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8001078040
Die
ebriftliche Lehre
bon Der V ersöhnung
in ihrer
gelhichtlihen Entwicklung
von der älteften Zeit bis auf die neuefte.
Von
D. Ferdinand Chriſtiau Baur,
ordentlichem Profeſſor der evang. Theologie an der Univerſität
zu Tübingen.
Tübingen,
Werlag von E& 5. Oſiauder.
1838.
0, £. 8:
Druck der C. F. Oftander’ichen Buchdruderei.
— — ——
—
Vorrede.
Die Schrift, die ich hiemit in die Hände des Pub-
likums übergebe, wünfche ich) hauptſachlich aus dem
Geſichtspunkt eines Beitrags zu einer neuen Bearbei-
tung der chriftlichen Dogmengefchichte beurtheilt zu ſe—
ben. Wie vieles in dieſer, fo wichtigen, theulogifchen
Digeiplin in materieller und formeller Hinſicht noch im-
mer zu thun ift, kann feinem Kenner verfelben unbe- .
fannt ſeyn. Schon was das Materielle betrifft, ift ja
befannt genug, wie viele Theile dieſes großen Gebiets
beinahe noch völlig unangebaut, Kay Syn von wie
vielen Seiten ber erſt noch di Aw s * und
tiefer gehende Quellenſtudien die fin tiali ; zu einer
zufammenhängenden, das Ganze- nicht: blos Ammariſch,
ſondern nach feinem fperielleren“ Inhat "umfaffenven
Bearbeitung herbeigefchafft werben müſſen. Es Tann
dieg nur allmälig, durch fortgefeßte Erforſchung des
Einzelnen, gefchehen, und mie vieles, beſonders in ber
neuern Zeit, für diefen Zweck ſchon gefchehen ift, de—
weiſen Die zahlreichen Monographien, durch welche auch
der Inhalt der Dogmengefchichte auf eine ſehr erwünfchte
Weiſe bereichert worden ifl. Doch ift auch dabei auf-
fallend, wie felten fpeciellere Unterſuchungen eine rein
*
IV Borrede
dogmengefchichtliche Tendenz haben. Die Verfafler fol-
cher, die biftorifche Theologie betreffender, Monogra=
phien haben es, nach dem anregenden Vorgange Nean-
der's, meiſtens vorgezogen, irgend eine beveutenvere
ficchliche Individualität zum Gegenftand ihrer Darftel-
lung zu wählen, und der Gewinn, welcher für Die
Dogmengefchichte hieraus hervorgeht, befchränft fich da—
ber auf die engbegrenzte Sphäre eines einzelnen Indi—
viduums umd des Zeitalter8 deſſelben. Eigentlich dog-
mengejchichtliche Monographien, in welchen die Gejchichte
eines einzelnen Dogma's, in jeinem ganzen Umfang, '
durch eine zufammenhängende, joviel möglich vollftän-
dige Entwicklung, durch alle Zeiten fortgeführt wird,
aibt es im Grunde noch nicht, jofehr dieß zu bevauern
if, da nur auf der Grundlage jolcher Vorarbeiten ein
gruͤndliches Werk über Das Ganze zu erwarten ifl. Aus
dieſem Grunde glaube ich durch vie jpecielle Bearbei-
tung eines Dogma's, das in Den ganzen Zujammıen-
bang ter chriſtlichen Glaubenslehre jo tief eingreift,
und reine je dedeutende Rebe ver verichierenartigften
Anſichten und Theorien aus ſich enwickelt but, wie Die
chriſtliche Were von der Verſoͤhnung feine überflüj-
Fre Arkeit unternommen zu haben. Ob es mir geluns
gen ift, alled, was zur vollſtändigen Serdhidkte dieſes
Soymu’s gehört, zuſammenzubringen. und michtẽ zu über-
jeher, was mau noch beacer zu werden werten Bitte,
mur üb dem Urtheil Anderer anbwimrlie, für Deren
Wiirfrungen ich jede dauldat joe werde, ab fa bier
wer ir Nurkiurung giien, u ich year mumduh muB
Borrede v
zur reicheren literariſchen Ausſtattung meines Buches
haͤtte dienen koͤnnen, abſichtlich übergangen, dagegen aber
nichts gegeben habe, was nicht auf eigenen forgfältigen
Studien beruht, wie Die ebendeßwegen überall aus den
Duellen beigebrachten Belege von felbft zeigen.
Das Materielle ift jedoch nur die Eine Seite der
Aufgabe Des Dogmenhiftoriferd, wichtiger nicht nur, fon-
dern auch ſchwieriger ift die formelle, den vor uns lie⸗
genden, objektiv gegebenen, Stoff fo aufzufaffen, daß in
der gefchichtlichen Darftellung Die innere Bewegung Des
Begriffs felbft ſich darſtellt. Daß in dieſer Hinficht
ganz befonderd auf dem Boden der Dogmengefchichte
erft noch eine neue Bahn gebrochen werden muß, kann
(don der noch immer gangbare Name diefer Wiflen-
ſchaft zeigen, der für fich fehon-den ihrer Behandlung
‚ noch anhaftenden Mangel zu erkennen gibt. Solange
‚ die fogenannte Dogmengefchichte nicht zu einer Gejchichte
des chriftlichen Dogma’3 fortgefchritten ift, hat fich in ihr
auch aus der Vielheit und Mannigfaltigfeit des mit ih-
tem Namen bezeichneten Stoffs die Idee der Einheit noch
nicht entwickelt, ohne deren Bewußtfeyn ihrem Inhalt
die wahrhaft wifjenfchaftliche Form nicht gegeben werben
fann. Würde Schon die, die Außern Fakta zum Gegen
ftand ihrer Darftellung nehmende, Gefchichte ihres Na—
mens nicht würdig feyn, wenn fie nur Fakta an Fakta
reihte, ohne in den innern Zufammenhang des Gejche-
henen einzubringen, ſo muß diefe Forderung einer Die
innere Einheit verfolgenden Darftellung mit um ſo größe-
rem Recht an eine hiſtoriſche Disciplin gemacht werben,
vi Vorrede.
die nicht Geſchehenes, ſondern Gedachtes, nicht Aeuße⸗
res, ſondern Inneres, die ausgeſprochenen Gedanken des
Geiſtes, zu ihrem unmittelbaren Objelt hat. Und doch
it die Dogmengeſchichte in ihrer gewöhnlichen Behand⸗
Iungöweije Taum eiwa3 anderes, ald ein Aggregat von
Borriellungen und Meinungen, in Anjehung welcher
man jo ort nicht weiß, warım das Einzelne gerade an die⸗
jem Orte und nicht ebenjo gut an einem andern feine
beftinnmte Stelle gefunden hat. So wenig aber geläug-
net werben Tann, dag Einheit und Zujammenhang vie
Seele jeder geichichtlichen Darftellung ſeyn müßen, fo mes
nig Tann diejer wejentlichen Forderung durch jenen fub-
jeftiven Pragmatismus Genüge gejchehen, ver an die
Stelle der Objektivität der Gejchichte die Subjeftivität
des darſtellenden Individuums fest, und zwar überall
einen beſtimmten Zujammenhang nachzuweiſen fucht,
aber ihn auch nur im Kreife äußerlicher Motive und
innerhalb ver engen Grenzen eines beftimmten Zeitraums
findet, und, wenn er fich am höchiten erhebt, eiwa Die
unbeſtimmten und abftraften Kategorien des Idealismus
und Realismus, bald .jo bald anders gewendet, in An⸗
wendung bringe. Nur wenn in der gefchichtlichen Dar-
ftellung das Weſen des Geiftes jelbft, feine innere Be-
wegung und Entwicklung, jein von Moment zu Mo-
ment fortjchreitendes Selbſtbewußtſeyn fich Darftellt, iſt
die wahre Objektivität der Gejchichte erfannt und auf:
gefaßt. Dieſer Gefichtäpunft, von welchem aus es ins-
bejondere die Aufgabe der chriftlichen Dogmengeſchichte
iſt, Das hriftliche Dogma im Ganzen und Einzelnen
Borrede. vn
ſo zu behandeln, daß alle zeitlichen Veränderungen als
bie wefenilichen und. nothwendigen Momente erfcheinen,
burch Die fich der Begriff hindurchbewegt, um von ber
Negativitaͤt jeder zeitlichen Form immer weiter getrieben,
Weſentliches und Unweſentliches mit dem immer firen-
gen Gericht des reinen Gedankens zu fcheiven, und
durch alle Momente hindurch fich felbft. in feinem ei⸗
genen innerſten Weſen zu erfaflen, liegt der hier geges
benen Darftellung zu Grunde, in der feften Ueberzeu- .
gung, Daß mur auf dieſem Wege die Gefchishte für ven
denfenden Geift das feyn Tann, was fie ihrer göttlis
hen Beftimmung zufolge für ihn ſeyn foll, die Selbſt⸗
verfländigung der Gegenwart aus der Vergangenheit.
Was fich bei allem Wechfel zeitlicher Formen, durch den
natürlichen Gang der Sache jelbft, ald der wahre fub-
flanzielle Inhalt für das Bewußtſeyn des Geiftes her-
ausftellt, was alle vorangehenden Diomente fowohl übers
wunden, al3 auch, als feine nothwendige Vorausſetzung,
in fich aufgenommen Hat, kann allein als ver wefent-
liche fubftanzielle Inhalt feftgehalten werben. Iſt dieß
bie Aufgabe, welche eine ven Anforderungen der Wif-
jenjchaft entfprechende Gefchichte des chriftlichen Dog-
ma’3 in ihrem ganzen Umfange zu Iöfen Hat, fo ſey
bier an einem Dogma, bei welchem man die Schwierig-
keit einer foldhen Behandlungsweiſe ebenfo wenig ver-
kennen wird, als ihre Wichtigkeit, wenigſtens ein Ver⸗
juch dieſer Art gemacht!
Uebrigens bin ich mir, nach den biöher gemachten
Erfahrungen, wohl bewußt, daß abfichtliche und unabs
N
vıu Borrede,
⸗
fichtliche Mißverſtaͤndniſſe verſchiedener Art, und vor
allem jene Verketzerungen, in welche Hengſtenberg mit
feinen Genofien dad Weſen des evangelifchen Ehriften-
thums feßt, auch bei diefer Schrift nicht ausbleiben wer-
den. Ich weiß aber auch, daß fie dem innen Werth
berfelben, mag verjelbe größer oder geringer ſeyn, nichts
entziehen, und ihrer wohlwollenden Aufnahme: bei denen
nicht im Wege fliehen Fönnen, die für ihr Urtheil in
folchen Dingen einen andern Maaßſtab haben, ald das
blinde Gefchrei der Eiferer. Möge mein Beftreben, auf
dem Wege, welchen ich ald den meinigen erkenne, zur
Förderung der Sache der evangelifchen Wahrheit in
meinem Theile mitzuwirken, von dem höhern Segen
des Geifted der Wahrheit begleitet ſeyn!
Tübingen, am 2. Auguft 1838,
— — - nn - —----
Inhalt.
Einleitung .
Die Idee der Verfähnung ber Mitielyunkt der Re⸗
ligion, ihre Form im Heidenthum, Judenthum und
Chriſtenthum.
Verhältniß der beiden Begriffe Erldſung und Bere
fühnung, und die im Begriff der Verföhnung an fich
enthaltenen Momente . . .
Der Entwicklungsgang des Dogma’s im Agemeinen,
und die Hauptperioden deſſelben
Die Arbeiten der Vorgänger
Erfte Periode.
Bon der älteften Zeit bis zur Reformation
(Standpunkt der unmittelbaren Dbiektivität.)
Erfter Abſchnitt.
Bon der älteften Zeit bis Anfelm von Ganterbu-
ry, oder bis zu Dem Aufang des iwölften Jahr⸗
hunderts |
Erftes Kapitel.
Die Snoftiler, Trenäus und Drigenes
Allgemeine, die Entwicklung des Dogma's beſtimmen⸗
de, Gegenfäte .
Anfangspunft der Entwielung des Dogma’s in dem
snoftifehen Dualismus und dem anofifchen Beerif
der Gerechtigkeit .
Srenäus
Seite
41 — 20
1 — 5
5: — 1
12 — 16
17 — 20
23 —282
3 —14
233 — 67
23 — 26
27 — 29
30 — 43
x Inhalt
Das Recht des Teufels und der Kampf des Erldſers
mit dem Teufel .
Die pofitive Seite der Berühnungstehse d des Seen
Drigened . . .
Die Weltanfchauung des Origenes
Die Taͤuſchung des Teufels
DVergleichung des Irenaͤus und Drigenes . .
Die Opfer: dee des Drigenes und der Widerfpruc)
in der Theorie deſſelben
Die Logos = “dee des Drigenes und fein Srandpunt
überhaupt
Zweites æapitel.
Die Kirchenlehrer vom vierten Jahrhun⸗
dert bis zum Anfang des Mittelalters.
Die beiden Öregore von Nazianz und
Noflfaun.f.w. Augufin, Leo der Gr., Gre⸗
gor der Gr. u. f. mw. >.
MWeitere Fortbildung der Theorie des Irenaus und
Origenes nach ihren Hauptmomenten . .
1. Der Begriff der Gerechtigkeit
2. Der dem Teufel gefpielte Betrug .
3. Die Nothwendigkfeit der Erlöfung .
- Der an diefer Theorie genommene Anftoß, Gregor von
Nazianz
Die Beziehung des Loſegelbs auf Gott, und die dieſe
Beziehung vermittelnden Vorſtellungen, der ſtellver⸗
tende Tod als Aequivalent
Der unendliche Werth des hottmenſchlichen Leidens
und die aus den dogmatiſchen Streitigkeiten ſich
ergebenden Momente .
Das dogmatifche Bewußtſeyn der Zeit: die mopifde
Anficht von der Verföhnung .
Drittes Rayitel
Johannes Seotus Erigena .
Platonismus und Chriftenthbum .
Das Soſtem des Scotus Erigena
Seite
30 — 36
36 — 43
43 — 67
43 — 46
46 — 51
52 — 54
54 — 65
63 — 67
67 — 118
67 — 87
68 — 73
73 — 83
83 — 97
87 — 90
90 —101
101—108
108—118
118-141
418-120
120—124
Inhalt.
Die Lehre von der Erldſung und Verſoͤhnung.
In dem abſtrakten Begriff der abfoluten Einheit kommt
der Unterfchied noch nicht zur Realität .
Die Bedeutung des Sceotas Erigena
Zweiter Abfhnitt.
Bon dem Anfang der Scholaftif (Anfelm von Can⸗
terbury) bis zur Reformation
Erſtes Kapitel.
Die Anfelm’fhe Satisfacrtionstheorie
Sortfchritt von der mythiſchen Geflalt des Dogma's
und der Unmittelbarkeit des kirchlichen Glaubens
zur Dialektik und Metaphyſik des abfirakten Begriffe
Das Recht des Teufels von Anfelm geläugnet, und
die Nothwendigkeit der Satisfaction Durch den Be⸗
griff der Sünde begründet .
Die Nothwendigkeit der Wiederberfiellung des Men
(hen, und zwar durch den Gottmenfchen
Die abfolute objektive Nothwendigkeit des Eribfungee
werke . . .
Das Mangelhafte der ſubjektiven Seite
Die Genugthuung des Gottmenſchen beruht auf einer
unzuläßigen Unterſcheidung .
Die tranfeendente Metaphyſik Diefer Theorie
Ihr Verhältniß zu der frühern Echte «
Zwites Kapitel.
PeterAbälard, Bernhard von Clairvaux,
Robert Pulleon, Hugo von St. Victor,
Petrus Lombardus . .
Der Widerfpruch gegen die Anfelm'ſche Theorie
Peter Abälard
Seine Uebereinſtimmung mit Anſelm und fein Gegen»
ſatz gu Anfelm . .
Das dfochologifch-moralifhe Moment der giebe
Die Idee der Gerechtigkeit .
Seite
14-131
131-136
136—141
142— 282
1423 — 189
4142-154
154— 159
159—168
168—179
179—181
181-184
184— 186
187—189
189— 214
189—190
190-198
191—193
193— 196
196198
_ xu Inhalt.
Bernhard von Clairvaux, als Gegner Abälard’s, für
die alte Lehre von der Gewalt des Teufels .
Robert Pulleyn auf Abälard’s Seite .
Hugo von Ei. Victor. Berfchiedene Elemente feiner
dr 0. .
Petrus Lombardus hebt Abälard ſehr nahe, und hebt
befonders das pſychologiſch ſiuliche Moment des
Todes Chriſti hervrr
Drittes Kapitel.
Bonaventura, Thomas von Aquinum,
Duns Scotus. — Job. Wikliff und Job.
Weſſel.
Die Periode der ſpftematifirenden Scolanit
Bouarenturn .
Annsherung um die Anſelm ſche Eatisfationstheorie
in dem Moment der Schicklichkeit der Satisfaction,
die nur ver einem Gottmenfchen geleiket werden
fen . . en
Die Satisfuction durch ein EStrafleiden >.
Die Nethwendigkeit der Sutisfuctien. Verſchiedene
Geñchtsrunkte: Längunng einer abfoluten Nothwens
lit - .- 20. ..
Themas von Ayuinuım .
Verſchiedene Seſichtspunkte und Fragen in vetrei
des Leidens Chrifi
Der Leiden Chriſti als Verdienſ, — Hr
fer umd Löſegeld . . .
Die Wirkungen des Leidens Chrifi . 0.
Sein: abielute Nethmendigkeit der Genusibuung
Dani Erin! . .
Linguet die Ummtlicdhkeit Kr Eduld un die Una)»
Iichleit des Verdienfes
Direkter Segenſatz zur Aufeimicen Satiefatriene
theerie
Die Viferenz Ned Diamad nen I. und Id Dans
Ecatus in Hinicht der salisfactie superabandans
214 - 282
21+—218
218—230
218-222
223-—226
- Znbhbalk
Die tiefere Bedeutung des Gegenſatzes diefer beiden
Scholaftiler: die abfolute Nothwendigkeit und die
abfolnte Freiheit in Gott .
Uebergewicht der feotiftifchen Lehrweiſe bei den ſpatern
Scholaſtikern: der Nominglismus ..
Die Vorläufer der Reformation
Joh. > 11] 3 1 #1
Joh. Weflel .. 0.
Die dee der freien Subjektivität .
Zweite Bertode
Bon der Reformation bis zur Kant’fchen
Bhilofophie - 2 2020.
.(Hebergang von dem Standpunkt der unmittelbar
zen Objektivität zu dem Standpunkt der Sub»
jektivität.)
Erfter Abſchnitt.
Bon der Reformation bis zur Mitte des achtzehn-—
ten Jahrhunderts ee .
Erftes Kapitel,
DieReformation. Die Lehre der Eoncors
dienformel und der ihr folgenden Im
therifhen Theologen. Andreas Dfian-
der und Calvin. Die Lehre der Eatholi-
(hen Kirche .
Die Reformation als der Fortſchritt des Geiſtes zum
Prineip der freien Subjektivität >.
Melanchthon und Luther . .
Die Satisfartionstheorie der Eonsordienformel und
ihr Verhältniß zur Anfelm’fchen .
Die Befimmungen der lutherifchen Sheologen
Das Moment der der Iutherifchen Theorie eigenthum.
lichen obedientia activa
Andreas Dfiander .
Das Verhältniß feiner Reäiferigungelehre zur (u.
therifchen .
—
Seite
263-269
270—272
272—282
273—275
276—281
281—282
285—562
285 - 477
285—352
285—288
288—291
291—304
305—313
313—316
316- 331
316— 327
xiv Inhalt.
Die Dfiander’fche Lehre vom Gottmenfchen
Die Lehre Ealving von dem Gehorfam Ehrifti und
der Einigung der Slaubigen mit Chriftus
Die Lehre der Katholifchen Kirche, ihre Uebereinſtim⸗
mung mit der protekantifchen und ihre Differenz
von berfelben . . .
Tiefer liegender Gegenfag der beiden gehrbegriffe
Zweites Kapitel.
Der Widerſpruch des Joh. Pifeator .
Die Lehre vom thuenden Gehorfam die fchwache Seite
der Iutherifchen Satisfactionstheorie
- Die Gründe und Argumente Pifcators gegen dieſelbe
Nähere Erörterung der Momente des Streits zwiſchen
Pifentor und den Iutherifchen Theologen, befonders :
in Hinficht des Verhältniffes des boppelien Gehor.
ſams zur Rechtfertigung .
Meitere Gefchichte des Streits
Vergleichung der drei Theorien, der lutheriſchen, der
Oſiander'ſchen und der des Piſcator
Drittes Kapitel.
Die Lehre des Fauſtus Socinus und der
Soeinianer . . x
Der eigenthümliche Charakter des Soeinianismus.
I. Die negative Eeite der focinianifchen Lehre
- Die foeinianifche Beftreitung der proteftantifchen
Satisfaetionstheorie, zunächft gerichtet gegen die
Grundlage derfelben, den Begriff der Gerechtigkeit
Die Hauptargumente gegen die Satisfactionslehre
Der innere Widerfpruch des Satisfactionsbegriffs
Der Widerfpruch des thuenden und leidenden Ge:
horfams
Die faktifche Unmdglichteit des leidenden und chuen.
den Gehorſams Chriſti
Die Unvereinbarkeit der Satisfaction mit dem Ber
griff des Menfchen, als eines ſelbutharigen und
ſi lichen Subjekts
Seite
3237 —331
331—338
359—350
350-352
352—370
352—354
354—357
357—366
366— 367
368-370
371—414
371-374
374—394
374— 377
377—388
877 — 380
380—382
382-385
385—388
Suhalı.
Die abwehrende Polemik der proteh. Theologen .
Die exregetifchen Momente der focin. Lehre .
11. Die pofitive Seite der ſoeinianiſchen Lehre
Die Verfihnung als Willendalt des Subjekts
Die Neue und der Gehorfam: der rechtfertigende
Gehorfam und der vedhtfertigende Glaube .
Die Bermittlung der Sündenvergebung durch Chri⸗
ki Tod und Auferfiehung: die tubieftive Noth⸗
wendigkeit des Todes.
Die, göttliche Würde Chriſti
Der charakterifiiiche Unterfchied des foeinfanifchen
und proteſtantiſchen Standpunkts: die Strafge⸗
rechtigkeit Gottes und die Seligkeit des Menſchen
Viertes Kapitel.
Die Theorie des Hugo Grottus.
Der Geſichtspunkt, von welchem Grotius ausgeht, und
die Hauptpunkte feiner Theorie .
Ihre Berfchiedenheit von ber kirchlichen und ihre les
bereinfiimmung mit der focinianifchen Lehre .
hr Unterfchied von der forinianifchen und br eis
genthümlicher Charakter .
Bünftes Rapitel.
oh. Erell. Die Arminianer
Joh. Crell's Vertheidigung der focin. Lehre gegen H.
Grotius: die Idee des Straferempeld . .
Die Lehre der Arminianer, auf der objektiven Seite
jwifchen der lirchlichen Lehre und der ſoein. ver⸗
mittelnd
auf der ſubjekliven an die lettere ſich anſchließend
Sechstes Kapitel.
Der Standpunkt des Dogma's in der
zweiten Hälfte des ſiebzehnten und. der
erfien des achtzehnten Jahrhunderts.
Rückblick auf die Myſtiker. J. C. Dippel
Die kirchliche und die focinianifch-arminianifche Theo⸗
1 .
xv
Seite
368 391
391—394
25 —- 4 14
395—396
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409 -411
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419 429
429-435
435451 .
456-442
4423 —448
448—451
451-477
451—454
wi Sunpatte
Buddeus, Pfaff u... Die kelnniz⸗Welfſche Philos
fopbie . .
Die muftifche Seite der Entwicklung des Dogmas .
Die Myſtiker der protett. lutheriſchen “ire .
Schwenffeld .. - .
Weigel . en .
Böhme .
‘Die Quäfer und ihre myftiſche Idee der Erloſung
Dippel's Widerſpruch gegen das Deklaratoriſche der
‚Rechtfertigung: das myſtiſche und das ſocinianiſche
Element ſeiner Lehre ..
Zweiter Abſchnitt.
Bon J. G. Töllner bis zur Kant'ſchen Philoſophie
Erſtes Kapitel.
Tollner's Beſtreitung der Lehre vom
thbuenden Bchorfam und die Gegner
Deffelben oo. ..
Die Bedeutung des Tollner'ſchen Angriffe
Die Hauptargumente Tbllner's, betreffend
4. die Perfon Ehriftt . .
2. das Amt Chrifti en
3. den Begriff der Genugthuung ..
Die Aufgabe der Töllner’fchen Unterfuchung und das Ä
Reſultat, auf welches fie führte, oder das Moment
derfelben, in Beziehung auf die Satisfactionsthene
rie überhaupt. .
Der in der Töllner’fchen Unterfuchung ſich darſtellen
de Umſchwung der dogmatiſchen Anſicht überhaupt
Die Gegner Tbllners ..
Zweites goͤpitel.
Die Gegner der Genugthuungslehre
überhaupt, Steinbart, Eberbard,
Bahrdt, Henke, Löffler um. A.
Die allgemeine Richtung der Zeit
Seite
454—459
459-477
459—467
459 —463
465 —465
465—467
67-471
471-477
478 - 562
478—505
478—479
480—482
482 - 486
487- 488
488 - 494
494 - 502
502—505
505530
505 —507
Inhalt.
Die Steinbart'ſche Glückſeligkeitslehre und ihr ſchrof⸗
fer Gegenſatz zur Satisfactionstheorie.
Die Eberhard'ſche Apologie des Sokrates und ihre
Straftheorie . .
Der Löffler’fche Beweis der Unmbglichteit der Sin.
Denvergebung .
Die Vereinbarkeit dieſes Reſultats mit der gehre der
Schrift und die Borausfegung einer Accommobation
£öfflers eigene Vorſtellung hierüber . . . .
Drittes Kapitel.
Die Vertheidiger der firhlidhen Lehre,
Michaelis, Seiler, Döderlein, Storr
u A.. . .
Die andere Seite des fortſchreitenden Doamas .
beftebend in folgenden Hauptmomenten :
1. Die Rechtfertigung des Begriff! pofitiser Strafen
2. Die Beflerung nicht die Urfache, fondern die
Folge der Sündenvergebung . oo. .
3. Die Grotius'ſche Idee des Etraferempels .
Die Storr’fche Theorie, ihr Verhältniß zur An»
felm’fchen und foeinianifchen Lehre, und bag
Mangelhafte ihrer Begründung
Zurüdführung der Theorie auf das bloße Fat:
tum: der Tod Sefu als die zweckmäßigſte Er⸗
Elärung der Sündenvergebung, nach Döderlein,
Morns, Knapp, Schwarze u. A. .
Die Unterfcheidung eines thuenden und leiden»
den Gchorfams auf fich beruhend .
4. Die Accommodations⸗Idee und ihre Zuſammen⸗
hang mit der ganzen Anficht der Zeit
Dritte Periode.
Bon der Kant'ſchen Philofophie bis auf
Die neuefte Jet . . 2. .
(Standpunkt den durch die Subjektinität vermit
telten Obieftivttät.)
*%
zvt
Seite
607—511
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563-752
Inhalt.
Erſtes Kapitel.
Sant und die der Kant'ſchen Philoſo—⸗
„hie folgenden Theologen: Tieftrunf,
Süskind, Stäudlim, E. Eh. Flatt u.
— Krug. — De Rette, Bretſchneider,
Edstt . .
Die kritiſche Philoſophie der entfcheidende Wende
punkt des lebergangs ven der Subjektivität zur
Dbiektivität: ihre Bedentung für die Lehre von der
Berföhnung . .
Schwankende Anfichten der Kanten Theologen:
Zieftrunf, Süstind . . . . .
Die von Kant ſelbſt aufgeftellte Theorie .
Beurtbeilung derfelben . . .
Weitere Ausbildung der moralifchen Berföhnungs-
theorie durch C. Eh. Flatt, Ständlin u. U. .
Krug: die Antinomie der Bernunft und ihre Löſung
: Das Berhältnig der Kant’fchen Theorie zum Faktum
des Todes Jeſu und zur nentefinmentlichen Lehre
Der Tod Jeſu als Symbol
Die moralifche snterpretation Kante .
Die Accommodations - Hppothefe, theils vermanfen,
theils beibehalten .
Unterfcheidung der Lehre der Apofiel von der Lehre
Jeſu >.
Die Lehre der Anofel, als Erjeugniß der Bei
nifle, in weichen fie Iebtn . . .
Die ſubjektive Nothwendigkeit des Todes Jeſun
Die Subjektivität in ihrer Negativität und Haltungs⸗
loſigkeit bei Schott und Bretfchneider . .
Zweite Kapitel.
Die Schleiermader’fhe Glaubensleh⸗
re, ihre Sreunde und Gegner
Bedeutung und Charakter der Schleiermadher’fchen
Blaubenslehre: myſtiſche Anffaffungsmweife des Dog:
ma’s im Gegenfag zur magifchen und empirifchen
Eeite
565— 618
565567
568—575
575—580
580584
584589
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592—605
593 —595
586—597
597—602
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605—608
608— 614
614 - 648
614—619
Inhalte. xıxX
Seite
Nihere Beſtimmung des Begriffs der Lebensgemein-
(haft in feinem Zuſammenhang mit der Lehre von
der Perſon Ehriftt . 619—634
Die geſchichtliche Eriftenz des urbildlichen Erlbſers 619—627
Die mwefentlihe Einheit Gottes und des Menfchen
das chriftliche Princip der Verföhnung . . 627-628
Der Sortfchritt der Entwidlung des Dogma’s in der
Scleiermacher’fchen Glaubenslehre und das Unge⸗
nügende ihres Standpunfts, befonders durch Ders
gleihung mit dem Kant'ſchen nachgewielen . . 623—634
Beitere Darftellung der Schleiermacher’fchen Lehre,
von der Verfhnung . . . 635—638
Die beiden Hauptmomente der Schleiermacherſchen
Glaubenslehre von den Freunden und Degnern nicht
genug beachtet .. . 638-641
Nitzſch: ſchwankender Begriff der Verſbhnung ..641- 642
Steudel: Polemik gegen Schleiermacher und Annäs
herung an ihn, Hinausgehen über die Eiechliche Lehre 642—648
Dritted Kapitel.
Neue Verſuche einer Verfühnungsthen
tie, bauptfählich im Gegenſatz gegen
die firchliche Lehre, und Dadurd ver
anlaßte neue Rechtfertigungen der le:
tern. Klaiber, Menfen, Stier. Die
evang. Kirhenzeitung, Ödfhel . . 648-688
Die Klaiberfhe Unterfuhune - 2 6644909-656
Antithefe gegen die Eirchliche. Lehre . - 649-652 _
Der Tod Chriſti befreit vom Gefeg, aber nicht. durch
Satisfaction . . » . 652— 653
Reale Lebensmittheilung durch Chrifus 00.0. 655-654
Das Mangelhafte diefer Darftellung ee 654-656
Die Haſenkamp⸗Menken'ſche Verfühnungslehre 656-664
Nachdrücklicher Widerfpruch gegen die lir chliche Sa⸗
tisfaktionslehre 656 - 661
Die ſittliche Tendenz der Menken ſchen Eehre . 0... 561-664.
Die Stier’fche Darſtelung der Lehre von der Ver⸗
ſoöohnung. .. 0. 6666-671
x Inhalt.
Der Zorn Gottes und die Nothwendigkeit des Todes
Ehrifii, nicht im Sinne der kirchlichen Lehre
Annäherung an J. Böhme - .
"Reaktion der evang. Kirchenzeitung gegen: die Befireis
ter der Firchlichen Lehre ..
Berfuch einer neuen Begründung der Anfeihen
Theorie . .
Manichäifcher Charakter dieſer neuen Theorie . .
Salfche Behauptungen über die Anfelm’fche Lehre
Goͤſchel's Verfuch einer juriftifchen Rechtfertigung der
Satisfactionsichre 2 0 re.
Hauptfäge dieler Theorie . . . . .
Unhaltbarteit derfelben .
Viertes gapitel.
Die neueſte Entwicklungs-Epoche Des
Dogma's. Fichte, Daub, Hegel, Mar
heinefe. Die Gegner der Hegel’ (hen
Lehre. Schluß
Die beiden Hauptmomente, das objektive und (ubiek:
tive, oder das fpefulative und hifkorifche, in ihrer
gegenfeitigen Beziehung .
Das rein fpelulative oder metaphofi ſche Moment in
feiner weitern Entwicklung
1. in Fichte's Anweiſung zum feligen Leben -.
2. in den Daub’fchen Theologumenn . -
Das Verhältniß des metaphnfifchen und hiſtoriſchen
Moments bei Fichte und Daub ..
Die Vermittlung der beiden Momente eingeleitet durch
ESchelling ..
Die Vermittlung derſelben in der Segeln Bil
foyhie . . .
Die Darfiellung Marheinere's oo.
Die Einwendungen der Gegner ber Hegel ſchen rehre
Schluß ..
Anm. über die neuere Geſchichte des Dogma's in der
katholiſchen Kirche . ren
Seite
666 — 670
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712718
718-722.
723-737
738-753
745-752 |
[4
Einleitung
— —
Die Lehre von der Berföhnung des Menſchen mit Gott, |
ober Gottes mit dem Menfchen, ift der Mittelpunct jeder Re
ligion. Die allgemeine Aufgabe, welche die Religion realifis
ren foll, erhält in dem Begriff der Verföhnung ihre tieffte
—|nw
und innerlichfle Bedeutung. Hat die Religion überhaupt, ih⸗
rem allgemeinften Begriff nad, das Verhältuig Gottes und
des Menfchen zu ihrem Gegenftand;, fo ſtellt fich dieſes Ver⸗
haͤltniß fogleih als ein doppelte dar, auf der einen Seite
als der Unterſchied des Menſchen von Gott, auf der andern
— — — —
—
als die Einheit des Menſchen mit Gott. Die Beziehung, in
welcher dieſe beiden Seiten zu einander ſtehen, gibt dem Be⸗
griff der Religion die Bewegung, durch welche er in ſeine
Momente auseinandergeht, und ſich mit ſich ſelbſt vermittelt.
Beſteht nun dieſe Vermittlung, durch welche der Begriff der
Religion ſich ſelbſt realiſirt, darin, daß die Trennung des
Menſchen von Gott als eine in feiner Einheit mit Gott auf⸗
gehobene und. ausgeglichene aufgefaßt wird, fo bezeichnet ber
Begriff der Berfühnung den Punct, in welchem dad eine
Moment in das andere übergeht: die Möglichkeit dieſes Ue⸗
bergang® aus dem Getrennifeyn von Gott in das Einsſeyn
mit Gott fol die Lehre von der Verföhnung nachweiſen und
zum Tlaren Bewußtfeyn bringen. Schon hieraus erhellt, daß
alles, was die verfchledenen Religionen als weſentlich ver⸗
Baur, die Lehre von ber Verföhnung. 1
2 Ginleitung.
fihtedene Hauptformen der Religion von einander unterfchet«
det, und in ein beſtimmtes Verhältnig zu einander fezt, ganz
befonders in der Lehre von der Verfühnung hervortreten muß.
Wie das Chriftenthum vom Heidenthum und Judenthum fich
dadurch untericheidet, daß in ihm allein das PVerhältniß Des
Menfchen zu Gott, feiner doppelten Seite nach, zu dem Ges
genfaz der Sünde und Gnade wird, in deſſen Vermittlung .
das Weſen der Erlöfung befteht, fo hat auch nur im Chris
ſtenthum der Begriff der Verſöhnung feine wahrhaft reelle
Bedeutung. Die nur im Chriftenthum in der Berfon des
Sottmenfchen offenbar gewordene Einheit des Göttlichen und
Menfchlichen: fchließt auch Die beiden Begriffe der Erlöfung
und Berföhnung in ſich: was in jenen beiden andern Reli-
gionen nur als unbeſtimmtes Bebürfniß und als dunfle Ah⸗
nung ſich ausfpricht, und, fo weit e8 zum Bewußtfeyn gekom⸗
men ift, nur in einer fehr unvollfommenen Form fich dar-
ftellt, hat in Chriftenthbum allein feine Vollendung und Rea-
lität in der durch Chriftus, ald dem Gottmenfchen, geftifteten
Erlöfung und Berfühnung. Se tiefer der Zwiefpalt des Men- -
ſchen mit fich felbft und der Gottheit, welchen die Religion
zum Bewußtfeyn bringen muß, und in Feiner ihrer verfchledes
nen Formen ganz unbeachtet lafien Tann, die Trennung bes
endlichen Geiſtes vom abfoluten, in das Bewußtſeyn des
Menſchen eingreift, deſto mehr fommt auch die Idee ber
Berföhnung zu ihrer wahren Bedeutung, defto tiefer muß
auch ihre Realität, die Einheit des Menfchlichen mit dem
Söttlichen, auf welcher die Verſoͤhnung des Menfchen mit
Gott beruht, begründet werben. Im Heidenthum, ober in
denjenigen Formen der alten Religion, in welchen der Menfh -
noch ganz in der Unmittelbarkeit des natürlichen Seyns fteht,
bat auch die Idee der VBerfühnung noch ganz die Form einer
Unmittelbarfeit, welche den Begriff eigentlich noch nicht feine
Stelle finden läßt, indem, wo der Gegenſaz noch nicht in
feiner Schärfe hervorgetreten if, auch von feiner Vermittlung
Ginleitung. 3
deſſelben, oder Feiner Verſoͤhnung, bie Rede ſeyn kann. Auf
dem rein objectiven, das Gottesbewußtſeyn durch das Natur⸗
bewußtſeym vermittelnden und verhuͤllenden, Standpunct dieſer
Form der Religion kann das Weſen der Berföhnung nur in
dem Cinswerben des einzelnen Individuums mit dem Leben
der Ratur, dem Zerfließen des fubjertiven perſoͤnlichen Ge⸗
fühl" mit dem objectiven allgemeinen Naturgefühl, in ber
Hingabe des ganzen Weſens an das allumfafiende Cine, im
welchem das beichränkende Bewußtſeyn der Endlichkeit aufges
hoben iſt, beſtehen. Dieſes allgemeine Grundgefühl geftaltet
fh in den verfhiedenen Kormen der alten Religion, ihrem
Character gemäß, auf verichiedene Weiſe, immer aber ift das
Höchfte, worin ſich der Menfch verföhnt, und über das Ends
lidde zum Abfoluten erhoben weiß, nur die Einheit mit ber
Ratur und dem allgemeinen fubftanziellen Seyn und Leben.
Hat fi das religiöfe Bewußtfeyn zum Glauben an mythi-
khe, von dem Boden des Naturlebens ſich Iosreißende, den
Character menfchlicher Perfönlichkeit an fich tragende Götter
hoben, fo tft dadurch zwar ein weiterer Schritt gefchehen,
durch welchen die Idee der Verſöhnung dem Bewußtſeyn bed
Menſchen näher kommen Tann, aber die Einheit des Göttli«
den und Menfchlichen ift, foweit fie in der Anfchauung Dies
ee mythiſchen Weſen ſich darftellt, wie es der Begriff des
Mythiſchen von felbft mit ſich bringt, eine blos vorgeftellte
und bifdliche, darum auch dem Menfchen noch ganz Auffer-
lich bleibende, noch nicht zur concreten Wirklichkeit des Les
bens und zur innern Wahrheit ded Bewußtſeyns gewordene.
In der juͤdiſchen Religion erhebt fich das veligiöfe Bewußt⸗
feyn über die Natur, und der Menich ftellt fih als freies,
perfönliches Weſen dem über der Natur ftehenden freien, per⸗
fönlichen Gott gegenüber, aber an die Stelle des Raturbes
wußtſeyns tritt das Volks⸗ und Staatöbewußtfeyn, deſſen
weſentliche Beſtimmung das Geſez if. Das von Gott ge⸗
offenbarte und feinem Volk als noihwendige Norm des theo⸗
1*
6 Ginleitung.
Verhaͤltniß der beiden Begriffe, durch feine erlöfende Thätig-
keit in die Kräftigkeit feines Gottesbewußtſeyns, d. h. feine
Unfündtichkeit und Vollkommenheit, auf, durch feine verföh>
nende Thätigfeit in die Gemeinfchaft feiner ungetrübten Ses
ligfeit. Da zu dem Begriff der Schuld auch der Begriff der
Strafe gehört, fofern die Schuld an ſich nur durch Strafe
aufgehoben werden kann, fo kann aus diefer Unterfcheidung
leicht die Meinung entftehen, der Begriff der VBerföhnung be
ziehe fich ebenfo auf das Aeußere, die Aufhebung des den
äußern Zuftand des Menfchen betreffenden Strafverhältniffes,
wie Dagegen ber Begriff der Grlöfung auf das Innere,” bie
innere Befreiung des Menichen von der Macht und Herr
fhaft der Sünde. Es iſt jedoch bei diefer Beftimmung bes
Unterfchieds der Standpunet nur auf der Seite des Men⸗
fhen genommen, und das DVerhältniß Der beiden Begriffe ift
vielmehr dad umgekehrte. Wenn auch der Menſch von der
Macht und Herrichaft der Sünde befreit und aus dem Zus
ſtand der Sünöhaftigfeit in den Zuftand einer Unfündlichkeit
und Vollkommenheit verfezt ift, in welchem ihm die Sünde
nur noch ald etwas Verſchwindendes anhängt, fo folgt doch
hieraus noch Feineswegs unmittelbar, DaB er auch der Schuld
der früher in ihm herrfchenden Sünde enthoben if. Sünde
und Schuld verhalten fich demnach, von dieſer Seite betrach⸗
tet, zu einander, wie dad Verſchwindende und das Bleiben-
‚be, und es entfteht nun erft die Brage, wie der aus dem
Zuftande der Sünde herausgetretene Menſch fich auch feiner
Befreiung von der Schuld der Sünde bewußt feyn könne?
Da die Aufhebung der Eündenfchuld nur als ein Igöttlicher
Act gedacht werden kann, fo kann ber Grund ihrer Möglich»
keit nur in der Idee Gottes nachgewiefen werden. Während
demnach der Begriff der Erlöfung zunächft nur auf das That⸗
fähliche geht, auf Die von Gott durch die Sendung des Er⸗
löſers getroffene Veranftaltung, durch welche im Menfchen
eine folche geiftige Veränderung bewirkt werben fol, ver⸗
\
—f · —
@inleitung. 7
möge welcher er aus dem Zuſtand ber Sünde in den Zuſtand
ber Gnade übergeht, bezieht fich der Begriff ber Berföhnung
auf die Die Realität der Grlöfung felbft erft begruͤndende,
fo zu fagen, melaphufifche Frage: wie fi) aus der Idee
Gottes die Möglichkeit der Aufhebung der mit der Sünde,
ihrer Ratur nad), verbundenen Schuld begreifen läßt? Die
Berföhnung ift fomit eigentlich das Innere, das die Erlös
fung, als das Aeuſſere, zur nothwendigen Borausfezung hat.
ALS erlöste kann ſich der Menſch nur betrachten, fofern er ſich
auch mit Gott verföhnt weiß: die Macht und Herrfchaft ber
Eünde, mit allem, was fle zur Folge hat, if für ihn nur
dann aufgehoben, wenn er ſich auch bewußt feyn barf, daß
die Schuld der Sünde au in Beziehung auf fein früheres,
dem Eintritt in die Gnade der Erlöfung vorangehendes, Les
den von ihm genommen if. Da die VBerfühnung und Erlös
fung nur befondere Momente der in der Berfon des Gott⸗
menschen fich Darftellenden Einheit des Göttlichen und Menfch-
lichen find, fo muß ſich auch das hier entwidelte Verhäftnig
iemer 'beiden Begriffe in der Perfon des Gottmenfchen zu er⸗
fennen geben. Es fpricht ſich dieß in der eigenthümlichen
Bedeutung aus, die ber Tod Jeſu in dem allgemeinen Ber
wußtfeyn der Chriften erhalten hat, fofern er als Die, der -.
Aufnahme des Einzelnen in die vom Erlöfer geftiftete Lebens⸗
gemeinſchaft vorangehende, objective Thatfache anerkannt iſt,
durch welche der Menfch an ſich mit Gott verföhnt if. Iſt
Chriftus Erlöfer durch feine ganze Erfcheinung und Wirks
ſamkeit, fo ift er Berföhner durch feinen Tod. Es ift fchon
als die erfte Verftändigung des religiöfen Bewußtſeyns über
bie verfchiedenen Momente, die hier zu unterfcheiden find,
anzufehen, als die Firirung des Begriffs der Verfühnung in
feinem Unterfchied von dem der Erlöjung, daß der Tod Jeſu
in den Briefen des Apofteld Paulus in feiner reinen Obje⸗
etivität aufgefaßt ift, als das Erfte, fchlechthin Gegebene, das
der Glaube fchon zu feiner Vorausfezung haben muß, wenn.
Ginleiiung
Zsiemmerhang ga werten mug, zub in weihen Eimme
Eſers DaB Bermiiichuhe ii, woran bie Ber
5
$:
für Alle geftorben it, fo find ebenbamit alle geftorben, da⸗
mit fie, fofern fie leben, : nicht ſich ſelbſt Leben, ſondern Dem,
: ber für fie geftorben und auferwedt ift*, fo liegt hierin unflrei=
tig der Begriff des flellvertretenden Todes, fein Tob ift der
Tod aller, jedoch nur jo, daß das, was ſich in Chriflus als
wickelten Stellvertretungs - Theorie!
So liegt auch hier die neutefiamentliche Lehre in einer
großartigen objectiven Einheit vor uns, als einfacher, zwar
nad allen Seiten hin noch unbeftimmter, aber auch alle ſub⸗
jective Einſeitigkeit ausfchließender Ausdruck des religiöfen
Bewußtſeyns. Die in biefer Einheit enthaltenen Richtungen
nach der Verfchiebenheit Ihrer Momente hervortreten zu lafien
und zum Bewußtſeyn zu bringen, um das an fi) noch Un⸗
Einleitung. 9
beftimmte gu feinem beftimmten bogmatiichen Begriff und
Ausprud zu erheben, mußte die Aufgabe des fich entwideln-
den Dogma's feyn. An fi fchon laſſen fi, wenn wir den
Begriff der Berföhnung entwideln, verſchiedene Richtungen
denken, bie aus ihm hervorgehen und zu gefchichtlicher Exi⸗
fienz gelangen Eonnten. Der Begriff fchließt drei Momente
in fi, beren jebes fich für fich befonders geltend machen
fann. Als göttlicher Act Tann die Verföhnung als ein im
Weſen Gottes felbft erfolgender Proceß genommen werden,
durch welchen Gott fi) mit fich felbft vermittelt, um ben
Begriff feines Weſens zu realifiren. Die Verfühnung des
Menfchen mit Gott gefchieht, von biefem rein objectiven
Standpunct aus betrachtet, nicht um des Menfchen, fondern
um Gottes felbft willen, der Menfch ift verföhnt mit @ott,
wenn Gott ſich mit ſich felbft verföhnt, den Menfchen ale
ein Moment feines eigenen Lebensprocefies aus dem Unters
fhiede -von ſich in die Einheit mit ſich wieder aufnimmt,
Diefem rein obfectiven Standpunct fteht ein ebenfo rein ſub⸗
jectiver gegenüber, auf welchem ber Menfch die Verföhnung
mit Gott nur innerhalb feined eigenen Selbſtbewußtſeyns
vollzieht, und fich mit Gott verföhnt weiß, fobald er in fi
feld das feiner Verföhnung mit Gott entgegenftehende Hins
derniß entfernt zu haben glaubt. Die Verföhnung ift, wie
auf jenem Standpunct ein rein göttlicher Act, fo auf dieſem
ein rein menfchlicher: indem dem Menfchen die durdy fein
Selbſtbewußtſeyn verbürgte Realität der Berfühnung zur ſub⸗
jectiven Gewißheit wird, hat fie für ihn auch göttliche Rea⸗
lität. Zwifchen dieſe beiden Momente, beren jedes einen
gleich einfeitigen Begriff fefthält, fällt als drittes Moment
dasjenige, das in dem Begriff der Verfühnung vor allem
den Begriff der Vermittlung hervorhebt, und die ganze Bes
deutung bed Acts der Verföhnung in eine hiftorifche That⸗
fache legt, die in ihrer äuſſern hiftorifchen Objectivität als bie
nothwendige Bedingung des zwifchen Gott und dem Menichen
10 | Ginleitung.
erfolgenden Acts ber Berfühnung betrachtet wird. Obgleich
aud) auf jenen beiden erſten Standpuncten die Beziehung bes
Todes Jeſu auf den Act der Berfühnung nicht verfannt wers
den fol, fo bat er doch als äuffere Thatfache, der Innern
Wahrheit des Begriffs der Verſöhnung gegenüber, eine nur
untergeorbnete Bedeutung, eine höhere felbftftändige Bedeu⸗
tung kann ihm nur auf diefem dritten Standpunct gegeben
werden. In welchem Sinne aber der unter diefen Geſichts⸗
punct geftellte Tod Jeſu als die nothwendige Bedingung ber
Verſöhnung bed Menfchen mit Gott betrachtet werben fol,
ift wiederum eine Frage, welche auf verichiebene Weiſe bes
antwortet werden kann. Soll er überhaupt als die Bebin-
gung gelten, ohne welche dem Menfchen die Gewißheit feiner
Berföhnung mit Gott nicht zu Theil werden kann, fo iſt es
mehr nur ein äuſſeres Berhältniß berfelben Art, wie aud
bei den Opfern der vorchriftlichen Religionen ftattfand, fofern
durch fie dem Menfchen das Bewußtſeyn feiner Berföhnung
mit Gott vermittelt werden ſollte. Der Tod Jeſu ift ale
Berjöhnungstod ein Opfertdd, indem an ihn, wie an bie
Dpfer der vorchriftlichen Religionen, ber Act der Verſoͤhnung
des Menichen mit Gott geknüpft ift, und ber höhere Werth,
welchen er ald Opfertod vor den Opfern der alten Zeit vor⸗
aus bat, liegt nur in der fittlichen Bedeutung, die ihm bie
Perſon des Erlöferd gibt. Es if alſo eigentlich nur ein
moralikher Zufammenhang, welcher dem Tod Sefu feine ci-
genthümliche Beziehung auf deu Begriff der Berföhnung gibt.
Die dur den Tod Sefu bewirkte fittliche Gefimmung verfezt
den Meniihen in eine ſolche fittlihe Dispoſition, vermöge
Welcher er für ch der Bergebung der Sünden fühig wird,
wie aber die an der Sünde ihrer Natur nad) haftende Schuld
an fi) aufgehoben werben kann, wird baburd noch nicht
ar, wenn man nicht entweder auf den abfoluten Millen
Gottes zurüdgeht, oder den Ted Se, wie er ja an ſich
chem, feinem innern Werthe nach, alle andern Opfer unenblich
Ginleitung. 11
übertrifft, wegen bes innern abfoluten Werthö der zum Opfer
fih hingebenden Perſon des Bottmenfchen in ein inneres Ver⸗
hältniß zu der durch ihn aufgehobenen Sündenſchuld fest.
Es erhellt hieraus, was allein der Zweck biefer Erörtes
rung if, wie an ſich Ichon im Begriff ber Verfühnung vers
ſchiedene Momente enthalten find, von welchen aus das fi
entwidelnde Dogma verichiedene Richtungen nehmen Fonnte.
Jede diefer Richtungen fehließt den Keim einer Theorie in
fih, die ſich auf verfchiedene Weife modificiren kann, und jede
diefee Theorien felbft muß mit den von andern Puncten auds
gehenden übrigen in vielfache Collifion fommen. Wie fi
nun bie verfchiedenen an ſich möglichen Richtungen hiftoriich
verwirklicht, und welche verichiedene Formen fie Durchlaufen
haben, ift der Gegenftand der folgenden Unterfuchung. Sie
fol den Begriff der Verföhnung auf dem Gebiete des chriſt⸗
lihen Dogma’s in feiner hiftorifchen Eriftenz verfolgen. Schon
dadurch iſt audy als ihre Hauptaufgabe bezeichnet, das Ver⸗
hältniß des Begriffs zu feinen verſchiedenen Erfcheinungsfors
men immer im Auge zu haben. Kann überhaupt der Gang,
weichen das chriftliche Dogma in feiner gefhichtlichen Ent⸗
widlung genommen hat, nicht blos für etwas Zufälliges
und Willfürliches gehalten werden, jo muß auch hier vor
allem die innere Nothwendigfeit, welche den immanenten
Begriff Des Dogma's getrieben hat, aus fich felbft heraus⸗
gehen, um fich Durch die verfchiedenen Formen feiner Ents
wicklung hindurch in feinem wahren Weſen zu erfafien, aufs
gewwiefen werden. Es kommt daher darauf an, in den vers
ſchiedenen Formen, in welchen dad Dogma der Geichichte
zufolge erfcheint, nicht blos einzelne, in zufälliger Ordnung
neben einander ftehende, Berfuche der Geftaltung des Dogma’s
zu fehen, fondern fte nach ihrem innern gegenfeitigen Zuſam⸗
menhang aufzufaflen, als Momente einer Bewegung, in wel
chen die eine Form immer durch Die andere bedingt ift, und alle
zufammen ihre Einheit in der Totalität des Begriffe haben.
12 Einleitung.
Wie der Geiſt in feiner ganzen zeitlichen Entwidlung
von der Objectivität zur Subjectivität und von der Subiertis
vität zur Objectivität ſich fortbeiwegt, um durch Die verſchi⸗
denen Momente, durch welche er fich mit fich felbft vermit⸗
telt, fi) von ber Unmittelbarfeit bes natürlichen Seyns zur
wahren geiftigen Freiheit zu erheben, fo theilt ſich Die Gefchichte
bes chriftlichen Dogma’8 überhaupt und jedes einzelnen Dog⸗
ma's insbefondere in verfchiebene Perioden, je nachdem ent⸗
weder das Moment der Objectivität ober das der Subjectis
vität das überwiegende ift, oder beide in der höhern Einheit
des Begriffs fich zufammenfchließen und ‚gegenfeitig durch⸗
dringen. Hat fidh der in der Menfchheit offenbarende göttli-
de Geiſt zu einer neuen Form feiner gefchichtlichen Exiſtenz
erhoben, fo muß vor allem der eigenthümliche Inhalt, wel⸗
hen der Begriff der Religion in diefer neuen Form in fidh
fhließt, dem Bewußtſeyn bes Menfchen in gegenftändlicher
Weiſe gegenübertreten. Es ift die Unmittelbarfeit des obje⸗
etiven gefchichtlichen Gegebenſeyns, wodurch das ganze religiöfe
Bewußtſeyn des Menfchen beftimmt wird, und Die ganze
Richtung des Geiftes geht dahin, ſich in die Objectivität des
Dogma’d immer tiefer dadurch hineinzubilden, daß es als
geſchichtliche Thatfache in dem gefchichtlihen Zufammenhang
feiner Urfachen und Wirkungen entwidelt und in lezter Bezie-
Hung auf einen Punct zurüdgeführt wird, von welchem aus
ed als eine, in dem abfoluten Weſen Gotted gegründete, und
aus demfelben mit abfoluter Rothwendigfeit hervorgehende,
objectiv gefchichtlihe Thatfache begriffen werden kann. Diefer
allgemeine Entwidlungsgang des Dogma's ftellt fich nirgends
auffallender dar, als in der Lehre von der Berfühnung, de⸗
ren erfte Periode in der Anſelm'ſchen Satisfactiond = Theorie
einen feftbeftimnien Punct ihrer Entwicklung erreichte und
fih zu einer in fi) vollendeten Einheit abfchloß, und alle
Elemente, welche, wie dieß in ber erften Periode der Ent⸗
widlung bed chriftlichen Dogma’s, ber Natur der Sache nach,
Ginleitung. 13
geſchehen mußte, aus dem Heibenihum und Judenthum in
das chriftliche Dogma herüberfamen, und auf feine Geſtal⸗
tung einwfrkten, bienten nur dazu, die fi) bildende Theorie
dem Ziele zuzuführen, auf welches fie.fehon ihrer urfprünglis
hen Tendenz nach hinftreben mußte. Da es in dieſer gan⸗
zen Periode ſich nur darum handelte, die Berföhnung in ih⸗
ter äußern gefchichtlichen Objectivität und abfoluten Nothwen⸗
digfeit aufzufafien, fo Fonnte der Grundbegriff, an welchem
ſich dieſe erfte Theorie entwidelte, nur der Begriff der Ge⸗
techtigfeit feyn, deſſen beide Momente, Schuld und Strafe,
den Inhalt des Dogma's von felbft in ben geichichtlichen
Zuſammenhang auseinanderlegten,, ohne welchen feine inmere
Wahrheit nicht gedacht werden Eonnte. Die zweite Beriode
fuhr zwar fort, den Satisfactionsbegriff in feiner reinen Ob⸗
jectivität - weiter auszubilden und unter ‚Die verſchiedenen Ge⸗
fihtöpunete, die fich der dialectiſchen Reflexion darboten, zu
ftellen, allein es erwachte nun auch ſchon der Zweifel an
feiner objectiven Realität. Der überwiegenden Macht, mit
welcher das Satisfactionsdogma in feiner ganzen Gonfequenz
dem ſubjectiven Bewußtſeyn gegenüberftund, entzog man fidy
dadurch, daß man gleichjam von der abſoluten Gerechtigkeit
an die ſchlechthin über allen göttlichen Eigenſchaften ftehende
Allmacht Gottes appellirte, und ber abfoluten Nothwendig⸗
feit, wenigſtens im göttlichen Weſen felbft, die abfolute ſub⸗
jective Freiheit Gottes gegenüberftellte. In dieſer Form trat
das Moment der Subjectivität zuerft in die Geſchichte dieſes
Dogma's ein, aber erft die Reformation konnte es zu feinem
vollen Rechte kommen laffen. Der Uebergang von dem
Standpunct der Objectivität auf den der Subjectivität fpricht
fh einfach darin aus, daß, während auf der objectiwen, im
Satisfactionsdogma ſich darſtellenden, Seite nur Gott es if,
welcher fich mit dem Menfchen verfähnt, num umgefehrt, vom
jubjectiven Gefichtspunct aus, nur in dem mit Gott fich ver
föhnenden Menfchen der eigentliche Proceß der Berföhnung
16 Ginleitung.
hunderts, ſtehen ſich die beiden Momente ber Objectivität
und Enbiechivität in den verfchiebenen, mit einander in Con⸗
fliet kommenden, Theorien in gleicher Bedeutung gegenüber.
Nach der Mitte des achtzehmen Jahrhunderts aber beginnt
die Zeit der immer einfeitiger hervortretenden Subjectivität.
3. Die Berlode von der Sant’ichen Bhilofophie bis in die
neuefte Zeit, Periode der zur Objectivität ſich zurüdiwenben-
den Subjecivität. Die drei oben genannten Momente thei-
len diefe, dem Umfang nach zwar kurze aber ſehr inhaltreiche,
Beriode in ebenfo viele Abfchnitte.
Ein Dogma, das mit dem Weſen und Character bes
Ehriftenthums in fo engem Zufammenhang fteht, wie bie
Lehre von der Berfühnung, mußte zu allen Zeiten al3 eine
weſentliche Grundlehre des Chriftenthums betrachtet werden.
Ueberbliden wir aber den ganzen zeitlichen Berlauf deſſelben,
fo zeigt fi) uns auch in dieſer Hinficht eine merkwürdige
Differenz zwifchen ben, beiden äufferften Grenzpuncten befiel-
ben. Die Entwidlung bed Dogma’d beginnt an einem fehr
Aufjerlichen und unweſentlichen Bunct, der in der Folge nicht
mehr als ein befonderes Moment des chriftlihen Bewußt⸗
ſeyns feftgehalten wurbe, fie rüdt hierauf zwar dem eigent«
lichen Mittelpunct des Chriſtenthums näher, aber gleichwohl
wird das MWefentliche der Berföhnung nur in eine einzelne bes
ſtimmte Thatfache gefezt, zulezt aber wird der Begriff der
Berföhnung fo beftimmt, daß er mit dem Begriff des Chri-
ftenthums und des Gottmenfchen zufammenfält, und nur in
dieſer weientlichen Gleichftelung mit dem abfoluten Inhalt
des Chriſtenthums felbft auf feinen wahren, vollfommen abä-
quaten, Ausdrud gebracht ift. In dieſer Zurüdführung des
Aeuſſern auf das Innere, des Einzelnen auf das Allgemeine,
geigt fich das durch allen Wechfel der Zeiten und Formen hin⸗
Durchgehende Streben des Geiftes, fich des objectiven Inhalts
des Dogma’s zu bemächtigen, und es in feinem ganzen Um⸗
fange mit ber Kraft des Selbſtbewußtſeyns zu burchdringen.
Ä
Ginleitung. 17
Obgleich eine. Eritifche ©efchichte des chriſtlichen Dogma’s
überhaupt eine. noch nicht gelöste Aufgabe if, fo muß es
doch befremden, wie. wenig eine fo. weſentliche Lehre bes
Chriſtenthums, die in Hinficht Des Reichthums der gefchichte
lichen Entwidlung feiner andern nachſteht, und Elarer und
beftimmter,. ald Die meiften andern Dogmen, ben fortfchreiten«
ben Entwidlungsgang des chriftlichen Dogma’s verfolgen
läßt, bisher Gegenftand einer befondern Behandlung gewors
ben if. Es mag bieß zum Theil darin feinen Grund haben,
daß es niemals eine Firchliche Streitigfeit gab, welche die
Aufmerkſamkeit auf dieſe Lehre und den in Beziehung auf
fie Ratifindenden Gegenfaz der Anfichten befonders hingelentt
hätte. ebenfalls find die die Geſchichte derfelben betreffen-
den Arbeiten der Borgänger theild an ſich höchſt unbedeus
tend, theils nur auf einen Fürzern Zeitraum befchränft, wie
namentlich die academifchen Schriften von Cotta !) und Zieg«
ler 2), und die über die Periode der drei erften Sahrbunderte
nicht hinausgehende Schrift von Bähr 9. Den Geift der
Behandlung aber, welche größtentheild nur in einer Auffern
Aneinanderreihung und philologifchen Erklärung der betreffen-
den Stellen befteht, .mag die wiederholte Klage Ziegler’8 über
den Fürwiz der Kirchenlehrer, die der reinchriſtlichen Verſöh⸗
4) Dissertatio, historiam doctrinae de redemtione ecclesiae,
sanguine Jesu Christi facta, exhibens,, in der Eotta’fchen
Ausgabe der Gerhard’fchen Loci theol. T.IV. ©. 105—132.
2) Historia dogmatis de redemtione, sive de modis, quibus
redemtio Christi explicabatur, quorum unus jam satis-
factionis nomine insignitus haesit, inde ab ecclesiae pri-
mordiis usque ad Lutheri tempora. Gött. 1791. In den
Comment. theol. ed. a Velthusen u. f. w. T.V. ©. 227 ff.
3) Die Lehre der Kirche vom Tode Jeſu in den erfien drei
Jaahrhunderten vollkändig und mit befonderer Berückſichti⸗
gung der Lehre von der fiellvertretenden Senugthuuns.
Sulzbach 1832.
Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 2
18 Ginleitung.
nimgslehre gleichfam ihre Unſchuld geraubt, und fle in eine
Reihe kühner Hypotheien und der Gottheit unwürbiger Bor-
ftellungen hineingezogen haben *), und die Beruhigung bezeu-
gen, welche Bähr bei jedem Kirchenlehrer der erften Drei
Sahrhunderte immer wieder darin findet, daß auch er noch
nichts von der satisfactio vicaria gewußt habe 2). Diefelbe
unmännliche Scheu vor allem, was den Glauben feiner Un⸗
mittelbarfeit zu entrüden droht, bie fich immer wieder in fo
verfchiedenen Wendungen ausfpricht! Wie wenn das Uns
glüd fo groß wäre, in den Unterſchied der verſchiedenen Mo-
mente, die die nothwendigen Beftimmungen des Begriffs find,
und in die Gegenſaze einzugehen, deren fish der Geift früher
ober fpäter bewußt werden muß, wenn ihm nicht Die lebendige
Bewegung zu feiner Innern Wahrheit und geiftigen Freiheit
abgefchnitten feyn fol, zu deren Ueberwindung er aber auch
alle Kraft in fi trägt. Was die allgemeinen Bearbeitungen
der Dogmengefchichte darbieten, ift im Ganzen ebenſo uner-
heblih. Das befannte Werk von Denys Petau *) hat hier
nicht einmal den Werth einer reichen Materialien-Sammılung,
und die neueren Lehrbücher ber Dogmengefchichte von Augufti ®),
1) Utinam substitissent, heißt e8 3. B. ©. 245., veleris ec-
clestae doctores in doctrinae christianae de redemtione
summa, — nee — ad ideas delapsi essent summa Dei
benignitate et majestate parum dignas ! Wie cinfach wäre
doch der Weg zum Ziel, aber auch wie geiftlos einfürmig
der Gang der Gefchichte, wenn folche fromme Wünfche e3 je
vermocht hätten, ihr ihren Weg vorzufchreiben !
2) Dan vgl. 3. B. ©. 27. 28. 34. 37. 54. u. ſ. m.
3) Dion. Petavii opus de theologicis dogmatibus. Antw. 1700.
De intarnat. Lib. XII. T. VI. ©. sıf. Das Wefentliche
des Dogma’s, die Satisfactionslehre, iſt neben vielen un⸗
erheblichen Lehrbekimmungen fehr kurz behandelt.
4) Lehrb. der chr. Dogmengeſch. Vierte Ausg. 1835. ©. 360
— 366.
Einleitung. 19
Ränfcher *), Lenb 2) u. U. tragen gerade in biefer Leh⸗
, wenn nicht in höherem Grade, doch wenigſtend ebenfo
4). Lehrb. der hr. Dogmengeſch. Dritte Aufl. mit Belegen
aus den Quellenfchriften, Ergänzungen der Literatur, hiſto⸗
sifchen Noten, u. Fortſezungen verfehen von D. D. v. CEbllu.
Erſte Hälfte 1832. Zweite Hälfte erfie Abth. 1834. Daß
das obige Urtbeil nur von dem Texte des Lehebochs gilt,
verſteht fich won felbt. In dem größeren Werke (Bb. 3;
Zweite Aufl. 1804. ©. 219.) bemerkt Münfcber: „Nirgends
erſcheint der Lehrbegriff der alten Chriſten ſchwankender
und unbefimmter, als bei ſolchen Puneten, die nicht durch
Streitigkeiten hervorgezogen, :oder durch andere befondere.
Urſachen zur Unterfuchung gebracht wurden. Diefes trifft
ganz für die Lehre von den Abfichten und Wirkungen des
Todes Jeſu ein, — die Kirchenlchrer gehen mehr allgenei⸗
ne Lobpreifungen als genaue Entwidlung, und [WIDE da, wo
fie fich auf die Teste einlaffen au wollen Icheinön, reden fie
mehrentheils unberimmt und find nicht einmal ſelbſt mit
fich einig._ Deswegen ift es unmöglich, die Gefchichte die
ſes Dogma’s nach einem fehlen Zaden fortzufähren, und
man muß fich begnügen, Die einzelnen Aeufferungen der
Lehrer zufammenzuftellen.” Münſcher fagt dieß zwar zunaͤchſt
nur von den Schriftſtellern der erſten Periode, mit demfel-
ben Recht kann aber diefes, den bisherigen Standpunet ber
zeichnende, Urtheil auch noch von den Kirchenlehrern der
folgenden Zeit gelten. im fo mehr kommt es demnach dar»
auf an, den ohne Zweifel auch hier objectiv vorhandenen
Saden aufzufinden, an welchem die Entwidlungsgefchichte
des Dogma’s fich anfpinnt und fortläuft.
2) Gefchichte der chriftlichen Dosmen in pragmatiicher Ent»
wicklung. Erfier Theil 1834. Zweiter Theil 1835. Der Verf.
kommt nad) feinem Plan erft in der fünften Periode (von
der Scholaftil bis zur Reformation) auf die Lehre von der
Erlöfung, und behandelt fie Th.2. ©. 58 — 65., womit im.
Srunde das Ganze abgethan ift, indem fie in der Folge
nur noch gelegentlich kurz berührt wirb.
2%
20 & in Leitung
ſehr als font irgendwo, ihre Weufferlichfeit und: Ober
lichkeit zur Schau. Huch das gelehrte Werk von Baus
ten» Erufius, fo viele trefflihe Notizen ımb Bemerkung:
auch bier enthält, bleibt in dem ohnebieß ſehr beichrä
Raum, welcher einer fo reichhaltigen Lehre gewidme
zu ſehr theils im Allgemeinen fichen, theild am Einz
hängen, ohne eine Elare und anfchaulidhe Vorſtellung
den Hauptmomenten bes Gntwidlungsganges bed Dog
im Ganzen zu geben *). Darum liegt hier noch immeı
jedem, die Aufgabe ber Zeit Fennenden, Geſchichtsforſche
weites und ergiebiges Gelb ber Sorfhung.
4) Lehrbuch der er. Dogmengefh. 1832. ©. 1152 — 117
Aus Neander’s Geſch. der chr. Rel. u. Kirche gehört bi.
:.:: ‚eigentlich nur Bd. I. ©. 1065—1070. hieher, da in dei
genden Bänden die. Lehre von der Erlöfung nicht meh
beſonderes Lehrſtück behandelt ik, zum deutlichen Be
wie wenig auch in einem Werke, wie das Neander’fch
‚bie nur als Theil des Ganzen: der Kirchengefchichte b
delte Entwidlungsgefchichte des Dogma’s zu ihrem 9
tkommen Tann, — Die Literatur-der Gefchichte des Do;
gibt am volltändigken. Chr. D. Berl Comm. hist. decı
‚ehr. et form. Luth. 184. ©. 518 — 555,
..
ERSTE PERIODE.
Boa ber älteften Zeit bis zur
| Heformation.
—
24 1. Ber. J. Abſchn. 1. Kap.
dieß die beiden, am meiften bivergirenden, Anfichten des Ba⸗
filides und Marcion. Baſilides nahm zwar ein wirkliches
Leiden und Sterben Jeſu an, aber ed war nur das Leiden
und Sterben des Menfchen Jeſus, das um fo weniger irgend
eine verfühnende Kraft haben Fonnte, da Bafilides ben all»
gemeinen Grundſaz aufftellte, Daß jedes Leiden auf eine dem⸗
felben vorangehende Schuld fchließen laſſe. Rah Marcion
war zwar baflelbe Leiden und Sterben nicht blos ein menſch⸗
Tiches, fondern ein göttliches, Das Leiden und der Kreuzeds
tod des Erlöfers, aber e8 war ein bloßes Scheinbild. ine
verföhnende Kraft Tonnte es Daher gleichfalls nicht haben,
fondern nur zur Berfinnlihung einer Wahrheit dienen, bie
durch dieſe bildliche Anſchauung dem religiöfen Bewußtſeyn
beſonders nahe gelegt werden ſollte, der Wahrheit, daß der
Menſch der Welt und allem Materiellen abſterben müſſe.
Ob Marcion dieſem Abſterben eine nähere Beziehung auf die
Idee der Verſöhnung gab, iſt zweifelhaft. Eher könnte man
eine ſolche in der valentinianiſchen Anſicht von dem Tode
Chriſti finden. Auch nach den Valentinianern traf das Lei⸗
den nicht den eigentlichen Erlöſer, den pneumatiſchen, ſou⸗
dern nur den pſychiſchen EChriftus, es follte aber eine typi⸗
ſche Bedeutung haben, und in dem leidenden Chriftus ein ‘.
Bild des obern, bei der Lostrennung der Sophia⸗Achamoth
von dem Pleroma über den Stauros ſich ausbreitenden Chris
ſtus darftellen. Der Stauros ift, wie ber mit ihm identiſche
Aeon Horos, und wie der obere Chriftus, welcher im Grunde
auch nur ein anderer Name für denfelben Begriff ift, bie
Die Wefen in ihrem Seyn befeftigende, in ber Einheit mit
dem Abfoluten erhaltende, aus der Trennung zur Einheit zus
rüdführende Kraft. Sofern die Dadurch ausgeſprochene Iden⸗
tität des Abfoluten mit ſich felbft, Durch welche ed alles vom
Pleroma Getrennte und Abgefallene in feine Einheit zurück⸗
nimmt, auch die Idee der Berföhnung in fich fchließt, würbe
nach der walentinianifchen Lehre der Krkuzestob- Chrifti "eine
Die Gnoſtiker. 25
fombolifche Darftellung der Wahrheit ſeyn, daB in ber an
ſich feyenden Einheit des Abfoluten mit ſich alles Einzelne
md Enbliche mit dem Abfoluten verföhnt tft ). Es foll uns
bieß bier zunächft stur zum Beweiſe davon bienen, wie fchon
damald die objectiv hiſtoriſche Realität des Todes Jeſu zu⸗
rüdgeftellt, und berfelbe nur als ſymboliſche Darftellung eis
ner, von ihm unabhängigen fittlichen oder metaphyſiſchen
Idee aufgefaßt wurde. Der gnoftifch fpeeulativen Richtung .
ſteht Die practifche der jubaifirenden Partei gegenüber, die in
demfelben Berhältniß, in welchen fie im Gegenfaz gegen ben
Blauben auf Die Werfe und die Erfüllung des Geſezes drang,
um fo weniger bie Berföhnungsfraft des Kreuzestobes und
feine jelbftftändige Bedeutung im Werke der Erldfung aner-
fennen Tonnte. Im Gegenſaz gegen biefe beiden Parteien,
beſonders aber die Gnoftifer, deren Einfluß fich fo weit er-
ſtrekte, und bie objeetin Yiftoriiche Grundlage bed Dogma's
fewohl als ber Kirche auf eine fo gefährliche Weiſe erſchuͤt⸗
terte, mußte das Hauptbeftreben ber Kirchenlehrer zunaͤchſt
darauf gerichtet fenn, dem Tode Jeſu feine hiftorifche Reali⸗
tt und GSelbftftändigfeit mit Hülfe berfelben Polemik zu
fihern, mit welcher der gnoftiiche Doketismus überhaupt
befämpft wurde, Schon in den Briefen bed Ignatius ?)
wird Die Behauptung, daß Chriftus nur in der Meinung
und Einbildung gelitten habe, als eine durchaus undhriftliche
zurüdgewiefen, am beftimmteften aber hat Tertullian das
Moment der Sache, um welche es fich hier handelte, in den
Worten auögefprochen: „Wenn dieß nur Schein ift, dann
verdient auch das Leiden Chrifti feinen Glauben. Denn wer
niht wahrhaft gelitten hat, hat gar nicht gelitten. Ein
1) Dan vgl. hierüber meine Schrift: Die chriftliche Gnoſis
oder die chr. Rel.Philof. in ihrer gefch. Entw. Tüb. 1855.
S. 140. 220. 259 f.
2) Man vgl. 3. B. Ep. ad Magnes. c. 9. ad Trall. c. 9.
L Ber J. Abſcha. 1 Rap.
=
tung des Tobes Jen als eines Sieges Ciber den Teufel paßte
zu gut in ben gegen Kreis ber Börfellungen, in welchem
Fi) jene Zeit.Ugwegte, als daß man fie hätte fallen Inffen
Zönnen, wendet Hauptfächlich bie Beranlafiung gab, dieſe
Beikchum she: zu entwideln und ihr cine nähere Bezie
ung zu der Lehre von ber Berjöühuung zu geben, war "ber
guoftifche Dualismus, unb das auf ‚benjelhen . berchecte
mythiſche Bild eined Kamyfed-euifiken: tn Gülle: Met
und dem Weltichöpfer. Da ber Beltkhöpfer, nuch der Achte
der Gnoftifer, die Wirkſamkeit des, von dem höchſten Goti
sur Offenbarung bes den Menſchen noch unbefannten Gottes
gefendeten, Erlöfers nur als einen Eingriff in fein Reich und
eine fortgehende Verminderung feiner Herrſchaft betrachten
tonnte, fo mußte er alles verfuchen, um fich ihm zu wider⸗
fegen. Sein und feiner Dämonen Beranftaltung war daher
ber Tod des Erlöfers. Wie aber alles, was dem Weltichd-
pfer in feinem Antagonismus gegen ben guten Bott, deſſen
Mittelpund der Menſch tft, gelingt, immer nur ein fchein-
barer Sieg it (fofern das Böfe, wenn das Gute an ihm
fi entwideln foll, zwar feine eigene Sphäre der Thaͤtigkeit
haben muß, aber in jedem Moment des Kampfes der beiden
Principien fi) nur um fo mehr in ber Regativität feines
Weſens offenbart), wie Daher ber Weltichöpfer, ohne es zu
wiſſen und zu wollen, felbft alles einleitet und veranftaltet,
was zur vollfländigen Realifirung der Blane der güttlichen
Weltorbnung diente, fo hatte auch ber von ihm bereitete Tod
bes Erlöferd gerade das Gegentheil defien, was er beabfid-
tigte, zur Folge: er fah ſich durch den Erfolg in feiner Er-
wartung getäufcht. Diefe mythifche Borftellung eines Kam⸗
pfes zwiſchen dem Grlöfer und dem fich ihm feindlid; wider:
jegenden Demiurg, wie wir fie befonders im ophitiſchen und
marcionitifchen Syſtem ausgeführt finden, ift die Grundlage,
auf welcher fich die erfte Theorie über die Verfühnung des
Menichen mit Gott entwickelte. Der Begriff, auf welchem
Die GSroſtiken 29
diefe Theorie beruht, iſt ber Begriff der Gerechtigkeit, die
Beranlafjung aber, dieſen Begriff in eine nähere Beziehung
zu der an ihm fich entwidelnden Theorie zu fegen, gab das
mascionitifche Syſtem dadurch, daB es den Demiurg durch
den Grundbegriff der Gerechtigkeit von dem hoͤchſten Gott,
dem Gott der Güte und Liebe, unterfchieb. Der Kampf des
Erloͤſers mit dem Demiurg follte für jenen mit dem Sieg,
für diefen mit einer Taͤuſchung enden, indem. ex vereitelt fah,
was er beabfichtigte. Diefe Täufchung erhielt eine um fo
anfchaulichere Wahrheit und trat um fo unmittelbarer in ih⸗
rem eigentlichen Begriff hervor, je Furzfichtiger der Demiurg
erſchien, je mehr er felbft zu feiner Täufchung Die Hand bot,
und fich durch feine eigenen Waffen fchlagen lieh. Dazu
diente nun gerabe der Begriff der Gerechtigkeit, Die eigenen,
von dem Demiurg felbft, als dem Gott der Gerechtigkeit,
gegebenen Geſeze fprachen ihm das Urtheil, daß er, wie er
Jeſus den Gerechten getöbtet hatte, fo nun felbft von ihm
getödtet und der bisher geübten Herrichaft beraubt werden
möfle. So ift durch den Tod Jeſu dem Geſeze der Gerech⸗
ügkeit, das der Demiurg repräfentirt, Genüge gejchehen,
und das Hinderniß entfernt, allen, die an ihn glauben, nach⸗
dem Der, ber über fie Gewalt hatte, fein Recht auf fie ver⸗
Ioren Bat, die Seligfeit zu ertheilen ). E8 erhellt von felbft,
wie Aufferlich hier noch der Begriff der Gerechtigkeit aufgefaßt
iR, fie ift nicht eine, dem Wefen Gottes inwohnende, fon«
dern von ihm abfichtlich ausgefchiedene Eigenfchaft, an fi
bitte alſo Sott ohne den Tod Jeſu die Sünden vergeben
Tonnen, er erfolgte nur aus Rüdficht auf den Demiurg, um
diefem, wenn der Sieg über ihn nicht bloß als ein Sieg der
Gewalt, fondern auch als ein Sieg des Rechts erfihien, zu⸗
gleich auch die eigene Anerkennung der Rechtmäßigkeit des
über ihn erhaltenen Siegs abzunöthigen.
4) Bel. Die hrikliche Gnoſis ©. 274 f.
2 L Ber 1 Abſchn. 1. Kap.
ſelbſt wieder zuruͤcknahm, was er ex einſt dem Teufel gegen
ſich ſelbſt eingeräumt hatte, und wie er einſt ſeinen freien
Willen vom Teufel gefangen nehmen ließ, ſo nun mit ſelbſt⸗
ſtaͤndiger Willenskraft ihm entgegentrat. Es kam alſo nur
darauf an, das urſpruͤngliche Rechtöverhältniß. des Menſchen
zum Teufel wiederherguftellen. Die Herſtellung dieſes Ver⸗
haͤltniſſes war unmittelbar auch die Beftegung des Teufels,
indem der Teufel den in feiner Gewalt befindlichen Menfchen
nicht fefthalten Eonnte. Beſiegt aber wurde er auf Diefe Weiſe
mit Recht, fofern ja der Menſch nur in den Zuftand zurüd-
fehrte, in welchem er urfprünglich dem Teufel gegenüber fi
befand. Wie foltte nun aber dieß gefchehen? Nur auf rechts
lichen Wege Eonnte der Menfch aus der Gewalt bes Teufels
befreit werden, rechtlich war aber feine Befreiung nur dann,
wenn er mit freiem Willen von der Gewalt des Teufels fh
Iosfagte, eben dieß aber war ihm nicht möglich, da er durch
die Sünde in Die Gewalt des Teufeld gefommen war. Schon
hier findet demnad) die Idee der Nothwendigkeit der gott»
menjchlichen Natur des Erlöferd ihre Stelle. Wäre der Er- .
köjer nicht Menfch geweſen, fo wäre die Befreiung der Mens
[hen nit, wie fie allein geſchehen konnte, auf rechtlichen
Wege gefchehen Y, wäre er “aber zugleich nicht mehr als ein
der Teufel den Menfchen durch freie Neberredung (suasit)
zur Sünde verleitet hatte, fo hebt, wie fchon bemerkt wor-
den iſt, das Eine das Andere nicht auf. War es das
größte Unrecht von Seiten des Teufels, daß er überhaupt
darauf ausging, den Menfchen, das Eigenthum Gottes, an
fich zu reiffen, fo wurde doch, fobald der Dienfch mit freiem
Willen fih ihm hingegeben. hatte, aus dem Unrecht ein
Recht. Die Unterfcheidung eines doppelten Geſichtspuncts
bat demnach ihren Grund darin, daß der Teufel ſowohl
Gott als dem Menfchen gegenüber zu betrachten ift.
4) III. 18, 7.: Hrwoev - Toy &vdeumov u eh. EL ydo un r-
Ioowrog Ävlunoev Tov avzinalov ta aräguin, 8x ar dixale Bvı-
Itenäus. 33
wöhnlicher Menſch geweſen, fo hätte er auch für die Men⸗
en nicht zu leiſten vermocht, was ſie für ſich ſelbſt nicht zu
ſten im Stande waren. Das rechtliche Mittel, wodurch
die Menſchen aus der Gewalt des Teufels befreite, war
e vollkommene Gehorfam, durch welchen ev ſich dem erften
senfchen als der Lirheber eined neuen Lebens gegenüber»
te. Wie durch Die Sünde des Ungehorfams in dem Ei⸗
1 Menfchen alle Sünder geworden find, fo find auch wie
: durch den Gehorſam Eines Menfchen alle gerecht gewor⸗
1. Durch feinen vollfommenen Gehorſam find die Folgen,
Ache die Uebertretung des göttlichen Gebotes hatte, aufge
ben worden *). Schon diefen Gehorfam hätte er nicht lei⸗
297 6 24900. Dgl. V. 21, 3.: Per hominem ipsum
dterum oportebat victum eum (apostatam Dei angelum)
contrario colligari iisdem vinculis, quibus colligavit ho-
minem, ut homo solutus revertatur ad suum dominum,
iii vincula relinquens, per quem ipse fuerat alligatus,
id est transgressionem. Illius enim colligatio solutio
facta est hominis — uti, wie es zuvor heißt $.1., quem-
admodum per hominem victum descendit in mortem
genus nostrum, sic iterum per hominem victorem de-
scendamus in vitam. |
1) UI. 18, 7.: Niv &% WETTER dia Tys Tagaxoijs TE Evos avydgure
Ta rquirws Er yis Gvsoyasa rrenlaoutvae auagrwloı xaresadıdar
0° molloı xaı areßakov ryv Lu, erw; Ede xal di’ unaxoiis Evos
avdgwne TE Narw; Ex Tapgdevs yeysynuevan Öızawdiwa groAlag
zo anolaßeiv rw awrrotev. V. 16, 12.: Dissovens enim
eam, quae ab initio in ligno facta fuerat, homints in-
obedientiam, obediens factus est usque ad mortem,
mortem autem crucis, eam, quae in ligno facta fuerat,
inobedientiam sanans. V. 21, 2.: Tertio itaque (bei der
Verfuchung ) vincens eum de reliquo repulit a semet ipsu
quasi legitime victum, et soluta est ea, quaa fuerat.
in Adam praecepti praevaricatio, per praeceptum le-
gis, quod servavit fillus hominis, non transgrediens
praeceptum Dei.
Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 3
36 1. Ber. l Abſchn. 1. Kap.
aufammennehmen, auf dreifache Weife erfüllt: 1) Da Jeſus
der vollfommen Gerechte und Unfündlide war, jo war, als
ihn der Teufel wie einen gewöhnlichen Menjchen behandeln
wollte, dad Recht nur auf der Seite Jeſu, das Unrecht nur
auf der Seite ded Teufels. 2) Da Iefus fick ſelbſt fix. die,
die er aus der Gewalt des Teufel befreien wollte, hingege—
ben und aufgeopfert hatte, jo empfing er mit vollem Recht
die, für die er ſich als Löfegeld gegeben hatte. 3) Da ber
Teufel an ſich Fein Recht auf Die Menfchen, als das Eigen
thum Gottes, Hatte, fo nahm der göttliche Logos nur zus.
rüd, was von Anfang an ihm gehörte). Alles dieß beruht,
in lezter Beziehung auf der gottmenfchlichen Natur bed Er⸗
löfers Wäre nicht mit dem Menfchen Jeſus der göttliche
Logos zur unzertrennlichen Einheit verbunden gewefen, ſo
hätte er auch nicht. die vollkommene Gerechtigkeit gehabt,
durch die er von der Sünde frei blieb, ohne freiheit vor
ber Sünde aber hätte er auch nicht die Macht gehabt, bie
Macht des Todes an fich felbft zu vernichten und die Men⸗
fchen aus der Gewalt des Todes zu erlöfen. _
Es ift dieß jedoch nur die negative Sekte der Verſeh⸗
nungslehre des Irenäus. Das Poſitive, das zu jefem Ne⸗
Ta xvole, ab Bovros Tv wuy ünkg tüv nusregwv yuyay, ah
Tv oagxa ryv kaurä ayrı züv nuereowv oagxuy U. |. W.
1) V. 2, 1.: Non ergo, bemerkt Irenäus gegen den Dualifs.
. mus der Önoftifer, justus adventus ejus, qui secundum
eos venit in allena, neque vere redemit nos sanguine
suo, si non vere homo factus est, restaurans suo plas-
matt, quod dictum est in principto, factum esse homi-
nem secundum imaginem et similitudinem Dei, non
aliena in dolo diripiens, sed sua propria juste et be-
nigne assumens, quantum altinet quidem ad aposta-
siam juste, suo sanguine redimens nos ab ea, quanium-
ad nos, qui redempti sumus,, benigne.
|
Irenäus. 37
ativen hinzukoumt, IR bie neue Mitthellung des durch die
Re Sünde und ihre Folge, die Herrichaft des Teufels und
es Todes, verlorenen göttlichen Lebensprincips %), Die nur
mh Die Ernenerung und Wieberherfiellung der Menſchheit
euer, —— ſte ſich urfpränglich befand, ge⸗
in ’Beunie. "Dicke wewepelcdoos ſelbſt ift gleichlam
sem Schöpfung, Tofern fie in einer neuen Bereinigung
8 göttlichen Werts und des göttlichen Geiſtes mit der al⸗
ı Subftanz des von Gott gefchaffenen Adams beftund.
tie Die Bollfommenheit des erften Menfchen ihren Grund
in hatte, daß der Geiſt Gottes dem aus Seele und Leib
cſtehenden Menfchen eingehaucdht wurde 2), fo vereinigten
ih zur Wiederherſtellung diefer urfprünglichen Vollkommen⸗
it das göttliche Wort und der göttliche Geiſt aufs neue
it der Natur des Menſchen, wodurch Das göttliche Princip
8 Lebens und der Unſterblichkeit der Menſchheit aufs neue
4) IH. 23, 7.: Victus erat Adam, ablata ab eo omnt vita:
propter hoc, victo rursus inimico, recepit vitam Adam —
Domino vivificante hominem id est Adam, evacuata est
mors.
2)V. 6, 1.: Perfectus homo commistio et adunitio est
animae, assumentis spiritum Patris, et admista ei
carni, quae est plasmata secundum imaginem Dei. —
Quum autem spiritus Dei, commiztus animae, unitur
plasmali, propter effusionem spiritus, spiritualis et per-
fectus homo fartus est, et hic est qui secundum imagi-
nem et similitudinem factus est Dei. Si autem defue-
rit animae spiritus, animalis est vere, qui est talis, et
carnalis derelictus, imperfectus erit, imaginem quidem
habens in plasmate, similitudinem vere non assumens
per spiritum. — Commistio autem et unitio horum om-
nium perfectum hominum efficktt. — Substantia nosira,
id est animae et carnis adunatio, assumens - Spiritum
Dei, sptritualem hominem efficit.
3 I. Ber. J. Abſchn. 1. Kap.
mitgetheilt wurde *). Darum begreift nad Irenäus das 8
Werk der Erlöfung die drei Beftandiheile in fih: Die Aufs e
hebung der Sünde durch den von dem Grlöfer geleifteten '
vollfommenen Gehorfam, die Vernichtung des Todes, burdy, *
die Veberwindung bed Teufels, und die neus Mittheilung 1
des göttlichen Lebensprincips an die Menſchheit 2). Alles
dieß wäre nicht möglich geweſen, wenn nicht der Erloöſer
durch die Vereinigung des göttlichen Logos mit dem Mens
ſchen eine wahrhaft goͤttliche Natur gehabt hätte, aber eben»
fo nothwendig war auf: der. andern Seite, daß er wahrer
Menih war ®). Beides, das Göttliche und das Menſchliche
des Grlöfers, faßt Irenäus auf eine bemerfendwerthe Weiſe
in dem Begriff der vollfommenen Menfchheit zufammen. Wie ?
die Erlöfung nichts anderes ift, als die Wieberherftelung
der. duch bie Sünde der Herrichaft des Teufeld anheimge *
. m
4) V. 1, 2.: Filius altissimt Dei patris omnium, qui ope- L
ratus est incarnationem ejus et novam ostendit genera- h
tionem, uti quemadmodum per priorem generationem "7
mortem hereditavimus, sic per generationem hanc here =
"ditaremus vitam. — Quemadmodum ab tnitio plasms-
tionis nostrae in Adam ea, quae fuit a Deo, inspi- =
ratio vitae, unita plasmati, animavit hominem, et axi-
mal rationabile ostendit, sie in fine Verbum patris et
Spiritus Dei adunitus antiquae substantiae plasmatimis
Adam viventem et perfectum efficit hominem, capien-
tem perfectum patrem, ut quemadmodum in animali
.omnes mortui ‚sumus, sic in spirituali omnes vivi-
ficemur. _
2) 11. 18, 7.: Deus hominis antiquam plasmationem in se
recapitulans, ut occideret quidem peccatum, evacuarel
autem mortem, et vivificaret.
3) II. 18, 7.: Ei m 6 eos Pdwpyoaro Tyv mwryolavr Pr ar ſu-
Balwg Eyouer kuriv. — Oportebat eum, qui inciperet occi-
dere peccatum, et mortis reum redimere hominem, id
ipsum fieri, quod erat ille, id est hominem.
Frenäusß. 39
fitenen Menſchheit, fo ift auch der Erlöfer ſelbſt nur der,
zu ber urfprünglich von Gott verlichenen Vollkommenheit
erneuerte, Menſch, der als Menſch ebenfo die, der Erlöfung
bedürftige, Natur der Menfchen an ſich hat, wie er, als ber
urfprüngliche Menſch, das, die Möglichkeit der Erlöfung ber
dingende, göttliche Princip an fi trägt, als der vollkom⸗
meine Menfch ift er auch der die Menfchheit zu ihrer urs
hrünglichen Natur Erneuernde !). Aber nicht blos erneuert
md wiederhergeftellt hat Chriftus die urfprünglic in Adam
gefihaffene Hatur des Menſchen, fondern auch zu ihrer wah:
ten Bolfommenheit erhoben. Denn wenn auch der Menich
urprünglich nad) dem Bilde Gottes gefchaffen worden ift,
fo war doch das göttlihe Wort, der Logos, nach veſſen
Bild der Menfch geihaffen wurde, noch unfichtbar, und da⸗
durch geſchah es, daß der Menſch die Aehnlichfeit mit Gott
fo leicht verlor. Solange dad Bild Gottes noch bloße Idee
it, kann es ſich auch im Menfchen nicht wahrhaft verwirk⸗
lichen. Erft wenn der Sohn Gottes Menſch geworden ift,
ift die Idee ded Bildes, nad) welchem der Menfch geichaffen
wurde, in ihm realifirt, dann alfo auch erft Die Schöpfung
des Menfchen vollendet, und der vollfommene Menſch an’d
Licht getreten >). Es liegt hier demnach ein fehr reiner Bes
1) III. 18, 1.: Quando incarnatus est, et homo factus lon-
gam hominum expositionem in se ipso recapitulavit, in
compendio nobis salutem praestans, ut quod perdidera-
mus in Adam, id est, secundum imaginem et similitu-
dinem esse Dei, hoc in Christo Jesu reciperemus. Bgl.
III. 18, 7.
) V. 16, 1.: Tunc autem hoc Verbum ostensum est, quan-
do homo Verbum Dei factum est, semet — ipsum ho-
mini et hominem sibimet ipsi assimilans, ut per eam,
quae est ad filium similitudinem, pretiosus homo fiat -
Patri. ’E rei; 019er xooross Eidyeto uev zur eixova ei
’ ⁊ ” > . os « W⸗ “ <
zeynera ruv avdowrrov, Ar Edeizuro de. Erı yap aunaro; yv 0
40 1. Ber. . Abſchn. 1. Kap.
griff des Verhältnifies, in welchem Chriftus als Sohn Gottes
zur Menfchheit fieht, zu Grunde. Die Menfchiwerdung iſt
loyos, & xar' eixova 6 ardgwrros Eyeyova. Aa räro dn xai vw
Dfiolworv Gudtws ameßakev. Onore dk oap& Eykvero ö Aoyos rä
Ges, Ta Auporepn Errexugwoe, xaı yap rw einova Edeier aiydüs,
aGros roro yerouevog, öneo 79 7 Eixuv aurs, zal Trw Onolwar
Peßaiws; zartsnoe, ovvelououwses Toy arFewnov Tb Goparıy Tara.
Ge merkfwürdiger es if, diefer erſt in der neuern Zeit in
ihrer wahren Bedeutung aufgefaßten Idee fchon hier zu bes
gesnen, deſto mehr verdient auch bemerkt zu werden, baf
Irenäus mit ihr nicht allein ſteht. Tertullian fpricht Dies
felbe dee an mehreren Stellen aus. De carne Christi
c. 6.: Quodcungue limus esprimebatur, Christus cogita-
batur homo futurus (mas aus Erde gebildet wurde, war
in Gedanken, der dee nach, Chriftus als künftiger Menſch,
‚ die Idee war alfo Chriftus als Logos, renlifirt wurde alfe
auch die dee des Logos erft durch feine Menfchwerdung,
und der Menfch vor Chriftus war noch nicht der vollkom⸗
mene Menfch, der wahre Gottmenfch). Ita limus Üle jam
tum imaginem induens Christi futurl in carne, non
tantum Dei opus erat, sed et pignus. Ad tmaginem
Dei fecit kominem, scilicet Christi. Adv. Prax7 c. 12.1
Erat autem, ad cujus imaginem faciebat: ad filli sci-
licet, qul, homo futurus certior et verlor, imaginem
suam fecerat dici hominem, qui tunc de limo formart
habebat, imago vero et stmilitudo (Es gab einen, nad
deffen Bild Gott den Menfchen fchuf, er fchuf ihn nämlich
nah dem Bilde des Sohns, in welchem ale Menfch die
Idee der Menfchheit realifirt werden follte, damals aber
war der nach feinem Bilde sgefchaffene Menfch nur dem
Namen nach fein Bild, da er erfi aus der Erde gebildet
werden follte, als Bild. des wahren, des Gottmenfchen).
Adv. Marc.V, 8.: ‚Deus Christum, sermonem suum, In-
tuens .hominem futurum. Es erinnert diefe Vorftellung
auch an den mit dem göttlichen Geiſt identifchen Adam:
Ehrifius der pfeudoclementinifchen Homilien (vgl.: Die dr.
Bnpfis. ©. 339. 394.). Es if dieß um fo bemerkenswer⸗
Irenäus. 41
nicht blos ein aäͤuſſeres Zuſammentreten bes Goͤttlichen mit
dem Menſchlichen, ſondern, wie es zum Weſen der Idee
ther, da hieraus auch Die eigene Vorſtellung bes Irenaͤus,
nach welcher der Logos unb der Geiſt die Hände Gottes find
(manus Dei IV. Prooem. 4. V.1,3. 16, 1.) ihre Erflärun
erhält. In demfelben Sinn ſpricht Tertallian Adv. PraX.
c. 4. vom Sohn und Bei, als den ministr! des Vaters
(ogl. ren. IV. 6, 7.: ministrat ei Patr] ad omnia sus
progentes et stgnificatio sua id est Filius et Spiritus).
Sanz daflelbe ift nun, nur in der Einheit, die zei dnmse-
ysoa der pfeuboclementinifchen Homilien (XVI, 12.), die als
weltfchöpferifche Hand aus Gott hervorgehende Weisheit,
die fein eigener Geift, die mit ihm aufs engſte verbundene
Beedle ift (ngl. Hom. XVI. 12.: oopla - - auro; aeı uuvę xcuxev
und ren. IV. 20, 1.: adest ei semper verbum et sapien-
a). Daß aber bei grenäns nicht von Einer Hand, fons
dern von Händen Gottes in der Mehrheit die Rede ift, if
die natürliche Folge davon, daß in dem Montaniſtiſchen
Subordinationsſyſtem, das wir wicht blos bei Tertullian,
fondern auch bei Sjrenäus finden, an die Stelle des Einen
Principe, welches Weisheit, Geil, Seele genannt wird,
Sohn und Geik in abfinfender Folge als zwei von einander
unterfchiedene Principien gefezt find. Wie dieß mit dem
Urfprung und Wefen des Montanismus zufammenhängt,
kann hier nicht weiter ausgeführt werden. In Beziehung
auf das Dbige mag hier nur noch dieß bemerkt werden, daß
nach Irenäus durch den Geift Gott ebenfo mit dem Men:
fchen, als durch die Menfchwerdung des Sohns der Menſch
mit Gott vereinigt wird, und in dem Einen wie in dem
Andern die neue Lebensgemeinfchaft zwifchen Gott und dem
Menfchen beficht (effundente (Domino) Spiritum Patris
in adunitionem et communionem Dei et hominis, ad
homines quidem deponente Deum per Spiritum, ad
Deum autem rursus imponente hominem per suam in-
tarnatiomem, et firme et vere in adventu suo donante
nobls incorruptelam, per eommunionem, quae est ad
um. V. 4, 1.).
42 1. Ber. 1 Abſchn. 1. Kap.
gehört, daß fie fich verwirklicht, fo iſt e8 bie weientliche Bes
flimmung des Sohnes. oder des Logos, Menſch zu werden,
und auf der andern Seite würde auch der Menfchheit die
ihrem Begriff adäquate Volllommenheit fehlen, wenn nicht
der Sohn Gottes in der Menſchheit Menſch geworden wäre.
Bie alfo die Menfchheit im Eohn Gottes ihre Wahrheit hat,
ſo hat der Sohn Gottes in der Menfchheit die Wirklichkeit
feiner Idee, und die Cinheit des Göttlichen und Menichlichen
ftellt fich auf dieſe Weife als eine innere und wefentliche dar.
Gehört es aber zum Wefen des Menfchen felbft, mit Gott
Eind zu feyn, fo iſt der Menſch ſchon dadurch an fich ‚mit
Gott verjöhnt, und es fommt nur darauf an, dieſe Einheit
auch für das fubjective Bemußtfeyn zu realifiren. In dieſer
Hinficht geht jedoch, Srenäus über die allgemeine Vorftellung
nicht hinaus, Daß wir, wie wir im erften Adam durch Un-
gehorfam gefündigt haben, im zweiten Adam durch den von
demjelben bi8 zum Tode geleifteten Gehorſam verföhnt wor⸗
den find *). Diefe Verföhnung wäre aber nicht möglich ge-
weien, wenn nicht Chriftus, worauf Srenäus im Gegenfaz
gegen die, den Weltfchöpfer von dem höchiten Gott trennen:
den, Gnoftifer befonderd dringt, als Grlöfer diefelbe fub-
ftanzielle Natur mit der von ihm erlösten Menfchheit hätte 2).
Die Menſchheit iſt alfo gleichſam der Gottmenſch felbft, und
die in Chriftus durch die Menfchwerdung Gottes realifirte
Idee ded Gottmenſchen ift eigentlich nur die durch Chriftus
1) V.16, 3.: ’Ev utv yap ri newrw "Adau Troouexöymuer, un na-
yoavres aura ımy Evroiv, &v de Ti Öevreep "Adau anoxarnlda- ,
ynuev, Unnroo ulya Savara yevouevo.
2) V. 14, 3.: St ex altera substantia carnem attulit Domi-
| aus, jam non illud reconciliatum est Deo, quod per
transgressionem factum fuerat inimicum. Nunc autem
per eam, quae est.ad se, communicationem reconclliavit
Dominus hominem Deo Patri, reconciliavit nos sibi per
corpus carnis suae.
Origenes. 43
zum Bewußtſeyn gefommene, an ſich feyende, Einheit des
Göttlihen und Menſchlichen. Hierin liegen die Keime einer,
ine mythifche Vorftellung von dem Kampfe des Exrlöferd mit
dem Teufel weit überfchreitenden, VBerföhnungstheorie, fragt
es fi) aber, was bie eigentliche Lehre des Irenaͤus war, fo
dürfen wir und nicht an Ideen halten, die zwar an fi uns
verkennbar in dem Speenkreife des Srenäus enthalten find,
“ aber doch in ihrem Zufammenhang in ihm felbft noch nicht
zum Haren Bewußtieyn gekommen waren, fondern nur an
die von ihm, als die weientlichten Momente feiner Anficht,
auögefprochenen Borftellungen.
Die Theorie, die wir hier unterfuchen, ließ, foweit fie
Srenäus entwidelte, hauptfächlich den Punct noch unbeftinmt,
welcher die Frage betrifft, was den Teufel beftimmte, Jeſus
wie einen gewöhnlichen, der Macht ber Sünde und bes To⸗
ded unterworfenen, Menfchen zu behandeln? Kannte er, wie
doch angenommen werden zu müffen fcheint, Jeſum als ben
Gerechten und Unfündlichen, welcher er war, fo mußte er
doch auch wifien, daß der Kampf, in welchen: er in Dem
von ihm veranftalteten Tode Jeſu mit dem Stärferen fich
einließ, nur zu feinem Verderben ausfallen werde, Eben
dieß ift nun der Punct, von welchem aus Origenes dieſe
Theorie weiter fortbildete, indem er den von Irenäus ‚noch
zurüdgehaltenen Gedanken, daß der Teufel getäufcht worden
jey, ausdrüdlich ausſprach, und durch die Ausfüllung dieſer
Lüde einen für den Zuſammenhang diefer Theorie wefentlis
den Punct hervorhbob.
Um jedoch die Bedeutung richtig zu verftehen, welche
eine folche Theorie gerade für Drigened haben fonnte, muß
man ſich in den Gefichtöpunet hineindenfen, aus welchem er
fie im Zufammenhang mit feiner Lehre von den Dämonen,
und feiner dadurch bedingten Weltanftcht überhaupt, auf-
faßte. Wie nad) feiner Anficht überhaupt die Dämonen in
einem fteten Rampf gegen das Chriftenthum, ald das Reid)
4 1. Ber. J. Abſchn. 1. Kap.
08 wueen Wels, Tegrifen ſind, und alles, was dem
Chriſtenthum nachtheilig ift, als ein Sieg der Dämonen,
alles, was es fördert und zur allgemeinern Anerkennung
Bringt, als eine Niederlage derfelben anzufehen ift, fo ift ein
beſonvers wichtiges Moment Diefed Kampfes bes Daͤmonen⸗
reichs gegen das Chriſtenihum der Tod Zefı, jeboch nur Fo,
daß in ihm in höherem Grade erfolgte, was auch Tonft durch
bie Thätigfeit der Glaubigen auf verfchledene Weife zur För⸗
derung der Sadje des Chriftenthums geſchieht. Was der
Tod Jeſu im Großen und in Beziehung auf das Ganze ift,
ift auch ſchon jeder Märtyrertod im Kleinen und Einzelnen.
Wenn die Seelen derer, welche für das Chriftenthum aus
Frömmigkeit fterben, mit großem Ruhm den Leib verlaffen,
fo ftürzgen fie die Macht der Dämonen und fchwächen ihre
Angriffe auf die Menfchen. Daher willen die Dämonen aus
Erfahrung, daß fie von den Märtyrern der Wahrheit beflegt
und überwunden werden, und laffen die Chriften im Frieden
mit der Welt, und wenn fie dann auch wieder die Noth
vergefien, die fie erlitten haben, und ihre Kräfte auf neue
fammeln, und, von ihrer Bosheit verblendet, fich wieder
rächen wollen und die Ehriften verfolgen, fo erleiden fie eine
neue Niederlage 2). Um die Urfache folder Wirkungen zu
erklären, beruft fi) Origened auf den unter den Heiden
herrfchenden Glauben, daß einzelne Unfchuldige durch frei«
willige Aufopferung Völker und Städte von ſchweren Un-
4) Contra Gelsum VII, 44. — Ai wugai ror slseßivrww , xai
di” evorßeuav anodvousvwv Ta oWuara xafeläcı To TE Tovngs
sorrunsdov. "Eyu 3’ olum orı aisdousvo ol daluores, örı os
mis yırdyres, war di evoeßeior Gnodnjaxovres za Fargacıy avrov
rv Öwaseay, ol de dis Tag mroves — xoL riv JeoaeBeuv
agvauevor UNO yelgoı aurois ylvovraı, 86” Ore rrgooquloveıxucı Tot;
rapadıdousvas zusıavois, ws xoAalouevor uw UNO tig Önokoyia;
«uruv,, avanavoueroı ÖR ini Ty aeyyas eurär.
\
Drigene® 45
gluͤcksfällen befreien *), zum Beweiſe dafür, daß ſolche Auf⸗
opferungen, wie bie der Märtyrer find, einen fir die Men-
ſchen höchſt heilfamen Einfluß auf die böfen Dämonen aus⸗
üben. Es ift die unwiderſtehliche, gleichſam magifch wirken⸗
de, Macht des Guten, wodurch jede gute und eble That auf
das Ganze der Weltordnung einwirkt, und zum Beften vie
fer Menfchen dient. Origenes trägt fogar kein Bedenken,
folche Wirkungen mit der. Beſchwörung eines giftigen Thiers
zu vergleichen ®). Es fcheint Ihm ganz in der Natur der Dinge
zu liegen, daß nad) gewiflen verborgenen Urfachen, Die bie
meiſten Menfchen nicht verftehen können, eine foldhe Ratur,
wie ein Gerechter ift, welcher: für das allgemeine Beſte frei«
willig flitbt, eine Abwendung der böfen Dämonen bewirkt,
welche Seuchen, Mißwachs, böfe Winde oder etwas dergleichen
verurfachen. Es jagen nun, fo macht Drigenes die Anwen⸗
dung auf den Tod Jeſu, diejenigen, welche nicht glauben
wollen, daB Jeſus am Kreuze für die Menfchen geftorben
fey, ob Re die vielen hellenifchen und barbarifchen Erzählun-
gen für wahr halten, daß Einzelne für das allgemeine Befte
geftorben, um Unglüdsfälle, die Städte und Völker betrafen,
abzuwenden, ober ob dieß zwar gefchehen, Teinen Glauben
aber verdiene, daß derienige, der für einen Menſchen gehal⸗
ten wird, geftorben fey, und den großen Dämon und Dä—
monenfürften, welcher alle auf die Erde gekommenen Men⸗
ſchenſeelen fich unterworfen hatte, zu flürzen 9. Was Jefum
1) In Jeh. Tom. XXVIII, 14. — oiovet xarapyaudva ru dveoyär-
Tog aUra 7IovngB nvebuatos dia To daurov Twa une TE xovõ
dıdovar.
2) In Joh. Tom. VI, 36. — Taster rı dn vorrior To Javarıp
Toy edoeßesrum KagTugwv yiveodan, nolloy dgarp zw) J
opelsutvwv Go Ta Javara aurwv.
3) Contra Celsum I, 31. VII, 17. — Odx äronor, anoredvnze-
va Tov üvdowrnov, .xaı Tov Savaroy auru & uovov Tragadeıy ua
iantiadeı ta Untg evosßeias anodvnextw, alla yao xal eleyaodaı
3
48 1. Ber. 5 Abſchn. 1. Rap.
gened den Tod Jeſu ftellt, ein mit dem Teufel gefchkoffener
Bertrag ift, wird der Zufammenhang diefer Borftellung von
einer andern Seite etwas unterbrochen. War c8 ein freier
Bertrag, bei welchem der Teufel das Blut Jeſu als Löfegeld
forderte, fo wußte der Teufel voraus fihon, was er zu
„empfangen und Dagegen zu geben hatte. Wurde er auch ge⸗
täufcht, fo lag doch die Täufchung in der Natur der Cache,
ohne der Idee eines Vertrags zu widerftreiten. Anders aber
geftaltet fich die Sache, wenn ber Teufel nicht, um in Folge
eined Vertrags etwas zu geben, fondern nur in der Abficht,
das, was er hatte, und durch die Wirkſamkeit Jeſu zu ver⸗
lieren befürchten mußte, um jo ficherer zu behalten, Sefum in
feine Gewalt bringen wollte So ftellt Drigened die Sache
dar,. wenn er aus Beranlafjung der Stelle Matth. 17, 22,
( uehlzı 0 vios wIguns negadidoodas eis xeigas —2*
Iowrov) die Frage unterfucht: von wen Ehriftus in bie
- Hände der Menfchen gegeben worden fey? und barauf bie
Antwort gibt: der Sohn fey zuerft von Gott dem Yürften
diefer Welt: und feinen Dämonen und hierauf von Diefem den
Menſchen, die ihn tödteten, übergeben worden. Die Abficht
aber ſey eine ſehr verſchiedene geweſen. Gott habe ihn aus
Liebe zu den Menſchen für uns alle hingegeben, die Men⸗
ſchen ſeyen nur das Werkzeug der Dämonen, die ihn in die
Gewalt des Todes bringen wollten, geweſen, die Dämonen
ſelbſt aber und der Teufel ſeyen hauptſächlich durch die Be⸗
ſorgniß beſtimmt worden, daß er ihnen durch ſeine Lehre die
Herrſchaft über die Menſchen entreiſſen werde. Es find fo
zwar zwei etwas verſchiedene Darſtellungen 9), fie vereinigen
9) Prettum poposeit, quod voluit, ſagt Origenes in der zu⸗
vor aus dem Commentar über den Brief an die Römer
angeführten Stelle vom Teufel, ut de potestate dimitte-
rei, quos tenebat,, in dem Comm. über das Evang. Matth.
aber Tom. XIII, 8.: contrariae potestates, cum servato-
Drigened. 49
fih aber beide in der Idee einer Täufchung des Teufels, die
in der Theorie des Drigened eine ſehr weſentliche Stelle ein⸗
nimmt. Auf diefe Idee kommt daher Origenes wiederholt
uräd. Am ausführlichiten hat er fie aus Beranlafiung der
Stelle Matıh. 20, 28. entwidelt %), wo er die Frage auf-
wirft: Wem hat der Erlöfer feine Seele zum Löſegeld für
‚ Diele gegeben? „Doc nicht Gott,” antwortet er, „warum
alſo nicht dem Teufel? Denn diefer berrfchte über uns, bis
ihm zum Löfegeld für uns die von ihm geforderte Seele Je⸗
fu gegeben ward, indem er meinte, er könne fie in feiner
Gewalt haben, und nicht jah, daß er die Qual, die ihm das
Beſtreben, fie feſtzuhalten, verurfachte, nicht ertragen könne.
Deswegen berricht auch der Tod, ber fchon über ihn Herr
geworden zu feyn glaubte, nicht mehr, da er frei unter ben
rum tradebant in manus hominum, non eorum illud
erat consilium, ut pro ullius hunc salute traderent, sed
quoniam nullus eorum cognoscebat Dei sapientiam in
mysterio reconditam, eum morte plectendum, quantum
in se erat, tradebant, ut hostis illius, mors, in potesta-
tem suam redactum eum occuparel, ad eundem modum,
quo qui in Adam mortuntur. Vgl. Tom. XXXV, 75.:
Non omnes eodem proposito tradiderunt. Deus enim
‚ tradidit eum propter misericordiam circa genus huma-
num (Röm.8,32.). Ceteri autem tradiderunt eum iniquo
proposito, unusquisque secundum malitiam suam, Judas
propter avaritiam, sacerdotes propter invidiam , diabo-
las propter timorem, ne avelleretur de manu ejus genus
kumanum, per doctrinam ipsius.
1) Tom. XVI, 8. Vgl. die zulezt angeführte Stelle, in wel⸗
der Drigenes unmittelbar nachher fo fortfährt: non ad-
vertens, quoniam magis eripiendum fuerat genus hu-
manum per mortem ipsius, quam fuerat-ereptum per
doctrinam et mirabilia. Traditus est enim ad cruci-
figendum, ut exuens principatus et potestates fiduclali-
ter triumphet eos in ligno (Sol. 2, 15.).
Baur, die Lehre von der Berföhnung. i 4
50 1, Per. l. Abſchn. 1. Kay.
Tobten war, und ftärfer als die Macht ded Todes, und in
ſolchem Grade ftärfer, daß auch alle, die unter den in-ber
Gewalt des Todes Befindlichen ihm folgen wollten, ihm
folgen. konnten, ohne daß der Tod noch etwas gegen fie ver
mochte. — So find wir nun durch das theure Blut Jeſu
erfauft, gegeben aber iſt als Löfegeld für uns die Seele bed
Sohnes Gottes, nicht fein Geiſt, denn diefen hat er zuvor
fchon dem Vater mit den Worten übergeben: Bater, in deine
Hände übergebe ich meinen Geift, aud) nicht fein Leib, weil
wir über ihn nicht8 dergleichen gefchrieben finden. Und weil
num feine Seele zum Löfegeld für Viele gegeben ift, fie. aber
bei dem nicht blieb, welchem fte zum Löfegeld für Viele ges
‚ geben worden iſt, beöwegen heißt es Pf. 16.: du laͤſſeſt
meine Seele nicht im Hades.“ Es ift ſchon der Uebergang
zu den fpäter fo weit ausgeführten bildlichen Vergleichungen,
wenn Origenes zu den Worten Pſ. 35, 8.: EAIETo aurol
rayis, 79 8 yimWox8oı, xal 7 In0u, 7v Exovier, Ovkiu-
Berw 8 u. |. w. bemerkt: vouilw rreol TE gavg& M-
yaıy auıov, eis 09 Eumentonev 6 dıcßolog ayvowv. Ei
yap.Eyvu, 8% &v avıov xugiov ng doEng Esavewoe }).
Wie ſchon hier die Idee einer abſichtlichen Taͤuſchung des
1) Das Kreuz iſt mit einem Neze verglichen, mit welchem der
Teufel gefangen wurde. Diefelbe bildliche Vergleichung Eonnte
"auch von der Menfchheit Chriſti gebraucht werden. Es fcheint -
beinahe, eine folche habe fchon dem Clemens von Aler. in fol:
“gender Stelle der Cohort, ad gent. c. 11. vorgefchwebt: der
Menfch Ing in den Banden der Sünde, der Herr: wollte ihn
aus ihnen befreien, xar oapxı Evdeseis (uusjaov Heior) zury
Tov ögıw & Zeigeioaro , ut Tov Tüpavvov Bdnlulsaro zul Toy Jara-
rov. Kal ro magadosdruror , Bxeivov Tov üvdownor, Tov ndori
enlarnup, Tov Ti pIogz Öedensvor, yegaır rlonevaus toeice
deluutvov. N Jaunatos Augiæũ xexhran ur 6 xvo⸗ —XR de
—— ‚not h &x rö naeadelos mc revov , ueiloy Umaxong a9dor
gave arolrupareı.
— — — — — —
Origenes. 51
Teufels durchblickt, ſo geht Origenes fogar ſoweit, die Täu-
ſchung des Teufels als unmittelbare Abſicht Gott ſelbſt zu⸗
zuſchreiben 2). Indem Gott feinen Sohn dem Teufel uͤber⸗
gab, durch den Teufel feinen Kreuzestod veranftalten ließ,
gebrauchte er ihn felbft ald das bewußtlofe Werkzeug zur
Zerſtörung feiner eigenen Macht. Der vom Teufel bewirkte
Tod des Erlöferd war fo wenig ein Eieg über ihn, daß er
vielmehr fogar das Mittel wurde, die Macht bes Todes
felhr aufzuheben, Je mehr auf diefe Weife auch der Wider⸗
ſpruch hervorgehoben wird, in welchen der, feinen eigenen
Zwecken entgegenhanbelnde, Teufel mit fich felbft kommt,
ohne den von Gott von Anfang an durdfchauten und abs
fihtlich herbeigeführten Widerſpruch zu ahnen, deſto mehr
wird die Selbfttäufchhung des Teufels, wie fie in der, gleich-
fam einen dramatifchen Character annehmenden, Darftellung
deö- Drigenes erjcheint, auch aus dem Geſichtspunct ber
Ironie aufgefaßt 2).
1) In Matth. Tom, XHI, 9.: Aa räro 6 Harn ra idlh via ax
Epeloaro, all’ Unte nusv navrwy nrapkdiwxev aurov, IY oil Trapa-
Aaßorres aurov, xaı Tagadovres aurov Eis Yeigag avdeunur ,
OTTO TE xaromıoavrog Ev Tois Apavolis Eyyslaodocı, xal Uno Ta
zuola Exuurrnaogüor, eis xaralvow .rns Ilias Paokelas xaı apyns
nraga rooodoxiav Tagalmforres ano TE Targos Tov viov, Osı5
T7 Toitn nulga nyeogn, To Tov &yIo0v avra Iavaror xarneyyxe-
var, .xol nuäs Tenonztvan ovunöppes, A uovov TE Javars aure,
alla zul avasaceuc U. ſ. W.
2) Wie fehr Drigenes auf diefe Weile mit den Gnoftitern zu-
ſammentrifft, fälkt von felbft in die Augen. Man vgl. die
obigen Bemerkungen ©. 28. Don einer Täufchung dieler
Art war befonders bei Marcion und den Mareioniten Die
Rede. In dem unter den Werken des Drigenes befindli-
chen Dialegus de. recta in Deum fide ſagt der Mareionite
Sect. 2.: O üyados, iduv zuradedızuauevw mv yuxyv, Blenoas
yAger, 6 d& Önmaeyos 7IElyaev auris Emulsion, 0Iev xaı Evo-
udey aurov gavpav. — °O Anpnoyos, Idww rov ayadav Avovra
4 *
s0 I. Ber. l. Abſchn. 1. Kap.
Todten war, und ftärfer ald die Macht des Todes, ımd in
ſoſchem Grabe ftärfer, daß auch alle, die unter den in-ber
Gewalt des Todes Befindlichen ihm folgen wollten, ihm
folgen. konnten, ohne daß der Tod noch etwas gegen fie vers
mochte. — So find wir nun durch das theure Blut Zefu
erfauft, gegeben aber ift als Löfegeld für uns Die Seele des
Sohnes Gottes, nicht fein Geift, denn diefen hat er zuvor
ſchon dem Vater mit den Worten übergeben: Bater, in deine
Hände übergebe ich meinen Geiſt, auch nicht fein Leib, weil
wir über ihn nichts dergleichen gefchrieben finden. Und weil
num feine Seele zum Löfegeld für Viele gegeben ift, fie aber
bei dem nicht blieb, welchem fte zum Löfegeld für Viele ges
geben worden ift, Deswegen heißt es Pſ. 16.: du läffeft
meine Seele nicht im Hades.“ 8 ift ſchon der Uebergang
zu den fpäter fo weit ausgeführten bildlichen Vergleichungen,
wenn Origenes zu den Worten Pſ. 35, 8.: Adern uroig
rayls, 79 8 yirW0x8oı, xal 7 Inow, NV Exguven, ovAle-
Berw aurds u. |. w. bemerkt: —8 D TE ‚saug& 18-
yav abroy, eis dy —A 0 didsolos — Ei
yap.:yvw, 8% av avrov xöguov 175 do&ng Esavgwoe !).
Ve ſchom hier die Idee einer abſichtlichen Täuſchung des
1) Das Kreuz iſt mit einem Neze verglichen, mit welchem der
Teufel gefangen wurde. Dieſelbe bildliche Vergleichung konnte
"auch von der Menſchheit Chriſti gebraucht werden. Es ſcheint
‚beinahe, eine folche habe fchon dem Elemens von Alex. in fol:
“gender Stelle der Cohort. ad gent. c. 11. vorgeſchwebt: der
Menfch Ing in den Banden der Sünde, der Herr: wollte ihn
aus ihnen befreien, xar oaoxı Evdedeis ( uvsngov Jeiov) rar
Tov ögır & Zeigeioaro , xt Tov Tugavvov &dnlusaro zul Tov Jarva-
rov. Kal ro magadoscruror , Exeivov Tov üvdownov, Tov ndori
nenkernupr; Tov ri YIoga dedenivov, yegcıv ———— Fdedse
deluutvov. N uuutos Augiæũ xerhran ur 6 vvᷣoo⸗ ‚Gvdeın dk
s— ‚ao ooͤ &x 8 magadelos 1 TTEOeV 5 Mehr Unaxois aIAov
Agayıs anolrußareı.
Origenes. 51
Teufels durchblickt, fo geht Origenes ſogar ſoweit, die Täu-
ſchung des Teufels als unmittelbare Abſicht Gott ſelbſt zu⸗
zufchreiben 2). Indem Gott feinen Sohn dem Teufel über-
gab, Durch den Teufel feinen Kreuzestob veranftalten ließ,
gebrauchte er ihn felbft ald das bewußtloſe Werkzeug zur
Zerſtörung feiner eigenen Macht. Der vom Teufel bewirkte
Tod des Erloͤſers war fo wenig ein Eieg über ihn, daß er
vielmehr fogar das Mittel wurde, die Macht des Todes
flo aufzuheben, Je mehr auf diefe Weile auch der Wider⸗
foruch hervorgehoben wird, in welchen der, feinem eigenen
aweden entgegenhandelnde, Teufel mit fich felbft Tommt,
ohne den von Gott von Anfang an durchſchauten und ab»
fihtlich herbeigeführten Widerſpruch zu ahnen, deſto mehr
wird die Selbfttäufchung des Teufel, wie fie in der, gleich
fam einen dramatifchen Character. annehmenden, Darftellung
des- Drigenes erfcheint, auch aus dem Gefihtöpunet ber
Ironie aufgefaßt 2).
4) In Matth. Tom, XHI, 9.: Ad züro 5 naryo ra lila via ax
Eyeioaro, all’ Unke nusv nayrwr namöwxev aurov, IV ol Tapa-
Außorres airov, zul napadorres avrov eis zeigag avIewrun ,
U770 TE xuTommoavrog Ev Tois Agavois Eyy:laodwcı, xal uno ra
æuols Exuuernaodrüor, el; xaralvonr .uns idlas Paolelos za Goxis
naga rooodoxiav Tagalufovres ano TA TLaTOOS Tov viov, Ösıs
Tu Tolrn nutoa nyeo9n, To Tor EyIe0v auch Iavaror zarneyyee-
va, .xal nuäs menonzevo ovunöppes, & uovov TE Javara aurs,
alla zart avasacew; u. f. w.
2) Wie fehr Drigenes auf diefe Weife mit den Gnoſtikern zu⸗
,‚ fammentrifft, fälkt von felbft in die Augen. Man vgl. die
obigen Bemerkungen ©. 23. Bon einer Täufchung dieler
Art war befonders bei Marcion und den Mareioniten Die
Mede. In dem unter den Werken des Drigenes befindli-
chen Dialegus de. recta in Deum fide fagt der Mareionite
Sect.2.: © ayadog, Lduv zuradedızaa ucvv rij⸗ vvxiv denooc
19er, 5 BR Önmneyds 7Ielysev abris Brußakevon, 6Iev xar Evo-
Mor awzov zavpar. — V Anuneyos, iduv Tov ayadov Avovre
4 *
—R
54 1. Ber. J. Abſchn. 1. Kap.
gende Dogmatifche Begriff der Gerechtigkeit, wie er ja an ſich
ſchon mit der Borausfezung einer Täufchung in eine gewiſſe
Collifion kommen zu müffen fcheint, zurüd.
. :Baben wir aber überhaupt das Recht, auf Die hier hervor
‚gehobene mythiſche Seite der Theorie des Origenes fo großes
Gewicht zu legen? Origenes faßt ja den Tod Jeſu aus ver-
ſchiedenen Gefichtöpuneten auf, er betrachtet ihn insbeſondere
auch als ein Gott dargebrachtes Opfer, amd als den höch⸗
ſten Beweis des Gehorſams gegen Gott, es fragt ſich Daher,
wie verhalten fich diefe Vorftellungen zu der Vorſtellung ei⸗
ned dem Teufel bezahlten Löſegeldes und eined Kampfes mit
demfelben, welche dieſer verfchiedenen Vorſtellungen ift als
diejenige anzufehen, welcher die übrigen untergeordnet wer⸗
den muͤſſen? Wie überhaupt nach der Anficht des Origenes
Sünden ohne Opfer nicht vergeben werben koͤnnen, fo if.
auch der Tod Jeſu ein für Die Sünden der Welt Gott dar-
gebrachtes Berföhnungsopfer.. Da Origened die Nothwen⸗
Digfeit eined folchen Opfers *) nicht aus dem Begriff der
göttlichen Gerechtigkeit ableitet, fo tft ſchon deswegen nicht
anzunehmen, daß er fich den Zufammenhang des Opfers mit
4) In Num. Hom. XXIV, 1.: Si non fuisset peccatum , non
necesse fuerat fillium Dei agnum fieri, nec opus fuerat
eum in carne positum jugulari, sed mdnsisset hoc,
quod in principio erat, Deus Verbum: verum quoniam
introilt peccatum in hunc mundum, peccati autem neces-
sitas propitiationem requfrit, et propitiatio non fit nisi
per hostiam, necessarlum fuit, provider! hostiam pro
peccato, Als Opfer aber hat fich Jeſus nur Geit darge:
bracht. In Lev. Hom. I, 2: Solus ille masculus (3 Mof. 1,3.)
solus sine macula est, qui peccatum non fecit, nec dor
lus inventus est in ore ejus, et qui acceptus contra Do-
minum offertur ad ostium tabernaculi. — Hoe est ergo,
quod offertur ad ostium tabernaculi, acceptum contra
Dominum, et quld tam acceptum quam hostia Christi,
qui se ipsum obtulit Deo?
Drigened 5
der Vergebung ber Sünden durch die Idee eines ſtellvertre⸗
tenden Leidens vermittelt dachte. Es ift vielmehr nur ber
allgemeine Begriff des Opfers, welcher hier angewandt wird.
Jedes Opfer muß, wenn es dem Zweck entfprechen fol, für
welchen es dargebracht wird, eine gottwohlgefällige Beſchaf⸗
fenheit haben, d. h. rein und fledenlos feyn. Diefe Reinheit
kann bei dem Opfertod Jeſu nur die Unfünbdlichfeit und fitt
lihe Vollkommenheit deffen feyn, der fich felbft als Opfer
Bett dargebracht hat. Je Höher und eigenthümlicher der
Vorzug iſt, durch welchen fih in diefer Hinficht Jeſus vor
allen andern Menfchen auszeichnet, defto mehr eignete er fidh
auch zu einem Verföhnungsopfer für die Sünden der Men⸗
fen. Wenn daher von ihm gefagt wird, er habe als ein
Gott dargebrachtes Opfer die Sünden der Welt auf ſich ge:
nommen und getragen, fo ift dieß nicht von einer Erduldung
der Sündenftrafen an der Stelle der Menfchen, fondern nur
davon zu verfichen, er fen vermöge feiner vollfommenen
Reinheit von der Sünde im Stande gewefen, der Sünde ber
Belt ein folches Gleichgewicht entgegenzufezen, baß die Auf-
bebung der mit der Elinde verbundenen Schuld und Strafe
die Wirkung feines Todes war. Indem alſo Gott in ihm,
dem wegen der Sünde ber Welt Leidenden und den nothiwen-
digen Zufammenhang von Echuld und Strafe in feiner Ber-
fon Darftellenden, feine abjolute Unfündlichkeit anfchaut, fieht
Gott zugleich über die Sünde der Welt hinweg, fie find in
dem Einen, das vor Gott abfoluten Werth hat, nur als ein
verſchwindendes Moment gefezt 9). Warum fol nun aber
1) In Lev. Hom. 11, 1.: Ipse; qui in stmilitudinem hominum
factus est, et habitu repertus ut homo, sine dubio pro
peccato, quod ex nobis susceperat, quia peccata nostra
portavit/; vitulum tmmaculatum , hoc est carnem incon-
taminatam, obtulit hostiam Deo. In Joh. Tom. XXVIII, 14.:
v ⸗ 7 «ı» 2 — ur 1% n ⸗
Avdowro; yay Esıv 0 anodavıy Imoas — sur Ertet ardgtuno; nev
..» 2 >» 8 . ..c .
esıv 0 anodaywv, ux nv 08 aydgwnos m alnden, za 7 nogpie,
56 L Ber. 1. Abfchn. 1. Kap.
ein auf ſolche Weife Gott dargebrachtes Opfer. nicht an fich
fihon eine, zur Berfühnung der Schuld der Sünde zureichende,
%
zo 5 alpmwn, mai 7 Öimaauvn nor ed a yeyganıa" Ges m
ö Aoyog, Ax antdaver 6 Aoyos eos xal 7 ale, xai m vompla,
zo 7 dıxamauvn, avenidexros yap 7 eixuv Ta ea dogara Trot-
zöroxo;s raons xrloeus Javara. “Yrte ra Aus de anidaver
Bros 6 avdgwrrog To narrwv Loiwv xadanusrepov, Osıs Tas qAuae-
tias Auärv joe xar Tas uoseveias, üre Öurauevos näoay Try Ols
Ta x00ua &uaoprlav eig Zaurov avalaßuy Avcaı al Eiavalacaı zab e
Baparlsaı, ine un duaoriav änoize., Died muß in jedem
Fall als die Hauptonrfiellung des Drigenes angefehen wer»
den, wenn auch gleich nicht zu Iäugnen iſt, daß fich bei
Drigenes auch Stellen finden, in welchen er das Derföhs
nende des Opfers auf die Idee der göttlichen Gerechtigkeit
bezogen zu haben fcheint. Man vgl. z. B. Comm. in ep.
ad Rom. Ill, 8.: Secundum hoc ergo, quod hostia est
(Christus), profusione sanguinis sul propitiatio efficitur
In eo, quod dat remissionem praecedentium delictorum:
— cum (1 erg0) peccatorum remissto tribuatur, certum
est, propitiatiomem effusione sacri sanquints adimpletam,
absque sanguinis enim effustone non fit remissio pecca-
torum (Hebr. 9, 22.). Warum war es nothwendig, daß
das Blut vergoffen wurde, wenn es nicht als die Sühne
für Die Schuld der Sünde betrachtet wurde? Allein es if
Dabet nicht zu überfehen, daß Drigenes diefe Nothwendig⸗
keit nirgends aus der dee der göttlichen Gerechtigkeit ab-
leitet, fondern vielmehr nur bei der unbeſtimmten Vorſtel⸗
lung einer reinigenden Kraft des Blutes, die er fich, mie
es fcheint, auf geheimnißvolle Weife dem Blut inwohnend
Dachte, fiehen bleibt. Daher liegt ihm das eigentlich Vers
fühnende des Opfers in dem purgari peccata. Man vgl.
3. ®. Hom. in Lev. XIV, 4.: Mors, quae poenae causa
infertur pro peccato — purgatio est peccati ipsius, pro
quo Jubetur inferrt. Ebenſo unentwidelt ik bei Drigenes
die Vorfiellung des fiellvertretenden Leidens. Drigenss fagt
allerdings Diters, Jeſus habe für die Menfchen gelitten,
: Drigenes. " 57
Wirkung gehabt Haben? Es iſt dieß nur aus ber Selbſt⸗
ſtaͤndigkeit des VBerhältniffes zu erklären, in weichem man den
Teufel Gott gegenüber zu denfen gewohnt war. Hätte dem⸗
nach auch an ſich Gott aus Liebe zu den Menfchen und mit
Rüdfiht auf dad von Jeſu dargebrachte Opfer die Sünden
vergeben können, fo geftattete dieß doch Das Recht, das der
Teufel auf die Menfchen Hatte, nicht. In diefem Auffern,
im Grunde dbualiftifch gedachten, Verhältniß lag eine, die
Naht und Liebe Gottes beengende, Beichränfung. Es mußte
vor allenı Dem, nicht fowohl in der Idee Gottes an ſich, als
vielmehr nur in dem Verhältniß Gottes zu einem andern be=
. gründeten, Geſez der Gerechtigkeit Genüge geſchehen feyn,
wenn bie göttliche Liebe und Gnade fich follten geltend ma⸗
hen bürfen. So ftehen die beiden Vorftellungen eines Gott
dargebrachten. Opfers und eines dem Teufel bezahlten Löje-
gelds mit Derjelben Selbftftändigfeit neben einander, welde
überhaupt der Teufel neben Gott behauptet. Diefelbe Hand⸗
lung bezieht fich, obgleich auf fehr verſchiedene Weife, fowohl
auf Sott, als auf den Teufel. Was auf der einen Geite
ein, von dem Gefeze der Gerechtigkeit gebotener, nothwendi⸗
ger Act ift, iſt auf Der andern ein der Liebe von der Liebe
gebradytes Opfer 1). Obgleich das Eine dem Andern nicht
wie er 3. DB. in Ps. XXI. von dem Ausfpruch Jeſu Matth.
27, 46. fügt: Tunoi 70 nueregov ntasos, nueis yao nuev ol
Eyzaraleisınusvo xaı Trapewgauevo sreoregor U. |. W. Wie aber
diefe Stellvertretung fiattfand , und worin fie ihren Grund
hatte, wird nicht näher erklärt. Daß Iefus, wie Drigenes
Hom. in Lev. I, 3. fagt, peccata generis humani im-
posult super caput suum, ipse est enim caput corporis
ecclesiae suae, fchließt auch nur den Gedanken in ſich, daß
Chriſtus, als Haupt der Menfchheit, auch die Sünden der
Menfchen auf fich nehmen oder an fich darftellen mußte.
1) In Ep. ad Rom. IV, 11.: Secundum voluntatem Patris
forma servi suscepta obtulit vielimam pro universo
58 1. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap.
wiberftreitet, fo find Doch Hier Begriffe verbunden, deren Zur
fammenbang Fein innerlich begründeter, darum auch von
felbft fich auflöfender if. Wird der. Tod Jeſu zwar als ein
Opfer betrachtet, aber nicht auf den Begriff der göttlichen
©erechtigfeit, fondern ben Begriff der göttlichen Liebe bezo⸗
gen 1), während 'alles, was ber Begriff der Gerechtigkeit -
- bier für ſich anfpricht, nur auf die. Seite des Teufels fällt,
fo wird der leztere Geſichtspunct über den erftern geftellt,
alle Wichtigkeit und Nothwendigfeit des Todes Jeſu liegt
nur in feiner Beziehung zum Teufel, in Beziehung auf Gott |
hätte die Vergebung der Sünden auch ohne den Tod Jeſu
geihehen Fönnen, da fein Grund: einzufehen tft, warum,
wenn der Tod Jeſu nur ald Object der göttlichen Liebe be, .
trachtet wird, für die Liebe ein ſolches Opfer nothwendig
war. Se auffallender aber, von diefer Seite betrachtet, bie
Selbftftänbigfeit der Bedeutung hervortritt, die dem Teufel in -
feinem Berhältniß zu Gott eingeräumt wird, defto Harer muß
auch werden, wie wenig biefe Verföhnungstheorie überhaup .
dem abfoluten Begriffe Gottes entfpricht, daß ihre eigentliche
mundo, tradens sanguinem suum principi hujus mundi;
secundum sapientiam Dei, quam nemo principum hajus
mundi cognovit.
4) In Joh. Tom. VI, 35.: Obroc d7 6 auvos oyaysıs zaIapnor
yeydynrei, xora tıvag dmoßeyrag Aöyas, Ta bin xoaum, Unke 8 xara
Tm TE nargog Mardeonca za) ⁊ν gay avedssaro,. evaneros
To Eaurs aluarı ano Ta raig änagring nuds Trrrgaoxonevag *
gaoayros. °O db meodayayıy TäToy Toy auvov Ent zw Yvoler 6
&v ro avdeuno 7 mv Peos, Weyas GpxıEgeus. Die göttliche Liebe
Gottes zu den Menfchen ik alfo der lezte Grund des dar⸗
gebrachten Opfers, und zwar iſt es, da es Gott ſelbſt dar-
brachte, ein von Gott ſelbſt durch die Vermittlung ber
menfchlichen Natur des Erlöfers (vgl. ©. 55.) Gott darges
. brachtes Opfer. Wiefern aber bie göttliche Liebe biefes
Dpfer erheifchte, wird nicht weiter begründet:
- Drigene®. " 57
Wirkung gehabt haben? Es iſt dieß nur aus ber Selbfl-
ftändigfeit des VBerhältnified zu erklären, in weichem man ben
Teufel Gott gegenüber zu denken gewohnt war. Hätte dem⸗
nah auch an fi) Gott aus Liebe zu den Menſchen und mit
Rüdficht auf Das von Jeſu dargebrachte Opfer die Sünden
vergeben können, fo geftattete dieß doch das Recht, das der
Zeufel auf die Menfchen hatte, nicht. In dieſem äuflern,
im Grunde dualiſtiſch gedachten, Verhältniß lag eine, die
Macht und Liebe Gottes beengende, Beſchränkung. Es mußte
vor allem dem, nicht fowohl in der Idee Gottes an fidh, als
vielmehr nur in dem Verhältniß Gottes zu einem andern be=
gründeten, Geſez der Gerechtigkeit Genüge gefchehen feyn,
wenn die göttliche Liebe und Gnade fich follten geltend ma⸗
hen dürfen. So ftehen die beiden Vorftelungen eines Gott
dargebrachten Opfers und eines dem Teufel bezahlten Löſe⸗
gelds mit derſelben Selbftftändigfeit neben einander, welche
überhaupt der Teufel neben Gott behauptet. Diefelbe Hand-
fung bezieht fich, obgleich auf fehr verſchiedene Weife, fowohl
auf Sott, als auf den Teufel. Was auf ber einen Seite
ein, von dem Geſeze der Gerechtigkeit gebotener, nothwendi⸗
ger Act ift, ift auf Der andern ein der Liebe von der Liebe
gebrachtes Opfer 9. Obgleich das Eine dem Andern nicht
wie er z. B. in Ps. XXI. von dem Ausfpruch Jeſu Matth.
27, 46. fagt: Tunoi To nueregov rados, yusis yao nuev ol
tyzaralslıuuvo xaı Trapewonuevo rreoregov U. |. W. Wie aber
dieſe Etellvertretung ſtattfand, und worin fie ihren Grund
hatte, wird nicht näher erklärt. Daß Sefus, wie Origenes
Hom. in Lev. I, 3. fagt, peccata generis humani im-
posuit super caput suum, ipse est enim caput corporis
ecclestae suae, fchlieft auch nur den Gedanken in ſich, daß
Chriſtus, als Haupt der. Menfchheit, auch die Sünden der
Menfchen auf ſich nehmen oder an jich darfiellen mußte.
1) In Ep. ad Rom. IV, 14.: Secundum voluntatem Patris
forma servi suscepta obtulit viclimam pro universo
60 8er. J. Abichn. 1. Rap.
hangende Sin Belſt zeit Atem AR. BO ſallt von FAN: in Die
Yugen, wie wenig Zufammenhang in Diefer ganzen Vorſtellung
if. Um das Göttliche in Chriftus, was an fich unmöglich IR,
nicht in Die Gewalt des Tenfeld Tommen zu laſſen, fol nur
die Sede Jeſu als Röfegeld dem Teufel gegeben worben ſeyn,
deswegen werben biejenigen getabelt, Die Die Seele Jeſu vom
- ‚dem Göttlichen in Chriftus nicht unterfheiden. Um aber die
Seele Zefu nicht zu fehr herabzufegen, wird num wieder be
hauptet, e8 fey Die Einheit eines Ganzen, in weichen: Sein)
von Chriftus, und feine Seele von Dem Arſtgebornen ber
‚ganzen Schöpfung, ober von Ehriftus, ald Bett, nicht ge
trennt werden dürfe. Iſt aber diefe Einheit eine fchlechtbin
ungertrennliche, fo Eonnte auch Die Seele Zefu fo wenig, ald
das Göttliche in Chriftus dem Teufel als Löfegeld gegeben
werden, und diefer ganze Verföhnungsproceß hebt fih, da
er als ein blos fcheinbarer audy Fein Refultat haben Tann,
von feldft auf. Iſt die Seele Jeſu, für fich betrachtet, wie
fie Origenes in der Entwidlung feiner Theorie nennt, dem
Teufel als Löfegeld gegeben worden, obgleich mit der Folge,
daß er fie nicht fefthalten Eonnte, fo wurde fie ihm doch, fey
ed auch nur auf Einen Moment, reell gegeben, und der Act
der Berföhnung kann ebendarum als ein reell geichehener bes
trachtet werden, konnte fie ihm aber wegen ihrer Einheit -mit
dem Göttlichen in Chriſtus an fich nicht gegeben werden, fo
wurde dem Teufel überhaupt nichts gegeben, und der Act
der Berföhnung flellt fi als ein nicht wirklich vollzogener
bar. Das Ganze löst ſich in eine inhaltsleere: Vorftellung,,
1) Ill onnegor 8 Ad rov ’Incäv ano TE Xasä, alle moAlıs srAkor
oide Ev elvaı Thoũv tov Xoisov, xal zw Wuyyv aura Tmoos Tor
SLOWTOTOXOV Trauns wrisews, alla xaL To oWur aurä, ws nikov, ei
dei Erws Ovouasaı, Eivan !v olov räro, Oneo 0 »olluuevos tu
zuoln Ey zveuua Esw. GSelbſt Ichon der Ausdrud in dieſer
Stelle zeigt, wie unklar und ſchwankend die ganze Vorftel:
lung des Drigenes ift.
Drigene®. - 6
ein mythiſches Scheinbild, auf, das ber Idee der Verſöͤh⸗
nung feine objective Realität geben kann; es hat Feine logi⸗
he Wahrheit, fondern nur mythiſche Bedeutung, und kann
‚daher auch nur auf einem Standpunct befriedigen, auf wel⸗
dem überhaupt das mythiſche Bild noch Die Stelle bed Bes
griffs vertreten muß ).
1) G. Thomaſius in der Schrift: Origenes, ein Beitrag zur
Dogmengefchichte des dritten Jahrhunderts. Nürnberg 1837.
faßt ©. 221 f. die Lehre des Drigenes von dem Tode Jeſu
in die drei Momente der Erlöfung, Berföhnung und Rei⸗
nigung zuſammen. Die Erlöfung babe er bewirkt, fofern
er und von der Gewalt des Satans erfaufte, die DBerfüh-
nung ale Opfer für die Sünden, die Reinigung, fofern er
die Kraft verleihe, die Sünde felbf zu vernichten. Die
beiden erften Momente, die hier allein in Betracht Fommen,
da das dritte auf einem unflaren Begriff beruht, fliehen auch
in der von Thomaſius gegebenen Darftellung rein äuſſerlich
neben einander. In den Comm. in ep. ad Rom. III, 7. u. 8.
unterfcheidet zwar Drigenes die beiden Begriffe Erlöfung
und Berföhnung: Videamus attentius, quid sibi velit
redemtio, quae est in Christo Jesu. Redemtio dieitur
id, quod datur hostibus pro his, quos in captivitate de-
tinent,, ut eos restituant pristinae libertati. Detinebatur
ergo apud hostes khumani generis capttvitas peccato,
tanquum bello, superata: venit filtus Dei — et semel-
ipsum dedit redemtionem, id est, semetipsum hostibus
tradidit. — Cum superius dizisset (Apostolus), quod
pro omni genere humano redemtionem semetipsum de-
disset, ut eos, qui in peccatorum captivitate teneban-
tur, redimeret, — nunc addit aliquid sublimius et dieit
(Röm. 3, 24.) — guo scilicet per hostiam sul corporis
propitium homintbus faceret Deum, et per hoc ostende-
ret justitiam suam, dum eis remitteret praecedentia
peccata. Aber auch hieraus wird das Verhältnig der Ver⸗
föhnung zur Erlöfung nicht Elarer, und wenn hier etwa die
Verföhnung durch den Begriff der Gerechtigkeit näher be⸗
62 1. Ber. 1 Abſchn. 1. Kap—
Wie diefer Entwidlung zufolge zwifchen ben beiden Bi
ftellungen, von einem Gott dargebracdhten Opfer und eim
dem. Teufel bezahlten Löfegeld, in deren Sphäre ſich 1
Theorie des Origenes bewegt, Tein innerer wefentlicher 3
ſammenhang tft, fofern die leztere zwar als die, Die erſt
ſich unterorbnende, Hauptvorftelung. betrachtet wird, 1
Proceß aber, durch welchen der Act der Verföhnung verm
telt werden ſoll, als ein unmwahrer fich barftellt, fo hat O
gened auch den Gehorſam Jeſu nicht in ein folches Verhä
hältniß zu feiner Theorie gefezt, daß fie dadurch haltba
und zufammenhängender geworden wäre. - Der von Jefu
feinem Tode geleiftete vollfommene Gehorfam ift zwar |
nothwendige Vorausſezung, unter welcher er allein Erlö
und Verſöhner feyn konnte, was aber Origenes fonft uͤl
den Gehorſam Jeſu lehrt, hat Feine nähere Beziehung
feiner Berföhnungstheorie, da er den’ Gehorfam Sefu 1
aus dem fittlichen, Geſichtspunct eines, den Menſchen zı
Gehorfam gegen Gott ermunternden, Beifpield betrach
Se vollfommener der Menfch den Gehorſam Jeſu nachahr
ſtimmt zu ſeyn fcheint, fo iſt auch dieß nicht der Fall,
Drigenes fo fortfährt: In consummatione etenim seı
in novissimo tempore manifestavit Deus justitiam su
et redemitionem dedit eum, quem propitiatorem feı
ne forte, si prius propitiationem misisset, non t
multos humani generis repropitiasset Deo, quam in
temporibus, quibus jam mundus repletus videtur i
minibus. Deus enim justus est, et justus justific
non poterat injustos: ideo interventum voluit esse p
pitiatoris, ut per ejus fidem justificarentur, qui :
opera propria justificari non poterant. Nur darin änf
füch alfo die göttliche Gerechtigkeit (die dıxaoavrn Rom. 3,2
daß Gott niemand für gerecht erklärt, der nicht durch Gl
ben und Belehrung gerecht geworden if. Won andern |
forderungen aber, welche bie göttliche Gerechtigkeit gem:
hätte, if nicht bie Rede.
Origenes. 63
und bie Idee der Gerechtigkeit in ſich realiſirt, deſto fähiger
wird er, das durch Die objectiv geichehene Verföhnung bes
wirkte Heil ſich zuzueignen 1), und das Ihm urfprünglicdh,
wenigftens der Idee nach, anerichaffene Bild Gottes, das der
Logos, oder Sohn Gottes, felbft ift, In fich zu erneuern ®).
Sowohl bei DOrigenes als bei Irenaͤus hat ſich demnach
ber Begriff der Berföhnung dem Begriff der Erlöfung gegen»
über noch nicht zu feiner felbftftändigen Bedeutung entwidelt.
Da das Wefentlichfte bei beiden zumächft darin, befteht, daß
der Menſch von der Auffern Macht, die die Sünde durch den
Teufel über ihn ausübt, befreit wird, fo tritt Die innere
Macht der Sünde, die Schuld, die auf dem Menfchen liegt,
und ebenbamit auch die Beziehung auf Gott, zurüd. Um
fo mehr verdient Dagegen noch in Betracht gezogen zu wer⸗
- den, daß auch Origenes, wie Irenäus, die Perfon Chriſti
aus einem Gefichtspunct auffaßte, welcher von felbft zeigt,
wie in ihm, ald dem Gottmenſchen, an fi) auch fchon bie
Berföhnung enthalten iſt. Schon dadurch, daß der Logos
in Chriſtus Fleiſch geworben ift, oder das Göttlihe und
Menſchliche in ihm Eins geworden find, ift dad Getrennte
wieder vereinigt, und der Menfchheit ein Princip mitgetheilt
1) Comm. in Ep. ad Rom. V, 5. (zu Röm. 5, 19.): Hic per
quem justt fiunt, sine dubio ipsa justitia est, sicut et
idem Apostolus dicit de Christo: qui factus est nobis
Justitia a Deo. Dedit ergo Adam peccatoribus formam
per inobedientiam, Christus vero e contrario justis for-
mam per obedientiam posuit. Propterea et ipse obe-
diens factus est usque ad mortem, ut, qui obedientiae
ejus sequuntur evemplum, justi constituantur ab ipsa
Justitia, sicut illi Inobedientiae formam sequentes con-
stituti sunt peccatores. Vgl. Contra Cels. VII, 17.
2) In Gen. Hom. I, 3.: Quae est ergo alla imago Det,
ad eujus imaginis similitudinem: factus est homo, nisi
salvator noster? _
64 I. Ber. L Abſchn. 1. Kap.
worden, durch welches ſich die in Chriſtus begründete We⸗
ſensgemeinſchaft zwiſchen Gott und dem Menſchen in immer
weiterem Umfang in der Menſchheit entwickelt und realiſirt 9).
Wenn SIrendus, um das durch Chriftus der. Menfchheit mit«
getheilte Princip der Verſehnung und Heiligung als ein ihr
vollfommen einverleibtes darzuftellen, befondered Gewicht
darauf legt, daß Chriftus alle Altersftufen des menjchlicdyen
Lebens durchlaufen habe 2), fo läßt Dagegen Origenes den
menſchgewordenen Logos in den verfchiedenften Geftalten und‘
Offenbarungsformen erſcheinen, um den gefallenen Creaturen
um ſo vielſeitigere Anknuͤpfungspuncte darzubieten, um Allen
Alles zu ſeyn, und den Heilsplan der göttlichen Weltord⸗
nung fo viel möglid) an Allen zu realifiren 9. So betrach⸗
tet ift die Menfchwerbung des Logos felbft nur eine Der ver -
fchiedenen Formen, in welchen ber göttliche Logos, als der
ewige Mittler zwifchen Gott und der Welt, alles von ihm
4) Vgl. Comm. in Joh. I, 30.: JTenoinxe yao ö — Ta u-
poreco (die mewroroxog nraans xrioewg yuas, die er als Gott:
bat, und den &vgewros, öv aveilzper) Ev, (das finnlofe zara
gehört wohl nicht in den Tert) Tv amapyım Tüv yıroudva
. Gugporegwv Ev Eavris TT00 Travruw Tomsas‘ Guporeguv dt Adyu xal
Er tüv arIewruwv, &9 Wv Avazxesperaı Ti) ayıy Tveuuarı ı Exdza
wuyn, xaL yeyovev Ixasos Tüv swLousvwv evevuarızos (d.h. nicht
blos in der Perfon des Erläfers find Gott und Menfch Eins
geworden, fondern diefe Einheit gilt au) von den Men:
hen, fofern Die Seele der Menfchen mit dem h. Geift in
Verbindung gefommen if). Vgl. Contra Cels. III, 28.:
ar ixelra (Jeſus) Hoaro Ielan zur drdewnivn auvupaiveoda
yuas, IV 7 avdguniyn Ti Troos To Jeoregov zovurie yeyıra
Sein, oux &v uovo Ti Iyos, alla xai nam Tois uera TE Mgeikw
awvalaußavsc: Plor, 0v Inoas Edidaker, avayovra Emi zuv 71005
Tov Jeoy yıllav xal Tv Troog Exeivov zowuniar.
2) renäus Adv. haer. II, 22, %.
3) Thomafius, Origenes ©. 214 — 217.
Drigenes. 65
Geſchaffene und in den Unterfchieb mit Gott Herausgetretene
in der Einheit mit Gott erhält, und wie in ihm alles mit
Gott Eins ift, fo tft es auch an ſich mit ihm verföhnt.
Seine verföhnende Tihätigkeit ift nur Die andere Seite ber
Zhätigfeit, die ihm, ald dem göttlichen, die Welt mit Gott
vermittelnden, Logos, zufommt. Darum hat auch das von
ihm auf der Erde vollbrachte Berföhnungsopfer eine auf das
ganze Univerfum ſich beziehende Bedeutung. Er ift, wie
‚Drigenes fagt *), der große Hohepriefler, welcher nicht blos
für die Menfchen, fondern für alle vernünftige Wefen über-
Haupt fich felbft als Das einmal vollbrachte Opfer dargebracht
bat. Da nicht blos die Menfchen, fondern auch die höheren
Geifter vor Gott nicht rein find, fo ift er der große Hohes
priefter, welcher Alles im Reiche des Vaters wiederherftellt,
und dafür forgt, daß alles, was an jedem der gefchaffenen
Weſen mangelhaft ift, ergänzt werde, damit es die Herrlich.
fett des Vaters in fich aufnehme. Wie alfo-alles, was aufs
fer Gott ift, ſchon dadurch auch von Gott getrennt und vers
ſchieden ift, fo ift der Logos das allgemeine Princip ber
Berföhnung. Ob nun das von Chriftus auf der Erde eins
mal vollbrachte Opfer auch für alle andere Wefen gilt, oder
ob ed, wie Drigenes fonft die Sache darftellt, ein Doppeltes
Opfer gibt, ein irdifches und ein analoges himmlifches 2),
1) Comm. in Joh. I, 40.: Kat yoe &romov, unte avdewrtvuv ukv
Avrov Yaoxeıy Guagryucruv yeysvadaı Javars, üx Er’ de Uneo
@lls Tıvog Taga Toy avdownov ?v wuagrnuaoı yeyernufva, oo,
Uneo Asowv , 808 Tür azgwv ravros xataewv Oyrwv Eywruov TA
ges, ws &v ro Iuß avsyvouer (25, 5.) ei um om vneoßolrüs
rãro eloyra. —
2) Homil. in Lev. I, 3. II, 3. — De princ. IV, 25. fpricht
Drigened von nveuuarıza Ts Tovneiag AUd) 2v rois gavois
und fchließt: wie man Fein Bedenken trage zu fagen, daß
er hier gefrenzigt worden fen, um zu vernichten, mas er
durch feine Leiden vernichtete, fo dürfe man fich nicht
Baur, die Lehre von der Berföhnung.
66 . L Ber 1 Abſchn. 1. Kap.
macht an fich keinen wefentlichen Unterfchieb aus, bie Haupt-
vorftellung bleibt diefelbe, daß die hohepriefterliche ober ver⸗
fühnende Thätigfeit Chrifti fi) auf alle vernünftige Weſen
erſtreckt, und wie feine Thätigfeit in diefer Hinficht eine all»
gemeine, das ganze Univerfum umfaflende ift, fo fezt er.
fie auch für alle, die derfelben bebürfen, indbefondere die
Menſchen, bis an’8 Ende der Welt fort. In diefer ganzen, .
dem Weltlauf beftimmten, Zeit bringt er fein Opfer fort und
fort dem Bater dar, und fein Werk wird nicht eher voll⸗
endet, als bis er den lezten der Sünder dem Bater darſtellt,
folange aber noch eine Unvollkommenheit bleibt, ift auch fein
Werk noch unvollendet %). Es ift von felbft Har, wie auf
dieſe Weiſe der Begriff des Hahepriefters ober Verföhnens: |
in demfelben Sinne, in welchem auch ſchon Philo den Loges
als Hohepriefter darftellt, in den alerandrinifshen Logosbe
griff übergeht, und nur zu einer Modification deffelben wird.
Wie der Logos der allgemeine Mittler zwifchen Gott unb
allem Sefchaffenen ift, fo kann aud) die erlöfende Thätigkeit
Chrifti, die in feinem Tode zur hohepriefterlichen wird, ſich
nur auf alled überhaupt, nicht blos auf die Menjchheit,
erſtrecken. Je allgemeiner aber diefe Idee ift, befto meht
wird der chriftliche, an die gefchichtliche Erfcheinung Jeſu und
die Thatfache feined Todes gefnüpfte, Begriff der Verſöh⸗
nung zu einem untergeordneten, ja fogar verſchwindenden,
Moment. Das hiftorifche Factum löst ſich, wie fich dieß
bei Drigened deutlich genug zeigt, dofetifch im die Allgemein
heit der Idee auf, und felbft die durch die Menſchwerdung
‚ begründete Ginheit des Göttlihen und Menfchlichen Tann
nicht mehr in demfelben Sinne, in welchem fie bei Srenäus
eine jo wichtige Bedeutung hat, feftgehalten werden, fondern
fcheuen zuzugeben, daß auch dort etwas ähnliches gefchebe
fort und fort bis zum Ende bed ganzen Weltlaufs.
4) Homil. in Lev. IX, 2.5. VII,2. Comm. in Joh. I, 37.
\
Drigenes 67
an die Stelle des Sottmenfchen trit der, zwar vun Bott ver-
ſchiedene, aber auch ewig mit Goft Identifche, Logos. Die
beiden Momente des PVerföhnungsbegriffs, der Unterfchieb
und Vie Einheit, find noch nicht in ihrer ganzen Weite aus⸗
einandergetreten, da aber auch die Einheit nicht bie wahre
ſeyn kann, ſolange nicht der Unterfchied, welchen fie zu ihrer
Vorausſezung hat, zu feinem Rechte gekommen ift, fo ift Die
im Logosbegriff ſich Darftellende Einheit nicht fowohl bie ver-
mittelte, als vielmehr nur die unmittelbare, d. h. nicht die
wahrhaft verfühnende Einheit. Es ift dieß überhaupt das
Charasteriftiiche des dyriftlichen Standpunet® der alerandrini-
ſchen Kicchenlehrer: das Menfchliche fommt bei ihnen nicht
za feiner wahren Realität, daher fehlt ihnen auch noch das
tiefere chriftliche Bewußtſeyn des Unterſchieds des Göttlichen
und Menfchlichen, darum ift auch die Einheit, die ihr Bes
wußtfeyn beftimmt, nicht die durch den Unterfchied fich hin⸗
burchbeivegende, fondern die dem Unterſchied vorangehende,
urfprüngliche, oder die dem Platonismus, nicht aber dem
Chriftenthum, sigenthümliche.
Zweites Sapitel,
. Die Kirchenlehrer vom vierten Jahrhundert bis zum
Anfang des Mittelalters. Die beiden Öregore von
Nazianz und Nyffa, u. ſ. w. Auguſtin, Zee ber Gr.,
Gregor der Gr. u. f. w.
Die Theorie, deren hiſtoriſche Entwicklung wir hier un⸗
terſuchen, hat im Ganzen ſchon durch Irenäus und Origenes
diejenige Form erhalten, zu welcher in der Folge, in der
langen Periode, in welcher ſie noch immer ˖ die vorherrſchende
in der Kirche blieb, nichts weſentliches mehr hinzukam. Gleich⸗
wohl aber diente die Art und Weiſe, wie die bedeutendſten
Lehrer der Kirche die verſchiedenen Momente dieſer Theorie
5%
20 I. Ber. J. Abſchu. 2. Kap.
das, durch die Idee der Gerechtigkeit gebotene, rechtliche Ver⸗
fahren beftund, fuchten biefe Kirchenlehrer genauer, als bis⸗
her geichehen war, zu beflimmen. Die allgemeine Voraus⸗
fezuug, von welcher fie auögingen, war, daß der Menich
nur dur einen Menſchen rechtlich aus dee Hand defien, in
deſſen Gewalt er fich befawd, befreit werden Fonnte. “Der
Menſch mußte felbft den Kampf mil dem Teufel beftchen,
wenn dem Geſeze der Gerechtigkeit Genüge gefchehen follte.
‚Die befonderen Momente aber, die die rechtmäßige Befreiung
Des Menichen begründen, find, nach der Anficht der Kirchen-
lehrer, die ſich hierüber beftimmter erklären, Hauptfächlich
folgende: 1. Die Herrichaft, die Der Teufel feinem Recht zus
folge ausübte, konnte nur fo lange dauern, bi8 er einen Ge⸗
rechten tödtete, an welchem er nichts des Todes würdiges
finden Eonnte, was Auguftin feinem Syſtem gemäß näher
. J
sed ratione justitiae. Vgl. Sermo LVI, 1.: Justus et
misericors Deus non sic jure voluntatis suae usus est, ut
ad reparationem nostram solam potentians benignitatts
exerceret. Nam si pro peccatoribus sola se opponeret
Deitas, non tam ratio diabolum vinceret, quam potestas,
Gregor von Nyffa Orat. catech. c. 23.: Fænolus 7uov Ear-
res aneunolzouvron , Ele — ra I dyadoryra nahıy yuüs eg
Eleudeglav € !impnurva un Tov Tugavvızov alla Tov Ölemıov Teoov
Iwonsivan rs avaxinoens. Theodoret De Provid, Orat. X,
Opp. ed. Hal. Tom, IV. S. 660.: Ovx —R —E uovn
vv Eieudegluv nuiv zyuglowotar, ade Kleov uovov once xara
ra ESavdoamodisarrog ray aydgunwv Tr giaw, \va un Gdızov
Exeivos noo0ayogevon tov &lsov’ alla unyavaraı rrogov za qyılar-
Iqwrriag yduorra xcr Ödixmonivn »2x00umuevor. Aüriv yap Eauro
Tv yrındeisar puov Evwoas, eis Tas ayWvag Elvaylı «ar TTapa-
Gxevalsı Tv yrrav avaralisaı, xal Tov xaxüg Traiaı vervıcnrota
xeraywvioaoda U. f. W. Gregor der Gr. Moral. XVII, 28.:
Quamvis propter naturam stmplicem Dei fortitudo sa-
pientia sit, Dominus tamen diabolum, quantum ad fa-
siem spectal, non virtute sed ratione superavii.
| Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 71
dadurch motivirte, Chriſtus fen nicht blos von der Sünde,
fondern “auch von der Erbfünde frei gewefen, da er ohne bie
finnliche Luft der Zeugung geboren war, durch welche der Teu⸗
fel die Menſchen in feiner Gewalt gefangen hielt. Durch Das
hiedurch begangene Unrecht verlor er, nach dem frengften
Begriffe der Gerechtigkeit, das von ihm bisher auögeübte
Recht 2). 2. Der Teufel wurbe auf biefelbe Weiſe beftegt,
1) Augufiin a. a. D.: Justissime tgitur dimittere cogttur
credentes in eum, guem injustissime occidit. Geiftreich
wirb dieß in dem ohne Zweifel pfendonuguftinifchen Sermo
‘de serpente aeneo et de virga Moysis (in der Bened.
Ausg. der Werke Aug. Antw. 1700. Tom. V. P.II. ©. 4.
Sermo XXXJI., fonft gewöhnlich De temp. Serm. CI.)
fo ausgedrüdt: Mors nist a morte superuri nom poterat:
ideo mortem Christus substituit, ut injusta mors justam
vinceret mortem, et. liberaret reos juste, dum pro eis
' oceldebatur injuste, d. h. der das Leben negirende Tod
fann nur durch den Tod negirt werden: der Tod des Todes
ik die Negation der Negation oder die Afficmation des Les
bend. Sin dem gerechten Tod Eommt der Tod zu feinem
Recht, der ungerechte Tod aber hebt das Recht des Todes,
die Durch ihn geſezte Negation, wieder auf. Vgl. Leo den Gr.
Serm. XXII, 3.: Chirographum, quo nitebatur, ewcedit,
ab illo iniquitatis exigens poenam , In quo nullam repe-
rit culpam. Solvitur itaque letiferae pactionis male-
suasa conscriptio, et per injustitiam plus petendi to-
tius debiti summa evacuatur. Sermo XLII.: Merito ille
captivorum amisit servitutem, dum nihil sibi debentis
persequitur libertatem. Wie ehr dieſe Vorſtellung feit
dem vierten Jahrhundert die am allgemeinften curfirende
war, beweist auch der Verfafler des den Werken des Am:
brofius angehängten Commentars über die paulinifchen
Briefe (daher gewöhnlich Ambrofiafter genannt), wahrſchein⸗
lich nad) Yugufiin Contra duas ep. Pelag. IV, 7., der um
die Mitte des vierten Jahrh. lebende Diaconud der römi«
fhen Kirche Hilarius (vgl. Reiche über den Brief an die
I
20. d. Ber. J. Abſchn. 2. Kap...
wie er ſelbſt den Menſchen befiegt hatte, durch die Vermiti⸗
lung bed freien Willens. Wie er den Menfchen Dadurch bes;
‚ftegte, Daß er ihn mit der freien Zuftimmung feines eigenen
Willens in feine Gewalt brachte, jo wurde er auch wieder.
dadurch befiegt, daß Chriftus als Menſch durch die Kraft |
feines freien Willens ihm widerftund )). 3. Es wurbe dem
Römer, Einl. ©. 96. Neander Gefch. der hr. Kel. und
Kirche. I. ©. 281.). Die Worte des Apoſtels Rom. 3, 3.:
ut de peccato damnaret peccalum, welche auch Leo der
Gr. Serm. LXIX, 3. auf ähnliche Weife erklärt, werben .
fo genommen: indem Chriftus von der Sünde, d. h. dem
Teufel, gefreugigt wurde, fAndigte die Sünde an dein Leibe '
des Erlöfers, und die Schuld wegen dieſer Sünde hatte
Die Folge, daß der Zeufel feine Herrfchaft über die Seelen,
die er gefangen hielt, verlor. In demſelben Sinne wird -
zu der Stelle Kol. 2,14. 15. bemerkt: Dum non peccande.
Salvator vincit peccatum, quod hominem tenebat obno-
sium, iInsuper et ab eo occiditur innocens: sic crucifi-
gitur peccatum — cruz enim non Salvatoris mors est
sed peccati. Innocens enim sic, qui oceiditur, reos Ü-
los faeit, a quibus occtditur. Peecatum autem princi-
pes et potestates intelligamus, quorum studio peccavit
primus Adam — qui dum ezspoliantur anlmabus, quas
- tenebant in captivitate, mortificantur. Man. vgl. hier:
über, mie Überhaupt über Die Lehre Leo's, Griesbach’s
Opusc. acad. Vol. I. Dissert. historico -theologica lo
cos collectos ex Leone Magno, Pontifice Romano, si-
stens. ©. 98 f. 113 fe Auch gehört hieher Döderlein’s
Dissert. inaugur. vom %. 1774 u. 75.: De redemtione a
potestate diaboli, insigni Christi beneficio, in den Opusc.
acad. Jenae 1789., wo ©. 143 f. noch einige andere Kir⸗
chenlehrer, bei welchen dieſelbe Vorfiellung fich findet, wie
Nefiorius, der Diaconus Ferrandus, Iſidor bon Hifpalis,
angeführt find.
1) Leo Sermo XXII, 3.: Non juste amitteret originalem
generts humant servitutem, nist de eo, quod subegerat,
Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 73
Teufel für die Menfchen, die er aus der Knechtſchaft, in
welcher ex fie hielt, frei laſſen follte, nicht blos ein entſpre⸗
I chendes, fondern felbft noch ein größeres und werthvolleres
Loͤſegeld gegeben *). Alle diefe Momente follten das, zur
J Befreiung der Menfchen aus ber Gewalt des Teufels und
zur Aufhebung der an ihn fie bindenden Schuld der Stinde
befolgte, Berfahren als ein rechtlich vollfommen begründetes
darftellen, allein jchon mit diefem Momente hängt der dem
Teufel -gefpielte Betrug ſo eng zufammen, daß der Gegenfaz
gegen. den Begriff der Gewalt, um deſſen Befeitigung es
dieler Theorie hauptfächlich zu thun iſt, nicht fowohl in den
Begriff des Rechts, al vielmehr nur in den Begriff der Lift
gefezt werben zu Fönnen fcheint.
- 2. Der dem Teufel gefpielte Betrug. Die Kirchenlehrer
trugen fein Bedenken, die von Gott getroffene Beranftaltung
‚ tur.Befreiung der Menfchen aus der Gewalt der Sünde und
des Todes geradezu mit diefem Namen zu bezeichnen °), und
vinceretur. Gregor in Evang. Luc. I. Hom. XVI, 2
Antiquus hostis in tribus se tentationibus erezit, quia
hunc videlicet gula, vana gloria et avaritia tentavit:
sed tentando superavit, quia sibi eum per consensum
subdidit — sed iisdem modis a secundo homine vinci-
tur, quibus primum hominem se vicisse gloriabatur, ut
a nostris cordibus ipso aditu captus eweat, quo nos
aditu intromissus tenebat.
1) Gregor von Nyſſa Orat. cat. c.23.: Tivos dv arrydlataro (6 dmı-
nooray Trosaosuu Ttav Oneo av &Ieloı Äureov avrı Ta xare yousva
dußeiv) Tov xarexouevov, ei un Omdadn ra bwnlorton xaı ueiso-
vos dvrallayuarogs — Ta uehw tüv Elarrovuv das Bouevos;
Ambrofius Epist. LXXII. Ed. Ven. 1751. Tom. III. ©. 1172.:
Pretium nostrae liberationis erat sanguis Christi, quod
necessarto solvendum erat ei, cut peccatis nostris ven-
diti eramus.
2) Gregor ‚von Noſſa Orat. catech. c. 23.: ’Anerarum — 6
—XC ror ardQwrnor; Ambrofius Expos. in Evang.
74 L Ber. L aAbſchn. 2. Rap.
um die Sache um ſo augenſcheinlicher darzuſtellen, bebienten
ſie ſich verſchiedener bildlicher Vergleichungen, durch welche
der im Begriffe der Verſöhnung enthaltene Vermittlungs⸗⸗
proceß fih immer mehr zu einem reich ausgeftatteten, durch
eine Reihe verfchiedener Momente ſich entwidelnden, Mythus
geftaltete. Sa, der dem Teufel gefpielte Betrug wurde be
Einigen ſoſehr die vorherrichende Idee, daß ſie fogar bie
Menfhwerdung aus dem Geſichtspunct eines Mittels zur
Ausführung eines Betrugs, ohne welchen die Erlöfung nicht
hätte gefchehen können, betrachteten. Voranging hierin Gre⸗
gor von Ayffa, welcher es fich in feiner Fatechetifchen Rede zur
befondern Aufgabe machte, den Fünftlerifchen Plan der göttli-
chen Defonomie in feiner fucceffiven Entwidlung darzulegen *).
— —
Er geht, wie ſchon bemerkt worden iſt, von der Nothwen⸗
digkeit der Bezahlung eines Löſegelds an den Teufel aus,
und ſucht die Annahme deſſelben von Seiten des Teufels ſo
viel möglich zu motiviren. Da bei dem Teufel die Wurzel
der Bosheit die Selbftjucht ift, wie Hätte er, argumentkt -
Gregor, für das, was er in feiner Gewalt hatte, etwas
©eringered annehmen folen? Nur wenn er etwas Höheres
und Werthuolleres zu erhalten hoffen Eonnte, etwas, was -
feinem Stolz neue Nahrung gab, Fonnte er fih zu einem
ſolchen Tauſche verftehen. Da er nun noch an niemand im
Luc. Lib. IV. Ed. Ven. T. IV. ©. 827.: Oportuit huns
fraudem diabolo fieri. Leo der Gr. Serm. XXI, 4.:
Jllusa est securl hostis astutia.
4) Orat. catech. c. 22 - 26.: Teurmw Toiyur tv Öuvayıry xatogiv”
— —
—— ———— en —
e 2 [1 2 3 N = " N) v ⸗ *
0 ExJ005 89 Exeivw, Tieioy TE xareyoueya To Trooxelusvor ide
&v Ti owvallgynerı * Tara yagıy aurov aigeiraı Äurgov ray Ev 15
ra Javara yonpa xadewyaerwuv yerdodar. Alle um Gunyaror m
yvurg noooßleye xy va Hei Yarracia U. f. w. Im Geifte
diefes Pragmatismus entwickelt Gregor das oopov xar rey-
vıxov ts olxovouias bis zu dem, den Effect einer dramatis
(hen Scene machenden, Hauptmoment. |
Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u. .w 75
ganzen Berlauf der Menfchengefchichte fo große Vorzüge
wahrgenommen hatte, als an dem mit fo hoher Wunder⸗
macht Ausgeftatteten, jo glaubte er in ihm noch mehr zu
halten, als er jchon hatte, und entichloß fich daher, ihn
als Löfegeld für die zu nehmen, bie in dem Gefängniß bes
Todes eingeichlofien waren. Hier dringt fich jedoch Gregor
ber Zweifel auf, wie der Teufel auch nur deu Gedanken,
ſich Jeſu zu bemächtigen, haben Eonnte, wenn er bie Vor⸗
füge, bie ihn jo lüſtern nach ihm machten, als Eigenfchaften
ber göttlichen Natur erfennen mußte? Darum follte, wie
Gregor die Sache ſich weiter audmahlte, die Weberliftung
bes Teufels ſchon durch die Annahme des Fleifches eingelei⸗
tet werden, damit nicht der Anbli der nadten Gottheit den
Teufel zurüdichredte. Hüllte fich Die Gottheit in das Fleiſch,
ſah der Teufel in Chriftus eine den übrigen Menſchen ver-
wandte Natur, daffelbe Fleiſch, das er durch die Sünde in
ſeine Gewalt gebracht hatte, fo ließ er ihn zu fich heranna⸗
ben, und ber Anblid der in der Reihe der einzelnen Wunder
fucceffiv fich immer herrlicher entwidelnden göttlichen Macht
erwedte in ihm nicht Furcht, fondern nur Begierde. Die
Menfchheit wurde jo zur Lodfpeife, und Gregor bedient ſich
daher felbft des Bildes, das Göttliche habe ſich unter der
Hülle unferer Natur verborgen, damit, nach der Weiſe lüfter-
ner Fiſche, mit Der Lockſpeiſe des Fleiſches zugleich auch die
Angel der Gottheit verfchlungen würde. Indem auf diefe
Weife das Leben dem Tode inwohnte, das Licht in Die
Sinfterniß Hereinleuchtete, mußte vor dem Licht und Leben
fin Gegenfaz verfchwinden, und der Teufel wurde durdy die .
ihm vorgehaltene Hülle des Menfchen ebenfo betrogen, wie
er felbft den Menfchen durch die Lockſpeiſe der Luft zuerft be⸗
trogen hatte. Die Idee der Täufchung ded Teufels ift in
der neuen Wendung, die ihr ©regor von Nyffa gab, nod)
weiter audgefponnen, ald bei Drigened. Die Darftellung
des Origenes läßt darin noch eine Lücke, daß fie nicht ins
76 L Ber. 4, Abſchn. 2. Rap.
Tänglich erklärt, wie der Teufel e8 wagen Tonnte, ſich &
Erlöferd zu bemädhtigen. Zwar fricht Origenes auch Fee
davon, ber Teufel fey, ‚ohne e8 zu wiſſen, in das Nez %
Kreuzes gefallen. Diefe Vorftelung fteht aber no zu J
‚Ur, und e8 geht aus der ganzen Darftellung nicht Fig
genug hervor, wie ber Teufel. fo unwiffend ſeyn kom
Die Täuſchung iſt nicht fein genug “angelegt, wenn DEM
Gedanken noch zu viel Raum gegeben wird, es ſey Tu
Teufel unmittelbar um das Göttliche in Chriftus zu TEE
gewefen. Der ganze Werlauf der Sache ift unftreitig wei
beffer motivirt, wenn auch ſchon die Menſchwerdung felh
in die Sphäre des Betrugs, der dem Teufel gefpielt werben
follte, gezogen wird. Auf ber andern Seite aber verwidel
ſich ebendadurch die hier gegebene Darftellung in fich ſelbſt
und der Mangel an Zufammenhang, der fi) und jchon be
Drigened zwifchen der Borausfezung eines mit dem Teig
eingegangenen Vertrags und der Idee einer Täufchung -DeP
felben zeigte, trit bier um fo auffallender hervor. Ant
Nüdficht auf die Idee der göttlichen Gerechtigkeit betrachte,
Gregor von Nyſſa die durch den Tod Jeſu gefchehene Erlo⸗
fung aus dem Geftchtspunct eined avralloyue.. Zum Be
griff eines avreddoyun aber gehört ed, daß man dad, |
was man durch baffelbe erhält, mit dem Bewußtſeyn er
hält, man erhalte etwas, worauf man an ſich fein Re
hat, gegen etwas anberes, in. deſſen rechtmäßigen Beltz man 4
if. Wie Fonnte aber der Teufel diefes Bewußtfeyn haben, =
wenn die Menfchheit, in die ſich die Gottheit hüllte, ihn”
auf die Meinung bringen follte, es fey ein Fleiſch derfelben
Art, wie dasjenige, das er durch die Sünde in feine Ge⸗
walt gebracht hatte? Glaubte er ein Recht darauf zu ha
ben, fo konnte er es nicht zugleich als etwas betrachten,
wofür en auf ein anderes Recht verzichten follte 9. Nur an
1) Der Wider trit klar hervor in den Worten One
Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u. f. wm. 77
h, vom Standpunct Gotted aus, konnte das im Tode
fa dem Tenfel Gegebene als ein Erfaz für etwas anderes
weichen: werben, aber eben dieſes Ginfeitige fchließt‘ der
tgriff des avrallaypız von felbft aus. Daher iſt es ges
4, wenn man einmal dem Betrug, durch welcher der
ufel getäufcht worden ſeyn ſoll, einen fo großen Epielraum
tattet, weit confequenter, mit Leo dem Gr. ımd Gregor
u Sr. von dem Begriffe eined avrailayıa und allem,
8 Damit zufammenhängt, abzufehen, und die Menfchheit,
ter welche ſich die Gottheit des Erlöſers verbarg, ohne
ve ſolche Kebenrüdficht, als die täufchende Hülle zu bes
achten, durch welche der, einen foldyen Betrug nicht ahnen-
„Feind überliftet werden follte. Für dieſen Zwed alfo
ufte der Erlöfer als Menſch geboren werden, und von ber
nbhet bis zum Kreuzestod alle Stufen des menfchlichen
aſeyns durchlaufen, um nicht fogleich als nadter Gott in
ner wahren Geftalt erfannt zu werden Y. Um fo größer
. Alla ur Zur zavov yv, yuuri noooßleum TE TE Seh Yarraala
u Oagxös Tıva ’uoigev Ey auto Sewproavra, 477 non dia Tue
äucerlas xeyeigwro. Ihe rũto negxexaluntan Tn oagxı 7 Neorıg,
ds Gy TIE05 TO Ouvrgoyoy TE xal Guyyerks aurıd Plenov m) rroy-
Gel Tov TIogo0eyyıuov Tg ümegexsons Öuvaıkws, xat Tv morum
dia tür Iavuarwv In) ro usilov Öalaureoav Öuvanıy xararon-
oas ZmiIvuntov uüllov 7 goßeguv eva vonio;- Und Doch follte
ed ein arrallayua feyn, cap. 24.: ‘N; &v eulynrov yeraro
ro Enılmräyr Unte nuöv To arrallayua, Ti Mooxaluunarı TA5
gioess Hudv Eyexgupydn To Heiov, va xara zus ÄAlyvag Tüv
Iz9var ro dekkarı Tis vagxog Oowvanoonaodf TO Ayxıspov Ts
Jeornros.
1) Leo der Gr. Serm. XXII,4.: Cum igitur misericors om-
nipotensque Salvator ita susceptionts humanae modera-
retur exordia, ut virtutem inseparabilis a suo homine
deitatis per velamen nostrae infirmitatis absconderet :
Illusa est, securi hostis astutia, qui nativitatem pueri,
in salutem generts humani procreati, non aliter sibi
78 Ber 1. Abſchn. 2. Kay.
war daher die Täufchung, als endlich der entſcheidende Mi!
ment eintrat, für welchen das ganze Leben des Erlöfere tun;
quam omnium nascentium put avit obnoxiam — —
postremo in ipsum vim furoris sut eſſudit, omnia *
tamentorum genera percurrit, et sciens quo humane
naturam infecisset veneno, nequaquam credidit primagy!
transgressionis- exsortem, quam tot documentis didici
esse mortalem. Perstitit ergo improbus praedo et ave&:
rus exactor in eum, qui nihil Ipstus habebat, Insurgeres,
et dum vitiatae originis praejudiclum generale perss-
quitur, chirographum, quo nitebatur, excedii, Fair
der Gr. fagt zwar Moral. XXXIII. c.7. (über Hiob c. 40.)
Et quidem Behemoth tste (ber Teufel) filtum Dei dmeung;
natum noverat, sed redemtionis nostrae ordinem weseiell
bat. Sciebat enim, quod pro redemtione nostra incar- f
natus Dei fillus fuerat, sed omnino quod idem redem
tor noster {lhim morlendo transfigeret, nesctebat. : Die:
wäre die Vorftellung des Drigenes und Augufin. Dep)
Zeufel Fannte zwar Jeſum als Sohn Gottes, tänfchte: fi
aber im der Voransfezung, daß er ihn in feine Gewalt
bringen Eönne, weil er in ihm zugleich einen Menfchen ſah
worin jedoch an fich noch nicht liegt, daß der Erlöfer nur"
für den Zweck der Täufchung Menfch wurde. Allein Gre |
gor fagt doch zugleih: Quis nesciat, quod in hamo esca f
ostenditur, aculeus oceultatur? Esca enim provocat, W
aculeus pungat. Dominus itague noster, ad human
generis redemtionem veniens velut quendam de se in
necem diaboli hamum fecit. Assumsit enim corpus, ut
in eo Behemoth iste quasi escam suam mortem carnis
appeteret. Der Leib ift demnach doch nur dazu angenom⸗
men, um den Teufel zu täufchen, die Menfchwerdung wäre
alfo nicht erfolgt, wenn fie nicht das Mittel der Täufchung
gewefen wäre. Auch wenn der Teufel den Erldfer zuvor
fchon ald Sohn Gottes Eannte, war die Zäufchung diefelbe,
fofern er die Menfchheit für das Mittel hielt, ihn feſtzu⸗
balten, ohne die Denfchwerdung aber hätte der Zweck der
Die Kirchenlchrer des vierten Jahrh. u.f.w. 79
ie Einleitung ſeyn follte. Die Bedeutung diefed Moments
at Gregor der Gr. befonders dadurch hervorgehoben, Daß
te den Teufel mit dem Leviathan verglih und ihn, gleich
nem Fiſch, von dem Erlöfer mit dem Hamen gefangen
erden ließ. Die Menfchheit war die verführerifche Lockſpeiſe,
ı welche der Verführer des Meenichengefchlechts hineinbiß,
e mit der Menfchheit verbundene Gottheit aber der verbor-
me Stachel, welcher ihn durchbohrte. Indem er nad) dem
nfterblichen griff, um ihn zu tödten, verlor er die Sterbli«
en, die er in feiner Gewalt hatte Darum läßt ihn Jos
aned von Damaskus, gleich dem Saturn der heidniichen
jabelwelt, alles, was er verfchlungen hatte, wieder von fid)
eben, als er verichlingend die Lockſpeiſe des Leibe von dem
amen der Gottheit ergriffen und den unfündlichen und les
udig machenden Leib fchmedend, jelbft zu Grunde gerichtet
ard. So läuft das fo glüdlich gewählte Bild in verfchies
nen Formen fort, bis auf Peter den Lombarden, welcher
n folgen Leviathan Gregor's nicht blos, wie Iſidor von
evilla, in einen in der Schlinge gefangenen Bogel, fondern
gar in eine Maus verwandelte, für welche der Erlöfer in
mem Kreuze Die Mausfalle ftellte *).
Zänfchung nicht erreicht werden Fönnen. Für welchen an⸗
dern Zweck wurde er alfo Menfch, da er doch nur als Er-
löfer erfcheinen Eonnte ?
I) Gregor der Br. a. a. D. oh. von Dam. ee. rys 609od.
grös. HI, 1. 27. Sfidor von Sev. Sent. I, 14. (illusus est
diabolus morte domini quasi avis. Das Uebrige nad)
Greg. d. Gr.) Petrus Lomb. Sent. Libr. II. Dist. 19.:
Quid fecit redemtor captivatort nostro? Tetendit et
muscipulam crucem suam: posuit ibi, quasi escam, san-
guinem suum. — Zulezt wurde fegar, was hier nur als ein
weiterer Beweis dafür noch angeführt werden mag, wie
fehr diefe ganze Vorftellung dem Geifte jener Zeit zufagte, der
ſchon von den Marcioniten dinlogifirte Rechtöftreit zwiſchen
80: L Ber. I. Abſchn. 2. Rap.
Die Idee ded Betrugs, dutch welchen der Teufel übers
iftet werben follte, ift num zwar fo vollftändig, als möglich,
ausgeführt, was if aber dadurch gewonnen ?. Daß fih die
Borausfezung eines, der göttlichen Gerechtigfett entfprechen- - '
deh, avraldayue nicht fefthalten läßt, ift fchom gezeigt, aber
auch die Abficht, dad Werk der Erlöfung im Gegenfaz ges
. gen die Art und Weife, wie der Teufel die Menfchen ver⸗
führt hatte, auf einem der ©ottheit würdigeren Wege ger-
fchehen zu laffen, wird nicht erreicht, und die Kirchenlehrer,
welchen diefe Borftellung am meiften einleuchtete, können
En
Chrifius und dem Teufel (man vgl. die chr. Gnoſis ©. 273), |
als Gegenftand eines Zaftnachtsfpiels bearbeitee in der im .ı.
fünfzehnten Sabrhundert erfchienenen Schrift: Reverendi
patris domini Jacobi ‘de Theramo Compendium perbreve.
consolatio peccatorum nuncupatum et apud nonnüllos j
Belial vocitatum, ad Papam Urbanum sextum conscrip-
tum. Impressum est fol. anno Mesccelxxxiiij. Die teub-
fche Ueberſezung hat den Titel: Beltal, zu deutſch, Ein
gerichtz handel zwiſchen Belial hellifhem Verweſer, ald-
Fleger einem tail vnnd Jeſu Chriſto, bummelifchen got, .
antwurter,, anderm teile, Alfo, obe Iheſus dem heilifchen
Sürften vechtlishen die helle zerföret, beraubet, vnn die,
teufel darin gebunden habe, etc. Alles mit clag, antwurt,
widerred, appellierung, rechtfazung etc. Strasb. MD. vjij.
Diderlein, deffen oben (©. 72.) erwähnter Abhandlung id
diefe Notiz verdanfe, bemerkt darüber: Nihil magis fe- -
sttvum atque ludicrum somniart poterit legive, quam
Johannis de Teramo, qui sec. XV. scripsit, libellus:
"Belial. Hic exim causam Jesum inter atque diabo-
lum quasi coram foro divino agitatam recenset. Sisti-
tur tribunal: apparent partes: litem movent: testes vo-
tantur in subsidium; traduntur libelli accusatorii ac
defensorti: denique judicis sententta Beliul ut reus con-
. demnatur, petitis quoque e jure Justinianeo et Cano-
ntco rationibus. | /
—14 luuiJ UII
x
Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u.f.w. 81 -
ſelbſt das Geſtaͤndniß nicht zurüdhalten, daß der erfle Bes
kung nur mit einem andern erwiedert worden fey. Betrogen
nurde, fagt ja Gregor von Nyſſa ohne Umſchweif, durch
de täufchende Hülle des Menfchen derjenige, der die Men-
ſhen durch Die Lockſpeiſe der Luft zuerft betrogen hatte. Und
kan nun aud, um den nachtheiligen Gonfeguenzen dieſes
detrugs zu begegnen, an den Zweck des zweiten Betrugs
eimert wird, daß er, was der erſte zur Folge hatte, zum
Veſſern umigeändert, daß, wie ber Teufel zum Verderben der
Natur feinen Betrug begangen, fo der Gerechte, Gute und
Beile zum Heil des in's Verderben Gefallenen des Betrugsd
ſich bedient Habe, und zwar nicht bloß zum Beften bed Ver⸗
führten, fondern fogar des Urheber der Verführung felbft *),
fo it dieß Doch nichts anders, als ein Verſuch, das fchlechte
Mittel durch den guten Zweck zu rechtfertigen. Es droht
bier aber dem chriftlichen Glauben eine noch größere Gefahr.
Das Werk der Erlöfung kann, wie es hier gedacht wird,
nicht ohne einen Betrug gefchehen feyn. Die Annahme eines
Betrugs iſt diefer Theorie in ihren verfchiedenen Modifica⸗
tionen fo wejentlih, daß auch Diejenigen Kirchenlehrer, Die
mehr den Begriff der Gerechtigkeit hervorheben und den ge-
ſchehenen Betrug wenigftens nicht ausdrüdlic; erwähnen, eine
ſolche Vorausſezung nicht umgehen können, indem der Teufel
den Erlöfer immer nur fiheinbar, oder nur mit dem Erfolg,
1) Gregor von Nyſſa a. a. D. c. 26.: 0 de omdmog zür yıpyo-
ueyov ent To xgelTror zmv nagallayıp Eye" 6 ukv yag enı dua-
gGHoE& Ts lvews Tyv anarım Evnoynoev, 6 d& Ölxaos aua xal
ayados xar copos mi awrngie Ta zarayagevros, T7 Eenwoie tns
anarıs &yeyoaro, 8 uovor rov anolwiore din rarwr ebroyerwr ,
alle xcr aurov vor anwlsar xa$” yuuv Evegyroavra. Das Lez⸗
tere bezieht fich darauf, daß Gregor von Nyſſa, nach dei
Vorgang des Drigenes, eine endliche Ruͤckkehr zur urfprüng-
lichen Vollkommenheit auch für den Teufel’ hoffte.
2
Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 6
80 L Ber. J. Abſchn. 2. Rap.
Die Idee des Betrugs, durch welchen der Teufel uͤberz
iftet werden follte, ift num zwar fo vollftändig, als möglidy,
ausgeführt, mas if aber dadurch gewonnen? Daß fich die
Boraudfezung eines, der göttlichen Gerechtigkeit entſprechen
deh, vrarlayıı nicht fefthalten läßt, ift ſchon gezeigt, :abewil
auch die Abficht, dad Werk der Erlöfung tm Gegenfaz geil
. gen bie Art und Weife, wie der Teufel die Menfchen vert
führt hatte, auf einem ber Gottheit würdigeren Wege ges
fchehen zu laffen, wird nicht erreicht, und die Kirchenlehrer
welchen dieſe Vorſtellung am meiſten einleuchtete, könncc
Chriſtus und dem Teufel (man vgl. die chr. Gnoſis ©. 273.204
als Gegenftand eines Faftnachtsfpield bearbeitet in ‚Der Ti,
fünfzehnten Jahrhundert erfchienenen Schrift: Beverendk
patris domini Jacobi ‘de Theramo Compendium perbreved®
consolatio peccatorum nuncupatum et apud nonnü
Belial vocitatum, ad Papam Urbanum sextum conscrip=t
tum. Impressum est fol. anno Moccclxxxiiij. Die ten
fche Weberfezung hat den Titel: Beltal, zu deutſch,
gerichtz handel zwifchen Belial hellifchem Verweſer, alt
Eleger einem tail vnnd Jeſu Chriſto, hymmeliſchen got;.
antwurter, anderm teile, Alſo, obe Iheſus dem helliſchen
Fürſten rechtlichen die helle zerſtöret, beraubet, vnn Die,
teufel darin gebunden habe, etc. Alles mit clag, antwurt, }
widerred, appellierung, rechtfazung etc. Strasb. MD. viij.
Diderlein, deffen oben (©. 72.) erwähnter Abhandlung ich
diefe Notiz verdanke, bemerkt darüber: Nihit magis fe-
stivum atque ludicrum somniart poterit legive, quam
Johannis de Teramo, qui sec. XV. scripsit, Libellus:
"Belial, Hic exim causam Jesum inter atque diabo-
lum quasi coram foro divino agitatam recenset. Sisti-
tur tribunal: apparent partes: litem movent: testes vo-
tantur in subsidium; traduntur libeli accusatorii ac
defensorti: denique judicis sententta Beliul ut reus con-
: demnalur, petitis quoque e jure Justinianeo et Cano-
ntco rationibus. /
Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u.f.w. 81
elbſt das Geſtaͤndniß nicht zurüdhalten, daß ber erſte Be⸗
zug nur mit einem andern erwiebert worden ſey. Betrogen
wurde, fagt ja Gregor von Ryſſa ohne Umſchweif, durch
Die täufchende Hülle des Menichen derjenige, der die Men-
hen Durch die Lockſpeiſe der Luft zuerſt betrogen hatte. Und
wenn nun aud, um den nadıtheiligen Confchuenzen dieſes
detrugs zu begegnen, an den Zweck des zweiten Betrugs
einnert wird, daß er, was der erfte zur Folge Batte, zum
deſſern umgeändert, daß, wie der Teufel zum Verderben der
Ratur feinen Betrug begangen, fo der Gerechte, Gute und
Weite zum Heil des in's Verderben Gefallenen des Betrugd
ſich bedient habe, und zwar nicht blos zum Beften des Ber:
führten, fondern fogar des Urheberd der Berführung felbft *),
po iR dieß doch nichts anders, ald ein Verſuch, das fchlechte
Mittel durdy den guten Zweck zu rechtfertigen. Es droht
Her aber dem chriftlichen Glauben eine noch größere Gefahr.
Das Werk ber Erlöfung kann, wie es hier gedacht wird,
ücht ohne einen Betrug gefchehen feyn. Die Annahme eines
Beirugs ift dieſer Theorie in ihren verfchiedenen Modifica⸗
ionen fo wejentlih, daB auch Diejenigen Kirchenlehrer, bie
mehr den Begriff der Gerechtigkeit hervorheben und den ge=
ſchehenen Betrug wenigftens nicht ausdrüdlid; erwähnen, eine
ſelche Vorausſezung nicht umgehen können, indem der Teufel
den Erlöfer immer nur fcheinbar, oder nur mit dem Erfolg,
1) Gregor von Nyſſa a. a. D. c. 26.: V dr aminos zur yıpvo-
uivay ent To xgeiTTov tv nogaklayıy Eye" 6 nv yap Eni dıia-
GIop& Ts vews Tv anarım Evneynoev, © de Öixaos aa zul
ayados xal copos Emi owrnoix Ta xzatay$aoevros, Ta Enwola TuS
anarıs Eyeywaro, & uovor Tov anolwlora dm raruy edeoyerür ,
elle xaı abrov tor anwleav xu9” Hui Ivepyjoarre. DAS Lez⸗
tere bezieht ſich darauf, daß Gregor von Nyſſa, nach de
Vorgang des Origenes, eine endliche Rückkehr zur urſprüng⸗
lichen Vollkommenheit auch für den Teufel hoffte.
Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 6
> I. Per. LAbfihn Kap
ſich ). Diefe Nothwendigkeit wird jedoch von den Kircheist
lehrern nur ala eine relative, nicht als eine abfolute erfannfl
Für nothwendig erflären fie die auf diefem Wege bewirkte
Grlöfung nur, fofern fie ihnen die der göttlichen Gerechtigkeit
am meiften entfprechende zu feyn fiheint, wodurch jeboch Die
Borausfezung nicht ausgefchloffen feyn fol, daß Gott vers
möge feiner Allmacht und Weisheit die Menfchen auch auf
eine andere Weife hätte erlöfen können 2). Diefe Urtheile
4) Aus dem. Begriffe des Löfegelds Teitet Bafilins' der ©r.
Hom. in Ps. XLVIII, 3. die Nothwendigkeit eines gebe
menfchlichen Erlöfers ab: _Aurewv Univ xoela zoo; To eis ri⸗
——EV daße-
An, de vnogeles Uuü; Aaßur & Trootepov TuS Ervrä Tupavvidag
Gypinaı, egtv av rim Aurew abıolöyw rewdeis avrallatacdaı Um
Kiyraı. Hei üv To Äöroov un Önoyerks elvas Tois zur youlvag
alla nollo Ödaypegev To erw, ei uelloı Emwv dymoay zus Öge
Asias rag alyuaksres. Vgl. Klofe, Bafilius der Große, nad
feinem Leben und feinen Lehren. 1835: ©. 65. Am einfade
ſten hat Petrus Lombardus, welchen ich, wie ich fchan bei
merkt habe,. ald das Iezte Glied in der Neihe der, dieſe
Theorie fortbildenden, Theologen betrachte, beide Momente
zuſammengefaßt Sent. III. dist. 19.: Factus est ergo he-
mo mortalis, ut moriendo diabolum vinceret. Nist ent
homo esset, qui diabolum vinceret, non juste sed vie-
lenter homo ei tolli videretur, qui se illi sponte subjecil
. Sed si eum homo vicit,, jure manifesto hominem perdir
dit, et ut homo vincat necesse est, ut Deus in eo sit,
qui eum a peccatis immunem faciat. Si enim per #
homo esset, vel angelus in homine facile peccaret, cu
utramgue naturam per se constet cecidisse. Ideo De
filtus hominem passibilem sumsit, in quo et morten
gustavit, quo coelum nobis aperuit, et a servitute die-
boli, id.est, a peccato (servitus enim diaboli peccatum
est) et a poena redemtt.
2) Die beiden Gregore behaupten, daß der Erldſer durch feine®
bloßen Willen die Menſchen hätte erlöfen Fünnen. rege!
Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u.f.w. 85
eAbR folcher Kirchenlehrer, welche, wie namentlich Auguſtin,
a dem Werke ber Erlöſung ganz befonderd ben Begriff ber
von Nazianz Orat. IX. ©. 157.:"4r9gunos; dytrero 8” Auäg
— xal 7797 eis Iavaror — 6 owrmg, zal ri Jelyuarı moror,
5 Jeos, owcm Öurauevos, Inel zal ra nayra Treootayuatı Ovrs-
gioaro. regor von Noſſa fragt Orat. catech. o. 17.: 77
sn Jelyuarı ur TO xara yroum row, all dx neacde rw
Germplay naiv zareoyaseraı; und antwortet, auch Die Kranken
(reiben ja den Aerzten die Art ihrer Behandlung nicht
er. Diefelbe Anficht wird von Athanaſius (Contra Arian.
Orat. II. c.68.: 7duvaro xal und” Ol; Erudnungarros aurs uordy
dxeir ô Feos, xal Avomı rıv xarayar, alla oxoneiv dei To Toig
erdgureons Avoreläv, xal um dv mac To dwarov ra Sea doyl-
leo9aı), Theodoret (Graecar. affection. curatio, Disput. I.
Opp. Theod. ed. Schulze. Hal. 1772. T. IV. ©. 876.:
&sor Abv“ yap 7 aura xal Ölya ra Tijs Vagxos Trooozaluunarog
. Rpayuoreücacde tüv ven» Tv owrnelar, al Beilrwe porg
zeraliccı tä Jardra ty Öwaselar, za zıyy Tare jpreoa rw
Gnagrlar gendor Tarrelüi; dmoppwaodeı, xal Toy Traumorngor
deluova rip rauıny udlvorra Eielaoaı Ts yis, za) xaraszeınpan
To Log, © Ye juxgov Usegov auroy Tagadwaeır nrellnwer. "AA
öx EBelydn Tuv Enolav alla Ts Trgovolag Erudeiten To Ölxaov.),
befonders aber auch von Auguſtin ausgelprochen, welcher
fich fehr gegen eine, die göttliche Weisheit und Macht be=
ſchränkende, Anficht der Erlöfung erflärt. Vgl. De agone
Christi c. 10.: Stulti sunt, qui dicunt: non polerat
sapientta Det aliter homines liberare, nisi susciperet
hominem et nascerelur es femina et a peccatoribus
omnia pateretur. De Trin. XIII, 10.: Eos itaque , qui
dicunt, itane defult Deo modus alius, quo liberaret
homines a miseria mortalitatis hujus, ut unigenitum
filium, Deum sibi coaeternum , hominem fieri vellet, in-
.duendo humanam naluram et carnem, mortalemyue
factum mortem perpeti (es fcheint, ſolche Einwürfe ſeyen
damals öfters gemacht worden), parum est sic refellere,
at istum modum, quo nos per medialorem Dei et ho-
86 — LBen 1. Abſchn. 2. Rap. —
Gerechtigkeit hervorhoben, find bei der Würdigung ihre
Theorie nicht zu überfehen, da fie hiemit felbft Die Subjecti⸗
pität des Standpuncts ausfprechen, auf welchem fte ftehen.
Ihre Theorie ging zwar aus dem Bewußtfeyn hervor, daB
die thatfächliche Wahrheit der Grlöfung nur als‘ ein, durch
den Begriff der Verſöhnung bedingter, Vermitilungsproceß
begriffen werden könne, indem ſich ihnen aber der Logifihe
Proceß des Begriffs in den Berlauf einer mythiſchen Ges
fhichte verwandelte, konnte fich ihnen auch das Bewußtſeyn
der fubjertiven Willkür, auf welcher ihre ganze Anficht bes
ruhte, nicht verbergen, und wir kommen daher auch von bier
fem Puncte aus auf daffelbe Reſultat, auf welches die Ider
ber Täufchung bed Teufeld in ihrer Confequenz führt. Der
Inhalt des chriftlichen Glaubens ſtellt fich nicht in feiner ob⸗
jectiven Wahrheit und Nothwendigfeit, fondern als Blog.
Sache der fubjectiven Vorftellung und Einbildung, dar. J
es nicht nothwendig, fondern, wenn auch fchidlich und Go—
tes würdig, doch nur zufällig, daß Gott gerade auf bie,
Weiſe die Erlöfung der Menfchen bewirkte, hätte fie auf
ohne Bine ſolche Vermittlung durch einen bloßen Willendad'
Gottes bewirkt werden Finnen, fo ift auch das Bewußtſen
der mit der Erfcheinung des Erlöſers, als des Gottmenfchen,,
gegebenen Einheit des Göttlichen und Menfchlichen ein blos
zufälliges, Das der Menſch eben fo gut haben als nicht har
ben Tann, und bie objective Realität des chriſtlichen Glaubens :
minum hominem Christum Jesum Deus liberare digns- -
tur, asseramus bonum, et dieinae congruum dignitali,
verum etiam üt ostendamus, non alium modum possi-
bilem Deo defuisse, cujus potestati cuncta aequaliter
subjacent, sed sanandae nostrae miseriae convenientio-
rem modum alium non fuisse nec esse _ oportuisse |
Quid enim tam necessarium fult ad erigendam spem
nostram — quam ut demonstraretur nobis, guanti nos
penderet Deus, quantumgue diligeret?
Die Kirchenlehrer des vierten Jahr. u. ſ. w. 87
dot ſich, ſolange der Begriff fehlt, ber fie Hält und trägt,
ur in fubfertiven Schein auf.
So tief die hiemit volftändig dargelegte Theorie in dem
ogmattichen Bewußtfeyn ber alten Kirche begründet war,
ie die große Zahl der ihr anhängenden bedeutenden Kir⸗
jnlehrer, und der lange Zeitraum beweist, in welchem fie
nigftens die überwiegend vorherricdhende war, fo begann
oh zugleich auch das Bewußtſeyn der Momente fich zu ent:
Wein, Durch welche fie mehr und mehr ihr Dogmatiiches
Ifehen verliesen mußte Wir müflen daher hier theild auf
we Bedenkliche und Anftößige, das wenigftend Cinzelne an
ver dem Teufel in dem Werke ber Erlöfung gegebenen Bes
eig fanden, theild auf bie. Vorftellungen Rüdficht neh»
on, welche, obgleich fie noch in feinem ©egenfaz zu. ber
refchenden Theorie erfcheinen, fondern ihr vielmehr harmo⸗
ſch zur Seite gehen, doch fchon Damals einer weſentlich di⸗
tgirenden Richtung ſich ndien.
Das Bedenkliche und ſtoͤßige, das eine ſolche Griö-
n98= und Berföhnungstheorie für das chriftliche Bewußtſeyn
ancher haben mußte, if von feinem Kirchenlehrer flärfer
id eutfchiedener ausgefprochen worden, als von Gregor von
azianz. Er verfichert %), die von den meiften noch fo we⸗
1) Orat, XLII. Opp. ed. Colon. 1690. T.I. ©. 691 f. — Ei
per To Trovneö, geb Tis UBoews! El un Tragu ru Pea uovov, allen
was rov Feov aurov Avroov 6 Ansys ÄAaußava, xal uoIov Erwg
Uneoyun rijs Eavrä Tugayridos, di dv xar Huüv yeldendm dixaov
mw*ei de narel, rrorov ukv nüs; ay un’ äxelve yap Exparsuede.
Bel. Ullmann Greg. von Tag. der Theol. 1825. ©. 455 f.
Ohne Zweifel geichah es hauptfächlich mit Rückficht auf die
bedeutende theologtiche Auctorität Gregors von Nazianz,
Daß der Monophnfite Stephanus Gobarus in dem Werke,
in welchem er entgegengefezte Lehrmeinungen fammelte, auch
die Srage als ein, von den Vätern auf verfchiedene Weile
gelöstes, Problem aufftellte: ob Chriſtus das Aurgo» Gott
688 L Ber. 1. Abſcu 2. Rap.
nig beachtete Thatſache und Lehre des chriftlichen Glauben
zum Gegenſtand einer ſehr ernſten Unterſuchung gemacht z
haben, und legt Die Ueberzeugung, die fi Ihm ergab, t
der Antwort auf die Frage dar: „Wem iſt das für und ver
goffene Blut und um weſſen willen wergoffen worden, ba
große und berühmte des Gottes, der Hohepriefter und Opfe
zugleih war? Denn wir waren ja in der Gewalt des Ar
gen, da wir unter Die Sünde verkauft waren und dafür bi
Quft zum Böfen empfangen hatten. - Wenn aber das Löſegeh
niemand anders gehört, ald dem, der uns in feiner Gewal
hatte, fo frage ich, wen es bezahlt wurde, und aus welde
Urſache? Wurde e8 dem Argen bezahlt, welch ein: tollfühne
Gedanke ift ed, daß der Räuber nicht blos von Gott ei
Löſegeld erhält, fondern Gott felbft als Löſegeld, und eine
fo überfchwänglichen Lohn feiner Tyrannei, vermöge befie
es billig war, auch uns zu verfchonen. Wurde ed aber dem
Vater bezahlt, fo frage ich zuerft wie? Denn der Vater Kiel
uns ja nicht in feiner Gewalt. Und dann, wie läßt es fld
denken, daß am Blute des Eingebornen der Vater fein Wohl
gefallen hatte, ba er ja nicht einmal den Iſaak annahm,
als er ihm von feinem Bater dargebracht wurde, fonden
das Opfer vertaufchte, indem er flatt des Opfers eines vernänf
tigen Wefens einen Widder gab? Oder iſt nicht Flar, daß ed
ber Vater nahm, ohne es zu verlangen oder zu bedürfen,
fondern nur um ber göttlichen Heilsordnung willen, und
weil durch das Menfchliche des Gottes der Menſch geheiligt
werden mußte, damit er felbft uns befreie, indem er bei
Tyrannen mit Gewalt überwand, und uns durch Die Ber:
oder dem Zenfel, gegeben habe. Photius Bibl. cod. 232-
Or Auroov arrı Ta xareyousva üvdgwna To ExIgis To olxei0
ô owrye Edwxev alua, ra &yIgh rro alonoaufva, xar TO Arznei
nevov, og By ro ByIoo, alla ro I) x arg TrgoanreyA
rõro.
Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 89
mittlung des Sohns zu fich zurüdführe?« Es ift hier fehr
beutlich zu jehen, wie wenig man nod, für die Beziehung des
Berföhnungstobes auf bie Idee der Gottheit einen befriedi⸗
genden Anfnüpfungspunct zu finden wußte. Indem man fidh
unter ber Erlöfung nur die Befreiung aus der Gewalt eines
andern dachte, und ebendarum von ber mythlichen Vorſtel⸗
lung eines Kampfes entgegengefezter Mächte fich nicht trennen
konnte, mußte man auch dem Erlöfungsact eine nothwendige
Beiehbung auf den Teufel geben, und die Aufgabe war nicht,
das Verhaͤltniß der mit der Sünde verbundenen Schuld zur
ee der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit zu unterfuchen,
ſindern nur zu erflären, wie die Macht, Die der Teufel durch
bie Sünde der Menſchen erhalten hatte, wieder aufgehoben
worben ſey. Der Begriff der Verföhnung war alfo eigent»
lich noch nicht zum Dogmatifchen Bewußtfeyn gekommen, ſon⸗
dern nur der Begriff der Erlöfung, fofern die Erlöfung zus
naͤchſt nur das äuſſerlich Thatfächliche ift, Befreiung aus ber
Gewalt eined andern, ber Gewalt des Teufels, welcher,
wie ein felbitftändiger Herrfcher, mit feinem Reiche dem gött⸗
lichen Reiche gegenüberflund, für welches der ihm urfprüng-
Ih angehörende Menſch wieder gewonnen werben follte,
Das nur in der Idee der Gottheit auszugleichende Verhält-
ng der beiden einander gegenüberftehenden Begriffe, Schuld
und Verſöhnung, ftellt fi) noch in der göttlichen Anſchauung
imeier feindlicher Reiche dar, welcher Vorftellung gemäß da⸗
ber auch die Erlöfung nur als ein Kampf zwifchen dieſen
beiden Mächten gedacht werden konnte. Wie anftößig und
sie unvereinbar mit der Idee ber Gottheit die dem Teufel
äingeräumte felbftfländige Macht feyn mußte; wurde man ſich
erft dann bewußt, ald man hieraus die Folgerung zu ziehen
fh genöthigt fah, daß der Teufel, um die Denfchen frei zu
laſſen, den Erlöfer feldft, fey e8 auch nur für einen Moment,
in feine Gewalt befommen haben muͤſſe. Darum follte nun
das Löfegeld nicht dem Teufel, fondern Gott bezahlt feyn,
9 L Ber. L Abſchn. 2 Kap.
ungeachtet man ſich über das Eine fo wenig, als tiber bas
Andere, genügende Rechenichaft geben konnte. Warum follte
es Sott bezahlt ſeyn, wenn doch Gott, da er uns nicht in
feiner Gewalt hatte, auch Feines Löſegelds beburfte, und
warum follte e8 dem Teufel nicht bezahlt feyn, wenn er es
u.
Doch allein war, in deſſen Gewalt die Menfchen ſich befan
den? Man kann fih daher nicht wundern, daß auch folde
Kirchenlehrer, welchen die gangbare Erlöfungstheorie fchon fo
großes Bedenken erregt hatte, doch Immer wieder zu ihr hin⸗
gezogen wurden. Derfelbe Gregor, welchem das dem Teufel
An [\
bezahlte Löfegeld ein fo unerträglicher, verabfcheuungsmärbie
ger Gedanke war, läßt dennoch auch wieder auf diefelbe Weiſe,
wie fein Namensbruder, Gregor von Nyſſa, den Teufel von
dem Erlöfer durch die vorgehaltene Lockſpeiſe des Fleiſches
getäufcht werden 9). Auf der andern Seite hatte nun aber
Doch das noch fo ſchwankende Dogmatifche Bewußtſeyn durch
den reger gewordenen Zweifel einen Impuls erhalten, ber
es nöthigte, die Beziehung des Erlöfungstedes auf ben Teu⸗
fel nicht für die ausschließliche zu Halten, ſondern auch: ber
entgegengefezten Beziehung auf Gott irgendwie in fih Raum.
zu geben. Wenn Gregor von Nazianz über die leztere Be
ziehung ſich zunächft noch fo ausdrüdt, das Blut des Erlös
ferö fey dem Vater, obgleich er e8 weder verlangte, noch befr
felben bedurfte, um der göttlichen Hellsorbnung willen (dıc
Tıv oixovouiev) ald Löfegeld gegeben worden, fo gibt fich
hier das Unbeftimmte und Unklare diefer Vorftellung, Die man
bemungeachtet nicht zurüdzumelfen vermochte, der Mangel
4) Öregor von Nas. Orat. XXIX. ©. 631.: "Eredr) dero dir—
Tmros eva Ts xaxiaus 6 Oops, Jedrntos Zinidı delsaoas nuag ©.
gapxos rrgoßinuarı delesseran, iv us ro Adau reooßakıiv rp
heꝙᷓ — æc 8rwg 0 veog Ada T0v nalaov draoWonree »
xat ÄU$E vo xaraxgua vie Gapxog, oagxı ra Jarare Javarım — —
JivTo;.
Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 9
eines fie vermittelnden Begriffs, fehr deutlich, zu erkennen.
