender Ehrenplatz. Auf seinen
Reisen nach München, Brüssel, Wien, Paris
sah er sich von den angesehensten Kunst-
genossen gefeiert. In Stuttgart wurde er
bald nach seiner Ankunft in den Kreis der
gebildetsten Männer aufgenommen, zu wel-
chen Gustav Schwab, Karl Ludwig Zanth,
Hofbaumeister. Anton von Gegenbaur. loh.
Matthäus Mauch, Architekt, Joseph Egle, Chri-
stian Leims, Adolf Donndorfer, Häberlin,
Rüstige u. a. gehörten; mit ihnen stand er
in wechselseitig fruchtbarem Verkehr.
w
GRUNDSÄTZLICHES
ÜBER WETTBEWERBE
reiche Zwecke die Wettbewerbe unter
Künstlern zur Erlangung von Entwürlen
(ür ein geplantes Kunstwerk verfolgen, wie
ein Ausschreiben und die Durchluhrung eines
Wettbewerbes beschatten sein muß, darüber
verbreiteten wir uns an anderer Stelle1). Hier
möchten wir nur betonen, daß die Deutsche
Gesellschaft für christliche Kunst auch bei
Wettbewerben auf das Wohl der Gesamt-
mitgliederschaft bedacht ist.
Wenn die Deutsche Gesellschaft für christ-
liche Kunst einen Wettbewerb durchführt, so
ist zu unterscheiden, ob sie selbst die Ver-
anstalterin desselben ist oder als Be-
auftragte eines anderen, einer Privat-
person, eines Vereins, einer Behörde
handelt. Im ersteren Falle bestimmt sie
allein den Gedanken oder Gegenstand des
Wettbewerbes, stellt die Bedingungen, be-
■i Konkurjen en dei :> I Kunst.
r. Kunst. — Fern« • I
-117.
GRUNDSÄTZLICHES ÜBER WETTBEWERBE
GEORG WINKLER (DÜSSELDORF)
ENGEL AN DER APSIDE DER KIRCHE IN MAINKOFEN
Vgl. XIV. Jahrg , 5. 3^6. — Text S. <pj
willigt die Preise und ernennt das Preisge-
richt. Im zweiten Falle hat sie mit jener
Instanz Vereinbarungen zu treffen, welche sie
mit der Durchführung des Wettbewerbes be-
traut. Jene Instanz stellt die Aufgabe, kommt
für die Preissumme auf, fordert die Einhal-
tung gewisser Vorschriften, will im Preisge-
richte zum Worte kommen und entscheidet
letzten Endes darüber, wer berechtigt sein
soll, sich am Wettbewerb zu beteiligen.
Es braucht kaum gesagt zu werden, daß die
Deutsche Gesellschaft für christliche
Kunst unter keinen Umständen auf Be-
dingungen eingeht, welche das Inter-
esse des Künstlerstandes oder derje-
nigen Künstler gefährden könnten, die
ihrangehören. Der endgültigen Beschlußfas-
sung über den Wortlaut der Ausschreibungen
pflegen eingehende Verhandlungen vorauszu-
gehen. Dem Verlangen nach sogenannten
engeren Wettbewerben, der Einschrän-
kung der Einladuno; auf einen Kreis von
etlichen Künstlern, auf die Künstler einer
Stadt, einer Provinz, eines Landes, unterwirft
sie sich nur dann, wenn ganz besondere
Gründe dafür sprechen und andern-
falls den Mitgliedern der Wettbewerb
völlig entginge.
Die Gesellschaft glaubt, daß in letzterer
Hinsicht die Künstlerschaft weitherzig den-
ken und bei Aufgaben, wo es sich in erster
Linie um hochkünstlerische Leistungen han-
delt, wie z. B. bei Kirchenprojekten, wirt-
schaftliche Wünsche nicht zu sehr in den
Vordergrund stellen sollten. Sie hält es für
gut, wenn sich die Künstlerschaft hütet, selbst
die Aufrichtung örtlicher Grenzen für künst-
lerische Betätigung zu fordern, da diese wirt-
schaftliche Waffe sich bald gegen die Künst-
ler selbst richten würde. Eine solche Kunst-
politik wäre unvereinbar mit dem für die
Kunst unentbehrlichen Grundsatz: »Freie
Bahn dem Tüchtigen« und müßte schlimm
enden. S. Staudhamer
M.EMONDS-ALT, DER HEILAND
GES. F. CHR. KUNST, MÜNCHEN
Nr. 3063 (AussAd'ü)
SIXT GUMPP:
DER MEISTER DES HOCHALTARES ZU BREISACH UND SEINE WERKE
Von DR. JOSEPH RIEGEL-Bruchsal-Rheine
(Vgl. Abb. S. u;— 121)
i. SIXT GUMPPS WERKE
T/ein Denkmal der Bildhauerkunst amOber-
IX rhein ist berühmter, keines so heiß um-
stritten, keines so sagen- und legendenum-
woben wie der Hochaltar im Münster
zu Breisach. In weiten Kreisen kennt man
längst das Wunderwerk spätmittelalterhcher
Holzschnitzerei, bewundert die meisterhafte
Technik in der Gesamtbehandlung, die wun-
dersame künstlerische Auffassung und Aus-
gestaltung. Jedem, der auch nur wenige Au-
genblicke bewundernd vor ihm gestanden,
ans es wie eine Offenbarung starken künst-
lerischen Erlebens durch den Sinn: der
Schöpfer dieses Werkes, das nach der Legende
höheralsdas Münster selbstsei.weil das Ranken-
werk sich in der höchsten Spitze wieder nach
unten biege und weiter laufe, war nicht allein
ein virtuosenhafter Techniker; er war wahr-
haft ein Künstler.
Um seinen Namen geht seit langem der
Streit. Im Jahre 1838 hatte Dominik Glanz,
der bekannte Freiburger Altarbauer und Re-
staurator, sein Spiel in Breisach, wie an so
vielen andern Orten und Werken getrieben.
Nicht genug, daß er den ganzen Altar mit
einer mehrmillimeterdicken braunen Oltarbe
von oben bis unten unterschiedslos überzog
und so die überaus feine Arbeit vergröberte
und verknöcherte - er tat noch ein übriges.
In dem Rankenwerk finden sich beiderseits
Täfelchen. Hieraufmalte er in dicker schwar-
zer Lackfarbe die beiden Buchstaben U.L.
Und seit diesen Tagen ist der Streit um ihre
Bedeutung nicht mehr erloschen bis der \ er-
fasser zusammen mit dem Architekten des
Münsterbauvereins Freiburg, HerrnBernhard
Müller, den ganzen Altar aufs genaueste un-
tersuchte. Das Ergebnis war überraschend:
Was frühere Forscher als Reste ursprünglicher
Arabeskenmalerei betrachtet hatten loste sich
zuerst, dann kam sofort die dicke Ölfarbe
schiebt, die Glänz aufgetragen hatte. Unter
hr abe erschien die ursprüngUche zartbraune
Beize mit der der Schopfer des Hochaltare
selbst' sein Werk vor dem Wurmiraße und
gegen die Einwirkung des Staubes schützte.
Wir können daher an dieser Stelle darauf ver-
zichten, alle Vermutungen über die Bedeutung
des Monogrammes aufzuzählen, zumal der
Verfasser im Jahrlauf 1915 ^ Freiburger
Münsterblätter ausführlich genug darauf ein-
geDer8Hochaltar zu Breis ach bedeutet
den Höhepunkt im künstlerischen Schatten
des Meisters Sixt Gtnnpp von Staufen im Breis-
gau Weder vordem noch nachmals hat weder
fr noch ein anderer die gleiche Vollendung
erreicht. Wir gehen daher am besten in der
Weise vor, daß wir seine Werke in zeitlicher
Reihenfolge betrachten, um dann am Ende
eine kurze Übersicht über die Geschehnisse
in seinem äußeren Leben zu geben.
Aus dem Beginne des 2. Jahrzehntes ; des
16. Jahrhunderts stammt sein frühestes ; Werk
e i n e Madonna mit K 1 n d (Abb. S. 1 14),
die sich heute im Besitze des Freiburger Bild-
hauers Dettlinger befindet. Leider hat der
,etzige Eigentümer das Christkind dessen
oberer Teil verloren ist, recht ungeschickt er-
gänzt. Die ganze technische Behandlung er-
innert schon stark an die spateren Schöp-
fungen. Das vorgestellte Knie, die Gewand
faltüng, die ziemlich großen, nach unten ge-
richteten Füße sind hier bereits vorgebildet.
Die Haare fallen wohl noch nicht in so brei-
ten Locken und so stark wallend, wie die der
späteren Gestalten. Die Backenknochen sind
33 zu stark ausgeprägt und die Augen zu
sehr verschnitten, so daß sie eher zu t etlie
gend erscheinen. Die zu großen, knochigen
pLde sind noch ohne Meisters,: haft ganz
handwerksmäßig geschaffen. Außer diesen
technischen Mängeln führten .4eSjj« de
ehemaligen Bekrönung in die Fruhzeit des
Meters. Seit .5.0 ungefähr verschwinden
£ 1 Breisgau die bekrönten Madonnenstatuen
Wo die DettUnger-Mana ursprünglich sich be
funden, ließ sich mit Sicherheit nicht fest
stellen. Zu Neuenbürg am Rhein Solls*
eewesen sein, ehe sie in die Hände ihres
Saugen Inhabers kam Möglich ist d«
dlerdings, denn dieses schlafende Städtchen
und Staufen, die Heimat unseres Meisters,
liefen nicht weit auseinander.
Die christliche Kunit. XVI
ii4
SIXT GUMPP UND SEINE WERKE
SIXT GUMPP
Das Kind :
MADONNA
Tixt S. 113
Die vorzügliche Arbeit veranlaßte den Stadt-
rat zu Freiburg im Breisgau, Sixt Gumpp
den Annenaltar (Abb. S. 115) im Münster in
Auftrag zu geben. Er gehört der Zeit des
Künstlers an, da seine künstlerische Auffas-
sung noch nicht ganz auf der Höhe stand,
wo aber sein technisches Können und künst-
lerischesWollen schon sehr weit fortgeschritten
war. Im Jahre 1 5 1 5 schuf der Künstler das
erste große Werk, das fortan bestimmt war,
seinen Ruhm durch die Lande zu tragen. Die
Münsterfabrikrechnungen dieses und der fol-
genden Jahre vermerken des öftern : daß der
bildhouer Sixt von Stoufcn Geld für seine Lei-
stungen empfangen habe. Nun ist aber in
diesen Tagen für das Münster kein anderer
Schnitzaltar beschafft worden als der für
St. Annen. Und der Abt des benachbarten
Klosters St. Peter im Schwarzwald entrichtet
eine besondere Gabe als Beisteuer für diese
Arbeit, die einige Tage nachher keinem an-
dern als Sixt Gumpp ausgehändigt wird.
Das rein Menschliche, Weibhafte im Wesen
der Gottesmutter fällt stark auf. Der Künstler
wollte keine Weltfremdheit, erliebte das Rein-
natürliche und erhob es in seiner Phantasie
und durch seine eigenartige technische Fer-
tigkeit ins Schwebende. Leider hat auch hier
die Restauration durch Glänz und die dicke
Ölfarbe, die Vinzenz Hauser im Jahre 1827
auftrug, die Feinheit der Arbeit stark beschnit-
ten. Die Figuren starren den Beschauer in
einem stumpfen Braun an, das durch das rote
Inkarnat der Gesichter, den goldenen Buch-
decke], die grauschwarzen Haare Joachims
und Josephs nicht gemildert wird. Gelegent-
lich der Erneuerung verschwand auch das
Reliefbrustbild Gottvaters, das in der Mitte
über der heiligen Familie angebracht gewesen.
In der Mitte sitzen Maria und Mutter Anna
nebeneinander auf einer Bank ; das Kind strebt
in schwebender Haltung von Maria zu Anna.
Links und rechts schauen Joseph und Joachim
auf die Gruppe nieder. Die ganze Arbeit atmet
Gumppschen Geist. Die Gesichter sämtlicher
Personen mit ihren vortretenden Backenkno-
chen, die flatternden Gewandfalten mit ihren
S-Kurven, die Schlingen und Knoten, die un-
motiviert geschlungen erscheinen, die wallen-
den Bart- und Haarlocken geben dem Altar
ein beinahe bizarres Gefüge, das mit lebhafter
Deutlichkeit auf die später zu besprechenden
Altäre in Breisach und Niederrotweil weist.
Vor diesen größten Werken seines Lebens
begann derKünstler den Locherer- oder Schutz-
mantelaltar (Abb. S. 117) in der Lochererka-
pelle des nördlichen Kapellenkranzes im Frei-
burger Münster. Zu Ende des Jahres 1520
hatte er den Auftrag erhalten. Wie er genau
gelautet, wissen wir nicht. Aber in seiner
Ruhe wirkt dieses Werk als reifste und künst-
lerisch vollendetste Arbeit. Der ganze Altar hat
etwas ungemein Leichtes und Zierliches. Seine
Spitze scheint sich in der Unendlichkeit zu
verlieren, so durchsichtig und luftig ist alles
gehalten. Gotischer und Renaissancegeist rei-
chen sich die Hand. Wohl ist die äußere Form
noch völlig gotisch, aber der Meister hat sich
doch schon die Ausdrucksmittel der Renais-
sance zu eigen gemacht. Vor allem atmet
S1XT GUMPP UND SEINE WERK],
"5
SIXT Gl/MI'P
SCHREIN DES FKEIBl'KGEK ANKENALTARS
das eigentliche Schreinbild, Mariens Schutz-
mantel, Geist und Leben. Das ist nicht mehr
die weltenfremde Madonna des älteren Schutz-
mantelbildes, die gleichsam aus unnahbarer
Höhe segnend ihr Gewand über denen hält,
die sich in kindlichem Flehen ihr nahen. Nein
— ein wahrhaft reines Weib, in und mit der
Welt lebend, ist hier dargestellt. Ihr ganzes
Wesen durchglüht und umstrahlt ein Hauch
überirdischer Erhabenheit. Das wundersame
Hilfsbereitsein der Gottesmutter ist vortreff-
lich zum Ausdruck gebracht. Mit ihren Füßen
steht sie auf der Erde, die sie geboren, ihre
Seele weilt im Himmel, ihrer Heimat. Engel-
knaben voll ungemeiner Lebendigkeit stellen
die Verbindung zwischen der Gottesmutter
und ihren Schutzbefohlenen her. Sie halten
den Mantel und tollen auf ihm herum wie
die Rangen auf dem Freiburger Münsterplatz,
die trefflich Modell für sie gestanden.
Vor ihr knien die vorzüglichsten Vertre
ter der gesamten Menschheit. Die Geistlich-
keit auf der einen, die Laien auf der andern
Seite scharf getrennt, wie die mittelalterliche
Kirche es verlangte. Der Papst, ein Kardinal,
Erzbischof, Abt und Bischof, ein BettelmOnch
und Angehörige der alten Orden neben Non-
nen beten auf der einen; auf der anderen
knien der Kaiser, ein Kurfürst, Adlige und
Bürger, Handwerker und Bauern, reich und
arm, Mann und Weib; kurz die ganze Welt
fleht um ihren Beistand und Segen. Jedes
einzelnen Beters Züge und Gewandung sind
eigenartig und treulich ausgearbeitet. Nirgends
die Spur einer Schabionisierung oder einer
direkten Anlehnung an ein gleichzeitiges oder
n6
SIXT GUMPP UND SEINE WERKE
älteres Kunstwerk; obschon der eine und an-
dere Zug, der dreiteilige Aufbau, die Anord-
nung der Betergruppen hie und da an Dürers
»Dreifaltigkeit« zu gemahnen scheint, ist doch
der Gedanke einer Vorlage strikte von der
Hand zu weisen. Die ungemeine Lebenswahr-
heit der Charakterzüge der einzelnen Personen
zeugt von einer unmittelbaren Konterfeiung
Freiburger Bürger. So trägt der Bischof die
Züge des Weihbischofs Kerer und der hinter
ihm kniende Kleriker ist dem damaligen Mün-
sterfabrikschaffner Nikolaus Schefer sprechend
ähnlich.
Man kann nicht sagen, bei der Madonna
überwiege das Reinmenschliche. Im Gegen-
teil: die in ihr zum Ausdruck gebrachte Got-
tesmutter und Menschenliebe verleiht ihrem
ganzen Wesen gerade den Zug des Überir-
dischen. Alles ist Leben und Bewegung. Ihr
Sein und Wesen : Jungfrau und Mutter zugleich.
Mit einem einzigen wundersamsüßen Blick
umfaßt sie ihr göttlich Kind und die ganze
Menschheit zugleich. Ihre Gestalt nähert sich
mehr der einer Jungfrau, denn einer Mutter.
Lange, in der Mitte des Hauptes gescheitelte
Locken fallen herab, um sich mit den Falten
des wallenden Mantels in eins zu verweben.
Das Gewand von einer rührenden Anspruchs-
losigkeit, die überhaupt Gumpps Arbeiten
charakterisiert und das trotz aller Faltungen
und Kurven. Das Christkind, ein liebliches
Knäblein mit langen Locken, kurzen, dicken
Beinchen und Armen, wendet seinen Blick
der ihm nahenden leidumfangenen Mensch-
heit zu.
Gleiche technische Behandlung erfuhren
die Seitenfiguren: Bernhard von Clairvaux, zu
dessen Füßen das Wappen des von ihm ge-
stifteten Zisterzienserordens liegt; zur Rech-
ten der Einsiedler Antonius mit seinem Sinn-
bild, dem Schweine. Beides sind die Schutz-
heiligen der Familie Locherer. Die Namens-
patrone einzelner Glieder der Stifterfamilie
Johannes Ev., Martin und Sebastian stehen
in Baldachinen innerhalb des sich nach der
Decke zu immer mehr verjüngenden Schrein-
werks, dessen Abschluß eine kleine segnende
Christusstatue mit der Weltkugel bildet.
Noch während der Meister am Schutzman-
telaltar arbeitete, gab ihm der Rat der Stadt
Breisach den Hochaltar (Abb. S. 1 18 u. 1 19) im
dortigen Münster in Auftrag. Wie er im ein-
zelnen gelautet, läßt sich aus dem nur lücken-
haft erhaltenen Quellenmaterial nicht mehr
ermitteln; aber das Werk selbst verbreitete
den Ruhm seines Schöpfers weit in die Lande.
Und noch heute gehört es zum Besten, was
in den Kirchen am Oberrhein noch vorhan-
den ist. Wann Sixt Gumpp an die Arbeit
gegangen, wissen wir sehr genau. Im Archiv
der Stadt Freiburg hat sich in einem Sam-
melbande »Eingelaufene Missiven« ein
erst vom Verfasser aufgefundener Brief erhal-
ten, den Bürgermeister und Rat der Stadt
Breisach am Samstag vor dem Palmtag, das
ist am 28. März 1523, an die Stadtgemeinde
Freiburg schickten. Hierin bitten sie, dem
meister, ditz hriefs zeigen., dem sie »«'« tafeln in
unser chor der Küchen zu schulden verdingt« ha-
ben, das hierzu nötige, zu Breisach nicht be-
schaffbare Linden holz- umb das gelt verfolgen [zu]
lassen«, zumal die Freiburger »sonders verneinen
zu noch die gotteszierd zu fürderen geneigt seien.
Da in der Karwoche zumeist des Gottesdienstes
wegen doch nicht sehr viel gearbeitet wurde,
und der Transport des Holzes samt dem Ver-
laden auch noch mindestens 2 Tage in An-
spruch nahm, begann der Künstler am Diens-
tag nach Ostern des Jahres 1523. Wann er
das Riesenwerk vollendete, wissen wir nicht.
Die allgemeine Meinung seit Grieshaber geht
dahin, daß das Jahr 1526 den Abschluß ge-
sehen habe. »Maria Krönung« ist das
Mittelbild, das dem ganzen Werke auch den
Namen gegeben. Was in des Meisters bis-
herigen Schöpfungen angedeutet und ange-
klungen, hier wird es Vollendung und bei-
nahe mehr als nur künstlerisches Erlebnis.
Die ganze Ornamentik gemahnt in ihrer vir-
tuosenhaften technischen Ausführung in man-
chem an die bizarren Gestaltungen arabischer
und ostasiatischer Kunst. Alles ist eine ein-
zige wallende Bewegung, die keine Grenzen
und Enden zu kennen scheint, getragen von
einer märchenhaften Phantasie. Die in breite
Bänder aufgelöst erscheinende Gewandung
hat nicht mehr allein den Zweck, den Kör-
per zu umkleiden, nein, der Künstler wandte
sie auch an, um sein geradezu kühnes tech-
nisches Können zu entfalten und im hellsten
Lichte zu zeigen. Viele der Falten lassen nicht
einmal mehr erkennen, von wannen sie kom-
men, wohin sie verlaufen. Knoten undSchlingen
finden sich zahlreich, zumal an Stellen, wo
man sie am wenigsten vermutete. Das Haar-
gelocke der Gottesmutter und der flatternde
Bart Gottvaters eine einzige wallende Woge.
Die Kronen der drei Hauptfiguren: Christus,
Maria und Gottvater sind in ihrer Art kleine
Meisterwerke phantastischerKunst. Nunzuden
Personen selbst: Maria mit ihren gekreuzten
Armen unddemdemütiglich gesenkten Haupte,
ihrem süßen, leider durch die dicke Ölfarb-
schicht vergröberten Lächeln, schwebt in der
Mitte, von putzigen Putten getragen, in der
Höhe, indes Gottvater und Sohn ihr die Krone
SIXT GL'MPl' UND SEINE WERKE
SIXT GUMPP
Ttxt S. 114-116
SCHREIN VOM SCHUTZMANTEL-
AU AK IM DOM ZU 1-RElBURG
des Lebens aufs Haupt setzen, und der Hei-
lige Geist über ihr auf einer Stange in Ge-
stalt einer Taube sitzend, seine Schwingen
breitet. Der Künstler hat versucht, den Au-
genblick vor der eigentlichen Krönung fest-
zuhalten. Es ist ihm meisterlich gelungen.
Die beiden Personen, schon durch ihre ganze
Haltung zu der Gottesmutter gekehrt, schei-
nen sich vor der Himmelskönigin, die si<
zu krönen sich anschicken, zu neigen Gott-
vater, eine feine Greisengestalt mit großem
wallendem Barte, hält in der einen Hand das
Zepter, wahrend die bekreuzte Weltkugel aut
seinem Knie ruht. Christus, als Mann im
SIXT GUMPP UND SEINE WERKE
OBERER TEIL DES HOCHALTARS IN BREISACH
Vgl. AU. S. 119
kräftigsten Mannesalter mit kleinem Spitz-
barte dargestellt, hält in seiner Rechten gleich-
falls ein Zepter. Seine Brust ist vom Ge-
wände entblößt, das in einem wundervoll ge-
schwungenen, vielgestaltigen Bogen mit zahl-
reichen S-Kurven und Dreiecken sich um ihn
schlingt. Eine Unzahl Putten in allen Stel-
lungen : fliegend, schwebend, liegend, stützend
als Gewandhalter und Thronträger, Täfelchen
haltend und zum Teil auch nur die letzten,
sonst freigebliebenen Lük-
ken füllend, treiben im
bunten Vereine überall ihr
Wesen.
Seltsam abgeklärt, im
direkten Gegensatz zu der
ungemeinen Lebhaftigkeit
des eigentlichen Schrein-
bildes, wirken die Flügel-
gestalten, die in ihrer Le-
benswahrheit zweifelsohne
Porträts von Zeitgenossen
darstellen. St. Stephanus
undneben ihm BischofLam-
bertus von Lüttich als Kir-
chenpatrone auf der einen,
St. Gervasius und Protasius,
die Stadtheiligen von Brei-
sach auf der anderen Seite.
Zumal St. Gervas in der
Patriziertracht damaliger
Zeiten mit dem Symbol
seines Martyriums in den
Händen steht da, wie wenn
er mit nächstem in die Rats-
versammlung zu gehen sich
anschicke.
Als Ganzes betrachtet,
steht der Hochaltar zu Brei-
sach ganz am Ende der
Gotik. Die breiten, ruhigen
Flächen der bisherigen
Kunstwerke werden aufge-
löst in wallende Streifen,
Schlingen und Knoten. Wo
früher eine einzige, tiefe
Ruhe ausgebreitet lag, findet
sich jetzt ein wogendes
Meer. Keine einzige Person
des Schreines kann sich
mehr in natürlicher, unge-
zwungener Weise bewegen.
Wie die Philosophie des aus-
klingenden Mittelalters sich
in Spitzfindigkeiten und selt-
samen Deutungen ergeht, so
bemüht sich Sixt Gumpp bei
seinem Breisacher Werke,
sich in möglichst bizarren Wendungen und
Haltungen auszudrücken. Seine Gestalten
können weder richtig sitzen noch stehen und
gehen. Sie schweben. Ihre Gewänder sind
nur dazu da, in wogende Falten sich aufzu-
lösen. Keine einzige Linie läßt sich auch nur
für eine kleine Spanne als Gerade denken.
Jeder einzelne Schnitt verleitete den Künstler,
der mit staunenswerter Technik mit dem
Holzmeißel das Lindenholz bearbeitete, Kurven
U9
S1XT GUMPP UND SEINE WERKE
SIXT GUMPP
JOHANNES D. T.
höheren Grades zu schneiden. Bei dem Ver-
suche, dem einen und anderen Schnitte genau
nachzugehen, hat sich diese Tatsache mit aller
Schärfe kundgetan.
Was Hans Baidung zu Freiburg mit seiner
Marienkrönung, dem berühmten Hochaltar-
bildnis im Münster, angedeutet, Gumpp hat
es durch seine eigenartige Behandlung bis an
die Grenze zum Maßlosen gesteigert, beinahe
sogar übertrieben.
Nur noch einmal erreichte der Künstler
die gleiche Höhe seiner Schaffens- und Ge-
staltungskraft. Von einem Altarwerke, das wohl
nicht in seinen Maßen, — die Figuren sind
30 cm niedriger — aber in seiner gesamten
Ausarbeitung unmittelbar an den Breisacher
Hochaltar angeschlossen haben muß, sind nur
noch die beiden Schrein- oder Baldachin-
hguren: Johannes der Täufer (Abb. nebenan)
und Johannes der Evangelist erhalten. Wo es
ursprünglich gestanden und wie es in die 1912
versteigerte Sammlung Herdenberg gelangte,
von der es das Germanische Museum Nürnberg
erwarb, läßt sich nicht mehr feststellen. Schon
der bloße Anblick genügt, um beideStatuen Sixt
Gumpp zuzuschreiben. DieGesichst-,Gewand-
und Haarbehandlung schließen einen anderen
Meister von vornherein völlig aus. Die ganze
Behandlung ist noch reicher, noch virtuoser,
noch schwebender als bei dem Bieisacher Altar-
werk. Die Köpfe mit ihrem Ausdruck gestei-
gerten Selbstbewußtseins führen schon in den
Anfang der dreißiger Jahre. Sie gemahnen
noch kaum an die aus dem übernächsten
Jahrzehnte stammende Niederrotweiler Ar-
beit. Das wilde Flattern der Gewandung und
das Überwiegen des Reintechnischen über das
eigentlich Künstlerische überschreitet aller-
dings schon die Grenze des Natürlichen und
kommt dadurch bereits den beiden Statuen
der Heiligen Felix (Abb. S. 121) und Regula
zu Reute bei Freiburg im Breisgau nahe. Für
die kleine Dorfkirche, deren Kaufkraft nicht
so groß war als die der Amtsstadt, beschränkte
sich Sixt Gumpp auf eine weniger sorgfältige
Arbeit, wie wir das sonst bei ihm gewohnt
sind. Die Gewandfalten sind nicht so zahl-
reich und reichgestaltig ausgeführt. Aber die
Überfülle an Gewandstoff, die lange, immer
wiederkehrendes Kurve, die Dreiecke, die bei
den aufstehenden Falten am schärfsten und
eindringlichsten wiederkehren, die ganze Haar-
behandlung, die großen, nach unten gerich-
teten, kein Gehen, nur noch ein Schweben
gestattenden Füße, lassen des Meisters Hand
in allem genau erkennen. Zu der Regula hat
die gleiche Frau Modell gestanden, wie zur
Madonna des Schutzmantel- und Breisacher
Altares. Nur ist sie jetzt einige Jahre älter
geworden. Das rundliche Kinn, die hohe Stirne,
der typische, etwas verdickte Hals, das süße,
verträumte Lächeln auf den Lippen, die ganze
Tracht und Haltung ist genau gleich. Der
heilige Felix zu Reute und der heilige Joa-
chim des St. Annenaltares zu Freiburg schei-
nen wie zwei gleichzeitige Ausgaben desselben
Werkes. Die Totenstarre der Häupter, die
beide Heilige als Gleichnis ihres Martertodes
in Händen tragen, in ihrer überaus großen
Naturwahrheit, ihren Verzerrungen, den in
Todesqualen erschauernden Lippen, den qual-
voll ins Ungewisse starrenden Äugen, haben
in der Kunst des Oberrheins kein Eben- und
Nachbild. Unter allen Malern aber hat keiner
so meisterhaft des Todes Schrecken darzu-
SIXT CUMPP UND SEINE WERKE
stellen verstanden als Sixt Gumpps Zeitge-
nosse Matthias Grünewald. Er hat ihm viel-
leicht auch die Anregung — aber nichts mehr
als sie — gegeben. Die Ausarbeitung des Ge-
dankens zeigt zur Genüge, daß der Künstler
vor keinem Problem zurückschreckte und keine
Aufgabe, mochte sie da lauten, wie sie wollte,
ablehnte, sondern sie mit einer ans Stupende
grenzenden Technik und Künstlerschalt löste.
Zu der heute zu Mülhausen im Elsaß sich
befindenden verstümmelten Madonna stand
die gleiche Frau Modell wie zu den übrigen
Werken. Ihre äußere Form ist nur noch frau-
licher, ihre Züge noch reifer und mütterlicher
geworden. Zeitlich fallen die Regulastatue
und diese zusammen. Beide tragen das gleiche
Gewand mit dem viereckigen Halsausschnitt.
In ihr waltet der gleiche Zug der Erhaben-
heit, der Gumpps Werken überhaupt eigen
ist. Ob sie für sich allein gedacht war oder
den Teil eines größeren Altarwerkes bildete,
läßt sich bei der schlechten Erhaltung nicht
feststellen. Neben der Breisacher Madonna
ist sie das reifste Werk des Meisters. Wohl
ist auch an ihr alles Leben und Bewegung,
aber immer in den Grenzen des Natürlichen.
Mutter und Kind müssen in ihrer Unversehrt-
heit noch weit mehr als heute auf den Be-
schauer mit ihrer ganz eigenen Schöne und
Holdseligkeit ganz außerordentlich gewirkt
haben. —
Des Künstlers Schlußwerk bildet der Altar
in dem heute nicht mehr gottesdienstlichen
Zwecken dienenden Kirchlein zu Niederrot-
weil am Kaiserstuhl. Wohl ist die ganze
Arbeit noch gotisch; aber der Meister hat
sich mittlerweile die Ausdrucksmittel der
Renaissance angeeignet. Am meisten atmet
Renaissancegeist die Enthauptungsszene des
rechten Flügels. Die doppelte Balustersäule,
die Muscheln als Lünettenlüllung sind gleich
falls als Renaissanceelemente anzusprechen.
Sixt Gumpp war mittlerweile alt und müde
geworden. Er gab sich nicht mehr die
Mühe, eine neue Idee zu gestalten. Vielleicht
hatte ihn auch seine Tätigkeit als Schreiner
abgestumpft. Wie dem auch sei: Niederrot-
weil bedeutet den Ausgang des Gumppschen
Schaffens. Zum letzten Male entfaltet er sein
hervorragendes technisches Können in dem
Versuch, das Breisacher Hochaltarwerk relief-
artig für die Zwecke des Dorfkirchleins zu-
sammenzudrängen. Das Rankenwerk ist ge-
radeso kraus, wenn nicht barocker, die Ge-
sichter der Hauptfiguren ähneln sich so, daß
die ganze Arbeit nur als Kopie erscheint. Ob-
schon sie in etwa, als Ganzes betrachtet, ruhi-
ger auf den Beschauer wirkt, sind doch alle
SIXT GUMPP
Formen und der ganze Ausdruck bizairer. Die
Art und Weise, wie die Heiligen Michael und
[ohannes der Täufer in den Seitenwinkeln
untergebracht sind, lassen auf eine Planände-
rung im Verlaufe der Arbeit schließen. So
verquälte Figuren wiederzugeben, lag Gumpp
sonst völlig lern.
Von einer eingehenderen Besprechung
kann abgesehen werden Soviel über die noch
heute erhaltenen Schöpfungen des Meisters.
Verloren sind, nach Ausweis der Freiburger
Münsterfabrikrechnungen: ein Pfeiler
Dl« chlluilchc Kim«. XVI. -,.
SIXT GUMPP UND SEINE WERKE
Jahre 1527, der : Roraffe«, eine phantastische
Figur in der Orgel im Langhaus (1530), der
Taufsteindeckel von 1539 und zwei reich mit
Schnitzereien versehene Kästen in der Sakristei
aus dem Jahre 1550. Wie viele andere Werke
Sixt Gumpps spurlos verschollen sein mögen,
können wir überhaupt nicht urkundlich belegen.
2. SIXT GUMPPS WESEN UND
PERSÖNLICHKEIT
Zwischen 1485 und 1490 zu Stauien im
Breisgau geboren, tritt Meister Sixt Gumpp
um die Mitte des 2. Jahrzehntes des 16. Jahr-
hunderts als fertiger Künstler auf den Plan.
Wer sein Lehrer gewesen, vermögen wir nicht
zu sagen, obschon der eine und andere Zug
in seinen Werken an Richtlinien des großen
unbekannten Kaisersberger Meisters erinnert.
Wydyz, der im ersten Jahrzehnt eine Zeitlang
zu Freiburg seine Werkstatt gehabt, war es
sicherlich nicht. Vielleicht hat er das uns seinem
#Namen nach unbekannte »Bildhauerlin in der
Augustinergassen«, das kurz vor ihm mehr-
fach in den Fabrikrechnungen des Freiburger
Münsters genannt wird, gut gekannt und von
ihm gelernt, was er als Bildschnitzer wissen
mußte. Bis zum Jahre 1527 weilte der Künst-
ler dauernd in seiner Vaterstadt. Hier schuf
er die Dettlinger Madonna, den Annen-, Schutz-
mantel und Breisacher Hochaltar.
Seitdem nahm Sixt Gumpp in Freiburg Auf-
enthalt. In den Steuerlisten erscheint er seit
dem Jahre 1533 als »meister Sixt Gumpp, der
Kistler«. Das Bürgerrecht hatte er schon
vorher erworben, denn es war hier wie an-
derwärts Stadtrecht, daß, wer in die Zunft
wollte aufgenommen sein, zuvorderst das Bür-
gerrecht erworben haben mußte. Als Bild-
hauer gehörte er nach Freiburger Brauch zu-
sammen mit den Apothekern, Steinmetzen
und Maurern der Zimmerleute- oder Bauzunft
an. Es war ein großer Fehler früherer For-
scher, den Namen des Künstlers in der Maler-
zunft zu suchen, da diese ausdrücklich einen
Bildhauer, »der sich des Malwerks nit an-
nimpt«, aus ihrer Mitte ausschließt und der
Bauzunft überweist. So mußten ihre Versuche
von vornherein scheitern. Seine Vermögens-
verhältnisse waren nie besonders glänzend.
In seiner besten Zeit bezahlte er einen mitt-
leren Satz, zu Anfang und gegen Schluß seines
Lebens einen etwas niedrigeren. In der Herren-
straße zu Freiburg, der ehemaligen Pfaffen-
gasse oder Vorderen Wolfshöhle, hatte er das
Haus zwischen dem Münsterpfarrhofe und
der ehemaligen Münsterbauhütte erworben.
Seit dem Jahre 1540 erscheint er in den Herr-
schaftsrechtbüchern des Freiburger Stadtar-
chivs als Besitzer dieses Hauses »zum Eich-
horn«. Noch im Jahre 1558 hatte er jährlich
4 Schillinge zu entrichten. Einige Jahre später
verlor er auf unerklärbare Weise den größten
Teil seiner Habe und seines Vermögens. So
hart es ihm auch ankam, mußte er doch am
15. Dezember 1564 um völligen Steuer- und
Abgabennachlaß demütigst nachsuchen. Der
Stadtrat beschließt am gleichen Tage »ine seiner
armut halben bedenken und billig [zu] heilten.«
Die kleinliche Streitsucht seiner Nachbarn
und Zunftgenossen Balthasar Isaac und Marx
Samen vergällte ihm die letzten Tage seines
sorgereichen Lebens. Einige Male mußte sich
sogar der Stadtrat für ihn verwenden, daß
ihm nicht zu großes Unrecht geschehe. Sein
hohes Alter, — er stand längst in den sieb-
ziger Jahren — muß ihm schließlich zu einer
großen Last geworden sein. Seine rechtmäßi-
gen Erben, die Männer seiner beiden Töchter
Gilg Herod und Hans Semer, ließen ihm unter
dem 21. Mai 1568 von Rats wegen einen
Pfleger setzen. Die Stelle im Ratsprotokoll
für diesen Tag: »Sixt Gump[p) ist seiner leibs-
unvermöglichkeit halben uf seiner Tochtermänuer
ansuchen mit HausPetern bevögtigt , läßt die ganze
Tragik seines Künstlerschicksals ahnen. Noch
vor dem Martinstag des gleichen Jahres ward
er zu seinen Vätern versammelt. In der Steuer-
liste von diesem Tage ist seiner als Verstor-
benen nicht mehr gedacht. Am 12. Februar
1569 setzten sich seine obengenannten Erben
über den Nachlaß auseinander. Mit seinem
Heimgang erlischt in Freiburg und sonst überall
zugleich der Name Sixt Gumpp. Keine lite-
rarische oder urkundliche Quelle gedenkt seiner.
Nirgends auch nur die geringste Spur einer
Erinnerung an ihn. Man hatte ihn schon zu
Lebzeiten nicht sonderlich beachtet und nach
seinem Tode war man ihm nach Freiburger
Meinung um so weniger ein Gedenken schuldig,
als er es stets vorzog, seiner eigenen Wege
zu gehen. Am öffentlich-bürgerlichen Leben
beteiligte er sich in keiner Weise. Um die
Stelle eines Zunftmeisters oder gar Ratsherrn
hat er sich niemalen beworben. Er überließ
es den Kleinen seiner Zeit, nach äußeren Ehren
zu geizen und lebte nur sich und seiner Kunst.
Die vielfach kleinlichen Kleinigkeitskrämereien
der damaligen Stadtherren und Bürger waren
nichts für ihn und lagen ihm auch ganz und
gar nicht. Bat ihn aber ein Nachbar um eine
Gefälligkeit, so schlug er sie ihm nicht aus.
Mehrmals erscheint er so als Zeuge in Erb-
schaftsprozessen und bei Testamentsvollstrek-
kungen, ohne sich jedoch für seine Mühe ent-
schädigen zu lassen. — Sixt Gumpp nahm das
S1XT GIMPP LXD SEINE WERKE
123
WAli
* /
P. WILLIBKORD VERKADE, O. S. B. (BEI/KON)
Ausstattung
KREUZABNAHME
KapeUt der Kat ttuliUnkirche zu Wieit-DebUng
Schöne im Leben und das Leben selbst in
sich auf; dankbarlich er- und durchlebte er
das, was er einmal geschaut. Daher auch seine
herrlichen Madonnen, zu der er immer das
gleiche Modell genommen. Anfangs klingen
die fraulichen Formen nur leise, kaum ver-
nehmlich an, bis sie in der Schutzmantel- und
BreisacherMadonna sich zu der höchsten Offen-
barung der reinen WeiblichMütterlichkeit ge-
stalten. Nicht auf die Betonung des Rem
körperlichen kommt es ihm zuvörderst an ;
er will vor allem Seelisches darstellen. Er
wußte wohl, daß die Schöne des Weibes nicht
in dem Körperlichen liegt; und gerade dieses
Erkennen und sein Erleben gibt in der wun-
dersamen Ausgestaltung den Werken aus der
Blütezeit seines Schaffens den ganz eigenar-
tigen Reiz, den schon die Zeitgenossen und
die vielleicht noch mehr — wie wir erkannten.
Die Wandlungen der Kunst von der Gotik
zur Renaissance sind an ihm nicht spurlos
vorübergegangen. Er steht am Ausgange der
Gotik seinem ganzen Wirken nach; aber ein-
zelne Elemente, zumal die nahezu bizarren
Faltungen, weisen über die Renaissance hinaus
auf den Barock hin. Und doch herrscht immer
die gleiche Grundstimmung, das Göttliche,
Erhabene in das Gewand des Reinmensch-
lichen zu kleiden, die Menschengestalten aber
aus der Niedrigkeit des Alltags in höhere
Sphären zu erheben. Sein Leitmotiv eine kühne
Phantasie, die. gepaart mit einem virtuosenhaf-
ten technischen Können, seinen Schöpfungen
trotz allem Wirklichkeitsstreben etwas unge-
mein Leichtes und Schwebendes verleiht.
So gehören Sixt Gumpps Werke zu dem
Besten, was Holzbildhauerei je am Oberrhein
geschaffen.
124
ZU GRÜNEWALDS ISENHEIMER ALTAR
*im^i(ß^hgmßm^!Bßm
. S. RESCH, KRIEGERDENKMAL IN DER PFARRKIRCHE ZU WALLER-
STEIN BEI NÖRDLINGEN
ZU GRÜNEWALDS
ISENHEIMER ALTAR
r^vurch welche Ideen ist die Komposi-
*-^ tion von Grünewalds Isenheimer
Altar veranlaßt? Wie kommt es, daß
die abgeklärt ruhige Gestalt des Antonius
neben dem schmerzzerrissenen Bilde der
Kreuzigung steht? Wie erklärt sich be-
sonders die Zusammenstellung des ein-
mal geöffneten Altares: Maria Verkün-
digung, Engelkonzert, Mutterglück, Auf-
erstehung? Ein Beitrag zur Lösung die-
ser Frage sei in folgendem gegeben.
Der geschlossene Altar zeigt in der
Mitte den Kreuzestod Christi , rechts
Sebastian von Pfeilen durchbohrt, links
Antonius, auf den ein Teufel fauchend
losfährt. Der Gedanke, der diese drei
Darstellungen zu einer Einheit zusam-
menfaßt, ist das Problem des Leidens.
Grunewald sucht in künstlerischer Form
die Lösung dieses Problems zu geben
und zwar auf Grund christlicher Theo-
logie und Mystik. In der Mitte stellt er
darum den Leidensmann katexochen,
der die Frage nach dem Ursprung und
Zweck des Leidens theoretisch gelöst:
das Leiden ist in Gottes Plan und soll
zu Gott führen, und der die Durch-
führung dieser Lehre in seinem Leiden
und Sterben gezeigt hat. Rechts und
links von Christus stellt Grünewald als
Träger des menschlichen Leidens Se-
bastian und Antonius, ersteren als Ver-
treter des körperlichen, letzteren als Ver-
treter des seelischen Leidens. Um die
Theorie vom göttlichen Ursprung und
Endziel des Leidens möglichst klar ver-
ständlich darzustellen, wählt Grünewald
zwei solche Formen von Leiden, deren
Ursache ersichtlich in Gottes Ordnung
liegt, und deren Überwindung nur in
vollkommener Hingabe an Gott möglich
ist: Martyrium und Versuchung. Die
Ruhe und Fassung, mit der die beiden
Heiligen ihr Leid tragen, zeigt, daß sie
Ursprung und Zweck des Leidens voll
erkannt haben, daß sie wissen, daß im
Leiden eine neue Schönheitsform der
Seele heranreift und die Persönlichkeit
dadurch in innigere Beziehung zu Gott
tritt. »Leiden macht mir den Menschen
inniglich, denn der leidende Mensch
ist mir ähnlich .... zwar werden die
Leidenden von der Welt die Armen ge-
nannt, von mir aber die Seligen, denn
sie sind meine Auserwählten«, läßt
W. F. S. RESCH MÜNCHEN)
VOM KRIEGERDENKMAL IN WALLERSTEIN
Vfl. AU. S. i>4
126
ZU GRÜNEWALDS ISENHEIMER ALTAR
Heinrich Suso (f 1365) einmal Christum spre-
chen. So wird die Bilderreilie des geschlos-
senen Altars zur Darstellung des mensch-
lichen Leidens, das durch den Glauben als
Fügung Gottes und Mittel zur persönlichen
Annäherung an Gott erkannt wurde.
Der geöffnete Altar zeigt von links nach
rechts gehend als erstes Bild eine Maria Ver-
kündigung, dann das sogenannte »Haus der
Seelen« oder Engelkonzert, im dritten Bild
Mariens Mutterglück, im vierten die Aufer-
stehung Christi. Zunächst ist klar, daß das
zweite Bild, wenn es nicht aus dem Rahmen
der beiden Mariendarstellungen herausfallen
will, in erster Linie nicht eine Personifikation
HANS FAULHABER
Vorarbeit zu dir auf S.
der Seele oder ein Engelkonzert, geschweige
denn eine heilige Katharina darstellen kann,
sondern eine Szene aus dem Marienleben be-
deuten muß. Mit Recht erklärt man darum
neuerdings das Bild als die exspectatio partus,
ein Fest, das damals in Oberitalien gefeiert
wurde und den Intentionen des italienischen
Bestellers entsprechen mochte.1) Es zeigt dann
das erste Bild die Empfängnis, das zweite die
Erwartung der Geburt, das dritte das Mutter-
glück Mariens. Unerklärt aber bleibt auch
hier, wie Grünewald als viertes Bild hierzu
eine Auferstehung Christi stellen konnte.
Eine Lösung des Problems ergibt sich, wenn
wir auf die christliche Mystik zurückgreifen.
Unter Mystik als Leben
versteht man die dies-
seits größtmögliche
Vereinigung der Men-
schenseele mit Gott in
Erkenntnis und Liebe.
Ziel des mystischen
Strebens ist die »unio«
der Seele mit ihrem
Gott in innigster Liebe.
Der Werdegang dieser
unio ist nun hier dar-
gestelltunterdem Bilde
Mariens, der Rosa My-
stika. Deutlich tritt dies
zutage im dritten Bilde,
Mariens Mutterglück,
das die Vereinigung
Mariens mit ihrem
göttlichen Kinde schil-
dert. Auge schaut in
Auge , Seele taucht
in Seele. Ringsum
schließt sich der ab-
geschlossene Garten
der Mystiker, rechts
blüht die Rose der
Liebe, links die Feige
der Erkenntnis — Sym-
bole, die in der Mystik
eine Rolle spielten.
Stellt aber das Mutter-
glück den Gipfelpunkt
der Mystik, die unio
der Seele mit Gott dar,
dann müssen die beiden
vorausgehenden Ge-
mälde den Werdegang,
das folgende die Voll-
endung dieser Vereini-
gung zeigen.
STUDIE EINES FELDGRAUEN ') Joseph Walter im vor.
Gn,Ppe Jgg,d. »Chr.K.«. D. Red.
I27
HANS FAULHABER (MÜNCHEN), KRIEGSERINNERUNGS ALTAR IN ST. JOHANN BAPT. ZU M \GDl BÜRG
Trxl S. 35 J'! Btiblattti
128
ZU GRÜNEWALDS ISENHEIMER ALTAR
HANS FAULHABER
Von dtr auf S. 127 abgebildeten Gruppe
Die Verkündigung offenbart sich unter die-
sem Gesichtspunkte als den Beginn des mysti-
schen Lebens: das Hereinbrechen des Über-
natürlichen in die natürliche Welt. Die Seele
selbst macht sich durch Gebet und Lesung
der Hl. Schrift für die Aufnahme des Über-
natürlichen empfänglich. Dann tritt das
Übernatürliche mit Wucht in die irdische
Sphäre ein. Wohl wendet sich die Seele
noch zurück, wohl fehlen ihr anfangs die
Qualitäten zum vollen Verständnis der neuen
Welt, die sich vor ihren geblendeten Augen
öffnet. Aber schon schwebt der Hl. Geist
über sie herab und das neue übernatürliche
Leben beginnt in ihr zu keimen.
Das zweite Bild, die exspeetatio partus, zeigt
dann das Heranreifen des übernatürlichen
Lebens in der Seele. Ungeahntes Glück er-
füllt das Herz, das Auge sieht den Himmel
offen und Gottes Engel umspielen die Seele
mit heiligen Tönen. — Ekstase und Visionen
waren stets Lieblingsgedanken der Mystiker.
— Das dritte Bild zeigt dann die Vollendung
des mystischen Innenlebens, Gott und die
Seele sind eins geworden. Alles Irdische ver-
sinkt. Was der Glaube lehrt, ist zum per-
sönlichen Erlebnis geworden. Die Seele emp-
findet Gottes heilige Gegenwart, sie schaut
gleichsam den Unendlichen. . Der Himmel
hat sich geöffnet, um ihr schon in diesem
Leben eine Vorwegnahme jenes Glückes zu
gewähren, das nur der Seligen Anteil ist,
von denen es heißt: Sie werden Gott an-
schauen.
Die Auferstehung Christi
weist dann darauf hin, daß
dieses Innenglück der mysti-
schen Seele einst auch die
Hülle des Leibes durchbre-
chen und auch diesen mit sei-
nem freudigen Lichte durch-
strahlen wird. Dann wer-
den alle Erdengrößen achtlos
unter ihren FüLSen liegen als
»Schätze, die Rost und Mot-
ten verzehren« — die Rost-
flecken amPanzerunddievon
Motten abgefressenen Spuren
am Wamse der im Vorder-
grund liegenden Wächter
deuten darauf hin — wäh-
rend sich der verklärte
Mensch zum Himmel erheben
wird. Die Wundmale des
Auferstandenen, die mit der-
selben Gloriole wie das Haupt
ausgestattetsind, weisen noch
einmal zurück auf das Leiden,
das im ersten Zyklus dargestellt ist, und
zeigen , daß dieses kein Hindernis in der
seelischen Entwicklung bedeutet. Im Gegen-
teil, scheinen die auf dieselbe Höhe wie
die Augen erhobenen Wundmale der Hände
zu sprechen: Durch Leid sehend geworden.
Auf diese Weise würde die Zusammenstel-
TRAUERNDES EHEPAAR
Vgl. obige Abbildung
LANDSHUT UND TRAUSNITX
129
lung der beiden Zyklen des Isenheimer Altars
eine einheitliche und befriedigende Erklärung
finden. Ein genaueres Studium der Frage
würde wohl unschwer aus der mystischen
Literatur Belegstellen für die angeführten
Ideen bringen und so das Material liefern
zur Untersuchung der Frage, wie weit Grüne-
wald mit diesen Vorstellungen vertraut und
von ihnen beeinflußt war'). m. Müller
LANDSHUT UND TRAUSNITZ
Von ANNA BLUM-ERHARD
(Abb. S. 132)
r\ie Isar hat ihr lichtgrünes, für München
*-J typisches Kleid und "den sturzbachgieichen
Lauf, die wilde, vom Gebirg überkommene Strö-
mung; bereits abgelegt, wenn sie die ehema-
lige Residenz der niederbayerischen Herzöge
einladt, sich in ihr zu spiegeln. Sie ist ein
Niederungsstrom geworden; braungrün und
sanfter sind ihre Wellen, und ihre Kraft ist auf
und ab dienstbar gemacht worden den großen
Mühlen und Fabriken, durch die sich Lands-
hut wetteifernd in die Reihe der süddeutschen
Industriestädte stellt.
Das linke Ufer ist von den Höhenzügen ver-
lassen worden. Zur Rechten schieben sich noch
immer kleine, waldige oder obstbaumbestan-
dene Hügel heran, auf deren einem Ludwig
zu Beginn des 13. Jahrhunderts eine Feste be-
gann, zum Schutz der bürgerlichen Talansie-
delung. Damals trug beides, Ort und Burg,
die Bezeichnung Landshut. Erst viel später ist
für das dräuend über den Zuzugswegen ragende
trutzige Bauwerk der den Feind warnende Name
>Trausnitz« entstanden.
Sie ist eine der vielen im Land verstreuten
Burgen der Witteisbacher; auch an ihr offen-
bart sich der eifrige Schönheitssinn, der nie
das Nur-Nützliche herrschen läßt — auf breiter
Basis einfach gegliederte Formen, von einigen
festen, unter ihrem Dache wie untereincr Kappe
vorlugenden Vierecktürmen unterbrochen; zu
denen von unten her die Befestigun^smauer
mit dem Schmuck ihrer ins Buschgrün ver-
streuten kleineren Warttürme emporklettert.
Außer der breiten Fahrstraße, an deren Wen-
dungen mancherlei malerische Motive auftau-
chen und die an Schloß und Hofgarten vorüber,
die südlich gelegenen Ortschaften aufsucht —
führt ein durch flache Stufen in aller Steilheit
') Vgl. den ausführlichen Redankenreichen Auls.it/ im
vor. Jg., S. 73 ff. von Joseph Walter. Von diesem Autor
werden wir demnächst eine Abhandlung über das früher als
Engelkonzert bezeichnete Bild veröffentlichen, in dem der
obige Wunsch des Herrn Verfasser] erfüllt wird. I). Red.
HAS'S IAULHAHER
Vgl. AU. S. 117 und Iti
bequemer Fußweg, ein Treppenweg, rasch und
geradeaus von den letzten Häusern der Alt-
stadt in den Burghof.
Bevor wir ihn betreten — der lange Zeit hin-
durch Schauplatz für militärische Übungen und
Kriegsgefangene gewesen - fesselt uns noch
die Stadt. So recht ihr Wahrzeichen ist der
von eifrigen Dohlen umschwärmte mächtige
Turm der Hauptkirche, derenSchutzpati onMar-
Kunst XVI. V
130
LANDSHUT UND TRAUSNITZ
PHILIPP SCHUMACHER (MÜNCHEN)
KRIEGSGEDÄCHTNISTAFEL IN MARIA EICH BEI MÜNCHEN
He/t 2 und 3, S. 14
tinus ist. Auch ihr Schiff ist innen und außen
von starker Wirkung. Staunend schwingt sich
unser Blick in dem lichten Raum mit den schlan-
ken Säulenpfeilern, die sparsam kanneliert, von
keinem Zierat und keiner Empore gehemmt
zur Wölbung hinan. Aber noch überraschter
folgt er von derStraße aus — über die Dachung
des gewaltigen Schiffs derKirche — der Riesen-
höhe des schöngegliederten, von anschmiegen-
den Rundtürmchen flankierten Turmes in die
blauen Lüfte. Die gehören so recht zum Bild
der Stadt, wie ein Goldgrund zum alten Ge-
mälde. Wie eine Verzeichnung wirkt es, wenn
das Firmament grau und dunstverhangen ist!
Denn um das festliche Gepränge dieser hoch-
getürmten Dächer und vielgestaltigen Giebel,
die alle wie mit Augen in die breitangelegten
Straßen hereingucken, und ihres Anführers, des
heroischen Martinsturmes, recht zur Geltung
zu bringen, müssen sie sich vom Blau des
Himmels abheben. Sie wirken dann wie eine
bildgewordene fröhliche Fanfare und wir brau-
chen nur ein wenig rege Fantasie, um Hufschlag
und Trompetenstöße zu vernehmen und den
Hochzeitszug Georgs des Reichen die Straße
heranwallen zu sehen, der um 1475 die Re-
sidenz Landshut mit ungewöhnlichem Pomp
erfüllte und durch die Steinwerkreichen Por-
tale in die Kirche wallte. Wir sehen auch die
schöne Hedwig, die er sich aus dem fernen
Polen geholt, mit strahlendem Blick in diese
Ehe schreiten, die ihr dann freilich nicht die
Erwartungen stillte, mitdenen sie siebegonnen.
Nicht nur, daß der ersehnte Erbe ausblieb und
die Umwälzungen in der Erbfolge, die der rei-
che Georg vornahm — seiner an den Pfälzer
verheirateten Tochter zulieb — das Land mit
Krieg überzogen — diese Wirren hat sie wohl
nicht erlebt. Aber wir begegnen ihr später, ge-
trennt vom Gatten, in der abgeschiedenen Stille
des Burghauser Schlosses, von dessen Fenstern
sie wohl öfter als nach den Alpen nach der
Stätte ihres jungen Glücks hinübersah . . . und
träumte. Denn in nichts konnte sich ihr jetzi-
ges Leben in der strengen Kemenate mit dem
Glanz derLandshuterHofhaltung messen; hier
hohe düstere Gemächer — und Langeweile;
dort helle buntbemalte Säle, weites Gelände
LANDSHUT UND TRAUSNITZ
zu Füßen, ein rascher Fluß,
der ostwärts strömte und viel-
leicht — sie wußte das nicht
so genau — Heimatgaue be-
spülte. Hier ein vom steilen
Abhang nur karg bemessenes
Gärtchen mit Rosmarin und
Epheu, ein enger strenger
Hof und als einzige Abwechs-
lung die Messen in der klei-
nen Kapelle oder der Besuch
und die geistlichen Ermahnun-
gen des Kaplans. Dort Tanz
und Spiel — Tourniere im
weiten Räume des Hofs —
breite Bogengänge, Ritter und
Gäste . . .
Die Witteisbacher haben die
Trausnitz, haben Landshut
gegründet. Beide Entstehun-
gen fallen in den Beginn des
13. Jahrhunderts. Das ältest
erhaltene Stück Innenraum ist
die schöne romanische Schloß-
kapelle mit den Halbfiguren
der Apostel an der Empore.
Aus den Jahren um 1400 stammt
der Bau der 1 10 Meter tiefen,
in Bruchstein gehauenen Zi-
sterne, deren Eimer an starken
Ketten das Wasser vom Grund
der Isar schöpften. Großzügig
ist der ganze Schloßbau auf
dem Hügelvorsprung angelegt.
Im einen Teil ist jetzt das Archiv von Nie-
derbayern untergebracht — der andere Flügel
birgt im ersten Stockwerk jene reich bemal-
ten farbenfrohen Säle, in denen die Herzöge
wohnten und Hof hielten. Prächtige Kachel-
öfen legen von derTöpferkunst des Mittelalters
Zeugnis ab. Ein Gemach enthält die Galerie
der fürstlichen — Hofnarren in Ölgemälden.
Eine Wendeltreppe, die sogenannte »Narren-
treppe«, überrascht durch die — leider wie auch
die Saalbilder — z.T. übertünchten, ausgezeich-
neten Fresken, schalkhafte und ernste lebens-
große Gestalten, die Szenen aus Dantes Gött-
licher Komödie vorstellen sollen.
Das obere Stockwerk ist » wohnban gemacht
worden unter König Ludwig IL, mit Holz an
Wänden und Decken vertäfelt und mit ent-
sprechenden Möbeln ausgestattet und Vornan
gen, deren prachtvoller Brokat und Seidenstoff
von seiner Frunkliebe zeugt.
Aber gern schweift von hier der Blick
durch die Fenster, die das weite Land mit
den buntverstreuten Ortschaften, alten Kirch
lein, Schlössern und Herrensitzen beherrschen
GEORG SCHREINER (REGENSBURG)
Jn St. Emmeram zu Regensbiirg.
KRIEGERDENKMAL
Text S. 34 des Beiblattes
und dem mächtigen Martinsturm in den Glok-
kenstuhl und auf die Kranzgesimse seiner Helm-
spitze schauen.
Das weite Land — das reiche Land! Acker
an Acker, Wald an Wald, Obst und Wiesen I
In den Zeiten der Absperrung vom Ausland
muß solcheineZugehörigkeit doppelt geschätzt
werden. Landshut ist die Zentrale für dies frucht-
bare Gebiet. Und über Landshut Hegt nicht
die tote Stille andrer, von der Erinnerung an
einstige Bedeutung zehrender Orte gebreitet
Nicht wie Burghausen, das der einstige Salz-
handel flüssewäns aufblühen ließ und das die
Gnade der Herzöge begabte, ist seine Rivalin
in der fürstlichen Gunst in sich selbst zurück-
gesunken. Burghausen hat unter der politi
Abtrennung des ihm vorgelagerten Innvieitels
gelitten; es ist an die Grenze gepreßt worden.
Das hat seinen Aufschwung gehemmt. Laiuls-
hut ist Mittelpunkt geblieben, wenn auch in
anderer Beziehung als früher. Es hat den Wohn-
sitz der llenscher, es hat auch die ihm aul
kurze Dauer verliehene Universität an Mim
chen abgegeben. Aber doch quillt und quirlt
132
LANDSHUT UND TRAUSNITZ
HANS BLUM
LANDSHUT, MARTINSKIRCHE UND TRAUSNITZ
Text S. 12g— 133
es von Leben. Eine rege Industrie auf den ver-
schiedensten Gebieten hat zwar Vorstädte ge-
schaffen, die nicht in den Schönheitstyp der inne-
ren Stadt passen — aber sie haben ihre Schlote
und Maschinen anständigerweise »vor den To-
ren« aufgestellt. Ist also der Anblick von weitem
und von der Höhe kein ungetrübter für das
Auge des Künstlers, so bieten ihm doch die drei
Hauptstraßen, Altstadt, Neustadt und Untere
Freyungund diesieverbindendenGassenimmer
noch Bilder genug, an denen er sich die alte
Zeit freudig und hemmungslos aufbauen kann.
Die Randverzierungen der Giebel, die nicht
wie in den meisten Inn- und Salzachstädten
wie in Burghausen, Tittmoning, Mühldorf,
ja wie in Sterzing, nur eine gewisse stattliche
Höhe pomphaft über flache Dächer hinaus vor-
täuschen wollen — dieseRandverzierungen sind
von einer geradezu staunenswerten Mannig- ner Gottesacker mit einigen gräflichen Gruf-
faltigkeit, an der sich von der strengen Gotik ten umfriedet den Bau. Nahebei fällt ein statt-
als blättere man lustige Bil-
derbogen durch. Es stimmt
heiter und regt an. Es ist,
als hätten die Baumeister ein
Wettspiel begonnen , vom
alten Toreingang bei der
Brücke an, wo seitlich die be-
scheidene »Stadtwohnung«
der Herzöge wie eines neu-
zeitlichen Torwärters Bude
anmutet, bis zum oberen
Trausnitztor, wo über dem
Dreihelmwappen der Stadt
die wundervolle Kreuzi-
gungsgruppe hingemnlt ist
— sich gegenseitig zu über-
trumpfen in Einfällen und
Launen — an Treppen und
Stufen, an Schnecken und
Bogen — bis endlich der-
jenige den Sieg davontrug,
in dessen stolzem Bau dann
Georg der Reiche bei sei-
nen Hochzeitsfeierlichkeiten
Wohnung nahm.
Das schon erwähnte Ster-
zing hat auch für den Eck-
erker des Landshuter Rat-
hauses das Vorbild abge-
geben , und echt tirolisch
muten die Laubengänge an,
die durch die halbe Altstadt
die Eingänge der Häuser be-
treuen. Mancher hübsche alte Hof hat sich
in den tiefgeführten Häusern bewahrt, eben-
so wie die schönen Wölbungen in ihrem
Erdgeschoß, und das breite Ladenfenster der
alten Handelsstadt, die schon in ihren weiten
offenen marktplatzartigen Hauptstraßen sich
als solche dokumentiert.
Wir können Landshut nicht verlassen, ohne
den herrlichen Schloß-, d. h. »Hofgarten« mit
seinen an- und absteigenden Pfaden und Ser-
pentinen, den seltenen Bäumen, kleinen ver-
steckten Weihern und prächtigen Ausblicken
besucht zu haben und dabei Heilig Blut, das
uralte Kirchlein hinterm Dorfe Berg, zu ent-
decken. Zwei schlanke Rundtürme, eine Sel-
tenheit in der Gotik, flankieren die durch das
Gezweig der Bäume hinter Schloß und Hof-
garten herschimmernde Vorderseite; ein klei
bis zumLaunischen, Gefälligen des Barock jedes
Jahrhundert und jede Kunstströmung versucht
hat. Immer wieder entdeckt man eine noch
übersehene, reizvolle Schöpfung, die sich vom
Dachfirst in den Himmel hineinbaut — es ist,
licher Schloßbau mit der architektonisch wohl-
überlegtenKrönung durch zwei barockeSchorn-
steine auf — und eine Menge verstreuter, male-
rischer Gehöfte inmitten reicher Obsthalden,
reizvoll durch alte moosübersponnene Hohl-
DER ERFURTER DOM
■33
Ziegeldächer, durch anmutige Erker und vor-
springendes Obergeschoß. Das ist Berg, die
alte Hofmark.
Von hier schweifen die Straßen höhen wärts
durch Äcker, aus denen trillernd die Lerche
aufsteigt, und durch Wälder, die der Ruf der
Holztaube belebt — und freigegeben ist der
Ausblick ins Gebirg. Die Isar windet sich unten
im Tal donauwärts, immer niederer werden
die Höhen, die sie geleiten, immer flacher das
Land. Aber man hat gelernt, dies flache Land,
unsre mit reichem Ertrag gesegnete Vorrats-
kammer, mit anderen Augen zu betrachten als
vor dem Krieg, wo es wie ein Stiefkind hinter
den Bergen Oberbayerns und des Allgäus
hintanstehen mußte, und woselbst seine
prächtigen, architektonisch interessanten Orte
eine terra incognita für manchen guten
Deutschen waren.
DER ERFURTER DOM
Im Laute des Sommers 1912 sind die Reno-
* vierungsarbeiten im Schilf des Domes voll-
endet worden. Nach Beseitigung der blauen
Deckenfarbe zeigt sich auch dieser Teil des
erhabenen Gotteshauses in wirkungsvoller
Schönheit. An den schon früher erwähnten
hochgotischen Chor (Jahrg. VII, Heft 11 die-
ser Zeitschr.) mit seinen zwölf prachtvollen
alten Fenstern schließt sich der jetzige Chor-
hals, das Presbyterium der alten romanischen
Basilika aus dem 12. Jahrhundert, als Binde-
glied zwischen Chor und Langhaus an. Letz-
teres setzt sich zusammen aus den Überresten
des Quersehiffs des alten Baues und einem
vollständigen Neubau aus dem 15. Jahrhun-
dert. Dieser wurde an Stelle der alten, bau-
fälligen Basilika errichtet. Nachdem dieselbe
Dl.K ER] I .'Kl III DOM
134
DER ERFURTER DOM
abgetragen, wurde an die noch vorhandenen
Überbleibsel des Querschiffs der neue Teil
angebaut. Über den Anfang dieses Bauwerks
berichtet uns eine in Stein gehauene Inschrift
an einem Strebepfeiler der nördlichen Wand :
»Anno domini M. cccc.lv. in die Panthaleonis
incepta est hec structura.« Jedenfalls um
Raum zu gewinnen, machte man das neue
Gebäude so breit, wie das alte Querschiff
lang war. Noch vor seiner Vollendung wurde
der Bau samt der benachbarten Severikirche
1472 durch einen großen Brand zerstört, aber
bald wieder hergestellt, so daß schon im
Jahre 1476 die Kirche wieder geweiht wer-
den konnte. Der ganze Raum präsentiert
sich in seiner neuen Gestalt als eine große
Hallenkirche mit spätgotischen Formen. Acht
mächtige Pfeiler, in der Breite des Chorhalses
voneinander entfernt, tragen das herrliche
Sterngewölbe, welches in einer Höhe von
19 Metern die drei gleichhohen Schiffe über-
deckt. Die Gewölberippen vereinigen sich
im Mittelschiff auf den ganz einfachen, runden
Kapitellen der rings um die Pfeiler sich an-
lehnenden Dienste und an der Südwand auf
aus der Mauer hervorstehenden Konsolen,
während an der Nordwand schlanke Halb-
säulen ohne jede Unterbrechung durch Ka-
pitelle gleich in die Gewölberippen übergehen.
Eine auffällige Erscheinung an diesem Ge-
bäude ist die, daß die Seitenschiffe breiter
sind als das Mittelschiff und zwar in einem
Verhältnis von 13 zu ir. Trotz dieser und
noch einiger anderen Unregelmäßigkeiten die-
ses Bauwerks, wie z. B. die verschiedenen Län-
gen der Seitenwände und die ungleiche Breite
des Querschiffs, bieten sich dem aufmerk-
samen Beschauer architektonische Bilder von
ausgezeichneter Schönheit. Erwähnt seien nur
der Durchblick vom Westportale längs der
Achse zum Hochaltar im Chor (Abb. S. 133)
und ein solcher von der westlichen Ecke
des südlichen Seitenschiffs in der Diagonale
zum nördlichen Abschlüsse des Querschiffs.
Bei letzterem Bilde gewinnt man auch den
besten Überblick über das bereits erwähnte
Sterngewölbe. Leider wird der Eindruck des
Ganzen gestört durch nicht ganz einwandfreie
bunte Glasfenster aus den Sechzigerjahren des
vorigen Jahrhunderts. Störend wirkt noch für
Kenner die große Kanzel aus Holz, auf der drei
Prediger auf einmal bequem Platz hätten, und
die wie die Kanzel aus den dreißiger Jahren
des 19. Jahrhunderts stammende hölzerne Or-
gelbühne über dem westlichen Eingange. Ne-
ben dieser erhebt sich bis in die Decke ein
turmartiger Aufbau von Stein und Holz in For-
men der deutschen Renaissance als Baptiste-
rium. Die Aufmerksamkeit der Besucher erregt
ein großes Ölgemälde auf der Steinwand aus
dem Jahre 1499, welches einen bedeutenden
Teil der südlichen Wand bedeckt und Chri-
stophorus darstellt. Unter diesem Bilde hat der
Grabstein des Grafen von Gleichen (13. Jahrh.)
Aufstellung gefunden. Ein in Sandsteinrelief
ausgeführtes Sakramentshäuschen aus dem
16. Jahrhundert, vor welchem der Sarkophag
der Heiligen Adelar und Eoban, Genossen des
hl. Bonifatius, aufgestellt ist, und zwei neue
in Sandstein ausgeführte gotische Altäre schlie-
ßen das südliche Seitenschiff nach Osten ab.
F. Schmidt
I (• -<r> - $ - = -- $r r---ß--rz z&t- ~$c- -- -r^^^^^^^JtE—-^. . IT,;.':^.V| |
GRUNDRISS DER HL. KREUZKIRCHE ZU AUGSBURG. — Vgl. Abb. S. JSS- Text S. 136
DIE HL. KREUZKIRCHEN IN AUGSBURG UND INNSBRUCK
'35
GRUNDRISS DER HL. KREUZKIRCHE ZU INNSBRUCK. - Vgl. Abi. S. 134. Irxt S. 136
DIE HL. KREUZKIRCHE
IN AUGSBURG, DAS VORBILD DER
HL. KREUZKIRCHE IN INNSBRUCK
Von HUGO STEFFEN1, Architekt, München
(Vgl. Abb. S. 154 und 135)
r^ie um ungefähr 50 Jahre ältere Hl. Kreuz-
*-^ kirche in Augsburg zeigt in ihrem Grund-
riß die gleiche Anlage, wie die Hl. Kreuz- und
Hof kirche zu Innsbruck, welcher sie, nach dem
Wunsche Kaiser Maximilians I. bez w. König Fer-
dinands I., zum Vorbilde diente. Ersterer weilte
wiederholt in Augsburg, als er den Gedanken
gefaßt hatte, für sich und seine Ahnen ein mäch-
tiges Denkmal in einer Kirche zu errichten,
das Zeugnis ablegen sollte von der Frömmig-
keit und Kunstliebe Maximilians und des habs-
burgischen Hauses. Die seinerzeit zwischen bei-
den Monarchen und der Innsbrucker Regierung
gepflogenen Verhandlungen, desgleichen die
alten Bauakten sind für beide Kirchen von ho-
hem Interesse. Freilich zeigte sich einstmals
die Augsburger Hl. Kreuzkirche in einer andern
Gestalt, als sie jetzt vor uns steht, namentlich
in ihremprunkvollen spätgotischen Innern. Ihre
Wände waren, wie berichtet, mit farbigem Mar-
mor bekleidet, während die unteren Flächen in
goldstrotzendem Holzschnitzwerke prangten.
Weiter wird von stimmungsvollen Teppichen,
Prächtigen Chorstühlen, reichbemalten Gewöl-
en und glitzernden Kronleuchtern gesprochen,
aber von all diesen Schätzen ist, infolge mehr-
facher Umbauten, nichts übriggeblieben.
KeinWunder, daß den kunstbegeisterten Für-
sten ein solch auserlesenes Gotteshaus mäch-
tig anzog und zum Vorbild seiner Pläne wurde.