Mein ſchon Sohannes von Damafcus, welcher, wie in An⸗
berem, jo auch hierin ganz befonderd Gregor dem Theologen
folgt, und mit demfelben Abfcheu die Vorftellung verwirft,
dab dem Tyrannen das Blut des Herrn habe dargebracht
werden follen, weiß Die ihr gegenübergeftellte Behauptung,
daß der Erlöfer vielmehr ſich jelbft dem Vater zum Löfegeld
fir und dargebracht habe, durch den Saz zu begründen:
: „da wir ihm gefündigt haben, fo habe er auch für und das
Röfegeld übernehmen müffen, damit wir von ber Verdamm⸗
mb befreit würden“ )y. Mußte man anerkennen, was an
fiih nie geläugnet werden konnte, wohl aber durch die vor⸗
berrfihenbe Borftellung von ber Macht des Teufeld feine bes
fimmtere Bedeutung verlieren mußte, daß der Menfch fich
gegen Sott verfündigt, in Beziehung auf Gott in die Schuld
dee Sünde verfallen fey, fo konnte auch nicht mehr gejagt
werden, was Gregor von Razianz gefagt hatte, daß wir. als
Sünder nicht in ber Gewalt Gottes geweien feyen. War
aber der Menſch Durch die Sünde nicht bloß der Gewalt des
Teufels, fondern aud der Gewalt Gottes anheimgefallen,
ſo konnte auch nicht mehr mit Gregor yon Nazianz behaups
tt werben, daß Gott ein Löfegeld weder verlangt, noch be⸗
durft habe, Die Frage war nur, wie Gott ein Löfegeld gege-
ben werben fonnte? Aber ſchon Origenes hatte ja die fo nahe
at Üegende Opfer- dee mit der Vorftellung eines dem Teufel
bezahlten Löfegeld8 nicht unvereinbar gefunden. War auch
beides zunächſt noch auf eine unbeftimmte Weiſe verbunden,
ſo mußte doch bie erſtere * Borfelkung der Natur der Sache
— —
1) Meat zii: öe9od. nis. UI, 27.: Oynoxsı Tolvun Tov Ünke zuav
Jangrov üvadeyousvog, xal Eaurov To Turgr Teooopees: Yvolar ,
evrö yap neninuueljxauev, war aurov Ude co Aurgov zur. deka-
odaı, xar rag nuas Audgvar rijs xaraxgiseus. My yap vevroro
sd Tuparııy ro zu daunore. ngoasveydivar alua:
vy
, ⸗
868 1. Ber. J. Abſchn. 2. Hay.
| über die Menfchen ausgeht. Der gleichſam yerfonificirte Tod
vertrit bie Stelle des Teufels, tft aber Gott gegenüber feine“
ebenfo felöftftändige Macht, da er an fih nur die an dem
Menſchen haftende Schuld der Suͤnde bezeichnet. ES fickt ;
baher nichts entgegen, den den Zufammenhang zwifchen der
Sünde oder der Schuld der Sünde und dem Tod vermis
telnden Begriff der Gerechtigkeit auf Gott zur beziehen. Wie
Gott es if, der mit der Sünde, wegen der am ihr haftenden .
Schuld, den Tod verbunden hat, fo iſt e8 auch nur Sa,
defien Recht durch die Aufhebung des Todes nicht verlak :
werden barf. In Gott liegt alfe der Grund, warum Die:
mit der Sünde verbundene Schuld, oder ber in Folge dieſer
Schuld herrfchende Tod nicht ſchlechthin aufgehoben werben
kann. Diefer Grund felbft aber tft, worin fih und biek
Vorſtellung als eine noch unentwidelte und der innern Be⸗
gründung ermangelnde zu erkennen gibt, noch ganz äufſſerlich
gedacht. Sie geht nicht auf die dem Weſen Gottes inwoh⸗
nende, den innern Zufammenhang zwifchen Sünde und Schuld
begründende, Heiligkeit und Gerechtigkeit zurüd, fondern nut
auf Die, bei dem Falle der Menfchen auögefprochene, göttle.
che Strafdrohung, welcher Gott nicht untreu werben Darf,
der Grundbegriff, um welchen fie fich bewegt, iſt alfo nicht
die göttliche Gerechtigkeit, fondern nur die göttliche Wahrhafe
ugkeit. Diefe dem ganzen Standpunc, auf weldem mm ,
ſtund, näher liegende Idee war für diejenigen Kirchenlehrer,
die Dem Teufel nicht dieſelbe Wichtigkeit beilegten, wie an
dere, der Aufnüpfungspunct für eine neue, im Gegenfaz ges
gen jene ſich entwidelnde, Theorie. Abgeſehen bievon aber,
baß die Stelle des Begriffs noch der mehr äAuffere Begriff
der göttlichen Wahrhaftigkeit vertrit, begegnet uns fchon bier
der dem Begriffe der Gerechtigfeit entfprechende Begriff einer
ftellvertretenden ©enugthuung in feiner eigentlichen Form.
Es mußte, wenn die Schuld bezahlt werden follte, Die der
Tod von den Menichen forderte, ein xaraAArAov dargebracht,
Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u. f. w. 97
‘
b. h. etwas gegeben werben, bas als angemefiener Erfaz für
Die, die aus ber Gewalt bes Todes befreit werden follten,
gelten konnte. Dieſes xaraAAnAov Eonnte nur ber Tob des
Erlöfers feyn, fofern er wegen feiner Einheit mit dem gött-
lichen Logos ber Nothwendigkeit, zu flerben, nicht ebenfo
unterworfen war, wie bie übrigen Menfchen. Um alfo fler-
ben zu Eönnen, und Durch feinen‘Tod der über die Menfchen
auögefprochenen Strafdrohung Senüge zu thun, mußte der
Logos einen fterblichen Leib annehmen, fein Tod if daher
bad Loͤſegeld zur Befreiung ber Menichen aus der Gewalt
des Todes. Aus dem Begriffe des xaradinAor wird auch
bier, wie bei jener andern Theorie, fogleich die Nothwen⸗
bigfeit der gottmenſchlichen Natur des Erlöfers abgeleitet.
Um fterben zu können mußte er Menfch feyn, um aber an ſich
nicht fterben zu müfjen, mußte er mehr als ein Menfch ſeyn,
wit dem göttlichen Logos in Gemeinſchaft ſtehen. Warum
mußte er aber auch auferftehen, oderim Tode zugleich unfterb-
Eich bleiben? Dieb iſt der Bunct, wo es auch diefer Theorie,
wie jener andern, an dem befriedigenden Zuſammenhang
fehlt. Sollte der Tod des Erlöfers ein wahres und reelles
zosallnAov feyn, um das opsılousvov zo Javarp zu etz
füllen, fo mußte er auch ein wahrer und reeller Tod feyn,
alfo nicht ein folcher, der durch die unmittelbar auf ihn fol-
gende Auferftehung fich felbft wieder aufhob und das gegebene
zosalAnAov gleichfam wieder zurüdnahm. Zwar ließ aud)
jene andere Theorie den Erlöfer nicht wirklich in Die Gewalt
des Teufels kommen, fondern nur für einen Augenblick, oder
wur zum Schein, aber fie nahm ebendeswegen, ohne den
Begriff eines xaraAAnAov weiter feftzuhalten, die Wendung,
der Teufel habe ſchon dadurch, daß er den Erlöfer in feine
Gewalt bringen wollte, und ſich an ihm vergrif, fein Recht
auf ihn verloren. Warum follte aber der Tod, wenn doch
der Erlöfer felbft fih ihm als xuraAAndov gab, und eben-
dazu, um fterben zu können, einen fterblichen Leib annahm,
Baur, die Lehre von ber Berföhnung. 7
BL Per. Labfhn 2.Kap.
sein Recht auf den Erlöfer, ſoweit er fterblih war, unmi
bar wieder verlieren? Läßt fich Dieß anders erflären, als
der Boraudfezung einer Täufchung, bei welcher der perfo
cirte Tob ganz an die Stelle des Tenfeld trit? Der
täufchte fich, indem er den Erlöfer, der zwar einen fie
chen Leib Hatte, an fich aber der, Macht ded Todes nicht
heimfallen Eonnte, in feine Gewalt bringen wollte, und.
for durch das hiedurch begangene Unrecht das Recht, da
auf Die Menfchen, bie er in Folge des leiblichen Todes
geiftigen Tode gefangen hielt, ausübte. Aber ebendad
fällt nun auch der Begriff des xuraAAndov wieder hint
die Menfchen werden ohne ein folches aus dei Gewalt
Todes befreit, weil das für fie gegebene Fein wahres
reelles ift, fie werden alſo ſchlechthin deswegen befreit,
der, der für fe ftarb, an fich nicht fterben Fonnte, der M
des Todes. nicht wirklich anheimfiel. Wie alfo jene an
Theorie auf dem Begriffe eines Betrugs beruht, fo tv:
aud) dieſe auf etwas blos Scheinbare® zurüd, auf ein
zeAinAov, das nicht Die volle Bedeutung eines xazaAk:
haben Tann, auf einen Tod, der an fih fein Tod iſt.
fi) der in dieſer Theorie liegende Widerfpruch nicht klar
Augen, wenn dad Hauptmoment derjelben in die Worte
fammengefaßt wird: To duvauevovr anodavelv Euvrop A
Baveı (0 Aoyos) owue, va Töro TE En) navrow A
ueraleßov, avıl navımm ixavov yeyııaı vo Ivory,
dia Tov Evolxnoavra Aöyov, &pdaprov diauelm Y% |
verträgt, ſich dieſes &psaprov Iuausverw mit dem Üw
yiveodaı vo Iwvary, wenn bad, was für Die 9000
Menſchen gegeben werben fol, als daß xaraAAnior, |
opeihousrov od Iavarp, obgleich armogaveiv duvane
ein apIagrov ift, und au im Tode Kpsuprov bie
Es ift Ear, daß hier in dieſer Theorie eine Lücke ift,
4) De incarnat. c. 9,
)
Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 99
ſt noch ausgefüllt werden müßte, wenn fie Die nöthige Hal⸗
ng haben follte. Ausgefüllt werben aber Eonnte fie nur
derch, daß man dem Tode des Erloͤſers, obgleich er an
h Fein Tod ſeyn konnte, doc, Die Realität und Bedeutung
ws wahren Todes zu geben ſuchte. Es mußte daher in⸗
Bis in ihn gelegt werden, was er, ba die wahre Macht
B,Renlität des Todes ſich nur in ber bleibenden Wirkung,
eer bat, zeigen kann, ertenfiv nicht haben kann. Auf die⸗
m:Bege bildete ſich in ber Folge die Idee des ſtellvertreten⸗
m Todesleidens und des unendlichen Werthed befielben.
Wi, tbanafius, oder dem Verfaffer der dem Athanafius zus
wihetebenen Schrift, findet fish hierüber noch feine befondere
Rebeniung, bei Eufebius von Gäfaren und Cyrill von Jeru⸗
fee aber, die den Tod Jeſu aus demſelben Gefichtöpunet
gefaßt zu haben fcheinen, wird auf diefe Vorftellung fchon
e Gewicht gelegt, das fi nur aus dem Zufammenhang
r Borftelungen, in welchem wir und hier befinden, recht
Kären läßt. Cyrill von Serufalem hebt befonder® hervor,
8 Chriſtus die Strafen der Sünde an feinem Leibe auf
h genommen, und ald der für nnd Sterbende von nicht
tingem Werthe geweſen fey, weil er fein bloßer Menſch,
ndern Der menichgetvordene Gott war, und feine Gerech⸗
jfeit weit größer, als bie. Gottloſigkeit der Menfchen *).
uch Eufebius von Cäfaren findet Die Bedeutung bes Todes
efu befonders darin, daß er für uns geftraft worden fey,
nd ein Strafleiden auf fid genommen habe, das nicht er,
mdern nur wir, wegen ber Menge unferer Sünden, zu dul⸗
9 Uatech; XIEHII, 33.2 "Anioße Xasos Tas Gpegelas & Ti owuarı.
— 00 Fick mw ö Ünegamodıjanun nalv, Ad mw noößetov aio-
Imov, ax Moc avögumod, Ex 17 ayyelos — Eike Jeos
ivavdowryoas. Ov ) ToGavzy mw Tor Snagrulär 7 woula, 0on Ta
Ömegamodninnorros. 5 dxciooum 3 roũGGrov nuagrouev, boν Edi .
Kaorrgaynaev © Tip Wwuyıw ünte nuöv tefewee.
7*
fd
100 . L. Ber. L Abſchu 2. Kap.
den ſchuldig waren *). Je mehr Gewicht in den Moment bed
Todes Jeſu gelegt,. je beftimmter das Leiden des flerbenden. .
Erlöfers als ein ftellvertretenbes Strafleiden für Die Sünde .
der Menfchen genommen, und je größerer Werth dieſem Leis
den, wegen ber gottmenfchlihen Würde bes Leidenden und
ku
‚wegen ber unfträflichen Heiligkeit und Gerechtigkeit feines Le⸗
bens, beigelegt wird, deſto weniger fiheint an ber Realiit
und Wahrheit dieſes flellvertretenden Todes gezweifelt wer⸗
den zu können, und er kann als ein Aequivalent zur Aufhe⸗
bung des Todes ber Menichen angefehen werben, wenn auch
?
gleich an fich ein foldher Tod theild als der Tod des Gott .
menfchen, theils wegen ber feine Wirkung unmittelbar wieber.
aufhebenden Auferflehung, nicht Die Bedeutung eines wahren
und eigentlichen Todes haben zu können fcheint. In dieſen
weitern Zufammenhang finden wir jedoch diefe Theorie noch
bei keinem Kirchenlehrer der erften Periode. Die Elemente
aber, aus welchen in der Folge biefe Theorie conftruirt wor⸗
den ift, begegnen und ſchon jest, obgleich noch vereinzelt und:
in einer noch nicht entwidelten Geftalt ®). Unter den einzel
1) Dem. eV. X, 1. 2 Vade Nur nolaadelg wald Tıuwolay Inpayer, 72
aurog piv &x weder, all nusis va relydag Evexer vor nenign- \
. pehnulvor , Huiv alrıog rs TÜV Guagrnuarwy Gpeosıog warden —
vw zuiv mgoseerunperge xarapay dp Savzoy — yerouerog
Undo ZuoxX xarapı.
2) Dahin gehören auch Stellen, wie bei Hilarius von Pieta⸗
vium in Ps. LIII, 12.: passio suscepta voluntarie est, of- .
ficlo ipsa satisfactura poenali, bei Ambroſius De fuga
saeculi c. 7.: suscepit mortem, ut impleretur sententie
(die Strafdrofung 1 Mof. 2, 17.), satisfieret judicato per
maledictum. carnis peccatricis usgue ad mortem. NikiE
ergo factum est contra sententiam Dei, cum sit divinae
conditio impleta sententiae. Obgleich ſolche Stellen zu
allgemein und unbefimmt lauten, um aus ihnen einen be⸗
ſtimmten dogmatifchen Begriff abzuleiten, fo find. fie doch
immer bemerfenswerth. Dez Satisfactionsbegriff ik in ihnen
Die Kicchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 101
nen, in biefer Hinficht befonders bemerfenewerthen, Borfel-
Ä Imgen iſt neben den fihon erwähnten eines warallılor und
eines ſtellvertretenden Strafleidens beſonders auch die ſchon
jest ſich entwidelnde Idee des unendlichen Wertho bed gott-
wenfchlichen Leidens hervorzuheben.
Diefe Idee hatte zwar damals noch nicht, wie fpäter,
‘ die Idee der unendlichen Schuld und ber Nothwendigkeit ei»
ner ihr entfprechenden unendlichen Genugthuung zu Ihrer Bor-
audſezung, um fo mehr aber war fie durch bie Richtumg ge-
| geben, welche bie Lehre von der Berfon Chrifti laͤngſt genom-
wen hatte. Ze mehr man vor Allem das Göttliche in der
Gern Ehrifti fefthielt und das Menfchliche bemielben nicht
‚: wohl gleichfegte, als vielmehr unterorbnete, einen um fo
; höheren Werth mußte man aud) dem Leiden und Tode Ehri-
M zuſchreiben, und wenn bieß an ſich fchon in der Richtung
der Zeit lag, jo mußten bie über der Perſon Ehrifti entftan-
denen Streitigkeiten um fo mehr die gottmenſchliche Bedeu⸗
tung feines Leidens zum Bewußtſeyn bringen. Eine Dogma-
tif, welche, wie Die alerandrinifche, Das Göttliche und Menſch⸗
liche al8 die beiden Glemente der Berfon EChrifti ſich zur un⸗
wenigſtens ausgefprocdhen, und fchon hiedurch ein Anknü⸗
pfungspunct für die fi) Bildende Satisfactionstheorie gege: .
ben. Die aus der edmifchen Rechtsſprache genommenen Aus:
brüde satisfactio, satisfacere finden fich zwar zuerfi bei
Tertullian in der Bedeutung: zur Abbüßung der Sünde ges
nugthun. Die, auch fonfi wiederholte, Angabe der Knapp:
(den Dogmatik Th. 2. S. 278. aber, bei Tertullian finde fich
auch fchon der Sag: Christus peccata hominum omnt sa-
: tisfactionis habitu expievit, ift in jedem Falle in Bezie⸗
hung auf die citirte Stelle De patientia c. 10., ohne Zweifel
aber in Beziehung auf die Schriften Tertullians überhaupt
unrichtig.” De habitu mullebri c. 1. kommt der Ausdrud:
omnt satisfactionis habltu explare vor, aber nicht von
Chriſtus, fondern vom Menfchen gebraucht.
102 1. Ber. J. Abſchn. 2. Kap.
gerivennlichften Einheit durchdringen ließ, Eonnte auch Das
Leiden Chrifti nur als ein wahrhaft göttliches, einen unend-
lichen Werth in fich fchließendes, betrachten. Daß Chriftus
nicht als bloßer Menfch gelitten habe, daß fein Blut als das
Blut eined gewöhnlichen Menfchen feinen, zur Erlöfung ber
ganzen Welt hinreichenden, Werth gehabt haben mürbe, daß
nur der Gottmenſch ald der Eine für Alle habe Leiden kön⸗
nen, ift daher ein in den Schriften Eyrill’8 von Alexan⸗
Drien mit befonderem Nachdruck ausgefprochener Gedanke,
wenn auch Die Unendlichkeit des Werthes des Leidens Chriſti
nur als eine nothwendige Folge des gottmenfchlichen Seyns
feiner Perſon betrachtet, die Nothwendigfeit eines ſolchen
Leidens felbft aber für den Zwed der Erlöfung und Berföh
nung nicht weiter begründet wird 1). Auch in dem zwiſchen
4) Im Comm. in Joh. Lib. II. in der Ausg. der Werke Cyrill's
von Aubert Paris 16338. Tom. IV. €, 114. drüdt fi Cy⸗
rill zu Joh. 1, 29. über den Werth des Löfegeldes fo aus:
Enedn yap nuev Ev nollais Auaoriag din Te TaTo Yoswsuusvos
Javarın xal PIopa, dedwxev ürrilurgov ünte yudiv Tov vior 6 na-
170, va ünke navrıw, Enel xa) nayra &v auris zal narruy xgelr-
zum doriv" eis Anedavev nte navıwy, iva oi navres Inowuer Ev
aurıö” xaranııy yup 6 Havaros Toy Unke nayruv duvor navras
Per usoer dv aur'5 Te xat ow aura (dgl. oben ©. 79. diefelbe
Borkellung bei Toh. von Damaſkus), oi yao navres zuev iv ra de
juäs za Uno nusv Gmodavörrı zar Iyeodirr. Xasıs. Belonderd
bemerkenswerth if folgende Stelle in Cyrill's Auyos deure—
E05 Heoopwnrnog Tai evoeßerdras Banklovag reg tus deIrs md-
seo; Opp. Ed. Aub. T. V. 2. (De recta fide) ©. 132. m®
Eyrill in Beziehung auf Gal. 2, 13. fagt: 5 u eideis iur
tiay, teardsı Xgısos, Unevnverros v5 dien, wiyov adınoy ünouelr a
xal Ta roig Er apa nodnoyta nadehr, iva 6 Tav Odıw arrasar
nte navruv anodaver ty; anarroy aneıdelag Avon ra Eyalyur m
ra xal dyogdon tiv Un ueavdy alperı via ln. Oüx ür Er yiyr
vev Eis anayrwy avrakıos, sireo yv. avdunnos arıküs’ ei OR öy m
oĩro Iso: Evmwdgonnzeis xas oapxs Ti le adv, Okiyn 06 —⸗
Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u. ſ. w. 108
yrill und Reſtorius geführten Streite ſelbſt trit dieſes Mo⸗
ont im feiner Bedeutung hervor. Mußte Neſtorius feiner
heorie zufolge auch in Beziehung auf das Leiden und Ster⸗
en Chriſti das Göttliche und Menfchliche auf eine Welfe
tor 3 osunaca zring, xal drayen regos Äurgor vis Un’ ägarar 6
päs gapxos Iararos, ldla yao yv ra ia Jes naroos yürros loye.
Hier fehlt zum vollen Begriff der Satisfaction nichts als
die ausdrüdliche Beziehung defielben auf Gott und die gött«
lihe Geredjtigkeit. Allein eben dieß iR immer ber unklare
vunct der Altern Satisfactiong » Borfielungen. Daß Gott
ſelbſt nicht erſt babe verfähnt werden müſſen, fagt Cyrill
Adv. Nester. IU, 2. T. VI. ©. 6.: jv air yco zus Korı eos
ayados TH yuoeı, gloxrigusv re zal !lenpwv ası, zal ux dv X00-
vıo ãro yeyorey, GAR” eis nuas EderyIn Torros (er offenbarte
nur in Chriſtus feine an fich fchon vorhandene Güte). Doch
fagt er aud) wieder a. a. D. cap. 1. ©. 66.: zus — ror
dx Jen areas Aoyor aySgumor yeyovora xal ispseyzom yaudr dav-
Tg zoi riy mare vis wilseng zur rw Ömoloylar (Mad dach —
freilich abe daß wir hierans einen weitern Schluß ziehen
dürfen — nur fo verfianden werden Tann: er. babe ſich und
dem Vater das Opfer gebracht, das der inhalt des von
uns befannten Glaubens if), xcah zar' adeva reonor avapuosoy
Toig Tg xevWoewg uergos rromsaadar Tnv olxovoular. Daß jedoch
die hier ausgefprochene “Idee einer nächt blos äquivalenten,
fondern mehr als genügenden, unendlichen Leiftung nicht
blog aus der alerandrinifchen Dogmatik Cyrills, fondern
überhaupt der Dogmatifchen Richtung jener Zeit hervorging,
und daher auch der antiochenifchen Dogmatik nicht ganz fremd
blieb, wenisfiend ehe fie ſich durch den neftortanifchen Streit
Brenger in fich abfchloß, heweist Johannes Chryſoſtomus,
welcher In epist. ad Rom. Hom. X. Opp. ed. Montf. T. X.
G. 121. fi über die Größe des von Chrifins bezahlten £d-
ſegelds fo ausdrüdt: Od yao 500r dyarkouer eis ııv T7s anag-
tläg avaigscıy , rooarov Elußouev uovov dx rs Xegros, alla xaı
nollıs suldov — nolks yap dv Oyerlouer, zareBulev 6 Xasos, x
Toostıp sılslova, Dow rgog Gavlda ger nıilayog antıgor.
104 . L Ber. L Abſchn. 2. Rap.
auseinanderhalten, bei welcher von einem andern, als
menfchlichen, Werth feined Verbienftes nicht wohl bie
fem Eonnte, fo bob dagegen Eyril um fo mehr bervor
unfer Hohepriefter Fein anderer, ald ber Yleifh und V
gewordene göttliche Logos felbft fen, und nicht für fidh
fondern nur allein für und fich felbft ald Opfer Dargel
habe *). Würde nicht die, mit dem bogmatifchen Bewu
4) Adv. Nestor. III, 2. T. VI. S. 69. führt Cyrill gege
fiorius aus, daß Ehrifius nur fofern er der Logos fey
fer Hohepriefter feyn könne. ©. 73.: el; re Yeos za) &
105 6 Euuarani. "A 5 xonsöos éroot (Neſtorius), zijs osx
Toy Toonav üs axallz Tragmrausvos, aropepn ra Seõ Äöye \
owmiva, ix. öptiro domor xar’ addra Tponor Örnaas Ta zu
uãſsꝰ 8 yap rol gmow avror Blenuova Te xal TIıs0Y Gpyızoda
Jar rooovdue ve nällov cs; Erdgm Trap’ autor TO yerua ı
nrovdorıe — EI Ieor eivas rov nenovdöra gapxl TIsedouer,
ydyover np Goxıeoeis, nenlavnueda uev xar’ sbere Toumc
Howrror da yeyovora rov dx Jen loyov irmyıwworouer. Klar
ſich diefer Gegenſatz auch in den gegenfeitigen Anathe
men bes Eyrillus und Neftorius (vgl. Mansi Coll, c
T. V. ©. 1. f. T. IV. &. 109.f.) aus. Der zehn:
Eyrilffchen Anathematifmen heißt: Apyızoda zui arıegoi
Öpolpylas nur yeyerrjodern Xosov 7 Iela Afyaı yon , zuge
puxdvor Te Unkg zur Eavrör eis Oowmp eindia; ra Jan xal
el ris Tolvur Tov Goxıoea za ‚amdsolor muy yeyevvnadai
üx alrov Tor &x es 2oyor, öre riywe on xal xaI” yuüs |
nos, all’ es Eregor mag auror idwöig Er Igenmor. ? Ex yuvan.
ei ri; Adyaı xal Rah; davrä rgooeveyeir aurov Tv 7rEOCpOR
& * dn nällor Into uprar nuv, & yap ür &dendn Teooag
m eds auaprlar, a. :. Dagegen der Anatbematifmu
Nefiorius: St quis illud In principto Verbum pont
et apostolum confessionis nostrae factum esse, seqi
sum. obtulisse pro nobis dieat, et non Emmanuell:
apostolatum potius diserit, oblatiomemque secundan
dem dividat ratiomem et, qui univit, et Ulli, qui unit:
ad unam societatem filil dei, hoc est, deo, qua
yunt, et homini, quae sunt hominis, non depütans
va ⁊
Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u. ſ. w. 105
jener Zeit noch ſo tief verwachſene, Idee des Teufels und die
durchaus vorherrſchende Beziehung des Leidens Chriſti auf
den Teufel auch hier in Betracht gezogen werden müſſen, ſo
haͤtien wir ſchon hier bie Idee einer unendlichen Selbſtgenug⸗
thuung der Sotiheit, allein es läßt ſich dieſe Idee bei der
mnentwidelten und umbeftimmten Geftalt, bie fie bat, folange
der Tod Chriſti fowohl auf den Teufel als auf Gott bezogen
wird, nicht weiter verfolgen, und es ift Daher bier nur noch
daran zu erinnern, wie die in der Lehre von ber Berfon
Chriſti hervortretenden Gegenſaͤze biefelben Gegenfäze auch in
. Beiehung auf Das Leiden und den Tod Ehrifti in fich fchlofs
ſen. Je mehr die neftorianifche Trennung ber beiden Raturen
:, das Menfchliche, zu feinem Rechte kommen ließ, und baher
- au dem Leiden und Tode feine factifche Realität ficherte,
deſto mehr nahm fie Dagegen die gotimenfchliche Bedeutung
deſſelben in Anſpruch, je mehr aber Die monophufitiiche Ein»
beit der Naturen, welcher auch die orthobore Theorie nahe
"genug kam, bie Objectivität Des unendlichen Werths des Lei⸗
dens und Todes begründete, deſto zweifelhafter mußte bie
factifche Realität defielben werden, und der der ganzen Theo⸗
vie anhängende Dofetismus drängte fi) auch hier befonders
en. So waren ſchon hier die Gegenſäze an fi) vorhanden,
welche in der Folge in ihrer beftimmtern Beziehung auf das
Berdienft Chriſti und den Werth feines Leidens und Todes
hervortraten. Ueberhaupt aber mußte jede der großen Strei-
tigfeiten, durch welche bie Entwidlung des Dogma’s in ben
erſten Sahrhunderten der chriftlichen Kirche hindurchging, zu⸗
gleich auch einen nicht unwichtigen, wenn auch blos mittelba⸗
tm, Einfluß auf die Lehre von ber Verfühnung haben. Dieß
bt ſich fchon im arianifchen Streit nicht verfennen, und
Athanaſius felbft, welcher ſolche Momente der großen Streits
age in ihrer allgemeinen, auf das ganze Weſen des Chri-
ſtenthums fich beziehenden, Wichtigkeit mit tiefem Geiſte auf-
wfaflen und zu würdigen wußte, hat nicht unterlafien, auch
106 L Ber. I. Abſchn.2. Kap.
biefe Seite hervorzuheben. Unter den Argumenten, mit wel
chen er die Lehre feiner Gegner beftreitet, ift keines der ſchwaͤch⸗
- ften, daß der Sohn, fo wenig er nach der arlanifchen Bow }
ftellung wahrer Schöpfer ſeyn kann, ebenfo "wenig wahre -
Erlöfer ſeyn könne. Denn fein anderer, als Gott ſelbſt,
fagt Athanaſius *), konnte uns mit dem göttlichen Geiſte
verfnüpfen, fein anderer und wahrhaft vergoͤttlichen, al®
der Gott in fi felbft ift, niemand. und wahrhaft heile
gen, weil die Heiligung nur durch den göttlichen Geiſt in
uns bewirkt wird, Fein anderer uns die Sohnſchaft Gottes: -
geben, al& der, der von Natur Sohn Gottes if. Hatte ber.
Sohn einen Anfang, fo kann er andy wieder aufhören, ud ,
wir find unferd eigenen ewigen Lebens nicht gewiß *). IR-:
ber Sohn, wie Alles, ein Gefchöpf, wie fommt es, Daßı ee:
allein den Bater offenbart, und Fein anderer?. Nach ber -
ariantfchen Lehre ift unbenreiflih, was Joh. 6, 46. Mattih.
11, 27. gefagt wird. Denn ift der Sohn ein Geſchoöpf, und
find wir Alle Geichöpfe, fo follte jeder von und nach dem
Maape feiner Kraft den Bater erfennen 3). Der Logos nahm:
beöwegen den fterblichen Leib an, damit er ihn als Schöpfer,
neu fchaffend, in fich felbft vergöttliche und uns, Die ihm
ähnlichen, in das Himmelreich einführe. Der Menſch, mit
einem Geſchöpfe verbunden, wäre nicht vergättlicht worden,
er hätte fich nicht getraut, fi vor den Vater zu flellen,
wenn es nicht fein wahrhafter natürlicher Logos gemein =
wäre, der Menfih geworden iſt. Und gleichtwie wir von der °
Sünde und dem Fluche nicht wären befreit worden, wenn e
nicht ein wahrer Menſch geweſen wäre, denn mit einer md
fremden Ratur haben wir nichto gemein, fo wäre auch be
Menſch nicht vergöttliht worden, wenn es nicht ber wahr
| gu u
F—
1) Orat. c. Arian. 1. 37. 49. II, 14. 69. 70.
2). Or. 6. Ar. I, 19. II, 77.
3) Or. c. Ar. H, 20. f.
m
Die Kirgenlehrer des vierten Jahrh. u. fiw. 107
hafte Logos bed Vaters geweien wäre, ber Menfch wurde.
Deswegen erfolgte eine foldye Verbindung, damit das ber
Ratur nach Göttliche mit dem der Ratur nach Menfchlichen -
verfnüpft werde und fo der Menfchen Erlöfung und Bergött«
üchung zu Stande komme *). Hier find treffender als irgend»
wo bie wahren Momente der chriftlichen Verſoͤhnungslehre
‚hervorgehoben. Gibt ed eine wahre, dem abfoluten Inhalt
bes. chriftlichen Bewußtſeyns genügende, Verföhnung, fo kanu
ſe nmur in der abjoluten Einheit des Menſchen mit Gott bes
Reben. Da nun aber das Princip der Erlöfung und Verföh-
j mung mar der Sohn Gottes feyn kann, fo iſt auch bie noth«
vendige Borausfezung der Verföhnungsiehre eine Trinitäts⸗
'khre, welche die Identität des Sohnes mit dem abfoluten
Befeu Gottes anerkennt. Jede andere Vorftellung von dem
Leſen des Sohns, welche den Sohn felbft als etwas End»
Bches fest, Täßt Daher auch, Die Trennung des Endlichen vom
Abſoluten, des Menſchen von Gott, in ihrer ganzen Weite fort
beſtehen, es fehlt das wahrhaft vermittelnde Princip, die
wahre gottmenfchliche Einheit, und ebendamit auch die wahre
Realität der Verfühnung. Es iſt Daher fehr bezeichnend für
den Standpunct der Arianer, daß ihnen, wie ausdrücklich
geingt wird, die Befreiung von ber Sünde, die fie im wah⸗
ven eigentlichen Sinne nicht annehmen Fonnten, eine bloße
Ankündigung der Sündenvergebung war 2). Iſt der Cha⸗
tacter des Arianismus, wie er richtig beftimmt worden ift ?),
im Allgemeinen Trennung der Welt von Gott, fo vermag er
ſich auch in Hinficht der Verföhnung nicht über den Stand»
punct Des, den Menfchen von Gott trennenden, Judenthums
m erheben. Cine fo wichtige Vorausſezung für bie, der Idee
| .D Or. c. Ar. II, 70.
2) Or. c. Ar. II, 68.: °Hivero, yaoı (die Arianer), zur wriona-
Ts Oyrog TE owrnjpos, uovor eineiv 6 Ieos xaı Alcaı TyV Karapav.
3) Möhler, Athanafius der Gr. J. ©. 195.
\
108 - 1. Ber. L Abſchn. 2. Zap.
des Chriftenthums entfprechenden, Entwidlung ber Lehre vo.
ber Verföhnung war daher der Sieg der athanafianiſcha
Lehre über bie arianiſche. Welche weſentliche Beziehung be
ber auguftinifch = pelagianifche Streit auf unfer Dogma hatte,
und wie nicht nur ohne ein" tiefer gehendes Bewußtſeyn der
Sünde auch die Idee der Verfühnung nicht tiefer ‚hätte ben
gründet werben fönnen, fondern auch ohne die Voraudſ⸗
einer Thatſache, wie der Sündenfall, der auguſtiniſchen Le
zufolge, gebacht werben mußte, auch der Thatfache bes |
föhnungstodes. ihre feſtere dogmatiſche Haltung gefehlt Haben
würde, liegt fo nahe, daß e8 Keiner weitern Ausführung. bei
darf. Dagegen verdient noch bemerkt zu werden, daß *
auguſtiniſche Lehre, ſo ſehr ſie die Bedeutung des
nungstodes intenſiv hob, auf der andern Seite dieſelbe w g
fo mehr ertenfio befchränfte. , Konnte man ſich vor Auguſi
bie verföhnende Kraft bes Todes Jeſu nur als, eine auf Di
Menſchen ohne Unterſchied fich erftreddende denfen, fo muß
fie num feit Auguftin von allen, die fi) zu der Lehre nei’
einer abfoluten Brädeftination befannten, auf ben engern $ re
der Erwählten befchränft werben. !
Faſſen wir den Punct, auf welchem unfer Dogma - 4
feiner bisherigen Entwidlung fteht, in's Auge, fo fehen wir
zwar fchon Die Keime vor uns liegen, aus welchen eine, bi?
weſentlichen Momente des Begriffs umfafiende, Theorie 19%
entwideln konnte, aber theild hatten fie ſich noch nicht zu ch
nem organiichen Zufammenhang zufammengefchlofien, theilb
waren fie noch mit Elementen vermifcht, welche das religioſt
Bewußtſeyn in einen Wiberftreit mit fich felbft verfezten, we
cher erft überwunden feyn mußte, wenn der Begriff in bem
ganzen Zufammenhang feiner Momente fich entwideln follte.
Der innere dialectifche Proceß, welchen der Begriff zu burde
laufen hat, wenn fein abfoluter Inhalt fich für das fubiective
Bewußtſeyn herausftellen fol, war dem dogmatifchen Bewußi⸗
ſeyn jener Zeit noch zuwenig klar geworden, als baß es auf
/
Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 109
lebendige Weiſe in benfelben hätte eingehen können. Daher
betrachtete man bie ganze Frage über ben Zufammenhang des
Beibens und Todes Iefu mit ber durch Das chriftliche Bewußt⸗
feyn gegebenen Thatfache der Berföhnung immer auch wieder
als etwas Indifferentes, deſſen nähere Beftimmung ber freien
Iebiertiven Anficht des Ginzelnen überlaffen werben dürfe,
&o befremdend es fcheinen mag, wie felbft Gregor von Ras
dans. die Frage über bie Leiden Chriſti in Eine Claffe mit
Yren fegen Eonnte, über welche, ohne Gefahr für den chrift-
üben Glauben, bie philofophifche Speculation jedem freige-
gen werben Fönne *), fo erklärt ſich dieß doch gerade bei
Viefem Sicchenlchrer fehr natürlich aus dem Zwieſpalt, in
weißen er, dem Obigen zufolge, über dieſe Lehre mit fich
gefommen war. Diefer Zwiefpalt aber hatte feinen
Bund nicht etwa blos in der fubjectiven Anficht eines Ein⸗
einen, ſondern das ganze Zeitalter konnte über benfelben
ch nicht hinwegkommen. Indem man nun zwar auf der
nen Seite der dialectiichen Bewegung des fich mit fich ſelbſt
ermittelnden Begriffs noch nicht zu folgen vermochte, auf -
er andern Seite aber feines abfoluten Inhalts, der That⸗
che der Verfühnung, als einer durch das Chriftenthum obs
iin gegebenen Wahrheit, fih bewußt war, was war natürs
icher, als daß man fi) von dem Befondern, dad man fid)
och nicht Klar zu machen wußte, immer wieder zum Allge-
meinen, deſſen Objectivität für bad Bewußtfeyn längft feſt⸗
Rund, zurüdgetrieben ſah, und die Lehre von der Berfühnung
«ld eine.fchon in der Lehre von her Berfon Chrifti enthaltene
ud mit ihr identifche betrachtete? Daß der Menich ſchon
1) Silosope no, fagt Gregor Orat. XXIII. ©. 536., nee x00-
us al 00 UV, ree dans, rıeoi wur rregL oyızöy yuocewv Beirlo-
vor ve xal Kexovon, zregi drasaneus, xgloews, Gyramodooews, Xgı-
5 ã nasnpdrur, äv roroię yag xat TO eruruygareı 7 axen- j
sw æol vo Öiauagravav axivöuvor.
1. L Ber. L. Abſchn. 2. Kap. KL
audeinanderhalten, bei welcher von einem andern, als bios
menfchlichen, Werth feined Verbienftes nicht wohl bie Rebe
feım Eonnte, fo bob dagegen Cyrill um fo mehr hervor, daß
unfer Hohepriefter Fein anderer, als der Fleifh und Menſch
gewordene göttliche Logos felbft fey, und nicht für fich ſelbſt,
fondern nur allein für und fich ſelbſt als Opfer dargebradt
habe 9). Würbe nicht bie, mit dem dogmatifchen Dewußtfem
4) Adv. Nestor. III, 2. T. VI. S. 69. führt Cyrill gegen Rt
fiorius aus, daß Ehrifius nur fofern er der Logos fey, me '
fer Hohepricfter feyn könne. ©. 73.: el; ve Ieds zul 'EiNem-
os 6 Eunarayi. "AM? 6 yonsos sroor (Neſtorius), zus olxovopie
Toy Toonar us axallz Tagmrausvos, arroplpn ra es Aöyn Ta ür-
Iqumra, ix” ögro lomor xar’ addra Toonor ovioes ra 209” 4 1
päs’ # yag Tol now avror Sleyuova Te xal Tı50v Gpyueode yari- |
Ja rrpooveue Te uüllor ös Eregiy Trap” autor To xejpa To m- |
i
nrovdorı- — Ei Yeor eivas Tov nenovdora caer —
ydyovev quν Goxıepevs, nenlavueda nv xar’ adlva Teumor, an- '
Howrov da yeyovora ror Ex Jen Aoyor Enıyırsoxoner. Klar ſpricht
ſich diefer Gegenſatz auch in den gegenfeitigen Anathematiſ⸗
men des Eyrillus und Nefiorius (vgl. Mansi Coll, concil. .
T. V. S. 1.f. T. IV. ©. 109.f.) aus. Der zehnte der
Cyrill ſchen Anathematifmen heißt: Apzıosz zur ärdsolor vis
Snoloylas jur yeyerrjaden Kyiscr Sala Ay yangı), meoomem- -
puxdva te Unke zuwv Savrov eis 00m eimdla; ra Jen xl mare
el ris Tolvur ror Gpxıgea za arosolor nuay yeyevvnodal ya
ax aurov rov dx es 2öyon, ore reywe oop& xal xa9” yuüs —
wos, all” ds trego- mag” autor idwös Er dgeor &x yuranoz 5
ei ri; Alyaı al Ku; davrs ‚reooevey ein aurov Tv TreoOpoger zei
ex dn nällor Into nörav nuör, & yap ür &dendn Teooagogäg 6
m eidus auapriav, a. d. Dagegen der Anathematiſmus bei
Neſtorius: SE quis illud in principlo Verbum pontificem
et apostolum confessionis nostrae factum esse, seque ip-
sum obtulisse pro nobis dicat, et nom Emmanuells esse
apostolatum potius diverit, oblationemgque secundılm ean-
dem dividat ratimmem et, qui univit, et Ulli, qui unitus est
ad unam societatem filii dei, hoc est, deo, quae dei
zunt, et homini, quae sunt hominis, non deputans, a. 8
Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u.f.w. 105
jener Zelt noch fo tief verruachiene, Idee des Teufels und bie
durchaus vorherrfchende Beziehung des Leidens Chriſti auf
. ben Teufel auch Hier in Betracht gezogen werden müflen, fo
: ‚hätten wir ſchon hier die Idee einer unendlichen Selbftgenug«
thuung der Gottheit, allein es Iäßt fich Diefe Idee bei der
mentwickelten und unbeſtimmten Geftalt, Die fie bat, folange
ber Tod Chriſti fowohl auf den Teufel als auf Gott bezogen
wird, nicht weiter verfolgen, und es ift baher hier nur noch
daran zu erinnern, wie Die in der Lehre von der Perfon
Chriſti hervortretenden Gegenſaͤze biefelben Gegenfäze auch in
. Beriehung auf das Leiden und den Tod Ehrifti in fich fchlofs
‚ .jen. Ze mehr bie neftorianijche Trennung ber beiden Raturen
‚ das Menſchliche zu feinem Rechte kommen ließ, und baher
auch dem Leiden und Tode feine factifche Realität ficherte,
defto mehr nahm fie Dagegen Die gottmenfchliche Bedeutung
" defielben in Anſpruch, je mehr aber die monophyſitiſche Ein»
beit der Naturen, welcher auch die orthobore Theorie nahe
genug Fam, die Objectivität des unendlichen Werths Des Lei⸗
dens und Todes begründete, defto zweifelhafter mußte bie
factifche Realität Defielben werben, und der der ganzen Theos
tie anhängende Dofetismus drängte fi) auch hier befonders
ein. So waren ſchon hier die Gegenfäze an ſich vorhanden,
welche in. der Folge in ihrer beftimmtern Beziehung auf Dad
Berdienft CHrifti und den Werth feine® Leidens und Todes
bervortraten. Ueberhaupt aber mußte jede ber großen Strei⸗
- figfeiten, durch welche Die Entwidlung bed Dogma’s in ben
erften Jahrhunderten der chriftlichen Kirche hindurchging, zu⸗
gleich auch einen nicht unwichtigen, wenn auch blos mittelba>
ren, Einfluß auf die Lehre von der Verföhnung haben. Dieß
laͤßt ſich ſchon im arianifchen Streit nicht verfennen, und
Athanaſius felbft, welcher ſolche Momente der großen Streits
frage in ihrer allgemeinen, auf das ganze Weſen des Chri⸗
ſtenthums fich beziehenden, Wichtigkeit mit tiefem Geiſte auf-
tufaflen und zu würdigen wußte, hat nicht unterlafien, auch
ps
112 L Ber. L Abſchn. 2 Kap.
ſterblichen Leibe durch bie Unfterblichfeit aufgehoben hätte *)...
Ausführlicher Hat Gregor von Nyfia die Grundzüge dieſer
4) De incarnat. c. 54.: Abròs 6 rä dei Aoyos — inp deiner, ,
Iva nueig IeomanJüner ‚ zul auzog Eparigwoev kavrar dic aime-
Tos, iva nueis Ta aopaen nareos Kvvaavr daßwuer (Ein Bfterd
bei Athanafius vorfommender Gedanke. Bel. z. B. Orat. |
c. Arian. J, 39.: oux zgm avIownog ir üsegor yiyore Ieog, dl-
Aa eos üv üsegor ydyover aydowrros, Ira uallor nuäas Seonon-
or). Dan könne einwenden, fagt Athanafinsd De incara,-
c. 44., Gott hätte, wenn er den Menſchen erlöfen wollte,
dieß durch einen bloßen Wink thun follen, wie ex auch einß
ans Nichts die Welt erfchuf, ohne daß fein Logos einen
menfchlichen Leib annahm. Allein nachdem einmal ber
Menfch gefchaffen fen, müſſe Gott als Arzt und Erlöfer das
Gefchaffene heilen, und fich hiezu des Leibe als eines menſch⸗
lichen Drgans bedienen. Aufferdem aber müſſe man willen,
daß das Verderben nicht anferhalb des Leibes, ſondern Im
£eibe felbft war, deßwegen babe auch das Leben im Leibe
felbft fen mülffen, iva dvyrevduder To anna tur low drroßdig -
Tv pIopav, allw; re ei xaı Eyeyova Fo Ta anluaros 5 Aoyog aa) '
122 21 Ir « - «2 9 N ee⸗
jun ev autw, Oo MEV VOaYAaTOoS HTTATO vTT QUTFs YVOKATAaTa, GTE &.:
welter ann
pn ioyuovrog r& Javara xara vis lwjg, adlv de.nzrovr Kuever by *
To OWuarı 7 ngooyeroutvn P9oga' dia Täro eixdragg. &vedusaro ro:
oöua 6 owrye, Tva ovunlaxfvros TA oWuero;s rg Loj M. ſ. v. “
Vgl. Orat. c. Arian. H, 68.: & dia To duvaror eloize (6 o.
3805) ai @Arluro 7 xarapan, TE ubv xelevoavro; 7 duvaınz En
delwvuro, 6 eva GvIewnos Toirog Byevero, oios 7v xal Ö Ade⸗ |
eo rns Tagaßacews, Ewder Aaßov Tv Xapıy, xak um auvagxoo-
uevv Eyuy aurıy To oumarı — dei de Guapravovres dei Edln- .
To rä ouyyweärrog, xaL Ademore yisufegävzo, oagxes res mal
davias, xal Gel yrrWuevo To vous dus Tov EoIeveuav Ts vage
Eben deßwegen wäre der Menſch, wenn der Logos ein
Gefchöpf wäre, nichts defto weniger fierblich geblieben my
owanrouevog tiö Fe, 8 yap xrioua ovwvinte va xrispara 19
Je, Inrav xal euro Tov awanrovra, #8 To Epos Ts xri-
08w: Owrneia ty; xriaews Av Ein, deouevov zul auro Ts awır-
elas (c. 69.). Nur das abfolute Seyn des Erldfers und fer
Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 113
Theorie auf folgende Weiſe entwidelt ): „Wie das Princip
v8 Todes von Einem aus die ganze menichliche Natur durch⸗
tang, fo erſtreckt ſich auch auf diefelbe Weife das Princip
er Auferftehumg durch Einen auf die Menfchheit. Derjenige,
er die von ihm angenommene Seele wieder mit feinem Leibe
migte, durch die Kraft, die er fchon bei der erften Vereini⸗
wg jedem biefer beiden Principien mittheilte, berfelbe hat
uf eine allgemeine Weije die geiftige Subſtanz mit der finn-
Ben verbunden, indem das Princip, feiner Natur zufolge,
8 zum Aeuſſerſten durchdringt. Indem er das menfchliche
Bervammungsurtheil in fi aufnahm, und feine Seele nad)
er Trennung fich wieder mit dem Leib vereinigte, hat Die
Bereitigung des Setrennten die Wirkung, daß fie fih yon
rem Princip aus auf gleiche Weiſe auf die ganze menfchli-
e Ratur erſtreckt.“ Darin befteht, nach Gregor von Nyſſa,
8 Geheimniß der göttlichen Defonomie in Anfehung des
Renfchen. Diele Theorie umgeht eigentlich die Hauptfrage,
it weldyer ſich die beiden bisher erörterten Theorien befchäf-
vn, bie Frage, auf welche Weiſe der Menfch von ber, in
belge Der Sünde auf ihm liegenden, Schuld befreit werben
Ime, fie faßt ſogleich alles, was ſich auf die Erlöfung und
Berföhnung des Menfchen bezieht, in das Eine zufammen,
durch die Menſchwerdung des Logos fey der Menfchheit ein
Vheres geiftiged Princip mitgetheilt, und ber Menſch dadurch
die Einheit des Göttlichen wieber aufgenommen worben.
rs iſt das die Menichheit in ſich repräfentirende Indi⸗
um, das ihr zwar ald Theil des Ganzen angehört, aber
uch Das fie beftimmende Princip in fi hat. Was von dem
Einen gilt, muß auch von allen andern gelten. Da die Nas
ne abfolute Einheit mit der Menfchheit, nicht der abiolu:
te Werth feines Leidens und Todes, if noch der Hauptge⸗
danke. |
Y) Orat. cat. c. 16.
Baur, Die Lehre von ber Berföhnung. 5
”
112 L Ber L Abſchn. 2. Kap.
flerblichen Leibe durch die Unfterblichfeit aufgehoben hätte *).
> Ausführlicher Hat Gregor von Nyfia bie Orunbgüge diefer '
4) De incarnat. c. 54.: Adros ö ra Hei löyos — —
Iva nueis Ieomaydöner , aa abro⸗ Eparkowoey Eavror dıa —2RR
Tos, iva queis Ta aogarn nareos Fvvaavy daßuusr (Ein öfters
bei Athanafius vorkommender Gedanke. Bel. z. 3. Orat.
c. Arian. I], 39.: oöx Gem drsownog üy üsegor yiyore Seos, ül-
Aa Seos üv Usegor ydyovevr üvIowrros, Tva nüllov yuas Feorrow-
or). Dan könne einwenden, fagt Athanafius De incarn,
c. 44., Gott hätte, wenn er den Menſchen erldſen wollte,
dieß durch einen bloßen Wink thun follen, wie er aud) einf
aus Nichts die Welt erfchuf, ohne daß fein Logos einen
menfchlichen Leib annahm. Allein nachdem einmal ber
Menfch gefchaffen fen, müſſe Gott ald Arzt und Erlöfer das
Gefchaffene heilen, und fich hiezu des Leibs als eines menfchs
lichen Organs bedienen. Auſſerdem aber müſſe man willen,
daß das Verderben nicht außerhalb des Leibes, fondern im
Leibe felbt war, deßwegen habe auch das Leben im Leibe
felbft feyn müllen, iva avrerduser To ouua Tv lary aroßdlg
Tv p9ogav, all; re el xal Eyeyore In TE awuarog é Aoyog za
un Ev aut, ö ur Iavaros yrräaro im avra yuaxurara, äre di
um loyuovrog TE Javara xara vis lwijs, sdkv de.nrrov Kusver dr
To Ouuarı 7 neooyevoutvn YIoga‘ dia TäTo eixorog bredisaro 10
oöua 6 owrye, Tva ovunlaxevros TA ownaros ra Loy u. f. W.
Vgl. Orat, c. Arian. H, 68.: & dia To dwarov elorxeı (6
3e05) al Elelvro 7 xarapn, ra ukv xeltvoavros 7 Öuvaıs E78-
delwvuro, 6 uirra Gvdowrog Tonrog Bykvero, olos 7v xar 6 "Aday
eo vis Tragaßacews, Kiwder Aufwv tw xayır, xar m —E
ueviv Eywv. avıyv Ti ouinarı — aeı de Guagravovreg dei Zilor- .
To rA OVyYweirrog, za Bderore Hlsudegävzo , Oagxes Ovrag zo
davias, xal del yrruusvo To von die TıV dogeyaav vis 0apxO5.
Eben deßwegen wäre der Menfh, wenn der Logos ein
Geſchoͤpf wäre, nichts defto weniger fterblich geblieben zu;
owartousvog vi Fe, 8 yap xrioua OvvanTe ra xriouera vi
Ic, Inrav xal auto Tov awanrovra, dk TO eos Tas xri-
020: dwrnela vis xrineug Ev ein, deousvor xa} avro Tis owrn-
elas (c. 69. Nur das abfolute Seyn des Erloͤſers und feis-
Die Kirhenlehrer bes vierten Jahrh. u.f.w. 113
Theorie auf folgende Weife entwidelt 9: „Wie das Princip
des Todes von Einem aus die ganze menichliche Natur durch⸗
drang, fo erſtreckt ſich auch auf diefelbe Weife das Princip
der Auferftehung durch Einen auf die Menfchheit. Derienige,
ber Die von ihm angenommene Seele wieder mit feinem Leibe
enigte, Durch Die Kraft, die er fchon bei der erften Vereini⸗
gung jedem biefer beiden Brincipien mittheilte, derſelbe hat
auf eine allgemeine Weile die geiftige Subflanz mit der ſinn⸗
lichen verbunden, indem das Princip, feiner Ratur zufolge,
bis zum Heufierften durchdringt. Indem er das menfchliche
Berdammungsurtheil in fih aufnahm, und feine Seele nach
der Trennung fich wieder mit dem Leib vereinigte, hat die
Bereinigung des Getrennten die Wirkung, daß fie ſich son
Ihrem Princip aus. auf gleiche Weiſe auf die ganze menſchli⸗
de Ratur erftredt.“ Darin befteht, nach Gregor von Nyſſa,
das Geheimniß der göttlichen Defonomie in Anſehung des
RMenſchen. Diefe Theorie umgeht eigentlich die Haupffrage,
mit welcher fich die beiden bisher erörterten Theorien befchäf-
gen, die Frage, auf welche Weiſe der Menfch.von der, in
Bolge der Sünde auf ihm Iiegenden, Schuld befreit werben
Tonne, fie faßt fogleich alles, was ſich auf die Erlöfung und
Berföhnung des Menfchen bezieht, in. das Eine zufammen,
durch die Menfchwerbung des Logos ſey der Menjchheit ein
höheres geiftiges Princip mitgetheilt, und der Menſch dadurch
im die Einheit des Göttlichen wieder aufgenommen worden.
Chriſtus iſt Das die Menfchheit in fich repräfentirende Indi⸗
daum, das ihr zwar ald Theil des Ganzen angehört, aber
auch das fie beftimmende Princip in fi hat. Was von dem
Einen gilt, muß aud von allen andern gelten, Da die Na⸗
ne abfolute Einheit mit der Menſchheit, nicht der abſolu⸗
te Werth ſeines Leidens und Todes, iſt noch der Hauptge⸗
danke.
4) Orat. cat. c. 16.
Baur, die Lehre von der Berf öhnung. 8
116. L Per. 1 Abſchn. 2. Rap. -
Eins geworden if. Dieß ift durch die Menſchwerdung Got⸗
tes, durch die Vereinigung des göttlichen Logos mit einer
menſchlichen Natur, gefihehen. Daher wird bieß ‚von den
Kirchenlehrern, in deren Sbeenfreis die hier entwidelte Theo»
tie liegt, vor allem hervorgehoben *). Die Menfchheit IR
4) Befonders gehöre auch Hilarius von Poitiers hieher De tri-
nit. II, 24. f.: Humani generis causa Dei fillus natus ex
virgine est et spiritu sancto, — ul homo factus ex vir-
gine naturam in se carnis acciperet, perque hujus ad-
mixtionis societatem sanctificatum in eo universt generts
humani corpus exsisteret, ut gquemadmodum omnes in se per
td, quod corporeum se esse voluit, conderentur, Ita rursum
in omnes ipse per id, quod ejus est invisibile, referre-
tur. Det igitur imago invisibilis pudorem humant ex-
ordil non recusavit, et per conceptionem, partum, vagi-
tum, cunas .emnes naturae nostrae contumelias trans-
curröt. — Non #lle eguit homo effici, per quem homo
factus est, sed nos eguimus, ut Deus caro fieret, et ha-
bitaret in nobis, id est, assumtione carnis unius mem-
dra universae carnis incoleret. Humilitas ejus nestra
nobilitas est, eontumelia ejus honor noster est, quod ille
Deus in carne comsistens, hoc nos vicissitm in Deum e»
carne renovati. Vgl. Tract. in Ps. LI, 16.: Natus ex» vir-
gine Dei fillus nen tum primum Det filtus, cum fillus ho-
minis, sed in fillo Det etiam filius hominis, ut et fillus
homints esset fillus Det, naturam in se universae: carnis
assumsit, per quam effectus vera vitis, genus In se uni-
versae propaginis tenet. Si qua ergo propago infidells
aut infructuosa est, eradicandam ipsa se praebet, per
naturam quidem manens, sed per infidelitatem aut in-
utilitatem evellitur. Dgl. Leo M. Serm. LXVI, 4.: Nor
— est dubtum, naturam humanam in tantam connezio-
‚nem a filio Dei esse susceptam, ut non solum in illo ho-
mine, qui est primogenitus totius creaturae,. sed etiam
, In omnibus sanctis suis unus idemque sit Christus. Eben⸗
dahin gehören Säge Eprill’s von Alexandrien, wie > B-
— ⸗
Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u. ſ. w. 117
an ſich theils ſchon durch die Menſchwerdung ded Logos,
theils beſonders durch die Auferſtehung Chriſti vom Tode ein
Comm. in Joh. Tom. IV. ©. 198.: Ei um) kowirwoer iv guiv
(6 vios) 80” av Öds Tmr ano YIopas audernar 4 Ts dagxor
Erredvoaro gar. Je unmittelbarer ſich Cyrill die Einheit des
Göttlichen und Menfchlichen in der Perfon des Gottmenfchen
dachte, deſto unmittelbarer mußte ihm in ber Lehre von der
Perſon Chriſti auch fchon die Lehre von der Verföhnung ent-
halten feyn, um fo mehr aber verdient bemerkt zu werben,
. wie Cyrill die an fich ſeyende Einheit des Göttlichen und
Menſchlichen durch den heiligen Geiſt vermittelt werben läßt.
& fiellt Adv. Nestor. III, 2. T. VI. ©. 71. den erfien und
jweiten Adam zufammen. Das Bild des erfien Adam if
To eunögzov eis Guapriav, To Uno Idrarov yerkadaı xal YIopar.
Das Bild des bimmlifchen Adam iſt to xar" adeva Tgonov
yrraodaı nasür, To un eidlvm TÄnunelsiiv, To un ünoxeioda.
Serarıs xal pJopz, 6 ayınzauos, 7 dıxawauvn, za) Oca raros adel-
ya ra xal rogarinaa. Dieß zu befiken aber kommt nur ber
göttlichen und reinen Natur zu. Keeirrov yap borı xal Gnao-
vias nad popüs, Gyınauos xaı dızawaouvn. "Avapegeı da zal yuas
dv ruroc 0 dx Iea nraroos Aoyog tis Selas Eaırä yucews KovawvaG
Grapalvur din Ta nveuuaros, Eye Toirw ddelpac koxdras eure,
nad rs Seas aurä Ypioews Yopivrag Eixöve, zara ya T0v ra Nyıl-
oa Tenor, Erw yag Ev nuiv uoppära: Kuss, perarayesvros
Goree yuüs Ta Ayla nveiuaros Ex Tüv avdgunivwv eis Ta aura.
Nun wird Röm. 8, 8. angeführt. Ovxav uegiorne ur ö vios
Sdkv Tortapanay ruv nenomudvew eis ınv rije Wlag Ieoryros yü-
av’ aunyavov yap’ Evonuaivera dd nws Tols Tifs Ielas Yvcens au-
rö yeyorda wowvuvois, dus TE weraayeiv äyla nveuuaros, 7 Tegds
aurov Eupfpea vortn, xaı To is Abüıre Ieörros nallos Tais rev
Sylov dvasgarıre wuxais. Zu ihrer nothwendigen Vorausſe⸗
sung aber bat dieſe vermittelmde Thaͤtigkeit des Geiftes, durch
welche das Bild Ehrifti in und ausgeprägt wird, das Eins⸗
gewordenſeyn des Göttlichen und Menfchlichen in Chriſtus:
5 ro öluw xupos war Feos uovoyeyns, zadıjzev Euurov sis xevwow
d.” äuäs, iva Auiv Kaplonraı vis srg05 aurov adelyornros ro akie-
pe, al vis ivsoyg aurı euyereias To aluigasov wahdos, Weßiegen
118 1. Ber. 4 Abſchn. 3. Rap.
geheifigter Körper geworben, ber Logos hat ſich in Zeus
nicht blos mit einzelnen Menfchen, fonders mit ber Subftlam
der menſchlichen Natur, mit der Menichheit an fi, aufs in
nigfte und unzertrennlichfte verbunden. Es iſt dieß aber nur
bie objective Seite der Erlöfung, von welcher der in dem,
Einzelnen fich realifirende Act der Verföhnung als die ſub⸗
jective Seite unterfchieden werden muß, Mit Recht können
wir diefe Theorie zum Unterfchied von den früher erörterien
als diejenige bezeichnen, die bei der Beftimmung des Begriffs
ber Verföhnung am meiften den Standpunct des fubjectiven
Bewußtſeyns fefthält, muftifh aber mag fie in dieſer Hinſicht
auch deswegen genannt werden, weil fie nicht won einem
apriorifchen Begriff, fondern von einer Thatfache der Erfah
rung (der Heiligung der Menfchheit durch die Erfcheinung
des Erlöferd) ausgeht, deren Realität erft durch bie innere
Erfahrung im Leben jedes Einzelnen vermittelt werben muß,
in einem ähnlichen Sinn alfo, in welchem auch Schleierma⸗
cher feine verwandte Theorie eine muftifche nennt,
—
Drittes Kapitel.
Jobannes Scotus Erigena,
Je mehr der Begriff der Verſöhnung in die Momente
auseinander geht, die an ſich in ihm enthalten ſind, und
ebendadurch zu dem lebendigen Proceß ſich entwickelt, durch
welchen er, ſeiner immanenten Bewegung folgend, ſich mit
ſich ſelbſt vermittelt, ein um ſo weſentlicheres Moment dieſes
Proceſſes muß das Leiden und der Tod Jeſu werden. Iſt dem
dem Neſtorius in demſelben Zuſammenhang zum Vorwurf
gemacht wird, daß er yuurnv TE zul uovnv rs 0apx05 TV Eu-
yrosiar anoveue, Ts Pelus ze xar voytis AOPPWDERIS — using,
uallov Ok xar Ewaray aurkv avaıv.
. — — 5 ou
)
Johannes Scotus Erigena. 119
chriſtlichen Bewußtſeyn zufolge Die Thatſache der Verſoͤhnung nur
durch das Leiden und den Tod Jeſu vollbracht, fo kann auch kei⸗
ne Berföhnungstheorie die in dem chriſtlichen Begriff der Ver⸗
fühnung Hegende Aufgabe auf befriedigende Weife gelöst has
ben, wenn fie nicht das Leiden und den Tod Jeſu ald ein we-
fentliches Moment ded Begriffs der Verſöhnung felbft zu bes
greifen weiß, und bie Realität der Verfühnung, fey es ob»
jectio ober ſubjectiv, durch Die Thatfache des Leidens und
Todes. Jeſu vermittelt werden läßt. Aber gerade über diefen
Punct ſchwankte das dogmatiſche Bewußtſeyn der Kirchen:
lehrer, von welchen bisher die Rede war, noch am meiſten,
und es war ihnen noch nicht gelungen, die Entwicklung des
Dogma's bis zu dem Puncte fortzuführen, auf welchem ſich
ihnen das Moment ded Leidens und Todes Jeſu ald ein we⸗
ſentliches und nothwendiges ergab, da die gerade hierüber
berrfchende Berfchiedenheit der Vorftelungen den bdeutlichften
Beweis Davon gibt, wie wenig man noch der Innern Wahr-
heit und Rothwendigfeit der Sache felbft fich bewußt gewor⸗
den war. Solange biefer weitere Fortſchritt nicht gefchehen
iR, it auch der im Leben des Gottmenfchen fich realtfirende
: Begriff der Verſöhnung noch nicht zu feiner wahren Realität
gefommen, und das Leben des Gottmenfchen, zu welchem
weientlih auch der Tod gehört, nur einfeitig aufgefaßt.
„ Heraus ift e8 daher zu erflären, Daß bie Kirchenlehrer dieſer
Beriode, um ſich der Einheit des Göttlichen und Menfchlichen,
> ohne welche der Begriff der Verfühnung nicht gedacht werden
lann, bewußt zu werden, immer wieder auf einen PBunct
- jurüdgingen, welcher zwar. die nothiwendige Vorausſezung
jeder chriftlichen Verfühnungstheorie ift, aber die Verföhnung
jelbft noch ganz in ihrem unmittelbaren Anfichfeyn in fich
ſchließt, die in der Menſchwerdung des Logos fich barftellende
Einheit des Göttlichen und Menfchlichen. Wie nun fehon in
biefer Hinficht die menfchliche Seite des Verföhnungsproceffes
nicht zu ihrer wahren Exiſtenz gelangt, fo ift davon nicht
120 1. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap.
. wejentlich verichieden ein Standpunet, auf welchen das Menſch⸗
liche noch mehr zurüdtrit, der menſchwerdende Logos eigent-
lich noch nicht der wahre Gottmenſch ift, und der Unterfchie - °
bes Söttlichen und Menfchlichen, in deſſen Vermittlung Das
Wefen der Berfühnung beſteht, ftatt in feine ganze Weit :
auseinanderzugehen, immer nur als ein fogleich wieber ver⸗
ſchwindendes Moment erfcheint. Es ift dieß derjenige Bund, |
in welchen Platonismus und Chriſienthum fich am nächſten
berühren, aber nur dazu, um fich fogleich wieder in- ihrer
ganzen Differenz auseinanderzuſezen, die Schen, fih der wah⸗
ren Einheit des Göttlichen und Menfchlichen erft Dadurch: bes
wußt zu werben, daß man vor allem ben Unterſchied zu ſei⸗
nem vollen Recht Tommen läßt, Wie ber Platonismus in
verſchiedenen Formen durch die Theologie ber erften Jahr⸗
hunderte ſich bindurchzieht, fo hat er in dem an den. Arco
pagiten Dionyfius fich anfchließenden Sohannes Seotus Erle
gena noch einmal alle feine Strahlen gefammelt, um fich im |
‚sollen Bewußtfeyn feiner abfoluten Idee dem Chriftentkum
in einem Syftem Gegenüberzuitellen, das zwar ben Unterſchied
zwiſchen Chriſtenthum und Platonismus völlig auszugleichen
ſcheint, aber gleichwohl das concrete Leben des Gottmenſchen
nur in einem taͤuſchenden Gegenbilde wiedergibt. So ſehen
wir, wie wenn die Geſchichte ſelbſt durch den Contraſt der
Ertreme den Fortſchritt der Entwicklung des Dogma's um fe;
auffallender hervortreten laſſen wollte, den der alten Kirche
angehörenden Zeitraum mit einer Theorie ſich ſchließen, in
welcher das chriftliche Moment der Verſöhnungslehre noch
nicht zum Bewußtſeyn gekommen zu feyn ſcheint, während
Dagegen ber darauf folgende Zeitraum der Scholaftif des
Mittelalters mit einer Theorie beginnt, die es fich zur höch⸗
ften Aufgabe macht, das chriftliche Dogma in der ganzen
‚Tiefe jeined Inhalts zu erfaffen. Ä
Der Ratur der Sache nach hängt, wie aus dem zuvor
Bemerkten erhellt, die fpeculative Berföhnungstheorie, auf
Johannes Ecotus Erigena. 121
deren Darflellung wir übergehen, mit bem eigenthümlichen
. aaturphilofophifchen Syſtem, welches Johannes Scotus Eri-
gena in den fünf Büchern feines Hauptwerk 4) entwickelt
bat, fo eng zufanımen, daß fle nur aus dem Zufammenhang
bes ganzen Syſtems begriffen werden Tann. Raturphilofos
phifch wird dieſes Syftem mit Recht genannt, da Grigena,
wie ſchon der Titel feines Werkes fagt, von dem Begriff der
Ratur ausgeht. Die erfte und höchſte Eintheilung aller
Dinge, fowohl derjenigen, dig unfer Geiſt faſſen kann, ald
. derjenigen , die über ihn hinausgehen, ift die Eintheilung in
das, was ift, und das, was nicht ifl. Alles dieß begreift
Die Rate in fih. Die Watur felbft aber zerfälft, ihren Dife
ferenzen nach betrachtet, in vier Formen, von welchen die
erfte ſchafft und nicht erichaffen wird, Die zweite erichaffen
wird und fchafft, die dritte erfchaffen wird und nicht ſchafft,
‚ bie vierte weder fchafft nach erichaffen wird 2). Bon diefen
vier Formen: ſtehen je zwei einander gegenüber, benn bie
dutte iſt der Gegenfaz zu der erften, und bie vierte zu ber
weiten, bie vierte aber gehört unter das Unmögliche, da
ihre Differenz dad non posse esse ift. Die erfte und vierte
Form Tann nur von Gott ausgefagt werden, nicht fofern
Sott, defien Natur fchlechthin einfach ift, theilbar ift, ſondern
nur fofern fie aus einem doppelten Gefichtspunct betrachtet
werden kann °). Als Brincip und Urfache aller Dinge wird
Gott von niemand erfchaffen, alled aber, was ift und nicht
iR, wird von ihm gefchaffen, fofern er aber auch das Ende
aM, zu welchem alles zurüdftrebt, Die unüberfchreitbare Gren⸗
ka 1,0. ame Y
4) De divisione naturae libri quinque, diu desiderati. Oxo-
nii 1681.
2) De div. nat. 1. ©. 1. f.
5) L. V. ©. 311. Neon guod ipsius natura, quae simplex
et plus guam simplex est, dividua sit, sed quod duplicis
nalurae modum vecipit. j
122 1. Ber. L Abſchn. 3. Kap. ’
3e, fo daß In ihm alles ruht, und er alles in allem if, mu
von ihm gefagt werden, daß er nichts ſchaffe 2 Diele bei⸗ i
1) L. II. ©.46.: Quaternarum praedictarum formarım D-
nis in unum coeuntibus, fiat analytica, id est, reditive .
collectio. Prima namque et quarta unum eunt, quonlam '
de Deo solummodo intelliguntur, est enim prineipium.
omnium, quae a se condita sunt, et finis omnium, —*
eum appetunt, ut in eo aeternuliter tmmutabilitergue quies- |
cant. Causa sigquidem omnium propterea dicitur creare, :
quoniam ab ea universitas eorum, quae post eam ab es ",
creata sunt, in genera et species el numeros, dijferentias
guoque, ceteraque, quae in natura condita considerantur,
mirabili quadam divinaque multiplicatione procedit ; quo-°
niam vero ad eandem causam omnia, quae ab ea proce-
dunt, dum ad finem pervenient, repersura sunt, prop-
terea finis omnium dicitur, et neque creare neque creari
perhibetur, nam postquam in eam reversa sunt omnla,
nil ulterlus ab ea per generationem, loco ef tempore, ge-
neribus et formis, procedet, quoniam in ea omnia quie-
ta,erunt et unum individuum atque immutabile mane-
bunt. Nam quae in processionibus naturarum multipli-
citer divisa atque partita esse videntur,, in primordiali-
bus causis unita atque unum sunt, ad quam unitalem
reversura, In ea aeternaliter atque Immutabiliter mane- _
Bunt; sed de hac quarta universitatis consideratiome, ”
quae in solo Deo intelligitur, quemadmodum et prima,
suo loco latius disputabitur, quantum lux mentium do-
naverlt. Quod autem de prima et de quarta dicitur,
hoc est, nec illa nec Tsta creatur, cum illa et ista unum
sunl, ulraeque enim de Deo praedicantur, nulli recle
intelligentium obscurum esse arbitror, a nullo enim crea-
tur, quod causa superiori se vel sibi coaequali caret, est
enim prima omnium causa Deus, quem nihil praecedit,
“ all ei cointelligitur, quod sibt coessentiale non sit. —
Non in Deo prima forma a quarta discernitur, tn ipso
siguidem non duo sunt, sed unum, in nostra vero- theo-
I 2 Pag
ee".
Johannes Scotus Grigen«a. 123
ben Formen, die erfte und. vierte, löfen fi, da der Grund
ihrer Verfchiedenheit nicht objectto in der Natur Gottes, fon-
dern nur fubjectio in der menſchlichen Betrachtungsweife liegt,
: in Eine auf. Die beiden andern Formen aber erzeugen fich
. nicht blos in unferer Betrachtungsweiſe, fondern werben auch
in der Natur der gefchaffenen Dinge felbft gefunden, da in
tr die Urfachen von den Wirfungen getrennt werben, fofern
‚die Wirkungen auch wieder mit den Urfadyen geeint
. werben, ba beide in dem Begriff der Ereatur zufammenfal-
- Im, werden aus vier Formen zwei ?). Betrachtet man aber
das Verhältniß des Geſchöpfs zum Schöpfer, fo kann man,
da auſſer Sott nichts MWefentliches feyn Tann, und das Er»
ſchaffene nur durch die Theilnahme an ihm befteht, nicht läug⸗
am, daß Gefhöpf und Schöpfer Eins find. Das ganze
- Univerfum, fofern e8 Gott und die Creatur in ſich begreift,
{ tommt Daher von den vier Formen, in welche es gleichſam
getheilt worden iſt, wieder auf Ein Individuum zuruͤck, das
fang, Urſache und Ende if. Ebendeswegen kann auch
von einem Hervorgehen der Geſchöpfe aus der erſten und
Gnen Urfache, durch die Vermittlung der uranfänglichen Ur⸗
ſachen, in unendlich viele Gefchlechter und Formen nicht Die
Rede ſeyn, ohne daß in dem Hervorgehen das Zurüdgehen
N
w_
ria, dum allam ratignem de Deo concipimus secundum
considerationem principii, aliam vero justa finis con-
tenplalionem, duae veluti fornae esse videntur, ex una
eandemque simplicitate divinae naturae propter dupli-
cem nostrae contemplationis intentionem formatae.
)Lib. II. ©. 47.: Allae vero duae formae, secundam dico
et tertiam, non solum in nostra contemplatime gignun-
tur, sed etiam in ipsa rerum creatarum natura repe-
rtuntur, in qua causae ab effectibus separantur, et ef-
fectus causis adunantur. quonidm in uno genere, In crea-
lura dico, unum sunt. De quatuor igitur ſiunt duae.
126 L. Per. J. Abſchn. 3. Sam
nicht vom Paradies getrennt, ſondern die ganze irdiſche Ar
tur wäre in ihm Paradies, d. h. geiftiges Leben (spiritualis-
eonversatio), Himmel und Erde wären in ihm nicht getrem,
denn er wäre ganz himmlifh, und nichts Irdiſches, nichts
Schweres, nichts Körperliche würde in ihm erfcheinen, er
wäre wie bie Engel, und würde fi} zu ber von feinem Schi«
pfer vorausbeftimmten Zahl vervielfältigen, wie ſich die En⸗
gel vervielfäktigten. Die finnliche Natur würde in ihm ni
im Widerftreit mit der geiftigen feyn, denn er wäre gang.
Verſtand, und würde feinem Schöpfer immer und unwandel⸗
bar anhängen, und ſich auf feine Weiſe von den uranfang⸗
lichen Urſachen, in welchen er geſchaffen worden iſt, entfer⸗
nen, die ganze in ihm geſchaffene Creatur würde Feine Thei⸗
lung erlitten haben. Weil aber der erfte Menſch in dieſen
feligen Zuftande nicht blieb, fondern aus Stolz fiel und bie
Einheit der menfchlichen Retur in unendliche Theile und For⸗
men zerfiel, ſo hat die göttliche Liebe einen andern Menſchen
angenommen, um die in dem alten Menſchen zerfallene Na⸗
tur zu ihrer urfprünglichen Einheit wiederherzuftellen. Daher’
ift in Chriftus der Anfang, in welchem die Getheiltheit, in
welche der Menſch zerfallen ifl, zur Einheit zurückkehrt. Was
in dem Menfchen durch die Sünde getrennt ift, ift in Chri⸗
ſtus zue Einheit verbunden. In Chriftus iſt feit feiner Auf⸗
erftehung der Unterfchied der Geſchlechter aufgehoben, bie
Welt dem Paradies gleichgeftellt, und die ganze Creatur,
die geiftige und finnlihe, zur Einheit verfnüpft 9.
1) I. II. ©. 52.: Adunatio totius creaturae, quae in pri-
mo homine fieret, si non peccaret, in Christo resurgen-
te ante omnes per omnia faclu. — Non enim in ses
corporeo, sed in homine lantum surrexit es mortuis, in
ipso enim nec masculus nec femina est. —: Deinde post
resurreclionem nostrum orbem terrarum paradiso in se
ipso colligavit, nam ex mortuis in paradisum. rediens,
in hoc orbe cum discipulis conversalus est.
v
Johannes Scotus Erigena. 127
‚Erlöfer und Berföhner ift demnach Chriftus auch in die⸗
u Syſtem, fofern Die durch die Sünde entftandenen Folgen
‚ihm aufgehoben find. Erfcheint nun fchon in dem Bishe-
zen bie chriftliche Idee der Erlöfung in einem ihr fremd⸗
gen Zufammenhang fpeculativer Ideen, fo zeigt ſich dieß
ch auffallender, wenn wir fragen, was Grigena unter
indbe und Erlöſung verfteht. Die Sünde ift ihm nichts in
e Zeit Entftandenes, fondern der Menſch ift von Anfang an
nder, er war zeitlich nie im Paradies, alfo konnte er
iih das Paradies nicht erft in einem beftimmten Zeiipunct
nlieren, wie der Teufel von Anfang an ein Mörder ift, jo
t.der Menfch nicht von ihm, jondern von Unfang an er⸗
webet worden, ehe er vom Teufel verfucht worden ift, war
ſchon in fich zerfallen, in der Wandelbarfeit feines Willen,
K welcher er von Anfang an auch die Sünde in ſich hatte .
«nun aber gleichwohl der Menſch, wie Erigena hehaup⸗
, nach dem Bilde Gottes gefchaffen ift, und in dieſer Würde
e Einheit und der Mittelpunct aller Greaturen ift, fo folgt
maus, Daß er. ed entweder niemals hatte, oder wenn er es
te, es auch im Zuftande der Sünde noch haben muß.
bes läßt fich Daher nur fo zufammendenfen, daß er eine
sppelte Natur in fich vereinigt, eine geiftige und finnliche,
1) ib. IV. ©. 196.: Fuisse Adam temporaliter in paradi-
so — dicat quis potest. —. Nec unquam steterat, nam
si saltem vel parvo spatio stetisset, necessario ad ali-
quam perfectionem perveniret. — Quale spatium datur
homini in paradiso vixisse, priusguam. a diabolo oceide-
retur? — Datur intelligi, quod homo prius in se ipso
lapsus est, qguam diabolo tentaretur, nec hoc solum, ve-
rum etiam, quod non in paradiso, sed descendente eo —
in hunc mundum labente, a diabolo sauciatus sit et spo-
Hatus. Non enim credibile est, eundem hominem et in
contemplatione aeternae pacis stetisse, et suadente femi-
na, serpentlis veneno corrupla, corruisse.
.
18 1. Per. I. Abſchu. 3. Ray.
in Anfehung jener dat er das Bild Gottes, in Anſehung die⸗
fer ift er im Zuftande der Sümde. Er ift alfo zwar durch
die Sünde in den Unterſchied und Gegenjaz einer doppelten
Ratur herausgetreten, aber dieſer Unterſchied it, da ber Menſch
in den uranfänglichen Urſachen, die die Principien feines Ur⸗
fprungs find, auch jest noch fteht, ein von Anfang .an auf
gehobener D. If aber die Sünde an fih aufgehoben, der .
allein wahrhaft feyenden fubftanziellen Natur des Menſchen
gegenüber nur ald ein von Anfang an verfchwindendes, m _
fih nicht vorhandenes, Moment gefezt, welche Bedeutung fell -
die Idee der GErisfung und Verſöhnung haben? Wie bie
Sünde nichts in der Zeit Entftandenes tft, jondern der ewige
Act, durch welchen der Menfch, vermöge des Begriffe feines
Weſens, fih in Die Zweiheit der Naturen, die fein Weſen
ausmacht, dirimirt, fo ift auch die Erlöfung Kein zeitlicher,
tn einem beflimmten Moment ir die Gefchichte der Menſch⸗
heit eingreifender, Act, fondern fie ift fo ewig als die Nenſch⸗
4) Lib. II. ©. 48.: Est ex duabus conditae naturae univer-
salibas partibus mirabili quadam adunatione compositus
ex sensibili namque et intelligibili, hoc est, ex totius
ereaturae extremitatibus conjunctus. — Datur Intelligi,
humanam naturam etiam post praevaricationem digni-
tatem suam non penitus perdidisse, sed adhuc obtinere.
— Nen ergo etiam in languoribus nostris Deum penl-
tus deserulmus, nec ab ipso deserti sumus, dum inter
mentem nostram et illum nulla interposita natura est,
lepra siquidem animae vel corperis non aufert aclem men-
Eis, qua illum #ntelligimus, et in qua mazxime imago
creatoris condita est. — Obgleich der Menfch von den pri-
mordiales causae, in quibus subsisttt, fich felbit logreißt,
fo it er doch won ihnen nicht wahrhaft getrennt. — Non
entm in his, in quibus nunc videtur esse, homo consistit
sed in occultis naturae causis, secundum quas primitus
conditus est, et ad quas reversurus est, continetur in
quanlum est.
Johannes Scotus Erigena. 129
rbung, von der Menfchwerdung aber behauptet Grigena,
er Sohn Gottes fey deswegen Menſch geworden, oder in
e Wirkungen der Urfachen herabgeftiegen,, um die Wirkuns
ar der Urſachen, Die er feiner Gottheit nach ewig und uns
wänderlich in fidy hat, feiner Menfchheit nach zu retten, und
ı ihren Urfachen zurüdzuführen, Würde bie göttliche Weis⸗
it nicht in die Wirkungen ber ewig in ihr lebenden Urfas
m herabfteigen, fo würden bie Urfachen aufhören, Urfachen
‚ fegn, Da es, wenn bie Wirkungen der Urfachen zu Grunde
den, auch feine Urſachen mehr gibt, ebenfo wie es, wenn
keine Urjachen gibt, auch Feine Wirkungen geben Tann,
el das Eine durch das Andere bedingt ift Y). Können
nach an ſich Urfachen und Wirkungen nicht von einander '
trennt werden, fo Tann es auch keinen Momens gegeben
ben, in welchem der Sohn Gottes noch nicht Menſch ge⸗
ssben war, um die Wirkungen der Urſachen, d. h. bie
wi Die Sünde des Menichen getheilte und in ſich zerfallene
atur, in ihrer Einheit mit den im Sohne Gottes beftehenden
4) Lib. V. ©. 252.: Deus itaque, Dei verbum, in quo om-
nsa facta sunt causaliter et subsistunt, seeundum suam
divinitatem descendit in causarum, quäe in ipso subsi-
stunt, effectus, in istum videlicet sensäbilem mundum, hu-
manam accipiens naluram, in qua omni$ visibilis et in-
. isidilis creatura continetur, — non allam ob causam, ni-
Hl ut:.causarum, quas secundum suam divinitatem aeter-
naliter et incommutabiliter habet, secundum suam hu-
manitatem effectus salvaret, inque suas causas Tevoca-
ret, ut in Ipsis ineffabili quadam adunatione sicuti in
ipsa causa salvarentur. — Si Dei sapientia in effectus
' eausarum, quae in ea aeternaliter vlvunt, non descen-
deret, causarum ratio pertret, pereuntibus enim causa-
rum effectibus nulla causa remaneret, sicut pereuntibus
causis nulli remanerent effectus; haec enim relativorunm
ratione simul oriuntur et simul occidunt, aut simul et
semper permanent.
Baur, die Lehre von der Verſöhnung. | 9
130 L Ber. 1. Abſchn. 3. Say.
uranfänglichen Urfachen zu erhalten. Was ift demnach Chri⸗
Rus, der Erlöfer, anders, als der nach dem Bilde‘ Gottes
geichaffene ebenbildliche Menſch felbft, Die Einheit aller. fihtr |
baren und unfichtbaren Greaturen, die Einheit der Ratı, a
ehe fie fich differenzirte und von ihren urfprünglichen Urſachen
entfernte, der ohne irgend eine Zwifchennatur mit Gott ver-
bundene Geift, nur mit dem Unterfchieb, daß bie Getheiltheit
ber Natur, wie fie in dem ebenbilblichen idealen Menſchen
als eine an ſich noch nicht vorhandene betrachtet wird, in dem -
Erlöfer als die durch Die Aufhebung der Sünde wiederherge⸗
ftellte aufgefaßt wird. Wie daher, als der Menfch durch bie
Sünde fiel, auch die ganze Natur zerfiel, fo mußte auch
Chriftus, um Erlöfer zu feyn, nicht blos die menfchliche Ras
tur, fondern auch die ganze Creatur annehmen ?). Da aber
die Erlöfung fo wenig, als die Sünde, ald ein zeitlicher Ad
gedacht werben darf, fo beruht der Unterfchied zwiſchen Chri⸗
ſtus und dem urbildlichen Menfchen nur auf einer Verſchieden⸗
heit der Betrachtungsweife: beide, an ſich Eins, find nur fo
verſchieden, wie Die Einheit am ſich verfchieden it von der
aus dem Unterfchled in fich zurüdgegangenen, oder durch dad
Bewußtſeyn des Unterſchieds vermittelten Einheit. Inſofern
fann man, da das Bewußtfeyn der Einheit nur durch dad
Bermußtfeyn des Unterſchieds vermittelt feyn kann, auch ſa⸗
gen, der ideale Menfch fey die an fich feyende Einheit der
fihtbaren und unfichtbaren Creaturen, Chriftus als GErlöfer
aber dad Bewußtſeyn diefer Einheit. In diefem Sinne fagt
Erigena, das aller fihtbaren und unfichtbaren, d. h. der gei⸗
ſtigen und vernünftigen ‚Sreatur, den Engeln und Menſchen
4
1) Lib. V. ©. 252.: Det verbum, quando accepit humanan
naturam, nullam creatam substantiam praetermisit, quan®
non accepit. Accipiens Igitur humanam naluram, om-
nem crealuram accepit. Ac per hoc, si humanam natu—
ram, quam accepit, salvavit et restauravit, omnem pro—
fecto creaturam visibilem et invisibilem restauravit.
Johannes Scotus. Erigena. 11
vor ber Menſchwerdung an fich unbegreifliche Wort Gottes
fen erft durch die Menichwerbung in das Bewußtſeyn ber
Engel und Menfchen eingetreten 9. +
Eine eigentliche Erlöfung und Berföhnung gibt. e6 demnach
in Diefem Syſteme nicht, da nach Scotus Erigena überhaupt
die Differenz nur in die Sphäre der Theorie, ober bee ſub⸗
kctiven Betrachtung, fällt, und der, abfoluten. Einheit Gottes
gegenüber nichts wahrhaft objective Realität haben kamn.
Das Syſtem des Erigena kann aus dem abftracten Begriff
ber abfoluten Ginheit nicht herausfommen, und feinen Ueber
gang. zum concreten Reben gewinnen. Die höchſte Differenz
iſt zwar die zwilchen dem Schöpfer und dem Geſchoͤpf, oder,
ba der Menfch die Einheit aller fihtbaren und unſichtbaren
Greaturen ift, zwifchen Gott und dem Dienfchen, wie kommt
: aber diefed Syſtem auf den Begriff der Creatur und bes
Wenſchen? Da Sott in feiner Unendlichkeit ſich feldft nicht
_ Immt und fein Bewußtfeyn feiner ſelbſt bat 2), fo trit die
1) a. a. D.: Non incassum credtmus et Intelligtmus incar-
nationem verbi divini non minus angelis quam homini-
Bus profutsse, profuit namque hominibus ad redemtio-
nem suaeque nalurae restaurationem, profuit angelis ad
cognitionem. Incomprehensibtle quippe erat verbum om-
ni creaturae vistbill et invisibill, hoc est Intellectuali et
rationali, angelis videlicet et hominidus, priusquam In-
oarnarelur, quoniam remolum et secrelum super omne,
quod est, et quod non est, super omne, quod dicitur et
intelligitur, incarnatum vero quodammodo descendens,
mirabiß quadam theophania et ineffabils et mulsiplici
sine fine in cognitionem angelicae humanaeque nalurae
processit,. et super omnia incognitam ex omınibus natu-
ram, in qua cognoseeretur, assumsit, mundum sensibi-
lem et intelligibilem in se ipso incomprehensibili harmo-
"mia adunans, Et uw imaccesstbills omni erealurae in-
tellectuali et rational praedult aceossum.
2) Lib. 1. ©. 78.: Quomede divina. natura se Ipsam pot-
9*
132 1. Per. I. Abſchn. 3. Kap.
Sphäre des Bewußtſeyns erſt mit dem Menfchen ein, u
das Bewußtſeyn Gottes iſt daher, fofern von einem foldh
die Rede feyn kann, nur Ein. gottmenichliches, da erft m
dem Menfchen Die VBorausfezung, ohne welche fein Bewuf
feyn möglich ift, die Differenz, oder der Gegenfaz, gef
ift, allein es tft auch Hier Der Uebergang vom Abftract
zum Gonereten auf Feine Weiſe vermittelt. Was follte bei
die ‚abftracte, nur in fich zurüdgehende, abfolute Einh
Drängen, fich zum Selbftbewußtfeyn des Geiſtes aufzufchlii
fen? Wenn daher auch dem Scotus Erigena Die Wahrhe
daß das Unendliche nur. in der Einheit des Endlichen u
Unendlichen das wahrhaft Unendliche fey, vorſchweben mo
te, fo ift fie ihm Boch noch nicht zum Klaren Bemwußtfeyn g
fommen:*). Das Unendliche und das Enbliche ftehen nı
est intelligere, quid sit, cum nihil sit, superat em
omne, quod est, quando nec ipsa est esse, sed ab ip
est omne esse, quae omnem essentiam et substantia
virtute suae excellentiae supereminet? Aut quomodo t
ſtnitum potest in aliquo diffiniri a se ipso, vel in allg
intelligi, cum se cognoscat super omne finitum et im
nitum, et finitatem et infinitatem? Deus itaque nes
“se quid est, qula nom est quid, incomprehensibilis qui]
pe in aliquo et sibi ipsi et omni intellectui.
Es fieht als bloße Behauptung in feinem Syſtem, daß di
Unendliche das Endliche nicht. ausfchließe, fondern in ſi
begreife. Daber ſtellt er, obgleich ihm Gott der hächfie a
folute Begriff ift, doch wieder über Gott die Natur, d
universitas. Wenn Gott die essentia omnium if, ber al
ein Seyende, fo begreift die Natur, wie er fie Lib. 1. G.
definirt, fowohl ea, quae sunt, als auch quae non sun
als Einheit in ſich. Diefe Einheit iſt die Allheit, in me
cher Gott und Ereatur als Einheit angefchant werden. F
telligibili quadam universitatis contemplatione univers
tatem dico Deum et creaturam. Lib. II. ©. 45. .%
Lib. III. ©. 125.: Nil aliud relinguitur, nist ut Intel
1
Sur
&
u. ⸗22 --
Johannes Scotus Erigena. 133
aͤuſſerlich und unvermittelt neben einander, wie das Seyn
und das Nichtſeyn, das Pofitive und das Negative. So⸗
lange aber der abfoluten Einheit gegenüber die Beftimmung
des Unterfchieds ihre wahre und reelle Bedeutung noch nicht
erhalten bat, fehlt auch noch der wahre Begriff der durch
den Unterfchieb fi mit fich felbft vermittelnden Einheit.
Wie Erigena die Ereatur aus Gott hervorgehen läßt, fo- läßt
er fie auch wieder in Gott zurüdgehen, und unterfcheidet meh⸗
rere Momente diefer Ruͤckkehr der Erentur und des Menfchen
inöbefondere *). Sie beginnt, wenn dem Elend des Menſchen
gamus, creaturam fuisse in Deo, prlusguam fieret in se
ipsa, duplexque de creatura dabitur intellectus, unus,
qui considerat aeternitatem ipsius In divina cognitione,
in qua omnta vere et substantialiter permanent, alter,
qui temporalem conditionem ſpeius veluti postmodum in
se ipsa.
1) Lib. V. ©. 232.: In natura rerum nihil infertus est vi-
ta, ratiome et sensu carente, Infimum autem omnium cor-
pus corruptilile, quum ad nihilum redire nulla natura -
sinitur, et ubt ruinae suae finem posuit, inde iterum re-
dire inchoavit. Finis autem ruinae solutio corporis est.
Ex solutione itaque corporis reditus naturae proficisci-
tur, ac per hoc plus utilitatis humanae naturae contulit
mors carnis quam vindictae (quamvis poena peccati fuis-
se aestimata sit), in tantum ut carnis solutio, quae
mortis nomine solet appellari, rationabilius mors mortis
(alfo die Negation der Negation) dicatur, quam mors car-
nis. — Mutatio humanae naturae in Deum non in sub-
stanliae interitu aestimanda est, sed in pristinum sta-
tum, quem praevaricando perdiderat, mirabilis atque
ineffabilis reversio. Si enim omne, quod pure intelligit,
effieitur unum cum eo, quod intelligitur, quid mirum,
si nostra natura, quando Deum facie ad fuciem con-
templatura est, in his, qui dignt sunt, guantum el da-
tur contemplari in nubibus theoriae ascensurae, unum
—
1 ‚ 18er L Abſchn. 3. Kap.
dadüurch ein Ende gemacht wird, daß der Körper ſich auflö
und in die vier Elemente zurüdgerufen wird, die zweite wi
in der Auferftehung erfüllt, wenn jeber feinen Körper ar
der "Gemeinfchaft der vier Glemente zurücknimmt, die britt
wenn der Körper in Geiſt verwandelt wird, bie vierte, wen
der Geiſt, oder Die ganze Ratur bed Menfchen, in die urfprün
lichen Urfachen zurückkehrt, bie immer und unveränderlid) |
Gott find, Die fünfte, wenn die Natur felbft mit ihren U
ſachen fi} in Gott bewegt, wie bie Luft ſich in das Licht b
wegt. Denn Gott wird Alles in Allem feyn, wenn nid
auffer Gott iſt. Diefe Rückkehr ift Feine Vernichtung, wi
das nicht vernichtet wird, was in das Beſſere zurüdfeh
Es iſt jedoch leicht zu ſchen, daß dieſe Rückkehr in allen il
ren Momenten, da fie nicht als immanente Momente Di
ſich ſelbſt bewegenden Begriffs beftimmt find, eine blos fcheit
bare, keine wahre und wirkliche if. Was in Gott zurüd
geht, ift von Anfang an fo fehr identifch mit Gott, daß e
von der Identitaͤt eigentlich gar nicht zum Unterfchied gekom
men ft, das Hervorgehen aus Gott und das Zurüdgeben I
Gott können daher wicht als zwei mefentlich verfchtedene Mo
mente bettachtet werben, und die Ruͤckkehr ift daher im Grund
auch, da fie auf Feinem wahren und wirklichen Proceß de
Geiſtes beruht, ohne alles Refultat. Nur für das fubjectit
cum ipso et in ipso fieri possit. Die Rückkehr in Gl
befteht deninach in der Wolllommenheit des Gottesbemußl
ſeyns, oder darin, daß der Menfch fich als Geift erfennt
nur dad Geiſtige feines Wefons als das wahrhaft Subftat
zielle hetrachtet. In Ahumana siquidem natura nil subsi
sit, quod spiritüale et intelligibile non sit. Nam
substantta ‘corporis profecto Intelligibilis est (©. 25%
Alb it, mas den Körper vom Geiſt unterfcheidet, bloß
finhlicher Schein, und die durch den Tod eintretende Ti
gation der Negation ik an fich fchon in jedem vollzoge
der fich des wahrhaft Subftanziellen feiner Natur bewußt '
_
Johannes Scotus Erigena. 135
Bewußtſeyn Tönnen jene beiden Momente unterichieben wer⸗
den: der Menſch ift fich feiner Trennung von Gott und ſei⸗
‚ner Berföhnung mit Gott bewußt, je nachdem er fich der bei-
. den Seiten feines Weſens, feiner finnlichen und feiner geiſti⸗
gen Natur, und des Verhältnifies beider bewußt if. Wie
- der Unterfchieb Fein reeller, fondern ein blos nomineller iſt,
&
je iſt auch die Rüdkchr aus dem Unterfchied in bie Einheit
Ein reeller Act, fondern nur ein Moment der fubjectiven Bes
tachtung Y. Sehr natürlich kommt daher diefe Theorie, da
fe keine wahre und wirkliche Rüdfehe in Gott behaupten
kann, zulezt darauf hinaus, daß fie auch die Realität ber
Sinde für eine blos fcheinbare erklärt. Die Sünde fommt
immer nur als verſchwindendes, an fich aufgehobenes, Mo-
ment in Betracht, und hat Daher auch nicht Die Bedeutung
einer fittlichen That, da der Menfch in Hinficht der Sünde
. mi der Berföhnung unter benfelben Gefichtspund geftellt
*7
3
wird, aus welchem überhaupt das Verhaͤltniß der Natur zu
it aufgefaßt wird 2). Hat daher bie Idee der Verſoͤhnung
/
) Lib. I. ©. 47.: Duae praedictae formae non in Deo, sed
is nostra comtemplatione discernuntur, et non Dei sed
rationis nostrae formae sunt propter duplscem principii
atque finis consideratienem, neque in Deo in unam for-
mam rediguniur, sed in nostre theorla, quae dum prin-
ciptum. et finem considerai, duas quasdam formas con-
templationis in se ipsa creat, quas iterum in unam for-
mam theoriae videlur redigere, dum de simplici divi-
nae nalurae unilate incipit tractare, principtum enim
et finis divinae naturae propria nomina non sunt, sed
habitudinis ejus ad ea, quae condita sunt, ab ipsa enim
inciplunt, atque ideo principium dicitur, et quoniam
in eo terminantur, ut in ea desinant, finis vocabulo me-
ruit appellart. Dgl. oben ©. 121.f.
2) Lib. V. ©. 230.: Si omnium rerum, quae sunt el quae
non sunt, earum dico, quae corporis sensibus antmique
136 L Ber. L Abfchn. 3. Kap.
irgend eine reelle Bebeutung, fo hat fie eine ſolche nur barin,
daß der Menfch, wie alles Seyende, zwar von Got ver
ſchieden und getrennt, aber auch an ſich mit Gott Eins, oder
mit Gott verföhnt ift, wie überhaupt bie Differenz ber Ras
tur in Gott aufgehoben ift, für Gott aber objertiv gar nick
eriftint.
In der neuern Zeit hat man in Scotus Erigena de
Anfang und Ausgangspunet der chriftlidden Speculation er-
bliden zu müflen geglaubt, da „in ihm ſich vor allem da
chriftliche Geiſt mit vollem Bewußtfeyn in feiner Einheit ndi
der Vernunft erfaßt, und zugleich auf das lebendigfte darge
ftellt habe“ 4), das Wahre aber ift, Daß fi in ſeinem Eh⸗
contemplationtbus succumbunt, earumque, quae Corpore-
les sensus mentisque contuitum prae nimia suae substas-
tiue subtilitate et altitudine fugiunt, Deus principium
est, et ipsum appetunt, et appetitus earum nulla ratio-
ne, ne Üluc perveniat, prohibetur, quid mirum, si de
humana natura, quae speelaliter ad imaginem et simi-
litudinem unius et communis omnium principit face
est, et eredatur et intelligatur, quod illue reversura sit,
unde profecta est, praesertim cum non ita inde profee-
ta est, ut omnino principium sul deseruerit, in ipso
enim, ut ait apostolus, vivimus et movemur et sumus,
sed quod quadam dissimilitudine propter peccatum de-
colorata est, dicitur reoesstsse. Stmtlitudo namque fe-
cit proximam, dissimilitudo longingquam. — De qua le-
pra cum divinae gratiae medicina liberata fuerit, in
pristinam revocabitur formosttatem, magisque dicendum
quod tpsa natura, quae ad imaginem Det facta est
suae puleritudinis vigorem integritatemque essentiae ne-
quaquam perdidit, neque perdere potest. Divina siqui-
dem forma semper incommutabilis permanet, capaz ta-
men corruptibillum poena peccati facta est.
1) Staudenmaier, oh. Scotus Erigena und die Wiffenfchaf
feiner Zeit. LIh. 1834. Mon vgl. befonders ©. 298.447. f
Johannes Ecotus Erigena. 137
m ber ſchon feit den erften Jahrhunderten mit dem Ghri-
mihum fo eng verbundene Platonismus durdy die Bermitt-
Bon demſelben Geſichtspunkt aus bat ihn auch ſchon P.
Hiort, Ich. Seotus Erigena, oder von dem Urfprung eis
ner chriftlichen Philofopbie und ihrem heiligen Beruf. Kos
penhagen 1823. als den Vater der chriftlichen Philofopbie
(&. 90.) aufgefaßt. Scotus Erigena ift nicht der Anfangs»
punkt einer neuen Zeit, fondern der Endpunkt der alten im
ihm fich vollends abfchliegenden Welt. Dadurch follen die
wertwürdigen Berührungspunfte, in welchen er in die nette
Philoſophie Herübergreift, keineswegs geläugnet werden. Das
hin gehört befonders auch die Bedeutung, welche ex dem Io»
sithemetaphnfifchen Moment der Negation gibt. Man vgl.
L6. 12: Essentia est, affırmatio, essentia nom est, ab-
dicatio, superessentialis est, affırmatio simul et negatio:
in superficie etenim negatione caret, in intellectu nega-
Uome pollet. Es ift dieß der fchon von dem Areopagiten
Dionyſius geltend gemachte Unterſchied der Eataphatifchen
und apophatifchen oder der affirmativen und negativen Theo
Ingie. Bel. ©. 1. u. 44.: Haec est cauta et salutaris et
eatholica de Deo praedicanda professio, ut prius de eo
juxta catafaticam, id est, affirmativam omnia sive no-
minabiliter,, sive verbaliter praedicemus, non tamen pro-
prie sed translative, deinde ut omnia, quae de Deo prae-
dicantur per catafaticam, eum esse negemus per apofa-
ticam, id est, negationem, non tamen proprie, sed trans-
Igtive; vertus enim negatur aliquid eorum, quae de eo
praedicantur esse, quam affırmatur esse, deinde super
omne, quod de ea praedicatur, superessentialis natura,
quae omnia creat, et non creatur, superessentialiter su-
perlaudanda est. Yofition, Negation und Affirmation find
zwar die unterfchiedenen Momente, aber fie find noch nicht
Momente einer lebendigen Bewegung bes Begriffe. Daher
ik auch in der Affirmation das Moment der Negation noch
fo überwiegend, daß Pofitien und Negation eigentlich un:
vermittelt neben einander fiehen. Nam qut dieit, wird
&. 12. gefagt, nach der zuvor angeführten Stelle, super-
142 1. Ber. IL Abſchn. 1. Kay.
Zweiter Abſchnitt.
Bon ver Scholaftif (Anfelm von Ganterbury) bis zu
Reformation.
Erftes Kapitel.
Die Anſelm'ſche Satisfactionstheorie.
Eine der merkwuͤrdigſten Erſcheinungen in der Geſchiche
unferd Dogma's ift Die von Anfelm von Canterbury, in derbe
rühmten Schrift: Car Deus homo, aufgeftellte Satisfactiond
theorie. Sie macht, wie allgemein anerkannt werben muß, #.
- fehr Epoche, daß mit ihr mit Recht ein neuer Zeitabfchnitt in
ber Gefchichte der Lehre von ber Verfühnung begonnen wir.
Da aber der Urheber diefer Theorie einer der erſten und bebew
tendften Begründer der, in der Gefchichte der chriftlichen hen
logie eine in vielfacher Beziehung fo wichtige Stelle einnehmen
den, Periode der Scholaftif war, fo liegt Die Aufforderung um
fo näher, Die weitere Entwidlung unferd Dogma's aus dem
Geſichtspunct des. allgemeinen, der Scholaftif eigenthümlichen,
Characters aufzufaflen, um fowohl. die befondere Form, wel⸗
che ihm jezt gegeben wurde, aus der allgemeinen Richtung |
der Zeit zu begreifen, als auch dieſe felbft an jener nadyw :
weilen.
Bliden wir auf den bisherigen Entwidlungsgang unferd
Dogma's zurüd, fo iſt für die lange Periode von der erſten
Die Scholaſtik. 143
3 zum Ende bes eilften Jahrhunderts nichts charactes
r, als die mythifche ©eftalt, Die es in der am meiften
ren Vorftelung erhalten hat. Diefes Mythiſche kann
icht blos für etwas Zufälliges, nur Diefem Dogma
yümliches, gehalten werden, es drüdt fich vielmehr in
r der allgemeine Character aus, welchen die chriftliche
zie überhaupt bi8 zum Anfang der Echolaftif in ihren
adften Erfcyeinungen mehr ober minder an ſich trägt,
leicht zeigen läßt, wenn man den Begriff des Mythi⸗
chtig auffaßt. Muthiſch ift Die Geftalt des Dogma’s
ht zu nennen, wenn bas Bild bie Stelle des Begriffe
a muß. Dem Mythifchen ift, wie, der Gnoſticismus
dad Dofetifche fehr nahe verwandt. Hat einmal der
en Zug zum Mythiſchen, lebt: er in einer Welt bild-
Seftalten, die er fich felbft geichaffen hat, fo kann ſich
icht auch die Welt der Wirklichkeit in eine Welt der
Erfcheinung und des täufihenden Scheins verwandeln,
r an den Gnoftifern fehen, welche die in ihnen vor⸗
nde mythiſche Richtung auch dahin führte, Die ges
che Erfcheinung Chrifti blos dofetifch aufzufaffen. So
Gmlich die Erfcheinung ift, Die fid) und im Gnoſtici⸗⸗
arftellt, fo jehr würde man doch irren, wenn man ſich
yaracteriftifche defielben, das Mythifche und Doketifche,
m Einfluß auf das chriftliche Dogma, nur auf die
re Sphäre, in welcher der Gnoſticismus in feinen ver-
en Formen äuſſerlich hervortrit, beſchränkt denken woll-
iſt überhaupt der im Mythiſchen und Doketiſchen ſich
ende Geiſt der. alten Welt, der und bier in feinem
t mit dem Chriſtenthum begegnet, und durch den un⸗
aren Kampf, in welchem die alte Kirche dem Gnoſti⸗
entgegentrat, fo wenig überwunden wurde, daß er
mw nur auf andre Weife noch lange Zeit feine Herr-
n der Kirche ausübte. Mythiſche und doketiſche Ele-
sieben fi), auch ohne daß fie Auflerlih und unmittel-
14 : Ber U. Abſchn. 1. Kap.
bar hervortreten, in verfchiedeneu Formen durch die Entwids
kung des Dogma’s hin. Wie die Lehre von der Erlöfung
und Verſöhnung die mythifche Form, in welcher fie fich ent
widelte, hauptfächlich Durch die Beziehung erhielt, in welche
man fie zum Teufel fezte, fo mußte auch die mit ihr fo eng
zufammenhängende Lehre von dem Urfprung der Sünde und
von der Sünde überhaupt, je bedeutender die Rolle war, bie
man ben Teufel Dabei fpielen läßt, und je mehr man die alt
teftamentliche Erzählung, an welche man fich hielt, nur in is
rem buchftäblichen Sinne nehmen zu fönnen glaubte, fih um
fo mythiſcher geftalten. Was ift e8 anders, als der mit dem
Mythus fo eng verbundene Begriff ded Wunders, woburd
allein der Zufammenhang der unendlichen Folgen, welche bie
Sünde Adams nad der auguftinifchen Lehre gehabt Haben
fol, mit diefer felbft, al8 einer einzelnen, in eiriem beſtimm⸗
ten Zeitpunct gefchehenen, That vermittelt werden kannt
Je äufjerlicher diefer, eines Innern Haltpuncts ermangelnde,-
Zufammenhang ift, defto weniger Tann e8 befremden, daß
die auf diefe Weife im auguftinifchen Syftem nur mythiſch,
nicht Dogmatifch, begründete Anficht von der völligen Verdor⸗
benheit der menfchlichen Natur in dem Dogmatifchen Bewußt
feyn der folgenden Zeit noch nicht fo feftgehalten werben konn⸗
te, daß fe nicht unvermerft wieder in Die entgegengefezte pe.
lagianifche und femipelagianifche überging. Wie viele mylthi⸗
ſche Vorſtellungen befonders durch Drigened mit dem chrikli
hen Dogma verbunden wurden, und wie fehr Daher fchon
frühe das Bedürfniß anerfannt wurde, Daffelbe von fo fremd
artigen, mit dem chriftlichen Bewußtfeyn in einen zu offen
baren Widerftreit kommenden, Elementen zu reinigen, iſt be .
kannt genug. Aber auch felbft ſolche Dogmen, welche in Ber
gleichung mit andern fihon in den erften Sahrhunderten auf :
einen jo hohen Grad der dogmatifchen Entwidlung gebradt
wurden, daß die ihnen ſchon Damals gegebene. ſymboliſch⸗
kirchliche Form nie mehr aufgegeben werden fonnte, wie ind
Die Scholaftit. 145
dere die Lehre von der Dreieinigfeit, hatten doch Immer
noch eine gewiſſe mythiſche Seite. So bedeutend ber
chritt ift, welchen Die Lehre von der Dreieinigkeit durch
ithanaſianiſchen Begriff der Weiensgleichheit des Sohnes
jem Bater, gegenüber der heidniſchen Borftellung eines,
höchften Gott in jeder Beziehung untergeordneten, Unter
3 machte, wie konnte Die Zeugung des Sohns aus dem
n des Waters anders, als mythiſch gebacht werden, ſo⸗
fie nicht, wie in der Felge die Scholaftifer wenigften®
sten, aus der geiftigen Natur Gottes felbft abgeleitet
er Ebenfo unverfennbar, zum Theil: noch auffallender,
In andern Dogmen das dofetifche Element hervor, den⸗
en, deren Mittelpunct die Lehre von der Perſon des Er⸗
iſt, alſo denfelben, deren fi) von Anfang an der gno⸗
', mit ber ganzen gnoftifchen Weltanficht fo eng zufam-
ängende, Dofetismus ganz befonders bemächtigt hat.
bie Snoftifer, ihrem Dofetismus zufolge, Das Menke
bes Erlöjerd, weil Geiſt und Materie in feine unmit«
ce Berbindung kommen Tönnen, für bloßen Schein ers
n, fo ließen die orthodoren Kirchenlehrer in der Perſon
Erlöſers zwar die göttliche Natur mit der menfchlichen
ne reelle Verbindung treten, beftimmten aber bad Ver⸗
iß der beiden Naturen fo, daß die menſchliche der gött⸗
gegenüber alle Realität und Selbſtſtändigkeit verlor,
ie göttliche überging, und zulezt in bloßen Schein ſich auf
mußte. In’ der Lehre der beiden Gregore, des Eyrill
Alerandrien, des Eutyches und in dem fo weit verbrei«
und fo Hartnädig feftgehaltenen Monophyſitismus legt
dieß offen dar, aber auch der orthodere, auf den Beftint-
gen der Synode von Chalcedon beruhende, Lehrbegrifi
te feine wahre, fondern nur eine fcheinbare Realität der
ſchlichen Natur Des Erlöfers vorausfegen, wenn doch im⸗
mur die göttliche Natur die perfonbildende ſeyn ſollte.
felbe Dofetismus begegnet ımd in der, Der Lehre von der
zaur, tie Lehre von der Verföhnung. 10
146 1. Per. I. Abſchn. 1. Kay.
Berfon Ehrifti parallel Inufenden, Lehre vom Abendmal in
dem fchon früh vorbereiteten, mehr und mehr fich ausbil⸗
denden, und zulezt mit entfchiebenem Uebergewicht der ganzen
Anſicht der Zeit ſich aufdringenden Transſubſtantiationsdogma,
Nehmen wir alle dieſe und andere ähnliche, auf die wichtig⸗
Ben Momente des Entwicklungsgangs des chriſtlichen Dogs
ma's während einer langen Periode ſich beziehenden, Erſchel⸗
nungen zuſammen, jo iſt gewiß hiedurch das Urtheil gehörig
begründet, daß auch das Mythiſche und Doketiſche, das ſich
uns in der Gefchichte der Lehre von ber Erlöfung und Ber
föhnung zeigt, micht ald etwas Sfolirtes und Zufälliges an⸗
zufehen ift, fondern mit der allgemeinen Geiſtesrichtung biefes
ganzen Beriode in dem engften Zuſammenhang ficht. Wat
in der Periode des eigentlichen Gnoſticismus auf einen ein⸗
zelnen Punct in feiner intenfioften Bedeutung ſich zuſammen⸗
drängte, aber ebendadurch Ericheinungen erzeugte, die zu ſchref
und abſtoßend waren, als daß fie nicht eine allgemeine Rer
action hätten hervorrufen follen, hat in der Folge, da es au
fich tief genug gegründet war, nur in einem weitern Kreitt
und durch mildernde Formen vermitielt, in ber Kirche for
gewirkt, und ben nach der Erkenntniß der Wahrheit ringen
den Geift gebunden, fo daß er noch immer nicht won .bem
Schein zur Wahrheit, von dem Bilde zur Wirklichkeit hin
durchdringen und auf ben feften Boden bes Begriffs Tom
Fonnte.
Diefen Gang der Dinge muß man fich vergegentoärk
gen, um fid) über den eigenthümlichen Charafter der ſchola⸗
ſtiſchen Periode genauer, als biöher geſchehen ift, zu verſtaͤn⸗
digen, und über die Unbeſtimmtheit der Vorſtellung, die man
noch immer über Das wahre Wefen ber fcholaftifchen Theole⸗
gie hat, hinwegzufommen. Daß in der mit dem Ende dei
eilften Jahrhunderts beginnenden Periode ein nener, gan
anderer, Geift und Charakter herricht, als in der Periode .
der alten Sirche, muß fich jedem fogleich aufbringen, und Dr.
Die Scholalif. ' " — 147
tage, aber Höchft inhaltsleere, nur burch einzelne tfolirt ſte⸗
hende Erfcheinimgen ausgezeichnete, Zwifihenperiode vom Ende
des fechdten bis zur Mitte des eilften Jahrhunderts, in
weicher aus dem erftorbenen Leben der alten Welt erft all«
wählig die Keime eines neuen Lebens ſich entwidelten, bient
sue dazu, die mittlere Zeit von der Periode der alten Kirche
ai eine um fo größere Kluft zu fcheiden. Worin befteht
san aber Der eigenthümliche Charakter der nun Begirmenden
wen Seftaltung des Dogma’s, die man mit bem Namen
ver Scholaftik zu bezeichnen pflegt? Man fagt: der Charak⸗
Keder Scholaftif liegt eben in dem Geiſt der Schule, wie er
ſich von der Kirche zu trennen, fich neben ihr geltend zu ma⸗
den und zu fchaffen firebte *). Unftreitig ift hiemit, fo un⸗
beſtiannt es Tautet, etwas fehr richtiges gefagt. Die Schola⸗
ME iR der Fortgang von der Kirche zur Schule, oder, wie
ne Zweifel in demfelben Sinne Hegel fagt 2), die Kirchen⸗
‚Kter haben die Kirche erzeugt, weil der entwidelte Geiſt ei⸗
ur entwidelten Lehre bedarf, fpäter erſtanden nicht mehr
Iatres ecclesiae, fondern docteres. Ging aljo in der Pe
fobe der alten Kirche die geiftige Thätigfeit auf das Pro=
duciren Des Stoffs, oder auf Die Erpofttion deffen, was der
Inhalt des chriftlichen Dogma's noch in der einfachften und
unmittelbarften Geftalt in fich begrif, um ihn in beftimmten
Schrfägen und Formeln auseinanderzulegen, für das religiöfe
Bewußtſeyn herauszuftellen, und zur allgemeinen öffentlichen
Anerkennung zu bringen, fo hatte alles dieß die Scholaftif
ſchon zu ihrer Borausfezung. Der Stoff und Inhalt war
das unmittelbar Gegebene, die Frage war nicht mehr, was
als orthodoxe Lehre gelten follte, oder nicht, Darüber war in
allen Hauptmomenten längft entfchlenen, weswegen auch Die
gene ſcholaſtiſche Periode keine theologiſchen Streitigkeiten
1) Baumgarten⸗Cruſius, Lehrb. der chr. Dogmengeſch. S. 445
2) Vorleſ. über die Geſch. der Philof. Bd. IH. ©. 138.
10 *
148 L Ber. IL Abſchn. 1. Kap.
und Synodalverhandlungen aufzuweiſen hat, wie bie Hi
durch fo flark und vielfach bewegte Kirche der alten Ze
Diefer Unterſchied in Anfehung des Stoffe und Inhalts zei
fich uns auch ſchon Aufferlic) Darin, daß die theologtfchen Wer
der Schelaftifer ſich beinahe durchaus nicht, wie bie ber Alt
ren Kirchenlehrer, auf einzelne Lehren, in deren Unterfuchun
und Beflimmung der Geiſt der Zeit in feiner Iebendigften U
wegung begriffen war, beziehen, ſondern, nach dem Vorgamy
des Petrus Lombarbus, das Ganze umfaflen. Der gam
Inhalt ded Dogma’d war nun das unmittelbar Gegeben
das in dem Zufammenhang feiner einzelnen, zu einem ie
zen verbundenen, Theile vor dem Geift Tiegende Object, M
die Aufgabe war jest, das dem Bewußtſeyn des Geiſtes zu
Object Gewordene und aus demfelben Herausgeftellte t
derum zur fubjectiven Einheit mit ihm zu verfwüpfen, um
für das Bewußtfeyn zu vermitteln. Yür dieſen Zwed «Hi
trat num die Schule der Kirche zur Seite, und es liegt ſche
bierin, daß die in der feholaftifchen Periode ſich Aufferm
geiftige Thätigkeit andrer Art ſeyn mußte, ald die ber alle
Zeit, nicht ſowohl auf die unmittelbare Producirung des A
halts, ald vielmehr auf die Beftimmung der Form, in we
che ber fchon gegebene Inhalt aufgenommen werden fol
gerichtet war, Da von der Form das mehr oder minber Flat
und beſtimmte Bewußtfeyn bes Inhalts abhänge. Wer
-.beftund nun aber biefe Vermittlung, war fie wirklich ei
blos formelle, oder wurde Durch fie auch der Inhalt feh
wefentlich verändert und auf ein anderes Princip, als da
bisher ‚geltende, zurüdgeführt? Das Leztere ſcheint behau
tef zu werden, wenn die Scholaftif definiert wird, als bi
vom Ende des eilften bis zum Anfang des fechözehnten Ich
hunderts dauernde Verſuch, das Chriftliche als rational, mm
das wahrhaft Rationale als chriftlich zu erweifen *), . wom
4) (Möhler) in der Tübinger: theolog. Quartalfchsift, in di
Abhandlung: Anfelm von Canterbury, Jahrg. 1828. ©. 62
Die Scholaktit. . 149
das Bemühen nothwendig fich vereint habe, Har, ſcharf und
beſtimmt die Begriffe der chriftlichen Lehren feftzufezen, oder
wenn als das Innere der Scholaftif, ald das Wefen berfel-
den, «usgefprochen wird Die enge Berbindung ber Religion
u mit der Bhilojophie, welche Einheit aus dem wefentlichen
Charakter bes Chriſtenthums fich entwidelt habe, welches bie
große Syntheſe oder die Weltſyntheſis fey, ſcholaſtiſche Phi-
loſophie ſey Eins und dafielbe mit ber Theologie, Philofo-
vhie fen Theologie und Theologie ſey Philofophie, man habe
% wenig geglaubt, Daß das begreifende Erkennen der Theo⸗
Aogie nachtheilig fey, daß man es für weientlich zur Theolo⸗
- ae KR gehalten habe '). Es ift aud Hierin etwas fehr
WMahres und für die Scholaſtik Charakteriftiiches ausgefpro-
den, aber es bedarf dieß noch der nähern Beflimmung. Iſt
be Scholaftif, was wir zunäcft bei der Beftimmung ihres
Begriffs feſthalten müflen, die Trennung des Selbftbewußt-
ſeynd des Geiftes von dem ihm als Object gegenüberftehen:
: den Inhalt des Firchlichen Dogma’s, um beide, Subject und
: Deject, foniel möglich auseinanderzuhalten, fo fann das
durch dieſe Linterfcheidung zum Bewußtſeyn Eommende DVer-
}
| haͤlniß Des Objects und Subjects fowohl ein Verhältniß der
IHentität, als der Verfchiedenheit feyn. Glauben und Wifs
ka, Offenbarung und Vernunft, Philofophte und Theologie
teten nun für das Bewußtfeyn auseinander, und Die Frage
Rt Daher, wie fich beide zu einander verhalten? Das Be-
wußtfeyn Diefes Verhältniffes und der allerdings fchon Den
Aweifel gegen das Dogma in ſich fchließenden Möglichkeit
wenigſtens, daß ed fo ober anders beftimmt werden Fönne,
wenn es auch factifch zu Feiner wirklichen Differenz Fam, iſt
der Grundcharakter der Scholaftif. Hätte fie aber wirklich
“ bie Aufgabe geftellt, das Chriftliche ald rational und das
1) Staudenmaier, Joh. Scotus Erigena ©. 446 f.
152 1 Ber. DL. Abſchn. 1. Rap.
Lehre zu glauben gebot, Anſtoß. Wäre die Scholaftik ſchl
bin der Verſuch gewefen, das Chriſtliche ald rational
das wahrhaft Nationale als chriftlih zu erweiien, nim
mehr hätte fie eine Lehre, wie dad Dogma von der Tr
fubftantiation, als wahr vorausjezen Tönnen, aber eb
wenig wäre fie geweien, was fie ihrem ganzen Wefen ı
war, wenn fie Dad Wunder der Transfubftantiation in
felben Unmittelbarfeit Hätte ftehen laſſen, in welcher fiı
durch die Firchliche Ueberlieferung: erhalten hatte. Erft n
dem auf das Wunder der Verwandlung bie Kategorie
Subſtanz und bes Accidens angewandt, und durch den Gri
faz, daß die Accidenzien auch ohne Subject fortbeftehen
nen, weil ja eine Wirkung nicht blos von der’ fecund:
Urfache, fondern noch weit mehr von ber erften abhänge,
©ott, der, als die erfte Urfache der Subftanz und bes. 9
dens, durch feine Allmacht das Aceidens auch ohne feine €
ftanz im Seyn erhalten könne, die Fortdauer der Accider
von Brod und Wein auch ohne ihre Subftanz gerechtfe:
war %), war das Dogma durch Die Hand der Scholaftif
gangen, und in eine Die Vernunft der Scholaftifer befriedig
Geſtalt gebracht. Aber aus folchen Beifpielen it auch
beften zu erjehen, in welchem Sreife fich das Denken
Scholaſtiker bewegte, daß es größtentheild nur ein Spiel
inhaltsleeren abftracten Begriffen war, beren Gompler c
innern Halt und Zufammenhang als ein bodenlofes Geboͤ
in der Luft ſchwebte. War das Wunder die abfolute W
ausjezung, von welcher man ausging, fo mußten aud
Degriffe, Durch: welche das Wunder gerechtfertigt wei
follte, nach dem Wunder fi) fügen, wie Das angefü
Beifpiel an den Begriffen der Subſtanz und des Accid
zeigt. So war aber überhaupt das Denken der Schölafti
1) Wie 4.3. Thomas von Xquino Summa theol. P: IL,
. 77,.da8 Dogma von der Transfubftation rechtfertigt,
Die Scholaſtik. 153
immer an eine abfolute Borausfezung gebunden, von
rdhlichen Lehre, als dem ihm gegebenen Inhalt, abhaͤn⸗
ar, kein freies, das ſich aus fich felbft entwidelt und es
t Aufgabe gemacht hätte, die gegebene Wirklichkeit Durch
zedanken zu beftimmen. Gin Denfen, das von vorn
mit dem Bewußtſeyn behaftet if, daß ber Inhalt, mit
m es ſich beichäftigt, wenigftens möglicher Weiſe über
vernünftige Denken abfolut hinausliege, und der vers
ge Zufammenhang fi) immer wieder durch das Wuns
terbrechen und durchichneiden laffen müfle, Tonnte wes
nen beftimmten Anfang noch einen beftimmten Kortgang
«- Auffallender ift daher bei dem Berfahren der Scho-
kaum etwas anderes, als auf der einen Seite der nie
de, in's Unendliche fortgehende, Trieb, nach Gründen
tigen, Beweiſe zu geben, durch Definitionen und Di⸗
men jeber Art jeden gegebenen Gegenftand mit bem
ff fo viel möglich zu umfäflen und zu durchdringen,
er andern die nur aus dem Mangel eined bas Ganze
menden Princips erklärbare Zufammenhangslofigfeit,
öllig unmethodifche Verfahren, bald da bald dort auf
‘ einem beliebigen Punct eine neue Reihe bialektiicher
zungen zu beginnen, und den angefnüpften Faden ſo⸗
fortzuführen, bis er ebenfo willkürlich wieder abgebro⸗
rd, ald er angefnüpft worden ift. Speculative Unter-
gen, wie in Anfelm’8 von Canterbury Proslogium
‚ar Deus homo enthalten find, gehören hauptfächlich
em Grunde zu den glänzendften Proben des Scharf-
der Scholaftifer, weil in ihnen Doch wenigftens ein und
re Gedanke von Anfang bis zu Ende mit methodifcher
quenz feitgehalten und durchgeführt iſt, in der Regel
drängt fih in den größern theologifchen Werken der
aftifer zwar Frage an Frage, Diftinetion an Diftinction,
gismus an Syllogismus, aber vergebens fucht man in
mdlofen Labyrinth den Baden, an weldyem der fid) aus
l
148 L Ber. IL abſchn. 1. Rap. Ä
| 9
und Synodalverhandlungen aufzuweiſen hat, wie die hiee
durch fo ſtark und vielfach bewegte Kirche der alten Zeit.
Diefer Unterfchieb in Anfehung des Stoffe und Inhalts zeigt
ſich uns auch fchon Aufferlich darin, daß die theologtfchen Werke -
der Scholaſtiker fich beinahe durchaus nicht, wie die der Alter
ren Kirchenlehrer, auf einzelne Lehren, im deren Unterſuchung
und Beflimmung ber Geift der Zeit in feiner Iebendigften Ber
wegung begriffen war, beziehen, fondern, nach dem Vorgangs
a 0 1,5
des Petrus Lombarbus, das Ganze umfaflen. Der game
Inhalt des Dogma’d war nun das unmittelbar Gegebene,
das in dem Zufammenhang feiner einzelnen, zu einem Gan⸗
zen verbundenen, Theile vor dem Geift liegende Objeet, aber
die Aufgabe war jezt, das dem Bewußtſeyn des Geiſtes zum
Object Gewordene und aus demfelben Herausgeftellte wie.
derum zur fubiectiven Einheit mit ihm zu verfnüpfen, und
für dad Bewußtfeyn zu vermitteln. Für diefen Zweck ale.
trat nım Die Schule der Kirche zur Seite, und es liegt ſchon
bierin, daß bie in ber ſcholaſtiſchen Periode ſich aͤuſſernde
geiftige Thätigfeit andrer Art ferm mußte, als die ber alten
Zeit, nicht fowohl auf die unmittelbare Producirung bes In⸗
halts, ald vielmehr auf die Beflimmung der Form, in wel
che der ſchon gegebene Inhalt aufgenommen werben folk,
gerichtet war, da von der Form das mehr oder minder Klare
und beftimmte Bewußtfeyn ded Inhalts abhänge Work
-beftund nun aber diefe Vermittlung, war ſie wirklich eine
blos formelle, oder wurde durch fie auch der Inhalt ſelbſt
wefentlich verändert und auf ein anderes Princip, als das
“ ar
|‘ Mm. I, . a.
bisher ‚geltende, zurüdgeführt? Das Leztere ſcheint behaup⸗
tet zu werden, wenn die Scholaſtik befinirt wird, als der
vom Ende des eilften bis zum Anfang des fechözehnten Jahr⸗
hunderts dauernde Verſuch, Das Chriftliche als rational, und
das wahrhaft Nationale als chriftlich zu erweifen ), womit
4) (Möhler) in der Tübinger: theolog. Quartalfchrift, in der
Abhandlung; Anfelm von Eanterbury, Jahrg. 1828. ©. 621.
Die Scholaſtik. 149
das Bemühen nothwendig fich vereint habe, Har, ſcharf und
befimmt die Begriffe ber chriftlichen Lehren feflzufegen, oder
wenn ald das Junere der Scholaftif, ald das Wefen berfel
- Sen, ausgeſprochen wirb die enge Berbindung der Religion
mit der Bhilsfophie, welche Einheit aus dem: wejentlichen
' Gharakier des Chriſtenthums fich entwidelt Habe, welches bie
. große Syniheſe oder die Weltſyntheſis fen, ſcholaſtiſche Phi-
loſophie ſey Eins und dafielbe mit der Theologie, Philofo-
yhie fen Theologie und Theologie ſey Philoſophie, man habe
% wenig geglaubt, Daß Das begreifende Erkennen der Theo»
logie nachtheilig fey, daß man es für weſentlich zur Iheolos
. gie ſelbſt gehalten habe *). Es ift auch Hierin etwas fehr
Bahres und für die Scholaftit Charafteriftifches ausgeſpro⸗
dien, aber es bedarf dieß noch ber nähern Beftimmung. Iſt
bie Scholaftif, was wir zunächft bei der Beftiimmung ihres
Begriffs fefthalten müflen, die Trennung des Selbftbewußt-
ſeynd des Geiftes von dem ihm ald Object gegenüberftehen-
den Inhalt des Firchlichen Dogma's, um beide, Subject und
Object, ſoviel möglich auseinanderzuhalten, fo kann das
durch dieſe Unterſcheidung zum Bewußtſeyn Eommende Ver⸗
haͤliniß des Objects und Subjects ſowohl ein Verhältniß der
Identitaͤt, als der Verſchiedenheit ſeyn. Glauben und Wifs
ſen, Offenbarung und Vernunft, Philoſophie und Theologie
treien nun fuͤr das Bewußtſeyn auseinander, und die Frage
iſt daher, wie ſich beide zu einander verhalten? Das Be-
wußtfeyn Diefed Verhältnifies und der allerdings fchon ben
‚ Zweifel gegen bad Dogma in fich fchließenden Möglichkeit
wenigftend, daß es fo ober anders beftimmt werden Fönne,
wenn es auch factifch zu Feiner wirklichen Differenz kam, ift
der Grundcharakter der Scholaftif. Hätte fie aber wirklich
ſich Die Aufgabe geftellt, das Chriftliche ald rativnal und Das
"
gr,
1) Staudenmaier, Joh. Scotus Erigena S. 446 f.
152 1. Ber. H. Abſchn. 1. Zap.
Lehre zu glauben gebot, Anſtoß. Wäre bie Scholaſtik ſchlecht⸗
bin der Verfüch geweſen, das Chriſtliche als rational und
das wahrhaft Rationale als chriftlich zu erwelfen, nintmers
mehr hätte fie eine Lehre, wie dad Dogma von der Trank
fubftantiation, ald wahr vorausfezen Tönnen, aber ebeufe
wenig wäre file geweſen, was fie ihrem ganzen Weſen nad
war, wenn fie das Wunder der Transfubftantiation in ber
felben Unmittelbarfeit Hätte ſtehen laffen, in welcher fie-cd
Durch die Firchliche Ueberlieferung erhalten hatte. Erſt nase
dem auf das Wunder der Verwandlung die Kategorie dee
Bubftanz und des Accidens angewandt, und durch ben Grund»
- faz, daß die Accidenzien auch ohne Subject fortbeftehen fün- -
nen, weil ja eine Wirkung nicht blo8 von der’ fecunbären
Urfache, fondern noch weit mehr von der erften abhärnge, won:
Gott, der, als die erfte Urfache der Subftanz und Des NAcde .
dens, durch feine Allmacht das Accidens auch ohne feine Sub
ftanz im Seyn erhalten fönne, die Fortdauer der Necidenzien
von Brod und Wein auch ohne ihre Subftanz gerechtferkigt
war *), war das Dogma durch die Hand der Scholaftif ger-
gangen, und in eine Die Vernunft der Scholaftiker-befriedigende
Geſtalt gebracht. Aber aus ſolchen Beifpielen ift auch am
beften zu erfehen, in welchem Streife fi das Denken der
Scyolaftifer bewegte, daß ed größtentheild nur ein Spiel mit
inhaltöleeren abftracten Begriffen war, deren Complex ohne
innern Halt und Zufammenhang als ein bodenlofed Gebäude
in der Luft ſchwebte. War das Wunder die abfolute Bor
ausſezung, von welcher man auöging, fo mußten audy die
Deariffe, Durch: welche das Wunder gerechtfertigt werben
follte, nad) dem Wunder ſich fügen, wie das angeführte
Beifpiel an den Begriffen der Subftanz und des Accidend
zeigt. So war aber überhaupt das Denfen der Schölaftifen,
1) Wie 3.8. Thomas von Aquino Summa theol. P. IH. qu.
. 77, das Dogma von der Transſubſtation rechtfertigt,
_ — Bu 2 2 1 EEE en en —
Die Scholaſtik. 153
immer an-eine abfolute Borausfezung gebunden, von
rchlichen Lehre, als bem ihm gegebenen Inhalt, abhäns
ar, kein freies, das fich aus fich felbft entwidelt und es
we Aufgabe gemacht hätte, die gegebene Wirklichkeit durch
zedanken zu beftimmen. Gin Denten, das von vorn
wit dem Bewußtſeyn behaftet if, daß der Inhalt, mit
ar es ſich beichäftigt, wenigſtens möglicher Weiſe über
vernünftige Denen abfolut hinausliege, und der vers
ge Zufammenhang fich immer wieder durch das Wun⸗
zerbrechen und durchſchneiden laſſen muͤſſe, Tonnte wes
en beftimmten Anfang noch einen beſtimmten Fortgang
.Auffallender ift daher bei dem Verfahren der Scho-
Saum etwas anderes, als auf der einen Seite ber nie
be, in’d Unendliche fortgehenbe, Trieb, nad) Gründen
gen, Beweife zu geben, durch Definitionen und Dis
onen jeber Art jeben gegebenen Gegenftand mit dem
ff fo viel möglich zu umfäflen und zu durchdringen,
er andern die nur aus dem Mangel eined das Ganze
wenden Princips erklärbare Zufammenhangslofigfeit,
öllig unmethodifche Verfahren, bald da bald dort auf
» einem beliebigen Punct eine neue Reihe dialektiſcher
erungen zu beginnen, und den angefnüpften Faden fo-
fortzuführen, bis er ebenfo willfürlich wieder abgebro=
vird, als er angefnüpft worben iſt. Speculative Unter-
igen, wie in Anfelm’8 von Canterbury Proslogium
Sur Deus homo enthalten find, gehören hauptfächlich
yem Grunde zu den glänzendften. Proben des Scharf-
ber Scholaftifer,. weil in ihnen doch wenigftens ein und
ye Gedanke von Anfang bis zu Ende mit methodifcher
quenz feftgehalten und durchgeführt iſt, in der Regel
drängt ſich in den größern theologifchen Werfen ber
aftifer zwar Frage an Frage, Diftinetion an Diftinetion,
gismus an Syllogismus, aber vergebens fucht man in
mdlofen Labyrinth Den Baden, an welchem der fid) aus
l
160 ° 1. Ber. IL Abfän. 1. Ray.
Hlgt noch beftraft wird, atfo feinen Geſeze unterworfen iſt,
größere Freiheit genießen, als die Gerechtigkeit, was an ſich
fhon ein Widerfpruch tft, aber ebenfo groß wäre der Wider⸗
fpruch der göttlichen Gerechtigkeit felbft, wenn das Geſchöpf
dem Schöpfer bie ihm gebührende Chre entzöge, ohne für
das Entzogene genugzuthun. Da nichts größer und beſſer
als Gott ift, fo ift auch nichts gerechter, als bie die Ehre
Gottes in der Ordnung der Welt erhaltende Gerechtigkeit,
welche nichts anders, als Gott felbſt if. Fordert alfe be
Idee der göttichen Gerechtigkeit die Aufrechthaltung ber Che
Gottes, fo muß entweder Oenugthuung geleiftet, oder bie
Strafe vollzogen werden *). Auch die Vollziehung der Strafe,
dient, wie die Genugthuung zur Herftellung der Ehre Bor“
tes, da durch das Eine, wie durd das Andere, die Ord⸗
nung und Schönheit des Univerfumd erhalten wird, und
Gott durch die Strafe ſich dem Menfchen, als feinem Herm,
zu erkennen gibt, als welchen ihn mit freiem Willen anzuer⸗
fennen er fich weigerte 2). Warun nun aber Gott, wenn
4) I, 13. |
2) I, 14.: Deus invitum sibl torquendo subjteit, et sie #
dominum ejus esse ostendit, quod ipse homo voluntate
fateri recusat. In quo considerandum, quia sicut home
peccando rupü, quod Dei est, ita Deus puniendo auferl, "
quod hominis est. — C. 15.: Ipsa namque perversitalis
spontanea satisfactio, vel a nom satisfaclente poenae ex-
actio in eadem universitate locum tenent suum et ordi-
nis pulcritudinem. Quas si divina sapientia, ubi perver-
sitas rectum ordinem perturbare nititur, non adderel;
fieret in ipsa universitate, quam Deus debet ordinare,
quaedam ex violata ordinis puleritudine deformitas, ed
Deus in sua dispositione videretur deficere. Quae dw
quoniam, sicut sunt inconvenientia, ita sunt impossibille,
necesse est, ut omne peccatum aut satisfaclio aut poenf
sequatur.
|
|
Anielm von Canterbury. 161
doch auch durch die Vollziehung der Strafe der durch Die
Ehre Gottes gebotene Zwed erreicht werden kann, gleichwohl
durch Genugthuung die Sünde zu tilgen beſchloß, motivirt
Infelm durch zwei Momente, die fehr heterogener Ratur zu
kyn fcheinen. Wenn er fi darauf beruft, daß Gott Feine
vemünftige Ratur völlig zu Grunde gehen laſſen Fönne, daß
a den Zwed, für welchen er die Menfchen geichaffen babe,
uch vollenden müfle, und eine jo erhabene Natur, wie die
menfchliche, nur zur Verherrlichung Gottes geichaffen feyn
inne *), fo ift dieß unftreitig ein der Vernunft vollflommen
enleuchtender Grund. Allein Anfelm feldft feheint ihn nicht
als das Hauptmoment betrachtet zu haben, da er ihn erft
an einem fpätern Orte erwähnt, und an der Stelle, wo ihn
ber Gang feiner Entwidlung auf diefen Punct führt, den
eigentlichen Grund nicht aus der Menfchenwelt, fondern ber
Engelwelt nimmt. Cs ift dieß die auguftinifche Idee, daß
bie Zahl der gefallenen Engel durch die erlösten Menjchen
wieder. habe ergänzt werden muͤſſen. Fuͤr die vernünftige
Natur, die in der Anfchauung Gottes felig iſt, ober ſelig
werden fol, muß, jo führt Anfelm dieſe Idee weiter aus ®),
1), 4.: Ex his est facile cognoscere, quoniam aut hoc
de humana natura perficiet Deus, quod incoepit, aut in
vanım fecit tam sublimem naturam ad tantum bonum.
At st nihtl pretiostus agnoscitur Deus fecisse, quam ra-
tlonalem naturam ad gaudendum de se, valde alienum
| est ab eo, ut ullam rationalem naturam penitus perire
sinat. Necesse est ergo, ut de humana natura perficiat,
quod incoepit.
2) I, 16.: Rationalem naturam — in quodam rationabili
et nerfecto numero praescitam esse a Deo — non est
dubitandum. — In imperfecto numero remanebit rationa-
lis natura, quae in numero perfecto praescita est, quod
esse non polest. ;
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 11
—— —— — — — — — — — ——
162 1. Ber. 11. Abfchn. 1. Rap.
auch eine beflimmte, in der Vernunft gegründete, Zahl, bie
weder erhöht noch vermindert werben Tann, feftgefezt ſeyn.
Denn entweder weiß Gott nicht, in welcher Zahl fie am ber
ſten eriftirt, was falſch ift, oder wenn er e8 weiß, fo wirb
er fie auch in biefer Zahl wirklich eriftiren laſſen. Da nım
die gefallenen Engel zu der von Anfang an beſtimmten Zahl
gehörten, ſo muß ihre Zahl nothwendiger Weiſe wiederher⸗
geſtellt werden, damit die vernuͤnftige Natur nicht in einer
unvollkommenen Zahl exiſtirt. Aus den Engeln felbſt aber
fann fie nicht ergänzt werden. Die Wiederherftellung be
gefallenen Engel ift ohnedieß undenkbar, aber auch durch
andere Engel können fie nicht erfezt werden, da bie fokter
gefchaffenen Engel den Engeln, wie fie urfprünglich waren,
nicht vollfommen gleich feyn Können, fofern fie, ohne ned .
die Strafe der Sünde factifch vor fi zu fehen, im Guten
beharrt Haben würden, was bei Denen, bie erft in ber Folge
in ihre Stelle treten follten, ald etwas unmögliches von felbk
hinmweggefallen wäre, obgleich es einen fehr wichtigen Unter N
ſchied ausmacht 2). Nur aus der Menfchheit konnte daher
die urfprünglich in ihrer Einheit vollendete Zahl wieder er
gänzt werben, und der Menfch ift ebendeswegen, um in di
Stelle der gefallenen Engel einzutreten, von Gott ohne Sünde
gefchaffen worden. So hoch aber dadurch die menfchliche Nas
tur geftellt ift, fo fehlt ihr doch die felbftftändige Würde,
wenn fie den Zweck ihres Dafeyns nicht in fich felbft, fon
dern in andern Wefen hat. Anfelm fucht jedoch das Eim
mit dem Andern dadurch auszugleichen, Daß er annimmt,
bie Zahl der erlösten Menfchen fey größer, als die Zahl de
gefallenen Engel, worin die Vorausſezung enthalten ift, daß
der Menfch von Anfang an nicht blos als Stellvertreter det
1) 1, 17.: Non entm pariter laudabiles sunt, si stans in
veritate et qui nullam novit peccati poenam, et qui eam
semper adspicit aeternam.
Ati
v
Anſelm von Canterbury. 163
agel, ſondern auch für ſich ſelbſt zu einem Bürger bes
mmliſchen Staats, der superna eivitas, beſtimmt iſt 2).
Iſt nun der Menſch von Gott dazu geſchaffen, um die
telle der gefallenen Engel in dem himmliſchen Staat ein⸗
nehmen, fo fragt fi, wie der Menfch, der gefündigt und
ett für die Sünde nicht genuggethan hat, ben Engeln, die
me Sünde find, gleich feyn Fann? “Die Antwort Hegt nur
dem Begriff der Satidfaction, wie derfelbe ſchon beflimmt
orden if. Zum Begriff der Satiöfaction gehört es, daß
ott für bie Sünde des Menfchen etwas gegeberr wird, was
ehr iſt, als alles, was aufler Sott iſt. Wer aber aus
em Seinigen Gott etwas geben will, mas alles Gott Un⸗
rgeorbnete übertrifft, muß felbft größer feyn, ald alles, was
dt Bott if ?). Größer aber, als alles, was nicht Gott
4) I, 18.: Si angeli, anteguam quidam illorum caderent,
erant in illo perfecto, de quo dizimus, numero, non
sunt homines facti, niſst pro restauratione angelorum
perditorum, et palam est, qula non erant plures. Si
eutem ille numerus non erat in illis omnibus angelis,
eomplendum est de hominidbus et quod perlit, et quod
. prius deerat, erunt electi homines plures reprobis ange-
üs, et sic dicemus, quia non fuerunt homines facti tan-
tum ad restaurandum numerum imminutum, sed eliam
ad perficiendum nondum perfectum. (Daß dieß lestere
anzunehmen ift, zeigt Anfelm im Folgenden). ZAestat ergo,
ut non completa in illo primo numero angelorum super-
na civitas, sed de hominibus complenda fuisse dicatur.
Quae si rata sunt, plures erunt electi homines, quam
sint reprobl angeli. — Et colligitur ea utruque transla-
ttone (den beiden Ueberſetzungen der Etelle 5 Mof. 33, 3.
Juxta numerum angelorum Dei und Ju&ta numerum filio-
rum Israel) quia tot homines assumentur,, quot reman-
serunt angeli. Unde tamen non seyuttür, quamvis per-
diti angell ex hominibus restaurandi sint, tot angelos
cecidisse, quot perseverarunt.
2) II, 6.
41 *
168 1. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap.
die Barmherzigfeit Gottes durch die Hingabe des Sohns
mit der Gerechtigfeit Gottes, durch die vom Sohn übernom:
mene Genugthuung, aufs fchönfte aus 9).
Die wäre die Aufgabe, welche Anfelm_ nach den Haupt
momenten, in welche er am Schluſſe feiner Ünterfuchung das
Ganze zuſammenfaßt, durch feine ſpeculativ dialektiſche Thes«
rie loͤſen wollte. Die Liebe und die Gerechtigkeit Gottes ſol⸗
len durch die genugthuende Aufopferung des Sohns in die
vollkommenſte Harmonie mit einander gebracht werden. Wollte
Gott nach feiner Liebe verzeihen, Eonnte er aber nach feine
Gerechtigkeit nicht verzeihen, fo ift nun nad) "beiden Selten
hin die Erlöfung der Menfchen in das angemeflene Berhäl
niß zur abfoluten Idee Gottes gefezt. Durch die unendliche
Genugthuung, wie fie nur der Gottmenſch durch den unend
— — See EEE an
Yichen Werth feines Lebens für bie unendliche Schuld de
Sünde leiften konnte, ift der göttlichen Gerechtigkeit Genuͤge
geihehen. Auf der andern Seite aber iſt derfelbe Act auf
der höchfte Beweis der göttlichen Liebe, nicht blos fofern ba$
— —4* --
2
Motiv der Aufopferung ded Sohns nur die Liebe gemein :
plenttudinis, quam parentes suos et fratres, quos d-
spicit tot et tantis debitis obligatos egestate tabescere
in profundo miseriarum, ut eis dimittatur, quod pro
peccatts debent, et detur, quo propter peccata careni?
1) II, 20.: Misericordiam vero Dei, quae tibi perire vide-
batur cum justitiam Dei et peccatum hominis conside-
rabamus, tam magnam tamque concordem justitiae inse-
nimus, ut nec major nec justior cogitari possit. Nem-
pe quid misericordius intelligi valet, quam cum. pecca-
tori tormentis aeternis damnato, et unde se redimal,
non habenti, Deus pater dicit: accipe Unigenitum mewm
et da pro te, et ipse filius: tolle me et redime te. — Quid
etliam justius, quam ut ille, cul datur pretium majus
omni debito, si debito datur eetu ‚ dimittat omne de-
bitum ?
- Aufelm von Canterbury. 169
feun Tann, fondern auch deöwegen, weil e8 won Selten Got⸗
tes nur Sadje der Gnade und Barmherzigfeit geweſen ſeyn
kann, die von einem andern geleiftete Genugthuung anzuneh⸗
men. Sft nun aber dieß wirklich der Anfelm’fchen Theorie‘
auf eine befriedigende Weife gelungen, ift durch fie Die gött⸗
liche Liebe mit ber göttlichen Gerechtigkeit fo in Einklang ges
bracht, daß Feines Diefer beiden Momente in ein zu unterges
ordnetes Verhältnig zu dem andern gefezt ift? Ein gewiſſer
Zweifel muß in diefer Hinficht ſchon daraus entftehen, daß
Anſelm das Moment der Liebe und Barmherzigkeit erſt am
_
Schluſſe feiner Unterfuchung befonders erwähnt, als ben ei-
gentlichen Husgangspunct derielben aber keineswegs bie Fra⸗
ge betrachtet, wie die göttliche Liebe mit der göttlichen Ges
rechtigfeit auszugleichen fey. Der.ganze Gang der Entwid-
lung zeigt deutlich, daß er eigentlich immer nur dad Moment
der Gerechtigkeit vor Augen bat, und die Frage, um welche
es ſich handelt, nur aus dem Gefichtspunct auffaßt, wie
auch ſchon der Titel der Schrift es ˖ ausfpricht, wie der gött⸗
lichen Gerechtigkeit für die Sünden der Menſchen nicht blos
ein Yequivalent, fondern noch mehr als ein Aequivalent habe
gegeben werben können? Daher Tann audy der Hauptpunct,
welcher in Betracht fommt, wenn die Anfelm’fche Theorie ih⸗
tem Innern Werth nach gewürdigt werden fol, nur bie Frage
kun, ob fie nicht das Moment der Gerechtigkeit zu einfeitig,
oder auf eine fo ausfchließende Weife hervorhebt, Daß bie
Lerföhnung des Menfchen mit Gott einzig nur als ein noth-
wendiger Act der, Genugthuung heifchenden, Gerechtigkeit,
nicht aber als eine freie That der verzeihenden göttlichen Liebe
eriheinen kann? Es ift nämlich fogleich zu fehen, daß in
bemfelben Verhältniß, in welchem bie ‚genugthuende Aufopfe⸗
rung des Sohnd um Gottes felbft willen nothwendig war,
bie freie, in der Liebe Gottes liegende Rücdkficht auf den Men-
ſchen hinwegfält, und Gott in dem von dem Gottmenſchen
vollbrachten Werke der Erlöfung nicht fomohl den Menfchen,
174 1. Ber. U. Abſchn. 1. Kap.
Menſch fi) weigerte." Kann Gott feine Ehre blos beöwegen
nicht verlieren, weil ber Menſch der Macht Gottes nicht ent-
gehen kann, fo ift Har, daß die Verlegung der Ehre Gottes
nicht an fich, fondern nur in Beziehung auf die aus ihr her
vorgehenden Folgen geläugnet wird, fofern die Wiederhers
ftellung ber Ehre Gottes fo nothwendig iſt, als die Erhal⸗
tung der Weltordnung überhaupt, und in Diefer fchon ur
fprünglich gefezt und begriffen iſt. Kann aber die Ehre Got-⸗
tes actuell wiederhergeftellt werden, fo muß fie auch actuell
entzogen feyn, und es Fann daher auch alles, was zur Wie
derherftellung der Ehre Gottes dient, nur In Folge einer ab⸗
foluten göttlichen Nothwendigfeit gefchehen, zur Realiſirung
der Idee der summa justitia, die das Weſen Gottes if,
oder das abfolute Gefez der Weltorbnung (der rerum di»
positio I, 13.). Auf die Idee einer abfoluten Nothwendig⸗
feit, als die Grundlage der Anfehm’ichen Theorie, kommen
wir demnach auch hier wieder zurüd, wird aber diefe Roth
wenbigfeit nicht ebendadurch aufgehoben, daß bie wirkliche
Vollziehung der Strafe nicht der einzige Weg zur Herftellung
der Ehre Gottes iſt, fondern an die Stelle derſelben, al
doch nur zur Ausgleichung der Liebe mit der Gerechtigkeit:
die Genugthuung durch einen andern geſezt wird ? Allen
auch fo kommen wir aus dem Kreife der Nothwendigfeit nicht
heraus. Denn warum übernimmt Gott, flatt die Straf
wirklich zu vollziehen, die Genugthuung felbft als Gott-
menfh? Nicht, um feine zur Schonung geneigte Liebe mit
feiner ftrafenden Gerechtigkeit in Einklang zu bringen, obet
nicht aus Liebe und Barmherzigkeit gegen die Menfchen,
fondern nur aus einem in feinem eigenen Wefen liegenden -
Grunde. Gott fchuf Die Menfchen mit dem Vorſaz, aus ih⸗
nen bie Zahl der gefallenen Engel zu ergähzen. Die Zahl
ber gefallenen Engel aber zu ergänzen, ift ſchlechthin noth⸗
wendig, da in der göttlichen Allmacht Fein Grund Tiegers
kann, die vollfommene Zahl, welche Gott für die Schöpfung
Anfelm von Santerbury. - 175
T vernünftigen Natur feftgefezt hat, unvollendet zu laſſen.
iott würde alfo mit der Idee feines eigenen Weſens in Wi⸗
rfpruch kommen, wenn er nicht factifch realifirte, was er
eell zu realifiren fi vorgenommen hat‘). Kann nun aber
7 göttliche Vorſaz nicht anders realifirtt werben, als das
sch, daß Gott felbft zur Genugthuung für die Sünden
7 Menſchen Menſch wird, fo ift Har, daß die Menſch⸗
edung Gottes und die-Genugthuung durch ben Gottmen«
ven durch eine im Weſen Gottes felbft gegründete Nothwen⸗
gfeit bedingt ift, daß bie Menichwerbung‘ und die Genug⸗
mung die nothwendigen Momente find, durch welche Gott
en Begriff feines eigenen Weſens realifirt, er würde nicht
ya, was er feinem Begriff nach feyn foll, die abfolute Ver⸗
mt und die abjolute Macht, wenn er nicht realifirte,, was
der göttlichen ratio von Anfang an zur Realität beftimmt
. Man fage nicht, es hänge hier alles nur an der für die
1) I, 16.: Deum constat, proposulsse, ut de humana natura,
. quam fecit sine peccato, numerum angelorum, qul ceci-
derunt, restitueret. Rationalem naturam, quae Dei con-
templatione beata vel est, vel futura est, in quodam ra-
tionabili et perfecto numero praescitam esse a Deo, ita
ut nec majorem nec minorem illum esse doceat, non est
dubitandum. Aut enim nescit Deus, in quo numero me-
Bus eam deceat constitul, quod falsum est, aut st scit,
in eo illam constituet, quem ad hoc decentiorem intelli-
get. Quapropter aut angelt illi, qui ceciderunt, facti
erant ad hoc, ut essent intra illum numerum, aut quia
extra illum numerum permanere non poluerunt, ex ne»
cessitate ceciderunt, quod absurdum est opinari. Quo-
ntam ergo de illo numero esse debuerunt aut restauran-
dus est ex necessitate numerus eorum, aut in imperfe-
cto numero remanebit rationalis natura, quae in nu-
mero perfecto praescita est, quod esse non potest. Ne-
cesse est ergo eos de humana natura (restaurari), quo-
niem non est alia, de qua possint restaurari,
176 1. Ber. DL. Abſchn. 1. Rap.
Anfelm’fche Satisfactionstheorie unwefentlichen Idee der Ev
gänzung der Engel durch die Menſchen, auch abgefehen von
dieſer Idee behauptet Anfelm, daß der Vorſaz Gottes fehlekt
hin realifirt werden muß. Nun hat Gott die vernünftige
Katur dazu gefchaffen, daß fie durch den Genuß Gottes felig
werde, alfo muß auch Diefer Zweck und Vorfaz Gottes ſchlecht⸗
hin realifirt werden, wenn nicht im göttlichen Weſen ſelbß
ein Mangel entftehen fol 9). Daß Gott die vernünftige Crea⸗
tur für den Zwed der abfoluten Befeligung erfchuf, kam |
zwar feinen Grund nur in der göttlichen Liebe Habe, wen
aber die rationalis natura felbft, wie Anfelm fagt, in que
dam rationabili et perfecto numero praescita est a Deo,
ita ut nec majorem nec minorem illum esse decgat, f
ift Die göttliche Liebe felbft Durch die göttliche ratio bedingt, wah
zwar an fi nicht anders jeyn kann, aber in Diefem Zufam
menhang doch gleichfall3 nur dazu dient, Die Menſchwerdung
und Genugthuung, ihrem lezten Grunde nad, von einer im -
Wefen Gottes felbft gegründeten Nothwendigfeit abhängig m!
machen. Der höcfte abfolute Grund ift die göttliche ratio,
oder, da diefe nichts anders, als das -abfolut Nothwendige zu
“ ihrem Object haben kann, die abfolute Nothiwendigfeit, mit
welcher Gott die Ideen der abfoluten Vernunft realikr,
Anfelm Tann daher felbft die Frage nicht umgehen, welden
Werth für den Menfchen das Werf der Erlöfung habe, :
wenn ber Iezte Grund defjelben nur eine im Wefen Gottes g
felbft liegende Nothmwendigkeit fey 2? Wenn er aber darf ”
Kl ınmm
4) II, 4.: Intelligo jam, necesse est, ut Deus perficdal,'
quod incoepit, ne aliter, quam deceat, a suo incepto vi-
deatur deficere.
2) II, 5.: Sed si ita est, videtur quast cogi Deus necesii-
tate vitandi Indecentiam, ut salutem procuret khumanam.
Quomodo ergo negart poterit, plus hoc propter se face-
re, quam propter nos? At st ita est, quam gratiam il
'
Anfelm von Canterbury. - 177
: Antwort gibt, daß die Nothwendigfeit die Gnade nicht
afchließe, dag Gott überhaupt nichts mit Nothwendigkeit
debemus, pro eo, quod facit propter se? Quomodo etiam
"nostram imputabimus salutem ejus gratiae, si nos sal-
vat necessitate? Dagegen: st Deus faclt bonum homtnt,
quod incoepit, licet non deceat eum a bono incoepto de-
ficere, totum gratiae debemus imputare, quia hoc prop-
ter nos, non propter se, nullius egens Incoepit. Daß die⸗
fer Sag ebenfo gut umgekehrt werden kann, ik Far. Eben
fo menig genügt das Folgende: Non enim illum latuit,
guid homo facturus erat, cum illum fecit, et tamen bo-
. wütgte sua illum creando, sponte se, ut perficeret incoep-
Zum bonum, quasi obligavit. Die Sünde der Menfchen
:Fonnte allerdings Gott nicht abhalten, nach feiner Güte den
Menichen zu fchaffen. Aber auch die göttliche donitas muß
durch bie göttliche ratio bedingt ſeyn, was aber die goͤttli⸗
che ratio betrifft, fo würde Gott nicht fenn, was cr feinem
Begriff, d. h. feiner ratio nach if, wenn er nicht die Ideen
feiner ratio, den Begriff feines Wefens, alfo auch durd)
- die Schöpfung, Durch den rationabilis et perfectus nume-
rus der rationalis natura realifirte. Denique, fährt An⸗
felm fort, Deus nihil facit necessitate, quia nullo modo
cogitur, aut prohibetur, aliquid facere. Et cum dici-
mus, Deum aliquid facere, quasi necessitate vitendi in-
honestatem, quam utique non timet, potius intelligen-
dum est, quia hoc facit necessitate servandae homesta-
tis, quae scilicet necessitas non est aliud, quam immu-
labilitas homestatis ejus, quam a se‘ipso, et non ab alio
habet, et idceirco improprie dieitur necessitas. Dicamus
iamen, quia necesse est, ut bonitas Dei propter immu-
tabilitutem suam perficiat de homine, quod incoepit,
quamvis totum sit gratia bonum, quod facit. Vol. II,
18.: Non tamen ulla est in eo faciendi necessilas, aut
non faciendi impossibilitas, quia sola operatur in eo vo-
luntas. Quotiens namque dicitur Deus non posse, nulla
negatur in eo potestas, sed insuperabilis significatur
potentia et fortitudo. Non enim aliud intelligitur,, nisi
Baur, die Lchre von der Berfühnung. ' 12
178 I. Ber. IL Abſchn. 1. Kap.
thue, weil er, auch was er mit Nothwendigkeit thue, Doc
immer zugleich mit freiem Willen thue, fofern es feine Macht
gebe, Durch Die er gezwungen werden Fönnte, fo tft hiedurch
nicht geläugnet, daß das Werk der Erlöfung aus göttliche
Rothwendigkeit hervorgehe, fondern nur der Begriff bier
Nothwendigkeit näher beftimmt, oder ausdrüdlich gefagt, weh
fih von felbft verfteht, daß fie Feine Aufferlich zwingende,
fondern nur eine innere, im Wefen Gottes felbft gegründee,
ſey. So fehr daher Anfelm von der Nothwendigfeit inme
wieder zu der freien Selbftbeftimmung jurüdienft, fo web:
er doch zulezt unwillfürlich zu einem Ausdruck hingelrie
ben, welcher die Erlöjung als einen immanenten Add S
göttlichen Weſens felbft bezeichnet: der Sohn habe in feinen ã
genugthuenden Tode fich fowohl fich felbft ald dem Baker.
und dem heiligen Geift, oder feine Menfchheit feiner Gofthet \
dargebracht, d. h. die Gottheit habe in ihm ihre Ehre wi⸗—
derhergeſtellt, ſich mit ſich felbft verfühnt )). Wenn babd °
qula nulla res potest efficere, ut agat ille, quod negatw
posse. Uebrigens fagt Anfelm II, 18.: Nihit est necess-
rium aut impossibile, nisi quia ipse Ita vult, aber andy
I, 12.: Quod autem dicitur, quia, quod vult, justum es,
et quod nonvult, justum nonest, non ita intelli gendum est, ut
siDeus velit quodlibet inconveniens, justum sit, quia ipse vuli.
1) II, 18.: Honor utique ille totius est trinitatis, quare quo-
niam idem ipse est Deus Filius, ad honorem suum se ip-
sum sibi, sicut Patri et Spiritui sancto obtulit, id ed”
humanttatem suam divinitati suae, quae una eades'
trtum personarum est. Gewöhnlicher fey es allerdings 18
fagen: Filius sponte se ipsum Patri obtullt. — Per -
men Patris et Filit immensa quaedam in cordibus m-
dientium, cum Patrem Filtus hoc modo postulare pr
nobis dicttur, pietas sentitur. Im Zufammenhang mit I.
erftern Behauptung behauptet Anfelm: Quoniam ipse ed
idem Deus et homo, secundum humanam quidem nd .
ram, ex quo fuit homo, sic accepit a divina natura-
Anſelm von Canterbury. 179
f der andern Seite die Behauptung immer wiederholt wird,
Mt für fi) habe nicht nöthig gehabt, zur Erlöfung ber
enfchen vom Himmel herabzufteigen *), fo ift leicht zu ſe⸗
r, daß man entweder Die ganze Yrage: Cur Deus homo?
ht aufiwerfen muß, oder, wenn fie aufgeworfen iſt, auch
: Conſequenzen nicht feheuen darf, Die ſich aus den Brä-
fen, von welchen man ausgeht, von felbft ergeben. Die
Zwieſpalt zwiſchen ber, eine innere Nothwendigkeit im
jeſen Gottes felbft vorausfezenden, Macht des Begriffs und
m die freie Perfönlichfeit Gottes anerfennenden Bewußt⸗
richt fich durch bie ‚ganze Anfelm’fche. Unterjuchung hin⸗
u.)
: Wie fehr aber in biefer Satisfactionstheorie Die fubjecti=
eSeite gegen bie obiective zurüdtreten muß, iſt beſonders
uch noch daraus zu erfehen, daß dem in dem Weſen Got-
5 erfolgenden Verföhnungsproceß gegenüber fogar die fitt-
- quae alla est ab humana, esse suum quidguid habebat,
ut nihil deberet dare, nisi quod volebat. Daher entficht
wit-NRecht die Srage, ob diefe abfolute Selbſtſtändigkeit der
menfchlichen Natur nicht die Wahrheit derſelben aufhebt,
und auf Doketiſmus führt.
1) Palam est etiam, fagt Anfelm am Schluſſe feiner Unter:
fuchung I, 39., quia Deus, ut hoc faceret, quod disi-
mus, nullatenus indigebat, sed ita veritas immutabitlis
'exigebat, licet enim hoc, quod homo ille fecit, Deus
dicatur fecisse propter unttatem personae, Deus tamen
non egebat,, ut de coelo descenderet, ad vincendum dia-
bolum , negue ut per justitiam ageret contra illum ad
liberandum hominem, sed ub homine Deus exigebat, ut
diabolum vinceret, et qui per peccatum Deum offende-
rat, per justitiam satisfaceret. Aber eben dazu mußte
ia Gott, und zwar um feiner felbft willen Menfch werden.
2) Daher auch die wiederholte Unterfuchung der Frage, ob das
Reiden Chriſti ein freimilliges oder nothwendiges geweſen
fen I, 8. IL, 18.
12%
80 I. Ber. IL. Abfchn. :1. Kay.
liche Selbftthätigfeit des Menfchen ein fehr Bebeitungelofe
Moment werben zu müflen fcheint. Anfelm hebt zwar no
befonders die fittliche Wirkung des Todes Jeſu hervor: Io fi
ſus habe in feinem Tode ein Beifpiel der Gerechtigkeit gege
ben, die ber Menſch unter allen Leiden Gott Teiften fol 9),
wem er aber, um das Haupigewicht auf bie verfühnende
Wirkung des Todes Jeſu zu legen, felbft weiter fagt: ver
gebens werde man die Gerechtigkeit, deren Vorbild Jeſus ie:
feinem Tode gegeben habe, nachahmen, wenn man nit es
feinem Berdienft Theil habe >), fo dringt fich Hier von FÜR
die Trage auf: weldhes Moment jene Nachahmung habe
Pur
—
könne, wenn man einmal an dem Verdienſt des Verfühnungb .:
todes Theil hat? Wird die Berfühnung des Menſchen mit
Gott als ein rein objectiver, völlig aufferhalb Des Menſcha
erfolgender, auf das göttliche Weſen an fich ſich bezichenbe
4) II, 18.: Cum injurlas et contumellas et mortem em‘
latronibus sibt propter justitiam, quam servabat, ide :
Benigna patientia substituit, exemplum dedit heuiı-
Bus, qualenus propter nulla incommoda, quae seuiirt
possunt, a justitia, quam Deo debent, deolinent, ed
minitme dedisset, si secundum potentiam suam morten
pro tali causa illatam declinasset. Nullus unguam Is-
mo praeter illum moriendoe Deo dedit, quod aliquande
necessitate perditurus non erat, aut solvit, quod mes
debebat. Ille vero sponte Patri obtulit, quod nulla m-
cessitate unguam amissurus erat, et solit pro peccate-
ribus, quod pro se non debebat. Quapropter ille mul
magis dedit exemplum, ut unusquisque, quod aliquas-
‘do incunctanter amissurus est, pre se 1pso 'reddere Des,
cum ratio postulat, non. dubitet, qui cum nullatenus aut
pro se indigeret, aut cogeretur pro aliis, quibus nik ":
nist poenam debebat, tam pretiosem vitam, immo se ip-
sum, tantam scilicet personam, tanta voluntate dedil.
2) II, 19.: Frustra imitatores ejus erunt, st meriti ejüs
participes non erunt.
‚ Anfelm von Canterbury. - 481
t aufgefaßt, ald die Ausgleihung einer Disharmonie, Die
bt ſowohl in. der fittlichen Natur des Menfchen und in fei-
nn. fittlichen Verhältniß zu Gott, als vielmehr in dem We⸗
. Sottes felbft entſtanden iſt, fo ift die flttliche Selbftthä-
feit des Menfchen hiedurch zwar nicht fchlechthin ausge⸗
offen (ſofern ja die Srucht des genugthuenden Todes nur
ven.zu Theil werden Tann, bie fie annehmen wollen, und
Ichen der Sohn fie geben will, bei denen aber, bei welchen
* nicht flatifindet, der Idee der göttlichen Gerechtigkeit
xch Bollziehung der Strafe Genüge gefchieht), aber doch
3 auf ihr Minimum reducirt. Sobald nur irgend
ne fittliihe Difpofition vorhanden iſt Ceine folche ift aber
sh ſchon dann vorhanden, wenn der Menfch ſich nur nicht
rabe widerfirebend verhält), iſt in dem Einzelnen, weldyer
5 in Diefem Galle befindet, die VBerföhnung ein abfolut voll»
achter Act. In Keinen Ball kann wohl geläugnet werden,
Hin der Anfelm’fchen Theorie die ſubjective Seite der Vers
ung des Menſchen mit Gott noch keineswegs zu ihrem
echt gekommen ift, und Dazu auch nicht fommen fann, for
ne Das Wefen der VBerföhnung nur in den fich felbft reali-
enden Begriff der göttlichen Gerechtigkeit gefezt wird.
Abſtrahiren wir aber auch von der im Weſen Gottes
HR gegründeten, mit der fubjectiven Freiheit fowohl ‚auf
eiten Gottes, als auf Seiten des Menfchen ftreitenden
othwendigkeit der Senugthuung, fo fragt fi noch, wor⸗
f die Möglichkeit einer ſolchen Genugthuung beruhe? Zus
ichſt zwar auf der Idee des Gottmenſchen oder der Einheit
ottes und des Menfchen, weldhe hier, wo bie ganze Rea⸗
ht der Verfühnung von einer beftimmten Thatfache abhän⸗
g gemacht wird, nur als die Möglichkeit einer ſowohl
enfhlichen als übermenfchlihen That genommen werden
mn. Aber auch der Gottmenſch kann die Genugthuung
icht ſchlechthin leiſten, ſondern nur in einer beſtimmten Be⸗
zehung, dern auch er theilt ja mit den vernünftigen Creatu⸗
184 L Ber. 1 Abſchn. 1. Rap.
ber genugthuenden und flellvertretenden Strafe findet ſich das
ber in der Anfelm’fchen Theorie nicht. Ebendeswegen iſt auf
‚bie Gerechtigkeit, deren Begriff ihr zu Grunde liegt, nick
die ſtreng juridifche, die Sünde unbedingt firafende Gerech
tigfeit, fondern vielmehr die, Sittlichfeit und, Glückſeligkelt
in das rechte Verhältniß zu einander fezende, Heiligkeit Got
te8, fo daß Demnach hier eigentlich eine Doppelte Subftttutien -
ftattfindet, indem 1. an die Stelle der Strafe, welde de.
Menſch zunächft verdient hatte, Die Durch eine Leiſtung der '
Jjustitia fidy bethätigende Genugthuung tritt, und 2. ber bk
Genugthuung Leiftende nicht der Menfih, fondern Chriſtus if :
Sn allen diejen Beftimmungen fehen wir fchon die Möglid
keit ded natürlichen Fortgangs zu einer andern, zwar vn
Anſeim'ſchen Vorausfezungen ausgehenden, aber in wefentls
hen Puncten von Anfelm abweichenden, Form der Satik
factionstheorie.
Die tranſcendente Metaphyſik, in welcher überhaupt des
Weſen der Scholaftif befteht, ftellt fih uns in der Anſelm'⸗
ſchen Satisfactionstheorte fehr Har vor Augen. E8 find.:de
beiden Begriffe der Schuld und Gerechtigkeit in ber ober
ven Bedeutung, die ihnen der fcholaftifche Realismus gibt,
um welche fie ſich in lezter Beziehung bewegt. Auch der de
griff der Schuld hat eine rein objective, auf das Weſen Got
te8 an fich ſich beziehende, Bedeutung. Der dadurch entſte⸗
hende Proceß, in welchem die beiden Begriffe der Schuld |
und Gerechtigkeit ſich mit einander vermitteln, und zu Me
menten des göttlichen Lebensprocefies werden, gehört gan "
der intelligibeln metaphyfifchen Welt an, deren Verhältniß zu
der Welt der Erfahrung und Wirklichfeit ganz aufferhalb des
Gefichtöfreifes der Scholaftif liegt. Mit dieſer Metapkyfl
poena verhalten fich zu einander, wie die voluntas jubens
und puniens in Gott, I, 15., und punire tft foviel als re-
cte ordinare peccatum sine satisfactione I, 12. 13. 35-
Anfelm von Ganterbury. 155 .
. bie dur das Firchliche Dogma eröffnete überfinnliche Welt
. gu umfaflen, nicht um fie zu begründen, fondern nur um fie
* auszubauen, fieht die Scholaftik als ihr eigentliches Geſchaͤft
an; und je mehr es ihr gelingt, den abſtracten Begriff, von
welchem fie ausgeht, in Bewegung zu bringen, und eine das
“ ganze Dogma in ſich begreifende Theorie aus ihm herauszu⸗
ſpinnen, Defto befriebigter verweilt fie in der Betrachtung ih⸗
- 78 Gebäudes 1). Diefe auf der Dialectik des Begriffs bes
. Tuhenbe. Metaphyſik ift es, wodurch ſich bie fcholaftifche Pe⸗
riode von ber vorangehenden ‚unterfcheidet, an die Stelle des
- Mythus und des mythifchen Bildes ift nun ber abftracte dia⸗
lectiſch fich fortbewegende Begriff: getreten, . aber gerade Die
Anſelm'ſche Theorie zeigt auch am beften, wie das mythiſche
-
‘ 4) Rationabilia, läßt Anfelm am Schluffe feiner Unterfuchung
- den Boſo, mit welchem er fich nach der dinlogifchen Form
Der Schrift unterredet, fagen, et quibus nihil contradici
possit, quae dicis, omnia miht videntur, et per unius
. quaestionis, quam proposuimüs, solutionem, quidquid in
novo veterique Testamento cantinetur, probatum intelli-
90. Cum enim sic probes, Deum fieri hominem, ex ne-
cessitate, ut etiam, si removeantur pauca, quae de no-
siris libris posuisti (ut quod de tribus personis et de
"Adam tetigisti), non solum Judaets sed etiam Pagants
sola ratione satisfaclas, et ipse idem Deus homo: novum
condat testamentum, et vetus approbet, sicut ipsum ve-
racem esse, necesse est. confiteri, ita nihil, quod. in üllis
continelur,, verum esse, potest aliquis diffiteri. Es war
alfo für die Scholaſtik keine zu hohe Idee, daß auf dem
Wege der Spekulation der ganze wefentliche Inhalt des U.
und N. 2. rationell bewiefen werden Fünne, nur wird da⸗
| bei immer vorausgefeßt, daß der Inhalt des Glaubens an
: fich fchon fefifiehe, und Feines Beweife bedürfe, fo daß dem:
nach, was durch die Vernunft hinzufommt, fo werthvoll es
im Uchrigen feyn mag, doch nur ein opus supererogatio-
nis ift.
— ⸗
*
188 L:Ber IL Abſchn. 1. Ray.
chenſchaft zu geben, was fündigen heiße, und welche Bedeu⸗
tung die Sünde habe 1). Diefer bedeutende Yortfchritt ge-
ſchah erft durch Anfelm, und da der Begriff der VBerföhnung
' felhft durch den Begriff der Sünde und der Schuld bedingt
iſt, fo wurde auch erft durch Anfelm der eigentliche Begriff
der Berföhnung in's dogmatiſche Bewußtfeygn erhoben. Aud
der Begriff der Gerechtigkeit mußte Daher eine ganz andere
Bedeutung erhalten. Wie äufferlich ift der Begriff der Ge
techtigfeit genommen, wenn man bie im Werke der Erlöfung
ſich manifeftirende göttliche Gerechtigkeit nur auf Die auf den
Teufel zu nehmende Rüdficht, oder auf Die vor dem Sünden
fall ausgefprochene göttliche Strafdrohung bezog? "Wie ganz
anders iſt dagegen der Begriff der Gerechtigfeit beftimmt,
wenn fie mit dem abfoluten Wefen Gottes felbft identiſch ges
nommen wird 2)? Bon felbft ergibt fich hieraus, daß jezt erfl
aud) an die Stelle des unbeflimmten xeraAindov der be -
flimmtere Satisfactiondbegriff gefezt werden konnte, welchem
zufolge die beiden Begriffe, Sünde und Strafe, oder- Schulb
und Bezahlung, fich fo cortefpondiren, daß fo viel ober. fo
- wenig auf der einen ‚Seite gefezt oder aufgehoben iſt, ebenfo
viel oder ebenfo wenig auch auf der andern Seite gefezt ober
aufgehoben werden muß. Mag auch dieſe Beflimmung zus
nächſt nur eine quantitative genannt werden können 2), bie
4) Nondum considerasti, quanti ponderts sit peccatum. ©»
bezeichnet Anfelm ſelbſt I, 21. das Eigenthümliche feines
Geſichtspunkts fehr treffend.
2) I, 13.: Summa justitia non est aliud, quam ipse Deus.
3) Daß der Gedanke an ein Quantum von Sünde, dem dann
ein gleiches Quantum von Strafe gegenüberficehe, dem An»
felm fo fremd ift, wie in der Ev. K. 3. a. a. O. S. 13.
behauptet wird, läßt fich nicht annehmen, wenn man Stels
len bedenkt, wie folgende: 1, 20.: Secundum mensuram pec-
cati oportet satisfactionem esse. 1, 21.: Patet quia se-
: cundum quantitatem exigit Deus satisfactionem.
Anjelm von Banterbury. 189
miltative.Befliimmung wird von felbft zu einer qualitati»
wenn die Schuld der Sünde an ſich al8 eine unendliche
| tft.
Zweites Kapitel,
Ber Abälard, Bernhard von Elairvaus, Robert
„.palleon, Hugo von St. Victor, Petrus
Lombardus.
AM Anſelm von Canterbury hatte das Dogma von der
Meing einen ſehr bedeutenden Punct feiner Entwicklung
BR Nicht nur hatte er der bisher am meiſten verbreite⸗
ellung eine andere feftbeftimmte enigegengeftellt, fon⸗
pa and) eine Theorie aufgeftellt, die mit Dem Anfpruch aufs
#, die abfolute Nothwendigkeit der von der Kirche gelehr-
Senugthuung mit unläugbarer Evidenz deducirt zu haben.
hard, war dem Dogma der Gang, welchen ed zu nehmen
Pe, von felbft vorgezeichnet. Es fragte ſich vor allem, ob
I die folgenden Scholaftifer den von Anfelm geführten Bes
BB ebenfo evident finden werben, wie er ihm felbft zu feyn -
en. Muß man in der Anfelm’fchen Satisfactionstheorie
Nine glänzende Probe des dialectifch = fpeculativen Scharffinns
ver Scholaftiter anerkennen, fo hat die Wahrnehmung etwas
Befremdendes, daß Anfelm gleichwohl mit derfelben ganz
Mein fteht, und keinen feiner Nachfolger von der Nothwen⸗
Hgkeit bes von ihm genommenen Standpunctd überzeugt zu
nben ſcheint. Man würde fi, jedoch eine unrichtige Vor⸗
lung von dem Character der Scholaftif machen, wenn man
ieß nicht auch wieder natürlich finden würde. Derfelbe dia⸗
xtiſch⸗ raiſonnirende Verftand, welcher in einem Anjelm: feine
raft in der Kühnheit des Aufbauens zeigte, hatte dieſelbe
Stärfe im Negiren des Aufgebauten und Wiederauflöfen des
efnüpften, ein größeres Ganzes umfaflenden, Iuſammenhange,
o.
19 I. Ber. TI. Abſchn. 2. Kay.
worin eben der Grund liegt, warum es die Scholaftif, un
geachtet ihrer Produetivität im Einzelnen, doch nie zu. einem
Syſtem von allgemeinerer Geltung bringen fonnte. Und wen :
das Zwingende einer Deduction, wie die Anfelm’fche ift, e- 4
was Imponirendes bat, fo lag darin für den, feiner fubjet |
ven Freiheit fich bewußt werdenden, Geiſt auch wieder ber
Reiz, ſich diefem Zwange zu entziehen. Um fo weniger fonnk
dem ſcholaſtiſchen Scharfſinn die Schwäche der Anſelm'ſchen
Deduction entgehen, daß der Hauptbegriff, auf welchem ſe
beruhte, das abſolute Uebergewicht, das die göttliche Gerede
tigkeit über die göttliche Liebe haben fol, eine bloße Borand
fezung iſt. Se weniger aber diefer Mangel dem Scharffinn
der Scholaftifer entgehen konnte, deſto mehr Fam auf be
andern Seite darauf an, ob man nur zu der von Anſelm
verlaffenen Borftellung wieder zurüd ging, ober ebendadurd;
dag man ſowohl beiftimmen als widerfprechen mußte, auf
einen neuen Gefichtepunct geführt wurde.
Dieß ift im Allgemeinen die Stellung, "welche beſonders bie
vier berühmten, auch für die Geſchichte unſers Dogma's nicht
unwichtigen,. Scholaftifer, Peter Abälard, Bernhard von
Clairvaux, Hugo von St. Victor, und Beter der Lombarde,
Anjelm gegenüber haben.
| Peter Abälard nimmt in feinem Gommentar über ben
Brief an die Römer von der Stelle 3, 26. Veranlaffung,
fi etwas ausführlicher über die Lehre von der Erlöfung zu
erklären ®). Die Hauptmomente feiner Erörterung find bie
9 Petri Abaelardi et Heloisac Opp. Par. 1606. ©. 550.f.
Abälard ift fich ganz der Wichtigkeit diefer Frage bewußt:
Maxima hoc loco quaestio se ingerit, quae sit ista w-
delicet nostra redemtio per majorem Christi, aut quan-
do in ejus sanguine justificari Apostolus dicat, qui ma-
iori supplicio diuni videmur, quia id commisimus ini-
qui serei, propter quod innocens Dominus occisus sit.
Den Gegenſtand der Interfuhung brefiimmt Abülard fo:
⸗
Deter Abälarb. 191
drei Puncte: 1, die Befeitigung des Teufeld aus dem Werke
ber Erlöfung ; 2. die genauere Beflimmung ber Frage, um
welche es ſich handelt; und 3. die Löfung derfelben.
In Anfehung des erften diefer drei Puncte ftellt fich
Abälard ganz auf die Eeite Anſelms, nur trit er der fchon
von Anſelm aufgegebenen Borftellung noch entſchiedener ent»
gegen, indem er das von Anſelm in Einer Beziehung noch
anerkannte Recht des Teufels auf den Menſchen ſchlechthin
laͤugnet. Er macht gegen die gewöhnliche Meinung, daß ber
Teufel, in Folge des Gehorfams, welchen ihm der Menſch
bei der erfien Sünde leiftete, die Menfchen in feine Gewalt
bekommen habe, bie Einwendung, daß ja Chriſtus nur bie
Erwählten befreit habe, die Ermählten aber habe der Teufel
weber in dieſer Welt, noch in ber fünftigen in feiner Gewalt
gehabt. Zum Beweiſe dafür beruft fi Abälarb auf die
“ Barabel von Lazarus und dem reichen Mann. Ob denn ber
Teufel auch den in Abrahams Schooße ruhenden Armen,
ebenfo wie den Reichen, wenn auch vielleicht in geringerem
Grade, gepeinigt habe, ob auch den Abraham felbft und
bie übrigen Erwählten? Abraham fage ja ausdrücklich in der
Barabel, der Arme werde jezt getröftet, ber Neiche aber ge⸗
yeinigt. Auch fen zwifchen ben Erwaͤhlien und Verworfenen
‚äne Kluft befeſtigt, die den Teufel an dem Orte, in welchen
| fein Ungeredjter dent Zugang habe, Feine Gewalt ausüben
fwlaſſe. Der entlaufene Sklave bleibe immer in der rechtmäßi⸗
gen Gewalt feines Herrn, und der Verführer fen ebenfo ſchul⸗
: dig, als der Verführte, . Wie denn der Berführer irgend ei-
Primo ttaque. vldetur quaerendum , qua necessitate Deus
hominem assumserit, ut nos secundum carnem moriendo
redimeret, vel a quo nos redemerit, qui nos vel justitia
vel potestate captos tenet, et qua justitia nos ab ejus
potestate liberaverit, qui praecepta dederit, quae ille
suscipere vellet, ut nos dimitteret.
2 LBer. IL Abſchn. 2. Kap.
nen Rechtdanfprud auf den Verführten erlangen könne, da
er ja durd die Verführung fogar das Recht, das er eiwa
zuvor hatte, verlieren müffe. Der Berführte habe vielmehr
das Recht, den, der ihm durch feine Verführung ſchadet,
zur Strafe zu ziehen. Ueberdieß habe ja der Teufel bem
Menfchen die Unfterbfichkeit, Die er ihm bei der Uebertretung
bes göttlichen Gebots verfprochen habe, nicht geben können,
darum habe er auch Fein Recht, ihn in feiner Gewalt zurüd«
zubalten. Bon einem durch die Verführung erlangten Recht
des Teufeld auf. den Menjchen Tönne daher nicht die Rebe
feyn, fondern höchftens etwa davon, daß Gott den Menfchen
dem Teufel, als feinem Kerfermeifter, zur Strafe und Pei⸗
nigung übergeben habe. Nur gegen Gott, feinen Herrn, habe
fih der Menfch durch feinen Ungehorfam verfehlt. Wenn mm
Gott dem Menfchen feine Sünde erlafien wollte, wie er fe
der Jungfrau Marla und vielen andern fchon vor dem Les
den Chrifti erließ, wenn er ohne ein Leiden dem’ fündigen
Menfchen verzeihen, und ihn nicht weiter der Strafgewalt ſei⸗
nes Peinigers überlaffen wollte, welches Recht könne der Tess
fel haben, fich darüber zu beſchweren. Hieraus leitet um -
Abälard den Begriff einer völlig freien Sündenvergebung ab.
Penn Gott, ohne ein Unrecht gegen ben Teufel zu begehen,
dem Menfchen die große Gnade erwies, daß er fih mit ihm
zur Perſon vereinigte, warum follte er ihm nicht Die geringere
Gnade der Vergebung der Sünden gewähren fönnen 97 .
4) Non fecit Dominus injuriam diabolo, eum de massa pec-
catrice carnem mundam et hominem ab omni peccato
immunem susceperit. Qui quidem homo non hoc meri-
tis obtinuit, ut sine peccato conciperetur, nasceretur et
perseveraret, sed per gratiam suscipientis eum Domini.
Numquid eadem gratia si ceteris hominibus peccata di-
mittere vellet, liberare eos a poenis potuisset? Peccalis
quippe dimissis, propter quae in poenis erant, nulla su-
peresse ratio videtur, ut propter ipsa amplius puniren-
Beter Abälarb, 18
Wenn nun aber, fährt Abälard fort, die göttliche Barm⸗
herzigkeit für fich ſchon den Menſchen vom Teufel befreien
fonnte, ‘welche Nothwendigfeit, welcher vernünftige Grund
war dazu vorhanden, Daß der Sohn Gottes Menfch wurde,
ütt und farb? Wie kann der Apoftel fagen, daß wir durch
den Tod bes Sohns gerechtfertigt und mit Gott verfühnt
werben find, ba doch die durch die Kreuzigung des Sohns
begangene Sünde noch größer ift, als der Ungehorfam ber
Ren Sünde, und daher auch den Zorn Gottes gegen bie
Menihen- erhöhen muß? Iſt die Sünde Adams fo groß,
dab fie mur Durch den Tod Chrifti verfühnt werden Tann,
welche Berföhnung gibt es für den an Chriftus begangenen
Mord? Gefiel Gott dem Vater der Tod des unfchuldigen
Sohns fofehr, daß er fi) dadurch mit uns, beren Sümbden
die Urfache der Ermordung des unfchuldigen Herrn find,
ansföhnte? Mußte Die größere Sünde gefchehen, damit Gott
die kleinere verzeihen Fonnte? Wem anders tft das Löfegeld
des Blutes gegeben, als dem, in defien Gewalt wir waren,
. dio Gott, der und dem Peiniger überließ? Wie kann Gott
ſelbſt das Löfegeld zur Freilaffung der Gefangenen gefordert
haben? Wie grauſam und ungerecht feheint es zu feyn, Das
Hut eined Unſchuldigen als Löfegeld zu verlangen?
Die Löfung aller biefer, das Hauptproblem nad) ver-
ſchiedenen Beziehungen auffaffenden, Fragen findet Abälard
ht, wie Anfelm, in dem metaphufiichen Verhältniß der un-
adlichen Schuld und des unendlichen Aequivalents, fondern
in dem pſychologiſch⸗ moraliſchen Moment der Liebe. Die
eigenihuͤmliche Gnade, welche und Gott dadurch bewies, daß
kin Sohn unfere Natur annahm, und bis zum Tode nidht
aufhörte, und durch fein Wort und fein Beifpiel zu belehren,
yo
tur. Qut ergo tantam eshibult homini grallam, ut
eum sibi uniret in personam, non posset minorem im-
pendere, dimittendo scilicet ei peccata?
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 13
.
198 | 1. Ber. U, Abſchu 2. Rap.
muß eine Liebe in und weden, . die alles überwindet, und
und nicht blos von der Knechtſchaft der Sünde befreit, fon
dern auch Die wahre Freiheit der Kinder Gottes erwirbt. In
diefer durch Das, Leiden Chrifti in uns geweckten Liebe beſtehl
die erlöfenbe und verjöhnende Kraft defielben 4)
1) A. a. O. S. 553.: Nobis autem videtur, quod tn hoe
Justificati sumus in sanguine Christi, et Deo recondilis-
ti, quod per hanc singularem gratiam nobis exhibitam,
quod fillus suus nostram susceperit naturam, et in ti
nos tam verbo quam exemplo instituendo usque ad man
tem perstitit, nos sibi amplius per amorem astrixit, u
tanto divinae gratiae accensi beneficio, nil jam toleran
propter ipsum vera reformidet caritas. Quod quidem
benefictum antiquos patres, etiam hoc per fidem easpe-
:tantes, in summum amorem Det tanguam homines tem-
ports gratiae non dubitamus accendisse, eum vertptu⸗
sit: Et qui praeibant, et qui sequebanter,
clamabant dicentes: Osanna ftilio David du
Justior quoque, i.e. amplius Dominum diligens gui
que fit post passionem Christi, quam ante, quia a»
plius in amorem accendit completum benefictum, quem.
speratum. Redemtio itaque nostra est illa summa in
nobis per passionem Christi dilectio, quae nos (leg. nem)
solum a servitute peccati liberat, sed veram nobis filo-
rum Det libertatem acquirit, ut amore ejus potius quan
timore cuncta impleamus, qui nobis tantam echibil
gratiam, qua major inventri, inso attestante, non pel-
est. Dafür beruft er fich auf die Stellen Joh. 15, 13. Eur.
12, 49. Ad hanc itaque veram caritatis libertatem in
hominibus propagandam se venisse testatur. Röm.5,5.%
Diefelbe Anficht fpricht Abälard in mehreren Etellen ſeines
Commentars aus, Zu 4, 24. bemerft er: Duobus modia
propter delicta nostra mortuus dicitur (Christus), tusa
quia nos deliquimus, propter quod ille moreretur, et pec-
catum commistmus, cujus ille .poenam sustinuit (di
durch die Kreuzigung Chriſti begangene Sünde ber Wem
‘. Beter Abälard. . 1%
So ftehen demnach die beiden Repräfentanten der, in
Ihrer erſten Periode in ihrer Fühnften Jugendkraft fich ent»
widelnden, Scholaftil, Anjelm und Abälard, in ber Lehre
von der Erloͤſung und Berföhnung fich gerade ‚gegenüber.
Der Eine findet den Iezten, Grund berfelben in der, für bie
unendliche Schuld der Sünde ein unendliche Aequivalent
verlangenden, göttlichen Gerechtigkeit, alfo in einer im Weſen
Gottes begründeten Rothwendigfeit, der Anbere nur in der
“ freien Gnade Gottes, die durch die Liebe, die fie in ben
Nenſchen entzündet, die Sünde und mit ber Sünde auch
W Schuld der Sünde tilgt. Da bie Liebe nicht entftehen
km, ohne den Glauben und mit dem Glauben auch bie
Beue zu ihrer VBorausfezung zu haben, fo iſt e8 eigentlich ‚die
Re, um welcher willen Gott die Sünde oder Schuld ber
Sande erläßt und mit dem Menfchen fich verföhnt, und bie
Berföhnung des Menfchen mit Gott iſt daher nur fubjectiv,
nicht objectiv, bedingt 9. Demungeadhtet hat auch Abälarb
Anı.ıE Bazle ich Miele
fchen), tum etlam ut peccata nostra morlendo tolleret,
. ©. poenam peccalorum introducens, nos in paradi-
sum pretio suae mortis auferret, eo per eshibitionem
tantae graliae animos nostros a voluntate peocandi re-
traheret, et in summam suam dilectionem intenderet.
Del. zu 5, 8.: Et vere magnum hoc et salutarium fuit,
Deum scilicet pro impiis mort, quia vis pro homine
ipse homo mort sustinet. Diat via, ew toto negavi;
quia fortasse, etst rarissime, potest reperirl, qui pro
amore boni hominis, i. e. just! mortuntur. — Christus au-
tem non solum ausus mort, sed el mortuus est, pro pec-
catoribus.— Multo facilius, sive libentius, vel probabilius
| nunc respiciet nos ad salvationem jam justificatos in
sanguine suo i.e. jam per dilectionem, quam in eo habe-
mus, ex hac summa gratia, quam nobis eshibuit.
9 Remittitur iniquitas, bemerkt Abälard ©. 558. zu Roͤm.
4, 6., quando poena ejus condonatur per graliam, quae
exigt poterät per justitiam. — Remittuntur quidem pec-
13%
‚1% 1. Ber. 1L.Abfchn. 2. Say.
nicht unterlaffen,, die Erlöfung und Berföhnung aud). wieder
unter den Gefichtöpunct der Gerechtigkeit zu flellen. Die Ge⸗
rechtigkeit Chrifti ergänzt, was der Menſch wegen feiner Sünde
nicht zu leiften vermag. Ald Menſch fteht der Sohn Gotied
unter dem allgemeinen Geſez, das ben NRächften zu lieben ge
bietet, wie fich ſelbſft. Vermoͤge diefes Gebotes betet er zum
Pater für uns und befondersd für die, die ihn lieben, und
vermöge feiner Gerechtigkeit kann feine Yürbitte, da er nichts
will oder thut, ald was er wollen und thun fol, nicht un
erhört bleiben. Durch diefe Yürbitte erlöst er die, Die unter
dem Geſeze flunden, aber durch das Geſez nicht felig werden
fonuten, und ergänzt durch fein Verdienſt, wozu unfer Ber
dienft nicht zureicht. Dadurch erweist fich feine Heiligfeit in
ihrer eigenthümlichen Größe, daß fie nicht bloß zu feiner,
fondern auch zu Anderer Beſeligung zureiht %). Wbälarb
cata per poenitentiae gemitum, de quo dieitur: Quæ-
cunque hora peccator ingemuertit. Quia priu-
quam ei vere displicet iniquitas, et omnis mala eju
voluntas abscedit: jam ita est Deo peccator reconeilia-
tus, ut a gehennae poenis sit liberatus, nec unguam ge-
hennam incurrat, st in hoc gemitu. moreretur , paratu:
ad omnem, quam posset, salisfactionem. Tune auten
tecta sunt peccala, quando in hoc seculo satisfactio
ssequitur. @uae quidem satisfactio et purgatorias extin-
quit seculi alterlus poenas, cum prius poenitentia pos-
nas deleverit damnatorias et gehennales. Tunc ergo te-
ta sunt ante oculos judicis peccata, quando nec pro ds
nihil videt, quod puniat. Eine satisfactia ik demnach
zwar auch nach Abälard nothwendig, aber diefe sutisfacte
iſt wefentlich verfchieden von dem Anfelm’fchen Begriff der
satisfactio, daher if fie auch Feine abfolut nothwendige,
indem der Menſch an ſich ſchon durch die Reue auch ohne
die nachfolgende satisfactio mit Gott verfähnt iſt.
1) Sed et hoc, fo lautet diefe zur richtigen und, vollkändigen
Auffaſſung der Abaͤlard'ſchen Lehre nicht zu überfehende
Beter Abälard. 197°
HL auf dieſe Weife bie göttliche Gerechtigkeit mit ber göttli-
en Gunade und Barmberzigfeit ausgleichen, allein die Ge⸗
tigkeit bleibt auch fo in einem: fehr untergeordneten Ber-
itniß zur Gnade, da die Meinung Abälard’s nicht dahin
ht, Chriſtus habe ber göttlichen Gerechtigkeit dadurch ge-
nggeihan, daß er an der Stelle der Menichen das göttliche
jeſez erfüllte, und fein Verdienſt auf die Menfchen überger
Stelle ©. 590., ni. fallor, contuendo nobds Apostolus reli-
guit (Röm. 5, 12.f.), Deum in incarnatione filii sul Id
quoque sibi machinatum fuisse, ut non solum misericor-
dia, verum et justitia per eum subveniret peccantibus,
. et ipsius justitis suppleretur, quod delictis nostris prae-
pediebatur. Cum enim fillum suum Deus hominem fe-
cerit, eum profecto sub lege constjtuit, quam jam com-
munem omnibus dederat hominibus. Oportuit itaque ho-
minem illum es» praecepto divino posimum tanquam se
diligere, et in nobis cariiatis suae grallam ewercere,
tum instruendo, tum pro nobis orando. Praecepto ita-
que divino et pro nobis, et mazime pro dilectione el ad-
haerentibus orare cogebatur, sicut in evangelio Palrem
saepissime interpellat pro suls. Summa vero justitia
ejus exigebat, ut in nullo ejus oratio repulsam sustine-
ret, quem nihil, nisi quod oportebat, velle vel facere uni-
ta ei divinitas permittebat. Nun folgen die Stellen Gal.
4,4. Ebr. 5,7. Homo itaque factus lege ipso dilectio-
nis proximi constringitur, ut eos, qui sub lege erant,
nec per legem poterant salvari, redimeret, et quod in
nostris non erat merltis, ex suls suppleret, et sicut san-
eittate singularis estitit, singularis fieret utilitate in
aliorum etiam salute. Alioquin quid magnum sanctilas
ejus promeretur, si suae tantum salvation! non alienar
sufficeret? Nunquid Adam obediendo se ipsum salasset,
quod unusquisque etiam sanctorum per gratiam Dei ob-
ünet? Multo plus aliquid in illo stngulari justo divina
gratia operart debuit. Non sunt etiam copiosae poten-
: Üs divitiae, quae alios ditarse non sufficiunt.
—X
18 | L. Per. IL Abſchn. 2. Rap.
sagen wurde, ſondern feine Behauptung iſt nur, Chriſtus
fey, vermöge feiner moralifchen Vollkommenheit, in einem
folhen BVerhältniß zur Gerechtigkeit Gottes geftanben, daß
alles, was er von Gott erbat, auch einen Innern Rechtsan⸗
ſpruch auf die Gewährung hatte. Das Vermittelnde ber
Erlöfung und Berföhnung ift die Kürbitte Chriſti, biefe Fuͤr⸗
bitte wäre ohne Kraft und Erfolg gewefen, wenn Chriftus
nicht der abfolut Gerechte, der dem Geſeze Gottes vollfom-
men Entiprechende geweien wäre. Dieß kann aber nur fo
verftanden werben, baß, wenn auch Die Sündenvergebung
und die Verföhnung des Menfchen mit Gott nur ein freie
Act der göttlichen Gnade feyn Tann, fie Doch zugleich auf
eine Weiſe vermittelt werden muß, bei welcher bie Angemeſ⸗
fenheit des menfchlichen Verhaltens zur Heifigfeit und Geredh⸗
tigfeit Gottes, als abfolute Forderung, fih geltend macht,
d. b. fie kann’ nur durch einen gottmenfchlichen Erlöfer ver,
mittelt werden, in welchem ſich die dem göttlichen Gefez an
gemeflene abfolute Heiligkeit und Gerechtigfeit darſtellt. Hätte
alfo Gott nicht in Einem wenigftend, dem für diefen: Zwed
menfchgeworbenen Sohn, die abjolute Erfüllung des Geſezes
angefchaut, fo wäre ein dem Werfe ber Grlöfung entgegen
ftehendes Misverhältniß ber göttlichen Gerechtigkeit zur goͤtt⸗
lichen Gnade geweſen. Hiemit wäre das auf die Idee ber
göttlichen Gerechtigkeit fich beziehende Moment. der Erlöfung
und Verföhnung fehr beftimmt anerfannt, allein Abälard ſelbſt
hat ed doch mehr nur angedeutet, als näher entwickelt, und ed
kann daher aud in bem ganzen Zufammenhang feiner Thee-
rie nur in einer untergeordneten Beziehung zu jenem andern
Moment ftehen, welches das Hauptgewicht auf die Liebe legt,
welche, wie fie allein durch Chriftus, als Erlöfer, gewelt
werden kann, fo auch allein dem Menfchen die ihn für bie Sün-
benvergebung empfänglich machende fittliche Difpofition gibt ').
1) Sanz unrichtig hat F. Ch. Schloffer: Abälaed und Dulein.
Peter Abälard. 18
Wie an mehreren andern Lehren bed Firchlichen Syſtems,
> ftellt fi und auch an ber Lehre von der Grlöfung der
. Gotha 1807. ©. 171. die Abaͤlard'ſche Lehre von der Ei»
[dfung aufgefaßt. Schon dieß IR unrichtig‘, daß Abaͤlard
nurnoch der Lehre des Apoſtels Paulus die An»
eignung des Verdienſtes Chriſti, als die Bedingung, unter
‚welcher die Gnade dem abgefallenen Menfchen verfprochen
%
werde, betrachtet wilfen wolle. In der That laffe fich, wird
weiter behauptet, die Lehre des Apoftels mit Wbälards Sy⸗
ſtem nicht vereinigen, und es laſſe fich Eeine in fein Syſtem
paflende Antwort auf die Zweifel gegen die Satisfactions⸗
lehre geben. Seine Beantwortung der Frage, wie der Tod
Jeſu die Bedingung der Begnadigung des Sünders fey, fey
Daher auch natürlich durchaus nicht gemacht, um jene Lehre
Pauli zu rechtfertigen, fondern zeige fich leicht als gezwun⸗
gen, wie die von Abälard anfgeworfenen Zweifel bemweifen.
Auf alle diefe Einwürfe antworte Abälard durchaus nichts,
und laffe alfo unbeſtimmt, ob er darauf antworten koͤnne,
oder ob er die Einwürfe für unaufldslich halte, und fie nur,
um den Vorwurf der Kegerei zu entgehen, als Fragen elle.
Das letztere fcheine das mwahrfcheinlichkie, weil feine Lehre
. von dem Zwed Jeſu auf Erden fih mit einer Satisfaetions⸗
Ichre nicht vertrage. Mit welchem Recht nimmt aber Schlof-
fer an, daß die paulinifche Xehre vom Tode Jeſu eine Sa-
tisfactiondlehre, wie die Anfelm’fche, IR? Die obige Ent:
widlung zeigt Mar, wie alle von Abälard aufgeworfenen
ragen, die Feineswegs als Einwürfe gegen eine fchon gel:
tende Satisfactionslehre zu nehmen find, durch feine Erlös
fungstheorie von felbfi geldst find. Nur wenn man von der
paulinifchen Lehre felbf eine unrichtige Vorftellung hat, kann
man die Abälard’fche in fo großem Widerfpruch mit ihr fin
den. Wenn aber doch, wie Echloffer felbft fagt ©. 174.,
nach Abälard Erweckung von Liebe und Hoffnung der einzis
ge Zweck des Todes Jeſu, und diefer Tod die einzige Bes
dingung zur Seligkeit war, meil ohne diefe Sefinnung kei:
ne Tugend gedacht werden kann, fondern jede Tugend nur
Klugheit iſt, fo fehlt, um dieß als vaulinifch anerkennen zu
200 1. Ber. II. Abichn. 2. Kay.
Conflikt dar, in weldyen das als neuerungsfüchtiger Ratio-
nalismus ericheinende dialektifchsfpefulative Streben eines Abaͤ⸗
lard mit der traditionellen kirchlichen Orthoborie kam, wie dies
felbe insbefondere durdy Bernhard von Clairvaur, den be
kannten Gegner Abälards, repräfentirt wurde. Inter den Irr-
lehren, wegen welcher Bernhard als Anfläger Abaͤlards an
den Papft fich wandte %), war eine der wichtigereit- Die Be⸗
hauptung Abälards, daß der Teufel feine Gewalt über den
Menſchen und Fein Recht auf ihn gehabt habe. Es fchien
ihm dieß eine höchſt gefährliche Abweichung von Der herge
brachten Lehre zu feyn, über welche doch, wie Abälard feihk
anerkennen müfle, alle früheren Lehrer ganz einftimmig feyen,
und er konnte es fich nicht anders denken, ald daß das Werk
ber Erlöfung alle Realität verlieren müfje, wenn man nidt
in demfelben die Ueberwindung einer ben Menfchen äufſerlich
gefangen haltenden feindlichen Gewalt vorausfehe 2). Aber
müffen, nur der Glaube. Den Glauben aber hat Abälard
keineswegs ausgefchloffen. Ex fide, fagt Abälard zu Röm.
5, 22. quam de Christo habemus, caritas in nobis est
propagata, quia per hoc, quod tenemus, Deum in Chri-
sto nostram naturam stbi unisse, et in ipso patiendo
summam illam caritatem nobis exhibulsse, de qua ipse
ait: majorem hac dilectionem nemo habet,
tam Ipst, quam proximo propter ipsum Insolubili amo-
ris nevu cohaeremus — justitiä, dico, habitä supra om-
nes fideles, t.e. in superiort eorum parte, i. e. antma, ubl
tantum dilectio esse potest, non exhibitione operum exte-
rlorum. Man vgl. auch Veander: Der heil. Bernhard und
fein Zeitalter 1813. ©. 148. f. wo jedoch die Lehre Abälards
über die Erlöfung gleichfalls nicht genau dargeſtellt if.
1) Vgl. Epist. CXC., seu tractatus contra quaedam capi-
tula errorum Abaelardi äd Innocentium II. Pontificem
(vom J. 1140). In der Mabillon’fchen Ausgabe der Werke
Bernhards Paris 1719. Vol. J. ©. 650. f.
2) C.5.: Mysterium nostrae redemtionts sicut in libro quo-
“
ur
Bernhard von Clairvaux. U
auch Bernhard wagte e8 nicht, die Gewalt, welche der Teu⸗
fel über den Menſchen ausübte, eine ſchlechthin gerechte zu
nennen, ba dem Teufel Fein gerechter Wille beigelegt werben
Eönne, ſoweit fie gerecht war, fey fie es daher, behauptete
er, nur durch Die Zulaffung Gottes gewefen. Die Erlöfung
bes Menfchen ſey ein Werk der göttlichen Barmherzigkeit,
aber auch die. göttliche Gerechtigkeit habe fich darin geoffen-
bart, indem auch dieß als ein Beweis der göttlichen Batm⸗
berzigfeit anzufehen fey, daß Gott den Teufel mehr nad) ſei⸗
ner Gerechtigkeit, als nach feiner Macht behandelt habe. Der
Menſch für fih, ald Sklave der Sünde, babe nichts. thun
können, bie verlorene &erechtigfeit wieder zu gewinnen, deß⸗
wegen ſey ihm, da er felbft Feine Gerechtigkeit hatte, eine
. dam sententiarum Ipstus (man vgl. über diefe Schrift Giefeler
in den theol. Stud. u. Krit. 1837. ©. 366. f.) et dtem In qua-
dam ejus expositioneepistolae ad Romanos legi, temerarius
serutator majestatis, aggrediens in ipso statim suae dispu-
‘ tationis exordio, ecclesiasticorum doctorum unam omnium
de hac.re dicit esse sententiam et ipsam ponit ac spernit,
et gloriatur se habere meliorem, non veritus contra prae-
ceptum‘ Sapientis transgredi terminos antiquos, quos
posuerunt Patres nostri. — Sclendum est, ait, quod om-
nes doctores nostri "Post Apostolos in hoc conveniunt,
quod diabolus etc. sed ut nobis videtur, ait, nec diabolus
unquam etc. — Quid in his verbis Intolerabilius judicem,
blasphemiam an arrogantiam? quid damnabilius teme-
ritatem an impietatem? An non justius os loquens talia
fustibus tunderetur, guam rationibus refelleretur ? — Om-
nes, inquit, sic, sed non ego sic. Quid ergo tu? — Die
tamen, dic quidquid tllud est, quod tibt videtur, et nulli
alteri. An quod filius Dei non, ut hominem liberaret,
hominem induit? — Quod minime negares et tu, si nom
esses sub manu intmict. Non potes gratias agere cun
redemtis, si redemtus non es. Nam si redemtus esses,
redemtorem agnosceres, et non negares redemtionem.
Nec quaerit redimi, qui se nescit captivum. _
ad:
200 1. Ber. Ir 2. Rap.
lard mit d F ER befonderö hervor, daß CHriftus
jelbe ine a 2 vouder genug gethan habe *). &
Eannter —— —
lehrer Zr
den an Aubolum non solum potestalem, sed et ju-
be — —— hominem, ut consequenter et hoc vi-
ln utique in carne Dei fillum propter liberan-
An Ceterum etsi justam dicimus diaboll pe-
non tamen et voluntatem. Unde non diabolns,
* non homo, qui meruit, sed justus dominu,
* Aposuit. Non enim a potestate sed a voluntate ju-
zus injustusve quis dicitur. Hoc ergo diaboli quoddam
pP Me ominem Jus, etst non jure acquiſsttum, sed nequiter
usurpalum, juste tamen permissum. Sic itaque homo ju-
ste captivus tenebatur, ut tamen nec in homine nec fa
diabolo illa esset justitia, sed in Deo. Juste igitur ho-
mo addictus, sed miserlcorditer Üiberatus, sic tamen mi-
sericorditer, ut non defuerlt justitia quaedam et In tp-
sa liberatione, quoniam hoc quoque fuit de misericor-
dia liberantis, ut (quod congruebat remedits liberandi)
Justitia magts contra Invasorem, quam potentia utere-
tur. Quid namque ex se agere poterat, ut semel amls-
sam justitiam recuperaret, homo servus peccatt, vinctus
diaboli? Assignata est ei proinde allena, qui caruit
sua, et tpsa sic est. Venit princeps hujus mundt, et in
salvatore non invenit quicquam, et cum nihilo minus in-
nocenti manus Injecit, justissime, quos tenebat, amisit,
quando is, qui morti nthil debebat, accepta mortis in-
Jurta, jure illum, qui obnozius erat, et mortis debito,
et diaboli solvit dominio. Qua enim justitia Id secundo
homo exigeretur? Homo siquidem, qui debutt, homo
qui solvit. Nam si unus, inquit (2Kor. 5, 14.) pro om-
ntbus mortuus est, ergo omnes mortut sunt, ul
videlicet satisfactio unius omnibus imputetur, sicut om-
nium peccata unus ille portavit, nec alter Jam Invenla-
tur, qui forefecit (i. e. peccavit), alter, qui satisfecit, quia
Bernhard von Claitvaux 203
ſehr aber Bernharb Hierin, was die Gewalt des Teufels be
trifft, eine BVorftelung feftzuhalten fuchte, über welche das
Bewußtſeyn der Zeit nicht blos in einem Abälarb, fondern
auch in in einem Anfelm binausgehen anfing, fo beadhteng-
werth ift auf der andern Seite, wie er auf den nothwendi⸗
gen Zufammenhang hinwies, in welcher die Lehre von ber
Stlöfung mit der Lehre von ber Sünde fiehe.. Se leichter
man. das Werk der Erlöfung gefcheben läßt, je weniger da⸗
der auch das Hauptmoment In die genugthuende Bedeutung
des Todes gelegt wird, defto geringer it auch die Vorftellung
von dem Zuftande der Sündhaftigfeit, aus welchem die Men-
Seien erlöst werden follen. In der Anfelm’fchen Theorie fteht
die obfective Unendlichkeit der Schulb in bem angemeffenen
Berhältniß zu der objectiven Unendlichkeit ber Genugthuung.
Wbälard dagegen Fonnte die Sündenvergebung auch deßwe⸗
ga um fo mehr ald einen Aft der freien Gnade Gottes be-
achten, weil er, ohne eine Erbfünde anzuerfennen, den Be⸗
griff der Sünde nur auf die actuelle Sünde beichränfte.e Wie
nahe lag dann aber auch, das ganze MWerf der Erlöfung
darch Chriftus nur auf den pelagtanifchen Begriff ber Gnade
wrüdzuführen? Dieß iſt es, was Bernhard in der Lehre
: Wälaxds fhon deßwegen vorausfeßen zu müflen glaubte,
Beil er neben ber in dem Tode Chrifti fich erweifenden Wiebe
beſonders auch feine Lehre und. fein Beifpiel hervorhob. Da
“enun auf der einen Seite weder dem pelagianifchen Begriff .
Wälards von der Sünde beiftimmen Eonnte, noch auf der
. bern, wie ed fcheint, den Anfelm’jchen von Der mit der
Eande verbundenen objectiven Unendlichkeit der Schuld ihm
. lgegenzufegen wagte, jo war ed für ihn Bebürfniß, ber
Nacht, welche die Suͤnde über den Menfchen ausübt, durch)
‚De Idee des den Menſchen gefangen haltenden Teufeld ein
| caput et corpus unus est Christus. Satisfecilt ergo ca-
put pro membris, Christus pro visceribus suis.
x
DM L. Ber. U. Abſchn. 2 Kap.
befondered Gewicht zu geben. So behauptete biefe Borftel-
dung, als mythiſches Bild von der Macht der Sünde, und
‚der Unfähigkeit des Menſchen fich jelbft zu erlöfen, obgleich
zwiſchen Bild und Sache noch nicht unterfchteden wurde, noch
immer ihre Bedeutung für das religiöfe Bewußtſeyn N.
1) A. a. D. c. 8. und 9.: Salus — non sicut Iste sa-
pit et scribit, sola carltatis ostensio. Sic entm comck-
dit tot calumnlas et Invecliones suas, quas in Deum tam
impie quam Imperite evomult, ut dicat: Totum esse, ud
Deus in carne apparuit, nostram de verbo et exemple
ipstus insſtitutionem, sive, ut postmodum dieit, insirue-
tionem, totum, quod passus et mortuus est, suae erge
nos caritatis ostensionem vel commendalionem. Ceterum
quid prodest, quod nos instituit, si non restitult? Au ;
numgquid frustra instrulmur, si non prius destruater
in nobis corpus peccatt, ut ultra non servlamus peccalo!