Aber wie so viele mittelalterliche Kirchen, mußte
auch diese im Wechsel der Jahrhunderte inehr-
faeheNeubautenund Restaurierungen über sich
ergehen lassen, die ja auch ihrer Innsbrucker
Schwester nicht erspart blieben. Beide Gottes-
häuser sind Hallenkirchen mit sechs Jochen,
Seitenschiffen und runden Säulen; auch zeigen
ihre Schilfe fast die gleichen Maße, nur mit
dem Unterschiede, daß der Chorbau in Augs-
burg um das Doppelte länger ist als bei der
Innsbrucker Kirche.
Zwei der denkwürdigsten GotteshäuserAugs-
burgs liegen jetzt, nur durch einen schmalen
Hof getrennt, friedlich nebeneinander, das eine
dem katholischen, das andere dem protestanti-
schen Kultus dienend. Es sind die beiden Hl.
Kreuzkirchen. Die älteste von beiden ist die
in Rede stehende katholische Hl. Kreuzkirche.
An ihrer Stelle stand einst ein romanisches
Gotteshaus, von dem nur noch der Turm er-
halten blieb. Die historischen Anhaltspunkte
über die Baugeschichte widersprechen sich oft-
mals, wie dies bei alten Denkmälern infolge
der damaligen Auffassung der Sprachweise oft
der Fall ist. An dem stehengebliebenen ro-
manischen Turm wurde nun die jetzige lange
Chorpartie, die damals nebstSeitenkapellen die
ganze Kirche bildete, angebaut. Einer Inschrift
zufolge ist dieser Kirchenbau, welcher also zu
jener Zeit bloß die Hälfte der jetzigen Bau-
fläche einnahm, 1476 vollendet worden. Da
aber der verhältnismäßig kleineRaum nur kurze
Zeit den Anforderungen genügte, erweiterte
man das Langhaus um sechs Joche, als deren
Baubeendigung eine Urkunde das Jahr 1508
angibt. Am 25. März genannten Jahres soll die
Einweihung feierlich vor sich gegangen sein.
Vom 1. bis 28. März [508 verweilte Maximilian
zum letzten Male in Augsburg, WO er, wie aus
seinen Briefen hervorgeht, die Kirche wieder-
holt besichtigte. In jener Zeit reifte in ihm
der Flau zur Erbauung einer neuen Hofkirche.
Mitte des [7. Jahrhunderts wurde die
burger Hl. Kreuzkirche in der Formensprache
der Zeit umgebaut. Ein Stich aus jener Epoche
zeigt den damaligen Baubestand. 1711
i-6
DIE HL. KREUZKIRCHEN IN AUGSBURG UND INNSBRUCK
unterzog man die Kirche abermals einem Um-
bau in barocken Formen, welchen der um die
damalige Zeit bedeutende Architekt und Maler
Jakob Herkomer ausführte, derselbe Meister,
der auch den Umbau des Klosters St. Mang
bei Füssen, an der Grenze Tirols, vollzog und
mit jetzt noch bestehenden herrlichen Fassa-
denmalereien schmückte1). Aus gotischer Zeit
hat sich noch im Innern der Kirche das reiche
Gewölbe der Orgelempore unter dem letzten
Joche und die laut Inschrift 1476 vollendete
Seitenkapelle an der Nordseite des Chores mit
prächtigem Netzgewölbe erhalten. Hat die Spät-
renaissance hier Treffliches durch ihre im Ein-
klang mit der mittelalterlichen Architektur ge-
haltenen Formen hinterlassen, so trifft man
auch auf manches tüchtige Können der Barock-
zeit sowohl im Innern als im Äußern des Gottes-
hauses. Wurde in der Spätrenaissancezeit, die
bekanntlich mehr Achtung vor der mittelalter-
lichen Kunst besaß als die Barockperiode, das
Innere der katholischen Hl. Kreuzkirche so ziem-
lich verschont, um so rücksichtsloser verfuhr
letztere mit dem Bestehenden. Das mittelalter-
liche Gewölbe wurde eingeschlagen und durch
den Speicherzwischen Langhausund Chor jener
auf quadratischer Form mit Zwickelüberführung
gehaltene runde Kuppelbau errichtet, nach Art
der italienischen Kirchenbauten. Den gotischen
runden Säulen wurden korinthische Kapitale
gegeben und darauf ein antikes Gebälk zum
Tragen des neuen Gewölbes gesetzt.
Wenn auch die Kirchenanlage aus mittel-
alterlicher Zeit, die die beiden habsburgischen
Kaiser begeisterte, uns Nachgeborenen als be-
sonders prunkvoll geschildert ist, so müssen
wir doch zugeben, daß auch das jetzige Innere
einen feierlichen, monumentalen Eindruck hin-
terläßt.
Das Interesse, welches wir der Augsburger
Hl. Kreuzkirche entgegenbringen, liegt jedoch
in dem Umstand, daß aus alten Berichten so-
wie dem Briefwechsel Kaiser Maximilians und
König Ferdinands hervorgeht, daß diese mittel-
alterliche Kirche in ihrem prangenden alten
Bestände beide Fürsten mächtig anzog und vor-
bildlich wurde zu der von ihnen geplanten Ge-
dächtniskirche zum Hl. Kreuz, der Hofkirche
Innsbrucks. Doch, wie schon erwähnt, ist von
der ursprünglichen Augsburger Hl. Kreuzkirche
nichtsWesentlichesmehr auf uns überkommen
als ihre einfache Grundrißanlage (Abb.S. 134).
Jedoch genügt schon dieser Anhaltspunkt, um
im Vergleiche mit dem Grundrisse der Hof-
kirche in Innsbruck eine überraschende Ahn-
') Vgl. »Der Pionier«, XI. Jg., S. 43.
lichkeit zu finden. Kaiser Maximilian ließ durch
den Augsburger Baumeister Vetter Pläne zur Er-
bauung seiner Hofkirche für Innsbruck fertigen.
Der Augsburger Stadtschreiber und Geschichts-
gelehrte K. Peutinger mußte Maximilian in Be-
treff genealogischer Dinge für Errichtung eines
im großen Stile geplanten Denkmalsfürden Kai-
ser und seine Ahnen, das die Kirche aufnehmen
sollte, zur Seite stehen. Maximilian starb jedoch
1 5 1 9, ehe der Bau in Angriff genommen werden
konnte. Inzwischen waren aber zu jener Zeit
schon mehrere Modelle, selbst einige Statuen
im Gusse für das großangelegte Monument
fertiggestellt. Seinem Nachfolger, König Fer-
dinand, späteren Kaiser Ferdinand 1., war es
vorbehalten, den Plan Maximilians zur Aus-
führung zu bringen. Im Jahre 1553 war der
Bauplatz nach langen Verhandlungen mit der
Innsbrucker Regierung endgültig festgestellt.
Kaiser Ferdinand kam nach dem Tode Ma-
ximilians wiederholt nach Augsburg und aus
einem Schreiben an den Maler Dax daselbst
geht hervor, daß er diesen veranlaßte, Aufnah-
men von der Kirche zum Hl. Kreuz zu fer-
tigen, die dem Baumeister Vetter als Grund-
lage für die neu anzufertigenden Pläne dienen
sollten. Endlich, nach langen Verzögerungen in-
folge desTürkenkrieges, wurde derlnnsbrucker
Kirchenbau im Jahre 1 5 5 7 in An griff genommen
und am 14. Februar 1563 in Gegenwart Kaiser
Ferdinands L, seines Sohnes und der fünf Töch-
ter eingeweiht. Die Grundrißidee ist ganz die
gleiche wie bei der Hl. Kreuzkirche in Augs-
burg nur mit dem Unterschiede, daß der Chor
reduziert wurde (Abb. S. 135). Auch soll sie
im Innern mit ihren sechs Jochen und runden
Säulen die gleichen Gewölbe getragen haben.
Im Wechsel der Zeiten, durch Umbauten und
Restaurierungen hat freilich die Innsbrucker
Hl. Kreuz- und Hof kirche fast noch mehr Ver-
änderungen erlitten, als das in Rede stehende
Augsburger Gotteshaus zum Hl. Kreuz. Von
dem einst gepriesenen Schatzkästlein der bil-
denden Kunst, worüber die alten Berichte von
der Augsburger Hl. Kreuzkirche zu erzählen
wissen, hat sich allerdings, wie gesagt, aus
der Stilepoche des späteren Mittelalters und
der Frührenaissancezeit auf unsere Tage so
gut wie nichts erhalten. Nur die nackten Um-
rißmauern und einige prächtige Gewölbe der
spätgotischen Epoche sind geblieben. Ihr Äuße-
res repräsentierte sich einst in stumpfgelbem
Ziegelrohbau, davon verschiedene Flächen ver-
putzt und mit lebhaften Gemälden geschmückt
waren, denn, wie bekannt, war Augsburg die
Stadt, deren Häuser und Kirchen einst in präch-
tigem Farbenkleide prangten.
PRRVUM QUflNDO CERNO DEUM IMTER MflTRIS BRRCHIR,
COLLIQUESCIT PECTUS MEUM IMTER MILLE QRUDIR. saec «v.
EMANUEL RAFFEINER (INNSBRUCK)
HERR DER HEERSCHAREN
DER TIROLER MALER EMANUEL RAFFEINER
(Abb. S. 157—148)
Auf dem Gebiete der großen kirchlichen
Schmuckmalerei, des Altar- und sonstigen
religiösen Tafelbildes sind in Tirol nur wenige
Künstler tätig. Einer von ihnen ist der bei
Innsbruck wohnhafte Emanuel Raffeiner. Er
ist am 9. April 1881 zu Schwaz im Unterinn-
tale als Sohn eines Altarbauers zur Welt ge-
kommen, also recht eigentlich schon für die
christliche Kunst geboren. Für die Sicherung
seines Glaubenslebens sorgte die im tirolischen
Volke und so auch im väterlichen Hause
lebendige Frömmigkeit, die der Erziehung
des Knaben von selbst die Wege wies. Die
ersten Anregungen für die hohe Kunst ver-
dankte er der feinsinnigen Mutter. Eifriger
Wunsch des strengen Vaters war es. daG
Emanuel sich der von ihm selbst betriebener.
Schnitzerei zuwende. Doch machte sich schon
früh dessen Begabung tür die Malerei geltend;
ihr sich zu widmen war des Knaben heißestes
Sehnen. Als ihm eines Tages - er war da-
mals erst zwölf Jahre alt — eine Abbildung
des Lionardoschen Abendmahles in die Hände
fiel, geriet er in eine fast fieberhafte Erregung.
Mit wahrem Feuereifer wart er sich sogleich
darauf, das Meisterwerk zu zeichnen, und
freute sich, daß ihm die schwere Arbeit leid-
lich glückte. Noch lange Zeit wirkte jenes
Ereignis in der Seele des Knaben nach. Zu
den frühesten Erscheinungen seines künst-
Die christliche Kunst. XVI. 7/8. April 1930
i38
DER TIROLER MALER EMANUEL RAFFEINER
EMANUEL RAFFEINER (INNSBRUCK)
ENGELSTANDCHEN
lerischen Strebens gehörte auch, daß er sich
bemühte, Körper, Hände, Füße, Köpfe ohne
Vorbild, rein aus dem Gedächtnisse zu zeich-
nen. Die eifrigsten Studien seiner späteren
Zeit haben diese Neigung nicht unterdrückt,
der der Künstler vielmehr noch heute huldigt;
er hat dabei so große Vollkommenheit her-
ausgebildet, daß er mit völliger Sicherheit
auch Porträts aus dem Kopfe malt. — Als
der Knabe 14 Jahre alt geworden war, brachte
ihn der Vater auf die Gewerbeschule zu
Innsbruck. Inmitten seiner Ausbildung für
die Schnitzerei versäumte doch Emanuel kei-
nen freien Augenblick, um zu malen, und
schnell machte er in seiner Lieblingskunst
so bedeutende Fortschritte, daß endlich der
Vater seinen Widerstand aufgab. Nun kam
der junge Raffeiner in die Lehre des Fresko-
malers Heinrich Kluibenschädl, bei dem er
bis 1897 blieb, schon als Anfänger mit der
Zeichnung von Kartons beschäftigt. Die Praxis
der malerischen Technik, vor allem des Fresko,
war es, in die jener Lehrer ihn treulich und
mit bleibendem Erfolg einführte. Ein Jahr
hindurch (1898) genoß Raffeiner alsdann den
Unterricht des in Innsbruck tätigen Albrecht
von Felsburg, der vor allem auf größte Sorg-
falt der Zeichnung Wert legte und viel nach
DER TIROLER MALER EMANUEL RAFEEINER
139
EMANUEL RAFFEINER (INNSBRUCK)
DIE MUTTER
Werken alter Meister arbeiten ließ. Von da
ging er dann nach München. Dort war
Raffeiner Schüler von Martin von Feuerstein
und bildete sich außerdem durch ffeißiges
Kopieren in der Alten Pinakothek. In den
Jahren 1904 und 1905 war Raffeiner Mit-
arbeiter M. von Feuersteins bei den Malereien
in der deutschen Nationalkapelle zu Padua.
Nachdem er alsdann noch eine kurze Zeit
bei Wilhelm von Diez gearbeitet hatte, be-
gann er seine selbständige Tätigkeit in Tirol.
Sogleich wurden ihm zahlreiche Aufträge zu
teil. So besorgte er die Ausschmückung der
Kirche von Arzl bei Imst im oberen [nntale.
Umfangreiche Gemälde von ausgezeichneter
Wirkung entstanden dort. So ein Decken-
gemälde mit der Anbetung der Hirten und
der drei Weisen (Abb. S. [42 und 145), Bilder
der Propheten, der Muttergottes, des Heilan-
des, der alle Mühseligen und Beladenen ein-
lädt, zu ihm zu kommen. — Ein halbes |ahr
lang (1907 — 8) oblag Raffeiner in Rom dem
Studium der frühmittelalterlichen Mosaiken.
Es bildete die Vorbereitung für die alsbald
folgende Ausmalung der Kirche zu Roppen
bei Imst, eine Arbeit, die ihn zwei Jahre in
Anspruch nahm. Entsprechend dein Stile
jener alten Vorbilder herrscht auch in den
.»•
140
DER TIROLER MALER EMANUEL RAFFEINER
EMANÜEL RAFFEINER (INNSBRUCK)
HL. ANTONIUS
Roppener Malereien große, feierliche Strenge.
Zwischen der Tätigkeit in Tirol, die nicht
nur im Norden des Landes, sondern auch im
Süden sehr rege war, schob sich ein längerer
Aufenthalt in München. Von dort zurück-
gekehrt, erhielt der Künstler 19 14 den Auf-
trag für die Ausschmückung der Kirche von
Mals im Vintschgau. Nur das Presbyterium
konnte er vollenden. Dann kam der Krieg.
Seit der Heimkehr wohnt der Künstler auf
der sog. Weiherburg bei Innsbruck, emsiger
Arbeit hingegeben. Seine neueste, Ende 1919
ausgeführte Malerei befindet sich in der Stifts-
kirche zu Hall bei Innsbruck; es ist die in
monumentalen Formen gehaltene Darstellung
des gekreuzigten Heilandes (Abb. S. 147).
Maria und Johannes stehen zu seinen Seiten,
erstere in der Haltung der Orans, letzterer
mit dem Buche der prophetischen Weissagun-
gen in den Händen. Magdalena kniet trauer-
voll am Kreuze, dessen Stamm sie umschlun-
gen hält. Engel schweben in den Lüften,
klagend, anbetend, auf die Erfüllung des gött-
lichen Willens hinweisend. Aus schwerem
Gewölke blickt Gott-Vater hernieder. Unten
breitet sich die Stadt Jerusalem aus.
Bis 191 8 stand Raffeiner im Felde, doch
war er der Gelegenheit zu künstlerischer
Betätigung immerhin nicht gänzlich beraubt.
So manche schöne Arbeit ist inmitten des
Kampflärms entstanden. Ein großartig auf-
gefaßtes Triptychon schuf er, als man noch
141
EMANÜEL RAFFEINER (INNSBRUCK)
MADONNA UND KISI) MIT ÖLZWEIG
142
EMANUEL RAFFEINER (INNSBRUCK) GEBURT CHRISTI, DIE HIRTEN UND KÖNIGE
Text S. 139
'43
EMANUEL RAFFEINER
(INNSBRUCK)
MARIA HIMMELFAHRT
UNI) KRIEGS-
1 RINNERUNGSBILD
Dicken/resko in Malt. Gemalt im Herbit IQ/4
Text S. 144
i44
DER TIROLER MALER EMANUEL RAFEEINER
EMANUEL RAFFEINER (INNSBRUCK) HL. MAGDALENA, BARBARA UND AGNES
Text S. ijb
den Krieg in zweijähriger Dauer beenden zu
können hoffte (Abb. S. 137). Im Mittelteile
thront der Heiland als Herr der Schlachten.
Auf Erden, in der Ferne, tobt der Kampf.
Engel, auf Wolken kniend, halten die Wappen
Deutschlands und Österreichs. Auf den Flü-
geln des Werkes sieht man die Prachtgestalten
des hl. Michael und der hl. Barbara. Raffeiner
hat aber auch das Verdienst, dem Kriege Öster-
reichs mit Serbien und Rußland
das erste überhaupt existierende
Denkmal errichtet zu haben. Das
geschah schon im Herbst 19 14
zu Mals auf dem Deckengemälde
im Presbyterium (Abb. S. 143).
Das Bild, das oben die Krönung
Maria darstellt, enthält unten ne-
ben anderen Versinnbildlichun-
gen menschlichen Elends, gegen
das die Fürbitte der Mutter der
Barmherzigkeit angerufen wird,
auch Hindeutungen auf den be-
reits entbrannten Kampf: die Ab-
wehr der frevelhaften Nachbarn
durch den männlichen Zorn des
Verteidigers der österreichischen
Heimat.
Dergleichen realistische Ele-
mente finden sich auf nicht we-
nigen Bildern Raffeiners, mildern
erfreulich allzu große Strenge,
vermitteln zwischen der Über-
natürlichkeit der verbildlichten
Gedanken und dem irdischen
Empfinden des Beschauers. So
betrachte man z. B. das Bild der
Mutter mit den Kindern (Abb.
S. 139). Die Verteilung ist von
großer Strenge: eine helle obere
Hälfte, von der sich die dunkle
untere zunächst scharf absetzt,
um sich ganz unten wieder zu
erhellen; dem Kreisbogen des
Baumgeästes entspricht jener des
Erdbodens; die Mutter ist genau
in die Mittelachse des Bildes ge-
stellt. Die freie Gruppierung der
Kinder löst die Strenge mit kom-
positionellem Takte, aber auch in-
nerlich sinnvoll auf — Gegen-
gewicht kindlicher Fröhlichkeit
gegen den Schmerz des Lebens.
Am weitesten geht naturgemäß
der Realismus bei den Bildnissen,
auch bei jenen einzelnen Charak-
terköpfen, die der Künstler neuer-
dings gern malt, und die sich
großer Beliebtheit erfreuen. Ge-
legentlich mischt er Bildnisgestalten auch in
Heiligenszenen. So bei einem 1 9 1 5, vor sei-
nem Einrücken zum Heere gemalten, reizen-
den Ovalbildchen mit mehreren Kindern, die
dem auf dem Schöße der Mutter sitzenden
Jesuskinde Anbetung darbringen (Abb. S. 148).
Die landschaftlichen Elemente spielen fast
durchweg nebensächliche Rolle. Nicht zum
Vorteil ist bei dem Bilde in Hall die eingehende
DER TIROLER MALER EMANUEL RAFFEINER
MS
EXGEMÄLDES IX ARZL
1 'gl. AU. S. 142
Schilderung der Stadt, der durch ihre orien-
talisierenden Formen das Wesen des allgemein
Gültigen genommen wird. Man denke ein-
mal, mit wieviel einfacheren Mitteln Grüne-
wald auf seiner Isenheimer Kreuzigung die
ganze Welt geschildert hat. Die Szene in Hall
ist überdies derart ins Überirdische erhoben,
daß das Bild der irdischen Stadt dazu nicht
passen will. Sonst zeigen die landschaftlichen
Teile, einzelne Bäume, ferne Berge und der-
gleichen häufig eine schöne Stilisierung voll
malerischer Freiheit. Sie bringen in die Bilder
jenen feinen, frischen Klang, der uns aus
Werken alter Italiener entgegentönt.
Ihnen folgt der Geist der Raffeinerschen
Malerei seit jenen Tagen der Kindheit, als
er das Lionardosche Bild staunend sich zum
Vorbilde nahm. Der weiche Anhauch ita-
lienischer Schönheit umweht uns zumal vor
seinen Madonnenbildern. So vor jenem mit
dem Lamme, jenem mit den beiden musi-
zierenden Engeln (Abb. S. 138), dem Bilde
mit der Schilderung irdischen Mutterglückes
(Abb. S. 139). Aber auch herbe Strenge ita-
lienischer Kunst übt ihren Einfluß. So spürt
man das Studium der römischen Mosaiken
außer bei den Roppener Malereien auch deut-
lich bei dem thronenden Ghristus des Kriegs-
triptychons, bei der Madonnenfigur der Ilallcr
Kreuzigung und sonst. Aber dergleichen ist
vereinzelt. Im allgemeinen herrscht der Zug
zu freier, sanfter Schönheit und Lieblichkeit,
die doch nie etwas Weichliches undTändelndes
haben, sondern gesund, ernst, im besten Sinne
erfreulich wirken. Die männlichen [deal-
gestalten sind kraftvoll, in ihrem Wesen stark
charakterisiert, voll religiöser Tiefe, die echt
und natürlich wirkt. Als Beispiel betrachte
Die christliche Kun«. XVI. 7/8
146
DER TIROLER MALER EMANUEL RAFFEINER
EMANUEL RAFFEINER (INNSBRUCK)
man die Zeichnung mit dem hl. Antonius.
Die häufigeren weiblichen Gestalten lassen
die Schönheit ihrer Seele schon in jener
ihres Äußern erkennen. Das letztere ist fast
durchweg rein ideal aufgefaßt. Ein — glück-
lich gelungener — Versuch zur Individuali-
sierung begegnet uns in dem von ausgestan-
denem Leide zeugenden Antlitze der Mutter
mit der Kindergruppe. Die Madonnen Raf-
feiners sind herrlich idealisierte Jungfrauen in
blühendem Alter, voll Keuschheit, mit stillem
Herzen, klar blickend, in ahnungsvoller Weh-
mut sinnend, hoheitsreich und dabei demütig
in ihrem irdischen und überirdischen Leben.
Gleiches gilt von den andern weiblichen
Heiligen (vgl. Abb. S. 144). Die Kinder sind
voll lieblicher Unschuld, fein von Körper, die
Antlitze idealisiert, gelegentlich mit einem
Stich in die leise, feierliche Unbehilflichkeit
der Kindergestalten des Quattro-
cento.
Die Ausführung der Einzelheiten
zeugt von Liebe, Sorgfalt und tüch-
tigem Können, die der Körper und
Körperteile von genauer Kenntnis
der Anatomie; das beliebte Aus-
wendigzeichnen beeinträchtigt die
Richtigkeit nie, fördert aber eine
dem Stil der Bilder entsprechende
Vereinfachung. Besonders schön
und ausdrucksvoll sind die Köpfe;
einen Hauptreiz bei ihnen bildet
das lockige, volle, weich fließende,
mild glänzende Haar. Wesentliche
Wirkung tut die Behandlung der
Augen, die tief blicken, strahlend
leuchten, aber auch hinter gesenk-
ten Lidern nachdenklich und in
demutvoller Scheu sich verbergen.
Die Zeichnung der Gewänder mit
ihren Stoffmassen ist großzügig sti-
lisiert ohne Härten, bisweilen von
einem gewissen Reichtum : lang-
fließende Ärmel, künstliche Bau-
sche, malerische Verknotungen
nach Renaissanceart, phantastisch
gebundene Kopftücher und der-
gleichen. Der Aufzug der Weisen
des Morgenlandes bei dem Weih-
nachtsbilde in Arzl ist voll Pracht,
leise orientalisierend und altertü-
melnd ohne Ethnographie und
Archäologie. Die Farbe Raffeiners
ist volltönig, reich, frisch, festlich,
voll Harmonie, in Übereinstim-
mung mit dem Charakter der Dar-
madonna Stellung. So zeigt das Kreuzigungs-
bild in Hall eine Fülle von kühlen
Tönen. Leben kommt hinein durch das helle
und doch gedämpfte Gelb des Himmels, von
dem sich der Körper des Gekreuzigten pla-
stisch abhebt, und durch einen warm leuch-
tenden Querstreifen am fernen Horizonte —
Töne, die das vorwiegende Graublau und
Violett der Gewandfiguren ergänzen.
Die Erhabenheit und Heiligkeit der über-
natürlichen Gegenstände findet ihren äußeren
Ausdruck in Monumentalität der Form oder
in der Feierlichkeit der Auffassung und Aus-
führung. Sie bekundet sich auch in der
Mäßigung der Leidenschaften. Selbst die
Magdalena des Kreuzigungsbildes hält ihren
Schmerz zurück, Maria und der Lieblings-
jünger erringen sich Fassung und Zuversicht
im Aufblicke zu dem Erlöser der Welt. Und
wie' die Gestalten Raffeiners keinen Ausbruch
lauten Jammers kennen, so auch keinen stür-
147
EMANOEL RAFFHNER INNSBRU« I
DER TIROLER MALER EMANUEL RAFFEINER
mischen Jubel. Wohl jauchzt das Jesuskind
einmal auf und wirft sich an den Hals der
Mutter. Aber sonst ist auch die Freude still,
dafür um so tiefer, innerlicher. Geistiger
Inhalt, Empfindung, Form vereinigen sich,
um die Werke dieses Künstlers zu Andachts-
bildern besten Ranges zu machen. Bilder,
in denen das Nazarenertum zwar nicht zu
verkennen ist, sich aber nicht in Unselb-
ständigkeit, noch weniger in den Mängeln
des nazarenischen Epigonentums fühlbar
macht. Sondern es ist der wohlklingende
Grundton, der das Ganze weihevoll durch-
schwebt. Es hat sich zur Freiheit durchge-
rungen, ohne sein Bestes zu verlieren. Es
ist Wahrheit, verkündet von einem echt deut-
schen Gemüte. Raffeiners Kunst redet nicht
italienisch, sondern ein gutes edles Deutsch,
wie es unsere großen Meister — ■ Führich oder
Steinle — vor ihm gesprochen haben. Des-
halb bewegt sich sein Denken und Empfinden
auch, ähnlich dem ihrigen, in den Bahnen
der Romantik. Märchenvisionen schweben
ihm vor, und die Sehnsucht erfüllt ihn, als
ihr Verkünder die deutsche Phantasie aus
ihrem Schlummer zu erwecken, das verarmte
deutsche Herz wieder zu bereichern.
EMANUEL RAFFEINER, DIE KINUEK DES KÜNSTLERS VOR DER MADONNA
Zeichnung von 1915. Im Besitz van Dr. Franz Grüner. — Text S. 144
LIONARDO UND REMBRANDT
Und Lionardo sprach zuerst vom Licht. —
Er band der Strahlenbündel Helligkeit
Ein in sein Suchernetz. Er mischte Schatten tief
Mit warmer Sonne sanftem Widerstreit
Und Gold getränkt in Wärme stand sein Werk.
Er holte von dem Himmel sich den Glanz:
Ein Promethide. Erdendüsternis
Fing er im mag'schen Spiegel seiner Kunst,
Bis er der Schönheit Seele an sich riß. —
Und Lionardo sprach zuerst vom Licht.
Doch Rembrandt war des Lichtes größter Sohn.
Der Daseinstrunk'ne tauchte in das Meer
Des Chaos tief, wo es der Schöpferschein
Des Herrn durchbrach mit seinem Feuerspeer.
Des Werdetages Funken traf sein Herz
Und stach ihm jeder Erdenblindheit Star.
Des Lichtes Seele ward ihm offenbar.
Das selige Geheimnis ihrer Kraft.
Rembrandt hat erfurchtsvoll und still erlauscht
Wie Licht der Farbe Wesen so erhöht,
Daß Licht geworden, sie das Leben sprüht.
Und ihres Daseins Skala jubelnd mißt,
Bis schimmernd sie im Geiste Gottes glüht.
Denn Rembrandt war des Lichtes größter Sohn.
M. Herbert
IGNAZ WEIRICH
149
IGNAZ WEIRICH
ET VERBUM CARO FACTUM EST
IGNAZ WEIRICH
Vgl. Abb. S. 149—157
Ami. Dezember 191 6 erfüllte sich in Wien
**■ sein Schicksal. Waren es die Sorgen um
sein Vaterland, seine Familie, Klimawechsel
oder die Sehnsucht nach Rom, die schneller,
als er oder die Seinen es ahnten, die Auf-
lösung herbeiführten?
Kein Denkmal schmückt des Künstlers ein-
faches Grab auf dem Wiener Friedhof, des
Künstlers, der sich für sein Tagebuch das
Geständnis abrang: Ich habe ernst gearbeitet,
viel gemacht und es heilig ernst mit meiner
Kunst genommen, habe wohl viele Gönner,
aber nichts für meine Zukunft, mein — Alter,
mein geliebtes Weib und Kinder — nichts,
nichts — habe ich Gottvertrauen?«
Ign.u Weirich sKunstwarnichtkompliziert,
er selbst kein Revolutionär, der gewaltsam
Neues sucht, um des Neuen, des Namens willen.
Er baute auf dem Alten, das er studiert und
in dem er in Rom lebte, auf und führte es
weiter. Aber seine Kunst hob sich hinaus
über das gute Mittelmali durch die plastische
Wirkung seiner Werke, den Rhythmus, der
in ihnen fließt, und die Formvollendung, bis
zu der er seine Figuren formte
Erst spät kam Ignaz Weirich zum eigent-
lichen Studium. Wie er geendet, so begann
er unter Schwierigkeiten, für die er nicht die
Verantwortung trug. Geboren am 22. Juli 1856
zu Fugau (Bezirk Schlucken au) in Nordböhmen,
erregte Weirich schon auf der Volksschule die
Aufmerksamkeit von Lehrer und Pfarrer, auf
deren Veranlassung er die Zeichenschule
im nahen Taubenheim in Sachsen besuchen
durfte. Die ungünstigen Verhältnisse waren
aber stärker als der gute Wille und so trat
der Junge an den Webstuhl. Dem Zwanzig-
jährigen gestattete der Vater endlich in eine
der inneren Veranlagung des jungen Mannes
entsprechende Lehre, bei einem Holzbildhauer
und Hoftischler zu Hegenbarth einzutreten.
Vier Jahre währte die Lehrzeit, viel zu lang
für des Künstlers Seimen, das ihn auch wah-
rend der zweijährigen GesellentStigkeit bei
einem Dresdener Hof bildhauer gefangen hielt.
Endlich konnte der erste Schritt zur eigent-
lichen künstlerischen Ausbildung getan wer-
T5°
1GNAZ WEIRICH, MARMORRELIEF FÜR DEN PILGERSAAL IN S. MARIA
DELL'ANIMA
Im An/trag des links abgebildeten Kardinals Kopp. — Text S. Ij2
i5i
[GNAZ whirich
CHRISTUS AM KREUZ
Bruren. — Text S. IS4
152
IGNAZ WEIRICH
den. Nach dem Verlassen der Kunstgewerbe-
schule in Wien, die dem strebsamen Manne
schon nach dem ersten Semester des Mini-
steriums Stipendium ermöglichte, begann Wei-
rich sein selbstschöpferisches Schaffen, das
er in erster Linie in den Dienst als Fachlehrer
in Staatsschulen stellte. Auch diese Tätigkeit
befriedigte Weirich nicht voll. Er wollte
seiner Kunst die höhere Weihe geben und
besuchte deshalb von 1886 — 1892 unter un-
geheuren Schwierigkeiten selbst auf Kosten
seiner Gesundheit aber mit großen Erfolgen
die Akademie der bildenden Künste in Wien.
Professor Helmer und C. von Zumbusch waren
hier seine Lehrer und namentlich letzterer
scheint Einfluß gewonnen zu haben. Den
Abschluß der akademischen Studien bildete
im Jahre 1892 die Verleihung des Rompreises,
der Weirich bis zu Beginn des Weltkrieges
nach Rom führen sollte.
In die Romstipendienzeit fällt die Entstehung
der lebensgroßen Gruppe »Der tote Abel« >),
die bei ihren verschiedenen Ausstellungen in
deutschen und österreichischen Städten die
Anerkennung der Kritik fand.
') Abb. »Deutsche Arbeit«, Monatsschrift für das geistige
Leben der Deutschen in Böhmen, Prag, II. Jahrg., H. 8.
Die Kunst Weirichs in Rom zerfällt unter
dem Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit in
drei Teile. Ich stelle die profane Kunst an
die Spitze, um über die Grabdenkmäler zu
den religiösen Werken zu kommen.
War es auch der Geist des Christentums,
der den Hauptinhalt seiner Kunst erfüllte,
so hinterließ Weirich doch eine Reihe von
Arbeiten profanen Inhalts, die der Beachtung
wert sind. Sie verraten den Ernst seines
Strebens, sind von plastischer Wirkung und
zeugen von gediegenem bildhauerischem Kön-
nen. Ich erwähne hier die »Lebensabend«1)
genannte eindrucksvolle Hermebüste einer
alten Frau oder den Kopf des alten Mannes,
die lebenswahre Porträtbüste des Professors C.
und vor allem die mit besonderer Liebe
modellierte Büste seines Söhnchens »Marcus«
mit den ausdrucksvollen lebendigen Augen,
die er durch die erhabene Behandlung der
Pupillen erreichte. Als wahren Künstler be-
schäftigte ihn der kindliche Körper mit seinem
ehrlichen, der Lüge noch fremden Blick und
der ganzen Anmut und Drolligkeit des Ge-
bahrens noch mehrmals. Wie in dem Zyklus
>Die Mächte der Musik«, die im Besitze des
Markgrafen Pallavicini teils in Rom, teils von
einem Jugendfreund vollendet, in Wien stehen.
Die Putten sind es auch, die bei dem Grab-
mal für den Musiker und Liederdichter Eduard
Tauritz durch ihre liebevolle Mache ins Auge
springen. Die beiden Burschen singen — das
Volkslied personifizierend — vom Blatte,
während die Fama, der trauernden Muse
trostsprechend, den Namen des Verstorbenen
in die Grabplatte einschreibt. Kurz vor seinem
Tode machte Weirich noch ein Grabmalrelief
für den kleinen Grafen Dulsky, das in Mar-
mor ausgeführt, den ganzen Liebreiz der
Kunst des Meisters zeigt. Vertrauensvoll
kommt der junge Graf auf den göttlichen
Heiland zugelaufen, der — eine hehre lichte
Figur — seine Hände zum Empfang liebevoll
entgegenstreckt.
Diese Reliefkunst führte mich zur religiösen
Kunstübung. Kardinal Kopp bestellte für den
Pilgersaal in S. Maria dell' anima in Rom ein
Relief, das den Moment darstellt, in dem
Pilger vom Besteller geführt, vom Papste den
Segen empfangen. Im Hintergrund blickt
Maria mit dem Kinde, vor dem zwei Engel
die Knie betend beugen, auf die heilige
Handlung herab. Der Eindruck ist plastisch
bei bester Raumausfüllung und Behandlung der
Gewänder, die keine Schemen, sondern Körper
IGNAZ WEIRICH STUDIE ZU EINEM JOHANNES BAPT.
")l3l'4- ~ Text S. ISS
») Vgl. Heft 4, Jahrg. VII, der Monatsschrift für das
geistige Leben der Deutschen in Böhmen, in dem
F. Matras über Weirich handelte.
IGNAZ WEIRICH
'53
IGNAZ WEIRICH
bekleiden. In dieReihejenergelungenen Reliefs
gehört auch die im Jahrgang 191 1 der Mappe
abgebildete »Madonnac. Das Relief stellt die
zweite Entwicklungsstufe aus dem Marien-
zvklus dar, in dem Weirich die Gottesmutter
verherrlichte. Maria mit dem Kinde in der
Krippe mit der kennzeichnenden Unterschrift
»Et verbum caro factum estc ist das eine und
die >Pieta-i') die dritte Darstellung.
Das alte Motiv der bildenden Kunst, das
kaum noch die Möglichkeit einer Variation
zuzulassen scheint. Weirich macht durch die
massive Bank, auf die er Maria setzt, erklär-
') Abb. und Besprechung in Mappe 1906, wo auch
das kurz >C.onsumatum est< betitelte Kreuz, der hl.
Bischof Alfonso und der hl. Borromäus zu finden sind.
lieh, daß die durch die vorhergegangenen
körperlichen und seelischen Anstrengungen
gebrochene Mutter den Leichnam .ml ihrem
Schoß noch zu halten vermag. Die in Carrara-
marmor in den Jahren 1903/04 ausgeführte
Gruppe steht in einer von Graf Ballestrem
erbauten katholischen Kirche in Oberschlesien.
Eine zweite überlebensgroße Pieü arbeitete
Weirich im Auftrag des Ministeriums 1913/14
für die Kaiser-JubiTäums-Kirche in Wien, wo
sie als einziges Werk in einer dortigen Kirche
von seiner Kunst erzählt. Mit dem Bildnis
seiner schmerzensreichen Mutter ist das des
Gekreuzigten eng verbunden. Weirich gab
seinem Kruzitixus, den er 1902 für das Mau
soleum des Markgrafen Alex. Pallavicini schuf,
Die chriftliche Kumt XVI. ,*.
154
IGNAZ WEIRICH
IGNAZ WEIRICH
KILDNISBUSTE
Vollendet ig 10, Jetzt im Coli. Ger
die Unterschrift »Consumatum est«, um an-
zudeuten, daß es ihm nicht um die Schilderung
des Leidens zu tun war, sondern um die Ver-
klärung, die Ruhe nach dem Schmerz. Ver-
zeihung und ewige Erlösung spricht aus dem
lebensgroßen Kreuz, das bei strenger realisti-
scher und bester anatomischer Behandlung
nicht Schrecken, sondern Ruhe und Frieden
verkündet, der den Beter emporzieht zur Er-
hebung aus irdischen Qualen. Noch zweimal
schuf der Künstler aus demselben Gedanken
heraus das Bildnis des Gekreuzigten, das von
einem Großindustriellen bestellte Kreuz für
die Garnisonskirche in Berlin und das von
Kaiser Wilhelm II. dem Kloster Beuron ge-
stiftete Kreuz (Abb. S. 151).
Die eigentliche kirchliche Rundplastik Wei-
richsist inzahlreichen Vertretungen vorhanden.
Sein hl. Bischof Alfons und hl. Borromäus,
beide 1905 für die schon oben genannte Gruft-
kirche geschaffen, sind von großer plastischer
Empfindung und von einfacher Monumen-
talität. Während der Bischof in aktiver Tätig-
keit der Segenspendung, also in Bewegung
gedacht ist, zeigt der hl. Karl die stille Ruhe
des im Gebet für die Verstorbenen Ver-
sunkenen. Entsprechend ruhig verlaufen die
Falten des Gewandes. Ich erinnere daran,
weil auch die Herz-Jesu-Statue, die Papst
Pius X. 19 10 für den großen Hörsaal des
Istituto Biblico aus sechs Skizzen auswählte
und bestellte, durch die Ruhe des Faltenwurfs
überrascht, auf der viel der erhabene Eindruck
beruht. Die Darstellung der Herz-Jesu-Figur
IGNAZ WEIRICH
IGKAZ WEIRICH
gehört bekanntlich in der Kunst wie zu der
jüngsten, so auch zu der schwierigsten Auf-
gabe. Weirich löste sie hauptsächlich durch
den sittlichen, tief religiösen Ernst seines Bild-
werkes. Äußerlich laßt er mit der Linken
den Mantel etwas zurücknehmen, damit der
Blick ungehindert sich dem Herzen zuwendet,
auf das nur andeutend die Rechte verweist.
Auch die Wiederholung in Terrakotta für
die Ausstellung für christliche Kunst aus An-
laß des Eucharistischen Kongresses fand all
gemeine Anerkennung. Zum Schlüsse bleibt
mir noch übrig, auf zwei Werke zu verweisen.
Im Besitz des .Markgraten l'allavicini belinden
sich vier Marmorreliefs der Evangelisten. Die
mir vorliegende Studie zu einem Johannes
dem Täufer aus dem Jahre [913/14 mahnt in
der charakteristischen Auffassung des Antlitzes
mit den träumerisch-seherischen Augen an
Dürersche Künstlerkraft. Das andere ist eine
Büste, die Weirich für das Collegiurn Ger-
manicum fertigte. Es sei auf sie hier noch
eigens aufmerksam gemacht wegen der be-
sonders intensiven Durchbildung des Kopfes.
\V. Zfls-Mflnchen
i56
EIN KREUZWEG VON JANUARIUS ZICK
IGNAZ WEIRICH
I l.):KNSABEXD
DER KREUZWEG
VON JANUARIUS ZICK
IN ST. ULRICH IN AUGSBURG
Von DR. ADOLF FEULNER
(Abbildungen S. 157 bis 168)
Die Passion Christi war von jeher das wich-
tigste Thema der deutschen Kunst. Die
Maler des Mittelalters haben sich um die kom-
positionelle Eösung der verschiedenen Szenen
bemüht, denen dann Dürer die klassische
Ausprägung gegeben hat. Aber künstlerisch
wertvolle Kreuzwegstationen im eigentlichen
Sinne sind selten. Im späten 15. Jahrhundert
hat Adam Krafft in Nürnberg die ersten deut-
schen Kreuzwegbilder geschaffen, eine Folge
von sieben Stationen, die in Abständen des
ursprünglichen Leidensweges Christi in Jeru-
salem aufgestellt waren. Das war der Anfang.
Er wurde bald frommer Brauch. In Bild-
stöcken auf Feldwegen, in Stationshäuschen
vor Wallfahrtskirchen, in Werken der Plastik
und Malerei wurde das bittere Leiden des
Herrn behandelt; in Szenen von verschiede-
ner Folge, mit Auslassung der einen oder an-
deren Station, bis eben die Kreuzwegandacht
fixiert worden war. Erst als diese 1686 in
Form einer Ablaßverleihung ihre kirchliche
Bestätigung erhielt, und besonders als 1726
das Privilegium, das anfänglich nur für den
Franziskanerorden oder für Personen im Ver-
band des Ordens gegolten hatte , auf alle
Gläubigen ausgedehnt wurde, da wurden die
Kreuzwegstationen in allen größeren und klei-
neren Kirchen eingeführt.
In jener Zeit enstanden verschiedene Sta-
tionsdarstellungen von Künstlern, die damals
etwas galten. Sie tragen deutlich das Ge-
präge der gleichzeitigen Kunst an sich und
sind uns deshalb fremd geblieben, weil das
Urteil des vorigen Jahrhunderts über die
Schöpfungen der Barock- und Rokokozeit bis
jetzt nachgewirkt hat. Jede Zeit ist am mei-
sten ungerecht gegen die unmittelbar vorher-
gehende Generation, sagt Goethe einmal. Das
künstlerische Urteil, das von den Theoretikern
des Klassizismus gelernt hatte, das im Banne
der strengen Kunst der Nazarenerzeit stand,
mußte diese leichten, malerischen Schöpfungen
als unwahr, unkirchlich empfinden. Wir ver-
stehen die Ursachen, die zu dieser Einwer-
tung führten, aber wir teilen das Urteil selbst
nicht mehr, weil wir uns bemühen, die Künst-
ler des Barock aus ihrer Zeit heraus zu ver-
stehen. Man hat erst jetzt gelernt, aus der
Menge der bürgerlichen Meister, die man un-
ter dem verachteten Namen Zopfmaler zu-
sammenfaßte, die einzelnen Persönlichkeiten
herauszuschälen, Eigenschaften des Zeitstiles
und die persönliche Note zu trennen. Man
hat auch erkannt, daß wir nicht eine bloße
»Akrobatenkunst« vor uns haben, die »die
tremenda mysteria mißbrauchten, um mit ihrer
Virtuosität in Verkürzungen und Perspektiven
zu prunken«, sondern um eine ernste, volks-
tümliche Kunst, die auch noch »mit einem
echten Blutstropfen aus christlich-gläubigem
Herzen gesalbt« war, die aus der Volksseele
heraus gedacht und empfunden hat, die die
Wirkung auf das Volk schon deshalb nicht
verfehlen konnte, weil sie sich der Kunst-
mittel ihrer eigenen Zeit bediente, nicht in ent-
legenen Sphären vergangener Zeit schwebte,
wie die nachahmenden Künstler des 19. Jahr-
hunderts. Wir wollen hier einen Kreuzweg
aus der späten Zopfzeit vorführen.
Als volkstümliche Kunst wollen die 14 Sta-
tionen des Kreuzweges in der St. Ulrichs-
157
JANUARIÜS ZICK 1732—1797)
/. Station des Krtusweget
ricktkinkt
[ESUS ZI I RUM EILT
Atftturt -
i58
EIN KREUZWEG VON JANUARIUS ZICK
IAN. ZICK JESUS NIMMT DAS KREUZ AUF SICH
2. Station in St. Ulrich zu Augsburg
kirche in Augsburg angesehen werden. Janua-
rius Zick, der sie geschaffen hat, war zu seiner
Zeit ein sehr angesehener Künstler, im vol-
len Besitz aller Erfahrungen der Barockzeit.
1732 war er in München geboren, als Sohn
eines ebenfalls angesehenen Meisters, des
Freskomalers Johannes Zick. Bei seinem Vater
erhielt er den ersten Unterricht, mit ihm zog
er 1749 nach Würzburg, zu einer Zeit, als
Tiepolo in der Residenz der Fürstbischöfe
die berühmten Fresken malte, und einige
Jahre später nach Bruchsal, als Johannes Zick
die Ausmalung der Residenz der Speierer
Fürstbischöfe übertragen wurde. Zur weiteren
Vervollkommnung in der Kunst mußte dann
der junge Maler auf Reisen. So war es all-
gemeiner Brauch. In Paris und Rom, bei den
Malern höfischer Rokokoeleganz, und be
Mengs, dem Theoretiker des strengen Klas
sizismus, hat er gelernt. Nach seiner Rück
kehr wurde ihm 1759 ein Teil der Dekoratio
nen im Bruchsaler Schloß übertragen. Gleic
darauf kam er in den Dienst der Trierer Fürst
bischöfe. In Trier und Engers bei Koblenz
(1760) hat er seine ersten Fresken gemalt.
Von da ab blieb er am Rhein. Er verheiratete
sich mit einer angesehenen Bürgerstochter
aus Ehrenbreitstein, wo er dauernd wohnte.
Nach Süddeutschland, in seine Heimat, wurde
er erst später berufen. Die Fresken in den
großen Klosterkirchen in Wiblingen bei Ulm
(1778—81), Oberelchingen (1783), Rot in
Württemberg (1784) sind seine bedeutendsten
Werke. In dieser Zeit, in den achtziger Jahren,
sind auch die Kreuzwegstationen entstanden.
Literarische Nachweise oder inschriftliche Da-
tierungen scheinen zwar zu fehlen; aber die
Entstehungszeit geht aus einem Vergleich mit
den Fresken deutlich hervor. Weitere Fres-
ken sind in Koblenz (i785),Triefenstein(i786),
Mainz (1787), Koblenz (1790); andere sind ver-
loren gegangen. Am 14. November 1797 ist
Januarius Zick in Ehrenbreitstein gestorben,
als seine Kunst schon unmodern geworden
war und von den Theoretikern des strengen
Klassizismus hart angegriffen wurde.
Man erwartet in dem Kreuzweg eines Malers
der späten Rokokozeit eine künstliche Kunst
zu finden, Werke voller Überladungen, schwul-
stig im Inhaltlichen und Formalen, ausgestattet
mit allegorischem Beiwerk, mit Nebenerzäh-
lungen, mit virtuosenhaften Verkürzungen und
kunstvollen Perspektiven. Aberdavonwirdman
wenig merken. Es fehlt zwar nicht an Er-
innerungen daran, daß der Meister des Kreuz-
wegs ein Freskomaler war. Dieschnellgewandte
mehr zeichnende Technik, die überall den
ersten Pinselstrich unvertrieben stehen läßt,
die Art der Komposition mit dem raschen
Übergang von den Figuren des Vordergrundes
zu den Nebenfiguren im Hintergrund ließen
schon Rückschlüsse zu, auch wenn wir vom
Maler sonst nichts wüßten. Aber das Wirk-
same bleibt die einfache Erzählung mit weni-
gen Figuren. Es ist eine Folge von Bildern,
die durch das Inhaltliche der Darstellung, durch
die klare Handlung, die greifbare Drastik der
Gebärden des Ausdrucks, die naive Einfach-
heit der einzelnen Szenen wirken will; es ist
ein volkstümliches Werk, in dem man den ge-
schickten Arrangeur der dekorativen Fresken
kaum mehr erkennt.
Das künstlerische Thema bei den 14 Statio-
nen des Kreuzwegs ist abwechslungsreich und
doch auch beengt; es schließt die Gefahr von
Wiederholungen in sich. Fünfmal muß der
kreuztragende Heiland in wenig verschiedenen
Situationen zur Darstellung kommen, bei der
Aufnahme des Kreuzes, bei der Begegnung
mit seiner Mutter, bei der Unterstützung durch
Simon von Cyrene,beim Empfang desSchweiß-
tuches, bei der Anrede an die weinenden Frauen
von Jerusalem; dreimal ist der Fall unter das
Kreuz zu schildern. Dazu kommen die so häufig
J59
IANUAR1US /.ICK 1732- 1
| UNTER DEM KREUZ!
i6o
EIN KREUZWEG VON JANUARIUS ZICK
JAN. ZICK
JESUS BEGEGNET SEINER MUTTER
4. und j. Station des Kreuzwegs
JAN. ZICK
der St. Ulrichskirche zu Augsburg
SIMON VON CYRENE
behandelten Aufgaben, Christus auf Kaivaria,
die Beweinung und die Grablegung. Seltenere
Themen sind nur die 1. Station, Christus wird
zum Tode verurteilt, die Entkleidung und die
Annagelung an das Kreuz. Es ist keine leichte
Aufgabe, in allen diesen Szenen die Wieder-
holungen zu vermeiden und noch schwerer
ist es bei den Hauptthemen, die von den größten
Meistern der Kunst gleichsam ihre endgültige
Fassung erhalten haben, neue, persönliche Ge-
danken zum Ausdruck zu bringen. Man kann
nicht sagen, daß Zick an allen Klippen glück-
lich vorbeigekommen wäre; die Erinnerung
an fremde Kompositionen, wie an eigene Werke
seiner früheren Zeit drängen sich unwillkür-
lich auf, und anderseits erscheinen gegenüber
den klassischen Fassungen seine neuen Lö-
sungen oft als triviale Ausdeutungen. Aber
es sind trotzdem selbständige Leistungen, die
schon deshalb Beachtung verdienen. Wir er-
kennen dies am besten, wenn wir die gleich-
artigen Szenen zusammenstellen.
Christus fällt unter dem Kreuz. Der Zug der
Gruppen geht in allen drei Fällen von links
nach rechts ; infolgedessen wird Christus drei-
mal von der gleichen Seite sichtbar, wie er
sich stützt auf die rechte Hand und das rechte
Knie. Verschieden ist nur die Art, die Inten-
sität des Hingesunkenseins, vom Aufstützen
auf Knie und Hände bis zum kraftlosen Hin-
sinken auf den Boden. Verschieden sind auch
die Aktionen der Henker, die immer wilder
und grausamer werden. Beim dritten Fall ist
Christus gänzlich ermattet und nun umfaßt
der eine Kriegsknecht seinen Oberkörper, der
andere zerrt heftig an der Fessel, wobei er
sich mit den Füßen gegen den Heiland stemmt.
Es ist eine dreifache Steigerung in der Be-
wegung wie im Ausdruck, die deutlich ge-
wollt ist. Auf allen drei Bildern ist die Szenerie
verschieden behandelt. Einige Köpfe oder
Halbfiguren, mehr Füllfiguren, die mit der
Komposition nicht verwachsen sind, schieben
sich hinter den Hauptfiguren des Vordergrundes
herein. Sie sind perspektivisch nicht verkürzt,
obwohl sie als entferntere Zuschauer betrachtet
werden wollen; ihr Standpunkt bleibt unklar.
Man ist gezwungen, den Vordergrund sich als
ein knappes Podium zu denken, hinter dem
das Terrain rasch abfällt. Es ist wie auf Decken-
bildern, in denen nur ein Ausschnitt aus einem
Stück Boden gegeben wird, das nach rückwärts
i6i
JANÜARIÜS Z1CK '• ER( >N1KA EU U HT JESU DAS SOTO EISS
r>. Statö» iüs Krtuxwtge* in der St. Ulritkskirtk* zu Augshurg
Die christliclie Kunst. XVI. ;i8.
162
EIN KREUZWEG VON JANUARIUS ZICK
JAN. ZICK
ZWEITER FALL ÜN'TER DEM KREUZE
7. und S. Station des Kreuzweges
JAN. ZICK
der St. Ulrichskirche
JESUS UND DIE FRAUEN JERUSALEMS
Augsburg
abfällt, weil es in der Verkürzung gesehen
wird. Das Theatralische der Deckenmalerei
kommt so auch auf den Tafelbildern zum Aus-
druck. Wir suchen vergebens nach Vorbildern
für solche Lösungen. Zick hat sie für das
Fresko erfunden und hier auf das Tafelbild
übertragen.
Das Volkstümliche liegt im eindeutigen Aus-
druck der Gebärde, in der Drastik der Be-
wegungen. Man betrachte die drei Begeg-
nungen. Bei der Szene Christus und seine
Mutter und Christus tröstet die weinenden
Frauen eine einfache Gegenüberstellung von
Figuren in einer Ebene wie in einem Relief,
ohne räumliche Vertiefung. Wenn auf dem
einen Bild noch ein kahler Strunk und ein
deutscher Tannenbaum zur Vervollständigung
der Szenerie gegeben sind, so dienen auch
diese mehr zur Füllung der Fläche. Die etwas
pathetischen Gesten des Heilandes wiederholen
sich auf beiden Bildern. Maria deklamiert in
der Pose eines Redners, wobei der Körper und
die Hände unschön verkürzt erscheinen. Noch
drastischer wirkt die Antwort, die Christi
Worte in den deklamierenden Gebärden der
weinenden Frauen finden. Sogar die Tränen
sind dick aufgetragen. Das gehört auch zum
volkstümlichen Stil, der wie greifbare Gesten,
die klare Drastik liebt. Als künstlerische Kom-
positionen sind diese Erfindungen weniger
bedeutend. Viel besser ist die Begegnung mit
Veronika. Christus hat sein Antlitz abgetrock-
net und wendet sich aus dem Zuge heraus
erhobenen Hauptes aufrecht stehend zu Vero-
nika, die in bestürztem Staunen, zurückgekauert
dakniet und das Schweißtuch vorstreckt. Die
Wendung Christi wirkt ungezwungen. Blick
und Ausdruck sind frei, nicht übertrieben oder
gestellt, wie auf den vorigen Bildern. Alle
übrigen Figuren sind vielzusehr als Neben-
figuren behandelt, die Umgebung Christi ist
nur angedeutet. Man könnte ohne Bedenken
jeden einzelnen dieser Köpfe entfernen ohne
der Handlung zu schaden; es würde kaum
eine merkbare Lücke entstehen. So ist es
aber nicht auf allen Bildern.
Als Komposition am meisten durchgefühlt
ist die erste Station, Christus vor Pilatus. Die
großen, rahmenden Linien der Architektur
des Thrones und die Mauern des Hofes be-
dingen die Geschlossenheit der Wirkung. Auf
diesem Podium sind die Figuren zwanglos ver-
i63
JANUARIUS ZICK
9. Station dtt Krsumwtges in ttti
DR] 1
.SV. l'irichs
164
EIN KREUZWEG VON JANUARIUS ZICK
JESUS WIRD ENTKLEIDET
.SV. I i> (1 h zu Augsburg
teilt. Christus, eine edle Figur mit leidendem,
nachdenklichem Ausdruck, steigt die Stufen
herab nach vorne und kommt dadurch in das
volle Licht, das von links hereinfällt. Hinter
ihm in der Nische sitzt Pilatus und wäscht
sich nachdenklich gebeugt die Hände. Rechts
im Hintergrund charakterisieren eine Halb-
figur und einige Köpfe das aufgeregte Volk.
Das Licht ist als bestimmender Eaktor in der
Komposition ausgenützt, es hebt die Haupt-
figur heraus und stuft sich an den Neben-
figuren ab. Die stärksten Kontraste treffen im
Vordergrund aufeinander; die ganze Szene
wird so zurückgedrängt. Die weiche Tonig-
keit der Farben erinnert an die Holländer, die
Zick in seiner Jugend und als Schüler der
Franzosen vielfach nachgeahmt hat. Das Bild
ist in der Anlage sehr durchdacht, es ist auch
besser durchgeführt als die übrigen Stationen.
Nach solchen Tafelwerken muß man das
Können des Meisters bemessen, nicht nach den
Szenen, die ihm weniger am Herzen lagen, in
denen er schon früher Gesagtes wiederholte.
Die strenge zentrale Anordnung auf dem
Kaivariabild, Christus zwischen den beiden
Schachern, zu Füßen Magdalena, zwischen
Maria und Johannes, hat Zick schon einmal
gegeben im großen Altarblatt in Wiblingen
und auf der Skizze dazu in Koblenz. Ähnlich
ist ein Fresko in Oberelchingen. Die Bewei-
nung Christi erscheint öfters unter seinen Früh-
werken. Das zurückgebeugte Antlitz Mariens
mit den Zügen der Trauernden, die hier etwas
plump geworden sind, der verkürzte Körper
Christi erinnert entfernt an Rubens' Beweinung
Christi in Antwerpen. Die beiden Seiten-
figuren, Johannes und Nikodemus, sind unbe-
deutend. Durch das Hochformat leidet die
Komposition. Es fehlt der Ausklang nach
oben. Auch die Grablegung hat Zick in seiner
frühen Zeit öfters behandelt im Anschluß an
die Holländer. Das Licht kommt meist von
rückwärts, aus der Grabeshöhle heraus, trifft
die Hauptfiguren und läßt alles Nebensäch-
liche im Halbdunkel verschwimmen. Hier ist
die Lichtwirkung mehr nebensächlich gewor-
den. Die Figuren sind zur Seite geschoben,
sie stehen nebeneinander wie in einem Relief,
in einem mehr gleichmäßigen Licht. Maria
hat in trostlosem Schmerz ihr Antlitz verhüllt.
Nikodemus gibt mit erklärender Geste seine
Befehle. Der Körper Christi leuchtet hell aus
der bunten Umgebung heraus, aber das Ant-
litz des toten Heilandes ist unsichtbar, ver-
deckt im Schatten. Das sind einfache Züge
voll feiner Empfindung, für die das Volk emp-
fänglich ist.
Das schmückende Beiwerk, die »Evolutio-
nen, Manieren, Gebilde des Zopfstiles« fehlen
gänzlich. Die Bewegungen der Figuren sind-
natürlich und wahr, die Handlung ist klar und
eindrucksvoll, eher naiv als manieriert. Nur
die Hauptfiguren agieren. Und wann eine
Nebenfigur in den Mittelpunkt tritt, wie auf
der Szene: Christus wird ans Kreuz genagelt,
wo der neugierig zustehende Henker, der mit
dem Bohrer in der Hand zu Häupten Christi
steht, zunächst den Blick auf sich zieht, da
wird durch die Lichtwirkung und die Anord-
nung der Farben einer Ablenkung des Auges
entgegengearbeitet. Es fehlen alle inhaltlichen
Phrasen, die zu einem Gemälde des 18. Jahr-
hunderts ebenso gehören wie die bildliche
Rhetorik zu einem Poem der Zeit, die genre-
haften Nebenfiguren, die verkürzten Architek-
turen, es fehlen selbst die Engel, die auf den
Deckengemälden der Barockzeit eine durch-
aus nötige Beigabe bilden. Was wir sehen,
sind schlichte, einfache Berichte über das Lei-
den des Herrn, die ohne auffallendes Pathos,
natürlich und ausdrucksvoll vorgetragen sind,
die aber gerade deswegen ergreifend wirken.
Wenn auch in manchen Bewegungen eine
gewisse Theatralik, in der Zeichnung eine Art
.65
JANUARIL S Z1CK
[ESI S WIRD AN DAS KRE1
166
JANÜARIUS ZICK
JESUS AM KREUZE
Station lies Kreuzweges in der St. Ulricliskirche zu Augsburg
ETWAS VON BÄUMEN IN DER KUNST
167
von Manierismus zur Erscheinung kommt, so
ist das Zeitstil. Man hat die lebhaften Be-
wegungen im 18. Jahrhundert mit anderem
Auge angesehen wie wir.
Hervorzuheben ist die feine, farbige Behand-
lung. Die gebrochenen Rokokofarben sind
auf allen Stationen wie zu einem Blumen-
bukett zusammengebunden, in zartfarbiger,
fröhlicher Buntheit, die mit dem inhaltlichen
Ernst der Szene seltsam kontrastiert.
ETWAS VON BÄUMEN IN DER
KUNST
Plauderei von M. HERBERT
[n der Kasseler Gemäldegalerie, die reich an
*■ niederländischen Meisterwerken ist, und
Schätze von Rembrandt und Rubens beher-
bergt, hängt auch ein großes Landschaftsbild
des berühmten Haarlemer Malers Jakob van
Ruisdael, der um 1629 — 1682 lebte und als
Spitaler starb.
Das Gemälde stellt einen Wasserfall dar und
ist nach Albrecht Dürers Rezept der Natur
aus dem Innersten herausgerissen mit Riesen-
kräften und intimster Beobachtung. Schwer-
mütiges graues Licht ist über der Schlucht,
durch die der Gießbach mit Gischt und Schaum
lebendig über Farn und moosigen Stein hüpft,
springt, stäubt, rieselt und plätschert. In
diesem stillen Licht stehen auch die Hänge-
birken am Wasserrande und all das reiche
Gepflanz der Uferflora, das sich da auftut,
ganz gesättigt von dem feuchten Segensele-
ment. Gedämpft, ruhig, seelenvoll, unauf-
dringlich ist das alles und hält fest, wenn
man sich einmal hineinschaut. Diesem Bilde
schulde ich die Liebe zur Landschaft, die mir
manche Lebensstunde erhellt. Und das kam so!
Jemand sagte mir einmal in meiner ersten,
unnachdenklichen Jugend: Dieser Wasserfall
Jakob Ruisdaels sei ein unvergleichliches Kunst-
werk und meinem langen Bemühen, die Be-
hauptung zu begreifen, ging dann endlich die
Erkenntnis auf, daß das Große in Landschaft,
Leben und Kunst im Beobachten dessen liegt,
von dem Alltagsaugen gar nichts sehen. Seit-
dem lernte ich Schritt für Schritt im Unschein-
baren die Schönheit erkennen und kam auch
zu den Bäumen und ihren Herrlichkeiten.
Vielleicht fangen weitere Volkskreise erst an,
die ganze malerische, stetig wechselnde Schön-
heit des Baumes zu würdigen, denn die Künst-
ler sind im Schauen und Erkennen der Mit-
welt oft um Jahrhunderte voraus. Ehe Corot
und Rousseau, ehe die von Dachau und Worps-
wede es wagen durften, ein ganzes Leben fast
JAS. ZICK KREUZABNAHME
/J. Station in St. Virich zu Augsburg
nur dem Studium des Baumes in seinen Sta-
dien und Beleuchtungen und immer wieder
des Baumes zu widmen, ohne daß deshalb
jemand behaupten würde, sie könnten nicht
zu den großen Künstlern gezählt werden,
mußten lange, lange Zeiten verstreichen. Die
italienischen Maler, die Primitiven sowohl als
die Humanistischen der Renaissance, hatten
nur ein Ziel. Unermüdlich in tausend Formen
und Farben, in tausend Gedanken behandelten
sie das schier unausschöpfliche Thema: Gott
und Mensch. Sehr oft ward denn in den
Tagen der Hochrenaissance Gott vergessen
und nur des Menschenleibes in seine.'
kommenheit gedacht; denn viele jener Kunst
ler wandten sich wieder der Antike zu, aus
der die Formschönheit der italienischen Kunst
wie Aphrodite aus dem Meere gestiegen war.
Die bildende Kunst der Antike aber wußte last
nichts von den Bäumen, von denen doch ihre
Mythologie so manches Tiefsinnige fabelte.
Botticelli, der anmutreiche Florentiner, liebte
das kl assische de zwei mi es Lorbeers, liebte es so
sehr, daß selbst die Bäume, an denen auf dem
berühmten Bilde Allegorie des Früh!
der Hesperiden goldene Apfel reifen
JANUARIUS ZICK
14. Slalü
der St. Ulrichskirclie
JESUS WIRD IN DAS GRAB GELEGT
1 Augsburg. — Text S. /jö — 166
ETWAS VON BÄUMEN IN DER KUNST
169
beerbäume zu sein scheinen. Auch bei Peru-
gino, dem sanften, verklärten Umbrier, dem
Lehrer Raffaels, spielt der Lorbeerbaum eine
Rolle. Aufseiner Allegorie »Kampf der Liebe
mit der Keuschheit« sieht man im Hinter-
grund, wie die von Apollo verfolgte Daphne
zum Lorbeerbaum wird. Perugia liebt es
außerdem, den lichten, blauverschleierten land-
schaftlichen Hintergrund seiner schönen Hei-
ligen mit leicht gefiederten Ebereschenbäumen
zu dekorieren. Giovanni Bellini, der seelen-
volle Venezianer, scheint die Kugelakazie für
malerisch gehalten zu haben, denn auf einem
seiner lieblichsten Madonnenbilder in der Ga-
lerie der schönen Künste zu Venedig rahmen
zwei dieser künstlich verschnittenen Bäume
Maria und das Jesuskind ein. Wie ärmlich
frierend, konventionell das arme Gebäum auf
Pinturicchios Anbetung der hl. drei Könige!
Moretto und Sodoma lieben auf ihren schönen
Bildern den Akazienast als Dekorationsfrag-
ment. Moretto verwendete ihn bei seiner
wundervollen Santa Justina, Sodoma auf der
berühmten Darstellung des hl. Sebastian. Raf-
fael liebte es, von Lorbeerbäumen Zweige ab-
zuschneiden, um lichte Stirnen damit zu krän-
zen. Selbst dieser überragende Meister zeich-
nete »Baumschlag«, aber keine liebevoll in-
dividualisierten Bäume, sie waren ihm Staf-
fage, dekoratives Beiwerk, Hintergrund für
irgendein göttliches Geschehen. So herrlich
fein die Vögel auf seinem Karton im Ken-
sington-Museum »Fischzug Petri« erfaßt sind,
so nebensächlich die Bäume. Nur die Erlen
auf dem Bilde des hl. Georg machen eine
Ausnahme.
Der große Vollender italienischen Kunst-
ringens, der Titane Michelangelo, der das ge-
waltige Drama »Gott und Mensch« auf die
letzte erreichbare Höhe führte, scheint fast
achtlos an Bäumen vorbeigegangen zu sein.
Die Darstellung des Ringens seelischer Leiden-
schaften am Körper absorbierte ihn ganz.
Nur zweimal erscheint in dem Werk Buo-
narrotis der Baum.
In zwei Feldern des Gemäldezyklus der
Schöpfung an der Decke der Sixtinischen Ka-
pelle tritt ein Baum symbolisch in die Er-
scheinung. Bei der Darstellung des Sünden-
falls ist es der Baum der Erkenntnis des Guten
und des Bösen, welcher der Menschheit die
Früchte des Todes trug. Wir sehen nicht viel
von dem Baum. Sein Stamm ist ganz und gai
von den Ringeln der riesigen Schlange um-
wunden und sein Geläube verliert sich mystisch
in den Wolken.
Noch ein anderer symbolischer Baum reckt
sich uns aus der Gedankenwelt Buonarrotis
entgegen. Ich meine jenen jammervoll durch
Wassersgewalt von Borke, Zweig und Blatt
entblößten, sturmgepeitschten Stumpf auf dem
Felsen der Sündflut.
Hier ist der Baum das starre Sinnbild der
rettungslosen Zerstörung, des allgemeinen
Untergangs. Der verzweifelnde Mensch, der
den halbentwurzelten, sich zu den Muten
neigenden Stamm umklammert, verstärkt die
Trostlosigkeit, die von dem Baume ausgeht.
Auf dem Olbergbilde des Carpaccio in Venedig
findet sich übrigens ein ähnlicher Baum. Auch
auf ihm lastet die Not derölbergstunde. Halb-
verdorrt hängt er am Gestein, ein einziger
Ast grünt noch am starren Holz. Er erlebt
keinen Sommer mehr und ringt wie der Hei-
land mit der Todesnot.
Lionardo da Vinci, der erste Naturkenner
und Forscher seiner Tage, hat uns keine selb-
ständige Baumstudie hinterlassen, wiewohl er
den Reiz der Strauch- und baumbestandenen
Landschaft mit feinem Sinn und entzücktem
Auge zu würdigen wußte. Wir erinnern nur
an sein Bild einer jungen Frau in der Liechten-
steingalerie zu Wien, wo wunderbar fein und
zart gezeichnetes Oliven- oder Weidengeläub
den Hintergrund des sonst so reizlosen Frauen-
kopfes bildet und weiterhin ein erlenbestan-
dener spiegelnder Fluß das Auge zum Ver-
weilen einlädt. Die Felsen scheint Lionardo
mehr geliebt zu haben als den Baum, denn
sowohl auf der Auferstehung Christi zu Berlin,
als auf dem Gemälde »Die hl. Anna selbdritt«
in Paris, wie auch bei der Madonna in der
Felsengrotte ist der Baum sparsam, der Stein
ausgiebig behandelt; ebenso verhielt es sich
bei der abhanden gekommenen und wieder-
gekehrten Mona Lisa des Louvre und dem weib-
lichen Bildnis der Eremitage in Petersburg.
Es wird uns von Lionardo erzählt, daß er ver-
standen habe, den Pfirsichbäumen Gilt einzu-
impfen, so daß durch Übersenden ihrer Früchte
ein argloser Mißliebiger leicht ins Jenseits
befördert werden konnte. Seltsam genug,
cm brennendes Fragezeichen steht dieser Be-
richt im Leben des Malers grenzenloser Güte
und Milde. Den Baum, diesen großen Men-
schenfreund und Wohltäter, zum tückischen
Morde gleichsam zu zwingen, scheint uns
Germanen unfaßbare Gemütsroheit. Soviel
ich weiß, existiert auch von unserem Albrecht
Dürer, dem liebevollen Zeichner des Wiesen
grundes und so vieler die Madonna umstehen-
den lieblichen Pflanzen und Blumen, keine
selbständige Baumstudie. Ausgiebigen Baum
schlag finden wir bei Dürer nur einmal in der
Deckfarbenmalerei in kalten Tonen >Altes
Schloß«. Außerdem dient dem Nürnberger
Die christlich« Ku
170
ETWAS VON BÄUMEN IN DER KUNST
LUDWIG WILLROIDER
Meister der Baum nur, in seinen Gemälden
und Schnitten die Stimmung zu vertiefen.
Wir erinnern an den kahlen, im Winde frie-
renden Weißdorn auf nacktem Fels auf dem
Blatte »Ritter, Tod und Teufel«.
Dürer hat in seiner »Großen Passion« oft
Steineichen und entlaubtes Baumgeäst ge-
zeichnet. Diese vom Sturm gebeugten Bäume
scheinen an dem Schmerzensweg des Heilan-
des innigst teilzunehmen. So in dem Gebet
am Ölberg oder in der Beweinung Christi,
wo das Gebäum sich wie unter schweren
Lasten niederbeugt und jammernd zu ächzen
scheint. Das ist ein mystischer Zug.
Rembrandt in seinen Radierungen scheint
dem Baume an sich schon viel näher ge-
kommen zu sein. Wir erinnern nur an das
wundervolle Blatt »Landschaft mit den drei
Bäumen«. Das Bild mutet an, als sei es dra-
matisch bewegt. Gewaltig niederströmende
Lichtfluten, starke Wolkenschatten fallen von
einem unermeßlichen Horizonte auf die stille,
weitgedehnte Ebene herab und rechts im Vor-
dergrund behaupten sich gleich wachthaben-
den Helden oder Riesen drei weitausladende
kronenmächtige Eichen — alt, gewaltig und
stark. Sie geben dem Bilde etwas Heroisches,
Monumentales.
Das Schützende, Beruhigende, Stillende des
schattengebenden Baumes drückt Rembrandt
als stärkster Malerpoet aller Zeiten in der
Radierung >Hütte unter großem Baum« aus.