St omne, quod'profuit Christus, in sola fuit ostensione -
virtutum, restat, ut dicatur, quod Adam quoque ex sol
peccati ostensione nocuerit, st quidem pro qualitate wl-
: neris allata est medicina. — Si vita, quam dat Chri-
stus, non est alia, gquaminstitutioejus, necmors ulique quam
dedit Adam, aliaertt similiter, quam institutio ejus, ut üle
guidem ad peccatum exemplo suo, hic vero exemplo et verio
ad bene vivendum, et se diligendum homines informarent.
Aut si christianae fidei et non haeresi Pelagianae arc-
quiescentes generatione, non institullone , traductum in
nos confitemur Adae peccatum, et per peccatum mor-
tem, fateamur necesse est, et a Christo nobis non in-
stitutione, sed regeneratione restitutam justitiam el per
justitiam vitam. — Et st ita est, quomodo is dicit:
consilium et causam incarnaltionis fuisse, ut mundum
luce suae sapientiae Ülluminaret, et ad amorem sum
accenderet? (Diefe legtern Worte finden fich in der ge
nannten Schrift Abälards wenigſtens nicht wörtlich.) U
ergo redemptio? A Christo nempe, ut faterl dignatur,
illuminalio et provocatio ad amorem, redemptio et libe-
ratio a quo? — Et quidem tria quaedam praecipua in
Robert Bulleyn 205
Gleichwohl fihloß fich ‘gerade der von Bernhard von
lairvaur wegen ber Reinheit feiner Lehre gerühmte Robert
slfeyn-*) ‘ganz an bie Polemik Abälard’s gegen diefe Vor⸗
Hung an. Der Erlöfer babe, lehrte Pulleyn, leiden wol«
n, theils weil folched unferer Erlöfung wegen nothwendig
ar, ob er und .gleich auch auf eine andere Weife hätte er⸗
fen konnen, theild um uns ein Beifpiel zu geben, wie wir
e Leiden dieſes Lebens mit Standhaftigfeit und Gebuld ers
agen follen, damit wir und nicht fürchten, um unſers Heild-
Uen alles das zu erbulden, was er für andere und zu ih⸗
um Beten erduldet hatte. Gin Löfegeld habe Chriftus für
Hoc opere nostrae salutis intueor: formam humilitatis,
is qua Deus "semetipsum exinanivit: caritatis mensu-
ram, quam usque ad mortem et mortem carnis exten-
‚ Mit, redemptionis sacramentum, quo ipsam mortem,
.. gsam pertulit, sustinult. Horum duo priora sine ulti-
mo sic sunt, ac si super inane pingas. Webrigens be»
kannte Abälard;, wie er ja auch fchon nach dem Dbigen die
von dem Teufel auf den Menichen ausgeübte Gewalt nichs
ſchlechthin Läugnete, in der Apologia oder Confessio, durch
welche er fich gegen feine Ankläger rechtfertigte (Opp. ©. 330.):
solum fillum Det incarnatum profiteor, ut nos a servi-
tute peccati et a jugo Niaboli liberaret, et supernae adi-
tum vitae morte sua nobis Teseraret.
1) In den Sententiarum libri VIII. Vgl. den Auszug Era⸗
mers in der Sortfegung der Boffuet’fchen Einleitung in bie
Gelch. der Welt und der Rel. Th. Vi. ©. 490.f. Quld
peccavi, fchreibt Bernhard Ep. 205. im J. 1141. an ben
Bifchof von Nochefier, sd monul, Magistrum Robertum
Pullum aliquantum tempus facere Paristus, ob sanam
doctrinam,. quae apud illum esse dignoscitur. Welche
Rolle übrigens auch Robert den Teufel in dem Werke der
" Erlöfung fpielen ließ, beweist die eigene Vorftellung, ber
Zraum der Gattinn des Pilatus fey ein Verfuch des Teu⸗
feld gewelen, das Leiden und den Tod Jeſu zu verhindern.
26 L Ber 2: Abſchn. 2. Rap.
uns, die wir vom Satan gefangen gehalten wurden, zwar
bezahlt, aber nicht, wie von einigen ältern Lehrern geträumt
worden fen, und noch von einigen geträumt werde, dem Teu⸗
fel, damit er gleichfam Tein Recht hätte, fich zu beklagen, daß
ihm feine Gefangenen widerrechtlich entriffen worden ſeyen,
denn er babe Fein Recht gehabt, uns in jeiner tyrannifchen
Gewalt zu halten. Dieß habe Ehriftus nicht thun Tönnen,
weil er Bott war. Die Bezahlung eines folchen Löſegelds
. an ben Teufel, welcher dafielbe. nicht angenommen haben win
de, würde eine Abgötterel geweſen feyn. Hieraus folgete
Pulleyn, wie früher Gregor von Nazianz, daß Chriftus nur
Gott ein Löfegeld für und bezahlt, und ihm fein Opfer bar
gebracht habe, wofür er dann, ‚wegen bes göttlichen Wohl
gefallens an demfelben bie Menfchen aus ihrer Gefangenicaft |
erlöst, und ihren Widerfacher, ben Teufel, gebemüthigt habe.
Abälard bildet, wie auch die Bolemif Bernhards zeigt,
unter den oben genannten drei Scholaftifern, den unmittel⸗
barften Gegenfag gegen Anfelm. Beide repräfentiren überhaupt
aud) in der Lehre von der Erlöfung und Verföhnung Anfld
ten, beren Gegenſatz fich durch bie ganze Entwidlung de;
chriſtlichen Dogma's hindurchzieht. Hugo von St. Bider
und Beter der Lombarde ftehen zwar mit Abälard aufbe
Anfelm entgegengefehten Seite, fie neigen fich aber Doch zus
gleich wieder zu der von Abälard beftrittenen Lehrweiſe hin,
fo daß fie überhaupt zwifchen Anfelm und Abälarb vermit-
telnd ftehen.
Am meiften fällt dieß bei Hugo von St. Victor in bie
Augen, in deſſen Darftellung ber Lehre von der Grlöfung
fi. drei verfchiedene Elemente unterfcheiden laſſen. Er zieht
mit Bernhard und den Altern Sirchenlehrern vor allem bad
Verhältniß in Betracht, in welchem die Erlöfung zum Teufel
fteht. Der Teufel, fagt er, hatte Gott beleidigt, weil, er ben
Menfchen, feinen Knecht, verführte, der Menſch Gott, weil
er fich verführen ließ, der Teufel den Menfchen, weil er ihn
}
!
r
Hugo von St. Bictorn 207
täufihte. Der Teufel hält den Menfchen in feiner Gewalt,
in Beziehung auf Bott mit Unrecht, in Beziehung auf ben
Menfchen, theils. mit Recht, weil diefer fich nicht nothwen⸗
big verführen laffen mußte, theild mit Unrecht, weil ber Teus
fel ihn Hinterging. Hier greift nun aber ſchon die Anſelm⸗
ſche Satisfactionstheorie ein. Da nämlih der Menſch aus
der Gewalt des Teufels fich felbft nicht befreien konnte, fo
mußte Sott fich feiner annehmen, gleichſam als patronus
feine Sache gegen ben Zeufel führen. Gott war aber auf
den Menfchen felbft erzärnt, mußte folglich erft verfühnt wer⸗
den. Dieß Tonnte nur dadurch gefchehen, daß ber Menſch
Bott als Schadenerfag für den Abfall eine vollfommene Ges
rechtigkeit darbrachte, und als Genugthuung für die ihn be=
wieſene Berachtung eine derfelben adäquate Strafe litt. Bei⸗
des Tonnte wiederum ber Menſch in feinem Unvermögen und
in feiner unendlichen Verſchuldung nicht ſelbſt. Gott mußte
.& alfo thun, nnd ba es doch immer nur vom Menfchen
ausgehen fonnte, fo mußte Gott felbft Menfch werden. So
iM denn in der Geburt Chrifti der vollfommen gerechte Menſch,
von Gott felbft der Menfchheit aus Gnaden gefchenft, Gott
dargebracht worden, und in feinem Leiden und Tode ihm für
die Schuld der Menfchen die adäquate Genugthuung gefches
ben, und der dadurch verfühnte Gott kann nun erft die Sa-
he der Menfchen gegen den Teufel führen, ihn aus beffen
Gewalt befreien wollen %). Die Berüdfichtigung ber Anfelm«
1) De sacram. c. 4.: Dedit Deus gratis homint, quod ho-
mo ex debito Deo redderet. Dedit igitur homint' homi-
nem, quem homo pro homine redderet, qui ut digna re-
compensatio fieret, priori non solum aequalis, sed ma-
jor esset, Ut ergo pro homine redderetur homo major
homine, factus est Deus homo pro homine. — Chri-
stus ergo nascendo debitum hominis patri solvit, et mo-
riendo reatum hominis expiavit, ut cum ipse pro homi-
ne mortem, quam non debebat, sustineret, juste homo
8 Ber. 1. Abſchn. 2. Kap.
fchen Theorie . läßt fich Hier nicht verfennen. Bon ber An⸗
felm’fchen Seite neigt ſich nun aber Hugo auch wieder zur
Abälardfchen hinüber. Wir befennen dabei, fagt er, in Wahrs
beit, daß Gott die Erlöfung des Menichengefchlechts auch
auf andere Weife hätte bewerfftelligen können, wenn er ges
wollt hätte, daß aber gerade diefe unferer Schwachheit bie
angemefienfte war. Gott ward Menſch, nahm für den Men-
hen die menfchliche Sterblichkeit an, um ihn zur Hoffnung
feiner Unfterblichfeit zurüdzuführen, fo daß ber Menſch mm
nicht mehr zweifeln durfte, zur Seligfeit deſſen auffteigen mu
fönnen, ber zu ihm und zu feiner Unfeligfeit herabgeftiegen
war, und die durch Gott verklärte Menfchheit ben Menſchen
ein Beifpiel ihrer einfligen Verklärung wäre, daß fie in
dem, der gelitten hatte, fähen, was fie ihm: wieder zu erwei⸗
fen ſchuldig wären, in dem Berherrlichten aber erwägten,
was fie von ihm zu hoffen hätten, daß er felbft wäre ber
Weg im Beifpiel, die Wahrheit in der Verheißung und bad
Leben in der Belohnung *).
Wie fhon Hugo von St. Victor der altern Vorſtellung
treuer blieb, als Anſelm und Abälard, fo ſcheint dieß noch
mehr bei Peter dem Lombarden der Fall zu feyn, bei wel⸗
chem und ja, wie ſchon gezeigt worden tft, fogar die alle
propter tpsum mortem, quam debebat, evaderet, et jam
locum calumniandi diabotus non inventret, qula et ipse
homint dominari nom debuit, et homo liberari digms
fuit.
1) A. a. D. Cap. 10.: Vt in Deo humanltas glorificata ei-
emplum esset glorificatiomis hominibus; ut in eo, yıl
passus est, videant, quid ei retribuere debeant, in e0
autem, qui glorificatus est, considerent, quid ab eo de-
beant exspectare; ut et ipse sit via in exemplo, et ve-
ritas in promisso, et vita In praemio. — Bgl. A. Lieb:
ner: Hugo von St. Victor und die theologifchen Michtun:
gen feiner Zeit. 1832. ©. 417.f.
Ä
[
Petrus Lombardug. 209
Scene von ber Ueberliftung des Teufeld wieder begegnet. Wie
hätte fie auch bei ihm fehlen Eönnen, wenn er Doch als ber
Bater der Sentenzen die Aufgabe hatte, alle in der Kirche
geltend gewordenen Lehrmeinungen in feinem Werke zufams«
menzuftellen? Allein näher betrachtet fteht doch der Lombarbe
weit mehr auf der Seite Abälards ald Hugo. Es’ gibt un«
ter den auf Abälard folgenden Scholaftifern faum einen ans
bern, welcher das pſychologiſch ſittliche Moment des Todes
Chriſti fo fehr hervorhob, wie Beter der Lombarde. Wie
Abaͤlard fieht auch er in dem Tode das Unterpfand der höch⸗
ſten Liebe Gottes gegen die Sünder, das uns zur Liebe Got⸗
te8 erwecken muß. Die rechtfertigende und verföhnende Kraft
des Todes Chrifti befteht Daher darin, daß er eine Liebe in
iv und wedt, die uns von der Sünde befreit. Die Liebe
Gottes felbft aber gegen die Menfchen ift eine völlig freie,
die zu ihrer Wiederherftellung nicht erft eines genugthuenben
Altes bedarf, da Gott nie aufhörte, die Menfchen auch als
Sünder zu lieben. Verſöhner und Mittler ift daher Chris
Aus, nur fofern er das auf der Seite der Menfchen ftattfin«
dende Hindernig eines gottgefälligen Verhältniffes hinweg⸗
träumt, die Sünde, die den Menfchen zu einem Feind Got⸗
8 macht *). Diefes Moment, die Befreiung von ber Suͤn⸗
1) Sent. Lib. III. Dist. 19. A.: Nunc ergo quaeramus, quo-
modo’per mortem tpsius a diabolo et a peccato et a poe-
na redempti sumus A diabolo ergo et a peccato per
Christi mortem liberati sumus, quia, ut ait apostolus,
in sanguine ipsius justificati sumus, et in eo, quod su-
mus justificati, id est, a peccatis soluti, a diabolo su-
mus liberati, qui nos vinculis peccatorum tenebat. Sed
quomodo @ peccatis per ejus mortem soluti sumus? Qula
per ejus morlem, ut ait apostolus, commendatur nobis
caritas Dei, id est, apparet esimia et commendabilis
caritas Dei erga nos in hoc, quod fillum suum tradi-
dit in mortem pro nobis peccatoribus. Esxhibita autem
Baur, bie Lehre von der Berfühnung. 14
7
210 1. Ber. IL Abſchn. 2. Kap.
de, ift bei Peter, dem Lombarden, fojehr das Ueberwiegende,
das man beinahe glauben möchte, ex wolle bad von demſel⸗
tantae erga nos dilectionis arrka et nos movemur, ac-
eendimurgue ad diligendum Deum, qui pro nobis taste
fecit, et per hoc justificamur , id est, soluti a peccatis,
Justt effictmur. Mors ergo Christi nos justificat, dum
"per eam carltas esxcitatur in cordibus nostris. Did-
mur quoque et aliter per mortem Christi jJustificart, qua
per fidem mortis ejus a peccatis mundamur. — Si age
rectae fidel intuttu in illum respicimus, qui pro nes
pependit in ligno, a vinculis diaboli soldimur, id ei,
.a peccatis. — F. Reconciliati sumus Deo, ut ait ape-.
stolus, per mortem Christi. Quod non sic Intelligendum
est, quasi nos et sic reconciliaverit Christus, ut Inciperd '
amare, quos oderat, sicut reconclliatur inimicus intmi-
co, ut deinde sint amiel, qui ante se oderant, sed jam
nos diligentt Deo reconciliati sumus. Non enim ex qw
ei reconciliatt sumus per sanguinem filil, nos coepit di
gere, sed ante mundum, priusquam nos aliguid ess-
mus. Quomodo ergo nos diligentt Deo sumus recond-
Hatt? Propter peccatum cum eo habebamus inimicitia,
qui habebat erga nos caritatem, etiam cum inimicitia _
exercebamus adversus eum, operando iniquitatem. Its
ergo inimici eramus Deo, sicut justitiae sunt inimica
peccata, et ideo dimtssis peccatis Tales tnimieitiae fr
niuntur et reconciliantur justo, quos tpse justificat. Chri-
stus ergo dicitur mediator eo, quod medius inter Deum
et: komines ipsos recomclliat Deo. Reconciliat autem,
dum offendicula hominum tollit ab oculis Dei, id es,
dum peccatadebet, quibus Deus offendebatur, et nos inimici
ejus eramus. Warum if aber nur der Sohn der Mittler,
nicht auch der Vater und Geil? Aeconeiliavit nos tota
trinitas virtutis usu, sellicet dum peccata delet, sed fi-
!tus solus impletione obedientiae, in quo patrata sunt
secundum humanam naluram ea, per quae credentes et imi-
tantes justificantur. Daher ift Chriſtus Mittler ganz befonders
Petrus Lombarbue. 211
mausdrücklich unterſchiedene und vorangeſtellte, bie Be⸗
kung vom Teufel, darauf zurüdführen, indem er mit be⸗
berem Nachdruck hervorhebt, wir feyen vom Teufel befreit,
ern wir von der Sünde befreit find, die Bande, mit wel⸗
r uns ber Teufel gefangen halte, feyen Die Bande der Sünde,
riſtus habe als der Stärkere ben Starken in feinem Haufe das
ch gebunden, daß er unfere Herzen, in welchen er wohn⸗
für fih gewann und die Macht der Sünde brach. Die
acht, die der Teufel über die Menfchen ausübt, ift dem⸗
qh nichts anders, als die Macht der Sünde, was und von
er befreit, befreit und auch von jener, die durch den Tod
heiſti in unfern Herzen entzündete Liebe 9. Ohne Zweifel
nach feiner menfchhlichen Natur. G.: Ipse veniens prius In
se humana sociavit divints, per utriusque nalurae con-
: Junctionem in una persona. Deinde omnes fideles per
mortem reconciliavit Deo, dum sanati sunt ab impieta-
te, quicungue humilitatem Christi credendo dilexerunt,
et diligendo imitatt sunt.
DU. a. O. A.: Licet nos tentet (diabolus) post Christi
mortem,, quibus modts ante tentabat, non tamen vince-
re potest, stcut ante vincebat. Nam Petrus, qui ante
Christi mortem voce ancillae territus negavit, post mor-
tem ante reges el praesides ductus non cessit. Quare?
Quia fortior, id est, Christus ventens in domum fortis,
id est, in. corda nostra, ubi diabolus habitabat, alliga-
sit fortem, id est, a seductione compescuit fidellum, ut
tenlationem, quae ei adhuc permiittitur, non sequatur
... seduetie, Itaque in Christi sanguine, qui soleit, quae
‚nen rapuit, redempti sumus a peocato, et.per hoc a
diaholo. — Non enim tenebat nos, nisi binculis peccato-
rum. nostrorum, istae erant catenae captivorum. Venit
üle, alligavit fortem vinculls passionis suae, Intravit In
domum ejus, id est, in corda eorum, ubi. ipse habita-
bat, el vasa ejus, scilicet nos, ertpuit, quae ille imple-
verat amaritudine sua. Deus autem noster vasa ejus
eripiens et sua faciens, fudit amaritudinem, et imple-
14 *
212 1. Ber. I. Abſchn. 2. Zap.
darf die im Sinne Peter's nicht fo. genommen werden, wie
wenn bie. Befreiung von der Macht des Teufeld nur der un⸗
eigentliche Ausdrud für die Befreiung von der’ Macht der
Sünde wäre, bemerfendwerth bleibt aber Doch dabei inmier
dieß, wie das Aeußere dem Innern untergeorbnet, und in
der Vorſtellung des Teufels jelbft die Macht der Sünde al
Hauptmoment feftgehalten wird. Bon ber Befreiung von
der Macht des Teufeld und der Sünde unterfcheidet Peter
als drittes Moment die Befreiung. von der Strafe, oder vid⸗
mehr von der Schuld %), nad) der richtigen Vorausjehung,
Daß wenn auch der Menfch nicht mehr, wie bisher fünbigt,
doch dadurch die Schuld der früher begangenen Sünden ned
nicht aufgehoben if. Hier hätte nun der Anfelm’fche Sati⸗
factionsbegriff feine Stelle finden koͤnnen. Allein die ‚Ihe |
der. freien Gnade und Liebe Gottes war bei Beter, dem Lom⸗ |
barden, fo fehr die vorherrfchende, daß er auch in Beziehung !
auf die Strafe oder Schuld bei der zwar einfachen, aber auch
unbeftimmten Vorftellung ftehen blieb, Chriftus habe bie
Strafe unferer Sünden an feinem Leibe getragen, und durch 3
feine Strafe am Kreuze bewirkt, daß alle zeitlichen Strafen
ben Befehrten in der Taufe ganz erlaffen, und nach der Taufe
vit dulcedine, per mortem suam a peccatis redimens, d
adoptionem gloriae fillorum largiens.
4) A.: Ita a diabolo liberamur, ut nec post hane vitam in |
nobis inveniat, quod puniat. Morte quippe sua uno ve-
rissimo sacrificio, quidquid culparum erat, unde ne
“ diabolus-ad luenda supplicla detinebat, Christus ezti#-
zit, ut in hac vita tentando nobis nom praevaleat. —
Fuso enim sanguine sine culpa omnlum culparum. chi-
rographa deleta sunt, quibus debitores, qui in eum cre-
dunt, a diabolo ante tenebantur. — GC. Redempti sumss
ex parte, non ex toto, a culpa non a poena, nec omni-
no a culpa: nom enim ab ea sic redempti sumus, ut non
sit, sed ut nom dominetur.
Petrus Lombarbud. 213
ei der Buße vermindert werden 2). Warum bie Vollzie⸗
ung biefer Strafe nöthig war, wenn doch Gott nach feiner freien
uch gegen den Sünder nicht aufhörenden Liebe die Sünden
ergeben konnte, wird nicht erklärt, daß aber der Erlöfer nur
er Gottmenſch feyn Eonnte, gleichwohl behauptet, weil er
(8 bloßer Menfch nicht frei von der Stände geweſen wäre,
nb ohne frei von der Sünde zu feyn, auch den Teufel nicht
itte überwinden Tönnen, ohne die Ueberwindung bes Teu⸗
{8 aber die Befreiung von der Sünde ſowohl, als der Schuld
der Strafe der Sünde nicht möglich war. Auf den Teufel
ſad daher zwar dad Werf der Erlöfung im Sinne der Al
un Borftellung in letter Beziehung zurüdgeführt, die Vor⸗
fung des. Teufels felbft aber iſt, wenn wir die ältere Lehr⸗
eife vergleichen, durch das von Peter befonderd hervorge-
bene fittlihe Moment fo geläutert, daß fte, fo wenig dieß
u Peter bezweckte, im Grunde nur der bildliche Ausdruck
© bie Macht der Sünde, und bie mit der Sünde verbun⸗
me Schuld wird. Daher if auch von einem ben Teufel ge⸗
chenen Löfegeld nirgends die Rebe, fondern vielmehr von
nem Opfer, obgleich auch über den Zufammenhang der
Ipferidee mit der ganzen Theorie nichts beftimmt wird, au=
ee fofern Darauf befonders Gewicht gelegt wird; daß Chris
28, nur weil er alle ©erechtigfeit in fich erfüllte, und bie
ollkommenſte Erniedrigung in ſich darftellte, allein im Stan-
e geweſen ſey, das zu unferer Verſoͤhnung zureichende Opfer
arzubringen 2). Aber auch dieß führt nur auf die Wbälarb-
1) D.: Non enim'sufficeret illa poena, qua poenitentes Hgat
'occlesia, nisi poena Christi cooperaretur, qui pro nobis
solvit.
2) Dist. 18. E.: Decreverat Deus — hominem ad Dei con-
‘ templatiomem non admitti, nisi it uno homine tanta
‚esisteret humllitas, guae omnibus suis proficere posset,
sicut in primo homine tanta fult superbia, quae omni-
214 L Ber I Abſchn. 3. Kap.
ſche Idee zurüd, bag Gott ohne in Dem Menſchen Chriſtus
die vollkommenſte Gerechtigkeit anzuſchauen, Die Suͤnden ber
Menſchen nicht Hätte vergeben können.
Drittes Kapittel.
Bonaventura, Thomas von Aquinum, Duns Seotus.
— Job. Wikliff und Joh. Weſſel.
Mit Petrus Lombardus beginnt die Periode der
matiſirenden Scholaftit und des unendlichen Commentin
über die Sentenzen bes Magifter. Es ift zugleich Die Perie
be, in welcher nun erft das Fragen und Antworten, dad '
Gegenüberſtellen von Thefen und Antithefen, Gründen mb .
Gegengründen, bie Zerſpaltung und Zerſplitterung des Io =
halte des Dogma’s ohne Ziel und Maas in’ Unenblide
fortging. Die freie Bewegung , welche Scholaftifer, wie In
felm und Abälard, auf diejenigen Puncte führte, die für fie
un 5 u kei u 1
"wi
das größte fpeeulative Interefie hatten, ging nun in den
Bus suis nocult. Non est autem inventus inter homina
aliquis, quo id posset implert, nisi leo de tribu Jude,
qui aperuit librum et solvit signacula ejus, Implendo in
se omnem justitiam, id est consummaltisstimam humili-
tatem, qua mujor esse non potest. Nam omnes all
homines debitores erant, et. via uniculque sua virtus suf-
‚ fietebat et humtlitas. Nullus ergo eorum hostiam pole-
rat offerre sufficientem reconciliationi nostrae, Bed
Christus homo suffietens et perfecta fuit hostia. — Qu -
non ita est intelligendum, quasi non alio modo salvare
nos poluerit,. gquam per mortem suam, sed qula per
aliam hostiam non patult nobis aperirt regni aditus,
nisi per mortem unigeniti, cujus tanta fuit humiliias
cl patientia, ut ejus merito pateret credentibus in eum
uditus regnt.
Bonaventura Ä 215
rmalldmus einer foftematiichen Tendenz über, die auf Das
inzelne immer nur im Zufammenhang des Ganzen kommen
fönnen glaubte, aber Doch nicht Fräftig und fchöpferiich ges
ig war, um ein ganzed Syſtem mit ber Einheit der Idee
‚durchdringen. Ju der Gefchichte unferd Dogma's wenig-
as fällt unftreitig bie größere Productivität in Die Peter,
u Lombarden, vorangehende Periode, was bie auf ihn fol⸗
ade Darbietet, ift mehr nur eine Verarbeitung und weitere
twiclung ber zuvor ſchon aufgeftellten Ideen, bie jedoch
m felbft dahin führte, Die Hauptmomente, um welche es ſich
Anfelm’ichen Satisfactionstheorle handelte, in einem
ern Gegenfaz einander gegenüberzuftellen. Da unter
iR bieher gehörenden Scholaftifen, den großen Syftemati-
m, bei Mlerander von Haled und Albert dem Großen *),
1) Um jedoch auch diefe beiden Scholaftifer nicht ganz zu über⸗
geben, mag bier über fie zur Vergleichung mit den übrigen
Bolgendes bemerktwerden: Alerander von Hales kommt in fei«
ner Summa Pars Ill. quaestio 1. membrum 4. auf die hieher ge⸗
dörende Hauptfrage: An humana natura possit reparari
stne satisfactione peccati, per quod lapsa est? und gibt
darauf mit genauer Rückſicht auf Anfelm die Antwort: Oum
dieiturs Deus non potest reparare humanam naluram
sine satisfactiome, notandum saltb meHori Judicio secun-
dum beatum Anselmum, quod duobus modis est consi-
derare divinam potentiam, absolute vel cum ordine. Con-
siderando divinam potentlam absolute, cogitamus quan-
dam virtutem infinitam, et secundum hunc modum non
est determinare divinam potentiam, et conceditur, quod hoc
" modo »potest reparare humanam naluram sine peccati
satisfactione. Sed comsiderando Ipsam cum ordine sic
eam eonsideramus in ordine justitiae et misericordiae,
‚et hoc modo conceditur, quod nihil potest facere, nisi
cum misertcordia et justitia. — Quum ergo quaeritur,
" utrum Deus de justitia possit dimittere peccatum im-
punitum, potest referri posse de justitia ad principale
216 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
nichts fich findet, was nicht von den folgenden genauer und
in beſſerer Form ausgeführt wäre, Thomas von - Aquinum
signatum, quod est divina essentia, et tunc idem es .
posse de justitia quod posse de potentia: hoc modo pot-
est. Si autem referatur ad connotatum, dicit Anselmus,
quod Tune posse de justitia est posse secundum com
gruentiam merttorum, et hoc modo dicit idem Anse-
mus: non potest Deus peccatum impunitum sine satis-
facttone dimittere, nec peccator ad beatttudinem, gus-
lem habiturus erat «nie peccatum, poterlt pervenirs,
Der Menſch für. fih Tann nicht genug thun sine gratias
dono (membr. 5.), aber auch Feine bloße Ereatur vermag
dieß (membr. 6.): Gum bonitas creaturae finita sit, pa-
tet, quod nulla creatura pura posset humanae naluree
restituere illud, a quo deordinata est per peccatum (als
rea infiniti malt) — nom potest recompensare humane
naturae bonitatem infinitam. Jam igitur habemus, quod
per Deum fieri deberet reparatio, non per aliquam crea-
turam puram. Nun geht Alerander membr. 7. in bie An:
felm’fche Deduction über: Si Deus solo verbo, vel solo jus-
su liberasset humanam naluram, ergo liberassel eam per
potentiam suam sine satisfactione commissi, ergo dimi.
sisset peccatum hominis impunitum. Dieß ift unmög
li, quio sicut Deus non potest facere malum, ita ne
potest facere aliquid inordinatum. Ohne Satisfaction
fann alfo Gott die Sünde nicht vergeben, da aber nidt
Bott, fondern nur der Menfch unter allen Ereaturen fie ſchul⸗
dig ift, fie aber wegen der Quantität der Sünde nicht les
fien fann,, ergo necesse est, quod satisfaciat Deus, qui
potest, et homo, qui debet, ergo debet satisfacere Deus
homo et non solus Deus nec solus homo. Daher fchlieft
fich nun die weitere Frage an: utrum divina et humana
natura sint unibiles ad invicem, und die Lehre von der
Perfon des Gottmenfchen , in deren Verlauf Diefelbe Haupte
frage (qu. 16. de merito Christi und qu. 17. de dominica
passione) widerfchtt, de mecessitate passionis quantum
Bonaventura. | 217
er, bei welchem bier nicht fowohl fein Commentar über die
entenzen, als vielmehr feine theologifche Summe in Betracht
mmıt, wegen bed Segenfazed, weldyen er mit Duns Scotus
det, mit dieſem zufammenzunehmen tft, fo möchte als
ommentator der Sentenzen faum ein anderer beachtendiwer-
er ſeyn, als Bonaventura, der ſich auch wirklich in der
ed causam superiorem (qu. 17. membr. 3. utto. 3).
- Die Frage de guantitate passtonis per comparationem
: a8 salisfactionem (membr. 8. art. 2.) beantwortet Ale⸗
R sander fo: Dicendum est, quod nom est considerandem,
quantum passus est, sed ex» quanio. Unde consideran-
„ do-circumstantias personae, quia Filius Dei est, et cir-
eumstantias passionis et hujusmodi, sufficiens est passio
‚Christi ad omnem et omnium satisfactionem. Albert der
Große hat in ſeinem Commentar über die Sentenzen Lib.
M. dist. 20. dieſen Gegenſtand nicht fo ausführlich behan⸗
delt, wie andere GScholaftifer. Die wichtigfte Frage if
Art. 7.: An non remittatur peccatum nist Deo homine
satisfaciente pro nobis? Die solutio nach den Gründen
pro und contra ii: Dicendum, quod primis rationidus
standum, quod non remittatur u. f. w. licet alius modus
fuertt possibilis. Inter den Argumenten dagegen if das
bedentendfie: originale peccatum per alterum est contru-
ctum, ergo per alterum potest fieri satisfactio, non est
autem per alterum contractum, qui fuit Deus, ergo per
altum non Deum potest fiert satisfactio et videtur. Die
Antwort ii: wenn man fage, der, der die Erbfünde aufhebe,
mäfle ebenfo ein principium omnium feyn, wie der, der die
Erbfünde verurfachte, fo könne dieß nicht auf diefelbe Weife
leyn, guia monstruosa natura est, quae unlus rationis
habet duo principia, fondern nur Chriſtus if principium
efficiens secundum deitatem et influens per modum me-
riti, sed ab alio non posset fieri, quia ille non posset
influere membris, cum nullo modo esset caput corporis
my/stict (oder quia gratia non influl potest, nist ab eo,
qui est Deus et virtutis infinitae).
218 L Ber IL Abſchn. 8. Kap.
Behandlung biefer Materie, fo wenig er den Scholaftfe
verläugnet, doch zugleich durch eine für einen Scholaſtile
mufterhafte Klarheit und Einfachheit auszeichnet. Gr eigne
ſich daher am beften, um den nun an den Sentenzen DU
Magifter fortlaufenden Faden ber Entwidiung bed Do
ma’s welter zu verfolgen. -
Es iſt nicht ohne Intereffe, zu fehen, wie ſich eigeni
die ganze Erörterung Bonaventura’d 4) um das Mom
der Anfelm’jchen. Satisfactionstheorle bewegt,. wie er derſe
ben nahe genug kommt, um fich für fle erklären au miſſen
zulest aber Doch in dem entfcheibenden Punct ſie fallen IA
Petrus Lombardus hat den ganzen ihm vorliegenden -Ste|
in die drei distinetiones ®) zufammengefaßt: 1) Si Chri
stus meruit sibi et nobis, et quid sibi et nobis? 2
Qualiter a diabolo et a peccato nos redemit per mer
tem? 3) @uod alio modo potuit liberare hominem e
quare potius isto? Bon biefen brei Diftinctionen ‚mußte
der Natur der Sache nach, bie dritte den Scholaftifern an
meiften Veranlafiung geben, das Dogma von der Berföh
nung auf eine in die eigentliche Aufgabe näher eingehend
Weiſe zum Gegenftand ihres bialektifch - fpeculativen Scharf
finns zu machen. Bonaventura geht auf die Erörterung bie
fer Diftinetion mit ber Bemerfung über, es fey, wie bisha
de passionis efficacia, fo jezt de passionis congruenti
die Rede, deren Momente er in folgenden ſechs ragen p
erſchöpfen glaubt: 1. An congruum fuerit naturam hr
manam a Dep reparari? 2. An magis congruerit, g%*
nus humanum reparari per satisfactionem, quam pe
aliam viam? 8. An aliqua pura creatura potuerit u-
tisfacere pro toto genere humano? 4. An aliquis &
jutus gratia potuisset satisfacere pro se ipso? 5. As
1) Bonaventurae Opp. Tom. V. Lugd. 1668. ©. 191. f.
2) Sie find im dritten Buch die 18te 19te und 20fe.
*
Bonaventura. 219
Deus debuerit modum satisfaciendi per passionom Chri-
si aoceptare? 6. An alio modo potuerit Deus genus
hamanım salvare$ Bei der zunäcft bieher gehörenden
weiten Frage wird unter Boranflellung bed allgenteinen
Srundbfazes, Daß derjenige Weg für den zur Wieberherfiellung
xs Menfchengefchlechtd geeignetften gehalten werben möüffe,
xi welchem 1. die Ordnung ber göttlichen Gerechtigkeit, 2.
Xe der göttlichen Weishelt, 3. die der göttlichen Allmacht,
md 4. die der göttlichen Ehre und Majeftät am: meiften bes
wahrt werbe, und nad) ©egenüberftellung ber für und gegen
We Theſe fprechenden Gründe, die conelusio auf folgende
Belle gezogen: Der Weg ber Satisfaction war der ſchick⸗
Böfle, weil, da Gott ebenfo barmberzig als gerecht iſt, auch
bei der Wiederherftellung bes Menfchengefchlechts die Barm⸗
hetzigkeit in dem. angemeflenen Berhältniß zur Gerechtigkeit
ſtehen muß. Es war daher fchidlich, daß Gott für das ihm
igefügte Unrecht Genugthuung vom Menfchen forderte, und
wenn der Menſch felbft fie nicht Teiften konnte, nach feiner
Barmherzigkeit ihm einen für ihn genugthuenden Mittler gab.
hätte Gott die Schuld nicht erlafien, fondern bie Strafe voll»
gen, fo hätte fich feine Barmherzigkeit nicht geoffenbart,
jätte er fie aber erlafien, ohne Genugthuung zu fordern, fo
yatte fich feine Gerechtigkeit nicht geoffenbart. Wie der Weg
er Satisfaction vom Standpunct Gotted aus der fchicklichte
dar, jo war er ed auch vom Standpunct des Menfchen aus,
Der Zwed der Wiederherftellung des Menfchengefchlechts ift,
und von der Schuld zur Gerechtigkeit, von ber Unfeligfeit
wir Herrlichkeit zu führen. Wie der Menfch Durch den Sün⸗
denfall die Ehre Gottes verlezt hat, fo tft es ſchicklich, daß
er durch Erduldung einer Strafe nad) der Norm der Gerech⸗
tigfeit Gott ehrt. Und wenn es vuhmvoller ift, das ewige
Leben durch Verdienfte, ald ohne Verdienſte, zu erwerben, fo
Kes auch ruhmvoller, Durch Genugthuung mit Gott verföhnt
m werden, als ohne Genugthuung. Hierauf werden bie
*
220 L Ber. U. Abſchn. 8. Kap.
Gründe widerlegt, die der Beiahung der Thefe. entgegenge .
ftellt worden find: 1. Auf die Einwendung, daß, wenn fd
überhaupt für Gott nichts mehr ſchickt, als was zur Offen
barung feiner Güte und Barmherzigkeit dient, bie Vergebung
der Sünden ohne alle genugthuende Strafe auch ein um ſo
größerer Beweis ber göttlichen Barmherzigkeit feyn würde,
wird erwiebert, daß in Gott die Gerechtigkeit Durch Die Guͤ
und Barmherzigkeit nicht ausgefchloffen wird. 2. Die Ei
wendung, daß die göttliche Selbfigenügfamfeit fich in einem
um fo fchönern Lichte zeigen würde, wenn Gott Teine Gennge
thuung fordern würde, beruht auf einer falfchen Borausfezung,
da es fich mit der Vergebung der Sünden ebenfo verhält,
wie mit dem Gehorfam gegen bie Gebote Gottes, welchen
u ne
Gott nicht, weil er beffelben bebürfte, fondern nur aus Rüde
ficht auf uns verlangt. 3. Daß ſich bei einem andern Wege der |
MWiederherftellung die Allmacht Gottes mehr offenbaren wür
mau.
de, kann nicht behauptet werben, ba fich in Diefem Werke -
Gottes nicht ſowohl die Allmacht, als vielmehr die Güte und
Barmherzigkeit und in gleichem Verhaͤltniß auch die Gerech⸗
tigfeit offenbaren muß. Hätte daher auch Gott das Maw
fchengefchlecht durch ein einziges Wort wiederherftellen Fönnen,
fo mußte er doch den ſchwierigern, mit der Vollziehung der |
Strafe verbundenen, Weg vorziehen. Wendet man ein, daß
eine Wieberherftellung ohne Satisfaction und noch weit mehr
zum Lob und zur Liebe Gottes verpflichten würbe, fo iſt dieß
geradezu falih zu nennen, da uns die Hingabe des Einge
bornen für und weit mehr zur Liebe und zum Dank gegen
Gott verpflichten muß, als wenn er uns ohne fie Schub
‚und Strafe erlaffen hätte. Daß Gott für uns ben Tod ev
duldete, ift ehvas weit Größeres, ald die Vergebung unfere
Sünden. 5. Auch das kann nicht eingewendet werden, daß =
Gott dem Menfchen durdy eine Vergebung der Sünden ohne
Satisfaction eine vollfommnere Form der Nachahmung ge
geben haben würde, ba nicht fchlechthin behauptet werden
—
. Bonaventura,. 221
nn, daß der Menſch Sott in allem nachahmen müfle. “Die
strafe iſt Sache Gottes, nicht des Menfchen. Ueberdieß läßt
u) auch zeigen, daß Gott durch die Satisfaction eine voll⸗
mminere Form ber Nachahmung gab, als ohne ſie. Wenn
lich 6. noch eingewendet wird, daß es für Gott ſchicklicher
weſen wäre, dad Menſchengeſchlecht unmittelbar, ohne bie
ermittlung durch eine Greatur, wieberherzuftellen, fo if
uh Dieß falfch, da es zum Begriff der höchften Güte gehört,
$:dem Edelſten, was fie wirkt, die Greatur, fo weit es
ve Ratur zuläßt, mitwirken zu laffen. Eine ſolche Mitwir«
mg kann. bei Dem Werke der Exlöfung flattfinden, nicht aber
&: dem Werke der Schöpfung, bei welchem Gott allein wirkt,
xil er voch nicht auf eine ſchon vorhandene Materie wirken
m.
Wie ſchon die zweite Frage nur eine Exrpofition ber An⸗
Imfchen Idee ift, fo fcheint Bonaventura in der dritten und
erten Frage noch näher zu Ihr herantreten zu wollen. Die
atisfaction betrifft entweder das Unrecht für fi), oder ben
ch das Unrecht zugefügten Schaden %). Gott Tann baber
ıimeber blos für das Eine, oder für Beides zugleich) Ge⸗
agthuung verlangen. Daß es in bem leztern Fall einer
open Greatur nicht möglich iſt, Gott für das Menfchenges
Hecht genugzuthun, ift Har, da das an Gott begangene
nrecht wegen feiner abjoluten Würde zu groß iſt, ald daß
ie bloße Creatur ihm dafür etwas Gleiches ale Erfaz ges
n Eönnte. Aber auch in dem erflern Fall, wenn das Uns
cht verziehen iſt, und die Satisfaction nur den Schaden
trifft, ift dieß nicht möglich. Eine bloße Creatur ift entwe⸗
x ein Menfch, oder ein anderes Wefen. Sft fie ein bloßer
denſch, fo Tann Fein bloßer Menfch ein Wequivalent für das
anze Menfchengefchlecht ſeyn, und ſich Gott zur Erſtattung
1) De duobus consuevit fiert satisfactio et requirt, videlicet
de injurla et damno a. a. D. ©. 215.
mM L Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
fo: zeigt Doch Bonaventura in der fünften der obigen Kragen N
noch befonderd, Daß der modus satisfaciendi per passie
nem Christi unter allen möglichen ber für Gott fchicktichke
und annehmbarfte geweien fey t), wofür vier verfchiebene Mo⸗
mente angeführt werden. 1. Er eignete ſich am beften zur
Verfühnung Gottes, nad) der Anfelm’fchen Behauptung ?),
dag das Härtefle und Schwierigfte, was der Menſch
freiwillig und ohne es ſchuldig zu feyn, zur Ehre
Gottes bieten Tann, ber Tod fey, und daß der Mei.
feinen befiern Beweid von GSelbftaufopferung geben koͤn⸗
ne, als wenn er fich felbft zur Ehre Gottes dem Tode,
hingibt. 2. Er war das zwedmäßigfte Mittel zur Hellung :
ber Krankheit, da die Heilung am beften durch das Gegen *
theil gefchieht. Wie der Menſch durd, Stolz, Begehrlichkeit,, :
Ungehorfam fich verfündigt hat, fo muß die Satisfactton in
Demüthigung, Schmerz, Erfüllung des göttlichen Willens -
beftehen 3). 3. Er hatte am meiften die Wirkung, daß ſich
das. Menfchengefchlecht zu Gott hingezogen fühlte Nur für
biefenigen Tann das Leiden heilbringend werden, die mit ei⸗
genem Willen Gott in Liebe anhängen. Nur durch die Ber
mittlung des freien Willens wollte Gott den Menfchen befe S
ligen, auf Feine andere Weife aber konnte Gott, ohne den
freien Willen Gewalt anzuthun, den Menfchen zur Liebe an
1) A. a. O. S. 217.: Dicendum, guod modum istum ulm '
ceteros modos debuit Deus acceptare, quia nobilissimss,
‘est inter omnes, qui possunt esse vel escogitart. Fi
enim acceptissimus ad placandum Deum, congruentisi-
mus ad curandum morbum, efficacissimus ad attrahe-
dum genus humanum, prudentissimus ad expugnandem
generis humant inimicum.
2) Cur Deus homo II, 11. Bgl. oben ©. 165.
3) Modus satisfaciendi congruentissimus fuit per afflictio- ü
nem, humiliationem et divinae voluntatis impletionem. [
v
Bonaventura . . 225
ih ziehen, als dadurch, daß er für ihn das Kreuz über⸗
hm. A. Er diente am beſten dazu, ben Teufel zu über⸗
binden. Wie der Teufel den erften Menfchen durch Lift vers
übrte, fo mußte Chriflus den Teufel mit Klugheit überwins
en. Bonaventura beruft fih dafür auf die vom Leviathan
ebende Stelle Hiob c. 26., und auf bie oben (S. 84.) angeführs
a Worte des Magiſter. Man flieht jedoch fchon aus ber
Wen Moment gegebenen Stellung, welche untergeorbnete
Bedeutung ed für Bonaventura hatte Bon den auch bier,
hheils zur Bejahung theild zur Verneinung der Tihefe, eins
wäder gegenüberftehenden Argumenten mögen bier folgende
wwähnt werden. 1. Es kann eingewendet werben: da das
Leben Ehrifti weit beffer ift, als fein Tod, fo mußte, wenn
a durch feinen Tod für uns Gott genugthun konnte, fein
in noch höherem Grade genugthuende Kraft haben.
Vefe Holgerung wird jedoch geläugnet, und zwar hauptfäch-
‘aus dem Grunde, weil zur Satisfaction auch ein Straf
| gehört 9). 2. Die Einwendung, daß, wenn Chriftus
ine die größte Sünde nicht getöbtet werben konnte, eine
Bünde auf Sünde häufende Satisfactionsweife ald verwerf⸗
% erfiheinen müffe, beweist nichts, da ja bie bei der Genug⸗
huung flattfindende Sünde nicht auf- der Seite des Genug-
chuenden felbft if. Daß er aber einen fchlechthin mit Feiner
Sünde verbundenen Weg wählen mußte, läßt ſich nicht be-
haupten, da ſich die göttliche Weisheit ebendarin in ihrer
Größe zeigt, daß fie aus dem Böſen nicht blos das Gute,
ſendern das Befte zu wählen weiß. 3. Wendet man ein,
VYA. a. D. ©. 218.: Primo quidem, quia satisfactio de-
bet esse poenalis, et maxima satisfactio mavime poena-
üs. Secundo vero, quia majoris perfectionis est, velle
mori.ud honorem Dei, quom velle vivere, et es majori
earitate procedit, et terminos naturae magis excedit,
et ideo ratio illa non cogit.
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 19
a
24 Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
fo zeigt doch Bonaventura in ber fünften der obigen Fragen
noch beſonders, daß ber modus satisfaciendi per passis-
nem Christi unter allen möglichen ber für Gott fchidlichke
und annehmbarfte geweſen fey *), wofür vier verfchiebene Mo⸗
mente angeführt werden. 1. Er eignete ſich am beften zur
Verföhnung Gottes, nach ber Anfelm’fchen Behauptung ?),
daB das Härtefte und Schwierigfte, was der Menſch
freiwillig und ohne es ſchuldig zu feyn, zur Ehre
Gottes bieten Tann, der Tod fey, und daß der Maik.
Teinen befiern Beweis von Gelbftaufopferung geben Tiw-
ne, als wenn er fich felbft zur Ehre Gottes dem Tobe
hingibt. 2. Er war das zwedmäßigfte Mittel zur Hellung
ber Stranfheit, da die Heilung am beften durch das Gegen
theil gefchteht. Wie der Menſch durch Stolz, Begehrlichket,.
Ungehorfam ſich verfündigt hat, jo muß die Satisfactton ia
Demüthigung, Schmerz, Erfüllung des göttlichen Willens
beftehen ®). 3. Er hatte am meiften die Wirfung, daß fid
das Menfchengefchlecht zu Gott hingezogen fühlte Nur für
Diejenigen Tann das Leiden heilbringend werden, Die mit ds
genem Willen Gott in Liebe anhängen. Nur burdy die Ber-
mittlung des freien Willens wollte Gott den Menfchen befes
ligen, auf feine andere Weife aber Eonnte Gott, ohne dem
freien Willen Gewalt anzuthun, ben Menfchen zur Liebe an
1) A. a. O. ©. 217.: Dicendum, quod modum Istum ultra
ceteros modos debuit Deus acceptare, quia nobilissimus
est inter omnes, qui possunt esse vel escogitart. Fuit
enim acceptissimus ad placandum Deum, congruentissi-
mus ad curandum morbum, efficacissimus ad attrahen-
dum genus humanum, prudentissimus ad expugnandum
generis humant inimicum, |
2) Cur Deus homo II, 11. Vgl. oben ©. 165.
3) Modus satisfaclendi congruentissimus fuit per afflictio-
nem, humtliationem et divinae voluntatis impletionem.
v
Bonaventura. 28
ich ziehen, als dadurch, daß er für ihn Das Kreuz über-‘
sah. 4. Er diente am beften dazu, den Teufel zu über-
winden. Wie der Teufel den erften Menfchen durch Lift vers
führte, fo mußte Chriſtus ben Teufel mit Klugheit überwins
ben. Bonaventura beruft ſich dafür auf die vom Leviathan
redende Stelle Hiob c. 26., und auf die oben (S. 84.) angeführs
tm Worte bed Magiſter. Man flieht jedoch ſchon aus ber
dieſem Moment gegebenen Stellung, welche untergeordnete
Vebentung es für Bonaventura hatte. Bon den audy hier,
thells zur Bejahung theild zur Verneinung der Tihefe, eins
ser gegenüberfichenden Argumenten mögen hier folgende
ewähnt werden. 1. Es kann eingewendet werben: da das
Shen Chriſti weit beffer ift, als fein Tod, fo mußte, wenn
er burch feinen Tod für und Gott genugthun konnte, fein
hen in nod höherem Grade genugthuende Kraft haben.
Diefe Folgerung wird jedoch geläugnet, und zwar hauptfäch-
lh aus dem Grunde, weil zur Satisfaction auch ein Straf⸗
läden gehört *). 2. Die Einwendung, daß, wenn Chriftus
ine bie größte Sünde nicht getödtet werden Tonnte, eine
Eände auf Sünde häufende Satisfactionsweife ald verwerfe
Ih erfiheinen müffe, beweist nichts, da ja die bei der Genug⸗
ung ftattfindende Sünde nicht auf-Der Seite des Genug⸗
thnenden felbft if. Daß er aber einen fchlechthin mit Feiner
Sünde verbundenen Weg wählen müßte, läßt fich nicht be=
haupten, da fich die göttliche Weisheit ebendarin in ihrer
Größe zeigt, daß fie aus dem Böfen nicht blos das Gute,
ſendern das Befte zu wählen weiß. 3. Wendet man ein,
)Y A. a. O. ©. 218.: Primo quidem, quia satisfactio de-
bet esse poenalis, et maxima satisfactio masime poena-
üs. Secundo vero, quia majoris perfectionis est, velle
mori.ud honorem Dei, guam velle vivere, et es majori
caritate procedit, et terminos naturae magis ewcedit,
et ideo ratio illa non cogit.
Baur, bie Lehre von der Verſöhnung. #5
226 + L Ber. I. Abſchn. 3. Kap.
daß, wenn für die Sünde Adamd nur durch den Tod Ehriſti
genuggeihan werden fonnte, Ehriftus eigentlich zweimal Hätte
fterben müflen, das erflemal für die Sünde Adams, das
zweitemal für bie noch größere Sünde derer, welche Chriſtus
töbteten, fo ift Darauf zu eriwiebern, DaB das Cine Leiden
Chrifti zur Satisfaction nicht blos für die Sünde Adams,
fondern auch für die ganze Menge der Sünden zureichte, und
objectiv felbft für bie galt, welche Ehriftum tödteten, ba dad.
Verdienſt des leidenben Chriftus unendlich. größer iſt, als ie
Sünden derer, die feinen Tod bewirften 9.
Nach allem diefem wirft Bonaventura nun erft noch de
Frage auf, ob die Satisfaction durch den Tod Chriſti alb
eine abfolut nothwendige anzufehen fey, oder nicht? Er mw
terfcheidet zur Beantwortung dieſer Frage zwei: verfchiebene
Gefichtspuncte. Man könne fie fowohl vom Standpunct Got
tes, ald des Menichen aus betrachten. Werde fie vom Stand»
punct Gottes aus betrachtet, fo ſey Fein Zweifel, daß Gott:
die Wiederherftellung und Befreiung des Menichengefchlechts
auch auf andere Weiſe hätte bewirken Finnen. Die göttliche
Allmacht müfje fo uneingefchränft gedacht werden, Daß, wie
die Schöpfung, fo auch die Erlöfung, durch einen bloßen
Mint des Geifted und Befehl des Willens hätte gefchehen
fönnen. Betrachte man aber die Sache vom Etandpunct ded
Menſchen aus, fo müfle man behaupten, daß fein anderer
‚Weg: der Wiederherftelung des Menfchengefchlechts für bie
göttliche Allmacht möglich war. Nothwendig war alfo dieſer
Meg in demfelben Sinn, in weldyem der Glaube an Chriſtus
für jeden nothwendig ift, der felig werden will, an ſich aber
1) A. a. D.: In infinitum enim majus meritum Christi pa-
tientis, quam esset delictum Judae tradentis, Judael
instigantis, et gentilis crucifigentis, secundum quod
Christus plus ‚habebat de bonliate R quam Uli haberent
de malitia.
Bonaventura. 22
waͤre fuͤr Gott auch ein anderer Weg möglich geweſen. Durch
dieſe Unterſcheidung beantworten ſich die Einwuͤrfe, welche
gemacht werden koͤnnen, von ſelbſt. Wenn alſo auch der von
Gott gewählte Weg der ſchicklichſte war, fo folgt doch dar⸗
aus nicht, daß Gott keinen andern hätte wählen können.
Auch das Tann man nicht geltend machen, daß Gott, ver-
möge feiner Gerechtigkeit, nicht anderd, ald auf dem Wege
der Satiöfaction, Die Schuld hätte erlaffen können. Denn
Bott hätte, wenn er gewollt hätte, ohne Präjudiz für feine
Bereihtigkeit, auf dem Wege der Barmherzigkeit alle Schuld
elafien und das Menſchengeſchlecht in feinen frühern Zus
fand wieberherftelen Tönnen, und es würde im Liniverfum
nichts im Zuftande der Unordnung, nichts ungeftraft geblie⸗
ben feyn *).
.4) Die Einwendung beißt a. a. D. ©. 218.: Item Deus, cum
sit summe justus, negare se ipsum non potest, ergo si
debet reparare genus khumanum, necesse est, quod repa-
vet viam justitiae, sed reparatio per viam justitiae non
potest esse, nisi per satisfactionem, sicut primo osten-
sum est, Satisfacere autem pro toto genere humano non
potest, nisi Deus et home. Modus enim satisfaciendi
sufficiens esse non. polest, nisi ut solvatur anima pro
anitma et detur vita pro vita, ergo a primo impossibile
‚fuit, quod Deus humanum genus repararet alla via.
Die Antwort darauf ik: Ad illud, quod objieitur, quod
Deus nonpotest facere contra suam justitiam, et justitianon
potest praeter satisfactionem culpam dimittere, respondert
potest per Interemptionem duarum propesitionum, quas
proponit, quarım prima est haec, quod non potuit li-
berari genus humanum, nisi per viam justitiae: potuit
enim liderart per viam misericordiae, nec in hoc fuis-
set factum praejudictum justitiae, si hoc facere voluis-
set. Potuisset enim omnia demerita delere, et hominem
in priorl statu restituere, nec remansisset aliquid inor- .
dinatum in universo, nec etiam impunitum, Peocetum
15 *
230 1. Ber. U. Abſchn. 3. Kay.
Seite die auf einzelnen Puncten ſich aufdringende Anerfen
nung des Unvermögensd, ſich zum wahrhaft Abfoluten zu er»
heben, oder bie Subjectivitaͤt alled menfchlichen Erfennens,
auf der andern Seite die Fühne Ueberfchreitung aller Schran«
fen, die das Sinnliche vom Ueberfinnlichen, das Endliche
vom Unendlichen, das Subjective- vom Obfectiven zu trennen
ſcheinen. Es ift alfo weber der Standpunct der Subjectivi
tät, noch der Standpunct der Objectivität in feiner Reinheit
aufgefaßt und durchgeführt, fondern beide greifen willkürlich
in einander ein, und die Folge Ift der, zum Weſen der She
laftit gehörende, tranfcendente Dogmatismus, welcher ba
aller Zuverfichtlichkeit feiner Behauptungen, doch felbft das
Bewußtſeyn nicht ganz umterbrüden Tann, das mit fo großer
Anftrengung errichtete Gebäude fey in feinem tiefften Grunde
nur auf Sand erbaut. |
Wie jehr aber in biefem Innern Conflict, in welchen bie
Scholaſiik mit fich felbft Fam, das entfcheidende Uebergewicht
zulezt Doch immer wieder auf die Seite ihres tranfcendenten
Dogmatismus fiel, fehen wir an dem, dem Bonaventura im
vielfacher Beziehung fo nahe ftehenden, Thomas von Aqui⸗
num, dem größten Syftematifer unter den fcholaftifchen Theo⸗
logen. |
Thomas von Aquinum handelt im dritten Theil feiner
theologifchen Summe (Quaest. XLVI — XLIX.) ?) von dem
Leiden Chrifti, welches er nach drei Hauptgefichtöpuneten bes
trachtet, Indem er 1. das Leiden, 2. die wirkende Urſache des
Leidens (Utrum Christus fuerit ab aliis occisus vel a se
ipso u. f. w.) und 3. die Frucht Des Leidens unterfucht. Die
erſte Hauptfrage zerfällt in folgende zwölf Artikel: 1. Utrum
necesse fuerit Christum pati pro liheratione hominum.
. 2. Utrum fuerit alius modus possibilis liberationis hu-
manae. 3. Utrum ille modus fuerit convenientior.
1) D. Thomae Aquinatis Opp. Romae Tom. XII. ©. 149. f.
Thomas von Aduinum. 231
4. Utrum fuerit conveniens, quod in crace pateretur.
5. De generalitate passionis ejas. 6. Utrum dolor,
quem in passione sustinuit, fuerit maximus, 7. Utrum
tota anima ejus pateretur. 8. Utrum passio ejus im-
pediverit gaudium fruitionis. 9. De tempore passio-
ais. 10. De loco. 41. Utrum conveniens fuerit, ipsum
cam latronibus crucifigi.. 12. Utrum passio ipsius
Christi seit divimitati attribuenda. Die erſte Frage be-
antwortet Shomas, der Metaphufif des Ariftoteles zufolge,
derch Unterfcheldung der verfchiedenen Beziehungen, in welchen
Ver Begriff des Rothwendigen genommen werden kann. Ver⸗
ſtehe man unter dem Nothwendigen das, was feiner Natur
sach nicht anders ſeyn kann, fo ſey das Leiden Ehrifti weder
vous Seiten Gottes, noch von Seiten des Menfchen nothwen⸗
dig geweſen. Ebenfo wenig falle es unter den’ Begriff des
Rothwendigen, wenn NRothwendigfeit ſoviel ſey, als äuflerer
Zwang. Rotbwendig fen aber auch, was unter Voraus:
feaung eines gewifien Zwecks nicht anders fenn Tonne Wende
man baher ein, Daß das Leiden Ehrifti nicht nothwendig ge⸗
weien ſey, weil dieß mit dem Begriff der göttlichen Allmacht
Rreite, und Chriftus mit freiem Willen gelitten habe, fo gelte
dieß nur von Der Nothwendigkeit des Zwangs, Daß aber das
Leiden Chriſti wegen der göttlichen Barmherzigkeit nicht noth-
. wendig gewefen ſey, könne nicht behauptet werben, da das
- Leiden Chrifti Die gleiche Beziehung auf die göttliche Gerech⸗
uügkeit, wie auf bie göttliche Barmherzigkeit habe, auf jene,
fofern Chriſtus durch fein Leiden für die Stnde des Men-
ſchengeſchlechts genuggethan, auf dieſe, ſofern Gott bei dem
Unvermögen des Menſchen, ſelbſt genugzuthun, feinen einge⸗
bornen Sohn zur Genugthuung gegeben habe. Hierin liegt
auch ſchon die Antwort auf die zweite Frage, ob Gott das
Menſchengeſchlecht auf andere Weiſe haͤtte erlöſen können.
Waͤre es auch an ſich möglich geweſen, jo wäre es doch nach
demjenigen nicht möglich geweſen, was das Leiden Chriſti zu
:232 L Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
feiner Vorausſezung hattet). Auf die Gerechtigkeit Gottes aber |
könne man fi) nicht dafür berufen, daß der Menfh nur. ı
durch das genygthuende Leiden Chrifti habe von ber Sünde }
befreit werben können, da auch die Gerechtigkeit vom Willen {
Sottes abhänge. Gott würde daher, wenn er ohne-alle Ge
nugthuung den Menfchen von der Sünde hätte befreien wol y
Ien, feiner. Gerechtigkeit nicht entgegen gehandelt haben-$, :
Daß aber das Leiden Chrifti der fchiellichfte und zwedimäßlg |
ſte Weg zur Erlöfung des Menfchengefchlechts war, erhell,
nad Thomas, aus der Erwägung folgender. Mom:
1. Der Menfch erkennt hieraus Die Größe der Liebe Gottek,
und wird dadurch zur Liebe gegen Gott aufgefordert. 2. Gott
hat und dadurch ein Beifptel des Gehorſams, der. Demuth, ı
der Standhaftigfeit, der Gerechtigkeit und ber. übrigen Ta⸗
genden gegeben, die zum Heil des Menfchen nothwendig ſiud.
4) Quaest. XLVI. art. 2.: Quia imposstbile est, Dei prae-
scientiam falli et ejys voluntatem seu dispositionem cas- -:
sari. Supposita praescientia et praeordinatione Dei de -
passione Christi, non erat simul possibile, Christum nos
pati, vel hominem alio modo, quam per passionem ejus
liberari, et est eadem. ratio de omnibus his, quae sunt
praescita et praeordinata a Deo.
2) Thomas begründet dieß weiter fo a. a. D. Art. 2.: Si vo-
luisset absque omni satisfactione hominem a peccato li-
berare, contra justitiam non fecisset, ille enim judex
non potest, salva justitia, culpam sine poena dimittere,
qui habet punire culpam in ulium commissam, puto
vel in alium hominem, vel in totam rem publicam,, sive
in superiorem principem, sed Deus non habet aliquem
superlorem, sed ipse est supremum et commune bonum
totius universi. Et ideo si dimittat peccatum, quod ha-
bet rationem culpae, ex eo quod contra ipsum commil-
tit, nulli facit injuriam, sicut quicungue homo remittit
offensam in se commissam absque satisfactione, miseri-
corditer et non injuste agit..
Thomas von Aquinum. 233
3. Chriftus hat. durch fein Leiden nicht blos den Menichen
son der Sünde befreit, fondern ihm auch die rechtfertigende
Gnade und die Glorie der Seligfeit erworben. 4. Dem Mens»
ſchen iſt die Pflicht, fich von der Sünde rein zu erhalten durch
den Gedanken, daß er durch das Blut Chrifti erlöst fey, um
fo näher gelegt. 5. Es iſt um fo ehrenvoller, Daß der Menſch,
‘wie er vom Teufel befiegt und getäufcht worden it, fo auch
hen Teufel wieder befiegte, und wie er den Tod verbiente,
fo auch durch feinen Tod den Tod überwand ?).
. Wie die Scholaftif, um für die Beweife ihrer Thefen ein
am ſo weiteres Feld offen zu haben, auch Die aus der alten
Kirche überlieferte typifch »allegorifche Beweismethode nicht
}
4
{
Pr
r.
F
f
verkhmähte, zeigt Die Beantwortung der vierten Srage, wars
um Chriftus gerade am Kreuz habe leiden müffen, wobei
nicht blos an Die fo oft wiederholte Analogie des Kreuzes mit
dem Baum bed Paradiefes, fondern auch daran erinnert
‚ wird, das Kreuz jey ein Symbol verfhiedener Tugenden, fo
wie ber Breite, Höhe, Länge und Tiefe, von welcher der Apo⸗
fel rede, unferer Erhöhung in den Himmel u. f. we Näher
wr Sache gehört, obgleich das in der Idee der Stellvertre-
tung liegende dogmatiſche Moment hier zunächft nicht hervor-
gehoben wird, die im fünften Artikel erörterte Frage: ob
4) Ueber die Rechtmäßigkeit der Herrfchaft des Teufels erklärt
ſich Thomas ganz mie Auguflin und Petrus Lombardus.
Wie der Scharflinn der Scholaftifer immer das ganze Ge»
biet der Möglichkeit zu erfchöpfen fucht, fo wirft Thomas
auch die Frage auf, ob Chriſtus nicht beffer auf natürliche
Weife geftorben wäre? Zu, quae fiunt per naturam, conve-
nientius fiunt, quam ea, quae fiunt per violentiam. Als
lein inconveniens erat, eum, qui sanaret aliorum lan-
quores, habere proprium corpus affectum languoribus,
sed et si absque morte corpus alicubt seorsum deposuls-
set, ac deinde se offerret, non crederetur ei de resur-
rectione disserenti. ’
234 18er U. Abſchn. 3. Zap.
Chriftus alle Leiden erduldet Habe? Daß Chriftus alles
menfchliche. Leiden erduldete, wird auf folgende Weiſe bewie
fen: Er litt 1. von Helden und Juden, Männern und Wels
bern, von Fürften, ihren Dienern und vom Volk, von Freun⸗
den und Bekannten; 2. an Ehre und Gut, an Seele und
| Wu - __
Leib; 3. an allen Theilen des Körpers, an Haupt, Händen '
und Füßen, und durch alle Sinne ded Körpers. Daher wear -,
auch der Schmerz ded Leidens Chrifti der allergrößke,
der im gegenwärtigen Leben erbuldet werben kann, 1. wege
der Urfache feines Schmerzens, fufern fein Leiden die ſcha
angegebene Befchaffenheit hatte, und fofern er, was bie
nere Urfache feiner Schmerzen betrifft, durch fein Leiden für-
alle Sünden des Menfchengefchlechts - genugthat; 2. weil er
wegen feiner Förperlichen und geifligen Organifation ben
Schmerz im höchften Grade empfand; 3. weil bei ihm die
innere Traurigfeit und der äuffere Schmerz durch. die Einwin .
fung der höhern Kräfte auf die untern nicht gemildert wurde); :
und 4. weil er fein Leiden und den Schmerz deſſelben freis
willig übernahm, für den Zweck der Erlöfung der Menſchen
von der Sünde, alfo auch eine, mit der Größe der aus feinem
Leiden hervorgehenden Frucht proportionirte, Quantität des
Schmerzens erbuldete. Demungeachtet ſoll dieſer höchfte Lei⸗
densſchmerz, wie ber ſechste Artikel behauptet, den. Genuß
ber Seligfeit, in welchem die ganze Seele Chrifti ſich befand,
nicht aufgehoben haben 2). |
4) Per quandam derivationem seu redundantiam a superlo-
ribus viribus ad inferiores, quod in Christo patiente
non fuit, quia unlculque virium] permisit agere, quod
est sSibi proprium, nad) oh. von Damafcus ILL, 15.
2) U. a. O. Art. 8.: Secundum essentiam tota anima frue-
batur, In quantum est subjectum supertoris partis ani-
mae, cujus est frut divinitate, ut sicut passio ratione
essenliae attribultur superior parti animae, ita e con-
verso fruitio ratione superioris partis animae attribua-
un .. 1. -
=
- Thomas von Aquinum. | 235
Daß das gemugihuende Leiden Chriſti, wenn auch nicht
abſolut nothwendig, doch die zweckmäßigſte Weiſe der Erlö-
fung geweſen jey, hat Thomas in der Quaest. XLVI. ges
zeigt, auf welche Welle ed aber bie Erlöfung der Menfchen
wirklich bewirkt habe, wirb in den beiden Quaest. XLVIII.
und XLIX. unterfucht, in welchen zwilchen Dem modus effi-
edendi und dem effectus ipse unterfchleden, und ber mo-
dus efficiendi nach folgenden vier Geftchtöpureten betrach⸗
tt wirb: 9 Utrum passio Christi causaverit nostram
salutem per modum meriti- 2) Utrum per modum
satisfactionis. 3) Utrum per modum sacrificii. 4)
Urum per modum redemptionis.
Der Begriff, des Verbienftes findet hier feine Anwendung,
ſefern Chriſtus die Onade nicht blos als einzelne Berfon hat,
ſondern als Haupt der Gemeinde, von welchem fie auch in
bie Blieder ausftrömt. Da nun Chriftus, vermöge der ihm
k verlichenen Gnade, durch fein Leiden der Gerechtigkeit wegen
ſch das Heil verdiente, fo beziehen ſich feine Werke ebenfo
ſewohl auf ihn felbft, als auf feine Glieder, wie ſich Die
Verke eined andern im Stande ber Gnade befindlichen Men
ben auf ihn felbft beziehen. Um die Wichtigfeit dieſes Mo⸗
nents Im Sinn des Thomas richtig aufzufaflen, ift an Die
hohe Bedeutung zu erinnern, welche überhaupt im Syſtem
des Thomas die Idee Chrifti, als des Haupts der Gemein-
de, hat. Alles, was Chriftus als Erlöfer, vermöge feiner
; abfoluten Erhabenheit über alle übrigen Menſchen, ift, faßt
Thomas in ber Idee bes Haupts der Gemeinde zufammen.
Wie die ganze Gemeinde ein, dem natürlichen menfchlichen
tur essentiae. — Consequens est, quod superior pars ani-
mae perfecte fruebatur, Christo patiente. Läßt ſich bei-
des aufammendenfen, ohne dat das Leiden Ehrifii, fo fehr
es gefteigert wird, bach wieder zu einem bloßen Scheinlei⸗
den wird?
238 l. Ber. H. Abſchn. 3. Lap.
das ganze Menſchengeſchlecht zu geben *), 1. wegen ber Größe
der Liebe, aus weldyer er litt; 2. wegen ber Würde feind
Lebens, das er durch die Satisfaction hingab, da es ba) =
Leben des Gottmenſchen war; und 3. wegen ber Allgeme
heit des Leidens und der Größe des Schmerzend, welden k
nad) dem Obigen auf fi nahm. Deswegen hat Chrifiub ı
für die Sünden der Menfchen nicht blos genug, fonbern u ı
mehr, ald genug, gethan %. Die Einwendung, daß dab ;
Leiden Chrifti für uns nicht genugthuend feyn könne, weil ı
derfelbe, der gefündigt, auch genugthun müfle, beantworkk -.
Thomas durch die Fdee, daß Haupt und Glieder Eine myfde |
fche Perfon bilden. Sofern zwei Menfchen durdy die Liche
Eins find, Tann Einer für einen Andern genug thun. Dar.
her .erftredt fich die Genugthuung Chriftt auf alle Glaubigen,
als feine Glieder. Seinen unendlihen Werth aber hat. daB
Leiden Chrifti, obgleich Chriftus nicht nach der Gottheit, fear
dern nach der Menfchheit litt, weil die Würde des Yleifchai
Chriſti nicht blos nach der Natur des Flelfches zu ‚fchäzen iſt,
"fondern nad der das Fleifh annehmenden Perſon, bund
welche e8 das Fleifch Gottes geworden ift.
Als ein Opfer Tann der Tod Chrifti betrachtet werben,
fofern alles ein Opfer ift, was zu der ©ott fihuldigen Ehre ©
gefchieht, um Gott zu verfühnen. Chriftus Kat fich felbft in
feinem Leiden für und dargebracht, und ed war dieß, da er
es mit freiem Willen auf ſich nahm, ein Gott höchſt ange
nehmes Werf, indem es aus der Liebe hervorging. Ale
1) A. a. D. Art. 2.: Ille proprie satisfacit pro offensa, gut
exhibet offenso id, quod aeque vel magis diligit, quams
oderit offensam. Christus — magis Deo aliquid eıxhi-
buit, quam exigebat recompensatio totius offensae gene—
ris humant.
2) Passio Christi non solum sufficiens, sed etiam supera—
bundans satisfactio fuit pro peccati⸗ humant᷑ generis se
cundum illud 1 Joh. 2, 2.
Thomas von Aquinum. 239
pfer der vorchriftlichen Zeit waren Zeichen, durch welche
ſes Eine Opfer in den mannigfaltigften Formen vorgebil«
wurde. Das vollfommenfte Opfer aber ift ed, weil es
a ber menfchlidhen Natur genommen ift, als leidensfählg
d fterblich zum Opfer ſich eignet, als unfünblich von ben
inben reinigt, und als das Fleiſch bes Darbringenden felbft
nt Durch die Liebe angenehm if.
Ein Löfegeld ift das Leiden Chrifti, fofern der Menfch
ech Die Sünde feiner Freiheit. auf Doppelte Weiſe verluftig
unbe. Er wurde der Sklave der Sünde und bes Teufels,
ib ‚verfiel der göttlichen Gerechtigkeit in die Schuld ber
krafe, bie auch eine Urt der Sklaverei iſt, da der Sklave
den muß, was er nicht will. Da nun das Leiden Chrifti
tr als genugthuend if für Die Sünde und Strafe des
Imichengefchlehts, fo war ed auch gleichſam ber Preis,
uch welchen wir aus unferer doppelten Haft befreit worden
D °).
Von den Wirkungen des Leidens Chrifti handelt Thomas
4) Art. A.: Per peccatum duplieiter homo obNgatus erat.
— Quda igitur passto Christi fuit suffielens et supera-
bundans satisfactio pro peccato et reatu poenae gene-
ls kumani, ejus passto fuit quasi quoddam pretium,
per quod liberati sumus ab utraque obligatione. Nam
‘ Ipsa satisfactio, qua quis satisfactt sive pro se, sive pro
alio, pretium: quoddaem dicitur, quo se ipsum vel alium
redimit, a peccato et a poena. — Et ideo passto Chri-
sti dicitur esse nostra redemptio. Dabei wird über den
Teufel bemerkt: Quamvis diabolus injuste, quantum in
tpso erat, hominem sua fraude deceptum sub servitute
teneret, et quanlum ad culpam et quantum ad poenam,
Justum tamen erat, hoc hominem pati, Deo permitten-
te, quantum ad culpam, et ordinante, quantum ad poe-
. sam, et ideo per respeotum ad Deum justilia exige-
bat, quod homo redimeretur, non aulem per respectum
ed diabolum.
240 1. Ber. II. Abſchn. 3. Kap.
Quaest. XLIX. in folgenden ſechs Artikeln: 4)-Utrum per
passionem Christi simus liberati & peccato. 2) Utrum:
per eam simus liberati a potestate diaboli. 3) Utrum
per eam simus liberati a reatu poenae. 4) Utrum ,
per eam simus Deo reconciliati. 5) Utrum per eam
— ⸗22
Le
sit nobis-aperta janua coeli. 6) Utrum per eam Chri- |
stus adeptus sit exaltationem.
Was zuerft die Befreiung von der Sünde betrifft, fo M
das Leiden Chrifti die eigentliche Urfache der Sündenverge
dung in dreifachem Sinn: 1. wegen der in demfelben für mb
liegenden Aufforderung zur Liebe Röm. 5, 8., da wir durch
die Liebe Vergebung der Sünden erhalten Luc. 7, 47.5 2. weil
fein Leiden gleichfam ber Löfepreis tft, durch welchen er und,
feine Glieder, von den Sünden befreit hat 95 3. weil das
Hleiih, in welchem Chriftus gelitten hat, ald Organ ber
Gohtheit, auch die göttliche Kraft hat, die Suͤnde zu ver⸗
— — 2—
treiben ). Dieſes dritte Moment bezieht ſich auf bie Ein °
4) Art. 1.: Seeundo passio Christi eausat remissionem peo-
catorum per modum redemptionis, quia enim ipse ed
caput nostrum per passimem suam, quam ex carttate
et obedientia sustinuit, liberavit nos tanquam memöbrs
sua a peccalis, quasi per pretium suae passionis, sicut
st homo per aliquod ejus meritorium, quod manu eser-
ceret, redimeret se a peccatö, quod pedibus commisis-
set. Sicut enim naturale corpus est unum, eo membro-
rum diversitate consistens, ita tota ecclesia, quae est
mysticum corpus Christi, computatur quasi una perso-
na cum suo capite, quod est Christus.
2) Tertio per modum efficientiae, in quantum caro, secun-
dum quam Christus passtonem sustinuit, est instrumen-
tum divinitatis, ex quo ejus passiones et actiones ope-
rantur, in virtute divina ad expellendum peccatum. —
Passio Christi licet sit corporalis, sortitur tamen quan-
dam spiritualem virtutem ex divinitate,. cujus .caro e®
Thomas von Aquinum. 241
wendung, daß nur Gott von ber Sünde befreien kann (nach
€.43,25.: Ego sum, qui deleo iniquitates tuas propter
feil: Whg, Dans Vie WRBHRRRE BD ERW 2L 22 22 2 Su
me). Da nun Chriftus nicht als Gott, fondern ald Menfch
gelitten habe, fo könne es fcheinen, daß wir durch fein Leis
den nicht von der Sünde befreit find. Diefe Einwendung wirb
dadurch gehoben, daß das Leiden Chrifti, da das Fleiſch das
Drgan ber Gottheit iſt, auch eine göttliche Kraft zur Bes
fräung von der Sünde erhält. Wenn daher auch das Leiden
ewwas Eörperliches ift, fo geht Doch auf daffelbe von der im
Fleiſche wirkenden Gottheit eine geiftige Kraft über, durch
weile das Leiden Chrifti die Urſache der Sündenvergebung
wird. Hieraus ift zugleich zu erfehen, daß der Begriff der
remissio peccatorum , welcher hier zu Grunde liegt, fehr
ſchwankend und unklar ift, da Thomas Die Befreiung von
der Sünde, als foldyer, nicht der Schuld der Sünde, theils
objectiv von der Thätigfeit Gottes, theils ſubjectiv von ber
Waͤtigkeit des Menſchen derſteht. Im erftern Sinn wird dem
Leiden Ehrifti auf diefelbe Weiſe, wie dieß nur als ein Act Got⸗
x foll gedacht werden Fönnen, eine unmittelbar von der
Sünde befreiende, die Sünde hinwegnehmende Kraft zuge
ſhrieben. Im legten Sinn wird Die Befreiung von ber
Eünde auf die fubjective Thätigfeit des Menſchen bezogen,
hfern die durch das Leiden Chrifti gewedte Liebe, . oder. ber
Re Frucht des Leidens fich aneignende Glaube, als Die wir-
kende Urfache der Reinigung von der Sünde betrachtet wird 9.
unita est instrumentum, secundum guam quidem virtu-
tem passio Christi est causa remissionis peccatorum.
1) Dicendum, quod etiam per fidem applicatur nobis pas-
sto Christi ad percipiendum fructum ipsius, secundum
Hlud (Röm. 3, 25.). Fides autem, per quam a peccato
mundamur, non est fides informis, qguae polest esse
etiam cum peccato, sed est fides formata per charita-
tem, ut ‚sic passio Christi nobis applicetur, non solum
quantum ad intellectum, sed etiam quantum ad affec-
Baur, die Lehre von der Berfühnung. 16
22 l. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap.
ie ſich aber dieſes Subjective zu jenem Objectivem (be
unmittelbaren ct Gottes) verhält, Darüber hat ſich Thoms
fo wenig näher erklärt, al8 darüber, warum er bier geral
ben Begriff der redemptio anwendet, um vermittelft berfe
bett die remissio peccatorum gefchehen zu laflen: Ba
Leztere erklärt fich jedoch ohne Zweifel son felbft Daraus, da
von den übrigen, mit dem Begriff der redemptio zufanme
gehörendeh, Begriffen, dem bed sacrificium, der satisfaeti
und des meritum, nur der leztere noch in Betracht komme
fönnte; da aber bie remissio peccatorum felbft etwas m
gatives ift, fo kann auch als die wirkende Urſache derſelbe
nicht das Pofttive des meritum, fondern nur das Negatk
der redemptio angefehen werden. So iſt die redemptie
wie Die remissio peccatorum , die Ablöfung Der Seele u
der Sünde, ald deren wirkende Urfache ebenfo gut Die got
vor ald die menfchliche Thätigkeit angefehen werden Tann
da nah Thomas überhaupt Gott die in allen fecundäre
Urfächen wirfende causa prima ifl.
Bon der Gewalt des Teufels find wir durch das Leibe
Chriſti in dreifacher Beziehung befreit: 1. fofern das Leide
die Urfache der remissio peccatorum iſt; 2. fofern ed um
mit Gott verföhnte; und 3. fofern ber Teufel’ bei dem Leibe
Chriſti die ihm von Gott überlaffene Gewalt überfchritt, unl
gegen Chriftus, der des Todes nicht ſchuldig und ohne Suͤnd
war, den Tod veranſtaltete.
Bon der Strafe der Sünde (dem reatus poenae) Ma
uns das Leiden Chrifti direct und indirect befreit, Direct, wei
es die sufficiene et superabundans satisfactio für di
Sünden des ganzen Menfchengefchlechts If, und ſchon ein
‚sufficiens satisfactio den reatus poenae aufhebt, indirerl
weil e8 die Urjache der remissio peccati iſt, in welchen
tum. Et per hunc etiam modum peccata dimitiuntu
ex virtute passlonis Christi.
b
2*
»
Thomas von Aquinum. 243
ber reatus poenae feinen rund hat. Der befannte Saz:
in inferno nulla est redemptio, fann nicht dagegen gel⸗
tend gemacht werden, da die Wirkung des Leidens Chrifti,
oder die Application deſſelben, vermittelt wird durch den Glau⸗
ben, die Liebe, und die Sacramente des Glaubens, bie bei
den Berbammten der Hölle die Wirfung nicht gehabt haben,
fe in Verbindung mit dem Leiden Chrifti zu bringen, Eben»
ſo wenig Tann man ſich auf Die poena satisfactoria, Die
den poenitentes auferlegt wird‘, zum Beweis dafuͤr berufen,
daß wir durch das Leiden Chrifti von dem reatus poenae
Wr befreit fenen. Um die Wirkung des Leidens Chrifti zu
erlangen, müfjen wir ihm configurirt werden. Dieß gefchieht
auf facramentliche Weife in der Taufe (Rom. 6, 3.). Daher
wird den Getauften Feine fatisfactorifche Strafe auferlegt,
da fie durch die Satisfaction Chrifti total befreit find. Da
aber Chriftus nur Einmal für unfere Sünden geftorben ift
‚ 11.Betr. 3, 18.), fo kann der Menfch nicht zum zweitenmal Durch
das Sacrament der Taufe dem Tode Chrifti configurirt wer:
den. Deswegen müfjen diejenigen, welche nach der Taufe
findigen, dem leidenden Chriſtus durch ein eigenes Strafs
leiden configurirt werben, das jedoch auch fchon in einem
getingern Grade zureicht, da es die Satisfaction Chrifti zu
kiner Borausfezung hat *), Was aber die Einwendung be=
M) Art. 3.: Oportet, quod il, qui post baptismum peccant,
configurentur Christo patienti per aliquid poenalitatis
ve passionis, quam in se iIpsts sustinent, quae tamen
multo minor sufficit, quam esset condigna peccato, coo-
perante satisfactione Christi. Man vgl. P. Ill. Quaest. 1.
art. 2. wo Thomas die Einwendung beantiwortet: zur Wies
derherfiellung der gefallenen Natur des Menfchen fey nichts
anderes erforderlich gewifen, als die Genugthuung des Mens
(hen für die Sünde, welche, wie es fcheine, der Menſch
felbft habe leiſten Eünnen, weil Gott von ihm nicht mehr
fordern Eönne, als er zu leiften im Stande ſey, und zum
16 *
244 L. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap. -
trifft, daß der Tod der Sold der Sünde auch nach dem &
ben Chrifti bleibt, fo ift zu erwiebern: Durch das Leiden Chi
fti werden wir als Glieder ihm, dem Haupt, einverleil
denn bie Glieder müflen dem Haupt conform werden. &
nun Chriftus zuerft die Gnade in der Seele neben der &
densfähigfeit des Leibe hatte, und dann durch das Leid
zur Glorie der Unfterblichfeit gelangte, fo werben auch wi
‚feine Glieder, durch fein Leiden zwar von jedem reatus d
Strafe befreit, aber fo, daß wir zuerft den Geift der Kin
fchaft in die Seele aufnehmen, während wir noch einen Iı
bensfähigen und fterblichen Körper haben, nachher aber di
Leiden und Tode Chrifti configurirt, zur Glorie der Unſter
lichkeit gelangen. |
Erbarmen geneigter ſey, als zum Strafen. Zureichend fe
erwiedert Thomas, eine Satisfaction in doppeltem Sim
uno modo .perfecte, quia est condigna per quandam aı
aequationem ad recompensationem culpae commissae,
sic hominis purt satisfactio sufficiens esse non polu
pro peccato, tum quia tota humana natura erat p
peccatum corrupta, nec bonum alicujus personae v
etiam plurium poterat per aequiparantiam totius nu
turae detrimentum recompensare, tum etiam, quia peı
catum, contra Deum commissum, quandam infinitateı
habet, ex infinitate divinae majestatis: tanto enim o|
fensa est gravior, quanto major est ille, in quem de
Unguitur. Unde oportuit ad condignam satisfactionen
ut actus satisfacientis haberet efficaclam infinitam, ul
pote Dei et hominis existens. Alio modo potest dici sa
tisfactio hominis esse sufficiens, imperfecte scilicet, sı
cundum acceptationem ejus, qui est ea contentus, quam
vis non sit condigna. Et hoc modo satisfactio purt hı
minis est suffictens. Et quia omne imperfectum pra
supponit .aliquid perfectum, a quo sustentelur, in
est, quod omnis puri hominis satisfactio efficacdam hı
bet a satisfactione Christi.
Thomas von Aquinum. 245
- Berföhnt find wir durch das Leiden Chrifti mit Gott
auf doppelte Weile. Es hat die Sünde, die die Menſchen
zu Feinden Gottes macht, entfernt, ift aber auch das für
Gott angemeflenfte Opfer, und hat daher auch, wie jebes
Opfer, die Wirkung, uns mit Gott zu verfühnen 9).
Wie die Verföhnung mit Gott die Befreiung von ber
Sünde, von der Gewalt des Teufeld und von der Strafe ber
Sünde zu ihrer Vorausfezung hat, fo unterfcheidet Thomas
von ber Berföhnung mit Gott, ald weitere Wirkung des Lei⸗
dens Chrifti, Die Auffchließung ber Pforte des Himmels. Die
Ehnde war auf doppelte Weife für den Menfchen ein Hin⸗
derniß des Eintritts in das Himmelreich, als die gemeinfame
Eünde der ganzen menſchlichen Natur und als bie fpecielle
Sünde jedes Einzelnen. Durch das Leiden Chrifti find wir
ſowohl von der Schuld und Strafe der gemeinfamen Suͤn⸗
de, als auch unfern eigenen Sünden befreit, wenn wir Durch
den Glauben, die Liebe und die Sacramente des Glaubens
mit dem Leiden Chrifti Gemeinfchaft Haben. Darum iſt uns
durch daſſelbe auch die Pforte des Himmelreichs geöffnet *).
——
4) Art. 4.: Tantum bonum fuit, quod Christus voluntarie
passus est, quod propter hoc bonum, in natura humana
inventum, Deus placatus est super omnt offensa generis
humani, quantum ad eos, qui Christo passo conjungun-
tur. Auf ben Abälard’fchen Sag: Gott habe nicht verfähnt
werden dürfen, da er uns immer geliebt habe, antwortet
Thomas durch Die Unterfcheidung: Deus diligit omnes ho-
mines quantum ad naturam, quam tipse fecit, sed odit
omnes quantum ad culpam, quam contra eum homines
‚committunt.
2) Was Thomas im fechsten Artikel noch folgen läßt, ift uur
dieß: Chriſtus habe, wie er fich durch fein Leiden unter fei-
ne Würde ernicdrigte, fo auch erhöht zu werden verdient,
nach dem allgemeinen Grundfag: meritum importat quan-
dam aequalitatem justitiae. — Ita cum aliquis ex justa
246. 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
Umfaflender und erfchöpfender ift die Lehre vom Leiden
Chriſti, und von der auf demfelben beruhenden Verföhnung
des Menfihen mit Gott, nach dem ganzen Zufammenhang der
Momente und Geſichtspuncte, welche fid, dabei unterfcheiden.
laflen, noch von feinem Theologen bis auf jene Zeit behan⸗
delt worden. Fragen wir aber, auf welchem Begriff in lg
ter Beziehung die hier aufgeftellte Theorie beruht, fo ift e&
unftreitig der Begriff der Satisfaction. Denn obgleich Thos. -
mas den Begriff der Satiöfaction den ‚Drei Begriffen, mit
welchen er ihn zufammenftellt, dem Begriffe des meritum,
Des sacrificium und der redemptio coordinirt, fo behaup⸗
tet er Doch zugleich, Daß der Menjch nur per modum satis-
factionis von dem reatus poenae frei werden kann, und
wenn er auch von der Aufhebung des reatus poenae bie.
eigentliche Verföhnung mit Gott, die er nicht auf die Schuld
der Sünde, fondern Die Sünde felbft bezieht, und durch ben
Begriff Des Opfers vermittelt, unterfcheidet, fo ift doch bie
voluntate sibi subtrahit, quod debebat habere, meretur,
ut stbi amplius superaddatur, quasi merces justae vo
luntatis. — Wie unrichtig die öfters wiederholte Behauptung,
daß unter den Scholaftifern namentlich Thomas das Vers
dienft Ehrifti auf die Erbfünde befchränft habe (man vgl. z. B.
Cotta in der oben ©. 17. genannten Differt. ©. 123.), in dies
fer Allgemeinheit ift, ift aus Quaest. 1. art. 4. zu fehen, wo Tho⸗
masnicht nur ausdrücklich fagt, Chriſtus fen zur Tilgung nicht
blos der Erbfünde, fondern auch aller nachherigen Sünden
gekommen, fondern auch diefe Befimmung noch hinzufegt:
tanto autem principallus ad alicujus peccati deletionem
Christus venit, quanto illud peccatum majus est. Inten⸗
fio fey die actuelle Sünde größer, als die Erbfünde, extens
fiv aber die Erbfünde als Sünde des ganzen Gefchlechte.
Et quantum ad hoc Christus principalius venit ad tol-
lendum originale peccatum, in quantum bonum gentis
divinius et eminentius est, quam bonum unius (wie Aris
ſtoteles in der Ethik fage). Ä
Thomas von Aquinum. 247
mefentlichte Bedingung der Berföhnung die Aufhebung bes
reatus poenae. DBerföhnt ift demnach der Menfch mit Gott,
weil Chriftus für ihn genuggethan und durch fein genug.
ituenbes Leiden bie auf dem Menichen liegende Schuld der
Etrafe getilgt hat. Dieſes Leiden Chrifti war nicht blos ein
genugthuendes wegen jeined unendlichen Werth, fondern auch
ein ftellvertretendes, da Chriftus im Acte der Genugthuung,
alſo an der Stelle ber Menfchen, den größten Schmerz erdul⸗
dee (wobei freilich über das Verhaͤltniß der Größe dieſes
Schmerzes zu der Größe des Schmerzes, welchen die Men-
ſchen ſelbſt hätten erdulden follen, nichts beftimmt wird). An
fh aber wäre biefe Genugthuung keineswegs nothwendig
geneſen, Sott hätte ebenfo gut auch ohne fie die Menfchen
wieber mit fich verfühnen können. Soweit die Genugthuung
durch Das Leiden Chrifti unter den Gefichtöpunet der Noth-
wendigfeit geftellt wird, ift Nothwendigfeit nur ſoviel, als
Cchicklichkeit und Zweckmaͤßigkeit. Run follte man zwar den»
im, daß auch dad Schickliche und Zwedmäßige für Gott den
Character innerer Rothwendigfeit habe. Allein eine göttliche
Lothweudigkeit dieſer Art wird nicht behauptet, und da nun
ohnebieß der Begriff der Nothwendigfeit, ald eines äuſſern
Imangs, auf Gott Feine Anwendung findet, fo gilt ganz
elfgemein, was Thomas Quaest. XLVI. Art. 1. fagt: In
Deum non cadit aliqua necessitas, quia hoc repugna-
tet omnipotentiae ipsius, ergo non fuit necessarium,
Christum pati. Wir fommen daher auf denfelben, jeder
Deduction der Nothwendigkeit eined genugihuenden Leidens
enigegenftehenden, Begriff der göttlichen Allmacht zurüd, auf
welchen Die Satiöfactionstheorie Bonaventura's zurüdgeht,
und es fragt fich daher nur, ob nicht der dem Thomas eis
genthümliche, won ihm zwar nicht weiter entwidelte, aber
wiederholt ausgefprochene Begriff einer satisfactio non so-
lum sufficiens, sed etiam superabundans zwiſchen feiner
und des Bonaventura Theorie einen gewißen Unterſchied bes
248 L Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
gründet. Um aber hierliber beftimmter urtheilen zu können,
müffen wir dem Thomas von Aquinum zuvor feinen Rivalen Dums
Scotus zur Seite ftellen, da auch Die Lehre vom Verbienft Chri⸗
fti unter die Puncte gehört, in welchen die beiden berühmten
Urheber theolopifcher Lehrſyſteme von einander abweichen.
Duns Scotus hat es fich in feinem Commentar über bie _
Sentenzen bed Betrus Lombardus bei ben betreffenden Dis
flinetionen *) zur Hauptaufgabe gemacht, bie Behauptung
des Thomas, daß das Verdienft Chrifti ein objectiv unend⸗
liches fey 2), zu widerlegen. Duns Scotus geht von der Bors .
ausſetzung aus, daß das Verdienft Chrifti nur der menſchli⸗
chen Natur Chriſti angehört. Daher kann ed, wie dieſe, nur
endlich ſeyn. Es iſt endlich, weil es ſeinem Weſen nach von
einem endlichen Princip abhängt. Unter welchem Geſichts⸗
punct man es betrachten mag, mag man es auf das Sub
ject des Wortd (ded Logos), oder auf den Endzwed beziehen,
alle diefe Beziehungen find nur endlich, wäre ed unendlid,
fo wäre ed nicht mehr ein Verdienft, dad einem geichaffenen
Willen, fondern dem ungefchaffenen Willen des Wortes ans
gehört. Gleichwohl aber iſt es feiner Wirkung nach ein zu
reichended. Wie nämlich alles, was von Gott ift, nur be
wegen gut ift, weil es Gott will, nicht umgekehrt, fo hängt
auch der Werth des Verdienftes Ehrifti nur von der Annah⸗
me von Seiten Gottes ab, objectiv betrachtet aber konnte es
1) Opp. Ioannis Duns Scoti Lugd. 1639. Tom. VIL P. 1.
©. 382. f.
2) A. a. O. gu Dist. XIX. ©. 412.: Meritum Christi, ut
dicunt, habet quandam infinitatem ex supposito Christi,
quod eliciebat, et exercuit operationes illius naturae as-
sumptae, et ideo vita illius suppositi et operationes fue-
runt bonum infinitum, propter quod et mors et passio
et aliae operatiomes habuerunt quandam infinitatem, ul
sufficerent pro Infinitis peccatis delendis et inſinitis gra-
tlis et glorlis conferendis.
Dun Scotuß. 249
e Gottheit nicht als ein unendliches, fondern nur als ein
Diches annehmen. Daß es aber Gott, obgleih es an
y nicht unendlich ift, doch feiner äußern Beziehung nach,
er extenfiv, für unendlich viele, als unendlich annehmen
ll, bat feinen Grund in der Berfon, der e8 angehört. Bel
er andern Berfon wäre nicht diefelbe Schiclichfeit der An⸗
hme. Für fo viele alfo Gott es amehmen will, für fo
fe ift es zureichend *).
>
U. a. D. €. 417.: Dico, quod meritum Christi fuit fi-
»itum, qula a principio finito essentialiter dependens,
etiam accipiendo ipsum cum omnibus respectibus, sive
cum respectu ad suppositum Verbi, sive cum respectu:
ad finem, quia omnes respectus isti erant finiti, et ideo
quomodocunque ceircumstantionatum finitum erat, aut si
fuit infinitum, tunc non fuit meritum plus secundum
velle creatum, quam secundum velle Verbi increatum.
Quantum ergo valuit illud meritum ad sufficientiam?
Dico, quod sicut omne aliud a Deo ideo est bonum
quia a Deo volitum, et non e converso, sic me-
ritum illud tantum bonum erat, pro quanto ac-
ceptabatur, et ideo meritum, quia acceptatum, non
aulem e conmverso, quia meritum est et bonum, ideo
accepltatum, et tantum potuit acceptari. passive, quan-
tum tota trinitas potuit et volult acceptare active, sed
ex formali ratiome sua, quam habuit, non potuit accep-
tari in infinitum et pro infinitis, sed pro finitis. Tamen
ex circumstantia suppositi et de congruo, ratione suppo-
siti, habuit quandam rationem extrinsecam, quare Deus
potuit acceptare Ülud in infinitum, scilicet extensive,
pro infinitis. Si autem illud meritum fulsset alterius
personae, tunc nec rutione operts, nec ratione operantis
fuisset congrultas acceptationts illius pro infinitis. Pro
quantis autem, et pro quot Deus voluit passtonem illam,
'sive bonum velle, acceptare, pro tot sufficit, sed quan-
tum est de formali ratione rei acceptabllis in se, non
252
dings bie Strafe ertenfiv unendlich, ‚nur folgt daraus nicht,
1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
daß Gott die Sünde nicht auch anders beſtrafen kann ®).
In der Antwort auf den weitern Einwurf, daB, wenn bie
Melt und die Fortpflanzung der Menfchen immer fortbaure,
und die Menſchen unendlich viele find, das endliche Verbienft
nicht zureicht, wird nur das ſchon Geſagte wiederholt, bap
Gott das an fidh endliche Berbienft als ein unendliches an⸗
nehmen fönne 2).
to unum abduzit a termino a quo, tantum allud con-
jungit ei, et mazxime hoc est verum de amore animae
Christt.
4) ©. 412.: Praeterea per idem potest probari, guod nom
2)
meruit deletionem poenae pro reatu infinito aliorum, quia
poena, quae debetur illi peccato, est infinita, et meritum
Christi finitum: ergo. Dagegen ©. 422.: Cum dicitur,
quod poena debita mortali est Infinita, verum est, d
—
voluntas finaliter maneat in peccato, illa poena est infi-
nita extensive, et hoc quia subjectum manet semper sub
culpa, et hoc est ex ordinatione divina, quod ubi cecide-
rit liqnum, ibt erit (Eccles. 11, 3.), non quin Deus possit
punire aliter peccatum illud, unde, si Deus puniret ani-
mam per diem tantum pro culpa mortali, et post anni-
hilaret animam, non faceret injustitiam. Tunc ad for-
mam poena est infinita extensive ex ordinatione divi-
na, non tamen, quin aliter posset punire peccatum, si
vellet.
©. 412.: Praeterea de possibili possunt esse homines
infintti, si mundus et generatio semper duraret, et qui-
libet natus de Adam contraheret originale peccatum:
igitur foret tunc in mundo, in post sumendo, infinita
culpa: igitur cum meritum Christi fuerit finitum, non
suffecisset pro remissione offensae et collatione gratiae
et gloriae omnium. Dagegen ©. 422.: Dico, quod bo-
num velle Christi, vel passto ejus consideralta secundum
se, formaliter posset recompensart per aliquid bonum fi-
Duns Scotus. 253
Wird die Unendlichkeit der Schuld und die Unendlichkeit
bed Verdienſtes geläugnet, fo ift die Confequenz ber Anfelm’-
fen Debuction der Nothwendigfeit der Satisfaction ſchon in
ihren erften Brämifien abgefchnitten. Daher ift es erft bie
Theorie des Duns Scotus, welche den vollfommenften Gegen⸗
ſaz zur Anſelm'ſchen Satisfactionstheorte bildet. Er felbft
hat e8 daher auch nicht unterlaffen, in feinen Erörterungen
über die Dist. XX. des Magifter, oder, wie er fie auffaßt,
die quaestio, utrum necesse fuerit genus humanum
reparari per passionem Christi, birecter und ausführlis
der, als ein anderer Scholaftifer, in eine Unterfuchung der
Anfelm’fchen Lehre einzugehen. Die Zweifel und Einwürfe,
die er ihr entgegenfezt, find folgende: Bord erfte greift er
- die Sonclufion felbft an, daß es Feine andere Erlöfung gebe,
als durch den Tod Chrifti, und durch eine freiwillige, bie
: ganze Ereafur an Werth übertreffende Gabe. Zum Bewelfe
- v8 Gegentheild beruft er fih auf Augufttn (De Trin.
XUT, 20.), hieraus erhelle, daß in der Goneluflon feine
: Rotbwenbigfeit liege. Hierauf behauptet er, die Nothwen⸗
digkeit, Daß Chriftus, ale Menſch, durd feinen Tod den
Nenſchen erlöste, fey nur die Rothwendigfeit der Folge
'(necessitas consequentiae). Sey vorausgefehen worden,
daß er leiden werde, fo habe er allerdings leiden müflen,
nitum, sicut Ipsum, vel ipsa fuit nomnisi finitum in se:
praemiat tamen Deus ultra condignum, ideo potest
ratione alicujus bonitatis et personae palientis accepta-
re bonum velle Christi, et ejus passionem pro infinitis,
quia tanlum et pro tot valet, quantum et pro quot ac-
ceptatur a Deo. Quamvis autem posset acceptare pas-
sionem illam pro Infinitis, non tamen Infinite, quia non
potest (sc. Deus) diligere aligquod creatum a parte dili-
gibilis infinite, quia non est infnitum, de facto tamen
non fult accepta nisi pro electis, quia pro els tantum
fuit oblata a Christo, efficaciter dico,
254 1. Ber: IL Abſchn. 3. Kay.
aber das Eine, wie dad Andere, dad Vorangehende, wie bas
Nachfolgende, ſey etwas Zufälliges )Y. Daß Chriftus leiden
mußte, argumentirt Duns Scotus weiter, hat darin feinm ı
Grund, daß die Wiederherftelung des Menſchengeſchlechts 1
nothmwendig war. Die Wiederherftelung des Menſchenge⸗
fchlechts aber war nothwendig, weil die Menfchen zur Sellge !
keit präbdeftinirt find, und als ©efallene nur durch Satie ı
‚faction in fie eingehen fönnen, aber die Prädeftination bei ;
Menschen if ja felbft nur zufällig, nicht nothwendig, dem
wie Gott überhaupt in Anfehung desjenigen, was auffer Ike |
if, nichts mit Nothwendigfeit thut, fo hätte er ebenfo gut]
auch den Menjchen nicht prädeftiniren können, nur unter ı
Borausfezung der Prädeftination iſt es unſchicklich, daß ben
Menfch feiner Seligkeit verluftig werde, fo wenig alfo bie‘
Prädeftinatton abfolut nothwendig iſt, ſo wenig iſt es I
die Erlöfung 2). Gefezt aber au, die Wiederherftellung '
17 i
1) A. a. O. S. 428.: Praeterea non est aliqua necessilas,\
quod Christus homo redimat hominem per mortem, wid ]
necessitas consequentiae, scilicet posito, quod ordinass-:
rit sic illum redimere, sicut si curro, moveor, haec ed
necessitas consequentiae, sed antecedens est stmpliciter
contingens et similiter comsequens, scilicet me currere d
moveri. Similiter Christum pati mortem, fuit contin-
gens, sicut contingens fuit ipsum praevideri passurum,
nulla est ergo necessitas, nisi consequentiae, scilicet #
prawisus fuit pati, patietur, sed tam antecedens quam.
consequens fuit contingens.
2) 4. a. D.: Sicut Deus ab aeterno contingenter praede-
stinavit hominem et non necessario, quia nihil necessa-
rio operatur, respectu aliquorum extra se, ordinande
illa ad bonum, sic potuit non praedestinasse, nec est in-
conveniens hominem frustrari a beatitudine, nisi prae—
supposita praedestinatione hominis, igitur nulla fuit ab-
solute redemptionis ejus necessitas, sicut nec praedesti—
ualionis ejus. In welchem directen Gegenfag diefe Site
Dund Scotuß. 255
bes Menfchengefchlechts ſey nothwendig geweſen, fo fragt fich,
sb fie nicht anders, als durch Satisfartion gefchehen konnte,
und wenn Satisfaction nothwendig ift, ob fie nur von Gott
geleitet werben kann, und wenn nun in diefer Beziehung
weiter gefagt wird, daß niemand Gott genugthun kann, ohne
Gott etwas barzubringen, was an fi größer ift, als das,
wodurch fich der Menfch nicht hätte zur Sünde verleiten laf-
In follen, alfo größer, als die ganze Creatur, fo iſt dieß
"wicht wahr. Denn e8 ift nicht nöthig, daß die Satisfaction
fir die Sünde des erften Menſchen objectiv (formaliter)
u Größe und Vollkommenheit einen größern Werth habe,
as die geſammte Greatur, es wäre hinreichend geweſen, Gott
für die Sünde des erſten Menſchen etwas zu geben, was in
“Iiherem Grade etwas Gutes war. Hätte Adam durch die
- Gnade und Liebe auch nur In Einem Acte, oder in mehreren,
"Gott um feiner felbft willen mit einem höhern Grade der
Thätigkeit feines freien Willens geliebt, ald fein Wille zur
Sünde thätig war, fo wäre dieſe Liebe zur Vergebung feiner
"Sünde hinreichend geweſen, und ed wäre Gott durch einen
Kt der Liebe genuggethan worden, welcher ebendadurch, daß
e auf Gott um feiner jelbft willen feine Richtung nahm, in
demſelben Orade mehr geweſen wäre, ald die Liebe zur Crea⸗
tr, in welchem Gott mehr ift, als die Greatur, obgleich an
fh ein folcher Act nicht mehr geweſen wäre, als die ganze
Creatur 9). Auch die Behauptung Anfelms, daß nur ein
zu den Prämiflen der Anfelm’fchen Satisfactionstheorie ſte⸗
ben, fällt von felbft in die Augen. Del. oben ©. 161. f.
1) A. a. O. ©.429.: Ex majort conatu libert arbitrii quam
fult comatus in peccando — futsset satisfactum, et tunc
propositio illa est falsa, quod debutt offerre Deo aliquid
majus omni eo, pro quo peccare non debuerat, sed sicut
pro amore creaturae, ut objecti diligibilis, non debuit
peccare, ita satisfactendo debuit öfferre Deo aliquid
256 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
Menſch genugthun konnte, läßt Duns Scotus nicht als eine
abſolut nothwendige gelten, da uͤberhaupt einer, der er |
Schuldner if, ebenfo gut für einen andern genugthun, als
für ihn beten kann. Wie Chriftus als unfchuldiger Menſch
(als non debitor) genugthat, fo hätte, wenn ed Gott fo
gefallen hätte, auch ein guter Engel genugthun und Gelt
etwas ihm wohlgefälliges, was er für die gefammten Sün
den angenommen hätte, barbringen können, weil alles Crea⸗
türlihe, wenn ed Gott dargebracht wird, den Werth hat, :
in welchem ed Gott annimmt. Was daher von Anfelm,
Bonaventura, Thomas von Aquinum und andern ausdrüde
lich geläugnet wird, wird von Duns Scotus ohne Bedenken
behauptet, daß ein bloßer Menfch (unus purus homo) für |
alle hätte genugthun können. Wäre er, wie an ſich möglich
ift, ohne Sünde, durch die Kraft des heiligen Geiſtes, wie .
Chriftus, empfangen worden, hätte ihm Gott das höchfte Maakt.
von Gnade, defien er fähig ift, gegeben, wie er es Chriftus ohng _
vorangehended Verbienft aus freier Güte gab, er hätte die
Tilgung der Sünde fowohl, als die Seligkeit verdienen kön⸗
majus, attingendo per actum objective, quam sit creatu-
ra, scilicet amorem. attingentem Deum propter se, ed
ille amor objective, ut terminatur in Deum, excedit amo-
rem creaturae, sicut Deus creaturam. Unde sicut pec-
cavit per amorem ignobilioris objecti in infinitum, ita
debuit satisfacere per amorem nobilioris in Infinitum,
et hoc suffecisset, saltem de possibili. Dico igitur, quod
amor, quem ojfferre debet satisfaciendo, debet excedere
amorem cujuscunque crealurae, quod verum est, et
diligere magis objectum nobilius satisfaciendo, quam
dilexit ignobiltus peccando: tamen ille actus, quo con-
vertor ad Deum per amorem, in sua formali ratione non
est major omni creatura, nec etiam amor Christi crea-
tus, quo dilexit Deum, fuit talis. Unde ipse vult omni-
no infinitatem habere, ubi non est ex formali ratione rei.
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Duns Scotus. 257
en 2). Da Duns Scotus das VBerdienft Chriſti blos auf
je menfchliche Ratur Chrifti bezieht, fo ift dieß im Grunde
ine wirfliche Behauptung. Ja er hält es fogar für möge
h, daß jeder für fich genugthun Fann, da es nur darauf
kommt, daß jeder Menfch die erſte Gnade (die gratia
eima zum Unterſchied von der gratia secunda, bie dem
tenfchen nach der Taufe bei der Buße zu Theil wird) em⸗
Ängt. Wie und Gott, obgleich jeder ein Kind des Zorns
I, doch ohne unfer eigenes Verdienſt Die erfte Gnade gibt,
wburch jeder die Seligfeit verdient, fo kann er auch bie Til-
mag ber Schuld verdienen ?).
AUus allem diefem zieht Duns Scotus die Folgerung,
Was ganze Werk der Erlöfung durch Chriftus nichts noth⸗
wbiges iſt, fondern blos etwas zufälliges, oder nothwen⸗
g nur unter Borauffegung einer göttlihen Anordnung,
jache felbft nicht nothwendig iſt. Daß aber Chriftus, ob-
dich der Menſch auch anders hätte erlöst werden Fönnen,
a gleichwohl mit freiem Willen gerade auf dieſe Weife er⸗
Ken wollte, darin erkennt Duns Scotus das fittlihe Mo⸗
went, daß der Menſch in Folge hievon durch ein um fo flär«
ines Band der Liebe mit Gott verbunden wird °).
4) Duns Scotus fett noch hinzu: Zt cum dicit (Anfelm Cur
D. h. I, 5.) quod tuno obligaremur ei tantum, quas-
tum Deo, falsum est, imo simpliciter Deo, quia totum,
quod üÜle haberet, esset a Deo: obligaremur tamen mult
tum sibi, sicut obligaremur beatae Virgini, et aliis San-
ctis, qui meruerunt pro nobis, semper tamen finaliter e-
summe Deo tangquam ei, a quo allorum bona procedunt.
9) Praeterea videtur (de possibili dico), quod quilibet pot-
est satisfacere pro se — sicut modo, licet quilidet sit
filius irae, cuilibet tamen dat primam gratiam sine me-
rütis propriis, et tunc meretur begtitudinem, igitur po-
tuit etiam merutsse deletionem culpae.
)A. a. O. ©. 430.: Tunc ad quaestionem dico, quod om-
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 17
258
I. Ber. IL Abſchn. 3. Rap.
Zufällig ift Demnach nad) Duns Scotus das ganze Wer
der Erlöfung, aber dieſelbe Zufälligfeit behauptet auch Tip
-
nia hujusmodi, quae facta sunt a Christo circa redemp-
tionem nostram , non fuerunt necessaria, nisi praesup-
posita ordinatione divina, quae sic ordinavit fierl, d
tunc tantum necessitate consequentiae necessartum fill,
"Christum pati: sed tamen totum fuit contingens
'citer et antecedens et consequens. Unde credendum est)
quod ille homo passus est, propter justitiam (nimill
Chriſtus), vidit enim mala Judaeorum, quae feceranij
et quomodo inordinata affectione et distorta affıcleben-
tur ad legem suam, nec permittebant homines curarl
sabbato, et tamen extrahebant ovem vel bovem de
in :sabbato et multa alia. Christus igitur volens eos ı
errore illo revocare per opera et sermones, maluit
quam tacere, quia tunc erat veritas dicenda Judasds,
et ideo pro justitia mortuus est. (Man überfehe hier nt
wie rationalififh Duns Scotus die Wirkfamkeit Ch
auffaßt, indem er in ihm nur den zur Verbefferung der SH
lichfeit feiner Zeitgenoffen wirkenden £chrer fieht). Tameg
de facto sua gratia passionem suam ordinavit et obtu-
lit Patri pro nobis, et ideo multum tenemur ei. Ex que
enim aliter potuisset homo redimi, et tamen ex sua H-
bera voluntate sic redemit, multum ei tenemur, et am-
plius quam si sic necessario et non aliter potuissemus
fuisse redempti, ideo ad alliciendum nos ad amorem:
suum, ut credo, hoc praecipue fecit, et quia voluit homi-
nem amplius teneri Deo, sicut si aliquis genuisset pri-
mo hominem et postea instruxisset eum in disciplina d
sanclitate, amplius obligaretur ei, quam si tantum ge
nuisset eum et alius Instruxisset, et haec est congrei-
tas, non necessitas. St autem volumus salvare Ansel-
mum, dicamus, quod omnes raliones suae procedunt,
praesupposita ordinatione divina, quae sic ordinavit ho-
minem redimi (daß die Anfelm’fche Deduetion nicht ia
Diefem Sinne zu nehmen ift, verficht fich von ſelbſt), ei söc
Thomas von Ag. u. Duns Scotus. 259
3 von Aquinum, da er ja gleichfalls die abfolute Noth-
ndigfeit Defjelben läugnet. Welches Moment hat daher,
ı auf das Obige zurüdzufommen, der Begriff einer satis-
"io non solum sufficiens, sed superabundans, und
f welcher Seite ift Die größere Confequenz, auf der Seite
3 Thomas, welcher eine Eatisfaction in diefem Sinne bes
uptet, oder des Duns Ecotus, welcher fle verwirft? Cine
tisfactio non solum sufficiens sed superabundans {ft
Rreitig der ftärkfte Ausdrud für den objectiven innern Werth
z von Chriftus in feinem Leiden und Tod für die Sünden
kRenfchen gegebenen Aequivalents. Die Stinden der Men-
ja find fo wenig frei erlaffen, daß das, was für fie ge⸗
m vwourde, nicht blos denfelben, fondern fogar noch einen
überfteigenden höhern Werth hat. Welchen Zwed kann es
er haben, auf den innern objectiven Werth des Aequivas
#8 fo großes Gewicht zu legen, wenn doch zugleich zuges
ken wird, daß an fich überhaupt Fein Nequivalent zur Er-
ng der Menfchen nothwendig war? Nur wenn man von
r Borausfegung ausgeht, daß die Menfchen ohne ein Ae⸗
walent nicht hätte erlöst werden können, Fommt es dar⸗
fan, nachzuweiſen, daß das Aequivalent in dem anges
fienen Verhältnig zu demjenigen ftund, wofür ed als Aes
ionlent gegeben wurde, und wenn fi} bei diefer Gegen⸗
erftellung des einen und des andern fogar noch ein Ueber⸗
uß ergibt, ift alles geichehen, was nur immer die Rück⸗
ht auf die ein Aequivalent fordernde Idee der Gerechtigkeit
bieten kann. Hieraus geht aber von felbft hervor, daß die
dee einer satisfactio non solum sufficiens, sed super-
bundans zwar in einer Deduction der Nothmendigfeit des
videtur procedere, ita quod Deus ex praeordinatione non
voluit acceptare pro redemptione hominum , nis! mortem
Filii sut, nulla tamen necessitas absoluta fuit. Unde in
Ps. 129. (130, 7.): Copiosa apud eum redemptio.
17 *
260 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
Grlöfungswerfes, wie bie Anſelm'ſche ift, ihre nothmenbige
Stelle hat, auf jedem andern Standpunct aber Teineswegs
dDiefelbe Bedeutung haben kann. Daher fteht Thomas mit
feiner Idee einer satisfactio abundans in der Mitte zwi⸗
[hen Anfelm und Duns Scotus, und es fragt fih nur, ob
man, wenn man fid) von Anfelm fo weit: entfernt, als ſich
Thomas von ihm entfernte, nicht noch weiter geführt wird,
und nur der von Duns Scotus genommenen Richtung fols
gen kann. Gibt man zu, Daß Gott auf eine andere Weile,
ohne Genugthuung und Nequivalent, die Menfchen hätte er⸗
Löfen Fönnen, abftrahirt man ebendamit nicht blos von ber
Borausfegung, daß Die objective Unendlichkeit der Schuld mit
der objectiven Unendlichkeit eined Aequivalents ausgeglichen
werben müffe, jondern auch von der Idee der objectiven Uns
enbdlichfeit der Schuld der Sünde felbft, fo ſieht man aud
nicht mehr, welche Bedeutung überhaupt die Firchliche Lehre
von der Berfon des Gottmenfchen für das Werk der Erlös
fung haben fol, und muß dem Duns Scotus Recht geben,
baß ebenfo gut auch ein bloßer Menſch der Erlöfer der Mens.
fchen, oder der Ankündiger und Vermittler der göttlichen Gna⸗
de, hätte ſeyn können. Es ift daher hier nicht zu überfehen,
wie der Widerfpruch des Duns Scotus gegen Die satisfac-
tio superabundans ihn zugleich auf Behauptungen führt,
die mit der Firchlich orthodoren Lehre von der Perſon Chris
fti fi) nicht wohl vereinigen lafien. Während Thomas bie
Idee der satisfactio superabundans auf die dignitas vi-
tae gründet, quam pro satislactione ponebat, quae erat
vita Dei et hominis, behauptet Dagegen Duns Scotus:
meritum Christi fuit quoddam finitum bonum, cum
fuerit ejus secundum naturam humanam. Mit welchem
Recht wird aber das Leiden und Verdienſt Chrifti nur nad
dem Maasftab feiner menſchlichen Natur gewürdigt, wenn
doch in der Zweihelt der. Naturen immer die Einheit der
gottmenfchlichen Berfon des Erlöfers feftgehalten werden muß!
Thomas von Ag. u. Duns Scotuß, 261
ſt aber bad Leiden und Verdienſt Chrifti nicht blos ein
enfchliches, fondern ein gottmenfchliches, fo muß ed auch
nen objectiven übermenfchlihen, abfoluten Werth haben.
iefe von Thomas behauptete infinitas meriti beftreitet
und Scotus durchaus mit Argumenten, bei welchen Kar vor
gen liegt, wie fie eine ber Einheit der Perfon widerſtrei⸗
de Trennung des Göttlichen und Menfchlichen, oder, da es
h zunächſt um den Begriff des Verdienſtes handelt, des
Mlichen und menfchlichen Willens in Chriſtus vorausfegen *).
P Zu Dist. XIX. ©. 413. argumentirt Duns Geotud gegen
Thomas auf folgende Weife: Contra hunc modum dicen-
di (die Infinitas meriti) arguo, quia dicta ista, quibus
dicitur, quod vita Christi fuit ita excellens, ut haberet
quandam infinitatem, videntur hyperbolica, et exponen-
da, quia nunc loguimur de bono velle Christi, quo
meruit, et Deus acceptavit passionem pro omnibus, quan-
tum ad suffictentiam, ut dicunt, quia aut bonum velle
Christi tantum erat acceptatum, quantum eral persona
Perbt (warum tft bier blos von der persona Verbi die Res
de, und nicht vielmehr, wie:die Lehre von der Perfon Ehri-
Ri erfordert, von der Perfon des Gottmenfchen?), aut si non,
ergo non habuit infinitatem acceptabilitatis, ut posset
sufficere pro infinitis. Si bonum velle Christi aut tan-
tum acceplatum, quantum erat persona Verbt, tunc cum
persona Verbi sit simpliciter infinita, illud bonum velle
Christi fuit infinite acceptatum, sed cum Deus nihil
acceptet, nist quantum habet de acceptabilitate, igitur
ilud velle ratione suppositi habet rationem tnfinitae
.acceptabilitatis, et tunc in acceptabilitate non esset dif-
ferentia inter velle proprium Verbi in se et velle Il.
Hus naturae in Verbo, quia ex parte acceptabtlitatis non
est major acceptabilitas, igitur Verbum volendo bonum
eircumscripta natura assumpta potuit merert, quod fal-
sum est. (Allein eben dieſe differentia des Wollend des
Worts und der menfchlichen Natur im Worte, oder dieſe
Trennung der Einheit der gottmenfchlichen Perfon in bie
262 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
Wie aber auf- diefe Weile die Läugnung der objectiven- Un-
endlichkeit des Leidens und Verdienſtes Chrifti auf Confe-
beiden für fich betrachteten Naturen, wie wenn Chrifus
im Werk der Erlöfung nicht Gottmenfch, fondern bloßer
Menfch geweſen wäre, iſt das Falfche.) EL ultra sequi-
" tur, quod trinitas tantum diligeret velle assumtae,
sicut Verbi increatum, quod nihil est dicere, quia hoc
est ponere, creatum habere tantam diligibilitatem stcut
increatum (auch diefer Unterfchied des Gefchaffenen und Uns
gefchaffenen ift in der Einheit der Perfon aufgehoben. Eben⸗
ſo verhält es fich mit den folgenden Argumenten). Praeter-
ea hujusmodi velle non est plus acceptatum Deo, quam
sit bonum: si igitur Infinite fuit acceptatum, vel pro
infinitis, tune velle illud cum relatione ad suppositum
:‚ Ver&i fuit formaliter infinitum, igitur antma Christi
u, potult ita perfecte frui Deus, vel velle cum tali respec-
tu, .sicut, Verbum suo velle proprio, quod nihil est nisi
ponere animam Verbum. (Sind adenn nicht die ani-
ma und das Verbum in der Einheit der Perfon ſelbſt auch
zur Einheit geworden, und als Eins gefest?) Praeterea
per se principium ülius velle, sumptum cum omnibus
respectibus ad Verbum, vel ad aliud, est finitum: Igitur
et velle fuit formaliter finitum et limitatum et per con-
sequens finite acceptatum, nec habuit Verbum causali-
tatem aligquam super illud velle, guam non habuit tota
trinitas. Et si detur, quod Verbum habet specialem ef-
fieientiam super actum illum, adhuc non sequitur, quod
sit formaliter infinitus — ita quod secundum sufficien-
tiam valeat pro infinitis redimendis, sed sicut meritum |
fuit finitum in se, ita secundum justitiam commutati-
vam fuit finitum retributum: igitur non meruit Infinitis
secundum sufficientiam in acceptatione divina, sicut nee
fuit infinite acceptatum, quia in se finitum. Worauf
anders läuft auch dieß wieder hinaus, als auf die Tren⸗
nung Der perfönlichen Einheit des Erlöfers, wie wenn das
Endliche in ihm nicht in die Einheit mit dem Unendlichen
aufgenommen wäre?
Thomas von Aa. u Duns Scotus. 263
quenzen führt, die bie Idee der gottmenfchlichen Perfon bes
Grlöfers. felbft aufheben, fo muß auf der andere Seite auch
der nothiwendige Zufammenhang der Idee des Gottmenſchen
mit der objectiven Unendlichkeit feines Leidens und Berbiens
ſtes anerkannt werden. So wenig bie Idee des Sohnes Got⸗
tes, oder des Gottmenfchen, für eine blos wilfürliche und
zufällige gehalten. werden kann, ebenfo wenig kann auch die
durch ihn gefchehene Erlöfung aus dieſem Geſichtspunct
betrachtet werben, fondern das Eine wie Das Andere kann in
feinem abfoluten Grunde nur aus der abjoluten Natur Got⸗
tes felbft begriffen werben. Läugnet man aber jede, im Wes
fen Gottes felbft gegründete, Nothwendigfeit, fo Tann der
abfoluten Nothwendigkeit, wie fie Anſelm in feiner Welfe
anerkannte, Thomas von Aquinum aber theils fefthtelt, theils
fallen ließ, nur die abjolute Willfür gegenübergeftellt wer⸗
den, auf welche die Theorie des Duns Scotus als ihre lezte
Vorausſezung immer wieder zurüdgeht.
Sp unbedeutend beim erften Anblid die Differenz bes
Thomas von Aquinum und ded Duns Scotus in Anfehung
der satisfactio superabundans zu feyn fcheint, fo tief ein⸗
greifend ift, bei näherer Betrachtung, der Gegenfaz der beiden
Standpuncte, auf welche fie zurüdzuführen if. Der Wider-
ſpruch des Duns Scotus gegen die satisfactio superahun-
dans hängt fehr wefentlich mit einer Theorie zufammen, die
aus dem Verhältniß Gottes und ded Menfchen alles objectiv
Vermittelnde zu entfernen fucht, weil e8 dem abfoluten WBil-
len Gottes gegenüber nur ald etwas an ſich Ueberflüffiges
erſcheinen kann. Alles, was die Verfühnung des Menfchen
mit Gott zu erfordern fcheint, ift nothwendig, nur weil e8
Sott will, nicht aber deswegen, weil Gott nichts anders
wollen kann, ale das an fih Wahre und Gute, das Abfo-
Iute. Daher ift diefer abjolute Wille Gottes, da er nicht Die
Natur Gottes, ald des abfoluten Geiſtes, zu feiner nothwen-
digen Borausfezung hat, die abjulute Willfür felbft. Sft
6 1. Per. IL Abſchn. 3. Kap.
aber. die abfolute Willkür das hoͤchſte Princip, fo gibt es
auch Teinen durch Die denkende Vernunft geſezten Zuſammen⸗
bang von Momenten, durch die ſich Gott, als der abfolute
Geiſt, mit fich felbft vermittelt. Auf dieſes Princip der mit
dem Wefen Gottes felbft identiſch gefezten abfoluten Willkür
müffen wir alfo zurüdgehen, wenn wir ed ung feinem legten
Grunde nach erklären wollen, warum Duns Scotus dem
Begriff der satisfactio superabundans den Begriff der
divina acceptatio entgegenſezt. Weil überhaupt nichts ob-
jective Realität hat, auffer fofern es ein Object des göttlichen
Willens ift, der an fich ebenfo gut das Entgegengeferte zu
feinem Object machen Fönnte, hat auch die Satisfaction durd
Das Berdienft Chrifti feinen Innern objectiven Werth, fondern
Ihr Werth. hängt einzig nur davon ab, daß fie ein Object des
göttlichen Willens if. Daher hat die ganze Differenz, bie
fih durch die Lehrfufteme des Thomad von Aquinum und
des Duns Scotus hindurch zieht, ihre höchfte Spige in der
Lehre von Gott, in weldyer Thomas das abfolute Gute nicht
durch den abfoluten Willen Gottes, fondern den abfoluten
Willen Gottes jelbft durch die Idee des abfoluten Guten,
das nur die abfolute Natur Gottes felbft ſeyn kann, bedingt
ſeyn laßt 9). Während demnach auf dem einen Standpunct
4) P. III. Quaest. 19. art. 3. gibt Thomos auf die Frage:
Utrum quidguid Deus vult, ex necessitate velit? die Ant:
wort: Circa divina volita hoc considerandum est, quod
aliquid Deum velle est necessarium absolute, non tamen
hoc est verum de omnibus, quae vult. Voluntas enim
divina necessariam habitudinem habet ad bonitatem suam,
quae est proprium ejus objectum. Unde bonitatem suam
esse, Deus ex necessitate vult, sicut et voluntas nostra
ex necessiltate vult beatitudinem: sicut et quaelibet alia
potentia necessariam habitudinem habet ad proprium
et principale objectum, ut visus ad colorem, quia de sul
ratione est, ut in illud tendat. Alia autem a se Deus
Thomas von Ag. u. Duns Scotus. 269
Bott der abfolute Geiſt nur infofern if, fofern er der abſo⸗
lute Wille if, if er auf Dem andern der abfolute Wille nur
wult, in quantum ordinantur ad suam bonitatem ut in
finem: ea autem, quae sunt ad finem, non ex necessilate
volmus, volentes finem, nisi sint talia, sine quibus fi-
nis esse non potest. Dagegen fagt Duns Seotus Lib. L Sent.
Dist. 39. quaest.5. T.V. P. 2. ©. 1306. vom göttlichen Willen,
er fey Äidertas illa, quae est per se perfectionis et sine imper-
fectione, scilicet ad objecta opposita, ita quod sicut vo-
antas nostra potest diversis volitionibus tendere in di-
versa volibilia, ita illa voluntas potest unica volitione
simplici ilimitata tendere in quäecungue volibilia, ita
quod st voluntas illa, vel illa volitio esset tantum unlus
volitionis, et non possel esse oppositli, quod tamen est
de se volibile, hoc esset imperfectionis in voluntate. —
Voluntas divina nihil aliud respicit necessario pro ob-
jecto ab essentia sua, ad quodlibet igitur aliud contin-
genter se habet, ita quod posset esse opposili, et hoc con-
siderando ipsam ut est prior naturaliter tendentiä in
Ülud objectum, nec solum ipsa, ut volunltas prior est
naturaliter suo actu, sed etiam in quantum est volens,
'— in eodem instanti possit tendere in oppositum obje-
etum et: hoc tam de potentia logica — quam de poten-
tia reali, quae prior est naturali actu suo. Was folgt
aus diefen Sägen anders, als die Behauptung, daß der
Unterfchied des Guten und Böfen Fein objeetiver, ſondern
ein bios mwillfürlicher ift, daß alfo Gott das Gute nicht
will, weil es gut ift, fondern es vielmehr gut if, weil er es
will, auch das Bdfe fomit Bäfe, nur weil er es nicht will, an
fi) aber würde ed, wenn er es wollte, ebendadurd das
Gute feyn? Daher gibt es nach Duns Seotus in Beziehung
auf Gott Feinen Unterfchied zwifchen der potentia ordinata
and der potentia absoluta. Dico, fagt Duns Seotus Lib. 1.
Sent. Dist. 44. ©. 1369., quod Deus non solum potest
agere aliter, quam ordinatum est ordine particulari,
sed etiam aliter, quam ordinatum est ordine universali,
268 L Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
dern iſt nur eine neue Form ber Einheit Gottes und ber
Greatur. Für die Greatur aber, zu deren Weſen Veraͤnde⸗
rung gehört, ſchickt es fich, daß ſie, wie fie zuvor nicht war,
und erft zu feyn anfing, fo auch erft perfönlich mit Gott vers
einigt wurde, nachdem fie ed zuvor noch nicht war. Gehört
es nun aber an fich ſchon zum Weſen Gottes, fich mit der
Creatur perfönlich zu vereinigen, fo kann das Vermittelnde
diefer Einheit nur der Sohn feyn, zu befien Begriff es we⸗
fentlich gehört, daß in ihm Gott und Menih an ſich Eins
find. Der Sohn bat nämlich nach Thomas eine weſentliche
Beziehung zur Greatur, fofern er ald Wort Gottes das Urs
bild ift, nach welchem die Schöpfung gebildet worden iR,
und wenn nun das Berhältniß der Greaturen in ihrem Fürs
fihfenn zum Urbild nur ein getheiltes und bewegliches tft,
fo muß es auch eine ungetheilte perfönliche Einheit des Wors
tes mit der Greatur geben *). Liegt ed demnach an fi
4) Quaest. III. art. 8.: Convenientisstmum fuit, personam
filii incarnart. — Convenienter enim ea, quae sunt simi-
la, uniuntur: ipstus autem personae filii, qui est ver-
bum Dei, attenditur uno quidem modo communis con-
venientia ad totam creaturam, quia verbum artificis, id
est, conceptus ejus, est similitudo ewxemplaris eorum, quae
ab artifice fiunt. Unde verbum Dei, quod est aeternus
conceptus ejus, est similitudo exemplaris totius creatu-
rae, et ideo sicut per participationem hujus similitudi-
nis creaturae sunt in proprüs speciebus institutae, sed
mobiliter, ita per unionem verbi ad creaturam, non par-
ticipatam, sed personalem, conveniens fuit, reparari crea-
turam in ordine ad aeternam et immobilem perfectio-
nem. Nam et artifez per formam artis conceptam, qua
artificcatum condidit, ipsum, si collapsum fuerit, restau-
rat. Alio modo habet convenientiam specialiter cum hu-
mana natura, ex eo, quod verbum est conceptus aeternae
sapientiae, a qua omnis sapientia hominum derivatur_
Et ideo per hoc homo in sapientia perficitur, quae es
Thomas von Ag. u. Duns Scotus. 269
fhon in dem Weſen Gottes, daß er Menfch wird, und mit
dem Menſchen Eins ift, fo ift ſchon darin auch das Princip
der Verföhnung enthalten, während dagegen eine Anficht,
welche, wie bie des Duns Scotus, den abfoluten Willen Got⸗
tes zum abfoluten Princip erhebt, wenn fie auch durch den
Iogifchen und Firchlichen Kormalismus, in welchem fie ſich bes
west, ihren wahren Sinn verhüllt, eigentlich doch nur im
Sinne des Arlanismus Gott und den Menfchen von einan⸗
der trennen Tann. Sehr natürlich fchließt fih daran, wie
; m felbft erhellt, der bekannte Pelagianismus der Seotiftie
I hen Lehrweife an. Auf der andern Seite hält Thomas ſei⸗
* ren objectiven Standpunct auch in der Lehre von der Recht⸗
erligung in ftrenger Conſequenz fefl. Ihre fubjective Seite
lat daher die Rechtfertigung nur darin, daß Gott, wie er
tberhaupt jedes Welen nach der Eigenthümlichkeit feiner Ras
tur bewegt, den Menfchen in der Form des zu feinem We⸗
Im gehörenden freien Willens zur Gerechtigfeit bewegt *).
propria ejus perfectio, prout est rationalis, quod parti-
cipiat verbum Dei, sicut discipulus instrultur per hoc,
quod recipit verbum magistri — et ideo ad consumma-
tam hominis perfectionem conveniens fuit, ut ipsum ver-
bum Dei humanae naturae personaliter uniretur. Was
it demnad) die Menfchwerdung Gottes anders, als die Volls
endung der menfchlichen Natur, die fchon dadurch mit Gott
Eins ift, daß der Menſch als Geift, d. h. vermittelſt der
mens, in welche Thomas das göttliche Ebenbild ſetzt (P. I.
quaest. 93. art. 1.f.), participat verbum Dei.
1) Die Momente der justificatio find nad) Thomas (Prima
seoundae quaest. 413.) 1. Die remissio peccatorum 2. die
infusio gratiae 3. der motus liberi arbitrii 4. der molus
fidei (die das Gemüth auf Gott richtende Bewegung des
freien Willens kann nur durch den Glauben gefchehen, aber
diefer Glaube if nur der Glaube, daß Gott if, als Object
der Seligkeit und Urfache der justificatio, die fogenannte
Rdes informis als ein Act des Intellectus) 5. der motus H-
270 4 Ber. I. Abſchn. 3. Kay.
Wie überhaupt bie fcholaftifchen Theologen in der Zeit
nad Duns Scotus in die beiden Parteien der Thomiften und
Seotiften ſich trennten, deren theologifcher Gegenſatz auch
durch das getheilte Ordens-Intereſſe der Dominikaner und
Sranzifcaner um fo lebendiger erhalten wurde, fo dauerte
ſeit Diefer Zeit der Differenz über den abfoluten und relativen
- Werth des genugthuenden Leidens Chrifti fort. Doch fchien
dag fcholaftifch-fpeculative Intereſſe fofehr auf der Seite des
Duns Scotus zu feyn, daß auch manche von denen, die als
Thomiſten und Dominikaner auch in diefem Puncte auf der
Seite des Thomas von Aquinum Bätten feyn follen, dem
Duns Scotus beiftimmten, wie namentlich der die herge⸗
brachte Auctorität wenig achtende, unter den Scholaftifern der
Dritten Periode ausgezeichnete Durandus von St. Pourçain
(de sancto Poreiano) 9). Zugleich fcheint aber auch der
um biefelbe Zeit aufd neue emporkfommende Nominalismus
Die Vorliebe für die ſcotiſtiſche Lehrweiſe begünftigt zu haben,
Bert arbitrii a peccato. Die fchlechthin von Gott ausge⸗
hende, durch den freien Willen des Subjectd vermittelte
Bewegung ‚bat zu ihrem terminus a quo das recedere a
peccato, und zuihrem Terminus ad quem das accedere ad
justitiam. Deßwegen definirt Thomas die justificatio als
einen motus de contrario in contrario, oder ale eine trans-
mutatio de statu injustitiae ad statum justitiae. “in der
Justitia ald dem terminus ad quem geht alfo die von Gott
ausgehende Bewegung wieder in Gott zurück.
» In feinem Commentar über die Sentenzen des Petrus Lom⸗
bardug behauptete er zu TLib. III. Dist. XV. quaest. 1. nr. 7.:
Christus secundum strietum justitiae rigorem non potuit
satisfacere, gula quidquid erat in Christo secundum hu-
manam nalturam, erat obligatum Deo et ei debitum, ideo
non potuit esse satisfaclio de condigno pro quocunque
peccato, considerando naturam operis vel rei, sed solum
potuit esse sat: sfactio secundum acceptationem gratui-
tam.
: Spätere Scholaftiker. 271
welche, fo wenig auch Duns Scotus felbft fchon ald Roms
nalift anzufehen ift, doch mit dem Nominalismus in einer ge⸗
wigen Innern Verwandtichaft ſteht. Wie die göttliche Accep⸗
tation des Duns Scotus an die Stelle der objectiven Sa
tisfaction eine fubjective Vorftellung feste, welche, wem auch
durch den göttlichen Willen felbft gefeht, Doch immer nur ins
nerhalb der Grenzen der Subjectivität eingefchloffen blieb,
da ihr nichts objectiv Reale entfprach, fo führte ja übers
haupt der Nominalismus die Objectivität des fcholaftifchen
Realismus auf die Subjectivität der bloßen Vorftellung zus
rüd. Seotiften, wie Wilhelm Decam, der Ermeuerer des No⸗
minalismus, und Gabriel Biel, der legte bedeutendere Schos
laftifer, mußten auch ald Rominaliften für die Idee der Ac⸗
ceptation feyn ). Daß aber auf der andern Seite bie tho-
1) Man vgl. Biels Comment. über die Sentenzen zu Lib. III.
Dist. XX., wo er zwar die Unendlichkeit des Verdienſtes
Chriſti zugibt, aber zugleich behauptet, es fey nicht ratio-
ne dignitatis personae, oder ralione propriae perfectio-
nis, fondern ew voluntate et acceptatione Dei unendlich
gewefen, was von der Lehre des Duns Scotus nur dem
Ausdruck nach verfchieden ift, da Duns Seotus das meri-
tum Christi nicht ein infinitum wie Biel, fondern ein fi-
nitum nennt, aber auch nach Biel war es ja nicht an fich
infinitum. Die Nominaliften festen durchaus den Werth
des Derdienftes Ehrifii nur in die Acceptation von Seiten
Gottes. Der fpanifche Theologe Michael de Palacios (im
16. Jahrh.) ftellt in feinen Diss. theol. in libr. III. sen-
tent. dist. XX. disp. 2. die nominnliftifche Lehre fo dar:
Mortem Christi non ezplevisse Dei justitiam, sed solum
explevisse ex magna condignitate. — Quod ad justitiae ae-
qualitatem attinet, tantum valorem habere potuisse ape-
: ra puri hominis, quantum habuerunt opera Christi, quia
per se neutra sufficiebant: ex acceptatione vero et ordi-
natione divina potuisse aeque sufficere utraque, quam-
272 1. Ber. I. Abſchn. 3. Rap.
miftifche Vorfiellung von der objectiven Unendlichkeit des Ver⸗
dienftes dem Intereſſe des kirchlichen Syſtems mehr zu ent⸗
forechen fchien, beweist die Aufnahme derjelben in die Bulle
Unigenitus 9).
Was endlich noch die fogenannten Borläufer der Refors
mation betrifft, fo Fonnte die Lehre von der Berföhnung nicht
"unter diejenigen Momente gehören, in welchen eine fie befon«
ders auszeichnende Berührung zwiichen Ihnen und den Refor-
matoren flattfand. Wie fich Die Reformatoren für den Sa⸗
tisfactiondbegriff erklärten, fo fehlen ja auch ſchon vor ber
Reformation das religiöfe Intereffe auf der Seite diefer Theo
rie zu feyn. Es kann daher nicht befremden, daß auch die
der Reformations= Epoche näher fehenden Männer dem Sa⸗
— — — i
quam haec convenientius stnt acceptata. ©. Cotta's ober
genannte Differtation ©. 122. f.
4) Sie tft die Subiläumsbulle Clemens VI. vom %. 1345. (Ex-
travagg. Comm. Lib. V. Tit. 9. c. 2. bei Raynald ann.
1349. nr. 41.) und lautet in der Hauptfache fo: (Deus &
lius) non corruptibilibus auro et argento, sed sul tpsiun, -
agni incontaminati et immaculati, pretioso sanguine no
redemit, quem in ara crucis pro nobis innocens immo-
latus, non quttam sanguinis modicam, quae tamen prop-
ter unionem ad Verbum (diefe unio wird hier mit derſel⸗
ben Eonfequenz hervorgehoben, mit welcher fie die Seoti⸗
fien zurückſtellen) pro redemptione totius generts humanl
suffecisset, sed copiose velut quoddam proftuvtum nosci-
tur effudisse, ita ut a planta pedis usque ad verticem
nulla sanitas inveniretur in ipso. Das hierarchiſche Mo;
ment erhellt aus dem unmittelbar Folgenden: Quantum er-
g0 exinde, ut nec supervacua, inanis aut superflua tan-
tae effusionis miseratio redderetur , thesaurum militanti
ecclesiae acguisivit, volens suis thesaurizare filiis pius
pater, ut sic sit infinitus thesaurus hominibus, quo qu ã
usi sunt, Dei amicitiae participes sunt effecti. Auch
nachher ift noch von den infinita Christi merita die Ri
Mi
ea ho. fi.
Joh. Wikliff. .' 273
usfactions⸗Dogma folgten. Am meiften iſt dieß bei Joh.
Wikliff der Hall, welcher in feinem Trialogus 9 auch bie
Frage anfwirft, ob Chriftus wegen ber Satisfaction für bie
Sünde der Menichheit Menſch werden und fterben mußte,
und fich bei der Beantwortung berfelben ganz an ‚den Sa-
Höfactionsbegriff hält, denſelben jedoch auf eigenthümliche
Weiſe entwickelt. Sege man 1. voraus, daß bie erfien Men-
ſchen aus Unwiſſenheit gefündigt, 2. in der Empfindung ber
Größe ihrer Strafe vor ihrem Tode auf fruchtbringende Weife
Buße gethan haben, und daß 3. ungeachtet der Sünde bes
een Menfchen die urfprüngliche Gerechtigkeit aufrecht erhals
ten werden mußte, fo folge aus dieſen Vorausſetzungen, daß
das Wort des Herrn Menſch werden mußte, weil das Men-
ſchengeſchlecht in feinem Princip erhalten werden mußte, und
ehne die Menfchwerdung Chrifti nicht erhalten. werden konn⸗
te. Der frachtbringenden Buße des erflen Menichen habe
Gott feine Barmherzigkeit nicht verfagen Tönnen. Und da,
der dritten Vorausſetzung zufolge, für die Sünde des. erften
Denichen habe Genugthuung gefchehen müffen, fo Habe das Ges
ſchlecht deſſelben Menfchen eine der Größe feiner Sünde in Dem ers
fen Menfchen entfprechende Senugthuung leiften müflen, was
nur einem Gottmenſchen möglich geweſen fey, da fein Menſch
für ſich felbft für die eigene Sünde habe genugthun Fönnen 2).
Es iR hier bemerfenswerth, welches Gewicht Wikliff neben
4) Dialogorum libri quatuor. Francof. et Lips. 1753. ©. 154.
L. III. Cap. 25. De incarnatione et morte Christi.
A. a. O. ©. 155.: Salvari enim oportuit illum hominem
(Adam), cum tam fructuose poenituit, et Deus non pol-
est negare suam misericordiam taliter poenitenti. Et
cum, juxta suppositionem tertiam, oportet, quod satisfa-
eiio pro peccato fiat, ideo oportet, quod idem illud ge-
nus hominis tantum salisfaciat, quantum in prothopla-
sto deliquerat, quod nullus homo facere poterat, nist si-
mul fuerat Deus et homo.
Baur, vie Lehre von der Berföhnung. 18
274 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kay.
dem Satisfaktionsbegriff auf die Wirkſamkeit der Buße legt.
Die Satisfaction für ſich genügt nicht zur Wieberherftellung
des Menfchengefchlehts, ed muß auch Die Buße als noth-
wendige Borausfegung binzufommen, und zwar in demſel⸗
ben Subjeet, das die Sünde begangen hat, in:dem erſten
Menfchen, welcher demnach wie in der Sünde, fo atich in
der Buße das ganze Gefchlecht vertritt. Auch in der Ent⸗
widlung des Satiäfactionsbegriffs hebt Wiklliff das fittliche
Moment darin befonderd hervor, daß er als das Aequiva⸗
Imt für .die Sünde Adams einen dem Uebermuth beffelben
- entfprechenden Grad von Demuth betrachtet, und die Noth⸗
wendtgfeit der Menfchwerdung Gottes eben Dadurch begrüts
det, daß nur Gott in der Niedrigfeit eines Menſchen fich ber
Gleichheit mit Gott auf diefelbe Weiſe entäußern Tonnte, wie
Adam in feinem übermüthtgen Ungehorfam ‚die Gleichheit mit
Gott erftreben wollte 9). Hiemit fcheint nicht. ganz gut zus
fammenzuftimmen, daß Wikliff die Sünde Adams für eine
bloße Suͤnde der Unwiſſenheit hält, bedenft man aber, daß, -
wenn die Sünde Adams in das übermüthtge Streben nad
Gleichheit mit Gott gefegt wird, der werfehrten Richtung bes
Willens zugleich ein feinem Geifte vorfchwebender falfder
. Schein zu Grunde lag, welcher in Chriftus als dem Gott⸗
1) A. 0.0. ©. 155.: Quis, rogo, potuit ad tantum humi-
liari, sicut Adam superbivit? Cum enim ille superbitt
implicite, implicans se ad aequalitatem Dei ättingere >
quia innuebat se non debere mandato domini obedire;
patet, quod oportuit personam satisfacientem a tanto
gradu exaltatimis humilitate descendere, sed ubi foret
illa paritas, nisi sicut homo, non Deus, aequulitatess
domini praesumebat, sic homo Deus ab aequalitate Dei
ad humilitatem hominis descendisset (Phil. 2.)? Nux
fey die praesumptio des erften Menfhen more crimn#s
falfch, die assumptio et minoratio des zweiten realis ei
vera geweſen.
Joh. Witliff 275
menſchen zur Wahrheit wurde, fo famn das Verhaͤltniß zwi-
hen Adam und Chriftus, oder dem erflen und zweiten Men⸗
ſchen, wie Williff ſich ausdrückt, nur ald der Gegenſatz des
Irrthums und der Wahrheit, oder der noch unvollkommenen
und darum auch Irreleitenden Idee und der vollen Realität
derſelben gedacht werden. Als eine Sünde der Unwiſſenheit
glaubt aber Wikliff die erſte Sünde deßwegen beftimmen zu
"möffen, um dadurch theils zu motiviren, warum das Wort
Gottes ats bie perfönliche Weisheit Menſch werden, und ein
- ker Sünde Adams entfprechendes Leiden erbulben mußte,
lheils Die Sünde des Menfchen von ber Sünde bed Teufels
u nnterfcheiden, welche als eine Sünde gegen ben heiligen
: Ga nur durch die an ſich unmögliche Menfchwerbung bes
heiligen Geiſtes getilgt werben Fönnte 9.
A. a. O. €. 155.f.: Hoc peccatum ex Ignorantia est
commissum, ideo oportet, quod ex persomali sapientia
stt deletum, quae solummodo est Dei verbum. Cum er
go oportet, quod alia persona Dei mittat personam allam,
quae satisfaciat pro peccato, et pater non potest mitli,
eum sit persona prima originaliter trinitatis, patet,
quod necesse est, ut mittat personam aliam pro peccato
incarnandam, quae propter ralionem multiplicem fit
convententisstme verbum Dei. Ideo cum minimum con-
veniens foret, in Deo per impossibille patet, quod opor-
tet salvatorem hominis taliter se habere. Et patel, cum
oportuit peccatum primi hominis. deleri, satisfactione
debita mediante, quod oportuit Christum taliter incar-
nari, et nelesse fuit mortem postea sequi, cum oportuit
Christum proportimaliter pati, sicut Adam impropor-
‚tionaliter praesumebat , aliter enim non foret satisfactio
pro commisso. Ideo sicut Adam superbiit usque ad mor-
tem gratiose inflictam, sic oportet, quod secundus Adam
kumilietur usque ad mortem corporis gratiose acceptam
et passam. — Et fuit necessarium, ipsam acceptam fuis-
se in ligne, ut sicut ex fructu ligni vetito perlit homo,
18 *
276 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
Neben Witliff bietet beſonders Joh. Weſſel einfge für bie
Geſchichte umferer Lehre nicht unwichtige, den Ubergang. auf
das Zeitalter. der Reformation begeichnende Züge dar %). Ohr
ne fich in Die fcholaftiichen Beitimmungen, über welche zwi⸗
fen ben Thomiften und: Seotiften geftritten wurde, einzu⸗
taffen, hebt Weſſel um fo mehr das. weientliche Moment des
Satisfactionsbegriffs in. feiner Reinheit hervor, indem er un⸗
ter allen Wundern das nicht für das. geringfte erflärt, wie
Diefelbe Gerechtigkeit, die mit göttlichen und ewigen Gefegen
gegen den Menfchen gerüftet fey, bei Dem Gerichte ſelbſt nicht
allein. das Schwerdt zurüdhalte, fondern auch das Urtheil,
und ben fie zu verbammen beſchloſſen hatte, nicht allein freis
zufprechen, fonbern zur Würde, Ehre und Herrlichkeit zu er⸗
heben befehle. Wer. fich hier nicht wundern werde, wie bie
Wahrheit der Drohungen in die Wahrheit der Berheiftungen
umgewandelt und nach beiden Seiten die Wahrheit ſicher ge⸗
ßellt ſey? Diefe fo entgegengefebten Dinge habe allein bie
Sanftmuth des Lammes wahrhaft verfchmolzen. Denn Chri⸗
sic ex fructu ligni passo salvetur homo. Et sunt aliae
mulitae congruentiae utrobique. Yun zeigt Wikliff weiter,
daß zur Zilgung der Sünde eine active Kraft und Buß
Difpofition des Sünders nöthig ſey, welche dem Teufel feh-
le. Nec dubium, quin illis (den erfien Menfchen) fruc-
tuose. contritis Deus. non posset deletionem peccati sul
non concedere, sic quod de existenti inculpabili omnino
tota culpa jaclat in ipso diabolo. Peccatum autem dia-
‚ boli est peccatum contra spiritum sanctum, quod voca-
{ur peccatum. finalis impoenitentiae. Ideo sicut Adam
peccavit contra sapientiam Dei patris, quam oportuit
propterea incarnari, sic propter salvationem diaboli opor-
Tulsset tertiam personam incarnart, quod cum esse non
poluit, patel, quod nec deletio peccati ipstus diaboli.
4) Bgl. Ullmann, Joh. Weſſel, ein Vorgänger Luthers. Hamb.
1834. ©. 259. f.
.'
7
Joh. Weffel. 277
us, ſelbſt Gott, ſelbſt Priefter, ſelbſt Opfer, Hat. fich ſelbſt
für ſich und von ſich Genüge geleiftet ). Als einen Act ber
ſich mit fich felbft verfühnenden Gottheit betrachtet Weſſel bie
Berföhnung, da wir in Chriftus nicht allein den verfühnten
Gott, ſondern, was eigentlich allen Glauben überfleige, ben
verfühnenden Gott erbliden, infofern Gott, Menſch gervorben,
ſelbſt das leiſte, bewirke und bervorrufe, was feine Gerech⸗
tigkeit und Helligkeit verlange 2). Der Satisfactiond «Idee
zufolge. konnte Weſſel dem Leiden Chrifti Feine andere, als
eine ftellvertretende Bedeutung beilegen. Es fey, ſagt er in
Beziehung auf Ef. 53, 4. ®) eine Anordnung bes erbarmens
ben Gottes, daß wir nicht fo ſchnell, als wir es verbienten,
zugleich mit der begangenen Sünde die fchmerzlichen Folgen
empfinden. Und das fen der uns mit Recht zukommende
Schmerz, welchen das Lamm, wenn es in Wahrheit bie
Sünden ber Welt für und getragen habe, in foldyer Höhe
und folhen Maaße trug, als er nach dem firengen Urtheil
ber göttlichen Gerechtigkeit für alle Sünden unfer aller, bie
er von Tod, Krankheit und Schmerz erlöste, eigentlich bes
ſtimmt war. Die Größe dieſes ftellvertretenden Leidens aber
1) Man vgl. die hauptfächlich hicher gehörende, aus zwei Büs
chern beftehende, Schrift Weflel’d De causis incarnatio-
- nis et de magnitudine dominicae passionis, in der zu
©rdningen im J. 1614 erfchienenen Ausgabe der Werke
Weſſel's ©. 457. f. De magnit. pass. c. 14. &©.480. Ni-
mirum, heißen die oben angeführten legtern Worte bei
Weſſel, ipse Deus, ipse sacerdos, ipse hostia pro se de
. se sibi satisfecit. De causis incarnat. c. 17. nennt Wefr
fel das Werk der Erldfung, in Beziehung auf den Gegen«
ſatz der in ihm fich ausgleichenden göttlichen Eigenfchaften,
wie Gregor von Nyſſa (f. oben ©. 74.) ein Kunſtwerk, ein
artifictum des Mittlers.
2) Exempla scalae meditationis Ex. III. ©. 391.
. 3) De magnit. pass. c. 10. ©. 46. f.
278 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
beſtimmt Weſſel, was ein deutlicher Beweis. feines auf ächt
evangeliſche Weife vom Neußern abgewandten und in ſich ge-
fehrten. Sinnes iſt, nicht exrtenfio, nach ber Quantität ber
erbuldeten Schmerzen, fondern intenfiv nach Der Stärfe ber
den Srlöfer befeelenden Liebe, welche in demſelben Berhält«
niß, in welchem fie jede andere Liebe übertraf, von allen uns
fern Uebeln und von der gegen fie auftreienden Macht bes
Böfen um fo. tiefer verlebt werben mußte. Wer alfo, fagt
Weſſel, die Bitterfeit des Leidens Chriftt ermeffen wolle, ber
müfje weiallen Dingen ein in der Liebe geübtes Auge mit-
bringen, fodann die Liebe Ehrifti im Verhältnig zu den Men-
ſchen richtig fchäben, ferner die Größe der teuflifchen Bosheit,
der er hingegeben und überlaffen wurbe, und endlich Den an-
genehmen Geruch und die Lieblichfeit des heiligen Opfers er-
mwägen !). In dem großen Gewicht, das. Weſſel auf die im
: &rlöfungswerfe fi offenbarende Liebe Chrifti legt, macht
fich zugleich das Moment der fubjectiven Freiheit geltend, das
Weſſel ganz im Geifte des Proteftantismus nicht fallen. Infs
fen zu dürfen glaubte. So fehr Weſſel den fchon im Satis⸗
factionsbegriff liegenden Geſichtspunct der Nothwendigkeit bes
Leidens und Sterben Chriftt fefthielt, fo follte e8 doch die
freiefte That der Liebe feyn, und zwar aus dem Grunde,
weil der Herr, wenn er blos aus Nothwendigfeit, nicht aber
aus Liebe gelitten hätte, nicht als Herr gelitten hätte, ba es
unmöglich fey, daß einer Herr im höchften Sinne fey, und
aus Nothwendigkeit leide ?). Der Begriff der abfoluten freien
Subjectivität war alfo für ihn bie leitende Idee, aber der
Begriff der abfoluten Freiheit ſchloß von felbft auch wieder
den Begriff der abfoluten Nothwendigkeit in fh. Als König
der Herrlichkeit, jagt Weſſel *), muß Chriftus die höchſte
1) De magnit. pass. c. 19. G. 490, f, c. 27. ©. 510,
2) Ex. scalae med. Ex. II. 22. ©. 21.
3) De magnit. pasg. c. 1. ©. 457. Wenn bei Weflel, vu
Sch. Well. 279
Kraft der Liebe bewähren, aber nichts verherrlicht einen Lie⸗
benden fofehr, als daß er Großes erbuldet für feine Freun⸗
de. Der böchfte Liebende kann alfo zur höchften Herrlichkeit
nicht eingehen, -al& inden er das Höchfte thut und leidet: er
mußte alfo durch Leiden zu feiner Herrlichkeit eingehen. In
allem diefem, fo wie in dem Ernfte, mit welchem Weſſel auf
bie innere Aneignung des Lebens und Geiſtes Chrifti als bie
Ullmann ©. 267. bemerkt, fich wiederholt auch der Gedanke
findet: Gott Eonnte nicht fierben, ebenfo wenig aber: konnte
er lügen. Und doch hatte er verheißen, einen neuen Bund
zu fliften und ein Tefament zu errichten. Ein Bund aber
wird durch Blut und Dpfer geweiht, und ein Teſtament
bat erfi Kraft durch den Tod des Teſtators. Um alſo feine
Berheißungen zu erfüllen, mußte Gott unfer Wefen anneh⸗
men, denn er Fonnte nicht in dem feinigen fierben, fondern
aur in dem unfrigen. Deßhalb konnte er auch nicht Engel⸗
geftalt annehmen, denn aus Gott und Engel wird nichts
Rerbliches gebildet. Als Menfch aber konnte er fierben, und
doch blieb er als Gott unverfehrt, hatte Macht über dem
Tod, konnte fein Leben wiedernehmen, und auch durch feine
Auferfiehung fein ewiges Teftament befräftigen, — fo kann
die aus dem Begriffe eines Teſtaments abgeleitete Nothwen-
digkeit des Todes nicht als eine objective, fondern nur als
fubiective gedacht werden. Der Tod iſt ein nothwendiges
Moment, wenn das durch die Worte des Teſtaments als
Worten Gottes an ſich geſetzte Verhaͤltniß zwiſchen Gott und
den Menſchen in das ſubjeetive Bewußtſeyn der Menſchheit
übergehen ſollte. Deßwegen mußte Gott Menſch werden und
als Menſch ſterben. Nur wenn Gott ſtirbt und auch im
Tode Gott bleibt, hat der zwiſchen Gott und den Menſchen
errichtete Bund feine Gültigkeit für den Menfchen. Daß es
alfo hauptfächlich darauf ankommt, daß das an ſich in Gott
Seyende für das Bemwußtfenn der Menfchen vermittelt wird,
die Wahrheit zur Wirklichkeit wird, und daß aus Diefem
Sefichtspunkt der Tod Chriſti aufzufaflen fey, iſt das Haupt:
moment des Weſſel'ſchen Gedankens.
280 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kay.
nothwendige Bedingung, durch welche das flellvertretende Lei⸗
den Chriftf vermittelt werden müfle, dringt 9), fpricht fi
Die geläuterte, dem proteftantifchen Standpunct zugewendete
Denkweiſe, durch welche Weſſel überhaupt fich auszeichnet,
auch in Der Lehre von der VBerföhnung aus. Bemerkenswerth
ift aber noch befonders, wie Weſſel auch ſchon durch Die Un-
terfcheiduhg einer thätigen und leidenden Genugthuung und
die Idee einer nothwendigen Gefeßed- Erfüllung der eigen-
ihümlichen Form des proteftantiichen Lehrbegriffs fich näherte.
Auf beide Beftimmungen wurde Weſſel hauptſächlich durd
Die Idee des vollfommenften, von Chriftus Gott geleifteten
Gehorſams geführt. Als Erlöfer bewährte fih, wie Weſſel
fagt, Chriftus dadurch, daß er durch vollkommenen Gehor
fam nicht nur das ausglich, was die Menjchen unterlaffend
und übertretend verfchuldet hatten, fondern aud) mehr leiſte⸗
‚te, als alle in Ewigkeit geleiftet haben würden, wenn fe
ſtets im Stande der Unſchuld geblieben wären ?). Ergänzt
werden aber mußte das unvollfommene Thun des Menſchen
durch das Thun des Erlöfers und feinen dadurch fich bewäh⸗
renden vollfommenen Gehorfam, weil es, wie Wefiel fagt,
nothwendig war, daß das ganze Gefeh der Gerechtigkeit Got
te erfüllt würde, ohne daß ein Punct oder Jota fehlte. Und
da nun dieß durch Jeſus gefchehen, fo fey leicht Der Weg zu
finden, auf welchem die Barmherzigfeit in die Ströme der
Erbarmung hervorgehen könne 3). Gehört ed aber, wie We
fel in derfelben Stelle zugleich ausdrüdlich bemerkt, zum Ber
griffe des Mittler, daß er Mittler ift, nicht allein zwifchen
Gott und den Menfchen, fondern vielmehr füt den Menfchert
zwifchen dem gerechten Gott und dem erbarmungsvollen Gott,
fo kann auch die vollfommene, der ©erechtigkeit Gotted ent=
4) Ullmann a. a. D. ©. 266.
2) De magnit. pass. ec. 14. ©. 477. f.
3) De causis äncarn. c. 17. ©. 453.
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F
|
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F
Joh. Weſſel. 281
ſprechende Geſetzes⸗ Erfüllung nur für den Menfchen gefches
ben feyn, und ed Liegt daher hier ſchon Das Weſentliche der
Lehre vom thätigen Gehorfam 9), wie fie fich In der Folge
von derſelben Idee aus, die auch Weſſel andeutet, der Idee
des göttlichen Gejeges, im proteftantifchen Syſtem weiter ent»
wickelt hat.
Wie fi überhaupt der Lehrbegriff Weſſels dem der Re-
formatoren mehr nähert, als wir dieß bei einem andern ih⸗
rer Borgänger finden, fo läßt fih die Verwandtichaft mit
dem Geiſt und Character des Proteftantismus auch in der
Lehre von der Verföhnung nicht verfennen, und wir fehen
bier die Keime von Ideen, welche für die folgende Zeit nicht
ohne Einfluß waren. Für die ganze Periode aber, an deren
Schluſſe wir ftehen, bleibt der Hauptgegenfab Der Anfichten
durch Thomas von Aquinum und Duns Scotus repräfentirt.
Es iſt der Gegenſatz der objectiven Nothwendigkeit und ber
fühleetiven Freiheit. Aber dieſe Freiheit iſt noch nicht Die Frei»
beit des fubjectiven Geiſtes, fondern die des objectiven, und
“war als die göttliche Willkuͤr. Der Webergang von der
objectiven Seite, auf welcher fi Gott mit dem Menfchen
amd mit fi felbft verföhnt, auf die fubjective, auf: welcher
dee Menfch ſich mit Gott verföhnt, und in der Gewißheit
ſeiner Berföhnung feine Freiheit hat, vermittelt ſich in dem
Gedanken, daß Gott in dem Akte der Berföhnung ſich frei
1) Der Ausdrüde obedientia activa und passiva bedient fid)
zwar Weſſel, wie Ullmann bemerkt ©. 261., noch nicht, all-
ein die Vorftellung der thätigen und leidenden Genugthuung
fommt fehr befimme und in einer eigenthümlichen Form bei
ihm vor, wofür Ullmann fich noch auf die Scal. medit. Ex. I.
©. 544. beruft: Pater amans noster te fillum ejusdem
amantem, vadem, sponsorem, fidejussorem de satis-
faciendo et satispatiendo super aequum pignus
esse voluit pro universa mea praevaricatione et calami-
tale. .
f} P
282. 1 Ber. U. Abſchn. 3. Kap.
zu fich felbft verhält, und durch keinen in feinem Weſen
genden Gegenſatz beichränft mit vollfommener Willfür h
delt. Die Idee der freien Subjectivität iſt zwar vorhand
aber das freie Subject iſt zunächft nur Gott, als ber a
Iut freie, unbeichräntte Wille, allein das freie Subject
auf der Seite des fubjectiven Bewußtſeyns ber Menſch fe
welcher als der endliche, zu feiner Unendlichkeit fich erhebt
Geiſt auch die abfolute Gewißheit der Verföhnung in
bat. Diefer weitere Kortfchritt von der noch mit der X
für behafteten Subjectivität Gottes, als des abfoluten (
fteö, gu ber fich entwidelnden freien Subjectivität des en
chen Geiſtes ftellt fi uns in ber folgenden Periode der
ſchichte unſers Dogma's dar 9).
1) Schon wegen dieſer weſentlichen Verſchiedenheit des Ste
punkts kann das Urtheil von Baumgarten⸗Cruſius (Le
der chriſtl. Dogmengeſch. S. 1163.), es ſey bei Duns €
tus dieſelbe Deutung des Verſbhnungswerkes, welche
bei. Kant und feiner Schule wiederfinden, fo nämlich,
Gott die Jeſammte Menfchheit in Sinn und Gefalt Ei
nähme und würdigte, als wie im ihrer Idee, nicht für ı
tig gehalten werden. Aber Duns Scotus betrachtet ja
überdieß nicht Chriſtus aus dieſem Gefichtspunft als
ee, auf welche die Menfchheit ihre nothwendige B
bung hat, fondern die Beziehung, die die Verfühnung
die Perfon Ehrifti bat, gilt ihm als cine blos zufällige
willfürliche (man vgl. oben ©. 256. f.) |
\
ZWEITE PERIODE.
- Bon der Heformation bis zur
Mant'ſchen Philoſophie.
236 1. Ber. 1, Abſchn. 1: Kap.
Wahrheit zu haltungslos war, als daß fie ſich ihm nicht
felbft wieder als etwas Fremdartiges, feinem wahren Wein
PWiderftreitendes hätte gegenüberftellen follen. War ber Geiſt
je in Gefahr, fid) feiner felbft zu entäußern, und fich in ein
Labyrinth zu verieren, in welchem ihm der Faden feine
Selbſtbewußtſeyns verloren zu gehen fehlen, fo war dieß in
der Beriode der Scholaftil. Die ganze Maffe von Beſtim⸗
mungen, mit weldyen die Scholaſtik das Dogma überladen,
und in ein Syſtem Fünftlih in einander verfchlungener Sub-
tilitäten verwandelt hatte, lag mit einem nicht minder ſchwe⸗
ren Drud auf dem Geiſt, als das Joch ded hierarchifchen
Slaubenszwangs. Die nur in der Dialektif des Berftandes
-gefuchte Vermittlung ded &laubend und Wiffens hatte bie
Folge gehabt, daß ſich zwiſchen das Selbftbemußtfenn bed
Geiſtes und den Inhalt des Glaubens, welchen er in fih
aufnehmen follte, eine neue Zwifchenwand hineinſtellte, we
durch aber nur das Bebürfnig um fo näher gelegt werben 3
mußte, auf einen um fo tieferen Grund der Wahrheit des |
Glaubens zurüdgehen. - Ging die Reformation zunächſt au
dem mächtig fich regenden Drange hervor, fich alles befien
zu entledigen, was nicht in einem fittlichen Beduͤrfniß, ode
einem unmittelbaren praftifch religiöſen Intereffe gegründet m
feyn fehlen, fo mußte die Dadurch genommene Richtung von
felbft dahin führen, auch in Anfehung des Dogma’s alle
dasjenige von fich fern halten, was dem Selbſtbewußtſeyn
bes Geiſtes immer mehr ald etwas Aeuflerliches und für
den Glauben Unwefentliches erſchien. Daher ift Die Reformation
ber große Wendpunft, in welchem der Geift aus der Objel
tivität, in welcher er fich felbft entfremdet war, zu fich ſelbſt,
aus dem Aeußern zu dem Innern zurüdzufehren, und Rd
feiner wahren Freiheit, die das Princip der Subjeftivität if,
bewußt zu werden begann. Im Gegenſatz gegen die Objek⸗
tivität, welcher gegenüber der Geiſt fi nur im Zuftanbe ber
Unfreiheit befand, machte fich jebt das Brincip der Subjefti-
An ik
Die Reformation. 237
geltend. Es follte nichts ald Wahrheit gelten, wovon
der Menfch nicht in feinem Innern vergewißern Tonnte,
erfte Schritt hiezu war, daß dem Princip der Firchlichen
orität, die die Scholaftif immer zu ihrer VBorausfegung
,‚ und allen jenen Beftimmungen, die die Scholaftif aus
elbſt erzeugt hatte, um dem Inhalt des kirchlich traditio⸗
a Dogma’s eine zwar ſcheinbar rationelle, aber auf ei⸗
völlig principlofen Verfahren beruhende Begründung zu
i, bie alleinige Auftorität der heiligen Schrift entgegen
t wurde. Kann die Religion überhaupt ihrem Wefen
nur als ein Verhaͤltniß des Geifted zum Geift gedacht
en, fo follte durch den erften Grundſatz des Proteftan-
us aus biefem Verhältniß alles entfernt werden, was
elben feine Unmittelbarkeit zu entziehen fchien. Darum
nur die heilige Schrift als der Inbegriff und die Quelle
göttlichen Wahrheit gelten, auf deren Grundlage ber
t dem Geiſte felbft Zeugniß von ber Wahrheit gibt. Sei⸗
ubjektive Wahrheit und Lebendigkeit erhielt aber das er-
die Auftorität der Schrift allem andern voranftellende,
ip des Proteſtantismus erft in dem proteftantifchen Bes
des Glaubens. In der hohen Bedeutung, die der Glau⸗
1 bem ganzen Syſtem des Proteftantismus hat, zeigt fich
der mit der Reformation erfolgte Umſchwung des Gei-
aus dem Objectiven in das Subjektive in feinem wahr⸗
und fhönften Licht. Der Glaube im proteftantifchen Sin-
ſeht aus dem unmittelbarften fittlich religiöfen Intereſſe
Menichen hervor, aus feinem tiefften Beduͤrfniß, fich
Gott Eins, oder mit Gott verfühnt, zu wiſſen. Er ift
innerſte Berwußtfeyn des Geiſtes von feiner Enblichkeit
Bedürftigfeit, zu deſſen Weſen e8 aber gleichwohl gehört,
iner Endlichfeit zugleich unendlich zu feyn. Wie die Res
satton in ihrem erften Anlaß und Urfprung durdy ein uns
elbares praftifch religiöfes Intereſſe hervorgerufen wurde,
ft der ganze Inhalt der Religion dem BProteftantismus
—
288 Il. Ber. I. Abſchn. 1. Kay.
zunächft Sache bed Herzens, nicht durch das einfeitige In- |
terefie des dialektiſch refleftirenden und argumentirenden Ver⸗
ftandes, fondern das Iebendigfte Intereffe bed ganzen, feiner |
felbft fi) bemußten, Menſchen bedingt, der fich in feinem In⸗ h
nerften verlegt fühlen würde, wenn er ſich über fein Verhält |
niß zu Gott Feine befriedigende Gewißheit geben Tönnte. Bon h
diefem Gefichtspunft müflen wir ausgehen, um den Antheil,
welchen der Proteftantismus an der weitern Fortbildung un⸗ |
ferd Dogma’s gehabt hat, richtig zu würdigen. Wenn da
ber auch der Protefiantismus nicht vermeiden konnte, was
er zuerft ald Sache des Herzens in ſich aufgenommen hatte,
auch für die denfende Vernunft zu vermitteln, fo müflen wir -
und Doch immer wieder auf jenen Standpunkt zurücftellen,
um bie fpefulativen Theorien, in welche er ſich hineingebilde
bat, nicht in eine Klaſſe mit den apriorifchen Debuftiones
der Scholaftifer zu fegen.
Die fcholaftiichen Theologen theilten fich zur Zeit der Res
formation, wie in Anderem, jo auch in der Lehre von der Er
löſung und BVerföhnung in die beiden Parteien der Thon
ſten und Scotiften. Die feotiftifche Theorie fehien dem 3a
terefje des ratfonnirenden Berftandes, die thomiftifche dem we =
terefie des kirchlichen Syſtems mehr zuzufagen. Die legt >
aber bot eine Seite dar, von welcher aus fie ſich auch dem
. dem Broteftantismus eigenthümlichen religiöfen Intereſſe br -
fonders empfehlen konnte. SE beftimmter der Glaube ſich ei⸗
ner objektiven Vermittlung des durch Chriftus erworbenen
Heiled bewußt war, um fo fefter mußte er felbft begründet
erfeheinen, in einer un fo Elarern Anfchauung war ihm das
Objekt gegeben, auf welches er ſich zu richten hatte. Auf
der andern Seite aber konnte e8 auch der Unmittelbarfeit des
praftifchen Intereſſes, von welchem der Broteftantismus aus
ging, angemeffener zu feyn fcheinen, bei der einfachen That⸗
fache der verföhnenden Wirfung des Leidens und Todes Chri-
fti ftehen zu bleiben, ohne ſich auf irgend eine Theorie ein
Zuther und Melandhthon:. 289
wlaffen, um die unmittelbare Gewißheit des Glaubens nicht
von: Dem Broblematifchen, das ſich von der Theorie nicht tren«
wen laͤßt, abhängig zu machen. Wie fich diefe beiden Mos
nente, ber Ratur des proteftantifchen Glaubens zufolge, uns
erfiheiden laſſen, jo find ſie auch ſchon auf dem urfprüng«
ichften Boden des Proteftantismus in einer Berfchiedenheit
ver Lehrweiſe hervorgetreten, in welcher ſich, wie in Andes
em, die individuelle Verfchiedenheit der beiden Häupter der
eutfchen Reformation, Luthers und Melanchthons, reflectirt.
Melanchthon hat auch in den fpätern Ausgaben feiner
Loci theologici die Lehre von der Satisfaction nie zum Ge⸗
genftanb eines eigenen Locus gemacht, nicht einmal ausdrüds
lih hervorgehoben, fondern alles darauf fich beziehende un⸗
ter der Lehre vom rechtfertigenden Glauben ‚begriffen. In
demjelben Sinne find auch in der augsburgiſchen Confeſſton,
und ber Apologie derfelben, die den Verfühnungstod Chrifti
beireffenden Stellen abgefaßt ). Selbft noch fpäter, nachdem
ber Satisfactionsbegriff in der lutheriſchen Kirche: fchon feine
beſtimmtere Geftalt erhalten hatte, hat fich dieſer urfprünglis
Ge, vorzugsweiſe das fubjeftive Moment ind Auge faflende
Standpunkt, wenigftens dadurch noch geltend gemacht, daß
zachrere Iutherifche Theologen die Lehre von der Satisfaction
zit in einem eigenen Lehrftüd behandelten, fondern in der
9) A. C. Art. DI. ©. 10.: Docent, quod Verbum, hoc est,
fitus Det — vere Deus et vere homo, natus ex virgine
Maria, vere passus, erucifixus, mortuus et sepultus, ut re-
conciHiaret nobis Patrem, et hostia esset non tantum-pro
:culpa originis, sed etiam pro omnibus actualibus homi-
num peccatis. Apol. Art. III. ©. 93.: Lex damnat om-
nes homines, sed Christus, quia sine peccato sublit poe-
nam peccati, et victima pro nobis factus est, sustulit
dllud jus legis, ne accuset, ne damnet hos, qui credunt
in ipsum, qui ipse est propitiatio pro eis, propter quam
nunc justi reputanlur.
Baur, die Lehre von der Berfühnung. Ä 19
!
290 II. Ber J. Abſchn. 1. Kay.
Lehre von der Rechtfertigung unter den Gefichtspunkt der
tausa meritoria justificationis ftellien *).
Dagegen fpricht fich jene8 andere Moment, welchem zus
folge. der Glaube der durch das Leiden Chriſti vermittelten
Verföhnung ſich auch objektiv bewußt werden will, fehr Far
in einer Stelle bei Luther aus, in welcher unter dem Bilde
einer Wage, deren eine Wagfchaale folange fchwer nieder⸗
zieht, bis in Die andere ein noch ſchwereres Gegengewicht ge-
legt wird, auf der einen Seite die Sünden der Menſchen,
und der fchwer auf ihnen laftende Zorn Gottes, auf ber an⸗
dern Das Leiden und der Tod des Gottmenfchen einander ges
genübergeftelt werden ?). Der Glaube im proteftantifchen
1) So namentlih Gerhard Loci theol. Loc. XVII. Cap. II.
S. 34.: Dieimus hactenus de causa efficiente princtpall
Justificationis, quae est gratia Dei, sequitur, ut agamus
de:causa justificationis meritoria. — Idem verp est, sive
: dicatur, Christum mediatorem ac redemtorem nostrum
esse causam meriloriam justificationis, sive obedientiam
et satisfactionem Christi esse loco meritoriae causae ha-
bendam, -quia Christus ut mediator et redemtor, id est,
ratione suae obedientiae et satisfactionis hic consideratur.
Ebenfo Hutter im Compend. Loc. theol. 1610. Loc. XII.
©. 129. Diefe Dogmatifer handeln zwar auch noch beſon⸗
ders vom offictum Christi, es if aber nur ein unbedeu⸗
tender Anhang zu der Lehre von der Perfon Chrifi, mie
bei Gerhard Loc. IV. Cap. XV. Hutter Loc. III. ©. 43.
Es ift die auch in der Form. Conc. Art. VIII. De perso-
na Christi ©, 772. aus. Luthers Schrift de conciliis et ec-
clesia angeführte Stelle: Seiendum id nobis Christianis
est, nisi Deus in altera lance sit, et pondere vincat, nos
lance nostra deorsum (ad interitum) ferrt. Hoc sic ac-
ctpi volo: nisi haec vera sint: Deus mortuus est pro no-
bis, et, st solus homo pro nobis mortuus est, tum pro-
fecto prorsus actum fuerit de nobis. At vero, st Dei mors,
et quod Deus ipse mortuus est, in altera lance ponitur,
—R
2
Luther und Melandihon. 291
Sinne gründet fi) auf das tieffte Bewußtfeyn der Sünde
und der mit der Sünde verbundenen Schuld und Strafe. Se
lebendiger aber dieſes Bewußtſeyn iſt, defto mehr wird das
durch auch die Idee einer Gerechtigkeit hervorgerufen, wel
her vor allem Genüge gefchehen feyn muß, wenn eine Ber-
gebung der Sünden möglich feyn fol. Geht man auf den
proteftantifchen Begriff des Glaubens zurüd, fo läßt fich wohl
begreifen, wie die Vorausſetzung ber fides, die contritio,
auf die Beſtimmung bed Begriffd der Gatisfaction Einfluß
hatte, daß, je mehr, wie von Luther gefchah, die fides in
‘
ihrem unmittelbaren Zufammenhang mit der eontritio aufe
gefaßt wurde, um fo mehr auch der eigentliche Satisfactions⸗
begriff feine Stelle finden mußte,
Durch die lutheriſche Auffaffungsweife des Satisfactions⸗
Begriffs war ſchon der Weg vorgezeichnet, auf welchem fich
die in der Concordienformel aufgeftellte Satisfacttonstheorie
bildete. Sie ift keineswegs eine bloße Wiederholung ber Ans
felm’fchen, fondern in einem ihrer wefentlichten Begriffe die
in der Natur der Sache liegende Steigerung und Vollendung
derfelben, und unterfcheidet fi von ihr auch dadurch, daß
fle ihren Ausgangspunft nicht in dem objektiven Begriff der
unendlichen Sündenfchuld, fondern in dem Begriff des recht-
tum ille deorsum fertur, nos vero instar vacuae et levio-
sis lancis sursum tendimus. Sed et ille deinde rursus
vel sursum tendere, vel .e lance exsilire potest. Non
autem poterat in lancem descendere vel considere, nisi
nostri similis, hoc est, homo fieret, ut vere et recte de
ipstus passione dici posset: Deus mortuus est, Dei pas-
sio, Dei sanguis, Dei mors. Non enim in sua natura
Deus mori potest. Auch ſonſt, wie 3.3. in der Erklärung
des 22ften Pf. (Opp. lat. ed. Jen. T. II. S. 239. f.) hebt Lu⸗
ther das Moment der Satisfaftion im Leiden und Tod Chris
ki befiimmter hervor, als Melanchthon.
19 *
292 II. Per. J. Abſchn. 1. Kap.
fertigenden Glaubens bat *). Sie iſt in ihren Hauptzügen
folgende: Der Glaube iſt es allein, durch welchen die Andg-
nung der im Evangelium durch den heil. Geiſt dargebotenen
Güter vermittelt wird., Er rechtfertigt dadurch, Daß er das
Verdienſt Chrifti ergreift.- Daher ift die Gerechtigkeit, wel-
che von Gott dem Glauben, oder den Glaubenden, aus blos
Ber Gnade zugerechnet wird, der Gehorfam, das Leiden und
die Auferftehung Chrifti, wodurch er dem Geſetz um unferer
willen genug gethan und unfere Sünden verföhnt hat. Dem
da Chriftus nicht blos Menſch, fondern Gott und Menſch in
Einer Berfon tft, fo war er ald Herr des Geſetzes dem Ge-
feg ebenfo wenig, al8 dem Leiden und Tod unterworfen.
Depwegen wird und fein doppelter Gehorfam, nicht blos der⸗
jenige, welchen er durch fein Leiden und feinen Tod leiſtete,
fondern auch jener, durch welchen er fih um unferer willen
dem Geſetz unterwarf, und es erfüllte, zur Gerechtigkeit zu
gerechnet, und Gott erläßt und mit Rüdficht auf feinen gan
zen, durch fein Thun und fein Leiden bewiefenen, Gehorſam
‚ unfere Sünden, und erflärt und für gerecht. Dieſen Gehor
fam hat Chriftus von feiner Geburt an bis zu feinem Tode
für die Menfchen ald Sünder aufs vollfommenfte geleiftet, fo
daß dureh feinen Gehorfam der Ungehorfam der Menfchen
bededt, und ihnen nicht zur Verdammung angerechnet wird.
Unfere Gerechtigkeit ift er daher nur inſofern, fofern er in
feiner ganzen Berfon den vollfommenften Gehorfam darftellt,
welchen er und dadurch leiſten konnte, daß er weber bloßer
Gott, noch bloßer Menfch, jondern beides zugleich, Gott und
Menſch war ).
1) Daher iſt fie in dem dritten Artikel De justitia fidel co-
ram Deo enthalten.
2) F. C. ©. 684.: Itaque justitia illa, quae coram Deo fi
dei, aut credentibus, ex mera gratia imputatur, est obe-
dientia, passio et resurrectio Christi, quibus ille legl
Die Concordienformel. 2%
Bergleichen wir diefe Theorie mit der Anſelm'ſchen, die
ie allerdings zu ihrer Borausfegung hat, mit welcher fie
nostra causa satisfecit, et peccata nostra explartt. Cum
enim Christus non lantum homo, verum Deus et homo
sit, in una persona indivisa, tam non fuit legi subjec-
tus, quam non fuit passioni et morti (ralione suae per-
sonae) obnoxius, quia Dominus legis erat. Tam ob cau-
sam ipstus obedientia (non ea tantum, quꝰ Patri paruit
in tota sua passtone et morle, verum etiam, qua nosira
causa sponte sese legt subjecit, eamque obedientia illa
sua implevit) nobis ad justitiam impulatur, ita ut Deus
propter totam obedientiam, quam Christus agendo et
patiendo, in vita et morte sua nostra causa Patri suo
coelesti praestitit, pecoata nobis remitiat, pro bonis et
Justis nos reputet, et salute aeterna donet. S. 686.: Per
fidem, propter obedientiam Christi, quam Christus inde
a nattvitate sua usque ad iqnominiosisstmam crucis mor-
tem pro nobis Patri suo praestitit, boni et justi pronun-
cdiantur et reputantur. ©. 696.: Justitia nostra neque
in divina neque in humana natura, sed in tota ipsius
. persona persistit, quippe qut, ut Deus et homo, in sola
sua tota et perfectissima obedientia est nostra justitia.
Etiamsi enim Christus de spiritu sancto quidem sine
peccato conceptus et natus esset, et: in sola kumanitate
sus omnem justiliam implevisset , nec tamen verus et
aeternus Deus fuisset, talls tamen ipstus humanae na-
turae obedientia et passio nobis ad justitiam imputari
non posset. Et vicissim, si Filius Dei non homo factus
esset, non posset sola divina natura nostra esse justiliu.
Quare credimus, docemus et confitemur, quod tota to-
tus personae Christi obedientia, quam ille Patri usque
ad ignominiosisstimam crucis mortem nostra causa prae-
stitit, nobis ad justitiam Iinputetur. Humana enim nu-
tura sola, sine divinitate, aeterno omnipotenti Deo, ne-
que obedientia neque passione pro totius mundi peccaltis
salisfacere potuisset. Divinitas vero sola sine humani-
tate inter Deum et nos mediatoris partes implere non
2% 11. Ber. 1. Abſchn. 1. Zap.
Sünde, wovon die Anerkennung der Notbwendigfeit und
Realität der Berföhnung und Senugthuung abhängig gemacht
wird, fondern die nothwendige Vorausſetzung defielben iR
die unmittelbare, in dem fittlichen Bewußtſeyn des Menſchen
ſich ausfprechende Thatfache, daß der Menſch von Ratur Sün«
der if. So ſehr aber dadurch das überwiegende Moment
auf die fubjeftive Seite des endlichen, der Verſöhnung bebürfs
tigen, Geiſtes zu fallen fcheint, fo wenig ift fte von ber ob-
jeftiven getrennt, da bie proteftantifche Lehre von. der Sünde
mit der Lehre von der abfoluten Gnade, in welcher Gott zu
dem Menfchen fich herabläßt, um den Menfchen zu fich zu er-
heben, in dem engften Zufammenhang fteht. Se tiefer in al-
len diefen Beziehungen die Begründung ift, die im proteftan-
tiichen ‚Lehrbegriffi der Lehre von der Verſöhnung gegeben
wurde, defto natürlicher. müffen wir e8 finden, daß auch der
Begriff der Satisfaction felbft eine vielfeitigere und fhärfere
Beftimmung erhielt. Was Anfelm und die folgenden Schos
Laftifer unter der Satisfaction verftunden, läuft auf die uns
beftimmte Vorſtellung eines Aequivalents, eines Gott für -dad
an. ihm begangene Unrecht zu Teiftenden Erfages hinaus, wo:
bei zwar auch fchon zwijchen Thun und Leiden unterfchteden,
aber nicht. genau beftimmt wurde, was eigentlich Chriſtue
für die Menfchen Gott geleiftet babe. Da nad) Anfelm jedı
vernünftige Greatur an fich zu allem verbunden ift, was fi
durd) ihren thätigen Gehorfam Ieiften kann, fo konnte er nun
dem Leiden Chrifti die Bedeutung einer Satisfactton geben,
wiefern aber Chriftus durch fein Leiden für die Menfchen Sa:
tiöfaction geleiftet habe, blieb unbeftimmt, da der Begriff dei
-Satiöfaction bei Anfelm nur auf das solvere 'oder redder«
Deo debitum zurüdgeht. Der Begriff der Satisfaction waı
daher in doppelter Beziehung noch einer nähern Beftimmung
fähig. Es fragte fich fowohl, auf welche Weife Chriftus ir
jenem Leiden an die Stelle der Menfchen getreten fey, ale
auch) ob die Vorausſetzung, daß er nur durch fein Leiden, nic)
Die Concordienformel. 297
aber fein Thun, Satisfaction habe leiften Fünnen, ſchlechthin
wugeben fey. In dieſen beiden Punkten ging die neue Sa-
Höfactionstheorie über die ältere hinaus, um fie zu ergän«
zen und abzufchließen. Doch geſchah dieß erft in. der Con⸗
corbienformel, deren Unterſcheidung zwiſchen einem thuenden
und leidenden Gehorfam felbft den Altern Symbolen der pro⸗
teftantifch Tutherifchen Kirche noch völlig fremd ift ). Im der
1) In dem ſchon oben ©. 186. angeführten Auffage der evang.
Kirchenzeitung- über die Verſöhnungs⸗ und Genugthuungs⸗
lehre Jahre. 1834. wird ©. 523. die gewöhnliche Behaups
tung, daß die Eoncordienformel die odedientia Christi ac-
tiva- meritoria als ein neues Moment zur Genugthuungslehre
hinzugethan habe, für irrig erflärt. Nur ſoviel ſey rich»
tig, daß Unfelm diefes Moment .nicht anzuerkennen fsheine,
Dagegen ſey es ſowohl bei den Kirchenvätern, als bei den
übrigen Scholaftifern ganz gewöhnlich. Dafür beruft ſich
der Verf. des Auffages auf Stellen bei Irenäus adv.. haer.
V, 16. III, 18. in welchen gefagt wird, Ehrifus habe durch
Gehorſam den Ungehorfam der Menfchen bezahlt und gut»
gemacht, und bei Theodoret zu Nöm. 8, 4.: „Unſere Schuld
bezablte.er und erfüllte des Geſetzes Abfiche, nämlich ges
zecht zu machen die, welche das Gefe empfangen haben.
Noch mehrere Stellen diefer Art führt Chr. W. 5. Walch
in der Comment. de obed. Christi act. &. 129. f. an.
Allein es muß bier fehr genau unterfchieden werden. Einen
verdienfklichen, vollfommen genügenden Gehorfam Chriſti,
welcher die nothwendige Bedingung war, unter welcher alls
ein das Erldſungswerk vollbracht werden Eonnte, nahmen,
wie fich von felbfi verfieht, alle Kirchenväter und Schola-
Rifer an, und auch Anfelm madıt bievon Feine Ausnahme,
dieg if aber nicht die Frage, um welche es fich handelt,
fondern es fragt fich vielmehr, ob auch fchon vor der Con⸗
eordienformel dem vom leidenden unterfchiedenen thätigen
Gehorſam für fich Diefelbe fiellvertretende und genugthuende
Bedeutung zugefchrieben worden fey, welche man fonft nur
dem Leiden und Tode Chriſti zuzgufchreiben pflegte. Diele
298
\
11. Ber. 1. Abfchn. 1. Kap.
augsburgiſchen Eonfeffion und in der Apologie berfelben, fo
Frage muß verneint werben, indem es hier nicht blos auf
die Unterſcheidung des Leidens und Thuns, fondern auch
noch auf das weitere Hauptmoment ankommt, ob Chriſtus
durch .fein Shun ebenfo pofitiv Das Gefek für die Menfchen
erfüllt habe, wie er Durch fein Leiden und feinen Tod die
durch die Nichterfüllung und Nebertretung des Gefeges vers
diente Strafe für die Menfchen erduldete. Wird dieß, wie
offenbar gefchehen muß, beachtet, fo muß ſogar für fehr
zweifelhaft gehalten werden, .ob die Yon dem Derfafler des
Aufſatzes a. a. O. aus den Werken Luthers angeführten
"Stellen den Begriff der Eoncordienformel enthalten. Die
Stellen Iauten nämlich fo: „Siehe, dazu dienet nun Chri⸗
fins, durch welchen dir foldde Gnade und Geligfeit gegeben
wird, als durch den, der an deiner Statt und für Dich
allem göttlichen Gebot und feiner Gerechtigkeit genug gethan
bat- überflüffig..— Ob nun wohl wird uns lauter aus Gna⸗
den unfere Sünde nicht zugerechnet von Gott, fo hat er
Doch dieß nicht thun wollen, feinem Geſetz und feiner Ges
vechtigfeit ‚gefchehe denn zuvor aller Dinge und Kberflüffig
"genug: Es mußte feiner Gerechtigfeit folches gnädiges Zu⸗
rechnen zuvor abgefauft und erlangt werden für und. Dar:
um, diemweil uns das unmöglich war, bat er einen für uns
an unfere Stelle verordnet, der alle Strafe, die wir ver>
dient hatten, auf fich nähme, und für und das Geſetz er:
füllete, und alſo göttliches Gericht von uns wendete, und
feinen Zorn verfühnete. Alfo wird uns wohl umfonf Gna⸗
de gegeben, daß fie uns nichts Eoftet, aber fie hat dennoch
einem andern für uns viel gefoftet, und ift mit unzähligen
Schatz erworben, nämlich durch Gottes Sohn felber’’ (Leipz.
Ansg. T. XII. ©. 125. 234.). Hier wird zwar allerdings
gefagt, daß Chrifius für und, an unferer Stelle, dem gött-
lichen: Gebot genug gethan und das Geſetz erfüllt habe, all:
ein es folgt weder hieraus noch aus dem ganzen Zufammen:
bang der Stelle, Daß dieß durch die fogenannte obedientia
acttva geichehen fey, und es liegt weit näher an die obe-
dientia passiva zu denken, indem ja auch dadurch dem
Die Concordienformel. 299
wie in den von Luther verfaßten Symbolen, iſt ed: immer
oöttlichen Gebot genug gethan und das Geſetz erfüllt wird,
wenn bie von bemfelben für die Eünde geforderte Strafe
vollgogen wird. Man vgl. die a. a. D. ©.522. angeführte
überhaupt für Luthers Anficht bemerfenswerthe Stelle aus
einer Predigt am Dfterdienfktage in Luthers Kirchenpoſtille
ı (Reinz. Ausg. T. XI. ©. 519. Erl. Ausg. Bd. II. ©. 289.):
„Alſo, daß wie müflen befennen, daß weder ich, noch ein
einziger Menfch, Chriſtum ausgenommen, Tolches (Merge:
bung der Sünden) zu Weg gebracht oder verbient habe,
noch ewiglich verdienen Tann. Denn wie follte ich's verdies
. nen mögen, weil ſchon ich und alle mein Leben, und was
ih thun Tann, vor Gott verdammt find? So aber Gottes
Zorn von mir genommen worden, und ich Gnade und Vers
gebung erlangen foll, fo muß es durch Jemanden ihm ab»
verdienet werden, denn Gott kann der Sünde nicht hold
noch gnädig ſeyn, noch die Strafe und Zorn aufheben, es
fey denn dafür bezahlt und genug gefchehen. Nun bat für
den vorigen und unmiderbringlichen Schaden und ewigen
Zorn Gottes, den wie mit unfern Sünden verdient, nie:
mand Fünnen Abtrag thun, auch kein Engel im Himmel,
denn die ewige Perfon, Gottes Sohn ſelbſt, und alfo, daß
er an unfere Stelle trete, unſere Sünde auf fich nehme,
und als ſelbſt fchuldig darauf antworte. — Das hat gethan
unfer lieber Here und einiger Heiland und Mittler vor Gott,
Jeſus Chriſtus, mit feinem Blut und Sterben, da er für
uns ein Dpfer worden, und durch feine Reinigfeit, Ins
ſchuld und Gerechtigkeit, welche göttlich und ewig war, alle
Sünde und Zorn, fo er von unfertwegen hat müflen tragen,
übermogen, ja ganz erfäufet und verfchlungen hat, und fo
boch verdienet, daß Gott nun zufrieden it und fpricht, wem
er damit helfe, dem foll geholfen fenn.”’ Auch hier if zwar
von einem Abverdienen und Abtrag thun die Rebe, aber
durchaus nur in Beziehung anf den fiellvertretenden Tod,
auch das Geſetz ift nicht vergeffen, da Zuther unmittelbar
vor den angeführten Worten fagt: „Menſchliche Natur und
Vernunft kann fid) nicht erheben über das Urtheil des Ge⸗
300 .
nur
11. Ber. 1. Abſchn. 1. Say.
der Tod Chriſti, welchem die Satisfaction zugeſchrichen
ſetzes, das da ſchleußt und ſagt: Wer ein Sünder iſt, dar
it von Gott verdammt, und müßten alfo alle Denfchen ewig
[X Vu
unter bem Zorn und Verdammniß bleiben, wo nicht eine "
andere Predigt vom Himmel gegeben wäre.” Won einer
Andern Beziehung des Gchorfams auf das Geſetz wird je:
doch nichts gefagt, und es if demnach deutlich zu fehen, daf
Luther, wenn er von ber Erfüllung Des Geſetzes an der
. Stelle der Menfchen fpricht, dieß nur von der Abwendunz
des göttlichen Gerichts verficht, das zur Erfüllung der For
Derung des Geſetzes an den Menfchen eigentlich hätte voll;
sogen werden folen. Wohl läßt fich aber denken, dag, wenn
einmal, auch nur in diefem Sinne, die Vorfichung des Ge⸗
fenes als das Dermittelnde zwiſchen dem Tod Chriſti und
der Verföhnung fefigebalten wurbe, Dieß der Anlaß wurde,
daß man fich die Erfüllung des Geſetzes überhaupt als eim
nothwendige Bedingung der Verfähnung dachte, und babe
auch zwei verfchiedene Seiten des bisher ungetheilten Eis
nen, im Zode nur feine höchſte Spige erreichenden, Gehor⸗
fams unterfhied. Am nächften fcheint demnach, ſelbſt die
Reformatoren nicht ausgenommen, Wellel der Idee der ode-
dientia activa im Sinne der Eoncordienformel gekommen
zu fenn. ©. oben ©. 281. Was. bei den Altern Kirchen
lehrern Annäherndes ſich findet, ift nur die öfters vorkoms
mende Borftellung, daß, wenn das Gefen nicht wenigſtens
von Einem Menfchen, von Ehriftus, vollkommen erfüllt wor
den wäre, baffelbe feine verdammende Macht über die Men:
fhen nicht verloren haben würde. Am deutlichften fpridt
dieß Joh. Chryſoſtomus zur Erklärung ber Stelle Matt).
3, 15. aus: Ilös 8v nodnov dsl; Orı Tov vouov TrÄnekuev anıw-
ra, Oneo av Onlwv Eleye* nücav Öixawournv , Öıxamovvn yag Esw
5 tur dvrolär dxreingwar. Ener dv naoas rag allaz Evrola; ywi-
Onu8V , Pac taro O8 vnoleinera növor, dei nooarediva xal TH-.
To" xar ve nAJov Avon Tv Üpav, Tyv Enı Ta nageßaca Ta vo-
pn xeueeyv" dei Tolvuv mgöregor ne aurov narca rrngsvavre »0'
sSelousvov nuäs This xaradixns, BEWS aurov avanacaı" roFTov ar
äsiv Suor rigesca: rov vouov anevra. Hom. XII. in Matt.
Die Concordienformel, 301
xd *). Meber die Gründe, die die Verfaſſer der Concor⸗
Opp. T. VII. ©. 161. ed. Montefalc. Es ift aber aud)
dieß nicht die Vorftellung der Eoncordienformel. Denn nach
den Kirchenlehrern mußte Chriftus das Gefeg erfüllen, weil
er fonf die Menfchen von dem auf ihnen laftenden Fluch des
Geſetzes, der Strafe, nicht hätte befreien können, alfo nur
um fie firaffrei zu machen, für diefen Zweck durfte er nicht
ein Sünber ſeyn, wie die Menfchen, nach der Eoneordien«
formel aber befreite zwar Chriftus durch feinen Tod Die
Menſchen von der Strafe, weil aber Freiheit von der Strafe
"noch nicht pofitive Seligkeit it, mußte er auch das Geſetz für
fie erfüllen, damit fie durch ihn nicht blos nicht ungerecht,
fondern auch pofitio gerecht würden. Diefe Unterfcheidung,
welche fich früher nicht ebenfo findet, macht das Wefentli«
de der Borftellung der GConcordienformel aus. Webrigens
ik, mas die Iutherifche Kirche felbft betrifft, nicht näher
bekannt, wer zuerft den Gehorſam Chriſti auf die recipirte
Weiſe als thuenden und leidenden unterfchied. Selbſt der
belefene Chr. W. F. Walch bemerkt in der Comm. de obed.
Chr. act. ©. 30.: Quis primus hujus formulae fuerit
auctor, certe definire non audeo. |
4) Dan vgl. außer den oben ©. 289. angeführten Stellen A. C.
Art. 4.: Peccata remittuntur propter Christum, qui sua
morte pro nostris peccatis satisfecit.. Apol. Art. 7.:
Nos docemus, sacrifictum Christi, ‚morientis in cruce, sa-
: Us fulsse pro peccalis totius mundi u. |. w. Aud in
den beiden Katechifmen (Art. 2.) it nur von dem Blute
Chriſti, feinem Leiden und Sterben die Rede. Wie fehr
die Vorſtellung der obedientia action noch nuferhalb des
Geſichtskreiſes diefer Altern Spmbole lag, ift befonders aus
der Apologie zu erfehen, in welcher, wie auch Bretfchneis
der Handb. der Dogm. 2te Aufl. S. 230. bemerkt, fo oft
Gelegenheit war, auf dieſe Vorftellung überzugehen. Aber
felbft in dem ganzen Artikel De dilectione et impletione legis,
auf welchen fie eine fo nahe Bezichung hat, findet fich Fei-
ne Andentung derfelben. Wie nahe-lag es in der oben ©. 289.
angeführten Stelle, in welcher die Apologie fortfährt: Cum
302 1. Ber. L Abſchn. 1. Kap.
bienformel beftinnmten, nicht bloß bei der gewöhnlichen Vor⸗
ftellung ftehen zu bleiben, fondern die durch Chriſtus gelei⸗
ftete Satisfaction unter den doppelten ©efichtspunft bes Les
bens und Todes, oder des Thuns und Leidens, zu ftellen, ha⸗
ben fie fich felbft nicht erklärt, ohne Zweifel aber lag Die Vers
anlaffung hiezu, abgefehen davon, daß in der Concordien⸗
formel überhaupt die Neigung fehr ſtark hervortritt, den lu⸗
therifchen Lehrbegriff fo viel möglich in die Form einer nad)
allen Seiten ſich abfchließenden Theorie zu bringen, theils in
der proteftantifchen Lehre vom Geſetz, theils in den Beftim-
mungen, welche die Lehre von der Berfon Chriſti aus Ver⸗
anlaffung der Abendmahlsftreitigfeiten erhalten hatte. Se
ſtrenger die Vorftelungen der Iutherifchen Theologen ‚vom Ge⸗
feß, al8 dem geoffenbarten unabänderlichen Willen Gottes, wel-
chem das ganze Verhalten des Menſchen fchlechthin conform
feyn müfle *), waren, deſto näher mußte auch die Idee lie
gen, daß die vollfommene Erfüllung des Gefeged den Mens
chen auf Feine Weiſe erlafien werben fönne, daß das Geſetz
umfonft von Gott gegeben worden wäre, wenn: ed nicht auch,
wozu ed ja von Gott beftimmt war, durch den vollfommen-
ften Gehorſam realifirt wäre. Diefe vollkommene Geſetzes⸗
Erfüllung hatte zwar Ehriftus durch die abfolıte Gerechtig«
feit feines Lebens geleiftet, folange man aber den Anfelm-
fhen Srundfag, daß Chriſtus als Menſch, wie.jede vernünf-
autem justi reputentur, lex non potest nos accusare et
damnare, etiamsi legt re ipsa non satisfecerint, darauf
| Rückſicht zu nehmen?
1) F.C. €. 713.: Les» proprie est doctrina divine, in qua
justissitma et immutabilis voluntas Dei revelatur, qua-
lem oporteat esse hominem in sua nalura, cogitationi-
bus, verbis, factis, ut Deo probari. et acceptus esse pos-
sit. Simul autem transgressoribus Dei iram et tempo-
ralla atque aeterna. supplicia lex denunciat.
Die Concordienformel. 303
tige Greatur, für fich jelbft zum Gehorfam gegen Gott, oder
zur Erfüllung des göttlichen Geſetzes uerbunden geweſen fey,
fefthielt, Tonnte er es nit an ber Stelle der Mens
ſchen erfüllt haben, war es aber nicht für die Menfchen er⸗
fünt, fo blieb die Realifirung des Geſetzes immer eine un⸗
volfommene, benn wenn auch durch das Leiden Chrifti die
für die Uebertretung des Geſetzes den Menfchen beftimmte
Strafe vollzogen, fomit dieſer Seite des Geſetzes Genüge ge⸗
ſchehen war, jo war doch, fofern ber ſchuldige Gehorſam nicht
geleiftet war, das Geſetz felbft, feinem pofitiven Inhalt nad,
faftifch unerfüllt geblieben. War nun fchon von dieſer Seite
aus der Anlaß gegeben, den Akt der Genugthuung und Stelle
vertretung nicht blos auf das Leiden und den Tod Chrifi
zu befchränten, fondern auf fein ganzes Leben auszudehnen,
fo Eonnte man auf der andern Seite auch fehr leicht an der
Borftelung, daß Ehriftus als Menfch, wie jede vernünftige
Greatur, zum Gehorfam gegen Gott verbunden gewefen fey,
Anftoß nehmen. Fe enger und unzertrennlidher die Einheit
des Göttlichen und Menfchlichen in ihm gedacht wurde, des
flo weniger konnte er auch als Menſch in Eine Klaſſe mit
den übrigen vernünftigen Greaturen gefebt werden. War er
aber als Gottmenfch der dominus legis !), für wen an⸗
4) Vgl. die oben S. 292. f. angeführten Stellen. In dem Sage,
daß durch die obedientia Christi aeternae et immutabili
Justitiae divinae, quae in lege revelata est, satis est fa-
etum, ift die dee, daß das Gefes als Offenbarung der
abfoluten Gerechtigkeit Gottes durch einen volltommenen Ge⸗
horſam realifirt werden mußte, nicht undeutlich ausgefpros
chen. Es kommt bier befonders in Betracht, welche Bedeu:
tung für die Iutherifchen Theologen die dee der justitia
legis hatte. Man vergl. 3. B. Chemniz Loci theol. II.
©. 313.: Non vult nec potest Deus sine vera aliyua ju-
stitia interveniente justificare. Dixit enim, abominatio-
nem coram Deo esse, justificare imptum sine justitia
304 11. Ber. 1. Abſchn. 1. Say.
ders fonnte er das durch fein Leben faktiſch erfüllte Geſet er⸗ |
füllt haben, als für diejenigen, deren Stellvertreter er über-
haupt war? Dadurch erhielt auch der Begriff der Stellv
tretung feine nähere Beftimmung. An die. Stelle ber noch |
unbeftimmten Vorftellung einer zum Beßten der Menfchen ges
fchehenen Leiftung *) trat nun bie beftimmtere, daß Chriſtus
fowohl in Anfehung defien, was die Menfchen zu thun, als
auch in Anfehung deſſen, was fie zu leiden hatten, ihre Stelle
vertreten habe. Der Begriff der ftelvertretenden Genugthuung
wurde jet nicht mehr blos ‚auf das Xelden' und den Tod
Chriſti befchräntt, fondern auf das ganze Leben des Erlöfens
ausgedehnt. Je mehr aber dadurch der Begriff an extenfl-
ver Bedeutung gewann, deſto zweifelhafter wurde feine inten⸗
five, d. h. der Begriff der Stellvertretung ſelbſt. So war
der Begriff auf dem Punkte feiner höchften Steigerung nur Ä
um fo mehr in Gefahr, wieder in fich felbft zu zerfallen.
(Sprühm. 17, 15. Ef. 5, 23.), et semet ipsum negare non
potest. Quia igitur illam legis justitiam, cut promiiti- _
tur vita aeterna, nec habemus nec praestare possumus
in hac vita, et tamen Deus proposuerat, sua gratia nos
justificare, non autem poterat fieri solutio, destruetio et
interitus legis (Matth. 5, 18. Nöm. 3, 31.), facta igitur
est translatio legis (Heb:. 7, 42.) in mediatorem. Hielt
man auf Diele Weife die Idee der justitia legis ſchon in
Beziehung auf die odedientia passiva feft, fo lag hierin
fchon von felbft der Webergang auf die Idee der obedientia
activa, in welcher die dee der justitia legis fich vollen
dete.
1) Der Iutherifche Sat (Cat. maj. Art. 2.): Dominus ad
haec passus, mortuus et sepultus, ut pro me satisface-
rel, meamque culpam, quae mihi luenda fuerat, per-
solveret, nen auro neque argenlo, sed proprio et pretio-
so suo sanguine, drückt ganz den Anfelm’fchen Begriff dei
solvere oder reddere debitum aus.
— —
Die lutherifchen. Theologen. 305
Zu den Beitimmungen der Concorbienformel blieb ben
Iheriichen Theologen, für welche Die Formel die höchſte Auf-
tät und Rorm war, wenig hinzuzufeben übrig, Doch ſuch⸗
ı Ke die durch fie eingeführte Theorie fo viel möglich fchär«
"und firenger auszubilden. Die Hauptpunfte, die fi in
fer. Beziehung hervorheben Iaflen, find folgende:
- „1. Der nun allgemein angenommenen Unterſcheidung ei⸗
8 ihuenden und leidenden Gehorſams zufolge wurde das
zhältniß beider fo beftimmt, daß man fagte, beide concurs
en zwar bei der Satisfaction, der thuende durch Die voll»
mmenfte Grfüllung des Geſetzes, der leidende durch die zu⸗
ihendfte Bezahlung der den Sünden der Menichen gebüh-
aden Strafe, an ſich aber fey es ein und derfelbe Gehor-
m, und Die Begriffe des Leidens und Thuns gehen immer
keder in einander über, im Leiden fey auch ein Thun, und
ı Thun ein Leiden gewefen. Wenn aud, die heilige Schrift
‚vielen Stellen dad Werk der Erlöfung dem Tode zufchrei-
, fo fey dieß nicht in ausfchließendem Sinne zu nehmen,
andern nur daraus zu erklären, daß fid) Die erlöfende Liebe
briftt nirgends in einem helleren Lichte gezeigt habe, als in
Inem Leiden und Tode, weßwegen der Tod ald die Ergän-
ng und Vollendung des im Leben bewiefenen Gehorfams
nufehen fey. Es fen fogar ſchlechthin unmöglich, den thuen⸗
en Gehorſam vom leidenden zu trennen, da auch bei dem
sde vor allem der freiwillige Gehorſam und die aufopfern⸗
e Liebe als mitwirkende Urſache in. Betracht kommen ?).
1) Gerhard Loci theol. Loc. IV. Cap. XV. $. 323. (vgl. Loc.
XVII. Cap. II. $. 55.): Passio ejus fult activa, et actio
fuit passiva (Auf ähnliche Weiſe bezeichnete das Verhältniß
des hund und Leidens auch fchen Bernhard von Elairvaur
Veria IV. Hebdomadae sanctae, sermo de passione Do-
mini c. 41. Opp. ed. Mabill: T. IT. ©.895.: In vita pas-
ıdtvam habuit actionem, et in morte passionem activam
sustinuit, dum salutem operaretur in medio terrae.); Quen⸗
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 20
306 IE. Ber. 1. Abfchn. 1. Kap.
4
Zielten folche Bemerkungen darauf hin, die Einheit der. bei-
den. Begriffe feftzuhalten, oder den einen Begriff auf den ans
dern zurüdzuführen, fo wurde dagegen Die Unterſcheidung
felbft weiter dadurd) begründet, daß man beſtimmter und aus
brüdlicher, als in ber Concordienformel geſchah, im Bat:
‚ der Erlöfung eine negative und pofitive Seite unterſchied,
und das Negative der bloßen Befreiung vom Zorn Gottes
für unzureichend erklärte, da der Menfch, um vor Gott beſte⸗
hen zu können, auch pofitive Gerechtigkeit nöthig hatte, die
er nur durch Erfüllung des Geſetzes erlangen Tonnte *). Sn
fiedt Theol. did. pol. Leipʒ. 1715. ©. 407.: Quamuis in assig-
nando justificationis merito seriptura interdum tantım
mortis et sanguinis Christi mentionem faciat, ea tamen
activam Christi obedientiam minime excludit, quippe
quae cum passiva Christi obedientia arctissimo vincub
est conjuncta, imo in ipsa oxun passionis clare conspi-
eiuntur praestantissimae virtutes, in lege requisitae, vi-
delicet summus amor Dei et ardentissima erga huma-
num genus dilectio, humilitas, patientia, obedientia, Fr
ducia etc.
41) Quenſtedt Theol. didact. polemica ©. 351.: Satis-
fecit Christus pro kominibus peccatoribus duobus mo-
dis: 4. praestando legi nostri loco integram et per-
fectam obedientium, atque ita opere eam implendo; 2.
derivando in se poenam, et legis maledictionem, quam
nostra inobedientia merueramuüs, sponte sustinendo. Quia
enim non tantum ab ira Dei, justi judicis, liberandus erat
homo, sed et, ut coram Deo posset consistere, justitie
ei opus erat, quam nisi impleta lege consequi non pote-
rat, ideo Christus utramque in se suscepit, et non tax-
tum passus est pro nobis, sed et legi in omnibus satis-
fecit, ut haec ipsius impletio et obedientia in justitians
nobis imputaretur. Es ift dieß in jedem Falle logifch rich⸗
tiger, als wenn, wie unmittelbar zuvor gefchieht, die Unter =
fcheidung einer doppelten obedientia auf den Unterfdied
ullrla li.
Die Intherifhen Theulogen. 7
efen beiden Beziehungen war Chriſtus im eigentlichften und
Alkommenſten Sinne der Stellvertreter der Menſchen. Er
at für fie, was fie felbft hätten thun follen, und litt für
ꝛ was fie hätten leiden follen, die Strafe der Sünde, und
var fowohl bie zeitliche, als die ewige, indem er, wenn
sch nicht ertenfiv, doch intenfiv die ewigen Höllenftrafen er⸗
ıldete 9).
der beiden Begriffe culpa und poena gegründet wird. Agen-
do culpam, quam homo injuste commiserat, esplavdt,
et patiendo poenam, quam homo juste perpessurus, Chri-
stus sustulit. Hätte die obedientia activa nur die culpe
aufgehoben, fo hätte fie auch nur eine negative Wirkung ges
habt, und dem Menfchen noch nicht die pofitive Gerechtig-
feit ertheilt, Die er Gott gegenüber nöthig hatte. Logifch
unrichtig iR auch dieß, daß die satisfactio fowohl in die
obedientia activa als passiva gefegt wird, als das oßjec-
tum reale über, pro quo satisfactum, omnes peccalorum
‚sostrorum poenae tam temporales quam aeternae «unge»
geben werden (Quenſt. S.331.). Bezieht fi) die Satisfaction
nur auf die Strafe, fo if die obedientia activa durch die
passiva wieder ausgeſchloſſen.