Doch ist es bei dem eindringlichen Kenner
und Durchschauer des menschlichen Wesens
eben auch immer wieder der Mensch und das
Menschenantlitz, welche die tiefsten Regungen
und Neigungen seiner Künstlerseele in An-
spruch nehmen.
Ähnlich steht es auch mit Peter Paul Rubens
und Tizian, den Farbenfürsten, obgleich gerade
Tizian uns einige unvergleichliche heroische
Landschaften mit Bäumen geschenkt hat. Die
meisten der obengenannten großen Künstler
kamen erst im Alter zum beruhigenden Baum,
dem Gleichnis der Abgeklärtheit und Reife.
In der französischen Kunst stehen wir in
der Zeit des Klassizismus bewundernd vor den
goldenen, arkadischen Bäumen Poussins, unter
deren reichem Gezweig Nymphen, Götter und
Amoretten ein olympisches Dasein führen,
ETWAS VON BÄUMEN IN DER KUNST
171
WALTER LEISTIKOW f (BERLIN)
auch er gelangte zur heiligen Stille dieser
schönen Bäume erst in hohen Jahren. Claude
Gelee — »le Lorrain c, der von der Sonne Italiens
Berauschte und Glühende, malte die Bäume in
herrlichen Gruppen und en masse. Er wählte
sie als dunkle Folie für eine lichtdurchtränkte,
sonnenfrohe Gegend oder stellte sie selbst in
eine leuchtende Aureole.
Watteau wiederum benützte Gebüsch und
Gebäum, wie zärtlich und liebevoll sein Pinsel
auch ihre weichen Konturen hinstrich, nur
als Umrahmung seiner bekannten höfischen
Schäferszenen, auf denen es so zierlich und
galant herging. Vernet auch beschäftigte
sich mit Bäumen, aber er sah sie in fal-
schem Licht und konnte ihrer nicht recht
habhaft werden.
Delacroix wurde ihrer komplizierten Gestal-
tung gerechter, aber erst seit Corot, der starke
Pfadtreter auf diesem Gebiete, den Baum im
freien Lichte so recht für die Kunst entdeckte,
weht seine unausschöpfliche Schönheit aus
tausend Ölgemälden, Aquarellen und Zeich-
nungen uns an, ohne daß unser Auge sich
daran satt sehen könnte. Vielleicht war sein
Mitstrebender Rousseau ein noch stärkerer
Baummaler als Corot; vielleicht lag ihm noch
mehr an dem Baum als solchem, an die-
sem charaktervollen Individuum, das vol-
ler Bewegung und voller Sammlung, voller
Wechsel und voller Stetigkeit, voller Leben
und Stille ist.
Dennoch sind die Baumstudienbilder Corots
noch wundervoller und unvergeßlicher, weil
er ein so intensiver Liebhaber und Erfasser
von Licht, Duft, Nebel, von den silberigen
Tönen der Wasserausdünstungen, von den
Schleiern und Floren zartesten Regengerieseis,
der sich mit der Sonne vermählt, ist. Er
dringt ein in das schier unfaßbare Geheimnis
der schwimmenden Morgenstimmung, der
traumhaftesten Frühe, da das Grau der Däm-
merung in strahlendes Blau übergeht. Aul
all seinen Gemälden ist es das künstlerische
Ringen um diese Stimmung, um diese Pro-
bleme des Zwielichts, welches seine Bäume
fast zu höheren Wesen erhebt. Und wie er
sie kannte, aus tiefster Liebe heraus, diese
wetterzerrissenen, uralten Eichen bei Fontaine-
bleau, die weltfernen, träumerischen Baches-
172
ETWAS VON BÄUMEN IN DER KUNST — JUROREN 1920
KARL KÜSTNER (MÜNCHEN)
RHEININSEL
ufer mit den gekappten Weiden und Erlen,
die in tausend neuen abenteuerlichen Sprossen
und Trieben ausschlagen, die sonnengebadeten
Birken mit den lilienweißen Stämmen, die
weithin die Gegend erleuchten und die nie-
beschnittenen Weidenherrscher mit den Königs-
locken, die auf freiem, weitem Wiesenplan den
Tau und die wandernden Lichter des Jahres
trinken !
Vielleicht wäre die schöne lichte Kunst eines
Walter Leistikow (Abb. S. 171), eines Ludwig
Dill, eines Willroider (Abb. S. 170), eines von
Bartels und aller großen, modernen Impres-
sionisten, die den Baum verherrlichen, ohne
Corot unmöglich geblieben.
Eigentümlich faßte der Schweizer große
Farbenmusiker Arnold Böcklin den Baum auf.
Er sah ihn als Stilist und bevorzugte seine
geschlossene Form.
Die Zypresse — freilich oft die wetterzer-
klüftete ■ — hat es ihm angetan, auch die starre
Silberpappel, die gerade und ernst eine auf-
strebende Linie bildet und der klassische Lor-
beer — für den Künstler nun einmal der
Baum aller Bäume.
Die im leuchtenden Herbstrot, das durch
den Purpur des Abends gesteigert wird, pran-
genden Bäume von Rudisühli mahnen schon
wieder an Dekoration und entfernen sich von
der Stille durch eine schauspielerische Geste.
JUROREN DES JAHRES 1920
Der Jury des laufenden Jahres gehören fol-
gende Künstler an: Architekten: Pro-
fessor Karl Jäger und Professor Hermann
Selzer. — Bildhauer: Hans Angermair
und Hans Faulhaber. — Maler: Xaver
Dietrich und Franz Xaver Fuchs. — Da-
zu kommen noch zwei geistliche Kunstfreunde.
Die Jury des Jahres 1919 hielt 25 Sitzun-
gen ab.
IOSEPH MARIA BECKERT
IQ 13 — Text S./S?
SCHLAF , JESl'I f
JOSEPH MARIA BECKERT
(Hierzu die Abbildungen dieses Heftes)
Die Münchner Glaspalastausstellung [918
zeigte in dem gleichen Saale, in dem
mehrere Werke Matthäus Schiestls sich befan-
den, auch ein Gemälde, dessen feine Poesie und
sorgsame liebevolle Ausführung ihm schnell
Freunde erwarben. Es stellte in einer Auf-
fassung, die neuartig wirkte, und doch recht
als dem Geiste unserer alten deutschen Poesie
und Kunst entsprechend empfunden wurde,
die Verkündigung des Engels bei der hl. Jung-
frau dar. Den himmlischen Boten begleiteten
zahlreiche, lichtertragende Engelein in das
trauliche Gemach der Gebenedeiten, die als
g.m/ junges Mägdlein vor ihrem Betpulte
kniete und sich in holder Überraschung und
Demut nach dem Engel umwandte (Abb.
S. 185). Das ansprechende Bild war von dem
Münchner Maler Joseph Maria Becker t. Ls
reiht vermöge seiner technischen und inner-
lichen Eigenschaften den Kunstler jenen un-
serer neueren und früheren Meister an. in
deren Werken sich das Wiedererwachen volks-
mäßigen lühlens und Denkens im Sinne
unserer Romantiker kundgibt — Boten einer
Neuromantik, die freilich nichts gemein hat
mit modernster Lvrik. die ihren verworrenen
Die christliche Kur,
174
'75
176
JOSEPH MARIA BECKERT
*uuuiütni^*^^uikwiiu^i.i^iitt^
IOSEHH MARIA BECKER 1'
M \DCIlhNKOIM
ig/4 — Text S. 178
Geistesausgeburten den gleichen Namen zu
geben liebt. Die Romantik, die sich in den
Werken Beckerts ausspricht, ist jene eines
Brentano, einesSchwind, seelenverwandt jener,
deren reine deutsche Art in den Malereien
eines M. Schiestl, eines Wilh. Steinhausen neu
belebt erscheint. Es ist Kunst, die das Zeug
dazu besitzt, Volkskunst zu werden, etwa jener
Art, wie mancher schöne Sang unserer Dichter
zum Volksliede geworden ist: jedem, dessen
Empfinden unverfälscht deutsch und christ-
gläubig geblieben ist, als Sprache der eigenen
Seele verständlich, lieb und vertraut.
Joseph Maria Beckert ist ein noch junger
Künstler. In der Reichshauptstadt, mit deren
Auflassungen von Leben und Glauben er, der
Katholik, der Romantiker, nicht übereinstimmt,
wurde er am 19. Dez. 1889 geboren. Erziehung
und Unterricht genoß er bei den Jesuiten zu
Mariaschein in Nordböhmen, sowie am Gym-
nasium zu Landshut. Die erste und nach-
haltigste künstlerische Unterweisung aber ver-
dankt Beckert seinem Vater. Dieser, der 1856
in Hessen=Nassau geboren ist und jetzt in
Frankfurt lebt, gehört zu den tüchtigsten
deutschen Bildnismalern, ist auch mit be-
deutendem Erfolge auf dem Gebiete der reli-
giösen Kunst tätig. Treffliche Wandmalereien
von ihm befinden sich u. a. im Collegium
Germanicum zu Rom. Er lenkte voll warm-
herziger Begeisterung die Liebe seines Sohnes
auf die deutschen, niederländischen und ita-
lienischen Meister des Mittelalters, aber auch
auf die volkstümlich dichterische Kunst des
Ludwig Richter, des Moritz von Schwind, auf
die edlen, frommen Schöpfungen der Naza-
rener. So, mit fest ins Auge gefaßter Richtung
und Art kam der junge Beckert nach München,
wo er zuerst an der K. Kunstgewerbeschule,
darauf als Schüler C. von Marrs an der K. Aka-
demie studierte. In die künstlerische Betäti-
gung Beckerts brachte der Militärdienst eine
JOSEPH MARIA BECKERT
|OSEPH MARIA BtCkERT
zweijährige, die Teilnahme am Kriege eine
halbjährige Unterbrechung.
Was er seit seiner Rückkehr leistet, beweist,
daß weder seine Eigenart noch seine Schaf-
fenskraft Einbuße gelitten haben. Außer dem
zuvor erwähnten Verkündigungsbilde hatte er
191 8 im Glaspalaste noch zwei Bildnisse aus-
gestellt, das eines Mannes und das einer alten
Frau, beide durch Frische der Beobachtung und
durch Lebendigkeit der sorgfältigen Wieder-
gabe ausgezeichnet. Doch ist damit die Art der
Beckertschen Bildnismalerei nicht genügend
gekennzeichnet. Das Wichtigste und Beste an
ihr ist die Klarheit, mit der die Seele der dar-
gestellten Personen erkannt und geschildert
ist. So bei einem besonders feinen, noch vor
dem Kriege begonnenen Bildnisse einer älteren
Dame, vornehmlich auch in seinen Kinder-
bildnissen. Aus diesen Darstellungen spricht
des Künstlers eigenste, tiefblickende Auffas-
sungsweise so lebhaft, daß sie den nachfühlen-
den Beschauer von ihrer Richtigkeit zu über-
zeugen vermag. Stilles Sinnen und Ahnen \ ei
kündet sich in den Augen, den reinen Zügen
dieser Mädchen und Knaben, deren Individuali-
tät aufs deutlichste und erfreulichste zum Aus
drucke gelangt, ohne dali dabei des Malers
subjektives Urteil sich aufdrängt, vielmehr mit
einer scheinbaren Objektivität, wie wir sie
in den Werken alter Meister linden. Zu den
besten dieser Leistungen gehört das Bildnis
eines Mägdleins, auf dessen blonden 1
ein Kranz von Rosen ruht; der Hintergrund
deutet Köln als Heimatstadt der Irüh Ver
storbenen an. Doch liebt es Becken im allge-
meinen mehr, seine Bildnisse vor ganz einlach
behandelte Hintergründe zu stellen. Mit um
in! Klarheit, reliefartig,
bebt sich das Bildnis hervor, um so unge-
störter entfaltet es die Überzeugungskraft und
i78
JOSEPH MARIA BECKERT
Feinheit seiner Charakteristik. So bei dem
Bilde eines still sinnend blickenden jungen
Mädchens, dessen von langen, weich fließenden
Haaren umrahmtes Haupt mit einem Blumen-
kranze geschmückt ist (Abb. S. 176). So bei
dem reizenden, scharf ausgeprägten Profilbild-
nisse eines kleinen Mädchens, um dessen glattes
Haar, von dem ein lustiges Zöpfchen vor dem
Ohre herniederbaumelt, ein buntes Band ge-
wunden ist; die linke Hand hält ein zartes, blü-
hendes Pflänzlein (Abb. unten). Ein trefflicher
Charakterkopf ist auch der von vorn gesehene
des kühl dreinschauenden »Peter« (Abb. S. 177).
Mit gleicher Meisterschaft ist in allen diesen
Werken die echt deutsche Art.. wie auch das
reine kindliche Wesen der jungen Geschöpfe
zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig befleißigt
sich die Schilderung bei diesen Dingen mög-
|OSEPH MARIA BECKER!
JOSEPH MARIA BECKERT
'79
lichster Schlichtheit und
Ruhe, und doch fehlt es
nicht an einem stillen
Reichtum, der sich in
sorgfaltigst, dabei ohne
Kleinlichkeit durchge-
i u lirten Schmuckstücken,
Gewandmustern und der-
gleichen belebend kund-
gibt. Technisch ist diesen
Arbeiten große, charak-
teristisch deutsche Si-
cherheit der Zeichnung,
Feinheit der Modellie-
rung, Klarheit der Farbe
eigen. Man denkt an Hol-
bein, an Amberger, ge-
legentlich auch an frühe
flämische Meister, und
empfindet doch, daß man
etwas durchaus Selbst-
ständigem gegenüber-
steht; einer Kunst, die
aus altem Geiste erwach-
sen, mit seiner Kraft er-
füllt und dabei ein Kind
neuer Zeit, über das Ein-
zelneins Allgemeine, aus
derNaturalistik zur groß-
zügigen Stilisierung em-
porstrebend, dabei doch
nicht umstürzlerischer
Art ist, sondern zu den
Quellen deutscher Kunst
zurückführt.
Der Einfluß, den die
Romantik auf Beckert
ausübt, zeigt sich aufs
klarste in seinen poesie-
reichen Szenen. Nicht
immer ist es ohne wei-
teres leicht, ihre Bedeu-
tung mit Worten wie-
derzugeben. Dem lyri-
schen Dichter verwandt,
schildert er persönliche
Stimmungen, ohne ihnen
stets einen festen, gegen-
ständlichen Inhalt zu ge-
ben. In so mehr andeu-
tender als aussprechen-
der Weise feiert z. B. eins
der neuesten Gemälde
Beckens den Geist des
Mittelalters. Der Künst-
ler nennt dieses Werk
»Romanze« und kenn-
zeichnet die darin sich
IOSEPH MAI ■
NACH!
i8o
JOSEPH MARIA BECKERT
JOSEPH MARIA BECKERT
UNSERE LIEBE FRAU
■efiihrt 1920 — Text S. 1S6
verkündende Absicht durch die dem Bilde
zur Unterschrift gegebenen Verse Brentanos:
» Wandelt im Dunkeln freundliches Spiel, still
Lichterfunkeln schimmerndes Ziel. Sprich aus
der Ferne, heimliche Welt, die sich so gerne
zu mir gesellt!« Ein nicht minder edles, tief-
sinniges Gedicht des Malers ist das Bild ge-
worden. In einer weiten Hügellandschaft sind,
in stille Betrachtung versunken, Heilige ver-
einigt: ein hl. Ritter, ein kniender Mönch, die
hl. Jungfrau mit dem Kinde, ihr zu Füßen zwei
spielende nackte Kindlein. Ein großer Zug
waltet in dem Gemälde, sanfter Farbenklang,
in welchem das zarte Lila des Madonnen-
gewandes einen Hauptton abgibt. Die Kom-
position ist etwas locker, der Zusammenhang
zwischen den Personen mehr durch die geisti-
gen Beziehungen hergestellt. Im Zusammen-
hange mit diesem Werke befindet sich das
»Nachtgebet« eines greisen Mönches, der vor
einem, am Stamme einer Fichte angebrachten
schlichten Kruzifixe auf dem steinigen Boden
kniet (Abb. S. 179). Den Mittelgrund durch-
schneidet quer ein Zaun, jenseits dessen in
Wiesen, vor sanftem, waldigem Mittelgebirge
eine ferne Burg sich wuchtig erhebt. Der
zackige Kamm der Alpenkette schließt das Bild
ab, dessen Schwermut durch die Töne des
Abendhimmels vertieft, aber auch gemildert
wird. Es ist ein Bild reich an echter Andacht
und voll einer Stimmung, deren Poesie nur in
deutscher Kunst aus der Reinheit und Hoheit
alten deutschen Geistes heraus verständlich ist.
Aufs stärkste gilt dies auch von Beckens sehr
früher Zeichnung zum »Armen Heinrich« des
Hartmann von der Aue. (Abb. S.175). Ernst
3e|um*knebirtura*frurtum*wutri%-tui-nobß-pofj-l]or
mltuttvoftenue -o-tlemens -o-pia o öulri?> nirgoWaria*
JOSEPH MARIA BECKER! UNSERE LIEB] FRAU
igtj. KUimt Format. Eint tröfitrt Variantt mit WtgUuunf dtr Engtl 10
TfX!
Die chriitliclie Kunst. XVI.
182
JOSEPH MARIA BECKERT
JOSEPH MARIA BECKERT
HEIMKEHR
und Lieblichkeit vereinen sich in diesem Bilde;
letztere wirkt besonders innig in der Figur des
Mägdleins, das voll still begeistertem, seiner
Absicht ahnungsvoll sicheren Erbarmens zu
dem Leidenden aufblickt, während sie furcht-
los den Fuß des Aussätzigen streichelt. Sehr
gut charakterisiert ist auch der Meier samt
seinem Weibe, am schönsten der arme Heinrich
selbst, in dessen Antlitz Gram und körperlicher
Schmerz sich ausdrücken. Sehr fein ist die An-
deutung des Zeitalters. Es kennzeichner sich
nicht nur in der romanischen Form der Krone,
sondern auch in der Haltung Heinrichs, die
trotz ihrer Bewegtheit doch bewußt an die
Stilisierung der thronenden Kaiser- und ähn-
licher Gestalten in Miniaturen des frühen
Mittelalters erinnert; auch die Zeichnung des
rauhen, dennoch thronartig gebildeten Sitzes
mit den zu beiden Seiten hervorquellenden
Kissen ist dementsprechend im gleichen Sinne
entworfen.
Bemerkenswert offenbart sich in dieser wie
in zahlreichen anderen Arbeiten des Künstlers
Begabung für die Landschaft. Er malt sie leicht
stilisiert und doch mit echtester Naturwahrheit
und gibt ihr, ohne große Akzente zu vermeiden,
die Stimmung sanfter Lyrik. So in einer weich
empfundenen »Mondnacht« (Abb. S. 195), auch
in den Hintergründen seiner vielen Werke
religiösen Inhaltes. Nur ausnahmsweise
aber sind dies Andachtsbilder. Ein solches schuf
Beckert 1918 für die Kirche von Bottrop in
JOSEPH MARIA BECKERT
183
IOSKPH MARIA BKCKERT
igig — Text S.
Westfalen. Es zeigt den hl. Joseph und den
Jesusknaben '). Beide sind voreinander auf-
rechtstehend und in Frontalstellung gezeichnet.
Die Komposition ist streng, der Feierlichkeit
des kirchlichen Zweckes angemessen, und doch
lebendig. Den Hintergrund für die Josephsfigur
bildet ein Teppich, in dessen gotischem Muster
das Einhorn und das Lamm Gottes zu erkennen
sind. Wuchtig und einfach ist auch bei diesem
Werke die Farbenwirkung. Von dem Dunkel-
rot des Teppichs hebt sich das Hochrot des
> Farbi Idet in der Jahresmappe 1919 der
Deutschen Gesellschaft lür christliche Kunst.
Gewandes St. Josephs, hiervon das helle Rot
des Kleides Jesu ab. Der obere Teil der
Josephsgestalt mit dem goldenen Heiligen-
schein hat als Hintergrund eine vom fernen
Gebirge begrenzte gelblich graugrüne Land-
schaft. Der Ausdruck beider Personen ist
freundlich und gütig, schon durchgeführt der
Gegensatz zwischen dem irdischen Manne und
dem blondgelockten, göttlichen Kinde. Ruhig
und edel ist die Haltung beider, die durch
den monumentalen LinienfiuG der Gewänder
noch besonders schön hervorgehoben wird.
Im Vordergründe unten stehen zwei Kruge
JOSEPH MARIA BECKERT
JOSEPH MARIA BECKERT
1919 — Text S. 187
ST. JOSEPHS HEIMKEHR
voll Lilien und Veilchen. Den obersten Teil
des Bildes überdacht ein fein entworfener, in
Goldfarbe gehaltener, spätgotischer Baldachin.
Am unteren Rande des Gemäldes stehen die
Worte »Lieber heiliger Joseph bitte für uns«.
Zur Gruppe der Beckertschen Kirchenbilder
gehört u. a. ferner eine in strenger Vorder-
ansicht dargestellte kniende hl. Jungfrau, die
den Beschauer anblickt und ihm das in Win-
deln gewickelte Kind so entgegenhält, daß
beide Gestalten die gleiche Mittelachse haben
(Abb. S. 181). Die Anordnung der Figuren ist
also derjenigen in dem soeben beschriebenen
Josephsbilde ähnlich, absichtlich streng und
feierlich. So auch in der Abgewogenheit, mit
der die Horizontalen der schwebenden Engel
den unten ausgebreiteten Gewandmassen das
Gleichgewicht halten. Verwandt der Art alt-
kölnischer Malereien ist aber dabei auch alles
voll Milde und Weichheit, die sich in den
Gesichtern und der zarten Farbe kundgibt.
— Zu den neuesten Werken des Künstlers ge-
hört auch das entzückende »Es ist ein Ros'
entsprungen«, das hier mit eingeordnet werden
darf, weil es den Charakter eines Kirchenbildes
trägt, und von unseren Vorfahren sicher als
solches anerkannt worden wäre (Abb. S. 193).
Auch hier klingt die Strenge der Stilisierung
/ jUfiiiiiiiiiiiMUM»h»iiiy>iiMuiiiiiJMUUu«iiiM«MüiinMniiiuiMMi*imHiinMU««nMuyn£
JOSEPH MARIA BECKERT
JOSEPH MARIA BECKERT
an, die zu den Merkzeichen der neueren Ar-
beiten Beckerts gehört, jedoch nur in der Figur
der hl. Jungfrau, zumal in der Haltung ihrer
Hände, sowie in der Reliefartigkeit, mit der die
Gestalten sich von dem einfarbigen, dunkeln
Hintergrunde ablösen — wenigerinden übrigen
Figuren, in deren Gestaltung und Mienen die
Sonnenstrahlen des Frohsinns unserer deut-
schen Kunst, vom alten Cranach an bis zu
Richter, Schwind und M. Schiestl, wie in einem
Spiegel gesammelt, widerglänzen. — Den Cha-
rakter eines Kirchenbildes trägt auch ein Werk
von echter deutscher Schönheit und Innigkeit:
die in einer Landschaft sitzende Himmels-
königin zeigt ihr Kind einer jugendlichen
Heiligen, die es kniend anbetet und seinen
Segen empfängt; in
der Ferne dehnt sich
eine Stadt aus (Abb.
S. 180).
Diese wenigen Pro-
ben der Beckertschen
kirchlichen Malerei
mögen genügen.
Denn, wie gesagt, wid-
met er sich dieser bis-
her weniger. Sein ver-
sonnenes, dichteri-
sches Empfinden liebt
stille Schöpfungen
voll zarter, kindlich
gläubiger Hingebung
an das Heilige, mit
dem Seele und Gemüt
gewöhnt sind, einen
das ganzeLeben durch-
dringenden, verschö-
nernden, vertrauten,
fast vertraulichen Um-
gang zu pflegen; Volks-
kunst, oder besser ge-
sagt, Kunst für das
Volk, ganz in jenem
hohen Schwünge, je-
nem abgeklärten Sin-
ne, wie ihn Brentano
zu fühlen, zu singen
und neu zu beleben
berufen war, voll Ernst
und Fröhlichkeit, her-
zenswarm, unschuldig
und rein. Seiner »Ver-
kündigung« wurde be-
reits gedacht; sie ist
bezeichnend für jene
Art, derer bisher seine
meisten und besten
Erfolge zu danken hat.
Von jenem Hange zu ausführlicher Erzählung,
den wir bei einzelnen seiner älteren Arbeiten
(so beim Armen Heinrich) beobachteten, und
der auch in der gleichzeitig entstandenen Zeich-
nung » Rast der hl. Familie bei den alten Essenern
auf der Flucht nach Ägypten« (Abb. S. 174) her-
vortritt, ist Becken dazu übergegangen, seine
Szenen auf eine Mindestzahl von Personen ein-
zuschränken. Soweit diese Bilder religiösen In-
haltes sind, feiern sie mit besonderer Liebe und
Wärme das Leben und Walten der hl. Jungfrau,
bisweilen mit Erweiterung der Szene zur Dar-
stellung der hl. Familie. Am liebsten schildert
unser Künster die Freude Marias als Mutter des
neugeborenen Jesuskindleins. Werke solcher
Art sind Beckerts »Heilige Familie im Freien«;
JOSEPH MARIA EECKERT
lOSKPII MAMA I
seine Rast auf der Flucht nach Ägypten ; seine Tiefe des VolksempBndens geschöpft: die -
»Heimkehr St. Josephs« mit der freundlichen Mutter, vor andern Muttern verherrlicht durch
Schilderun.« des in Frömmigkeit und Schlicht- den Heiligenschein, von dem ihr stilles Antlitz
heit vorbildlichen Familienlebens (Abb. S, [84); hell sich abhebt, wie sie in tiefem Sinnen zu-
seine hl. Jungfrau daheim; dieselbe mit Kindern kunftsahnend binblickt .tut d.is Neugeborene,
an der Wiege des Christkindes Abb. S i;r. dasvom göttlichen Strahlenscheine umleuchtet!
Zumal das letztere Bild ist so recht aus der seiner Lebens- und Leidensbestimmung ent-
JOSEPH MARIA BECKERT
]OSEPH MARIA BECKERT
TRÖSTERIN DER BETRÜBTEN
gegenschlummert in der Wiege, die mit den
Namen Jesus und Maria, auch mit Sinnbildern
ihres gemeinsamen Schmerzes geschmückt ist.
Die Kinder und der hl. Erzengel, die alle so
ernst blicken, als sei mitten in ihrer Freude die
Offenbarung eines künftigen großen Leides
gleich einem Schatten über ihre Seele gegan-
gen; dabei zu Häupten der Wiege das Weih-
nachtsbäumlein mit den brennenden Kerzen;
und draußen weit, bis an fernen Waldesrand
sich dehnend, das verschneite Land — das
Ganze ein zum Bilde gewordenes schlichtes
Krippenlied.
Beckerts Kunst verkündet aber auch das
Lob der Muttergottes ob ihrer Liebe gegen die
Menschen. Im Dämmerlichte eines gotischen
Domes, begleitet von Scharen der Heiligen,
erscheint sie als Traumgesicht einem Manne
(Abb. S. 186); ihm ist, als sänke er vor des
Erlösers Herrlichkeitund von der überirdischen
Hoheit und Gnade der Himmelskönigin über-
wältigt auf seine Knie. — Den Besuch der
Muttergottes bei einem Einsamen schildert eine
neuerdings entstandene Skizze (Abb. S. 191).
— Hohe Feierlichkeit, fast zur Schwärmerei ge-
steigert, erfüllt die in der neuesten Schaffens-
periode Beckerts entstandene »Legende vom
Maler Unserer lieben Frau*:; es wirkt wie Ent-
wicklung des in der eben erwähnten Skizze ein-
geleiteten Gedankens (Beil. vor S. 173). Man
sieht die Himmelskönigin mit dem Kinde in
einem Zimmer am Tische sitzen, vor ihr kniet
ein schwarz gekleideter Mann; im Hinter-
grunde wohnen zwei Engel mit brennenden
Kerzen dem Vorgange bei. Ein Sonnenstrahl
malt das Bild des Fensters auf den Fußboden.
Die Farben sind Schwarz, Graubraun und
herrschendes Blau. Die lateinische Gebet-
unterschrift gibt die Gedanken und Worte
des Malers wieder: »Dignare nie laudare
te, Virgo sacrata, o clemens, o pia, o dulcis
Virgo Maria«. Das Thema der hl. Jungfrau
als Trösterin der Betrübten und Vereinsam-
ten nimmt eine Skizze von 19 19 wieder auf
(Abb. oben). Immer wieder übt in diesen
Schöpfungen außer dem in schlichtes Gewand
gekleideten geistigen Gehalte auch die ihn
charakterisierende und vertiefende Schilderung
der ernsten Innenräume bestimmende Wirkung
aus, nicht minder das Helldunkel, das Becken
mit steigendem Geschicke zu behandeln ver-
steht. Dem Traum« nahe verwandt, gleich-
falls in den geistigen Zusammenhang mit den
Einsamkeits- und Trostbildern gehörig, ist das
Gemall 1919. —Text S. 189
JOSEPH MARIA BECKERT
MÜDE BIN ICH, GEH' ZUR RUH
JOSEPH MARIA BECKERT
L89
IOSEPH MAI
ergreifende »Christge-
schenk s (Abb. S. 192),
auch die Skizze Heil
derKranken (Abb ne-
benan). Eine Meister-
leistung großzügiger
Charakteristik ist die
Skizze mit dem hl. Au-
gustinus, der über sei-
ne Bekenntnisse nach-
sinnt (Abb. S. 194). Alle
diese Werke verdien-
ten im ganzen christ-
katholischen deut-
schen Volke verbreitet
zu werden, sie könnten
unendlich viel geben
undSegenstiften.Und
wer sie wegen ihrer
Kunst anschaut, wird
in ihnen Werte der
Zeichnung, der Kom-
position, des Lichtes
und Schattens, der lar
be rinden, die denen
unserer besten alten
Werke nicht nachste-
hen. Das gilt auch
von einer früheren Ar-
beit, der Zeichnung
St. Elsbeths Tod«, wo neben der in seligem
Lächeln Hingeschiedenen ein Engel ein Lied
singt, zu dem er selbst auf der Geige sich
begleitet; draußen aber vor dem Fenster zwit-
schern und jubilieren die Vögelein. Eine über-
aus anmutige Arbeit verspricht auch ein Kin-
derbuch mit Erzählungen von der Geburt des
Herrn zu werden, wozu Beckert die farbigen
Zeichnungen geschaffen hat.
Seine weltlichen Themata behandelt
Beckert mit nicht geringerer Tiefe. Die liebliche
Autfassung wie in der »Verkündigung waltet
auch in einem seiner neuesten Werke. Er nennt
es Müde bin ich, geh' zur Ruh« (Abb. Einschalt-
blatt nach S. 188). In ihrem recht heimelig ein-
gerichteten Gemache, aus dessen Halbdunkel
allerlei Reflexe von goldigen Gemälden ge-
heimnisvoll aufblitzen, und durch dessen ge-
maltes Fenster das letzte Tageslicht glutet, steht
eine kindlich holde Jungfrau, im Begriffe sich
zur nächtlichen Ruhe zu rüsten. Die Krone
hat sie neben sich gesetzt und fängt nun an,
ihr schönes, blondes Haar zu flechten. Edel ist
die Zeichnung des in ruhigen, großen halten
herabwallenden weißen Gewandes. Kräftig hebt
sich die helle Gestalt von ihrer Umgebung ab.
Auf die Schilderung solcher in deutschem oder
niederländischem Charakter des 16. Jahrhun-
derts gehaltener Innenräume wendet der Künst-
ler eine Sorgfalt, der man recht die Freude an-
merkt, dergleichen malerisch und traulich zu
denken und zu schaffen. Die Behandlung der
Luft und der Schattenabstufungen geben diesen
Räumen eine Vertiefung, die durch eine ge-
wisse Bevorzugung des zeichnerischen Vor-
trages — manches erinnert fast an Intarsia —
leicht in Frage gestellt werden könnte. Die
Farben sind immer schön untereinander aus-
geglichen, obgleich der Künstler es liebt, eine
einzelne vorzüglich stark hervorzuheben. So
kleidet er einen Reiter, der auf seinem Schimmel
durch eine weite Schneelandschaft (geschickte
Behandlung des zweierlei Weiß!) dahintrabt, in
einen roten Rock (Abb. S. 182). Das Bild er-
innert in Zeichnung und Stimmung last an
Fieter Breughel. Sehr schön wirkt ferner ein
von Beckert gern verwendetes leuchtendes
Blau. Fs dient wesentlich dazu, die stille, ganz
zurückhaltende Färbung, die seine Werke neuer-
dings im Gegensatze zu seinen früheren bevor-
zugen, zu beleben. So in einem Gemälde
Heimkehre (Abb. S 183) Ein Mann in mittel-
alterlichem Reiseanzuge betritt mit herzlicher
Begrüßung das G mach, in dem seine Braut
seiner wartet. Von dem (,r.ui und Schwarz
seiner Kleidung und dem (.raubraun des /im
Die christliche Kunsi
190
DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG
]OSEF MARIA EECKERT
STILLE MENSCHEN
mers sticht das Blau des Frauengewandes wir-
kungsvoll ab, ohne daß doch die Ruhe und
Geschlossenheit der Farbenstimmung darunter
litte. Die seelische Empfindung aber wird da-
durch besser gehoben, als es durch irgend eine
andere Farbe geschehen konnte. Ganz ähn-
lich ist die Sache bei einer schon erwähnten
»Heimkehr des hl. Joseph«. Hier tritt zu Grau
und Blau noch das gedämpfte Grün des im
Hintergrunde stehenden großen Himmelbettes.
Derselbe Mann erscheint auf dem zweiten
Bilde, wie er Abschied nehmend vor einem
blaugekleideten Mädchen kniet. Durch das
Dunkel des Zimmers erglänzt das Gold eines
Flügelaltars. Warme Töne findet Beckert in
seinem »Weihnachtslied« (Abb. S. 187). Ein
altniederländischer Innenraum; ein Mann sitzt,
vom Rücken gesehen, vor einer Orgel, die
junge Wöchnerin lauscht dem Liede, das er
spielt. Die Unterschrift nennt es: »Uns ist ein
Kindlein heut gebor'n usw.«. — Freundlich,
ernst, schlicht, volkstümlich ist die Skizze » Stille
Menschen « (Abb. oben). Tiefe Stimmung waltet
auch in diesem Werke des Maler-Dichters, des-
sen Kunst, wie es nur wenigen gegeben ist,
der Geist echten deutschen Empfindens erfüllt.
Wie sich seine Farbenauffassung und Kom-
positionsweise neuerdings ändert und abklärt,
gehört sie zu den Kennzeichen der zuneh-
menden Vertiefung des in seinen Werken sich
kundgebenden Denkens und Fühlens. Doenn?
DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE
HISTORISCHE ENTWICKLUNG
Von HERMANN HANDEL-MAZZETTI
Ctwa eine Stunde innabwärts der alten Berg-
•L-' werkstadt Schwaz liegt an steiler Berges-
lehne, von prächtigem Buchenwalde umgeben,
das Schloß Tratzberg. Nicht auf die herrlichen
Räume, in welchen sich die gotische und Re-
naissancekunst harmonisch die Hand reichen,
und seine reichen Sammlungen will ich auf-
merksam machen, sondern bei einem wenig
beachteten Stücke verweilen. An der Rück-
wand der Schloßkapelle hängt in schlechter
Beleuchtung eine bemalte Leinwand von 4 m
Länge, durch einfache orangegelbe Leisten in
zwölf zu zwei Reihen übereinander angeord-
nete quadratische Felder geteilt. Auf denselben
führt der Maler in fünf figurenarmen Bildern
Leidensszenen unseres Herrn und zum
DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG 191
JOSEPH MARIA BECKERT
1'S'SERER LlfcHES FRAUEN BESUCH
Skitxe, igiS — Ttxt S. iSS
Schlüsse die Verherrlichung Christi, im Ab-
stieg in die Vorhölle, der Auferstehung und
der Himmelfahrt vor. Vor jeder entsprechen-
den Darstellung sind als Vorbilder aus dem
AltenTestamente, Isaak das Opferholz tragend,
lonas in das Meer geworfen und dem Rachen
des Fisches entsteigend, und Simson, den
Löwen bezwingend, eingestreut. Diese un-
mittelbare Gegenüberstellung geht offenbar
auf die Armenbibeln zurück, welche um die
Mitte des 15. Jahrhunderts in Süddeutschland
erschienen sind. In diesen Bibeln ist auch
Samson zum ersten Male als Vorbild des Ab-
stieges in die Vorhölle aufgefaßt.
Ein Vergleich mit den Fresken des Franzis-
kanerklosters im nahen Schwaz drängt sich
auf. Unsere Darstellung verzichtet auf alle
prunkvolle Ausstattung der Gewänder, auf
welche dort so großes Gewicht gelegt ist. doch
zeigt sich auch hier das Bestreben, einmal
angenommene Typen festzuhalten, wie beson
ders an der Figur im roten anliegenden Kleide,
welche bald als Hausknecht, als Schiffer, der
den Jonas ins Meer wirft und als Joseph von
Arimathaea auftritt, zu beobachten ist.
Ganz auffallend ist die Ähnlichkeit der Typen
alter Männer (Adam in der Yorhölle, Abraham)
und der verzerrten Gesichter der Juden mit
den gleichen Darstellungen des Kreuzganges,
während der Schmerz der Gottesmutter da-
gegen ruhig und mäßiger aufgefaßt ist. Wir
haben es mit einem Fragment eines größeren
Werkes zu tun, da ein Passionszyklus niemals
mit der Geißelung beginnen kann, wie es auch
klar ist, daß das Kunstwerk nicht ursprünglich
dazu dienen konnte, die kahle Rückwand der
Kapelle zu zieren. Mit Rücksicht darauf, daß
die Schloßkapelle 1 50S eingeweiht wurde, mit-
hin mit dem Kreuzwege zeitlich zusammen-
fällt, wird das Werk der oberdeutschen Schule
des beginnenden [6. Jahrhunderts zuzuweisen
sein. Um den Zweck dieses Bildertuches zu
erklären, wollen wir Umschau nach ähnlichen
Objekten im kunstreichen Tirol halten Die
Ausbeute wird eine außerordentlich g<
sein.
Leider infolge der Kriegsereignisse noch in
einer Kiste verwahrt, findet sich ein ähnliches
Bildertuch im Museum der Handels- und Ge-
werbekammer in Innsbruck; ebenfalls mit
Wasserfarben auf Leinwand gemalt und durch
einfache Linien getrennt, werden Bilder der
heiligen Geschichte, chronologisch in unter-
einander fortlaufenden Reihen angeordnet, vor-
DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG
lOSEPH MARIA «ECKERT
geführt. Trotz der großen Anzahl (34 Bilder)
fehlt nicht nur die typologische Gegenüber-
stellung, sondern überhaupt alle Darstellungen
vom Brudermorde Kains angefangen bis zur
Verkündigung; das Neue Testament beginnt
mit der Geburt Christi und behandelt sodann
nur die Passion und die Verherrlichung. Eine
besondere Vorliebe zu architektonischen An-
sichten zeigt sich in der Zinnenmauer des
Paradieses und der Stadt Bethlehem bei der
Geburt Christi, sowie im getäfelten Zimmer,
in welchem die Verkündigung stattfindet. Merk-
würdig erscheint der Erzengel ohne Flügel in
priesterlichem Gewände. Das Tuch ist spät-
gotisch und soll aus Steiermark stammen.
Ein weiteres Bildertuch ähnlicher Art wurde
von dem Antiquitätenhändler Rohracher in
Lienz erstanden. Dasselbe stammt ebenfalls
aus Steiermark — war somit eine Zeitlang in
Tirol. Es dürfte sich gegenwärtig im Volks-
kundemuseum in Wien befinden, dessen Di-
rektor, Professor Haberlandt, es kurz vor Kriegs-
ausbruch gekauft hat.
Ferner dürfte ein solches Tuch als Vorlage
zu einer Wandmalerei
gedient haben, welche
inderGemeindeOber-
au der Wildschönau
bei Kundl das Haus
Nr. 69 des Weilers
Haus schmückt. In
35 kleinen, in mehre-
ren Reihen überein-
ander angeordneten
Feldern wird das Le-
ben Jesu ohne Bezie-
hung auf das Alte Te-
stament in sehr pri-
mitiv in Rot und Braun
gezeichneten Bildern
behandelt.
Wasbezweckennun
diese eigenartigen Bil-
dertücher? Es sind Fa-
sten- oder Hungertü-
cher. Unter den Fa-
stentüchern (velum
quadragesimale) ver-
stehen wir Vorhänge,
welche in früheren
Zeiten allgemeinin der
Fastenzeit zwischen
dem Hochaltare und
demChore aufgehängt
wurden. In den fol-
genden Zeilen wollen
wir die Entstehung
dieser Einrichtung, die
symbolische Bedeutung, wie sie uns in der
mittelalterlichen Literatur entgegentritt, be-
trachten, dann der Kirchenzeit, welche ihre
Anwendung bedingt und der Art ihres Ge-
brauches nachgehen, ihren allmählichen Ver-
fall und den heute noch stattfindenden Gebrauch
derselben zeigen, endlich die Fastentücher
selbst, soweit sie uns überliefert sind, be-
schreiben.
Betrachtet man genau die herrlichen Säulen-
hallen der alten römischen Basiliken etwa
S. Maria Maggiore, so findet man in jeder
Säule in ungefähr 3 m Höhe über dem Boden
eine Öffnung. Im 7. bis 9. Jahrhundert, in
welchen diese Kirchen einen fast märchen-
haften Reichtum an herrlichen Teppichen be-
saßen, dienten diese Löcher zum Einlassen
der Haken, an welchen jene Teppiche belestigt
waren, welche Mittel- und Seitenschiffe trenn-
ten. Durch diese Vorhänge wurde den Laien,
welche sich nur im Seitenschiffe aufhalten
durften, der Ausblick auf das Allerheiligste
entzogen, während ein weiterer, am Triumph-
bogen befestigter Vorhang denselben Zweck
CHRISTGESCHENK
'93
iq ig — Text S. i$4
[OSl PH MARI \ Bl
IS ls i l |\ Uns I NTSPI I
194
DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG
JOSEPH MARIA BECKERT
ST. AUGUSTIN SCHREIBT DIE BEKENNTNISSE
igig — Text S. iSq
hinsichtlich der im Mittelschiffe versammelten
Sänger erfüllte; weitere Teppiche trennten
die Confessio (den Altar und die darunter
liegenden Martyrersarkophage) von den im
Chore versammelten Geistlichen. Der Opfer-
priester glich tatsächlich dem Hohenpriester
im Alten Bunde, welcher allein in das Aller-
heiligste trat. Man dürfte nicht fehlgehen,
den ausgedehnten Gebrauch der Teppiche im
Gotteshause nicht nur mit der damaligen Prunk-
liebe in Stoffen, sondern auch mit der Ge-
pflogenheit des Alten Bundes in Zusammen-
hang zu bringen. Alle diese Vorhänge waren
durch Stricke verschiebbar und wurden, soweit
das Verständnis der Opferhandlung es not-
wendig erscheinen ließ, jedenfalls aber während
der Verlesung der Epistel und des Evangeliums,
dann während der Opferung und Kommunion
zurückgezogen. Von allen diesen Vorhängen
hat sich in spätere Zeit nur einer, nämlich
der am Triumphbogen befestigte, welcher den
Chor vom Schiffe trennte, erhalten.
Aus den apostolischen Zeiten war nämlich
das Institut der öffentlichen
Buße, wenn auch nicht in der
Form der vier Klassen, in der
abendländischen Kirche erhal-
ten geblieben. Noch im 9. Jahr-
hundert waren die Büßer von
der heiligen Handlung ausge-
schlossen und mußten vor Be-
ginn derselben die Kirche ver-
lassen. Erst durch die Mög-
lichkeit der Umwandlung der
öffentlichen Buße in ein an-
deres, leichter zu verrichtendes
Werk, zu welcher das fränki-
sche Wehrgeldsystem wesent-
lich beitrug, verschwand die
öffentliche Bußdisziplin gänz-
lich. Wie nun in der alten
Disziplin die Pönitenten viel-
fach zu Beginn der Fastenzeit
aus der Kirche feierlich ver-
stoßen wurden, so bekannte
sich auch dasübrige Volk durch
den Empfang der Asche als
Büßer. Dasselbe konnte aber
nicht aus der Kirche ausgewie-
sen werden, doch wurde ihm
der Anblick des Allerheiligsten
entzogen, wodurch es sich
wenigstens figürlicherweise als
aus der Kirche ausgestoßen
betrachtete. Aus der Zeit die-
ser Umänderung hat sich nun
die erste Nachricht über ein
Hungertuch, das velum Opti-
mum des Hartmodus von St. Gallen, erhalten.
Es ist somit das Hungertuch zunächst das
Sinnbild der Trauer und Buße, welcher sich
der Sünder zu unterwerfen hat, um zur Maje-
stät Gottes, die er durch seine Missetat be-
leidigt hat, wieder aufblicken zu dürfen. Als
Sinnbild unserer Unwürdigkeit, die überirdi-
schen Geheimnisse zu schauen, erklärt der
Verfasser der gemma animae, Honorius von
Autun, welcher zur Zeit des Wormser Kon-
kordates in Süddeutschland tätig war, alle
Tücher, welche das Ciborium verhüllten,
während Durandus (gestorben 1296 als Statt-
halter der Romagna) diese Deutung nur für
das eigentliche Fastentuch gibt. Derselbe
Schriftsteller erblickt aber in diesem Schleier
sehr sinnreich auch das Bild der Verdemüti-
gung Christi, welche den Juden ein Ärgernis,
den Heiden eine Torheit schien, und welche
plötzlich vor dem Glänze der Auferstehung
verschwinden sollte. Bekanntlich hat die Ver-
hängung der Altarbilder und Kruzifixe auch
in der heutigen Liturgie dieselbe Bedeutung.
»95
[OS] l'll MARIA BECKERT
DNACm
196
DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG
Wir rinden bei Durandus aber noch eine
weitere Erklärung in der Analogie zum
prächtigen Vorhang des Tempels zu Jeru-
salem, welcher beim Opfertode Christi zer-
rissen ist.
Seit ihrem nachweisbaren Gebrauche werden
die Hungertücher zu Beginn der Fastenzeit
aufgehängt, welche das Konzil von Benevent
auf den Mittwoch nach Quadragesima (Ascher-
mittwoch) festsetzt, ein Zeitpunkt, welcher
auch in den Schriften Gerberts von St. Blasien
erwähnt wird. In Westfalen hat sich jedoch
gegenwärtig der Brauch eingebürgert, nach
der Komplet des ersten Fastensonntages den
Chor mit dem Tuche zu verhüllen. Ebenso
wird in manchen Pfarreien Westfalens diese
Hülle jedenfalls, um die Zeremonie nicht zu
behindern, schon am Mittwoch in der Kar-
woche entfernt, während alle Quellen von
Durandus bis zu den Constitutiones Hirsau-
genenses dieselbe erst am Karfreitag entfernen
lassen. An die letzterwähnte Erklärung des
Durandus knüpft der in England in früheren
Zeiten und jetzt zu Coesfeld (Diöz. Münster)
bestehende Usus, die Scheidewand bei den
Worten »et velum templi scissum est« fallen
zu lassen. Durch das hierbei absichtlich ver-
ursachte Geräusch soll zu Coesfeld außerdem
das Erdbeben nachgebildet werden. Nachdem
nun die Symbolik des Ausgeschlossenseins
aus der Kirche gegen die anderen Deutungen
zurückgetreten war, wurde den Gläubigen
der Anblick der heiligen Messe dadurch er-
möglicht, daß man das Tuch während der
heiligen Messe — nach dem Zeugnisse der
Constitutiones Hirsaugenenses — zurückzog,
oder wie im Dome zu Gurk die Messe nur
an den unverhüllten Seitenaltären liest. Seit
dem 17. Jahrhundert wurde in Westfalen dieser
Zweck dadurch erreicht, daß man den Schleier
selbst durchsichtig herstellte.
Als der in der Architektur von selbst ge-
gebene Platz zum Anbringen des Hunger-
tuches erscheint der Triumphbogen. Der im
oberen Drittel desselben angebrachte Balken
eignete sich in den romanischen Bauten be-
sonders hierfür. Er trug als das Siegeszeichen
die große Kieuzigungsgruppe, welche gleich-
zeitig verdeckt werden konnte. In alten Kirchen-
anlagen stand allerdings dieses Siegeszeichen
auf hohem Sockel in der Mitte des Kirchen-
schiffes, dann wurde auch das Fastentuch, wie
von jenem Hartmods von St. Gallen berichtet
wird, vor dem Kreuze in der Mitte des Schiffes
ausgespannt. Auch am Lettner, zu welchem
sich die Chorschranken besonders in England
ausbildeten, fand das Hungertuch einen ge-
eigneten Halt. Wo in der Architektur dieser
Halt fehlte, behalf man sich mit einer dünnen
Stange, welche mit Stricken freischwebend
befestigt wurde.
Neben dem Abschlüsse des ganzen Chores
durch das Hungertuch, wurde aber auch alles,
was zum Schmucke der Altäre diente, schon
von alters her zur Fastenzeit verhängt. Dies
bezeugt schon der Zeitgenosse des Honorius,
Beleth in seinem »rationale divinarum ofricio-
rum«, welchen Brauch Durandus ganz beson-
ders als Symbol der Verhüllung der Gottheit
Christi während seines Leidens erklärt. Diese
beiden Bräuche führten schon frühzeitig zu
einer Verschmelzung. Denn anders ist es nicht
zu erklären, wenn das Konzil von Exeter 1287
für jeden Altar ein eigenes Fastentuch vor-
schreibt. So wird heute noch in Pinzon (Diö-
zese Trient) jedes Altarbild mit einem, Passions-
darstellungen enthaltenden Tuche überdeckt,
während zu Milstadt in Kärnten das Fasten-
tuch zur Verdeckung des Hochaltarbildes allein
verwendet wurde.
Anderseits erhielten sich beide Bräuche auch
lange nebeneinander. So bezeugt der Abt
Martene 1654 für Frankreich, daß neben dem
Fastentuche die Bilderverhüllung (und zwar
die letztere über die kirchliche Vorschrift
hinaus, schon am Passionssonntage ange-
fangen, wie gegenwärtig in Tirol) geübt
wird.
Nur Reste der früher allgemeinen Sitte der
Hungertücher haben sich bis in die heutigen
Tage erhalten; sie werden noch gebraucht
in vielen Pfarreien Westfalens, dann wenig-
stens vor einigen Jahren noch im Dome zu
Freiburg im Breisgau, sodann in einigen Ort-
schaften Kärntens. Außerhalb der deutschen
Lande scheint sich der Brauch nur in Notre-
Dame in Paris erhalten zu haben.
Ihrer Bestimmung gemäß, die ganze Breite
des Chores abzuschließen, waren die Hunger-
tücher oft Werke bedeutenden Umfanges,
mißt ja das velum des Freiburger Münsters
10 m Länge, das Gurker bildet ein Quadrat
von 9 m; diesen an Größe wenig nach
stehen die Tücher von Zittau und Telgte in
Westfalen. Die älteren Fastentücher waren
undurchsichtige Gewebe aus Leinwand oder
Seide, nicht selten — ebenso wie der Tempel-
vorhang in Jerusalem reich verziert war —
künstlich gewirkt und mit Bildnissen in Tam-
burettstich versehen. Erst gegen Ende der
romanischen Periode wurde die Stickerei durch
den Pinsel verdrängt, während die in der
Neuzeit entstandenen westfälischen, — wie
schon erwähnt — auf Filetuntergrund ge-
stickt sind.
(Schluß folgO
AUS DEM MUNDE DER KINDER UND SÄUGLINGE HAST DU DIR LOB BEREITET
Ps. 8, 13.
ÜBER KIRCHENERWEITERUN (il.X
(Hierzu die Abbildungen S. 198 — 227)
Die Behebung des Platzmangels, der gewöhn-
lichen Ursache der baulichen Umgestal-
tung unserer Kirchen, kann in den meisten
Fällen durch eine Erweiterung im Kirchen-
inneren oder -äußeren behoben werden. Die
Erweiterung wird zum Zwange, wenn wirt-
schaftliche, künstlerische oder städtebauliche
Gründe die Beibehaltung der alten Kirche oder
von Teilen derselben verlangen.
In den besten Zeiten christlicher Kunstbe-
tätigung eine selbstverständliche Lösung, wenn
auch seltener mit vollständiger Beibehaltung
des alten künstlerischen Ausbaues, wird sie
in den Zeiten des Verfalles im 19. Jahrhun-
dert eine Seltenheit, um erst neuerdings wieder
in den Vordergrund spekulativer Bautätigkeit
zu treten; nicht zum mindesten hilft jetzt aber
auch der Zwang der Denkmalpflegefürsorge
mit und die Not der Zeit.
Die Fragen, die auf diesem Gebiete der be-
tätigenden Kunstgeschichte zu iösen sind, sind
so mannigfaltig, so schwierig und so ganz los-
geschält von jeglichem Schema und stehen
noch so stark im Widerstreit der Meinungen,
daß nur eine ständig auf gleichem Gebiete
arbeitende, das ganze reiche Arbeitsfeld über-
schauende Zentralstelle als die berufene Be-
hörde erscheint, deren Wirken um so ersprieß-
licher sein wird, wenn künstlerisch sich be-
tätigende Beamte mit den Aufgaben betraut
werden und wenn ihr am Amtssitze anerkannte
Künstler beratend zur Seite stehen können.
Die Schwierigkeiten, die sich schon bei dem
Ausgleich der kunstgeschichtlichen Bewertung
und der Raumforderung der umzubauenden
Kirche ergeben, häufen sich bei der Bauplanung.
Wohl kaum eine andere Baufrage kann den
künstlerisch selbständig schaffenden Architek-
ten so vollständig fesseln, wie gerade die
Frage der Erweiterung und oft scheint eine
brauchbare Lösung der Verbindung des Alten
mit dem Neuen schier eine Unmöglichkeit.
Gar nicht selten kann man daher Beispiele
finden, bei denen vom alten Baue nur Teile.
z. B. der Ghor oder der Turm erhalten blieben
und der Neubau völlig selbständig entfernt
von der alten Kirche errichtet wurde oder
nur in ganz loser Verbindung mit den erhal-
tenen Teilen steht. Derartige Ausfuhrungen
können nicht als Lösungen bezeichnet werden
und vom Standpunkte der Denkmalpflege aus
betrachtet sind sie zu bekämpfen:
»Man rette wenigstens den Zusammenhang
mit der Vergangenheit, soweit dies nur immer
möglich ist; denn das Alte ist rasch zerstört,
es dauert aber Jahrhunderte, ehe Altes wieder
entsteht. Und der Ort ist elend arm, der die
Merkmale der eigenen Geschichte vernichtete !<
Dieser Meinung Cornelius Gurlitts kann
man nur beipflichten, denn Tatsachen be-
weisen. Die Unterhaltung derartig getrennt
stehender Bauteile wird bald seitens der un-
terhaltungspflichtigen Gemeinde als Last emp-
funden, zumal wenn der Bauteil nach An-
schauung der Gemeinde »ungenutzt bleibt.
Von der rein künstlerischen Seite aus be-
trachtet, sollte dem Architekten die Einbe-
ziehung eines alten künstlerisch bedeutsamen
Bauteiles nur erwünscht sein und in edlem
Wetteifer kann er versuchen , seine Kunst
zur gleichwertigen Höhe der alten Kunst
zu erheben.
Der Gemeinde aber sollte die Erhaltung der
alten Kirche schon aus Gründen der Pietät
erstrebenswert sein.
Der Architekt muß der Gemeinde eindring-
lichst die Vorteile einer Erweiterung klarzu-
machen suchen:
1. Stellt jede Erweiterung rein sachlich be-
trachtet durch die Beibehaltung noch be-
nutzbarer Teile der alten Kirche eine ganz
wesentliche Einsparung der Baukosten dar.
2. Wird durch die Verringerung der Bau-
kosten die Baufrage wesentlii
3. Besteht meist die Möglichkeit, in dem er-
halten bleibenden Teile der Kirche den
Gottesdienst zu leiern.
4. Wird die Bauzeit durch den geringeren
Aufwand an Mauerwerk gekürzt.
5. Erhält die Kirche in der Innen- und
Außenwirkung ein besonders malerisches
und kimstierisches Gepräge durch den
Zusammenschluß von Altem und Neuem.
(.. Werden die durch die kirchliche Weihe
geheiligten Bauteile und Einzelheiten der
Kirche ihrem Zwecke erhalten und keiner
Entwürdigung (z. B. durch Verkauf an
den Kunsthandel u. a.) ausgesetzt.
Die chrivllKhc KnnM. XVI 10, II. f.. Juli l»l"
198
K II
i99
ÜBER KIRCHENERWEITERUNGEN
NEUMÜNSTER ZU WÜRZBÜRG. ARCHITEKT JOS. GREIS1NG. — ERWEITERUNG DURCH ZENTRAL-
BAU IN DER ACHSENVERLÄNGERUNG. VGL. GRUNDRISS UND LÄNGENSCHNITT S. 199 UND 198
Immer wieder macht man bei Bauten aut
dem Lande besonders die Wahrnehmung, daß
die Gemeinde eine neue Kirche haben will,
selbst unter dem Opfer der Erhaltungspflicht
der alten Kirche.
Diesem Wunsche der Gemeinde kann der
sich seiner Verantwortung bewußte Architekt
nur in den seltensten Fällen beipflichten, wenn
z. B. die alte Kirche mit der nächsten Um-
gebung ein in sich abgeschlossenes Natur-
oder Kunstdenkmal darstellt, das durch die
geplante Erweiterung vernichtet würde.
ÜBER KIRCHENERWEITERUNGEN
Dem weiteren Einwände, daß durch den
Abbruch der alten Kirche Baumaterial ge-
wonnen werden könnte, ist durch die Er-
fahrungstatsache zu begegnen, daß meist kaum
die Abbruchkosten gedeckt werden durch den
Erlös aus den anfallenden, etwa noch brauch-
baren Baustoffen, da gerade durch den Ab-
bruch viel zerstört wird, oder in der vorhan-
denen Form für den Neubau erst durch Um-
arbeiten verwendbar wird; außerdem handelt
es sich meist nur um geringwertige Mauer-
stoffe, Steine, Ziegel, denen gegenüber der
Wert des zerstörten Bauteiles doch ganz an-
ders zu betrachten ist.
Auch wird öfters noch auf die Platzfreiheit
hingewiesen, die der neuen Kirche nach Ab-
bruch der alten Kirche gegeben wer-
den könnte. Ein veraltetes Schlag-
wort, das immer noch vorgebracht
wird unter Hinweis auf leider so
viele städtische Vorbilder.
Des öfteren begegnet der Archi-
tekt auch noch ab und zu der Forde-
rung nach Einhaltung eines bestimm-
ten Stiles, meist gotisch und roma-
nisch. Das Herabwürdigende einer
derartigen Forderung kann dem Bau-
herrn nicht verübelt werden, es ist
noch ein Zeichen aus einer hoffent-
lich bald überlebten Zeit, in der die
Künstler nur im Nachahmen alter
Meister ihr Heil zu finden glaubten.
Die Stilfrage des Erweite-
rungsbaues soll und muß
dem Baukünstler allein über-
lassen werden.
Sklavische Nachahmung alter Stile
zeigt stets mangelndes künstlerisches
Empfinden und mangelnde Selb-
ständigkeit, zugleich aber auch die
Unfähigkeit, auf der Basis der er-
lernten alten Formen neue Ge-
danken zu entwickeln.
Der Sakralbau zeigt in seiner ge-
schichtlichen Entwicklung ganz be-
sonders eindrucksvoll den künst-
lerischen Fortschritt, unterscheidbar
fast nach jedem Dezennium bis in
das 19. Jahrhundert hinein. Dieser
Reichhaltigkeit künstlerischer Aus-
drucksmittel stand man oft recht rat-
los gegenüber und manch vergnüg-
licher Streit erhob sich über die
Frage, welcher von den Stilen soll
jetzt für die geplante Erweiterung
genommen werden?
An die gute alte Überlieferung
aber sollte auch die Architektur der
jetzigen Erweiterungsbauten anschließen, in
selbständiger Anpassung an das Alte sollte
auch sie klar den künstlerischen Ausdruck
unserer Zeit darstellen.
Die Gestaltung von Grund- und Aufriß ist
stark abhängig von den örtlichen Verhältnissen,
PFARRKIKCIIi: ST. PETEH
k ALTEN KIRCHE MM
ÜBER KIRCHENERWEITERUNGEN
PFARRKIRCHE ST. PETER ZU WURZBURG. ARCHITEKT |OSEPH GREISING. ERWEITERUNG DURCH ÜBER-
BAUEN DER ALTEN KIRCHE MIT BEIBEHALTUNG DER TURME (ÄLTESTER TEIL) UND DES CHORES.
VGL. GRUNDRISS S. 201 UND INNENANSICHT S. 20;
von einem Normalschema, wie es sich z.B. Jeder Erweiterungsbau wird im
bei den Kirchenbauten Ende des verflossenen Grund- und Aufriß sich anders ge-
Jahrhunderts entwickeln konnte, kann nicht stalten, jeder Bau braucht seine
die Rede sein. eigene Behandlung.
ÜBER KIRCHENERWEITERUNGEN
Aufgabe des Bauherrn und des Architekten
muß es bleiben, auch ein ausführbares
Bauprogramm aufzustellen und unter Beibe-
den verfügbaren Mitteln, den geänderten An-
schauungen über die Einteilung und Vertei
lung der Plätze und den Anforderungen neu-
PFARRK1RCHE M PETER Zu WÜRZBÜRG. CHOR M I.
HT s. ii j.
i
haltung der erhaltenswerten Teile eine ge-
schlossene Baugruppe von guter Innen- und
Außenwirkung zu schaffen.
Bei Vergleich der Erweiterungsbauten trübe-
rer Jahrhunderte mit den neuzeitlichen Er-
weiterungen linden wir manche Gegensätz-
lichkeit, die aus dem Zwecke der Erweiterung,
zeitlicher Denkmalpflege sich hauptsächlich
ergibt.
Die Umwandlung einer einlachen Pfarr-
kirche in eine Bischofskirchc. die
rung einer Klosterkirche, einer Wallfahrts-
kirche oder der Grabeskirche des Diözesan-
heiligen bedingte andere Verhältnisse, als die
204
ÜBER KIRCHENERWEITERUNGEN
Erweiterung einer einfachen Pfarrkirche. Oft
handelte es sich auch lediglich um eine Art
Konkurrenz Vergrößerung.
Im Gegensatze zu den mittelalterlichen
Bauten, an denen die Geschlechter langsam
bauten, müssen unsere Bauten rasch und
vollständig benutzbar errichtet werden.
In den allerseltensten Fällen gelingt es auch,
die Mittel aufzubringen, die eine Bauweise
im Sinne mittelalterlicher Technik gestatten.
Mit dem Endzwecke gleich guter Haltbarkeit
und Dauerhaftigkeit der gewählten Baustoffe
muß der Architekt nach neuen Ausdrucks-
mitteln suchen, die ihm in Beton und Eisen
und den Ergebnissen der Statik ja reichlich
zur Verfügung stehen, er muß darnach streben,
alle unnötigen Bauteile und unnötigen Räume
zu vermeiden und mit einem Geringstauf-
wande an Baustoffen den statischen und räum-
lichen Anforderungen gerecht zu werden.
Wesentlich erleichtert wird ihm diese Auf-
gabe durch die neuzeitlichen Forderungen:
i. Des freien Blickes von allen
Plätzen auf Altar und Kanzel.
2. Der guten Tagesbeleuchtung
aller Plätze.
3 Der Verminderung des Chor-
raumes auf das unerläßlich nö-
tige Mindestmaß.
Forderungen, die geradezu zur Schaffung eines
einheitlichen säulenlosen Raumes
zwingen und die in ihrer strengen Durch-
führung geeignet sind, den Typ eines Grund-
risses unserer Zeit zu schaffen, wie ihn die
Predigtkirche des Mittelalters, die wohl gleiche
Ziele erstrebte, nicht erreichen konnte. Ihr
fehlten die neuzeitlichen Ausdrucksmittel zur
Überspannung großer Räume.
Dem hiedurch bedingten Mindestaufwand an
Baustoffen entspricht aber auch eine Baukosten-
minderung, im Gegensatze zu den in neuerer
Zeit nicht mehr beliebten »Steinkirchen«.
Die Einheitlichkeit der Raumbildung erleich-
tert die geschlossene Anordnung und Über-
sichtlichkeit der Plätze.
Bei weiterem Vergleiche der alten Erwei-
terungsbauten finden wir den belebenden er-
frischenden Hauch urwüchsiger Selbständig-
keit, die sogar da, wo die frühere Kunst er-
heblich geschädigt wurde, kaum ein Bedauern
aufkommen läßt. Ja kaum denkt man an das,
was früher die Räume schmückte, atmet doch
alles so recht die selbstbewußte künstlerische
Meisterhaftigkeit in der Ausführung und Dar-
stellung. Nichts Gequältes, nichtsGekünsteltes,
wie ein offenes Buch liegt die ganze Bauge-
schichte der Kirche vor uns, gleichsam von
Geschlecht zu Geschlecht ein steinerner Zeuge
der Geschichte unserer Vorfahren.
An diese ruhmvolle Vergangenheit muß und
wird unsere Kunst wieder anschließen.
KÄPPELE AUF DEM NIKOLAUS-
BERG IN WÜRZBURG. ARCHI-
TEKT BALTHASAR NEUMANN.
ERWEITERUNG DURCH NEU-
BAU SENKRECHT ZUR ALTEN
KIRCHE. — VGL. AUSSENAN-
SICHT S. 20t. — Text S.
ÜBER KIRCHENERWEITERUNGEN
205
KAPPELE AUF DEM NIKOLAUSBERG IN 'AI RZBURG IRCH
RUNG DURCH NEUBAU SENKRECHT ZUR ALTEN KIRCHE.
IEKT BALTHASAR NEUMANN, ERWEITE.
VGL. GRUNÜRISS S. 204 — Text S. 106
Eine außerordentlich hohe Stufe der Erwei-
terungstechnik zeigen die Bauten des i S.Jahr-
hunderts. So rinden sich im schönen Franken-
lande gute Beispiele, allein schon in der alten
Bischofstadt Würzburg, die unter der geseg-
neten Regierung stets baulustiger Fürstbischöfe
errichtet wurden von den besten Architekten
der damaligen Zeit überhaupt. Durch die Auf-
nahmen des Landesamtes iür Denkmalpflege
in Bavern, Bd. XII, »Stadt Würzburg«, bear-
beitet von Konservator Prof. Dr. Felix Mader,
wurden diese Bauten der breiteren Öffentlich-
keit wieder bekannter gemacht.
Diese Erweiterungsbauten sind so mannig-
faltig, daß wir fast alle Erweiterungsmög-
lichkeiten an ihnen studieren können.
Das beste Beispiel, auch in städtebaulicher
Hinsicht, gibt wohl das Neumünster — die
Grabeskirche des Frankenapostels S. Kilian.
Um 1056 ließ Bischof Adalbero das baufällige
S.Kilianskirchlein durch die Basilika und Chor
zu Ehren Mariens und aller Heiligen«, die er
ganz neu erbaut, ersetzen und >henkte< sie
durch Mauerwerk an S. Johannis Chor an.
Es dürfte das wohl die erste und älteste Er-
weiterung im Frankeiilande sein.
Nach wiederholten Um- und Erweiterungs-
bauten kam die große Erweiterung des i S.Jahr-
hunderts. Der Architekt Jos. Greising erhielt
durch Fürstbischof Joh. Phil. Franz von Schön
born, 1719 — 24, »den Auftrag, dem altfränki-
schen Aussehen« der Kirche neuen Glanz zu
geben (Abb. S. 198 — 200). In der Hauptsache
wurde ein würdiger Autbau über dem Grabe
des Frankenapostels geschaffen, den der Archi-
tekt durch einen Zentralbau in der Achsen-
verlängerung der alten Kirche nach Westen
meisterhaft loste Den Anschluß an die Nach-
bargebäude erreichte der Architekt durch eine
prächtige Giebelfassade von erhabener Wir-
kung. Ende des iS. Jahrhunderts wurde zu
beiden Seiten dieses Münsters eine si idtebau
liehe Erweiterung vorgenommen. Durch Ab-
bruch des alten Landgerichtsgebäudes rechts
Die christliche Ku
206
ÜBER KIRCHENERWEITERUNGEN
PFARRKIRCHE ST BURKARD ZU WÜRZBÜRG QUERSCHNITT DURCH DEN ALTEN' ROMANISCHES.' TEIL UND
BLICK AUF DEN ANBAU. VGL. GRUNDRISS S. 207 UND AUSSENANSICHT DES ANBAUES. — Text S. -208
des Münsters wurden drei hotartig wirkende
Plätze zerstört und eine gähnende Lücke
zwischen Dom und Münster geschaffen, links
des Münsters verschlang ein Warenhausneubau
die alte Baugruppe und schmälerte den Blick
zur Kuppel.
Eine andere Erweiterungsmöglichkeit durch
teilweise Überbauung der alten Kirche
zeigt eine weitere Schöpfung Jos. Greisings in
der Pfankirche S.Peter (1717 — 20). Vom alten
Bau wurden nur beibehalten die beiden ro-
manischen Türme und der gotische Chor (Abb.
S. 201). Bemerkenswert sind die über den Sei-
tenschiffen errichteten Emporen als Beispiel
einer inneren Erweiterung, hier allerdings
in Verbindung mit dem Neubaue (Abb. S.201
bis 203).
Das Käppele, der so beliebte Wallfahrtsort
auf dem Nikolausberge bei Würzburg ist eigent-
lich ein Erweiterungsbau Balthasar Neumanns.
Der Obrist Leutnant und Architekt der fürst-
bischöflichen Residenz stellte den Erweiterungs-
bau, einen Zentralbau, in vollständig selbstän-
diger Entwicklung senkrecht zur Achse der
alten Gnadenkapelle. Die Gnadenkapelle
blieb als Seitenkapelle bestehen (Abb. S. 204
bis 205).
Die Verlängerung in der Längsachse
nach Osten zeigt die frühere Klosterkirche
S. Burkhardus (Abb. S. 207). An die romanische
Basilika des 1 1. Jahrhunderts schloß sich un-
mittelbar an den Chor im 15. Jahrhundert ein
Querschiffbau an mit großem Polvgonchor,
der so hoch geführt wurde, daß unter ihm eine
Straßendurchfahrt angelegt werden konnte.
Dieser Erweiterungsbau wurde wohl anfangs
als selbständige Kirche behandelt, vielleicht
nur für die Laien bestimmt, denn erst im
17. Jahrhundert berichtet eine Baurechnung,
daß »der Bogen zwischen den Türmen dem
2oy
2o8
ÜBER KIRCHENERWEITERUNGEN
TFARRKIRCHE ST. BURKARD IN WURZBURG. GOTISCHER ERWEITERUNGSBAU DER ALTEN KIRCHE.
VGL. GRUNDRISS S. 207 UND QUERSCHNITT S. 20S. — Text S. 2Cö-2oS
Gespreng der Kirche gemäß« gemacht wurde
(Abb. S. 206 bis 208).
Die Franziskanerkirche erhielt unter Fürst-
bischof Julius 1612/13 einen Anbau, dieValen-
tinuskapelle, an der Südseite des Chores un-
mittelbar anschließend, die als eine Erweite-
rung parallel zur Längsachse der Kirche
aufgefaßt werden kann. Über dieser Kapelle
liegt der Valentinussaal. In der Außenansicht
erkennen wir an der Fensterbildung deutlich
den jeweiligen Zweck des Innenraumes und
finden zugleich die Lösung eines ebenso male-
rischen wie einfachen Überganges der Gebäu-
demasse von Kirche und Kloster (Abb. S. 209).
Wie genial selbständig in allen Teilen Bal-
thasar Neumann, glücklicher als sein Sohn bei
der Erweiterung des Mainzer Domes vorging,
zeigt der Anbau der Schönbornschen Gruft-
kapelle an den Dom. »Ein fein abgewogenes,
derSituation glücklich eingegliedertes Baudenk-
mal« beurteilt Felix Mader diesen Bau, der so
ganz im Grund- und Aufriß, im Ausbau, kurz in
allen Teilen abweicht vom alten Baue und doch
welch harmonische, geklärte Bildwirkung.
(Veröffentlicht in Band XII »Stadt Würzburg.)