1) Quenftedt a. a. D. ©. 354.: — adeo ut ipsas etiam in-
fernales poenas senserit, licet non in inferno et in ae-
ternum. “in Hinficht der fpeciellen Wirkungen hat die mors
Christi satisfactoria befreit, 1. ab ira Det, 2. a maledi-
ctione legis, 3. a potestate et tyrannide diaboli (ſofern
der Teufel das xoaros ra Sararn hatte, nicht ald dominus,
fondern als Hector oder carnifex), 4. ab inferno et morte
aeterna. Gerhard Loci theol. Loc. XVII. Cap. 11. $. 54.:
Non quidem statuimus, Christum post mortem in suo
ad inferos descensu cruclatus infernales senstsse, qua in
parte Calvinum (Inst. rel. chr. II. 16, 10.) recte oppug-
nat Bellarminus (De Christo Lib. IV. Cap. 8.), interim
:negandum sion est, Christum passionts et mortis tempo-
te, praesertim vero in horto ad radices mortis oliveti,
eum sanguinem sudaret, acerbisstmos cruelatus, dolores,
20 *
310 U. Ber. L Uübſchn. 1. Kap.
niß, in welchem er bier zu den Menfchen flehe, nicht als ei⸗
nen Gläubiger und die Sünden nicht als Schulden vorfel-
Ien, deren Beflimmung von dem freien Gutdünfen bed Glaͤu⸗
bigerd abhänge, Gott ftehe hier den Menfchen nur als ge
rechter Richter gegenüber, welcher nach feiner abfoluten Ge⸗
rechtigfeit auch eine Satisfaction von abfolutem Werth ver-
lange. In der Thatfache der Erlöfung felbft liege ber Bes
weis für die Nothwendigkeit der Vollziehung einer Strafe
Hätte Gott ohne Verlegung feiner abfoluten Gerechtigkeit die
Sünden ber Menfchen vergeben können, fo würde es keines
fo großen Opfers feines einzigen Sohnes bedurft haben. Die -
Iutherifchen Theologen hielten hier durchaus den ftrengfien
Begriff der göttlichen Gerechtigkeit feft, und verwarfen daher
auch mit Recht den willkürlichen Begriff der göttlichen Als
macht, auf welchen die Scholaftifer ihre Satisfactionstheorie
in ihrer äußerften Spite immer wieder zurüdführten ). Daß
aber Gott die von feiner abfoluten Gerechtigkeit verlangte
Strafe nicht an dem fchuldigen Subjekt felbft vollzog, fon
bern eine Stellvertretung annahm, wird nicht weiter moti⸗
virt, fondern ſchlechthin als die fchönfte Ausgleichung bet
göttlichen Barmherzigkeit mit der göttlichen Gerechtigkeit bes
1) Quenſt. ©. 327.: Contendunt scholastict, Deum per ab-
solutam suam potentiam posse homini sine satisfactione
peccata remittere, cum non habeat aliquem superiorem,
s ita Thomas P.2. qu. 46. a. 2. Sed haec, quam fingunt,
absoluta potentia non potest consistere 1) cum Dei na-
tura, quae non potest non exardescere in fomitem irae,
scil. peccatum, 3) cum ejus veracitate, dixerat enim Gen.
2, 17. ad Adamum: quocungue die de arbore scientiae
boni et mali comederis, morte morieris, aut tumet ipse,
aut tul succedaneus, 5) cum ejus sanctitate, cui peccatum
omne adversatur, 4) cum ejus justitia, quae immutabi-
üs est, nullumgue peceatum Impune dimittit.
Die Iutherifchen Theologen. 311
trachtet, woburd; jedoch der Strenge des Satisfactionsbegriffs
nichts entzogen werden fol *).
4. Als ein Nebenpunft mag hier noch bie firengere Un⸗
terſcheidung ber beiden Begriffe satisfactio und meritum
bemerkt werden. Wie die ganze Theorie auf einer firengern
Unterfcheidung der Begriffe des Leidens und Thun, des Po⸗
ſitiven und Negativen beruht, fo mißbilligten die firengern
lutheriſchen Theologen auch die bisher gewöhnliche Identifi⸗
rung jener beiden Begriffe. Die satisfactio, bemerkten fie,
verhalte fi} zu dem meritum, wie die Urfache zur Wir⸗
fung, dad meritum ſey erft die Folge der satisfactio, Die
lettere habe die Schuld und Strafe entfernt, daß erftere die
göttliche Gnade, Sindenvergebung und das ewige Leben er-
worben. Die Satisfaction fey zwar für uns, aber nicht ung,
fondern dem dreieinigen Gott, oder feiner Gerechtigkeit, gelei«
fet worden, durch das meritum aber habe Chriftus nicht
ber Dreieinigfeit, fondern nur und etwas erworben. Die
Unterfcheidung bezwedt demnach hauptfächlich, Die negative
und pofitive Seite des Erlöfungswerfs genauer auselnander-
zuhalten, oder die Beftimmung geltend zu machen, daß durch
die Befreiung von der Schuld und Strafe vorerfi nur das
Hinderniß Kinweggeräumt worden fey, ohne deſſen Hinweg⸗
wegräumung die pofitive Ertheilung der Gnade und Selig-
leit nicht fattfinden könne. Wenn aber die remissio pec-
eatorum Doc, wieder zum meritum gerechnet wird, fo -
Weint ſich Die Unterſcheidung in fich felbft zu verwideln, da
1) Quenft. a. a. D. ©. 354.: Conspicitur aliquod tempera-
mentum misericordiae et justitiae divinae, et aliqualis
legis relaxatio in eo, quod ipse Filius Det sese sponso-
rem et satisfactorem stiterit, quod oblata ab ipso satis-
factio acceptata sit, quasi nostra, quod aHa in debito-
'ram locum persona substitula fuertt, hoc ipsum tamen
: satisfastiont ipst in se nihil derogat.
312 I. Ber. L Abſchn. 1. Zap.
ſich nicht denfen läßt, daß der von Schuld und Strafe bes
freite Menſch, für welchen noch überdieß durch bie obedien-
tia activa, als wejentlichen Beftandiheil der satisfaetio, dad
ganze Geſetz erfüllt worden ift, erſt noch der remissio pee-
catorum bedarf, und nicht unmittelbar auch der Gegenſtand
der befeligenden Gnade Gottes ſeyn fol. Sollte auch, wenn
Die Ungerechtigkeit der Menfchen dad Negative tft, das burd
die Satiöfaction entfernt wird, an die Stelle des Negativn :
der Ungerechtigkeit nicht unmittelbar das Pofitive der Gerech
tigfeit und der ihr entfprechenden Seligfeit treten, alſo bie '
satisfactio Dad meritum nicht in ſich fchließen, wie Tann
denn, wenn nach dem Obigen die Unterfcheidung der obe-
dientia activa und passiva Dadurch motivirt wird, daß de
Menih, um vor Gott beftehen zu können, auch pofitive Ge
rechtigfeit nöthig hatte, Da8 meritum von der satisfactio,
gu welcher die obedientia activa gehört, wie das Poſitive
von dem Negativen unterfchieden werden *)? Wollte man
1) Das Moment der Unterſcheidung zwiſchen satisfactio und
meritum erhellt auch aus folgenden Sägen bei Quenfedt
a. a. O. ©. 324.: Status exinanttionis, ut legis imple-
tio, mors etc, sunt simul satisfactorii et meritoriüi, ac-
tus vero exaltationis, ut resurrectio, ascensio in coelum,
sessio ad dextram Det, non satisfactorii actus sunt, sed
solum meritorii, i. e. non satisfecit Christus resurgendo
et in coelos ascendendo pro peccatis nostris, sed eo ipso
resurrectionem ad vitam nobis promeruit, et coelum re-
seravit. Denique satisfactio ex debito oritur, sed meri-
tum opus indebitum plane ac liberum est. Cui ex ad-
verso respondet merces sive remuneratio. Alles, was
Chriſtus an unferer Stelle gethan hat, hat er zwar and)
für ung gethan, aber nicht alles, was er für ung gethan
hat, hat er auch an unferer Stelle gethan, fo daß wir eb
. eigentlich hätten thun follen. Mit diefer an fich nicht ſehr
weientlichen Unterfcheidung vermifcht fich die Unterfcheidung
des Negativen und Pofitiven, wodurch Unklarbeit entficht.
Die. Iutherifhen Theologen. 313
mn aber die obedientia aetiva zum meritum rechnen, fo
würde fie ihre fatiöfactorifche Bedeutung verlieren. Hieraus
erhellt, daß der Hauptbegriff immer der Begriff der Satid«
faction bleiben muß, nad den beiden Momenten, die er in
ih ‚begreift, dem thuenden und leidenden Gehorfant.
Worin befteht aber, müfjen wir hier in Beziehung auf
die Theorie im Ganzen noch fragen, das eigentliche Moment
der ihr eigenthümlichen obedientia activa? Da die Satis⸗
faction im proteftantifchen Syftem im engften Zufammenhang
mit der Zuftififation fteht, beide nur wie die objektive und
fubjeftive Seite deſſelben göttlich«menfchlichen Akts unterjchie-
den werden Tönnen, fo dürfen wir auch bei der obedientia
activa die Beziehung auf die Rechtfertigung und den rechts
fertigenden Glauben nie aus dem Auge verlieren. Als das
Weſentliche der Rechtfertigung wird betrachtet. Die Zurechnung
(imputatio) der Gerechtigkeit Chrifti, oder die Grgreifung
feines Verdienſtes vermittelft des Glaubens. Wie verhält
fh nun aber diefe justitia imputata zu ber fatisfactorifchen
obedientia, fofern diefe fowohl eine passiva als activa
IR? Man fagt gewöhnlich, die letztere habe die erftere zu ih—
te Borausfegung, indem die Rechtfertigung ald der göttli«
Ge Akt definirt wird, in welchem Gott propter meritum
Christi fide apprehensum, oder propter Christi media-
toris et redemtoris obedientiam et satisfactionem die
Gerechtigkeit Chrifti uns zurechnet. Worin fol aber die Ges
techtigkeit Chrifti von feinem thuenden und leidenden Gehor-
ſam verfchieden feyn? Als die abfolute, dem göttlichen Wil-
Im vollfommen entiprechende Gerechtigkeit ftellte fih Chriftus
nur durch feinen Gehorfam dar. In dem Begriffe der Ges
rechtigkeit find daher die beiden Seiten des Gehorfams, for
fern er fowohl ein thuender als leidender if, wieder zur Ein-
heit zufammengefaßt. Für welchen Zweck werden fie dem-
nach unterfchieden, wenn 'man auf der Seite, auf welche das
dauptmoment fällt, die Unterſcheidung doc wieder fallen
316 u. Ber. 1 Abſchn. 1. Kap.
Erlöfer und Berföhner feyn Eönnen, wenn er nicht auch in
feinem Leben, al8 der Unfündige und Bollfommene, bie dem
göttlichen Willen entfprechende Gerechtigkeit in fich dargeſtellt
hätte. Fühlte man ſich aber gebrungen, nicht blos bei dem
Regativen bed Begriffs der Satisfaktion und der Sünden .
Te Er nn
1
vergebung ftehen zu bleiben, wollte man wirklich dem Be :
griffe der Gerechtigkeit Chrifti den vollen Inhalt geben, weis
.. chen er nur durch die beiden Momente des thuenden und Id
fchließen, vor allem auf der Seite, die für den proteftanti-
|
denden Gehorfams erhalten Tonnte, fo mußte man ſich at 7
fchen Standpunft immer die nächfte und weſentlichſte blieb,
auf der Seite der Rechtfertigung, das Regative durch dad
Poſitive zu ergänzen. Allein gerade auf diefer Seite war,
man ja dem einzigen Verſuch, welcher dieß beabfichtigte, ſehr
entfchieden entgegengetreten.
Es ift hier nämlih der Ort, wo Die eigenthünlide
Rechtfertigungstheorie ded Andreas Oftander *) in den Ent
wicklungsgang des lutheriſchen Lehrbegriffs eingreift. Der
Hauptpunft, von welchem Oftander ausging, war die für
ihn völlig unbefriedigende Negativität des Iutherifchen Recht⸗
1) Dan vgl. über fie meine Disquisitio in Andreae Osiandri
de justificatione doctrinam, ex recentiore potissimum
theologia illustrandam. Tüb. 1831. Die Hanptfchrift Diians
ders if: De unico mediatore Jesu Christo et justificatio-
ne fidei. Confessio Andreae Osiandri. Regiomonte Prus-
siae 1551. Sie ift eine weitere Ausführung der Theſen,
welche der Gegenſtand ber Dfiander’fchen Difputation de
justilicatione im J. 1550 und der erfte Anlaß der Oſian⸗
der’fchen Streitigfeit waren. Man vgl. über fie Hartknoch
Preufifche Kirchenhift. Sranff. am M. u. Leipz. 1686. BP.
1. 8. 2. ©. 316.f. Arnold Unparth. Kirchen und Ke⸗
jer-Hift. 2, 2. 24. ©. 924. Salig Vollſt. Hiſt. der auge.
Conf. Bd. I. S. 928. Plank, Gefch. des prot. Lehrb. Bd—⸗
IV. ©. 270.f.
Andreas Dfiander. 317
tigung&begriffd, die Lehre, daß der Menſch ſchon wegen
: bloßen Sündenvergebung für gerecht erklärt werde, ohne
riftus, ald das Princip der Gerechtigkeit, felbft, vermittelft
> Glaubens, in ſich zu haben, und mit ihm Eins zu feyn ®).
I) Conf. F. (©. 42.) faßt Dfiander die Hauptpunfte gegen
feine Gegner fo zuſammen: Omnes horribiliter errant. Prt-
mo, .quia verbum justificare tantum pro justum reputa-
re et pronunciare intelligunt, atque interpretantur, et
non pro eo, quod est, reipsa et in veritate justum effi-
eere. Deinde etiam in hoc, quod nullam differentiam
tenent inter redemtionem et justificationem, quum ta-
men magna dijfferentia sit, sicut vel inde intelligi pot-
est, quod homines furem a suspendio redimere possunt,
bonum autem et justum efficere non possunt. Porro
etiam in hoc, quod nihil certe statuere possunt, quid tan-
dem jüstitia Christi sit, quam per fidem in nobis esse,
nobisque imputari oporteat. Ac postremo errant omnlum
rudissime etilam in hoc, quod divinam naturum Christi
a justificatione separant, et Christum dividunt atque
solvunt, id quod haud dubie execrandi satanae opus
est. Weber den erfien Punkt bemerkt Dfiander: Justöficare
fönne nicht foviel fenn, als justum reputare oder pronun-
ciare. Hoc enim divinae majestati vergeret in blasphe-
miam, totique seripturae esset contrarlum. Si enim
ı Deus impium, quem non simul reipsa et in veritate ju-
“ stum efficeret, tamen bonum et justum reputaret, et
pronunciaret esse justum, tum necesse essel, eum aut
errare el nescire, quod impius esset implus, quod est
impossibile — aut necesse esset, eum mentiri et amicum
injustitiae esse, quod etiam est impossiblle. Aus dem⸗
felben Grunde erklärt Bellarmin De justific. II, 7. (De
controv. chr. fidei adv. hujus temp. haer. T. III. €. 1059. f.)
die proteſtantiſche Rechtfertigungsiehre für vernunftwidrig
(ita. tmputari nobis Christi justitlam, ut per eam for-
maliter justi nominemur et stmus, id nos cum recta ra-
tione pugnare contendimus). Dabei verdient noch bemerft
zuis MM. Per. 1. Abſchn. 1.Rap-
Es handelte ſich zwifchen ihm und feinen Gegnern zunaͤchſt
um bie Beftimmung des VBerhältniffes, in weldyes die Sa-
tiöfaction und Suftififation als die objektive und fubjektive
Seite des ganzen Prozeſſes, in welchem Gott. und Menſch
fi zur Einheit zufammenfchließen follen, zu einander zu fe-
. gen find. So wenig er von dem Fundamentalartikel der lu⸗
tberifchen Kirche abwich, daß das Princip der Rechtfertigung
nur der Glaube fey, fofern er Chriftus zu feinem Objekt has
be, ſo ſehr fehlen ihm eine Rechtfertigung, welche nur wegen
der Vergebung ber Sünden für gerecht erklärt, noch nicht
die Rechtfertigung felbft zu feyn, fondern nur bie: objektive
Borausfegung der Rechtfertigung, die Satisfactton, oder noch
ganz auf die Seite der erlöfenden Thätigfeit Chriſti zu fallen,
Auf welcher er es noch gar nicht mit den Menfchen, fondern
einzig nur mit Gott zu thun hat. Wie aber er von, feinen
Gegnern die Meinung hatte, daß fie eine Satisfaction lehren
ohne eine Zuftififation, oder auf der objektiven Seite ſtehen
bleiben, ohne ſich zur ſubjektiven herüberzumenden, fo beſchul⸗
digten dagegen ſie ihn, daß er die Juftififation von der Sa—
au werden, daß Dfiander nicht blos hiebei ſtehen bleibt,
fondern wie Schleiermacher (vgl. Gegenfa des Kathol. u.
Proteſt. Zweite Ausg. Tüb. 1836. ©. 645.) ausdrücklich
auf den Begriff der göttlichen Allmacht zurückgeht. Zorro,
fährt Dfiander fort, etiam si vellet errare et mentiri (ig-
noscat mihi Deus, quod propter erroneos homines ita
loqui cogor), tamen ob allam causam succedere non pos-
. sel, quia Verbum ipsius est omnipotens (Röm. 4, 17.).
Statim igitur, ut Deus impium nominaret bonum et ju-
stum, oporteret eum, ob illam ipsam omnipotentem no-
‚ minationem et vocationem, esse reipsa et in veritate bo-
num et justum et non impium. Quare ubi de justifica-
tione fidel agitur, ibi verbum justificare non humano,
forenst et sophistico more est Intelligendum, sed dieine
modo. |
Andreas Dfiander. 319
tisfaction trenne, ihr die objektive Grundlage entziehe, Die fie
in ber Satiöfaction haben müffe *). So wenig beide Theile
bad Cine ohne das Andere haben wollten, fo klar gibt fidh
doch hierin der entgegengefehte Standpunkt zu erkennen, auf
welthem beide Theile ftunden. Solange man im Begriffe ber
Rechtfertigung zunächft nur das Negative fefthält, daß dem
Menſchen um Chriſti willen: die Sünden vergeben werben,
halt man fih auch, blos an diejenige Seite der erlöfenden
Thätigfeit Chrifti, auf welcher er Die objektive Bedingung der
Sündenvergebung vollzieht, und die ©erechtigfeit Chrifti, die
der rechtfertigende Glaube ergreift, fällt noch ganz mit der
äußern objektiv gefchichtlichen Thatfache des flellvertretenden
Sehorfamd zufammen, fie iſt gleichfam noch nicht in ihrer
4) Conf. M. (©, 189.): Clamat, tumultuatur (tartareus ille
‚draco) quasi passionem et mortem Christi una cum pre-
tioso fpstus sanguine pedibus conculcem. P. 2. (©. 115.):
Ex his jam omnes facile judicare possunt, quam vant
et seditiosi sint eorum clamores, qui vociferantur, quod
velimus ipsts sanguinem Christi eripere et pedibus con-
eulcare. Dieß war eine ungerechte Belchuldigung, wenn
aber Dfiander in Bezichung auf feine Gegner fagt Conf.
A. 4. (©. 8.): Manifestum est, quod quidquid Christus,
ut fidelis mediator, nostri causa, impletione legis ac
passione morteque sua cum Deo, patre suo coelesti, egit,
factum id esse ante mille quingentos et eo amplius an-
2085, cum. nos nondum essemus nati. @uare si proprie
logui volumus, non potuit illud nostra justifieatio neque
esse, neque nominari, sed tantum nostra redemptio et
satisfactio pro nobis ac peccatis nostris, ſo ift auch diefe
Behauptung nicht der Wahrheit gemäß, ba eine foldhe
Identität der Justificatio mit der satisfaotia nicht gelehrt
wurde, fondern das Wahre ift vielmehr nur, daß zwar Das
Wefentliche der justificatio und der satisfactio in den Bes
griff der Sündenvergebung gefekt, beides aber wie Subijek⸗
tives und Obiektives unterfchieden wurde, |
320 II. Ber. I. Abſchn. 1. Ray.
abfoluten Einheit und Vollendung, fondern nur in dem lei⸗
densvollen Zuſtande angeſchaut, in welchem fie im Gegenſah
gegen die Sünde ihren Begriff erft realifirt. Denn, wenn
auch der thuende und leidende Gehorſam an ber Stelle der
Menfchen geleiftet wird, fo macht er das doch eigentliche We⸗
fen der Gerechtigkeit aus, die der rechifertigende Glaube er
greift. Se mehr dagegen die Gerechtigkeit Ehrifti in ihrer
höchften abfoluten Bedeutung, als das abfolute Princip ber
Gerechtigkeit betrachtet wird, deſto mehr tritt ber die Sünde
überwindende Akt bed Gehorſams in den Hintergrund zurüd.
Es muß zwar vorausgefegt werden, daß die Gerechtigkeit in
ihrer höchften abfoluten Vollendung nicht gedacht werben kann,
ohne daß die ihr gegenüberftehende Ungerechtigkeit aufgeho«
ben ift, aber es iſt Dieß nur die gleichfam den Menfchen noch
. nichts angehende, noch ganz abftraft zu ihm ſich verhaltende
objektive Seite der erlöfenden Thätigkeit Chrifti *), ihre reelle
1) Defwegen if nach Dfiander Conf. B. 1. (&. 10.) bie al-
tera pars officii Domini nostri et fidells Mediatorts Je-
su Christi, ut sese jam (nachdem er nämlich zuvor cum
Deo, patre suo, nostri causa egit atque impetravit, ul
peccata nobis remittere, nec ob ea damnare nos vellt,
insuper et infirmitates ac debita nostra, quod legem
in hac vita non adimplemus, cum Christus eam pro no-
dis Impleverit, nobis nolit imputare A. 4. ©. 7.), ad nos
convertat, ac miseris nobiscum peccatoribus Tanquam
cum parte rea itidem agat, ut tantam gratiam agnos-
camus et per fidem cum gratiarum actiome recipiamus,
ut nos per fidem a morte peccati vivos et justos resii-
tuat, et peccatum jam condonatum, adhuc tamen in
carnenostra habitans, et tenaciter inhaerens, ubi in morte
ipsitus decessertmus, in nobis prorsus mortificetur et ex-
tinguatur. Et hoc demum est negotium nostrae justifi-
cationis, quod Dominus et servator noster Jesus Chri-
stus perfickt. Auch dieß begründet eine gewiße Differenz
swifchen Dfiander und feinen Gegnern, daß nach Dfiander
Andreas Oftander. 321
:omerete Bedeutung gewinnt fie erft auf dem Punkte, auf
velchem der Menſch nur infofern für gerecht erklärt wird,
ofern er auch wirklich gerecht wird, was nur durch den Die
Gerechtigkeit Chrifti ergreifenden Glauben gefchehen Tann,
hurch die Vermittlung des Glaubens aber nothwendig gefche-
ben muß, da der Glaube, wenn er nicht leer und inhalts⸗
(08 iſt, nur Chriſtus zu feinem. Objeft haben kann, ſobald
er aber Chriftus zu feinem Objekt hat, in ihm den ganzen
Gotimenfchen, ald das abfolute Princip der Gerechtigkeit, er⸗
greift. - Chriftus allein, fagte Oftander, iſt gerecht, gerecht
aber ift er nicht deßwegen, weil er das Geſetz erfüllte, fon
dern weil er zuvor fchon, ehe er: gerecht lebte und wirkte, ge⸗
recht war, da die Gerechtigkeit überhaupt nicht in dem, was
he wirkt, weder im Thun, noch im Leiden .befteht. Gerecht
iR Chrifus, nur ſofern er bie wefentliche Gerechtigkeit Got⸗
ies ſelbſt iſt. Gerechtfertigt wird daher auch der Menſch, nur
‚fern er Chriſtus als die weſentliche Gerechtigkeit im Glau⸗
ben ergreift. Hat er aber dieſe Gerechtigkeit ergriffen, ſo
wohnt Gott ſelbſt in ihm. Denn wo Chriſtus iſt, da iſt auch
fine göttliche Natur, und wo der Sohn Gottes feiner gött⸗
lichen Ratur nad) ift, da ift auch der Vater und der Geiſt, das
ige Eine göttliche Weſen ſelbſ 1), Dieſe Zurüdführung
vermöge bes poſitiven Begrifs der Rechtfertigung, welchen
er auffiellt, die Rechtfertigung nicht blos Gott, fondern auch
Chriſtus zugefchrieben wird, hält man fich aber in der Recht:
fertigung nur an das Negative der Eüindenvergebung, fo iſt
eds am natürlichfien,, den Tod Chrifii-äwar als die Urfache
der. Sündenvergebung, die Rechtfertiguns ſelbſt aber als ei⸗
nen Akt Gottes anzuſehen.
In den Theſfen über die justific. 20. 22. 27. 28. 52. 53.
Kellte Dfiander folgende Säpe auf: Fides justificat: acci-
»iendo et possidendo, Deus autem justificat, justitiam
suam nobis donando, conferendo. Justitia tlla, quam
fide apprehendimus, est justitia Dei, non tantum, quia
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 21
322
11. Ber. 1 Abſchn. 1. Kap.
der Rechtfertigung auf die wefentliche Gerechtigkeit Gottes, ald
ihr höchſtes Princip, gab der Goncordienformel Anlaß, die „
— —
Deo est accepta, sed quia est revera justitia Det, nom- -
pe Domini nostri Jesu Christi,. qui Deus est benedictw
in secula. Solus Christus justus est, non tamen ideo justus
est, qula legem adimplevit, sed qula a justo patre ab aeter-
no justus fillus natus est. Eadem igitur est justiti«
Patris, Filti et Spiritus sancti, et haec justitia Det et
jJustitia fidel, sive, cum Deus, qui tradidit filum pro
nobis, omnia nobis cum eo donet, eoque magis fllem to-
tum, quidquid id est, justitia ejus essential justi sı-
hus. Vgl. Conf. D. 3. ©. 30.: Deus secundum suam
veram divinam essentiam in vere credentibus habilat,
ubi enim Christus est, ibi est ipstus divina natura seu
divina essentia, ubl vero Filtus Det secundum suam di-
vinam essentiam est, ibi sunt etiam Pater, Filius et
Spiritus sanctus indivistbiliter. Nam Pater, Filius ed
Spiritus sanctus sunt una aelterna indivisibiiis divin«
essentia. Durd) den Ausdruck essentialis (justätta) wollte
Dfiander, wie er in der Praef. II. feiner Conf. fagt, dem
Irrthum der Iutherifchen Rechtfertigungslehre auf die glei
che Weife entgegentreten, wie die Väter der Nieäniſchen
Synode durch das Wort öuosn: die arianifche Ketzerei uns
terdrücht haben. Quod st justitia Dei, fett er hinzu, ab
omnibus recte intelligeretur, facile patiar, omtttt voca-
Dulum essentialis. Ueber das abſolut Göttliche der
Rechtfertigung drückt er fich Conf. E. 3. (©. 38:) fo aus:
Necesse est, ut sit Deus ipse. Nam si alius nos ju-
stificare posset, quam solus Deus, tum possemus, imo
deberemus, In eundem etiam credere, quod quidem essel
Idololatria, et imputaretur nobis ea fides ad justitiam,
quod esset absurdum, veniretque justitia ex abominabi-
lixcimo peccato, nempe ex Idololatria. Auf diefelbe Weife
argumentiren Athanafius und Anfelm gegen eine Erläfung
durch einen bloßen Menfchen. Der erftere fagt Or. II. c.
Ar. 0. 16.5 3 ardgwnoe ynlor TAro moiam amoerts ur. iva
IST u m
Andreas Dfiander. 323
hre, daß Ehriftus nur nach feiner göttlichen Natur unfere
erechtigkeit ſey, ausdrüdlidy als eine verwerfliche zu bezeich⸗
n. Allein ſchon Oſiander felbft hatte gegen bie Vorausſe⸗
ng proteftirt, daß er die göttliche Natur von ber menfchlis
a trennen wolle *). Sn der That fchrieb er der göttlichen
atur nichts zu, was nicht auch Die übrigen Iutherifchen Theo⸗
gen ihr zufchreiben mußten, wenn, fie behaupteten, daß nur
8 Zufammenfeyn der menfihlichen Natur mit der: göttlichen
m Leiden Chrifti den abfoluten Werth gebe, welchen es für
. #
um avFounos wipov Eyorres. av$owrolarga yensuede. der legs
tere Cur Deus homo I, 5.: An non intelligis, quia quae-
eunque alia persona hominem a morte aeterna redime-
ret, ejus servus Idem homo recte judicaretur?
1) Conf. D. 4. (©. 31.): Nemo hie cogitare debet, cum di-
eimus, verbum, hoc est divinam naturam, in Christo es-
se vitam nostram, quod ideo vellmus naturam huma-
nam separare et ezxcludere, quast nihil conferret ad hoc,
ut per divinam ipsitus naturam vivifieemur. Absit hoc
Ionge anobis. Yun führt Dflander weiter aus, iie aus
ber göttlichen Natur’ nichts auf uns übergeben koͤnnte, wenn
wir nicht zuvor durch den Glauben und die Taufe dem mufifchen
Leibe Ehriftt, fir welche Idee fich Oſiander befonders gern
auf die Stelle Eph. 5, 30. berief, einverleibt worden wären,
wenn alfo nicht die menfchliche Natur das Vermittelnde wä⸗
re. Vgt. Conf. M. 3. S. 93.: Diserte et clare respondeo,
quod secundum divinam suam naturam sit nostra justi-
tia et non secindum humanam naturam, quamvis hanc
divinam justitiam extra ejus humanam naturam non
possumus invenire, consegui aut apprehendere, verum
cum ipse per fidem in nobis habitat, tum ajfert suam
justitlam, quae est ejus divina natura, ‚secum in nos, quae
deinde nobts etiam imputatur, ac si essel nostra pro-
prla, immo et donatur nobis manatque ex ipsius huma-
na natura, tanquam ex capite, ellam in nos, tanquam
ipstus membra.
21*
294 Il. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap.
das Erloͤſungswerk haben muͤſſe. Der vollkommene, alle &%
rechtigfeit erfühlende Gehorſam, welchen Chriftus durch feine :
menfchliche Natur leiftete, lehrte auch Oflander, war nut
durch Die göttliche und wefentliche Gerechtigkeit möglich, wel⸗
che Gott ſelbſt iſt. Ohne dieſe Gerechtigkeit hätte die menfdy
liche Natur nichts vermocht %). Dadurch follte aber die '
=
a
nl
*
menſchliche Natur auf keine Weiſe ausgeſchloſſen werben. A⸗
les, was Chriftus feiner göttlichen Natur nach iſt, hatte Feine
Beziehung auf die Menfchen, wenn nicht Chriſtus zugleich
Menſch wäre, und als Menſch gewordener Sohn Gottes das
Haupt des myftifchen Leibes, welchem die Slaubigen als feine
Glieder, als Fleiſch von feinem Yleifch, als Bein von feinem
Bein, einverleibt ſeyn muͤſſen. Die menfchliche Seite der Ber
4) Doch drückt ſich Hfiander hierüber auch wieder etwas ſchwan⸗
Eend aus, und fcheint die Nothwendigkeit des Göttlichen in
Chriſtus nicht ſowohl auf Vie satisfactio, ala vielmehr nur
auf die Justificatio in feinem Sinne zu beziehen. Er fagt
in Besiehung auf Joh. 14, 10. Mätth. 26, 42.: Quo dide
etiam testatur, quod divina Patris voluntäs, quae etiam
est Filii et Spiritus sanctt voluntas, Deus ipse et Des
essentialis justitia, sit humanae suae nuturae justitia,
quae iTpsum, ut pro nobis mgreretur, nosque redimeret,
mooit, ewcitavit et impulit. Humana enim natura Chri-
sti sola sine divina et essentiali justitia hoc non effecis-
set. Unter hoc kann hier nur das mori pro nobis, nosgue
redimere verfianden werden. Gleichwohl aber fährt Dfian-
der-fo fort: alioqui nihtl fulsset necesse, ut Deus Filtum :
suum sineret incarnari: poluisset enim alium justum '
hominem creare, qui non esset Deus, et nos tamen re
dimeret. Verum oportuit divinam et essentialem justi-
tiam adesse. Et necesse est, ut ea justitia, quae Chrl-
stum permovit ad obediendum et recte agendüm, ro
quoque permoveat. Nam certum est, hoc nullam aliam
effecturam esse. Conf: O. 2. (©. 409.)
Andreas Dfiander. 325
hriſti bleibt daher immer die nothwenbige Vorausſetzung
defien, was Chriftus als die göttliche und weientliche.
htigkeit wirkt. Zugegeben werben aber muß, daB, wie
r, fo auch bei Oſiander, das Menſchliche in bemielben
altniß gurüdteitt, in welchem das Göttliche als das alle
Arkende Iebensfräftige Prinrip hervorgehoben wird, baß
ehr auf die innere Ergreifung der Gerechtigkeit Chriftt
ttelft des Glaubens alled Gewicht gelegt wird, das
e geſchichtlich Ihatfächlihe nur aus dem Gefichtspunft
dem Menfchen noch äußerlich bleibenden Berhältnifies
faßt werben kann, und daß ebendeßwegen auch der ſtell⸗
tenbe, fowohl thuende, als leidende Gehorſam Ghrifti
in nicht die Bedeutung haben Tonnte, die er für bie übri«
utherifchen Theologen hatte, obgleid) auch er ihn als bie
vendige objektive Bedingung betrachten mußte, ohne de⸗
3prausfegung Chriftus nicht in ein wahrhaft lebendiges
Atniß zu dem Menfchen treten Eonnte. Se mehr aber auf
Meife in feiner Theorie das äußerlich Thatfächliche in eine
geordnete Bedeutung zurüdtrat, deſto weniger konnte er
den durch den ftellvertretenden Gehorſam vermittelten
er Sündenvergebung ald das Wefentliche der Rechtfer⸗
3 betrachten. Da nad) der Iutherifchen Theorie im Afte
terhifertigung Suͤndenvergebung foniel iſt, ald Richtzu-
ng der Sünde, und dieſe felbft fo viel als Gerechter⸗
19, Gerechterflärung aber, nach Oſtanders Anficht, nicht
ch ift ohne Gerechtmachung, das Princip der Gerecht⸗
ng aber Chriſtus ift, als die abfolute Gerechtigkeit, fo
r er von biefem Standpunkte aus nicht das Negative
Poſitipen vorangehen laſſen, die Sünbenvergebung der
dung ber Gerechtigkeit Chrifti, fo daß jene ald das Er-
vodurch der Menfch aus dem Verhältniß des Sünders
Stritt, das Wefentliche der Rechtfertigung ift, fondern
Bofitive der Inwohnung ber weſentlichen Gerechtigkeit
von ſelbſt und unmittelbar auch Das Regative der Sün-
326
1. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap.
denvergebung in fi ). Die Sünde verhält fich, dem in der
Concordienformel gebrauchten Ausdrud zufolge, zu der we
fentlichen Gerechtigkeit Chrifti, wie der verichwindende Wal
« fertropfen zu dem unendlichen Meer. Sagte aber nicht im
Grunde die Concordienformel felbft daffelbe, wenn file davon
ſprach, daß Chriftus durch feinen abſolut vollfommenen Gr
——
9»
Am deutlichfien erhellt die Umftellung, welche die bier in
Betracht Eommenden Momente durch das Pofitive des Dfian
der’fchen Rechtfertigungsbegriffs erhielten, aus folgender Stelle
der Conf. P. 2. ©. 115.: Officium medictoris est, ut m
per suam obedientiam, passionem, mortem et sanguinis
effusionem, ab ira, maledicto, peccato, morte et infer-
a0 redimat, et remissionem peccatorum impetret, — ‚De-
inde debet curare, ut nobis evangellum annuncietur, no-
bisgue per fidem, cum evangelio credimus, justiliam
suam divinam, de qua hactenus tum multa dieta sunt,
tanquam vestem induere, peccata nostre illa sua justitis
tegere, nosque veluti sponsam eadem illa sua justitia
ornare. Peccatum autem nulla alia re se tegt palitur,
quam sola justitia Christi, id quod diligentissime: est
observandum. Postea, cum peccatum sit remissum, ed
tamen adhuc in nobis haereat, debet ipse obedientiam
suum, qua legem adimplevit, nobis donare, uc pro no-
bis’ponere, ne nobis imputetur, quod legem nondum pos-
sumus adimplere, sed adhue quotidie peccamuxs et offen-
dimus, (Hier ift deutlich zu fehen, wie die odedientia pas-
san und activa vor der justificalio den Menfchen eigent-
lich nichts angeht, fondern immer die Justificatio ſchon zu
ihrer Vorausſetzung haben muß, wenn fie eine Bezichung
auf den Menfchen haben fol, dann aber aud) ihre nothwen⸗
dige Stelle findet.) Zt tandem debet peccatum, quod
haeret in nobis, per spiritum suum et mortem suam, in
quam per baptismum plantati sumus, mortificare. Et H-
cet peccatum in Carne non penitus exstinguatur, quam
diu vivimus, debet tamen nova vita In wiritu inchoutu
4538,
—E ——
A 1.”
ft we ver!
a
e
- Andreas Diiander, 327
arſam alle Sünden der Menfchen bebede,. wenn fie auch
eich noch immer der Natur des Menfchen wirklich anhän-
ms)? Wie kann Chriſtus die Sünden bebeden, wenn er
icht vor allem als der abfolut vollfommene Gehorfam, als
ie abjolute Gerechtigkeit, im Glauben ergriffen iſt? Daß
ber Durch die Snwohnung Ehrifti die Eünde aud dem We⸗
n. des Menfchen völlig verſchwunden und vertilgt fey, be-
auptete auch Ofiander nicht, er Eonnte fie mit den Verfafe
m. der Soncordienformel immer nur als das Negative, ger
müber dem Bofitiven, ald ein immer erft noch verſchwinden⸗
Moment betrachten.
Das ummittelbare Einsſeyn des Menſchen mit Gott und
hriſtus durch die Vermittlung des Glaubens iſt der Grund⸗
egriff der Oſiander'ſchen Rechtfertigungstheorie. In dieſer
inficht hat fie, indem fie von einer unmittelbaren, durch kei⸗
m vermittelnden Begriff. erflärbaren, conereten, lebendigen
Kmheit des Göttlihen und Menfchlichen ausgeht, in wel-
er alle einzelnen Momente fchon enthalten find, einen gewi⸗
en myſtiſchen Charakter, und gehört in eine Reihe nicht blos
it der Idee des. myftifchen Körpers Chrifti, auf welche Tho-
UF. C. ©. 686.: Quando docemus, quod per operationem
Spiritus sancti regeneremur et justificemur, non ita ac-
eiplendum est, quod justificatts et renatis nulla prorsus
injustitia post regeneratiomem substantiae Ipsorum et
eonversationt adhaereat, sed quod Christus perfectissi-
ma obedientia zua omnia ipsorum peccata tegat, quae
quidem in ipsa natura, in hac vita, adhuc infixa. hae-
ı rent. In dem Begriffe der regeneratio nähert fich die Lehrs
weile der Eoncordienformel am meiften der Dfiander’fchen.
Cum homo per fidem, quam quidem solus Spiritus san-
ctus operalur, justificatur, ld ipsum revera est quuedam
regenerulio, quia ex filio irae fit filius Det. m diefem
Sinne fey das Wort regeneratio in der Apologie Hiters
sebrancht.
328 IL Ber. 1. Abſchn. 1. Rap. | i
mas son Aquinum die Erlöfung zurüdfährt, ſondern auch
mit jener Anſicht der alten Kirchenlehrer, nad) welcher durch
bie Verbindung des göttlichen Logos mit einem. menſchlichen
Individuum ein heiligendes und vergöttlichennes, bie Verſoh⸗
nung des Menfchen mit Gott bewirkendes Element ber gan ‘
sen menfchlihen Natur mitgetheilt worden ift, umterfcheibt
fi), aber dadurch fehr wefentlih von allen Altern Anfichten
diefer Art, daß fie, ganz gemäß dem ädyt proteſtantiſchen
Standpunkt, dieſe unmittelbare eoncrete Einheit nicht anf ihrer -
objeftinen Seite (weder in der objektiven Thatfache ber Menſch⸗
werdung, noch in dem objektiven Einsſeyn Chriftt mit den
Gliedern feines Leibs), fondern auf der fubjeftiven, in dem
Glauben im proteftantifchen Sinne auffaßt. Nehmen wir nım
noch hinzu, in welche Verbindung Dfiander feine Lehre von
der Perfon Chrifti mit; feiner Lehre yon dem göttlichen Eben
bilde fette, fo fehen wir in feiner Rechtfertigungstheorie Ideen
niedergelegt, Durch welche Dfiander, wenn fie auch gleich nur
als dunkle Ahnung feinem Bewußtſeyn vorſchweben mochten,
feiner Zeit weit vorgriff, Ideen, deren Entwidlung einen fehr
fruchtbaren Stoff für die weitere Ausbildung unſers Dogmas
Darbieten konnte. Das göttliche Ebenbild, nach welchem der
Menſch gefchaffen worden tft, ift der Gottmenſch Chriſtus.
Er ift ald die Subftanz des fleiſchgewordenen Worts, d. h.
fofern das Wort, ehe es Fleiſch wurde, poraus ſchon dazu
beftimmt war, Fleiſch zu werden, das fichtbare Bild des un-
. fihtbaren Gottes. Adam ift nun zwar nach dem Bilde Got⸗
tes gefchaffen worden, da aber Ehriftus damals noch nicht
erfchienen war, fo eriftirte das göttliche Ebenbild nur ideell,
bloße Idee konnte es jedoch nicht bleiben, hätte fich die Idee
nicht realifirt, fo wäre die Idee felbft nur etwas unvollkom⸗
menes und unfräftiged gewefen. Hieraus folgerte Ofiander,
baß die Menfchwerdung des Sohnes Gottes nicht Durch die
Sünde Adams bedingt war, daß er aud) ohne den Eünden-
fall Menſch geworden wäre, weil es an fih zum Weſen ber
Andreas Ofiander. 329
bee gehört, fih zur Realität aufzuichließen. Auch Adam
te das Bild Gottes, das nicht blos in einzelne herrliche
haben geſetzt werben darf, fondern nur in dem ganzen, mit
Jott verbundenen, Dienfchen ſich barftellen Fonnte, nicht wahr⸗
aft gehabt, wenn fich die Idee deffelben in Ehriftus nicht
iktiſch reift hätte ). Es läßt ſich nicht perfennen, daß
8) Es gehört hicher die merkwürdige fehr fclten geworbene
Schrift Dfianders: An Filius Dei fuerit incarnandus, si
peccatum non introivisset in mundum? Item de imagine,
Dei, quid sit? ex certis et evidentibus S. S. testimoniis,
et non ex philosophicis et humanae ratipnis cogitationi-
bus depromta explicatio. Monteregig Prussiae 1550. Man
vgl, über diefe Schrift Hartfnoch a. a. D. ©, 314.f. Sa⸗
lig a. a. ©, ©. 325.f. Schlüffelburg im Catal. haeret.
Lib. VI. ©. 48.f. Bon den zehen Hauptargumenten Oſian⸗
ders mögen hier folgende angeführt werden: 1. St Fillus
Dei non debuisset fieri homo, Adam non fuisset ad ima-
. ginem Dei conditus. 2. Si Filtus Dei non fuisset in-
earnandus, nisi Adam peceasset, Adam non in Imagine
Christi, sed Christus in imagine Adami esset factus,
4. Homines st non peccassent, non mansissent incolae et
agricolae paradisi in omne aevum, sed tandem aliquan-
do immutandi, et in coelum transferendi fuissent. Sed
aullus terrenorum hominum hanc tmmutalionem et trans-
Iationem neque sibi neque aliis praestare patuisset. Er-
go Filtus Dei coelestis futsset incarnandus, licet Adam
non peccassat, ut hoc opus praestaret hominibus. 6. Si
Filtus Dei non futisset incarnandus, nist peccetum intro-
dsset in mundum, nos atque adeo totum regnum Det
carere cogeremur rege nostro, idque in omnem aeterni-
tatem, 8. Si Filius Dei non fuisset incarnandus, nisi ho-
mo peccasset, non posset illud mysterium in Christo et
In ecclesia ezxistere (Eph. 5, 32.). 9. Nisi Deus voluis-
set fillum suum incarnari, nunguam de mundo conden-
dog quiegquam cogitasset. Sed Deus ante alia omnia fi-
Hum suum incarnandum decrevit, ac propter Insum re-
330 11. Per. J. Abſchn. 1. Kap.
Diefe. Idee vom. göttlichen Ebenbild mit der eigestthünlichen
Rechtfertigungstheorie Oſtanders in einem Innern Zufammens
hang fteht.. Wie dad Wefen der Rechtfertigung nad) Oftan-
der darin befteht, daß Gott und Menſch zur. lebendigften
sonereten Einheit fich zuiammenfchließen, fo ift.Die Möglidy
feit dieſes Zufammenfchluffes dadurch bedingt, Mir Sott und
Menſch an ſich Eins find,: daß dieſe Einheit ſchon zur Idee
des göttlichen Ebenbildes gehört, in welchem mit der Idee
auch Die vollfommene Realifirung derfelben durch die Menfch-
werbung Gottes‘ an ſich ſchon geſetzt ift, als ein nothwendi⸗
ges Moment in der Reihe der göttlichen Offenbarungen, durch
welche das PVerhältniß Gottes zur Welt und Menfchheit be-
ftimmt wird. Wie alfo Gott in dem menfchgewordenen Sohn,
fofern er das Ebenbild Gottes ift, und das Bild, nach wel«
chem der Menſch geichaffen ift, die Idee feines Weſens rea-
lifirt, und fein eigened Weſen an die Menfchheit mitgetheilt
bat, fo iſt der ©ottmenih das Princip, in welchem der
Menfch zur abioluten Einheit mit Gott verbunden wird, mit
Gott fi wieder zufammenfhließt, wie er an ſich mit Gott
Eins iſt. Unftreisig iſt dieſe Ofiander’ihe Idee des Gotk
" Uquas creaturas universas fecit, nullam prorsus condi-
Zurus, nisi filius ejus esset incarnandus. Ergo fuisset
huud dubie incarnalus, eliamsi nos non peccavissemus.
Es ift dieß dieſelbe Idee von dem Berhältniß des Gättli-
chen und Menfchlichen, welche fchon bei einigen Kirchenleh:
‚sern ber ältefien Zeit (namentlich Irenäus und Zertullian
vgl. S. 39. f,), ſodann auch bei den Scholaftifern (wenigſtens
Thomas nel. ©. 267. f.) da und dort bedeutungspoll hervortritt,
bis fie zukent von Schleiermacher und Hegel auf den adüs
quaten wilfenfchaftlichen Ausdruck gebracht wurde, daß Chris
ſtus ale Eridfer die vollendete Schöpfung der menichlichen
Natur fey, oder daß die gästliche Natur die Wahrheit der
menfchlichen und die menſchliche die Wirklichteit der sd
lichen fen.
Andreas Oſiander. Ealvin. 331
‚ menfchen als ber wefentlichen göttlichen Gerechtigkeit, welche
Gott ſelbſt ift, als des abfoluten göttlichen Lebensprincips,
eine lebendigere, ald die der Goncordienformel und der ihr
folgenden Iutherifchen Theologen. Wird in Anfehung des
Berhältniffes, in welches Chriftus im rechtfertigenden Glau⸗
ben zum Menfchen sritt, vor allem die Idee der von Chris
ftus in dem Berlaufe feines irdifchen Lebens für Die Men⸗
fchen geleifteten obedientia passiva et activa feftgehalten,
fo ſteht Ehriftus immer noch in einem gewißen Außerlichen
Verhältniß zu dem Menfchen, man hält fih weit mehr an,
die empiriſch gegebenen hiſtoriſchen Thatfachen, als an ben
über ihnen ſtehenden Chriftug felbft, in deſſen abjoluter Ge⸗
rechtigfeit jene Thatfachen felbft erft ihre Einheit und Vollen-
dung haben. Am auffallendften zeigt fich dieß an dem Be⸗
griffe der obedientia.activa in ihrem Unterfchtede von der
passiva. Daß Chriftus das Geſetz für die Menfchen erfüllt
habe, ift als Hiftorifche Thatſache ein völlig unlebendiger und
inhaltsleerer Begriff, welcher entweder immer wieder mit dem
Begriffe. der obedientia passiva zufammenfällt, und bei ihr
vorausgeſetzt werden muß, ober erft durch die Oftander’iche
Idee zu einer reellern Bedeutung erhoben werden kann.
Wie Dftander noch ehe die Concordienformel den Unter-
fehled des thuenden und leidenden Gehorſams hervorgehoben
und näher beftimmt hatte, zwar nicht blos von einem ftell-
vertretenden Leiden, fonbern auch einer flellvertretenden Ge⸗
feged «Erfüllung ſprach, das Cine wie Das Andere aber der
höhern Idee der Gerechtigkeit Chriftt unterorbnete, fo unter:
ſchied auch fchon Calvin eine Doppelte Seite des Gehorſams,
ohne fich entichließen zu können, die Einheit defielben in zwei
neben einander ftehende Hälften zu zertheilen. Frage man,
wie Chriftus und mit Gott verfühnt, und die Gott und gnä⸗
big machende Gerechtigkeit erworben’ habe, fo Anüffe im All-
genwinen gejagt werden, Daß er dieß Durch den ganzen Ver-
Lauf feines Gehorſams geleiftet habe. Der Apoitel Paulus
332 II. Ber L Abſchn. 1. Kay.
fchreibe (Rom. 5,16. Gal. 4, 4.) die Urſache unferer Befreiung
vom Geſetz dem ganzen Leben Chrifti zu, und Chriſtus felbf
babe feine Taufe für einen Akt der Gerechtigkeit erflärt, durch
welchen er Gott Gehorfam leifte CMatth. 3, 15.). Wenn
aber gleich das Zeben Chrifti ald die Bezahlung des zu un
ferer Befreiung nothwendigen Löfegeld8 anzufehen fey, fo
fchreibe fie Doch die Schrift, wenn fie die Art und Weife der
felben näher beflimmen wolle, ganz befonderd dem Tode
Chriſti zu. Der übrige Theil des Gehorſams, welchen er im
Reben geleiftet habe, fey nicht auszufchließen, ſchon deßwegen
nicht, weil ja auch bei dem Tode die Hauptfache Die freiwils
lige Uebernahme deſſelben geweſen fen, Die eigentliche Urſache
der Erlöfung aber fey der Tod 1). Auf den Tod legte Cal»
vin auch deßwegen das größte Gewicht, weil er ihn aus dem
Geſichtspunkte der Eatisfaction betrachtete. Im diefer Hin
ficht erfchien ihm daher auch die Art des Todes als beſon⸗
ders bedeutungsvoll. Weil wir dem göttlichen Gericht nicht
entgehen konnten, habe Chriſtus von einem heidniſchen Rich⸗
1) Inst. chr. rel. II. 46, 5.: In symbolo fidel, quod aposto-
lcum vocant, optimo ordine statim a natalibus Christi
fit transitus ad mortem et resurrectionem, ubt perfectae
salutis summa consistit, Neque tamen excluditur reli-
qua pars obedientiae, qua defunctus est in vita, siouti
Paulus ab initio ad finem usque tolam camprehendit
(PHil.2,7.). Et sane in ipsa guoque (morte) primum gra-
dum occupat voluntaria subjeetto, guia ad justitiam nihil
profuisset sacrificium sponte oblatum. — Illud quidem te-
nendum est, non potuisse rite Deo aliter litari, quam
dum, proprio se affectu abdicans, Christus illtus se arbi-
trio subjecit, totumque addixit. — Caeterum quia non-
nist in sacrificio et ablutione, quibus expiantur peccata,
quietem reperiunt trepldae comscientiae, illuc merito di-
rigimur, et in morte Christi siatuitur nobis vilge ma-
ferla.
Calvin. 333
veruttheilt werden muͤſſen. Eine andere Todesart, bei
Icher nicht dieſelbe gerichtliche Form ſtattfand, würde auch
n Charakter der Satisfaction nicht auf dieſelbe Weiſe art
h getragen haben *). Davon aber, daß Chriftus, wie er
e die Menfchen die Strafert der Suͤnden erduldete, für fle
ich das Geſetz habe erfüllen muͤſſen, fagt Calvin nichts, er
richt immer nur von der Befreiung von dem Fluch des Ge⸗
ses. Um fo weniger konnte er fich daher veranlaßt fehen,
e obedientia activa als einen integrirenden Theil der ſa⸗
zfaktoriſchen Funktion Chrifti voit der obedientia passiva
ı trennten. Die höchfte Bedeutung bes von Chriflus durch
In Reben geleifteten Gehorſams konnte er nur in dem na⸗
lichen und nothmweridigen Zufammenbang befjelben mit ſei⸗
) %. a. O.: Qula nos maledictio er reatu manebat, ad coe-
leste Dei tribunal primo loco refertur damnatio coram
praeside Judaeae Pontio Pilato, ut sclamus poenam,
„cut eramus obstrieli, fulsse justo inflictam, Horribtle
Det judictum effugere non poteramus, ut inde nos ert-
peret, Christus coram homine mortali, imo etlam scele-
stoet profano, damnart sustinuit; — Neque enim tollen-
dae damnationis nostrae satis erat, quamlibet abire mor-
tem, sed quo redemptioni nostrae satisfaceret, genus
mortis deligendum fuit, in quo et damnationem ad se
traducens, et placulum in se recipiens, utrogue nos li-
beraret: Si a latrenibus jugulatius fuisset, vel tumul-
tuarie Caesus per seditionem vulqt, in ejusmodi morte
nulla satisfactionis species extitisset. Verum ubi reus
ad tribunal ststitur, testimoniis arquitur et premitur, ip-
sius judicis ore morti addicitur, his documentis intelli-
gimus, ipsum personam sontis et malefici sustinere —
neque sic tamen, quin justus simul ab ipso (Pilato) pro-
nuncietur. $. 6. Ut justa expiatione defungeretur, ani-
mam suam — impendit — satisfactoriam peccati ho-
stiam, in quam rejecta quodammodo macula et poena
nobis desinat imputari.
t
334 1. Ber. L Abſchn. 1. Kap.
nem Leiden und Tode finden. So großes Gewicht.aber Gal-
vin auf die fatisfaftorifche Bedeutung des Todes Chrifti Ieg-
te, fo leitete er fie doch fo wenig. aus der Idee der göttlichen
Gerechtigkeit ab, daß man, einigen Andentungen zufolge, eher
annehmen Fönnte, er habe ſich die Nothwendigkeit der Satis-
faction mehr ſubjektiv als objeftip begründet gedacht, und das
‚ Moment derfelben habe ihm mehr nur darin zu liegen ge⸗
ſchienen, dab ohne die Thatſache eines ſolchen Todes für die
Menfihen die Befreiung von der Schuld und Strafe ber
Sünde nicht diefelbe fubjektive Realität gehabt haben wuͤr⸗
de 9. Eine Satisfactionstheorie, wie die der Concordien⸗
formel, . konnte die Nothwendigfeit nicht blos der Satiöfaction,
fondern der Menſchwerdung :Ehrifti überhaupt nur durch die
Idee der göttlichen Gerechtigkeit begrünben. Das Höchfte, wos
zu fie ſich erhebt, iſt der aus der Idee der Gerechtigkeit ab-
geleitete Grundſatz, daß bie Strafe der Sünde ohne ein adä-
quates Aquivalent nicht. aufgehoben werben könne. Dagegen
unterfcheiden fich nun von den auf dem Standpunft der Con
eorbienformel ſtehenden Iutheriichen Theologen Oftander und
Galvin fehr weſentlich dadurch, daß fie dad Verhältniß Got-
te8 zu dem Menfchen nicht blos, wie diefe, aus dem Ge-
fichtspunkt der ftrafenden und genugthuenden Gerechtigfeit
1) Bol. die ©. 332. angeführte Etelle am Ende, und $. 6.:
Haec nöstra absoölutio est, quod in caput Filit Det trans-
latus est reatus, qui nos“ tenebat poenae obnoxios. Nam
haec compensatio inprimis tenenda est, ne trepidemus
atque anpæit simus tota vita, ac si nobis instaret justa
Dei ültio, quam in se transtulit Det Filius. $. 7. Pec-
cati vim abolevit Pater, quum in Christi carnem Trans-
lata futt ejus maledictio. Indicatur itaque hac voce,
Christum Patri fuisse in morte pro victima satisfacto-
ria immolatum, ut peracta per ejus sacrifictum Itiatio-
ne iram horrere destnamus. . |
e Galvin. * 335
auffaffen *), was immer nur auf den negativen Begriff eis
ned Ertöfers von der Schuld und Strafe führt, fondern Chris
ſtus als den höchſten Bermittler betrachten, durch welchen
das abfohıte Weſen Gottes an die Menfchen mitgetheilt wirb.
Chriftus mußte nach der Anficht diefer Theologen Menfch
werben, nicht blos, weil ohne das Leiden eines Gottmenfchen
der göttlichen Gerechtigkeit nicht genuggethbart werden kann,
fondern weil überhaupt ohne die Vermittlung eines Gottmen«
fihen fein lebendiges Berhältniß zwifchen Gott und den Men-
fhen, oder den geiſtigen Weſen überhaupt, gedacht werden
kann. Wie in diefem Sinne Ofiander die Fleifchwerdung ded
göttlichen Worts, nicht blos durch den Sündenfall. des Men-
4) Auch dadurch unterfcheider fich der Etandpunkt Calvind von
dem ber Iutherifchen Theologen, daß er nicht überfah, mic
ber Gerechtigkeits⸗Proceß, auf welchem das Werk der Er⸗
Iöfung beruhte, Body immer wieder die göttliche Gnade zu
feiner nothwendigen Vorausfegung hatte. Fquidem fateor,
fagt Calvin Inst. rel. chr. II. 17, 1., si quis simpliciter
et per se Christum opponere vellet judicio Det, non fore
merito locum, quia non reperietur in homine dignitas,
quae possit Deum promerert. — Quum de Christi meri-
to agitur, non statulfur in eo principium, sed conscen-
. dimus ad Dei ordinationem, quae prima caussa est, quia
mero beneplacito mediatorem statuit, qui nobis salutem
acquireret. Atque ita inscite opponitur Christi meritum
misericordiae Dei. Die Iutherifchen Theologen fannten
dieß unmöglich vertennen, trenn aber gleichwohl Quenſtedt
Theol. did. polem. ©. 420. auf die Behauptung, Cal⸗
vins, daß hier an ſich von keinem meritum Christi die
Rede ſeyn koͤnne, erwiedert: unde meritum qus non esse
toosoorrov, seu aequivalens offensae poenisgue promertti: s
ultro consequitur, ſo iſt hieraus zu ſehen, daß ſich die lu⸗
theriſchen Theologen auf ihrem Standpunkt von einer ein⸗
ſeitigen Hervorhebung der Idee der Gerechtigkeit nicht frei
su halten mußten.
S
336 1. Ber. L Abſchn. 1. Kap.
fchen bedingt feyn laſſen wollte, fo behauptete auch Calvin,
daß auch abgefehen von dem tiefen Verderben, - in welches
der Menfch durch die Sünde verfunfen war, ber Menid ob
ne einen Mittler nicht zur Einheit mit Gott hätte komme
fünnen, daß der Sohn Gottes Menfch werben mußte, damit Sat:
und Menſch in ihm fich zur Einheit zufanımenfchließen, daß
auch ein Engel nicht hätte der Erlöfer der Menfchen werben
fönnen, weil auch die Engel-ein Haupt nöthig haben, durch
bas fie in der Einheit mit Bott erhalten werden 1). Wir
>
4) Inst. chr: rel. Il. 12, 1.: De necessitate si quaeritur
(daß der Erlöfer der Gottmenfh war), non simplex qui-
dem, ut vulgo loguuntur , vel absoluta fuit, sed manavit
eo coelesti decreto, unde pendebat hominum salus. Dief
fcheint die Idee der Nothwendigkeit auszufchliegen, außer
fofern das decretum felbft wieder durch eine göttliche Noth⸗
wendigkeit bedingt gedacht werden Eaun. Caeterum, quod
nobis oplimum erat, siatuit clementissitmus Pater. Quum
enim iniquitales nostrae quasi. interjecta inter nos et
tpsum nube nos a regno coelorum alienassent, nemo nisl
qui ad eum pertingeret, pacis restituendae interpres esse
poterat. Quis autem pertigisset? — Angelorum aliquis?
‚Sed enim illi quoque opus habebant capite, per cujus
nexum solide et indistracte Deo suo cohaererent. Quid
tgitur? deplorata certe res erat, nisi majestas ipsa De
ad nos descenderet, quando adscendere nostrum nom erat.
Ita Filium Dei fiert nobis Immanuel oportuit, id est no-
biscim Deum, et hac quidem lege, ut mutua conjunc-
tione ejus divinitas et hominum natura inter se coales-
cerent, alioqui nec satis propingua vicinitas, nec affıni-
tas satis firma. — Quamvis ab omni labe integer stetis-
set homo, humtlior tamen ejus erat conditio, quam ul
sine mediatore ad Deum penetraret. Quid ergo ezitiall
ruina in mortem et inferos demersus, foedatus tot ma-
culis, corruptione sua foetidus, denique obrutus onmi
malediötione? Der Mittler follte die Mienfchen zu Kindern
Galpin. nr 8
erben dadurch in den Zuſammenhang einer Betrachtungs⸗
eiſe Hineingeftellt, die nicht zufrieden, bei Dem empiriſch Ge⸗
ebenen ftehen zu bleiben, den hiftoriihen Chriftus unter bie
dee. des Abfoluten ftellt, und die Beziehung des Endlichen
m Abfoluten fich nicht anders, als durch die Vermittlung
ned Princips denken kann, das dem Einen fo nahe fteht,
ne dem Andern. Darum hatte auch für Galvin,. wie für
ander die Idee, daß Chriftus das Haupt des Körpers
4, welchem wir als Glieder einverleibt feyen, bie. größte
Richtigkeit, nur hob er zugleich mit größerem Nachdruck als
Mander hervor, wie alles Göttliche, dad der Menfchbeit
urch den Erlöfer zufließt, durch bie menfchliche Natur beffels
m vermittelt wird. Darum iſt ihm, worauf er immer wies
et, zurüdfommt, das Fleiſch, oder die Menfchheit Chrifti, die
Whfte Quelle alles geiftigen Lebens, welche felbft den in bie
enge Menſchheit ſich ergießenden Lebensftrom aus dem ver-
genen Duell der Gottheit in fich aufgenommen hat 9).
Gottes. machen, Quis hoc poterat, nist filius Dei fie-
: rei idem filius hominis, et sic nostrum. acciperet, ut
iransferret ad nos suum, et quod suum erat, nostrum
faceret.gratia? Stun erſt folgt bei Calvin noch das Mo⸗
ment der Satisfaction, Gott wurde Menfch, st carnem no-
stram in satisfaclionis pretium justo Dei judicio siste-
ret, acin eadem carne poenam, gquam meriti eramus, per-
solverei. Quum denique mortem nec solus Deus sentire,
nec solus homo superare posset, humanam naturam cum
divina sociavit, ut altertus imbecillitatem morti subjice-
ret ad expianda peceata, altertus virtute luctam cum
morte suscipiens nobis victoriam acquirerel..
4) ®gl. Defensio sanae et ‘orthodoxae doctrinae de sacra-
mentis Calv. Opp. T: VIII. ©.658.: Carnem Christi si-
"we ullis ambagidus fatemur esse vielficam, non tantum
quia semel in ea parta nobis salus est (nicht blos in dem
Außerlichen Sinn, in welchen die Iutherifche Rechtferti⸗
: Sengsthenrie Den thuenden ‚und kidenden Gehorſam zu ih⸗
Baur, die Lehre von der Rerföhnung. 22
338 11. Ber. L Abſchn. 1. Kap..
Wie nad) Oflander der Menſch gerechtfertigt wird, wer
durch den Glauben Chriftus, die wejentliche Gerechtigkeit
Das gerecht und lebendig machende Brincip in ſich aufni
fo ift für Calvin das höchfte Moment die Einigung
Glaubigen mit: der Subftanz des Leibes und Blutes Ef
fofern von dem Fleiſche Chrifti, d. h. feiner mit der So
verbundenen Menſchheit alle göttliche Lebenskraft au
Calvin bat die Idee dieſes höchften unmittelbaren Ein
dens bed Menichen mit Chriftus in die engfte Verbin
mit feiner Lehre vom Abendmahl geſetzt, fie iſt jebod
derfelben keineswegs fo eng verbunden, Daß fie nicht au
ne von ihr unabhängige Bedeutung hätte ).
rer Vorausfegung hat), sed quia nunc, cum sacra
tate cum Christo coalescimus, eadem illa caro vitı
nos spirat, vel ut brevius dicam, quia arcana Sp
. sanctt virtute in corpus Christi insiti communem .
mus cum ipso vitam. Nam ex abscondito Deitatis
te in Christi carnem mirabiliter infusa est vita, wl
. ad nos .flueret. — Quod nos sibi conjungens non
vitam suam nobis instillat, sed etiam unum nob
efficitur, sicut ipse unus est cum patre, sublimius
nostro mysterium esse, concedimus.
1) Man begreift in der That die fo heftige Polemik Ca
gesen Dfiander nicht recht, da doch beide ın dem £
punkte einander fo nahe fieben. Man vgl. Inst. chr
III. 11, 5.: Osiander monstrum nescio quod essen
Justitiae invenit — haec speculatio merae. est jejun
eurlositatis. — Conceperat vir ille quiddam affıne
nichaeis, ut essentiam Dei in homines transfunder
peteret.— Dicit, nos unum esse cum Christo. Fatı
. Interee negamus, misceri Christi essentiam cum a
Deinde perperam hoc principium trahi dicimus ad
ejus praestigias, Christum nobis esse justitiam, quia
est aeternus, fons justiliae, ipsaque Dei justiti
Dilucide esprimit, se non ea justitia contentum;
Andreas Ofiander und Calvin. 339
Schon die Bergleihung mit der der Zeit nach voranges
nden Lehrweiſe Ofianderd und Calvins läßt die Lehre ber
: wobls ebedientia et sacrificto mortis Christi parta est
(war Ealvin ſelbſt mit diefer justiiis zufrieden, nach der
zuvor aus der Def. angeführsen Etelle?), AÄngere nos sub-
stantialiter in Deo Justos esse; tam essentia, quam quali-
Ste infusa. Haec enim ratio est, cur tam:ı vehementer
"zentendat, non solum Christam;, sed Patrem et Spiritum
\ Wu nobis Aubiiare. Quod elsi verum'.csse [aleor, perver-
ige. tamen ab eo torquert dica Als Hauptvorwurf wird
immer wiederholt: Subetanticlem mintionem ingerlt, qua
». Deus se in nosıtransfugdens, quast partem sul faciat.
.. Nam virtute Spiritus.:sancti: fieri, :ut coalescamus cum
Garisſsto, nobisgue sit capuk. et nos ejus memödra, fere
. pro nihilo dueit, nisi.ajus essentia nobis misceatur. Sed
; 4a Patre et Spiritus apertius, ut did, prodit, quid sen-
. Mat: nempe Justificari nos non sola mediatorts gratia,
+ :Meo iu ejus persona justitiam simpliciter vel solide no-
sie offerri, sed nos fieri justitiae divinae consortes, dum
'. essentlaliter nobis unitur Deus. Der ‚ganze Vorwurf bes
ruht, wie zu ſehen if, auf. dem Begriff der essentia Dei,
ra und darauf ob diefelbe mitgetheilt werden könne. Ealoin hielt fie
nicht für mitcheilbar, deßwegen erfchien ihm Dfianders Lehre
1 verwerflicher Pantheismus. Iſt denn aber ein fo gro⸗
Ber Unterſchied zwifchen dem göttlichen Leben, Das auch Cal⸗
‚" win’ von Bott ausfliefen läßt, und der nach Dfiander mit-
getheilten göttlichen essentia? Da die Calvin'ſche Kritik
ber Dfiander’fchen Lehre unftreitig das Gründlichfte enthält,
was gegen. fic geltend gemacht worden ik, fo mögen bier die
: wichtigen Punkte angeführt werden. Calvin gibt zu (a. a. O.
. F. 6.), daß ung. in Chriſtus Gerechtigkeit und Heiligung zus
gleich und zufammen eriheilt werden, daß Gott denen, bie
“on in feine. Gnade aufnimmt ,..anch dem Geiſt der Kind:
ve fehoftufchentt , durch deſſen Kraft er fie nadnfeinem Bilde
* umbildet. Aber, erwiedert er, sd. salie.clanitas non potest
F Av- sopararlı, an ideo dicemms: Ines enlekert terram,
22 *
340 Hl. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap.
Goneotbienformel: in Anfehang ded Hauptbegriffs, der ihr ı
genthümlich ift, in Eeinem ſehr günftigen Licht erfcheinen, e
ealore vero :illastrari? Hac stmilitudine nihll ad re
praesentem magis accommodum: ‚ol calore suo terra
vegetat et foecundat, radits suis illustrat et illumina
hic mutua est ac individua connexio, transferre tame
quod unius- peculiare est ad alterum, ratio tpsa proh
det. In hac. duplicis gratiae canfusione, yüam obirw
Ostander, stmilis est absurditas,. quia chim: re: ipsa ı
colendam justitiam renovat Deus‘, quos pro justis.grai
censet, illud ragenerationis donum miscet cum: hac. gr
tulta acceptatione,. unumqua et idem esse :contend
Dfiander begreift allerdings in feinem‘ Begriff der Gere
tigkeit fowohl die Sündenvergebung, als die Heiligen
So wenig es aber ungereimt hit, die erleuchtende .und ı
wärmende Kraft der Eonne in dem Einen Begriff des Lid
sufammenzufaffen, ebenfo wenig kann Dfinadersan\fich di
wegen getadelt werden,-baß er für jene. beiden Begriffe d
Ausdruck Gerechtigkeit in dem pofitiven Sinne. welchen
damit verband, gebraucht. Ob fein Sprachgebrauch aı
fo fchriftgemäß if, wie er glaubte, ift eine. andere Frat
allein er hielt ja den Begriff einer bloßen Gerechterklaͤrn
für einen unlogifchen, und darum auch nicht fchriftgemäß:
Calvin beftreitet weiter dem Dfiander’fchen Sag: (Chrüstı
respectiu divinae naturae, non humanae, factum nobis e
Justitiam (a. a. D. $. 8.). Gelte dieß nur von der Ge
beit, fo müfle :e8 ebenfo auch vom Vater und dem Geiſt
fagt werden, da die Gerechtigkeit des Einen auch die I
Andern fep, dann koͤnne aber überhaupt nicht gefagt w
den, Daß er es geworden ſey, da er es von Natur und v
Ewigkeit ſey. Hinc colligo, Christum esse factum jun
tiam, guando servi speciem induit,. secundo nos justi
care, quatenus obsequentem se Patri praebuit, ao pr
inde non secundum divinam naturam hoc nobis preest
re, sed pro diäpensationis sibi injunctae ratione. E:
enim solus Deus:fons est justitiae, nec aliter guam €j
Andreas DOfiander und Calvin. 341
ir jedoch weiter unterfuchen, wie bie Idee des thuenden Ge⸗
nfanıs, um welche es ſich hauptfächlich. handeln mußte, zu
:. Barticipatione sumus justi, quia tamen infelici dissidio
1. @B ejus justitia allenati sumus, necesse est descendere
..,@8 hoc inferius remedium, ut nos Christus mortis et
. resurrectionis suae virtute justificet. Dfianber läugnete
dieß nicht, betrachtete es aber als die Vorausſetzung feiner
u: Sheorie, und führte daher die Rechtfertigung durch den
.» Glauben auf bas Gbttliche in Chrifius als ihr hoͤchſtes Prinz
.eiy. zurück. Die Differenz gleicht fich .daber, wie Ealvin
ſelbſt zugeben muß, in dieſem Punkte im Zolgenden wieder
: ans, wo Calvin fich auf die Sakramente beruft, quae eisi
-ı idem nostram ad totum Christum, non dimidium, dirt-
gunt, simul tamen justitiae et salutis materiam in ejus
. carme residere docent, non quod a se ipso justificet aut
.sisdficet merus homo, sed quia Deo placuit, quod in se
abeconditum et incomprehensiblle erat, in mediutore pa-
‚dam. facere. Unde soleo dicere, Christum esse nodis qua-
‚ d espositum fontem, unde hauriamus, quod alioqui si-
„se fructu lateret in occulia illa et profunda.scaturigine,
» quae in mediatoris persona.ad nos emergit. Hoc modo
v:,0t sensu non inficior, Christum, ut est Deus et homo,
nos justificare, eommune esse hoc etiam-opus Patris et
.-' Sptritus sancti, denique justitiam, cujus nos consorles
facit Deus, aeternam esse aeterni Dei justitiam (vergl.
"6. 12.: Distinguimus, quomodo ad nos pervenlat justi-
tia Dei, ut ea fruamur — neque negamus, quod nobis
in Christo palam est exhibitum, ab arcana: Dei et gra-
tic et virtule manare, neque de eo pugnamus, quin ju-
stille, quam nobis Christus confert, justitia Dei sit,
quae ab eo proficiscitur, sed constanter illud tenemus,
»#abls in morte et resurrectione Christi. esse justitiam et
: item). Hier wird demnach die justitis auch von Calvin
v. in. Demfelben pofitiven Sinne genommen, in welchem fie
: Oßander nahm. in. demifelben Einne- fährt. Calvin fort
Are O. $. 10,: . Conjunctio igitur illa capitis et mem-
342
u. Ber. 1. Mbfhn. "1. Kapı
bem weiter. ſich entwickelnden dogmatiſchen Bewußtfer
Zeit. ſich verhielt, müſſen wir hier noch darauf Ruͤckſich
brorum, habitatio Christi in. cordibus nottris, x
denique unio a nobis in summo gradu statuitur, wi
stus, noster factus, donorum, qulbus praeditws es
faciat consorles. Nonergo, cum extra nos procal
lamur , ut nabis Imputelur ejus justitia, sed quia
induimus, et insiti sumus'in ejus eorpus,. unum
que nos secum efficere dignatus est, ideo justitiae
tatem nobis-cum eo esse glortaimr. . Ita refellitur (
dri ealumnia, fidem a nobis censert justitiam
Osiander, hac spirituall.corjunctione spreta, crassan
turam Christi cum fideibus urget, atque ideo Zee
nos odiose-nominat, quicungue non subsceribunt |
co errori de essentiali justitia, qula non sentiant
stum in coena substantialiter eomedt. — Quod er
sentialem justitiam dt essentialem: Christi habita
tam importune eatgtt;, huc spectat primum, u
miztura se Deus. in nos transfundnt, sicuti in coen
nalts manducatto ab ipro fingiter, deinde ut jus
sudm nobls tuspiret, qua realiter simus cum tpsı
Bemerkenswerth ift befonders noch, was Calvin in
des von Dfiander vermworfenen Imputationsbegriffss e
($.11.): Exctpit Ostander, eontumeliosum hoe for
et naturae ejus contrarium, si justifieet, qui re ip:
pli manent. Atqui tenendum memorla est, quo
disi, non 'separari justificandi gratiam a regener
licet res stnt distinctae, Sed quia.esperientia pl
tis notum est, manere semper in justis reliyudas
ti, necesse est, longe altter justificart, quam refo
fur in vitae novitatem. Nam hoc secundum sie 1
Deus in electis suis, totoque vitae currieulo paula
interdum lente in eo progreditur, ut semper obnos
apud ejus tribunal mortis judicio. Justificat aute
ex parte, sed ut libere, quasi Christi puritate ind
coelis compareant. Neque enim conscientias pacar
Andreas Dfiander und Calsin. 343
m,.in. welches Berhältniß ſich die in der Concorbienformel
‚ihrer beftimmtern Entwidlung gefommene Lehre der pro⸗
’
qua justitiae portio, donec statutum sit, nos Deo place-
re, quia sine exceptione justi coram ipso sumus. Unde
sequitur perverti et funditus everti justificationts doctri-
sam, ubi animis injicitur dubitatte, concutitur fiducia
sakıtis, libera- et intrepida invocatio Femoram patitur,
imo ubi nom staßllitur quies et tranquillitas cum spirituall
gaudio (diefes fubjektive Moment war. für Calvin immer
das wichtigfte). Auch Diiander Fonnte fich demnach bes Im⸗
yutationsbegriffs nicht ganz entichlagen, und es Eonıtte ihm
mit Recht die Alternative entgegengehalten werden: Entwe⸗
der iſt der Gerechtfentigte, folange er von der Sünde noch
nicht oBllig frei ift, nicht wahrhaft gerechtfertigt, oder wenn er
wahrhaft gerechtfertigt ift, ift "Die Nechtfertigung Feine Ge⸗
rechtmachung, fondern eine Gerechterflärulis: Hängt num
für den Menfchen alles an der Gewißheit der Mechtfertigung,
fo kann fie in ihrem vollen Sinn nur auf den Begriff der
Imputation gegründet werden. Allein die Dfiander’fche Recht⸗
fertigungsiheorie wird dadurch nicht widerlegt und aufgeho⸗
. ben, fondern nur ergänzt und .berichtigt. Auch hier er»
fheint demnach die Differenz zwiſchen Calvin und Dfianber
nicht als eine unausgleichbare. Was aber den obigen Vor⸗
wurf der Vermengung des Menfchen mit dem Wefen Gottes
“betrifft, fo if der Unterfchied zwifchen Calvin und Oſian⸗
Der näher fo zu befiimmen. Calvin betrachtet durchaus den
Geiſt als das Dermittelnde der mofifchen Einigung der
Glaubigen mit Chriſtus. Spiritu suo, fagt er in feiner ers
fien Bertheidigungsfchrift des Cons. Tig. in nobis habitans
in cdelum ad se tta nos attollit, ut vivificum carnis. suae
vigorem in nos transfundat, ron secus ac vital solls ca-
lore per radios vegetamur. SHiemit vergleiche man folgen»
de Stelle Dfianders in deffen Refutatio einer Schrift Mes
lanchtbong vom J. 1552. F.2.: „Was mager (Melauchthon)
denn wohl meinen, ‚mit dem Wörtlein Geiſt 3. Sch felber
halte dafür, er meine, daß Ehriftus durch . feinen ‚heiligen
344 IL Ber. L Abſchn. 1. Rap.
teftantifchsTutherifchen Kirche zu ber Lehre der Tatholifchen Kirs
che ſezte? Je einiger beide Ziheile in dem Ausgangspunfte
ihrer Theorien find, defto weniger dürfen die Divergenzpunk⸗
te, die bei einer fo wichtigen Lehre nicht fehlen können, übers
fehen werden.
Daß das Leiden oder Verdienft Chrifti einen objektiven
unendlichen Werth habe, ift die gemeinfame Lehre der Pros
teftanten und Katholiken. Könnte man etwa denken, je at
fchiedener ſich der proteftantifch » Iutherifche Lehrbegriff für die
thomiftifche Vorftellung erklärte, defto mehr werde fich nım
auch der Fatholifche, bet dem immer noch fortdauernden Schwan⸗
fen zwijchen der thomiſtiſchen und ſcotiſtiſchen Lehrweiſe, zu
der legtern ald der entgegengefetten hingeneigt haben, jo ge
fchah dieß nicht nur nicht, fondern e8 fand eher das Gegen⸗
theil ſaatt. Da bie tridentiner Eynode nad ihrer Weile ich
auf die Differenz der Thomiften und Ecotiften in dieſem Bunfte
nicht eingelajfen hatte 4), fo blieb Die Lehrweije der beiten
Geiſt in ung wirle, doch alte, daß ſie beide im Himmel
bleiben, mie die Eonne im Ader und Garten wirkt, un?
bils alſo den Geiſt, durd den Chriſtus in uns ſeyn Iz3,
tür nichts anders, denn die Würkung des Geiſtes. — „Ti
kaſtu, Tag’ ich, ſein ganze philoſophiſche, Tenbittde ız)
fleiſchliche Theologiam recht gecontrafeiet.“ Mir den Rei
babe, bemerkt Ofander, habe auch Chriſtus ſelbſt, me 'e
Eeii fen. fen auch die Eine untrennbare Zrinirät, Cbrrizs
bewirfe nicht blos cine geichaffene Gerechtigkeit. um) ca
acicdaffenes Leben, jondern er fen weientlih umiere Sera
tigkeit und unter Leben. Der Seit it alie nach beiden }u
Termittelude des Verhältniiſes zwilchen Gert und dem D:r
ſchen, wihrend aber auch Calvin unter dem Geiz nur die Kı:
ſamkeit des Geited verſtebt, glaubt Diander der Nexime
des Geified nicht gewiß zu ’eon, wenn er nicht zer N
Wirkungen des Geites zum Seife ſelbt an ierge
1) Die Sonede ſerach Hch hierüber nur is aus Sess. VL cap.” -
Die Fatholifchen Theologen. 355
Schulen auch ferner frei, der größere und bedeutendere Theil
ber katholiſchen Theologen gehörte jedoch zur thomiftiichen
Bartei 2) und felbft Robert Bellarmin, der berühmte Ver⸗
fechter des katholiſchen Dogma’d gegen bie neuen ——
fand hier keinen beſondern Anlaß zu einer Controverſe.
gruͤndet, wie die proteſtantiſch⸗lutheriſchen Theologen, die —*
wendigkeit einer unendlichen Gerechtigkeit zur Satisfaction auf
die Unendlichkeit der durch die Sünde Gott zugefügten Be⸗
leidigung, und die Unendlichkeit der Gerechtigkeit Chrifti auf
die Berfon des Gottmenfchen, welche, wenn auch der Gehor-
ſam, das Leiden und der Tod Chriftt an fi nur etwas End»
liches feyen, gleichwohl demſelben einen unendlichen, dem ftren-
gen Begriff der Gerechtigkeit entfprechenden Werth zur Ver⸗
föhnung der Sünden der ganzen Welt ertheile 2).
Merttorla (causa justificationts) est dilectisstmus Dei
unigenitus Dominus noster Jesus Christus, qui cum es-
semug inimici, per nimiam caritatem, qua dilexit nos
sua sanclissima passione in lgno crucis nobis justifica-
Uonem meruit.
9 Dan vgl. die oben S. 17. genannte Differtation Cotta's
SG. 125., wo neben den Scotiften ac. Almanius, Joh. Des
bina, Joh. de Lugo, Fraffenius und Henno (welche beide
letztern die feotifiifche Vorſtellung der thomififchen näher
zu bringen fuchten) als Thomiften aufgeführe werden die Je⸗
fniten Franziſcus Suarez, Gabriel Vasquez, Gregorius de
Balentia, Adam Tanner, Roderius de Arriaga, Dominicus
a Soto, Franz. Didaens Alvarez, Bine. Lud. Gotti uud
Honoratus Tournely, ein Theologe der Sorbonne.
3) Bellarmin Eommt im dritten Theil feiner Disput. De Justi-
fic. Lib. II. cap. V. aus DVeranlaffung der Dfiander’fchen
Lehre, daß die justitia Dei essentialis ac divina die causa
formalis der justificatio fen, und des Dfiander’fchen Argus:
mente: Deus non acceptat ullam justitiam, nisi suam,
auf diefen Punkt und bemerkt: Quod attinet ad argumen-
tum illud de aooeptatione justitiae vel acceptare justi-
346
11. Ber. L Abſchn. 1: Rap:
Bon biefem Punkte ber Vebereinftimmung aus trennen
ſich nun aber beide Theile in folgenden Punkten 2
4.
or
tiadom est acceptare satisfactionem pro Deecato, vel eıt
approbare justitiam alicujus tanquam veram et solidam,
non stmulatam et apparentem. Priore modo non accep-
tat quidem Deus in veram satisfactionem pro peccato
nist justitiam. Infinitam, quoniam peccatum offensa est
infinita, sed ut aliqua justitia sit infinita, id est infı-
naiti pretit et valoris, non est necesse, ut. sit justitia Dei
essentialis, sed salis est, ut ‚sit justitia personae Infini-
tae, qualis est Christus Deus et homo. Itaque obedien-
tia, passio et mors filli Dei, quamvis in se et essentia-
liter fuerit creata et finita, tamen ratione Personae obe-
dientis, patientis et morientis infinita full, et es vero
Justitiae rigore propitiatio fuit pro 'peccatis nostris,
non pro nostris autem tantum, sed etiam pro lotius mun-
, di. Posteriore modo acceptat Deus non solum justitiam
1)
infinitam, sed etiam finitam, modo vera sit justitia non
fucota. Diefe Unterfcheidung des an fich endlichen Werth
des Leidens Chriſti und des unendlichen mit Rückſicht auf die
Perfon des Gettmenfchen neigt fich doch wieder auf die fco
tiffifche Seite hin. Man vgl. auch De justif. Tib. V. cap.
12.: Certum est, opera Christi fuisse Infiniti pretii, quan-
doquidem propitiatio fuerunt pro peccatis totius mundi,
et copiosa fuit apud eum redemtio, igitur dignitas per-
sonae plurimum confert ad valorem meriti. Et confir-
matur haec ratio, nam de Christo nullus Catholicus ne-
gare audebit, quin ejus merita fuerint mazimi pretii
propter dignitatem persomae. Nam (ut alia omittam)
extat epistola decretalis Clementis VI., quae incipit Uni-
genilus, in qua docemur, guttam unam sanguinis Chri-
st! propter infinitam personae dignitatem ad totius mun-
di redemptionem sufficere potuisse, Auch bier if ber
Ausdruck fehr fchwanfend und unbefimmt.
Man vgl. über diefe Differenzpunfte befonderd Gerhard Lo-
ci theol. Loc. XVIL Cap. II. $. 54.f, -
m.
nem
—— Type GL Ze
— —⸗ un
Die katholiſchen Theologen. 347
1. Nach der Lehre der katholiſchen Kirche: Chriftus
Mittler nur nad feiner menſchlichen Natur. Bellarmin-felft *)
als die allgemein Tatholifche Lehre ven Protekanten entgegen,
daß, wenn auch das die Werke des Mittleramts verrichten⸗
be Subjekt ſowohl Gott als Menſch geweſen ſey, doch das
Princip, durch welches er dieſe Werke verrichtete;; nicht Die
göttliche, fondern nur die menfchliche Ratur gewefen fey. -Wie
bie Tatholifchen Theologen überhaupt eine communicatio
idiomatum, wie fie die lutheriſchen hauptfächtich auch im
Zuſammenhang mit ihrer Satisfattionslehre lehrten, nie: an⸗
nahmen, ſo differirten ſie auch hierin von ihnen. Schwer
aber iſt es, den eigentlichen Differenzpunkt genauer zu be⸗
ſtimmen. Denn auch die befannte Lehre des Franzifcus Stans
carus wird von Bellarmin, obgleich er fie milder beurtheilt,
wegen ihres offenbaren Neftorlanismus verworfen. . Habe bie
menfchliche Natur allein die fatisfactorifchen Werke verrichtet,
fo habe fie auch für fich eriftirt, und es fen fomit auch ein
vom göttlichen Subjekt verfchledenes "Subjekt geweſen. Sol
demnach Die Theilnahme der göttlichen Natur an dem Werke
der Satisfaction nicht ſchlechthin ausgeſchloſſen werden, wie
kann demungeachtet der proteſtantiſche Lehrſatz, daß Chriſtus
nach ſeinen beiden Naturen das Mittleramt verrichtet habe,
verworfen werden? Und wie kann, wie von den proteſtanti⸗
hen Theologen mit Recht erinnert worden iſt, von einem
unendlichen Werth des Gcherfams und Leidens Chrifti die
Rede feyn, wenn nur bie menſchliche Natur dabei thätig war,
bie göttliche aber, in deren Theilnahme jener uneribliche Werth
allein feinen. rund haben Tann, ſchlechthin davon audgeſchloſſen
wird 2)7 Auch in dieſer Beziehung ſcheint demnach De die
4) Disp. T. I. De Christo L. V. de mediatore et ejus me-
rito c. ..
2) Bol. Gerhard a. a. O.: Quomodo obedientia et satlsfa-
etio Christi erit infiniti meriti, cum finita substantia
348 IL Ber. L Abſchu. 1. Kap.
dem proteſtantiſchen Lehrbegriff am meiften entgegengeſetzte
feotiftiche. Lehrweiſe das Yebergewicht zu erhalten.
Die Proteftanten glaubten, um den Begriff einer aͤqui⸗
valsnten Satisfaction fo genau als möglich zu beftimmen,
annehmen zu müflen, daß Ghriftus auch die Strafen be
Hölle: exduldet habe. Se. fchmanfender ‘aber den Katholiken
ber. Begriff des fatisfaetorifchen Leidens durch die Befchräns
fung .deffelben auf Die menfchliche Ratur werden mußte, befto
weniger konnte ihnen. eine folche Beftimmung zufagen. Bel
larmin..erflöärte fie daher für eine neue unerhörte Ketzerei, bie
Proteftanten aber beharrten darauf, daß ohne fie auch Feine
vollfonnmene Eatidfaction gedacht werben könne *).
infiniti effectus per se el ex se caüsa esse non possit?
Das Hauptargument Bellarmins iſt a. a. D. cap. 5.: Wenn
Ehrifius nach beiden: Naturen Mittler if, fo ift er es ent
weder nad) -beiden Naturen zugleich, oder nach jeder ders
felben befonderd. Er if ed aber nicht secundum utramgue
‚ naturam simul, Christus enim secundum utramqgue na-
'turam, stmul sumtum, distat quidem a ceteris hominibus,
‚et eliam a Deo patre et Spiritu, at non distat a Deo
u Filio nec persona nec natura, et tamen etiam ab illo di-
stare debet, cum et ipse sit pars offensa, ad cujus pla-
vationem mediatore opus sit (daß Chriftus ſich ſelbſt ge:
nuggethan habe, nahmen die Proteiianten an, indem fie als
das Dbiekt, welchem die Eatisfaction geleiftet worden fey,
den dreieinigen Bott betrachteten. Nec vulet hic, bemerkt
Quenftedt a. a. D. ©. 326. velus coccysmus, quod nemo
. sibi possit satisfacere, vel respectu sulmet mediare).
Quod autem non sit Christus mediator secundum ulram-
que seorsim, patet, qula non secundam divinam natu-
ram seorsim acceptam, cum illa sit pars offensa, et se-
cundam illam nihil distet Christus a Deo. KHestat ergo,
ut solum secundum humanam naturam sit mediator.
1) Gerhard a. a. D.: .Quomodo enim peccala.nostra vere
‚.... in se suscepisset ac perfeclam salisfaclionem prasstitis-
Pe ‚7 Ann ua
Ten -
rn — [Ton u“ - wm... - .....
Die Fatholiihen Theologen. 349
3. Auch darüber waren beide Theile verſchiedener Mei⸗
nımg, ob Chriftus fich felbft etwas verdient habe, :Die: far
tholifchen Theologen hatten nach dem Vorgang der Schola-
ſtiler Fein Bedenken, zu behaupten, daß fidy Chriſtus außer
bemfenigen, was er uns erworben,’ fich ſelbſt die-Berhertfi-
dung ſeines Leibed und die Erhöhung feines Namens vers
dient habe. Die Proteftanten dagegen glaubten dieß nicht
zugeben zu dürfen, was Chriftus verdient hatte, ſollte er nut
und, nicht ſich felbft, verdient haben, da er fich felbft nichts
verdienen Tonnte, was er nicht vermöge der perfönlichen- Vers
einigung ber beiden Raturen zuvor fchon auch als Menſch
hatte. Auf Die Einwendung Galvins, ob denn ber Sohn
Gottes habe: herabfteigen mäffen, um ſich etwas zu verbies
nen, erwiebert Bellarmin; nicht als Sohn Gottes, oder ala
Gott, .aber als Menſch in ber angenommenen Form, habe er
hd) etwas verdient. Der Grund der Gontroverfe liegt alfo
auch Hier wieder in der Diffetenz ber bie Lehre von der
verſon Chriſti *).
Tiem.
set, ge.am Dei individuo nezu cum peccatis conjun-
ctam vere sensisset? @Quomodo ac maledicto Br nos
redemisset, factus pro nobis maledictum, nisi Judicium
Dei irati persensisset?
1) Gerhard a. a. D.: In ewaltatione, quae est consequens
et velut praemium quoddam estnanitionis, non data est
Christo nova potestas,: quam antea per unionem perso-
nalem non habuerut;; sed collata plena facultas admini-
strandi sul regni. Del. Calvin Inst. chr. rel. II. 17, 6.
:Quaerere an sibi meruerit, quod fardunt Lombardus et
' Scholastict, non minas stulla est curiositas, quam teme-
: raria :definitio, ubl hoc Idem asserunt. Quod entm opus
. "fait: descendere :unicum Fillum.' Dei, ut sibl acquireret
guidguam novi? — Christus, ut se. totum addiceret in sa-
ı Istem.nostram;, quolammodo Juli oblitus est.: Dagegen
fagt Bellariin a. a. OiLV, 10:3 Bospondeo, nom 'equisse
350 I Ber. LE Abſchn. 1. Kap.
Met tiefer jedoch, als die Differenz über dieſe Bunfte,
greift in den Gegenſatz der beiden Lehrbegriffe theils der Be
Jagianismus des Fatholifchen, theils der demſelben völlig frem-
de proteftantifche Begriff des Glaubens ein. Auf nichts an
deres legten bie proteftantifchen Theologen fo großes Gewicht,
als auf die Anerkennung, daß die Berföhnung der Menfchen
mit. Gott einzig. nur durch das Verdienſt Chrifti vermittelt
werde. - Darum bezeichnete Luther nicht blo8 die Lehre vom
rechtfertigenden. Glauben, fondern auch bie Lehre von ber Er⸗
löſung durch Chriftus, als den Artikel, von welchem man
nicht das ©eringfte nachlaffen dürfe, um deſſen Behauptung
es fih vor allem in dem Kampfe des Proteftantismus gegen
Bapftthum, Teufel und Welt, Handle). So wenig auch bie
Katholifen zugeben wollten, daß fie dem alleinigen Verdienſt
Chrifti irgend etwas entziehen, fo ſehr alled menfchliche Thun
und Berdienft immer nur das Berdienft Chrifti zu feiner
nothiwendigen Duelle und Borausfegung haben ſollte, fo we
nig kann Doch Die theild aus der pelagianifcgen Richtung des
Fatholifhen Syſtems im Ganzen, theild aus einzelnen Lehren
ſich von felbft ergebende Beſchränkung des Verdienſts Chrifti,
durch das demſelben mehr oder minder zur Eeltdcheſtellte ei⸗
Dei Filium ulla re, nec descendisse, ut sibi aliquid ac-
quirerei. Nam qui descendit Deus fuit, non homo, im-
mo hoc ipsum descendere fuit hominem fieri, et se ip-
sum ezinanire. At posiquam descenderat, et formam
servi acceperalt, aliquid sibi acquisivit in ea forma, quam
assumserat, non in ea, qua descenderat. Webrigens be:
baupteten auch mehrere veformirte Theologen, wie 3. 3.
Piſcator, Chriſtus habe fich ſelbſt etwas verdient. .©. Ger:
bard a. a. O. — Die odedientia activa kam .in.der Con⸗
troverfe zwifchen den Proteftanten und Latholiken nicht be⸗
ſonders zur Sprache. :
1) > den Schmall. Artikeln zu Anfang des aweiten Cheils
über die Artikel von dee Erldſung, ©. 305-145 *-:°
— — —
Die katholiſchen Theologen. 351
gene Berbienft: des Menſchen in Zweifel gezogen werden *).
Sobald. man aber der zur Seligfeit mitwirfenden eigenen
Selbftihätigfeit des Menſchen fo viel einräumte, als im ka⸗
tholifchen. Eyſtem geſchah, konnte audy eine Nothwendigkeit
der Erlöfung und Genugthuung durch Chriſtus, wie fie ſich
aus der proteſtantiſchen Lehre ergab, nicht behaupter werden,
und die beiden Lehrfyfteme mußten daher das ganze Werk
ber Erlöfung aus einem wefentlich verfchiedenen Geſichtspunkt
betrachten. Wenn auch der Belagianismus bes Eatholifchen
Syſtems in igewißem Sinne nur die fubjeftive Seite des im
Werke ber Erlöfung zwifchen Gott und dem Menichen fich
tealifirenden Berhälinifies in fich Darzuftellen fcheint, fo darf
dach nur an den proteftantifchen Begriff ded Glaubens erins
nert werben ‚:um die. Differenz der beiden Eyfteme auch von
diefer: Seite ind Licht zu feßen. Während der Pelagianidr
mus des Fatholifchen Syftems, je felbitftändiger er den Mens
fhen Gott gegenüberftellt, ihn in demfelben Verhaältniß auch
wieder von Gott bualiftifch tremmt, gibt Dagegen der Prote=
Rantismus in feinem Begriffe des Glaubens der Subjeftivi-
tt des ber göttlichen Gnade ebenjo empfänglichen als bes
dürftigen Menfchen eine um fo intenfivere Bedeutung, je
[4
1) Dffener if dieß kaum ausgefprochen worden, als von dem
Scholafifer &. Biel in dem Commentar zu den Sentenzen
Lib. III. distinct. 19. Concl. 5.: Etst Christi passto sit
prineipule meritum, propter quod confertur gratia, aperr
tio regni et gloria, nunquam tamen est sola et totalis
causa meritoria, quia semper cam merito Christi con-
currit aliqua operatio, tanguam meritum de congruo vel
de condigno, recipientis gratiam vel gloriam, si fuerit
adultus, rationis usum habens, aut alterius pro eo, st
taret usa rationis. Dieß war im Ganzen immer bie Lehre
der katholiſchen Kirche vor der Reformation, tote nach der.
felben,. wenn .man auch den Proteftanten gegenüber ſich be⸗
mühte, den Anftoß im Ausdrucd mehr zw vermeiben.:
352 IL Ber. L Abſchn. 1. Kay.
mehr er zugleich das Verhältniß des Menden: von Bott als
ein reines Berhältniß der Abhängigkeit auffaßt. Wie dem
Menfchen nur durch die in Chriftus dargebotene Gnade ber
göttliche Inhalt gegeben wird, in welchem er’ ſich feines wah⸗
ten Heild, oder feined wahren höhern Selbfts,. bewußt . werben
kann, fo ift auch nur das durch, den proteftantifchen: Begrif
des Glaubens beftimmte Selbftbemußtfeyn des Menſchen .die
adäquate fubjeftive Form, die mit dem Inhalt, mit weldem
fie. fih erfüllt, fih von felbft zur innern Einheit zufammen-
ſchließt %). Im Fatholifchen Syſtem aber bleibt: das Verhaͤlt⸗
niß des Menfchen zu Gott immer nur ein äußerliches, und
nur quantitativ nicht qualitativ beftimmt, da bie göttliche
Gnade immer mur ergänzen und vermehren kann, was ber
Menſch an fich ſchon hat, und fo wenig fich ber. Menſch bios
receptiv verhalten fol, fo ift Doch feine Aktivität, der. gratia
infusa gegenüber, zugleich eine paffive Receptivität, die der
proteftantifche Begriff des Glaubens von felbft ausfchliekt.
Zweites Rapitel-
Der Widerfpruch des Joh. Pifcator.
Die fchwächfte Seite der Satiöfariionstheorie der Eon-
cordienformel tft die Lehre von der obedientia activa. Chri⸗
ſtus ſollte das Geſetz für die Menfchen erfüllt haben; erfüllen
fonnte er es für die Menfchen, weil er an fich nicht zur Er⸗
füllung des Gefeßes verbunden war, und verbunden war er
dazu deßwegen nicht, weil er Soft und Menfch zugleich war.
Sehr natürlich erhob ſich daher der erfte und bedeutendſte
1) Daher die von Calvin befonders (man vgl. z. B. Inst. chr-
rel. IE. 11, 7.) dfters gebrauchte treffende Vergleichung
des Glaubens mit einem einen koſtbaren Schatz in ſich auf=
nebmenden Gefäß. .
Joh. Pifcator. 353
iderſpruch gegen diefe Iutherifche Lehrbeftimmung von einer
eite, auf welcher man überhaupt mit ber Iutherifchen Lehre
n der Berfon Chrifti nicht einverflanden war. Die ſcharf⸗
migen Gründe, mit welchen in der reformirten Kirche Jo⸗
unes Piſcator *), nicht lange nad) der Bekanntmachung der
meordienformel, den in derſelben aufgeftellten Begriff der
‚ediemtia activa beftritt, verdienen hier um. jo mehr Er⸗
ähnung, da fie einen bemerfenswerthen Wendepunkt in ber
utwidlungsgefchichte des Satisfactionsdogma's bezeichnen.
Ye Lehre von der obedientia activa war gleichfam ber
Ablußftein der alten, auf bem Begriffe der Gerechtigkeit be=
V Joh. Piſcator war reformirter Theologe zu Herborn zu En⸗
‚be des 1öten Tahrhunderts und zu Anfang des ATten. In
der Intherifchen Kirche felbft war ihm zwar der Ansbach’fche
Geiſtliche G. Karg, oder Parfimonius, vorangegangen, wel⸗
her im J. 1563 Säge über die Lehre von der Rechtferti⸗
sung aufſtellte, in welchen .er gleichfalls von der Alternatis
ve ausgieng, Daß das Gefeg entweder zum Gehorfam oder
sur Strafe verpflichte, nicht aber zu beidem zugleich, und
fo argumentirte: da Chriſtus für uns gelitten habe, und
wir das von ihm Geleiftete nicht leiſten dürfen, zum Gehor⸗
fam gegen das Gefeg aber verbunden ſeyen, fo habe Chris
Rus nicht für uns, fondern für fich felbft dem Vater Gehorſam
geleiftet, damit er ein unbeflecktes und Gott mohlgefälliges
Dpfer wäre. Allein dieſer Widerfpruch war damals noch
bon Feiner Bedeutung, wie denn auch Karg ſelbſt im Jahr
1570 den Theologen in Wittenberg einen Widerruf aus
fellte, in welchem er von diefen Darüber belehrt worden zu
ſeyn verficherte, daß in dem Amt des Mittlers feine Uns
ſchuld und Gerechtigkeit in göttlicher und menfchlicher Natur
nicht können noch follen gefondert werden von dem Gehor⸗
famı im £eiden. In diefer Form war demnach fchon vor Der
Epneosdienformel der Lehrfag von der obdedientia. active
vorhanden. Vgl. Walch Einl. in die Religisnsfreitigkeiten
der evang. luth. Kirche Th. IV. &. 360. f. .
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 23
354 I. Ber J. Abfehn. 2. Rap. |
rubenden, Satisfactionstheorle, ber letzte Punkt, auf. welchem
fie noch einen Schritt weiter geführt werden zu können ſchien,
wurde dadurch vollends abgefchloffen, allein derſelbe Schrif,
welcher die Theorie ihrer höchften Spite zuführte, war auf
ſchon das erfle Moment einer Gegenbewegung, durch welde
fie allmälig in fich felbft zerfiel. Der Begriff der obedien-
tia activa war in fi zu unhaltbar, als daß er ber Then
tie zu einer fihern Stüge dienen Eonnte, je enger aber der
awifchen ber obedientia activa und ber obedientia pas-
siva angenommene Zufammenhang feyn follte, deſto nach⸗
theiliger mußte der gegen eine ſo ſchwache Seite gerichtete
Angriff der ganzen Theorie werden. Hierin liegt Die Bedeu⸗
tung des von Joh. Piſcator zuerft mit Entfchtedenheit erho⸗
benen Widerfpruchd. Die Gründe, auf weldye er feine der
damals in der proteftantifchen Kirche. allgemein angenomme-
nen Lehre. entgegengefebte Anficht fügte, find folgende ?):
Er geht davon aus, daß nach der vom Apoftel Paulus Röm.
4, 6—7. gegebenen Definition des Begriffs der Rechtfertigung ;
Zurechnung der Gerechtigkeit und Vergebung ber Sünden {
nicht als zwei für fich beftehende Theile der Rechtfertigung, :
fondern nur als identifche Begriffe anzufehen feyen. Die cau-
sa meritoria ber Rechtfertigung ift allerdings der Gehor⸗
ſam Ehrifti, aber es ift nach der Lehre der Schrift ein dor
pelter Gehorſam Chrifti zu unterfcheiden, den einen hat a
dem Geſetz Gottes, ben andern einem fpeciellen Auftrag Got
tes geleiftet. Der eine ift der thuende, in der Erfüllung bed
Geſetzes, oder der Heiligkeit des Lebens, beftehende, der an
dere ift ber leidende, auf das Leiden und den Tod Chrifti fid
1) ©. Thes. theolog. Vol. II. Herborn 1618. Loc. XXV.
©.321.f. Loc. XXVI. ©. 330. befondersg Loc. XXXIX.: De
eausa meritoria justificationis hominis coram Deo, sive
de ea re, quae homini a Deo ad justitiam imputatur-
&. 437. f.
Joh. Piſcator. . 355
beziehende. Diefer doppelte Gehorfam darf nicht verwechfelt
werden, weil er ganz verfchiebener Art if. Den thuenden
Gehorſam theilte CHriftus mit dem Volk Gottes, er war zu
demfelben fowohl als Menich, vermöge des Rechts der Schö⸗
Yung, als auch als Ifraelite, vermöge des von Gott mit fel-
nem Volke geichlofienen Bundes, verpflichtet, ber Ieibenbe
Gehorſam aber war nur ihm eigen, und ihm allein aufge
tragen, jeboch ganz als Sache einer freiwilligen Uebernah⸗
me, Daß aber Ehriftus als Menſch zum Gehorfam gegen
Soit verbunden war, ſchien Pifentor nicht bezweifelt werben
m können, wenn man nicht das Cigenthümliche ber beiden
Raturen Chrifti vermiſche. Seiner göttlichen Natur nach,
behauptete Pifcator, ift Chriftus allerdings ber Herr des Ge⸗
: fees, aber feiner menſchlichen Natur nach Hk er, wie jede ver-
aimftige Greatur, zum Gehorſam gegen den Echöpfer verbun⸗
rm —
den, und dem Geſetz unterworfen. Nur Gott ift abfolut frei,
wird alfo Chriſtus feiner menfchlihen Natur nach biefelbe ab»
jolute Freiheit zugefchrieben, jo werben bie Broprietäten ber
beiden Naturen vermifcht, oder es folgt aus ber Behauptung,
daß Ehriftus dem Gefeg nicht unterworfen war, unmittelbar,
daß er auch nicht Menfh war %). War aber Chriftus als
— — —* 2
>>> >> >>
Nenſch für fich felbft zum Gehorfam gegen Gott und zur Ers
füllung des Geſetzes verbunden, fo konnte er in dieſer Bezie-
hung nicht Stellvertreter der Menfchen fern. Der Gehorſam,
vermöge defien Gott den Menfchen die Suͤnden vergibt, und
die Gerechtigkeit zurechnet, Tann daher nur jener andere ſeyn,
1) Es if derfelbe Fall, wie bei der Lehre von der Ubinuität. Qui
Christum dicunt ubique ut hominem, Christum dicunt
non hominem, dum enim dico ubique, dico Deum, qui
'solus est in coelo et in terra. Similiter cum dico subje-
ctum legi, dico hominem, Qui ergo Christum subjectum
legt negant, negant ipsum esse hominem Loc. XXVI.
6. 35}.
23 *
356 MM Ber 1 Abſchn. 2. Kap.
welchen Chriſtus dem ſpeciellen Auftrag bed. Vaters, für die
Ermwählten zu leiden und zu flerben, leiftete. Bon diefem@e
horſam allein, dem Gehorfam des Leidend und Todes Ehrifl,
it ald der Urfache der Vergebung unferer Sünden in ber
Schrift die Rede. Schon dadurch ſchien der gewöhnlichen
Lehre die Borausfegung, auf welcher fie ruhte, genommen zu
feyn. Bifcator fuchte fie aber noch beſonders auf dialektifchem
Wege burch die Folgerungen, die er aus ihr zog, zu wider⸗
legen. : Kolgende drei Hauptargumente follten den Wider⸗
fpruch, in welchen fie mit fich ſelbſt kommt, Har vor Augen
legen: 1. Würde uns der Gehorfam Chrifi, durch welchen
er das göttliche Geſetz erfüllt hat, zugerechnet, jo würde dar⸗
aus folgen, daß Ehriftus durch biefen Gehorſam Gott für
unfere Sünden genuggeihan, und und die Vergebung derſel⸗
bet erworben hat, aber es würbe ebendaraus auch folgen,
daß Gott ungerecht iſt, Indem er ſich diefelbe Schuld doppelt
bezahlen ließ, nicht blos den thuenden, fondern auch den lei⸗
denden Gehorfam, oder das Leinen und den Tod Ehrifl,
wovon doch in dem Geſetz nirgends als einem Theile ber
Sefebes - Erfüllung die Rede ifl. 2. Wenn uns der Schr S
fam, welchen Chriftus dem göttlichen Geſetz geleiftet hat, zw -
gerechnet wird, fo folgt, daß ihn Chriftus für uns, ober m an
unferer Stelle, geleiftet hat. Hat er ihn aber für und geld -
ftet, fo find wir vom Gehorſam gegen das göttliche Geſch
ebenfo frei, wie wir nad dem Apoſtel (Gal. 3, 13.) vom ;
Fluch Des Geſetzes deßwegen frei find, weil Chriftus für und 3
zum Fluch geworben if. Vom Gehorfam gegen das Geſch
fönnen wir aber nicht frei feyn, da wir in Ewigfeit verbum
ben find, ®ott als unferm Schöpfer, Erlöfer und Herm zu
gehorchen. 3. Wenn uns der thuende Gehorfam Chrifti in
dem angegebenen Sinne zur Gerechtigkeit’ zugerechnet wird,
fo folgt, daß Chriftus durch’ diefen Gehorſam, da Zurech⸗
nung der Gerechtigkeit ſoviel ift ald Sündenvergebung, Sün
denvergebung erworben bat. Da nun aber im Gefep nit
ob. Bifcator. - 357
gends befohlen if, daß Ehriftus für uns auch fein Blut ver
gießen mußte, und doch ohne Vergießung des Bluts Feine
Bergebung möglich ift CHebr. 9, 12.), fo folgt, baß ohne
Bergießung des Bluts unfere Sünden vergeben find. Da
nach biefem letern Argument dem thuenden Gchorfam etwas
gar Suͤndenvergebung wefentlich gehörendes fehlt, derſelbe
alſo unvolltommen ift, bei dem erften Argument aber ber
thuende als ebenfo vollfommen vorausgeſetzt wird, wie ber
leidende, fo hat Piſcator diefe beiden Argumente auch in fol
gender Form zufammengefaßt 9: Wenn Chriftus durch fel-
nen thuenden Gehorfam unfere Sünden gefühnt hat, fo hat
er bieß entweder vollftändig und vollfommen, oder theilweiſe
md unvollfommen gethan. Vollſtändig und vollkommen Tann
er es aber nicht gethan haben, weil hieraus die Ungereimt-
heit eniftehen würde, Chriftus ſey zur Sühnung unferer Sün-
den, was doch allein der Zweck feines Todes war, umfonft
geſtorben, die Thatfache feines Todes fey, nachdem er unfere
Sünden fchon durch fein heiliges Leben gefühnt hatte, gar
nicht nöthig geweſen. Aber auch an fich läßt fich nicht den⸗
im, daß Chriftus, da er das Geſetz aufs vollfonmenfte er-
füllte, nur für einen Theil unferer Sünden und nur unvoll-
kemmen feinen thuenden Gehorſam geleiftet habe. Hat er
aber einen zur Vergebung unferer Sünden vollfommen zurei-
enden Gehorſam geleiftet, fo entfteht hieraus Die zuvor ers .
wähnte Ungereimtheit. Entweder ift alfo der thuende Gehor⸗
fam neben dem leidenden etwas: völlig überflüßiges, oder,
wenn er nichts überflüßiges ift, fehlt ihm die Bollflommen-
beit, Die er ald der Gehorſam Chrifti haben foll.
Die Argumentation Pifcatord beruht, wenn wir fie in
mem ganzen Zufammenhang auffaffen, auf den beiden Vor⸗
ausfegungen: 1. daß Chriftus ale Menſch das göttliche Ge⸗
ſh für ſich erfüllen mußte, alfo nicht für andere erfüllen
4) Loc, xxvi &. 334.
358 U. Ber. 1. Abſchn. 2. Kap.
konnte, und 2. daß die Zurechnung der Gerechtigkeit, in wel⸗
cher das Weſen der Rechtfertigung befteht, ihrem Begriff nad
mit der Vergebung der Sünden ganz zufammenfällt. Da die
lutheriſchen Theologen die erftere Borausfegung durch Die eins
fache Behauptung zurüdwielen, daß fie auf Reftorianismus
führe 9, fo mußte e8 ſich im Streit mit Pifcator hauptfäd-
lich um die zweite Vorausſetzung handeln. Konnte Piſcator
feine Thefe behaupten, daß die imputatio justitiae mit ber
remissio peccatorum identiſch fen, fo wäre, wenn er auf
feinen Gegnern zugegeben hätte, daß Chriftus als Menſch
vom Geſetze frei war, doch in feinem Falle eine Erfüllung
des Geſetzes an der Stelle der Menſchen nöthig geweſen, ba
fte unmittelbar mit der Vergebung der Sünden auch die Ges
rechtigkeit gehabt hätten, in deren Zurechnung die Rechtferti⸗
gung befteht. Allein diefe Identität gaben Die lutheriſchen
Theologen nit zu. Wie fie fie eregetifch nicht zugeben zu
müflen glaubten (diefelbe Stelle Röm. 4, 6. 7., auf die ſich
Bifcator beruft, macht Gerhard für die. Verfchiedenheit gel
tend), ſo fchien fie ihnen auch mit dem Begriff der Rechtfer-
1) Vgl. Gerhard Loc. theol. Loc. XVII. cap. 2. $.63. Tom.
VI. ©. 70.: Si Christus esset ulo; &v9ouno:, obstricks
fuisset legt, jam vero in unitate persomae est verus Deus,
proinde sulratione non fuit legi obstrictus: meiror weude
— erroris hujus universi consistit in eo, quod actione
et passiones Christi considerantur, ac st essent tantum
naturae humanae actiomes et passiones.:— Nefaria idi-
tur ac Nestoriana est divulsio, si anoreirsuare mediato-
ris, ad quae utriusque naturae ?vioysm concurrunt, un
tantummodo naturae adscribantur. Man drüdte dieß auf
fo aus (f. Baumgarten, Unterf. theol. Streitigk. 2ter Bd.
©..282.): Da niemand ſonſt als eine Perfon an eine Bor
ſchrift verpflichtet werden Fann, fo Tann die Menſchheit Ehri:
fi, die keine Perſon geweſen, ebenfalls unter Feiner Per
bindlichkeit ſtehen, fie war ebenſowohl als dik Gottheit ale.
Joh. Piſcator. 359
ügung unvereinbar. Gott kann bei ber Rechtfertigung bes
Sünbers nicht gegen fein Geſetz, das bie ewige und unabän-
berliche Rorm ber göttlichen Gerechtigkeit ift, handeln, bie
Hehtfertigung Tann nur unter Borausfegung einer vollfom-
menen Gonformität mit dem Geſetz ftattfinden,, da nun dieſe
der Menfch als Sünder nicht haben kann, fo muß die Zus
sehnung der Gerechtigkeit Chrifti Dazwifchentreten, fofern Chris
Rus nicht blos für unfere Suͤnden genuggethan, fondern auch
das göttliche Geſetz vollfommen erfüllt hat. Wenn alfo der
Menſch um Chriſti willen gerechtfertigt wird, fo wird er Durch
bie ihm vermittelt des Glaubens zugerechnete Gerechtigkeit
ſewohl von feinen Sünden freigefprocdhen, als für gerecht er⸗
Bidet. Um das in Frage feehende Moment noch fchärfer herr
verzuheben, argumentirte man auch fo: Entweder werden wir.
nach dem Decalogus gerechtfertigt ober gegen benfelben. Das
festere {ft unmöglich, weil der Decalogus bie abfolute Norm
ber göttlichen Gerechtigkeit iſt. Erfolgt aber bie Rechtferti⸗
gung nach dem Decalogus, fo muß der Decalogus entweder
von und vder einem andern erfüllt feyn. Bon uns ifl er
nicht erfüllt, alfo kann et nur von Chriftus erfüllt feyn, und
wir werben nicht blos durch das Leiden und den Tod Chris
Hi gerechtfertigt, fondern, da durch das bloße Leiden das
Geſetz Gottes nicht erfüllt werben Fann, fowohl burdy den
iuenden als den leidenden Geherfam *). Die noihwendige
Borausfegung ber Rechtfertigung des Menfchen ift alfo Die
Erfüllung des göttlichen Geſetzes. Muß man aber bier nicht in
Anfehung der Zeit einen Unterjchied machen? Muß das Ge-
fe für die Zeit vor der Rechtfertigung, oder für die Zeit nach
der Rechtfertigung erfüllt werden? Es fcheint hier .auf der
Seite Piſcators ganz das Argument an feiner Stelle zu feyn:
Das Geſetz verlangt entweder Strafe oder Gehorſam, nicht
«ber beides zugleich. Nun bat und Chriſtus von der Strafe
ı) Gerhard a. a. D. S. 9.
362 il. Ber. L Abſchn. 2. Kap.
immer nur in dem Begriff der Sündenvergebung, ber Ge⸗
rechtfertigte hatte nach feiner Anficht ſchon durch Die Sünden
vergebung die Gerechtigkeit, wegen welcher er als gerecht au-
gefehen werden konnte, nad) der Anficht der Iutherifchen Theo⸗
logen aber gehörte zu dem Begriff der Gerechtigkeit nicht blos
dad negative Moment der Sündenvergebung, fonbern auch
das pofitive der Gefeßederfüllung, weil derjenige, weldem
die Sünden vergeben find, zwar nicht mehr ungerecht, aber
barum noch nicht pofitio gerecht ift. Deßwegen drangen fie
befonders darauf, daß der thuende und leidende Gehorſam
fo wefentlih zufammengehörende Momente eined und deſſel⸗
ben Ganzen feyen, daß, wenn nicht das Ganze feine Bebeu-
- tung verlieren fol, keines von dem andern getrennt werden
fönne 2). Hiemit gingen fie aber eigentlich über Die von der
tia, imperfecta quidem, atitamen vera, qula singera, al-
que a simulatione atque hypocrisi aliena, unde sole me-
ridiano elartus elucet, rationem, qua connesum proba-
tur, nihil ad probandum facere. Nihil itaque imperfe-
ctio sanctorum et obedientiae ipsorum derogat obedien-
tiac, quin pro vera habeatur, quandoquidem Dea pla-
cent renati propter sinceritatem. Nam imperfectio üle
credentibus non imputatur, sed condonatur propter san-
guinem Christi, qui eos purgat ab omni peccato, ac pro-
inde etiam ab illa obedientiae imperfectione (1 “oh. 1,7.)-
1) Gerhard a. a. D. ©. 70.: Passio Christi ajusgue satis-
factio, seu impletio legis, non sunt duae distinctae spe-
eies obedientiae, quarum una absque altera vel ‚perfec-
tlonem suam obtinere vel justificare possit, sed sunl
unius obedientiae distinctae partes, simul coeuntes al
constituendum unum integrum, quod cum amizssion
unius partis perfectionem suam simul amittit. .Debitum
namgue nostrum erat geminum, perfecta scilicet obe-
dientia et perpessio poenae Utrumque debitum Christus
diserte praestare debuit, ideo scriptura ipsa aclionem
et passionem conjungit. — Sola activa obedientia n®
oh. Bifcator. | 363
meorbienforniel gegebene Definition des Begriffs der Recht:
ügung hinaus. Denn, wenn auch die Formel, wenn fie
n Begriff der Rechtfertigung erklärt, mit der Eündenver-
dung auch die Annahme zur Kindſchaft Gottes und Die
rͤſchaft des ewigen Lebens verbindet, fo erklärt fie Doch
gleich aufs beftimmtefte, daß fie das eigentliche Wefen der
thtfertigung oder Gerechterklärung in die Sündenvergebung
de, fo daß alles andere nur als die Folge derſelben ange⸗
fulsset sufficiens, quia poena erat ferenda propter pec-
eata humani generis expianda, sula passiva itidem non
Inisset sufficiens, qula expiatis peccatis nihllominus re-
guirebatur per[ecta obedientia juxta omnia et sinqula
legis praecepta. Wie Yifcator den do;pelten Gehorfam
unterfchied, ift Schon bemerkt. Uebrigens wollte auch er den
thuenden Sehorfam von der Rechtfertigung nicht ganz auss
fließen. Tridustur morti, fagt er Loc. XXVI. ©. 331.,
quod ei tribuendum, nimirum, 'quod sit: plenissima sa-
tisfactio pro peceatis nostris, sic .eliam vitae obedientiae
tribuitur, quod seriptura ei tribuendum perhibet, nimi-
rum, quod sit causa, sine qua non potuerit Christus ido-
neus esse mediator inter Deum et hominem (Hebr. 7, 26.).
Nur die falfche Folgerung: Christus non potuisset pro
nobis mortem perpeti, nisi etiam sancte vivendo legem
Dei implevisset, atque ita perfetie sanctus fuisset, ergo
sanclitas vilae qguoyue facit ad justificationem nostri,
tangquam causa illius meritoria, {site abgeſchnitten ſeyn.
Nam pro pecräto requirit Deus non sanclam vitam, sed
satisfactionem per wmortam. Alſo nur darauf fommt es
en, daß die Sünde vergeben wird, deßwegen iſt peccata
wesnittere ſoviel als. justitiam.imputare. — Nusguam enim
$n scriptura docetur, Deum peecata punire per imple-
ttonem legis, sed per mortem aeternam. Quam cum fi-
Hus Dei pro nobis subierit atgue sustinuerit, acquiescen-
dum nobis est in ea, si grati volumus viderl pro benefi-
eis morte Christi partis.
>
364 A Ber. J. Abſchn. 2. Kay.
feljen werden gu Eönnen fcheint %. Durch ben Gtreit mit
Pifcator kam demnach den Iutherifchen Theologen erſt vollends
1) Bel. F. C. ©. 682.: Fidel justitiam esse remissionem
peccatorum, reconciliationem cum Deo, et adoptionem in
filios Dei propter solam Christi obedientiam. Vergl.
©. 684.: Docemus, — quod homo peccator coram Da
Justificetur, hoc est, absolvatur ab omnibus suis petce-
tis — et adoptetur in numerum filtorum Det, atque ha-
res aelernae vitae scribatur. Vgl. ©. 688.: Nobis Chri-
ati justilia imputatur, unde remissionem peccatorum,
reconciliationem cum Deo, adoptionem in fillos Dei, d
haereditatem vitae aeternae consequimur. .©. 685.: Du
doppelte Gehorſam wird uns zur Gerechtigkeit zugerechnet,
ita ut Deus propter totam obedientiam peccata nobisre-
mittat, pro bomis et justis nos reputet et salute aeterna
donet. Dagegen a. a. ©.: Vocabulum igitur justificatio-
nis In hoc negotio significat justum pronunciare, a pec-
catis et aeternis peccatorum suppliciis absolvere propter
Justitiam Christi, quae a Deo. fidei imputatur. Bel.
©. 687.: Justitia fidel coram Deo in gratuita et benig-
nissima imputatione justitiae Christi consistit, quod pec-
cata nobis remissa et tecta sint, neque nobis imputentur
(das non imputare peccata ift alfo foviel als das dmpula-
re jJustitiom Christi). Bgl. ©. 689.: Docet nos scriptu-
ra, justitiam fidel coram Deo tantummodo consistere ix
sola clementi et quidem gratuita reconciliatione, seuremis-
sione peccatorum. Das Letztere ifi noch ganz die Lehrweiſe der
Apologie, wie befonders Art.9. ©. 226.: Merita propitia-
toris — alils donantur imputatione divina, ut per es
tanquam propriis meritis justt reputentur, ut si quis
amicus pro amico solvit aes allenum, debitor alieno me-
rito tanquam proprio liberatur. Solange man nur vom
Leiden und Tod, Gehorfam oder Verdienſt Chriſti überhaupt
fprach, Fam nichts darauf an, ob man das Wefen der Recht⸗
fertigung durch einen mehr negativen oder pofitiven Begriff
bezeichnet (wie in dieſer Hinficht befonders Die Lehrmeife der
Joh. Pifcator. 365
⸗
m Maren Bewußtſeyn, daß, wenn die Unterſcheidung eines
senden ‚und leidenden Gehorſams in das angemeflene Ver⸗
Imiß zur Lehre von der Rechtfertigung geſetzt werben foll,
$ justum pronunciare, oder justum reputare, mit dem
mittere peccata, oder absolvi a peccatis, nicht mehr
Hechtbin identifch genommen werben darf, fondern dieſe bei⸗
9 Beftimmungen ebenfo als coordinirte Momente eined und
ſelben Begriffd angefehen werden müflen, wie ſich die obe-
ientia fowohl in bie activa als die passiva theilt *), nur
wab fih hieraus der von Pifcator nicht unbemerkt gelafjene
w zum Bortheil feiner Identificirung des peccata remit-
we und justitiam imputare benütte Mebelftand, daß wäh
mb bei der justificatio, der Ratur der Sache gemäß, das
egative Moment dem pofitiven vorangeht, bei ber obedien-
Apologie, in welcher für justificatio auch regeneratio ge«
ſetzt wird, fich frei bewegt), offenbar aber forderte die Con⸗
fequenz , wenn man auf der objeltiven Seite Die odedientia
in zwei Momente fpaltete, daß man auch auf der fubjeltiven
Die Rechtfertigung nicht mehr auf die bloße Sündenverges
bung beichränfte.
1) Mit gutem Bedacht drückt fi daher Gerhard a. a. D.
©. 69. Pifentor gegenüber fo aus: Necesse est Intercedere
&mputationem Christi, qui nom solum pro peccatis no-
siris satisfecit, sed etiam legem divinam perfecte im-
plevit, propter Christum igitur homo peccator justifica-
tur, hoc est a peccatis absolvitur et justus pronunciatur,
imputata ipsi per fidem Christi justitia. Diefem zufolge. -
follte das justum reputare oder promunciare bei den lu⸗
sberifchen Theologen feit dieſer Seit nur pofitiv genommen
ſeyn, man wagte es aber doch nicht den Hauptfag des Pif-
enter, daß imputaro justitiam fo viel fey, ald remittere
peccata ausdrüdlich als eine Irrlehre des Aomo fanati-
ons, wie ihn Quenfiedt Theol. did. pol. Vol. 2. ©, 403.
nennt, zu bezeichnen.
366 1. Ber. 1 Abſchn. 2. Zap.
tia die Ordnung biefer beiden Momente nicht, wie. fie ſeyn
follte, dieſelbe ift, fondern die umgefehrte %).
Die Anfiht Pifcatord zog, da er eine ſchon früher vor-
handene Differenz °) zuerſt Har und beftimmt audfprach, bie
Aufmerkſamkeit jener Zeit (zu Anfang des fiebzehnten Jahr
hunderts) in hohem Grade auf fich, und die Iutherifchen Then
logen ſahen ſich alsbald zu lebhaften Widerſpruch veranlakt®),
1) Loc. XXVI. ©. 331.: Ajunt quidam, non sufficere sor- -
didam vestem exuere , nisi nova induatur, ita nec suff-
cere, ul peccati originalis et peccatorum actuallum sor-
des per Christi sacrifictum cruentum deleantur, sed opus
quoque nobis esse justitia originali et actuali, quam p«-
riat nobis obedientia vitae Christi. Instantia se ipsam
convellit, ideo, quia inde sequitur, quod Christi obedien- -
tia passiva activam antecesserit. Conceditur enim, prop-
ter obedientiam Christi pussivam nobis peccata remitii,
sequitur itaque propter obedientiam eandem nobis im-
putari justitiam, quippe cum haec duo peccata re
mittere et justitiam imputare aegutpollcant, #
videre est Rom. 4, 6. 7.
2) Als Vorläufer Pifeator’s werden genannt die reformirten
Theologen Urbanus Picrius, Zach. Urſinus, Dav. Pareu,
Eafpar Dlevianus.
3) Hauptfächlich die Theologen in Gießen Joh. Winckelmann,
Balthafar Menzer, Heinrich Eckhard. Der Lestere ſchrieb
eine eigene Abhandlung De causa meritoria justificationis
contra Piscatorem Sera 1606. Inter den lutherifchen Dog
natifern hat Gerhard a. a. D. biefe Eontroverfe am gründ:
lichften behandelt. Die Iutherifchen Theologen ftellen die
Lehre Piſcator's als eine höchft auffallende Neuerung dar,
und berufen fich auf die ganze Reihe der Kirchenlehrer von
Sufin an (Gerhard a. a. O. ©. 67.), felbft auf Anfelm von
Canterbury, welcher doch in feiner Echrift Cur Deus homo,
die hier allein entfcheiden Fann, in dem Hauptfag, von mel
chem Pifcator ausgeht, mit ihm übereinffimmt (f. oben &. 165).
Ebenfo ift der Gefichtspunft verrüct, wenn die Intherifhen
Joh. Piſcator. 367
rer auch in der reformirten Kirche ſelbſt fand fie größten-
eils eine ungünftige Aufnahme, befonders bei ben reformir⸗
ı Bemeinden in Frankreich, die in diefer Sache fich fehr
Ktig zeigten. Sie ſprachen fi auf mehreren Synoden (in
a Jahren 1603—1612) gegen die Meinung Pifcatord aus,
» ſetzten fich in fchriftlichen Verkehr mit ihm, um ihn zur
nerfennumg feines Srrthums zu bewegen. So geſchah «6,
ij die Unterfcheidung eines thuenden und leidenden Gehor⸗
md, und die Lehre, daß der eine wie der andere die cau-
ı meritoria der Rechtfertigung fey, obgleich in feinem äl«
m Symbol der reformirten Kirche vom Gehorſam Chrifti
dieſem Sinne bie Rede ift, nun auch in der reformirten
che als rechiglaubige Lehre galt, und daher fpäter aud)
die dem fogenannten Arminianismus oder Amyraldismus
h entgegenfeßende Formula consensus Helvetica aufge-
mmen wurde 4).
Theologen den Ealvin felbft auf ihrer Seite zu haben glau⸗
ben. Einen folchen Zufammenhang der obedientia vitae,
wie Calvin annahm, läugnete in auch Pifcator nicht (f. oben
‘ &. 332.). Hier aber hängt alles an dem Begriff der ftell«
vertretenden Gefekes » Erfüllung neben der fellvertretenden
©traferdbuldung. — Da durch Pifcator der Unterfchied des
tbuenden und leidenden Gehorſams erſt recht zum Bewußt⸗
feyn gebracht wurde, fo kann es nicht befremden, daß der
zuvor genannte DB. Menzer als Gegner Pifcator’s wieder
auf die Einheit des Gehorfams dringen zu müſſen glanbte.
gl. Disp. Giess. Tom. III. Diss. XV. ©. 454. 457.: Ex-
quisite loqui si velimus, nonnist unam Christi obedien-
tiam vocabimus. — Neque sunt duae obedientiae: distin-
etae, ut somniat Piscator, sed obedientia una, nempe
perpetua subjectio voluntatis Christi ad perficdendam vo-
luntatem Dei, tam in vita, quam in morte. Die Schrift
rede immer nur von Einem Gehorfam, nur die Dbielte des
Gehorſams feyen verfchieden u. f. w.
1) Auf die Seite Pifentor’s traten unter mehreren andern nas
368 IL Ber. 1. Abſchn. 2. Ray.
Vergleichen wir bie drei von Oflander und Bilcator und
den Berfaffern der Concordienformel. aufgeftellten Theorien,
fo fehen wir in ihnen einen durch die innere Bewegung bes
Begriffs ſich gleichmäßig abichließenden Kreis. Der Begriff
der Rechtfertigung enthält ſowohl ein pofitives, ald ein ne
gatived Moment: diefe Momente Tönnen, je nachdem entwe⸗
der das eine dem andern fuborbinixt, ober. beide einander co«
ordinirt werben, in ein verfchiedened Verhältniß zu einander .
treten. Die Theorie der Concordienformel ſtellt ſich in bie
Mitte: fie will die beiden Momente, das pofitive und nega
tive, foviel möglich einander gleichftellen, mit dem peccats
remittere ſoll auch eine pofitive Gerechtigkeit verbunden ſeyn
die aber gleichwohl die Schranfe des justum reputare. odf
pronunciare nicht überfchreiten darf, alfo dem Menſchen
nur imputirt wird, und in ihrer Objektivität als Die Gereqh⸗
tigfeit. des die Stelle des Menfchen vertretenden Chriftus den
Menfchen felbit immer noch Außerlich bleibt. Das peccata
remittere und das justitiam imputare ftehen daher ald
coordinirte weſentlich zuſammengehoͤrende Momente in gleicher
Bedeutung neben einander. Die Oftander’fche Theorie dur
bricht jene Schranfe, das justitiam imputare, oder justum
reputare, ift ein leerer Begriff, fein wahres und wirkliche
justum esse, die justitia imputata fann nur als vera md
essentialis justitia mit dem Menfchen ſubjektiv Eins wer
den, fo daß diefem Innern gegenüber die remissio pecca-
torum und die der impletio legis entfprechende imputatio
justitiae als etwas blos Aeußerliches und für ſich noch Um
mentlich David Blondel, Lud. Enpellus, Joh. Camero. Man
vgl. über die Gefchichte diefer Streitigfeit, Gerhard a. a. O.
©. 61. Quenftedt a. a. D. ©. 402. Schrödh, Kirchen
geſch. feit der Ref. Bd. V. ©. 358. und befonders Ehr. ®.
F. Walch's Commentatio de gbedientia Christi activa GM. '
1
> ob. Pifcator. 369
wahres und Unwejentliched völlig in den Hintergrund zurück⸗
tite Die Theorie Bifcators dagegen geht auf der der Oſtan⸗
der’fchen entgegengefeßten Seite über die Concordienformel
= hinaus, indem fie dad peccata remittere und justitiam
imputare gar nicht mehr als befondere Momente auseinan-
derhält, fondern das Iektere in das. erftere völlig aufgehen
Ikt, und eben basjenige, was bei Ofiander das Neußerlichite
MR, und die Concorbienformel als das Negative vom Poſiti⸗
ven unterfcheidet, zur Hauptfache macht, - und als einzige cau-
x sa meritoria ber Rechtfertigung und als das eigentliche Wefen
derfelben betrachtet. Während alfo dort alles in den Begriff
\ ber Rechtfertigung fich zufammendrängt, fällt hier alles in
das Moment ber Sündenvergebung, und die Concordienformel
fieht in dem Einen wie in dem Andern ein Ertrem, welchem
1 Ne fern bleiben muß, um Regatives und Poſitives, Subjek⸗
; sed und Objektives, Gott und. den Menfchen im Begriff
| wenigſtens auseinanderzuhalten. Auf gleiche Weiſe greifen
die drei Theorien in einander ein, wenn wir das Verhältniß
erwägen, in welches fie das Göttliche und Menſchliche in
Chriſtus zu einander fegen. In der Oftander’fchen Theorte
it in jedem Falle die bei weitem überwiegende Seite die gett-
Ude Natur; nur als die göttliche und wefentlidye Gerechtig⸗
keit, welche Sott felbft ift, it Chriftus das Princip ber Recht-
ferligung ; die Goncordienformel legt das Hauptgewicht auf
de Einheit des Göttlichen und Menfchlichen und den unend-
. lien objektiven Werth, welchen das ftellvertretende Thun: und
i Leiden Chrifti, als das Thun und Leiden des Gottmenfchen,
; die Theorie Pifcators abftrahirt im Grunde von die⸗
fer objeftinen Bedeutung, da fie bei dem bloßen Begriff einer
E imputatio justitiae auf eine Weife ftehen bleibt, bei welcher
12. dee firenge Begriff der Gerechtigkeit, und mit ihm auch bie
M sbjektive GSenugihuung wenigſtens als nothwendige Voraus:
p ſchung hinwegfaͤllt. Auf die äußere hiftoriiche Thatfacdhe, daß
Chriſtus für die Menſchen gelitten hat, ſcheint e8 hier zu-
Baur, bie Lehre von ber Berföpnung. 24
u U Bände
._
\
370 1. Ber. L. Abſchn. 2. Rap.
nächf weit mehr anzufommen, ald auf die innere Bedeutung
dieſes Leidens, das Menfchliche beginnt alfo bier in feinem
Rechte fich geltend zu machen, und nur hieraus, aus der An⸗
erfennung. der Selbftftändigfeit, die das Menfchliche Dem Bölt-
lichen gegenüber anzufprechen hat, läßt fich erklären, wie Bil
cator auf die Behauptung kam, daß Chriftus für fich feibk,
als vernünftige Creatur, ben in ber Erfüllung bes Geſehes
beftehenden Gehorſam zu leiften gehabt habe. Hiemit war
fchon aus dem Gebäude der gangbaren Satiöfactiond- und
Rechtfertigungstheorie einer der wichtigften diefelbe zufammen ;
baltenden Grundfteine herausgenommen, und dem firenga
Begriffe der Gerechtigkeit, welchen jene Theorie zu ihrer noik
wendigen Borausfepung hatte, die Sphäre feiner Geltunz,
nicht wie Anfelm blos aus Mangel an Confequenz, fonben
in der beftimmten Abſicht, dem Menfchlichen fein Recht m
pindiciren, beſchraͤnkt. Was Eonnte hindern, daß jemer Be
griff der Gerechtigkeit aufgegeben, und fobald man ibn fal⸗
len gelaffen hatte, auch alles Andere, was mit ihm zufam
menhing, bie Berfon des Erlöfers, als bed Gottmenſchen,
und das ganze Werk der Erlöfung aus einem andern Ge
fihtspunft aufgefaßt wurde, fo daß man fih nun mit derſel⸗
ben Einfeitigfeit auf die reinmenfchliche ſubjektive Seite He 1
te, mit welcher jene Theorie, ungeachtet des durch die Refm 1
mation ind Leben getretenen Princips der Subjeftivität, ‚Ihren
Standpunkt auf der objektiven göttlichen Seite genommen
hatte? |
Diefer Schritt war aber in der That zur Zeit Bifeator’s
ſchon geichehen, und fo wenig fi) auch bei ihm ein beſonde⸗
rer Einfluß des Socinianismus wahrnehmen läßt, fo wurde
Doch Durch Ihn nur eine Bewegung, die längft auf einem gam
andern Punkte des vom Geifte ber Reformation durchwehten
Gebiets ihren Anfang genommen hatte, auch in ber Mitte
der proteftantifchen Kirche wenigſtens verfucht.
Die Lehre der Eorinianer. 371
Drittes Kapitel.
ie Lehre des Fauſtus Soeinus und der Soeinianer.
Die Lehre von der Berföhnung gehört unter biefenigen
ihren, in welchen fich der eigenthümliche Charakter des Sos
nlanismus ganz beſonders zu erfennen gibt. Der Socinias
mus theilt mit dem Proteftantismus das in der Reformas
ons⸗Periode zu feinem Rechte gekommene Princip der Sub⸗
fisität, aber er gibt demfelben zugleich ein einfeitiged Ue⸗
zgewicht, welchem der Broteftantismus von Anfang an zu
gegnen ſuchte. Verhaͤlt fich nach dem Proteflantismus das
abjekt zu dem objektiv Göttlichen, das es in fich aufneh⸗
en fol, um fich in bemfelben feines eigenen fubftanziellen
eyns und Weſens bewußt zu werden, nur wie bie aufneh-
mbe Form zu dem Inhalt, mit welchem ſie ſich erfüllen
I, fo läßt dagegen der Socinianismus das Subjekt fich fo
d möglich aus fich felbft mit feinem Inhalt erfüllen. Das
wch erhält das Subjekt eine Selbftitändigfeit, eine Macht
id Bedeutung, die ed auf dem Standpunft des Broteftans
Imus, der Ratur der Sache nach, nicht haben kann. Es
# fchon in jeinem unmittelbaren Selbftbewußtfen den Ins
ft, welcher ihm als die an ſich feyende Wahrheit gelten
I, und kann durch feine eigene fittliche Kraft Die Aufgabe
ifffiren , durch deren Realifirung es zur Einheit mit ſich
d mit Gott kommt. Se größer aber ‚die Selbftfländigfeit
‚die das Subjekt für fih anfpricht, je mehr das fubjektive
elbſtbewußtſeyn als das Wefentliche gilt, defto Anßerlicher
kb das Verhältniß, in welchen der Menſch zu Gott fteht,
iſt nicht Die Natur Gottes, als des abfoluten Geiftes, die
ı dem Subjekt ſich auffchließt, und in welder das Subjekt
& fänes eigenen wahrhaften Seyns bewußt wird, fondern
Renih und Gott ftehen in reiner Abftraftheit einander ges
rüber, alle objektiven Beftimmungen über dad Weſen Öot-
8 werden ſchlechthin negirt, das abfolute Weſen Gottes iſt
24%
372 II. Ber. 1 Abſchn. 3. Kay.
in eine transcendente Ferne binausgerüdt, in weldyer «8 in
feinem abfoluten Jenſeits für die menichliche Vernunft fchleht-
hin verfchloffen iſt; Gott ift fo, wenn alles entfernt iR, was
allein dem Begriff Gottes feinen conereten Inhalt gibt, nur
der abftrafte negative Inbegriff der Beziehungen, in welden
das fubjeftive Bewußtſeyn dad Verhaͤliniß des Enblichen und
Unendlichen in feiner hoͤchſten Spitze zufammenfaßt 12). Hier
1) Diefes Sichgeltendmachen des feiner Selbſtſtändigkeit fd
bewußten Subielts, das nichts anders zur Folge haben kam
als daß die Objektivität und Abfolutheit des göttlichen We
ſens negirt, und Gott in das transeendente Jenſeits zurüd⸗
rückgeſtellt wird, zeigt fich fehon in der Lehre von Gott af
fehr unmittelbare Weife tbeils darin, daß Gott nach be
Lehre der Socinianer die unmittelbare Regierung ber Welt
dem zum Gott erhöhten Menſchen Jeſus übergeben habs
foll (vgl. Brev. instit. B. F. P. T. I. ©. 668.), theils I
der eigenen Anficht von der Allwiflenheit Gottes, in melde
, ber focinianifhe Standpunkt als der dem Ealoinifchen ge
zade entgegengefette erfcheint. Während Calvin, um bie
göttliche Allwiſſenheit durch nichts im Menichen bedingt feys |
zu laffen, Allwiffenheit und Prädeflination identifieirt, glaubte
Dagegen F. Socinus die Eollifion zwifchen Freiheit und Als
wiffenheit nur dadurch heben zu Eünnen, ‚daß er bad Abſo⸗
lute der göttlichen Allwiſſenheit negirte, das Wiſſen Gottes
alſo zu einem beſchraͤnkten und endlichen machte. Prael.
theol. Cap. VIlI. De Dei praenotione seu praescientia. B.
F.P. T.I ©. 545.) Das Charakteriſtiſche des lutheri⸗
chen Lehrbegriffs it, daß er von beiden Extremen fich auf
gleiche Weife fern hält. Er geht mit dem calvinifchen, for
weit es immer nur möglich ik, um den Menſchen von der
abfoluten Gnade Gottes abhängig zu machen, fobald aber
der letzte Schritt gefchehen follte, um dem Aorridtle des abs
foluten Decrets den leuten Schein der fubieftiven Freiheit
aufzuopfern, regt fich das urfprüngliche Selbſtbewußtſeyn
des Proteftantismus mit folder Macht, daß das Iutheriide
Syſtem, ehe es dem Acht proteftantifchen Princip der En
—
Die Lehre der Eocinianer. 373
n liegt der Grund jener im Socinianismus überall ſich aus⸗
prechenden Scheu vor dem Spekulativen, alle jene Lehren,
mn welchen der gemeinfame Firchliche Glaube der Katholiken
und Broteftanten das innerfte Weſen ber chriftlichen Offenba⸗
rung erkennt, haben für ihn ihre höhere Bedeutung verloren,
er haͤlt fi nur an das unmittelbare praktiſche Bebürfniß,
und bewegt ſich nur in der Sphäre der Berftandes-Reflerion.
Da diefe Lehren auch mit denjenigen Befksumungen, bie fie
durch den Proteftantismus erhakten hatten, noch immer eine
Form hatten, in welcher fie die denkende Vernunft nicht wahr⸗
haft befriedigen Tonnten, fo Eonnte e8 Der beweglichen: Ber-
Ranbes-Dialektif des Socinianismus nicht ſchwer, werden, in
ihren Angriffen auf das kirchliche Syftem auf manchen Punt-
ten eine Stärke und UVeberlegenheit, die; eine befiere Aner⸗
knmnung, als ihr zu Theil wurde, verdient. hätte, zu entwi⸗
deln, und ſchwache Seiten aufzubeden, die man ſeitdem im⸗
mer nur mit fruchtlofer Kunſt gu verhuͤllen fuchte. Se in⸗
haltsleerer aber durch dieſe negirende Dialektik der chriftliche
Dffenbarungsglaube wurde, und. je. weniger der Socinianis⸗
mus dem Pofitiven jelbft, das er an Die Stelle des Negirten
jektivität etwas vergibt, lieber auf die Eonfequenz einer
Durchgeführten Theorie verzichtet. So hat die fo oft ge⸗
rügte Halbheit und Infonfequenz der Eoncordienformel in
dem Artilel de aeterna praedestinatione et electiome Dei
ihren tiefer liegenden Grund im innerfien Weſen des Pro-
teſtantismus felbft, und der Ealvinismus und Soeinianismug
laffen fi) nur von diefem urfprünglichen Standpunft aus in
ihrer Einfeitigfeit vecht begreifen. Daher ift auch in keinem
diefer Syſteme der Glaube im Acht protefiantifchen Sinne
fofehe der Mittelpunkt des ganzen Syſtems, wie im lutheri⸗
ſchen, indem felbft im calvinifchen der Glaube feine urfprüng»
liche Bedeutung dadurch verlieren muß, daß die abfolute
Praͤdeſtination in ihrer finrren Objektivität noch über ihn
geſtellt wird. |
374 IL Ber. L Abſchn. 3. Kap.
zu ſetzen verjudhte, innere Haltung und Bedeutung zu geben
wußte, deſto unverfennbarer ftellt er ich als ein Momat |
dar, das zwar an ber Stelle, an welcher es in ben Entwid-
lungsgang des chriftlichen Dogma's eingreift, nicht fehlen
Durfte, wenn dem im Zeitalter der Reformation erfolgten
Umſchwung in das Subjeftive fein volles Recht werben fol
te, das aber durch feine Regativität den denkenden Geiſt nur
um fo mächtiger :weiben mußte, ben engen Kreis der Subjel⸗
tioität, in welchem es fi abſchließen wollte, wieder zu burn
breihen.
Wie ber Socinianiemus won der Dreieinigfeit des götl
lichen Wefens und der Menfchwerdung Gottes nichts willen
win, wie ihm folche Lehren nur einen fich felbft aufhebenden
Widerfpruch, in welchen die menfchlide Vernunft fich mi
fich felbft verwidelt, zu enthalten fcheinen, fo mußte er auf
über die Firdhliche Satisfactionslehre und die ganze Bedeu⸗
tung dieſes Dogma’s auf diefelbe Weile urtheilen. Konnte
er aber auch in biefer Lehre, wie in andern, nur einen auf
willfürlichen Borausfegungen und unwürdigen Vorſtellungen
som Weſen Gottes beruhenden Inhalt erkennen, Feine objel⸗
tive Wahrheit, in welcher die Natur Gottes felbft dem den
Eenden Geiſte offenbar wird, fo mußte er vor allem die Grund:
‚beftimmung negiren, in welcher die Firchliche Satisfactiond
theorie auf das innere Wefen Gottes zurüdging, die Idee der
Gerechtigkeit, aus welcher ſich die Satisfaction als eine nothr
wendige Beflimmung bes göttlichen Weſens felbft ergab. Den
der Eirchlichen Satisfactionstheorie zu Grunde liegenden Be
griff der göttlichen Gerechtigkeit verwarf Fauſtus Socinus)
1) Von des Fauſtus Socinus Schriften gehören hieher befon«
ders die Praeiectiones theologicae (Biblioth. Fratrum Po-
lon. Tom. I. Irenop. 1656.) in welchen S. 566. f. die Lehre
von der Satisfaction fehr genau und ausführlich unteriudt
it, und die Brevissima institutio christianae religionis
Die Lehre der Sorinianer. 375
Edruͤctlich als eine zu concrete, und darum ber abfoluten
ver bed göttlichen Weſens widerftreitende Beflimmung. Kann
ok sermöge feiner Gerechtigkeit ohne Genugthuung bie Sün-
a. bee Menſchen nicht vergeben, fo iſt er einer endlichen
eſchraͤnkung unterworfen. Eher nody könnte man (der
qhriſt zufolge) bie ber Gerechtigkeit in jenem Sinne entge⸗
mgejebte Barmherzigkeit ald eine weſentliche Eigenfchaft bes
achten. Iſt aber die Barmherzigkeit eine weientliche Gigen-
haft Gottes, fo müßte Bott, als dem abfolut Barmberzigen,
26 Recht abgefprochen werden, die Sünden der Menſchen
ı befirafen. Hieraus folgt alfo nur, daß die Gerechtigkeit
& Barmherzigkeit, beide auf gleiche Weiſe, endliche Beſtim⸗
ängen find, nicht abſolute Eigenfchaften des göttlichen We⸗
5, fonden Wirkungen feines Willens, das abfolute We⸗
u Gottes .ift demnach nur fein abfoluter Wille *. Wenn
a. a. O. ©. 665. in dem eigenen Abſchnitt: Refutatio sen-
teontiae vulgaris de satisfactione Christi pro peccatis no-
ride Noch ausführlicher als in den Prael. theol. handelt
." sein von bemfelben Gegenſtand in der aus vier Theilen
bafehenden Schrift De Jesu Christo Servatore, h. e. cur et
. qua ratione J. C. noster servator sit, F. Socini Sen. dis-
, putatio, quam scripsit respondens Jacobo Coveto Pari-
- siensi (einem reformirten Theologen). Bibl. Fr. Pol. T. I.
Man vgl. ferner den Rakauer Catech. Quaest. 377. f.
4) Hacc ratio, fagt $. Sociaus Prael. theol. ©. 566. von
‚ber gewöhnlichen Theorie, mullius pretii est. Neque enim
in Deo ulla justitia est, quae peccala nuniri omnino ju-
Beat, cul ipse renuncilare non possit. . Est quidem in
Deo perpetua justitia, sed haec nihil aliud est, quam
sequitas et rectitudo. Itaque nullum Dei opus est, in
quo iniquitas et pravitas, ne minima quidem ex parte,
deprehendi unguam possit. Et hanc justitiam Dei no-
minant ipsae sacrae Ülterae, quae non minus In condo-
nandis, quam in puniendis peccatis conspicua est. Istam
autem Det justitiam, quam nos appellare solemus, quae
376 IL Ber. 1. Abfchn. 3. Kap.
man daher auch zugibi, daB unfere Simden nichts anders
find, ald Beleidigungen der Majeftät Gottes, Schulden, bie
wir gegen Sott haben, fo Tann fie doch Bott ohne Satie-
faction ebenfo gut vergeben, wie jeder Menſch Das freie Recht
hat, feine Beleidigungen und Schulden andern zu erlaſſen
Um die Idee des Abfoluten in ihrer Reinheit aufzufafien, fol
jede endliche Befimmung aus dem Weſen Gottes entfent
werden, es ift jedoch klar, daß fich hierin zugleich das In
tereſſe des vefleftirenden Verſtandes, Endliches und Umendli-
wewnisi in puniendis peccatis conspicitur, divinae Hteroe
nomine isto nequaguam dignantur, sed eam modo De
severitatem, modo vindictam, tum iram, ‚furorem, in |
dignationem et aliis ejusmodi nominibus appellant. Ita- -
que insigniter gravitergue sunt lapst, qui vulgaris cuju:-
dam appellationis specie decepti putarunt, istam esse per-
petuam Dei qualitatem, eamque. tnfinitam esse diserml,
nec animadverterunt, si id verum esset, neeesse fuls-
rum, ut Deus infinite severus et ultor esset, nec' unguam
peccata condonuret. — Multo veristmitius (in. Beyiehung
auf Ex. 34, 6. 7. Num. 14, 18. 19.) diet posset, Dei pro-
priam qualitatem esse eam Dei miserlcordiam, quae isti
Justitiae opponitur. Verum utrumque est falsum. Quem-
admodum enim Justitia ista, vulgart nomine sic appel-
lata, quae misericordiae opponitur, Dei qualitas nom
est, sed effectus tantum volunlatis TIpstus, ste miseri-
cordia, quae isti justitiae opponitur, Det qualitas nor
est propria, sed effectus tantum voluntatis ejus. In de
Inst. chr. rel. ©. 665. wird auf die Frage, ob die Gerech⸗
tigfeit Genugthuung verlange, geantwortet: Nulli komini
vere cordato et pio istud in mentem venire unquam de-
Deret, quippe quod vel potentiae et auctoritati, vel cerle
bonitati et misericordiae deroget. — Propterea deroge-
retur — quia manifeste hinc sequeretur, Deum vel non
posse,. vel nolle nobis peccata remittere et liberaliter con-
donare.
Die Kehre der Socinianer. 377
ches in ihrem Gegenſatz auseinanderzuhalten, ausfpricht. Je
mehr aber, dieſer Tendenz zufolge, das abfolute Weſen Gottes
in das abſtrakte Jenſeits zuruͤcktritt, deſto äußerlich freier macht
ſich das Subjekt gegen daſſelbe. Nicht in dem abſoluten We⸗
ſen Gottes, das uͤber poſitive Beſtimmungen dieſer Art weit
hinausliegt, realiſirt ſich die Bedingung der Verſöhnung, ſon⸗
dern nur in dem endlichen Sübjekt ſelbſt. Der Menſch iſt
yerföhnt mit Gott, wenn er durch feinen freien Willen der
Sünde entfagt, und aus dem Zuftande der Sünde heraus⸗
tritt, von einer noch auf ihm liegenden, fein Verhältniß zu
Gott beftimmenden Schuld kann nicht weiter die Rede feyn.
In diefem,. mit der. VBerwerfung des gewöhnlichen Begriffe
ber Gerechtigkeit fo eng zufammenhängenden, Grundgedanken
der focinianifchen Theorie ift fogleich Die ganze Subjeftivität
ihres Standpunkts, auf welchem nur von einer Verföhnung des
Menſchen mit Gott, nicht aber von einer Verföhnung. Got⸗
tes mit bem Menſchen die Rebe feyn- kann, ausgefprochen. ).
Schon durch den. Widerſpruch gegen bie. gewöhnliche Ber
ſtimmung des Begriffs der Gerechtigkeit war der Firchlichen
Satisfactionstheorie die Grundlage, auf welcher fie ruhte, ge-
nommen... Mit noch größerem Nachdrud aber wandte ſich bie.
forinianifche Dialektif gegen den Satisfactionsbegriff .felbft,
wobei wiederum befonderd bemerfenswerth ift, wie die Argu-
mente, ‚deren fie fich bedient, auf den. Standpunft der Sub»
jeftivität, und den ihm zu Grunde liegenden Subjeftsbegriff
zurücdgehen. Sündenvergebung und Genugthuung, fagt F.
4) Inst. chr. rel. ©. 666. Unter der Verſbhnung fen nichts
anders zu verfiehen, guam nos, qui Dei inimici (Kim.
5,10.) adhuc eramus, eo adducere, ut Det amici esse vel-
lemus, id est, ab eo offendendo desistere, et sic oblatam
nobts ab dpso Deo peccatorum remissionem adipisci, et
in ejusdem gratiam recipt. Der Rak. Katech. behauptet
Quaest. 410., die Schrift Ichre nie, Deum nobis a Christo
reconciliatum, foudern nur, quod nos Deo reconciliat!.
378 1. Ber. L Abſchn. 3. Kap.
Sorinus, find widerfireitende Begriffe, bie ſich gegenſeitig
aufheben, und zwar nicht blos in dem Fall, wenn von bem-
felben Subjeft, welchem die Sünden vergeben werben follen,
Genugthuung geleiftet werden fol, ſondern es gilt ganz all-
gemein, daß, wo Feine Schuld ift, auch, Feine Genugthuung
it, Feine Schuld aber tft, wo ſchon vollkommene Genug
thuung geleiftet iſt. Wird die Schuld erlafien, jo wird fie
gefchenft, wird für fie genuggethan, fo wird fe eingeforbert
Sagt man, fie werbe nicht von bemfelben eingeforbert, wel⸗
chem fie gefchenft wird, fo ift zu antworten, Daß bie Schul
nur von dem gefordert werben kann, der fie ſchuldig if, alle
muß fie auch der fhuldig feyn, dem fie geichenft wird, wie,
wird fie ihm aber gefchenft, wenn fie von ihm gefordern
wird? Bezahlt einer für einen andern, fo muß das Geld,
auch wenn es ber Schuldner nicht felbft ausbezahlt, Doch als
von ihm bezahlt angeiehen werben. Sagt man, Chriſtus
habe nicht blos für und bezahlt, fondern auch die Schuld
auf ſich übergetragen, fo Eönnen doch Genugthuung und Er
laſſung nicht zu derfelben Zeit geichehen ſeyn. Iſt die Schuld
übergetragen, fo kann weber vorher noch nachher eine Erlaſ⸗
fung flattfinden. Iſt die Schuld vorher erlafien, wie konnte
fie auf einen andern übergetragen werben, ift fie aber vorke
übergetragen, wie konnte fie erlaffen werben? Bei der Über:
tragung der Schuld ift die Schuld nicht erlaffen, fondern es
ft nur an die Stelle des bisherigen Schuldners ein andern
getreten. Jeder, dem die Schuld erlafien wird, wirb zwar
von ber Schuld befreit, aber nicht jedem, der von der Schuld
befreit wird, wird auch die Schuld erlaffen. Crlaffung der
Schuld ſetzt einen Akt der Schenkung auf der Seite des Gläu⸗
biger8 voraus, ein folcher findet aber nicht ftatt, wenn ber
Glaäubiger gleichwohl die ganze Schuld, die man ihm ſchul—
dig ift, erhält‘). Alles dieß kommt Darauf hinaus, daß fr
$) Prael. theol. S. 568. f.: Wie kann es daher, fegt 5. So⸗
Die Lehre der Socinianer. 379
d Satisfaction geleiftet wird, das Schuldverhälmiß des
uldigen Subjekts an ſich daffelbe bleibt, in dem Verhaͤlt⸗
B des Menfchen zu Gott alfo nichts wefentlich geändert .
ird, ob die in jedem Falle zu besahlende Schuld auf die
ne oder andere Weife bezahlt wird. Noch ftrenger ift ber
ubjettöbegriff in der weitern Einwendung gegen die gewoͤhn⸗
de Satisfactionstheorie feftgehalten, daß es ſich mit der
strafe ganz anders verhalte, als mit einer fchuldigen Geld»
mme, daß die Strafe, als etwas rein Berfönliches, nicht
ke eine Sache von einem Subjelt auf ein anderes überges
gen werben Tönne, Daß Daher, wenn auch fonft nichts ent-
egenftünde, doch auf diefe Weile in’ keinem alle der göttli-
von Gerechtigkeit Genüge geſchehen könne *). Geht fchon
kraus das Widerfprechende und Unhaltbare des gewöhnlis
ven Satisfactionsbegriffs hervor, fo erhellt daffelbe noch wei⸗
t aus ber Beziehung, in welche derfelbe zu den beiden Bes
riſfen der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gefegt
einus ©. 569. noch hinzu, wenn man zugibt, daß Gott an
fich auch ohne Genugthuung vergehen Fonnte, als ein befon»
derer Beweis der Liche Gottes gegen bie Menſchen darge⸗
fiellt werde, daß er feinen Sohn zur Genugthuung für Die
Menſchen gab, da er ohne Genugthuung nicht blos denſel⸗
ben, fondern einen noch größeren. Beweis feiner Liebe gegen
die Menfchen gegeben hätte?
1) Christ. rel. brev. crist. ©. 655.: Est siquidem pecunia,
ut juris consulti loqguuntur, reale quiddam et Idcirco ab
alio. in alium transferri potest, poenae vero — sunt quid-
dam personale, et propterea ejusmodi, quae ill ipsi, qui
eas dat, perpetuo adhaereant, nec in allum queant trans-
forrt. Dal. Prael. theol. S. 571., wo zugleich bemerkt wird,
daß daſſelbe auch von der Erfüllung des Geſetzes gelte, etiam
in factis, ex legis praescripto praestandis, non ipsum fac-
tum simpliciter quaeritur, sed untus eujusque qui lege
illa teneatur,, proprium factum.
380 IL Ber. 1. Abſchn. 3. Kap.
wird. Die Satisfactton bat auf der einen Seite die Bar
berzigfeit, auf ber andern die Gerechtigkeit Gottes zu ihrer
Vorausſetzung, Gott muß alſo dabei theild gütig und gnaͤ⸗
dig, theild ftreng und gerecht gedacht werben. Wenn aber
Gott einen Beweis feiner Güte und Gnade geben wollte,
warum hat er nicht die Sünden der Menfchen ohne Satis⸗
faction erlafien? Wollte er dagegen feine firenge Gerechtig⸗
feit duch Vollziehung ber Strafe offenbaren, warum hat a
nicht die geftraft, welche die Sünden begangen haben? Was
kann ungerechter feyn, ald daß ein Unfchuldiger ftatt Der Schul
digen beftraft wird, wenn doch alle Möglichkeit vorhanden
ift, die Schuldigen zu beftrafen? Sagt man aber, das Ei
genthümliche der Satisfaction beftehe eben darin, daß Gott
in demfelben Akt ſowohl feine Barmberzigkeit, als feine Ge⸗
rechtigfeit zu erkennen gibt, jene, indem er die nicht fraft,
die gefündigt Haben, dieſe, indem er bie Sünde gleichwohl
ftraft, fo ift es, zumal nach ben ſchon hervorgehobenen Mo
menten, ein völlig eitled Beftreben, Begriffe, die einander
ausſchließen und aufheben, in eine Einheit vereinigen zu wel
len ?).
So ſchließt der Satisfactionsbegriff nach den verſchiede⸗
nen Geſichtspunkten, unter welchen er aufgefaßt werben Tann,
Elemente in fih, Die fih der Natur der Sache nach wider:
ftreiten. ine neue Seite dieſes Widerſpruchs fchien in dem
1) Prael. theol. ©. 571.: Adversariorum commentum: istud,
guod Deus in salute nobis per Christum parta et justus
et misericors simul fuerit, praesertim cum nonnulli per-
fecte justum perfectegue misericordem fuisse dicant —
plane ridiculum est, nec ullo pacto sustineri potest, quat-
doquidem non possunt ista duo eadem in re eodemgie
tempore simul jungi, qguippe quae invicem prorsus Te-
pugnent. Misericordiu enim ut peccanti ignoscalur, om-
nino requirit. Justitia autem ista, ut qui peccaverit
poenas det, omnino requlrit.
---. — —— ·— — —
Die Lehre der Socinianer. 381
en Beſtandtheilen des genugthuenden Gehorſams zu lie⸗
‚ dem thuenden und leidenden. Was Piſcator beſonders
md machte, Daß der eine Gehorſam den andern aus⸗
ehe, war auch fchon dem Scharffinn des F. Socinus nicht
angen, theils könne beides, die Satiöfaction und Die Zus
nung der Gerechtigkeit, behauptete er, nicht zufammenbe-
n, theils fen wenigftend das Eine neben dem An⸗
ı überflüßig. Nicht zufammenbeftehen könne beides, ba
eine Art der Genugthuung durch Uebernahme der Strafe
Tich zeige, daß ber, für welchen fie geleiftet wird, nicht
Buldig fey, während bie andere Art der Genugihuung
h 2eiftung deſſen, was der andere hätte ihun follen, bes
fe, daß der, für welchen ed geleiftet wird, für unfchuldig
ilten, und ebenfo angefehen werde, wie wenn er niemals
Schuld fi zugezogen hätte Daß aber entweber ber
‘oder. der andere dieſes doppelten Gehorfams überflüßig
fen nicht minder klar. Wird einer fo angefehen, wie
n er alled gethan, was er zu thun hatte, fo find alle
: Sünden getilgt. Daſſelbe ift der Fall, wenn einer fo
sehen wird, wie wenn er bie fchuldige Strafe für alle
: Sünden erftanden hätte. Bel demjenigen, für befien
den vollfommene Genugthuung geleiftet ift, Tann ebenfo
ig von irgend einer Suͤndenſchuld die Rebe feyn, als bei
jefigen, ber alles gethan hat, was er thun follte. Bei
Tilgung der Sünden fommt e8 ja nicht darauf an, Daß
yar nicht begangen find, da Das Gefchehene nicht unges
ven gemacht werden Tann, fondern nur darauf, daß ſie
ngefehen werden, wie wenn fie nicht begangen -wären.
nun bieß bei der einen, wie bei der andern Satisfactions⸗
€ flnttfindet, fo iſt die eine neben der andern völlig über
ig. Auch der gewöhnlich zwiſchen That⸗ und Unterlafs
sſuͤnden gemachte Unterfchted kann bier nicht in Betracht
men, indem nicht behauptet werden kann, daß die Erfte-
der Strafe fih nur auf das begangene Böſe und nicht
382 Il. Ber. 1. Abſchn. 3. Kay.
auch auf das unterlafiene Gute beziehe, fofern ja aud bie
Leiftung defien, was gefchehen follte, fich nicht blos das be
gangene Böfe, ſondern auch das unterlaffene Gute bezieht 9).
Zu ben beiden bisher erörterten Momenten, von welche
das eine den von ber gewöhnlichen Theorie voraudgefehten
Begriff der Gerechtigkeit, Da& andere den Satisfactionsbegrif
ſelbſt betrifft, fommt noch als drittes Moment Hinzu, daf
ſich auf feine Weife denfen läßt, wie Chriftus die von den
gewöhnlichen Eatisfactionsbegriff geforderte Satisfaction ge
leiftet hat. Beziehen ſich die beiden erften Momente auf die
Möglichkeit der Sache an fich, fo betrifft das dritte die fal
tiſche Wirklichkeit. Was an fih dem Begriff nach nicht mög
lich ift, kann fi zwar ebendeßwegen auch nicht faktifch ver
wirflicht haben, aber der innere Widerfpruch der Sache teilt,
wenn es fich zugleich um ein in der Wirklichkeit gegebenes
Saktum handelt, nur um fo Earer und anfchaulicher hervor),
3. Sorinus fucht dieß zuerfi an dem leidenden, und dam
auch an dem thuenden Gehorfam Chrifti nachzuweiſen.
Die Strafe, welche die Menſchen für ihre Sünden wer
dienten, ift der ewige Tod. Sieht man nun auch Davon ab,
daß (was F. Socinus ſchon unter den Gründen gegen die
Möglichkeit der Sache überhaupt geltend macht) °), da jeder
Einzelne für fi) wegen feiner Sünden dem ewigen Tod wer
fallen ift, Einer aber immer nur Einen ewigen Tod auf fih
4) Prael. theol, &, 570.
2) Prael. theel. ©. 571.: Ut rem cominus agamus, demus
ipstus rei naturam neutri istarum satisfaciendi ratio
num repugnare, nec legem aut decretum Det aliqued
extare, quo prior illa ratio penitus exchudatur (dafür be
ruft fi Socin auf Deut. 24, 16. und Ezech. 18, 4. 20.)5
et quae fecerit aut passus fuerit Christus, diligenter per-
pendamus, an scilicet ejusmodi fuertnt, es quibus satlı-
factio isto manare potuerlt.
3) Prael, theol. ©. 670.
Die Lehre der Soeinianer.' 383
nehmen Tann, ebenfo viele für fich felbft der Strafe des ewi⸗
gen Todes nicht unterworfene Stellvertreter feyn müßten, als es
Renſchen gibt, die ſich ber Strafe des ewigen Todes ſchul⸗
big gemacht haben, fo hat doch Ehriftus in Feinem Falle den
awigen Tod erbuldet, da er vom Tode wieder auferftanden
R Es enifteht hier überhaupt ein Widerſpruch zwifchen bem
Tod und der Auferftehung Chriſti. Wäre Chriſtus nicht auf-
ekanden, fo wären wir von unfern Sünben nicht befreit
(1&or. 15, 17.), hätte er uns aber fchon durch feinen Tod
von unfern Sünden befreit, alfo fchon vor feiner Auferftehung,
f wäre feine Auferflehung zur Vergebung unferer Sünden
nicht nöthig gemein. Sagt man, er. habe deßwegen aufers
Reben muͤſſen, damit, durch feine Auferfiehung der Beweis
gegeben werde, er ſey derjenige geweſen, ber die Strafen un»
ferer Suͤnden habe auf ſich nehmen Eönnen, fo läßt fich nicht
einſehen, wie feine Auferſtehung dieß darthun kann, da Gott
daſſelbe, was er Chriſtus bei ſeiner Auferſtehung ertheilte,
auch jedem andern hätte geben können. Ebenſo unhaltbar ſey
die Behauptung, daß Chriſtus durch feine Auferſtehung für
uns den Tod habe überwinden müflen, da auch hier wieder
berfelbe Widerſpruch entſtehe. Die Ueberwindung des Todes
ſehe das ewige Leben in demjenigen, der uns befreien foll,
voraus, während die genugthuende Strafe ben ewigen Tod
effen, der genugthun fol, erheifche. Da nun in jedem Fall
Shriftus den ewigen Tod nicht erlitten habe, fondern vom
Lobe wieder auferftanben fey, und wenn er nicht auferftan«
en wäre, die Vergebung unferer Sünden nicht bewirkt häts
e, fo fey Far, daß er nicht auf dem Wege der Genugthuung
de Bergebung unferer Sünden bewirkt habe. Geſetzt aber
meh, er hätte den ewigen Tod erduldet, fo konnte doch er,
ver Eine, ihn nicht für unendlich viele in derfelben Schuld ber
inbliche erbulden. Berufen fich Die Gegner, um biefer Ein-
wendung zu begegnen, auf den unendlichen, bie Schuld un⸗
ſerer Sünden fogar noch weit überwiegenden, Werth des Lei⸗
384 il. Ber. L Abſchn. 3. Kay.
dend Chrifti, fo könnte es dieſen Werth nur wegen ber Wuͤr⸗
de feiner Perſon, oder wegen einer aus ihr hervorgehenden
Wirkung, gehabt haben. Allein die Würde der Perſon künm
bier nicht in Betracht kommen, da bei Gott Fein Anfehen der
Perfon gelte, und bei gleichen Vergehungen die leichte Strafe
einer würdigen Berfon Teinen höhern Werth habe, als bie
ſchwere einer unwürbigen, ſomit auch Chriftus durch Erdul⸗
dung einer leichteren Strafe, ald wir wegen unferer Sünde
verdienten, der göttlichen Gerechtigkeit nicht genuggethan ha⸗
ben würde. Gebe man aber auch zu, daß die Wuͤrde der
Perſon eine leichte Strafe zu einer fchweren mache, fo müfe
doch zwiichen den Strafen jelbft eine Proportion feyn. He
finde aber gar Feine Proportion ſtatt, da nicht nur Chriftus
für das Unendliche, Dad wir erbulden follten, etwas bios
Endliches erbuldet habe, fondern auch beides feiner Befchaf
fenheit nach etwas ganz verfchiedenes fey. Das Leiden Chr
fi habe gar nicht den Charakter einer Strafe, da es für ihn
der Weg zu feiner Herrlichkeit geweien jey. Ueberdieß wür-
de, wenn- durch die Würde der Perfon Chrifti jenes Mikver
hältniß ausgeglichen worden wäre, auf Gott ber Vorwurf
der Härte und Grauſamkeit fallen, da er in jenem Fall auf
ſchon mit der leichteften Strafe hätte zufrieden feyn können.
Entweder muß alfo jenes Mißverhältnig durch die Würde
der Perfon nicht ausgeglichen worden feyn, oder das Leiden
Chrifti Hatte, wenn es von Seiten Gotied Fein ungerechtes
geweſen feyn fol, nicht die Bedeutung einer ftellvertretenden
Senugthuung, fofern e8 ſich nur auf ihn felbft bezog. Was
aber die aus der Würde der Berfon hervorgehende Wirkung
betrifft, jo Eönnte Diefe nur eine unendliche gewefen feyn.
Ehriftus müßte alſo auch als Sott von Natur betrachtet wers
den, als ®ott aber Fonnte er nicht leiden, und wenn er auf
als Gott gelitten hätte, fo wäre einerfeits fein Leiden kein
genugthuendes Leiden für die Sünden der Menfchen, für bie
nur in der menfchlichen Natur felbft genuggethan werdet
nn — — — ne — en
«
Adam u a...
! )
. Die Lehre der Socinianer. 385
fonnte, geweſen, andererfeitS würde Daraus folgen, daß die
göttliche Natur, deren Schuldner wir waren, fich felbft ge⸗
ggethan hat, was undenkbar ift, da niemand ſich felbft -
genugthun kann.
Von einem thuenden Gehorſam Chriſti kann nicht die
Rede ſeyn, da Chriſtus für ſich ſelbſt Gott Gehorſam zu lei⸗
ſten verbunden war, ſeinen Gehorſam alſo nicht fuͤr andere
leiſten konnte. Daß er ihn nicht für andere geleiſtet hat,
iſt deutlich daraus zu ſehen, daß ſein Gehorſam fuͤr ihn ſelbſt
eine ſeine Leiden und ſeinen Tod weit überwiegende Beloh⸗
nung zur Folge hatte. Wollte man aber auch annehmen,
Chriſtus hätte für fich felbft Feinen Gehorfam zu elften ge-
habt, fo ift doc) unläugbar, daß der Gehorfam eines Ein-
jenen, wenn er auch noch fo vollfommen ift, immer .nur für
einen Einzelnen genugthuende Kraft haben kann. Die Beru-
fung auf die Würde der Perfon kann auch Hier nichts be⸗
weilen, da niemand einen vollfommneren Gehorfam Ieiften
Ian, al3 wir zu leiften verbunden find. Ebenfo wenig fann
von einer von der Würde der Perſon ausgehenden unendlis
den Wirkung Die Rede feyn, Da die menſchliche Natur, von
welcher der Gehorſam allein geleiftet werden kann und foll,
feiner unendlichen Wirkung fähig ift, die VBorausfegung aber,
daß die göttliche Natur, welche den Gehorfam verlangt,
Flo aber nicht gehorchen oder ſich etwas verdienen Tann,
die Kraft eines unendlichen Berbienfts mitgetheilt. habe, ganz
ungereimt ift 9).
Durch alle diefe Argumente ſollte das Satis faetionsdog⸗
ma in feiner. völligen Unhaltbarfeit dargejtellt, und insbe⸗
ſondere bein rechtfertigenden Glauben der proteftantifchen Lehre
fein Objekt, das unendliche Berdienft des thuenden und lei»
benden Gehorfams, durch welches allein das Verhaͤltniß des
Menfchen mit Gott vermittelt werben kann, entzogen werden.
1) Prael. theol. ©, 571-573. =
Baur, bie Lehre von der Verfühnung. 25
386 II. Ber. 1. Abfchn. 3. Kap.
Die foeinianifche Dialektit hatte aber auch noch befondere Ar-
gumente, mit welchen fie, nicht zufrieden bie objektive Seite |
der Lehre von der VBerföhnung mit aller ihrer Kraft und Ge :
wandtheit beftritten zu haben, fich auch noch gegen bie füb :
jektive Selte derfelben wandte, um den Hauptfag des prote
ftantifchen Lehrbegriffs, daß die Rechtfertigung des Menſchen
in der Zurechnung der Gerechtigfeit Chrifti beftehe, zu wis
derlegen. Auch. hier fehien ihr der Innere Widerſpruch und
das Undenkbare der Sache Har vor Augen zu liegen. Sa⸗
tisfaction und Imputation der Satisfaction vermittelſt des
Glaubens, behauptet F. Socinus, find widerſtreitende Ber
griffe. Auf der einen Seite fol die Satisfaction objektiv ge
ſchehen feyn, alfo eine von jeder fubjeftiven Bebingung un
abhängige Realität haben, auf der andern Seite foll fie ihre
objektive Realität nur unter der Vorausſetzung des Glaubens
haben. Entweder ift fie alfo nicht objektiv geichehen, ober
wenn fie objektiv gefchehen tft, bedarf es nicht erſt bes Glau⸗
bens zu ihrer objektiven Realität )y. Der Hauptpunkt dei
1) De Jesu Christo Servatore P. IV. cap. 3. Bibl. Fr. Pol. T'
T. II. ©. 217.: Simpliciter satisfactum fuisse, et fuls-
se satisfactum sub conditione, adeo pugnantia sunt, u
alterum ab altero necessario tollatur. Si credendum es
set, non quidem satisfactum fuisse, sed id fuisse datum,
quod satisfaciendi vim habeut, posset isthaec credend
conditio locum habere, quae anteguam impleatur, actum
ipsum satisfactionis jam perfectum esse nom arguit, ut
altera illa facit. Id quod cum conditionis natura om-
nino pugnat. Sed cum, jam satisfactum fuisse, credere
debeamus, nulli conditioni est locus, et jam satisfactio-
nis actum perfectum fuisse prorsus necesse est. Pug-
nantia igitur omnino loquitur enunciatum (per fidem
imputari nobis satisfactimem Christi). Dum entm di-
eit, credendum esse, Christum pro peccatis nostris sa-
#s fecisse, jam anteguam credamus, re tpsa pro wobls
Die Lehre der Socinianer. 387
guments, das F. Socinus in verfchledenen Wendungen ber
chlichen Satisfactionslehre mit befonderem Rachdrud entges
ngeftellt: hat, ‚liegt in dem Vorwurf, daß fie den Menfdhen
ein völlig..paflived Verhältnig zu dem Werke ber Erlöfung
je, daß, der Objektivität der von Chriſtus an ber Stelle
8 Menſchen geleifteten Genugthuung gegenüber, alles, was
if bie fubjektive Seite fallen follte, feine Bedeutung völlig
sliere. Es iſt demnach hier wieder ein Punkt, auf wels
em das fubjektive SIntereffe, das dem Socinianismus über-
mpt eigenthümlich ift, in feiner ganzen Macht hervortritt,
7 ©egenfab der beiden Standpunfte, die ſich in ihrem Un⸗
hiede auseinanderfegen, ded Stanbpunfts ber Objektivität
ih des Standpunfts ber Subfeftivität. Je objeftiver Die
atiöfactionglehre die Erlöfung und Berföhnung bes Men⸗
en mit Gott als einen außerhalb bed Menfchen gefchehenen
t auffaßt, defto bedeutungslofer wird der Menfch ald Sub-
t Was bleibt ihm felbft durch feine eigene Thätigkeit noch
thun übrig, wenn alles, was feine Verföhnung mit Gott
ordert, an fi) fchon, ganz unabhängig von ihm, geſche⸗
n ft? Die focinianifche Polemik blieb jeboch nicht einmal
bei ftehen, fie ging noch einen Schritt weiter, nicht blos
m bedentumgslofen, und fchon Dadurch jedes fittlichen Werths
bloͤßten Subjeft fhien der Menfch durch das Satisfactions⸗
gma berabzufinfen, auch der pofitiven Unfittlichfeit follte
sattsfactum.fulsse, aperte affirmat. Dum vero dicit, per
, Islam fidem nohis satisfactionem illam tribui, satisfac-
‚tum re.ipsa'pro nobis fuisse,. antequam eredamus, non
. sinus aperte'negal.. F. Socinus bemerkt felbft über feine
Argumentationsweiſe: Si -subtilius aligquanto, quam opus
. esse, videretur, quaedam a nobis disputata sunt, non
diiam ob tausam id factum, full, quam ut nihil prorsus
sans esse in toto hoc westro de salute, nobis per Christi
satisfactionem parta, commentitio corpore upertisstme
constaret.
25*
388 1. Ber. I. Abfchn. 3. Kap.
dadurch offener Raum gegeben ſeyn. Dieſer Borwurf
der Firchlichen Lehre fowohl in dem Rakauer Katechismr
als auch von F. Socinus felbft in ber härteften Forı
macht. Da Ehriftus für alle Sünden der Menfchen, ſi
in ber Vergangenheit, als in der Zufunft ber göttlicher
rechtigfeit die vollfommenfte Genugthuung geleiftet hab
fey nicht bIo8 Feine andere Genugthuung, fonbern auch
einmal Heiligung des Lebend nothwendig. Da aber ı
wohl die Schrift fo nachdruͤcklich einfchärfe, daß ohne eh
lich reines‘ und heiliged ‚Leben niemand am Reiche (
theilhaben könne, fo fey man auf jene imputative Gere
feit gefommen, bei welcher man al8 gerecht und heilig
obgleich man ſich noch iminer im Dienfte der Sünde be
So ergebe ſich aus der proteftantiichen Lehre von der Zi
nung der Gerechtigfeit die unläugbare Folgerung, daß
ohne wahre und wirkliche Heiligkeit des Lebens glit
felig werden könne °).
1) Quaest. 393.
2) De Jesu Christo Serv. a. a. O.: Repugnant inter se
duo: satisfieri pro peccatis suis, et ideo justum cei
quod sibi alterius justitia imputetur, aut certe al
trum supervacaneum omnino est. Facile autem a
cor, ut credam, istius imputationis, qui inter vos
praecipuos fautores, in ea asserenda, ad id poltissi
respexisse, ut ejus vi ea vitae innocentia nobis adsı
tur, quam, si partem in Christi regno habere debe
in nobis esse necesse est. Quamvis enim, si Christus
nissime morte sua, pro omnibus delictis nostris,
praeteritis sive futuris, divinae justitiae satisfecit.
modo alia praeterea satisfactione, sed nulla etiam
sanclitate opus esset (praesertim si, ut vos affım
aliud ad eam satisfactionem participiendam in
non requiritur, quam ut, id verum esse, firmiter cı
mus), tamen cum sacrae literae passtm clament,
Die Lehre der Socinianer. 389
Einem fo kuͤhnen und tiefeindringenden Angriff gegen-
er erfcheint die abwehrende Polemik ber proteftantifchen
in nobis requiri, ne ut re ipsa, sic etlam verbis divinae
veritati sese palam opponerent, et plane impii videren-
tur, non aust sunt negare, eum, qui Christi regni par-
ticeps sit futurus, vitae sanctimonia revera praeditum
“esse oportere. Sed interim, ut per speciem sanclimoniae
"" sitae stabiliendae omnis vera sanctitas convelleretur, ab
‚ Iumani generis hoste versulissimo persuasi, imprudentes
-. Sstam imputationem justitiae Christi excogitarunt, per
guam scilicet nobis, licet adhuc peccati servi simus, ea
sanctimoniä ascribatur. — Quo quid dici vel absurdius
vel detestabilius potest? Christus vitam et sanguinem
suum profudit, ut nos peccatis defuncti justitiae viva-
mus (1 Petr. 2, 24.), et vos affirmare non erubescitis, idee
eum mortuum esse, ut nobis, quantumvis injustis, ejus ju-
"stitia imputetur? Neque est, quod dicatis, immo vos
quoque in iis, qui Christi Narticipes censendi sint, vitae
»ovitatem requirere, et bona opera, utpote ipsorum fidei
necessarios fructus, in illis abunde conspici, affirmare.
Nam cum ea, quae Paulus Ep. ad Rom. c. 7. ac si de
se ipso loqueretur , scribit, ad eos, qui jam Christo in-
siti sint, omnino referri debere, cuntendatis, salis osten-
ditis, illam vitae novitatem istaque bona opera, non re
ipsa, sed per imputationem in nobis esse debere, vobis
persuasissimum esse. — Quocunque igitur vos vertalis,
segare non potestis, ex doctrina vestra: conchudi, non
opus esse, ut in lis, qui servandi sunt, vera aliqua vi-
tae sanctimonia reperialur, sed impulativam sufficere,
et eos, qui Christo sunt insiti, sine bonis operibus esse
posse, immo quoad in hac mortali vita fuerint, peccati
mancipia perpetuo esse. — Ex quo illud verum esse ap-
paret, istam Christi justitiae Imputationem propter id
praecipue a vobis sive adinventam sive arreptam fulsse,
ut hac vitae emendationem.,. quam ubique Dei spiritus
üs, qui Christi beneficlum participare volunt, disertis
‘
«
390 Il. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap.
Theologen ziemlich matt und ungenügend, ba fie im Ganzen
nur bie angegriffene Thefe zu wiederholen wußten, und dk
Folgerungen, die der Gegner aus ihr 309, fo viel möglid
abzufchneiden fuchten, ohne ihr eine tiefere und umfaſſendere
Begründung zu geben. Sie machten für ſich geltend, ba}
bie ftrafende Gerechtigkeit eine ebenfo weſentliche Eigenfchaft
Gottes fey, ald die Barmherzigkeit, ohne daß. deßwegen in
der abjoluten Einfachheit des göttlichen Weſens irgenb ein
Widerftreit vorauszuſetzen ſey, daß aber in Beziehung auf
den Menfchen die Harmonie: dieſer beiden Eigenfchaften nır
durch die Satisfaction Chriſti bewirkt werden Tönne, und erw
innerten aufs neue befonders daran, daß das Leiden Chrifl,
ungeachtet feiner endlichen Dauer, wegen ber perfönlichen Ein @
heit der göttlichen und menfchlichen Natur einen unenbliden :
Wert habe *), Am meiften aber vertrauten fie auf die -
verbis praecipit, atyque praescribit, a vobis.re ipsa Inde
stirpitus evalsam in. hnminibüs inserere videamini. Nom.
guod: attinet ad .satisfactionem, salis erat escogitasse,..
Christum morte sua omnes peccatorum nostrorum poe-
nas: persolvisse, Derfelbe Vorwurf, welcher in der neu
ften Zeit: von den Fatholifchen: Gegnern der. proteftantifchen
. Lehre gemacht wird; Man ogl. Möhler’s Sumbolik. Bierte
Aufl. 1836. ©. 133. f. und meine Schrift: Der Gegenſatz des
Kathoblieismus und Protefantismus. Zweite Ausg. 183%.
&.275:f. Der Unterfchied ifi nur, daß Möhler den Begrif
der imputatio überhaupt,. Sotin nur den Begriff der Im-
putatio justitiae Christi beftreitet.
1) Man vgl. hierüber Gerhard Loci theol. Loc. XVII. cap. 2.
$, 35:-f., mo „Infaustus ie Faustus Socinus, Neo-Phoii-
nianorum: npouazos“ fehr ausführlich-widerlegt wird, 6. 47.f.
©. 47.f. Nicht übel wird jedoch ©, 48. gegen den foris
nianifchen Begriff: der Gerechtigkeit bemerkt: Se em nudo
Det beneplacito, non: autem: ex immutabili Dei justitia
realus, stoe obligatio peerantis ad poenam, profuit, se-
queretur in eonspectu Det ejusdem valnris esse pecenlum
Die Lehre der Socinianer. 39
Stärfe ihrer eregetiichen Beweiſe, und glaubten bier ihrer
atfehiebenen Ueberlegenheit jo gewiß feyn zu dürfen, baß fie
och nicht ahneten, auf welchem unficheren Boden fie ſich ge-
ide in biefer Beziehung ihren gewandten Gegnern gegen⸗
ber befanden *). Es kann den Sorcinianern, fo groß auch
we bekannte Willfür in ber Eregefe ift, das Verdienſt nicht
Mritten werben, auch in Hinſicht der eregetifchen Vermitt⸗
mg und Begründung des Dogma’s eine neue Bahn gebro-
en, und die Möglichkeit eines neuen, von dem bisher zu
usſchließlich behaupteten wefentlich verfchlebenen, exegetiſch⸗
ogmatiſchen Standpunkt dargethan zu haben, und wenn
wen überhaupt dieſes Verdienſt zugeftanden werben barf, fo
ann es ihnen gewiß am wenigften in Anfehung des Satis-
actionsdogma's abgefprochen werben 2). Der Zweck unferer
Morifchen Unterfuchung geftattet nicht, in bie Leiftungen der
ocinianiſchen Exegeſe für unfer Dogma näher einzugehen, es
aan hier nur das Allgemeinfte kurz angedeutet werden.
5. Socinus theilt 3) Die Lehre von der Satiöfaction be-
et non peccatum, imo nihil esse per se peccatum, sed
tantum pro arbitrio voluntalis peccatum aestimari, nec
saturae Dei tllud adversarlı Der Zufammenbhang mit der
Unficht des Duns Scotus (f. oben ©. 265.) if bier richtig
erkannt.
1) Dan vgl. 3. B. nur den syllogismus generalis, welchen
Gerhard a. a. D. 6. 37.f. S. 35. dieſan Neophotinianern
. entgegenfekt.
2) Wan ogl. die treffenden Bemerkungen Bengel’s (Ideen zur
hiſtoriſch⸗analytiſchen Erklärung des foeinifchen Lehrbegriffs)
im Flattifch » Süskind’fchen Magazin für Dogm. u. f. w.
XV. ©. 110. f. befonders &. 150. f.
3) Prael. theol. cap. 19. ©. 573. Die eregetifche Unterfuchung
der betreffenden Stellen macht den Inhalt dieſer Schrift von
cap. 19—29. S. 573—600. aus. Noch ausführlicher behan⸗
delt Socin diefen Gegenſtand im zweiten Theil der Schrift
De Jesu Christo Serv. Bibl. T. II. ©. 140. f.
39 IL. Ber. L Abſchn. 3. Kap.
treffenden Stellen in folgende vier Glaffen: 1.-in folde, in
welchen von der Erlöfung durch Chriftus und jein Blut die
Rede ift, oder davon, daß er fich oder fein Leben zum Loͤſe
geld für und gegeben habe; 2. in folche, in welchen gejagt
wird, Chriftus fey für und und unfere Sünden, oder wegen
unferer Sünden geftorben; 3. in folche, nach welchen Chriftus
unfere Schmerzen und Sünden auf fi genommen, und an
feinem Leibe getragen hat; 4. ſolche, die Chriſtus als Opfer
barftellen, oder ihn mit den Opfern und dem Hohenpriefer
des A. T. vergleichen. In die erfte Klaſſe gehören bie Aus
brüde Avro&v, Avrosodeı, anolvrosv und bie ihnen en
fprechenden, die ſich zwar auf den Begriff eines Löfegelb :
beziehen, aber auch, wie Socin fehr leicht zeigen Fonnte, uns
eigentlich, metaphorifch, gebraucht werden, ohne daß an ein
Löfegeld gedacht werden kann. Es Fanri daher auch aus al
len Stellen diefer Art nichts für die Satisfactiond = Idee ger
ſchloſſen werden. Bei den Stellen der zweiten Klaſſe fuchte
Soein zu zeigen, daß Sterben wegen der Sünden ober fir
die Sünden eines andern foviel fey, als Eterben aus Urſa⸗
che oder Beranlaffung der Sünden. So fterbe doc; ohne
Zweifel, wer deßwegen fterbe, damit einer von den Suͤnden
abgehalten werde, und der Glaube in ihm entftehe, wenn et
zu fündigen aufhöre, werben ihm feine Sünden vergeben wer
den. Werde daher ivon Chriftus gefagt, er fey für unter
Sünden geftorben, fo werde damit zwar ein auf unfere Sins |}
den fich beziehender Erfolg ausgebrüdt, aber Fein anderer, ja
ald der fo eben angegebene, So ftarb Chriftus für uns, zu
unferm Beften, Damit wir von der Sünde zurückgebracht, und T
der Vergebung derfelben theilhaftig, die von ihm angekün
digte Seligfeit erlangen. Nur den Endzweck aljo, Die cau-
sa finalis, nicht aber eine Stellvertretung werde in einem
folchen Zufammenhang durd) die Präpofition vurzdo angezeigt)
1) Ueber die Präpofition kr: Matth. 20, 28. wird von Soc
\
Die Lehre der Socinianer. 393
Daß aber Chriftus, wie die Stellen der dritten Klaſſe fih
ausdrücken, alle jene Stellen, deren Typus die Stelle 1 Betr.
2,24. it, unfere Sünden getragen habe, ſoll nur foviel hei-
fen, er habe unfere Sünden dadurch hinweggenommen, daß
er und durch feine moralifhe Wirffamfeit von denfelben bes
freite. Wenn in der heil. Schrift von der Vergebung, Hin-
wegnahme der Sünde Die Rede ſey, jo fey Dieß fo oft nur
von der Abficht Gottes zu verftehen, und Suͤndenvergebung
zu ertheilen, wenn wir fie wirflich annehmen, und das Unfe-
tige dabei thun. Gebe man auch zu, daß in Stellen, wie
€. 53, 6. jene Formel wirklich bedeute, Chriftus habe unfere
"Eünden auf fi) genommen, getragen, fo folge doch Daraus
noch nichts für die Satisfactionslehre, da es gewöhnlicher
Sprachgebraud, fey, Daß von einem, welcher aus Veranlaf-
fung der Sünden eines andern zu leiden hat, gefagt wird,
er trage Die Sünden deſſelben und nehme fie auf fi, ohne
daß Dabei irgend eine Satisfaction ftattfinde. Was endlich
die Bergleichung Chrifti mit den Opfern und dem Hohen
priefter des A. T. betrifft, fo zeigt Socin fehr ausführlich,
dag die Opfer des A. T. weder reell noch ſymboliſch ftellver-
tretend, fondern nur gewiße Bedingungen gewefen feyen, an
welche Gott die Sündenvergebung geknüpft habe, fo daß nad)
vollbrachtem Opfer die von Bott zuvor ſchon beichloffene Aus⸗
föhnung eintrat: ebenfo folge auf Chrifti Tod die Befreiung
von der Schuld unferer Sünden, obgleich auf fehr verfchledene
Weife Y. Mit dem Hohenpriefter des A. T. werde Chriftus
De Jesu Christo Serv. P. II. cap. 8. ©. 155. bemerkt:
Metaphorica haec commutatio facta est, quod Christus
animam suam dedit, et nos recepit, id est, a peccati ser-
vitute liberatos sibi asseruit.
4) Der Unterfchied befteht, wie ihn Soein De J. Chr. Serv.
P. II. Cap. 17. ©. 169. beſtimmt, hauptfächlich darin,
quod sacrificia illa, quamvis divinis promissionibus ro-
4
396 1. Ber. l. Abſchn. 3. Kap.
Verſöhnung des Menſchen mit Gott, wird durch einen ein⸗
fachen Akt ſeines Willens bewirkt. Aber von dieſem äußer⸗
ſten Punkte aus, auf welchem, als dem direkteſten Gegen⸗
ſatz gegen jenen andern, die Verſöhnung als einen rein ob⸗
jektiven göttlichen Akt auffaſſenden Standpunkt, das Princip
der Subjektivität in ſeiner ganzen Macht, aber auch in ſei⸗
ner ganzen Willkür ſich offenbart, wendet er ſich nun auch
ſogleich wieder der Objektivität zu 9), und es iſt fein angele⸗
gentlichfte8 Beftreben, jenem Afte der Subjektivität einen fo
viel möglich objektiven Gehalt zu geben, und alle Momente,
durch welche das chriftliche Bemwußtfeyn, foweit ed vom Sa⸗
tisfactionsdogma gefrennt werben kann, die Berföhnung mit
Gott objektiv vermittelt werden läßt, fich gleichfalls zuzueig⸗
‚nen. Dieß gefchieht auf doppelte Weile, fowohl in Hinfict
ber Bedingung der Sündenvergebung, als auch in Hinſicht
der Simdenvergebung feldft.
Die Bedingung der Sündenvergebung ift Die Neue oder
Sinnedänderung. Sie nimmt im focinianifcyen Syftem bie
felbe Stelle ein, welche im proteftantifchen der Glaube hat,
1) Es fey Elar, fagt $. Sorinus De J. Christo Serv. P. II.
c. 2. ©. 192. in einer Stelle, in welcher der oben bemerkte
Sufammenhang des Subjektiven und, Objektiven ſich befon
ders Deutlich zu erfennen gibt, daß Gott zu unferm Heil
vermöge feiner Gnade nichts weiter verlange, als poeniten-
tiam et vitae correctionem, nom quidem quamlibet,. sei
eam, quam nobis, ipso mandante praescripsit Christus.
Wenn bisweilen, wie Apg. 20, 21. neben der Reue auch
der Glaube genannt werde, fo gefchehe Dick, non quia prae-
ter ipsam poenitentiam, fides in Christum, tanguam
aliquid amplius, quod huc pertineat, in nobis efficien-
ad peccatorum remissionem conseguendam requiratw
(alioqui quomodo alibi soli poenitentiae peccatorum re-
missionis adeptio tribueretur?), sed quia nonnisi per ſi
dem in Christum ista poenitentia contingit.
\
Die Lehre der Sorinianer. 397
Während aber der Glaube im proteftantifchen Sinm zunächft
. ne infofern eine Richtung nach außen nimmt, fofern er die
Gerechtigkeit Chrifti ergreift, und ohne fich praftifch zu äu⸗
bern, an ſich ſchon das Princip der Rechtfertigung in fich
hat, läßt Dagegen der Sorinianismus die Reue unmittelbar
im den durdy die Beobachtung der göttlichen Gebote praftifch
fi erweifenden Gehorfam übergehen, und es gilt ihm ale
höhfter Grundſatz, daß der fittliche Werth des Menfchen nur
in der Rechtichaffenheit des Lebens beftehen Tönne. Das In⸗
nere muß fich äußerlich praftifch bewähren, wenn das Sub«
fektive objektive Realität haben fol. Aber auch der Gehor-
ſam ſelbſt erhält feine objektive Realität erft Durch das chriſt⸗
lihe Gepräge, das ihm der Glaube gibt. Daher find Glau⸗
be und Gehorfam im focinianifchen Syſtem identifche Ber .
griffe. Ohne den praftifch fich bethätigenden Gehorſam wäre‘
dee Glaube leer. und ohne beftimmten Inhalt, dem Gehor-
kam felbft aber würde ohne den Glauben die Richtung auf
das durch Chriſtus erworbene Heil, die chriftliche Sorm und
das chriftliche Princip, fehlen *). Je größeres Gewicht aber
1) Man vgl. über das Verhältniß diefer beiden Begriffe befons
ders die Theses de causa et fundamento in ipso homine
ejus fidei in Deum., qua hominem justificari, sacrae li-
_ terae testantur. Bibl. Fratr. Pol. T. I. ©, 627. Th. VI.
E» firma persuastone, quod Deus sit, id est, quidam
.summus omnium Dominus et moderator, quodque is rec-
ta sectantes et prava vilantes remuneretur, necessario
praeter voluntatem egregiam recta faciendi et prava vi-
tandi ipse effectus consequitur, et quia Deus recta fiert,
prava autem vitari jubet, idyue ut agnoscant, effieit, qui-
buscunque sua praecepta dederit, atque insuper unus-
quisque per se agnoscit, rectlum esse, Deo obedire, et
pravum, non obedire, idcirco necesse est, ul, qui ita, ut
diximus, persuasus fuerit, is a Deo sibi data praecepta
faeiat eique obediat. Th. VII. Quoniam vero persuasio-
398 U Per. L Abſchn 3. Kap.
auf den Gehorfam als ypraftifchen Religionsglauben, fomit
auch auf die Werfe, durch die ſich der Glaube praktiſch er⸗
weifen muß, gelegt wird, deſto ausfchließlicher fcheint. das
Princip der Rechtfertigung und Verföhnung nur in das eige⸗
ne Thun des Menfchen, in feine Subjektivität, gefegt zu wer-
den, defto auffallender alfo auch der Widerfpruch zu feyn, in
welchen diefe Theorie mit Der paulinifchen Lehre von dem
Glauben und den Werfen fommt. Daß die Werfe rechifer
„-k... ı -
1
tigende Kraft haben, läugnet Socin nicht, da fie ja nuria .
der Vorftellung vom Glauben getrennt werden können, a
ſich aber ver Glaube felbft find, aber er glaubt demungeach⸗
tet den paulinifchen Gegenfat des Glaubens und der Werk
fefthalten zu können, da’ fowohl der Glaube, als bie Werk
aus einem doppelten, wefentlich verſchiedenen, Gefichtspunft be
u. Ben —
trachtet werden müffen. Auf der einen Seite find ed zwar
nur Die Werke, durch welche der Glaube feinen Innern objl
ne ista et obedientia ea fides in Deum continetur, u '
sacrae literae hominem 'coram Deo justificari testantır,
jam satis ex praedictis constare potest, quaenam in ip-
so homine hujus fidei sit causa et fundamentum, nempe
recta faciendi et prava vitandi amor ac studium. Glan
be und Sehorfam verhalten fich alfo wie Form und Inhalt.
Henn Socin felbfi De fide et operibus Bibl. Fr. Pol. T.l.
©. 623. den durch Werke fich bethätigenden Glauben die
Ausführung und Vollendung, gleichfam die Form des Glas
bens (e#secufio ac perfectio et tanguam forma Ipstus f-
dei nennt), fo iſt bier die Form in demfelben Sinne 4%
nommen, in welchem im fatholifchen Syſtem die Fiebe das
formirende Prineip des Glaubens heißt, d. h. die Form il
das Beftimmende, dasjenige, wodurch das Abftrafte etwas
Eoneretes wird, dieß ift aber eigentlich nicht die Form, fon
dern der die an fich leere Form erfüllende Inhalt, wepne
sen Soein die Form auch’ das complementum nennt; di
Slaube erhält durch die Werke suum complementum ed
quasi formam a. a. D. ©. 626.
\
Die Lehre der Sociniamer. 399
tiven Werth erhält, auf der andern Seite aber fehlt auch
wieder den Werken der zureichende innere Werth. Betrachtet
man die Werke für fi, fo daß das ihnen Gegenuͤberſtehen⸗
de nur das göttliche Gefeg ift, das durch fie erfüllt werden
fol, ald die Norm, welcher die Werke entjprechen müffen,
fo können: die Werke nicht für rechtfertigend gehalten werden,
weil es feinen dem Geſetz vollfommen adäquaten Gehorfam
‚gibt, und das Mißverhaͤltniß zwiſchen demjenigen, was Die
Werke an fi) in der Wirklichkeit find, mit demjenigen, was
fe nach der Rorm des göttlichen Geſetzes find, auf diefe Weiſe
sie aufgehoben und ausgeglichen werden kann. Aber es iſt
die nur der eine Gefichtöpunft, aus welchem die Werke zu
beirachten find, unter einen ganz andern Geſichtspunkt wer-
dan fie Dagegen geftellt, wenn man ſich zwar jenes Mißver-
haͤltniſſes zwilchen den Werken und dem Geſetz bewußt ift,
ebendarum auch das Beduͤrfniß der göttlichen Gnade aner-
famen muß, aber damit auch das Vertrauen verbindet, Gott
werde und, ungeachtet jened Mipverhältnifies, für gerecht er-
Hären, und fo anjehen, wie wenn wir nicht gefündigt hät-
tm. Der Glaube, das Vertrauen auf die fündenvergebende
Gnade Sotted ift demnach die nothmwendige Ergänzung, bie
zu ben Werfen hinzufommen muß, fie ftehen, dem Bofltiven
des Glaubens gegenüber, nur in einem negativen Verhältniß
ur Rechtfertigung, aber dieſes Verhälmmiß des Negativen und
—— wird ſogleich wieder das Umgekehrte, da der Glau—
be ſelbſt nur eine inhaltsleere Form wäre, wenn er nicht
durch den werkthaäͤtigen, zwar immer unter dem Geſetz blei⸗
beaben, aber doch ganz Gott fi hingebenden Gehorſam ſei⸗
un beftimmten Inhalt erhielte 4). Mit Recht kann Socin
N} Respondeo, fo erflärt fich hierüber F. Soeinus am befimm-
teſten in der Abhandlung De fide et operibus ‚ quod atti-
net ad justificationem nostram Bibl. Fr. Pol. T. I. ©. 623.,
me, quod ad opera attinet, quae fidem antecedunt, nul-
400 u. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap.
den Broteftanten die Frage entgegenhalten: weldyer Unter
fehteb denn noch zwiſchen dieſem rechtfertigendem Gehorfan
lam eis efficactam ad vitam aeternam justificandi tri-
buere. Nec sane poterat a me aliud responsum exsper-
tari, cum concedam, sine Christi fide nemini vitam «.-
ternam posse contingere. Quod tamen eatenus intellid
volo, quatenus sub Novo Testamento sumus, nobisque pa-
_ tefacere Deo est visum. De eo enim tempore, quo Te
stamentum Vetus viguit, deque Dei arcanis nihil loqur.
(Bon denen, die unter dem A. T. von Gott für gerecht er
Färt worden find, fagt Sorin a. a. D. ©. 620.: Isti nm
' per ipsam legem, sed per fidem sunt servati, quatenu
Det praecepta servantes, quamvis interdum laberentw,
plane ostendebant, idque reipsa praestabant, se Deo con
: fidere. Diefes confidere Deo wird im. T. zu einem con-
fidere Deo per Christum a. a. D. ©. 622.) FPossunt qui-
dem opera, quae fidem praecedunt, guempiam aliqis
ratione Deo gratum efficere, verum non satis sunt, u
quis aeternam salutem .consequatur, eaque ratione justi-
ficetur et Deo sit gratus, quam hoc loco intelligimus. i
— Porro, quod attinet ad opera, quae Christi fiden
subseguuntur, si de vera et propria subsecutione loqui-
. mur, ita ut opera sint quiddam re ipsa a fide distin-
tum, haec Christi fides nihil aliud erit, quam prior ila
fides, hoc est, credere, Jesum revera esse Christum De
Filium etc., opera vero erunt reipsa posterior illa fide,
hoc est, ipsi Christo confidere. Quamobrem haec opers
efficaciam habebunt justificandi coram Deo ad vita
aeternam, non quidem ut opera, sed ut fiducia, quat
per Christum in Deo collocetur, et quia Deus pro boni-
tate sua ita vult. Nihil autem absurdi in eo est, que
istis operibus, non autem fidei illi, quae ipsa antecedit,
Justificatio ista ascribatur. Non enim propterea negu-
tur, nos fide justificari, siquidem jam dictum est, et
opera ista aliud nihil reipsa esse, quam fidem, id est
fiduciam» et fidem illam, quae eis re ipsa praecedit, om |
WET in
|
l
|
N
Die Lehre der Socinianer. 491
»d Dem rechtfertigenden Glauben ihres Syſtems feyn
esse revera eam fidem, quae nos Deo ad vitam aeternam
gratos efficit. At vero, si de quadam subsecutione lo-
quimur, non vera nec propria, sed tantum, ut loquun-
tur, per viam intellectus, ita ut opera a fide re ipsa
non distinguantur, tunc Christi fides, guam opera sub-
, sequentur, aliud nihil erit, quam ipst Christo confidere,
guod sine dubio coram Deo justificandi vim habet, et
consequenter opera ipsa justificant, quatenus executio
sunt ac perfeclio, et tanguam forma ipstus fidel. — |
Constat (aus der zuvor citirten Stelle Jac. 2, 21.), opera
sequaguam simpliciter esse fidei fructus, ut vulgo cre-
ditur, sed fidei formae perfectionem indere, et vitam, ut
stc dixerim, tribuere. Itaque vides, quomodo et cur di-
cam, opera, quae fidem subsegquuntur, efficaciam .habe-
“re justificandi coram ipso Deo, idque divinarum litera-
rum testimonio. Quare cum Paulus negat, opera coram
Deo justificare, ea considerat, non quidem ut ezecutio-
‚nem ac perfectionem et quasi formam fidet, id est fidu-
eiae, quae in ipso Deo collocetur, per quam Deus homi-
nem justificat, nec ul conjunceta cum bonitate ac pro-
missis divinis, sed, quemadmodum ex ipsiusmet verbis
Hiquet, ea per se ipsa considerat, atque ut facta legis
implendae causa, ex quo fieret, ut merces darelur non
ex gratia, sed ex debito, ac propter vim ac dignitatem
ipsorum operum. Nam si quis hac ratione coram Deo
justificari velit, oportebit eum nunquam ne minimum
‘ quidem pcccatum coram ipso Deo committere. — For-
malis igitur (ut ita loguar) justificatio nostra coram Deo
fuit, et semper erit, propter carnis nostrae infirmitatem
remissio peccatorum nostrorum , non autem impletio di-
vinae legis, quod. Paulus operari vocat. Verumtamen
nulli reipsa conceditur remissio ista, nisi Deo confisus
fuerit, seque ipai regendum ac gubernandum tradiderit.
Ex quo, guamvis antehac Dei praecepta aut contemne-
ret, aut minime conservaret,, vel eliam nondum perfecte
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 26
404 I. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap.
rechtigfeit, die der Glaube zu feinem Inhalt bat, wird, da
ein folcher Gegenſatz bier gar nicht eriftirt, Feiner andern Ge⸗
rechtigkeit etwas entzogen.
Gerechtfertigt und verföhnt mit Gott weiß ſich demneh
der Menſch mit Gott, wenn er das praftifch lebendige Ber :
trauen zu Gott hat, baß er ihm feine Sünden vergeben und
das ewige Leben ertheilen werde. Je mehr dieſes Bertraum
ſich praftifch erweist, befto mehr darf der Menſch des Dh
jekts derfelben gewiß feyn. Aber auch Dadurch würbe es fer
ne objektive Realität noch nicht erhalten, wenn es nicht anf
einer göttlichen Erklärung und Verheißung beruhte. Seine
objektive Realität hat daher das Bewußtſeyn des Menſchen
nn Az
von feiner Berföhnung mit Gott nur darin, daB es den Glaw |
ben an Chriftus, ald den Mittler zwifchen Gott und ber --
Menfchen in fich fchließt, und zwar in doppelter Hinficht, for
fern einerfeitS ohne die durch Chriftus gegebene Verheifung
der Sündenvergebung dem Vertrauen auf die Gnade Goties
bie Gewißheit fehlt, und andererſeits der Gehorſam, duch
welchen fich dieſes Vertrauen bethätigen fol, nur der Gehor⸗
fam gegen den durch Chriftus geoffenbarten Willen Gottes
feyn Tann. Da von dem lehtern, als der fubjeftiven Bed
gung der Sündenvergebung, ſchon die Rede war, fo fragt fh |
hier nur noch, wie durch Ehriftus die Sündenvergebung felbk
vermittelt wird? So ſehr das focinianifche Syftem allem auf 5
bietet, die Vermittlung durch Chriftus, fofern fie in der Sa
tisfaction beftehen foll, zu entfernen, fo angelegentlich bemüht
es fih, auch auf feinem Standpunft die Verfühnung bed
Menſchen mit Gott auf eine wahre und reelle Weiſe durch
Chriſtus vermittelt werden zu laffen. Da es aber feinem
Prineip zufolge das Hauptmoment immer wieder in die Sub
jeftiottät des Menſchen felbft legt, fo gibt e8 auch allem Ob
jeltiven der die Verföhnung des Menfchen mit Gott vermit
telnden Thätigkeit fogleich wieder eine fubjeftive Beziehung,
Bermittelnd in dieſem Sinne wirkt Chriftus auf verfchlebene
ws 2 dr
Die Lehre der Socinianer. 405
Weile. Da alles, was ſich auf die Satisfactions⸗Idee bes
seht, hinwegfaͤllt, Gott demnach nicht erſt faktiich verföhnt,
fonbern nur als der an fich verföhnte oder gnädige. dem Dien- -
ſchen zum Bewußtſeyn gebracht werben darf, fo Eann an die
Etelle der fatisfactorifchen Thaͤtigkeit nur die anfündigende
iseten (an die Stelle des hohepriefterlichen Amts im gewöhn-
Ihen Sinne das prophetifche). Daß Chriftus den Menfchen
bie Verheißung der Sündenvergebung und des ewigen Lebens
‚guber,.derv Bedingung der Reue und Befferung gebracht habe,
WM das Erſte und Wefentlichfte, was nach: der focinianifchen
Lehre zum Begriffe des Mittlers oder Erlöfers gehört. Da
‚ber Erlöfer nur tft, wer, wenn auch nicht die Strafe und
Schuld der Sünde, doch die Sünde felbft faktiſch und reell
hinwegnimmt, fo Tann aud das focinianifche Syftem die Er-
ung nicht auf den bloßen Begriff der Ankündigung oder
ber Lehre befchränfen. Chriftus muß auch wahrhaft Erlöfer
‚von der Sünde feyn, und zwar, da das Moment, das die
Eatisfartionslehre auf den Tod Chrifti legt, als ein in der
Ratur der Sache ‚gegründetes nicht verfannt werden Tann,
durch feinen Tod. Iſt aber der Begriff der Erlöfung an ſich
fon auf die Erlöfung von der Sünde im eigentlichen Sinne
rädgeführt, und dem Princip der Subjeftivität zufolge Fei-
ke andere Erlöfung von der Sünde möglich, als dadurch,
haß das Subjekt fich felbft dazu beftimmt und fie felbftthätig
bewirkt, worin anders kann bie erlöfende und verföhnende
Thätigkeit Chrifti beftehen, als in den pſychologiſch morali-
Ken Motiven, die theild durch die Anfchauung feines Lebens
überhaupt, theils ganz befonderd durch einzelne Momente def-
jelben, dem Gemüthe des Menſchen nahe gelegt werden? Er»
loſend und verföhnend wirkt baher ber Tod Chrifti, fofern
er auf den Willen bes Menfchen einen Einfluß hat, burd)
welchen berfelbe beftimmt wird, ſich auf eine der von Gott
zurch Chriſtus gegebenen Verheißung entfprechende Weiſe zu
erhalten. Mit befonderem Nadidrud hebt F. Socinus die
406 U. Ber. 1. Abſchn. 3. Kay.
Kraft des durch den Tod Chrifti gegebenen. Beiſpiels hervor,
fofeen er in demfelben gezeigt habe, wie man für WBahrkelt
und Tugend ſelbſt das Leben aufopfern müffe %). Auch als
eine beſonders feierliche Beftätigung der von Gott gegebenen
BVerheißungen betrachtet er ben Tod Chrifti, indem er Ihn
mit der im A. T. gewöhnlichen Belräftigung ber Buͤndniſſe
durch das Blut eines Thiers zufammenftellt 2). Da abe
der Tod Chrifti nicht ſowohl für fich felbft, al vielmehr mn
in feinem Zufammenhang mit der Auferftehung als eine Be
ftätigung der göttlichen Verheißungen angefehen werben kam
1) In der Chr. rel. instit. Bibl. Fr. Pol. T. I. ©. 667. wirl
dieß ald das Erfie und Wichtigfie hervorgehoben: Christu:
suorum fidellum servator est, primum, quia‘ sul ipsius
exemplu illos ad viam salulis, quam ingressi jam Junt,
perpetuo tenendam movet atque inducit. — Quomodo ve
ro suo exemplo potuisset Christus movere atque inducere
suos fideles ad singularem illam probitatem et Innoca-
tiam, perpetuo retinendam, sine qua servari nequenil,
nisi ipse prior cruentam mortem, quae ilam facile co-
mitatur, gustasset?
2) De Jesu Christo Serv. P. 1. c. 3. Bibl. Fr. Pol. T.1.
©. 127.: — Mortuus igitur est Christus, ut novum et «-
ternum Det foedus, cujus ipse mediator fuerat, stabili-
ret ac conservaret. — Et adeo hac ratione divina pre-
missa confirmavit, ut Deum ipsum quodammodo ad es
nobis praestanda devinzerit, et sanguis ejus assidue ad
patrem clamat, ut promissorum suorum, quae ipæe Chrl-
stus nobis illius nomine annunciavit, pro quibus confir-
mandis suum ipsitus sanguinem fundere non recusanl
meminisse velit. Daffelbe Moment hebt der Rakauer 8%
techismus hervor, wenn er auf die 383fte Frage: Qui sr
guis aut mors Christi nobis voluntatem Dei confirmait!
zuerfi antwortet: Quod nos manifeste de ingenti in no
Dei caritate certos reddiderit. idque adeo, quod Deus
vellt nobts id domnare, guod in novo foedere promittal.
Die Lehre der Eocinianer. 407
legt die focinianifche Lehre befonderes Gewicht auf die Auf⸗
ſtehung Ehrifti, als den objeftivften Beweis für die Wahr⸗
# feiner Lehre und feiner Verheißungen. Wer an die Auf-
ſtehung und Erhöhung Iefu glaubt, muß auch alles, was
lehrte und: verkändigte, für wahr halten‘, und zum kraͤf⸗
Men Vertrauen auf ihn ermuntert werden, ja er fieht fo-
w in der Perſon Chrifti in lebendiger Anfchauung das ewi-
: Leben, das er felbft zu erwarten hat, vor fi *). Se
her ber moralifche Einfluß ift, welchen alle dieſe Momente
iben, in deſto höherem Grade wirft Chriftus als Erlöfer
m der Sünde ?), deſto vollfommener wird auf Der Eeite
1) De J. Chr. Serv. a. a. D. ©. 131.: Viæ fieri posse vi-
detur, ut quis Jesum ex mortuis excitatum aut videat
aut eredat, et ejus verbis fidem non adhibeat, et proin
de a sceleribus ad serviendum Deo viventi immortalita-
His spe plenus totum se non convertat, unde peccatorum
veniam et aeternam salutem consequatur. — Quis non
viam salutis, quam annunciavit, verisstmam cerlissi-
mamyque esse videat, cum, rem sio se habere, in ipsius
annunciantis persona perspiciat? — Warum gleichwohl
das N. T. die Erlöfung weit mehr dem Tode, als der Auf;
erfiehung zufchreibt, wird daraus erklärt, daß die freie Lie»
be Ehrifii fich in ihrem fchönften Lichte im Tode zeigt. Nat.
Katech. Qu. 386. De Jesu Chr. Serv. P. 1. c. 3. Prael
theoi. c. 19. &. 576.
2) Tollit peccata Christus, fo entwickelt Socin Prael. theo!
©. 591. zur Erklärung der Etelle oh. 1, 29. dieſen mo—
ralifchen Begriff der Erläfung, dd est, ul ab eorum poe- °
na liberemur, effictt, quatenus Dei nomine, primus ab
orbe condito, omnium peccatorum veniam, quantumvis
gravissimorum, tis omnibus offert, qui poenitentiam ex
Ipstus praescripto egerint, idque perpetuo foedere san-
eit. Tollit peccata Christus, quia ad poenitentiam agen-
dam, qua peccata delentur, coelestibus iisque amplissi-
mis promissis omnes allicit et movere potens est. — Tol-
408 U. Ber. L äbſchn. 3. Zap.
des Menfchen die Bedingung erfüllt, unter welcher er de
Realität feiner Verheißungen, der Sündenvergebung und bei
eivigen Lebend gewiß fenn kann, das Bermittelnde aber für
das Verhältuiß, in welches Chriftus durch alles dieß zu dem
Menfchen gefegt wird, ift immer nur die Lehre und Das Bel
fpiel, und fo großes Gewicht auch auf die. Thatfachen des
Todes und der Auferftehung gelegt werden mag, fo haben
fie doch die ihnen gegebene Bedeutung in einem ganz andem
Sinne, als bei der Satisfactionstheorie, nicht für fih, fon
dern nur in ihrem Zufammenhang mit dem Leben Chrii
überhaupt. Sofern aber die moralifche Wirkung aller jener
Momente durch den Tod Sefu bedingt und vermittelt iſt, volle
- endet ſich der Gegenſatz der focinianifchen Theorie zur kirch⸗
lichen dadurch, daß auch jene eine gewiße Nothwendigkeit
des Todes Jeſu zur Sündenvergebung und Verſöhnung be
bauptet, nämlidy die fubjeftive Nothwendigkeit, vermoͤge wel⸗
cher gerade der Tod Jeſu die nothwendige Vorausfehung iR,
unter welcher er als Erlöfer piychologiich und moralifch auf
die Menichen fo wirken konnte, wie ed für den Zwed ber Er
Löfung und Verſöhnung nothwendig iſt ).
lit peccata — quia, ut a peccando cessemus, doctrina sua
ejusque mirifica confirmatione — efficit. Tollit deniqwe
Christus peccata, quia vitae suae innocentissimae exem-
plo omnes, qui deploratae spei non fuerint, ad justitia
et sanctitatis studium, peccatis relictis amplectendum, fa-
eillime adducit. Ä
4) Auf diefe vermittelnde Bedeutung des Todes Jeſu bezieht
fih, was $. Soeinug De Christo Serv. P. II. c. 2. fagt:
Adeo se placatum eshibuit (Deus) ut non solum secun-
dum antiqua promissa nos a peccaltis, i. e. @ peccatorum
poena, redemerit, seu liberaverit, ea nobis condonands,
sed eliam ut fructus atque effectus ejus condonatimis
ad nos redire posset, ipsum Christum suum sanquinen
fundere voluerlt. Nam interventus sanguinis Christi, li-
4. ...
= 2 \ —*F — „ent ———re— *
Die Lehre der Socinianer. 409
Bei allem dieſem ſieht ſich das ſocinianiſche Syſtem nicht
veranlaßt, in Chriſtus etwas uͤber die menſchliche Natur Hin⸗
ansgehendes vorauszuſetzen, und ber Unterſchied zwiſchen die⸗
fer moraliſchen Erlöſungstheorie und der Satisfactionstheorie
beſteht gerade darin, daß die letztere ganz an bie höhere
göttliche Würde ber Perfon geknüpft if. Wie aber der So⸗
cinianismus überhaupt, was er auf der einen Seite zerftört,
auf der andern foviel möglich wieder aufzubauen fucht,. jo iſt
Her der. Ort, wo die focinianifche Lehre von der Gottheit
Chriſti ihre eigenthümliche Bedeutung erhält. Erlöfer von
der Sünde iſt Chriftus, nicht blos dadurch, daß er Sünden-
| vergebung verheißt, und die Menfchen durch die moralifche
Birfung feiner Lehre und feines Beifpield von: der Sünde
m Tugend leitet, fondern ganz beſonders aud) dadurch, daß
er denen, die ihm vertrauen und gehorchen, die verheißenen
Güter ſelbſt ertheilt, Sündenvergebung und Seligfeit. Für
Diefen Zweck iſt Chriftus, obgleich an fich, feiner Natur nach,
bloßer Menfch, zur höchften göttlichen Würde und Macht er-
hoben worden, fo daß Gott nicht unmittelbar, fondern nur
cet Deum ad liberationem hane a peccatorum nostrorum
poena, nobts concedendam, movere non potuerit, movit ta-
men nos ad eam, nobis oblatam, accipiendam, et ipst
Christo fidem habendam, unde justificati sumus, et si-
mul Dei erga nos ineffabilem benignitatem summopere
nobis commendavit. DBgl. c. 13.: Expiationis tum effe-
ctus tum cognitio ex Christi morte prwvenit. — Morte
Christi, seu ejus supplicio peracto, nemo est, qui Deum
nos suprema caritate amplexum nom agnoscat, eum er-
ga nos placatissimum non videat, et jam sibi universa
delicta condonata esse, pro certo habeat. Deßwegen fagt
auch der Rak. Katech. Qu. 400.: Christus pro nobis mor-
tuus est, hanc habet vim, eum ideirco mortuum, ut nos
salutem aeternam, quam is nobis coelitus attulit, et
amplecteremur et consequeremur.
410 U. Ber. L Abſchn. 3. Kap.
mittelbar die Welt regiert. Der Weg hiezu war feine Aufer⸗
ftehung, ber Uebergang vom Menſchen zum Gott, aber die
Auferftehung hätte dazu nicht geführt, wenn fie nicht zu ih⸗
rer nothwendigen Vorausfegung den Tod hätte. Die Erho⸗
bung Chriſti ift zwar eine Folge und Belohnung feines Ge
horſams, aber eine fo eigenthümliche Erhöhung eined Men-
[hen zu göttliher Würde, und zu der Macht, auch in ber
fünftigen Welt der Erlöfer und Seligmader der Menichen
zu feyn, kann ihren Grund nur darin haben, daß er als
Menſch alle Bedürfniffe der menſchlichen Natur kennt, und
das reinfte Mitgefühl für fie hat. Diefes Mitgefühl hätte
er aber nicht, wenn er nicht als Menfch in feinem Leiden
und Tod alle Leiden und Schwachhelten der Menfchen ſelbſt
erfahren hätte *). Sofern Chriftus, die Ihm von Gott er
1) Sn der Chr. rel. inst. a. a. D. ©. 667. wird als zweiter
Grund, eur Christum necesse fuerit mort, angegeben:
Quia ipse est, qui illos (fideles suos) in omnibus peri-
culis ac tentationibus fovet ae juvat, et tandem ab «-
terng morte liberat. — Quomodo tantam curam in e-
rum perpessionibus ipsos roborandi et ab omnibus malis
liberandi habuisset, nist ipsemet quam gravia, quamgu
humanae per se naturae intolerabilia illa sint, espertus
abunde fuisset? gl. De J. Chr. Serv. a. a. O. €. 133.:
Neque parum refert, nos, qui Christo fidem habemw,
et ejus praeceptis obedimus, scire, eum ipsum, qui vin-
dicem et assertorem nostrum se constitult, potestatem
habere, ea bona omnia nobis largiendi, quae sibt obedien-
tibus ita constanter promisit. Praesertim cum eam viam
ipse prior ingressus, quam nos tenere jussit, omnia mu-
la expertus sit, quae nobis, dum per eum gradimur, e
ÜUlum seguimur, aut eveniunt, aut certe evenire possul,
adeo ut, tanquam nostri mali non ignurus, niisereri n0-
sirum vere possit, et nobis miseris succurrere didicerit:
— O udmirabilem Dei bonituten atque sapientiam! Non
salis illi fuit, nos hosies suos ac desertores scelerum
Die Lehre der Socinlaner. 411
ſeilte Macht dazu anwendet, den Menſchen Suͤndenverge⸗
mg und ewiges Leben zu ertheilen, iſt er auch nach der ſo⸗
nianiſchen Lehre Hoheprieſter, ſein hoheprieſterliches Amt ge⸗
drt daher ganz der uͤberirdiſchen Seite feiner Wirkſamkeit
n, und tft ebendaher von feinem Töniglichen nicht weſentlich
erſchieden 9). |
Indem wir die focinianifche Lehre bis zu diefem Außer-
en Punkt verfolgten, fcheinen wir von dem eigentlichen Ins
alt des Dogma's von ber Verführung ganz hinweggekom⸗
im zu feyn. Allein eben bieb tft das Charafteriftifche der⸗
ter, daß es fih in ihr nicht ſowohl um die Rechtfertigung
es Menſchen vor Gott, ald vielmehr nur um feine Befeli-
nostrorum gratuita venla, et vitae aeternae amplissimo
promisso ad se iterum recipere atque converlere, nisi
etiam ipsius vitae aeternae nobis largiendae. potestatem
‘ fratri nostro, et tantae salutis duci ac principi a se
constituto, quem per afflictiones perfectum reddidit,
plenissimam concederet, et Üli ipsi, quia homo est (Joh.
5, 22. 27.) et nostri stmilis, nostrasque infirmitates ex-
pertus fult, nos judicandi auctoritatem, quasi ea se ip-
sum privans, omnem proursus daret, eaque ralione spem
nostram mirifice aleret, atque fweret. So entichieden
es die Eoeinianer für eine an fich undenkbare, der dee
Gottes mwiderfprechende, dem religidfen Intereſſe auf Feine
Weiſe zufagende Vorfiellung erklären, daß Chriftus von Na⸗
tur Sott fey, fo wichtig fcheint ihnen dieſes praftifche Mo⸗
ment, um ihm gleichwohl göttliche Würde zuzufchreiben.
1) Wie F. Soeinus felbft fagt in den Themata de offcio Chri-
sti Bibl. Fr. Pol. T. I. ©. 777.: Quod ad munus GChri-
sti sacerdotale attinet, id quidem non re ipsa, sed ta-
men per viam intellectus a regio ipsius munere distin-
guimus. Unter ihm als König ftellen wir uns feine unend:
liche Macht zu unferm Beßten, und unter ihm als Priefter
feine mwohlwollende Sorge für uns vor. Bol. Rak. Katech.
Qu. 476.
42 I. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap.
gung zu handeln fiheint. So einfach der Weg iſt, auf. wels
dem fie den Menfchen von der auf ihm liegenden Schuld ber
Sünde frei werben, und Die ihn in Das angemeffene Verhält-
niß zu Gott fegende Gerechtigkeit erlangen läßt, fo fehr wird
von ihr die Rothwendigfeit einer Vermittlung, wie fie nur
durch einen übermenfchlichen Erlöfer gegeben werden ‚Tann,
anerfannt, um. den Dienfchen felig zu machen. So baut fie
daffelbe Suftem, das auf die Fdee der Gerechtigkeit. gegrüns
bet, als ein völlig unhaltbares und tranfcendentes ihr in ſich
felbft zu zerfallen fchien, auf der Grundlage der Idee, der
Seligfeit wieder auf *). Diefelben. Momente der Bermitts
1) Es iſt fchon längft auf die Hebereinfimmung aufmerkſam ges
macht worden, welche zwifchen dem Socinianismus und der
Kantifchen Philofophie in Hinficht der Richtung auf das
Praktiſche Rattfindet. Dal. J. F. Slatt, Beiträge zur chr.
Dogm. u. Moral und zur Geſch. derſ. Tüb. 1792. ©. 117.f.
Bemerkungen über Soeins Philof. und Theol. nach ihrem
Verhaͤltniß zur praktifchen Vernunft betrachtet. Zu dieſer
Analogie gehört.aber fehr wefentlich auch dieß, daß von $.
Socinus, wie von Kant durch das praftifche Intereſſe wie⸗
der ‚geltend gemacht wird, was in metaphyſiſcher Hinficht
fhlechthin verworfen worden if. Wie Kant das Dafeyn
Gottes laͤugnet, fofern er der theoretifchen Vernunft alle
objektive Gotteserfenntniß abfpricht, fo ift nach F. Socinus
die göttlihe Natur Chriſti und die Menſchwerdung Gottes
ebenfo undenkbar und für die Vernunft tranfcendent. Wie
‚aber Kant das theoretifch geläugnete Daſeyn Gottes durch
die Idee der nothwendigen Harmonie der Sittlichkeit und
. ber Glückſeligkeit, oder eigentlich von der Idee der Glüd:
-feligfeit aus, zu einem Poſtulat der praftifchen Vernunft
macht, fo läßt F. Socinus durch Chriſtus als Gott Die Idee
der Seligkeit renlifiren. Bei beiden erfcheint aber auch eis
ne fo große Trennung des theoretifchen und praftifchen, des
.wetaphnfifchen und moralifchen Standpunfts als ein gleich
unnatärlicher Swiefpalt der Vernunft mit fich ſelbſt. SIE
‘
Die Lehre der Socinianer. 413
ng der Einheit des Menfchen mit Gott, welche die Soci⸗
aner im tirchlichen, und insbefondere im proteftantifchen
stem mit der ganzen Macht ihrer Dialektif befämpften,
ıd in: ihrer innern Richtigkeit Darzuftellen fuchten, fanden
sch in Ihrem Syftem nur in anderer ©eftalt und unter ei»
m andern Gefichtöpunft geftellt, wiederum ihre Stelle und
edeutung. Chriftus darf nicht blos Menfch, er muß auch
hott feyn, Göttliche und Menfchliches muß in feiner Berfon
mw unzerteennlichen Einheit verbunden feyn, weil durch einen
vs menfchlichen Mittler eine wahre und vollfommene Ges
‚einfchaft des Menfchen mit Gott nicht bewirkt werben könn⸗
, er muß leiden und fterben, jeder menfchliche Schmerz muß
er feinige werden, weil nur durch ein ſolches Leiden das
inderniß hinweggeräumt werden kann, das der vollfommes
m Aufnahme des Menfchen in das göttliche Seyn und Le
im Wege ftehen würde. Der Unterfchied liegt nur in
2 Berfchiedenheit des Standpunkts. Hier wie dort foll bie
inheit des Göttlichen und Menfchlichen realifirt werben, auf
em einen Standpunkt aber geht die ganze Betrachtung von
sen nach unten, auf Dem andern von unten nad oben. Waͤh⸗
nd daher. auf dem einen Standpumtt der Iegte Grund des
es für die Vernunft fo undenkbar und unbegreiflich, wie
8. Soeinus behauptet, daß Gott Menfch wird, wie follte es
ihr denkbarer und begreiflicher feyn, daß der Menich Gott
wird? Und wenn der Menfch ohne einen vermittelnden Akt
durch die freie Güte Gottes von der Schuld der Sünde bes
freit wird, warum follte diefelbe Güte nicht auch zur Ers
theilung ber Seligkeit vollkommen zureichen, und in Anfe-
hung der Geligkeit eine Vermittlung nothwendig ſeyn, die
. in Anfehung der Gerechtigkeit nicht für nothwendig erachtet
wird? Das iſt' die einem iolchen Standpunkt natürliche Ein-
feitigfeit. Was objektiv undenkbar ift, wird auf dem Stand-
punkt der Subiektivität für das fubjektive oder praftifche
Intereſſe denkbar.
414 IL Ber. 1 Abſchn. 3. Kap.
zwifchen Gott und dem Menſchen auszugleichenden Mißvers
hältniffes in dem göttlichen Wefen felbft erfannt wird, in bem
Widerfpruch, in welchem die Sünde und Schuld der Men
ſchen mit der Idee der göttlichen Gerechtigkeit fteht, wird fie
auf dem andern nur in den Menjchen felbft gefegt, in die
Schwachheit und Bedürftigfeit feined Weſens. Wie es da
ber auf ber. einen Seite nur die der göttlichen Gerechtigkeit
entfprechende Gerechtigfeit ift, in welcher der Menſch fich mit
Gott Eins wifjen kann, fo ift e8 auf der andern nur die ihm
als ein Geſchenk der göttlichen Liebe und Güte gegebene Ses
ligfeit, dur) welche das Mißverhältniß zwifchen Gott und
dem Menjchen aufgehoben wird. Welche Einfeitigfeit fowohl
dem einen ald dem andern Standpunkt anhängt, fällt von
felbft in die Augen. Iſt durch eine Theorie, deren höchſtes
Princip die abfolute göttliche Strafgerechtigfeit ift, der Ger
danke nicht ausgefchlofien, daß möglicher Weile, wenn fein
anderer Ausweg ſich darböte, um die Strafe zu ihren abfor
Iuten Rechte kommen zu laffen, Die ganze Menjchheit der ewi-
gen. Verdammniß anheimfallen fönnte, fo wird Dagegen auf
der andern Seite das abfolute Weſen Gottes dem Verlangen
des Menfchen nad) der Geligfeit ded ewigen Lebens unterge
ordnet. Was alfo dort, auf dem Standpunft einer Die fub-
jeftive Freiheit vernichtenden Objektivität, der Nigorismus ber
göttlichen Strafgerechtigfeit ift, ift bier, auf dem Standpunft
einer fich in fich felbft abſchließenden Subjeftivität, ein Eudä-
monismus, welcher feine legte Wurzel nur in der finnlich
ſchwachen Natur des Menfchen hat.
Viertes Kapitel
Die Theorie des Hugo Grotius.
Die focinianifche Lehre bildet mit ber Firchlichen einen
. Begenfag, durch welchen von felbft eine vermittelnde Theorie
Die Theorie des Hugo Grotius. 45
hervorgerufen werden mußte. Hiedurch iſt die Stelle bezeich«
net, welche Hugo Grotius mit feiner befannten Abhandlung
in der Gejchichte unfered Dogma’d einnimmt, indem er es
fih zwar zur Aufgabe machte, durch Widerlegung der ſoci⸗
nianiſchen Lehre Die kirchliche Satiöfactionstheorie zu vggtheis
digen 9), in der That aber an bie Stelle der. lehtern etwas
ganz anderes ſetzte.
Den Grundirrthum der fociniantfchen Lehre findet Hugo
Grotius darin, daß Gott von Socin in dem Werke der Er-
löfung nur aus dem Gefichtöpunft eines Glaubigers oder eis
ned Herrn betrachtet werde, deſſen ‚bloßer Wille zur Erlaf-
fung .der Schuld genüge 2). Da es ſich aber bier um den.
Begriff der Strafe und der Erlafjung der Strafe handelt,
fo kann Gott nicht als Glaubiger, oder ald der beleidigte
Zheil, betrachtet werden, fofern bie Strafe Fein dem beleidig-
ten Theil, als folchem, zufommender Akt if. Das Strafrecht
gehört nicht zum Recht eines abjoluten Herrn, oder zum Recht
eines Olaubigerd, da das eine wie das andere ein unmittel-
bar perfönliches Recht ift, fondern zum Recht eined Negenten.
Aus dem Geſichtspunkt eines Negenten muß daher hier Gott
betrachtet werden, und das Recht zu ftrafen gehört zu dem
Rechte eined Negenten, da ed nicht wegen bes Strafenden
1) Daher der Zitel der Echrift: Defensto fidei catholicae de
satisfactione Christi vom J. 1617. euere Ausgabe von
Joachim Lange. Leipz. 1750.
2) De satisf. c. 2. $.3. ©. 36.: Vult (Socinus) partem om-
nem offensam esse poenae creditorem, atque in ea tale
habere jus, quale alii creditores in rebus sibl debitis,
quod jus saepe etiam dominii voce appellat, ideoque
saepissime repetit, Deum hic spectandum ut partem
offensam, ut creditorem, ut dominum, tria haec pomens
tanquam tantundem valentia. Hic error Socint — per
totam ipsius tractationem latissime diffusus — ro nw-
Toy weudo;.
—
416 IL Ber. 1. Abſchn. 4 Kap.
ſelbſt, ſondern nur wegen eines Gemeinweſens erxiſtirt, um
die Ordnung deſſelben aufrecht zu erhalten, und das gemel⸗
ne Befte zu fördern *). Der Akt felbft, von welchem bier die
Nede ift, wird als ein Akt der Jurisdiktion überhaupt def
nirtm welchem zufolge jemand beftraft wird, Damit ein ande
rer von ber Strafe befreit werde, oder als ein Difpenfationd-
Art, durch welchen die Verbindlichkeit des an ſich gültig bie,
benden Geſetzes in Anfehung gewißer Perfonen oder Sachen
aufgehoben wird. Es fragt fich daher zunächft, ob eine fol‘
che Difpenfation oder Relaration des Strafgefehed möglid
iſt? Grotius trägt Fein Bedenken, biefe Frage aus dem Orum
de zu befahen, weil alle pofttiven Geſetze relarabel feyen. Di
1 Mof. 2, 17. ausgefprochene Strafdrohung habe Daher vor
felbft auch das Recht, fie zu erlaffen, in fich gefchlofien, wer
dur in dem Weſen Gottes nichtd geändert werbe, ba em
Geſetz in Beziehung auf Gott und dem göttlichen Willen nichts
Inneres, fondern nur eine Wirkung ded Willens fey. De
Cinwendung, daß nur der Schuldige felbft mit der feinem
Vergehen entfprechenden Strafe beftraft werben könne, wird
durch Die Unterfcheidung beantwortet, daß zwar an fich, Dem
nn di Bei A a -———— — —
Begriff der Sünde zufolge, jeder Sünder Strafe verdiene,
Die wirkliche Vollziehung der Strafe aber nicht fehlechthin
1) A. a. O. 2, 1. ©. 34.: Poenas infligere, aut a poeni:
aliquem liberare, quem punire possis, quod justificare
vocat scriptura, non est nisi rectoris, qua talis, primo
et per se, ut pula in familia patris, in republica regis,
in universo Dei. — Unde seguitur, omnino hic Deum
considerandum ut rectorem. — Bgl. 2,9. ©. 41.: A
jus puniendi non punientis caussa existit, sed caussa
communitatis alicujus. Poena enim omnis propositun
habet bonum commune, ordinis nimirum comservationem
et exemplum, ita quidem ut ratiomem ezxpetibilis non
habeat nist ab hoc fine, cum jus dominti et crediti per
se sint expetibilia.
— — — — m. ie“
l 3
Die Theorie des Hugo Grottus. 417
hwendig fey ). Da demnach an filh der Erlafiung ber
trafe Tein Hinderniß im Wege fteht, fo kann ed nur von
r Beichaffenheit der einzelnen Säle abhängen, wie weit fle
‘der Wirklichkeit eintritt. Sol die Auftorität des Geſetzes
ht zu fehr geichwächt werden, fo kann fie nur in einem
fonders dringenden Falle ftattfinden. Ein folder Kal war
ver offenbar derjenige, von weldyem bier Die Rede tft, wenn
i ber wirklichen Vollziehung der Strafe das ganze Mens
jengefchlecht dem Tode anheimgefallen wäre 2). Wie aber
se der einen Seite die Möglichkeit der Erlaffung der Strafe
cht geläugnet werben Tann, fo Tann ed auf der andern
seite auch nicht für fchlechthin ungerecht erklärt werben, daß
wer wegen fremder Sünden geftraft wird. Weſentlich ift
ei der Strafe nur, Daß fle in Folge der Sünde verhängt
ird, nicht aber, daß fie über denjenigen, welcher gefünbigt
at, verhängt wird °). Wenn ed nun Feinem Zweifel unter-
egt, daß ein Akt, welcher in der Gewalt eines Höheren if,
uch ohne daß auf das fremde Vergehen Rüdfiht genommen
eird, von einem Höhern ald Strafe für ein fremdes Berge-
en angeordnet werden kann, fo konnte Gott ohne irgend ei-
ie Ungerechtigkeit zu begehen, Chriftus für die Sünden der
Benfchen leiden und fterben laſſen *). Es fragt fi daher
)9.0a.D.3,5. ©. 9. | |
MA. a. O. 3, 6. ©. 51.: Quia, si omnes peccatores morti
. seternae mancipandi fulssent, perilssent funditus ex re-
rum natura duae res puloherrimae, ex parte hominum
reltgio in Deum, 'e» parte Dei praecipuae in homines
beneficentiae testatto.
3) A. a. D.4,9. ©. 56.
aa. D. 4, 18. ©. 63.: Hoc groprie quaerttur: am ac-
"tus, qui sit in potestate superioris, ellam citra comsi-
derationem delicti alleni possit ab ipso superiore ordi-
'nart in poenam alieni delicti. Hoc injustum esse negat
. scriptura, quae Deum hoc saepius fecisse ostendit , ne-
Baur, Die Lehre von der Berfühnung. 27°
418 IL Ber. 1. Abſchn. 4 Kap.
‚nur, warum Gott, wad er an fich thun konnte, auch wirf-
lich geihan Hat? Da die Schrift fagt, daß Chriſtus wegen
unferer Sünden gelitten habe und geftorben fey, fo fehen wir I
hieraus, daß Gott fo viele und fo große Sünden nicht oh
ein auffallendes Straferempel erlaffen wollte, um fein Mik |
fallen an der Sünde durch irgend einen Akt, der am paſſend⸗
ften ein Strafaft war, zu erklären. Zu dieſem Innern im
Wefen Gottes liegenden Berveggrund, welchen bie h. Schrik
den Zorn Gottes nennt, kam noch die Rüdficht, daß man
es mit ber Sünde um fo leichter nimmt, je weniger fie ge
ftraft wird. Auch die Klugheit mußte daher Gott die Voll
ziehung einer. Strafe empfehlen, um fo mehr, Da eine auß
drüdliche Strafbrohung vorangegangen war. So ftellt ſih
in dem durch den Tod Chrifti gegebenen Straferempel fowohl
die göttliche Gnade, als die göttliche Strenge, fowohl de
Haß Gotted gegen die Sünde, als feine Sorge für die Anf
rechthaltung des Geſetzes dar *). Und das iſt auch nad, de
gat natura, quia vetare non probatur, negat aperte cw-
sensus gentium. — Nihtl ergo iniquitatis in eo est, que
Deus, cujus est summa potestas, ad omnla per se non in
Justa, nulli ipse legi obmozius, cruciatibus et morte Chrl-
sti uti voluit, ad statuendum .exemplum grave adversus
culpas immensas nostrum omnium, quibus Christus era
conjunctissimus natura, regno, vadimonio.
ı) A a. O. 5, 8. ©.69.: Hoc ipso Deus non tantum suum
adversus peccata odium testatum fecit, ac proinde nos
hoc facto a peccatis deterruit (facilis enim est colleetio,
si Deus ne resipiscentibus quidem peccata remittere w-
luit, nist Christo in poenas succedente, multo minus in-
ultos sinet contumaces), verum insigni modo insuper pu-
tefecit summum erga nos amorem ac benevolentiam,
quod ille scilicet nobis pepercit, cui nom erat ddlapoer.
indifferens, punire peccata, sed. qui tanti id facieba;
ut potlius, guam impunita omnino dimitteret, filium suu®
unigenitum ob illa peccata poenis tradiderit. — 5, 1.
Die Theorie des Hugo Grotiuß. 419
hre Der Juriften bie befte Art der Relaration der Geſetze,
enn babei zugleich eine Vertauſchung (commutatio), ober
tfagleiftung (compensatio), ftattfindet, weil auf diefe Weiſe
wohl Das Anfehen des Geſetzes am wenigften verliert, als
uch der Abficht, Die Die Urfache des Geſetzes ift, entfpro-
en wird, wie wenn jemand, der eine Sache ausliefern foll,
on feiner Berbindlichfeit Durch Die Ausbezahlung ihres Werths
ei wird. Denn Ebendaffelbe und Ebenſoviel find einander
anz nahe 1). Eine ſolche Vertaufchung findet nicht blos bei
sachen, fondern bisweilen auch bei Perfonen ftatt, wenn es
he Beeinträchtigung eines andern gefchehen kann.
Schon in diefen wenigen Sägen iſt die ganze Theorie
8 Hugo Grotius enthalten. Ihr Wefentliched liegt in dem
muptiahe: Gott wollte und konnte die Sünden der Menfchen
icht vergeben, ohne ein Straferempel zu flatuiren. Dieb tft
urch den Tod Chriſti gefchehen. Daher ift der Tod Chriſti
te nothwendige Bedingung und faktifihe Vorausfegung der
Sündenvergebung. An dem Begriffe des Straferempeld und
er vorausgefehten Rothwendigfeit deſſelben hängt Daher diefe
heorie, und es fragt fih nun, wie fie ſich vermöge dieſes
degeiffs ſowohl zu der Tirchlichen, Die fie. vertheidigen, ald
uch zu der focinianifchen, die fie widerlegen will, verhält?
.&. 71.: Justitiae rectoris pars est, servare leges, etlam
positivas et a se latas, quod verum esse tam in univer-
sitate libera, quam in rege summo probant Jurisconsul-
ti: cul Ülud est consequens, ut rectori relaxare legem
talem non. liceat, nist caussa aliqua accedat, si non ne-
cessaria, certe sufficiens: quae ltidem recepta est a Ju-
risconsultis sententia. Ratio utriusque est, quod actus
ferendt aut relaxandi legem non sit actus ubsoluti do-
minti, sed actus imperli, qui tendere debeat ad boni or-
dinis conservationem.
)%.a.D.V.7. S. 68.: Proxima enim sunt idem et tan-
tundem. |
| 27%
420 11. Ber. 1. Abſchn. 4. Kap.
Was ihr Verhaͤltniß zur Firchlichen Satisfactionstheorie be-
trifft, jo muß fogleich in die Augen fallen, daß fie die Noth⸗
wendigfeit des Todes Chrifti zur Vergebung der Sünden in
einem ganz andern‘ Sinne behauptet, als die Firchliche Lehre.
Iſt der Tod Ehrifti nur als Straferempel nothwendig,- fo iR
feine Rothwendigkeit nicht in dem Innern Weſen Gottes ſelbſt
nicht in der Idee der abfoluten Gerechtigkeit, durch welde
Sünde, Schuld und Strafe unzertrennlich verbunden find,
fondern nur in dem äußern VBerhältniß begründet, in welchen
Gott ald Regent zu den Menfchen fteht. Es Handelt fd
eigentlich nicht um die ſchon begangenen Sünden, fonben
nur um die Fünftigen. Die Schuld der begangenen Sünde
tft unmittelbar dadurch aufgehoben, daß Gott das abiolk
Recht hat, die Strafe zu erlaffen, das Straferempel tft mr
nothwendig, Damit, indem es das Anfehen bes Geſetzes auf
recht erhält, die Sünde für die Zukunft verbütet werde. &
iſt daher überhaupt Fein innerer im Weſen der Sünde lieget
der Zufammenhang zwifchen Sünde und Strafe, fondern die
Strafe hat nur den Zweck, Die Sünde zu verhüten, ober ft
ift nur in Folge eines pofttiven, von Gott, ald dem höchſten!
Regenten gegebenen, Gefeßed mit der Sünde verbunden. : Da
ber ift der legte Grund, auf welchen Grotius zurüdgeht, um
die Nothwendigkeit der Statutrung eines Straferempels nad
zumelfen, nur die Straffaneion 1Mof. 2, 17. Auf diee
Sentenz gehen zwar auch die Vertheidiger der Firchlichen Sa⸗
tisfactionslehre zurüd, aber nur um fie felbft als einen noth⸗
wendigen Ausfluß der göttlichen Gerechtigkeit anzufehen. Gre
tius dagegen hebt den abfoluten Begriff der göttlichen Gere
tigfeit ganz auf, denn wenn er auch gegen Soein geltend
macht, daß die Gerechtigkeit eine zum Weſen Gottes fehl
gehörende Gigenfchaft fen, zugleich aber behauptet, daß der
wirkliche Gebrauch diefer Eigenfchaft von dem freien Willen
Gottes abhänge *), fo tft dieß völlig Daffelbe, was Sonn |
1) A. a. O. 5, 9. ©. 70.: Justitia illa, sive rectitudo, €
Die Theorie Des Hugo Grotius. 421
uch behauptet, daß bie ftrafende Gerechtigkeit eine Wirkung
es göttlichen Willens fey, und wenn auch Dabei noch gefagt
iird, daß Gott, was er thut, nicht ohne Urfache thue, fo iſt
och ber legte Grund nicht das abfolute Wefen Gottes felbft,
mbern mir fein abjoluter Wille, welcher an ſich ebenfo gut
rafen als nicht firafen kann. Schon hierin findet Demnach
n bedeutender Unterfchied zwifchen der Theorie des Grotius
ud der Firchlichen ftatt. Den beften Maaßſtab, Das Verhälts
5 beider zu beſtimmen, muß jedoch der Satisfactionsbegriff
ben. Das Hauptmoment der Firchlichen Satisfactionstheo⸗
eift, Daß das von Chriftus ©eleiftete mit demjenigen, was
je Menichen felbft hätten leiften follen, vollkommen identiſch ift.
haͤtte Ehriftus nicht vollfommen für die Menfchen genuggethan,
ı wäre ihre Befreiung von der Sünde nicht möglich geweien.
Jarauf gründete F. Sorinus die Einwendung, Daß Genug⸗
wung und Bergebung widerftreitende Begriffe feyen. “Diefe
ſehauptung konnte Grotius als BVertheidiger der Firchlichen
satisfactionslehre nicht gelten laſſen. Er bemerkt Daher ges
m fie, daß Genugthuung und Vergebung nicht in Einen
Roment zufammenfallen, daß nad) der von Gott feftgefeßten
ſedingung bie leptere auf die erftere erfi dann folge, wenn
er Menſch durch den wahren Glauben an Chriftus fich zu
zott befehre, und ihn um "ie Vergebung feiner Sünden bit-
9. Diefe Unterfcheidur :.::$ im jedem Falle gemacht wer-
qua nascuntur tum alia, tum poenarum retributio, pro-
prietas est in Deo resideis. — Sed in hunc errorem in-
:ductus videtur Sooinus (f. vben ©. 375.), quod Dei pro-
prietatum effectus quosvis esse credidit necessurlos om-
nino, cum multi sint liberi, intercedente scilicet inter
proprietatem et effectum actu libero voluntatis. — Neque
ideo, quia liber est Deo proprietatum istarum usus, di-
ci potest, cum iis utitur, sine caussa facere, quod facit.
ı) A. a. O. 6, 8. ©. Sı.: Fuit et Christi satisfacientis et
Dei satisfactimem admittentis hic animus ac voluntas,
422 IL Wer. l. Abſchn. 4. Kay.
den, wenn der Einwendung ded Socinus fo begegnet werben
fol, daß jene beiden Begriffe neben einander beftehen können.
Allein Srotius konnte nicht blos dabei ftehen bleiben. SR
durch den Tod Chrifti nur ein Straferempel gegeben worden,
fo Tann der eigentliche Satisfaetionsbegriff Teine Anwendung
mehr finden. Aber gleichwohl kann ihn Grotius nicht fallen
laſſen. Für diefen Zweck nimmt er eine eigene juriftifche Uns
terſcheidung der beiden Begriffe solutio und satisfactio zu
Hilfe. Wird, behauptet Grotius, die Sache felbft, auf wer .
cher die Verbindlichkeit ruht, bezahlt, entweder von dem Schul
digen felbft, .oder was hier feinen Unterfchied ausmacht, vor 1
einem andern im Namen deſſelben, fo erfolgt die Befreiung |
unmittelbar durch die That felbft, aber es tft bieß nur Be |
freiung, nicht Vergebung (remissio) zu nennen. Anders
aber verhält es fich, wenn etwas anderes, ald was der Ge
genftand der Verbindlichkeit if, bezahlt wird. In diefem Falle
muß erft noch von Seiten des Glaubigers, oder Negenten, die
Vergebung (remissio) ald eigener Akt hinzukommen, umd
diefe Art der Bezahlung, welche entweder angenommen ode
abgewiefen werden Fann, ift es, was im juriftifchen Sprad-
gebrauch eigentlich Satisfaction genannt wird. Indem Oro
tius dadurch zunächſt gegen Socin nur dieß darthun will,
daß der Begriff der satisfactio den Begriff der remissio
nicht ausſchließe, fest er in der That an die Stelle des ge
wöhnlichen Satisfactionsbegriffs einen ganz andern !). Denn
‚ hoc denique pactum et foedus, non ut Deus statim ipso
perpessionis Christi tempore poenas remitteret, sed ul
tum demum id fieret, cum ‚homo vera in Christum fide
ad Deum conversus supples veniam precaretur. — Non
obstat hic ergo satisfactio, quo minus sequi posset re-
missio. Satisfactio enim non jam sustulerat debitum,
sed hoc egerat, ut propter ipsum debitum aliquando
tolleretur. "
1) Die Hauptftelle, die hieher gehört, lautet a. a. D. 6,6.
Die Theorie des Hugo Grottus. 493
r gewöhnliche Satisfactionsbegriff beruht wefentlic Darauf,
5 Chriſtus völlig daſſelbe geleiftet habe, was die Menſchen
(pft Hätten leiften follen. Iſt nun eine ſolche solutio, wie
etiuß behauptet, Feine remissio, fondern eine liberatio,
y iſt ja ebendamit dem Socin zugegeben, was Grotius ges
en ibn beftreitet, daß die beiden Begriffe satisfactio und
emissio einander aufheben und ausfchließen, ober daß, was
©. 78. fo: Alta solutio ipso facto Hberat, alla non ipso
facto. Ipso facto liberat solutio rei plane ejusdem, quae
erat in obligatione. Perinde autem est, utrum ipse reus
solvat, an alius pro eo hoc animo, ut Ipse liberetur. —
Ubi ergo idem solvitur aut a debitore, aut ab alio no-
mine debitoris, nulla contingit remissio. Nihtl enim ci-
tra debitum agit creditor, aut rector. Quare st quis
poenam pertulerit, quam debet, liberatio hic erit, remissio
non erit. Ac talis liberationis professionem in jure cre-
“ diti proprie ac stricte änoyıv, dpocham (Quittung), vocant
Jurtsconsulti. Alla vero quaeris solutio ipso facto non
Überat, puta, si aliud, quam quod erat in obligatione,
solvatur. Sed necesse est, actum aliquem accedere cre-
ditoris aut rectoris, qui actus recte et usitate remissio
appellatur. Talis autem solutio, quae aut admitti aut
recusari potest, admissa in jure, speciale habet nomen
satisfactionis, quae interdum solutiont strictius sumtae
oppmitur. Dergl. 6, 8. ©. 80. 10 gegen Soein bemerft
wird: Illud vero, quod dieit, satisfactione omnino et
statim tolli debitum, ad rem quidem pertinet, sed ve-
rum non est, nist satisfactio contra juris usum sumalur
pro ipsius rei, quae debetur, ab ipso, qui debet, facta
_sölutione, de qua nos non agimus. In dem Auffate in der
evang. Kirchenzeitung 1834 wird ©. 606. mit Recht bezwei⸗
felt, ob Grotius bier ganz ehrlich war, und aus dem Cor-
pus Juris ein Beleg dafür beigebracht, daß In dem juriſti⸗
(hen Sprachgebrauch die von Grotius angenommene Unter-
fcheidung der satisfactio von der apocha, oder solutio, fei-
neswegs fo recipirt iſt, wie Grotius behauptet.
’
424 - I, Ber. I Abſchu. 4 Say.
daſſelbe ift, Die von Chriftus geleiftete Satisfactton ben Ras
men einer Satisfaction in dem Sinne, welchen die gewöhn⸗
liche Kirchliche Theorie mit diefem Ausdruck verbindet, gar
nicht verdient. Hat nun aber Ehriftus nicht in dieſem Sinne
genuggethan, hat er nicht wahrhaft und vollfommen für bie
Menfchen geleiftet, was Die Menfchen felbft Hätten leiften fol |
In, fo kann der Satisfactionsbegriff nur infofern noch auf
ihn angewandt werden, fofern er überhaupt irgend etwas,
was ed auch feyn mag, Gott für Das gegeben hat, was vm
den Menfchen felbft in ihrer Beziehung zu Gott hätte geld
ftet werden follen. Dieß ift daher der eigentliche Sinn der
Theorie des Grotius, und ihr wefentlicher Unterfchied von de
kirchlichen Satisfactionstheorte. Der Satisfactionsbegriff if
von feinem vollen und reellen Inhalt auf den Begriff ein
irgendwie gefchehenen Leiftung herabgefegt: Chriſtus hat ge
nuggethan, fofern er eine Bedingung irgend welcher Art, von
welcher Gott die Vergebung der Sünden der Menfchen ab
hängig machen wollte, erfüllt, Gott überhaupt dafür irgend
etwas gegeben hat *).. Diefed Etwas ift nämlich eben jmd
ı) So fehr Grotius es vermeidet, diefes Moment an der Eiche,
wo es gerechtfertigt werden follte, befiimmter bervorzuhchen,
fo Elar liegt es doch in feiner Befiimmung des Satisfac
tionsbegriffe. Man bemerfe daher auch, wie fidy Grotius
in Beziehung auf einige Schriftfiellen ausdrüdt. Daß mir
nach 1 Cor. 6, 20. 7, 23, pretio emtt ‘find, foll nur foriel
heißen: solutione aliqua Üiberati sumus (a. a. D. 6, 7.
©. 79.). Den Ausdrud irriluroov 1 Tim. 2, 6., deflen rec
Bedeutung gegen die focin’fche Erklärung von einem im-
pendium qualecunque geltend gemacht werden foll, erklärt
er felbt doch nur fo: Est tale Iuronr, pretium, In gu
liberator simile quiddam subit ei malo, quod ei immi-
nebat, qui liberatur (8, 9. &. 107.). Zur Erflärung dt
Formel vr) noAkor wird bemerkt (9, 3. ©. 114.): Zramus
mortis debitores. Ab hoc debito liberationem nobis Chri-
|
ı
Die Theorie des Hugo Grotius. 425
traferempel, ohne befien Statutrung Gott die Sünden ber
tenfchen. nicht hätte vergehen können. Erhellt nun’ fchon hier⸗
8, daß biefe Theorie ſich nur mit Unrecht für bie Firchliche
asgibt, fo zeigen Dagegen folgende Momente, wie wenig fe
sn ber foeinianifchen wejentlich verfchieden ift:
1. Geſetzt auch, im juriftifchen Sprachgebraudy fey auf
le von Grotius angegebene Weiſe zwiſchen solutio und sa-
isfactio zu unterfcheiden, fo hat Doch Grotius auf Feine
Beife nachgeweifen, daß der Tirchliche Satisfactionsbegriff in
ch unhaltbar ift, und daß ed gegen bie Natur der Sache
t, neben dem juriftifchen Satisfactionsbegriff zugleich ben
wchlichen anzunehmen. Sa die Beftimmungen bed Grotius
ſſcheinen vielmehr felbft als willfürliche, und fich felbft auf⸗
ebenbe. Der Satiöfactiondbegriff, wie ihn Grotius beftimmt,
MI nicht Darauf beruhen, daß ein anderer bezahlt, fondern
arauf, daß er etwas anderes bezahlt, als der eigentliche Ge⸗
enfand der Verbindlichkeit if. Wenn nun aber diefes Ans
ere näher fo erflärt wird, die Verbindlichkeit forbere Die Be⸗
rafung desjenigen felbft, welcher eine Schuld begangen hat,
ach dem Srundfag, daß die Schuld an der Perfon hängt '),
stus Impetravit aliquid dando. Dare autem aliquid, ut
per id ipsum alter a debito liberetur, est solvere aut sa-
disfacere. Immer ift nur von einem aliquid, nicht aber von
einem Aequivalent die Rede. Daher können auch Behaup-
tungen wie 6, 6. ©. 79.: im Tode Ehrifii fey feine solutio
rei ipstus debitae, quae ipso facto liberet: nostra enim
mors et quidem aeterna erat in obligatione, nur als di⸗
rekter Widerfpruch gegen die kirchliche Echre genommen mer:
Den, denn eben dieß gehört ja wefentlich zu ihr, daß Ehri-
fius den ewigen Tod für die Menfchen übernommen habe.
1) A. a. O. 6,6. ©. 78. gibt Grotius ald Grund an, cur
poenae corporalis vicarlus ipso facto reum, solvendo poe-
nam, nequeat liberare — non qula alius solvit, sed qula
solvit aliud, guam quod est in obligatione. Est enim In
426 I. Ber. I. Abſchn. 4 Kap.
fo ift klar, Daß Die letztere Beſtimmung doch wieder mit der erftern
zufammenfällt, Daß derjenige, welcher für einen andern bezahlt,
ebendeßwegen weil er ein anderer ift, -ald derienige, welder |
bezahlen follte, auch etwas anderes bezahlt, als der eigentlis
he Gegenftand der Verbindlichkeit iſt. Und doch erklärt es
Grotius bei der Beftimmung des Begriffd der solutio für
gleichgültig, ob der Schuldige felbft bezahlt, ober ein ande
rer für ihn, wofern ed nur in feinem Namen gefchieht. Ent
weder kann alfo nie einer für einen andern bezahlen, ohm
daß in einem ſolchen Falle die solutio unmittelbar Defwegen,
weil fie durch einen andern gefchieht, auch eine satisfactio
ift, oder ed muß, wenn die Möglichkeit nicht geläugnet wer
den kann, daß einer für einen andern bezahlt, Das Weſent⸗
—— —
liche der Satisfaction vor allem darin gefunden werden, daß
einer für einen andern bezahlt, abgefehen Davon, ob bad,
was er bezahlt, baffelbe ift, was der Schuldige felbft bezah⸗
len follte, ober etwas anderes. Die rechtliche Möglichket
aber, daß einer für einen andern bezahlt, oder eine Straf
übernimmt, kann von Grotius nicht geläugnet werden, ba ihm
als das Wefentliche der Strafe nicht gilt, daß derſelbe, welcher
gefündigt hat, geftraft wird, fondern daß überhaupt mit de
Sünde Strafe verbunden if, Es ift daher eine völlig wils
fürliche Subftituirung des Einen für das Andere, die fh
bier Srotius erlaubt hat. Statt zu beweifen, was der Haupt
obligatione afflictio ipsius, qui deliquit, unde diet solet,
noxam caput sequi. Quod in aliis quoque obligationibus
ad factum mere personalibus videre est. — In his enim
omnibus, sit alius solvat, ipso facto liberatio non seque-
tur, quia simul aliud solvitur. Quare, ut ex poena unlus
alteri liberatio contingat, actus quidam rectoris debe
intercedere. Lex enim ipsum, qui deliquit, puniri im-
perat. Hic actus respectu legis est relaxatio, respect
debitoris remissio,
Die Theorie bes Hugo Grotius. 427
inft war, welcher nicht blos auf einem folchen Nebenweg
ſchlichen werden Fonnte, Daß Chriftus nicht blos als alius
Ivit, fondern auch aliud solvit, beweist Grotius nur,
ıB nad dem gewöhnlichen juriftifchen Sprachgebrauch bei
ner Satisfaction nicht fowohl das alius solvit, als viels
ehr daß aliud solvit ſtattfinde. Die Sache felbft iſt alſo
icht bewielen, fondern nur auf bie fchon vorausgefehte Sa⸗
e eine furiftifche Definition angewandt. Glaubte nun aber
rotius die Sache felbft fchlechthin vorausſetzen zu bürfen,
mn er ed aus einem andern Grunde gethan haben, als nur
egwegen, weil er felbft den von F. Socinus gegen eine Sa⸗
action im eigentlichen oder Kirchlichen Sinne vorgebrachten
kgumenten feine Zuftimmung nicht verfagen konnte?
2. Wie Grotius den gewöhnlichen Firchlichen Satisfac⸗
onsbegriff vermwirft, fo erflärt er fi) auch gegen den Begriff
er Aeceptilation. Er macht e8 dem Socinus zum Vorwurf,
8 er den auf ein Strafverhältniß gar. nicht anwendbaren
kariff der Acceptilation, auf den göttlichen Akt der Sünden»
ergebung angewandt habe 2). Allein der richtige Geſichts⸗
)9. a. O. 6, 7. ©. 79.: Nam accepto fertur ea res, quae
accipt potest. At poenam corporalem rector revera est-
git, sed non accipit, quia nihil ex poena ad ipſum pro-
prie pervenit. Es handelt fich bei Socin fo wenig um den
Begriff der Acceptilation, daß davon fogar nie die Rede tft,
- wie Erell in feiner Gegenfchrift (zu der Schrift des Grotius
zu cap. III. ©. 90. f. unten) mit Recht bemerkte: Videre
jam potest Grotius, etiamst Socinus dixisset, agi hic
. de acceptilatione, seu actum hunc Det esse acceptilatio-
nem, eam tamen sententiam isto, quo hic utitur, argu-
mento, utpoleinvalido, non everti. Sed unde constat Gro-
tio, ita sentire Socinum? Quod idem de ipso affırmat
(cap. 6.), nec scripsit id Socinus uspiam, nec cogitavit >
sed tantum alicubi reprehendens doctos quosdam viros
(in margine autem libri sul Bezam notat), qui vocem im-
428 IL Ber. 1. Abſchn. 4. Kap.
punkt iſt auch bier verrüdt, und Die juriftifchen Definitionen,
welche Grotius auch hier zu Hülfe nimmt, find ein ſchwaches
Mittel, den wahren Stand der' Sadje zu verhüllen. Yür
Sorin konnte der Begriff der Acceptilation Feine Bedeutung
haben, da er ja überhaupt durch den Tod Chriſti Gott nicht
eigentlich gegeben werben läßt, fondern Chriftus mur al
Verkuͤndiger deffen betrachtet, was Gott durch feinen Wille
den Menichen ertheilt. Dagegen gibt es Feine andere The
rie, auf welche der Begriff der Neceptilation mit größeren
Recht feine Anwendung fände, ald die des Grotius. Wen
Grotius zur Beftimmung des Begriffs der Acceptilation jagt
fie ftehe der Bezahlung überhaupt entgegen, fie ſey nur bild
lich, eine ber bloßen Vorftelung nach gefchehene Bezahlung,
fo fällt hier die mit dem‘ Ausprud solutio fpielende Zwei⸗
Deutigfeit von felbft in die Augen: der Gegenſatz zur Accep⸗
tilation kann nur eine ſolche Bezahlung ſeyn, bei welcher die
Sache ſelbſt, die man ſchuldig iſt, oder ein volllommenes Ae⸗
quivalent bezahlt wird ). Daße die Acceptation etwas vor
putandi apud Paulum esponentes dicunt, id nobis ac-
ceptum ferri, quod non Ipsi exsolvimus, sed alius pro
nobis, ostendit, illos non recte locutos: siquidem actus,
quo quippiam acceptum fertur alteri, qui acceptilalio
dicitur, sit per sola verba obligationis liberatio, ita ui
acoeptum non possit ferri illud, quod revera solutum
est. Quod si ob haec verba (alia enim non reperio) So-
- cinum et hic et infra reprehendit Grotius, ipsemet cer-
nere jam potest, vel Socini verba se non considerasse vel
inique reprehendisse. Es zeigt auch diefe Bemerkung, zu
welcher Erell volles Recht hatte, das zweideutige Derfahren
des Grotius.
Ebenfo zweideutig drückt fich Grotius aus, wenn er 3, 9.
©. 107. fagt: Ea est pretii natura, ut sui valore aut ae-
stimatione alterum moveat ad concedendam rem, aut j%
aliquod, puta impunitatem. Wird die westimatio ven
1
et
Die Theorie des Hugo Grotius. 429
usſetzt, Das acceptirt werben kann, gibt ja Grotius ſelbſt
18 wefentliches Merkmal an, ed muß daher auch wirklich
was gegeben werden. Wenn fie daher eine blos imaginäre
zezahlung genannt wird, fo ift fie imaginär nur fofern et⸗
as blos unvollkommnes gegeben wird, und neben dem wirt
ch Gegebenen das Mebrige, fen es mehr oder weniger, als
npfangen gedacht werden muß. Aber eben dieß ift es ja,
ms Grotius wiederholt ald das eigentlihe Moment feiner
heorie heroorhebt, daß von Chriftus etwas Gott gegeben
yrden jey, wodurch die Satidfaction geleiftet wurde, ohne
yelche Gott die Sünden ber Menfchen nicht hätte vergeben
Innen. Aus eben biefem Grunde erhellt zugleich das Uns
ihtige der Behauptung, daß der Begriff der Acceptilation
uf ein Strafverhältniß nicht anwendbar fey. Wenn Grotius
{hft von. einem dare aliquid in Beziehung auf den Tod
hriſti Spricht, fo führt er felbft das Strafverhältniß auch
Heder auf das Verhältniß des Schuldnerd zum Gläubiger
wüd, wie auch an ſich ganz in der Ratur der Sache liegt,
a auch bie Strafe aus dem Gefichtspunft einer Schuld bes
achtet werden kann, Die zuvor irgendwie abgetragen feyn
uf, wenn der Menfch Gott gegenüber in das BVerhältniß
er Gnade eintreten fol. |
Se weniger geläugnet werden Tann, daß die Theorie bes
zrotius in den angegebenen beiden Momenten mit Der Sos
n'ſchen im Grunde ganz zuſammenfällt, defto mehr dringt
ch bie Frage auf, worin denn noch das Eigenthümliche der
dem valor, dem Werth im obieftiven Sinn, dem Aequiva—⸗
lent, unterfchieden, fo kann fie nur die fubieftive Werth,
fhägung einer Sache ſeyn, welche ungeachtet ihres unzurei⸗
chenden objektiven Werths für zureichend erflärt wird. Wars
um erflärt ſich aber Grotius hierüber nicht befiimmter, und
warum hält er zulest die unbeftimmtefte Sormel, dare ali-
quid propter aliquid, für die angemeflenfte?
—
40 - . 11. Ber. 1. Abſchn. 4A. Kap.
Srotius’schen Theorie beftehe? Es kann nur in der Idee des
Straferempeld gefunden werden, welche Grotius auf den Tod
Chriſti überträgt, aber auch in biefer Beziehung kann bie na
he Verwandtſchaft zwifchen beiden Theorien nicht verkannt
werben. Obgleich Grotius den Satiöfactionsbegriff in ge
wißem Sinne fefthalten will, fo kommt doch alles ‘auf bie
Idee eined Straferempeld hinaus, durch welches Gott zur
Aufrechterhaltung der Auftorität des Gefeges feinen Haß und
Abſcheu gegen die Sünde thatfächlich beurfunden wollte 9).
1) Es erhellt dieß befonders aus folgender Stelle, in welder
Grotius gegen Soein geltend madıt (6, 14. ©. 86.): Du
plicem Dei non liberalitatem (ea enim vox ab hoc arqu-
mento aliena et scripturae inusitata est), sed beneficen-
tiam nostra quoque sententia agnoscit, et quidem majr-
rem multo, guam ista nuper nata Socini opinio. Prior
est beneficentia, quod cum Deus magno odio contra pec-
catum incitaretur, possetgque tam nobis parcere omnino
nolle, quam peccatoribus angelis parcere omnino nolit,
tamen ut nobis parceret, non modo solutionem talem,
quam admittere non tenebatur, admiserit, sed tpse quo-
que ultro eam repererit. Hoc certe beneficium multo est
majus atque illustrius, quam si Deus plane judicans ni-
hil referre, exemplum statueretur aliquod nec ne, pec-
cata nostra reliquisset impunita, quod vult Soctnus. Nor
ergo clementia Dei poenae solutione evertitur, cum ta-
- lem solutionem admittere, multogue magis invenire (die
solutio ift alfo nur die Etatuirung des Straferempels) ex
sola clementia processerit. Der zweite Beweis der göttli-
chen Güte if, daß Gott feinen Sohn in den Tod gab, u
eam solutionem, sive satisfactiomem, perageret poenas
peccatorum nostrorum ferendo, wobei Grotius gegen So⸗
ein noch befonders bemerkt: Dei caritatem a nobis majo-
rem praedicari vel hoc evincat, quod benefiria non es
solo impendio, sed praecipue ex utilitate, quae es im-
pendio ad beneficio affectum manat, par est aestimall.
Die Theorie bed Hugo Grotius. 431.
ir welchen andern Zweck follte aber die Auftorität des Ges
zes aufrecht erhalten werden, ald dazu, um ungeachtet der
teilten Sündenvergebung von der Sünde abzuhalten? Das
auptmoment wird Daher von Grotius, wie von Socin, in
n mioralifchen Eindrud gelegt, welchen ber Tod Chrifti her⸗
wbringt, nur mit dem Unterfchied, daß dieſes moralifche
toment von Grotiuß negativ, von Socin aber pofitiv aufs
faßt wird, fofern nach Grotius bie moralifche Wirkung des
odes Chrifti in der Darftelung der mit der Sünde verbun⸗
men Strafe, nad; Socin aber in der von Ehriftus in fei-
Nos autem praeter utilttates, quas nobiscum Soctnus con-
fitetur, unam eximiam, quam ille abnegat, grato animo
agnoscimus. Neque dicimus, a Deo impensum esse fi-
Hum, ut ipse Deus suum reciperet (die tadelt demnach
Grotius an der Eirchlichen Lehre), ac Deum sordidim
facimus, quod nobis exprobrat Socinus, sed tdeo id fa-
ctum a Deo dicimus, ut peccati meritum suumgque ad-
versus peccata odium palam testata faceret, et simul
quantum ejus nobis parcendo fiert poterat, rerum ordint
legisque suae auctoritati comsuleret. Alles dieß ift wieders
am nichts anderes, als die idee des Straferempels, und
doch wird es von Grotius unmittelbar nachher ein finis su-
peradditus satisfactionis genannt. Selbſt die dee der
obedientia activa will Grotius nicht ganz fallen laffen (6,
16. ©. 87.): Negare nolumus vim satisfactionis esse
etiam in ipsa Christi actiome (obsequiosa). Solet enim
saepe eliam actio grata admitti velut in poenae compen-
sationem. — Quamvis beneficium accipere Deus non pot-
. est, ipsitus tamen summa bonitas qualecunque obsegulum
quasi pro beneficio accipit. Iſt diefe actio obseguiosa et»
mas anderes, als die von Chrifius in feinem Tode. bewieles
ne moralifche Gefinnung,, die auch die focinianifche Lehre
zur Vorausſetzung der Sündenvergebung macht? Das Ver⸗
mittelnde if immer der moralifche Eindruck, welchen der
Tod Chriſti hervorbringt.
432 1. Ber. l. Abſchn. 4. Zap.
nem Tode bewieſenen moralifchen Geſinnung beftcht. Auch
von Sorin wird demnad die Ertheilung der Sümdenverge F
bung von der Erfüllung einer an ben Tob Chrifti geknüpften
moraliihen Bedingung abhängig gemacht. Es erhellt vo-
-felbft, daß, wenn einmal der Tod Chrifti unter den morali
ſchen Geſichtspunkt geftellt, und demfelben zufolge nicht ſowohl
die vergangenen, als vielmehr die fünftigen Sünden ins Ange
gefaßt werden, mehrere moralifhe Momente neben einander
beftehen Tönnen, aber ebenfo wenig kann auch geläugnet wer
den, baß auf dem Standpunfte, auf welchem die beiden Then
rien, die Grotius'ſche und Socin'ſche, der Firchlichen gegenüber
fich ftellen, die Grotius'ſche Idee des Straferempeld als ds
ne wefentliche Verbefferung der Soein’fchen Theorie angeſehen
werden muß. Nicht nur iſt die Idee ber Strafe an fich en
fehr wefentliche8 von Socin nur ‚mit Unrecht unbeachtet ge
laſſenes Moment jeder Erlöfungs-» und Verföhnungstheorie "),
fondern e8 entftund hieraus audy der nicht geringe Vortheil, daß
fo manche neuteflamentlihen Stellen, bei deren Erflärumg bie
foeintanifche Eregefe von dem Vorwurf. der Willfür und bed
Zwangs nicht freigefprochen werden Tann, mit der Grotius
fhen Idee auf ungezwungene Weife fich vereinigen laſſen)
Dieß ift aber auch der einzige Vorzug, welcher von bieder
Theorie gerühmt werden kann, im Uebrigen trifft fie, fo wet '
fie nicht mit der Socin’fhen in der Hauptſache zufammenfällt,
ı) A. a. D. 6, 15. &. 87.: Finis hie satisfactionis, sie
poenae ferendae, multo apertius, immo multo etiam cer-
tlore nexu cum morte Christi cohaeret, guam illi fines,
guos agnoscit Socinus. Nam testimontum doctrinae sa-
tis alque abunde praebere poterant miracula: gloria
quoque coelestis conferri Christo non interveniente morle
fucile potuit: at poenae luendae mors, talis praeserlim,
proprie accommodata est, et poena ipsa pariendae libe-
rationi. "
2) Man vgl. bierüber in der Grotius’fchen Schrift cap. 7-10.
4
Die Theorie des Hugo Grotius. 433
verfelbe Borwurf ber Halbheit, welchem Theorien ‚ bie fi
wifchen zwei wejentlidy divergirende Standpunkte vermittelnd
Kneinftellen, gewöhnlich nicht ausweichen Tönnen. Das ſoci⸗
naniſche Syſtem ift darin ſehr Fonfequent, daß ed, wie von
wm. Werke Chrifti, jo auch von ber Perſon Ehrifli eine weit
geringere Borftellung hat, als das Firchliche, in ber Theorie
des Grotius aber entſteht dadurch ein fehr auffallendes Miß⸗
verhältnig, daß fie, während fie in Anſehung des Werkes
Ehrifti auf die fociniantiche Seite fich ſtellt, in Anfehung ber
Berfon Chrifti Chriftus mit der Firchlichen Lehre nicht als.
bloßen Menfchen, fondern als den menſchgewordenen Sohn
Bottes betrachtet, und daher auch das Leiden eined Gott⸗
menfshen auf Feine genügende Weiſe zu motiviren weiß, wenn
8 doch nur für den Zweck eined Straferempels gefchehen feyn
ſoll. Diefer Mangel hängt aber mit bem ganzen Charakter,
burch welchen ſich die Grotius'ſche Theorie von den beiden
andern ihr gegenüberftchenden unterfcheidet, fehr eng zuſam⸗
men. Während dieſe beiden von.der Idee ausgehen, die
Kechliche von der Idee der abfoluten Gerechtigkeit, Die ſocinia⸗
sifche von der Idee der abfoluten Güte Gottes, oder wenig⸗
dens das Thatfächliche, den Tod Chriſti, unter den Geſichts⸗
punkt der Idee fo ftellen, daß die ganze. Auffaſſung befielben
mrch Die Idee beftimmt ift, liegt Dagegen der Theorie des
Brotins Die entgegengefeßte Anficht zu Grunde Man kann
sicht fagen, daß auch fie von ber Idee ausgeht, da in dem
Straferempel, das fie in dem Tode Chrifti fieht, die abfo-
Inte Gerechtigkeit und die abfolute Güte fih auf ſolche Weife
natralifiren, daß von einem beftimmten Princip der Theorie
nicht wohl die Rede feyn Tann, außer fofern man fich ge-
ſicht daß ‘bie vorangeftellte Idee des Straferempeld dieſe
Theorie von der focinianifchen mehr formell ald materiell un-
lerſcheidet. Se mehr fie ſich aber den Schein gibt, nur das
Faktum in feiner reinen Objektivität, in Verbindung mit dem
jergebrachten Begriff der Satiöfaction, zu ihrer Vorausſetzung
Baur, bie Lehre von ber Berföhnung. 8
34: 1. Ber 1 Abſchn. 4 Kay.
au haben, deſto mehr ſtellt fie ſich demfelben mit der Zuver. f
ficht gegenüber, fich mit ihm vermittelſt der juridiſchen Di F
ftinktionen und Definitionen, die ſie zu Hülfe nimmt, fo ab
finden zu können, daß man auf ber einen Seite ebenfo we
nig genöthigt ift, für dad Harte und Undenfbare, Das in
der Firchlichen Theorie zu liegen fcheint, einzuftehben, als am
der andern in den Widerſpruch -ausdrüdlich einzuftintmen,
welcher von Sorin dagegen erhoben wird. Inden man fd
auf diefe Weife einzig nur an das Faktum halten will, ſcheia
durchaus Fein Sntereffe mehr vorhanden zu feyn, irgend due
von einer beftimmten Idee ausgehende Theorie zu vertheibl-
gen, das Faktum feldft aber wirb num ganz nach der Form
eines juribifchen Proceffes behandelt, bei welchem man ſich
zu nichts anderem verfteht, als nur zu demjenigen, woz
man durch die beftehenden juridifchen Formen, ihrer fir
ften Deutung zufolge, verbunden iſt. Ebenfo verhäft es fich nm
auch mit: der Perfon Ehrifti. Daß die Vorausfegung ber
gottmenfchlichen Würde des Erlöſers für die Eirchliche Theo
rie ebenfo nothwendig, al8 für die ſocinianiſche überflüßig iR,
tft von felbft klar. Die Theorie des Grotius dagegen äh
fie zwar thetifch ftehen, hebt fie aber faktiſch dadurch auf,
daß fie ihr Feine beftimmte Bedeutung für das Werk ber Er:
löfung zu geben weiß. Warum Chriftus wegen der eigen
thümlichen Würde feiner Berfon, fofern er der Gottmenſch
war, fi) vorzugsweiſe zur Statuirung eines Straferempeld
eignete, iſt nicht einzufehen *). Wäre er nur für dieſen Zwech
ı) A. a. O. 5, ı2. ©. 72.: Quod poena in Christum collata
fuerit, hoc ita ad Dei et Christi voluntatem referimus,
ut ea quoque voluntas caussas suas habeat, non in me-
rito Christi (qui peccatum cum non nosset, a Deo pec-
catum factus est), sed in summa Christi aptitudine ad
statuendum Insigne exemplum, guae tum in mazima Ip
sius nobiscum eonjunctiohe, tum in tncomparabill yer-
‚kr.
|
Die Thevrie des Hugo Grotius. 435
welcher ebenfo gut auch durch ihn, als bloßen Menſchen,
nach ber focinianifchen Borftellung, erreicht werben lonnte,
und überhaupt nichts an fich nothwendiged in fich ſchließt,
Menſch geworben, fo bleibt immer ein nicht auszugleichendes
Mißverhältnig zwiſchen dem Mittel und dem Zwed. ' Statt
der Debuftion der Innern Nothwendigkeit ber Sache, wie fie
bie kirchliche Lehre zu geben weiß, und flatt ber völligen Ver-
uaichtleiſtung auf eine Idee, deren vernunftgemaͤße Nothwen⸗
digkeit man nicht anerkennen kann, wie dieß Socin offen bes
kennt, erhält man bei Grotius durchaus eine Rechtfertigung,
bie alles, was billiger Weife gefordert werben: Fann, geleiftet
m. haben. glaubt, wenn fie durch irgenb einen fcheinbaren
Qweck die abfolute Undenkbarkeit des vorausgefeßten Faktums
befeitigt hat. Dieß ift der Unterſchied der formellen juridi-
ſchen, einem gegebenen Rechtfall fich Aufferlich gegenüberftel-
lenden, und des fpefulativen, auf den innern Begriff der Sa⸗
che, ober das abfolute Weſen Gottes, zurüdgehenden Stand-
yunftg ?).
Sünftes Kapitel
oh. Erell. Die Arminianer.
Das Verhältniß, in welches ſich Grotius durch Die zwei⸗
deutige Haltung feiner Theorie zur fociniantichen Lehre ſetzte,
. "sonae dignitate consistit. Dief if alles, was Grotius hier⸗
über zu ſagen weiß. -
),Echr richtig und treffend if die Aeuſſerlichkeit und Hal:
tangelefigkeit der Grotius’fchen Theorie auch in dem ſchon
‚genannten Auffage in der evang. Nirchenzeit. 1834 nachge-
wieſen. „Die ganz juridifche Aufaflungsweife des Grotius,“
wird ©. 539. bemerkt, „iſt blos formell, d. b. es werden
Die im pofitiven Rechte entfiandenen Formen und Begriffe
auf die göttlichen Verhaͤltniſſe unmittelbar übergetragen, oder
28*
436
u. Ber. 1 Abſchn. 3. Kap.
war für die letztere zu nachtheilig, als daß ſich die Anhkw
ger derfelben nicht zu einer nähern Beleuchtung bed wahre
vielmehr diefe jenen unterworfen, und darnach geregelt und
feſtgeſtellt, ein Verfahren, welches die eigene Erfcheinun
erzeugt, daß die von Grotius thetiich dargeſtellte (im exken
Kapitel) und die von ihm vertheidigte Lehre der Schrift und
der Kirche als zwei ganz verfchiedene erfcheinen, ober di
fein Syſtem in der That eine ganz andere Lehre erzengt,
als die ift, die er durch das Syſtem vertheidigen will, un)
zu vertheidigen glaubt.” — ©. 595.: „Das Einfeitige un)
Schiefe in diefer Theorie verräth fih am erfien und deut
lihfien darin, daß Grotius nicht im Stande if, eine (aud
nur moralifche) Nothwendigkeit der Genugthuung Chriſti fon
fequent nachzuweiſen.“ — „Ohne Genugthuung Feine Ver⸗
gebung, war der durch Anfelm zuerſt beffimmt ausgefprocene,
aber durch alle Zeiten hindurch feftgehaltene Grundfag der
orthbodoren Erldfungsichre.e. So lange die Gegner nur den
Sa entgegenfellten, daß Vergebung auch ohne Genugshuung
allerdings möglich fey, war gegen die einmal faktifche, alle
von Gott gewollte Genugthuung als Bedingung der Verge
bung nichts gewonnen. Sie mußten den Beweis führen, daß
mit Genugthuung Feine Vergebung möglich. Dieß verfucte
nun namentlich der: jedenfalls fonfequente Sorin. Dem Per
theidiger der Eirchlichen Lehre, der fich zum direkten Gegen
fas (ohne Genugthuung Feine Vergebung) nicht bekennen
will, bleibt nun natürlich nichts übrig, als der negatiw
Gegenbeweis, daß ohne Genugthuung die Vergebung nidt
unmöglich fen, .d. h. daß fich die von Ehrifto gefchebene,
von Gott veranfialtete Genugthuung mit der Wergebung,
welche ohne fie gefchehen Eonnte, wohl vertrage, oder etwas
yarador ansgedrücht, daß Gott trotz der Genugthuung die
Sünde vergeben kann. Das nun und in ber That nicht
weiter hat Grotius durch fein Buch bewiefen. Wenn dem
nun die Senugthuung Ehrifii hienach in Feiner nothwendigen
Verbindung fieht mit der Sündenvergebung, fo ift dieß alſo
auch nicht Zweck der Genugthuung, und weder fie, noch die
—
— ——— ⸗2
305. Crell. 437
tandes der Sache hätten aufgefordert fehen follen. Es ge
ſah dieß durch Die bekannte Erwiederung, welche Joh. Crell
Erldſung überdaupt, hängt unmittelbar mit der Genagthuung
zuſammen: denn die Sündenvergebung als Zweck der Ge⸗
nugthuung angeben, und doch die innere, durch den Zweck
ſelbſt geforderte, Nothwendigkeit längnen, ift eine, fo zu ſa⸗
sen, logiſche contradictio im adjecto. Die Brage gefaltet
fich demnach bei Grotius fo: ob nicht Gott Doch noch Brund
Hatte zur Strafe Ehrifti, obgleich er auch ohne fie den Zweck
erreichen konnte?“ — ‚Das höchfie, was Grotius Dargethan,
ift die Möglichkeit, die Tauglichkeit Chriſti zu dem Zweck,
den Gott mit ihm vorhatte. Darnach aber hatte der Geg⸗
ner gar nicht gefragt. Die Frage if vielmehr, warum Gott
anderes, als um des Todes Ehrifii willen, nicht vergeben
wollte? Die Antwort aber, die Grotius gibt, ſteht mit den
Sünden weder in einer nothiwendigen, noch überhaupt in eis
ner realen Berbindung. Grotins gefteht felbft zu, daß Gott,
der nach feiner Liebe fchonen, d. h. die Relaration des Ges
ſetzes eintreten laffen wollte, auch, ohne die Statulrung des
©traferempels folches hätte thun Finnen, daß er aber neben
feiner Liebe auch feinen Eifer zeigen wollte, Allein wozu
noch ein befonderes Erempel, da Gott ſolchen ia Fräftig ge:
nug an den Iinglaubigen und ihrer Verdammniß zeigt? Und
welchen Einwürfen und Vorwürfen fegt fih Grotius hiemit
aus? Itt es nicht 3. B. die größte Ungerechtigkeit, ja bie
größte Sraufamkeit von Gott, wenn er blos, um feinen Zorn
Eund zu thun, feinen Sohn den martervollfien Qualen preis-
gibt, da er auch ohne fie die Sünden vergeben Fonnte, ia
wirklich auch (nad) Grotius) ohne fie den Menſchen vergibt?’
So richtig dieſe leßtern Bemerkungen find, fo muß doch zu⸗
gleih, wenn man das Verhältnif der Grotius’fchen Theorie
sur Socin'ſchen, und das DBerhältniß beider zur Lehre der
Schrift erwägt, gebilligt werden, daß Grotius den Tod Chri:
ſti aus dem Geſichtspunkt eines Strafverhältniffes betrachtet, nur
daͤtte er den ganzen Zweck nicht blos in das Strafexempel ſetzen
folen. Nur wenn die Nothwendigkeit des Todes Chriſti auf
438 II. Ber. 1 Abſchn. 5. Ray.
der Schrift des Grotius entgegenfehte: 2). Es konnte ihn
nicht ſchwet werden, das Unrecht, das Grotius durch Ten
einfeitige Polemif den Socinianismus angethan hatte, nad
zumelfen. Da jedoch die Crell'ſche Schrift, ihrem *
halte nach, theils nur eine, nichts weſentlich neues darbietende,
Vertheidigung des ſocinianiſchen Lehrbegriffs, theils eine gar
zu ſpecielle Erörterung der einzelnen von Grotius vorgebrade
ten Argumente, und der auf diefelben ich beziehenden Bibel⸗
ſtellen enthält, fo iſt es nur die Idee des Strafexempels, in
Anſehumg welcher die Erell'ſche Kritik hier von Intereſſe ſeyn
kann. Die Gründe, bie Crell ihr entgegenſetzt, find denjeni⸗
gen ganz analog, mit weichen Socin die Satisfactions⸗Idee
zu widerlegen fucht. Wie Socin befonders den Miderfprud
der Genugthuung und der Vergebung hervorhebt, fo finde
Crell denfelben Widerfpruch in der Idee des Straferempels,
ſofern auf der einen Seite die Aufhebung, auf. ber andern
die Betätigung des Geſetzes behauptet wird. Wie fich dent
denken laſſe, daß Chriſtus zur Strafe für unfere Sünden in
der Abſicht geftorben fey, danitt dem Anſehen des von Gott
fanftionirten Strafgefeges durch Unterlaffung der Strafe nichts
andere Weife motivire iſt (mie von Socin gefchah), läßt ſich,
ohne daß auf Gott der Vorwurf der Graufamkeit fällt, mit
dem Tode Chriſti die Idee des Straferempels verbinden, fo
daß an die Stelle der wirklichen Erduldung ber Strafe die
ſymboliſche Darfellung derfelben geſetzt wird.
4) Responsio ad librum Hug. Grotii, quem de: satisfactio-
ne Christi adversus Faustum Socinum Senensem scrip-
sit. Dom %. 1623. Bibl. Fratr. Pol. Tom. V. ©. 1.j.
— Sogleich nach Erfcheinung der Schrift des Grotius trat
H.Ravenfperger, Brof. der Theol. in Gröningen, als Guy»
ner gegen ihn auf, in der unbedeutenden Schrift: De li-
bro H. Grotii etc. H. Ravenspergeri judicium. @rönin=
gen 1617., wogegen ©. 3. Voffius feinen Freund in ber Re-
sponsio ad judicium H. Ravensp. vertheidigte.
- a
Job. Crell. | 439
tzogen werde, wenn doch Gott eben dieſes Geſetz durch Chri⸗
8 und feinen Tod abgeſchafft, und feine Kraft und Guͤl⸗
feit für die Zufunft aufgehoben habe? Nehme man in die-
m-Sinne mit Grotius nicht eine völfige Aufhebung, fondern
se bloße Relaration des göttlichen Strafgefebed an, in wel-
em bie ganze Strenge bed woſaiſchen Geſetzes und ber
ößte Segenfah gegen die Gnade bed Evangeliums ſich dar-
lie, fo made man aus Chriftus einen Mofed, und ver-
andle das Blut des neuen Bundes in. das Blut bes alten
undes, in das nach Rache fchreiende Blut Abels. Befreit
m und unter bem Fluche ober der Strafe des ewigen To»
8 ftehen, fen ein Widerfpruch *), ein ähnlicher Widerfpruch
1) Responsio ad cap. 3. a. a. O. S. 98.: Tollunt se mutuo,
aliquem velle salvum, et eundem maledictiont, seu mortis
aelernae poenae, subjicere. Immo licet in evangello quo-
que comminatio mortis aeternae non credentibus aut non
restpiscentibus sit proposita, nusquam tamen indicatur ,
eum in finem Dominum Jesum esse mortuum, ut id con-
firmaret, et insigniter stablliret, sed semeltantum, idque
obscurius, a Christo indicatur Luc. 23, 31., guomodo ex
morte ipsius perspiet possit, eos, qui in impietate persi-
stunt, punitum irl, nec quisguam ex» aliis sacris scrip-
. toribus, cum docere vult, Implos ac non resipiscentes
perituros, argumentum ejus rel ea mörte Christi petit.
. Nempe quia hoc ipsum Novi Foederis non est plane pro-
prium, et aliquo modo, ut disimus, legale, mors autem
Christi ad illa, quae Nowi Foederis sunt propria, confir-
.manda speclat. Quod si ne in hunc quidem finem Chri-
stus revera est mertuus, Hcet ea res Novi Foederts ali-
qua ratione sit propria, quanto minus eum in finem
mortuus censeri debet, ul ejus legis aucloritatem sta-
biliret, quae non illos demum, qui In ipsum crede-
re ae resipiscere nolint, sed omnes quotquot aliquando
peccarint, morti aelternae mancipiat, quae ab Wa di-
stincta, nullo modo est Novi Foederis propria, sed ab
440 IL Ber. 1 Abichn. 5. Kap.
demnach, wie dem Socin zwiſchen Genugthuung und Berge
bung ftattzuftnden fehlen. Ebenſo verhält es ſich mit einem
andern Argument. Wie Socin fowohl an fi) fchon Genug
thuung und Vergebung nicht zu vereinigen wußte, ald auf
ganz befonders Chriftus fich nicht als den genugthuenden
Stellvertreter der Menfchen denken Tonnte, fo glaubte Grel
an — ——
dem Leiden Chriſti nicht den Charakter eines Strafleiden '
zufchreiben zu Eönnen, welchen es ber Theorie des Grotius
zufolge gehabt haben fol. So wenig Ehriftus, wie Sorn
zeigte, als einzelner Menfch den ewigen Tod aller Menſchen
erbulden Eonnte, ebenfo wenig kann, behauptet Crell, Chriſtus
für fremde Sünden, deren Schuld er nicht theilte, geftaf
worden ſeyn. Es wibderftreitet dieß der Natur der Strafe,
und das Leiden Chrifti kann daher, wenn Chriftus nicht un
gerecht gelitten haben fol, nur im uneigentlichen, nicht abe
im eigentlichen Sinne eine Strafe genannt werden ?). In⸗
en dis dıa nacuy disstdet? Es ift hieraus zu fehen, wie die
ganze Frage Über das Verhältniß des Gefeges und Evange
liums hier eingreift.
4) In der Responsio ad cap. IV. der Grotius’fchen Schrift
a. a. O. 6.99, zeigt Erell, Christum salva justitia pu-
niri non potuisse. Das Hauptmoment liegt in der Unter
fcheidung der beiden Begriffe afflictio und poena (©, 105.):
Omnis quidem poena afflictio, at nom vice versa omnis
afflictio poena. — Poena ea demum afflictio est, quae
vindictue rationem habet. — Unde alterum consequitur
discrimen, quod poena nemini imponi possit nisi eo jure,
quod ex delicto ipsius oritur. Id enim vindictae ratio
postulat, aliogui injusta futura. Afflictio autem possit
cutplam imponi citra ipsius delictum , vel jure dominil
absoluti, quod quis in affligendum habeat, vel eo jure,
quod ex ipsius affligendi valido consensu proficiscitur.
— Ex eadem poenae forma nascitur tertium discrimen.
quod propria poenas causa impulsiva, proögumena, sive
interna, est ira, quo nomine irae quoque analogum W-
oh. Crell. 44
m aber Crell fich hiemit ausdrädlich einverflanden erklärt,
# ber Begriff der Strafe, wenn auch nicht eigentlich, Doch
eigentlich auf Chriftus angewandt werde *), fieht man
Iuntatis actum complectimur, at afflictionis non omnis
ea est causa, sed saepe contraria, nempe amor ac be-
nevolentia. Indidem et quartum proficiscitur discrimen®
prior! allguo modo affine, quod poenae, qua talis est,
sit tantum nocere el, quem punis, non vero ei benefa-
cere et felicitatem ejus quaerere, at nihil prohibet, quo
minus is, qui alterum affligit, primo ac per se nihil
altud, quam ejus Ipsius, quem affligit, bonum ac felici-
tatem quaerat. Itaque fiert potest, ut quis el, cui af-
ſtictionem imponit, praemium proponat, quo ei afflic-
tionem illam abunde compenset, quemadmodum sane tum
Christo, tum martyribus infinitum afflictionis praemium
a Deo fuit propositum et Christo jam persolutum, alt
. poenae naturae id prorsus repugnat, quia id omnem vin-
dictae ratimem evertit. Ex quibus differentiis, prae-
sertim tribus prioribus, satis etiam apparet, cur inno-
cens puniri jure nequeat, affligi jure queat.
1) Crell beginnt a. a. D. ©. 4. feine Responsio mit der Bere
fiherung: Vox poenarum, non incommode, guamguam
ämproprie, ad passionem ac mortem Christi, salva sen-
tentia nostra, potest transferri. — Grotius, ul apparet,
- poenarum vocem accepit proprie. — Hanc nos Christum
sustinuisie negamus, improprie dictam fatemur. Id
enim, quod Christus perpessus est, cum vera poena tan-
tam habet cognationem, ut ea vox et phrases, in suppli-
ciis proprie dictis usitatae, eleganter ad pussionem ip-
sius traduci possint. EConvenientia primum est in ma-
teria poenae, quae est afflictio aut nocumentum, dein-
de in caussa impulsiva procatareticay hoc est peccatis,
tandem in effectu et fine, qui est, ut realus peccatorum
admissorum tollatur, et a peccatis homines abstrahan-
tur, guamquam in modo aliqua est differentia. Deest
autem polissimum forma, quae est vindictae ratio. Quod
442 IL Ber. J. Abſchn. 5. Kap.
nicht, worin denn eigentlich noch die Differenz zwiſchen bei⸗
ben Anfichten beftehen fol. Auch bei Grotius kann ja, ba
er Feine genugthuende Stellvertretung annimmt, und doch de
Unſchuld Chrifti nicht Täugnet, nicht von einer wirkliche
Strafe die Rede feyn, fondern nur von einem Straferempd,
d. 5. der Darftellung bes Zufammenhangd der Sünde mb.
der Strafe an einem einzelnen Individuum, wobei es bew ‘
nach nur darauf angefommen wäre, ben Begriff: einer folden
Darftellung, durch welchen an die Stelle der Sache ſelbſt ein
bloßes Bild oder Symbol der Sache, ein Strafſombol, gefeht
wird, genauer zu beftimmen.
Die Eirchliche und bie focinianifche Theorie find auf die
MWeife, fo natürlich es tft, daß zwilchen dem firengen Gege⸗
fa, welchen fie bilden, auch wieder etwas Bermittelndes
hineinfällt, noch immer unvermittelt, da die Grotius’fche Theo
rie wenigftend in der ihr von Grotius gegebenen Form em
zu zweideutige Haltung hat, als daß fie ſich, der ſociniani⸗
fhen gegenüber, als eine felbfiftändige behaupten Könnte
Gleichwohl ift Die jene beiden Theorien in einer vermittelnden
Vorſtellung ausgleichende bei derfelben Religionspartei zu fir
chen, welcher auch Grotius angehört, der Arminianifchen, nur
st tamen Grotius ad formam poenae sufficere putat re-
Iationem 'nocumenti ad peccatum et ad bonum commu-
-—
ne, atque adeo poenam definit nocumentum_ peccali |
caussa culplam inflictum, inservtens bono communi d
reatui tollendo, in forma rei, de qua agitur, adeoge
in principali quaestione nobis cum ipso conveniet, n&
nist forte de voce controversia nobis ab eo har in parte
movebitur. Rem enim fatemur, vorem poenae propri
huc pertinere non concedimus. Hier ift, was man [pätt
die ſymboliſche Anficht vom Tode Chriſti genannt hat, ſchon ;
ziemlich Far angedeutet.
4!
Die Lehre der Arminianer. > 443
wen es erſt Curcelläus *) ımd Limborch ®), bie fle auf ih⸗
F abäqnaten Ausbrud zu bringen wußten. Die vermittelnde
vee iſt die auf den Tod Chrifti übergetragene Opfer «See.
we Bedeutung in der Lehre von der Verfühnung wurde
mr and, fehon von Grotius gegen Socin geltend gemacht,
er es geſchah dieß nur nebenher 3), und es tft leicht zu fer
a, daß, folange das Hauptgewicht auf das Straferempel
fegt wird, deſſen Wirkung fi nur auf die Menfchen bes
ht, Die Opfer⸗Idee, die eine auf Gott felbft ſich bezichende
jektive Wirkung vorausfebt, nicht zu ihrer wahren Bebeus
mg kommen Tann. Eben dieß ift es aber hauptfächlich, was
ie arminiantfche Theorie bezweckt, den Tod Chrifti in ein
hektives Berhältniß zu Gott zu ſetzen ). Daher fegt Lim
orch feine Theorie, nicht blos wie Grotius die feinige, der
xinianiſchen entgegen, fondern betrachtet fie als die, fowohl
er lirchlichen, als der ſocinianiſchen auf gleiche Weiſe eni⸗
egenſetzte 9. Die Haupteinwendung Limborchs gegen Socin
— ——
$) Steph. Curcellaei opera theologica, quorum pars praeci-
pua institutio religionis christianae. Amfterdam 1675. In-
‚stit. Lib. V. Cap. XIX. ©. 214. f.
2%) Phil. a Limborch Theologia christiana ad praxim pietatis
ac promotionem pacis christianae unice directa. Ed. V.
Umfterdam 1730. Lib. IH. Cap. XX.f. S. 256.f.
3) Nur in eregetifcher Hinficht 40, 21. ©. 129.
4) Schon Epiſcopius machte den Grotius, als ihm Diefer das
Mannfeript feiner Schrift zufchichte, auf diefen Punkt als
. das eigentliche zuwonevov zwifchen ihm und feinem Gegner
Sxxin aufmerffam, indem ex gegen ihn bemerfte, es handle
ich hauptfähhlich darum: An Christus morte sua circa
Deum aliquid effecerit? Grotius ging jedoch darauf nicht
weiter ein, Ep. Grot. 91. ad Voss. .
5) Restat, bemerkt Limborch V, 22. ©. 262. nad) der Wider:
‚ Iegung der focinianifchen und der irchlichen Lehre, senten-
tie nostra, quae Inter duas hasce extremas media est.
“4 IL Ber. I. Abſchn. 5. Rap.
it, daß er Chriſtus au einem Priefler ohne Opfer made,
und das Fönigliche Amt Chrifti mit dem priefterlichen ver
menge. Wenn dad Opfer Chrifti ben vorbildlichen Opfern
des 9. T. entfprechen fol, fo. müfie fi) die Thaͤtigkeit Chri⸗
fi unmittelbar auf Gott ſelbſt beziehen, und deßwegen ber
Tod Chrifti ald bie eigentliche Urſache der Suͤndenvergebung
und Verföhnung mit Gott angefehen werben. Wie wir und
durch unfere Sünden gegen Gott verfchuldet haben, fo babe
Chriftus für uns fterben müffen, um Gott das Löfegeld für
unfere Sünden zu bezahlen. Wäre Chriftus nur zur Bes
tigung der Wahrheit feiner Lehre und infofern nur mittelbar
zur Vergebung unferer Sünden geftorben, fo würbe auch bem
Tode ber Märtyrer in gewißem Sinne bie Vergebung unſe⸗
rer Sünden zugefchrieben werden können. Gegen bie Firdlis
he Lehre dagegen wurde vor allem geltend gemacht, daf
wenn Chriftus für und vollflommen genuggetban, und all
und obliegende Gerechtigkeit an unferer Stelle erfüllt Hätte,
von ums felbft nichts mehr gefordert werden könnte, nicht ein
mal der das Verdienſt Chrifti ergreifende Glaube. Sage
man, ed werde von unferer Sünde doc, wenigſtens Danf-
barkeit und Anerkennung des Verdienſtes Chrifti geforbert,
fo fey ja die Dankbarkeit auch eine Pflicht, die Chriftus mit
ber Erfüllung bes ganzen Geſetzes für uns fchon erfüllt ha-
be *). Daß aber die Lehre von einer der göttlichen Gere:
s) Daher machen auch die Arminianer, wie die Soeinianer, der
firchlichen Xehre, insbefondere der Lehre vom thuenden Ge:
borfam, den Vorwurf, daß fie zur Unſittlichkeit führe. Bol.
Curcell. Inst. VII. 1, 7.3 Zvertitur necessitas sanctimo-
niae per dogma de imputata Christi sanctitate. Nam
si imputatur electis obedientia, guam Christus legi mo-
rali eshibuit, et ejus sanctitate tanquam pallio tegalur
eorum impuritas coramı Deo, adeo ul etiumsi nullum er
ejus mandalis servaverint, et adhuc in omnem nequi-
liam pruni sint, Deus lamen ipsis ex mera gralia per-
|
|
VE
Die Lehre der Arminianer. 445
eilt in vollem Sinne genugihuenden Satisfartion nicht ale
hre der Schrift angefehen werden könne, wird durch folgen«
- &ründe gezeigt: 1. Der Tod Chrifti wird ein Opfer ge»
mnt, aber Opfer find Feine Bezahlung der Schuld, 'Teine
Uſtaͤndige Satisfaction fuͤr Die Sünde, fondern nur die Be
ngung, die der freien Vergebung der Sünde vorangehen
uß. 2. Chriftus hat den ewigen Tod weder intenfiv (ba
unter der Laft des göttlichen Zorns nicht verzweifelte) noch
tenſiv erbuldet. 3. Wenn Chriftus alle Strafen für unfere
anden vollftändig abgebüßt hat, fo bleibt der göttlichen
mabe nichts mehr übrig, was fie uns ſchenken könnte. Die
ergebung unferer Sünden ift nicht mehr, wie die Schrift
hrt, Sache der göttlichen Barmherzigkeit, ſondern nur der
Mtlichen Gerechtigkeit, welcher vollfommen genuggethan if,
‚ Wenn Chriftus für und ſchon Satisfaction geleiftet hat,
ı hat Gott weder das Recht, Glauben und Gehörfam von
ns zu fordern, wie er doch thut, noch auch, wenn wir ihn
It leiften, uns der Frucht des Todes Chrifti zu berauben,
nd wegen unferer Sünden zu beftrafen, Da es ungerecht
Kire für dieſelbe Sünde die Strafe doppelt zu vollziehen,
fectam Christi satisfactimmem, justitiam et sanctitatem
donet et imputet, non est necessartum, ut illi propria
sanctitate sint ornati. Imo illi operam velle dare nihil
aliud esset, quam ostendere, te perfectae Christi justitiae
non satis confidere, quod pro magno habent peccato.
Unde fit, ut illi sanctimoniae studium requirant tantum,
ut gratitudinem erga Deum pro salute gratis destinata,
non ut medium ad illam acquirendam necessartum. Quod
est sane totam necessitatis rationem evertere. Nam st
: neque per ingratitudinem hominum unguam revocentur
Det dona, ut iidem illi docent, illi salute nom escident,
quibus ea est destinata, etsi gratitudinem suam per ope-
ra sanctitatis et justitiae non ostendant, sed in pecca-
torum coeno se adhuc assidue volutent.
zuerft an Chriftus, und hierauf an und. Daß Chriftus in
der Schrift unfer Bürge genannt wird, iſt nur aus der Be
Ihaffenheit des Bundes zu erflären, in Beziehung auf we,
chen er Bürge iſt. Es folge hieraus nicht, daß er alle durh
unfere Sünden verichuldeten Strafen auf ſich genommen hat,
fondern nur, daß er ſich anheikhig gemacht bat, durch fein
Wort und feinen Geift zu bewirken, daß die Genoſſen de}
Bundes die Bundesbedingungen erfüllen. Wenn es auch nick‘
von allen wirklich gefchieht, fo fehlt e8 Doch von Seiten Chri⸗
fti nicht an der Möglichkeit, diefe Bedingung zu erfüllen, und
nur unter der Vorausfegung diefer von Chriftus für Die Men⸗
fchen geleifteten Bürgichaft kann Gott, wenn er durch das
Blut Chrifti verföhnt ift, einen neuen Bund mit den Sünden ;
eingeben. Ebenſo wenig fegt der Begriff eines Löſegelds vors
aus, daß Chriftus für uns alles, was wir Durch unfere Sim °
ben verbienten, geleitet hat ). Im Gegenſatz gegen bie
beiden Theorien liegt nach Limbordy das Hauptmoment da⸗
rin, daß Chriftus als wahres und eigentliche Opfer für um
fere Sünden an unferer Stelle die größten Leiden erhulbe,
und dadurch die Strafe, die wir verdient hatten, von ımd |
abgewandt hat. Als Strafe aber Tann das Leiden Chrifi
angefehen werden, zwar nicht fofern er daſſelbe erbuldete,
was die Menfchen hätten erdulden follen, aber doch, fofern
das nach Gottes Willen Aber ihn verhängte Leiden bie Stelle
einer Strafe vertrat, fo daß fein Leiden diefelbe Wirkung hat
zur Verföhnung Gottes und zur Vergebung unferer Sünden,
wie wenn er daſſelbe erbuldet hätte, was wir hätten erdul-
1"
446 ll. Ber. L Abſchn. 5. Rap.
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A
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4) %. a. D. III, 21. 8.: In eo errant quam masime, quod
vellnt redemtionis pretium per omnia acgquivalens esst
debere miseriae ill, e gua redemtio fit, redemtionis pre-
tim enim constitui solet_pro libera aestimatione illius,
qui captivum detinet, non autem solvi pro captivi meri-
to. — Ita pretium, quod Christus persolvit, juæta De
patris aestimationem persolutum est. |
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Die Lehre der Arminianer. 447
a follen 9; Der Borwurf der Grauſamkeit kann Bott dar⸗
ver nicht gemacht werden, baß er feinen Sohn als Opfer
xben ließ, da Gott, wie er überhaupt der abfolute Herr
m allen Menfchen ift, fo auch als Vater dad Recht hat,
a Sohn dem Tode zu übergeben, da ferner der Sohn fidh frei⸗
illig als Opfer zur Befeligung der Menſchen darbot, und
1, was die Hauptfacdhe ift, Gott dem Sohn mit Rüdficht
sf feinen Tod die Auferftehung und Erlöfung verhieß. Die
auptfrage jedoch ft, wie dad Opfer eines einzigen Men-
ben zur Verſöhnung der zahllofen Sünden einer fo großen
Benge von Menſchen zureichend feyn Tann? Zureichend war
|, antwortet Limborch, in doppelter Hinficht, fofern man das
4 fowohl den Willen Gottes, als auch DieWürbe der Ber-
a in Betracht zieht. Vom Willen Gotted hing es ab, zur
öfung der Menſchheit nichts weiter als dieſes Eine Opfer
ı verlangen, da Gott das abjolute Recht hat, zu. beftim«
m, was zu feiner VBerföhnung gefchehen fol. So gut es
2 Mille Gottes war, das Opfer des 9. T. zur Berföh-
mg ber. Sünden des Volks für zureichend zu erklären, eben⸗
"Zut kann dieß in Beziehung auf das Blut Chrifti zur Ver⸗
huung der Sünden der ganzen Menfchheit geichehen. Was
ver die Würde der Perſon betrifft, fo will bier bie arminia-
ke Dogmani keineswegs unbeachtet laſſen, daß, wenn auch
hriſtus nur als Menſch gelitten haben kann, ſeine menſch⸗
24 M. a. O. III, 22. 2.: Ba ut Ahoi sunsu. Jesus Christus
- wastro loco punitus recte diestur, quatenus summos ani-
mi angores, crusisgue mortem maledictam pro nobis tu-
' Üt, Yuae poenae vicarlae pro peccatis nostris rallonem
habalt. Atque hoc sensu Dominus morte sus Patri pro
nobts satisfoctsse, noblsque jusiitiiam merilus esse dict
potest, quatenus satisfecit non rigort justitiae divinae,
’ sed volantati Dei justae simul uc miserlcordi,, omniaque
peregit, vuue ad nosirs reconciiiatlünem a Deo vopuist.
ta sunt.
48 1, Ber. 1 Abſchn. 5. Kap.
liche Natur von der göttlichen in die Einheit der Perſon auf
genommen worden tft 2). Ja, ſchon als Menſch habe Chri⸗
ſtus eine ganz eigenthümliche Würde feiner Berfon gehabt,
Daher Eönne Tein Zweifel feyn, daß die Würde der Perſon
auch dem Leiden Chrifti eine unendliche Bedeutung gegeben
habe 2).
Co fehr die arminianifche Lehre auf biefer obiektiven
Seite vom Socinianismus zur Tirchlichen Lehre zurüdlenkte,
fofehr ſchloß fie fih Dagegen auf der ſubjektiven Seite an den
felben an. Daſſelbe praftifche Sntereffe, aus welchem der Se⸗
cinianismus hervorgegangen war, befeelte auch den Arminia
nismus, und war die Urfache des Widerſpruchs geweſen,
mit welchem er fich dem alle fittliche Freiheit aufbebenden ab⸗
foluten Prädeftinationddogma entgegengefeht hatte. Wie die
Sorintaner fonnten daher auch die Arminianer den Glauben
den Werfen oder dem Gehorfam nicht entgegenfeßen, fondern
den Sehorfam nur im Glauben begreifen, fofern der Glaube
überhaupt das Princip der chriftlichen Frömmigkeit und :Heb
ligung ift 9. Daraus folgte von felbft, daß fie auch die im
Glauben zuzurechnende Gerechtigkeit Chrifti nicht als das Ob
jeft des Glaubens betrachten konnten. Limborch erflärt diefe
1) Dan Eönne daher mit Recht fagen, daß auch der ewige Sohn
Gottes litt, was der Menſch Jeſus Chriſtus im Fleiſche für
die Sünder litt.
2) III, 22, 5.: Personae Christi dignitatem immensum pas-
sionibus ejus pondus conferre, quis est, qui in dubium
vocare possit? Unius principis aut ducis captivi digni-
nitas multis aliis captivis redimendis sufficit : quantum
momenti censemus ad generis humani liberationem con-
ferre dignitatem illam supremam Filii Dei?
3) So definirt auch fchon die Confessio Remonstr. c. 11. da
Slauben: Necesse est, ut fidei praescriptum non allo
modo hic conskderetur, quam quatenus proprietate sus
naturali obedientiam fidel includit.
an. — Gi,
Em
“r Dr 2
Die Lehre der Arminianer. 449
hre *) für ganz ungereimt. Nicht nur Iehre. die Schrift
rgendbs, daß die Gerechtigkeit Chrifti und zugerechnet wer-
„ſondern e8 lafle ſich auchngar nicht denken, daß Die Ge⸗
chtigkeit des Einen dem Andern zugerechnet werde, Da daß
ze Wefen und Verdienſt der Gerechtigkeit nur darin bes
ehe, daß fie aus der eigenen freien Selbftthätigfeit jedes Ein-
inen hervorgeht. Ohnedieß würde ja Die Lehre von einer
bfoluten Prädeftination eine folche Aneignung durch den
Kauben völlig überflüßig machen, indem die Erwählten nur
sd. erhalten würden, was fie ald Ermwählte fchon haben.
Ne Zurechnung der Gerechtigkeit befteht daher nur darin, daß
der Glaube ald Gerechtigkeit angerechnet, oder unfere
wollfommene Gerechtigkeit um Chrifti willen als eine voll
mmene angenommen wird 2), Das Objekt dieſes Glau⸗
end iſt der ganze Chriftus als Prophet, Prieſter und Kö⸗
ig, nicht blos mit feiner Verjöhnung, fondern mit feinen
Behoten, Berheißungen und Drohungen, und der Glaybe an
jhriſtus felbft kann nur als ein Akt des freien Gehorſams,
wichen wir Gott leiften, gedacht werden. Werde der Glau-
e als die Ergreifung der Gerechtigkeit Chriſti definirt, fo
aſe fich nicht erklären, wie dieſe Ergreifung nicht das Werk
4) Er befchreibt fie fo VI. 4, 24.: Fidem esse apprehensto-
nem illius justitine, seu ipsam illam Christi justitiam,
quatenus fide apprehensa est (fide metonymice hic ac-
cepta pro objecto suo, Intricate enim hic loquuntur), quae
zer fidem illam nostra fit, adeo ut justitia Christi ve-
stiti ac tecti benedictionem a Deo consequamur , perin-
de uti Jacobus, indutus veste fratris sul primogeniti Esau,
benedictionem a patre. Isaac consecutus est.
2) VI. 4, 17: 18.: Est gratiosa aestimatio (mentis divinae),
seu potius acceptatio justitlae nostrae imperfectae (quae
st Deus rigide nobiscum agere vellet, in judicio Dei ne-
quaquam comsistere posset), pro perfecta, propter Jesum
Christum.
Baur, die Lehre vonder Verſöhnung. 29
450 U. Ber. L Abſchn. 5. Kap.
des Menſchen felbft ſeyn foll, außer fofern ſich der Menſch da
bei ganz paffiv verhält, und alled auf einen Aft ber göttlis
hen Allmacht zurüdgeführt wird. Werde aber der Glaube
ein Werk des Menfchen felbft genannt, fo werbe hiemit nit
gefagt, daß er einen innern objektiven Werth habe, und die
formale Urſache unferer Rechtfertigung fey, da die Rechtfers
tigung nur ein reiner Akt des göttlichen Geiſtes, buch mes
hen und Gott für gerecht hält, und ber Glaube felbft im
mer ein an ſich unvollfommener Aft ſey. Wenn ber Glaube
obgleich felbft ein Werk des Menfchen, den Werken entgegen
gefegt werde, fo beziehe ſich dieß nur auf den Gegenfap zu
den Werfen des Geſetzes. Dielen ftehe ber Glaube entgegen,
fofern er nach Abfchaffung aller äußern Geremonien des Ge
feßes eine geiftige Gottesverehrung in fich enthalte, und fe .
nen der Strenge des Geſetzes entfprechenden, fondern nur ds
nen den Kräften eines jeden angemeflenen Gehorfam verlan-
ge *). Gegen eine ſolche Zurechnung der Gerechtigkeit Tann
nicht eingewendet werden, daß es mit der Wahrheit des gött
lichen Gerichts ftreite, eine unvollfommene Gerechtigkeit für
eine vollfommene zu erflären. Diefes Argument würde nur
auf die Gegner zurüdfallen, und fie müßten felbft geftehen,
daß Gott, wenn fein Gericht Fein unwahres fern fol, bie
Gerechtigkeit Chrifti nicht als die Gerechtigkeit des Menſchen
4) VI. 4, 37.: Nec rigidam exigit obedientiam, sed benig-
nam ac graliosam ac cujusque viribus attemperatam,
praescriblt enim resipiscentlam, promittitque remissio-
nem peccatorum, exigit obedientiam fidei, hoc est, nun
rigidam et ab omnibus aequalem, prout esigebat les,
sed tantum, quantum fides, id est certa de divinis pro-
missionibus persuasio, in unoquoque efficere potest, in
qua eliam Deus multas imperfectiomes et lapsus conde-
nat, modo animo sincero praeceptorum ipsius observ- |
tioni incumbamus, et continuo in eadem proficere siı-
deamus.
Die Lehre der Armınianer. 451
sehen kann. Allein Gott erklärt nicht die Gerechtigkeit bed
zenſchen für eine vollfommene, vielmehr für eine unvoll-
mmene, er will nur die Gerechtigkeit, die er für eine uns
Wfommene erklärt, vermöge feiner Gnade, fo annehmen,
ie wenn fie vollfommen wäre Die völlige Ausfchliegung
7 Werke aber würde fowohl mit der Lehre der Schrift, wel⸗
e die Vergebung der Sünden nicht blos von dem Glauben,
adern auch von den Werten abhängig macht, ſtreiten, als
sch Die Ungereimtheit zur Folge haben, daB der Menſch
ı feiner Sottlofigfeit gerechtfertigt werde. Sind alle Werfe
m ber Rechtfertigung ausgefchlofien, fo fällt auch der Glau⸗
&, fofern er ein Werf des Menfchen ift, hinweg, und ed
it fich nicht Denken, wie man, ohne in ein leeres Spiel mit
pelbeutigen Formeln zu verfallen, ben lebendigen Glauben
er Rechtfertigung verlangen kann *).
Sechstes Kapitel
)er Standpunft des Dogma’s in der zweiten Hälfte
es fichbzehnten und der erfien Des adhtzehnten Jahr:
hunderts. Rückblick aufdie Myſtiker. J. K. Dippel.
In den beiden, auf die dargeſtellte Weiſe einander gegen⸗
herſtehenden, Theorien, der kirchlichen und der arminiani⸗
4) Wie die arminianifche Lehre die natürliche Vermittlung zwi⸗
ſchen der Firchlichen und focinianifchen it, fo haben auch
die neuern Soeinianer, oder Unitarier, In Siebenbürgen felbft
du ihr eingelenkt. In der zu Elaufenburg im J. 1787 ers
fehienenen Summa universae theologiae christianae secun-
dum Unitarios, in usum auditorum theologiae concinna-
ta et edita (vgl. J. G. NRofenmüller’s kurze Darftellung des
eigenthümlichen Lehrbegriffd der Unitarier in Siebenbürgen
in Stäudlin’s und Tzſchirner's Archiv für alte und neue
Kirchengeſch. J. Bd. 1814. ©. 83. f.) wird P. IL cap. IV.
29 *
452 Il. Ber. J. Abſchn. 6. Kap.
fchen, hatte dad Dogma von der Verfühnung aufs neue ei⸗
nen beftimmten Punkt feiner Entwidlung erreicht. Jede der
beiden Theorien beruhte auf einer eigenthüntlichen im religiö-
fen Bewußtfeyn begründeten Idee, die eine auf der Idee ber
ftrafenden Gerechtigkeit, die andere auf der Idee ber freien
vergebenden Gnade. Indem aber bie letztere Theorie, in der
Form, welche ihr die Arminianer gegeben hatten, Die Berge
bung durch die Gnade doch zugleich wieder von ber Außen
Thatfache des Todes Chrifti abhängig. machte, und ſich da
durch der erftern Theorie näherte, hatte fie ebenbamit das
Schroffe und Abftoßende, das die fociniantfche Theorie für das
hriftliche Bewußtfeyn haben mußte, abgelegt, und fo vice
Einwendungen, die von Seiten’ der Eregefe erhoben werben
fonnten, fielen von felbft hinweg. Se mehr auf Diee
Weiſe der Gegenſatz begründet und in ſich abgefchloffen, und
jede der beiden Theorien zu dem gleichen Widerfpruch gegen
die andere berechtigt war, defto mehr konnte es fich in ber
weitern Entwidlung ded Dogma’d nur um das gegenfeitige
De sacerdotali Christi Domini munere die Lehre de satis-
factione fo dargeftellt: Chrifius hat dem Willen feines Bas
ters einen fo vollkommenen Gehorfam geleiftet, daß er ihm
in allem dem, was er unferer Sünden wegen von ihm for
derte, vollfommen genug gethan hat, und daß uns die
Wohlthat der Vergebung der Sünden und das ewige Leben
zu Theil wird. Denn obgleich die Leiden eines Einzigen
nicht das Leiden Anderer werden fünnen, wie Münzen, fi
Fünnen fie Doch fo angefehen werden, daß eine Wohlthat oder
Nusen für einen andern daraus entfpringt. Auch hat Gott,
welcher das Recht hat, Sünden zu vergeben, nad) feine
Erbarmung, dem Gehorfam Ehrifii, des Heren, einen fo de
hen Werth beigelegt, fo daß fein Tod ein hinreichendes £
fegeld (redemtionis pretium) für das menfchliche Geſchlecht
‚iR, iedoch in dem Maaße, dab es nur den Glaubigen und
Gehorfamen zu Gute Eommt.
Stanbpunft ded Dogma’s sec. 17. u. 18. 453
chaͤltniß dieſer beiden Theorien handeln. Die Frage konnte
e nicht blos feyn, welche von beiden allmählig durch Ber-
ngung der andern das entichiedene Uebergewicht gewinnen
erde, fondern es Fam vielmehr darauf an, das Wahre,
; unftreitig jede hatte, zur Einheit des Begriffs zu ver-
den. Auch abgefehen davon, daß auf der einen Seite das
ment ber Gerechtigkeit, auf der andern das ber freien
ade lag, hatte die Kirchliche Theorie die ſtrenge Confequenz
fi), mit welcher fie den Aft der Berfölmung als einen
ch feine eigene Idee bedingten Proceß fich entwideln ließ,
hrend jene andere fich Hauptfächlich dadurch empfehlen muß-
daß fie den äußern Akt fo viel möglich als einen innern
faßte, und dem Momente der Subjeftivität fein volles Recht
räumte. Auf der andern Seite hatte aber auch jede bie
iche Aufgabe, Die Einſeitigkeit, in welcher fie ſich abzu⸗
ießen in Gefahr war, zu uͤberwinden. Lag bei der einen
eorie die Einſeitigkeit in einer zu Außerlichen Objektivität,
lag -fie bei der andern in dem UWebergewicht der Subjefti-
it. Die objektive und die fubjeftive Seite mußten ſich ge-
feitig tiefer und innerlicher begründen und ergänzen. Zu⸗
bft aber Jag das Princip der Bewegung auf der Eeite
der Firchlichen Theorie gegenüberftehenden. Se höher Die
mianifch.-arminianifche Theorie das Princip der Subjefti-
it ftellte, deſto zweifelhafter mußte immer wieder eine dem⸗
ven fo unmittelbar widerſtreitende Vorſtellung erſcheinen,
—— die Idee des thuenden Gehorſams war. Sie
eb der Natur ber Sache nach bie. (hwächfte, dem Angriff
Gegner am meiften ausgefeßte, Seite der Firchlichen Satis⸗
tionstheorie, deren Freunde auf diefem Punkte fehr leicht -
8 Intereſſe verlieren Eonnten, fie in. ihrem ganzen Umfan-
feftzuhalten. Auf der andern Seite aber konnte auch Die
: gegenüberftehende Theorie auf dem Punkte, auf welchem
ftund, nicht ftehen bleiben. Sie ftimmte niit der Firchli-
n in der Vorausfegung überein, daß pofitive Strafen mit
34° - Ber J. Abſchn. 6. Kap.
der Suͤnde nothwendig verbunden gedacht werden müſſen,
aber ſie nahm poſitive Strafen nur an, um ſte ohne weitere
Ruͤckſicht auf die Idee der göttlichen Gerechtigkeit ſogleich wie⸗
der aufzuheben. Es mußte daher nichts näher liegen, al
den Begriff der pofitiven Strafen felbft, das Verhältniß der
Strafe zur Sünde, und überhaupt die Vorausfegungen nö
ber zu unterfuchen, von welchen man bisher auf beiden Sei⸗
ten ausgieng, ohne fie noch in nähere Erwägung zu ziehen
Der Eirchlichen Satiöfactionstheorte konnte es in der Form,
welche fie zuletzt durch die der Eoncordienformel folgenden lu⸗
therifchen Dogmatifer erhalten hatte, nur darum zu thun
feyn, den eingenommenen Standpunkt zu behaupten. Die
großen Spyftematifer der Iutherifchen Kirche. des fiebzehnten
Jahrhunderts machten es fich auch hier zur Hauptaufgabe, nad)
ihrer befannten Methode, durch MWiderlegung der Antithefen
und Abwehr der Einwürfe nach allen Seiten hin das orthobore
Dogma mit dem Bollwerk ihrer fcholaftifchen Beftimmungen zu
umgeben. Eine weitere Eeite der Entwidlung aber bot fih
J
nicht dar, da die Theorie, ohne über ſich ſelbſt hinauszuge⸗
hen, die Idee der göttlichen Strafgerechtigkeit, durch die ſie
weſentlich bedingt war, nicht überſchreiten konnte. Sie konnte
daher nur die Beſtimmungen, auf welchen ſie beruhte, affir⸗
miren. Dazu mußte ſie ſich nicht blos durch Gegner, wie
die Socinianer und Arminianer waren, ſondern auch durch
Vertheidiger, wie H. Grotius, veranlaßt ſehen. Auffallend iſt
jedoch, daß die Grotius'ſche Satisfactionstheorie Die Aufmerk— |
jamfeit der Tutherifchen Dogmatifer des fiebzehnten Zahrhun-
derts nicht in höherem Grade auf ſich zog, und das polemi⸗
ſche Intereſſe, das auf ihre Behandlung der Dogmatik einen
jo überwiegenden Einfluß hatte, fie nicht zu ausdrüdlicherem und
entjchiedenerem Widerfpruch beftimmte. Erft die Theologen
des achtzehnten Jahrhunderts, Buddeus und Pfaff, faßten das
eigentlihe Moment derfelben auf, und auch diefe, wie es
ſcheint, erft nachdem fie durch einen berühmten Suriften jener
Buddeus u. A. 455
it, Ulrich Huber, auf daſſelbe aufmerkſam gemacht worden
wen. Ste ſahen ſich dadurch zu der ausdruͤcklichen Erklaͤ⸗
ug veranlaßt, daß der Begriff der Satisfaction hier im ei⸗
atlichſten Sinne von der genaueſten Erfuͤllung alles deſſen,
is die göttliche Gerechtigkeit nach ber vollen Strenge des Geſetzes
n den Menſchen zu fordern bat, zu nehmen ſey, daß, wenn
ott auch nur einiged ohne eine ſolche Leiftung oder Satis⸗
tion erlafien haben fol, er ebenfo gut auch alles auf die⸗
be Weife erlafien haben könne, fomit die Nothwendigkeit
r Satiöfaction durch den Gottmenfchen überhaupt hinweg⸗
de 2), Wenn aber andere zu derfelben Klaffe gehörenden
4) Vol. Buddens Instit. theol. dogmat. 1723. Ausg. v. J.
1741. ©. 816.: Satisfactionis vow hic ita accipitur, pro-
ut expletionem ezxactissimam eorum omnium, quae Deus
‚ab, hominibus peccatoribus per justitidm suam, secun-
dum summam legis üxoißeuar, postulare poterat, pro ho-
minibus a Christo factam denotat. Strictior haecce at-
que propria satisfactiontis notio, quam sacrae scripturae
convenientem esse, deinceps demonstrabimus, eo diligen-
tius hic notanda et custodienda, quo solemnius üllis, qui
hic In diversa abeunt, est, vocis hujus ambiguitate er-
rores suos tegere, atque culiginem offundere imperitio-
ribus. Ezxemplo esse potest magnus ille Grotius, qui etsi
satisfactionis Christi defensitmem contra Socinum susce-
perit, eatamen td fecit rationè, ut hostibus veritatts, plus
. qwam decebat, concedendo, revera nihil egisse videatur.
Genuinam namque satisfactionis notionem sine necessi-
. Tate deserit, Christum liberasse nos docens, aliquid pre-
tti dando. — Reprehenditur Grotius hoc nomine non im-
merito, tum ab aliis, tum ei a jureconsulto longe cla-
rissimo, Ulrico Hubero, quem hac de re audiri juvabit:
„Quod haec cautio (de evitanda vocis hujus ambiguitate)
minus usquequaque sit observata, facilius theologis, quam
Grotio juris consulto ignoverim, qui in libro tantopere
laudato de satisfactione, contra Socinum scripto, hanc
456
Theologen berfelben Zeit den Begriff biefer Nothwendigkei
fo beftimmten, fie fen Feine wefentliche, mit dem Begriffe des
göttlichen Wefens felbft gegebene, da man Gott auch ohw
die Idee der Satisfaction fi) denfen fünne, auch Feine phy⸗
fifche, da Gott als freier Geift, auch frei firafe, ebenfo we
nig eine abfolute moralifche, fondern nur eine hypothetiſche,
die fogenannte necessitas consequentiae, da fie nur er
was zufälliges, Die Sünde, weldye Adam auch hätte unter
laͤſſen können, zu ihrer Borausfegung habe *), fo tft, wm |
1
—
1. Ber. L Abſchn. 6. Kap.
satisfactionis lariorem signifieatimem nimis, ut vide- '
tur, cupide sectatur, nec unquam suum lectorem, juris
imperitum, de periculo ambiguitatis illius admonitum,
imbuit doctrina, quae, si orthodosam exprimit senten-
tiam, fallor ego vehementer, etsi falli me cupiam. Et
enim z5 nayu haec sententia: Christum liberasse nos all-
quid pretii dando, minime quod toti debito, secundum
legis rigorem, aequale, sed quo Deus pater contentus fue- |
rit, qui reliquum remiserlt, hoc est dimiserit sine es-
pletione, quod sit äyıcva. I. e. missum facere.““ Diss. juri-
dico theolog. de foederibus, testamentis, liberationibus,
satisfactionibus etc. Franequ. 1688. Exerc. 7. $.8. Ejus-
modi sane satisfactio, cum ab eo elilam proficisci potue-
rit, qui nudus homo est, non video, quid Socinianos mag-
nopere impedire debeat, quo minus eam admittant: Por-
ro, sit Deus quaedam sine expletimme seu satisfactione re-
mittere potuit, ecquid obstubit, cur non omnia potuerit!
Cadet ergo necessitas satisfactionis. Pfaff gab ein Exa-
men libelli Grotiani de satisfactione Christi Tüb. 1753.
heraus. Weber einige ältere, die fich gegen Grotius erflär:
ten, wie Der fchon genannte Ravenfperger, ift Die fchon mehr
mals erwähnte Eotta’fche Abhandlung ©. 129. zu vergle:
chen.
So Sir. ©. Eanz, ein Theologe, welcher fonft zu den An
hängern der Wolffchen Philofophie gerechnet wird, in dem
Compend. theol. purioris üb. 1752. ©. 689. f.f. — Ju
‚stitiae exercitium Deo non est essentiale: semper lei
‘
%
Leibniz Wolfifche Philofophie. 467
fe folche Beftimmungen mit den Duenftebt’fchen vergleichen,
kht zu fehen, wie man von der Strenge des Satisfactiond-
griffs immer wieder ebenfo viel hinwegnahm, als hinzu⸗
ste, und überhaupt über das unftele Schwanken zwifchen
bſoluter Nothiwendigfeit und abfoluter Willkür nicht hinweg⸗
wenen konnte. Diefer Mangel eines beftimmtern Begriffs
igte fich auch darin, daß, während Theologen, wie die ges
annten, Das Zweideutige und Ungenügende des Grotius’fchen
Satiöfactionsbegriffs aufdedten, andere noch immer der Mei-
ang waren, Daß er von dem orthodoren nicht wefentlich ver⸗
Meden fey. Diefe Anficht war es, die den befannten Hallifchen
theologen, Joachim Lange, im 3. 1730 (zur Feier des zwei⸗
m evangelifchen Jubelfeſtes) zu einer neuen Ausgabe der Gro⸗
ö’fchen Schrift beftimmte Y. Um diefelbe Zeit begann bie
eibniz⸗Wolfꝰſche Philofophie ihren Einfluß auch auf die Theo-
gie zu Außern, und überhaupt durch die Selbftftändigfelt, mit
yicher ſich in ihr zuerft Die Philofophie der Theologie zur
seite jeßte, ein neues eigenthümliches Verhältniß zwiſchen
hiloſophie und Theologie einzuleiten. Sie hatte auf der ei-
m Seite eben fo fehr dad Intereſſe, Vernunft und Offen-
facultas relinquitur impunita dimittendi peccata, licet
necessariae puniendi rationes prostent.
4) Er verfichert in der Praef. ©. 22.: Virum juris omnis
longe peritissimum doctrinam de satisfactione ita trac-.
tasse, ut etiam sanior ratio, ad juris humani ac divtni
principia dextre relata, in ea, quod desideret, depre-
hendat nihil, sed quae demisse admiretur, admittatque
omnia quam rectissime comparata. Id quod philosophici
ingenli ao politici ordinis viris non potest non, si sa-
piunt, esse gratissimum. Et quemadmodum hanc eccle-
sine evangelicae doctrinam in thesi satis luculenter (si
pauciora, quae aliquid obscuritatis habent, loca exci-
plas) propmit, sic Sociniani erroris nervos non minus
solide incidit evertitque.
x
458 IL Ser L Abſchn. 6. Kap.
barung, Philoſophie und Theologie fo viel möglich ausein⸗
ander zu halten, um jeder ihr eigenthuͤmliches und ſelbſtſtaͤn⸗
diges Gebiet zu fichern, ald auf der andern Seite ihr Bee |
ben bahingieng, durch die Boraudfegung des Grundſatzed,
bag Wahrheiten, die über die Vernunft hinausgehen, nit
gegen die Vernunft feyen, beide in ein harmontiches Verhält⸗
niß zu einander zu feben. Im der erftern Beziehung nunfke
fie von felbft geneigt feyn, Kirchliche Dogmen, „wie das Sa⸗
- tiöfactionsdogma, in ihrer vollen Bedeutung anzuerkennen,
Nur wenn ed tiber die Bernunft hinausgehende, aber zur Se⸗
ligfeit des Menfchen nothwendige Wahrheiten gab, Hatte man
einen zureichenden Grund, die Offenbarung als einen höhern
Kreis von Wahrheiten über die Vernunft zu flellen. Daber
feßte einer der erften Theologen, welcher Die Wolf’fche Philos
fophie auf die Theologie anwandte, Carpov, Die Lehre von
der Verſöhnung dadurd) in ein näheres Verhältnig zur Wolfe
fhen Dffenbarungstheorie, daß er eine Belehrung über das
Mittel der Verſöhnung des Menfchen mit Gott unter bie
Kriterien der Offenbarung rechnete %. Ge beftimmter man .
ſich alfo des Unterſchieds zwifchen den natürlichen und geof
fenbarten Wahrheiten bewußt wurde, defto weniger Eonnte bie
Vernunft auch an folchen Lehren, wie das Firdhliche Satisfac⸗
tionsdogma war, Anftoß nehmen. Auf der andern Seite konnte
der ſchon von Leibniz aufgeftellte Grundfag, dag Myſterien
der Offenbarung von der Vernunft, wenn auch nicht begrifr
fen, Doch auf eine für den Glauben hinreichende Weife erklärt
werden können, leicht dahin führen, daß man fich mit dem
Satisfactionsdogma durch einen ähnlichen philofophifchen oder
logiſchen Formalismus, wie der juridifche des Grotius war,
abfinden zu können glaubte, um ed der Vernunft annehmba⸗
rer und einleuchtender zu machen, wie ja auch fonft Leibnij
1) Oeconomia salutis N. T. s. theol. revelata dogm. mcetho-
do scientifica adornata, Vimar. Praelim. Cap. 1. $. 58.
Die Myſtiker. 459
wit der ihm, ebenfo wie dem Grotius, eigenen diplomatifchen
Gewandtheit die Interefien von Vernunft und Offenbarung
Wiözugleichen, und zwiſchen dieſen beiden Mächten einen ſchein⸗
Bar auf ewige Zeiten gültigen Frieden abzuſchließen ſuchte.
Das Eine wie das Andere lag an fich in der Leibniz-Wolfs
ſchen Philoſophie, ein beflimmter materieller Einfluß aber,
weichen fie auf die Behandlung des Satisfactionsdogma’s
‚gehabt hätte, laͤßt ſich, obgleich dieß öfters behauptet wird,
uicht nachweifen.
Roch iſt Hier, ehe wir auf Die bald nach der Mitte des
‚wötzehnten Jahrhunderts einen neuen Aufichwung nehmenden
Behrebungen, das Satiöfactionsdogma der Vernunft näher
u bringen, übergehen, ein Blick auf eine Reihe von Erſchei⸗
Bingen zu werfen, bie fchon feit der Reformation eine fort
gehende Oppofition, wie gegen den Firchlichen Lehrbegriff übers
‚haupt, fo insbeſondere auch gegen das Satisfactionsdogma
Wbeten, aber doch erfi von dem Bunfte aus, auf welchem
Wir bier in dem Entwidlungsgange unferd Dogma's ſtehen,
% ihrem Zufammenhang überfehen werden können, die Mys
fer der proteftantifchelutherifchen Kirche. Die Richtung, die
in ihnen hervortritt, ift, obgleich ohne äußern Zufammenhang
biefelbe, die uns fchon in Andreas Oftander begegnete. Sie
beſteht in dem Widerfpruch gegen eine blos imputative ober
kußerliche Gerechtigkeit, an deren Stelle ein inneres Princip,
us das allein wahre und weentliche gejegt werben müfle.
Dierin lag der Grund der Oppofition, welche ſchon Schwenk⸗
ſeld, wie gegen das lutherifche Reformationswerk überhaupt,
fo insbeſondere gegen die lutheriiche Lehre von der Rechtferti⸗
gung erhob. Sie ſchien ihm den Menjchen in ein zu äußers
liches Verhaͤltniß zu Gott und Chriftus zu fegen, und durch
die Meinung, am Glauben fey ed genug, und Gottes Gebote -
zu halten unmöglich, zur Sicherheit und Trägheit zu führen.
Beſonders tadelte er, daß durch das Vertrauen auf die Ge-
nugthuung Chrifti den guten Werken und dem Geſetze Gottes
460 11. Ber. I. Abfehn. 6. Kay.
zu viel abgebrochen werde, während man dagegen aus dem
Buchftaben, welcher flatt des regierenden Gnadenkoönigs das
Regiment führe, einen todten und unbefländigen &lauben
aufrichte. Die Gefäfle feyen alt geblieben, und der Wen
folle neu ſeyn, alſo jey ein neuer Buchftabe Daraus geworben,
der vom Worte des Kreuzes und wahrer Buße nicht töne
Luther habe und zwar aus Egypten geführt, laſſe und abe
in der Wüfte figen. Wie bei den Papiften auf Das Vertraum
der Werke, fo führe man bei den Lutherifchen auf einen fal |
ſchen erdichteten Glauben und todten Buchflaben. Allein im
4
Herzen durch den heiligen Geiſt geſchehe die Rechtfertigung,
Erneuerung und Wiedergeburt. Die aͤußerliche Erkenniniß
der heil. Schrift ohne die innerliche Erkenntniß im Worte dab Ä
Lebens, ohne den Geift Gottes, der das Herz neu macht, ers:
leuchtet und reinigt, fey ald Wahn, Schein und Gleifnerd
zu achten, wodurch fich der fleifchliche Menſch mit einem ges
dichteten Glauben befleide. So hängen wir an einem gedide
teten Wahnglauben von der Barmherzigkeit Gottes, daß md
Chriſtus erlöst und alles ausgerichtet habe, nur Daß wir an
ihn feft glauben, und bleiben fo im alten Wefen, wo fen
Ernft, Feine Tödtung des Fleifches, Fein Anfang eined neuen
Lebens fey. Aus dem Außerliden Wort des Glauben!
fomme aud) ein äußerlicher, biftorifcher Glaube von Gott und
Chriſto und von allen Werken und äußerlichen Gefchichten in
der Schrift, aber aus dem innerlihen Wort des Geiſtes
ein inniger lebendiger Slaube, wodurd wir in-Chrifto allen
mit Gott handeln, im Herzen feine göttliche Gnade und Bar
herzigfeit erfennen und annehmen. Das eine Wort fey dad
Leben, das andere nur ein Zeugniß ded Lebens, beide unter
fehieden wie Fleifch und Geift . Das Aeußere fol alfo ein
1) Dieß ift der Hauptinhalt unzähliger Stellen in den Schri—
ten Schwenffelds. Man vsl. die Sanımlung feiner Schrih
ten: „Der erfie Theil der chriftlichen orthodorifchen Bücher
C. Schwenffelb. 461
nereö werben, und an bie Stelle des hiftorifchen Glaubens
» Wortes ber lebendig wirkende. Geift oder Ehriftus treten,
“und Schriften des edlen m: f. w. Mannes C. Schwenkfeld.“
1564. namentlich die Schrift vom Mißbrauch des-Evang.
» ©. 356.f. „Die Lutherifchen follen fich prüfen, heißt es
z. B. ©.445., ob ihr Glaub auch der Glaub fey, der Ehri-
ſtum ins Herz bringt, ob Die Neuigkeit des Inwendigen Mens
ſchen göttlicher Natur Theilhaftigkeit, ja ob Chrifius wefent-
Lich im Herzen wohnend fey. — Solcher gerechtmacjende
- Glaube kommt nicht aus der Predigt, fondern aus Gott vom
„Himmel, er beruhet nicht in dem, daß Ehrifius fein Blut
. zur Verföhnung und Bezahlung unferer Sünden hat ver-
- goflen, denn folcher Glaube allein ift ein hiftorifcher, unträfs
tiger Slaube, fondern der wahre Glaube beruhet in Chri⸗
fo in Gott felbft, er beficht auf Weſen und hält ſich an die
„ewige Wahrheit. — Die Erläfung fowohl als die Genug
thuung Ehrifti fol, wie alle andere feiner Gaben, im geiſtli⸗
chen regierenden Chrifto, in dem alles fummiret und zu fin>
den if, mit Glauben geſucht und aus ihm wefentlich geholt,
und ins geiftliche Werk und Amt geführt werden, daß fie
bei ung Nug und Frucht fchaffe, und nicht auffer ung bleis
be, fonft würde fie uns nicht nüße fenn Finnen, ia Chris
fins felbft im glaubigen Herzen wohnend ift unfere Erldfung,
unfere Genugthuung und die Verföhnnng für unfere
Sünden 1 Joh. 2. 1 Cor. 1. Ehriftus ik ums worden von
Gott die Weisheit, Gerechtigkeit u. f. m. Deßwegen foll
die Erlöfung auf doppelte Weile bedacht und gerichtet wer
- ben, einmal nad) den Hiftorien des Gefchichts, zum andern
mal foll fie geiftlich bedacht und angefehen werden in dem
Welen, darin fie heut in Chriſto fieht, und wie fie nun,
nachdem fie Teiblich am Kreuze verbracht, durch den Geift
des Glaubens fammt allen andern Woblthaten Ehrifti auch
an uns gelange, bei uns zum Nutz angelegt und in unferm
Herzen. wahr werde.’ (S. 435. f.) Bemerkenswerth ift dabei
noch, daß Schwenkfeld die äußere gefchichtliche Teibliche Er⸗
Ifung als einen Kampf, eine Schlacht Chriſti mit dem bö-
462 1. Ber. L Abſchn. 6. Kap.
an vie Stelle der imputativen Gerechtigkeit die weſenlliche,
Göttliched und Menſchliches ſoll eine innere lebendige Einheit
fen Geiſt, als eine Ueberliſtung des Teufels darſtellt, der,
„wenn ex auch ſich etwas bedunken lieh und den Braten von.
fern ſchmecken Eonnte, doch den Rath Gottes von der Kraft
des Leidens Chriſti eigentlich nicht gewußt noch verfanden
bat.” (S. 463. f.) Eine der flärffien Stellen gegen bie Iw
therifche Lehre ift die auch von Arnold Kirchen« umd Ketzer⸗
bit. Th. 1. Bd. XVL Cap. XX. ©. 843. angeführte (Tom.L
Lib. I. Epist. XCIIL): Gut wär’ es auch, daß die Luthe⸗
sifchen zwifchen dem gerechtimachenden Glauben und einem
biftorifchen Glauben recht Unterfchied hielten. Die Lutherb
fchen hayen einen hiftorifchen Chrifum, den fie nach dem
Buchfiaben erkennen, feinen Gefchichten, Lehren, Mirakeln
und Thaten, nicht wie er heute lebendis iſt und würket.
Wie fie auch einen hifiorifchen Bernunftglauben und hiſtori⸗
fche Suftifitation haben, die fie auf Verheißung fegen, un
angefehen, wen fie zuftändig find. — Ihre Gerechtigkeit iß Mi
allein auswendig, DBergebung der Sünden, Glauben, wi
man etwa Ablaß Eauft, und daß uns Gott um Chriſti wil⸗
len die Sünde nicht wolle zurechnen: d. i. ob wir [de
Sünder find und böfe Buben bleiben, fo werden wir did
um des Glaubens willen in Ehriftum von Gott für gerecht
gehalten und angenommen. — Gott lt Feinen für geredt,
in dem gar nichts feiner wefentlichen Gerechtigkeit iſt. Die
Rechtfertigung ift im Gange der Gnaden zu richten, bariı
fie an ung foll gelangen, und wie fie uns durch den heil.
Geiſt anbeim kommen fol. Darum trachten fo wenig £w
therifche nach rvechtichaffener Buße und Bellerung des fe
bens, und wird alfo die Heiligung des Geiftes, die Ernene
rung des Gemüths und die rechte Frömmigkeit in Chrifs,
wie auch die neue Gchnrt, die guten Werke und Buße ver
Dunfelt, daß ich nicht fage, gar aufgehoben. — Der regie
rende und gerechtmachende Chriftus muß überall den Nad
trab haben; da Gott rechtfertigt, handelt er nicht allein
menfchlicher Weife mit dem Menfchen allein, daß er allein
V. Weigel. 463
m, auf ähnliche Weife, wie Schwenkfeld fi) auch in ber
erfon Chrifti Göttliched und Menfchliched nur durch eine
nere, an fich ſeyende Einheit verbunden denken konnte. Das
ichſte Glied in der von Schwenkfeld ausgehenden und in je=
x, durch fo viele theologifche Eontroverfen bewegten und ger
übten, Zeit in verborgener Stille fortlaufenden muftifchen
ette ift Valentin. Weigel. Auch er erklärte fi) ebenfo nach⸗
rüdlich gegen die imputative Gerechtigkeit, und wollte nur
je wefentliche ©erechtigfeit als das Princip betrachtet wifien,
urch welches bie Slaubigen mit Chrifius wahrhaft und we⸗
lich vereinigt oder in Chriftus fo verwandelt werden, daß
e Sotted Wefen an fi tragen. Das unmittelbare Eins-
erben des Slaubigen mit Chriftus, fo daß felbft der Glau⸗
e feine vermittelnde Natur verliert, und. mit feinem Objekt
t eine ungertrennliche Einheit zufammengeht, hebt Weigel
sb beftimmter hervor, als Schwenffeld. Chriftus der in«
endige Herzensmittler, der nicht blos Mittler in der Zeit
Ber und im Fleiſche ift, fondern auch Mittler der Ewigkeit
uns nad) dem Geiſt, ift, wie Weigel ſich ausbrüdt, der
laube felbft, oder der Glaube ift der nicht allein mit feinem
eiſt, fondern auch mit feinem himmlifchen Fleiſch und Blut
und wohnende Chriftus Y). Wie dieß immer wieder auf
verzeihe und fchenfe ihm die Sünde, und entbinde ihn von
der Schuld, fondern er machet ihn auch befler, das doch
kein Menfch zu geben pflegt, noch geben kann, denn er
fchenfet ihm den heil. Geiſt.
4) Chriſtus if der Glaube felber, fagt Weigel im erftien Theil
der Poſtill S.101. Das Blut und Fleiſch Ehrißi it nicht
aus Adam .von der Erden, fondern vom heil. Geiſt, vom
Himmel: Chriſtus, Gott und Menfch, in der Herrlichkeit des
Vaters figet und fpeifet alle Glaubigen mit feinem Fleiſch
und Blut leibhaftig. Alſo iſt Ehriftus nicht blos geiftlich
"in ung, fondern auch leiblich. Porill Th.2. ©. 113. Da-
gegen nennt Weigel öfters die Justitia Iimputativa die vom
464 Il. Ber. 1. Abfchn. 6. Kap.
den Dfiander’fhen Rechtfertigungsbegriff zurüdführt, fo iR -
Weigel auf der andern Seite, was feine gnoftifch = myſtiſchen
Antichrift gedichtete u. f.. mw. Poſtill Th. 1. ©. 173. Th. 3
S. 26. Befonders gehört bicher die Schrift Weigels:
Ehriftliches Gefpräch dreier fürnehmftien Verfonen in der _
Welt, als Auditoris (der von Gott gelehrte Laie) Concio-
natoris (der geiftliche Stand auf dem Stuhl Moſis und Pe |
tri) und Mortis (der gefreuzigte Chrifius), wie der Menſcht
von Gott gelehret, aus Gott wiedergeboren, mit Chriſto ib
haftig, innerlich und äußerlich vereiniget, felig und geredt
werde und nicht außerhalb ihme. Halle in Sachſen 1614. |
„She wollet nicht zugeben,” fagt der Aud. ©. 16., „die mes
fentliche leibhaftige Einwohnung Jeſu Ehrifit im Glaubigen.
Das if der Glaube, nämlich Chriſti Leben in uns herrfchend,
fein Geift in ung, fein Zleifh und Blut in uns, wer dad
in ihme bat, und in Ehrifto wandelt, der mag fich der im-
putativae justitiae teöften, fonft verführet er nur fich felb,
und würde verdammt mit feinem erdichten Glauben.” ‚Di
flürzeft dich,” erwiedert der Conc., ‚in die Kegerei Osian-
dri, der auch da fürgabe, der Menfch Fünnte nicht ander
- gerecht und felig werden, denn durch die welentliche Ein
wohnung Gottes, aber folches haben unfere liebe Praecep-
tores famt den hohen Schulen als irrig erfannt, verdammt
und verworfen, und obgleich einer wollte Davon etwas zus
geben, fo würde er nichts dadurch ausrichten, die fürnehm
fien Gelehrte find alle darwider.“ Aud.: „Wer Dfiander fe
gewefen, weiß ich nicht, habe auch feine Bücher nicht gele
fen noch gefehen. Aber in den Schriften der Propheten und
Apoftel finde ich Diefen meinen Grund genugfam befätigt.
Wer nun diefes vermwirft, der verwirft auch den Geift nt:
tes.“ Den Zufammenhang diefer Lehre mit theofopbifchen
Ideen Finnen fchon folgende Säge in Weigel’8 Schrift:
„Der güldene Griff, das it, alle Ding ohne Irrthum ja
erfennen.”’ Neuftadt 1616. Cap. 23. S. 63. zeigen: „Der ſe⸗
lismachende Glaub ift das Aug, dadurch alle Geifter gele
hen und geprüft werden, wer des Glaubens ‚hat, ber hat
B. Weigel. 465
‚een betrifft, ber unmittelbare Vorgänger I. Böhme’, def
ı Lehre von der Erlöfung nur aus dem ganzen Zufammen-
ng feiner theofophifchen Gnoſis begriffen werben kann, und
8 daher auch nicht überfehen läßt, auf welche tiefere Wur⸗
zum Theil auch fchon bei Schwenkfeld und Weigel Diefe
ytifche Lehre von. der Erlöfung und Rechtfertigung zurüd-
bt. Derfelbe Gegenſatz der Principien, in deſſen Sphäre
- Chrikum und alle Ding in Chriſto. Denn dieweil der Glaub
ein Werl und ein Licht Gottes if, fo wirkt Gott alles Gute
..in dem selaffenen Herzen der Menfchen, Gott gibt fich ſelbſt
- ihnen ind Herz, durch den Glauben, daß er im Menfchen
wohnet, und das heißt Chriſtus in und wahrhaftig verfent,
‚den Menfchen aus der Natur in die Gnade verneuert, zu
guten Werfen, daß der Menfch nicht fein felber fey, ſon⸗
"dern Gottes, ein jeder Glaubiger ift ihm felber entnommen
und Gott gelafien und ergeben (denn wir follen, ſagt Weis
sel, Deffentl. Slaubensbefenntniß 1618. S. 8., nicht unfer
felbh eigen feun, fondern def, von dem wir gefchaffen find,
‚alteritas entm sibi sufficere non potest, wir follen Gott
‚alles laffen in uns ſeyn, Gott aber, oder Ehriftus, unfer Licht
und Leben, haben wir nicht in alteritate, nad) dem alten
Menfchen im Unglauben, iondern in undtate nad) dem neuen
Menſchen im Glauben), da erkennet fih Gott felber
im Menſchen, aus folder Erfennmiß kommt das Uxtheil
über alle Gegenwürff (Objekte). Daher der Titel einer ans
dern Schrift Weigels: „Erkenne dich felbfi. Zeiget and
‘> weilet dahin, daß der Menſch fen ein Microeofmud,; das
‚größte Werk Gottes unter dem Himmel, er fen die kleine
‚Welt, und trägt alles in ihm, was .da funden wird im Him⸗
. wel und Erden, und aud darüber,” Neufadt 1618. Die
. bier ſich non ſelbſt aufdringende Erinnerung an Jh. Seo⸗
tus Erigena, zeigt zugleich am befien die Macht Een
tung, mit welcher diefe fogenannte Gnofis oder T
durch alle Seiten fich hindurchsieht, und in jeder gü bie:
der, durch eine eigenthämliche Uranfchauung neu erseudt, in
ihrer eigenen Geſtalt erſcheint.
Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 30
466 ll. Ber. 1. Abſchn. 6. Kap.
fih nach 3. Böhme alles Leben in Gott, in der Natur und
im Menfchen bewegt, bedingt auch die Erlöfung und Wieder:
geburt ded Menfchen. In dem Centrum jeder Lebensgeburt
iR auch ein Gentrum der Wicdergeburt, in welchem das Herz,
oder der Sohn Gottes, aufgeht und geboren wird. Schon
hierin ift das Wefentliche diefer myftifchen Lehre, die Auffaſ⸗
fung des äußern Erlöfungsafts, als eines innerlich ſich ent
wicelnden Lebensproceſſes, ausgeſprochen. Noch Elarer Legt
dieß in der hauptfächlich hieher gehörenden Idee der himmli⸗
ſchen Jungfrau, Die auf der einen Seite eine andere Form ,
des menfchgewordenen Sohnes, auf der andern aber das i
dem Menfchen felbft wohnende und wirkende höhere: Princdy
tft, das auch nad) dem Fall das Band, Das den Menſchen
in der Einheft mit Gott erhält, nicht völlig fich Löfen laͤßt,
fondern aufs neue Fnüpft. Wie Chriftus dadurch von def.
Maria geboren wurde, daß die himmlifche Jungfrau in de |
Maria eingieng, fo wird Chriflus au in dem Gemüthe dd
Menfchen geboren, wenn die bimmlifche Jungfrau dem Brüw k
tigam, von welchem fie nicht laſſen kann, dem zwar gefalle
nen, aber von Gott nicht völlig Iosgetrennten Menſchen, fh
zumendet, um ihn von feinem finftern Wurm zu erlöfen, un
fih mit ihm zu paradiefifher Wonne zu vermählen. Dam
ſchließt Das erſte Princip zum zweiten ſich auf, der Dat
wird zum Sohn, oder im Sohne verföhnt, und fo im Seh |
ng, als dem Herzen Gottes, die Finfterniß und der Zorn Get
ted in. Licht und Liebe verflärt. Wie ſchon Weigel Chriftus
ben Glauben felbft nennt, fo ſcheint die Idee dieſer himmb⸗
ſchen Jungfrau ihren Urfprung nur in dem: Beftreben zu be
ben, in diefer idealen Geftalt, die ald Bild und Allegori
ebenſo fubjektiv als objektiv, ebenfo innerlich als Auferlic if, |.
BR Whzertrennliche Einheit des Glaubens net feinem Objekt,
der flibjeftiven Form mit ihrem objektiven Inhalt, zur Av
fhauung zu bringen. Was immer die Tendenz der Myfil
ift, das Aeußere ald ein Inneres aufzufaffen, in den That:
!
3. Böhme. 3 467
achen der Geſchichte nur einen bildlichen Reflex der im in⸗
ern geiſtigen Leben des Menſchen ſich entwickelnden Momente
u ſehen, tritt bei J. Böhme klarer als bei andern Myſtikern
ſervor: das äußere Faktum der Hiſtorie Chriſti hat für ihn
ich weit mehr, als ſelbſt für Weigel, nur die Bedeutung
er Allegorie. Das wahrhafte Wefen, ber innerſte Kern als
er Sefchichte, ift der in dem Centrum jedes individuellen gei⸗
tigen Lebens erfolgende, Durch Dei :Gegenfaß"ber Brincipien
ebingte geiftige Lebensproceß, weldyet ebenſo objektiv als ſub⸗
ekttv iſt, da er Bei aller fubfeftiven Imerlichkeit nichts an⸗
jerö, als die ewige Geburt des göttlichen Wefens ſelbſt iſt.
Schöpfung und Erföfung, Erneuerung und, Wiedergeburt find
m fich derfelbe göttliche Uft, duch wein. has gotliche We⸗
en ſich ſelbſt gebiert ). ea
Was fo eben über die allegerifche Bedeutung gefagtinorben iſt,
velche Die Geſchichte Chriſti in derTheoſophie I. BVohme'b erhält,
eitet uns von ſelbſt zu einem weitern Glied auf dieſer myſtiſchen
Seite der Geſchichte unſers Dogma's, Pi den Quäkern. Was bei
Schwenkfeld und Weigel nur durchdlickt, bei J. Böhme zwar der
janzen Auffaffung und Darſtellung unverkennbar zu Grunde ligt,
iber doch nie ausbrüdlich ausgeſprochen wird, Die Idee eis
es von den äußern Thatfachen. der Gefchichte Ehriſn unab⸗
‚angigen innern Erlöſungsproceſſes, zu. welchem ſich das äu⸗
zerlich Geſchichtliche nur als Bild und Allegorie zu verhalten
cheint, hat fih nun in den Uuäfern zum klaren Bewußtſeyn
mitwichelt, jo Daß Aeußeres und Inneres nicht mehr, wie bei J.
Böhme unbeftineiiit und bewußtlos in einander fließt, fondern
cbenſo in feinem Unterfchted auseinander gehalten, wie in ſei⸗
ner Einheit aufeinander bezogen wird. In diefem Sinne un-
ierſcheiden die Quaͤker eine Doppel ertöfung,. eine.äußere und
1) Bergl. über * Bobme meine Schrift: Die chrifiliche Gnofis
©. 557. f.
30 *
468 11. Ber. 1. Abſchn. 6. Kap.
eine innere %). Die äußere ift die von Chriſtus ald dem Er-
Löfer, welcher die Sünden aller Menfchen an feinem Leibe ges
tragen, und ben Zorn Gotted zur Bergebung ber Sünden
entfernt hat, in feinem Leiden und Tode faktifch vollbracht.
Sn der Innern, welche ebenfo gut als Erlöfung anzufehen tft,
wie die äußere, wirkt Chriftus in ung, damit wir Die Frucht
4) Vgl. Roberti Barclaii Theologiae vere christianae Apolo-
gia. Ed. secunda. Londini 1729. Thesis VII. de justik-
catione. ©. 163.f. Die Erlöfung if doppelter Art, und
iede diefer beiden Arten if, obgleich fie in ihrer Anwen
dung auf ung nicht getrennt werden, ihrer Natur nad) vel-
tommen. Prima est redemptio a Christo peracta in cor-
pore suo crucifixo extra nos. Altera est redemptio, quam
Christus in nobis operatur, quae non minus proprie d
dicitur et aestimalur redemptio, quam praecedens. Prior
igitur illa, est, qua homo, prout in lapsu stal, in sal-
tis capacitate ponitur, et in se transmissam habet mes-
suram aliquam effigaciae, virtutis miritus vitae, et gre-
tiae istius, quae in Christo Jesu erat, quae quasi do-
num Dei potens est, superare et eradicare malum illud
semen, quo naturaliter, ut in lapsu stamus, fermenta-
mur. Secunda illa est, qua possidemus et cognoschmu
puram et perfectam hanc redemptionem in nobis iptis,
nos purificantem, liberantem et redimentem a potestale
corruptionis et in favorem, unitatem, gratiam et fami-
liaritatem cum Deo inducentem. — Secunda hac cognos-
eimus, potentiam hanc in actum reducfam, qua non re-
sistentes sed recipientes mortis ejus fructum, videlick
lumen, spiritum et gratiam Christi, in nobis revelatam,
oblinemus et possidemus veram, realem et Internam re-
demptionem a potestate et praevalentia iniquitatis, sic-
que evadimus vere et realiter redempti et justificati,
unde ad sensibilem cum Deo unionem et amicitiam ve-
nimus. Die zweite geht aus der erften gleichfam ale Wir
fung hervor. Die erfie ifi die causa procurans et efficiens
der Justificatio, die zweite die causa formalis berfelben.
Die Quaͤker. | . 469
feines Todes, das Licht, den Geiſt, die von ihm in und ge-
vffenbarte Gnade erlangen und befigen, und fo wahrhaft er
Mot und gerechtfertigt, zur wirklichen Einheit und Freund⸗
ſchaft mit Gott gelangen. Dieß fcheint zunächft von der pro»
teftantifchen Lehre nicht wefentlich verfchleden zu ſeyn: es ift
ganz ber Natur der Sache gemäß, das Verhältni der Er⸗
fung und Rechtfertigung fo zu: beftimmen, daß die Erlöfung
obieftio ift, was bie Rechtfertigung fubjektiv iſt, oder die Er⸗
lung erft in der Rechtfertigung aus ihrem abftraften Anſich
bheraustritt, und zur wirklichen und concreten Erlöfung wird.
Allein es erhält dieß doch im Syſteme der Duäfer eine ans
dere Bedeutung, und ed kann daher nicht blos als eine zu⸗
fällige Modifikation angefehen werben, daß der Begriff der
Kechtfertigung auf den Begriff der Erlöfung zurüdgeführt
wird. Wenn audy gleich ausdruͤcklich gefagt wird, daß die
Annere Erlöfung die äußere zu ihrer nothwendigen Vorausſe⸗
gung habe, daß wir nut durch den Gehorfam und das Leis
ben Chriftt erlöst find, fo If doch, wenn wir hinzunehmen,
was die Quäfer unter ihrem innern Licht und Wort Gottes
verſtehen, das Verhaͤliniß des Innern und Neußern vielmehr
bad umgekehrte. Iſt das Innere Licht und Wort Gotted an
fich jedem Menfchen eingeboren, ald dad von Anfang an in
der. Menfchheit wirkende geiftige himmliſche Princip, in wel⸗
dem Gott ald Vater, Sohn und Gelft wohnt, ald der Sa⸗
men, der feiner Natur nach alle zum Guten treibt, als ber
geiftige Leib Chrifti, als fein vom Himmel gefommenes Fleiſch
und Blut, oder mit Einem Worte als der innere Chriftus,
der im Herzen geboren und auögeprägt wird 2), fo erhellt
hieraus zugleich, in welchem untergeordneten Verhältniß zu
diefem Innern der äußere biftorifche Chriftus fteht. Kann
4) Bl. Thesis II. de interna et immediata revelatione ©.3.f.
und Thesis V..n. VI. de universali et salutifero lumine
Jesu Christi ©. 80, f. XR
470 1. Ber. L Abſchn. 6. Kay.
feine äußere Geſchichte etwas anders feyn, als ein bildlicher
Refler defien, was am ſich in. ber geifligen Natur des Mau
fhen liegt, und in der Menfchheit im Ganzen, wie im Leben
des Einzelnen, fich fort und fort entwidelt, als eine Allegorie
derfelben Art, wie fchon die Gnoſtiker der alten Zeit, von ds
nem analogen Standpunkt aus, die Gefchichte Chrifti nah⸗
men? Diefer Ummandlung der Hiftorie in eine Allegorie. find
fih die Quäker felbft wohl bewußt, wenn fie alles Böſe als
eine Kreuzigung und Tödtung des dem Menfchen eingebor⸗
nen Lichtprineips, alles Gute, das fich feiner Natur gemäß
‚im Herzen des Menfchen entwidelt, als die Geburt amd Aufs
erfiehung des innern Chriftus. betrachten ). Daher fcheun |
fie ſich auch nicht, geradezu zu fagen, daß fo nütlich. auch bie
Kenntniß der Gefchichte Chrifti fey, fie Doc keineswegs noth⸗
wendig fey, um ber Frucht des Todes Chriſti theilhaftig zu
werben, da die Gemeinfchaft mit Dem Vater und Sohn durch
das innere im Herzen leuchtende Licht vermittelt werde 2
Mo aber, um alles Zufällige auszufchließen, das Neuere
dem Innern auf ſolche Weife untergeorbnet wirb, da kam
auch die Subjeftivität nur durch eine höhere allgemeine Ord⸗
nung bedingt feyn. Wie nah I. Böhme die Erneuerung und
Wiedergeburt des Menſchen die. fortgehende Geburt des götts
lichen Weſens ift, fo’ ift Daher auch nach der Xehre der Quaͤ⸗
ter Die Rechtfertigung des Einzelnen das Werf der im Gans
zen der Menfchheit wirkenden göttlichen Gnade. Iſt auch Fer
nem bie Möglichkeit, felig zu werden, abgeſchnitten, ift eö
1) Vgl. Thesis XIII. De communicatione et participatione
corporis et sanguinis Christi ©, 377. f.
2) Bol. Thesis VI. ©. 82.: Tales — participes fiunt bene-
ſicii mysterii mortis ejus (licet historiae ignari), si sci-
licet obtemperent semini et lumini ejus, illucenti cordi-
bus suis, in quo lumine communio habetur cum paire el
fillo, ita ut eo Implis sancti fiant.
Die Quäfer. Ä 41
-
ur Schulb des Einzelnen, wenn er der göttlichen Erleuch⸗
mg. fich nicht glaubig Hingibt, fo ift es doch nur Gott, der
r:bem: Menfchen, an dem jedem Einzelnen beftimmten Tage
er Heimfuchung, den göttlichen Samen auffeimen läßt, und
sonn. einnial diefe Erleuchtung begonnen hat, fo bat die hei-
ge:geiftige Geburt des neuen Menichen ihren fteten natur=
muäßen Fortgang, in welchem auch die guten Werke, als
jel Behenszeichen des innerlich fich geftaltenden Chriftus, nicht
qlen Törmen, die Mechtfertigung felbft aber befteht nicht in
en Werken, fondern nur in der Ausprägung Chriftt in ung,
idem in und gebornen und erzeugten Chriftus, deſſen na⸗
wuemäße Frucht die guten Werfe find. Die Rechtfertigung
t:baher ‚auch nach. der. Lehre der Quäfer Fein deflaratori-
ver Alt, fondern eine reelle innere Erneuerung und Heili⸗
mg' der. Seele, eine innere ‚Geburt, welche Gerechtigkeit und
eifigfeit in und erzeugt, und alles Verdorbene und Ber-
ummliche der Natur entfernt und überwindet. Das Prin⸗
p ber Rechtfertigung ift nicht bloß der vedhtfertigende Glau⸗
Jn ſondern der im Menfchen wirkende Chriftus felbft, der
e Erlöfung nicht Außerlich, fondern innerlich vollbringt *).
9) Del. a. a. D. ©. 168. wo der protefiantifchen Lehre folgen-
de Ehe gegenübergeftellt werden: 1. Internis operationi-
‚bus (grallae et seminis) Christus intus formatur, et ani-
mua ill conformis fit, — et — Deus dieitur reconciliart,
'non quasi actualiter reconetHlatus esset, aut quempiam
justificaret , vel justificatum teneret, dum interea reali-
'ter in peccatis imptus, iImpurus et. iInjustus permanet.
2. Interno hoc partu Christi in homine homo fit Justus,
ideogue justificatus a Deo. 3. Cum bona opera necessa-
“ rio et naturaliter procedant a partu hoc, sicut calor ab
igne, ideo absolute necessarla sunt ad justificationem,
quasi causa sine qua non; licet non illud propter
gquod, tamen id In quo justificamur. Den Proteftan-
ten wird darin Recht gegeben, "daß unter der Justificalio
472 IL Ber. L. Abſchn. 6. Kap.
Der Widerſpruch gegen das Deflaratorifche ber yrotes
ftantifchen Rechtfertigungslchre und die laut ausgeſprochene
Geringſchätzung alles Aeupern in dem Werke ber Erlöſunz
und Rechtfertigung weist hier noch einem Gegner feine Stelle an;
welcher zwar von dem in tiefer befchaulicher Ruhe:.in fich ge
fehrten Sinn der Myftifer, von welchen bisher bie Rede war,
durch das Unftete und Abftoßende feines ganzen Weſens ſich
fehr unterfcheidet, fie aber doch auch wieder in mandyem bes
rührt, und ſchon wegen des Aufſehens, das feine thells als
Schwärmerei, theils als frecher Hohn ericheinenden Behaup
tungen erregten, nicht übergangen werden barf. Es iR der
zu Ende des ftebzehnten, und zu Anfang bed achtzehnten Jahr
hunderts unter dem Namen bed chriftlichen Demokritus durqh
mehrere, befonderd Die Lehre von der Erlöfung betreffende,
Schriften befannt gewordene Joh. Conr. Dippel *). Ueber
nicht die guten Werke zu verfichen feyen, da fie cher be ii
Wirkung als die Urfache ſeyen, zur Erklärung des lehten
aber gefagt: Intelligimus formationem Christi in neh,
Christum natum et productum in nobis, a quo bona ope
ra naluraliter procedunt, sicut fructus ab arbore frw-
tifera: internus ille partus in nobis, justitiam in nobis
producens et sanclitatem, ille est, qui nos justificd
(S. 166. weßwegen man auch nicht fagen darf, daß es kei⸗
ne an fich guten Werke gebe ©. 168.). Der protefantis
chen Lehre wird zum Vorwurf gemacht, es folge aus ihr ade-
minanda haec consequentia, quod bona opera et pessimas
peccala talium (qui justi reputantur, dum actualiter in-
justi sint) prorsus eadem sint in conspectu Dei, cum
nec illa ad justificationem conducant, neque haec recon-
ciliationem impediant. — Evertit haee sententia totam
praclicam Evangelii doctrinam, et fidem ipsam inutiem
faeit (©. 169. f.).
ı) Man vgl. über ihn und feine Schriften Walch Ein. in die
Rel.Streitigf. der ev. Iuth. Kirche Th. II. ©. 718. f. Th. V.
S. 998. f. Keine Schriften erfchteuen zu Anıfterdam 1:0.
|
‚ 3. C. Dippel. 473
einſtimmend im Ganzen mit den Muffe behauptete er,
daß wir durch das Außerliche Leiden und Sterben Ehrifti mit
Gott nicht auögefühnt worden feyen: fein Wandel, Leiden
and Sterben in dem Fleifch, nebft dem. allgemeinen Opfer und
der Zahlung der Schuld fey nichts anderes, ald ein Vorbild
' ined Mittleramts. in dem Geift geweien, vermittelft defien
rin: und der alte Menſch durch denfelben Berläugnungs=. und
keidensproceß auf eine unfichtbare Weife getöbtet, vernichtet
Imd dem Zorn Gottes oder ber verzehrenden Feuerfraft des
"Baterd zum füßen Geruch aufgeopfert werden müfle, damit,
| was die Gerechtigkeit erfordere, wieder in und erfüllt werde,
‚und der neue Menfch zum verlorenen göttlihen Bilde heran»
wachſe. So beftehe nun das Amt des Mittler und Erlös
ſers darin, daß er nicht allein als .eim-Hohepriefter das Volk
‘durch Gebet und Opfer. verfühne, fondern auch als ein Pro⸗
phet der gefallenen Ereatur den Weg zur Deiligung in dem
Eicht von oben zeige, und als ein König und Durchbrecdher
He Bande des Reichs der Finfterniß zerreiße, und die Crea⸗
tur Gottes völlig von der Sünde befreie. Che alles dieß in
jebem Menfchen zu Stande‘ gebracht ſey, habe der Mittler
als der andere Adam das Werk der Erlöfung nicht vollen-
dei 2). Alles dieß ift um fo mehr, da Dippel auch von eis
sem :innern, unmittelbar aus dem Munde Gottes ausgeflofie-
se, und in dem Herzen bed Menfchen wirfenden Worte Got⸗
tes im Gegenſatz gegen. Das äußere Wort der Schrift, von
einem innern Licht, das Chriftus felbft in dem Menfchen ſey,
unter dem Titel: Eröffneter Weg zum Frieden u. f. w
Später noch: Vera demonstratio evangelica 1729. Zur
Widerlegung diefer Schrift verband Lange mit der von ihm
neu herausgegebenen Grotius’fchen Schrift einen Elenchus
Antidippelianus.
4) Walch Einleitung in die Kel.Streitigk. der ev. luth. Kirche
Th. I. ©. 747. .
4 11. Ber. J. Abſchn. 6. Kap.
und von einem vom Himmel gebrachten himmliſchen Leite
ſpräch, von ber Lehre der’ Myſtiker nicht verichleben, eigen -
thümlich ift aber bei ihm bie Zerſetzung Diefes myſtiſchen Eio
ments feiner Lehre mit focinianifchen Ideen. Stait mit J
Böhme und andern Myftifern den Gegenſatz von Zom und,
Liebe in das göttliche Weſen felbfi zu feben, flellte er an bie:
Spige feines Syſtems den Sag, baß alle göttlichen Eigen;
haften in der Liebe zufammenlaufen, und erklärte daher
alles der Liebe Entgegengefegte, werbe e8 Zorn ober Gerech
- tigkeit genannt, für eine einen Wechfel und Widerfpruch in
Gott vorausfegende, des göttlichen Weſens unwürbige Bor.
ftellung. Da Gott, als die Liebe, bleibt, wie er ift, fo wird,
nicht Gott mit uns verföhnt, fondern nur wir werben it:
Gott verfühnt %). Mit den Socintanern behauptet daher au
Dippel, daß die Strafe für den Zwed ber Beflerung mul,
auf das Künftige gehe, niemald aber auf das Vergangene,
welches Gott ald bie Liebe nicht beleidigt habe, demnach auf 4
feiner Öenugthuung bedürfe. Nur darauf kommt es an, daj
wir und vom Jrdifchen zum Ewigen wenden. Falſch iſt @.
daher, daß wir durch eine ©erechtigfeit, die von außen in J
uns hereinfommen fol, Sott angenehm werden, unfere Ge
rechtigfeit beruht nicht auf Einbildung, fondern auf Wahr
heit, d. h. darauf, daß wir Die Reizungen der Sünde über
winden, wozu Chriftus denen, die ihm gehorcdhen, feinen le
bendig machenden Geiſt gibt. Für dieſen Zweck ift der volls
ftändige Sieg über den Teufel und deffen Samen, die Sin
de, in dem Verſöhnungsopfer Ehrifti, in welchem er fein Fleiſch
1) Man vgl. hierüber befonderd die von Dippel Furz vor ſei⸗
nem Tode im J. 1733. herausgegebene, die Sanptfäge fer
ner Erldfungslehre enthaltende Fleine Schrift: Hauptfumme
der theologifchen Grundlehren des Demofriti, in der Can: :
fhen Sortfegung der Reinbeck'ſchen Betrachtungen Über die
augsb. Eonf., mo fie abgedruckt und widerlert if, Ih. V.
©. 447. f.
F. €. Dippel. > 475
ahgen ließ, vorgebildet. Darin weicht jedoch Dippel von
in ab, daß er nicht blos mit Socin die Aufhebung ber
# das Vergangene ſich beziehenden Strafen als etwas ſich
3 felbft verftehendes betrachtet, fondern eigentlich Den Bes
ff der Strafe ganz aufhebt. Wie nach Socin die Aufhe
ng ber Strafe, ſomit auch die Verknüpfung bes Uebels,
8 zur Strafe dient, mit der Sünde, ganz von der freien
ilſtuür Gottes abhängt, fo gibt ed nach Dippel gar Feine
Akürlichen oder pofitiven Strafen. Die Strafe ift, wie
ippel ihren Begriff beftimmt, doppelter Art: fie befteht ents
der in der natürlichen Folge der Sünde, oder in Zuͤchti⸗
mgen, durch welche der Menfch erweckt werben fol, Beide
rten: von Etrafe find Wirkungen der zulaffenden oder der
ätigen Liebe Gottes. Die Strafen der letztern Art verhängt
ott um die Strafen der erftern Art. willen: wären dieſe
ht, jo würden auch jene nicht ſeyn. Die Strafe der er»
nm Art aber find die natürliche uhd nothwendige Folge der
ünde. So wenig die Wärme vom Feuer getrennt werben
an, fo wenig kann die eigentliche Strafe der Sünde, näm⸗
heder geiftige Tod, welcher nichts anders ift, als eine Bes
ubung der Gemeinſchaft mit Gott, von der Sünde getrennt
erden, da ja die Sünde felbit nichts anders ift, als die
ehr von höchften Gut und die Neigung zum Irdiſchen *).
icht Gott ift e8 daher, der die Hölle macht, fondern er
det fie jchon ald die Folge unferer Sünden. Wie aber die
41) Bei Canz a. a. O. S. 450. Deßwegen macht Dippel gegen
die kirchliche Satisfactionslehre die Einwendung a. q. O.
©. 456.: Wer das fich zueignen will, was aus einer Sa⸗
che nothwendig folgt, der muß auch das Andere, woraus ed
folgt, fich zukignen Iaffen. Nun ift die Strafe eine noth>
mwendige Folge der Sünde. Will alſo Ehrifius die Strafe,
als da ift, die Unruhe des Gewiſſens, Trennung von Gott
übernehmen, fo muß er auch die Sünde fich zueignen. Eols
ches aber ift ja nicht weniger als Gottesläferung.
476 1. Ber. L Abſchn. 6. Kap.
von Gott verhängte eigentliche Strafe der Sünde, ber Rat 1.
der Sache nach, nicht aufgehoben werben Tann, fo hat ud
Chriftus auch von der zweiten Art der Strafe, der 3
gung, nicht befreit, ſondern vielmehr durch fein Beiſpiel wife
gelehrt, wie wir biefelbe geduldig tragen follen. Denn Wi *
Züchtigungen mit der einwohnenden Gnade find es allen, Wi“
unfern Sinn von dem Irdifchen abführen Tönnen. Dana‘
haben fie, da ben wenigften Menfchen die Liebe zum IE
fhen anders als durch bittere Mittel der Tilgung bes Bf
genommen werden Tann, ihren ®rund nur in der Liebe Ä
tes, und der Hauptzwed des Mittleramts bezieht ſich dake,
da in Sott Fein Zom tft, nicht auf Die Senugthuung wege
der Sünde, fondern auf die Befreiung von ber inwohn
böfen Luft, d. h. die Heiligung und Erneuerung *). Sof
- Dippel auch hierin mit den Socinianern zufammenftimnt;
welchen er überhaupt weit näher ſteht, als den Dinftifern,
das Muftifche bei ihm mehr im Ausdrud als in ber Sad
zu liegen fcheint, fo bleibt Doch immer die weſentliche Diie
renz, baß in Dippels Syſtem von einer eigentlichen Aufe
bung der Strafe nicht die Rede feyn kann, indem bie Uehd,
auf welche er den Begriff der Strafe anwendet, ihrer Natıt
nach nicht aufgehoben werben Fönnen. Wird der Begriff de
Strafe nur eigentlich genommen (uneigentlich aber ift er ge
nommen, wenn das Bofitive vom Begriff der Strafe ausge
fchloffen wird), fo kann e8 auch Feine Aufhebung der Straf
geben. Während daher die Socinianer den ewigen oder ge
fligen Tod, als die eigentliche Strafe der Sünde, in Folge
der durch Chriſtus ertheilten Sündenvergebung abfolut auf
gehoben werden laffen, kann er nach Dippel immer nur in
dem Grade aufgehoben werden, in welchem die zunehmende
Helligung und Erneuerung des Menfchen die durch die Sin |
de. entftandene Trennung von Gott mindert und aufhebt. Wir
jehen daher ſchon bei Dippel die Oppofition gegen die frd- |
1) A. a. O. ©. 457. 459. 465.
3. ©. Dippel. 477
be Satisfactionslehre in die Frage nach dem Begriff der
wafe überhaupt und in die Tendenz übergehen, an die Stelle
e pofitiven Strafen die natürlichen zu ſetzen *).
() Schr natürlich hängt bei Dippel mit der Verwerfung des
eigentlichen Opferbegriffs und der Vorausſetzung, auf welcher
er beruht, des Begriffs der pofitiven Strafen, die Heftigleie
. sufammen, mit welcher er fich über das Wefen ber altteſta⸗
mentlichen Religion ausſprach. Dan vgl. die von Lange
a. a. O. ©. 217. angeführte Stelle: „Die BVerfähnopfer
find nicht eher aufgelommen, als in der läfterlichen Abgdt⸗
terei, da man fich lafterhafte Gotter vorgeftellet, Die Rache,
Neid und Graufamkeit in fich hätten, und fogar nach Men:
. fchenblut begierig wären, und dadurch oder in dem an des
ren ſtatt vergoffenen Blut der armen Thiere ihren Grimm
ſtilleten. Diefe laferhafte und unvernlnftige Ausfähnung
der Heiden, unter welchen das jüdiſche Volk fo lange hers
umgefchwärmet (sic vocat, bemerkt Lange, populi migratio-
nes ab ipso Filio Dei in columna nubis et ignis directas)
ehe fie zur Ruhe gekommen, und von welchen fie .diefen ſcho⸗
nen Sottesdienft hatten eingefogen, war medulla totius rei
- deviticae, nicht aber das Verfühnopfer unfers Heilandes. —
Ich muß frei heraus fagen, daß der ganze ceremonialifche
Gottesdienft unter den Juden nach der Intention Gottes gar
nicht angeordnet geweſen, Ehriftum und bie Güter neuen
Bunbes zn präfiguriren, oder fürzubilden, obſchon derglei⸗
chen Eeremonien von dem Apoftel Paulo, um bie Juden das
von abzubringen, per accommodationem auf die Güter des
N. T. als Vorbilder gedeutet werden, — vielmehr feget er
mit ausgedrücdten Worten eine reelle Reinigung und Bes
freinng in Ehrifio der imputiven oder äzugerechneten Bes
freiung des alten Bundes entgegen, und fpricht vom Blute
Chriſti, daß es unfere Gewiſſen reinige von den todten Wer⸗
"ten, zu dienen dem lebendigen Gott. Wer diefe ewpres-
stones unter eine imputirte Gerechtigkeit ziehen Tann, der
mag ed thun, es wird zwar orthodor lauten, aber auf orifch
die Schrift erflärt heißen.” Auch hierin liegen Ideen, die
bald nachher weiter entwickelt wurden.
Zweiter Abfchnitt.
Bon J. G. Zöllner bis zur Kant'ſchen Philofopft
5
Erſtes Kapitel.
Toͤllner's Beſtreitung der Lehre vom thuenden Gel
borfam, und bie Gegner deffelben.
Nachdem nicht lange zuvor um die. Mitte des achtzche
ten Sahrhunderts ber ebenfo gelehrte als rechtglaubige Chr E:
W. F. Walch 1), in einer für fene Zeit Haffifchen Abhandlum,
das Dogma vom thuenden Gehorfam Chrifti einer den gan
zen Stand deſſelben überbliddenden, aber durchaus anerkennen
den und beftätigenden Revifion unterworfen hatte, mahteIR
G. Töllner feinen befannten in vielfacher Hinficht merkwir⸗
dig gewordenen Angriff 2), welcher, fo wenig auch eine fa.
che Ausdehnung in der Abficht Töllner's zu liegen fchien, und
fo ficher er den thuenden Gehorfam von dem leidenden tm
4) De obedientia Christi activa commentatio. Goettingae 1755
(Eigentlich: Dissert. theol. inauguralis — quam — pub
lice defendit Christ. Guil. Franz. Walchius. Goett. 175%)
Die Abhandlung ift großentheils eregetifchen Inhalts. - Die
Hauptmomente des in ihr geführten dogmatiſchen Beweiſes
find: A. die Nothwendigkeit, daß Chrifius thuenden Ge
borfam leiftete, 2. die Möglichkeit, daß er ihn leiften Emm
te, 3. die wirkliche Leiftung deflelben (vgl. ©. 39.).
2) Der thätige Schorfam Jeſu Chrifi, unterfucht von Job.
Gottlieb Toͤllner. Breslau 1768.
A, R
3. ©. Zöllner. 479
ven zu können glaubte, gleichwohl auf das ganze Kirchliche
Satisfactiongdogma einen ſehr entfcheidenden Einfluß Hatte,
md ımter die wichtigften Momente gehört, ducch welche in
kr proteftantifch -Tutherifchen Kirche felbft in Anfehung diefer
ehre ein Umſchwung der Anſicht herbeigeführt wurde. In⸗
em auf Diefe Weife aus dem mit fo großem: Kraftaufiwand
ufgeführten Gebäude der Satisfactionstheorie der Schluß⸗
ein, welcher es abjchließen follte,. zuerft wieber herausges
ommen wurbe, war eben damit ber Anfang gemacht, das
Banze wieder in fich felbft zerfallen zu laſſen. Es war eins
sal in dem Bewußtſeyn bed Beiftes von der Objektivität des
)ogma’s ein fo gewaltiger Riß gefchehen, daß der mit dems _
{ben zerfalfene Geift nimmermehr: ruhen konnte, bis er in
ner. reinen Subjeftivität ſich von der zwingenden Macht als
r jener Beftimmungen wieber frei gemacht hatte. Die hie-
it in ber proteftantifchen Kirche. ſelbſt im beften Bewußtſeyn
wer guten Sache: beginnende, und mit immer größerer Gleich⸗
ültigkeit gegen die .alte kirchliche Orthodorie weiter gehende
dewegung macht bie Töllner’fche Unterſuchung zum Anfange-
init eines neuen Zeitabfchnittd.
- Da bie Lehre vom thuenden Gehorfam Shrift nur ’als
stouögefepte Lehre der Schrift ihre Stelle im proteftantiichen
gbrbegriff finden konnte, jo mußten vor allem bie bibfifchen
Zeweisſtellen für dieſe Lehre jo genau als möglich unterfucht
verben. Die Hauptpunkte des fehr ausführlichen, eregetlichen
kheils der Täliner’fchen Schrift ‚find 1) der Beweis, daß nach
em Elaren Unterricht der Schrift der leidende Gehurfam Chri-
W’vertretend war, daß Dagegen 2) nirgends in bet Schrift
ine vertretende Beichaffenheit des thätigen Gehorfams Chri⸗
Uigelehrt werde, vielmehr 3) die heil. Schrift das Gegen⸗
heil von der gewöhnlichen Theorie vom thätigen Gehorſam
Chriſti Ichre. Das Lebtere erhellt, wie gezeigt wird, 1) aus
dem völligen Mangel eined unmittelbaren Unterrichts ber
Schrift über die genugthuende Befchaffenheit des thätigen Ge⸗
480 Il. Ber. II. Abſchn. 1. Kap.
horſams Chrifti, 2) daraus, daß die heil. Schrift Deutlich das
- Gegentheil .von demjenigen lehre, worauf fie gewöhnlich ge
gründet wird, fofern nach der einftimmigen Annahme Chris f
ſtus zu dem von ihm geleifteten Gehorfam äußerlich nicht ver-
bunden geweſen feyn foll, 3) aus Schriftftellen, in welden
wirklich das Erlöfungswerf auf den leidenden Gehorſam Chris
fti eingefchränft werde. Obgleich dieſer eregetifche Theil bie
weſentliche Grundlage der ganzen Unterfuchung ift, fo wür
ben wir doch fehr irren, wenn wir das eigentliche Moment F
des erhobenen Widerſpruchs ausfchließlid nur hier fuchen wol,
ten, da unflreitig, zumal wenn man den Damaligen Stand»
punkt der Eregefe bedenkt, bie von Seiten der Eregefe ge F
machten Einwendungen ſelbſt ſchon eine von der gewöhnlichen }
Theorie abweichende Anſicht von der Erlöfung und Rechtfer F
tigung überhaupt zu ihrer VBorausfegung hatten. . In bier P
Hinſicht ſchließt fich Die Töllner'ſche Unterſuchung ganz an de
ſchon von Pifcator der Lehre vom thuenden Gehorſam en
gegengeftellten Gründe an. Das Hauptargument Bifcators, da} Fr
Chriftus. zu dem Gehorfam, welchen er in,und mit feine’ E
menſchlichen Natur leiftete, nach derjelben für ftch verbunbe
war, mit demſelben alfo auch nicht die Menfchen vertretm
fonnte, war, wie Zöllner felbft erklärte 1), auch das einig,
und fein Bemühen ging daher zunächft nur dahin, demfelben
noch mehr Evidenz zu geben. Für dieſen Zweck untericheide
Zöllner die in der bisherigen Beweisführung nicht gehörg
gefchtedenen beiden Säge: 1) daß der Gehorſam, welde
Chriftus in und mit feiner menfchlihen Natur Teiftete, ein
wahre freie Handlung feiner menſchlichen Natur war, un |
2) daß er nad feiner menſchlichen Natur zu demſelben für
fi) verbunden war. Was den erftern Sap betrifft, fo kam,
wenn zugegeben werden muß, daß der Gehorfam Chrifti mır
als eine aus der Erfenntniß der göttlichen Zwecke herworge
1) ©. 419 f.
— — -
3. G. Töllner. 481
angene. freie Handlung eined freien. felbfithätigen Subjekts
bacht werden kann, die Frage nur ſeyn, welcher Ratur in
hriſtus dieſe freie Handlung zuzufchreiben iſt. Unläugbar,
ntwortet Töliner, nicht der göttlichen, welche fich des vollen
zebrauchs der göttlichen Herrlichkeit nicht entäußern Tonnte,
fo nur der menfchlichen. Entweder können wir uns bas
reiwillige der Erniedrigung und bes leidenden Gehorſams,
ber da der leidende Gehorfam im Grunde, wie der ganze
brige, ein thuenber Gehorfam war, bed Gehorſams Chrifti
berhaupt, gar nicht Denken, oder ed kann nur bie fich ernie⸗
wigende Natur ald eine Durch bie Freiheit des Willens hiezu
ich beftimmende gedacht werden. Die göttliche Natur wirkte
u ben Mittleröverrichtungen übernatürlich nur ſoweit mit,
aß ſte eingrief, wo die eigene natürliche Wirkſamkeit der
nenfchlichen nicht zureichte, dadurch hörte aber, was burch
die menichliche Natur geſchah, Teineswegs auf, eine wahre freie
handlung berfelben zu feyn, fowenig die Leiden Chrifti deß⸗
wegen Feine wahre Leiden feiner menfchlichen Ratur waren,
weil bie göttliche zu berfelben mitwirkte. Laͤßt ſich aber die
freie Selbftthätigfeit der menfchlichen Ratur in dem Gehorfam
Ehrifti nicht laͤugnen, fo folgt. hieraus von felbft der zweite
ber obigen Säge, daß Chriftus zu dem Sehorfam, welchen
de in und mit feiner menfchlichen Natur leiftete, nach feiner
menfchlichen Natnr für fi) verbunden war. War, Chriftus
nach feiner menfchlichen Natur ein wahrer Menſch, und vers
for er auch durch die perfünliche Vereinigung .feiner menfchlis
hen Ratur mit der göttlichen die Perfönlichkeit in der erftern
nicht, fo war er auch ein Geſchöpf, als Geſchöpf aber war
er zu allen ihm möglichen guten Handlungen für ſich verbun⸗
den. Gibt man nun auch zu, daß ber Gehorſam Chriftt,
wenn auch gleich Chriftus für fih Dazu verbunden war, Doch
zugleich ftellvertretend feyn Fonnte, fofern es ja nur von Gott
abhing, ihn den Menfchen zuzurechnen, fo ift Doch Dieß, fo»
lange, wie die eregetifche Unterfuchung zeigte, Feine ausdrüd-
Baur, bie Lehre von der Berföhnung. 31
482 I. Ber. U. Abſchn. 1. Kap.
liche Erflärung Gottes hierüber vorhanden if, eine bloſe
nichts beweiſende Möglichkeit 9).
Auch das zweite Hauptargument Töllners iſt nur eine
weitere Entwidlung defielben Arguments, das ſchon Piſcater
mit dem zuvor erwähnten verbunden bat. “Die orthodore
Theorie fucht dad Unzuteichende des leidenden Gehorfams
theild aus dem Begriffe der von Chriftus den Menſchen Ei
worbenen Seligkeit, theild aus dem Begriffe der derſelbe
entſprechenden fittlichen Beſchaffenheit zu beweifen, ober wk
Töllner Diefes zweite Argument bezeichnet, aus dem Auk
Chrifti, während jenes erfte Argument auf die / orthodoxe Le
re von der Perfon Chrifti ſich flüst. Zum Begriffe der Se
ligkeit gehört zwar zunaͤchſt Die Aufhebung der Durch Die Siw-
de verfchuldeten Uebel, die Erlaffung der göttlichen Strafen,
oder die Vergebung der Sünden, aber es iſt dieß nur: bei
Negative, zu welchem auch das Pofitive. der Seligkeit hin
fommen muß, bie in göttlichen Belohnungen und Wohlth«⸗
ten beftehende Glüdfeligfeit. Das Erfte bewirkte Ehriftus burg
feinen leidenden Gehorfam, das Zweite aber Tonnte er mr.
durch feinen thätigen Gehorfam verdienen. Daffelbe Legt in
dem Begriffe des Gehorſams. Hat Gott die Menfchen durch
die vertretende Genugthuung Chriftt zu befeligen beſchloſſen,
fo kann er dieß nur in der Ordnung eines vollfommenen Ge⸗
horſams gegen feine Geſetze befchloffen haben. Wäre aber
nur der leidende Gehorfam Ehrifti ein vertretender, fo hätte
er zwar die von ben Menfchen verfchuldete Strafe erbulde,
nicht aber, was nur durch den thätigen Gehorſam gefchehen
konnte, die von ihnen zu erfüllende Pflichten. erfüllt. Einen
vollfommenen Gehorfam gegen die göttlichen Geſetze fordert
aber fowohl die moralifche Vollkommenheit Gottes, als auf
Die Ratur des Menſchen, vermöge welcher e8 unmöglicd if,
dag ein Menic ohne Tugend oder Gehorfam gegen Gott
1) Tollner a. a. D. ©. 418—453.
J. ©. Töllner. 483
cefelig werden Tann. Im Gegenfag gegen das erftere bie-
beiden Argumente machte, wie früher Pifcator, fo auch
ner geltend, daß das Poſitive und Negative bier nicht
rennt werben fönnen, daß die Erthellung ber Seligkeit
8 anders fey, ald die. Entfernung der ber Seligkeit ent-
jenftehenden Uebel. Weber die Schrift noch Die Vernunft Ichre,
3 Chriftus etwas befonderes habe thun müflen, um bie
tgebung der Sünden, und etwas befonderes, um eine ger
ıfeitige SGlücfeligfeit zu erwerben, der ganze Gedanke fen
r eine Erfindung der Theologen, um ihrer Theorie ‘von
em boppelten vertretenden Gehorſam Chrifti aufzuhelfen *).
I) Es verdient bier bemerkt zu werden, wie klar und beſtimmt
Das Moment, das bei Pifcator nur in dem Gage enthalten
ii, imputare justitiam {ey foviel als remittere peccata,
von Töllner hervorgehoben wird ©. 475.: „Ein Anfänger in
ber Philofophie follte doch bereits wiſſen, daß Fein Uebel
aufhören kann, ohne daß das ihm entgegenfiehende Bute ent»
fiebt, nachdem jedes mögliche Ding in Anfehung einander
wiberfprechender Beftimmungen allezeit auf’ die eine oder bie
andere Weife beſtimmt fern muß. Einem Anfänger in der
Philoſophie follte doch bereits bekannt feun, daß die Eintheis
Iung der Hebel in beinhende und verneinende Hebel, welcher
aufolge entweder etwas Gutes einem Dinge mangelt, oder
das demfelben entgegenftehende Böfe bei ihm vorhanden if,
feine in der Natur der Sache gegründete Eintheilung ift.
So lange nur etwas Gutes fehlt, fo lange ifk das demſel⸗
ben entgegenftehende Webel bei mir vorhanden. And fobald
ich von einem gewißen Nebel befreit worden, wird das dem»
felben entgegenftchende Gute bei mir wirklich. Und das fin»
det in Anfehung aller Artin don Uebeln ſtatt, es ſeyen ſol⸗
che phoſiſche oder moralifche Uebel. Niemand Tann von eis
ner Krankheit geheilt werden, ohne daß bie entgegenſtehende
Gefundheit entfünde. Wer mich von einem Irrthum befreit,
der hilft mir zur Erkenntniß der demſelben entgegenfichen-
den Wahrheit. Und wenn eine Iaferhafte Gefinnuns in ie-
31 *
484 IL. Ber. IL Abſchn. 1. Kay.
Noch entichiedener fpricht fidh Die von einem neugerwonnenen
Bewußtſeyn zeugende Polemik Töliner’8 gegen die Tirchlice
Satisfactionslehre bei ber Widerlegung des zweiten Argus
ments aus, welchem folgende Momente entgegengeftellt wer⸗
den: Die Ratur des Menfchen fordere zwar zur Glüuͤchkſeligken
Gehorſam, aber der fremde Gehorfam könne nichts helfen,
fondern nur der von jedem Einzelnen jelbft geleitete, eben⸗
deßwegen aber fordere Gott Feinen abjolut vollfonmenen, fon
dern nur einen aufrichtigen, keinen größern und vollfonmme
ren, als jedem, nach feinen Kräften, zu Jeiften möglich fe.
Kur an einen folhen Sehorfam ift daher die Seligfeit des
Menſchen geknüpft, da aber einen folchen der Menſch felbk
zu leiften im Stande ift, fo wäre e8 höchſt unnöthig, wenn
er von einem Vertreter geleitet worden wäre. Der Begrif
des. vollfommenen Gehorſams kann überhaupt nur relativ be [
fimmt werden. Ein abfolut vollkommener Gehorfam iſt Te T
nem vernünftigen Gefchöpf möglich, weil er aufhören wür
de, ein endlicher Gehorfam zu ſeyn. Es iſt daher dem Men
manden aufhört, fo entſteht Die derfelben entgegenſtehende
Tugend. Alſo ift es nun erwielen, daß Fein Menfch von
den mit der Sünde verfchuldeten Hebeln befreit ſeyn Eann, ob
ne die denſelben entgegenfiehenden Güter und Vollkommen⸗
heiten zu erlangen.’ Dabei Tann aber doch die Einwendung |
nicht überfehen werden: „Wird denn ein Miffethäter bi
damit, daß ihm die Strafe feiner Miſſethat erlaffen wird,
auch ein glüdfeliger Menſch?“ Daher noch die weitere Bes
fimmung: „Er wird durch feine Begnadigung allein frei»
ich nicht glücklich, wenn fein Zuſtand vorhin nicht glüd.
lich war. Allein wir Eommen alle darin überein, daß die
Menfchen, wenn fie nicht gefündigt hätten, volllommen glüd:
felig gewelen feyn würden. Mit der göttlichen Wergebung
ihrer Sünden erlangen fie, wenn folche wahrhaftig und volle
kommen if, alle Verhältniffe wieder, welche fie gehabt ha
ben würden, wenn fie nicht gefündigt hätten.’
3. ©. Zöllner. 485
ven Telne Tugend ohne. Flecken, und kein Gehorfam ohne
eimiſchung von Unrecht möglich, aber zu einem andern Ges
rfam, als biefem relativen ift er auch nicht verbunden, ba
T erfte Grundſatz für alle Berbindlichkeiten und Geſetze tft,
5 niemand zu mehr-verbunden feyn Tann, ald ihm zu Id»
a möglich ift %). Hätte aber Gott einen abfolut vollkom⸗
enen Gehorſam zwar nicht von den Menſchen ſelbſt gefor-
rt, fondern zur Leiſtung deſſelben einen Vertreter aufgeftellt,
eichwohl aber an demfelben zugleich den Ungehorfam ber
benfchen beftraft, fo wäre er nad) der größten Strenge ver
ren, und es wäre nur die kleine Wohlthat übrig geblie⸗
n, baß er folche den Menſchen zuzurechnen befchloß. “Die
ttliche Begnadigung würde eigentlich fein wahres Geſchenk
ottes mehr feyn, da in diefem Falle Gott weder den un⸗
laſſenen Sehorfam, noch Die durch denfelben verfchuldeten
trafen ganz geſchenkt hätte ®).
1) Abllner a. a. D. &. 490-502.
2) A. a. O. &.502—517. Daß biefes letztere Argument mehr
beweist, als es beweifen foll, if klar. Iſt bie Zurechnung
eine fo Heine Wohlthat, fo.muß dieß auch vom leidenden
Gehorſam ‚gelten. Minder erheblich if auch das damit ver-
bundene Argument, daß der thuende Gehorfam bie Stufen
der Seligkeit anfhebe. Wenn Chriſtus durch feinen volls
Fommenen Gehorſam für jeden Menfchen fo viele und fo
große Tugenden ausgeübt hätte, als er auszuliben verbuns
>tEhen war, fo Fünne Fein Menſch noch mehrere und größere
. Zugenden ausüben, als bereits Chriſtus für ihn in der Voll⸗
. kommenheit ausgeübt bat, alfo Einne er auch durch eigene
Cugenden Feiner größeren Seligkeit würdig und. theilbaftig
werden (&.517—521.). Wenn aber, wie Tollner ausdrück,
lich behauptet (S. 666.), die gewöhnliche Theorie dom thäe
"tigen Gehorſam Chriſti die Verbindlichkeit der Erldsten zum
eigenen Gehorfam nicht anfhebt, fo bliebe in diefer Hinſicht
immer noch die Möglichkeit, einen Stufenunterſchied anzu⸗
nehmen, wofern überhaupt, was jedoch nicht bias. den huen⸗
486 I, Ber. IL Abſchn. 1. Kap.
Wie das erfte Hauptargument gegen bie Lehre vom ihnen⸗
ben Gehorſam auf die Berfon Chrifli, das zweite auf das
Amt Chriftt fich bezieht, fo betrifft das dritte ben Begriff der
Genugthuung ſelbſt. Die orthodoxe Theorie will aus dem
Begriffe der Genugthuung, fofern fie ſowohl durch Thum ald
burch Leiden. geleiftet werden Tann, fihließen, daß eine voll
fommene Genugthuung, fowohl eine ihuende, als leibende
feun muß. Diefem Begriff der Genugthuung wird bas ir
gument entgegengeftellt, daß dem Grunde der menfchlichen
Berbindlichkeit fchlechthin nicht durch Die Leiftung' eines aw
dern Genuͤge gefchehen könne. Wenn ber Grund ber goͤtll⸗
. den Gefeße nur darin liegen kann, daß fie Durch bie Hand
lungen, die fie zur Folge haben, die Glüdfeligfeit des Men
fchen befördern, fo erhellt hieraus von felbft, daß den Ger
zen Feine Genuͤge gefchieht, wenn fie nicht von den Menkhe
[577
ſelbſt erfüht werden. Mit der Möglichkeit des thuenden &e F
horſams verhält es ſich Daher ganz anders, ald mit der Möp
lichkeit des leidenden. Wollte man den thuenden Gehorke
dadurch rechtfertigen, Daß der Gehorſam des Stellvertretat
dem Menſchen wichtige moralifche Beftimmungsgründe zu
Beobachtung der Geſetze Gottes gibt, den Menſchen zu einem
ähnlichen Gehorfam erweckt und verpflichtet, fo iſt leicht m
jehen, daß er aus diefem Geftchtspunft betrachtet, Die Eigen
{haft eines ftellvertretenden und genugthuenden Gehorfamd
perliert, und nur als Beifpiel wirft, und zwar für dieſen
Zwed um jo befjer, wenn er als ein Chriftus felbft obliegen⸗
ber Gehorſam betrachtet wird. Daß aber dem Grunde, aus
welchem Gott die Sünden ftraft, auch ebenfo wenig bei Volk
ziehung der Strafe an einem Stellvertreter Genüge gefchehe,
ald dem Grunde, aus welchem er den Gehorfam fordert,
wenn berfelbe von einem andern geleijtet wird, laͤßt fich nicht
ben Gehorfam trifft, die Idee der abſoluten Seligkeit einen
graduellen Unterfchied nicht ausfchließt.
J. G. Zöllner. ST
ebaupten. Der Zwed ber göttlichen Strafen Tann nur fen,
em Menfchen Motive des fittlidhen Handelns zu geben. Zur
Irreichung dieſes Zwecks ift aber keineswegs nothwendig, daß
lejenigen felbft geftraft werden, welche Die Strafen verfchul«
et Haben, auch bie Beflrafung anderer kann diefelbe mora⸗
che Wirkung haben. Man beruft fih aber ferner, um qus
em Begriffe der Genugthuung, fowohl den thuenden, als
eibenben Gehorſam abzuleiten, darauf, bag auf den Men-
den eine doppelte Verbindlichkeit und eine doppelte Verſchul⸗
yang liege. Daß der Menſch ald Menich zum Gehorſam ges
zen Die göttlichen Geſetze, und ald Sünder zur Strafe für bie
Bebertretung verbunden ift, läßt fich nicht läugnen. Behaup⸗
jet man aber, daß ungeachtet der Verbindlichkeit bed Suͤn⸗
ders zur Strafe für-den Ungehorfam feine Verbindlichkeit zum
Behorfam nicht aufhört, fo Tann biefer Sag fowohl heißen,
baß er beftändig zum Gehorjam verbunden bleibt, ald auch,
Daß er den nicht geleifteten Gehorſam noch nachzuleiften habe,
Das Erſtere iſt unftreitig wahr, aber «8 beweist dieß nichts
für die thuende Genugthuung eines Stellvertreters, ba ber
Gehorſam, zu welchem ber Menſch beftändig verbunden bleibt,
nur berjenige feyn kann, welcher von dem Dienfchen ſelbſt ge⸗
leitet werden muß, und wenn auch diefer Gchorfam immer
ein unvollfommener ift, fo, folgt daraus nur, baß der Menfch
wegen des Mangelhaften feines Gehorſams immer ber Sün-
denvergebung durch den leidenden Gehorſam -Chrifti, bedarf *).
Was aber das Zweite betrifft, die Nachleiftung des nicht ge⸗
8) Daß bie gemdhnliche Theorie vom thätigen Gehorſam Chri⸗
Ri die Verbindlichkeit der Erldsten zum eigenen Gehorfam
aufbebe, wendet Tollner nicht ein, fondern erflärt vielmehr
ausdrücklich, daß er an dieſem Vorwurf keinen Theil neh⸗
mie (©. 666.), daß aber die moralifche Verpflichtung des
Menſchen Kärker fey, wenn der thuende Gehorſam nicht ſtell⸗
vertretend war, wird gleichwohl behauptet :(&. 102.. 106.).
38 - 1 Ber. 1 Abſchn. 1. Kap.
feifteten Gehorſams, fo koͤnnte ein foldyer allerdings nur durd
einen Stellvertreter, fomit den thuenden Gehorfam deſſelben,
geleiftet werden, aber aus der Unmöglichkeit auf der Selte
des Menfchen diefen Gehorfam zu leiften, ift vielmehr nur die
Folgerung zu ziehen, daß der Menſch zu demfelben nicht ver
bunden ft, da Gott unmöglich etwas unmögliches wollen
ann, unmöglich aber ift es, daß der Menfch den Sehorfam;
welchen er nicht geleiftet hat, nachleiften fol. Endlich IA’
fih auch noch beweifen, daß, wenn Ehriftus eine thuende
Genugthuung für die Menfchen geleiftet hat, eine leiden
unnöthig, und infofern auch unmöglich ivar, und ebenfo um
gefehrt, Daß, wenn er durch fein Leiden für fie genuggethan
nicht zugleich dur, fein Thun genuggethan haben kann. Hat
Chriftus durch feinen thuenden Gehorfam die ganze wegen
des Ungehorfams auf den Menfchen ‚liegende Schuld getifgt,
fo bat er auch alle verfchuldete Strafe abgethan, ba be
. Strafe nur Folge der Sünde ift, wo daher Feine Schuld iR,
auch Feine Strafe ſeyn Tann. Hat dagegen Chriftus, wie in
jedem Sale angenommen werben muß, da bie Echrift nur
einen leidenden, nicht aber einen thuenden flellvertretenden Ge
horfam fennt, durch fein Leiden genuggethan, fo hat er da
durch den Menfchen Vergebung der Sünden erworben, wo
aber Vergebung der Eünden ift, da ift auch Leben und Ce
Kigfeit, und eine Genugtbuung durch den thuenden Gehorſam
wäre daher ebenfo unnöthig, als unvereinbar mit Der goͤtili⸗
chen Weisheit .*),
1) Bl. a. a. O. ©. 558 —598.- ©. 5694. bedient fich Tollner
auch folgenden Arguments: „Entweder mußte Gott den Men-
fhen Schuld und Strafe ohne einen Vertreter erlaflen, oder
von demfelben doch nur eines und das andere annehmen.
Entweder hat der Vertreter alles gethan, was wir thun fol:
ten, fomit auch unfere ganze Schuld bei Gott abgetragen,
und fp übte Gott nicht die gexingſte Gnade aus, wenn er
3. ©. Zöllner, Ä 489 -
"Um die Stelle, welche die hiemit in ihren wefentlichen
Romenten dargeſtellte Zöllner’fhe Unterfuhung in ber Ge⸗
gleichwohl die Strafe vollzog. Oder Gott hat den Vertre⸗
ter leiden laffen, was wir leiden follten, und fo übte er
gar Feine Gnade aus, wenn er gleichwohl den vollen Abtrag
der ihm fchuldig geblichenen Pflicht forderte.’ Der Begriff
der fiellvertretenden Genugthuung ift hier ganz unrichtig aufs
gefaßt. - Nicht darin beweist Gott im Werke der Genug-
thuung feine Gnade, daß er nicht den thuenden und leiden
den Gehorfam zugleich verlangt, fondern nur entweber den
“ einen oder den andern, fondern, wie es fich auch mit dieſem
doppelten Gehorfam Chriſti verhalten mag, die von Chri⸗
ſtus geleifiete Genugthuung den Menfchen zurechnet. Würs
De der Begriff der Gnade nicht anders fefigehalten werden,
als durch die Annahme, daß Gott die Stellvertretung nur
entweder auf die Schuld oder die Strafe fich beziehen Iäßt,
nicht aber auf beides zugleich, ſo würde in doch wieder da»
bei vorausgefent, was Zöllner als eine in der Natur
Der Sache liegende Unmöglichkeit Iäugnet, daß mit. der
Schuld- nicht zugleich Strafe und ebenfo mit der Strafe
nicht zugleich die Schuld aufgehoben ift, fomit auch ſowohl
Der thuende als der leidende Gehorfam nothwendig if. Eben
fo verfehlt it, worüber man fich gleichfalls bei dem fonft
fireng logiſchen Bang der Töllner’fchen Unterfuchung wun⸗
dern muß, folgende Argumentation gegen die gewöhnliche
Theorie (S. 594.): „Nach derfelben rechnet uns Gott in der
Handlung unferer Rechtfertigung den boppelten Gehorſam
Ehriki-zu. Alſo aber erwäckhst ein wirklicher Widerfpruch.
indem er uns den thätigen Gehorſam deſſelben zurechnet,
erklaͤrt ex ung für vollfommene Gerechte, für Menfchen, auf
welchen Feine Schuld haftet. Und indem er uns ben leiden»
den Gehorfam zurechnet, erflärt er uns für Sünder, indem
-. wir damit für Menfchen erklärt werden, die Strafen vers
fchuldet haben. Alſo erklärt er uns zugleich, und in Einer
. Handlung, für unfchuldig und für fchuldig, für Gerechte und
für Sünder.” Das Legtere liege ganz in der Natur der
490 I. Ber. U. Abſchn. 1. Kap.
fehichte unferd Dogma’s einnimmt, richtig zu würbigen, muß
man die Aufgabe, die fie ſich feßte, von dem Reſultat auf,
welches fie führte, wohl unterfcheiden. Die Aufgabe war, das }
. coordinirte Verhältnig, in welches die Eirchliche Lehre ben
thuenden Gehorfam zum leidenden in Anfehung ber ftellver
tretenden Genugthuung feßte, als ein unhaltbares nachzuwei⸗
fen, und ben erftern dem lebtern fo unterzuordnen, daß die
bem thuenden Gehorfam abgefprochene Bedeutung ber fiel
vertretenden Genugthuung nur dem leidenden zugefchrichen
werden follte, dieſem aber um fo entichiedener vindicirt wer
den mußte, je weniger die Borausfegung in Zweifel gezogen
wurde, daß ohne Stellvertretung und Genugthuung aud fe |
ne Erlöfung und Verföhnung möglich ſey. Töllner ſelbſt be
fiimmte daher die eigentliche Streitfrage fo: ob ber thätige
Gehorfam Chrifti völlig dafjelbe Verhältniß gegen die von
ihm zu leiftende vertretende Genugthuung gehabt babe, wel⸗
he der leidende gegen dieſelbe hatte, oder, ob die Tugenden,
welche Chriftus in feiner Erniedrigung ausübte, völlig eben
fo erlöfend und verfühnend waren, als die Leiden, welche er
in derfelben erduldete, ob demnach die Genugthuung als em
aus dem thätigen und leidenden Gehorfam zufammengefehte
Handlung gedacht werden müffe? Durch die Berneinung bie
Sache, da es mefentlich zum Begriffe der Zurechnung ge
bört, daß der Menfch als ungerecht und zugleich als gerecht
betrachtet wird. Aber ebendeßwegen Tann nicht mit Recht
behauptet werden, daß der. Menfch durdy die Zurechnung
des leidenden Gehorſams nur für einen Sünder erklärt wers
de. Daß er Sünder if, iſt zwar die Vorausfegung, wel
hen Zweck hätte aber die Genugthuung durch den leidenden
Gehorfam, wenn durch fie nicht bewirkt würde, daß vermits
telft der GStellvertretung der Menſch von der von ihm ver
fchuldeten Etrafe befreit, und im Alte der Rechtfertigung
von ihre freigefprochen wird? Es hat dieß jedoch, wovon
nachher noch die Rede feyn wird, einen tiefern Grund.
3. ©. Töllner. 491
er Frage follte keineswegs jeder Zufammenhang der Genug⸗
huung mit dem thätigen Gehorſam geläugnet, fondern viel
nehr gleichwohl anerkannt werden, daß Chriftus durch feinen
janzen, jomit auch den thätigen Gehorſam genuggethan has
re, fofern die Stufe des Gehorfams, auf welcher er litt, den
zanzen übrigen Gehorſam vorausfegte, und feine Leiden nur
burch feinen ganzen Gehorfam verbienftlihe und wahrhaft
genugthuende Leiden wurden: es follte Daher der thätige Ge⸗
borfam zwar nicht als ein Theil der Genugthuung, aber doch
als eine Miturfache derfelben angefehen, und in dieſem Sinne
fogar zugegeben werden, daß Chriftus das Gefeh für uns
erfüllt habe, und feine (mit feinem ganzen Gehorfam identi⸗
ſche) Gerechtigkeit und zugerechnet werde, weil ohne- und und
ohne eine Beziehung auf und, weder Chriftus noch die von
ihm geichehene Erfüllung des Geſetzes geweſen wäre *). Der
Zweck ging demnach eigentlih nur dahin, die Lehre vom
Relivertretenden Gehorfam auf den Punkt zurädzuführen, auf
weichen: biejelbe fich befand, ehe man zwifchen einem thuen-
ben und leidenden Gehorfam zu unterfcheiden pflegte. Allein
bie innere Confequenz des Dogma's machte ſich hier auf eine
bemerkenswerthe Weile geltend. Wie die auf dem Begriffe
ber Gerechtigkeit beruhende Lehre von der Satisfartion erft
in ber Idee des thuenden Gehorſams zu ihrer ſich in fi
ſelbſt abfchließenden Vollendung kam, und in berjelben nur
vollends zum Bewußtſeyn Fam und ausgefprochen wurde, was
son Anfang an im Entwidlungsprincip biefes Dogma’s lag,
fo Eonnte nun ber ftellvertretende thuende Gehorſam mit dem
in ber Töliner’fchen Unterfuchung ſich ausfprechenden fo ent⸗
ſchiedenen Bewußtſeyn der völligen Unhaltbarfeit diefer Lehre
son dem ganzen übrigen Gehorſam nicht mehr losgetrennt
werben ,. ohne daß bie den thuenden Gehorfam betreffende
Frage zar-Lebensfrage für das ganze Firchliche Satisfactionsdog⸗
9) Thuner a. a. O. ©. 5.f. 58 f.
AR IL Ber. IL Abſchn. 1. Rap.
ma wurde. Die mit der Töllner’fchen Beftreitung begtmen- |.
de rüdgängige Bewegung Eonnte ihr natürliches Ziel nur auf
einem dem Firchlichen Dogma entgegengefebten Standby I.
finden, diefer Standpunkt war jedoch Fein anderer, als ber
felbe, auf welchen fich Die Socinianer und Arminianer längf
geftellt hatten, nur mit dem Unterſchied, daß der biöher am
Berhalb der proteftantifchen Kirche fich bewegende Widerfprud
gegen das Satisfactionsdogma jetzt innerhalb berfelben feine |
weitern Verlauf nehmen follte. Dieß ift das eigentliche Me
ment ber Töllner’fchen Unterfuchung, in welcher ſich überall
Die Veberzeugung aufdringt, daß ein auf ſolche Weiſe dur
geführter Widerſpruch gegen den thuenden Gehorfam nur vor
einer Anftcht ausgehen Tann, welche die weientliche Grundla⸗
ge des kirchlichen Satisfactionsdogma’s fchon verlaffen hatt.
Am unmittelbarften tritt dieß in dem Abſchnitt hervor, in
welchem Töllner aus dem Grunde und Endzwed der Genug
thuung gegen den thuenden Gehorfam argumentirt. Dem,
wenn bier gegen die gewöhnliche Theorie, nach welcher ber
Grund und Endzwed der Genugthuung dahin gehen folk, daß
ber vollfommenften Gerechtigkeit Gottes Genüge gefchehe, nicht
blos die fchon früher erwähnten Gründe, daß in diefem Falle
feine wahre und wirkliche Begnadigung ftattfinde, und Gott
die Begnadigung der Menfchen nicht an eine fchlechthin uns
möglihe Bedingung habe Tnüpfen Können, geltend ge
macht werden, fondern auch die Einwendung, daß ber eine
folhen Vorftelung der Sache Gott geradezu alles Recht und
Bermögen zu begnadigen abgefprochen, Gott unter feine Ge
jege geftellt werde, wenn er ben Ungehorfam gegen fie nicht
vergeben fönne, ohne denfelben anf die eine oder andere Weile
vollfommen vergütet und abgethan zu fehen, fo ift Klar, in
welchem Widerſpruch dieß mit den Erklärungen der älterg
proteftantifchen Theologen fteht. Ausdrüdlich wird Daher bie
göttliche Gerechtigkeit von Töllner, nad) Leibniz, ald Die weile,
oder mit Weisheit verwaltete, d.h. ihre Wohlthaten mit Rüd:
3. ©. Zöllner. 43
icht anf die Wuͤrdigkeit und Empfänglichfelt ertheilende Güte
efinirt. Wie der Grund ber Genugthuung, dieſer Anficht
üfolge, die göttliche Liebe war, was auch allein der Lehre
er Schrift gemäß feyn ſoll, fo kann der Zweck berfelben nur
n die Helligung des Menſchen gefegt werden. Die Abficht,
He Menichen zu begnadigen, fol zwar von dem Zwede ber
Benugthuung nicht ausgefchloffen, aber nur als ein entfern-
arer Endzweck angejehen werden, zu deſſen Erreichung Gott
ie Heiligung der Menfchen durch die Genugthuung befchlofs
en babe. Zur Begnadigung an ſich würde Gott nie.eine Ges
nngthuung gefordert oder veranftaltet haben, da er aber bie
Begnadigung nicht anders als in Verbindung mit der Heili⸗
gung der Menfchen habe beichließen können, habe er Die Ge⸗
nugthuung als ein weifes Mittel zur Heiligung der Menfchen
Beichloffen, nicht alfo um den Ungehorfam der Menfchen zu
wergeben, fondern vielmehr den Gehorfam in ihnen zu be=
gründen, fo daß nicht die .Heiligung durch die Begnadigung,
Sondern die Begnadigung durch die Heiligung bebingt iſt.
Die Senugthuüung kann theil nach ihrer unläugbaren Be-
ſtimmung zur Erlöfung und Befeligung ber Menfchen, theils
nad der Natur und Abficht eined Begnadigungsmitteld nur
als Mittel der Heiligung betrachtet werden. Soll die Erlö-
fung überhaupt vom Uebel der Sünde befreien, d. h. ſowohl
von der Sünde jelbft, als der Strafe ber Sünde, fo fann
bie Befreiung von. der Sünde felbft nur durch die Helligung
geſchehen. Ebenfo kann fie die Befeligung ber Menfchen nicht
bewirken, ohne daß fie die fittliche Beflerung der Menfchen.
bewirkt, da niemand ohne Tugend glüdlid, werden Tann.
Bas aber die Öenugthuung ald Mittel der Begnadigung bes
trifft, fo wäre fie Fein vollkommenes Mittel hiezu, wenn fie
nicht von allen Strafen der Sünde, fomit auch den natürlis
chen, befreite, von welchen man nur durch Befreiung von der
Sünde felbft frei werden kann. Ueberhaupt iſt es nach den
noraliichen Bollfommenheiten Gottes unmöglich, die Men-
494 il. Ber. IL Abſchn. 1. Kap.
fchen anders, ald im engften Zufammenhang mit der Hal
gung zu begnadigen, da fid) gar nicht denken läßt, was da
Begnadigungsmittel feyn fol, wenn es nicht ein Mittel iR,
die Menichen der Begnadigung empfänglich zu machen, we
nur durch DBeflerung gefchehen Tann. Als Begnadigungsmk
tel kann die Genugthuung nur ein Mittel feyn, die Sünde
ohne Vollziehung der Strafen an den Menfchen zu Hinden,
da fie das geeignete Mittel ift, in dem Menfchen, fowel
Vertrauen zu Gott zu weden, oder dad Hinberniß des Be
trauend, die Beforgniß ber durch die Sünden verſchulden
‚göttlichen Strafen, zu entfernen, als auch ihn, durch ben de
danken, daß Gott feinen Unwillen durch Beftrafung der Siw
de am Stellvertreter geoffenbart habe, mit Furcht vor de
Eünde zu erfüllen 9.
Es bedarf feiner weitern Nachweiſung, baß eine in fl,
chen Säben beftehende Theorie von der Lehre ber Sociniane
und Arminianer nicht wefentlich verfchleben if. Mit beide
flimmt fie in dem Hauptgrundfage überein, daß bie Belle
rung ald die wefentliche Bedingung der Sindenvergebung,
diefelbe auch faktifch fchon in ſich ſchließt 2), und wenn fe
1) Zöllner a. a. D. ©. 607-670. Weber das Motiv ber Furt
it auch ©. 576. zu vergl.: „Nehmen wir an, daß der End
zweck, für welchen Gott firaft, fen fein höchfies Mißfallu
an der Sünde zu offenbaren, fo hat er doch mit Affenba⸗
rung dieſes Mißfallens Feine andere Abficht, als daß die
vernünftigen Gefchöpfe durch daffelbe bewegt werden, bad
Sündigen zu unterlaffen.” Das Grotus’fhe Straferempel!
In den Bermifchten Auffägen Bd. 2. St. 2. führte Ti
ner gleichfalld den Sag aus, die Zwecke Gottes bei dem
Werke der Erldfung feyen Feine andere gewelen, als neu :
und befonders fiarfe Bewegungsgründe zur Tugend zu fil
ten, oder die Menfchen mit Furcht, Liebe und Wertranen zu
fich zu erfüllen.
2) Bel. S. 670.: Sobald ein fündiges Geſchopf gebeflert oder
3. G Töllner. 495
ch von der ſocinianiſchen fich noch umterfcheiden wollte, fo
wbe fie doch nur um fo gewißer mit der arminianifchen zu⸗
nmenfallen 2). So wenig handelt es fi) demnach nur um
ein aufrichtiger Gehorſam gegen Gott in ihm aufgerichtet
wird, fobald vergibt ihm Gott ohnfehlbar feinen bisherigen
Ungehorfam. Dafür reden, man fage, was man wolle, alle
moralifche Vollkommenheiten Gottes.
I ©. 685. macht Zöllner dem Gocinus den Irrthum zum Bor»
surf, die Benugthuung Chriſti zu verwerfen. Den Begriff
der Genugthuung will allerdings Zöllner in feiner Schrift
über den thätigen Gehorſam noch fefihalten, wie ſchwach be⸗
gründet aber diefer Begriff in feiner Theorie ifi, zeigt am
beften der fpätere Eleine Auffag: Alle Erflärungsarten vom
verföhnenden Tode Ehrifti laufen auf Eins zufammen (in
den theolog. Unterfuchungen Bd. 2. St. 1. Riga 1774. ©.
316—335.) in welchem Thllner den Alt der Senugthuung und
Gtellvertretung ächt forinianifch mit einem Akt dee Verſi⸗
cherung und Beftätigung vertaufcht. Nach der Theorie So⸗
eins bernhe unfer Glaube ouf den. durch Chriſtum überbrach»
ten göttlichen Verheißungen, und fein od verhalte fich bios
als eine Beftätigung derfelben. Aber fo ſtehe die Sache bei
allen übrigen Erklärungsarten des Verfühnenden im Tode
Chriſti. „War der Tod Ehrifii ein genugthucnder und vers
tretender Tod, fo war er folhes nicht nur blos durch eine
göttliche Verordnung dazu, und er Eonnte nicht ohne eine
ummittelbare göttliche Erklärung darüber erkannt werben,
- .fandern es hing noch immer von einem freien Rathfchluffe
ee.
Gottes ab, ob er ihn dafür annehmen, und den Menfchen
aurechnen wollte. Alfo aber kommt Doch abermals alles auf
bie göttlichen Verheißungen an, und der Tod Ehrifti verfis
chert uns nur die verheißene Wohlthat, fofern er ein von
Gott erfundenes weifes Mittel deſſelben ik, umd fofern er
das ernfiliche Verlangen Gottes, die Sünden zu vergeben,
\ erweifet. Und nun zum Schluffe! Bei allen Erflärungsar-
ten von dem DVerfühnenden im Tode Chriſti beſteht der eis
geutliche Grund unfers Glaubens in den göttlichen Verhei⸗
s;
496 11. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap.
die Frage über ben thuenden Gehorſam Chriſti, fondern wid bu
mehr um das Firchliche Satisfactionsdogma im Ganzen, wd
ches, nachdem einmal der Unterjchleb des thuenden und Id
denden Gehorſams von dem dogmatifchen Bewußtſeyn firkt B-
worden tft, mit dem thuenden Gehorfam ſteht und fällt. N
aus einem dem Tirchlichen Dogma entfremdeten Stanbpunt #
laflen fi Argumente begreifen, wie die von Töllner wieder
holt vorgebrachten, daß die Begnadigung aufhöre, eine wahe #-
und wirkliche zu feyn, oder eine bloße Gerechterflärung wer
de, wenn Chriftus den ganzen und obliegenden Gehorſam fr
uns geleiftet habe, und daß Gott nach feiner höchften Web
heit, Heiligkeit und Gerechtigkeit die Begnadigung ber Ne 5
ſchen nicht an die fchlechthin unmögliche Bedingung babe nd E
pfen können, daß allen Forderungen ber höchften Gerechtigkeit
Genuͤge gefchehe, und nicht nur der Ungehorfam beftraft, fer
dern auch der ganze, nicht geleiftete Gehorſam geleiftet wer
den müfle Allein diefe Unmöglichkeit findet nur auf dem
fubjeftio menfchlichen Standpunft flatt, bie kirchliche Theork
ftelit fich aber ebendeßwegen, weil das für den Menfchen ſub⸗
jektiv Unmögliche nicht auch abfolut unmöglich ift, auf dm
abfoluten göttlichen. Warum ftelit fih nun nicht auch Io
ner auf biefen Standpunkt, auf welchem die wichtigften id
ner Einwendungen von felbft hinwegfalfen? Iſt die Erfüllung
ßungen, aber der Tod Chriſti hat und behält auch fein ge
tes wirkliches Verhältniß zu der verheißenen Wohlthat, und
ein und daffelbe Verhältniß, uns folche zu verfichern. Nur
über die Art und Weife, wie er ung diefelbe verfichert, ent
fieht eine Verfchiedenheit der Meinungen. Die Berheißum
gen felbft leiden dabei nicht die geringfte Veränderung, und
der Glaube des Chriften fo wenig, als feine Verpflichtung
Durch den wohlthätigen Tod Ehrifti. Diefer ift und blit
verfühnend, fofern er uns unfere Verfühnung verfichert, e⸗
babe mit der Art und Weiſe, wie er fie uns verficher,
weldye Bewandtniß es wolle.
3. G. Zöllner, © © 497
es Sefebed, vom Etandpunft Gottes aus betrachtet, eine ab»
olut noihwendige, wie ſchwach iſt die Einwendung, daß den
Menfchen für fi, das göttliche Geſetz zu erfüllen, unmög⸗
ih ſey, und wenn ohne Erfüllung des Geſetzes auch Feine
Seligfeit möglich ift, wie nothwendig ergiebt fi) hieraus, daß
ver Menſch nur durch einen ftellvertretenden Geſetzes⸗Gehor⸗
am felig werden kann? , Wozu alfo Einwendungen, welche
mf dem Standpunkt der Firchlichen Theorie gar nicht erhoben
verben konnen? Offenbar feben fie demnach einen von die⸗
em Standpunkt wefentlich verfchiedenen, ben gerade entge⸗
gengejegten, voraus. Diefer nun innerhalb der protefantifch-
miherifchen Kirche ſelbſt erfolgende Umſchwung ber Anficht
Bericht fich in dem Töllner'ſchen Werke, mit je größerem Ern⸗
Be es feine ftreng wiffenfchaftlich gehaltene Unterfuchung durch⸗
führt, und je weniger dem Verfaſſer felbft: ſchon Die ganze
Bebeutung feines Widerſpruchs zum Bewußtſeyn gefommen
vu ſeyn fcheint, indem er ja nur einen ebenfo überflüßigen,
als bedenklichen Auswuchs des Firchlichen Dogma’d abzufchnei=
..
den, den Stamm deſſelben aber unverfehrt ftehen: zu laflen
weint); nur um fo merfwürdiger aus. Bon bem, gbjeftio
göttlichen Standpunft fieht man ſich nun ganz auf den ſub⸗
jeltio menfchlichen verſetzt; von dieſem aus wird Die ganze
Lehre von der Verföhnung aufgefaßt und beurtheift.. Das
Menfchlihe trennt fih, indem es ſich fowohl feines. Unter⸗
ſchieds vom Göttlichen, als feiner eigenen Selbfiheit bewußt
wird, vom ©öttlichen los, da es aber dem Göttlihen,. als
dem Abfoluten, gegenüber, feine Subjektivität zunächft nicht
als eine unendliche, fondern nur als eine endliche aufzufaffen
im Stande ift, fo wird nun der Maßftab der Endlichfeit an
alles angelegt. Daß der ‘Menfch .ein endliches Geſchöpf ſey,
bag von ihm in feiner Endlichkeit Feine abfolute Vollkommen⸗
beit gefordert werden Fönne, daß er unter ber Bedingung der
ı) Man vgl. 5. 3. auch ©. 684. .
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 32
498 IL. Ber. DI. Abſchn. 1. Rap.
fittlichen Befferung , die ihrem Begriff nach immer nur etwas
relatives ift, alles Gute von der höchften Güte Gottes hoffen
dürfe, daß alle Strafen nur Befferung und Glüdfeligteit be F
zweden, und bie Beſſerung ober Sugend feldft nur die de FF
dingung der Glüdfeligfeit ey, dieß find die Lehren, welche
nun als bie oberften Grunbfäge allen Unterfuchungen übe
das chriftliche Dogma vorangeftellt werden. Ja, fo fehr ver
liert ſich diefe Richtung, fobalb fie ihres Princips mächtig ge
worden ift, alsbald auch in das Subjektive und Enblide,
daß fie auch allen mit dem Satisfactionsdogma näher m
fammenhängenden Lehren, insbefondere der Lehre von de
Perſon Chrifti, demfelben Charakter ſubjektiver Enblichfeit auf
drüdt. Charakteriftiich ift in diefer Hinficht der zwar anf
fhon von Anfelm behauptete, jegt aber mit befonderer Em
phafe, und mit dem beftimmten Bewußtfeyn defien, was hie
mit gefagt werden follte, wiederholte Satz, daß Chriſtus ald
Gefchöpf, wie er doch feiner menfchlichen Natur nach unfrds
tig gedacht werben müfle, für fich felbft zum Gehorfam gegen
die göttlichen Gebote verpflichtet gewefen fey, fomit im keinem
Falle andern etwas habe verdienen Fönnen, wie ja überhaupt
ein Gefchöpf weder fich, noch andern im eigentlichen Sinne etwas
verdienen Eönne 2). Hiemit war nicht nur dem Satisfac⸗
tionsdogma feine wefentlidhe Grundlage genommen, fondern
auch dem Greatürlichen in Chriftus fo viel eingeräumt, daß
diefelbe Trennung des Menichlichen vom Göttlichen, bes End»
lichen vom Abfoluten, auf welcher der Widerſpruch gegen bad
Satisfactionsdogma beruhte, auf analoge und Fonfequente
Weile auch für Die Lehre von der Perfon Chrifti geltend ge
macht wurde. Indem man vor allem darauf bedacht war,
Chriſtus die volle Berfönlichkeit der menfchlichen Natur und
die freie Selbftthätigfeit eines fich felbft beftimmenden mora-
liſchen Subjekt zuzufchreiben, fcheute man fich weit weniger
9) Tollner a. a. O. S. 46. 49. 361. f. 439. f.
3.8. Töllner. 499
r der neftorianifchen Irrlehre von einer doppelten Berfön-
hkeit Chrifti ald vor der Gefahr, das menfchlich Perjönli-
e in ihm irgendwie durch das Göttliche zu befchränfen. Denn
a8 konnte auf der Grundlage einer vollen menſchlichen Per⸗
nlichfeit anders übrig bleiben, al8 entweder die Annahme
ter doppelten Perfönlichfeit, oder, was jedoch auf daffelbe
nausläuft, eine folche Anftcht von dem Verhältniß des Gött⸗
ben und Menichlichen, bei welcher an die Stelle der per⸗
nlichen Bereinigung der unbeftimmte Begriff einer bloßen
inwirkung ber Gottheit auf den Menfchen Jeſus gefegt wird?
Kefe letztere Annahme ift daher die in ber Töllner’ichen
rift offen ausgefprochene Anficht, bei welcher fo wenig et-
nd Bedenkliches gefunden wird, daß man, während man
e Tirchliche Lehre des Eutychianismus befehuldigt, es nicht
amal für nöthig hält, den fo nahe liegenden und gegrüns-
ten Borwurf des Neſtorianismus von ſich abzulehnen 9.
ni Bel. ©.369.: „Die genauefte Vereinigung des Dienfchen Je⸗
fus mit dem Sohne Gottes beſtund in nichts anderem, als
Daß er der mannigfaltigften Mitwirkung deflelben zu allen
"feinen Handlungen genoß, darin, daß der Sohn Gottes na=
türlich, moralifch und übernatürlich zu allen feinen Hands
Iungen mitwirfte.” Vgl. ©. 431. f.: „Ich glaube ohne eis
nigen Widerfpruch behaupten zu können, daß die Mitwir-
Fang der göttlichen Natur zu den Handlungen der menfchlis
chen nur immer da anfieng, wo die eigene Hinlänglichkeit
der menfchlichen aufhoͤrte.“ — „Wir haben und den Einfluß
der göttlichen Natur fo vorzuftellen, daß ihm die göttliche
Natur theils zum Vorherſehen vieler guten Handlungen in
einzelnen Fällen behülflich war, welche er fonft nicht vorher⸗
geſehen haben würde, theils aber ihn bei der Beurtheilung
der vorhergeſehenen Handlung vor möglichem Irrthum be:
wahrte, und dazu half, daß er in jedem Falle die befie Hand:
fung erkannte.” — Der Eirchlichen Lehre wird.der Borwurf
gemacht, daß fie mit der Läugnung der Verbindlichkeit Chri:
ki zum Gehorfam die Perfönlichkeit der menfchlichen Natur
32 *
500 1. Ber. IL Abſchn. 1. Kay.
3a, fo ſehr gefällt fich diefe Anficht in Ihrem Intereffe, bike
Selbftftändigkeit und Endlichkeit des Menfchlichen: gegen- De
Beeinträchtigung durch das Göttliche in Schuß zu nehme,
daß felbft die unfündliche Vollfommenheit des Gehorfam
Chrifti in Zweifel gezogen wird, weil „die in der Schrift be Ri
findlichen‘ Beichreibungen deſſelben und nicht nöthigen, dem
felben eine alle Kräfte einer endlichen Natur überfteigende
Bollfommenheit (fofern ein vollkommener Gehorfam feines
vernünftigen Geſchöpf möglich if) beizulegen, und es dahe
bedenklich feyn würde, bie Nothwendigfeit einer perſonlicha
Bereinigung des VBertreterd mit ber göttlichen Natur allda
oder vornehmlich auf Die Unentbehrlichfeit derfelben zur Le⸗
ftung eines vollfommenen Gchorfams zu gründen“ %). Kam.
aufhebe. „Blieb der menfchlichen Natur Chrifti Bein cige
ner Grund freier Handlungen, fo waren alle uns fo erfches
nende Handlungen derfelben, blos Handlungen der göttlichen
Natur, welche in derfelben und durch diefelbe gewirkt nam
den. Es war bloßer Schein, da es doch fo ausſahe, ad
ob die menfchliche Natur fie verrichtete, und nach eigenem
deutlichen Belieben fie verrichtete.“ ©. 561. f. Auf den Vor⸗
wurf des Nefiorinnismus nimmt zwar Zöllner ©. 383. Näds
fiht, aber nur um dem mit Iinrecht verfegerten Neſtorius
darin Recht zu geben, daß das DVerhältniß der göttlichen -
Natur des Vertreters gegen deffen menfchliche Natur dahin
zu befiimmen fey, daß fie derfelben zum Erlöfungswerfe ges
bolfen habe. |
1) A. a. O. ©. 492. In demfelben Intereffe wird, obgleich
fonft verfichert wird, daß Fein Gefchöpf etwas verdienen Ein:
ne, großes Gewicht darauf gelegt, daß Chriftus für feine
Tugend belohnt worden fey. „Ich vergebe es,“ fagt Til:
ner großmüthig ©. 409., „unfern Vorfahren, zu deren Zeit
das Weſen moralifcher Vollfommenheiten weniger entbedt
war, daß fie fich Die Tugenden im Erlöfer ohne eine Folge
von Belohnungen für den Erlöfer gedenken konnten. Aber
ietzt lebenden Gottesgelehrten Fönnte ich folches ſchwerlich ver»
3. G. Zöllner. Hi
te totale-Divergenz biefer neuen Anficht, bie aber gleichwohl
ar. gegen bie Lehre vom thuenden Gehorfam gerichtet feyn.fallte,
on. der. Altern kirchlichen offener hervortreten, als bier, ges
ehe? Bei diefem Stande der Sache ift leicht zu ermefien,
velchen Werth, die Verficherung der großen Wahrfcheinlichkeit
ner innerlich vollfommenen leidenden Genugthuung Chrif
aben kann. Schon dieß. ift charakteriftiich, in -einer folchen
Bache von einer Mahrfcheinlichfeit zu reden, ebenfo charakte⸗
iſtiſch aber aud) der Grund, es fey doch mit Zuthun ber,
Ablichen Kraft Gottes möglich geweſen, daß Chriftus Binneg
mem gewißen Zeitraum fo. viel litt, als alle Menichen wer
ya aller Sünden dieſes Lebens leiden follten, da die ganze
Bunme von den damit verfchuldeten Leiden, fo groß ſie auch
eyn mochte, eine endliche Summe geweſen fey, die folglich
n einem endlichen Dinge habe, vereinigt werden können 4).
Rur darauf bezieht ſich demnach noch die große Streitfrage
über den thuenden Gehorfam, ob Chriftus nicht. bloß fo viel
zelitten, als alle Menfchen, zufammen ‚genommen, wegen aller
Stinden dieſes Lebens leiden folten, fondern. auf diefelbe
Heiſe auch foviel gethan habe, als alle Menfchen zuſammen
genommen in Diefem-Leben thun follten. Beide Genugthuuns
yen habe er doch der Firchlichen Lehre zufolge neben einander
34 geleiftet. „Nun frage ich,“ entgegnet Toͤllner in eis
per für feinen ganzen Standpunft fehr bezeichnenden Stelle %),
rob es einige Wahrfcheinlichfeit hat, daß Chriftus in demſel⸗
bigen Zeitraum, in welchem er fo viel Mitt, als alle Menfchen
in leiden verfchuldet hatten, auch gerade fo viel gethan has
be, als alle Menſchen zu thun verbunden waren? Ich frage
geben. Es iſt ausgemacht, daß eine moralifche Volllommen-
beit nichts anders, als eine Beſtimmung if, wodurch ein
phnfifches Gut hervorgebracht wird.” |
1) A. a. D. ©. 580.
2) A. a. O. ©. 567.
302 1. Per. 1. Abſchn. 1. Kap.
einen jeden, ob es einige Wahrfcheinlichfeit Hat, daß Chrikns
in demfelben Zeltraume, in welchem er nicht mehr und nic
weniger litt, als ale Menſchen leiden folkten, auch nicht mek
und nicht weniger Gutes gethan habe, ald alle Menſchen th J
follten? Und wie ſolches genau habe abgezählt und abgemh |.
fen werben können ? Entweder wir müffen unfere Begriffe vor
ber innern Bollfommenheit der Genugthuung Chrifti vers
dern, und ſolches, ungefähr wie die Arminianer, mur übe.
haupt darein fegen, daß Gott feine Tugenden und Liebe ba
Menfchen zuzurechnen befchloffen hatte, ober wir befinden und |
in Schwierigkeiten verwidelt, welche dem ganzen Glauben a
die Genugthuung nachtheilig werden.” Wie wenn auf dieſen
Standpunkt, auf welchem alles relativ und endlich iſt, um
nur Außerlih und quantitativ beflimmt wird, an dem Plut
und Minus des thuenden und leidenden Gchorfams fo viel
gelegen ſeyn könnte!
Obgleich Toͤllner unftreitig ein unter feinen Zeitgenoſea L
jehr hervorragender Theologe war, fo würde doch gewiß fi |,
ner Schrift ein größeres Gewicht beigelegt, als fie in dal
That verdiente, wenn nicht neben dem Beifall, mit melden
fie aufgenommen wurde, felbft auch Die Gegner, die fte fand,
den Beweis gegeben hätten, wie fehr fchon fie als ein Achter
Ausdrud. der nun immer klarer hervortretenden eigenthümli-
chen Richtung jener Zeit anzufehen iſt. An Gegnern, die dab
löblihe Beftreben zeigten, fich der angegriffenen kirchlichen
Lehre nad) beften Kräften anzunehmen, fehlte e8 zwar nicht,
aber wie ſchwach und unerheblich tft ihre Bolemif, wie eng
und beichräntt der Kreis, in welchem man fich bemegt, wie
geriiig das Moment, um welches es ſich auf beiden Seiten
handelt! Daß die Eintheilung des genugthnenden Gehorſams
in einen ihuenden und leidenden nur aus der Stelle Bhil.2,8.
in die Lehrbücher gefommen, und (wäre nur nicht zu fürd-
ten, daß „die Saiten fpringen, wenn man die alten Leyen
anders ſtimmen wollte!) Längft wieder hätte weggejchafft wer:
7
3.4 Erneſti. 503
ben ſollen, da ſte ber dogmatiſchen Genauigkeit ermangle und
gur Verwirrung verurſache, daß daher die ganze von Toͤll⸗
ger angeregte Frage nur ein durch unbequeme und zweideu⸗
ge Ausdrüde veranlaßter Wortſtreit ſey, urtheilten ſelbſt ſol⸗
che Theologen, welche, wie Erneſti, der bedeutendſte unter
Toͤllners Gegnern *), ſich am wenigſten mit ihm einverſtan⸗
Den erklärten. Nur indem man offenbar den Sinn für bie
alte Lehre mehr oder minder verloren hatte, und fie doch nicht
geradezu fallen zu laflen wagte, Eonnte man alle Schwierig⸗
Seiten gehoben zu haben glauben, wenn man mit Umgehung
Ieder beftimmten Theorie fih an die ſoviel möglid, einfachen
Sätze hielt, daß die Güte Gottes den Menfchen helfen wolle,
bie Gerechtigkeit aber die Beobachtung des Geſetzes und Die
Beftrafung der begangenen Sünden fordere. Darum habe
Die Weisheit einen Menſchen zu ſchaffen befchloffen, der durch
bie Berbindung mit dem Sohne Gottes im Stande ſeyn foll-
te, beides zu thun, die Ehre und Rechte des Gebots und ber
WBerechtigfeit Gottes zum Dienfte der Güte Gottes, und zum
Beften der Sünder zu retten. Daher habe er nad) der dop⸗
‚yelten, auf den Menfchen liegenden Verbindlichkeit, und dem
boppelten Zweck, dem Menſchen nicht blos Vergebung ber
Sünden, fondern auch pofitive Seligfeit zu ertheilen, fowohl
das Geſetz vollfommen erfüllt, als auch die Strafe der Sün-
den gelitten, bleibe aber dafür in der Gerheinfchaft der Gott⸗
heit ewig. Charafteriftifch ift für dieſe als orthodox geltende
Lehre ganz befonders die Art und Weiſe, wie fie ſich über
die Perfon Chrifti ausdrüdt. Um nicht im Sinne der alten
Lehre der Kirche von einer Menfchwerdung Gotted ober bed
Sohns, und von einem Gottmenfchen zu reden, fprady man
von ber Erichaffung eines mit dem Sohn Gottes in Verbin⸗
bung tretenden Denfchen, eine Ausbrudsweife, welche ſogleich
1) In der neuen theolog. Bibliothek Bd. IX. 1768. in der Bes
urtheilung der Toͤllner'ſchen Schrift S. 914. f.
504 1. Ber. U. Abſchn. 1. Kap.
die ganze Aeußerlichfeit des zwiſchen dem Göttlichen und
Menfchlihen angenommenen Berhältniffes, und das grok
Moment, das man vor allem auf Chriftus als Menfchen le 1:
gen zu müffen glaubte, deutlich genug zu erfennen gibt. Mu #
fönne fich freilich, wurde bemerft, keinen Menfchen denfen, &
ohne die Verbindlichkeit, Gottes Gefeb zu halten, und nad
dem Verhältniffe, das der Menſch Jeſus gegen Gott ai
Schöpfer hatte, fey allerdings die Verbindlichkeit, ihm: zu ge
horchen, für ihn entftanden, aber man müfje den Menſche
Jeſum betrachten, als gefchaffen, nicht wie die andern, fer
dern nur als ein Werkzeug des Sohnes Gottes, durch wel⸗
ches er genugthun wolle, das auch für fich Feine Perfon aus⸗
mache, jo werde die eigentliche Verbindlichkeit, dergleichen an
dere Menfchen haben, wegfallen t). Auf diefe fo ſchwach be
gründete, auf feinen höhern Begriff zurüdgeführte Vorftellung
ftügte man den Satz, daß Ehriftus als Menſch für fich nicht
zum Gehorfam gegen Gott verbunden gewefen ſey. Und doch
war eben Diefer Eat der Ausgangspunft ded Gegners, aub
welchem er eine ganze Reihe die Lehre vom thuerden Gehors
fam untergrabender Confequenzen gezogen hatte. Sehr be
zeichnend ift für jene nun ſchon dem Glückſeligkeitsſyſtem zus
eilenden, und mit diefem Maasſtab, ald dem abfoluten, alles
1) Ernefi a. a. D. ©. 923. Als Gegner Tällner’s traten ne
ben mehreren ungenannten nantentlich auf: Schubert, Vin-
diciae activae Christi obedientiac. Greifswalde 1768. Wich⸗
mann, Abhandlung vom thuenden Gehorſam Ehrifti. Hamb.
1772. Gegen die Einwürfe der Gegner vertheidigte fich Zölls
ner, ohne weitere ErheblichEeit für die Streitfache felbk, in
.. den Zufägen zu den Unterfuch. des thätigen Gehorf. Chriſti.
Berl. 1770., wozu noch die Nachleſe zum thätigen Sch. Chr.
in den Theol. Unterf. Bd. 2. St. 2. ©. 237. f. Fam. Man
vergl. über dieſe Eontroverfe Walch's Neuefte Religiondge
ſchichte Th. 3. 1773. ©.309. f.: Neueſte Sefchichte der Lehr:
von dem fogenannten thätigen Gehorſam Chriftt.
Neue Gegner der Firchlichen Lehre. 506
anbere meffenden Zeit auch das Argument: die‘ ratidiiee al
ler göttlichen Sitten⸗, Ceremonial⸗ und Polleth +Befehe, die
ki alle nur auf die Zurüdhaltung der Menſchen von Laftern,
und die Beförderung ihres zeitlichen und ewigen Gluͤcks ab⸗
gezielt haben, haben bei Chriſtus deßwegen gar nicht ſtatt
ſinden können, weil er, als am ſich ſchon vollkommen heilig
und unendlich glücklich, keines dieſer Geſetze ſeiner eigenen
Stärtjeligfeit wegen zu beobachten nöthig gehabt Habe tye1”.
Ba
Zweites Sapitel
Die Gegner der. Genugthuungslehre überhaupt,
Gteinbart, Eberhard, Bahrdt, Henke, Loffler u. A.
Die in der Tölner’fchen Schrift und aus Beranlaflung
berjelben ausgefprochenen Lehren und Grundfäge mußten mit
der ganzen Richtung, aus welcher fie felbft ſchon hervorgegan⸗
geh war, dem Bewußtſeyn jener Zeit fich immer mehr mit—⸗
theilen. Daß die Erlöfung und Verſoöhnung des Menſchen
Seiner andern Vermittlung bedürfe, fobald nur auf der Seite
des Menſchen die einzig denkbare Bedingung der Reue umd
Beſſerung ſtattfinde, war ohnedieß die immer allgemeiner aus⸗
geſprochene Ueberzeugung, und nur dieß machte einen Unter⸗
ſchied, ob man ſie mit größerem oder geringerem Widerwil⸗
Im gegen die kirchliche Genugthuungslehre ausſprach. Was
fie empfahl, war jedoch nicht blos der Gegenſatz gegen dieſe
Lehre, für welche man den richtigen Geſichtspunkt völlig ver⸗
Isren hatte, fondern ganz beſonders auch das unmittelbare
braktifche Snterefie, das mit Umgehung aller unnügen Spe⸗
culation in ihr feine willkommene Befriedigung zu finden fehlen.
Ste paßte vollfommen für eine Zeit, in welcher Schriften, wie
der befannten Spalding’fohen von der Nupbarkeit des Pre—⸗
1) Wichmann a. a. D. Bel. Wal ©. 363.
506 ‚Ab Ber. I Abſchn. 2. Kap.
Digtamıtä; und deren. Beförderung, welche Lehren, wie na-
menilich die ‚Kirchliche. Senugthuungslehre, zunaͤchſt zwar nur
für ‘den Kanzelvortrag und Volksunterricht, für unpraftiich
und :.unbraudybar erklärten, zugleiy aber deutlich genug
bie tiefer liegende, jener Zeit; eigene Scheu und Abneigung
vor.;allem Spelulativen fund gaben, bie. allgemeinfte Be
konwberung: gezollt wurde. Mit diefer Scheu vor jeder ſpe⸗
kulatiwen Bermittlung, und Diefer die Wichtigkeit und Wahrheit
ber chriftlichen Dogmen nur nach ihrer Nuͤtzlichkeit und Braud-
| barfeit beurtheilenden Richtung auf das Praftifche, hing aufs
engfte zufammen, daß man fich überhaupt nicht über bie Un-
nıittelbarfeit des Natürlichen zu erheben vermochte, und nur
im Ratürlichen und Sinnlihen das höchſte Ziel feines fittli-
chen Strebens fand. Die Vortrefflichkeit des, menschlichen An-
lagen, die yatürliche Güte des menſchlichen Herzens, die de
ſtimmung des Menſchen zur Glüdfeligfeit, der natürliche An-
ſpruch aller auf die vom Chriſtenthum verheißene Seligkeit,
dieß waren die großen Lehren, die in jener in dem endlichen
Kreiſe ihrer Suhjektivitaͤt ſich gefallenden, in dem Lichte der
neuen Aufflärung fich fplegelnden, auf ihre reine Philofophie
und geſunde Vernunft fo ficher vertrauenden, alles nur nad
ihrem Eubämonismus und Nüglichkeitöfuftem bemefienden, von
der Sympathie für die Seligfeit der Heiden fo lebhaft be
wegten, und in allem diefem dem Ziele der Menfchheit fid
fo nahe. wähnenden Zeit fort und fort im Munde geführt
wurden, und je mehr die Herolde und Heroen der Aufklaͤ
zung einer in ihrer fubjeftiven Vorftelung fo glüdlichen Zeit
auch durch die Form ihrer Schriften den neu fich bildenden
Geſchmack des Publikums für fich zu gewinnen wußten, befo
mehr glaubte man mit dem Wufte der alten Scholaftif auch
über den ganzen Inhalt der nur auf fie geſtützten Dogmen
auf immer hinweggefommen zu feyn. Es lag zu fehr in ber
Natur der Sadye, daß die befannte Tendenz eines Gteinbatt,
Eberhard und Bahrdt ganz beſonders auch mit der Firdli-
Neue Segner ber kirdylihen Lehre, 507
chen Satisfactiondlehre in Conflikt kommen mußte, als daß
BB befrembden Fönnte, ihre Namen auch in der Gefchichte uns
78 Dogma’d zu finden. Se weniger aber nach fo vielen
agſt vorgebrachten Einwendungen gegen jene Lehre ſelbſt
etwas neues von Bedeutung gefagt werden zu können
en, defto mehr mußte fi) nun ber nicht nur ohne Schen
Zurüdhaltung erhobene, fondern auch von einem gewi⸗
pbilofophifchen Streben geleitete Widerfpruch gegen die
Borausfegungen richten, auf welchen jene Lehre beruhte. Es
daher, wozu ſchon früher der Uebergang gemacht wurde,
tfächlich der Begriff der Strafe, welcher jest in Unterfus
ung gezogen wurde, und das Nefultat, auf welches bie
e, das Bofitive mehr und mehr abftreifende, und an bie
Vtielle deſſelben das Natürliche und Unmittelbare ſetzende Auf⸗
Wärung führte, fonnte nur in der neugerwonnenen Einficht be
Reben, Daß es Feine andere Strafen gebe, als natürliche.
Dieb ift das Moment, um welches es fich in den weis
een Srörterungen, auf welche wir geführt werben, handelte,
‚amd der Bunft, von weldhem vor allem &. ©. Steinbart aus⸗
ging, als er in feinem Syſtem der Slüdfeligfeitölchre des
Ehriſtenthums der Lehre von der Genugthuung und Berföhs
nung ihre Stelle nur in der Reihe „der willführlichen Hypo⸗
theſen, welche den Einfluß des .Chriftentbums auf die Gluͤck⸗
ſeligkeit verhindern“ anmeifen konnte %. Alle Berwirrungen
in der geſammten praftifchen Religion, behauptete Steinbart,
entftehen gewißermaßen. aus der Berworrenheit des Begriffs
der göttlichen Strafen, durch eine richtige Erfenntniß dieſes
Begriffd werden daher auf einmal alle Mißverftändnifie in
4) Spfiem der reinen Philofophie, oder Glückſeligkeitslehre des
Chriſtenthums, für die Bedürfniffe feiner aufgellärten Lande;
leute und andrer, die nach Weisheit fragen, eingerichtet.
Züllichau 1778. &. BB. f. 118. f.
508 A. Ber. IL Abſchu. 2. Rap.
ber Lehre ‚von Chrifto und der von ihm geftifteten Verſoh⸗
nung aufgelöst, und hiedurch zugleich Die Hindernifle, welde
den praftifchen Einfluß des Chriftentbums auf das natürk,
che Gewiſſen der Menichen hemmen, hinweggeräumt. Um babe
zu beftimmen, welche Strafen Chriftus an unferer Stelle über.
nommen habe, müfje vor allem die Frage beantwortet ww
den, was eigentlich Strafen feyen. Für diefen Zweck werta
Hie phyſiſchen und -moralifchen Folgen der Handlungen unten
ſchieden. Da die phyſiſchen Kolgen, der Natur ber Sa
nach, nicht von den Handlungen getrennt ſeyn Tönnen, fo ge
hören fie nicht zu den Strafen, und Chriftus kann fie daher
auch nicht für die Deenfchen übernommen haben. &igentlide
Strafen find nur die moralifchen Folgen übler Handlungen,
und zwar find fie theils natürliche, theild willfürliche Strafe
der Sünden gegen Gott. Was nun die natürlichen Strafen
der Sünde in diefem Siune betrifft, ſo kann uns auch in bie
fer Hinfiht Chriftus nicht von den Strafen der Sünde befteit
haben, da die natürliche Strafe der Sünde, das innere Miß⸗
vergnügen über fich felbft, als moralifche Folge einer Hands
lung etwas wohlthätiges ift, fofern dadurch jeder zu größe
rer Vorfiht und zu befferem Gebrauch der Vernunft erwedt
wird. Als mögliches Objekt des die Menfchen von den Fol-
gen der Eünde befreienden Verdienſtes Chrifti bleiben daher
nur die willfürlichen Strafen übrig, welche ſich auf das Ber
hältniß beziehen, in welchem Gott als Geſetzgeber zu den
Menſchen fteht. Aber auch in Anfehung diefer Strafen wird
fein reeller Begriff der Strafe angenommen, indem auf eine
bemerfenswerthe Weiſe an die Stelle eines objektiven Ber
hältniffes ein blos ſubjektives gefegt wird. Statt von ber
Borausfegung auszugehen, daß Gott als Gefeßgeber ber
Menſchen mit der Vebertretung feiner Geſetze pofitive Strafen
verbunden habe, wird vielmehr geradezu vorausgefegt, daß
ein ſolches Strafverhältnig des Menfchen zu Gott nur eine
jubjeftive Vorftellung fey. In Hinficht des Geſetzgebers ent⸗
G. ©. Steinbart. °= ..' 509
teben zwar mit dem Bewußtieyn, ihn beleidigt zu haben;
er unangenehme Vorftellungen, fte find aber ſehr verfchies
yener Art, je nachdem wir uns den Gefebgeber entweder als
nen, harte Dienfte fordernden, jedes Vergehen mit unbarm-
serziger Strenge ftrafenden Tyrannen, oder als einen güti«
yen und einfichtövollen Vater denfen, welcher und durch Die
Befolgung feiner VBorfchriften nur glüdlicher machen will. Im
Western Falle werden wir uns zwar vor ihm fchämen, aber
dennoch ihn lieben und nicht fürchten, daß er und noch :elen«
ber machen werde, ald unfere Thorheit uns fchon gemacht
bat .Hievon wird nun die Anwendung auf die Lehre von
ber Erlöfung durch Chriſtus gemacht. Nicht an ſich hat Chri⸗
Aus die Menichen von den Strafen der Sünde befreit, da es
sicht an fich foldhe Strafen gibt, von welchen der Menfch be⸗
freit werden müßte, fie eriftiren nur in der Vorftellung des
Menfchen, nur das Bewußtſeyn des Menfchen bat alfo Chri⸗
Aus befreit, indem er dem Menfchen die Furcht und Angſt
vor den Strafen nahm, Die er fich einbildete. Diefe Furcht und
Angſt hatten aber nur die Juden. Die Juden alfo erkaufte
und erlöste Chriftus 1. von dem geſammten moſaiſchen Frohn⸗
dienſt und allen willfürlichen Anforderungen Gottes an fie,
2, von ber fHlavifchen Furcht, daß die Vergehungen gegen
das mofaifche Geſetz an ihnen im Sterben beftrafi, und fle
durch den Tod dem Satan zur Bollziehung aller Verfluchun⸗
gen überliefert werden. Da die Heiden diefe Vorftellungen,
weiche das mofatiche Geſetz, oder vielmehr die pharifälfche Aus⸗
legung befielben zur Zeit Chrifti, erweckte, nicht hatten, fo ift
ia Beziehung auf fie von feiner Erlöfung von Strafen bie
Rede. Was aber das Verhältniß ber Juden und Heiden zu
einander betrifft, fo find beide durch Chriſti Tod unter ein«
ander und mit Gott ausgeföhnt, fofern die wegen bed. mos
fatfchen Gefeges unter ihnen fattfindende Feindſchaft aufge
boben ift, und fofern fie durch Chriftus gebeten werben, ſich
ausföhnen zu lafien, d. h. alle fürchterlichen Begriffe von eis
510 11. Ber. 1. Abſchn. 2. Kap.
ner willfürlichen Behandlung Gottes aufzugeben, und “,
trauen und Freudigfeit zu ihm zu faflen. Hiedurch de ey
wortet fich die Frage von felbft, ob Die Erlöfung durch Ta
ftus blos dadurch geſchah, daß er und von den gütigen, 7
ſichtsvollen, väterlichen Gefinnungen Gottes durch Lehre, Ari
ben, Leiden, Tod, Auferftehung verficherte, oder dadurd, Ay Fr°
er graufame willfürliche Strafen, wie Die Juden nad ds M
Tode erwarteten, felbft übernahm. Die Theorie einer fh
vertretenden Genugthuung iſt eine ganz widerchriftliche u
widerfinnige Hypothefe, die Ausgeburt des kranken Gehimb
eines Auguftin und Anfelm, gegründet auf Die ächt manichä⸗
ſche VBorausfegung, daß in Gott der Gegenfab eines boppd-
ten Princips fey, eined guten und böfen, zwei mit gleide
Unendlichkeit wider einander ftrebende Eigenfchaften, nach wes
dyen Gott feine ftrauchelnden Kinder, vermöge der einen zu
verbefiern und vollfommener zu machen, vermöge ber andern
ins Elend und Berderben zu ftürzen, gleich ſtark geneigt iR.
Hebt nun die Borausfeßung eines ewigen inneren Widerſprucht
im Weſen Gottes fich felbft auf, fo Fann Gott für das chriß⸗
liche Bewußtfeyn nur die abfolute Güte und Liebe, und be
GSerechtigfeit Feine die Güte einfchränfende Eigeufchaft, fon
dern eine der Empfänglichfeit des Objekts proportionirte oder
weife Güte feyn, woraus erhellt, daß alle Strafen fich auf
Das Befte derer, welchen Geſetze ertheilt find, beziehen, und
proportionirte Beförderungsmittel der Befferung feyn müffen,
alle Uebel aber, bei welchen diefe Abficht nicht fattfindet, aus
einem bei Gott undenkbaren Mangel der Güte, oder Der Mad,
oder der Klugheit, entftehende Ungerechtigfeiten find. Beinahe
fieht man fich durch eine fo ächt dualiftifche Gegenüberftellung
der beiden Theorien und der ihnen entfprechenden göttlichen
Eigenfchaften, und durch die Bitterfeit, mit welcher die jüdir |
fhe Religion befchuldigt wird, „der Menfchen mehr Bor:
theile und Freuden des Lebens geraubt, ald gegeben, fie mehr .
geängftigt und in Schreden geſetzt, als beruhigt und mit
G. ©. Steinbart. 511
tungen erfüllt zu haben“ 2), in die Zeit bed marclonitis
KEN Dualismus verfeht, welcher auf gleiche Weife die Ge⸗
wligfeit und alles mit ihr Zufammenhängende in das Ju⸗
um verwieſen, und dem Chriftenthum nur die reine ab⸗
: Mitte Liebe Gottes vorbehalten wiflen wollte. So wollte ber
X der Sphäre der Subjektivitaͤt ſich mit immer größerer Will⸗
E bewegende Geiſt, nachdem er die objektive Nenlität der
ung der Suͤndenſtrafen an das ſubjektive Moment der
Bene und Beſſerung geknuͤpft hatte, aus eigener Machtvoll⸗
Ummenheit auch von dem in der Furcht und Angft der Reue
M ausſprechenden Bewußtſeyn des göttlichen Zorns ſich be⸗
freien, und dieſes Bewußtſeyn, mas einer der erſten bemerkenswer⸗
Ben Berjuche ift, den Inhalt des N. T. als bloße Zeitworftel-
eng von ber abjoluten Wahrheit der chriftlichen Lehre zu un⸗
kerfcheiden, denen überlaffen, welche noch auf dem Stand-
hunkt des Judenthums ftunden, und von diefem aus erft zum
Chriſtenthum überzutreten im Begriffe waren. Auf Ddiefen
Kußerften Punkt konnte jedoch nur der in der Steinbart’fchen
Blüdteligfeitsichre des Chriftenthums fich ergebende rein fub-
jeftioe Geiſt diefer Zeit fich verirren.
So weit ging wenigftens der Steinbart in Manchem bes
räbrende, aber in wiffenfchaftlicher Hinficht weit über ihm ftes
bende berühmte Apologete des Sofrated, J. A. Eberhard, nicht.
ber auch bei Eberhard ift es der Begriff der Strafe, in def-
fen Beſtimmung das ganze Mrment der Sache gefeht wird.
Die Bollftommenheit der Strafr ‘, dieß iſt das Wefentliche der
berharb’fchen Theorie 2), befte,t darin, daß fle nicht größer
And, als es nöthig ift, daß fie das größte Gut hervorbrin-
gen, oder das Befte des leidenden Subjekts bezweden, und
4) Bl. a. a. D. Vorrede ©. XII. _
2) Neue Apologie des Sokrates, oder Unterfudiung der Lehre
von der Seligkeit der Heiden (erfie Ausg. im Jahr 1772.)
Zweite Ausg. 1776. 1. Th. ©. 90. f.
512 I. Ber. . 1, Abſchn. 2. Kap.
folglich, fobald die Beſerung beffelben erfolgt it, zus Mar
SP dieß nicht immer bei menfchlichen Strafen, fo. fans
die Vortrefflichfeit der . göttlichen Strafen: nichts ande au n
fi bringen, ald daß fie die Beſſerung bed Geftraften ar
Abficht haben. Iſt die Beſſerung erfolgt, fo haben and 6 K
göttlichen Strafen ihren. möglichen Rutzen erreicht. Der me
ralifche Nutzen, den fie noch außer dem leidenden Subjeit W
andern haben follten, Tann nur. hierauf einzig und ‚allein ip
ruhen, daß dur fie Das ‚Herz, zur Liebe bed Guten gefühl
wird, Sobald bie in der Abſicht bes. höchſten Regenten Ip
gende Beſſerung erfolgt iR, muß bie Empfindung ber Gira
ben feligften Folgen der erhaltenen Beflerung Platz machen
Bei diefer Einrichtung wird die lebendigfte Ueberzeugung cm
halten, daß das Wohlgefallen Gottes und Die GLüdieligiek
eines Geiſtes mit feiner moralifchen Güte im genaueften Bars
haͤltniß fteht. Auf dieſe Weite wirb die-Strafe bie einzige
Wohlthat, die dem Sünder erzeigt werben Tanı. Wenn ber
ber auch dad Phyſiſche ber Strafe bleibt,. der beffer beichrk
Sünder wird ed Fein Uebel mehr nennen, da er fid, babe
nicht unglüdlich fühlt. Vielmehr wird er bei biefer Bar
ftelung der göttlichen Strafen zu innigerer Liebe und Ande
tung bes hödhften Wefens fich bewogen fühlen, als durch als
les, was ſich blos auf bie Befriedigung der göttlichen Ride
tergerechtigfeit bezieht, die mit dem Wohle des leidenden Sub
jekts nichts gemein hat. Nach diefen Grundſätzen Tann kein
ftellvertretende Genugthuung ftattfinden. If das, was ber
Strafe ihren Nuten gibt, nur ihre Verbindung mit bem Ber |
gehen und die dadurch hervorgebradhte Beſſerung, fo kam
biefe jchlechthin nicht erfolgen, wofern diefe Verbindung nid
fo finnlich ald möglich if. Es ift daher nicht genug, bab |
nur irgendwo eine Etrafe verhängt wird; wen es nicht in |
dem fündigen Subiekt felbft gefchieht, fo ift alle moraliſche
Frucht diefer Etrafe verloren. Bei diejer Beſtimmung dei
Begriffs der Etrafe ift eine Aufhebung der Etrafe, wie bi
— ———
3. A. Eberhard. 519
Satisfactionstheorie vorausgefegt wirb, moraliſch unmöge
Aber auch die Theorie des Grotius, welche Bott nicht
Beleidigten, fondern als Negenten betrachtet, und das
Kim der Strafe in den eremplariichen Zwed fest, iſt unge
ud, da das Bild eines menfchlichen Regenten ein fehr
Mbäquater Ausdrud der Idee Gottes if. Da in dem goͤtt⸗
den Staat niemand zu feyn aufhört, fo Tann jebe Strafe
on beiwegen einen mehr als eremplariichen Nutzen haben.
je aber alle Strafen in dem göttlichen Staat nur erempla-
h wirken follen, iſt völlig undenkbar, wenn man bebenkt,
3: der größte Theil der Verbrechen und Strafen demjeni⸗
I, der nicht den ganzen Regierungsplan Gottes bis ins
gelne verfolgen, und auch das Innere der menfchlichen
ndlungen durchſchauen kann, verborgen bleiben muß. Der
terfchied der göttlichen und menfchlichen Etrafen befteht viel»
br eben darin, daß die göttlichen auch da, wo fie einen ex⸗
plariſchen Nuten haben, zugleich auf die Befferung hins
fen. Die Strafen Gottes follen zur Beförderung des Wohle
Weltalls dienen, nicht blos dadurch, daß fie den Zus
wer durch die Etrafe des Verbrecherd fchreden, fondern
& dadurch, daß fie den Beltraften In der Verehrung des
gemeinen Wohls fein eigenes finden lehren. Ein menſchli⸗
e Regent kann zwar ftrafen, ohne die Beflerung bes Ver⸗
chers zur Adficht zu haben, Gott aber kann nicht firafen,
se ben Uebertreter befiern zu wollen. Eo wahr ift es al-
daß Etrafen ein Glüd für den Beltraften find, das er
ſelbſt wünfchen muß, und fo unhaltbar find auch Die
ünbe, durch welche man aus bem Regenten » Berhältnik
tteö eine unmittelbare Berjöhnung Gottes ableiten wollte *).
) Man vgl. hierüber den zweiten im Jahr 1778 erſchienenen
Zeil der neuen Apologie des Eofrates, in weldhem Eber⸗
hard die Lehre von der Genusthuung einer neuen umfaflen-
den Unteriuchung unterwarf (Abſchn. V. ©. 154.f.). Ueber
Orstins ik bel. ©. 195. f. zu vergl.
Baur, bie Lehre von ber Berföpuung. 33
514. IL. Per. IL Abſchu. 2. Kap.
Es handelt fih demnach auf dem Standpunft, auf wel
chem diefe. Gegner der Firchlichen Satisfactionslehre ſtehen,
nicht mehr um die Frage, ob Gott auch ohne Genugthuung
unter der bloßen Vorausfegung der Reue und Befferung, de 4
Strafen der Sünden aufhebe (in der Behauptung diefes Haup⸗
fages der neueren Verſöhnungslehre machte ſich das fubielt,
ve Bewußtfenn der Zeit in feiner ganzen überwiegenden Macht
geltend) *), fondern die Frage war vielmehr, ob überhaupt |
1) Auf eine bemerkenswerthe Weife fpricht ſich die Gewißhei
Diefes errungenen Standpunkte der Gubjeftivität in folgen
der Stelle der Eberhard’fchen Apologie Th. IE S. 206.f.
ans: „Man Eann nicht ohne Vergnügen bemerken, wie bi
£ehre von einer vertretenden Genugthuung ſelbſt unter den
Händen ihrer Bertheidiger eine beflere Geftalt angenommen .
bat. Es wird nun allgemein erkannt, daß fie den Geſin⸗
nungen und den Gitten des Ehriften zuträglich ſeyn müſſe,
wenn fie des höchften Weltregierers würdig ſeyn fol, Weld
ein großer Schritt zu einem volllommenern Chriſtenthum ik
nicht durch diefe Verbeflerung der Theorie feit der Verwer⸗
fung der fcholafiifchen Theologie durch die erſten Neformw °
toren gefchehen? In Ddiefer elenden Verunftaltung des ar
(prünglichen, fo einfältigen und mwohlthätigen Chriſtenthums
that Gott alles um feinetwillen, die Schicflichkeit,, die Ber
hältaigmäßigkeit in diefer DBeranftaltung Gottes war gar
nicht aus dem Bedürfniß und dem Wohl der Menfchen herr "
geleitet, nlles ging dahin, die Eiferfucht und die Majekät
eines orientalifchen Deipoten zu befriedigen, deſſen Ruhm
mit dem Wohl des Menfchen nichts gemein hatte. Aus die
fen finfieru Ideen leitete man die Nothwendigkeit ber, daf
der Erxlöfer alles Leiden der Menfchen zwar nicht der Art,
Doch der Battung nach übernähme. Protefiantifche Schola⸗
filer traten, fo bald der afcetifche Geift Luthers aus der
protefiantifchen Kirche gewielen war, und von neuem der
falten Spigfindigkeit Plag gemacht hatte, in die Fußſtapfen
ihrer Eatholifchen Vorgänger, und leiteten aus ihren Grund
fügen die Nothwendigkeis einer vollfommenen gleichwiegen
G. F. Bahrdt. 515
ch von einer Aufhebung der Strafe, einer Vergebung der
inben die Rede ſeyn könne, da der Begriff der Strafe ſelbſt
e Möglichkeit einer Strafen» Aufhebung ausfchließet Deß⸗
gen iſt fchon Hier der Ort, wo die Unterfuchungen 3. F.
he Loͤffler's über die Genugthuungslehre *) ihre Stelle fin-
—
den Genugthuung her, ganz gegen ben belebenden erquicken⸗
den Geift Luthers.“ Luther habe auf den Glauben gebrun
gen, und e8 liege am Tage, wie nabe er einer mittelbaren
Desnadigung durch die Erlöfung geweſen ſey, wenn er ihr
: wicht noch näher gefommen fey, fo fey 28 die Schuld feiner
:Beiten gewefen.
8 Weber die Firchliche Genugthuungsichre, Zwei Abhandlun⸗
gen. Züllichnu u. Freiſt. 1796» Zuerſt ald Anhang zu dem
erſten Bande der Predigten, 2. Aufl. Züllihau 1794. nun⸗
: ‚mehr: im erfien Bande der Eleinen Schriften Löfflere, Wei⸗
mar 1817. ©. 244. f. Die zweite diefer beiden Abhandlun⸗
gen ift eine Vertheidigung und weitere Begründung der ers
Ken. — Zwiſchen Eberhard und Steinbart auf ber einen und
Löffler auf der andern Seite ſteht noch C. F. Bahrdt mit
Der anonym erfchienenen Schrift: Apologie der. gefunden
Vernunft durch Gründe der Schrift unterfüst, in Bezug
auf die chrifliche Verſoͤhnungslehre. Bafel 1781. Da diefe
(die Seiler’fche Vertheidigung der kirchlichen Lehre beftrei-
tende) Schrift in wilfenfchaftlicher Hinficht keinen bedeuten»
:den Werth hat, fondern nur-nah:Bahrdt’fcher Weile die
- „Eberharb’fche Theorie popularifirt und in ſchroffen Eägen
der kirchlichen Lehre entgegeuſetzt, ſo mag es, am den Fort⸗
gang der obigen Entwidlung nicht durch bloße Wiederho-
Inngen zu unterbrechen, genügen, hier das Weſentlichſte zu
bemerken. Bahrdt gebt gleichfalls von dem Begriff der
©trafe ans und bdefinirt denielben (S: 36.) fo: Strafe iſt
jedes Beflerungsmittel, das nur im Augenblid feines Das
fepns mit unangenehmen Empfindungen verbunden ii, und
das bios uneigentlich Strafe heißt, weil es auf Sünde folgt.
Strafe im Bibelſinn if nicht Strafe im Deenfchenfinn.
©trafe bei Gott ik Wehlthat, if Benusung des Uebels zum
33 *
516 II. Ber II. Abfchn 2. Kap.
den, da fie ganz von der Borausfegung der Unmoͤglichkeit, ſowohl
der Sündenvergebung, als der Öenugthuung ausgehen. Unmög-
Heil der Menfchen. Diefer Begriffsbeftimmung zufolge wir
die Frage: ob es poſitive Strafen gebe? in folgenden © -
gen beantwortet (S. 61.): 1. Es gibt bei Gott keine eigen
lichen pofitiven Verordnungen und Strafen, 2. Gott benäkl
die Uebel als weifer und guter Vater, als Educator, nich
als Richter. 3. Alle die Worte: Gefeg, Strafe, Richter,
Fluch find Anthropopathien aus den rohen Zeiten, bie, ned
dem unter uns gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht in die
Dogmatik gehören. 4. Die menfchliche Straftheorie kam
daher in der Lehre von der Erlbſung Jeſu Chrifi nik
entfcheiden. Hierin if fchon die metaphyſiſche Unmdglide
feit der Verſoͤhnungslehre ausgefprochen., Es gibt ſchlecht⸗
bin Feine Strafen, von denen uns Ehriftus durch fellver:
tretende Erduldung derfelben erlöfen Eonnte. Denn 1. alle
Strafen Gottes find Glieder einer Kette, die Gott nicht zerreis
Ben Tann und will. Gott kann alfo Feine aufheben, Feine
erlaffen, alfo auch Feine um eines fiellvertretenden Leiden?
willen erlafien. 2. Alle Strafen. Gottes find Wohlthaten
im eigentlichen Sinn, und Erlöfung von Wohlthaten if Un⸗
finn. (Alle Uebel, die den fehlerhaften Dienfchen treffen,
find entweder natürliche Folgen feiner Thorheiten, und blei⸗
ben alfo nah wie vor, folange diefe Thorheiten da find,
Eönnen alfo nur durch Beflerung aufgehoben werden, oder
ed find allgemeine Hebel, die in der Reihe der Iirfachen und
- Wirkungen ihren Grund haben, die Gott um mehrerer wid»
tiger Endzwecke willen veranfaltet, und die er im Vorbeige⸗
ben gleichfam benügt, um den Sünder aufmerkſam zu ma
hen, und feine Beflerung zu befördern). Daran fehliefen
fich folgende weitere Momente an: 1. Wenn auch alle Stra
fen an fich erlaßbar wären, fo iſt ed doch a posteriori ges
wiß, daß der Mittler der Menfchen Feine weggenommen hat
(S. 74.). 2. Einen Unfchuldigen für Schuldige firafen, IR
eine Ungerechtigkeit, die unter Menfchen auch in dem felten
fien Fällen Faum entfchuldigt werden Fann, aber bei Gott
3.8. Ch. Löffler. 517
b-tönne Bott einen Menfchen, infofern.er gefünbigt hat, nicht
8 einen fehuldigen anfehen, weil e8 unmöglich fen, daß Bott
n Menfchen anders denfe, als er wirklich ſey. Ein unſchul⸗
ger Sünder fey ein Widerſpruch, welcher im Verſtande Got⸗
3 nicht ftattfinden könne. Diefe Unmöglichkeit, für welche
e Vergangenheit oder die Zukunft feinen Unterfchied madhe,
une auch durch die Zurechnung der Unfchuld eines Frem⸗
n nicht aufgehoben werben, aus bem boppelten Grunde,
eil es einen Unfchuldigen gebe, der einen Ueberfluß an Un
nid hätte, da auch der Tugendhaftefte, Gott felbft, nur fo
A Tugend habe, als er bebürfe, und weil ein moraliiches
Iefen der Zurechnung einer fremden Tugend, die als ſeine
durchaus nicht ſtattſindet. Alſo if die Verſbhnungslehre
auch allen geſunden Begriffen von Gott zuwider (S. 168.).
3. Das Strafen einiger Schuldigen für viele Schuldige kann
zwar als Strafexempel einigen Nutzeun haben, obwohl die
Erfahrung lehrt, daß er ſelten und unerheblich iſt. Aber
einen Unſchuldigen ſtrafen, um ein Strafexempel aufzuſtel⸗
Nlen, kann gar nichts nützen. Alſo hat die Verſohnungslehre
keinen Nutzen, als Aufſtellung eines Strafexempels (S. 177.).
Dieß hängt ſchon mit dem Beweis der moraliſchen Unmdg⸗
lichkeit der Genugthuung zuſammen. Die Verſohnungslehre
beſſert nicht, weil den Menſchen nichts beſſert, als wovon er
einſieht, daß es ihm Schaden bringe, wenn er es nicht un⸗
terlaͤßt: ebenſo wenig beruhigt ſie, da in dem Menſchen gar
kein Bedürfniß iſt, ſein Vertrauen zu Gott und ſeine Ruhe
auf ein ſtellvertretendes Leiden eines Mittlers zu gründen.
Reine und deutliche Begriffe von Gottes Güte und Liebe
find für jeden nicht phantaſirenden Menſchen hinreichende
Quelle des Troſtes und der Beruhigung, welche weniger als
Die Scheinruhe der Verfähnungslehre in Leichtfinn und Si⸗
cherheit ausartet. Alfo if die Verſoͤhnungslehre moralifch
unmöglich, weil fie die Zwecke Gottes cher hindert, ale bes
fördert, .wenigfiend für dieſe Zwecke gung entbehrlich iſt
ES. 208. f. vgl. 279.).
518 11. Ber. 11. Abfehn. 2. Rap.
eigene angejehen werben Fönnte, auf. feine Weiſe empfaͤnglih F'
fey. Der vergangene Zuftand bleibt daher, wie er ik, d
Tann in Anfehung deffelben nicht geändert, nichts aufgehoben
und getilgt werden, und wie dieß von der Erlafſung ef‘
Schuld gilt, fo gilt es auch von ber Erlaffung der Straf
Es ergibt fi dieß aus dem Begriff und Zwed der Shah
von ſelbſt. Durch jede Strafe fol entweder blos das begew
gene Unrecht geahndet, ober auch eine Veränderung. ber &e
finnung bewirkt werden. Das Erftere ift die Denkart be
firengen Gerechtigkeit, das Letztere die ber weiſen heiligen &i
te. Bei Gott kann, wenigſtens was die willfürlichen Sim
fen betrifft, Fein anderer Gottes würdiger Zweck voraußge
feßt werden, als bie Befjerung des Geftraften. Eine wik
fürliche Strafe fans daher nur folange dauern, bis Der Zwech
defien Mistek fie ſeyn fol, erreicht ift, fie länger fortbauem
zu laſſen, wäre gegen die göttliche Weisheit, folglich bedarf
es in diefer Hinficht Feiner fremden Genugtbuung, um bie
Gottheit zur Aufhebung willfürlicher Strafen geneigt zu mar
hen. Wollte man fagen, die fremde Erduldung ſelbſtverdien⸗
ter Strafen fey ein Fräftigered Befferungsmittel, als bie ei⸗
gene Empfindung verfelben, fo Fönnte dieß doch nur dam
von Erfolg ſeyn, wenn die Strafe von dem Unfchuldigen ned
zu erdulden iſt, und ihm alfo durch unfere Beſſerung ein |
Theil der Strafe erjpart werden Tann, nicht aber, wenn bie |
Strafe ſchon erduldet iſt, folglich unfere Befferung oder Br-
ſchlimmerung auf feinen Zuftand feinen Einfluß mehr had
fann. Es läßt fich jedoch nicht blo8 aus dem Begriffe de
Strafe, fondern auch aus der Natur der moralifchen Hand
lungen felbft die Unmöglichkeit darthun, daß die Strafen der
felben vor einent Freniden übernommen werden. Es Tommi
bier der Unterfchied der Materie und der Form einer Hand
lung in Betracht. Die Materie einer Handlung, ober die
Handlung als etwas blos Neufferliches, kann auch von einem
andern verrichtet werden, unmöglich ift eine Stellwertretung
3.8. Ch. Löffler. 519
in Hinſicht des Kormellen einer Handlung, Ihrer Breihelt ober
Moralitaͤt, die als etwas blos Inneres von ber eigenen Ent-
ſchließung und Abficht abhängt. Ebenſo verhält es fich mit .
ber Beftrafung der Handlungen. Die Strafe für eine gefeh-
voidrige Handlung, bei welcher es blos auf die Materie an⸗
bommt, fann als etwas Yeußerliches und MWillfürliches, auch
erlaſſen oder von einem andern uͤbernommen werden. Da
aber die Form, oder die Moralität, der Handlungen etwas
Zuneres iſt, fo kann auch ihre Belohnung und Beſtrafung
van der Perſon des frei Handelnden nicht getrennt werden,
ab Fein anderes, ald das handelnde Subjekt treffen, und
Ba nur Gott über Die Moralität richtet, fo vollzieht auch nur
Wett die Strafe, und zwar wollzieht er fie durch das Gewif-
fen.. Die Strafe einer unmoralifchen Handlung als folder
beſteht daher blos in ber Mißbilligung der Vernunft, in ber
Berurtheilung bed Gewiſſens, die weder von einem Andern
empfunden, noch von Gott aufgehoben werden kann. Daß
aber Gott außer diefen Innern Strafen der Sünde noch man-
che Außere willfürliche mit derfelben verfnäpft habe, kann wer
nigftens ohne eine förmliche Erklärung Gottes, vermöge wel:
er wir folche äußerliche Uebel als Strafen der Unfttilichfeit
anzufehen hätten, nicht behauptet werden, würde e8 aber aud)
folge Strafen geben, .fo könnte auch von ihnen Fein anderes
Urtbeil gelten, als daffelbe, das von den willfürlichen Stra-
fen der ©otiheit überhaupt gilt 9.
Obgleich diefe Argumente uns fchon wiederholt in ver-
ſchiedenen Geftalten und Wendungen begegnet find, fo find
bach bie verfchiedenen Einwendungen, die ſich gegen dik Firch-
liche Satisfactionglehre erheben laffen, hier in ihrer Bündig-
fen Form auf folche Weife zufammengefaßt, daß uns bie Löff-
ler'ſchen Unterfuchungen zugleich als eine Ueberſicht über die
ganze bisherige Polemik gelten Tönnen. "Sie lauft v von ver⸗
N Zweite Abd. Kl. Schr. 1. Bd. E. 291. f. |
520 11. Ber I. Abſchn. 2. Kap.
fchtedenen Seiten in dem von Löffler mit der entſchledenſten
Beſtimmtheit ausgefprochenen: Refultat zufammen, daß eine
Sündenvergebung im eigentlichen Sinne eine Unmöglichkeit
ſey. Hierin liegt das Moment, wodurd ſich Diefe neuere
Theorie von der focinianifchen und arminianifchen unterſchei⸗
det. Während die beiden legtern die Realität pofltiver Stra
fen vorausfegen, und die Aufhebung berfelben auf die abje-
lute Güte und Liebe Gottes zurüdführen, Täugnet Die neuere
Theorie jeden die Möglichkeit einer Sündenvergebung tm ds
gentlichen Sinn in ſich fließenden Begriff der Strafe, und
geht daher auch in Anfehung der Frage, um welche es ſich
bier handelt, nicht blos auf bie göttliche Güte und Liebe, fon
‚dern hauptſächlich auf die göttliche Weisheit und Heiligkeit
zuruͤck, vermöge welcher an fich ſchon mit der Sünde nichts
verbunden werden kann, was erft vermittelft der göttlichen
Güte und Liebe wieder aufgehoben müßte.
Indem aber dieß das Refultat ift, auf welches man auf
dem Wege ber Theorie geführt wurde, mußte fich von felbk
bie Frage aufbringen,“ wie daffelbe mit den die Thatfache der
Sündenvergebung fo klar bezeugenden Ausfprücen der heili⸗
gen Schrift vereinbar jey 9)? Es iſt ſchon bemerkt worden,
1) Auf die Frage, welche die obige eigentlich zur Vorausſetzung
bat; warum überhaupt Sefu und befonders feinem Tode Bes
snadigung und Geligfeit als Wirkung zugelchrieben wird
(vgl. Bahrdt a. a. D. ©. 116. f.), gab man ganz Die focis
nianifche Antwort, welche namentlich Bahrdt a. a. D.
©. 119. auf folgende Weife gefaßt hat: If Befferung, Grund,
Urfach, Bedingung, nothiwendiges antecedens unferer Bw
gnadigung, fo ift der, welcher Grund, Urſach u. f. w. uns
ferer Beflerung ift, auch Srund, Urfach u. f. w. unferer Bes
gnadigung, Verſoͤhnung und Seligkeit, denn wenn B die Urs
fach ik von C, und A die Urfach von B, fo ik auch A die
Urſach von C. Sefus hat die Beflerung der Menfchen bes
gründet, 1. durch feinen Unterricht, 2. durch fein Beifpiel,
3.4. Eberhard. 521
>Heinbart diefe Frage zu löfen fuchte. Tiefer und mes
Ser ging jedoch zuerft Eberhard in die Beantwortung
»een ein. Der große Yortichritt, welcher in jener Zeit
> ®efe dadurch gemacht wurde, daß man ſich von
-sothwendigfeit überzeugte, aus ſich felbft herauszugehen,
Ech in den ganzen Kreis der Vorftellungen und Verhaͤlt⸗
in welchem ein Schriftiteller Iebte und fchrieb, hineinzu⸗
sen, mußte auch auf die Auffaffung ber Lehre von ber
Sfaction den wihtigften Einfluß haben, und auf die für
Be fo wefentliche Unterfcheidüng zwifchen Inhalt und Form
en, und wenn auch jene Zeit in ber Ueberraſchung über
Broße von ihr gemachte Entdedung, baß jede Zeit ihr ei⸗
es Bewußtieyn habe, ihrem jo ſtark überwiegenden Hange
Subjeftivität auch darin nachgab, daß fie nun überall,
allen geichichtlichen Erfcheinungen nur ein wechjelndes Spiel
ESubjektivität erbliden, und den ganzen Lehrinhalt des
T. in ein buntes Gewebe zufälliger Zeitworftellungen auf⸗
n wollte, fo war nun doch einmal der große Schritt ges
hen, das Selbftbewußtfeyn des Geiſtes von dem fubjefti-
Bewußtfeyn der Zeiten und Individuen zu unterfcheiden.
> fehr die Männer, welche die Grundfäbe der Interpreta⸗
, deren Gültigkeit für die Schriften des klaſſiſchen Alter-
nd nicht geläugnet werben konnte, zuerft auch für die
erpretation der neuteftamentlichen Schriften in Anſpruch
men und weiter entwidelten, dabei von der Abſicht ent⸗
t waren, die objektive Grundlage des Eirchlichen Glaubens
richüttern, wie fehr fte hierin nur dem Zuge des fidy über
felbft und die Objekte feiner Erfenntniß verftändigenden
fteß folgten, beweist vor allen andern Ernefti. Auf Die
Recht hochgeachtete Auktorität dieſes Begruͤnders Der neuern
—— — —
3. durch die Beglaubigungen feiner Lehre (z. B. das Ver;
nunftmäßige und Allgemeinfaßliche feiner Lehre), 4. durch
ſein Leiden und ſeinen Tod.
524 1. Ber. IL Abſchn. 2. Kap.
dem Geftchtöpunft eined Verföhnungsopferd fey, fuchten. biek
Theologen weiter nachzumelfen, für die Sache der chriftlichen
Religion von der größten Wichtigkeit geweſen. Es ſey da⸗
durch nicht nur der Anftoß entfernt worden, welchen bie 5%
den und Judenchriſten an dem ſchmachvollen, mit der Würde
, und Beftimmung Jeſu unvereinbar fcheinenden, Tode deſſelben
nahmen, fondern e8 habe ſich daran auch alle Heilfame, Das bie
Betrachtung dieſes Todes haben konnte, auf eine für ihre Zap
fungöfraft und ihren Geſchmack angemeſſene Weile angefnüpft
Dadurch erft fen ed den Apofteln möglich geworben, bie Ju
den von dem Vertrauen abzuziehen, das fie auf die alten
Verfühnungsgebräuche ihrer Religion zu fegen pflegten, ir
dem fie den Tod Jeſu, wie ald das einzige Sühnopfer, fo
auch ald den größten Beweis, fowohl der göttlichen Liebe, ald
der göttlichen Strafgereihtigfeit darftellten. Obgleich die Apo⸗
ftel hierin einer hergebrachten, in den zufälligen Bebürfniiien
jener Zeit begründeten, und infofern noch ungeläuterten Vor⸗
Vertheidiger, Sheil der mwefentlichen Relision, alfo Ein
die Dpferthenrie Eein Pendant des Erlöfungsmerks fen.
Wenn alfo Ehriftus ein Opfer genannt werde, fo fey ed Als
legorie aus dem jüdiichen Stantscerentoniel. Wenn aber
auch die Dpfer eine wahre Beziehung auf Ehrifti Tod ge:
habt hätten, wenn fie auch von den Apofteln nicht blos als
legorifch,, für jüdifche Lehrlinge, gebraucht würden, fo wär:
den fie doch Fein fiellvertretendes Leiden eined Mittlere bes
weifen, weil nie eigentliche Strafe durch ein Opfer ertra⸗
gen, oder auch nur aufgehoben worden fey. Jede Strafe
des Staatsgeſetzes ſey vollzogen worden. Nur Die Aufbe
bung des göttlichen Mißfallens an der Perfon ſey bezeich⸗
net, und der Menfch dadurch für rein d. h. zutrittsfähig er:
Elärt worden, alfo Eönnte, alles verglichen, der Tod Jeſu
nicht mehr als Erklärung, Berficherung fenn: daß jeder
Slaubige ohne weiteres Dpfer begnadigt und felig fen (Eine
Argumentation, aus der fich ebenfo gut die entgegengefehtt
Solgerung ziehen läßt!).
98. 8. Henke. 525
ung gefolgt feyen, fo habe doch der Begriff des Opfers
feiner Beziehung auf den Tod Jeſu auch eine innere Wahr
t, ſofern er die Unfchuld Jeſu, die heilfame, dad Gewiſſen
) Sünderd beruhigende Kraft feines Werkes, das Gottges
lige des von ihm nad) dem Willen Gotted übernommenen
des, und feine für das Wohl anderer ſich aufopfernde und
igebende GSefinnung ausdrüde 2). Bei diefer Anficht von
n Ruben des Todes Jeſu, wobei demnach ein befonderes
wicht auf die die heilfame Wirkung deſſelben vermittelnden
Woorftellungen: gelegt wird, glaubte man auch die Roth»
mdigfeit befielben aus einem andern Gefichtöpunft betrach⸗
ı zu müſſen. Sft die Nothwendigkeit ded Todes Jeſu ber
atisfartionstheorie zufolge eine abjolute und objektive, nad)
e foeiniantfchen Lehre dagegen eine blos fubjeftive und res
ige, ſofern nur unter Vorausſetzung des Todes Dig Lehre
fü den moralifchen Einfluß auf die Menfchen haben Tann,
Ichen fie haben fol, fo geht die neuere Theorie, von wels
T bier die Rede iſt, auch in der Beſtimmung diefed ſubjek⸗
en Moments noch weiter. Sie nimmt zwar gleichfalls an,
z der Tod Jeſu nothwendig war, weil Sefus nur durch
en Tod feine Lehre, oder feine fefte Ueberzeugung von der
ihrheit derfelben beftätigt, und das ſchönſte Beiſpiel voll⸗
eter Tugend und den größten Beweis feiner Liebe gegen
Menſchen gab, wie fie aber überhaupt alles, was fich
f den Tod Jeſu bezieht; aus dem Hiftorifchen, das Tem-
elle und Zufällige von dem an ſich Wahren und Allge
nen genau unterfcheidenden Geſichtspunkt aufzufaflen fucht,
zieht fie auch bei der Frage über die Nothwendigkeit deſ⸗
) Man vgl. hierüber befonders Henke, Lineamenta institutio-
‘num fidei christianae historico-criticarum Helmfädt 1793.
weite Ausg. 1795. ©. 152.f. Edermann, Compendium
Theologiae christianae theoreticae biblico-historicae. Al⸗
tona 1791. ©. 132. f.
528 U. Ber. IL Abſchn. 2. Kap.
felben vor allem Die befondern Berhältniffe in Betracht, in
welchen fich Jeſus befand, und es wurde baher ſchon von
benfelben Theologen, weldye, wie Henke, beſonders baranf
ausgingen, Die Zeituorftellungen von ber wahren Lehre Sc
auszufcheiden, darauf hingewiefen, daß Jeſus nad) der gam
zen Geftaltung feiner Verhältniffe, wie wir uns ihn, ſowohl
feinen Wolfögenofien überhaupt, als auch befonders feine
Füngern gegenüber, denfen müflen, nur in feinem Tode da
geeignete Mittel zur Realiftrung feiner Zwede und Plane ⸗⸗
hen Eonnte, und ebendeßwegen die Nothwendigkeit des Tode
vor allem für ihn felbft eine fubjektiv moralifche war 9).
Wenn auf der einen Seite Die Sündenvergebung als es’
1) Henke a. a. D. ©. 171.: Quando ı) Christus non esd
per vim, neque isto in aelatis vigore, isto tempore d
modo, cum tali pompa e vivis sublatus, quando omnim
diuturnior lucis usura el contigisset, vixz fierl non pels-
rat, quin aliquando regem illum raperet admiratim
. tanit viri et exspectatione defiza, rerum novaram. cup
ditate incensa multitudo, provinciam seditionibus impl-
rei, fatule urbis üc templi exeidium, non multo pod
futurum, immature acceleraret, atque sic omnis non mo- |
do rei christianae progressio et propagatio, cum omal,
guae inde pependit rerum conversione, interciperetur, ve-
rum etiam omnis disciplinae, quam Christus volueret
stabilire, fructus Interiret, ac fere omnis illius cognitie
memoria et fama obliteruretur. Porro autem, 2) quum
restauratae post mortem cruentam vitae Christi ad re-
sStaurandam fidem et spem discipulorum, in illo positam,
tantam vim fuisse Intelligamus, ut alium quempiam re-
rum eventum, qui ındjorem vel eandem vim habiturs
fuisset, fingere haud possimus, hinc quoque elucet, quam
aptus et nexus e Christi supplicio fuerit felix rerum ab
Apostolis gestarum swcecessus (oh. 16,7.). Der Tod Ge
fu war demnach für feine Jünger eine ſubjektive Nothwen⸗
Digfeit.
3.3. Ch. Löffler. 527
unmöglich geläugnet, auf ber andern Seite aber als neu⸗
amentliche Lehre anerkannt wird, jo kann beides nur durch
Borausfegung vereinigt werden, daß die lettere als eine
Se Zeitidee anzufehen fey, woran fich jedoch fogleich bie
tere Frage anſchließen muß, ob bie Apoſtel ſelbſt in bie»
-Zeitivee befangen waren, ober über ihr flehend nur für
ı Zwed ihres Lehrberufes ſich an fie accommobdirten. Das
tere wurbe von den Theologen, mit deren Anficht wir e8 -
e zu thun haben, gewöhnlich angenommen. Man glaub«
durch die Annahme, daß die Apoftel für fich ſelbſt das
ahre und Richtige erkannt, aber nad ihrer Lehrweisheit
gut gefunden haben, es dem Bewußtfeyn ihrer Zeitgenof-
unter einer ihnen befannten Form mitzutheilen, jo viel
glich zu verhüten, daß es zwiſchen der an ſich wahren
ze und der Schriftlehre zu einem entichtedenen Bruche kom⸗
‚ Rur aus demfelben Beftreben läßt ſich auch die Anficht
Herd erklären, daß die Apoftel, wie Löffler in den ſchon
annten Abhandlungen durch eine Art von Induction zu
yeifen fuchte, nie von Vergebung der Sünden der Chriften
Des Todes Jeſu willen reden, fonbern, baß fie bloß bie
rgebung der vor der Annahme des Chriſtenthums began⸗
en Sünden von jenem Tode ableiten. Die ganze Vorſtel⸗
8, daß durch vergoffenes Blut jemand gereinigt, und ihm
Strafe der Uebertretung vergeben werde, ſtamme aus der
ſaiſchen Religions » Verfaffung. Wie fchon die Propheten
fer und Gehorſam verbanden, fo: habe das Chriftenthum
Dpfer gänzlich aufgehoben, und das MWohlgefallen Got⸗
nur an bie Reinheit des Herzens und an ftandhafte be
Tliche Tugend geknüpft. Da aber Jeſus fein bei der Grün⸗
sg des Chriſtenthums vergoffened Blut das Blut eines
ven Bundes genannt, und mit dem Blute verglichen habe,
t.welchen bei der Stiftung bes mofalfchen Geſetzes das
E befprengt und gereinigt worden war, fo haben die Apo⸗
I diefe angegebene Aehnlichkeit ergriffen, und das Blut Jefu
528 1. Ber. DI. Abfchn. 2. Kap.
ald das Blut vorgeftellt, welches Diejenigen reinige, die in
den neuen chriftlihen Bund mit Gott treten, und Chriſtus
habe dadurch die Geftalt eines Opfers erhalten. Nur in den
einzigen Falle, wenn ein über feine biöherigen Sünden Be
fümmerter und an verjühnende Opfer Gewöhnter, ein Mit
glieb der chriftlichen Kirche zu werben wuͤnſche, Fönne bie Lehe
art der Apoftel wiederholt und nachgeahmt werden. Da aber
bie Apoftel jelbft Die Reinigung Durch das Blut Jeſu und bie
damit verknüpfte Vergebung auf die vor. der Annahme dei .
Chriſtenthums begangenen Sünden einfchränfen, und von Six
ben der Chriften durchaus nichts wiſſen wollen, fo gehöw
die in der Kirche üblich gewordene Lehre von der Vergebung |
der Sünden und der Lafter der Ehriften, um des Todes Ich :
willen, nicht in die Zahl der chriftlichen Wahrheiten: fie ha⸗
be, außer ihrer Schädlichfeit, Feinen Grund in der h. Schrift 9.
Betrachten wir diefe Anficht etwas näher, fo kann man ſich
nicht wundern, daß fie überall nur Widerfpruch gefunden
hat. Ihre Tendenz geht zwar, was die Sache felbfi betrifft,
gleihfalls nur dahin, die Lehre von der Sündenvergebung.
als eine bloße Zeitvorftelung aufzufaffen, fie kommt aber dam.
über in Widerfpruch mit fich felbit, daß fie auf der einen
Seite den Apofteln das Bewußtſeyn diefer Worftellung als
einer bloßen Zeitvorftellung zufchreibt, auf der andern Seite |
aber das, was fie zu einer bloßen Zeitvorftellung mad,
jelbft wieder aufhebt. Wenn fte Die Apoftel abfichtlich immer
nur von der Vergebung foldher Sünden, die von den Juden |
und Heiden vor ihrem Webertritt zum Chriſtenthum begangen
worden find, nicht aber der Sünden der Chriften reden läßt,
fo Tann dieß von den Apofteln nur deßwegen gefchehen feyn, weil
fie felbft dad Bewußtfeyn hatten, daß es an fich, ober für
diejenigen, für welche die Lehre von der Sündenvergebung
nicht als Zeitvorftellung Bebürfniß ift, alfo für die Chriſten
1) Löffler a. a. O. S. 360. f.
%
3.5 €. Löffler. 529
a ihrem Unterfchleb von den Juden und Heiden, Feine Sün-
benvergebung gibt. Wenn dagegen Löffler felbft zugibt, daß
auch. die Chriften, obgleich fie nach der Lehre der Apoftel ein
seines und heiliges Volk feyen, dennoch in manchen Fällen
fehlen, und für ſolche aus Uebereilung berrührende Berges
Sangen der Vergebung bedürfen, warum foll den Apofteln,
wenn fie in jener Beziehung das Weſen der Sünbenverge
bung fo gut erfannten, in dieſer letztern die richtige Erkennt⸗
wi. abgefprochen werben, und welche Urſache ift demnach vors
henden, Stellen, in welchen Die Apoſtel dieſe Erfenntniß wirk⸗
Bi ausfprechen, wie namentlich der Stelle 1Joh. 2, 1., eine
den natürlichen Sinne ber Worte widerftreitenbe Erklärung
;wefgudringen? ) Sagt man, daß bie Vergebung der Sün«
ben der Shriften allein von der Beſſerung, nicht von dem Tos
de Jeſu abhänge 2), fo kann auch dieß keinen fo wefentlichen
Umierſchied ausmachen, da ja die Apoſtel auch die Juden und
beiden zur Beſſerung aufforderten, und dem Tode Jeſu in
„feinen Falle ein die Beſſerung bewirkender moraliſcher Ein⸗
Hab abgeſprochen werben Tann. Soll daher gleichwohl bie
"ehre von ber, Sündenvergebung nur in die Sphäre Der Zeit⸗
Verftellungen verwiefen werden, fo kann dieß nur durch Die
Borausfegung motivirt werden, daß die Apoftel überhaupt
Koch in ben Vorſtellungen ihrer Zeit befangen waren (dieß
4) Löffler erklärt die tele 1 Joh. 2, 1., die mit Recht von den
Gegnern feiner Anficht gegen ihn geltend gemacht worden
ik, fo (&. 353.): „Dieß, Geliebte, fehreibe id) euch, damit
2 dhe nicht in jenem fündhaften Zuftande beharret, und follte
ſich noch jemand darin finden, fo wende er fih nur an un:
fern Beiftand bei Gott, an Jeſum den Unfchuldigen, und
5 fät.dabei voraus, daß der Brief zum Theil an Nichtchri—
: ſten vder an folche £efer gerichtet ſey, welche noch Weniges
vom Chriſtenthum wußten, oder Feine fefte Heberzeugung das
oon hatten.
2) Löffler a. a. D. ©. 367.
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 34
532 IL Ber. A. Abſchn. 3. Kap.
liche Lehrweife der In die genannte Klaffe gehörenden Ther
logen läßt ſich, wie ich glaube, auf folgende Hauptmomenk
zurüdführen.
1. Die Unterfuchungen, von welchen zuleßt die Rebe war,
gingen von bem Begriff der Strafe aus, und hatten bed
Reſultat zur Folge, daß es eigentlich Feine Strafe gebe, weis
che aufgehoben werben Fönne, eine Sündenvergebung im d+
gentlichen Sinne alſo nicht flattfinde. Der Begriff pofltive
Strafen fchien den genannten Gegnern der Tirchlichen Lehre
ein der Vernunft woiderftreitender zu feyn. Eben diefen Be
griff mußten daher die Vertheidiger derfelben vor allem rech⸗
fertigen, wenn fie die Lehre von der Sündenvergebung Im
kirchlichen Sinne fefthalten wollten, und es tritt Daher auf
fchon bier der Unterſchied der beiden einander gegenüberfe
henden Anfichten fehr Ear hervor. Hatten die Einen die In
ficht, daß Die Sünde Feine andere Folgen haben Tönne, al
nur foldhe, die fih aus dem natürlichen Zufammenhang ber
Urfachen und Wirkungen begreifen lafien, fo beriefen fich ba
Bei Gruner kommt alles darauf hinaus, quod Christus ma-
la physica, ex peccatis hominum oriunda, et in ha
mortem patientisstme fortissimeque pertulit, damit die
Menfchen dadurch die Sünde verabfcheuen lernen, und fid P
überzeugen, Daß die phufifchen Uebel und auch der Ted,
non tam esse mala, quam videri imprudentibus. Salt |:
hätte ja Gott feinen einzig gelichten Sohn nicht fo viele
und fo große Uebel erdulden laffen Finnen. A. a. O. S. 44. 1.
Veber Semlers ebendahin gehörenden dogmatifchen Indiffe |
rentiömus, vergl. man deſſen Verſuch einer freiern theoleg.
£ehrart. Halle 1777. ©. 466. Denkende Ehriften haben di |
Sreiheit, an die beftiimmte Art und Weife entweder gar nid
zu denken, und blos den Verficherungen ber Liebe und Om
de Gottes zu glauben, oder fie koͤnnen eine andere Reihe
des Zufammenhangs aus folchen Redensarten, wie satisfar-
tio vicaria u. ſ. w. fammeln, ohne der Sache, dem Erfol⸗
ge, dem Verdienſte Chriſti im Geringften Eintrag zu thun.
Die Bertheidiger ber kirchlichen Lehre. 533
gegen bie Anbern darauf, daß ber göttliche uüͤbernatuͤrlich wir⸗
Tende Wille audy andere, als blos natürliche Folgen mit ber
Sünde verbinden könne. Offenbar fen doch, wurde bemerkt,
die. Einrichtung der Sinnenwelt von der Weisheit und Güte
bes Allmächtigen nach moralifchen Zwecken veranftaltet. Da
mm Gott alles fo lenke, wie es bie Beförderung ber ſittli⸗
chen Bollfommenheit und bes wahren Wohlfeynd ber vernünfs
ügen Gefchöpfe erfordere, fo werde er gewiß auch diejenigen
Uebel, die in dem Zufammenhange der Dinge einmal da
een, und ohne noch größern Schaden anzurichten, nicht
ganz vertilgt werben Tönnen, fo anwenden, daß fie zur Ver⸗
Binderung der Sünde, zur Erwedung der Gewiſſen frecher
Menichen, und zur Warnung anderer dienen. Poſitive Stra-
fen ſeyen alfo ſolche Uebel, welche zwar nicht felbft aus ben
Sünden der Menfchen entftehen, aber von der Weisheit Got-
tes abfichtlich fo gelenkt werden, daß fie den Menfchen an
die Webertretungen des Geſetzes, die er begangen, erinnern,
das Strafgefühl In ihm erweden, und ihm feine Schuld vor
Augen bringen. Wenn auch fein Menfch im Stande fey, in
Einzelnen Fällen mit Sicherheit die Gründe anzugeben, wel⸗
he bei den Schiefalen der Menfchen in Gottes Rathſchluß
serborgen Liegen, fo Eönne doch auch niemand mit Gewißheit
enticheiden, ob dieß oder jenes ben Sünder treffende Uebel
nicht in der That nach Gottes Abficht eine pofitive Strafe zu
nennen fey. Pofttive Strafen feyen jedoch Feine willfürliche,
fie haben ihren Grund in der Schwachheit der Menjchen, und
feyen fo wenig eine bloße Geburt des Aberglaubens, daß fie
wielmehr ein Earer Beweis der Güte und Weisheit Gottes
ſeyen, ber fich mit Vaterliebe zu ber Schwäche und den Ge-
finnungen feiner Geſchöpfe herablaffe. Den Hauptbeweis für
Die Realität folcher Strafen fand man in der altteftamentli-
chen Geſchichte. Da aber die durch den Tod Jeſu aufgeho-
benen Strafen ſich nicht blos auf die gegenwärtige, fondern
die Fünftige Welt beziehen, fo mußten hauptfächlicdy die Stra⸗
3... Ber II. Abſchn. I.Rap ı
fen der. tänftigen Welt aus dem Gefichtöpunft pofltiver Stra
fen betrachtet werden. Die natürlichen Strafen der Sünden,
das unangenehme Bewußtſeyn eines fchledhten Lebens, die Uns
ruhe des Gewifiens, die Furcht vor. dem Richter; die fchreds
liche Erwartung einer peinvollen Zufunft, behauptete man,
begleiten zwar den Menfchen über die Grenzen. dieſes Lebens
hinaus, aber diefe aus ber Natur der Sünde ſelbſt entftehen-
den Wirkungen der Sünde werden durch andere Auffere Pel-
nigungen ungemein vermehrt. Daß bie Seele mit ihrem Koͤr⸗
per wieber vereinigt, und dadurch der Schmerz vermöge der
ſinnlichen Werkzeuge vergrößert werde, daß die Seele zuvor
fhon und nad) der Vereinigung mit diefem erwedten Körper
in einen fehr fchredlichen Ort verfegt werde, daß fle in ber
unangenehmen Gefelihaft und. Verbindung mit böfen Ger
fern und ungebefferten Seelen leben müfle, daß felbft das
Element, in welchem fie fih dann befinde, ihr fehmerzhafte
Empfindungen erregen werde, daß in allem biefem die Weis
beit und Güte Gottes ſich offenbare, welche die Hölfe dazu
beftimmt babe, Seelen, die ſich bier nicht durch Wohlthaten
zur Beflerung leiten laffen, durch Zmangsmittel vom Böfen
abzuhalten, zur Erfenntniß ihrer Sünden zu bringen, und
zum Gehorfam gegen Gott zu nöthigen, folde und andere
Argumente waren die Gründe, durch welche man die Reali⸗
tät pofitiver eiwiger Strafen zu erweifen fuchte ). Je weiter
aber durch die Annahme pofitiver Strafen der Begriff der
Strafe ausgedehnt wurde, defto freieren Raum hatte man
ı) Dan vgl. hierüber Seiler: Weber den Verfühnungstod Jeſu
Chriſti, Erlangen 1778. Zweiter Theil 1779. vgl. befonders
©. 60.f. (gegen diefe Schrift ift die fchon erwähnte Bahrdt-
ſche gerichtet, deren Polemik bei aller Dberflächlichkeit doch
die fchwachen Seiten des Eeiler’fchen Raiſonnements mei⸗
fiend treffend aufdeckt). Die Fragen der zweifelnden Ber:
nunft: If Vergebung der Sünden möglich? ft von Gott
Begnadigung durch Ehriftum zu hoffen? Erl. 179. ©. 76. f.
Die Bertheidiger ber kirchlichen Lehre 535
auch, die Möglichkeit ihrer Erlafjung anzunehmen. So noth-
wendig pofitive Strafen zu feyn fehlenen, fo mußte man doch
zugleich anerkennen, dab Strafen überhaupt nicht das beſte
Mittel zur Beförderung der moralifchen Gefinnung feyen, und
nahm daher an, dag Strafen in allen denjenigen Fällen, in
welchen die Begnadigung mehr zur Beſſerung beitragen kön⸗
ag, erlaflen werden ). Daß aber ald der eigentliche Zweck
der Strafe die Befferung des Sünders anzufehen fey, glaubte
man der neuern Theorie nicht zugeben zu dürfen, und er:
Bärte es daher für eine Vermeſſenheit, wenn das ſchwache
Gerchöpf, um bie Schielichkeit einer vertretenden Genugthuung
a priori läugnen zu fönnen, der Gerechtigfeit des Allerhöch⸗
Ken die Geſetze vorfchreiben wolle, daß alle ihre Strafen ſich
auch auf das Beſte des leidenden Subjeftd erftreden, und
folglich fobald die Beſſerung defielben erfolge, nachlaffen, aber
auch, wenn fie ihren Nuten follen erreichen Tönnen, von dem
Sünder felbft empfunden werben müflen. Es laffe fich bei
keiner Strafe mit Zuverficht behaupten, daß fie für Fein an⸗
deres Subjekt außer dem Leidenden belchrend feyn könne, weil
ihr Zufanmenhang mit dem Verbrechen und Sterblichen ver:
borgen fey. Wenn auch Gott vermöge feiner Güte mit den
esemplarifchen Strafen überall gern den befiernden Zwed ver:
binden werde, wenn e8 anders in allen Fällen möglich fey,
fo können doch wir, die wir in das Ganze Feine Einfiht ha⸗
ben, nicht zum voraus annehmen, daß alle Strafen, welde
in dieſem unermeßlichen Reiche nothwendig find, beſſernd ſeyn
können. Sey es aber unerweislih, Daß alle göttliche Stra-
fen nothwendig Befjerung des Beftraften zur Abficht haben,
fo Fönne biefer Zweck, ber. vielleicht bei manchen göttlichen
Strafen nicht einmal flattfinde, wenigftend nicht der einzige
ſeyn, und es laſſe ſich Daher auch nicht behaupten, daß, ſo⸗
1) Seiler die Fragen u. ſ. w. S. 1114. f. Verſöhnungstod Ch. I
S. 46 f.
—
536... IL Ber. IL Abſchn. 3. Kay.
bald die Beflerung erfolge, die göttlichen Strafen ihren möge
lichen Rugen erreicht haben, und folglich nachlaſſen ). Diele
Theorie mußten bie Vertheidiger der kirchlichen Berföhnungs
lehre aufftellen, um fowohl die Aufhebung der Strafen nit
6108 von der Bebingung der Beflerung abhängig zu machen,
als auch die Möglichkeit eines ftellvertretenden Strafleidens
zu reiten. Da man auf den abfoluten Begriff der Gerechtig⸗
keit ‚nicht zurüdzugehen wagte, fo hatte ber eremplarikie
Zwed der Strafe um fo mehr einleuchtendes 2). Mit bieder .
Theorie glaubte man daher. audy das von den Gegnern vor
gebrachte Argument, daß ein Unfchulbiger nicht für Schuldi⸗
ge geftraft werben könne, hinlänglich widerlegt zu haben ®).
2. Setzte man daß eigentliche Weſen der Strafe in ben
Zwed der Befferung, fo ergab fich hieraus.von felbft, daß
nach erfolgter Beſſerung die Strafe hinwegfällt. “Die eigent
de und unmittelbare Urfache der Sündenvergebung ift daher
nur die Beſſerung, und von einer Begnadigung kann daher
nur infofern Die Rede ſeyn, fofern fie in der Beflerung fchon
enthalten if. Anders aber mußte das Verhaͤltniß von Beh
ferung und Begnabigung von denen beftimmt werben, welche
die Befjerung nicht als den eigentlichen Zwed der Strafe bes
trachteten. Folgt die Begnadigung oder Sündenvergebung
niht an ſich ſchon aus der Befferung, fo kann fie nur als
das der Beflerung Vorangehende, und von ihr Unabhängige
1) Vergl. Schwarze über den Tod Jeſu, als ein weſentliches
Stüd feines wohlthätigen Plans zur Beglückung des menſch⸗
lichen Gefchlechts. Leipz. 1795. ©. 10.f. Eben davon hans
delt ganz befonders Storr in dem erſten Haupttheil ber Abs
handlung über den Zweck des Todes Jeſu.
2) Seiler, über den Verſöhnungstod J. Chr. Th. J. ©. 26.
" Michaelis Gedanken über bie Behr der heil. Schrift von
Sünde und Genugthuung, als eine der Vernunft gemäße
Lehre. Neue völlig unigearbeitete Yusg. 1779. ©. 597. 617.
3) Seiler a. a. 9. ©. 66.
Die Bertheidiger der kirchlichen Lehre. 537
Est werben, und nur bieß fehlen ben Gegnern ber neuern
de bie fcheifigemäße Lehre von dem Zufammenhang bes
= Sefu mit ber Sündenvergebung zu feyn. Daß berfelbe
ehre der Schrift zufolge nicht blos als ein mittelbarer,
die Beſſerung vermittelter, fondern nur als ein unmit-
>er gedacht werben durfe, fuchte man jegt im Gegenſatz
x die von den genannten Gegnern erneuerte ſocinianiſche
° mit befonderer Sorgfalt und Gruͤndlichkeit nachzuwei⸗
Die Oründe, welche man für dieſen Zweck geltend machte,
n hauptſächlich folgende: 1. An fich ſchon erlaube der
emeine Sprachgebraudy nicht, wenn gejagt werde, daß
18 zur Vergebung ber Sünden geftorben fey, eine die Ber-
ang eigentlich erft bewirkende Mittelurfache hineinzudenken.
Auch andere Ausdrüde, deren fich die Apoftel bedienen,
n fie 3. B. fagen, daß wir durch den Tod Jeſu gerecht»
gt, mit Gott ausgeföhnt jeyen, beweifen dieß. 3. In fo
n Faͤllen werde bie allgemeine, dem menfchlichen Geſchlecht
yenfte und dargebotene - Begnadigung als eine der Bes
ung und Beflerung vorangehende Wohlthat dargeftellt,
als ein Argument und Beweggrund derſelben gebraudit.
m weitern Beweis bieten 4. alle diejenigen Stellen bar,
selchen der Tod Jeſu und die Folgen und Wirkungen deſ⸗
n als ein Sühns oder Sündopfer befchrieben werden.
wenn 5. in einigen Stellen die Kraft und Wirkung des
es Jeſu felbft auf die Zeiten vor demfelben, und auf das
e menfchliche Gefchlecht ausgedehnt werde, fo fen hieraus
lich zu fehen, daß an eine erft durch Die Beſſerung bes
te Vergebung nicht gedacht werden könne *).
3. Was die nähere Beftimmung bed Zufammenhangs
Todes Jeſu und der Sündenvergebung betrifft, jo war
‚von dem Gedanken an eine objektive, im Wefen Gottes
Storr, Pauli Brief an die Hebr. Zweiter Theil, über den
eigentlichen Zwed des Todes Jeſu. Tüb. 1789. ©. 571. f.
540 : IE Ber I. Abfhn 3. Kap.
alle Menfchen für ihre Sünden geftraft würden, ba im Ic:
tern Falle für den Einzelnen doch immer noch die Hoffnung
zuruͤckbleiben könne, daß ihm Gott, ohne feine Sünde zu ſtra⸗
fen, vergebe *). Um das Mittel der Verföhnung, den Teb
einer fo hohen Perfon, mit dem dadurch erreichten Zweck fe
viel möglich in ein angemeffenes Verhaͤltniß zu fegen, defe
len fich diefelben Theologen befonders auch in der Vorſte⸗
lung, daß der Eindrud des durd ben Tod Sefu gegebem
Straferempels fich nicht blos auf Die Menſchheit, ſondern anf
das ganze Geiſterreich erſtrecke 2). |
1) Geiler, Berl. J. ©. 289. f.
2) Bel. Storr a. a. D. ©. 601. 607. 626. f. 631. und an meh
zeren andern Stellen, Seiler Berfdhn. I. ©. 381. und We
fonders Michaelis a. a. D. ©. 657. welchem hierin aud
der Verfaffer der Schrift: Der wahre Gefichtspuntt der db
bellehre vom Berföhnungstode Jeſu Chriſti Halle 1782. folk. U.
So falle, meint Michaelis, der Einwurf hinweg: ob aid
die Senugthuung Chriſti zu viel, eine zu große Deranfal
tung, und die Einwohner unfers gegen das Ganze fehr Alb
nen Erdbodens ein zu geringer Gegenftand find? Sonder
lich, da fich doch die meiften, wie es fcheine, durch die a
Chriſto vollzogene Strafe ihrer Sünden nicht von Sünde
abfchrecken oder beffern laſſen. Ob dieß nicht viel Mittd
und zu wenig Endzweck fey? Wenn derfelbe Theologe, um
das Leiden Jeſu in das rechte Verhältniß zur Größe feine
Perſon zu ſetzen, weiter fo argumentirt: durch wenig Uebel
ſey viel Uebel verhütet, Durch das Leiden eines Einzigen,
der Standhaftigkeit genug gchabt habe, es zu ertragen, un
fo belohnt worden fen, daß die Summe feines Glücks, feh
£eiden Davon abgezogen, alle Summen von Glück überfteig,
die wir denfen Eünnen, werden ungezählte Millionen vor
ewigem Uebel bewahrt (S. 658.); fo ift Elar, daß die He
bertragung unferer Strafen auf Chriftus, bei dieſer Vorkel:
Iung, obgleich Michaelis ſich ausdrüdlich Dagegen erklärt
(S. 647.), doch nur eine Scheinübertragung wird.
G. Ch. Storr. 541
Die Sdee des Straferempels fehlt nicht leicht bei einem
‚heologen jener Zeit, aber nur bei Storr if} fie die Grund⸗
age einer entwidelten Theorie geworden, die hier um fo we⸗
iger überfehen werden darf, je weniger fich fonft jene Zeit
u einem folchen Gedanken zu erheben vermochte. Die Storr⸗
che Theorie hat, obgleich. der Begriff der Gerechtigkeit an⸗
ſjers beftimmt ift, die größte Aehnlichkeit mit der Anfelm’fchen;
we diefe geht auch fie darauf hin, bie Seligfeit der Men-
Wen als eine von der Berfon Chrifti auf fie übertragene zu
betrachten. Wie Anfelm geht auch Store ‚davon aus, daß
bee Menfch Sefus als Gefchöpf für fich -felhft verbunden war,
De ihm vorgefchriebenen göttlichen Gebote zu halten. Wie es
iber überhaupt freie Güte des Schöpfers war, Daß die menfche
Ihe Ratur Jeſu fo ganz vorzügliche Anbagen hatte, und mit
em Aoyos eos perfönlic, vereinigt wurde, fo hätte Gott Je⸗
um ohne vorangehende Erniedrigung und Erprobung des
Behorfams in den Genuß der feiner urfprünglichen Würde
wtfprechenden Herrlichkeit und Seligfeit. verfegen können, wenn
z nicht befondere Abfichten mit Jeſus zum Beten anderer
Menſchen gehabt hätte Wollte daher Gott dem Gehorfam,
ren er feinen Abfichten zu Folge forderte, bei Jeſu, wie bei
mbdern Gefchöpfen eine pofitive Belohnung geben, fo mußte
m der Herrlichkeit, welche ſchon in der urfprünglichen Ein-
Achtung Jeſu gegründet war, und die er auch ohne jene Pro⸗
ben bed Gehorſams, vermöge feiner natürlichen Anlage und
Berbindung mit Gott, zu genießen gehabt hätte, wenn es Gott
gefallen hätte, feine Erniedrigung von ihm zu verlangen, und
u der Ehre, die Jeſus nun beim Genuß feiner urfprüngli=
hen Borzüge als natürliche Folge feines Gehorſams einernd-
tet, noch etwas weiteres hinzufommen. Da aber zu feinem
perfönlihen Wohl nichts hinzukommen Tonnte, was nicht fchon
in der yperfönlichen Vereinigung des Menfchen Jeſu mit dem
ewig Geliebten des Vaterd, der mit dem Vater Eins ift, ge-
gründet wäre, fo Eonnte die pofitive Belohnung des Menfchen
542 11. Ber. IL. Abſchn. 3. Kay.
Jeſu blos in der Befeligung anderer um Jeſu willen befte
ben. Er war zwar, bie göttlichen Forderungen vorausgefekt,
für fich felbft zum Gehorfam verbunden, und hat daher auch
die auf feinen Gehorfam gefezte Belohnung eigentlich ſelbſt
erworben, fotern aber feine Belohnung in dem Rechte beftund,
uns an feiner Seligfeit Antheil nehmen zu laffen, ift fein Ge
horſam zugleich wohlthätig und verdienftlich für uns, genug⸗
thuend aber iſt er, wenn auch nicht vertretend, wie fein Lei⸗
den, fofern dem vouog' Epyuv dadurch Genüge gefchieht, dab
die Befeligung der Menfchen zu einer Folge des Gehorfams
gemacht wurde‘). Das Hauptmoment diefer Theorie befteht
wie bei der Anfelm’fchen darin, daß von Jeſus eine morali
fche Leiftung gefchieht, die auf der einen Seite wie jede Les
ftung diefer Art nicht unbelohnt bleiben darf, auf der andern
aber vermöge der Würde, in deren Beſttz Sefus an fich ſchon
iſt, nicht an Ihm felbft, fondern nur an andern belohnt wer
ben kann, nur betrachtet Store nicht, wie Anfelm, den Tod
Jeſu ald eine Aufgabe, zu welcher Jeſus an ſtch nicht ver
pflichtet war, fondern nad) Storr war Sefus zu feinem gan
zen Gehorfam überhaupt, fowohl verpflichtet, als nicht vers
pflichtet; verpflichtet, wie überhaupt jedes Geſchöpf zum Ge
horfam gegen Gott verpflichtet iſt, nicht verpflichtet aber, ſo⸗
fern er für feine Perfon durch feinen Gehorſam nichts erlans
gen Fonnte, was er nit an fich. ſchon hatte. Eben dieß iſt
aber auch fchon der Punkt, wo fi und die Unhaltbarfet
biefer Argumentation aufdeckt. Wie das Falſche Der Anfelm-
ſchen Theorie vor allem darin befteßt, Daß das Leben und
der Tod Jeſu nicht unter denfelben fitilichen Geſichtspunkt ge
ftellt werden, fo trennt Store auf eine in fittlicher Hinficht
nicht zuläßige Weiſe den Genuß ber Seligfeit von ber fittli-
4) Ueber den Zweck des Todes Jeſu ©. 666.f. Vgl. Doctri-
nae christianae pars theoretica e sacris libris repetita.
Stuttg. 1793. ©. 244. f. $. 86. u. 87.
3. Ch. Storr. 543
hen Bollfommenheit. Zum perfönlichen Wohl Sefu, behaup-
tet Storr, konnte durch feinen im Zuftande der Erniebrigung
geleifteten Gehorfam. nichts hinzufommen, was er nicht an
fih ſchon Hatte, aber doch würde, wird zugleich behauptet *),
wenn Jeſus nicht gelitten hätte, „fein Gehorfam wenigftend
nicht in dem hoben Maaße, nicht in dem ausnehmenden
Glanze ſich haben zeigen können, wie jest, da er, der Sohn,
nicht allein der Herrlichkeit, worauf er den natürlichften Ans
ſpruch hatte, ſich gern auf eine Zeitlang begab, fonderh ſo⸗
gar den ihm fo empfindlichen, und bei einer fo erhabenen
Perfon höchſt befremdlichen Tod am Kreuz freiwillig über-
nahm. Hier erreichte der Gehorfam Sefu feine höchſte Stufe,
dDieß war biejenige Probe des Gehorfams, welche eben am
meiften bewundert, und als der auffallendfte Beweis angeje-
hen wird, daß der Menfch Jeſus feiner alles überfteigenden
Herrlichkeit nicht nur vermöge feiner natürlichen Anlagen und
feiner urfprünglichen Verbindung mit Gott fähig, fondern
auch vermöge feiner moralifchen Vortrefflichkeit würbig few.
Dieß iſt eben der vorzüglichfte Grund des ganz ausnehmens
den MWohlgefallend Gottes an ihm. Wie der Gehorfam Jeſu
durch fein Leiden des Todes glänzender wurde, fo wurde es
auch die Ehre, die er um jened Gehorfams willen von dem
darauf erfolgten Genuſſe feiner Herrlichkeit hat.” Iſt aber
dieß der Fall, wie kann zugleich behauptet werden, es habe
durch den Gehorſam Jeſu zu feinem perfönlichen Wohl nichte
binzufommen können, was er nicht an ſich ſchon hatte? Wuͤr⸗
de diefe Behauptung nicht voraudfegen, daß unter Dem pers
- fönlichen Wohl Jeſu eigentlich nichts anders verftanden wird,
als der äußere finnlihe Genuß der höchſten Summe von
Gluͤckſeligkeit? Je mehr aber die Seligkeit, als eine an. fich
unſinnliche, im engften und unmittelbarften Zufammenhang
mit der fie bedingenden fittlichen Vollkommenheit, und alg
ö —i —
1) A. a. O. S. 665.
544 IL. Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
mit ihr weſentlich Eins gedacht wird, deſto weniger kann ge⸗
läugnet werden, Daß jede Zunahme der ſittlichen Vollkom⸗
menheit auch eine Zunahme der Seligkeit in ſich ſchließt. Das
aber die ſittliche Vollkommenheit Jeſu durch feinen Gehorſan
eine ſehr bedeutende Zunahme gewann, oder vielmehr dadurch
erſt ihren wahrhaft ſittlichen Werth erhielt, wie Tönnte dich
in Zweifel gezogen werden, wenn Doch, wie Storr felbft bes
hauptet, der moralifhe Werth eined Geſchoͤpfs eigentlich auf
der Stärfe des Gefühls feiner Abhängigkeit von dem Schr |
pfer beruht, oder feine Ehre von dem Gehorfam, von be
MWilligfeit abhängt, womit ed ſich dem unterwirft, dem es
feiner Natur nach aufs vollftändigfte unterworfen ift, daß ed
demnach auch dem Menfchen Sefus zu Defto größerer Ehre
gereicht, je mehr die Willigfeit, mit der er von Gott abhing,
offenbar wurde? Hatte der von Jeſu geleiftete Gehorſam bie
Folge, daß er „die Herrlichkeit, welcher er vermöge ‚feiner
perfönlichen Vereinigung mit dem ewig Geliebten des DBaterd
fähig ift, nun nicht blos als einen natürlichen Vorzug, ode A
als Geſchenk feines Urhebers, deffen Willen er jene allerbe J
fonderfte Berbindung mit Gott zu danken hat, fondern zu
gleih als Lohn feines Gehorfams und feiner rechtichaffenen
Sefinnungen, oder als ein ehrenvolled Zeugniß der göfllis
hen Zufriedenheit mit feinem Verhalten und mit feinem me
ralifchen Werth, ald eine feierliche Erklärung feiner Recht⸗
fhaffenheit und feines Gehorfams genießt“ *), fo wird ja bie
durch ausdrüdlid, anerkannt, daß jede fittliche Vollkommenheit
ohne fittlichen Werth ift, fomit auch noch Feine wahrhafte fitt
liche Sriftenz hat, folange fie nicht ihrer natürlichen Unmit
telbarfeit enthoben, und durch. die eigene Freiheit und Selb
thätigfeit des fittlichen Subjekts vermittelt ift. Iſt Jeſus als
Menſch ein fittliched Subjeft, wie jeder Menfch, fo muß er
auch denſelben fittlichen Geſetzen, die fi) von der Natur Feines
1) A. a. O. ©. 664.
G. Ch. Storr. 545
Attlichen Weſens trennen lafien, unterworfen feyn, und es
kn baher bie fittliche Belohnung, bie die Folge feines fitt-
Üben Gehorſams war, fi nur auf ihn felbft bezogen, oder
nir in dem durch feinen Gehorfam gewonnenen Bewußtſeyn
eſtanden haben, daß feine natürlichen Borzüge durch bie fitt-
Ihe Vermittlung fein wahrhaftes freies Eigenthum geworden
Kb. War aber Jeſus als fittliches Subjekt auch einer fittli«
ben Belohnung fähig, fo fällt Dadurch von felbft die Vor⸗
ausſetzung hinweg, auf welche die Storr’fche Theorie die Rothe
weidigfeit gründet, die eigentlich Jeſu felbit zufommende Bes’
Inung auf die Menfchen zu Ihrer Beſeligung überzutragen,
id wenn nun von einer Nothmwendigfeit in dieſem Sinne
ücht weiter die Rebe feyn kann, fo führt und bie Storr’fche
Theorie von der Anfelm’fchen, mit weldyer fie zunächſt die
rößte Aehnlichkeit zu Haben fheint, vielmehr zu der ſocinia⸗
iſchen hinüber, welche zwar auch die Seligkeit der Menfchen,
Es ein Geſchenk, deſſen Urheber Jeſus vermöge feines Ge-
orfams geworden ift, betrachtet, aber den Grund dieſes Zu⸗
immenhangs nur in einer freien Beranftaltung Gottes fin-
et. Was die Storr’fche Theorie von der ſocinianiſchen uns
sricheidet, bleibt fobann nur noch Die Idee Des für den Zwed
er Straffanction im Tode Jeſu gegebenen Sträferempeld und:
te von diefem Gefichtöpunft aus angenommene Nothwendig-
et des Todes. Aber auch in diefer Hinficht ift die Storr⸗
de Theorie mit Recht in Anfprudy genommen worden... Da
mf dem biblifchen Standpunkt, auf welchen Storr fid) ftellt,
tichts für wahr gelten Tann, was ſich nicht aus Stellen der h.
Schrift mit hinlänglicher Evidenz nachwöeiſen läßt, fo fragt
id vor Allem, ob auch das N. T. den Tod Jeſu als eine
Dffenbarung der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit dar=
Melle. Eben dieß wird nun aber in Beziehung auf die Haupt-
Felle, auf welche Storr fich beruft +) (Rom. 3, 25. 26.), von
) A. a. O. ©. 553. f. vgl. ©. 571. f.
Baur, bie Lehre von der Verſöhnung. 39
546 I. Ber. IL. Abſchn. 3. Kap.
Theologen, welche fonft auf demfelben Standpunft mit Storr
ſtehen, geläugnet. Wenn in der genannten Stelle, wurde
bemerkt, fowohl nad ihrer ganzen Beichaffenheit, als nad
ber Meinung fo vieler unpartheiifcher Schriftausleger, die Ge
rechtigfeit Gottes fo viel fen, als feine Gnade gegen bie Sün-
der, oder der Erweis derfelben, die Begnadigung felbft (mie
1, 17. wo V. 18. Gottes Ungnade, oder ihre Folgen, fein
Strafen, jener Gerechtigkeit Gottes entgegengefegt werben),
wenn diefer Sinn wenigftend ebenfo gut hermeneutifch mög
lich jey, als derjenige, welchen man fonft fo häufig Dark
gefunden habe, fo Fönne fie feinen tüchtigen und überzeugen
den Beweis eined Satzes abgeben, welcher fonft nirgends ame
drüdlich in der Schrift vorfomme, des Sapes, daß Jen
zur Offenbarung der Strafgerechtigfeit Gottes geftorben fey,
oder um das fürchterlichfte Straferempel für die Menfchen za
ſeyn 9.
Die Storr'ſche Theorie hat, obgleich fie nur auf bibl⸗
fhem Grunde ruhen will, doch ganz die Geſtalt einer Die Rote
wendigfeit eines Verſoöhnungstodes aus apriorifchen Voraus
fegungen, insbefondere der Idee der göttlichen Heiligkeit und
©erechtigfeit, erweifenden Theorie. Kann Gott die Sünde
der Menfchen nicht vergeben, ohne wenigftend ein Strafe
empel zu flatuiren, oder das Anfehen der Straffanction auf
recht zu erhalten, fo Fann der Tod Jeſu nur aus dem &
fihtspunft einer nothwendigen Vermittlung betrachtet werde,
er ift abfolut nothmwendig, wenn auch nicht in Beziehung auf
das Wefen Gottes jelbft, Doch in Beziehung auf bie den Mar
hen gegenüber in Ihrer Unverleglichfeit zu erhaltende Aub
torität des göttlichen Geſetzes 2). Je weniger e8 aber über
1) Schwarze, über den Zod Sein ©. 141. f.
2) An Storr fchließt fich in der Idee des Straferempels be
fonders Reinhard an, welcher in feinen Borlefungen über
Die Dogmatif von Berger 1801. ©. 396. zwar als Haupt⸗
Döderlein, Morus. . 547
mpt in: dem Geifte jener Zeit Tag, fich auf den abfoluten
tandpunft zu ftellen, und die Wirklichkeit von ber Idee aus
. begreifen %), deſto gewöhnlicher wurde es bei dem Tode
fu, als einer Hiftorifch gegebenen Thatfache, ftehen zu blei⸗
n, an welche Gott vermöge feiner Liebe zu den Menfchen
e Gewißheit der Sündenvergebung geknüpft habe. Man
ollte daher nur das Faktum in feiner Zweckmäßigkeit nach⸗
eiſen, ohne aus apriorifchen Gründen demonftriren zu wol-
s, unter welcher Vorausſetzung allein Gott die Sünden ber
tenfchen habe vergeben können. In dieſem Sinme, in wel
em namentlich Döderlein *), Morus 3), Knapp *) den Zus
zweck voranftellt, daß durch Ehriftus die feterlichfie Verſi⸗
cherung von der Bereitwilligkeit Gottes, die Sünden zu vers
geben, oder eine unmwiderfprechliche Beftätigung der Lehre es
fu gegeben wurde, aber doch zugleich.den Tod Jeſu als ei«
nen fiellvertretenden betrachtet, fofern fich Jeſus ihm blos
deßwegen unterwarf, damit den Menfchen die Strafen ers
laſſen werden koͤnnten, die fie fonft felbft dulden müßten
(©. 400.), was nad ©. 407. nur den Sinn haben kann,
Sort habe die Helligkeit feiner Geſetze und Forderungen nicht
beffer verwahren Finnen, als durch das an Chriſto aufge
ſtellte Straferempel, und die Dadurch gegebene Verficherung,
daß die muthwilligen Nebertreter diefer Gefeße von den Stra,
fen deſſelben unausbleiblich würden betroffen werden.
4). Au Storr iſt hievon, feinem reinbiblifchen Standpunkte, zu⸗
folge weit entfernt, und wie er es in Hinficht der behaup⸗
teten Nothwendigkeit der Genugthuung für eine Vermeſſen⸗
heit des fchwachen Sterblichen erflärt, Der Gerechtigkeit des
Allerhöchfien Geſetze vorzufchreiben, und fich in die Regie:
rung des gBttlichen Staats zu miſchen (a. a. D. ©. 570.),
fo muß daflelbe auch von der Idee des Straferempels gel«
- ten, fo groß allerdings das Gewicht ift, das Storr auf fie
legt.
2) Döderlein, welcher in feiner Institutio theologi christiani
in capitibus religionis theoreticis, nostris temporibus ac-
35*
548 IL Ber. I. Abſchn. 3. Kap.
fammenhang bed Todes Jeſu und der Sündenvergebung bes
commodata, die ganze Lehre vom Tode Jeſu und von der
Verſöhnung unter das Lehrſtück de justificatione gefellt hat,
hebt zwar auch noch die Grotius'ſche Idee des Straferem-
pels hervor, Doch mehr nur in der erfien Ausgabe vom 9.
1781. als in den fpätern. In hoc ancipitt spei timorisque
conflictu, e quo sane emergere per se non potest pectu
humanum (fo ſchließt Däderlein Ed. I. Pars post. &. 900,
feine pſychologiſch moralifche Deduktion der Mealität einer
Verföhnungsanftalt) Deus subvenit, modumque auzilii sie
disposuit, ut et legum suarum majestati caverelur, ei &
.ppenarum metu ad certam felicitatis spem animus hu-
manus averteretur: quorum allerum poena peccaltorum
inflicta evemplogue severitatis proposito effectum es,
alterum admonitu de habitu passionum unius ad univer-
sum genus humanum. In den fpätern Ausgaben, namenb
: lich der fechsten von Junge beforgten vom J. 1797. wird
ftatt des Straferempels um fo mehr als Wirkung des Lebens
und Todes Jeſu hervorgehoben (©. 438. f.): intelligitur,
quanta virtutis dignitas sit, quantam commendationen
habeat voluntatis divinae ple exsequendae studium, quan-
tum obsequit, constantis ac absoluti, honorem_ deferd
Deus ad cultores suos. Das Anfehen der göttlichen Gefecht
erhelle nicht beffer, guam hoc exemplo virt, qui non
allam ob causam placuit Deo, quam propter obsequium,
ac qui adeo placuit ob puritatem animi vitaeque numi-
ni, ut cum semel videret, legibus suls apprime satisfac-
tum esse ab uno, hanc ob causam reliquis venlam se con-
cedere velle declararet. Die beziehe fich ſchon auf das
Sweite, das durch den Tod Jeſu erreicht werden follte: «
poenarum metu avertendos excitandosque ad spem feh-
ceitatis animos fuisse, wie ja überhaupt alle Anftalten st
tes den Zweck nostrae tranquillitatis et virtutis stabilien-
dae ac promovendae haben. Vgl. auch Döderlein’s Ehrifl.
Rel. Unterricht nach den Bebürfniffen unferer Zeit von Jun⸗
ge Th. XI. 1802. ©. 229.
3) Epitome theo). christ. Lips. 1789. ©. 140.: Non attinet,
Döberlein, Morus, Knapp. "549
mmten, wollte Sott durch den öffentlichen Tod Zefu, als ei⸗
in die Augen fallende, hiezu in pfochologifch moralifcher
Inficht fi ganz befonders eignende Thatfache, eine Beftäti-
ng feiner Verheißung, die öffentliche an eine finnliche Bes
benheit gefnüpfte Erklärung geben, daß er, nachdem Sefus
ıen fo vollfommenen Gehorfam im Thun und Leiden be
efen habe, den Sündern vergeben, und unter der Bedin⸗
ng ber Beflerung die Strafen der Sünde erlaffen wolle,
ven darauf hat im Allgemeinen auch Seiler, in feiner. ſpaͤ⸗
n Schrift, feine früher dargelegte Anficht zurüdgeführt.
aß Jeſus die Menfchen von den. Strafen der Sünde .bes
it, ihre Srlafiung dadurch möglich gemacht habe, daß er
demonstrare (a priori) Deum non posse condonare, nisi
quid (dv. c. exemplum poenae) intercessertt. Sufficit,
Deum instituisse sic, ut interveniente morte Christi, et
respectu ad hanc mortem promitteretur venla et accipe-
retur: nos aulem animadvertere (a posterlori) posse,
Deum hoc sapienter, benigne, sancte instituisse.
„) Nach Knapp a. a. D. Th. 2. ©. 288. ift nichts fofehr ger .
eignet, Zutrauen zu Gott, und Dankbarkeit und Eiche zu
ihm einzuflößen, und alle Surcht vor göttlichen Strafen zu
vertreiben, als der von Jeſu für Die Menfchen, die eigentlich
die Strafe hätten leiden ſollen, erduldete Tod. Es komme
alfo, bemerkt Knapp, alles daranf hinaus, daß Gott aus inniger
Liebe und Wohlwollen gegen die Menfchen dieß außerordentliche
Mittel gewählt habe. So fielle es die h. Schrift immer vor, und
fo koͤnne dieſe Lehre Feine nachtheilige Solge für die Mora» _
lität haben, Doch hebt auch Knapp als Zweck Gottes hervor,
an Jeſu zu zeigen, daß ihm die Stunde äußerfi mißfalle,
und daß er fie nicht ungeftraft laſſe. Das Anfehen feiner
zum Heile der Menfchen gegebenen Gelee habe nicht an:
ders, als durch Strafen aufrecht erhalten werden können,
- die auf Mebertretung gefest waren, und auch wirklich voll,
zogen wurden. Wie dieß jedoch an Jeſn geſchah und ge»
ſchehen Fonnte, wird nicht weiter entwidelt.
550 IL Ber. IL Abſchn. 3. Kay.
felbft als Strafwuͤrdiger und Sünder behandelt worden, wird
zwar von Seiler aufs neue verfichert, wenn aber zugleich bes
hauptet wird, daß die Auferfiehung Jeſu zur Erreichung des
. großen Endzwedd ber Sündenvergebung ebenfo nothwendiz
gemefen fey, als fein Tod, daß dieſe beiden Begebenheiten zus
fammen die Erlafjung der Strafen möglich gemacht haben,
fofern durch feine Auferfiehung die Wahrheit der Verheißung
beftätigt wurde, daß er fein Blut zur Vergebung der Suͤn⸗
den vergieße, fo ift Klar, daß das Hauptmoment des Tode
Jeſu nur in die Durch denfelben gegebene faktiſche Erklärung
gejetst werben kann *). Ueberzeugt man fi) von Der Unhalk
barkeit der Borftellungen, durch welche man den Zuſammen⸗
hang des Todes und der Sündenvergebung als einen weſent⸗
lichen und Innern beflimmen wollte, fo bleibt zulegt nicht
anderes übrig, als ihn für eine bloße äußere Erklärung def
fen zu halten, was, nady der ältern Anſicht durch ihn, ad Fi
das nothwendige und einzige Mittel, bewirkt worden feyn follte
Iſt aber ber Tod Jeſu eine faktiſche Erklärung und Manife
ftation der von Gott den Menfchen ertheilten Sündenverge
bung, fo wird er dadurch ganz unter denfelben Gefichtöpnft
geftelt, aus welchem überhaupt das Leben Jeſu als eine
göttliche Offenbarung zu betrachten ift, und es können babe
‚auch die Zwede des Todes nur aus feinem Zufammenhang
mit dem Leben Jeſu nachgewiefen werden. Dieß ift die An
fiht, welche befonderd Schwarze in der genannten Schrift,
wie fehon der Titel berfelben fagt, ausgeführt hat. Jeſus
1) Wiffenfchaftliche Strenge ift überhaupt kein Vorgug der Sei⸗
ler'ſchen Schriften, welche neben denen von Michaelis zu
den befonders charakteriftifchen Produkten jener feichten und
geiftlofen Periode der deutfchen Philofophie und Theologie
gehören, ganz befonders aber leidet Die oben gemeinte Schrift:
Die Fragen der zweifelnden Vernunft u.f. w. an allen Mün:
geln einer unwiſſenſchaftlichen Darfellung.
—
Ch. 9. Schwarze. 551
Rarb, um und In ein ſolches Verhältnig mit Gott zu verfe-
zen, daß wir bei aufrichtiger Befferung, wegen unferer Suͤnd⸗
baftigfeit keine befondern aufierordentlichen Strafen, feinen
Bünftigen elenden Zuftand fürchten dürfen, fondern kindliches
Zutrauen zu ihm, unb die Hoffnung der ewigen Seligfeit ha⸗
ben Fönnen. Für diefen Zweck wählte Gott, der Allweife und
Wgütige, den blutigen Tod feines Sohnes zum Mittel unfe-
tee Begnadbigung. Aber diefer Zwek kann durdy den Tod
eu nur dadurch erreicht werben, daß er bemfelben Beduͤrf⸗
Id entfpricht, welchem Gott überhaupt durch bie Sendung
Yefu entfprechen wollte, d, h. der Menfchheit die Belehrung,
Sefferung und Beruhigung gewährt, deren fie bedarf, wenn
{hr jetziger und Fünftiger Zuftand vollfommener, erfreulicher
und glüdlicher, und eben dadurch fowohl ihrer vernünftigen
Natur, als des Urheber derfelben würdiger werden fol.
Sehr natürlich dringt daher Schwarze befonders darauf, daß
bei einer richtigen Auffafiung des Todes Jeſu alles auf den
Willen und die ausdrückliche Erklärung und Verordnung Got»
les anfomme, wie er diefen Tod von und betrachtet und bes
nüßt wifien wolle, was er uns dadurch feierlich anfündige
und zufage, und zu welchen Hoffnungen er und Fraft befiel-
ben berechtige, woraud eben erhelle, daß ber Tod Sefu nie
bon feiner Lehre‘ getrennt werden dürfe, fofern nämlich nur
aus den eigenen Erklärungen Jeſu und der Apoftel die uner-
ſchuͤtterliche Weberzeugung entftehen könne, daß die freiwillige
und liebevolle Aufopferung Jeſu zum Beten des Menfchen-
geſchlechts nicht etwas blos Zufälliges in feinen Schiefalen,
fondern eine Hauptjache, ein wefentliches Stüd feines wohl⸗
thätigen Planes und Gefchäftes, gewefen fey 9).
1) Schwarze a. a. D. ©. 14.f. 160. 165. Der befondere Be-
weis, daß ber Tod Jeſu in Verbindung mit feiner Lehre
41. die Belchrung ven den wichtigfien Wahrheiten fehr er-
leichtert und befördert, 2. ein ſehr wirkſames Beruhigungs⸗
552 1. Ber. IL Abſchn. 8. Kap.
Wird der Tod Jeſu zwar als ein weientlicher Thell fer fee
ned Lebens, aber doch zugleich auch wieder als ein im Zu Ir
fammenhange ded Ganzen verfchwindended Moment bettads Ike
tet, jo verficht es fich von felbft, daß die alte Unterfcheidung f
eined.thuenden und leidenden Gehorſams ihre Bedeutung ver
Ioren hat. Die überhaupt auch bei den rechtglaubigen Then
Iogen des Zeitraums, von welchen hier die Rebe ift, ſich⸗ Mi
bare Öleichgültigfeit gegen die fombolifch-Firchliche Lehre, ſprich
fich befonders auch in diefem Punkte aus, in Anfehung de fi
fen man fi im beften Falle mit ber vagen Unbeftimmthet
der Milderungen begnügte, zu welchen Ernefti in Zolge de ii
Töllner’fhen Unterfuchung feine Zufluht genommen hatt
Auf diefe Weile, unter ausdrüdlicher Berufung auf Ernefi,
nahm fich befonders Seiler in feiner frühern Schrift der ab
ten Lehre an, und febte den Beftreitern derſelben die alk
Antwort entgegen, ‚ed haben zwei. Forderungen Der ‚göttlichen
Gerechtigkeit erfüllt werden müſſen, um bie Menfchen nid
blos von den Strafen der Sünde zu befreien, fondern aud ge Ki
recht zu machen. Chriftus fey nicht blos Menſch, fonden I}
auch Sohn Gottes, als Sohn Gottes aber fey er nicht ver
bunden gewefen, menfchliche Natur an fid) zu nehmen, un ||
ſich den Gefegen der Menfchheit überhaupt, und fogar de
befchwerlichen Gefegen der Sfraeliten zu unterwerfen: noch
weniger hätte man von diefer erhabenen Berfon erwarten job
len, daß fie fich in der mit ihr vereinigten Menſchheit fo vie
len Berfuchungen ausfegen würde. Da der Sohn: Gottes zu
allem dieſem nicht verbunden geweſen fey, fo habe er dieß nuran
mittel, und 3. ein Bellerungsmittel, und in diefer dreife
chen Beziehung ein mefentliches Stüc feines großen Plans
ift, macht den Hauptinhalt der zwar vorzüglichen, aber mehr
in der Weife einer Reinhard’fchen Predigt, als einer fireng
wiffenfchaftlichen Unterfuchung gefchriebenen Schrift aus
(©. 173—280.).
©. F. Seiler. 553
der Stelle der Menſchen thun Tönnen, in der mit ihm verei-
nigten menfchlichen Natur, die nur als das Inftrument zu
betrachten fey, durch welches der Sohn Gottes feinen Gehor-
ſam geleiftet habe 9. Mit diefem flellvertretenden Gehorfam
follte jedoch nur dieß gefagt feyn, daß wir wegen des vollkom⸗
menen Gehorſams Chrifti von Gott fo behandelt werden, ald
wären wir jelbft vollfommen gerecht. Wie ſchon dieß den
wahren und vollen Sinn ber Eirchlichen Lehre nicht ausdrüds
be, fo ſprach fih Seiler in feiner fpätern Schrift im beſtimm⸗
tern Begenfage gegen biefelbe dahin aus, ed werde nirgends
in der Schrift gelehrt, daß Sefu Heiligkeit und Gerechtigfeit,
Tugend und Frömmigkeit und moraliſch fo zugerechnet werden,
als wenn es unfere Tugenden wären, der Begriff der Zurech⸗
nung werde nur dann richtig genommen, wenn man eine mo=
raliſche und .thätige Zurechnung unterfcheide, und unter ber
legtern eine folche verfiehe, vermöge welcher ein Menſch um
der Tugenden und BVerdienfte eines andern willen mancher⸗
lei Wohlthaten empfange, fo daß der von einem Tugendhaf-
ten geleiftete Gehorſam ihm nicht allein unmittelbar, fondern
auch mittelbar durch Diejenigen Wohlthaten, die andere um
feinetwillen empfangen, vergolten werde ®). Daß fowohl bei
biefer legtern Beftimmung, als auch fchon jener erſtern die
Borausfegung der Nichtverbindlichkeit Chrifti nicht mehr nöthig
iſt, iſt far. Ohne dieſe Vorausſetzung wollte Daher Reinhard ®)
ber Tugend Ehrifti eine ftellvertretende Natur beilegen, fofern
®ott um dieſer in Chriſto vorhandenen Fertigkeiten willen Die
bei den Slaubigen befindlichen mangelhaften Sertigfeiten zu
gut halte und: belohne: da Gott die ganze Menfchheit Jeſu
sum Beften des menichlichen Gefchlechtd hervorgebracht habe,
fo könne er die Tugend derfelben, wenn fte gleich aus einer
1) Ueber den Berfühnungstod 3. Ehr. Th. 1. &. 340. f.
2) Die Tragen der zweifelnden Bernunf u. ſ. w. ©. 233. f.
3) A. a. O. S. 420.
N
554 11. Ber. IL Abſchn. 3. Kap.
natürlichen Schuldigkeit entiprungen fey, zu dem beſondem
Gebrauch der Beglüdung der Menichen nach Gefallen beſtim⸗
men. Bet diefer Wendung kann es nicht befremden, daB an
dere, wie Storr und Snapp *), fo nacdhdrüdlich- fie auch aw
erfannten, daß wir vermöge des Gehorſams Jefu, oder fra
der Ihm zuerfannten Belohnung fo behandelt werben, wie ii
wenn wir einen vollfommenen Gehorfam geleiftet, und ums
dadurch Diefer hohen Seligfeit fähig gemacht hätten, doch die
ganze Beftimmung eines den Menfchen zugerechneten ftellven
tretenden thuenden Gehorſams lieber fallen ließen, und bi
Unterfcheidung eined thuenden und leidenden Gehorſams nır
dadurch redhtfertigten, daß ed unter den Leiden am fchwer
ften gewefen fey, Gehorſam zu leiften, hier alfo eigentlich auf
feiner höchften Stufe der Gehorfam am thätigften habe fern
müfjen 2). Um fo mehr konnte man daher auch, wie immer
gewöhnlicher wurde, die ganze Unterfcheidung auf ſich berw
hen laffen.
Da, wie aus allem diefem erhellt, die Richtung der Jet
immer mehr dahin ging, von der Lehre von der Verföhnung
alles auszufchließen, was den Echein einer auf aprioriſch
Borausfegungen gebauten Theorie an fih trug, und nid
mit Haren Zeugnifien der heil. Schrift bewieſen werden Font
te, fo muß man es ganz natürlich finden, daß auch die von
Storr und andern, auf eine zum Theil an die tranfcendentn
Fdeen des Drigenes erinnernde Weife, hervorgehobene Bezie⸗
hung des Todes Jeſu auf das geſammte Geifterreich immer
1) A. a. O. ©. 294. wo zugleich bemerkt wird, Das ganze
Mißverſtändniß und der ganze Streit in diefer Lehre fen le
Diglich daher entfianden, daß man zwei Dinge getrennt habe,
die nicht getrennt werden Finnen. Alles, was Chriftus ge
than und gelitten habe zu unferm Beften, befomme dadurd
eigentlich feinen Werth, daß cr es aus Gehurfam gegen den
göttlichen Willen gethan habe.
2) Storr a. a. D. ©. 665. 669.
oo Ch A. Schwarze. 555
miger Beifall fand. Es fey nicht wahrfcheinlich, wurde be=
erkt, daß die über und erhabenen Glieder des Geifterreichs
ch des Todes Jeſu zur Verftärkfung ihrer Ueberzeuguug von
otte8 Gerechtigkeit und von den Folgen der Sünde bedurft
ben, und wir werden wohl thun, wenn wir und aud) hie⸗
| um das fo dunkle ©eifterreih nicht zu fehr befümmern,
; die Erklärung und Betrachtung ded zum Heile der Men»
en geichehenen Todes hiezu Feine nöthigende Beranlaffung
be 4). So. follte demnach auch Hierin der ganze theologis
ı) Schwarze a. a. D. ©. 147.f. TDiefelbe Frage betrifft der
theologifche Briefwechfel eines Laien über die Verführung
unfers Planeten und anderer Welten mit Bott durch Chris
ſtum. Leipz. 1782. Wie die Theologen diefer Periode die
mit derfelben Frage zufammenhängende Vorfiellung von der
Erlöfung, als einer Befreiung aus der Gewalt bes Teufels,
welche die Ältern proteftantifchen Theolsgen noch immer als
Nebenvorſtellung feftgehalten hatten, modifieirten, ift am bes
ſten aus der oben & 72. erwähnten, diefem Gegenftande
befonders gemwidmeten Abhandlung Döderlein’s zu erſehen,
deren Nefultat (vergl. ©. 155.) iſt: Nimis curlosi at-
que indignantis esse videtur, modum beneficti ubique velle
perscrutari. Possemus itaque commode et frui libera-
tione a potestate Diaboli et laudare Jesum, et qua ra-
tione nos liberarit, sine dispendio ignorare. Facile ta-
men e superiore disputatione colligi posse arbitror, obti-
gisse eam nobis maxime Evangelii, h. e. doctrinae atque
disciplinae christianae beneficio. Omnia certe commoda,
quae Christo debentur, e duobus velut fontibus derivan-
tur in homines, passione et doctrina. Atque passionis
mortisque virtus non penitus hoc loco excludi debet. Nam
cum a, peccato nos redemit, non potuit, quin a Diabolo,
. eul peccatores subjiciuntur, simul liberaret. Dein clu-
rum habemus Pauli testimonium Ebr. 2. Denique mor-
te novum regnum, contrarium diabolo, acquistvit et aus-
picatus est. Multo tamen magis doctrinae Christianae
Lam insigne beneficium debert esxistimo.
X
556 U. Ber. 1. Abſchn. 3 Kap.
fche Gefichtsfreis auf das rein Menfchliche befchränft werden
Dieß führt uns noch auf einen weitern Punft.
4. Eine Accommodation zu Zeitvorftelungen, ‘wie fie von
mehreren Theologen angenommen wurde, Tonnten Diejenigen
nicht für zuläßig halten, die für die in der heil. Schrift nie
bergelegte Lehre den ftrengeren Offenbarungsbegriff feſthieb F
ten. Es läßt fich daher voraus erwarten, Daß fie es ald ie FF
re Aufgabe betrachteten, die Hypotheje einer Accommodation f
wie fonft fo auch bier, befonders zu beftreiten *). So nativ
lich aber dieß ift, jo befremdend kann ed beim erften Anbild
erſcheinen, daß dieſelben Theologen zum Theil wenigſtens dog
wieder auf eine ganz verwandte Anſicht zurückkamen. Wem
auch Jeſus und die Apoftel ſich nicht zu Zeitvorftellungen ar
commodirt haben, fo follte dagegen nad) der Anficht man
cher die von Gott im Tode Jefu getroffene Veranftaltung nr
als eine Herablaffung und Anbeauemung Gottes zu der Dat f
weife der Menfchen aufgefaßt werden können, fomit bie ge T'
wöhnlich nur auf die Zeit Sefu und der Apoftel angewande
Accommodations-Tdee auf die Menſchheit im Ganzen ausge F
behnt werden. Man erinnerte an den allgemeinen Zwei,
welchen die Offenbarung, wie jede Erziehung, habe, den $%
higfeiten, Neigungen, Vorkenntniffen, überhaupt ben Bedürf
niffen derer, für die fie beftimmt ift, fo angemeffen als mög
lich zu feyn. Könne der Urheber aller Einficht und Weisheit
nicht hinter menfchlichen Pädagogen zurüdbleiben, fo müfle er
fi, ‚wie in der ganzen Offenbarung fo auch in der Veran⸗
ftaltung des Todes Sefu, zu feinen ſchwachen finnlichen Ge
ihöpfen herabgelaffen haben. Die Borftellungen von de
Nothwendigfeit und Kraft der Opfer feyen unter Juden und
Heiden fo allgemein verbreitet, und mit dem Bewußtſeyn der
Strafmwürdigfeit der Sünde und dem Glauben an bie Ber
jöhnlichkeit und Gnade der Gottheit gegen die Sünder fo eng
ı) Man vgl. hierüber befonders Etorr a. a. D. ©. 533. f.
Accommodationo⸗Idee. 557
verbunden geweien, daß bie göttliche Weisheit und Güte den
lebergang zu der Grundlage einer vollfommneren und geiſti⸗
jern Religion nicht beffer habe einleiten fönnen, als durch
Ne Beranftaltung ded größten, alled gut machenden und ewig
geltenden Opfers im Tode Jeſu. So habe der Jude und
beibe in der neuen Religion zwar etwas weit höheres und
Bichtigeres, aber doch demjenigen, was ihm in feiner bishes
igen Religion fo ehrwürbig und beruljigend geweien war,
huliches wiedergefunden, und fich gefreut, auf der einen
Bette von der Laft des Opferbienftes befreit zu werden, auf
er andern ein ‚göttliche Begnadigungämittel von ewig gel-
endem Werth zu erhalten, bei welchem feiner zu menfchlich
en Gott denfenden Vernunft Fein beunruhigender Zweifel
abe übrig bleiben köͤnnen. Das Storr'ſche Bedenken, daß
eine biblifche Stelle vorhanden fey, in welcher der Tod Jeſu
ur Bergebung der Sünden ald ein Werk der göttlichen Her⸗
Iblaffung dargeftellt werde, hob man durch die Bemerkung,
aß dafielbe Beduͤrfniß, das die göttliche Herablaffung noth⸗
vendig machte, eine- Aufklärung über ihre Beichaffenheit un-
nöglich gemacht, und felbft die Erleuchtung ber Apoſtel ihre
wibhwendigen Schranken gehabt habe. Wenn aber auch biefe
säterliche Erziehungsweisheit Gottes von der Durch Sefu Lehre
wfgeflärten Vernunft mehr und mehr erfannt werde, fo blei-
je. doch dieſelbe Vorftellung von der verjühnenden Kraft des
Eodes Jeſu immer bafjelbe fubieftive Bebürfniß der ſchwachen
Annlichen Menfchheit, da unfere Kenntniß von Gott überhaupt
mehr oder weniger anthropopathifch fey, und nur auf ana=
logiſchen Schlüfien beruhe, und da die ganze Sprache der
heil. Schrift fo befchaffen fey, Daß dadurch jene, zwar wohl
Ihätig wirkenden, aber doch nur menfclichen, Vorſtellungen
bon Gott unterhalten werden 2).
1) Ausgeführt wurde diefe Anficht befonders von Schwarze in
der genannten Schrift (man-vgl. ©. 165. f., 209. f.), zinges
558 11. Ber. U. Abfchn. 93. Kap.
Es knuͤpft ſich an dieſen letztern Punkt von ſelbſt an,
was hier überhaupt über den Zeitraum in der Geſchichte un
lenkt aber wurde zu ihr fchon feit Ernefii, und fie if ganz
bezeichhend für eine Zeit, in welcher der für die reinbife
rifche Auffaffung der biblifchen Urkunden erwachende und fid
bildende Sinn bei der farren Form des alten Offenbarungsglam
bens nicht mehr fiehen bleiben Fonnte, während man dad,
ungeachtet des Subjektiven, deflen man fich bei der Lehre
der heil. Schrift bewußt wurde, den göttlichen Inhalt ders
felben fich fo wenig als möglich beeinträchtigen laſſen wollte,
Beides gehört gleich wefentlich zum Eigenthümlichen der Ers
neſti'ſchen Schule. Erneſti ſelbſt hat die’Grundidee dieſer
Anſicht in den Vindiciae arbitrii divini in relig. constituenda
ausgefprochen: Sapientia divina rem Ita moderata est, ut
propagatio doctrinae Christi quam masxime cum natu-
ra rerum humanarum, fh. e. ingeniis humanis, tempori-
bus ac locis consentiret. Id effict poterat — st ipsa dee-
trina, quoad salva summa (essentia) ejus fiert pesset,
. accommodaretur temporibus illis, h. e. ingentis popalo-
rum sensibusque, ut inde nihil ei, aut quam minimum
impedimenti objiceretur (Op. theol. 1773. ©. 307.). Man vgl.
ferner Senff Verfuch über die Herablaffung Gottes in der chriß-
lichen Religion zu der Schwachheit der Menfchen Leipz. 1792.
und das Treue theol. Journal, herausg. von Hänlein und
Ammon II. 4. ©. 344. auch Junge in Döderlein’s Eprifl.
Rel. Untere. Th. XI. S. 260. f. Belonders aber verdient bier
noch Lang (zur Beförderung des nüglichen Gebrauchs dei
Zeller’fchen Wörterbuchs des N. T. Th. 3. ©. 232. f.) er⸗
‚wähnt zu werden, welcher über Diefelbe Anficht ſich
auf folgende Weiſe erklärte: „Der von Gott zugelaflen
Tod Chriſti wurde zu einem Opfer für die Sünden der Welt
beſtimmt, nicht als ob ohne dieß Opfer fchlechterbings Feine
Bott anftändige Sündenvergebung hätte fattfinden koͤnnen,
fondern weil Opfer für die Sünden, (es fey, daß ihr erfer
Urfprung menfchliche Erfindung oder Anordnung: der Ad
zur ſchwachen Sinnlichkeit der Menfchen herablafienden Got⸗
tes war) nun fchon einmal in der Welt waren, und bie der
Accommodations⸗Idee. 559
ſers Dogma's, von welchem hier zuletzt Die Rede war, noch
hinzuzufugen iſt. So wenig ed auch an einer Verſchiedenheit
und einem Gegenſatz der Anfichten fehlte, fo groß iſt gleich“
wohl, bei näherer Betrachtung, die Uebereinftimmung. “Die
ganze Zeit bewegte fih in dem Kreife der Accommodations⸗
Idee, nur mit dem Unterfchled, daß die eine den Kreis ders
felben enger, die andere weiter 309. Das Wahre der Ac⸗
commodations⸗Idee ift der zum Berwußtfeyn gefommene Un-
terfchied zwifchen Form und Inhalt, dad Unwahre berjelben
die für. notwendig gehaltene Nachgiebigfeit gegen eine Form,
die man doch nur als eine zufällige und fubjeftive, und eben-
darum unmahre erfennen muß. Indem man diefe Nachgie⸗
bigfeit gegen eine als unwahr erfannte Form nicht nur den
Interpreten der göttlihen Offenbarung, Jeſu und den Ayos
fteln zufchrieb, fondern auf Gott felbfl, als den Urheber der .
Offenbarung übertrug, zog man ebendadurd das objektiv
Göttliche in den niedrigen Kreis der menſchlichen Subjektivi⸗
tät herab, und ließ das Abfolute in dem Endlichen unterges
- ben. Der Grund hievon Fonnte nur in der Unfähigfeit lie⸗
gen, fich über die Sphäre der Subjeftivität zu erheben, und
Das Abfolute feinem wahrhaften Inhalte nach fich zum Bes
wußtjeyn zu bringen. Se mehr aber die Idee des Abfoluten
in ihrer Objektivität Dem Bewußtſeyn fich entzog, defto freies
ren Spielraum hatte die Subjeftivität, in ihrer überwiegen-
den Macht ſich geltend zu machen. Daß man zugleic) die
Borftelungen, die den Inhalt des religiöfen Bewußtfeyns bes
flimmten, felbft als eine blos fubjektive Form anerkannte, in
von ihrer Nothwendigkeit und Heiligkeit fich fo feſt gefegt
hatte, und weil dieſe Subflitution des Opfers des Todes
Chriſti für alle andere Dpfer nicht nur den Eigenfchaften
Gottes nicht widerfprach, fondern vielmehr auf das polls
kommenſte damit harmonirte, und der Denktungsart des da⸗
maligen Weltalterg entſprach, ohne gegen die Denkungsart
des nachfolgenden reifern und aufgeklärtern fchlechterdings
anzuſtoßen.“ Man vgl. dagegen Storr a. a. D. E. 552.
x
560 I. Ber. I. Abſchn. 3. Ray.
ihr aber eine nothiwendige Herablaffung Gottes zur menſchli⸗
chen Schwachhelt fah, beweist nur um fo klarer, wie wenig
man fi) aus den beengenden Schranfen feiner Subjektivität
herauszubemwmegen vermochte. Form und Inhalt, obwohl uns
terfchteben, fielen auf diefe Weife immer wieder in eine un
zertrennliche Einheit zufammen, weil das Subjekt, wenn ihm
nicht mit der Form auch der Inhalt verloren gehen follte,
von feiner fubjeftiven Form fich nicht trennen konnte. Wie
widerfnrechend die Annahme einer ſolchen Herablaffung Got⸗
tes iſt, muß gerade bei ber Lehre von der Verſöhnung am
meiften in die Augen fallen. Befteht das Wefen ber Bew
föhnung darin, daß der Menſch mit Gott fidy einigt, ſich
durch Gott, als das Allgemeine und Abfolute, in feinem gan⸗
zen Seyn und Wefen beftimmt werden läßt, aber ebendeßwe⸗
gen feine Subjektivität von fid, abthut, fo bezwedt Dagegen
jene Herablafjung gerade das -Entgegengefehte, Dem Subjdi.
feine Freiheit und fein Recht zu laſſen. Damit es feine na
türlichen Triebe und Neigungen, feine Bebürfniffe und Ir
tereffen nicht aufopfern muß, fol Gott felbft fich zu ihm ber
ablafien, und die menfchliche Subjeftivität foviel möglid in
ihrer gewohnten Sphäre fich fortbewegen laſſen. In Diele
Hinficht waren gewiß Diejenigen, welche, wie Storr, die Ac⸗
‚commodationd-Fdee in jeder Form verwarfen, hiezu vollkom⸗
men berechtigt, wenn aber diefelben Theologen eine Herablaf
fung Gottes in dem zuvor erwähnten Sinn hauptfächlich aus
bem Grunde verwarfen, weil feine biblifche Stelle vorhanden
ſey, in welcher eine foldye Abficht des Todes Jeſu angegeben
fey, und zugleich nichts dringender einzufchärfen wußten, als
daß ed. die größte Vermeffenheit des fchwachen fterblichen Ge
fhöpfes jey, über die Abfichten Gottes irgend etwas wiſſen
zu wollen *), fo festen Doch auch fie wieder nur auf einem
andern Wege die Subjeftivität in ihr volles Hecht ein. Sit
1) Storr a. a. O. ©. 570. f.
Accommodationg-Fdee 561
r Menfch ſo wenig im Stande, das an ſich Seyende, Wah-
‚, Allgemeine:zu erkennen, fo bleibt für ihn’ alles fubjektio
id willkuͤrlich, felbft wenn er in den Haren Zeugniffen der
4. Schrift die ficherften Kriterien ber objektiven Wahrheit
; haben glaubt! Blieben doch felbft auch Diejenigen, welche
oifchen Inhalt und Form, Objektivem und Subjeftivem, We⸗
ntlichem und Unmwefentlihem ftrenger zu unterfcheiden ſuch⸗
n, und das ihrem religiöfen Bewußtſeyn nicht Zufagende
3 eine Accommodation zu fremdartigen Zeitvorftellungen von
ch zurückwieſen, wenn auch auf andere Weife, in demfelben
standpunfte der Subjeftivität befangen, da nicht nur an fich
bon eine foldhe Scheidung etwas blos willfürliches war, fon«
een auch in ber Lehre von der Verfühnung nur den Zwed
atte, jede objektive Vermittlung hinwegzuräumen, bie die
öttliche Begnadigung von einer andern Bedingung abhängig
sachte, ald der Reue und Beflerung. In den Willen des
Subjefts alfo follte alles gefeßt werben, wodurch der Menſch
nit Gott verfühnt werden kann, und das Subiekt follte das
ver auch für fich felbft Die Macht haben, das Geſchehene un⸗
jeichehen zu machen. Die hiemit in engem Zufammenhang
tehende pelagianifche Vorausſetzung, daß der Menfch von Na⸗
kte.gut fey, und bei der Trefflichkeit der Anlagen des menſch⸗—
lichen Herzens, wovon jene Zeit fo vieles zu rühmen wußte,
bie Sünde Immer nur als ein durch ſich felbft verſchwinden⸗
des Moment anzufehen fey, hatte In dem ganzen Geifle jener
Zeit tiefe Wurzeln gefchlagen, und zieht ſich durch jene ganze
Periode der proteftantifchen Theologie hindurch. Wie Außer-
lich war das Bebürfniß der Erlöfung gedacht, wenn felbft
ber in der tiefern Auffaffung der Wahrheiten des chriftlichen
Slaubens unter den Theologen jener Zeit fofehr hervorragen⸗
de Storr der geiftlofen Hypothefe eines Michaelis 1) feinen
1) Ueber Sünde und Genugthbuung ©. 559. Storr a. a. D.
©. 649.
Baur, vie Lehre von der Verföhnung. 36
562 Dl. Ber. II. Abfchn. 3. Kap.
Beifall fchenken konnte, daB die befondere Beichaffenheit der
erften Berfündigung, oder das Eſſen von der verbotenen,
gleich einem Gift wirfenden, Frucht die fchlimme Difpofition
zu den unmäßigen und gewaltjamen Trieben, in weldye man
das Weſen der Erbfünde feste, verurfacht habe. Wird die
Sünde nur als eine, die an fich gefunde Natur des Menſchen
äußerlich afficirende, Krankheit gedacht, fo muß auch die Gna⸗
de. der Erlöfung dem Menfchen gleich äußerlich bleiben, und
es Tann fich daher felbft in der Theologie eines Store nicht
verbergen, wie wenig bie gottmenfchliche Perfon des Erloͤſers
als das abfolute Princip der Vermittlung des Menſchen mil
Sott aufgefaßt ift, und wie fehr dagegen die Die Wuͤrdigken
bed Menfchen bei weiten überfteigende Seligkeit doch imm
” wieder die Farbe eines äußern, zum wahren Wefen des &c
ſtes fi nur äußerlich verhaltenden Guts an ſich trägt, in
defien Genuß die vom Gluͤckſeligkeits⸗Ideal begeifterte Zeit ih
te liebfte Befriedigung fand ?).
1) Als ein charakterifiifches Merkmal jener, in ihrem überwie
genden Zuge zur Subjeftivität des Geſammtbewußtſeyns in
fo hohem Grade ermangelnden, Zeit ift auch die beinahe gam
allgemeine Sgnorirung des fombolifch kirchlichen Lehrbegrift
in den dogmatifchen Lehrbüchern anzufehen. Wie fedr fehlt
es fogar einem Storr an dem Intereſſe, ſelbſt bei ſolchen
Dognien, welche eine fo ausgebildete Firchliche Form erhal:
ten haben, wie das Satisfactionsdogma, auf die Firclice
£ehre auch nur in hiftorifcher Hinficht die gebührende Rück⸗
ficht zu nehmen! Es darf daher mit Recht das zum .Theil
fhon in der Kant’fchen Periode, noch befiimmter aber bald
nachher fich anfündigende Bedürfniß, von dem fombolifchen
Zehrbegriff wenigftens auszugehen, um an der Kritif deſſel⸗
ben den dem Fortfchritte der Zeit entiprechenden dogmati⸗
(hen Standpunkt zu gewinnen, unter die Kriterien einer
neuen Epoche der Theologie gerechnet werden.
DRITTE PERIODE.
Bon der Kant'ſchen Philoſophie
bis anf die nenefte Zeit.
r
i
J
.36*
Erftes Rapitel
Kant und die der Kant’fhen Philofophie folgenden
ZheologenZieftrunf, Süskind, Stäudlin, C. Eh. Flatt,
u.a. — Krug. — De Wette, Bretfohneider, Schott.
In dem zulegt gefchilderten Zeitraum ber Geſchichte un⸗
ſers Dogma's tft die Subjeftioität zu ihrem vollen Rechte ge
fommen. Die vorherrfchende Richtung ging dahin, die Ver-
föhnung des Menſchen mit Gott als die eigenfte Sache Des
Subjekts zu betrachten. Das Subjekt, der Menſch in feinem
Fürfichleyn, darf ſich verföhnt mit Gott wiſſen, fobald er nur
fi} entichließt, die Stunde zu bereuen. und fich zu beffern.
Und damit der Vorſatz der Beflerung feinen Zweck nicht ver
fehle, unmittelbar mit demfelben alles abgetban wäre, was
in Hinficht des Zwecks der Beflerung, der Glückſeligkeit, hem⸗
mend und ftörend in das Berhältnig Gottes und des Men-
ſchen eingreifen Fönnte, ift der höchſte abfefute Begriff, durch
welchen das Weſen Gottes beftimmt wird, feine abfolute Güte
und Liebe, zu welcher alfe andern Eigenſchaften Gottes in eis
nem untergeordneten Verhältniß ſtehen. Wie ed ‚der abjolu-
ten Güte nur um das Beſte der Menfchen zu thun feyn ‚Tann,
jo wird der höchſte Endzweck des Menfchen in eine Gluͤckſe⸗
ligkeit gefebt, durch deren -Ertheilung jeder Einzelne für fi
das für ihn ſubjektiv mögliche höchfte Maaß des Guten ges
nießt. Wenn man daher den eigenthümlichen Charakter ber
Periode, von welcher bisher die Rede war, in die Herrichaft
das Eudämonismus febt, fo iſt ebendadurch auch das an ihr
fo fichtbar hervortretende Uebergewicht der Subjeftivität be⸗
zeichnet, aber es erhellt fchon hieraus auch zugleich, wie Die
kritiſche Philofophie, indem fie dem berrfchenden Eudaͤmonis⸗
566 Il. Ber: 1. Kap.
mus entgegentrat, auch ber entfcheidende Wendepunkt des le ||
bergangs von der Subjeftivität zur Objeftivität wurde. Die
fer Uebergang kann zunächft immer nur dadurch gefchehen,
daß in ber Subjeftivirät felbft eine höhere geiftige Macht fid
entwidelt, welcher fi das Einzelne, als dem über ihm fie
henden Allgemeinen, Objeftiven, an ſich Seyenden unterord
‚nen muß. Es ift dieß die durch Kant mit aller Macht des fit
lichen Bewußtſeyns zur Anerkennung gebrachte abfolute Ge
feßgebung ber praftifchen Vernunft, in welcher das Eigen
thümliche ded Standpunkts der Kant’fchen Philoſophie ebenk I
. Har hervortritt, als auf der theoretifchen Seite Derfelben. Wk II
Kant den Dogmatidmud der alten Metaphyſik dadurch ve
nichtete, daß er vor allem das Verhältnig des Subjefte a |.
dem ihm gegenüberftehenden Objekt der Erfenntniß unterfuf
te, and auf diefem Eritifchen Wege das Subjeft zwar aus dm
tranfcendenten Regionen, in welche ed fich verirrt hatte, ım I'
feine fubjeftiven Vorftelungen für objektive Wahrheit zu hal
ten, auf ſich felbft zurücführte, und zum Haren Berwußtiem
feiner. fubjeftiven Befangenheit und Cinfeitigfeit brachte, abe
auch in dem Subjefte felbft die höchften formalen Geſetze dei
Denfend und Erfennens ald das jeder Erfahrung vorangehen⸗
de Apriorifche, ald das Allgemeine und Nothwendige, ode
Objektive, nachwies, fo ift auch das von Kant aufgeftellte höch⸗
fte Princip der praftifchen Vernunft ebenfo ſubjektiv, als ob:
jeftio, fubjektiv, fofern e8 ganz ber Sphäre des Selbſtbe⸗
wußtfeyns angehört, objektiv aber, fofern e8 in dem Bewußt
feyn des Einzelnen felbft als eine abjolute, unbedingt gebie
tende Macht, in welcher der freie Bille ı nur durch ſich ſelbſt
bedingt iſt, fich ankuͤndigt.
Wie hiedurch der Standpunkt der gantſchen Philoſophie
im Allgemeinen beſtimmt iſt, ſo ergibt ſich hieraus von ſelbſt die
Bedeutung, in welcher fie als ein neues Moment in den Ent⸗
widlungsgang unfered Dogma’s eingreift. Es verfolgt fe
nen ang, wie bisher, fo auch jetzt, vorzugsweife auf der fub-
Die Kant'ſche Bhilofophie, 867
jefttven Seite, aber nah Maßgabe der fittlichen Grundſaͤtze,
die als höchkte allgemeine Norm gelten. Die ganze große
Reform, durch welche Kant für die Sittenlehre ein neues
Princip ſchuf, mußte auf alle auf die Verföhnung des Men-
ſchen mit Bott ſich beziehenden Lehren Den entfcheidendften Einfluß
baben. Die Idee des Sittlidhguten trat nun als conftituti-
ves Princip an die Stelle der in fich felbft zerfallenden Gluͤck⸗
ſeligkeitslehre. Wie fehr hiedurch der ganze fittliche Geſichts⸗
punft verändert werden mußte, zeigte ſich zuerft bei der Fra-
ge-über die Möglichkeit der Sündenvergebung oder Strafen-
aufhebung. Iſt der Zweck der Strafe die Befferung des Men-
chen, und ebendeßwegen die Beſſerung felbft dad Mittel, dem
Menſchen die Gluͤckſeligkeit, deren er fähig ift, zu ertheilen,
fo verfteht ſich von felbft, daß die Strafe aufhört, fobald
bie Beflerung erfolgt ift, ganz anders aber geftaltet fich Die
Sache, wern der höchſte Endzweck des Menfchen in daß fitt-
lich Gute gefeht wird, und die Slüdfeligfeit nur infofern ale
:ein wefentlicyed Element ded höchften Guts gedacht werden
kann, fofern fie durch die fittlihe Wuͤrdigkeit bedingt iſt.
Hieraus folgt von felbft, daß, wenn auch der Menfch, fofern
er fich beffert, feine weitere Strafe, fondern vielmehr eine
feiner Beſſerung proportionirte Glückſeligkeit verdient, doch Die
Beflerung auf den ihr vorangehenden Zuſtand Feinen Einfluß
haben kann. Die früheren Verſchuldungen bleiben auch nad)
“erfolgter Befferung diefelben, und die Idee des höchften Guts,
der moralifche Endzweck der Welt, die Proportion der Glück⸗
feligfeit und Sittlichfeit, wird ebendadurch realifirt, daß Schuld
und Strafe im genaueften Berhältniß zu einander fiehen. So
nothwendig und unmittelbar dieſe Folgerung aus den Kants
fchen Principien der praftifchen Vernunft hervorgeht, fo ſchwan⸗
kend war gleichwohl die Anficht mehrerer der Kant’fchen Phi-
Lofophie folgenden Philofophen und Theologen über die Fra—
ge: ob Vergebung der Sünden, oder Strafen-Aufhebung, nad)
Kant'ſchen Principien möglich fey oder nicht? Während Die
4
568 III. Ber. 1. Kap.
ſtrengeren Anhänger derſelben die Erlaſſung von Schuld md
Strafe mit allen Begriffen einer zweckmäßigen ſittlichen Wek⸗
einrichtung und der göttlichen Gerechtigfeit für unvereinbar
erklärten 1), glaubten Dagegen andere einen folchen Zwieſpal #ı
zwifchen dem Chriftenthyum und der Kant'ſchen Philoſophie
nicht zugeben zu dürfen, und aus. den Principien derſelben
nicht blos die Möglichkeit, fondern fogar die praftifche Roth
wendigkeit der Erlaſſung der Strafen, unter der Bedingung Hi
“der Befferung, nachweifen zu fönnen. Cine Deduktion dieſer J
Art verfuchte namentlih 3. H. Tieftrunf in feiner bekannten J
Genfur des proteftantifchen Lehrbegriffs ?), indem er: diefed
Dogma unter diejenigen Säße rechnete, deren Realität bi
praftifche Vernunft ald nothiwendige Vorausfegung zur Raw
lifirung der Idee des moralifchen-Endzweds der Welt poſtu⸗
lire. Die Vernunft fey berechtigt, Gott zu allem demjenigen,
was der Menfch felbft nicht könne, und doch Die Möglichkeit
des moralifchen Endzwecks der Welt erfordere, als wirkende
Urfache zu denken. Ein folcher Fall finde ganz befonders bi
ben felbftverfchuldeten, obgleich fich befiernden Menfchen flatt.
Die yon dem Pflichtgefeb gebotene Heiligkeit Bleibe für und
1) Wie z. B. C. Chr. Erb. Schmidt, Verſuch einer Moralphir
Iofophie, Jena 1790. $. 390.: Belohnungen und Strafen las
fen fich fo wenig als Verdienſt und Schuld von einer Pers
fon auf eine andere moralifch übertragen, oder überhaupt
abändern, erlaffen, vorenthalten, erhöhen, man müßte denn
alle Begriffe von zweckmäßiger fittlicher Welteinrichtung und
von göttlicher Gerechtigkeit aufheben und verläugnen. Könnte
Gott die gerechte Strafe des fittlich Böfen erlaffen, fo Eönnte
er auch das Böfe erlaubt machen. Dann wäre aber fein
Geſetz kein moralifches, fondern ein willfürliches.
2) Cenſur des chriftlichen proteftantifchen Lehrbegriffs, nach den
Prineipien der Religiongkritif, mit befonderer Hinficht auf
die Lehrbücher von D. J. C. Döderlein und D. ©. F. N.
Morus. Drei Theile Berl. 1791-95. Zweite Aufl. 1796.
3.9. Tieftrunk. | 569
ſtets unerreihbar. Wenn auch Der Uebergang vom Böfen
zum Guten durch eine gänzlidhe Umwandlung bes innern
&rundes unferer Denkungsart gefchehen fey, fo laufen doch
mitten im Fleiße zu guten Werfen noch immer Selbftverfchuls
dungen ımter. Hiezu kommen bie vorigen, vor der Befferung
begangenen, Bergehungen, welche von uns nicht getilgt wer⸗
Den Finnen, da wir im ftrengften Gehorfam doch nie mehr
als unfere Schuldigfeit thun, folglich aus allen unfern noch
fo guten Handlungen nie etwas Weberverdienftliches zur Til⸗
gung der alten Schuld entipringen könne. Wir finden une
alfo nie in der vor einem heiligen Richter gültigen Gerechtig⸗
Beit, und doch müflen wir dieſe Gerechtigkeit durch Tilgung
unferer Schuld haben, wenn die Idee des moralifchen End«
zwecks der Welt realifirt werden fol. Denn, wenn die Suͤn⸗
ben ein unüberwindliches Hinderniß ber Seligfeit wären, und
an dem Schuldner dad gerechte Verdammungsurtheil wirf-
lich vollzogen würde, jo würde ber Zweck der Welt, welchem
zufolge alle Menfchen durch Heiligung zur Seligfeit gelan⸗
‚gen follen, an dem Schuldner verloren gehen. Stehe aber
biefer Zweck als praftifches Vernunftgebot feft, fo müffe er
auch durch Bedingungen, bie fich aus ihm felbft ergeben, als
möglich gedacht werben können, folglich um der Realifirung
der dee bes moralifchen Endzwecks willen eine Verfühnung
und Genugthuung möglic, feyn, wodurd der Mangel eiges
ner ©erechtigfeit vor einem heiligen Richter erfegt und Die
Schuld getilgt werde. Es bleibe uns alfo nichts übrig, als
der Glaube, daß die felbftftändige Weisheit aus ber Fülle
ihrer Heiligkeit dad ergänzen werde, was den Subjeften, ob
zwar durch eigene Schuld, an der erforderlichen Qualität zur
Seligkeit gebreche, der Glaube alfo, daß Gott fih in Hin-
ficht auf die Seldftverfchuldungen der Menfchen felbft genug:
thun werde, aber fo, daß er zwar gnädig gegen ung ſey, je
doch feine Gnade an die Bedingung binde, daß wir, fo viel
wir Fönnen, dem Gefebe der Heiligfeit gehorchen. Dieß fege
-
570 All. Ber. 1. Rap.
eine Correfpondenz der Güte, Heiligkeit und Gerechtigkeit &ot-
tes voraus, vermöge welcher er begnadige, und Doch gerecht
“ fey, heilig und doch) Sünden vergebe, eine durch die göttliche
Weisheit bewirkte Correfpondenz, welche flattfinden muͤſſe,
weil der Glaube daran aus dem apodiktifchen praftifchen Ge
fete hervorgehe, wenn gleich die Möglichkeit und Beſchaffen⸗
beit derfelben an fich ein undurchdringliches Geheimniß fey ').
Gegen diefe Deduftion ift mit Recht eingewendet wor⸗
den, daß, wenn auch der babei vorausgeſetzte Grundfag: bie
Vernunft fen berechtigt, Gott zu allem demjenigen, was der |
Menſch felbft nicht kann, was aber gleichwohl zur Möglid
feit des moralifchen Endzwecks der Welt erfordert wird, al
wirkende Urfache. zu denfen, nicht in Zweifel gezogen werde
fönne, Doch die Nothwendigkeit einer Erlafiung der Straf I,
keineswegs aus den Kant’fchen Principien folge. order
ber moraliſche Endzweck der Welt, daß jedes fittlich gute We
fen in der genaueften Proportion zu feiner Würdigfeit GIkd
feligfeit erlange, fo widerfpreche es der Forderung nicht, wen |
der Menfch, der von einem fittlich böfen Zuftande in den fr
lich guten erft überging, nur infofern als er fittlich gut Ic,
Antheil an Glüdfeligkeit erlange, und fofern er fittlich bil
‘war, ebenfo feinen proportionirten Antheil an Beftrafunge
empfange. Nur in dem Fall würde die. Bernunft berechtigt
feyn, von Gott zu erwarten, oder als praftifches Poftulat
anzunehmen, daß Gott das Unvermögen ded Menfchen er
gänzen und den Mangel der vollgültigen Gerechtigkeit erſe—
sen werde, wenn ed ein unverfchuldetes wäre, als ein folde
könne es aber nicht angefehen werden, da es ja ber Borauf
fegung nad) Selbftverfchuldungen feyen, die den Menichen an
der Seligfeit hindern. Indem man aber auf eine Deduftion
41) Tieftrunk Cenſ. des prot. Lehrb. Th. 2. S. 212. f. 223. f.
227.f. 279.f. 292 f. 321. 325. f. 358. 334. f. Wergl. Th. 3.
Vorr. S. LXV.f.
F. ©. Säöfind. 571
tothwendigfeit der Strafenaufhebung Verzicht leiften zu
n glaubte, wollte man doch wenigftens die Möglichkeit
ben deductren, oder fo viel darthun, daß ed dem moras
Endzweck der Welt nicht widerfpreche, wenn der Sün-
nter der Bedingung der Beſſerung von den verdienten
en loögefprochen, und von der göttlichen Güte zur Ges
: zugelaffen werde, damit, wenn etwa eine ald wirklich
ch erwieſene Offenbarung eine ſolche Strafenaufhebung
rifch lehrte, die Vernunft Feine Urfache hätte, dieſes
na zu bezweifeln. Die Realifirung des höchften Guts,
Beförderung der höchftmöglichen Sittlichfeit und Glück⸗
At, in der genaueften Harmonie, fen zwar, behauptete
der höchfte Endzweck, welchem, wie alles andere, fo auch
irkliche Vollziehung der Strafen untergeorbnet fey; wenn „
ber erweifen ließe, daß in ber moralifchen Welt, in’ wels
das höchfte Gut realifirt werden fol, daſſelbe vollftändi-
ealifirt, d. h. ein größered Maaß fittlicher Vollkommen⸗
and proportionirter Glückfeligkeit der vernünftigen Weſen
ı Aufhebung der Strafen unter der Bebingung der Beſ⸗
g, als durch wirkliche Vollziehung derfelben, auch an den
ſſerten, befördert werden würde, fo würde die Vernunft
ytigt ſeyn, Die Aufhebung der Strafen als ein praftifches
lat wirklich anzunehmen. Dogmatiſch lafje fih nun zwar
behaupten, daß der Zweck ber ftrafenden Gerechtigkeit
dem Endzweck des höchſten Guts wirklich‘ in Collifton
ne, aber ebenfo wenig Laffe fich beweifen, daß Strafenaufhes
unmöglich), d. b. mit dem moralifchen Endzwed der Welt im
erſpruch ſey, oder daß bei der Aufhebung der Strafen,
: der Bedingung der Beiferung, die Sittlichfeit und pro«
onirte Glüdjeligfeit der vernünftigen Weſen nicht in dem
iße, wie bei der Vollziehung derjelben, ftattfinden könne.
mehr laſſe es ſich doch als möglich denken, daß in einer
igen moralifchen Welt bei den wirklich ſchon Gebeſſerten
red Fortſchreiten in füitlicher Vollkommenheit, und folg-
. 972 IL Ber. 1. Kap.
lich auch in proportionirter Gluͤckſeligkeit wirkſamer durch an
genehme ald unangenehme Empfindungen, wirkſamer burk
eine von Strafen freie, ald mit Strafen vermifchte und be
ſchraͤnkte Gluͤckſeligkeit befördert werben könne %). Schon diek
Motivirung Farm deutlich genug zeigen, wie der Gedanke e—
ner folchen Deduktion nur in Folge eines Rüdfalls vom Kam
tifchen Standpunkt zum eubämoniftifchen entftehen konnte. #-
Sittlichkeit Das höchſte abfolute Gut, der höchſte abſolne
‚Zwed eines vernünftigen Wefend, fo Tann jedes Plus md
Minus der Glüdfeligfeit nur durch die Idee der Sittlichken
bedingt feyn. Schon aus diefem Grunde läßt fich die hier vor
ausgeſetzte Collifion gar nicht denken, und es erfcheint daha
ald eine ganz unftatthafte Behauptung, baß die Bernunf
zwar ohne Ausnahme den Unmoralifchen für ftrafiwürdig
Häre, hieraus aber nicht gefchloflen werben könne, Daß bei
Geſetz der wirklichen Beftrafung abfolut allgemeingültig ſch
Da fein Geſetz ohne feine Anwendung gedacht werben kam,
fo würde ein Geſetz, das zwar abftraft gedacht abfolut, ie
feiner conereten Anwendung aber nicht abfolut feyn fol, ebew
deßwegen auch an fich nicht abfolut fenn. Ebenſo wenig fam
man fich auf die Heiligkeit als ein höheres, über dem Geſeh
ber MWürdigfeit und dem Gefeß der Gerechtigkeit ftehendes,
Geſetz berufen, da die Idee der Heiligkeit nothwendig mit
der Idee der Sittlichkeit zufammenfällt, und daher auch die
drei Momente der Heiligkeit, Würbdigfeit und Gerechtigkeit
doch nur wieder die Sittlichfeit und Glüdfeligfeit in ihrer ge
naueften Broportion find. Läßt fi) Demnad, überhaupt fchen
1) Süsfind im Flatt'ſchen Magazin für hr. Dogm. und Me
ral St. 1. 1796. Ueber die Möglichkeit der Strafenaufbe
bung, oder der Gündenvergebung, nach Principien der prab
tifchen Vernunft S. 1 — 67. Vgl. St. 9. 1803. Mod) et
was über die moralifche Möglichkeit der Aufhebung verdien⸗
ter Sündenftrafen ©. 71-1%.
3. G. Suokind. 373
eine Colliſton zwiſchen dem Geſetz der Sittlichfeit an ſich und
ſeaner concreten Anwendung, wie hier vorausgeſetzt wird, nicht
vdenfen, fo läßt fich auch ebenfo wenig läugnen, daß durch
He Borausfegung, das höchſte Gut Fönne durch Erlaffung
der Strafen in höherem Grade realifirt werden, ald durch
"Dre Bollziehung, die Sittlichkeit der Glüdfeligfeit unterge-
wbnet wird, indem biefe Borausfegung nichts anderes in fich
begreift, ald die Behauptung, daß bei einem moralifchen Sub»
jekt die angenehmen Empfindungen, welche die Aufhebung
Der Strafen zur Folge hat, ein ſtärkeres Motiv der Sittlich«
Bett nicht blos wirklich fenen, fondern unbefchadet der Idee
Des höchften Guts ſeyn dürfen, als die Idee der Sitilichkeit
tbft, eine Behauptung, die mit den erſten Principien ber
Kant’fchen Sittenlchre in einen zu offenbaren Widerfpruch
Sommt, als daß hierüber ein weiterer Zweifel ftattfinden könn⸗
we. Wie Süskind, um die Möglichkeit der Strafenaufhebung
mit der von Kant in bie Proportion der Sittlichkeit und Glüd-
feligfeit gefeßten Idee des höchften Guts zu vereinigen, Die
Idee der Heiligkeit voranftellte, in der That aber die Idee
der Heiligkeit felbft wieder ber Idee der Gluͤckſeligkeit unter»
orbnete, fo machte Tieftrunf, um feine Deduftion der Noth⸗
wenbigfeit einleuchtender zu machen, einen gleichen Verſuch
mit der Idee der Liebe des Geſetzes. Das höchſte Ziel der
ſitilichen Vollkommenheit aller. vernünftigen Geſchöpfe fey die
Liebe des Geſetzes, das nie aufhöre, Ziel und Endzwed zu
feyn, wenn auch die endlichen Weſen denfelben oft aus den
Hugen verlieren. Die Lebe des Geſetzes aber beftehe in der
Einigfelt des Herzens mit demfelben und in der Erfenntnjß,
daß die Zufriedenheit mit ſich ſelbſt und feinem Dafeyn durch
die felbfithätige Befolgung des Geſetzes bedingt fey. Liebe
des Geſetzes aber fey nicht möglich, wenn feine WVerzeihung
vor demfelben möglich fey, da durch die Sünde ein Unfriede
zwiſchen dem Gefeb und dem Subjekt entftanden ſey, welcher
nicht feyn fol, und daher wieder aufgehoben werden müfle.
574 HL Ber. 1. Say.
Soll alfo die Liebe des Geſetzes das Ziel ber moraliſchen Voll⸗
fommenheit aller Bernunftweien feyn, mithin auch der Ge⸗
fallenen und Abtrünnigen, fo jey fie nur möglich, wenn das
Geſetz dem reuigen Sünder 'verzeihe, folglich fen die Verge⸗
bung der Sünden ein Poftulat der praftifchen Vernunft ').
Mit Recht muß_bei diefer neuen Wendung der Tieftrunf'fchen
Deduktion ſchon die dem kalten Rigorismus des kategoriſchen
Imperativs ſubſtituirte Liebe des Geſetzes Bedenken erregen.
Doch ſoll dieſelbe nur von der Heiligkeit des Geſetzes verſtan⸗
den werden 2), und der Hauptgedanke demnach eigentlich die⸗
fer feyn: Wenn durch das Bewußtſeyn der Strafwürdigfelt,
oder den Unfrieden des Menichen mit dem Geſetz, feine Ber-
werflichkeit und Berdammlichkeit vor demſelben, der Zweck bed
Geſetzes, feine Heiligkeit, nicht aufgehoben werden fol, fo muͤſſe
eine Vergebung. vor demfelben ftattfinden, worüber, da fie '
nur aus dem Geſetz felbft ergehe, das Geſetz fich ſelbſt ge
nugthun müfje Worin jedoch diefe Vergebung und Genug
thuung beftehen fol, wird nicht gefagt. Sehen wir davon
ab, daß ohnedieß vom Kant'ſchen Standpunkt aus fich nicht
denfen läßt, wie das vom Geſetz ausgeſprochene Strafurtheil
die Heiligkeit des Geſetzes aufheben fol, jo kann offenbar mit
1) Stäudlin, Beiträge zur Philofophie und Gefchichte ber Re
ligion und GSittenlehre. 3ter Bd. 1797. SR die Sündenvei⸗
gebung ein Poftulat der praftifchen Vernunft? Beantwortet
von J. 9. Tieftrunk. ©. 1ı2.f. Man vgl. bef. ©. 155.1.
Tieftrunk beftreitet Die erfie der genannten beiden Süskind⸗
fchen Abhandlungen, deren zweite fodann die erfiere gegen
die Ziefteunffchen Einwendungen zu rechtfertigen fucht.
- 2) Tieftrunk bemerkt ausdrüdlich a. a. D. ©. 186. f.: Er fol⸗
gere die Nothwendigkeit der Verföhnung nicht aus dem Po⸗
fiulat, daß die Glückfeligfeit der Sittlichkeit proportional
fenn foll, woraus die Sündenvergebung nicht gefolgert wer
den Ednne, fondern nur daraus, daß der Zweck der Heilig
keit unbedingt und immer berfelbe fen.
Die Rant’fche Theorie 575
allem diefem nur fo viel gefagt fenn: dad Geſetz dürfe nicht
blos ein einfeitig verwerfendes und verdammendes, fondern es
müfle auf der andern Seite auch ein billigendes und beloh»
nendes feyn. Da das erftere, wie fich von- felbft. verfteht,
nur im Falle der Uebertretunig des Geſetzes, Das Teßtere nur
im Falle der Webereinftimmung des Menfchen mit dem Ger
feße flattfinden kann, fo geht aus diefer ganzen Deduftion
‚nichts hervor, was nicht von felbf in ber Idee bes Geſetzes
enthalten iſt, und es iſt daher auch nicht einzuſehen, wie die
Möglichkeit, daß aus einem und demſelben Geſetz Verwer⸗
fung und Gnade ergehe, als etwas ſchlechthin unbegreifliches
dargeſtellt, und auf die praktiſche Nothwendigkeit der aus
dem Geſetze ergehenden Gnade und Vergebung ſo großes
Gewicht gelegt werden kann. Was ſedoch dabei vorſchweben
mochte, iſt die Idee, daß ſolange der Menſch noch dem ab⸗
ſoluten kategoriſchen Imperativ gegenüberſtehe, an eine inne⸗
re und lebendige Einheit mit Gott und eine wahrhafte Ver⸗
ſöhnung nicht gedacht werden Tann. Allein dieſe an ſich ganz
wahre, aber auch den Kant’fchen Standpunft überfchreitende
Idee iſt hier noch nicht zum Flaren Bewußtfeyn gekommen.
. Ein fo vages und unbeftimmted Hin= und Herreden über
Nothwendigkeit und Möglichkeit der Strafenaufhebung, oder
Sündenvergebung, hätte wenigftens nad) Erfcheinung der Kant⸗
ſchen Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft *)
für überflüßig gehalten werden follen. Kant ſelbſt fchlug in
diefer auch für die Gefchichte unfers Dogma’s merfwürdigen
Schrift einen ganz andern Weg ein. So wenig es ihm um
einen der Eirchlichen Lehre fo viel möglich entfprechenden Ber
griff der Sündenvergebung zu thun war, fo fehr flimmte.er
doch mit ihr in dem ernften Beftreben zufammen, das Beduͤrf⸗
niß einer Wiederherftellung und Verföhnung in feiner. ganzen
Tiefe aufzufaflen. Darauf bezieht fich die Kant’fche Lehre vom
1) Sie erichien zuerſt im %. 1793.
576 IL Ber. 1. Kap.
radifalen Böfen, das nach Kant nicht blos in der Sinnlidy
feit, fondern in der Unterordnung des Sittengefeged unter
die Sinnlichkeit befteht, und rabifal.genannt wird, weil es,
obgleich es feinen legten Grund nur in einem Afte der Frei⸗
heit haben Tann, Doch jedem in ber Erfahrung gegebenen Ge
brauch der Freiheit vorangeht, und als Ein natürlicher Hang
in dem Menfchen eingewurzelt ift, welcher die Wurzel. aller
befondern böfen Diarimen und Handlungen, den oberften: fub⸗
jeftiven Grund aller Marimen, felbft verdirbt. Obgleich es
aber al® natürlicher Hang durch menfchliche Kräfte nicht zu
vertilgen ift, fofern Die guien Marimen, durch welche e8 als
lein gefchehen könnte, als radikal verberbt vorausgefeht wer
den müflen, fo muß gleichwohl als möglich angenommen wer
den, daß es zu: überwiegen ift, weil es in dem Menfchen ald
frei bandelndem Weſen angetroffen wird. Schon hierin if
die ©rundidee der Kant’fchen VBerfühnungslehre und das fubs
- jektive- Princip derſelben, der Grundſatz, daß, was der Menſch
im moralifchen Sinne ift oder werben foll,: gut oder böfe, et
dazu fich felbft, durch eine That feiner Freiheit, machen muß,
Har ausgefprochen. Wie in dem von Natur böfen Menschen
das Böfe immer nur ald ein erft gewordenes gedacht werben
ann, die urfprängliche Anlage ald eine Anlage zum Guten,
der Menſch alfo an fi) gut vorausgefeht werden muß, fo
fann auch die Möglichkeit des MWiedcraufftehend vom Böſen
zum Guten nicht in Zweifel gezogen werden. Dein abfolu-
ten Sollen, das ungeachtet jenes Abfalls, ald fittlicheS Gebet
ungeſchwächt in der Seele des Menſchen erichallt, muß das
abjolute Können entfprechen. Es muß daher auch in bem
gefallenen Menfchen ein unverdorbener unvertilgter Keim bed
Guten als zurüdgeblieben vorausgejegt werden. Da die Adi
tung für das wmoralifche Geſetz nie :werloren gehen Tann, fo
darf die in ihr beftehende Triebfeder zum Guten nicht erft er
worben, fondern nur in ihrer Reinigfeit als oberfter Grund
aller unferer Marimen wiederhergeftellt werden, aber demun-
—
Die Kant'ſche Theorie, 577
geachtet kann diefe Wiederherftellung der urfprünglichen Ans
lage zum Guten in und nur al8 eine Art von Wiedergeburt,
als eine neue Schöpfung, eine Aenderung des Herzens, ges. -
dacht werden, da, folange die Grundlage der Marimen unse
lauter bleibt, das moralifch Gute nicht durch eine allmälige
Reform, fondern nur durch eine Revolution in ber Geſinnung
des Menfchen, durch einen Uebergang zur Marime der Hei⸗
ligfeit derfelben, durch eine Umwandlung der Denfungsart,
bewirkt werden kann. Sft aber einmal der Menfch dem Prin⸗
eip und der Denfungsart nad) ein für das Gute empfängli«.
ches Subjekt, fo ift er für den, der den intelligibeln Grund
des Herzens, aller Marimen der Willkür, durchſchaut, für:
welchen alfo die Unendlichkeit des Fortfchritts Einheit if, für:
Gott foviel, als wirklich ein guter ihm gefälliger Menſch. So
wenig ſich alfo auch begreifen läßt, wie ber Menſch, bei ſei⸗
ner angebornen VBerderbtheit für alle Gute, Die urfprüngliche
fittliche Ordnung unter den Zriebfedern, und hiemit Die An⸗
lage zum Guten in feinem Herzen, in ihrer Neinigfeit durch
eigene Kraftanwendung wiederherftellen kann, fo fchließt Doch
die Rothwendigfeit diefer Umwandlung auch ihre Möglichkeit,
in fih. Der Menfch Tann durch fich felbft wiederhergeftellt,.
oder mit dem abfoluten Sittengefeß, und fofern Gott mit dem⸗
felben Eins tft, mit Gott felbft verföhnt werben. Das Prin⸗
cip diefer Verfühnungstheorie ift daher durchaus nur Die fill _
liche Freiheit. Ebendeßwegen fällt fie auch fofehr der mora⸗
liſchen oder fubjektiven Seite zu,. daß felbft ihre Beziehung
auf die Idee Gottes etwas fehr unweſentliches if. Ihre Ob»
jeftivität ift nur Die Objektivität des abfoluten Sittengeſetzes.
Gleichwohl aber läßt Kant die beiden Momente,. in deren
Sphäre fich feine Theorie bewegt, den Abfall und die Wie⸗
derherftellung, oder das böfe und gute Princip des Menfchen,
auf eine Weife mit einander vermittelt werden, Durdy welche
feine Theorie einen mehr objektiven oder religiöfen Charafter
erhält. Wird der Menfch dadurch wieberhergeftellt, DaB ver⸗
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 37
378 HL Ber. 1. Kap.
möge feiner moralifchen Freiheit das abfolute Eittengefeh zur
oberfien Marime in ihm erhoben wird, fo iſt dieß ber rein
moralifche Ausdrud für die Idee der Verſöhnung. An die
Stelle des blos moralifchen Begriffs feht nun aber Kant im
der perfonificirten Idee des guten Princips die religiöfe Idee
des Sohnes Gottes. In dieſer Hinficht iſt das eigentliche
Prineip der Verföhnung nad) Kant nicht die fittliche Sreihelt,
oder das durch fie in dem Menfchen berrfchend gewordene
gute Princip, fondern der Sohn Gottes, deflen Idee Kam
auf folgende Weife entwidelt: Das die Herrichaft über deu
Menſchen gewinnende gute -Princip, fofern ed perfonifidkt
wird, iſt die Menichheit in ihrer abfoluten moralifchen Bob fi
fommenheit, das Urbild der fittlichen Gefinnung in ihrer gaw
zen Zauterfeit, der allein Gott wohlgefällige Menfch, ber von
Ewigkeit ift, und um deſſen willen alles gemacht if. Di k
wir nicht begreifen, wie die menfchliche Natur für dieſes Ur
bild auch nur habe empfänglich feyn können, Tann man &
gen, ed fen vom Himmel zu uns herabgefommen, und bak
die Menfchheit angenommen. Als Speal, wie ed gedacht wer
den muß, Tönnen wir e8 und nur unter der Idee eines Ma
ſchen denken, der nicht nur alle Pflichten felbft ausübt, um
durch Lehre und Beifptel das Gute im größten Umfang aus fi
breitet, fondern auch alle Leiden bis zum fcehmählichften Io
um des Weltbeften willen übernimmt. Diefe Sdee nun hal
ihre objektive Realität vollftändig in fich felbft, da fe in m
ferer moraliſch gefeßgebenden Vernunft Liegt: wir follen ih
gemäß feyn, und müffen e8 daher auch können. Aber gled
wohl ftellen fi ihr, wie Kant fagt, nody mehrere Schwie
tigfeiten entgegen, oder fie muß erft Durch gewiße. Moment
für das fittlich ‚religiöfe Bewußtſeyn des Menfchen vermittdt
werben, und zwar 1. in Beziehung auf bie Heiligkeit des
Geſetzgebers bei dem Mangel unferer eigenen Gerechtigfät. |
Sehen wir auf die That in und, auf die Angemefjenheit m |
ſers Lebenswandeld zur Heiligkeit des Gefepes, fo bleiben
Die Kant'ſche Theorie. 579
wir immer von dem ©uten, das in ung realifirt werben fol,
unendlich weit entfernt, ‘aber wir können uns den Kortfchritt .
ind Unendliche zur Angemefjenheit mit dem Gefeb wegen der
überfinnlichen Sefinnung, daraus er abgeleitet wird, von ei-
nem Herzendkündiger in feiner reinen Intellektuellen Anſchauung
als ein vollendetes Ganze auch der That nach beurtheilt den⸗
fen... 2. Eine andere Schwierigkeit betrifft die moraliiche Glück⸗
ſeligkeit, fofern fie von der Beharrlichkeit einer im Guten im⸗
mer fortrürfenden, nie daraus. fallenden Gefinnung abhängt,
im: weldyer Beziehung nur dieß feftzuhalten ift, daß die gute
und lautere Oefinnung, deren man ſich bewußt ift, der uns
regierende gute Geift, auch das Vertrauen auf ihre Beharr-
lichkeit und Seftigfeit, obzwar nur mittelbar, bei fi führt,
und ber Tröfter (Baraflet) if, wenn und unfere Fehltritte
wegen:ihrer Beharrlichkeit beforgt machen. 3. Die wichtigfte
Schwierigkeit bezieht fih auf die Idee der göttlichen Gerech⸗
ugkeit. Der Menjch fing immer vom Böfen an, wenn er
alfo auch keine neuen Schulden macht, fo bat er doch immer
noch nicht bejahlie alte. Dieſe urfprünglihe Schuld, das ra-
Difale Böfe, iſt die allerperfönlichfte, und da nun das fittlich
Böſe, als ein Böfed der Gefinnung, eine unendliche Schuld
bei ſich führt, jo würde jeder Menfch einer unendlichen Strafe
und der Verſtoßung aus dem Neiche Gottes ſich zu gewärti«
gen haben. DieAuflöfung liegt nun Darin, Daß in der mo»
ralifchen Sinnesänderung ſchon ihrem Begriff nad) diejenigen
Uebel als enthalten gedacht werden fünnen, bie der neue gut»
gefinnte Menſch, ald vor ihm verfchuldete, und als folche
Strafen anfehen kann, wodurd der göttlichen Gerechtigkeit
Genüge gefchieht. Die Sinnedänderung it das Ablegen des
alten, und dad Anziehen des neuen Menfchen, ein ungetrenn⸗
ter moralifcher Aft, weil die Verlaffung des Böfen nur Durch
Die den Eingang ins Gute bewirkende, ‚gute Sefinnung mög-
lich il, Der Ausgang aus der verderbten Gefinnung in Die
gute iſt an fi) ſchon Aufopferung und Antretung einer lan-
37 *
582 I. Ber. 1. Kap.
gelangen kann. Die Umänderung ded Menfchen zum Guten,
feine Wiedergeburt, kann zwar nur Durch das in ihm zur Herr
haft gelangende gute Princip bewirkt werben, fobald es aber
in feiner conereten Erſcheinung und Wirklichkeit, als bie die
ganze Geſinnungs⸗ und Handlungsweile des Menſchen be
flimmende fittlihe Macht gedacht werden fol, wirb es zu ei⸗
nem Ideal, von welchem fich der Einzelne ſtets durch eine
weite Kluft getrennt fieht. Daher bleibt das Princip der Ber
föhnung und Redjifertigung immer nur der, ungeachtet aller
Mangelhaftigfeit der That, an’ fich gute Grund ber Gefinnmg.
Dieß ift daher auch ald die Hauptidee der Kant'ſchen Ber I
föhnungstheorie zu betrachten. Die meiften Beurtheiler haben
jevoh das Hauptmoment derjelben in der WBorftellung be
Subftitution gefunden, welche nad) Kant bei dem ſich befferw
ben Sünder ftattfindet, fofern ber neue Menſch ber göttliche
Gerechtigkeit dadurch genugthut; daß er die von dem alte Ii
Menfchen verfchuldete Strafe leidet. Bon diefer Seite wurk
daher die Kant'ſche Hypothefe, wie man die Kant’fche The fi
rie überhaupt bezeichnete, hauptfächlich angegriffen. Sie ſq
fhon darum, wurde gegen fle eingemwendet, unzuläßig, wei
fi) auf eine ganz Eonfequente Weife gerade das Gegenthil |:
von demjenigen, was Kant Dabei beabfichtigt habe, Daran
folgern laſſe. Denn, wenn alle Leiden und Uebel des Lebens
überhaupt als Strafen der verderbten Sefinnung oder Mt
Berfchuldungen der Menfchen follen angefehen werden kömen,
fo könne ja der Menſch, auch wenn er fich nicht beſſere, fid
um der ihn treffenden Leiden willen, als einen foldyen anle
hen, der die Strafen ſchon erduldet habe, folglich fie nik |
mehr erft in der Zufumft fürchten dürfe, fondern von denſel⸗
ben frei fen. Es fey nicht abzufehen, inwiefern die Herzen‘
änderung den Leiden des Lebens erft die Form von Strafen
geben, oder die Wirfung haben fol, daß fie als Strafen
angefehen werden fünnen, wenn fie nicht an fich ſchon ale
foldye gelten können, können fie aber an fid) ſchon Dafür gel
Die Kant'ſche Thevrie. 583
ten, fo Eönne ja auch der Ungebeflerte fle dafür anfehen *).
Darauf wurde jedoch mit Recht erwiedert, daß, wenn. auch)
ber. Richtgebefierte allerdings die ihn treffenden Leiden als
Strafe anfehen könne, er doch feine Rechtfertigung nicht dar⸗
auf gründen Tönne, ebendeßwegen weil er ſich nicht befiere.
Die Frage fen nicht blos, ob der Menfch die Uebel als Stra-
fen‘ zu betrachten babe, fondern, wenn und unter welcher Be⸗
bingung er die Erbuldung derfelben auch als etwas Verbienft-
liches betrachten könne, und dieß könne er nur in der Qua-
Btät eines Sebefferten 2). Aber auch bie ber Kant’fchen Theo-
sie zu. Grunde liegende Hauptidee felbft, daß bie Leiden bed
Lebens, als eine Strafe ber ‚Sünde anzufehen feyen, wurbe
in Anſpruch genommen. Es laſſe ſich nicht. beweiſen, daß
‚ohne Sünden Feine Leiden ftattfinden wuͤrden, fobald "man
aber zugebe, daß der Gebeſſerte nicht alle Leiden, bie ihn tref⸗
fen, als Strafen feiner vorigen Berfchuldungen ſich zuzurech⸗
nen habe, fo müfle man auch zugeben, daß er ed in Hinficht
eines großen Theils derfelben unentfchieden laſſen müfje, ob
fe Strafen oder blos Beförderungsmittel feiner Tugend für
ihn feyn follen. Um fo weniger könne daher angenommen
werden, daß dad Maaß von Leiden, das ein Gebeflerter zu
erbulden habe, gerade immer in gleichen Verhältniß mit ber
Beichaffenheit feines vor der Befferung geführten Lebenswan⸗
dels ſtehe °). Einwendungen biefer Art Fönnen zeigen, wie
4) Bel. Süskind a. a. D. in der erſtern der genannten beiden
Abhandlungen ©. 20. f.
3) Zieftrunt in Stäudlins Beiträgen a. a. D. S. 180.
3) Vgl. Store, Bemerkungen über Kants philofophifche Reli⸗
gionslehre, Tüb. 1794. ©. 15. Süskind a. a. D. ©. 20.
C. Chr. Slate, Philofophifchseregetifche Unterfuchungen über
Die Lehre von der Verſoͤhnung der Menfchen mit Gott, als
ein neuer Beitrag zur endlichen Entfcheidung der dogmati⸗
fhen Streitfragen, welche fich auf diefe Lehre beziehen,
Sätt. 1797. 1. Th. ©. 116. f.
584 ill. Ber. 1. Kap.
felbft diejenigen, die fi) mit dem Standpunft der Kant'ſchen
Philoſophie zu befreunden wußten, doch zugleich noch an ber
alten Straftheorie hingen, welcher zufolge es wefentlich zum
Begriff der Strafe gehört, daß mit jeder einzelnen Sünde .
auch ein :beftimmted Quantum äußerer pofitiver Uebel verbun⸗
den if. Die Kant'ſche Theorie ift hinlänglich begründet, wos
fern nur. überhaupt der Zufammenhalig der Uebel des Lebens
mit der Sünde nicht geläugnet wird. Wie follte aber biefer
Zufammenhang geläugnet werden können, wenn body, wie
die Sünde in ihrem ganzen Zufammenbang nur als die d%
ſammtthat ded menschlichen Geſchlechts aufgefaßt werden fam, I:
fo auch das Uebel in feiner Abhängigkeit von der Sünde mi
gleiche Weile nur ald die Geſammtſchuld des Geſchlechts u ſ
betrachten iſt? Und wer ift fich dieſes Zuſammenhangs de
Sünde. und des Uebels lebendiger bewußt, ſomit auch von Wi
dem Gefühle feiner Strafwürdigfeit tiefer dDurchdrungen, au
eben der fich Beflernde, wenn doch felbft die wahre Ertemb Ki
niß.der Sünde, ohne welche man auch feines Strafverhäl 1
niſſes ſich nicht bewußt wird, erft Durch die Beſſerung entſe Fi
ben Tann ? F
Wie man ſich aber auch die Sache vermittelt denke
mochte, mochte man die Idee des ſtellvertretenden Leidens für
einen wefentlichen Beftandtheil der Kant'ſchen Theorie, oder
nur für eine verfinnlichende Nebenvorftelung halten, als bie
wejentlichen ſich gegenfeitig ergänzenden Clemente der Kank
fhen Theorie find unftreitig die beiden Sätze zu betraditen:
1) Eine eigentliche Aufhebung der Strafen in demjenigen Sin
ne, welchen man gewöhnlich mit dem Begriffe der Sünden
Vergebung zu verbinden pflegt, ift undenkbar, Da fie den
Principien der praftifchen Vernunft wibderftreitet, gleichwohl
aber darf ſich 2) der fish beſſernde Menfc feiner Verſöhnung
mit Gott und feiner Rechtfertigung bewußt feyn, Dieſe Sätze
bielten daher die Tiheologen feft, welche in der Lehre von ber
Verſöhnung zwar von den PBrincipien der Kant’fchen Philo:
⸗
Die Kant'ſchen Theologen. 585
fophie. ausgingen, aber die Kant'ſche Theorie in der ihr von
Kant felbft gegebenen Form nicht fehr -einleuchtend finden
tonnten. Um fo mehr fuchten fie genauer zu beftimmen: und
zu entwideln,' wie der zweite jener beiden Sätze mit dem er-
Ben zufammenbeftehben könne. Es ift dieß der Standpunft,
auf welchen fich befonderd C. Ch. Flatt, C. F. Stäudlin und
: &. 5. Ammon ftellten, . folange fte der Kant'ſchen Philofo-
phie am entichtedehften folgten. Als befondere Momente des
Verhaͤltniſſes Gottes gegen den fich befiernden Sünder, wie
«8 nady den Prineipien der praktiichen Vernunft zu beftim«-
men ſey, wurden von Dielen Theologen hauptfächlid, folgende
Dauptpunfte hervorgehoben: 1. Der Sünder kann des Wohlge-
fallend Gotted an der Umkehrung feiner Marimen, und an
dem ernftlichen Beftreben, feinen beffern Orunbfägen einen
überwiegenden Einfluß auf feine Vorftelungen, Gefühle, Nei⸗
gungen und Handlungen zu verichaffen, verfichert feyn. Er
iſt aus diefem Grunde und in Diefem Sinne mit Gott vers
föhnt. 2. Er darf der göttlichen Unterflüßung bei dem Bes
ftreben, feine guten Marimen in Ausübung zu bringen, infos
fern gewiß ſeyn, als der göttliche Beiftand nicht mit der Ra-
tur ber Moralität ftreitet, oder feine eigene freie Selbſtthä⸗
tigkeit hindert. Und er darf dieſen Beiftand Gottes nicht blos
in Rüdficht auf feine natürlichen Anlagen, und in Rüdfidht
auf alle äußern Verhältniſſe überhaupt, welche ihm die Mo»
ralität bisher erfchwert haben, fondern auch in Beziehung auf
Diejenigen Hinderniſſe, welche er durch felbftverfchuldete Schwä⸗
Hung feiner moralifchen Kraft feiner Beflerung in den Weg
gelegt hat, erwarten. Gr ift ein Gegenftand der göttlichen
Gnade. Im Bertrauen auf diefe göttliche Unterftügung, ver
bunden mit dem Glauben an feine Freiheit, Tann er 3. die
Hoffnung fchöpfen, daß er feiner bisherigen Immoralität un«
geachtet, dennoch bei einem beharrlichen Eifer im Guten das
Ziel der moralifhen Vollkommenheit und Glüdfeligfeit durch
unendliche Annäherung erreichen werde. Er iſt gerechtfertigt.
586 UL, Ber. 1. Kap.
Diefe Hoffnung wird 4. durch bie Furcht vor ben Strafen
feiner vorigen Sünden ebenfo wenig, ald der Muth zur Befr
ferung gelähmt, wenn der Menich mit einer ächt moralifchen
Gefinnung den Gedanken fefthält, daß alle Strafübel, bie er
für feine Berfchuldungen leiden muß, zugleih aud zur Er
böhung feiner Moralität genau in eben dem Berhältniß beis
tragen können, in welchem fie feiner Gluͤckſeligkeit Abbruch
thun %). Dur die Entwidlung diefer Momente erhielt die
rein moralifche Berföhnungstheorie, welcher zufolge demnach
ber Menſch felbft in dem Grade feine Berfühnung und Recht⸗
fertigung realifirt, in welchem er fein fittliches Verhalten mit
ı) Man vgl. C. Chr. E. Schmid, Philofophifche Dogmatik 1796.
©. 177. €. Chr. Zlatt in der S. 583. genannten Schrift
Th. I. ©. 189. f. 196.f. Stäudlin, Lehrbuch der Dogmas
tif und Dogmengefchichte, Gott. 1801. S. 460.f. Ammon,
Summa theologiae christianae. Gött. 1802. Inbegriff der
evang. Glaubenslehre, Gött. 1805. (teutfche Bearbeitung der
Summa) ©.220.f. Bezeichnend if für den Standpunkt die
fer Theologen auch die Eorgfalt, mit welcher fie zugleich
dem praktifchen Religionslehrer Vorfchriften für den zweck
mäßigen Vortrag dieſer Lehre ertheilen. Dan vergl. Zlatt
©. 237.f. 269.f. Ammon ©. 232. Bei dem leßteren, mel
cher ſich überhaupt, ungeachtet der klar Durchblickenden Kants
fhen Grundfäge. am unbefiimmteften erklärt, veducirt fi
auch die wiffenfchaftliche Beſtimmung diefer Lehre auf die
beiden Eautelen, die dem chriftlichen Religionglehrer gege
ben werden, er habe zwei Punkte wohl zu beherzigen, ein
mal ſich zu hüten, durch einfeitige und myſtiſche Betrach⸗
‚„. tungen über das blutige Verdienſt Jeſu das Geſchäft jüdi⸗
. ‚fcher Leriten in eitlen Allegorien zu betreiben, und dann auf
“Bis Bebürfnifle der Schwachen infofern Rückſicht zu nebe
Wien, daß ihnen durch ein unmeifes Hinwegdogmatifiren der
wech Jeſum zu erwartenden Vermittlung nicht ein michtis
3 Hälfsmittel der Beruhigung und Befferung geraubt, und
Gewiſſen dadurch verwundet werde,
Die Kant'ſchen Theologen. ı 587
dem Sittengeſetz in Uebereinſtimmung bringt, vollends ihre
Ausbildung, trat aber ebendamit nur um fo mehr in ihrer
&infeitigfeit hervor. Liegt die Verföhnung des Menfchen nur
anf dem Wege einer unendlichen Annäherung, eines Fort⸗
ſchritts Ind Unendliche, ſo fteht das Gefeh ewig dem Men-
chen als eine feindliche Macht gegenüber, mit weldyer er in
fein vollfommen harmonifches Verhältnig kommen kann, ber
Zwieſpalt dauert ewig fort, und fo gut man fagt, der Menſch
dürfe auch auf diefem Wege feiner Berföhnung und Rechtfer-
tigung gewiß feyn, kann man ebenfo gut jagen, e8 gebe für
ihn keine Verföhnung und Rechtfertigung, da fte nie wahrs
haft zu Stande kommt. Klar genug bat dieß einer jener
Theologen felbft ausgefprochens: „Die Vernunft verheißt uns
auf Feine Weife eigentliche Aufhebung der Sündenftrafen, aber
fie läßt und doch in Anfehung derfelben nicht ohne Troft.
Sie eröffnet und eine Ausficht ind Unendliche, eine Möglich-
keit ins Unendliche, im Guten ..fortzufchreiten, eine unendliche
Zahl: guter Handlungen auszuüben u. f. w. Sn diefer un⸗
endlichen Reihe erblidt der Menfch feine Sündenvergebung,,
feine Rechtfertigung, und wenn er auch gleich das Ziel nie
mals erreicht, und fie in feinem einzelnen Zeitpunfte. feiner
Fortdauer anzutreffen tft, fo ift doch bei dem beftändigen Fort-
fchreiten das, was ihr abgeht, in PVergleichung mit dem,
was fie wirklich ift, fo Klein, daß er ed einer wirklichen Ver⸗
gebung und. Rechtfertigung gleichfchäben mag” +). Modhte
man dabei auch nody fo großes Gewicht auf die Annahme le⸗
1) Stäudlin a. a. O. S. 468. Es iſt dieß die gewdhnliche r ra⸗
tionaliſtiſche Lehre von der Sündenvergebung und Verſöh⸗
nung, wie ſie auch in den dogmatiſchen Lehrbüchern von
Wegſcheider (Instit. theol. christ. dogm. P. II. Cap. II.
- 8.140.) und Tzſchirner, (Vorlef. über die chriftl. Glaubens»
lehre, nach den Lehrb. der evang. proteft. Kirche, herausg.
von Hafe Leipz. 1829. ©. 414. f.) dargeſtellt wird.
586 Il, Ber. 1. Kap.
Diefe Hoffnung wird 4. Durch die Furt vor ben Strafen
feiner vorigen Sünden ebenfo wenig, al6 der Muth zur Bei
ferung gelähmt, wenn ber Menſch mit einer Acht moraliſchen
Geſinnung den Gedanken fefthält, daß alle Strafübel, die a
für feine Verfchuldungen leiden muß, zugleich auch zur Er
höhung feiner Moralität ‘genau in eben dem Verhältniß bei
tragen. können, in welchem fie feiner Glückſeligkeit Abbrud
thun 4). Durch die Entwidlung diefer Momente erhielt die
rein moraliſche Berföhnungstheorie, welcher zufolge bemmnad
der Menſch felbit in dem Grabe feine Berfühnung und Rebt
fertigung realifirt, in welchem er fein fittliches Verhalten mi
ı) Man vgl. C. Chr. E. Schmid, Philoſophiſche Dogmatik 1798.
©. 177. €. Ehr. Zlatt in der S. 583. genannten Schrift
Th. I. ©. 189.f. 196. f. Stäudlin, Lehrbuch der Dogma⸗
tif und Dogmengefchichte, Gott. 1801. ©. 460.f. Anm,
Summa theologiae christianae. ®ött. 1802. Inbegrif m
evang. Slaubensichre, Gott. 1805. (teutfche Bearbeitung der
Summa) ©. 220. f. Bezeichnend ift für den Standpunkt fie
fer Theologen auch die Sorgfalt, mit welcher fie zugldd
dem praftifchen Religionslehrer Vorſchriften für den zwed⸗
mäßigen Vortrag diefer Lehre ertheilen. Dean vergl. Zlatt
©. 237.f. 269.f. Ammon ©. 232. Bei dem leßteren, wel
cher fich überhaupt, ungeachtet der Elar durchblickenden Kants
fhen Grundfäge. am unbefiimmteften erflärt, redueirt ſich
auch die wiffenfchaftliche Beſtimmung diefer Lehre auf bie
beiden Eautelen, die dem chriftlichen Religionglehrer gege⸗
ben werden, er habe zwei Punkte wohl zu beherzigen, ein
mal fich zu hüten, durch einfeitige und myſtiſche Betrad»
tungen über das biutige Verdienſt Jeſu das Gefchäft jüdi⸗
fcher Leriten in eitlen Allegorien zu betreiben, und Dann auf
die Bedürfniffe der Schwachen infofern Rückſicht zu neb
men, daß ihnen durch ein unweifes Hinmwegdogmatijiren der
durch Jeſum zu erwartenden Vermittlung nicht ein wichti⸗
ges Hülfsmittel der Beruhigung und Beſſerung geraubt, und
ihr Gewiſſen dadurch verwundet werde.
Die Kant'ſchen Theologen 387
m Sutengeſed in Uedbereinſtimmung bringt, vollends ihre
sBbildung, trat aber ebendamit nur um fo mehr in ihrer
nfeitigfeit hervor. Liegt die Verföhnung ded Menfchen nur
f dem Wege einer unendlichen Annäherung, eines Fort»
witts ind Unendliche, fo fteht das Gefeh ewig dem Men-
ven als eine feindliche Macht gegenüber, mit weldyer er in
m vollfommen harmoniiches Verhältnig kommen kann, ber
wieſpalt dauert ewig fort, und fo gut man fagt, der Menſch
irfe auch auf diefem Wege feiner Berföhnung und Rechifer-
zung gewiß feyn, kann man ebenfo gut fagen, ed gebe für
n feine Verſöhnung und Rechtfertigung, da fie nie wahr:
ft zu Stande kommt. Klar genug hat dieß einer jener
heologen felbft ausgefprochen: „Die Vernunft verheißt ums
ı$ Feine Weife eigentliche Aufhebung der Stndenftrafen, aber
r läßt uns doch in Anfehung derſelben nicht ohne Troft.
ie eröffnet und eine Ausficht ins Unendliche, eine Möglich-
u ins Unendliche, im Guten .fortzufchreiten, eine unendliche
ahl gister Handlungen auszuüben u. ſ. w. In dieſer uns«
dlichen Reihe erblidt der Menfch feine Sündenvergebung,
ne Rechtfertigung, und wenn er auch gleich das Ziel nie
als erreicht, und fie in feinem einzelnen Zeitpunfte. feiner
wtdauer anzutreffen iſt, fo ift Doch bei dem beftändigen Fort⸗
weiten das, was ihr abgeht, in Vergleichung mit dem,
as fie wirklich ift, fo Klein, daß er es einer wirklichen Ver⸗
bung und Rechtfertigung gleichichäen mag” %). Mochte
an dabei auch noch fo großes Gewicht auf die Annahme le⸗
1) Stäudlin a. a. O. ©.468. Es ift dieß die gewöhnliche ra-
tionaliſtiſche Lehre von der Sündenvergebung und Verſöh⸗
nung, wie fie auch in den dogmatifchen Lehrbüchern von
Wegfcheider (Instit. theol. christ. dogm. P. III. Cap. II.
5.140.) und Tzſchirner, (Vorlef. über die chriftl. Glaubens»
lehre, nach den Lehrb. der evang. proteft. Kirche, herausg.
von Hafe Leipz. 1829. ©: 414. f.) Dargefellt wird.
590 UL Ber 1. Rap.
nur durch fich felbfl. Denn Gott muͤſſe doch an dem Men⸗
ſchen dasjenige finden, mas Gott wohlgefallen fol. Un |i
wenn ihm auch von außen etwas dargeboten werde, was ihn ||
Gott wohlgefällig machen könne, fo müffe er doch wenigftns |
biefed Dargebotene freiwillig annehmen und benügen, fen |
Wille müfje alfo doch zulegt den eigentlichen Grund des gött-
lichen Wohlgefallend enthalten, es könne nicht bloße Paſſivi⸗
tät jeyn, was ihm dad Wohlgefallen erwerbe, fonden a
muͤſſe es jelbftthätig erwerben. Auf ber andern Seite aber
heiße ed: Entweder kann der Menſch des göttlichen Wohlze
fallend gar nicht theilhaftig werden, oder er wird ed um
durch einen andern. Deun Gott kann doch an dem Unvel⸗
fommenen fein Wohlgefallen haben. Der Menſch aber #
und bleibt immer unvollfommen, wie fehr er auch nach bem
Guten ftrebe, fein Wille ift dem Geſetze nie wirklich. ange
meffen, alfo kann er auch nicht Durch benfelben das Wohlge
fallen Gotted erwerben. Man kann daher mit Recht fagen:
Der Menſch kann nicht Durch eigenes Verdienſt, fonbern e
muß durch ein fremdes DVerdienft gerecht und felig werden !)
Die beiden einander gegenüberftehenden Theſen, von welden
die eine den Sinn habe: Handle, d. h. arbeite an deiner fitts
lichen Beredlung aus allen deinen Kräften, gleich als. ob du
dich felbft unmittelbar bes göttlichen MWohlgefallens theilhap
tig machen könnteſt, Die andere aber: Glaube, d. h. hege dab
fefte Vertrauen zu Gott, daß, wiewohl du es nie bis zur
wirklichen Vollkommenheit dringft, und alſo infofern ihm nicht
wohlgefälft, Gott doch in Rüdficht auf das, was nicht un
mittelbar in Dir angetroffen wird, was aber mittelbar dir zu
Theil werden Tann, did) feines Wohlgefalend würdigen wer
de, follen fi in der Syntheſis vereinigen: Arbeite aus allen
Kräften an deiner fittlichen Vervollkommung mit dem feften
Bertranen, daß Gott, ungeachtet der dir noch anhangenden
1) Krug a. a. D. ©. 312. f.
W. T. Krug. 591
Unvollfommenheiten, wenn auch nicht um deines eigenen, fo doch
um eines fremden Verdienftö willen fein Mibfallen an dir haben,
oder durch feine freie Gnade dir beine Sünden vergeben wer«
be 2). Hiedurch fol die Antinomie vollfommen aufgelöst
ſeyn. Es Fällt jedoch ſogleich in die Augen, baß auf diefe
Weite der Knoten nur zerfchnitten if. Wird ber Antithefe
zufolge eine Mitwirkung von Seiten Gottes zur Rechtferti«
gung des Menichen für nothwendig erachtet, fo verfteht fich
von felbft, daß der Natur der Sache nach Die eigene Mitwir-
tung bed Menfchen dadurch nicht ausgefchlofien werden kann,
aber nicht ebenfo verfteht ſich von felbft, Daß, wenn die Thefe
lautet: der Menſch könne nur durch fich felbft des göttlichen
Wohlgefallend würdig werben, biefelbe fo eingefchräntt wer⸗
den darf, daß fie auch die Antithefe in ſich aufnimmt. Die
Auflöfung der Antinomie tft daher eine durchaus einfeltige,
da die zur Ausgleihung widerftreitender Säge nothwendige
Reſtriktion durchaus nur auf die Seite der Thefe fällt. Ob
aber die Theſe eine folche Neftriktion an ſich zulafie, wird
nicht nachgewieſen, fondern fchlechthin vorausgeſetzt, darf aber
dieß fchlechthin vorausgefeßt werden, fo findet überhaupt kei⸗
ne Antinomie, fomit auch Feine Auflöfung einer Antinomie
ſtatt. Die Ausgleihung der Thefe und Antithefe ift eine rein
äußerliche, indem die Synthefe einfad, dadurch zu Stande
Tommt, daß diejenige Beftimmung der Thefe, durch bie fie
allein unter den Geſichtspunkt einer Antinomie geftellt werben
kann (daB nämlich der Menſch nur durch fich felbft des gött«
lichen Wohlgefallend würdig werben kann), weggelafien wird.
Was aber die Sache felbft betrifft, fo ift die hier vorausges
feste Zuläßigkeit der Neftriftion der Thefe wenigftens nach
Kant'ſchen Principien (deren Gültigkeit von Krug bier nicht
beftritten ift) nicht zuzugeben, da ein Syſtem, das die fittlis
che Freiheit zum abfoluten Brincip macht, und des Harren auf
4) A. a. O. G. 327. f.
592 - TE Ber. 1. Rap.
göttliche Hülfe für fittliche Trägheit erklärt, das höchfte Moment
der VBerföhnung und Reditfertigung, ohne in Widerftreit mit ſich
felbft zu kommen, nicht in die Möglichkeit eines fremden Vers
dienſtes ſetzen kann. Was demnach der Krug’fchen Auffaflung
der dogmatiſchen Frage, um welche es ſich handelt, ein ge⸗
wißes Intereſſe fuͤr die weitere Geſchichte unſers Dogma's
gibt, iſt nur das in ihr ſich ausſprechende Beſtreben, von
dem dem ſittlich religiöſen Bewußtſeyn der Zeit nicht mehr
genügenden moraliſchen Standpunkt Kants auf einen dem re⸗
ligiöſen Intereſſe mehr zuſagenden überzugehen. Die Mög
lichkeit eines ſolchen Uebergangs aber erſcheint in einer Zeit,
in welcher die Kant'ſche Philoſophie zwar beſtritten, aber noch
durch keine andere vorherrſchende Anſicht verdrängt war, noch
auf keine Weiſe gerechtfertigt. |
Ehe wir jedoch diefer neuen Wendung folgen, kſt noch
das Verhältniß zu unterfuchen, in Das fidy die bisher blos
ale Theorie betrachtete Kant’fche Lehre theild zur Thatſache
des Todes Jeſu überhaupt, theild zur neuteftamentlichen Lehre
von der Sündenvergebung und ihrem Zufammenhang mit dem
Tode Zefu feßte. Da nach den Principien der Kant’fchen Phi⸗
ofophie eine Sündenvergebung oder Strafenaufhebung im ds
gentlichen Sinne nicht flattfinden kann, fo Tann weder von
einem unmittelbaren noch mittelbaren Zufammenhang derſel⸗
ben mit dem Tode Jeſu die Rede feyn. Das Wefentliche der
Sündenvergebung ift nur die auch gegen den Sünder fort
dauernde Gnade Gottes tberhaupt, deren Realität unmittels
bar im fittlichen Bewußtſeyn felbft begründet iſt, und daher
auch nicht erft durch cine äußere Thatfache realifirt werben
darf. Da nun aber, wenn auch gleich Fein urfächlicher Zus
fammenhang, weder in dem einen noch andern Sinn, ange
nommen werben fol, dennoch die Sündenvergebung, wie fie
von Sant beftimmt wird, in irgend einer Beziehung zum To⸗
de Jeſu gedacht werben muß, fo kann der Tod Jeſu nur ald
Die äußere thatfächliche Darftellung der durch die praktiſche
Die Kant'ſchen Theologen. 593
Vernunft gegebenen Idee angefehen werden. Wird der Be
griff der Verföhnung und Senugthuung nady Kant dadurch
realifirt, daß der neue Menfch die von dem alten verfchuldete
Strafe leidet, wofür anders Fann der Tod Jeſu gehalten wer-
den, als für eine Berfinnlichung diefer fittlichen Idee? Es ift
daher die ſymboliſche Anficht vom Tode Jeſu, welche, wenn
fie auch ſchon früher da und dort zum Vorfchein fam, Doch
erft durch die Kant'ſche Verfühnungstheorie in die ihr in der
Geſchichte unſers Dogma’d gebührende eigenthümliche Stelle
eingefegt wurde. Die dur das fittliche Bewußtfeyn gegebesie
Idee der Sündenvergebung und die äußere Thatfache des Tos
des Jeſu ftehen nicht, wie in den beiden andern Haupttheorien,
ber Firchlichen und der focinianifchen, in einem Innern urjächlis
Ken Zufammenhang mit einander, fondern es iſt nur das
äußere Verhältniß der. Sache und ded Bildes, wodurch fie
verbunden find. Die äußere Thatſache fol nur dazu dienen,
bie fittliche Idee, die ſich in ihr veflektirt, zum Bewußtſeyn
zu bringen, und wenn biefer Zufammenhang von einem hö⸗
bern Standpunkt aus als ein wejentlicher und nothwendiger
aufgefaht werden fol, fo kann es nur von jener Kant’fchen
Anfiht aus geichehen, welcher zufolge die reine ideale Kirche,
‚oder das ethifche Gemeinwefen, deſſen Stiftung Kant für noth⸗
wendig hält, um real zu werden, zuerft eine flatutarifche
Form annehmen muß, welche, durch den Glauben an
eine äußere Offenbarung, das dußere Introduftionsmittel
für. die reine Vernunftreligion ift, inden der finnliche Menſch
ohne eine finnliche Beftätigung fein Vertrauen zu den Wahrs
beiten der Vernunft haben würde. Das Lebtere ift jedoch
hier nicht das Hauptmoment, da e8 fich Hier zunächft nur
um den Begriff ded Symbols handelt, wie derfelbe befonders
von Zieftrunf und. Stäudlin auf den Tod Jeſu angewandt
worden ift. Ein Symbol ift, wie Tieftrunf den Begriff deſ⸗
jelben beftimmi %), eine auf einer Analogie beruhende Darftel-
1) Eenfur des prot. kehrb. Th 2. ©. 349.f.
Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 38
504 III. Ber. 1. Kap.
lung, wobei entweder Achnlichfeit der Dinge, oder Doch Achn-
lichkeit des Berhältniffes der Dinge, angedeutet wird. In die
fem Sinne ift der Verföhnungstod Jeſu Symbol, als Dars
ſtellung des Verhältniffes, worin Gott als Verföhner zu den
Menſchen fteht. Diefelbe Gefinnung, welche Jeſus Durch fein
Leiden und Sterben bewiefen hat, haben wir uns aud) in
Gott zu denken, fofern wir Vergebung der Sünden von ihm
hoffen. Das, was fi aus der Neflerion über den Tod Je
ſu in feiner Beziehung auf die Menfchen ergibt, gilt auch von
dem Alte der göttlichen Weisheit, wodurd fie Die Menſchen
mit fi und zu fi) verföhnt, und gibt uns eine lebendig
Vorſtellung der göttlichen Geſinnung in diefer Angelegenheit,
eine angemefjene Darftellung der Regel, nach welcher wir und
das Verhalten Gottes verftändlich machen follen. Gott if e,
welcher fi) dadurch) der Welt als verföhnt darſtellt. Es fin
det Daher zwifchen der Abficht des Verſöhnungstodes Jeſu um
der Abficht des verföhnenden Vaters die innigfte Correſpon⸗
. denz und Einheit ftatt, und niemand kann ſich für gerechtie-
Rs
tigt vor Gott halten, als allein durch den Blauben an bie
fen Tod. Bon bemfelben Geſichtspunkt aus betrachtet Stände
in den Tod Jeſu ſowohl ald den rührendften Beweis de
Liebe Gottes und Jeſu zu den Menfchen, und infofern zugleich
als einen Verficherungsgrund einer noch größern Liebe Gotted
gegen die Menfchen, ber Sündenvergebung, ald auch als din
Symbol der den Sündern gebührenden göttlichen Strafen,
und fo überhaupt ald eine lehrreiche ſymboliſche Hand⸗
lung, durch welche beides, die göttliche Güte und Strafgerech⸗
tigkeit, und zwar in ihrer Vereinbarkeit, finnlich und faßlich
bargeftellt werben follten %). So fehr diefe fombolifche Au
ficht auf der einen Seite nur ber entfprechende Ausdrud für
die objektive Bedeutung des Todes Jeſu zu feyn fcheint, f
3) Sötting. Bibl. der neueften theolog. Literatur I. Bd. 17%.
Ueber den Zweck und die Wirkung des Todes Jeſu ©. 233.
(vgl. 825.) 881. f. Lehrb, der Dogm. ©. 488. f.
Die ſymboliſche Anficht. 595
flar iſt zugleich, wie fubjektiv hier alles iſt. Betrachtet man
das äußere Faktum für fih, fo erfcheint der Zufammenhang
beffelberr mit der Sdee, unter deren Gefichtöpunft ed geftellt
wird, keineswegs als ein wefentlicher und notwendiger, bie
* wird auf das Faktum erſt uͤbergetragen, und die ver⸗
Ahledenen Symbole, welche man im Tode Jeſu finden woll⸗
SM (deven Verſchiedenheit für ſich ſchon die Subjeftivität Dies
MStandpunftd beweist), find nichts anders, als verfchiedene
Ahelibe Anſichten, welche möglich find, je nachdem derſelbe
"Wegenftand von dieſer ober jener Seite betrachtet wird, ohne
Wh fih für die objektive Realität der mit dem Faktum vers
Jandenen Idee irgend ein genügender Beweis geben Fäßt. Ins, _
Dem man es hier nur mit Symbolen und Bildern zu thun
jet, fommt man von dem Bilde nie zur Sache felbft, da
Bild feine Bedeutung nicht in fich felbft, fondern. nur
Ber ſich hat, in der Idee, deren Reflex es tft, die Idee
ft aber, deren Bild in dem Tode Jeſu fich abfpiegeln fol,
ht demſelben fo unabhängig und felbftftändig gegenüber,
ihr Berhältnig zum Faktum felbft ein blos äußerliches
feibt, und daher immer wieder die Stage fi) aufbringen
B, was denn der Tod Jeſu, wenn wir von feiner bildli«
pen Bedeutung abfehen, an ſich geweſen jey? Man Fann fd)
baher nicht wundern, daß die ſymboliſche Anficht, wie fie zu⸗
erſt durch Kant zu ihrer Bedeutung Fam, in der weitern Aus⸗
hildung und durchgeführtern Anwendung auf die Theologie,
bie fie in der Folge befonders durch De Wette mit Hülfe der
anf Kant'ſchem Grunde weiter fortbauenden Fries'ſchen Phi-
Mophie erhielt, auch um fo mehr in ihrer Subjeftivität her⸗
yortrat, und zulegt fogar das offene Geftändniß nicht zurüd-
hielt, daß es ihre nur um eine ideale Anfchauung, eine das
Befühl anfprechende äfthetifche Idee zu thun fey, deren Wahr-
seit der kritiſche Verftand zwar nicht anerkennen Eönne, aber
jleichwohl auf ſich beruhen laſſen dürfe ‘).
1) Vgl. De Wette, Religion und Theologie 1815. Zweite Ausg.
38 *
598 II. Ber. 1. Kap.
auflöslihe Schwierigkeiten führe, welche tief in das morali
fche Bewußtſeyn eingreifen, und die heiligften yraktiice f
Srundfäge erfchüttern, und felbft mit den reinen Borftellun F
gen von moralifcher Schuld, Verdienft, Zurechnung, göttl
cher Serechtigkeit, welche wir fonft im N. T. antreffen, in
Widerſpruch ftehen *). Der Ausweg nun zur Löfung dm
fo bedeutend fcheinenden Schwierigkeit follte einfach in m
Annahme beftehen, daß das, was von den phufifchen Wir
tungen bed Todes Jeſu im N. T. gefagt werde, von dam
göttlihen Erklärung durch eine Thatfache zu verftehen M.
Wenn es alfo heiße, daß Sefus an der Stelle der Menftn
Strafen erduldet, und ihnen Vergebung der Sünden verſchaß
habe, fo könne dieß nur fo verftanden werden, Daß Gott hund
diefen Tod und die Damit verbundenen Leiden, als Durch Eyn⸗
bole, erklärt babe, er ſey der gerechte Richter alles Boſen
Wenn aber gefagt werde, daß diefer Tod ung die Gnade mb
Lebe Gottes wieder verfchafft, und uns wieder ausgeföhl
babe, fo heiße dieß foviel, daß in eben diefem Tode, dBb J
ner Aufopferung des eigenen Sohns Gottes Die unendiik
Liebe Gottes zum Menfchengefchlecht erklärt oder verfichert wor
den fey, daß die Menfihen, ungeachtet jede Sünde beftraft
werden müffe, fi) Doch, unter der Bedingung Der Befferung,
einen noch höhern Grad zufünftiger Seligfeit zu verſprechen
haben. So laufe der Tod mit feinen übrigen Schidfalen pw
rallel. Sein Leben fey eine ſtillſchweigende Verfündigung de
göttlichen Willens, des ganzen Sittengefeßes, fein Tod fün
Dige die göttliche Gerechtigkeit und Liebe in einer fchmefterli
chen Verbindung an, feine Auferftehung und Erhöhung we:
heiße uns die Unfterblichfeit und einen fiegreichen Kampf mit
den Verfuchungen zum Böfen. Zur Rechtfertigung dieſer Ans
ficht berief man fidh darauf, daß es im A. und N. T. of
von Gott heiße, daß er etwas thue und ausführe, wenn e
1) Stäudlin a. a. D. ©. 846. f. 875.f. Dogm. &. 487.
C. Ch. Blatt, 5%
h blos etwaß erkläre, befannt mache, verheiße und drohe *).
an fieht jedody nicht, wie ſchon dadurch die ganze Schwie-
keit der Sache gehoben feyn fol. Wenn die Sündenver-
bung durch den Tod Jeſu nicht fowohl bewirkt, als viel-
Hr nur erflärt worden ſeyn fol, fo fällt zwar die ftellver-
tende und genugthuende Vermittlung hinweg, aber es bleibt
ie nad dem anerkannten Sinne des N, T. in Aufhebung
r Strafe beftehende Sündenvergebung, beren Möglichkeit
ich den Principien der Kant'ſchen Philoſophie nicht zugege-
a werden kann. Deßwegen muß bier nod die Voraudfe-
ig zu Hülfe genommen werden, daß, was im N. T. von
T Sündenvergebung im eigentlichen oder engern Sinn ge
ot wird, nur von der Zuficherung der allgemeinen, auch
an Sünder nicht entzogenen Gnade Gottes zu verftehen fey,
ver ebendadurdy verliert nun die auf Diefem neuen Wege ver«
chte Erklärung alle Haltung. Während man zugibt, daß
g von dem Tode Jeſu handelnden neuteftamentlichen Stellen
rem nächften und natürlichften Sinne nad) nur von der ei«
mtlichen Sündenvergebung verftanden werden fönnen, foll
ich nicht Diefe fpectellere Lekre, fondern eine davon weſent⸗
ch verfchiedene allgemeine Wahrheit ber wahre Sina jener
tellen feyn 2). Wie läßt fich beides anders, als unter Vor⸗
1) Stäudlin, Gott. Bibl. a. a. D. ©. 880.f. Dogm. ©. 488. _
2) In diefer Auskunft, die auch bei Stäudlin vorausgeſetzt wer⸗
den muß, obgleich Stäudlin fich hierüber nicht fo. genau er»
Elärt hat (man vgl. jedoch a. a. D. ©. 836. f.), fieht befon-
ders Flatt (Philof. ereget. Unterfuh. Th. 2. 1798. Vorr.
©. XXX.) den „glücdlichen Mittelweg zwifchen dem Vers
fahren derer, welche in die Schriften des N. T. nur ihre
eigenen Philofopbeme, oder die Philoſophie ihres Zeitalters
eintragen, und zwifchen der grammatifchshiftorifchen Stren-
ge folcher Sinterpreten, welche den Ausdrücen des N. T.
gerade diejenigen Begriffe unterlegen zu müſſen glauben, wel⸗
che fich entweder aus der Etpmologie felbk ergeben, oder
600 11. Ber. 1. Kap.
ausſetzung einer Accommodation zufammendenfen? Man muh ja
ed daher ganz natürlich finden, daß Diefelben Theologen, un Ig
geachtet fie fich gegen die Accommodationg - Hypothefe erflär Ir
ten, Doch wieder in diefelbe zurüdfielen. Am die Menfchen Hı
zu befiern, fo entwidelte man die zur Vermittlung dienende 11
Ideen, haben Jeſus und die Apoftel in ihren verborbenn Yı
Zeitgenoffen vor allem, zwar ein lebhaftes Gefühl ihrer Strap 1:
würdigfeit erweden, zugleich aber auch die Ausficht auf cr
ne hohe Gluͤckſeligkeit eröffnen muͤſſen. Allein die einfchrän
fende Bedingung der Beflerung habe bei den neubeldt
ten Chriften beunruhigende Zweifel über ihr Bürgerrecht u⸗
ter dem nenen Volk Gottes erwedt, als ungebildete Menſchen
haben fie fich überhaupt nur ein doppelte Verhältniß gegen
Gott denken können, nach welchem der Menfch entweder cin
welche laut der Gefchichte zwar allerdings von einem Thal
ber Zeitgenoffen, aber vielleicht nur von dem roben und
ungebildeten Haufen, oder von feichten rabbinifchen Grüblers
nit gewißen Ausdrücken verknüpft wurden, ohne darauf Rüb
ficht zu nehmen, wie häufig die Bedeutung der Worte, de‘
ren äußere Form fich nicht verändert, durch eine höhere Be
fiesfultur, durch ein feineres moralifches Gefühl von einzel:
nen Menfchen vergeiftigt und veredelt wird.’ In dielem
Sinne foll daher unter ayems auaprıöv, obgleich zugegeben
wird, daß der Ausdruck etymologifch den Begriff der Stras
fenaufhebung in fich fchließt, Daß nad) den unter Juden und
Heiden verbreiteten Opfer⸗Ideen Strafenaufhebung als das
Wefentliche der Sündenvergebung betrachtet wurde, daß Je
fus und die Apoftel den unter ihren Zeitgenoffen herrfchen
den Begriff von Ayems dunoruv beibehalten haben (a. a. 2.
&.20.), gleichwohl unter diefem Ausdruck, vermöge einer Mes
tonymie der Wirkung für die Urfache, überhaupt die Gnade
Gottes gegen den fich beffernden Sünder verfianden werden,
da man ja nicht genäthigt fen, die der Vorftellung Des ro
ben und ungebildeten Menfchen entfprechende etymologiſche
Bedeutung beizubehalten (a. a. D. ©. 5.f. 21.)
”
C. Ch. Flatt. 601
Gengenſtand der Guͤte Gottes oder ein Gegenſtand feiner Un⸗
gnade iſt, eine beruhigende und uͤberzeugende Belehrung von
ber Wahrheit, daß der Sünder zugleich ein Gegenſtand der
- Gnade und der Strafgerechtigfeit Gottes fey, fey bei ihnen
nicht möglich geivefen. Unter diefen Umftänden habe es die
Lehrweisheit der Apoftel erfordert, ihre Zeitgenofien auf den
Tod Jeſu, als einen Opfertod, Hinzumelfen, welcher für fie
theils ein Erinnerungsmittel ihrer Strafbarkeit, theils ein Vers
fiheryngsgrund der göttlichen Liebe werden follte. Wenn nun
Dabei zugleich als Refultat der eregetifchen Unterfuchung gels
tend gemacht wird, daß nad) der Lehre der Apoftel der Vers
. söhnungstod Sefu nichts anders fey, ald eine finnliche Verſi⸗
cherung von der Entfernung folcher Uebel, welche theild gar
nicht Strafen der Sünden feyn können, theild durch Die Beſ⸗
- ferung felbft nothwendig aufgehoben werden, daß aber die
* Mpoftel den Mißdeutungen, welchen ihre ganze Vorſtellungs⸗
. art vom Tode Iefu fowohl, al8 einzelne Ausdrüde, fehr na⸗
: Hürlich audgefebt waren, und dem nachtheiligen Ginfluß eines
ſolchen Mißverftändnifies auf die Tugend dadurch vorgebeugt
" Haben, daß fie Befjerung zur unnadjläßigen Bedingung Der
Theilnahme an allen den Wohlthaten machten, die den Chri⸗
ſten durch den Tod Jeſu zugefichert wurden 9), was ift bieß an⸗
ders, als diefelbe ebenfo unnatürlicye, als unlautere Getheilts
. beit des Bewußtſeyns der Apoftel, welche ſtets als das An⸗
Rößigfte der Accommodationd » Hypothefe angefehen werben
muß? Indem man aber, fofehr man auf dem Boden der
Accommodations⸗Idee fund, doch nicht eigentlich zu ihr feine
Zuflucht nehmen wollte, wurde man dadurch von felbft zu
I) Flatt a. a. O. Eh. J. ©. 225. f. Auch Ständlin, welcher
in der Gdtt. Bibl. a. a. D. die Accommodations⸗Idee wis
derlegt, behauptet doch in Dem Lehrbuch der Dogmatik ©. 487. :
daß in dem Vortrag jener Lehre Accommodation fattgefun«
den babe, laſſe fich kaum bezweifeln.
602 II. Ber. 1. Rap.
einem weitern bemerfenswerthen Schritt hingetrieben, die Lehre
ber Apoftel über den Tod Jeſu von der eigenen Anſicht und
Lehre Jeſu hierüber fo viel möglich zu unterfcheiden und zu
trennen. Zwar hatte nody Stäudlin dad Refultat feiner Un-
terfuchung der Ausfprüche Jeſu über den Zweck feines Todes
‘ in die Behauptung zufammengefaßt, daß Iefus in der Haupt
fache eben das hierüber gelehrt habe, was nachher feine Apo⸗
fiel, unter fo mancherlei VBorftellungen und Wendungen, mit
fo vieler Sruchtbarfeit und treffender Anwendung, gelehrt ba
ben *), um fo größeres Gewicht legte aber ſchon Flatt auf
diefen Punkt, über welchen ſich demſelben vielmehr folgendes
Refultat zu ergeben ſchien. Alle Umftände machen ed wahr
fheinlih, daß Jeſus es für eine Hauptabficht feines Todes
ausgegeben habe, die finnlichen Erwartungen von ihm, ald
bem Meſſtas, zu verdrängen, und dem Geift feiner Lehre, der
zu einer moraliſchen Stüdfeligkeit führe, Eingang zu verſchaf⸗
fen. Ob er in einigen feiner Reden darauf hingedeutet habe,
bag fein Tod eine finnliche Verficherung der Gnade Gottes
gegen die Sünder feyn foll, laſſe ſich wenigftend nicht mit
Gewißheit entfcheiden. Dieß könne auch daraus nicht gefol-
gert werben, daß die Apoftel den letztern Zwed zur Haupt
abficht des Todes Jeſu machen, denn die Apoftel haben, uns
abhängig von den Reden Sefu, von der Gottheit auf Diefe
Idee geführt werden können, welche Jeſus aus weifen Grün
den der weitern Entwidlung ihrer moralifch > religiöfen Be
griffe überlaffen habe. Wer den Beweis über fich nehmen
möchte, daß die Gottheit es für nöthig gefunden Habe, den
Apofteln über die Ausfprüche Jeſu, welche den Zweck feine
Todes betreffen, eine vollftändige Erläuterung zu geben, wer
beweifen, daß Paulus, der fich über den verfühnenden Zwei
des Todes Jeſu fo mweitläufig erfläre, auch mit allem dem,
was Jeſus felbft über feinen Tod fagte, habe bekannt wer-
1) Gött. Bibl. a. a. D. ©. 433.
C. Ch. Flatt. 603
den muͤſſen, wer endlich beweiſen, daß die Apoſtel, die ſich
in ihren Briefen nirgends auf die eigenen Erklärungen Jeſu
berufen, ihn nicht mißverſtanden, und das, was er ſelbſt von
anderweitigen Abſichten ſeines Todes ſprach, auf den Zweck
der Verſoͤhnung bezogen haben? Wenn wir uns die durch
eine höhere Leitung beförderte Einſicht der Apoſtel in die Lehe
ce Jeſu als eine fucceſſiv erworbene Vollkommenheit denken,
fo ſey der von Jeſu felbft angegebene Zwer feines Todes an
ihnen felbft allmälig volfommener, aber wenigftend nicht an»
fangs ſchon foweit erreicht worden, daß fle Diefen Zweck felbft
hätten einfehen können. Da nun Jeſus felbft diefe Anficht
feines Todes feinen Jüngern nicht mitgeiheilt habe, und bie
Idee von einem Durch Leiden. und Tod verfühnenden Meſſias
auch Fein herrfchender Zeitbegriff gewefen fey, fo könne die Gott⸗
heit die Jünger nur durch folgende Mittelbegriffe auf ihre
Vorſtellung von dem Verjöhnungszwed des Todes Jeſu ges
Iettet haben: 1. Jeſus felbft habe feinen Tod für einen fehr
wichtigen Theil feiner Beftimmung erklärt. 2. Der Tod Jes
ſu fey an ſich ſchon cine zu auffallende und unbegreifliche Bes
gebenheit gewefen, ald daß diejenigen, welche von feiner gött⸗
lichen Sendung und Meffiaswürde überzeugt waren, fich ihn
ohne einen fehr wichtigen Zwed hätten denfen können. 3. Die
Religion Jeſu war eine neue Religion. 4. Die beruhigendfte
Berfiherung von der Gnade Gottes fehlen nur der Tod des
Meſſias ald Opfertod zu geben. 5. Wahrfcheinlich haben die
Sünger auch das Drafel des Eſaias (c. 53.) auf dad, Leiden
und ben Tod Jeſu angewandt. 6. Die Aufnahme der uns
reinen Heiden in das Volk Sotted mußte die Jünger in ihrer
Borftelung von dem verfühnendem Zwede des Todes Sefu
beftärfen %). Alle diefe Momente machen nur um fo Harer,
wie von dDiefem Standpunkt aus Die ganze Lehre der Apoftel
vom Tode Jeſu, fofehr fie audy als eine unter der Einwirz
1) Flatt a. a. O. Th. 2. ©. 86-97.
604 | UL Ber. 1. Rap.
fung und Leitung. der Gottheit entſtandene Dargeftellt wird,
in der Hauptfache, doch nur aus einem rein natürlichen Urs
fprung abgeleitet werden konnte. Welches Intereffe Eonnte
man daher, nachdem einmal eine fo große Differenz zwiſchen
Jeſus und den Apofteln angenommen war, nody haben, zu
der Accommodations⸗Idee zurüdzulenten, um die Apoſtel we⸗
nigftend in der Sphäre ihres eigenen Bewußtſeyns tiber’ ihre
Seit zu flelen, und fie yon dem Standpunkte Jeſu fo. wenig
ald möglich zu trennen? Schon dadurch war der unmittelba-
re Uebergang zu der bald darauf von den Freunden Des fi
weiter ausbildenden und verbreitenden hiftorifchen Rationalid
mus, von De Wette, Wegfcheider und andern in Diefelbe
Klafie gehörenden Theologen, ohne weiteres Bedenken audge
fprochenen Anficht hinlänglich vorbereitet, welcher zufolge bie
ganze Lehre der Apoftel von dem Tode Jeſu nur als das
natürliche Erzeugniß theils des allgemeinen. Ideenkreiſes, in
welchem die Apoftel mit ihren Zeitgenofjen lebten, theils der
befondern Verhältniſſe, in welchen fie ſich nach dem Tode Je⸗
fu befanden, und des Einfluffes, welchen fie auf ihre Vorftels
‚lung von der Perſon Jeſu hatten, betrachtet werden Tann.
Eine verföhnende Kraft und Bedeutung fehrieb Jeſus feinem
Zode nur umeigentlich zu, indem er, wenn er von einem Los
fegeld für die Menfchen ſprach, nur dieß fagen wollte, daß
feine Durch feinen Tod beftätigte Lehre Die Menfchen vom Elend
der Sünde befreien werde. Die Idee eined Verſöhnungs⸗
tode8 würde mit den Orundfägen feiner Lehre im Widerſpruch
fiehen, da er Tugend und Frömmigkeit zur einzigen Bedin-
gung der Seligfeit machte, und mit Verwerfung äufferer Ge
bräuche und Symbole eine rein geiftige Verehrung Gottes
lehrte. Seine Schüler aber haben foldye Erklärungen über
feinen Tod, in welchen er ihn unter dem Bilde eines Sühn⸗
opfers Darftellte (wobei Jeſus felbft fehon Ef. 53. vor Augen
haben mochte), nach ihrer nationalen und geiftigen Befchränft-
heit unrichtig aufgefaßt und eigentlich genommen, woraus fos
De Wette 605
nn durch Anwendung altteftamentlicher Stellen, und unter
m Einfluſſe der Zeitvorftelungen, und wohl auch alerandri«-
icher Ideen (insbefondere der Idee vom Priefterthum und
Httleramt des Logos), diejenige Form der Verföhnungslch-
, die wir bei ihnen finden, hervorging 2).
Je weniger nach allem biefem von der abfoluten und ob«
tiven Nothwendigkeit des Todes Jeſu als eines Verſöh⸗
ngötodes zum Heile der Menichheit in irgend einem Sinne
ch die Rede feyn Eonnte, defto mehr ſah man ſich veran⸗
st, fi wenigftens über bie relative und, fubjeftive Noth«
ndigfeit deſſelben genauere Rechenichaft zu geben, als bis⸗
r gefchehen war, und ſprach daher jegt ohne Bedenken von
r aus rationaliftifchem Geſichtspunkt betrachteten Nothwen⸗
jfeit des Todes Jeſn). So hat fih nun die feft abge⸗
ı) De Wette Commentatio de morte Christi expiatoria. Bers
lin 1813. ©. 96. f. Wegicheider Institutiones theologiae
‚christianae dogmaticae Halle. 1e Ausg. 1817. 761833. ©. 491.
Bol. auch Tzſchirner a. a. S. A01.f. Das Schwanten De
Wette's zwifchen der fumbolifchen und rein rationalififchen
Anficht fpricht fich in Sägen ans, wie folgende find ©. 103.:
“ Hoc de morte Jesu vicaria dogmate, licet Jesu ipstus
religioni alieno ejusque auctoritate destituto, neque a
superstitione judaica plane libero, ita tamen usi sunt
Paulus Apostolus et auctor epistolae ad Hebraeos, ut ma-
æima inde ad religionem christianam redundarit utill-
tas. — Neque negandum est, nostram doctrinam, ita
auctam atque exornatam, summa dignam esse admira-
tione, et cuilibet, qui, quod vere pium est, sub quocun-
que latet involucro, agnoscere potest, religiostssime c0-
lendam. Daher alfo der Werth der äfthetifchen Sdeeg. Und
doch fol Jeſus alle Symbole ſchlechthin verworfen haben,
weil ihn der Mofatfche Kultus belehrt habe, symdola sacra
in superstitionem vertere (&. 103.).
ı) Man vgl. die unter dem obigen Titel gegebenen Bemerkun⸗
‚gen in Gabler's Neueftem theol. Journal Bd. 9. 1802. 3. Et.
606 Ill. Ber. 1. Kay.
fchloffene Einheit der alten kirchlichen Verföhnungslehre in
verfchiedene auseinander . fallende Elemente aufgelöst, Die
S. 272.f. © 2. Nitzſch, Prolus. I. Il. De mortis adesı
Christo oppetitae necessitate morali. Viteb. 1810. (In
dieſen Abhandlungen wird jedoch mehr im Sinne der fpms
bolifchen Anficht die Nothwendigkeit der Aufopferung de
Lebens aus dem Bemußtfenn abgeleitet, das Jeſus von fe
nem Berufe gehabt habe, die Fähigkeit des. Menfchen im
Kindfchaft Gottes auf eine rührende Weife darzufiellen, ud
für den äußern Bürgen der Gnade Gottes erkannt zu ver⸗
den). Ganz befonders gehört hieher die genannte De Wettes
fehe Commentatio. Ihr Hauptinhalt ift zwar eine Unterſo⸗
chung der auch ſchon von Stäudlin (Gött. Bibl. I. ©.239.)
und Slate (Philof, ereg. Unterf. Th. 2. ©. 37. f.) erdrtertm
Frage: Db die Juden zur Zeit Jeſu und der Apoftel einen
leidenden und fterbenden Meffias erwartet haben, es ik die}
aber nur die Borfrage für die eigentliche Aufgabe der Un⸗
terfuchung,, welche &. 85. fo befiimmt wird: Cum en ih,
quae hactenus disputata sunt, satis elarum esse videa-
tur, Jesu aequales omnia alia potius ab eo exspectasse
et postulasse, quam ut mortem cruentam subiret, quae-
ritur, quibus causts ad hoc consilium capiendum addu-
tus fuerit. Das Refultat der Unterfuchung ift: Jeſus ent⸗
fchloß ſich zu fierben in der Hoffnung, daß fein Tod die Er⸗
wartungen eines irdifchen Meffiasreichd vernichten märde.
In der Gemüthsſtimmung, in welche ihn die unheilbare Vers
kehrtheit feines Volkes verfegt habe, fen ihm der Tod müns
fchenswerth gewefen, und der Haß der Priefter und Phari:
fäer Habe ihn unvermeidlich herbeigeführt, er habe ihn nid!
fuchen, fondern ihm nur nicht auf pflichtwidrige Weife aus:
weichen dürfen. Dazu fenen auch noch altteftamentliche Stel⸗
len gekommen, die ihn in feinem Entfchluffe, fich aufzuopfern.
beftärkt haben. Die entgegengefeste fupranaturaliftifche An:
ficht, daß Jeſus ohne einen befondern göttlichen Auftrag den
Entfehluß, fich fo frühe dem Tode zu mweihen, nicht hätte
faffen Fünnen, batte €. Chr. Flatt im Süskind'ſchen N
De Wette, 607
teftamentliche Lehre von der Verföhnung trägt Ihrer gan-
Geſtalt nach nur den fubjeftiven Charakter der Apoftel
> ihrer Zeit an fih, und hat daher auch nur eine hiſtori⸗
> Bedeutung. Der Tod, welchen Jeſus ftarb,- läßt ſich
r aus ber eigenthümlichen Befchaffenheit der individuellen
rhältniffe, in welchen Jeſus dem jüdiſchen Volke gegenüber
) befand, erklären, und die Gewißheit der Sündenverges
ng und Berföhnung mit Gott, welche die alte Theorie nur
: Die Auflere, von Gott veranftaltete Thatfache. des Todes
fu knüpfen Eonnte, Tann der Menfch nur in fich felbft fin-
n, in feinem Streben nad) Tugend und Frömmigkeit, oder
feinem fittlichen Bewußtfeyn, in ber ebenfo fubjeftiven, als
folnten Autonomie der nad) ihren Geſetzen den fttlichen
zerth des Menfchen befiimmenden Vernunft. In allem dies
n Eönnen wir nur den zu feiner vollfommenen Ausbildung
id Gonfiftenz gefommenen Standpunkt der Subfektivität er-
nmen; das willfürlich Subjektive ber vorkantifchen Periode
at theild Durch die reinere objektivere Auffaffung Des ges
hichtlich Gegebenen, theils durch die Reinheit der fittlichen
zrundſätze, durch welche das Verhältniß bes Menfchen zu
Sott beſtimmt wird, Haltung und Beſtimmtheit gewonnen.
St. 12. 1805. in der Abhandlung: Läßt ſich die Ueberzen⸗
gung Jeſu von der Gemwißheit und moralifcher Nothwendig⸗
Feit feines frühen Todes aus einem rationalififchen Geſichts⸗
punkt betrachten? (befonders gegen D. Paulus im Commen⸗
tar zum N. T. gerichtet) vertheidigt. Das Selbſtbewußt⸗
feun des Rationalismus jener Zeit fpricht fich in dem Ur⸗
theil aus, das De Wette a. a. O. S. 91. tiber diefe Flatt⸗
fche Abhandlung fällte: Non est, quod miremur, eos, qul
rationis leges spernunt, historiae etiam illudere. Die
ganze Gefchichte beftätige ja die Wahrheit, kominem tali
antmi indole praeditum et tale opus aggressum, non po-
tuisse non inimicis succumbere. Die etwas Matte Antwort
ſ. in Bengels Archiv für Theol. I. Bd. 1. 9. ©. 56.
608 IN. Ber. 1. Kap.
Was aber der Subjektivität auf ihrem Standpunft cine feſte
Confiftenz gibt, ift auch ſchon im Begriff, über Denfelben hin
auszuführer, da die Subjektivität ihren Halt und Beltand
nur in einer über ihr ftehenden Objektivität haben Tann.
Der nächſte Bunft, welchen wir zu firiren haben, ift das
ber nur Schleiermacher. Wie fehr aber zwiſchen Kant und
Schleiermacher noch der Spielraum der in ihre Negativität
ſich zufammenziehenden Subjektivität ift, fehen wir befonders
auch aus foldyen Geftaltungen unſers Dogma's, welche von
dem Einfluffe der Kant'ſchen Philoſophie am wenigften be
rührt. wurden, und vielmehr die ihr entgegenftehende Seite
bilden. Schott und Bretfchneider gehören zu denjenigen Dog °
matifern, welche der Philofophie, oder der ihren Immanentn
Begriff verfolgenden Bewegung des Dogma’d gegenüber dab, ,
Intereſſe des biblifh und Eirchlich überlieferten fupranaturals
ſtiſchen Offenbarungsglaubens vertreten, und mußten es daher
auch in Anfehung unfers Dogma’s als ihre Aufgabe betrach⸗
ten, die objektive Vermittlung, die für Die Lehre von der Ber
föhnung ſchon in ihrer Beziehung auf Chriftus liegt, auf de
nen fo viel möglich beflimmten Ausdrud zu bringen. Wie
inhaltsleer und negativ, wie unfelbftftändig und haltungslos
ift aber audy bei diefen beiden Dogmatifern die ganze Faſſung
unfered Dogma’s! Daß die ftellvertretende Bedeutung des
Todes Jeſu das Hauptmoment fey, von welchen alles ans
dere abhänge, wird von Echott zwar anerkannt, aber ber
Begriff derfelben nur durch den aus den neuteftamentlichen
Stellen hierüber als Nefultat fich ergebenden Sa beftinmt,
Die Vergebung der Sünden ftehe im engften Zufammenhang
mit dem Tode Jeſu, ohne daß von Seiten der Menfchen ir
gend etwas Bermittelndes ftattfinde, wodurdh Gott zur Vers
Hebung der Sünden erft beftimmt würde. Daher ftellen die
neuteftamentlichen Schriftfteller den ftellvertretenden Tod Jeſu
als den größten Beweis der göttlichen, jedoch mit der göttlis
chen Gerechtigkeit und Heiligkeit engverbundenen, Liebe bar.
J
Schott und Bretfchneiber. 609
Die Stelle jeder weitern Begründung vertreten bloße Bibel⸗
:elfen, ohne alle Arideutung irgend eines fpefulativen Mo«
nents. Dabei werden Einwürfe wie der alte, daB ed von
Seiten Gottes hart und graufam gewefen fey, Sefum einem
olchen Tode preiszugeben, nicht nur aufs neue aufgeführt,
onbern auch durch die alte Antwort befeitigt, daß ja Jeſus
reiwillig für die Menfchen geftorben fey, und von Gott da=
für die größte Belohnung erhalten habe. Die Accommobda-
Hons-Hypothefe wird zwar mit Dem Ernft und Nachdrud, mit
welchen: die neuteftamentlichen Schriftftellen : von dieſer Lehre
reben, unvereinbar gefunden, zugleich aber ein foldyer Zufanı=
menhang bderjelben mit gewißen Zeitworftelungen angenom-
wen, welcher die Annahme nothwendig made, Gott habe
Surch die Sendung und den Berföhnungstob Jeſu auf bie
Bedürfniffe und Erwartungen jener Zeit befondere Rüdficht
mmen, eine Anficht von dem Wefen und Werth des Chri-
Renthums, welche unftreitig die ausdrüdliche Erklärung, daß
Mefelbe weife und gütige Accommodation Gottes felbft auch
für alle folgenden Zeiten ihren Nuten habe, als nicht
ganz überflüßig erjcheinen läßt 2%). Etwas höher wird zwar
De vermittelnde Bedeutung des Todes Jeſu von Bretſchnei⸗
der geftellt, jedoch nur durch eine neue, an ſich unmwefentliche,
‚Form der Grotius’fchen Theorie. Die befondere Liebe Gottes
:ju dem Gebefierten, dieß ift der Hauptgedanfe der Bretſchnei⸗
ber’fchen Entwidlung, habe ihm den Eintritt in eine felige
Welt nach dem Tode öffnen wollen, aber die Kiebe Gottes
‚gm Allgemeinen, zur moralifchen Weltorbnung, habe die Bes
Rrafung des Gebeſſerten gefordert. Da num bie befondere
Liebe der allgemeinen weichen müffe, fo frage ſich, ob ſich
sicht ein Mittel denken Laffe, durch welches bei der Begnadi-
gung Des ©ebefferten die moralifche Weltordnung ficher ge⸗
4) Schott, Epitome theologiae christianae dogmaticae. Leipzig
1811. ©. 142—158. |
Baur, die Lehre von ber Berföhnung. _ 39
612 ui. Ber. 1. Kap.
fen. Für uns jedoch feyen dieſe vermittelnden Vorſtellungen
fein. Bebürfniß mehr, weil das Chriftentbum uns groß gezo⸗
gen habe, weil wir nad) unferer Weltanſchauung ben Tob
nicht mehr für ein Uebel anfehen *)., Somit find wir über-
4) Die Grundlage des evangelifchen Pietismus, oder die Lehren
von Adams Fall, der Erbfünde und dem Opfer Chrifti. Nah
Gründen der heil. Schrift geprüft, mit den Anfichten da
chriftlichen Kirche der erften drei Jahrhunderte verglichen,
und nach ihrem Gebrauthe für die chriſtliche Theologie be⸗
urtheilt von D. 8. ©. Bretfchneider. Leipz. 1833. ©. 10.
423. Man vgl. meine Recenſion diefer Schrift in den Jahr:
büchern für'wiffenfch. Kritik 1834. Apr. Pr. 63—68. Alles
dings fagt Bretfchneider auch fchon in dem Lehrb. der Dogm.
a. a. O. ©. 293.: Der alten Welt, melche Jeſus und die
Apoftel zu lehren hatten, war die Vorfiellung von einem
Aufenthaltsorte der Verfiorbenen außerhalb der Erde, von
einem Mebergang in eine von ber irdifchen wefentlidy vers -
ſchiedene Welt, fremd, wenn auch einzelne griechifche und
römifche Weife eine Ahnung von einer folchen Unſterblich⸗
feit hatten. Sollte nun die chriftliche Idee von der Bes
freiung vom Tode und dem Gewinn eines höhern überirdis
fchen Lebens in der Sprache der alten Welt, und für fe
verftändlich ausgefprochen werden, fo mußte fie fo Tautenk
Chriſtus habe uns von dem Zuftande des Todes in der Un
termwelt befreit, und den Anfpruch auf Leben, und zwar fe
ben im Himmel und bei Gott erworben. Nur unter dieſer
Lehrform Eonnte der alten Welt die chriftliche Idee begreif-
lich gemacht, und zugleich ihre mangelhafte Vorfiellung von
dem Aufenthaltsorte der Verſtorbenen gründlich verbeſſert
werden. Tefus und die Apoftel hätten aber diefer Lehrform
nicht bedurft, wenn fie es nicht mit Juden und Griechen zu
thun gehabt hätten. Vielleicht Eonnte auch die Wahrheit
nicht anders, als unter diefer Form in die Seelen der Apo⸗
fiel gelangen. Wir aber dürfen uns nicht an die Lehrform,
fondern wir müflen uns an die dargeftellte Idee felbfi hal:
ten, denn bei uns bedarf die Lehre von der Ermwerbung ei⸗
*
—
Bretfchneiber. 613
mpt über das Chriſtenthum hinausgewachfen, und bedürfen,
if unfere Weltanfhauung, bie vernünftige Weltanficht der
nes vollfommenen höhern Dafenns der jüdifchen Grundlage
von einer Serfkörung der Gewalt des Hades nicht. Hier
‚ wird jedoch nur die Form der Lehre, als eine jener Zeit an.
gehörende, oder als Accommodation betrachtet, nicht Die Sache
ſelbſt, und Bretfchneider ſelbſt argumentirt gegen eine folche Be⸗
ſchraͤnkung des Zweckes des Todes Jeſu fo: Es würde ſich mit
Gottes Weisheit und Gerechtigkeit nicht vertragen, wenn er Je⸗
fum, wie es doch fein Rathſchluß war, einem fo [chmerzlichen und
fchmachvollen Tode übergeben hätte, blos in der Abficht, um
die jüdifchen Vorftellungen vom Scheol zu zerfiören, was
Doch ebenfo gut durch bloßen Unterricht und die Thatfachen
der Auferfiehung und Himmelfahrt Jeſu gefchehen Eonnte,
und wirklich geſchah. Der Tod Jeſu könne nicht blos einen
relativen und ſubjektiven Nugen in Hinficht der Entfernung
eines Irrthums, fondern er müſſe auch eine objektive Wirs
tung haben, und dem menfchlichen Gefchlecht einen abfolus
ten Nußen gewähren, nämlich, daß Gott den Menfchen die
Strafen der Sünde erlaffen, und fie in eine Welt verfeken
wolle, in welcher ihnen Leben und Seligkeit zu Theil wer»
den foll, Iſt aber eben diefe Vorausſetzung, daß vermittelſt
des Todes Tefu die Strafen der Sünde erlaffen werben, eis
ne irrige, fallen fomit auch alle jene Zwede, die nach dem
Dbigen durch den Tod Jeſu realifirt werden follen, hinweg,
wozu anders kann Jeſus geftorben fenn, als für den Zweck,
Die jüdifchen Vorftellungen vom Scheol zu zerfkören? Wels
he Beziehung hat aber diefer Tod auf und, wenn wir jene
Scheols s VBorftellungen nicht mehr haben, derſelbe alfo für
und nicht ebenfo wie für die Juden als Sühnopfer gelten
Tann? Die reine Idee der Unfterblichkeit hat zwar das Aufs
bören der Scheold : VBorftellungen zur Vorausſetzung, wenn
‚aber, wie Bretfchneider Grund. des ev. Piet. ©. 387.f. .
ausführt, Die Entwiclung aller Ideen in der Vernunft, als
fo auch der religidfen, bedingt iſt durch die Entwicklung der
Weltanfchauung, d. b. das empirifche Erkennen, das nur ein
614 ill. Ber. 2. Kap.
neueften Zeit, geftügt, de8 veralteten nur für eine frühere Zeit
feine Dienfte leiftenden Erziehungsmittels nicht mehr! 3
Dieß etwas anderes, ald die bekannte, fo oft vernommene,
Sprache ded das Chriftenthum für antiquirt erflärenden Ra
tionalismus ?
Zweites Kapitel
Die Schleiermaher’fche Slaubenslehre, ihre Freu
de und Gegner.
Ein neues höchſt wichtiges Moment bildet, wie in dr
neuern Theologie überhaupt, fu insbeſondere in der weitem
Entwicklung unfered Dogma's die Schleiermacher’fche Glau⸗
benslehre. Wie die Kant'ſche Philofophie nicht nur der gaw
zen Behandlung der Lehre von der PVerfühnung eine neu
harakteriftifche Geftalt gegeben, fondern auch, wenn wir auf
Die ihr unmittelbar vorangehende “Periode zurüdfehen, un
ftreitig einen fehr wichtigen Sortfchritt bewirkt Hat, fo muß
anderer Name für das Prineip des Rationalismus ift, fo ih
diefe Weltanfchauung das Princip der religidfen Entwids
lung, und es ift nicht einzufehen, welchen eigenthümlichen
Antheil das Chriftenthbum für unfere Zeit noch an derfelben
haben fol. Auf eine bemerfenswerthe Weife trifft dieſe Bret⸗
fchneider’fche Anjicht mit der Eteinbart’fchen (f: oben ©. 509.)
zufammen. Das Chriftenthum, oder wenigſtens der Tod Je
fu, hat feinen Zweck dadurch erreicht, daß die Juden von if
ren Scheols-Vorftellungen,, ihrer Zurcht vor dem Hades ber |
freit wurden. Selbſt in der Schott’fchen Dogmatik kommt
die Scheols= dee auf gleiche Weife zum Worfchein. Die
Lehre vom Tode Jeſu, fagt Schott a. a. D. ©. 149., hänge
zufammen mit der jüdifchen Meinung, vitam proprie dic-
tam post mortem nullam esse sperandam, nist culpa, pec-
eato Adamitico contracta, prorsus fuerit sublata.
Schleiermacher. 615
daſſelbe auch von der Schleiermacher'ſchen Glaubenslehre be-
hauptet werden. Worin dieſer Fortſchritt beſteht, kann nur
nach demjenigen beſtimmt werden, was und in den ver⸗
fchtedenen, feit der Reformation gemachten, Verſuchen, das
Dogma auf eine dem. hriftlich religiöfen Intereſſe ebenſo fehr
ald den Anforderungen der Wiſſenſchaft entiprechende Weife
zu beflimmen, ald mangelhaft und ungenügend erjcheinen
mußte. Wenn fi) auf der einen Seite in der alten kirchli⸗
chen Theorie, ſoſehr auch die hohe objektive Bedeutung, wel-
che fie der Perfon und dem Werke des Erlöfers beilegte, dem
chriſtlichen Gefühl zufagt, eine große Ginfeitigfeit darin
barftellt, daß fie das Subjeft zu wenig zu. feinem Rechte
kommen läßt, und daſſelbe in ein’ blos Außeres, für die den⸗
Sende Vernunft nicht gehörig vermitteltes Verhältniß zu der
Berfon und dem Werke des Erlöferd fegt, fo tritt Dagegen
auf Der andern Seite in den derſelben ſich gegenüberftellenden
Aheorien, und felbft in der auf die abfolute Geſetzgebung der
gpraftifchen Vernunft fich flügenden Kant’fchen, das Moment
er Subjeftivität mit einem Uebergewicht hervor, welchem ges.
genüber das durch Chriftus vollbrachte Erlöfungswerf feine
objektive Bedeutung völlig verlieren zu müffen fcheint.. Die
Schleiermacher'ſche Glaubenslehre ſetzt ſich auch hier die Auf-
gabe, beide gleich einfeitige Richtungen mit einander zu
vermitteln, und die auf beiden Seiten liegenden religiöfen und _
wiffenfchaftlihen nterefien auf gleiche Weile zu befriedigen.
Die objeftive Bedeutung, welche das Firchliche Dogma für die
Perſon und das Werk des Erlöfers verlangt, fol hinlänglich
fichergeftellt werben, ohne daß man auf der andern Seite ges
nöthigt ift, zu Vorausfegungen zurüdzufehren, gegen welhe
ſich die denkende Vernunft lange genug gefträubt hat. Die-
fer allgemeine, Gegenfäge verfühnende, Charakter der Schleier⸗
macher’fchen Glaubenslehre, welchem zufolge auch die zulegt
durch Kant der Lehre von der Verfühnung gegebene Form nur
als eine folche betrachtet werden kann, welche Die engen Schran-
616 Ill. Ber. 2. Kap.
fen ihrer Subjeftivität erft durchbrechen muß, um bem objk:
tiven Gehalt der Tirchlichen Lehre näher zu kommen, brüdt
fich in der. Schleiermacher’ichen Behandlung unfers Dogma’d')
jehr Ear in dem Gegenfag aus, in welchen Schleiermadk
felbft feine Theorie zu andern Auffaffungen fett, indem er fr
mit dem Anfpruch auftreten läßt, die wahre Mitte zu fen
zwiſchen zwei andern, von welchen die eine Die magiſche, bie
andere die empirifche zu nennen fey. Das Magiſche Liege in
einer durch nichts natürliches vermittelten Cinwirfung, die
aber doch einer Perſon zugefchrieben werde. Diefe Anficht
ftreife ganz nahe an das Dofetiihe. Denn wäre Chrikus
auf foldye Weife jet zwar ald Berfon,.aber nur als himm
lifche, ohne irdifche Gegenwart, doch auf wahrhaft perjünli
Weiſe wirkffam, fo hätte er auch ſchon immer ebenfo wirken
können, und feine wirkliche perfönliche Erfcheinung wäre nur
eine überflüßige Zugabe geweſen. Diejenigen, Die eine ws
mittelbare perfönliche Einwirkung gleichfalls annehmen, abe
fie durch das gefchriebene Wort vermitteln, feyen zwar weniger
magiſch, wenn fie dem Wort die Kraft beilegen, eine Stimmum
bervorzurufen, bei welcher der Einzelne für jene perfönlice
Einwirkung empfänglich werde, aber noch magijcher, wen
das natürliche Element die Kraft haben fol, Chriftum zu
feiner Einwirkung zu difponiren, denn eine folche Wirkfam-
feit gleiche dann vollfommen. der, welche den Zauberfprüden '
beigelegt werde. Wenn man daher Die Sündenvergebung von '
der Strafe, welche Chriftus erlitten, herleite, und die Eelig-
feit der Menfchen felbft ald einen Lohn darftelle, weldyen Gott
Chriſto für jenes Strafleiden darreihe, fo fey dieß magild.
Die Mittheilung der Seligfeit fey nur göttliche IWillfür, wem
ein fo fchlechthin innerliches, als die Seligfeit ſey, ohne in
nerlich begründet worden zu feyn, von außen her hervorge
4) Der ehriftliche Glaube, nach den Grundfägen der evangel.
Kirche. Zweite Ausg. Zweiter Band 1832. ©. 103. f. ©. 139.1
Schleiermacher. 617
bracht werben fol. Ebenſo magiſch werde die Suͤndenverge⸗
bung bewirkt, wenn das Bewußtfeyn der Strafwürdigfeit deß⸗
wegen aufhören fol, wenn ein anderer die Strafe getragen
habe. Daß hiedurch Die Erwartung der Strafe aufgehoben
werde, laſſe fid) denken, allein e8 fey dieß nur das finnliche
Element der Sündenvergebung, und es bliebe noch daß ei⸗
gentlich ethifche, nämlich das Bewußtſeyn der Strafwuͤrdig⸗
Teit, welches alſo ohne allen Grund wie weggezaubert er⸗
ſcheinen müßte. In dem Begriffe des. Magifchen find auf.
dieſe Weife die ftärkften und bedeutendften Cinwürfe zuſam⸗
mengefaßt, die der kirchlichen Satisfactionslehre feit alter Zeit
‚gemacht worden find, An ber entgegengefegten empiriſchen
Auffaſſungsweiſe aber tadelt Schleiermacher, daß ſie Die erlöfen-
: be Ihätigfeit Chrifti nur In die Bewirfung unferer wachlen-
den Bollfommenheit febe, fofern biefelbe unter den Formen
der Lehre und des Beifpield gefchehen könne. Dieſe Formen
aber ſeyen allgemein und nichts unterſcheidendes, und da durch
wer
f
7 He immer nur unvollfommened in und bewirkt werbe, fo bleis
be nidyts übrig, ald daß wir auf Die Erköfung im eigentlich⸗
’ Pen Sinn, auf das Hinwegnehmen der Sünde, Verzicht lei⸗
ſten. Ebenſo wenig könne die zunehmende Verbeſſerung des
Einzelnen feine Befreiung vom Uebel verbürgen, und feine
Seligkeit begründen, die Verfühnung fomme daher nicht als
Beſitz und Genuß vor, fondern werde wejentlich nur als Hoff-
nung aufgeftellt, und Chriſtus fey fo bei unferer Seligfeit nur fo
betheiligt, wie er auf die zunehmende Verbeflerung wire, d. h.
- fo, daß auf eine fpecififche Verfchtedenheit zwifchen ihm und
: andern Menfchen wenig anfomme. Hiemit fagt ſich Schleier-
macher auch von der moralifchen oder rationaliftifchen Anficht
von der Verſöhnung ebenfo entichieden los, als von der dog⸗
matiſch kirchlichen, um fo mehr aber fragt fi, worin bie wes
‚ Tentliche -Berfchiedenheit der von Schleiermacher jenen beiden
Auffaffungsweifen entgegengefegten Theorie beſtehe? Schleier⸗
macher drüdt das Eigenthümliche derſelben durch die beiden
618 IL. Ber. 2. Kap.
Säte aus, daß der Erlöjer die Glaubigen burch feine erlö-
. fende Thätigfeit in die Sräftigfeit feines Gottesbewußtſeyns,
durch feine verföhnende in die Gemeinfchaft feiner ungetrüb-
ten Seligfeit aufnehme. Der Begriff, an welchem bier alle
hängt, ift der Begriff der Lebendgemeinfchaft. Wer erlößt
und verföhnt werden fol, kann es nur durch die Lebensge
meinfchaft mit Chriftus werden. Hiemit ift zwar zunädhk
nichts gefagt, was uns nicht längſt ald eine von vielen vor-
gezogene Auffafjungsweife der Lehre von der Erlöfung und
Verſöhnung begegnet wäre, und wenn Schleiermacher felik
Die feinige muftiich nennt, fo dürfen wir und nur rüdwärs
wenden, um zu fehen, welcdye mit ihr verwandte Elemenk
fih vorfinden, und auf welcher Seite fie liegen, um und fe
gleih zu überzeugen, welches Recht Schleiermacher aud in
biefer Hinficht zu dieſer Bezeichnung hatte. Cine neue und
eigenthümliche Wendung erhält nun aber jene Auffaffungd
weile bei Schleiermacher dadurch, daß er bie Lebensgemein-
fhaft mit Chriftus ſelbſt für jeden Einzelnen nur durch das
von Chriftus geftiftete Gefammtleben vermittelt werden läßt,
Chriftus ift als Erlöfer Stifter eines Gefammtlebend: daher
darf feine erlöfende Thätigfeit nicht als eine auf den Einzel⸗
nen unmittelbar einwirfende, fondern nur ald eine von dem
von ihm geftifteten Gemeinwefen abhängige gedacht werben.
Seine Thätigfeit ift dadurch bedingt, daß die Einzelnen in
den gefchichtlichen Kreis feiner Selbftoffenbarung eintreten.
Dieß ift die natürliche Vermittlung der Thätigkeit Chrifi,
Gleichwohl ift diefe Thätigfeit nur die Fortfebung der ſchö—
pferiichen göttlichen Thätigfeit, aus welcher aud Die Perſon
Chrifti entftund. Wie bei Entftehung derfelben die ſchöpferi⸗
ſche göttliche Thätigkeit, die fich in ihm ald das Seyn Got⸗
tes befeftigte, das einzig thätige war, fo kann ſich auch in
dem Einzelnen die Thätigkeit Chrifti nicht befefligen, ohne
auch in ihm perfonbildend zu werden. Das ganze perfünlis
che Selbſtbewußtſeyn wird Dadurch ein anderes, Daß wir bie
Schleiermader. 619
felbe göttliche Kraft, von welcher in ihm alles ausgeht, auch
als Die Duelle unferer Thätigfeit finden. Eben dieß ift die
‚Mittheilung feiner Bollfommenheit und Unfündlichkeit, oder
die Kräftigfeit feines Gottesbewußtſeyns, die die Wirkung ſei⸗
ner erlöjenden Thätigfeit if. Wie er Dadurch ald.Erlöfer Die
Macht der Sünde bricht, fo ift e8 nur die andere Seite die
ſes Aufgenommenfeyns in feine Lebensgemeinſchaft, daß er
auch den Zufammenhang zwifchen Uebel und Sünde aufhebt.
Stifte die erlöfende Thätigkeit eine Dem Seyn Gottes in Chris:
ſtus entfprechende Thätigfeit in jedem Glaubigen, fo ftiftet
das verjöhnende Element, die Seligfeit des Seyns Gottes, in
ihm ein jeliged Gefühl, in welchem Schmerz und Leiden,
‚ wenn aud nicht materiell, duch formell aufgehoben find.
‚Bei der Beurtheilung der Schleiermacher’fchen Theorie
fommt alles auf die Frage an, wie ed fich mit‘ der hier vor⸗
ausgeſetzten erlöfenden und verfühnenden Thätigfeit Chrifti
verhält, fofern fie auf der einen Seite zwar nur eine durch
ein Gemeinweſen vermittelte, auf der andern aber doch zu—
gleich, wie fie von Schleiermacher befchrieben wird, eine wahr⸗
haft perfönliche feyn fol? Laßt fich jened Mittelbare auf der
einen, und dieſes Unmittelbare auf der andern Seite vollfom-
men zufammendenfen, oder fommt die Schleiermacher’fche
. Theorie, indem fie widerftreitende Elemente in fich vereinigen
will, zulegt Doch wieder auf eine der beiden Auffaffungswei-
fen, welchen fie fich entgegenfeßt, zurüd, die magifche oder
empirifche? Um ſich hierüber näher zu verfländigen, darf man
nicht vergeffen, daß man fich hier in dem Mittelpunfte der
Schleiermacher'ſchen Glaubenslehre befindet, auf dem Punf-
te, von welchem der ganze jo Funftvoll gegliederte Organis⸗
mus derfelben ausgeht, und auf welchem insbefondere die für
das Ganze fo wichtige Lehre von der Perſon Chrifti beruht.
Wer Glied der chriftlichen Gemeinfchaft ift, findet fich in fei-
nem religiöfen Bewußtfeyn auf eigenthümliche Weiſe beftimmt,
und Tann alle Clemente, die den wefentlichen Inhalt feines
! Mi
\
620 ME Ber. 2 Rap.
Bewußtſeyns ausmachen, nur auf Chriftus als den Stifte
der chriſtlichen Gemeinſchaft zurüdführen: Indem nun abe I
der Chrift von dem Mittelpunkt der innern Erfahrungen fe |
nes chriftlichen Lebens, in welche er ſich hineingeftellt ficht,
ausgeht, und fie nur als Wirkungen Chrifti betrachten Tann,
muß fih von ihnen aus, da die Würde und Wirkſamkeit
Ghrifti einander gleichgefegt werben muͤſſen, auch ergeben, was
Chriſtus felbft gewefen if. Auf diefem Schluffe von der Wir
fung auf Die Urfache beruht die ganze Schleiermacher’fche Chri⸗
ftologie. Da der Chrift als Glied der chriftlichen Gemein⸗
[haft auch überzeugt feyn muß, daß dem menfchlichen Ge
fchlecht Feine vollfommnere Seftaltung des Gottesbewußtfeynd
bevorfteht, fondern jede neue nur ein Rüdichritt wäre, und
Daß in derfelben jedes Wachsthum an Wirkfamfeit des Got-
tesbewußtſeyns nicht aus irgend einer neu hinzutretenden Kraft
hervorgeht, fondern immer nur aus ber rege bleibenden Ems
pfänglichkeit für feine Einwirkung, fo muß offenbar jeder ge |
gebene Zuftand dieſes Gefammtlebend nur Annäherung blei⸗
ben, zu dem, was in dem Grlöfer felbft geſetzt ift, d. h. es
muß ihm eine urbildliche Würde zufommen. Diefe urbilblide
Würde darf aber nicht blos ein Ideal feyn, das in der Wirklich⸗
feit nicht eriftirt, fie muß auch gefchichtlihe Wahrheit haben.
Soll die Selbftthätigkeit ded neuen Geſammtlebens urfprüng-
lich in dem GErlöfer feyn, und von ihm allein ausgehen, fo
mußte er als gefchichtliches Einzelweſen zugleich urbildlich feyn,
d. h. das Urbildliche mußte in ihm vollfommen geſchichtlich
werden, und jeder gefchichtliche Moment defjelben zugleich dad
Urbildliche in fi) tragen. Es Eönnte alfo feine wahre Ge
meinfchaft zwifchen ihm und uns ftattfinden, wenn er nidt
al8 das Urbild, welchem die Gemeinde immer nur fich an-
nähert, über das fie aber nie hinausfommen kann, unter den
gewöhnlichen Bedingungen des menfchlichen Lebens fich ent
widelt hätte. Es ift hier nicht der Ort, die Unhaltbarkeit
dieſer Chriftologie, die Undenkbarkeit des Zufammenfeyns ber
Schleiermader. 621
den Elemente, aus welchen ſie Die Berfon bed Erlöfers con«
wirt, des urbildlichen und geichichtlichen, von ben verſchie⸗
nen Gefichtspunften aus, unter welche fie geftellt werden
an, nachzumeifen 1), Bleiben wir bier nur bei dem Näch-
I) Wenn ich hier, wie früher in der chrifil. Gnoſis ©. 643. f.,
Die Incongruenz des Urbildlichen und Gefchichtlichen in der
Schleiermacher’fchen Chriftologie behaupte, und zwar aus
Dem Grunde, weil überhaupt zwifchen der Idee und der
Wirklichkeit, der Natur der Sache nach, ein Verhaͤltniß der
Incongruenz Rattfindet, fo verfieht es fich von felbft, daß ich
Die dee, oder die Urbildlichkeit, in ihrem rein abfoluten
&inn nehme, _und die Fülle und Zotalität der Idee dem
abfoluten Wefen Gottes felbft gleichlege. Ich beftreite das
ber die Schleiermacher’fche Chriſtologie, weil fie fich zwar
diefelbe Aufgabe ftellt, welche die Eirchliche Theorie zu Idfen
fucht, in der That aber etwas ganz anders, einen weit ges
zingern Begriff, an die Stelle des Firchlichen fett. Die Vers
theidiger der Schleiermacher’fchen Ehriftologie, wie Schwei-
zer über das Leben Jeſu von Strauß (Theolog. Stud. und
Krit. 1837. 38H. ©.498.) geben felbft zu, daß die dee, oder
Gott in feiner totalen Fülle, fofern er im Leben des Men⸗
fchen fich manifeftirt, nur in der Totalität des ganzen Men-
fchengefchlechts zur Erfcheinung komme, alio nur in der gans
zen Menfchheit fein adänuntes Abbild habe, fen ein Sag,
den ſich unftreitig Echleiermacher nicht nur habe gefallen
Laffen, fondern recht eigentlich in feiner Weltanfchauung als
einen Grundſatz habe haben müflen. Nur glaubt Schweizer,
der Sag, daß die dee ihre totale Manifeftation in menfch-
licher Form nur in der Totalität des menfchlichen Gefchlechts
finde, fey ein Sag, welcher hier gar nicht den Streit be⸗
rühre, es handle fih nur um das andere Lemma, ob die
dee daneben auch noch abfolut in einem Individuum ers
feheine. Eben dieß if es, was ich nicht zugeben kann. Wie
kann denn die Idee, muß Ich bier fogleich entgegnen, abfo>
Int in Einem Individuum erfcheinen, wenn doch zugleich be⸗
baupter wird, daß Gott fein. adänuates Abbild nur in der
622
ften ftehen, was mit ber Lehre von der Erlöfung und Be
föhnung, um welche e8 uns zu-thun ift, zufammenhängt, I
Ill. Ber. 2. Kap.
Totalität des ganzen Menfchengefchlechts habe, abfolut alfı
nur in der Menfchheit erfcheine? Schon dadurch wird allı
jene abfolute Erfcheinung der dee in Einem Individum
eine bios relative. Die Idee erfcheint in dem Individuum,
zum lnterfchied von ihrer Erfcheinung in der Zotalität dei
Gefchlehts, fo wie fie überhaupt in einem Individuum er:
fcheinen Eann, alfo auch auf der höchften Stufe einer fol:
chen Manifeftation nur relativ. Man beachte daher nur,
was aus der abfoluten Erfcheinung der Idee in dem Eine
Individuum wird. Die abfolnte Erfcheinung der Idee in
dem Einem Individuum führe Schweizer auf den Begrif
der fpecififchen Dignität Chriſti als des Religionsſtifters zu
rüd, und diefe fpeeififche Würde Chriftt it die aus der tieß
fien Erlebung des göttlichen Weſens gefchöpfte geniale Ins
dividualität Ehrifti: er ift der Größte auf dem Gebiete der
Religion, das größte religidfe Genie, wie es vor ihm noch
Feines. gegeben hat, und auch nach ihm Feines mehr geben
wird. Woher weiß man aber, daß kein anderes, noch groͤ
Beres religidfes Genie Eommen kann? Auf empirifchem We
ge kann man dieß natürlich nicht willen, aber ebenfo wenig
auf dem Wege der Spekulation, denn, wenn Die dee im
Individuum überhaupt nicht abfolut, fondern nur relativ
erfcheinen Fann, wer will die Grade diefer Nelativität mit
einem abfoluten Maßſtab beftimmen? Wenn man daher aud
noch fo weit davon entfernt if, Chriſtus als einen bloßen
Religionsveranlaffer anzufehen, fo muß doch auf der andern
Seite auch Dem Sag, daß die Art, wie die Idee ſich realis
firt, nicht diefe it, in Ein Eremplar ihre ganze Gülle auszuſchüt⸗
ten, fein Recht bleiben, und man ift nicht berechtigt, die fpecififche
Dignität Chrifti, als Religionsftifters, der abfoluten Erſchei⸗
nung der dee in dem Individuum gleichzuſetzen, oder dem
Begriffe des Gottmenfchen zu jubftituiren. Aus diefem Bruns:
de Fann ich auch dem Argumente, Durch welches meine ver:
ebrten Freunde D. Kern (Tüb. Zeitichr. für Theol. 1836.
Scäleiermader. 623
ft von ſelbſt Har, Daß gerade ber Weg, auf welchem Schleier-
nacher feine Ehriftologie zu Stande bringt, indem er von den
9. 2. ©. 32.) und D. UImann (in dem Antwortſchreiben au
D. Strauß Theslsg. Stud. und Krit. 1838. 2. H. ©. 34.)
Diefe Theorie, in welcher ich nur eine neue Form des Arianismus
feben kann, auf der Schleiermader-Schweizer’fchen Grund⸗
lage weiter zu begründen fudhten, Fein großes Gewicht beiles
gen, dab die Perfänlichkeit des Menſchen folange noch nicht
vollendet, und der wahre Begriff des Menfchen noch nicht
erreicht ſey, folange das menfchliche Leben der “idee noch
nicht entfpredhe, dak alfe irgendwann in ber Weltgefchichte
der Moment eintreten müfle, in welchem im Zuſammenhan⸗
ge der Menſchheit diejenige Perfon erfcheine, die unberührt
von dem fonk allgemeinen Widerſpruch mit der Idee, in ih⸗
rer Perfönlichfeit die “Idee der Menfchheit rein und voll⸗
Kändig darſtelle. Aufgehoben iſt der Widerfprud mit der
Idee in dem Individuum, nur wenn das “Individuum abfo=
Iut mit Gott Eins ik, wie kann ader das Individnum ab-
folut mit Bott Eins werden, wenn doch zugleich behauptet
wird, daß Gott wur in der Menfchheit im Ganzen fein ab»
foIntes Abbild habe? Die einzige Form, in welcher das Ins
dividnum abfolut mit Gott Eins werben fann, ik nur bie
kirchliche Theorie, bei diefer bleibe man alfo auch, und ſub⸗
fituire ihr feinen von ihr weſentlich verfchiedenen Begriff.
Eine religiäfe Senialität, wenn fie auch noch fo eminent ge-
dacht wird, ſteht doch immer tief unter Der “dee des Sott⸗
menſchen. 2öst ſich nun aber, wie nicht geläugnet werden
Tann, die Firchliche Theorie in Doketismus auf, und kann
ſich die Schleiermacher'ſche in der ihr neueftens gegebenen
Form nicht über die Sphäre des Arianismus erheben, fo
müßte es fchlechthin unmöglich ſeyn, dem Chriſtenthum den
Charakter der abfoluten Religion zu vindiciren , wenn nicht
die Natur der Sache felbk dahin führte, die abfolute Idee,
die durch Chriſtus in das Bewuftfegn der Menfchbeit eins
getreten if, von der Realifirung derfelben in der Perſon
Chriſti zu unterfdpeiden. Diele abfolute Idee iR Die weſent⸗
624 UII. Ber. 2. Rap.
Wirkungen auf die Urfache zurüdichließt, nur auf die Gaule-
lität eines urbildlichen Principe, auf die abfolute Macht der
in der Menfchheit zum Bewußtſeyn gefommenen Idee, Teine-
wegs aber auf eine urbildliche Perfönlichfeit, in welcher, als
ihrer concreten Geftalt die abfolute Idee fich felbft individus
liſtrt hätte, zurüdführt. Die Erfahrungen des innern Lebend,
deren ſich der Ehrift in der Mitte der chriftlichen Gemeinſchaſt
bewußt wird, feßen nur das Daſeyn eines der Menſchheit ein
gepflanzten neuen Lebensprincips voraus, das fo unbegreifid
es auch in feinem Urfprung, in Anfehung des Individumms,
in welchem es zuerft zum Bewußtfeyn Fam, und fich wirkfem
erwies, fenn mag, ed doch vollfommen erflärbar macht, we
ſich aus ihm nicht nur das Ideal abfolut göttliher VBolltons
menheit, mit allen den Zügen, die auf ben hiftorifchen Chr
ſtus übergetragen wurden, erzeugte, fondern auch alle je:
Wirkungen hervorgingen, welche den weientlichen Inhalt deß
chriſtlichen Bewußtſeyns ausmachen. Und wenn, wie mit
liche Einheit Gottes und des Menfchen, und Chriſtus kaun aller
Dings nicht anders, als anf die intenfiofte Weife von ihr durch⸗
|
drungen, und ihre Realität fo vollfommen, als es nur immer ei⸗
nem Individuum möglich ift, in fich dDarftellend gedacht werden,
aber dabei bleibt es Doch immer zugleich ebenfo wahr und unbes
fireitbar, daß das Individuum unter der dee ſteht. Wie wenig
fann der Begriff abfoluter Vollkommenheit und Unfündlichkeit
für das Individuum feftgehalten werden (melden Begriffiafchen
Schleiermacher felbft fo viel möglich wieder befchränft, wenn
der dominirende Einfluß Chriſti Feineswegs direkt und un
mittelbar auf die taufenderlei Beziehungen des menfchlichen
Lebens fich erſtrecken foll (vgl. Schweizer a. a. O. ©. 501.),
wenn doch nach der Schrift felbft niemand gut ſeyn kann,
denn der einige Gott, Chriſtus alfo Gott im abfoluten Sinn
(nach der Eirchlichen Lehre) fenn müßte, um abfolut gut zu
ſeyn. Der Begriff der unfündlichen Entwiclung, anf mel
chen die neue arianifche Theorie den alten Begriff der Ans
martefia zurückführt, ift ein ganz relativer Begriff.
—
Schleiermacher. 625
Recht bemerkt worden iſt, die Perſönlichkeit, in welcher ein
ſolches Princip zuerſt wohnte, an ſich ſchon ihre Bedeutung
verliert, ſobald ſich daſſelbe auf andere fortgepflanzt hat, und
baher Schleiermacher ſelbſt in dem chriſtlichen Bewußtſeyn nichts
findet, das uns nöthigte, das Fortwirken des Erlöſers uns
anders zu denken, als ſo, daß ſein ſich fort und fort in der
Menſchheit mehr organiſirender Geiſt in immer weitern Krei⸗
fen die Menſchheit an ſich zieht und beſeelt, für Chriſtus, als
hiſtoriſche Perfon, alfo blos die Bedeutung übrig bleibt, daß
der der Gemeinde eingefenkte Geift ſich nur durch fein Bild
forterzeugen kann, fo ift ja das dem chriftlichen Bewußtſeyn uns
nitttelbar Gegenwärtige nur der durch Chrifti Bild in ber
Gemeinde fortwirkende Geift, nicht aber eine die urbildliche
Berfönlichkeit Chrifti vorausfegende Wirkſamkeit. Hieraus
geht nun aber audy hervor, daß, wenn das Mefen der Erlös
fing und PVerföhnung von Schleiermacher als eine Lebens-
Gemeinſchaft mit Chriftus beftimmt wird, Diefer Ießtere Aus«
drud nur in einen fehr unelgentlichen Sinne genommen wers-
‚den Tann, und es ift Kar, daß, wenn an fich ſchon der Bes
griff einer Lebensgemeinfchaft, welche auf der einen Seite eis
ne perfönliche, fomit auch unmittelbare, auf der andern aber
eine Durch ein Gemeinmwefen vermittelte feyn fol, Beftimmun-
gen in fich enthält, deren Vereinbarkeit ſich kaum denfen läßt,
nur Die leßtere diefer beiden Beftimmungen, welche das Haupt⸗
gewicht auf der Vermittlung durch die Gemeinſchaft legt, als
Die wefentliche angefehen werden fann. - Das Wahre der Sa-
de, das aus der Gonfequenz der Schleiermacher'ſchen Brin-
eipien fi) allein Ergebende, ift daher ftatt der Aufnahme in
die Lebendgemeinfchaft mit einem Chriftus, deffen gefchichtli=
he Urbildlichkeit fich nicht erweifen läßt, und deſſen fortleben-
de. Berfönlichkeit zu glauben, nicht einmal im Intereffe des
chriſtlichen Bewußtſeyns liegen fol, das Aufgenommenfeyn
bes Einzelnen in den Kreis eines Geſammtbewußtſeyns, in
welchem das der chriftlichen Gemeinſchaft eigentbümliche Prin⸗
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 40
626 IIL Ber. 2. Kap.
cip ſich wirkfam erweist. Auf diefe Weife geht nun zwar al
lerdings Schleiermacherd myſtiſche Auffaſſungsweiſe der Eis
fung und Berföhnung in diejenige über, welche er ſelbſt als
die empirifhe bezeichnet, welche alled Ueberriatürliche in da |
Erlöfung läugnet, und diefelbe blos durch Lehre und Beiſpie
vermittelt werden: läßt, und wenn auch dieſer letztern zugeflaw
den werden muß, daß fie das zu bewirken im Stande if,
was, wenn überhaupt die Erlöfung Realität haben foll, im
mer als das MWefentlichfte des Zuftandes der Grlösten be
trachtet werden muß, die Erwedung und Bildung eine num.
geiftigen Lebens, fo fieht man in dieſer Hinſicht wenigkes
nicht, worin die wefentliche Verſchiedenheit zwiſchen ihr us
der Schleiermacher’fchen Theorie beftehen fol. Erlöst md
verföhnt mit Gott weiß fich derjenige, welcher durch das von
Chriſtus der Menfchheit eingepflanzte Princip, und das von
demfelben ausgegangene geiftige Leben die Macht der Sünde
in fich gebrochen, und die an der Sünde haftende Schuld ie
ſich aufgehoben fühlt. Auf der andern Seite aber würde man
unftreitig auch hierin ein großed Unrecht an der Schleierme
cher’fchen Lehre begehen, wenn man fie auf den Standpunkt
des gewöhnlichen Rationalismus herabziehen wollter Sie
flimmt demfelben nur in ihrem Widerfpruch gegen Das ma
gifch Uebernatürliche bei, ohne deßwegen den Begriff des Ue
bernatürlichen felbft aufzugeben, und wenn fie auch, was ihr |
Verhältniß zu der dem Nationalismus gerade gegenüberfle
henden Anficht betrifft, ihre gefchichtliche UrbildlichFeit des Ers |
löſers auf Feine genügende Weife rechtfertigen kann, fo wär I
de man doch fehr irren, wenn man glauben wollte, mit de
gefchichtlichen Eriftenz eines urbildlichen Erlöfers falle auf
die Wahrheit und Wirklichkeit der urbildlichen oder abfoluten
Idee hinweg. Es bleibt auch fo vollfommen wahr, was
Schleiermacher im Gegenfat gegen die empiriſche Auffafſungs⸗
weife erinnert, daß wir und mit dem Selbftbemußtfeyn wad»
fender Vollkommenheit nicht begnügen können, weil es ebenfo
Shleiermader. 697
fehr dem Bewußtfeyn der Sünde, ald dem ber Gnade ange
börig, das eigenthümlich Chriftliche nicht in fich fchließen Fann.
Das chriftliche Bewußtſeyn kann demnach überhaupt nicht blog
bei einem relativen Begriff ftehen bleiben, ſondern fich nur
auf den abfoluten erheben, oder ed gehört zu ihm wefentlidh
Die allen Chriften gemeinfame Ueberzeugung, daß dem menſch⸗
lichen Geſchlecht Feine vollfommnere Geftaltung bed. Gottesbe⸗
wußtfeyns bevorftche, fondern jede neue nur ein Ruͤckſchritt
wäre, und jeder gegebene Zuftand des chriftlichen Geſammt⸗
lebens immer nur Annäherung zu dem bleiben Tann, was
ſchon als Höchftes im chriftlichen Bewußtſeyn ſelbſt geſetzt ift.
Worin befteht nun aber diefes Höchfte des chriftlichen Bewußt⸗
ſeyns, wenn die gefchichtliche Eriftenz eines urbildlichen Erlö-
ers nicht die nothwendige Vorausſetzung deffelben ſeyn fol?
Daſſelbe Princip, das die urbildlihe Würde des hiftorifchen
Ehriſtus der Schleiermacher'ſchen Chriftologie zufolge conſti⸗
tuirt, wird als ein Princip des religiöfen Bewußtſeyns auf
gefaßt, das zuerft in Chriſtus und durch feine Berfon in der
‚Menfchheit zum Bewußtſeyn gefommen ift, und der Unter-
ſchied der einen Anficht von der andern befteht daher darin,
baß der eigenthümliche Vorzug, welchen der hiftorifche Chris
Aus nad) Schleiermacher auf eine für alle andern ausſchlie⸗
Bende Weife gehabt hat, als das Gemeinfame betrashtet wird,
das an fih zum Weſen der Menfchheit überhaupt gehört.
Wenn daher nad) Schleiermacher das, was ben Erlöfer von
allen andern Menſchen unterfcheibet, die ftetige Kräftigfeit fei-
nes Gottesbewußtſeyns ift, welche ein eigenthümliches Seyn.
Gottes in ihm war, fo müfjen wir dagegen vielmehr fagen,
biefes Seyn Gottes in ihm ſey durch ihn und an ihm als
das Seyn Gottes in der Menfchheit, ald die wefentlihe Eins
beit Gottes und des Meufchen, als die Idee des Gottmen-
ſchen, in der Menfchheit zum Bewußtfeyn gefommen, und dag
eonflitutive Princip eines neuen geiftigen Lebens ‚geworben.
In diefem Princip liegt demnach auch die objeftive Realität
| 40 *
628 m. Ber. 2. Say.
der Erlöfung und Verföhnung. Der allgemeinfte und meint
lichfte Begriff der Erlöfung und Berföhnung iſt das Eink
werben des Menfchen mit Gott. Die nothwendige objettie
Vorausſetzung aber, unter welcher allein der Ginzelne mi
Gott geeinigt, oder erlöst und verföhnt werben Tann, if die
Wahrheit, daß der Menfch an fi mit Gott Eins if. Die
fed Princip ift allein das eigenthümlich chriſtliche, wenn ad
das wahrhaft chriftliche Princip des religiöfen Bewußtſeyn
‚und Lebens nur dasjenige gelten kann, welchem ſich jedes aw
dere als ein blos relatives. unterordnen muß. Solange dw
her das Weſen der Erlöfung und Verfühnung nicht durd der
fen Begriff beftimmt ift, Tann es auch Feine dem chriſilichen
Bemußtfenn genügende Erlöfungs- und Berföhnungstheork
geben, wie am beutlichftien aus der Vergleihung der Kant
fhen Berföhnungstheorie erhellt, welche die Verföhnung nut
auf dem Wege einer unendlichen Annäherung an ein ebendeß⸗
wegen immer nur in der bloßen Vorftellung eriftirenbes Ideal
zu Stande fommen läßt, alfo nie wahrhaft und wirklich m
Stande bringt, da fie aus der Idealität des Sollend: nk
zur Realität des Seyns kommen kann. Diefe objektive Rea⸗
Lität ift Dagegen hier in der nicht blos al8 Ideal dem Sub—⸗
jeft vorfchwebenden, fondern an fich feyenden Einheit des Götb 1.
lichen und Menfchlichen gegeben, fofern diefelbe Die objektive ]:
Vorausſetzung ift, unter welcher allein in dem Einzelnen bie ||
Erlöfung und Verſöhnung fubjeftiv realifirt werden kam. ſi
Wenn nun der entfchiedene Fortfchritt, welcher für die Ent
wicklung des chriftlihen Dogma's in der Schleiermacher’jcen
Glaubenslehre gefchehen ift, in nichts anderem fofehr gefun⸗
den werden muß, ald darin, daß der abfolute Charafter de}
Chriſtenthums von Schleiermacdher auf eine, fowohl dem
riftlichen Bewußtſeyn, als der Idee der Wiflenfchaft in weil
höherem Grade, als zuvor, entfprechende Weiſe beftimmt wor
den ift, fo gilt dieß ganz beſonders auch in Beziehung auf
bie Lehre von der Verföhnung, wenn auch der von Schleier
Schleiermader. 629
er aufgeftellte Begriff der Lebensgemeinfchaft mit Chri⸗
auf. VBorausfegungen beruht, welche ſich wiffenfchaftlich
rechtfertigen laſſen. Wie dieſer Fortſchritt befonders der
Rant’iche Principien ſich flügenden, das eigenthümliche
n des ChriftentHums mehr oder minder verfennenden
logie: gegenüber ſich Ear herausftellt, fo zeigt fich ein
ver Kortichritt von einer andern Seite. So ftarf und
begründet das Selbfibewußtfeyn war, mit welchem die
schen Theologen von den Principten der praktiſchen Ver⸗
; ausgingen, und fo wenig fich läugnen läßt, daß bie
: Behandlung des chriftlichen Dogma’s dadurch eine weit
ivere Haltung erhielt, als ihr das unwiſſenſchaftliche
ihren der früheren Periode geben konnte, fo Tann doch
Berfuch, den ganzen Inhalt des Chriftenthums auf die
idſätze und Formeln der Kant'ſchen Philoſophie zurüdzus
n, in demſelben Verhältniß, in welchem dieß dem chriſt⸗
. Bewußtfeyn widerftreitet, nur als eine fubjeftive Anficht
Willkür ericheinen. Mit dem Charakter der Subjektivi⸗
tt zwar auch die Schleiermacher’fche Glaubenslehre wie
eine andere auf, wenn fie von Feiner andern Quelle der
ihen Wahrheit wiflen will, ald dem unmittelbaren
ichen Gefühl, aber diefer fubjeftive Standpunft hat eis
ſehr objektiven Hintergrund in der Vorausfegung, daß
chriſtliche Gefühl, wie e8 in dem Einzelnen ſich aus⸗
t, nur der Refler der Eindrüde ift, welche der Einzelne
ben Erfahrungen des in der chriftlichen Gemeinfchaft in
gewedten geiftigen Lebens in fi aufnimmt. Wie Chris
nur durd die Vermittlung der Gemeinde wirkt, fo ifl
ven Einzelnen alles, was zum Inhalt feines religiöfen
ißtſeyns gehört, durch die Gemeinfchaft, deren Glied er
vermittelt. In ihr liegt das Princip aller objektiven
rheit und fubjeftiven Gewißheit, und nur hieraus iſt es
: auch zu erklären, daß Schleiermacdjer alle chriftliche
rheit als eine fchlechthin hiſtoriſch gegebene betrachtet,
|
630. Ill. Ber. 2. Rap.
und die Philofophie vom Glauben aufs firengfte gefchieden
wiffen will. Auch Kant Fonnte, wenn er feinen philoſophi⸗
fhen Standpunft mit dem Chriftenthum in Vebereinftimmmung
bringen wollte, die ganze Gefchichte des Chriftenthums nur
als die objektive Vermittlung betrachten, durch welche der res
ne Dernunftglaube allmälig zu feiner Reinheit hindurchdrin
gen follte. Fe negativer aber der Kant'ſche Vernunftglaube
zum Inhalt der chriftlichen Offenbarung fich verhält, deſto
. mehr Eonnte Kant in dem ganzen Verlauf der chriftlichen Kir
che nur eine Verunreinigung der reinen Vernunft= Ideen er
bliden, einen flatutartfchen Kirchenglauben, welcher nur un
ter den größten Berirrungen dem reinen Bernunftglauben al
Vehikel und Mittel der öffentlichen Vereinigung der Menfchen
zur Beförderung des lehtern dienen konnte. Je mächtiger und
überwiegender aber auf diefe Weife die Objektivität der Ge
fchichte demjenigen gegenüberfteht, was von einem Standpuntt
aus, wie der Kant’fche ift, als reine Vernunftwahrheit gelten
fol, defto ſubjektiver erfcheint diefer Standpunft felbft. Es
verhält fich diefer Standpunft im Ganzen ebenfo negirend umd
proteftirend zur-Gefchichte, wie die Anſicht derer, Die aus dr
nem höchft einfeitigen Neformations » Intereffe in dem ganzen
Entwicklungsgange des Chriftenthums nichts anders fehen wol-
len, als eine immer größere Entftelung und Verkehrung be
Grundſätze, die ihnen ald das wahre Weſen des Proteftans
tismus. gelten. Den geraden Gegenfag zu einer ſolchen An
ficht, welche die Objektivität der Gefchichte mit der Macht ded
fubjeftiven Bemußtfeyns beherrichen und fich unterwerfen will,
bildet die Schleiermacher’fche Glaubenslehre, fofern fie von
ihrem Standpunft aus die chriftliche Gemeinſchaft als das
Reich des, ald Gemeingeiſt die Glaubigen befeelenden, heiligen
Geiftes betrachtet, und daher auch in der ganzen Geſchichte
des Chriſtenthums, ungeachtet aller Einfeitigfeiten und Ber:
irrungen, die überall überwiegende, durch alles hindurchdrin⸗
gende Wirkfamfeit des eigenthümlichen Princips des Chriften-
Schleiermader 631
md erfennen muß. Nur unter diefer Borausfehung kann
die chriſtliche Gemeinfchaft fofehr als die Duelle aller
lichen Wahrheit und des chriftlichen Heils gelten, daß
ı der Einzelne nur receptiv verhalten darf, um von der er-
mden und verjöhnenden Thätigfeit Des Durch Die Vermitt⸗
ig feiner Gemeinde aufden Einzelnen.einwirfenden Chriſtus an-
ogen, oder in feine Lebendgemeinfchaft aufgenommen zu wer-
. Können wir den Kant’fchen Standpunft einen einfeltig
teftantiichen, dem Princip der Subjektivität einen zu freien
helraum gewährenden nennen, fo fällt Dagegen nicht min«
klar in die Augen, wie fehr fich die Schleiermacher’fche
aubenslehre -auf die Seite der Fatholifchen Kirche ftellt.
rc wie dort wird ja die perfünliche Wirkſamkeit des Erlö-
3 foviel möglich zurüdgeftellt, und es ift ſtatt derfelben viel«-
hr die Firchliche Gemeinfchaft, in welcher dem Cinzelnen
8 gegeben ift, wodurch für ihn- fein religiöfes Leben ver-
telt werden fol. Sa, wir müflen fogar fagen, daß der
griff der religiöfen Gemeinfchaft in der Schleiermacher'ſchen
zubenslehre reiner in ſich abgefchlofien ift, al8 in dem Sy⸗
n der Eatholifchen Kirche. Es darf Hier nicht überfehen
den, Daß der eigentliche Mittelpunkt der Schleiermacher-
n Glaubenslehre in letzter Beziehung immer wieder das
feftive Bewußtſeyn, oder das unmittelbare chriftliche Ges
Lift. Indem fie bier ihren Standpunft nimmt, um fid
ı demfelben aus den Inhalt des chriftlichen Glaubens und
end zum Bewußtfeyn zu bringen, geht fie aus der Sphäre
. fubjeftiven Bewußtſeyns immer nur foweit heraus, als
big ift, um die Erfahrungen des Innern Lebens, als Wir-
gen einer außerhalb des unmittelbaren Selbftbewußtfeyng
enden Urſache, aus einem zu ihrer Erklärung hinreichenden
ncip abzuleiten. Diefes Princip Tiegt in der religiöfen
meinfchaft, von welcher der Einzelne, al8 Glied derſelben,
ängig iſt. Es ift der, ald Gemeingeift das Gefammtbe«
Btfeyn der Slaubigen bildende, heilige Geil. Da aber
632 Al. Ber. 2. Kay.
Schleiermgcher diefen Geiſt nur in feinem Verhältniß zu der
Gemeinſchaft, in welcher er wirft, betrachtet, und jede obiels
tive Beziehung auf ein immanentes Trinitäts-Verhältniß laͤug⸗
net, fo drüdt ſich Hierin der zwiſchen Subjeftivität und Ob
jeftivität fehwebende Charakter der Schleiermacher’fchen Glau⸗
benglehre fehr Har aus. Wie Chriftus das Seyn Gottes in
einem menfchlichen Individuum ift, fo ift der heilige Geift die
Vereinigung des göttlichen Weſens mit der menfchlichen Ra
tur in der Form ded das Gefammtleben der Glaubigen be
feelenden ®emeingeiftes, aber je treffender diefe Formel den
heiligen Geiſt als das der Menichheit eingepflanzte, und in
ihr in immer weiterem Kreife wirkende abfolute Princip ber |
zeichnet, deſto auffallender wird nur, wie Schleiermacher die
Schranken der religiöfen Gemeinfchaft, deren Gemeingeiſt der
heilige Geift ift, nicht überfchritt, und ihn als eine objektive Be
fiimmung des in ihın, wie in dem Sohne, fi) mit ſich ver:
mittelnden göttlichen Weſens felbft auffaßte. Daher ift-nım
eben bier der Bunft, auf welchem die Schleiermacher’fche Lehe |
re von der. Erlöfung und Verföhnung, fo fehr fie den abfe-
Iuten Begriff derfelben erfaßt zu Haben fcheint, Doch wieder
in einem Mißverhältniß zu demfelben fich darftellt, und fo
gar nahe daran ift, auf ben Kant’schen Standpunft zurüdus
fallen. Iſt das Weſen der Erlöfung und Verföhnung, dem |
abjoluten Standpunfte des Chriftentbumd gemäß, ald bie
Mitiheilung der unfündlichen Vollfommenheit und ungetrüb
ten Seligfeit Chrifti, ald die Aufnahme in feine Lebendge
meinfchaft, fomit auch in die Gemeinfchaft des Seyns Gottes
in ihm, mit Cinem Worte, als die Einheit des Göttlichen und
Menſchlichen beftimmt, wird nicht der. reale Begriff diefe
Einheit Dadurch wieder aufgehoben, daß dem Erlöfer und dem
Geiſt, durch welche fie vermittelt werden fol, das Wefen Got
tes ein fremdes tft, daß fie felbft nicht an fi) mit ihm Eind
‚find, ſondern ihm nur in einem äußern, nicht näher beſtimm⸗
baren Verhältniß gegenüberftehen? Bleibt nicht auch fo Die
Schleiermacher. 633
ſelbe unausfuͤllbare Kluft zwiſchen Gott und dem Menſchen
befeſtigt, durch welche die Kant'ſche Lehre in ihrem, in ſtets
unerreichbarer Ferne uͤber dem Menſchen ſtehenden, Sittenge⸗
ſetz den Menſchen von Gott trennt? Hieraus ergibt ſich uns
mun erſt ber eigenthuͤmliche Charakter der Schleiermacher'ſchen
i
Berföhnungstheorte. Sie geht zwar über die Kant'ſche Sphaͤ⸗
re der Subjektivität hinaus, in welcher das ganze Moment
ber Berföhnung nur in bas Subjekt faͤllt, das Subjekt felbft
in ber Unendlichkeit feines fittlichen Strebens die Idee der '
Berföhnung realifirt, aber ebendarum nur in unendlicher An⸗
näherung, allein die Objektivität, zu welcher fie ſich wendet,
SR nur die Objektivität der Gefchichte, oder der gefchichtlich
gegebenen religiöfen Semeinfchaft, die dem Einzelnen als die
—J beſtimmende objektive Macht gegenuͤber ſteht. Wie die
"Sünde die Geſammtthat, das Uebel die Geſammtſchuld bes
: Gehklchte ift, fo ift auch die Erlöfung und Verföhnung das
i gemeinſame Werk des Geſchlechts, und wenn auch dad Ges
4° fehlecht, foweit ed das Bewußtfeyn der Erlöfung und Verföhr
ge nung in fid) trägt, oder vom heiligen Geift, als feinem Ge⸗
—
meingeiſt, beſeelt und regiert iſt, nur der Durchgangspunkt für Die
in ihrem höchſten Princip von Gott ausgehende erlöfende und
Herföhnende Thätigkeit feyn fol, fo ift doch eben dieß, wiefern
“ & als ein bloßed Durchgangsmoment anzufehen ift, das
ſchlechthin Unbekannte, und die höchfte göttliche Urſächlichkeit,
auf welche das Subjeft zurüdgehen muß, um für fein Ab»
"hängigfeitögefühl einen abfoluten Anfnüpfungspunft zu ha⸗
ben, verhält fich zu Dem Gefammtleben, durch weldyes für den
Einzelnen alles vermittelt wird, auf diefelbe Weife, wie Das
Kant'ſche Ding an ſich zu der Welt der Erfcheinung und Er⸗
fahrung. So ift der Dualismus, in deffen Gegenfäten der
Natur der Sache nach die Idee der Verſöhnung nie zu ihrer
wahren Realität fommen kann, aud in der Schleiermadhers
fhen Glaubenslehre, fo fehr fie alle die Einheit Got—⸗
#8 und des Menfchen hemmenden Schranken mit aller
634 | II. Ber. 2. Kap.
Macht zu durchbrechen ftrebt, noch nicht völlig überwun
den ?).
1) Die zwifchen Subiektinieät und Objektivität ſchwebende Hal
tung der Schleiermacher’ihen Glaubenslehre fällt noch meh
in die Augen, wenn wir andere Schriften Schleiermacher
vergleichen, in welchen Die verfchiedenen Standpunkte, die
in der Glaubenslehre fo viel möglich zur Einheit verbunden |
find, noch mehr in ihrer natürlichen Einſeitigkeit hervartres
ten. In der zuerfi im J. 1805. erfchienenen Weihnachts '
feier hat ſich Schleiermacher über die Einheit des Gökli-
chen und Menfchlichen, oder wie er es hier nennt, die &
nerleiheit des Seyns und Werdens, und infofern auch über
die Erldfung und Verfühnung auf folgende Weife ausgefpre
chen (zweite Ausg. Berl. 1826. ©. 139. f.): „„Der Einzelne
if das Werden allein, und ift, fich anfchließend an die manch⸗
faltigen Bildungen der Erde, im Abfall und Verderben,
welches if die Imwietracht und die Verwirrung, und er fin
det feine Erlöfung nur in dem Menfchen an fih (in wel⸗
chem ewig die Einerleiheit if, des Werdens und des Gegnd,
und das Willen, der Gedanke diefer Einerleiheit). Darta
nämlich ift die Erlöfung, Daß eben jene Einerleiheit ewigen
Seyns und Werdens des Geifted, wie er fich auf diefem
Weltkörper offenbaren Eann, in jedem felbft aufgeht, fo daf
jeder alles Werden und auch fich felbft nur in dem emigen
Senn betrachtet, und liebt, und infofern er als ein Werden
erfcheint, auch nichts anders fenn will, als ein Gedanke de
ewigen Seyns, noch in einen andern ewigen Seyn will ge
gründet fenn, als in dem, melches einerlei it mit dem im:
mer wechfelnden und wiederfehrenden Werden. Darum fin
det fich zwar in der Menfchheit jene Einerleiheit des Seyn
und Werdens, weil fie ewig ald der Menfch an fich if und
wird; im Einzelnen aber muß fie, wie fie in ihm if.
auch werden, als fein Gedanke, und als der Gedanke eind
gemeinfchaftlichen Thuns und Lebens.’ Hier vernimmt man
noch die Sprache des Kichte’fchen Idealismus, der ganze
Standpunft if der der Subiektivität, und Seyn und Wer:
Schleiermader. 635
Sm Uebrigen behandelt die Schleiermacher’iche Glaubens:
hre, gemäß ihrem an das Firchliche Syftem ſich anfchließen«
den, der Menſch an ſich und der Einzelne, find nichts ans.
ders, als das abfolute, und das empirifche Sch, ald Untere
fchied und Einheit. Doch ift fchon hier von Bedeutung, daß
die Einerleiheit des Seyns und Werdens auch in der Menſch⸗
beit im Ganzen, als der werdende Menfch an fich angefchaut
- wird. Wergleichen wir die Reden über die Keligion, fo exe
Jg
" Scheint hier zwar die Religion in der Form der Semeinfchaft,
aber der Grundzug eines wahrhaft religidfen Vereins wird
sur in die völlig freie geiftige Thätigkeit aller Mitglieder
defielben, in der Gründung ſowohl, als in der Sheilnahme
an dem Bereine gefest, ohne daß die der Glaubenslehre fo
wichtige Grundbefimmung, daß die Gemeinfchaft weſentlich
bedingt fen durch einen beflimmten Anfangspunft in der
Gefchichte, hervorgehoben wird. Als die Grundanſchauung
des Chriftenthums wird das allgemeine Entgegenfireben als
les Endlichen gegen die Einheit des Ganzen aufgeftellt, oder
Die Beziehung alles Endlichen auf das Univerſum, aber es
iſt dieß nur der Begriff der vollendeten oder abfoluten Re»
ligion, und von dem wahrhaft Eigenthümlichen des Ehriften-
thums, von einer beſtimmten biftorifchen Beziehung auf die
Derion Chriſti, it hier nirgends die Nede (Reden über die
Rel. Erfie Ausg. 1806. II. Rede). Ja, wenn Schleiermacher
das Verderben und die Erlöfung, die Seindfchaft gegen Gott
und die Mermittlung mit ihm, als die beiden ungertrennlich
mit einander verbundenen Eeiten jener Anfchauung nach
weist, und ebendeßwegen eine ewig unbefriedigte Sehnfucht
amd cine heilige Wehmuth, als das Grundgefühl des Chris
ſtenthums bezeichnet, fo fteht dieß fogar in direktem Wider-
foruch mit der Glaubenslehre, welche eine nur als Hoffnung
aufgeftellte, nicht ald Genuß und Beſitz gegebene Verfähnung
für das nicht eigenthümlich Chriftliche erflärt (Th. 2. ©. 116.).
Vergleicht man diefe Auffaffungsmeifen, welche zwar vers
fchieden, aber fich doch auch nahe genug verwandt find, um
in einander überzugehen, fo kann man ſich um fo weniger
| }
636 Il. Ber. 2. Rap. >
ben Charakter, bie Lehre vom Tode Jefu nach ber hergebrad. ji
ten Lehrform des hohenpriefterlichen Amts Chrifti, wie es ſo
ne vollfommene Gefegeserfüllung, oder feinen thätigen &ehor
fam, und feinen verföhnenden Tod, oder feinen leidenden Ge
horſam, nebft der Vertretung der Glaubigen bei dem Vater, inf
ſchließt. Das Wefentliche in dem hohenpriefterlichen Werk
bes thätigen Gehorfams Chrifti befteht darin, daß fein Ihm
allein dem göttlichen Willen vollkommen entfpricht, und die
Herrfchaft des Gottesbewußtſeyns in ber menfchlichen Natın
rein und ganz ausdrüdt. Dieb iſt der Grund unferd Bes
hältniffes zu ihm, fofern abgefehen von der Verbindung wi
Ehriftus weder ein einzelner Menfch noch irgend ein beſtinm⸗
ter Theil des Gefammtlebend ber Menſchen vor Gott gerecht
iſt. So fihließt der Schleiermacher’fche Begriff der Lebende
gemeinſchaft von felbft den auf chriftlichem Boden nicht anzu
fechtenden Sat in ſich, daß Chrifti Gehorfam unfere Gerech⸗
tigfeit if, oder feine Gerechtigkeit und zugerechnet wird. De
gegen verwirft Schleiermacher die Formel, daß Chriftus das
göttliche Geſetz erfüllt habe, da das Geſetz allemal einen Un
terfchied und Zwieſpalt zwifchen einem gebietenden höhern mb Ti
einem unvollfommenen untergeordneten Willen bezeichne. Nur |!
ben göttlichen Willen alfo habe Ehriftus erfüllt, aber auf |;
biefen nicht an unferer Stelle oder zu unferm Beßten, fofen I:
auch Chriftus, da nur das Vollkommene vor Gott beftehen
Fönne, nichts gleichfam zur Vertheilung an andere übrig bw
wundern, wie das eigenthümlich Chriftliche in der Schleier
macher’fchen Glaubensichre doch immer nur als etwas Aulı
ferlich aufgetragenes erfcheint, deſſen loſer Zufammenhay
mit dem eigentlichen Grundelement des Ganzen, fo Fünflid
auch die verfnüpfenden Fäden verfchlungen find, doch feinen
tiefer Blickenden entgehen Fann. Vergl. H. Schmid, üuͤber
Schleiermacher’s Glaubenslehre, mit Beziehung auf die Ka |
den über die Religion. Leipz. 1855. ©. 20. 1.
Schleiermacher. 637
be, und ſein Geſammtgehorſam, nur ſofern durch ihn unſere
Uufnahme in die Lebensgemeinſchaft mit ihm bewirkt werde,
zu unferm Beften gereiche. Ebenſo haben, was den leiden.
ben Gehorſam Chrifti betrifft, bie Ausdrüde, daß Chriftus
durch feine freie Hingebung im Leiden und Tod der göttli«
"Wen Gerechtigkeit, .ald welche den Zufammenhang zwiſchen
Sunde und Uebel geordnet habe, genug gethan, und uns da⸗
brrch von der Strafe der Suͤnde befreit habe, nach Schleier⸗
wacher einen leicht verſtändlichen und leicht zu vertheidigenden
Em, wenn man fie davon verftehe, daß Chriftus, um uns
in die Gemeinfchaft feines Lebens aufzunehmen, erft in unſe⸗
se Gemeinſchaft eintreten mußte, und die höchſte Steigerung
Wines Mitgefühls mit menfchlicher Schuld und Strafwürdigs
Weit die unmittelbare Begeifterung zu dem höchften Moment
fa dem Grlöfungsgefchäft war, ‘woraus der Sieg über bie
Suͤnde hervorging, und mit der Sünde auch ihr Zuſammen⸗
hang mit dem Uebel überwunden wurde. Wie ber thätige
Behorſam Chrifti feinen hohenpriefterlichen Werth darin has
be, daß Gott und in Chriſto ald Genofjen feines Gehorfams
ſehe, fo beftehe der hohenpriefterlidhe Werth feines Ieidenden
Gehorſams darin, dab wir Gott in Chrifto fehen, und Chriftum
wach -feirier fich ſelbſt fchlechthin verläugnenden Liebe, ald den
unmittelbarften Theilhaber der ewigen Liebe, die ihn gefendet
und ausgerüftet habe. Gegen die Theorie aber, weldyer zu⸗
folge Gott für den Erlöfer fein Leiden als Strafe georbnet,
und der Erlöfer felbft den göttlichen Zorn über die Sünde,
als ihn treffend und auf ihm ruhend, empfunden haben foll,
werben bie zwei wichtigen Einwendungen erhoben, daß fie auf
der einen Seite alle menschliche Wahrheit in dem menfchlichen
Bewußtſeyn Chriſti aufhebe, wenn er, was ber Ratur der
Sache nad) nur Mitgefühl in ihm feyn Eonnte, als fein per»
fönliches Selbftbewußtfeyn gehabt haben fol ), ‚auf der an«
4) Sie würde alfo auf Dokerismus führen, eine andere Frage
638 Il. Ber. 2. Kap.
dern Seite aber .auf Der Borausfegung” von einer abfolutm "
Nothwendigkeit göttlicher Strafen, auch ohne Rüdficht auf ik
ten Naturzufammenhang mit dem Böfen, beruhe, welche von
der Vorftellung einer von ben roheften menfchlichen Zuftänden
auf Gott übertragenen Gerechtigkeit nicht zu trennen fe.
Wenn jedoch von einer flellvertretenden Genugthuung in die
fem Sinne nicht die Rede feyn könne, fo könne man dagegen
den Ausdrud umfehrend Chriftum unfern genugthuenden Stel
vertreter nennen, fofern er einerfeitd, vermöge feiner urbildli⸗
hen Würde, in feiner erlöfenden Thätigfeit die Vollendung
ber menfchlichen Natur fo darftelle, Daß vermöge unfers Eind
gewordenſeyns mit ihm Gott die Gefammtheit der Glaubigm
nur in ihm fehe und würdige, anderntheild fein Mitgefühl
mit der Sünde, das flark genug war, um bie zur Aufnahme
aller Menfchen in feine Lebensgemeinfchaft hinreichende, in
feinem Tode in der abjoluten Kraft der freien Dingebung fd
Darftellende, erlöfende Thätigkeit hervorzubringen, immer no
unferm unvolfommenen Bewußtfeyn ber Sünde zur Ergis
zung und Bervollftändigung diene. Mußte Die alte Satit
factiondtheorte, ihrem Begriffe der Strafe zufolge, das Haup-
‚moment auf den leidenden Gehorſam legen (zu welchem ja
ber Thätige erft ald Ergänzung hinzufam), fo Tann dage⸗
gen eine Theorie, wie die Schleiermacher’fche, das Leiden nur
als eine um fo intenfivere Thätigfeit auffaflen, und in den
Mitgefühl, in das fie das Weſen des leidenden Gehorjamd
fest, nur den Impuls zur höchften That des thätigen Gehen
ſams ſehen.
Die Schleiermacher'ſche Glaubenslehre hat ſich, was un
aber iſt, ob nicht die Schleiermacher’fche Theorie von de
Perſon Ehrifti ſelbſt, ebenfo gut als die orthodore, die Wahr
heit des menfchlichen Bewußtſeyns in Chriftus aufhebt, und
auf einen Doletismus führt, mit welchem Fein wahres Dit
gefühl vereinbar if.
4
e
\
Schweizer. 689
fireitig als ihre größte Eigenthuͤmlichkeit zu betrachten iſt, die
roße Aufgabe gefegt, auf der einen Seite das Abfolute des
riſtenthums in feinem reinften Sinne aufzufafjen, und auf
feinen entjprechendften Ausdrud zu bringen, auf der andern
aber dieſes Abfolute nicht in abjoluter Uebernatürlichkeit dem
Menſchen gegenüberftellen, fondern es in feiner Uebernatuͤr⸗
Kchfeit zugleich unter den Gefichtspunft einer natürlichen Ent⸗
widlung und Vermittlung, einer über die Sphäre ber- menſch⸗
lichen Natur nicht abfolut Hinausliegenden Caufalität, zu ſtel⸗
m. Hieraus ift ed daher zu erflären, warum fie das größ«
ta Bericht auf die urbildliche Würde des Erlöfers legt, und
Mefelbe burch feinen andern Begriff beftimmen zu Fönnen
glaubt, ald den höchften, welchen es für das menfchliche Bes
wußtſeyn gibt, denfelben, welchen ebendeßwegen das Ehriften-
um, als die abfolute Religion, ſtets als feinen eigenthüms
Wöften feftgehalten hat, das Seyn Gottes in einen: ber Menſch⸗
beit angehörenden Individuum, oder die Einheit des Göttli-
den und Menfchlihen, während zugleich ihr Hauptbeftreben
babin geht, Diefen Begriff auf einen Ausdrud zu bringen,
welcher es von felbit begreiflich macht, wie dieſe urbildliche
Würde Chrifti, oder die abfolute Kräftigfeit des Gottesbe⸗
wußtſeyns, die Dad Seyn Gottes in ihm war, als eine Form
und Beftimmiheit des Gottesbewußtſeyns, auf einer Linie mit
bemjenigen liegt, was als eine allen Menfchen gemeinfame
Sinlage, und als eine wefentliche Eigenſchaft der für das Gött-
liche empfänglichen menfchlichen Natur gedacht werden muß.
Man hat dieß auch Die fowohl fpecififche, als graduelle Dig⸗
gität des Stifters der chriſtlichen Religion genannt Y, Aus
dieſem boppelten Geſichtspunkt muß daher auch die Lehre von
ber Berföhnung betrachtet werben, welche in ber Schleierma-
cherſchen Glaubenslehre, der Natur der Sache nad, in bem
4) Schweizer, über die Dignität bes Neligionsfifters, Theolog.
Stud. und Lrit. 1834. 36 H. ©. 521. Vgl. oben ©. 631,
640 il. Ber. 2. Kap.
engften und unmittelbarften Zufammenhang mit Der Lehre von
ber Berfon Chrifti fteht. Als Aufnahme in Die Lebensgemein-
fchaft mit Chriftus, als Mittheilung feiner unfünblichen Voll⸗
fommenheit und ungetrübten Seligfeit, ift die Verſöhnung des
Menfchen mit Gott Theilnahme an der abfoluten Würde Chris
fit, welche, ihrer objektiven Seite nad) betrachtet, als Das dem
Ginzelnen zunächft noch in feiner Objektivität gegenüberftchen-
de Verdienft des Erlöfers, das durch ihn der Menfchheit mits
getheilte Bewußtjeyn der an fich feyenden Einheit des Goͤtlli⸗
hen und Menſchlichen if. Das Aufgehen dieſes Bewußtſeyns
in der Menfchheit kann, wie‘ der Eintritt des Erlöfers in bie
Menfchheit feldft, nur als etwas übernatürliches betrachtet
werden, worin fi das Chriftenthum in feiner. fpecififchen
Dignität, als die abfolute Religion, beurkundet, Die natürli-
che Seite aber, die bier ein ebenfo mefentlicher Theil der Be
trachtung ift, als bei der Perſon Chriſti, befteht Darin, daß
biefes Bewußtſeyn der Ginheit des Menfchen mit Gott dem
Einzelnen nicht durch eine unmittelbare yperfönliche Einwir⸗
kung bes GErlöfers zu Theil wird, fondern durch eine natür-
liche Vermittlung, die Vermittlung des von Chriftus geftifte
‚ ten Gemeinwefens, d. h. auf einem Wege, welcher nur unter
der Vorausſetzung als ein natürlicher anzufehen-ift, daß in
das gemeinfame Bewußtſeyn der Menſchen nichts übergehen
faım, was nicht im Wefen der menfchlichen Natur felbft be
gründet ift. Hieraus erhellt nun aber auch, daß jede Auf
faffung der Schleiermacher’fchen Lehre eine einfeitige werben
muß, weldye nur eine diejer beiden wefentlih zufammen ge
hörenden Seiten fefthält. Allein eben dieß fcheint ſowohl von
den Freunden als Gegnern der Schleiermacher’fchen Glau⸗
benslehre nicht immer genug beachtet worden zu ſeyn. Waͤh⸗
rend die Freunde berjelben die mit der Firchlichen Lehre zw
fammenftimmenden Schleiermacher’fchen Formeln und Beſtim⸗
mungen bed Dogma’s ſich aneigneten,: überfahen fie nicht fe
ten, daß ber Sinn und Charakter derſelben nur durch ben
Nitzſch. 641
Zuſammenhang des ganzen Syſtems beſtimmt wird. Die
Gegner richteten ihre Angriffe vor allem auf diejenige Seite
des Syſtems, auf welcher Schleiermacher das Uebernatuͤrliche
des Chriſtenthums ſeiner ſtarren Aeuſſerlichkeit zu entheben,
und unter einer allgemeinen Denkform dem Bewußtſeyn naͤher
gu bringen ſuchte, ohne zu bedenken, ob ſie die Schwierigkeiten,
welchen Schleiermacher begegnen wollte, auf eine befrtedigen«
dere Weiſe zu heben willen. An die Schleiermacher’fche Glau⸗
benslehre fchließt fich unftreitig Nitzſch's Syſtem der chriftlis
hen Lehre näher an, und Säbe, wie folgende: Das Vor⸗
Bild als folches fey dem Sünder ein fremdes, foll ed ganz
für uns und nicht ebenfo fehr wider uns feyn, fo müffen wir
es als ein uns gefchenkted Gemeinleben, als einen Anfang
unfers neuen Dafenns, als eine Bürgichaft unferer Begnabi-
gung dergeftalt erfennen, daß feine Unerreichbarkeit uns nur
noch mehr in feine Gemeinfchaft hineinziche, die erlöfungebe-
Vürftige Welt bedürfe der Gemeinfchaft eines Mittler, der-in der
suveränberlich heiligen Liebe feines Mittheilungsbeftrebeiis ben
Tod von der Sunde ihres Unglaubens empfange, um in der Herr-
lichkeit feiner Todesüberwindung ihr das Leben zu geben, durch
feinen Zod werde fein Leben ein zur Heiligung der Gemein⸗
de vollfommened Gemeinleben u. f. w., können wohl nur im
Schleiermacher ſchen Sinn genommen werden. Wenn dage⸗
gen, abgeſehen davon, daß der Begriff der Lebensgemeinſchafi
wicht näher beitimmt wird, bad Hauptmoment auf ben Be⸗
griff der Beriohnung gelegt, für dieien Zweck fogar zwiſchen
Berföhuung unb Berfühnmg unterfhieben und behaupıet
wird, bie Echräft Ichre nicht blos eine Berföhrung ter Belt
(reseneilistie),, jondern auch Berfühnung ber Ehinde ber
ganzen Welt (expiatie), fie beziehe Gottes Thas und Willen
auch unmitichhar auf das Leiden und ben Tod Jeſu, ber Mii-
fefbäters-Tob bes Erisiers astiprohe dem tellverssasenben Lei
ben des BMeiüas (Ei. 53.,, bem erisıtersen anmaligen zur
vollfommenen Eifurskr, kran deſien erh an gauuch Brit
Baur, vie Lehre vor ver Bertopunug. 41
642 UL. Ber. 2. Rap.
wahrhaft gottesbienftlich und zugangsfähig habe werden koͤn⸗
nen u. f. w., fo verräth fich. hierin fogar die Der Schleier⸗
macher’fchen entgegengefeste Tendenz, flatt das Negative ber
Aufhebung der Schuld in dem Pofltiven der Ertheilung de
Lebendgemeinfchaft zu begreifen, vielmehr das Erſtere dem
Lepteren voranzuftellen, und ebendeßwegen auch dem leidenda
Gehorfam, welcher bei Schleiermacher nur die Krone des thaͤ⸗
tigen iſt, eine fpecielle Beſtimmung In dem Zwede der Ber
fühnung zu geben. Iſt aber dieß bie Hauptidee, fo erwar
tet man mit Recht eine nähere Nachweiſung dieſes Zufammen-
hangs, ba ed keineswegs für fich klar ifl, wie der Satz: daß
Chriſtus vermöge eines ftellvertretenden, und in der Stellen
tretung genugthuenden Gehorfams und Leidens unfere Ge
rechtigfeit, oder unfere Rechtfertigung ift, zwar aus dem Be
griffe der Verfühnung im engern Sinn abgeleitet, gleichwohl
aber als ber einzige Grund des Leidens Jeſu nur Die gättli-
he Liebe angefehen werben fol %). Der Zufammenhang alle
dieſer Begriffe erfcheint als ein blos Außerlicher, ber innen
Vermittlung noch ermangelnder, wenn man nicht etwa biefe |
be zuletzt doch nur in der Firchlichen Lehre fuchen foll. Unter
den Gegnern der Schleiermacher’ichen Glaubenslehre verdient
bier vor andern der auch in der Lehre von der VBerföhnung eine
durchaus polemifche Stellung gegen fie einnehmende Steudel?)
1) Nisfh a. a. D. Dritte verb und verm. Aufl. Bonn 1837.
©. 238-248. Es wollte mir nicht recht gelingen, der Nitzſch⸗
fchen Lehre eine befriedigendere Seite abßzugewinnen. Wie
fehr Nitzſch felbk gerade in diefem Lehrſtüch mach einer Has
reren Faſſung gerungen hat, zeigt am beften ‚die Vergleichung
der verfchiedenen Ausgaben des Nisfch’fchen Lehrbuchs. Ya
der Nisfch’Tchen Lehre vom Sohn Gottes waltet noch zufeht
der altteffamentliche Meffinsbegriff vor, als daß nicht aud.
die Lehre von der Verföhnung fich zu einfeltig an Ef. 52.
und 53. hätte anfchließen müſſen. a
2) Die Glaubenslehre der evangel. proteh. Kirche, nach ihrer
Steudel. 643
genannt zu werben, Ginwendungen, wie folgende, daß das
Schleiermacher'ſche Gottesbewußtſeyn den biblifchen Begriff
der Gottfeligkeit nicht erfchöpfe, daß die vorausgefehte Vers
mittlung der Gemeinſchaft Chrifti durch die Gemeinde den
biblifchen Standpunkt verrüde, mit dem von Schleiermadjer
felbft angegebenen Unterfchied der evangelifcheh und Fatholis
ſchen Kirche ftreite, und den hiſtoriſchen Chriſtus in eine bloße
Idee umfchlagen laſſe, daß die Anficht von dem glaubigen
Anfchließen des Einzelnen an den perjönlichen Ehriftus nur
bei dem Streben, Natur, als analog den Geſetzen der prganis
[hen Ratur, auch im Reiche des Geiſtes zu haben, als eine
magifche und feparatiftifche ericheine, hingegen als naturges
mäß, wo bie felbftftändige Natur des Geiftes, und bie freie
aber nicht trügende Natur der Liebe, als der einigenden, nicht
mißfannt werde *), find nur um fo bezeichnender, je befler fe
einerjeitd den Hauptpunft treffen, und je entichiedener fie an⸗
dererfeitö auf einen völlig Divergirenden Standpunkt hinwei⸗
fen, den der göttlichen Wilfür. Iſt auch die Natur des Gele
ſtes, wie ja das Denken felbft feiner Natur nach nichts ans
ders ift, nur Zufammenhang und Bermittlung, fo kann bie
freie Liebe, wenn durch ihren Begriff die Einwendungen der
benfenden, auf bie Ermittlung eines natürlichen Zuſammen⸗
hangs gerichteten, Vernunft niedergeſchlagen werden ſollen, nur
die Willkür ſeyn. Und doch kann auch die Steudel'ſche Glan⸗
benslehre ſich nicht entſchlagen, ein Element in ſich aufzuneh⸗
men, in welchem ſich der Einfluß der Schleiermacher'ſchen nicht
wohl verkennen läßt. Als das Weſentliche der Lehre von
der Berfühnung fegt Steudel, daß Gott der ihm durch Suͤn⸗
de entfremdeten, und eben damit unſeligen Menſchheit nach
ſeiner heiligen Liebe zu Huͤlfe kam, indem er den unter jeder
guten Begründung, mit Rückſicht auf das Bedürfniß der Zeit
dargefiellt von D. 3. Ehr. 5. Steudel. Tüb. 1834.
1) A. a. O. ©. 284.
ur
642 Ill. Ber. 2. Ray.
wahrhaft gottesbienftlich und zugangsfähig habe werden koͤn⸗
nen u. f. w., fo verräth fich hierin fogar die der Schleies
macher’fchen entgegengefegte Tendenz, flatt das Negative der
Aufhebung der Schuld in dem Pofltiven der Eriheilung de
Lebendgemeinfchaft zu begreifen, vielmehr das Erſtere dem
Lepteren voranzuftellen, und ebendeßwegen auch Dem leibenden
Gehorfam, welcher bei Schleiermadyer nur Die Krone des ih
tigen iſt, eine fpecielle Beftimmung in dem Zwecke der Ber
fühnung zu geben. Iſt aber dieß Die Hauptidee, fo erwar⸗
tet man mit Recht eine. nähere Nachweiſung dieſes Zufammens |
hangs, da es keineswegs für fich klar if, wie der Sa: dh
Chriſtus vermöge eines ftellvertretenden, und in der Stellter
tretung genugthurenden Gehorfams und Leiden® unfere Ge
rechtigfeit, oder unfere Rechtfertigung ift, zwar aus dem Be
‚griffe der Verfühnung im engern Sinn abgeleitet, gleichwohl
aber als der einzige Grund bes Leidens Jeſu nur Die goͤtill⸗
che Liebe angefehen werden fol %). Der Zufammenhang alla
diefer Begriffe erfcheint als ein blos Außerlicher, ber innen
Vermittlung noch ermangelnder, wenn man nicht etwa biefe-
be zulebt Doch nur in der Firchlichen Lehre fuchen foll. Unte
den Gegnern der Schleiermacher’ichen Glaubenslehre verdit F
hier vor andern der auch in der Lehre von der VBerföhnung em |
durchaus polemifche Stellung gegen fie einnehmende Steudel) |:
!
1) Nisfh a. a. D. Dritte verb und verm. Aufl. Bonn 1837.
©. 238—248. Es wollte mir nicht recht gelingen, der Nitzſ⸗
ſchen Lehre eine befriedigendere Seite abzugewinnen. Wie
ſehr Nitzſch felbit gerade in diefem Lehrſtück nach einer Es
reren Saflung gerungen hat, zeigt am beften die Vergleichung
der verfchiedenen Ausgaben des Nisfch’fchen Lehrbuchs. A
der Nisfch’fchen Lehre vom Sohn Gottes waltet noch zufehr
der altteffamentliche Meffinsbegriff vor, als’ dag nicht aud
die Lehre von der Verſoͤhnung fich zu einfeltig an Ef. 52.
und 53. hätte anfchließen müffen.
2) Die Glaubenslehre der enangel. proteft. Kirche, nach ihrer
GSteudel. 643
genannt zu werben, Ginwendungen, wie folgende, daß Das
Schleiermacher'ſche Gottesbewußtſeyn ben bibliichen Begriff
der Sottfeligkeit nicht erfchöpfe, daß Die vorausgefehte Vers
mittlung der Gemeinſchaft Chrifti durch die Gemeinde den
biblifchen Standpunkt verrüde, mit dem von Schleiermadher
ſrelbſt angegebenen Unterſchied der evangeliſchen und katholi⸗
ſchen Kirche ſtreite, und den hiſtoriſchen Chriſtus in eine bloße
Idee umſchlagen laſſe, daß die Anſicht von dem glaubigen
Anſchließen des Einzelnen an den perfönlichen Chriſtus nur
bei dem Streben, Natur, als analog den Geſetzen der organi⸗
ſchen Natur, audy im Reiche des Geiſtes zu haben, als eine
magiſche und ſeparatiſtiſche erſcheine, hingegen als naturge⸗
aß, wo die felbftftändige Natur des Geiſtes, und die freie
‚aber nicht trügende Natur der Liebe, als der einigenden, nicht
‚nibfannt werde t), find nur um fo bezeichnender, je befier fte
merſeits den Hauptpunft treffen, und je entfchiedener fie ans
ſeits auf einen völlig divergirenden Standpunkt hinwei⸗
fen, den der göttlichen Willkur. Iſt auch die Natur des Gei⸗
ſtes, wie ja dad Denken felbft feiner Natur nach nichts an«
ders iſt, nur Zuſammenhang und Vermittlung, ſo kann die
freie Liebe, wenn durch ihren Begriff die Einwendungen der
denkenden, auf die Ermittlung eines natuͤrlichen Zuſammen⸗
hangs gerichteten, Vernunft niedergeſchlagen werden ſollen, nur
bie Willkür feyn. Und doch Tann aud) die Steudel’fche Glan⸗
venslehre ſich nicht entſchlagen, ein Element in ſich aufzuneh⸗
men, in welchem ſich der Einfluß der Schleiermacher'ſchen nicht
wohl verkennen laͤßt. Als das Weſentliche der Lehre von
ber Berfühnung fest Steudel, daß Gott der ihm durch Suͤn⸗
de entfremdeten, und eben damit unſeligen Menſchheit nach
ſeiner heiligen Liebe zu Huͤlfe kam, indem er den unter jeder
guten Begründung, mit Rückſicht auf das Bedürfniß der Zeit
dargefiellt von D. J. Ehr. 5. Steudel. Tüb. 1834.
1) a. a. O. ©. 284.
0 44 *
646 ill. Ber. 2. Rap,
dem Bewußtfeyn der Menfchheit mitgetheilte Einheit des Göt-
lichen und Menfchlichen ift, bie allen das wahrhaft chrifl.
he Princip der Verföhnung in ſich fhließt, mit welchem NXm
men ſie auch bezeichnet werben mag, fen es mit dem negal-
ven Begriff der Sündenvergebung und Strafenaufhebung,
oder bem pofitiven der Kindſchaft Gottes und ber Lebendge
meinfchaft mit Chriftus. Je weniger aber auch in der &tew
del'ſchen Darftelung der Lehre von der Verföhnung bite
wefentliche Begriff Kar und beftimmt aufgefaßt und durchge⸗
- führt ift, defto mehr muß man aud) in ihr die fichere willen
fhaftliche Haltung vermiffen ). Als bemerfenswerthe Be
. 4) Zu ber Unklarheit der Sterdel'ſchen Darfielung rechne id
befonders auch die Unterfcheidung der beiden Momente, ver
welchen ©. 265. f. die Rede if, Des objektiven Gegebenſeyn
Ehrifti, und der fubjektiven Befähigung zur Hinnahme Ehris
fi. Was. foll diefe Befähigung feyn? Die Offenbarung der
Liebe Gottes, fagt Steudel, Ebnnte für den Menfchen mt
etwas Aeuſſeres Hleiben, wenn ihm Chriftus nicht fo gefchent!
wäre, daß er ihn als die vor Gott geltende Gerechtigkei
fich aneignen konnte, wenn nicht die Befähigung, Ehrifi Ge⸗
rechtigkeit in fich aufzunehmen, dem Menfchen verbürgt wi
re. Ewig nimmermehr könnte der Menfch, als Sünder, lid
als Gegenftand des göttlichen Wohlgefallens erfaffen, d. h.
feine verfühnende Kiebe fich denken, welche dem Sündigen
in ihm ſich zumendete. Darum bedürfe ed nothmendig der
andern Seite der Verfühnung zu deren wirklichen Zuſtan⸗
defommen, daß der Menſch, das dem heiligen Gott Wohlge
fällige in fich gepflanzt habe, d. b. den Gehorfam Ehrifi
als Lebenskeim in fich aufnimmt. Wie kann aber, muß hie
gefragt werden, dieß Lettere gefchehen feyn, ehe Sort dem
Elinder fich zugewendet hat? Würde fo nicht, was allen
durch die Berfühnung bedingt feyn kann, zum Bedingenden der
Berfühnung gemacht? Iſt aber die Verſöhnung fchon obiel:
tiv gegeben, dann fragt es fich, ob Die in ihr fich offenba:
rende Liebe Gottes dem Menfchen nicht blos Aufferlich blei⸗
Steubdel. 647
ente, welche, bei allem Schwanken, body zugleich ein über Die
chliche Theorie hinausgefchrittenes dogmatiſches Bewußtſeyn
urkunden, duͤrfen noch folgende hervorgehoben werden: 1) daß
ich hier von einer Aufhebung ber Strafen, zumal der pofi⸗
ven, als dem Mefentlichen der Sündenvergebung und Ver⸗
mung nicht die Rede ift, wozu die Verſuchung um fo nä⸗
r lag, da Steudel die naturlichen Strafen in die Reihe ber
tiven eintreten läßt, und die letztern gerabe als biejenigen
trachtet, deren Eintreten die Idee eines heilig waltenden
blies fotbere 2); 2) daß gegen die Tirchliche Theorie einge-
be, wenn er die Gerechtigkeit Chriſti nicht in fih aufnähme.
Soll die die Befähigung zur Hinnahme Chrifti fen, fo
ſtimmt zwar auch dieß mit der Schleiermacher’fchen Dogmas
tik zuſammen, offenbar aber iſt die Stellung und Bezeich⸗
nung dieſes Moments nicht paſſend. J
1) Deßwegen nämlich (vgl. a. a. O. ©. 225.) weil ber Menſch,
je fündiger er fen, um fo weniger das GStrafbare der Gin
+ de, eben vermöge der Li der Sünde, in fich zur Geltung
Tommen laffe. Man vergeffe bei der Behauptung, daß in
der Sünde felbft auch ihre Strafe liege, die wahre Natur
der Sünde, wie diefe, je mächtiger fie fey, gerade dem Men»
fhen um fo mehr den Sammer und die Größe der Sünde
verberge, und mehr und mehr zur Freude am Bbſen ums
fchlage, fo daß die Strafe der Sünde im umgelchrten Vers
haͤltniß zu ihrem Wachsthum abnehme, fatt im Verhältniß
zur überhandnehmenden Macht der Sünde fich zu fleigern.
Läuft aber dieß nicht am Ende auf einen fehr Aufferlichen
Begriff der Strafe hinaus, wobei die innere Negativität des
Bbſen, das Gericht, das die Sünde in fich trägt, verfannt
iR? Wer kann glauben, daß die Freude am Bien, auch
blos ſubjektiv betrachtet, eine wahrhaft beglückende ik? Es
gehört zur Natur der Sünde ſelbſt, daß fie mit dem Uebel
äufammenhängt, alfo andy einen Keim der Eelbfizerfidrung,
oder ihre eigene Strafe, in fich träge. Weit gefehlt alfo,
daß fie, je mehr fie fich vollendet, um fo mehr fich der Stra:
-
0648 Ill. Ber. 3. Kay.
wendet wird, fie falle Die Gerechtigkeit Gottes nach der Ana⸗
logie der menfchlichen, während die Gerechtigkeit nad) Ihrem
wahren Begriff nur durch die Vollziehung der Strafe am
Schuldigen befriedigt werben könne. Ebenſo wirb Die ale
Unterfheidung des thuenden und leidenden Gehorfams mit
dem Schleiermacher’fchen Grunde zurüdgewiefen, daß ber ih '
dende nur die Krone des thätigen fey. Wenn Daher auch wie
ber vom Tode Chrifti, ald einer Beranftaltung namenllich
der ausgleichenden heiligen Liebe Gottes die Rede tft, fo fol
Dieß Doch nur davon verftanden werden, Daß die Bereitwillig-
keit Gottes zur Eüindenvergebung nicht anders, denn zugleiq
auch im Ernfte der Heiligkeit, al8 der abfoluten Gegnerin von
allem Böjen, fi kund thue *). |
Drittes Kapitel,
Neue Verfuche einer Verfühnungstheorie, hbauptfäd
lih im Segenfag gegen die kirchliche Lehre, und dw
durch veranlaßte neue Rechtfertigungen der letztern.
Klaiber, Menfen, Stier. Die evang. Kirchenzeitung
Göſchel.
Schon bei den zuletzt erwähnten Darſtellungen ber Ver
ſöhnungslehre iſt das mehr oder minder negative Verhälmiß,
in welches fie fich zur kirchlichen Lehre feßen, befonders be
merkenswerth. Daffelbe negative Verhältniß zur Firchlicen
Lehre ift der am meiften gemeinfame Charafter einer Reihe
neuer Verfuche einer VBerfühnungstheorie, welchen bier ihre bes
fjondere Stelle anzumeifen tft, da in ihnen auf der einen Seite
das allgemeine Streben der Zeit fehr fichtbar ift, das Dogma
fe entzieht, fie geht ihr, ihrer Natur zufolge, nur un fo um
vermeidlicher entgegen.
) A. a. O. S. 269. f. 267.
Klaiber. 649
fer und innerlicher aufzufafien und zu begründen, auf ber
idern aber fich nichts wahrnehmen läßt, was fie in eine
eciellere Beziehung zu ber den Gang des Dogma’s beftim-
enden Hauptrichtung ſetzte. Daher können fie nur unter
m angegebenen Gefichtöpunft bes Verhältniffes zur kirchli⸗
en Lehre, je nachdem fie Sch entweder in Oppofition zu ihr
ben, ober ihre Rechtfertigung und Begründung übernehmen,
ſammengefaßt werden ?).
Aus dem Gefichtspunft einer Antitheſe gegen die alte
ehliche Satisfactionstheorie ift hauptfähli auch Die durch
ne klare und lichtvolle Entwidlung, und insbefondere eine
hr gründliche eregetifche Erörterung ſich auszeichnende, in
danchem an die Steudel'ſche Glaubenslehre fich anfchließen-
: Klaiber’fhe Unterfuchung der neuteftamentlichen Lehre von
r Sünde und Erlöfung °) aufzufaflen. Schon die Unter-
yeidung, von welcher Klaiber in dem unfer Dogma betref-
nden Theile feiner Unterfuchung ausgeht, indem er, der dop⸗
1) Von einer unevangelifchen Form des Firchlichen Dogma’s
fpricht auch A. Hahn (Lehrbuch des chriftl. Glaubens, Leipz.
1828. ©. 488.), fo jedoch, daß er im Tode Jeſu den Begriff
eines allgemeinen Sühnopfers fefihält, um deffen willen Gott,
und fo wahr er den Gefreuzigten aus dem Tode erwedte,
den Reuigen alle ihre Schuld erläßt. Die ganze Behandlung
diefer Lehre hat aber zu wenig einen wiffenfchaftlichen Chas
after, als daß etwas gefchichtlich merfwürdiges aus ihr hers
vorzuheben, und weitere Rüdficht auf fie zu nehmen wäre.
3) Chr. B. Klaiber gab zuerſt heraus: Die Lehre von der Vers
fBhnung und Rechtfertigung des Menfchen, ein philof. ereg.
Berfuch. Tüb. 1823. Eine völlige Umarbeitung diefer Schrift
if die obige ſehr ausführliche Abhandlung in den von Klai⸗
ber herausgegebenen Studien der enang. Geiftlichkeit Würs
tembergs VII. 2. VIE. 1. u. 2. 1835 — 36. Hieher gehören
blos VIE. 1. u. 2.: Die verfühnende Bedeutung des Lebens
und Todes Chrifti.
650 III. Ber. 3. Kap.
pelten Beziehung zufolge, nach welcher das Leben Chrifti, al
des Gottes⸗- und Menfchenfohnes aufzufaflen ift, als die Bes
fchiedenheit und Einheit des Göttlichen und Menfchlichen und
ald die Darftellung des Göttlichen in der Form des menſch⸗
lichen Lebens und Bewußtſeyns, das Verfühnungs- Werk als
eine Darftelung des Göttlichen und göttlicher Ideen an ſich
und eine Darftelung menſchlicher Lebens-Verhältnifie, zumBe |
hufe der Befreiung der Menfchheit von allem Ungöttlihen
und der neuen Einigung. derfelben mit dem Böttlichen, beirach⸗
tet zeigt den umfaflenden Standpunft, auf welchen fich dieſe
Unterfuhung ftelt. Der erftere Punkt betrifft fogleich die
Hauptfrage, um welche es ſich ber Eirchlichen Lehre gegenübe
handelt, wie Diejenigen Eigenſchaften des göttlichen Weſens,
“ welche fich in bem allgemeinen Begriffe des Haſſes des Bir
fen vereinigen, alfo namentlid die Heiligkeit und: Gerechtig⸗
feit, theils an fih, theils in ihrem Verhältniß zu der Ace
und Gnade Gottes, aufzufaflen find; Im Gegenfah gegen
die Trennung der Heiligkeit und Gerechtigkeit von der ver
gebenden Liebe und Gnade Gottes, worauf die Firchliche Lehre
beruht, wird vielmehr geltend gemacht, daß die göttliche Ge
rechtigfeit nur in Einheit mit feiner heiligen Liebe, d. h. nur
als Aeußerung imd Darftellung berfelben, in dem Verhältnis
zu endlich freien Wefen, aufzufafien fey, da alle, nur in de
Abftraftion getrennten, göttlichen Eigenfchaften in der abfolus
ten Vollkommenheit feines geiftigen Wefens Eins feyen. Es
Laffe fi} daher, wirb weiter entwirfelt, in Gott Feine Eiger
haft oder fein Wille denfen, welcher, wenn ed feiner heiligen
Liebe gemäß fey, zu vergeben, dieſer ©nade antithetifch ent-
gegenträte. Beftimme man Dagegen bie Gerechtigkeit als ei⸗
ne die Strafe abfolut und unbedingt fordernde Eigenſchaft,
ſo daß ohne Genugthuung Feine Vergebung ftattfinde, fo ba
be diefer Begriff feine eigentliche Quelle in einem egoiſtiſch
aufgefaßten Begriff der göttlichen Ehre. Ebenſo irrig feyen
die Dabei zu Grunde liegenden Begriffe der Sünde und Strafe.
. Blaiber. | 651
Die Sünde ſey In dem endlichen Weſen immer nur als et⸗
was relatived, bie Strafe aber, ihrer Natur nach, nicht als
ein burch ein Außeres pofltives Geſetz willfürlich mit ber Süns
be verbundenes Uebel, fondern ald natürliche Folge der Sän-
de anzufehen, worin fowohl bie Unmöglichkeit ber Uebertra-
gung auf ein anderes, ald das fünbigende Subjekt, ald auch
bie Möglichkeit ihrer Aufhebung durch die vergebende Gnade
Gottes, freilich nur mit der Tilgung der Sünde felbft, liege.
Der Zwed ber Strafe Fönne nur Befferung feyn, wie von
ſelbſt daraus folge, daß ber höchfte Wille der heiligen Liebe
auf die Realifirung der Heiligkeit und Seligfeit in allen We⸗
. fen gerichtet fey. Wenn nun aber, wie aus der Entwidlung
Diefer Begriffe erhellt, Gott, vermöge feiner heiligen Liebe, oh⸗
. ne Öenugthuung und Sühne bie Sünden vergeben fann und
will, fo befteht das Weſen biefer Vergebung in ber Offenba⸗
rung der heiligen Liebe Gotted an fündige Weſen für den
Zwed, die Folgen der Sünde in ihnen aufzuheben. Aus dies
fem Gefichtspunft ift Daher ber Tod Jeſu zu betrachten, Er
ift nach) der Lehre des N. T. auf der einen Seite Darftellung
der vergebenden, von dem Elende der Sünde rettenden Liebe
Gottes, auf der andern Seite Darftellung der göttlichen Hei⸗
ligfeit in ihrem Verhäliniß zu der fündigen Menfchheit. Ob⸗
glei nämlich das Verhältniß Gottes zur Menfchheit, auch
fofern fie eine fündige geworden tft, ein ewiges, in feinem uns
veränberlichen Wefen begründetes tft, fo hat doch die Menſch⸗
beit die vergebende und rettende Gnade Gottes nur durch
Chriftus, zwar nicht als ob fie Ehriftus erft objektiv für Gott
felbft vermittelt oder verwirklicht hätte, fondern fofern nur der
Sohn Gottes, ald der Offenbarer des göttlichen Weſens und
Willens an Die Menfchheit, fie dieſer miitheilte, für das menfdy-
liche Bewußtſeyn verniitielte, für den menfchlichen Beſitz ver-
wirklichte. Was demnach an ſich ſchon aus dem Wefen der
heiligen Liebe Gottes hervorgeht, wendet fi in dem Tode
Jeſu der fubjeftiven Seite zu, es ſtellt fich in dem Kreiſe Der
652 HL Ber. 3. Say.
menfchlichen Lebensverhältnifie dar, als eine befondere Aus
prägung jener Liebe in. den Formen und Berhältnifien bes
endlichen Lebens und Bewußtſeyns. Chriftus ſtellt fowohl
bie durch die Sünde in das Menfchenleben hereingebradten
Berhältniffe, mit dem Zwede und der Wirkung ber Beenbi |
gung derfelben für die Menfchheit, als auch bie Ideale Seite
des Menfchenlebens dar, welche an die Stelle der Sünde tre
ten, und durch Chriftus in bemjelben wirklich gemacht wer
den fol 9.
Das Michtigfte, was auf jener erftern Seite Liegt, ik in
dem Satze zufammengefoßt: Durch den Tod Chriftt iſt der
Menfh von dem Geſetz und dem verbammenden Strafurthel
defielben befreit. Indem Chriftus theilnehmend eingieng in
die burch die Sünde erzeugten Uebel der Menfchheit, und
fich der Durch das Geſetz gedrohten Strafe unterzog, iſt fen
Leiden ein Leiden wegen der Sünden der Menfchen, und ein
Leiden nicht blos überhaupt zum Beften der Menfchen, fo
dern auch an ihrer Stelle, fofern in dieſem Eingehen Chrifl
in Diefelben die Bedeutung und Kraft der Erlöfung der Menfd»
heit von denfelben liegt. Diefe Stellvertretung darf aber nicht
im Einne der Satisfactiondstheorie genommen werden, ſon⸗
dern Ehriftus trat nach der Lehre des N. T. in die Leben
verhältniffe des alten Menichen, in die Sündenleiden de
Menfchheit, nur ein, um fie zu befiegen und zu beendigen, um
den Tod, als überwunden, das ihn drohende, aber nur für
jene alten Lebensverhältniffe geltende Geſetz ald aufgehoben,
und für den im Glauben an Chriftus in das Verhältniß des
neuen Lebens Eingetretenen als nicht mehr gültig darzuſtel⸗
len. Diefe Bedeutung hat der Tod Jeſu, in Verbindung mit
feiner Auferftehung, als der vollflommenfte Sieg über alle je
ne Folgen der Sünde. In der Bredhung und Vernichtung
der Gewalt des Todes durch den Tod und die Auferftehung
1) A. a. O. VIII, 1. ©. 5.f. 8.f. 15. 24. 36. f. 74. f. 81.f.
Klaiber. 653
Jeſu Liegt alfo das Verdammungsurtheil, das Gott In dem
Tode Jeſu über die Sünde ausgefprochen hat. Um aber diefe
Aufhebung des Geſetzes richtig zu verftehen, ift nicht zu vers
gefien, daß das Geſetz als Ausdrud des Heiligen Willens
Gottes erft in dem Bewußtſeyn des endlichen und fündhaften
Weſens, das den göttlichen Willen nur als einen unbedingt
verbammenden und ftrafenden fich denten kann, feine eigen⸗
thuͤmliche Form, und mit dem im Bewußtfenn fih Darkellen-
den Gegenſatz auch die Heiligkeit Gottes, die in Gott mit der
Liebe Eins ift, die Form einer ber Liebe entgegenftehenden Ges
feßesgerechtigfeit annimmt, weßwegen die Ausgleichung beider
nur auf dem Standpunfte des endlichen, in ben Gegenſatz
bes Geſetzes und der Gnade getheilten, Bewußtſeyns eine Stelle
finden farm. Kann demnach die Satisfactionstheorie in dem
Begriffe des Geſetzes Feinen Stübpunft finden, fo wirb fle
auch in anderer Beziehung durch die neuteftamentliche Lehre
von ber Aufhebung des Geſetzes durch den Tob Jeſu ausge-
ſchloſſen . Denn nicht aufgehoben fönnte das Gefeh feyn,
fondern ber Tod Jeſu müßte vielmehr als berjenige Aft auf«
gefaßt fenn, durch welchen das Gefeg, auch nad) feiner ver-
dammenden Form, in feiner ewigen, durch ben an Chriftus
vollzogenen Strafaft noch beftätigten, Gültigkeit dargeſtellt wür«
de, wenn e8 mit feinem Strafausfpruh in einer abfuluten
göttlichen Gerechtigkeit, im Sinne der Satiöfartionötheorie, ſei⸗
nen Grund hätte 2).
Es ift dieß jedoch nur Die negative Seite der verfühnen-
den und erlöfenden Thaͤtigkeit Jeſu, welcher noch bie pofitive
gegenübertritt, auf welcher die heilige Liebe Gottes nach ihrer
pofitiven Thätigfeit, als die von der Suͤnde felbft reinigende
mb das heilige Leben in Gott Darreichende Kraft auf eine dem
9) €8 if dieß ein fehr treffender, zur Widerlegung der Satis⸗
- faetionslehre fehr fchlagender Gedanke, im diefer Form Wes
nigens neu.
2) A. a. O. G. 83. f. 97. 122. 126. f. 131. f. 139, f.
III. Ber. 3. Rap.
Seite neigt fie fi, wenn fie durch die erlöfende und verfüh-
nende Thätigfeit Chrifti, ald des Sohnes Gottes, ihrer poß⸗
tiven Seite nach, ein neues göttliches Lebensprincip der Menſqh⸗
heit mitgetheilt werden läßt. Allein bier bleibt fie nur auf ak
bem Wege ftehen, indem fie, ungeachtet ihrer Proteſtation ge
gen das blos fymbolifch Vorbildliche, doch über den Begrif
eines Vorbilde, das der Menich in ſich nachzubilden hat, nit
hinausfommt. Was foll denn jene höhere Lebens=. und Sie
gesfraft, die Ehriftus ertheilt, was fol Chriftus ſelbſt als
Sohn Gottes, was das durd ihn der Menfchheit mitgetheifte
göttliche Lebensprincip feyn, wenn es nicht als ein abſoluies
beftimmt ift, d. h. ald dasjenige, durch welches der Mark
zum Bemwußtfeyn feiner an fich feyenden Einheit mit Gott as
hoben worden tft? Ohne diefen Charakter der Abfolutheit bleibt
das ChriftenthHum immer nur eine, neben feiner Lehre, durd
das Vorbild Chrifti und die fymbolifche Anficht, welche man
von feiner Berfon und feinem Leben gewinnen Tann, wirlken⸗
de pelagianifche Förderung des an fih in der Natur des Maw
ſchen liegenden Guten.
Wie Klaiber bei feinen Unterſuchungen über die Lehr
von der Verſöhnung, hauptfächlich den Gegenſatz .gegen die
kirchliche Satisfactionslehre vor Augen hatte, fo reizte dad
Anftößige, Das man feit alter Zeit in ihr fand, fortgehend
auch noch in der neueften Zeit felbft folhe, Die im Uebrigen
ganz auf dem Standpunfte des Firchlichen Offenbarungsglaw
bend ftunden, zu einem Widerfprudy, weldyer an die Heftig
feit der alten Gegner grenzte, und auch größtentheild nur
längſt vorgebrachte Behauptungen wiederholte. Dieß ift es,
was bie Hafenfamp-Menken’fhe Verföhnungslehre 2), ſoweit
656
nur in der Schleiermacher’fchen Anficht liegen Eann, daf
überhaupt für Gott Fein durch die Sünde geſetzter Gegenfat
exiſtirt. |
1) Dan vgl. über fie befonders den dritten Artikel des Aufſa⸗
Haſenkamp. Menken. 657
in ihrer unmiffenfchaftlichen fragmentariſchen Geſtalt in der
ihe der zur Gefchichte unfers Dogma's gehörenden Theorien
e Stelle verdient, hier bemerfenswerth macht. Die Haupt«
e, an welcher ſie hängt, iſt der ausbrüdlich allem andern
rangeftellte Sat, daß Gott die Liebe tft, und was nit
be ift, auch nicht in Gott iſt 9. Won diefer Hauptidee
8 richtet fich ihr Widerfpruch unmittelbar gegen die Satis⸗
tonstheorie, indem fie ihr den Vorwurf macht, Daß bie
wföhnung, bie fie lehre, nur eine aus Zorn hervorgehende
rotdnung Gottes fen, daß fte, wenn auch den Blenden das
vch ‚geholfen werde, doch nur die Veranftaltung eines Zor-
des in der evangel. Kirchenzeitung: Gefchichtliches aus der
Verfühnungs: und Genugthuungsichre Gebr. 1837. Nr. 15. f.
März Nr.20.f. Ueber die Genefis dieſer Theorie wird hier
(vergl. Sahrg. 1830. Pr. 70.) bemerkt: Der Begründer iſt
%. ©. Hafenfamp (CF. 1777.), der nad) eigenem Geftändniß
von Soein und Dipyel in feiner Orthodorie irre gemacht,
nun beide vermifchend, ein eigenes Syſtem zu fertigen fuch>
te, welches auf feine zwei Halbbrüder Friedrich Arnold und
Johann Heinrich überging, dann von dem Sohne des Bes
gründers Paflor €. H. ©. Hafenlamp zu Vegeſack eifrig
vertheidigt wurde, und eine befondere Stüge an dem Paftor
G. Menken in Bremen erhielt. Die hieher gehörenden
Hauptfchriften find: Hafenfamp, die Wahrheit zur Gottſe⸗
ligkeit. Zeitfehr. I. Bd. 4 Hefte. Bremen 1827—30. Mens
Sen, Verſuch einer Anleitung zum eigenen Unterricht in den
Wahrheiten der h. Schrift 1825. Weber die eherne Schlan»
ge und das fnmbolifche Verhältniß berfelden zu der Perfon
und Gefchichte Jeſu Chriſti 1812. Zweite Ausg. 1829. Bol.
Diiander, Zum Andenfen D. &. Menken's. Ein Beitrag
zur neueßen Gefchichte der Theologie. Tüb. Zeitfchr. für
Theol. 1832. 9. 2. Die Verföhnungslehre von D. &. Mens
ten. In wörtlichen Auszügen aus deflen Schriften. Bonn
1837.
1) Die Verſbhnungslehre von D. ©. Menken ©. 1.
Baur, die Lehre von der Berföhnung, 42
68 Ill. Ber. 3. Kap.
nes fen, der fchlechterdings nicht vergebe, biß er fich in Strak
gefättigt habe, und daß alfo Die Liebe bei der Sache nur dar
in beftehe, daB die Strafe von dem Einen, dem eigentlid
Schuldigen, hinweggenommen, und auf einen Anbern, den Un
ſchuldigen, übertragen werde. Nach diefem dem Worte Ges
tes widerfprechenden ) Syftem, das, ungeachtet feit dreihun
9» Dielen Widerfpruch fuche Denken in einem Auffag über Ep.
2,3. in der Haſenkamp'ſchen Zeitfchr. Heft 3. S. 0. auf
folgende Weife nachzumeifen: „Wäre ed anders, bätte «ia
Rathſchluß des Zorns vom Anbeginn über die Menfchhel ge
waltet, hätte nicht die Welt mit Gott, hätte Gott mit ix
Welt verfühnt werden müflen, Fäme die Anftalt der Ben
fühnung aud dem Zorn, und nicht aus der Liebe, fo wärk
Chriftus gefagt haben: Gott bat der Welt gezürnt bis zu
Tode, ich aber habe die Welt geliebt und bin gefommen, J
‚mein Leben zu taffen für die Welt, um feinen Zorn zu wer
ſöhnen.“ Wozu die Anmerkung: „Iſt es nicht auffallend, P
daß die Lehre von dem, was nach dem einmüthjgen Zeugal)
aller Glaubigen den Mittelpunft, oder das Herzblatt be
Schriftlehre, ausmacht, und worin die evangelifche Herrlid °
keit des N. T. vor dem A. T. vorzüglich befteht, das Wort,
oder die Sache und die Lehre von der Verföühnung nad dr
fnmbolifchen oder orthodoxen Dogmatik auf ein Wort gegrün
det wird, Das niemals über die Lippen des Eingebornen von
Dater voll Gnade und Wahrheit gefommen it? Die Op
matik redet vom Zorn Gottes, feßt den Zorn Gottes ale das
Erfte und Höchfte, zu deflen Stillung und Befriedigung al:
les fo hat gefchehen müffen, Chriſtus nie, auch nicht ein ein
sigesmal. Chrifius redet von der Gnade Gottes, von der
Liebe feines Vaters. Und nun foll die Rechtglaubigkeit ganz
befonders darin beftehen, daß man in blinder Anhänglichleit
an Kirchenväter und Kirchenlehre, und in Enechtifcher Abhän:
gigkeit von den fumbolifchen Büchern, mit ihnen, in der Lehre
von der Verföhnung, von dem Zorn Gottes, nicht aber mit
Chriftus von der Liebe Gotted rede.” Auch in der Stelle
Eph. 2, 3. behauptet Menken, könne der Ausdruck des Ape⸗
Hafenfanp. Menten. 659
+t Sahren die heilige Schrift für mehr denn dreißig Millio⸗
a Menfchen wieder zugänglich geworben fey, bis auf den
tigen Tag in der Ehriftenheit bominire, beftehe das Weſen
r Berföhnung Darin, daß ber unendliche Zorn Gottes über
: endliche Sünde Adams und über die angeborne und wirfs
ye Sünde feiner Nachkommen in einer der Unendlichkeit die⸗
Zornes entfprechenden Strafe getragen, und alfo geſtillt
d verföhnt werde, da aber diefer Zorn alfo undenkbar und
erichwenglich fey, daß fein endliches Weſen im Stande ges
fen, ihn tragen zu fönnen, fo fey darum bie zweite Per⸗
ı in der Gottheit Menjch geworden, um mit den Kräften
e Gottheit die Laft des ewigen Zornd der erften Berfon in
re Gottheit zu tragen, und durch Erduldung der Strafen
fer Sünden zu ftillen und zu verföhnen *). Sa, Die kirch⸗
he Lehre wird nicht nur befchuldigt, daß in ihr offenbar
chts anderes, als die Fraffe VBorftellung herriche, welche Die
he Menge bed Heidenthums nad) ihren vor ung liegenden
olfsbüchern gehegt habe, welcher zufolge, um die Racheluft
field nicht bedeuten, daß das Menfchengefchlecht unter dem
Fluch oder dem verdammenden Wrtheil des Zorns Gottes
ſtehe, weil es nicht fo fen. Haſenkamp fagt iedoch a. a. O.
S. 295.: mit Genauigkeit drücken fich die Apoftel dahin aus,
daß nur diejenigen, welche unter dem Gefes fanden, von
dem Fluche deffelben erlöst fenen, fofern fie glaubig wurden,
daß aber die Heiden, wie Abraham, ohne das Geſetz und feis
ne Drohungen, gleich durch den Glauben an Jeſum, die Kind:
fhaft und den heiligen Geift empfingen. Nur die Juden
würde alfo, als unter dem Geſetz fiehend, der’ Zorn Gottes
treffen, eine, ungefähr wie bei Steinbart (vgl. oben ©. 590.),
an Dualismus fireifende Vorftellung, die jedoch zu wenig zu
einem Elaren Begriff entwickelt if, als daß fie weiter berück⸗
ſichtigt zu werden verdiente.
1) Haſenkamos Zeitſchr. H. 3. ©. 268. Menken über die eher⸗
ne Schlange ©. 47.
42 *
660 MM. Ber. 3. Kap.
der Götter und ihren vermeintlichen Zorn zu befriebigen, Op I)
fer herbeigefchleppt worden feyen,"fondern fogar geraden da P
Meifterftüt des Vaters der Lügen, eine Ausgeburt der Fi #
ſterniß, ein abgefchmadtes Fündlein der Menfchen und Ted 1
genannt 9). Mit Socin und Dippel flimmt Daher diefe Br 1
föhnungslehre, im Gegenfage gegen die Firdhliche, in bem
Hauptfabe zufammen, daß nicht Gott mit den Menſchen, fon
dern der Menſch mit Gott verföhnt worden fey. An dien
Hauptſatz fchließt ſich ſodann unmittelbar Die weitere Behaup
tung an, daß das Leiden Chrifti an fich Fein Srafleiden, am
wenigften aber ein ftellvertretendes, gewefen ſey, welche auch
von Menten, wie von den frühern Gegnern der Satisfactionde
lehre, namentlich Socin, auf den Widerfpruch zwifchen Bar
gebung und Genugthuung gegründet wird. “Denn wo kin J
Schuld gefchenft, gar Feine Strafe erlaffen, wo alles mb ER
des fo ganz abgeftraft und auägeftraft werde, Daß gar keir
Strafe mehr übrig bleibe, ja, wo um bie Ueberfchwenglichkek
oder Unendlichkeit der Strafe zu erlangen, Gott felbft fie üb .
nehmen, und an fich in feiner Vereinigung mit der Manfk
heit vollziehen müfle, da könne doch nicht von Gnade m
Vergebung die Rede feyn. Die Strafe, alfo ber To, }
hätte von Rechtöwegen alfobald aufhören, und der vorige Ju
ftand, der Befit des ewigen Lebens, für alle wieder eintrem
muͤſſen. Aber nicht alfo: der Tod, fage der Apoftel, fey Fol
ge und Berderben der Sünde, er fey der Sünde Sold md
Lohn, die Gabe Gottes aber, das freie, durch Fein Wal,
1) Haſenkamps Zeitichr. a. a. D. ©. 268. 266. 267. 277. And
Rudolf Stier fagt in feinen Beiträgen zur bibläfchen The
Iogie ©. 89. von der der Satisfactionslehre zu Grunde lie
genden Gerechtigkeit, es liege in ihr das in Gott verpflanitt
Selbft des Teufels, eine Bezeichnung, für welche man hd
auch auf den hiſtoriſchen Entwiclungsgang diefer Lehre br
rufen Eönnte, .
Hafentamp. Menken. 661
scch Feine Büßung, durch kein Verdienſt und durch Feine er-
sldete Strafe zu erringende Geſchenk feiner. heiligen Liebe fey
8 ewige Leben duch Jeſum Chriftum unfern Herrn. Eben
u fey der Reichthum ber Liebe Gottes, daß er, ohne Strafe
ı fordern und ohne Strafe zu üben, das fündige Menfchen-
schlecht von dem Tode, den es fich durch Die Sünde zu⸗
gogen habe, durch Anſtalten feiner Heiligkeit, voll uner-
tünblicher Gottesweisheit und Gotteskraft, erlöst, und dem⸗
(ben ewiges Leben gefchenft habe. Daher nenne auch bie
Schrift das Leiden und Sterben Jeſu niemals eine Strafe,
wer ftatt der Menfchen erbuldet habe 9.
In diefen wenigen Säben, welche nichts neued enthalten,
d ihre Bedeutung nur durch Die Erneuerung eines fo leb⸗
ften Widerſpruchs erhalten, ift eigentlich fchon das Wefent-
be diefer Lehre gegeben. Doch Dürfen wir über diefer mehr
w antithetifchen Seite die fittliche Tendenz nicht überfehen‘,
s "auf der mehr thetifchen Seite der Menfen’fchen Lehre in
wißen, mit ihr verbundenen, eigenthümlichen Vorftellungen
1) Vergl. Erangelifche Kirch. Zeit. a. a. D. Februar. S. 124.
Die Verföhnungsstehre von D. ©: Menken ©. 18. Ebenfs
fast Hafenfamp a. a. D. ©. 281.: Der Vorwurf, die Bir
bel enthalte Wideriprüche, fen gerecht, fobald die Lehre
in ihr gefunden werde, daß Gott erlaffene Strafen entwe-
Der anderswo vollziehen müfle oder fchon vollzogen habe,
denn Trug und Tänfchung. wäre dann der fo oft bereits im
A. T. wiederholte Ruhm von Gottes Gnade und großherzis
gem Verzeihen, ed wäre dann in der Wahrheit von Gottes
Seite nichts gefchenft, und nur feine Strenge und Gerech⸗
tigkeit im Abrechnen verdienten ein zweidentiges Lob. Men⸗
Ten macht, wie Klaiber (f. S. 653.), befonders auch auf den
arellen Widerfpruch aufmerffam, in welchen das Gefeg bei
diefer feiner hochſten Sanetion mit fi ſelbſt komme. Bel.
Dfiander a. a. D. ©. 162. en
x
662 : ! IL Ber. 3. Kap.
liegt, In biefer Hinficht darf es nicht für zufällig gehalten
werden, daß Menfen in demfelben Verhältniß, in welchem bi
‚tirchliche Lehre mit allem Nachdrud darauf dringt, daß Chr
ftus nur in der Einheit der menfchlichen Natur mit der gött
lichen das Werk der Verſöhnung vollbracht habe, bie mög
(ich tieffte Selbftentäufjerung Chrifti von den unendlichen G
genfchaften feiner höhern Natur als die wefentlichfte Bedin—
gung deſſelben betrachtete, und fowohl hierüber als über bie
Prüfungs» und Suͤndefähigkeit Chrifti die ftärfften, beinake
in das andere Grirem übergehenden, Ausdrücke gebraudte
Der Sohn Gottes, behauptet Menfen, babe nicht eine Men
fhennatur angenommen, wie fie vor dem Yal war, ehe fie
in Adam durch das Eſſen der giftigen und tödtlichen Frucht
fündlih und fterblich geworden, vielmehr eine folche, wie fie |
nach dem Fall in Adam war, und in allen jeinen Nachkom⸗
- men fey, eine fterblihe Natur, um fterben zu Fönnen, und
barch feinen Tod dem die Macht zu nehmen, ber des Todes
Gewalt hatte, er fey in der Gewalt des fündlichen Fleiſches
erfchienen. Sündlichfeit und Sterblichfeit gehören zu du
Weſen der natürlichen irdifchen Menſchheit, ein Unſuͤndliche
und Unfterblicher jey Fein wahrhaftiger und völliger Adamk
und Menfchenfohn. Dabei habe er aber ſich nicht nur von
aller. wirklichen Sünde rein bewahrt, fondern auch Die Sünd
lichkeit der menfchlichen Natur, die noch Feine wirkliche Sin
de fey, vom erften Beginn feines Lebens an, fo überwunden,
verläugnet und gefreuzigt, daß fie nie eine Sünde werden .
fonnte, bis fie endlich völlig ganz und ewig vernichtet war.
Er habe die Geftalt des fündlichen Fleiſches in feiner Perſon
aufgehoben, und fen fo zur Sünde gemacht worden, da er
den fchmählichen Leib des Fleiſches anzog, die verachtetfte al
ber Seifteögeftalten, die Geſtalt des fündlichen Fleiſches, an
nahm. Er habe fidy felbft geopfert, da er durch fortgefehte
Ueberwindung und Anfopferung biefe Geftalt in ſich vernich⸗
tete, fey das verjöhnende Suͤndopfer ber Welt geworben, da
Menten. 663
„ec in feiner Perſon die Sündlichfeit der Menfchennatur auf-
mo pferte und vernichtete, diefe Natur in feiner Perſon unffind-
ich machte, die fündliche Dienfchennatur in feiner Berfon Gott
A ad Engeln und Teufen unſündlich barftellte, wie er fie her⸗
ach, als er in den Himmel einging, auch unfterblich darge-
Breit habe. Die Opferbebeutung und Entfündigungsfraft ber
g: Weiden Chrifti befteht demnach in der Hingabe feines fünbli-
5* Fleiſches, in der reellen ſittlichen Opferung und Vernich⸗
der Sünde durch den weſentlich in ihm wohnenden ewi⸗
sen Geiſt, d. h. in Ueberwindung ber alleräußerften Schwie⸗
y/ Agleiten des Gehorſams und der allermächtigften Reize zur
m Sünde, für welche feine menſchliche Natur nicht abfolut un«
änglih war, in der reinen Vollendung der menschlichen
Natur in ihm und ihrer Chrenrettung vor Gott, die einer
„a feiner willen ergebenden Lebens⸗ und Ehrenerklärung über
fe das menschliche Geflecht überfchwänglich werth war, wäh-
| = für ihn felbft fein Prüfungsleiden feine Erhöhung zum
Haupte der Schöpfung wurde Y). Dadurch erhält die Men-
Ten’fche: Berföhnungslehre nicht nur eine fehr ernfte fittliche,
\ fondern auch, da die fittliche Kraft Chrifti nur als eine ab-
: folute gedacht werden kann, eine gewiße fpefulative Bedeu-
‚ kung, welcher zufolge das. durch Ehriftus der Menfchheit mit«
getheilte Bewußtſeyn der in der Menfchheit wohnenden abfo-
luten fittlichen Kraft, die in ihrer höchften thatfächlichen Voll⸗
„ endbung in der Perfon und dem Leben Chrifti ſich darſtellt,
das Princip der Berföhnung des Menfchen mit Gott ift, nur
- Tommt dieſe Theorie Dadurch mit ſich ſelbſt in Wiberftreit, daß
fie, je mehr fie darauf dringt, daß Ehriftus nur in der wahr-
haft adamitifchen, des Göttlichen entäußerten, Menfchheit das
Werk der Erlöfung und Verföhnung vollbracht habe, in dem-
felben Berhältniß auch bie Berbindung der göttlichen und
menfchlichen Ratur, wenigſtens im Sinne des orthodoxen Sy-
) Die Verfipnungslchte S. 18. f. Dfiander a. a. O. ©. 163.
664 III. Ber. 3. Kap.
ftems für unmefentlich halten muß. Ohne Zweifel ift es nu
aus der überhaupt in der Menken'ſchen Lehre fi) ausipre
chenden ſtreng fittlichen Tendenz ) zu erklären, dab Menlen
auch der alten Vorftellung eines Kampfes des Erlöfers mi
dem Teufel, wie es fcheint, mit einer gewißen WBorliebe fih
zuwandte. Wenigſtens iſt e8 nur der Zweck der fittlichen Pruͤ⸗
fung, für welchen Chriftus während feine® ganzen Lebens auf
jebe denkbare Weife vom Satan verfucht worden feyn ſollte).
Konfequent war es endlich, daß eine, von Princip der abſo⸗
Iuten Liebe Gottes aus, der Satisfactiondtheorie fich entgegen.
ftellende Lehre auch die Ausficht auf eine allgemeine 2 Wieder⸗
herſtellung eröffnete ?).
4) Mit diefer fittlichen Tendenz ſtimmt jedoch“ nicht recht zu
fammen, daß Dienken, gemäß feiner Anficht vom Fall, als
der natürlichen Folge des Genufles giftiger Früchte, die Erb
ſünde als ein Unrecht. leiden, und daher die Erldſung dad
auch wieder als einen gewißermaßen von der Gerechtigleit
geforderten Erfag darftellte. . Dfiander a. a. D. ©. 160.
Jeſus follte die Hölle in ihrer ganzen LIR und Bosheit über
winden. Er Eonnte die Menfchheit nicht erlöfen, ohne die
- Hölle ganz überwunden zu haben. Der Catan follte an ihm
das Höchfte beweifen, was fatanifche Lift: und Bosheit ver:
mag, und Jeſus dagegen das vollfommenfte Wohlverhalten,
was ein vernünftiges Wefen in Demuth vor Gott und in
der Liebe zu den Menfchen beweifen kann. Es follte nichts
geben, wovon der Satan jemals hätte fagen Eönnen, wenn
Jeſus noch dieſes gelitten hätte, fo wäre er gefallen, wie
Adam, der Satan follte vielmehr erkennen müflen, Jeſus fep
unüberwindlich. Verſöhn. Lehre ©. 13. f. Bergl. Dfiander
a. a. D. ©. 160.
3) Vgl. Dfiander a. a. D. ©. 171. Bemerkenswerth ift hier
noch die Verwandtſchaft, in welcher die Menken’fche Lehre
zum Irvingismus ſteht. Man vgl. die in der Evang. Kir:
chenzeit. Bd. XXI. 1837. Juli Nr. 55. ©. 433. f. mitge:
theilten Aftenftücke über die auf den Irvingismus fich be
ur
2
—
Menken. 665
In dem Gegenſatz von Zorn und Liebe bewegt ſich die
Menlen'ſche Verſöhnungslehre, ohne über denſelben anders
ziehenden Vorfälle in der theologiſchen Schule zu Senf. Aus
The orthod. and cath, doctrine of our Lord’s human na-
türe werden folgende, hieher gehörige, Säge Irving's ausge⸗
boben: 1. „Chriſtus hat unfer fündhaftes Sleifch, oder un⸗
\ fere gefallene Natur angenommen, und fie gegen den Teu⸗
fel, die Welt und das Zleifch heilig behauptet. Man denke
fich jede Art menfchlicher Leidenfchaften, jede Art menfchli-
cher Irrthümer, jede Art menfchlicher Bosheiten, die jemals
begangen worden find, man denke fie fih wie den Menfchen
antlebend und wie verbündet gegen die Heiligkeit deſſen, der
nicht blos Menfch geworden ift, fondern auch der Sohn des
Menſchen und Erbe aller Gebrechen, die der Menfch auf fei-
ne Kinder überträgt (©. 17.). Chriſtus wurde durch alle
der gefallenen Menfchheit anhängende, und jeden entarteten
Menfchen beherrfchende böfe Neigungen beunruhigt, nur daß
fie Sefus nicht beherrfchten, weil ee von Gott geboren oder
erzeugt war (S. 111.). Sch behaupte, daß die reichhaltige
Quelle der menfchlichen Verderbtheit auf ihn geöffnet war,
und daß der (Augiass) Stall der menfchlichen Ungerechtig⸗
keit, in feiner Perfon, ihn zu reinigen, und die wilden Thiere
der menfchlichen Leidenfchaften, fie zu bändigen, ihm gegeben
waren (©. 126.). Ich glaube, daß es zum Wellen des or-
thodoren Glaubens gehöre, zu behaupten, dab Chriſtus bis zu
feiner Auferfiehung, wie Paulus hat fagen Finnen: Nicht
ich, fondern die Sünde, die in mir wohnt, und
- mich verfucht in meinem Fleiſch; ganz fo, wie er nach feis
ner Auferfiehung bat fagen Edunen: Sch bin Iosgetrennt von
den Sündern. Und aufferdem denfe ich, daß der einzige
Unterfchied zwifchen feinem Leib der Niedrigkeit und feinem
Auferficehungsleib der fey, daß die Süinde feiner menfchlichen
Natur anflebend blieb, und fie fierblicy und verweglich mach»
te, bis zu Der Zeit, wo er von den Todten auferfiand (©. 127.).
Es waren in Jeſu Chriſto natürliche Begierden, ehrgeizige
Beftrebungen und geiftige Dunkelheiten vorhanden (©. 24.).
666
Il, Ber. 3. Kap.
binwegzufommen, als dadurch, daß fie Die eine Seite bei
Gegenſatzes, den Zorn, in der andern, der Liebe untergehen
Sein Wille war der nämlichen Stlaverei, wie wir, unter
worfen, unter dem Drud des Teufels, der Welt umd dei
Fleiſches (S. 89.). Es iſt eine Fegerifche Lehre, die in der
Zeugung Chrifti etwas mehr erblickt, als die Einpflanzung
des Lebens des heiligen Geiſtes in die Glieder feiner menſch⸗
lichen Natur, wie es uns durch Die Wiedergeburt eingepfanzt
ward (©. 140.). Es war im Fleifhe Chriſti ein Hang zur
Melt und zum Satan vorhanden, und das Geſetz des Zlei«
[ches war dort ganz und gar gegenwärtig‘ (Baxters Dar:
fiellung ©. 107.). 2. Um nicht Läugnen zu müſſen, baf
Chriſtus volllommen heilig gewefen ſey, wird behauptet, „‚daf
der Hang zur Sünde nicht firafbar if, fofern man fich zu
fündlichen Handlungen nicht fortreißen läßt, und daß dieſer
Hang an fich Fein Hinderniß if, vollfommen heilig zu feon
(Orth. et cath. doctr. G. 153.). 3. Da Sefus Die gefalle
ne und fündhafte Adamsnatur angenommen hatte, fe Eonnte
er dem Leiden und dem Zode, die er ertrug, nicht entgehen.
„Wenn Ehrifus mit feiner heiligen Perfon,’’ fagt Troing,
die Natur eines fündhaften Gefchöpfes angenommen bat, I
fonnte er und mußte fogar fierben” (ES. 91.). 4. Da die
Leiden und der Tod Tefu Chriſti Die nothwendige Folge de3
Zuftandes, in den er getreten, waren, fo haben fie nicht einzig
und allein eine Strafe für die Sünden der Welt feyn, und
er hat fie nicht blos an unferer Statt, ale unfer Bürge, er:
dulden Eünnen. „Wenn Chriſtus,“ lehrt Troing, nicht im
Stande eines Sünders war, und Gott ihn doch behandelt
hat, ale wäre er darin gewelen, fo mag, wenn dieß Die Be:
deutung ihrer Zurechnung und Vertretung, oder welchen Na;
men fie Diefer Lehre geben mögen, ift, Diefe Lehre auf immer
fern bleiben von meiner Theologie.” Srving erklärt fogar,
daß die Annahme, die Leiden und der Tod Tefu Chrifti feyen
ein Gott dargebrachtes Opfer, um ung Gottes Gnade zusus
wenden, ein heidnifcher Irrthum fen, und daß cine folde
Vorausſetzung von einem hoͤchſt barbarifchen Begriff von Gott
Stier, 667
ließ. Auf diefelbe Seite ftellte HR. Stier, welcher mit glei⸗
cher Entfchiedenheit erklärte, daß er nichts wiſſen wolle von
einer Stillung des Zornd des Vaters (Catech. maj. Art. 2.)
und von einer Verſöhnung Gottes mit und, weil Gott nicht
Zorn babe, wie ein Menfch, und Feiner Verföhnung bedürfe,
am wenigften durd) feinen eigenen Sohn, nichts Davon, daß
‚ bad Leiden Chriftt felbft auch Strafe geweſen fen, weil nur
die Ueberzeugung vom Mißfallen Gottes ein Leiden zur Strafe
mache, Chriftuß aber, ald reiner Menſch und Sohn Gottes,
immerdar gewußt habe, daß ihn der Water liebe, nichts end-
Lich von einer Zurechnung des an unferer Statt von Chriftus
geleifteten Geſetzgehorſams, und von einem Wohlgefallen Got⸗
ted an uns um Chrifti willen, weil weder Schuld noch Ver⸗
dienft Uebertragung leide, und wenn das auch gienge, wir
Dann ja Berdienft hätten vor Gott, während wir doch ewig
ohne Berdienft begnadigt werden. Doc wollte Stier den Zorn
Gottes wenigftens in fubjeftivem Sinne aufrecht erhalten. Die
Gerechtigkeit Gottes, ſofern fie als Heiligkeit Eins fen, und
im. Einen Gott Eins ſeyn müffe mit feiner heiligen Liebe, fey
nur die Forderung allgemeiner Anerkennung des Mißfallens
Gottes an der Sünde in feinem vollen Ernfte. Das fey die
einzige Genugthuung, welche Gott vom Sünder verlangen
müfle, das ſey feine Strafe, d. b. die im Verhältniß zu Gott
ausgehe.“ Chriſti Leiden haben nach Irving durchaus nicht
die Zolge, und Gottes Gnade zuzumenden, und die Art und
Weile, wie fie ung zur Seligkeit verhelfen, tft folgende: Die
Leiden Jeſu Chriſti gewähren mir die Seligfeit, indem fie
mir Veranlaffung geben, an die göttliche Liebe in allen No⸗
then und unter allen Bedingungen zu glauben, und mir den
Beweis liefern, daß jemand, der in meinem Zuflande ſich
befindet, durch den Glauben fiegreich aus jedem Kampfe her:
vorgehen kann“ (©. 107.). Bon diefer Lehre behauptet Ir⸗
ving, daß die Wahrheit feit fünfzehnhundert und mehr Jah:
ren nicht befannt gewefen fen.
\)
668 IL Ber. 3. Rap.
nothiwendige Bedingung, wenn gefündigt worden fey. Nicht
Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit feyen alfo in Gott
ſelbſt im Widerftreit, fondern nur deren Anerkennung im menſch⸗
lichen Bewußtſeyn. Der Sünder müfle empfinden, daß Gott
wider die Sünde fey, und das ſey der Zorn Gottes, nicht in
Gott, fondern im Sünder, al8 das von der Reinigkeit Got
tes verurfachte Gefühl des Leidens und ber Bein, das zugleid
das lautere Feuer feiner Liebe fey; wenn er Vergebung erlan-
gen fol, fo müfje er die in Gott ewig bereite Liebe der Ber-
gebung dennoch als eine heilige, die Sünde nicht wollende,
nur zur Beſſerung vergebende erkennen, ober er erkenne fie
gar nicht, und bleibe in feinem Bewußtfeyn beim Zorne ?).
In einer fpätern umfaffendern, die frühere zun Theil berid-
tigenden, Unterſuchung 2) will aber Stier den zuerft rein ſub⸗
- jeftio gefaßten Zorn Gottes wieder in einem reelleren Sinne
nehmen, obgleich Teineswegs in der Abficht einer Annäherung
an die Firchliche Lehre, gegen welche vielmehr aufs neue in
den ftärfften Ausdrüden geltend gemacht wird, was nur im-
mer gegen fie zu fprechen fcheint. In das Gebiet der forma
Ien Dialektik, in welchem die Genugthuungslehre mit derſel⸗
1) Andeutungen für glaubiges Schriftverkändnig im Ganzen
und Einzelnen. Erſte Sammlung. Königsb. 1824. Die Ers
löfung in Chriſto nah Röm. 3, 21—26. ©. 379.f. S. 389. f.
Wie Hafentamp und Menken fagt auch Stier, die Schrift
fage nirgends, Chriſtus habe Gott mit uns verſöhnt, fondern
“uns mit Gott, und in der Umftellung diefer Rede ohne alles
Recht, fo wie in dem dazu genommenen Begriffe des deut:
ſchen Worts Verföhnen, der keineswegs im Grundterte fep,
befiehe der ganze große Mißverfiand, für deffen allgemeinere
Hebung wohl jest erft die Zeit gefommen ſey.
2) Andeut. für glaubiges Schriftverfi. Zweite Sammlung. Aud
unter dem Titel: Beiträge zur biblifchen Theologie. Leipzig
18238. ©. 24—116. Ausführliche Erörterung der Erldſungs⸗
und Verſoͤhnungs⸗Lehre.
|
|
|
Stier. 669
ben Schärfe abzuweiſen fey, mit welcher fie fi) ausgebildet
babe, gehöre überhaupt das Geheimniß des Kreuzes gar nicht.
Aber auch als eine bloße Offenbarung und Berficherung der
| Heiligen Gnade Gottes und eine Erflärung feines Mißfallens
!_ an der Sünde könne der Tod Jeſu nicht genommen werden,
| weil dieß vorausfegen würbe, das Verderben des Menfchen
liege nur im Bewußtfeyn, nicht im Willen, nur im Unglau-
ben, nicht in der Unmacht, fey nur eine Verſchiebung, nicht ei⸗
ne Zerrüttung der Kräfte. Daher weife des Gottmenſchen
Tod auf des Sottmenfchen Leben, und diefes auf Die Menfch-
werbung des Sohnes Gottes, ald die Wurzel des Verſöh⸗
nungstodes zurüd. Wenn man aber auch im Gebiete des
Weſens und nicht des Bildes, der Mitiheilung und nicht der
Darftellung fey, fofern der zweite Adam der Kanal des wie⸗
berbelebenden göttlichen Krafteinfluffes fey, durch welchen die
in der ewigen Gnade längft getilgte, nur in uns zu tilgende
; Schuld oder Sünde gededt und abgethan, und wir mit Gott
neu vereinigt werden, fo fey doch mit dieſer Reducirung des
Verſöhners auf den Wiedergebärer noch nicht alles erklärt,
und es frage fich immer noch, wie denn die Wiedergeburt uns
fer8 Weſens der hinreichende Aufichluß zum Kreuzestode Des -
Gottmenſchen fey. Dieſer Aufihluß wird Darin gefunden, daß
unfer Fleiſch von Gottes Geift nicht hätte wahrhaft überwim-
.. den werden-können, wenn Chriftus nur unfer Fleiſch und Blut
in der Geburt an fi) genommen und nicht auch in feinem
Qual⸗ und Berlaffungdtode für und umgeboren hätte, da⸗
dur, daß er in unferm Fleifh und Blut die Todes⸗ und
Berderbensmächte und die hemmenden Fähigkeiten beffelben
überwand, und feine und verwandte Menfchheit zu einem uns
genießbaren Geiſt⸗, Fleiſch⸗ und Lebensblute verflärte, Durch
deſſen Genuß vermöge der gläubigen Sehnſucht wir wieder
Leben in uns bekommen, in deſſen Salbung wir den großen
unvermeidlichen Umgeburtsproceß unſerer verderbten Natur
auszuhalten und nachzukämpfen vermögen. Wolle man nun
670 Ill. Ber. 3. Kap.
diefen Tod ald den Zorn Gottes auffafien, in welchen Chri⸗
ftus für und hineingegeben fey, fo ſey dieß vollkommen ri»
tig, jobald man nur nicht eine im göttlichen Willen urftändi-
ge, und in ihm zu befänftigende Nacheluft verftehe, fonbern
ein in der Kreatur erwachtes finfteres Feuer des Gegenſatzes
mit dem Lichtfeuer der ewigen Liebe, einen Tod in der Menſch⸗
heit, der auch die Heiligkeit Gotted nur als tödtenden Grimm
zu empfinden vermöge. Wie dieß zu verftehen ift, Drüdt Stier
noch deutlicher aus in folgenden Worten W. Law's 1): „Das
foftbare Blut des Sohnes wurde nicht vergoffen, um ihn zu
befänftigen, der ja In fich Feine andere Natur gegen die Men-
fhen hat, als Liebe, fondern ed wurde vergoflen, um de
Zorn, das Feuer der gefallenen Seele zu dämpfen, und in
ihr eine Geburt von Licht und Liebe zu erzeugen. Wie der
Menſch in der göttlichen Natur lebt, webt und ift, und vom
ihr gehalten wird, fey nun feine Natur gut oder böfe, fo Tann
man auch den Zorn des Menfchen, der in dem finftern Feuer
feiner gefallenen Natur entftanden ift, in einem gewißen Sin-
ne Zorn Gottes heißen, wie man von ber Hölle felbft fagen
fönnte, fie fey in Gott, weil nichts außer feiner Unermeßlich⸗
feit ift, aber Hölle ift nicht Gott, noch ift der Zorn Gottes
Gott, fondern jene ift die Behaufung des Teufels, dieſer der
feurige Zorn des Teufels“ 2). So fpielt diefe, Dem Vorge⸗
ben nach nur auf dem Grunde der Schrift fid) bewegende, Er-
örterung der Erlöfungs= und Verſöhnungslehre immer ficht-
barer in die J. Böhme’fche Theofophie hinüber. Um den Tod
Chrifti in der ganzen Tiefe feiner Bedeutung aufzufaffen, muß
auch der Zorn Gottes feftgehalten werden. Würde er aber
im gewöhnlichen Sinne genommen, fo müßte man fich auch
zu dem fo ftarf perhorrescirten juridifchen Satisfactionsbegriff
4) The grounds and reasons of christian Regeneration. Deutſch
Tüb. 1822. $. 23. 24.
2) Stier a. a. D. ©. 45. 52. 57. 63. 66. 78. 84. 88. f.
Stier. 671
befennen. Daher wird nun die Sache zuerft ſubjektiv gewen⸗
bet, und der Zorn Gottes fol, freilich in einen fehr uneigentli-
hen Sinne, nur die im Bewußtſeyn fich ausfprechende und
fühlbar werdende Mißfälligfeit der Sünde vor Gott feyn. Da
jedoch diefer rein fubjektive Sinn nicht genügt, jo wird Die
Sache realer jo genommen, daß unter dem Zorn Gottes das
ber göttlichen Liebe entgegengefebte finftere Yeuer der Kreatur
verftanden werden fol. Es ift von jelbft Elar, daß diefes
Feuer nichts anders ift, als die Sünde felbft in ihrem Ge⸗
genfag zu Gott. Wenn fih num aber auch ganz gut denfen
läßt, wie die Sünde vermöge diefed Gegenfated das Objekt
des göttlichen Zornes ift, fo bleibt doch völlig unbegreiflich,
wie fie der Zorn Gottes felbft feyn fol, fomit als göttliche
Dualität in Das Weſen Gottes felbft verfeßt werden kann.
Allein bier ift nun der Punkt, wo der Zorn Gottes in das
Gebiet der. theofophifchen Spekulation übergeht. Der Zorn
Gottes iſt die Sünde, alfo eigentlich der Zorn ded Menfchen
und nur in: gewißem Sinne der Zorn Gottes. Sie ift der
Zorn Gottes, und auch wieder nicht der Zorn Gottes, d. h.
fie gehört zur Natur Gottes, wie alles, was ift, in Gott iſt,
gehört aber. auch wieder nicht zur eigentlichen Natur Gottes,
weil biefe nur die Liebe ift, fie ift alfo in Gott und nicht in
Gott, fofern in Gott felbft ein Unterfchied ift, nämlid) jener
Unterfchied der beiden Principien, des finftern und lichten,
auf defien Vorausfegung das eigenthümliche Weſen der Theo⸗
fophie beruht. So wenig auch dieſe Begriffe in der Stier«
ſchen Darftellung weiter entwidelt find, und fo unwillkürlich
fie vielleicht zu ihnen hineingeführt wurde, fo ftehen wir doch
mit ihnen fchon auf einem Boden, auf welchem die Spekula⸗
tion aufs neue im Begriffe ift, fih unferd Dogma's zu be⸗
mächtigen.
Hiemit war im Grunde ſchon ein Schritt der Annähes
rung zur kirchlichen Lehre wieder gefchehen. Der reale Be-
griff Des göttlichen Zorns, auf welchen fie beruht, war Doch
672 III. Ber. 3. Kap.
in irgend einem Sinne wieder anerkannt. Allein eine fo far
fe Sprache, wie ſich Hafenfamp, Menken und Stier gegen
diefelbe erlaubt haben, Tonnte nicht unerwiebert bleiben, und
in einer Zeit befonders, in welcher eine Partei der ewangeli-
ſchen Kirche es fih zur höchften Aufgabe macht, das wahre
Heil derfelben durch das Fefthalten am Buchftaben der Sym⸗
bole neu zu begründen, war der von vielen Seiten erhobene
Widerfpruch gegen die Firchliche Satisfaftionslehre zu heraus⸗
fordernd, als daß nicht alle Kraft zur Reaktion Hätte aufge
boten werben follen. So erfchien ber unter dem frieblich lau |
tenden Titel: „Geſchichtliches aus ber Berföhnungs - md Ge
nugthuungslehre” einen fehr beftimmten polemifch - dogmali _
fen Zwed verfolgende Aufſatz der evangelifchen Kirchenzei⸗
tung 9. Im erſten der bisher erſchienenen drei Artikel die
ſes Aufſatzes wird auf Anfelm zuruͤckgegangen, als denjen⸗
gen Kirchenlehrer, deſſen, die Bibellehre in ihrer innern Roth⸗
wendigkeit und Vernuͤnftigkeit darſtellende, Theorie ebenfo ge
wiß die einzige ſey, die uns in den Beſitz des vor Gott gel⸗
tenden Verdienſtes ſetze, als es gewiß ſey, daß es Fein eins
ger Menſch außer Chriſto beſitze *), im zweiten wird Hugo
Grotius als der Begründer eines theologiſchen juste milies
in Unterſuchung gezogen, dem in unſerer Zeit fo viele huldi⸗
gen, und das zwifchen Wahrheit und Lüge alfo verhandle,
als ob beides Extreme eines Dritten wären, und als ob nidt
Wahrheit und Lüge, fondern Lüge und Lüge einander gegen
überftünden 3), im dritten wird an Hafenfamp und Menke
nachgewiefen, wie in Folge der Grotius’fchen Scheinorthodo⸗
xie in der neuern Zeit eine unendliche Zerfplitterung in um
ferm Lehrbegriff entftanden fey, in welcher jeder Dogmatifer
1) Sahrgang 1834. ©. 1.f. ©. 521.f. Jahre. 1837. S. 113.f.
©. 153. f.
2) Jahrg. 1834. ©. 3. 4.
3) Jahrg. 1834. ©. 613.
Evang. R.Zeitung. 673
feine Anftcht gebe, und vpn diefer aus bie des Andern bes
lampfe, und alle zufammen, mehr oder weniger bewußt oder
unbewußt, der Kirchenlehre gegenübertreten, fo daß nicht mehr
blos aus dem Lager der Feinde Chrifti gegen die Genugthuungs-
lehre der Kirche geftritten werde, fondern diefe unter den Glaubigen
felbft ihre indirekten Verbündeten haben 9. Bei diefem Stan-
be der Dinge ift leicht zu erachten, welche wichtige Stelle in
der. neueften Gefchichte unferd Dogma's der genannte Aufſatz
einnimmt. Zwar follte man denken, das dogmatifche Ver⸗
dienſt defielben könne an der ihm hier gebührenden Stelle nur
in der hiftorifchen Zuruͤckweiſung auf die, für alle Zeiten in
ihrer ganz einzigen Bedeutung daftehende, Anſelm'ſche Theo⸗
tie gefunden werden, allein der Verfaſſer deſſelben hat es
gleichwohl nicht unterlaffen, fie nad feiner Anficht auf eine
Weiſe zu begründen, welche für fich felbft näher betrachtet zu
werden -verdient. Die Hauptfäbe feiner Argumentation find
folgende: Die Sünde ift in ihrem tiefſten Grunde Negation
Gottes felbft. Ste tft zwar durch den Sündenfall in die Welt
gekommen, aber nicht erſt an ſich geworden, vielmehr iſt der
| Men mit feiner Sünde in die Sünde, das Reich der Suͤn⸗
de, gefallen. Das Verhaͤltniß Gottes zur Sünde ift ein ab-
folutes „es iſt das Verhältniß Gottes zur Negation feiner
ſelbſt. In dieſem Verhältniß ift der Begriff der Strafe mit⸗
gelegt: fie ift nicht außer der Sünde, ald der Negation Got-
“tes, oder vielmehr das Negative weientlich als Verderben und
od. Und das eben ift gerade die Macht Gottes, daß. alles,
was ihm entgegenfteht, Verderben ift, und was fich ihm ent-
gegenfeßt, dem Verderhen heimfält. Gott als lebendige Macht
iſt undenkbar, ohne fi immer geltend zu machen, und zu ma⸗
nifeſtiren gegen alles, was iſt. Alles was ift, ift aber: ent»
weder auf Seiten ©ottes, oder auf der Seite der Negation
Gottes, und darnach erfährt e8 die Manifeftation ſeiner Macht.
1) Sahrg. 1837. ©. 113. |
Banr, die Lehre von ber Berföhnung. 43
674 "A. Ber. 3. Kap.
Diefe ſich geltend machende Macht Gottes, welche zugleih
Ausflug feines Willens ift, ift, als Innerer Zuftand im Bes
hältnig zur Sünde gedacht, fein Zorn. Aus dem Zoms,
Straf» und Berderbend -Berhältniß, in welchem ber Menig
ſich befindet, zu feinem urfprünglichen, ihm anerfchaffenen, Helle
und Lebensverhältniß zurüdzufehren, ift dem Menſchen able
ut unmöglich, da e8 ſich um die Sünde im Menſechen ſchlecht⸗
bin, oder um den Menfchen in der Sünde handelt, um den
Totalzuftand des Verderbens, um die Rüdfehr aus biefem
Verhaͤltniß, welches für den Menſchen das Strafverhälniß
tft. Die Tilgung der Sündenſchuld in der Strafe, und die
Tilgung der Sünde felbft, in vollfommener Heiligung, if die
Aufgabe der Erlöfung. So unmöglich aber die Tilgung de
Schuld und der Sünde für den Menfchen ift, fo unmöglih
ift fie auch außerhalb des Menſchen, weil dann nidt de
Menſch, der Sünder, erlöst wäre, Diefe Unmöglichkeiten en
fpringen aus dem Wefen Gottes felbft, find alfo von ber A,
daß fie Sott felbft nimmer mehr umgehen Tann. Indem nm
aber der Sohn Gottes Menfch wurde, und als der menſch
gewordene Soitesfohn die Tilgung der menfchlicden Sünder
ſchuld und der Sünde felbft übernahm, that er dieß in de
menſchlichen Natur, ja, als die menfchliche Natur, ſomit iſ
in ihm die menfchliche Natur felbft entfündigt, und er bat in
feiner menſchlichen Natur die ganze Menfchheit vertreten )).
Würde diefe Argumentation nur auf die Anfelm?fche zus
rüdgehen, und nichts anderes feyn wollen, als eine einfache,
etwa eined andern Ausdruds fich bedienende Wiederholung
berjelben, fo würde fie ſich auch nur in Diefelben Schwierige
keiten und Widerfprüche verwideln, allein fie will, obgleich
ſchon Anfelm die Bibellehre in die adäquatefte, der Vernunft
am meiften entiprechende Form gebradyt haben fol, Doch zu
gleich über fie hinausgehen, eine noch befriebigendere willen
1) Jahrg. 183%. ©, 586, f.
Evang. K.Zeitung. 675
ſchaftlich gründlichere Löfung des großen Problems geben,
' zeigt aber dadurch nur um fo auffallender, wie wenig fie aud)
‘ nur über das Mangelbafte der Anfelm’fchen Argumentation
hinwegzukommen im Stande ifl. Es erfordert feinen großen
Scharfſtnn, um fogleich zu fehen, daß es nichts Verungluͤck⸗
u teres geben Tann, als den Gedanken, mit welchem fie Die Ans
k felm’fche Theorie noch überbieten will. Wie die Anfelm’fche
br geht. fle davon aus, die Sünde in ber ganzen Tiefe ihres
1. Weſens aufzufaflen, die Sünde kann daher nur etwas Abfo-
N. Untes feyn, als Beeinträchtigung, oder Negation, der unendlis
dien Ehre Gottes ift fie feldft etwas Unendliched, allein Ans
: Selm betrachtet dabei die Sünde immer nur als die freie That
bes Menfchen, nur fofern der Menſch vermöge feines freien
illens Gott die ſchuldige Ehre nicht erweist, zieht er fi
‚eine unenblihe Schuld zu, aber die unerhörte Behauptung
konnte einem Anfelm nit in Sinn kommen, daß die Sünde
nicht als freie That des Menfchen, fordern an fich etwas ab⸗
ſolutes fey, wie ber Berfaffer des genannten. Aufſatzes behaup⸗
tet, wenn er das abfolute Verhältnig Gottes zur Sünde, oder
das Berhältnig Gottes zur Negation feiner felbft fo beftimmt,
die Sünde fen durch den Sündenfall nicht erft an fich gewor⸗
> ben, fondern der Menfch vielmehr, mit feiner Sünde in Die
Sünde gefallen. Iſt die Sünde durch die That des ſittlich
- freien Wefens, das fie zuerft begeht, nicht erft an fich gewor⸗
den, ſo ift fie überhaupt etwas von ber fittlichen: Freiheit un⸗
abhängiges, eine an fich. feyende. Macht, welche als die Ne⸗
gation Gottes Gott gegenüberfteht. Was ift aber dieß an⸗
:.» ders, als ein ächt manichäifcher Dualiömus, wie ja auch der
. Berfaffer dieſes Auffages ohne Bedenken von einem, dem
Suüundenfall vorangehenden Reich der Sünde fpricht, und al⸗
les, was ift, dadurch gefchieden feyn läßt, .daß e& entweder
auf der Seite Gottes, oder auf der Seite der Negation Got⸗
tes fteht. Die Sünde fteht alfo Gott gegenüber, wie im mas
nichäifchen Syftem auf der einen Seite dad Reich. des Lichte,
| 43 *
676. U. Ber. 3. Kap.
auf der andern dad Reich der Finfterniß fteht, der urfprüng-
lich dem Reich des Lichts angehörende Menſch, fallt in das
Reich der Sünde, und kann aus demfelben nur dadurch wie
der erlöst werben, daß das Kichtreich mit feiner Macht in das
Reich der Finfterniß eingreift, fich in daffelbe herabläßt, um
das feiner Natur Verwandte aus demfelben an fich zu zie⸗
ben, ftellvertretend in fein Leiden einzugehen, in Diefem Leiden
aber auch die Macht des Reichs der Finfterniß zu breden,
da das Princip des Lichtreichd feiner Natur nach In lehter
Beziehung immer wieder das abfolut überwiegende feyn muß.
Hier ift nun zwar allerdings Fein jurifiifcher Proceß, wie ber
bes Grotius, aber ein phyſiſcher, und mit ſolchem phyfiſchen
Broceß glaubt man am Ende die Wahrheit feftgeftellt haben!
Es ift in der That bemerfenswerth, wie diefe neue “Theorie
das gerade‘ Gegenftüd zu des Grotius ift, und wie biefelben
Vorwürfe, die fie mit allent Recht der Grotius’fchen macht,
mit demfelben Gewicht auf fie felbft zurüdfallen. Wenn dar
ber gegen Grotius eingewendet wird, daß er Gott, Sünde,
Strafe als drei außer und neben einander ftehende Faktoren
fee, Die ſich wefentlich nicht berühren, zu deren Vermittlung
und Beziehung zu einander er erft ein Viertes, wiederum
außer den drei Faktoren ftehendes, fuche, nämlich ein poſitives
Geſetz, und das aus ihm refultirende Rechtsverhältniß, in die
fer Abgerifienhett aber weder bie Natur der Sünde, noch das
Weſen der Strafe, noch der Zufammenhang beider im Mer
fhen mit Gott zu erfennen fey, fondern nichts als juriſtiſche
Definitionen übrig bleiben 9), fo berühren fih in dieſer neum
Theorie zwar allerdings die drei Faktoren, Gott, Sünde und
Strafe wefentlih, aber diefe wefentlihe Berührung iſt nur
eine phuftfche, und das Vierte, das fie vermittelt, und in
Beziehung zu einander feßt, ift auch nur etwas Aeufferliches,
nämlich der Sündenfall, welcher, fobald ein von demſelben
1) Jahre. 1834. ©. 586.
Evang. Peltun. 677
unabhaͤngiges für fich beftehendes Reich der Sünde gefebt iſt,
I
nur als ein Angriff des Reich der Finfterniß auf das Reich
des Lichts gedacht werden kann. Es find daher mit Einem
Worte phufiiche Verhältniffe, welche an die Stelle der jurifti«
ſchen Definitionen des Grotius gefeht werden %. Zwar Tönnte
es fcheinen, gegen den Vorwurf des Manichäismus habe ſich
Diefe Theorie hinlänglich Dadurch vorgefehen, daß fie die Suͤn⸗
de als die bloße Negation Gottes beftimmt, fomit nur als
etwas Negatives, nicht aber als etwas Pofitived, wie dieß
4) Mit diefem phyſiſchen Begriff Gottes fimmt auch ganz zu⸗
fammen, was Jahrg. 1837. ©. 172. über den Zorn Gottes
gefagt wird. Der Zorn wird zwar nicht eine Eigenichaft
Gottes, aber der Affekt einer Eigenfchaft, nämlich der Hei⸗
Kigkeit, genannt. Im Born fen zwar nicht die Liebe aufge»
hoben, wohl aber die Licbesänfferung aufgehalten. Darin
aber breche die Liebe wieder durch, daß fie es nicht vertra⸗
ge, gehemmt zu fen, und nun diefe Hemmung felbft aufhe⸗
be, weil das Gefchöpf es nicht Fönne. „Die Aeußerung der
Helligkeit Gottes im Zornfeuer” wird weiter mit F. v. Mever,
Inbegriff der chrifil. Glaubenslehre 1832. ©. 175., gelagt,
„bat ihren Grund im Wefen Gottes, fie ift aber dieſem We⸗
fen an fich fremd. Phyſiſch zu reden, fo ift der Zorn Got⸗
tes das abfloßende Princip, feine Liebe das anziehende, beis
de find Eins, und fließen in der allein ewigen Anziehung
wieder zufammen. Aber folange die Liche Gottes das Ge⸗
ſchopf, das Kind des Zorns von Natur, nicht anziehen Tann,
mit defien Willen, fo lange bleibt diefelbe Liebe als Zorn
über ihm, wie eine Wolfe, die der warme Ennnenftrahl zus
fammenzieht und nicht aufzulöfen vermag.” Den zornigen
Gott will diefe Theologie um keinen Preis fich nehmen lafs
fen, dagegen thut fie fich viel darauf zu gut, ben blutdür⸗
fligen, oder jenes Prafle Zerrbild, das dem Jüngling in Tho⸗
luck's Lehre von der Sünde und vom Derfühner, oder die
wahre Weihe des Zweiflers (erfie Aufl. 1823. ©. 114. f.),
als die gewöhnliche Eirchliche Lehre entgegentrat, aufzugeben.
Jahrg. 1834. ©. 2.
678 IL Ber. 3. Kap.
weſentlich zum Manihälsmus gehört, betrachtet. Allein als
etwas rein negatives kann die Sünde in feinem Falle beirad«
tet werben, wenn fie Doch bei aller Negativität ihres Weſent
auch wieder etwas realed und wirkliches ift, und wenn es,
wie der Verfaſſer des Auffages fagt, fihon vor dem Eünden
fall eine an ſich feyende Sünde, und ein urfprüngliches Reich der
Sünde gibt, fo ift ohnedieß dadurch ein rein negativer Bes
griff der Sünde von felbft ausgeſchloſſen. Unftreitig fann
das Acht Manichäifche dieſes Dualismus nur - Dadurch beids
tigt werden, daß die Sünde nicht als etwas an fich ſeyendes,
fondern als etwas an fih erft gewordenes aufgefaßt wird,
aber dann Tann auch nicht mehr behauptet werden, daß das
Verhaͤltniß Gottes zur Sünde ein abjolutes ift, oder dad Der:
hältniß Gottes zur Negation feiner ſelbſt. Mit dem Begrifk
Gottes ift allerdings auch die Negation Gottes geſetzt, ſofem
bie Negation ein abfolutes Moment des Denkens tft, abe :
Negation und Sünde find nicht identifche, fondern wefentlid
verſchiedene Begriffe. Wären fie identifch, wäre das Verhält-
niß Gottes zur Sünde ſchlechthin nur das Verhältnig Gottes
zur Negation feiner jelbft, fo müßte auch alles, was nidt
Gott ift, fchlechthin Eünde feyn, aber Die Welt und Der Menſch
find nicht ©ott, ihrem Begriffe nach von Gott verfchieden,
.Infofern die Negation Gottes, ohne darum ihrem Begriffe
nach nicht8 anders zu feyn, als die Eünde, oder das abſo⸗
Iute Böfe. Geht man daher, um das Verhältniß Gottes zur
Eünde, ald ein abfolutes aufzufaflen, auf den Begriff der
Negatton zurüd, fo muß man entweder Sünde und Negation
fhlechthin gleichfegen, und die Eünde ift in demfelben Einn
abfolut, in welchem alles, was nicht Gott ift, die abfolute
Negation Gottes ift, was offenbar der manichäiſche Dualid-
mus ift, oder man Fann, wenn man dieſem manichäifchen Bes
griff der Sünde ausweichen will, nur den Begriff der Nega-
tion feithalten, die Negation in diefem höchften abfoluten Ein
ne aber iſt nicht anders, als das logiſche Moment des An:
Evang. K. Zeitung. 79
wöfennd, des Unterfchieds, die Diremtion des Enblichen und
nendlichen, und man betritt ebendamit, wenn die Idee der
erföhnung auf dieſem Wege begründet werden fol, ein Ges
et der Spekulation, das von: der Sphäre der Anſelm'ſchen
atisfactionstheorie wefentlich verfchieden iſt. Dieſe felbft aber
; weder auf bie eine noch die andere Weife befier gerechtfer⸗
zt, ald von Anfelm felbft gefchehen ift, während man doch
irch Das Beftreben, über fie hinauszugehen, und die rechte
egründung für fie erft zu fuchen, felbft das Geftändnig ab⸗
gt, wie wenig man ſich Durch die ihr von Anfelm gegebene
orm befriedigt fühle, und wie wenig fte daher auch den ab»
Inten Vorzug verdienen könne, welchen man gleichwohl ihr
erfennt. |
Hieraus ergibt fidh zur Genuͤge, welchen Werth eine fol-
e Bertheidigung ber Eirchlichen Lehre haben kann *). Wel-
4) Soll. die Kirchliche Genugthuungslehre vertheidigt werden,
fo ift der ohne Sweifel von demfelben Theologen, in ben
Beiträgen zur Vertheidigung der evangel. NRechtgläubigfeit,
Erfte Lieferung Heidelb. 1825, (oder: die Unwiſſenſchaftlich⸗
keit und innere Verwandtſchaft des Nationalismus und Ro⸗
manismus in den Erfenntnißprinceipien und Heilsichren des
Chriſtenthums, dargethban von E. Sartorlus) Kap. 6. von
der ftellvertretenden Genugthuung Chriſti ©. 121.f., einges
fhlagene Weg der weit angemeffenere. Hier wird alles auf
Die Frage: wie das Verdienſt Chriſti, Das nichts anders if,
als die vollkommene Gefeges » Erfüllung, welche der Natur
der Sache nach gerecht macht, das unfrige wird? zurückge⸗
führt, und zur Beantwortung derfelben gefagt, daß es ohne
- Schenfung und Hebertragung ung nie zu eigen werden wärs
Ve. Da nun jenes Schenken und Zurechnen ein rein poſi⸗
tiver Alt der göttlichen Gnade fen, fo ergebe fich dar⸗
aus, daß wir über unfern Beſitz des Verdienſtes Chriſti
durch gar Leine Spekulation und Theorie darüber, ſon⸗
dern lediglich durch eine auf unmittelbarer Offenbarung
Gottes beruhende Erklärung feiner Gnade, oder durch
680 1. Ber. 3. Kap.
che grobe Verwirrung der Begriffe liegt aber auch ſchon dr
bei zu Grunde, daß die Lehre, die ald Firchliche vertheidigt
werden fol, geradezu mit ber Anfelm’fchen identifch genom-
men wird. Es iſt in den frühern Hiftorifchen Unterfuchunge
gezeigt worden, welche weientliche Differenz zwiſchen der An-
felm’fchen und der fombolifchen Lehre der Lutherifchen Kirche
ftattfindet. Handelt e8 fi) daher um den wahren Begriff
der legtern, fo ift ed ebenio wenig erlaubt, Beftimmungen,
welche nach den fombolifchen Schriften der lutherifchen Kirde
wefentlich zu ihr gehören, fallen zu laſſen, als es erlaubt fegn
fann, ſolche in fie aufzunehmen, welche nur der Anfelm’ihe
Lehre eigenthümlih find. Ebenſo falfh iſt das Vorgeben,
daß die Anſelm'ſche Lehre nicht blos nach Anfelm bei den Re
formatoren, und durch die blühendften Zeiten der evangelifche
Kirche hindurch, fondern auch vor Anfelm ſchon in der früße
ften Zeit der chriftlichen Kirche als Kirchenlehre gegolten ha⸗
be t). Zwar foll dieß nur von der Grundlage und da
Grundzügen der Kirchenlehre zu verfichen fenn, und Hiemi
die ausdrücliche Verheißung und Zufage des göttlichen Eu
angeliums vergewißert werden Fünnen (©. 130.). Nur file
man auch, Tonfequenter Weife, bei dieſer pofitiven Deklara-
tion des göttlichen Willens einfach fiehben bleiben. Denn
fobald man, um von ihr den Vorwurf einer willfürlichen
Rechtfertigungsart, die ebenfo gut auch anders hätte einges
richtet werden fünnen, abzuwenden, fagt, wie a. a. O. ©. 132.
weiter gefagt wird, vielmehr laſſe fich gar Feine andere den»
fen, welche das Geſetz und Evangelium glücklicher, heilia
mer und zweckmäßiger verbände, welche uns zu gleicher Zeit
eine ebenfo große Heiligkeit, als Gnade Gottes vffenbarte,
welche ebenfo Fräftig auf unfere Befeligung, als auf unfere
Heiligung einwirkte, fo fommt man dadurch fogleich wieder
in die Theorie hinein, was man body eben auf dDiefem Wege
vermeiden wollte.
1) Evang. Kirchenz. 1834. €. 3.
Evang. R.Zeitung. 681
ı nicht geläugnet werden, daB fle zu allen Zeiten auch ein
t -menfchliches Beiweſen und Beiwerf gehabt habe, auf welcher
v MWillfür beruht aber eine ſolche Scheidung des Subftanziellen
t amd Accidenziellen, um am Ende diefe ächt Fatholifche Sta-
bilität des Dogma's zu Stande zu bringen? Allein ſolche, je
b -bder vernünftigen Auffaffung der Geſchichte widerftreitende, Bes
Et hauptungen find freilich nöthig, um den eigentlichen Grund des An»
ſtoßes der Gegner an der Öenugthuungs =» und Verföhnungslehre
‚ nicht in dem Eigenthümlichen der Anfelm’fchen Lehre, fondern -
.im dem vor ihr VBorhandenen, und von ihr Voraudgefesten
zu finden, mit Einem Worte in Chriftus felbft ), und Män-
ner, deren Andenfen man doch felbft ein gefegnetes nennen
muß 2), ald unmittelbare Feinde Chrifti zu brandmarfen.
-. Darum, darf auch dieß in einer Gefchichte der Lehre von der
Berföhnung nicht verfchwiegen werden, wie in der neueften
Zeit jene hochmüthige Verkegerungsfucht, welche alle Verſchie⸗
Denheit der Auffaffungsweife des chriftlichen Dogma’s nur aus’
‚ber Verkehrheit des Unglaubens herleiten will, und in allen
Abweichungen von dem Buchftaben der Eymbole, der allein
gelten fol, und doch nach Belieben auch wieder nur für ein
4) Jahrg. 1834. ©. 5. belegt, wie fich erwarten läßt mit der
Stelle: „Der natürliche Menfch vernimmt nichts vom Gei⸗
fie Gottes, denn es ift ihm eine Thorheit.“ Der geiftige
Menſch ift alfe nur derjenige, welcher mit dem Derfaffer des
Auffages die Anfelm’fche Satisfactionslehre für die reine, nur
theorerifch gefaßte, Bibellehre hält, alle andern aber, die diefe
Weberzeugung nicht theilen Fünnen, gehören unter die Kate⸗
gorie des natürlichen Menfchen: Kann jener grund= und
bodenlofe, nur fein eigenes Sch für das reine Drgan der
Wahrheit haltende Subiektivismus, welchen der Verfaſſer
des Aufſatzes felbft andern zum Vorwurf macht (Jahrg. 1837.
©. 170.), fich in irgend jemand gewaltiger aufblähen, und
thdrichfer geberden, als in ihm felbfi?
2) Jahrg. 1837. ©. 122.
682 IH. Ber. 3. Kap.
menſchliches Beiweſen und Beiwerk erklärt wird, nur ein
Werk der Lüge erblickt, fich befonderd auch Diefe Lehre für ihre
Zwecke, zur Förderung defien, was fie evangeliſches Chriſten⸗
thum nennt, auserſehen hat.
Gegen eine juriſtiſche Behandlung der Satisfaktlonsleh⸗
re, wie die des Grotius war, glaubten ſich Theologen, wie
die zuletzt erwähnten, nicht ſtark genug erklären zu können.
Aber dabei ſollte gleichwohl der weſentliche, nur von dem
atomiſtiſchen Materialismus der Zeit verfannte, Lebenszuſam⸗
‚menhang der beiden Wiffenfchaften, ver Theologie, dieſer Könign
aller Wiffenfchaften, und der zu ihrer Hülfe beftimmten erftgebor
nen Tochter, der Jurisprudenz, wie überhaupt, fo Insbefondere in
= Beziehung auf die Lehre von der Erlöfung auf Feine Wek
tberfehen werden. Das juriftifche, von Anfelm als Sati&
faction bezeichnete, von Hugo Grotius nur formel juriſtiſch
erläuterte Element, fey älter als fein Name, älter als alle ju
riftifch theologifchen Unterfuchungen‘ darüber, nämlich fo alt,
als bie Erlöfungslehre felbft, denn e8 beruhe auf der Vermil⸗
Iung und Gnade Gottes, und fey fo alt, ald der Nathichluf
Gottes zur Vergebung der Sünden, und zur Erlöfung de
gefallenen Menfchengefchlecht8, wurde von einem Juriſten er
innert 1), welcher dieſe juridifche Seite der Erlöfung in de
Ephäre der Wiffenfchaft, welche das, was ift, zum Gedan
fen, zum Begriff, überhaupt zum Verftändniß zu bringen ha
be, zu vertreten, ſich um fo mehr aufgefordert fühlte, je mehr
eben diefe Seite in der theologifchen Wiffenfchaft felbft nur
unvollftändig erkannt, ja felbft von treuen Haushaltern und
1) 8.8. Söfchel, Zerfireute Blätter aus ben Hand⸗ und Hülfe
akten eines Juriſten. Wiffenfchaftliches und Gefchichtliches
aus der Theorie und Praris, oder aus der Lehre und dem
Leben des Rechts 1832. Vgl. Kiterar. Anzeiger für chrifl.
Theologie und Wiffenfchaft überhaupt, herausg. von Tholud
1833. ©. 69.f. Evang. 8.8. 1834. ©. 14.
Göſchel. 683
uslegern des Worts Gottes in ihrer nothwendigen und we⸗
ulichen Bedeutung verkannt werde. Die Folge hievon war,
iß ſich Philoſophie, Jurisprudenz und Theologie zu einer
uen juriſtiſchen Genugthuungstheorie vereinigten, deren We⸗
stliches in folgenden Hauptſätzen beſteht:
Das Wefen der Liebe befteht in der aftiven und paifiven
emeinſchaft mit ihrem Gegenftande, fie ift aktiv. und paſſiv
fitheilung. Nach der erften Beziehung erweist fid) Die
trafe als Liebe dadurch, daß das Recht, näher der, der
8 Recht und Gerechtigkeit felbft ift, den Verbrecher, welcher
und ihn verläßt, darum doch nicht verläßt, ſondern auf
n wirft, und fih ihm mittheilt. Nach der zweiten Bezies
ng, welche aus ber erften, überhaupt aus der Gemeinſchaft,
ſthwendig folgt, erweist fich Die Strafgerechtigfeit als die
ebe dadurch, daß jene, näher die Perſon, welche die Gerech⸗
zkeit felbft ift, in Folge der ihrerfeits fortbauernden Gemein-
yaft mit Lem Geſtraften, deſſen Strafleiden mit leidet, und
se fih nimmt. Der Unterfchied zwifchen Dem Strafleiden des
ngerechten und Unheiligen, und dem Strafleiden bed Ge
chten und Heiligen befteht aber darin, daß jener, weil er
h vom Rechte getrennt und die Gemeinſchaft zerriffen bat,
efer hingegen umgefehrt, weil er von dem Uebelthäter nicht
läßt, fondern feinerfeitS die Gemeinſchaft mit ihm fortfegt
onft würde er nicht ftrafen), die Folgen des Unrechts als
n Leiden trägt. In diefem. Strafproceß ber Liebe Liegt zu⸗
(eich und volftändig der gefammte Heilungsproceß, indem
urch die Gemeinfchaft, welche auf der eirien Seite als ein
widauernder Bund fich bewährt und verwirklicht, auch der
ndern Seite die Rürffehr und der Zugang dazu eröffnet wird,
8 wird jedoch zur Realifation dieſes Wiederherftellungspros
ſſes allerdings noch zweierlei vorausgefest, nämlich von Sei»
n des Gerechten, welcher ftraft und die Strafe felbft leidet,
aß er ftärfer fen, als das Unrecht, deſſen Folgen er trägt,
m Sünde und Strafe überwinden zu können, von Selten
64 . IM. Ber. 3. Kap. .
Des Ungerechten, daß er zugreift, d. h. das Beduͤrfniß fühl, _
fein Unrecht einfleht, und Doppelt fchmerzlich empfindet, weil
die Folgen feines Unrechts auf den Gerechten zurüdfalln
Der Organismus kann das einzelne Eranfe Organ, deſſen
Krankheit auf ihn zurüdfält, nur dann heilen, wenn einer.
feits er felbft gefund und ftarf ift, die Krankheit zu bewäll-
gen, andererfeit8 aber das Organ die Mittheilung Des geſun⸗
den Organismus wieder anzunehmen im Stande ift. Hienach
wird Die Strafe nur dadurch zum Löfegeld der Sünde, daß
fie der Gerechte auf fi nimmt, das Unrecht wirb nur das
Durch vergeben, daß es abgebüßt und getilgt wird, abgebüßt
wird es aber nur dadurch, daß der Gerechte, welcher ſtraf,
mittelft der Liebes = Gemeinfhaft die Strafe auf fich nimmt,
um fie zu überwinden, und die Gemeinfchaft wiederherzuftels
len. Die Satisfaction iſt damit, daß der Ungerechte leidet,
fo wenig vollendet, daß fie vielmehr wejentlich in dem ſtell⸗
vertretenden Leiden bes Gerechten beiteht. Sie .joll Wieder
herftellung der ®emeinfchaft mit Gott bewirken, kann e8 abe
nur dadurch, daß Gott als Menfch mit leidet, er felbft bie
Gemeinfchaft nicht verweigert. Wenn e8 heißt, daß die Ge
rechtigkeit Satiöfaction fordere, fo ift damit eben nur gefagt,
Daß fie, als Die Liebe, die Tilgung des Unrechtd und die Wie
berherftellung des Rechts auch für den, der ed gebrochen hat,
erheifche, denn es gefchieht der Gerechtigkeit nur dadurch ge
nug, daß fie wieberhergeftellt wird. Darum befchränft ſich
aud) die Forderung nicht auf das Strafleiden des Ungerech⸗
ten, in welchem vielmehr nur die erfte Liebesäußerung fih
fund gibt, fie erſtreckt fi vielmehr auf gemeinfames: Leiden,
Fragen wir, worin das: wefentlih Neue und Eigenthüms
liche Diefer Theorie beftehe, fo muß man ſich wundern, wie
eine mit folchem Anfpruch auftretende Theorie bei näherer Bo
trachtung doch nur auf eine leere, der neueften Philofophie ab.
geborgte, Phrafeologie hinausläuft. Der Grundgedanke, auf
welchen fie beruht, ift, daß die Gerechtigkeit nicht blos ald
Goͤſchel. 68
abſtrakte Gerechtigkeit gedacht werden duͤrfe, ſondern zu⸗
h auch mit der Liebe Eins ſeyn müͤſſe, fo daß, wie bie
echtigfeit ein Ausfluß der Liebe. ift, in der Strafe Die Ges
igkeit fi) als die Liebe erweist. In diefem Sinne wird
r nicht nur gejagt, daß Die Strafe oder das Strafrecht
Berbrecher auch wieder zu Ehren bringt, fofern die Strafe
in die Sphäre des Rechts zurüdführt, ihrer Wahrheit
zulegt- der offenbare Sieg des Rechts felbft tft, als des ob-
ven Willens gegen den im Unrecht fich geltend machenden fub-
sen, fondern daraus auch die Folgerung abgeleitet, daß, da
- Richter das Recht in Perſon ift, ein Richter, welcher
t, ohne zu lieben, die Gerechtigkeit in .einen todten, einer
m Wage vergleichbaren Mechanismus verkehren würde.
nit iſt jedoch nichts gefagt, was nicht längft anerkannt
ben wäre, und am meiften von allen Denjenigen, wels
ben Zwed der Strafe in die Befferung bed @eftraften
n, neu aber iſt nun die Wendung, daß der ftrafende Rich-
vermöge der als Liebe fich erweiſenden Gerechtigkeit, und
durch Diefelbe vermittelten Gemeinfchaft mit dem Geftraf-
das Strafleiden deſſelben zu theilen habe. Allein eben
zeigt fich in der Anwendung auf das Leiden Chrifti ale
ungenügende Vorftellung. Iſt die Strafe dazu beftimmt,
Verbrecher in die Sphäre des Rechts zurüdzuführen, fo
ſie an ihm felbft vollzogen werden, und die Liebe des
enden Richters kann ſich nur durch Die Realifirung der
hen Zwede der Strafe bethätigen. Soll nun aber biefe
: Theorie eine neue Rechtfertigung und Begründung ber
öhnlichen Satisfactionslehre feyn, wie fie e8 feyn will, fo
fie mit derfelben auch vorausfegen, daß Chriftus nicht
Die Leiden der an ben Menfchen felbft vollgogenen Strafe
einem Mitgefühl mit ihnen getheilt, fondern dieſe Strafe
t in feinem ſtellvertretenden Leiden an der Stelle der
deßwegen von der eigenen Erduldung der Strafe befrei⸗
Menſchen uͤbernommen habe. Wie ſoll aber dieß aus den
686 111. Ber. 3. Rap.
Begriffen, von welchen dieſe neue Theorie ausgeht, folgen?
Es iſt nur die willfürliche Unterfchlebung eines in den Br
miffen auf feine Weife begründeten Begriffs, wenn aus de
Vorausfegung, der ftrafende Richter dürfe dem Geftraften fer
ne Lebe nicht entziehen, Die Folgerung gezogen wird, Gott
muͤſſe Menſch werden, weil fonft die Wiederherftellung ber
©emeinfchaft nicht bewirkt würde. Diefe Gemeinfchaft beſteht J
ja fchon darin, daß das Recht, indem es den Verbrecher firaft,
ebendadurch nicht von ihm abläßt, und foweit fie einer Wie 1
derherftellung bedarf, gefchieht fie Dadurch, daß eben die Strak |
in die Sphäre ded Rechts zurückführt. Wer dDieß fefthält,
wird fi) auch durch folgendes Raiſonnement nicht berebm
laffen können, irgend einen Schritt weiter zu kommen: „A
der Oberfläche, bei welcher die faule Vernunft in ber Einbl——
dung ihrer Infallibilität ftehen bleibe, fcheine allerdings de
gefunden Vernunft nichts widerfprechender, als ftellvertreies
des Leiden, Leiden eines Unfchuldigen für Die Schuldigen, und
nun zeige es fich gleihwohl, indem wir nüchtern und pri
fend in die Begriffe felbft eingehen, daß nichts fo fehr, als
das bloße vereinzelte Strafleiden des Schuldigen dem Begrik
und Zwede der Satiöfaction widerfpreihe. Wie denn dag Un
recht, der Abfall von dem gefunden Rechtsorganismus getilgt
werden könne, wenn dieſer felbft von dem abgefallenen Or—⸗
gane ſich entferne, und Damit nichts mehr gemein haben wolle,
und wenn eine ganze Gattung abgefallen und krank fey, von
der Fußſohle bis zum Haupte, wie fie geheilt werden koͤnne,
was ihr Leiden gegen ihren Abfall helfe, wenn nicht der Art,
ftatt äußerlich davor ftehen zu bleiben, in das Leiden eingebe,
und zu biefem Zwecke in Die Gattung felbft, als fie felbft, ein-
gehe? Wozu helfe fonft alle Strafe, wenn der Etrafende mit
dem Geftraften doch nicht wieder in Gemeinfchaft treten wol
lea Gewiß, wenn einmal erwiefen ift, daß der Die Stelle
der Menfchen vertretende Chriftus in den Organismus ber
Gattung eingegangen, daß er die Gattung felbft ift, fann dem |
Goͤſchl. 687
x, Einzelnen nur durch dieſe Weſens⸗Gemeinſchaft, oder vermit-
ntelft des Zufammenhangs geholfen werden, in welchem der
ui Einzelne zum Ganzen fteht. Aber woraus folgt denn, was
J doch hier allein das Hauptmoment der ganzen Argumentation
x ſeyn muß, dieſes Eingegangenſeyn in die Gattung? Daß es
i aus dem Begriffe der Strafe, auch nach der hier gegebenen
j Beftimmung deffelben nicht folgt, iſt ſchon gezeigt. Es koͤnnte
daher nur aus dem Begriffe ber Liebe abgeleitet werden, ſo⸗
"fern ed zum Weſen der Liebe gehört, fich mitzuthellen, und
>. 4 eine Gemeinfchaft des Wefens und Lebens einzutreten, aber
- tbendamit verläßt dieſe Theorie, wie fie ja auch felbft zulegt
‚an die Stelle des Richters den Arzt fett, den juridifchen Bo-
"den, auf welchen fie fich urfprünglich ftellte, und auf welchem
Ste fi) allein. bewegen darf, wenn fie leiften fol, wozu fte ſich
. anbeifchig gemacht hat, aus dem juridiichen Begriffe der Strafe
und des Strafrechtd eine Debuftion der Satisfaftionslehre zu
..geben. Offenbar ‚fließen hier zwei verſchiedene Begriffe und
. Standpunkte in einander. Der Begriff der Strafe geftattet
nicht, Die Liebe von ber Gerechtigkeit zu trennen (bie Strafe
- erweist fich fo in dem Dafeyn des Rechts, an dem, der das
Recht bricht, als Liebe, oder als Gnade, weil in ihr das Recht,
welches ein But ift, ja das Gute felbft %), feinen Einfluß
auch dem nicht entzieht, der ſich feinerfeit8 deſſelben begeben‘
und verluftig gemacht hat, und die Vergebung iſt die Krone
der Strafe, mittelft Deren der Uebertreter in die Gemeinfchaft
4) Söfchel drückt dieß auch fo aus: Die Strafe ift, ald Rega⸗
tion des Unrechts, nicht blos ein Hebel gegen den Verbrecher,
fondern auch für ihn, indem damit nicht blos dem Rechte
Überhaupt, und dem, der das Unrecht leidet, fondern auch
dem, der das Unrecht thut, als einem vernünftigen Wefen
gegen feine eigene Unvernunft Genugthuung verfshafft wird.
Es ift keine Negation ohne ein pofitives Element, wie follte
doch die Negation, melde‘ die Negation des Rechts negirt,
das Recht ſelbſt nicht affirmiren ?
688 I. Ber. 4. Rap.
mit dem Rechte, die er zerrifien hat, wieder aufgenommen
wird), allein der Begriff der Strafe bleibt Doch immer, wie
ed ber juridifche Standpunkt erfordert, der Hauptbegriff und
der der Liebe iſt der untergeordnete. Wird aber der Begriff
der Liebe vorangeftellt, fo tritt der der Strafe in ein unies
georbneted Verhältniß zu demfelben, und der juridifche Ger
fichtspunft fait hinweg. Es wird alfo entweder der jurldis
ſche Geſichtspunkt feftgehalten, aber man kommt auf demfelben
nicht auf ein ftellvertretended Leiden des Gottmenſchen, oder
man kommt auf dieſes Refultat, aber nicht auf Dem juribifchen
Standpunft, auf welchen. man ſich urfprünglich ſtellte, was nicht
anders ift, als die alte Antinomie zwifchen der Liebe und de
Gerechtigkeit. Wie demnach hiedurd), wie Göſchel meint, be
ganze große Snabenakt der Heildordnung zu unferer Erföfung
ſich als ein Juftizaft erweifen fol, ift gewiß nicht einzuſehen,
wohl aber mag und, was Göfchel zum Schluffe feiner Gu⸗
widlung fagt, daß durch die Berföhnung Gott auch. dem
Menfchen das werde, was er an fih und für fich ift, abfe
Inter Geiſt, in welchem bie Fremdheit, die an der Offenbar
rung’ des objektiven Geiſtes zurüdgeblieben war, vollends ab
geftreift ift, auf ein anderes Gebiet hinübermweifen, auf wds '
chem die Theologie, was fie bei der ihr ftetö fremd bleiben
den Jurisprudenz nie finden Tann, mit befierem Grunde hd
der Bhilofophie zu fuchen berechtigt ift.
VBiertes Kapitel.
Die neueſte Entwidlungs- Epoche des Dogma's. Zi
te, Daub, Schelling, Hegel, Marheinede. Die Geg
ner der Hegel’fchen Lehre. Schluß.
Ehe wir unfer Dogma auf dem letzten Schritte feined
neueften Entwidlungsgangs weiter verfolgen, ift es gut, ei⸗
nen flüchtigen Blick auf das zuletzt durchlaufene Gebiet deſſel⸗
Die neuefte- Entwidlungs- Epoche. 689
ben zuruͤckzuwerfen. Zwiſchen die beiden Entwicklungs⸗Epo⸗
chen, welche, wie für die Geſchichte ber neueften Theologie
überhaupt, fo insbeſondere auch die Verfühnungslehre, . Durch
bie Schleiermacher'ſche Glaubenslehre auf der einen und bie
Hegel’iche Neligionsphilofophie auf der andern Seite bezeich-
net find, fallen mehrere Verfuche einer Verföhnungstheorie,
yon. welchen jedoch, wie gezeigt worben ift, feiner zu einer
felbftftändigen Bedeutung gelangen Eonnte, da fie mit andern
fon früher gemachten Derfuchen zufammenfallen, und ſich
von ihnen nur durch eine mehr oder minder unwefentliche Form
unterfcheiden. Um daher dasjenige, was wir im Verhältniß
zu ‚dem frühern Entwidlungsgang unfers Dogma’s als ‚einen
wefentlichen Fortfehritt betrachten können, rein und beftimmt
aufzufaflen, müflen wir immer wieder auf den Schleierma-
cherſchen Standpunkt zurüdgehen. Das Eigenthümlicye des
Schleiermacher'ſchen Standpunkts aber, ſoweit uaſer Dogma
auf demſelben zu einem neuen Moment ſeiner Entwicklung fort⸗
geſchritten iſt, befteht in folgenden zwei Hauptpunkten: 1. Da
die Verſöhnung ihrem Weſen nach die Aufnahme in die Le⸗
bendgemeinfchaft mit Chriftus: ift, fo tft ihr Princip eben das⸗
jenige, was die eigenthümliche Würde der Berfon Shrifii kon⸗
ſtituirt, alſo die abſolute Kräftigfeit des Gottesbewußtſeyns,
oder das Seyn Gottes in Chriſtus: mit dem Bewußtſeyn
dieſer Einheit des Göttlichen und Menſchlichen nimmt der Ein⸗
zelne das Princip der Verſöhnung in ſich auf. 2. Sofern die
Verſöhnung als Aufnahme in die Lebensgemeinſchaft Chriſti
eine Thaͤtigkeit des Erlöſers iſt, iſt ſie in Beziehung auf den
Einzelnen keine unmittelbar perſönliche, ſondern eine durch die
von dem Erlöfer geſtiftete Gemeinſchaft vermittelte, fo daß
der Einzelne nur ald Glied diefer Gemeinfchaft, und in dem
ihn mit derfelden verbindenden Gefammtbewußtfeyn ſich mit
Gott verföhnt wifien Fann, das Princip der Berföhnung zus
nächft nur aus derfelben in fih aufnimmt. In dieſen beiden,
in wejentlicher Beziehung zu einander ftehenden, Momenten tft
Baur, bie Lehre von der Verſöhnung. 44
690 ME Ber. 4. Ray.
zwar der Begriff der Berföhnung auf feinen abfoluten Aus—
druck gebracht, aber auch nur in einer rein geſchichtlichen Ber
deutung aufgefaßt. Der ganze Proceß, in welchem ber Be
griff der Verſöhnung fich felbft realifirt, wird nur als ein in
ber ®emeinfchaft, in welcher das in Chriftus als Einheit ges
feßte Gottesbewußtſeyn in feinem zeitlichen Werben zu feiner
gefchichtlichen Realität gelangt, fich entwidelnder angeſchaut,
nicht als ein objektiv göttlicher, durch welchen, wie bei der kirch⸗
lichen Satisfactionstheorie, ein auf dad Weſen Gottes ſelbſt
ſich begiehender Gegenfag für das Bewußtfeyn Gottes ausge
glichen werden fol. Die ganze Betrachtungsweife tft eine
blos fubjeftive. Das von dem Inhalt der Erfahrungen de
Innern chriftlichen Lebens erfüllte Bewußtfeyn des Cinzelnen
erweitert fi) zum Bewußtſeyn der Gemeinfhaft, in welde
fih der Einzelne hineingeftelt fieht, und geht In demfelben fo
weit zurüd, bis e8 einen bie eigenthümliche Beſtimmtheit die
ſes Sefammtbewußtfeyns hinlänglich erflärenden Anfangspunft
gefunden hat, welchen objektiven Grund aber dieſes Princip
in dem Weſen Gottes felbft habe, in diefe Frage weiter ein
zugehen, liegt ganz aufferhalb diefes Standpunfts. Und doch
wird der Geift des Menfchen immer wieder, wie auch bie
neuefte Geſchichte unſers Dogma's zeigt, auf dieſe Frage zus
ruͤckgetrieben; er kann ſich nur dann wahrhaft und abſolut
verföhnt wiſſen, wenn er den Grund bes fein religiöſes Be
wußtfeyn mit fich felbft entzweienden Zwieſpalts im Weſen
Gottes felbft aufgehoben weiß. Das iſt Die tiefe Bedeutung
ber kirchlichen Satisfactionslehre, das die geheimnißvolle An-
ziehungskraft, die ſie durch die ihr zu Grunde liegende Total⸗
anſchauung ausübt, fo unbefriedigend und abſtoßend ſie in al
len ihren einzelnen Vorftelungen if. Nur wenn Gott den
Menfchen mit fih verföhnt, oder vielmehr in der Verföhnung
des Menfchen fich mit fich felbft verföhnt, der fubjeftive Geil
mit dem objektiven, der endliche mit dem abſoluten Eins wird,
iſt der Menſch wahrhaft und abſolut verföhnt, nur dann iR
Die neueſte Entwicklungs-Epoche. 691
Die unendliche, ben Menſchen von Gott trennende, Kluft ver⸗
den, und die Scheidewand aufgehoben, die die Urſache
daß Gott dem Menſchen immer noch als ein fremder und
Wietchlofiener gegenüberftcht. Das Letztere if das Mangel-
hafte und Ungenügende der Schleiermacher’fchen Lehre, auf
Deſer Seite liegt daher auch das natürliche Ziel, auf welches
Jas feiner Innern Bewegung folgende Dogma hinftreben muß.
Wei welche Weiſe der weiter ftrebende Geift die Löfung ber
zör ihm liegenden Aufgabe verfuchen mag, er fann, feiner Nas
ir nach, nur von der Subjeftivität zur Objektivität ſich fort-
| en, nur bier den Punkt finden, auf welchem er zu fei-
Ruhe fommen fol. So gewiß aber auf diefer Seite der
Begriff ber VBerföhnung erft zu feiner wahrhaft objektiven Rea⸗
Btät gelangen muß, fo gewiß ift auch, Daß burch den erft zu
‚geibinnenben objeftivern Standpunkt das ſchon von Schleier-
wocher erreichte Moment der Objektivität nicht wieder aufge⸗
werden darf, die Vermittlung der auf den Einzelnen
—* beziehenden erlöfenden und verſöhnenden Thätigfeit Chriſti
[pur bie von ihm geftiftete Gemeinfchaft, fofern als objefti-
we Wahrheit nur das gelten kann, was im gefchichtlichen Be⸗
„wußtſeyn der Menfchheit, in dem natürlichen Zufammenhange
Wer Gattungs-Gemeinfcyaft, von welcher das Individuum ges
engen und beftimmt wird, in feiner Objektivität fich geltend
u machen im Stande ifl. Im dieſer Hinficht iſt zwar ſchon
hier ber Uebergang von dem Standpunft der Subjeftivität zu
bdem Standpunft der Objektivität, aber gleichwohl iſt diefe
- ganze Sphäre, da das Geſammtbewußtſeyn der Gemeinſchaft,
: in welcher der Einzelne ſteht, nur das erweiterte Bewußtſeyn
des Subjekts iſt, eigentlich nur als tie Ephäre bes ſubjekti⸗
ven Bewußtſeyns anzuſehen, und die Aufgabe kann daher nur
bieſe ſeyn, die beiden Momente, durch welche der ſubjektive Geiſt
mit dem objektiven ſich zur Einheit zuſammenſchließen ſoll, das hiſto⸗
riſche und das ſpekulative, fo mit einander zu vermitteln,‘ daß ſich
in beiden die lebendige Bewegung bes abfoluten Geiſtes offenbart.
44 *
6% Ill Ber. 4 Kap.
Wie das, in der von Chriſtus geftifteten Gemeinfchaftg
gebene, gefchichtliche Moment, als die Seite des ſubjekin
Bewußtſeyns, in ber Schleiermacher'ſchen Glaubenslehre zuh
zu feinem Rechte gekommen ift, aber auch nur in feiner. &e
‚ feitigfeit fich darftellt, fo ift-jened andere Moment, das rea
fpefulative, das als ein philofophifches ganz dem neuern
wicklungsgange ber Philofophie angehört, ſchon früher af
eine um fo einfeitigere Weife hervorgetreten; wir müflen da
ber hier etwas weiter zurüdgehen, um bie verfchiebenen Sb
den, an welchen die Entwicklung bed Dogma’s weiter m.
läuft, zur Einheit zufammenzufaffen.
Sobald bie neuere Philofophie von der Außerften Enke
der Subjeftivität, in welche fie fich in dem Sch - Brincip ber
Fichte'ſchen Wiſſenſchaftslehre verlief, fich wieder zuruüͤckwand⸗
te, um dem Subjeft wenigſtens das Objekt in gleicher Bebew
tung zur Seite zu ftellen, und das Abfolute. als die abfolnke
Sdentität des Subjeftiven und Objektiven‘ aufzufaflen, wer
fhon dadurch auch für die chriftliche Verföhnungslchre, wem
wir auf die Geftalt zurüdfehen, welche fie zulegt durch be
Kant'ſche Philofophie erhalten hatte, ein neuer entſcheidende
MWendepunft gefommen, und fie wurde nun zunächft unter
den objektiven Gefichtspunft des Verhältnifies Des Unendlich
und Endlichen geftellt. Es gefchah dieß fchon Durch Fichte
felbft. Die wefentlihe Modifikation, welche Fichte feiner m
fprünglichen Lehre dadurd gab, daß er an die Stelle de
abfoluten Ichs Gott und das göttliche Leben als das Eine
wahrhaft Seyende, außer welchem nichts iſt, feßte, hatte, ald
die Anmelfung zum feligen Leben, wie Fichte felbft feine neu
Lehre nannte, eine fehr nahe Beziehung zu der chriftlichen Lehre
von der Berföhnung, welche in der Form, die fie hier erhiekt,
ber innerfte und weſentlichſte Akt des göttlichen Lebens felbk
wurde. Die Hauptfäge Diefer Lehre verdienen hier um fo mehr
eine Stelle, da ſie und fihon früher fogar in Derfelben, nur
wenig verfchiedenen, Form ald eine merfwürdige gefchichtlick
‘
!
t
|
Fichte. 693
ne begegnet find. Es ift außer Gott, lehrt Fichte ©),
einft Scotus Erigena, gar nichts wahrhaftig und in der
entlihen Bedeutung des Worts, da, ald das Wifien, und
Hefee Wiſſen ift Das göttliche Dafenn felbft, ſchlechthin und
anunitidber, und wiefern wir Das Willen find, find wir fel-
= er in unferer tiefften Wurzel das göttliche Dafeyn. Alles
aambere, was noch als Dafeyn uns erfcheint, die Dinge, bie
—— bie Seelen, wir ſelber, inwiefern wir und ein un⸗
ftändiges und unabhängiges Seyn zufchreiben, ift gar nicht
hrhaftig und an’ fi da, fondern es ıft nur da im Be-
wußtſeyn und Denken, als Bewußtes und Gedachtes, und
a Aurchaus auf Feine andere Weife. Gott iſt nicht nur innerlich
md in fich verborgen, fondern er ift auch da, und äußert
r ‚md offenbart fich, fein Dafeyn aber unmittelbar ift nothwen⸗
Dig Wiflen, oder Bewußtſeyn und Selbftbewußtfenn (dad Da⸗
ſeyn bed Seyns tft das Bewußtſeyn, Die Vorftellung des
„.Geme). In diefem feinem Dafeyn ift er alfo da, wie er
* Achlechthin in ſich ſelber iſt, ohne irgend ſich zu verwandeln,
auf dem Uebergang vom Seyn zum Daſeyn, in ſich felbft Ei⸗
nerlei, ohne Veränderung noch Wandel, und da wir das Wiſ—⸗
— ſen oder dieſes göttliche Daſeyn ſelbſt ſind, ſo kann auch in
and, wiefern wir dieſes Daſeyn find, keine Veränderung oder
„ Wandel, fein Mehrered und Mannigfaltiges, feine Trennung,
: "Unterfcheidung, noch Zerfpaltung ftattfinden. Nun aber findet
fich Dennoch dieſe Mannigfaltigkeit und Zerfpaltung des Seyns
. In dem Seyn und der Wirklichkeit, und Hieburch entfteht Die
Aufgabe, diefen Widerforuch zwifchen der Wahrnehmung und
Wirklichkeit und dem reinen Denfen zu vereinigen, zu zeigen,
wie Die wiberftreitenden Ausfprüche beider Dennoch neben ein-
ander beftehen, und fo beide wahr ſeyn fünnen. Das Be
1) Die Anweiſung zum feligen Leben oder auch. die Religions⸗
Ichre. Berlin 1806. Man vgl. befonders die fünfte Vorle⸗
fung ©. 124 — 152.
‘
694 U Ber. 4. Rap.
wußtfeyn, als ein Unterfcheiden, ift e8, in welchem das ur:
fprüngliche Weſen des göttlichen Seyns und Daſeyns eine
Verwandlung erfährt. Durch den Begriff wird basjenige,
was an fi) unmittelbar das göttliche Leben im Leben iſt, zu
einem fiehenden und rubenden Seyn, dieß ift Die ©eftalt, bie
es in diefer Verwandlung annimmt. In der Reflerion auf
ſich ſelbſt ſpaltet fih das Wiſſen durch fich felber und feine
eigene Natur, indem es nicht nur überhaupt fich einleuchtet,
welches Eins wäre, fondern zugleich auch fich einleuchtet als
Das und das, welches zum erften das. zweite gibt, ein aus
- dem erften gleichfam herausfpringendesd, fo daßıdie eigentliche
Grundlage der Reflerion gleichfam in zwei Stüde zerfällt,
Der erfte Gegenftaud, ber abfoluten Neflerion tft die Welt,
Diefe Welt muß aber, der innern Form der Reflerion zufolge,
in diefer Neflerion zerfpringen und fich zerfpalten, ſo Daß bie
Melt, oder das ſtehende Dafeyn überhaupt und im Allgemd-
nen, mit einem beftimmten Charakter heraustrete, und die al,
gemeine Welt in der Reflerion zu einer befondern Geſtalt fh
gebäre. Wie alfo der Begriff überhaupt ald Welterzeuger fd
zeigt, fo zeigt ſich der freie Neflerionsaft ald Erzeuger de
Mannigfaltigkeit, einer unendlichen Mannigfaltigkeit in ber
Welt. Die Eine Wels fpaltet ſich unwiderbringlich in unenbli-
che Seftalten, deren Auffafjung nie vollendet werben Tann,
son denen daher immer nur eine endliche Reihe im Bewußt⸗
feyn eintritt. Aber Doch bleibt ungeachtet Diefer Mannigfal⸗
. tigfeit die Welt diefelbe, die eine in fich gefchloffene und volle
endete Welt, das Gegenbild des in fich felber gefchloflenen
göttlichen Lebens, bleibt da, wo fie allein ift, nicht in einer
einzelnen Reflerion, fondern in der abfoluten und Einen Grund⸗
form des Begriffs, welche niemals im wirklichen unmittelbas
ren Bewußtfeyn, wohl aber in dem, Darüber fid) erhebenden,
Denken wiederhergeftellt werden kann, ebenfo wie auch in dem⸗
felben Denken das noch weiter zurüdliegende, noch tiefer ver-
borgene göttliche Leben wieberhergeftellt wird. Hieraus ergibt
Fichte. 095
ſich von felbft, wie, biefer Lehre zufolge, der Begriff der Ber-
föhnung beftimmt werben muß. Solange der Menſch noch
etwas für fich felbft feyn will, kann das wahre Seyn und
Leben in ihm fich nicht entwideln, und es bleibt ebenbarunı
auch der Seligkeit unzugaͤnglich, denn alles eigene Seyn ift
nur Richtfeyn und Beichränkung des wahren Seynd, auf den
erften Standpunfte der Sinnlichkeit, die ihr Gluͤck von den
Objekten erwartet, lauter Unfeligfeit, da durchaus Fein Ob⸗
jeft den Menfchen befriedigen kann, oder auf dem zweiten der
blos formalen Geſetzmäßigkeit zwar Feine Unfeligfeit, aber da-
gegen Falte Apathie und abfolute Unempfänglichkeit für. allen
Genuß bes Lebens ). Wenn aber ber Menfch durch Die höch⸗
ſte Freiheit ſeine eigene Freiheit und Selbſtſtändigkeit aufgibt und
verliert, wird er des einigen wahren, des göttlichen, Seyns und
aller Seligkeit, die in demſelben enthalten iſt, theilhaftig. Die⸗
ſes Leben an ſich iſt Eins, und bleibt ohne alle Wandelbar⸗
keit ſich ſelbſt gleich, es iſt im Grunde überall, wo eine Ge⸗
ſtalt und ein Grad des Lebens angetroffen wird, nur muß
es, wenn es durch Beimifchung von Elementen des Todes
und ded Nichtieyns verdeckt iſt, aus dem Scheinleben ftch!erft
entwideln. Wenn glei) aber unfer Seyn an fd ewig fort
das Seyn des Seyns iſt und bleibt, ſo iſt doch das, was
wir ſelbſt und für und ſelbſt find, Haben und beſitzen, in ber
Form unferer felbft, des Ich, der Reflerion, im Bewußtſeyn,
niemals das Senn an ſich, fondern das Seyn in unferer Form
als Weſen, und es mifteht daher: die Frage, wie denn das,
in die Form ſchlechthin nicht rein eintretende Seyn dennoch
mit der Form zufammtenhängt? Allein es gibt ein Band, das
höher ald alle Reflerion, das reine Seyn und die Reflerion
verbindet, Die Liebe, Gottes. In diefer Liebe ift das Senn
4) Der dritte Standpunkt ift der der eigentlichen Sittlichkeit,
der vierte der der Religiofität, der fünfte der der Willen»
haft. &. 139. f._
6% I, Ber. 4. Kap.
und Das Daſeyn, iſt Gott und der Menſch Eins, völlig ver
ſchmolzen md verfloffen, des Seyns Tragen und Halten fe-
ner felbft in dem Dafeyn ift feine Liebe zu fih, die Empfin
dung’ uber Diefes feines ſich felbft Haltens ift unfere Liebe
su ihm, oder, nad der Wahrheit, feine eigene Liebe zu ſich
feldet; Ar der Form der Empfindung, indem wir ihn nicht zu
lieben vermögen‘, fondern nur er felbft es vermag ſich zu lie
ben in uns. Dieſe Liebe iſt die Quelle aller Gewißheit, Wahr⸗
heit md’ ‚Realität, höher denn alle Bernunft, die Schöpferin
des Lebens und ber Zeit, vollendete Seligfeit 2). |
Es iſt im Ganzen dieſelbe Anfigt von dem Verhältniß
Goites und der Welt, oder des Abfoluten und Endlichen, die
"uns in den Daub’fchen Theologumenen 2) begegnet, nur ers
ſcheunt ſie uns hier zugleich mit dem ſehr ſichtbar in die Au—
vr fallenden Beftreben, fich nicht blos in die chriftliche Theos
* ſondern auch in den Formalismus ber kirchlichen Ter-
öldgie hineinzubilden Das Weſen der Religion ift vor
9) Sol. Peunte Vorleſung S. 251. f. Zehnte Vorl. ©. 281.f.
‚Wie auffallend die Fichte'ſche Lehre in dieſer ſpätern Form
mit der Lehre des Joh. Scotus Erigena zufammenfimmt,
Zeigt die Vergleichung mit der obigen Darftellung (vgl. be:
fonders ©. 131. f.) von felbft. Und Doch wie verfchieden if
der Weg, auf welchem die beiden Syſteme fich bildeten! Das
Syſtem des Seotus Erigena ruht auf der Grundlage des
Platonismus, der das Abfolute um fo reiner aufzufaflen
glaubte, je mehr er ed zu einer binden Abfiraftion made,
aber auch der Fichte’fchen Lehre Eonnte das Abfolute, als
man fich von dem Ungenügenden eines Idealismus überzeug:
te, welcher das abfolute Subjekt, um deffen Begriff fich feit
Kant die ganze neuere Philofophie bewegt, nur in das Ich
feßen wollte, zunächft eine bloße Abftraftion fenn.
2) Theologumena, sive doctrinae de religione christiana ex
natura Dei perspecta repetendae capita potiora. Heidelb.
1806.
- Daub. | 697
Tem die Berföhnung 9). Die Verföhnung des Univerfums
ellt ſich in der Menfchheit ald Religion dar. Da nichts
41) Die Theologumena handeln 4. de Deo 2. de religione 3. de
religionis doctrina, der Abfchnitt de religione zerfällt in
Die drei Unterabtheilungen, a. de expiatione b. de pietate
c. de cultu Dei publico. Die drei Haupttheile von Gott,
der Religion, der Religionslehre, handeln eigentlich von Gott
an fich, oder den Eigenfchaften des Waters, von Bott ale
Sohn und von Gott als Geiſt. Dan vergl. hierüber die
Theol. ©. 207.: Pro essentia sua, seu qualis est, Deus
cognoscitur, dum principtum 1. sul ipsius 2. mundi et
3. rationts necessarto spectatur et cernitur, ut igitur pro
sua etiam forma, sive is tantusque,\qui et quantus est,
distincte intelligi possit ac suspici, triplex haec naturae
divinae idea potisstmum erit explicanda et definienda.
— Quaerendum itayue primo: quae quantaeque virtutes
in Deo, auctore sul, pro aseitate, aeternttale et auragzxiz
sint positae; deinde: quas pro natura creatrice, conser-
vatrice et reconciliatrice in numine Det, princtpio mundi,
eelebrare et venerart fas sit, denique, quibus, pro sancta
sua veraque et intelligenti natura, numen Dei, princi-
pium rationis excellat? Quoniam vero, quae secundo et
tertio loco commemorantur, virtutes nimirum Dei Filii
et Dei Spiritus, non prius explicari possunt, quam na-
tura religionis et doctrina de religione esplorata sit,
omnes attributorum divinorum notiones ita distribuendas
eensemus, ut locus de Deo eas, quae sunt Dei patris, lo-
cus de religione, quae ad Deum Filium, et locus postre-
mus, quae ad Deum Spiritum pertinent, complectatur.
Durch die Religionslehre lernen wir, naturam Dei abso-
Iute intelligentem perspicere, virtutesque ejus intelligere,
et rationem cognoscere absolutam, quae inter principium
Dei mundique et mentis intercedit ab aeterno, cujusque
ideam trinitatis nomen designat.. Sie handelt daher 1. de
natura Dei absolute intelligente, cujus homines in effi-
ciendo et coguoscendo Vero Sanctogue sunt particines;
6%8 Il. Ber. 4. Kap.
außer Bott ift, alles nur infofern ift und befteht, fofern u
Gott geweiht ift, fo gehört zur Religion breierlei, Die Verſt
nung, Schöpfung und Erhaltung *), ober da bie Relige
‚nichts anders tft, als das Wefen Gottes felbft, Gott ift ab
Berföhner auch Schöpfer und Erhalter. Selig iſt, wer. dur
Die abfolute Freiheit zur abfoluten Nothwendigkeit erhoben #,
das Prineip diefer Freiheit ift Gott, fofern er die Welt und Hi
Die Menfchheit mit Gott verföhnt, Die Welt kann durd fh
felbft Gott nicht genugthun, nur Gott hat eine Gott genye
thuenbe oder verfühnende Natur, ald der Gott genugtkuenk
Gott iſt er der Sohn, als der, welchem genuggethan wird,
ber Bater, beide aber find an ſich Eins; die Berföhnung ge
2. de virtutibus Dei absolute intelligentts, quibus deben
intelligentiam absolutam (die drei Begriffe ber abfeluta
Intelligenz, Heiligkeit und Wahrheit, auf Einen gebracht, ge
ben den Begriff der Spiritualität (r# reuueros), sive Dei,
qui cum sanctitati, veritati et intelligentiae absolute
mentem humanam reddit, ipsam sibi adjunctissimam
-habet, ab eaque, ut cujus auctor est, nil plane diffen),
3. de trinitate, quae est forma absoluta essentiae din-
nae, ita ut non solum, quoad religionem , unus Deus in
tribus personis vere colatur pariterque tres personae in
uno Deo colendae sint, sed etiam, quoad doctrinam de
religione, unum ubique In tribus et pariter in uno tria neces-
sarlocognoscantur (©.433). Diefe Grundideen der Daub'ſchen
Theologumena muß man vor Augen haben, un die der eb:
re von der Verfühnung gegebene Stellung richtig aufzufaflen.
Der ceoncrete Inhalt, welchen diefe Theologumena der Bot
tesidee geben, zeigt, dem abftraften Begriff Fichte's gegen
über, am beften Die fo oft verfannte Bedeutung derfelben.
1) Conseerantur homines Deo, cui a Deo aeterno reconcilian-
tur, vere item creantur, cum Deum cognoscunt atque ado
rant, vere aulem conservantur, cum omni eorum posteri-
tati cognoscendi Deum et adorandi perpetua data en
occasto (&. 245.).
Daub. 699
t an fih zum Weſen Gottes, und ift fo ewig, als bie
böpfung und Erhaltung. Bon Ewigkeit opfert Gott ſich
Welt, oder befichle Gott der Vater, daß Gott der Sohn
‚ ihm opfere und ihm genugthue. Daher ift die Genug⸗
umg, indem Gott als genugthuend die Stelle der Welt
tritt, eine flellvertretende, und zwar ſowohl aktiv als. paſ⸗
‚ AS Berföhner erhebt: Gott Die Welt zur abfoluten Noth⸗
nbigfeit, und ift dadurch zugleich ihr Schöpfer und Erhal⸗
,‚ ober der Grund ihrer abjoluten Realität und Freiheit.
Bwegen wird Sefus Chriftus der Sohn Gottes, ald Schö⸗
e und Erhalter der Welt, auch als Verföhner und Erlö-
des Univerfums, fofern es außer Gott ift, verehrt. Als
rſöhner der Welt ift der Gott genugihuende, und in biefer
nugthuung die Stelle der Welt vertretende Gott auch Er-
er der Menfchen. Das Berderben der Welt, der Hang, für
zu feyn, fih von Gott abzufehren, und fich in feiner ei-
ıen Individualität geltend zu machen, ift aud) das Verber-
ı des Menichen, obgleid, der Menſch an ſich, wie die Welt,
lichen Urfprungs und abfolut vollfommen ift. “Die hier-
8 entfpringende Eitelfeit und Richtigkeit einer in fich felbft
rgehenden Eriftenz ift die ewige Strafe, im Gegenſatz gegen
8 ewige Leben des alles mit ſich verfühnenben Gottes. ALS
8 abfolute Princip der Welt ift Gott Verföhner, . Schöpfer
d Erhalter, diefe dreifache Natur Gottes ift an fich eine
d dieſelbe, voranfteht aber für dad Bewußtfenn des Men⸗
en Die Idee der Genugthuung oder Verföhnung, in welcher
) die abfolute Sufficienz, Afeitär und Ewigkeit am unmit-
barften ausdrüdt, und daher auch ber.Begriff der Schö-
ing und Grhaltung enthalten if. Die Idee Gottes aber
3 des genugtbuenden und verföhnenden enthält drei Mo
mie, 1. das Thun, 2. das Leiden und 3. ald die Einheit
n beiden, den abjoluten Gehorſam. Die Stelle der Welt
rtretend, leiftet Gott Genugthuung, vorerft durch abfolutes
nn, Dem abfoluten Thun eniſpricht die abfolute Realität,
700 U. Ber. 4. Kap.
da Thun an fich ſoviel tft, ald Seyn. Sofern nun der am
Gott jeyende Gott dazu thätig ift, Daß Die Welt der wahn J
Kealität theilhaftig wird, leiftet er durch feine abfolute Res |i
lität Gott dem Vater Genugthuung. Dieß iſt der Begrf
der aktiven Genugthuung, durch welche Gott um ber Bd Ii
willen und an der Stelle der Welt fi) Gott weiht. 6 ge fi
hört zum Begriff Gottes, ald des an ſich Seyenden, daß al⸗
led, was außer Gott ift, Feine abfolute Subftftenz hat, um
fich ſelbſt nicht genug ift: dieß iſt das höchfte, von dem höde
ſten Gott gegebene Geſetz. Sofern Gott Urheber der Wet
ift, ift er außer dem an fich feyenden Gott: wenn er mm
durch abfolutes Thun Gott dem Vater, deſſen Wille es ff,
Daß alled außer ihm fich nicht felbft genug feyn ſoll, gehen
fam ift, fo leiftet er ihm durch feine abfolute Realität Ge⸗
nugthuung, und weiht fih ihm, indem er nichts außer dem
an ſich feyenden Gott ſeyn will %). Diefes abfolute Thu
Gottes iſt feine abfolute Liebe zur Welt und Menfchheit, durh |
die er fie zur wahren Realität, d. 5. zu Gott zurücführt
Aber auch durch abfolutes Leiden leiftet Gptt, an der Stelle
der Welt, Gott Genugthuung. Abfolutes Leiden ift ſoviel,
als abfolute Freiheit, Denn, wer abfolut will, wird nur durch
fich felbft beftimmt, was ein abfolutes Leiden if. Wenn nun
Gott, der Sohn, deßwegen leidet, damit die Welt von de
Welt befreit und frei werde, fo leiftet er durch feine abfolute Freis
heit Öott, dem Vater, Genugthuung, und dieß ift der Begriff
der paſſiven Genugthuung, in welcher Gott um Der Welt wil-
len Gott geweiht wird. Diefes Leiden ift aber auch ein Ster-
ben, und ein freiwilliger Tod für die Welt, damit fie frei und
mit Gott Eins fey, fofern Gott, als Princip der Welt, nicht
1) Non cupiendo esse praeter eum, qui est auctor sul, nul-
lamque appetendo aut retinendo essentiam et subsisten-
tiam propriam sibi atque differentem a natura Det, quem
ipse, tanquam auctor mundi, suum habet auctorem. ©. 26.
Daub 701
Ber dem an fich feyenden Gott feyn will, und ebenbaburd,,
B er ed will, auch wirflidy nicht außer ihm iſt. Diefed ab-
Iute Leiden ift, als Eigenfchaft Gottes, feine höchſte Barm⸗
rzigfeit, durch bie er fidh für die Freiheit der Welt aufop⸗
+, und fie zu der wahren Freiheit, oder zu Gott, zurüdführt.
iefes abfolute Thun und dieſes abfolute Leiden machen zu⸗
mmen den abſoluten Gehorſam aus. Gott, als Sohn, hat
ich feiner Afeität die Welt unter ſich, ngch feiner verſöhnen⸗
n Natur fteht er unter dem Bater, an fich aber ift er fei-
m Weſen nach einer und derfelbe (ouosorog). Sofern er
wch feinen genugthuenden Gehorfam die Welt verföhnt und
löſst, ift die Welt fchlechthin von ihm abhängig, er felbft
er wirft auf Die Welt beftimmend ein, und nimmt ihre Na⸗
ran, fo daß er nady feiner Nfeität über fie-erhaben, nad
mer verföhnenden Natur aber mit ihr .identifch iſt, und Die
mze Welt zu feinem Körper madt *). Co wird. durch den
4) Bon diefer Weltwerdung Gottes ift zu unterfcheiden Die
Menfchwerdung Gottes, deren Stellung im Daub’fchen Sy=
fiem aus Solgenden (De cultu Dei publico ©. 313.) zu ers
fehen ift: Odseg#Jo suo numen Dei homtnes expilat, quos
omnipotentta sua pios reddit et vere creat, tdemque om-
nipraesentia sua complectitur omnes et vere comservat,
cul autem se conservanti insunt, ub eo sese partim edu-
cari, partim consecrari, eumque triplici munere fungen-
tem, regio nempe ac prophetico et sacerdotali, cernunt.
Namque Deus omnipraesens generis humani rez est, ef-
ficitque, ut, qui gignuntur homines et in toto orbe terra-
rum vivunt, regno suo sibive insint, partim educando
eos, ceu prophela, partim publice sibi consecrando, ceu
sacerdos, itaque ipsos et genus eorum vere conservat.
Constat ergo cultus Dei publicus et generis humani edu-
catione et publica ejus comsecratione, cumque Deus edu-
candi homines ac sibl publice consecrandi causa natu-
ram hominis ipse induat, lisque sese humana natura
‚praeditum commonstret, hoc loco nobis disserendum est, .
702 IL Ber. 4. Kap.
abfoluten Gehorfam, welchen Gott Gott leiftet, Die ganze mit
ihm verbundene und identifche Welt Gott geweiht, und zur
a) de Deo omnipraesente, sive de Det Fillo, qui homo d
generts humani rex est, b) de divina generis humanl
educatione, c) de divfna ejusdem et publica comsecratie-
ne. Die Menfchwerdung felbft und die gottmenfchliche Na
tur befchreibt Daub fo (S. 324. f.): Deus (6 wos ra Ya)
cujus principltum est numen supremum, et qui ipse aue-
tor cernitur totius universi, indeque mundi ac mentis et
hominum generis, aeternum adjunzisse sibi dicendus es
naturam humanam, quae constat innocentia et sapientia
summa, eamque, cum adsumserit, mantfestare naturan
divinam, ac Deum ipsum hominibus, quem et oculis d
mentis acle contueantur, commonstrare putandus est. —
Ut homines naturam divinam induant, atque divint sta,
Deus, qui a Deo est, naturam humanam induit et nai
eitur. — Indutum vero Deum esse natura humana, ratis
docet, quae eum inter et. genus humanum absolute inter-
cedit. Nimirum est numen Dei naturae humanae pris-
eipium, haec autem in infinitum definitur, pariterque in
definito est infinita, atqui Deus, auctor sui, pro natura
sua divina, i. e. pro aseitate, aeternilate et auraozi« 0m-
ne superat infinitum ac definitum, idem vero auctor to-
tius universi, pro divina ista, quae est creatrix, conser-
vatrixz et reconciliatriv, non abest a mundo, qui in inf
nitum definitur, nec demum pro ea, quae sancta est ve-
raque et absolute intelligens, abest a mente, quae in defi-
nito efficitur infinita. Pro divina igitur natura Deus,
auctor Universi, naturam humanam, quae: est mundi et
mentis indijferentia, cujusque principium numen, parem
sibi habet et nil penitus differentem a divina, qua ipse
auctor sul, utitur. ÜUtriusque ergo naturae, humanae et
divinae, conjunctionem in Deo Filio aeternum esse semi-
tur. Natura humana, eut aliquid divini est, pollet qui-
dem sanctitate ac veritate et intelligentia absoluta, cum
vero speclata per se non sit vere, sed solum efficiatur
Daub. 708
ſichſten Seligfelt erhoben. Die höchſte Freiheit des abſolu⸗
n Thuns und bie höchſte Realität des abfoluten Leidens mas
en das Weien ‘der abfoluten Rothwendigfeit aus. Durch
efe verföhnt Gott in feinem Gehorſam die Welt, und be=
eit fie von ihrer Knechtſchaft. IR die Differenz der Welt
m ihrem Princip völfig aufgehoben, fo kann die Welt, da
© Priucip nicht außer Gott feyn will, auch nicht von Gott
feriren, und fich nicht durch ſich felbft beftimmen. In Ans
hung Gottes ald des Schöpferd und Erlöfers der Welt ift
eß der Stand der Erhöhung, im Stande der Erniedrigung
ver befindet fidy Gott in feinem, um der an fich Enechtifchen
ıd niedrigen Welt willen, thuenden und leidenden Gehor⸗
m 9).
Im Allgemeinen ſehen wir uns hier ganz wieder auf den
tandpunkt zurüdgeftellt, auf welchem ſchon Scotus Erigena
und, den rein ſpekulativen oder metaphyſiſchen. Das Weſen
r Berföhnung befteht nur in der wefentlichen Einheit des
tenfchen mit Gott, oder fie wird nur als ein Aft aufgefaßt,
. welchem Gott fi mit fich felbft verföhnt. Der im Bes
ußtfeyn gefeßte Unterſchied zwiſchen Seyn und Dafeyn, Die
sihmwendige Differenz, welche in der höchften Abftraftion des
enkens vorausgeſetzt werden muß, wenn überhaupt das ab-
lute Seyn des abfolut Einen auch ein abjolutes Wiſſen feyn
M, oder der Unterſchied zwifıhen dem als Sohn mit der Welt
entifchen Gott und dem ald Bater an fich feyenden wird
(quapropter Deo reconcilianda est, indeque vere creanda
et conservanda), non nequit esse humilis fragilisque et
Interitura. Deus ergo, in quo velle nil differt ab esse,
et cujus nalurae divinae par est hominis natura genui-
. na, vult humilem hanc fragilemque sibt in aeternum ad-
Junetam esse, qua vero indutus est, eam una cum genere
humano habet sibi reconciliatam.
4) Theolog. ©. 244-272.
704 II. Ber. 4. Rap.
als ein fchlechthin aufgehobener betrachte. Es ift fogar dem
Ausdrud- nach ganz die neuplatonifche Alleinheitölchre eines
Scotus Erigena, wenn Fichte das Ganze feiner Lehre fo zu
fammenfaßt: Das göttliche Daſeyn, feine Aeußerung und Of
fenbarung, ift fchlechthin Durch fih und ſchlechthin nothwendig
Licht, das inwendige nämlich und das .geiftige Licht. Dieſes
Licht, Sich -felbft überlafien bleibend, zerftreut und zerfpaltd
fih in mannigfaltige und in unendlihe Strahlen, und wir
auf diefe Weife, an diefen einzelnen Strahlen, fich felber ımb
feinem Urquell entfremdet. Aber daffelbe Licht vermag aud,
durch fich felbft, aus Diefer Zerftreuung fich wieder zuſammen⸗
zufaffen, und fich als Eines zu begreifen, und ſich zu verfe
ben, ald das, was es an fich ift, ald Dafeyn und Offende '
sung ©otted, bleibend zwar auch in dieſem Verſtehen,, das,
was ed in feiner Form ift, Licht, Hoch aber in dieſem Zuſtan
de, und permittelft dieſes Zuftandes felber, ſich deutend, alb
Nichts reales für ih, fondern nur als Dafeyn, und Eid
Darftellung Gottes 1). Ebenfo fommt die Daub’fche Verfög-
nungslehre nur auf ben, den ganzen Inhalt Diefer Theologu⸗
4) Anw. zum fel. £eben ©. 125. Wie diefe vom Seyn zum
Wiffen und vom Wiffen zum Seyn ſich bewegende Lehre übers
haupt ebenfo pantheiftifch, als idealiftifch-ift, fo ift es nur
die ſubjektive idenlififche Seite derfelben, wenn fie fich auch
auf folgende, gleichfalls an Scotus Erigena erinnernde, Weife
ausfpricht: Was du fiehft, bift ewig du ſelbſt, aber du bik
es nicht, wie du es fiehft, noch fieheft du es, wie du es bif.
Du bift es, unveränderlich, rein, farben und geftaltlos. Nur
die Neflerion, welche gleichfalls du felber bift, und du dar⸗
um nie von dir trennen Fannft, bricht es in dir in unendlis
che Strahlen und Geftalten. Wiffe darum doch, daß es nit
an fich, fondern nur in dieſer deiner Reflexion, als deinen
geiftigen Augen gebrochen, und mie ein Mannigfaltiges ge
faltet ift, erhebe über diefen Schein dich zum Denken un. ſ. w.
©. 119.
— —
Fichte und Daub. 205
mena in fid) zufammenfaffenden, Sa zurüd: Deus Deum
Deo manifestat. So fehr nun aber in der bier ald meta
phyſiſche Wahrheit ausgefprochenen Lehre von der weientlis
chen Ginheit Gottes und des Menfchen die Lehre von ber Vers
föhnung nicht blos auf dem höchften objektiven, fondern aud)
dem dem chriftlichen Bewußtfeyn, wie e8 in der Lehre von
der Berfon Chrifti fih ausdrüdt, allein entfprechenden Stand⸗
punkt aufgefaßt ift, fo fehr vermißt man Dagegen Die auf der
Seite des fubjeftiven Bewußtſeyns liegenden Momente der Vers
mittlung. Alle Realität des Seyns wird auf eine foldye
Weiſe in der Idee der abfoluten Einheit feftgehalten, daß der
Unterfchied, fobald er hervortritt, in der Nichtigkeit feiner
Scheineriftenzg alsbald wieder verjchwindet, ohne zu feinem
Rechte zu kommen, und ſich zur vollen concreten Realität des
Bewußtſeyns herauszubewegen, wie benn bei Daub nicht fo=
wohl von der Verfühnung des Menfchen mit Gott, als viel-
mehr nur von der Verſöhnung der Welt mit Gott die Rede
if. Hierin liegt fodann aud, der Grund, warum das Chris
ſtenthum bier fo wenig zu feiner wahren hiftorifchen Realität
und Bedeutung kommen kann, fo daß die aus ihm aufge-
nommenen Begriffe und Firchlichen Formeln, wie dieß befon-
ders bei Daub fehr auffallend tft, der im Uebrigen ‚rein phi-
Iofophifch gehaltenen Lehre nur zur äußern Färbung dienen.
Fichte hat fich über das Verhältniß feiner Lehre zum Chriften-
thum jelbft näher ausgefprodyen, aber «8 geht hieraus nur
um fo klarer hervor, wie fehr diefe Anfiht in allem, was
fi auf die Würdigung des hiftorifchen Charafterd des Chri-
ftenthun bezieht, noch unter dem Schleiermacher’fchen Stand-
punkt fieht. Ohne Zweifel habe Jeſus von Nazareth die al-
lerhoͤchſte, und ben Grund aller andern Wahrheiten enthalten-
de Erfenntniß von ber abjoluten Identität der Menfchheit mit
der Gottheit in Abficht des eigentlich Realen an der erftern
befefien. Wenn nun fchon der Philofoph diefelben Wahrhei⸗
ten, ganz unabhängig vom Chriftenthum, mit einer ganz an⸗
Baur, vie Lehre von der Perföhnung. 49
706 N. Ber. 4. Kap.
dern Konfequenz und Klarheit finde, fo bleibe Doch ewig wahl,
daß wir mit unferer ganzen Zeit und mit allen unfern pi
lofophifchen Unterfuchungen auf dem Boden des Chriftentkum
ftehen, und daß alle, die feit Zefu zur Vereinigung mit Got
gefommen, nur durch ihn und vermittelft feiner Dazu gefom
men. Allein, daß in Jeſu zu allererft und auf eine feinen
andern Menfchen .alfo zufommende Weile das ewige Dafem
Gottes eine menfchliche Perfönlichkeit angenommen habe, fr
ein blos hiftorifcher, Teineswegs aber ein metaphyfifcher Sag,
und nur das Metaphuftfche mache felig, nicht aber das H⸗
ftorifhe. Der metaphyſiſche Beftandtheil jeder Erfcheinung
fey nur dasjenige, was nicht als. bloßes Faktum für fich fick,
fondern aus einem höhern und allgemeinern Geſetze folge, md
daraus abgeleitet werden könne. Wenn daher nur jemand
wirklich mit Gott vereinigt, und in ihn eingefehrt fen, fo ſey
es ganz gleichgültig, auf weldhem Wege er Dazu gefommm
fen, und es wäre eine fehr unmübe und verkehrte Beſchaͤfü⸗
gung, anftatt in der Sache zu leben, nur immer das Ander
fen des Wegs fich zu wiederholen. Falls Jeſus in die Welt
zurüdfehren könnte, fo fey zu erwarten, daß er vollkommen
zufrieden feyn würde, wenn er nur wirklich das Chriftenihum
in den Gemüthern der Menfchen herrichend fände, ob man
nun fein DVerdienft dabei preifete oder überginge. Wie bie
ganze Menfchheit aus dem göttlichen Weſen hervorgehe, laſſe
fih ald allgemeine metaphyſiſche Wahrheit begreifen, daß aber
dad abfolut unmittelbare Dafeyn Gottes, Das ewige Willen
oder Wort, rein und lauter, wie es in fich felbft ift, ohne alle
Beimifhung von Unklarheit oder Finfterniß, und ohne alle ins
dividuelle Befchränfung in Sefu von Nazareth, in einem pers
ſönlich finnlichen und menſchlichen Dafeyn, ſich Dargeftellt ba
be, fey nur ein für Die Zeit Jeſu und der Stiftung des Chris
ftentbums und den nothwendigen Standpunft Jeſu und der
Apoftel gültiger hiftorifcher Satz, für uns könne als hiſtoriſches
Urfaftum nur gelten, was am Tage liege, daB Jeſus jene
Fichte und Daub,. 707
‚allgemeine Wahrheit zuerft gewußt und gelehrt habe. Mes
taphyficirt aber werde dieſes Faktum durch einen daſſelbe
übderfliegenden Verftandeögebrauh, wenn man es in feinem
runde zu begreifen ftrebe, und etwa zu dieſem Behufe eine
Gapothefe, wie das Individuum Jeſus ald Individuum aus
Sem ‚göttlihen Weſen hervorgegangen fey, aufftele 9). So
entſchieden bier aller Werth nur auf das Allgemeine der me⸗
taphyſiſchen Wahrheit gelegt wird, fo fpricht ſich doch ſelbſt
ia Vielen Erklärungen Fichte's ein großes Schwanken in Hin⸗
ſicht des Verhaͤltniſſes des Metaphyfiſchen und Hiſtoriſchen
aus. Waͤhrend der Perſon Jeſu eine ihn von allen andern
Menſchen unterſcheidende, fo zu fagen, metaphyfiſche Dignität
abgeſprochen wird, muß ihm Doch eine folche in hiftorifcher
Sſicht wieder beigelegt werben. Es kann nicht geläugnet
werben, daß jene allgemeine metaphufifhe Wahrheit wenig-
tens In Jeſus zuerft zum Bewußtfeyn Fam, und daß bein-
nach, wenn auch an ſich jeder Menſch durch feine eigene Na⸗
tur zum Bewußtſeyn derſelben fich erheben kann, dennoch nur
er, ſeiner hiſtoriſchen Stellung zufolge, für das Bewußtſeyn
ber Menichheit im Großen, der Vermittler diefer Wahrheit
geworden ift, und noch immer iſt. Darum fann es aber auch
nichts fo unnüges und verfehrtes feyn, wie Fichte behauptet,
bas Andenken des Weges, auf welchem diefe Wahrheit zum
Bewußtſeyn der Menfchheit gefommen ift, fich immer zu wies
derholen. Welche Bedeutung erhält demnach fchon dadurch
das Hiftoriiche, dem Metaphyſiſchen gegenüber, und wie Kar
ergibt fich felbft auf dem Fichte'ſchen Standpunkt die Noths
wendigfeit, die allein feligmachende Wahrheit nicht blos in
dem Einen für fi, fondern nur in beiden Momenten gufammen zu
erkennen? Was wäre die metaphyſiſche Wahrheit ohne ihre hi⸗
ſtoriſche Vermittlung, wenn ſie nicht durch ihre hiſtoriſche Er⸗
4) Bol. die fechste Vorleſung s. 153. und die Beilage zu der⸗
ſelben S. 341.
45 *
fheinung, und zwar nicht blod in einzelnen zerfireuten Indi⸗
piduen, fondern in dem organifchen Zufammenhang ber ge
fchichtlichen Entwidlung, in dem Bewußtſeyn der Menfchhett
fi) verwirklichte, fomit auch aus der abftraften Region der
Philofophie in das conerete Leben der Religion herausträte,
und zum Geſammtbewußtſeyn einer veligiöfen und kirchlichen
Gemeinfchaft würde, und was. wäre auf der andern Sekt
das Hiftorifche, alles, was fich in einem nody fo weiten Um
fange in der Geſchichte der Menfchheit objeftivirt, und dem
Bewußtſeyn derſelben fich einverleibt hat, wie fubjeftio und
zufällig würde e8 in aller feiner äußern Objektivität fen,
wenn ed nicht auch in feiner wahren Objektivität, in Iehter
Beziehung alfo auch als eine metaphufiiche, d. h. im Weſen
Gottes felbft begründete Wahrheit begriffen werben Fönnte?
Darum handelt ed fich hier immer noch um den. lebendigen
Zufammenfchluß der, auch hier noch immer in ihrem abftrab -
ten Gegenſatz einander gegenüberftehenden, beiden Seiten, be
metaphyfifchen und der hiftorifchen, von welchen Die eine, die
metaphufifche, fich ebenfo in ihrer Einfeitigfeit in der Fichte
fhen Religionslehre und in den Daub'ſchen Theologumenen
ausgebildet hat, wie Die andere in der, “auf der empirifchen
Grundlage des Firchlichen chriftlichen Bewußtſeyns ruhenden,
Schleiermacher’ichen Glaubenslehre. Kann jene nicht auß ib
rer metaphyſiſchen Höhe zur concreten Wirklichkeit des Lebens
herabfteigen, fo_weigert fich dagegen dieſe die Echranfe zu
überfchreiten, die in dem hiftorifchen Anfangspunft des Stif
ters der chriftlichen Gemeinſchaft dem empirifchen Bewußtſeyn
gefegt if. Solange aber diefe beiderfeitige Schranke noch
nicht durchbrochen, und der von oben nady unten führende
Meg mit dem die entgegengefebte Richtung von unten nad
oben nehmenden nicht zu einem und demfelben geworden iſt,
find Gott und Menſch noch nicht zur wahrhaft verfühnenden
Einheit verbunden. Und doch gibt e8 in der ganzen Gefchichte der
geiftigen Entwidlung der Menſchheit nichts merkwürdigeres und
Selling. 709
erhebenderes, als die Einheit des Reſultats, zu welchem wir
ſchon hier Spekulation und Geſchichte, oder Philoſophie und
Religion, bei aller Divergenz ihrer Richtungen ſich vereinigen
ſehen. Während hier das chriſtlich⸗ religiöſe Bewußtſeyn, je
reiner es ſich uͤber den eigentlichen Inhalt des geſchichtlich uͤber⸗
lieferten Chriſtenthums zu verſtändigen ſucht, nichts mit groͤ⸗
Berem Ernſt als den weſentlichſten Inbegriff aller chriftlichen
Wahrheit feſtzuhalten weiß, als die in der Perſon Jeſu Chri⸗
ſti der Menſchheit zum Bewußtſeyn gekommene Einheit des
Göttlichen und Menſchlichen, iſt es dort die metaphyſiſche Spe⸗
kulation, die auch von ihrer Seite in keiner andern Wahrheit
Den abfoluten Ziel- und Ruhepunkt ihres Strebens anerkennt.
Der erfte wichtige Schritt zur Ausgleichung jener beiden
Divergirenden Seiten gefchah dadurch, daß Schelling, wie er
überhaupt das Abfolute ald die Identität des Subjefts und
Objekts, des Idealen und Realen, des Unenblichen und End⸗
lichen auffaßte, das Endliche, das bei Fichte immer nur ale
verfchwindendes Moment in Betracht fommt, zu höherer po⸗
- fitivee Bedeutung erhob. Hieraus ergaben fih die, ſchon in
den der Abhandlung über die Freiheit zunächft vorangehenden
Schelling'ſchen Schriften 9 aufgeftellten, Säge, daß das Ab-
folute nicht ein reined Eins fey, weil es ald foldhes ohne Of⸗
fenbarung feiner felbft wäre, daß Gott nichts anders fey, als
bie lebendige Einheit Des Vielen, die organifche, d. h. in fich
gegliederte, und darin ſich offenbarende Einheit, oder das les
bendige Band von fich felbft und einem Andern, alles Leben
aber ein Werben, oder bie Heberwindung eines Gegenſatzes
fey, die ohne ein Werden nicht möglich ſey. So habe denn
das göttliche Leben, um Leben zu feyn, fi dem Leiden und
Werben unterthan gemacht, welches dad Schirfal alles Les
bens fey, und habe es übernommen, in eine Gefchichte fich
1) Vgl. befonders die Vorleſungen über die Methode des akad.
Stud. Vorleſ. VIII. u. IX.
210 I. Ber. 4. Kay.
dahin zu geben. Das göttliche Reben wird auf biefe Weik
unter der Form eined göttlichen Proceſſes gedacht, welchen &
in feiner Manifeftation durchläuft, und nur fo durchlaufe
kann, daß das Endliche die nothwendige Form ber Offene
rung, bes offenbaren Gottes, ift, oder dasjenige, worin Got
fein gefihichtliches Leben hat, Gott in feinem Werben, de
Sohn Gottes. Das ift die ewige Menfchwerbung Gottes Is
der Menfchheit: die Menfchheit allein ift er ewige Sol
Gottes, aus dem Weſen des Vaters aller Dinge geboren, der
offenbare Gott, erfcheinend als ein leidender, den Verhaͤnz⸗
niffen der Zeit unterworfener Gott, ber im Leiden, feiner Er
ſcheinung in Chrifto, die Welt der Endlichkeit fchließt, umd bie
Der Unendlichkeit, oder der Herrfchaft des Geiſtes eröffne,
Dadurch ift zwar Chriftus ald der Gipfel der werbenden
Menichheit bezeichnet, aber er ift nicht ald Einzelner Gottmenſch;
Da die Menfchwerbung Gottes eine ewige ift, tft auch Chriſtus
als ewige Idee zu betrachten. Die Darftelung in der Ab⸗
handlung über die Lehre von der Freiheit unterfcheibet ſich
von der frühern nur dadurch, Daß der Gegenſatz in Gott ven
ler, ald Dualität von Natur und Geift, aufgefaßt, und be
Proceß des in der Geſchichte der Menſchheit fich offenbaren⸗
ben göttlichen Lebens nach feinen wefentlihen Momenten und
Wendepunkten beftimmter charafterifirt if. Cine genauere
Entwicklung diefer Lehre ift hier, da der allgemeine Stand»
punft derfelben ſich von felbft ergibt, nicht nöthig. Was je
doch die Lehre von der Verföhnung felbft betrifft, fo kann das
Weſen der Verföhnung, gemäß dem fowohl ethifchen, als dua⸗
liſtiſchen Princip der Schelling’fchen Freiheitstheorie, nur in
Dasjenige Moment des hier fich entwidelnden Proceſſes gefet
werden, in welchen die beiden Principien ſich zur Einheit
durchdringen, alfo in die göttliche Transmutation, durch wel
che im Menfchen das Gute, ald das Licht, aus dem finftern
Princip herausgebildet wird, die Bewältigung und Berk
rung der Natur durch den Geift, oder dad Einswerden de
Schellin. 71
Partikularwillens mit dem Univerfalwillen, unb die Ver⸗
wirklichung der wahren, mit ber Freiheit identiſchen, Nothwen⸗
digkeit und des wahrhaft Guten bis zur endlichen Ausſchei⸗
bung bes Böen. Nur durch die wirkliche und entichiebene
Umwendung Tann ber Menfch den Frieden in feinem eigenen
Innern, und, ald wäre jegt erft der anfänglichen Idea Ge⸗
„ hüge gethan, ſich verföhnt mit feinem Schußgeift, dem in ihm
handelnden ©eift oder Princip, finden ). Das Princip aber,
durch welches die Verſöhnung in diefem Sinne realifirt wird,
Aſt Die Menfchwerdbung Gottes im Chriſtenthum, ald das wich-
tigfte Moment dieſes göttlichen Evolution» Proceffes, durch
welches das lichte Princip über dad Dunkle, ber Geift über
die Natur, das Gute über bad Böfe das entfchiebene Ueber-
gewicht gewinnt, oder in Dem urbilblichen und göttlichen Men⸗
ſchen, als dem höchſten Gipfel der Offenbarung, die Geburt
bes Geiſtes in die Gefchichte eintritt. Und zwar muß biefes
höhere Licht des Geiſtes, das zwar von Anbeginn in der Welt
war, aber unbegriffen von ber für fich wirkenden Hinfterniß,
und in annody verfchloffener und eingefchränkter Offenbarung,
um bem perfönlichen und geiftigen Böfen, wie es in der Macht
der des Bewußtſeyns der Menfchen fich bemädhtigenden Dä-
monen fich äußerte, entgegenzutreten, gleichfalls in perfönlicher
menſchlicher Geſtalt erfcheinen, und als Mittler, um ben Rap⸗
port der Schöpfung mit Gott auf der höchſten Stufe wieber-
bherzuftellen, denn nur Perfönliches Tann PBerjönliches Heilen,
und Gott muß Menſch werden, damit der Menfch. wieber zu
Gott komme. Erft mit der auf diefe Weife hergeftellten Bes
ziehung bes Grundes auf Gott ift die Möglichkeit ber Hei⸗
Iung (bed Heil8) wieder gegeben. Auch nach biefer Lehre hätte
demnach in dem Werke der Erlöfung ein Antagonidmus der-
felben Art flattgefunden, wie derjenige ift, won welchem bei
den Gnoſtikern und Kirchenlehrern, namentlich bei Drigenes
4) Philof. Unterf. über das Weſen der menfchl. Freiheit ©. 473.
712 111, Ber. 4. Rap.
die Rebe if. Die Hauptfache aber ift, daB das Princip de
Berföhnung in die mit der Epoche des Chriftenthums begin
nende Menfchwerdung Gottes gefegt wird, und in demfelbn
Verhaͤltniß, fowohl im Allgemeinen, als in den eifzelnen In
dividuen, fich verwirklicht, in welchem die in der Berfon Chri⸗
ſti ſich offenbarende ewige Idee zu ihrer Realität gelangt
Vollendet ift Daher auch die Verföhnung, wenn das ibenle
Princip und das mit ihm Eins gewordene reale fich gemein
ſchaftlich dem Geiſt unterordnen, und dieſer als das göttliche
Bewußtſeyn auf gleiche Weiſe in beiden Principien, als die
abſolute Identität beider, lebt, oder die beiden gleich ewigen
Anfänge, in welche der Ungrund nur darum fich theilte, da
mit Leben und Liebe jey, und perfünliche Eriftenz, durch bie
Liebe, die alles in allem ift, Eins werben 9.
|
Auch in der Hegel'ſchen Philofophie hängt Die Lehre von,
der Verföhnung mit dem ganzen Eyftem fo eng zufammen,
Daß fie nur aus dem Innern Organismus Defielben begriffen
werben kann. Wie in jedem, auf den Standpunkt des Ahle
Iuten fich ſtellenden, philoſophiſchen Syſtem ift fie die hochſte
Spige, in welcher dad Bewußtſeyn Des Abfoluten fich vollen
det und abichließt. Es Fönnen daher auch hier nur Diejenis
gen Momente hervorgehoben werden, welche wefentlich dazu
gehören, um den, durch Die ganze vorangehende Entwidlung
bedingten, letzten Yortfchritt des chriftlichen Dogma’s näher
ins Auge zu faflen.
Das erfte Moment, das hier in Betracht kommt, ift das
rein logifche oder metaphyfiiche, enthalten in dem an der Epige
der Hegel’fhen Religions = Philofophie ftehenden Sage, daß
Gott, als der abfolute Geift, der dreieinige it. Sofern Gott
Geiſt ift, gehört ed zu feinem Wefen, ſich zu offenbaren und
zu objeftiviren, oder fich als Unterfchiedenes zu ſetzen, und fi
felbft ein Anderer zu werben, aber ebenfo wefentlich ift ihm
1) A. a. O. ©. 457. 460. 496. 499.
Hegel. 713
auch, in dieſem Unterfchled mit ſich felbft tbentifch zu feyn.
Es ift.alfo zwar ein Unterfchieb in Gott, ohne melden Fein
Broceß, ſomit auch Fein Leben in Gott wäre, aber biefer Un-
terſchied iſt in der göttlichen Idee unmittelbar wieder aufger
hoben. Es tft hier noch Fein ernfterer, tiefer gehender Unter⸗
fchied, zu feinem Rechte kommt der Unterfchted erft in dem
aus Gott entlaffenen Sohn, welcher als die Welt, oder das
Endliche, in freier Selbſtſtändigkeit Gott gegenübertritt, aber
aus dieſer Trennung und Entzweiung auch wieder zur Ein⸗
heit mit Gott, dem mit ſich ſelbſt identiſchen abſoluten Geiſt,
zuruͤckgeht. Schon in dieſem erſten Momente iſt die ˖ ganze
Hegel'ſche Verſöhnungslehre enthalten. Ihre objektive Wahr⸗
heit hat die Verföhnung nur darin, daß fie als ein imma⸗
nenter Proceß des ſich mit fich vermittelnden göttlichen We⸗
jens felbft gedacht wird. Das endliche fubjektive Bewußtfeyn
kann fich daher nur dadurch verföhnt wiffen, daß die Verſöh⸗
nung ein ewiger im Weſen Gottes felbft vollzogener Akt ift,
das Endliche an ſich mit dem Abfoluten verföhnt iſt, in ber
Einheit des Endlichen und Unendlichen, ohne welche das Uns
enbliche nicht das wahrhaft Unendliche wäre. Es iſt Dieß der
höchfte metaphyfifche Standpunft, auf welchen man fidh ſtel⸗
len Tann, aber auch ftellen muß, wenn die Realität der. Vers
föhnung zuleßt nicht blo8 der Subjeftivität des Bewußtſeyns
anheimfallen fol. Nur fofern der Menih an ſich, in der
Idee des dreieinigen Gottes felbft, mit Gott verföhnt ift, kann
ed für das fubjektive endliche Bewußtfeyn eine Verföhnung
geben. Diefe höchfte objektive Seite ift auch der kirchlichen
Berföhnungslehre Feineswegs fremd, fofern das Verhältniß,
in welchem der Sohn im Werke der Erlöfung und Verſöh⸗
nung zum Vater fteht, in letztet Beziehung feinen nothwendi⸗
gen Grund nur in dem durch die Trinitäts»Fdee bedingten
Berhältnig zwilchen Vater und Sohn hat. Nur ift Diefes
Berhättniß nicht auf den eigentlichen metaphyfiichen Ausdrud
gebracht. Aber auch von der Schelling’fchen Lehre unterfchei-
714 U. Ber. 4. Kap.
bet fich die Hegel’jche durch ihre rein metaphyſiſche oder lo
giſche Form, indem fie die Dualität von Natur und Geil,
bei welcher Schelling ſtehen bleibt, nicht in Das Weſen Gottes
an fich fest, fondern Gott, den abfoluten Geift, nur als das
reine Denfen mit den logifchen Momenten des LUlnterfchieds
und der Sdentität beftimmt.
Iſt dieſes erfte metaphyſiſche Moment bei Hegel nicht
6108 reiner,’ als bei Schelling, fondern auch zugleich conereter,
als bei Fichte und Daub, deren abftrafter Gottes = Fdee der
lebendige Broceß fremd bleibt, gefaßt, jo kommt weiter in Be
tracht, DaB es auch nicht für fich fteht, wie bei Fichte und
Daub. Die Hegel’ihe Religions « Philofophie nimmt neben
ihm auch jenes andere in ſich auf, das wir oben das hiſto—
rifhe nannten, und es findet daher alles, was fich auf dem
von Echleiermacher eingefchlagenen Wege als Refultat ergibt,
und auf den Sage beruht, daß nichts als. chriftliche Wahr:
heit gelten Eönne, was fich nicht als Ausfage des, von dem
Gefammtbewußtfeyn der chriftlichen Gemeinfchaft getragenen,
religiöjen Bewußtſeyns des Einzelnen nachweifen läßt, auch bei
Hegel, unter dem Hegel’fchen Begriffe der Gemeinde, feine
Stelle. Denn die Gemeinde wird nach Hegel durch die em-
pirifchen Subjefte gebildet, welche dem Subjekt gegenüber, an
welchem, was durd den Geift für den Menfchen zur Gewiß-
heit der Verföhnung wird, geoffenbart ift, den Glauben ha-
ben, oder im Geiſte Gottes find, und als folche, über welde,
mit der Entftehung des Glaubens, der Geift Gotted ausge:
goſſen ift, die finnliche menfchliche Erfcheinung, welche Gegen
ftand des Glaubens ift, geiftig auſzufaſſen wiſſen.
Wenn demnady nach dem erften Moment die objektive
Realität der Verföhnung nur in dem Weſen Gottes felbft ge
gründet feyn Tann, fo Tann nach dem zweiten Die fubjeftive
Gewißheit derfelben nur aus dem chriftlichen Bewußtfeyn kom⸗
men. ber wie verhalten fich nun dieſe beiden Momente zu
‚ und wie werben fie mit einander vermittelt? Die
Hegel. | 715
Bermittlung, durch welche erft die Verfühnung bes Deenfchen
mit Gott ein Moment des ganzen Procefied wird, in welchem
Sott, als der abfolute Geift, ſich mit fich felbft vermittelt, iſt
Das Sigenihümliche der Hegel’fchen Religions» Philofophie.
Vermittelt werden diefe beiden Momente zunächſt da»
Durch, daß Gott in dem Sohn, welchen er ald das Andere fich
gegenüberftelt, und in welchem er gleichwohl ewig mit fich
ſelbſt Eins ift, fich zur Welt objeftivirt, Die Welt aber ift
ſowohl Natur, als endlicher Geift, und der endliche Geift iſt
In feiner unmittelbarew Geftalt der natürliche Geiſt. Als na-
türlicher Geift aber iſt der Geiſt noch in feiner unangemefje-
nen ©eftalt, er muß, um ald Geift wirklich zu werden, aus
feiner Natürlichkeit und Unmittelbarfeit heraustreten. Hiezu
iſt nöthig, daß er diefer Unangemeffenheit, oder diefer Tren⸗
nung feined Begriffs und feines unmittelbaren Daſeyns, fich
bewußt wird. Dadurch ift die Entzweiung, der Gegenſatz,
der Widerfpruch mit fich felbft, gelebt. Der ©eift ift ſich be»
wußt, Daß er nicht ift, wie er ſeyn fol, daß er als blos na⸗
türlicher Geiſt feiner Natur nach böfe it, als Geiſt aber in
dieſem natürlichen Seyn nicht verharren, fondern durch feinen
- Willen gut ſeyn fol. Er fühlt in fich den unendlichen Schmerz
der Entzweiung mit ſich felbf in der Sünde, und des Wider⸗
ſpruchs mit der Welt in dem Uebel, der Folge der Sünde.
Aus diefem im Bewußtſeyn des Menfchen ſich ausfprechenden
Gegenſatz ergibt ſich das Bedürfniß der Verſöhnung. Wie
kann aber Dafjelbe befriedigt werden? Nur durch das Bewußt-
feyn der Ausföhnung, der Aufhebung des im Bewußtfeyn ge-
fegten Gegenfates, welcher demnad von dem Subjeft als
ein an ſich unwahrer, nicht an fich feyender, erfannt werden
muß. Dieß fept aber voraus, daß der Gegenſatz an fich nicht
if, oder nur infofern geſetzt ift, fofern er an ſich auch wieder
aufgehoben ift. Nur durch die Vorausfegung, daß ber Ges
genſatz an ſich nicht vorhanden ift, oder Gott und Menfch nicht
in einem abfoluten und abftraften Gegenfap einander gegen-
716 il. Ber. 4. Rap.
überftehen, eine Vorausſetzung, deren Wahrheit nur badurd
begründet ift, daß jenes Andere, tn welchem Gott ſich von fid
unterfcheibet, der Sohn, die Welt, auch wieder mit ihm Eins
ift, der ſubjektive Geift alfo auch Eins ift mit dem objektiven,
ift die Möglichkeit und Bedingung gegeben, daß das Subjelt
ihn auch für ſich aufhebe, oder fich defielben als eines au
gehobenen bewußt werde, und dadurch den Frieden, Die Ber
föhnung, erlange. Die Nachweifung, wie dieß gefchieht, if
Die eigentliche Aufgabe der Dialektif der Hegel’fchen Religions
Philofophie. Das, wovon ſie ausgeht, ift der endliche Geiſt
in feinem Berhältniß zur Natur, An der Natur entwidelt
ſich zuerſt das Gottesbewußtſeyn des Menfchen, an ihr erhebt
fich der endliche Geift zu ſich felbft, um aber zum Wiſſen von
feiner Wahrheit zu gelangen, muß fich fein Bewußtfeyn über
die Natur erheben. Dieß kann nur durch den endlichen Geiſt
felbft gefchehen. Zum Bewußtfeyn aber, daß Gott ihm nahe
fen und Eins mit ihm, kann der Geift nur durch Gott gelan-
gen. Gott muß fih ihm alfo offenbaren, aber nicht blos Aus
perlich, fondern durch eine wefentliche und Innere Verbindung,
d. h. dadurch, daß Gott Menſch wird, wodurch allein dem
Menfchen die an ſich fenende Einheit der göttlichen und menſch⸗
lihen Natur, in gegenftändlicher Weife, geoffenbart werden
fann. Dieß ift hier, wo ed nur noch um die unmittelbare
finnlihe, dur die Anfhauung und Empfindung gegebene,
Gewißheit zu thun ift, daß Gott und Menfh an fich Eins
find, das erfte Moment: Gott erfcheint als Menfch in der
Horn der Ginzelnheit. Das zweite Moment ift der Tod Chris
fi, in" welchem die unmittelbare finnliche Form abgeftreift, und
die äußere Gefchichte durch die Vermittlung des Glaubens |
der Gemeinde zu geiftigem Inhalt erhoben wird. Der fin
liche Inhalt wird durch die geiftige Auffafjung des Glaubens
in dem Zeugniß des Geiftes von ſich ein ganz anderer, ber
einzelne Menſch wird verwandelt von der Gemeinde, und ger
wußt al8 Gott und mit der Beftimmung, daß er der Sohn
[4
Hegel. 17
®otted ſey, mit allem dem Enblichem befaßt, da8 der Sub»
jeftivität als folcher angehört, als, Gottmenſch, und fein Les
benslauf ald der Proceß und Lebenslauf Gottes felbft, wel
eher, als der Dreieinige, in dem Sohn die Menfchheit fich ges
genüberftellt, und in derjelben mit ſich identifch bleibt 2).
So tief greift Die Idee Der Verföhnung in das ganze
Syſtem der neueften Philofophie ein. Diefelden Momente,
durch welche die Idee des abfoluten Geiftes fich hindurchbe⸗
wegt, find die Momente, durch welche der Begriff der Vers
föhnung ſich realifirt. Der göttliche Lebensproceß ift nichts
anders, als die Verſöhnung oder Vermittlung Gottes, als des
abfoluten Geiftes, mit fich felbft. Ihren Urfprung nimmt das
her die Entzweiung, auf deren Borausfegung das Beduͤrfniß
der Berföhnung beruht, in der Idee Gottes felbft, oder dars
in, baß es zum Wefen Gottes, ald des lebendigen Geiſtes
gehört, ſich von ſich zu unterſcheiden. In der Idee Gottes
iſt der Unterfchied auch wieder abjolut aufgehoben, je mehr
aber der Unterjchied zu feinem Rechte fommt, der Gegenſatz
des abfoluten und endlichen, des, objektiven und fubjeftiven
Geiſtes in feiner ganzen Weite hervortritt, und in der Suͤn⸗
de und dem Tode des Menfchen zu feinen äußerſten Momen⸗
ten fortgeht, defto mehr muß auch auf der andern Seite die
Idee der Verſöhnung zu ihrer Realität gelangen. Da aber
in der Idee des göttlichen Weſens felbft der Unterfchied an
ſich aufgehoben ift, jo Tann dieß nur auf der Seite des fub-
jeftiven Geiftes geſchehen, d. h. nur dadurch, daß die an fidy
- jeyende Einheit des Endlihen und Unendlichen dem endlichen
fubjeftiven Geifte zum Bewußtfeyn fommt. Das iſt die Bes
deutung, welche Chriftus, ald der Gottmenfch, hat, fofern in
ihm die wefentliche Einheit des Endlichen und Unendlicyen,
1) Hegel, Vorlef. über die Philof. der Relig. Werke Bd. XI.
und XI. Man vgl. die nähere Nachmweifung und Entwick⸗
lung in meiner Schrift: Die chriſtl. Gnoſis €. 671. f.
718 Ill Ber. 4. Kap.
oder des Menichlichen und Göttlichen, zum Bewußtſeyn de
Menfchheit kommt. In demfelben Verhaͤltniß, in welchen
diefes Bewußtſeyn in der Menfchheit, fowohl den einzelne
Subjekten, die deſſelben fähig find, als auch ber Geſammt⸗
heit derfelben, der Gemeinde, fich verwirklicht, ber ſubjekllve
Geift mit dem objektiven zur Einheit ſich zufammenfchlleft,
oder Gott in dem Geifte feiner Gemeinde zu ſich felbft zuräd:
fehrt, als der abjolut freie und unendliche Geiſt, realifirt
ſich auch der Begriff der Berföhnung in der Idee bed abſo⸗
luten, mit fich felbft identifchen, Geiftes. Objektiv kommt fie
fhon dadurch zu Stande, daß Gott, als Gottmenfch, in bie
Welt eingeht, und ſchon dadurch fih mit der Welt verföhnt
zeigt, aber die Hauptſache ift, Daß fie auch ſubjektiv fich rea⸗
firt (in dem Bewußtſeyn der Subjefte, deren Bewußtfeyn das
Selbſtbewußtſeyn Gottes ift), wie ja überhaupt Die Religion,
‚deren Mittelpunft die Lehre von der Verſöhnung ift, ihrem
Weſen nach nichts anders ift, als das werdende Bewußtſeyn
der Einheit Gottes und des Menfchen.
Wollen wir aber die Hegel’fche Verföhnungslehre in if
rer mehr theologifchen Geftalt kennen lernen, fo muͤſſen wir
und zu Marheinefe wenden, deſſen Darftelung Diefer Lehre
folgende ift:
Wie die unmittelbare Einheit Gotted und der Welt fi
in den Gegenſatz fortbewegt, fo hat auch die Entzweiung feinen
Beftand in fi, fondern ihr Zweck ift erſt die Verſöhnung, in
welcher der Begriff der wahren Einheit fich ſelbſt erreidt.
Die Verſöhnung der Welt mit Gott durch Gott aber ift, daß
das mit fi und der Welt einige göttliche Wefen fich felbit
durch das Verderben der Welt, e8 vertilgend, hindurchbewegt.
Als der ſich felbft ewig Genugfeyende ift Gott auch der fi
feldft ©enugthuende. Genugthun aber kann Gott nur ald
Gottmenſch, in welchen die Möglichkeit der Verſöhnung dars
in enthalten ift, daß in ihm die menfchliche Natur nicht im
Unterfchiede fteht von der göttlichen. Die Genugthuung des
Marbeinefe. 719
Sottmenfchen iſt eine ftellvertretende, fofern er in ber Verſoͤh⸗
nung der Welt die Stelle der Welt vertritt, worin bie dop⸗
pelte Beitimmung liegt, daß die Welt in ihrem Verderben
Gott nicht genugthun fann, daß fte aber in ihrer Wahrheit
und Wirklichkeit, als menfchlihe Natur, oder in Ihrem wah⸗
ren und heiligen Princip durch die Perfon des Einen Men
fihen, der die Stelle aller vertritt, und deßwegen in feiner
Einzelheit der allgemeine Menſch iſt, vertreten iſt. Im der
Bewegung zur Berföhnung fteht auf der einen Seite ber
Menſch In feinem natürlich-moralifchen Verderben, der Sünde
und Schuld, und der Aufhebung beider, der Strafe, und auf
der andern Seite der in feiner Menfchheit fich genugthuende
Gott, oder Jeſus Chriftus in feinem Thun, in feinem Leiden,
und worin beide aufgehoben find, in feinem Gehorfam. Der
Gottmenſch allein offenbart in fich die menichlihe Natur, in
ihrer Integrität und Vollkommenheit, welches ihre Einheit mit
der göttlicjen ift, und zeigt, daß die Sünde nicht eine abſo⸗
Inte Nothwendikeit der menfchlichen Natur, oder dieſe felbft
fey. Sn ihm, deſſen Bewußtfeyn nicht aus der Natur, fon:
dern aus dem Geiſte ift, ift Die menichlihe Natur nur das
Medium der Offenbarung feiner göttlichen. Wie der Gott«
menſch, als der Heilige, der Sündlofe ift, fo ift er auch der
Unfchuldige, fofern aber die Schuld in ihrem Unterfchieb von .
der Sünde, dad Bewußtfeyn oder die Grfenntniß der Sünde
tft, Tann die Sündenfchuld der Welt auch für ihn feyn. Sn
diefem Sinne begibt ſich der Gottmenfch in das Verderben der
Melt, und bewegt fih durch daſſelbe. Die Strafe, mittelft
welcher die Suͤndenſchuld hinwegfällt, iſt die Identität oder
Aufhebung der Sünde und Schuld. Das Leiden und Ster-
ben des Gottmenfchen ift zwar feine eigentliche Etrafe, hat
aber doch die Form der Strafe und weist in dem unmwahren
und ungerechten Strafurtheil, aus welchem es hervorging, auf
die allgemeine Schuld der Welt hin, indem er nicht nur um
ihrer willen leidet und ftirbt, fondern auch darin trägt und
720 Ul. Per. 4. Kap.
buͤßt, was bie Welt verdient. Auf diefe Weife trägt alfo Chr
ſtus Die Strafe der Welt, aber wie wird dadurch die Sünk
und Schuld der Menſchen getilgt, und die Verföhnung da
Welt mit Gott geftiftet? Das Bewußtſeyn des Unverföhnt
ſeyns, das der Menfch in feinem Widerfpruch mit dem Gefeh
und in dem Widerfpruch mit fich felbft, oder in feinem Schmerz,
in ſich hat, ift an ſich ſchon der Glaube an die. geftiftete Ber-
föhnung des Menſchen mit Gott. Als diefe Wahrheit war
die Berföhnung vorhanden, ehe fie ald Handlung des Gott
menfchen. durch die unendliche Liebe in feinem Thun und Les
den vollendet worden if. Dadurch wurbe einerfeitd in feinem
Thun und Erfüllen des Gefeged der Widerſpruch der Welt
mit dem Geſetz negirt und aufgehoben, und ftatt beffelden
das Thun der Welt zu feiner Wahrheit erhoben und gehe
ligt, andererfeits in feinem durch die Sünde der Welt bewirk-
ten Leiden und Sterben die von ihr verfchuldete Strafe für
ihre Schuld und Sünde, ohne eigene Schuld und Sünde, von
ihm übernommen und getragen, wodurch Leiden und Sterben
überhaupt feine urfprüngliche Bedeutung verlor, und als Strafe
der Sünde, von ber Unfchuld felbft erduldet, in Der ganzen
Menfchheit aufgehoben wurde. So betrachtet ift Daher bie
dur Ehriftum geftiftete VBerföhnung das Bewußtfenn, ba
dem durch den Glauben an ihn, feine Gerechtigkeit und Ge
duld, Entjündigten weder die begangene Sünde, noch das er⸗
duldete Leiden und Sterben ein Hinderniß der Seligfeit fey,
und in der Offenbarung diefer Wahrheit hat das Thun md
Leiden Chrifti feine verföhnende Kraft und Bedeutung. Durch
feine reinfte und vollfommenfte Liebe Teiftet ſich Gott in feiner
Menfchheit Genüge, indem der Menſch, in feiner göttlichen
Ratur, aus Liebe, im Namen Aller, durch feine Gerechtigkeit
ihre Ungerechtigkeit, durch feine Unfchuld ihre Schuld vertilgt.
Es leidet und ftirbt alfo Einer für alle, aber nicht Damit fie
nun gar nicht mehr leiden und fterben, jondern Damit fich in
ihm das Leiden und Sterben Aller concentrire, und fie nur,
Marheinefe. 721
fo wie er, leiden und fterben lernen. Denn Stellvertreter ber
Menſchheit ift er nicht, fofern er außer ihr, fondern fofern er
fie jelbft ift, und das in allen Individuen Gleiche in fich ver-
einigt barftellt. Das Unvermögen der Welt, felbft genugzu⸗
thun, oder ihr Ungenügendes, das ber Genugthuung bedarf,
ihr Widerfpruch mit Gott und mit fich felbft ift auf Seiten
der Welt ein Thun und Leiden, d. b., da das Thun das Freie,
Das Leiden das Nothwendige ift, der Widerfpruch der Frei
heit und Nothwendigkeit. Diefer Widerfpruch tft aufgehoben
in der Verfühnung, als der wiebderhergeftellten Einheit der
Sreiheit und Nothwendigfeit in dem Sottmenfchen, in welchem
Das Nothwendige an und für fich felbft das Freie, das Freie
an und für ſich felbft das Nothwendige ifl. Beide find auf-
gehoben im unendlichen Gehorfam, der als thätiger und lei⸗
dender der Begriff der Verſöhnung felbft ift, der beide ald Mo⸗
mente in fi hat. Als ein Gchorchen hat das Thun und Lei-
den Chrifti eine innere Beziehung auf das Müßen, oder auf
das nothiwendige Wollen, indem aber biefes zugleich das Freie
iſt, iſt die Nothwendigfeit zu ihrer Freiheit und ebendamit der
Sehorfam, ald freiwilliger, erft zu feiner Wahrheit gefommen.
as infonderheit den Tod Chrifti betrifft, fo tritt in ihm der
Unterfchied Gottes und des Menſchen, in der Einheit felbft, am
ftärfften hervor, aber indem der Tod des Gottmenſchen nicht
etwa nur das Thun und Leiden des Ginzelnen in feiner Ein-
zelheit, ſondern in feiner unendlichen Allgemeinheit-ift, ift fein
Gehorſam bis zum Tode felbft ein unendlicher, und alle End-
Ktchkeit in ihm aufgehoben; feine Aufopferung für. die Welt ift
der Anfang eines neuen Lebens in ihr ?).
. 4) Die Grundlehren der chriftlichen Dogmatik als Wiffenfchaft.
Zweite Aufl. 1827. ©. 227— 247. Vergl. auch Marheinefe,
Lehrbuch des chriftl. Glaubens und Lebens. Zweite verb.
Aufl. Berl. 1836. ©. 184.f. Unter den auf der Seite der
fpekulativen Theologie fiehenden Theologen mag bier auch
Baur, bie Lehre von ber Berföhnung. - 46
⸗
\
722 Ä II. Ber. 4. Roy.
Das Berhältniß biefer Darfellung zur Hegel’fchen Lehre
wird ſich von jelbft ergeben, wenn wir bier zum Schluffe un
noch Uſteri genannt werden, fofern er in der vierten, großen:
theils umgenrbeiteten, Ausgabe der Entwicklung des paulinis
fchen Lehrbegriffs (1832) die neuefte ſpekulative Verfähnungs
Idee fogar als ein Element des paulinifchen Lehrbegriffs an
erfennt. Uftert bemerkt a. a. O. ©. 133. in der Stelle Col.
:7 4,.16. werde durch die Worte: ra navre, Ta 8» Tois a0-
" voig 'xal Ta ent am yns das Weltall, die Totalität alles End:
lichen, Gefchaffenen , bezeichnet. Diefes werde nach B. 20.
durch Chriſtum mit Gott verfähnt, zu ihm zurückgeführt, was
vorausſetze, daß es als von Bott abgefallen gedacht werde,
und die Sriedensfitftung finde alfo nicht zwifchen dem Himm⸗
lifchen und Irdiſchen fiatt, fondern zwiſchen Gott und dem
Au, d.h. ſowohl dem Himmlifchen, ald dem Irdiſchen. Ent
weder habe dieß gar Eeinen Sinn, oder einen fehr tiefen, fye
tulativen. Jenes werden die annehmen, die überall mehr
fubjeftive Meinungen, als realen objektiven Gehalt fehen,
Dagegen die neuere fnekulative Dogmatik dieß als eine der
tiefſten chriftlichen Ideen erkenne. „Die Deenfchwerbum
des aus dem Urgrunde aller Dinge (Dater) gezeugten Soh—⸗
nes Gottes ift die Verfühnung des Endlichen mit dem Un⸗
endlichen, des Gefchaffenen mit dem Urgrund Des Seyns, dei
Zeitlichen mit dem Ewigen. Der menfchgewordene Sohn
Gottes aber tritt Durch den Tod wieder heraus aus der Sphäre
des Endlihen, Gefchaffenen, Zeitlichen, in Die Sphäre der
Unendlichkeit zuruck, als Geift, der nun im Endlichen wal:
tet, und ‚es ewig mit Gott verbindet.” Dagegen ficht Hafe,
Lehrbuch der evang. Dogmatif. Zweite umgearb. Aufl. 1838.
©. 333. in der fpefulativen Verföhnungs- dee eine panthei⸗
ftifche, von der firchlichen, nach ihrem Grunde umd ihre
gefchichtlichen Bildung durchaus verfchiedene Anficht, welche
nur in gnoflifchen Syſtemen, bei Pſeudo⸗Dionys und Erige
na Anklänge finde. Das Bemeinfame fen blos: Die Gott
heit ale dem Schidfal der Endlichkeit unterworfen. Aber
als Entwicklungsmomente diefes Bewußtſeyns feyen die My
Die Gegner der Hegel'ſchen Lehre. 723
ferer Unterſuchung nad) auf einige der widhtigften Einwenduns
gen, welche gegen die letztere gemacht worden find, Rückficht
nehmen.
Eine der haltungslofeften Einwendungen, die aber gleich⸗
wohl für das oberflächliche Bewußtſeyn der Zeit viel ein⸗
feuchtendes hat, und zugleich befonderd audy deßwegen hieher
gehört, weil fie das BVerhältniß der Hegel’fchen Philofophie
zum Chriftentbum ganz von dem Gefichtöpunft der Verjöh-
nungs⸗Idee aus auffaßt, ift unftreitig diefe: Es fey eine der
riftlichen Anichauungsweife geradezu widerſprechende Mei-
nung, jeden Menfchen an fi ſchon als göttlich, und Die
Menſchwerdung auf diefe Weife ewig zu jegen. Der tiefe Ges
danfe des Chriftenthums von der Wiedergeburt des alten Men⸗
fchen zu eitiem neuen werde verflacht, wo die Idee der neuen
Schöpfung umgewandelt werde in die Lehre, daß es zur Ber-
ſohnung des Menfchen nur der Einficht in die an ſich ſchon
Dafeyende Einheit Gottes und des Menfchen beduͤrfe. Es er-
belle von felbft, daß, fo geftellt, das Chriftenthum in feinem
ſpecifiſchen Unterfchled von dem Nichtchriftlichen nicht behaup-'
I tet werben fönne, fondern dasjenige gerade außer Acht gelaf-
ſen fey, worauf das Chriſtenthum am meiften Gewicht lege.
y Da aber hier alle8 einzig unter die Form des Denkens ge-
y ftellt fey, fo werde der ganze Proceß der Wiedergeburt blos
‚ betrachtet als eine immanente Entwidlung der urfprünglichen
y Natur. Run jey das allerdings eine nothwendige Seite ber
Betrachtung, dag auch im Wiedergebornen nur dasjenige wirk⸗
lich werde, was die innerfte Anlage und Beſtimmung feiner
Natur fey, allein nach chriftlicher Anficht Habe dieſes Anſich
in dem Menfchen ohne Chriſtus nicht die immanente Kraft,
fich felbft zur Wirklichkeit zu erheben, fondern ed fey in ge-
x bundenem Zuftande, fonft hätte e8 ja fchon eine Art von Wirk
» then von Oſiris, Heralles und Monis weit bedeutfamer, als
die Gefchichte des Gekreuzigten.
46 *
724 - U Ber. 4. Say.
lichkeit vor Chriftus %. Haltungslos darf dieſe Einmwendung |
mit Recht genannt werden, ba fie, um nicht gar zu unmtt
telbar in das entgegengefehte Ertrem eines unchriftlichen Dua⸗
lismus zu verfallen, ihre eigene Widerlegung in ſich aufneh
men muß, und nur an ihr fich halten kann. Sf denn nid
auch nach dem Chriſtenthum die Erlöfung nicht ſowohl eine
neue Schöpfung, als vielmehr nur die Erneuerung zu der ur
ſpruͤnglich dem Menfchen anerfchaffenen Natur, und wie kam
die Erlöfung anderd gedacht werden, wenn doch zugegeben
wird, daß im Wiedergebornen nur das wirklich werde, was
bie, innerfte Anlage und Beſtimmung feiner Natur fey, fomit
doch auch an ſich ſchn in ihm vorhanden feyn muß, was
durch die Erlöfung zur Wirklichkeit gebracht wird? Waäre dieß
nicht fo, fo müßte ja nicht blos der natürliche Menfch ein an-
derer feyn, ald der .urfprüngliche, fondern auch der Menfh
an fih durch die Sünde ein ganz anderer geworden feyn, und
es ließe fich nicht begreifen, wie zwiſchen dem alten und neuen
Menfchen noch ein Verhältniß der Fdentität angenommen wer
den kann. Was aber der Menfch an fich iſt, ift er noch nit
in der Wirklichkeit, und die Idee muß, um zu’ihrer Realität
zu gelangen, erft in die Erfcheinung heraustreten. Es iſt dar
ber wirklich. fo, wie auf dem Standpunft der erwähnten Ein-
wenbung als undenkbar voraudgefegt wird, Daß das, was
in dem Wiedergebornen wirklich wird, fchon vor Chriftus d-
ne Art von Wirklichkeit hatte, nämlich diejenige Wirklichkeit,
bie alles hat, was, ehe es Außerlich zur Erſcheinung kommt,
zuvor fchon wenigſtens der Idee, oder dem Princip, nad) yor-
handen ift, wie ja auch Chriſtus, ehe er Menfch wurbe, de
zur Menfchwerdung. beflimmte Sohn ©otted war. BDabdurd
wird aber dem Chriftenthunt: nicht das Geringfle von feine
eigenthümlichen Würde entzogen; und es läßt fih um fo we
niger begreifen, wie an ber Anficht, es ſey i im Chriſtenthum
1) Tüb. Zeitſchr. für Cheol. Jahn 1836. PR 1. ©. 177. f.
Die Begner der Hegel’fchen Lehre. 125
nur faktiſch realifirt worden, was an ſich ſchon vorhanden war,
irgend ein Anftoß genommen werden Tann, da ja das Chris
ftenthum felbft nichts anders feyn will, als die Offenbarung
und äußere Verwirklichung des ſchon von Ewigkeit‘ in Gott
- eriftirenden Rathfchluffes der Erlöfung. Was aber äußerlich
fich verwirklicht, ift feinem Princip nach an ſich fchon vorhan⸗
Den, und es läßt fich Daher mit Recht behaupten, daß die ganze
hiſtoriſche Wirklichkeit nichts anders ift, als Das in der Zeit
werdende Bewußtfeyn befien, was ald ewige Idee in Gott
exiſtirt. Zwiſchen der an ſich feyenden Idee auf der einen,
und dem fie aufnehmenden fubjeftiven Bewußtfeyn auf der
andern Seite ift die Erfcheinung und faktiſche Wirklichfeit die
bloßen Vermittlung. Hierin liegt der Grund, warum jede
Anfſicht, die das wahre Wefen-des Ehriftenthums nur in ſei⸗
ne äußere faktifche Objektivität fegen will, fich immer ‚wieder
als eine durchaus unhaltbare zeigt. Daß Gott in Chriftus
Menſch geworden, ift unftreitig die wefentlichfte Thatfache des
Chriſtenthums. Wie Fönnte aber dieß gefchehen feyn, wenn
nicht die menfchliche Natur an fich Die Empfänglichkeit für das
Göttliche hätte, und wenn es nicht auf der andern Seite eben-
fo eine wefentlihe Beftimmung Gottes wäre, fid) in ber
menfchlichen Natur zu offenbaren, und Menſch zu- werden.
Dder wie hätte die Erlöfung und Verföhnung ded Menſchen
mit Gott durch den Tod Jeſu bewirkt werden können, wenn
Gott nicht an ſich ſchon mit dem Menfchen verföhnt, und mit
ihm Eins geweſen wäre, da ja die Verföhnung nichts anders
ift, als Die Wiederherftelung der Einheit mit Gott? Den uns
mittelbarften Gegenſatz bilden in dieſer Hinficht Die Hegel’jche
Berföhnungslehre und die kirchliche Satisfactionstheorte, ſo⸗
fern die lebtere die Realität der Verſöhnung ebenfo fehr nur
in das äußere Faktum des Verföhnungstodes fegt, wie fle das
gegen die Hegel’iche Religions⸗Philoſophie nur im Weſen Got⸗
tes felbft, oder in der abfoluten Idee, begründet wiſſen will
Aber eben dieß ift ja die in verfchlebenen Wendungen immer
726 Il. Per. 4. Kap,
wieberfehrende Haupteinwendung gegen bie von jener Theorie
behauptete Nothwendigkeit des Todes Jeſu, daß fie Die objed,
tine Realität der Berfühnung von einem äußern Faktum au
eine Weife abhängig macht, weldhe der Idee des abjoluten .
Weſens Gottes widerftreitet, und das abfolute Weſen Gottes
felbft durch eine ihm gleihfam Außerlich gegenüberftehende Nat
. beichränft, wie wenn auch für Gott felbft nichts objektive Rea⸗
lität hätte, was fich nicht in einem äußern hiftorifchen Faktum
verwirklicht hat. Folgt aber daraus, daß der Menſch an Rh
mit Gott verföhnt ift, ehe die Verföhnung Durch das äußere
Faktum ded Todes Jeſu vollbradyt wird, daß das letztere ds
was völlig überflüßiges und bebeutungslofes if? Keineswegd,
fobald wir nur nicht vergeffen, daß die Religion ihrem Weſen
nach nichts anders ift, als Offenbarung, oder Verwirklichung
des an ſich Seyenden für das Bewußtſeyn. Was an fich if,
fommt zu feiner wahren Realität nur dadurch, Daß es auch
für den Geift ift, im Bewußtſeyn des Geiftes zu feiner Eri⸗
ſtenz und Wirklichkeit gelangt. Worin anders Tönnte babe
auch die objektive Realität des Chriftentbums beftehen, als
darin, daß ed das wefentlichite Moment des Proceffes if,
durch welchen das an fich feyende Verhältniß Gottes und bed
Menſchen für das fubjektive Bewußtfeyn des Menſchen vers
mittelt wird? Hieraus ergibt ſich von felbft das Uẽtheil über
Die weitere Cinwendung, welche nur eine andere Form ber
bisher erörterten ift, Daß eine Anficht, welche eine rein imma»
nente Entwidlung der urfprünglichen menſchlichen Natur fege,
als pelagianifch zu bezeichnen fey, weil fie das chriftliche Le⸗
ben nur als Steigerung des natürlichen betrachten Eönne !).
Zur Begründung diefer Einwendung wird dem in ber Kirde
aufgetretenen Pelagianismus, welchen man den fubjektiven
nennen könne, ein objeftiver gegenübergeftellt, welcher, wie
jener den Einzelnen fich felbft erlöjen laſſe, Die angebliche Sr
1) A. a. D. ©. 179.
Die Gegner ber Hegel'ſchen Lehre. 7127
löſung durch den göttlichen Geift ald eine That des allge
meinen Menſchengeiſtes anfehe, und die Vermittlung durch
Chriſtus dem allgemeinen objektiven, die Macht ber Selbfter- _
löſung in fich tragenden, Menfchengeift erfegen laſſe. Diefe
Anklage auf Pelagtanismus müfle daher erlaubt feyn, ſolan⸗
ge e8 das Syſtem nicht zu einem Unterfchleb des Menfchen-
geiftes von dem Gotteögeifte gebracht habe. Wie wenn Ehris
ſtus die Erlöfung anders, denn ald Gottmenfch, hätte voll-
bringen fönnen! Muß er aber in dem Werfe der Erlöfung
nothwendig als Gottmenſch gedacht werben, fo Tann dabei
. nicht der Unterfchied, fondern nur die wefentliche Identitaͤt des
Gsttilichen und Menfihlichen in Betracht kommen, weil we⸗
ſentlich verfchiedene Elemente nie zu einer wahren Einheit fich
vereinigen können. WIN man daher biefe wefentliche Einheit
bes Böttlichen und Menſchlichen den allgemeinen objektiven
Menfchengeift nennen, fo ift im Wefentlichen hiemit nichts ans
ders geſagt, ald was von felbft im Begriffe des Gottmenfchen
liegt. Gibt e8 einen Punkt, in welchem Gott und Menfch
‚wefentlih Eins find, und ein folcher muß doch vorausgeſetzt
werben, wenn nicht die weientlichften Wahrheiten des Chriftens
thums, die Lehre vom Gottmenfchen und von, der Erlöfung
und Berföhnung, etwas fchlechthin undenkbares werben follen,
fo verfteht es ſich Doch von felbft, daß dieſer Punkt nicht im
individuellen DMenfchengeift liegen Tann, fondern nur im alls
_ gemeinen, d. 5. dem an ſich feyenden Weſen des Geiſtes. Wir
kommen daher auch von diefer Seite wieder auf die Behaup-
tung zurüd, daß Die Erlöfung und Berföhnung nur unter der
Borausfesung gine faktifh wirkliche geworden feyn kann, wenn
fie an ſich möglich ift, dieſe Möglichkeit felbft aber nichts an⸗
ders ift, als die an fich feyende Einheit des Göttlichen. und
Menihlichen. Möglichkeit und Wirklichkeit aber find nicht
identifh, fondern die nothwendigen, weſentlich verſchiedenen,
Momente, durch welche der Begriff fich Hindurchbewegt, um
-fidh mit fich felbf zu vermitteln. Da nun dieſe imma-
728 | UL Ber. 4. Rap.
nente Bewegung des Begriffs aus der Möglichfeit, oder den
abftraften Anfichfeyn, zur eoncreten Realität nicht gefchehn
kann, ohne daß das zwifchen dieſen beiden Momenten liegenk
Moment der Unmittelbarfeit, Hier. alfo der Unmittelbarkeit be
. natürlihen Menfchen, welcher mit ber urfprümglichen Ratır
des Menfchen, ober dem Menfchen an ſich auf Feine Weile
identificirt werben barf, negirt und aufgehoben wird, fo ik
lcicht zu fehen, wie unrichtig hier der Begriff Des Pelagianids
mus angewandt wird, ba die wefentliche Eigenthümlichfeit deſ⸗
felben vielmehr gerade darin befteht, in der Unmittelbarkeit.
ftehen zu bleiben, und die Nothwendigfeit einer Diefelbe negi⸗
renden Bermittlung zu läugnen. Verwandter Art find die
vom fittlihen Standvunkt aus erhobenen Einwendungen‘),
„daß bie fittliche ISmputatton auf dem Gebiete Des Geiſtes⸗Le⸗
bens gar feine Stelle habe, daß ed blod darauf anfomme,
das Bewußtfeyn feiner ald Geiſtes zu haben und geltend zu
machen, und von dem Bewußtſeyn der Sünde, nicht aber der
Sünde felbft, erlöst zu werden, weßwegen das ganze Wer
der Berfühnung darin beftehe, zu verftehen, wie das Anders
getwordenfeyn Gottes nur eine Fortbewegung Des Geiftes zu
fich felbft fey, der Menfih alfo ſich als den Verfühnten habe,
indem er an die Stelle feined ununterdrüdbaren fittlichen Bes
wußtſeyns, Durch das er ſich ald Sünder erfenne, das burd
Dialektif gewonnene fee, daß er als Geiſt gar nicht fündigen
fönne, alfo in ungetrübter Ginigfeit mit Gott beharre, und
ftetig beharret habe, wir demnach, ftatt der Sünde, nur eine
einftweilige, durch das Fortfchreiten des Geiftes zu hebende,
_ Unangemeffenheit der Erfcheinung zur Idee haben” — lauter
Säte, die auf dem tiefgehenden Mißverftändniß beruhen, das
der endliche individuelle Geift, als folcher, mit Dem allgemei-
nen, an fich feyenden, identifch fey, und der fittliche Begrif
der Sünde völlig hinmegfalle, wenn die Sünde als das Für:
4) Steudel, die Glaubenslehre der ev. prot. Kirche ©. 291..
Die Gegner der Hegel’fchen Lehre. 29°
fichſeyn des Geiſtes im Gegenſatz gegen das Anſichſeyn deſſel⸗
“ben beſtimmt werde, wovor doch ſchon bie einfache Betrach⸗
tung hätte bewahren können, daß auch das ſittliche Bewußt⸗
feyn eine befondere Form des Bewußtfeynd überhaupt if, und
nur ald ein durch den allgemeinen Zufammenhang des geifti=
gen Lebens bedingteds Moment angefehen werden kann, oder
der Menſch doch auch ald Sünder nicht aufhört, Menſch,
d. h. ©eift, endlicher Geift, zu ſeyn.
Wichtiger fcheigt eine’ andere, zunächft Die Chriftologie ber
Hegel'ſchen Religiond - Philofophie betreffende, Einwendung,
welche bei dem zengen Zufammenhang der Chriftologie und,
Berföhnungslehre ebenfo gut auch gegen die Iehtere gerichtet
tft. Liegt ed, wird gefagt ), dem Hegel’fchen Syſtem zufols
ge, ſchon in dem Begriffe des göttlichen Lebens, daß Gott in
Feiner endlichen Geftalt die angemefjene Form oder Wirklich⸗
Feit feines Weſens findet, Liegt vielmehr im Begriffe des Ends
lichen, nur eine inadäquate Darftelung der Idee und nur
Das zu feyn, was einen Augenblid des Seyns hat, fo tft von
felbft Har, daß für einen ſolchen perfönlichen Gotimenfchen,
in welchem die Fülle der Idee Wohnung gemacht hätte, Feis
ne Stelle übrig bleibt. Auch würde Gott aufhören, ein le=
benbiger Gott zu feyn, wenn irgendiwie, fey ed in einem Ein⸗
. zelnen oder im Ganzen, die Wirklichkeit der Idee eine abfolute
wäre. Denn die Unangemefienheit jeder Seftalt zu dem Gehalt ift
Das, was fort und fort den Proceß wieder follicitirt. In feis
nem vollfommenen Refultat würde der Proceß erlöfchen, und
mit ihm das göttliche Leben. Es ift dieß allerdings der bedeu-
tendfte Einwurf, welcher vom philofophifchen Standpunft aus
‚gegen die orthodore Chriftologie erhoben werden kann, daß
e8 der Idee des Abfpluten fchlechthin mwiberftreitet, mit einem
Individuum fo Eins zu feyn, daß das individuelle Selbftbe-
wußtfeyn mit der Idee des Abfoluten zur abfoluten Einheit
—
1) Tüb. Zeitſchr. für Theol. 1836. H. 1. ©. 172.
»
N
230 ill. Ber. 4. Say.
fi zuſammenſchließt. Sofern nun die Hegel’iche Bhilofophk
biefe Unmöglichkeit gleichfall8 behauptet, und durch ihr Sy
ſtem begründet, trifft fie der Vorwurf, in einem feindlichen
Verhältniß zur orthoboren Chriftologie zu ftehen. Allein die
fer Vorwurf verliert fehr von feinem Gewicht, wenn man be
denkt, Daß es, wie von ben Gegnern bes Hegel’fchen Religions
Philoſophie felbft zugegeben werben muß, überhaupt noch kei⸗
ner Theorie über die Berfon Chrifti, ald des Gottmenſchen,
gelungen ift, die Aufgabe, um bie es fich hier der Vorausſe⸗
zung zufolge handelt, auf eine befriedigende Weife fo zu lö-
fen, daß nicht immer wieder das eine oder Das. andere ber
beiden bier einander gegenüberftehenden Ertreme, der “Dofes
tismus oder der Ebionitismus, das Refultat eines jeden Ver
fuch8 Diefer Art gewefen wäre. Die Aufgabe, welche zu lö⸗
fen tft, ift, wie von felbft erhellt, eine doppelter e8 muß vor
erft eine ſolche Einheit des Göttlihen und Menfchlichen, wie
bie orthodore Chriftologie voraudfegt, ald an ſich möglid
nachgewiefen, fodann aber auch Dargethan werden, daß biele
Einheit in der Berfon Sefu von Nazareth zur hiftorifchen Er⸗
fcheinung geworben fey. Da das lettere, wie ſich von felbft
verfteht, nur hiſtoriſch oder empirifch bewielen werden Fann,
und jeder Beweis diefer Art nur in dem Falle zu einem ge-
nügenden Refultat führen könnte, wenn er eine befriedigende
Löfung der erftern Aufgabe ſchon zu feiner Vorausſetzung hät⸗
te, fo ift klar, daß es fich zunächft einzig nur um Diefe han-
delt. Allein alle Verfuche ihrer Löfung, fofern fie nicht in
bloßen Behauptungen beftehen, fondern eine philofophifche Be
gründung im eigentlicdyen Sinne bezwecken, können gerade über
den Hauptpunft, um weldyen es zu thun feyn muß, daß die
Einheit des Göttlichen und Menfchlichen in einem einzelnen
beftimmten Individuum auf eine für alle andere Individuen
ausſchließende Weife real geworben fey, nicht hinwegkommen.
Indem der Gottmenſch, als die Einheit des Göttlichen und
Menfchlichen, wofern anders die Idee deſſelben nicht blos eine
Die Öegner der Hegel’fchen Lehre, 731
bem empirifchen Boden entfprungene, fonbern in ber Vernunft
‚gegründete, allgemeine und nothwendige Wahrheit ſeyn fol,
in feiner Einzelheit zugleich als der allgemeine Menſch genoms
‚men werben muß, geht ſchon dadurch das einzelne Individuum
unwillkürlich in den allgemeinen Gattungsbegriff der Menſch⸗
- Bet über. Iſt e8 nicht geradezu die Beichreibung des Gat⸗
tungsbegriffd der Menichheit, wenn Marheinefe vom Gott⸗
menfchen fagt, er fey der in feiner Einzelnheit allgemeine, und
in feiner Allgemeinheit einzelne Menfch, die von Gott geſchaf⸗
fene menfchliche Natur in ihrer Integrität und Illabilität, und
eben barin zugleih als der zweite Adam Repräfentant dei
Menfchheit, Die Wahrheit des erften, der Stellvertreter der
Menschheit, nicht fofern er außer ihr, fondern fofern er fie
jelbft jey, ‚und das in allen Individuen Gleiche vereinigt in
ſich dDarftele? Und wenn nun auch ber Gottmenfch in biefem
Sinne Jeſus Chriftus genannt, und mit der Perſon deſſelben
identifch genommen wird, fo erfcheint Doch auch dieß zunächft
noch als eine bloße Vorausſetzung, die in Anfehung der Sa⸗
che felbft Feinen Schritt weiter führt. Aber auch diejenigen
fommen nicht weiter, welche, in ftrengem Gegenſatz gegen bie
fpefulative Chriftologie der Hegel’fchen Schule, den Begriff
des Gottmenfchen, als des Haupted der Gemeinde, auf folgen-
De Weife fpefulativ feftzuftellen glauben: Wie der Menſch das
Haupt und die Krone der natärlichen Schöpfung fen, fo fey
auch die Menfchheit, als die auselnandergetretene Vielheit ei-
nes höhern Ganzen, einer höhern Idee, zu betrachten, nämlich
Chriſti. Und wie die Natur fich nicht blos in der Idee ei⸗
nes Menſchen zur Einheit verfammle, fondern im wirklichen
Menſchen, fo faſſe ſich auch die Menfchheit nicht zufammen in.
einer bloßen Idee, einem idealen Chriftus, fondern in dem
wirklichen Gottmenſchen, der ihre Totalität perfönlich darftelle,
und aller einzelnen Individualitäten Urbilder ober ideale Ber-
fönlichkeiten in fich verfanmle. Und wenn die erfte Zufam-
menfaflung zerftreuter Momente in Adam, wenn auch felbft
32.00. Mk per. 4 gap.
noch ein Naturweſen, Doch eine unendlich höhere Geſtalt dar-
geftellt habe, als jedes der einzelnen Naturweſen, ſo ſtehe auch
der zweite Adam, obwohl in ſich eine Zufammenfaffung de
Menſchheit, und felbft noch ein Menfch, doch als eine unend-
lich höhere Geſtalt da, denn alle einzelnen Darftellungen un
ferer Gattung 9). Daß andy bieß nur eine Umfchreibung de
©attungsbegriffd der Menfchheit ift, liegt Har am Tage. Wie
der Menſch nicht als einzelnes Individuum, fondern als Gat-
tung, über die Natur ſich erhebt, fo ift auch Ehriftus, wenn
er in gleichem Sinne eine Zufammenfaffung der Menſchheit
feyn fol, nicht ein Individuum, fondern die Menfchheit im
Ganzen, die menfchliche Sattung, nur nach einer andern Seite
ihres MWefens, nicht blos der natürlichen, fondern der geifb-
gen. Dabeinehme man aber, was freilich bier einen fehr bedeuten-
den Unterfchied ausmacht, den Begriff der Gattung nicht blos
als eine leere logifche Abftraftion,; fondern im Sinne des als
ten, dem Nominalismus entgegenftehenden, Realismus, als
das reale Allgemeine, die fubftanzielle Einheit, bier alfo, als
den fubftanziellen, in die Vielheit der einzelnen Individuen ſich
dirimirenden, aber ſie auch in ihrer realen Einheit zuſammen⸗
haltenden Menſchengeiſt. Wie ſollte aber in dem Begriffe deſ
ſelben irgend etwas liegen, woraus die abſolute Identität des
allgemeinen Gattungsbegriffs mit einem einzelnen beſtimmten
Individuum ſich ableiten ließe? Ja, liegt hierin nicht gerade⸗
zu ein unauflöslicher Widerſpruch? Soll der Gottmenſch auf
der einen Seite, was unſtreitig zu feinem Begriffe gehört, der
allgemeine Menfch ſeyn, oder das Allgemeine der Gattung,
auf ber andern Seite aber dieſes Allgemeine Der: Gattung
1) Es iſt dich die Idee, die mein verehrter College, Herr Prof.
Dorner, in feiner hiftorifch = Eritifchen Abhandlung über die
Entwiclungsgefchichte der Chriftologie, befonders in den neues
ren Seiten, Tüb. Beitfchr. für Theol. 1836. 1. 9. ©. 2339.
aufgeftellt hat.
Die Gegner der Hegel’fihen Lehre. 733
mit einem beftimmten einzelnen Individuum identiſch feyn, fo
müßte er ald Gattung alle Individuen in ſich begreifen, als das
mit der Gattung fchlechthin identifche Individuum aber zu als
len andern Individuen fich fehlechthin ausfchließend verhalten
(fofern ja das Allgemeine der Gattung mit dem Individuum
nicht ſchlechthin Eins wäre, wenn nicht die Allheit der Indi⸗
viduen mit jenem Individuum ebenjo individuell Eins wären,
wie fie in dem Sattungsbegriff Eins find), fo daß nothwen⸗
Dig entweder das Allgemeine im Individuum, oder das Indi⸗
viduum im Allgemeinen aufgeht. Dagegen Hilft es nichts,
fi) darauf zu berufen, daß die Unendlichkeit in endlicher Ge-
ftalt intenfivo wohnen könne. Die intenfive Unendlichkeit hat
jedes menfchliche Individuum, fofern es dem endlichen Geiſte
wefentlich ift, auch unendlich zu feyn, bier aber foll ja ein ein⸗
zelnes Individuum mit dem Unendlichen auf eine Weile Eins
ſeyn, wie fie nur bei diefem Cinen Individuum, keineswegs
aber bei allen andern Individuen, ftattfindet. Daher führt
auch der Begriff der intenfiven Unendlichkeit nur auf ein all-
gemeined Verhältnig, keineswegs aber auf ein einem einzelnen
Individuum eigenthümliches. j
- Bei diefem Stande der Sache liegt die Doppelte Frage
fehr nahe, welchen Grund eine jeder Begriffsform widerftrei-
tende Chriftologie im chriftlichen Bewußtſeyn felbft habe, und
warum dagegen bie der fpefulativen. Betrachtung immer wies
“der ſich aufbringende Idee ded Gottmenfchen für das shriftli-
che Bewußtieyn fo unbefriedigend feyn fol? Was die erftere
Frage betrifft, fo ift zwar allerdings ber Begriff des Gott⸗
menſchen, als eines Individuums, die Eirchlich hergebrachte Leh⸗
re, allein ed Tann auch die Mangelhaftigfeit und Unhaltbar⸗
keit Derfelben nicht in Abrede gezogen werben. Geht man num
‚aber von der Firchlichen Lehre auf die biblifche zurüd, fo muß
wiederum zugegeben werden, daß in der legtern zwar bie Ele⸗
mente ‘der Lehre, um welche es fich. handelt, in ihrer Unmits
telbarfeit enthalten ſind, aber ebendeßwegen auch noch nicht
TA DE Ber. 4. Kap.
in derjenigen Form, welche die wifjenfchaftliche Verftändigun '
über fie verlangt. Beruft man fi) daher auf das chriftlide
Bewußtfeyn, fo kann ed nur ald auffallender Widerſpruch er:
fiheinen, die Firchliche Form der Lehre, deren Weſentliches
eben darin befteht, daß der Gottmenſch nur als Individuum
genommen wird, fallen zu lafien, zugleich aber doch von ber
Borausfegung, als der dem chriftlicgen Bewußtfenn einzig ge
nügenden, auszugehen, daß feine andere Theorie, wahr feyn
fönne, als nur eine foldhe, weldye den Gottmenſchen als In-
dividuum fefthält, was nichts anders iſt, ald der Widerfprud,
die erft in Frage ſtehende Möglichkeit ber Sache aus ih⸗
rer. ſchon als Thatſache vorausgefegten Wirklichkeit erflären
zu wollen. Auf der andern Seite aber follte man, was bie
zweite’ $rage betrifft, bereitwilliger, ald bisher gefchehen ift,
anerfennen, welche fowohl religiöfe, als fpefulative Bedeutung
der ©attungsbegriff der Menfchheit hat. Das WBermittelnde
zwifchen dem Individuum und der Abfoluten kann nur be
Gattung feyn, zu weldher dad Individuum gehört, Das All
‚gemeine, unter welches feinen Begriff nad) dad Befondere und
Einzelne geftellt werden muß. ft e8 eine mwefentliche Wahr:
heit des chriftlichen Glaubens, daß der Menfch göttlicher Na-
tur oder mit Gott Eins ift, wodurd anders kann dieſe wer
fentliche Einheit zwifchen Gott und dem Menfchen vermittelt
werden, ald durch das Allgemeine, Anfichfeyende, Der menſch⸗
lichen Natur, die Idee der Menfchheit, die zwar in der uns
endlichen Vielheit der Individuen fich fort und fort individua⸗
fifirt, aber auch die lebendige fubftanzielle Einheit ift, in wel⸗
cher alles Befondere und Individuelle aufgehoben iſt. Der
Gottmenfc in Diefem Sinne ift der allgemeine, urfprünglice,
nach dem Bilde Gottes geichaffene, urbildlihe Menſch, deſſen
Begriff nothwendig mit dem bibliſch chriftlichen Begriff von
Ehriftus, ald dem zwar mit dem Vater identifchen, aber aud -
von Ewigkeit, feiner wefentlichen Beftimmung nah, Menſch
werdenden Sohn ©otted zufammenfält. Wirb nun der Gott
Die Gegner der Hegel’fhen Lehre. 735
menfc ‚in diefem Sinne, wie von dem hierin weit mehr an
Daub als an Hegel fich anfchließenden Marheineke gefchieht,
mit dem hiftorifchen Individuum Jeſu von Nazareth, gerades
zu ibentifichrt, fo tft dieß nicht nur ein wiflenfchaftlich nicht
gerechifertigter Sprung, fonbern aud) eine Die Spekulation von
der Gefchichte gewaltfam losreißende Einfeitigfeit, welcher die
GHegel'ſche Religions» Philofophie, hierin auf der Grundlage
der Schleiermacher’ichen Glaubenslehre fortbauend, fehr ente _
ſchieden entgegentritt. Es handelt ſich hier nämlich nicht blos
um bie rein fpefulative Frage, was iſt der Gottmenſch an fich,
ober der Idee nach? fondern zugleich auch, wofern anders bie
ſpekulative Wahrheit auch als eine Wahrheit des chriftlichen
Glaubens gelten fol, um die Frage: wodurch ift jene Idee
für das menfchliche Bewußtſeyn vermittelt, auf welchem Wege
ift fie nicht los in das Bewußtſeyn des Einzelnen, fondern
das Bewußtfeyn der Menfchheit überhaupt eingegangen? ober
wie ift die objektive Wahrheit der Idee des Gottmenfchen auch
zur ſubjektiven Gewißheit geworden? Hier ift daher auch erft
der Ort, wo bie Frage entftehen kann, wie ſich die Idee des
Sottmenfchen zu der Biftorifchen Perfon Jeſu von Nazareth
verhalte, und wenn nun aud) diefe Frage nur durch Entfer-
nung einer Lehre beantwortet werden kann, welche wohl nie
in eine der denkenden Vernunft entfprechende Form gebracht
werden Tann, fo liegt doch zwilchen dieſem Ertrem und ber
rein ebionitiichen Vorſtellung von ber Perſon Iefu Raum ges
nug, um Jeſu eine Würde und Erhabenheit zu vindiciren, bie
ihn von allen andern Menichen fpecififch unterfcheidet, und hoch
über fie ſtellt ). Es mag hier nicht weiter unterfucht wer-
4) Hier ift demnach der Ort, wo die oben (S. 622.) erwähnte
neuere Theorie von der Perfon Chriſti zu ihrem Rechte
fommt. Es kann dieß aber auch nur in diefer Sphäre ge:
ſchehen, in welcher von ber hifiorifchen Exrfcheinung des In»
dividuums, an welche dieſe Theorie zumächft fich hält, dire
abfolute Idee noch unterfchieden werden muß.
736 Mu Ber. 4 Rap.
. den, wie weit die Hegel’fche Chriftologie in der ihr biöher ge -
gebenen Form dem chriftlichen Bewußtſeyn genügt oder nid,
in jevem Zalle aber darf dieß als ein wefentliche® Verdienſ
der Hegel’ichen Religiond-Philofophie geltend gemacht werben,
daß fie die objektive und fubjeftive Seite der in Frage ftehen-
den Wahrheit wohl unterſcheidet, und die chriſtliche Offenba⸗
rung als die nothwendige Vermiltlung betrachtet, durch wel⸗
che allein die Idee des Gottmenſchen, oder die an ſich feyen-
de Einheit des Göttlichen und Menfchlichen, in das Bewußt-
feyn der Menfchheit übergegangen if. Wird das Weſen bed
Chriſtenthums von diefem Gefichtspunft aus betrachtet, fo er⸗
lebigt ſich dadurch von felbft die Einwendung, daß bie Idee
eine in dem Gottmenfchen von Ewigfeit menſchwerdenden
Gottes eine dem Chriſtenthum widerftreitende fey, Denn wie
Die Religion überhaupt das werbende Bewußtfeyn bes an fi
feyenden Verhaͤltniſſes zwiſchen Gott und dem Menſchen ift,
fo ift erft im Chriftenthbum der Wendepunkt, in welchem ber
von Ewigfeit in Dem Menfchen, feinem Ebenbilde, Menſch wers
dende Gott dadurd wahrhaft Menſch geworden, und in ber
Menfchheit geboren it, daß dem Menichen feine Einheit mit
Gott durch Chriftus zum Bewußtſeyn gefommen, und zur
thatfächlichen Gewißheit geworden if. Auf derfelben Nicht⸗
Unterfcheidung des Objektiven und Subjeftiven beruht endlich
auch die die Lehre von der Berföhnung näher betreffende Ein-
wendung, daß der angeblichen unendlichen Realität der Ein-
heit Gottes und des Menſchen ebenfo fehr eine unenblicde
Nicht⸗Realität gegemübergeftellt werden müfle An fich feyen
alle Menfchen göttlich, aber in der Wirklichkeit jeder feinem
Begriffe immer und weſentlich widerfprechend, denn der Be _
griff eines jeden fey in Diefer Philofophie nicht eine individuelle
tdeale Perfönlichkeit, fondern das Allgemeine oder Gott, dem
als Unendlihem das Endliche weſentlich unangemeffen fer.
So fey aljo die Verföhnung in der Einheit mit Gott hier
ebenfo ſehr nicht ba, als fie da fey. Sie fey da im Anfich
\
Die Gegner der Hegel’fchen Lehre. 737 |
des Menfchen, denn dieß fey mit Gott Eins. Aber fie fey
auch nicht da, weil diefe Einheit nie vollkommen wirklich wer⸗
den Fönne 9. Diefelbe Philofophte lehrt aber auch, daß der
Begriff aus feingm Anfichfeyn ſich zur conereten Realität im
fubjeftiven Bewußtſeyn fortbewegt. Wenn nun auch das fub-
- Jeftive,Bewußtfeyn der objektiven Idee, die &8 in ſich aufneh-
. men fol, nie vollfommen adäquat, fondern nur in einem uns
endlichen Fortfchritt zu ihr begriffen ift, fo wird Doch dadurch
bie an fi) feyende Einheit des Menfchen mit Gott ebenfo we⸗
nig aufgehoben, als e8 in der gewöhnlichen kirchlichen Lehre
vom Slauben ein Widerfpruch if, daß ber Menfch im Glau⸗
ben zwar Chriftus, als das Princip der VBerfühnung, ergreift,
und ſich in ihm mit Gott verföhnt und Einsgeworden weiß,
aber ſich doch zugleich auch wieder feines unendlichen Unter-
fchied8 von ihm bewußt wird. Das ift der ewige Proceß, in
welchem der fubjeftive Geift fort und fort ringen muß, Die
objektive Einheit mit ©ott, nachdem fie ihm zum Bewußtſeyn
gekommen ift, auch fubjeftiv zu realifiren, und mehr und mehr
die Schranke zu durchbrechen, die Das fubjeftive Bewußtſeyn
son dem Abfoluten trennt, mit welchem es fich zur concreten
lebendigen Einheit zufammenfliehen ſoll 2).
1) Tüb. Zeitfchr. für Theol. 1856. 1. 9. S. 195.
2) Es freut mich, hier zum Schluffe noch die neueſte Schrift
über die große Frage der Zeit, 3. Schaller, der hiftorifche
Chriſtus und die Philofophie. Leipz. 1858. erwähnen zu kön⸗
nen, und die Hauptideen derfelben im Wefentlichen mit der
oben gegebenen Entwicklung der Momente, um welche es fich
in.der neueflen Geftaltung des Dogma’s handelt, zufammen-
treffen. zu fehen. Der enge wefentliche Zufammenbang der
£ehre von der Verföhnung mit der Lehre von der Perfon
Ehrifti erhellt aus folgenden Hauptfägen: Die Idee der Ver⸗
fühnung bat er an der ganzen Menfchheit ihre vollendete
Wirklichkeit, und fie. wäre gar nicht dee, wenn fie an ei:
nem einzelnen Individuum haften bliebe; ſagen wir aber:
- Baur, bie Lehre von der Berföhnung. 47
738 Il. Ber. 4. Kap.
Man würde die zulegt gemachten Bemerkungen fehr un
richtig auffaflen, wenn man glauben wollte, fie zielen nur
die Gattung der Menfchheit it die Gottmenſchheit, fo haben
wir damit eigentlich nur den Drt angegeben, wo fich die
dee der Gottmenfchheit realifiren foll, denn verſtehen wir
unter Gottmenfchheit einen beſtimmten geifiigen inhalt, fo
ift diefer in der Gattung immer nur an fich, und fomit aud
nicht geiftig wirklich (&. 60.). Die Theilnahme des Einzel:
nen an der Gattung ift Feine perfönliche, fondern nur fub-
flanzielle Theilnahme, und das ift eben die Baſis der Ent:
zweiung, Daß der Menſch nicht als Subjekt fich mit Gott
in Einheit weiß. Solange nur die Gattung gottmenfchlic
ſeyn foll, bleibt das Individuum ale ſolches, Das fich felbk
wiffende Subjekt, auch troß der Negation feiner Natürlich⸗
keit, und feiner geiftigen Umgeftaltung, nad) wie vor aus der
Göttlichkeit ausgefchloflen; denn die Gattung iſt nur das
unperfönliche Allgemeine: es kommt alled daranf an, daß die
Subjektivität als folche, als diefe fich wiffende Einzelnheit,
mit der abfoluten Subieftivität vereint, und in das Wefen
Gottes aufgenommen wird. Das Fundament der Verfähnung
iſt Daher von Seiten des menfchlichen Bewußtſeyns gerade die
Gewißheit, daß auch die atome Einzelnheit der Subjektivi⸗
tät den Menfchen nicht abfolut von Gott trennt, fondern
daß vielmehr auch diefe höchſte Spige der Endlichkeit im
göttlichen Leben anerkannt und erhalten if. Nur die per:
fönliche Einheit hat eine abfolut verfähnende Kraft. Der
fpefulative Begriff der Verfühnung ift der Begriff des Bei:
fies überhaupt, und zwar handelt es fich Dabei vorzugsmeile
um das Verhältniß des endlichen Geiſtes zum abfoluten Geif,
des endlichen Selbfibewußtfenns zum abfoluten Bewußtſeyn,
oder das Nefultat, daß das wirkliche Willen des Menfchen
von Gott das Wiſſen Gottes von fich felbft if. Die abſo⸗
Inte Einheit des Bewußtſeyns und Selbfibewußtfeyng, in mel:
cher das Abfolute die endlichen Subjekte, als fich felbk mil:
fende,, in fih aufnimmt, und ihre unendliche Realität und
Sreiheit beffätigt, oder das Subieft in dem Gegenftand ſei⸗
Schluß. 739
darauf hin, bie neueſte ſpekulative Verföhnungslehre und Die
mit ihr zufammenhängende Chriftologie ald die endliche, in
nes Bewußtſeyns zugleich fich felbft weiß, ift der wirkliche,
als Geiſt eriftirende Geiſt, Die fich offenbarende, den Gegens
faß durchbrechende perfönliche Gegenwart Gottes, die per:
fönliche Immanenz Gottes im Menfchen, als die wirkliche,
alles durchdringende und über alles übergreifende Perfänlich-
Reit. Diefe abfolute Wahrheit ift als unmittelbar erifiirend,
als ein für das einzelne Subjekt anfchaubarer Gegenftand,
ein einzelner wirklicher Menſch, mit der vollen Natur der
Menfchlichkeit, welcher aber zugleich die ganze Fülle der
Goͤttlichkeit, d. h. den wirklichen perfänlichen Gott in ſich
trägt, welcher alfo der fich als Gott wiffende Dienfch und der
fih als Menſch willende Gott oder Gortmenfch ift (S. 32—
105.). Die ift demnach, wie er hier entwidelt wird, der -
Begriff des hiftorifchen Chriſtus, welcher allerdings als dag
Bewußtſeyn der Verföhnung, das wahrhaft geiftige Willen
vom perfönlichen Gott, die perfünliche Immanenz Gottes im
einzelnen Menfchen, der eriftirende Gottmenfch, Fein bloßer
Mythus fenn kann. Nun fährt aber auch diefe Entwicklung
weiter fo fort (S. 127.): Der bifkorifche Chriſtus, welcher
als einzelnes Subjekt nur von wenigen gefchaut, aber nicht
als Perfon den Glaubigen gegenwärtig ift, ift auch nicht der
wirkliche Sottmenfch, nicht der Mittler, der Erlöfer, fondern
das Gegentheil von allem dem, er ift die Spike des Egois-
mus, denn er behält die ganze Fülle der Göttlichfeit, die Ofs
fenbarung und Einheit mit Gott, für ſich allein, ſtößt alle
von der Sottmenfchlichkeit aus, und gibt denen, die an ihn
glauben, nicht den Frieden, fondern die Unfeligfeit der un-
befriedigten Hoffnung und die Gewißheit der unaufldsbaren
Entzweiung mit Gott zum Lohn. Es liegt fogleich im Bes
‚ griffe des Gottmenfchen, daß er fein Welen, die Fülle der
Goͤttlichkeit, nicht in fich verfchließt, fondern mittheilt, daß
er nach der biblifchen Vorſtellung alle, die an ihn glauben,
als feine Brüder anerkennt, und. zu Kindern Gottes erhebt.
Diefe Theilnahme aller an der Perfon und der That Chriſti
47 *
740 IL Ber. 4 Rap
jeder Beziehung befriedigende Löfung des großen Räthſels
darzuftellen, mit welchem ſich ber menſchliche Geift eine fo
enthält allerdings eine Negation des einzelnen individuellen
Chriſtus in fih, ift jedoch nur dadurch eine wirkliche und
geiftige, daß fie ebenfofehr aud) die ſpecifiſche Eigenthümlich⸗
feit Ehriftt anerkennt, und ale die Brundlage dee ganzen
chriſtlichen Lebens fefthält. Das einzelne Subjeft, Chriſtus,
fieht andern GSubieften als Gegenftand gegenüber. Diefe
bloße Gegenkändlichkeit wird aber fogleich Dadurch durch⸗
broden, daß das endliche Subjekt in Chriftus zugleigh die
verfönliche Eriftenz des abfoluten Subjekts anfchaut. Hie⸗
mit iſt das Bewußtfenn, daß endliches und abfolutes Sub⸗
jeft fchlechthin von einander getrennt find, thatfächlich aufs
gehoben und widerlegt. Dieb gefchieht durch den Tod und
die Auferfiehung. Als der auferftandene ik Chriſtus, nicht
irgend ein einzelnes Subjekt, fondern das gottmenfchliche
Individuum (S. 130.). Sum Gottmenfchen im wahren Sinn
wird demnach Chriſtus erſt dadurch, daß er als einzelnes
Subjekt aufhört zu ſeyn, und zum abfoluten Subjekt wird.
Das abfolute Subjekt aber, zum Unterfchied vom einzelnen,
ti nichts anders, als der allgemeine, die Sefammtheit der
Individuen in fich begreifende Menfch. Auf diefe Weife Für
men wir Doch wieder auf den Begriff, der Gattung zurüd,
fofern fie das Allgemeine der einzelnen Subjekte ift, aber
freilich mit dem großen Unterfchied,, daß, was Die Gattung,
als folche, nur an fich enthält, in dem allgemeinen abfoluten
Subijekt durch das Selbfibemußtfenn des Geiſtes vermittelt
if. Darin befteht Daher das Weſen der Verſöhnung, daß
‚der Menfch als freies Subieft weiß, was der Menfch an fi
ift, und durch dieſes Wiffen wird die Menfchheit als Gat
tung zum Neich Gottes, zur Gemeinde. Aber wie verhält
fih nun Ehriftus, als einzelnes hiftorifches Individuum, zu
der einen und der andern Eeite, wenn doch die perfönliche
Einheit des Menfchen mit Gott, in welcher Das Weſen dei
Gottmenſchen befieht, für Ehriftus als einzelnes Subjekt nichts
fpecififches feun Tann? Ik es nicht Elar, daß fie nur dadurch
*
Schluß. 741
lange Reihe von Jahrhunderten befhäftigt hat. Sie ſollen
nur ungerechtem unb einfeitigem Tadel für den Zweck begeg-
nen, damit ihr wahres Berhältniß zu dem ganzen, ihr voran-
gehenden und fie bedingenden, Entwidlungsgange bed Dog-
ma's und ber neuefte Standpunft defielden erkannt werden
Tann. Die Arbeit des Geiftes, deſſen Aufgabe es ift, die ewi⸗
ge Wahrheit für das zeitliche Bewußtfeyn der Menichheit zu
zur fpeeififchen Eigenthümlichkeit in ihm werden kann, Daß
daffelbe Bewußtfenn, das er mit andern theilt, in allen ans
dern ein erft durch feine Vermittlung gewordenes tft, dieſes
Bewußtſeyn alfo in ihm allein mit dem abfoluten Vorzug der
Priorität iſt? Und wenn nun auch ein folches Princip des
geiftigen Lebens in feinem abfoluten Anfangspunft nur in
feiner intenfivften Stärke gedacht werden Fann, fo if doch
nicht minder wahr, wie von Schaller felbft anerfannt wird
(©. 53.), daß die Idee fi) durchgängig in diefer Weife ren»
lifirt, daß fie zuerfi an einem einzelnen Punkte hervortritt,
und von diefem aus erft ihre innerliche Fülle und Wahrheit
über viele, ein Volk, die Menfchheit, ausfchüttet. Wenn als
fo die Kirche die Perfon Chriſti als gottmenfchlich bezeichnet, fo
- meint fie damit durchaus nicht, daß mit dem Tode Ehrifti dieſe
Sottmenfchlichkeit ganz und gar aus’ der Mienfchheit vers
fchwunden fey, fondern fie hält ebenfofehr die ewige Gegen
wart Ehrifti in den Glaubigen feft, und betrachtet fich ſelbſt
als den Leib Chriſti, d. h. fie fegt dem Gottmenfchlichen bes
Individuums das Gottmenfchliche der Gattung zur Seite, oder
laͤßt vielmehr erſt in dem zum abfoluten Subjekt erhobenen Indis
viduum, alfo der Menfchheit, die Idee des Gottmenfchen fich
wahrhaft realifiren. Dieß if demnach die äußerſte Spike,
die das Dogma in feiner fpefulativen Bewegung erreicht hat.
Vergl. auh J. W. Hanne, Rationaljsmus und ſpekulative
Theologie in Braunfchweig. Ein Verſuch über das wirklis
he Verhältniß beider zum chriftlichen Glauben, nebft einer
fpekulativ-dogmatifchen Entwicklung der Menfchwerdung und
Derföhnung Gottes in ihrer Nothwendigkeit und Wirklichkeit.
Braunſchweig 1838.
142 Ill. Ber. 4. Kap.
vermitteln, wird auch Fünftig nicht ruhen, und das Mangel
hafte und Einfeitige, das auch dieſer Theorie, wie jeder menfc-
lichen anhängt, fehärfer und entfchiedener von ihr abthun, als
es fich jest fchon für das Bewußtfeyn der Zeit herausftellt,
Das aber muß jedem, welcher, dem Gange der bisherigen Un-
terfuchung gefolgt tft, Elar geworden feyn, wie dad Dogma durch
die immanente Bewegung feines Begriffs von einer Form im-
mer wieder zu einer andern fortgefrieben wird, bis endlich
auch die neuefte Theorie in die durch eine fo lange Reihe von
Sahrhunderten fortlaufende Kette der Entwidlungsmomente
als neues Glied eingreift, und an fie fich anichließt. In der
jeder VBorftellung anhängenden Negativität liegt der Impuls zu
einem weiter ftrebenden Fortjchritt, und es ift unmöglich, von
dem fpäter gewonnenen Standpunkt zu dem frühern verlaffe-
nen zurüdzulenfen, ohne mit dem Selbſtbewußtſeyn des Gei-
ſtes in Widerftreit zu fommen. Nur vorwärts geht der Zug
des Geiftes, was aber einmal in feiner Negativität erfannt
ift, bleibt ein auf immer überwundenes und aufgehobenes Mo-
ment. Diefed Streben des Geiftes, über alles blos Indivi—⸗
duelle und Subjektive, alles blos Aeufferlihe und Zufällige
binwegzufommen, um fich zum wahrhaft Allgemeinen und Ob-
jeftiven au erheben, und darum auch nichts als Wahrheit an-
zuerfennen, was ſich nicht als eine im Wefen des Geiftes felbft
begründete Wahrheit, al& ein mefentliched und nothwendiges
Moment des feines wahren Wefens fi bewußtwerdenden,
in dem fteten Wechfel ſich feßender und aufhebender Formen
den allein wahren Inhalt erftrebenden, und in der Freiheit
und Wahrheit feines Selbſtbewußtſeyns fih mit fich felbit zu-
fammenfcjließenden und verfühnenden Geiftes erkennen läßt,
zeigt fich zu Feiner andern Zeit. großartiger und bedeutunge-
voller, als in der neueften Entwidlungsperiode unſers Dog-
ma’d. Darum ift ed auch noch nie aus einem höhern und um:
fafjendern Standpunkt aufgefaßt worden, als in der neueften
Zeit, in welcher die Bhilofophie und die Theologie ſich zu dem
Schluß 743
Nefultat vereinigen, daß die hriftliche Lehre von ber Ber:
föhnung, wie fle durch die Lehre von der Perfon Chrifti, als
des Sotimenfchen, ihre nothwendige Beitimmung erhält, eben-
fofehr die höchfte Aufgabe der Spekulation, als den innerften
Mittelpunkt des in der chriftlichen Gemeinfchaft ſich ausſpre⸗
chenden chriſtlichen Bewußtſeyns in ſich begreift *).
1) Da wir ung, ſeitdem der durch die Reformation hervorge⸗
tretene Gegenfaß des Fatholifchen, und proteftantifchen Lehr:
begriffse in Beziehung auf unfer Dogma firtrt worden if
(f. oben ©. 344. f.), nicht mehr veranlaßt gefehen haben, auf
die Lehrweiſe der Eatholifchen Kirche zurückzugeben, fo kann
bier noch die Frage entfichen, wie fich. diefelbe zur neuern
Entwicflungsgefchichte unferd Doama’s verhält? In der That
aber könnte diefe Frage auch auf ſich beruhen, fo ausſchließ⸗
lich gehört die ganze Bewegung des Dogma’s mit allen fie
„ bedingenden Momenten nur der proteflantifchen Kirche an.
Um jedoch auch dieſe Geite des Dogma’s nicht unberührt zu
lofien, mag das Wenige, das etwa Beachtung verdient, da
es ſich für ein eigenes Kapitel nicht eignet, und früher noch
Eeine paflende Etelle finden Eonnte, in der Form einer Ans
merkung nod) beigebracht merden. Eine bemerfenswerthe Mo:
dififation erhielt die Darfellung unferse Dogma’s in der ka⸗
tholifchen Kirche erfi am Ende des vorigen Jahrhunderts und
zu Anfang des gegenwärtigen, als die zum ganzen Geifte
der Zeit gehörende Gleichgültigkeit gegen das Poſitive des
chrifitichen Dogma's, und die vorherrfchende Richtung auf
das Praftifche, die in der protefiantifchen Kirche fo großen
Einfluß auf die Geftaltung des Dogma’s hatte, auch der ka⸗
tholifchen Kirche fich mittheilte. Die Hand» und Lehrbücher
eines Ildefons Schwarz (Handb. der chriftlichen Relig. Erfte
Ausg. Bamıb. 1793. Fünfte 1818.), B. Salura (Neueſte Theo:
Ingie des Chriſtenthums. Ein Plan zur Reform der Theo:
Iogie und ein Verſuch, die Lehre vom Chriſtenthum auf die
urfprüngliche Sprache, Simplicität und Schönheit wieder zu⸗
- rüchzuführen. Augsb. 1800—4.), E. Klüpfel (Institutiones
theologiae dogmaticae. Wien 1807.) Dobmayer (Systema
744
theologiae eatholicae. Gulzbach 1807—19.), geben, zum Theil
unter Einwirkung Eantifcher Ideen, eine. Darftellung unfers
Dogma’s, bei welcher der Unterfchied der Eonfeffionen bei-
nahe ganz in den Hintergrund zurückritt. Nach ldefons
Schwarz a. a. O, 2r Bd, &.272. läßt fich die Möglichkeit
gar wohl denken, daß durch Leiden eines Unfchuldigen ein
Schuldiger befreit werden Einne. Wenn dem lnfchuldigen
Dadurch nichts entgehe, wenn er fich freiwillig dazu anbiete,
wenn der ganze Zweck der Strafe erreicht, ja noch vollfem:
mener erreicht werde, als durch die Beftrafung des Schul⸗
digen, wenn dadurch mehr Gutes geftiftet, Dadurch die For:
derung des Geſetzes zugleich erfüllt, aber ohne daffelbe der
böchfte Endzweck einer ganzen Geifterflaffe nicht erreicht wür⸗
de, foift eine Subftiturion gang an ihrer Stelle. Genugge:
than hat der Sohn Gottes, wie Galura den Begriff der Ge
nugthuung beftimmt (a. a. D. 5r Bd. ©. 230.), fofern er
für unfer ewiges Heil foviel gethan hat, als nothmendig if,
die Sünde mit allen ihren Solgen aufzuheben, und Gottes
Reich herzuftellen. Bon einer Nothwendigkeit der Satisfac⸗
tion Fann man nur infofern reden, fofern fie einmal gefches
ben if, und wenn fie nicht nothwendig gewefen wäre, be
Vater feines eigenen Sohnes geſchont haben würde. Die
Nothwendigkeit iſt daher nur eine hypothetiſche, Feine abſo⸗
lute. Nos, ſagt Klüpfel a. a. O. T. II. ©. 139., in rebus
istiusmodi, de quibus silet verbum Dei, indulgere nolu-
mus humanis ratiocinüs, ne videamur velle leges ‚prae-
scribere ipsit Deo. Consultius igitur ducimus, rem ar-
guere ex eventu. Es ift dieß ganz der Standpunft der pro;
teftantifchen Theologen, welche, jeder Theorie fich enthaltend,
nur das Faktum in feiner Zweckmäßigkeit nachzumeifen fu:
ten, und ihre Erörterung derfelben, wie dieß auch bei den
genannten Eatholifchen Theologen der Fall ift, nur auf Stel
len der Schrift gründeten. Auch Klee (Katholifche Dogmatif.
Mainz 1835. 22 Bd. 1. ©. 472.) beftimmt den Begriff der
Stellvertretung nur dahin, fie beftehe in nicht mehr noch we:
niger, als daß Ehriftus durch feinen leiblichen Tod den Grund
und Zuftand des geiftigen Todes aufgehoben, und deffen Zolgen
semildert habe für alle, der Intention und Suffieienz nad,
\ " N 245
und für jene der Wirklichkeit nach, welche in feinen Leib und
Geiſt ſich einſetzen laſſen, fein Leiden fich fo zu eigen zu fine
chen. Chriſtus habe nicht formell unfere Strafe als folche
erduldet, da er als Unfchuldiger Feiner formellen Strafe fäs
big fey, auch nicht materiell, da er nicht dem geiftigen To⸗
de, auch nicht der Unmwilfenheit und Begierlichkeit, verfallen
gewefen ſey. Er habe auch nicht in dem Sinne unfere Stelle
- vertreten, Daß uns Durch feine Genugthuung eo ipso Schuld
und alle Strafe erlaffen fen. (Ebenfo proteftirt auch Brenner
Kathol. Dogm. 5r Bd. 1829. ©. 36. gegen die harte Bor»
Rellung, als wenn Gott die Strafen, welche die fündigen
Menfchen hätten bezahlen follen, von dem Infchuldigen ge»
fordert hätte, um auf folche Weiſe feine Strafgerechtigfeit
zufrieden zu fielen, denn folche Ansgleichung ftreite mit Gott
und Vernunft. Chriftus babe genuggethan heiße nur, er
habe geleiftet zur Rettung der Menfchen, was Feiner aus ihnen
geleiſtet hat und leiften Eonnte). Der leibliche Tod, alles
Elend des Lebens, Unmwiffenheit und Begierlichkeit, ſeyen ges
blieben, und von der Schuld werden wir erfi durch Erfül-
lung der an uns geftellten Gorderungen, um an feiner Erlös
fungsgnade Antheil zu nehmen, frei. Das Leßtere deutet
ſchon auf die Tendenz des Katholicismus bin, neben der Sa⸗
tisfaetion Chriſti zugleich den nöthigen Raum für die Sa⸗
tisfaetionen des Menfchen felbft offen zu laffen. Noch mehr
fchließt fich Klee an die althergebrachte katholiſche Lehrweiſe
Darin an, daß er ausdrücklich auch den Begriff der satisfa-
etio superabundans wieder aufnimmt. Nicht blos hinreis
chend war die Genugthuung Ehrifti für alle Menfchen und
alle Sünden, fondern überflüßig, da fie ald Genugthuung der
Menfchheit des Sohnes Gottes unendlich, die Sünden aller
Menfchen dagegen nur endlich find, denn, wenn auch die Na⸗
tur, in welcher: der Sohn dem Leiden und Tode der Genugs
thuung fich hingegeben, das principtum quo, endlich ift, fo
haben dennoch die Handlungen Chriſti von der göttlichen
Perfon, als ihrem principtum quod, eben unendliche Form
und Dignität. Liefer iſt Dobmayer (a. a. O. T. VI.©. 354.)
in den Widerfireit des Dogma’s mit der Vernunft eingegan⸗
gen, indem er die Verſoͤhnungs⸗Idee aus dem Gefichtspunft
746
einer dreifachen Antinomie auffaßt. Aus dem Begriff Got:
tes ergibt fich die Antinomie der beiden Säge: Gott Fann
zur Vergebung der Sünden Feine andere Bedingung als die
Einnesänderung fordern, und Gott muß nebft der Sinnes-
änderung noch eine andere Senugthuung für die vorigen Sün⸗
— den von dem ſich beſſernden Sünder fordern. Sie vereini⸗
gen ſich in der Syntheſis: die Güte erläßt dem ſich beſſern⸗
den Menfchen einige Strafen, aber die Gerechtigkeit wird
andere zur fortfchreitenden Beſſerung dienliche über ihn ver
hängen. Auf der Eeite des Menfchen fieht die Antinomie
der beiden Säge: Der Menfch wird: durch fich felbft des gätt-
lichen Wohlgefallens theilhaftig, und der Menſch muß durd
fremdes Verdienft Gott wobhlgefällig werden, die Krug'ſche
Antinomie, welche auf diefelbe Weife, wie von Krug (f. oben
S. 590.), ausgeglichen wird. Aus dem Begriffe einer ftells
vertretenden Senugthuung durch Ehriftus entfpringt Die dritte,
pon der erften nicht mwefentlich verfchiedene, Antinomie der
beiden Säße: Mor Gott kann Feine fiellvertretende Genug:
thuung fattfinden, weil dadurch alle Begriffe von Verdienſt
und Belohnung“ von Schuld und Strafe, und mithin das
Gefeß von Proportion zwiſchen Moralität und Glückſeligkeit
aufgehoben wird, und Gott kann fremde Genugthuung for:
dern und annehmen, denn die Beförderung des Guten, oder
die Rettung des Menfchengefchlechts durch die Leiden eines
Unfchuldigen enthält nichts, was widerfprechend oder unge:
reimt wäre. Die Spnthefis heißt: Gott Fann die ftellvertre:
tende Genugthuung nicht als Strafe des Genugthuenden,
fondern als menfchenbeglücdende That, nicht als GSurrogat
der Perfonalpflicht, fondern als Stütze unferer Schwachheit,
und als Ermunterungsmittel unferer Thätigkeit fordern und
annehmen. Won einer auch nur der Storr’fchen ähnlichen
Theorie ift bei diefen Dogmatifern nichts zu finden. Dage
sen begegnen ung die Grundzüge einer doppelten Verſoͤh—
nungstheorie bei dem berühmten Repräfentanten der Fatho:
lifch = fpefulativen Theologie, A. Günther, in der Vorſchule
zur fpefulativen Theologie des poſitiven Chriftenthbums. In
Briefen. Zweite Abtheilung. Die Sncarnationstheorie. Wien
1329. ©. 260. f. Der eine der beiden Brieffteller trägt cine
741
Theorie vor, in welcher mit Verwerfung des rein juriftifchen
Begriffs einer ftellvertretenden Genugthuung.die Stellvertre:
tung nicht als eine Webertragung, fondern als eine Ertras
gung, und zwar nicht der Schuld, fondern der Etrafe der
Sünde aufgeftellt wird. Diefe Stellvertretung geht als Idee
urfprünglich von Gott in feiner ewigen’ Liebe aus, und der
Endzweck, welchen Gott realijiren will, iſt Inofulation des
göttlichen Lebens, d. h. der Wiedergeburt zum ewigen Leben.
Der Tod Ehrifii it nicht Die causa movens Deum, fondern
die causa medians in der Erlöfung Gott if ung nicht
gnädig, weil Chriftus unfer ift, fondern Chriſtus if unfer,
weil Gott gnädig iſt. Gegen den iuriftifchen Genugthuungs-
begriff wird eingemendet, daß der Wahlſpruch aller Juri⸗
ften: "summum Jus summa injuria zum Urtheilsfpruch der
vicarifchen Satisfaction werde, Das Necht fordere immer nur
die Beſtrafung des Schuldigen, die Beftrafung des Unſchul⸗
digen führe zum Begriff des höchfien Unrecht, damit Gott
fein Recht, das höchfte Recht, rette, was ein handgreiflicher
Widerfpruch fey. Wie die Satisfartionstheorie dem Opfer:
tode Chriſti zu viel beilege, fo thue eine andere Theorie, de=
ren Hauptgedanfe die dee reiner Vergebung ſey, zu wenig.
Gott verzeihe dem Sünder unter der einzigen Bedingung der
Befferung. Damit aber diefe Bellerung eintreten könne,
müſſe Gott jene Idee feiner reinen Sündenvergebung mit⸗
telft Verfündigung an den Dienfchen ergehen laffen, durch
den Tod Sefu, als ein finnliches Bild von der Größe der
Sünde, mittelt Anfchauung der Größe in der Strafe, fo-
fern jene ein folches Opfer erfordert, Damit diefe von der
Menfchheit hinweggenommen werden Fünnte, ohne. daß da⸗
durch die Heiligkeit und Gerechtigfeit Gottes verlegt wür⸗
de. Da aber das Grundverderben nicht blos in dem Bes
wußtſeyn, fondern im Willen, nicht blos im Unglauben, fon»
dern in der Ohnmacht Liegt, fo muß das Erldfungswerf, als
Wiedervereinigung des Geiftes mit Gott, ein Werk wefentli=
cher Mittheilung und Einpflanzung, und kann nicht das Werf
bloßer Vorweiſung oder Worbildung feyn. Die erlöfende
Kraft Ehrifi Tann daher nur in feinem Leben liegen, und
doch foll uns auf der andern Seite fein Leben nur durch fei:
748
nen Tod zu Theil werden. Der Grund hienon liegt darin,
daß der Logos Gottes bei feiner Incarnation Fein gefunde
Drgan des Menfchheitsförpers befeelte. Der Sohn Gottes
wurde als Sohn des alten Adams aus einem Weibe gebo
ren. Als heiliger Menſch aber mußte er freimillig dieſen
Leib des Todes und der Sünde als ein Opfer Gott hinge
ben, d. b. das irdifche Blut, Die Thierfeele, ausgießen,
um auf folche Weife der Gerechtigkeit genug zu thun, umd
der Liebe die Hände zu Öffnen. So gründet fich der Opfer:
tod Chriſti auf Feine unferer Vernunft unerforfchliche Eigen:
fchaft im Wefen Gottes, denn Gott ift Die Liebe, wohl aber
auf eine Eigenfchaft in der menfchlichen Natur, die wir hies
nieden nie vdllig begreifen werden, auf welche jedoch die
Schrift hinweist, wenn fie fagt: ohne Blutvergießen Feine
Vergebung, denn die Seele des Sleifches ift im Blute, und
das Blut ifis, das für die Seele verfühnt. A. a. O. ©. 270.
Es ift dieß im Ganzen derfelbe Gang, welchen die Stier⸗
fhe Theorie genommen hat, charakterifiifch aber iſt die dem
Blut zugefchriebene verfühnende Kraft, eine Vorftellung, die
um fo merfwürdiger if, da fie uns auch bei andern Eatholis
- fchen Schriftfiellern der neueften Zeit begegnet. Bei Gin:
ther felbf wird diefe Theorie nur als weitere Ausführung
der de Maiftrefchen Anficht vom Dpfer (vgl. die Abhands
lung über die Opfer im 5ten Bande der Weberfegung der
Werke de Maiſtre's S. 411. f.) gegeben, welcher zufolge die
uralte Vorftellung von der fühnenden Kraft des Bluts ihre
Wurzel in den tiefften Tiefen der menfchlichen Natur ha
ben foll. Hiemit verbindet de Maiftre die Lehre von der
Neverfibilität, daß Die Unfchuld für die Schuldigen zahlen
könne, und leitet Daraus als nächfte Folgerung ab, daß, da
einmal das Leben fchuldig fen, auch ein minder koſtbares
für ein anderes dargeboten und angenommen werden fünne,
die Lehre von der Subſtitution. Noch tiefer greift bei F.
Bander (Borlefungen Über eine Fünftige Theorie des Dpfers
oder Kultus. Münfter 1837.) diefelbe Idee in Das myſtiſche
Dunkel des Naturlebens ein. Wie nach Baader der durd
den Sündenfall in die Materie verfirickte Geiſt nur durd
bie Vermittlung der Materie fich zur freieren Thätigkeit ſei⸗
2749
nes geiftigen Lebens erheben kann, fo find insbefondere
an das Blut, fofern es der Träger des animalifchen Lebens,
ebendarum aber auch das Gefängniß des Geifimenfchen und
das Drgan des Geiftes der Sünde ift, fpiritale Potenzen
gebunden. Daher foll das Opfer durch das Vergießen des
Bluts nicht blos die an daffelbe gebundenen geiftigen und
feelifchen Kräfte, fondern auch, vermöge des folidarifchen Zu⸗
fammenhangs zwifchen allen Dingen Einer Klaffe, die noch
in der Materie befangenen geiftigen Kräfte des Opfernden,
welche fich mit dem Geopferten in Rapport gefeßt haben, be⸗
freien, und in eine höhere Region erheben, oder, was daffel-
be ift, die Wirkung haben, daß die den‘ Menfchen gefangen
haltenden unreinen Mächte von ihm auf das Genpferte abs
geleitet werden, ebendamit aber die Kräfte des Geopferten
als nährendes und befruchtendes Prineip in die Subſtanz
deffen, für den geopfert wird, eingehen — großentheils Vors
fiellungen, die uns von dem Standpunkte der neueften Phi⸗
Iofophie auf einmal wieder in die von heidnifchen Ideen ges
fchwängerte Periode des Gnofticismus und Manichäismug zu⸗
rückverfegen. Der auf die de Maiftrefche Idee gebauten,
bei Baader in Manichäismus auslaufenden Theorie ftellt
Günther zur Widerlegung eine andere gegenüber (©. 286. f.),
welche von der Grundanficht ausgeht, daß es für das reine
Geifterreich Feine Reverfibtlität oder Subftitution gebe, weil
fih die freie Caufalität und Subftanzialität, als relative
Abfolutheit, in jedem Einzelnen feindlich entgegenfege, wenn
man fich ein organifches Ganze aus den einzelnen heilen
Eonftruiren, und fo die dee einer Solidarität des Geifter-
reichd gewinnen wolle. Im Reiche reiner Geifter gebe es
wohl eine Nachahmung und Verführung, aber Feine Stelle
vertretung und Zurechnung, weil es in demfelben wohl zu
einem moralifchen Verfonalismus und zu einer Donamifchen
Hierarchie, nie aber zu einem dynamiſchen Organismus kom⸗
men Eönne, der nur im Naturleben fattfinde, weil hier all’
und jedes Einzelne nur die concrete Erfcheinung eines und
deffelben Princins und der Einen Subftanz fen, die die Eis
ne Seele aller Naturdinge fen. Aber Gott habe fich nicht
blos mit dem reinen, fondern auch mit, dem verhüllten Geis
e
fierreich, mit der Menfchheit, als der Syntheſe von Geiß
und Natur, in lebendigen Verkehr geſetzt. Diefe Syntheſe
involvirt einen lebendigen Wechfeleinfluß, eine dynamiſche
Neciproeität zwifchen den beiden Subftanzen. Das Geiker:
leben iſt Perfönlichkeit mit Selbſtbewußtſeyn, das Neaturle
ben Sattungsleben mit Bewußtfeyn. Das Individuum in
der Natur bat daher nur Werth und Bedeutung in der
Gattung und für diefelbe, und nur im Gattungsleben kann
eine Zortpflanzung und Bererbung flattfinden. Da nun die
dee von der Menfchheit als Synthefe von Geift und Natur
auch dee Gottes ift, die in der Menfchheit nur real ge
worden ift, fo erfennt Gott kraft diefer Idee den einzelnen
Menfchen nur im Ganzen feiner Gattung, und die Gattung
auch im Einzelnen, fofern diefer der Nepräfentant der Sat-
tung ſeyn kann, wie folches der Fall im Urmenſchen als Ba:
ter des ganzen Gefchlechts if. Kraft jener Idee und der
Varticipation des Geiftes am Gattungsleben mittelft Sort:
pflanzung kann es in derfelben Gattung einen doppelten An:
fang, einen doppelten Kepräfentanten geben. Ein Sohn dei
erfien Adam dem Fleifche nach Fann Vater des erfien Adam
und feiner Nachkommen dem Geifte nach werden, und fo
der Vater des Menfchengefchlechts zum Eohne des zweiten
Adam. Indem ſo der erfie und zweite Adam derfelben Sat:
tung angehören, hebt der freie Gehorſam des zweiten den
freien Ungehorſam des erftien Urmenfchen auf, und die
Menfchheit fleht als Gattung für die Anfchauung Gottes oh:
ne Widerfpruch mit Gott da. Diefer freie Willensaft des
zweiten Adam, als gänzliche Hingabe feines Daſeyns im den
Willen der Gottheit, hat nur unter der Herrfchaft jener
dee aufhebende Kraft und genugthuende Wirkung, die als
folche zugleich eine flellvertretende Genugthuung ift, weil fie
nur die Gattung vom Widerfpruch mit Gott reinigt, ohne
Gott, der jenen Gehorfam nur unter derfelben dee für den
Ungehorfam annimmt, mit fich in Widerfpruch zu fegen.
Dieß ift demnach die Günther’fche, auf der dualiftifchen Idee
des Menfchen, als eines Vereinweſens von Seift und Natur,
beruhende Satisfaetionstheorie. Was wird jedoch durch fie
gewonnen? Ihre Bafis foll ſeyn (©. 297.) die Sheilnabs
751
me der Menfchheit an dem Gattungsleben der Natur, info-
fern fie die lebendige Einheit des’ Gegenfages im Freatürlic
chen Senn iſt, nur in diefer Theilnahme bilde die Menfch-
heit ein organifches Ganze, und nur in diefem gebe es eine
Keciproeität zwifchen den Theilen und dem Ganzen, und
nur in diefer komme es fodann auch zur ethifchen Reverfibis
lität der freien Handlungen. Aber gerade hieraus erhellt
ja deutlich genug, daß die Theilnahme der Menfchheit an
dem Gattungsleben der Natur nur die äußere Bedingung ift,
unter welcher der Menfch von der Schuld und Strafe der
Sünde erlöst werden Fann. Gibt es eine Erlbſung, die der
Menfch fich nicht felbft geben, die ihm nur durch einen Er-
Löfer zu Theil werden Eann, fo kann er allerdings nur un-
ter der VBorausfesung an ihre theilhaben, daß er mit dem
Erlöfer in Gemeinfchaft flieht, alfo in denfelben organifchen
Zufammenhang hineingeftellt ift, -welchem der Erldfer ſelbſt
angehört. Allein es iſt dieß zunächft nur die äußere Seite
der Möglichkeit der Erldfung, und eine ganz andere, davon
wefentlich verfchiedene Frage if: ob überhaupt der Menfch
durch das Verdienſt eines Erlöfers erlöst werden kann, und
wenn nun der Menfch als Vereinweſen von Geift und Na-
tur definiert, und vom Geift im Gegenfas zur Natur gefagt
wird, daß er in feiner: freien Caufalität und Eubflanzialität
nur fich verfchulden, nur fi) verdienen Fann (©. 293.), fo
it ja Ear, daß ebendadurch dem Menfchen, fofern er Geift
ift, die Möglichkeit der Erlöfung an fich abgefprochen wird,
Geiſt aber bleibt der Menfch auch als Vereinweſen von Geift
und Natur, und wenn auch die Syntheſe von Geift und Na⸗
tur, die das Wefen des Menfchen ausmacht, als Verbindung
zweier Subflanzen oder Lebensprincipien, einen lebendigen
Wechfeleinfluß, eine dynamiſche Reciprocität swifchen beiden,
eine communtcatio idiomatum, involviren foll (S. 287.),
fo tft Doch nicht einzufehen, warum das Webergewicht dieier
Reeiproeität fofehr nur auf die Seite der Natur fallen foll,
daß der Menfh, um Naturweſen zu ſeyn, aufhört zu feyn,
was er als Geift if. Kann aber der Menfch, unbefchadet
feines Wefens, um den Begriff eines Naturweſens in fich zu
realifiren, aufhören zu fenn, was er als Geift in feiner freien
752
Saufalttät und Subftanzialität ik, ſo iſt ja ebendamit auch
zugegeben, daß diefer ganze Gegenſatz von Geift und Natur,
deren Synthefe der Menich fenn foll, ein durchaus fchiefer
und begriffslofer iſt. Sch habe fchon an einem andern Drte
(Gegenfat des Katholieismus und Proteflantismus. Zweite
Ausg. 1836. ©. 231. f. befonders ©. 681. f.) diefen Günther:
fchen Dualismus, und die Prineipien, auf welchen er beruht, in
‚Unterfuchung gezogen. Seitdem hat Hr. X. Günther in feiner
neueften Schrift: Die Juste-Milieus in der deutfchen Philofo:
phie gegenmwärtiger Zeit. Wien 1838. auch auf dieſe „Bemaͤn⸗
gelung” feiner Theorie Rückficht genommen. Es hat mich jedoch
der ganze meiner Schrift gewidmete Abfchnitt (S. 389-408.)
nur in der Ueberzeugung beflärkt, daß eine Theorie, bie dem
Gegenfag von Geift und Natur fo wenig auf einen Elaren
Begriff zu bringen weiß, und überall mehr auf pifante, bald
dahin bald dorthin abfpringende Phrafen, als auf eine zu
fammenhängende methodifche Entwicklung ausgeht, nicht be
rufen feyn kann, eine bedeutende Stelle in der Gefchichk
der Philofophie und Theologie einzunehmen.
NRegiſter.
A.
‚ 150. 190. f. fein Ver:
! 3% Anſelm 195. fein
entar über den Brief an
mer 190. feine Senten-
1. feine Apologia 205.
Itniß feiner Lehre zu der
,. Paulus 199.
ıl 146.
ion 264. 271. 309.
ıtion 427. 428.
27. 193. 2326. 255. 274.
62. 750.
odation 477. 523. 556.
0. 609. ihr Wahres und
reg 559,
er Gr. 2315. 217.
2 von Hales 215.
einer 67. 101. 516. 605.
, allegorifche Bedeutung
fchichte Ehriftt 467. 470.
8 345.
. 413. 84. 167. 220. 226.
147. 310. 318.
Iheit 372.
after 71.
us 73.
585.
ismus 367.
"Avaxegalaiwors nach Irenäaͤus 37,
Avrallayue 76. 80.
Antinomie der Vernunft in der
Lehre von der Verfähnung 589.
688. 746.
Anfelm von Eanterb. 12. 142. f.
fein Begriff der Satisfaetion
158. 183. 296. fein Berhältnig
zu Abälard 195. feine Satis⸗
factionstheorie von den folgen»
den Scholaftifern nicht anges
nommen 2:8. von Duns Seas
tus befiritten 253. 260. ihr Ders
bältniß zur lutherifchen 291.
296. 680. — 322. 370. 510. 541.
545. Geine Lehre Die der Bere
nunft abäquntefte Form der Bis
bellchre 672. 674. Falſche Bes
bauptungen über fie 680.
Apocha 423.
Apollinarig 110.
Apoftel 522. 524. 527. 556. 597.
602.
Arianismus 107. 269. neue Form
deffelben 623.
Ariſtoteles 231. 246.
Arminianer 367. 442. 502. das
Vermittelude ihrer Theorie,
Arriaga 345.
e, bie Lehre von ber Berföhnung. 48
754
Athanaflus 85. 94. 99. 105. 108.
112. 322.
Auferfiehung 114. Chrifti, 383.
407. 410. 470. 550. 740.
Auguſti, 18.
Yugufiin, 68. 70. f. 85. 110. 144-
161. 202. 233. 510.
2.
Baader, 5. 748.
Bähr, 17. 18. 46.
Bahrdt, 515. 523. 526.
Barclai, R. 468. |
Bafilides 24.
Baſilius der Gr. 84.
Banmgartens Erufius 20. 147.
186. 283. .
Belial 80.
Bellarmin 307. 317. 345. 349.
Bernhard von Clairvaux 190.
200. f. 205. 305.
Biel, Gabr. 271. 351.
Blondel 368.
Böhme, J. 466. 470. 474. 671.
Bonaventura 214. f. 247.
Bremer 745.
Bretfchneider 69. Schwanfen
zwiſchen Eupranat. und Nat.
611. über den Tod Jeſu 612.
Webereinfimmung mit Eteins
bart 613.
Buddeus 454.
€.
Calvin, 307. 331. 349. 367. 372.
feine Idee von der Menfchbeit
Chriſti 337. feine Polemik ge-
gen 3. Diiander 338. fein pos
Ativer Begriff der justitia 331.
Regiſter.
Chriſtenthum, feine Eigenthuͤm⸗
Camers 363.
Canz 456.
Capellus 368.
Carpow 488.
Chemniz 303.
lichkeit 138. 628. 635. eine neue
Schöpfung 723. fein Wefen und
Zweck 611. Chriſt. und Ber
nunft 150. 593. 597. 611. ald
Glückſeligkeitslehre 507. Me
taphyſik und Chriſtenthum 706.
Chriſtus ald Urmenſch 40. die
Einheit des Betrennten 126. der
- urbildlihe Menſch 130. 32.
Adam und Chriſtus 275. der
andere Adam 473. Haupt bt
Gemeinde 235. 327. der Giy
fel der Menfchheit 710. der in⸗
nere Chriſtus 469. der Glas
be 463. das Princip der Ge⸗
rechtigfeit, die justitia essen-
tialis 317.320. 322. fein himm⸗
lifches Fleifh und Blut 46.
469. Prophet 405. 473. Hobe⸗
priefter 65. 405. 11. Dominus
legis 303. thut ſich felbft genug
348. wietern Erlöfer im fecie.
Epfiem 405. ift nur Mittler
nach der menſchlichen Natır
337. iſt zum Gehorſam verben:
den 355. 481. 498. Sıı. 555
nicht verbunden 50%. fein Ge
borfam 33. 62. 280. 297. 305.
636. 332. Belohnung feines Ge⸗
borfams 531. fein Leiden‘
ſchmerz 233. Werth feines fa:
dens 238. 316. 38%. 438. 59.
fein Zod 8. 10. 23. 26. 34. all
Negifter.
- Kampf und Sieg über den Teu⸗
fel 27. 35. 43. als Opfer 55.
238. 663. als Erfak 97. feine
Seele als L£öfegeld 49. vergl.
88. 239. 604. fein Fleifch eine
Lodfpeife 75. 79. das pſycho⸗
Iogifchsfittliche Moment feines
Todes 193. 209. 405.549. fein
Tod Fein Strafleiden 440. cin
Symbol 593. nach Hegel 716.
Marbeinefe 721, Zweckmaͤßig⸗
keit und Nothwendigkeit feines
Leidens und Todes 224. 231.
247. 408. ſubjektive Nothwen⸗
digkeit feines Todes 525. 605.
Das Beifpiel feined Todes 180.
406. Hauptablicht feines Todes
602. Darftellung der Liebe und
Heiligkeit Gottes 651. Wirkun⸗
gen feines Todes 239. verfähs
nende Kraft 604. Art feines
Todes 332. Beziehung auf das
Geißerreich (f. Orig.) 540, 554.
610. Erduldung der Höllenfira-
fen 307.348. Widerfpruch zwi⸗
fchen feinem Tod und feiner
Auferficehung 383. Sein Ver:
Dienfi 248. 349. feine Geſetzes⸗
Erfüllung 356. feine Ubiquität
355. feine Fürbitte 198. feine
eminentia gratiae 237. feine
Dignität als Meligionskifter
622.639. Der bifiorifche und
urbildliche Chriftus 621. 626.
Seine Sündlichkeit 662. 665.
Die kirchliche und die ſpekula⸗
tive Chriſtologie 729. der his
fiorifche und ſpekulative Chri⸗
Aus 739.
Chryſpſtomus 103. 300.
Elemens von Alex. 50. 52.
Elemens VI. 272. 346.
Communicatio idiomatum 307.
347.
Eoneordienformel 291. 297. 322.
334. 363. 368. 372.
Eonfeffien, die aussb. und die
Apologie derfelben 289. 298.
301. 30%.
Cotta 17.
Creatur, ihr Begriff 123. ihr Un»
vermögen zur Satisfaction 221.
243. 255. zum vollflommenen
Gehorſam 484. die Beſchraͤnkt⸗
heit ihres Willens 547. 560.
ihre Einheit mit dem Wort 268.
Credere und intelligere 150.
Crell 4237. 437.f.
Eureelläus 443.
Eyrill von Aler. 102. f. 116. 148,
Eyrill von Jeruſ. 9.
D.
Dämonen 44. 48. 59. 611.
Daub 696. die Idee feiner Then-
logumena 697. ihre Einfeitige
keit 703.
Dekalogus 359.
Demofritus 472.
De Wette 595. 604. 605. 606. 607.
Dionyſius der Areop. 120. 137.
. 7122.
Dippel 472. 657. 660. feine Po⸗
lemik gegen die altteſtamentli⸗
che Religion 477.
Dobmaier 743. 745.
Döderlein 72. 80. 530. 547. 656.
Dogma, das chriſtliche in feiner
Entwicklung 11.f. 23.143.f. 742.
45 *
(2O6
Dofetismus 66. 82. 139. 143. 145.
479. der kirchlichen Lehre 616.
623. 730.
Dominicaner 270.
Dominicus a Soto 345,
Dualismus, gnofiifcher 28. von
Verſtand und Gemüth 596. die
hemmendeSchranfe der Schlei-
ermiacher’fchen Glaubenslehre
633. manichäifcher 675. 678.
neuefter Fatholifcher 752.
Duns Ecotus 217. 218. f. fein
Gegenfag zu Thomas 248.
261. befireitet die Anfelm’fche
Theorie 253. bezieht das Ver:
dienſt Chriſti nur auf die menſch⸗
liche Natur Chriſti 253. 261.
ſeine rationaliſtiſche Tendenz
258. ſeine Lehre von der Per⸗
ſon Chriſti 261. ſein höchſtes
Prineip 263. ſein Pelagianis⸗
mus 269.
Durandus de S. Forciano 270.
E. |
Eberhard 511. fpricht das Be⸗
wußtſeyn des neugewonnenen
Standpunkts aus 514. wendet
die Aecommodationstheorie an
522.
Eckermann 523. 525.
Ekhardt 366.
Engel 161. 174. 256. 279. 294.
Episcopius 443. j
Erigena, Joh. Secotus 118. f.
Charakter feines Syſtems 131.
Urtheile über ihn 136. feine
Zrinitätslehre 145. — 465. fein
Berhältniß zu Fichte 693. 696.
704. — 732.
Regiſter.
Erlbſung, Begriff 5. 89. Erik °
fungswert nad) Frenäus 3.
"ihr Prineip 107. fpekulativ
Idee derfelsen 127. nad) Ans
felm 157. Doppelte der Quäfer
468. Erlöfung und Rechtfertis
gung 469. ©. Die verwandten
Art.
Ernefii, Gegner Tbllner's 503.
552. feine Verdienſte um die
Eregefe 521. über Uccommodas
tion 558.
Eudämonismus des forin. Sy
fiems 414. der vorkant’fchen
Periode 504. 506. 565. 572%.
Eufebius von Eäfaren 99.
Eutyches 145. |
Eregefe, foeinianifche 391. ihr
Sortfchritt 521.
8.
Serrandus, Diae. 72.
Flatt, C. Ch. 583.585. 599. 616.
Formula cons. Helv. 367.
Fichte 634. feine Werföhnungs:
lehre 692. feine Uebereinſtim⸗
mung mit Seotus Erigena 693.
696. 704. feine Anficht vom
Hiſtoriſchen des Chriſtenthums
705. Einſeitigkeit ſeiner Reli⸗
gionslehre 708.
Franziſcaner 270.
Fraſſenius 345.
G.
Galura, B. 743.
Gehorſam ſ. obedientia.
Geiſt, der heilige, 41. 139. 140.
697. bei Dfiander und Ealvin
Regiſter.
343. als Gemeingeiſt 631. der
Geiſt als die abſolute Identi⸗
tät 712. als der abſolute, der
Dreieinige 712. f. der natürlis
che 715. der Proceß des Geis
ſtes 737. 745. der endliche Geiſt
- "und der abfolute 738.
- Gemeinde 714. 716. 718. 740.
Genugthuung f. Satisf. u. f. w.
Gerhard 290. 305. 307. 348. 390.
Geſetz, nad) der protefi. Lehre 302.
36. Nothwendigkeit feiner Er⸗
- füllung 361. NRelaration des
Geſetzes 416. 439. Aufhebung
des Geſetzes 653.
Gerechtigkeit, Begriff 13. 68. fo»
. -eintanifcher 374. Moment Dies
fes Begriffs für die Entwick;
lung des Satisfactionsdogma’s
27. 158. 160. 188. 219. 232.
308. 370. 650.
Glaube im proteft. Sinn 287.
294. 373. 397. 460. im focin.
397. Verhaͤltniß des ſoe. Bes
griffs zum protefl. 402. armin.
Begriff 448. 450. nach Weigel
463.
Guoſtiker 23. 51. 82. 143. 145.
470. 711. 749. die Bedeutung
Der Gnoſis 146. 465.
Gboſchel 682.
Gott, der Sohn und Geift die
Hände Gottes 41. alles in al⸗
lem 134. Menfchwerdung 164.
475. 267. nach Thomas von
Aa. 269. nach Weffel 279. nach
Schelling 710. die Ehre Got:
te8 170. feine ratio 170. fein
Broceh 170. 184. 710. 713. feir .
757
ne ewige Geburt 467. fein ab»
folutes Weſen nach Anfelm 188.
nad) Thomas und Duns Seo⸗
tus 188.263. ſoeinian. Begriff
Gottes 371. Senn Gottes nach
Fichte 693. Gott erfennt fich
ſelbſt im Menfchen 465. Der
Zorn Gottes 473. 659. 668. 674.
677. Gott ald Richter 310. als
Slaubiger 378. als Regent 415.
5413. als die moralifche Welt-
ordnung 588. Sein adäguns
tes Abbild in der Menfchheit
621. Yhyſiſcher Begriff Got⸗
te8 677. Negation Gottes 673.
678. Immanenz Gottes im Men⸗
ſchen 739.
Gottmenſch 2. 5. 7. 40. 42. 63.
83. 102. 117. 119. 717. Prin⸗
eip der Einheit Gottes und des
Menfchen 330. wiefern der@otts
menfch nothwendig 222. 260.
279. 434. fein Blut 309. fein
Tod 166. ob zu fierben fchule
dig 182.. Der fpefulative Bes
griff des Gottmenfchen 734.
738. f.
Gotti 345.
Gratia prima et secunda 257.
infusa 352.
Oregor der Gr. 68. 77. 78. f.
92. 202.
Gregor von Nazianz 85. 87. 109. '
114.
Gregor von Nyſſa 70. 73. 7%.
81. 85. 113. 277.
Gregorius de Valentia 345.
Grotius, H. 414. 443. das We⸗
fentliche feiner Theorie 419.
ii
138
ihe Unterfchied von der kirch⸗
lichen Lehre 420. von der ſo⸗
ein. 429. A553. ihr Widerfpruch
438. ihre Gegner in ber Iuth.
Kirche 454. 513. ihre Anhäns
‚ger 538. 541. 546. 609. fein ju⸗
ridifcher Formalismus 423.425.
434. 435. f. das Gegenfüd zu
feiner Theorie 676.
Gruner 532.
Bünther, U. 746. f.
9.
Hahn 639.
Safe 722.
Hafenfamp 656. f.
Hegel 147. 150. 330. feine Reli⸗
gionsphilofophie 712. die Geg⸗
ner deſſelben 723. fittliche Ein⸗
wendungen 728.
Heidenthum 2. f. beidnifcher Do⸗
ketismus 59. doketiſcher Cha⸗
rakter 83. 139.
Heiligkeit, ihre Idee 572. Hei⸗
ligkeit und Gerechtigkeit 655.
Heilmann 531.
Henke 523. 525.
Henno 345.
Hilartus, Diae. 71. von Picta⸗
vium 100, 116.
Homilien pfeudoelem. .40. f.
Huber, 1. 455.
Hugo von St. Victor 206.
Hutter 290.
J.
Jacobus de Teramo 80.
Idee, Afthetifche 595. 605. Idee
und Wirklichkeit 621. 724. bie
Negifter.
abfolute Idee 626. die Renlis
firung der dee 622. 741.
Ignatius 25.
Imperativ, der kategoriſche 574
575. 588. Widerftreit mit der
Gnade des Evangeliums 588.
Imputatio 314. 358. 368. 39%.
Imputation und Satisfaction
386.
Johannes von Damafcus 79. 91.
234.
Irenaͤus 30. 64. 67. 68. .297.
Irvingismus 665.
Iſidor von Hifpalis oder Sevilla
72. 79.
Judenthum 2.f. 477. 509. 527.
Jungfrau, die himmliſche 466.
Juriſten 419. 682. 747.
Juſtin der M. 26. 366.
Justificatio nad) Thomas-von Aa.
269. im Iuther. Spftem 313.
"318. 365.
Justitia legis 330. justitia es-
sentialis 317. 320. 322. 368.
imputativa 388. 449. 459. 463.
472. 477.
K.
Kant 14. 282. Verhältniß der
Kant'ſchen Philoſophie zumEe⸗
cinianismus 413. das Charak⸗
teriſtiſche der Kant'ſchen Phi⸗
loſ. 565.f. Kant's Lehre vom
guten und böfen Princip und
von der Verfühnung 575. ihr
Prineip 576. 578.582. ihre Ein»
feitigleit 587. f. die Kant'ſchen
Theologen 567. 584. 629. Kants
Iche interpretation 596. Kant
und Schleiermacdher 628. f.
Regiſter.
Karg, G. 353.
Koraliniov 96. 188.
Katholifen, ihre Lehre von der
Berföhnung 344. 743. ihr Per
lagianismus 350.
Kirchenzeitung, evang. 435. 672.
681.
Klaiber 641.
Klee 744.
Klüpfel, €. 743.
Knapp 530. 547. 549. 554.
Kreuz als Symbol 233,
Krug 589.
L.
Lange, J. 415. 557. 473. 477,
Lang 558. .
Law, W. 670.
£eibniz 458. 492, Leibniz Wolfe
{he Philof. 457.
Lenz 19.
£eo der Gr. 68. 72. 77.93. 116.
Leviathan 79. 225.
Licht, das innere 469. 473. 704.
Limborch 445. 2
Loͤffler 515. f. bef hränft die Suͤn⸗
Denvergebung auf die Sünden
der Heiden und Juden 527.
Inconſequenz 529. _
£ogo8 36. 38. 42. 63.541. Prin⸗
eip der Verföhnung bei Ori⸗
genes 65. bei Athanafing 95.
bei Eyrill von ler. 104. feis
ne Menfchwerdung 97.111. 131.
541.748. fein Mittleramt 605.
Lugo, Joh. de, 345.
£uther 289. 290. 298. 350. 515.
bie Iutherifchen Theologen 289.
305. 307. 454. ihr Iinterfchieb
759
von Dfiander und Ealvin 334.
361. 366. ihre Gleichgültigkeit
gegen die fombolifchskirchliche
Lehre 552. 562. Charakter des
Iuth. Lehrb. 372. feine Einfei«
tigfeit 414. feine Aeußerlich⸗
keit 462.
M.
Maiftre, de, 748.
Manichäismus 250. 510. 675. 677.
749.
Marcion 24. 28. 30. 51. 52. 79.
Marheinefe 718. 731. 735.
Medina 345.
Melanchthon 289. 343.
Menken 656. f. eigene Vorftellung
von der Sündlichfeit Chriſti
662. vom Kampf mit dem Teu⸗
fel 665. vom Sall 662. 664.
Menfch, der erſte 37. das Bild,
nach welchem er gefchaffen wur⸗
de 39. 117. 124. 269. 328. Die
Einheit der Ereatur 124. Uns
terfchied der Sefchledhter 125.
feine doppelte Natur 127.135.
fein Fall 125. 127. 273. feine
Rückkehr 133. allein das Sub⸗
jeft der Erldfung 294. Mifros
fosmus 465. der alte und der
neue Menfch 579. der Menfch
an fich 724. feine wefentliche
Einheit mit Gott 726. 734.
Menzer, B. 366. 367.
Meritum, fcholaft. Begriff 237.
245. luth. 311.
Meffinsbegriff 603. 606. 641.
Michaelis 530.539. 540. 550: feis -
ne Hypotheſe von der Exrbfüns
de 561.
760
Montanismus 41.
Monophufiten 145.
Morus 547.
Mothus, mythifche Seite des Dog»
ma's 53. 61. 143. 186. 294.
Mythen von Dfiris, Herakles
uf. w. 723.
Myſtiker, myſtiſche Anficht von
der Verföhnung 111. 236. 618.
die Myſtiker der proteft. luth.
Kirche 459. 473. die Tendenz
der Myſtik 466.
N
Natur, ihre Differenzen oder ih⸗
re vier Formen 121. 139. ihre
Zerriſſenheit eine Folge der
Sünde 125. ihre Rückkehr 134.
Natur und Geiſt 715.
Meander 20. 200.
Negation 71. 133. 134. 137. 673.
678. 687.
Neſtorius 72. 103. f. Neftorias
nismus 499.
Nitzſch, C. L. 606. C. J. 641.
Nominalismus 270. 732.
Nothwendigkeit, ihr Begriff 231.
necessitas consequentiae 253.
D.
Obedientia activa und passiva
281. 297. Berhältniß beider
305. 312. 315. 326. 330. 354.
381. die obed. act. 313. 350.
352. beftritten von Zöllner 479.
aufgegeben von Etorr, Knapp
u. A. 554. der thätige und lei-
dende Sehorfam nach Schleier:
macher 636. nach Daub 699.
nach Marheinefe 721.
Regiſter.
Oecam, W. 271.
Olevianus 366.
Opfer 5. 10. 54. 65. 88. 92. 213.
393. 443.477. jüdifche Opfer:
theorie 523. 556. 597. nenefe
Dpfertheorie kathol. Theol. 748.
Drigenes 43. feine Lehre von den
Dämonen 43. das Mangelhafte
feiner £ehre von der Erlöfung
66. 75. feine myftifchen Bor:
fiellungen 144. 554. 711.
Dftander, Andr. Hauptpunfte
feines Streits 318. fein Be
griff von der Kechtfertigung
326. von der Gerechtigkeit 340.
feine £ehre von Chriſtus 323.
vom Ebenbild Gottes 328. my:
fiifcher Charakter feiner Lehre
327.459. des Pantheismus be
fhuldigt 339. fein Verbältnif
zu Calvin 338. zu Pifcator 368.
- Weigel über ihn A64.
P.
Palacios, Mich. de 271.
Paradies 126.
Pareus 366.
Parſimonius 353.
Paulus, der Ap. 7. 72. 199. 332.
354. 398. 477. 644. feine alle
gorifirende Methode 516.
Pelagianismus 269. 350. 561.726.
Petau, Denys 18.
Petrus Lombardus 69. 79. 84.138.
.. 208. 2353. feine Sentenzen 20.
214. 248.
Pfaff 454.
Philofophie, die neuere 692. 69.
Philo 66.
Regifter.
Pifentor 350. 353. fein Verhälts
niß zu Socin 370. 380. zu Tbll⸗
ner 480. 482. 483.
Plato 522. Platonismus 696. Plas
tonismus und Ehriftenthum 120.
138.
Prädeftination 108. 154. 372. 448.
449.
Proteffantismus 81. fein Prin-
cip 287. fein Standpunft in
der Lehre von der Erlöfung und
Verſoͤhnung 295. fein Verhält-
niß zum Socianismus 371.
Q.
Quäker 467.
Quenſtedt 305. 308. 312. 348. 457.
R.
Rationalismus 587. 604. 611.
617. 679. 741.
Ravenſperger 438.
Realismus 271. 732.
Reatus poenac 242. 246.
Rechtfertigung 313. 321.325. das
Imputative und Deflaratori:
ſche 316. 332. 444. 459. 472.
Lehre Piſeators 354. der So⸗
cinianer 402. der Quäfer 470.
Merhältniß zur Sündenverge-
bung 358. 365. Rechtfertigung
und Erlöfung 469. Kant’fcher
Begriff 580. 585.
Reformation 13. 285.
Neformirte, in Frankreich 367.
die Lehre der Reform. von der
obed. activa 367.
Reinhard 530. 546. 553,
Religion 1. 287. 697. 726. 736.
761
Remissio 422. peccatorum 241.
311. 358. 368. 483. \
Robert Pulleyn 205.
©.
Sartorius 679,
Satisfactio 101. superabundans
238. 259. 264. 267. 745. 84-
tisf. und meritum 311. satisf.
solutio und remissio 422. 625.
Satisfactionstheorie 12. 18. 101.
103. Anfelm’fche 142. 156. 541.
ihr Srundbegriff 157. Die fol⸗
genden Scholaftifer 189. Bes
griff der Satisf. nach Anfelm
158. 163. 183. 188. 296. nad)
Mbälard 196. nach Thomas 237.
246. nach Duns Scotus 255.
(utherifcher 289. Lehre der Res
formatoren 272. der F.C. 291.
die Kant’fche Theorie und die
Eirchliche 580. iuriftifche Theo»
rie 682. Satisf. und Juſtifika⸗
tion im proteſt.Syſtem 313.318.
358. Beftreitung der lutheri»
fchen Satisfactionslehre 370.
374.377. Hauptmomente der
Dppofition gegen fie 370. 479.
Neuere Gegner 648. f. Tiefes
re Bedeutung diefer Lehre 690.
. ihr Verhältnig zur Hegel’fchen
Verſoͤhnungslehre 725. Das
MWiderfprechende des Satisfae⸗
tionsbegriffs 580. das Magis
iche deffelben 616. Harte Vor⸗
würfe 388. 444. 472. 475. 510.
516. 656. 660. Tas Berhälts
niß der Satisfaetionslehre zur
Schrift 599.
762
Schaller, J. 737.
Schelling 709. 713. 748, .
Sceols s dee 613.
Schleiermacher 318. 330. 614. f.
das Eigenthümliche ſeiner Glau⸗
benslehre 615. 619. 639. in der
Lehre von der Verföhnung 689.
ihr Ungenügendes 691. Die In⸗
Eongruenz des Gefchichtlichen
und Urbildlichen in der Schl.
Ehriftologie 621. Die Eonfes
‚ quenz der Principien 625. Sein
Verhältniß zu Kant 629. Vers
Ihiedene Standpunkte feiner
Schriften 634.
Echloffer über Abälard 198.
Schmid, €. Ch. €. 568. 586. 588.
Scholaſtik, ihr Charakter 142.147.
189. ihre Dialektik und Me⸗
taphyfik 154. 184. 285. ihre ra⸗
tionelle Tendenz 150. f. 185.
ihre Perioden 195. 214. ihre
Haltungsloſigkeit und ihr tranſ⸗
cendenter Dogmatismus 230.
286. ihre Einfeitigfeit 295. ih⸗
re Vorliebe für das Typiſche
156. 233. Proteſt. Scholaftis
fer 454. 514.
Schott 608.
Schubert 50%.
Schwarz, Ild. 713.
Schwarze 530. 550.
Schweizer 621.
Schwenffeld 459. feine Polemik
gegen Luther 460.
Scotiften 270. 288. 344. 348.
Geiler 530. 534. 539. 550. 552.
Semler 523. 532.
Senff 558.
Regifer.
Socianismus 371. feine Dialek:
tif 373. 377. 386. fein Refle:
zionsftandpunft 373. 376. ſei⸗
ne Ehrifiologie 409. feine Ues
. bereinkimmung mit der Kants
fhenPhilofophie 412. feine Ein-
feitigkeit 414. feine Eregefe 391.
432. Lehre der neuern Eocis
nianer451. Neuere Gegner der
foein. Lehre 537.
Socinus, $. 374. — 421. 431.
443. 495. 660.
Sohn Gottes 40. 138. 144. 165.
210.263. nach Kant 578. nad)
Daub 698. nach Schelling 700.
nach Hegel 713. feine Bezies
bung zur Creatur 268. feine
Menfchwerdung 39. 328. 466.
503. 552. 662. 701. 648.
Epalding 505.
. Stancarus 347.
Gtäudlin 585. 593. 599. 602.
GSteinbart 507. 614.
GStellvertretung 8.46. 56. 96. 277.
304. 638. 652. 685. 744. 747.
Stephanus Gobarus S5.
Steudel 644. 728.
Stier 660. 667. 748.
Storr 530. 541. 554. fein Ber:
hältniß zu Anfelm 541. zu den
Cotinianern 545. zu Grotius
538. gegen die Acceommodations⸗
idee 557. das Charakteriſtiſche
feines Standpunfts 561.
Strafe, ihr Begriff 379. 441. 478.
507. 515. 582. 687. pojitice
Strafen 454. 476. 532. Doppel»
te Art von Strafen 475. na
türliche und pofttive 508. 532.
Regiſter.
589. 647. Zweck der Strafe
Befferung 511. 518. 535. 567.
651. Unmöglichkeit der Stra»
fenaufhebung 476.518. 568. 584.
Nothwendigkeit derfelben 568.
Möglichkeit 571. Der Strafs
proceß der Liebe 683.
©traferempel 418. 422. 425. 427.
4350. 438. die Örotius’fche dee
immer wieder feftgehalten 494.
538. 541. 546.
Suarez 345.
Sünde, Anfelm’fcher Begriff 158.
187. der des Duns Scotug 250.
ein Gottesmord 308. die Ne⸗
gation Gottes 673. 675. Sün⸗
Denvergebung 356. Begriff der-
felben im N. X. 599. Unmög-
lichkeit derfelben 516. 518. 674.
Sündenvergebung und Genug⸗
nugthuung 378.421. S. V. und
Seligfeit 483. S. V. und Beſ⸗
ferung 536. Berhältniß der
Sündenvergebung zum Tode
Jeſu 40%. f. 592. Sündenver⸗
gebung Fein Gegenfland der
Spefulation 679.
Süskind 571.
Spykes 523.
Symbol 593. fombolifche Anficht
vom Tode Jeſu 442.593. 606.
von feiner Perfon 655.
Synode, die Trid. 344.
T.
Tanner 345.
Taufe, ihre Bedeutung nach Tho⸗
mas 243.
Taylor 523.
763
Zeller 523. 558. °
Zertullian 25. 52. 100. feine Chris
fiologie 40.
Teufel, fein Verhältniß zur Ver»
fühnungs= “dee 27. feine Herr⸗
fchaft und fein Recht 30. 36.
47. 68. 89. 155. 191. 200. 211.
233. 555. feine Täuſchung 34.
49. 52. 53. 73. 76. 462. fein
Kampf mit dem Erlöfer 34. 43.
461. 664. fein dualiſtiſches Vers
hältniß zu Gott 57. 69. 155.
187. Der Mörder von Anfang
an 127. Der Kerfermeifter Got»
tes 192. carnifex 307.
Theodoret 70. 85. 297.
Theologie, ihr Charakter vor der
Scholafiif 143. FEataphatifche
und apophatifche 137. Verhälts
niß der Theologie und Philo⸗
fophie 149. 458. Theologie und
Jurisprudenz 682. 688.
Theoſophie 465.
Thomas von Aq. 217. 230. f. bes
fchränft das Verdienſt Chriſti
nicht blos auf die Erbfünde 246.
fein Berhältniß zu Anfelm und
Duns Scotus 260. feine Idee
vom myſtiſchen Leib Chriſti 235.
327. fein hochſter Standpunkt
266.
Thomaſius über Origenes 61.
Thomiſten 270. 288. 344.
Tieftrunk 568. 573. 593:
Zöllner 478. fein Verhältnig zu
Piſcator 480. 482. 483. zu So⸗
ein 495. Zweck feines Angriffe
490. Moment deffelben 492.
497. fein Neftorianismus 499.
764
feine Divergenz von der kirch⸗
lichen £chre 501.
Tod als Negation 71. 133. Per»
fonificirt 96.
Tournely 345.
Zransfubflantiation 146. 152.
Trinität nach Scotus Erig. 140. .
nach Atbanafius 145. nad) An⸗
felm 165. nach &ocin 374. nach
Schleiermacher 632. nach Daub
697. nach Hegel 712.
Tzſchirner 587. 605.
u.
Unigenitus, Bulle, 272. 346.
Urfinus 366.
Uſteri 722.
V.
Valentianer 24.
Vasquez 345.
Verdienſt 235. 237. 248.
Verſohnung, Begriffs. Momen⸗
te deſſelben 9. Perioden der
Geſchichte des Dogma’s 45.
Realität des Begriffs 119. my⸗
ſtiſche Anficht 111. naturphilof.
124. 136. als Proceß in Gott
Regiſter.
170. 184. proteſt. Begriff 29.
focin. 377.395. Kant’fcher 578.
582. 587. Schleiermacher' ſcher
618. 625. 634. Bichte’fcher 692.
Daub’fcher 697. Schelling'ſcher
710. Hegel’fcher 713. 727.- Das
Weſentliche des fpekulativen
Verſoͤhnungsbegriffs 738.
Voſſins 438.
W.
Walch 301. 478.
Wegſcheider 587. 60%.
Weigel, V. 463. feine Schriften
463.
Werke 398. 450. 460. 472.
Weſſel, Joh. 276. feine Beſtim⸗
mung des flellvertretenden feis
dens 279. Moment der fiche
978. fein Begriff des Teſtaments
279. über obed. act. 281. 300.
Wichmann 50%.
Wikliff 272. das Moment der
Buße 274.
Winkelmann 366.
Wort, inneres 469.473. f. Logos.
Ziegler 17.
Drudfehler.
©. 40. t. 10. v. u. I. in welchem, als Menſchen, fi. ats Menſch
— 60. 10. 9. u. I. nimmt fi. nennt
— 152. — 1. unten |. ransfubflantiation
— 173. — 13. v. 0. l. 160. fi. 1
— 40. — 5.0.0. iſt „mit Got zu fireichen
— — — 9. v. o. l. deffelben fi. derfelben
— 638. — 12. v. u. Ber ehätige. R. der Thätige
— 641. — 10. v. o. l. s ſt. D