Die immer schwierige und selten glücklich
durchzutührende Lösung des Anschlusses eines
Zentralbaues an den stehenden, bleiben-
den Turm zeigt uns die alte Pfarrkirche
S. Jakobus in Bad Kissingen, ein saalartiger Bau
des Würzburger Hofkammerrates Joh. Phil.
Geigel aus dem Ende des 18. Jahrhunderts
(Abb. S. 210).
Eine Umkehrung des Chores nach
Westen, wobei der alte Chor Langhaus wurde
mit Beibehaltung des Turmes, wurde in der
Stadtpfarrkirche zu Dettelbach B.-A. Kitzingen
versucht (Abb. S. 21 1 — 215). Im neuen, 1770
bis 1774 errichteten Westchore fallen die goti-
sierenden Strebepfeiler auf, FelixMader schreibt
dies dem Streben nach Symmetrie zu, das sich
auch schon bei der Entwicklung des Grund-
risses im eingezogenen Chorbogenjoche un-
verkennbar äußert.
Der Absicht des Fürtstbischofs Julius, das
spätromanische Langhaus der Pfarrkirche zu
Randersacker durch einen Neubau zu ersetzen,
widersprach die Gemeinde und bat, man möge
die Seitenwände des Langhauses auf »durch-
sichtige Bögen« stellen und überdies erhöhen,
was auch genehmigt wurde. Wir haben hier
das Beispiel einer Erweiterung durch Anbau
zweier Seitenschiffe an das Langhaus
mit Öffnung der Langhauswände durch
Bogenstellungen (Abb S. 214 unten).
In obigen Beispielen sind so ziemlich die
am häufigsten vorkommenden Erweiterungs-
möslichkeiten gegeben.
ÜBER KIRCHENERYVEITERUKGEN
209
ii it
FRAXZISKANERK1RCHE ZU WÜRZBORG. SELBSTÄNDIGER ANBAU PARALLEL ZUR LANGSACHSE.
Text S. 208
Die Erweiterungsbauten der neueren
Zeit beschränken sich meist auf Pfarrkirchen.
Und auch unter diesen sind es zumeist nur
Landkirchen, weniger Stadtkirchen, bei denen
meist durch Schaffung vermehrter Gottesdienste
oder neuer Pfarreien mit neuen Kirchen dem
Platzmangel leichter abzuhelfen ist.
Im folgenden sollen kurz einige Beispiele
— Bauvorhaben und ausgeführte Bauten —
aus neuerer Zeit angeführt werden, lediglich
in Abbildungen (Abb. S. 216 bis 227).
Auch auf diesem Gebiete sakraler Bautätig-
keit wird der Krieg und seine Folgen durch
die Forderung äußersterSparsamkeit seine nach-
haltigen Wirkungen ausüben.
Diese Sparsamkeit sollte aber nicht zu puri-
tanischer Nüchternheit und ungenügender Bau-
weise unserer Kirchen führen.
Mehr wie je wird daher der Architekt als
erster Bauberater des Bauherrn und damit als
der verantwortungsvollste Leiter des Baues
seine ganze Kraft auf eine weise und spar-
same Verteilung der technischen und künst-
lerischen Ausdrucksmittel zu verlegen haben.
Auch mit den einfachsten Mitteln lassen
sich stimmungsvolle Räume schallen, in Jener.
trotz alledem noch Plastik und Malerei zur
Geltung kommen könnten und sollten I in
Verbauen des Architekten, d. b. unn
»Steinaufwand« u.a. am unrechten Platze muli
mehr wie je verhütet werden und eine gl
Bescheidenheit auch zugunsten der schmük-
kenden Künste geziemt sich jetzt und wohl
auf lange Zeit'). Fritz Fuchs«
Die Abbildungen S. 19* mit 21 ; sind mit gül
laubnis des Landesamtes für Denl Inven-
tarisationswerke entnommen.
DIE HUNGERTUCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG
ST. JAKOBUS IN' BAD kissinge;
ZENTRALBAU. VGL.
ERWEITERUNG
MJERSCHNITT S.
JRCH EINEN AN DEN ALTEN TURM ANGEGLIEDERTEN
UND INNENANSICHT S. 212. — Text S. 208
DIE HÜNGERTÜCHER UND IHRE
HISTORISCHE ENTWICKLUNG
Von HERMANN HANDEL-MAZZETTI
(Schluß)
Als das älteste in der Literatur erwähnte
L Hungertuch tritt uns das velum Optimum
des Hartmod von St. Gallen entgegen, welches
von seiner Schwester Richlin kunstvoll ge-
stickt war (9. Jahrh.). Eine ebenso reich gestickte
Arbeit scheint das Fastentuch im Dome
von Canterbury (1214) und das speciosissi-
mum velum von Auxerre gewesen zu sein
(14. Jahrh.). Von besonderem Interesse ist die
Beschreibung von vier solchen Vorhängen,
welche uns der Catalogus Abbatum S. Afrae
et Udalrici in Augsburg um die Mitte des
12. Jahrhunderts überliefert hat. Welche
Fülle von Motiven belehrenden und erbauen-
den Inhaltes kamen zur Darstellung! Das
erste beschreibt das Leben der beiden Schutz-
heiligen Augsburgs und zeigt die vier Spender
des Werkes. Der zweite Teppich enthielt
in 9 Reihen übereinander angeordnet die
9 Chöre der Engel und 9 Personifikationen
von Tugenden nebst ihren hervorragendsten
Vertretern aus dem Alten und Neuen Bunde
z. B. Jungfräulichkeit — Muttergottes, Wahr-
haftigkeit — St. Johann der Täufer, Gehor-
sam — Abraham, Unschuld — Abel. Der
dritte Teppich zeigte, der Armenbibel weit
vorauseilend, Bilder des Neuen Bundes und
Vorbilder einander gegenübergestellt, wäh-
rend das vierte Tuch die leiblichen Werke
der Barmherzigkeit, die 6 Tage der Schöpfung
und die 6 Lebensalter des Menschen vorführte.
Vielleicht ein Rest eines Hungertuches
dürften die mit leichten Farben auf gröberer
Leinwand gemalten Heiligenfiguren aus dem
12. Jahrhundert sein, welche als die mutmaß-
lich älteste Leinwandmalerei der Rheinlande
in der Sakristei der Apostelkirche in Köln
aufbewahrt, vor einigen Jahrzehnten einem
Brande zum Opfer fielen. Zu Münster in
Westfalen ist ein romanisches Hungertuch
nachweisbar, wenigstens erzählt die Chronik,
daß die Feinde des im Jahre 1306 gestorbe-
nen Bischofs Otto von Rietberg Spottverse
auf denselben in das Hungertuch gestickt
hätten. Auf der Ausstellung kunstgewerb-
licher Altertümer in Düsseldorf (1880) war
ein großes Leintuch mit Passionsdarstellungen
von Heiligenfiguren aus dem 14. Jahrhundert
zu sehen, welches aus dem Kloster Alten-
berg stammt und von einer Sophia Hade-
wigis Lucardis verfertigt war. Bei diesem
und zwei ähnlichen Arbeiten im Dome zu
Brandenburg und dem Kloster Lüne ist es
unsicher, ob es sich um Fastentücher oder
auffallend große Altartücher handelt.
DIR HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG 211
1S>
™
wu
1
s
^,-j. w ;■ x s r; ■; ;■; :: :: ,!m; ■ .:■; w :■: m ;>.%
fif
•
ST. |AKOB IS* BAD KISSINGEN'. ERWEITERUNG DURCH ANGLIEDERUNG EINES ZENTRALBAUES ..
ALTEN TURM. VGL. GRINDRISS S. »< UND INNENANSICHT S. ji2. - Text S. io8
Aus der gotischen Kunstperiode ist das be-
kannteste Hungertuch, das monumentale
Werk, welches anläßlich einer Hungersnot
1472 gestiftet und vom Gewürzhändler Gor-
teler der Johanniskirche in Zittau geschenkt,
sich jetzt im dortigen Städtischen Museum
befindet. Es enthält auf grober Leinwand
gemalt 180 Darstellungen des Alten und Neuen
Testamentes in chronologischer Aufeinander-
folge bis zum Weltgerichte, mit Reimen in
deutscher Sprache erläutert. Anfangs der
neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts
wurde ein ähnliches Fastentuch von io' 2 m
Breite im Dome von Freiburg im Breisgau
aufgehängt, welches den ganzen Chor des
Münsters bis zu den Seitenpfeilern abschloß.
Mit diesem Riesentuche dürften die Frag-
mente, welche Hann in einem Aufsatze über
die Kärntner Fastentücher erwähnt, kaum iden-
tisch sein. Aus dem 16. Jahrhundert stammt
auch das Palmtuch von Güglingen in Würt-
temberg, welches 60 Darstellungen aufwies,
jedoch 1849 durch Brand zugrunde ging und
das ebenfalls verschollene zu Gingen.
Wenn wir von den wenigen, in der Ein-
leitung erwähnten tirolischen Funden ab-
sehen, hat in den gesamten Alpenländern
nur Kärnten einen beachtenswerten Schatz
— meist gotischer — Fastentücher.
An Reichtum der Darstellung und Sorg-
falt der Ausführung steht das Hungertuch
im Dome von Gurk an der Spitze. Dadurch,
daß jeder der 10 der Fange nach aneinander
gereihten Streuen desselben 10 Quadrate ent-
hält, ergeben sich ioo Flächen, auf welchen
die biblische Geschichte in der Weise darge-
stellt ist, daß das Alte Testament die linke,
das Neue die rechte Seite einnimmt. Die
Darstellungen lehnen sich teils an dei
ren Freskenzyklus der Vorhalle des Domes,
teils der Armi nbibel an, vielfach waltet aber
auch die freie Phantasie des Künstlers. So
veranschaulicht er die Stelle der Bibel, daß
das Eisen an Goliaths Speer 600 Seckel
dadurch, daß drei Gewichte an den Schalt
angehängt sind oder er läßt im Tempel einen
Schriftgelehrten ein Buch nach dem Jesus-
knaben schleudern. Die Szenen auf der Flucht
nach Ägypten sind dem syrischen Evangelium
der Kindheit Jesu entnommen Für den Zeit-
raum nach Alexander dem Großen bietet die
Heilige Schrift zu wenig Stoff, er führt uns
DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG
daher den Tod Cäsars vor, welchen er aller-
dings als Papst darstellt. Ein sehr genaues
Studium der Schrift beweist die genaue Aus-
einanderhaltung der Büßerin Magdalena und
der Salbung Christi durch Maria (Lukas VII,
36 und Johannes XXII 3), welche zur da-
maligen Zeit immer verwechselt wurden ')■
') In der Regel wird angenommen, daß die Büßerin
Maiia Magdalena mit der Maria der Schwester des Laza-
rus identisch ist. Die Annahme dürfte zutreffen. D. Red.
Christus als Weltenrichter schließt dieses
großartige Lehrgedicht des Meisters Konrad
von Friesach. Kostüme und Architektur, welche
mit besonderer Sorgfalt behandelt sind, wei-
sen in die letzte Periode der Hochgotik; 1457
scheint die mehrjährige Arbeit beendet.
Aus dem Jahre 1481 stammt ein Fasten-
tuch, welches sich in der Kirche von St. Mar-
gareten in der Reichenau befand und dort in
den neunziger Jahren des vorigen Jahrhun-
DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG 213
STADTPFARRKIRCHE ZU DETTE1 HACH. ERWEITERUNGSBAD IM WESTEN. VGL. GRI'N'DRISS S.
OBEN LSD GESAMTANSICHT S. ;iS. - Text S. 20S
derts um den lächerlichen Preis von 10 Gul-
den verkauft wurde. Sein gegenwärtiger Yer-
wahrungsort ist unbekannt.
Ein ähnliches Lehrgedicht enthält das große
Fastentuch von Heimburg aus dem Jahre 1504
in 36 Bildern. Diese sind mit Leimfarbe auf
Leinwand gemalt, später aber übermalt, wo-
durch es zwar noch in frischem Farben-
schmucke prangt, viele Einzelheiten der ur-
sprünglichen Darstellung mißverstanden wur-
den und verloren gegangen sind. Die beiden
Testamente sind untereinander gestellt, die
Stoffe nach einem genauen Plane sorgfältig
ausgewählt. Der Schöpfung folgt der Sun
denfall, dessen Folgen mit ihrem Jammer und
Elend vorgeführt werden. Nach der Sünd-
flut werden nur tröstende Typen gezeigt,
welche mit der Gesetzgebung au! Sinai ab-
schließen, während Jas Neue Testament (ent-
sprechend der Fastenzeit) mit der Erfüllung,
dem Leiden Christi beginnt. Als besonders
merkwürdige und seltene Darstellung finden
Die chnitllcbe Ku
214
DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG
STADTPFARRKIRCHE ZU DETTELBACH IM UNTERFRANKEN. ERWEITERUNG DURCH UMKEHRUNG DES CHORES
NACH WESTEN. ANBAU SCHRAFFIERT. VGL. ABB. S. aij UND 2rS. — Text S. 20S
wir den Tod Kains durch Lamcch, welche
Erzählung aus der jüdischen Tradition in die
byzantinische Kunst übergegangen war.
Fragmente eines anderen Fastentuches fin-
den sich in den Sammlungen des Kärntner
Geschichtsvereines. Es sind noch zehn aus dem
Tuche einzeln herausgeschnittene Blätter, die
Passion bis zur Verurteilung und die Schutz-
heiligen des (unbekannten) Stifters darstellend.
Die Kostüme, insbesondere die Rüstungen
mit den ausgebildeten Krebsen, weisen auf
das Ende des 15. Jahrhunderts. Die Technik
dieser Leimfarbenmalerei ist im ganzen roh
und handwerksmäßig; der Maler will derb
realistisch wirken, aber es fehlt ihm das Ver-
mögen hiezu. Es ist eine ungleich geringere
Arbeit als die vorher beschriebenen Werke.
— Auch die auf Leinwand gemalten Apostel-
bilder von Maria- Wörth scheinen von einem
Hungertuche herzurühren.
Schon in die Renaissancezeit ragen herein
die beiden Vorhänge von Baldramsdori, wel-
PFARRKIRCHE ZU RANDERSACKER. - ERWEITERUNG DURCH ANBAU VON SEITENSCHIFFEN MIT
ÖFFNUNG DER LANGHAUSWÄNDE. — Text S. 20g
DIE HUNGERTUCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG 2.5
STADTPFARRKIKCHE IS DEITELBACH.
RECHTS IÖNGSTE ERWE1TERÜKG VON
AUSSEKANSICHT S. 215. — Text S. 208
VGL. GKINDRISS S. 214 OBEN DKD
eher die Jahreszahl 1555 enthält, und jener
von Mariabichl bei St. Peter im Walde, welche
in 39 bezw. 36 Bildern das Alte und Neue
Testament in chronologischer Reihenfolge
beschreiben. Besonders zu beachten ist, daß
Gottvater bei der Schöpfung in weißem wal-
lendem Barte in Anlehnung an David (7, 9, 13,
22) mit der Tiara auf dem Haupte erscheint,
ein Typus, der erst im ausgehenden Mittel-
alter und den Holzschnitten des 16. Jahr-
hunderts beliebt war.
An monumentaler Größe dem Gurker
Hungertuche steht jenes zu Milstadt wenig
nach, welches auf 42 Bildflächen in Wasser-
farben eine ausführliche, durch Mannigfaltig-
keit der Motive merkwürdige Bibel enthält,
wobei in der Regel auf einer Fläche mehrere
Handlungen zur Darstellung gelangen. Die
Vorliebe des Meisters für tigurenreiche Dar-
stellungen zeigt sich im Durchzuge durch
das Rote Meer, dem Kampf mit Goliath, der
Vorhölle und dem Weltgericht. Gebäude und
Einrichtungen (Maria Verkündigung) zeigen
ganz Renaissance-Charakter und scheint Cra-
nach (in den Tierdarstellungen) und Stimmers
Holzschnitte neben dem vorerwähnten Tuche
zu Baidramsdorf als Vorbild gedient zu haben.
Das Tuch ist gut erhalten in bunt schillern
den Earben, die Ausführung jedoch ohne
Sorgfalt und im ganzen handwerksmäßig.
Oswald Kneusel nennt sich der Maler, wel-
cher es im Jahre 1593 herstellte. Es wurde
noch vor wenigen Jahren zur Bedeckung des
Hochaltarbildes verwendet; wegen der Schwie-
rigkeit des Aufziehens sowie der Vorliebe des
Malers für Nu Jitäten ist dies jetzt außer Übung
gekommen. Mit den Fragmenten des Fasten-
vorhanges zu Grafendorf im Gailtale, wel-
ches erst aus dem 17. Jahrhundert stammt,
schließe ich die Aufzählung der alpenländi-
schen Objekte.
Auch in Kärnten hat die Darstellungsweise
der Hungertücher auf die Freskenmalerei
ihren Einfluß ausgeübt. So zeigt die Außen-
216 DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG
RICHARD BERNDL, ERWEITERUNG DER KIRCHE IN Gl'NZELHOFEN. VGL. GRUNDRISS S. 217 RECHTS
wand der Wallfahrtskirche Maria-Feucht bei
Hohenfeistritz in 32 Darstellungendie Jugend-,
Leidens- und Verherrlichungsgeschichte, wo-
bei aufgemalte Nagelköpfe auf den Tren-
nungsstreifen sogar die Illusion eines Tuches
hervorrufen sollen. Die einzelnen Darstel-
lungen sind jenen des Gurker Tuches auf-
fallend ähnlich.
Weit häufiger finden wir die Fastentücher im
Lande der Roten Erde, besonders in der Diö-
zese Münster im Gebrauche. Wie schon früher
erwähnt, sind alle auf Filetuntergrund gestickt.
Das älteste ist jenes zu Ewerswinkel vom
Jahre 1614; es besteht aus 5 mittels Hohl-
säumen verbundenen Leinwandstreifen, deren
3 mittlere in 5 Feldern Passionsdarstellungen
aufweisen. Gegenüber dem großartigen Bil-
derreichtum älterer Tücher fällt es auf, daß
hier die mit Figuren gezierten Flächen nicht
ein Fünftel des Vorhanges beanspruchen.
Ebenso verzichtet das Hungertuch von
Vreden, welches 1619 von der Äbtissin Agnes
von Ehen angefertigt wurde, auf jede Be-
ziehung zum Alten Testamente. Es zeigt —
in derselben Technik wie alle westfälischen
— in einer großen Gruppe die Kreuzigung
umgeben von 9 Passionsszenen und der Auf-
erstehung. Die Bildflächen sind von breiten
Streifen dichten Leinens begrenzt, in deren
Kreuzungspunkten die 4 Evangelisten und
16 Wappen angebracht sind.
Das größte westfälische Fastentuch, jenes
zuTelgte aus dem Jahre 1623, 7,2 m X 4,2 m,
zeigt, schachbrettartig geordnet, quatratische
Flächen aus dichtem Leinen abwechselnd mit
33 weitmaschigen Flächen, welche in gleicher
Ausführung wie zu Ewerswinkel in figuren-
armen Gruppen die Passion darstellen. Wohl
auf die Verehrung des hl. Rockes zu Trier
ist es zurückzuführen, daß der Verlosung des-
DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG
217
selben ein eigenes Bild gewidmet ist. Die
5. Reihe dagegen enthält nur Wappen, wah-
rend auf der untersten 5 Bilder aus dem
Alten Testament vorgeführt werden, wovon
allerdings den Kundschaftern eine vorbild-
liche Bedeutung nicht zukommt. Aus dem-
selben Jahre stammt ein anderes Tuch, wel-
ches aus einer Privatsammlung in Osnabrück
stammt und aut der Ausstellung westfälischer
Altertümer 1879 zu sehen war.
Ähnlich wie das Hungertuch von Vreden
hebt jenes von Freekenhorst aus dem Jahre
1629 die Kreuzigungsgruppe als Mittelpunkt
hervor, um welchen sich 14 Passionsbilder
vom Abendmahl bis zur Grablegung grup-
pieren, in den Kreuzungspunkten der Tren-
nungsstreifen mit Wappen geziert.
Ein Hungertuch von 1659 mit 5 bildlichen
Darstellungen besitzt die Kirche zu Capelle,
während die kleineren, mit einfachem Kreuze
gezierten zu Roxel und die seit einem Men-
schenalter verschollenen von Appelhülsen und
Nienberge aus schlichter Leinwand bestehen.
Auch der schöne Fastenvorhans: der Lam-
bertikirche in Münster ist spurlos verschwun-
den. — Ein Fastentuch aus blauem Zwirn
mit Passionsdarstellungen wird im dortigen
Diözesanmuseum aufbewahrt. In fast einem
Dutzend anderer Kirchen des Münsterlandes
sind Vorhänge aus dem 19. Jahrhundert in
Gebrauch, welche teils auf ältere Vorbilder
zurückgehen, teils nach Zeichnungen des ver-
storbenen Holkaplanes Zehe in Münster an-
gefertigt wurden.
Auch in außerdeutschen Landen ist der
Gebrauch der Fastentücher vielfach nachge-
wiesen, doch scheinen sich außer jenen zu
Notre-Dame nur zwei solche in Brügge er-
halten zu haben ').
■) Benützte Quell en;
Gütige Mitteilungen des Herrn Museumsvorstandes Dr.
Garber in Innsbruck und des Antiquars Rohracher
in Lienz.
L. Hornbach : Malerischer Hausschmuck in Tiroler
Dörfern. Dekanat Reit: Unediertes Manuskript im
Statthalterei-Archive in Innsbruck.
Wetzer-Welte : Kirchenlexikon«, II Auflage, Band IV:
Heuser, Fasten und Fastentuch.
Laib und Schwarz: Biblia pauperum, Zürich 1867.
Ml HARD BERNDL, .ERWEITERUNG DER KIRCHE IX GÜNZELUOFEM. - ERSTES PROJEKT SIEHE GRUKDR1SS LINKS,
AUSGEFÜHRTES PKO|EKT SIEHE GRUNDRISS RECH IS
DIE HUNGERTÜCHER UND IHRE HISTORISCHE ENTWICKLUNG
\W/" Vi-":'. •:•#»
ERWEITERUNG DER WALLFAHRTSKIRCHE ZU HÖCHBERG IN UFR. DURCH ARCHITEKT RUDOLF HOFMANN IN WÜRZBURG.
ANBAU WEISS. VGL. ABB. S. 219
Kunsttopographie Band Kärnten, Wien 1889.
Zeitschrift Karinthia: 82. Jahrg. 1892.
Dr. F. G. Hann : Die Fastentücher in Kärnten.
Dr. F. G. Hann: Drei Darstellungen der Welt-
SChöpfung auf Malereien Kärntens.
Zeitschrift Karinthia: 83. Jahrg. 1895.
Dr. F. G. Hann : Das Fastentuch in der Kirche zu
Millstatt.
Zeitschrift Karinthia: 84. Jahrg. 1894.
Dr. F. G. Hann : Literaturbericht.
Mitteilungen der Zentralkommission für Kunst und
historische Denkmale, Jahrg. XIX ( 1 893) und XX (1 894):
Schnerich Alfred: Die beiden biblischen Gemälde-
Cyclen des Domes zu Gurk.
Jahrg. XXI (1895), Ilg: Kunsttopographisches aus
Innsbrucks Umgebung.
Bock: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mit-
telalters. Bonn, Henri und Cohen 1856, Cap.il, S. 187.
Otte: Handbuch der kirchl. Kunstarchäologie V. Auf-
lage, Band I, S. 383 ff.
Thalhofer: Handbuch der Liturgik. Freiburg, Herder 191 2.
Zeitschrift für Christi. Kunst Jahrg. VII (1894). L.Schwann,
Düsseldorf. C. A. Savels: Hungertücher. — Stefan
Beißet: Gestickte und gewebte Vorhänge der römi-
schen Kirchen usw.
Sauer: Symbolik des Kirchengebäudes. Freiburg 1902.
Thurston Herbert: Lent and Holy Week. Longmanns
Green and Co., London 1904.
219
AÜSSENANSICHT DER VON ARCHITEKT RUDOLF HOFMANN ERWEITERTES KIRCHE
ZU HÖCHBERG IN CFK. VGL. GRUNDRISS S. 21S
FRIEDRICH IRHR
SCHMIDT :. ERWEITERUNG DIR KIRCH1 IN I WM BEI '■'
TÜRM LND SEIT! NBAU ALT
DIE KIRCHLICHE KUNST IM GESETZBUCH DER KIRCHE
ENTWURF FÜR DEN UMBAU DER KAPELLE ZU STOCKHEIM IN UFR. DER ALTE BESTAND SCHWARZ
DIE KIRCHLICHE KUNST IM
GESETZBUCH DER KIRCHE
Die Profankunst wird im kirchlichen Ge-
setzbuch, dem Codex juris canonici, nicht
erwähnt, da sie nur den allgemeinen Pflichten
unterliegt, wie jegliches andere menschliche
Tun. Auch würde man dort vergeblich nach
einer Vorschrift suchen, die in das eigentliche
Gebiet des Künstlerischen regelnd oder be-
engend eingreift, wenn von kirchlicher Kunst
die Rede ist. Der größere Teil der Canones
(Einzelbestimmungen), welche die kirchliche
Kunst unmittelbar oder nebenbei berühren,
bezieht sich auf Neuschöpfungen, die übrigen
sind Anweisungen zum Schutze des Vorhan-
denen. Im folgenden geben wir die ein-
schlägigen Canones wörtlich wieder, da es
für Geistliche und christliche Künstler teils
notwendig, teils beruhigend ist, sie zu kennen.
Sie lassen sich in vier Gruppen zusammen-
fassen : I, Der Kirchenbau ; IL Altar und kirch-
liche Geräte; III. Verehrung der religiösen
Bilder; IV. Veräußerung kirchlicher Kunst-
gegenstände. In diesen Canones ist öfters
vom Ordinarius bzw. Ordinarius loci die Rede.
Im Kirchenrecht versteht man nach Can. 198.
§ 1 unter dem Ordinarius (sofern nicht jemand
ausdrücklich ausgenommen wird) außer dem
Römischen Papste den Bischof, den Abt oder
Praelatus nullius (d. h. einen Abt, der einem
eigenen, keiner Diözese einverleibten Gebiete
vorsteht), jeder für seinen Sprengel — und
deren Generalvikar, Administrator, aposto-
DIE KIRCHLICHE KUNST IM GESETZBUCH DER KIRCHE
lischen Vikar und Prä-
fekten und auch jene,
die beim Fehlen der
Vorgenannten inzwi-
schen gemäß der Vor-
schrift des Rechtes
oder gemäß gebillig-
ten Bestimmungen in
der Regierung nach-
folgen, für ihre Unter-
gebenen aberdieSupe-
riores majores (Abte,
höchste oder Provin-
zialobern) in den ex-
empten geistlichen Or-
den. Nach § 2 fallen
unter die Bezeichnung
Ordinarius loci oder
locorum alle Vorge-
nannten, mit Aus-
nahme der Ordens-
obern. Demnach
kommt im folgenden
als Ordinarius loci in
der Regel der Diöze-
sanbischofin Betracht.
I. BESTIMMUNGEN
ÜBER DEN
KIRCHENBAU
Can. 1161. Unter
Kirche versteht man
ein heiliges, derGottes-
verehrung hauptsäch-
lich zu dem Zwecke
gewidmetes Gebäude,
um allen Christgläu-
bigen zur öffentlichen
Ausübung der Gottes-
verehrung zu dienen.
Can. 1162. § i.
KeineKirchedarfohne
ausdrückliche schrift-
liche Zustimmung des
Ordinarius loci erbaut
werden, welche jedoch
der General vikar ohne
besonderen Auftrag
nicht erteilen kann.
§ 2. DerOrdinarius
soll die Zustimmung
nicht erteilen, wenn
er nicht verständiger-
weise voraussieht, daß
die nötigen Mittel zur
Erbauung und Erhal-
tung der Kirche, zum
Unterhalt der Diener
totb^c
IlLIALKIKCHi: GERACH.
Rl >,.. pi k< ii FRITZ l i I HSEHBERGER.
STAND ALI DKM GRONDRISS SCHWARZ
Die chri.tliche Kun«. XVI. 10. 11. 1J.
DIE KIRCHLICHE KUNST IM GESETZBUCH DER KIRCHE
und für die anderen Kosten des Kultus nicht
fehlen werden.
§ 3. Damit nicht eine neue Kirche den
übrigen schon bestehenden einen Schaden
zufüge, der durch den größern geistlichen
Nutzen nicht aufgewogen wird, muß der Or-
dinarius, bevor er die Zustimmung gibt, die
beteiligten Vorstände der benachbarten Kir-
chen hören.
Can. 1164. § 1. Die Ordinarii sollen Sorge
tragen, wenn nötig, nach Anhörung des Rates
erfahrener Männer, daß bei Erbauung oder
Wiederinstandsetzung der Kirchen die von
der christlichen Überlieferung aufgenomme-
nen Formen und die Gesetze der heiligen
Kunst eingehalten werden.
§ 2. In der Kirche soll kein Zugang oder
Fenster zu den Häusern von Laien angebracht
werden und wenn Räume unter dem Kirchen-
boden oder über der Kirche vorhanden sind,
KIRCHE IN PAFFRATH. ERWEITERUNG VON ARCHITEKT EDUARD ENDLER IN KÖLN
DER ALTE TEIL SCHWARZ, DER ANBAU SCHRAFFIERT. Vgl. Abb. S. 223 und 224
sollen sie nicht zu rein weltlichen Zwecken
gebraucht werden.
Can. 1165. § 4. Eine Kirche aus Holz oder
Eisen oder anderem Metall kann benediziert,
aber nicht konsekriert werden.
Can. 1262. § 1. Es ist wünschenswert,
daß gemäß der alten Einrichtung die Frauen
in der Kirche von den Männern abgesondert
seien.
Can. 1263. § i. Die Amtspersonen können
entsprechend ihrer Würde und Rangstufe einen
gesonderten Platz in der Kirche haben nach
Maßgabe der liturgischen Gesetze.
§ 2. Ohne ausdrückliche Zustimmung des
Ordinarius loci soll kein Gläubiger in der
Kirche einen ihm und den Seinigen vorbe-
haltenen Platz haben ; der Ordinarius soll
aber die Zustimmung nicht erteilen, wenn für
die Bequemlichkeit der übrigen Gläubigen
nicht hinlänglich gesorgt ist.
Can. 773. Der eigent-
liche Ort für die Spendung
der feierlichen Taufe ist
das Taufbecken in einer
Kirche oder einem öffent-
lichen Oratorium.
Can. 774. § i. Jede
Pfarrkirche muß . . . einen
Taulhrunnen besitzen.
§ 2. Der Ordinarius loci
kann zur Bequemlichkeit
der Gläubigen erlauben
oder befehlen, daß ein
Taufbrunnen auch in
einer andern Kirche oder
einem öffentlichen Ora-
torium innerhalb derGren-
zen der Pfarrei aufgestellt
werde.
Can. 908. Der eigent-
liche Ort für die sakra-
mentale Beicht ist die
Kirche oder ein öffent-
liches oder halböffentliches
Oratorium.
Can. 909. § i. Der
Beichtstuhl zur Abnahme
der Beichten der Frauen
ist immer an einer offenen
und sichtbaren Stätte an-
zubringen und durchweg
in einer Kirche oder einem
für Frauen bestimmten
öffentlichen oder halb-
öffentlichen Oratorium.
§ 2. Der Beichtstuhl soll
mit einem befestigten und
eng durchlöcherten Gitter
DIE KIRCHLICHE KUNST IM GESETZBUCH DER KIRCHE
223
INNERES DER VON EDI/ARD ENDLER IN KÖLN ERWEITERTEN KIRCHE IN PAFFRATH. Vgl.
und Abb. S 114
zwischen dem Beichtenden und dem Beicht-
vater versehen sein.
Can. 1169. § I. Es ist angemessen, daß
jegliche Kirche mit Glocken ausgestattet sei . . .
II. VORSCHRIFTEN ÜBER ALTAR, TABERNAKEL
UNI) KIRCHLICHE GERÄTE
Can. 1197. § 1. Im liturgischen Sinne ver-
steht man:
1 . Unter einem unbeweglichen oder befestig-
ten Altar (nomine altaris immobilis seu fixi)
die obere Tischplatte samt den als einheitlich
dazugehörig mit ihr geweihten Stützen ;
2. unter einem beweglichen oder Tragahar
(nomine altaris mobilis sen portatilis)
einen zumeist kleinen Stein, der allein geweiht
wird und den man auch ara portatilis oder
petra sacra (heiliger Stein) nennt; oder den-
selben Stein mit der Stütze, die jedoch nicht
gemeinsam mit ihm geweiht wurde.
§ 2. In einer konsekrierten Kirche muß
wenigstens ein Altar, in erster Linie der
Hauptaltar, unbeweglich sein; in einer bene-
dizierten Kirche aber können alle Altäre be-
weglich sein.
Can. 1198. § 1. Sowohl die Mensa des
unbeweglichen Altars, als auch die petra sacra
(Tragaltar, vgl. oben) sollen aus einem ein-
zigen, natürlichen, unbeschädigten und nicht
bröckeligen Stein bestehen.
^ 2. Auf dem unbeweglichen Altare muß
die steinerne Platte oder mensa sich über den
ganzen Altar erstrecken und mit dem Unter-
bau geeignet zusammenhängen; der Unterbau
aber sei steinern öderes sollen wenigstens die
Seiten oder Säulchen, durch welche die Tisch-
platte gestützt wird, aus Stein bestehen.
^ 3. Die petra sacra sei so lang und breit,
daß sie wenigstens die Hostie und den größeren
Teil des Kelches aufnehmen kann.
Can. 1268. § 1. Die heiligste Eucharistie
kann beständig oder gewohnheitsgemäß nur
auf einem Altar einer und derselben Kirche
aufbewahrt werden.
S 2. Sie soll am ansehnlichsten und vor-
nehmsten One der Kirche und daher in der
Regel auf dem Hochaltäre aufbewahrt werden,
wenn nicht ein anderer für die Verehrung
des so großen Sakramentes angemessener und
würdiger erscheint . . .
224
DIE KIRCHLICHE KUNST IM GESETZBUCH DER KIRCHE
r'
«^
»i^^^^^^^^l iL ^ ■** h
ALTE KIRCHE IN PAFFRATH. VGL. DIE ERWEITERUNG DURCH EDUARD ENDLER IN KÖLN
S- 22i UND 22;
PROJEKT ZUR VERGRÖSSERUNG DER KATH. PFARRKIRCHE IN OBERBEUTELSBACH IN NIEDERBAYERN VON
MICHAEL KURZ. DIE GESTRICHELTEN TEILE ALT, DIE SCHWARZ GEZEICHNETEN NEU
DIE KIRCHLICHE KUNST IM GESETZBUCH DER KIRCHE
: 6mpxm 6miei/mia}JTr&
.-: -:\ .-. -■ .
,.,
■
-
IEZ
U-f M
IXNEXERWE1TERUNG DER KIRCHE ZU RIENECK IX UFR. DURCH EMrORENAXLAGE, DA AUSSENERWEITERUNG UNMÖGLICH
§ 3. Aber in den Kathedral-, Kollegiat- oder
Konventualkirchen, in denen beim Hochaltar
die Chorgebete zu verrichten sind, ... ist es
angezeigt, die hl. Eucharistie in der Regel nicht
auf dem Hochaltare, sondern in einem andern
Kapellenraum oder Altare aufzubewahren.
§ 4. Die Kirchenvorstände sollen Sorge
tragen, daß der Altar, auf dem das hl. Sakra-
ment aufbewahrt wird, mehr als alle anderen
geschmückt sei, so daß er schon durch seine
Ausstattung die Frömmigkeit und Andacht der
Gläubigen mehr anregt.
Can. 1269. § I. Die heiligste Eucharistie
muß in einem nicht wegnehmbaren, auf der
Mitte des Altares angebrachten Tabernakel
bewahrt werden.
§ 2. DerTabernakel sei kunstreich errichtet,
von allen Seiten fest verschlossen, geziemend
geschmückt nach Maßgabe der liturgischen
Gesetze, enthalte keinen andern Gegenstand
und werde so sorgsam bewacht, daß die Ge-
fahr jeglicher gottesräuberischen Entwürdi-
gung fernbleibt.
Can. 1270. Die konsekrierten Partikeln,
so viele als für die Kommunion der Kranken
und anderen Gläubigen genügen, sollen be-
ständig in einer Pyxis') aus solidem und ge-
ziemendem Stoffe aufbewahrt werden und
diese soll rein und mit ihrem Deckel gut ge-
schlossen sein, bedeckt mit einer weißen, sei-
denen, passend geschmückten Hülle.
Can. 1296. $ 1. Die kirchlichen Einrich-
tungsgegenstände, zumal die nach den litur-
gischen Bestimmungen benediziert oder kon-
sekriert sein müssen und beim öffentlichen
Gottesdienst Verwendung tinden, sind sorg-
sam in der Sakristei der Kirche oder an einem
anderen sichern und geziemenden Orte aul-
zubewahren und nicht zu profanem Gebrauche
zu verwenden.
i; 2. Nach den Bestimmungen desCan. 1522,
§§ 2, 3 ist über die gesamten kirchlichen Ein-
richtungsgegenstände ein Inventar anzulegen
und genau zu führen2).
^ 3. Hinsichtlich des Materials und der
Form der heiligen Einrichtungsgegenstände
sind die liturgischen Vorschriften, die kirch-
■ irium.
•) Can. 1)22, S 2 und 5 handeln von Jer Ar.'
und Führung zweier Inventarc.
226
DIE KIRCHLICHE KUNST IM GESETZBUCH DER KIRCHE
Grun'ctciSS tobt
KIRCHE ZU SALZ BEI NEUSTADT A. S. OBEN ALTER BESTAND, UNTEN DAS ERWEITERUNGSPROJEKT VON OTTO SCHULZ
IN NÜRNBERG. ANBAU SCHWARZ. — Vgl. AH.. S. 227
liehe Überlieferung und auf möglichst gute
Weise auch die Gesetze der heiligen Kunst
zu befolgen.
III. VON DER VEREHRUNG DER RELIGIÖSEN
BILDER')
Can. 1279. § i. Niemandem soll es erlaubt
sein, in Kirchen, auch exempten, oder an an-
deren heiligen Stätten ein ungewohntes Bild
anzubringen oder anbringen zu lassen, wenn
es nicht vom Ordinarius loci gutgeheißen ist.
§ 2. Der Ordinarius aber soll solche hei-
lige Bilder, die bestimmt sind, öffentlich zur
Verehrung durch die Gläubigen ausgestellt zu
*) Vgl. den Aufsatz: »Kirchliche Bestimmungen über
die Bilder im Gotteshausei im XIII. Jg., S 1 — 7.
werden, nicht gutheißen, wenn sie mit dem
bewährten Brauche der Kirche nicht überein-
stimmen.
§ 3. Niemals lasse der Ordinarius in Kir-
chen oder anderen heiligen Orten Darstel-
lungen einer falschen Glaubenslehre zeigen
oder solche, welche nicht die schuldige Schick-
lichkeit und Ehrbarkeit zur Schau tragen eder
Ununterrichteten Anlaß zu einem gefährlichen
Irrtum bieten.
Can. 1280. Wenn kostbare, d. i. durch Al-
ter, Kunstwert oder Kult hervorragende Bild-
werke, die in Kirchen oder öffentlichen Ora-
torien zur Verehrung ausgestellt sind, einmal
der Ausbesserung bedürfen, sollen sie niemals
ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Or-
dinarius restauriert werden; dieser soll, ehe er
DIE KIRCHLICHE KUNST IM GESETZBUCH DER KIRCHE
die Genehmigung erteilt, klugeund
erfahrene Männer zu Rate ziehen.
Can. 1335. i? i. Ohne vorherige
kirchliche Prüfung dürfen auch von
Laien nicht herausgegeben wer-
den: 3. Religiöse Bilder, die in
irgendeiner Weise gedruckt wer-
den sollen, sei es, daß ihnen Ge-
bete beigefügt sind oder nicht.
ij 2. Die Erlaubnis zur Heraus-
gabe von . . . Bildern, von denen
in § 1 die Rede ist, kann entweder
der Ordinarius des Verbreitungs-
ortes oder der Ordinarius des
Druckortes erteilen.
Can. 1399. Ohne weiteres sind
verboten : 1 2. Bilder unseres Herrn
Jesu Christi, der seligen Jungfrau
Maria, der Engel und Heiligen oder
anderer Diener Gottes, die dem
Sinne und den Erlassen der Kirche
unangemessen sind, gleichgültig,
auf welche Weise sie gedruckt sind.
IV. VORSCHRIFTEN
ÜBER VERÄUSZERUNGEN
Can. 1281. § 1. Ansehnliche
Reliquien oder kostbare Bildwerke,
wie auch andere Reliquien oder
Bildwerke, die in einer Kirche
große Verehrung des Volkes ge-
nießen, können nicht gültig ver-
äußert und nicht für dauernd ohne
Erlaubnis des Apostolischen Stuh-
les in eine andere Kirche übergeführt werden.
Can. 1530. § 1. Vorbehaltlich der Vor-
schrift des Can. 1281, § i, (s. vorstehend) ist
zur Veräußerung beweglichen oder unbeweg-
lichen kirchlichen Eigentums, das erhalten
werden kann, erforderlich:
1. Schriftliche Abschätzung des Gegenstan-
des durch rechtschaffene Sachkundige;
2. ein gerechter Grund, d. i. eine dringende
Notwendigkeit oder der offensichtliche Nutzen
der Kirche oder die Pietät;
3. die Erlaubnis des rechtmäßigen Obern,
ohne die eine Veräußerung ungültig ist.
§ 2. Auch andere zweckmäßige Vorsichts-
maßnahmen, die vom Obern selbst je nach
Umständen vorgeschrieben werden, sollen
nicht unbeachtet bleiben, um einen Schaden
der Kirche zu vermeiden.
Can. 1532. ij 1. Der rechtmäßige Obere,
von dem Can. 1530, $ i,n. 3 spricht, ist der
Apostolische Stuhl, wenn es sich handelt:
1. Um kostbare Dinge;
2. um Dinge, welche den Wert von 30000
Lire oder Franken übersteigen.
NEUER TEIL (VON- OTTO SCHULZ IN NÜRNBERG) DER KIRCHE IN SALZ.
Vgl. Grundriß S. 226
§ 2. Wenn es sich jedoch um Dinge han-
delt, welche den Wert von ioooLire oder Fran-
ken nicht übersteigen, ist es der Ordinarius
loci, der zuvor den Verwaltungsrat ;u hören
hat, wenn es nicht geringfügige Sachen sind,
und mit Zustimmung der Interessenten.
§ 3. Wenn es sich endlich um Dinge han-
delt, deren Preis zwischen 1000 Lire und
30000 Lire oder Franken liegt, ist es der Or-
dinarius loci, soferne die Zustimmung vorliegt
sowohl vom Domkapitel und vom Verwal-
tungsrat, als auch von den Interessenten.
Can. 1534. § i. Die Kirche ist berechtigt
zu persönlichem Vorgehen gegen denjenigen,
welcher ohne Einhaltung des pflichtn ä
Geschäftsganges kirchliche Güter veräußert
hat, und gegen dessen Erben; zu einem ding-
lichen aber, wenn die Veräußerung nichtig
war, gegen jeglichen Besitzer, vorbehaltlich
des Rechtes des Käufers gegen den, der den
Verkauf widerrechtlich vornahm
ij 2. Gegen eine ungültige Veräußerung
kirchlichen Eigentums können einschreiten
der Veräußerer, dessen Vorgesetzter, deren
228
WILHELM IMMENKAMP
Amtsnachfolger, endlich ein jeder Kleriker
an der geschädigten Kirche.
Man sieht, daß die kirchliche Gesetzgebung
an den wenigen Stellen, die eigentliche Kunst-
angelegenheiten berühren, die Beiziehung von
Fachleuten sichert. In Fragen des Kirchen-
baues soll nach Bedarf der Rat erfahrener
Männer (peritorum) eingeholt werden (Can.
1164, § 1, vgl. S. 222). Vor Erteilung der Er-
W. IMMENKAMI'
.STUDIENZEICHNUNG
Zum Art. 5.
laubnis zur Ausbesserung kostbarer Bildwerke
in Kirchen muß der Ordinarius kluge und
erfahrene Männer (prudentes ac peritos viros)
zu Rate ziehen (Can. 1280, vgl. S. 226). Nach
Can. 1530, § 1 (vgl. S. 227) sind die Gegen-
stände vor der Erlaubniserteilung zum Ver-
kauf von rechtschaffenen Sachkundigen (a
probis peritis) abzuschätzen. Im übrigen be-
schränken sich die Vorschriften des kirch-
lichen Gesetzbuches, welche die Kunst strei-
fen, auf den Kultus und den gedanklichen
Inhalt der Darstellung. Das Recht und die
Pflicht, darüber zu wachen, wird der Kirche
niemand zu bestreiten wagen. Hierin hat sich
der Künstler der Kirche, die ihm auf seinem
Gebiete Freiheit läßt, unterzuordnen, was für
ihn weder ein Opfer des Intellektes noch der
Kunst sein kann, wenn er Lehre und Leben
der Kirche kennt und im Herzen trägt. Was
aber die künstlerische Gestaltung betrifft, so
stehen ihm verlässige Führer zur Verfügung:
das angeborene, durch die eigene Vernunft
und die Erfahrungen der Väter erleuchtete
Empfinden für das Schöne und Bedeutsame
in der sichtbaren Welt, die Phantasie und
der edle Takt des innerlich gebildeten Men-
schen, die demütige Ehrerbietung vor dem
Heiligen. S. Staudhamer
WILHELM IMMENKAMP
(Vgl. Abb. S. 228—256)
Wilhelm Immenkamp wird am 21. Sep-
tember dieses Jahres fünfzig Jahre alt, ein
willkommener Anlaß, dieses Lebensjubiläum
eines Künstlers zu feiern, auf den die Leser
unserer Zeitschrift zuerst im Jahre 191 1 durch
einen mit 15 Abbildungen ausgestatteten Auf-
satz von Joseph Wais gebührend aufmerksam
gemacht worden sind. Inzwischen ist seine
Anerkennung als Maler weiter gestiegen, was
durch teilweise sehr umfangreiche kirchliche
Aufträge zum Ausdruck gekommen ist. Mit
Recht. Die ruhige Stetigkeit in der Entwicklung
Immenkamps hielt in der unruhigen und ner-
vösen Hast des Münchener Kunstlebens, dem
unser Künstler angehört, fest an der sachlichsten
Lösung deutlich und anspruchslos gewählter
Aufgaben. Doch würde man irren, daraus aut
innere Kühle und äußere Routine zu schließen,
auf eine im wesentlichen nur praktisch einge-
stellte Begabung. Dem widerspricht schon die
Art, wie Immenkamp gegen alle Überlieferung
seiner Familie den Weg zur Künstlerlaufbahn
fand. Bis zu seinem 22. Jahre blieb er im
elterlichen Hause zu Essen, seiner Geburtsstadr.
Unter Aufsicht einer Mutter voll Gemüt und
häuslichen Tugenden und eines wohl strengen,
WILHELM IMMENKAMP
229
WILHELM IMMEXKAMP
ILK.E FAMILIE
aber gerechten Vaters, im Kreise mehrerer
Geschwister, darunter auch ein ebenfalls kunst-
begabter, in England heimisch gewordener
Bruder, wuchs er in der lärmvollen, zerstreu-
ungsreichen Industriestadt zu einem unverbil-
deten, ja ganz weltunkundigen Jüngling heran.
Nur verstohlen beschäftigte er sich mit Zeich-
nen und Malen in den spärlichen Mußestunden,
die ihm seine Arbeitszeit unter Aufsicht des
Vaters, der ihn zu seinem Handwerke heran-
gebildet hatte, übrig ließ. Camphausens
Schlachtenbilder fesselten seine Einbildungs-
kraft, und er suchte es ihm in romantisch
bewegten Kompositionen gleichzutun. Aber
nicht weniger wirkte auch der sinnigere De-
fregger auf ihn. Und an diesen schickte der
bereits Einundzwanzigjährige schließlich im
ratlosen Drange nach Entfaltung seiner An-
lagen die Kopie eines Defreggerschen Ölbildes.
Er fand Verständnis an dem damals im Zenith
seines Ruhmes stehenden, aus ähnl icher Jugend-
bedrängnis noch später erst befreiten Tiroler
Maler; mehr aber, er fand auch praktische Hilfe.
Durch DefreggersVermittlurjggewannlmmen-
kamp einen dauernden Gönner an Friedrich
Krupp, derihm die Ausbildung an der Münche-
ner Kunstakademie ermöglichte, seine Unter-
nehmungslust und sein Selbständigkeitsgefühl
durch Aufträge stärkte und durch Reisemöglich-
keiten, besonders nach Italien in den Jahren
1902 und 1903, seinen Gesichtskreis wesent-
lich erweiterte.
So kam der angehende Maler im August
1892 in München an und wurde im Oktober
in die Zeichen- resp. Naturklasse von Prof.
v. Hacklan der Kunstakademie aufgenommen.
Später kam er zu Marr und endlich als Kom-
ponierschüler zu Professor M. v. Feuerstein.
Er hatte noch hart zu arbeiten; mehr aber
durch äußerliche Anpassung an die neuen Ver-
hältnisse, als durch Aneignung technischer
Geschicklichkeit. Denn völlig unvorbereitet
war er aus dem engen häuslichen Interessen-
kreise in das ungebundene Künstlerleben
Münchens versetzt. Immenkamp hielt sich
dauernd fern von bequem ausnutzbaren, aber
so leicht zerstreuenden und verflachenden ge-
sellschaftlichen Beziehungen. Er blieb sich
dadurch selbst getreu. Freilich kamen die Er-
folge auch nur langsam. Schwer hat er jahre-
lang um seine Existenz ringen müssen. Er
fand schließlich, seit 190«), an seiner Gattin
Die christliche Kumt XVI
230
WILHELM IMMENKAMP
Marie geb. Knabl eine musikbegabte Lebens-
gefährtin, die in liebevoller Kameradschaftlich-
keit ihm den Kampf zu mildern, das Aus-
halten zu erleichtern wußte.
Mit seinem bekannten Bilde der Aufer-
weckung des Lazarus (Abbildung in dieser
Zeitschrift 191 1, S. 227 und größer im Holz-
stich »Illustrierte Zeitung«, 1908, 26. März) er-
rang er sich die künstlerische Selbständigkeit
und zugleich den großen Preis der Akademie.
Mit sicherem Geschmack stellte Immenkamp
nicht den Augenblick des Wunders selbst dar,
— sogar ein Rembrandt scheiterte an dieser
Aufgabe — , sondern er läßt den bereits Wieder-
erweckten durch Christus den staunend War-
tenden zuführen. Das Bild erscheint wie ein
künstlerisches Glaubensbekenntnis. Hätte es
nur an ihm gelegen, so würde der Künstler
ein eifriger und erfindungsreicher Maler großer
Bildkompositionen geblieben sein. Staatsauf-
träge an ihn noch als Schüler für Altarbilder
der Gefängniskirchen in Stadelheim und
Eichstätt ermutigten ihn zunächst dazu.
Indes der Lazarus blieb, trotz aller langdau-
ernden Anerkennung bis heute unverkauft.
Das wirkte begreiflicherweise hemmend und
WILHELM IMMKN'K \MI'
DER GELEHRTE
Zu nebtyistehendem Artikel
einschüchternd. Immenkamp war nicht in der
Lage, so große Bilder, — der Lazarus ist
mehrere Meter lang und hoch — auf Vorrat
zu malen oder auch nur für ihr Entwerfen
seine Zeit zu verbrauchen.
So wurde er zunächst zum Bildnismalen
gedrängt. Seiner analysierenden Sachlichkeit
bot es den interessantesten Stoff, seinem Farben-
sinn, seiner sicheren Stiftführung in Kohle-
zeichnung und Pastell — auch da die Herren-
bildnisse besonders wohlgelungen ■ — ■ einen
weiten Umfang der Betätigung und Ausbil-
dung. Unter den alten Meistern regte ihn
namentlich van Dyck an, unter den neueren
F. A. von Kaulbach in seiner reifsten Zeit,
ohne daß er sich hätte hindern lassen, als
Porträtist seine in der Form schlicht sachliche,
in der Farbe gedämpfte und kühle Eigenart
immer charakteristischer zu entwickeln. Nur
gelegentlich sehen wir ihn einmal auf einem
Bildnis einen Schritt von diesem Wege ab-
weichen zugunsten einer komplizierteren Far-
bigkeit und einer Verstärkung des Persönlichen
durch sie und durch anderes Beiwerk, nicht
stets zugunsten der erstrebten Wirkung. Zu
seinen bekannten und besten Bildnissen ge-
hören der Kardinal Fischer (Ab-
bildung in dieser Zeitschrift, 191 1,
S. 19; daselbst auch eine Reihe an-
derer Bildnisse) für Essen, der Dichter
Wilhelm Raabe für Braunschweig,
Bismarck für Bochum, König
Ludwig III. für Selb, Kardinal
von Bettinger, Weihbischof
von Neudecker und Domherr
Dr. Hart 1 für Freising. Die Bildnis-
aufträge gingen besonders von Bayern,
seiner künstlerischen zweiten Heimat,
aus, von der Essener Industriegegend
als seinem Geburtslande, und von
Niedersachsen, wo ihm namentlich
das braunschweigische Raabebildnis
(Skizze dazu abgebildet in dieser Zeit-
schrift, 1 9 r 1 , S. 235), als auch vom
Dichter selbst besonders geschätzt,
einen ausgedehnten Wirkungskreis
verschaffte.
Nebenher übte der Künstler weiter
Auge und Hand durch Land-
schaft Studien in verschiedenen
Gegenden Deutschlands und verar-
beitete manches davon, wie etwa
eine herbstliche Kastanienallee, ein
schnittreifes Kornfeld, zu auch farbig
ausgezeichneten Bildern, ohne doch
den Anspruch eines berufsmäßigen
Landschaftsmalers zu machen. Aber
gerade das verschafft seinen Land-
231
WILIII-LM IMMENKAM1
'^(»ui'iif. — Zk Artikf.
232
WILHELM IMMENKAMP
W. IMMKS'KAMP
schaften eine eigene Frische und Unbe-
fangenheit.
Nur im kleinen Format beschäftigte sich
Immenkamp auch weiterhin mit mehrfigurigen
Phantasieschöpfungen. Aber das Interesse dar-
an verließ ihn nie und hielt seine Einbildungs-
kraft rege auch für besondere und größte Auf-
träge. Wohl das formal wie seelisch gelungenste
dieser Bilder ist die schon 1902 entworfene,
1907 erst vollendete Caritas. Eine Mutter,
umgeben von ihren vier Kindern, das kleinste
an der Brust, ruht auf einer Bank am Rande
einer Fabrikstadt. Der Vater daneben bear-
beitet das Feld. Spatzen erquicken sich an den
Resten der Mittagssuppe. Das schöne, licht
gehaltene Bild wurde 1909 im Universum
farbig reproduziert, trotzdem in seiner Haupt-
ausführung aber erst 1920 verkauft, der beste
Beweis der großen Tugend Immenkamps, sich
auf Reklame nicht zu verstehen.
Das Motiv der Caritas streift schon den
religiösen Stoff einer heiligen Familie. Immen-
kamps seelisches Empfinden hielt ihn zurück,
es dazu umzubilden, wie das etwa einem Fritz
von Uhde natürlich gewesen wäre.
Denn die religiöse Malerei gelingt
Immenkamp am besten in einer stilisierten
Formensprache. Das ist kein Widerspruch zu
seiner sonstigen Unbefangenheit gegenüber
der Natur. Es ist eher ein Zeichen
von seelischer Schüchternheit und
Zurückhaltung. Die hohen Ideen der
Kirche, die zarten religiösen Gefühle
persönlicher Art halten ihn in einem
gewissen Respektsabstande von sol-
chem Stoff, er mag und kann ihn
nur in einer gebundenen, von der
Natur bis zu einem gewissen Grade
losgelösten und stilisierten Kunstform
darstellen. Aber auch da gibt es be-
merkenswerte Ausnahmen. So die
für Ingolstadt bestimmte Darstellung
des seligen Peter Canisius, wie
er den Kindern seinen kleineren
Katechismus auslegt. Hier ist die
Gruppe der aufmerkenden Kinder
ganz in der herzlichen Frische pro-
faner Stoffe wiedergegeben, in der
Figur des lehrenden Jesuitenpaters
ringt dagegen der feierlich stilisie-
rende Zug mit dem einer ebenfalls
naturalistischen Ausdrucksweise. Sehr
ansprechend ist die stilistische Ge-
bundenheit der 1920 für Stuttgart
gemalten, in schattiger Landschaft
ruhenden heiligen Familie. Zwei
Bildnis Engel unterhalten das Christkind mit
Singen. Auch die Gebenedeite geht
ganz in den Tönen auf, während der hl. Joseph
mehr väterlich schützend des Kindes sich freut.
Leuchtende und glühende Farben in reicher
Modulation entsprechen dem milden Ernst
der Szene (Abb. S. 229). Ähnlichen Charak-
ters ist die Mutter Gottes im Walde,
eine sinnige und selbständige Variation die-
ses unerschöpflichen Themas. Auf die beste
Weise in der stilisierenden Ausdrucksweise
aufgegangen ist die Darstellung des barm-
herzigen Samariters für die Landes-
krüppelanstalt in München. Wir sehen da
vom Waldrande eines felsigen Nebentales in
eine fern verschwimmende Talebene, wohin
sich der mitleidlose Pharisäer entfernt. Vorn
kniet der Samariter mit dem fast nackt geplün-
derten Reisenden. Ein kühles Blau herrscht
vor. Eine rötliche Decke auf dem Reitesel
bringt jedoch einen warmen Kräfteausgleich,
unterstützt von gelben Tönen namentlich im
Vordergrunde, zu dem zerstreutes mattes Grün
vermitttelt. Das Ganze atmet eine feierliche
Stille, die Einkehr und Andacht des Beschauers
weckt (Abb. im 13. Jahrg. S. 199).
Den denkbar umfangreichsten Auftrag er-
hielt Immenkamp im Jahre 1910/11 zur Aus-
schmückung der Mariä-Himmelfahrts-Kirche in
seiner Vaterstadt Essen (Abb. im 9. Jg.). Er ver-
breitete erst recht eigentlich seinen Ruf auch
233
WILHELM IMMEXkAMI'
1 INDSCH \FI
WILHELM imme:
234
DIE MÜNCHENER NEUE PINAKOTHEK
\V. IMMENKAMP
als eines religiösen Malers. Die Wände von
Chor und Querhaus waren mit einem Zyklus
von Bildern aus dem Leben und zur Verherr-
lichung der Himmelskönigin zu schmücken. Es
war eine für den Künstler ganz neue Aufgabe,
nicht nur in technischer, sondern auch in
kompositioneller Beziehung. Denn hier konnte
er weder Atelier noch Modell in größerem
Umfange benutzen. Alles mußte nach kleinen
Farbenskizzen nah und auf die Ferne wirkend,
mehr dekorativ ausgeführt werden. Aber
Immenkamps Kräfte wuchsen mit der Auf-
gabe. Klar und eindringlich, auf die notwen-
digsten Personen beschränkt, erzählen uns
diese Wandflächen von der Würde und den
Heilstatsachen des Marienlebens in einer für
jedermann verständlichen und doch künst-
lerisch reifen Formensprache. Diese entfaltet
sich besonders eindringlich in den großen
Breitbildern der Gottesmutter als Königin der
Heiligen und Trösterin der Menschen. Da
ist das nie die übersichtliche Klarheit verlie-
rende Kompositionstalent Immenkamps ebenso
anzuerkennen, wie die hier glücklicher als im
Canisius gelungene Verarbeitung schlichter
Natureindrücke.
Ganz neuerdings steht dem Künstler eine
ähnliche Aufgabe bevor für eine große Kirche
in Bilbao. Es hat also seiner Essener Leistung
ihre Rückwirkung nicht gefehlt. Sie
ist ihm und seiner Kunst von Herzen
zu wünschen. Indem wir dieses zu
Immenkamps Jubiläumstage bekennen,
tun wir das auch in der Hoffnung, daß
der Künstler noch weiter an solchen
Aufgaben wachsen und sich entfalten
wird zum Ruhme einer solide gegrün-
deten Klarheit und Verständlichkeit
im Chaos gegenwärtiger Kunstexperi-
mente über alles hochhaltenden Kön-
nerschaft '). K. Steinacker
M;'
DIE MÜNCHENER
NEUE PINAKOTHEK
itte August konnte endlich die Neue Pina-
kothek wieder eröffnet werden, nachdem
in jahrelanger Arbeit die Sichtung und Um-
gruppierung ihrer Bilderbestände durchgeführt
worden war. Jedem Kenner des alten Zustandes
war es klar, daß dieser sich gegenüber den
Fortschritten der künstlerischen Erkenntnis wie
der modernen Museumstechnik nicht länger
halten ließ. Die Säle und Kabinette waren über-
füllt, die Gemälde schlecht gehängt und un-
günstig beleuchtet. Der Vorrat von Gemälden
bildete eine Masse, in der Gutes und Unbedeu-
tendes, Lebendiges und Überlebtes, planvoll
und planlos Erworbenes vereinigt war, während
LDNIS andererseits sich das Fehlen vieles unbedingt
Wichtigen fühlbar machte. Die Neuordnung
hat sich dieser Übelstände und Ungleichheiten mit
frischem Entschluß und sicherem Blick angenommen.
Als erstes Ergebnis brachte sie die Eröffnung der Neuen
Staatsgalerie am KönigsplaUe. Über diese ist hier schon
berichtet worden; in fesselnd und einheitlich durchge-
führter Reihe bietet sie einen Überblick über die Ent-
wicklung der Malerei seit dem Ende der 70 er Jahre
des vorigen Jahrhunderts bis zum gegenwärtigen Zeit-
punkte. Durch Ausscheidung dieses Abschnittes war es
möglich, die Neue Pinakothek zu entlasten, für richtige
Aufstellung ihrer Gemälde Raum zu schaffen. Sie be-
ginnen zeitlich da, wo die Alte Pinakothek aufhört, also
am Ende des 18. Jahrhunderts. Nicht zu streiten ist, daß
bei jener Scheidung keine völlig scharfe Auswahl gewaltet
hat, und daß die Grenzlinien etwas verwischt erscheinen.
Ferner, daß gleich der Neuen Staatsgalerie auch die
Neue Pinakothek noch im jetzigen, veränderten Zustande
so manches beherbergt, was nicht ersten Wertes ist.
Man darf dies vom ästhetischen Standpunkt tadeln, kann
es aber vom kunstgeschichtlichen gelten lassen, weil auf
die Art die Nachwelt von unserer künstlerischen Kultur
in ihrer Unausgeglichenheit und Unklarheit ein richtiges
Bild erhält. Ist doch auch die Vorstellung unzutreffend,
die wir von der Kunst alter Zeiten haben, weil im Lau'e
der Jahrhunderte von ihr nur das Allerbeste und Wert-
vollste übriggeblieben ist. Was trotzdem jene alte KuDst
von unserer neuen unterscheidet, ist die auf fester Über-
lieferung begründete Ruhe ihrer Entwicklung. In den
beiden neuen Galerien aber erweisen auch die ausge-
zeichnetsten Darbietungen das Fehlen jenes gedeih-
lichen Zustandes, zeigen das unsi.here Tasten nach
J) Vgl. folgende 32 Abb. nach Werken Immenkamps
in »D. ehr. K.« : V. Jg. S. 369. — VII. Jg. S. 224—237- —
IX. Jg. S. 334—340. — X.Jg.S. 32. — XII. Jg. S. 188. —
XIII. Jg. S. 199. —XIV. Jg. S. 110. — XV. Jg. S. 102 — 105
DIE MUNCHENER NEUE 1'IXAKOT.IEK
Halt, das, je naher zu unseren Tagen, um so
ruhelosere Suchen nach neuen Idealen. In der
Neuen Staatsgalerie ist dieser kunstgeschichtlich
kulturelle Gesichtspunkt klar herausgearbeitet wor
den; in der Neuen Pinakothek bleibt es der Er-
kenntnis des Beschauers überlassen, ihn sich aus
der Vielfältigkeit der Erscheinungen selbst abzu-
leiten. Technische Gründe mögen maßgeblich
dafür gewesen sein, daß man hier von jener wün-
schenswerten größeren Festigkeit und Folgerichtig-
keit der Anordnung, somit auch von der in der
Neuen Staatsgalerie so vorteilhalt wirkenden klaren
Geschlossenheit der Gruppenbildung absehen mußte.
Immerhin konnten bei diesem Verzicht andere
sehr wichtige Absichten erreicht werden. Vor
allem wurden die Raum- und Lichtverhältnisse
durchgreifend gebessert. Übermäßige Größe wurde
eingeschränkt, die Decken wurden tiefer gelegt,
die Belichtung anders und geschickter geführt als
bisher. Die Wände erhielten vornehm farbige
Tönungen und Bespannungen, die — wenigstens
zumeist — die Wirkung der Kunstwerke förderte.
Ganz wesentlich kamen diese Dinge den beiden
Reihen der Seitenkabinette zustatten, die durch
Verlegung der Türen, durch Abschrägung der
Ecken, durch richtige Fensteranlage für ihren Berul
jetzt eigentlich erst neu geschaffen worden sind.
Außerordentlich wichtig ist ihre Aufgabe. Sollen
sie uns doch gerade die feinsten Eindrücke geben.
Die großen Mittelsale dienen mehr der Repräsen-
tation. Alles zusammen schafft ein reiches, dabei
voll harmonisches Bild, vor welchem man Mühe
hat, sich das von der Neuen Pinakothek ehedem
gebotene ins Gedächtnis zu rufen.
In den Sälen der Mittelreihe ist dies noch am w
ehesten möglich. Da sieht man Kaulbachs Er-
oberung von Jerusalem«, Pilotys riesenhaftes Thusnelda-
bild, auch seinen »Seni an der Leiche Wollensteins«.
Außerdem die Erzählungen des P. von Heß von den
Einzügen des Königs Otto in Athen und in Nauplia.
Daneben Bedeutenderes, wie Böcklins »Spiel der Wellen«
und Defreggers »Schmied von Kochel«, das Jugendbild
Ludwigs I. von Angelika Kauffmann, das schöne Bildnis
der Königin Therese von Stieler. Am wertvollsten inner-
halb dieser Zusammenstellung sind die prachtvollen
Schlachtenbilder von W.v.Kobell. Mit edler Kraft spricht
in diesem Saale der Geist jener schönen, nun verscholle-
nen Zeit zu uns, in der Bayerns Kunst noch unverfälscht,
seine Geschichte noch lebendig war, seine Treue zur Hei-
mat und zum angestammten Fürstenhause noch leuchtend
in Ehren stand! Eine Fülle ausgezeichneter Werke bringt
ein anderer Hauptsaal. Darunter die große Theresien-
wiese von A. Lier, ein Bild, das uns den längst verloren-
gegangenen, malerischen Reiz der Bavaria in ihrer ur-
sprünglichen Umgebung vor Augen führt. Von anderen
Meisterwerken dieses Raumes seien A. v. Kellers »Dame
in Weiß«, Courbets durchgehendes Pferd, auch ein Stück
von Uhde deshalb erwähnt, weil man daraus ersieht, wie
bunt und svstemlos, nur nach dem Maßstabe des Einzel-
wertes die Zusammenstellung an diesem Platze gemacht
worden ist. — Die Wanderung durch die Kabinette der
rechten Seite führt zu kostbarsten Erzeugnissen der alten
Münchener Landschaftsmalerei. Herausgegriffen seiendes
G. v. Dillis' herrliche Stimmung von Tegemsee, Quaglios
ruhigeMünchenerStadtansichten,C.D. Friedrichs wunder-
bare »Nebelstudie aus dem Riesengebirge«, Fabers »An-
sicht von Dresden i, E. Schleichs Landschaft mit der ab-
sterbenden Eiche, Liers »Landschaft vom StarnbergerSee«.
Von dem wenig bekannten Olivier sieht man zwei sehr
feine Campagnastudien. Weiter findet man Landschaften
des noch nicht genug gewürdigten Tirolers Jos. Am Koch,
andere von Vogel, Gurlitt, Bürkel, Brandes u. s. f. Wald-
IMMENKAMP BILDNIS
müller ist durch ausgezeichnete Leistungen vertreten.
Von Schwind sieht man außer einem Damenbildnis seine
»Symphonie« und die Entwürfe zu Malereien im Wiener
Opernhause, Neureuthers Legende vom Pfarrerstöchter-
lein von Taubenhain, von Steinle den tiefsinnigen Parsival-
zyklus, von G. v. Max sein fein weißes Bild der Katha-
rina Emmerich, von Feuerbach die »Medea«, auch ein
(freilich weniger bedeuten des) Selbstbildnis, von W. Busch
sehr tüchtige landschaftliche und porträtistische Studien.
Dazu kommen Gemälde von W. v. Kaulbach Bildnis
Ludwigs L), Lindenschmit (Landschaften), Dctregger,
Grützner, Matthias Schmid, Diez, Löfhz, Wenglein,
Strützel, Stadler, Menzel und vielen andern. Mehrere
Spitzwegs(»BesuchdesI.andesvater«, »Der Witwer , »Der
Bettelflötist«, »Der Brief böte«) gehören zu den Neuerwer-
bungen, mit deren Hilfe einige der am stärksten emp-
fundenen Lücken der Sammlung ausgefüllt werden. Diese
Neuerwerbungen, zu denen sich auch zahlreiche Leih-
gaben gesellen, stammen zum Teil aus der Residenz und
anderen staatlichen Gebäuden, auch aus dem Kunstverein ;
ihre Zahl belauft sich aui . Als besonders
hervorragende Stucke nenne ich die schon erwähnte
Friedrichsche Nebellandschaft, das Watzmannbild von
L. Richter, von Lenbach (der außerdem mit besten Werken
aucli aus seiner Frühzeit vertreten ist, das Bildnis einer
russischen Fürstin, ein Selbstportrat von W. Busch, eine
Siegesfeier von Gysis.
Der Saal mit den herrlichen griechischen Landschalten
von Rottmann weist — mit Kecht ' — keine Verände-
rungen auf. Immer wieder fragt man sich beim Anblick
dieser wunderbaren Leistungen der ^toßen, stilisierenden
l.andschaltskunst, wie nun glaubt es verantworten zu
können, daß man tatenlos zusieht, wie in den Hofg.nten-
arkaden die italienischen Fresken desselben Meisters
jämmerlich zugrunde gehen. — Zu allen diesen Werken
deutscher, vorzugsweise natürlich Münchener Künstler
236
DIE MÜNCHENER NEUE PINAKOTHEK
des 19. Jahrhunderts gesellen sich solche aus dem Ende
des 18. Sie bilden die äußerst lehrreiche, künstlerisch
außerordentlich bedeutende Überleitung von den Grund-
sätzen der alten zu denen der neuen Malerei. Feinste
Eindrücke vermitteln Edlinger,Graff,Tischbein, G.F.Meyer,
Dietrich. Von ausländischen Meisterwerken verdienen
Hervorhebung neben dem erwähnten Courbetschen solche
von Lawrence, Reynolds, Meissonier. Große Werte stecken
in der Sammlung moderner Franzosen. Bahnbrechende
Meister gehören dazu, deren Bedeutung bestehen bleibt,
wenngleich ihr Einfluß auf die deutsche Kunst nicht so
groß war, wie man lange glaubte annehmen zu müssen.
Von den wichtigsten der in der Neuen Pinakothek ver-
tretenen Künstlern seien Corot, Daumier, GeMcault, Dela-
croix genannt.
Gefühl und Verstand, seelische Empfindung und
Wissenschaft finden in der Anordnung der Neuen Pina-
kothek gleichermaßen ihr Genüge. Im Verein mit der
Neuen Staatsgalerie bietet sie einen vollständigen
klaren Überblick über die Entwicklung der modeinen
deutschen, vorab, jedoch nicht mehr mit ehemaliger Ein-
seitigkeit, der Münchener Malerei nebst lehrreichen Seiten-
blicken auf fremdländische Kunst. Sie tut es in Formen,
die zu beobachten schon allein ein Genuß ist, und die
wesentlich dazu beitragen, das Interesse an der Samm-
lung zu fördern und ihr — ein Optimist sagt: hoffent-
lich! — Einfluß auf die Malerei der Zukunft zu ermög-
lichen. Durch die Neuordnung ist ihre Bedeutung erat
recht ans Licht gestellt, und den beiden Münchner Samm-
lungen moderner Malerei der von mancher Seite gern
bestrittene Vorrang auf lange Zeit hinaus gesichert worden.
\Y. IMMENKAMP
N Die Christliche Kunst
7810
C4B
Jg. 16
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY