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Full text of "Die christliche Lehre von der Versöhnung in ihrer geschichtlichen Entwicklung"

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8001078040 


Die 
ebriftliche Lehre 


bon Der V ersöhnung 


in ihrer 
gelhichtlihen Entwicklung 


von der älteften Zeit bis auf die neuefte. 


Von 


D. Ferdinand Chriſtiau Baur, 


ordentlichem Profeſſor der evang. Theologie an der Univerſität 
zu Tübingen. 





Tübingen, 
Werlag von E& 5. Oſiauder. 
1838. 


0, £. 8: 





Druck der C. F. Oftander’ichen Buchdruderei. 


— — —— 


— 


Vorrede. 


Die Schrift, die ich hiemit in die Hände des Pub- 
likums übergebe, wünfche ich) hauptſachlich aus dem 
Geſichtspunkt eines Beitrags zu einer neuen Bearbei- 
tung der chriftlichen Dogmengefchichte beurtheilt zu ſe— 
ben. Wie vieles in dieſer, fo wichtigen, theulogifchen 
Digeiplin in materieller und formeller Hinſicht noch im- 
mer zu thun ift, kann feinem Kenner verfelben unbe- . 
fannt ſeyn. Schon was das Materielle betrifft, ift ja 
befannt genug, wie viele Theile dieſes großen Gebiets 
beinahe noch völlig unangebaut, Kay Syn von wie 
vielen Seiten ber erſt noch di Aw s * und 
tiefer gehende Quellenſtudien die fin tiali ; zu einer 
zufammenhängenden, das Ganze- nicht: blos Ammariſch, 
ſondern nach feinem fperielleren“ Inhat "umfaffenven 
Bearbeitung herbeigefchafft werben müſſen. Es Tann 
dieg nur allmälig, durch fortgefeßte Erforſchung des 
Einzelnen, gefchehen, und mie vieles, beſonders in ber 
neuern Zeit, für diefen Zweck ſchon gefchehen ift, de— 
weiſen Die zahlreichen Monographien, durch welche auch 
der Inhalt der Dogmengefchichte auf eine ſehr erwünfchte 
Weiſe bereichert worden ifl. Doch ift auch dabei auf- 
fallend, wie felten fpeciellere Unterſuchungen eine rein 

* 





IV Borrede 


dogmengefchichtliche Tendenz haben. Die Verfafler fol- 
cher, die biftorifche Theologie betreffender, Monogra= 
phien haben es, nach dem anregenden Vorgange Nean- 
der's, meiſtens vorgezogen, irgend eine beveutenvere 
ficchliche Individualität zum Gegenftand ihrer Darftel- 
lung zu wählen, und der Gewinn, welcher für Die 
Dogmengefchichte hieraus hervorgeht, befchränft fich da— 
ber auf die engbegrenzte Sphäre eines einzelnen Indi— 
viduums umd des Zeitalter8 deſſelben. Eigentlich dog- 
mengejchichtliche Monographien, in welchen die Gejchichte 
eines einzelnen Dogma's, in jeinem ganzen Umfang, ' 
durch eine zufammenhängende, joviel möglich vollftän- 
dige Entwicklung, durch alle Zeiten fortgeführt wird, 
aibt es im Grunde noch nicht, jofehr dieß zu bevauern 
if, da nur auf der Grundlage jolcher Vorarbeiten ein 
gruͤndliches Werk über Das Ganze zu erwarten ifl. Aus 
dieſem Grunde glaube ich durch vie jpecielle Bearbei- 
tung eines Dogma's, das in Den ganzen Zujammıen- 
bang ter chriſtlichen Glaubenslehre jo tief eingreift, 
und reine je dedeutende Rebe ver verichierenartigften 
Anſichten und Theorien aus ſich enwickelt but, wie Die 
chriſtliche Were von der Verſoͤhnung feine überflüj- 
Fre Arkeit unternommen zu haben. Ob es mir geluns 
gen ift, alled, was zur vollſtändigen Serdhidkte dieſes 
Soymu’s gehört, zuſammenzubringen. und michtẽ zu über- 
jeher, was mau noch beacer zu werden werten Bitte, 
mur üb dem Urtheil Anderer anbwimrlie, für Deren 
Wiirfrungen ich jede dauldat joe werde, ab fa bier 
wer ir Nurkiurung giien, u ich year mumduh muB 


Borrede v 


zur reicheren literariſchen Ausſtattung meines Buches 
haͤtte dienen koͤnnen, abſichtlich übergangen, dagegen aber 
nichts gegeben habe, was nicht auf eigenen forgfältigen 
Studien beruht, wie Die ebendeßwegen überall aus den 
Duellen beigebrachten Belege von felbft zeigen. 

Das Materielle ift jedoch nur die Eine Seite der 
Aufgabe Des Dogmenhiftoriferd, wichtiger nicht nur, fon- 
dern auch ſchwieriger ift die formelle, den vor uns lie⸗ 
genden, objektiv gegebenen, Stoff fo aufzufaffen, daß in 
der gefchichtlichen Darftellung Die innere Bewegung Des 
Begriffs felbft ſich darſtellt. Daß in dieſer Hinficht 
ganz befonderd auf dem Boden der Dogmengefchichte 
erft noch eine neue Bahn gebrochen werden muß, kann 
(don der noch immer gangbare Name diefer Wiflen- 
ſchaft zeigen, der für fich fehon-den ihrer Behandlung 
‚ noch anhaftenden Mangel zu erkennen gibt. Solange 
‚ die fogenannte Dogmengefchichte nicht zu einer Gejchichte 
des chriftlichen Dogma’3 fortgefchritten ift, hat fich in ihr 
auch aus der Vielheit und Mannigfaltigfeit des mit ih- 
tem Namen bezeichneten Stoffs die Idee der Einheit noch 
nicht entwickelt, ohne deren Bewußtfeyn ihrem Inhalt 
die wahrhaft wifjenfchaftliche Form nicht gegeben werben 
fann. Würde Schon die, die Außern Fakta zum Gegen 
ftand ihrer Darftellung nehmende, Gefchichte ihres Na— 
mens nicht würdig feyn, wenn fie nur Fakta an Fakta 
reihte, ohne in den innern Zufammenhang des Gejche- 
henen einzubringen, ſo muß diefe Forderung einer Die 
innere Einheit verfolgenden Darftellung mit um ſo größe- 
rem Recht an eine hiſtoriſche Disciplin gemacht werben, 


vi Vorrede. 


die nicht Geſchehenes, ſondern Gedachtes, nicht Aeuße⸗ 
res, ſondern Inneres, die ausgeſprochenen Gedanken des 
Geiſtes, zu ihrem unmittelbaren Objelt hat. Und doch 
it die Dogmengeſchichte in ihrer gewöhnlichen Behand⸗ 
Iungöweije Taum eiwa3 anderes, ald ein Aggregat von 
Borriellungen und Meinungen, in Anjehung welcher 
man jo ort nicht weiß, warım das Einzelne gerade an die⸗ 
jem Orte und nicht ebenjo gut an einem andern feine 
beftinnmte Stelle gefunden hat. So wenig aber geläug- 
net werben Tann, dag Einheit und Zujammenhang vie 
Seele jeder geichichtlichen Darftellung ſeyn müßen, fo mes 
nig Tann diejer wejentlichen Forderung durch jenen fub- 
jeftiven Pragmatismus Genüge gejchehen, ver an die 
Stelle der Objektivität der Gejchichte die Subjeftivität 
des darſtellenden Individuums fest, und zwar überall 
einen beſtimmten Zujammenhang nachzuweiſen fucht, 
aber ihn auch nur im Kreife äußerlicher Motive und 
innerhalb ver engen Grenzen eines beftimmten Zeitraums 
findet, und, wenn er fich am höchiten erhebt, eiwa Die 
unbeſtimmten und abftraften Kategorien des Idealismus 
und Realismus, bald .jo bald anders gewendet, in An⸗ 
wendung bringe. Nur wenn in der gefchichtlichen Dar- 
ftellung das Weſen des Geiftes jelbft, feine innere Be- 
wegung und Entwicklung, jein von Moment zu Mo- 
ment fortjchreitendes Selbſtbewußtſeyn fich Darftellt, iſt 
die wahre Objektivität der Gejchichte erfannt und auf: 
gefaßt. Dieſer Gefichtäpunft, von welchem aus es ins- 
bejondere die Aufgabe der chriftlichen Dogmengeſchichte 
iſt, Das hriftliche Dogma im Ganzen und Einzelnen 


Borrede. vn 


ſo zu behandeln, daß alle zeitlichen Veränderungen als 
bie wefenilichen und. nothwendigen Momente erfcheinen, 
burch Die fich der Begriff hindurchbewegt, um von ber 
Negativitaͤt jeder zeitlichen Form immer weiter getrieben, 
Weſentliches und Unweſentliches mit dem immer firen- 
gen Gericht des reinen Gedankens zu fcheiven, und 
durch alle Momente hindurch fich felbft. in feinem ei⸗ 
genen innerſten Weſen zu erfaflen, liegt der hier geges 
benen Darftellung zu Grunde, in der feften Ueberzeu- . 
gung, Daß mur auf dieſem Wege die Gefchishte für ven 
denfenden Geift das feyn Tann, was fie ihrer göttlis 
hen Beftimmung zufolge für ihn ſeyn foll, die Selbſt⸗ 
verfländigung der Gegenwart aus der Vergangenheit. 
Was fich bei allem Wechfel zeitlicher Formen, durch den 
natürlichen Gang der Sache jelbft, ald der wahre fub- 
flanzielle Inhalt für das Bewußtſeyn des Geiftes her- 
ausftellt, was alle vorangehenden Diomente fowohl übers 
wunden, al3 auch, als feine nothwendige Vorausſetzung, 
in fich aufgenommen Hat, kann allein als ver wefent- 
liche fubftanzielle Inhalt feftgehalten werben. Iſt dieß 
bie Aufgabe, welche eine ven Anforderungen der Wif- 
jenjchaft entfprechende Gefchichte des chriftlichen Dog- 
ma’3 in ihrem ganzen Umfange zu Iöfen Hat, fo ſey 
bier an einem Dogma, bei welchem man die Schwierig- 
keit einer foldhen Behandlungsweiſe ebenfo wenig ver- 
kennen wird, als ihre Wichtigkeit, wenigſtens ein Ver⸗ 
juch dieſer Art gemacht! 

Uebrigens bin ich mir, nach den biöher gemachten 
Erfahrungen, wohl bewußt, daß abfichtliche und unabs 


N 


vıu Borrede, 


⸗ 


fichtliche Mißverſtaͤndniſſe verſchiedener Art, und vor 
allem jene Verketzerungen, in welche Hengſtenberg mit 
feinen Genofien dad Weſen des evangelifchen Ehriften- 
thums feßt, auch bei diefer Schrift nicht ausbleiben wer- 
den. Ich weiß aber auch, daß fie dem innen Werth 
berfelben, mag verjelbe größer oder geringer ſeyn, nichts 
entziehen, und ihrer wohlwollenden Aufnahme: bei denen 
nicht im Wege fliehen Fönnen, die für ihr Urtheil in 
folchen Dingen einen andern Maaßſtab haben, ald das 
blinde Gefchrei der Eiferer. Möge mein Beftreben, auf 
dem Wege, welchen ich ald den meinigen erkenne, zur 
Förderung der Sache der evangelifchen Wahrheit in 
meinem Theile mitzuwirken, von dem höhern Segen 
des Geifted der Wahrheit begleitet ſeyn! 


Tübingen, am 2. Auguft 1838, 


— — - nn - —---- 


Inhalt. 


Einleitung . 
Die Idee der Verfähnung ber Mitielyunkt der Re⸗ 


ligion, ihre Form im Heidenthum, Judenthum und 


Chriſtenthum. 

Verhältniß der beiden Begriffe Erldſung und Bere 
fühnung, und die im Begriff der Verföhnung an fich 
enthaltenen Momente . . . 

Der Entwicklungsgang des Dogma’s im Agemeinen, 
und die Hauptperioden deſſelben 

Die Arbeiten der Vorgänger 


Erfte Periode. 
Bon der älteften Zeit bis zur Reformation 
(Standpunkt der unmittelbaren Dbiektivität.) 


Erfter Abſchnitt. 
Bon der älteften Zeit bis Anfelm von Ganterbu- 
ry, oder bis zu Dem Aufang des iwölften Jahr⸗ 
hunderts | 


Erftes Kapitel. 
Die Snoftiler, Trenäus und Drigenes 

Allgemeine, die Entwicklung des Dogma's beſtimmen⸗ 
de, Gegenfäte . 

Anfangspunft der Entwielung des Dogma’s in dem 
snoftifehen Dualismus und dem anofifchen Beerif 
der Gerechtigkeit . 

Srenäus 


Seite 

41 — 20 

1 — 5 

5: — 1 

12 — 16 
17 — 20 
23 —282 
3 —14 
233 — 67 
23 — 26 
27 — 29 
30 — 43 





x Inhalt 


Das Recht des Teufels und der Kampf des Erldſers 
mit dem Teufel . 

Die pofitive Seite der Berühnungstehse d des Seen 

Drigened . . . 

Die Weltanfchauung des Origenes 

Die Taͤuſchung des Teufels 

DVergleichung des Irenaͤus und Drigenes . . 

Die Opfer: dee des Drigenes und der Widerfpruc) 
in der Theorie deſſelben 

Die Logos = “dee des Drigenes und fein Srandpunt 
überhaupt 


Zweites æapitel. 

Die Kirchenlehrer vom vierten Jahrhun⸗ 
dert bis zum Anfang des Mittelalters. 
Die beiden Öregore von Nazianz und 
Noflfaun.f.w. Augufin, Leo der Gr., Gre⸗ 
gor der Gr. u. f. mw. >. 

MWeitere Fortbildung der Theorie des Irenaus und 

Origenes nach ihren Hauptmomenten . . 
1. Der Begriff der Gerechtigkeit 
2. Der dem Teufel gefpielte Betrug . 

3. Die Nothwendigkfeit der Erlöfung . 
- Der an diefer Theorie genommene Anftoß, Gregor von 
Nazianz 
Die Beziehung des Loſegelbs auf Gott, und die dieſe 
Beziehung vermittelnden Vorſtellungen, der ſtellver⸗ 
tende Tod als Aequivalent 
Der unendliche Werth des hottmenſchlichen Leidens 
und die aus den dogmatiſchen Streitigkeiten ſich 

ergebenden Momente . 

Das dogmatifche Bewußtſeyn der Zeit: die mopifde 

Anficht von der Verföhnung . 


Drittes Rayitel 
Johannes Seotus Erigena . 
Platonismus und Chriftenthbum . 
Das Soſtem des Scotus Erigena 


Seite 
30 — 36 
36 — 43 
43 — 67 
43 — 46 
46 — 51 
52 — 54 
54 — 65 
63 — 67 
67 — 118 
67 — 87 
68 — 73 
73 — 83 
83 — 97 
87 — 90 
90 —101 
101—108 
108—118 
118-141 
418-120 
120—124 


Inhalt. 


Die Lehre von der Erldſung und Verſoͤhnung. 

In dem abſtrakten Begriff der abfoluten Einheit kommt 
der Unterfchied noch nicht zur Realität . 

Die Bedeutung des Sceotas Erigena 


Zweiter Abfhnitt. 
Bon dem Anfang der Scholaftif (Anfelm von Can⸗ 
terbury) bis zur Reformation 


Erſtes Kapitel. 


Die Anfelm’fhe Satisfacrtionstheorie 

Sortfchritt von der mythiſchen Geflalt des Dogma's 
und der Unmittelbarkeit des kirchlichen Glaubens 
zur Dialektik und Metaphyſik des abfirakten Begriffe 

Das Recht des Teufels von Anfelm geläugnet, und 
die Nothwendigkeit der Satisfaction Durch den Be⸗ 
griff der Sünde begründet . 

Die Nothwendigkeit der Wiederberfiellung des Men 
(hen, und zwar durch den Gottmenfchen 

Die abfolute objektive Nothwendigkeit des Eribfungee 
werke . . . 

Das Mangelhafte der ſubjektiven Seite 

Die Genugthuung des Gottmenſchen beruht auf einer 
unzuläßigen Unterſcheidung . 

Die tranfeendente Metaphyſik Diefer Theorie 

Ihr Verhältniß zu der frühern Echte « 


Zwites Kapitel. 


PeterAbälard, Bernhard von Clairvaux, 
Robert Pulleon, Hugo von St. Victor, 
Petrus Lombardus . . 

Der Widerfpruch gegen die Anfelm'ſche Theorie 

Peter Abälard 

Seine Uebereinſtimmung mit Anſelm und fein Gegen» 
ſatz gu Anfelm . . 

Das dfochologifch-moralifhe Moment der giebe 

Die Idee der Gerechtigkeit . 


Seite 


14-131 


131-136 
136—141 


142— 282 


1423 — 189 


4142-154 


154— 159 
159—168 


168—179 
179—181 


181-184 
184— 186 
187—189 


189— 214 
189—190 
190-198 


191—193 
193— 196 
196198 


_ xu Inhalt. 


Bernhard von Clairvaux, als Gegner Abälard’s, für 
die alte Lehre von der Gewalt des Teufels . 

Robert Pulleyn auf Abälard’s Seite . 

Hugo von Ei. Victor. Berfchiedene Elemente feiner 
dr 0. . 

Petrus Lombardus hebt Abälard ſehr nahe, und hebt 
befonders das pſychologiſch ſiuliche Moment des 
Todes Chriſti hervrr 


Drittes Kapitel. 


Bonaventura, Thomas von Aquinum, 
Duns Scotus. — Job. Wikliff und Job. 
Weſſel. 

Die Periode der ſpftematifirenden Scolanit 

Bouarenturn . 

Annsherung um die Anſelm ſche Eatisfationstheorie 
in dem Moment der Schicklichkeit der Satisfaction, 
die nur ver einem Gottmenfchen geleiket werden 
fen . . en 

Die Satisfuction durch ein EStrafleiden >. 

Die Nethwendigkeit der Sutisfuctien. Verſchiedene 
Geñchtsrunkte: Längunng einer abfoluten Nothwens 
lit - .- 20. .. 

Themas von Ayuinuım . 

Verſchiedene Seſichtspunkte und Fragen in vetrei 
des Leidens Chrifi 

Der Leiden Chriſti als Verdienſ, — Hr 
fer umd Löſegeld . . . 

Die Wirkungen des Leidens Chrifi . 0. 

Sein: abielute Nethmendigkeit der Genusibuung 

Dani Erin! . . 

Linguet die Ummtlicdhkeit Kr Eduld un die Una)» 
Iichleit des Verdienfes 

Direkter Segenſatz zur Aufeimicen Satiefatriene 
theerie 

Die Viferenz Ned Diamad nen I. und Id Dans 
Ecatus in Hinicht der salisfactie superabandans 


214 - 282 
21+—218 
218—230 


218-222 
223-—226 


- Znbhbalk 


Die tiefere Bedeutung des Gegenſatzes diefer beiden 
Scholaftiler: die abfolute Nothwendigkeit und die 
abfolnte Freiheit in Gott . 

Uebergewicht der feotiftifchen Lehrweiſe bei den ſpatern 
Scholaſtikern: der Nominglismus .. 

Die Vorläufer der Reformation 

Joh. > 11] 3 1 #1 

Joh. Weflel .. 0. 

Die dee der freien Subjektivität . 


Zweite Bertode 
Bon der Reformation bis zur Kant’fchen 
Bhilofophie - 2 2020. 

.(Hebergang von dem Standpunkt der unmittelbar 
zen Objektivität zu dem Standpunkt der Sub» 
jektivität.) 

Erfter Abſchnitt. 
Bon der Reformation bis zur Mitte des achtzehn-— 
ten Jahrhunderts ee . 


Erftes Kapitel, 

DieReformation. Die Lehre der Eoncors 
dienformel und der ihr folgenden Im 
therifhen Theologen. Andreas Dfian- 
der und Calvin. Die Lehre der Eatholi- 
(hen Kirche . 

Die Reformation als der Fortſchritt des Geiſtes zum 

Prineip der freien Subjektivität >. 

Melanchthon und Luther . . 

Die Satisfartionstheorie der Eonsordienformel und 
ihr Verhältniß zur Anfelm’fchen . 

Die Befimmungen der lutherifchen Sheologen 

Das Moment der der Iutherifchen Theorie eigenthum. 
lichen obedientia activa 

Andreas Dfiander . 

Das Verhältniß feiner Reäiferigungelehre zur (u. 
therifchen . 


— 


Seite 


263-269 


270—272 
272—282 
273—275 


276—281 


281—282 


285—562 


285 - 477 


285—352 


285—288 
288—291 


291—304 
305—313 


313—316 
316- 331 


316— 327 


xiv Inhalt. 


Die Dfiander’fche Lehre vom Gottmenfchen 

Die Lehre Ealving von dem Gehorfam Ehrifti und 
der Einigung der Slaubigen mit Chriftus 

Die Lehre der Katholifchen Kirche, ihre Uebereinſtim⸗ 
mung mit der protekantifchen und ihre Differenz 
von berfelben . . . 

Tiefer liegender Gegenfag der beiden gehrbegriffe 


Zweites Kapitel. 
Der Widerſpruch des Joh. Pifeator . 
Die Lehre vom thuenden Gehorfam die fchwache Seite 
der Iutherifchen Satisfactionstheorie 
- Die Gründe und Argumente Pifcators gegen dieſelbe 
Nähere Erörterung der Momente des Streits zwiſchen 


Pifentor und den Iutherifchen Theologen, befonders : 


in Hinficht des Verhältniffes des boppelien Gehor. 
ſams zur Rechtfertigung . 

Meitere Gefchichte des Streits 

Vergleichung der drei Theorien, der lutheriſchen, der 
Oſiander'ſchen und der des Piſcator 


Drittes Kapitel. 
Die Lehre des Fauſtus Socinus und der 
 Soeinianer . . x 
Der eigenthümliche Charakter des Soeinianismus. 
I. Die negative Eeite der focinianifchen Lehre 
- Die foeinianifche Beftreitung der proteftantifchen 
Satisfaetionstheorie, zunächft gerichtet gegen die 
Grundlage derfelben, den Begriff der Gerechtigkeit 
Die Hauptargumente gegen die Satisfactionslehre 


Der innere Widerfpruch des Satisfactionsbegriffs 


Der Widerfpruch des thuenden und leidenden Ge: 
horfams 


Die faktifche Unmdglichteit des leidenden und chuen. 


den Gehorſams Chriſti 

Die Unvereinbarkeit der Satisfaction mit dem Ber 
griff des Menfchen, als eines ſelbutharigen und 
ſi lichen Subjekts 


Seite 
3237 —331 


331—338 


359—350 
350-352 


352—370 


352—354 
354—357 


357—366 
366— 367 


368-370 


371—414 
371-374 
374—394 


374— 377 
377—388 
877 — 380 
380—382 


382-385 


385—388 


Suhalı. 


Die abwehrende Polemik der proteh. Theologen . 
Die exregetifchen Momente der focin. Lehre . 
11. Die pofitive Seite der ſoeinianiſchen Lehre 

Die Verfihnung als Willendalt des Subjekts 

Die Neue und der Gehorfam: der rechtfertigende 
Gehorfam und der vedhtfertigende Glaube . 

Die Bermittlung der Sündenvergebung durch Chri⸗ 
ki Tod und Auferfiehung: die tubieftive Noth⸗ 
wendigkeit des Todes. 

Die, göttliche Würde Chriſti 

Der charakterifiiiche Unterfchied des foeinfanifchen 
und proteſtantiſchen Standpunkts: die Strafge⸗ 
rechtigkeit Gottes und die Seligkeit des Menſchen 


Viertes Kapitel. 
Die Theorie des Hugo Grottus. 
Der Geſichtspunkt, von welchem Grotius ausgeht, und 
die Hauptpunkte feiner Theorie . 
Ihre Berfchiedenheit von ber kirchlichen und ihre les 
bereinfiimmung mit der focinianifchen Lehre . 
hr Unterfchied von der forinianifchen und br eis 
genthümlicher Charakter . 


Bünftes Rapitel. 
oh. Erell. Die Arminianer 

Joh. Crell's Vertheidigung der focin. Lehre gegen H. 
Grotius: die Idee des Straferempeld .  . 

Die Lehre der Arminianer, auf der objektiven Seite 
jwifchen der lirchlichen Lehre und der ſoein. ver⸗ 
mittelnd 
auf der ſubjekliven an die lettere ſich anſchließend 


Sechstes Kapitel. 

Der Standpunkt des Dogma's in der 
zweiten Hälfte des ſiebzehnten und. der 
erfien des achtzehnten Jahrhunderts. 
Rückblick auf die Myſtiker. J. C. Dippel 

Die kirchliche und die focinianifch-arminianifche Theo⸗ 

1 . 


xv 

Seite 
368 391 
391—394 
25 —- 4 14 
395—396 
396— 408 


404—408 
409 -411 


411—414 


414-436 
414-419 
419 429 


429-435 
435451 . 


456-442 


4423 —448 
448—451 


451-477 


451—454 





wi Sunpatte 


Buddeus, Pfaff u... Die kelnniz⸗Welfſche Philos 
fopbie . . 
Die muftifche Seite der Entwicklung des Dogmas . 
Die Myſtiker der protett. lutheriſchen “ire . 
Schwenffeld .. - . 
Weigel . en . 
Böhme . 
‘Die Quäfer und ihre myftiſche Idee der Erloſung 
Dippel's Widerſpruch gegen das Deklaratoriſche der 
‚Rechtfertigung: das myſtiſche und das ſocinianiſche 
Element ſeiner Lehre .. 


Zweiter Abſchnitt. 
Bon J. G. Töllner bis zur Kant'ſchen Philoſophie 


Erſtes Kapitel. 


Tollner's Beſtreitung der Lehre vom 
thbuenden Bchorfam und die Gegner 
Deffelben oo. .. 

Die Bedeutung des Tollner'ſchen Angriffe 
Die Hauptargumente Tbllner's, betreffend 

4. die Perfon Ehriftt . . 

2. das Amt Chrifti en 

3. den Begriff der Genugthuung .. 


Die Aufgabe der Töllner’fchen Unterfuchung und das Ä 


Reſultat, auf welches fie führte, oder das Moment 
derfelben, in Beziehung auf die Satisfactionsthene 
rie überhaupt. . 
Der in der Töllner’fchen Unterfuchung ſich darſtellen 
de Umſchwung der dogmatiſchen Anſicht überhaupt 
Die Gegner Tbllners .. 


Zweites goͤpitel. 


Die Gegner der Genugthuungslehre 
überhaupt, Steinbart, Eberbard, 
Bahrdt, Henke, Löffler um. A. 

Die allgemeine Richtung der Zeit 


Seite 


454—459 
459-477 
459—467 
459 —463 
465 —465 
465—467 


67-471 


471-477 


478 - 562 


478—505 
478—479 


480—482 


482 - 486 
487- 488 


488 - 494 


494 - 502 
502—505 


505530 
505 —507 


Inhalt. 


Die Steinbart'ſche Glückſeligkeitslehre und ihr ſchrof⸗ 
fer Gegenſatz zur Satisfactionstheorie. 

Die Eberhard'ſche Apologie des Sokrates und ihre 
Straftheorie . . 

Der Löffler’fche Beweis der Unmbglichteit der Sin. 
Denvergebung . 

Die Vereinbarkeit dieſes Reſultats mit der gehre der 
Schrift und die Borausfegung einer Accommobation 

£öfflers eigene Vorſtellung hierüber . . .  . 


Drittes Kapitel. 

Die Vertheidiger der firhlidhen Lehre, 
Michaelis, Seiler, Döderlein, Storr 
u A.. . . 

Die andere Seite des fortſchreitenden Doamas . 
beftebend in folgenden Hauptmomenten : 

1. Die Rechtfertigung des Begriff! pofitiser Strafen 

2. Die Beflerung nicht die Urfache, fondern die 
Folge der Sündenvergebung . oo. . 

3. Die Grotius'ſche Idee des Etraferempels . 
Die Storr’fche Theorie, ihr Verhältniß zur An» 

felm’fchen und foeinianifchen Lehre, und bag 
Mangelhafte ihrer Begründung 


Zurüdführung der Theorie auf das bloße Fat: 


tum: der Tod Sefu als die zweckmäßigſte Er⸗ 

Elärung der Sündenvergebung, nach Döderlein, 
Morns, Knapp, Schwarze u. A. . 

Die Unterfcheidung eines thuenden und leiden» 

den Gchorfams auf fich beruhend . 

4. Die Accommodations⸗Idee und ihre Zuſammen⸗ 
hang mit der ganzen Anficht der Zeit 


Dritte Periode. 
Bon der Kant'ſchen Philofophie bis auf 
Die neuefte Jet .  . 2. . 


(Standpunkt den durch die Subjektinität vermit 
telten Obieftivttät.) 
*% 


zvt 
Seite 
607—511 
511-514 
514—520 


520526 
537—530 


530-562 
530-532 


552—536 
536-537 
536-540 


540— 546 
546-551 


552—554 


555—562 


563-752 


Inhalt. 


Erſtes Kapitel. 


Sant und die der Kant'ſchen Philoſo—⸗ 
„hie folgenden Theologen: Tieftrunf, 
Süskind, Stäudlim, E. Eh. Flatt u. 
— Krug. — De Rette, Bretſchneider, 
Edstt . . 

Die kritiſche Philoſophie der entfcheidende Wende 
punkt des lebergangs ven der Subjektivität zur 
Dbiektivität: ihre Bedentung für die Lehre von der 
Berföhnung . . 

Schwankende Anfichten der Kanten Theologen: 
Zieftrunf, Süstind . . . . . 

Die von Kant ſelbſt aufgeftellte Theorie . 

Beurtbeilung derfelben . . . 

Weitere Ausbildung der moralifchen Berföhnungs- 
theorie durch C. Eh. Flatt, Ständlin u. U. . 

Krug: die Antinomie der Bernunft und ihre Löſung 

: Das Berhältnig der Kant’fchen Theorie zum Faktum 
des Todes Jeſu und zur nentefinmentlichen Lehre 

Der Tod Jeſu als Symbol 

Die moralifche snterpretation Kante . 

Die Accommodations - Hppothefe, theils vermanfen, 
theils beibehalten . 

Unterfcheidung der Lehre der Apofiel von der Lehre 


Jeſu >. 
Die Lehre der Anofel, als Erjeugniß der Bei 
nifle, in weichen fie Iebtn . . . 


Die ſubjektive Nothwendigkeit des Todes Jeſun 
Die Subjektivität in ihrer Negativität und Haltungs⸗ 
loſigkeit bei Schott und Bretfchneider . . 


Zweite Kapitel. 


Die Schleiermader’fhe Glaubensleh⸗ 
re, ihre Sreunde und Gegner 

Bedeutung und Charakter der Schleiermadher’fchen 

Blaubenslehre: myſtiſche Anffaffungsmweife des Dog: 


ma’s im Gegenfag zur magifchen und empirifchen 


Eeite 


565— 618 


565567 
568—575 
575—580 
580584 


584589 
589-592 


592—605 
593 —595 
586—597 
597—602 
602— 604 


6043-605 
605—608 


608— 614 


614 - 648 


614—619 


Inhalte. xıxX 


Seite 

Nihere Beſtimmung des Begriffs der Lebensgemein- 

(haft in feinem Zuſammenhang mit der Lehre von 

der Perſon Ehriftt . 619—634 
Die geſchichtliche Eriftenz des urbildlichen Erlbſers 619—627 
Die mwefentlihe Einheit Gottes und des Menfchen 

das chriftliche Princip der Verföhnung . . 627-628 
Der Sortfchritt der Entwidlung des Dogma’s in der 
Scleiermacher’fchen Glaubenslehre und das Unge⸗ 

nügende ihres Standpunfts, befonders durch Ders 
gleihung mit dem Kant'ſchen nachgewielen . .  623—634 
Beitere Darftellung der Schleiermacher’fchen Lehre, 

von der Verfhnung . .  . 635—638 
Die beiden Hauptmomente der Schleiermacherſchen 
Glaubenslehre von den Freunden und Degnern nicht 

genug beachtet .. . 638-641 
Nitzſch: ſchwankender Begriff der Verſbhnung ..641- 642 
Steudel: Polemik gegen Schleiermacher und Annäs 

herung an ihn, Hinausgehen über die Eiechliche Lehre 642—648 


Dritted Kapitel. 

Neue Verſuche einer Verfühnungsthen 

tie, bauptfählich im Gegenſatz gegen 

die firchliche Lehre, und Dadurd ver 

anlaßte neue Rechtfertigungen der le: 

tern. Klaiber, Menfen, Stier. Die 
evang. Kirhenzeitung, Ödfhel . . 648-688 
Die Klaiberfhe Unterfuhune - 2 6644909-656 


Antithefe gegen die Eirchliche. Lehre . - 649-652 _ 
Der Tod Chriſti befreit vom Gefeg, aber nicht. durch 
Satisfaction . . » . 652— 653 


Reale Lebensmittheilung durch Chrifus 00.0. 655-654 
Das Mangelhafte diefer Darftellung ee 654-656 
Die Haſenkamp⸗Menken'ſche Verfühnungslehre 656-664 
Nachdrücklicher Widerfpruch gegen die lir chliche Sa⸗ 

tisfaktionslehre 656 - 661 
Die ſittliche Tendenz der Menken ſchen Eehre . 0... 561-664. 
Die Stier’fche Darſtelung der Lehre von der Ver⸗ 

ſoöohnung. .. 0. 6666-671 


x Inhalt. 


Der Zorn Gottes und die Nothwendigkeit des Todes 
Ehrifii, nicht im Sinne der kirchlichen Lehre 

Annäherung an J. Böhme - . 

"Reaktion der evang. Kirchenzeitung gegen: die Befireis 
ter der Firchlichen Lehre .. 

Berfuch einer neuen Begründung der Anfeihen 
Theorie . . 

Manichäifcher Charakter dieſer neuen Theorie . . 

Salfche Behauptungen über die Anfelm’fche Lehre 

Goͤſchel's Verfuch einer juriftifchen Rechtfertigung der 
Satisfactionsichre 2 0 re. 

Hauptfäge dieler Theorie . . . . . 

Unhaltbarteit derfelben . 


Viertes gapitel. 

Die neueſte Entwicklungs-Epoche Des 
Dogma's. Fichte, Daub, Hegel, Mar 
heinefe. Die Gegner der Hegel’ (hen 
Lehre. Schluß 

Die beiden Hauptmomente, das objektive und (ubiek: 
tive, oder das fpefulative und hifkorifche, in ihrer 

gegenfeitigen Beziehung . 

Das rein fpelulative oder metaphofi ſche Moment in 
feiner weitern Entwicklung 
1. in Fichte's Anweiſung zum feligen Leben -. 
2. in den Daub’fchen Theologumenn . - 
Das Verhältniß des metaphnfifchen und hiſtoriſchen 

Moments bei Fichte und Daub .. 

Die Vermittlung der beiden Momente eingeleitet durch 

ESchelling .. 

Die Vermittlung derſelben in der Segeln Bil 

foyhie . . . 

Die Darfiellung Marheinere's oo. 

Die Einwendungen der Gegner ber Hegel ſchen rehre 

Schluß .. 

Anm. über die neuere Geſchichte des Dogma's in der 
katholiſchen Kirche . ren 





Seite 


666 — 670 
670—671 


671—682 
673-674 
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684— 688 


688752 


6338— 691 


 692—696 


696—703 
705—709 
709-712 
712718 
718-722. 
723-737 
738-753 


745-752 | 


[4 


Einleitung 


— — 


Die Lehre von der Berföhnung des Menſchen mit Gott, | 
ober Gottes mit dem Menfchen, ift der Mittelpunct jeder Re 
ligion. Die allgemeine Aufgabe, welche die Religion realifis 


ren foll, erhält in dem Begriff der Verföhnung ihre tieffte 


—|nw 


und innerlichfle Bedeutung. Hat die Religion überhaupt, ih⸗ 
rem allgemeinften Begriff nad, das Verhältuig Gottes und 
des Menfchen zu ihrem Gegenftand;, fo ſtellt fich dieſes Ver⸗ 
haͤltniß fogleih als ein doppelte dar, auf der einen Seite 


als der Unterſchied des Menſchen von Gott, auf der andern 


— — — — 


— 


als die Einheit des Menſchen mit Gott. Die Beziehung, in 
welcher dieſe beiden Seiten zu einander ſtehen, gibt dem Be⸗ 
griff der Religion die Bewegung, durch welche er in ſeine 
Momente auseinandergeht, und ſich mit ſich ſelbſt vermittelt. 
Beſteht nun dieſe Vermittlung, durch welche der Begriff der 
Religion ſich ſelbſt realiſirt, darin, daß die Trennung des 
Menſchen von Gott als eine in feiner Einheit mit Gott auf⸗ 
gehobene und. ausgeglichene aufgefaßt wird, fo bezeichnet ber 
Begriff der Berfühnung den Punct, in welchem dad eine 
Moment in das andere übergeht: die Möglichkeit dieſes Ue⸗ 
bergang® aus dem Getrennifeyn von Gott in das Einsſeyn 
mit Gott fol die Lehre von der Verföhnung nachweiſen und 
zum Tlaren Bewußtfeyn bringen. Schon hieraus erhellt, daß 
alles, was die verfchledenen Religionen als weſentlich ver⸗ 


Baur, die Lehre von ber Verföhnung. 1 


2 Ginleitung. 


fihtedene Hauptformen der Religion von einander unterfchet« 
det, und in ein beſtimmtes Verhältnig zu einander fezt, ganz 
befonders in der Lehre von der Verfühnung hervortreten muß. 
Wie das Chriftenthum vom Heidenthum und Judenthum fich 
dadurch untericheidet, daß in ihm allein das PVerhältniß Des 
Menfchen zu Gott, feiner doppelten Seite nach, zu dem Ges 
genfaz der Sünde und Gnade wird, in deſſen Vermittlung . 
das Weſen der Erlöfung befteht, fo hat auch nur im Chris 
ſtenthum der Begriff der Verſöhnung feine wahrhaft reelle 
Bedeutung. Die nur im Chriftenthum in der Berfon des 
Sottmenfchen offenbar gewordene Einheit des Göttlichen und 
Menfchlichen: fchließt auch Die beiden Begriffe der Erlöfung 
und Berföhnung in ſich: was in jenen beiden andern Reli- 
gionen nur als unbeſtimmtes Bebürfniß und als dunfle Ah⸗ 
nung ſich ausfpricht, und, fo weit e8 zum Bewußtfeyn gekom⸗ 
men ift, nur in einer fehr unvollfommenen Form fich dar- 
ftellt, hat in Chriftenthbum allein feine Vollendung und Rea- 
lität in der durch Chriftus, ald dem Gottmenfchen, geftifteten 
Erlöfung und Berfühnung. Se tiefer der Zwiefpalt des Men- - 
ſchen mit fich felbft und der Gottheit, welchen die Religion 
zum Bewußtfeyn bringen muß, und in Feiner ihrer verfchledes 
nen Formen ganz unbeachtet lafien Tann, die Trennung bes 
endlichen Geiſtes vom abfoluten, in das Bewußtſeyn des 
Menſchen eingreift, deſto mehr fommt auch die Idee ber 
Berföhnung zu ihrer wahren Bedeutung, defto tiefer muß 
auch ihre Realität, die Einheit des Menfchlichen mit dem 
Söttlichen, auf welcher die Verſoͤhnung des Menfchen mit 
Gott beruht, begründet werben. Im Heidenthum, ober in 
denjenigen Formen der alten Religion, in welchen der Menfh - 
noch ganz in der Unmittelbarkeit des natürlichen Seyns fteht, 
bat auch die Idee der VBerfühnung noch ganz die Form einer 
Unmittelbarfeit, welche den Begriff eigentlich noch nicht feine 
Stelle finden läßt, indem, wo der Gegenſaz noch nicht in 
feiner Schärfe hervorgetreten if, auch von feiner Vermittlung 


Ginleitung. 3 


deſſelben, oder Feiner Verſoͤhnung, bie Rede ſeyn kann. Auf 
dem rein objectiven, das Gottesbewußtſeyn durch das Natur⸗ 
bewußtſeym vermittelnden und verhuͤllenden, Standpunct dieſer 
Form der Religion kann das Weſen der Berföhnung nur in 
dem Cinswerben des einzelnen Individuums mit dem Leben 
der Ratur, dem Zerfließen des fubjertiven perſoͤnlichen Ge⸗ 
fühl" mit dem objectiven allgemeinen Naturgefühl, in ber 
Hingabe des ganzen Weſens an das allumfafiende Cine, im 
welchem das beichränkende Bewußtſeyn der Endlichkeit aufges 
hoben iſt, beſtehen. Dieſes allgemeine Grundgefühl geftaltet 
fh in den verfhiedenen Kormen der alten Religion, ihrem 
Character gemäß, auf verichiedene Weiſe, immer aber ift das 
Höchfte, worin ſich der Menfch verföhnt, und über das Ends 
lidde zum Abfoluten erhoben weiß, nur die Einheit mit ber 
Ratur und dem allgemeinen fubftanziellen Seyn und Leben. 
Hat fi das religiöfe Bewußtfeyn zum Glauben an mythi- 
khe, von dem Boden des Naturlebens ſich Iosreißende, den 
Character menfchlicher Perfönlichkeit an fich tragende Götter 
hoben, fo tft dadurch zwar ein weiterer Schritt gefchehen, 
durch welchen die Idee der Verſöhnung dem Bewußtſeyn bed 
Menſchen näher kommen Tann, aber die Einheit des Göttli« 
den und Menfchlichen ift, foweit fie in der Anfchauung Dies 
ee mythiſchen Weſen ſich darftellt, wie es der Begriff des 
Mythiſchen von felbft mit ſich bringt, eine blos vorgeftellte 
und bifdliche, darum auch dem Menfchen noch ganz Auffer- 
lich bleibende, noch nicht zur concreten Wirklichkeit des Les 
bens und zur innern Wahrheit ded Bewußtſeyns gewordene. 
In der juͤdiſchen Religion erhebt fich das veligiöfe Bewußt⸗ 
feyn über die Natur, und der Menich ftellt fih als freies, 
perfönliches Weſen dem über der Natur ftehenden freien, per⸗ 
fönlichen Gott gegenüber, aber an die Stelle des Raturbes 
wußtſeyns tritt das Volks⸗ und Staatöbewußtfeyn, deſſen 
weſentliche Beſtimmung das Geſez if. Das von Gott ge⸗ 
offenbarte und feinem Volk als noihwendige Norm des theo⸗ 
1* 


6 Ginleitung. 


Verhaͤltniß der beiden Begriffe, durch feine erlöfende Thätig- 
keit in die Kräftigkeit feines Gottesbewußtſeyns, d. h. feine 
Unfündtichkeit und Vollkommenheit, auf, durch feine verföh> 
nende Thätigfeit in die Gemeinfchaft feiner ungetrübten Ses 
ligfeit. Da zu dem Begriff der Schuld auch der Begriff der 
Strafe gehört, fofern die Schuld an ſich nur durch Strafe 
aufgehoben werden kann, fo kann aus diefer Unterfcheidung 


leicht die Meinung entftehen, der Begriff der VBerföhnung be 


ziehe fich ebenfo auf das Aeußere, die Aufhebung des den 
äußern Zuftand des Menfchen betreffenden Strafverhältniffes, 
wie Dagegen ber Begriff der Grlöfung auf das Innere,” bie 
innere Befreiung des Menichen von der Macht und Herr 
fhaft der Sünde. Es iſt jedoch bei diefer Beftimmung bes 
Unterfchieds der Standpunet nur auf der Seite des Men⸗ 
fhen genommen, und das DVerhältniß Der beiden Begriffe ift 
vielmehr dad umgekehrte. Wenn auch der Menſch von der 
Macht und Herrichaft der Sünde befreit und aus dem Zus 
ſtand der Sünöhaftigfeit in den Zuftand einer Unfündlichkeit 
und Vollkommenheit verfezt ift, in welchem ihm die Sünde 
nur noch ald etwas Verſchwindendes anhängt, fo folgt doch 
hieraus noch Feineswegs unmittelbar, DaB er auch der Schuld 
der früher in ihm herrfchenden Sünde enthoben if. Sünde 


und Schuld verhalten fich demnach, von dieſer Seite betrach⸗ 


tet, zu einander, wie dad Verſchwindende und das Bleiben- 
‚be, und es entfteht nun erft die Brage, wie der aus dem 
Zuftande der Sünde herausgetretene Menſch fich auch feiner 
Befreiung von der Schuld der Sünde bewußt feyn könne? 
Da die Aufhebung der Eündenfchuld nur als ein Igöttlicher 
Act gedacht werden kann, fo kann ber Grund ihrer Möglich» 
keit nur in der Idee Gottes nachgewiefen werden. Während 
demnach der Begriff der Erlöfung zunächft nur auf das That⸗ 
fähliche geht, auf Die von Gott durch die Sendung des Er⸗ 
löſers getroffene Veranftaltung, durch welche im Menfchen 
eine folche geiftige Veränderung bewirkt werben fol, ver⸗ 


\ 


—f · — 


@inleitung. 7 


möge welcher er aus dem Zuſtand ber Sünde in den Zuſtand 
ber Gnade übergeht, bezieht fich der Begriff ber Berföhnung 
auf die Die Realität der Grlöfung felbft erft begruͤndende, 
fo zu fagen, melaphufifche Frage: wie fi) aus der Idee 
Gottes die Möglichkeit der Aufhebung der mit der Sünde, 
ihrer Ratur nad), verbundenen Schuld begreifen läßt? Die 
Berföhnung ift fomit eigentlich das Innere, das die Erlös 
fung, als das Aeuſſere, zur nothwendigen Borausfezung hat. 
ALS erlöste kann ſich der Menſch nur betrachten, fofern er ſich 
auch mit Gott verföhnt weiß: die Macht und Herrfchaft ber 
Eünde, mit allem, was fle zur Folge hat, if für ihn nur 
dann aufgehoben, wenn er ſich auch bewußt feyn barf, daß 
die Schuld der Sünde au in Beziehung auf fein früheres, 
dem Eintritt in die Gnade der Erlöfung vorangehendes, Les 
den von ihm genommen if. Da die VBerfühnung und Erlös 
fung nur befondere Momente der in der Berfon des Gott⸗ 
menschen fich Darftellenden Einheit des Göttlichen und Menfch- 
lichen find, fo muß ſich auch das hier entwidelte Verhäftnig 
iemer 'beiden Begriffe in der Perfon des Gottmenfchen zu er⸗ 
fennen geben. Es fpricht ſich dieß in der eigenthümlichen 
Bedeutung aus, die ber Tod Jeſu in dem allgemeinen Ber 
wußtfeyn der Chriften erhalten hat, fofern er als Die, der -. 
Aufnahme des Einzelnen in die vom Erlöfer geftiftete Lebens⸗ 
gemeinſchaft vorangehende, objective Thatfache anerkannt iſt, 
durch welche der Menfch an ſich mit Gott verföhnt if. Iſt 
Chriftus Erlöfer durch feine ganze Erfcheinung und Wirks 
ſamkeit, fo ift er Berföhner durch feinen Tod. Es ift fchon 
als die erfte Verftändigung des religiöfen Bewußtſeyns über 
bie verfchiedenen Momente, die hier zu unterfcheiden find, 
anzufehen, als die Firirung des Begriffs der Verfühnung in 
feinem Unterfchied von dem der Erlöjung, daß der Tod Jeſu 
in den Briefen des Apofteld Paulus in feiner reinen Obje⸗ 
etivität aufgefaßt ift, als das Erfte, fchlechthin Gegebene, das 
der Glaube fchon zu feiner Vorausfezung haben muß, wenn. 


Ginleiiung 


Zsiemmerhang ga werten mug, zub in weihen Eimme 
Eſers DaB Bermiiichuhe ii, woran bie Ber 


5 
$: 


für Alle geftorben it, fo find ebenbamit alle geftorben, da⸗ 
mit fie, fofern fie leben, : nicht ſich ſelbſt Leben, ſondern Dem, 
: ber für fie geftorben und auferwedt ift*, fo liegt hierin unflrei= 
tig der Begriff des flellvertretenden Todes, fein Tob ift der 
Tod aller, jedoch nur jo, daß das, was ſich in Chriflus als 


wickelten Stellvertretungs - Theorie! 

So liegt auch hier die neutefiamentliche Lehre in einer 
großartigen objectiven Einheit vor uns, als einfacher, zwar 
nad allen Seiten hin noch unbeftimmter, aber auch alle ſub⸗ 
jective Einſeitigkeit ausfchließender Ausdruck des religiöfen 
Bewußtſeyns. Die in biefer Einheit enthaltenen Richtungen 
nach der Verfchiebenheit Ihrer Momente hervortreten zu lafien 
und zum Bewußtſeyn zu bringen, um das an fi) noch Un⸗ 


Einleitung. 9 


beftimmte gu feinem beftimmten bogmatiichen Begriff und 
Ausprud zu erheben, mußte die Aufgabe des fich entwideln- 
den Dogma's feyn. An fi fchon laſſen fi, wenn wir den 
Begriff der Berföhnung entwideln, verſchiedene Richtungen 
denken, bie aus ihm hervorgehen und zu gefchichtlicher Exi⸗ 
fienz gelangen Eonnten. Der Begriff fchließt drei Momente 
in fi, beren jebes fich für fich befonders geltend machen 
fann. Als göttlicher Act Tann die Verföhnung als ein im 
Weſen Gottes felbft erfolgender Proceß genommen werden, 
durch welchen Gott fi) mit fich felbft vermittelt, um ben 
Begriff feines Weſens zu realifiren. Die Verfühnung des 
Menfchen mit Gott gefchieht, von biefem rein objectiven 
Standpunct aus betrachtet, nicht um des Menfchen, fondern 
um Gottes felbft willen, der Menfch ift verföhnt mit @ott, 
wenn Gott ſich mit ſich felbft verföhnt, den Menfchen ale 
ein Moment feines eigenen Lebensprocefies aus dem Unters 
fhiede -von ſich in die Einheit mit ſich wieder aufnimmt, 
Diefem rein obfectiven Standpunct fteht ein ebenfo rein ſub⸗ 
jectiver gegenüber, auf welchem ber Menfch die Verföhnung 
mit Gott nur innerhalb feined eigenen Selbſtbewußtſeyns 
vollzieht, und fich mit Gott verföhnt weiß, fobald er in fi 
feld das feiner Verföhnung mit Gott entgegenftehende Hins 
derniß entfernt zu haben glaubt. Die Verföhnung ift, wie 
auf jenem Standpunct ein rein göttlicher Act, fo auf dieſem 
ein rein menfchlicher: indem dem Menfchen die durdy fein 
Selbſtbewußtſeyn verbürgte Realität der Berfühnung zur ſub⸗ 
jectiven Gewißheit wird, hat fie für ihn auch göttliche Rea⸗ 
lität. Zwifchen dieſe beiden Momente, beren jedes einen 
gleich einfeitigen Begriff fefthält, fällt als drittes Moment 
dasjenige, das in dem Begriff der Verfühnung vor allem 
den Begriff der Vermittlung hervorhebt, und die ganze Bes 
deutung bed Acts der Verföhnung in eine hiftorifche That⸗ 
fache legt, die in ihrer äuſſern hiftorifchen Objectivität als bie 
nothwendige Bedingung des zwifchen Gott und dem Menichen 


10 | Ginleitung. 


erfolgenden Acts ber Berfühnung betrachtet wird. Obgleich 
aud) auf jenen beiden erſten Standpuncten die Beziehung bes 
Todes Jeſu auf den Act der Berfühnung nicht verfannt wers 
den fol, fo bat er doch als äuffere Thatfache, der Innern 
Wahrheit des Begriffs der Verſöhnung gegenüber, eine nur 
untergeorbnete Bedeutung, eine höhere felbftftändige Bedeu⸗ 
tung kann ihm nur auf diefem dritten Standpunct gegeben 
werden. In welchem Sinne aber der unter diefen Geſichts⸗ 
punct geftellte Tod Jeſu als die nothwendige Bedingung ber 
Verſöhnung bed Menfchen mit Gott betrachtet werben fol, 
ift wiederum eine Frage, welche auf verichiebene Weiſe bes 
antwortet werden kann. Soll er überhaupt als die Bebin- 
gung gelten, ohne welche dem Menfchen die Gewißheit feiner 
Berföhnung mit Gott nicht zu Theil werden kann, fo iſt es 
mehr nur ein äuſſeres Berhältniß berfelben Art, wie aud 
bei den Opfern der vorchriftlichen Religionen ftattfand, fofern 
durch fie dem Menfchen das Bewußtſeyn feiner Berföhnung 
mit Gott vermittelt werden ſollte. Der Tod Jeſu ift ale 
Berjöhnungstod ein Opfertdd, indem an ihn, wie an bie 
Dpfer der vorchriftlichen Religionen, ber Act der Verſoͤhnung 
des Menichen mit Gott geknüpft ift, und ber höhere Werth, 
welchen er ald Opfertod vor den Opfern der alten Zeit vor⸗ 
aus bat, liegt nur in der fittlichen Bedeutung, die ihm bie 
Perſon des Erlöferd gibt. Es if alſo eigentlich nur ein 
moralikher Zufammenhang, welcher dem Tod Sefu feine ci- 
genthümliche Beziehung auf deu Begriff der Berföhnung gibt. 
Die dur den Tod Sefu bewirkte fittliche Gefimmung verfezt 
den Meniihen in eine ſolche fittlihe Dispoſition, vermöge 
Welcher er für ch der Bergebung der Sünden fühig wird, 
wie aber die an der Sünde ihrer Natur nad) haftende Schuld 
an fi) aufgehoben werben kann, wird baburd noch nicht 
ar, wenn man nicht entweder auf den abfoluten Millen 
Gottes zurüdgeht, oder den Ted Se, wie er ja an ſich 
chem, feinem innern Werthe nach, alle andern Opfer unenblich 


Ginleitung. 11 


übertrifft, wegen bes innern abfoluten Werthö der zum Opfer 
fih hingebenden Perſon des Bottmenfchen in ein inneres Ver⸗ 
hältniß zu der durch ihn aufgehobenen Sündenſchuld fest. 
Es erhellt hieraus, was allein der Zweck biefer Erörtes 
rung if, wie an ſich Ichon im Begriff ber Verfühnung vers 
ſchiedene Momente enthalten find, von welchen aus das fi 
entwidelnde Dogma verichiedene Richtungen nehmen Fonnte. 
Jede diefer Richtungen fehließt den Keim einer Theorie in 
fih, die ſich auf verfchiedene Weife modificiren kann, und jede 
diefee Theorien felbft muß mit den von andern Puncten auds 
gehenden übrigen in vielfache Collifion fommen. Wie fi 
nun bie verfchiedenen an ſich möglichen Richtungen hiftoriich 
verwirklicht, und welche verichiedene Formen fie Durchlaufen 
haben, ift der Gegenftand der folgenden Unterfuchung. Sie 
fol den Begriff der Verföhnung auf dem Gebiete des chriſt⸗ 
lihen Dogma’s in feiner hiftorifchen Eriftenz verfolgen. Schon 
dadurch iſt audy als ihre Hauptaufgabe bezeichnet, das Ver⸗ 
hältniß des Begriffs zu feinen verſchiedenen Erfcheinungsfors 
men immer im Auge zu haben. Kann überhaupt der Gang, 
weichen das chriftliche Dogma in feiner gefhichtlichen Ent⸗ 
widlung genommen hat, nicht blos für etwas Zufälliges 
und Willfürliches gehalten werden, jo muß auch hier vor 
allem die innere Nothwendigfeit, welche den immanenten 
Begriff Des Dogma's getrieben hat, aus fich felbft heraus⸗ 
gehen, um fich Durch die verfchiedenen Formen feiner Ents 
wicklung hindurch in feinem wahren Weſen zu erfafien, aufs 
gewwiefen werden. Es kommt daher darauf an, in den vers 
ſchiedenen Formen, in welchen dad Dogma der Geichichte 
zufolge erfcheint, nicht blos einzelne, in zufälliger Ordnung 
neben einander ftehende, Berfuche der Geftaltung des Dogma’s 
zu fehen, fondern fte nach ihrem innern gegenfeitigen Zuſam⸗ 
menhang aufzufaflen, als Momente einer Bewegung, in wel 
chen die eine Form immer durch Die andere bedingt ift, und alle 
zufammen ihre Einheit in der Totalität des Begriffe haben. 


12 Einleitung. 


Wie der Geiſt in feiner ganzen zeitlichen Entwidlung 
von der Objectivität zur Subjectivität und von der Subiertis 
vität zur Objectivität ſich fortbeiwegt, um durch Die verſchi⸗ 
denen Momente, durch welche er fich mit fich felbft vermit⸗ 
telt, fi) von ber Unmittelbarfeit bes natürlichen Seyns zur 
wahren geiftigen Freiheit zu erheben, fo theilt ſich Die Gefchichte 
bes chriftlichen Dogma’8 überhaupt und jedes einzelnen Dog⸗ 
ma's insbefondere in verfchiebene Perioden, je nachdem ent⸗ 
weder das Moment der Objectivität ober das der Subjectis 
vität das überwiegende ift, oder beide in der höhern Einheit 
des Begriffs fich zufammenfchließen und ‚gegenfeitig durch⸗ 
dringen. Hat fidh der in der Menfchheit offenbarende göttli- 
de Geiſt zu einer neuen Form feiner gefchichtlichen Exiſtenz 
erhoben, fo muß vor allem der eigenthümliche Inhalt, wel⸗ 
hen der Begriff der Religion in diefer neuen Form in fidh 
fhließt, dem Bewußtſeyn bes Menfchen in gegenftändlicher 
Weiſe gegenübertreten. Es ift die Unmittelbarfeit des obje⸗ 
etiven gefchichtlichen Gegebenſeyns, wodurch das ganze religiöfe 
Bewußtſeyn des Menfchen beftimmt wird, und Die ganze 
Richtung des Geiftes geht dahin, ſich in die Objectivität des 
Dogma’d immer tiefer dadurch hineinzubilden, daß es als 
geſchichtliche Thatfache in dem gefchichtlihen Zufammenhang 
feiner Urfachen und Wirkungen entwidelt und in lezter Bezie- 
Hung auf einen Punct zurüdgeführt wird, von welchem aus 
ed als eine, in dem abfoluten Weſen Gotted gegründete, und 
aus demfelben mit abfoluter Rothwendigfeit hervorgehende, 
objectiv gefchichtlihe Thatfache begriffen werden kann. Diefer 
allgemeine Entwidlungsgang des Dogma's ftellt fich nirgends 
auffallender dar, als in der Lehre von der Berfühnung, de⸗ 
ren erfte Periode in der Anſelm'ſchen Satisfactiond = Theorie 
einen feftbeftimnien Punct ihrer Entwicklung erreichte und 
fih zu einer in fi) vollendeten Einheit abfchloß, und alle 
Elemente, welche, wie dieß in ber erften Periode der Ent⸗ 
widlung bed chriftlichen Dogma’s, ber Natur der Sache nach, 


Ginleitung. 13 


geſchehen mußte, aus dem Heibenihum und Judenthum in 
das chriftliche Dogma herüberfamen, und auf feine Geſtal⸗ 
tung einwfrkten, bienten nur dazu, die fi) bildende Theorie 
dem Ziele zuzuführen, auf welches fie.fehon ihrer urfprünglis 
hen Tendenz nach hinftreben mußte. Da es in dieſer gan⸗ 
zen Periode ſich nur darum handelte, die Berföhnung in ih⸗ 
ter äußern gefchichtlichen Objectivität und abfoluten Nothwen⸗ 
digfeit aufzufafien, fo Fonnte der Grundbegriff, an welchem 
ſich dieſe erfte Theorie entwidelte, nur der Begriff der Ge⸗ 
techtigfeit feyn, deſſen beide Momente, Schuld und Strafe, 
den Inhalt des Dogma's von felbft in ben geichichtlichen 
Zuſammenhang auseinanderlegten,, ohne welchen feine inmere 
Wahrheit nicht gedacht werden Eonnte. Die zweite Beriode 
fuhr zwar fort, den Satisfactionsbegriff in feiner reinen Ob⸗ 
jectivität - weiter auszubilden und unter ‚Die verſchiedenen Ge⸗ 
fihtöpunete, die fich der dialectiſchen Reflexion darboten, zu 
ftellen, allein es erwachte nun auch ſchon der Zweifel an 
feiner objectiven Realität. Der überwiegenden Macht, mit 
welcher das Satisfactionsdogma in feiner ganzen Gonfequenz 
dem ſubjectiven Bewußtſeyn gegenüberftund, entzog man fidy 
dadurch, daß man gleichjam von der abſoluten Gerechtigkeit 
an die ſchlechthin über allen göttlichen Eigenſchaften ftehende 
Allmacht Gottes appellirte, und ber abfoluten Nothwendig⸗ 
feit, wenigſtens im göttlichen Weſen felbft, die abfolute ſub⸗ 
jective Freiheit Gottes gegenüberftellte. In dieſer Form trat 
das Moment der Subjectivität zuerft in die Geſchichte dieſes 
Dogma's ein, aber erft die Reformation konnte es zu feinem 
vollen Rechte kommen laffen. Der Uebergang von dem 
Standpunct der Objectivität auf den der Subjectivität fpricht 
fh einfach darin aus, daß, während auf der objectiwen, im 
Satisfactionsdogma ſich darſtellenden, Seite nur Gott es if, 
welcher fich mit dem Menfchen verfähnt, num umgefehrt, vom 
jubjectiven Gefichtspunct aus, nur in dem mit Gott fich ver 
föhnenden Menfchen der eigentliche Proceß der Berföhnung 


16 Ginleitung. 


hunderts, ſtehen ſich die beiden Momente ber Objectivität 
und Enbiechivität in den verfchiebenen, mit einander in Con⸗ 
fliet kommenden, Theorien in gleicher Bedeutung gegenüber. 
Nach der Mitte des achtzehmen Jahrhunderts aber beginnt 
die Zeit der immer einfeitiger hervortretenden Subjectivität. 

3. Die Berlode von der Sant’ichen Bhilofophie bis in die 
neuefte Zeit, Periode der zur Objectivität ſich zurüdiwenben- 
den Subjecivität. Die drei oben genannten Momente thei- 
len diefe, dem Umfang nach zwar kurze aber ſehr inhaltreiche, 
Beriode in ebenfo viele Abfchnitte. 

Ein Dogma, das mit dem Weſen und Character bes 
Ehriftenthums in fo engem Zufammenhang fteht, wie bie 
Lehre von der Berfühnung, mußte zu allen Zeiten al3 eine 
weſentliche Grundlehre des Chriftenthums betrachtet werden. 
Ueberbliden wir aber den ganzen zeitlichen Berlauf deſſelben, 
fo zeigt fi) uns auch in dieſer Hinficht eine merkwürdige 
Differenz zwifchen ben, beiden äufferften Grenzpuncten befiel- 
ben. Die Entwidlung bed Dogma’d beginnt an einem fehr 
Aufjerlichen und unweſentlichen Bunct, der in der Folge nicht 
mehr als ein befonderes Moment des chriftlihen Bewußt⸗ 
ſeyns feftgehalten wurbe, fie rüdt hierauf zwar dem eigent« 
lichen Mittelpunct des Chriſtenthums näher, aber gleichwohl 
wird das MWefentliche der Berföhnung nur in eine einzelne bes 
ſtimmte Thatfache gefezt, zulezt aber wird der Begriff der 
Berföhnung fo beftimmt, daß er mit dem Begriff des Chri- 
ftenthums und des Gottmenfchen zufammenfält, und nur in 
dieſer weientlichen Gleichftelung mit dem abfoluten Inhalt 
des Chriſtenthums felbft auf feinen wahren, vollfommen abä- 
quaten, Ausdrud gebracht ift. In dieſer Zurüdführung des 
Aeuſſern auf das Innere, des Einzelnen auf das Allgemeine, 
geigt fich das durch allen Wechfel der Zeiten und Formen hin⸗ 
Durchgehende Streben des Geiftes, fich des objectiven Inhalts 
des Dogma’s zu bemächtigen, und es in feinem ganzen Um⸗ 
fange mit ber Kraft des Selbſtbewußtſeyns zu burchdringen. 


Ä 


Ginleitung. 17 


Obgleich eine. Eritifche ©efchichte des chriſtlichen Dogma’s 
überhaupt eine. noch nicht gelöste Aufgabe if, fo muß es 
doch befremden, wie. wenig eine fo. weſentliche Lehre bes 
Chriſtenthums, die in Hinficht Des Reichthums der gefchichte 
lichen Entwidlung feiner andern nachſteht, und Elarer und 
beftimmter,. ald Die meiften andern Dogmen, ben fortfchreiten« 
ben Entwidlungsgang des chriftlichen Dogma’s verfolgen 
läßt, bisher Gegenftand einer befondern Behandlung gewors 
ben if. Es mag bieß zum Theil darin feinen Grund haben, 
daß es niemals eine Firchliche Streitigfeit gab, welche die 
Aufmerkſamkeit auf dieſe Lehre und den in Beziehung auf 
fie Ratifindenden Gegenfaz der Anfichten befonders hingelentt 
hätte. ebenfalls find die die Geſchichte derfelben betreffen- 
den Arbeiten der Borgänger theild an ſich höchſt unbedeus 
tend, theils nur auf einen Fürzern Zeitraum befchränft, wie 
namentlich die academifchen Schriften von Cotta !) und Zieg« 
ler 2), und die über die Periode der drei erften Sahrbunderte 
nicht hinausgehende Schrift von Bähr 9. Den Geift der 
Behandlung aber, welche größtentheild nur in einer Auffern 
Aneinanderreihung und philologifchen Erklärung der betreffen- 
den Stellen befteht, .mag die wiederholte Klage Ziegler’8 über 
den Fürwiz der Kirchenlehrer, die der reinchriſtlichen Verſöh⸗ 


4) Dissertatio, historiam doctrinae de redemtione ecclesiae, 
sanguine Jesu Christi facta, exhibens,, in der Eotta’fchen 
Ausgabe der Gerhard’fchen Loci theol. T.IV. ©. 105—132. 


2) Historia dogmatis de redemtione, sive de modis, quibus 
redemtio Christi explicabatur, quorum unus jam satis- 
factionis nomine insignitus haesit, inde ab ecclesiae pri- 
mordiis usque ad Lutheri tempora. Gött. 1791. In den 
Comment. theol. ed. a Velthusen u. f. w. T.V. ©. 227 ff. 


3) Die Lehre der Kirche vom Tode Jeſu in den erfien drei 

Jaahrhunderten vollkändig und mit befonderer Berückſichti⸗ 
gung der Lehre von der fiellvertretenden Senugthuuns. 
Sulzbach 1832. 


Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 2 


18 Ginleitung. 


nimgslehre gleichfam ihre Unſchuld geraubt, und fle in eine 
Reihe kühner Hypotheien und der Gottheit unwürbiger Bor- 
ftellungen hineingezogen haben *), und die Beruhigung bezeu- 
gen, welche Bähr bei jedem Kirchenlehrer der erften Drei 
Sahrhunderte immer wieder darin findet, daß auch er noch 
nichts von der satisfactio vicaria gewußt habe 2). Diefelbe 
unmännliche Scheu vor allem, was den Glauben feiner Un⸗ 
mittelbarfeit zu entrüden droht, bie fich immer wieder in fo 
verfchiedenen Wendungen ausfpricht! Wie wenn das Uns 
glüd fo groß wäre, in den Unterſchied der verſchiedenen Mo- 
mente, die die nothwendigen Beftimmungen des Begriffs find, 
und in die Gegenſaze einzugehen, deren fish der Geift früher 
ober fpäter bewußt werden muß, wenn ihm nicht Die lebendige 
Bewegung zu feiner Innern Wahrheit und geiftigen Freiheit 
abgefchnitten feyn fol, zu deren Ueberwindung er aber auch 
alle Kraft in fi trägt. Was die allgemeinen Bearbeitungen 
der Dogmengefchichte darbieten, ift im Ganzen ebenſo uner- 
heblih. Das befannte Werk von Denys Petau *) hat hier 
nicht einmal den Werth einer reichen Materialien-Sammılung, 
und die neueren Lehrbücher ber Dogmengefchichte von Augufti ®), 


1) Utinam substitissent, heißt e8 3. B. ©. 245., veleris ec- 
clestae doctores in doctrinae christianae de redemtione 
summa, — nee — ad ideas delapsi essent summa Dei 
benignitate et majestate parum dignas ! Wie cinfach wäre 
doch der Weg zum Ziel, aber auch wie geiftlos einfürmig 
der Gang der Gefchichte, wenn folche fromme Wünfche e3 je 
vermocht hätten, ihr ihren Weg vorzufchreiben ! 

2) Dan vgl. 3. B. ©. 27. 28. 34. 37. 54. u. ſ. m. 

3) Dion. Petavii opus de theologicis dogmatibus. Antw. 1700. 
De intarnat. Lib. XII. T. VI. ©. sıf. Das Wefentliche 
des Dogma’s, die Satisfactionslehre, iſt neben vielen un⸗ 
erheblichen Lehrbekimmungen fehr kurz behandelt. 

4) Lehrb. der chr. Dogmengeſch. Vierte Ausg. 1835. ©. 360 
— 366. 


Einleitung. 19 


Ränfcher *), Lenb 2) u. U. tragen gerade in biefer Leh⸗ 
, wenn nicht in höherem Grade, doch wenigſtend ebenfo 


4). Lehrb. der hr. Dogmengeſch. Dritte Aufl. mit Belegen 
aus den Quellenfchriften, Ergänzungen der Literatur, hiſto⸗ 
sifchen Noten, u. Fortſezungen verfehen von D. D. v. CEbllu. 
Erſte Hälfte 1832. Zweite Hälfte erfie Abth. 1834. Daß 
das obige Urtbeil nur von dem Texte des Lehebochs gilt, 
verſteht fich won felbt. In dem größeren Werke (Bb. 3; 
Zweite Aufl. 1804. ©. 219.) bemerkt Münfcber: „Nirgends 
erſcheint der Lehrbegriff der alten Chriſten ſchwankender 
und unbefimmter, als bei ſolchen Puneten, die nicht durch 
Streitigkeiten hervorgezogen, :oder durch andere befondere. 
Urſachen zur Unterfuchung gebracht wurden. Diefes trifft 
ganz für die Lehre von den Abfichten und Wirkungen des 
Todes Jeſu ein, — die Kirchenlchrer gehen mehr allgenei⸗ 
ne Lobpreifungen als genaue Entwidlung, und [WIDE da, wo 
fie fich auf die Teste einlaffen au wollen Icheinön, reden fie 
mehrentheils unberimmt und find nicht einmal ſelbſt mit 
fich einig._ Deswegen ift es unmöglich, die Gefchichte die 
ſes Dogma’s nach einem fehlen Zaden fortzufähren, und 
man muß fich begnügen, Die einzelnen Aeufferungen der 
Lehrer zufammenzuftellen.” Münſcher fagt dieß zwar zunaͤchſt 
nur von den Schriftſtellern der erſten Periode, mit demfel- 
ben Recht kann aber diefes, den bisherigen Standpunet ber 
zeichnende, Urtheil auch noch von den Kirchenlehrern der 
folgenden Zeit gelten. im fo mehr kommt es demnach dar» 
auf an, den ohne Zweifel auch hier objectiv vorhandenen 
Saden aufzufinden, an welchem die Entwidlungsgefchichte 
des Dogma’s fich anfpinnt und fortläuft. 


2) Gefchichte der chriftlichen Dosmen in pragmatiicher Ent» 
wicklung. Erfier Theil 1834. Zweiter Theil 1835. Der Verf. 
kommt nad) feinem Plan erft in der fünften Periode (von 
der Scholaftil bis zur Reformation) auf die Lehre von der 
Erlöfung, und behandelt fie Th.2. ©. 58 — 65., womit im. 
Srunde das Ganze abgethan ift, indem fie in der Folge 
nur noch gelegentlich kurz berührt wirb. 


2% 


20 & in Leitung 


ſehr als font irgendwo, ihre Weufferlichfeit und: Ober 
lichkeit zur Schau. Huch das gelehrte Werk von Baus 
ten» Erufius, fo viele trefflihe Notizen ımb Bemerkung: 
auch bier enthält, bleibt in dem ohnebieß ſehr beichrä 
Raum, welcher einer fo reichhaltigen Lehre gewidme 
zu ſehr theils im Allgemeinen fichen, theild am Einz 
hängen, ohne eine Elare und anfchaulidhe Vorſtellung 
den Hauptmomenten bes Gntwidlungsganges bed Dog 
im Ganzen zu geben *). Darum liegt hier noch immeı 
jedem, die Aufgabe ber Zeit Fennenden, Geſchichtsforſche 
weites und ergiebiges Gelb ber Sorfhung. 


4) Lehrbuch der er. Dogmengefh. 1832. ©. 1152 — 117 

Aus Neander’s Geſch. der chr. Rel. u. Kirche gehört bi. 
:.:: ‚eigentlich nur Bd. I. ©. 1065—1070. hieher, da in dei 

genden Bänden die. Lehre von der Erlöfung nicht meh 

beſonderes Lehrſtück behandelt ik, zum deutlichen Be 
wie wenig auch in einem Werke, wie das Neander’fch 
‚bie nur als Theil des Ganzen: der Kirchengefchichte b 
delte Entwidlungsgefchichte des Dogma’s zu ihrem 9 
tkommen Tann, — Die Literatur-der Gefchichte des Do; 
gibt am volltändigken. Chr. D. Berl Comm. hist. decı 

‚ehr. et form. Luth. 184. ©. 518 — 555, 


.. 








ERSTE PERIODE. 


Boa ber älteften Zeit bis zur 
| Heformation. 


— 





24 1. Ber. J. Abſchn. 1. Kap. 


dieß die beiden, am meiften bivergirenden, Anfichten des Ba⸗ 
filides und Marcion. Baſilides nahm zwar ein wirkliches 
Leiden und Sterben Jeſu an, aber ed war nur das Leiden 
und Sterben des Menfchen Jeſus, das um fo weniger irgend 
eine verfühnende Kraft haben Fonnte, da Bafilides ben all» 
gemeinen Grundſaz aufftellte, Daß jedes Leiden auf eine dem⸗ 
felben vorangehende Schuld fchließen laſſe. Rah Marcion 
war zwar baflelbe Leiden und Sterben nicht blos ein menſch⸗ 
Tiches, fondern ein göttliches, Das Leiden und der Kreuzeds 
tod des Erlöfers, aber e8 war ein bloßes Scheinbild. ine 
verföhnende Kraft Tonnte es Daher gleichfalls nicht haben, 
fondern nur zur Berfinnlihung einer Wahrheit dienen, bie 
durch dieſe bildliche Anſchauung dem religiöfen Bewußtſeyn 
beſonders nahe gelegt werden ſollte, der Wahrheit, daß der 

Menſch der Welt und allem Materiellen abſterben müſſe. 
Ob Marcion dieſem Abſterben eine nähere Beziehung auf die 
Idee der Verſöhnung gab, iſt zweifelhaft. Eher könnte man 
eine ſolche in der valentinianiſchen Anſicht von dem Tode 
Chriſti finden. Auch nach den Valentinianern traf das Lei⸗ 
den nicht den eigentlichen Erlöſer, den pneumatiſchen, ſou⸗ 
dern nur den pſychiſchen EChriftus, es follte aber eine typi⸗ 
ſche Bedeutung haben, und in dem leidenden Chriftus ein ‘. 
Bild des obern, bei der Lostrennung der Sophia⸗Achamoth 
von dem Pleroma über den Stauros ſich ausbreitenden Chris 
ſtus darftellen. Der Stauros ift, wie ber mit ihm identiſche 
Aeon Horos, und wie der obere Chriftus, welcher im Grunde 
auch nur ein anderer Name für denfelben Begriff ift, bie 
Die Wefen in ihrem Seyn befeftigende, in ber Einheit mit 
dem Abfoluten erhaltende, aus der Trennung zur Einheit zus 
rüdführende Kraft. Sofern die Dadurch ausgeſprochene Iden⸗ 
tität des Abfoluten mit ſich felbft, Durch welche ed alles vom 
Pleroma Getrennte und Abgefallene in feine Einheit zurück⸗ 

nimmt, auch die Idee der Berföhnung in fich fchließt, würbe 
nach der walentinianifchen Lehre der Krkuzestob- Chrifti "eine 


Die Gnoſtiker. 25 


fombolifche Darftellung der Wahrheit ſeyn, daB in ber an 
ſich feyenden Einheit des Abfoluten mit ſich alles Einzelne 
md Enbliche mit dem Abfoluten verföhnt tft ). Es foll uns 
bieß bier zunächft stur zum Beweiſe davon bienen, wie fchon 
damald die objectiv hiſtoriſche Realität des Todes Jeſu zu⸗ 
rüdgeftellt, und berfelbe nur als ſymboliſche Darftellung eis 
ner, von ihm unabhängigen fittlichen oder metaphyſiſchen 
Idee aufgefaßt wurde. Der gnoftifch fpeeulativen Richtung . 
ſteht Die practifche der jubaifirenden Partei gegenüber, die in 
demfelben Berhältniß, in welchen fie im Gegenfaz gegen ben 
Blauben auf Die Werfe und die Erfüllung des Geſezes drang, 
um fo weniger bie Berföhnungsfraft des Kreuzestobes und 
feine jelbftftändige Bedeutung im Werke der Erldfung aner- 
fennen Tonnte. Im Gegenſaz gegen biefe beiden Parteien, 
beſonders aber die Gnoftifer, deren Einfluß fich fo weit er- 
ſtrekte, und bie objeetin Yiftoriiche Grundlage bed Dogma's 
fewohl als ber Kirche auf eine fo gefährliche Weiſe erſchuͤt⸗ 
terte, mußte das Hauptbeftreben ber Kirchenlehrer zunaͤchſt 
darauf gerichtet fenn, dem Tode Jeſu feine hiftorifche Reali⸗ 
tt und GSelbftftändigfeit mit Hülfe berfelben Polemik zu 
fihern, mit welcher der gnoftiiche Doketismus überhaupt 
befämpft wurde, Schon in den Briefen bed Ignatius ?) 
wird Die Behauptung, daß Chriftus nur in der Meinung 
und Einbildung gelitten habe, als eine durchaus undhriftliche 
zurüdgewiefen, am beftimmteften aber hat Tertullian das 
Moment der Sache, um welche es fich hier handelte, in den 
Worten auögefprochen: „Wenn dieß nur Schein ift, dann 
verdient auch das Leiden Chrifti feinen Glauben. Denn wer 
niht wahrhaft gelitten hat, hat gar nicht gelitten. Ein 


1) Dan vgl. hierüber meine Schrift: Die chriftliche Gnoſis 
oder die chr. Rel.Philof. in ihrer gefch. Entw. Tüb. 1855. 
S. 140. 220. 259 f. 

2) Man vgl. 3. B. Ep. ad Magnes. c. 9. ad Trall. c. 9. 


L Ber J. Abſcha. 1 Rap. 


= 
tung des Tobes Jen als eines Sieges Ciber den Teufel paßte 
zu gut in ben gegen Kreis ber Börfellungen, in welchem 
Fi) jene Zeit.Ugwegte, als daß man fie hätte fallen Inffen 
Zönnen, wendet Hauptfächlich bie Beranlafiung gab, dieſe 
Beikchum she: zu entwideln und ihr cine nähere Bezie 
ung zu der Lehre von ber Berjöühuung zu geben, war "ber 
guoftifche Dualismus, unb das auf ‚benjelhen . berchecte 
mythiſche Bild eined Kamyfed-euifiken: tn Gülle: Met 
und dem Weltichöpfer. Da ber Beltkhöpfer, nuch der Achte 
der Gnoftifer, die Wirkſamkeit des, von dem höchſten Goti 
sur Offenbarung bes den Menſchen noch unbefannten Gottes 
gefendeten, Erlöfers nur als einen Eingriff in fein Reich und 
eine fortgehende Verminderung feiner Herrſchaft betrachten 
tonnte, fo mußte er alles verfuchen, um fich ihm zu wider⸗ 
fegen. Sein und feiner Dämonen Beranftaltung war daher 
ber Tod des Erlöfers. Wie aber alles, was dem Weltichd- 
pfer in feinem Antagonismus gegen ben guten Bott, deſſen 
Mittelpund der Menſch tft, gelingt, immer nur ein fchein- 
barer Sieg it (fofern das Böfe, wenn das Gute an ihm 
fi entwideln foll, zwar feine eigene Sphäre der Thaͤtigkeit 
haben muß, aber in jedem Moment des Kampfes der beiden 
Principien fi) nur um fo mehr in ber Regativität feines 
Weſens offenbart), wie Daher ber Weltichöpfer, ohne es zu 
wiſſen und zu wollen, felbft alles einleitet und veranftaltet, 
was zur vollfländigen Realifirung der Blane der güttlichen 
Weltorbnung diente, fo hatte auch ber von ihm bereitete Tod 
bes Erlöferd gerade das Gegentheil defien, was er beabfid- 
tigte, zur Folge: er fah ſich durch den Erfolg in feiner Er- 
wartung getäufcht. Diefe mythifche Borftellung eines Kam⸗ 
pfes zwiſchen dem Grlöfer und dem fich ihm feindlid; wider: 
jegenden Demiurg, wie wir fie befonders im ophitiſchen und 
marcionitifchen Syſtem ausgeführt finden, ift die Grundlage, 
auf welcher fich die erfte Theorie über die Verfühnung des 
Menichen mit Gott entwickelte. Der Begriff, auf welchem 









Die GSroſtiken 29 


diefe Theorie beruht, iſt ber Begriff der Gerechtigkeit, die 
Beranlafjung aber, dieſen Begriff in eine nähere Beziehung 
zu der an ihm fich entwidelnden Theorie zu fegen, gab das 
mascionitifche Syſtem dadurch, daB es den Demiurg durch 
den Grundbegriff der Gerechtigkeit von dem hoͤchſten Gott, 
dem Gott der Güte und Liebe, unterfchieb. Der Kampf des 
Erloͤſers mit dem Demiurg follte für jenen mit dem Sieg, 
für diefen mit einer Taͤuſchung enden, indem. ex vereitelt fah, 
was er beabfichtigte. Diefe Täufchung erhielt eine um fo 
anfchaulichere Wahrheit und trat um fo unmittelbarer in ih⸗ 
rem eigentlichen Begriff hervor, je Furzfichtiger der Demiurg 
erſchien, je mehr er felbft zu feiner Täufchung Die Hand bot, 
und fich durch feine eigenen Waffen fchlagen lieh. Dazu 
diente nun gerabe der Begriff der Gerechtigkeit, Die eigenen, 
von dem Demiurg felbft, als dem Gott der Gerechtigkeit, 
gegebenen Geſeze fprachen ihm das Urtheil, daß er, wie er 
Jeſus den Gerechten getöbtet hatte, fo nun felbft von ihm 
getödtet und der bisher geübten Herrichaft beraubt werden 
möfle. So ift durch den Tod Jeſu dem Geſeze der Gerech⸗ 
ügkeit, das der Demiurg repräfentirt, Genüge gejchehen, 
und das Hinderniß entfernt, allen, die an ihn glauben, nach⸗ 
dem Der, ber über fie Gewalt hatte, fein Recht auf fie ver⸗ 
Ioren Bat, die Seligfeit zu ertheilen ). E8 erhellt von felbft, 
wie Aufferlich hier noch der Begriff der Gerechtigkeit aufgefaßt 
iR, fie ift nicht eine, dem Wefen Gottes inwohnende, fon« 
dern von ihm abfichtlich ausgefchiedene Eigenfchaft, an fi 
bitte alſo Sott ohne den Tod Jeſu die Sünden vergeben 
Tonnen, er erfolgte nur aus Rüdficht auf den Demiurg, um 
diefem, wenn der Sieg über ihn nicht bloß als ein Sieg der 
Gewalt, fondern auch als ein Sieg des Rechts erfihien, zu⸗ 
gleich auch die eigene Anerkennung der Rechtmäßigkeit des 
über ihn erhaltenen Siegs abzunöthigen. 


4) Bel. Die hrikliche Gnoſis ©. 274 f. 


2 L Ber 1 Abſchn. 1. Kap. 


ſelbſt wieder zuruͤcknahm, was er ex einſt dem Teufel gegen 
ſich ſelbſt eingeräumt hatte, und wie er einſt ſeinen freien 
Willen vom Teufel gefangen nehmen ließ, ſo nun mit ſelbſt⸗ 
ſtaͤndiger Willenskraft ihm entgegentrat. Es kam alſo nur 
darauf an, das urſpruͤngliche Rechtöverhältniß. des Menſchen 
zum Teufel wiederherguftellen. Die Herſtellung dieſes Ver⸗ 
haͤltniſſes war unmittelbar auch die Beftegung des Teufels, 
indem der Teufel den in feiner Gewalt befindlichen Menfchen 
nicht fefthalten Eonnte. Beſiegt aber wurde er auf Diefe Weiſe 
mit Recht, fofern ja der Menſch nur in den Zuftand zurüd- 
fehrte, in welchem er urfprünglich dem Teufel gegenüber fi 
befand. Wie foltte nun aber dieß gefchehen? Nur auf rechts 
lichen Wege Eonnte der Menfch aus der Gewalt bes Teufels 
befreit werden, rechtlich war aber feine Befreiung nur dann, 
wenn er mit freiem Willen von der Gewalt des Teufels fh 
Iosfagte, eben dieß aber war ihm nicht möglich, da er durch 
die Sünde in Die Gewalt des Teufeld gefommen war. Schon 
hier findet demnad) die Idee der Nothwendigkeit der gott» 
menjchlichen Natur des Erlöferd ihre Stelle. Wäre der Er- . 
köjer nicht Menfch geweſen, fo wäre die Befreiung der Mens 
[hen nit, wie fie allein geſchehen konnte, auf rechtlichen 
Wege gefchehen Y, wäre er “aber zugleich nicht mehr als ein 


der Teufel den Menfchen durch freie Neberredung (suasit) 
zur Sünde verleitet hatte, fo hebt, wie fchon bemerkt wor- 
den iſt, das Eine das Andere nicht auf. War es das 
größte Unrecht von Seiten des Teufels, daß er überhaupt 
darauf ausging, den Menfchen, das Eigenthum Gottes, an 
fich zu reiffen, fo wurde doch, fobald der Dienfch mit freiem 
Willen fih ihm hingegeben. hatte, aus dem Unrecht ein 
Recht. Die Unterfcheidung eines doppelten Geſichtspuncts 
bat demnach ihren Grund darin, daß der Teufel ſowohl 
Gott als dem Menfchen gegenüber zu betrachten ift. 

4) III. 18, 7.: Hrwoev - Toy &vdeumov u eh. EL ydo un r- 
Ioowrog Ävlunoev Tov avzinalov ta aräguin, 8x ar dixale Bvı- 


Itenäus. 33 


wöhnlicher Menſch geweſen, fo hätte er auch für die Men⸗ 
en nicht zu leiſten vermocht, was ſie für ſich ſelbſt nicht zu 
ſten im Stande waren. Das rechtliche Mittel, wodurch 
die Menſchen aus der Gewalt des Teufels befreite, war 
e vollkommene Gehorfam, durch welchen ev ſich dem erften 
senfchen als der Lirheber eined neuen Lebens gegenüber» 
te. Wie durch Die Sünde des Ungehorfams in dem Ei⸗ 
1 Menfchen alle Sünder geworden find, fo find auch wie 
: durch den Gehorſam Eines Menfchen alle gerecht gewor⸗ 
1. Durch feinen vollfommenen Gehorſam find die Folgen, 
Ache die Uebertretung des göttlichen Gebotes hatte, aufge 
ben worden *). Schon diefen Gehorfam hätte er nicht lei⸗ 


297 6 24900. Dgl. V. 21, 3.: Per hominem ipsum 
dterum oportebat victum eum (apostatam Dei angelum) 
contrario colligari iisdem vinculis, quibus colligavit ho- 
minem, ut homo solutus revertatur ad suum dominum, 
iii vincula relinquens, per quem ipse fuerat alligatus, 
id est transgressionem. Illius enim colligatio solutio 
facta est hominis — uti, wie es zuvor heißt $.1., quem- 
admodum per hominem victum descendit in mortem 
genus nostrum, sic iterum per hominem victorem de- 
scendamus in vitam. | 

1) UI. 18, 7.: Niv &% WETTER dia Tys Tagaxoijs TE Evos avydgure 
Ta rquirws Er yis Gvsoyasa rrenlaoutvae auagrwloı xaresadıdar 
0° molloı xaı areßakov ryv Lu, erw; Ede xal di’ unaxoiis Evos 
avdgwne TE Narw; Ex Tapgdevs yeysynuevan Öızawdiwa groAlag 
zo anolaßeiv rw awrrotev. V. 16, 12.: Dissovens enim 
eam, quae ab initio in ligno facta fuerat, homints in- 
obedientiam, obediens factus est usque ad mortem, 
mortem autem crucis, eam, quae in ligno facta fuerat, 
inobedientiam sanans. V. 21, 2.: Tertio itaque (bei der 
Verfuchung ) vincens eum de reliquo repulit a semet ipsu 
quasi legitime victum, et soluta est ea, quaa fuerat. 
in Adam praecepti praevaricatio, per praeceptum le- 
gis, quod servavit fillus hominis, non transgrediens 
praeceptum Dei. 

Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 3 


36 1. Ber. l Abſchn. 1. Kap. 


aufammennehmen, auf dreifache Weife erfüllt: 1) Da Jeſus 
der vollfommen Gerechte und Unfündlide war, jo war, als 
ihn der Teufel wie einen gewöhnlichen Menjchen behandeln 
wollte, dad Recht nur auf der Seite Jeſu, das Unrecht nur 
auf der Seite ded Teufels. 2) Da Iefus fick ſelbſt fix. die, 
die er aus der Gewalt des Teufel befreien wollte, hingege— 
ben und aufgeopfert hatte, jo empfing er mit vollem Recht 
die, für die er ſich als Löfegeld gegeben hatte. 3) Da ber 
Teufel an ſich Fein Recht auf Die Menfchen, als das Eigen 
thum Gottes, Hatte, fo nahm der göttliche Logos nur zus. 
rüd, was von Anfang an ihm gehörte). Alles dieß beruht, 
in lezter Beziehung auf der gottmenfchlichen Natur bed Er⸗ 
löfers Wäre nicht mit dem Menfchen Jeſus der göttliche 
Logos zur unzertrennlichen Einheit verbunden gewefen, ſo 
hätte er auch nicht. die vollkommene Gerechtigkeit gehabt, 
durch die er von der Sünde frei blieb, ohne freiheit vor 
ber Sünde aber hätte er auch nicht die Macht gehabt, bie 
Macht des Todes an fich felbft zu vernichten und die Men⸗ 
fchen aus der Gewalt des Todes zu erlöfen. _ 

Es ift dieß jedoch nur die negative Sekte der Verſeh⸗ 
nungslehre des Irenäus. Das Poſitive, das zu jefem Ne⸗ 





Ta xvole, ab Bovros Tv wuy ünkg tüv nusregwv yuyay, ah 
Tv oagxa ryv kaurä ayrı züv nuereowv oagxuy U. |. W. 


1) V. 2, 1.: Non ergo, bemerkt Irenäus gegen den Dualifs. 


. mus der Önoftifer, justus adventus ejus, qui secundum 
eos venit in allena, neque vere redemit nos sanguine 
suo, si non vere homo factus est, restaurans suo plas- 
matt, quod dictum est in principto, factum esse homi- 
nem secundum imaginem et similitudinem Dei, non 
aliena in dolo diripiens, sed sua propria juste et be- 
nigne assumens, quantum altinet quidem ad aposta- 


siam juste, suo sanguine redimens nos ab ea, quanium- 


ad nos, qui redempti sumus,, benigne. 


| 


Irenäus. 37 


ativen hinzukoumt, IR bie neue Mitthellung des durch die 
Re Sünde und ihre Folge, die Herrichaft des Teufels und 

es Todes, verlorenen göttlichen Lebensprincips %), Die nur 
mh Die Ernenerung und Wieberherfiellung der Menſchheit 
euer, —— ſte ſich urfpränglich befand, ge⸗ 
in ’Beunie. "Dicke wewepelcdoos ſelbſt ift gleichlam 
sem Schöpfung, Tofern fie in einer neuen Bereinigung 
8 göttlichen Werts und des göttlichen Geiſtes mit der al⸗ 
ı Subftanz des von Gott gefchaffenen Adams beftund. 
tie Die Bollfommenheit des erften Menfchen ihren Grund 
in hatte, daß der Geiſt Gottes dem aus Seele und Leib 
cſtehenden Menfchen eingehaucdht wurde 2), fo vereinigten 
ih zur Wiederherſtellung diefer urfprünglichen Vollkommen⸗ 
it das göttliche Wort und der göttliche Geiſt aufs neue 
it der Natur des Menſchen, wodurch Das göttliche Princip 
8 Lebens und der Unſterblichkeit der Menſchheit aufs neue 


4) IH. 23, 7.: Victus erat Adam, ablata ab eo omnt vita: 
propter hoc, victo rursus inimico, recepit vitam Adam — 
Domino vivificante hominem id est Adam, evacuata est 
mors. 


2)V. 6, 1.: Perfectus homo commistio et adunitio est 
animae, assumentis spiritum Patris, et admista ei 
carni, quae est plasmata secundum imaginem Dei. — 
Quum autem spiritus Dei, commiztus animae, unitur 
plasmali, propter effusionem spiritus, spiritualis et per- 
fectus homo fartus est, et hic est qui secundum imagi- 
nem et similitudinem factus est Dei. Si autem defue- 
rit animae spiritus, animalis est vere, qui est talis, et 
carnalis derelictus, imperfectus erit, imaginem quidem 
habens in plasmate, similitudinem vere non assumens 
per spiritum. — Commistio autem et unitio horum om- 
nium perfectum hominum efficktt. — Substantia nosira, 
id est animae et carnis adunatio, assumens - Spiritum 
Dei, sptritualem hominem efficit. 


3 I. Ber. J. Abſchn. 1. Kap. 


mitgetheilt wurde *). Darum begreift nad Irenäus das 8 
Werk der Erlöfung die drei Beftandiheile in fih: Die Aufs e 
hebung der Sünde durch den von dem Grlöfer geleifteten ' 
vollfommenen Gehorfam, die Vernichtung des Todes, burdy, * 
die Veberwindung bed Teufels, und die neus Mittheilung 1 
des göttlichen Lebensprincips an die Menſchheit 2). Alles 
dieß wäre nicht möglich geweſen, wenn nicht der Erloöſer 
durch die Vereinigung des göttlichen Logos mit dem Mens 
ſchen eine wahrhaft goͤttliche Natur gehabt hätte, aber eben» 
fo nothwendig war auf: der. andern Seite, daß er wahrer 
Menih war ®). Beides, das Göttliche und das Menſchliche 
des Grlöfers, faßt Irenäus auf eine bemerfendwerthe Weiſe 
in dem Begriff der vollfommenen Menfchheit zufammen. Wie ? 
die Erlöfung nichts anderes ift, als die Wieberherftelung 
der. duch bie Sünde der Herrichaft des Teufeld anheimge * 
. m 


4) V. 1, 2.: Filius altissimt Dei patris omnium, qui ope- L 
ratus est incarnationem ejus et novam ostendit genera- h 
tionem, uti quemadmodum per priorem generationem "7 
mortem hereditavimus, sic per generationem hanc here = 
"ditaremus vitam. — Quemadmodum ab tnitio plasms- 
tionis nostrae in Adam ea, quae fuit a Deo, inspi- = 
ratio vitae, unita plasmati, animavit hominem, et axi- 
mal rationabile ostendit, sie in fine Verbum patris et 
Spiritus Dei adunitus antiquae substantiae plasmatimis 
Adam viventem et perfectum efficit hominem, capien- 
tem perfectum patrem, ut quemadmodum in animali 
.omnes mortui ‚sumus, sic in spirituali omnes vivi- 
ficemur. _ 
2) 11. 18, 7.: Deus hominis antiquam plasmationem in se 
recapitulans, ut occideret quidem peccatum, evacuarel 
autem mortem, et vivificaret. 

3) II. 18, 7.: Ei m 6 eos Pdwpyoaro Tyv mwryolavr Pr ar ſu- 
Balwg Eyouer kuriv. — Oportebat eum, qui inciperet occi- 
dere peccatum, et mortis reum redimere hominem, id 
ipsum fieri, quod erat ille, id est hominem. 


Frenäusß. 39 


 fitenen Menſchheit, fo ift auch der Erlöfer ſelbſt nur der, 


zu ber urfprünglich von Gott verlichenen Vollkommenheit 
erneuerte, Menſch, der als Menſch ebenfo die, der Erlöfung 
bedürftige, Natur der Menfchen an ſich hat, wie er, als ber 
urfprüngliche Menſch, das, die Möglichkeit der Erlöfung ber 
dingende, göttliche Princip an fi trägt, als der vollkom⸗ 
meine Menfch ift er auch der die Menfchheit zu ihrer urs 
hrünglichen Natur Erneuernde !). Aber nicht blos erneuert 
md wiederhergeftellt hat Chriftus die urfprünglic in Adam 
gefihaffene Hatur des Menſchen, fondern auch zu ihrer wah: 
ten Bolfommenheit erhoben. Denn wenn auch der Menich 
urprünglich nad) dem Bilde Gottes gefchaffen worden ift, 
fo war doch das göttlihe Wort, der Logos, nach veſſen 
Bild der Menfch geihaffen wurde, noch unfichtbar, und da⸗ 
durch geſchah es, daß der Menſch die Aehnlichfeit mit Gott 
fo leicht verlor. Solange dad Bild Gottes noch bloße Idee 
it, kann es ſich auch im Menfchen nicht wahrhaft verwirk⸗ 
lichen. Erft wenn der Sohn Gottes Menſch geworden ift, 
ift die Idee ded Bildes, nad) welchem der Menfch geichaffen 
wurde, in ihm realifirt, dann alfo auch erft Die Schöpfung 
des Menfchen vollendet, und der vollfommene Menſch an’d 
Licht getreten >). Es liegt hier demnach ein fehr reiner Bes 


1) III. 18, 1.: Quando incarnatus est, et homo factus lon- 
gam hominum expositionem in se ipso recapitulavit, in 
compendio nobis salutem praestans, ut quod perdidera- 
mus in Adam, id est, secundum imaginem et similitu- 
dinem esse Dei, hoc in Christo Jesu reciperemus. Bgl. 
III. 18, 7. 


) V. 16, 1.: Tunc autem hoc Verbum ostensum est, quan- 
do homo Verbum Dei factum est, semet — ipsum ho- 
mini et hominem sibimet ipsi assimilans, ut per eam, 
quae est ad filium similitudinem, pretiosus homo fiat - 
Patri. ’E rei; 019er xooross Eidyeto uev zur eixova ei 


’ ⁊ ” > . os « W⸗ “ < 
zeynera ruv avdowrrov, Ar Edeizuro de. Erı yap aunaro; yv 0 


40 1. Ber. . Abſchn. 1. Kap. 


griff des Verhältnifies, in welchem Chriftus als Sohn Gottes 
zur Menfchheit fieht, zu Grunde. Die Menfchiwerdung iſt 


loyos, & xar' eixova 6 ardgwrros Eyeyova. Aa räro dn xai vw 
Dfiolworv Gudtws ameßakev. Onore dk oap& Eykvero ö Aoyos rä 
Ges, Ta Auporepn Errexugwoe, xaı yap rw einova Edeier aiydüs, 
aGros roro yerouevog, öneo 79 7 Eixuv aurs, zal Trw Onolwar 
Peßaiws; zartsnoe, ovvelououwses Toy arFewnov Tb Goparıy Tara. 
Ge merkfwürdiger es if, diefer erſt in der neuern Zeit in 
ihrer wahren Bedeutung aufgefaßten Idee fchon hier zu bes 
gesnen, deſto mehr verdient auch bemerkt zu werden, baf 
Irenäus mit ihr nicht allein ſteht. Tertullian fpricht Dies 
felbe dee an mehreren Stellen aus. De carne Christi 
c. 6.: Quodcungue limus esprimebatur, Christus cogita- 
batur homo futurus (mas aus Erde gebildet wurde, war 
in Gedanken, der dee nach, Chriftus als künftiger Menſch, 
‚ die Idee war alfo Chriftus als Logos, renlifirt wurde alfe 
auch die dee des Logos erft durch feine Menfchwerdung, 
und der Menfch vor Chriftus war noch nicht der vollkom⸗ 
mene Menfch, der wahre Gottmenfch). Ita limus Üle jam 
tum imaginem induens Christi futurl in carne, non 
tantum Dei opus erat, sed et pignus. Ad tmaginem 
Dei fecit kominem, scilicet Christi. Adv. Prax7 c. 12.1 
Erat autem, ad cujus imaginem faciebat: ad filli sci- 
licet, qul, homo futurus certior et verlor, imaginem 
 suam fecerat dici hominem, qui tunc de limo formart 
habebat, imago vero et stmilitudo (Es gab einen, nad 
deffen Bild Gott den Menfchen fchuf, er fchuf ihn nämlich 
nah dem Bilde des Sohns, in welchem ale Menfch die 
Idee der Menfchheit realifirt werden follte, damals aber 
war der nach feinem Bilde sgefchaffene Menfch nur dem 
Namen nach fein Bild, da er erfi aus der Erde gebildet 
werden follte, als Bild. des wahren, des Gottmenfchen). 
Adv. Marc.V, 8.: ‚Deus Christum, sermonem suum, In- 
tuens .hominem futurum. Es erinnert diefe Vorftellung 
auch an den mit dem göttlichen Geiſt identifchen Adam: 
Ehrifius der pfeudoclementinifchen Homilien (vgl.: Die dr. 
Bnpfis. ©. 339. 394.). Es if dieß um fo bemerkenswer⸗ 


Irenäus. 41 


nicht blos ein aäͤuſſeres Zuſammentreten bes Goͤttlichen mit 
dem Menſchlichen, ſondern, wie es zum Weſen der Idee 


ther, da hieraus auch Die eigene Vorſtellung bes Irenaͤus, 
nach welcher der Logos unb der Geiſt die Hände Gottes find 
(manus Dei IV. Prooem. 4. V.1,3. 16, 1.) ihre Erflärun 
erhält. In demfelben Sinn ſpricht Tertallian Adv. PraX. 
c. 4. vom Sohn und Bei, als den ministr! des Vaters 
(ogl. ren. IV. 6, 7.: ministrat ei Patr] ad omnia sus 
progentes et stgnificatio sua id est Filius et Spiritus). 
Sanz daflelbe ift nun, nur in der Einheit, die zei dnmse- 
ysoa der pfeuboclementinifchen Homilien (XVI, 12.), die als 
weltfchöpferifche Hand aus Gott hervorgehende Weisheit, 
die fein eigener Geift, die mit ihm aufs engſte verbundene 
Beedle ift (ngl. Hom. XVI. 12.: oopla - - auro; aeı uuvę xcuxev 
und ren. IV. 20, 1.: adest ei semper verbum et sapien- 
a). Daß aber bei grenäns nicht von Einer Hand, fons 
dern von Händen Gottes in der Mehrheit die Rede ift, if 
die natürliche Folge davon, daß in dem Montaniſtiſchen 
Subordinationsſyſtem, das wir wicht blos bei Tertullian, 
fondern auch bei Sjrenäus finden, an die Stelle des Einen 
Principe, welches Weisheit, Geil, Seele genannt wird, 
Sohn und Geik in abfinfender Folge als zwei von einander 
unterfchiedene Principien gefezt find. Wie dieß mit dem 
Urfprung und Wefen des Montanismus zufammenhängt, 
kann hier nicht weiter ausgeführt werden. In Beziehung 
auf das Dbige mag hier nur noch dieß bemerkt werden, daß 
nach Irenäus durch den Geift Gott ebenfo mit dem Men: 
fchen, als durch die Menfchwerdung des Sohns der Menſch 
mit Gott vereinigt wird, und in dem Einen wie in dem 
Andern die neue Lebensgemeinfchaft zwifchen Gott und dem 
Menfchen beficht (effundente (Domino) Spiritum Patris 
in adunitionem et communionem Dei et hominis, ad 
homines quidem deponente Deum per Spiritum, ad 
Deum autem rursus imponente hominem per suam in- 
tarnatiomem, et firme et vere in adventu suo donante 
nobls incorruptelam, per eommunionem, quae est ad 
um. V. 4, 1.). 


42 1. Ber. 1 Abſchn. 1. Kap. 


gehört, daß fie fich verwirklicht, fo iſt e8 bie weientliche Bes 
flimmung des Sohnes. oder des Logos, Menſch zu werden, 
und auf der andern Seite würde auch der Menfchheit die 
ihrem Begriff adäquate Volllommenheit fehlen, wenn nicht 
der Sohn Gottes in der Menſchheit Menſch geworden wäre. 
Bie alfo die Menfchheit im Eohn Gottes ihre Wahrheit hat, 
ſo hat der Sohn Gottes in der Menfchheit die Wirklichkeit 
feiner Idee, und die Cinheit des Göttlichen und Menichlichen 
ftellt fich auf dieſe Weife als eine innere und wefentliche dar. 
Gehört es aber zum Wefen des Menfchen felbft, mit Gott 
Eind zu feyn, fo iſt der Menſch ſchon dadurch an fich ‚mit 
Gott verjöhnt, und es fommt nur darauf an, dieſe Einheit 
auch für das fubjective Bemußtfeyn zu realifiren. In dieſer 
Hinficht geht jedoch, Srenäus über die allgemeine Vorftellung 
nicht hinaus, Daß wir, wie wir im erften Adam durch Un- 
gehorfam gefündigt haben, im zweiten Adam durch den von 
demjelben bi8 zum Tode geleifteten Gehorſam verföhnt wor⸗ 
den find *). Diefe Verföhnung wäre aber nicht möglich ge- 
weien, wenn nicht Chriftus, worauf Srenäus im Gegenfaz 
gegen die, den Weltfchöpfer von dem höchiten Gott trennen: 
den, Gnoftifer befonderd dringt, als Grlöfer diefelbe fub- 
ftanzielle Natur mit der von ihm erlösten Menfchheit hätte 2). 
Die Menſchheit iſt alfo gleichſam der Gottmenſch felbft, und 
die in Chriftus durch die Menfchwerdung Gottes realifirte 
Idee ded Gottmenſchen ift eigentlich nur die durch Chriftus 


1) V.16, 3.: ’Ev utv yap ri newrw "Adau Troouexöymuer, un na- 
yoavres aura ımy Evroiv, &v de Ti Öevreep "Adau anoxarnlda- , 
ynuev, Unnroo ulya Savara yevouevo. 

2) V. 14, 3.: St ex altera substantia carnem attulit Domi- 

| aus, jam non illud reconciliatum est Deo, quod per 
transgressionem factum fuerat inimicum. Nunc autem 
per eam, quae est.ad se, communicationem reconclliavit 
Dominus hominem Deo Patri, reconciliavit nos sibi per 
corpus carnis suae. 


Origenes. 43 


zum Bewußtſeyn gefommene, an ſich feyende, Einheit des 
Göttlihen und Menſchlichen. Hierin liegen die Keime einer, 
ine mythifche Vorftellung von dem Kampfe des Exrlöferd mit 
dem Teufel weit überfchreitenden, VBerföhnungstheorie, fragt 
es fi) aber, was bie eigentliche Lehre des Irenaͤus war, fo 
dürfen wir und nicht an Ideen halten, die zwar an fi uns 
verkennbar in dem Speenkreife des Srenäus enthalten find, 
“ aber doch in ihrem Zufammenhang in ihm felbft noch nicht 
zum Haren Bewußtieyn gekommen waren, fondern nur an 
die von ihm, als die weientlichten Momente feiner Anficht, 
auögefprochenen Borftellungen. 

Die Theorie, die wir hier unterfuchen, ließ, foweit fie 
Srenäus entwidelte, hauptfächlich den Punct noch unbeftinmt, 
welcher die Frage betrifft, was den Teufel beftimmte, Jeſus 
wie einen gewöhnlichen, der Macht ber Sünde und bes To⸗ 
ded unterworfenen, Menfchen zu behandeln? Kannte er, wie 
doch angenommen werden zu müffen fcheint, Jeſum als ben 
Gerechten und Unfündlichen, welcher er war, fo mußte er 
doch auch wifien, daß der Kampf, in welchen: er in Dem 
von ihm veranftalteten Tode Jeſu mit dem Stärferen fich 
einließ, nur zu feinem Verderben ausfallen werde, Eben 
dieß ift nun der Punct, von welchem aus Origenes dieſe 
Theorie weiter fortbildete, indem er den von Irenäus ‚noch 
zurüdgehaltenen Gedanken, daß der Teufel getäufcht worden 
jey, ausdrüdlich ausſprach, und durch die Ausfüllung dieſer 
Lüde einen für den Zuſammenhang diefer Theorie wefentlis 
den Punct hervorhbob. 

Um jedoch die Bedeutung richtig zu verftehen, welche 
eine folche Theorie gerade für Drigened haben fonnte, muß 
man ſich in den Gefichtöpunet hineindenfen, aus welchem er 
fie im Zufammenhang mit feiner Lehre von den Dämonen, 
und feiner dadurch bedingten Weltanftcht überhaupt, auf- 
faßte. Wie nad) feiner Anficht überhaupt die Dämonen in 
einem fteten Rampf gegen das Chriftenthum, ald das Reid) 


4 1. Ber. J. Abſchn. 1. Kap. 


08 wueen Wels, Tegrifen ſind, und alles, was dem 

Chriſtenthum nachtheilig ift, als ein Sieg der Dämonen, 
alles, was es fördert und zur allgemeinern Anerkennung 
Bringt, als eine Niederlage derfelben anzufehen ift, fo ift ein 
beſonvers wichtiges Moment Diefed Kampfes bes Daͤmonen⸗ 
reichs gegen das Chriſtenihum der Tod Zefı, jeboch nur Fo, 
daß in ihm in höherem Grade erfolgte, was auch Tonft durch 
bie Thätigfeit der Glaubigen auf verfchledene Weife zur För⸗ 
derung der Sadje des Chriftenthums geſchieht. Was der 
Tod Jeſu im Großen und in Beziehung auf das Ganze ift, 
ift auch ſchon jeder Märtyrertod im Kleinen und Einzelnen. 
Wenn die Seelen derer, welche für das Chriftenthum aus 
Frömmigkeit fterben, mit großem Ruhm den Leib verlaffen, 
fo ftürzgen fie die Macht der Dämonen und fchwächen ihre 
Angriffe auf die Menfchen. Daher willen die Dämonen aus 
Erfahrung, daß fie von den Märtyrern der Wahrheit beflegt 
und überwunden werden, und laffen die Chriften im Frieden 
mit der Welt, und wenn fie dann auch wieder die Noth 
vergefien, die fie erlitten haben, und ihre Kräfte auf neue 
fammeln, und, von ihrer Bosheit verblendet, fich wieder 
rächen wollen und die Ehriften verfolgen, fo erleiden fie eine 
neue Niederlage 2). Um die Urfache folder Wirkungen zu 
erklären, beruft fi) Origened auf den unter den Heiden 
herrfchenden Glauben, daß einzelne Unfchuldige durch frei« 
willige Aufopferung Völker und Städte von ſchweren Un- 


4) Contra Gelsum VII, 44. — Ai wugai ror slseßivrww , xai 
di” evorßeuav anodvousvwv Ta oWuara xafeläcı To TE Tovngs 
sorrunsdov. "Eyu 3’ olum orı aisdousvo ol daluores, örı os 
mis yırdyres, war di evoeßeior Gnodnjaxovres za Fargacıy avrov 
rv Öwaseay, ol de dis Tag mroves — xoL riv JeoaeBeuv 
agvauevor UNO yelgoı aurois ylvovraı, 86” Ore rrgooquloveıxucı Tot; 
rapadıdousvas zusıavois, ws xoAalouevor uw UNO tig Önokoyia; 
«uruv,, avanavoueroı ÖR ini Ty aeyyas eurär. 


\ 


Drigene® 45 


gluͤcksfällen befreien *), zum Beweiſe dafür, daß ſolche Auf⸗ 
opferungen, wie bie der Märtyrer find, einen fir die Men- 
ſchen höchſt heilfamen Einfluß auf die böfen Dämonen aus⸗ 
üben. Es ift die unwiderſtehliche, gleichſam magifch wirken⸗ 
de, Macht des Guten, wodurch jede gute und eble That auf 
das Ganze der Weltordnung einwirkt, und zum Beften vie 
fer Menfchen dient. Origenes trägt fogar kein Bedenken, 
folche Wirkungen mit der. Beſchwörung eines giftigen Thiers 
zu vergleichen ®). Es fcheint Ihm ganz in der Natur der Dinge 
zu liegen, daß nad) gewiflen verborgenen Urfachen, Die bie 
meiſten Menfchen nicht verftehen können, eine foldhe Ratur, 
wie ein Gerechter ift, welcher: für das allgemeine Beſte frei« 
willig flitbt, eine Abwendung der böfen Dämonen bewirkt, 
welche Seuchen, Mißwachs, böfe Winde oder etwas dergleichen 
verurfachen. Es jagen nun, fo macht Drigenes die Anwen⸗ 
dung auf den Tod Jeſu, diejenigen, welche nicht glauben 
wollen, daB Jeſus am Kreuze für die Menfchen geftorben 
fey, ob Re die vielen hellenifchen und barbarifchen Erzählun- 
gen für wahr halten, daß Einzelne für das allgemeine Befte 
geftorben, um Unglüdsfälle, die Städte und Völker betrafen, 
abzuwenden, ober ob dieß zwar gefchehen, Teinen Glauben 
aber verdiene, daß derienige, der für einen Menſchen gehal⸗ 
ten wird, geftorben fey, und den großen Dämon und Dä— 
monenfürften, welcher alle auf die Erde gekommenen Men⸗ 
ſchenſeelen fich unterworfen hatte, zu flürzen 9. Was Jefum 


1) In Jeh. Tom. XXVIII, 14. — oiovet xarapyaudva ru dveoyär- 
Tog aUra 7IovngB nvebuatos dia To daurov Twa une TE xovõ 
dıdovar. 

2) In Joh. Tom. VI, 36. — Taster rı dn vorrior To Javarıp 
Toy edoeßesrum KagTugwv yiveodan, nolloy dgarp zw) J 
opelsutvwv Go Ta Javara aurwv. 

3) Contra Celsum I, 31. VII, 17. — Odx äronor, anoredvnze- 
va Tov üvdowrnov, .xaı Tov Savaroy auru & uovov Tragadeıy ua 
iantiadeı ta Untg evosßeias anodvnextw, alla yao xal eleyaodaı 


3 


48 1. Ber. 5 Abſchn. 1. Rap. 


gened den Tod Jeſu ftellt, ein mit dem Teufel gefchkoffener 

Bertrag ift, wird der Zufammenhang diefer Borftellung von 
einer andern Seite etwas unterbrochen. War c8 ein freier 
Bertrag, bei welchem der Teufel das Blut Jeſu als Löfegeld 
forderte, fo wußte der Teufel voraus fihon, was er zu 


„empfangen und Dagegen zu geben hatte. Wurde er auch ge⸗ 


täufcht, fo lag doch die Täufchung in der Natur der Cache, 
ohne der Idee eines Vertrags zu widerftreiten. Anders aber 
geftaltet fich die Sache, wenn ber Teufel nicht, um in Folge 
eined Vertrags etwas zu geben, fondern nur in der Abficht, 
das, was er hatte, und durch die Wirkſamkeit Jeſu zu ver⸗ 
lieren befürchten mußte, um jo ficherer zu behalten, Sefum in 
feine Gewalt bringen wollte So ftellt Drigened die Sache 
dar,. wenn er aus Beranlafjung der Stelle Matth. 17, 22, 
( uehlzı 0 vios wIguns negadidoodas eis xeigas —2* 
Iowrov) die Frage unterfucht: von wen Ehriftus in bie 
- Hände der Menfchen gegeben worden fey? und barauf bie 
Antwort gibt: der Sohn fey zuerft von Gott dem Yürften 
diefer Welt: und feinen Dämonen und hierauf von Diefem den 
Menſchen, die ihn tödteten, übergeben worden. Die Abficht 
aber ſey eine ſehr verſchiedene geweſen. Gott habe ihn aus 
Liebe zu den Menſchen für uns alle hingegeben, die Men⸗ 
ſchen ſeyen nur das Werkzeug der Dämonen, die ihn in die 
Gewalt des Todes bringen wollten, geweſen, die Dämonen 
ſelbſt aber und der Teufel ſeyen hauptſächlich durch die Be⸗ 
ſorgniß beſtimmt worden, daß er ihnen durch ſeine Lehre die 
Herrſchaft über die Menſchen entreiſſen werde. Es find fo 
zwar zwei etwas verſchiedene Darſtellungen 9), fie vereinigen 


9) Prettum poposeit, quod voluit, ſagt Origenes in der zu⸗ 
vor aus dem Commentar über den Brief an die Römer 
angeführten Stelle vom Teufel, ut de potestate dimitte- 
rei, quos tenebat,, in dem Comm. über das Evang. Matth. 
aber Tom. XIII, 8.: contrariae potestates, cum servato- 


Drigened. 49 


fih aber beide in der Idee einer Täufchung des Teufels, die 
in der Theorie des Drigened eine ſehr weſentliche Stelle ein⸗ 
nimmt. Auf diefe Idee kommt daher Origenes wiederholt 
uräd. Am ausführlichiten hat er fie aus Beranlafiung der 
Stelle Matıh. 20, 28. entwidelt %), wo er die Frage auf- 
wirft: Wem hat der Erlöfer feine Seele zum Löſegeld für 
‚ Diele gegeben? „Doc nicht Gott,” antwortet er, „warum 
alſo nicht dem Teufel? Denn diefer berrfchte über uns, bis 
ihm zum Löfegeld für uns die von ihm geforderte Seele Je⸗ 
fu gegeben ward, indem er meinte, er könne fie in feiner 
Gewalt haben, und nicht jah, daß er die Qual, die ihm das 
Beſtreben, fie feſtzuhalten, verurfachte, nicht ertragen könne. 
Deswegen berricht auch der Tod, ber fchon über ihn Herr 
geworden zu feyn glaubte, nicht mehr, da er frei unter ben 


rum tradebant in manus hominum, non eorum illud 
erat consilium, ut pro ullius hunc salute traderent, sed 
quoniam nullus eorum cognoscebat Dei sapientiam in 
mysterio reconditam, eum morte plectendum, quantum 
in se erat, tradebant, ut hostis illius, mors, in potesta- 
tem suam redactum eum occuparel, ad eundem modum, 
quo qui in Adam mortuntur. Vgl. Tom. XXXV, 75.: 
Non omnes eodem proposito tradiderunt. Deus enim 

‚ tradidit eum propter misericordiam circa genus huma- 
num (Röm.8,32.). Ceteri autem tradiderunt eum iniquo 
proposito, unusquisque secundum malitiam suam, Judas 
propter avaritiam, sacerdotes propter invidiam , diabo- 
las propter timorem, ne avelleretur de manu ejus genus 
kumanum, per doctrinam ipsius. 


1) Tom. XVI, 8. Vgl. die zulezt angeführte Stelle, in wel⸗ 
der Drigenes unmittelbar nachher fo fortfährt: non ad- 
vertens, quoniam magis eripiendum fuerat genus hu- 
manum per mortem ipsius, quam fuerat-ereptum per 
doctrinam et mirabilia. Traditus est enim ad cruci- 
figendum, ut exuens principatus et potestates fiduclali- 
ter triumphet eos in ligno (Sol. 2, 15.). 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. i 4 





50 1, Per. l. Abſchn. 1. Kay. 


Tobten war, und ftärfer als die Macht ded Todes, und in 
ſolchem Grade ftärfer, daß auch alle, die unter den in-ber 
Gewalt des Todes Befindlichen ihm folgen wollten, ihm 
folgen. konnten, ohne daß der Tod noch etwas gegen fie ver 
mochte. — So find wir nun durch das theure Blut Jeſu 
erfauft, gegeben aber iſt als Löfegeld für uns die Seele bed 
Sohnes Gottes, nicht fein Geiſt, denn diefen hat er zuvor 
fchon dem Vater mit den Worten übergeben: Bater, in deine 

Hände übergebe ich meinen Geift, aud) nicht fein Leib, weil 
wir über ihn nicht8 dergleichen gefchrieben finden. Und weil 
num feine Seele zum Löfegeld für Viele gegeben ift, fie. aber 
bei dem nicht blieb, welchem fte zum Löfegeld für Viele ges 
‚ geben worden iſt, beöwegen heißt es Pf. 16.: du laͤſſeſt 
meine Seele nicht im Hades.“ Es ift ſchon der Uebergang 
zu den fpäter fo weit ausgeführten bildlichen Vergleichungen, 
wenn Origenes zu den Worten Pſ. 35, 8.: EAIETo aurol 
rayis, 79 8 yimWox8oı, xal 7 In0u, 7v Exovier, Ovkiu- 
Berw 8 u. |. w. bemerkt: vouilw rreol TE gavg& M- 
yaıy auıov, eis 09 Eumentonev 6 dıcßolog ayvowv. Ei 
yap.Eyvu, 8% &v avıov xugiov ng doEng Esavewoe }). 


Wie ſchon hier die Idee einer abſichtlichen Taͤuſchung des 


1) Das Kreuz iſt mit einem Neze verglichen, mit welchem der 
Teufel gefangen wurde. Diefelbe bildliche Vergleichung Eonnte 
"auch von der Menfchheit Chriſti gebraucht werden. Es fcheint - 
beinahe, eine folche habe fchon dem Clemens von Aler. in fol: 
“gender Stelle der Cohort, ad gent. c. 11. vorgefchwebt: der 
Menfch Ing in den Banden der Sünde, der Herr: wollte ihn 
aus ihnen befreien, xar oapxı Evdeseis (uusjaov Heior) zury 
Tov ögıw & Zeigeioaro , ut Tov Tüpavvov Bdnlulsaro zul Toy Jara- 
rov. Kal ro magadosdruror , Bxeivov Tov üvdownor, Tov ndori 
enlarnup, Tov Ti pIogz Öedensvor, yegaır rlonevaus toeice 
deluutvov. N Jaunatos Augiæũ xexhran ur 6 xvo⸗ —XR de 
—— ‚not h &x rö naeadelos mc revov , ueiloy Umaxong a9dor 
gave arolrupareı. 


— — — — — — 


Origenes. 51 


Teufels durchblickt, ſo geht Origenes fogar ſoweit, die Täu- 
ſchung des Teufels als unmittelbare Abſicht Gott ſelbſt zu⸗ 
zuſchreiben 2). Indem Gott feinen Sohn dem Teufel uͤber⸗ 
gab, durch den Teufel feinen Kreuzestod veranftalten ließ, 
gebrauchte er ihn felbft ald das bewußtlofe Werkzeug zur 
Zerſtörung feiner eigenen Macht. Der vom Teufel bewirkte 
Tod des Erlöferd war fo wenig ein Eieg über ihn, daß er 
vielmehr fogar das Mittel wurde, die Macht bes Todes 
felhr aufzuheben, Je mehr auf diefe Weife auch der Wider⸗ 
ſpruch hervorgehoben wird, in welchen der, feinen eigenen 
Zwecken entgegenhanbelnde, Teufel mit fich felbft kommt, 
ohne den von Gott von Anfang an durdfchauten und abs 
fihtlich herbeigeführten Widerſpruch zu ahnen, deſto mehr 
wird die Selbfttäufchhung des Teufels, wie fie in der, gleich- 
fam einen dramatifchen Character annehmenden, Darftellung 
deö- Drigenes erjcheint, auch aus dem Geſichtspunct ber 
Ironie aufgefaßt 2). 


1) In Matth. Tom, XHI, 9.: Aa räro 6 Harn ra idlh via ax 
Epeloaro, all’ Unte nusv navrwy nrapkdiwxev aurov, IY oil Trapa- 
Aaßorres aurov, xaı Tagadovres aurov Eis Yeigag avdeunur , 
OTTO TE xaromıoavrog Ev Tois Apavolis Eyyslaodocı, xal Uno Ta 
zuola Exuurrnaogüor, eis xaralvow .rns Ilias Paokelas xaı apyns 
nraga rooodoxiav Tagalmforres ano TE Targos Tov viov, Osı5 
T7 Toitn nulga nyeogn, To Tov &yIo0v avra Iavaror xarneyyxe- 
var, .xol nuäs Tenonztvan ovunöppes, A uovov TE Javars aure, 
alla zul avasaceuc U. ſ. W. 

2) Wie fehr Drigenes auf diefe Weile mit den Gnoftitern zu- 

ſammentrifft, fälkt von felbft in die Augen. Man vgl. die 
obigen Bemerkungen ©. 28. Don einer Täufchung dieler 
Art war befonders bei Marcion und den Mareioniten Die 
Rede. In dem unter den Werken des Drigenes befindli- 
chen Dialegus de. recta in Deum fide ſagt der Mareionite 
Sect. 2.: O üyados, iduv zuradedızuauevw mv yuxyv, Blenoas 
yAger, 6 d& Önmaeyos 7IElyaev auris Emulsion, 0Iev xaı Evo- 
udey aurov gavpav. — °O Anpnoyos, Idww rov ayadav Avovra 


4 * 


s0 I. Ber. l. Abſchn. 1. Kap. 


Todten war, und ftärfer ald die Macht des Todes, ımd in 
ſoſchem Grabe ftärfer, daß auch alle, die unter den in-ber 
Gewalt des Todes Befindlichen ihm folgen wollten, ihm 
folgen. konnten, ohne daß der Tod noch etwas gegen fie vers 
mochte. — So find wir nun durch das theure Blut Zefu 
erfauft, gegeben aber ift als Löfegeld für uns Die Seele des 
Sohnes Gottes, nicht fein Geift, denn diefen hat er zuvor 
ſchon dem Vater mit den Worten übergeben: Bater, in deine 
Hände übergebe ich meinen Geiſt, auch nicht fein Leib, weil 
wir über ihn nichts dergleichen gefchrieben finden. Und weil 
num feine Seele zum Löfegeld für Viele gegeben ift, fie aber 
bei dem nicht blieb, welchem fte zum Löfegeld für Viele ges 
geben worden ift, Deswegen heißt es Pſ. 16.: du läffeft 
meine Seele nicht im Hades.“ 8 ift ſchon der Uebergang 
zu den fpäter fo weit ausgeführten bildlichen Vergleichungen, 
wenn Origenes zu den Worten Pſ. 35, 8.: Adern uroig 
rayls, 79 8 yirW0x8oı, xal 7 Inow, NV Exguven, ovAle- 
Berw aurds u. |. w. bemerkt: —8 D TE ‚saug& 18- 
yav abroy, eis dy —A 0 didsolos — Ei 
yap.:yvw, 8% av avrov xöguov 175 do&ng Esavgwoe !). 
Ve ſchom hier die Idee einer abſichtlichen Täuſchung des 


1) Das Kreuz iſt mit einem Neze verglichen, mit welchem der 
Teufel gefangen wurde. Dieſelbe bildliche Vergleichung konnte 
"auch von der Menſchheit Chriſti gebraucht werden. Es ſcheint 
‚beinahe, eine folche habe fchon dem Elemens von Alex. in fol: 
“gender Stelle der Cohort. ad gent. c. 11. vorgeſchwebt: der 
Menfch Ing in den Banden der Sünde, der Herr: wollte ihn 
aus ihnen befreien, xar oaoxı Evdedeis ( uvsngov Jeiov) rar 
Tov ögır & Zeigeioaro , xt Tov Tugavvov &dnlusaro zul Tov Jarva- 
rov. Kal ro magadoscruror , Exeivov Tov üvdownov, Tov ndori 
nenkernupr; Tov ri YIoga dedenivov, yegcıv ———— Fdedse 
deluutvov. N uuutos Augiæũ xerhran ur 6 vvᷣoo⸗ ‚Gvdeın dk 
s— ‚ao ooͤ &x 8 magadelos 1 TTEOeV 5 Mehr Unaxois aIAov 


Agayıs anolrußareı. 





Origenes. 51 


Teufels durchblickt, fo geht Origenes ſogar ſoweit, die Täu- 
ſchung des Teufels als unmittelbare Abſicht Gott ſelbſt zu⸗ 
zufchreiben 2). Indem Gott feinen Sohn dem Teufel über- 
gab, Durch den Teufel feinen Kreuzestob veranftalten ließ, 
gebrauchte er ihn felbft ald das bewußtloſe Werkzeug zur 
Zerſtörung feiner eigenen Macht. Der vom Teufel bewirkte 
Tod des Erloͤſers war fo wenig ein Eieg über ihn, daß er 
vielmehr fogar das Mittel wurde, die Macht des Todes 
flo aufzuheben, Je mehr auf diefe Weile auch der Wider⸗ 
foruch hervorgehoben wird, in welchen der, feinem eigenen 
aweden entgegenhandelnde, Teufel mit fich felbft Tommt, 
ohne den von Gott von Anfang an durchſchauten und ab» 
fihtlich herbeigeführten Widerſpruch zu ahnen, deſto mehr 
wird die Selbfttäufchung des Teufel, wie fie in der, gleich 
fam einen dramatifchen Character. annehmenden, Darftellung 
des- Drigenes erfcheint, auch aus dem Gefihtöpunet ber 
Ironie aufgefaßt 2). 


4) In Matth. Tom, XHI, 9.: Ad züro 5 naryo ra lila via ax 
Eyeioaro, all’ Unke nusv nayrwr namöwxev aurov, IV ol Tapa- 
Außorres airov, zul napadorres avrov eis zeigag avIewrun , 
U770 TE xuTommoavrog Ev Tois Agavois Eyy:laodwcı, xal uno ra 
æuols Exuuernaodrüor, el; xaralvonr .uns idlas Paolelos za Goxis 
naga rooodoxiav Tagalufovres ano TA TLaTOOS Tov viov, Ösıs 
Tu Tolrn nutoa nyeo9n, To Tor EyIe0v auch Iavaror zarneyyee- 
va, .xal nuäs menonzevo ovunöppes, & uovov TE Javara aurs, 
alla zart avasacew; u. f. w. 

2) Wie fehr Drigenes auf diefe Weife mit den Gnoſtikern zu⸗ 

,‚ fammentrifft, fälkt von felbft in die Augen. Man vgl. die 
obigen Bemerkungen ©. 23. Bon einer Täufchung dieler 
Art war befonders bei Marcion und den Mareioniten Die 
Mede. In dem unter den Werken des Drigenes befindli- 
chen Dialegus de. recta in Deum fide fagt der Mareionite 
Sect.2.: © ayadog, Lduv zuradedızaa ucvv rij⸗ vvxiv denooc 
19er, 5 BR Önmneyds 7Ielysev abris Brußakevon, 6Iev xar Evo- 
Mor awzov zavpar. — V Anuneyos, iduv Tov ayadov Avovre 


4 * 


—R 


54 1. Ber. J. Abſchn. 1. Kap. 


gende Dogmatifche Begriff der Gerechtigkeit, wie er ja an ſich 
ſchon mit der Borausfezung einer Täufchung in eine gewiſſe 
Collifion kommen zu müffen fcheint, zurüd. 

. :Baben wir aber überhaupt das Recht, auf Die hier hervor 
‚gehobene mythiſche Seite der Theorie des Origenes fo großes 
Gewicht zu legen? Origenes faßt ja den Tod Jeſu aus ver- 
ſchiedenen Gefichtöpuneten auf, er betrachtet ihn insbeſondere 
auch als ein Gott dargebrachtes Opfer, amd als den höch⸗ 
ſten Beweis des Gehorſams gegen Gott, es fragt ſich Daher, 
wie verhalten fich diefe Vorftellungen zu der Vorſtellung ei⸗ 
ned dem Teufel bezahlten Löſegeldes und eined Kampfes mit 
demfelben, welche dieſer verfchiedenen Vorſtellungen ift als 
diejenige anzufehen, welcher die übrigen untergeordnet wer⸗ 
den muͤſſen? Wie überhaupt nach der Anficht des Origenes 
Sünden ohne Opfer nicht vergeben werben koͤnnen, fo if. 
auch der Tod Jeſu ein für Die Sünden der Welt Gott dar- 
gebrachtes Berföhnungsopfer.. Da Origened die Nothwen⸗ 
Digfeit eined folchen Opfers *) nicht aus dem Begriff der 
göttlichen Gerechtigkeit ableitet, fo tft ſchon deswegen nicht 
anzunehmen, daß er fich den Zufammenhang des Opfers mit 


4) In Num. Hom. XXIV, 1.: Si non fuisset peccatum , non 
necesse fuerat fillium Dei agnum fieri, nec opus fuerat 
eum in carne positum jugulari, sed mdnsisset hoc, 
quod in principio erat, Deus Verbum: verum quoniam 
introilt peccatum in hunc mundum, peccati autem neces- 
sitas propitiationem requfrit, et propitiatio non fit nisi 
per hostiam, necessarlum fuit, provider! hostiam pro 
peccato, Als Opfer aber hat fich Jeſus nur Geit darge: 
bracht. In Lev. Hom. I, 2: Solus ille masculus (3 Mof. 1,3.) 
solus sine macula est, qui peccatum non fecit, nec dor 
lus inventus est in ore ejus, et qui acceptus contra Do- 
minum offertur ad ostium tabernaculi. — Hoe est ergo, 
quod offertur ad ostium tabernaculi, acceptum contra 
Dominum, et quld tam acceptum quam hostia Christi, 
qui se ipsum obtulit Deo? 


Drigened 5 


der Vergebung ber Sünden durch die Idee eines ſtellvertre⸗ 
tenden Leidens vermittelt dachte. Es ift vielmehr nur ber 
allgemeine Begriff des Opfers, welcher hier angewandt wird. 
Jedes Opfer muß, wenn es dem Zweck entfprechen fol, für 
welchen es dargebracht wird, eine gottwohlgefällige Beſchaf⸗ 
fenheit haben, d. h. rein und fledenlos feyn. Diefe Reinheit 
kann bei dem Opfertod Jeſu nur die Unfünbdlichfeit und fitt 
lihe Vollkommenheit deffen feyn, der fich felbft als Opfer 
Bett dargebracht hat. Je Höher und eigenthümlicher der 
Vorzug iſt, durch welchen fih in diefer Hinficht Jeſus vor 
allen andern Menfchen auszeichnet, defto mehr eignete er fidh 
auch zu einem Verföhnungsopfer für die Sünden der Men⸗ 
fen. Wenn daher von ihm gefagt wird, er habe als ein 
Gott dargebrachtes Opfer die Sünden der Welt auf ſich ge: 
nommen und getragen, fo ift dieß nicht von einer Erduldung 
der Sündenftrafen an der Stelle der Menfchen, fondern nur 
davon zu verfichen, er fen vermöge feiner vollfommenen 
Reinheit von der Sünde im Stande gewefen, der Sünde ber 
Belt ein folches Gleichgewicht entgegenzufezen, baß die Auf- 
bebung der mit der Elinde verbundenen Schuld und Strafe 
die Wirkung feines Todes war. Indem alſo Gott in ihm, 
dem wegen der Sünde ber Welt Leidenden und den nothiwen- 
digen Zufammenhang von Echuld und Strafe in feiner Ber- 
fon Darftellenden, feine abjolute Unfündlichkeit anfchaut, fieht 
Gott zugleich über die Sünde der Welt hinweg, fie find in 
dem Einen, das vor Gott abfoluten Werth hat, nur als ein 
verſchwindendes Moment gefezt 9). Warum fol nun aber 
1) In Lev. Hom. 11, 1.: Ipse; qui in stmilitudinem hominum 
factus est, et habitu repertus ut homo, sine dubio pro 
peccato, quod ex nobis susceperat, quia peccata nostra 
portavit/; vitulum tmmaculatum , hoc est carnem incon- 
taminatam, obtulit hostiam Deo. In Joh. Tom. XXVIII, 14.: 


v ⸗ 7 «ı» 2 — ur 1% n ⸗ 
Avdowro; yay Esıv 0 anodavıy Imoas — sur Ertet ardgtuno; nev 





..» 2 >» 8 . ..c . 
esıv 0 anodaywv, ux nv 08 aydgwnos m alnden, za 7 nogpie, 


56 L Ber. 1. Abfchn. 1. Kap. 


ein auf ſolche Weife Gott dargebrachtes Opfer. nicht an fich 
fihon eine, zur Berfühnung der Schuld der Sünde zureichende, 





% 


zo 5 alpmwn, mai 7 Öimaauvn nor ed a yeyganıa" Ges m 
ö Aoyog, Ax antdaver 6 Aoyos eos xal 7 ale, xai m vompla, 
zo 7 dıxamauvn, avenidexros yap 7 eixuv Ta ea dogara Trot- 
zöroxo;s raons xrloeus Javara. “Yrte ra Aus de anidaver 
Bros 6 avdgwrrog To narrwv Loiwv xadanusrepov, Osıs Tas qAuae- 
tias Auärv joe xar Tas uoseveias, üre Öurauevos näoay Try Ols 
Ta x00ua &uaoprlav eig Zaurov avalaßuy Avcaı al Eiavalacaı zab e 
Baparlsaı, ine un duaoriav änoize., Died muß in jedem 
Fall als die Hauptonrfiellung des Drigenes angefehen wer» 
den, wenn auch gleich nicht zu Iäugnen iſt, daß fich bei 
Drigenes auch Stellen finden, in welchen er das Derföhs 
nende des Opfers auf die Idee der göttlichen Gerechtigkeit 
bezogen zu haben fcheint. Man vgl. z. B. Comm. in ep. 
ad Rom. Ill, 8.: Secundum hoc ergo, quod hostia est 
(Christus), profusione sanguinis sul propitiatio efficitur 
In eo, quod dat remissionem praecedentium delictorum: 
— cum (1 erg0) peccatorum remissto tribuatur, certum 
est, propitiatiomem effusione sacri sanquints adimpletam, 
absque sanguinis enim effustone non fit remissio pecca- 
torum (Hebr. 9, 22.). Warum war es nothwendig, daß 
das Blut vergoffen wurde, wenn es nicht als die Sühne 
für Die Schuld der Sünde betrachtet wurde? Allein es if 
Dabet nicht zu überfehen, daß Drigenes diefe Nothwendig⸗ 
keit nirgends aus der dee der göttlichen Gerechtigkeit ab- 
leitet, fondern vielmehr nur bei der unbeſtimmten Vorſtel⸗ 
lung einer reinigenden Kraft des Blutes, die er fich, mie 
es fcheint, auf geheimnißvolle Weife dem Blut inwohnend 
Dachte, fiehen bleibt. Daher liegt ihm das eigentlich Vers 
fühnende des Opfers in dem purgari peccata. Man vgl. 
3. ®. Hom. in Lev. XIV, 4.: Mors, quae poenae causa 
infertur pro peccato — purgatio est peccati ipsius, pro 
quo Jubetur inferrt. Ebenſo unentwidelt ik bei Drigenes 
die Vorfiellung des fiellvertretenden Leidens. Drigenss fagt 
allerdings Diters, Jeſus habe für die Menfchen gelitten, 





: Drigenes. " 57 


Wirkung gehabt Haben? Es iſt dieß nur aus ber Selbſt⸗ 
ſtaͤndigkeit des VBerhältniffes zu erklären, in weichem man den 
Teufel Gott gegenüber zu denfen gewohnt war. Hätte dem⸗ 
nach auch an ſich Gott aus Liebe zu den Menfchen und mit 
Rüdfiht auf dad von Jeſu dargebrachte Opfer die Sünden 
vergeben können, fo geftattete dieß doch Das Recht, das der 
Teufel auf die Menfchen Hatte, nicht. In diefem Auffern, 
im Grunde dbualiftifch gedachten, Verhältniß lag eine, die 
Naht und Liebe Gottes beengende, Beichränfung. Es mußte 
vor allenı Dem, nicht fowohl in der Idee Gottes an ſich, als 
vielmehr nur in dem Verhältniß Gottes zu einem andern be= 
. gründeten, Geſez der Gerechtigkeit Genüge geſchehen feyn, 
wenn bie göttliche Liebe und Gnade fich follten geltend ma⸗ 

hen bürfen. So ftehen die beiden Vorftellungen eines Gott 
dargebrachten. Opfers und eines dem Teufel bezahlten Löje- 
gelds mit Derjelben Selbftftändigfeit neben einander, welde 
überhaupt der Teufel neben Gott behauptet. Diefelbe Hand⸗ 
lung bezieht fich, obgleich auf fehr verſchiedene Weife, fowohl 
auf Sott, als auf den Teufel. Was auf der einen Geite 
ein, von dem Gefeze der Gerechtigkeit gebotener, nothwendi⸗ 
ger Act ift, iſt auf Der andern ein der Liebe von der Liebe 
gebradytes Opfer 1). Obgleich das Eine dem Andern nicht 


wie er 3. DB. in Ps. XXI. von dem Ausfpruch Jeſu Matth. 
27, 46. fügt: Tunoi 70 nueregov ntasos, nueis yao nuev ol 
Eyzaraleisınusvo xaı Trapewgauevo sreoregor U. |. W. Wie aber 
diefe Stellvertretung fiattfand , und worin fie ihren Grund 
hatte, wird nicht näher erklärt. Daß Iefus, wie Drigenes 
Hom. in Lev. I, 3. fagt, peccata generis humani im- 
posult super caput suum, ipse est enim caput corporis 
ecclesiae suae, fchließt auch nur den Gedanken in ſich, daß 
Chriſtus, als Haupt der Menfchheit, auch die Sünden der 
Menfchen auf fich nehmen oder an fich darftellen mußte. 

1) In Ep. ad Rom. IV, 11.: Secundum voluntatem Patris 
forma servi suscepta obtulit vielimam pro universo 


58 1. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap. 


wiberftreitet, fo find Doch Hier Begriffe verbunden, deren Zur 
fammenbang Fein innerlich begründeter, darum auch von 
felbft fich auflöfender if. Wird der. Tod Jeſu zwar als ein 
Opfer betrachtet, aber nicht auf den Begriff der göttlichen 
©erechtigfeit, fondern ben Begriff der göttlichen Liebe bezo⸗ 
gen 1), während 'alles, was ber Begriff der Gerechtigkeit - 
- bier für ſich anfpricht, nur auf die. Seite des Teufels fällt, 
fo wird der leztere Geſichtspunct über den erftern geftellt, 
alle Wichtigkeit und Nothwendigfeit des Todes Jeſu liegt 
nur in feiner Beziehung zum Teufel, in Beziehung auf Gott | 
hätte die Vergebung der Sünden auch ohne den Tod Jeſu 
geihehen Fönnen, da fein Grund: einzufehen tft, warum, 
wenn der Tod Jeſu nur ald Object der göttlichen Liebe be, . 
trachtet wird, für die Liebe ein ſolches Opfer nothwendig 
war. Se auffallender aber, von diefer Seite betrachtet, bie 
Selbftftänbigfeit der Bedeutung hervortritt, die dem Teufel in - 
feinem Berhältniß zu Gott eingeräumt wird, defto Harer muß 
auch werden, wie wenig biefe Verföhnungstheorie überhaup . 
dem abfoluten Begriffe Gottes entfpricht, daß ihre eigentliche 


mundo, tradens sanguinem suum principi hujus mundi; 
secundum sapientiam Dei, quam nemo principum hajus 
mundi cognovit. 


4) In Joh. Tom. VI, 35.: Obroc d7 6 auvos oyaysıs zaIapnor 
yeydynrei, xora tıvag dmoßeyrag Aöyas, Ta bin xoaum, Unke 8 xara 
Tm TE nargog Mardeonca za) ⁊ν gay avedssaro,. evaneros 
To Eaurs aluarı ano Ta raig änagring nuds Trrrgaoxonevag * 
gaoayros. °O db meodayayıy TäToy Toy auvov Ent zw Yvoler 6 
&v ro avdeuno 7 mv Peos, Weyas GpxıEgeus. Die göttliche Liebe 
Gottes zu den Menfchen ik alfo der lezte Grund des dar⸗ 

gebrachten Opfers, und zwar iſt es, da es Gott ſelbſt dar- 
brachte, ein von Gott ſelbſt durch die Vermittlung ber 
menfchlichen Natur des Erlöfers (vgl. ©. 55.) Gott darges 

. brachtes Opfer. Wiefern aber bie göttliche Liebe biefes 
Dpfer erheifchte, wird nicht weiter begründet: 


- Drigene®. " 57 


Wirkung gehabt haben? Es iſt dieß nur aus ber Selbfl- 
ftändigfeit des VBerhältnified zu erklären, in weichem man ben 
Teufel Gott gegenüber zu denken gewohnt war. Hätte dem⸗ 
nah auch an fi) Gott aus Liebe zu den Menſchen und mit 
Rüdficht auf Das von Jeſu dargebrachte Opfer die Sünden 
vergeben können, fo geftattete dieß doch das Recht, das der 
Zeufel auf die Menfchen hatte, nicht. In dieſem äuflern, 
im Grunde dualiſtiſch gedachten, Verhältniß lag eine, die 
Macht und Liebe Gottes beengende, Beſchränkung. Es mußte 
vor allem dem, nicht fowohl in der Idee Gottes an fidh, als 
vielmehr nur in dem Verhältniß Gottes zu einem andern be= 
gründeten, Geſez der Gerechtigkeit Genüge gefchehen feyn, 


wenn die göttliche Liebe und Gnade fich follten geltend ma⸗ 


hen dürfen. So ftehen die beiden Vorftelungen eines Gott 
dargebrachten Opfers und eines dem Teufel bezahlten Löſe⸗ 
gelds mit derſelben Selbftftändigfeit neben einander, welche 
überhaupt der Teufel neben Gott behauptet. Diefelbe Hand- 
fung bezieht fich, obgleich auf fehr verſchiedene Weife, fowohl 
auf Sott, als auf den Teufel. Was auf ber einen Seite 
ein, von dem Geſeze der Gerechtigkeit gebotener, nothwendi⸗ 
ger Act ift, ift auf Der andern ein der Liebe von der Liebe 


gebrachtes Opfer 9. Obgleich das Eine dem Andern nicht 


wie er z. B. in Ps. XXI. von dem Ausfpruch Jeſu Matth. 
27, 46. fagt: Tunoi To nueregov rados, yusis yao nuev ol 
tyzaralslıuuvo xaı Trapewonuevo rreoregov U. |. W. Wie aber 
dieſe Etellvertretung ſtattfand, und worin fie ihren Grund 
hatte, wird nicht näher erklärt. Daß Sefus, wie Origenes 
Hom. in Lev. I, 3. fagt, peccata generis humani im- 
posuit super caput suum, ipse est enim caput corporis 
ecclestae suae, fchlieft auch nur den Gedanken in ſich, daß 
Chriſtus, als Haupt der. Menfchheit, auch die Sünden der 
Menfchen auf ſich nehmen oder an jich darfiellen mußte. 

1) In Ep. ad Rom. IV, 14.: Secundum voluntatem Patris 
forma servi suscepta obtulit viclimam pro universo 


60 8er. J. Abichn. 1. Rap. 


hangende Sin Belſt zeit Atem AR. BO ſallt von FAN: in Die 
Yugen, wie wenig Zufammenhang in Diefer ganzen Vorſtellung 
if. Um das Göttliche in Chriftus, was an fich unmöglich IR, 
nicht in Die Gewalt des Tenfeld Tommen zu laſſen, fol nur 
die Sede Jeſu als Röfegeld dem Teufel gegeben worben ſeyn, 
deswegen werben biejenigen getabelt, Die Die Seele Jeſu vom 
- ‚dem Göttlichen in Chriftus nicht unterfheiden. Um aber die 
Seele Zefu nicht zu fehr herabzufegen, wird num wieder be 
hauptet, e8 fey Die Einheit eines Ganzen, in weichen: Sein) 
von Chriftus, und feine Seele von Dem Arſtgebornen ber 
‚ganzen Schöpfung, ober von Ehriftus, ald Bett, nicht ge 
trennt werden dürfe. Iſt aber diefe Einheit eine fchlechtbin 
ungertrennliche, fo Eonnte auch Die Seele Zefu fo wenig, ald 
das Göttliche in Chriftus dem Teufel als Löfegeld gegeben 
werden, und diefer ganze Verföhnungsproceß hebt fih, da 
er als ein blos fcheinbarer audy Fein Refultat haben Tann, 
von feldft auf. Iſt die Seele Jeſu, für fich betrachtet, wie 
fie Origenes in der Entwidlung feiner Theorie nennt, dem 
Teufel als Löfegeld gegeben worden, obgleich mit der Folge, 
daß er fie nicht fefthalten Eonnte, fo wurde fie ihm doch, fey 
ed auch nur auf Einen Moment, reell gegeben, und der Act 
der Berföhnung kann ebendarum als ein reell geichehener bes 
trachtet werden, konnte fie ihm aber wegen ihrer Einheit -mit 
dem Göttlichen in Chriſtus an fich nicht gegeben werden, fo 
wurde dem Teufel überhaupt nichts gegeben, und der Act 
der Berföhnung flellt fi als ein nicht wirklich vollzogener 
bar. Das Ganze löst ſich in eine inhaltsleere: Vorftellung,, 


1) Ill onnegor 8 Ad rov ’Incäv ano TE Xasä, alle moAlıs srAkor 
oide Ev elvaı Thoũv tov Xoisov, xal zw Wuyyv aura Tmoos Tor 
SLOWTOTOXOV Trauns wrisews, alla xaL To oWur aurä, ws nikov, ei 
dei Erws Ovouasaı, Eivan !v olov räro, Oneo 0 »olluuevos tu 
zuoln Ey zveuua Esw. GSelbſt Ichon der Ausdrud in dieſer 

Stelle zeigt, wie unklar und ſchwankend die ganze Vorftel: 
lung des Drigenes ift. 





Drigene®. - 6 


ein mythiſches Scheinbild, auf, das ber Idee der Verſöͤh⸗ 
nung feine objective Realität geben kann; es hat Feine logi⸗ 
he Wahrheit, fondern nur mythiſche Bedeutung, und kann 
‚daher auch nur auf einem Standpunct befriedigen, auf wel⸗ 
dem überhaupt das mythiſche Bild noch Die Stelle bed Bes 
griffs vertreten muß ). 


1) G. Thomaſius in der Schrift: Origenes, ein Beitrag zur 
Dogmengefchichte des dritten Jahrhunderts. Nürnberg 1837. 
faßt ©. 221 f. die Lehre des Drigenes von dem Tode Jeſu 
in die drei Momente der Erlöfung, Berföhnung und Rei⸗ 
nigung zuſammen. Die Erlöfung babe er bewirkt, fofern 
er und von der Gewalt des Satans erfaufte, die DBerfüh- 
nung ale Opfer für die Sünden, die Reinigung, fofern er 
die Kraft verleihe, die Sünde felbf zu vernichten. Die 
beiden erften Momente, die hier allein in Betracht Fommen, 
da das dritte auf einem unflaren Begriff beruht, fliehen auch 
in der von Thomaſius gegebenen Darftellung rein äuſſerlich 
neben einander. In den Comm. in ep. ad Rom. III, 7. u. 8. 
unterfcheidet zwar Drigenes die beiden Begriffe Erlöfung 
und Berföhnung: Videamus attentius, quid sibi velit 
redemtio, quae est in Christo Jesu. Redemtio dieitur 
id, quod datur hostibus pro his, quos in captivitate de- 
tinent,, ut eos restituant pristinae libertati. Detinebatur 
ergo apud hostes khumani generis capttvitas peccato, 
tanquum bello, superata: venit filtus Dei — et semel- 
ipsum dedit redemtionem, id est, semetipsum hostibus 
tradidit. — Cum superius dizisset (Apostolus), quod 
pro omni genere humano redemtionem semetipsum de- 
disset, ut eos, qui in peccatorum captivitate teneban- 
tur, redimeret, — nunc addit aliquid sublimius et dieit 
(Röm. 3, 24.) — guo scilicet per hostiam sul corporis 
propitium homintbus faceret Deum, et per hoc ostende- 
ret justitiam suam, dum eis remitteret praecedentia 
peccata. Aber auch hieraus wird das Verhältnig der Ver⸗ 
föhnung zur Erlöfung nicht Elarer, und wenn hier etwa die 
Verföhnung durch den Begriff der Gerechtigkeit näher be⸗ 


62 1. Ber. 1 Abſchn. 1. Kap— 


Wie diefer Entwidlung zufolge zwifchen ben beiden Bi 
ftellungen, von einem Gott dargebracdhten Opfer und eim 
dem. Teufel bezahlten Löfegeld, in deren Sphäre ſich 1 
Theorie des Origenes bewegt, Tein innerer wefentlicher 3 
ſammenhang tft, fofern die leztere zwar als die, Die erſt 
ſich unterorbnende, Hauptvorftelung. betrachtet wird, 1 
Proceß aber, durch welchen der Act der Verföhnung verm 
telt werden ſoll, als ein unmwahrer fich barftellt, fo hat O 
gened auch den Gehorſam Jeſu nicht in ein folches Verhä 
hältniß zu feiner Theorie gefezt, daß fie dadurch haltba 
und zufammenhängender geworden wäre. - Der von Jefu 
feinem Tode geleiftete vollfommene Gehorfam ift zwar | 
nothwendige Vorausſezung, unter welcher er allein Erlö 
und Verſöhner feyn konnte, was aber Origenes fonft uͤl 
den Gehorſam Jeſu lehrt, hat Feine nähere Beziehung 
feiner Berföhnungstheorie, da er den’ Gehorfam Sefu 1 
aus dem fittlichen, Geſichtspunct eines, den Menſchen zı 
Gehorfam gegen Gott ermunternden, Beifpield betrach 
Se vollfommener der Menfch den Gehorſam Jeſu nachahr 


ſtimmt zu ſeyn fcheint, fo iſt auch dieß nicht der Fall, 
Drigenes fo fortfährt: In consummatione etenim seı 
in novissimo tempore manifestavit Deus justitiam su 
et redemitionem dedit eum, quem propitiatorem feı 
ne forte, si prius propitiationem misisset, non t 
multos humani generis repropitiasset Deo, quam in 
temporibus, quibus jam mundus repletus videtur i 
minibus. Deus enim justus est, et justus justific 
non poterat injustos: ideo interventum voluit esse p 
pitiatoris, ut per ejus fidem justificarentur, qui : 
opera propria justificari non poterant. Nur darin änf 
füch alfo die göttliche Gerechtigkeit (die dıxaoavrn Rom. 3,2 

daß Gott niemand für gerecht erklärt, der nicht durch Gl 
ben und Belehrung gerecht geworden if. Won andern | 
forderungen aber, welche bie göttliche Gerechtigkeit gem: 
hätte, if nicht bie Rede. 





Origenes. 63 


und bie Idee der Gerechtigkeit in ſich realiſirt, deſto fähiger 
wird er, das durch Die objectiv geichehene Verföhnung bes 
wirkte Heil ſich zuzueignen 1), und das Ihm urfprünglicdh, 
wenigftens der Idee nach, anerichaffene Bild Gottes, das der 
Logos, oder Sohn Gottes, felbft ift, In fich zu erneuern ®). 

Sowohl bei DOrigenes als bei Irenaͤus hat ſich demnach 
ber Begriff der Berföhnung dem Begriff der Erlöfung gegen» 
über noch nicht zu feiner felbftftändigen Bedeutung entwidelt. 
Da das Wefentlichfte bei beiden zumächft darin, befteht, daß 
der Menſch von der Auffern Macht, die die Sünde durch den 
Teufel über ihn ausübt, befreit wird, fo tritt Die innere 
Macht der Sünde, die Schuld, die auf dem Menfchen liegt, 
und ebenbamit auch die Beziehung auf Gott, zurüd. Um 
fo mehr verdient Dagegen noch in Betracht gezogen zu wer⸗ 
- den, daß auch Origenes, wie Irenäus, die Perfon Chriſti 
aus einem Gefichtspunct auffaßte, welcher von felbft zeigt, 
wie in ihm, ald dem Gottmenſchen, an fi) auch fchon bie 
Berföhnung enthalten iſt. Schon dadurch, daß der Logos 
in Chriſtus Fleiſch geworben ift, oder das Göttlihe und 
Menſchliche in ihm Eins geworden find, ift dad Getrennte 
wieder vereinigt, und der Menfchheit ein Princip mitgetheilt 


1) Comm. in Ep. ad Rom. V, 5. (zu Röm. 5, 19.): Hic per 
quem justt fiunt, sine dubio ipsa justitia est, sicut et 
idem Apostolus dicit de Christo: qui factus est nobis 
Justitia a Deo. Dedit ergo Adam peccatoribus formam 
per inobedientiam, Christus vero e contrario justis for- 
mam per obedientiam posuit. Propterea et ipse obe- 
diens factus est usque ad mortem, ut, qui obedientiae 
ejus sequuntur evemplum, justi constituantur ab ipsa 
Justitia, sicut illi Inobedientiae formam sequentes con- 
stituti sunt peccatores. Vgl. Contra Cels. VII, 17. 

2) In Gen. Hom. I, 3.: Quae est ergo alla imago Det, 
ad eujus imaginis similitudinem: factus est homo, nisi 
salvator noster? _ 


64 I. Ber. L Abſchn. 1. Kap. 


worden, durch welches ſich die in Chriſtus begründete We⸗ 
ſensgemeinſchaft zwiſchen Gott und dem Menſchen in immer 
weiterem Umfang in der Menſchheit entwickelt und realiſirt 9). 
Wenn SIrendus, um das durch Chriftus der. Menfchheit mit« 
getheilte Princip der Verſehnung und Heiligung als ein ihr 
vollfommen einverleibtes darzuftellen, befondered Gewicht 
darauf legt, daß Chriftus alle Altersftufen des menjchlicdyen 
Lebens durchlaufen habe 2), fo läßt Dagegen Origenes den 
menſchgewordenen Logos in den verfchiedenften Geftalten und‘ 
Offenbarungsformen erſcheinen, um den gefallenen Creaturen 
um ſo vielſeitigere Anknuͤpfungspuncte darzubieten, um Allen 
Alles zu ſeyn, und den Heilsplan der göttlichen Weltord⸗ 
nung fo viel möglid) an Allen zu realifiren 9. So betrach⸗ 
tet ift die Menfchwerbung des Logos felbft nur eine Der ver - 
fchiedenen Formen, in welchen ber göttliche Logos, als der 
ewige Mittler zwifchen Gott und der Welt, alles von ihm 


4) Vgl. Comm. in Joh. I, 30.: JTenoinxe yao ö — Ta u- 
poreco (die mewroroxog nraans xrioewg yuas, die er als Gott: 
bat, und den &vgewros, öv aveilzper) Ev, (das finnlofe zara 
gehört wohl nicht in den Tert) Tv amapyım Tüv yıroudva 

. Gugporegwv Ev Eavris TT00 Travruw Tomsas‘ Guporeguv dt Adyu xal 
Er tüv arIewruwv, &9 Wv Avazxesperaı Ti) ayıy Tveuuarı ı Exdza 
wuyn, xaL yeyovev Ixasos Tüv swLousvwv evevuarızos (d.h. nicht 
blos in der Perfon des Erläfers find Gott und Menfch Eins 
geworden, fondern diefe Einheit gilt au) von den Men: 
hen, fofern Die Seele der Menfchen mit dem h. Geift in 
Verbindung gefommen if). Vgl. Contra Cels. III, 28.: 
ar ixelra (Jeſus) Hoaro Ielan zur drdewnivn auvupaiveoda 
yuas, IV 7 avdguniyn Ti Troos To Jeoregov zovurie yeyıra 
Sein, oux &v uovo Ti Iyos, alla xai nam Tois uera TE Mgeikw 
awvalaußavsc: Plor, 0v Inoas Edidaker, avayovra Emi zuv 71005 
Tov Jeoy yıllav xal Tv Troog Exeivov zowuniar. 

2) renäus Adv. haer. II, 22, %. 

3) Thomafius, Origenes ©. 214 — 217. 


Drigenes. 65 


Geſchaffene und in den Unterfchieb mit Gott Herausgetretene 
in der Einheit mit Gott erhält, und wie in ihm alles mit 
Gott Eins ift, fo tft es auch an ſich mit ihm verföhnt. 
Seine verföhnende Tihätigkeit ift nur Die andere Seite ber 
Zhätigfeit, die ihm, ald dem göttlichen, die Welt mit Gott 
vermittelnden, Logos, zufommt. Darum hat auch das von 
ihm auf der Erde vollbrachte Berföhnungsopfer eine auf das 
ganze Univerfum ſich beziehende Bedeutung. Er ift, wie 
‚Drigenes fagt *), der große Hohepriefler, welcher nicht blos 
für die Menfchen, fondern für alle vernünftige Wefen über- 
Haupt fich felbft als Das einmal vollbrachte Opfer dargebracht 
bat. Da nicht blos die Menfchen, fondern auch die höheren 
Geifter vor Gott nicht rein find, fo ift er der große Hohes 
priefter, welcher Alles im Reiche des Vaters wiederherftellt, 
und dafür forgt, daß alles, was an jedem der gefchaffenen 
Weſen mangelhaft ift, ergänzt werde, damit es die Herrlich. 
fett des Vaters in fich aufnehme. Wie alfo-alles, was aufs 
fer Gott ift, ſchon dadurch auch von Gott getrennt und vers 
ſchieden ift, fo ift der Logos das allgemeine Princip ber 
Berföhnung. Ob nun das von Chriftus auf der Erde eins 
mal vollbrachte Opfer auch für alle andere Wefen gilt, oder 
ob ed, wie Drigenes fonft die Sache darftellt, ein Doppeltes 
Opfer gibt, ein irdifches und ein analoges himmlifches 2), 


1) Comm. in Joh. I, 40.: Kat yoe &romov, unte avdewrtvuv ukv 
Avrov Yaoxeıy Guagryucruv yeysvadaı Javars, üx Er’ de Uneo 
@lls Tıvog Taga Toy avdownov ?v wuagrnuaoı yeyernufva, oo, 
Uneo Asowv , 808 Tür azgwv ravros xataewv Oyrwv Eywruov TA 
ges, ws &v ro Iuß avsyvouer (25, 5.) ei um om vneoßolrüs 
rãro eloyra. — 

2) Homil. in Lev. I, 3. II, 3. — De princ. IV, 25. fpricht 
Drigened von nveuuarıza Ts Tovneiag AUd) 2v rois gavois 
und fchließt: wie man Fein Bedenken trage zu fagen, daß 

er hier gefrenzigt worden fen, um zu vernichten, mas er 
durch feine Leiden vernichtete, fo dürfe man fich nicht 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. 





66 . L Ber 1 Abſchn. 1. Kap. 


macht an fich keinen wefentlichen Unterfchieb aus, bie Haupt- 
vorftellung bleibt diefelbe, daß die hohepriefterliche ober ver⸗ 
fühnende Thätigfeit Chrifti fi) auf alle vernünftige Weſen 
erſtreckt, und wie feine Thätigfeit in diefer Hinficht eine all» 


gemeine, das ganze Univerfum umfaflende ift, fo fezt er. 


fie auch für alle, die derfelben bebürfen, indbefondere die 


Menſchen, bis an’8 Ende der Welt fort. In diefer ganzen, . 


dem Weltlauf beftimmten, Zeit bringt er fein Opfer fort und 


fort dem Bater dar, und fein Werk wird nicht eher voll⸗ 


endet, als bis er den lezten der Sünder dem Bater darſtellt, 


folange aber noch eine Unvollkommenheit bleibt, ift auch fein 


Werk noch unvollendet %). Es ift von felbft Har, wie auf 


dieſe Weiſe der Begriff des Hahepriefters ober Verföhnens: | 


in demfelben Sinne, in welchem auch ſchon Philo den Loges 


als Hohepriefter darftellt, in den alerandrinifshen Logosbe 
griff übergeht, und nur zu einer Modification deffelben wird. 
Wie der Logos der allgemeine Mittler zwifchen Gott unb 
allem Sefchaffenen ift, fo kann aud) die erlöfende Thätigkeit 


Chrifti, die in feinem Tode zur hohepriefterlichen wird, ſich 


nur auf alled überhaupt, nicht blos auf die Menjchheit, 


erſtrecken. Je allgemeiner aber diefe Idee ift, befto meht 


wird der chriftliche, an die gefchichtliche Erfcheinung Jeſu und 
die Thatfache feined Todes gefnüpfte, Begriff der Verſöh⸗ 
nung zu einem untergeordneten, ja fogar verſchwindenden, 
Moment. Das hiftorifche Factum löst ſich, wie fich dieß 
bei Drigened deutlich genug zeigt, dofetifch im die Allgemein 
heit der Idee auf, und felbft die durch die Menſchwerdung 
‚ begründete Ginheit des Göttlihen und Menfchlichen Tann 
nicht mehr in demfelben Sinne, in welchem fie bei Srenäus 
eine jo wichtige Bedeutung hat, feftgehalten werden, fondern 


fcheuen zuzugeben, daß auch dort etwas ähnliches gefchebe 


fort und fort bis zum Ende bed ganzen Weltlaufs. 
4) Homil. in Lev. IX, 2.5. VII,2. Comm. in Joh. I, 37. 


\ 





Drigenes 67 


an die Stelle des Sottmenfchen trit der, zwar vun Bott ver- 
ſchiedene, aber auch ewig mit Goft Identifche, Logos. Die 
beiden Momente des PVerföhnungsbegriffs, der Unterfchieb 
und Vie Einheit, find noch nicht in ihrer ganzen Weite aus⸗ 
einandergetreten, da aber auch die Einheit nicht bie wahre 
ſeyn kann, ſolange nicht der Unterfchied, welchen fie zu ihrer 
Vorausſezung hat, zu feinem Rechte gekommen ift, fo ift Die 
im Logosbegriff ſich Darftellende Einheit nicht fowohl bie ver- 
mittelte, als vielmehr nur die unmittelbare, d. h. nicht die 
wahrhaft verfühnende Einheit. Es ift dieß überhaupt das 
Charasteriftiiche des dyriftlichen Standpunet® der alerandrini- 
ſchen Kicchenlehrer: das Menfchliche fommt bei ihnen nicht 


za feiner wahren Realität, daher fehlt ihnen auch noch das 


tiefere chriftliche Bewußtſeyn des Unterſchieds des Göttlichen 
und Menfchlichen, darum ift auch die Einheit, die ihr Bes 
wußtfeyn beftimmt, nicht die durch den Unterfchied fich hin⸗ 
burchbeivegende, fondern die dem Unterſchied vorangehende, 
urfprüngliche, oder die dem Platonismus, nicht aber dem 
Chriftenthum, sigenthümliche. 


Zweites Sapitel, 


. Die Kirchenlehrer vom vierten Jahrhundert bis zum 

Anfang des Mittelalters. Die beiden Öregore von 

Nazianz und Nyffa, u. ſ. w. Auguſtin, Zee ber Gr., 
Gregor der Gr. u. f. w. 


Die Theorie, deren hiſtoriſche Entwicklung wir hier un⸗ 
terſuchen, hat im Ganzen ſchon durch Irenäus und Origenes 
diejenige Form erhalten, zu welcher in der Folge, in der 
langen Periode, in welcher ſie noch immer ˖ die vorherrſchende 
in der Kirche blieb, nichts weſentliches mehr hinzukam. Gleich⸗ 
wohl aber diente die Art und Weiſe, wie die bedeutendſten 
Lehrer der Kirche die verſchiedenen Momente dieſer Theorie 

5% 


20 I. Ber. J. Abſchu. 2. Kap. 


das, durch die Idee der Gerechtigkeit gebotene, rechtliche Ver⸗ 
fahren beftund, fuchten biefe Kirchenlehrer genauer, als bis⸗ 
her geichehen war, zu beflimmen. Die allgemeine Voraus⸗ 
fezuug, von welcher fie auögingen, war, daß der Menich 
nur dur einen Menſchen rechtlich aus dee Hand defien, in 
deſſen Gewalt er fich befawd, befreit werden Fonnte. “Der 
Menſch mußte felbft den Kampf mil dem Teufel beftchen, 
wenn dem Geſeze der Gerechtigkeit Genüge gefchehen follte. 
‚Die befonderen Momente aber, die die rechtmäßige Befreiung 
Des Menichen begründen, find, nach der Anficht der Kirchen- 
lehrer, die ſich hierüber beftimmter erklären, Hauptfächlich 
folgende: 1. Die Herrichaft, die Der Teufel feinem Recht zus 
folge ausübte, konnte nur fo lange dauern, bi8 er einen Ge⸗ 
rechten tödtete, an welchem er nichts des Todes würdiges 
finden Eonnte, was Auguftin feinem Syſtem gemäß näher 
. J 
sed ratione justitiae. Vgl. Sermo LVI, 1.: Justus et 
misericors Deus non sic jure voluntatis suae usus est, ut 
ad reparationem nostram solam potentians benignitatts 
exerceret. Nam si pro peccatoribus sola se opponeret 
Deitas, non tam ratio diabolum vinceret, quam potestas, 
Gregor von Nyffa Orat. catech. c. 23.: Fænolus 7uov Ear- 


res aneunolzouvron , Ele — ra I dyadoryra nahıy yuüs eg 





Eleudeglav € !impnurva un Tov Tugavvızov alla Tov Ölemıov Teoov 
Iwonsivan rs avaxinoens. Theodoret De Provid, Orat. X, 
Opp. ed. Hal. Tom, IV. S. 660.: Ovx —R —E uovn 
vv Eieudegluv nuiv zyuglowotar, ade Kleov uovov once xara 
ra ESavdoamodisarrog ray aydgunwv Tr giaw, \va un Gdızov 
Exeivos noo0ayogevon tov &lsov’ alla unyavaraı rrogov za qyılar- 
Iqwrriag yduorra xcr Ödixmonivn »2x00umuevor. Aüriv yap Eauro 
Tv yrındeisar puov Evwoas, eis Tas ayWvag Elvaylı «ar TTapa- 
Gxevalsı Tv yrrav avaralisaı, xal Tov xaxüg Traiaı vervıcnrota 
xeraywvioaoda U. f. W. Gregor der Gr. Moral. XVII, 28.: 
Quamvis propter naturam stmplicem Dei fortitudo sa- 
pientia sit, Dominus tamen diabolum, quantum ad fa- 
siem spectal, non virtute sed ratione superavii. 


| Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 71 


dadurch motivirte, Chriſtus fen nicht blos von der Sünde, 
fondern “auch von der Erbfünde frei gewefen, da er ohne bie 
finnliche Luft der Zeugung geboren war, durch welche der Teu⸗ 
fel die Menſchen in feiner Gewalt gefangen hielt. Durch Das 
hiedurch begangene Unrecht verlor er, nach dem frengften 
Begriffe der Gerechtigkeit, das von ihm bisher auögeübte 
Recht 2). 2. Der Teufel wurbe auf biefelbe Weiſe beftegt, 


1) Augufiin a. a. D.: Justissime tgitur dimittere cogttur 
credentes in eum, guem injustissime occidit. Geiftreich 
wirb dieß in dem ohne Zweifel pfendonuguftinifchen Sermo 
‘de serpente aeneo et de virga Moysis (in der Bened. 
Ausg. der Werke Aug. Antw. 1700. Tom. V. P.II. ©. 4. 
Sermo XXXJI., fonft gewöhnlich De temp. Serm. CI.) 
fo ausgedrüdt: Mors nist a morte superuri nom poterat: 
ideo mortem Christus substituit, ut injusta mors justam 
vinceret mortem, et. liberaret reos juste, dum pro eis 

' oceldebatur injuste, d. h. der das Leben negirende Tod 
fann nur durch den Tod negirt werden: der Tod des Todes 
ik die Negation der Negation oder die Afficmation des Les 
bend. Sin dem gerechten Tod Eommt der Tod zu feinem 
Recht, der ungerechte Tod aber hebt das Recht des Todes, 
die Durch ihn geſezte Negation, wieder auf. Vgl. Leo den Gr. 
Serm. XXII, 3.: Chirographum, quo nitebatur, ewcedit, 
ab illo iniquitatis exigens poenam , In quo nullam repe- 
rit culpam. Solvitur itaque letiferae pactionis male- 
suasa conscriptio, et per injustitiam plus petendi to- 
tius debiti summa evacuatur. Sermo XLII.: Merito ille 
captivorum amisit servitutem, dum nihil sibi debentis 
persequitur libertatem. Wie ehr dieſe Vorſtellung feit 
dem vierten Jahrhundert die am allgemeinften curfirende 
war, beweist auch der Verfafler des den Werken des Am: 
brofius angehängten Commentars über die paulinifchen 
Briefe (daher gewöhnlich Ambrofiafter genannt), wahrſchein⸗ 
lich nad) Yugufiin Contra duas ep. Pelag. IV, 7., der um 
die Mitte des vierten Jahrh. lebende Diaconud der römi« 
fhen Kirche Hilarius (vgl. Reiche über den Brief an die 


I 


20. d. Ber. J. Abſchn. 2. Kap... 
wie er ſelbſt den Menſchen befiegt hatte, durch die Vermiti⸗ 


lung bed freien Willens. Wie er den Menfchen Dadurch bes; 


‚ftegte, Daß er ihn mit der freien Zuftimmung feines eigenen 


Willens in feine Gewalt brachte, jo wurde er auch wieder. 


dadurch befiegt, daß Chriftus als Menſch durch die Kraft | 
feines freien Willens ihm widerftund )). 3. Es wurbe dem 





Römer, Einl. ©. 96. Neander Gefch. der hr. Kel. und 
Kirche. I. ©. 281.). Die Worte des Apoſtels Rom. 3, 3.: 
ut de peccato damnaret peccalum, welche auch Leo der 


Gr. Serm. LXIX, 3. auf ähnliche Weife erklärt, werben . 


fo genommen: indem Chriftus von der Sünde, d. h. dem 


Teufel, gefreugigt wurde, fAndigte die Sünde an dein Leibe ' 


des Erlöfers, und die Schuld wegen dieſer Sünde hatte 
Die Folge, daß der Zeufel feine Herrfchaft über die Seelen, 


die er gefangen hielt, verlor. In demſelben Sinne wird - 


zu der Stelle Kol. 2,14. 15. bemerkt: Dum non peccande. 
Salvator vincit peccatum, quod hominem tenebat obno- 
sium, iInsuper et ab eo occiditur innocens: sic crucifi- 
gitur peccatum — cruz enim non Salvatoris mors est 
sed peccati. Innocens enim sic, qui oceiditur, reos Ü- 
los faeit, a quibus occtditur. Peecatum autem princi- 
pes et potestates intelligamus, quorum studio peccavit 
primus Adam — qui dum ezspoliantur anlmabus, quas 

- tenebant in captivitate, mortificantur. Man. vgl. hier: 
über, mie Überhaupt über Die Lehre Leo's, Griesbach’s 
Opusc. acad. Vol. I. Dissert. historico -theologica lo 
cos collectos ex Leone Magno, Pontifice Romano, si- 
stens. ©. 98 f. 113 fe Auch gehört hieher Döderlein’s 
Dissert. inaugur. vom %. 1774 u. 75.: De redemtione a 
potestate diaboli, insigni Christi beneficio, in den Opusc. 
acad. Jenae 1789., wo ©. 143 f. noch einige andere Kir⸗ 
chenlehrer, bei welchen dieſelbe Vorfiellung fich findet, wie 
Nefiorius, der Diaconus Ferrandus, Iſidor bon Hifpalis, 
angeführt find. 

1) Leo Sermo XXII, 3.: Non juste amitteret originalem 
generts humant servitutem, nist de eo, quod subegerat, 








Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 73 


Teufel für die Menfchen, die er aus der Knechtſchaft, in 
welcher ex fie hielt, frei laſſen follte, nicht blos ein entſpre⸗ 
I chendes, fondern felbft noch ein größeres und werthvolleres 
Loͤſegeld gegeben *). Alle diefe Momente follten das, zur 
J Befreiung der Menfchen aus ber Gewalt des Teufels und 
zur Aufhebung der an ihn fie bindenden Schuld der Stinde 
befolgte, Berfahren als ein rechtlich vollfommen begründetes 
darftellen, allein jchon mit diefem Momente hängt der dem 
Teufel -gefpielte Betrug ſo eng zufammen, daß der Gegenfaz 
gegen. den Begriff der Gewalt, um deſſen Befeitigung es 
dieler Theorie hauptfächlich zu thun iſt, nicht fowohl in den 
Begriff des Rechts, al vielmehr nur in den Begriff der Lift 
gefezt werben zu Fönnen fcheint. 
- 2. Der dem Teufel gefpielte Betrug. Die Kirchenlehrer 
trugen fein Bedenken, die von Gott getroffene Beranftaltung 
‚ tur.Befreiung der Menfchen aus der Gewalt der Sünde und 
des Todes geradezu mit diefem Namen zu bezeichnen °), und 


vinceretur. Gregor in Evang. Luc. I. Hom. XVI, 2 
Antiquus hostis in tribus se tentationibus erezit, quia 
hunc videlicet gula, vana gloria et avaritia tentavit: 
sed tentando superavit, quia sibi eum per consensum 
subdidit — sed iisdem modis a secundo homine vinci- 
tur, quibus primum hominem se vicisse gloriabatur, ut 
a nostris cordibus ipso aditu captus eweat, quo nos 
aditu intromissus tenebat. 

1) Gregor von Nyſſa Orat. cat. c.23.: Tivos dv arrydlataro (6 dmı- 
nooray Trosaosuu Ttav Oneo av &Ieloı Äureov avrı Ta xare yousva 
dußeiv) Tov xarexouevov, ei un Omdadn ra bwnlorton xaı ueiso- 
vos dvrallayuarogs — Ta uehw tüv Elarrovuv das Bouevos; 
Ambrofius Epist. LXXII. Ed. Ven. 1751. Tom. III. ©. 1172.: 
Pretium nostrae liberationis erat sanguis Christi, quod 
necessarto solvendum erat ei, cut peccatis nostris ven- 
diti eramus. 

2) Gregor ‚von Noſſa Orat. catech. c. 23.: ’Anerarum — 6 
—XC ror ardQwrnor; Ambrofius Expos. in Evang. 


74 L Ber. L aAbſchn. 2. Rap. 


um die Sache um ſo augenſcheinlicher darzuſtellen, bebienten 


ſie ſich verſchiedener bildlicher Vergleichungen, durch welche 
der im Begriffe der Verſöhnung enthaltene Vermittlungs⸗⸗ 


proceß fih immer mehr zu einem reich ausgeftatteten, durch 


eine Reihe verfchiedener Momente ſich entwidelnden, Mythus 


geftaltete. Sa, der dem Teufel gefpielte Betrug wurde be 


Einigen ſoſehr die vorherrichende Idee, daß ſie fogar bie 


Menfhwerdung aus dem Geſichtspunct eines Mittels zur 


Ausführung eines Betrugs, ohne welchen die Erlöfung nicht 
hätte gefchehen können, betrachteten. Voranging hierin Gre⸗ 


gor von Ayffa, welcher es fich in feiner Fatechetifchen Rede zur 
befondern Aufgabe machte, den Fünftlerifchen Plan der göttli- 
chen Defonomie in feiner fucceffiven Entwidlung darzulegen *). 


— — 


Er geht, wie ſchon bemerkt worden iſt, von der Nothwen⸗ 


digkeit der Bezahlung eines Löſegelds an den Teufel aus, 


und ſucht die Annahme deſſelben von Seiten des Teufels ſo 


viel möglich zu motiviren. Da bei dem Teufel die Wurzel 
der Bosheit die Selbftjucht ift, wie Hätte er, argumentkt - 


Gregor, für das, was er in feiner Gewalt hatte, etwas 


©eringered annehmen folen? Nur wenn er etwas Höheres 
und Werthuolleres zu erhalten hoffen Eonnte, etwas, was - 
feinem Stolz neue Nahrung gab, Fonnte er fih zu einem 


ſolchen Tauſche verftehen. Da er nun noch an niemand im 


Luc. Lib. IV. Ed. Ven. T. IV. ©. 827.: Oportuit huns 
fraudem diabolo fieri. Leo der Gr. Serm. XXI, 4.: 
Jllusa est securl hostis astutia. 


4) Orat. catech. c. 22 - 26.: Teurmw Toiyur tv Öuvayıry xatogiv” 


— — 


—— ———— en — 


e 2 [1 2 3 N = " N) v ⸗ * 
0 ExJ005 89 Exeivw, Tieioy TE xareyoueya To Trooxelusvor ide 


&v Ti owvallgynerı * Tara yagıy aurov aigeiraı Äurgov ray Ev 15 
ra Javara yonpa xadewyaerwuv yerdodar. Alle um Gunyaror m 
yvurg noooßleye xy va Hei Yarracia U. f. w. Im Geifte 
diefes Pragmatismus entwickelt Gregor das oopov xar rey- 
vıxov ts olxovouias bis zu dem, den Effect einer dramatis 
(hen Scene machenden, Hauptmoment. | 


Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u. .w 75 


ganzen Berlauf der Menfchengefchichte fo große Vorzüge 
wahrgenommen hatte, als an dem mit fo hoher Wunder⸗ 
macht Ausgeftatteten, jo glaubte er in ihm noch mehr zu 
halten, als er jchon hatte, und entichloß fich daher, ihn 
als Löfegeld für die zu nehmen, bie in dem Gefängniß bes 
Todes eingeichlofien waren. Hier dringt fich jedoch Gregor 
ber Zweifel auf, wie der Teufel auch nur deu Gedanken, 
ſich Jeſu zu bemächtigen, haben Eonnte, wenn er bie Vor⸗ 
füge, bie ihn jo lüſtern nach ihm machten, als Eigenfchaften 
ber göttlichen Natur erfennen mußte? Darum follte, wie 
Gregor die Sache ſich weiter audmahlte, die Weberliftung 
bes Teufels ſchon durch die Annahme des Fleifches eingelei⸗ 
tet werden, damit nicht der Anbli der nadten Gottheit den 
Teufel zurüdichredte. Hüllte fich Die Gottheit in das Fleiſch, 
ſah der Teufel in Chriftus eine den übrigen Menſchen ver- 
wandte Natur, daffelbe Fleiſch, das er durch die Sünde in 
ſeine Gewalt gebracht hatte, fo ließ er ihn zu fich heranna⸗ 
ben, und ber Anblid der in der Reihe der einzelnen Wunder 
fucceffiv fich immer herrlicher entwidelnden göttlichen Macht 
erwedte in ihm nicht Furcht, fondern nur Begierde. Die 
Menfchheit wurde jo zur Lodfpeife, und Gregor bedient ſich 
daher felbft des Bildes, das Göttliche habe ſich unter der 
Hülle unferer Natur verborgen, damit, nach der Weiſe lüfter- 
ner Fiſche, mit Der Lockſpeiſe des Fleiſches zugleich auch die 
Angel der Gottheit verfchlungen würde. Indem auf diefe 
Weife das Leben dem Tode inwohnte, das Licht in Die 
Sinfterniß Hereinleuchtete, mußte vor dem Licht und Leben 
fin Gegenfaz verfchwinden, und der Teufel wurde durdy die . 
ihm vorgehaltene Hülle des Menfchen ebenfo betrogen, wie 
er felbft den Menfchen durch die Lockſpeiſe der Luft zuerft be⸗ 
trogen hatte. Die Idee der Täufchung ded Teufels ift in 
der neuen Wendung, die ihr ©regor von Nyffa gab, nod) 


weiter audgefponnen, ald bei Drigened. Die Darftellung 


des Origenes läßt darin noch eine Lücke, daß fie nicht ins 


76 L Ber. 4, Abſchn. 2. Rap. 


Tänglich erklärt, wie der Teufel e8 wagen Tonnte, ſich & 
Erlöferd zu bemädhtigen. Zwar fricht Origenes auch Fee 
davon, ber Teufel fey, ‚ohne e8 zu wiſſen, in das Nez % 
Kreuzes gefallen. Diefe Vorftelung fteht aber no zu J 
‚Ur, und e8 geht aus der ganzen Darftellung nicht Fig 
genug hervor, wie ber Teufel. fo unwiffend ſeyn kom 

Die Täuſchung iſt nicht fein genug “angelegt, wenn DEM 
Gedanken noch zu viel Raum gegeben wird, es ſey Tu 
Teufel unmittelbar um das Göttliche in Chriftus zu TEE 
gewefen. Der ganze Werlauf der Sache ift unftreitig wei 
beffer motivirt, wenn auch ſchon die Menſchwerdung felh 
in die Sphäre des Betrugs, der dem Teufel gefpielt werben 
follte, gezogen wird. Auf ber andern Seite aber verwidel 
ſich ebendadurch die hier gegebene Darftellung in fich ſelbſt 
und der Mangel an Zufammenhang, der fi) und jchon be 
Drigened zwifchen der Borausfezung eines mit dem Teig 
eingegangenen Vertrags und der Idee einer Täufchung -DeP 
felben zeigte, trit bier um fo auffallender hervor. Ant 
Nüdficht auf die Idee der göttlichen Gerechtigkeit betrachte, 
Gregor von Nyſſa die durch den Tod Jeſu gefchehene Erlo⸗ 
fung aus dem Geftchtspunct eined avralloyue.. Zum Be 
griff eines avreddoyun aber gehört ed, daß man dad, | 
was man durch baffelbe erhält, mit dem Bewußtſeyn er 
hält, man erhalte etwas, worauf man an ſich fein Re 
hat, gegen etwas anberes, in. deſſen rechtmäßigen Beltz man 4 
if. Wie Fonnte aber der Teufel diefes Bewußtfeyn haben, = 
wenn die Menfchheit, in die ſich die Gottheit hüllte, ihn” 
auf die Meinung bringen follte, es fey ein Fleiſch derfelben 

Art, wie dasjenige, das er durch die Sünde in feine Ge⸗ 
walt gebracht hatte? Glaubte er ein Recht darauf zu ha 

ben, fo konnte er es nicht zugleich als etwas betrachten, 

wofür en auf ein anderes Recht verzichten follte 9. Nur an 




















1) Der Wider trit klar hervor in den Worten One 


Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u. f. wm. 77 


h, vom Standpunct Gotted aus, konnte das im Tode 
fa dem Tenfel Gegebene als ein Erfaz für etwas anderes 
weichen: werben, aber eben dieſes Ginfeitige fchließt‘ der 
tgriff des avrallaypız von felbft aus. Daher iſt es ges 
4, wenn man einmal dem Betrug, durch welcher der 
ufel getäufcht worden ſeyn ſoll, einen fo großen Epielraum 
tattet, weit confequenter, mit Leo dem Gr. ımd Gregor 
u Sr. von dem Begriffe eined avrailayıa und allem, 
8 Damit zufammenhängt, abzufehen, und die Menfchheit, 
ter welche ſich die Gottheit des Erlöſers verbarg, ohne 
ve ſolche Kebenrüdficht, als die täufchende Hülle zu bes 
achten, durch welche der, einen foldyen Betrug nicht ahnen- 
„Feind überliftet werden follte. Für dieſen Zwed alfo 
ufte der Erlöfer als Menſch geboren werden, und von ber 
nbhet bis zum Kreuzestod alle Stufen des menfchlichen 
aſeyns durchlaufen, um nicht fogleich als nadter Gott in 
ner wahren Geftalt erfannt zu werden Y. Um fo größer 





. Alla ur Zur zavov yv, yuuri noooßleum TE TE Seh Yarraala 
u Oagxös Tıva ’uoigev Ey auto Sewproavra, 477 non dia Tue 
äucerlas xeyeigwro. Ihe rũto negxexaluntan Tn oagxı 7 Neorıg, 
ds Gy TIE05 TO Ouvrgoyoy TE xal Guyyerks aurıd Plenov m) rroy- 
Gel Tov TIogo0eyyıuov Tg ümegexsons Öuvaıkws, xat Tv morum 
dia tür Iavuarwv In) ro usilov Öalaureoav Öuvanıy xararon- 
oas ZmiIvuntov uüllov 7 goßeguv eva vonio;- Und Doch follte 
ed ein arrallayua feyn, cap. 24.: ‘N; &v eulynrov yeraro 
ro Enılmräyr Unte nuöv To arrallayua, Ti Mooxaluunarı TA5 
gioess Hudv Eyexgupydn To Heiov, va xara zus ÄAlyvag Tüv 
Iz9var ro dekkarı Tis vagxog Oowvanoonaodf TO Ayxıspov Ts 
Jeornros. 

1) Leo der Gr. Serm. XXII,4.: Cum igitur misericors om- 
nipotensque Salvator ita susceptionts humanae modera- 
retur exordia, ut virtutem inseparabilis a suo homine 
deitatis per velamen nostrae infirmitatis absconderet : 
Illusa est, securi hostis astutia, qui nativitatem pueri, 
in salutem generts humani procreati, non aliter sibi 





78 Ber 1. Abſchn. 2. Kay. 


war daher die Täufchung, als endlich der entſcheidende Mi! 
ment eintrat, für welchen das ganze Leben des Erlöfere tun; 
quam omnium nascentium put avit obnoxiam — — 
postremo in ipsum vim furoris sut eſſudit, omnia * 
tamentorum genera percurrit, et sciens quo humane 
naturam infecisset veneno, nequaquam credidit primagy! 
transgressionis- exsortem, quam tot documentis didici 
esse mortalem. Perstitit ergo improbus praedo et ave&: 
rus exactor in eum, qui nihil Ipstus habebat, Insurgeres, 
et dum vitiatae originis praejudiclum generale perss- 
quitur, chirographum, quo nitebatur, excedii, Fair 
der Gr. fagt zwar Moral. XXXIII. c.7. (über Hiob c. 40.) 
Et quidem Behemoth tste (ber Teufel) filtum Dei dmeung; 
natum noverat, sed redemtionis nostrae ordinem weseiell 
bat. Sciebat enim, quod pro redemtione nostra incar- f 
natus Dei fillus fuerat, sed omnino quod idem redem 
tor noster {lhim morlendo transfigeret, nesctebat. : Die: 
wäre die Vorftellung des Drigenes und Augufin. Dep) 
Zeufel Fannte zwar Jeſum als Sohn Gottes, tänfchte: fi 
aber im der Voransfezung, daß er ihn in feine Gewalt 
bringen Eönne, weil er in ihm zugleich einen Menfchen ſah 
worin jedoch an fich noch nicht liegt, daß der Erlöfer nur" 
für den Zweck der Täufchung Menfch wurde. Allein Gre | 
gor fagt doch zugleih: Quis nesciat, quod in hamo esca f 
ostenditur, aculeus oceultatur? Esca enim provocat, W 
aculeus pungat. Dominus itague noster, ad human 
generis redemtionem veniens velut quendam de se in 
necem diaboli hamum fecit. Assumsit enim corpus, ut 
in eo Behemoth iste quasi escam suam mortem carnis 
appeteret. Der Leib ift demnach doch nur dazu angenom⸗ 
men, um den Teufel zu täufchen, die Menfchwerdung wäre 
alfo nicht erfolgt, wenn fie nicht das Mittel der Täufchung 
gewefen wäre. Auch wenn der Teufel den Erldfer zuvor 
fchon ald Sohn Gottes Eannte, war die Zäufchung diefelbe, 
fofern er die Menfchheit für das Mittel hielt, ihn feſtzu⸗ 
balten, ohne die Denfchwerdung aber hätte der Zweck der 

















Die Kirchenlchrer des vierten Jahrh. u.f.w. 79 


ie Einleitung ſeyn follte. Die Bedeutung diefed Moments 
at Gregor der Gr. befonders dadurch hervorgehoben, Daß 
te den Teufel mit dem Leviathan verglih und ihn, gleich 
nem Fiſch, von dem Erlöfer mit dem Hamen gefangen 
erden ließ. Die Menfchheit war die verführerifche Lockſpeiſe, 
ı welche der Verführer des Meenichengefchlechts hineinbiß, 
e mit der Menfchheit verbundene Gottheit aber der verbor- 
me Stachel, welcher ihn durchbohrte. Indem er nad) dem 
nfterblichen griff, um ihn zu tödten, verlor er die Sterbli« 
en, die er in feiner Gewalt hatte Darum läßt ihn Jos 
aned von Damaskus, gleich dem Saturn der heidniichen 
jabelwelt, alles, was er verfchlungen hatte, wieder von fid) 
eben, als er verichlingend die Lockſpeiſe des Leibe von dem 
amen der Gottheit ergriffen und den unfündlichen und les 
udig machenden Leib fchmedend, jelbft zu Grunde gerichtet 
ard. So läuft das fo glüdlich gewählte Bild in verfchies 
nen Formen fort, bis auf Peter den Lombarden, welcher 
n folgen Leviathan Gregor's nicht blos, wie Iſidor von 
evilla, in einen in der Schlinge gefangenen Bogel, fondern 
gar in eine Maus verwandelte, für welche der Erlöfer in 
mem Kreuze Die Mausfalle ftellte *). 


Zänfchung nicht erreicht werden Fönnen. Für welchen an⸗ 
dern Zweck wurde er alfo Menfch, da er doch nur als Er- 
löfer erfcheinen Eonnte ? 


I) Gregor der Br. a. a. D. oh. von Dam. ee. rys 609od. 
grös. HI, 1. 27. Sfidor von Sev. Sent. I, 14. (illusus est 
diabolus morte domini quasi avis. Das Uebrige nad) 
Greg. d. Gr.) Petrus Lomb. Sent. Libr. II. Dist. 19.: 
Quid fecit redemtor captivatort nostro? Tetendit et 
muscipulam crucem suam: posuit ibi, quasi escam, san- 
guinem suum. — Zulezt wurde fegar, was hier nur als ein 
weiterer Beweis dafür noch angeführt werden mag, wie 
fehr diefe ganze Vorftellung dem Geifte jener Zeit zufagte, der 
ſchon von den Marcioniten dinlogifirte Rechtöftreit zwiſchen 





80: L Ber. I. Abſchn. 2. Rap. 


Die Idee ded Betrugs, dutch welchen der Teufel übers 
iftet werben follte, ift num zwar fo vollftändig, als möglich, 
ausgeführt, was if aber dadurch gewonnen ?. Daß fih die 
Borausfezung eines, der göttlichen Gerechtigfett entfprechen- - ' 
deh, avraldayue nicht fefthalten läßt, ift fchom gezeigt, aber 
auch die Abficht, dad Werk der Erlöfung im Gegenfaz ges 
. gen die Art und Weife, wie der Teufel die Menfchen ver⸗ 
führt hatte, auf einem der ©ottheit würdigeren Wege ger- 
fchehen zu laffen, wird nicht erreicht, und die Kirchenlehrer, 
welchen diefe Borftellung am meiften einleuchtete, können 


En 


Chrifius und dem Teufel (man vgl. die chr. Gnoſis ©. 273), | 
als Gegenftand eines Zaftnachtsfpiels bearbeitee in der im .ı. 
fünfzehnten Sabrhundert erfchienenen Schrift: Reverendi 
patris domini Jacobi ‘de Theramo Compendium perbreve. 
consolatio peccatorum nuncupatum et apud nonnüllos j 
Belial vocitatum, ad Papam Urbanum sextum conscrip- 
tum. Impressum est fol. anno Mesccelxxxiiij. Die teub- 
fche Ueberſezung hat den Titel: Beltal, zu deutſch, Ein 
gerichtz handel zwiſchen Belial hellifhem Verweſer, ald- 
Fleger einem tail vnnd Jeſu Chriſto, bummelifchen got, . 
antwurter,, anderm teile, Alfo, obe Iheſus dem heilifchen 
Sürften vechtlishen die helle zerföret, beraubet, vnn die, 
teufel darin gebunden habe, etc. Alles mit clag, antwurt, 
widerred, appellierung, rechtfazung etc. Strasb. MD. vjij. 
Diderlein, deffen oben (©. 72.) erwähnter Abhandlung id 
diefe Notiz verdanfe, bemerkt darüber: Nihil magis fe- - 
sttvum atque ludicrum somniart poterit legive, quam 
Johannis de Teramo, qui sec. XV. scripsit, libellus: 
"Belial. Hic exim causam Jesum inter atque diabo- 
lum quasi coram foro divino agitatam recenset. Sisti- 
tur tribunal: apparent partes: litem movent: testes vo- 
tantur in subsidium; traduntur libelli accusatorii ac 
defensorti: denique judicis sententta Beliul ut reus con- 

. demnatur, petitis quoque e jure Justinianeo et Cano- 
ntco rationibus. | / 





—14 luuiJ UII 


x 


Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u.f.w. 81 - 


ſelbſt das Geſtaͤndniß nicht zurüdhalten, daß der erfle Bes 
kung nur mit einem andern erwiedert worden fey. Betrogen 
nurde, fagt ja Gregor von Nyſſa ohne Umſchweif, durch 
de täufchende Hülle des Menfchen derjenige, der die Men- 
ſhen durch Die Lockſpeiſe der Luft zuerft betrogen hatte. Und 
kan nun aud, um den nachtheiligen Gonfeguenzen dieſes 
detrugs zu begegnen, an den Zweck des zweiten Betrugs 
eimert wird, daß er, was der erſte zur Folge hatte, zum 
Veſſern umigeändert, daß, wie ber Teufel zum Verderben der 
Natur feinen Betrug begangen, fo der Gerechte, Gute und 
Beile zum Heil des in's Verderben Gefallenen des Betrugsd 
ſich bedient Habe, und zwar nicht bloß zum Beften bed Ver⸗ 
führten, fondern fogar des Urheber der Verführung felbft *), 
fo it dieß Doch nichts anders, als ein Verſuch, das fchlechte 
Mittel durch den guten Zweck zu rechtfertigen. Es droht 
bier aber dem chriftlichen Glauben eine noch größere Gefahr. 
Das Werk der Erlöfung kann, wie es hier gedacht wird, 
nicht ohne einen Betrug gefchehen feyn. Die Annahme eines 
Betrugs iſt diefer Theorie in ihren verfchiedenen Modifica⸗ 
tionen fo wejentlih, daß auch Diejenigen Kirchenlehrer, Die 
mehr den Begriff der Gerechtigkeit hervorheben und den ge- 
ſchehenen Betrug wenigftens nicht ausdrüdlic; erwähnen, eine 
ſolche Vorausſezung nicht umgehen können, indem der Teufel 
den Erlöfer immer nur fiheinbar, oder nur mit dem Erfolg, 


1) Gregor von Nyſſa a. a. D. c. 26.: 0 de omdmog zür yıpyo- 
ueyov ent To xgelTror zmv nagallayıp Eye" 6 ukv yag enı dua- 
gGHoE& Ts lvews Tyv anarım Evnoynoev, 6 d& Ölxaos aua xal 
ayados xar copos mi awrngie Ta zarayagevros, T7 Eenwoie tns 
anarıs &yeyoaro, 8 uovor rov anolwiore din rarwr ebroyerwr , 
alle xcr aurov vor anwlsar xa$” yuuv Evegyroavra. Das Lez⸗ 
tere bezieht fich darauf, daß Gregor von Nyſſa, nach dei 
Vorgang des Drigenes, eine endliche Ruͤckkehr zur urfprüng- 
lichen Vollkommenheit auch für den Teufel’ hoffte. 

2 


Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 6 


80 L Ber. J. Abſchn. 2. Rap. 


Die Idee des Betrugs, durch welchen der Teufel uͤberz 
iftet werden follte, ift num zwar fo vollftändig, als möglidy, 
ausgeführt, mas if aber dadurch gewonnen? Daß fich die 
Boraudfezung eines, der göttlichen Gerechtigkeit entſprechen 
deh, vrarlayıı nicht fefthalten läßt, ift ſchon gezeigt, :abewil 
auch die Abficht, dad Werk der Erlöfung tm Gegenfaz geil 
. gen bie Art und Weife, wie der Teufel die Menfchen vert 
führt hatte, auf einem ber Gottheit würdigeren Wege ges 
fchehen zu laffen, wird nicht erreicht, und die Kirchenlehrer 
welchen dieſe Vorſtellung am meiſten einleuchtete, könncc 


















Chriſtus und dem Teufel (man vgl. die chr. Gnoſis ©. 273.204 
als Gegenftand eines Faftnachtsfpield bearbeitet in ‚Der Ti, 
fünfzehnten Jahrhundert erfchienenen Schrift: Beverendk 
patris domini Jacobi ‘de Theramo Compendium perbreved® 
consolatio peccatorum nuncupatum et apud nonnü 
Belial vocitatum, ad Papam Urbanum sextum conscrip=t 
tum. Impressum est fol. anno Moccclxxxiiij. Die ten 
fche Weberfezung hat den Titel: Beltal, zu deutſch, 
gerichtz handel zwifchen Belial hellifchem Verweſer, alt 
Eleger einem tail vnnd Jeſu Chriſto, hymmeliſchen got;. 
antwurter, anderm teile, Alſo, obe Iheſus dem helliſchen 
Fürſten rechtlichen die helle zerſtöret, beraubet, vnn Die, 
teufel darin gebunden habe, etc. Alles mit clag, antwurt, } 
widerred, appellierung, rechtfazung etc. Strasb. MD. viij. 
Diderlein, deffen oben (©. 72.) erwähnter Abhandlung ich 
diefe Notiz verdanke, bemerkt darüber: Nihit magis fe- 
stivum atque ludicrum somniart poterit legive, quam 
Johannis de Teramo, qui sec. XV. scripsit, Libellus: 
"Belial, Hic exim causam Jesum inter atque diabo- 
lum quasi coram foro divino agitatam recenset. Sisti- 
tur tribunal: apparent partes: litem movent: testes vo- 
tantur in subsidium; traduntur libeli accusatorii ac 
defensorti: denique judicis sententta Beliul ut reus con- 

: demnalur, petitis quoque e jure Justinianeo et Cano- 
ntco rationibus. / 


Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u.f.w. 81 


elbſt das Geſtaͤndniß nicht zurüdhalten, daß ber erſte Be⸗ 
zug nur mit einem andern erwiebert worden ſey. Betrogen 
wurde, fagt ja Gregor von Ryſſa ohne Umſchweif, durch 
Die täufchende Hülle des Menichen derjenige, der die Men- 
hen Durch die Lockſpeiſe der Luft zuerſt betrogen hatte. Und 
wenn nun aud, um den nadıtheiligen Confchuenzen dieſes 
detrugs zu begegnen, an den Zweck des zweiten Betrugs 
einnert wird, daß er, was der erfte zur Folge Batte, zum 
deſſern umgeändert, daß, wie der Teufel zum Verderben der 
Ratur feinen Betrug begangen, fo der Gerechte, Gute und 
Weite zum Heil des in's Verderben Gefallenen des Betrugd 
ſich bedient habe, und zwar nicht blos zum Beften des Ber: 
führten, fondern fogar des Urheberd der Berführung felbft *), 
po iR dieß doch nichts anders, ald ein Verſuch, das fchlechte 
Mittel durdy den guten Zweck zu rechtfertigen. Es droht 
Her aber dem chriftlichen Glauben eine noch größere Gefahr. 
Das Werk ber Erlöfung kann, wie es hier gedacht wird, 
ücht ohne einen Betrug gefchehen feyn. Die Annahme eines 
Beirugs ift dieſer Theorie in ihren verfchiedenen Modifica⸗ 
ionen fo wejentlih, daB auch Diejenigen Kirchenlehrer, bie 
mehr den Begriff der Gerechtigkeit hervorheben und den ge= 
ſchehenen Betrug wenigftens nicht ausdrüdlid; erwähnen, eine 
ſelche Vorausſezung nicht umgehen können, indem der Teufel 
den Erlöfer immer nur fcheinbar, oder nur mit dem Erfolg, 


1) Gregor von Nyſſa a. a. D. c. 26.: V dr aminos zur yıpvo- 
uivay ent To xgeiTTov tv nogaklayıy Eye" 6 nv yap Eni dıia- 
GIop& Ts vews Tv anarım Evneynoev, © de Öixaos aa zul 
ayados xal copos Emi owrnoix Ta xzatay$aoevros, Ta Enwola TuS 
anarıs Eyeywaro, & uovor Tov anolwlora dm raruy edeoyerür , 
elle xaı abrov tor anwleav xu9” Hui Ivepyjoarre. DAS Lez⸗ 
tere bezieht ſich darauf, daß Gregor von Nyſſa, nach de 
Vorgang des Origenes, eine endliche Rückkehr zur urſprüng⸗ 
lichen Vollkommenheit auch für den Teufel hoffte. 


Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 6 


> I. Per. LAbfihn Kap 

ſich ). Diefe Nothwendigkeit wird jedoch von den Kircheist 
lehrern nur ala eine relative, nicht als eine abfolute erfannfl 
Für nothwendig erflären fie die auf diefem Wege bewirkte 
Grlöfung nur, fofern fie ihnen die der göttlichen Gerechtigkeit 
am meiften entfprechende zu feyn fiheint, wodurch jeboch Die 
Borausfezung nicht ausgefchloffen feyn fol, daß Gott vers 
möge feiner Allmacht und Weisheit die Menfchen auch auf 
eine andere Weife hätte erlöfen können 2). Diefe Urtheile 


4) Aus dem. Begriffe des Löfegelds Teitet Bafilins' der ©r. 
Hom. in Ps. XLVIII, 3. die Nothwendigkeit eines gebe 
menfchlichen Erlöfers ab: _Aurewv Univ xoela zoo; To eis ri⸗ 
——EV daße- 

An, de vnogeles Uuü; Aaßur & Trootepov TuS Ervrä Tupavvidag 
Gypinaı, egtv av rim Aurew abıolöyw rewdeis avrallatacdaı Um 
Kiyraı. Hei üv To Äöroov un Önoyerks elvas Tois zur youlvag 
alla nollo Ödaypegev To erw, ei uelloı Emwv dymoay zus Öge 
Asias rag alyuaksres. Vgl. Klofe, Bafilius der Große, nad 
feinem Leben und feinen Lehren. 1835: ©. 65. Am einfade 
ſten hat Petrus Lombardus, welchen ich, wie ich fchan bei 
merkt habe,. ald das Iezte Glied in der Neihe der, dieſe 
Theorie fortbildenden, Theologen betrachte, beide Momente 
zuſammengefaßt Sent. III. dist. 19.: Factus est ergo he- 
mo mortalis, ut moriendo diabolum vinceret. Nist ent 
homo esset, qui diabolum vinceret, non juste sed vie- 
lenter homo ei tolli videretur, qui se illi sponte subjecil 

. Sed si eum homo vicit,, jure manifesto hominem perdir 
dit, et ut homo vincat necesse est, ut Deus in eo sit, 
qui eum a peccatis immunem faciat. Si enim per # 
homo esset, vel angelus in homine facile peccaret, cu 
utramgue naturam per se constet cecidisse. Ideo De 
filtus hominem passibilem sumsit, in quo et morten 
gustavit, quo coelum nobis aperuit, et a servitute die- 
boli, id.est, a peccato (servitus enim diaboli peccatum 
est) et a poena redemtt. 

2) Die beiden Gregore behaupten, daß der Erldſer durch feine® 
bloßen Willen die Menſchen hätte erlöfen Fünnen. rege! 


Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u.f.w. 85 


eAbR folcher Kirchenlehrer, welche, wie namentlich Auguſtin, 
a dem Werke ber Erlöſung ganz befonderd ben Begriff ber 





von Nazianz Orat. IX. ©. 157.:"4r9gunos; dytrero 8” Auäg 
— xal 7797 eis Iavaror — 6 owrmg, zal ri Jelyuarı moror, 
5 Jeos, owcm Öurauevos, Inel zal ra nayra Treootayuatı Ovrs- 
gioaro. regor von Noſſa fragt Orat. catech. o. 17.: 77 
sn Jelyuarı ur TO xara yroum row, all dx neacde rw 
Germplay naiv zareoyaseraı; und antwortet, auch Die Kranken 
(reiben ja den Aerzten die Art ihrer Behandlung nicht 
er. Diefelbe Anficht wird von Athanaſius (Contra Arian. 
Orat. II. c.68.: 7duvaro xal und” Ol; Erudnungarros aurs uordy 
dxeir ô Feos, xal Avomı rıv xarayar, alla oxoneiv dei To Toig 
erdgureons Avoreläv, xal um dv mac To dwarov ra Sea doyl- 
leo9aı), Theodoret (Graecar. affection. curatio, Disput. I. 
Opp. Theod. ed. Schulze. Hal. 1772. T. IV. ©. 876.: 
&sor Abv“ yap 7 aura xal Ölya ra Tijs Vagxos Trooozaluunarog 
.  Rpayuoreücacde tüv ven» Tv owrnelar, al Beilrwe porg 
zeraliccı tä Jardra ty Öwaselar, za zıyy Tare jpreoa rw 
Gnagrlar gendor Tarrelüi; dmoppwaodeı, xal Toy Traumorngor 
deluova rip rauıny udlvorra Eielaoaı Ts yis, za) xaraszeınpan 
To Log, © Ye juxgov Usegov auroy Tagadwaeır nrellnwer. "AA 
öx EBelydn Tuv Enolav alla Ts Trgovolag Erudeiten To Ölxaov.), 
befonders aber auch von Auguſtin ausgelprochen, welcher 
fich fehr gegen eine, die göttliche Weisheit und Macht be= 
ſchränkende, Anficht der Erlöfung erflärt. Vgl. De agone 
Christi c. 10.: Stulti sunt, qui dicunt: non polerat 
sapientta Det aliter homines liberare, nisi susciperet 
hominem et nascerelur es femina et a peccatoribus 
omnia pateretur. De Trin. XIII, 10.: Eos itaque , qui 
dicunt, itane defult Deo modus alius, quo liberaret 
homines a miseria mortalitatis hujus, ut unigenitum 
filium, Deum sibi coaeternum , hominem fieri vellet, in- 
.duendo humanam naluram et carnem, mortalemyue 
factum mortem perpeti (es fcheint, ſolche Einwürfe ſeyen 
damals öfters gemacht worden), parum est sic refellere, 
at istum modum, quo nos per medialorem Dei et ho- 


86 — LBen 1. Abſchn. 2. Rap. — 


Gerechtigkeit hervorhoben, find bei der Würdigung ihre 

Theorie nicht zu überfehen, da fie hiemit felbft Die Subjecti⸗ 

pität des Standpuncts ausfprechen, auf welchem fte ftehen. 

Ihre Theorie ging zwar aus dem Bewußtfeyn hervor, daB 
die thatfächliche Wahrheit der Grlöfung nur als‘ ein, durch 
den Begriff der Verſöhnung bedingter, Vermitilungsproceß 

begriffen werden könne, indem ſich ihnen aber der Logifihe 
Proceß des Begriffs in den Berlauf einer mythiſchen Ges 

fhichte verwandelte, konnte fich ihnen auch das Bewußtſeyn 
der fubjertiven Willkür, auf welcher ihre ganze Anficht bes 

ruhte, nicht verbergen, und wir kommen daher auch von bier 
fem Puncte aus auf daffelbe Reſultat, auf welches die Ider 
ber Täufchung bed Teufeld in ihrer Confequenz führt. Der 
Inhalt des chriftlichen Glaubens ſtellt fich nicht in feiner ob⸗ 
jectiven Wahrheit und Nothwendigfeit, fondern als Blog. 
Sache der fubjectiven Vorftellung und Einbildung, dar. J 
es nicht nothwendig, fondern, wenn auch fchidlich und Go— 
tes würdig, doch nur zufällig, daß Gott gerade auf bie, 
Weiſe die Erlöfung der Menfchen bewirkte, hätte fie auf 
ohne Bine ſolche Vermittlung durch einen bloßen Willendad' 
Gottes bewirkt werden Finnen, fo ift auch das Bewußtſen 
der mit der Erfcheinung des Erlöſers, als des Gottmenfchen,, 
gegebenen Einheit des Göttlichen und Menfchlichen ein blos 
zufälliges, Das der Menſch eben fo gut haben als nicht har 
ben Tann, und bie objective Realität des chriſtlichen Glaubens : 







minum hominem Christum Jesum Deus liberare digns- - 
tur, asseramus bonum, et dieinae congruum dignitali, 
verum etiam üt ostendamus, non alium modum possi- 
bilem Deo defuisse, cujus potestati cuncta aequaliter 
subjacent, sed sanandae nostrae miseriae convenientio- 
rem modum alium non fuisse nec esse _ oportuisse | 
Quid enim tam necessarium fult ad erigendam spem 
nostram — quam ut demonstraretur nobis, guanti nos 
penderet Deus, quantumgue diligeret? 


Die Kirchenlehrer des vierten Jahr. u. ſ. w. 87 


dot ſich, ſolange der Begriff fehlt, ber fie Hält und trägt, 
ur in fubfertiven Schein auf. 

So tief die hiemit volftändig dargelegte Theorie in dem 
ogmattichen Bewußtfeyn ber alten Kirche begründet war, 
ie die große Zahl der ihr anhängenden bedeutenden Kir⸗ 
jnlehrer, und der lange Zeitraum beweist, in welchem fie 
nigftens die überwiegend vorherricdhende war, fo begann 
oh zugleich auch das Bewußtſeyn der Momente fich zu ent: 
Wein, Durch welche fie mehr und mehr ihr Dogmatiiches 
Ifehen verliesen mußte Wir müflen daher hier theild auf 
we Bedenkliche und Anftößige, das wenigftend Cinzelne an 
ver dem Teufel in dem Werke ber Erlöfung gegebenen Bes 
eig fanden, theild auf bie. Vorftellungen Rüdficht neh» 
on, welche, obgleich fie noch in feinem ©egenfaz zu. ber 
refchenden Theorie erfcheinen, fondern ihr vielmehr harmo⸗ 
ſch zur Seite gehen, doch fchon Damals einer weſentlich di⸗ 
tgirenden Richtung ſich ndien. 

Das Bedenkliche und ſtoͤßige, das eine ſolche Griö- 
n98= und Berföhnungstheorie für das chriftliche Bewußtſeyn 
ancher haben mußte, if von feinem Kirchenlehrer flärfer 
id eutfchiedener ausgefprochen worden, als von Gregor von 
azianz. Er verfichert %), die von den meiften noch fo we⸗ 


1) Orat, XLII. Opp. ed. Colon. 1690. T.I. ©. 691 f. — Ei 
per To Trovneö, geb Tis UBoews! El un Tragu ru Pea uovov, allen 
was rov Feov aurov Avroov 6 Ansys ÄAaußava, xal uoIov Erwg 
Uneoyun rijs Eavrä Tugayridos, di dv xar Huüv yeldendm dixaov 
mw*ei de narel, rrorov ukv nüs; ay un’ äxelve yap Exparsuede. 
Bel. Ullmann Greg. von Tag. der Theol. 1825. ©. 455 f. 
Ohne Zweifel geichah es hauptfächlich mit Rückficht auf die 
bedeutende theologtiche Auctorität Gregors von Nazianz, 
Daß der Monophnfite Stephanus Gobarus in dem Werke, 
in welchem er entgegengefezte Lehrmeinungen fammelte, auch 
die Srage als ein, von den Vätern auf verfchiedene Weile 
gelöstes, Problem aufftellte: ob Chriſtus das Aurgo» Gott 


688 L Ber. 1. Abſcu 2. Rap. 


nig beachtete Thatſache und Lehre des chriftlichen Glauben 
zum Gegenſtand einer ſehr ernſten Unterſuchung gemacht z 
haben, und legt Die Ueberzeugung, die fi Ihm ergab, t 
der Antwort auf die Frage dar: „Wem iſt das für und ver 
goffene Blut und um weſſen willen wergoffen worden, ba 
große und berühmte des Gottes, der Hohepriefter und Opfe 
zugleih war? Denn wir waren ja in der Gewalt des Ar 
gen, da wir unter Die Sünde verkauft waren und dafür bi 
Quft zum Böfen empfangen hatten. - Wenn aber das Löſegeh 
niemand anders gehört, ald dem, der uns in feiner Gewal 
hatte, fo frage ich, wen es bezahlt wurde, und aus welde 
Urſache? Wurde e8 dem Argen bezahlt, welch ein: tollfühne 
Gedanke ift ed, daß der Räuber nicht blos von Gott ei 
Löſegeld erhält, fondern Gott felbft als Löſegeld, und eine 
fo überfchwänglichen Lohn feiner Tyrannei, vermöge befie 
es billig war, auch uns zu verfchonen. Wurde ed aber dem 
Vater bezahlt, fo frage ich zuerft wie? Denn der Vater Kiel 
uns ja nicht in feiner Gewalt. Und dann, wie läßt es fld 
denken, daß am Blute des Eingebornen der Vater fein Wohl 
gefallen hatte, ba er ja nicht einmal den Iſaak annahm, 
als er ihm von feinem Bater dargebracht wurde, fonden 
das Opfer vertaufchte, indem er flatt des Opfers eines vernänf 
tigen Wefens einen Widder gab? Oder iſt nicht Flar, daß ed 
ber Vater nahm, ohne es zu verlangen oder zu bedürfen, 
fondern nur um ber göttlichen Heilsordnung willen, und 
weil durch das Menfchliche des Gottes der Menſch geheiligt 
werden mußte, damit er felbft uns befreie, indem er bei 
Tyrannen mit Gewalt überwand, und uns durch Die Ber: 


oder dem Zenfel, gegeben habe. Photius Bibl. cod. 232- 
Or Auroov arrı Ta xareyousva üvdgwna To ExIgis To olxei0 
ô owrye Edwxev alua, ra &yIgh rro alonoaufva, xar TO Arznei 
nevov, og By ro ByIoo, alla ro I) x arg TrgoanreyA 
rõro. 


Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 89 


mittlung des Sohns zu fich zurüdführe?« Es ift hier fehr 
beutlich zu jehen, wie wenig man nod, für die Beziehung des 
Berföhnungstobes auf bie Idee der Gottheit einen befriedi⸗ 
genden Anfnüpfungspunct zu finden wußte. Indem man fidh 
unter ber Erlöfung nur die Befreiung aus der Gewalt eines 
andern dachte, und ebendarum von ber mythlichen Vorſtel⸗ 
lung eines Kampfes entgegengefezter Mächte fich nicht trennen 
konnte, mußte man auch dem Erlöfungsact eine nothwendige 
Beiehbung auf den Teufel geben, und die Aufgabe war nicht, 
das Verhaͤltniß der mit der Sünde verbundenen Schuld zur 
ee der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit zu unterfuchen, 
ſindern nur zu erflären, wie die Macht, Die der Teufel durch 
bie Sünde der Menſchen erhalten hatte, wieder aufgehoben 
worben ſey. Der Begriff der Verföhnung war alfo eigent» 
lich noch nicht zum Dogmatifchen Bewußtfeyn gekommen, ſon⸗ 
dern nur der Begriff der Erlöfung, fofern die Erlöfung zus 
naͤchſt nur das äuſſerlich Thatfächliche ift, Befreiung aus ber 
Gewalt eined andern, ber Gewalt des Teufels, welcher, 
wie ein felbitftändiger Herrfcher, mit feinem Reiche dem gött⸗ 
lichen Reiche gegenüberflund, für welches der ihm urfprüng- 
Ih angehörende Menſch wieder gewonnen werben follte, 
Das nur in der Idee der Gottheit auszugleichende Verhält- 
ng der beiden einander gegenüberftehenden Begriffe, Schuld 
und Verſöhnung, ftellt fi) noch in der göttlichen Anſchauung 
imeier feindlicher Reiche dar, welcher Vorftellung gemäß da⸗ 
ber auch die Erlöfung nur als ein Kampf zwifchen dieſen 
beiden Mächten gedacht werden konnte. Wie anftößig und 
sie unvereinbar mit der Idee ber Gottheit die dem Teufel 
äingeräumte felbftfländige Macht feyn mußte; wurde man ſich 
erft dann bewußt, ald man hieraus die Folgerung zu ziehen 
fh genöthigt fah, daß der Teufel, um die Denfchen frei zu 
laſſen, den Erlöfer feldft, fey e8 auch nur für einen Moment, 
in feine Gewalt befommen haben muͤſſe. Darum follte nun 
das Löfegeld nicht dem Teufel, fondern Gott bezahlt feyn, 


9 L Ber. L Abſchn. 2 Kap. 


ungeachtet man ſich über das Eine fo wenig, als tiber bas 


Andere, genügende Rechenichaft geben konnte. Warum follte 


es Sott bezahlt ſeyn, wenn doch Gott, da er uns nicht in 


feiner Gewalt hatte, auch Feines Löſegelds beburfte, und 
warum follte e8 dem Teufel nicht bezahlt feyn, wenn er es 


u. 


Doch allein war, in deſſen Gewalt die Menfchen ſich befan 


den? Man kann fih daher nicht wundern, daß auch folde 
Kirchenlehrer, welchen die gangbare Erlöfungstheorie fchon fo 


großes Bedenken erregt hatte, doch Immer wieder zu ihr hin⸗ 


gezogen wurden. Derfelbe Gregor, welchem das dem Teufel 


An [\ 


bezahlte Löfegeld ein fo unerträglicher, verabfcheuungsmärbie 


ger Gedanke war, läßt dennoch auch wieder auf diefelbe Weiſe, 
wie fein Namensbruder, Gregor von Nyſſa, den Teufel von 


dem Erlöfer durch die vorgehaltene Lockſpeiſe des Fleiſches 


getäufcht werden 9). Auf der andern Seite hatte nun aber 
Doch das noch fo ſchwankende Dogmatifche Bewußtſeyn durch 
den reger gewordenen Zweifel einen Impuls erhalten, ber 
es nöthigte, die Beziehung des Erlöfungstedes auf ben Teu⸗ 
fel nicht für die ausschließliche zu Halten, ſondern auch: ber 
entgegengefezten Beziehung auf Gott irgendwie in fih Raum. 
zu geben. Wenn Gregor von Nazianz über die leztere Be 
ziehung ſich zunächft noch fo ausdrüdt, das Blut des Erlös 
ferö fey dem Vater, obgleich er e8 weder verlangte, noch befr 
felben bedurfte, um der göttlichen Hellsorbnung willen (dıc 
Tıv oixovouiev) ald Löfegeld gegeben worden, fo gibt fich 
hier das Unbeftimmte und Unklare diefer Vorftellung, Die man 
bemungeachtet nicht zurüdzumelfen vermochte, der Mangel 


4) Öregor von Nas. Orat. XXIX. ©. 631.: "Eredr) dero dir— 


Tmros eva Ts xaxiaus 6 Oops, Jedrntos Zinidı delsaoas nuag ©. 
gapxos rrgoßinuarı delesseran, iv us ro Adau reooßakıiv rp 
heꝙᷓ — æc 8rwg 0 veog Ada T0v nalaov draoWonree » 


xat ÄU$E vo xaraxgua vie Gapxog, oagxı ra Jarare Javarım — — 


JivTo;. 


Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 9 


eines fie vermittelnden Begriffs, fehr deutlich, zu erkennen. 
Mein ſchon Sohannes von Damafcus, welcher, wie in An⸗ 
berem, jo auch hierin ganz befonderd Gregor dem Theologen 
folgt, und mit demfelben Abfcheu die Vorftellung verwirft, 
dab dem Tyrannen das Blut des Herrn habe dargebracht 
werden follen, weiß Die ihr gegenübergeftellte Behauptung, 
daß der Erlöfer vielmehr ſich jelbft dem Vater zum Löfegeld 
fir und dargebracht habe, durch den Saz zu begründen: 
: „da wir ihm gefündigt haben, fo habe er auch für und das 
Röfegeld übernehmen müffen, damit wir von ber Verdamm⸗ 
mb befreit würden“ )y. Mußte man anerkennen, was an 
fiih nie geläugnet werden konnte, wohl aber durch die vor⸗ 
berrfihenbe Borftellung von ber Macht des Teufeld feine bes 
fimmtere Bedeutung verlieren mußte, daß der Menfch fich 
gegen Sott verfündigt, in Beziehung auf Gott in die Schuld 
dee Sünde verfallen fey, fo konnte auch nicht mehr gejagt 
werden, was Gregor von Razianz gefagt hatte, daß wir. als 
Sünder nicht in ber Gewalt Gottes geweien feyen. War 
aber der Menſch Durch die Sünde nicht bloß der Gewalt des 
Teufels, fondern aud der Gewalt Gottes anheimgefallen, 
ſo konnte auch nicht mehr mit Gregor yon Nazianz behaups 
tt werben, daß Gott ein Löfegeld weder verlangt, noch be⸗ 
durft habe, Die Frage war nur, wie Gott ein Löfegeld gege- 
ben werben fonnte? Aber ſchon Origenes hatte ja die fo nahe 
at Üegende Opfer- dee mit der Vorftellung eines dem Teufel 
bezahlten Löfegeld8 nicht unvereinbar gefunden. War auch 
beides zunächſt noch auf eine unbeftimmte Weiſe verbunden, 
ſo mußte doch bie erſtere * Borfelkung der Natur der Sache 


— — 





1) Meat zii: öe9od. nis. UI, 27.: Oynoxsı Tolvun Tov Ünke zuav 
Jangrov üvadeyousvog, xal Eaurov To Turgr Teooopees: Yvolar , 
evrö yap neninuueljxauev, war aurov Ude co Aurgov zur. deka- 
odaı, xar rag nuas Audgvar rijs xaraxgiseus. My yap vevroro 
sd Tuparııy ro zu daunore. ngoasveydivar alua: 


vy 


, ⸗ 


868 1. Ber. J. Abſchn. 2. Hay. 


| über die Menfchen ausgeht. Der gleichſam yerfonificirte Tod 


vertrit bie Stelle des Teufels, tft aber Gott gegenüber feine“ 
ebenfo felöftftändige Macht, da er an fih nur die an dem 
Menſchen haftende Schuld der Suͤnde bezeichnet. ES fickt ; 
baher nichts entgegen, den den Zufammenhang zwifchen der 
Sünde oder der Schuld der Sünde und dem Tod vermis 
telnden Begriff der Gerechtigkeit auf Gott zur beziehen. Wie 
Gott es if, der mit der Sünde, wegen der am ihr haftenden . 
Schuld, den Tod verbunden hat, fo iſt e8 auch nur Sa, 
defien Recht durch die Aufhebung des Todes nicht verlak : 
werden barf. In Gott liegt alfe der Grund, warum Die: 
mit der Sünde verbundene Schuld, oder ber in Folge dieſer 
Schuld herrfchende Tod nicht ſchlechthin aufgehoben werben 
kann. Diefer Grund felbft aber tft, worin fih und biek 
Vorſtellung als eine noch unentwidelte und der innern Be⸗ 
gründung ermangelnde zu erkennen gibt, noch ganz äufſſerlich 
gedacht. Sie geht nicht auf die dem Weſen Gottes inwoh⸗ 
nende, den innern Zufammenhang zwifchen Sünde und Schuld 
begründende, Heiligkeit und Gerechtigkeit zurüd, fondern nut 
auf Die, bei dem Falle der Menfchen auögefprochene, göttle. 
che Strafdrohung, welcher Gott nicht untreu werben Darf, 
der Grundbegriff, um welchen fie fich bewegt, iſt alfo nicht 
die göttliche Gerechtigkeit, fondern nur die göttliche Wahrhafe 
ugkeit. Diefe dem ganzen Standpunc, auf weldem mm , 
ſtund, näher liegende Idee war für diejenigen Kirchenlehrer, 
die Dem Teufel nicht dieſelbe Wichtigkeit beilegten, wie an 
dere, der Aufnüpfungspunct für eine neue, im Gegenfaz ges 
gen jene ſich entwidelnde, Theorie. Abgeſehen bievon aber, 
baß die Stelle des Begriffs noch der mehr äAuffere Begriff 
der göttlichen Wahrhaftigkeit vertrit, begegnet uns fchon bier 
der dem Begriffe der Gerechtigfeit entfprechende Begriff einer 
ftellvertretenden ©enugthuung in feiner eigentlichen Form. 
Es mußte, wenn die Schuld bezahlt werden follte, Die der 





Tod von den Menichen forderte, ein xaraAArAov dargebracht, 


Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u. f. w. 97 
‘ 


b. h. etwas gegeben werben, bas als angemefiener Erfaz für 
Die, die aus ber Gewalt bes Todes befreit werden follten, 
gelten konnte. Dieſes xaraAAnAov Eonnte nur ber Tob des 
Erlöfers feyn, fofern er wegen feiner Einheit mit dem gött- 
lichen Logos ber Nothwendigkeit, zu flerben, nicht ebenfo 
unterworfen war, wie bie übrigen Menfchen. Um alfo fler- 
ben zu Eönnen, und Durch feinen‘Tod der über die Menfchen 
auögefprochenen Strafdrohung Senüge zu thun, mußte der 
Logos einen fterblichen Leib annehmen, fein Tod if daher 
bad Loͤſegeld zur Befreiung ber Menichen aus der Gewalt 
des Todes. Aus dem Begriffe des xaradinAor wird auch 
bier, wie bei jener andern Theorie, fogleich die Nothwen⸗ 
bigfeit der gottmenſchlichen Natur des Erlöfers abgeleitet. 
Um fterben zu können mußte er Menfch feyn, um aber an ſich 
nicht fterben zu müfjen, mußte er mehr als ein Menfch ſeyn, 
wit dem göttlichen Logos in Gemeinſchaft ſtehen. Warum 
mußte er aber auch auferftehen, oderim Tode zugleich unfterb- 
Eich bleiben? Dieb iſt der Bunct, wo es auch diefer Theorie, 
wie jener andern, an dem befriedigenden Zuſammenhang 
fehlt. Sollte der Tod des Erlöfers ein wahres und reelles 
zosallnAov feyn, um das opsılousvov zo Javarp zu etz 
füllen, fo mußte er auch ein wahrer und reeller Tod feyn, 
alfo nicht ein folcher, der durch die unmittelbar auf ihn fol- 
gende Auferftehung fich felbft wieder aufhob und das gegebene 
zosalAnAov gleichfam wieder zurüdnahm. Zwar ließ aud) 
jene andere Theorie den Erlöfer nicht wirklich in Die Gewalt 
des Teufels kommen, fondern nur für einen Augenblick, oder 
wur zum Schein, aber fie nahm ebendeswegen, ohne den 
Begriff eines xaraAAnAov weiter feftzuhalten, die Wendung, 
der Teufel habe ſchon dadurch, daß er den Erlöfer in feine 
Gewalt bringen wollte, und ſich an ihm vergrif, fein Recht 
auf ihn verloren. Warum follte aber der Tod, wenn doch 
der Erlöfer felbft fih ihm als xuraAAndov gab, und eben- 
dazu, um fterben zu können, einen fterblichen Leib annahm, 


Baur, die Lehre von ber Berföhnung. 7 


BL Per. Labfhn 2.Kap. 


sein Recht auf den Erlöfer, ſoweit er fterblih war, unmi 
bar wieder verlieren? Läßt fich Dieß anders erflären, als 
der Boraudfezung einer Täufchung, bei welcher der perfo 
cirte Tob ganz an die Stelle des Tenfeld trit? Der 
täufchte fich, indem er den Erlöfer, der zwar einen fie 
chen Leib Hatte, an fich aber der, Macht ded Todes nicht 
heimfallen Eonnte, in feine Gewalt bringen wollte, und. 
for durch das hiedurch begangene Unrecht das Recht, da 
auf Die Menfchen, bie er in Folge des leiblichen Todes 
geiftigen Tode gefangen hielt, ausübte. Aber ebendad 
fällt nun auch der Begriff des xuraAAndov wieder hint 
die Menfchen werden ohne ein folches aus dei Gewalt 
Todes befreit, weil das für fie gegebene Fein wahres 
reelles ift, fie werden alſo ſchlechthin deswegen befreit, 

der, der für fe ftarb, an fich nicht fterben Fonnte, der M 
des Todes. nicht wirklich anheimfiel. Wie alfo jene an 
Theorie auf dem Begriffe eines Betrugs beruht, fo tv: 
aud) dieſe auf etwas blos Scheinbare® zurüd, auf ein 
zeAinAov, das nicht Die volle Bedeutung eines xazaAk: 
haben Tann, auf einen Tod, der an fih fein Tod iſt. 
fi) der in dieſer Theorie liegende Widerfpruch nicht klar 
Augen, wenn dad Hauptmoment derjelben in die Worte 
fammengefaßt wird: To duvauevovr anodavelv Euvrop A 
Baveı (0 Aoyos) owue, va Töro TE En) navrow A 
ueraleßov, avıl navımm ixavov yeyııaı vo Ivory, 
dia Tov Evolxnoavra Aöyov, &pdaprov diauelm Y% | 
verträgt, ſich dieſes &psaprov Iuausverw mit dem Üw 
yiveodaı vo Iwvary, wenn bad, was für Die 9000 
Menſchen gegeben werben fol, als daß xaraAAnior, | 
opeihousrov od Iavarp, obgleich armogaveiv duvane 
ein apIagrov ift, und au im Tode Kpsuprov bie 
Es ift Ear, daß hier in dieſer Theorie eine Lücke ift, 





4) De incarnat. c. 9, 


) 


Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 99 


ſt noch ausgefüllt werden müßte, wenn fie Die nöthige Hal⸗ 
ng haben follte. Ausgefüllt werben aber Eonnte fie nur 
derch, daß man dem Tode des Erloͤſers, obgleich er an 
h Fein Tod ſeyn konnte, doc, Die Realität und Bedeutung 
ws wahren Todes zu geben ſuchte. Es mußte daher in⸗ 
Bis in ihn gelegt werden, was er, ba die wahre Macht 
B,Renlität des Todes ſich nur in ber bleibenden Wirkung, 
eer bat, zeigen kann, ertenfiv nicht haben kann. Auf die⸗ 
m:Bege bildete ſich in ber Folge die Idee des ſtellvertreten⸗ 
m Todesleidens und des unendlichen Werthed befielben. 
Wi, tbanafius, oder dem Verfaffer der dem Athanafius zus 
wihetebenen Schrift, findet fish hierüber noch feine befondere 
Rebeniung, bei Eufebius von Gäfaren und Cyrill von Jeru⸗ 
fee aber, die den Tod Jeſu aus demſelben Gefichtöpunet 
gefaßt zu haben fcheinen, wird auf diefe Vorftellung fchon 
e Gewicht gelegt, das fi nur aus dem Zufammenhang 
r Borftelungen, in welchem wir und hier befinden, recht 
Kären läßt. Cyrill von Serufalem hebt befonder® hervor, 
8 Chriſtus die Strafen der Sünde an feinem Leibe auf 
h genommen, und ald der für nnd Sterbende von nicht 
tingem Werthe geweſen fey, weil er fein bloßer Menſch, 
ndern Der menichgetvordene Gott war, und feine Gerech⸗ 
jfeit weit größer, als bie. Gottloſigkeit der Menfchen *). 
uch Eufebius von Cäfaren findet Die Bedeutung bes Todes 
efu befonders darin, daß er für uns geftraft worden fey, 
nd ein Strafleiden auf fid genommen habe, das nicht er, 
mdern nur wir, wegen ber Menge unferer Sünden, zu dul⸗ 





9 Uatech; XIEHII, 33.2 "Anioße Xasos Tas Gpegelas & Ti owuarı. 
— 00 Fick mw ö Ünegamodıjanun nalv, Ad mw noößetov aio- 
Imov, ax Moc avögumod, Ex 17 ayyelos — Eike Jeos 
ivavdowryoas. Ov ) ToGavzy mw Tor Snagrulär 7 woula, 0on Ta 


Ömegamodninnorros. 5 dxciooum 3 roũGGrov nuagrouev, boν Edi . 


Kaorrgaynaev © Tip Wwuyıw ünte nuöv tefewee. 


7* 


fd 


100 . L. Ber. L Abſchu 2. Kap. 


den ſchuldig waren *). Je mehr Gewicht in den Moment bed 
Todes Jeſu gelegt,. je beftimmter das Leiden des flerbenden. . 


Erlöfers als ein ftellvertretenbes Strafleiden für Die Sünde . 
der Menfchen genommen, und je größerer Werth dieſem Leis 


den, wegen ber gottmenfchlihen Würde bes Leidenden und 


ku 


‚wegen ber unfträflichen Heiligkeit und Gerechtigkeit feines Le⸗ 
bens, beigelegt wird, deſto weniger fiheint an ber Realiit 
und Wahrheit dieſes flellvertretenden Todes gezweifelt wer⸗ 


den zu können, und er kann als ein Aequivalent zur Aufhe⸗ 


bung des Todes ber Menichen angefehen werben, wenn auch 


? 


gleich an fich ein foldher Tod theild als der Tod des Gott . 


menfchen, theils wegen ber feine Wirkung unmittelbar wieber. 
aufhebenden Auferflehung, nicht Die Bedeutung eines wahren 
und eigentlichen Todes haben zu können fcheint. In dieſen 


weitern Zufammenhang finden wir jedoch diefe Theorie noch 


bei keinem Kirchenlehrer der erften Periode. Die Elemente 
aber, aus welchen in der Folge biefe Theorie conftruirt wor⸗ 
den ift, begegnen und ſchon jest, obgleich noch vereinzelt und: 
in einer noch nicht entwidelten Geftalt ®). Unter den einzel 


1) Dem. eV. X, 1. 2 Vade Nur nolaadelg wald Tıuwolay Inpayer, 72 


aurog piv &x weder, all nusis va relydag Evexer vor nenign- \ 


. pehnulvor , Huiv alrıog rs TÜV Guagrnuarwy Gpeosıog warden — 
vw zuiv mgoseerunperge xarapay dp Savzoy — yerouerog 
Undo ZuoxX xarapı. 


2) Dahin gehören auch Stellen, wie bei Hilarius von Pieta⸗ 


vium in Ps. LIII, 12.: passio suscepta voluntarie est, of- . 


ficlo ipsa satisfactura poenali, bei Ambroſius De fuga 
saeculi c. 7.: suscepit mortem, ut impleretur sententie 
(die Strafdrofung 1 Mof. 2, 17.), satisfieret judicato per 
maledictum. carnis peccatricis usgue ad mortem. NikiE 
ergo factum est contra sententiam Dei, cum sit divinae 
conditio impleta sententiae. Obgleich ſolche Stellen zu 
allgemein und unbefimmt lauten, um aus ihnen einen be⸗ 
ſtimmten dogmatifchen Begriff abzuleiten, fo find. fie doch 
immer bemerfenswerth. Dez Satisfactionsbegriff ik in ihnen 


Die Kicchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 101 
nen, in biefer Hinficht befonders bemerfenewerthen, Borfel- 


Ä Imgen iſt neben den fihon erwähnten eines warallılor und 


eines ſtellvertretenden Strafleidens beſonders auch die ſchon 
jest ſich entwidelnde Idee des unendlichen Wertho bed gott- 
wenfchlichen Leidens hervorzuheben. 

Diefe Idee hatte zwar damals noch nicht, wie fpäter, 


‘ die Idee der unendlichen Schuld und ber Nothwendigkeit ei» 


ner ihr entfprechenden unendlichen Genugthuung zu Ihrer Bor- 


audſezung, um fo mehr aber war fie durch bie Richtumg ge- 
| geben, welche bie Lehre von der Berfon Chrifti laͤngſt genom- 





wen hatte. Ze mehr man vor Allem das Göttliche in der 
Gern Ehrifti fefthielt und das Menfchliche bemielben nicht 


‚: wohl gleichfegte, als vielmehr unterorbnete, einen um fo 
; höheren Werth mußte man aud) dem Leiden und Tode Ehri- 


M zuſchreiben, und wenn bieß an ſich fchon in der Richtung 
der Zeit lag, jo mußten bie über der Perſon Ehrifti entftan- 
denen Streitigkeiten um fo mehr die gottmenſchliche Bedeu⸗ 
tung feines Leidens zum Bewußtſeyn bringen. Eine Dogma- 
tif, welche, wie Die alerandrinifche, Das Göttliche und Menſch⸗ 
liche al8 die beiden Glemente der Berfon EChrifti ſich zur un⸗ 





wenigſtens ausgefprocdhen, und fchon hiedurch ein Anknü⸗ 
pfungspunct für die fi) Bildende Satisfactionstheorie gege: . 
ben. Die aus der edmifchen Rechtsſprache genommenen Aus: 
brüde satisfactio, satisfacere finden fich zwar zuerfi bei 
Tertullian in der Bedeutung: zur Abbüßung der Sünde ges 
nugthun. Die, auch fonfi wiederholte, Angabe der Knapp: 
(den Dogmatik Th. 2. S. 278. aber, bei Tertullian finde fich 
auch fchon der Sag: Christus peccata hominum omnt sa- 

: tisfactionis habitu expievit, ift in jedem Falle in Bezie⸗ 
hung auf die citirte Stelle De patientia c. 10., ohne Zweifel 
aber in Beziehung auf die Schriften Tertullians überhaupt 
unrichtig.” De habitu mullebri c. 1. kommt der Ausdrud: 
omnt satisfactionis habltu explare vor, aber nicht von 
Chriſtus, fondern vom Menfchen gebraucht. 


102 1. Ber. J. Abſchn. 2. Kap. 


gerivennlichften Einheit durchdringen ließ, Eonnte auch Das 
Leiden Chrifti nur als ein wahrhaft göttliches, einen unend- 
lichen Werth in fich fchließendes, betrachten. Daß Chriftus 
nicht als bloßer Menfch gelitten habe, daß fein Blut als das 
Blut eined gewöhnlichen Menfchen feinen, zur Erlöfung ber 
ganzen Welt hinreichenden, Werth gehabt haben mürbe, daß 
nur der Gottmenſch ald der Eine für Alle habe Leiden kön⸗ 
nen, ift daher ein in den Schriften Eyrill’8 von Alexan⸗ 
Drien mit befonderem Nachdruck ausgefprochener Gedanke, 
wenn auch Die Unendlichkeit des Werthes des Leidens Chriſti 
nur als eine nothwendige Folge des gottmenfchlichen Seyns 
feiner Perſon betrachtet, die Nothwendigfeit eines ſolchen 
Leidens felbft aber für den Zwed der Erlöfung und Berföh 
nung nicht weiter begründet wird 1). Auch in dem zwiſchen 


4) Im Comm. in Joh. Lib. II. in der Ausg. der Werke Cyrill's 

von Aubert Paris 16338. Tom. IV. €, 114. drüdt fi Cy⸗ 
rill zu Joh. 1, 29. über den Werth des Löfegeldes fo aus: 
Enedn yap nuev Ev nollais Auaoriag din Te TaTo Yoswsuusvos 
Javarın xal PIopa, dedwxev ürrilurgov ünte yudiv Tov vior 6 na- 
170, va ünke navrıw, Enel xa) nayra &v auris zal narruy xgelr- 
zum doriv" eis Anedavev nte navıwy, iva oi navres Inowuer Ev 
aurıö” xaranııy yup 6 Havaros Toy Unke nayruv duvor navras 
Per usoer dv aur'5 Te xat ow aura (dgl. oben ©. 79. diefelbe 
Borkellung bei Toh. von Damaſkus), oi yao navres zuev iv ra de 
juäs za Uno nusv Gmodavörrı zar Iyeodirr. Xasıs. Belonderd 
bemerkenswerth if folgende Stelle in Cyrill's Auyos deure— 
E05 Heoopwnrnog Tai evoeßerdras Banklovag reg tus deIrs md- 
seo; Opp. Ed. Aub. T. V. 2. (De recta fide) ©. 132. m® 
Eyrill in Beziehung auf Gal. 2, 13. fagt: 5 u eideis iur 
tiay, teardsı Xgısos, Unevnverros v5 dien, wiyov adınoy ünouelr a 
xal Ta roig Er apa nodnoyta nadehr, iva 6 Tav Odıw arrasar 
nte navruv anodaver ty; anarroy aneıdelag Avon ra Eyalyur m 
ra xal dyogdon tiv Un ueavdy alperı via ln. Oüx ür Er yiyr 
vev Eis anayrwy avrakıos, sireo yv. avdunnos arıküs’ ei OR öy m 
oĩro Iso: Evmwdgonnzeis xas oapxs Ti le adv, Okiyn 06 —⸗ 


Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u. ſ. w. 108 


yrill und Reſtorius geführten Streite ſelbſt trit dieſes Mo⸗ 
ont im feiner Bedeutung hervor. Mußte Neſtorius feiner 
heorie zufolge auch in Beziehung auf das Leiden und Ster⸗ 
en Chriſti das Göttliche und Menfchliche auf eine Welfe 





tor 3 osunaca zring, xal drayen regos Äurgor vis Un’ ägarar 6 
päs gapxos Iararos, ldla yao yv ra ia Jes naroos yürros loye. 
Hier fehlt zum vollen Begriff der Satisfaction nichts als 
die ausdrüdliche Beziehung defielben auf Gott und die gött« 
lihe Geredjtigkeit. Allein eben dieß iR immer ber unklare 
vunct der Altern Satisfactiong » Borfielungen. Daß Gott 
ſelbſt nicht erſt babe verfähnt werden müſſen, fagt Cyrill 
Adv. Nester. IU, 2. T. VI. ©. 6.: jv air yco zus Korı eos 
ayados TH yuoeı, gloxrigusv re zal !lenpwv ası, zal ux dv X00- 
vıo ãro yeyorey, GAR” eis nuas EderyIn Torros (er offenbarte 
nur in Chriſtus feine an fich fchon vorhandene Güte). Doch 
fagt er aud) wieder a. a. D. cap. 1. ©. 66.: zus — ror 
dx Jen areas Aoyor aySgumor yeyovora xal ispseyzom yaudr dav- 
Tg zoi riy mare vis wilseng zur rw Ömoloylar (Mad dach — 
freilich abe daß wir hierans einen weitern Schluß ziehen 
dürfen — nur fo verfianden werden Tann: er. babe ſich und 
dem Vater das Opfer gebracht, das der inhalt des von 

uns befannten Glaubens if), xcah zar' adeva reonor avapuosoy 
Toig Tg xevWoewg uergos rromsaadar Tnv olxovoular. Daß jedoch 
die hier ausgefprochene “Idee einer nächt blos äquivalenten, 
fondern mehr als genügenden, unendlichen Leiftung nicht 
blog aus der alerandrinifchen Dogmatik Cyrills, fondern 
überhaupt der Dogmatifchen Richtung jener Zeit hervorging, 
und daher auch der antiochenifchen Dogmatik nicht ganz fremd 
blieb, wenisfiend ehe fie ſich durch den neftortanifchen Streit 
Brenger in fich abfchloß, heweist Johannes Chryſoſtomus, 
welcher In epist. ad Rom. Hom. X. Opp. ed. Montf. T. X. 
G. 121. fi über die Größe des von Chrifins bezahlten £d- 
ſegelds fo ausdrüdt: Od yao 500r dyarkouer eis ııv T7s anag- 
tläg avaigscıy , rooarov Elußouev uovov dx rs Xegros, alla xaı 
nollıs suldov — nolks yap dv Oyerlouer, zareBulev 6 Xasos, x 
Toostıp sılslova, Dow rgog Gavlda ger nıilayog antıgor. 


104 . L Ber. L Abſchn. 2. Rap. 


auseinanderhalten, bei welcher von einem andern, als 
menfchlichen, Werth feined Verbienftes nicht wohl bie 
fem Eonnte, fo bob dagegen Eyril um fo mehr bervor 
unfer Hohepriefter Fein anderer, ald ber Yleifh und V 
gewordene göttliche Logos felbft fen, und nicht für fidh 
fondern nur allein für und fich felbft ald Opfer Dargel 
habe *). Würde nicht die, mit dem bogmatifchen Bewu 


4) Adv. Nestor. III, 2. T. VI. S. 69. führt Cyrill gege 
fiorius aus, daß Ehrifius nur fofern er der Logos fey 
fer Hohepriefter feyn könne. ©. 73.: el; re Yeos za) & 
105 6 Euuarani. "A 5 xonsöos éroot (Neſtorius), zijs osx 
Toy Toonav üs axallz Tragmrausvos, aropepn ra Seõ Äöye \ 
owmiva, ix. öptiro domor xar’ addra Tponor Örnaas Ta zu 
uãſsꝰ 8 yap rol gmow avror Blenuova Te xal TIıs0Y Gpyızoda 
Jar rooovdue ve nällov cs; Erdgm Trap’ autor TO yerua ı 
nrovdorıe — EI Ieor eivas rov nenovdöra gapxl TIsedouer, 
ydyover np Goxıeoeis, nenlavnueda uev xar’ sbere Toumc 
Howrror da yeyovora rov dx Jen loyov irmyıwworouer. Klar 
ſich diefer Gegenſatz auch in den gegenfeitigen Anathe 
men bes Eyrillus und Neftorius (vgl. Mansi Coll, c 
T. V. ©. 1. f. T. IV. &. 109.f.) aus. Der zehn: 
Eyrilffchen Anathematifmen heißt: Apyızoda zui arıegoi 
Öpolpylas nur yeyerrjodern Xosov 7 Iela Afyaı yon , zuge 
puxdvor Te Unkg zur Eavrör eis Oowmp eindia; ra Jan xal 
el ris Tolvur Tov Goxıoea za ‚amdsolor muy yeyevvnadai 
üx alrov Tor &x es 2oyor, öre riywe on xal xaI” yuüs | 
nos, all’ es Eregor mag auror idwöig Er Igenmor. ? Ex yuvan. 
ei ri; Adyaı xal Rah; davrä rgooeveyeir aurov Tv 7rEOCpOR 
& * dn nällor Into uprar nuv, & yap ür &dendn Teooag 
m eds auaprlar, a. :. Dagegen der Anatbematifmu 
Nefiorius: St quis illud In principto Verbum pont 
et apostolum confessionis nostrae factum esse, seqi 
sum. obtulisse pro nobis dieat, et non Emmanuell: 
apostolatum potius diserit, oblatiomemque secundan 
dem dividat ratiomem et, qui univit, et Ulli, qui unit: 
ad unam societatem filil dei, hoc est, deo, qua 
yunt, et homini, quae sunt hominis, non depütans 


va ⁊ 


Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u. ſ. w. 105 


jener Zeit noch ſo tief verwachſene, Idee des Teufels und die 
durchaus vorherrſchende Beziehung des Leidens Chriſti auf 
den Teufel auch hier in Betracht gezogen werden müſſen, ſo 
haͤtien wir ſchon hier bie Idee einer unendlichen Selbſtgenug⸗ 
thuung der Sotiheit, allein es läßt ſich dieſe Idee bei der 
mnentwidelten und umbeftimmten Geftalt, bie fie bat, folange 
der Tod Chriſti fowohl auf den Teufel als auf Gott bezogen 
wird, nicht weiter verfolgen, und es ift Daher bier nur noch 
daran zu erinnern, wie die in der Lehre von ber Berfon 
Chriſti hervortretenden Gegenſaͤze biefelben Gegenfäze auch in 
. Beiehung auf Das Leiden und den Tod Ehrifti in fich fchlofs 
ſen. Je mehr die neftorianifche Trennung ber beiden Raturen 
:, das Menfchliche, zu feinem Rechte kommen ließ, und baher 
- au dem Leiden und Tode feine factifche Realität ficherte, 
deſto mehr nahm fie Dagegen die gotimenfchliche Bedeutung 
deſſelben in Anſpruch, je mehr aber Die monophufitiiche Ein» 
beit der Naturen, welcher auch die orthobore Theorie nahe 
"genug kam, bie Objectivität Des unendlichen Werths des Lei⸗ 
dens und Todes begründete, deſto zweifelhafter mußte bie 
factifche Realität defielben werden, und der der ganzen Theo⸗ 
vie anhängende Dofetismus drängte fi) auch hier befonders 
en. So waren ſchon hier die Gegenſäze an fi) vorhanden, 
welche in der Folge in ihrer beftimmtern Beziehung auf das 
Berdienft Chriſti und den Werth feines Leidens und Todes 
hervortraten. Ueberhaupt aber mußte jede der großen Strei- 
tigfeiten, durch welche bie Entwidlung des Dogma’s in ben 
erſten Sahrhunderten der chriftlichen Kirche hindurchging, zu⸗ 
gleich auch einen nicht unwichtigen, wenn auch blos mittelba⸗ 
tm, Einfluß auf die Lehre von ber Verfühnung haben. Dieß 
bt ſich fchon im arianifchen Streit nicht verfennen, und 
Athanaſius felbft, welcher ſolche Momente der großen Streits 
age in ihrer allgemeinen, auf das ganze Weſen des Chri- 
ſtenthums fich beziehenden, Wichtigkeit mit tiefem Geiſte auf- 
wfaflen und zu würdigen wußte, hat nicht unterlafien, auch 





106 L Ber. I. Abſchn.2. Kap. 


biefe Seite hervorzuheben. Unter den Argumenten, mit wel 
chen er die Lehre feiner Gegner beftreitet, ift keines der ſchwaͤch⸗ 
- ften, daß der Sohn, fo wenig er nach der arlanifchen Bow } 
ftellung wahrer Schöpfer ſeyn kann, ebenfo "wenig wahre - 
Erlöfer ſeyn könne. Denn fein anderer, als Gott ſelbſt, 
fagt Athanaſius *), konnte uns mit dem göttlichen Geiſte 
verfnüpfen, fein anderer und wahrhaft vergoͤttlichen, al® 
der Gott in fi felbft ift, niemand. und wahrhaft heile 
gen, weil die Heiligung nur durch den göttlichen Geiſt in 
uns bewirkt wird, Fein anderer uns die Sohnſchaft Gottes: - 
geben, al& der, der von Natur Sohn Gottes if. Hatte ber. 
Sohn einen Anfang, fo kann er andy wieder aufhören, ud , 
wir find unferd eigenen ewigen Lebens nicht gewiß *). IR-: 
ber Sohn, wie Alles, ein Gefchöpf, wie fommt es, Daßı ee: 
allein den Bater offenbart, und Fein anderer?. Nach ber - 
ariantfchen Lehre ift unbenreiflih, was Joh. 6, 46. Mattih. 
11, 27. gefagt wird. Denn ift der Sohn ein Geſchoöpf, und 
find wir Alle Geichöpfe, fo follte jeder von und nach dem 
Maape feiner Kraft den Bater erfennen 3). Der Logos nahm: 
beöwegen den fterblichen Leib an, damit er ihn als Schöpfer, 
neu fchaffend, in fich felbft vergöttliche und uns, Die ihm 
ähnlichen, in das Himmelreich einführe. Der Menſch, mit 
einem Geſchöpfe verbunden, wäre nicht vergättlicht worden, 
er hätte fich nicht getraut, fi vor den Vater zu flellen, 
wenn es nicht fein wahrhafter natürlicher Logos gemein = 
wäre, der Menfih geworden iſt. Und gleichtwie wir von der ° 
Sünde und dem Fluche nicht wären befreit worden, wenn e 
nicht ein wahrer Menſch geweſen wäre, denn mit einer md 
fremden Ratur haben wir nichto gemein, fo wäre auch be 
Menſch nicht vergöttliht worden, wenn es nicht ber wahr 


| gu u 


F— 





1) Orat. c. Arian. 1. 37. 49. II, 14. 69. 70. 
2). Or. 6. Ar. I, 19. II, 77. 
3) Or. c. Ar. H, 20. f. 


m 


Die Kirgenlehrer des vierten Jahrh. u. fiw. 107 


hafte Logos bed Vaters geweien wäre, ber Menfch wurde. 
Deswegen erfolgte eine foldye Verbindung, damit das ber 
Ratur nach Göttliche mit dem der Ratur nach Menfchlichen - 
verfnüpft werde und fo der Menfchen Erlöfung und Bergött« 
üchung zu Stande komme *). Hier find treffender als irgend» 
wo bie wahren Momente der chriftlichen Verſoͤhnungslehre 
‚hervorgehoben. Gibt ed eine wahre, dem abfoluten Inhalt 
bes. chriftlichen Bewußtſeyns genügende, Verföhnung, fo kanu 
ſe nmur in der abjoluten Einheit des Menſchen mit Gott bes 
Reben. Da nun aber das Princip der Erlöfung und Verföh- 
j mung mar der Sohn Gottes feyn kann, fo iſt auch bie noth« 
vendige Borausfezung der Verföhnungsiehre eine Trinitäts⸗ 
'khre, welche die Identität des Sohnes mit dem abfoluten 
 Befeu Gottes anerkennt. Jede andere Vorftellung von dem 
Leſen des Sohns, welche den Sohn felbft als etwas End» 
Bches fest, Täßt Daher auch, Die Trennung des Endlichen vom 
Abſoluten, des Menſchen von Gott, in ihrer ganzen Weite fort 
beſtehen, es fehlt das wahrhaft vermittelnde Princip, die 
wahre gottmenfchliche Einheit, und ebendamit auch die wahre 
Realität der Verfühnung. Es iſt Daher fehr bezeichnend für 
den Standpunct der Arianer, daß ihnen, wie ausdrücklich 
geingt wird, die Befreiung von ber Sünde, die fie im wah⸗ 
ven eigentlichen Sinne nicht annehmen Fonnten, eine bloße 
Ankündigung der Sündenvergebung war 2). Iſt der Cha⸗ 
tacter des Arianismus, wie er richtig beftimmt worden ift ?), 
im Allgemeinen Trennung der Welt von Gott, fo vermag er 
ſich auch in Hinficht der Verföhnung nicht über den Stand» 
punct Des, den Menfchen von Gott trennenden, Judenthums 
m erheben. Cine fo wichtige Vorausſezung für bie, der Idee 





| .D Or. c. Ar. II, 70. 
2) Or. c. Ar. II, 68.: °Hivero, yaoı (die Arianer), zur wriona- 
Ts Oyrog TE owrnjpos, uovor eineiv 6 Ieos xaı Alcaı TyV Karapav. 


3) Möhler, Athanafius der Gr. J. ©. 195. 


\ 


108 - 1. Ber. L Abſchn. 2. Zap. 


des Chriftenthums entfprechenden, Entwidlung ber Lehre vo. 
ber Verföhnung war daher der Sieg der athanafianiſcha 
Lehre über bie arianiſche. Welche weſentliche Beziehung be 
ber auguftinifch = pelagianifche Streit auf unfer Dogma hatte, 
und wie nicht nur ohne ein" tiefer gehendes Bewußtſeyn der 
Sünde auch die Idee der Verfühnung nicht tiefer ‚hätte ben 
gründet werben fönnen, fondern auch ohne die Voraudſ⸗ 
einer Thatſache, wie der Sündenfall, der auguſtiniſchen Le 
zufolge, gebacht werben mußte, auch der Thatfache bes | 
föhnungstodes. ihre feſtere dogmatiſche Haltung gefehlt Haben 
würde, liegt fo nahe, daß e8 Keiner weitern Ausführung. bei 
darf. Dagegen verdient noch bemerkt zu werden, daß * 
auguſtiniſche Lehre, ſo ſehr ſie die Bedeutung des 
nungstodes intenſiv hob, auf der andern Seite dieſelbe w g 
fo mehr ertenfio befchränfte. , Konnte man ſich vor Auguſi 
bie verföhnende Kraft bes Todes Jeſu nur als, eine auf Di 
Menſchen ohne Unterſchied fich erftreddende denfen, fo muß 
fie num feit Auguftin von allen, die fi) zu der Lehre nei’ 
einer abfoluten Brädeftination befannten, auf ben engern $ re 
der Erwählten befchränft werben. ! 
Faſſen wir den Punct, auf welchem unfer Dogma - 4 
feiner bisherigen Entwidlung fteht, in's Auge, fo fehen wir 
zwar fchon Die Keime vor uns liegen, aus welchen eine, bi? 
weſentlichen Momente des Begriffs umfafiende, Theorie 19% 
entwideln konnte, aber theild hatten fie ſich noch nicht zu ch 
nem organiichen Zufammenhang zufammengefchlofien, theilb 
waren fie noch mit Elementen vermifcht, welche das religioſt 
Bewußtſeyn in einen Wiberftreit mit fich felbft verfezten, we 
cher erft überwunden feyn mußte, wenn der Begriff in bem 
ganzen Zufammenhang feiner Momente fich entwideln follte. 
Der innere dialectifche Proceß, welchen der Begriff zu burde 
laufen hat, wenn fein abfoluter Inhalt fich für das fubiective 
Bewußtſeyn herausftellen fol, war dem dogmatifchen Bewußi⸗ 
ſeyn jener Zeit noch zuwenig klar geworden, als baß es auf 
/ 



















Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 109 


lebendige Weiſe in benfelben hätte eingehen können. Daher 
betrachtete man bie ganze Frage über ben Zufammenhang des 
Beibens und Todes Iefu mit ber durch Das chriftliche Bewußt⸗ 
feyn gegebenen Thatfache der Berföhnung immer auch wieder 
als etwas Indifferentes, deſſen nähere Beftimmung ber freien 
Iebiertiven Anficht des Ginzelnen überlaffen werben dürfe, 
&o befremdend es fcheinen mag, wie felbft Gregor von Ras 
dans. die Frage über bie Leiden Chriſti in Eine Claffe mit 
Yren fegen Eonnte, über welche, ohne Gefahr für den chrift- 
üben Glauben, bie philofophifche Speculation jedem freige- 
gen werben Fönne *), fo erklärt ſich dieß doch gerade bei 
Viefem Sicchenlchrer fehr natürlich aus dem Zwieſpalt, in 
weißen er, dem Obigen zufolge, über dieſe Lehre mit fich 

gefommen war. Diefer Zwiefpalt aber hatte feinen 
Bund nicht etwa blos in der fubjectiven Anficht eines Ein⸗ 
einen, ſondern das ganze Zeitalter konnte über benfelben 
ch nicht hinwegkommen. Indem man nun zwar auf der 
nen Seite der dialectiichen Bewegung des fich mit fich ſelbſt 
ermittelnden Begriffs noch nicht zu folgen vermochte, auf - 
er andern Seite aber feines abfoluten Inhalts, der That⸗ 
che der Verfühnung, als einer durch das Chriftenthum obs 
iin gegebenen Wahrheit, fih bewußt war, was war natürs 
icher, als daß man fi) von dem Befondern, dad man fid) 
och nicht Klar zu machen wußte, immer wieder zum Allge- 
meinen, deſſen Objectivität für bad Bewußtfeyn längft feſt⸗ 
Rund, zurüdgetrieben ſah, und die Lehre von der Berfühnung 
«ld eine.fchon in der Lehre von her Berfon Chrifti enthaltene 
ud mit ihr identifche betrachtete? Daß der Menich ſchon 





1) Silosope no, fagt Gregor Orat. XXIII. ©. 536., nee x00- 
us al 00 UV, ree dans, rıeoi wur rregL oyızöy yuocewv Beirlo- 
vor ve xal Kexovon, zregi drasaneus, xgloews, Gyramodooews, Xgı- 
5 ã nasnpdrur, äv roroię yag xat TO eruruygareı 7 axen- j 

sw æol vo Öiauagravav axivöuvor. 


1. L Ber. L. Abſchn. 2. Kap. KL 


audeinanderhalten, bei welcher von einem andern, als bios 
menfchlichen, Werth feined Verbienftes nicht wohl bie Rebe 
feım Eonnte, fo bob dagegen Cyrill um fo mehr hervor, daß 
unfer Hohepriefter Fein anderer, als der Fleifh und Menſch 
gewordene göttliche Logos felbft fey, und nicht für fich ſelbſt, 
fondern nur allein für und fich ſelbſt als Opfer dargebradt 
habe 9). Würbe nicht bie, mit dem dogmatifchen Dewußtfem 


4) Adv. Nestor. III, 2. T. VI. S. 69. führt Cyrill gegen Rt 
fiorius aus, daß Ehrifius nur fofern er der Logos fey, me ' 
fer Hohepricfter feyn könne. ©. 73.: el; ve Ieds zul 'EiNem- 
os 6 Eunarayi. "AM? 6 yonsos sroor (Neſtorius), zus olxovopie 
Toy Toonar us axallz Tagmrausvos, arroplpn ra es Aöyn Ta ür- 
Iqumra, ix” ögro lomor xar’ addra Toonor ovioes ra 209” 4 1 
päs’ # yag Tol now avror Sleyuova Te xal Tı50v Gpyueode yari- | 
Ja rrpooveue Te uüllor ös Eregiy Trap” autor To xejpa To m- | 

i 


nrovdorı- — Ei Yeor eivas Tov nenovdora caer — 
ydyovev quν Goxıepevs, nenlavueda nv xar’ adlva Teumor, an- ' 
Howrov da yeyovora ror Ex Jen Aoyor Enıyırsoxoner. Klar ſpricht 
ſich diefer Gegenſatz auch in den gegenfeitigen Anathematiſ⸗ 
men des Eyrillus und Nefiorius (vgl. Mansi Coll, concil. . 
T. V. S. 1.f. T. IV. ©. 109.f.) aus. Der zehnte der 
Cyrill ſchen Anathematifmen heißt: Apzıosz zur ärdsolor vis 
Snoloylas jur yeyerrjaden Kyiscr Sala Ay yangı), meoomem- - 
puxdva te Unke zuwv Savrov eis 00m eimdla; ra Jen xl mare 
el ris Tolvur ror Gpxıgea za arosolor nuay yeyevvnodal ya 
ax aurov rov dx es 2öyon, ore reywe oop& xal xa9” yuüs — 
wos, all” ds trego- mag” autor idwös Er dgeor &x yuranoz 5 
ei ri; Alyaı al Ku; davrs ‚reooevey ein aurov Tv TreoOpoger zei 
ex dn nällor Into nörav nuör, & yap ür &dendn Teooagogäg 6 
m eidus auapriav, a. d. Dagegen der Anathematiſmus bei 
Neſtorius: SE quis illud in principlo Verbum pontificem 
et apostolum confessionis nostrae factum esse, seque ip- 
sum obtulisse pro nobis dicat, et nom Emmanuells esse 
apostolatum potius diverit, oblationemgque secundılm ean- 
dem dividat ratimmem et, qui univit, et Ulli, qui unitus est 
ad unam societatem filii dei, hoc est, deo, quae dei 
zunt, et homini, quae sunt hominis, non deputans, a. 8 


Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u.f.w. 105 


jener Zelt noch fo tief verruachiene, Idee des Teufels und bie 
durchaus vorherrfchende Beziehung des Leidens Chriſti auf 


. ben Teufel auch Hier in Betracht gezogen werden müflen, fo 
: ‚hätten wir ſchon hier die Idee einer unendlichen Selbftgenug« 


thuung der Gottheit, allein es Iäßt fich Diefe Idee bei der 
mentwickelten und unbeſtimmten Geftalt, Die fie bat, folange 


ber Tod Chriſti fowohl auf den Teufel als auf Gott bezogen 


wird, nicht weiter verfolgen, und es ift baher hier nur noch 
daran zu erinnern, wie Die in der Lehre von der Perfon 
Chriſti hervortretenden Gegenſaͤze biefelben Gegenfäze auch in 


. Beriehung auf das Leiden und den Tod Ehrifti in fich fchlofs 
‚ .jen. Ze mehr bie neftorianijche Trennung ber beiden Raturen 
‚ das Menſchliche zu feinem Rechte kommen ließ, und baher 


auch dem Leiden und Tode feine factifche Realität ficherte, 


defto mehr nahm fie Dagegen Die gottmenfchliche Bedeutung 


" defielben in Anſpruch, je mehr aber die monophyſitiſche Ein» 
beit der Naturen, welcher auch die orthobore Theorie nahe 
genug Fam, die Objectivität des unendlichen Werths Des Lei⸗ 


dens und Todes begründete, defto zweifelhafter mußte bie 
factifche Realität Defielben werben, und der der ganzen Theos 
tie anhängende Dofetismus drängte fi) auch hier befonders 
ein. So waren ſchon hier die Gegenfäze an ſich vorhanden, 
welche in. der Folge in ihrer beftimmtern Beziehung auf Dad 
Berdienft CHrifti und den Werth feine® Leidens und Todes 
bervortraten. Ueberhaupt aber mußte jede ber großen Strei⸗ 


- figfeiten, durch welche Die Entwidlung bed Dogma’s in ben 


erften Jahrhunderten der chriftlichen Kirche hindurchging, zu⸗ 
gleich auch einen nicht unwichtigen, wenn auch blos mittelba> 
ren, Einfluß auf die Lehre von der Verföhnung haben. Dieß 
laͤßt ſich ſchon im arianifchen Streit nicht verfennen, und 
Athanaſius felbft, welcher ſolche Momente der großen Streits 
frage in ihrer allgemeinen, auf das ganze Weſen des Chri⸗ 
ſtenthums fich beziehenden, Wichtigkeit mit tiefem Geiſte auf- 
tufaflen und zu würdigen wußte, hat nicht unterlafien, auch 


ps 


112 L Ber. L Abſchn. 2 Kap. 


ſterblichen Leibe durch bie Unfterblichfeit aufgehoben hätte *)... 
Ausführlicher Hat Gregor von Nyfia die Grundzüge dieſer 


4) De incarnat. c. 54.: Abròs 6 rä dei Aoyos — inp deiner, , 
Iva nueig IeomanJüner ‚ zul auzog Eparigwoev kavrar dic aime- 
Tos, iva nueis Ta aopaen nareos Kvvaavr daßwuer (Ein Bfterd 
bei Athanafius vorfommender Gedanke. Bel. z. B. Orat. | 
c. Arian. J, 39.: oux zgm avIownog ir üsegor yiyore Ieog, dl- 
Aa eos üv üsegor ydyover aydowrros, Ira uallor nuäas Seonon- 
or). Dan könne einwenden, fagt Athanafinsd De incara,- 
c. 44., Gott hätte, wenn er den Menſchen erlöfen wollte, 
dieß durch einen bloßen Wink thun follen, wie ex auch einß 
ans Nichts die Welt erfchuf, ohne daß fein Logos einen 
menfchlichen Leib annahm. Allein nachdem einmal ber 
Menfch gefchaffen fen, müſſe Gott als Arzt und Erlöfer das 
Gefchaffene heilen, und fich hiezu des Leibe als eines menſch⸗ 
lichen Drgans bedienen. Aufferdem aber müſſe man willen, 
daß das Verderben nicht anferhalb des Leibes, ſondern Im 
£eibe felbft war, deßwegen babe auch das Leben im Leibe 
felbft fen mülffen, iva dvyrevduder To anna tur low drroßdig - 
Tv pIopav, allw; re ei xaı Eyeyova Fo Ta anluaros 5 Aoyog aa) ' 


122 21 Ir « - «2 9 N ee⸗ 
jun ev autw, Oo MEV VOaYAaTOoS HTTATO vTT QUTFs YVOKATAaTa, GTE &.: 





welter ann 


pn ioyuovrog r& Javara xara vis lwjg, adlv de.nzrovr Kuever by * 
To OWuarı 7 ngooyeroutvn P9oga' dia Täro eixdragg. &vedusaro ro: 
oöua 6 owrye, Tva ovunlaxfvros TA oWuero;s rg Loj M. ſ. v. “ 
Vgl. Orat. c. Arian. H, 68.: & dia To duvaror eloize (6 o. 
3805) ai @Arluro 7 xarapan, TE ubv xelevoavro; 7 duvaınz En 
delwvuro, 6 eva GvIewnos Toirog Byevero, oios 7v xal Ö Ade⸗ | 
eo rns Tagaßacews, Ewder Aaßov Tv Xapıy, xak um auvagxoo- 
uevv Eyuy aurıy To oumarı — dei de Guapravovres dei Edln- . 
To rä ouyyweärrog, xaL Ademore yisufegävzo, oagxes res mal 
davias, xal Gel yrrWuevo To vous dus Tov EoIeveuav Ts vage 
Eben deßwegen wäre der Menſch, wenn der Logos ein 
Gefchöpf wäre, nichts defto weniger fierblich geblieben my 
owanrouevog tiö Fe, 8 yap xrioua ovwvinte va xrispara 19 
Je, Inrav xal euro Tov awanrovra, #8 To Epos Ts xri- 
08w: Owrneia ty; xriaews Av Ein, deouevov zul auro Ts awır- 


elas (c. 69.). Nur das abfolute Seyn des Erldfers und fer 


Die Kirchenlehrer des vierten Jahrh. u.f.w. 113 


Theorie auf folgende Weiſe entwidelt ): „Wie das Princip 
v8 Todes von Einem aus die ganze menichliche Natur durch⸗ 
tang, fo erſtreckt ſich auch auf diefelbe Weife das Princip 
er Auferftehumg durch Einen auf die Menfchheit. Derjenige, 
er die von ihm angenommene Seele wieder mit feinem Leibe 
migte, durch die Kraft, die er fchon bei der erften Vereini⸗ 
wg jedem biefer beiden Principien mittheilte, berfelbe hat 
uf eine allgemeine Weije die geiftige Subſtanz mit der finn- 
Ben verbunden, indem das Princip, feiner Natur zufolge, 
8 zum Aeuſſerſten durchdringt. Indem er das menfchliche 
Bervammungsurtheil in fi aufnahm, und feine Seele nad) 
er Trennung fich wieder mit dem Leib vereinigte, hat Die 
Bereitigung des Setrennten die Wirkung, daß fie fih yon 
rem Princip aus auf gleiche Weiſe auf die ganze menfchli- 
e Ratur erſtreckt.“ Darin befteht, nach Gregor von Nyſſa, 
8 Geheimniß der göttlichen Defonomie in Anfehung des 
Renfchen. Diele Theorie umgeht eigentlich die Hauptfrage, 
it weldyer ſich die beiden bisher erörterten Theorien befchäf- 
vn, bie Frage, auf welche Weiſe der Menfch von ber, in 
belge Der Sünde auf ihm liegenden, Schuld befreit werben 
Ime, fie faßt ſogleich alles, was ſich auf die Erlöfung und 
Berföhnung des Menfchen bezieht, in das Eine zufammen, 
durch die Menſchwerdung des Logos fey der Menfchheit ein 
Vheres geiftiged Princip mitgetheilt, und ber Menſch dadurch 
die Einheit des Göttlichen wieber aufgenommen worben. 
rs iſt das die Menichheit in ſich repräfentirende Indi⸗ 
um, das ihr zwar ald Theil des Ganzen angehört, aber 
uch Das fie beftimmende Princip in fi hat. Was von dem 
Einen gilt, muß auch von allen andern gelten. Da die Nas 





ne abfolute Einheit mit der Menfchheit, nicht der abiolu: 

te Werth feines Leidens und Todes, if noch der Hauptge⸗ 

danke. | 
Y) Orat. cat. c. 16. 


Baur, Die Lehre von ber Berföhnung. 5 


” 


112 L Ber L Abſchn. 2. Kap. 


flerblichen Leibe durch die Unfterblichfeit aufgehoben hätte *). 
> Ausführlicher Hat Gregor von Nyfia bie Orunbgüge diefer ' 





4) De incarnat. c. 54.: Adros ö ra Hei löyos — — 
Iva nueis Ieomaydöner , aa abro⸗ Eparkowoey Eavror dıa —2RR 
Tos, iva queis Ta aogarn nareos Fvvaavy daßuusr (Ein öfters 
bei Athanafius vorkommender Gedanke. Bel. z. 3. Orat. 
c. Arian. I], 39.: oöx Gem drsownog üy üsegor yiyore Seos, ül- 
Aa Seos üv Usegor ydyovevr üvIowrros, Tva nüllov yuas Feorrow- 
or). Dan könne einwenden, fagt Athanafius De incarn, 
c. 44., Gott hätte, wenn er den Menſchen erldſen wollte, 
dieß durch einen bloßen Wink thun follen, wie er aud) einf 
aus Nichts die Welt erfchuf, ohne daß fein Logos einen 
menfchlichen Leib annahm. Allein nachdem einmal ber 
Menfch gefchaffen fen, müſſe Gott ald Arzt und Erlöfer das 
Gefchaffene heilen, und fich hiezu des Leibs als eines menfchs 
lichen Organs bedienen. Auſſerdem aber müſſe man willen, 
daß das Verderben nicht außerhalb des Leibes, fondern im 
Leibe felbt war, deßwegen habe auch das Leben im Leibe 
felbft feyn müllen, iva avrerduser To ouua Tv lary aroßdlg 
Tv p9ogav, all; re el xal Eyeyore In TE awuarog é Aoyog za 
un Ev aut, ö ur Iavaros yrräaro im avra yuaxurara, äre di 
um loyuovrog TE Javara xara vis lwijs, sdkv de.nrrov Kusver dr 
To Ouuarı 7 neooyevoutvn YIoga‘ dia TäTo eixorog bredisaro 10 
oöua 6 owrye, Tva ovunlaxevros TA ownaros ra Loy u. f. W. 
Vgl. Orat, c. Arian. H, 68.: & dia To dwarov elorxeı (6 
3e05) al Elelvro 7 xarapn, ra ukv xeltvoavros 7 Öuvaıs E78- 
delwvuro, 6 uirra Gvdowrog Tonrog Bykvero, olos 7v xar 6 "Aday 
eo vis Tragaßacews, Kiwder Aufwv tw xayır, xar m —E 
ueviv Eywv. avıyv Ti ouinarı — aeı de Guagravovreg dei Zilor- . 
To rA OVyYweirrog, za Bderore Hlsudegävzo , Oagxes Ovrag zo 
davias, xal del yrruusvo To von die TıV dogeyaav vis 0apxO5. 
Eben deßwegen wäre der Menfh, wenn der Logos ein 
Geſchoͤpf wäre, nichts defto weniger fterblich geblieben zu; 
owartousvog vi Fe, 8 yap xrioua OvvanTe ra xriouera vi 
Ic, Inrav xal auto Tov awanrovra, dk TO eos Tas xri- 
020: dwrnela vis xrineug Ev ein, deousvor xa} avro Tis owrn- 


elas (c. 69. Nur das abfolute Seyn des Erloͤſers und feis- 


Die Kirhenlehrer bes vierten Jahrh. u.f.w. 113 


Theorie auf folgende Weife entwidelt 9: „Wie das Princip 
des Todes von Einem aus die ganze menichliche Natur durch⸗ 
drang, fo erſtreckt ſich auch auf diefelbe Weife das Princip 
der Auferftehung durch Einen auf die Menfchheit. Derienige, 
ber Die von ihm angenommene Seele wieder mit feinem Leibe 
enigte, Durch Die Kraft, die er fchon bei der erften Vereini⸗ 
gung jedem biefer beiden Brincipien mittheilte, derſelbe hat 
auf eine allgemeine Weile die geiftige Subflanz mit der ſinn⸗ 
lichen verbunden, indem das Princip, feiner Ratur zufolge, 
bis zum Heufierften durchdringt. Indem er das menfchliche 
Berdammungsurtheil in fih aufnahm, und feine Seele nach 
der Trennung fich wieder mit dem Leib vereinigte, hat die 
Bereinigung des Getrennten die Wirkung, daß fie ſich son 
Ihrem Princip aus. auf gleiche Weiſe auf die ganze menſchli⸗ 
de Ratur erftredt.“ Darin befteht, nach Gregor von Nyſſa, 
das Geheimniß der göttlichen Defonomie in Anſehung des 
RMenſchen. Diefe Theorie umgeht eigentlich die Haupffrage, 
mit welcher fich die beiden bisher erörterten Theorien befchäf- 
gen, die Frage, auf welche Weiſe der Menfch.von der, in 
Bolge der Sünde auf ihm Iiegenden, Schuld befreit werben 
Tonne, fie faßt fogleich alles, was ſich auf die Erlöfung und 
Berföhnung des Menfchen bezieht, in. das Eine zufammen, 
durch die Menfchwerbung des Logos ſey der Menjchheit ein 
höheres geiftiges Princip mitgetheilt, und der Menſch dadurch 
im die Einheit des Göttlichen wieder aufgenommen worden. 
Chriſtus iſt Das die Menfchheit in fich repräfentirende Indi⸗ 
daum, das ihr zwar ald Theil des Ganzen angehört, aber 
auch das fie beftimmende Princip in fi hat. Was von dem 
Einen gilt, muß aud von allen andern gelten, Da die Na⸗ 


ne abfolute Einheit mit der Menſchheit, nicht der abſolu⸗ 
te Werth ſeines Leidens und Todes, iſt noch der Hauptge⸗ 
danke. 

4) Orat. cat. c. 16. 


Baur, die Lehre von der Berf öhnung. 8 


116. L Per. 1 Abſchn. 2. Rap. - 


Eins geworden if. Dieß ift durch die Menſchwerdung Got⸗ 
tes, durch die Vereinigung des göttlichen Logos mit einer 
menſchlichen Natur, gefihehen. Daher wird bieß ‚von den 
Kirchenlehrern, in deren Sbeenfreis die hier entwidelte Theo» 
tie liegt, vor allem hervorgehoben *). Die Menfchheit IR 


4) Befonders gehöre auch Hilarius von Poitiers hieher De tri- 
nit. II, 24. f.: Humani generis causa Dei fillus natus ex 
virgine est et spiritu sancto, — ul homo factus ex vir- 
gine naturam in se carnis acciperet, perque hujus ad- 
mixtionis societatem sanctificatum in eo universt generts 
humani corpus exsisteret, ut gquemadmodum omnes in se per 
td, quod corporeum se esse voluit, conderentur, Ita rursum 
in omnes ipse per id, quod ejus est invisibile, referre- 
tur. Det igitur imago invisibilis pudorem humant ex- 
ordil non recusavit, et per conceptionem, partum, vagi- 
tum, cunas .emnes naturae nostrae contumelias trans- 
curröt. — Non #lle eguit homo effici, per quem homo 
factus est, sed nos eguimus, ut Deus caro fieret, et ha- 
bitaret in nobis, id est, assumtione carnis unius mem- 
dra universae carnis incoleret. Humilitas ejus nestra 
nobilitas est, eontumelia ejus honor noster est, quod ille 
Deus in carne comsistens, hoc nos vicissitm in Deum e» 
carne renovati. Vgl. Tract. in Ps. LI, 16.: Natus ex» vir- 
gine Dei fillus nen tum primum Det filtus, cum fillus ho- 
minis, sed in fillo Det etiam filius hominis, ut et fillus 
homints esset fillus Det, naturam in se universae: carnis 
assumsit, per quam effectus vera vitis, genus In se uni- 
versae propaginis tenet. Si qua ergo propago infidells 
aut infructuosa est, eradicandam ipsa se praebet, per 
naturam quidem manens, sed per infidelitatem aut in- 
utilitatem evellitur. Dgl. Leo M. Serm. LXVI, 4.: Nor 
— est dubtum, naturam humanam in tantam connezio- 

‚nem a filio Dei esse susceptam, ut non solum in illo ho- 
mine, qui est primogenitus totius creaturae,. sed etiam 

, In omnibus sanctis suis unus idemque sit Christus. Eben⸗ 
dahin gehören Säge Eprill’s von Alexandrien, wie > B- 


— ⸗ 


Die Kirchenlehrer bes vierten Jahrh. u. ſ. w. 117 


an ſich theils ſchon durch die Menſchwerdung ded Logos, 
theils beſonders durch die Auferſtehung Chriſti vom Tode ein 


Comm. in Joh. Tom. IV. ©. 198.: Ei um) kowirwoer iv guiv 
(6 vios) 80” av Öds Tmr ano YIopas audernar 4 Ts dagxor 
Erredvoaro gar. Je unmittelbarer ſich Cyrill die Einheit des 
Göttlichen und Menfchlichen in der Perfon des Gottmenfchen 
dachte, deſto unmittelbarer mußte ihm in ber Lehre von der 
Perſon Chriſti auch fchon die Lehre von der Verföhnung ent- 
halten feyn, um fo mehr aber verdient bemerkt zu werben, 
. wie Cyrill die an fich ſeyende Einheit des Göttlichen und 
Menſchlichen durch den heiligen Geiſt vermittelt werben läßt. 
& fiellt Adv. Nestor. III, 2. T. VI. ©. 71. den erfien und 
jweiten Adam zufammen. Das Bild des erfien Adam if 
To eunögzov eis Guapriav, To Uno Idrarov yerkadaı xal YIopar. 
Das Bild des bimmlifchen Adam iſt to xar" adeva Tgonov 
yrraodaı nasür, To un eidlvm TÄnunelsiiv, To un ünoxeioda. 





Serarıs xal pJopz, 6 ayınzauos, 7 dıxawauvn, za) Oca raros adel- 
ya ra xal rogarinaa. Dieß zu befiken aber kommt nur ber 
göttlichen und reinen Natur zu. Keeirrov yap borı xal Gnao- 
vias nad popüs, Gyınauos xaı dızawaouvn. "Avapegeı da zal yuas 
dv ruroc 0 dx Iea nraroos Aoyog tis Selas Eaırä yucews KovawvaG 
Grapalvur din Ta nveuuaros, Eye Toirw ddelpac koxdras eure, 
nad rs Seas aurä Ypioews Yopivrag Eixöve, zara ya T0v ra Nyıl- 
oa Tenor, Erw yag Ev nuiv uoppära: Kuss, perarayesvros 
Goree yuüs Ta Ayla nveiuaros Ex Tüv avdgunivwv eis Ta aura. 
Nun wird Röm. 8, 8. angeführt. Ovxav uegiorne ur ö vios 
Sdkv Tortapanay ruv nenomudvew eis ınv rije Wlag Ieoryros yü- 
av’ aunyavov yap’ Evonuaivera dd nws Tols Tifs Ielas Yvcens au- 
rö yeyorda wowvuvois, dus TE weraayeiv äyla nveuuaros, 7 Tegds 
aurov Eupfpea vortn, xaı To is Abüıre Ieörros nallos Tais rev 
Sylov dvasgarıre wuxais. Zu ihrer nothwendigen Vorausſe⸗ 
sung aber bat dieſe vermittelmde Thaͤtigkeit des Geiftes, durch 
welche das Bild Ehrifti in und ausgeprägt wird, das Eins⸗ 
gewordenſeyn des Göttlichen und Menfchlichen in Chriſtus: 
5 ro öluw xupos war Feos uovoyeyns, zadıjzev Euurov sis xevwow 
d.” äuäs, iva Auiv Kaplonraı vis srg05 aurov adelyornros ro akie- 
pe, al vis ivsoyg aurı euyereias To aluigasov wahdos, Weßiegen 


118 1. Ber. 4 Abſchn. 3. Rap. 
geheifigter Körper geworben, ber Logos hat ſich in Zeus 


nicht blos mit einzelnen Menfchen, fonders mit ber Subftlam 


der menſchlichen Natur, mit der Menichheit an fi, aufs in 


nigfte und unzertrennlichfte verbunden. Es iſt dieß aber nur 


bie objective Seite der Erlöfung, von welcher der in dem, 
Einzelnen fich realifirende Act der Verföhnung als die ſub⸗ 
jective Seite unterfchieden werden muß, Mit Recht können 
wir diefe Theorie zum Unterfchied von den früher erörterien 
als diejenige bezeichnen, die bei der Beftimmung des Begriffs 
ber Verföhnung am meiften den Standpunct des fubjectiven 


Bewußtſeyns fefthält, muftifh aber mag fie in dieſer Hinſicht 


auch deswegen genannt werden, weil fie nicht won einem 
apriorifchen Begriff, fondern von einer Thatfache der Erfah 
rung (der Heiligung der Menfchheit durch die Erfcheinung 
des Erlöferd) ausgeht, deren Realität erft durch bie innere 
Erfahrung im Leben jedes Einzelnen vermittelt werben muß, 
in einem ähnlichen Sinn alfo, in welchem auch Schleierma⸗ 
cher feine verwandte Theorie eine muftifche nennt, 


— 


Drittes Kapitel. 
Jobannes Scotus Erigena, 
Je mehr der Begriff der Verſöhnung in die Momente 
auseinander geht, die an ſich in ihm enthalten ſind, und 


ebendadurch zu dem lebendigen Proceß ſich entwickelt, durch 
welchen er, ſeiner immanenten Bewegung folgend, ſich mit 


ſich ſelbſt vermittelt, ein um ſo weſentlicheres Moment dieſes 


Proceſſes muß das Leiden und der Tod Jeſu werden. Iſt dem 


dem Neſtorius in demſelben Zuſammenhang zum Vorwurf 
gemacht wird, daß er yuurnv TE zul uovnv rs 0apx05 TV Eu- 
yrosiar anoveue, Ts Pelus ze xar voytis AOPPWDERIS — using, 
uallov Ok xar Ewaray aurkv avaıv. 


. — — 5 ou 


) 


Johannes Scotus Erigena. 119 


chriſtlichen Bewußtſeyn zufolge Die Thatſache der Verſoͤhnung nur 
durch das Leiden und den Tod Jeſu vollbracht, fo kann auch kei⸗ 
ne Berföhnungstheorie die in dem chriſtlichen Begriff der Ver⸗ 
fühnung Hegende Aufgabe auf befriedigende Weife gelöst has 
ben, wenn fie nicht das Leiden und den Tod Jeſu ald ein we- 
fentliches Moment ded Begriffs der Verſöhnung felbft zu bes 
greifen weiß, und bie Realität der Verfühnung, fey es ob» 
jectio ober ſubjectiv, durch Die Thatfache des Leidens und 
Todes. Jeſu vermittelt werden läßt. Aber gerade über diefen 
Punct ſchwankte das dogmatiſche Bewußtſeyn der Kirchen: 
lehrer, von welchen bisher die Rede war, noch am meiſten, 
und es war ihnen noch nicht gelungen, die Entwicklung des 
Dogma's bis zu dem Puncte fortzuführen, auf welchem ſich 
ihnen das Moment ded Leidens und Todes Jeſu ald ein we⸗ 
ſentliches und nothwendiges ergab, da die gerade hierüber 
berrfchende Berfchiedenheit der Vorftelungen den bdeutlichften 
Beweis Davon gibt, wie wenig man noch der Innern Wahr- 
heit und Rothwendigfeit der Sache felbft fich bewußt gewor⸗ 
den war. Solange biefer weitere Fortſchritt nicht gefchehen 
iR, it auch der im Leben des Gottmenfchen fich realtfirende 
: Begriff der Verſöhnung noch nicht zu feiner wahren Realität 
gefommen, und das Leben des Gottmenfchen, zu welchem 
weientlih auch der Tod gehört, nur einfeitig aufgefaßt. 
„ Heraus ift e8 daher zu erflären, Daß bie Kirchenlehrer dieſer 
Beriode, um ſich der Einheit des Göttlichen und Menfchlichen, 
> ohne welche der Begriff der Verfühnung nicht gedacht werden 
lann, bewußt zu werden, immer wieder auf einen PBunct 
- jurüdgingen, welcher zwar. die nothiwendige Vorausſezung 
jeder chriftlichen Verfühnungstheorie ift, aber die Verföhnung 
jelbft noch ganz in ihrem unmittelbaren Anfichfeyn in fich 
ſchließt, die in der Menſchwerdung des Logos fich barftellende 
Einheit des Göttlichen und Menfchlichen. Wie nun fehon in 
biefer Hinficht die menfchliche Seite des Verföhnungsproceffes 
nicht zu ihrer wahren Exiſtenz gelangt, fo ift davon nicht 


120 1. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap. 


. wejentlich verichieden ein Standpunet, auf welchen das Menſch⸗ 
liche noch mehr zurüdtrit, der menſchwerdende Logos eigent- 
lich noch nicht der wahre Gottmenſch ift, und der Unterfchie - ° 
bes Söttlichen und Menfchlichen, in deſſen Vermittlung Das 
Wefen der Berfühnung beſteht, ftatt in feine ganze Weit : 
auseinanderzugehen, immer nur als ein fogleich wieber ver⸗ 
ſchwindendes Moment erfcheint. Es ift dieß derjenige Bund, | 
in welchen Platonismus und Chriſienthum fich am nächſten 
berühren, aber nur dazu, um fich fogleich wieder in- ihrer 
ganzen Differenz auseinanderzuſezen, die Schen, fih der wah⸗ 
ren Einheit des Göttlichen und Menfchlichen erft Dadurch: bes 
wußt zu werben, daß man vor allem ben Unterſchied zu ſei⸗ 
nem vollen Recht Tommen läßt, Wie ber Platonismus in 
verſchiedenen Formen durch die Theologie ber erften Jahr⸗ 
hunderte ſich bindurchzieht, fo hat er in dem an den. Arco 
pagiten Dionyfius fich anfchließenden Sohannes Seotus Erle 
gena noch einmal alle feine Strahlen gefammelt, um fich im | 
‚sollen Bewußtfeyn feiner abfoluten Idee dem Chriftentkum 
in einem Syftem Gegenüberzuitellen, das zwar ben Unterſchied 
zwiſchen Chriſtenthum und Platonismus völlig auszugleichen 
ſcheint, aber gleichwohl das concrete Leben des Gottmenſchen 
nur in einem taͤuſchenden Gegenbilde wiedergibt. So ſehen 
wir, wie wenn die Geſchichte ſelbſt durch den Contraſt der 
Ertreme den Fortſchritt der Entwicklung des Dogma's um fe; 
auffallender hervortreten laſſen wollte, den der alten Kirche 
angehörenden Zeitraum mit einer Theorie ſich ſchließen, in 
welcher das chriftliche Moment der Verſöhnungslehre noch 
nicht zum Bewußtſeyn gekommen zu feyn ſcheint, während 
Dagegen ber darauf folgende Zeitraum der Scholaftif des 
Mittelalters mit einer Theorie beginnt, die es fich zur höch⸗ 
ften Aufgabe macht, das chriftliche Dogma in der ganzen 
‚Tiefe jeined Inhalts zu erfaffen. Ä 
Der Ratur der Sache nach hängt, wie aus dem zuvor 
Bemerkten erhellt, die fpeculative Berföhnungstheorie, auf 


Johannes Ecotus Erigena. 121 


deren Darflellung wir übergehen, mit bem eigenthümlichen 
. aaturphilofophifchen Syſtem, welches Johannes Scotus Eri- 
gena in den fünf Büchern feines Hauptwerk 4) entwickelt 
bat, fo eng zufanımen, daß fle nur aus dem Zufammenhang 
bes ganzen Syſtems begriffen werden Tann. Raturphilofos 
phifch wird dieſes Syftem mit Recht genannt, da Grigena, 
wie ſchon der Titel feines Werkes fagt, von dem Begriff der 
Ratur ausgeht. Die erfte und höchſte Eintheilung aller 
Dinge, fowohl derjenigen, dig unfer Geiſt faſſen kann, ald 

. derjenigen , die über ihn hinausgehen, ift die Eintheilung in 
das, was ift, und das, was nicht ifl. Alles dieß begreift 
Die Rate in fih. Die Watur felbft aber zerfälft, ihren Dife 
ferenzen nach betrachtet, in vier Formen, von welchen die 
erfte ſchafft und nicht erichaffen wird, Die zweite erichaffen 
wird und fchafft, die dritte erfchaffen wird und nicht ſchafft, 

‚ bie vierte weder fchafft nach erichaffen wird 2). Bon diefen 
vier Formen: ſtehen je zwei einander gegenüber, benn bie 
dutte iſt der Gegenfaz zu der erften, und bie vierte zu ber 
weiten, bie vierte aber gehört unter das Unmögliche, da 
ihre Differenz dad non posse esse ift. Die erfte und vierte 
Form Tann nur von Gott ausgefagt werden, nicht fofern 
Sott, defien Natur fchlechthin einfach ift, theilbar ift, ſondern 
nur fofern fie aus einem doppelten Gefichtspunct betrachtet 
werden kann °). Als Brincip und Urfache aller Dinge wird 
Gott von niemand erfchaffen, alled aber, was ift und nicht 
iR, wird von ihm gefchaffen, fofern er aber auch das Ende 
aM, zu welchem alles zurüdftrebt, Die unüberfchreitbare Gren⸗ 





ka 1,0. ame Y 


4) De divisione naturae libri quinque, diu desiderati. Oxo- 
nii 1681. 

2) De div. nat. 1. ©. 1. f. 

5) L. V. ©. 311. Neon guod ipsius natura, quae simplex 
et plus guam simplex est, dividua sit, sed quod duplicis 
nalurae modum vecipit. j 





122 1. Ber. L Abſchn. 3. Kap. ’ 


3e, fo daß In ihm alles ruht, und er alles in allem if, mu 
von ihm gefagt werden, daß er nichts ſchaffe 2 Diele bei⸗ i 





1) L. II. ©.46.: Quaternarum praedictarum formarım D- 
nis in unum coeuntibus, fiat analytica, id est, reditive . 
collectio. Prima namque et quarta unum eunt, quonlam ' 
de Deo solummodo intelliguntur, est enim prineipium. 
omnium, quae a se condita sunt, et finis omnium, —* 
eum appetunt, ut in eo aeternuliter tmmutabilitergue quies- | 
cant. Causa sigquidem omnium propterea dicitur creare, : 
quoniam ab ea universitas eorum, quae post eam ab es ", 
creata sunt, in genera et species el numeros, dijferentias 
guoque, ceteraque, quae in natura condita considerantur, 
mirabili quadam divinaque multiplicatione procedit ; quo-° 
niam vero ad eandem causam omnia, quae ab ea proce- 
dunt, dum ad finem pervenient, repersura sunt, prop- 
terea finis omnium dicitur, et neque creare neque creari 
perhibetur, nam postquam in eam reversa sunt omnla, 
nil ulterlus ab ea per generationem, loco ef tempore, ge- 
neribus et formis, procedet, quoniam in ea omnia quie- 
ta,erunt et unum individuum atque immutabile mane- 
bunt. Nam quae in processionibus naturarum multipli- 
citer divisa atque partita esse videntur,, in primordiali- 
bus causis unita atque unum sunt, ad quam unitalem 
reversura, In ea aeternaliter atque Immutabiliter mane- _ 
Bunt; sed de hac quarta universitatis consideratiome, ” 
quae in solo Deo intelligitur, quemadmodum et prima, 
suo loco latius disputabitur, quantum lux mentium do- 
naverlt. Quod autem de prima et de quarta dicitur, 
hoc est, nec illa nec Tsta creatur, cum illa et ista unum 
sunl, ulraeque enim de Deo praedicantur, nulli recle 
intelligentium obscurum esse arbitror, a nullo enim crea- 
tur, quod causa superiori se vel sibi coaequali caret, est 
enim prima omnium causa Deus, quem nihil praecedit, 

“ all ei cointelligitur, quod sibt coessentiale non sit. — 
Non in Deo prima forma a quarta discernitur, tn ipso 
siguidem non duo sunt, sed unum, in nostra vero- theo- 


I 2 Pag 
ee". 


Johannes Scotus Grigen«a. 123 


ben Formen, die erfte und. vierte, löfen fi, da der Grund 
ihrer Verfchiedenheit nicht objectto in der Natur Gottes, fon- 
dern nur fubjectio in der menſchlichen Betrachtungsweife liegt, 

: in Eine auf. Die beiden andern Formen aber erzeugen fich 
. nicht blos in unferer Betrachtungsweiſe, fondern werben auch 
in der Natur der gefchaffenen Dinge felbft gefunden, da in 
tr die Urfachen von den Wirfungen getrennt werben, fofern 
‚die Wirkungen auch wieder mit den Urfadyen geeint 

. werben, ba beide in dem Begriff der Ereatur zufammenfal- 
- Im, werden aus vier Formen zwei ?). Betrachtet man aber 
das Verhältniß des Geſchöpfs zum Schöpfer, fo kann man, 

da auſſer Sott nichts MWefentliches feyn Tann, und das Er» 
ſchaffene nur durch die Theilnahme an ihm befteht, nicht läug⸗ 
am, daß Gefhöpf und Schöpfer Eins find. Das ganze 
- Univerfum, fofern e8 Gott und die Creatur in ſich begreift, 
{ tommt Daher von den vier Formen, in welche es gleichſam 
getheilt worden iſt, wieder auf Ein Individuum zuruͤck, das 
fang, Urſache und Ende if. Ebendeswegen kann auch 
von einem Hervorgehen der Geſchöpfe aus der erſten und 
Gnen Urfache, durch die Vermittlung der uranfänglichen Ur⸗ 
ſachen, in unendlich viele Gefchlechter und Formen nicht Die 
Rede ſeyn, ohne daß in dem Hervorgehen das Zurüdgehen 


N 


w_ 


ria, dum allam ratignem de Deo concipimus secundum 

 considerationem principii, aliam vero justa finis con- 
tenplalionem, duae veluti fornae esse videntur, ex una 
eandemque simplicitate divinae naturae propter dupli- 
cem nostrae contemplationis intentionem formatae. 


)Lib. II. ©. 47.: Allae vero duae formae, secundam dico 
et tertiam, non solum in nostra contemplatime gignun- 
tur, sed etiam in ipsa rerum creatarum natura repe- 
rtuntur, in qua causae ab effectibus separantur, et ef- 
fectus causis adunantur. quonidm in uno genere, In crea- 
lura dico, unum sunt. De quatuor igitur ſiunt duae. 





126 L. Per. J. Abſchn. 3. Sam 


nicht vom Paradies getrennt, ſondern die ganze irdiſche Ar 
tur wäre in ihm Paradies, d. h. geiftiges Leben (spiritualis- 
eonversatio), Himmel und Erde wären in ihm nicht getrem, 

denn er wäre ganz himmlifh, und nichts Irdiſches, nichts 

Schweres, nichts Körperliche würde in ihm erfcheinen, er 

wäre wie bie Engel, und würde fi} zu ber von feinem Schi« 

pfer vorausbeftimmten Zahl vervielfältigen, wie ſich die En⸗ 

gel vervielfäktigten. Die finnliche Natur würde in ihm ni 
im Widerftreit mit der geiftigen feyn, denn er wäre gang. 
Verſtand, und würde feinem Schöpfer immer und unwandel⸗ 
bar anhängen, und ſich auf feine Weiſe von den uranfang⸗ 
lichen Urſachen, in welchen er geſchaffen worden iſt, entfer⸗ 
nen, die ganze in ihm geſchaffene Creatur würde Feine Thei⸗ 
lung erlitten haben. Weil aber der erfte Menſch in dieſen 
feligen Zuftande nicht blieb, fondern aus Stolz fiel und bie 
Einheit der menfchlichen Retur in unendliche Theile und For⸗ 
men zerfiel, ſo hat die göttliche Liebe einen andern Menſchen 
angenommen, um die in dem alten Menſchen zerfallene Na⸗ 
tur zu ihrer urfprünglichen Einheit wiederherzuftellen. Daher’ 
ift in Chriftus der Anfang, in welchem die Getheiltheit, in 
welche der Menſch zerfallen ifl, zur Einheit zurückkehrt. Was 

in dem Menfchen durch die Sünde getrennt ift, ift in Chri⸗ 

ſtus zue Einheit verbunden. In Chriftus iſt feit feiner Auf⸗ 

erftehung der Unterfchied der Geſchlechter aufgehoben, bie 

Welt dem Paradies gleichgeftellt, und die ganze Creatur, 

die geiftige und finnlihe, zur Einheit verfnüpft 9. 


1) I. II. ©. 52.: Adunatio totius creaturae, quae in pri- 
mo homine fieret, si non peccaret, in Christo resurgen- 
te ante omnes per omnia faclu. — Non enim in ses 
corporeo, sed in homine lantum surrexit es mortuis, in 
ipso enim nec masculus nec femina est. —: Deinde post 
resurreclionem nostrum orbem terrarum paradiso in se 
ipso colligavit, nam ex mortuis in paradisum. rediens, 
in hoc orbe cum discipulis conversalus est. 


v 


Johannes Scotus Erigena. 127 


‚Erlöfer und Berföhner ift demnach Chriftus auch in die⸗ 
u Syſtem, fofern Die durch die Sünde entftandenen Folgen 
‚ihm aufgehoben find. Erfcheint nun fchon in dem Bishe- 
zen bie chriftliche Idee der Erlöfung in einem ihr fremd⸗ 
gen Zufammenhang fpeculativer Ideen, fo zeigt ſich dieß 
ch auffallender, wenn wir fragen, was Grigena unter 
indbe und Erlöſung verfteht. Die Sünde ift ihm nichts in 
e Zeit Entftandenes, fondern der Menſch ift von Anfang an 
nder, er war zeitlich nie im Paradies, alfo konnte er 
iih das Paradies nicht erft in einem beftimmten Zeiipunct 
nlieren, wie der Teufel von Anfang an ein Mörder ift, jo 
t.der Menfch nicht von ihm, jondern von Unfang an er⸗ 
webet worden, ehe er vom Teufel verfucht worden ift, war 
ſchon in fich zerfallen, in der Wandelbarfeit feines Willen, 
K welcher er von Anfang an auch die Sünde in ſich hatte . 
«nun aber gleichwohl der Menſch, wie Erigena hehaup⸗ 
, nach dem Bilde Gottes gefchaffen ift, und in dieſer Würde 
e Einheit und der Mittelpunct aller Greaturen ift, fo folgt 
maus, Daß er. ed entweder niemals hatte, oder wenn er es 
te, es auch im Zuftande der Sünde noch haben muß. 
bes läßt fich Daher nur fo zufammendenfen, daß er eine 
sppelte Natur in fich vereinigt, eine geiftige und finnliche, 





1) ib. IV. ©. 196.: Fuisse Adam temporaliter in paradi- 
so — dicat quis potest. —. Nec unquam steterat, nam 
si saltem vel parvo spatio stetisset, necessario ad ali- 
quam perfectionem perveniret. — Quale spatium datur 
homini in paradiso vixisse, priusguam. a diabolo oceide- 
retur? — Datur intelligi, quod homo prius in se ipso 
lapsus est, qguam diabolo tentaretur, nec hoc solum, ve- 
rum etiam, quod non in paradiso, sed descendente eo — 
in hunc mundum labente, a diabolo sauciatus sit et spo- 
Hatus. Non enim credibile est, eundem hominem et in 
contemplatione aeternae pacis stetisse, et suadente femi- 
na, serpentlis veneno corrupla, corruisse. 


. 


18 1. Per. I. Abſchu. 3. Ray. 


in Anfehung jener dat er das Bild Gottes, in Anſehung die⸗ 
fer ift er im Zuftande der Sümde. Er ift alfo zwar durch 
die Sünde in den Unterſchied und Gegenjaz einer doppelten 
Ratur herausgetreten, aber dieſer Unterſchied it, da ber Menſch 
in den uranfänglichen Urſachen, die die Principien feines Ur⸗ 
fprungs find, auch jest noch fteht, ein von Anfang .an auf 
gehobener D. If aber die Sünde an fih aufgehoben, der . 
allein wahrhaft feyenden fubftanziellen Natur des Menſchen 
gegenüber nur ald ein von Anfang an verfchwindendes, m _ 
fih nicht vorhandenes, Moment gefezt, welche Bedeutung fell - 
die Idee der GErisfung und Verſöhnung haben? Wie bie 
Sünde nichts in der Zeit Entftandenes tft, jondern der ewige 
Act, durch welchen der Menfch, vermöge des Begriffe feines 
Weſens, fih in Die Zweiheit der Naturen, die fein Weſen 
ausmacht, dirimirt, fo ift auch die Erlöfung Kein zeitlicher, 
tn einem beflimmten Moment ir die Gefchichte der Menſch⸗ 


heit eingreifender, Act, fondern fie ift fo ewig als die Nenſch⸗ 


4) Lib. II. ©. 48.: Est ex duabus conditae naturae univer- 
salibas partibus mirabili quadam adunatione compositus 
ex sensibili namque et intelligibili, hoc est, ex totius 
ereaturae extremitatibus conjunctus. — Datur Intelligi, 
humanam naturam etiam post praevaricationem digni- 
tatem suam non penitus perdidisse, sed adhuc obtinere. 
— Nen ergo etiam in languoribus nostris Deum penl- 
tus deserulmus, nec ab ipso deserti sumus, dum inter 
mentem nostram et illum nulla interposita natura est, 
lepra siquidem animae vel corperis non aufert aclem men- 
Eis, qua illum #ntelligimus, et in qua mazxime imago 
creatoris condita est. — Obgleich der Menfch von den pri- 
mordiales causae, in quibus subsisttt, fich felbit logreißt, 
fo it er doch won ihnen nicht wahrhaft getrennt. — Non 
entm in his, in quibus nunc videtur esse, homo consistit 
sed in occultis naturae causis, secundum quas primitus 
conditus est, et ad quas reversurus est, continetur in 
quanlum est. 


Johannes Scotus Erigena. 129 


rbung, von der Menfchwerdung aber behauptet Grigena, 
er Sohn Gottes fey deswegen Menſch geworden, oder in 
e Wirkungen der Urfachen herabgeftiegen,, um die Wirkuns 
ar der Urſachen, Die er feiner Gottheit nach ewig und uns 
wänderlich in fidy hat, feiner Menfchheit nach zu retten, und 
ı ihren Urfachen zurüdzuführen, Würde bie göttliche Weis⸗ 
it nicht in die Wirkungen ber ewig in ihr lebenden Urfas 
m herabfteigen, fo würden bie Urfachen aufhören, Urfachen 
‚ fegn, Da es, wenn bie Wirkungen der Urfachen zu Grunde 
den, auch feine Urſachen mehr gibt, ebenfo wie es, wenn 
keine Urjachen gibt, auch Feine Wirkungen geben Tann, 
el das Eine durch das Andere bedingt ift Y). Können 
nach an ſich Urfachen und Wirkungen nicht von einander ' 
trennt werden, fo Tann es auch keinen Momens gegeben 
ben, in welchem der Sohn Gottes noch nicht Menſch ge⸗ 
ssben war, um die Wirkungen der Urſachen, d. h. bie 
wi Die Sünde des Menichen getheilte und in ſich zerfallene 
atur, in ihrer Einheit mit den im Sohne Gottes beftehenden 


4) Lib. V. ©. 252.: Deus itaque, Dei verbum, in quo om- 
nsa facta sunt causaliter et subsistunt, seeundum suam 
divinitatem descendit in causarum, quäe in ipso subsi- 
stunt, effectus, in istum videlicet sensäbilem mundum, hu- 
manam accipiens naluram, in qua omni$ visibilis et in- 

. isidilis creatura continetur, — non allam ob causam, ni- 
Hl ut:.causarum, quas secundum suam divinitatem aeter- 
naliter et incommutabiliter habet, secundum suam hu- 
manitatem effectus salvaret, inque suas causas Tevoca- 

ret, ut in Ipsis ineffabili quadam adunatione sicuti in 
ipsa causa salvarentur. — Si Dei sapientia in effectus 

' eausarum, quae in ea aeternaliter vlvunt, non descen- 
deret, causarum ratio pertret, pereuntibus enim causa- 
rum effectibus nulla causa remaneret, sicut pereuntibus 
causis nulli remanerent effectus; haec enim relativorunm 
ratione simul oriuntur et simul occidunt, aut simul et 
semper permanent. 

Baur, die Lehre von der Verſöhnung. | 9 


130 L Ber. 1. Abſchn. 3. Say. 


uranfänglichen Urfachen zu erhalten. Was ift demnach Chri⸗ 
Rus, der Erlöfer, anders, als der nach dem Bilde‘ Gottes 
geichaffene ebenbildliche Menſch felbft, Die Einheit aller. fihtr | 
baren und unfichtbaren Greaturen, die Einheit der Ratı, a 
ehe fie fich differenzirte und von ihren urfprünglichen Urſachen 
entfernte, der ohne irgend eine Zwifchennatur mit Gott ver- 
bundene Geift, nur mit dem Unterfchieb, daß bie Getheiltheit 
ber Natur, wie fie in dem ebenbilblichen idealen Menſchen 
als eine an ſich noch nicht vorhandene betrachtet wird, in dem - 
Erlöfer als die durch Die Aufhebung der Sünde wiederherge⸗ 
ftellte aufgefaßt wird. Wie daher, als der Menfch durch bie 
Sünde fiel, auch die ganze Natur zerfiel, fo mußte auch 
Chriftus, um Erlöfer zu feyn, nicht blos die menfchliche Ras 
tur, fondern auch die ganze Creatur annehmen ?). Da aber 
die Erlöfung fo wenig, als die Sünde, ald ein zeitlicher Ad 
gedacht werben darf, fo beruht der Unterfchied zwiſchen Chri⸗ 
ſtus und dem urbildlichen Menfchen nur auf einer Verſchieden⸗ 
heit der Betrachtungsweife: beide, an ſich Eins, find nur fo 
verſchieden, wie Die Einheit am ſich verfchieden it von der 
aus dem Unterfchled in fich zurüdgegangenen, oder durch dad 
Bewußtſeyn des Unterſchieds vermittelten Einheit. Inſofern 
fann man, da das Bewußtfeyn der Einheit nur durch dad 
Bermußtfeyn des Unterſchieds vermittelt feyn kann, auch ſa⸗ 
gen, der ideale Menfch fey die an fich feyende Einheit der 
fihtbaren und unfichtbaren Creaturen, Chriftus als GErlöfer 
aber dad Bewußtſeyn diefer Einheit. In diefem Sinne fagt 
Erigena, das aller fihtbaren und unfichtbaren, d. h. der gei⸗ 
ſtigen und vernünftigen ‚Sreatur, den Engeln und Menſchen 


4 


1) Lib. V. ©. 252.: Det verbum, quando accepit humanan 
naturam, nullam creatam substantiam praetermisit, quan® 
non accepit. Accipiens Igitur humanam naluram, om- 
nem crealuram accepit. Ac per hoc, si humanam natu— 
ram, quam accepit, salvavit et restauravit, omnem pro— 
fecto creaturam visibilem et invisibilem restauravit. 





Johannes Scotus. Erigena. 11 


vor ber Menſchwerdung an fich unbegreifliche Wort Gottes 
fen erft durch die Menichwerbung in das Bewußtſeyn ber 
Engel und Menfchen eingetreten 9. + 

Eine eigentliche Erlöfung und Berföhnung gibt. e6 demnach 
in Diefem Syſteme nicht, da nach Scotus Erigena überhaupt 
die Differenz nur in die Sphäre der Theorie, ober bee ſub⸗ 
kctiven Betrachtung, fällt, und der, abfoluten. Einheit Gottes 
gegenüber nichts wahrhaft objective Realität haben kamn. 
Das Syſtem des Erigena kann aus dem abftracten Begriff 
ber abfoluten Ginheit nicht herausfommen, und feinen Ueber 
gang. zum concreten Reben gewinnen. Die höchſte Differenz 
iſt zwar die zwilchen dem Schöpfer und dem Geſchoͤpf, oder, 
ba der Menfch die Einheit aller fihtbaren und unſichtbaren 
Greaturen ift, zwifchen Gott und dem Dienfchen, wie kommt 
: aber diefed Syſtem auf den Begriff der Creatur und bes 
Wenſchen? Da Sott in feiner Unendlichkeit ſich feldft nicht 
_ Immt und fein Bewußtfeyn feiner ſelbſt bat 2), fo trit die 


1) a. a. D.: Non incassum credtmus et Intelligtmus incar- 
nationem verbi divini non minus angelis quam homini- 
Bus profutsse, profuit namque hominibus ad redemtio- 
nem suaeque nalurae restaurationem, profuit angelis ad 
cognitionem. Incomprehensibtle quippe erat verbum om- 
ni creaturae vistbill et invisibill, hoc est Intellectuali et 
rationali, angelis videlicet et hominidus, priusquam In- 
oarnarelur, quoniam remolum et secrelum super omne, 
quod est, et quod non est, super omne, quod dicitur et 
intelligitur, incarnatum vero quodammodo descendens, 
mirabiß quadam theophania et ineffabils et mulsiplici 
sine fine in cognitionem angelicae humanaeque nalurae 
processit,. et super omnia incognitam ex omınibus natu- 
ram, in qua cognoseeretur, assumsit, mundum sensibi- 
lem et intelligibilem in se ipso incomprehensibili harmo- 

"mia adunans, Et uw imaccesstbills omni erealurae in- 
tellectuali et rational praedult aceossum. 

2) Lib. 1. ©. 78.: Quomede divina. natura se Ipsam pot- 


9* 


132 1. Per. I. Abſchn. 3. Kap. 


Sphäre des Bewußtſeyns erſt mit dem Menfchen ein, u 
das Bewußtſeyn Gottes iſt daher, fofern von einem foldh 
die Rede feyn kann, nur Ein. gottmenichliches, da erft m 
dem Menfchen Die VBorausfezung, ohne welche fein Bewuf 
feyn möglich ift, die Differenz, oder der Gegenfaz, gef 
ift, allein es tft auch Hier Der Uebergang vom Abftract 
zum Gonereten auf Feine Weiſe vermittelt. Was follte bei 
die ‚abftracte, nur in fich zurüdgehende, abfolute Einh 
Drängen, fich zum Selbftbewußtfeyn des Geiſtes aufzufchlii 
fen? Wenn daher auch dem Scotus Erigena Die Wahrhe 
daß das Unendliche nur. in der Einheit des Endlichen u 
Unendlichen das wahrhaft Unendliche fey, vorſchweben mo 
te, fo ift fie ihm Boch noch nicht zum Klaren Bemwußtfeyn g 
fommen:*). Das Unendliche und das Enbliche ftehen nı 
est intelligere, quid sit, cum nihil sit, superat em 
omne, quod est, quando nec ipsa est esse, sed ab ip 
est omne esse, quae omnem essentiam et substantia 
virtute suae excellentiae supereminet? Aut quomodo t 
ſtnitum potest in aliquo diffiniri a se ipso, vel in allg 
intelligi, cum se cognoscat super omne finitum et im 
nitum, et finitatem et infinitatem? Deus itaque nes 
“se quid est, qula nom est quid, incomprehensibilis qui] 
pe in aliquo et sibi ipsi et omni intellectui. 
Es fieht als bloße Behauptung in feinem Syſtem, daß di 
Unendliche das Endliche nicht. ausfchließe, fondern in ſi 
begreife. Daber ſtellt er, obgleich ihm Gott der hächfie a 
folute Begriff ift, doch wieder über Gott die Natur, d 
universitas. Wenn Gott die essentia omnium if, ber al 
ein Seyende, fo begreift die Natur, wie er fie Lib. 1. G. 
definirt, fowohl ea, quae sunt, als auch quae non sun 
als Einheit in ſich. Diefe Einheit iſt die Allheit, in me 
cher Gott und Ereatur als Einheit angefchant werden. F 
telligibili quadam universitatis contemplatione univers 
tatem dico Deum et creaturam. Lib. II. ©. 45. .% 
Lib. III. ©. 125.: Nil aliud relinguitur, nist ut Intel 


1 


Sur 


& 


u. ⸗22 -- 


Johannes Scotus Erigena. 133 


aͤuſſerlich und unvermittelt neben einander, wie das Seyn 
und das Nichtſeyn, das Pofitive und das Negative. So⸗ 
lange aber der abfoluten Einheit gegenüber die Beftimmung 
des Unterfchieds ihre wahre und reelle Bedeutung noch nicht 
erhalten bat, fehlt auch noch der wahre Begriff der durch 
den Unterfchieb fi mit fich felbft vermittelnden Einheit. 
Wie Erigena die Ereatur aus Gott hervorgehen läßt, fo- läßt 
er fie auch wieder in Gott zurüdgehen, und unterfcheidet meh⸗ 


rere Momente diefer Ruͤckkehr der Erentur und des Menfchen 


inöbefondere *). Sie beginnt, wenn dem Elend des Menſchen 


gamus, creaturam fuisse in Deo, prlusguam fieret in se 
ipsa, duplexque de creatura dabitur intellectus, unus, 
qui considerat aeternitatem ipsius In divina cognitione, 
in qua omnta vere et substantialiter permanent, alter, 
qui temporalem conditionem ſpeius veluti postmodum in 
se ipsa. 

1) Lib. V. ©. 232.: In natura rerum nihil infertus est vi- 
ta, ratiome et sensu carente, Infimum autem omnium cor- 
pus corruptilile, quum ad nihilum redire nulla natura - 
sinitur, et ubt ruinae suae finem posuit, inde iterum re- 
dire inchoavit. Finis autem ruinae solutio corporis est. 
Ex solutione itaque corporis reditus naturae proficisci- 
tur, ac per hoc plus utilitatis humanae naturae contulit 
mors carnis quam vindictae (quamvis poena peccati fuis- 
se aestimata sit), in tantum ut carnis solutio, quae 
mortis nomine solet appellari, rationabilius mors mortis 
(alfo die Negation der Negation) dicatur, quam mors car- 
nis. — Mutatio humanae naturae in Deum non in sub- 
stanliae interitu aestimanda est, sed in pristinum sta- 
tum, quem praevaricando perdiderat, mirabilis atque 
ineffabilis reversio. Si enim omne, quod pure intelligit, 
effieitur unum cum eo, quod intelligitur, quid mirum, 
si nostra natura, quando Deum facie ad fuciem con- 
templatura est, in his, qui dignt sunt, guantum el da- 
tur contemplari in nubibus theoriae ascensurae, unum 


— 


1 ‚ 18er L Abſchn. 3. Kap. 


dadüurch ein Ende gemacht wird, daß der Körper ſich auflö 
und in die vier Elemente zurüdgerufen wird, die zweite wi 
in der Auferftehung erfüllt, wenn jeber feinen Körper ar 
der "Gemeinfchaft der vier Glemente zurücknimmt, die britt 
wenn der Körper in Geiſt verwandelt wird, bie vierte, wen 
der Geiſt, oder Die ganze Ratur bed Menfchen, in die urfprün 
lichen Urfachen zurückkehrt, bie immer und unveränderlid) | 
Gott find, Die fünfte, wenn die Natur felbft mit ihren U 
ſachen fi} in Gott bewegt, wie bie Luft ſich in das Licht b 
wegt. Denn Gott wird Alles in Allem feyn, wenn nid 
auffer Gott iſt. Diefe Rückkehr ift Feine Vernichtung, wi 
das nicht vernichtet wird, was in das Beſſere zurüdfeh 
Es iſt jedoch leicht zu ſchen, daß dieſe Rückkehr in allen il 
ren Momenten, da fie nicht als immanente Momente Di 
ſich ſelbſt bewegenden Begriffs beftimmt find, eine blos fcheit 
bare, keine wahre und wirkliche if. Was in Gott zurüd 
geht, ift von Anfang an fo fehr identifch mit Gott, daß e 
von der Identitaͤt eigentlich gar nicht zum Unterfchied gekom 
men ft, das Hervorgehen aus Gott und das Zurüdgeben I 
Gott können daher wicht als zwei mefentlich verfchtedene Mo 
mente bettachtet werben, und die Ruͤckkehr ift daher im Grund 
auch, da fie auf Feinem wahren und wirklichen Proceß de 
Geiſtes beruht, ohne alles Refultat. Nur für das fubjectit 





cum ipso et in ipso fieri possit. Die Rückkehr in Gl 
befteht deninach in der Wolllommenheit des Gottesbemußl 
ſeyns, oder darin, daß der Menfch fich als Geift erfennt 
nur dad Geiſtige feines Wefons als das wahrhaft Subftat 
zielle hetrachtet. In Ahumana siquidem natura nil subsi 
sit, quod spiritüale et intelligibile non sit. Nam 
substantta ‘corporis profecto Intelligibilis est (©. 25% 
Alb it, mas den Körper vom Geiſt unterfcheidet, bloß 
finhlicher Schein, und die durch den Tod eintretende Ti 
gation der Negation ik an fich fchon in jedem vollzoge 
der fich des wahrhaft Subftanziellen feiner Natur bewußt ' 


_ 


Johannes Scotus Erigena. 135 


Bewußtſeyn Tönnen jene beiden Momente unterichieben wer⸗ 
den: der Menſch ift fich feiner Trennung von Gott und ſei⸗ 


‚ner Berföhnung mit Gott bewußt, je nachdem er fich der bei- 
. den Seiten feines Weſens, feiner finnlichen und feiner geiſti⸗ 


gen Natur, und des Verhältnifies beider bewußt if. Wie 
- der Unterfchieb Fein reeller, fondern ein blos nomineller iſt, 


& 


je iſt auch die Rüdkchr aus dem Unterfchied in bie Einheit 


Ein reeller Act, fondern nur ein Moment der fubjectiven Bes 
tachtung Y. Sehr natürlich kommt daher diefe Theorie, da 


fe keine wahre und wirkliche Rüdfehe in Gott behaupten 
kann, zulezt darauf hinaus, daß fie auch die Realität ber 
Sinde für eine blos fcheinbare erklärt. Die Sünde fommt 
immer nur als verſchwindendes, an fich aufgehobenes, Mo- 
ment in Betracht, und hat Daher auch nicht Die Bedeutung 
einer fittlichen That, da der Menfch in Hinficht der Sünde 


. mi der Berföhnung unter benfelben Gefichtspund geftellt 


*7 


3 


wird, aus welchem überhaupt das Verhaͤltniß der Natur zu 


it aufgefaßt wird 2). Hat daher bie Idee der Verſoͤhnung 


/ 


) Lib. I. ©. 47.: Duae praedictae formae non in Deo, sed 
is nostra comtemplatione discernuntur, et non Dei sed 
rationis nostrae formae sunt propter duplscem principii 
atque finis consideratienem, neque in Deo in unam for- 
mam rediguniur, sed in nostre theorla, quae dum prin- 
ciptum. et finem considerai, duas quasdam formas con- 
templationis in se ipsa creat, quas iterum in unam for- 
mam theoriae videlur redigere, dum de simplici divi- 
nae nalurae unilate incipit tractare, principtum enim 
et finis divinae naturae propria nomina non sunt, sed 
habitudinis ejus ad ea, quae condita sunt, ab ipsa enim 
inciplunt, atque ideo principium dicitur, et quoniam 
in eo terminantur, ut in ea desinant, finis vocabulo me- 

ruit appellart. Dgl. oben ©. 121.f. 


2) Lib. V. ©. 230.: Si omnium rerum, quae sunt el quae 
non sunt, earum dico, quae corporis sensibus antmique 


136 L Ber. L Abfchn. 3. Kap. 


irgend eine reelle Bebeutung, fo hat fie eine ſolche nur barin, 
daß der Menfch, wie alles Seyende, zwar von Got ver 
ſchieden und getrennt, aber auch an ſich mit Gott Eins, oder 
mit Gott verföhnt ift, wie überhaupt bie Differenz ber Ras 
tur in Gott aufgehoben ift, für Gott aber objertiv gar nick 
eriftint. 

In der neuern Zeit hat man in Scotus Erigena de 
Anfang und Ausgangspunet der chriftlidden Speculation er- 
bliden zu müflen geglaubt, da „in ihm ſich vor allem da 
chriftliche Geiſt mit vollem Bewußtfeyn in feiner Einheit ndi 
der Vernunft erfaßt, und zugleich auf das lebendigfte darge 
ftellt habe“ 4), das Wahre aber ift, Daß fi in ſeinem Eh⸗ 


contemplationtbus succumbunt, earumque, quae Corpore- 
les sensus mentisque contuitum prae nimia suae substas- 


tiue subtilitate et altitudine fugiunt, Deus principium 
est, et ipsum appetunt, et appetitus earum nulla ratio- 
ne, ne Üluc perveniat, prohibetur, quid mirum, si de 
humana natura, quae speelaliter ad imaginem et simi- 
litudinem unius et communis omnium principit face 
est, et eredatur et intelligatur, quod illue reversura sit, 
unde profecta est, praesertim cum non ita inde profee- 
ta est, ut omnino principium sul deseruerit, in ipso 
enim, ut ait apostolus, vivimus et movemur et sumus, 
sed quod quadam dissimilitudine propter peccatum de- 
colorata est, dicitur reoesstsse. Stmtlitudo namque fe- 
cit proximam, dissimilitudo longingquam. — De qua le- 
pra cum divinae gratiae medicina liberata fuerit, in 
pristinam revocabitur formosttatem, magisque dicendum 
quod tpsa natura, quae ad imaginem Det facta est 
suae puleritudinis vigorem integritatemque essentiae ne- 
quaquam perdidit, neque perdere potest. Divina siqui- 
dem forma semper incommutabilis permanet, capaz ta- 
men corruptibillum poena peccati facta est. 


1) Staudenmaier, oh. Scotus Erigena und die Wiffenfchaf 
feiner Zeit. LIh. 1834. Mon vgl. befonders ©. 298.447. f 


Johannes Ecotus Erigena. 137 


m ber ſchon feit den erften Jahrhunderten mit dem Ghri- 
mihum fo eng verbundene Platonismus durdy die Bermitt- 


Bon demſelben Geſichtspunkt aus bat ihn auch ſchon P. 
Hiort, Ich. Seotus Erigena, oder von dem Urfprung eis 
ner chriftlichen Philofopbie und ihrem heiligen Beruf. Kos 
penhagen 1823. als den Vater der chriftlichen Philofopbie 
(&. 90.) aufgefaßt. Scotus Erigena ift nicht der Anfangs» 
punkt einer neuen Zeit, fondern der Endpunkt der alten im 
ihm fich vollends abfchliegenden Welt. Dadurch follen die 
wertwürdigen Berührungspunfte, in welchen er in die nette 
Philoſophie Herübergreift, keineswegs geläugnet werden. Das 
hin gehört befonders auch die Bedeutung, welche ex dem Io» 
sithemetaphnfifchen Moment der Negation gibt. Man vgl. 
L6. 12: Essentia est, affırmatio, essentia nom est, ab- 
dicatio, superessentialis est, affırmatio simul et negatio: 
in superficie etenim negatione caret, in intellectu nega- 
Uome pollet. Es ift dieß der fchon von dem Areopagiten 
Dionyſius geltend gemachte Unterſchied der Eataphatifchen 
und apophatifchen oder der affirmativen und negativen Theo 
Ingie. Bel. ©. 1. u. 44.: Haec est cauta et salutaris et 
eatholica de Deo praedicanda professio, ut prius de eo 
juxta catafaticam, id est, affirmativam omnia sive no- 
minabiliter,, sive verbaliter praedicemus, non tamen pro- 
prie sed translative, deinde ut omnia, quae de Deo prae- 
dicantur per catafaticam, eum esse negemus per apofa- 
ticam, id est, negationem, non tamen proprie, sed trans- 
Igtive; vertus enim negatur aliquid eorum, quae de eo 
praedicantur esse, quam affırmatur esse, deinde super 
omne, quod de ea praedicatur, superessentialis natura, 
quae omnia creat, et non creatur, superessentialiter su- 
perlaudanda est. Yofition, Negation und Affirmation find 
zwar die unterfchiedenen Momente, aber fie find noch nicht 
Momente einer lebendigen Bewegung bes Begriffe. Daher 
ik auch in der Affirmation das Moment der Negation noch 
fo überwiegend, daß Pofitien und Negation eigentlich un: 
vermittelt neben einander fiehen. Nam qut dieit, wird 
&. 12. gefagt, nach der zuvor angeführten Stelle, super- 


142 1. Ber. IL Abſchn. 1. Kay. 





Zweiter Abſchnitt. 


Bon ver Scholaftif (Anfelm von Ganterbury) bis zu 
Reformation. 


Erftes Kapitel. 
Die Anſelm'ſche Satisfactionstheorie. 


Eine der merkwuͤrdigſten Erſcheinungen in der Geſchiche 
unferd Dogma's ift Die von Anfelm von Canterbury, in derbe 
rühmten Schrift: Car Deus homo, aufgeftellte Satisfactiond 
theorie. Sie macht, wie allgemein anerkannt werben muß, #. 
- fehr Epoche, daß mit ihr mit Recht ein neuer Zeitabfchnitt in 
ber Gefchichte der Lehre von ber Verfühnung begonnen wir. 
Da aber der Urheber diefer Theorie einer der erſten und bebew 
tendften Begründer der, in der Gefchichte der chriftlichen hen 
logie eine in vielfacher Beziehung fo wichtige Stelle einnehmen 
den, Periode der Scholaftif war, fo liegt Die Aufforderung um 
fo näher, Die weitere Entwidlung unferd Dogma's aus dem 
Geſichtspunct des. allgemeinen, der Scholaftif eigenthümlichen, 
Characters aufzufaflen, um fowohl. die befondere Form, wel⸗ 
che ihm jezt gegeben wurde, aus der allgemeinen Richtung | 
der Zeit zu begreifen, als auch dieſe felbft an jener nadyw : 
weilen. 

Bliden wir auf den bisherigen Entwidlungsgang unferd 
Dogma's zurüd, fo iſt für die lange Periode von der erſten 





Die Scholaſtik. 143 


3 zum Ende bes eilften Jahrhunderts nichts charactes 
r, als die mythifche ©eftalt, Die es in der am meiften 
ren Vorftelung erhalten hat. Diefes Mythiſche kann 
icht blos für etwas Zufälliges, nur Diefem Dogma 
yümliches, gehalten werden, es drüdt fich vielmehr in 
r der allgemeine Character aus, welchen die chriftliche 
zie überhaupt bi8 zum Anfang der Echolaftif in ihren 
adften Erfcyeinungen mehr ober minder an ſich trägt, 
leicht zeigen läßt, wenn man den Begriff des Mythi⸗ 
chtig auffaßt. Muthiſch ift Die Geftalt des Dogma’s 
ht zu nennen, wenn bas Bild bie Stelle des Begriffe 
a muß. Dem Mythifchen ift, wie, der Gnoſticismus 
dad Dofetifche fehr nahe verwandt. Hat einmal der 
en Zug zum Mythiſchen, lebt: er in einer Welt bild- 
Seftalten, die er fich felbft geichaffen hat, fo kann ſich 
icht auch die Welt der Wirklichkeit in eine Welt der 
Erfcheinung und des täufihenden Scheins verwandeln, 
r an den Gnoftifern fehen, welche die in ihnen vor⸗ 
nde mythiſche Richtung auch dahin führte, Die ges 
che Erfcheinung Chrifti blos dofetifch aufzufaffen. So 
Gmlich die Erfcheinung ift, Die fid) und im Gnoſtici⸗⸗ 
arftellt, fo jehr würde man doch irren, wenn man ſich 
yaracteriftifche defielben, das Mythifche und Doketifche, 
m Einfluß auf das chriftliche Dogma, nur auf die 
re Sphäre, in welcher der Gnoſticismus in feinen ver- 
en Formen äuſſerlich hervortrit, beſchränkt denken woll- 
iſt überhaupt der im Mythiſchen und Doketiſchen ſich 
ende Geiſt der. alten Welt, der und bier in feinem 
t mit dem Chriſtenthum begegnet, und durch den un⸗ 
aren Kampf, in welchem die alte Kirche dem Gnoſti⸗ 

entgegentrat, fo wenig überwunden wurde, daß er 
mw nur auf andre Weife noch lange Zeit feine Herr- 
n der Kirche ausübte. Mythiſche und doketiſche Ele- 
sieben fi), auch ohne daß fie Auflerlih und unmittel- 


14 : Ber U. Abſchn. 1. Kap. 


bar hervortreten, in verfchiedeneu Formen durch die Entwids 
kung des Dogma’s hin. Wie die Lehre von der Erlöfung 
und Verſöhnung die mythifche Form, in welcher fie fich ent 
widelte, hauptfächlich Durch die Beziehung erhielt, in welche 
man fie zum Teufel fezte, fo mußte auch die mit ihr fo eng 
zufammenhängende Lehre von dem Urfprung der Sünde und 
von der Sünde überhaupt, je bedeutender die Rolle war, bie 
man ben Teufel Dabei fpielen läßt, und je mehr man die alt 
teftamentliche Erzählung, an welche man fich hielt, nur in is 
rem buchftäblichen Sinne nehmen zu fönnen glaubte, fih um 
fo mythiſcher geftalten. Was ift e8 anders, als der mit dem 
Mythus fo eng verbundene Begriff ded Wunders, woburd 
allein der Zufammenhang der unendlichen Folgen, welche bie 
Sünde Adams nad der auguftinifchen Lehre gehabt Haben 
fol, mit diefer felbft, al8 einer einzelnen, in eiriem beſtimm⸗ 
ten Zeitpunct gefchehenen, That vermittelt werden kannt 

Je äufjerlicher diefer, eines Innern Haltpuncts ermangelnde,- 

Zufammenhang ift, defto weniger Tann e8 befremden, daß 
die auf diefe Weife im auguftinifchen Syftem nur mythiſch, 
nicht Dogmatifch, begründete Anficht von der völligen Verdor⸗ 
benheit der menfchlichen Natur in dem Dogmatifchen Bewußt 
feyn der folgenden Zeit noch nicht fo feftgehalten werben konn⸗ 
te, daß fe nicht unvermerft wieder in Die entgegengefezte pe. 
lagianifche und femipelagianifche überging. Wie viele mylthi⸗ 
ſche Vorſtellungen befonders durch Drigened mit dem chrikli 
hen Dogma verbunden wurden, und wie fehr Daher fchon 
frühe das Bedürfniß anerfannt wurde, Daffelbe von fo fremd 
artigen, mit dem chriftlichen Bewußtfeyn in einen zu offen 
baren Widerftreit kommenden, Elementen zu reinigen, iſt be . 
kannt genug. Aber auch felbft ſolche Dogmen, welche in Ber 
gleichung mit andern fihon in den erften Sahrhunderten auf : 
einen jo hohen Grad der dogmatifchen Entwidlung gebradt 
wurden, daß die ihnen ſchon Damals gegebene. ſymboliſch⸗ 
kirchliche Form nie mehr aufgegeben werden fonnte, wie ind 


Die Scholaftit. 145 


dere die Lehre von der Dreieinigfeit, hatten doch Immer 
noch eine gewiſſe mythiſche Seite. So bedeutend ber 
chritt ift, welchen Die Lehre von der Dreieinigkeit durch 
ithanaſianiſchen Begriff der Weiensgleichheit des Sohnes 
jem Bater, gegenüber der heidniſchen Borftellung eines, 
höchften Gott in jeder Beziehung untergeordneten, Unter 
3 machte, wie konnte Die Zeugung des Sohns aus dem 
n des Waters anders, als mythiſch gebacht werden, ſo⸗ 
fie nicht, wie in der Felge die Scholaftifer wenigften® 
sten, aus der geiftigen Natur Gottes felbft abgeleitet 
er Ebenfo unverfennbar, zum Theil: noch auffallender, 
In andern Dogmen das dofetifche Element hervor, den⸗ 
en, deren Mittelpunct die Lehre von der Perſon des Er⸗ 
iſt, alſo denfelben, deren fi) von Anfang an der gno⸗ 
', mit ber ganzen gnoftifchen Weltanficht fo eng zufam- 
ängende, Dofetismus ganz befonders bemächtigt hat. 
bie Snoftifer, ihrem Dofetismus zufolge, Das Menke 
bes Erlöjerd, weil Geiſt und Materie in feine unmit« 
ce Berbindung kommen Tönnen, für bloßen Schein ers 
n, fo ließen die orthodoren Kirchenlehrer in der Perſon 
Erlöſers zwar die göttliche Natur mit der menfchlichen 
ne reelle Verbindung treten, beftimmten aber bad Ver⸗ 
iß der beiden Naturen fo, daß die menſchliche der gött⸗ 
gegenüber alle Realität und Selbſtſtändigkeit verlor, 
ie göttliche überging, und zulezt in bloßen Schein ſich auf 
mußte. In’ der Lehre der beiden Gregore, des Eyrill 
Alerandrien, des Eutyches und in dem fo weit verbrei« 
und fo Hartnädig feftgehaltenen Monophyſitismus legt 
dieß offen dar, aber auch der orthodere, auf den Beftint- 
gen der Synode von Chalcedon beruhende, Lehrbegrifi 
te feine wahre, fondern nur eine fcheinbare Realität der 
ſchlichen Natur Des Erlöfers vorausfegen, wenn doch im⸗ 
mur die göttliche Natur die perfonbildende ſeyn ſollte. 
felbe Dofetismus begegnet ımd in der, Der Lehre von der 


zaur, tie Lehre von der Verföhnung. 10 


146 1. Per. I. Abſchn. 1. Kay. 


Berfon Ehrifti parallel Inufenden, Lehre vom Abendmal in 
dem fchon früh vorbereiteten, mehr und mehr fich ausbil⸗ 
denden, und zulezt mit entfchiebenem Uebergewicht der ganzen 
Anſicht der Zeit ſich aufdringenden Transſubſtantiationsdogma, 
Nehmen wir alle dieſe und andere ähnliche, auf die wichtig⸗ 
Ben Momente des Entwicklungsgangs des chriſtlichen Dogs 
ma's während einer langen Periode ſich beziehenden, Erſchel⸗ 
nungen zuſammen, jo iſt gewiß hiedurch das Urtheil gehörig 
begründet, daß auch das Mythiſche und Doketiſche, das ſich 
uns in der Gefchichte der Lehre von ber Erlöfung und Ber 
föhnung zeigt, micht ald etwas Sfolirtes und Zufälliges an⸗ 
zufehen ift, fondern mit der allgemeinen Geiſtesrichtung biefes 
ganzen Beriode in dem engften Zuſammenhang ficht. Wat 
in der Periode des eigentlichen Gnoſticismus auf einen ein⸗ 
zelnen Punct in feiner intenfioften Bedeutung ſich zuſammen⸗ 
drängte, aber ebendadurch Ericheinungen erzeugte, die zu ſchref 
und abſtoßend waren, als daß fie nicht eine allgemeine Rer 
action hätten hervorrufen follen, hat in der Folge, da es au 
fich tief genug gegründet war, nur in einem weitern Kreitt 
und durch mildernde Formen vermitielt, in ber Kirche for 
gewirkt, und ben nach der Erkenntniß der Wahrheit ringen 
den Geift gebunden, fo daß er noch immer nicht won .bem 
Schein zur Wahrheit, von dem Bilde zur Wirklichkeit hin 
durchdringen und auf ben feften Boden bes Begriffs Tom 
Fonnte. 

Diefen Gang der Dinge muß man fich vergegentoärk 
gen, um fid) über den eigenthümlichen Charafter der ſchola⸗ 
ſtiſchen Periode genauer, als biöher geſchehen ift, zu verſtaͤn⸗ 
digen, und über die Unbeſtimmtheit der Vorſtellung, die man 
noch immer über Das wahre Wefen ber fcholaftifchen Theole⸗ 
gie hat, hinwegzufommen. Daß in der mit dem Ende dei 
eilften Jahrhunderts beginnenden Periode ein nener, gan 
anderer, Geift und Charakter herricht, als in der Periode . 
der alten Sirche, muß fich jedem fogleich aufbringen, und Dr. 






Die Scholalif. ' " — 147 


tage, aber Höchft inhaltsleere, nur burch einzelne tfolirt ſte⸗ 
hende Erfcheinimgen ausgezeichnete, Zwifihenperiode vom Ende 
des fechdten bis zur Mitte des eilften Jahrhunderts, in 
weicher aus dem erftorbenen Leben der alten Welt erft all« 
wählig die Keime eines neuen Lebens ſich entwidelten, bient 

sue dazu, die mittlere Zeit von der Periode der alten Kirche 
ai eine um fo größere Kluft zu fcheiden. Worin befteht 
san aber Der eigenthümliche Charakter der nun Begirmenden 
wen Seftaltung des Dogma’s, die man mit bem Namen 
ver Scholaftik zu bezeichnen pflegt? Man fagt: der Charak⸗ 
Keder Scholaftif liegt eben in dem Geiſt der Schule, wie er 
ſich von der Kirche zu trennen, fich neben ihr geltend zu ma⸗ 
den und zu fchaffen firebte *). Unftreitig ift hiemit, fo un⸗ 
beſtiannt es Tautet, etwas fehr richtiges gefagt. Die Schola⸗ 
ME iR der Fortgang von der Kirche zur Schule, oder, wie 
ne Zweifel in demfelben Sinne Hegel fagt 2), die Kirchen⸗ 
‚Kter haben die Kirche erzeugt, weil der entwidelte Geiſt ei⸗ 
ur entwidelten Lehre bedarf, fpäter erſtanden nicht mehr 
Iatres ecclesiae, fondern docteres. Ging aljo in der Pe 
fobe der alten Kirche die geiftige Thätigfeit auf das Pro= 
duciren Des Stoffs, oder auf Die Erpofttion deffen, was der 
Inhalt des chriftlichen Dogma's noch in der einfachften und 
unmittelbarften Geftalt in fich begrif, um ihn in beftimmten 
Schrfägen und Formeln auseinanderzulegen, für das religiöfe 
Bewußtſeyn herauszuftellen, und zur allgemeinen öffentlichen 
Anerkennung zu bringen, fo hatte alles dieß die Scholaftif 
ſchon zu ihrer Borausfezung. Der Stoff und Inhalt war 
das unmittelbar Gegebene, die Frage war nicht mehr, was 
als orthodoxe Lehre gelten follte, oder nicht, Darüber war in 
allen Hauptmomenten längft entfchlenen, weswegen auch Die 
gene ſcholaſtiſche Periode keine theologiſchen Streitigkeiten 


1) Baumgarten⸗Cruſius, Lehrb. der chr. Dogmengeſch. S. 445 
2) Vorleſ. über die Geſch. der Philof. Bd. IH. ©. 138. 
10 * 


148 L Ber. IL Abſchn. 1. Kap. 


und Synodalverhandlungen aufzuweiſen hat, wie bie Hi 
durch fo flark und vielfach bewegte Kirche der alten Ze 
Diefer Unterſchied in Anfehung des Stoffe und Inhalts zei 
fich uns auch ſchon Aufferlic) Darin, daß die theologtfchen Wer 
der Schelaftifer ſich beinahe durchaus nicht, wie bie ber Alt 
ren Kirchenlehrer, auf einzelne Lehren, in deren Unterfuchun 
und Beflimmung der Geiſt der Zeit in feiner Iebendigften U 
wegung begriffen war, beziehen, ſondern, nach dem Vorgamy 
des Petrus Lombarbus, das Ganze umfaflen. Der gam 
Inhalt ded Dogma’d war nun das unmittelbar Gegeben 
das in dem Zufammenhang feiner einzelnen, zu einem ie 
zen verbundenen, Theile vor dem Geift Tiegende Object, M 
die Aufgabe war jest, das dem Bewußtſeyn des Geiſtes zu 
Object Gewordene und aus demfelben Herausgeftellte t 
derum zur fubjectiven Einheit mit ihm zu verfwüpfen, um 
für das Bewußtfeyn zu vermitteln. Yür dieſen Zwed «Hi 
trat num die Schule der Kirche zur Seite, und es liegt ſche 
bierin, daß die in der feholaftifchen Periode ſich Aufferm 
geiftige Thätigkeit andrer Art ſeyn mußte, ald die ber alle 
Zeit, nicht ſowohl auf die unmittelbare Producirung des A 
halts, ald vielmehr auf die Beftimmung der Form, in we 
che ber fchon gegebene Inhalt aufgenommen werden fol 
gerichtet war, Da von der Form das mehr oder minber Flat 
und beſtimmte Bewußtfeyn bes Inhalts abhänge. Wer 
-.beftund nun aber biefe Vermittlung, war fie wirklich ei 
blos formelle, oder wurde Durch fie auch der Inhalt feh 
wefentlich verändert und auf ein anderes Princip, als da 
bisher ‚geltende, zurüdgeführt? Das Leztere ſcheint behau 
tef zu werden, wenn die Scholaftif definiert wird, als bi 
vom Ende des eilften bis zum Anfang des fechözehnten Ich 
hunderts dauernde Verſuch, das Chriftliche als rational, mm 
das wahrhaft Rationale als chriftlich zu erweifen *), . wom 


4) (Möhler) in der Tübinger: theolog. Quartalfchsift, in di 
Abhandlung: Anfelm von Canterbury, Jahrg. 1828. ©. 62 


Die Scholaktit. . 149 


das Bemühen nothwendig fich vereint habe, Har, ſcharf und 
beſtimmt die Begriffe der chriftlichen Lehren feftzufezen, oder 
wenn als das Innere der Scholaftif, ald das Wefen berfel- 
den, «usgefprochen wird Die enge Berbindung ber Religion 
u mit der Bhilojophie, welche Einheit aus dem wefentlichen 
Charakter bes Chriſtenthums fich entwidelt habe, welches bie 
große Syntheſe oder die Weltſyntheſis fey, ſcholaſtiſche Phi- 
loſophie ſey Eins und dafielbe mit ber Theologie, Philofo- 
vhie fen Theologie und Theologie ſey Philofophie, man habe 
% wenig geglaubt, Daß das begreifende Erkennen der Theo⸗ 
Aogie nachtheilig fey, daß man es für weientlich zur Theolo⸗ 

- ae KR gehalten habe '). Es ift aud Hierin etwas fehr 
WMahres und für die Scholaſtik Charakteriftiiches ausgefpro- 
den, aber es bedarf dieß noch der nähern Beflimmung. Iſt 
be Scholaftif, was wir zunäcft bei der Beftimmung ihres 
Begriffs feſthalten müflen, die Trennung des Selbftbewußt- 
ſeynd des Geiftes von dem ihm als Object gegenüberftehen: 

: den Inhalt des Firchlichen Dogma’s, um beide, Subject und 
: Deject, foniel möglich auseinanderzuhalten, fo fann das 
durch dieſe Linterfcheidung zum Bewußtſeyn Eommende DVer- 


} 
| haͤlniß Des Objects und Subjects fowohl ein Verhältniß der 





IHentität, als der Verfchiedenheit feyn. Glauben und Wifs 
ka, Offenbarung und Vernunft, Philofophte und Theologie 
teten nun für das Bewußtfeyn auseinander, und Die Frage 
Rt Daher, wie fich beide zu einander verhalten? Das Be- 
wußtfeyn Diefes Verhältniffes und der allerdings fchon Den 
Aweifel gegen das Dogma in ſich fchließenden Möglichkeit 
wenigſtens, daß ed fo ober anders beftimmt werden Fönne, 
wenn es auch factifch zu Feiner wirklichen Differenz Fam, iſt 
der Grundcharakter der Scholaftif. Hätte fie aber wirklich 
“ bie Aufgabe geftellt, das Chriftliche ald rational und das 





1) Staudenmaier, Joh. Scotus Erigena ©. 446 f. 





152 1 Ber. DL. Abſchn. 1. Rap. 


Lehre zu glauben gebot, Anſtoß. Wäre die Scholaftik ſchl 
bin der Verſuch gewefen, das Chriſtliche ald rational 

das wahrhaft Nationale als chriftlih zu erweiien, nim 
mehr hätte fie eine Lehre, wie dad Dogma von der Tr 
fubftantiation, als wahr vorausjezen Tönnen, aber eb 
wenig wäre fie geweien, was fie ihrem ganzen Wefen ı 
war, wenn fie Dad Wunder der Transfubftantiation in 

felben Unmittelbarfeit Hätte ftehen laſſen, in welcher fiı 
durch die Firchliche Ueberlieferung: erhalten hatte. Erft n 
dem auf das Wunder der Verwandlung bie Kategorie 
Subſtanz und bes Accidens angewandt, und durch den Gri 
faz, daß die Accidenzien auch ohne Subject fortbeftehen 
nen, weil ja eine Wirkung nicht blos von der’ fecund: 
Urfache, fondern noch weit mehr von ber erften abhänge, 
©ott, der, als die erfte Urfache der Subftanz und bes. 9 
dens, durch feine Allmacht das Aceidens auch ohne feine € 
ftanz im Seyn erhalten könne, die Fortdauer der Accider 
von Brod und Wein auch ohne ihre Subftanz gerechtfe: 
war %), war das Dogma durch Die Hand der Scholaftif 
gangen, und in eine Die Vernunft der Scholaftifer befriedig 
Geſtalt gebracht. Aber aus folchen Beifpielen it auch 
beften zu erjehen, in welchem Sreife fich das Denken 
Scholaſtiker bewegte, daß es größtentheild nur ein Spiel 
inhaltsleeren abftracten Begriffen war, beren Gompler c 
innern Halt und Zufammenhang als ein bodenlofes Geboͤ 
in der Luft ſchwebte. War das Wunder die abfolute W 
ausjezung, von welcher man ausging, fo mußten aud 
Degriffe, Durch: welche das Wunder gerechtfertigt wei 
follte, nach dem Wunder fi) fügen, wie Das angefü 
Beifpiel an den Begriffen der Subſtanz und des Accid 
zeigt. So war aber überhaupt das Denken der Schölafti 


1) Wie 4.3. Thomas von Xquino Summa theol. P: IL, 
. 77,.da8 Dogma von der Transfubftation rechtfertigt, 


Die Scholaſtik. 153 


immer an eine abfolute Borausfezung gebunden, von 
rdhlichen Lehre, als dem ihm gegebenen Inhalt, abhaͤn⸗ 
ar, kein freies, das ſich aus fich felbft entwidelt und es 
t Aufgabe gemacht hätte, die gegebene Wirklichkeit Durch 
zedanken zu beftimmen. Gin Denfen, das von vorn 
mit dem Bewußtſeyn behaftet if, daß ber Inhalt, mit 
m es ſich beichäftigt, wenigftens möglicher Weiſe über 
vernünftige Denken abfolut hinausliege, und der vers 
ge Zufammenhang fi) immer wieder durch das Wuns 
terbrechen und durchichneiden laffen müfle, Tonnte wes 
nen beftimmten Anfang noch einen beftimmten Kortgang 
«- Auffallender ift daher bei dem Berfahren der Scho- 
kaum etwas anderes, als auf der einen Seite der nie 
de, in's Unendliche fortgehende, Trieb, nach Gründen 
tigen, Beweiſe zu geben, durch Definitionen und Di⸗ 
men jeber Art jeden gegebenen Gegenftand mit bem 
ff fo viel möglich zu umfäflen und zu durchdringen, 
er andern die nur aus dem Mangel eined bas Ganze 
menden Princips erklärbare Zufammenhangslofigfeit, 
öllig unmethodifche Verfahren, bald da bald dort auf 
‘ einem beliebigen Punct eine neue Reihe bialektiicher 
zungen zu beginnen, und den angefnüpften Faden ſo⸗ 
fortzuführen, bis er ebenfo willkürlich wieder abgebro⸗ 
rd, ald er angefnüpft worden ift. Speculative Unter- 
gen, wie in Anfelm’8 von Canterbury Proslogium 
‚ar Deus homo enthalten find, gehören hauptfächlich 
em Grunde zu den glänzendften Proben des Scharf- 
der Scholaftifer, weil in ihnen Doch wenigftens ein und 
re Gedanke von Anfang bis zu Ende mit methodifcher 
quenz feitgehalten und durchgeführt iſt, in der Regel 
drängt fih in den größern theologifchen Werken der 
aftifer zwar Frage an Frage, Diftinetion an Diftinction, 
gismus an Syllogismus, aber vergebens fucht man in 
mdlofen Labyrinth den Baden, an weldyem der fid) aus 


l 


148 L Ber. IL abſchn. 1. Rap. Ä 


| 9 
und Synodalverhandlungen aufzuweiſen hat, wie die hiee 


durch fo ſtark und vielfach bewegte Kirche der alten Zeit. 
Diefer Unterfchieb in Anfehung des Stoffe und Inhalts zeigt 


ſich uns auch fchon Aufferlich darin, daß die theologtfchen Werke - 


der Scholaſtiker fich beinahe durchaus nicht, wie die der Alter 


ren Kirchenlehrer, auf einzelne Lehren, im deren Unterſuchung 
und Beflimmung ber Geift der Zeit in feiner Iebendigften Ber 


wegung begriffen war, beziehen, fondern, nach dem Vorgangs 


a 0 1,5 


des Petrus Lombarbus, das Ganze umfaflen. Der game 


Inhalt des Dogma’d war nun das unmittelbar Gegebene, 
das in dem Zufammenhang feiner einzelnen, zu einem Gan⸗ 
zen verbundenen, Theile vor dem Geift liegende Objeet, aber 





die Aufgabe war jezt, das dem Bewußtſeyn des Geiſtes zum 


Object Gewordene und aus demfelben Herausgeftellte wie. 


derum zur fubiectiven Einheit mit ihm zu verfnüpfen, und 


für dad Bewußtfeyn zu vermitteln. Für diefen Zweck ale. 


trat nım Die Schule der Kirche zur Seite, und es liegt ſchon 
bierin, daß bie in ber ſcholaſtiſchen Periode ſich aͤuſſernde 
geiftige Thätigfeit andrer Art ferm mußte, als die ber alten 
Zeit, nicht fowohl auf die unmittelbare Producirung bes In⸗ 
halts, ald vielmehr auf die Beflimmung der Form, in wel 
che der ſchon gegebene Inhalt aufgenommen werben folk, 
gerichtet war, da von der Form das mehr oder minder Klare 
und beftimmte Bewußtfeyn ded Inhalts abhänge Work 
-beftund nun aber diefe Vermittlung, war ſie wirklich eine 
blos formelle, oder wurde durch fie auch der Inhalt ſelbſt 
wefentlich verändert und auf ein anderes Princip, als das 


“ ar 


|‘ Mm. I, . a. 


bisher ‚geltende, zurüdgeführt? Das Leztere ſcheint behaup⸗ 


tet zu werden, wenn die Scholaſtik befinirt wird, als der 
vom Ende des eilften bis zum Anfang des fechözehnten Jahr⸗ 
hunderts dauernde Verſuch, Das Chriftliche als rational, und 
das wahrhaft Nationale als chriftlich zu erweifen ), womit 


4) (Möhler) in der Tübinger: theolog. Quartalfchrift, in der 
Abhandlung; Anfelm von Eanterbury, Jahrg. 1828. ©. 621. 


Die Scholaſtik. 149 


das Bemühen nothwendig fich vereint habe, Har, ſcharf und 
befimmt die Begriffe ber chriftlichen Lehren feflzufegen, oder 
wenn ald das Junere der Scholaftif, ald das Wefen berfel 

- Sen, ausgeſprochen wirb die enge Berbindung der Religion 
mit der Bhilsfophie, welche Einheit aus dem: wejentlichen 

' Gharakier des Chriſtenthums fich entwidelt Habe, welches bie 
. große Syniheſe oder die Weltſyntheſis fen, ſcholaſtiſche Phi- 
loſophie ſey Eins und dafielbe mit der Theologie, Philofo- 
yhie fen Theologie und Theologie ſey Philoſophie, man habe 
% wenig geglaubt, Daß Das begreifende Erkennen der Theo» 
logie nachtheilig fey, daß man es für weſentlich zur Iheolos 
. gie ſelbſt gehalten habe *). Es ift auch Hierin etwas fehr 
Bahres und für die Scholaftit Charafteriftifches ausgeſpro⸗ 
dien, aber es bedarf dieß noch ber nähern Beftimmung. Iſt 
bie Scholaftif, was wir zunächft bei der Beftiimmung ihres 
Begriffs fefthalten müflen, die Trennung des Selbftbewußt- 
ſeynd des Geiftes von dem ihm ald Object gegenüberftehen- 
den Inhalt des Firchlichen Dogma's, um beide, Subject und 
Object, ſoviel möglich auseinanderzuhalten, fo kann das 
durch dieſe Unterſcheidung zum Bewußtſeyn Eommende Ver⸗ 
haͤliniß des Objects und Subjects ſowohl ein Verhältniß der 
Identitaͤt, als der Verſchiedenheit ſeyn. Glauben und Wifs 
ſen, Offenbarung und Vernunft, Philoſophie und Theologie 
treien nun fuͤr das Bewußtſeyn auseinander, und die Frage 
iſt daher, wie ſich beide zu einander verhalten? Das Be- 
wußtfeyn Diefed Verhältnifies und der allerdings fchon ben 
‚ Zweifel gegen bad Dogma in fich fchließenden Möglichkeit 
wenigftend, daß es fo ober anders beftimmt werden Fönne, 
wenn es auch factifch zu Feiner wirklichen Differenz kam, ift 
der Grundcharakter der Scholaftif. Hätte fie aber wirklich 
ſich Die Aufgabe geftellt, das Chriftliche ald rativnal und Das 


" 


gr, 


1) Staudenmaier, Joh. Scotus Erigena S. 446 f. 





152 1. Ber. H. Abſchn. 1. Zap. 


Lehre zu glauben gebot, Anſtoß. Wäre bie Scholaſtik ſchlecht⸗ 
bin der Verfüch geweſen, das Chriſtliche als rational und 
das wahrhaft Rationale als chriftlich zu erwelfen, nintmers 


mehr hätte fie eine Lehre, wie dad Dogma von der Trank 


fubftantiation, ald wahr vorausfezen Tönnen, aber ebeufe 
wenig wäre file geweſen, was fie ihrem ganzen Weſen nad 
war, wenn fie das Wunder der Transfubftantiation in ber 
felben Unmittelbarfeit Hätte ſtehen laffen, in welcher fie-cd 
Durch die Firchliche Ueberlieferung erhalten hatte. Erſt nase 


dem auf das Wunder der Verwandlung die Kategorie dee 


Bubftanz und des Accidens angewandt, und durch ben Grund» 


- faz, daß die Accidenzien auch ohne Subject fortbeftehen fün- - 


nen, weil ja eine Wirkung nicht blo8 von der’ fecunbären 


Urfache, fondern noch weit mehr von der erften abhärnge, won: 
Gott, der, als die erfte Urfache der Subftanz und Des NAcde . 


dens, durch feine Allmacht das Accidens auch ohne feine Sub 
ftanz im Seyn erhalten fönne, die Fortdauer der Necidenzien 
von Brod und Wein auch ohne ihre Subftanz gerechtferkigt 


war *), war das Dogma durch die Hand der Scholaftif ger- 


gangen, und in eine Die Vernunft der Scholaftiker-befriedigende 
Geſtalt gebracht. Aber aus ſolchen Beifpielen ift auch am 


beften zu erfehen, in welchem Streife fi das Denken der 


Scyolaftifer bewegte, daß ed größtentheild nur ein Spiel mit 
inhaltöleeren abftracten Begriffen war, deren Complex ohne 
innern Halt und Zufammenhang als ein bodenlofed Gebäude 
in der Luft ſchwebte. War das Wunder die abfolute Bor 
ausſezung, von welcher man auöging, fo mußten audy die 
Deariffe, Durch: welche das Wunder gerechtfertigt werben 
follte, nad) dem Wunder ſich fügen, wie das angeführte 
Beifpiel an den Begriffen der Subftanz und des Accidend 
zeigt. So war aber überhaupt das Denfen der Schölaftifen, 


1) Wie 3.8. Thomas von Aquino Summa theol. P. IH. qu. 
. 77, das Dogma von der Transſubſtation rechtfertigt, 


_ — Bu 2 2 1 EEE en en — 


Die Scholaſtik. 153 


immer an-eine abfolute Borausfezung gebunden, von 
rchlichen Lehre, als bem ihm gegebenen Inhalt, abhäns 
ar, kein freies, das fich aus fich felbft entwidelt und es 
we Aufgabe gemacht hätte, die gegebene Wirklichkeit durch 
zedanken zu beftimmen. Gin Denten, das von vorn 
wit dem Bewußtſeyn behaftet if, daß der Inhalt, mit 
ar es ſich beichäftigt, wenigſtens möglicher Weiſe über 
vernünftige Denen abfolut hinausliege, und der vers 
ge Zufammenhang fich immer wieder durch das Wun⸗ 
zerbrechen und durchſchneiden laſſen muͤſſe, Tonnte wes 
en beftimmten Anfang noch einen beſtimmten Fortgang 
.Auffallender ift daher bei dem Verfahren der Scho- 
Saum etwas anderes, als auf der einen Seite ber nie 
be, in’d Unendliche fortgehenbe, Trieb, nad) Gründen 
gen, Beweife zu geben, durch Definitionen und Dis 
onen jeber Art jeben gegebenen Gegenftand mit dem 
ff fo viel möglich zu umfäflen und zu durchdringen, 
er andern die nur aus dem Mangel eined das Ganze 
wenden Princips erklärbare Zufammenhangslofigfeit, 
öllig unmethodifche Verfahren, bald da bald dort auf 
» einem beliebigen Punct eine neue Reihe dialektiſcher 
erungen zu beginnen, und den angefnüpften Faden fo- 
fortzuführen, bis er ebenfo willfürlich wieder abgebro= 
vird, als er angefnüpft worben iſt. Speculative Unter- 
igen, wie in Anfelm’8 von Canterbury Proslogium 
Sur Deus homo enthalten find, gehören hauptfächlich 
yem Grunde zu den glänzendften. Proben des Scharf- 
ber Scholaftifer,. weil in ihnen doch wenigftens ein und 
ye Gedanke von Anfang bis zu Ende mit methodifcher 
quenz feftgehalten und durchgeführt iſt, in der Regel 
drängt ſich in den größern theologifchen Werfen ber 
aftifer zwar Frage an Frage, Diftinetion an Diftinetion, 
gismus an Syllogismus, aber vergebens fucht man in 
mdlofen Labyrinth Den Baden, an welchem der fid) aus 


l 


160 ° 1. Ber. IL Abfän. 1. Ray. 
Hlgt noch beftraft wird, atfo feinen Geſeze unterworfen iſt, 


größere Freiheit genießen, als die Gerechtigkeit, was an ſich 


fhon ein Widerfpruch tft, aber ebenfo groß wäre der Wider⸗ 
fpruch der göttlichen Gerechtigkeit felbft, wenn das Geſchöpf 
dem Schöpfer bie ihm gebührende Chre entzöge, ohne für 
das Entzogene genugzuthun. Da nichts größer und beſſer 
als Gott ift, fo ift auch nichts gerechter, als bie die Ehre 


Gottes in der Ordnung der Welt erhaltende Gerechtigkeit, 


welche nichts anders, als Gott felbſt if. Fordert alfe be 


Idee der göttichen Gerechtigkeit die Aufrechthaltung ber Che 
Gottes, fo muß entweder Oenugthuung geleiftet, oder bie 
Strafe vollzogen werden *). Auch die Vollziehung der Strafe, 
dient, wie die Genugthuung zur Herftellung der Ehre Bor“ 
tes, da durch das Eine, wie durd das Andere, die Ord⸗ 
nung und Schönheit des Univerfumd erhalten wird, und 
Gott durch die Strafe ſich dem Menfchen, als feinem Herm, 
zu erkennen gibt, als welchen ihn mit freiem Willen anzuer⸗ 
fennen er fich weigerte 2). Warun nun aber Gott, wenn 


4) I, 13. | 
2) I, 14.: Deus invitum sibl torquendo subjteit, et sie # 
dominum ejus esse ostendit, quod ipse homo voluntate 
fateri recusat. In quo considerandum, quia sicut home 


peccando rupü, quod Dei est, ita Deus puniendo auferl, " 


quod hominis est. — C. 15.: Ipsa namque perversitalis 
spontanea satisfactio, vel a nom satisfaclente poenae ex- 
actio in eadem universitate locum tenent suum et ordi- 
nis pulcritudinem. Quas si divina sapientia, ubi perver- 
sitas rectum ordinem perturbare nititur, non adderel; 
fieret in ipsa universitate, quam Deus debet ordinare, 
quaedam ex violata ordinis puleritudine deformitas, ed 
Deus in sua dispositione videretur deficere. Quae dw 
quoniam, sicut sunt inconvenientia, ita sunt impossibille, 
necesse est, ut omne peccatum aut satisfaclio aut poenf 
sequatur. 


| 


| 


Anielm von Canterbury. 161 


doch auch durch die Vollziehung der Strafe der durch Die 
Ehre Gottes gebotene Zwed erreicht werden kann, gleichwohl 
durch Genugthuung die Sünde zu tilgen beſchloß, motivirt 
Infelm durch zwei Momente, die fehr heterogener Ratur zu 
kyn fcheinen. Wenn er fi darauf beruft, daß Gott Feine 
vemünftige Ratur völlig zu Grunde gehen laſſen Fönne, daß 
a den Zwed, für welchen er die Menfchen geichaffen babe, 
uch vollenden müfle, und eine jo erhabene Natur, wie die 
menfchliche, nur zur Verherrlichung Gottes geichaffen feyn 
inne *), fo ift dieß unftreitig ein der Vernunft vollflommen 
enleuchtender Grund. Allein Anfelm feldft feheint ihn nicht 
als das Hauptmoment betrachtet zu haben, da er ihn erft 
an einem fpätern Orte erwähnt, und an der Stelle, wo ihn 
ber Gang feiner Entwidlung auf diefen Punct führt, den 
eigentlichen Grund nicht aus der Menfchenwelt, fondern ber 
Engelwelt nimmt. Cs ift dieß die auguftinifche Idee, daß 
bie Zahl der gefallenen Engel durch die erlösten Menjchen 
wieder. habe ergänzt werden muͤſſen. Fuͤr die vernünftige 
Natur, die in der Anfchauung Gottes felig iſt, ober ſelig 
werden fol, muß, jo führt Anfelm dieſe Idee weiter aus ®), 


1), 4.: Ex his est facile cognoscere, quoniam aut hoc 
de humana natura perficiet Deus, quod incoepit, aut in 
vanım fecit tam sublimem naturam ad tantum bonum. 
At st nihtl pretiostus agnoscitur Deus fecisse, quam ra- 

tlonalem naturam ad gaudendum de se, valde alienum 

| est ab eo, ut ullam rationalem naturam penitus perire 
sinat. Necesse est ergo, ut de humana natura perficiat, 
quod incoepit. 


2) I, 16.: Rationalem naturam — in quodam rationabili 
et nerfecto numero praescitam esse a Deo — non est 
dubitandum. — In imperfecto numero remanebit rationa- 
lis natura, quae in numero perfecto praescita est, quod 
esse non polest. ; 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. 11 


—— —— — — — — — — — —— 


162 1. Ber. 11. Abfchn. 1. Rap. 


auch eine beflimmte, in der Vernunft gegründete, Zahl, bie 
weder erhöht noch vermindert werben Tann, feftgefezt ſeyn. 
Denn entweder weiß Gott nicht, in welcher Zahl fie am ber 
ſten eriftirt, was falſch ift, oder wenn er e8 weiß, fo wirb 
er fie auch in biefer Zahl wirklich eriftiren laſſen. Da nım 
die gefallenen Engel zu der von Anfang an beſtimmten Zahl 
gehörten, ſo muß ihre Zahl nothwendiger Weiſe wiederher⸗ 
geſtellt werden, damit die vernuͤnftige Natur nicht in einer 


unvollkommenen Zahl exiſtirt. Aus den Engeln felbſt aber 


fann fie nicht ergänzt werden. Die Wiederherftellung be 


gefallenen Engel ift ohnedieß undenkbar, aber auch durch 


andere Engel können fie nicht erfezt werden, da bie fokter 
gefchaffenen Engel den Engeln, wie fie urfprünglich waren, 


nicht vollfommen gleich feyn Können, fofern fie, ohne ned . 


die Strafe der Sünde factifch vor fi zu fehen, im Guten 
beharrt Haben würden, was bei Denen, bie erft in ber Folge 
in ihre Stelle treten follten, ald etwas unmögliches von felbk 


hinmweggefallen wäre, obgleich es einen fehr wichtigen Unter N 


ſchied ausmacht 2). Nur aus der Menfchheit konnte daher 
die urfprünglich in ihrer Einheit vollendete Zahl wieder er 
gänzt werben, und der Menfch ift ebendeswegen, um in di 
Stelle der gefallenen Engel einzutreten, von Gott ohne Sünde 
gefchaffen worden. So hoch aber dadurch die menfchliche Nas 
tur geftellt ift, fo fehlt ihr doch die felbftftändige Würde, 
wenn fie den Zweck ihres Dafeyns nicht in fich felbft, fon 
dern in andern Wefen hat. Anfelm fucht jedoch das Eim 
mit dem Andern dadurch auszugleichen, Daß er annimmt, 
bie Zahl der erlösten Menfchen fey größer, als die Zahl de 
gefallenen Engel, worin die Vorausſezung enthalten ift, daß 
der Menfch von Anfang an nicht blos als Stellvertreter det 


1) 1, 17.: Non entm pariter laudabiles sunt, si stans in 
veritate et qui nullam novit peccati poenam, et qui eam 
semper adspicit aeternam. 


Ati 


v 


Anſelm von Canterbury. 163 


agel, ſondern auch für ſich ſelbſt zu einem Bürger bes 
mmliſchen Staats, der superna eivitas, beſtimmt iſt 2). 
Iſt nun der Menſch von Gott dazu geſchaffen, um die 
telle der gefallenen Engel in dem himmliſchen Staat ein⸗ 
nehmen, fo fragt fi, wie der Menfch, der gefündigt und 
ett für die Sünde nicht genuggethan hat, ben Engeln, die 
me Sünde find, gleich feyn Fann? “Die Antwort Hegt nur 
dem Begriff der Satidfaction, wie derfelbe ſchon beflimmt 
orden if. Zum Begriff der Satiöfaction gehört es, daß 
ott für bie Sünde des Menfchen etwas gegeberr wird, was 
ehr iſt, als alles, was aufler Sott iſt. Wer aber aus 
em Seinigen Gott etwas geben will, mas alles Gott Un⸗ 
rgeorbnete übertrifft, muß felbft größer feyn, ald alles, was 
dt Bott if ?). Größer aber, als alles, was nicht Gott 


4) I, 18.: Si angeli, anteguam quidam illorum caderent, 
erant in illo perfecto, de quo dizimus, numero, non 
sunt homines facti, niſst pro restauratione angelorum 
perditorum, et palam est, qula non erant plures. Si 
eutem ille numerus non erat in illis omnibus angelis, 
eomplendum est de hominidbus et quod perlit, et quod 

. prius deerat, erunt electi homines plures reprobis ange- 
üs, et sic dicemus, quia non fuerunt homines facti tan- 
tum ad restaurandum numerum imminutum, sed eliam 
ad perficiendum nondum perfectum. (Daß dieß lestere 
anzunehmen ift, zeigt Anfelm im Folgenden). ZAestat ergo, 
ut non completa in illo primo numero angelorum super- 
na civitas, sed de hominibus complenda fuisse dicatur. 
Quae si rata sunt, plures erunt electi homines, quam 
sint reprobl angeli. — Et colligitur ea utruque transla- 
ttone (den beiden Ueberſetzungen der Etelle 5 Mof. 33, 3. 
Juxta numerum angelorum Dei und Ju&ta numerum filio- 
rum Israel) quia tot homines assumentur,, quot reman- 
serunt angeli. Unde tamen non seyuttür, quamvis per- 
diti angell ex hominibus restaurandi sint, tot angelos 
cecidisse, quot perseverarunt. 

2) II, 6. 





41 * 


168 1. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap. 


die Barmherzigfeit Gottes durch die Hingabe des Sohns 
mit der Gerechtigfeit Gottes, durch die vom Sohn übernom: 
mene Genugthuung, aufs fchönfte aus 9). 

Die wäre die Aufgabe, welche Anfelm_ nach den Haupt 
momenten, in welche er am Schluſſe feiner Ünterfuchung das 
Ganze zuſammenfaßt, durch feine ſpeculativ dialektiſche Thes« 
rie loͤſen wollte. Die Liebe und die Gerechtigkeit Gottes ſol⸗ 
len durch die genugthuende Aufopferung des Sohns in die 
vollkommenſte Harmonie mit einander gebracht werden. Wollte 
Gott nach feiner Liebe verzeihen, Eonnte er aber nach feine 
Gerechtigkeit nicht verzeihen, fo ift nun nad) "beiden Selten 
hin die Erlöfung der Menfchen in das angemeflene Berhäl 
niß zur abfoluten Idee Gottes gefezt. Durch die unendliche 
Genugthuung, wie fie nur der Gottmenſch durch den unend 


— — See EEE an 


Yichen Werth feines Lebens für bie unendliche Schuld de 


Sünde leiften konnte, ift der göttlichen Gerechtigkeit Genuͤge 
geihehen. Auf der andern Seite aber iſt derfelbe Act auf 
der höchfte Beweis der göttlichen Liebe, nicht blos fofern ba$ 


— —4* -- 


2 


Motiv der Aufopferung ded Sohns nur die Liebe gemein : 


plenttudinis, quam parentes suos et fratres, quos d- 
spicit tot et tantis debitis obligatos egestate tabescere 
in profundo miseriarum, ut eis dimittatur, quod pro 
peccatts debent, et detur, quo propter peccata careni? 


1) II, 20.: Misericordiam vero Dei, quae tibi perire vide- 
batur cum justitiam Dei et peccatum hominis conside- 
rabamus, tam magnam tamque concordem justitiae inse- 
nimus, ut nec major nec justior cogitari possit. Nem- 
pe quid misericordius intelligi valet, quam cum. pecca- 
tori tormentis aeternis damnato, et unde se redimal, 
non habenti, Deus pater dicit: accipe Unigenitum mewm 
et da pro te, et ipse filius: tolle me et redime te. — Quid 
etliam justius, quam ut ille, cul datur pretium majus 
omni debito, si debito datur eetu ‚ dimittat omne de- 
bitum ? 


- Aufelm von Canterbury. 169 


feun Tann, fondern auch deöwegen, weil e8 won Selten Got⸗ 
tes nur Sadje der Gnade und Barmherzigfeit geweſen ſeyn 
kann, die von einem andern geleiftete Genugthuung anzuneh⸗ 
men. Sft nun aber dieß wirklich der Anfelm’fchen Theorie‘ 
auf eine befriedigende Weife gelungen, ift durch fie Die gött⸗ 
liche Liebe mit ber göttlichen Gerechtigkeit fo in Einklang ges 
bracht, daß Feines Diefer beiden Momente in ein zu unterges 
ordnetes Verhältnig zu dem andern gefezt ift? Ein gewiſſer 
Zweifel muß in diefer Hinficht ſchon daraus entftehen, daß 


Anſelm das Moment der Liebe und Barmherzigkeit erſt am 





_ 


Schluſſe feiner Unterfuchung befonders erwähnt, als ben ei- 
gentlichen Husgangspunct derielben aber keineswegs bie Fra⸗ 
ge betrachtet, wie die göttliche Liebe mit der göttlichen Ges 
rechtigfeit auszugleichen fey. Der.ganze Gang der Entwid- 
lung zeigt deutlich, daß er eigentlich immer nur dad Moment 
der Gerechtigkeit vor Augen bat, und die Frage, um welche 
es ſich handelt, nur aus dem Gefichtspunct auffaßt, wie 
auch ſchon der Titel der Schrift es ˖ ausfpricht, wie der gött⸗ 
lichen Gerechtigkeit für die Sünden der Menſchen nicht blos 
ein Yequivalent, fondern noch mehr als ein Aequivalent habe 
gegeben werben können? Daher Tann audy der Hauptpunct, 
welcher in Betracht fommt, wenn die Anfelm’fche Theorie ih⸗ 
tem Innern Werth nach gewürdigt werden fol, nur bie Frage 
kun, ob fie nicht das Moment der Gerechtigkeit zu einfeitig, 
oder auf eine fo ausfchließende Weife hervorhebt, Daß bie 
Lerföhnung des Menfchen mit Gott einzig nur als ein noth- 
wendiger Act der, Genugthuung heifchenden, Gerechtigkeit, 
nicht aber als eine freie That der verzeihenden göttlichen Liebe 
eriheinen kann? Es ift nämlich fogleich zu fehen, daß in 
bemfelben Verhältniß, in welchem bie ‚genugthuende Aufopfe⸗ 
rung des Sohnd um Gottes felbft willen nothwendig war, 
bie freie, in der Liebe Gottes liegende Rücdkficht auf den Men- 
ſchen hinwegfält, und Gott in dem von dem Gottmenſchen 
vollbrachten Werke der Erlöfung nicht fomohl den Menfchen, 


174 1. Ber. U. Abſchn. 1. Kap. 


Menſch fi) weigerte." Kann Gott feine Ehre blos beöwegen 
nicht verlieren, weil ber Menſch der Macht Gottes nicht ent- 
gehen kann, fo ift Har, daß die Verlegung der Ehre Gottes 
nicht an fich, fondern nur in Beziehung auf die aus ihr her 
vorgehenden Folgen geläugnet wird, fofern die Wiederhers 
ftellung ber Ehre Gottes fo nothwendig iſt, als die Erhal⸗ 
tung der Weltordnung überhaupt, und in Diefer fchon ur 
fprünglich gefezt und begriffen iſt. Kann aber die Ehre Got-⸗ 
tes actuell wiederhergeftellt werden, fo muß fie auch actuell 
entzogen feyn, und es Fann daher auch alles, was zur Wie 
derherftellung der Ehre Gottes dient, nur In Folge einer ab⸗ 
foluten göttlichen Nothwendigfeit gefchehen, zur Realiſirung 
der Idee der summa justitia, die das Weſen Gottes if, 
oder das abfolute Gefez der Weltorbnung (der rerum di» 
positio I, 13.). Auf die Idee einer abfoluten Nothwendig⸗ 
feit, als die Grundlage der Anfehm’ichen Theorie, kommen 
wir demnach auch hier wieder zurüd, wird aber diefe Roth 
wenbigfeit nicht ebendadurch aufgehoben, daß bie wirkliche 
Vollziehung der Strafe nicht der einzige Weg zur Herftellung 
der Ehre Gottes iſt, fondern an die Stelle derſelben, al 
doch nur zur Ausgleichung der Liebe mit der Gerechtigkeit: 
die Genugthuung durch einen andern geſezt wird ? Allen 
auch fo kommen wir aus dem Kreife der Nothwendigfeit nicht 
heraus. Denn warum übernimmt Gott, flatt die Straf 
wirklich zu vollziehen, die Genugthuung felbft als Gott- 
menfh? Nicht, um feine zur Schonung geneigte Liebe mit 
feiner ftrafenden Gerechtigkeit in Einklang zu bringen, obet 
nicht aus Liebe und Barmherzigkeit gegen die Menfchen, 
fondern nur aus einem in feinem eigenen Wefen liegenden - 
Grunde. Gott fchuf Die Menfchen mit dem Vorſaz, aus ih⸗ 
nen bie Zahl der gefallenen Engel zu ergähzen. Die Zahl 
ber gefallenen Engel aber zu ergänzen, ift ſchlechthin noth⸗ 
wendig, da in der göttlichen Allmacht Fein Grund Tiegers 
kann, die vollfommene Zahl, welche Gott für die Schöpfung 


Anfelm von Santerbury. - 175 


T vernünftigen Natur feftgefezt hat, unvollendet zu laſſen. 
iott würde alfo mit der Idee feines eigenen Weſens in Wi⸗ 
rfpruch kommen, wenn er nicht factifch realifirte, was er 
eell zu realifiren fi vorgenommen hat‘). Kann nun aber 
7 göttliche Vorſaz nicht anders realifirtt werben, als das 
sch, daß Gott felbft zur Genugthuung für die Sünden 
7 Menſchen Menſch wird, fo ift Har, daß die Menſch⸗ 
edung Gottes und die-Genugthuung durch ben Gottmen« 
ven durch eine im Weſen Gottes felbft gegründete Nothwen⸗ 
gfeit bedingt ift, daß bie Menichwerbung‘ und die Genug⸗ 
mung die nothwendigen Momente find, durch welche Gott 
en Begriff feines eigenen Weſens realifirt, er würde nicht 
ya, was er feinem Begriff nach feyn foll, die abfolute Ver⸗ 
mt und die abjolute Macht, wenn er nicht realifirte,, was 
der göttlichen ratio von Anfang an zur Realität beftimmt 
. Man fage nicht, es hänge hier alles nur an der für die 
1) I, 16.: Deum constat, proposulsse, ut de humana natura, 
. quam fecit sine peccato, numerum angelorum, qul ceci- 
derunt, restitueret. Rationalem naturam, quae Dei con- 
templatione beata vel est, vel futura est, in quodam ra- 
tionabili et perfecto numero praescitam esse a Deo, ita 
ut nec majorem nec minorem illum esse doceat, non est 
dubitandum. Aut enim nescit Deus, in quo numero me- 
Bus eam deceat constitul, quod falsum est, aut st scit, 
in eo illam constituet, quem ad hoc decentiorem intelli- 
get. Quapropter aut angelt illi, qui ceciderunt, facti 
erant ad hoc, ut essent intra illum numerum, aut quia 
extra illum numerum permanere non poluerunt, ex ne» 
cessitate ceciderunt, quod absurdum est opinari. Quo- 
ntam ergo de illo numero esse debuerunt aut restauran- 
dus est ex necessitate numerus eorum, aut in imperfe- 
cto numero remanebit rationalis natura, quae in nu- 
mero perfecto praescita est, quod esse non potest. Ne- 
cesse est ergo eos de humana natura (restaurari), quo- 
niem non est alia, de qua possint restaurari, 


176 1. Ber. DL. Abſchn. 1. Rap. 


Anfelm’fche Satisfactionstheorie unwefentlichen Idee der Ev 
gänzung der Engel durch die Menſchen, auch abgefehen von 
dieſer Idee behauptet Anfelm, daß der Vorſaz Gottes fehlekt 
hin realifirt werden muß. Nun hat Gott die vernünftige 
Katur dazu gefchaffen, daß fie durch den Genuß Gottes felig 
werde, alfo muß auch Diefer Zweck und Vorfaz Gottes ſchlecht⸗ 
hin realifirt werden, wenn nicht im göttlichen Weſen ſelbß 
ein Mangel entftehen fol 9). Daß Gott die vernünftige Crea⸗ 
tur für den Zwed der abfoluten Befeligung erfchuf, kam | 
zwar feinen Grund nur in der göttlichen Liebe Habe, wen 
aber die rationalis natura felbft, wie Anfelm fagt, in que 
dam rationabili et perfecto numero praescita est a Deo, 
ita ut nec majorem nec minorem illum esse decgat, f 
ift Die göttliche Liebe felbft Durch die göttliche ratio bedingt, wah 
zwar an fi nicht anders jeyn kann, aber in Diefem Zufam 
menhang doch gleichfall3 nur dazu dient, Die Menſchwerdung 
und Genugthuung, ihrem lezten Grunde nad, von einer im - 
Wefen Gottes felbft gegründeten Nothwendigfeit abhängig m! 
machen. Der höcfte abfolute Grund ift die göttliche ratio, 
oder, da diefe nichts anders, als das -abfolut Nothwendige zu 
“ ihrem Object haben kann, die abfolute Nothiwendigfeit, mit 
welcher Gott die Ideen der abfoluten Vernunft realikr, 
Anfelm Tann daher felbft die Frage nicht umgehen, welden 
Werth für den Menfchen das Werf der Erlöfung habe, : 
wenn ber Iezte Grund defjelben nur eine im Wefen Gottes g 
felbft liegende Nothmwendigkeit fey 2? Wenn er aber darf ” 


Kl ınmm 


4) II, 4.: Intelligo jam, necesse est, ut Deus perficdal,' 
quod incoepit, ne aliter, quam deceat, a suo incepto vi- 
deatur deficere. 

2) II, 5.: Sed si ita est, videtur quast cogi Deus necesii- 

tate vitandi Indecentiam, ut salutem procuret khumanam. 

Quomodo ergo negart poterit, plus hoc propter se face- 
re, quam propter nos? At st ita est, quam gratiam il 


' 


Anfelm von Canterbury. - 177 


: Antwort gibt, daß die Nothwendigfeit die Gnade nicht 
afchließe, dag Gott überhaupt nichts mit Nothwendigkeit 


debemus, pro eo, quod facit propter se? Quomodo etiam 
"nostram imputabimus salutem ejus gratiae, si nos sal- 
vat necessitate? Dagegen: st Deus faclt bonum homtnt, 
quod incoepit, licet non deceat eum a bono incoepto de- 
ficere, totum gratiae debemus imputare, quia hoc prop- 
ter nos, non propter se, nullius egens Incoepit. Daß die⸗ 
fer Sag ebenfo gut umgekehrt werden kann, ik Far. Eben 
fo menig genügt das Folgende: Non enim illum latuit, 
guid homo facturus erat, cum illum fecit, et tamen bo- 
. wütgte sua illum creando, sponte se, ut perficeret incoep- 
Zum bonum, quasi obligavit. Die Sünde der Menfchen 
:Fonnte allerdings Gott nicht abhalten, nach feiner Güte den 
Menichen zu fchaffen. Aber auch die göttliche donitas muß 
durch bie göttliche ratio bedingt ſeyn, was aber die goͤttli⸗ 
che ratio betrifft, fo würde Gott nicht fenn, was cr feinem 
Begriff, d. h. feiner ratio nach if, wenn er nicht die Ideen 
feiner ratio, den Begriff feines Wefens, alfo auch durd) 
- die Schöpfung, Durch den rationabilis et perfectus nume- 
rus der rationalis natura realifirte. Denique, fährt An⸗ 
felm fort, Deus nihil facit necessitate, quia nullo modo 
cogitur, aut prohibetur, aliquid facere. Et cum dici- 
mus, Deum aliquid facere, quasi necessitate vitendi in- 
honestatem, quam utique non timet, potius intelligen- 
dum est, quia hoc facit necessitate servandae homesta- 
tis, quae scilicet necessitas non est aliud, quam immu- 
labilitas homestatis ejus, quam a se‘ipso, et non ab alio 
habet, et idceirco improprie dieitur necessitas. Dicamus 
iamen, quia necesse est, ut bonitas Dei propter immu- 
tabilitutem suam perficiat de homine, quod incoepit, 
quamvis totum sit gratia bonum, quod facit. Vol. II, 
18.: Non tamen ulla est in eo faciendi necessilas, aut 
non faciendi impossibilitas, quia sola operatur in eo vo- 
luntas. Quotiens namque dicitur Deus non posse, nulla 
negatur in eo potestas, sed insuperabilis significatur 
potentia et fortitudo. Non enim aliud intelligitur,, nisi 


Baur, die Lchre von der Berfühnung. ' 12 


178 I. Ber. IL Abſchn. 1. Kap. 


thue, weil er, auch was er mit Nothwendigkeit thue, Doc 
immer zugleich mit freiem Willen thue, fofern es feine Macht 
gebe, Durch Die er gezwungen werden Fönnte, fo tft hiedurch 
nicht geläugnet, daß das Werk der Erlöfung aus göttliche 
Rothwendigkeit hervorgehe, fondern nur der Begriff bier 
Nothwendigkeit näher beftimmt, oder ausdrüdlich gefagt, weh 
fih von felbft verfteht, daß fie Feine Aufferlich zwingende, 
fondern nur eine innere, im Wefen Gottes felbft gegründee, 
ſey. So fehr daher Anfelm von der Nothwendigfeit inme 
wieder zu der freien Selbftbeftimmung jurüdienft, fo web: 
er doch zulezt unwillfürlich zu einem Ausdruck hingelrie 
ben, welcher die Erlöjung als einen immanenten Add S 
göttlichen Weſens felbft bezeichnet: der Sohn habe in feinen ã 
genugthuenden Tode fich fowohl fich felbft ald dem Baker. 
und dem heiligen Geift, oder feine Menfchheit feiner Gofthet \ 
dargebracht, d. h. die Gottheit habe in ihm ihre Ehre wi⸗— 
derhergeſtellt, ſich mit ſich felbft verfühnt )). Wenn babd ° 


















qula nulla res potest efficere, ut agat ille, quod negatw 
posse. Uebrigens fagt Anfelm II, 18.: Nihit est necess- 
rium aut impossibile, nisi quia ipse Ita vult, aber andy 
I, 12.: Quod autem dicitur, quia, quod vult, justum es, 
et quod nonvult, justum nonest, non ita intelli gendum est, ut 
siDeus velit quodlibet inconveniens, justum sit, quia ipse vuli. 
1) II, 18.: Honor utique ille totius est trinitatis, quare quo- 
niam idem ipse est Deus Filius, ad honorem suum se ip- 
sum sibi, sicut Patri et Spiritui sancto obtulit, id ed” 
humanttatem suam divinitati suae, quae una eades' 
trtum personarum est. Gewöhnlicher fey es allerdings 18 
fagen: Filius sponte se ipsum Patri obtullt. — Per - 
men Patris et Filit immensa quaedam in cordibus m- 
dientium, cum Patrem Filtus hoc modo postulare pr 
nobis dicttur, pietas sentitur. Im Zufammenhang mit I. 
erftern Behauptung behauptet Anfelm: Quoniam ipse ed 
idem Deus et homo, secundum humanam quidem nd . 
ram, ex quo fuit homo, sic accepit a divina natura- 







Anſelm von Canterbury. 179 


f der andern Seite die Behauptung immer wiederholt wird, 
Mt für fi) habe nicht nöthig gehabt, zur Erlöfung ber 
enfchen vom Himmel herabzufteigen *), fo ift leicht zu ſe⸗ 
r, daß man entweder Die ganze Yrage: Cur Deus homo? 
ht aufiwerfen muß, oder, wenn fie aufgeworfen iſt, auch 
: Conſequenzen nicht feheuen darf, Die ſich aus den Brä- 
fen, von welchen man ausgeht, von felbft ergeben. Die 
Zwieſpalt zwiſchen ber, eine innere Nothwendigkeit im 
jeſen Gottes felbft vorausfezenden, Macht des Begriffs und 
m die freie Perfönlichfeit Gottes anerfennenden Bewußt⸗ 
richt fich durch bie ‚ganze Anfelm’fche. Unterjuchung hin⸗ 
u.) 

: Wie fehr aber in biefer Satisfactionstheorie Die fubjecti= 
eSeite gegen bie obiective zurüdtreten muß, iſt beſonders 
uch noch daraus zu erfehen, daß dem in dem Weſen Got- 
5 erfolgenden Verföhnungsproceß gegenüber fogar die fitt- 





- quae alla est ab humana, esse suum quidguid habebat, 
ut nihil deberet dare, nisi quod volebat. Daher entficht 
wit-NRecht die Srage, ob diefe abfolute Selbſtſtändigkeit der 
menfchlichen Natur nicht die Wahrheit derſelben aufhebt, 
und auf Doketiſmus führt. 

1) Palam est etiam, fagt Anfelm am Schluſſe feiner Unter: 
fuchung I, 39., quia Deus, ut hoc faceret, quod disi- 
mus, nullatenus indigebat, sed ita veritas immutabitlis 

'exigebat, licet enim hoc, quod homo ille fecit, Deus 
dicatur fecisse propter unttatem personae, Deus tamen 
non egebat,, ut de coelo descenderet, ad vincendum dia- 
bolum , negue ut per justitiam ageret contra illum ad 
liberandum hominem, sed ub homine Deus exigebat, ut 
diabolum vinceret, et qui per peccatum Deum offende- 
rat, per justitiam satisfaceret. Aber eben dazu mußte 
ia Gott, und zwar um feiner felbft willen Menfch werden. 

2) Daher auch die wiederholte Unterfuchung der Frage, ob das 
Reiden Chriſti ein freimilliges oder nothwendiges geweſen 
fen I, 8. IL, 18. 

12% 


80 I. Ber. IL. Abfchn. :1. Kay. 


liche Selbftthätigfeit des Menfchen ein fehr Bebeitungelofe 


Moment werben zu müflen fcheint. Anfelm hebt zwar no 


befonders die fittliche Wirkung des Todes Jeſu hervor: Io fi 
ſus habe in feinem Tode ein Beifpiel der Gerechtigkeit gege 


ben, die ber Menſch unter allen Leiden Gott Teiften fol 9), 


wem er aber, um das Haupigewicht auf bie verfühnende 


Wirkung des Todes Jeſu zu legen, felbft weiter fagt: ver 


gebens werde man die Gerechtigkeit, deren Vorbild Jeſus ie: 
feinem Tode gegeben habe, nachahmen, wenn man nit es 





feinem Berdienft Theil habe >), fo dringt fich Hier von FÜR 
die Trage auf: weldhes Moment jene Nachahmung habe 





Pur 


— 


könne, wenn man einmal an dem Verdienſt des Verfühnungb .: 





todes Theil hat? Wird die Berfühnung des Menſchen mit 


Gott als ein rein objectiver, völlig aufferhalb Des Menſcha 
erfolgender, auf das göttliche Weſen an fich ſich bezichenbe 


4) II, 18.: Cum injurlas et contumellas et mortem em‘ 
latronibus sibt propter justitiam, quam servabat, ide : 


Benigna patientia substituit, exemplum dedit heuiı- 
Bus, qualenus propter nulla incommoda, quae seuiirt 


possunt, a justitia, quam Deo debent, deolinent, ed 


minitme dedisset, si secundum potentiam suam morten 
pro tali causa illatam declinasset. Nullus unguam Is- 
mo praeter illum moriendoe Deo dedit, quod aliquande 
necessitate perditurus non erat, aut solvit, quod mes 
debebat. Ille vero sponte Patri obtulit, quod nulla m- 
cessitate unguam amissurus erat, et solit pro peccate- 
ribus, quod pro se non debebat. Quapropter ille mul 
magis dedit exemplum, ut unusquisque, quod aliquas- 
‘do incunctanter amissurus est, pre se 1pso 'reddere Des, 
cum ratio postulat, non. dubitet, qui cum nullatenus aut 


pro se indigeret, aut cogeretur pro aliis, quibus nik ": 


nist poenam debebat, tam pretiosem vitam, immo se ip- 
sum, tantam scilicet personam, tanta voluntate dedil. 

2) II, 19.: Frustra imitatores ejus erunt, st meriti ejüs 
participes non erunt. 





‚ Anfelm von Canterbury. - 481 


t aufgefaßt, ald die Ausgleihung einer Disharmonie, Die 
bt ſowohl in. der fittlichen Natur des Menfchen und in fei- 
nn. fittlichen Verhältniß zu Gott, als vielmehr in dem We⸗ 
. Sottes felbft entſtanden iſt, fo ift die flttliche Selbftthä- 
feit des Menfchen hiedurch zwar nicht fchlechthin ausge⸗ 
offen (ſofern ja die Srucht des genugthuenden Todes nur 
ven.zu Theil werden Tann, bie fie annehmen wollen, und 
Ichen der Sohn fie geben will, bei denen aber, bei welchen 
* nicht flatifindet, der Idee der göttlichen Gerechtigkeit 
xch Bollziehung der Strafe Genüge gefchieht), aber doch 
3 auf ihr Minimum reducirt. Sobald nur irgend 
ne fittliihe Difpofition vorhanden iſt Ceine folche ift aber 
sh ſchon dann vorhanden, wenn der Menfch ſich nur nicht 
rabe widerfirebend verhält), iſt in dem Einzelnen, weldyer 
5 in Diefem Galle befindet, die VBerföhnung ein abfolut voll» 
achter Act. In Keinen Ball kann wohl geläugnet werden, 
Hin der Anfelm’fchen Theorie die ſubjective Seite der Vers 
ung des Menſchen mit Gott noch keineswegs zu ihrem 
echt gekommen ift, und Dazu auch nicht fommen fann, for 
ne Das Wefen der VBerföhnung nur in den fich felbft reali- 
enden Begriff der göttlichen Gerechtigkeit gefezt wird. 
Abſtrahiren wir aber auch von der im Weſen Gottes 
HR gegründeten, mit der fubjectiven Freiheit fowohl ‚auf 
eiten Gottes, als auf Seiten des Menfchen ftreitenden 
othwendigkeit der Senugthuung, fo fragt fi noch, wor⸗ 
f die Möglichkeit einer ſolchen Genugthuung beruhe? Zus 
ichſt zwar auf der Idee des Gottmenſchen oder der Einheit 
ottes und des Menfchen, weldhe hier, wo bie ganze Rea⸗ 
ht der Verfühnung von einer beftimmten Thatfache abhän⸗ 
g gemacht wird, nur als die Möglichkeit einer ſowohl 
enfhlichen als übermenfchlihen That genommen werden 
mn. Aber auch der Gottmenſch kann die Genugthuung 
icht ſchlechthin leiſten, ſondern nur in einer beſtimmten Be⸗ 
zehung, dern auch er theilt ja mit den vernünftigen Creatu⸗ 


184 L Ber. 1 Abſchn. 1. Rap. 


ber genugthuenden und flellvertretenden Strafe findet ſich das 
ber in der Anfelm’fchen Theorie nicht. Ebendeswegen iſt auf 
‚bie Gerechtigkeit, deren Begriff ihr zu Grunde liegt, nick 
die ſtreng juridifche, die Sünde unbedingt firafende Gerech 
tigfeit, fondern vielmehr die, Sittlichfeit und, Glückſeligkelt 
in das rechte Verhältniß zu einander fezende, Heiligkeit Got 
te8, fo daß Demnach hier eigentlich eine Doppelte Subftttutien - 
ftattfindet, indem 1. an die Stelle der Strafe, welde de. 
Menſch zunächft verdient hatte, Die Durch eine Leiſtung der ' 
Jjustitia fidy bethätigende Genugthuung tritt, und 2. ber bk 
Genugthuung Leiftende nicht der Menfih, fondern Chriſtus if : 
Sn allen diejen Beftimmungen fehen wir fchon die Möglid 
keit ded natürlichen Fortgangs zu einer andern, zwar vn 
Anſeim'ſchen Vorausfezungen ausgehenden, aber in wefentls 
hen Puncten von Anfelm abweichenden, Form der Satik 
factionstheorie. 

Die tranſcendente Metaphyſik, in welcher überhaupt des 
Weſen der Scholaftif befteht, ftellt fih uns in der Anſelm'⸗ 
ſchen Satisfactionstheorte fehr Har vor Augen. E8 find.:de 
beiden Begriffe der Schuld und Gerechtigkeit in ber ober 
ven Bedeutung, die ihnen der fcholaftifche Realismus gibt, 
um welche fie ſich in lezter Beziehung bewegt. Auch der de 
griff der Schuld hat eine rein objective, auf das Weſen Got 
te8 an fich ſich beziehende, Bedeutung. Der dadurch entſte⸗ 
hende Proceß, in welchem die beiden Begriffe der Schuld | 
und Gerechtigkeit ſich mit einander vermitteln, und zu Me 
menten des göttlichen Lebensprocefies werden, gehört gan " 
der intelligibeln metaphyfifchen Welt an, deren Verhältniß zu 
der Welt der Erfahrung und Wirklichfeit ganz aufferhalb des 
Gefichtöfreifes der Scholaftif liegt. Mit dieſer Metapkyfl 


poena verhalten fich zu einander, wie die voluntas jubens 
und puniens in Gott, I, 15., und punire tft foviel als re- 
cte ordinare peccatum sine satisfactione I, 12. 13. 35- 





Anfelm von Ganterbury. 155 . 


. bie dur das Firchliche Dogma eröffnete überfinnliche Welt 
. gu umfaflen, nicht um fie zu begründen, fondern nur um fie 
* auszubauen, fieht die Scholaftik als ihr eigentliches Geſchaͤft 
an; und je mehr es ihr gelingt, den abſtracten Begriff, von 
welchem fie ausgeht, in Bewegung zu bringen, und eine das 
“ ganze Dogma in ſich begreifende Theorie aus ihm herauszu⸗ 
ſpinnen, Defto befriebigter verweilt fie in der Betrachtung ih⸗ 
- 78 Gebäudes 1). Diefe auf der Dialectik des Begriffs bes 

. Tuhenbe. Metaphyſik ift es, wodurch ſich bie fcholaftifche Pe⸗ 

riode von ber vorangehenden ‚unterfcheidet, an die Stelle des 

- Mythus und des mythifchen Bildes ift nun ber abftracte dia⸗ 
lectiſch fich fortbewegende Begriff: getreten, . aber gerade Die 
Anſelm'ſche Theorie zeigt auch am beften, wie das mythiſche 





- 


‘ 4) Rationabilia, läßt Anfelm am Schluffe feiner Unterfuchung 
- den Boſo, mit welchem er fich nach der dinlogifchen Form 
Der Schrift unterredet, fagen, et quibus nihil contradici 
possit, quae dicis, omnia miht videntur, et per unius 
. quaestionis, quam proposuimüs, solutionem, quidquid in 
novo veterique Testamento cantinetur, probatum intelli- 
90. Cum enim sic probes, Deum fieri hominem, ex ne- 
cessitate, ut etiam, si removeantur pauca, quae de no- 
siris libris posuisti (ut quod de tribus personis et de 
"Adam tetigisti), non solum Judaets sed etiam Pagants 
sola ratione satisfaclas, et ipse idem Deus homo: novum 
condat testamentum, et vetus approbet, sicut ipsum ve- 
racem esse, necesse est. confiteri, ita nihil, quod. in üllis 
continelur,, verum esse, potest aliquis diffiteri. Es war 
alfo für die Scholaſtik keine zu hohe Idee, daß auf dem 
Wege der Spekulation der ganze wefentliche Inhalt des U. 
und N. 2. rationell bewiefen werden Fünne, nur wird da⸗ 
| bei immer vorausgefeßt, daß der Inhalt des Glaubens an 
: fich fchon fefifiehe, und Feines Beweife bedürfe, fo daß dem: 
nach, was durch die Vernunft hinzufommt, fo werthvoll es 
im Uchrigen feyn mag, doch nur ein opus supererogatio- 
nis ift. 


— ⸗ 
* 


188 L:Ber IL Abſchn. 1. Ray. 


chenſchaft zu geben, was fündigen heiße, und welche Bedeu⸗ 
tung die Sünde habe 1). Diefer bedeutende Yortfchritt ge- 
ſchah erft durch Anfelm, und da der Begriff der VBerföhnung 


' felhft durch den Begriff der Sünde und der Schuld bedingt 
iſt, fo wurde auch erft durch Anfelm der eigentliche Begriff 
der Berföhnung in's dogmatiſche Bewußtfeygn erhoben. Aud 
der Begriff der Gerechtigkeit mußte Daher eine ganz andere 


Bedeutung erhalten. Wie äufferlich ift der Begriff der Ge 
techtigfeit genommen, wenn man bie im Werke der Erlöfung 
ſich manifeftirende göttliche Gerechtigkeit nur auf Die auf den 

Teufel zu nehmende Rüdficht, oder auf Die vor dem Sünden 
fall ausgefprochene göttliche Strafdrohung bezog? "Wie ganz 


anders iſt dagegen der Begriff der Gerechtigfeit beftimmt, 
wenn fie mit dem abfoluten Wefen Gottes felbft identiſch ges 


nommen wird 2)? Bon felbft ergibt fich hieraus, daß jezt erfl 
aud) an die Stelle des unbeflimmten xeraAindov der be - 
flimmtere Satisfactiondbegriff gefezt werden konnte, welchem 
zufolge die beiden Begriffe, Sünde und Strafe, oder- Schulb 


und Bezahlung, fich fo cortefpondiren, daß fo viel ober. fo 
- wenig auf der einen ‚Seite gefezt oder aufgehoben iſt, ebenfo 


viel oder ebenfo wenig auch auf der andern Seite gefezt ober 
aufgehoben werden muß. Mag auch dieſe Beflimmung zus 
nächſt nur eine quantitative genannt werden können 2), bie 


4) Nondum considerasti, quanti ponderts sit peccatum. ©» 
bezeichnet Anfelm ſelbſt I, 21. das Eigenthümliche feines 
Geſichtspunkts fehr treffend. 

2) I, 13.: Summa justitia non est aliud, quam ipse Deus. 
3) Daß der Gedanke an ein Quantum von Sünde, dem dann 
ein gleiches Quantum von Strafe gegenüberficehe, dem An» 
felm fo fremd ift, wie in der Ev. K. 3. a. a. O. S. 13. 
behauptet wird, läßt fich nicht annehmen, wenn man Stels 
len bedenkt, wie folgende: 1, 20.: Secundum mensuram pec- 
cati oportet satisfactionem esse. 1, 21.: Patet quia se- 
: cundum quantitatem exigit Deus satisfactionem. 

















Anjelm von Banterbury. 189 


miltative.Befliimmung wird von felbft zu einer qualitati» 
wenn die Schuld der Sünde an ſich al8 eine unendliche 
| tft. 


Zweites Kapitel, 


Ber Abälard, Bernhard von Elairvaus, Robert 
„.palleon, Hugo von St. Victor, Petrus 
Lombardus. 


AM Anſelm von Canterbury hatte das Dogma von der 
Meing einen ſehr bedeutenden Punct feiner Entwicklung 
BR Nicht nur hatte er der bisher am meiſten verbreite⸗ 
ellung eine andere feftbeftimmte enigegengeftellt, fon⸗ 
pa and) eine Theorie aufgeftellt, die mit Dem Anfpruch aufs 
#, die abfolute Nothwendigkeit der von der Kirche gelehr- 
Senugthuung mit unläugbarer Evidenz deducirt zu haben. 
hard, war dem Dogma der Gang, welchen ed zu nehmen 
Pe, von felbft vorgezeichnet. Es fragte ſich vor allem, ob 
I die folgenden Scholaftifer den von Anfelm geführten Bes 
BB ebenfo evident finden werben, wie er ihm felbft zu feyn - 
en. Muß man in der Anfelm’fchen Satisfactionstheorie 

Nine glänzende Probe des dialectifch = fpeculativen Scharffinns 
ver Scholaftiter anerkennen, fo hat die Wahrnehmung etwas 
Befremdendes, daß Anfelm gleichwohl mit derfelben ganz 
Mein fteht, und keinen feiner Nachfolger von der Nothwen⸗ 
Hgkeit bes von ihm genommenen Standpunctd überzeugt zu 
nben ſcheint. Man würde fi, jedoch eine unrichtige Vor⸗ 
lung von dem Character der Scholaftif machen, wenn man 
ieß nicht auch wieder natürlich finden würde. Derfelbe dia⸗ 
xtiſch⸗ raiſonnirende Verftand, welcher in einem Anjelm: feine 
raft in der Kühnheit des Aufbauens zeigte, hatte dieſelbe 
Stärfe im Negiren des Aufgebauten und Wiederauflöfen des 
efnüpften, ein größeres Ganzes umfaflenden, Iuſammenhange, 


o. 


19 I. Ber. TI. Abſchn. 2. Kay. 


worin eben der Grund liegt, warum es die Scholaftif, un 
geachtet ihrer Produetivität im Einzelnen, doch nie zu. einem 
Syſtem von allgemeinerer Geltung bringen fonnte. Und wen : 
das Zwingende einer Deduction, wie die Anfelm’fche ift, e- 4 
was Imponirendes bat, fo lag darin für den, feiner fubjet | 
ven Freiheit fich bewußt werdenden, Geiſt auch wieder ber 
Reiz, ſich diefem Zwange zu entziehen. Um fo weniger fonnk 
dem ſcholaſtiſchen Scharfſinn die Schwäche der Anſelm'ſchen 
Deduction entgehen, daß der Hauptbegriff, auf welchem ſe 
beruhte, das abſolute Uebergewicht, das die göttliche Gerede 
tigkeit über die göttliche Liebe haben fol, eine bloße Borand 
fezung iſt. Se weniger aber diefer Mangel dem Scharffinn 
der Scholaftifer entgehen konnte, deſto mehr Fam auf be 
andern Seite darauf an, ob man nur zu der von Anſelm 
verlaffenen Borftellung wieder zurüd ging, ober ebendadurd; 
dag man ſowohl beiftimmen als widerfprechen mußte, auf 
einen neuen Gefichtepunct geführt wurde. 

Dieß ift im Allgemeinen die Stellung, "welche beſonders bie 
vier berühmten, auch für die Geſchichte unſers Dogma's nicht 
unwichtigen,. Scholaftifer, Peter Abälard, Bernhard von 
Clairvaux, Hugo von St. Victor, und Beter der Lombarde, 
Anjelm gegenüber haben. 
| Peter Abälard nimmt in feinem Gommentar über ben 

Brief an die Römer von der Stelle 3, 26. Veranlaffung, 
fi etwas ausführlicher über die Lehre von der Erlöfung zu 
erklären ®). Die Hauptmomente feiner Erörterung find bie 


9 Petri Abaelardi et Heloisac Opp. Par. 1606. ©. 550.f. 
Abälard ift fich ganz der Wichtigkeit diefer Frage bewußt: 
Maxima hoc loco quaestio se ingerit, quae sit ista w- 
delicet nostra redemtio per majorem Christi, aut quan- 
do in ejus sanguine justificari Apostolus dicat, qui ma- 
iori supplicio diuni videmur, quia id commisimus ini- 
qui serei, propter quod innocens Dominus occisus sit. 

Den Gegenſtand der Interfuhung brefiimmt Abülard fo: 


⸗ 


Deter Abälarb. 191 


drei Puncte: 1, die Befeitigung des Teufeld aus dem Werke 
ber Erlöfung ; 2. die genauere Beflimmung ber Frage, um 
welche es ſich handelt; und 3. die Löfung derfelben. 

In Anfehung des erften diefer drei Puncte ftellt fich 
Abälard ganz auf die Eeite Anſelms, nur trit er der fchon 
von Anſelm aufgegebenen Borftellung noch entſchiedener ent» 

gegen, indem er das von Anſelm in Einer Beziehung noch 
anerkannte Recht des Teufels auf den Menſchen ſchlechthin 
laͤugnet. Er macht gegen die gewöhnliche Meinung, daß ber 
Teufel, in Folge des Gehorfams, welchen ihm der Menſch 
bei der erfien Sünde leiftete, die Menfchen in feine Gewalt 
bekommen habe, bie Einwendung, daß ja Chriſtus nur bie 
Erwählten befreit habe, die Ermählten aber habe der Teufel 
weber in dieſer Welt, noch in ber fünftigen in feiner Gewalt 
gehabt. Zum Beweiſe dafür beruft fi Abälarb auf die 
“ Barabel von Lazarus und dem reichen Mann. Ob denn ber 
Teufel auch den in Abrahams Schooße ruhenden Armen, 
ebenfo wie den Reichen, wenn auch vielleicht in geringerem 
Grade, gepeinigt habe, ob auch den Abraham felbft und 
bie übrigen Erwählten? Abraham fage ja ausdrücklich in der 
Barabel, der Arme werde jezt getröftet, ber Neiche aber ge⸗ 
yeinigt. Auch fen zwifchen ben Erwaͤhlien und Verworfenen 
‚äne Kluft befeſtigt, die den Teufel an dem Orte, in welchen 
| fein Ungeredjter dent Zugang habe, Feine Gewalt ausüben 
fwlaſſe. Der entlaufene Sklave bleibe immer in der rechtmäßi⸗ 
gen Gewalt feines Herrn, und der Verführer fen ebenfo ſchul⸗ 
: dig, als der Verführte, . Wie denn der Berführer irgend ei- 


Primo ttaque. vldetur quaerendum , qua necessitate Deus 
hominem assumserit, ut nos secundum carnem moriendo 
redimeret, vel a quo nos redemerit, qui nos vel justitia 
vel potestate captos tenet, et qua justitia nos ab ejus 
potestate liberaverit, qui praecepta dederit, quae ille 
suscipere vellet, ut nos dimitteret. 


2 LBer. IL Abſchn. 2. Kap. 


nen Rechtdanfprud auf den Verführten erlangen könne, da 
er ja durd die Verführung fogar das Recht, das er eiwa 
zuvor hatte, verlieren müffe. Der Berführte habe vielmehr 
das Recht, den, der ihm durch feine Verführung ſchadet, 
zur Strafe zu ziehen. Ueberdieß habe ja der Teufel bem 
Menfchen die Unfterbfichkeit, Die er ihm bei der Uebertretung 
bes göttlichen Gebots verfprochen habe, nicht geben können, 
darum habe er auch Fein Recht, ihn in feiner Gewalt zurüd« 
zubalten. Bon einem durch die Verführung erlangten Recht 
des Teufeld auf. den Menjchen Tönne daher nicht die Rebe 
feyn, fondern höchftens etwa davon, daß Gott den Menfchen 
dem Teufel, als feinem Kerfermeifter, zur Strafe und Pei⸗ 
nigung übergeben habe. Nur gegen Gott, feinen Herrn, habe 
fih der Menfch durch feinen Ungehorfam verfehlt. Wenn mm 
Gott dem Menfchen feine Sünde erlafien wollte, wie er fe 
der Jungfrau Marla und vielen andern fchon vor dem Les 
den Chrifti erließ, wenn er ohne ein Leiden dem’ fündigen 
Menfchen verzeihen, und ihn nicht weiter der Strafgewalt ſei⸗ 
nes Peinigers überlaffen wollte, welches Recht könne der Tess 
fel haben, fich darüber zu beſchweren. Hieraus leitet um - 
Abälard den Begriff einer völlig freien Sündenvergebung ab. 
Penn Gott, ohne ein Unrecht gegen ben Teufel zu begehen, 
dem Menfchen die große Gnade erwies, daß er fih mit ihm 
zur Perſon vereinigte, warum follte er ihm nicht Die geringere 
Gnade der Vergebung der Sünden gewähren fönnen 97 . 


4) Non fecit Dominus injuriam diabolo, eum de massa pec- 
catrice carnem mundam et hominem ab omni peccato 
immunem susceperit. Qui quidem homo non hoc meri- 
tis obtinuit, ut sine peccato conciperetur, nasceretur et 
perseveraret, sed per gratiam suscipientis eum Domini. 
Numquid eadem gratia si ceteris hominibus peccata di- 
mittere vellet, liberare eos a poenis potuisset? Peccalis 
quippe dimissis, propter quae in poenis erant, nulla su- 
peresse ratio videtur, ut propter ipsa amplius puniren- 


Beter Abälarb, 18 


Wenn nun aber, fährt Abälard fort, die göttliche Barm⸗ 
herzigkeit für fich ſchon den Menſchen vom Teufel befreien 
fonnte, ‘welche Nothwendigfeit, welcher vernünftige Grund 
war dazu vorhanden, Daß der Sohn Gottes Menfch wurde, 
ütt und farb? Wie kann der Apoftel fagen, daß wir durch 
den Tod bes Sohns gerechtfertigt und mit Gott verfühnt 
werben find, ba doch die durch die Kreuzigung des Sohns 

begangene Sünde noch größer ift, als der Ungehorfam ber 
Ren Sünde, und daher auch den Zorn Gottes gegen bie 
Menihen- erhöhen muß? Iſt die Sünde Adams fo groß, 
dab fie mur Durch den Tod Chrifti verfühnt werden Tann, 
welche Berföhnung gibt es für den an Chriftus begangenen 
Mord? Gefiel Gott dem Vater der Tod des unfchuldigen 
Sohns fofehr, daß er fi) dadurch mit uns, beren Sümbden 
die Urfache der Ermordung des unfchuldigen Herrn find, 
ansföhnte? Mußte Die größere Sünde gefchehen, damit Gott 
die kleinere verzeihen Fonnte? Wem anders tft das Löfegeld 
des Blutes gegeben, als dem, in defien Gewalt wir waren, 
. dio Gott, der und dem Peiniger überließ? Wie kann Gott 
ſelbſt das Löfegeld zur Freilaffung der Gefangenen gefordert 
haben? Wie grauſam und ungerecht feheint es zu feyn, Das 
Hut eined Unſchuldigen als Löfegeld zu verlangen? 
Die Löfung aller biefer, das Hauptproblem nad) ver- 
ſchiedenen Beziehungen auffaffenden, Fragen findet Abälard 
ht, wie Anfelm, in dem metaphufiichen Verhältniß der un- 
adlichen Schuld und des unendlichen Aequivalents, fondern 
in dem pſychologiſch⸗ moraliſchen Moment der Liebe. Die 
eigenihuͤmliche Gnade, welche und Gott dadurch bewies, daß 
kin Sohn unfere Natur annahm, und bis zum Tode nidht 
aufhörte, und durch fein Wort und fein Beifpiel zu belehren, 


yo 


tur. Qut ergo tantam eshibult homini grallam, ut 
eum sibi uniret in personam, non posset minorem im- 
pendere, dimittendo scilicet ei peccata? 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. 13 


. 


198 | 1. Ber. U, Abſchu 2. Rap. 


muß eine Liebe in und weden, . die alles überwindet, und 
und nicht blos von der Knechtſchaft der Sünde befreit, fon 
dern auch Die wahre Freiheit der Kinder Gottes erwirbt. In 
diefer durch Das, Leiden Chrifti in uns geweckten Liebe beſtehl 
die erlöfenbe und verjöhnende Kraft defielben 4) 





1) A. a. O. S. 553.: Nobis autem videtur, quod tn hoe 
Justificati sumus in sanguine Christi, et Deo recondilis- 
ti, quod per hanc singularem gratiam nobis exhibitam, 
quod fillus suus nostram susceperit naturam, et in ti 
nos tam verbo quam exemplo instituendo usque ad man 
tem perstitit, nos sibi amplius per amorem astrixit, u 
tanto divinae gratiae accensi beneficio, nil jam toleran 
propter ipsum vera reformidet caritas. Quod quidem 
benefictum antiquos patres, etiam hoc per fidem easpe- 
:tantes, in summum amorem Det tanguam homines tem- 
ports gratiae non dubitamus accendisse, eum vertptu⸗ 
sit: Et qui praeibant, et qui sequebanter, 
clamabant dicentes: Osanna ftilio David du 
Justior quoque, i.e. amplius Dominum diligens gui 
que fit post passionem Christi, quam ante, quia a» 
plius in amorem accendit completum benefictum, quem. 
speratum. Redemtio itaque nostra est illa summa in 
nobis per passionem Christi dilectio, quae nos (leg. nem) 
solum a servitute peccati liberat, sed veram nobis filo- 
rum Det libertatem acquirit, ut amore ejus potius quan 
timore cuncta impleamus, qui nobis tantam echibil 
gratiam, qua major inventri, inso attestante, non pel- 
est. Dafür beruft er fich auf die Stellen Joh. 15, 13. Eur. 
12, 49. Ad hanc itaque veram caritatis libertatem in 
hominibus propagandam se venisse testatur. Röm.5,5.% 
Diefelbe Anficht fpricht Abälard in mehreren Etellen ſeines 
Commentars aus, Zu 4, 24. bemerft er: Duobus modia 
propter delicta nostra mortuus dicitur (Christus), tusa 
quia nos deliquimus, propter quod ille moreretur, et pec- 
catum commistmus, cujus ille .poenam sustinuit (di 
durch die Kreuzigung Chriſti begangene Sünde ber Wem 


‘. Beter Abälard. . 1% 


So ftehen demnach die beiden Repräfentanten der, in 
Ihrer erſten Periode in ihrer Fühnften Jugendkraft fich ent» 
widelnden, Scholaftil, Anjelm und Abälard, in ber Lehre 
von der Erloͤſung und Berföhnung fich gerade ‚gegenüber. 
Der Eine findet den Iezten, Grund berfelben in der, für bie 
unendliche Schuld der Sünde ein unendliche Aequivalent 
verlangenden, göttlichen Gerechtigkeit, alfo in einer im Weſen 
Gottes begründeten Rothwendigfeit, der Anbere nur in der 
“ freien Gnade Gottes, die durch die Liebe, die fie in ben 

Nenſchen entzündet, die Sünde und mit ber Sünde auch 
W Schuld der Sünde tilgt. Da bie Liebe nicht entftehen 
km, ohne den Glauben und mit dem Glauben auch bie 
Beue zu ihrer VBorausfezung zu haben, fo iſt e8 eigentlich ‚die 
Re, um welcher willen Gott die Sünde oder Schuld ber 
Sande erläßt und mit dem Menfchen fich verföhnt, und bie 
Berföhnung des Menfchen mit Gott iſt daher nur fubjectiv, 
nicht objectiv, bedingt 9. Demungeadhtet hat auch Abälarb 


Anı.ıE Bazle ich Miele 





fchen), tum etlam ut peccata nostra morlendo tolleret, 
. ©. poenam peccalorum introducens, nos in paradi- 
sum pretio suae mortis auferret, eo per eshibitionem 
tantae graliae animos nostros a voluntate peocandi re- 
traheret, et in summam suam dilectionem intenderet. 
Del. zu 5, 8.: Et vere magnum hoc et salutarium fuit, 
Deum scilicet pro impiis mort, quia vis pro homine 
ipse homo mort sustinet. Diat via, ew toto negavi; 
quia fortasse, etst rarissime, potest reperirl, qui pro 
amore boni hominis, i. e. just! mortuntur. — Christus au- 
tem non solum ausus mort, sed el mortuus est, pro pec- 
catoribus.— Multo facilius, sive libentius, vel probabilius 

| nunc respiciet nos ad salvationem jam justificatos in 
sanguine suo i.e. jam per dilectionem, quam in eo habe- 
mus, ex hac summa gratia, quam nobis eshibuit. 

9 Remittitur iniquitas, bemerkt Abälard ©. 558. zu Roͤm. 
4, 6., quando poena ejus condonatur per graliam, quae 
exigt poterät per justitiam. — Remittuntur quidem pec- 

13% 


‚1% 1. Ber. 1L.Abfchn. 2. Say. 


nicht unterlaffen,, die Erlöfung und Berföhnung aud). wieder 
unter den Gefichtöpunct der Gerechtigkeit zu flellen. Die Ge⸗ 
rechtigkeit Chrifti ergänzt, was der Menſch wegen feiner Sünde 
nicht zu leiften vermag. Ald Menſch fteht der Sohn Gotied 
unter dem allgemeinen Geſez, das ben NRächften zu lieben ge 
bietet, wie fich ſelbſft. Vermoͤge diefes Gebotes betet er zum 
Pater für uns und befondersd für die, die ihn lieben, und 
vermöge feiner Gerechtigkeit kann feine Yürbitte, da er nichts 
will oder thut, ald was er wollen und thun fol, nicht un 
erhört bleiben. Durch diefe Yürbitte erlöst er die, Die unter 
dem Geſeze flunden, aber durch das Geſez nicht felig werden 
fonuten, und ergänzt durch fein Verdienſt, wozu unfer Ber 
dienft nicht zureicht. Dadurch erweist fich feine Heiligfeit in 
ihrer eigenthümlichen Größe, daß fie nicht bloß zu feiner, 
fondern auch zu Anderer Beſeligung zureiht %). Wbälarb 


cata per poenitentiae gemitum, de quo dieitur: Quæ- 
cunque hora peccator ingemuertit. Quia priu- 
quam ei vere displicet iniquitas, et omnis mala eju 
voluntas abscedit: jam ita est Deo peccator reconeilia- 
tus, ut a gehennae poenis sit liberatus, nec unguam ge- 
hennam incurrat, st in hoc gemitu. moreretur , paratu: 
ad omnem, quam posset, salisfactionem. Tune auten 
tecta sunt peccala, quando in hoc seculo satisfactio 
ssequitur. @uae quidem satisfactio et purgatorias extin- 
quit seculi alterlus poenas, cum prius poenitentia pos- 
nas deleverit damnatorias et gehennales. Tunc ergo te- 
ta sunt ante oculos judicis peccata, quando nec pro ds 
nihil videt, quod puniat. Eine satisfactia ik demnach 
zwar auch nach Abälard nothwendig, aber diefe sutisfacte 
iſt wefentlich verfchieden von dem Anfelm’fchen Begriff der 
satisfactio, daher if fie auch Feine abfolut nothwendige, 
indem der Menſch an ſich ſchon durch die Reue auch ohne 
die nachfolgende satisfactio mit Gott verfähnt iſt. 
1) Sed et hoc, fo lautet diefe zur richtigen und, vollkändigen 
Auffaſſung der Abaͤlard'ſchen Lehre nicht zu überfehende 


Beter Abälard. 197° 


HL auf dieſe Weife bie göttliche Gerechtigkeit mit ber göttli- 
en Gunade und Barmberzigfeit ausgleichen, allein die Ge⸗ 
tigkeit bleibt auch fo in einem: fehr untergeordneten Ber- 
itniß zur Gnade, da die Meinung Abälard’s nicht dahin 
ht, Chriſtus habe ber göttlichen Gerechtigkeit dadurch ge- 
nggeihan, daß er an der Stelle der Menichen das göttliche 
jeſez erfüllte, und fein Verdienſt auf die Menfchen überger 
Stelle ©. 590., ni. fallor, contuendo nobds Apostolus reli- 
guit (Röm. 5, 12.f.), Deum in incarnatione filii sul Id 
quoque sibi machinatum fuisse, ut non solum misericor- 
dia, verum et justitia per eum subveniret peccantibus, 
. et ipsius justitis suppleretur, quod delictis nostris prae- 
pediebatur. Cum enim fillum suum Deus hominem fe- 
cerit, eum profecto sub lege constjtuit, quam jam com- 
munem omnibus dederat hominibus. Oportuit itaque ho- 
minem illum es» praecepto divino posimum tanquam se 
diligere, et in nobis cariiatis suae grallam ewercere, 
tum instruendo, tum pro nobis orando. Praecepto ita- 
que divino et pro nobis, et mazime pro dilectione el ad- 
haerentibus orare cogebatur, sicut in evangelio Palrem 
saepissime interpellat pro suls. Summa vero justitia 
ejus exigebat, ut in nullo ejus oratio repulsam sustine- 
ret, quem nihil, nisi quod oportebat, velle vel facere uni- 
ta ei divinitas permittebat. Nun folgen die Stellen Gal. 
4,4. Ebr. 5,7. Homo itaque factus lege ipso dilectio- 
nis proximi constringitur, ut eos, qui sub lege erant, 
nec per legem poterant salvari, redimeret, et quod in 
nostris non erat merltis, ex suls suppleret, et sicut san- 
eittate singularis estitit, singularis fieret utilitate in 
aliorum etiam salute. Alioquin quid magnum sanctilas 
ejus promeretur, si suae tantum salvation! non alienar 
sufficeret? Nunquid Adam obediendo se ipsum salasset, 
quod unusquisque etiam sanctorum per gratiam Dei ob- 
ünet? Multo plus aliquid in illo stngulari justo divina 
gratia operart debuit. Non sunt etiam copiosae poten- 

: Üs divitiae, quae alios ditarse non sufficiunt. 


—X 


18 | L. Per. IL Abſchn. 2. Rap. 


sagen wurde, ſondern feine Behauptung iſt nur, Chriſtus 
fey, vermöge feiner moralifchen Vollkommenheit, in einem 
folhen BVerhältniß zur Gerechtigkeit Gottes geftanben, daß 
alles, was er von Gott erbat, auch einen Innern Rechtsan⸗ 
ſpruch auf die Gewährung hatte. Das Vermittelnde ber 
Erlöfung und Berföhnung ift die Kürbitte Chriſti, biefe Fuͤr⸗ 
bitte wäre ohne Kraft und Erfolg gewefen, wenn Chriftus 
nicht der abfolut Gerechte, der dem Geſeze Gottes vollfom- 
men Entiprechende geweien wäre. Dieß kann aber nur fo 
verftanden werben, baß, wenn auch Die Sündenvergebung 

und die Verföhnung des Menfchen mit Gott nur ein freie 
Act der göttlichen Gnade feyn Tann, fie Doch zugleich auf 
eine Weiſe vermittelt werden muß, bei welcher bie Angemeſ⸗ 
fenheit des menfchlichen Verhaltens zur Heifigfeit und Geredh⸗ 
tigfeit Gottes, als abfolute Forderung, fih geltend macht, 

d. b. fie kann’ nur durch einen gottmenfchlichen Erlöfer ver, 
mittelt werden, in welchem ſich die dem göttlichen Gefez an 
gemeflene abfolute Heiligkeit und Gerechtigfeit darſtellt. Hätte 
alfo Gott nicht in Einem wenigftend, dem für diefen: Zwed 
menfchgeworbenen Sohn, die abjolute Erfüllung des Geſezes 
angefchaut, fo wäre ein dem Werfe ber Grlöfung entgegen 
ftehendes Misverhältniß ber göttlichen Gerechtigkeit zur goͤtt⸗ 
lichen Gnade geweſen. Hiemit wäre das auf die Idee ber 
göttlichen Gerechtigkeit fich beziehende Moment. der Erlöfung 
und Verföhnung fehr beftimmt anerfannt, allein Abälard ſelbſt 
hat ed doch mehr nur angedeutet, als näher entwickelt, und ed 
kann daher aud in bem ganzen Zufammenhang feiner Thee- 
rie nur in einer untergeordneten Beziehung zu jenem andern 
Moment ftehen, welches das Hauptgewicht auf die Liebe legt, 
welche, wie fie allein durch Chriftus, als Erlöfer, gewelt 
werden kann, fo auch allein dem Menfchen die ihn für bie Sün- 
benvergebung empfänglich machende fittliche Difpofition gibt '). 


1) Sanz unrichtig hat F. Ch. Schloffer: Abälaed und Dulein. 


Peter Abälard. 18 
Wie an mehreren andern Lehren bed Firchlichen Syſtems, 


> ftellt fi und auch an ber Lehre von der Grlöfung der 


. Gotha 1807. ©. 171. die Abaͤlard'ſche Lehre von der Ei» 


[dfung aufgefaßt. Schon dieß IR unrichtig‘, daß Abaͤlard 
nurnoch der Lehre des Apoſtels Paulus die An» 
eignung des Verdienſtes Chriſti, als die Bedingung, unter 


‚welcher die Gnade dem abgefallenen Menfchen verfprochen 


% 


werde, betrachtet wilfen wolle. In der That laffe fich, wird 
weiter behauptet, die Lehre des Apoftels mit Wbälards Sy⸗ 
ſtem nicht vereinigen, und es laſſe fich Eeine in fein Syſtem 
paflende Antwort auf die Zweifel gegen die Satisfactions⸗ 
lehre geben. Seine Beantwortung der Frage, wie der Tod 
Jeſu die Bedingung der Begnadigung des Sünders fey, fey 
Daher auch natürlich durchaus nicht gemacht, um jene Lehre 
Pauli zu rechtfertigen, fondern zeige fich leicht als gezwun⸗ 
gen, wie die von Abälard anfgeworfenen Zweifel bemweifen. 
Auf alle diefe Einwürfe antworte Abälard durchaus nichts, 
und laffe alfo unbeſtimmt, ob er darauf antworten koͤnne, 
oder ob er die Einwürfe für unaufldslich halte, und fie nur, 
um den Vorwurf der Kegerei zu entgehen, als Fragen elle. 
Das letztere fcheine das mwahrfcheinlichkie, weil feine Lehre 
. von dem Zwed Jeſu auf Erden fih mit einer Satisfaetions⸗ 
Ichre nicht vertrage. Mit welchem Recht nimmt aber Schlof- 
fer an, daß die paulinifche Xehre vom Tode Jeſu eine Sa- 
tisfactiondlehre, wie die Anfelm’fche, IR? Die obige Ent: 
widlung zeigt Mar, wie alle von Abälard aufgeworfenen 
ragen, die Feineswegs als Einwürfe gegen eine fchon gel: 
tende Satisfactionslehre zu nehmen find, durch feine Erlös 
fungstheorie von felbfi geldst find. Nur wenn man von der 
paulinifchen Lehre felbf eine unrichtige Vorftellung hat, kann 
man die Abälard’fche in fo großem Widerfpruch mit ihr fin 
den. Wenn aber doch, wie Echloffer felbft fagt ©. 174., 
nach Abälard Erweckung von Liebe und Hoffnung der einzis 
ge Zweck des Todes Jeſu, und diefer Tod die einzige Bes 
dingung zur Seligkeit war, meil ohne diefe Sefinnung kei: 
ne Tugend gedacht werden kann, fondern jede Tugend nur 
Klugheit iſt, fo fehlt, um dieß als vaulinifch anerkennen zu 


200 1. Ber. II. Abichn. 2. Kay. 


Conflikt dar, in weldyen das als neuerungsfüchtiger Ratio- 
nalismus ericheinende dialektifchsfpefulative Streben eines Abaͤ⸗ 
lard mit der traditionellen kirchlichen Orthoborie kam, wie dies 
felbe insbefondere durdy Bernhard von Clairvaur, den be 
kannten Gegner Abälards, repräfentirt wurde. Inter den Irr- 
lehren, wegen welcher Bernhard als Anfläger Abaͤlards an 
den Papft fich wandte %), war eine der wichtigereit- Die Be⸗ 
hauptung Abälards, daß der Teufel feine Gewalt über den 
Menſchen und Fein Recht auf ihn gehabt habe. Es fchien 
ihm dieß eine höchſt gefährliche Abweichung von Der herge 
brachten Lehre zu feyn, über welche doch, wie Abälard feihk 
anerkennen müfle, alle früheren Lehrer ganz einftimmig feyen, 
und er konnte es fich nicht anders denken, ald daß das Werk 
ber Erlöfung alle Realität verlieren müfje, wenn man nidt 
in demfelben die Ueberwindung einer ben Menfchen äufſerlich 
gefangen haltenden feindlichen Gewalt vorausfehe 2). Aber 


müffen, nur der Glaube. Den Glauben aber hat Abälard 
keineswegs ausgefchloffen. Ex fide, fagt Abälard zu Röm. 
5, 22. quam de Christo habemus, caritas in nobis est 
propagata, quia per hoc, quod tenemus, Deum in Chri- 
sto nostram naturam stbi unisse, et in ipso patiendo 
summam illam caritatem nobis exhibulsse, de qua ipse 
ait: majorem hac dilectionem nemo habet, 
tam Ipst, quam proximo propter ipsum Insolubili amo- 
ris nevu cohaeremus — justitiä, dico, habitä supra om- 
nes fideles, t.e. in superiort eorum parte, i. e. antma, ubl 
tantum dilectio esse potest, non exhibitione operum exte- 
rlorum. Man vgl. auch Veander: Der heil. Bernhard und 
fein Zeitalter 1813. ©. 148. f. wo jedoch die Lehre Abälards 
über die Erlöfung gleichfalls nicht genau dargeſtellt if. 

1) Vgl. Epist. CXC., seu tractatus contra quaedam capi- 
tula errorum Abaelardi äd Innocentium II. Pontificem 
(vom J. 1140). In der Mabillon’fchen Ausgabe der Werke 
Bernhards Paris 1719. Vol. J. ©. 650. f. 

2) C.5.: Mysterium nostrae redemtionts sicut in libro quo- 


“ 


ur 


Bernhard von Clairvaux. U 


auch Bernhard wagte e8 nicht, die Gewalt, welche der Teu⸗ 
fel über den Menſchen ausübte, eine ſchlechthin gerechte zu 
nennen, ba dem Teufel Fein gerechter Wille beigelegt werben 
Eönne, ſoweit fie gerecht war, fey fie es daher, behauptete 
er, nur durch Die Zulaffung Gottes gewefen. Die Erlöfung 
bes Menfchen ſey ein Werk der göttlichen Barmherzigkeit, 
aber auch die. göttliche Gerechtigkeit habe fich darin geoffen- 
bart, indem auch dieß als ein Beweis der göttlichen Batm⸗ 
berzigfeit anzufehen fey, daß Gott den Teufel mehr nad) ſei⸗ 
ner Gerechtigkeit, als nach feiner Macht behandelt habe. Der 
Menſch für fih, ald Sklave der Sünde, babe nichts. thun 
können, bie verlorene &erechtigfeit wieder zu gewinnen, deß⸗ 


wegen ſey ihm, da er felbft Feine Gerechtigkeit hatte, eine 


. dam sententiarum Ipstus (man vgl. über diefe Schrift Giefeler 
in den theol. Stud. u. Krit. 1837. ©. 366. f.) et dtem In qua- 
dam ejus expositioneepistolae ad Romanos legi, temerarius 
serutator majestatis, aggrediens in ipso statim suae dispu- 

‘ tationis exordio, ecclesiasticorum doctorum unam omnium 
de hac.re dicit esse sententiam et ipsam ponit ac spernit, 
et gloriatur se habere meliorem, non veritus contra prae- 
ceptum‘ Sapientis transgredi terminos antiquos, quos 
posuerunt Patres nostri. — Sclendum est, ait, quod om- 
nes doctores nostri "Post Apostolos in hoc conveniunt, 
quod diabolus etc. sed ut nobis videtur, ait, nec diabolus 
unquam etc. — Quid in his verbis Intolerabilius judicem, 
blasphemiam an arrogantiam? quid damnabilius teme- 
ritatem an impietatem? An non justius os loquens talia 
fustibus tunderetur, guam rationibus refelleretur ? — Om- 
nes, inquit, sic, sed non ego sic. Quid ergo tu? — Die 
tamen, dic quidquid tllud est, quod tibt videtur, et nulli 
alteri. An quod filius Dei non, ut hominem liberaret, 
hominem induit? — Quod minime negares et tu, si nom 
esses sub manu intmict. Non potes gratias agere cun 
redemtis, si redemtus non es. Nam si redemtus esses, 

redemtorem agnosceres, et non negares redemtionem. 
Nec quaerit redimi, qui se nescit captivum. _ 


ad: 


200 1. Ber. Ir 2. Rap. 


lard mit d F ER befonderö hervor, daß CHriftus 
jelbe ine a 2 vouder genug gethan habe *). & 
Eannter —— — 


lehrer Zr 
den an Aubolum non solum potestalem, sed et ju- 
be — —— hominem, ut consequenter et hoc vi- 
ln utique in carne Dei fillum propter liberan- 
An Ceterum etsi justam dicimus diaboll pe- 
non tamen et voluntatem. Unde non diabolns, 
* non homo, qui meruit, sed justus dominu, 
* Aposuit. Non enim a potestate sed a voluntate ju- 
zus injustusve quis dicitur. Hoc ergo diaboli quoddam 
pP Me ominem Jus, etst non jure acquiſsttum, sed nequiter 
usurpalum, juste tamen permissum. Sic itaque homo ju- 
ste captivus tenebatur, ut tamen nec in homine nec fa 
diabolo illa esset justitia, sed in Deo. Juste igitur ho- 
mo addictus, sed miserlcorditer Üiberatus, sic tamen mi- 
sericorditer, ut non defuerlt justitia quaedam et In tp- 
sa liberatione, quoniam hoc quoque fuit de misericor- 
dia liberantis, ut (quod congruebat remedits liberandi) 
Justitia magts contra Invasorem, quam potentia utere- 
tur. Quid namque ex se agere poterat, ut semel amls- 
sam justitiam recuperaret, homo servus peccatt, vinctus 
diaboli? Assignata est ei proinde allena, qui caruit 
sua, et tpsa sic est. Venit princeps hujus mundt, et in 
salvatore non invenit quicquam, et cum nihilo minus in- 
nocenti manus Injecit, justissime, quos tenebat, amisit, 
quando is, qui morti nthil debebat, accepta mortis in- 
Jurta, jure illum, qui obnozius erat, et mortis debito, 
et diaboli solvit dominio. Qua enim justitia Id secundo 
homo exigeretur? Homo siquidem, qui debutt, homo 
qui solvit. Nam si unus, inquit (2Kor. 5, 14.) pro om- 
ntbus mortuus est, ergo omnes mortut sunt, ul 
videlicet satisfactio unius omnibus imputetur, sicut om- 
nium peccata unus ille portavit, nec alter Jam Invenla- 
tur, qui forefecit (i. e. peccavit), alter, qui satisfecit, quia 


Bernhard von Claitvaux 203 


ſehr aber Bernharb Hierin, was die Gewalt des Teufels be 
trifft, eine BVorftelung feftzuhalten fuchte, über welche das 
Bewußtſeyn der Zeit nicht blos in einem Abälarb, fondern 
auch in in einem Anfelm binausgehen anfing, fo beadhteng- 
werth ift auf der andern Seite, wie er auf den nothwendi⸗ 
gen Zufammenhang hinwies, in welcher die Lehre von ber 
Stlöfung mit der Lehre von ber Sünde fiehe.. Se leichter 
man. das Werk der Erlöfung gefcheben läßt, je weniger da⸗ 
der auch das Hauptmoment In die genugthuende Bedeutung 
des Todes gelegt wird, defto geringer it auch die Vorftellung 
von dem Zuftande der Sündhaftigfeit, aus welchem die Men- 
Seien erlöst werden follen. In der Anfelm’fchen Theorie fteht 
die obfective Unendlichkeit der Schulb in bem angemeffenen 
Berhältniß zu der objectiven Unendlichkeit ber Genugthuung. 
Wbälard dagegen Fonnte die Sündenvergebung auch deßwe⸗ 
ga um fo mehr ald einen Aft der freien Gnade Gottes be- 
achten, weil er, ohne eine Erbfünde anzuerfennen, den Be⸗ 
griff der Sünde nur auf die actuelle Sünde beichränfte.e Wie 
nahe lag dann aber auch, das ganze MWerf der Erlöfung 
darch Chriftus nur auf den pelagtanifchen Begriff ber Gnade 
wrüdzuführen? Dieß iſt es, was Bernhard in der Lehre 
: Wälaxds fhon deßwegen vorausfeßen zu müflen glaubte, 
Beil er neben ber in dem Tode Chrifti fich erweifenden Wiebe 
beſonders auch feine Lehre und. fein Beifpiel hervorhob. Da 
“enun auf der einen Seite weder dem pelagianifchen Begriff . 
Wälards von der Sünde beiftimmen Eonnte, noch auf der 
. bern, wie ed fcheint, den Anfelm’jchen von Der mit der 
Eande verbundenen objectiven Unendlichkeit der Schuld ihm 
. lgegenzufegen wagte, jo war ed für ihn Bebürfniß, ber 
Nacht, welche die Suͤnde über den Menfchen ausübt, durch) 
‚De Idee des den Menſchen gefangen haltenden Teufeld ein 





| caput et corpus unus est Christus. Satisfecilt ergo ca- 
put pro membris, Christus pro visceribus suis. 


x 


DM L. Ber. U. Abſchn. 2 Kap. 


befondered Gewicht zu geben. So behauptete biefe Borftel- 
dung, als mythiſches Bild von der Macht der Sünde, und 
‚der Unfähigkeit des Menſchen fich jelbft zu erlöfen, obgleich 
zwiſchen Bild und Sache noch nicht unterfchteden wurde, noch 
immer ihre Bedeutung für das religiöfe Bewußtſeyn N. 


1) A. a. D. c. 8. und 9.: Salus — non sicut Iste sa- 
pit et scribit, sola carltatis ostensio. Sic entm comck- 
dit tot calumnlas et Invecliones suas, quas in Deum tam 
impie quam Imperite evomult, ut dicat: Totum esse, ud 
Deus in carne apparuit, nostram de verbo et exemple 
ipstus insſtitutionem, sive, ut postmodum dieit, insirue- 
tionem, totum, quod passus et mortuus est, suae erge 
nos caritatis ostensionem vel commendalionem. Ceterum 
quid prodest, quod nos instituit, si non restitult? Au ; 
numgquid frustra instrulmur, si non prius destruater 
in nobis corpus peccatt, ut ultra non servlamus peccalo! 
St omne, quod'profuit Christus, in sola fuit ostensione - 

virtutum, restat, ut dicatur, quod Adam quoque ex sol 
peccati ostensione nocuerit, st quidem pro qualitate wl- 
: neris allata est medicina. — Si vita, quam dat Chri- 
stus, non est alia, gquaminstitutioejus, necmors ulique quam 
dedit Adam, aliaertt similiter, quam institutio ejus, ut üle 
guidem ad peccatum exemplo suo, hic vero exemplo et verio 
ad bene vivendum, et se diligendum homines informarent. 
Aut si christianae fidei et non haeresi Pelagianae arc- 
quiescentes generatione, non institullone , traductum in 
nos confitemur Adae peccatum, et per peccatum mor- 
tem, fateamur necesse est, et a Christo nobis non in- 
stitutione, sed regeneratione restitutam justitiam el per 
justitiam vitam. — Et st ita est, quomodo is dicit: 
consilium et causam incarnaltionis fuisse, ut mundum 
luce suae sapientiae Ülluminaret, et ad amorem sum 
accenderet? (Diefe legtern Worte finden fich in der ge 
nannten Schrift Abälards wenigſtens nicht wörtlich.) U 
ergo redemptio? A Christo nempe, ut faterl dignatur, 
illuminalio et provocatio ad amorem, redemptio et libe- 
ratio a quo? — Et quidem tria quaedam praecipua in 


Robert Bulleyn 205 


Gleichwohl fihloß fich ‘gerade der von Bernhard von 
lairvaur wegen ber Reinheit feiner Lehre gerühmte Robert 
slfeyn-*) ‘ganz an bie Polemik Abälard’s gegen diefe Vor⸗ 
Hung an. Der Erlöfer babe, lehrte Pulleyn, leiden wol« 
n, theils weil folched unferer Erlöfung wegen nothwendig 
ar, ob er und .gleich auch auf eine andere Weife hätte er⸗ 
fen konnen, theild um uns ein Beifpiel zu geben, wie wir 
e Leiden dieſes Lebens mit Standhaftigfeit und Gebuld ers 
agen follen, damit wir und nicht fürchten, um unſers Heild- 
Uen alles das zu erbulden, was er für andere und zu ih⸗ 
um Beten erduldet hatte. Gin Löfegeld habe Chriftus für 





Hoc opere nostrae salutis intueor: formam humilitatis, 
is qua Deus "semetipsum exinanivit: caritatis mensu- 
ram, quam usque ad mortem et mortem carnis exten- 
‚ Mit, redemptionis sacramentum, quo ipsam mortem, 
.. gsam pertulit, sustinult. Horum duo priora sine ulti- 
mo sic sunt, ac si super inane pingas. Webrigens be» 
kannte Abälard;, wie er ja auch fchon nach dem Dbigen die 
von dem Teufel auf den Menichen ausgeübte Gewalt nichs 
ſchlechthin Läugnete, in der Apologia oder Confessio, durch 
welche er fich gegen feine Ankläger rechtfertigte (Opp. ©. 330.): 
solum fillum Det incarnatum profiteor, ut nos a servi- 
tute peccati et a jugo Niaboli liberaret, et supernae adi- 
tum vitae morte sua nobis Teseraret. 


1) In den Sententiarum libri VIII. Vgl. den Auszug Era⸗ 
mers in der Sortfegung der Boffuet’fchen Einleitung in bie 
Gelch. der Welt und der Rel. Th. Vi. ©. 490.f. Quld 
peccavi, fchreibt Bernhard Ep. 205. im J. 1141. an ben 
Bifchof von Nochefier, sd monul, Magistrum Robertum 
Pullum aliquantum tempus facere Paristus, ob sanam 
doctrinam,. quae apud illum esse dignoscitur. Welche 
Rolle übrigens auch Robert den Teufel in dem Werke der 

" Erlöfung fpielen ließ, beweist die eigene Vorftellung, ber 
Zraum der Gattinn des Pilatus fey ein Verfuch des Teu⸗ 
feld gewelen, das Leiden und den Tod Jeſu zu verhindern. 


26 L Ber 2: Abſchn. 2. Rap. 


uns, die wir vom Satan gefangen gehalten wurden, zwar 
bezahlt, aber nicht, wie von einigen ältern Lehrern geträumt 
worden fen, und noch von einigen geträumt werde, dem Teu⸗ 
fel, damit er gleichfam Tein Recht hätte, fich zu beklagen, daß 
ihm feine Gefangenen widerrechtlich entriffen worden ſeyen, 
denn er babe Fein Recht gehabt, uns in jeiner tyrannifchen 
Gewalt zu halten. Dieß habe Ehriftus nicht thun Tönnen, 
weil er Bott war. Die Bezahlung eines folchen Löſegelds 


. an ben Teufel, welcher dafielbe. nicht angenommen haben win 


de, würde eine Abgötterel geweſen feyn. Hieraus folgete 
Pulleyn, wie früher Gregor von Nazianz, daß Chriftus nur 
Gott ein Löfegeld für und bezahlt, und ihm fein Opfer bar 
gebracht habe, wofür er dann, ‚wegen bes göttlichen Wohl 
gefallens an demfelben bie Menfchen aus ihrer Gefangenicaft | 
erlöst, und ihren Widerfacher, ben Teufel, gebemüthigt habe. 

Abälard bildet, wie auch die Bolemif Bernhards zeigt, 
unter den oben genannten drei Scholaftifern, den unmittel⸗ 
barften Gegenfag gegen Anfelm. Beide repräfentiren überhaupt 
aud) in der Lehre von der Erlöfung und Verföhnung Anfld 
ten, beren Gegenſatz fich durch bie ganze Entwidlung de; 
chriſtlichen Dogma's hindurchzieht. Hugo von St. Bider 
und Beter der Lombarde ftehen zwar mit Abälard aufbe 
Anfelm entgegengefehten Seite, fie neigen fich aber Doch zus 
gleich wieder zu der von Abälard beftrittenen Lehrweiſe hin, 
fo daß fie überhaupt zwifchen Anfelm und Abälarb vermit- 
telnd ftehen. 

Am meiften fällt dieß bei Hugo von St. Victor in bie 
Augen, in deſſen Darftellung ber Lehre von der Grlöfung 
fi. drei verfchiedene Elemente unterfcheiden laſſen. Er zieht 
mit Bernhard und den Altern Sirchenlehrern vor allem bad 
Verhältniß in Betracht, in welchem die Erlöfung zum Teufel 
fteht. Der Teufel, fagt er, hatte Gott beleidigt, weil, er ben 
Menfchen, feinen Knecht, verführte, der Menſch Gott, weil 
er fich verführen ließ, der Teufel den Menfchen, weil er ihn 


} 


! 
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Hugo von St. Bictorn 207 


täufihte. Der Teufel hält den Menfchen in feiner Gewalt, 


in Beziehung auf Bott mit Unrecht, in Beziehung auf ben 
Menfchen, theils. mit Recht, weil diefer fich nicht nothwen⸗ 
big verführen laffen mußte, theild mit Unrecht, weil ber Teus 
fel ihn Hinterging. Hier greift nun aber ſchon die Anſelm⸗ 
ſche Satisfactionstheorie ein. Da nämlih der Menſch aus 
der Gewalt des Teufels fich felbft nicht befreien konnte, fo 
mußte Sott fich feiner annehmen, gleichſam als patronus 
feine Sache gegen ben Zeufel führen. Gott war aber auf 
den Menfchen felbft erzärnt, mußte folglich erft verfühnt wer⸗ 
den. Dieß Tonnte nur dadurch gefchehen, daß ber Menſch 
Bott als Schadenerfag für den Abfall eine vollfommene Ges 
rechtigkeit darbrachte, und als Genugthuung für die ihn be= 
wieſene Berachtung eine derfelben adäquate Strafe litt. Bei⸗ 
des Tonnte wiederum ber Menſch in feinem Unvermögen und 
in feiner unendlichen Verſchuldung nicht ſelbſt. Gott mußte 


.& alfo thun, nnd ba es doch immer nur vom Menfchen 


ausgehen fonnte, fo mußte Gott felbft Menfch werden. So 
iM denn in der Geburt Chrifti der vollfommen gerechte Menſch, 
von Gott felbft der Menfchheit aus Gnaden gefchenft, Gott 
dargebracht worden, und in feinem Leiden und Tode ihm für 
die Schuld der Menfchen die adäquate Genugthuung gefches 
ben, und der dadurch verfühnte Gott kann nun erft die Sa- 
he der Menfchen gegen den Teufel führen, ihn aus beffen 
Gewalt befreien wollen %). Die Berüdfichtigung ber Anfelm« 


1) De sacram. c. 4.: Dedit Deus gratis homint, quod ho- 
mo ex debito Deo redderet. Dedit igitur homint' homi- 
nem, quem homo pro homine redderet, qui ut digna re- 
compensatio fieret, priori non solum aequalis, sed ma- 
jor esset, Ut ergo pro homine redderetur homo major 
homine, factus est Deus homo pro homine. — Chri- 
stus ergo nascendo debitum hominis patri solvit, et mo- 
riendo reatum hominis expiavit, ut cum ipse pro homi- 
ne mortem, quam non debebat, sustineret, juste homo 


8 Ber. 1. Abſchn. 2. Kap. 


fchen Theorie . läßt fich Hier nicht verfennen. Bon ber An⸗ 
felm’fchen Seite neigt ſich nun aber Hugo auch wieder zur 
Abälardfchen hinüber. Wir befennen dabei, fagt er, in Wahrs 
beit, daß Gott die Erlöfung des Menichengefchlechts auch 
auf andere Weife hätte bewerfftelligen können, wenn er ges 
wollt hätte, daß aber gerade diefe unferer Schwachheit bie 
angemefienfte war. Gott ward Menſch, nahm für den Men- 
hen die menfchliche Sterblichkeit an, um ihn zur Hoffnung 
feiner Unfterblichfeit zurüdzuführen, fo daß ber Menſch mm 
nicht mehr zweifeln durfte, zur Seligfeit deſſen auffteigen mu 
fönnen, ber zu ihm und zu feiner Unfeligfeit herabgeftiegen 
war, und die durch Gott verklärte Menfchheit ben Menſchen 
ein Beifpiel ihrer einfligen Verklärung wäre, daß fie in 
dem, der gelitten hatte, fähen, was fie ihm: wieder zu erwei⸗ 
fen ſchuldig wären, in dem Berherrlichten aber erwägten, 
was fie von ihm zu hoffen hätten, daß er felbft wäre ber 
Weg im Beifpiel, die Wahrheit in der Verheißung und bad 
Leben in der Belohnung *). 

Wie fhon Hugo von St. Victor der altern Vorſtellung 
treuer blieb, als Anſelm und Abälard, fo ſcheint dieß noch 
mehr bei Peter dem Lombarden der Fall zu feyn, bei wel⸗ 
chem und ja, wie ſchon gezeigt worden tft, fogar die alle 


propter tpsum mortem, quam debebat, evaderet, et jam 
locum calumniandi diabotus non inventret, qula et ipse 
homint dominari nom debuit, et homo liberari digms 
fuit. 

1) A. a. D. Cap. 10.: Vt in Deo humanltas glorificata ei- 
emplum esset glorificatiomis hominibus; ut in eo, yıl 
passus est, videant, quid ei retribuere debeant, in e0 
autem, qui glorificatus est, considerent, quid ab eo de- 
beant exspectare; ut et ipse sit via in exemplo, et ve- 
ritas in promisso, et vita In praemio. — Bgl. A. Lieb: 
ner: Hugo von St. Victor und die theologifchen Michtun: 

gen feiner Zeit. 1832. ©. 417.f. 


Ä 


[ 





Petrus Lombardug. 209 


Scene von ber Ueberliftung des Teufeld wieder begegnet. Wie 
hätte fie auch bei ihm fehlen Eönnen, wenn er Doch als ber 
Bater der Sentenzen die Aufgabe hatte, alle in der Kirche 
geltend gewordenen Lehrmeinungen in feinem Werke zufams« 
menzuftellen? Allein näher betrachtet fteht doch der Lombarbe 
weit mehr auf der Seite Abälards ald Hugo. Es’ gibt un« 
ter den auf Abälard folgenden Scholaftifern faum einen ans 
bern, welcher das pſychologiſch ſittliche Moment des Todes 
Chriſti fo fehr hervorhob, wie Beter der Lombarde. Wie 
Abaͤlard fieht auch er in dem Tode das Unterpfand der höch⸗ 
ſten Liebe Gottes gegen die Sünder, das uns zur Liebe Got⸗ 
te8 erwecken muß. Die rechtfertigende und verföhnende Kraft 
des Todes Chrifti befteht Daher darin, daß er eine Liebe in 
iv und wedt, die uns von der Sünde befreit. Die Liebe 
Gottes felbft aber gegen die Menfchen ift eine völlig freie, 
die zu ihrer Wiederherftellung nicht erft eines genugthuenben 
Altes bedarf, da Gott nie aufhörte, die Menfchen auch als 
Sünder zu lieben. Verſöhner und Mittler ift daher Chris 
Aus, nur fofern er das auf der Seite der Menfchen ftattfin« 
dende Hindernig eines gottgefälligen Verhältniffes hinweg⸗ 
träumt, die Sünde, die den Menfchen zu einem Feind Got⸗ 
8 macht *). Diefes Moment, die Befreiung von ber Suͤn⸗ 





1) Sent. Lib. III. Dist. 19. A.: Nunc ergo quaeramus, quo- 
modo’per mortem tpsius a diabolo et a peccato et a poe- 
na redempti sumus A diabolo ergo et a peccato per 
Christi mortem liberati sumus, quia, ut ait apostolus, 
in sanguine ipsius justificati sumus, et in eo, quod su- 
mus justificati, id est, a peccatis soluti, a diabolo su- 
mus liberati, qui nos vinculis peccatorum tenebat. Sed 
quomodo @ peccatis per ejus mortem soluti sumus? Qula 
per ejus morlem, ut ait apostolus, commendatur nobis 
caritas Dei, id est, apparet esimia et commendabilis 
caritas Dei erga nos in hoc, quod fillum suum tradi- 
dit in mortem pro nobis peccatoribus. Esxhibita autem 


Baur, bie Lehre von der Berfühnung. 14 


7 


210 1. Ber. IL Abſchn. 2. Kap. 


de, ift bei Peter, dem Lombarden, fojehr das Ueberwiegende, 
das man beinahe glauben möchte, ex wolle bad von demſel⸗ 


tantae erga nos dilectionis arrka et nos movemur, ac- 
eendimurgue ad diligendum Deum, qui pro nobis taste 
fecit, et per hoc justificamur , id est, soluti a peccatis, 
Justt effictmur. Mors ergo Christi nos justificat, dum 
"per eam carltas esxcitatur in cordibus nostris. Did- 
mur quoque et aliter per mortem Christi jJustificart, qua 
per fidem mortis ejus a peccatis mundamur. — Si age 
rectae fidel intuttu in illum respicimus, qui pro nes 
pependit in ligno, a vinculis diaboli soldimur, id ei, 
.a peccatis. — F. Reconciliati sumus Deo, ut ait ape-. 
stolus, per mortem Christi. Quod non sic Intelligendum 
est, quasi nos et sic reconciliaverit Christus, ut Inciperd ' 
amare, quos oderat, sicut reconclliatur inimicus intmi- 
co, ut deinde sint amiel, qui ante se oderant, sed jam 
nos diligentt Deo reconciliati sumus. Non enim ex qw 
ei reconciliatt sumus per sanguinem filil, nos coepit di 
gere, sed ante mundum, priusquam nos aliguid ess- 
mus. Quomodo ergo nos diligentt Deo sumus recond- 
Hatt? Propter peccatum cum eo habebamus inimicitia, 
qui habebat erga nos caritatem, etiam cum inimicitia _ 
exercebamus adversus eum, operando iniquitatem. Its 
ergo inimici eramus Deo, sicut justitiae sunt inimica 
peccata, et ideo dimtssis peccatis Tales tnimieitiae fr 
niuntur et reconciliantur justo, quos tpse justificat. Chri- 
stus ergo dicitur mediator eo, quod medius inter Deum 
et: komines ipsos recomclliat Deo. Reconciliat autem, 
dum offendicula hominum tollit ab oculis Dei, id es, 
dum peccatadebet, quibus Deus offendebatur, et nos inimici 
ejus eramus. Warum if aber nur der Sohn der Mittler, 
nicht auch der Vater und Geil? Aeconeiliavit nos tota 
trinitas virtutis usu, sellicet dum peccata delet, sed fi- 
!tus solus impletione obedientiae, in quo patrata sunt 
secundum humanam naluram ea, per quae credentes et imi- 
tantes justificantur. Daher ift Chriſtus Mittler ganz befonders 


Petrus Lombarbue. 211 


mausdrücklich unterſchiedene und vorangeſtellte, bie Be⸗ 
kung vom Teufel, darauf zurüdführen, indem er mit be⸗ 
berem Nachdruck hervorhebt, wir feyen vom Teufel befreit, 
ern wir von der Sünde befreit find, die Bande, mit wel⸗ 
r uns ber Teufel gefangen halte, feyen Die Bande der Sünde, 
riſtus habe als der Stärkere ben Starken in feinem Haufe das 
ch gebunden, daß er unfere Herzen, in welchen er wohn⸗ 
für fih gewann und die Macht der Sünde brach. Die 
acht, die der Teufel über die Menfchen ausübt, ift dem⸗ 
qh nichts anders, als die Macht der Sünde, was und von 
er befreit, befreit und auch von jener, die durch den Tod 
heiſti in unfern Herzen entzündete Liebe 9. Ohne Zweifel 


nach feiner menfchhlichen Natur. G.: Ipse veniens prius In 
se humana sociavit divints, per utriusque nalurae con- 

: Junctionem in una persona. Deinde omnes fideles per 
mortem reconciliavit Deo, dum sanati sunt ab impieta- 
te, quicungue humilitatem Christi credendo dilexerunt, 
et diligendo imitatt sunt. 

DU. a. O. A.: Licet nos tentet (diabolus) post Christi 
mortem,, quibus modts ante tentabat, non tamen vince- 
re potest, stcut ante vincebat. Nam Petrus, qui ante 
Christi mortem voce ancillae territus negavit, post mor- 
tem ante reges el praesides ductus non cessit. Quare? 
Quia fortior, id est, Christus ventens in domum fortis, 
id est, in. corda nostra, ubi diabolus habitabat, alliga- 
sit fortem, id est, a seductione compescuit fidellum, ut 
tenlationem, quae ei adhuc permiittitur, non sequatur 

... seduetie, Itaque in Christi sanguine, qui soleit, quae 

‚nen rapuit, redempti sumus a peocato, et.per hoc a 
diaholo. — Non enim tenebat nos, nisi binculis peccato- 
rum. nostrorum, istae erant catenae captivorum. Venit 
üle, alligavit fortem vinculls passionis suae, Intravit In 
domum ejus, id est, in corda eorum, ubi. ipse habita- 
bat, el vasa ejus, scilicet nos, ertpuit, quae ille imple- 
verat amaritudine sua. Deus autem noster vasa ejus 
eripiens et sua faciens, fudit amaritudinem, et imple- 


14 * 


212 1. Ber. I. Abſchn. 2. Zap. 


darf die im Sinne Peter's nicht fo. genommen werden, wie 
wenn bie. Befreiung von der Macht des Teufeld nur der un⸗ 
eigentliche Ausdrud für die Befreiung von der’ Macht der 
Sünde wäre, bemerfendwerth bleibt aber Doch dabei inmier 
dieß, wie das Aeußere dem Innern untergeorbnet, und in 
der Vorſtellung des Teufels jelbft die Macht der Sünde al 
Hauptmoment feftgehalten wird. Bon ber Befreiung von 
der Macht des Teufeld und der Sünde unterfcheidet Peter 
als drittes Moment die Befreiung. von der Strafe, oder vid⸗ 
mehr von der Schuld %), nad) der richtigen Vorausjehung, 
Daß wenn auch der Menfch nicht mehr, wie bisher fünbigt, 
doch dadurch die Schuld der früher begangenen Sünden ned 
nicht aufgehoben if. Hier hätte nun der Anfelm’fche Sati⸗ 
factionsbegriff feine Stelle finden koͤnnen. Allein die ‚Ihe | 
der. freien Gnade und Liebe Gottes war bei Beter, dem Lom⸗ | 
barden, fo fehr die vorherrfchende, daß er auch in Beziehung ! 
auf die Strafe oder Schuld bei der zwar einfachen, aber auch 
unbeftimmten Vorftellung ftehen blieb, Chriftus habe bie 
Strafe unferer Sünden an feinem Leibe getragen, und durch 3 
feine Strafe am Kreuze bewirkt, daß alle zeitlichen Strafen 
ben Befehrten in der Taufe ganz erlaffen, und nach der Taufe 


vit dulcedine, per mortem suam a peccatis redimens, d 
adoptionem gloriae fillorum largiens. 

4) A.: Ita a diabolo liberamur, ut nec post hane vitam in | 
nobis inveniat, quod puniat. Morte quippe sua uno ve- 
rissimo sacrificio, quidquid culparum erat, unde ne 

“ diabolus-ad luenda supplicla detinebat, Christus ezti#- 
zit, ut in hac vita tentando nobis nom praevaleat. — 
Fuso enim sanguine sine culpa omnlum culparum. chi- 
rographa deleta sunt, quibus debitores, qui in eum cre- 
dunt, a diabolo ante tenebantur. — GC. Redempti sumss 
ex parte, non ex toto, a culpa non a poena, nec omni- 
no a culpa: nom enim ab ea sic redempti sumus, ut non 
sit, sed ut nom dominetur. 


Petrus Lombarbud. 213 


ei der Buße vermindert werden 2). Warum bie Vollzie⸗ 
ung biefer Strafe nöthig war, wenn doch Gott nach feiner freien 
uch gegen den Sünder nicht aufhörenden Liebe die Sünden 
ergeben konnte, wird nicht erklärt, daß aber der Erlöfer nur 
er Gottmenſch feyn Eonnte, gleichwohl behauptet, weil er 
(8 bloßer Menfch nicht frei von der Stände geweſen wäre, 
nb ohne frei von der Sünde zu feyn, auch den Teufel nicht 
itte überwinden Tönnen, ohne die Ueberwindung bes Teu⸗ 
{8 aber die Befreiung von der Sünde ſowohl, als der Schuld 
der Strafe der Sünde nicht möglich war. Auf den Teufel 
ſad daher zwar dad Werf der Erlöfung im Sinne der Al 
un Borftellung in letter Beziehung zurüdgeführt, die Vor⸗ 
fung des. Teufels felbft aber iſt, wenn wir die ältere Lehr⸗ 
eife vergleichen, durch das von Peter befonderd hervorge- 
bene fittlihe Moment fo geläutert, daß fte, fo wenig dieß 
u Peter bezweckte, im Grunde nur der bildliche Ausdruck 
© bie Macht der Sünde, und bie mit der Sünde verbun⸗ 
me Schuld wird. Daher if auch von einem ben Teufel ge⸗ 
chenen Löfegeld nirgends die Rebe, fondern vielmehr von 
nem Opfer, obgleich auch über den Zufammenhang der 
Ipferidee mit der ganzen Theorie nichts beftimmt wird, au= 
ee fofern Darauf befonders Gewicht gelegt wird; daß Chris 
28, nur weil er alle ©erechtigfeit in fich erfüllte, und bie 
ollkommenſte Erniedrigung in ſich darftellte, allein im Stan- 
e geweſen ſey, das zu unferer Verſoͤhnung zureichende Opfer 
arzubringen 2). Aber auch dieß führt nur auf die Wbälarb- 





1) D.: Non enim'sufficeret illa poena, qua poenitentes Hgat 
'occlesia, nisi poena Christi cooperaretur, qui pro nobis 
solvit. 

2) Dist. 18. E.: Decreverat Deus — hominem ad Dei con- 

‘ templatiomem non admitti, nisi it uno homine tanta 

‚esisteret humllitas, guae omnibus suis proficere posset, 
sicut in primo homine tanta fult superbia, quae omni- 


214 L Ber I Abſchn. 3. Kap. 


ſche Idee zurüd, bag Gott ohne in Dem Menſchen Chriſtus 
die vollkommenſte Gerechtigkeit anzuſchauen, Die Suͤnden ber 
Menſchen nicht Hätte vergeben können. 


Drittes Kapittel. 


Bonaventura, Thomas von Aquinum, Duns Seotus. 
— Job. Wikliff und Joh. Weſſel. 


Mit Petrus Lombardus beginnt die Periode der 
matiſirenden Scholaftit und des unendlichen Commentin 
über die Sentenzen bes Magifter. Es ift zugleich Die Perie 
be, in welcher nun erft das Fragen und Antworten, dad ' 
Gegenüberſtellen von Thefen und Antithefen, Gründen mb . 
Gegengründen, bie Zerſpaltung und Zerſplitterung des Io = 
halte des Dogma’s ohne Ziel und Maas in’ Unenblide 
fortging. Die freie Bewegung , welche Scholaftifer, wie In 
felm und Abälard, auf diejenigen Puncte führte, die für fie 


un 5 u kei u 1 


"wi 


das größte fpeeulative Interefie hatten, ging nun in den 


Bus suis nocult. Non est autem inventus inter homina 
aliquis, quo id posset implert, nisi leo de tribu Jude, 
qui aperuit librum et solvit signacula ejus, Implendo in 
se omnem justitiam, id est consummaltisstimam humili- 
tatem, qua mujor esse non potest. Nam omnes all 
homines debitores erant, et. via uniculque sua virtus suf- 
‚ fietebat et humtlitas. Nullus ergo eorum hostiam pole- 
rat offerre sufficientem reconciliationi nostrae, Bed 


Christus homo suffietens et perfecta fuit hostia. — Qu - 


non ita est intelligendum, quasi non alio modo salvare 
nos poluerit,. gquam per mortem suam, sed qula per 
aliam hostiam non patult nobis aperirt regni aditus, 
nisi per mortem unigeniti, cujus tanta fuit humiliias 
cl patientia, ut ejus merito pateret credentibus in eum 
uditus regnt. 


Bonaventura Ä 215 


rmalldmus einer foftematiichen Tendenz über, die auf Das 
inzelne immer nur im Zufammenhang des Ganzen kommen 
fönnen glaubte, aber Doch nicht Fräftig und fchöpferiich ges 
ig war, um ein ganzed Syſtem mit ber Einheit der Idee 
‚durchdringen. Ju der Gefchichte unferd Dogma's wenig- 
as fällt unftreitig bie größere Productivität in Die Peter, 
u Lombarden, vorangehende Periode, was bie auf ihn fol⸗ 
ade Darbietet, ift mehr nur eine Verarbeitung und weitere 
twiclung ber zuvor ſchon aufgeftellten Ideen, bie jedoch 
m felbft dahin führte, Die Hauptmomente, um welche es ſich 

Anfelm’ichen Satisfactionstheorle handelte, in einem 

ern Gegenfaz einander gegenüberzuftellen. Da unter 
iR bieher gehörenden Scholaftifen, den großen Syftemati- 
m, bei Mlerander von Haled und Albert dem Großen *), 


1) Um jedoch auch diefe beiden Scholaftifer nicht ganz zu über⸗ 
geben, mag bier über fie zur Vergleichung mit den übrigen 
Bolgendes bemerktwerden: Alerander von Hales kommt in fei« 
ner Summa Pars Ill. quaestio 1. membrum 4. auf die hieher ge⸗ 
dörende Hauptfrage: An humana natura possit reparari 
stne satisfactione peccati, per quod lapsa est? und gibt 
darauf mit genauer Rückſicht auf Anfelm die Antwort: Oum 
dieiturs Deus non potest reparare humanam naluram 
sine satisfactiome, notandum saltb meHori Judicio secun- 
dum beatum Anselmum, quod duobus modis est consi- 
derare divinam potentiam, absolute vel cum ordine. Con- 
siderando divinam potentlam absolute, cogitamus quan- 
dam virtutem infinitam, et secundum hunc modum non 
est determinare divinam potentiam, et conceditur, quod hoc 

" modo »potest reparare humanam naluram sine peccati 
satisfactione. Sed comsiderando Ipsam cum ordine sic 
eam eonsideramus in ordine justitiae et misericordiae, 
‚et hoc modo conceditur, quod nihil potest facere, nisi 
cum misertcordia et justitia. — Quum ergo quaeritur, 

" utrum Deus de justitia possit dimittere peccatum im- 
punitum, potest referri posse de justitia ad principale 


216 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


nichts fich findet, was nicht von den folgenden genauer und 
in beſſerer Form ausgeführt wäre, Thomas von - Aquinum 





signatum, quod est divina essentia, et tunc idem es . 
posse de justitia quod posse de potentia: hoc modo pot- 
est. Si autem referatur ad connotatum, dicit Anselmus, 
quod Tune posse de justitia est posse secundum com 
gruentiam merttorum, et hoc modo dicit idem Anse- 
mus: non potest Deus peccatum impunitum sine satis- 
facttone dimittere, nec peccator ad beatttudinem, gus- 
lem habiturus erat «nie peccatum, poterlt pervenirs, 
Der Menſch für. fih Tann nicht genug thun sine gratias 
dono (membr. 5.), aber auch Feine bloße Ereatur vermag 
dieß (membr. 6.): Gum bonitas creaturae finita sit, pa- 
tet, quod nulla creatura pura posset humanae naluree 
restituere illud, a quo deordinata est per peccatum (als 
rea infiniti malt) — nom potest recompensare humane 
naturae bonitatem infinitam. Jam igitur habemus, quod 
per Deum fieri deberet reparatio, non per aliquam crea- 
turam puram. Nun geht Alerander membr. 7. in bie An: 
felm’fche Deduction über: Si Deus solo verbo, vel solo jus- 
su liberasset humanam naluram, ergo liberassel eam per 
potentiam suam sine satisfactione commissi, ergo dimi. 

sisset peccatum hominis impunitum. Dieß ift unmög 

li, quio sicut Deus non potest facere malum, ita ne 
potest facere aliquid inordinatum. Ohne Satisfaction 
fann alfo Gott die Sünde nicht vergeben, da aber nidt 
Bott, fondern nur der Menfch unter allen Ereaturen fie ſchul⸗ 
dig ift, fie aber wegen der Quantität der Sünde nicht les 
fien fann,, ergo necesse est, quod satisfaciat Deus, qui 
potest, et homo, qui debet, ergo debet satisfacere Deus 
homo et non solus Deus nec solus homo. Daher fchlieft 
fich nun die weitere Frage an: utrum divina et humana 
natura sint unibiles ad invicem, und die Lehre von der 
Perfon des Gottmenfchen , in deren Verlauf Diefelbe Haupte 
frage (qu. 16. de merito Christi und qu. 17. de dominica 
passione) widerfchtt, de mecessitate passionis quantum 


Bonaventura. | 217 


er, bei welchem bier nicht fowohl fein Commentar über die 
entenzen, als vielmehr feine theologifche Summe in Betracht 
mmıt, wegen bed Segenfazed, weldyen er mit Duns Scotus 
det, mit dieſem zufammenzunehmen tft, fo möchte als 
ommentator der Sentenzen faum ein anderer beachtendiwer- 
er ſeyn, als Bonaventura, der ſich auch wirklich in der 
ed causam superiorem (qu. 17. membr. 3. utto. 3). 
- Die Frage de guantitate passtonis per comparationem 
: a8 salisfactionem (membr. 8. art. 2.) beantwortet Ale⸗ 
R sander fo: Dicendum est, quod nom est considerandem, 
quantum passus est, sed ex» quanio. Unde consideran- 
„ do-circumstantias personae, quia Filius Dei est, et cir- 
eumstantias passionis et hujusmodi, sufficiens est passio 
‚Christi ad omnem et omnium satisfactionem. Albert der 
Große hat in ſeinem Commentar über die Sentenzen Lib. 
M. dist. 20. dieſen Gegenſtand nicht fo ausführlich behan⸗ 
delt, wie andere GScholaftifer. Die wichtigfte Frage if 
Art. 7.: An non remittatur peccatum nist Deo homine 
satisfaciente pro nobis? Die solutio nach den Gründen 
pro und contra ii: Dicendum, quod primis rationidus 
standum, quod non remittatur u. f. w. licet alius modus 
fuertt possibilis. Inter den Argumenten dagegen if das 
bedentendfie: originale peccatum per alterum est contru- 
ctum, ergo per alterum potest fieri satisfactio, non est 
autem per alterum contractum, qui fuit Deus, ergo per 
altum non Deum potest fiert satisfactio et videtur. Die 
Antwort ii: wenn man fage, der, der die Erbfünde aufhebe, 
mäfle ebenfo ein principium omnium feyn, wie der, der die 
Erbfünde verurfachte, fo könne dieß nicht auf diefelbe Weife 
leyn, guia monstruosa natura est, quae unlus rationis 
habet duo principia, fondern nur Chriſtus if principium 
efficiens secundum deitatem et influens per modum me- 
riti, sed ab alio non posset fieri, quia ille non posset 
influere membris, cum nullo modo esset caput corporis 
my/stict (oder quia gratia non influl potest, nist ab eo, 
qui est Deus et virtutis infinitae). 


218 L Ber IL Abſchn. 8. Kap. 


Behandlung biefer Materie, fo wenig er den Scholaftfe 
verläugnet, doch zugleich durch eine für einen Scholaſtile 
mufterhafte Klarheit und Einfachheit auszeichnet. Gr eigne 
ſich daher am beften, um den nun an den Sentenzen DU 
Magifter fortlaufenden Faden ber Entwidiung bed Do 
ma’s welter zu verfolgen. - 

Es iſt nicht ohne Intereffe, zu fehen, wie ſich eigeni 
die ganze Erörterung Bonaventura’d 4) um das Mom 
der Anfelm’jchen. Satisfactionstheorle bewegt,. wie er derſe 
ben nahe genug kommt, um fich für fle erklären au miſſen 
zulest aber Doch in dem entfcheibenden Punct ſie fallen IA 
Petrus Lombardus hat den ganzen ihm vorliegenden -Ste| 
in die drei distinetiones ®) zufammengefaßt: 1) Si Chri 
stus meruit sibi et nobis, et quid sibi et nobis? 2 
Qualiter a diabolo et a peccato nos redemit per mer 
tem? 3) @uod alio modo potuit liberare hominem e 
quare potius isto? Bon biefen brei Diftinctionen ‚mußte 
der Natur der Sache nach, bie dritte den Scholaftifern an 
meiften Veranlafiung geben, das Dogma von der Berföh 
nung auf eine in die eigentliche Aufgabe näher eingehend 
Weiſe zum Gegenftand ihres bialektifch - fpeculativen Scharf 
finns zu machen. Bonaventura geht auf die Erörterung bie 
fer Diftinetion mit ber Bemerfung über, es fey, wie bisha 
de passionis efficacia, fo jezt de passionis congruenti 
die Rede, deren Momente er in folgenden ſechs ragen p 
erſchöpfen glaubt: 1. An congruum fuerit naturam hr 
manam a Dep reparari? 2. An magis congruerit, g%* 
nus humanum reparari per satisfactionem, quam pe 
aliam viam? 8. An aliqua pura creatura potuerit u- 
tisfacere pro toto genere humano? 4. An aliquis & 
jutus gratia potuisset satisfacere pro se ipso? 5. As 


1) Bonaventurae Opp. Tom. V. Lugd. 1668. ©. 191. f. 
2) Sie find im dritten Buch die 18te 19te und 20fe. 


* 


Bonaventura. 219 


Deus debuerit modum satisfaciendi per passionom Chri- 
si aoceptare? 6. An alio modo potuerit Deus genus 
hamanım salvare$ Bei der zunäcft bieher gehörenden 
weiten Frage wird unter Boranflellung bed allgenteinen 
Srundbfazes, Daß derjenige Weg für den zur Wieberherfiellung 
xs Menfchengefchlechtd geeignetften gehalten werben möüffe, 
xi welchem 1. die Ordnung ber göttlichen Gerechtigkeit, 2. 
Xe der göttlichen Weishelt, 3. die der göttlichen Allmacht, 
md 4. die der göttlichen Ehre und Majeftät am: meiften bes 
wahrt werbe, und nad) ©egenüberftellung ber für und gegen 
We Theſe fprechenden Gründe, die conelusio auf folgende 
Belle gezogen: Der Weg ber Satisfaction war der ſchick⸗ 
Böfle, weil, da Gott ebenfo barmberzig als gerecht iſt, auch 
bei der Wiederherftellung bes Menfchengefchlechts die Barm⸗ 
hetzigkeit in dem. angemeflenen Berhältniß zur Gerechtigkeit 
ſtehen muß. Es war daher fchidlich, daß Gott für das ihm 
igefügte Unrecht Genugthuung vom Menfchen forderte, und 
wenn der Menſch felbft fie nicht Teiften konnte, nach feiner 
Barmherzigkeit ihm einen für ihn genugthuenden Mittler gab. 
hätte Gott die Schuld nicht erlafien, fondern bie Strafe voll» 
gen, fo hätte fich feine Barmherzigkeit nicht geoffenbart, 
jätte er fie aber erlafien, ohne Genugthuung zu fordern, fo 
yatte fich feine Gerechtigkeit nicht geoffenbart. Wie der Weg 
er Satisfaction vom Standpunct Gotted aus der fchicklichte 
dar, jo war er ed auch vom Standpunct des Menfchen aus, 
Der Zwed der Wiederherftellung des Menfchengefchlechts ift, 
und von der Schuld zur Gerechtigkeit, von ber Unfeligfeit 
wir Herrlichkeit zu führen. Wie der Menfch Durch den Sün⸗ 
denfall die Ehre Gottes verlezt hat, fo tft es ſchicklich, daß 
er durch Erduldung einer Strafe nad) der Norm der Gerech⸗ 
tigfeit Gott ehrt. Und wenn es vuhmvoller ift, das ewige 
Leben durch Verdienfte, ald ohne Verdienſte, zu erwerben, fo 
Kes auch ruhmvoller, Durch Genugthuung mit Gott verföhnt 

m werden, als ohne Genugthuung. Hierauf werden bie 


* 


220 L Ber. U. Abſchn. 8. Kap. 


Gründe widerlegt, die der Beiahung der Thefe. entgegenge . 


ftellt worden find: 1. Auf die Einwendung, daß, wenn fd 
überhaupt für Gott nichts mehr ſchickt, als was zur Offen 
barung feiner Güte und Barmherzigkeit dient, bie Vergebung 
der Sünden ohne alle genugthuende Strafe auch ein um ſo 


größerer Beweis ber göttlichen Barmherzigkeit feyn würde, 


wird erwiebert, daß in Gott die Gerechtigkeit Durch Die Guͤ 
und Barmherzigkeit nicht ausgefchloffen wird. 2. Die Ei 
wendung, daß die göttliche Selbfigenügfamfeit fich in einem 
um fo fchönern Lichte zeigen würde, wenn Gott Teine Gennge 
thuung fordern würde, beruht auf einer falfchen Borausfezung, 
da es fich mit der Vergebung der Sünden ebenfo verhält, 
wie mit dem Gehorfam gegen bie Gebote Gottes, welchen 


u ne 


Gott nicht, weil er beffelben bebürfte, fondern nur aus Rüde 


ficht auf uns verlangt. 3. Daß ſich bei einem andern Wege der | 


MWiederherftellung die Allmacht Gottes mehr offenbaren wür 


mau. 


de, kann nicht behauptet werben, ba fich in Diefem Werke - 


Gottes nicht ſowohl die Allmacht, als vielmehr die Güte und 


Barmherzigkeit und in gleichem Verhaͤltniß auch die Gerech⸗ 


tigfeit offenbaren muß. Hätte daher auch Gott das Maw 


fchengefchlecht durch ein einziges Wort wiederherftellen Fönnen, 
fo mußte er doch den ſchwierigern, mit der Vollziehung der | 


Strafe verbundenen, Weg vorziehen. Wendet man ein, daß 
eine Wieberherftellung ohne Satisfaction und noch weit mehr 
zum Lob und zur Liebe Gottes verpflichten würbe, fo iſt dieß 
geradezu falih zu nennen, da uns die Hingabe des Einge 
bornen für und weit mehr zur Liebe und zum Dank gegen 
Gott verpflichten muß, als wenn er uns ohne fie Schub 
‚und Strafe erlaffen hätte. Daß Gott für uns ben Tod ev 
duldete, ift ehvas weit Größeres, ald die Vergebung unfere 





Sünden. 5. Auch das kann nicht eingewendet werden, daß = 


Gott dem Menfchen durdy eine Vergebung der Sünden ohne 
Satisfaction eine vollfommnere Form der Nachahmung ge 
geben haben würde, ba nicht fchlechthin behauptet werden 


— 


. Bonaventura,. 221 


nn, daß der Menſch Sott in allem nachahmen müfle. “Die 
strafe iſt Sache Gottes, nicht des Menfchen. Ueberdieß läßt 
u) auch zeigen, daß Gott durch die Satisfaction eine voll⸗ 
mminere Form ber Nachahmung gab, als ohne ſie. Wenn 
lich 6. noch eingewendet wird, daß es für Gott ſchicklicher 
weſen wäre, dad Menſchengeſchlecht unmittelbar, ohne bie 
ermittlung durch eine Greatur, wieberherzuftellen, fo if 
uh Dieß falfch, da es zum Begriff der höchften Güte gehört, 
$:dem Edelſten, was fie wirkt, die Greatur, fo weit es 
ve Ratur zuläßt, mitwirken zu laffen. Eine ſolche Mitwir« 
mg kann. bei Dem Werke der Exlöfung flattfinden, nicht aber 
&: dem Werke der Schöpfung, bei welchem Gott allein wirkt, 
xil er voch nicht auf eine ſchon vorhandene Materie wirken 
m. 

Wie ſchon die zweite Frage nur eine Exrpofition ber An⸗ 
Imfchen Idee ift, fo fcheint Bonaventura in der dritten und 
erten Frage noch näher zu Ihr herantreten zu wollen. Die 
atisfaction betrifft entweder das Unrecht für fi), oder ben 
ch das Unrecht zugefügten Schaden %). Gott Tann baber 
ıimeber blos für das Eine, oder für Beides zugleich) Ge⸗ 
agthuung verlangen. Daß es in bem leztern Fall einer 
open Greatur nicht möglich iſt, Gott für das Menfchenges 
Hecht genugzuthun, ift Har, da das an Gott begangene 
nrecht wegen feiner abjoluten Würde zu groß iſt, ald daß 
ie bloße Creatur ihm dafür etwas Gleiches ale Erfaz ges 
n Eönnte. Aber auch in dem erflern Fall, wenn das Uns 
cht verziehen iſt, und die Satisfaction nur den Schaden 
trifft, ift dieß nicht möglich. Eine bloße Creatur ift entwe⸗ 
x ein Menfch, oder ein anderes Wefen. Sft fie ein bloßer 
denſch, fo Tann Fein bloßer Menfch ein Wequivalent für das 
anze Menfchengefchlecht ſeyn, und ſich Gott zur Erſtattung 


1) De duobus consuevit fiert satisfactio et requirt, videlicet 
de injurla et damno a. a. D. ©. 215. 


mM L Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


fo: zeigt Doch Bonaventura in der fünften der obigen Kragen N 
noch befonderd, Daß der modus satisfaciendi per passie 
nem Christi unter allen möglichen ber für Gott fchicktichke 
und annehmbarfte geweien fey t), wofür vier verfchiebene Mo⸗ 
mente angeführt werden. 1. Er eignete ſich am beften zur 
Verfühnung Gottes, nad) der Anfelm’fchen Behauptung ?), 
dag das Härtefle und Schwierigfte, was der Menſch 
freiwillig und ohne es ſchuldig zu feyn, zur Ehre 
Gottes bieten Tann, ber Tod fey, und daß der Mei. 
feinen befiern Beweid von GSelbftaufopferung geben koͤn⸗ 
ne, als wenn er fich felbft zur Ehre Gottes dem Tode, 
hingibt. 2. Er war das zwedmäßigfte Mittel zur Hellung : 
ber Krankheit, da die Heilung am beften durch das Gegen * 
theil gefchieht. Wie der Menſch durd, Stolz, Begehrlichkeit,, : 
Ungehorfam fich verfündigt hat, fo muß die Satisfactton in 
Demüthigung, Schmerz, Erfüllung des göttlichen Willens - 
beftehen 3). 3. Er hatte am meiften die Wirkung, daß ſich 
das. Menfchengefchlecht zu Gott hingezogen fühlte Nur für 
biefenigen Tann das Leiden heilbringend werden, die mit ei⸗ 
genem Willen Gott in Liebe anhängen. Nur durch die Ber 
mittlung des freien Willens wollte Gott den Menfchen befe S 
ligen, auf Feine andere Weife aber konnte Gott, ohne den 
freien Willen Gewalt anzuthun, den Menfchen zur Liebe an 







1) A. a. O. S. 217.: Dicendum, guod modum istum ulm ' 
ceteros modos debuit Deus acceptare, quia nobilissimss, 
‘est inter omnes, qui possunt esse vel escogitart. Fi 
enim acceptissimus ad placandum Deum, congruentisi- 
mus ad curandum morbum, efficacissimus ad attrahe- 
dum genus humanum, prudentissimus ad expugnandem 
generis humant inimicum. 


2) Cur Deus homo II, 11. Bgl. oben ©. 165. 


3) Modus satisfaciendi congruentissimus fuit per afflictio- ü 
nem, humiliationem et divinae voluntatis impletionem. [ 


v 


Bonaventura . . 225 


ih ziehen, als dadurch, daß er für ihn das Kreuz über⸗ 
hm. A. Er diente am beſten dazu, ben Teufel zu über⸗ 
binden. Wie der Teufel den erften Menfchen durch Lift vers 
übrte, fo mußte Chriflus den Teufel mit Klugheit überwins 
en. Bonaventura beruft fih dafür auf die vom Leviathan 
ebende Stelle Hiob c. 26., und auf bie oben (S. 84.) angeführs 
a Worte des Magiſter. Man flieht jedoch fchon aus ber 
Wen Moment gegebenen Stellung, welche untergeorbnete 
Bedeutung ed für Bonaventura hatte Bon den auch bier, 
hheils zur Bejahung theild zur Verneinung der Tihefe, eins 
wäder gegenüberftehenden Argumenten mögen bier folgende 
wwähnt werden. 1. Es kann eingewendet werben: da das 
Leben Ehrifti weit beffer ift, als fein Tod, fo mußte, wenn 
a durch feinen Tod für uns Gott genugthun konnte, fein 
in noch höherem Grade genugthuende Kraft haben. 

Vefe Holgerung wird jedoch geläugnet, und zwar hauptfäch- 
‘aus dem Grunde, weil zur Satisfaction auch ein Straf 
| gehört 9). 2. Die Einwendung, daß, wenn Chriftus 
ine die größte Sünde nicht getöbtet werben konnte, eine 
Bünde auf Sünde häufende Satisfactionsweife ald verwerf⸗ 
% erfiheinen müffe, beweist nichts, da ja bie bei der Genug⸗ 
huung flattfindende Sünde nicht auf- der Seite des Genug- 
chuenden felbft if. Daß er aber einen fchlechthin mit Feiner 
Sünde verbundenen Weg wählen mußte, läßt ſich nicht be- 
haupten, da ſich die göttliche Weisheit ebendarin in ihrer 
Größe zeigt, daß fie aus dem Böſen nicht blos das Gute, 
ſendern das Befte zu wählen weiß. 3. Wendet man ein, 







VYA. a. D. ©. 218.: Primo quidem, quia satisfactio de- 
bet esse poenalis, et maxima satisfactio mavime poena- 
üs. Secundo vero, quia majoris perfectionis est, velle 
mori.ud honorem Dei, quom velle vivere, et es majori 
earitate procedit, et terminos naturae magis excedit, 
et ideo ratio illa non cogit. 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. 19 


a 


24 Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


fo zeigt doch Bonaventura in ber fünften der obigen Fragen 
noch beſonders, daß ber modus satisfaciendi per passis- 
nem Christi unter allen möglichen ber für Gott fchidlichke 
und annehmbarfte geweſen fey *), wofür vier verfchiebene Mo⸗ 
mente angeführt werden. 1. Er eignete ſich am beften zur 
Verföhnung Gottes, nach ber Anfelm’fchen Behauptung ?), 
daB das Härtefte und Schwierigfte, was der Menſch 
freiwillig und ohne es ſchuldig zu feyn, zur Ehre 
Gottes bieten Tann, der Tod fey, und daß der Maik. 


Teinen befiern Beweis von Gelbftaufopferung geben Tiw- 


ne, als wenn er fich felbft zur Ehre Gottes dem Tobe 
hingibt. 2. Er war das zwedmäßigfte Mittel zur Hellung 
ber Stranfheit, da die Heilung am beften durch das Gegen 


theil gefchteht. Wie der Menſch durch Stolz, Begehrlichket,. 


Ungehorfam ſich verfündigt hat, jo muß die Satisfactton ia 
Demüthigung, Schmerz, Erfüllung des göttlichen Willens 
beftehen ®). 3. Er hatte am meiften die Wirfung, daß fid 
das Menfchengefchlecht zu Gott hingezogen fühlte Nur für 
Diejenigen Tann das Leiden heilbringend werden, Die mit ds 
genem Willen Gott in Liebe anhängen. Nur burdy die Ber- 
mittlung des freien Willens wollte Gott den Menfchen befes 
ligen, auf feine andere Weife aber Eonnte Gott, ohne dem 
freien Willen Gewalt anzuthun, ben Menfchen zur Liebe an 


1) A. a. O. ©. 217.: Dicendum, quod modum Istum ultra 
ceteros modos debuit Deus acceptare, quia nobilissimus 
est inter omnes, qui possunt esse vel escogitart. Fuit 
enim acceptissimus ad placandum Deum, congruentissi- 
mus ad curandum morbum, efficacissimus ad attrahen- 
dum genus humanum, prudentissimus ad expugnandum 
generis humant inimicum, | 

2) Cur Deus homo II, 11. Vgl. oben ©. 165. 


3) Modus satisfaclendi congruentissimus fuit per afflictio- 
nem, humtliationem et divinae voluntatis impletionem. 


v 


Bonaventura. 28 


ich ziehen, als dadurch, daß er für ihn Das Kreuz über-‘ 
sah. 4. Er diente am beften dazu, den Teufel zu über- 
winden. Wie der Teufel den erften Menfchen durch Lift vers 
führte, fo mußte Chriſtus ben Teufel mit Klugheit überwins 
ben. Bonaventura beruft ſich dafür auf die vom Leviathan 
redende Stelle Hiob c. 26., und auf die oben (S. 84.) angeführs 
tm Worte bed Magiſter. Man flieht jedoch ſchon aus ber 
dieſem Moment gegebenen Stellung, welche untergeordnete 
Vebentung es für Bonaventura hatte. Bon den audy hier, 

thells zur Bejahung theild zur Verneinung der Tihefe, eins 
ser gegenüberfichenden Argumenten mögen hier folgende 
ewähnt werden. 1. Es kann eingewendet werben: da das 
Shen Chriſti weit beffer ift, als fein Tod, fo mußte, wenn 
er burch feinen Tod für und Gott genugthun konnte, fein 
hen in nod höherem Grade genugthuende Kraft haben. 
Diefe Folgerung wird jedoch geläugnet, und zwar hauptfäch- 
lh aus dem Grunde, weil zur Satisfaction auch ein Straf⸗ 
läden gehört *). 2. Die Einwendung, daß, wenn Chriftus 
ine bie größte Sünde nicht getödtet werden Tonnte, eine 
Eände auf Sünde häufende Satisfactionsweife ald verwerfe 
Ih erfiheinen müffe, beweist nichts, da ja die bei der Genug⸗ 
ung ftattfindende Sünde nicht auf-Der Seite des Genug⸗ 
thnenden felbft if. Daß er aber einen fchlechthin mit Feiner 
Sünde verbundenen Weg wählen müßte, läßt fich nicht be= 
haupten, da fich die göttliche Weisheit ebendarin in ihrer 
Größe zeigt, daß fie aus dem Böfen nicht blos das Gute, 

ſendern das Befte zu wählen weiß. 3. Wendet man ein, 


)Y A. a. O. ©. 218.: Primo quidem, quia satisfactio de- 
bet esse poenalis, et maxima satisfactio masime poena- 
üs. Secundo vero, quia majoris perfectionis est, velle 
mori.ud honorem Dei, guam velle vivere, et es majori 
caritate procedit, et terminos naturae magis ewcedit, 
et ideo ratio illa non cogit. 


Baur, bie Lehre von der Verſöhnung. #5 


226 + L Ber. I. Abſchn. 3. Kap. 


daß, wenn für die Sünde Adamd nur durch den Tod Ehriſti 
genuggeihan werden fonnte, Ehriftus eigentlich zweimal Hätte 
fterben müflen, das erflemal für die Sünde Adams, das 
zweitemal für bie noch größere Sünde derer, welche Chriſtus 
töbteten, fo ift Darauf zu eriwiebern, DaB das Cine Leiden 
Chrifti zur Satisfaction nicht blos für die Sünde Adams, 
fondern auch für die ganze Menge der Sünden zureichte, und 
objectiv felbft für bie galt, welche Ehriftum tödteten, ba dad. 
Verdienſt des leidenben Chriftus unendlich. größer iſt, als ie 
Sünden derer, die feinen Tod bewirften 9. 

Nach allem diefem wirft Bonaventura nun erft noch de 
Frage auf, ob die Satisfaction durch den Tod Chriſti alb 
eine abfolut nothwendige anzufehen fey, oder nicht? Er mw 
terfcheidet zur Beantwortung dieſer Frage zwei: verfchiebene 
Gefichtspuncte. Man könne fie fowohl vom Standpunct Got 
tes, ald des Menichen aus betrachten. Werde fie vom Stand» 
punct Gottes aus betrachtet, fo ſey Fein Zweifel, daß Gott: 
die Wiederherftellung und Befreiung des Menichengefchlechts 
auch auf andere Weiſe hätte bewirken Finnen. Die göttliche 
Allmacht müfje fo uneingefchränft gedacht werden, Daß, wie 
die Schöpfung, fo auch die Erlöfung, durch einen bloßen 
Mint des Geifted und Befehl des Willens hätte gefchehen 
fönnen. Betrachte man aber die Sache vom Etandpunct ded 
Menſchen aus, fo müfle man behaupten, daß fein anderer 
‚Weg: der Wiederherftelung des Menfchengefchlechts für bie 
göttliche Allmacht möglich war. Nothwendig war alfo dieſer 
Meg in demfelben Sinn, in weldyem der Glaube an Chriſtus 
für jeden nothwendig ift, der felig werden will, an ſich aber 


1) A. a. D.: In infinitum enim majus meritum Christi pa- 
tientis, quam esset delictum Judae tradentis, Judael 
instigantis, et gentilis crucifigentis, secundum quod 
Christus plus ‚habebat de bonliate R quam Uli haberent 
de malitia. 





Bonaventura. 22 


waͤre fuͤr Gott auch ein anderer Weg möglich geweſen. Durch 
dieſe Unterſcheidung beantworten ſich die Einwuͤrfe, welche 
gemacht werden koͤnnen, von ſelbſt. Wenn alſo auch der von 
Gott gewählte Weg der ſchicklichſte war, fo folgt doch dar⸗ 
aus nicht, daß Gott keinen andern hätte wählen können. 
Auch das Tann man nicht geltend machen, daß Gott, ver- 
möge feiner Gerechtigkeit, nicht anderd, ald auf dem Wege 
der Satiöfaction, Die Schuld hätte erlaffen können. Denn 
Bott hätte, wenn er gewollt hätte, ohne Präjudiz für feine 
Bereihtigkeit, auf dem Wege der Barmherzigkeit alle Schuld 
elafien und das Menſchengeſchlecht in feinen frühern Zus 
fand wieberherftelen Tönnen, und es würde im Liniverfum 
nichts im Zuftande der Unordnung, nichts ungeftraft geblie⸗ 
ben feyn *). 


.4) Die Einwendung beißt a. a. D. ©. 218.: Item Deus, cum 
sit summe justus, negare se ipsum non potest, ergo si 
 debet reparare genus khumanum, necesse est, quod repa- 
vet viam justitiae, sed reparatio per viam justitiae non 
potest esse, nisi per satisfactionem, sicut primo osten- 
sum est, Satisfacere autem pro toto genere humano non 
potest, nisi Deus et home. Modus enim satisfaciendi 
sufficiens esse non. polest, nisi ut solvatur anima pro 
anitma et detur vita pro vita, ergo a primo impossibile 
‚fuit, quod Deus humanum genus repararet alla via. 
Die Antwort darauf ik: Ad illud, quod objieitur, quod 
Deus nonpotest facere contra suam justitiam, et justitianon 
potest praeter satisfactionem culpam dimittere, respondert 
potest per Interemptionem duarum propesitionum, quas 
proponit, quarım prima est haec, quod non potuit li- 
berari genus humanum, nisi per viam justitiae: potuit 
enim liderart per viam misericordiae, nec in hoc fuis- 
set factum praejudictum justitiae, si hoc facere voluis- 
set. Potuisset enim omnia demerita delere, et hominem 
in priorl statu restituere, nec remansisset aliquid inor- . 
dinatum in universo, nec etiam impunitum, Peocetum 


15 * 


230 1. Ber. U. Abſchn. 3. Kay. 


Seite die auf einzelnen Puncten ſich aufdringende Anerfen 
nung des Unvermögensd, ſich zum wahrhaft Abfoluten zu er» 
heben, oder bie Subjectivitaͤt alled menfchlichen Erfennens, 
auf der andern Seite die Fühne Ueberfchreitung aller Schran« 
fen, die das Sinnliche vom Ueberfinnlichen, das Endliche 
vom Unendlichen, das Subjective- vom Obfectiven zu trennen 
ſcheinen. Es ift alfo weber der Standpunct der Subjectivi 
tät, noch der Standpunct der Objectivität in feiner Reinheit 
aufgefaßt und durchgeführt, fondern beide greifen willkürlich 
in einander ein, und die Folge Ift der, zum Weſen der She 
laftit gehörende, tranfcendente Dogmatismus, welcher ba 
aller Zuverfichtlichkeit feiner Behauptungen, doch felbft das 
Bewußtſeyn nicht ganz umterbrüden Tann, das mit fo großer 
Anftrengung errichtete Gebäude fey in feinem tiefften Grunde 
nur auf Sand erbaut. | 
Wie jehr aber in biefem Innern Conflict, in welchen bie 
Scholaſiik mit fich felbft Fam, das entfcheidende Uebergewicht 
zulezt Doch immer wieder auf die Seite ihres tranfcendenten 
Dogmatismus fiel, fehen wir an dem, dem Bonaventura im 
vielfacher Beziehung fo nahe ftehenden, Thomas von Aqui⸗ 
num, dem größten Syftematifer unter den fcholaftifchen Theo⸗ 
logen. | 
Thomas von Aquinum handelt im dritten Theil feiner 
theologifchen Summe (Quaest. XLVI — XLIX.) ?) von dem 
Leiden Chrifti, welches er nach drei Hauptgefichtöpuneten bes 
trachtet, Indem er 1. das Leiden, 2. die wirkende Urſache des 
Leidens (Utrum Christus fuerit ab aliis occisus vel a se 
ipso u. f. w.) und 3. die Frucht Des Leidens unterfucht. Die 
erſte Hauptfrage zerfällt in folgende zwölf Artikel: 1. Utrum 


necesse fuerit Christum pati pro liheratione hominum. 


. 2. Utrum fuerit alius modus possibilis liberationis hu- 


manae. 3. Utrum ille modus fuerit convenientior. 


1) D. Thomae Aquinatis Opp. Romae Tom. XII. ©. 149. f. 


Thomas von Aduinum. 231 


4. Utrum fuerit conveniens, quod in crace pateretur. 
5. De generalitate passionis ejas. 6. Utrum dolor, 
quem in passione sustinuit, fuerit maximus, 7. Utrum 
tota anima ejus pateretur. 8. Utrum passio ejus im- 
pediverit gaudium fruitionis. 9. De tempore passio- 
ais. 10. De loco. 41. Utrum conveniens fuerit, ipsum 
cam latronibus crucifigi.. 12. Utrum passio ipsius 
Christi seit divimitati attribuenda. Die erſte Frage be- 
antwortet Shomas, der Metaphufif des Ariftoteles zufolge, 
derch Unterfcheldung der verfchiedenen Beziehungen, in welchen 
Ver Begriff des Rothwendigen genommen werden kann. Ver⸗ 
ſtehe man unter dem Nothwendigen das, was feiner Natur 
sach nicht anders ſeyn kann, fo ſey das Leiden Ehrifti weder 
vous Seiten Gottes, noch von Seiten des Menfchen nothwen⸗ 
dig geweſen. Ebenfo wenig falle es unter den’ Begriff des 
Rothwendigen, wenn NRothwendigfeit ſoviel ſey, als äuflerer 
Zwang. Rotbwendig fen aber auch, was unter Voraus: 
feaung eines gewifien Zwecks nicht anders fenn Tonne Wende 
man baher ein, Daß das Leiden Ehrifti nicht nothwendig ge⸗ 
weien ſey, weil dieß mit dem Begriff der göttlichen Allmacht 
Rreite, und Chriftus mit freiem Willen gelitten habe, fo gelte 
dieß nur von Der Nothwendigkeit des Zwangs, Daß aber das 
Leiden Chriſti wegen der göttlichen Barmherzigkeit nicht noth- 
. wendig gewefen ſey, könne nicht behauptet werben, da das 
- Leiden Chrifti Die gleiche Beziehung auf die göttliche Gerech⸗ 
uügkeit, wie auf bie göttliche Barmherzigkeit habe, auf jene, 
fofern Chriſtus durch fein Leiden für die Stnde des Men- 
ſchengeſchlechts genuggethan, auf dieſe, ſofern Gott bei dem 
Unvermögen des Menſchen, ſelbſt genugzuthun, feinen einge⸗ 
bornen Sohn zur Genugthuung gegeben habe. Hierin liegt 
auch ſchon die Antwort auf die zweite Frage, ob Gott das 
Menſchengeſchlecht auf andere Weiſe haͤtte erlöſen können. 
Waͤre es auch an ſich möglich geweſen, jo wäre es doch nach 
demjenigen nicht möglich geweſen, was das Leiden Chriſti zu 


:232 L Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


feiner Vorausſezung hattet). Auf die Gerechtigkeit Gottes aber | 
könne man fi) nicht dafür berufen, daß der Menfh nur. ı 
durch das genygthuende Leiden Chrifti habe von ber Sünde } 
befreit werben können, da auch die Gerechtigkeit vom Willen { 
Sottes abhänge. Gott würde daher, wenn er ohne-alle Ge 
nugthuung den Menfchen von der Sünde hätte befreien wol y 
Ien, feiner. Gerechtigkeit nicht entgegen gehandelt haben-$, : 
Daß aber das Leiden Chrifti der fchiellichfte und zwedimäßlg | 
ſte Weg zur Erlöfung des Menfchengefchlechts war, erhell, 
nad Thomas, aus der Erwägung folgender. Mom: 
1. Der Menfch erkennt hieraus Die Größe der Liebe Gottek, 
und wird dadurch zur Liebe gegen Gott aufgefordert. 2. Gott 
hat und dadurch ein Beifptel des Gehorſams, der. Demuth, ı 
der Standhaftigfeit, der Gerechtigkeit und ber. übrigen Ta⸗ 
genden gegeben, die zum Heil des Menfchen nothwendig ſiud. 

4) Quaest. XLVI. art. 2.: Quia imposstbile est, Dei prae- 
scientiam falli et ejys voluntatem seu dispositionem cas- -: 
sari. Supposita praescientia et praeordinatione Dei de - 
passione Christi, non erat simul possibile, Christum nos 
pati, vel hominem alio modo, quam per passionem ejus 
liberari, et est eadem. ratio de omnibus his, quae sunt 
praescita et praeordinata a Deo. 

2) Thomas begründet dieß weiter fo a. a. D. Art. 2.: Si vo- 
luisset absque omni satisfactione hominem a peccato li- 
berare, contra justitiam non fecisset, ille enim judex 
non potest, salva justitia, culpam sine poena dimittere, 
qui habet punire culpam in ulium commissam, puto 
vel in alium hominem, vel in totam rem publicam,, sive 
in superiorem principem, sed Deus non habet aliquem 
superlorem, sed ipse est supremum et commune bonum 
totius universi. Et ideo si dimittat peccatum, quod ha- 
bet rationem culpae, ex eo quod contra ipsum commil- 
tit, nulli facit injuriam, sicut quicungue homo remittit 
offensam in se commissam absque satisfactione, miseri- 
corditer et non injuste agit.. 


Thomas von Aquinum. 233 
3. Chriftus hat. durch fein Leiden nicht blos den Menichen 


son der Sünde befreit, fondern ihm auch die rechtfertigende 
Gnade und die Glorie der Seligfeit erworben. 4. Dem Mens» 


ſchen iſt die Pflicht, fich von der Sünde rein zu erhalten durch 


den Gedanken, daß er durch das Blut Chrifti erlöst fey, um 
fo näher gelegt. 5. Es iſt um fo ehrenvoller, Daß der Menſch, 


‘wie er vom Teufel befiegt und getäufcht worden it, fo auch 


hen Teufel wieder befiegte, und wie er den Tod verbiente, 


fo auch durch feinen Tod den Tod überwand ?). 


. Wie die Scholaftif, um für die Beweife ihrer Thefen ein 
am ſo weiteres Feld offen zu haben, auch Die aus der alten 


Kirche überlieferte typifch »allegorifche Beweismethode nicht 


} 
4 
{ 
Pr 
r. 
F 
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verkhmähte, zeigt Die Beantwortung der vierten Srage, wars 
um Chriftus gerade am Kreuz habe leiden müffen, wobei 
nicht blos an Die fo oft wiederholte Analogie des Kreuzes mit 
dem Baum bed Paradiefes, fondern auch daran erinnert 
‚ wird, das Kreuz jey ein Symbol verfhiedener Tugenden, fo 
wie ber Breite, Höhe, Länge und Tiefe, von welcher der Apo⸗ 
fel rede, unferer Erhöhung in den Himmel u. f. we Näher 
wr Sache gehört, obgleich das in der Idee der Stellvertre- 
tung liegende dogmatiſche Moment hier zunächft nicht hervor- 
gehoben wird, die im fünften Artikel erörterte Frage: ob 


4) Ueber die Rechtmäßigkeit der Herrfchaft des Teufels erklärt 

ſich Thomas ganz mie Auguflin und Petrus Lombardus. 
Wie der Scharflinn der Scholaftifer immer das ganze Ge» 
biet der Möglichkeit zu erfchöpfen fucht, fo wirft Thomas 
auch die Frage auf, ob Chriſtus nicht beffer auf natürliche 
Weife geftorben wäre? Zu, quae fiunt per naturam, conve- 
nientius fiunt, quam ea, quae fiunt per violentiam. Als 
lein inconveniens erat, eum, qui sanaret aliorum lan- 
quores, habere proprium corpus affectum languoribus, 
sed et si absque morte corpus alicubt seorsum deposuls- 
set, ac deinde se offerret, non crederetur ei de resur- 
rectione disserenti. ’ 


234 18er U. Abſchn. 3. Zap. 


Chriftus alle Leiden erduldet Habe? Daß Chriftus alles 
menfchliche. Leiden erduldete, wird auf folgende Weiſe bewie 
fen: Er litt 1. von Helden und Juden, Männern und Wels 
bern, von Fürften, ihren Dienern und vom Volk, von Freun⸗ 
den und Bekannten; 2. an Ehre und Gut, an Seele und 


| Wu - __ 


Leib; 3. an allen Theilen des Körpers, an Haupt, Händen ' 
und Füßen, und durch alle Sinne ded Körpers. Daher wear -, 


auch der Schmerz ded Leidens Chrifti der allergrößke, 
der im gegenwärtigen Leben erbuldet werben kann, 1. wege 
der Urfache feines Schmerzens, fufern fein Leiden die ſcha 


angegebene Befchaffenheit hatte, und fofern er, was bie 
nere Urfache feiner Schmerzen betrifft, durch fein Leiden für- 


alle Sünden des Menfchengefchlechts - genugthat; 2. weil er 
wegen feiner Förperlichen und geifligen Organifation ben 


Schmerz im höchften Grade empfand; 3. weil bei ihm die 
innere Traurigfeit und der äuffere Schmerz durch. die Einwin . 
fung der höhern Kräfte auf die untern nicht gemildert wurde); : 


und 4. weil er fein Leiden und den Schmerz deſſelben freis 
willig übernahm, für den Zweck der Erlöfung der Menſchen 
von der Sünde, alfo auch eine, mit der Größe der aus feinem 
Leiden hervorgehenden Frucht proportionirte, Quantität des 
Schmerzens erbuldete. Demungeachtet ſoll dieſer höchfte Lei⸗ 

densſchmerz, wie ber ſechste Artikel behauptet, den. Genuß 
ber Seligfeit, in welchem die ganze Seele Chrifti ſich befand, 
nicht aufgehoben haben 2). | 


4) Per quandam derivationem seu redundantiam a superlo- 
ribus viribus ad inferiores, quod in Christo patiente 
non fuit, quia unlculque virium] permisit agere, quod 
est sSibi proprium, nad) oh. von Damafcus ILL, 15. 

2) U. a. O. Art. 8.: Secundum essentiam tota anima frue- 
batur, In quantum est subjectum supertoris partis ani- 
mae, cujus est frut divinitate, ut sicut passio ratione 
essenliae attribultur superior parti animae, ita e con- 
verso fruitio ratione superioris partis animae attribua- 


un .. 1. - 


= 





- Thomas von Aquinum. | 235 


Daß das gemugihuende Leiden Chriſti, wenn auch nicht 
abſolut nothwendig, doch die zweckmäßigſte Weiſe der Erlö- 
fung geweſen jey, hat Thomas in der Quaest. XLVI. ges 
zeigt, auf welche Welle ed aber bie Erlöfung der Menfchen 
wirklich bewirkt habe, wirb in den beiden Quaest. XLVIII. 
und XLIX. unterfucht, in welchen zwilchen Dem modus effi- 
edendi und dem effectus ipse unterfchleden, und ber mo- 
dus efficiendi nach folgenden vier Geftchtöpureten betrach⸗ 
tt wirb: 9 Utrum passio Christi causaverit nostram 
salutem per modum meriti- 2) Utrum per modum 
satisfactionis. 3) Utrum per modum sacrificii. 4) 
Urum per modum redemptionis. 

Der Begriff, des Verbienftes findet hier feine Anwendung, 
ſefern Chriſtus die Onade nicht blos als einzelne Berfon hat, 
ſondern als Haupt der Gemeinde, von welchem fie auch in 
bie Blieder ausftrömt. Da nun Chriftus, vermöge der ihm 
k verlichenen Gnade, durch fein Leiden der Gerechtigkeit wegen 
ſch das Heil verdiente, fo beziehen ſich feine Werke ebenfo 
ſewohl auf ihn felbft, als auf feine Glieder, wie ſich Die 
Verke eined andern im Stande ber Gnade befindlichen Men 

ben auf ihn felbft beziehen. Um die Wichtigfeit dieſes Mo⸗ 
nents Im Sinn des Thomas richtig aufzufaflen, ift an Die 
hohe Bedeutung zu erinnern, welche überhaupt im Syſtem 
des Thomas die Idee Chrifti, als des Haupts der Gemein- 
de, hat. Alles, was Chriftus als Erlöfer, vermöge feiner 
; abfoluten Erhabenheit über alle übrigen Menſchen, ift, faßt 
Thomas in ber Idee bes Haupts der Gemeinde zufammen. 
Wie die ganze Gemeinde ein, dem natürlichen menfchlichen 


tur essentiae. — Consequens est, quod superior pars ani- 
mae perfecte fruebatur, Christo patiente. Läßt ſich bei- 
des aufammendenfen, ohne dat das Leiden Ehrifii, fo fehr 
es gefteigert wird, bach wieder zu einem bloßen Scheinlei⸗ 
den wird? 


238 l. Ber. H. Abſchn. 3. Lap. 


das ganze Menſchengeſchlecht zu geben *), 1. wegen ber Größe 
der Liebe, aus weldyer er litt; 2. wegen ber Würde feind 
Lebens, das er durch die Satisfaction hingab, da es ba) = 
Leben des Gottmenſchen war; und 3. wegen ber Allgeme 
heit des Leidens und der Größe des Schmerzend, welden k 
nad) dem Obigen auf fi nahm. Deswegen hat Chrifiub ı 
für die Sünden der Menfchen nicht blos genug, fonbern u ı 
mehr, ald genug, gethan %. Die Einwendung, daß dab ; 
Leiden Chrifti für uns nicht genugthuend feyn könne, weil ı 
derfelbe, der gefündigt, auch genugthun müfle, beantworkk -. 
Thomas durch die Fdee, daß Haupt und Glieder Eine myfde | 
fche Perfon bilden. Sofern zwei Menfchen durdy die Liche 
Eins find, Tann Einer für einen Andern genug thun. Dar. 
her .erftredt fich die Genugthuung Chriftt auf alle Glaubigen, 
als feine Glieder. Seinen unendlihen Werth aber hat. daB 
Leiden Chrifti, obgleich Chriftus nicht nach der Gottheit, fear 
dern nach der Menfchheit litt, weil die Würde des Yleifchai 
Chriſti nicht blos nach der Natur des Flelfches zu ‚fchäzen iſt, 
"fondern nad der das Fleifh annehmenden Perſon, bund 
welche e8 das Fleifch Gottes geworden ift. 

Als ein Opfer Tann der Tod Chrifti betrachtet werben, 
fofern alles ein Opfer ift, was zu der ©ott fihuldigen Ehre © 
gefchieht, um Gott zu verfühnen. Chriftus Kat fich felbft in 
feinem Leiden für und dargebracht, und ed war dieß, da er 
es mit freiem Willen auf ſich nahm, ein Gott höchſt ange 
nehmes Werf, indem es aus der Liebe hervorging. Ale 





1) A. a. D. Art. 2.: Ille proprie satisfacit pro offensa, gut 
exhibet offenso id, quod aeque vel magis diligit, quams 
oderit offensam. Christus — magis Deo aliquid eıxhi- 
buit, quam exigebat recompensatio totius offensae gene— 
ris humant. 

2) Passio Christi non solum sufficiens, sed etiam supera— 
bundans satisfactio fuit pro peccati⸗ humant᷑ generis se 
cundum illud 1 Joh. 2, 2. 


Thomas von Aquinum. 239 


pfer der vorchriftlichen Zeit waren Zeichen, durch welche 
ſes Eine Opfer in den mannigfaltigften Formen vorgebil« 
wurde. Das vollfommenfte Opfer aber ift ed, weil es 
a ber menfchlidhen Natur genommen ift, als leidensfählg 
d fterblich zum Opfer ſich eignet, als unfünblich von ben 
inben reinigt, und als das Fleiſch bes Darbringenden felbft 
nt Durch die Liebe angenehm if. 

Ein Löfegeld ift das Leiden Chrifti, fofern der Menfch 
ech Die Sünde feiner Freiheit. auf Doppelte Weiſe verluftig 
unbe. Er wurde der Sklave der Sünde und bes Teufels, 
ib ‚verfiel der göttlichen Gerechtigkeit in die Schuld ber 
krafe, bie auch eine Urt der Sklaverei iſt, da der Sklave 
den muß, was er nicht will. Da nun das Leiden Chrifti 
tr als genugthuend if für Die Sünde und Strafe des 
Imichengefchlehts, fo war ed auch gleichſam ber Preis, 
uch welchen wir aus unferer doppelten Haft befreit worden 
D °). 

Von den Wirkungen des Leidens Chrifti handelt Thomas 


4) Art. A.: Per peccatum duplieiter homo obNgatus erat. 
— Quda igitur passto Christi fuit suffielens et supera- 
bundans satisfactio pro peccato et reatu poenae gene- 

ls kumani, ejus passto fuit quasi quoddam pretium, 
per quod liberati sumus ab utraque obligatione. Nam 

‘ Ipsa satisfactio, qua quis satisfactt sive pro se, sive pro 
alio, pretium: quoddaem dicitur, quo se ipsum vel alium 
redimit, a peccato et a poena. — Et ideo passto Chri- 
sti dicitur esse nostra redemptio. Dabei wird über den 
Teufel bemerkt: Quamvis diabolus injuste, quantum in 
tpso erat, hominem sua fraude deceptum sub servitute 
teneret, et quanlum ad culpam et quantum ad poenam, 
Justum tamen erat, hoc hominem pati, Deo permitten- 
te, quantum ad culpam, et ordinante, quantum ad poe- 
. sam, et ideo per respeotum ad Deum justilia exige- 
bat, quod homo redimeretur, non aulem per respectum 
ed diabolum. 


240 1. Ber. II. Abſchn. 3. Kap. 


Quaest. XLIX. in folgenden ſechs Artikeln: 4)-Utrum per 
passionem Christi simus liberati & peccato. 2) Utrum: 
per eam simus liberati a potestate diaboli. 3) Utrum 


per eam simus liberati a reatu poenae. 4) Utrum , 


per eam simus Deo reconciliati. 5) Utrum per eam 


— ⸗22 


Le 


sit nobis-aperta janua coeli. 6) Utrum per eam Chri- | 


stus adeptus sit exaltationem. 


Was zuerft die Befreiung von der Sünde betrifft, fo M 
das Leiden Chrifti die eigentliche Urfache der Sündenverge 
dung in dreifachem Sinn: 1. wegen der in demfelben für mb 
liegenden Aufforderung zur Liebe Röm. 5, 8., da wir durch 
die Liebe Vergebung der Sünden erhalten Luc. 7, 47.5 2. weil 


fein Leiden gleichfam ber Löfepreis tft, durch welchen er und, 


feine Glieder, von den Sünden befreit hat 95 3. weil das 
Hleiih, in welchem Chriftus gelitten hat, ald Organ ber 
Gohtheit, auch die göttliche Kraft hat, die Suͤnde zu ver⸗ 


— — 2— 


treiben ). Dieſes dritte Moment bezieht ſich auf bie Ein ° 


4) Art. 1.: Seeundo passio Christi eausat remissionem peo- 


catorum per modum redemptionis, quia enim ipse ed 
caput nostrum per passimem suam, quam ex carttate 
et obedientia sustinuit, liberavit nos tanquam memöbrs 
sua a peccalis, quasi per pretium suae passionis, sicut 
st homo per aliquod ejus meritorium, quod manu eser- 
ceret, redimeret se a peccatö, quod pedibus commisis- 
set. Sicut enim naturale corpus est unum, eo membro- 
rum diversitate consistens, ita tota ecclesia, quae est 
mysticum corpus Christi, computatur quasi una perso- 
na cum suo capite, quod est Christus. 


2) Tertio per modum efficientiae, in quantum caro, secun- 
dum quam Christus passtonem sustinuit, est instrumen- 
tum divinitatis, ex quo ejus passiones et actiones ope- 
rantur, in virtute divina ad expellendum peccatum. — 
Passio Christi licet sit corporalis, sortitur tamen quan- 
dam spiritualem virtutem ex divinitate,. cujus .caro e® 


Thomas von Aquinum. 241 
wendung, daß nur Gott von ber Sünde befreien kann (nach 


 €.43,25.: Ego sum, qui deleo iniquitates tuas propter 


feil: Whg, Dans Vie WRBHRRRE BD ERW 2L 22 22 2 Su 


me). Da nun Chriftus nicht als Gott, fondern ald Menfch 
gelitten habe, fo könne es fcheinen, daß wir durch fein Leis 
den nicht von der Sünde befreit find. Diefe Einwendung wirb 
dadurch gehoben, daß das Leiden Chrifti, da das Fleiſch das 
Drgan ber Gottheit iſt, auch eine göttliche Kraft zur Bes 
fräung von der Sünde erhält. Wenn daher auch das Leiden 
ewwas Eörperliches ift, fo geht Doch auf daffelbe von der im 
Fleiſche wirkenden Gottheit eine geiftige Kraft über, durch 
weile das Leiden Chrifti die Urſache der Sündenvergebung 
wird. Hieraus ift zugleich zu erfehen, daß der Begriff der 
remissio peccatorum , welcher hier zu Grunde liegt, fehr 
ſchwankend und unklar ift, da Thomas Die Befreiung von 
der Sünde, als foldyer, nicht der Schuld der Sünde, theils 
objectiv von der Thätigfeit Gottes, theils ſubjectiv von ber 
Waͤtigkeit des Menſchen derſteht. Im erftern Sinn wird dem 
Leiden Ehrifti auf diefelbe Weiſe, wie dieß nur als ein Act Got⸗ 
x foll gedacht werden Fönnen, eine unmittelbar von der 
Sünde befreiende, die Sünde hinwegnehmende Kraft zuge 
ſhrieben. Im legten Sinn wird Die Befreiung von ber 
Eünde auf die fubjective Thätigfeit des Menſchen bezogen, 
hfern die durch das Leiden Chrifti gewedte Liebe, . oder. ber 
Re Frucht des Leidens fich aneignende Glaube, als Die wir- 
kende Urfache der Reinigung von der Sünde betrachtet wird 9. 


unita est instrumentum, secundum guam quidem virtu- 
tem passio Christi est causa remissionis peccatorum. 

1) Dicendum, quod etiam per fidem applicatur nobis pas- 
sto Christi ad percipiendum fructum ipsius, secundum 
Hlud (Röm. 3, 25.). Fides autem, per quam a peccato 
mundamur, non est fides informis, qguae polest esse 
etiam cum peccato, sed est fides formata per charita- 
tem, ut ‚sic passio Christi nobis applicetur, non solum 
quantum ad intellectum, sed etiam quantum ad affec- 


Baur, die Lehre von der Berfühnung. 16 


22 l. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap. 


ie ſich aber dieſes Subjective zu jenem Objectivem (be 
unmittelbaren ct Gottes) verhält, Darüber hat ſich Thoms 
fo wenig näher erklärt, al8 darüber, warum er bier geral 
ben Begriff der redemptio anwendet, um vermittelft berfe 
bett die remissio peccatorum gefchehen zu laflen: Ba 
Leztere erklärt fich jedoch ohne Zweifel son felbft Daraus, da 
von den übrigen, mit dem Begriff der redemptio zufanme 
gehörendeh, Begriffen, dem bed sacrificium, der satisfaeti 
und des meritum, nur der leztere noch in Betracht komme 
fönnte; da aber bie remissio peccatorum felbft etwas m 
gatives ift, fo kann auch als die wirkende Urſache derſelbe 
nicht das Pofttive des meritum, fondern nur das Negatk 
der redemptio angefehen werden. So iſt die redemptie 
wie Die remissio peccatorum , die Ablöfung Der Seele u 
der Sünde, ald deren wirkende Urfache ebenfo gut Die got 
vor ald die menfchliche Thätigkeit angefehen werden Tann 

da nah Thomas überhaupt Gott die in allen fecundäre 
Urfächen wirfende causa prima ifl. 

Bon der Gewalt des Teufels find wir durch das Leibe 
Chriſti in dreifacher Beziehung befreit: 1. fofern das Leide 
die Urfache der remissio peccatorum iſt; 2. fofern ed um 
mit Gott verföhnte; und 3. fofern ber Teufel’ bei dem Leibe 
Chriſti die ihm von Gott überlaffene Gewalt überfchritt, unl 
gegen Chriftus, der des Todes nicht ſchuldig und ohne Suͤnd 
war, den Tod veranſtaltete. 

Bon der Strafe der Sünde (dem reatus poenae) Ma 
uns das Leiden Chrifti direct und indirect befreit, Direct, wei 
es die sufficiene et superabundans satisfactio für di 
Sünden des ganzen Menfchengefchlechts If, und ſchon ein 
‚sufficiens satisfactio den reatus poenae aufhebt, indirerl 
weil e8 die Urjache der remissio peccati iſt, in welchen 


tum. Et per hunc etiam modum peccata dimitiuntu 
ex virtute passlonis Christi. 


b 


2* 
» 


Thomas von Aquinum. 243 


ber reatus poenae feinen rund hat. Der befannte Saz: 
in inferno nulla est redemptio, fann nicht dagegen gel⸗ 
tend gemacht werden, da die Wirkung des Leidens Chrifti, 
oder die Application deſſelben, vermittelt wird durch den Glau⸗ 
ben, die Liebe, und die Sacramente des Glaubens, bie bei 


den Berbammten der Hölle die Wirfung nicht gehabt haben, 


fe in Verbindung mit dem Leiden Chrifti zu bringen, Eben» 
ſo wenig Tann man ſich auf Die poena satisfactoria, Die 
den poenitentes auferlegt wird‘, zum Beweis dafuͤr berufen, 
daß wir durch das Leiden Chrifti von dem reatus poenae 
Wr befreit fenen. Um die Wirkung des Leidens Chrifti zu 
erlangen, müfjen wir ihm configurirt werden. Dieß gefchieht 
auf facramentliche Weife in der Taufe (Rom. 6, 3.). Daher 
wird den Getauften Feine fatisfactorifche Strafe auferlegt, 
da fie durch die Satisfaction Chrifti total befreit find. Da 
aber Chriftus nur Einmal für unfere Sünden geftorben ift 


‚ 11.Betr. 3, 18.), fo kann der Menfch nicht zum zweitenmal Durch 


das Sacrament der Taufe dem Tode Chrifti configurirt wer: 
den. Deswegen müfjen diejenigen, welche nach der Taufe 
findigen, dem leidenden Chriſtus durch ein eigenes Strafs 


leiden configurirt werben, das jedoch auch fchon in einem 


getingern Grade zureicht, da es die Satisfaction Chrifti zu 
kiner Borausfezung hat *), Was aber die Einwendung be= 


M) Art. 3.: Oportet, quod il, qui post baptismum peccant, 
configurentur Christo patienti per aliquid poenalitatis 
ve passionis, quam in se iIpsts sustinent, quae tamen 
multo minor sufficit, quam esset condigna peccato, coo- 
perante satisfactione Christi. Man vgl. P. Ill. Quaest. 1. 
art. 2. wo Thomas die Einwendung beantiwortet: zur Wies 
derherfiellung der gefallenen Natur des Menfchen fey nichts 
anderes erforderlich gewifen, als die Genugthuung des Mens 
(hen für die Sünde, welche, wie es fcheine, der Menſch 
felbft habe leiſten Eünnen, weil Gott von ihm nicht mehr 
fordern Eönne, als er zu leiften im Stande ſey, und zum 


16 * 


244 L. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap. - 


trifft, daß der Tod der Sold der Sünde auch nach dem & 
ben Chrifti bleibt, fo ift zu erwiebern: Durch das Leiden Chi 
fti werden wir als Glieder ihm, dem Haupt, einverleil 
denn bie Glieder müflen dem Haupt conform werden. & 
nun Chriftus zuerft die Gnade in der Seele neben der & 
densfähigfeit des Leibe hatte, und dann durch das Leid 
zur Glorie der Unfterblichfeit gelangte, fo werben auch wi 
‚feine Glieder, durch fein Leiden zwar von jedem reatus d 
Strafe befreit, aber fo, daß wir zuerft den Geift der Kin 
fchaft in die Seele aufnehmen, während wir noch einen Iı 
bensfähigen und fterblichen Körper haben, nachher aber di 
Leiden und Tode Chrifti configurirt, zur Glorie der Unſter 
lichkeit gelangen. | 





Erbarmen geneigter ſey, als zum Strafen. Zureichend fe 
erwiedert Thomas, eine Satisfaction in doppeltem Sim 
uno modo .perfecte, quia est condigna per quandam aı 
aequationem ad recompensationem culpae commissae, 
sic hominis purt satisfactio sufficiens esse non polu 
pro peccato, tum quia tota humana natura erat p 
peccatum corrupta, nec bonum alicujus personae v 
etiam plurium poterat per aequiparantiam totius nu 
turae detrimentum recompensare, tum etiam, quia peı 
catum, contra Deum commissum, quandam infinitateı 
habet, ex infinitate divinae majestatis: tanto enim o| 
fensa est gravior, quanto major est ille, in quem de 
Unguitur. Unde oportuit ad condignam satisfactionen 
ut actus satisfacientis haberet efficaclam infinitam, ul 
pote Dei et hominis existens. Alio modo potest dici sa 
tisfactio hominis esse sufficiens, imperfecte scilicet, sı 
cundum acceptationem ejus, qui est ea contentus, quam 
vis non sit condigna. Et hoc modo satisfactio purt hı 
minis est suffictens. Et quia omne imperfectum pra 
supponit .aliquid perfectum, a quo sustentelur, in 
est, quod omnis puri hominis satisfactio efficacdam hı 
bet a satisfactione Christi. 


Thomas von Aquinum. 245 


- Berföhnt find wir durch das Leiden Chrifti mit Gott 
auf doppelte Weile. Es hat die Sünde, die die Menſchen 
zu Feinden Gottes macht, entfernt, ift aber auch das für 
Gott angemeflenfte Opfer, und hat daher auch, wie jebes 
Opfer, die Wirkung, uns mit Gott zu verfühnen 9). 

Wie die Verföhnung mit Gott die Befreiung von ber 
Sünde, von der Gewalt des Teufeld und von der Strafe ber 
Sünde zu ihrer Vorausfezung hat, fo unterfcheidet Thomas 
von ber Berföhnung mit Gott, ald weitere Wirkung des Lei⸗ 
dens Chrifti, Die Auffchließung ber Pforte des Himmels. Die 
Ehnde war auf doppelte Weife für den Menfchen ein Hin⸗ 

derniß des Eintritts in das Himmelreich, als die gemeinfame 
Eünde der ganzen menſchlichen Natur und als bie fpecielle 
Sünde jedes Einzelnen. Durch das Leiden Chrifti find wir 
ſowohl von der Schuld und Strafe der gemeinfamen Suͤn⸗ 
de, als auch unfern eigenen Sünden befreit, wenn wir Durch 
den Glauben, die Liebe und die Sacramente des Glaubens 
mit dem Leiden Chrifti Gemeinfchaft Haben. Darum iſt uns 
durch daſſelbe auch die Pforte des Himmelreichs geöffnet *). 


—— 

4) Art. 4.: Tantum bonum fuit, quod Christus voluntarie 
passus est, quod propter hoc bonum, in natura humana 
inventum, Deus placatus est super omnt offensa generis 
humani, quantum ad eos, qui Christo passo conjungun- 
tur. Auf ben Abälard’fchen Sag: Gott habe nicht verfähnt 
werden dürfen, da er uns immer geliebt habe, antwortet 
Thomas durch Die Unterfcheidung: Deus diligit omnes ho- 
mines quantum ad naturam, quam tipse fecit, sed odit 
omnes quantum ad culpam, quam contra eum homines 
‚committunt. 

2) Was Thomas im fechsten Artikel noch folgen läßt, ift uur 
dieß: Chriſtus habe, wie er fich durch fein Leiden unter fei- 
ne Würde ernicdrigte, fo auch erhöht zu werden verdient, 
nach dem allgemeinen Grundfag: meritum importat quan- 
dam aequalitatem justitiae. — Ita cum aliquis ex justa 


246. 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


Umfaflender und erfchöpfender ift die Lehre vom Leiden 
Chriſti, und von der auf demfelben beruhenden Verföhnung 
des Menfihen mit Gott, nach dem ganzen Zufammenhang der 
Momente und Geſichtspuncte, welche fid, dabei unterfcheiden. 
laflen, noch von feinem Theologen bis auf jene Zeit behan⸗ 
delt worden. Fragen wir aber, auf welchem Begriff in lg 
ter Beziehung die hier aufgeftellte Theorie beruht, fo ift e& 
unftreitig der Begriff der Satisfaction. Denn obgleich Thos. - 
mas den Begriff der Satiöfaction den ‚Drei Begriffen, mit 
welchen er ihn zufammenftellt, dem Begriffe des meritum, 
Des sacrificium und der redemptio coordinirt, fo behaup⸗ 
tet er Doch zugleich, Daß der Menjch nur per modum satis- 
factionis von dem reatus poenae frei werden kann, und 
wenn er auch von der Aufhebung des reatus poenae bie. 
eigentliche Verföhnung mit Gott, die er nicht auf die Schuld 
der Sünde, fondern Die Sünde felbft bezieht, und durch ben 
Begriff Des Opfers vermittelt, unterfcheidet, fo ift doch bie 


voluntate sibi subtrahit, quod debebat habere, meretur, 
ut stbi amplius superaddatur, quasi merces justae vo 
luntatis. — Wie unrichtig die öfters wiederholte Behauptung, 
daß unter den Scholaftifern namentlich Thomas das Vers 
dienft Ehrifti auf die Erbfünde befchränft habe (man vgl. z. B. 
Cotta in der oben ©. 17. genannten Differt. ©. 123.), in dies 
fer Allgemeinheit ift, ift aus Quaest. 1. art. 4. zu fehen, wo Tho⸗ 
masnicht nur ausdrücklich fagt, Chriſtus fen zur Tilgung nicht 
blos der Erbfünde, fondern auch aller nachherigen Sünden 
gekommen, fondern auch diefe Befimmung noch hinzufegt: 
tanto autem principallus ad alicujus peccati deletionem 
Christus venit, quanto illud peccatum majus est. Inten⸗ 
fio fey die actuelle Sünde größer, als die Erbfünde, extens 
fiv aber die Erbfünde als Sünde des ganzen Gefchlechte. 
Et quantum ad hoc Christus principalius venit ad tol- 
lendum originale peccatum, in quantum bonum gentis 
divinius et eminentius est, quam bonum unius (wie Aris 
ſtoteles in der Ethik fage). Ä 


Thomas von Aquinum. 247 


mefentlichte Bedingung der Berföhnung die Aufhebung bes 
reatus poenae. DBerföhnt ift demnach der Menfch mit Gott, 
weil Chriftus für ihn genuggethan und durch fein genug. 
ituenbes Leiden bie auf dem Menichen liegende Schuld der 
Etrafe getilgt hat. Dieſes Leiden Chrifti war nicht blos ein 
genugthuendes wegen jeined unendlichen Werth, fondern auch 
ein ftellvertretendes, da Chriftus im Acte der Genugthuung, 
alſo an der Stelle ber Menfchen, den größten Schmerz erdul⸗ 
dee (wobei freilich über das Verhaͤltniß der Größe dieſes 
Schmerzes zu der Größe des Schmerzes, welchen die Men- 
ſchen ſelbſt hätten erdulden follen, nichts beftimmt wird). An 
fh aber wäre biefe Genugthuung keineswegs nothwendig 
geneſen, Sott hätte ebenfo gut auch ohne fie die Menfchen 
wieber mit fich verfühnen können. Soweit die Genugthuung 
durch Das Leiden Chrifti unter den Gefichtöpunet der Noth- 
wendigfeit geftellt wird, ift Nothwendigfeit nur ſoviel, als 
Cchicklichkeit und Zweckmaͤßigkeit. Run follte man zwar den» 
im, daß auch dad Schickliche und Zwedmäßige für Gott den 
Character innerer Rothwendigfeit habe. Allein eine göttliche 
Lothweudigkeit dieſer Art wird nicht behauptet, und da nun 
ohnebieß der Begriff der Nothwendigfeit, ald eines äuſſern 
Imangs, auf Gott Feine Anwendung findet, fo gilt ganz 
elfgemein, was Thomas Quaest. XLVI. Art. 1. fagt: In 
Deum non cadit aliqua necessitas, quia hoc repugna- 
tet omnipotentiae ipsius, ergo non fuit necessarium, 
Christum pati. Wir fommen daher auf denfelben, jeder 
Deduction der Nothwendigkeit eined genugihuenden Leidens 
enigegenftehenden, Begriff der göttlichen Allmacht zurüd, auf 
welchen Die Satiöfactionstheorie Bonaventura's zurüdgeht, 
und es fragt fich daher nur, ob nicht der dem Thomas eis 
genthümliche, won ihm zwar nicht weiter entwidelte, aber 
wiederholt ausgefprochene Begriff einer satisfactio non so- 
lum sufficiens, sed etiam superabundans zwiſchen feiner 
und des Bonaventura Theorie einen gewißen Unterſchied bes 


248 L Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


gründet. Um aber hierliber beftimmter urtheilen zu können, 
müffen wir dem Thomas von Aquinum zuvor feinen Rivalen Dums 
Scotus zur Seite ftellen, da auch Die Lehre vom Verbienft Chri⸗ 
fti unter die Puncte gehört, in welchen die beiden berühmten 
Urheber theolopifcher Lehrſyſteme von einander abweichen. 
Duns Scotus hat es fich in feinem Commentar über bie _ 
Sentenzen bed Betrus Lombardus bei ben betreffenden Dis 
flinetionen *) zur Hauptaufgabe gemacht, bie Behauptung 
des Thomas, daß das Verdienft Chrifti ein objectiv unend⸗ 
liches fey 2), zu widerlegen. Duns Scotus geht von der Bors . 
ausſetzung aus, daß das Verdienft Chrifti nur der menſchli⸗ 
chen Natur Chriſti angehört. Daher kann ed, wie dieſe, nur 
endlich ſeyn. Es iſt endlich, weil es ſeinem Weſen nach von 
einem endlichen Princip abhängt. Unter welchem Geſichts⸗ 
punct man es betrachten mag, mag man es auf das Sub 
ject des Wortd (ded Logos), oder auf den Endzwed beziehen, 
alle diefe Beziehungen find nur endlich, wäre ed unendlid, 
fo wäre ed nicht mehr ein Verdienft, dad einem geichaffenen 
Willen, fondern dem ungefchaffenen Willen des Wortes ans 
gehört. Gleichwohl aber iſt es feiner Wirkung nach ein zu 
reichended. Wie nämlich alles, was von Gott ift, nur be 
wegen gut ift, weil es Gott will, nicht umgekehrt, fo hängt 
auch der Werth des Verdienftes Ehrifti nur von der Annah⸗ 
me von Seiten Gottes ab, objectiv betrachtet aber konnte es 


1) Opp. Ioannis Duns Scoti Lugd. 1639. Tom. VIL P. 1. 
©. 382. f. 

2) A. a. O. gu Dist. XIX. ©. 412.: Meritum Christi, ut 
dicunt, habet quandam infinitatem ex supposito Christi, 
quod eliciebat, et exercuit operationes illius naturae as- 
sumptae, et ideo vita illius suppositi et operationes fue- 
runt bonum infinitum, propter quod et mors et passio 
et aliae operatiomes habuerunt quandam infinitatem, ul 
sufficerent pro Infinitis peccatis delendis et inſinitis gra- 
tlis et glorlis conferendis. 


Dun Scotuß. 249 


e Gottheit nicht als ein unendliches, fondern nur als ein 
Diches annehmen. Daß es aber Gott, obgleih es an 
y nicht unendlich ift, doch feiner äußern Beziehung nach, 
er extenfiv, für unendlich viele, als unendlich annehmen 
ll, bat feinen Grund in der Berfon, der e8 angehört. Bel 
er andern Berfon wäre nicht diefelbe Schiclichfeit der An⸗ 
hme. Für fo viele alfo Gott es amehmen will, für fo 
fe ift es zureichend *). 





> 


U. a. D. €. 417.: Dico, quod meritum Christi fuit fi- 
»itum, qula a principio finito essentialiter dependens, 
etiam accipiendo ipsum cum omnibus respectibus, sive 
cum respectu ad suppositum Verbi, sive cum respectu: 
ad finem, quia omnes respectus isti erant finiti, et ideo 
quomodocunque ceircumstantionatum finitum erat, aut si 
fuit infinitum, tunc non fuit meritum plus secundum 
velle creatum, quam secundum velle Verbi increatum. 
Quantum ergo valuit illud meritum ad sufficientiam? 
Dico, quod sicut omne aliud a Deo ideo est bonum 
quia a Deo volitum, et non e converso, sic me- 
ritum illud tantum bonum erat, pro quanto ac- 
ceptabatur, et ideo meritum, quia acceptatum, non 
aulem e conmverso, quia meritum est et bonum, ideo 
accepltatum, et tantum potuit acceptari. passive, quan- 
tum tota trinitas potuit et volult acceptare active, sed 
ex formali ratiome sua, quam habuit, non potuit accep- 
tari in infinitum et pro infinitis, sed pro finitis. Tamen 
ex circumstantia suppositi et de congruo, ratione suppo- 
siti, habuit quandam rationem extrinsecam, quare Deus 
potuit acceptare Ülud in infinitum, scilicet extensive, 
pro infinitis. Si autem illud meritum fulsset alterius 
personae, tunc nec rutione operts, nec ratione operantis 
fuisset congrultas acceptationts illius pro infinitis. Pro 
quantis autem, et pro quot Deus voluit passtonem illam, 
'sive bonum velle, acceptare, pro tot sufficit, sed quan- 
tum est de formali ratione rei acceptabllis in se, non 


252 
dings bie Strafe ertenfiv unendlich, ‚nur folgt daraus nicht, 


1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


daß Gott die Sünde nicht auch anders beſtrafen kann ®). 
In der Antwort auf den weitern Einwurf, daB, wenn bie 
Melt und die Fortpflanzung der Menfchen immer fortbaure, 
und die Menſchen unendlich viele find, das endliche Verbienft 
nicht zureicht, wird nur das ſchon Geſagte wiederholt, bap 
Gott das an fidh endliche Berbienft als ein unendliches an⸗ 
nehmen fönne 2). 


to unum abduzit a termino a quo, tantum allud con- 
jungit ei, et mazxime hoc est verum de amore animae 
Christt. 


4) ©. 412.: Praeterea per idem potest probari, guod nom 


2) 


meruit deletionem poenae pro reatu infinito aliorum, quia 
poena, quae debetur illi peccato, est infinita, et meritum 
Christi finitum: ergo. Dagegen ©. 422.: Cum dicitur, 
quod poena debita mortali est Infinita, verum est, d 


— 


voluntas finaliter maneat in peccato, illa poena est infi- 


nita extensive, et hoc quia subjectum manet semper sub 
culpa, et hoc est ex ordinatione divina, quod ubi cecide- 
rit liqnum, ibt erit (Eccles. 11, 3.), non quin Deus possit 
punire aliter peccatum illud, unde, si Deus puniret ani- 
mam per diem tantum pro culpa mortali, et post anni- 
hilaret animam, non faceret injustitiam. Tunc ad for- 
mam poena est infinita extensive ex ordinatione divi- 
na, non tamen, quin aliter posset punire peccatum, si 
vellet. 

©. 412.: Praeterea de possibili possunt esse homines 
infintti, si mundus et generatio semper duraret, et qui- 
libet natus de Adam contraheret originale peccatum: 
igitur foret tunc in mundo, in post sumendo, infinita 
culpa: igitur cum meritum Christi fuerit finitum, non 
suffecisset pro remissione offensae et collatione gratiae 
et gloriae omnium. Dagegen ©. 422.: Dico, quod bo- 
num velle Christi, vel passto ejus consideralta secundum 


se, formaliter posset recompensart per aliquid bonum fi- 





Duns Scotus. 253 


Wird die Unendlichkeit der Schuld und die Unendlichkeit 
bed Verdienſtes geläugnet, fo ift die Confequenz ber Anfelm’- 
fen Debuction der Nothwendigfeit der Satisfaction ſchon in 
ihren erften Brämifien abgefchnitten. Daher ift es erft bie 
Theorie des Duns Scotus, welche den vollfommenften Gegen⸗ 
ſaz zur Anſelm'ſchen Satisfactionstheorte bildet. Er felbft 
hat e8 daher auch nicht unterlaffen, in feinen Erörterungen 
über die Dist. XX. des Magifter, oder, wie er fie auffaßt, 
die quaestio, utrum necesse fuerit genus humanum 
reparari per passionem Christi, birecter und ausführlis 
der, als ein anderer Scholaftifer, in eine Unterfuchung der 
Anfelm’fchen Lehre einzugehen. Die Zweifel und Einwürfe, 
die er ihr entgegenfezt, find folgende: Bord erfte greift er 
- die Sonclufion felbft an, daß es Feine andere Erlöfung gebe, 
als durch den Tod Chrifti, und durch eine freiwillige, bie 
: ganze Ereafur an Werth übertreffende Gabe. Zum Bewelfe 
- v8 Gegentheild beruft er fih auf Augufttn (De Trin. 
XUT, 20.), hieraus erhelle, daß in der Goneluflon feine 
: Rotbwenbigfeit liege. Hierauf behauptet er, die Nothwen⸗ 
digkeit, Daß Chriftus, ale Menſch, durd feinen Tod den 
Nenſchen erlöste, fey nur die Rothwendigfeit der Folge 
'(necessitas consequentiae). Sey vorausgefehen worden, 
daß er leiden werde, fo habe er allerdings leiden müflen, 


nitum, sicut Ipsum, vel ipsa fuit nomnisi finitum in se: 
praemiat tamen Deus ultra condignum, ideo potest 
ratione alicujus bonitatis et personae palientis accepta- 
re bonum velle Christi, et ejus passionem pro infinitis, 
quia tanlum et pro tot valet, quantum et pro quot ac- 
ceptatur a Deo. Quamvis autem posset acceptare pas- 
sionem illam pro Infinitis, non tamen Infinite, quia non 
potest (sc. Deus) diligere aligquod creatum a parte dili- 
gibilis infinite, quia non est infnitum, de facto tamen 
non fult accepta nisi pro electis, quia pro els tantum 
fuit oblata a Christo, efficaciter dico, 


254 1. Ber: IL Abſchn. 3. Kay. 


aber das Eine, wie dad Andere, dad Vorangehende, wie bas 

Nachfolgende, ſey etwas Zufälliges )Y. Daß Chriftus leiden 

mußte, argumentirt Duns Scotus weiter, hat darin feinm ı 

Grund, daß die Wiederherftelung des Menſchengeſchlechts 1 

nothmwendig war. Die Wiederherftelung des Menſchenge⸗ 

fchlechts aber war nothwendig, weil die Menfchen zur Sellge ! 

keit präbdeftinirt find, und als ©efallene nur durch Satie ı 

‚faction in fie eingehen fönnen, aber die Prädeftination bei ; 

Menschen if ja felbft nur zufällig, nicht nothwendig, dem 

wie Gott überhaupt in Anfehung desjenigen, was auffer Ike | 

if, nichts mit Nothwendigfeit thut, fo hätte er ebenfo gut] 

auch den Menjchen nicht prädeftiniren können, nur unter ı 

Borausfezung der Prädeftination iſt es unſchicklich, daß ben 

Menfch feiner Seligkeit verluftig werde, fo wenig alfo bie‘ 

Prädeftinatton abfolut nothwendig iſt, ſo wenig iſt es I 

die Erlöfung 2). Gefezt aber au, die Wiederherftellung ' 

17 i 

1) A. a. O. S. 428.: Praeterea non est aliqua necessilas,\ 
quod Christus homo redimat hominem per mortem, wid ] 
necessitas consequentiae, scilicet posito, quod ordinass-: 
rit sic illum redimere, sicut si curro, moveor, haec ed 
necessitas consequentiae, sed antecedens est stmpliciter 
contingens et similiter comsequens, scilicet me currere d 
moveri. Similiter Christum pati mortem, fuit contin- 
gens, sicut contingens fuit ipsum praevideri passurum, 
nulla est ergo necessitas, nisi consequentiae, scilicet # 
prawisus fuit pati, patietur, sed tam antecedens quam. 
consequens fuit contingens. 

2) 4. a. D.: Sicut Deus ab aeterno contingenter praede- 
stinavit hominem et non necessario, quia nihil necessa- 
rio operatur, respectu aliquorum extra se, ordinande 
illa ad bonum, sic potuit non praedestinasse, nec est in- 
conveniens hominem frustrari a beatitudine, nisi prae— 

 supposita praedestinatione hominis, igitur nulla fuit ab- 
solute redemptionis ejus necessitas, sicut nec praedesti— 
ualionis ejus. In welchem directen Gegenfag diefe Site 


Dund Scotuß. 255 


bes Menfchengefchlechts ſey nothwendig geweſen, fo fragt fich, 
sb fie nicht anders, als durch Satisfartion gefchehen konnte, 
und wenn Satisfaction nothwendig ift, ob fie nur von Gott 
geleitet werben kann, und wenn nun in diefer Beziehung 
weiter gefagt wird, daß niemand Gott genugthun kann, ohne 
Gott etwas barzubringen, was an fi größer ift, als das, 

wodurch fich der Menfch nicht hätte zur Sünde verleiten laf- 
In follen, alfo größer, als die ganze Creatur, fo iſt dieß 
"wicht wahr. Denn e8 ift nicht nöthig, daß die Satisfaction 
fir die Sünde des erften Menſchen objectiv (formaliter) 
u Größe und Vollkommenheit einen größern Werth habe, 
as die geſammte Greatur, es wäre hinreichend geweſen, Gott 
für die Sünde des erſten Menſchen etwas zu geben, was in 
“Iiherem Grade etwas Gutes war. Hätte Adam durch die 
- Gnade und Liebe auch nur In Einem Acte, oder in mehreren, 
"Gott um feiner felbft willen mit einem höhern Grade der 
 Thätigkeit feines freien Willens geliebt, ald fein Wille zur 
Sünde thätig war, fo wäre dieſe Liebe zur Vergebung feiner 
"Sünde hinreichend geweſen, und ed wäre Gott durch einen 
Kt der Liebe genuggethan worden, welcher ebendadurch, daß 
e auf Gott um feiner jelbft willen feine Richtung nahm, in 
demſelben Orade mehr geweſen wäre, ald die Liebe zur Crea⸗ 
tr, in welchem Gott mehr ift, als die Greatur, obgleich an 
fh ein folcher Act nicht mehr geweſen wäre, als die ganze 
Creatur 9). Auch die Behauptung Anfelms, daß nur ein 


zu den Prämiflen der Anfelm’fchen Satisfactionstheorie ſte⸗ 
ben, fällt von felbft in die Augen. Del. oben ©. 161. f. 
1) A. a. O. ©.429.: Ex majort conatu libert arbitrii quam 
fult comatus in peccando — futsset satisfactum, et tunc 
propositio illa est falsa, quod debutt offerre Deo aliquid 
majus omni eo, pro quo peccare non debuerat, sed sicut 
pro amore creaturae, ut objecti diligibilis, non debuit 
peccare, ita satisfactendo debuit öfferre Deo aliquid 





256 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


Menſch genugthun konnte, läßt Duns Scotus nicht als eine 
abſolut nothwendige gelten, da uͤberhaupt einer, der er | 


Schuldner if, ebenfo gut für einen andern genugthun, als 

für ihn beten kann. Wie Chriftus als unfchuldiger Menſch 
(als non debitor) genugthat, fo hätte, wenn ed Gott fo 
gefallen hätte, auch ein guter Engel genugthun und Gelt 
etwas ihm wohlgefälliges, was er für die gefammten Sün 


den angenommen hätte, barbringen können, weil alles Crea⸗ 
türlihe, wenn ed Gott dargebracht wird, den Werth hat, : 


in welchem ed Gott annimmt. Was daher von Anfelm, 
Bonaventura, Thomas von Aquinum und andern ausdrüde 
lich geläugnet wird, wird von Duns Scotus ohne Bedenken 


behauptet, daß ein bloßer Menfch (unus purus homo) für | 
alle hätte genugthun können. Wäre er, wie an ſich möglich 
ift, ohne Sünde, durch die Kraft des heiligen Geiſtes, wie . 
Chriftus, empfangen worden, hätte ihm Gott das höchfte Maakt. 
von Gnade, defien er fähig ift, gegeben, wie er es Chriftus ohng _ 
vorangehended Verbienft aus freier Güte gab, er hätte die 
Tilgung der Sünde fowohl, als die Seligkeit verdienen kön⸗ 


majus, attingendo per actum objective, quam sit creatu- 
ra, scilicet amorem. attingentem Deum propter se, ed 
ille amor objective, ut terminatur in Deum, excedit amo- 
rem creaturae, sicut Deus creaturam. Unde sicut pec- 
cavit per amorem ignobilioris objecti in infinitum, ita 
debuit satisfacere per amorem nobilioris in Infinitum, 
et hoc suffecisset, saltem de possibili. Dico igitur, quod 
amor, quem ojfferre debet satisfaciendo, debet excedere 
amorem cujuscunque crealurae, quod verum est, et 
diligere magis objectum nobilius satisfaciendo, quam 
dilexit ignobiltus peccando: tamen ille actus, quo con- 
vertor ad Deum per amorem, in sua formali ratione non 
est major omni creatura, nec etiam amor Christi crea- 
tus, quo dilexit Deum, fuit talis. Unde ipse vult omni- 
no infinitatem habere, ubi non est ex formali ratione rei. 


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Duns Scotus. 257 


en 2). Da Duns Scotus das VBerdienft Chriſti blos auf 
je menfchliche Ratur Chrifti bezieht, fo ift dieß im Grunde 
ine wirfliche Behauptung. Ja er hält es fogar für möge 
h, daß jeder für fich genugthun Fann, da es nur darauf 
kommt, daß jeder Menfch die erſte Gnade (die gratia 
eima zum Unterſchied von der gratia secunda, bie dem 
tenfchen nach der Taufe bei der Buße zu Theil wird) em⸗ 
Ängt. Wie und Gott, obgleich jeder ein Kind des Zorns 
I, doch ohne unfer eigenes Verdienſt Die erfte Gnade gibt, 
wburch jeder die Seligfeit verdient, fo kann er auch bie Til- 
mag ber Schuld verdienen ?). 

AUus allem diefem zieht Duns Scotus die Folgerung, 
Was ganze Werk der Erlöfung durch Chriftus nichts noth⸗ 
wbiges iſt, fondern blos etwas zufälliges, oder nothwen⸗ 
g nur unter Borauffegung einer göttlihen Anordnung, 
jache felbft nicht nothwendig iſt. Daß aber Chriftus, ob- 
dich der Menſch auch anders hätte erlöst werden Fönnen, 
a gleichwohl mit freiem Willen gerade auf dieſe Weife er⸗ 
Ken wollte, darin erkennt Duns Scotus das fittlihe Mo⸗ 
went, daß der Menſch in Folge hievon durch ein um fo flär« 
ines Band der Liebe mit Gott verbunden wird °). 


4) Duns Scotus fett noch hinzu: Zt cum dicit (Anfelm Cur 
D. h. I, 5.) quod tuno obligaremur ei tantum, quas- 
tum Deo, falsum est, imo simpliciter Deo, quia totum, 
quod üÜle haberet, esset a Deo: obligaremur tamen mult 
tum sibi, sicut obligaremur beatae Virgini, et aliis San- 
ctis, qui meruerunt pro nobis, semper tamen finaliter e- 
summe Deo tangquam ei, a quo allorum bona procedunt. 

9) Praeterea videtur (de possibili dico), quod quilibet pot- 
est satisfacere pro se — sicut modo, licet quilidet sit 
filius irae, cuilibet tamen dat primam gratiam sine me- 
rütis propriis, et tunc meretur begtitudinem, igitur po- 
tuit etiam merutsse deletionem culpae. 

)A. a. O. ©. 430.: Tunc ad quaestionem dico, quod om- 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. 17 


258 


I. Ber. IL Abſchn. 3. Rap. 
Zufällig ift Demnach nad) Duns Scotus das ganze Wer 


der Erlöfung, aber dieſelbe Zufälligfeit behauptet auch Tip 


- 


nia hujusmodi, quae facta sunt a Christo circa redemp- 
tionem nostram , non fuerunt necessaria, nisi praesup- 
posita ordinatione divina, quae sic ordinavit fierl, d 
tunc tantum necessitate consequentiae necessartum fill, 


"Christum pati: sed tamen totum fuit contingens 
'citer et antecedens et consequens. Unde credendum est) 


quod ille homo passus est, propter justitiam (nimill 
Chriſtus), vidit enim mala Judaeorum, quae feceranij 
et quomodo inordinata affectione et distorta affıcleben- 
tur ad legem suam, nec permittebant homines curarl 
sabbato, et tamen extrahebant ovem vel bovem de 

in :sabbato et multa alia. Christus igitur volens eos ı 
errore illo revocare per opera et sermones, maluit 
quam tacere, quia tunc erat veritas dicenda Judasds, 
et ideo pro justitia mortuus est. (Man überfehe hier nt 
wie rationalififh Duns Scotus die Wirkfamkeit Ch 
auffaßt, indem er in ihm nur den zur Verbefferung der SH 
lichfeit feiner Zeitgenoffen wirkenden £chrer fieht). Tameg 
de facto sua gratia passionem suam ordinavit et obtu- 
lit Patri pro nobis, et ideo multum tenemur ei. Ex que 
enim aliter potuisset homo redimi, et tamen ex sua H- 
bera voluntate sic redemit, multum ei tenemur, et am- 
plius quam si sic necessario et non aliter potuissemus 
fuisse redempti, ideo ad alliciendum nos ad amorem: 
suum, ut credo, hoc praecipue fecit, et quia voluit homi- 
nem amplius teneri Deo, sicut si aliquis genuisset pri- 
mo hominem et postea instruxisset eum in disciplina d 
sanclitate, amplius obligaretur ei, quam si tantum ge 
nuisset eum et alius Instruxisset, et haec est congrei- 
tas, non necessitas. St autem volumus salvare Ansel- 
mum, dicamus, quod omnes raliones suae procedunt, 
praesupposita ordinatione divina, quae sic ordinavit ho- 
minem redimi (daß die Anfelm’fche Deduetion nicht ia 
Diefem Sinne zu nehmen ift, verficht fich von ſelbſt), ei söc 


Thomas von Ag. u. Duns Scotus. 259 


3 von Aquinum, da er ja gleichfalls die abfolute Noth- 
ndigfeit Defjelben läugnet. Welches Moment hat daher, 
ı auf das Obige zurüdzufommen, der Begriff einer satis- 
"io non solum sufficiens, sed superabundans, und 
f welcher Seite ift Die größere Confequenz, auf der Seite 
3 Thomas, welcher eine Eatisfaction in diefem Sinne bes 
uptet, oder des Duns Ecotus, welcher fle verwirft? Cine 
tisfactio non solum sufficiens sed superabundans {ft 
Rreitig der ftärkfte Ausdrud für den objectiven innern Werth 
z von Chriftus in feinem Leiden und Tod für die Sünden 
kRenfchen gegebenen Aequivalents. Die Stinden der Men- 
ja find fo wenig frei erlaffen, daß das, was für fie ge⸗ 
m vwourde, nicht blos denfelben, fondern fogar noch einen 
überfteigenden höhern Werth hat. Welchen Zwed kann es 
er haben, auf den innern objectiven Werth des Aequivas 
#8 fo großes Gewicht zu legen, wenn doch zugleich zuges 
ken wird, daß an fich überhaupt Fein Nequivalent zur Er- 
ng der Menfchen nothwendig war? Nur wenn man von 
r Borausfegung ausgeht, daß die Menfchen ohne ein Ae⸗ 
walent nicht hätte erlöst werden können, Fommt es dar⸗ 
fan, nachzuweiſen, daß das Aequivalent in dem anges 
fienen Verhältnig zu demjenigen ftund, wofür ed als Aes 
ionlent gegeben wurde, und wenn fi} bei diefer Gegen⸗ 
erftellung des einen und des andern fogar noch ein Ueber⸗ 
uß ergibt, ift alles geichehen, was nur immer die Rück⸗ 
ht auf die ein Aequivalent fordernde Idee der Gerechtigkeit 
bieten kann. Hieraus geht aber von felbft hervor, daß die 
dee einer satisfactio non solum sufficiens, sed super- 
bundans zwar in einer Deduction der Nothmendigfeit des 


videtur procedere, ita quod Deus ex praeordinatione non 
voluit acceptare pro redemptione hominum , nis! mortem 
Filii sut, nulla tamen necessitas absoluta fuit. Unde in 
Ps. 129. (130, 7.): Copiosa apud eum redemptio. 


17 * 


260 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


Grlöfungswerfes, wie bie Anſelm'ſche ift, ihre nothmenbige 
Stelle hat, auf jedem andern Standpunct aber Teineswegs 
dDiefelbe Bedeutung haben kann. Daher fteht Thomas mit 
feiner Idee einer satisfactio abundans in der Mitte zwi⸗ 
[hen Anfelm und Duns Scotus, und es fragt fih nur, ob 
man, wenn man fid) von Anfelm fo weit: entfernt, als ſich 
Thomas von ihm entfernte, nicht noch weiter geführt wird, 
und nur der von Duns Scotus genommenen Richtung fols 
gen kann. Gibt man zu, Daß Gott auf eine andere Weile, 
ohne Genugthuung und Nequivalent, die Menfchen hätte er⸗ 
Löfen Fönnen, abftrahirt man ebendamit nicht blos von ber 
Borausfegung, daß Die objective Unendlichkeit der Schuld mit 
der objectiven Unendlichkeit eined Aequivalents ausgeglichen 
werben müffe, jondern auch von der Idee der objectiven Uns 
enbdlichfeit der Schuld der Sünde felbft, fo ſieht man aud 
nicht mehr, welche Bedeutung überhaupt die Firchliche Lehre 
von der Berfon des Gottmenfchen für das Werk der Erlös 
fung haben fol, und muß dem Duns Scotus Recht geben, 
baß ebenfo gut auch ein bloßer Menſch der Erlöfer der Mens. 
fchen, oder der Ankündiger und Vermittler der göttlichen Gna⸗ 
de, hätte ſeyn können. Es ift daher hier nicht zu überfehen, 
wie der Widerfpruch des Duns Scotus gegen Die satisfac- 
tio superabundans ihn zugleich auf Behauptungen führt, 
die mit der Firchlich orthodoren Lehre von der Perſon Chris 
fti fi) nicht wohl vereinigen lafien. Während Thomas bie 
Idee der satisfactio superabundans auf die dignitas vi- 
tae gründet, quam pro satislactione ponebat, quae erat 
vita Dei et hominis, behauptet Dagegen Duns Scotus: 
meritum Christi fuit quoddam finitum bonum, cum 
fuerit ejus secundum naturam humanam. Mit welchem 
Recht wird aber das Leiden und Verdienſt Chrifti nur nad 
dem Maasftab feiner menſchlichen Natur gewürdigt, wenn 
doch in der Zweihelt der. Naturen immer die Einheit der 
gottmenfchlichen Berfon des Erlöfers feftgehalten werden muß! 


Thomas von Ag. u. Duns Scotuß, 261 


ſt aber bad Leiden und Verdienſt Chrifti nicht blos ein 
enfchliches, fondern ein gottmenfchliches, fo muß ed auch 
nen objectiven übermenfchlihen, abfoluten Werth haben. 
iefe von Thomas behauptete infinitas meriti beftreitet 
und Scotus durchaus mit Argumenten, bei welchen Kar vor 
gen liegt, wie fie eine ber Einheit der Perfon widerſtrei⸗ 
de Trennung des Göttlichen und Menfchlichen, oder, da es 
h zunächſt um den Begriff des Verdienſtes handelt, des 
Mlichen und menfchlichen Willens in Chriſtus vorausfegen *). 


P Zu Dist. XIX. ©. 413. argumentirt Duns Geotud gegen 
Thomas auf folgende Weife: Contra hunc modum dicen- 
di (die Infinitas meriti) arguo, quia dicta ista, quibus 
dicitur, quod vita Christi fuit ita excellens, ut haberet 
quandam infinitatem, videntur hyperbolica, et exponen- 
da, quia nunc loguimur de bono velle Christi, quo 
meruit, et Deus acceptavit passionem pro omnibus, quan- 
tum ad suffictentiam, ut dicunt, quia aut bonum velle 
Christi tantum erat acceptatum, quantum eral persona 
Perbt (warum tft bier blos von der persona Verbi die Res 
de, und nicht vielmehr, wie:die Lehre von der Perfon Ehri- 
Ri erfordert, von der Perfon des Gottmenfchen?), aut si non, 
ergo non habuit infinitatem acceptabilitatis, ut posset 
sufficere pro infinitis. Si bonum velle Christi aut tan- 
tum acceplatum, quantum erat persona Verbt, tunc cum 
persona Verbi sit simpliciter infinita, illud bonum velle 
Christi fuit infinite acceptatum, sed cum Deus nihil 
acceptet, nist quantum habet de acceptabilitate, igitur 
ilud velle ratione suppositi habet rationem tnfinitae 

.acceptabilitatis, et tunc in acceptabilitate non esset dif- 
ferentia inter velle proprium Verbi in se et velle Il. 
Hus naturae in Verbo, quia ex parte acceptabtlitatis non 
est major acceptabilitas, igitur Verbum volendo bonum 
eircumscripta natura assumpta potuit merert, quod fal- 
sum est. (Allein eben dieſe differentia des Wollend des 
Worts und der menfchlichen Natur im Worte, oder dieſe 
Trennung der Einheit der gottmenfchlichen Perfon in bie 


262 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


Wie aber auf- diefe Weile die Läugnung der objectiven- Un- 
endlichkeit des Leidens und Verdienſtes Chrifti auf Confe- 





beiden für fich betrachteten Naturen, wie wenn Chrifus 
im Werk der Erlöfung nicht Gottmenfch, fondern bloßer 
Menfch geweſen wäre, iſt das Falfche.) EL ultra sequi- 

" tur, quod trinitas tantum diligeret velle assumtae, 
sicut Verbi increatum, quod nihil est dicere, quia hoc 
est ponere, creatum habere tantam diligibilitatem stcut 
increatum (auch diefer Unterfchied des Gefchaffenen und Uns 
gefchaffenen ift in der Einheit der Perfon aufgehoben. Eben⸗ 
ſo verhält es fich mit den folgenden Argumenten). Praeter- 
ea hujusmodi velle non est plus acceptatum Deo, quam 
sit bonum: si igitur Infinite fuit acceptatum, vel pro 
infinitis, tune velle illud cum relatione ad suppositum 

:‚ Ver&i fuit formaliter infinitum, igitur antma Christi 

u, potult ita perfecte frui Deus, vel velle cum tali respec- 
tu, .sicut, Verbum suo velle proprio, quod nihil est nisi 
ponere animam Verbum. (Sind adenn nicht die ani- 
ma und das Verbum in der Einheit der Perfon ſelbſt auch 
zur Einheit geworden, und als Eins gefest?) Praeterea 
per se principium ülius velle, sumptum cum omnibus 
respectibus ad Verbum, vel ad aliud, est finitum: Igitur 
et velle fuit formaliter finitum et limitatum et per con- 
sequens finite acceptatum, nec habuit Verbum causali- 
tatem aligquam super illud velle, guam non habuit tota 
trinitas. Et si detur, quod Verbum habet specialem ef- 
fieientiam super actum illum, adhuc non sequitur, quod 
sit formaliter infinitus — ita quod secundum sufficien- 
tiam valeat pro infinitis redimendis, sed sicut meritum | 
fuit finitum in se, ita secundum justitiam commutati- 
vam fuit finitum retributum: igitur non meruit Infinitis 
secundum sufficientiam in acceptatione divina, sicut nee 
fuit infinite acceptatum, quia in se finitum. Worauf 
anders läuft auch dieß wieder hinaus, als auf die Tren⸗ 
nung Der perfönlichen Einheit des Erlöfers, wie wenn das 
Endliche in ihm nicht in die Einheit mit dem Unendlichen 
aufgenommen wäre? 


Thomas von Aa. u Duns Scotus. 263 


quenzen führt, die bie Idee der gottmenfchlichen Perfon bes 
Grlöfers. felbft aufheben, fo muß auf der andere Seite auch 
der nothiwendige Zufammenhang der Idee des Gottmenſchen 
mit der objectiven Unendlichkeit feines Leidens und Berbiens 
ſtes anerkannt werden. So wenig bie Idee des Sohnes Got⸗ 
tes, oder des Gottmenfchen, für eine blos wilfürliche und 
zufällige gehalten. werden kann, ebenfo wenig kann auch die 
durch ihn gefchehene Erlöfung aus dieſem Geſichtspunct 
betrachtet werben, fondern das Eine wie Das Andere kann in 
feinem abfoluten Grunde nur aus der abjoluten Natur Got⸗ 
tes felbft begriffen werben. Läugnet man aber jede, im Wes 
fen Gottes felbft gegründete, Nothwendigfeit, fo Tann der 
abfoluten Nothwendigkeit, wie fie Anſelm in feiner Welfe 
anerkannte, Thomas von Aquinum aber theils fefthtelt, theils 
fallen ließ, nur die abjolute Willfür gegenübergeftellt wer⸗ 
den, auf welche die Theorie des Duns Scotus als ihre lezte 
Vorausſezung immer wieder zurüdgeht. 

Sp unbedeutend beim erften Anblid die Differenz bes 
Thomas von Aquinum und ded Duns Scotus in Anfehung 
der satisfactio superabundans zu feyn fcheint, fo tief ein⸗ 
greifend ift, bei näherer Betrachtung, der Gegenfaz der beiden 
Standpuncte, auf welche fie zurüdzuführen if. Der Wider- 
ſpruch des Duns Scotus gegen die satisfactio superahun- 
dans hängt fehr wefentlich mit einer Theorie zufammen, die 
aus dem Verhältniß Gottes und ded Menfchen alles objectiv 
Vermittelnde zu entfernen fucht, weil e8 dem abfoluten WBil- 
len Gottes gegenüber nur ald etwas an ſich Ueberflüffiges 
erſcheinen kann. Alles, was die Verfühnung des Menfchen 
mit Gott zu erfordern fcheint, ift nothwendig, nur weil e8 
Sott will, nicht aber deswegen, weil Gott nichts anders 
wollen kann, ale das an fih Wahre und Gute, das Abfo- 
Iute. Daher ift diefer abjolute Wille Gottes, da er nicht Die 
Natur Gottes, ald des abfoluten Geiſtes, zu feiner nothwen- 
digen Borausfezung hat, die abjulute Willfür felbft. Sft 


6 1. Per. IL Abſchn. 3. Kap. 


aber. die abfolute Willkür das hoͤchſte Princip, fo gibt es 
auch Teinen durch Die denkende Vernunft geſezten Zuſammen⸗ 
bang von Momenten, durch die ſich Gott, als der abfolute 
Geiſt, mit fich felbft vermittelt. Auf dieſes Princip der mit 
dem Wefen Gottes felbft identiſch gefezten abfoluten Willkür 
müffen wir alfo zurüdgehen, wenn wir ed ung feinem legten 
Grunde nach erklären wollen, warum Duns Scotus dem 
Begriff der satisfactio superabundans den Begriff der 
divina acceptatio entgegenſezt. Weil überhaupt nichts ob- 
jective Realität hat, auffer fofern es ein Object des göttlichen 
Willens ift, der an fich ebenfo gut das Entgegengeferte zu 
feinem Object machen Fönnte, hat auch die Satisfaction durd 
Das Berdienft Chrifti feinen Innern objectiven Werth, fondern 
Ihr Werth. hängt einzig nur davon ab, daß fie ein Object des 
göttlichen Willens if. Daher hat die ganze Differenz, bie 
fih durch die Lehrfufteme des Thomad von Aquinum und 
des Duns Scotus hindurch zieht, ihre höchfte Spige in der 
Lehre von Gott, in weldyer Thomas das abfolute Gute nicht 
durch den abfoluten Willen Gottes, fondern den abfoluten 
Willen Gottes jelbft durch die Idee des abfoluten Guten, 
das nur die abfolute Natur Gottes felbft ſeyn kann, bedingt 
ſeyn laßt 9). Während demnach auf dem einen Standpunct 


4) P. III. Quaest. 19. art. 3. gibt Thomos auf die Frage: 
Utrum quidguid Deus vult, ex necessitate velit? die Ant: 
wort: Circa divina volita hoc considerandum est, quod 
aliquid Deum velle est necessarium absolute, non tamen 
hoc est verum de omnibus, quae vult. Voluntas enim 
divina necessariam habitudinem habet ad bonitatem suam, 
quae est proprium ejus objectum. Unde bonitatem suam 
esse, Deus ex necessitate vult, sicut et voluntas nostra 
ex necessiltate vult beatitudinem: sicut et quaelibet alia 
potentia necessariam habitudinem habet ad proprium 
et principale objectum, ut visus ad colorem, quia de sul 
ratione est, ut in illud tendat. Alia autem a se Deus 


Thomas von Ag. u. Duns Scotus. 269 


Bott der abfolute Geiſt nur infofern if, fofern er der abſo⸗ 
lute Wille if, if er auf Dem andern der abfolute Wille nur 





wult, in quantum ordinantur ad suam bonitatem ut in 
finem: ea autem, quae sunt ad finem, non ex necessilate 
volmus, volentes finem, nisi sint talia, sine quibus fi- 
nis esse non potest. Dagegen fagt Duns Seotus Lib. L Sent. 
Dist. 39. quaest.5. T.V. P. 2. ©. 1306. vom göttlichen Willen, 
er fey Äidertas illa, quae est per se perfectionis et sine imper- 
fectione, scilicet ad objecta opposita, ita quod sicut vo- 
antas nostra potest diversis volitionibus tendere in di- 
versa volibilia, ita illa voluntas potest unica volitione 
simplici ilimitata tendere in quäecungue volibilia, ita 
quod st voluntas illa, vel illa volitio esset tantum unlus 
volitionis, et non possel esse oppositli, quod tamen est 
de se volibile, hoc esset imperfectionis in voluntate. — 
Voluntas divina nihil aliud respicit necessario pro ob- 
jecto ab essentia sua, ad quodlibet igitur aliud contin- 
genter se habet, ita quod posset esse opposili, et hoc con- 
siderando ipsam ut est prior naturaliter tendentiä in 
Ülud objectum, nec solum ipsa, ut volunltas prior est 
naturaliter suo actu, sed etiam in quantum est volens, 
'— in eodem instanti possit tendere in oppositum obje- 
etum et: hoc tam de potentia logica — quam de poten- 
tia reali, quae prior est naturali actu suo. Was folgt 
aus diefen Sägen anders, als die Behauptung, daß der 
Unterfchied des Guten und Böfen Fein objeetiver, ſondern 
ein bios mwillfürlicher ift, daß alfo Gott das Gute nicht 
will, weil es gut ift, fondern es vielmehr gut if, weil er es 
will, auch das Bdfe fomit Bäfe, nur weil er es nicht will, an 
fi) aber würde ed, wenn er es wollte, ebendadurd das 
Gute feyn? Daher gibt es nach Duns Seotus in Beziehung 
auf Gott Feinen Unterfchied zwifchen der potentia ordinata 
and der potentia absoluta. Dico, fagt Duns Seotus Lib. 1. 
Sent. Dist. 44. ©. 1369., quod Deus non solum potest 
agere aliter, quam ordinatum est ordine particulari, 
sed etiam aliter, quam ordinatum est ordine universali, 


268 L Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


dern iſt nur eine neue Form ber Einheit Gottes und ber 
Greatur. Für die Greatur aber, zu deren Weſen Veraͤnde⸗ 
rung gehört, ſchickt es fich, daß ſie, wie fie zuvor nicht war, 
und erft zu feyn anfing, fo auch erft perfönlich mit Gott vers 
einigt wurde, nachdem fie ed zuvor noch nicht war. Gehört 
es nun aber an fich ſchon zum Weſen Gottes, fich mit der 
Creatur perfönlich zu vereinigen, fo kann das Vermittelnde 
diefer Einheit nur der Sohn feyn, zu befien Begriff es we⸗ 
fentlich gehört, daß in ihm Gott und Menih an ſich Eins 
find. Der Sohn bat nämlich nach Thomas eine weſentliche 
Beziehung zur Greatur, fofern er ald Wort Gottes das Urs 
bild ift, nach welchem die Schöpfung gebildet worden iR, 
und wenn nun das Berhältniß der Greaturen in ihrem Fürs 
fihfenn zum Urbild nur ein getheiltes und bewegliches tft, 
fo muß es auch eine ungetheilte perfönliche Einheit des Wors 
tes mit der Greatur geben *). Liegt ed demnach an fi 


4) Quaest. III. art. 8.: Convenientisstmum fuit, personam 
filii incarnart. — Convenienter enim ea, quae sunt simi- 
la, uniuntur: ipstus autem personae filii, qui est ver- 
bum Dei, attenditur uno quidem modo communis con- 
venientia ad totam creaturam, quia verbum artificis, id 
est, conceptus ejus, est similitudo ewxemplaris eorum, quae 
ab artifice fiunt. Unde verbum Dei, quod est aeternus 
conceptus ejus, est similitudo exemplaris totius creatu- 
rae, et ideo sicut per participationem hujus similitudi- 
nis creaturae sunt in proprüs speciebus institutae, sed 
mobiliter, ita per unionem verbi ad creaturam, non par- 
ticipatam, sed personalem, conveniens fuit, reparari crea- 
turam in ordine ad aeternam et immobilem perfectio- 
nem. Nam et artifez per formam artis conceptam, qua 
artificcatum condidit, ipsum, si collapsum fuerit, restau- 
rat. Alio modo habet convenientiam specialiter cum hu- 
mana natura, ex eo, quod verbum est conceptus aeternae 
sapientiae, a qua omnis sapientia hominum derivatur_ 


Et ideo per hoc homo in sapientia perficitur, quae es 


Thomas von Ag. u. Duns Scotus. 269 


fhon in dem Weſen Gottes, daß er Menfch wird, und mit 
dem Menſchen Eins ift, fo ift ſchon darin auch das Princip 
der Verföhnung enthalten, während dagegen eine Anficht, 
welche, wie bie des Duns Scotus, den abfoluten Willen Got⸗ 
tes zum abfoluten Princip erhebt, wenn fie auch durch den 
Iogifchen und Firchlichen Kormalismus, in welchem fie ſich bes 
west, ihren wahren Sinn verhüllt, eigentlich doch nur im 
Sinne des Arlanismus Gott und den Menfchen von einan⸗ 
der trennen Tann. Sehr natürlich fchließt fih daran, wie 
; m felbft erhellt, der bekannte Pelagianismus der Seotiftie 
I hen Lehrweife an. Auf der andern Seite hält Thomas ſei⸗ 
* ren objectiven Standpunct auch in der Lehre von der Recht⸗ 
erligung in ftrenger Conſequenz fefl. Ihre fubjective Seite 
lat daher die Rechtfertigung nur darin, daß Gott, wie er 
tberhaupt jedes Welen nach der Eigenthümlichkeit feiner Ras 
tur bewegt, den Menfchen in der Form des zu feinem We⸗ 
Im gehörenden freien Willens zur Gerechtigfeit bewegt *). 






propria ejus perfectio, prout est rationalis, quod parti- 
cipiat verbum Dei, sicut discipulus instrultur per hoc, 
quod recipit verbum magistri — et ideo ad consumma- 
tam hominis perfectionem conveniens fuit, ut ipsum ver- 
bum Dei humanae naturae personaliter uniretur. Was 
it demnad) die Menfchwerdung Gottes anders, als die Volls 
endung der menfchlichen Natur, die fchon dadurch mit Gott 
Eins ift, daß der Menſch als Geift, d. h. vermittelſt der 
mens, in welche Thomas das göttliche Ebenbild ſetzt (P. I. 
quaest. 93. art. 1.f.), participat verbum Dei. 

1) Die Momente der justificatio find nad) Thomas (Prima 
seoundae quaest. 413.) 1. Die remissio peccatorum 2. die 
infusio gratiae 3. der motus liberi arbitrii 4. der molus 
fidei (die das Gemüth auf Gott richtende Bewegung des 
freien Willens kann nur durch den Glauben gefchehen, aber 
diefer Glaube if nur der Glaube, daß Gott if, als Object 
der Seligkeit und Urfache der justificatio, die fogenannte 
Rdes informis als ein Act des Intellectus) 5. der motus H- 


270 4 Ber. I. Abſchn. 3. Kay. 


Wie überhaupt bie fcholaftifchen Theologen in der Zeit 
nad Duns Scotus in die beiden Parteien der Thomiften und 
Seotiften ſich trennten, deren theologifcher Gegenſatz auch 
durch das getheilte Ordens-Intereſſe der Dominikaner und 
Sranzifcaner um fo lebendiger erhalten wurde, fo dauerte 
ſeit Diefer Zeit der Differenz über den abfoluten und relativen 
- Werth des genugthuenden Leidens Chrifti fort. Doch fchien 
dag fcholaftifch-fpeculative Intereſſe fofehr auf der Seite des 
Duns Scotus zu feyn, daß auch manche von denen, die als 
Thomiſten und Dominikaner auch in diefem Puncte auf der 
Seite des Thomas von Aquinum Bätten feyn follen, dem 
Duns Scotus beiftimmten, wie namentlich der die herge⸗ 
brachte Auctorität wenig achtende, unter den Scholaftifern der 
Dritten Periode ausgezeichnete Durandus von St. Pourçain 
(de sancto Poreiano) 9). Zugleich fcheint aber auch der 
um biefelbe Zeit aufd neue emporkfommende Nominalismus 
Die Vorliebe für die ſcotiſtiſche Lehrweiſe begünftigt zu haben, 


Bert arbitrii a peccato. Die fchlechthin von Gott ausge⸗ 

hende, durch den freien Willen des Subjectd vermittelte 
Bewegung ‚bat zu ihrem terminus a quo das recedere a 
peccato, und zuihrem Terminus ad quem das accedere ad 
justitiam. Deßwegen definirt Thomas die justificatio als 
einen motus de contrario in contrario, oder ale eine trans- 
mutatio de statu injustitiae ad statum justitiae. “in der 
Justitia ald dem terminus ad quem geht alfo die von Gott 
ausgehende Bewegung wieder in Gott zurück. 

» In feinem Commentar über die Sentenzen des Petrus Lom⸗ 
bardug behauptete er zu TLib. III. Dist. XV. quaest. 1. nr. 7.: 
Christus secundum strietum justitiae rigorem non potuit 
satisfacere, gula quidquid erat in Christo secundum hu- 
manam nalturam, erat obligatum Deo et ei debitum, ideo 
non potuit esse satisfaclio de condigno pro quocunque 
peccato, considerando naturam operis vel rei, sed solum 
potuit esse sat: sfactio secundum acceptationem gratui- 
tam. 


: Spätere Scholaftiker. 271 


welche, fo wenig auch Duns Scotus felbft fchon ald Roms 
nalift anzufehen ift, doch mit dem Nominalismus in einer ge⸗ 
wigen Innern Verwandtichaft ſteht. Wie die göttliche Accep⸗ 
tation des Duns Scotus an die Stelle der objectiven Sa 
tisfaction eine fubjective Vorftellung feste, welche, wem auch 
durch den göttlichen Willen felbft gefeht, Doch immer nur ins 
nerhalb der Grenzen der Subjectivität eingefchloffen blieb, 
da ihr nichts objectiv Reale entfprach, fo führte ja übers 
haupt der Nominalismus die Objectivität des fcholaftifchen 
Realismus auf die Subjectivität der bloßen Vorftellung zus 
rüd. Seotiften, wie Wilhelm Decam, der Ermeuerer des No⸗ 
minalismus, und Gabriel Biel, der legte bedeutendere Schos 
laftifer, mußten auch ald Rominaliften für die Idee der Ac⸗ 
ceptation feyn ). Daß aber auf der andern Seite bie tho- 


1) Man vgl. Biels Comment. über die Sentenzen zu Lib. III. 
Dist. XX., wo er zwar die Unendlichkeit des Verdienſtes 
Chriſti zugibt, aber zugleich behauptet, es fey nicht ratio- 
ne dignitatis personae, oder ralione propriae perfectio- 
nis, fondern ew voluntate et acceptatione Dei unendlich 
gewefen, was von der Lehre des Duns Scotus nur dem 
Ausdruck nach verfchieden ift, da Duns Seotus das meri- 
tum Christi nicht ein infinitum wie Biel, fondern ein fi- 
nitum nennt, aber auch nach Biel war es ja nicht an fich 
infinitum. Die Nominaliften festen durchaus den Werth 
des Derdienftes Ehrifii nur in die Acceptation von Seiten 
Gottes. Der fpanifche Theologe Michael de Palacios (im 
16. Jahrh.) ftellt in feinen Diss. theol. in libr. III. sen- 
tent. dist. XX. disp. 2. die nominnliftifche Lehre fo dar: 
Mortem Christi non ezplevisse Dei justitiam, sed solum 
explevisse ex magna condignitate. — Quod ad justitiae ae- 
qualitatem attinet, tantum valorem habere potuisse ape- 

: ra puri hominis, quantum habuerunt opera Christi, quia 
per se neutra sufficiebant: ex acceptatione vero et ordi- 
natione divina potuisse aeque sufficere utraque, quam- 


272 1. Ber. I. Abſchn. 3. Rap. 


miftifche Vorfiellung von der objectiven Unendlichkeit des Ver⸗ 

dienftes dem Intereſſe des kirchlichen Syſtems mehr zu ent⸗ 

forechen fchien, beweist die Aufnahme derjelben in die Bulle 

Unigenitus 9). 

Was endlich noch die fogenannten Borläufer der Refors 
mation betrifft, fo Fonnte die Lehre von der Berföhnung nicht 
"unter diejenigen Momente gehören, in welchen eine fie befon« 
ders auszeichnende Berührung zwiichen Ihnen und den Refor- 
matoren flattfand. Wie fich Die Reformatoren für den Sa⸗ 
tisfactiondbegriff erklärten, fo fehlen ja auch ſchon vor ber 
Reformation das religiöfe Intereffe auf der Seite diefer Theo 
rie zu feyn. Es kann daher nicht befremden, daß auch die 
der Reformations= Epoche näher fehenden Männer dem Sa⸗ 
— — — i 

quam haec convenientius stnt acceptata. ©. Cotta's ober 

genannte Differtation ©. 122. f. 

4) Sie tft die Subiläumsbulle Clemens VI. vom %. 1345. (Ex- 
travagg. Comm. Lib. V. Tit. 9. c. 2. bei Raynald ann. 
1349. nr. 41.) und lautet in der Hauptfache fo: (Deus & 
lius) non corruptibilibus auro et argento, sed sul tpsiun, - 
agni incontaminati et immaculati, pretioso sanguine no 
redemit, quem in ara crucis pro nobis innocens immo- 
latus, non quttam sanguinis modicam, quae tamen prop- 
ter unionem ad Verbum (diefe unio wird hier mit derſel⸗ 
ben Eonfequenz hervorgehoben, mit welcher fie die Seoti⸗ 
fien zurückſtellen) pro redemptione totius generts humanl 
suffecisset, sed copiose velut quoddam proftuvtum nosci- 
tur effudisse, ita ut a planta pedis usque ad verticem 
nulla sanitas inveniretur in ipso. Das hierarchiſche Mo; 
ment erhellt aus dem unmittelbar Folgenden: Quantum er- 
g0 exinde, ut nec supervacua, inanis aut superflua tan- 
tae effusionis miseratio redderetur , thesaurum militanti 
ecclesiae acguisivit, volens suis thesaurizare filiis pius 
pater, ut sic sit infinitus thesaurus hominibus, quo qu ã 
usi sunt, Dei amicitiae participes sunt effecti. Auch 
nachher ift noch von den infinita Christi merita die Ri 


Mi 


ea ho. fi. 


Joh. Wikliff.  .' 273 


usfactions⸗Dogma folgten. Am meiften iſt dieß bei Joh. 
Wikliff der Hall, welcher in feinem Trialogus 9 auch bie 
Frage anfwirft, ob Chriftus wegen ber Satisfaction für bie 
Sünde der Menichheit Menſch werden und fterben mußte, 
und fich bei der Beantwortung berfelben ganz an ‚den Sa- 
Höfactionsbegriff hält, denſelben jedoch auf eigenthümliche 
Weiſe entwickelt. Sege man 1. voraus, daß bie erfien Men- 
ſchen aus Unwiſſenheit gefündigt, 2. in der Empfindung ber 
Größe ihrer Strafe vor ihrem Tode auf fruchtbringende Weife 
Buße gethan haben, und daß 3. ungeachtet der Sünde bes 
een Menfchen die urfprüngliche Gerechtigkeit aufrecht erhals 
ten werden mußte, fo folge aus dieſen Vorausſetzungen, daß 
das Wort des Herrn Menſch werden mußte, weil das Men- 
ſchengeſchlecht in feinem Princip erhalten werden mußte, und 
ehne die Menfchwerdung Chrifti nicht erhalten. werden konn⸗ 
te. Der frachtbringenden Buße des erflen Menichen habe 
Gott feine Barmherzigkeit nicht verfagen Tönnen. Und da, 
der dritten Vorausſetzung zufolge, für die Sünde des. erften 
Denichen habe Genugthuung gefchehen müffen, fo Habe das Ges 
ſchlecht deſſelben Menfchen eine der Größe feiner Sünde in Dem ers 
fen Menfchen entfprechende Senugthuung leiften müflen, was 
nur einem Gottmenſchen möglich geweſen fey, da fein Menſch 
für ſich felbft für die eigene Sünde habe genugthun Fönnen 2). 
Es iR hier bemerfenswerth, welches Gewicht Wikliff neben 





4) Dialogorum libri quatuor. Francof. et Lips. 1753. ©. 154. 
L. III. Cap. 25. De incarnatione et morte Christi. 

A. a. O. ©. 155.: Salvari enim oportuit illum hominem 
(Adam), cum tam fructuose poenituit, et Deus non pol- 
est negare suam misericordiam taliter poenitenti. Et 
cum, juxta suppositionem tertiam, oportet, quod satisfa- 
eiio pro peccato fiat, ideo oportet, quod idem illud ge- 
nus hominis tantum salisfaciat, quantum in prothopla- 
sto deliquerat, quod nullus homo facere poterat, nist si- 
mul fuerat Deus et homo. 


Baur, vie Lehre von der Berföhnung. 18 


274 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kay. 


dem Satisfaktionsbegriff auf die Wirkſamkeit der Buße legt. 
Die Satisfaction für ſich genügt nicht zur Wieberherftellung 
des Menfchengefchlehts, ed muß auch Die Buße als noth- 
wendige Borausfegung binzufommen, und zwar in demſel⸗ 
ben Subjeet, das die Sünde begangen hat, in:dem erſten 
Menfchen, welcher demnach wie in der Sünde, fo atich in 
der Buße das ganze Gefchlecht vertritt. Auch in der Ent⸗ 
widlung des Satiäfactionsbegriffs hebt Wiklliff das fittliche 
Moment darin befonderd hervor, daß er als das Aequiva⸗ 
Imt für .die Sünde Adams einen dem Uebermuth beffelben 
- entfprechenden Grad von Demuth betrachtet, und die Noth⸗ 
wendtgfeit der Menfchwerdung Gottes eben Dadurch begrüts 
det, daß nur Gott in der Niedrigfeit eines Menſchen fich ber 
Gleichheit mit Gott auf diefelbe Weiſe entäußern Tonnte, wie 
Adam in feinem übermüthtgen Ungehorfam ‚die Gleichheit mit 
Gott erftreben wollte 9). Hiemit fcheint nicht. ganz gut zus 
fammenzuftimmen, daß Wikliff die Sünde Adams für eine 
bloße Suͤnde der Unwiſſenheit hält, bedenft man aber, daß, - 
wenn die Sünde Adams in das übermüthtge Streben nad 
Gleichheit mit Gott gefegt wird, der werfehrten Richtung bes 
Willens zugleich ein feinem Geifte vorfchwebender falfder 
. Schein zu Grunde lag, welcher in Chriftus als dem Gott⸗ 
1) A. 0.0. ©. 155.: Quis, rogo, potuit ad tantum humi- 
liari, sicut Adam superbivit? Cum enim ille superbitt 
implicite, implicans se ad aequalitatem Dei ättingere > 
quia innuebat se non debere mandato domini obedire; 
patet, quod oportuit personam satisfacientem a tanto 
gradu exaltatimis humilitate descendere, sed ubi foret 
illa paritas, nisi sicut homo, non Deus, aequulitatess 
domini praesumebat, sic homo Deus ab aequalitate Dei 
ad humilitatem hominis descendisset (Phil. 2.)? Nux 
fey die praesumptio des erften Menfhen more crimn#s 
falfch, die assumptio et minoratio des zweiten realis ei 
vera geweſen. 


Joh. Witliff 275 


menſchen zur Wahrheit wurde, fo famn das Verhaͤltniß zwi- 
hen Adam und Chriftus, oder dem erflen und zweiten Men⸗ 
ſchen, wie Williff ſich ausdrückt, nur ald der Gegenſatz des 
Irrthums und der Wahrheit, oder der noch unvollkommenen 
und darum auch Irreleitenden Idee und der vollen Realität 
derſelben gedacht werden. Als eine Sünde der Unwiſſenheit 
glaubt aber Wikliff die erſte Sünde deßwegen beftimmen zu 
"möffen, um dadurch theils zu motiviren, warum das Wort 
Gottes ats bie perfönliche Weisheit Menſch werden, und ein 
- ker Sünde Adams entfprechendes Leiden erbulben mußte, 
lheils Die Sünde des Menfchen von ber Sünde bed Teufels 
u nnterfcheiden, welche als eine Sünde gegen ben heiligen 
: Ga nur durch die an ſich unmögliche Menfchwerbung bes 
heiligen Geiſtes getilgt werben Fönnte 9. 


A. a. O. €. 155.f.: Hoc peccatum ex Ignorantia est 
commissum, ideo oportet, quod ex persomali sapientia 
stt deletum, quae solummodo est Dei verbum. Cum er 
go oportet, quod alia persona Dei mittat personam allam, 
quae satisfaciat pro peccato, et pater non potest mitli, 
eum sit persona prima originaliter trinitatis, patet, 
quod necesse est, ut mittat personam aliam pro peccato 
incarnandam, quae propter ralionem multiplicem fit 
convententisstme verbum Dei. Ideo cum minimum con- 
veniens foret, in Deo per impossibille patet, quod opor- 
tet salvatorem hominis taliter se habere. Et patel, cum 
oportuit peccatum primi hominis. deleri, satisfactione 
debita mediante, quod oportuit Christum taliter incar- 
nari, et nelesse fuit mortem postea sequi, cum oportuit 
Christum proportimaliter pati, sicut Adam impropor- 
‚tionaliter praesumebat , aliter enim non foret satisfactio 
pro commisso. Ideo sicut Adam superbiit usque ad mor- 
tem gratiose inflictam, sic oportet, quod secundus Adam 
kumilietur usque ad mortem corporis gratiose acceptam 
et passam. — Et fuit necessarium, ipsam acceptam fuis- 
se in ligne, ut sicut ex fructu ligni vetito perlit homo, 

18 * 





276 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


Neben Witliff bietet beſonders Joh. Weſſel einfge für bie 
Geſchichte umferer Lehre nicht unwichtige, den Ubergang. auf 
das Zeitalter. der Reformation begeichnende Züge dar %). Ohr 
ne fich in Die fcholaftiichen Beitimmungen, über welche zwi⸗ 
fen ben Thomiften und: Seotiften geftritten wurde, einzu⸗ 
taffen, hebt Weſſel um fo mehr das. weientliche Moment des 
Satisfactionsbegriffs in. feiner Reinheit hervor, indem er un⸗ 
ter allen Wundern das nicht für das. geringfte erflärt, wie 
Diefelbe Gerechtigkeit, die mit göttlichen und ewigen Gefegen 
gegen den Menfchen gerüftet fey, bei Dem Gerichte ſelbſt nicht 
allein. das Schwerdt zurüdhalte, fondern auch das Urtheil, 
und ben fie zu verbammen beſchloſſen hatte, nicht allein freis 
zufprechen, fonbern zur Würde, Ehre und Herrlichkeit zu er⸗ 
heben befehle. Wer. fich hier nicht wundern werde, wie bie 
Wahrheit der Drohungen in die Wahrheit der Berheiftungen 
umgewandelt und nach beiden Seiten die Wahrheit ſicher ge⸗ 
ßellt ſey? Diefe fo entgegengefebten Dinge habe allein bie 
Sanftmuth des Lammes wahrhaft verfchmolzen. Denn Chri⸗ 


sic ex fructu ligni passo salvetur homo. Et sunt aliae 
mulitae congruentiae utrobique. Yun zeigt Wikliff weiter, 
daß zur Zilgung der Sünde eine active Kraft und Buß 
Difpofition des Sünders nöthig ſey, welche dem Teufel feh- 
le. Nec dubium, quin illis (den erfien Menfchen) fruc- 
tuose. contritis Deus. non posset deletionem peccati sul 
non concedere, sic quod de existenti inculpabili omnino 
tota culpa jaclat in ipso diabolo. Peccatum autem dia- 
‚ boli est peccatum contra spiritum sanctum, quod voca- 
{ur peccatum. finalis impoenitentiae. Ideo sicut Adam 
peccavit contra sapientiam Dei patris, quam oportuit 
propterea incarnari, sic propter salvationem diaboli opor- 
Tulsset tertiam personam incarnart, quod cum esse non 
poluit, patel, quod nec deletio peccati ipstus diaboli. 
4) Bgl. Ullmann, Joh. Weſſel, ein Vorgänger Luthers. Hamb. 
1834. ©. 259. f. 
.' 


7 


Joh. Weffel. 277 


us, ſelbſt Gott, ſelbſt Priefter, ſelbſt Opfer, Hat. fich ſelbſt 
für ſich und von ſich Genüge geleiftet ). Als einen Act ber 
ſich mit fich felbft verfühnenden Gottheit betrachtet Weſſel bie 
Berföhnung, da wir in Chriftus nicht allein den verfühnten 
Gott, ſondern, was eigentlich allen Glauben überfleige, ben 
verfühnenden Gott erbliden, infofern Gott, Menſch gervorben, 
ſelbſt das leiſte, bewirke und bervorrufe, was feine Gerech⸗ 
tigkeit und Helligkeit verlange 2). Der Satisfactiond «Idee 

zufolge. konnte Weſſel dem Leiden Chrifti Feine andere, als 
eine ftellvertretende Bedeutung beilegen. Es fey, ſagt er in 
Beziehung auf Ef. 53, 4. ®) eine Anordnung bes erbarmens 
ben Gottes, daß wir nicht fo ſchnell, als wir es verbienten, 
zugleich mit der begangenen Sünde die fchmerzlichen Folgen 
empfinden. Und das fen der uns mit Recht zukommende 
Schmerz, welchen das Lamm, wenn es in Wahrheit bie 
Sünden ber Welt für und getragen habe, in foldyer Höhe 
und folhen Maaße trug, als er nach dem firengen Urtheil 
ber göttlichen Gerechtigkeit für alle Sünden unfer aller, bie 
er von Tod, Krankheit und Schmerz erlöste, eigentlich bes 
ſtimmt war. Die Größe dieſes ftellvertretenden Leidens aber 


1) Man vgl. die hauptfächlich hicher gehörende, aus zwei Büs 
chern beftehende, Schrift Weflel’d De causis incarnatio- 
- nis et de magnitudine dominicae passionis, in der zu 
©rdningen im J. 1614 erfchienenen Ausgabe der Werke 
Weſſel's ©. 457. f. De magnit. pass. c. 14. &©.480. Ni- 
mirum, heißen die oben angeführten legtern Worte bei 
Weſſel, ipse Deus, ipse sacerdos, ipse hostia pro se de 
. se sibi satisfecit. De causis incarnat. c. 17. nennt Wefr 
fel das Werk der Erldfung, in Beziehung auf den Gegen« 
ſatz der in ihm fich ausgleichenden göttlichen Eigenfchaften, 
wie Gregor von Nyſſa (f. oben ©. 74.) ein Kunſtwerk, ein 
artifictum des Mittlers. 
2) Exempla scalae meditationis Ex. III. ©. 391. 
. 3) De magnit. pass. c. 10. ©. 46. f. 


278 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


beſtimmt Weſſel, was ein deutlicher Beweis. feines auf ächt 
evangeliſche Weife vom Neußern abgewandten und in ſich ge- 
fehrten. Sinnes iſt, nicht exrtenfio, nach ber Quantität ber 
erbuldeten Schmerzen, fondern intenfiv nach Der Stärfe ber 
den Srlöfer befeelenden Liebe, welche in demſelben Berhält« 
niß, in welchem fie jede andere Liebe übertraf, von allen uns 
fern Uebeln und von der gegen fie auftreienden Macht bes 
Böfen um fo. tiefer verlebt werben mußte. Wer alfo, fagt 
Weſſel, die Bitterfeit des Leidens Chriftt ermeffen wolle, ber 
müfje weiallen Dingen ein in der Liebe geübtes Auge mit- 
bringen, fodann die Liebe Ehrifti im Verhältnig zu den Men- 
ſchen richtig fchäben, ferner die Größe der teuflifchen Bosheit, 
der er hingegeben und überlaffen wurbe, und endlich Den an- 
genehmen Geruch und die Lieblichfeit des heiligen Opfers er- 
mwägen !). In dem großen Gewicht, das. Weſſel auf die im 
: &rlöfungswerfe fi offenbarende Liebe Chrifti legt, macht 
fich zugleich das Moment der fubjectiven Freiheit geltend, das 
Weſſel ganz im Geifte des Proteftantismus nicht fallen. Infs 
fen zu dürfen glaubte. So fehr Weſſel den fchon im Satis⸗ 
factionsbegriff liegenden Geſichtspunct der Nothwendigkeit bes 
Leidens und Sterben Chriftt fefthielt, fo follte e8 doch die 
freiefte That der Liebe feyn, und zwar aus dem Grunde, 
weil der Herr, wenn er blos aus Nothwendigfeit, nicht aber 
aus Liebe gelitten hätte, nicht als Herr gelitten hätte, ba es 
unmöglich fey, daß einer Herr im höchften Sinne fey, und 
aus Nothwendigkeit leide ?). Der Begriff der abfoluten freien 
Subjectivität war alfo für ihn bie leitende Idee, aber der 
Begriff der abfoluten Freiheit ſchloß von felbft auch wieder 
den Begriff der abfoluten Nothwendigkeit in fh. Als König 
der Herrlichkeit, jagt Weſſel *), muß Chriftus die höchſte 


1) De magnit. pass. c. 19. G. 490, f, c. 27. ©. 510, 
2) Ex. scalae med. Ex. II. 22. ©. 21. 
3) De magnit. pasg. c. 1. ©. 457. Wenn bei Weflel, vu 


Sch. Well. 279 


Kraft der Liebe bewähren, aber nichts verherrlicht einen Lie⸗ 
benden fofehr, als daß er Großes erbuldet für feine Freun⸗ 
de. Der böchfte Liebende kann alfo zur höchften Herrlichkeit 
nicht eingehen, -al& inden er das Höchfte thut und leidet: er 
mußte alfo durch Leiden zu feiner Herrlichkeit eingehen. In 
allem diefem, fo wie in dem Ernfte, mit welchem Weſſel auf 
bie innere Aneignung des Lebens und Geiſtes Chrifti als bie 


Ullmann ©. 267. bemerkt, fich wiederholt auch der Gedanke 
findet: Gott Eonnte nicht fierben, ebenfo wenig aber: konnte 
er lügen. Und doch hatte er verheißen, einen neuen Bund 
zu fliften und ein Tefament zu errichten. Ein Bund aber 
wird durch Blut und Dpfer geweiht, und ein Teſtament 
bat erfi Kraft durch den Tod des Teſtators. Um alſo feine 
Berheißungen zu erfüllen, mußte Gott unfer Wefen anneh⸗ 
men, denn er Fonnte nicht in dem feinigen fierben, fondern 
aur in dem unfrigen. Deßhalb konnte er auch nicht Engel⸗ 
geftalt annehmen, denn aus Gott und Engel wird nichts 
Rerbliches gebildet. Als Menfch aber konnte er fierben, und 
doch blieb er als Gott unverfehrt, hatte Macht über dem 
Tod, konnte fein Leben wiedernehmen, und auch durch feine 
Auferfiehung fein ewiges Teftament befräftigen, — fo kann 
die aus dem Begriffe eines Teſtaments abgeleitete Nothwen- 
digkeit des Todes nicht als eine objective, fondern nur als 
fubiective gedacht werden. Der Tod iſt ein nothwendiges 
Moment, wenn das durch die Worte des Teſtaments als 
Worten Gottes an ſich geſetzte Verhaͤltniß zwiſchen Gott und 
den Menſchen in das ſubjeetive Bewußtſeyn der Menſchheit 

übergehen ſollte. Deßwegen mußte Gott Menſch werden und 
als Menſch ſterben. Nur wenn Gott ſtirbt und auch im 
Tode Gott bleibt, hat der zwiſchen Gott und den Menſchen 
errichtete Bund feine Gültigkeit für den Menfchen. Daß es 
alfo hauptfächlich darauf ankommt, daß das an ſich in Gott 
Seyende für das Bemwußtfenn der Menfchen vermittelt wird, 
die Wahrheit zur Wirklichkeit wird, und daß aus Diefem 
Sefichtspunkt der Tod Chriſti aufzufaflen fey, iſt das Haupt: 
moment des Weſſel'ſchen Gedankens. 





280 1. Ber. IL Abſchn. 3. Kay. 


nothwendige Bedingung, durch welche das flellvertretende Lei⸗ 
den Chriftf vermittelt werden müfle, dringt 9), fpricht fi 
Die geläuterte, dem proteftantifchen Standpunct zugewendete 
Denkweiſe, durch welche Weſſel überhaupt fich auszeichnet, 
auch in Der Lehre von der VBerföhnung aus. Bemerkenswerth 
ift aber noch befonders, wie Weſſel auch ſchon durch Die Un- 
terfcheiduhg einer thätigen und leidenden Genugthuung und 
die Idee einer nothwendigen Gefeßed- Erfüllung der eigen- 
ihümlichen Form des proteftantiichen Lehrbegriffs fich näherte. 
Auf beide Beftimmungen wurde Weſſel hauptſächlich durd 
Die Idee des vollfommenften, von Chriftus Gott geleifteten 
Gehorſams geführt. Als Erlöfer bewährte fih, wie Weſſel 
fagt, Chriftus dadurch, daß er durch vollkommenen Gehor 
fam nicht nur das ausglich, was die Menjchen unterlaffend 
und übertretend verfchuldet hatten, fondern aud) mehr leiſte⸗ 
‚te, als alle in Ewigkeit geleiftet haben würden, wenn fe 
ſtets im Stande der Unſchuld geblieben wären ?). Ergänzt 
werden aber mußte das unvollfommene Thun des Menſchen 
durch das Thun des Erlöfers und feinen dadurch fich bewäh⸗ 
renden vollfommenen Gehorfam, weil es, wie Wefiel fagt, 
nothwendig war, daß das ganze Gefeh der Gerechtigkeit Got 
te erfüllt würde, ohne daß ein Punct oder Jota fehlte. Und 
da nun dieß durch Jeſus gefchehen, fo fey leicht Der Weg zu 
finden, auf welchem die Barmherzigfeit in die Ströme der 
Erbarmung hervorgehen könne 3). Gehört ed aber, wie We 
fel in derfelben Stelle zugleich ausdrüdlich bemerkt, zum Ber 
griffe des Mittler, daß er Mittler ift, nicht allein zwifchen 
Gott und den Menfchen, fondern vielmehr füt den Menfchert 
zwifchen dem gerechten Gott und dem erbarmungsvollen Gott, 
fo kann auch die vollfommene, der ©erechtigkeit Gotted ent= 


4) Ullmann a. a. D. ©. 266. 
2) De magnit. pass. ec. 14. ©. 477. f. 
3) De causis äncarn. c. 17. ©. 453. 


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F 


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F 





Joh. Weſſel. 281 


ſprechende Geſetzes⸗ Erfüllung nur für den Menfchen gefches 
ben feyn, und ed Liegt daher hier ſchon Das Weſentliche der 
Lehre vom thätigen Gehorfam 9), wie fie fich In der Folge 


von derſelben Idee aus, die auch Weſſel andeutet, der Idee 
des göttlichen Gejeges, im proteftantifchen Syſtem weiter ent» 
wickelt hat. 

Wie fi überhaupt der Lehrbegriff Weſſels dem der Re- 
formatoren mehr nähert, als wir dieß bei einem andern ih⸗ 
rer Borgänger finden, fo läßt fih die Verwandtichaft mit 
dem Geiſt und Character des Proteftantismus auch in der 
Lehre von der Verföhnung nicht verfennen, und wir fehen 
bier die Keime von Ideen, welche für die folgende Zeit nicht 
ohne Einfluß waren. Für die ganze Periode aber, an deren 
Schluſſe wir ftehen, bleibt der Hauptgegenfab Der Anfichten 
durch Thomas von Aquinum und Duns Scotus repräfentirt. 


Es iſt der Gegenſatz der objectiven Nothwendigkeit und ber 


fühleetiven Freiheit. Aber dieſe Freiheit iſt noch nicht Die Frei» 
beit des fubjectiven Geiſtes, fondern die des objectiven, und 


“war als die göttliche Willkuͤr. Der Webergang von der 


objectiven Seite, auf welcher fi Gott mit dem Menfchen 


amd mit fi felbft verföhnt, auf die fubjective, auf: welcher 


dee Menfch ſich mit Gott verföhnt, und in der Gewißheit 


ſeiner Berföhnung feine Freiheit hat, vermittelt ſich in dem 


Gedanken, daß Gott in dem Akte der Berföhnung ſich frei 


1) Der Ausdrüde obedientia activa und passiva bedient fid) 
zwar Weſſel, wie Ullmann bemerkt ©. 261., noch nicht, all- 
ein die Vorftellung der thätigen und leidenden Genugthuung 
fommt fehr befimme und in einer eigenthümlichen Form bei 
ihm vor, wofür Ullmann fich noch auf die Scal. medit. Ex. I. 
©. 544. beruft: Pater amans noster te fillum ejusdem 
amantem, vadem, sponsorem, fidejussorem de satis- 
faciendo et satispatiendo super aequum pignus 
esse voluit pro universa mea praevaricatione et calami- 
tale. . 


f} P 


282. 1 Ber. U. Abſchn. 3. Kap. 


zu fich felbft verhält, und durch keinen in feinem Weſen 
genden Gegenſatz beichränft mit vollfommener Willfür h 
delt. Die Idee der freien Subjectivität iſt zwar vorhand 
aber das freie Subject iſt zunächft nur Gott, als ber a 
Iut freie, unbeichräntte Wille, allein das freie Subject 
auf der Seite des fubjectiven Bewußtſeyns ber Menſch fe 
welcher als der endliche, zu feiner Unendlichkeit fich erhebt 
Geiſt auch die abfolute Gewißheit der Verföhnung in 
bat. Diefer weitere Kortfchritt von der noch mit der X 
für behafteten Subjectivität Gottes, als des abfoluten ( 
fteö, gu ber fich entwidelnden freien Subjectivität des en 
chen Geiſtes ftellt fi uns in ber folgenden Periode der 
ſchichte unſers Dogma's dar 9). 


1) Schon wegen dieſer weſentlichen Verſchiedenheit des Ste 
punkts kann das Urtheil von Baumgarten⸗Cruſius (Le 
der chriſtl. Dogmengeſch. S. 1163.), es ſey bei Duns € 
tus dieſelbe Deutung des Verſbhnungswerkes, welche 
bei. Kant und feiner Schule wiederfinden, fo nämlich, 
Gott die Jeſammte Menfchheit in Sinn und Gefalt Ei 
nähme und würdigte, als wie im ihrer Idee, nicht für ı 
tig gehalten werden. Aber Duns Scotus betrachtet ja 
überdieß nicht Chriſtus aus dieſem Gefichtspunft als 
ee, auf welche die Menfchheit ihre nothwendige B 
bung hat, fondern die Beziehung, die die Verfühnung 
die Perfon Ehrifti bat, gilt ihm als cine blos zufällige 
willfürliche (man vgl. oben ©. 256. f.) | 


\ 


ZWEITE PERIODE. 


- Bon der Heformation bis zur 
Mant'ſchen Philoſophie. 





236 1. Ber. 1, Abſchn. 1: Kap. 


Wahrheit zu haltungslos war, als daß fie ſich ihm nicht 
felbft wieder als etwas Fremdartiges, feinem wahren Wein 
PWiderftreitendes hätte gegenüberftellen follen. War ber Geiſt 
je in Gefahr, fid) feiner felbft zu entäußern, und fich in ein 
Labyrinth zu verieren, in welchem ihm der Faden feine 
Selbſtbewußtſeyns verloren zu gehen fehlen, fo war dieß in 
der Beriode der Scholaftil. Die ganze Maffe von Beſtim⸗ 
mungen, mit weldyen die Scholaſtik das Dogma überladen, 
und in ein Syſtem Fünftlih in einander verfchlungener Sub- 
tilitäten verwandelt hatte, lag mit einem nicht minder ſchwe⸗ 
ren Drud auf dem Geiſt, als das Joch ded hierarchifchen 
Slaubenszwangs. Die nur in der Dialektif des Berftandes 
-gefuchte Vermittlung ded &laubend und Wiffens hatte bie 
Folge gehabt, daß ſich zwiſchen das Selbftbemußtfenn bed 
Geiſtes und den Inhalt des Glaubens, welchen er in fih 
aufnehmen follte, eine neue Zwifchenwand hineinſtellte, we 


durch aber nur das Bebürfnig um fo näher gelegt werben 3 
mußte, auf einen um fo tieferen Grund der Wahrheit des | 


Glaubens zurüdgehen. - Ging die Reformation zunächſt au 


dem mächtig fich regenden Drange hervor, fich alles befien 


zu entledigen, was nicht in einem fittlichen Beduͤrfniß, ode 
einem unmittelbaren praftifch religiöſen Intereffe gegründet m 
feyn fehlen, fo mußte die Dadurch genommene Richtung von 
felbft dahin führen, auch in Anfehung des Dogma’s alle 
dasjenige von fich fern halten, was dem Selbſtbewußtſeyn 
bes Geiſtes immer mehr ald etwas Aeuflerliches und für 
den Glauben Unwefentliches erſchien. Daher ift Die Reformation 
ber große Wendpunft, in welchem der Geift aus der Objel 
tivität, in welcher er fich felbft entfremdet war, zu fich ſelbſt, 
aus dem Aeußern zu dem Innern zurüdzufehren, und Rd 
feiner wahren Freiheit, die das Princip der Subjeftivität if, 
bewußt zu werden begann. Im Gegenſatz gegen die Objek⸗ 
tivität, welcher gegenüber der Geiſt fi nur im Zuftanbe ber 
Unfreiheit befand, machte fich jebt das Brincip der Subjefti- 





An ik 


Die Reformation. 237 


geltend. Es follte nichts ald Wahrheit gelten, wovon 
der Menfch nicht in feinem Innern vergewißern Tonnte, 
erfte Schritt hiezu war, daß dem Princip der Firchlichen 
orität, die die Scholaftif immer zu ihrer VBorausfegung 
,‚ und allen jenen Beftimmungen, die die Scholaftif aus 
elbſt erzeugt hatte, um dem Inhalt des kirchlich traditio⸗ 
a Dogma’s eine zwar ſcheinbar rationelle, aber auf ei⸗ 
völlig principlofen Verfahren beruhende Begründung zu 
i, bie alleinige Auftorität der heiligen Schrift entgegen 
t wurde. Kann die Religion überhaupt ihrem Wefen 
nur als ein Verhaͤltniß des Geifted zum Geift gedacht 
en, fo follte durch den erften Grundſatz des Proteftan- 
us aus biefem Verhältniß alles entfernt werden, was 
elben feine Unmittelbarkeit zu entziehen fchien. Darum 
nur die heilige Schrift als der Inbegriff und die Quelle 
göttlichen Wahrheit gelten, auf deren Grundlage ber 
t dem Geiſte felbft Zeugniß von ber Wahrheit gibt. Sei⸗ 
ubjektive Wahrheit und Lebendigkeit erhielt aber das er- 
die Auftorität der Schrift allem andern voranftellende, 
ip des Proteſtantismus erft in dem proteftantifchen Bes 
des Glaubens. In der hohen Bedeutung, die der Glau⸗ 
1 bem ganzen Syſtem des Proteftantismus hat, zeigt fich 
der mit der Reformation erfolgte Umſchwung des Gei- 
aus dem Objectiven in das Subjektive in feinem wahr⸗ 
und fhönften Licht. Der Glaube im proteftantifchen Sin- 
ſeht aus dem unmittelbarften fittlich religiöfen Intereſſe 
Menichen hervor, aus feinem tiefften Beduͤrfniß, fich 
Gott Eins, oder mit Gott verfühnt, zu wiſſen. Er ift 
innerſte Berwußtfeyn des Geiſtes von feiner Enblichkeit 
Bedürftigfeit, zu deſſen Weſen e8 aber gleichwohl gehört, 
iner Endlichfeit zugleich unendlich zu feyn. Wie die Res 
satton in ihrem erften Anlaß und Urfprung durdy ein uns 
elbares praftifch religiöfes Intereſſe hervorgerufen wurde, 
ft der ganze Inhalt der Religion dem BProteftantismus 


— 


288 Il. Ber. I. Abſchn. 1. Kay. 


zunächft Sache bed Herzens, nicht durch das einfeitige In- | 
terefie des dialektiſch refleftirenden und argumentirenden Ver⸗ 
ftandes, fondern das Iebendigfte Intereffe bed ganzen, feiner | 
felbft fi) bemußten, Menſchen bedingt, der fich in feinem In⸗ h 
nerften verlegt fühlen würde, wenn er ſich über fein Verhält | 
niß zu Gott Feine befriedigende Gewißheit geben Tönnte. Bon h 
diefem Gefichtspunft müflen wir ausgehen, um den Antheil, 
welchen der Proteftantismus an der weitern Fortbildung un⸗ | 
ferd Dogma’s gehabt hat, richtig zu würdigen. Wenn da 
ber auch der Protefiantismus nicht vermeiden konnte, was 
er zuerft ald Sache des Herzens in ſich aufgenommen hatte, 
auch für die denfende Vernunft zu vermitteln, fo müflen wir - 
und Doch immer wieder auf jenen Standpunkt zurücftellen, 
um bie fpefulativen Theorien, in welche er ſich hineingebilde 
bat, nicht in eine Klaſſe mit den apriorifchen Debuftiones 
der Scholaftifer zu fegen. 

Die fcholaftiichen Theologen theilten fich zur Zeit der Res 
formation, wie in Anderem, jo auch in der Lehre von der Er 
löſung und BVerföhnung in die beiden Parteien der Thon 
ſten und Scotiften. Die feotiftifche Theorie fehien dem 3a 
terefje des ratfonnirenden Berftandes, die thomiftifche dem we = 
terefie des kirchlichen Syſtems mehr zuzufagen. Die legt > 
aber bot eine Seite dar, von welcher aus fie ſich auch dem 
. dem Broteftantismus eigenthümlichen religiöfen Intereſſe br - 
fonders empfehlen konnte. SE beftimmter der Glaube ſich ei⸗ 
ner objektiven Vermittlung des durch Chriftus erworbenen 
Heiled bewußt war, um fo fefter mußte er felbft begründet 
erfeheinen, in einer un fo Elarern Anfchauung war ihm das 
Objekt gegeben, auf welches er ſich zu richten hatte. Auf 
der andern Seite aber konnte e8 auch der Unmittelbarfeit des 
praftifchen Intereſſes, von welchem der Broteftantismus aus 
ging, angemeffener zu feyn fcheinen, bei der einfachen That⸗ 
fache der verföhnenden Wirfung des Leidens und Todes Chri- 
fti ftehen zu bleiben, ohne ſich auf irgend eine Theorie ein 


Zuther und Melandhthon:. 289 


wlaffen, um die unmittelbare Gewißheit des Glaubens nicht 
von: Dem Broblematifchen, das ſich von der Theorie nicht tren« 
wen laͤßt, abhängig zu machen. Wie fich diefe beiden Mos 
nente, ber Ratur des proteftantifchen Glaubens zufolge, uns 
erfiheiden laſſen, jo find ſie auch ſchon auf dem urfprüng« 
ichften Boden des Proteftantismus in einer Berfchiedenheit 
ver Lehrweiſe hervorgetreten, in welcher ſich, wie in Andes 
em, die individuelle Verfchiedenheit der beiden Häupter der 
eutfchen Reformation, Luthers und Melanchthons, reflectirt. 

Melanchthon hat auch in den fpätern Ausgaben feiner 
Loci theologici die Lehre von der Satisfaction nie zum Ge⸗ 
genftanb eines eigenen Locus gemacht, nicht einmal ausdrüds 
lih hervorgehoben, fondern alles darauf fich beziehende un⸗ 
ter der Lehre vom rechtfertigenden Glauben ‚begriffen. In 
demjelben Sinne find auch in der augsburgiſchen Confeſſton, 
und ber Apologie derfelben, die den Verfühnungstod Chrifti 
beireffenden Stellen abgefaßt ). Selbft noch fpäter, nachdem 
ber Satisfactionsbegriff in der lutheriſchen Kirche: fchon feine 
beſtimmtere Geftalt erhalten hatte, hat fich dieſer urfprünglis 
Ge, vorzugsweiſe das fubjeftive Moment ind Auge faflende 
Standpunkt, wenigftens dadurch noch geltend gemacht, daß 
zachrere Iutherifche Theologen die Lehre von der Satisfaction 
zit in einem eigenen Lehrftüd behandelten, fondern in der 


9) A. C. Art. DI. ©. 10.: Docent, quod Verbum, hoc est, 
fitus Det — vere Deus et vere homo, natus ex virgine 
Maria, vere passus, erucifixus, mortuus et sepultus, ut re- 
conciHiaret nobis Patrem, et hostia esset non tantum-pro 
:culpa originis, sed etiam pro omnibus actualibus homi- 
num peccatis. Apol. Art. III. ©. 93.: Lex damnat om- 
nes homines, sed Christus, quia sine peccato sublit poe- 
nam peccati, et victima pro nobis factus est, sustulit 
dllud jus legis, ne accuset, ne damnet hos, qui credunt 
in ipsum, qui ipse est propitiatio pro eis, propter quam 
nunc justi reputanlur. 

Baur, die Lehre von der Berfühnung. Ä 19 


! 


290 II. Ber J. Abſchn. 1. Kay. 
Lehre von der Rechtfertigung unter den Gefichtspunkt der 


tausa meritoria justificationis ftellien *). 

Dagegen fpricht fich jene8 andere Moment, welchem zus 
folge. der Glaube der durch das Leiden Chriſti vermittelten 
Verföhnung ſich auch objektiv bewußt werden will, fehr Far 
in einer Stelle bei Luther aus, in welcher unter dem Bilde 
einer Wage, deren eine Wagfchaale folange fchwer nieder⸗ 
zieht, bis in Die andere ein noch ſchwereres Gegengewicht ge- 
legt wird, auf der einen Seite die Sünden der Menſchen, 
und der fchwer auf ihnen laftende Zorn Gottes, auf ber an⸗ 
dern Das Leiden und der Tod des Gottmenfchen einander ges 
genübergeftelt werden ?). Der Glaube im proteftantifchen 





1) So namentlih Gerhard Loci theol. Loc. XVII. Cap. II. 
S. 34.: Dieimus hactenus de causa efficiente princtpall 
Justificationis, quae est gratia Dei, sequitur, ut agamus 
de:causa justificationis meritoria. — Idem verp est, sive 
: dicatur, Christum mediatorem ac redemtorem nostrum 
esse causam meriloriam justificationis, sive obedientiam 
et satisfactionem Christi esse loco meritoriae causae ha- 
bendam, -quia Christus ut mediator et redemtor, id est, 
ratione suae obedientiae et satisfactionis hic consideratur. 
Ebenfo Hutter im Compend. Loc. theol. 1610. Loc. XII. 
©. 129. Diefe Dogmatifer handeln zwar auch noch beſon⸗ 
ders vom offictum Christi, es if aber nur ein unbedeu⸗ 
tender Anhang zu der Lehre von der Perfon Chrifi, mie 
bei Gerhard Loc. IV. Cap. XV. Hutter Loc. III. ©. 43. 
Es ift die auch in der Form. Conc. Art. VIII. De perso- 
na Christi ©, 772. aus. Luthers Schrift de conciliis et ec- 
clesia angeführte Stelle: Seiendum id nobis Christianis 
est, nisi Deus in altera lance sit, et pondere vincat, nos 
lance nostra deorsum (ad interitum) ferrt. Hoc sic ac- 
ctpi volo: nisi haec vera sint: Deus mortuus est pro no- 
bis, et, st solus homo pro nobis mortuus est, tum pro- 
fecto prorsus actum fuerit de nobis. At vero, st Dei mors, 
et quod Deus ipse mortuus est, in altera lance ponitur, 


—R 


2 


Luther und Melandihon. 291 


Sinne gründet fi) auf das tieffte Bewußtfeyn der Sünde 
und der mit der Sünde verbundenen Schuld und Strafe. Se 
lebendiger aber dieſes Bewußtſeyn iſt, defto mehr wird das 
durch auch die Idee einer Gerechtigkeit hervorgerufen, wel 
her vor allem Genüge gefchehen feyn muß, wenn eine Ber- 
gebung der Sünden möglich feyn fol. Geht man auf den 
proteftantifchen Begriff des Glaubens zurüd, fo läßt fich wohl 
begreifen, wie die Vorausſetzung ber fides, die contritio, 
auf die Beſtimmung bed Begriffd der Gatisfaction Einfluß 
hatte, daß, je mehr, wie von Luther gefchah, die fides in 


‘ 


ihrem unmittelbaren Zufammenhang mit der eontritio aufe 


gefaßt wurde, um fo mehr auch der eigentliche Satisfactions⸗ 
begriff feine Stelle finden mußte, 


Durch die lutheriſche Auffaffungsweife des Satisfactions⸗ 
Begriffs war ſchon der Weg vorgezeichnet, auf welchem fich 
die in der Concordienformel aufgeftellte Satisfacttonstheorie 
bildete. Sie ift keineswegs eine bloße Wiederholung ber Ans 
felm’fchen, fondern in einem ihrer wefentlichten Begriffe die 
in der Natur der Sache liegende Steigerung und Vollendung 
derfelben, und unterfcheidet fi von ihr auch dadurch, daß 
fle ihren Ausgangspunft nicht in dem objektiven Begriff der 
unendlichen Sündenfchuld, fondern in dem Begriff des recht- 





tum ille deorsum fertur, nos vero instar vacuae et levio- 
sis lancis sursum tendimus. Sed et ille deinde rursus 
vel sursum tendere, vel .e lance exsilire potest. Non 


autem poterat in lancem descendere vel considere, nisi 


nostri similis, hoc est, homo fieret, ut vere et recte de 
ipstus passione dici posset: Deus mortuus est, Dei pas- 
sio, Dei sanguis, Dei mors. Non enim in sua natura 
Deus mori potest. Auch ſonſt, wie 3.3. in der Erklärung 
des 22ften Pf. (Opp. lat. ed. Jen. T. II. S. 239. f.) hebt Lu⸗ 
ther das Moment der Satisfaftion im Leiden und Tod Chris 
ki befiimmter hervor, als Melanchthon. 
19 * 


292 II. Per. J. Abſchn. 1. Kap. 


fertigenden Glaubens bat *). Sie iſt in ihren Hauptzügen 
folgende: Der Glaube iſt es allein, durch welchen die Andg- 
nung der im Evangelium durch den heil. Geiſt dargebotenen 
Güter vermittelt wird., Er rechtfertigt dadurch, Daß er das 
Verdienſt Chrifti ergreift.- Daher ift die Gerechtigkeit, wel- 
che von Gott dem Glauben, oder den Glaubenden, aus blos 
Ber Gnade zugerechnet wird, der Gehorfam, das Leiden und 
die Auferftehung Chrifti, wodurch er dem Geſetz um unferer 
willen genug gethan und unfere Sünden verföhnt hat. Dem 
da Chriftus nicht blos Menſch, fondern Gott und Menſch in 
Einer Berfon tft, fo war er ald Herr des Geſetzes dem Ge- 
feg ebenfo wenig, al8 dem Leiden und Tod unterworfen. 
Depwegen wird und fein doppelter Gehorfam, nicht blos der⸗ 
jenige, welchen er durch fein Leiden und feinen Tod leiſtete, 
fondern auch jener, durch welchen er fih um unferer willen 
dem Geſetz unterwarf, und es erfüllte, zur Gerechtigkeit zu 
gerechnet, und Gott erläßt und mit Rüdficht auf feinen gan 
zen, durch fein Thun und fein Leiden bewiefenen, Gehorſam 
‚ unfere Sünden, und erflärt und für gerecht. Dieſen Gehor 
fam hat Chriftus von feiner Geburt an bis zu feinem Tode 
für die Menfchen ald Sünder aufs vollfommenfte geleiftet, fo 
daß dureh feinen Gehorfam der Ungehorfam der Menfchen 
bededt, und ihnen nicht zur Verdammung angerechnet wird. 
Unfere Gerechtigkeit ift er daher nur inſofern, fofern er in 
feiner ganzen Berfon den vollfommenften Gehorfam darftellt, 
welchen er und dadurch leiſten konnte, daß er weber bloßer 
Gott, noch bloßer Menfch, jondern beides zugleich, Gott und 
Menſch war ). 


1) Daher iſt fie in dem dritten Artikel De justitia fidel co- 
ram Deo enthalten. 

2) F. C. ©. 684.: Itaque justitia illa, quae coram Deo fi 
dei, aut credentibus, ex mera gratia imputatur, est obe- 
dientia, passio et resurrectio Christi, quibus ille legl 


Die Concordienformel. 2% 


Bergleichen wir diefe Theorie mit der Anſelm'ſchen, die 
ie allerdings zu ihrer Borausfegung hat, mit welcher fie 


nostra causa satisfecit, et peccata nostra explartt. Cum 
enim Christus non lantum homo, verum Deus et homo 
sit, in una persona indivisa, tam non fuit legi subjec- 
tus, quam non fuit passioni et morti (ralione suae per- 
sonae) obnoxius, quia Dominus legis erat. Tam ob cau- 
sam ipstus obedientia (non ea tantum, quꝰ Patri paruit 
in tota sua passtone et morle, verum etiam, qua nosira 
causa sponte sese legt subjecit, eamque obedientia illa 
sua implevit) nobis ad justitiam impulatur, ita ut Deus 
propter totam obedientiam, quam Christus agendo et 
patiendo, in vita et morte sua nostra causa Patri suo 
coelesti praestitit, pecoata nobis remitiat, pro bonis et 
Justis nos reputet, et salute aeterna donet. S. 686.: Per 
fidem, propter obedientiam Christi, quam Christus inde 
a nattvitate sua usque ad iqnominiosisstmam crucis mor- 
tem pro nobis Patri suo praestitit, boni et justi pronun- 
cdiantur et reputantur. ©. 696.: Justitia nostra neque 
in divina neque in humana natura, sed in tota ipsius 
. persona persistit, quippe qut, ut Deus et homo, in sola 
sua tota et perfectissima obedientia est nostra justitia. 
Etiamsi enim Christus de spiritu sancto quidem sine 
peccato conceptus et natus esset, et: in sola kumanitate 
sus omnem justiliam implevisset , nec tamen verus et 
aeternus Deus fuisset, talls tamen ipstus humanae na- 
turae obedientia et passio nobis ad justitiam imputari 
non posset. Et vicissim, si Filius Dei non homo factus 
esset, non posset sola divina natura nostra esse justiliu. 
Quare credimus, docemus et confitemur, quod tota to- 
tus personae Christi obedientia, quam ille Patri usque 
ad ignominiosisstimam crucis mortem nostra causa prae- 
stitit, nobis ad justitiam Iinputetur. Humana enim nu- 
tura sola, sine divinitate, aeterno omnipotenti Deo, ne- 
que obedientia neque passione pro totius mundi peccaltis 
salisfacere potuisset. Divinitas vero sola sine humani- 
tate inter Deum et nos mediatoris partes implere non 


2% 11. Ber. 1. Abſchn. 1. Zap. 


Sünde, wovon die Anerkennung der Notbwendigfeit und 
Realität der Berföhnung und Senugthuung abhängig gemacht 
wird, fondern die nothwendige Vorausſetzung defielben iR 
die unmittelbare, in dem fittlichen Bewußtſeyn des Menſchen 
ſich ausfprechende Thatfache, daß der Menſch von Ratur Sün« 
der if. So ſehr aber dadurch das überwiegende Moment 
auf die fubjeftive Seite des endlichen, der Verſöhnung bebürfs 
tigen, Geiſtes zu fallen fcheint, fo wenig ift fte von ber ob- 
jeftiven getrennt, da bie proteftantifche Lehre von. der Sünde 
mit der Lehre von der abfoluten Gnade, in welcher Gott zu 
dem Menfchen fich herabläßt, um den Menfchen zu fich zu er- 
heben, in dem engften Zufammenhang fteht. Se tiefer in al- 
len diefen Beziehungen die Begründung ift, die im proteftan- 
tiichen ‚Lehrbegriffi der Lehre von der Verſöhnung gegeben 
wurde, defto natürlicher. müffen wir e8 finden, daß auch der 
Begriff der Satisfaction felbft eine vielfeitigere und fhärfere 
Beftimmung erhielt. Was Anfelm und die folgenden Schos 
Laftifer unter der Satisfaction verftunden, läuft auf die uns 
beftimmte Vorſtellung eines Aequivalents, eines Gott für -dad 
an. ihm begangene Unrecht zu Teiftenden Erfages hinaus, wo: 
bei zwar auch fchon zwijchen Thun und Leiden unterfchteden, 
aber nicht. genau beftimmt wurde, was eigentlich Chriſtue 
für die Menfchen Gott geleiftet babe. Da nad) Anfelm jedı 
vernünftige Greatur an fich zu allem verbunden ift, was fi 
durd) ihren thätigen Gehorfam Ieiften kann, fo konnte er nun 
dem Leiden Chrifti die Bedeutung einer Satisfactton geben, 
wiefern aber Chriftus durch fein Leiden für die Menfchen Sa: 
tiöfaction geleiftet habe, blieb unbeftimmt, da der Begriff dei 
-Satiöfaction bei Anfelm nur auf das solvere 'oder redder« 
Deo debitum zurüdgeht. Der Begriff der Satisfaction waı 
daher in doppelter Beziehung noch einer nähern Beftimmung 
fähig. Es fragte fich fowohl, auf welche Weife Chriftus ir 
jenem Leiden an die Stelle der Menfchen getreten fey, ale 
auch) ob die Vorausſetzung, daß er nur durch fein Leiden, nic) 


Die Concordienformel. 297 


aber fein Thun, Satisfaction habe leiften Fünnen, ſchlechthin 
wugeben fey. In dieſen beiden Punkten ging die neue Sa- 
Höfactionstheorie über die ältere hinaus, um fie zu ergän« 
zen und abzufchließen. Doch geſchah dieß erft in. der Con⸗ 
corbienformel, deren Unterſcheidung zwiſchen einem thuenden 
und leidenden Gehorfam felbft den Altern Symbolen der pro⸗ 
teftantifch Tutherifchen Kirche noch völlig fremd ift ). Im der 


1) In dem ſchon oben ©. 186. angeführten Auffage der evang. 
Kirchenzeitung- über die Verſöhnungs⸗ und Genugthuungs⸗ 
lehre Jahre. 1834. wird ©. 523. die gewöhnliche Behaups 
tung, daß die Eoncordienformel die odedientia Christi ac- 
tiva- meritoria als ein neues Moment zur Genugthuungslehre 
hinzugethan habe, für irrig erflärt. Nur ſoviel ſey rich» 
tig, daß Unfelm diefes Moment .nicht anzuerkennen fsheine, 
Dagegen ſey es ſowohl bei den Kirchenvätern, als bei den 
übrigen Scholaftifern ganz gewöhnlich. Dafür beruft ſich 
der Verf. des Auffages auf Stellen bei Irenäus adv.. haer. 
V, 16. III, 18. in welchen gefagt wird, Ehrifus habe durch 
Gehorſam den Ungehorfam der Menfchen bezahlt und gut» 
gemacht, und bei Theodoret zu Nöm. 8, 4.: „Unſere Schuld 
bezablte.er und erfüllte des Geſetzes Abfiche, nämlich ges 
zecht zu machen die, welche das Gefe empfangen haben. 
Noch mehrere Stellen diefer Art führt Chr. W. 5. Walch 
in der Comment. de obed. Christi act. &. 129. f. an. 
Allein es muß bier fehr genau unterfchieden werden. Einen 
verdienfklichen, vollfommen genügenden Gehorfam Chriſti, 
welcher die nothwendige Bedingung war, unter welcher alls 
ein das Erldſungswerk vollbracht werden Eonnte, nahmen, 
wie fich von felbfi verfieht, alle Kirchenväter und Schola- 
Rifer an, und auch Anfelm madıt bievon Feine Ausnahme, 
dieg if aber nicht die Frage, um welche es fich handelt, 
fondern es fragt fich vielmehr, ob auch fchon vor der Con⸗ 
eordienformel dem vom leidenden unterfchiedenen thätigen 
Gehorſam für fich Diefelbe fiellvertretende und genugthuende 
Bedeutung zugefchrieben worden fey, welche man fonft nur 
dem Leiden und Tode Chriſti zuzgufchreiben pflegte. Diele 





298 


\ 


11. Ber. 1. Abfchn. 1. Kap. 


augsburgiſchen Eonfeffion und in der Apologie berfelben, fo 


Frage muß verneint werben, indem es hier nicht blos auf 


die Unterſcheidung des Leidens und Thuns, fondern auch 
noch auf das weitere Hauptmoment ankommt, ob Chriſtus 
durch .fein Shun ebenfo pofitiv Das Gefek für die Menfchen 
erfüllt habe, wie er Durch fein Leiden und feinen Tod die 
durch die Nichterfüllung und Nebertretung des Gefeges vers 
diente Strafe für die Menfchen erduldete. Wird dieß, wie 
offenbar gefchehen muß, beachtet, fo muß ſogar für fehr 
zweifelhaft gehalten werden, .ob die Yon dem Derfafler des 


Aufſatzes a. a. O. aus den Werken Luthers angeführten 


"Stellen den Begriff der Eoncordienformel enthalten. Die 


Stellen Iauten nämlich fo: „Siehe, dazu dienet nun Chri⸗ 
fins, durch welchen dir foldde Gnade und Geligfeit gegeben 
wird, als durch den, der an deiner Statt und für Dich 
allem göttlichen Gebot und feiner Gerechtigkeit genug gethan 
bat- überflüffig..— Ob nun wohl wird uns lauter aus Gna⸗ 


den unfere Sünde nicht zugerechnet von Gott, fo hat er 


Doch dieß nicht thun wollen, feinem Geſetz und feiner Ges 
vechtigfeit ‚gefchehe denn zuvor aller Dinge und Kberflüffig 


"genug: Es mußte feiner Gerechtigfeit folches gnädiges Zu⸗ 


rechnen zuvor abgefauft und erlangt werden für und. Dar: 
um, diemweil uns das unmöglich war, bat er einen für uns 
an unfere Stelle verordnet, der alle Strafe, die wir ver> 
dient hatten, auf fich nähme, und für und das Geſetz er: 
füllete, und alſo göttliches Gericht von uns wendete, und 
feinen Zorn verfühnete. Alfo wird uns wohl umfonf Gna⸗ 
de gegeben, daß fie uns nichts Eoftet, aber fie hat dennoch 
einem andern für uns viel gefoftet, und ift mit unzähligen 
Schatz erworben, nämlich durch Gottes Sohn felber’’ (Leipz. 
Ansg. T. XII. ©. 125. 234.). Hier wird zwar allerdings 
gefagt, daß Chrifius für und, an unferer Stelle, dem gött- 
lichen: Gebot genug gethan und das Geſetz erfüllt habe, all: 
ein es folgt weder hieraus noch aus dem ganzen Zufammen: 
bang der Stelle, Daß dieß durch die fogenannte obedientia 
acttva geichehen fey, und es liegt weit näher an die obe- 
dientia passiva zu denken, indem ja auch dadurch dem 


Die Concordienformel. 299 
wie in den von Luther verfaßten Symbolen, iſt ed: immer 


oöttlichen Gebot genug gethan und das Geſetz erfüllt wird, 
wenn bie von bemfelben für die Eünde geforderte Strafe 
vollgogen wird. Man vgl. die a. a. D. ©.522. angeführte 
überhaupt für Luthers Anficht bemerfenswerthe Stelle aus 
einer Predigt am Dfterdienfktage in Luthers Kirchenpoſtille 
ı (Reinz. Ausg. T. XI. ©. 519. Erl. Ausg. Bd. II. ©. 289.): 
„Alſo, daß wie müflen befennen, daß weder ich, noch ein 
einziger Menfch, Chriſtum ausgenommen, Tolches (Merge: 
bung der Sünden) zu Weg gebracht oder verbient habe, 
noch ewiglich verdienen Tann. Denn wie follte ich's verdies 
. nen mögen, weil ſchon ich und alle mein Leben, und was 
ih thun Tann, vor Gott verdammt find? So aber Gottes 
Zorn von mir genommen worden, und ich Gnade und Vers 
gebung erlangen foll, fo muß es durch Jemanden ihm ab» 
verdienet werden, denn Gott kann der Sünde nicht hold 
noch gnädig ſeyn, noch die Strafe und Zorn aufheben, es 
fey denn dafür bezahlt und genug gefchehen. Nun bat für 
den vorigen und unmiderbringlichen Schaden und ewigen 
Zorn Gottes, den wie mit unfern Sünden verdient, nie: 
mand Fünnen Abtrag thun, auch kein Engel im Himmel, 
denn die ewige Perfon, Gottes Sohn ſelbſt, und alfo, daß 
er an unfere Stelle trete, unſere Sünde auf fich nehme, 
und als ſelbſt fchuldig darauf antworte. — Das hat gethan 
unfer lieber Here und einiger Heiland und Mittler vor Gott, 
Jeſus Chriſtus, mit feinem Blut und Sterben, da er für 
uns ein Dpfer worden, und durch feine Reinigfeit, Ins 
ſchuld und Gerechtigkeit, welche göttlich und ewig war, alle 
Sünde und Zorn, fo er von unfertwegen hat müflen tragen, 
übermogen, ja ganz erfäufet und verfchlungen hat, und fo 
boch verdienet, daß Gott nun zufrieden it und fpricht, wem 
er damit helfe, dem foll geholfen fenn.”’ Auch hier if zwar 
von einem Abverdienen und Abtrag thun die Rebe, aber 
durchaus nur in Beziehung anf den fiellvertretenden Tod, 
auch das Geſetz ift nicht vergeffen, da Zuther unmittelbar 
vor den angeführten Worten fagt: „Menſchliche Natur und 
Vernunft kann fid) nicht erheben über das Urtheil des Ge⸗ 


300 . 


nur 


11. Ber. 1. Abſchn. 1. Say. 
der Tod Chriſti, welchem die Satisfaction zugeſchrichen 


ſetzes, das da ſchleußt und ſagt: Wer ein Sünder iſt, dar 


it von Gott verdammt, und müßten alfo alle Denfchen ewig 


[X Vu 


unter bem Zorn und Verdammniß bleiben, wo nicht eine " 


andere Predigt vom Himmel gegeben wäre.” Won einer 
Andern Beziehung des Gchorfams auf das Geſetz wird je: 
doch nichts gefagt, und es if demnach deutlich zu fehen, daf 
Luther, wenn er von ber Erfüllung Des Geſetzes an der 


. Stelle der Menfchen fpricht, dieß nur von der Abwendunz 


des göttlichen Gerichts verficht, das zur Erfüllung der For 
Derung des Geſetzes an den Menfchen eigentlich hätte voll; 
sogen werden folen. Wohl läßt fich aber denken, dag, wenn 
einmal, auch nur in diefem Sinne, die Vorfichung des Ge⸗ 
fenes als das Dermittelnde zwiſchen dem Tod Chriſti und 
der Verföhnung fefigebalten wurbe, Dieß der Anlaß wurde, 
daß man fich die Erfüllung des Geſetzes überhaupt als eim 
nothwendige Bedingung der Verfähnung dachte, und babe 
auch zwei verfchiedene Seiten des bisher ungetheilten Eis 
nen, im Zode nur feine höchſte Spige erreichenden, Gehor⸗ 
fams unterfhied. Am nächften fcheint demnach, ſelbſt die 
Reformatoren nicht ausgenommen, Wellel der Idee der ode- 
dientia activa im Sinne der Eoncordienformel gekommen 
zu fenn. ©. oben ©. 281. Was. bei den Altern Kirchen 
lehrern Annäherndes ſich findet, ift nur die öfters vorkoms 
mende Borftellung, daß, wenn das Gefen nicht wenigſtens 
von Einem Menfchen, von Ehriftus, vollkommen erfüllt wor 
den wäre, baffelbe feine verdammende Macht über die Men: 
fhen nicht verloren haben würde. Am deutlichften fpridt 
dieß Joh. Chryſoſtomus zur Erklärung ber Stelle Matt). 
3, 15. aus: Ilös 8v nodnov dsl; Orı Tov vouov TrÄnekuev anıw- 
ra, Oneo av Onlwv Eleye* nücav Öixawournv , Öıxamovvn yag Esw 
5 tur dvrolär dxreingwar. Ener dv naoas rag allaz Evrola; ywi- 
Onu8V , Pac taro O8 vnoleinera növor, dei nooarediva xal TH-. 
To" xar ve nAJov Avon Tv Üpav, Tyv Enı Ta nageßaca Ta vo- 


pn xeueeyv" dei Tolvuv mgöregor ne aurov narca rrngsvavre »0' 


sSelousvov nuäs This xaradixns, BEWS aurov avanacaı" roFTov ar 
äsiv Suor rigesca: rov vouov anevra. Hom. XII. in Matt. 


Die Concordienformel, 301 
xd *). Meber die Gründe, die die Verfaſſer der Concor⸗ 





Opp. T. VII. ©. 161. ed. Montefalc. Es ift aber aud) 
dieß nicht die Vorftellung der Eoncordienformel. Denn nach 
den Kirchenlehrern mußte Chriftus das Gefeg erfüllen, weil 
er fonf die Menfchen von dem auf ihnen laftenden Fluch des 
Geſetzes, der Strafe, nicht hätte befreien können, alfo nur 
um fie firaffrei zu machen, für diefen Zweck durfte er nicht 
ein Sünber ſeyn, wie die Menfchen, nach der Eoneordien« 
formel aber befreite zwar Chriftus durch feinen Tod Die 
Menſchen von der Strafe, weil aber Freiheit von der Strafe 
"noch nicht pofitive Seligkeit it, mußte er auch das Geſetz für 
fie erfüllen, damit fie durch ihn nicht blos nicht ungerecht, 
fondern auch pofitio gerecht würden. Diefe Unterfcheidung, 
welche fich früher nicht ebenfo findet, macht das Wefentli« 
de der Borftellung der GConcordienformel aus. Webrigens 
ik, mas die Iutherifche Kirche felbft betrifft, nicht näher 
bekannt, wer zuerft den Gehorſam Chriſti auf die recipirte 
Weiſe als thuenden und leidenden unterfchied. Selbſt der 
belefene Chr. W. F. Walch bemerkt in der Comm. de obed. 
Chr. act. ©. 30.:  Quis primus hujus formulae fuerit 
auctor, certe definire non audeo. | 
4) Dan vgl. außer den oben ©. 289. angeführten Stellen A. C. 
Art. 4.: Peccata remittuntur propter Christum, qui sua 
morte pro nostris peccatis satisfecit.. Apol. Art. 7.: 
Nos docemus, sacrifictum Christi, ‚morientis in cruce, sa- 
: Us fulsse pro peccalis totius mundi u. |. w. Aud in 
den beiden Katechifmen (Art. 2.) it nur von dem Blute 
Chriſti, feinem Leiden und Sterben die Rede. Wie fehr 
die Vorſtellung der obedientia action noch nuferhalb des 
Geſichtskreiſes diefer Altern Spmbole lag, ift befonders aus 
der Apologie zu erfehen, in welcher, wie auch Bretfchneis 
der Handb. der Dogm. 2te Aufl. S. 230. bemerkt, fo oft 
Gelegenheit war, auf dieſe Vorftellung überzugehen. Aber 
felbft in dem ganzen Artikel De dilectione et impletione legis, 
auf welchen fie eine fo nahe Bezichung hat, findet fich Fei- 
ne Andentung derfelben. Wie nahe-lag es in der oben ©. 289. 
angeführten Stelle, in welcher die Apologie fortfährt: Cum 


302 1. Ber. L Abſchn. 1. Kap. 


bienformel beftinnmten, nicht bloß bei der gewöhnlichen Vor⸗ 
ftellung ftehen zu bleiben, fondern die durch Chriſtus gelei⸗ 
ftete Satisfaction unter den doppelten ©efichtspunft bes Les 
bens und Todes, oder des Thuns und Leidens, zu ftellen, ha⸗ 
ben fie fich felbft nicht erklärt, ohne Zweifel aber lag Die Vers 
anlaffung hiezu, abgefehen davon, daß in der Concordien⸗ 
formel überhaupt die Neigung fehr ſtark hervortritt, den lu⸗ 
therifchen Lehrbegriff fo viel möglich in die Form einer nad) 
allen Seiten ſich abfchließenden Theorie zu bringen, theils in 
der proteftantifchen Lehre vom Geſetz, theils in den Beftim- 
mungen, welche die Lehre von der Berfon Chriſti aus Ver⸗ 
anlaffung der Abendmahlsftreitigfeiten erhalten hatte. Se 
ſtrenger die Vorftelungen der Iutherifchen Theologen ‚vom Ge⸗ 
feß, al8 dem geoffenbarten unabänderlichen Willen Gottes, wel- 
chem das ganze Verhalten des Menſchen fchlechthin conform 
feyn müfle *), waren, deſto näher mußte auch die Idee lie 
gen, daß die vollfommene Erfüllung des Gefeged den Mens 
chen auf Feine Weiſe erlafien werben fönne, daß das Geſetz 
umfonft von Gott gegeben worden wäre, wenn: ed nicht auch, 
wozu ed ja von Gott beftimmt war, durch den vollfommen- 
ften Gehorſam realifirt wäre. Diefe vollkommene Geſetzes⸗ 
Erfüllung hatte zwar Ehriftus durch die abfolıte Gerechtig« 
feit feines Lebens geleiftet, folange man aber den Anfelm- 
fhen Srundfag, daß Chriſtus als Menſch, wie.jede vernünf- 


autem justi reputentur, lex non potest nos accusare et 
damnare, etiamsi legt re ipsa non satisfecerint, darauf 
| Rückſicht zu nehmen? 
1) F.C. €. 713.: Les» proprie est doctrina divine, in qua 
justissitma et immutabilis voluntas Dei revelatur, qua- 
lem oporteat esse hominem in sua nalura, cogitationi- 
bus, verbis, factis, ut Deo probari. et acceptus esse pos- 
sit. Simul autem transgressoribus Dei iram et tempo- 
ralla atque aeterna. supplicia lex denunciat. 


Die Concordienformel. 303 


tige Greatur, für fich jelbft zum Gehorfam gegen Gott, oder 
zur Erfüllung des göttlichen Geſetzes uerbunden geweſen fey, 
fefthielt, Tonnte er es nit an ber Stelle der Mens 
ſchen erfüllt haben, war es aber nicht für die Menfchen er⸗ 
fünt, fo blieb die Realifirung des Geſetzes immer eine un⸗ 
volfommene, benn wenn auch durch das Leiden Chrifti die 
für die Uebertretung des Geſetzes den Menfchen beftimmte 
Strafe vollzogen, fomit dieſer Seite des Geſetzes Genüge ge⸗ 
ſchehen war, jo war doch, fofern ber ſchuldige Gehorſam nicht 
geleiftet war, das Geſetz felbft, feinem pofitiven Inhalt nad, 
faftifch unerfüllt geblieben. War nun fchon von dieſer Seite 
aus der Anlaß gegeben, den Akt der Genugthuung und Stelle 
vertretung nicht blos auf das Leiden und den Tod Chrifi 
zu befchränten, fondern auf fein ganzes Leben auszudehnen, 
fo Eonnte man auf der andern Seite auch fehr leicht an der 
Borftelung, daß Ehriftus als Menfch, wie jede vernünftige 
Greatur, zum Gehorfam gegen Gott verbunden gewefen fey, 
Anftoß nehmen. Fe enger und unzertrennlidher die Einheit 
des Göttlichen und Menfchlichen in ihm gedacht wurde, des 
flo weniger konnte er auch als Menſch in Eine Klaſſe mit 
den übrigen vernünftigen Greaturen gefebt werden. War er 
aber als Gottmenfch der dominus legis !), für wen an⸗ 


4) Vgl. die oben S. 292. f. angeführten Stellen. In dem Sage, 
daß durch die obedientia Christi aeternae et immutabili 
Justitiae divinae, quae in lege revelata est, satis est fa- 
etum, ift die dee, daß das Gefes als Offenbarung der 
abfoluten Gerechtigkeit Gottes durch einen volltommenen Ge⸗ 
horſam realifirt werden mußte, nicht undeutlich ausgefpros 
chen. Es kommt bier befonders in Betracht, welche Bedeu: 
tung für die Iutherifchen Theologen die dee der justitia 
legis hatte. Man vergl. 3. B. Chemniz Loci theol. II. 
©. 313.: Non vult nec potest Deus sine vera aliyua ju- 
stitia interveniente justificare. Dixit enim, abominatio- 
nem coram Deo esse, justificare imptum sine justitia 


304 11. Ber. 1. Abſchn. 1. Say. 


ders fonnte er das durch fein Leben faktiſch erfüllte Geſet er⸗ | 


füllt haben, als für diejenigen, deren Stellvertreter er über- 


haupt war? Dadurch erhielt auch der Begriff der Stellv 
tretung feine nähere Beftimmung. An die. Stelle ber noch | 


unbeftimmten Vorftellung einer zum Beßten der Menfchen ges 
fchehenen Leiftung *) trat nun bie beftimmtere, daß Chriſtus 
fowohl in Anfehung defien, was die Menfchen zu thun, als 
auch in Anfehung deſſen, was fie zu leiden hatten, ihre Stelle 
vertreten habe. Der Begriff der ftelvertretenden Genugthuung 
wurde jet nicht mehr blos ‚auf das Xelden' und den Tod 


Chriſti befchräntt, fondern auf das ganze Leben des Erlöfens 


ausgedehnt. Je mehr aber dadurch der Begriff an extenfl- 
ver Bedeutung gewann, deſto zweifelhafter wurde feine inten⸗ 
five, d. h. der Begriff der Stellvertretung ſelbſt. So war 


der Begriff auf dem Punkte feiner höchften Steigerung nur Ä 


um fo mehr in Gefahr, wieder in fich felbft zu zerfallen. 


(Sprühm. 17, 15. Ef. 5, 23.), et semet ipsum negare non 
potest. Quia igitur illam legis justitiam, cut promiiti- _ 


tur vita aeterna, nec habemus nec praestare possumus 
in hac vita, et tamen Deus proposuerat, sua gratia nos 
justificare, non autem poterat fieri solutio, destruetio et 
interitus legis (Matth. 5, 18. Nöm. 3, 31.), facta igitur 
est translatio legis (Heb:. 7, 42.) in mediatorem. Hielt 
man auf Diele Weife die Idee der justitia legis ſchon in 
Beziehung auf die odedientia passiva feft, fo lag hierin 
fchon von felbft der Webergang auf die Idee der obedientia 
activa, in welcher die dee der justitia legis fich vollen 
dete. 

1) Der Iutherifche Sat (Cat. maj. Art. 2.): Dominus ad 
haec passus, mortuus et sepultus, ut pro me satisface- 
rel, meamque culpam, quae mihi luenda fuerat, per- 
solveret, nen auro neque argenlo, sed proprio et pretio- 
so suo sanguine, drückt ganz den Anfelm’fchen Begriff dei 
solvere oder reddere debitum aus. 


— — 


Die lutherifchen. Theologen. 305 


Zu den Beitimmungen der Concorbienformel blieb ben 
Iheriichen Theologen, für welche Die Formel die höchſte Auf- 
tät und Rorm war, wenig hinzuzufeben übrig, Doch ſuch⸗ 
ı Ke die durch fie eingeführte Theorie fo viel möglich fchär« 
"und firenger auszubilden. Die Hauptpunfte, die fi in 
fer. Beziehung hervorheben Iaflen, find folgende: 

- „1. Der nun allgemein angenommenen Unterſcheidung ei⸗ 
8 ihuenden und leidenden Gehorſams zufolge wurde das 
zhältniß beider fo beftimmt, daß man fagte, beide concurs 
en zwar bei der Satisfaction, der thuende durch Die voll» 
mmenfte Grfüllung des Geſetzes, der leidende durch die zu⸗ 
ihendfte Bezahlung der den Sünden der Menichen gebüh- 
aden Strafe, an ſich aber fey es ein und derfelbe Gehor- 
m, und Die Begriffe des Leidens und Thuns gehen immer 
keder in einander über, im Leiden fey auch ein Thun, und 
ı Thun ein Leiden gewefen. Wenn aud, die heilige Schrift 
‚vielen Stellen dad Werk der Erlöfung dem Tode zufchrei- 
, fo fey dieß nicht in ausfchließendem Sinne zu nehmen, 
andern nur daraus zu erklären, daß fid) Die erlöfende Liebe 
briftt nirgends in einem helleren Lichte gezeigt habe, als in 
Inem Leiden und Tode, weßwegen der Tod ald die Ergän- 
ng und Vollendung des im Leben bewiefenen Gehorfams 
nufehen fey. Es fen fogar ſchlechthin unmöglich, den thuen⸗ 
en Gehorſam vom leidenden zu trennen, da auch bei dem 
sde vor allem der freiwillige Gehorſam und die aufopfern⸗ 
e Liebe als mitwirkende Urſache in. Betracht kommen ?). 





1) Gerhard Loci theol. Loc. IV. Cap. XV. $. 323. (vgl. Loc. 
XVII. Cap. II. $. 55.): Passio ejus fult activa, et actio 
fuit passiva (Auf ähnliche Weiſe bezeichnete das Verhältniß 
des hund und Leidens auch fchen Bernhard von Elairvaur 
Veria IV. Hebdomadae sanctae, sermo de passione Do- 
mini c. 41. Opp. ed. Mabill: T. IT. ©.895.: In vita pas- 
ıdtvam habuit actionem, et in morte passionem activam 
sustinuit, dum salutem operaretur in medio terrae.); Quen⸗ 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. 20 


306 IE. Ber. 1. Abfchn. 1. Kap. 


4 
Zielten folche Bemerkungen darauf hin, die Einheit der. bei- 
den. Begriffe feftzuhalten, oder den einen Begriff auf den ans 
dern zurüdzuführen, fo wurde dagegen Die Unterſcheidung 
felbft weiter dadurd) begründet, daß man beſtimmter und aus 
brüdlicher, als in ber Concordienformel geſchah, im Bat: 
‚ der Erlöfung eine negative und pofitive Seite unterſchied, 
und das Negative der bloßen Befreiung vom Zorn Gottes 
für unzureichend erklärte, da der Menfch, um vor Gott beſte⸗ 
hen zu können, auch pofitive Gerechtigkeit nöthig hatte, die 


er nur durch Erfüllung des Geſetzes erlangen Tonnte *). Sn 


fiedt Theol. did. pol. Leipʒ. 1715. ©. 407.: Quamuis in assig- 
nando justificationis merito seriptura interdum tantım 
mortis et sanguinis Christi mentionem faciat, ea tamen 
activam Christi obedientiam minime excludit, quippe 
quae cum passiva Christi obedientia arctissimo vincub 
est conjuncta, imo in ipsa oxun passionis clare conspi- 
eiuntur praestantissimae virtutes, in lege requisitae, vi- 
delicet summus amor Dei et ardentissima erga huma- 
num genus dilectio, humilitas, patientia, obedientia, Fr 
ducia etc. 


41) Quenſtedt Theol. didact. polemica ©. 351.: Satis- 


fecit Christus pro kominibus peccatoribus duobus mo- 
dis: 4. praestando legi nostri loco integram et per- 
fectam obedientium, atque ita opere eam implendo; 2. 
derivando in se poenam, et legis maledictionem, quam 
nostra inobedientia merueramuüs, sponte sustinendo. Quia 
enim non tantum ab ira Dei, justi judicis, liberandus erat 
homo, sed et, ut coram Deo posset consistere, justitie 
ei opus erat, quam nisi impleta lege consequi non pote- 
rat, ideo Christus utramque in se suscepit, et non tax- 
tum passus est pro nobis, sed et legi in omnibus satis- 
fecit, ut haec ipsius impletio et obedientia in justitians 
nobis imputaretur. Es ift dieß in jedem Falle logifch rich⸗ 
tiger, als wenn, wie unmittelbar zuvor gefchieht, die Unter = 
fcheidung einer doppelten obedientia auf den Unterfdied 





ullrla li. 


Die Intherifhen Theulogen. 7 


efen beiden Beziehungen war Chriſtus im eigentlichften und 
Alkommenſten Sinne der Stellvertreter der Menſchen. Er 
at für fie, was fie felbft hätten thun follen, und litt für 
ꝛ was fie hätten leiden follen, die Strafe der Sünde, und 
var fowohl bie zeitliche, als die ewige, indem er, wenn 
sch nicht ertenfiv, doch intenfiv die ewigen Höllenftrafen er⸗ 
ıldete 9). 


der beiden Begriffe culpa und poena gegründet wird. Agen- 
do culpam, quam homo injuste commiserat, esplavdt, 
et patiendo poenam, quam homo juste perpessurus, Chri- 
stus sustulit. Hätte die obedientia activa nur die culpe 
aufgehoben, fo hätte fie auch nur eine negative Wirkung ges 
habt, und dem Menfchen noch nicht die pofitive Gerechtig- 
feit ertheilt, Die er Gott gegenüber nöthig hatte. Logifch 

unrichtig iR auch dieß, daß die satisfactio fowohl in die 
obedientia activa als passiva gefegt wird, als das oßjec- 
tum reale über, pro quo satisfactum, omnes peccalorum 
‚sostrorum poenae tam temporales quam aeternae «unge» 
geben werden (Quenſt. S.331.). Bezieht fi) die Satisfaction 
nur auf die Strafe, fo if die obedientia activa durch die 
passiva wieder ausgeſchloſſen. 

1) Quenftedt a. a. D. ©. 354.: — adeo ut ipsas etiam in- 
fernales poenas senserit, licet non in inferno et in ae- 
ternum. “in Hinficht der fpeciellen Wirkungen hat die mors 
Christi satisfactoria befreit, 1. ab ira Det, 2. a maledi- 
ctione legis, 3. a potestate et tyrannide diaboli (ſofern 
der Teufel das xoaros ra Sararn hatte, nicht ald dominus, 
fondern als Hector oder carnifex), 4. ab inferno et morte 
aeterna. Gerhard Loci theol. Loc. XVII. Cap. 11. $. 54.: 
Non quidem  statuimus, Christum post mortem in suo 
ad inferos descensu cruclatus infernales senstsse, qua in 
parte Calvinum (Inst. rel. chr. II. 16, 10.) recte oppug- 
nat Bellarminus (De Christo Lib. IV. Cap. 8.), interim 
:negandum sion est, Christum passionts et mortis tempo- 
te, praesertim vero in horto ad radices mortis oliveti, 
eum sanguinem sudaret, acerbisstmos cruelatus, dolores, 


20 * 


310 U. Ber. L Uübſchn. 1. Kap. 


niß, in welchem er bier zu den Menfchen flehe, nicht als ei⸗ 
nen Gläubiger und die Sünden nicht als Schulden vorfel- 
Ien, deren Beflimmung von dem freien Gutdünfen bed Glaͤu⸗ 
bigerd abhänge, Gott ftehe hier den Menfchen nur als ge 
rechter Richter gegenüber, welcher nach feiner abfoluten Ge⸗ 
rechtigfeit auch eine Satisfaction von abfolutem Werth ver- 
lange. In der Thatfache der Erlöfung felbft liege ber Bes 
weis für die Nothwendigkeit der Vollziehung einer Strafe 
Hätte Gott ohne Verlegung feiner abfoluten Gerechtigkeit die 
Sünden ber Menfchen vergeben können, fo würde es keines 
fo großen Opfers feines einzigen Sohnes bedurft haben. Die - 
Iutherifchen Theologen hielten hier durchaus den ftrengfien 
Begriff der göttlichen Gerechtigkeit feft, und verwarfen daher 
auch mit Recht den willkürlichen Begriff der göttlichen Als 
macht, auf welchen die Scholaftifer ihre Satisfactionstheorie 
in ihrer äußerften Spite immer wieder zurüdführten ). Daß 
aber Gott die von feiner abfoluten Gerechtigkeit verlangte 
Strafe nicht an dem fchuldigen Subjekt felbft vollzog, fon 
bern eine Stellvertretung annahm, wird nicht weiter moti⸗ 
virt, fondern ſchlechthin als die fchönfte Ausgleichung bet 
göttlichen Barmherzigkeit mit der göttlichen Gerechtigkeit bes 


1) Quenſt. ©. 327.: Contendunt scholastict, Deum per ab- 
solutam suam potentiam posse homini sine satisfactione 
peccata remittere, cum non habeat aliquem superiorem, 

s ita Thomas P.2. qu. 46. a. 2. Sed haec, quam fingunt, 
absoluta potentia non potest consistere 1) cum Dei na- 
tura, quae non potest non exardescere in fomitem irae, 
scil. peccatum, 3) cum ejus veracitate, dixerat enim Gen. 
2, 17. ad Adamum: quocungue die de arbore scientiae 
boni et mali comederis, morte morieris, aut tumet ipse, 
aut tul succedaneus, 5) cum ejus sanctitate, cui peccatum 
omne adversatur, 4) cum ejus justitia, quae immutabi- 
üs est, nullumgue peceatum Impune dimittit. 


Die Iutherifchen Theologen. 311 


trachtet, woburd; jedoch der Strenge des Satisfactionsbegriffs 
nichts entzogen werden fol *). 

4. Als ein Nebenpunft mag hier noch bie firengere Un⸗ 
terſcheidung ber beiden Begriffe satisfactio und meritum 
bemerkt werden. Wie die ganze Theorie auf einer firengern 
Unterfcheidung der Begriffe des Leidens und Thun, des Po⸗ 
ſitiven und Negativen beruht, fo mißbilligten die firengern 
lutheriſchen Theologen auch die bisher gewöhnliche Identifi⸗ 
rung jener beiden Begriffe. Die satisfactio, bemerkten fie, 
verhalte fi} zu dem meritum, wie die Urfache zur Wir⸗ 
fung, dad meritum ſey erft die Folge der satisfactio, Die 
lettere habe die Schuld und Strafe entfernt, daß erftere die 
göttliche Gnade, Sindenvergebung und das ewige Leben er- 
worben. Die Satisfaction fey zwar für uns, aber nicht ung, 
fondern dem dreieinigen Gott, oder feiner Gerechtigkeit, gelei« 
fet worden, durch das meritum aber habe Chriftus nicht 
ber Dreieinigfeit, fondern nur und etwas erworben. Die 
Unterfcheidung bezwedt demnach hauptfächlich, Die negative 
und pofitive Seite des Erlöfungswerfs genauer auselnander- 
zuhalten, oder die Beftimmung geltend zu machen, daß durch 
die Befreiung von der Schuld und Strafe vorerfi nur das 
Hinderniß Kinweggeräumt worden fey, ohne deſſen Hinweg⸗ 
wegräumung die pofitive Ertheilung der Gnade und Selig- 
leit nicht fattfinden könne. Wenn aber die remissio pec- 
eatorum Doc, wieder zum meritum gerechnet wird, fo - 
Weint ſich Die Unterſcheidung in fich felbft zu verwideln, da 


1) Quenft. a. a. D. ©. 354.: Conspicitur aliquod tempera- 
mentum misericordiae et justitiae divinae, et aliqualis 
legis relaxatio in eo, quod ipse Filius Det sese sponso- 
rem et satisfactorem stiterit, quod oblata ab ipso satis- 
factio acceptata sit, quasi nostra, quod aHa in debito- 
'ram locum persona substitula fuertt, hoc ipsum tamen 

: satisfastiont ipst in se nihil derogat. 


312 I. Ber. L Abſchn. 1. Zap. 


ſich nicht denfen läßt, daß der von Schuld und Strafe bes 
freite Menſch, für welchen noch überdieß durch bie obedien- 
tia activa, als wejentlichen Beftandiheil der satisfaetio, dad 
ganze Geſetz erfüllt worden ift, erſt noch der remissio pee- 
catorum bedarf, und nicht unmittelbar auch der Gegenſtand 
der befeligenden Gnade Gottes ſeyn fol. Sollte auch, wenn 
Die Ungerechtigkeit der Menfchen dad Negative tft, das burd 
die Satiöfaction entfernt wird, an die Stelle des Negativn : 
der Ungerechtigkeit nicht unmittelbar das Pofitive der Gerech 
tigfeit und der ihr entfprechenden Seligfeit treten, alſo bie ' 
satisfactio Dad meritum nicht in ſich fchließen, wie Tann 
denn, wenn nach dem Obigen die Unterfcheidung der obe- 
dientia activa und passiva Dadurch motivirt wird, daß de 
Menih, um vor Gott beftehen zu können, auch pofitive Ge 
rechtigfeit nöthig hatte, Da8 meritum von der satisfactio, 
gu welcher die obedientia activa gehört, wie das Poſitive 
von dem Negativen unterfchieden werden *)? Wollte man 


1) Das Moment der Unterſcheidung zwiſchen satisfactio und 
meritum erhellt auch aus folgenden Sägen bei Quenfedt 
a. a. O. ©. 324.: Status exinanttionis, ut legis imple- 
tio, mors etc, sunt simul satisfactorii et meritoriüi, ac- 
tus vero exaltationis, ut resurrectio, ascensio in coelum, 
sessio ad dextram Det, non satisfactorii actus sunt, sed 
solum meritorii, i. e. non satisfecit Christus resurgendo 
et in coelos ascendendo pro peccatis nostris, sed eo ipso 
resurrectionem ad vitam nobis promeruit, et coelum re- 
seravit. Denique satisfactio ex debito oritur, sed meri- 
tum opus indebitum plane ac liberum est. Cui ex ad- 
verso respondet merces sive remuneratio. Alles, was 
Chriſtus an unferer Stelle gethan hat, hat er zwar and) 
für ung gethan, aber nicht alles, was er für ung gethan 
hat, hat er auch an unferer Stelle gethan, fo daß wir eb 

. eigentlich hätten thun follen. Mit diefer an fich nicht ſehr 
weientlichen Unterfcheidung vermifcht fich die Unterfcheidung 
des Negativen und Pofitiven, wodurch Unklarbeit entficht. 


Die. Iutherifhen Theologen. 313 


mn aber die obedientia aetiva zum meritum rechnen, fo 
würde fie ihre fatiöfactorifche Bedeutung verlieren. Hieraus 
erhellt, daß der Hauptbegriff immer der Begriff der Satid« 
faction bleiben muß, nad den beiden Momenten, die er in 
ih ‚begreift, dem thuenden und leidenden Gehorfant. 

Worin befteht aber, müfjen wir hier in Beziehung auf 
die Theorie im Ganzen noch fragen, das eigentliche Moment 
der ihr eigenthümlichen obedientia activa? Da die Satis⸗ 
faction im proteftantifchen Syftem im engften Zufammenhang 
mit der Zuftififation fteht, beide nur wie die objektive und 
fubjeftive Seite deſſelben göttlich«menfchlichen Akts unterjchie- 
den werden Tönnen, fo dürfen wir auch bei der obedientia 
activa die Beziehung auf die Rechtfertigung und den rechts 
fertigenden Glauben nie aus dem Auge verlieren. Als das 
Weſentliche der Rechtfertigung wird betrachtet. Die Zurechnung 
(imputatio) der Gerechtigkeit Chrifti, oder die Grgreifung 
feines Verdienſtes vermittelft des Glaubens. Wie verhält 
fh nun aber diefe justitia imputata zu ber fatisfactorifchen 
obedientia, fofern diefe fowohl eine passiva als activa 
IR? Man fagt gewöhnlich, die letztere habe die erftere zu ih— 
te Borausfegung, indem die Rechtfertigung ald der göttli« 
Ge Akt definirt wird, in welchem Gott propter meritum 
Christi fide apprehensum, oder propter Christi media- 
toris et redemtoris obedientiam et satisfactionem die 
Gerechtigkeit Chrifti uns zurechnet. Worin fol aber die Ges 
techtigkeit Chrifti von feinem thuenden und leidenden Gehor- 
ſam verfchieden feyn? Als die abfolute, dem göttlichen Wil- 
Im vollfommen entiprechende Gerechtigkeit ftellte fih Chriftus 
nur durch feinen Gehorfam dar. In dem Begriffe der Ges 
rechtigkeit find daher die beiden Seiten des Gehorfams, for 
fern er fowohl ein thuender als leidender if, wieder zur Ein- 
heit zufammengefaßt. Für welchen Zweck werden fie dem- 
nach unterfchieden, wenn 'man auf der Seite, auf welche das 
dauptmoment fällt, die Unterſcheidung doc wieder fallen 


316 u. Ber. 1 Abſchn. 1. Kap. 


Erlöfer und Berföhner feyn Eönnen, wenn er nicht auch in 
feinem Leben, al8 der Unfündige und Bollfommene, bie dem 
göttlichen Willen entfprechende Gerechtigkeit in fich dargeſtellt 
hätte. Fühlte man ſich aber gebrungen, nicht blos bei dem 


Regativen bed Begriffs der Satisfaktion und der Sünden . 


Te Er nn 


1 


vergebung ftehen zu bleiben, wollte man wirklich dem Be : 


griffe der Gerechtigkeit Chrifti den vollen Inhalt geben, weis 
.. chen er nur durch die beiden Momente des thuenden und Id 


fchließen, vor allem auf der Seite, die für den proteftanti- 


| 


denden Gehorfams erhalten Tonnte, fo mußte man ſich at 7 


fchen Standpunft immer die nächfte und weſentlichſte blieb, 


auf der Seite der Rechtfertigung, das Regative durch dad 


Poſitive zu ergänzen. Allein gerade auf diefer Seite war, 


man ja dem einzigen Verſuch, welcher dieß beabfichtigte, ſehr 
entfchieden entgegengetreten. 

Es ift hier nämlih der Ort, wo Die eigenthünlide 
Rechtfertigungstheorie ded Andreas Oftander *) in den Ent 
wicklungsgang des lutheriſchen Lehrbegriffs eingreift. Der 
Hauptpunft, von welchem Oftander ausging, war die für 
ihn völlig unbefriedigende Negativität des Iutherifchen Recht⸗ 


1) Dan vgl. über fie meine Disquisitio in Andreae Osiandri 
de justificatione doctrinam, ex recentiore potissimum 
theologia illustrandam. Tüb. 1831. Die Hanptfchrift Diians 
ders if: De unico mediatore Jesu Christo et justificatio- 
ne fidei. Confessio Andreae Osiandri. Regiomonte Prus- 
siae 1551. Sie ift eine weitere Ausführung der Theſen, 
welche der Gegenſtand ber Dfiander’fchen Difputation de 
justilicatione im J. 1550 und der erfte Anlaß der Oſian⸗ 
der’fchen Streitigfeit waren. Man vgl. über fie Hartknoch 
Preufifche Kirchenhift. Sranff. am M. u. Leipz. 1686. BP. 
1. 8. 2. ©. 316.f. Arnold Unparth. Kirchen und Ke⸗ 
jer-Hift. 2, 2. 24. ©. 924. Salig Vollſt. Hiſt. der auge. 
Conf. Bd. I. S. 928. Plank, Gefch. des prot. Lehrb. Bd—⸗ 
IV. ©. 270.f. 


Andreas Dfiander. 317 


tigung&begriffd, die Lehre, daß der Menſch ſchon wegen 
: bloßen Sündenvergebung für gerecht erklärt werde, ohne 
riftus, ald das Princip der Gerechtigkeit, felbft, vermittelft 


> Glaubens, in ſich zu haben, und mit ihm Eins zu feyn ®). 


I) Conf. F. (©. 42.) faßt Dfiander die Hauptpunfte gegen 
feine Gegner fo zuſammen: Omnes horribiliter errant. Prt- 
mo, .quia verbum justificare tantum pro justum reputa- 
re et pronunciare intelligunt, atque interpretantur, et 
non pro eo, quod est, reipsa et in veritate justum effi- 
eere. Deinde etiam in hoc, quod nullam differentiam 
tenent inter redemtionem et justificationem, quum ta- 
men magna dijfferentia sit, sicut vel inde intelligi pot- 
est, quod homines furem a suspendio redimere possunt, 
bonum autem et justum efficere non possunt. Porro 
etiam in hoc, quod nihil certe statuere possunt, quid tan- 
dem jüstitia Christi sit, quam per fidem in nobis esse, 
nobisque imputari oporteat. Ac postremo errant omnlum 
rudissime etilam in hoc, quod divinam naturum Christi 
a justificatione separant, et Christum dividunt atque 
solvunt, id quod haud dubie execrandi satanae opus 
est. Weber den erfien Punkt bemerkt Dfiander: Justöficare 
fönne nicht foviel fenn, als justum reputare oder pronun- 
ciare. Hoc enim divinae majestati vergeret in blasphe- 
miam, totique seripturae esset contrarlum. Si enim 

ı Deus impium, quem non simul reipsa et in veritate ju- 

“ stum efficeret, tamen bonum et justum reputaret, et 
pronunciaret esse justum, tum necesse essel, eum aut 
errare el nescire, quod impius esset implus, quod est 
impossibile — aut necesse esset, eum mentiri et amicum 
injustitiae esse, quod etiam est impossiblle. Aus dem⸗ 
felben Grunde erklärt Bellarmin De justific. II, 7. (De 
controv. chr. fidei adv. hujus temp. haer. T. III. €. 1059. f.) 
die proteſtantiſche Rechtfertigungsiehre für vernunftwidrig 
(ita. tmputari nobis Christi justitlam, ut per eam for- 
maliter justi nominemur et stmus, id nos cum recta ra- 
tione pugnare contendimus). Dabei verdient noch bemerft 


zuis MM. Per. 1. Abſchn. 1.Rap- 


Es handelte ſich zwifchen ihm und feinen Gegnern zunaͤchſt 
um bie Beftimmung des VBerhältniffes, in weldyes die Sa- 
tiöfaction und Suftififation als die objektive und fubjektive 
Seite des ganzen Prozeſſes, in welchem Gott. und Menſch 
fi zur Einheit zufammenfchließen follen, zu einander zu fe- 
. gen find. So wenig er von dem Fundamentalartikel der lu⸗ 
tberifchen Kirche abwich, daß das Princip der Rechtfertigung 
nur der Glaube fey, fofern er Chriftus zu feinem Objekt has 
be, ſo ſehr fehlen ihm eine Rechtfertigung, welche nur wegen 
der Vergebung ber Sünden für gerecht erklärt, noch nicht 
die Rechtfertigung felbft zu feyn, fondern nur bie: objektive 
Borausfegung der Rechtfertigung, die Satisfactton, oder noch 
ganz auf die Seite der erlöfenden Thätigfeit Chriſti zu fallen, 
Auf welcher er es noch gar nicht mit den Menfchen, fondern 
einzig nur mit Gott zu thun hat. Wie aber er von, feinen 
Gegnern die Meinung hatte, daß fie eine Satisfaction lehren 
ohne eine Zuftififation, oder auf der objektiven Seite ſtehen 
bleiben, ohne ſich zur ſubjektiven herüberzumenden, fo beſchul⸗ 
digten dagegen ſie ihn, daß er die Juftififation von der Sa— 


au werden, daß Dfiander nicht blos hiebei ſtehen bleibt, 
fondern wie Schleiermacher (vgl. Gegenfa des Kathol. u. 
Proteſt. Zweite Ausg. Tüb. 1836. ©. 645.) ausdrücklich 
auf den Begriff der göttlichen Allmacht zurückgeht. Zorro, 
fährt Dfiander fort, etiam si vellet errare et mentiri (ig- 
noscat mihi Deus, quod propter erroneos homines ita 
loqui cogor), tamen ob allam causam succedere non pos- 

. sel, quia Verbum ipsius est omnipotens (Röm. 4, 17.). 
Statim igitur, ut Deus impium nominaret bonum et ju- 
stum, oporteret eum, ob illam ipsam omnipotentem no- 

‚ minationem et vocationem, esse reipsa et in veritate bo- 
num et justum et non impium. Quare ubi de justifica- 
tione fidel agitur, ibi verbum justificare non humano, 
forenst et sophistico more est Intelligendum, sed dieine 
modo. | 


Andreas Dfiander. 319 


tisfaction trenne, ihr die objektive Grundlage entziehe, Die fie 
in ber Satiöfaction haben müffe *). So wenig beide Theile 
bad Cine ohne das Andere haben wollten, fo klar gibt fidh 
doch hierin der entgegengefehte Standpunkt zu erkennen, auf 
welthem beide Theile ftunden. Solange man im Begriffe ber 
Rechtfertigung zunächft nur das Negative fefthält, daß dem 
Menſchen um Chriſti willen: die Sünden vergeben werben, 
halt man fih auch, blos an diejenige Seite der erlöfenden 
Thätigfeit Chrifti, auf welcher er Die objektive Bedingung der 
Sündenvergebung vollzieht, und die ©erechtigfeit Chrifti, die 
der rechtfertigende Glaube ergreift, fällt noch ganz mit der 
äußern objektiv gefchichtlichen Thatfache des flellvertretenden 
Sehorfamd zufammen, fie iſt gleichfam noch nicht in ihrer 
4) Conf. M. (©, 189.): Clamat, tumultuatur (tartareus ille 
‚draco) quasi passionem et mortem Christi una cum pre- 
tioso fpstus sanguine pedibus conculcem. P. 2. (©. 115.): 
Ex his jam omnes facile judicare possunt, quam vant 
et seditiosi sint eorum clamores, qui vociferantur, quod 
velimus ipsts sanguinem Christi eripere et pedibus con- 
eulcare. Dieß war eine ungerechte Belchuldigung, wenn 
aber Dfiander in Bezichung auf feine Gegner fagt Conf. 
A. 4. (©. 8.): Manifestum est, quod quidquid Christus, 
ut fidelis mediator, nostri causa, impletione legis ac 
passione morteque sua cum Deo, patre suo coelesti, egit, 
factum id esse ante mille quingentos et eo amplius an- 
2085, cum. nos nondum essemus nati. @uare si proprie 
logui volumus, non potuit illud nostra justifieatio neque 
esse, neque nominari, sed tantum nostra redemptio et 
satisfactio pro nobis ac peccatis nostris, ſo ift auch diefe 
Behauptung nicht der Wahrheit gemäß, ba eine foldhe 
Identität der Justificatio mit der satisfaotia nicht gelehrt 
wurde, fondern das Wahre ift vielmehr nur, daß zwar Das 
Wefentliche der justificatio und der satisfactio in den Bes 
griff der Sündenvergebung gefekt, beides aber wie Subijek⸗ 
tives und Obiektives unterfchieden wurde, | 


320 II. Ber. I. Abſchn. 1. Ray. 


abfoluten Einheit und Vollendung, fondern nur in dem lei⸗ 
densvollen Zuſtande angeſchaut, in welchem fie im Gegenſah 
gegen die Sünde ihren Begriff erft realifirt. Denn, wenn 
auch der thuende und leidende Gehorſam an ber Stelle der 
Menfchen geleiftet wird, fo macht er das doch eigentliche We⸗ 
fen der Gerechtigkeit aus, die der rechifertigende Glaube er 
greift. Se mehr dagegen die Gerechtigkeit Ehrifti in ihrer 
höchften abfoluten Bedeutung, als das abfolute Princip ber 
Gerechtigkeit betrachtet wird, deſto mehr tritt ber die Sünde 
überwindende Akt bed Gehorſams in den Hintergrund zurüd. 
Es muß zwar vorausgefegt werden, daß die Gerechtigkeit in 
ihrer höchften abfoluten Vollendung nicht gedacht werben kann, 
ohne daß die ihr gegenüberftehende Ungerechtigkeit aufgeho« 
ben ift, aber es iſt Dieß nur die gleichfam den Menfchen noch 
. nichts angehende, noch ganz abftraft zu ihm ſich verhaltende 
objektive Seite der erlöfenden Thätigkeit Chrifti *), ihre reelle 


1) Defwegen if nach Dfiander Conf. B. 1. (&. 10.) bie al- 
tera pars officii Domini nostri et fidells Mediatorts Je- 
su Christi, ut sese jam (nachdem er nämlich zuvor cum 
Deo, patre suo, nostri causa egit atque impetravit, ul 
peccata nobis remittere, nec ob ea damnare nos vellt, 
insuper et infirmitates ac debita nostra, quod legem 
in hac vita non adimplemus, cum Christus eam pro no- 
dis Impleverit, nobis nolit imputare A. 4. ©. 7.), ad nos 
convertat, ac miseris nobiscum peccatoribus Tanquam 
cum parte rea itidem agat, ut tantam gratiam agnos- 
camus et per fidem cum gratiarum actiome recipiamus, 
ut nos per fidem a morte peccati vivos et justos resii- 
tuat, et peccatum jam condonatum, adhuc tamen in 
carnenostra habitans, et tenaciter inhaerens, ubi in morte 
ipsitus decessertmus, in nobis prorsus mortificetur et ex- 
tinguatur. Et hoc demum est negotium nostrae justifi- 
cationis, quod Dominus et servator noster Jesus Chri- 
stus perfickt. Auch dieß begründet eine gewiße Differenz 
swifchen Dfiander und feinen Gegnern, daß nach Dfiander 


Andreas Oftander. 321 


:omerete Bedeutung gewinnt fie erft auf dem Punkte, auf 
velchem der Menſch nur infofern für gerecht erklärt wird, 
ofern er auch wirklich gerecht wird, was nur durch den Die 
Gerechtigkeit Chrifti ergreifenden Glauben gefchehen Tann, 
hurch die Vermittlung des Glaubens aber nothwendig gefche- 
ben muß, da der Glaube, wenn er nicht leer und inhalts⸗ 
(08 iſt, nur Chriſtus zu feinem. Objeft haben kann, ſobald 
er aber Chriftus zu feinem Objekt hat, in ihm den ganzen 
Gotimenfchen, ald das abfolute Princip der Gerechtigkeit, er⸗ 
greift. - Chriftus allein, fagte Oftander, iſt gerecht, gerecht 
aber ift er nicht deßwegen, weil er das Geſetz erfüllte, fon 
dern weil er zuvor fchon, ehe er: gerecht lebte und wirkte, ge⸗ 
recht war, da die Gerechtigkeit überhaupt nicht in dem, was 
he wirkt, weder im Thun, noch im Leiden .befteht. Gerecht 
iR Chrifus, nur ſofern er bie wefentliche Gerechtigkeit Got⸗ 
ies ſelbſt iſt. Gerechtfertigt wird daher auch der Menſch, nur 
‚fern er Chriſtus als die weſentliche Gerechtigkeit im Glau⸗ 
ben ergreift. Hat er aber dieſe Gerechtigkeit ergriffen, ſo 
wohnt Gott ſelbſt in ihm. Denn wo Chriſtus iſt, da iſt auch 
fine göttliche Natur, und wo der Sohn Gottes feiner gött⸗ 
lichen Ratur nad) ift, da ift auch der Vater und der Geiſt, das 
ige Eine göttliche Weſen ſelbſ 1), Dieſe Zurüdführung 





vermöge bes poſitiven Begrifs der Rechtfertigung, welchen 
er auffiellt, die Rechtfertigung nicht blos Gott, fondern auch 
Chriſtus zugefchrieben wird, hält man fich aber in der Recht: 
fertigung nur an das Negative der Eüindenvergebung, fo iſt 
eds am natürlichfien,, den Tod Chrifii-äwar als die Urfache 
der. Sündenvergebung, die Rechtfertiguns ſelbſt aber als ei⸗ 
nen Akt Gottes anzuſehen. 

In den Theſfen über die justific. 20. 22. 27. 28. 52. 53. 
Kellte Dfiander folgende Säpe auf: Fides justificat: acci- 
»iendo et possidendo, Deus autem justificat, justitiam 
suam nobis donando, conferendo. Justitia tlla, quam 
fide apprehendimus, est justitia Dei, non tantum, quia 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. 21 


322 


11. Ber. 1 Abſchn. 1. Kap. 


der Rechtfertigung auf die wefentliche Gerechtigkeit Gottes, ald 
ihr höchſtes Princip, gab der Goncordienformel Anlaß, die „ 


— — 





Deo est accepta, sed quia est revera justitia Det, nom- - 


pe Domini nostri Jesu Christi,. qui Deus est benedictw 
in secula. Solus Christus justus est, non tamen ideo justus 
est, qula legem adimplevit, sed qula a justo patre ab aeter- 
no justus fillus natus est. Eadem igitur est justiti« 
Patris, Filti et Spiritus sancti, et haec justitia Det et 
jJustitia fidel, sive, cum Deus, qui tradidit filum pro 
nobis, omnia nobis cum eo donet, eoque magis fllem to- 
tum, quidquid id est, justitia ejus essential justi sı- 
hus. Vgl. Conf. D. 3. ©. 30.: Deus secundum suam 
veram divinam essentiam in vere credentibus habilat, 
ubi enim Christus est, ibi est ipstus divina natura seu 
divina essentia, ubl vero Filtus Det secundum suam di- 
vinam essentiam est, ibi sunt etiam Pater, Filius et 
Spiritus sanctus indivistbiliter. Nam Pater, Filius ed 
Spiritus sanctus sunt una aelterna indivisibiiis divin« 
essentia. Durd) den Ausdruck essentialis (justätta) wollte 
Dfiander, wie er in der Praef. II. feiner Conf. fagt, dem 
Irrthum der Iutherifchen Rechtfertigungslehre auf die glei 
che Weife entgegentreten, wie die Väter der Nieäniſchen 
Synode durch das Wort öuosn: die arianifche Ketzerei uns 
terdrücht haben. Quod st justitia Dei, fett er hinzu, ab 
omnibus recte intelligeretur, facile patiar, omtttt voca- 
Dulum essentialis. Ueber das abſolut Göttliche der 
Rechtfertigung drückt er fich Conf. E. 3. (©. 38:) fo aus: 
Necesse est, ut sit Deus ipse. Nam si alius nos ju- 
stificare posset, quam solus Deus, tum possemus, imo 
deberemus, In eundem etiam credere, quod quidem essel 
Idololatria, et imputaretur nobis ea fides ad justitiam, 
quod esset absurdum, veniretque justitia ex abominabi- 
lixcimo peccato, nempe ex Idololatria. Auf diefelbe Weife 
argumentiren Athanafius und Anfelm gegen eine Erläfung 
durch einen bloßen Menfchen. Der erftere fagt Or. II. c. 
Ar. 0. 16.5 3 ardgwnoe ynlor TAro moiam amoerts ur. iva 


IST u m 


Andreas Dfiander. 323 


hre, daß Ehriftus nur nach feiner göttlichen Natur unfere 
erechtigkeit ſey, ausdrüdlidy als eine verwerfliche zu bezeich⸗ 
n. Allein ſchon Oſiander felbft hatte gegen bie Vorausſe⸗ 
ng proteftirt, daß er die göttliche Natur von ber menfchlis 
a trennen wolle *). Sn der That fchrieb er der göttlichen 
atur nichts zu, was nicht auch Die übrigen Iutherifchen Theo⸗ 
gen ihr zufchreiben mußten, wenn, fie behaupteten, daß nur 
8 Zufammenfeyn der menfihlichen Natur mit der: göttlichen 
m Leiden Chrifti den abfoluten Werth gebe, welchen es für 





. # 
um avFounos wipov Eyorres. av$owrolarga yensuede. der legs 
tere Cur Deus homo I, 5.: An non intelligis, quia quae- 
eunque alia persona hominem a morte aeterna redime- 
ret, ejus servus Idem homo recte judicaretur? 

1) Conf. D. 4. (©. 31.): Nemo hie cogitare debet, cum di- 
eimus, verbum, hoc est divinam naturam, in Christo es- 
se vitam nostram, quod ideo vellmus naturam huma- 
nam separare et ezxcludere, quast nihil conferret ad hoc, 
ut per divinam ipsitus naturam vivifieemur. Absit hoc 
Ionge anobis. Yun führt Dflander weiter aus, iie aus 
ber göttlichen Natur’ nichts auf uns übergeben koͤnnte, wenn 
wir nicht zuvor durch den Glauben und die Taufe dem mufifchen 
Leibe Ehriftt, fir welche Idee fich Oſiander befonders gern 
auf die Stelle Eph. 5, 30. berief, einverleibt worden wären, 
wenn alfo nicht die menfchliche Natur das Vermittelnde wä⸗ 
re. Vgt. Conf. M. 3. S. 93.: Diserte et clare respondeo, 
quod secundum divinam suam naturam sit nostra justi- 
tia et non secindum humanam naturam, quamvis hanc 
divinam justitiam extra ejus humanam naturam non 
possumus invenire, consegui aut apprehendere, verum 
cum ipse per fidem in nobis habitat, tum ajfert suam 
justitlam, quae est ejus divina natura, ‚secum in nos, quae 
deinde nobts etiam imputatur, ac si essel nostra pro- 
prla, immo et donatur nobis manatque ex ipsius huma- 
na natura, tanquam ex capite, ellam in nos, tanquam 
ipstus membra. 


21* 


294 Il. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap. 
das Erloͤſungswerk haben muͤſſe. Der vollkommene, alle &% 


rechtigfeit erfühlende Gehorſam, welchen Chriftus durch feine : 


menfchliche Natur leiftete, lehrte auch Oflander, war nut 
durch Die göttliche und wefentliche Gerechtigkeit möglich, wel⸗ 

che Gott ſelbſt iſt. Ohne dieſe Gerechtigkeit hätte die menfdy 
liche Natur nichts vermocht %). Dadurch follte aber die ' 


= 
a 
nl 
* 


menſchliche Natur auf keine Weiſe ausgeſchloſſen werben. A⸗ 


les, was Chriftus feiner göttlichen Natur nach iſt, hatte Feine 


Beziehung auf die Menfchen, wenn nicht Chriſtus zugleich 


Menſch wäre, und als Menſch gewordener Sohn Gottes das 
Haupt des myftifchen Leibes, welchem die Slaubigen als feine 
Glieder, als Fleiſch von feinem Yleifch, als Bein von feinem 
Bein, einverleibt ſeyn muͤſſen. Die menfchliche Seite der Ber 





4) Doch drückt ſich Hfiander hierüber auch wieder etwas ſchwan⸗ 
Eend aus, und fcheint die Nothwendigkeit des Göttlichen in 
Chriſtus nicht ſowohl auf Vie satisfactio, ala vielmehr nur 
auf die Justificatio in feinem Sinne zu beziehen. Er fagt 
in Besiehung auf Joh. 14, 10. Mätth. 26, 42.: Quo dide 
etiam testatur, quod divina Patris voluntäs, quae etiam 
est Filii et Spiritus sanctt voluntas, Deus ipse et Des 
essentialis justitia, sit humanae suae nuturae justitia, 
quae iTpsum, ut pro nobis mgreretur, nosque redimeret, 
mooit, ewcitavit et impulit. Humana enim natura Chri- 
sti sola sine divina et essentiali justitia hoc non effecis- 
set. Unter hoc kann hier nur das mori pro nobis, nosgue 
redimere verfianden werden. Gleichwohl aber fährt Dfian- 


der-fo fort: alioqui nihtl fulsset necesse, ut Deus Filtum : 
suum sineret incarnari: poluisset enim alium justum ' 
hominem creare, qui non esset Deus, et nos tamen re 
dimeret. Verum oportuit divinam et essentialem justi- 


tiam adesse. Et necesse est, ut ea justitia, quae Chrl- 
stum permovit ad obediendum et recte agendüm, ro 
quoque permoveat. Nam certum est, hoc nullam aliam 
effecturam esse. Conf: O. 2. (©. 409.) 


Andreas Dfiander. 325 


hriſti bleibt daher immer die nothwenbige Vorausſetzung 
defien, was Chriftus als die göttliche und weientliche. 
htigkeit wirkt. Zugegeben werben aber muß, daB, wie 
r, fo auch bei Oſiander, das Menſchliche in bemielben 
altniß gurüdteitt, in welchem das Göttliche als das alle 
Arkende Iebensfräftige Prinrip hervorgehoben wird, baß 
ehr auf die innere Ergreifung der Gerechtigkeit Chriftt 
ttelft des Glaubens alled Gewicht gelegt wird, das 
e geſchichtlich Ihatfächlihe nur aus dem Gefichtspunft 
dem Menfchen noch äußerlich bleibenden Berhältnifies 
faßt werben kann, und daß ebendeßwegen auch der ſtell⸗ 
tenbe, fowohl thuende, als leidende Gehorſam Ghrifti 
in nicht die Bedeutung haben Tonnte, die er für bie übri« 
utherifchen Theologen hatte, obgleid) auch er ihn als bie 
vendige objektive Bedingung betrachten mußte, ohne de⸗ 
3prausfegung Chriftus nicht in ein wahrhaft lebendiges 
Atniß zu dem Menfchen treten Eonnte. Se mehr aber auf 
Meife in feiner Theorie das äußerlich Thatfächliche in eine 
geordnete Bedeutung zurüdtrat, deſto weniger konnte er 
den durch den ftellvertretenden Gehorſam vermittelten 
er Sündenvergebung ald das Wefentliche der Rechtfer⸗ 
3 betrachten. Da nad) der Iutherifchen Theorie im Afte 
terhifertigung Suͤndenvergebung foniel iſt, ald Richtzu- 
ng der Sünde, und dieſe felbft fo viel als Gerechter⸗ 
19, Gerechterflärung aber, nach Oſtanders Anficht, nicht 
ch ift ohne Gerechtmachung, das Princip der Gerecht⸗ 
ng aber Chriſtus ift, als die abfolute Gerechtigkeit, fo 
r er von biefem Standpunkte aus nicht das Negative 
Poſitipen vorangehen laſſen, die Sünbenvergebung der 
dung ber Gerechtigkeit Chrifti, fo daß jene ald das Er- 
vodurch der Menfch aus dem Verhältniß des Sünders 
Stritt, das Wefentliche der Rechtfertigung ift, fondern 
Bofitive der Inwohnung ber weſentlichen Gerechtigkeit 
von ſelbſt und unmittelbar auch Das Regative der Sün- 


326 


1. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap. 


denvergebung in fi ). Die Sünde verhält fich, dem in der 
Concordienformel gebrauchten Ausdrud zufolge, zu der we 
fentlichen Gerechtigkeit Chrifti, wie der verichwindende Wal 
« fertropfen zu dem unendlichen Meer. Sagte aber nicht im 
Grunde die Concordienformel felbft daffelbe, wenn file davon 
ſprach, daß Chriftus durch feinen abſolut vollfommenen Gr 


—— 


9» 





Am deutlichfien erhellt die Umftellung, welche die bier in 


Betracht Eommenden Momente durch das Pofitive des Dfian 


der’fchen Rechtfertigungsbegriffs erhielten, aus folgender Stelle 
der Conf. P. 2. ©. 115.: Officium medictoris est, ut m 
per suam obedientiam, passionem, mortem et sanguinis 
effusionem, ab ira, maledicto, peccato, morte et infer- 
a0 redimat, et remissionem peccatorum impetret, — ‚De- 
inde debet curare, ut nobis evangellum annuncietur, no- 
bisgue per fidem, cum evangelio credimus, justiliam 
suam divinam, de qua hactenus tum multa dieta sunt, 
tanquam vestem induere, peccata nostre illa sua justitis 
tegere, nosque veluti sponsam eadem illa sua justitia 
ornare. Peccatum autem nulla alia re se tegt palitur, 
quam sola justitia Christi, id quod diligentissime: est 
observandum. Postea, cum peccatum sit remissum, ed 
tamen adhuc in nobis haereat, debet ipse obedientiam 
suum, qua legem adimplevit, nobis donare, uc pro no- 
bis’ponere, ne nobis imputetur, quod legem nondum pos- 
sumus adimplere, sed adhue quotidie peccamuxs et offen- 
dimus, (Hier ift deutlich zu fehen, wie die odedientia pas- 
san und activa vor der justificalio den Menfchen eigent- 
lich nichts angeht, fondern immer die Justificatio ſchon zu 
ihrer Vorausſetzung haben muß, wenn fie eine Bezichung 
auf den Menfchen haben fol, dann aber aud) ihre nothwen⸗ 
dige Stelle findet.) Zt tandem debet peccatum, quod 
haeret in nobis, per spiritum suum et mortem suam, in 
quam per baptismum plantati sumus, mortificare. Et H- 
cet peccatum in Carne non penitus exstinguatur, quam 


diu vivimus, debet tamen nova vita In wiritu inchoutu 
4538, 


—E —— 


A 1.” 


ft we ver! 


a 


e 


- Andreas Diiander, 327 


arſam alle Sünden der Menfchen bebede,. wenn fie auch 
eich noch immer der Natur des Menfchen wirklich anhän- 
ms)? Wie kann Chriſtus die Sünden bebeden, wenn er 
icht vor allem als der abfolut vollfommene Gehorfam, als 
ie abjolute Gerechtigkeit, im Glauben ergriffen iſt? Daß 
ber Durch die Snwohnung Ehrifti die Eünde aud dem We⸗ 
n. des Menfchen völlig verſchwunden und vertilgt fey, be- 
auptete auch Ofiander nicht, er Eonnte fie mit den Verfafe 
m. der Soncordienformel immer nur als das Negative, ger 
müber dem Bofitiven, ald ein immer erft noch verſchwinden⸗ 
Moment betrachten. 

Das ummittelbare Einsſeyn des Menſchen mit Gott und 
hriſtus durch die Vermittlung des Glaubens iſt der Grund⸗ 
egriff der Oſiander'ſchen Rechtfertigungstheorie. In dieſer 
inficht hat fie, indem fie von einer unmittelbaren, durch kei⸗ 
m vermittelnden Begriff. erflärbaren, conereten, lebendigen 
Kmheit des Göttlihen und Menfchlichen ausgeht, in wel- 
er alle einzelnen Momente fchon enthalten find, einen gewi⸗ 
en myſtiſchen Charakter, und gehört in eine Reihe nicht blos 
it der Idee des. myftifchen Körpers Chrifti, auf welche Tho- 


UF. C. ©. 686.: Quando docemus, quod per operationem 
Spiritus sancti regeneremur et justificemur, non ita ac- 
eiplendum est, quod justificatts et renatis nulla prorsus 
injustitia post regeneratiomem substantiae Ipsorum et 
eonversationt adhaereat, sed quod Christus perfectissi- 
ma obedientia zua omnia ipsorum peccata tegat, quae 
quidem in ipsa natura, in hac vita, adhuc infixa. hae- 

ı rent. In dem Begriffe der regeneratio nähert fich die Lehrs 
weile der Eoncordienformel am meiften der Dfiander’fchen. 
Cum homo per fidem, quam quidem solus Spiritus san- 

ctus operalur, justificatur, ld ipsum revera est quuedam 
regenerulio, quia ex filio irae fit filius Det. m diefem 
Sinne fey das Wort regeneratio in der Apologie Hiters 
sebrancht. 


328 IL Ber. 1. Abſchn. 1. Rap. | i 


mas son Aquinum die Erlöfung zurüdfährt, ſondern auch 

mit jener Anſicht der alten Kirchenlehrer, nad) welcher durch 
bie Verbindung des göttlichen Logos mit einem. menſchlichen 
Individuum ein heiligendes und vergöttlichennes, bie Verſoh⸗ 
nung des Menfchen mit Gott bewirkendes Element ber gan ‘ 
sen menfchlihen Natur mitgetheilt worden ift, umterfcheibt 
fi), aber dadurch fehr wefentlih von allen Altern Anfichten 
diefer Art, daß fie, ganz gemäß dem ädyt proteſtantiſchen 
Standpunkt, dieſe unmittelbare eoncrete Einheit nicht anf ihrer - 
objeftinen Seite (weder in der objektiven Thatfache ber Menſch⸗ 
werdung, noch in dem objektiven Einsſeyn Chriftt mit den 
Gliedern feines Leibs), fondern auf der fubjeftiven, in dem 
Glauben im proteftantifchen Sinne auffaßt. Nehmen wir nım 
noch hinzu, in welche Verbindung Dfiander feine Lehre von 
der Perfon Chrifti mit; feiner Lehre yon dem göttlichen Eben 
bilde fette, fo fehen wir in feiner Rechtfertigungstheorie Ideen 
niedergelegt, Durch welche Dfiander, wenn fie auch gleich nur 
als dunkle Ahnung feinem Bewußtſeyn vorſchweben mochten, 
feiner Zeit weit vorgriff, Ideen, deren Entwidlung einen fehr 
fruchtbaren Stoff für die weitere Ausbildung unſers Dogmas 
Darbieten konnte. Das göttliche Ebenbild, nach welchem der 
Menſch gefchaffen worden tft, ift der Gottmenſch Chriſtus. 
Er ift ald die Subftanz des fleiſchgewordenen Worts, d. h. 
fofern das Wort, ehe es Fleiſch wurde, poraus ſchon dazu 
beftimmt war, Fleiſch zu werden, das fichtbare Bild des un- 
. fihtbaren Gottes. Adam ift nun zwar nach dem Bilde Got⸗ 
tes gefchaffen worden, da aber Ehriftus damals noch nicht 
erfchienen war, fo eriftirte das göttliche Ebenbild nur ideell, 
bloße Idee konnte es jedoch nicht bleiben, hätte fich die Idee 
nicht realifirt, fo wäre die Idee felbft nur etwas unvollkom⸗ 
menes und unfräftiged gewefen. Hieraus folgerte Ofiander, 
baß die Menfchwerdung des Sohnes Gottes nicht Durch die 
Sünde Adams bedingt war, daß er aud) ohne den Eünden- 
fall Menſch geworden wäre, weil es an fih zum Weſen ber 


Andreas Ofiander. 329 


bee gehört, fih zur Realität aufzuichließen. Auch Adam 
te das Bild Gottes, das nicht blos in einzelne herrliche 
haben geſetzt werben darf, fondern nur in dem ganzen, mit 
Jott verbundenen, Dienfchen ſich barftellen Fonnte, nicht wahr⸗ 
aft gehabt, wenn fich die Idee deffelben in Ehriftus nicht 
iktiſch reift hätte ). Es läßt ſich nicht perfennen, daß 





8) Es gehört hicher die merkwürdige fehr fclten geworbene 
Schrift Dfianders: An Filius Dei fuerit incarnandus, si 
peccatum non introivisset in mundum? Item de imagine, 
Dei, quid sit? ex certis et evidentibus S. S. testimoniis, 
et non ex philosophicis et humanae ratipnis cogitationi- 
bus depromta explicatio. Monteregig Prussiae 1550. Man 
vgl, über diefe Schrift Hartfnoch a. a. D. ©, 314.f. Sa⸗ 
lig a. a. ©, ©. 325.f. Schlüffelburg im Catal. haeret. 
Lib. VI. ©. 48.f. Bon den zehen Hauptargumenten Oſian⸗ 
ders mögen hier folgende angeführt werden: 1. St Fillus 
Dei non debuisset fieri homo, Adam non fuisset ad ima- 

. ginem Dei conditus. 2. Si Filtus Dei non fuisset in- 
earnandus, nisi Adam peceasset, Adam non in Imagine 
Christi, sed Christus in imagine Adami esset factus, 
4. Homines st non peccassent, non mansissent incolae et 
agricolae paradisi in omne aevum, sed tandem aliquan- 
do immutandi, et in coelum transferendi fuissent. Sed 
aullus terrenorum hominum hanc tmmutalionem et trans- 
Iationem neque sibi neque aliis praestare patuisset. Er- 
go Filtus Dei coelestis futsset incarnandus, licet Adam 
non peccassat, ut hoc opus praestaret hominibus. 6. Si 
Filtus Dei non futisset incarnandus, nist peccetum intro- 
dsset in mundum, nos atque adeo totum regnum Det 
carere cogeremur rege nostro, idque in omnem aeterni- 
tatem, 8. Si Filius Dei non fuisset incarnandus, nisi ho- 
mo peccasset, non posset illud mysterium in Christo et 
In ecclesia ezxistere (Eph. 5, 32.). 9. Nisi Deus voluis- 
set fillum suum incarnari, nunguam de mundo conden- 
dog quiegquam cogitasset. Sed Deus ante alia omnia fi- 
Hum suum incarnandum decrevit, ac propter Insum re- 


330 11. Per. J. Abſchn. 1. Kap. 


Diefe. Idee vom. göttlichen Ebenbild mit der eigestthünlichen 

Rechtfertigungstheorie Oſtanders in einem Innern Zufammens 
hang fteht.. Wie dad Wefen der Rechtfertigung nad) Oftan- 
der darin befteht, daß Gott und Menſch zur. lebendigften 
sonereten Einheit fich zuiammenfchließen, fo ift.Die Möglidy 
feit dieſes Zufammenfchluffes dadurch bedingt, Mir Sott und 
Menſch an ſich Eins find,: daß dieſe Einheit ſchon zur Idee 
des göttlichen Ebenbildes gehört, in welchem mit der Idee 
auch Die vollfommene Realifirung derfelben durch die Menfch- 
werbung Gottes‘ an ſich ſchon geſetzt ift, als ein nothwendi⸗ 
ges Moment in der Reihe der göttlichen Offenbarungen, durch 
welche das PVerhältniß Gottes zur Welt und Menfchheit be- 
ftimmt wird. Wie alfo Gott in dem menfchgewordenen Sohn, 
fofern er das Ebenbild Gottes ift, und das Bild, nach wel« 
chem der Menſch geichaffen ift, die Idee feines Weſens rea- 
lifirt, und fein eigened Weſen an die Menfchheit mitgetheilt 
bat, fo iſt der ©ottmenih das Princip, in welchem der 
Menfch zur abioluten Einheit mit Gott verbunden wird, mit 
Gott fi wieder zufammenfhließt, wie er an ſich mit Gott 
Eins iſt. Unftreisig iſt dieſe Ofiander’ihe Idee des Gotk 





" Uquas creaturas universas fecit, nullam prorsus condi- 
Zurus, nisi filius ejus esset incarnandus. Ergo fuisset 
huud dubie incarnalus, eliamsi nos non peccavissemus. 
Es ift dieß dieſelbe Idee von dem Berhältniß des Gättli- 
chen und Menfchlichen, welche fchon bei einigen Kirchenleh: 
‚sern ber ältefien Zeit (namentlich Irenäus und Zertullian 
vgl. S. 39. f,), ſodann auch bei den Scholaftifern (wenigſtens 
Thomas nel. ©. 267. f.) da und dort bedeutungspoll hervortritt, 
bis fie zukent von Schleiermacher und Hegel auf den adüs 
quaten wilfenfchaftlichen Ausdruck gebracht wurde, daß Chris 
ſtus ale Eridfer die vollendete Schöpfung der menichlichen 
Natur fey, oder daß die gästliche Natur die Wahrheit der 
menfchlichen und die menſchliche die Wirklichteit der sd 
lichen fen. 


Andreas Oſiander. Ealvin. 331 


‚ menfchen als ber wefentlichen göttlichen Gerechtigkeit, welche 
Gott ſelbſt ift, als des abfoluten göttlichen Lebensprincips, 
eine lebendigere, ald die der Goncordienformel und der ihr 
folgenden Iutherifchen Theologen. Wird in Anfehung des 
Berhältniffes, in welches Chriftus im rechtfertigenden Glau⸗ 
ben zum Menfchen sritt, vor allem die Idee der von Chris 
ftus in dem Berlaufe feines irdifchen Lebens für Die Men⸗ 
fchen geleifteten obedientia passiva et activa feftgehalten, 
fo ſteht Ehriftus immer noch in einem gewißen Außerlichen 
Verhältniß zu dem Menfchen, man hält fih weit mehr an, 
die empiriſch gegebenen hiſtoriſchen Thatfachen, als an ben 
über ihnen ſtehenden Chriftug felbft, in deſſen abjoluter Ge⸗ 
rechtigfeit jene Thatfachen felbft erft ihre Einheit und Vollen- 
dung haben. Am auffallendften zeigt fich dieß an dem Be⸗ 
griffe der obedientia.activa in ihrem Unterfchtede von der 
passiva. Daß Chriftus das Geſetz für die Menfchen erfüllt 
habe, ift als Hiftorifche Thatſache ein völlig unlebendiger und 
inhaltsleerer Begriff, welcher entweder immer wieder mit dem 
Begriffe. der obedientia passiva zufammenfällt, und bei ihr 
vorausgeſetzt werden muß, ober erft durch die Oftander’iche 
Idee zu einer reellern Bedeutung erhoben werden kann. 
Wie Dftander noch ehe die Concordienformel den Unter- 
fehled des thuenden und leidenden Gehorſams hervorgehoben 
und näher beftimmt hatte, zwar nicht blos von einem ftell- 
vertretenden Leiden, fonbern auch einer flellvertretenden Ge⸗ 
feged «Erfüllung ſprach, das Cine wie Das Andere aber der 
höhern Idee der Gerechtigkeit Chriftt unterorbnete, fo unter: 
ſchied auch fchon Calvin eine Doppelte Seite des Gehorſams, 
ohne fich entichließen zu können, die Einheit defielben in zwei 
neben einander ftehende Hälften zu zertheilen. Frage man, 
wie Chriftus und mit Gott verfühnt, und die Gott und gnä⸗ 
big machende Gerechtigkeit erworben’ habe, fo Anüffe im All- 
genwinen gejagt werden, Daß er dieß Durch den ganzen Ver- 
Lauf feines Gehorſams geleiftet habe. Der Apoitel Paulus 


332 II. Ber L Abſchn. 1. Kay. 


fchreibe (Rom. 5,16. Gal. 4, 4.) die Urſache unferer Befreiung 
vom Geſetz dem ganzen Leben Chrifti zu, und Chriſtus felbf 
babe feine Taufe für einen Akt der Gerechtigkeit erflärt, durch 
welchen er Gott Gehorfam leifte CMatth. 3, 15.). Wenn 
aber gleich das Zeben Chrifti ald die Bezahlung des zu un 
ferer Befreiung nothwendigen Löfegeld8 anzufehen fey, fo 
fchreibe fie Doch die Schrift, wenn fie die Art und Weife der 
felben näher beflimmen wolle, ganz befonderd dem Tode 
Chriſti zu. Der übrige Theil des Gehorſams, welchen er im 
Reben geleiftet habe, fey nicht auszufchließen, ſchon deßwegen 
nicht, weil ja auch bei dem Tode die Hauptfache Die freiwils 
lige Uebernahme deſſelben geweſen fen, Die eigentliche Urſache 
der Erlöfung aber fey der Tod 1). Auf den Tod legte Cal» 
vin auch deßwegen das größte Gewicht, weil er ihn aus dem 
Geſichtspunkte der Eatisfaction betrachtete. Im diefer Hin 
ficht erfchien ihm daher auch die Art des Todes als beſon⸗ 
ders bedeutungsvoll. Weil wir dem göttlichen Gericht nicht 
entgehen konnten, habe Chriſtus von einem heidniſchen Rich⸗ 





1) Inst. chr. rel. II. 46, 5.: In symbolo fidel, quod aposto- 
lcum vocant, optimo ordine statim a natalibus Christi 
fit transitus ad mortem et resurrectionem, ubt perfectae 
salutis summa consistit, Neque tamen excluditur reli- 
qua pars obedientiae, qua defunctus est in vita, siouti 
Paulus ab initio ad finem usque tolam camprehendit 
(PHil.2,7.). Et sane in ipsa guoque (morte) primum gra- 
dum occupat voluntaria subjeetto, guia ad justitiam nihil 
profuisset sacrificium sponte oblatum. — Illud quidem te- 
nendum est, non potuisse rite Deo aliter litari, quam 
dum, proprio se affectu abdicans, Christus illtus se arbi- 
trio subjecit, totumque addixit. — Caeterum quia non- 
nist in sacrificio et ablutione, quibus expiantur peccata, 
quietem reperiunt trepldae comscientiae, illuc merito di- 
rigimur, et in morte Christi siatuitur nobis vilge ma- 
ferla. 


Calvin. 333 


veruttheilt werden muͤſſen. Eine andere Todesart, bei 
Icher nicht dieſelbe gerichtliche Form ſtattfand, würde auch 
n Charakter der Satisfaction nicht auf dieſelbe Weiſe art 
h getragen haben *). Davon aber, daß Chriftus, wie er 
e die Menfchen die Strafert der Suͤnden erduldete, für fle 
ich das Geſetz habe erfüllen muͤſſen, fagt Calvin nichts, er 
richt immer nur von der Befreiung von dem Fluch des Ge⸗ 
ses. Um fo weniger konnte er fich daher veranlaßt fehen, 
e obedientia activa als einen integrirenden Theil der ſa⸗ 
zfaktoriſchen Funktion Chrifti voit der obedientia passiva 
ı trennten. Die höchfte Bedeutung bes von Chriflus durch 
In Reben geleifteten Gehorſams konnte er nur in dem na⸗ 
lichen und nothmweridigen Zufammenbang befjelben mit ſei⸗ 





) %. a. O.: Qula nos maledictio er reatu manebat, ad coe- 
leste Dei tribunal primo loco refertur damnatio coram 
praeside Judaeae Pontio Pilato, ut sclamus poenam, 

„cut eramus obstrieli, fulsse justo inflictam, Horribtle 
Det judictum effugere non poteramus, ut inde nos ert- 
peret, Christus coram homine mortali, imo etlam scele- 
stoet profano, damnart sustinuit; — Neque enim tollen- 
dae damnationis nostrae satis erat, quamlibet abire mor- 
tem, sed quo redemptioni nostrae satisfaceret, genus 
mortis deligendum fuit, in quo et damnationem ad se 
traducens, et placulum in se recipiens, utrogue nos li- 
beraret: Si a latrenibus jugulatius fuisset, vel tumul- 
tuarie Caesus per seditionem vulqt, in ejusmodi morte 
nulla satisfactionis species extitisset. Verum ubi reus 
ad tribunal ststitur, testimoniis arquitur et premitur, ip- 
sius judicis ore morti addicitur, his documentis intelli- 
gimus, ipsum personam sontis et malefici sustinere — 
neque sic tamen, quin justus simul ab ipso (Pilato) pro- 
nuncietur. $. 6. Ut justa expiatione defungeretur, ani- 
mam suam — impendit — satisfactoriam peccati ho- 
stiam, in quam rejecta quodammodo macula et poena 
nobis desinat imputari. 


t 


334 1. Ber. L Abſchn. 1. Kap. 


nem Leiden und Tode finden. So großes Gewicht.aber Gal- 
vin auf die fatisfaftorifche Bedeutung des Todes Chrifti Ieg- 
te, fo leitete er fie doch fo wenig. aus der Idee der göttlichen 
Gerechtigkeit ab, daß man, einigen Andentungen zufolge, eher 
annehmen Fönnte, er habe ſich die Nothwendigkeit der Satis- 
faction mehr ſubjektiv als objeftip begründet gedacht, und das 
‚ Moment derfelben habe ihm mehr nur darin zu liegen ge⸗ 
ſchienen, dab ohne die Thatſache eines ſolchen Todes für die 
Menfihen die Befreiung von der Schuld und Strafe ber 
Sünde nicht diefelbe fubjektive Realität gehabt haben wuͤr⸗ 
de 9. Eine Satisfactionstheorie, wie die der Concordien⸗ 
formel, . konnte die Nothwendigfeit nicht blos der Satiöfaction, 
fondern der Menſchwerdung :Ehrifti überhaupt nur durch die 
Idee der göttlichen Gerechtigkeit begrünben. Das Höchfte, wos 
zu fie ſich erhebt, iſt der aus der Idee der Gerechtigkeit ab- 
geleitete Grundſatz, daß bie Strafe der Sünde ohne ein adä- 
quates Aquivalent nicht. aufgehoben werben könne. Dagegen 
unterfcheiden fich nun von den auf dem Standpunft der Con 
eorbienformel ſtehenden Iutheriichen Theologen Oftander und 
Galvin fehr weſentlich dadurch, daß fie dad Verhältniß Got- 
te8 zu dem Menfchen nicht blos, wie diefe, aus dem Ge- 
fichtspunkt der ftrafenden und genugthuenden Gerechtigfeit 





1) Bol. die ©. 332. angeführte Etelle am Ende, und $. 6.: 
 Haec nöstra absoölutio est, quod in caput Filit Det trans- 
latus est reatus, qui nos“ tenebat poenae obnoxios. Nam 
haec compensatio inprimis tenenda est, ne trepidemus 
atque anpæit simus tota vita, ac si nobis instaret justa 
Dei ültio, quam in se transtulit Det Filius. $. 7. Pec- 
cati vim abolevit Pater, quum in Christi carnem Trans- 
lata futt ejus maledictio. Indicatur itaque hac voce, 
Christum Patri fuisse in morte pro victima satisfacto- 
ria immolatum, ut peracta per ejus sacrifictum Itiatio- 
ne iram horrere destnamus. . | 


e Galvin. * 335 


auffaffen *), was immer nur auf den negativen Begriff eis 
ned Ertöfers von der Schuld und Strafe führt, fondern Chris 
ſtus als den höchſten Bermittler betrachten, durch welchen 
das abfohıte Weſen Gottes an die Menfchen mitgetheilt wirb. 
Chriftus mußte nach der Anficht diefer Theologen Menfch 
werben, nicht blos, weil ohne das Leiden eines Gottmenfchen 
der göttlichen Gerechtigkeit nicht genuggethbart werden kann, 
fondern weil überhaupt ohne die Vermittlung eines Gottmen« 
fihen fein lebendiges Berhältniß zwifchen Gott und den Men- 
fhen, oder den geiſtigen Weſen überhaupt, gedacht werden 
kann. Wie in diefem Sinne Ofiander die Fleifchwerdung ded 
göttlichen Worts, nicht blos durch den Sündenfall. des Men- 





4) Auch dadurch unterfcheider fich der Etandpunkt Calvind von 
dem ber Iutherifchen Theologen, daß er nicht überfah, mic 
ber Gerechtigkeits⸗Proceß, auf welchem das Werk der Er⸗ 
Iöfung beruhte, Body immer wieder die göttliche Gnade zu 
feiner nothwendigen Vorausfegung hatte. Fquidem fateor, 
fagt Calvin Inst. rel. chr. II. 17, 1., si quis simpliciter 
et per se Christum opponere vellet judicio Det, non fore 
merito locum, quia non reperietur in homine dignitas, 
quae possit Deum promerert. — Quum de Christi meri- 
to agitur, non statulfur in eo principium, sed conscen- 

. dimus ad Dei ordinationem, quae prima caussa est, quia 
mero beneplacito mediatorem statuit, qui nobis salutem 
acquireret. Atque ita inscite opponitur Christi meritum 
misericordiae Dei. Die Iutherifchen Theologen fannten 
dieß unmöglich vertennen, trenn aber gleichwohl Quenſtedt 
Theol. did. polem. ©. 420. auf die Behauptung, Cal⸗ 
vins, daß hier an ſich von keinem meritum Christi die 
Rede ſeyn koͤnne, erwiedert: unde meritum qus non esse 
toosoorrov, seu aequivalens offensae poenisgue promertti: s 
ultro consequitur, ſo iſt hieraus zu ſehen, daß ſich die lu⸗ 
theriſchen Theologen auf ihrem Standpunkt von einer ein⸗ 
ſeitigen Hervorhebung der Idee der Gerechtigkeit nicht frei 
su halten mußten. 


S 


336 1. Ber. L Abſchn. 1. Kap. 


fchen bedingt feyn laſſen wollte, fo behauptete auch Calvin, 
daß auch abgefehen von dem tiefen Verderben, - in welches 
der Menfch durch die Sünde verfunfen war, ber Menid ob 
ne einen Mittler nicht zur Einheit mit Gott hätte komme 
fünnen, daß der Sohn Gottes Menfch werben mußte, damit Sat: 
und Menſch in ihm fich zur Einheit zufanımenfchließen, daß 
auch ein Engel nicht hätte der Erlöfer der Menfchen werben 
fönnen, weil auch die Engel-ein Haupt nöthig haben, durch 
bas fie in der Einheit mit Bott erhalten werden 1). Wir 
> 
4) Inst. chr: rel. Il. 12, 1.: De necessitate si quaeritur 
(daß der Erlöfer der Gottmenfh war), non simplex qui- 
dem, ut vulgo loguuntur , vel absoluta fuit, sed manavit 
eo coelesti decreto, unde pendebat hominum salus. Dief 
fcheint die Idee der Nothwendigkeit auszufchliegen, außer 
fofern das decretum felbft wieder durch eine göttliche Noth⸗ 
wendigkeit bedingt gedacht werden Eaun. Caeterum, quod 
nobis oplimum erat, siatuit clementissitmus Pater. Quum 
enim iniquitales nostrae quasi. interjecta inter nos et 
tpsum nube nos a regno coelorum alienassent, nemo nisl 
qui ad eum pertingeret, pacis restituendae interpres esse 
poterat. Quis autem pertigisset? — Angelorum aliquis? 
‚Sed enim illi quoque opus habebant capite, per cujus 
nexum solide et indistracte Deo suo cohaererent. Quid 
tgitur? deplorata certe res erat, nisi majestas ipsa De 
ad nos descenderet, quando adscendere nostrum nom erat. 
Ita Filium Dei fiert nobis Immanuel oportuit, id est no- 
biscim Deum, et hac quidem lege, ut mutua conjunc- 
tione ejus divinitas et hominum natura inter se coales- 
cerent, alioqui nec satis propingua vicinitas, nec affıni- 
tas satis firma. — Quamvis ab omni labe integer stetis- 
set homo, humtlior tamen ejus erat conditio, quam ul 
sine mediatore ad Deum penetraret. Quid ergo ezitiall 
ruina in mortem et inferos demersus, foedatus tot ma- 
culis, corruptione sua foetidus, denique obrutus onmi 
malediötione? Der Mittler follte die Mienfchen zu Kindern 


Galpin. nr 8 


erben dadurch in den Zuſammenhang einer Betrachtungs⸗ 

eiſe Hineingeftellt, die nicht zufrieden, bei Dem empiriſch Ge⸗ 

ebenen ftehen zu bleiben, den hiftoriihen Chriftus unter bie 
dee. des Abfoluten ftellt, und die Beziehung des Endlichen 

m Abfoluten fich nicht anders, als durch die Vermittlung 

ned Princips denken kann, das dem Einen fo nahe fteht, 

ne dem Andern. Darum hatte auch für Galvin,. wie für 
ander die Idee, daß Chriftus das Haupt des Körpers 

4, welchem wir als Glieder einverleibt feyen, bie. größte 

Richtigkeit, nur hob er zugleich mit größerem Nachdruck als 

Mander hervor, wie alles Göttliche, dad der Menfchbeit 

urch den Erlöfer zufließt, durch bie menfchliche Natur beffels 

m vermittelt wird. Darum iſt ihm, worauf er immer wies 

et, zurüdfommt, das Fleiſch, oder die Menfchheit Chrifti, die 

Whfte Quelle alles geiftigen Lebens, welche felbft den in bie 

enge Menſchheit ſich ergießenden Lebensftrom aus dem ver- 

genen Duell der Gottheit in fich aufgenommen hat 9). 
Gottes. machen, Quis hoc poterat, nist filius Dei fie- 

: rei idem filius hominis, et sic nostrum. acciperet, ut 
iransferret ad nos suum, et quod suum erat, nostrum 
faceret.gratia? Stun erſt folgt bei Calvin noch das Mo⸗ 
ment der Satisfaction, Gott wurde Menfch, st carnem no- 
stram in satisfaclionis pretium justo Dei judicio siste- 
ret, acin eadem carne poenam, gquam meriti eramus, per- 
solverei. Quum denique mortem nec solus Deus sentire, 
nec solus homo superare posset, humanam naturam cum 
divina sociavit, ut altertus imbecillitatem morti subjice- 
ret ad expianda peceata, altertus virtute luctam cum 
morte suscipiens nobis victoriam acquirerel.. 

4) ®gl. Defensio sanae et ‘orthodoxae doctrinae de sacra- 
mentis Calv. Opp. T: VIII. ©.658.: Carnem Christi si- 
"we ullis ambagidus fatemur esse vielficam, non tantum 
quia semel in ea parta nobis salus est (nicht blos in dem 

Außerlichen Sinn, in welchen die Iutherifche Rechtferti⸗ 

: Sengsthenrie Den thuenden ‚und kidenden Gehorſam zu ih⸗ 

Baur, die Lehre von der Rerföhnung. 22 


338 11. Ber. L Abſchn. 1. Kap.. 


Wie nad) Oflander der Menſch gerechtfertigt wird, wer 
durch den Glauben Chriftus, die wejentliche Gerechtigkeit 
Das gerecht und lebendig machende Brincip in ſich aufni 
fo ift für Calvin das höchfte Moment die Einigung 
Glaubigen mit: der Subftanz des Leibes und Blutes Ef 
fofern von dem Fleiſche Chrifti, d. h. feiner mit der So 
verbundenen Menſchheit alle göttliche Lebenskraft au 
Calvin bat die Idee dieſes höchften unmittelbaren Ein 
dens bed Menichen mit Chriftus in die engfte Verbin 
mit feiner Lehre vom Abendmahl geſetzt, fie iſt jebod 
derfelben keineswegs fo eng verbunden, Daß fie nicht au 
ne von ihr unabhängige Bedeutung hätte ). 


rer Vorausfegung hat), sed quia nunc, cum sacra 
tate cum Christo coalescimus, eadem illa caro vitı 
nos spirat, vel ut brevius dicam, quia arcana Sp 

. sanctt virtute in corpus Christi insiti communem . 
mus cum ipso vitam. Nam ex abscondito Deitatis 
te in Christi carnem mirabiliter infusa est vita, wl 

. ad nos .flueret. — Quod nos sibi conjungens non 
vitam suam nobis instillat, sed etiam unum nob 
efficitur, sicut ipse unus est cum patre, sublimius 
nostro mysterium esse, concedimus. 

1) Man begreift in der That die fo heftige Polemik Ca 
gesen Dfiander nicht recht, da doch beide ın dem £ 
punkte einander fo nahe fieben. Man vgl. Inst. chr 
III. 11, 5.: Osiander monstrum nescio quod essen 
Justitiae invenit — haec speculatio merae. est jejun 
eurlositatis. — Conceperat vir ille quiddam affıne 
nichaeis, ut essentiam Dei in homines transfunder 
peteret.— Dicit, nos unum esse cum Christo. Fatı 

. Interee negamus, misceri Christi essentiam cum a 
Deinde perperam hoc principium trahi dicimus ad 
ejus praestigias, Christum nobis esse justitiam, quia 
est aeternus, fons justiliae, ipsaque Dei justiti 
Dilucide esprimit, se non ea justitia contentum; 


Andreas Ofiander und Calvin. 339 


Schon die Bergleihung mit der der Zeit nach voranges 
nden Lehrweiſe Ofianderd und Calvins läßt die Lehre ber 


: wobls ebedientia et sacrificto mortis Christi parta est 
(war Ealvin ſelbſt mit diefer justiiis zufrieden, nach der 
zuvor aus der Def. angeführsen Etelle?), AÄngere nos sub- 
stantialiter in Deo Justos esse; tam essentia, quam quali- 
Ste infusa. Haec enim ratio est, cur tam:ı vehementer 
"zentendat, non solum Christam;, sed Patrem et Spiritum 

\ Wu nobis Aubiiare. Quod elsi verum'.csse [aleor, perver- 
ige. tamen ab eo torquert dica Als Hauptvorwurf wird 
immer wiederholt: Subetanticlem mintionem ingerlt, qua 
». Deus se in nosıtransfugdens, quast partem sul faciat. 
.. Nam virtute Spiritus.:sancti: fieri, :ut coalescamus cum 
Garisſsto, nobisgue sit capuk. et nos ejus memödra, fere 
. pro nihilo dueit, nisi.ajus essentia nobis misceatur. Sed 
; 4a Patre et Spiritus apertius, ut did, prodit, quid sen- 
. Mat: nempe Justificari nos non sola mediatorts gratia, 
+ :Meo iu ejus persona justitiam simpliciter vel solide no- 
sie offerri, sed nos fieri justitiae divinae consortes, dum 
'. essentlaliter nobis unitur Deus. Der ‚ganze Vorwurf bes 
ruht, wie zu ſehen if, auf. dem Begriff der essentia Dei, 
ra und darauf ob diefelbe mitgetheilt werden könne. Ealoin hielt fie 
nicht für mitcheilbar, deßwegen erfchien ihm Dfianders Lehre 
1 verwerflicher Pantheismus. Iſt denn aber ein fo gro⸗ 
Ber Unterſchied zwifchen dem göttlichen Leben, Das auch Cal⸗ 
‚" win’ von Bott ausfliefen läßt, und der nach Dfiander mit- 
getheilten göttlichen essentia? Da die Calvin'ſche Kritik 
ber Dfiander’fchen Lehre unftreitig das Gründlichfte enthält, 
was gegen. fic geltend gemacht worden ik, fo mögen bier die 

: wichtigen Punkte angeführt werden. Calvin gibt zu (a. a. O. 
. F. 6.), daß ung. in Chriſtus Gerechtigkeit und Heiligung zus 
gleich und zufammen eriheilt werden, daß Gott denen, bie 
“on in feine. Gnade aufnimmt ,..anch dem Geiſt der Kind: 
ve fehoftufchentt , durch deſſen Kraft er fie nadnfeinem Bilde 
* umbildet. Aber, erwiedert er, sd. salie.clanitas non potest 

F Av- sopararlı, an ideo dicemms: Ines enlekert terram, 

22 * 


340 Hl. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap. 


Goneotbienformel: in Anfehang ded Hauptbegriffs, der ihr ı 
genthümlich ift, in Eeinem ſehr günftigen Licht erfcheinen, e 


ealore vero :illastrari? Hac stmilitudine nihll ad re 
praesentem magis accommodum: ‚ol calore suo terra 
vegetat et foecundat, radits suis illustrat et illumina 
hic mutua est ac individua connexio, transferre tame 
quod unius- peculiare est ad alterum, ratio tpsa proh 
det. In hac. duplicis gratiae canfusione, yüam obirw 
Ostander, stmilis est absurditas,. quia chim: re: ipsa ı 
colendam justitiam renovat Deus‘, quos pro justis.grai 
censet, illud ragenerationis donum miscet cum: hac. gr 
tulta acceptatione,. unumqua et idem esse :contend 
Dfiander begreift allerdings in feinem‘ Begriff der Gere 
tigkeit fowohl die Sündenvergebung, als die Heiligen 
So wenig es aber ungereimt hit, die erleuchtende .und ı 
wärmende Kraft der Eonne in dem Einen Begriff des Lid 
sufammenzufaffen, ebenfo wenig kann Dfinadersan\fich di 
wegen getadelt werden,-baß er für jene. beiden Begriffe d 
Ausdruck Gerechtigkeit in dem pofitiven Sinne. welchen 
damit verband, gebraucht. Ob fein Sprachgebrauch aı 
fo fchriftgemäß if, wie er glaubte, ift eine. andere Frat 
allein er hielt ja den Begriff einer bloßen Gerechterklaͤrn 
für einen unlogifchen, und darum auch nicht fchriftgemäß: 
Calvin beftreitet weiter dem Dfiander’fchen Sag: (Chrüstı 
respectiu divinae naturae, non humanae, factum nobis e 
Justitiam (a. a. D. $. 8.). Gelte dieß nur von der Ge 
beit, fo müfle :e8 ebenfo auch vom Vater und dem Geiſt 
fagt werden, da die Gerechtigkeit des Einen auch die I 
Andern fep, dann koͤnne aber überhaupt nicht gefagt w 
den, Daß er es geworden ſey, da er es von Natur und v 
Ewigkeit ſey. Hinc colligo, Christum esse factum jun 
tiam, guando servi speciem induit,. secundo nos justi 
care, quatenus obsequentem se Patri praebuit, ao pr 
inde non secundum divinam naturam hoc nobis preest 
re, sed pro diäpensationis sibi injunctae ratione. E: 
enim solus Deus:fons est justitiae, nec aliter guam €j 


Andreas DOfiander und Calvin. 341 


ir jedoch weiter unterfuchen, wie bie Idee des thuenden Ge⸗ 
nfanıs, um welche es ſich hauptfächlich. handeln mußte, zu 


:. Barticipatione sumus justi, quia tamen infelici dissidio 
1. @B ejus justitia allenati sumus, necesse est descendere 
..,@8 hoc inferius remedium, ut nos Christus mortis et 
. resurrectionis suae virtute justificet. Dfianber läugnete 
dieß nicht, betrachtete es aber als die Vorausſetzung feiner 
u: Sheorie, und führte daher die Rechtfertigung durch den 
.» Glauben auf bas Gbttliche in Chrifius als ihr hoͤchſtes Prinz 
.eiy. zurück. Die Differenz gleicht fich .daber, wie Ealvin 
ſelbſt zugeben muß, in dieſem Punkte im Zolgenden wieder 
: ans, wo Calvin fich auf die Sakramente beruft, quae eisi 
-ı  idem nostram ad totum Christum, non dimidium, dirt- 
gunt, simul tamen justitiae et salutis materiam in ejus 

. carme residere docent, non quod a se ipso justificet aut 
.sisdficet merus homo, sed quia Deo placuit, quod in se 
abeconditum et incomprehensiblle erat, in mediutore pa- 
‚dam. facere. Unde soleo dicere, Christum esse nodis qua- 

‚ d espositum fontem, unde hauriamus, quod alioqui si- 
„se fructu lateret in occulia illa et profunda.scaturigine, 
» quae in mediatoris persona.ad nos emergit. Hoc modo 
v:,0t sensu non inficior, Christum, ut est Deus et homo, 
nos justificare, eommune esse hoc etiam-opus Patris et 
.-' Sptritus sancti, denique justitiam, cujus nos consorles 
facit Deus, aeternam esse aeterni Dei justitiam (vergl. 
"6. 12.: Distinguimus, quomodo ad nos pervenlat justi- 
tia Dei, ut ea fruamur — neque negamus, quod nobis 
in Christo palam est exhibitum, ab arcana: Dei et gra- 
tic et virtule manare, neque de eo pugnamus, quin ju- 
stille, quam nobis Christus confert, justitia Dei sit, 
quae ab eo proficiscitur, sed constanter illud tenemus, 
 »#abls in morte et resurrectione Christi. esse justitiam et 
: item). Hier wird demnach die justitis auch von Calvin 
v. in. Demfelben pofitiven Sinne genommen, in welchem fie 
: Oßander nahm. in. demifelben Einne- fährt. Calvin fort 
Are O. $. 10,: . Conjunctio igitur illa capitis et mem- 





342 


u. Ber. 1. Mbfhn. "1. Kapı 


bem weiter. ſich entwickelnden dogmatiſchen Bewußtfer 
Zeit. ſich verhielt, müſſen wir hier noch darauf Ruͤckſich 


brorum, habitatio Christi in. cordibus nottris, x 
denique unio a nobis in summo gradu statuitur, wi 
stus, noster factus, donorum, qulbus praeditws es 
faciat consorles. Nonergo, cum extra nos procal 
lamur , ut nabis Imputelur ejus justitia, sed quia 
induimus, et insiti sumus'in ejus eorpus,. unum 
que nos secum efficere dignatus est, ideo justitiae 
tatem nobis-cum eo esse glortaimr. . Ita refellitur ( 
dri ealumnia, fidem a nobis censert justitiam 
Osiander, hac spirituall.corjunctione spreta, crassan 
turam Christi cum fideibus urget, atque ideo Zee 
nos odiose-nominat, quicungue non subsceribunt | 
co errori de essentiali justitia, qula non sentiant 
stum in coena substantialiter eomedt. — Quod er 
sentialem justitiam dt essentialem: Christi habita 
tam importune eatgtt;, huc spectat primum, u 
miztura se Deus. in nos transfundnt, sicuti in coen 
nalts manducatto ab ipro fingiter, deinde ut jus 
sudm nobls tuspiret, qua realiter simus cum tpsı 
Bemerkenswerth ift befonders noch, was Calvin in 
des von Dfiander vermworfenen Imputationsbegriffss e 
($.11.): Exctpit Ostander, eontumeliosum hoe for 
et naturae ejus contrarium, si justifieet, qui re ip: 
pli manent. Atqui tenendum memorla est, quo 
disi, non 'separari justificandi gratiam a regener 
licet res stnt distinctae, Sed quia.esperientia pl 
tis notum est, manere semper in justis reliyudas 
ti, necesse est, longe altter justificart, quam refo 
fur in vitae novitatem. Nam hoc secundum sie 1 
Deus in electis suis, totoque vitae currieulo paula 
interdum lente in eo progreditur, ut semper obnos 
apud ejus tribunal mortis judicio. Justificat aute 
ex parte, sed ut libere, quasi Christi puritate ind 
coelis compareant. Neque enim conscientias pacar 


Andreas Dfiander und Calsin. 343 


m,.in. welches Berhältniß ſich die in der Concorbienformel 
‚ihrer beftimmtern Entwidlung gefommene Lehre der pro⸗ 


’ 


qua justitiae portio, donec statutum sit, nos Deo place- 
re, quia sine exceptione justi coram ipso sumus. Unde 
sequitur perverti et funditus everti justificationts doctri- 
sam, ubi animis injicitur dubitatte, concutitur fiducia 
sakıtis, libera- et intrepida invocatio Femoram patitur, 
imo ubi nom staßllitur quies et tranquillitas cum spirituall 
gaudio (diefes fubjektive Moment war. für Calvin immer 
das wichtigfte). Auch Diiander Fonnte fich demnach bes Im⸗ 
yutationsbegriffs nicht ganz entichlagen, und es Eonıtte ihm 
mit Recht die Alternative entgegengehalten werden: Entwe⸗ 
der iſt der Gerechtfentigte, folange er von der Sünde noch 
nicht oBllig frei ift, nicht wahrhaft gerechtfertigt, oder wenn er 
wahrhaft gerechtfertigt ift, ift "Die Nechtfertigung Feine Ge⸗ 
rechtmachung, fondern eine Gerechterflärulis: Hängt num 
für den Menfchen alles an der Gewißheit der Mechtfertigung, 
fo kann fie in ihrem vollen Sinn nur auf den Begriff der 
Imputation gegründet werden. Allein die Dfiander’fche Recht⸗ 
fertigungsiheorie wird dadurch nicht widerlegt und aufgeho⸗ 
. ben, fondern nur ergänzt und .berichtigt. Auch hier er» 
fheint demnach die Differenz zwiſchen Calvin und Dfianber 
nicht als eine unausgleichbare. Was aber den obigen Vor⸗ 
wurf der Vermengung des Menfchen mit dem Wefen Gottes 
“betrifft, fo if der Unterfchied zwifchen Calvin und Oſian⸗ 
Der näher fo zu befiimmen. Calvin betrachtet durchaus den 
Geiſt als das Dermittelnde der mofifchen Einigung der 
Glaubigen mit Chriſtus. Spiritu suo, fagt er in feiner ers 
fien Bertheidigungsfchrift des Cons. Tig. in nobis habitans 
in cdelum ad se tta nos attollit, ut vivificum carnis. suae 
vigorem in nos transfundat, ron secus ac vital solls ca- 
lore per radios vegetamur. SHiemit vergleiche man folgen» 
de Stelle Dfianders in deffen Refutatio einer Schrift Mes 
lanchtbong vom J. 1552. F.2.: „Was mager (Melauchthon) 
denn wohl meinen, ‚mit dem Wörtlein Geiſt 3. Sch felber 
halte dafür, er meine, daß Ehriftus durch . feinen ‚heiligen 


344 IL Ber. L Abſchn. 1. Rap. 


teftantifchsTutherifchen Kirche zu ber Lehre der Tatholifchen Kirs 
che ſezte? Je einiger beide Ziheile in dem Ausgangspunfte 
ihrer Theorien find, defto weniger dürfen die Divergenzpunk⸗ 
te, die bei einer fo wichtigen Lehre nicht fehlen können, übers 
fehen werden. 

Daß das Leiden oder Verdienft Chrifti einen objektiven 
unendlichen Werth habe, ift die gemeinfame Lehre der Pros 
teftanten und Katholiken. Könnte man etwa denken, je at 
fchiedener ſich der proteftantifch » Iutherifche Lehrbegriff für die 
thomiftifche Vorftellung erklärte, defto mehr werde fich nım 
auch der Fatholifche, bet dem immer noch fortdauernden Schwan⸗ 
fen zwijchen der thomiſtiſchen und ſcotiſtiſchen Lehrweiſe, zu 
der legtern ald der entgegengefetten hingeneigt haben, jo ge 
fchah dieß nicht nur nicht, fondern e8 fand eher das Gegen⸗ 
theil ſaatt. Da bie tridentiner Eynode nad ihrer Weile ich 
auf die Differenz der Thomiften und Ecotiften in dieſem Bunfte 
nicht eingelajfen hatte 4), fo blieb Die Lehrweije der beiten 





Geiſt in ung wirle, doch alte, daß ſie beide im Himmel 
bleiben, mie die Eonne im Ader und Garten wirkt, un? 
bils alſo den Geiſt, durd den Chriſtus in uns ſeyn Iz3, 
tür nichts anders, denn die Würkung des Geiſtes. — „Ti 
kaſtu, Tag’ ich, ſein ganze philoſophiſche, Tenbittde ız) 
fleiſchliche Theologiam recht gecontrafeiet.“ Mir den Rei 
babe, bemerkt Ofander, habe auch Chriſtus ſelbſt, me 'e 
Eeii fen. fen auch die Eine untrennbare Zrinirät, Cbrrizs 
bewirfe nicht blos cine geichaffene Gerechtigkeit. um) ca 
acicdaffenes Leben, jondern er fen weientlih umiere Sera 
tigkeit und unter Leben. Der Seit it alie nach beiden }u 
Termittelude des Verhältniiſes zwilchen Gert und dem D:r 
ſchen, wihrend aber auch Calvin unter dem Geiz nur die Kı: 
ſamkeit des Geited verſtebt, glaubt Diander der Nexime 
des Geified nicht gewiß zu ’eon, wenn er nicht zer N 
Wirkungen des Geites zum Seife ſelbt an ierge 

1) Die Sonede ſerach Hch hierüber nur is aus Sess. VL cap.” - 


Die Fatholifchen Theologen. 355 


Schulen auch ferner frei, der größere und bedeutendere Theil 
ber katholiſchen Theologen gehörte jedoch zur thomiftiichen 
Bartei 2) und felbft Robert Bellarmin, der berühmte Ver⸗ 
fechter des katholiſchen Dogma’d gegen bie neuen —— 
fand hier keinen beſondern Anlaß zu einer Controverſe. 
gruͤndet, wie die proteſtantiſch⸗lutheriſchen Theologen, die —* 
wendigkeit einer unendlichen Gerechtigkeit zur Satisfaction auf 
die Unendlichkeit der durch die Sünde Gott zugefügten Be⸗ 
leidigung, und die Unendlichkeit der Gerechtigkeit Chrifti auf 
die Berfon des Gottmenfchen, welche, wenn auch der Gehor- 
ſam, das Leiden und der Tod Chriftt an fi nur etwas End» 
liches feyen, gleichwohl demſelben einen unendlichen, dem ftren- 
gen Begriff der Gerechtigkeit entfprechenden Werth zur Ver⸗ 
föhnung der Sünden der ganzen Welt ertheile 2). 


Merttorla (causa justificationts) est dilectisstmus Dei 
unigenitus Dominus noster Jesus Christus, qui cum es- 
semug inimici, per nimiam caritatem, qua dilexit nos 
sua sanclissima passione in lgno crucis nobis justifica- 
Uonem meruit. 

9 Dan vgl. die oben S. 17. genannte Differtation Cotta's 

SG. 125., wo neben den Scotiften ac. Almanius, Joh. Des 
bina, Joh. de Lugo, Fraffenius und Henno (welche beide 
letztern die feotifiifche Vorſtellung der thomififchen näher 
zu bringen fuchten) als Thomiften aufgeführe werden die Je⸗ 
fniten Franziſcus Suarez, Gabriel Vasquez, Gregorius de 
Balentia, Adam Tanner, Roderius de Arriaga, Dominicus 
a Soto, Franz. Didaens Alvarez, Bine. Lud. Gotti uud 
Honoratus Tournely, ein Theologe der Sorbonne. 

3) Bellarmin Eommt im dritten Theil feiner Disput. De Justi- 
fic. Lib. II. cap. V. aus DVeranlaffung der Dfiander’fchen 
Lehre, daß die justitia Dei essentialis ac divina die causa 
formalis der justificatio fen, und des Dfiander’fchen Argus: 
mente: Deus non acceptat ullam justitiam, nisi suam, 
auf diefen Punkt und bemerkt: Quod attinet ad argumen- 
tum illud de aooeptatione justitiae vel acceptare justi- 


346 


11. Ber. L Abſchn. 1: Rap: 
Bon biefem Punkte ber Vebereinftimmung aus trennen 


ſich nun aber beide Theile in folgenden Punkten 2 


4. 
or 


tiadom est acceptare satisfactionem pro Deecato, vel eıt 


approbare justitiam alicujus tanquam veram et solidam, 


non stmulatam et apparentem. Priore modo non accep- 


tat quidem Deus in veram satisfactionem pro peccato 
nist justitiam. Infinitam, quoniam peccatum offensa est 
infinita, sed ut aliqua justitia sit infinita, id est infı- 


naiti pretit et valoris, non est necesse, ut. sit justitia Dei 


essentialis, sed salis est, ut ‚sit justitia personae Infini- 
tae, qualis est Christus Deus et homo. Itaque obedien- 
tia, passio et mors filli Dei, quamvis in se et essentia- 
liter fuerit creata et finita, tamen ratione Personae obe- 
dientis, patientis et morientis infinita full, et es vero 
Justitiae rigore propitiatio fuit pro 'peccatis nostris, 
non pro nostris autem tantum, sed etiam pro lotius mun- 


, di. Posteriore modo acceptat Deus non solum justitiam 


1) 


infinitam, sed etiam finitam, modo vera sit justitia non 
fucota. Diefe Unterfcheidung des an fich endlichen Werth 
des Leidens Chriſti und des unendlichen mit Rückſicht auf die 
Perfon des Gettmenfchen neigt fich doch wieder auf die fco 
tiffifche Seite hin. Man vgl. auch De justif. Tib. V. cap. 
12.: Certum est, opera Christi fuisse Infiniti pretii, quan- 
doquidem propitiatio fuerunt pro peccatis totius mundi, 
et copiosa fuit apud eum redemtio, igitur dignitas per- 
sonae plurimum confert ad valorem meriti. Et confir- 
matur haec ratio, nam de Christo nullus Catholicus ne- 
gare audebit, quin ejus merita fuerint mazimi pretii 
propter dignitatem persomae. Nam (ut alia omittam) 
extat epistola decretalis Clementis VI., quae incipit Uni- 
genilus, in qua docemur, guttam unam sanguinis Chri- 
st! propter infinitam personae dignitatem ad totius mun- 
di redemptionem sufficere potuisse, Auch bier if ber 
Ausdruck fehr fchwanfend und unbefimmt. 


Man vgl. über diefe Differenzpunfte befonderd Gerhard Lo- 
ci theol. Loc. XVIL Cap. II. $. 54.f, - 


m. 


nem 


—— Type GL Ze 


— —⸗ un 


Die katholiſchen Theologen. 347 


1. Nach der Lehre der katholiſchen Kirche: Chriftus 
Mittler nur nad feiner menſchlichen Natur. Bellarmin-felft *) 
als die allgemein Tatholifche Lehre ven Protekanten entgegen, 
daß, wenn auch das die Werke des Mittleramts verrichten⸗ 
be Subjekt ſowohl Gott als Menſch geweſen ſey, doch das 
Princip, durch welches er dieſe Werke verrichtete;; nicht Die 
göttliche, fondern nur die menfchliche Ratur gewefen fey. -Wie 
bie Tatholifchen Theologen überhaupt eine communicatio 
idiomatum, wie fie die lutheriſchen hauptfächtich auch im 
Zuſammenhang mit ihrer Satisfattionslehre lehrten, nie: an⸗ 
nahmen, ſo differirten ſie auch hierin von ihnen. Schwer 
aber iſt es, den eigentlichen Differenzpunkt genauer zu be⸗ 
ſtimmen. Denn auch die befannte Lehre des Franzifcus Stans 
carus wird von Bellarmin, obgleich er fie milder beurtheilt, 
wegen ihres offenbaren Neftorlanismus verworfen. . Habe bie 
menfchliche Natur allein die fatisfactorifchen Werke verrichtet, 
fo habe fie auch für fich eriftirt, und es fen fomit auch ein 
vom göttlichen Subjekt verfchledenes "Subjekt geweſen. Sol 
demnach Die Theilnahme der göttlichen Natur an dem Werke 
der Satisfaction nicht ſchlechthin ausgeſchloſſen werden, wie 
kann demungeachtet der proteſtantiſche Lehrſatz, daß Chriſtus 
nach ſeinen beiden Naturen das Mittleramt verrichtet habe, 
verworfen werden? Und wie kann, wie von den proteſtanti⸗ 
hen Theologen mit Recht erinnert worden iſt, von einem 
unendlichen Werth des Gcherfams und Leidens Chrifti die 
Rede feyn, wenn nur bie menſchliche Natur dabei thätig war, 
bie göttliche aber, in deren Theilnahme jener uneribliche Werth 
allein feinen. rund haben Tann, ſchlechthin davon audgeſchloſſen 
wird 2)7 Auch in dieſer Beziehung ſcheint demnach De die 


4) Disp. T. I. De Christo L. V. de mediatore et ejus me- 
rito c. .. 

2) Bol. Gerhard a. a. O.: Quomodo obedientia et satlsfa- 
etio Christi erit infiniti meriti, cum finita substantia 


348 IL Ber. L Abſchu. 1. Kap. 


dem proteſtantiſchen Lehrbegriff am meiften entgegengeſetzte 
feotiftiche. Lehrweiſe das Yebergewicht zu erhalten. 
Die Proteftanten glaubten, um den Begriff einer aͤqui⸗ 
valsnten Satisfaction fo genau als möglich zu beftimmen, 
annehmen zu müflen, daß Ghriftus auch die Strafen be 
Hölle: exduldet habe. Se. fchmanfender ‘aber den Katholiken 
ber. Begriff des fatisfaetorifchen Leidens durch die Befchräns 
fung .deffelben auf Die menfchliche Ratur werden mußte, befto 
weniger konnte ihnen. eine folche Beftimmung zufagen. Bel 
larmin..erflöärte fie daher für eine neue unerhörte Ketzerei, bie 
Proteftanten aber beharrten darauf, daß ohne fie auch Feine 
vollfonnmene Eatidfaction gedacht werben könne *). 
infiniti effectus per se el ex se caüsa esse non possit? 
Das Hauptargument Bellarmins iſt a. a. D. cap. 5.: Wenn 
Ehrifius nach beiden: Naturen Mittler if, fo ift er es ent 
weder nad) -beiden Naturen zugleich, oder nach jeder ders 
felben befonderd. Er if ed aber nicht secundum utramgue 
‚ naturam simul, Christus enim secundum utramqgue na- 
'turam, stmul sumtum, distat quidem a ceteris hominibus, 
‚et eliam a Deo patre et Spiritu, at non distat a Deo 
u Filio nec persona nec natura, et tamen etiam ab illo di- 
stare debet, cum et ipse sit pars offensa, ad cujus pla- 
vationem mediatore opus sit (daß Chriftus ſich ſelbſt ge: 
nuggethan habe, nahmen die Proteiianten an, indem fie als 
das Dbiekt, welchem die Eatisfaction geleiftet worden fey, 
den dreieinigen Bott betrachteten. Nec vulet hic, bemerkt 
Quenftedt a. a. D. ©. 326. velus coccysmus, quod nemo 
. sibi possit satisfacere, vel respectu sulmet mediare). 
Quod autem non sit Christus mediator secundum ulram- 
que seorsim, patet, qula non secundam divinam natu- 
ram seorsim acceptam, cum illa sit pars offensa, et se- 
cundam illam nihil distet Christus a Deo. KHestat ergo, 
ut solum secundum humanam naturam sit mediator. 
1) Gerhard a. a. D.: .Quomodo enim peccala.nostra vere 
‚.... in se suscepisset ac perfeclam salisfaclionem prasstitis- 


Pe ‚7 Ann ua 


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rn — [Ton u“ - wm... - ..... 


Die Fatholiihen Theologen. 349 


3. Auch darüber waren beide Theile verſchiedener Mei⸗ 
nımg, ob Chriftus fich felbft etwas verdient habe, :Die: far 
tholifchen Theologen hatten nach dem Vorgang der Schola- 
ſtiler Fein Bedenken, zu behaupten, daß fidy Chriſtus außer 
bemfenigen, was er uns erworben,’ fich ſelbſt die-Berhertfi- 
dung ſeines Leibed und die Erhöhung feines Namens vers 
dient habe. Die Proteftanten dagegen glaubten dieß nicht 
zugeben zu dürfen, was Chriftus verdient hatte, ſollte er nut 
und, nicht ſich felbft, verdient haben, da er fich felbft nichts 
verdienen Tonnte, was er nicht vermöge der perfönlichen- Vers 
einigung ber beiden Raturen zuvor fchon auch als Menſch 
hatte. Auf Die Einwendung Galvins, ob denn ber Sohn 
Gottes habe: herabfteigen mäffen, um ſich etwas zu verbies 
nen, erwiebert Bellarmin; nicht als Sohn Gottes, oder ala 
Gott, .aber als Menſch in ber angenommenen Form, habe er 
hd) etwas verdient. Der Grund der Gontroverfe liegt alfo 
auch Hier wieder in der Diffetenz ber bie Lehre von der 
verſon Chriſti *). 


Tiem. 


set, ge.am Dei individuo nezu cum peccatis conjun- 
ctam vere sensisset? @Quomodo ac maledicto Br nos 


redemisset, factus pro nobis maledictum, nisi Judicium 
Dei irati persensisset? 

1) Gerhard a. a. D.: In ewaltatione, quae est consequens 
et velut praemium quoddam estnanitionis, non data est 
Christo nova potestas,: quam antea per unionem perso- 
nalem non habuerut;; sed collata plena facultas admini- 
strandi sul regni. Del. Calvin Inst. chr. rel. II. 17, 6. 
:Quaerere an sibi meruerit, quod fardunt Lombardus et 

' Scholastict, non minas stulla est curiositas, quam teme- 
: raria :definitio, ubl hoc Idem asserunt. Quod entm opus 

. "fait: descendere :unicum Fillum.' Dei, ut sibl acquireret 
guidguam novi? — Christus, ut se. totum addiceret in sa- 

ı Istem.nostram;, quolammodo Juli oblitus est.: Dagegen 
fagt Bellariin a. a. OiLV, 10:3 Bospondeo, nom 'equisse 


350 I Ber. LE Abſchn. 1. Kap. 


Met tiefer jedoch, als die Differenz über dieſe Bunfte, 
greift in den Gegenſatz der beiden Lehrbegriffe theils der Be 
Jagianismus des Fatholifchen, theils der demſelben völlig frem- 
de proteftantifche Begriff des Glaubens ein. Auf nichts an 
deres legten bie proteftantifchen Theologen fo großes Gewicht, 
als auf die Anerkennung, daß die Berföhnung der Menfchen 
mit. Gott einzig. nur durch das Verdienſt Chrifti vermittelt 
werde. - Darum bezeichnete Luther nicht blo8 die Lehre vom 
rechtfertigenden. Glauben, fondern auch bie Lehre von ber Er⸗ 
löſung durch Chriftus, als den Artikel, von welchem man 
nicht das ©eringfte nachlaffen dürfe, um deſſen Behauptung 
es fih vor allem in dem Kampfe des Proteftantismus gegen 
Bapftthum, Teufel und Welt, Handle). So wenig auch bie 
Katholifen zugeben wollten, daß fie dem alleinigen Verdienſt 
Chrifti irgend etwas entziehen, fo ſehr alled menfchliche Thun 
und Berdienft immer nur das Berdienft Chrifti zu feiner 
nothiwendigen Duelle und Borausfegung haben ſollte, fo we 
nig kann Doch Die theild aus der pelagianifcgen Richtung des 
Fatholifhen Syſtems im Ganzen, theild aus einzelnen Lehren 
ſich von felbft ergebende Beſchränkung des Verdienſts Chrifti, 
durch das demſelben mehr oder minder zur Eeltdcheſtellte ei⸗ 


Dei Filium ulla re, nec descendisse, ut sibi aliquid ac- 
quirerei. Nam qui descendit Deus fuit, non homo, im- 
mo hoc ipsum descendere fuit hominem fieri, et se ip- 
sum ezinanire. At posiquam descenderat, et formam 
servi acceperalt, aliquid sibi acquisivit in ea forma, quam 
assumserat, non in ea, qua descenderat. Webrigens be: 
baupteten auch mehrere veformirte Theologen, wie 3. 3. 
Piſcator, Chriſtus habe fich ſelbſt etwas verdient. .©. Ger: 
bard a. a. O. — Die odedientia activa kam .in.der Con⸗ 
troverfe zwifchen den Proteftanten und Latholiken nicht be⸗ 
ſonders zur Sprache. : 

1) > den Schmall. Artikeln zu Anfang des aweiten Cheils 
über die Artikel von dee Erldſung, ©. 305-145 *-:° 





— — — 


Die katholiſchen Theologen. 351 


gene Berbienft: des Menſchen in Zweifel gezogen werden *). 
Sobald. man aber der zur Seligfeit mitwirfenden eigenen 
Selbftihätigfeit des Menſchen fo viel einräumte, als im ka⸗ 
tholifchen. Eyſtem geſchah, konnte audy eine Nothwendigkeit 
der Erlöfung und Genugthuung durch Chriſtus, wie fie ſich 
aus der proteſtantiſchen Lehre ergab, nicht behaupter werden, 
und die beiden Lehrfyfteme mußten daher das ganze Werk 


ber Erlöfung aus einem wefentlich verfchiedenen Geſichtspunkt 


betrachten. Wenn auch der Belagianismus bes Eatholifchen 
Syſtems in igewißem Sinne nur die fubjeftive Seite des im 
Werke ber Erlöfung zwifchen Gott und dem Menichen fich 
tealifirenden Berhälinifies in fich Darzuftellen fcheint, fo darf 
dach nur an den proteftantifchen Begriff ded Glaubens erins 
nert werben ‚:um die. Differenz der beiden Eyfteme auch von 
diefer: Seite ind Licht zu feßen. Während der Pelagianidr 
mus des Fatholifchen Syftems, je felbitftändiger er den Mens 
fhen Gott gegenüberftellt, ihn in demfelben Verhaältniß auch 
wieder von Gott bualiftifch tremmt, gibt Dagegen der Prote= 
Rantismus in feinem Begriffe des Glaubens der Subjeftivi- 
tt des ber göttlichen Gnade ebenjo empfänglichen als bes 
dürftigen Menfchen eine um fo intenfivere Bedeutung, je 


[4 


1) Dffener if dieß kaum ausgefprochen worden, als von dem 
Scholafifer &. Biel in dem Commentar zu den Sentenzen 
Lib. III. distinct. 19. Concl. 5.: Etst Christi passto sit 
prineipule meritum, propter quod confertur gratia, aperr 
tio regni et gloria, nunquam tamen est sola et totalis 
causa meritoria, quia semper cam merito Christi con- 
currit aliqua operatio, tanguam meritum de congruo vel 
de condigno, recipientis gratiam vel gloriam, si fuerit 
adultus, rationis usum habens, aut alterius pro eo, st 
taret usa rationis. Dieß war im Ganzen immer bie Lehre 
der katholiſchen Kirche vor der Reformation, tote nach der. 
felben,. wenn .man auch den Proteftanten gegenüber ſich be⸗ 
mühte, den Anftoß im Ausdrucd mehr zw vermeiben.: 


352 IL Ber. L Abſchn. 1. Kay. 


mehr er zugleich das Verhältniß des Menden: von Bott als 
ein reines Berhältniß der Abhängigkeit auffaßt. Wie dem 
Menfchen nur durch die in Chriftus dargebotene Gnade ber 
göttliche Inhalt gegeben wird, in welchem er’ ſich feines wah⸗ 
ten Heild, oder feined wahren höhern Selbfts,. bewußt . werben 
kann, fo ift auch nur das durch, den proteftantifchen: Begrif 
des Glaubens beftimmte Selbftbemußtfeyn des Menſchen .die 
adäquate fubjeftive Form, die mit dem Inhalt, mit weldem 
fie. fih erfüllt, fih von felbft zur innern Einheit zufammen- 
ſchließt %). Im Fatholifchen Syſtem aber bleibt: das Verhaͤlt⸗ 
niß des Menfchen zu Gott immer nur ein äußerliches, und 
nur quantitativ nicht qualitativ beftimmt, da bie göttliche 
Gnade immer mur ergänzen und vermehren kann, was ber 
Menſch an fich ſchon hat, und fo wenig fich ber. Menſch bios 
receptiv verhalten fol, fo ift Doch feine Aktivität, der. gratia 
infusa gegenüber, zugleich eine paffive Receptivität, die der 
proteftantifche Begriff des Glaubens von felbft ausfchliekt. 


Zweites Rapitel- 
Der Widerfpruch des Joh. Pifcator. 


Die fchwächfte Seite der Satiöfariionstheorie der Eon- 
cordienformel tft die Lehre von der obedientia activa. Chri⸗ 
ſtus ſollte das Geſetz für die Menfchen erfüllt haben; erfüllen 
fonnte er es für die Menfchen, weil er an fich nicht zur Er⸗ 
füllung des Gefeßes verbunden war, und verbunden war er 
dazu deßwegen nicht, weil er Soft und Menfch zugleich war. 
Sehr natürlich erhob ſich daher der erfte und bedeutendſte 


1) Daher die von Calvin befonders (man vgl. z. B. Inst. chr- 

rel. IE. 11, 7.) dfters gebrauchte treffende Vergleichung 
des Glaubens mit einem einen koſtbaren Schatz in ſich auf= 
nebmenden Gefäß. . 


Joh. Pifcator. 353 


iderſpruch gegen diefe Iutherifche Lehrbeftimmung von einer 
eite, auf welcher man überhaupt mit ber Iutherifchen Lehre 
n der Berfon Chrifti nicht einverflanden war. Die ſcharf⸗ 
migen Gründe, mit welchen in der reformirten Kirche Jo⸗ 
unes Piſcator *), nicht lange nad) der Bekanntmachung der 
meordienformel, den in derſelben aufgeftellten Begriff der 
‚ediemtia activa beftritt, verdienen hier um. jo mehr Er⸗ 
ähnung, da fie einen bemerfenswerthen Wendepunkt in ber 
utwidlungsgefchichte des Satisfactionsdogma's bezeichnen. 
Ye Lehre von der obedientia activa war gleichfam ber 
Ablußftein der alten, auf bem Begriffe der Gerechtigkeit be= 





V Joh. Piſcator war reformirter Theologe zu Herborn zu En⸗ 
‚be des 1öten Tahrhunderts und zu Anfang des ATten. In 
der Intherifchen Kirche felbft war ihm zwar der Ansbach’fche 
Geiſtliche G. Karg, oder Parfimonius, vorangegangen, wel⸗ 
her im J. 1563 Säge über die Lehre von der Rechtferti⸗ 
sung aufſtellte, in welchen .er gleichfalls von der Alternatis 
ve ausgieng, Daß das Gefeg entweder zum Gehorfam oder 
sur Strafe verpflichte, nicht aber zu beidem zugleich, und 
fo argumentirte: da Chriſtus für uns gelitten habe, und 
wir das von ihm Geleiftete nicht leiſten dürfen, zum Gehor⸗ 
fam gegen das Gefeg aber verbunden ſeyen, fo habe Chris 
Rus nicht für uns, fondern für fich felbft dem Vater Gehorſam 

 geleiftet, damit er ein unbeflecktes und Gott mohlgefälliges 
Dpfer wäre. Allein dieſer Widerfpruch war damals noch 
bon Feiner Bedeutung, wie denn auch Karg ſelbſt im Jahr 
1570 den Theologen in Wittenberg einen Widerruf aus 
fellte, in welchem er von diefen Darüber belehrt worden zu 
ſeyn verficherte, daß in dem Amt des Mittlers feine Uns 
ſchuld und Gerechtigkeit in göttlicher und menfchlicher Natur 
nicht können noch follen gefondert werden von dem Gehor⸗ 
famı im £eiden. In diefer Form war demnach fchon vor Der 
Epneosdienformel der Lehrfag von der obdedientia. active 
vorhanden. Vgl. Walch Einl. in die Religisnsfreitigkeiten 
der evang. luth. Kirche Th. IV. &. 360. f. . 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. 23 


354 I. Ber J. Abfehn. 2. Rap. | 


rubenden, Satisfactionstheorle, ber letzte Punkt, auf. welchem 
fie noch einen Schritt weiter geführt werden zu können ſchien, 
wurde dadurch vollends abgefchloffen, allein derſelbe Schrif, 
welcher die Theorie ihrer höchften Spite zuführte, war auf 
ſchon das erfle Moment einer Gegenbewegung, durch welde 
fie allmälig in fich felbft zerfiel. Der Begriff der obedien- 
tia activa war in fi zu unhaltbar, als daß er ber Then 
tie zu einer fihern Stüge dienen Eonnte, je enger aber der 
awifchen ber obedientia activa und ber obedientia pas- 
siva angenommene Zufammenhang feyn follte, deſto nach⸗ 
theiliger mußte der gegen eine ſo ſchwache Seite gerichtete 
Angriff der ganzen Theorie werden. Hierin liegt Die Bedeu⸗ 
tung des von Joh. Piſcator zuerft mit Entfchtedenheit erho⸗ 
benen Widerfpruchd. Die Gründe, auf weldye er feine der 
damals in der proteftantifchen Kirche. allgemein angenomme- 
nen Lehre. entgegengefebte Anficht fügte, find folgende ?): 
Er geht davon aus, daß nach der vom Apoftel Paulus Röm. 
4, 6—7. gegebenen Definition des Begriffs der Rechtfertigung ; 
Zurechnung der Gerechtigkeit und Vergebung ber Sünden { 
nicht als zwei für fich beftehende Theile der Rechtfertigung, : 
fondern nur als identifche Begriffe anzufehen feyen. Die cau- 
sa meritoria ber Rechtfertigung ift allerdings der Gehor⸗ 
ſam Ehrifti, aber es ift nach der Lehre der Schrift ein dor 
pelter Gehorſam Chrifti zu unterfcheiden, den einen hat a 
dem Geſetz Gottes, ben andern einem fpeciellen Auftrag Got 
tes geleiftet. Der eine ift der thuende, in der Erfüllung bed 
Geſetzes, oder der Heiligkeit des Lebens, beftehende, der an 
dere ift ber leidende, auf das Leiden und den Tod Chrifti fid 


1) ©. Thes. theolog. Vol. II. Herborn 1618. Loc. XXV. 
©.321.f. Loc. XXVI. ©. 330. befondersg Loc. XXXIX.: De 
eausa meritoria justificationis hominis coram Deo, sive 
de ea re, quae homini a Deo ad justitiam imputatur- 
&. 437. f. 


Joh. Piſcator. . 355 


beziehende. Diefer doppelte Gehorfam darf nicht verwechfelt 
werden, weil er ganz verfchiebener Art if. Den thuenden 
Gehorſam theilte CHriftus mit dem Volk Gottes, er war zu 
demfelben fowohl als Menich, vermöge des Rechts der Schö⸗ 
Yung, als auch als Ifraelite, vermöge des von Gott mit fel- 
nem Volke geichlofienen Bundes, verpflichtet, ber Ieibenbe 
Gehorſam aber war nur ihm eigen, und ihm allein aufge 
tragen, jeboch ganz als Sache einer freiwilligen Uebernah⸗ 
me, Daß aber Ehriftus als Menſch zum Gehorfam gegen 


Soit verbunden war, ſchien Pifentor nicht bezweifelt werben 


m können, wenn man nicht das Cigenthümliche ber beiden 
Raturen Chrifti vermiſche. Seiner göttlichen Natur nach, 
behauptete Pifcator, ift Chriftus allerdings ber Herr des Ge⸗ 


: fees, aber feiner menſchlichen Natur nach Hk er, wie jede ver- 
aimftige Greatur, zum Gehorſam gegen den Echöpfer verbun⸗ 


rm — 


den, und dem Geſetz unterworfen. Nur Gott ift abfolut frei, 
wird alfo Chriſtus feiner menfchlihen Natur nach biefelbe ab» 
jolute Freiheit zugefchrieben, jo werben bie Broprietäten ber 


beiden Naturen vermifcht, oder es folgt aus ber Behauptung, 


daß Ehriftus dem Gefeg nicht unterworfen war, unmittelbar, 
daß er auch nicht Menfh war %). War aber Chriftus als 


— — —* 2 


>>> >> >> 


Nenſch für fich felbft zum Gehorfam gegen Gott und zur Ers 
füllung des Geſetzes verbunden, fo konnte er in dieſer Bezie- 
hung nicht Stellvertreter der Menfchen fern. Der Gehorſam, 
vermöge defien Gott den Menfchen die Suͤnden vergibt, und 
die Gerechtigkeit zurechnet, Tann daher nur jener andere ſeyn, 


1) Es if derfelbe Fall, wie bei der Lehre von der Ubinuität. Qui 
Christum dicunt ubique ut hominem, Christum dicunt 
non hominem, dum enim dico ubique, dico Deum, qui 
'solus est in coelo et in terra. Similiter cum dico subje- 

ctum legi, dico hominem, Qui ergo Christum subjectum 
legt negant, negant ipsum esse hominem Loc. XXVI. 
6. 35}. 


23 * 


356 MM Ber 1 Abſchn. 2. Kap. 


welchen Chriſtus dem ſpeciellen Auftrag bed. Vaters, für die 
Ermwählten zu leiden und zu flerben, leiftete. Bon diefem@e 
horſam allein, dem Gehorfam des Leidend und Todes Ehrifl, 
it ald der Urfache der Vergebung unferer Sünden in ber 
Schrift die Rede. Schon dadurch ſchien der gewöhnlichen 
Lehre die Borausfegung, auf welcher fie ruhte, genommen zu 
feyn. Bifcator fuchte fie aber noch beſonders auf dialektifchem 
Wege burch die Folgerungen, die er aus ihr zog, zu wider⸗ 
legen. : Kolgende drei Hauptargumente follten den Wider⸗ 
fpruch, in welchen fie mit fich ſelbſt kommt, Har vor Augen 
legen: 1. Würde uns der Gehorfam Chrifi, durch welchen 
er das göttliche Geſetz erfüllt hat, zugerechnet, jo würde dar⸗ 
aus folgen, daß Ehriftus durch biefen Gehorſam Gott für 
unfere Sünden genuggeihan, und und die Vergebung derſel⸗ 
bet erworben hat, aber es würbe ebendaraus auch folgen, 
daß Gott ungerecht iſt, Indem er ſich diefelbe Schuld doppelt 
bezahlen ließ, nicht blos den thuenden, fondern auch den lei⸗ 
denden Gehorfam, oder das Leinen und den Tod Ehrifl, 
wovon doch in dem Geſetz nirgends als einem Theile ber 
Sefebes - Erfüllung die Rede ifl. 2. Wenn uns der Schr S 
fam, welchen Chriftus dem göttlichen Geſetz geleiftet hat, zw - 
gerechnet wird, fo folgt, daß ihn Chriftus für uns, ober m an 
unferer Stelle, geleiftet hat. Hat er ihn aber für und geld - 
ftet, fo find wir vom Gehorſam gegen das göttliche Geſch 
ebenfo frei, wie wir nad dem Apoſtel (Gal. 3, 13.) vom ; 
Fluch Des Geſetzes deßwegen frei find, weil Chriftus für und 3 
zum Fluch geworben if. Vom Gehorfam gegen das Geſch 
fönnen wir aber nicht frei feyn, da wir in Ewigfeit verbum 
ben find, ®ott als unferm Schöpfer, Erlöfer und Herm zu 
gehorchen. 3. Wenn uns der thuende Gehorfam Chrifti in 
dem angegebenen Sinne zur Gerechtigkeit’ zugerechnet wird, 
fo folgt, daß Chriftus durch’ diefen Gehorſam, da Zurech⸗ 
nung der Gerechtigkeit ſoviel ift ald Sündenvergebung, Sün 
denvergebung erworben bat. Da nun aber im Gefep nit 





ob. Bifcator. - 357 


gends befohlen if, daß Ehriftus für uns auch fein Blut ver 
gießen mußte, und doch ohne Vergießung des Bluts Feine 
Bergebung möglich ift CHebr. 9, 12.), fo folgt, baß ohne 
Bergießung des Bluts unfere Sünden vergeben find. Da 
nach biefem letern Argument dem thuenden Gchorfam etwas 
gar Suͤndenvergebung wefentlich gehörendes fehlt, derſelbe 
alſo unvolltommen ift, bei dem erften Argument aber ber 
thuende als ebenfo vollfommen vorausgeſetzt wird, wie ber 
leidende, fo hat Piſcator diefe beiden Argumente auch in fol 
gender Form zufammengefaßt 9: Wenn Chriftus durch fel- 
nen thuenden Gehorfam unfere Sünden gefühnt hat, fo hat 
er bieß entweder vollftändig und vollfommen, oder theilweiſe 
md unvollfommen gethan. Vollſtändig und vollkommen Tann 
er es aber nicht gethan haben, weil hieraus die Ungereimt- 
heit eniftehen würde, Chriftus ſey zur Sühnung unferer Sün- 
den, was doch allein der Zweck feines Todes war, umfonft 
geſtorben, die Thatfache feines Todes fey, nachdem er unfere 
Sünden fchon durch fein heiliges Leben gefühnt hatte, gar 
nicht nöthig geweſen. Aber auch an fich läßt fich nicht den⸗ 
im, daß Chriftus, da er das Geſetz aufs vollfonmenfte er- 
füllte, nur für einen Theil unferer Sünden und nur unvoll- 
kemmen feinen thuenden Gehorſam geleiftet habe. Hat er 
aber einen zur Vergebung unferer Sünden vollfommen zurei- 
enden Gehorſam geleiftet, fo entfteht hieraus Die zuvor ers . 
wähnte Ungereimtheit. Entweder ift alfo der thuende Gehor⸗ 
fam neben dem leidenden etwas: völlig überflüßiges, oder, 
wenn er nichts überflüßiges ift, fehlt ihm die Bollflommen- 
beit, Die er ald der Gehorſam Chrifti haben foll. 

Die Argumentation Pifcatord beruht, wenn wir fie in 
mem ganzen Zufammenhang auffaffen, auf den beiden Vor⸗ 
ausfegungen: 1. daß Chriftus ale Menſch das göttliche Ge⸗ 
ſh für ſich erfüllen mußte, alfo nicht für andere erfüllen 





4) Loc, xxvi &. 334. 


358 U. Ber. 1. Abſchn. 2. Kap. 


konnte, und 2. daß die Zurechnung der Gerechtigkeit, in wel⸗ 
cher das Weſen der Rechtfertigung befteht, ihrem Begriff nad 
mit der Vergebung der Sünden ganz zufammenfällt. Da die 
lutheriſchen Theologen die erftere Borausfegung durch Die eins 
fache Behauptung zurüdwielen, daß fie auf Reftorianismus 
führe 9, fo mußte e8 ſich im Streit mit Pifcator hauptfäd- 
lich um die zweite Vorausſetzung handeln. Konnte Piſcator 
feine Thefe behaupten, daß die imputatio justitiae mit ber 
remissio peccatorum identiſch fen, fo wäre, wenn er auf 
feinen Gegnern zugegeben hätte, daß Chriftus als Menſch 
vom Geſetze frei war, doch in feinem Falle eine Erfüllung 
des Geſetzes an der Stelle der Menſchen nöthig geweſen, ba 
fte unmittelbar mit der Vergebung der Sünden auch die Ges 
rechtigkeit gehabt hätten, in deren Zurechnung die Rechtferti⸗ 
gung befteht. Allein diefe Identität gaben Die lutheriſchen 
Theologen nit zu. Wie fie fie eregetifch nicht zugeben zu 
müflen glaubten (diefelbe Stelle Röm. 4, 6. 7., auf die ſich 
Bifcator beruft, macht Gerhard für die. Verfchiedenheit gel 
tend), ſo fchien fie ihnen auch mit dem Begriff der Rechtfer- 


1) Vgl. Gerhard Loc. theol. Loc. XVII. cap. 2. $.63. Tom. 
VI. ©. 70.: Si Christus esset ulo; &v9ouno:, obstricks 
fuisset legt, jam vero in unitate persomae est verus Deus, 
proinde sulratione non fuit legi obstrictus: meiror weude 
— erroris hujus universi consistit in eo, quod actione 
et passiones Christi considerantur, ac st essent tantum 
naturae humanae actiomes et passiones.:— Nefaria idi- 
tur ac Nestoriana est divulsio, si anoreirsuare mediato- 
ris, ad quae utriusque naturae ?vioysm concurrunt, un 
tantummodo naturae adscribantur. Man drüdte dieß auf 
fo aus (f. Baumgarten, Unterf. theol. Streitigk. 2ter Bd. 
©..282.): Da niemand ſonſt als eine Perfon an eine Bor 
ſchrift verpflichtet werden Fann, fo Tann die Menſchheit Ehri: 

fi, die keine Perſon geweſen, ebenfalls unter Feiner Per 
bindlichkeit ſtehen, fie war ebenſowohl als dik Gottheit ale. 


Joh. Piſcator. 359 


ügung unvereinbar. Gott kann bei ber Rechtfertigung bes 
Sünbers nicht gegen fein Geſetz, das bie ewige und unabän- 
berliche Rorm ber göttlichen Gerechtigkeit ift, handeln, bie 
Hehtfertigung Tann nur unter Borausfegung einer vollfom- 
menen Gonformität mit dem Geſetz ftattfinden,, da nun dieſe 
der Menfch als Sünder nicht haben kann, fo muß die Zus 
sehnung der Gerechtigkeit Chrifti Dazwifchentreten, fofern Chris 
Rus nicht blos für unfere Suͤnden genuggethan, fondern auch 
das göttliche Geſetz vollfommen erfüllt hat. Wenn alfo der 
Menſch um Chriſti willen gerechtfertigt wird, fo wird er Durch 
bie ihm vermittelt des Glaubens zugerechnete Gerechtigkeit 
ſewohl von feinen Sünden freigefprocdhen, als für gerecht er⸗ 
Bidet. Um das in Frage feehende Moment noch fchärfer herr 
verzuheben, argumentirte man auch fo: Entweder werden wir. 
nach dem Decalogus gerechtfertigt ober gegen benfelben. Das 
festere {ft unmöglich, weil der Decalogus bie abfolute Norm 
ber göttlichen Gerechtigkeit iſt. Erfolgt aber bie Rechtferti⸗ 
gung nach dem Decalogus, fo muß der Decalogus entweder 
von und vder einem andern erfüllt feyn. Bon uns ifl er 
nicht erfüllt, alfo kann et nur von Chriftus erfüllt feyn, und 
wir werben nicht blos durch das Leiden und den Tod Chris 
Hi gerechtfertigt, fondern, da durch das bloße Leiden das 
Geſetz Gottes nicht erfüllt werben Fann, fowohl burdy den 
iuenden als den leidenden Geherfam *). Die noihwendige 
Borausfegung ber Rechtfertigung des Menfchen ift alfo Die 
Erfüllung des göttlichen Geſetzes. Muß man aber bier nicht in 
Anfehung der Zeit einen Unterjchied machen? Muß das Ge- 
fe für die Zeit vor der Rechtfertigung, oder für die Zeit nach 
der Rechtfertigung erfüllt werden? Es fcheint hier .auf der 
Seite Piſcators ganz das Argument an feiner Stelle zu feyn: 
Das Geſetz verlangt entweder Strafe oder Gehorſam, nicht 
«ber beides zugleich. Nun bat und Chriſtus von der Strafe 





ı) Gerhard a. a. D. S. 9. 


362 il. Ber. L Abſchn. 2. Kap. 


immer nur in dem Begriff der Sündenvergebung, ber Ge⸗ 
rechtfertigte hatte nach feiner Anficht ſchon durch Die Sünden 
vergebung die Gerechtigkeit, wegen welcher er als gerecht au- 
gefehen werden konnte, nad) der Anficht der Iutherifchen Theo⸗ 
logen aber gehörte zu dem Begriff der Gerechtigkeit nicht blos 
dad negative Moment der Sündenvergebung, fonbern auch 
das pofitive der Gefeßederfüllung, weil derjenige, weldem 
die Sünden vergeben find, zwar nicht mehr ungerecht, aber 
barum noch nicht pofitio gerecht ift. Deßwegen drangen fie 
befonders darauf, daß der thuende und leidende Gehorſam 
fo wefentlih zufammengehörende Momente eined und deſſel⸗ 
ben Ganzen feyen, daß, wenn nicht das Ganze feine Bebeu- 
- tung verlieren fol, keines von dem andern getrennt werden 
fönne 2). Hiemit gingen fie aber eigentlich über Die von der 


tia, imperfecta quidem, atitamen vera, qula singera, al- 
que a simulatione atque hypocrisi aliena, unde sole me- 
ridiano elartus elucet, rationem, qua connesum proba- 
tur, nihil ad probandum facere. Nihil itaque imperfe- 
ctio sanctorum et obedientiae ipsorum derogat obedien- 
tiac, quin pro vera habeatur, quandoquidem Dea pla- 
cent renati propter sinceritatem. Nam imperfectio üle 
credentibus non imputatur, sed condonatur propter san- 
guinem Christi, qui eos purgat ab omni peccato, ac pro- 
inde etiam ab illa obedientiae imperfectione (1 “oh. 1,7.)- 
1) Gerhard a. a. D. ©. 70.: Passio Christi ajusgue satis- 
factio, seu impletio legis, non sunt duae distinctae spe- 
eies obedientiae, quarum una absque altera vel ‚perfec- 
tlonem suam obtinere vel justificare possit, sed sunl 
unius obedientiae distinctae partes, simul coeuntes al 
constituendum unum integrum, quod cum amizssion 
unius partis perfectionem suam simul amittit. .Debitum 
namgue nostrum erat geminum, perfecta scilicet obe- 
dientia et perpessio poenae Utrumque debitum Christus 
diserte praestare debuit, ideo scriptura ipsa aclionem 
et passionem conjungit. — Sola activa obedientia n® 


oh. Bifcator. | 363 


meorbienforniel gegebene Definition des Begriffs der Recht: 
ügung hinaus. Denn, wenn auch die Formel, wenn fie 
n Begriff der Rechtfertigung erklärt, mit der Eündenver- 
dung auch die Annahme zur Kindſchaft Gottes und Die 
rͤſchaft des ewigen Lebens verbindet, fo erklärt fie Doch 
gleich aufs beftimmtefte, daß fie das eigentliche Wefen der 
thtfertigung oder Gerechterklärung in die Sündenvergebung 
de, fo daß alles andere nur als die Folge derſelben ange⸗ 


fulsset sufficiens, quia poena erat ferenda propter pec- 
eata humani generis expianda, sula passiva itidem non 
Inisset sufficiens, qula expiatis peccatis nihllominus re- 
guirebatur per[ecta obedientia juxta omnia et sinqula 
legis praecepta. Wie Yifcator den do;pelten Gehorfam 
unterfchied, ift Schon bemerkt. Uebrigens wollte auch er den 
thuenden Sehorfam von der Rechtfertigung nicht ganz auss 
fließen. Tridustur morti, fagt er Loc. XXVI. ©. 331., 
quod ei tribuendum, nimirum, 'quod sit: plenissima sa- 
tisfactio pro peceatis nostris, sic .eliam vitae obedientiae 
tribuitur, quod seriptura ei tribuendum perhibet, nimi- 
rum, quod sit causa, sine qua non potuerit Christus ido- 
neus esse mediator inter Deum et hominem (Hebr. 7, 26.). 
Nur die falfche Folgerung: Christus non potuisset pro 
nobis mortem perpeti, nisi etiam sancte vivendo legem 
Dei implevisset, atque ita perfetie sanctus fuisset, ergo 
sanclitas vilae qguoyue facit ad justificationem nostri, 
tangquam causa illius meritoria, {site abgeſchnitten ſeyn. 
Nam pro pecräto requirit Deus non sanclam vitam, sed 
satisfactionem per wmortam. Alſo nur darauf fommt es 
en, daß die Sünde vergeben wird, deßwegen iſt peccata 
wesnittere ſoviel als. justitiam.imputare. — Nusguam enim 
$n scriptura docetur, Deum peecata punire per imple- 

ttonem legis, sed per mortem aeternam. Quam cum fi- 
Hus Dei pro nobis subierit atgue sustinuerit, acquiescen- 
dum nobis est in ea, si grati volumus viderl pro benefi- 
eis morte Christi partis. 


> 


364 A Ber. J. Abſchn. 2. Kay. 


feljen werden gu Eönnen fcheint %. Durch ben Gtreit mit 
Pifcator kam demnach den Iutherifchen Theologen erſt vollends 


1) Bel. F. C. ©. 682.: Fidel justitiam esse remissionem 
peccatorum, reconciliationem cum Deo, et adoptionem in 
filios Dei propter solam Christi obedientiam. Vergl. 
©. 684.: Docemus, — quod homo peccator coram Da 
Justificetur, hoc est, absolvatur ab omnibus suis petce- 
tis — et adoptetur in numerum filtorum Det, atque ha- 
res aelernae vitae scribatur. Vgl. ©. 688.: Nobis Chri- 
ati justilia imputatur, unde remissionem peccatorum, 
reconciliationem cum Deo, adoptionem in fillos Dei, d 
haereditatem vitae aeternae consequimur. .©. 685.: Du 
doppelte Gehorſam wird uns zur Gerechtigkeit zugerechnet, 
ita ut Deus propter totam obedientiam peccata nobisre- 
mittat, pro bomis et justis nos reputet et salute aeterna 
donet. Dagegen a. a. ©.: Vocabulum igitur justificatio- 
nis In hoc negotio significat justum pronunciare, a pec- 
catis et aeternis peccatorum suppliciis absolvere propter 
Justitiam Christi, quae a Deo. fidei imputatur. Bel. 
©. 687.: Justitia fidel coram Deo in gratuita et benig- 
nissima imputatione justitiae Christi consistit, quod pec- 
cata nobis remissa et tecta sint, neque nobis imputentur 
(das non imputare peccata ift alfo foviel als das dmpula- 
re jJustitiom Christi). Bgl. ©. 689.: Docet nos scriptu- 
ra, justitiam fidel coram Deo tantummodo consistere ix 
sola clementi et quidem gratuita reconciliatione, seuremis- 
sione peccatorum. Das Letztere ifi noch ganz die Lehrweiſe der 
Apologie, wie befonders Art.9. ©. 226.: Merita propitia- 
toris — alils donantur imputatione divina, ut per es 
tanquam propriis meritis justt reputentur, ut si quis 
amicus pro amico solvit aes allenum, debitor alieno me- 
rito tanquam proprio liberatur. Solange man nur vom 
Leiden und Tod, Gehorfam oder Verdienſt Chriſti überhaupt 
fprach, Fam nichts darauf an, ob man das Wefen der Recht⸗ 
fertigung durch einen mehr negativen oder pofitiven Begriff 
bezeichnet (wie in dieſer Hinficht befonders Die Lehrmeife der 





Joh. Pifcator. 365 


⸗ 


m Maren Bewußtſeyn, daß, wenn die Unterſcheidung eines 
senden ‚und leidenden Gehorſams in das angemeflene Ver⸗ 
Imiß zur Lehre von der Rechtfertigung geſetzt werben foll, 
$ justum pronunciare, oder justum reputare, mit dem 
mittere peccata, oder absolvi a peccatis, nicht mehr 
Hechtbin identifch genommen werben darf, fondern dieſe bei⸗ 
9 Beftimmungen ebenfo als coordinirte Momente eined und 
ſelben Begriffd angefehen werden müflen, wie ſich die obe- 
ientia fowohl in bie activa als die passiva theilt *), nur 
wab fih hieraus der von Pifcator nicht unbemerkt gelafjene 
w zum Bortheil feiner Identificirung des peccata remit- 
we und justitiam imputare benütte Mebelftand, daß wäh 
mb bei der justificatio, der Ratur der Sache gemäß, das 
egative Moment dem pofitiven vorangeht, bei ber obedien- 





Apologie, in welcher für justificatio auch regeneratio ge« 
ſetzt wird, fich frei bewegt), offenbar aber forderte die Con⸗ 
fequenz , wenn man auf der objeltiven Seite Die odedientia 
in zwei Momente fpaltete, daß man auch auf der fubjeltiven 
Die Rechtfertigung nicht mehr auf die bloße Sündenverges 
bung beichränfte. 


1) Mit gutem Bedacht drückt fi daher Gerhard a. a. D. 
©. 69. Pifentor gegenüber fo aus: Necesse est Intercedere 
&mputationem Christi, qui nom solum pro peccatis no- 
siris satisfecit, sed etiam legem divinam perfecte im- 
plevit, propter Christum igitur homo peccator justifica- 
tur, hoc est a peccatis absolvitur et justus pronunciatur, 


imputata ipsi per fidem Christi justitia. Diefem zufolge. - 


follte das justum reputare oder promunciare bei den lu⸗ 
sberifchen Theologen feit dieſer Seit nur pofitiv genommen 
ſeyn, man wagte es aber doch nicht den Hauptfag des Pif- 
enter, daß imputaro justitiam fo viel fey, ald remittere 
peccata ausdrüdlich als eine Irrlehre des Aomo fanati- 
ons, wie ihn Quenfiedt Theol. did. pol. Vol. 2. ©, 403. 
nennt, zu bezeichnen. 


366 1. Ber. 1 Abſchn. 2. Zap. 


tia die Ordnung biefer beiden Momente nicht, wie. fie ſeyn 
follte, dieſelbe ift, fondern die umgefehrte %). 

Die Anfiht Pifcatord zog, da er eine ſchon früher vor- 
handene Differenz °) zuerſt Har und beftimmt audfprach, bie 
Aufmerkſamkeit jener Zeit (zu Anfang des fiebzehnten Jahr 
hunderts) in hohem Grade auf fich, und die Iutherifchen Then 
logen ſahen ſich alsbald zu lebhaften Widerſpruch veranlakt®), 


1) Loc. XXVI. ©. 331.: Ajunt quidam, non sufficere sor- - 
didam vestem exuere , nisi nova induatur, ita nec suff- 
cere, ul peccati originalis et peccatorum actuallum sor- 
des per Christi sacrifictum cruentum deleantur, sed opus 
quoque nobis esse justitia originali et actuali, quam p«- 
riat nobis obedientia vitae Christi. Instantia se ipsam 
convellit, ideo, quia inde sequitur, quod Christi obedien- - 
tia passiva activam antecesserit. Conceditur enim, prop- 
ter obedientiam Christi pussivam nobis peccata remitii, 
sequitur itaque propter obedientiam eandem nobis im- 
putari justitiam, quippe cum haec duo peccata re 
mittere et justitiam imputare aegutpollcant, # 
videre est Rom. 4, 6. 7. 

2) Als Vorläufer Pifeator’s werden genannt die reformirten 
Theologen Urbanus Picrius, Zach. Urſinus, Dav. Pareu, 
Eafpar Dlevianus. 

3) Hauptfächlich die Theologen in Gießen Joh. Winckelmann, 
Balthafar Menzer, Heinrich Eckhard. Der Lestere ſchrieb 
eine eigene Abhandlung De causa meritoria justificationis 
contra Piscatorem Sera 1606. Inter den lutherifchen Dog 
natifern hat Gerhard a. a. D. biefe Eontroverfe am gründ: 
lichften behandelt. Die Iutherifchen Theologen ftellen die 
Lehre Piſcator's als eine höchft auffallende Neuerung dar, 
und berufen fich auf die ganze Reihe der Kirchenlehrer von 
Sufin an (Gerhard a. a. O. ©. 67.), felbft auf Anfelm von 
Canterbury, welcher doch in feiner Echrift Cur Deus homo, 
die hier allein entfcheiden Fann, in dem Hauptfag, von mel 
chem Pifcator ausgeht, mit ihm übereinffimmt (f. oben &. 165). 
Ebenfo ift der Gefichtspunft verrüct, wenn die Intherifhen 


Joh. Piſcator. 367 


rer auch in der reformirten Kirche ſelbſt fand fie größten- 
eils eine ungünftige Aufnahme, befonders bei ben reformir⸗ 
ı Bemeinden in Frankreich, die in diefer Sache fich fehr 
Ktig zeigten. Sie ſprachen fi auf mehreren Synoden (in 
a Jahren 1603—1612) gegen die Meinung Pifcatord aus, 
» ſetzten fich in fchriftlichen Verkehr mit ihm, um ihn zur 
nerfennumg feines Srrthums zu bewegen. So geſchah «6, 
ij die Unterfcheidung eines thuenden und leidenden Gehor⸗ 
md, und die Lehre, daß der eine wie der andere die cau- 
ı meritoria der Rechtfertigung fey, obgleich in feinem äl« 
m Symbol der reformirten Kirche vom Gehorſam Chrifti 
dieſem Sinne bie Rede ift, nun auch in der reformirten 
che als rechiglaubige Lehre galt, und daher fpäter aud) 
die dem fogenannten Arminianismus oder Amyraldismus 
h entgegenfeßende Formula consensus Helvetica aufge- 
mmen wurde 4). 


Theologen den Ealvin felbft auf ihrer Seite zu haben glau⸗ 
ben. Einen folchen Zufammenhang der obedientia vitae, 
wie Calvin annahm, läugnete in auch Pifcator nicht (f. oben 

‘ &. 332.). Hier aber hängt alles an dem Begriff der ftell« 
vertretenden Gefekes » Erfüllung neben der fellvertretenden 
©traferdbuldung. — Da durch Pifcator der Unterfchied des 
tbuenden und leidenden Gehorſams erſt recht zum Bewußt⸗ 
feyn gebracht wurde, fo kann es nicht befremden, daß der 
zuvor genannte DB. Menzer als Gegner Pifcator’s wieder 
auf die Einheit des Gehorfams dringen zu müſſen glanbte. 
gl. Disp. Giess. Tom. III. Diss. XV. ©. 454. 457.: Ex- 
quisite loqui si velimus, nonnist unam Christi obedien- 
tiam vocabimus. — Neque sunt duae obedientiae: distin- 
etae, ut somniat Piscator, sed obedientia una, nempe 
perpetua subjectio voluntatis Christi ad perficdendam vo- 
luntatem Dei, tam in vita, quam in morte. Die Schrift 
rede immer nur von Einem Gehorfam, nur die Dbielte des 
Gehorſams feyen verfchieden u. f. w. 

1) Auf die Seite Pifentor’s traten unter mehreren andern nas 


368 IL Ber. 1. Abſchn. 2. Ray. 


Vergleichen wir bie drei von Oflander und Bilcator und 


den Berfaffern der Concordienformel. aufgeftellten Theorien, 
fo fehen wir in ihnen einen durch die innere Bewegung bes 
Begriffs ſich gleichmäßig abichließenden Kreis. Der Begriff 
der Rechtfertigung enthält ſowohl ein pofitives, ald ein ne 
gatived Moment: diefe Momente Tönnen, je nachdem entwe⸗ 
der das eine dem andern fuborbinixt, ober. beide einander co« 


ordinirt werben, in ein verfchiedened Verhältniß zu einander . 


treten. Die Theorie der Concordienformel ſtellt ſich in bie 
Mitte: fie will die beiden Momente, das pofitive und nega 
tive, foviel möglich einander gleichftellen, mit dem peccats 
remittere ſoll auch eine pofitive Gerechtigkeit verbunden ſeyn 
die aber gleichwohl die Schranfe des justum reputare. odf 
pronunciare nicht überfchreiten darf, alfo dem Menſchen 
nur imputirt wird, und in ihrer Objektivität als Die Gereqh⸗ 
tigfeit. des die Stelle des Menfchen vertretenden Chriftus den 
Menfchen felbit immer noch Außerlich bleibt. Das peccata 
remittere und das justitiam imputare ftehen daher ald 
coordinirte weſentlich zuſammengehoͤrende Momente in gleicher 
Bedeutung neben einander. Die Oftander’fche Theorie dur 
bricht jene Schranfe, das justitiam imputare, oder justum 
reputare, ift ein leerer Begriff, fein wahres und wirkliche 
justum esse, die justitia imputata fann nur als vera md 
essentialis justitia mit dem Menfchen ſubjektiv Eins wer 
den, fo daß diefem Innern gegenüber die remissio pecca- 
torum und die der impletio legis entfprechende imputatio 
justitiae als etwas blos Aeußerliches und für ſich noch Um 


mentlich David Blondel, Lud. Enpellus, Joh. Camero. Man 
vgl. über die Gefchichte diefer Streitigfeit, Gerhard a. a. O. 
©. 61. Quenftedt a. a. D. ©. 402. Schrödh, Kirchen 
geſch. feit der Ref. Bd. V. ©. 358. und befonders Ehr. ®. 


F. Walch's Commentatio de gbedientia Christi activa GM. ' 


1 


> ob. Pifcator. 369 


wahres und Unwejentliched völlig in den Hintergrund zurück⸗ 
tite Die Theorie Bifcators dagegen geht auf der der Oſtan⸗ 
der’fchen entgegengefeßten Seite über die Concordienformel 

= hinaus, indem fie dad peccata remittere und justitiam 
imputare gar nicht mehr als befondere Momente auseinan- 
derhält, fondern das Iektere in das. erftere völlig aufgehen 
Ikt, und eben basjenige, was bei Ofiander das Neußerlichite 
MR, und die Concorbienformel als das Negative vom Poſiti⸗ 
ven unterfcheidet, zur Hauptfache macht, - und als einzige cau- 
x sa meritoria ber Rechtfertigung und als das eigentliche Wefen 
derfelben betrachtet. Während alfo dort alles in den Begriff 
\ ber Rechtfertigung fich zufammendrängt, fällt hier alles in 





das Moment ber Sündenvergebung, und die Concordienformel 
fieht in dem Einen wie in dem Andern ein Ertrem, welchem 

1 Ne fern bleiben muß, um Regatives und Poſitives, Subjek⸗ 
; sed und Objektives, Gott und. den Menfchen im Begriff 
| wenigſtens auseinanderzuhalten. Auf gleiche Weiſe greifen 
die drei Theorien in einander ein, wenn wir das Verhältniß 
erwägen, in welches fie das Göttliche und Menſchliche in 
Chriſtus zu einander fegen. In der Oftander’fchen Theorte 

it in jedem Falle die bei weitem überwiegende Seite die gett- 
Ude Natur; nur als die göttliche und wefentlidye Gerechtig⸗ 
keit, welche Sott felbft ift, it Chriftus das Princip ber Recht- 
ferligung ; die Goncordienformel legt das Hauptgewicht auf 
de Einheit des Göttlichen und Menfchlichen und den unend- 
. lien objektiven Werth, welchen das ftellvertretende Thun: und 
i Leiden Chrifti, als das Thun und Leiden des Gottmenfchen, 
; die Theorie Pifcators abftrahirt im Grunde von die⸗ 

fer objeftinen Bedeutung, da fie bei dem bloßen Begriff einer 
E imputatio justitiae auf eine Weife ftehen bleibt, bei welcher 
12. dee firenge Begriff der Gerechtigkeit, und mit ihm auch bie 
M sbjektive GSenugihuung wenigſtens als nothwendige Voraus: 
p ſchung hinwegfaͤllt. Auf die äußere hiftoriiche Thatfacdhe, daß 
Chriſtus für die Menſchen gelitten hat, ſcheint e8 hier zu- 

Baur, bie Lehre von ber Berföpnung. 24 


u U Bände 


._ 


\ 


370 1. Ber. L. Abſchn. 2. Rap. 


nächf weit mehr anzufommen, ald auf die innere Bedeutung 
dieſes Leidens, das Menfchliche beginnt alfo bier in feinem 
Rechte fich geltend zu machen, und nur hieraus, aus der An⸗ 
erfennung. der Selbftftändigfeit, die das Menfchliche Dem Bölt- 
lichen gegenüber anzufprechen hat, läßt fich erklären, wie Bil 
cator auf die Behauptung kam, daß Chriftus für fich feibk, 
als vernünftige Creatur, ben in ber Erfüllung bes Geſehes 
beftehenden Gehorſam zu leiften gehabt habe. Hiemit war 
fchon aus dem Gebäude der gangbaren Satiöfactiond- und 
Rechtfertigungstheorie einer der wichtigften diefelbe zufammen ; 
baltenden Grundfteine herausgenommen, und dem firenga 
Begriffe der Gerechtigkeit, welchen jene Theorie zu ihrer noik 
wendigen Borausfepung hatte, die Sphäre feiner Geltunz, 
nicht wie Anfelm blos aus Mangel an Confequenz, fonben 
in der beftimmten Abſicht, dem Menfchlichen fein Recht m 
pindiciren, beſchraͤnkt. Was Eonnte hindern, daß jemer Be 
griff der Gerechtigkeit aufgegeben, und fobald man ibn fal⸗ 
len gelaffen hatte, auch alles Andere, was mit ihm zufam 
menhing, bie Berfon des Erlöfers, als bed Gottmenſchen, 
und das ganze Werk der Erlöfung aus einem andern Ge 
fihtspunft aufgefaßt wurde, fo daß man fih nun mit derſel⸗ 
ben Einfeitigfeit auf die reinmenfchliche ſubjektive Seite He 1 
te, mit welcher jene Theorie, ungeachtet des durch die Refm 1 
mation ind Leben getretenen Princips der Subjeftivität, ‚Ihren 
Standpunkt auf der objektiven göttlichen Seite genommen 
hatte? | 
Diefer Schritt war aber in der That zur Zeit Bifeator’s 
ſchon geichehen, und fo wenig fi) auch bei ihm ein beſonde⸗ 
rer Einfluß des Socinianismus wahrnehmen läßt, fo wurde 
Doch Durch Ihn nur eine Bewegung, die längft auf einem gam 
andern Punkte des vom Geifte ber Reformation durchwehten 
Gebiets ihren Anfang genommen hatte, auch in ber Mitte 
der proteftantifchen Kirche wenigſtens verfucht. 





Die Lehre der Eorinianer. 371 


Drittes Kapitel. 
ie Lehre des Fauſtus Soeinus und der Soeinianer. 


Die Lehre von der Berföhnung gehört unter biefenigen 
ihren, in welchen fich der eigenthümliche Charakter des Sos 
nlanismus ganz beſonders zu erfennen gibt. Der Socinias 
mus theilt mit dem Proteftantismus das in der Reformas 
ons⸗Periode zu feinem Rechte gekommene Princip der Sub⸗ 
fisität, aber er gibt demfelben zugleich ein einfeitiged Ue⸗ 
zgewicht, welchem der Broteftantismus von Anfang an zu 
gegnen ſuchte. Verhaͤlt fich nach dem Proteflantismus das 
abjekt zu dem objektiv Göttlichen, das es in fich aufneh⸗ 
en fol, um fich in bemfelben feines eigenen fubftanziellen 
eyns und Weſens bewußt zu werden, nur wie bie aufneh- 
mbe Form zu dem Inhalt, mit welchem ſie ſich erfüllen 
I, fo läßt dagegen der Socinianismus das Subjekt fich fo 
d möglich aus fich felbft mit feinem Inhalt erfüllen. Das 
wch erhält das Subjekt eine Selbftitändigfeit, eine Macht 
id Bedeutung, die ed auf dem Standpunft des Broteftans 
Imus, der Ratur der Sache nach, nicht haben kann. Es 
# fchon in jeinem unmittelbaren Selbftbewußtfen den Ins 
ft, welcher ihm als die an ſich feyende Wahrheit gelten 
I, und kann durch feine eigene fittliche Kraft Die Aufgabe 
ifffiren , durch deren Realifirung es zur Einheit mit ſich 
d mit Gott kommt. Se größer aber ‚die Selbftfländigfeit 
‚die das Subjekt für fih anfpricht, je mehr das fubjektive 
elbſtbewußtſeyn als das Wefentliche gilt, defto Anßerlicher 
kb das Verhältniß, in welchen der Menſch zu Gott fteht, 
iſt nicht Die Natur Gottes, als des abfoluten Geiftes, die 
ı dem Subjekt ſich auffchließt, und in welder das Subjekt 
& fänes eigenen wahrhaften Seyns bewußt wird, fondern 
Renih und Gott ftehen in reiner Abftraftheit einander ges 
rüber, alle objektiven Beftimmungen über dad Weſen Öot- 
8 werden ſchlechthin negirt, das abfolute Weſen Gottes iſt 

24% 


372 II. Ber. 1 Abſchn. 3. Kay. 


in eine transcendente Ferne binausgerüdt, in weldyer «8 in 
feinem abfoluten Jenſeits für die menichliche Vernunft fchleht- 
hin verfchloffen iſt; Gott ift fo, wenn alles entfernt iR, was 

allein dem Begriff Gottes feinen conereten Inhalt gibt, nur 


der abftrafte negative Inbegriff der Beziehungen, in welden 


das fubjeftive Bewußtſeyn dad Verhaͤliniß des Enblichen und 
Unendlichen in feiner hoͤchſten Spitze zufammenfaßt 12). Hier 


1) Diefes Sichgeltendmachen des feiner Selbſtſtändigkeit fd 
bewußten Subielts, das nichts anders zur Folge haben kam 
als daß die Objektivität und Abfolutheit des göttlichen We 
ſens negirt, und Gott in das transeendente Jenſeits zurüd⸗ 
rückgeſtellt wird, zeigt fich fehon in der Lehre von Gott af 
fehr unmittelbare Weife tbeils darin, daß Gott nach be 
Lehre der Socinianer die unmittelbare Regierung ber Welt 
dem zum Gott erhöhten Menſchen Jeſus übergeben habs 
foll (vgl. Brev. instit. B. F. P. T. I. ©. 668.), theils I 
der eigenen Anficht von der Allwiflenheit Gottes, in melde 

, ber focinianifhe Standpunkt als der dem Ealoinifchen ge 
zade entgegengefette erfcheint. Während Calvin, um bie 


göttliche Allwiſſenheit durch nichts im Menichen bedingt feys | 


zu laffen, Allwiffenheit und Prädeflination identifieirt, glaubte 
Dagegen F. Socinus die Eollifion zwifchen Freiheit und Als 
wiffenheit nur dadurch heben zu Eünnen, ‚daß er bad Abſo⸗ 
lute der göttlichen Allwiſſenheit negirte, das Wiſſen Gottes 
alſo zu einem beſchraͤnkten und endlichen machte. Prael. 
theol. Cap. VIlI. De Dei praenotione seu praescientia. B. 
F.P. T.I ©. 545.) Das Charakteriſtiſche des lutheri⸗ 
chen Lehrbegriffs it, daß er von beiden Extremen fich auf 
gleiche Weife fern hält. Er geht mit dem calvinifchen, for 
weit es immer nur möglich ik, um den Menſchen von der 
abfoluten Gnade Gottes abhängig zu machen, fobald aber 
der letzte Schritt gefchehen follte, um dem Aorridtle des abs 
foluten Decrets den leuten Schein der fubieftiven Freiheit 
aufzuopfern, regt fich das urfprüngliche Selbſtbewußtſeyn 
des Proteftantismus mit folder Macht, daß das Iutheriide 
Syſtem, ehe es dem Acht proteftantifchen Princip der En 


— 


Die Lehre der Eocinianer. 373 


n liegt der Grund jener im Socinianismus überall ſich aus⸗ 
prechenden Scheu vor dem Spekulativen, alle jene Lehren, 
mn welchen der gemeinfame Firchliche Glaube der Katholiken 
und Broteftanten das innerfte Weſen ber chriftlichen Offenba⸗ 
rung erkennt, haben für ihn ihre höhere Bedeutung verloren, 
er haͤlt fi nur an das unmittelbare praktiſche Bebürfniß, 
und bewegt ſich nur in der Sphäre der Berftandes-Reflerion. 
Da diefe Lehren auch mit denjenigen Befksumungen, bie fie 
durch den Proteftantismus erhakten hatten, noch immer eine 
Form hatten, in welcher fie die denkende Vernunft nicht wahr⸗ 
haft befriedigen Tonnten, fo Eonnte e8 Der beweglichen: Ber- 
Ranbes-Dialektif des Socinianismus nicht ſchwer, werden, in 
ihren Angriffen auf das kirchliche Syftem auf manchen Punt- 
ten eine Stärke und UVeberlegenheit, die; eine befiere Aner⸗ 
knmnung, als ihr zu Theil wurde, verdient. hätte, zu entwi⸗ 
deln, und ſchwache Seiten aufzubeden, die man ſeitdem im⸗ 
mer nur mit fruchtlofer Kunſt gu verhuͤllen fuchte. Se in⸗ 
haltsleerer aber durch dieſe negirende Dialektik der chriftliche 
Dffenbarungsglaube wurde, und. je. weniger der Socinianis⸗ 
mus dem Pofitiven jelbft, das er an Die Stelle des Negirten 


jektivität etwas vergibt, lieber auf die Eonfequenz einer 
Durchgeführten Theorie verzichtet. So hat die fo oft ge⸗ 
rügte Halbheit und Infonfequenz der Eoncordienformel in 
dem Artilel de aeterna praedestinatione et electiome Dei 
ihren tiefer liegenden Grund im innerfien Weſen des Pro- 
teſtantismus felbft, und der Ealvinismus und Soeinianismug 
laffen fi) nur von diefem urfprünglichen Standpunft aus in 
ihrer Einfeitigfeit vecht begreifen. Daher ift auch in keinem 
diefer Syſteme der Glaube im Acht protefiantifchen Sinne 
fofehe der Mittelpunkt des ganzen Syſtems, wie im lutheri⸗ 
ſchen, indem felbft im calvinifchen der Glaube feine urfprüng» 
liche Bedeutung dadurch verlieren muß, daß die abfolute 
Praͤdeſtination in ihrer finrren Objektivität noch über ihn 
geſtellt wird. | 


374 IL Ber. L Abſchn. 3. Kap. 


zu ſetzen verjudhte, innere Haltung und Bedeutung zu geben 
wußte, deſto unverfennbarer ftellt er ich als ein Momat | 
dar, das zwar an ber Stelle, an welcher es in ben Entwid- 
lungsgang des chriftlichen Dogma's eingreift, nicht fehlen 
Durfte, wenn dem im Zeitalter der Reformation erfolgten 
Umſchwung in das Subjeftive fein volles Recht werben fol 
te, das aber durch feine Regativität den denkenden Geiſt nur 
um fo mächtiger :weiben mußte, ben engen Kreis der Subjel⸗ 
tioität, in welchem es fi abſchließen wollte, wieder zu burn 
breihen. 

Wie ber Socinianiemus won der Dreieinigfeit des götl 
lichen Wefens und der Menfchwerdung Gottes nichts willen 
win, wie ihm folche Lehren nur einen fich felbft aufhebenden 
Widerfpruch, in welchen die menfchlide Vernunft fich mi 
fich felbft verwidelt, zu enthalten fcheinen, fo mußte er auf 
über die Firdhliche Satisfactionslehre und die ganze Bedeu⸗ 
tung dieſes Dogma’s auf diefelbe Weile urtheilen. Konnte 
er aber auch in biefer Lehre, wie in andern, nur einen auf 
willfürlichen Borausfegungen und unwürdigen Vorſtellungen 
som Weſen Gottes beruhenden Inhalt erkennen, Feine objel⸗ 
tive Wahrheit, in welcher die Natur Gottes felbft dem den 
Eenden Geiſte offenbar wird, fo mußte er vor allem die Grund: 
‚beftimmung negiren, in welcher die Firchliche Satisfactiond 
theorie auf das innere Wefen Gottes zurüdging, die Idee der 
Gerechtigkeit, aus welcher ſich die Satisfaction als eine nothr 
wendige Beflimmung bes göttlichen Weſens felbft ergab. Den 
der Eirchlichen Satisfactionstheorie zu Grunde liegenden Be 
griff der göttlichen Gerechtigkeit verwarf Fauſtus Socinus) 


1) Von des Fauſtus Socinus Schriften gehören hieher befon« 
ders die Praeiectiones theologicae (Biblioth. Fratrum Po- 
lon. Tom. I. Irenop. 1656.) in welchen S. 566. f. die Lehre 
von der Satisfaction fehr genau und ausführlich unteriudt 
it, und die Brevissima institutio christianae religionis 





Die Lehre der Sorinianer. 375 


Edruͤctlich als eine zu concrete, und darum ber abfoluten 

ver bed göttlichen Weſens widerftreitende Beflimmung. Kann 
ok sermöge feiner Gerechtigkeit ohne Genugthuung bie Sün- 
a. bee Menſchen nicht vergeben, fo iſt er einer endlichen 
eſchraͤnkung unterworfen. Eher nody könnte man (der 
qhriſt zufolge) bie ber Gerechtigkeit in jenem Sinne entge⸗ 
mgejebte Barmherzigkeit ald eine weſentliche Eigenfchaft bes 
achten. Iſt aber die Barmherzigkeit eine weientliche Gigen- 
haft Gottes, fo müßte Bott, als dem abfolut Barmberzigen, 
26 Recht abgefprochen werden, die Sünden der Menſchen 
ı befirafen. Hieraus folgt alfo nur, daß die Gerechtigkeit 
& Barmherzigkeit, beide auf gleiche Weiſe, endliche Beſtim⸗ 
ängen find, nicht abſolute Eigenfchaften des göttlichen We⸗ 
5, fonden Wirkungen feines Willens, das abfolute We⸗ 
u Gottes .ift demnach nur fein abfoluter Wille *. Wenn 





a. a. O. ©. 665. in dem eigenen Abſchnitt: Refutatio sen- 
teontiae vulgaris de satisfactione Christi pro peccatis no- 
ride Noch ausführlicher als in den Prael. theol. handelt 
." sein von bemfelben Gegenſtand in der aus vier Theilen 
bafehenden Schrift De Jesu Christo Servatore, h. e. cur et 

. qua ratione J. C. noster servator sit, F. Socini Sen. dis- 
, putatio, quam scripsit respondens Jacobo Coveto Pari- 
- siensi (einem reformirten Theologen). Bibl. Fr. Pol. T. I. 

Man vgl. ferner den Rakauer Catech. Quaest. 377. f. 

4) Hacc ratio, fagt $. Sociaus Prael. theol. ©. 566. von 
‚ber gewöhnlichen Theorie, mullius pretii est. Neque enim 
in Deo ulla justitia est, quae peccala nuniri omnino ju- 
Beat, cul ipse renuncilare non possit. . Est quidem in 
Deo perpetua justitia, sed haec nihil aliud est, quam 
sequitas et rectitudo. Itaque nullum Dei opus est, in 
quo iniquitas et pravitas, ne minima quidem ex parte, 
deprehendi unguam possit. Et hanc justitiam Dei no- 
minant ipsae sacrae Ülterae, quae non minus In condo- 
nandis, quam in puniendis peccatis conspicua est. Istam 
autem Det justitiam, quam nos appellare solemus, quae 


376 IL Ber. 1. Abfchn. 3. Kap. 


man daher auch zugibi, daB unfere Simden nichts anders 
find, ald Beleidigungen der Majeftät Gottes, Schulden, bie 
wir gegen Sott haben, fo Tann fie doch Bott ohne Satie- 
faction ebenfo gut vergeben, wie jeder Menſch Das freie Recht 
hat, feine Beleidigungen und Schulden andern zu erlaſſen 
Um die Idee des Abfoluten in ihrer Reinheit aufzufafien, fol 
jede endliche Befimmung aus dem Weſen Gottes entfent 
werden, es ift jedoch klar, daß fich hierin zugleich das In 

tereſſe des vefleftirenden Verſtandes, Endliches und Umendli- 





wewnisi in puniendis peccatis conspicitur, divinae Hteroe 
nomine isto nequaguam dignantur, sed eam modo De 


severitatem, modo vindictam, tum iram, ‚furorem, in | 
dignationem et aliis ejusmodi nominibus appellant. Ita- - 


que insigniter gravitergue sunt lapst, qui vulgaris cuju:- 
dam appellationis specie decepti putarunt, istam esse per- 
petuam Dei qualitatem, eamque. tnfinitam esse diserml, 
nec animadverterunt, si id verum esset, neeesse fuls- 
rum, ut Deus infinite severus et ultor esset, nec' unguam 
peccata condonuret. — Multo veristmitius (in. Beyiehung 
auf Ex. 34, 6. 7. Num. 14, 18. 19.) diet posset, Dei pro- 
priam qualitatem esse eam Dei miserlcordiam, quae isti 
Justitiae opponitur. Verum utrumque est falsum. Quem- 
admodum enim Justitia ista, vulgart nomine sic appel- 
lata, quae misericordiae opponitur, Dei qualitas nom 
est, sed effectus tantum volunlatis TIpstus, ste miseri- 
cordia, quae isti justitiae opponitur, Det qualitas nor 
est propria, sed effectus tantum voluntatis ejus. In de 
Inst. chr. rel. ©. 665. wird auf die Frage, ob die Gerech⸗ 
tigfeit Genugthuung verlange, geantwortet: Nulli komini 
vere cordato et pio istud in mentem venire unquam de- 
Deret, quippe quod vel potentiae et auctoritati, vel cerle 
bonitati et misericordiae deroget. — Propterea deroge- 
retur — quia manifeste hinc sequeretur, Deum vel non 
posse,. vel nolle nobis peccata remittere et liberaliter con- 
donare. 


Die Kehre der Socinianer. 377 


ches in ihrem Gegenſatz auseinanderzuhalten, ausfpricht. Je 
mehr aber, dieſer Tendenz zufolge, das abfolute Weſen Gottes 
in das abſtrakte Jenſeits zuruͤcktritt, deſto äußerlich freier macht 
ſich das Subjekt gegen daſſelbe. Nicht in dem abſoluten We⸗ 
ſen Gottes, das uͤber poſitive Beſtimmungen dieſer Art weit 
hinausliegt, realiſirt ſich die Bedingung der Verſöhnung, ſon⸗ 
dern nur in dem endlichen Sübjekt ſelbſt. Der Menſch iſt 
yerföhnt mit Gott, wenn er durch feinen freien Willen der 
Sünde entfagt, und aus dem Zuftande der Sünde heraus⸗ 
tritt, von einer noch auf ihm liegenden, fein Verhältniß zu 
Gott beftimmenden Schuld kann nicht weiter die Rede feyn. 
In diefem,. mit der. VBerwerfung des gewöhnlichen Begriffe 
ber Gerechtigkeit fo eng zufammenhängenden, Grundgedanken 
der focinianifchen Theorie ift fogleich Die ganze Subjeftivität 
ihres Standpunkts, auf welchem nur von einer Verföhnung des 
Menſchen mit Gott, nicht aber von einer Verföhnung. Got⸗ 
tes mit bem Menſchen die Rebe feyn- kann, ausgefprochen. ). 

Schon durch den. Widerſpruch gegen bie. gewöhnliche Ber 
ſtimmung des Begriffs der Gerechtigkeit war der Firchlichen 
 Satisfactionstheorie die Grundlage, auf welcher fie ruhte, ge- 
nommen... Mit noch größerem Nachdrud aber wandte ſich bie. 
forinianifche Dialektif gegen den Satisfactionsbegriff .felbft, 
wobei wiederum befonderd bemerfenswerth ift, wie die Argu- 
mente, ‚deren fie fich bedient, auf den. Standpunft der Sub» 
jeftivität, und den ihm zu Grunde liegenden Subjeftsbegriff 
zurücdgehen. Sündenvergebung und Genugthuung, fagt F. 


4) Inst. chr. rel. ©. 666. Unter der Verſbhnung fen nichts 
anders zu verfiehen, guam nos, qui Dei inimici (Kim. 
5,10.) adhuc eramus, eo adducere, ut Det amici esse vel- 
lemus, id est, ab eo offendendo desistere, et sic oblatam 
nobts ab dpso Deo peccatorum remissionem adipisci, et 
in ejusdem gratiam recipt. Der Rak. Katech. behauptet 
Quaest. 410., die Schrift Ichre nie, Deum nobis a Christo 
reconciliatum, foudern nur, quod nos Deo reconciliat!. 


378 1. Ber. L Abſchn. 3. Kap. 


Sorinus, find widerfireitende Begriffe, bie ſich gegenſeitig 
aufheben, und zwar nicht blos in dem Fall, wenn von bem- 
felben Subjeft, welchem die Sünden vergeben werben follen, 
Genugthuung geleiftet werden fol, ſondern es gilt ganz all- 
gemein, daß, wo Feine Schuld ift, auch, Feine Genugthuung 
it, Feine Schuld aber tft, wo ſchon vollkommene Genug 
thuung geleiftet iſt. Wird die Schuld erlafien, jo wird fie 
gefchenft, wird für fie genuggethan, fo wird fe eingeforbert 
Sagt man, fie werbe nicht von bemfelben eingeforbert, wel⸗ 
chem fie gefchenft wird, fo ift zu antworten, Daß bie Schul 
nur von dem gefordert werben kann, der fie ſchuldig if, alle 
muß fie auch der fhuldig feyn, dem fie geichenft wird, wie, 
wird fie ihm aber gefchenft, wenn fie von ihm gefordern 
wird? Bezahlt einer für einen andern, fo muß das Geld, 

auch wenn es ber Schuldner nicht felbft ausbezahlt, Doch als 
von ihm bezahlt angeiehen werben. Sagt man, Chriſtus 
habe nicht blos für und bezahlt, fondern auch die Schuld 
auf ſich übergetragen, fo Eönnen doch Genugthuung und Er 
laſſung nicht zu derfelben Zeit geichehen ſeyn. Iſt die Schuld 
übergetragen, fo kann weber vorher noch nachher eine Erlaſ⸗ 
fung flattfinden. Iſt die Schuld vorher erlafien, wie konnte 
fie auf einen andern übergetragen werben, ift fie aber vorke 
übergetragen, wie konnte fie erlaffen werben? Bei der Über: 
tragung der Schuld ift die Schuld nicht erlaffen, fondern es 
ft nur an die Stelle des bisherigen Schuldners ein andern 
getreten. Jeder, dem die Schuld erlafien wird, wirb zwar 
von ber Schuld befreit, aber nicht jedem, der von der Schuld 
befreit wird, wird auch die Schuld erlaffen. Crlaffung der 
Schuld ſetzt einen Akt der Schenkung auf der Seite des Gläu⸗ 
biger8 voraus, ein folcher findet aber nicht ftatt, wenn ber 
Glaäubiger gleichwohl die ganze Schuld, die man ihm ſchul— 
dig ift, erhält‘). Alles dieß kommt Darauf hinaus, daß fr 


$) Prael. theol. S. 568. f.: Wie kann es daher, fegt 5. So⸗ 


Die Lehre der Socinianer. 379 


d Satisfaction geleiftet wird, das Schuldverhälmiß des 
uldigen Subjekts an ſich daffelbe bleibt, in dem Verhaͤlt⸗ 
B des Menfchen zu Gott alfo nichts wefentlich geändert . 
ird, ob die in jedem Falle zu besahlende Schuld auf die 
ne oder andere Weife bezahlt wird. Noch ftrenger ift ber 
ubjettöbegriff in der weitern Einwendung gegen die gewoͤhn⸗ 
de Satisfactionstheorie feftgehalten, daß es ſich mit der 
strafe ganz anders verhalte, als mit einer fchuldigen Geld» 
mme, daß die Strafe, als etwas rein Berfönliches, nicht 
ke eine Sache von einem Subjelt auf ein anderes überges 
gen werben Tönne, Daß Daher, wenn auch fonft nichts ent- 
egenftünde, doch auf diefe Weile in’ keinem alle der göttli- 
von Gerechtigkeit Genüge geſchehen könne *). Geht fchon 
kraus das Widerfprechende und Unhaltbare des gewöhnlis 
ven Satisfactionsbegriffs hervor, fo erhellt daffelbe noch wei⸗ 
t aus ber Beziehung, in welche derfelbe zu den beiden Bes 
riſfen der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gefegt 





einus ©. 569. noch hinzu, wenn man zugibt, daß Gott an 
fich auch ohne Genugthuung vergehen Fonnte, als ein befon» 
derer Beweis der Liche Gottes gegen bie Menſchen darge⸗ 
fiellt werde, daß er feinen Sohn zur Genugthuung für Die 
Menſchen gab, da er ohne Genugthuung nicht blos denſel⸗ 
ben, fondern einen noch größeren. Beweis feiner Liebe gegen 
die Menfchen gegeben hätte? 

1) Christ. rel. brev. crist. ©. 655.: Est siquidem pecunia, 
ut juris consulti loqguuntur, reale quiddam et Idcirco ab 
alio. in alium transferri potest, poenae vero — sunt quid- 
dam personale, et propterea ejusmodi, quae ill ipsi, qui 
eas dat, perpetuo adhaereant, nec in allum queant trans- 
forrt. Dal. Prael. theol. S. 571., wo zugleich bemerkt wird, 
daß daſſelbe auch von der Erfüllung des Geſetzes gelte, etiam 
in factis, ex legis praescripto praestandis, non ipsum fac- 

tum simpliciter quaeritur, sed untus eujusque qui lege 
illa teneatur,, proprium factum. 


380 IL Ber. 1. Abſchn. 3. Kap. 


wird. Die Satisfactton bat auf der einen Seite die Bar 
berzigfeit, auf ber andern die Gerechtigkeit Gottes zu ihrer 
Vorausſetzung, Gott muß alſo dabei theild gütig und gnaͤ⸗ 
dig, theild ftreng und gerecht gedacht werben. Wenn aber 
Gott einen Beweis feiner Güte und Gnade geben wollte, 
warum hat er nicht die Sünden der Menfchen ohne Satis⸗ 
faction erlafien? Wollte er dagegen feine firenge Gerechtig⸗ 
feit duch Vollziehung ber Strafe offenbaren, warum hat a 
nicht die geftraft, welche die Sünden begangen haben? Was 
kann ungerechter feyn, ald daß ein Unfchuldiger ftatt Der Schul 
digen beftraft wird, wenn doch alle Möglichkeit vorhanden 
ift, die Schuldigen zu beftrafen? Sagt man aber, das Ei 
genthümliche der Satisfaction beftehe eben darin, daß Gott 
in demfelben Akt ſowohl feine Barmberzigkeit, als feine Ge⸗ 
rechtigfeit zu erkennen gibt, jene, indem er die nicht fraft, 
die gefündigt Haben, dieſe, indem er bie Sünde gleichwohl 
ftraft, fo ift es, zumal nach ben ſchon hervorgehobenen Mo 
menten, ein völlig eitled Beftreben, Begriffe, die einander 
ausſchließen und aufheben, in eine Einheit vereinigen zu wel 
len ?). 

So ſchließt der Satisfactionsbegriff nach den verſchiede⸗ 
nen Geſichtspunkten, unter welchen er aufgefaßt werben Tann, 
Elemente in fih, Die fih der Natur der Sache nach wider: 
ftreiten. ine neue Seite dieſes Widerſpruchs fchien in dem 


1) Prael. theol. ©. 571.: Adversariorum commentum: istud, 
guod Deus in salute nobis per Christum parta et justus 
et misericors simul fuerit, praesertim cum nonnulli per- 
fecte justum perfectegue misericordem fuisse dicant — 
plane ridiculum est, nec ullo pacto sustineri potest, quat- 
doquidem non possunt ista duo eadem in re eodemgie 
tempore simul jungi, qguippe quae invicem prorsus Te- 
pugnent. Misericordiu enim ut peccanti ignoscalur, om- 
nino requirit. Justitia autem ista, ut qui peccaverit 
poenas det, omnino requlrit. 


---. — —— ·— — — 


Die Lehre der Socinianer. 381 


en Beſtandtheilen des genugthuenden Gehorſams zu lie⸗ 
‚ dem thuenden und leidenden. Was Piſcator beſonders 
md machte, Daß der eine Gehorſam den andern aus⸗ 
ehe, war auch fchon dem Scharffinn des F. Socinus nicht 
angen, theils könne beides, die Satiöfaction und Die Zus 
nung der Gerechtigkeit, behauptete er, nicht zufammenbe- 
n, theils fen wenigftend das Eine neben dem An⸗ 
ı überflüßig. Nicht zufammenbeftehen könne beides, ba 
eine Art der Genugthuung durch Uebernahme der Strafe 
Tich zeige, daß ber, für welchen fie geleiftet wird, nicht 
Buldig fey, während bie andere Art der Genugihuung 
h 2eiftung deſſen, was der andere hätte ihun follen, bes 
fe, daß der, für welchen ed geleiftet wird, für unfchuldig 
ilten, und ebenfo angefehen werde, wie wenn er niemals 
Schuld fi zugezogen hätte Daß aber entweber ber 
‘oder. der andere dieſes doppelten Gehorfams überflüßig 
fen nicht minder klar. Wird einer fo angefehen, wie 
n er alled gethan, was er zu thun hatte, fo find alle 
: Sünden getilgt. Daſſelbe ift der Fall, wenn einer fo 
sehen wird, wie wenn er bie fchuldige Strafe für alle 
: Sünden erftanden hätte. Bel demjenigen, für befien 
den vollfommene Genugthuung geleiftet ift, Tann ebenfo 
ig von irgend einer Suͤndenſchuld die Rebe feyn, als bei 
jefigen, ber alles gethan hat, was er thun follte. Bei 
Tilgung der Sünden fommt e8 ja nicht darauf an, Daß 
yar nicht begangen find, da Das Gefchehene nicht unges 
ven gemacht werden Tann, fondern nur darauf, daß ſie 
ngefehen werden, wie wenn fie nicht begangen -wären. 
nun bieß bei der einen, wie bei der andern Satisfactions⸗ 
€ flnttfindet, fo iſt die eine neben der andern völlig über 
ig. Auch der gewöhnlich zwiſchen That⸗ und Unterlafs 
sſuͤnden gemachte Unterfchted kann bier nicht in Betracht 
men, indem nicht behauptet werden kann, daß die Erfte- 
der Strafe fih nur auf das begangene Böſe und nicht 


382 Il. Ber. 1. Abſchn. 3. Kay. 


auch auf das unterlafiene Gute beziehe, fofern ja aud bie 
Leiftung defien, was gefchehen follte, fich nicht blos das be 
gangene Böfe, ſondern auch das unterlaffene Gute bezieht 9). 

Zu ben beiden bisher erörterten Momenten, von welche 
das eine den von ber gewöhnlichen Theorie voraudgefehten 
Begriff der Gerechtigkeit, Da& andere den Satisfactionsbegrif 
ſelbſt betrifft, fommt noch als drittes Moment Hinzu, daf 
ſich auf feine Weife denfen läßt, wie Chriftus die von den 
gewöhnlichen Eatisfactionsbegriff geforderte Satisfaction ge 
leiftet hat. Beziehen ſich die beiden erften Momente auf die 
Möglichkeit der Sache an fich, fo betrifft das dritte die fal 
tiſche Wirklichkeit. Was an fih dem Begriff nach nicht mög 
lich ift, kann fi zwar ebendeßwegen auch nicht faktifch ver 
wirflicht haben, aber der innere Widerfpruch der Sache teilt, 
wenn es fich zugleich um ein in der Wirklichkeit gegebenes 
Saktum handelt, nur um fo Earer und anfchaulicher hervor), 
3. Sorinus fucht dieß zuerfi an dem leidenden, und dam 
auch an dem thuenden Gehorfam Chrifti nachzuweiſen. 

Die Strafe, welche die Menſchen für ihre Sünden wer 
dienten, ift der ewige Tod. Sieht man nun auch Davon ab, 
daß (was F. Socinus ſchon unter den Gründen gegen die 
Möglichkeit der Sache überhaupt geltend macht) °), da jeder 
Einzelne für fi) wegen feiner Sünden dem ewigen Tod wer 
fallen ift, Einer aber immer nur Einen ewigen Tod auf fih 


4) Prael. theol, &, 570. 

2) Prael. theel. ©. 571.: Ut rem cominus agamus, demus 
ipstus rei naturam neutri istarum satisfaciendi ratio 
num repugnare, nec legem aut decretum Det aliqued 
extare, quo prior illa ratio penitus exchudatur (dafür be 
ruft fi Socin auf Deut. 24, 16. und Ezech. 18, 4. 20.)5 
et quae fecerit aut passus fuerit Christus, diligenter per- 

pendamus, an scilicet ejusmodi fuertnt, es quibus satlı- 
factio isto manare potuerlt. 

3) Prael, theol. ©. 670. 


Die Lehre der Soeinianer.' 383 


nehmen Tann, ebenfo viele für fich felbft der Strafe des ewi⸗ 
gen Todes nicht unterworfene Stellvertreter feyn müßten, als es 
Renſchen gibt, die ſich ber Strafe des ewigen Todes ſchul⸗ 
big gemacht haben, fo hat doch Ehriftus in Feinem Falle den 
awigen Tod erbuldet, da er vom Tode wieder auferftanden 
R Es enifteht hier überhaupt ein Widerſpruch zwifchen bem 
Tod und der Auferftehung Chriſti. Wäre Chriſtus nicht auf- 
ekanden, fo wären wir von unfern Sünben nicht befreit 
(1&or. 15, 17.), hätte er uns aber fchon durch feinen Tod 
von unfern Sünden befreit, alfo fchon vor feiner Auferftehung, 
f wäre feine Auferflehung zur Vergebung unferer Sünden 
nicht nöthig gemein. Sagt man, er. habe deßwegen aufers 
Reben muͤſſen, damit, durch feine Auferfiehung der Beweis 
gegeben werde, er ſey derjenige geweſen, ber die Strafen un» 
ferer Suͤnden habe auf ſich nehmen Eönnen, fo läßt fich nicht 
einſehen, wie feine Auferſtehung dieß darthun kann, da Gott 
daſſelbe, was er Chriſtus bei ſeiner Auferſtehung ertheilte, 
auch jedem andern hätte geben können. Ebenſo unhaltbar ſey 
die Behauptung, daß Chriſtus durch feine Auferſtehung für 
uns den Tod habe überwinden müflen, da auch hier wieder 
berfelbe Widerſpruch entſtehe. Die Ueberwindung des Todes 
ſehe das ewige Leben in demjenigen, der uns befreien foll, 
voraus, während die genugthuende Strafe ben ewigen Tod 
effen, der genugthun fol, erheifche. Da nun in jedem Fall 
Shriftus den ewigen Tod nicht erlitten habe, fondern vom 
Lobe wieder auferftanben fey, und wenn er nicht auferftan« 
en wäre, die Vergebung unferer Sünden nicht bewirkt häts 
e, fo fey Far, daß er nicht auf dem Wege der Genugthuung 
de Bergebung unferer Sünden bewirkt habe. Geſetzt aber 
meh, er hätte den ewigen Tod erduldet, fo konnte doch er, 
ver Eine, ihn nicht für unendlich viele in derfelben Schuld ber 
inbliche erbulden. Berufen fich Die Gegner, um biefer Ein- 
wendung zu begegnen, auf den unendlichen, bie Schuld un⸗ 
ſerer Sünden fogar noch weit überwiegenden, Werth des Lei⸗ 


384 il. Ber. L Abſchn. 3. Kay. 


dend Chrifti, fo könnte es dieſen Werth nur wegen ber Wuͤr⸗ 
de feiner Perſon, oder wegen einer aus ihr hervorgehenden 
Wirkung, gehabt haben. Allein die Würde der Perſon künm 
bier nicht in Betracht kommen, da bei Gott Fein Anfehen der 
Perfon gelte, und bei gleichen Vergehungen die leichte Strafe 
einer würdigen Berfon Teinen höhern Werth habe, als bie 
ſchwere einer unwürbigen, ſomit auch Chriftus durch Erdul⸗ 
dung einer leichteren Strafe, ald wir wegen unferer Sünde 
verdienten, der göttlichen Gerechtigkeit nicht genuggethan ha⸗ 
ben würde. Gebe man aber auch zu, daß die Wuͤrde der 
Perſon eine leichte Strafe zu einer fchweren mache, fo müfe 
doch zwiichen den Strafen jelbft eine Proportion feyn. He 
finde aber gar Feine Proportion ſtatt, da nicht nur Chriftus 
für das Unendliche, Dad wir erbulden follten, etwas bios 
Endliches erbuldet habe, fondern auch beides feiner Befchaf 
fenheit nach etwas ganz verfchiedenes fey. Das Leiden Chr 
fi habe gar nicht den Charakter einer Strafe, da es für ihn 
der Weg zu feiner Herrlichkeit geweien jey. Ueberdieß wür- 
de, wenn- durch die Würde der Perfon Chrifti jenes Mikver 
hältniß ausgeglichen worden wäre, auf Gott ber Vorwurf 
der Härte und Grauſamkeit fallen, da er in jenem Fall auf 
ſchon mit der leichteften Strafe hätte zufrieden feyn können. 
Entweder muß alfo jenes Mißverhältnig durch die Würde 
der Perfon nicht ausgeglichen worden feyn, oder das Leiden 
Chrifti Hatte, wenn es von Seiten Gotied Fein ungerechtes 
geweſen feyn fol, nicht die Bedeutung einer ftellvertretenden 
Senugthuung, fofern e8 ſich nur auf ihn felbft bezog. Was 
aber die aus der Würde der Berfon hervorgehende Wirkung 
betrifft, jo Eönnte Diefe nur eine unendliche gewefen feyn. 
Ehriftus müßte alſo auch als Sott von Natur betrachtet wers 
den, als ®ott aber Fonnte er nicht leiden, und wenn er auf 
als Gott gelitten hätte, fo wäre einerfeits fein Leiden kein 
genugthuendes Leiden für die Sünden der Menfchen, für bie 
nur in der menfchlichen Natur felbft genuggethan werdet 


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Adam u a... 


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. Die Lehre der Socinianer. 385 


fonnte, geweſen, andererfeitS würde Daraus folgen, daß die 
göttliche Natur, deren Schuldner wir waren, fich felbft ge⸗ 
ggethan hat, was undenkbar ift, da niemand ſich felbft - 
genugthun kann. 

Von einem thuenden Gehorſam Chriſti kann nicht die 
Rede ſeyn, da Chriſtus für ſich ſelbſt Gott Gehorſam zu lei⸗ 
ſten verbunden war, ſeinen Gehorſam alſo nicht fuͤr andere 
leiſten konnte. Daß er ihn nicht für andere geleiſtet hat, 
iſt deutlich daraus zu ſehen, daß ſein Gehorſam fuͤr ihn ſelbſt 
eine ſeine Leiden und ſeinen Tod weit überwiegende Beloh⸗ 
nung zur Folge hatte. Wollte man aber auch annehmen, 
Chriſtus hätte für fich felbft Feinen Gehorfam zu elften ge- 
habt, fo ift doc) unläugbar, daß der Gehorfam eines Ein- 
jenen, wenn er auch noch fo vollfommen ift, immer .nur für 
einen Einzelnen genugthuende Kraft haben kann. Die Beru- 
fung auf die Würde der Perfon kann auch Hier nichts be⸗ 
weilen, da niemand einen vollfommneren Gehorfam Ieiften 
Ian, al3 wir zu leiften verbunden find. Ebenfo wenig fann 
von einer von der Würde der Perſon ausgehenden unendlis 
den Wirkung Die Rede feyn, Da die menſchliche Natur, von 
welcher der Gehorſam allein geleiftet werden kann und foll, 
feiner unendlichen Wirkung fähig ift, die VBorausfegung aber, 
daß die göttliche Natur, welche den Gehorfam verlangt, 
Flo aber nicht gehorchen oder ſich etwas verdienen Tann, 
die Kraft eines unendlichen Berbienfts mitgetheilt. habe, ganz 
ungereimt ift 9). 

Durch alle diefe Argumente ſollte das Satis faetionsdog⸗ 
ma in feiner. völligen Unhaltbarfeit dargejtellt, und insbe⸗ 
ſondere bein rechtfertigenden Glauben der proteftantifchen Lehre 
fein Objekt, das unendliche Berdienft des thuenden und lei» 
benden Gehorfams, durch welches allein das Verhaͤltniß des 
Menfchen mit Gott vermittelt werben kann, entzogen werden. 





1) Prael. theol. ©, 571-573. = 
Baur, bie Lehre von der Verfühnung. 25 


386 II. Ber. 1. Abfchn. 3. Kap. 


Die foeinianifche Dialektit hatte aber auch noch befondere Ar- 
gumente, mit welchen fie, nicht zufrieden bie objektive Seite | 
der Lehre von der VBerföhnung mit aller ihrer Kraft und Ge : 
wandtheit beftritten zu haben, fich auch noch gegen bie füb : 
jektive Selte derfelben wandte, um den Hauptfag des prote 
ftantifchen Lehrbegriffs, daß die Rechtfertigung des Menſchen 
in der Zurechnung der Gerechtigfeit Chrifti beftehe, zu wis 
derlegen. Auch. hier fehien ihr der Innere Widerſpruch und 
das Undenkbare der Sache Har vor Augen zu liegen. Sa⸗ 
tisfaction und Imputation der Satisfaction vermittelſt des 
Glaubens, behauptet F. Socinus, find widerſtreitende Ber 


griffe. Auf der einen Seite fol die Satisfaction objektiv ge 


ſchehen feyn, alfo eine von jeder fubjeftiven Bebingung un 
abhängige Realität haben, auf der andern Seite foll fie ihre 
objektive Realität nur unter der Vorausſetzung des Glaubens 
haben. Entweder ift fie alfo nicht objektiv geichehen, ober 
wenn fie objektiv gefchehen tft, bedarf es nicht erſt bes Glau⸗ 
bens zu ihrer objektiven Realität )y. Der Hauptpunkt dei 


1) De Jesu Christo Servatore P. IV. cap. 3. Bibl. Fr. Pol. T' 


T. II. ©. 217.: Simpliciter satisfactum fuisse, et fuls- 
se satisfactum sub conditione, adeo pugnantia sunt, u 
alterum ab altero necessario tollatur. Si credendum es 
set, non quidem satisfactum fuisse, sed id fuisse datum, 
quod satisfaciendi vim habeut, posset isthaec credend 
conditio locum habere, quae anteguam impleatur, actum 
ipsum satisfactionis jam perfectum esse nom arguit, ut 
altera illa facit. Id quod cum conditionis natura om- 


nino pugnat. Sed cum, jam satisfactum fuisse, credere 


debeamus, nulli conditioni est locus, et jam satisfactio- 
nis actum perfectum fuisse prorsus necesse est. Pug- 
nantia igitur omnino loquitur enunciatum (per fidem 
imputari nobis satisfactimem Christi). Dum entm di- 
eit, credendum esse, Christum pro peccatis nostris sa- 
#s fecisse, jam anteguam credamus, re tpsa pro wobls 


Die Lehre der Socinianer. 387 


guments, das F. Socinus in verfchledenen Wendungen ber 
chlichen Satisfactionslehre mit befonderem Rachdrud entges 
ngeftellt: hat, ‚liegt in dem Vorwurf, daß fie den Menfdhen 
ein völlig..paflived Verhältnig zu dem Werke ber Erlöfung 
je, daß, der Objektivität der von Chriſtus an ber Stelle 
8 Menſchen geleifteten Genugthuung gegenüber, alles, was 
if bie fubjektive Seite fallen follte, feine Bedeutung völlig 
sliere. Es iſt demnach hier wieder ein Punkt, auf wels 
em das fubjektive SIntereffe, das dem Socinianismus über- 
mpt eigenthümlich ift, in feiner ganzen Macht hervortritt, 
7 ©egenfab der beiden Standpunfte, die ſich in ihrem Un⸗ 
hiede auseinanderfegen, ded Stanbpunfts ber Objektivität 
ih des Standpunfts ber Subfeftivität. Je objeftiver Die 
atiöfactionglehre die Erlöfung und Berföhnung bes Men⸗ 
en mit Gott als einen außerhalb bed Menfchen gefchehenen 
t auffaßt, defto bedeutungslofer wird der Menfch ald Sub- 
t Was bleibt ihm felbft durch feine eigene Thätigkeit noch 
thun übrig, wenn alles, was feine Verföhnung mit Gott 
ordert, an fi) fchon, ganz unabhängig von ihm, geſche⸗ 
n ft? Die focinianifche Polemik blieb jeboch nicht einmal 
bei ftehen, fie ging noch einen Schritt weiter, nicht blos 
m bedentumgslofen, und fchon Dadurch jedes fittlichen Werths 
bloͤßten Subjeft fhien der Menfch durch das Satisfactions⸗ 
gma  berabzufinfen, auch der pofitiven Unfittlichfeit follte 


sattsfactum.fulsse, aperte affirmat. Dum vero dicit, per 
, Islam fidem nohis satisfactionem illam tribui, satisfac- 
‚tum re.ipsa'pro nobis fuisse,. antequam eredamus, non 
. sinus aperte'negal.. F. Socinus bemerkt felbft über feine 
Argumentationsweiſe: Si -subtilius aligquanto, quam opus 
. esse, videretur, quaedam a nobis disputata sunt, non 
 diiam ob tausam id factum, full, quam ut nihil prorsus 
sans esse in toto hoc westro de salute, nobis per Christi 
satisfactionem parta, commentitio corpore upertisstme 
constaret. 


25* 


388 1. Ber. I. Abfchn. 3. Kap. 


dadurch offener Raum gegeben ſeyn. Dieſer Borwurf 
der Firchlichen Lehre fowohl in dem Rakauer Katechismr 
als auch von F. Socinus felbft in ber härteften Forı 
macht. Da Ehriftus für alle Sünden der Menfchen, ſi 
in ber Vergangenheit, als in der Zufunft ber göttlicher 
rechtigfeit die vollfommenfte Genugthuung geleiftet hab 
fey nicht bIo8 Feine andere Genugthuung, fonbern auch 
einmal Heiligung des Lebend nothwendig. Da aber ı 
wohl die Schrift fo nachdruͤcklich einfchärfe, daß ohne eh 
lich reines‘ und heiliged ‚Leben niemand am Reiche ( 
theilhaben könne, fo fey man auf jene imputative Gere 
feit gefommen, bei welcher man al8 gerecht und heilig 
obgleich man ſich noch iminer im Dienfte der Sünde be 
So ergebe ſich aus der proteftantiichen Lehre von der Zi 
nung der Gerechtigfeit die unläugbare Folgerung, daß 
ohne wahre und wirkliche Heiligkeit des Lebens glit 
felig werden könne °). 


1) Quaest. 393. 

2) De Jesu Christo Serv. a. a. O.: Repugnant inter se 
duo: satisfieri pro peccatis suis, et ideo justum cei 
quod sibi alterius justitia imputetur, aut certe al 
trum supervacaneum omnino est. Facile autem a 
cor, ut credam, istius imputationis, qui inter vos 
praecipuos fautores, in ea asserenda, ad id poltissi 
respexisse, ut ejus vi ea vitae innocentia nobis adsı 
tur, quam, si partem in Christi regno habere debe 
in nobis esse necesse est. Quamvis enim, si Christus 
nissime morte sua, pro omnibus delictis nostris, 
praeteritis sive futuris, divinae justitiae satisfecit. 
modo alia praeterea satisfactione, sed nulla etiam 
sanclitate opus esset (praesertim si, ut vos affım 
aliud ad eam satisfactionem participiendam in 

non requiritur, quam ut, id verum esse, firmiter cı 
mus), tamen cum sacrae literae passtm clament, 


Die Lehre der Socinianer. 389 


Einem fo kuͤhnen und tiefeindringenden Angriff gegen- 
er erfcheint die abwehrende Polemik ber proteftantifchen 


in nobis requiri, ne ut re ipsa, sic etlam verbis divinae 
veritati sese palam opponerent, et plane impii videren- 
tur, non aust sunt negare, eum, qui Christi regni par- 
ticeps sit futurus, vitae sanctimonia revera praeditum 
“esse oportere. Sed interim, ut per speciem sanclimoniae 
"" sitae stabiliendae omnis vera sanctitas convelleretur, ab 
‚ Iumani generis hoste versulissimo persuasi, imprudentes 
-. Sstam imputationem justitiae Christi excogitarunt, per 
guam scilicet nobis, licet adhuc peccati servi simus, ea 
sanctimoniä ascribatur. — Quo quid dici vel absurdius 
vel detestabilius potest? Christus vitam et sanguinem 
suum profudit, ut nos peccatis defuncti justitiae viva- 
mus (1 Petr. 2, 24.), et vos affirmare non erubescitis, idee 
eum mortuum esse, ut nobis, quantumvis injustis, ejus ju- 
"stitia imputetur? Neque est, quod dicatis, immo vos 
quoque in iis, qui Christi Narticipes censendi sint, vitae 
»ovitatem requirere, et bona opera, utpote ipsorum fidei 
necessarios fructus, in illis abunde conspici, affirmare. 
Nam cum ea, quae Paulus Ep. ad Rom. c. 7. ac si de 
se ipso loqueretur , scribit, ad eos, qui jam Christo in- 
siti sint, omnino referri debere, cuntendatis, salis osten- 
ditis, illam vitae novitatem istaque bona opera, non re 
ipsa, sed per imputationem in nobis esse debere, vobis 
persuasissimum esse. — Quocunque igitur vos vertalis, 
segare non potestis, ex doctrina vestra: conchudi, non 
opus esse, ut in lis, qui servandi sunt, vera aliqua vi- 
tae sanctimonia reperialur, sed impulativam sufficere, 
et eos, qui Christo sunt insiti, sine bonis operibus esse 
posse, immo quoad in hac mortali vita fuerint, peccati 
mancipia perpetuo esse. — Ex quo illud verum esse ap- 
paret, istam Christi justitiae Imputationem propter id 
praecipue a vobis sive adinventam sive arreptam fulsse, 
ut hac vitae emendationem.,. quam ubique Dei spiritus 
üs, qui Christi beneficlum participare volunt, disertis 


‘ 


« 


390 Il. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap. 


Theologen ziemlich matt und ungenügend, ba fie im Ganzen 
nur bie angegriffene Thefe zu wiederholen wußten, und dk 
Folgerungen, die der Gegner aus ihr 309, fo viel möglid 
abzufchneiden fuchten, ohne ihr eine tiefere und umfaſſendere 
Begründung zu geben. Sie machten für ſich geltend, ba} 
bie ftrafende Gerechtigkeit eine ebenfo weſentliche Eigenfchaft 
Gottes fey, ald die Barmherzigkeit, ohne daß. deßwegen in 
der abjoluten Einfachheit des göttlichen Weſens irgenb ein 
Widerftreit vorauszuſetzen ſey, daß aber in Beziehung auf 
den Menfchen die Harmonie: dieſer beiden Eigenfchaften nır 
durch die Satisfaction Chriſti bewirkt werden Tönne, und erw 
innerten aufs neue befonders daran, daß das Leiden Chrifl, 
ungeachtet feiner endlichen Dauer, wegen ber perfönlichen Ein @ 
heit der göttlichen und menfchlichen Natur einen unenbliden : 
Wert habe *), Am meiften aber vertrauten fie auf die - 

verbis praecipit, atyque praescribit, a vobis.re ipsa Inde 

stirpitus evalsam in. hnminibüs inserere videamini. Nom. 

guod: attinet ad .satisfactionem, salis erat escogitasse,.. 

Christum morte sua omnes peccatorum nostrorum poe- 

nas: persolvisse, Derfelbe Vorwurf, welcher in der neu 

ften Zeit: von den Fatholifchen: Gegnern der. proteftantifchen 

. Lehre gemacht wird; Man ogl. Möhler’s Sumbolik. Bierte 
Aufl. 1836. ©. 133. f. und meine Schrift: Der Gegenſatz des 
Kathoblieismus und Protefantismus. Zweite Ausg. 183%. 
&.275:f. Der Unterfchied ifi nur, daß Möhler den Begrif 
der imputatio überhaupt,. Sotin nur den Begriff der Im- 
putatio justitiae Christi beftreitet. 

1) Man vgl. hierüber Gerhard Loci theol. Loc. XVII. cap. 2. 
$, 35:-f., mo „Infaustus ie Faustus Socinus, Neo-Phoii- 
nianorum: npouazos“ fehr ausführlich-widerlegt wird, 6. 47.f. 
©. 47.f. Nicht übel wird jedoch ©, 48. gegen den foris 
nianifchen Begriff: der Gerechtigkeit bemerkt: Se em nudo 
Det beneplacito, non: autem: ex immutabili Dei justitia 

 realus, stoe obligatio peerantis ad poenam, profuit, se- 
queretur in eonspectu Det ejusdem valnris esse pecenlum 





Die Lehre der Socinianer. 39 


Stärfe ihrer eregetiichen Beweiſe, und glaubten bier ihrer 
atfehiebenen Ueberlegenheit jo gewiß feyn zu dürfen, baß fie 
och nicht ahneten, auf welchem unficheren Boden fie ſich ge- 
ide in biefer Beziehung ihren gewandten Gegnern gegen⸗ 
ber befanden *). Es kann den Sorcinianern, fo groß auch 
we bekannte Willfür in ber Eregefe ift, das Verdienſt nicht 
Mritten werben, auch in Hinſicht der eregetifchen Vermitt⸗ 
mg und Begründung des Dogma’s eine neue Bahn gebro- 
en, und die Möglichkeit eines neuen, von dem bisher zu 
usſchließlich behaupteten wefentlich verfchlebenen, exegetiſch⸗ 
ogmatiſchen Standpunkt dargethan zu haben, und wenn 
wen überhaupt dieſes Verdienſt zugeftanden werben barf, fo 
ann es ihnen gewiß am wenigften in Anfehung des Satis- 
actionsdogma's abgefprochen werben 2). Der Zweck unferer 
Morifchen Unterfuchung geftattet nicht, in bie Leiftungen der 
ocinianiſchen Exegeſe für unfer Dogma näher einzugehen, es 
aan hier nur das Allgemeinfte kurz angedeutet werden. 

5. Socinus theilt 3) Die Lehre von der Satiöfaction be- 


et non peccatum, imo nihil esse per se peccatum, sed 
tantum pro arbitrio voluntalis peccatum aestimari, nec 
saturae Dei tllud adversarlı Der Zufammenbhang mit der 
Unficht des Duns Scotus (f. oben ©. 265.) if bier richtig 
erkannt. 

1) Dan vgl. 3. B. nur den syllogismus generalis, welchen 
Gerhard a. a. D. 6. 37.f. S. 35. dieſan Neophotinianern 

. entgegenfekt. 

2) Wan ogl. die treffenden Bemerkungen Bengel’s (Ideen zur 

hiſtoriſch⸗analytiſchen Erklärung des foeinifchen Lehrbegriffs) 
im Flattifch » Süskind’fchen Magazin für Dogm. u. f. w. 
XV. ©. 110. f. befonders &. 150. f. 

3) Prael. theol. cap. 19. ©. 573. Die eregetifche Unterfuchung 
der betreffenden Stellen macht den Inhalt dieſer Schrift von 
cap. 19—29. S. 573—600. aus. Noch ausführlicher behan⸗ 
delt Socin diefen Gegenſtand im zweiten Theil der Schrift 
De Jesu Christo Serv. Bibl. T. II. ©. 140. f. 


39 IL. Ber. L Abſchn. 3. Kap. 


treffenden Stellen in folgende vier Glaffen: 1.-in folde, in 
welchen von der Erlöfung durch Chriftus und jein Blut die 
Rede ift, oder davon, daß er fich oder fein Leben zum Loͤſe 
geld für und gegeben habe; 2. in folche, in welchen gejagt 
wird, Chriftus fey für und und unfere Sünden, oder wegen 
unferer Sünden geftorben; 3. in folche, nach welchen Chriftus 
unfere Schmerzen und Sünden auf fi genommen, und an 
feinem Leibe getragen hat; 4. ſolche, die Chriſtus als Opfer 
barftellen, oder ihn mit den Opfern und dem Hohenpriefer 
des A. T. vergleichen. In die erfte Klaſſe gehören bie Aus 
brüde Avro&v, Avrosodeı, anolvrosv und bie ihnen en 
fprechenden, die ſich zwar auf den Begriff eines Löfegelb : 
beziehen, aber auch, wie Socin fehr leicht zeigen Fonnte, uns 
eigentlich, metaphorifch, gebraucht werden, ohne daß an ein 
Löfegeld gedacht werden kann. Es Fanri daher auch aus al 
len Stellen diefer Art nichts für die Satisfactiond = Idee ger 
ſchloſſen werden. Bei den Stellen der zweiten Klaſſe fuchte 
Soein zu zeigen, daß Sterben wegen der Sünden ober fir 
die Sünden eines andern foviel fey, als Eterben aus Urſa⸗ 
che oder Beranlaffung der Sünden. So fterbe doc; ohne 
Zweifel, wer deßwegen fterbe, damit einer von den Suͤnden 
abgehalten werde, und der Glaube in ihm entftehe, wenn et 
zu fündigen aufhöre, werben ihm feine Sünden vergeben wer 
den. Werde daher ivon Chriftus gefagt, er fey für unter 
Sünden geftorben, fo werde damit zwar ein auf unfere Sins |} 
den fich beziehender Erfolg ausgebrüdt, aber Fein anderer, ja 
ald der fo eben angegebene, So ftarb Chriftus für uns, zu 
unferm Beften, Damit wir von der Sünde zurückgebracht, und T 
der Vergebung derfelben theilhaftig, die von ihm angekün 
digte Seligfeit erlangen. Nur den Endzweck aljo, Die cau- 
sa finalis, nicht aber eine Stellvertretung werde in einem 
folchen Zufammenhang durd) die Präpofition vurzdo angezeigt) 


1) Ueber die Präpofition kr: Matth. 20, 28. wird von Soc 





\ 


Die Lehre der Socinianer. 393 


Daß aber Chriftus, wie die Stellen der dritten Klaſſe fih 
ausdrücken, alle jene Stellen, deren Typus die Stelle 1 Betr. 
2,24. it, unfere Sünden getragen habe, ſoll nur foviel hei- 
fen, er habe unfere Sünden dadurch hinweggenommen, daß 
er und durch feine moralifhe Wirffamfeit von denfelben bes 
freite. Wenn in der heil. Schrift von der Vergebung, Hin- 
wegnahme der Sünde Die Rede ſey, jo fey Dieß fo oft nur 
von der Abficht Gottes zu verftehen, und Suͤndenvergebung 
zu ertheilen, wenn wir fie wirflich annehmen, und das Unfe- 
tige dabei thun. Gebe man auch zu, daß in Stellen, wie 
€. 53, 6. jene Formel wirklich bedeute, Chriftus habe unfere 
"Eünden auf fi) genommen, getragen, fo folge doch Daraus 
noch nichts für die Satisfactionslehre, da es gewöhnlicher 
Sprachgebraud, fey, Daß von einem, welcher aus Veranlaf- 
fung der Sünden eines andern zu leiden hat, gefagt wird, 
er trage Die Sünden deſſelben und nehme fie auf fi, ohne 
daß Dabei irgend eine Satisfaction ftattfinde. Was endlich 
die Bergleichung Chrifti mit den Opfern und dem Hohen 
priefter des A. T. betrifft, fo zeigt Socin fehr ausführlich, 
dag die Opfer des A. T. weder reell noch ſymboliſch ftellver- 
tretend, fondern nur gewiße Bedingungen gewefen feyen, an 
welche Gott die Sündenvergebung geknüpft habe, fo daß nad) 
vollbrachtem Opfer die von Bott zuvor ſchon beichloffene Aus⸗ 
föhnung eintrat: ebenfo folge auf Chrifti Tod die Befreiung 
von der Schuld unferer Sünden, obgleich auf fehr verfchledene 
Weife Y. Mit dem Hohenpriefter des A. T. werde Chriftus 


De Jesu Christo Serv. P. II. cap. 8. ©. 155. bemerkt: 
Metaphorica haec commutatio facta est, quod Christus 
animam suam dedit, et nos recepit, id est, a peccati ser- 
vitute liberatos sibi asseruit. 

4) Der Unterfchied befteht, wie ihn Soein De J. Chr. Serv. 
P. II. Cap. 17. ©. 169. beſtimmt, hauptfächlich darin, 
quod sacrificia illa, quamvis divinis promissionibus ro- 


4 


396 1. Ber. l. Abſchn. 3. Kap. 


Verſöhnung des Menſchen mit Gott, wird durch einen ein⸗ 
fachen Akt ſeines Willens bewirkt. Aber von dieſem äußer⸗ 
ſten Punkte aus, auf welchem, als dem direkteſten Gegen⸗ 
ſatz gegen jenen andern, die Verſöhnung als einen rein ob⸗ 
jektiven göttlichen Akt auffaſſenden Standpunkt, das Princip 
der Subjektivität in ſeiner ganzen Macht, aber auch in ſei⸗ 
ner ganzen Willkür ſich offenbart, wendet er ſich nun auch 
ſogleich wieder der Objektivität zu 9), und es iſt fein angele⸗ 
gentlichfte8 Beftreben, jenem Afte der Subjektivität einen fo 
viel möglich objektiven Gehalt zu geben, und alle Momente, 
durch welche das chriftliche Bemwußtfeyn, foweit ed vom Sa⸗ 
tisfactionsdogma gefrennt werben kann, die Berföhnung mit 
Gott objektiv vermittelt werden läßt, fich gleichfalls zuzueig⸗ 
‚nen. Dieß gefchieht auf doppelte Weile, fowohl in Hinfict 
ber Bedingung der Sündenvergebung, als auch in Hinſicht 
der Simdenvergebung feldft. 

Die Bedingung der Sündenvergebung ift Die Neue oder 
Sinnedänderung. Sie nimmt im focinianifcyen Syftem bie 
felbe Stelle ein, welche im proteftantifchen der Glaube hat, 


1) Es fey Elar, fagt $. Sorinus De J. Christo Serv. P. II. 
c. 2. ©. 192. in einer Stelle, in welcher der oben bemerkte 
Sufammenhang des Subjektiven und, Objektiven ſich befon 
ders Deutlich zu erfennen gibt, daß Gott zu unferm Heil 
vermöge feiner Gnade nichts weiter verlange, als poeniten- 
tiam et vitae correctionem, nom quidem quamlibet,. sei 
eam, quam nobis, ipso mandante praescripsit Christus. 
Wenn bisweilen, wie Apg. 20, 21. neben der Reue auch 
der Glaube genannt werde, fo gefchehe Dick, non quia prae- 
ter ipsam poenitentiam, fides in Christum, tanguam 
aliquid amplius, quod huc pertineat, in nobis efficien- 
ad peccatorum remissionem conseguendam requiratw 
(alioqui quomodo alibi soli poenitentiae peccatorum re- 
missionis adeptio tribueretur?), sed quia nonnisi per ſi 
dem in Christum ista poenitentia contingit. 

\ 


Die Lehre der Sorinianer. 397 
Während aber der Glaube im proteftantifchen Sinm zunächft 


. ne infofern eine Richtung nach außen nimmt, fofern er die 


Gerechtigkeit Chrifti ergreift, und ohne fich praftifch zu äu⸗ 
bern, an ſich ſchon das Princip der Rechtfertigung in fich 
hat, läßt Dagegen der Sorinianismus die Reue unmittelbar 
im den durdy die Beobachtung der göttlichen Gebote praftifch 
fi erweifenden Gehorfam übergehen, und es gilt ihm ale 
höhfter Grundſatz, daß der fittliche Werth des Menfchen nur 
in der Rechtichaffenheit des Lebens beftehen Tönne. Das In⸗ 
nere muß fich äußerlich praftifch bewähren, wenn das Sub« 


fektive objektive Realität haben fol. Aber auch der Gehor- 


ſam ſelbſt erhält feine objektive Realität erft Durch das chriſt⸗ 
lihe Gepräge, das ihm der Glaube gibt. Daher find Glau⸗ 
be und Gehorfam im focinianifchen Syſtem identifche Ber . 
griffe. Ohne den praftifch fich bethätigenden Gehorſam wäre‘ 
dee Glaube leer. und ohne beftimmten Inhalt, dem Gehor- 
kam felbft aber würde ohne den Glauben die Richtung auf 
das durch Chriſtus erworbene Heil, die chriftliche Sorm und 
das chriftliche Princip, fehlen *). Je größeres Gewicht aber 


1) Man vgl. über das Verhältniß diefer beiden Begriffe befons 
ders die Theses de causa et fundamento in ipso homine 
ejus fidei in Deum., qua hominem justificari, sacrae li- 

_ terae testantur. Bibl. Fratr. Pol. T. I. ©, 627. Th. VI. 
E» firma persuastone, quod Deus sit, id est, quidam 
.summus omnium Dominus et moderator, quodque is rec- 
ta sectantes et prava vilantes remuneretur, necessario 
praeter voluntatem egregiam recta faciendi et prava vi- 
tandi ipse effectus consequitur, et quia Deus recta fiert, 
prava autem vitari jubet, idyue ut agnoscant, effieit, qui- 
buscunque sua praecepta dederit, atque insuper unus- 
quisque per se agnoscit, rectlum esse, Deo obedire, et 
pravum, non obedire, idcirco necesse est, ul, qui ita, ut 
diximus, persuasus fuerit, is a Deo sibi data praecepta 
faeiat eique obediat. Th. VII. Quoniam vero persuasio- 


398 U Per. L Abſchn 3. Kap. 


auf den Gehorfam als ypraftifchen Religionsglauben, fomit 
auch auf die Werfe, durch die ſich der Glaube praktiſch er⸗ 
weifen muß, gelegt wird, deſto ausfchließlicher fcheint. das 


Princip der Rechtfertigung und Verföhnung nur in das eige⸗ 


ne Thun des Menfchen, in feine Subjektivität, gefegt zu wer- 
den, defto auffallender alfo auch der Widerfpruch zu feyn, in 


welchen diefe Theorie mit Der paulinifchen Lehre von dem 


Glauben und den Werfen fommt. Daß die Werfe rechifer 


„-k... ı - 


1 


tigende Kraft haben, läugnet Socin nicht, da fie ja nuria . 


der Vorftellung vom Glauben getrennt werden können, a 
ſich aber ver Glaube felbft find, aber er glaubt demungeach⸗ 
tet den paulinifchen Gegenfat des Glaubens und der Werk 
fefthalten zu können, da’ fowohl der Glaube, als bie Werk 
aus einem doppelten, wefentlich verſchiedenen, Gefichtspunft be 


u. Ben — 


trachtet werden müffen. Auf der einen Seite find ed zwar 
nur Die Werke, durch welche der Glaube feinen Innern objl 


ne ista et obedientia ea fides in Deum continetur, u ' 


sacrae literae hominem 'coram Deo justificari testantır, 
jam satis ex praedictis constare potest, quaenam in ip- 
so homine hujus fidei sit causa et fundamentum, nempe 


recta faciendi et prava vitandi amor ac studium. Glan 


be und Sehorfam verhalten fich alfo wie Form und Inhalt. 
Henn Socin felbfi De fide et operibus Bibl. Fr. Pol. T.l. 
©. 623. den durch Werke fich bethätigenden Glauben die 
Ausführung und Vollendung, gleichfam die Form des Glas 

bens (e#secufio ac perfectio et tanguam forma Ipstus f- 
dei nennt), fo iſt bier die Form in demfelben Sinne 4% 
nommen, in welchem im fatholifchen Syſtem die Fiebe das 
formirende Prineip des Glaubens heißt, d. h. die Form il 

das Beftimmende, dasjenige, wodurch das Abftrafte etwas 
Eoneretes wird, dieß ift aber eigentlich nicht die Form, fon 
dern der die an fich leere Form erfüllende Inhalt, wepne 
sen Soein die Form auch’ das complementum nennt; di 
Slaube erhält durch die Werke suum complementum ed 
quasi formam a. a. D. ©. 626. 


\ 


Die Lehre der Sociniamer. 399 


tiven Werth erhält, auf der andern Seite aber fehlt auch 
wieder den Werken der zureichende innere Werth. Betrachtet 
man die Werke für fi, fo daß das ihnen Gegenuͤberſtehen⸗ 
de nur das göttliche Gefeg ift, das durch fie erfüllt werden 
fol, ald die Norm, welcher die Werke entjprechen müffen, 
fo können: die Werke nicht für rechtfertigend gehalten werden, 
weil es feinen dem Geſetz vollfommen adäquaten Gehorfam 
‚gibt, und das Mißverhaͤltniß zwiſchen demjenigen, was Die 
Werke an fi) in der Wirklichkeit find, mit demjenigen, was 
fe nach der Rorm des göttlichen Geſetzes find, auf diefe Weiſe 
sie aufgehoben und ausgeglichen werden kann. Aber es iſt 
die nur der eine Gefichtöpunft, aus welchem die Werke zu 
beirachten find, unter einen ganz andern Geſichtspunkt wer- 
dan fie Dagegen geftellt, wenn man ſich zwar jenes Mißver- 
haͤltniſſes zwilchen den Werken und dem Geſetz bewußt ift, 
ebendarum auch das Beduͤrfniß der göttlichen Gnade aner- 
famen muß, aber damit auch das Vertrauen verbindet, Gott 
werde und, ungeachtet jened Mipverhältnifies, für gerecht er- 
Hären, und fo anjehen, wie wenn wir nicht gefündigt hät- 
tm. Der Glaube, das Vertrauen auf die fündenvergebende 
Gnade Sotted ift demnach die nothmwendige Ergänzung, bie 
zu ben Werfen hinzufommen muß, fie ftehen, dem Bofltiven 
des Glaubens gegenüber, nur in einem negativen Verhältniß 
ur Rechtfertigung, aber dieſes Verhälmmiß des Negativen und 
—— wird ſogleich wieder das Umgekehrte, da der Glau— 

be ſelbſt nur eine inhaltsleere Form wäre, wenn er nicht 
durch den werkthaäͤtigen, zwar immer unter dem Geſetz blei⸗ 
beaben, aber doch ganz Gott fi hingebenden Gehorſam ſei⸗ 
un beftimmten Inhalt erhielte 4). Mit Recht kann Socin 


N} Respondeo, fo erflärt fich hierüber F. Soeinus am befimm- 
teſten in der Abhandlung De fide et operibus ‚ quod atti- 
net ad justificationem nostram Bibl. Fr. Pol. T. I. ©. 623., 

me, quod ad opera attinet, quae fidem antecedunt, nul- 


400 u. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap. 


den Broteftanten die Frage entgegenhalten: weldyer Unter 
fehteb denn noch zwiſchen dieſem rechtfertigendem Gehorfan 


lam eis efficactam ad vitam aeternam justificandi tri- 
buere. Nec sane poterat a me aliud responsum exsper- 
tari, cum concedam, sine Christi fide nemini vitam «.- 
ternam posse contingere. Quod tamen eatenus intellid 
volo, quatenus sub Novo Testamento sumus, nobisque pa- 
_ tefacere Deo est visum. De eo enim tempore, quo Te 
stamentum Vetus viguit, deque Dei arcanis nihil loqur. 
(Bon denen, die unter dem A. T. von Gott für gerecht er 
Färt worden find, fagt Sorin a. a. D. ©. 620.: Isti nm 
' per ipsam legem, sed per fidem sunt servati, quatenu 
Det praecepta servantes, quamvis interdum laberentw, 
plane ostendebant, idque reipsa praestabant, se Deo con 
: fidere. Diefes confidere Deo wird im. T. zu einem con- 
fidere Deo per Christum a. a. D. ©. 622.) FPossunt qui- 
dem opera, quae fidem praecedunt, guempiam aliqis 
ratione Deo gratum efficere, verum non satis sunt, u 
quis aeternam salutem .consequatur, eaque ratione justi- 
ficetur et Deo sit gratus, quam hoc loco intelligimus. i 
— Porro, quod attinet ad opera, quae Christi fiden 
subseguuntur, si de vera et propria subsecutione loqui- 
. mur, ita ut opera sint quiddam re ipsa a fide distin- 
tum, haec Christi fides nihil aliud erit, quam prior ila 
fides, hoc est, credere, Jesum revera esse Christum De 
Filium etc., opera vero erunt reipsa posterior illa fide, 
hoc est, ipsi Christo confidere. Quamobrem haec opers 
efficaciam habebunt justificandi coram Deo ad vita 
aeternam, non quidem ut opera, sed ut fiducia, quat 
per Christum in Deo collocetur, et quia Deus pro boni- 
tate sua ita vult. Nihil autem absurdi in eo est, que 
istis operibus, non autem fidei illi, quae ipsa antecedit, 
Justificatio ista ascribatur. Non enim propterea negu- 
tur, nos fide justificari, siquidem jam dictum est, et 
opera ista aliud nihil reipsa esse, quam fidem, id est 
fiduciam» et fidem illam, quae eis re ipsa praecedit, om | 


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Die Lehre der Socinianer. 491 
»d Dem rechtfertigenden Glauben ihres Syſtems feyn 


esse revera eam fidem, quae nos Deo ad vitam aeternam 
gratos efficit. At vero, si de quadam subsecutione lo- 
quimur, non vera nec propria, sed tantum, ut loquun- 
tur, per viam intellectus, ita ut opera a fide re ipsa 
non distinguantur, tunc Christi fides, guam opera sub- 
, sequentur, aliud nihil erit, quam ipst Christo confidere, 
guod sine dubio coram Deo justificandi vim habet, et 
consequenter opera ipsa justificant, quatenus executio 
sunt ac perfeclio, et tanguam forma ipstus fidel. — | 
Constat (aus der zuvor citirten Stelle Jac. 2, 21.), opera 
sequaguam simpliciter esse fidei fructus, ut vulgo cre- 
ditur, sed fidei formae perfectionem indere, et vitam, ut 
stc dixerim, tribuere. Itaque vides, quomodo et cur di- 
cam, opera, quae fidem subsegquuntur, efficaciam .habe- 
“re justificandi coram ipso Deo, idque divinarum litera- 
rum testimonio. Quare cum Paulus negat, opera coram 
Deo justificare, ea considerat, non quidem ut ezecutio- 
‚nem ac perfectionem et quasi formam fidet, id est fidu- 
eiae, quae in ipso Deo collocetur, per quam Deus homi- 
nem justificat, nec ul conjunceta cum bonitate ac pro- 
missis divinis, sed, quemadmodum ex ipsiusmet verbis 
Hiquet, ea per se ipsa considerat, atque ut facta legis 
implendae causa, ex quo fieret, ut merces darelur non 
ex gratia, sed ex debito, ac propter vim ac dignitatem 
ipsorum operum. Nam si quis hac ratione coram Deo 
justificari velit, oportebit eum nunquam ne minimum 
‘ quidem pcccatum coram ipso Deo committere. — For- 
malis igitur (ut ita loguar) justificatio nostra coram Deo 
fuit, et semper erit, propter carnis nostrae infirmitatem 
remissio peccatorum nostrorum , non autem impletio di- 
vinae legis, quod. Paulus operari vocat. Verumtamen 
nulli reipsa conceditur remissio ista, nisi Deo confisus 
fuerit, seque ipai regendum ac gubernandum tradiderit. 
Ex quo, guamvis antehac Dei praecepta aut contemne- 
ret, aut minime conservaret,, vel eliam nondum perfecte 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. 26 


404 I. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap. 


rechtigfeit, die der Glaube zu feinem Inhalt bat, wird, da 
ein folcher Gegenſatz bier gar nicht eriftirt, Feiner andern Ge⸗ 
rechtigkeit etwas entzogen. 

Gerechtfertigt und verföhnt mit Gott weiß ſich demneh 


der Menſch mit Gott, wenn er das praftifch lebendige Ber : 


trauen zu Gott hat, baß er ihm feine Sünden vergeben und 
das ewige Leben ertheilen werde. Je mehr dieſes Bertraum 
ſich praftifch erweist, befto mehr darf der Menſch des Dh 
jekts derfelben gewiß feyn. Aber auch Dadurch würbe es fer 
ne objektive Realität noch nicht erhalten, wenn es nicht anf 
einer göttlichen Erklärung und Verheißung beruhte. Seine 
objektive Realität hat daher das Bewußtſeyn des Menſchen 





nn Az 


von feiner Berföhnung mit Gott nur darin, daB es den Glaw | 
ben an Chriftus, ald den Mittler zwifchen Gott und ber -- 


Menfchen in fich fchließt, und zwar in doppelter Hinficht, for 
fern einerfeitS ohne die durch Chriftus gegebene Verheifung 
der Sündenvergebung dem Vertrauen auf die Gnade Goties 


bie Gewißheit fehlt, und andererſeits der Gehorſam, duch 
welchen fich dieſes Vertrauen bethätigen fol, nur der Gehor⸗ 
fam gegen den durch Chriftus geoffenbarten Willen Gottes 
feyn Tann. Da von dem lehtern, als der fubjeftiven Bed 


gung der Sündenvergebung, ſchon die Rede war, fo fragt fh | 


hier nur noch, wie durch Ehriftus die Sündenvergebung felbk 


vermittelt wird? So ſehr das focinianifche Syftem allem auf 5 


bietet, die Vermittlung durch Chriftus, fofern fie in der Sa 
tisfaction beftehen foll, zu entfernen, fo angelegentlich bemüht 
es fih, auch auf feinem Standpunft die Verfühnung bed 
Menſchen mit Gott auf eine wahre und reelle Weiſe durch 
Chriſtus vermittelt werden zu laffen. Da es aber feinem 
Prineip zufolge das Hauptmoment immer wieder in die Sub 
jeftiottät des Menſchen felbft legt, fo gibt e8 auch allem Ob 
jeltiven der die Verföhnung des Menfchen mit Gott vermit 
telnden Thätigkeit fogleich wieder eine fubjeftive Beziehung, 
Bermittelnd in dieſem Sinne wirkt Chriftus auf verfchlebene 


ws 2 dr 


Die Lehre der Socinianer. 405 


Weile. Da alles, was ſich auf die Satisfactions⸗Idee bes 
seht, hinwegfaͤllt, Gott demnach nicht erſt faktiich verföhnt, 
fonbern nur als der an fich verföhnte oder gnädige. dem Dien- - 
ſchen zum Bewußtſeyn gebracht werben darf, fo Eann an die 
Etelle der fatisfactorifchen Thaͤtigkeit nur die anfündigende 
iseten (an die Stelle des hohepriefterlichen Amts im gewöhn- 
Ihen Sinne das prophetifche). Daß Chriftus den Menfchen 
bie Verheißung der Sündenvergebung und des ewigen Lebens 
‚guber,.derv Bedingung der Reue und Befferung gebracht habe, 
WM das Erſte und Wefentlichfte, was nach: der focinianifchen 
Lehre zum Begriffe des Mittlers oder Erlöfers gehört. Da 
‚ber Erlöfer nur tft, wer, wenn auch nicht die Strafe und 
Schuld der Sünde, doch die Sünde felbft faktiſch und reell 
hinwegnimmt, fo Tann aud das focinianifche Syftem die Er- 
ung nicht auf den bloßen Begriff der Ankündigung oder 
ber Lehre befchränfen. Chriftus muß auch wahrhaft Erlöfer 
‚von der Sünde feyn, und zwar, da das Moment, das die 
Eatisfartionslehre auf den Tod Chrifti legt, als ein in der 
Ratur der Sache ‚gegründetes nicht verfannt werden Tann, 
durch feinen Tod. Iſt aber der Begriff der Erlöfung an ſich 
fon auf die Erlöfung von der Sünde im eigentlichen Sinne 
rädgeführt, und dem Princip der Subjeftivität zufolge Fei- 
ke andere Erlöfung von der Sünde möglich, als dadurch, 
haß das Subjekt fich felbft dazu beftimmt und fie felbftthätig 
bewirkt, worin anders kann bie erlöfende und verföhnende 
Thätigkeit Chrifti beftehen, als in den pſychologiſch morali- 
Ken Motiven, die theild durch die Anfchauung feines Lebens 
überhaupt, theils ganz befonderd durch einzelne Momente def- 
jelben, dem Gemüthe des Menſchen nahe gelegt werden? Er» 
loſend und verföhnend wirkt baher ber Tod Chrifti, fofern 
er auf den Willen bes Menfchen einen Einfluß hat, burd) 
welchen berfelbe beftimmt wird, ſich auf eine der von Gott 
zurch Chriſtus gegebenen Verheißung entfprechende Weiſe zu 
erhalten. Mit befonderem Nadidrud hebt F. Socinus die 


406 U. Ber. 1. Abſchn. 3. Kay. 


Kraft des durch den Tod Chrifti gegebenen. Beiſpiels hervor, 
fofeen er in demfelben gezeigt habe, wie man für WBahrkelt 
und Tugend ſelbſt das Leben aufopfern müffe %). Auch als 
eine beſonders feierliche Beftätigung der von Gott gegebenen 
BVerheißungen betrachtet er ben Tod Chrifti, indem er Ihn 
mit der im A. T. gewöhnlichen Belräftigung ber Buͤndniſſe 
durch das Blut eines Thiers zufammenftellt 2). Da abe 
der Tod Chrifti nicht ſowohl für fich felbft, al vielmehr mn 
in feinem Zufammenhang mit der Auferftehung als eine Be 
ftätigung der göttlichen Verheißungen angefehen werben kam 


1) In der Chr. rel. instit. Bibl. Fr. Pol. T. I. ©. 667. wirl 
dieß ald das Erfie und Wichtigfie hervorgehoben: Christu: 
suorum fidellum servator est, primum, quia‘ sul ipsius 
exemplu illos ad viam salulis, quam ingressi jam Junt, 
perpetuo tenendam movet atque inducit. — Quomodo ve 
ro suo exemplo potuisset Christus movere atque inducere 
suos fideles ad singularem illam probitatem et Innoca- 
tiam, perpetuo retinendam, sine qua servari nequenil, 
nisi ipse prior cruentam mortem, quae ilam facile co- 
mitatur, gustasset? 

2) De Jesu Christo Serv. P. 1. c. 3. Bibl. Fr. Pol. T.1. 
©. 127.: — Mortuus igitur est Christus, ut novum et «- 
ternum Det foedus, cujus ipse mediator fuerat, stabili- 
ret ac conservaret. — Et adeo hac ratione divina pre- 
missa confirmavit, ut Deum ipsum quodammodo ad es 
nobis praestanda devinzerit, et sanguis ejus assidue ad 
patrem clamat, ut promissorum suorum, quae ipæe Chrl- 
stus nobis illius nomine annunciavit, pro quibus confir- 
mandis suum ipsitus sanguinem fundere non recusanl 
meminisse velit. Daffelbe Moment hebt der Rakauer 8% 
techismus hervor, wenn er auf die 383fte Frage: Qui sr 
guis aut mors Christi nobis voluntatem Dei confirmait! 
zuerfi antwortet: Quod nos manifeste de ingenti in no 
Dei caritate certos reddiderit. idque adeo, quod Deus 
vellt nobts id domnare, guod in novo foedere promittal. 


Die Lehre der Eocinianer. 407 


legt die focinianifche Lehre befonderes Gewicht auf die Auf⸗ 
ſtehung Ehrifti, als den objeftivften Beweis für die Wahr⸗ 
# feiner Lehre und feiner Verheißungen. Wer an die Auf- 
ſtehung und Erhöhung Iefu glaubt, muß auch alles, was 
lehrte und: verkändigte, für wahr halten‘, und zum kraͤf⸗ 
Men Vertrauen auf ihn ermuntert werden, ja er fieht fo- 
w in der Perſon Chrifti in lebendiger Anfchauung das ewi- 
: Leben, das er felbft zu erwarten hat, vor fi *). Se 
her ber moralifche Einfluß ift, welchen alle dieſe Momente 
iben, in deſto höherem Grade wirft Chriftus als Erlöfer 
m der Sünde ?), deſto vollfommener wird auf Der Eeite 





1) De J. Chr. Serv. a. a. D. ©. 131.: Viæ fieri posse vi- 
detur, ut quis Jesum ex mortuis excitatum aut videat 
aut eredat, et ejus verbis fidem non adhibeat, et proin 
de a sceleribus ad serviendum Deo viventi immortalita- 
His spe plenus totum se non convertat, unde peccatorum 
veniam et aeternam salutem consequatur. — Quis non 
viam salutis, quam annunciavit, verisstmam cerlissi- 
mamyque esse videat, cum, rem sio se habere, in ipsius 
annunciantis persona perspiciat? — Warum gleichwohl 
das N. T. die Erlöfung weit mehr dem Tode, als der Auf; 
erfiehung zufchreibt, wird daraus erklärt, daß die freie Lie» 
be Ehrifii fich in ihrem fchönften Lichte im Tode zeigt. Nat. 
Katech. Qu. 386. De Jesu Chr. Serv. P. 1. c. 3. Prael 

theoi. c. 19. &. 576. 

2) Tollit peccata Christus, fo entwickelt Socin Prael. theo! 
©. 591. zur Erklärung der Etelle oh. 1, 29. dieſen mo— 
ralifchen Begriff der Erläfung, dd est, ul ab eorum poe- ° 
na liberemur, effictt, quatenus Dei nomine, primus ab 
orbe condito, omnium peccatorum veniam, quantumvis 
gravissimorum, tis omnibus offert, qui poenitentiam ex 
Ipstus praescripto egerint, idque perpetuo foedere san- 
eit. Tollit peccata Christus, quia ad poenitentiam agen- 
dam, qua peccata delentur, coelestibus iisque amplissi- 
mis promissis omnes allicit et movere potens est. — Tol- 


408 U. Ber. L äbſchn. 3. Zap. 


des Menfchen die Bedingung erfüllt, unter welcher er de 
Realität feiner Verheißungen, der Sündenvergebung und bei 
eivigen Lebend gewiß fenn kann, das Bermittelnde aber für 
das Verhältuiß, in welches Chriftus durch alles dieß zu dem 
Menfchen gefegt wird, ift immer nur die Lehre und Das Bel 
fpiel, und fo großes Gewicht auch auf die. Thatfachen des 
Todes und der Auferftehung gelegt werden mag, fo haben 
fie doch die ihnen gegebene Bedeutung in einem ganz andem 
Sinne, als bei der Satisfactionstheorie, nicht für fih, fon 
dern nur in ihrem Zufammenhang mit dem Leben Chrii 
überhaupt. Sofern aber die moralifche Wirkung aller jener 
Momente durch den Tod Sefu bedingt und vermittelt iſt, volle 
- endet ſich der Gegenſatz der focinianifchen Theorie zur kirch⸗ 
lichen dadurch, daß auch jene eine gewiße Nothwendigkeit 
des Todes Jeſu zur Sündenvergebung und Verſöhnung be 
bauptet, nämlidy die fubjeftive Nothwendigkeit, vermoͤge wel⸗ 
cher gerade der Tod Jeſu die nothwendige Vorausfehung iR, 
unter welcher er als Erlöfer piychologiich und moralifch auf 
die Menichen fo wirken konnte, wie ed für den Zwed ber Er 
Löfung und Verſöhnung nothwendig iſt ). 


lit peccata — quia, ut a peccando cessemus, doctrina sua 
ejusque mirifica confirmatione — efficit. Tollit deniqwe 
Christus peccata, quia vitae suae innocentissimae exem- 
plo omnes, qui deploratae spei non fuerint, ad justitia 
et sanctitatis studium, peccatis relictis amplectendum, fa- 
eillime adducit. Ä 

4) Auf diefe vermittelnde Bedeutung des Todes Jeſu bezieht 
fih, was $. Soeinug De Christo Serv. P. II. c. 2. fagt: 
Adeo se placatum eshibuit (Deus) ut non solum secun- 
dum antiqua promissa nos a peccaltis, i. e. @ peccatorum 
poena, redemerit, seu liberaverit, ea nobis condonands, 
sed eliam ut fructus atque effectus ejus condonatimis 
ad nos redire posset, ipsum Christum suum sanquinen 
fundere voluerlt. Nam interventus sanguinis Christi, li- 


4. ... 


= 2 \ —*F — „ent ———re— * 


Die Lehre der Socinianer. 409 


Bei allem dieſem ſieht ſich das ſocinianiſche Syſtem nicht 
veranlaßt, in Chriſtus etwas uͤber die menſchliche Natur Hin⸗ 
ansgehendes vorauszuſetzen, und ber Unterſchied zwiſchen die⸗ 
fer moraliſchen Erlöſungstheorie und der Satisfactionstheorie 


beſteht gerade darin, daß die letztere ganz an bie höhere 


göttliche Würde ber Perfon geknüpft if. Wie aber der So⸗ 


cinianismus überhaupt, was er auf der einen Seite zerftört, 


auf der andern foviel möglich wieder aufzubauen fucht,. jo iſt 


Her der. Ort, wo die focinianifche Lehre von der Gottheit 


Chriſti ihre eigenthümliche Bedeutung erhält. Erlöfer von 
der Sünde iſt Chriftus, nicht blos dadurch, daß er Sünden- 


| vergebung verheißt, und die Menfchen durch die moralifche 


Birfung feiner Lehre und feines Beifpield von: der Sünde 


m Tugend leitet, fondern ganz beſonders aud) dadurch, daß 


er denen, die ihm vertrauen und gehorchen, die verheißenen 
Güter ſelbſt ertheilt, Sündenvergebung und Seligfeit. Für 
Diefen Zweck iſt Chriftus, obgleich an fich, feiner Natur nach, 
bloßer Menfch, zur höchften göttlichen Würde und Macht er- 
hoben worden, fo daß Gott nicht unmittelbar, fondern nur 





cet Deum ad liberationem hane a peccatorum nostrorum 
poena, nobts concedendam, movere non potuerit, movit ta- 
men nos ad eam, nobis oblatam, accipiendam, et ipst 
Christo fidem habendam, unde justificati sumus, et si- 
mul Dei erga nos ineffabilem benignitatem summopere 
nobis commendavit. DBgl. c. 13.: Expiationis tum effe- 
ctus tum cognitio ex Christi morte prwvenit. — Morte 
Christi, seu ejus supplicio peracto, nemo est, qui Deum 
nos suprema caritate amplexum nom agnoscat, eum er- 
ga nos placatissimum non videat, et jam sibi universa 
delicta condonata esse, pro certo habeat. Deßwegen fagt 
auch der Rak. Katech. Qu. 400.: Christus pro nobis mor- 
tuus est, hanc habet vim, eum ideirco mortuum, ut nos 
salutem aeternam, quam is nobis coelitus attulit, et 
amplecteremur et consequeremur. 


410 U. Ber. L Abſchn. 3. Kap. 


mittelbar die Welt regiert. Der Weg hiezu war feine Aufer⸗ 
ftehung, ber Uebergang vom Menſchen zum Gott, aber die 
Auferftehung hätte dazu nicht geführt, wenn fie nicht zu ih⸗ 
rer nothwendigen Vorausfegung den Tod hätte. Die Erho⸗ 
bung Chriſti ift zwar eine Folge und Belohnung feines Ge 
horſams, aber eine fo eigenthümliche Erhöhung eined Men- 
[hen zu göttliher Würde, und zu der Macht, auch in ber 
fünftigen Welt der Erlöfer und Seligmader der Menichen 
zu feyn, kann ihren Grund nur darin haben, daß er als 
Menſch alle Bedürfniffe der menſchlichen Natur kennt, und 
das reinfte Mitgefühl für fie hat. Diefes Mitgefühl hätte 
er aber nicht, wenn er nicht als Menfch in feinem Leiden 
und Tod alle Leiden und Schwachhelten der Menfchen ſelbſt 
erfahren hätte *). Sofern Chriftus, die Ihm von Gott er 


1) Sn der Chr. rel. inst. a. a. D. ©. 667. wird als zweiter 
Grund, eur Christum necesse fuerit mort, angegeben: 
Quia ipse est, qui illos (fideles suos) in omnibus peri- 
culis ac tentationibus fovet ae juvat, et tandem ab «- 
terng morte liberat. — Quomodo tantam curam in e- 
rum perpessionibus ipsos roborandi et ab omnibus malis 
liberandi habuisset, nist ipsemet quam gravia, quamgu 
humanae per se naturae intolerabilia illa sint, espertus 
abunde fuisset? gl. De J. Chr. Serv. a. a. O. €. 133.: 
Neque parum refert, nos, qui Christo fidem habemw, 
et ejus praeceptis obedimus, scire, eum ipsum, qui vin- 
dicem et assertorem nostrum se constitult, potestatem 
habere, ea bona omnia nobis largiendi, quae sibt obedien- 
tibus ita constanter promisit. Praesertim cum eam viam 
ipse prior ingressus, quam nos tenere jussit, omnia mu- 
la expertus sit, quae nobis, dum per eum gradimur, e 
ÜUlum seguimur, aut eveniunt, aut certe evenire possul, 
adeo ut, tanquam nostri mali non ignurus, niisereri n0- 
sirum vere possit, et nobis miseris succurrere didicerit: 
— O udmirabilem Dei bonituten atque sapientiam! Non 
salis illi fuit, nos hosies suos ac desertores scelerum 


Die Lehre der Socinlaner. 411 


ſeilte Macht dazu anwendet, den Menſchen Suͤndenverge⸗ 
mg und ewiges Leben zu ertheilen, iſt er auch nach der ſo⸗ 
nianiſchen Lehre Hoheprieſter, ſein hoheprieſterliches Amt ge⸗ 
drt daher ganz der uͤberirdiſchen Seite feiner Wirkſamkeit 
n, und tft ebendaher von feinem Töniglichen nicht weſentlich 
erſchieden 9). | 

Indem wir die focinianifche Lehre bis zu diefem Außer- 
en Punkt verfolgten, fcheinen wir von dem eigentlichen Ins 
alt des Dogma's von ber Verführung ganz hinweggekom⸗ 
im zu feyn. Allein eben bieb tft das Charafteriftifche der⸗ 
ter, daß es fih in ihr nicht ſowohl um die Rechtfertigung 
es Menſchen vor Gott, ald vielmehr nur um feine Befeli- 





nostrorum gratuita venla, et vitae aeternae amplissimo 
promisso ad se iterum recipere atque converlere, nisi 
etiam ipsius vitae aeternae nobis largiendae. potestatem 

‘ fratri nostro, et tantae salutis duci ac principi a se 
constituto, quem per afflictiones perfectum reddidit, 
plenissimam concederet, et Üli ipsi, quia homo est (Joh. 
5, 22. 27.) et nostri stmilis, nostrasque infirmitates ex- 
pertus fult, nos judicandi auctoritatem, quasi ea se ip- 
sum privans, omnem proursus daret, eaque ralione spem 
nostram mirifice aleret, atque fweret. So entichieden 
es die Eoeinianer für eine an fich undenkbare, der dee 
Gottes mwiderfprechende, dem religidfen Intereſſe auf Feine 
Weiſe zufagende Vorfiellung erklären, daß Chriftus von Na⸗ 
tur Sott fey, fo wichtig fcheint ihnen dieſes praftifche Mo⸗ 
ment, um ihm gleichwohl göttliche Würde zuzufchreiben. 

1) Wie F. Soeinus felbft fagt in den Themata de offcio Chri- 
sti Bibl. Fr. Pol. T. I. ©. 777.: Quod ad munus GChri- 
sti sacerdotale attinet, id quidem non re ipsa, sed ta- 
men per viam intellectus a regio ipsius munere distin- 
guimus. Unter ihm als König ftellen wir uns feine unend: 
liche Macht zu unferm Beßten, und unter ihm als Priefter 
feine mwohlwollende Sorge für uns vor. Bol. Rak. Katech. 
Qu. 476. 


42 I. Ber. 1. Abſchn. 3. Kap. 


gung zu handeln fiheint. So einfach der Weg iſt, auf. wels 
dem fie den Menfchen von der auf ihm liegenden Schuld ber 
Sünde frei werben, und Die ihn in Das angemeffene Verhält- 
niß zu Gott fegende Gerechtigkeit erlangen läßt, fo fehr wird 
von ihr die Rothwendigfeit einer Vermittlung, wie fie nur 
durch einen übermenfchlichen Erlöfer gegeben werden ‚Tann, 
anerfannt, um. den Dienfchen felig zu machen. So baut fie 
daffelbe Suftem, das auf die Fdee der Gerechtigkeit. gegrüns 
bet, als ein völlig unhaltbares und tranfcendentes ihr in ſich 
felbft zu zerfallen fchien, auf der Grundlage der Idee, der 
Seligfeit wieder auf *). Diefelben. Momente der Bermitts 


1) Es iſt fchon längft auf die Hebereinfimmung aufmerkſam ges 
macht worden, welche zwifchen dem Socinianismus und der 
Kantifchen Philofophie in Hinficht der Richtung auf das 
Praktiſche Rattfindet. Dal. J. F. Slatt, Beiträge zur chr. 
Dogm. u. Moral und zur Geſch. derſ. Tüb. 1792. ©. 117.f. 
Bemerkungen über Soeins Philof. und Theol. nach ihrem 
Verhaͤltniß zur praktifchen Vernunft betrachtet. Zu dieſer 
Analogie gehört.aber fehr wefentlich auch dieß, daß von $. 
Socinus, wie von Kant durch das praftifche Intereſſe wie⸗ 
der ‚geltend gemacht wird, was in metaphyſiſcher Hinficht 
fhlechthin verworfen worden if. Wie Kant das Dafeyn 
Gottes laͤugnet, fofern er der theoretifchen Vernunft alle 
objektive Gotteserfenntniß abfpricht, fo ift nach F. Socinus 
die göttlihe Natur Chriſti und die Menſchwerdung Gottes 
ebenfo undenkbar und für die Vernunft tranfcendent. Wie 
‚aber Kant das theoretifch geläugnete Daſeyn Gottes durch 
die Idee der nothwendigen Harmonie der Sittlichkeit und 
. ber Glückſeligkeit, oder eigentlich von der Idee der Glüd: 
-feligfeit aus, zu einem Poſtulat der praftifchen Vernunft 
macht, fo läßt F. Socinus durch Chriſtus als Gott Die Idee 
der Seligkeit renlifiren. Bei beiden erfcheint aber auch eis 
ne fo große Trennung des theoretifchen und praftifchen, des 
.wetaphnfifchen und moralifchen Standpunfts als ein gleich 
unnatärlicher Swiefpalt der Vernunft mit fich ſelbſt. SIE 


‘ 


Die Lehre der Socinianer. 413 


ng der Einheit des Menfchen mit Gott, welche die Soci⸗ 
aner im tirchlichen, und insbefondere im proteftantifchen 
stem mit der ganzen Macht ihrer Dialektif befämpften, 
ıd in: ihrer innern Richtigkeit Darzuftellen fuchten, fanden 
sch in Ihrem Syftem nur in anderer ©eftalt und unter ei» 
m andern Gefichtöpunft geftellt, wiederum ihre Stelle und 
edeutung. Chriftus darf nicht blos Menfch, er muß auch 
hott feyn, Göttliche und Menfchliches muß in feiner Berfon 
mw unzerteennlichen Einheit verbunden feyn, weil durch einen 
vs menfchlichen Mittler eine wahre und vollfommene Ges 
‚einfchaft des Menfchen mit Gott nicht bewirkt werben könn⸗ 
, er muß leiden und fterben, jeder menfchliche Schmerz muß 
er feinige werden, weil nur durch ein ſolches Leiden das 
inderniß hinweggeräumt werden kann, das der vollfommes 
m Aufnahme des Menfchen in das göttliche Seyn und Le 
im Wege ftehen würde. Der Unterfchied liegt nur in 
2 Berfchiedenheit des Standpunkts. Hier wie dort foll bie 
inheit des Göttlichen und Menfchlichen realifirt werben, auf 
em einen Standpunkt aber geht die ganze Betrachtung von 
sen nach unten, auf Dem andern von unten nad oben. Waͤh⸗ 
nd daher. auf dem einen Standpumtt der Iegte Grund des 


es für die Vernunft fo undenkbar und unbegreiflich, wie 
8. Soeinus behauptet, daß Gott Menfch wird, wie follte es 
ihr denkbarer und begreiflicher feyn, daß der Menich Gott 
wird? Und wenn der Menfch ohne einen vermittelnden Akt 
durch die freie Güte Gottes von der Schuld der Sünde bes 
freit wird, warum follte diefelbe Güte nicht auch zur Ers 
theilung ber Seligkeit vollkommen zureichen, und in Anfe- 
hung der Geligkeit eine Vermittlung nothwendig ſeyn, die 

. in Anfehung der Gerechtigkeit nicht für nothwendig erachtet 
wird? Das iſt' die einem iolchen Standpunkt natürliche Ein- 
feitigfeit. Was objektiv undenkbar ift, wird auf dem Stand- 
punkt der Subiektivität für das fubjektive oder praftifche 
Intereſſe denkbar. 


414 IL Ber. 1 Abſchn. 3. Kap. 


zwifchen Gott und dem Menſchen auszugleichenden Mißvers 
hältniffes in dem göttlichen Wefen felbft erfannt wird, in bem 
Widerfpruch, in welchem die Sünde und Schuld der Men 
ſchen mit der Idee der göttlichen Gerechtigkeit fteht, wird fie 
auf dem andern nur in den Menjchen felbft gefegt, in die 
Schwachheit und Bedürftigfeit feined Weſens. Wie es da 
ber auf ber. einen Seite nur die der göttlichen Gerechtigkeit 
entfprechende Gerechtigfeit ift, in welcher der Menſch fich mit 
Gott Eins wifjen kann, fo ift e8 auf der andern nur die ihm 
als ein Geſchenk der göttlichen Liebe und Güte gegebene Ses 
ligfeit, dur) welche das Mißverhältniß zwifchen Gott und 
dem Menjchen aufgehoben wird. Welche Einfeitigfeit fowohl 
dem einen ald dem andern Standpunkt anhängt, fällt von 
felbft in die Augen. Iſt durch eine Theorie, deren höchſtes 
Princip die abfolute göttliche Strafgerechtigfeit ift, der Ger 
danke nicht ausgefchlofien, daß möglicher Weile, wenn fein 
anderer Ausweg ſich darböte, um die Strafe zu ihren abfor 
Iuten Rechte kommen zu laffen, Die ganze Menjchheit der ewi- 
gen. Verdammniß anheimfallen fönnte, fo wird Dagegen auf 
der andern Seite das abfolute Weſen Gottes dem Verlangen 
des Menfchen nad) der Geligfeit ded ewigen Lebens unterge 
ordnet. Was alfo dort, auf dem Standpunft einer Die fub- 
jeftive Freiheit vernichtenden Objektivität, der Nigorismus ber 
göttlichen Strafgerechtigfeit ift, ift bier, auf dem Standpunft 
einer fich in fich felbft abſchließenden Subjeftivität, ein Eudä- 
monismus, welcher feine legte Wurzel nur in der finnlich 
ſchwachen Natur des Menfchen hat. 


Viertes Kapitel 
Die Theorie des Hugo Grotius. 


Die focinianifche Lehre bildet mit ber Firchlichen einen 


 . Begenfag, durch welchen von felbft eine vermittelnde Theorie 





Die Theorie des Hugo Grotius. 45 


hervorgerufen werden mußte. Hiedurch iſt die Stelle bezeich« 
net, welche Hugo Grotius mit feiner befannten Abhandlung 
in der Gejchichte unfered Dogma’d einnimmt, indem er es 
fih zwar zur Aufgabe machte, durch Widerlegung der ſoci⸗ 
nianiſchen Lehre Die kirchliche Satiöfactionstheorie zu vggtheis 
digen 9), in der That aber an bie Stelle der. lehtern etwas 
ganz anderes ſetzte. 

Den Grundirrthum der fociniantfchen Lehre findet Hugo 
Grotius darin, daß Gott von Socin in dem Werke der Er- 
löfung nur aus dem Gefichtöpunft eines Glaubigers oder eis 
ned Herrn betrachtet werde, deſſen ‚bloßer Wille zur Erlaf- 
fung .der Schuld genüge 2). Da es ſich aber bier um den. 
Begriff der Strafe und der Erlafjung der Strafe handelt, 
fo kann Gott nicht als Glaubiger, oder ald der beleidigte 
Zheil, betrachtet werden, fofern bie Strafe Fein dem beleidig- 
ten Theil, als folchem, zufommender Akt if. Das Strafrecht 
gehört nicht zum Recht eines abjoluten Herrn, oder zum Recht 
eines Olaubigerd, da das eine wie das andere ein unmittel- 
bar perfönliches Recht ift, fondern zum Recht eined Negenten. 
Aus dem Geſichtspunkt eines Negenten muß daher hier Gott 
betrachtet werden, und das Recht zu ftrafen gehört zu dem 
Rechte eined Negenten, da ed nicht wegen bes Strafenden 


1) Daher der Zitel der Echrift: Defensto fidei catholicae de 
satisfactione Christi vom J. 1617. euere Ausgabe von 
Joachim Lange. Leipz. 1750. 

2) De satisf. c. 2. $.3. ©. 36.: Vult (Socinus) partem om- 
nem offensam esse poenae creditorem, atque in ea tale 

 habere jus, quale alii creditores in rebus sibl debitis, 
quod jus saepe etiam dominii voce appellat, ideoque 
saepissime repetit, Deum hic spectandum ut partem 
offensam, ut creditorem, ut dominum, tria haec pomens 
tanquam tantundem valentia. Hic error Socint — per 
totam ipsius tractationem latissime diffusus — ro nw- 


Toy weudo;. 


— 


416 IL Ber. 1. Abſchn. 4 Kap. 


ſelbſt, ſondern nur wegen eines Gemeinweſens erxiſtirt, um 
die Ordnung deſſelben aufrecht zu erhalten, und das gemel⸗ 
ne Befte zu fördern *). Der Akt felbft, von welchem bier die 
Nede ift, wird als ein Akt der Jurisdiktion überhaupt def 
nirtm welchem zufolge jemand beftraft wird, Damit ein ande 
rer von ber Strafe befreit werde, oder als ein Difpenfationd- 
Art, durch welchen die Verbindlichkeit des an ſich gültig bie, 
benden Geſetzes in Anfehung gewißer Perfonen oder Sachen 
aufgehoben wird. Es fragt fich daher zunächft, ob eine fol‘ 
che Difpenfation oder Relaration des Strafgefehed möglid 
iſt? Grotius trägt Fein Bedenken, biefe Frage aus dem Orum 
de zu befahen, weil alle pofttiven Geſetze relarabel feyen. Di 
1 Mof. 2, 17. ausgefprochene Strafdrohung habe Daher vor 
felbft auch das Recht, fie zu erlaffen, in fich gefchlofien, wer 
dur in dem Weſen Gottes nichtd geändert werbe, ba em 
Geſetz in Beziehung auf Gott und dem göttlichen Willen nichts 
Inneres, fondern nur eine Wirkung ded Willens fey. De 


Cinwendung, daß nur der Schuldige felbft mit der feinem 


Vergehen entfprechenden Strafe beftraft werben könne, wird 
durch Die Unterfcheidung beantwortet, daß zwar an fich, Dem 


nn di Bei A a -———— — — 


Begriff der Sünde zufolge, jeder Sünder Strafe verdiene, 


Die wirkliche Vollziehung der Strafe aber nicht fehlechthin 


1) A. a. O. 2, 1. ©. 34.: Poenas infligere, aut a poeni: 
aliquem liberare, quem punire possis, quod justificare 
vocat scriptura, non est nisi rectoris, qua talis, primo 
et per se, ut pula in familia patris, in republica regis, 
in universo Dei. — Unde seguitur, omnino hic Deum 
considerandum ut rectorem. — Bgl. 2,9. ©. 41.: A 
jus puniendi non punientis caussa existit, sed caussa 
communitatis alicujus. Poena enim omnis propositun 
habet bonum commune, ordinis nimirum comservationem 
et exemplum, ita quidem ut ratiomem ezxpetibilis non 
habeat nist ab hoc fine, cum jus dominti et crediti per 
se sint expetibilia. 


— — — — m. ie“ 


l 3 


Die Theorie des Hugo Grottus. 417 


hwendig fey ). Da demnach an filh der Erlafiung ber 
trafe Tein Hinderniß im Wege fteht, fo kann ed nur von 
r Beichaffenheit der einzelnen Säle abhängen, wie weit fle 
‘der Wirklichkeit eintritt. Sol die Auftorität des Geſetzes 
ht zu fehr geichwächt werden, fo kann fie nur in einem 
fonders dringenden Falle ftattfinden. Ein folder Kal war 
ver offenbar derjenige, von weldyem bier Die Rede tft, wenn 
i ber wirklichen Vollziehung der Strafe das ganze Mens 
jengefchlecht dem Tode anheimgefallen wäre 2). Wie aber 
se der einen Seite die Möglichkeit der Erlaffung der Strafe 
cht geläugnet werben Tann, fo Tann ed auf der andern 
seite auch nicht für fchlechthin ungerecht erklärt werben, daß 
wer wegen fremder Sünden geftraft wird. Weſentlich ift 
ei der Strafe nur, Daß fle in Folge der Sünde verhängt 
ird, nicht aber, daß fie über denjenigen, welcher gefünbigt 
at, verhängt wird °). Wenn ed nun Feinem Zweifel unter- 
egt, daß ein Akt, welcher in der Gewalt eines Höheren if, 
uch ohne daß auf das fremde Vergehen Rüdfiht genommen 
eird, von einem Höhern ald Strafe für ein fremdes Berge- 
en angeordnet werden kann, fo konnte Gott ohne irgend ei- 
ie Ungerechtigkeit zu begehen, Chriftus für die Sünden der 
Benfchen leiden und fterben laſſen *). Es fragt fi daher 





)9.0a.D.3,5. ©. 9. | | 
MA. a. O. 3, 6. ©. 51.: Quia, si omnes peccatores morti 
. seternae mancipandi fulssent, perilssent funditus ex re- 
rum natura duae res puloherrimae, ex parte hominum 
reltgio in Deum, 'e» parte Dei praecipuae in homines 
beneficentiae testatto. 
3) A. a. D.4,9. ©. 56. 
aa. D. 4, 18. ©. 63.: Hoc groprie quaerttur: am ac- 
"tus, qui sit in potestate superioris, ellam citra comsi- 
derationem delicti alleni possit ab ipso superiore ordi- 
'nart in poenam alieni delicti. Hoc injustum esse negat 
. scriptura, quae Deum hoc saepius fecisse ostendit , ne- 


Baur, Die Lehre von der Berfühnung. 27° 


418 IL Ber. 1. Abſchn. 4 Kap. 


‚nur, warum Gott, wad er an fich thun konnte, auch wirf- 
lich geihan Hat? Da die Schrift fagt, daß Chriſtus wegen 
unferer Sünden gelitten habe und geftorben fey, fo fehen wir I 
hieraus, daß Gott fo viele und fo große Sünden nicht oh 
ein auffallendes Straferempel erlaffen wollte, um fein Mik | 
fallen an der Sünde durch irgend einen Akt, der am paſſend⸗ 
ften ein Strafaft war, zu erklären. Zu dieſem Innern im 
Wefen Gottes liegenden Berveggrund, welchen bie h. Schrik 
den Zorn Gottes nennt, kam noch die Rüdficht, daß man 
es mit ber Sünde um fo leichter nimmt, je weniger fie ge 
ftraft wird. Auch die Klugheit mußte daher Gott die Voll 
ziehung einer. Strafe empfehlen, um fo mehr, Da eine auß 
drüdliche Strafbrohung vorangegangen war. So ftellt ſih 
in dem durch den Tod Chrifti gegebenen Straferempel fowohl 
die göttliche Gnade, als die göttliche Strenge, fowohl de 
Haß Gotted gegen die Sünde, als feine Sorge für die Anf 
rechthaltung des Geſetzes dar *). Und das iſt auch nad, de 


gat natura, quia vetare non probatur, negat aperte cw- 
sensus gentium. — Nihtl ergo iniquitatis in eo est, que 
Deus, cujus est summa potestas, ad omnla per se non in 
Justa, nulli ipse legi obmozius, cruciatibus et morte Chrl- 
sti uti voluit, ad statuendum .exemplum grave adversus 
culpas immensas nostrum omnium, quibus Christus era 
conjunctissimus natura, regno, vadimonio. 

ı) A a. O. 5, 8. ©.69.: Hoc ipso Deus non tantum suum 
adversus peccata odium testatum fecit, ac proinde nos 
hoc facto a peccatis deterruit (facilis enim est colleetio, 
si Deus ne resipiscentibus quidem peccata remittere w- 
luit, nist Christo in poenas succedente, multo minus in- 
ultos sinet contumaces), verum insigni modo insuper pu- 
tefecit summum erga nos amorem ac benevolentiam, 
quod ille scilicet nobis pepercit, cui nom erat ddlapoer. 
indifferens, punire peccata, sed. qui tanti id facieba; 
ut potlius, guam impunita omnino dimitteret, filium suu® 
unigenitum ob illa peccata poenis tradiderit. — 5, 1. 





Die Theorie des Hugo Grotiuß. 419 


hre Der Juriften bie befte Art der Relaration der Geſetze, 
enn babei zugleich eine Vertauſchung (commutatio), ober 
tfagleiftung (compensatio), ftattfindet, weil auf diefe Weiſe 
wohl Das Anfehen des Geſetzes am wenigften verliert, als 
uch der Abficht, Die Die Urfache des Geſetzes ift, entfpro- 
en wird, wie wenn jemand, der eine Sache ausliefern foll, 
on feiner Berbindlichfeit Durch Die Ausbezahlung ihres Werths 
ei wird. Denn Ebendaffelbe und Ebenſoviel find einander 
anz nahe 1). Eine ſolche Vertaufchung findet nicht blos bei 
sachen, fondern bisweilen auch bei Perfonen ftatt, wenn es 
he Beeinträchtigung eines andern gefchehen kann. 

Schon in diefen wenigen Sägen iſt die ganze Theorie 
8 Hugo Grotius enthalten. Ihr Wefentliched liegt in dem 
muptiahe: Gott wollte und konnte die Sünden der Menfchen 
icht vergeben, ohne ein Straferempel zu flatuiren. Dieb tft 
urch den Tod Chriſti gefchehen. Daher ift der Tod Chriſti 
te nothwendige Bedingung und faktifihe Vorausfegung der 
Sündenvergebung. An dem Begriffe des Straferempeld und 
er vorausgefehten Rothwendigfeit deſſelben hängt Daher diefe 
heorie, und es fragt fih nun, wie fie ſich vermöge dieſes 
degeiffs ſowohl zu der Tirchlichen, Die fie. vertheidigen, ald 
uch zu der focinianifchen, die fie widerlegen will, verhält? 


.&. 71.: Justitiae rectoris pars est, servare leges, etlam 
positivas et a se latas, quod verum esse tam in univer- 
sitate libera, quam in rege summo probant Jurisconsul- 
ti: cul Ülud est consequens, ut rectori relaxare legem 
talem non. liceat, nist caussa aliqua accedat, si non ne- 
cessaria, certe sufficiens: quae ltidem recepta est a Ju- 
risconsultis sententia. Ratio utriusque est, quod actus 
ferendt aut relaxandi legem non sit actus ubsoluti do- 
minti, sed actus imperli, qui tendere debeat ad boni or- 
dinis conservationem. 

)%.a.D.V.7. S. 68.: Proxima enim sunt idem et tan- 
tundem. | 

| 27% 


420 11. Ber. 1. Abſchn. 4. Kap. 


Was ihr Verhaͤltniß zur Firchlichen Satisfactionstheorie be- 
trifft, jo muß fogleich in die Augen fallen, daß fie die Noth⸗ 
wendigfeit des Todes Chrifti zur Vergebung der Sünden in 
einem ganz andern‘ Sinne behauptet, als die Firchliche Lehre. 
Iſt der Tod Ehrifti nur als Straferempel nothwendig,- fo iR 
feine Rothwendigkeit nicht in dem Innern Weſen Gottes ſelbſt 
nicht in der Idee der abfoluten Gerechtigkeit, durch welde 
Sünde, Schuld und Strafe unzertrennlich verbunden find, 
fondern nur in dem äußern VBerhältniß begründet, in welchen 
Gott ald Regent zu den Menfchen fteht. Es Handelt fd 
eigentlich nicht um die ſchon begangenen Sünden, fonben 
nur um die Fünftigen. Die Schuld der begangenen Sünde 
tft unmittelbar dadurch aufgehoben, daß Gott das abiolk 
Recht hat, die Strafe zu erlaffen, das Straferempel tft mr 
nothwendig, Damit, indem es das Anfehen bes Geſetzes auf 
recht erhält, die Sünde für die Zukunft verbütet werde. & 
iſt daher überhaupt Fein innerer im Weſen der Sünde lieget 
der Zufammenhang zwifchen Sünde und Strafe, fondern die 
Strafe hat nur den Zweck, Die Sünde zu verhüten, ober ft 
ift nur in Folge eines pofttiven, von Gott, ald dem höchſten! 
Regenten gegebenen, Gefeßed mit der Sünde verbunden. : Da 
ber ift der legte Grund, auf welchen Grotius zurüdgeht, um 
die Nothwendigkeit der Statutrung eines Straferempels nad 
zumelfen, nur die Straffaneion 1Mof. 2, 17. Auf diee 
Sentenz gehen zwar auch die Vertheidiger der Firchlichen Sa⸗ 
tisfactionslehre zurüd, aber nur um fie felbft als einen noth⸗ 
wendigen Ausfluß der göttlichen Gerechtigkeit anzufehen. Gre 
tius dagegen hebt den abfoluten Begriff der göttlichen Gere 
tigfeit ganz auf, denn wenn er auch gegen Soein geltend 
macht, daß die Gerechtigkeit eine zum Weſen Gottes fehl 
gehörende Gigenfchaft fen, zugleich aber behauptet, daß der 
wirkliche Gebrauch diefer Eigenfchaft von dem freien Willen 
Gottes abhänge *), fo tft dieß völlig Daffelbe, was Sonn | 


1) A. a. O. 5, 9. ©. 70.: Justitia illa, sive rectitudo, € 


Die Theorie Des Hugo Grotius. 421 


uch behauptet, daß bie ftrafende Gerechtigkeit eine Wirkung 
es göttlichen Willens fey, und wenn auch Dabei noch gefagt 
iird, daß Gott, was er thut, nicht ohne Urfache thue, fo iſt 
och ber legte Grund nicht das abfolute Wefen Gottes felbft, 
mbern mir fein abjoluter Wille, welcher an ſich ebenfo gut 
rafen als nicht firafen kann. Schon hierin findet Demnach 
n bedeutender Unterfchied zwifchen der Theorie des Grotius 
ud der Firchlichen ftatt. Den beften Maaßſtab, Das Verhälts 
5 beider zu beſtimmen, muß jedoch der Satisfactionsbegriff 
ben. Das Hauptmoment der Firchlichen Satisfactionstheo⸗ 
eift, Daß das von Chriftus ©eleiftete mit demjenigen, was 
je Menichen felbft hätten leiften follen, vollkommen identiſch ift. 
haͤtte Ehriftus nicht vollfommen für die Menfchen genuggethan, 
ı wäre ihre Befreiung von der Sünde nicht möglich geweien. 
Jarauf gründete F. Sorinus die Einwendung, Daß Genug⸗ 
wung und Bergebung widerftreitende Begriffe feyen. “Diefe 
ſehauptung konnte Grotius als BVertheidiger der Firchlichen 
satisfactionslehre nicht gelten laſſen. Er bemerkt Daher ges 
m fie, daß Genugthuung und Vergebung nicht in Einen 
Roment zufammenfallen, daß nad) der von Gott feftgefeßten 
ſedingung bie leptere auf die erftere erfi dann folge, wenn 
er Menſch durch den wahren Glauben an Chriftus fich zu 
zott befehre, und ihn um "ie Vergebung feiner Sünden bit- 
9. Diefe Unterfcheidur  :.::$ im jedem Falle gemacht wer- 


qua nascuntur tum alia, tum poenarum retributio, pro- 
prietas est in Deo resideis. — Sed in hunc errorem in- 
:ductus videtur Sooinus (f. vben ©. 375.), quod Dei pro- 
prietatum effectus quosvis esse credidit necessurlos om- 
nino, cum multi sint liberi, intercedente scilicet inter 
proprietatem et effectum actu libero voluntatis. — Neque 
ideo, quia liber est Deo proprietatum istarum usus, di- 
ci potest, cum iis utitur, sine caussa facere, quod facit. 
ı) A. a. O. 6, 8. ©. Sı.: Fuit et Christi satisfacientis et 
Dei satisfactimem admittentis hic animus ac voluntas, 


422 IL Wer. l. Abſchn. 4. Kay. 


den, wenn der Einwendung ded Socinus fo begegnet werben 
fol, daß jene beiden Begriffe neben einander beftehen können. 
Allein Srotius konnte nicht blos dabei ftehen bleiben. SR 
durch den Tod Chrifti nur ein Straferempel gegeben worden, 
fo Tann der eigentliche Satisfaetionsbegriff Teine Anwendung 
mehr finden. Aber gleichwohl kann ihn Grotius nicht fallen 
laſſen. Für diefen Zweck nimmt er eine eigene juriftifche Uns 
terſcheidung der beiden Begriffe solutio und satisfactio zu 
Hilfe. Wird, behauptet Grotius, die Sache felbft, auf wer . 
cher die Verbindlichkeit ruht, bezahlt, entweder von dem Schul 
digen felbft, .oder was hier feinen Unterfchied ausmacht, vor 1 
einem andern im Namen deſſelben, fo erfolgt die Befreiung | 
unmittelbar durch die That felbft, aber es tft bieß nur Be | 
freiung, nicht Vergebung (remissio) zu nennen. Anders 
aber verhält es fich, wenn etwas anderes, ald was der Ge 
genftand der Verbindlichkeit if, bezahlt wird. In diefem Falle 
muß erft noch von Seiten des Glaubigers, oder Negenten, die 
Vergebung (remissio) ald eigener Akt hinzukommen, umd 
diefe Art der Bezahlung, welche entweder angenommen ode 
abgewiefen werden Fann, ift es, was im juriftifchen Sprad- 
gebrauch eigentlich Satisfaction genannt wird. Indem Oro 
tius dadurch zunächſt gegen Socin nur dieß darthun will, 
daß der Begriff der satisfactio den Begriff der remissio 
nicht ausſchließe, fest er in der That an die Stelle des ge 
wöhnlichen Satisfactionsbegriffs einen ganz andern !). Denn 


‚ hoc denique pactum et foedus, non ut Deus statim ipso 
perpessionis Christi tempore poenas remitteret, sed ul 
tum demum id fieret, cum ‚homo vera in Christum fide 
ad Deum conversus supples veniam precaretur. — Non 
obstat hic ergo satisfactio, quo minus sequi posset re- 
missio. Satisfactio enim non jam sustulerat debitum, 
sed hoc egerat, ut propter ipsum debitum aliquando 
tolleretur. " 

1) Die Hauptftelle, die hieher gehört, lautet a. a. D. 6,6. 


Die Theorie des Hugo Grottus. 493 


r gewöhnliche Satisfactionsbegriff beruht wefentlic Darauf, 
5 Chriſtus völlig daſſelbe geleiftet habe, was die Menſchen 
(pft Hätten leiften follen. Iſt nun eine ſolche solutio, wie 
etiuß behauptet, Feine remissio, fondern eine liberatio, 
y iſt ja ebendamit dem Socin zugegeben, was Grotius ges 
en ibn beftreitet, daß die beiden Begriffe satisfactio und 
emissio einander aufheben und ausfchließen, ober daß, was 





©. 78. fo: Alta solutio ipso facto Hberat, alla non ipso 
facto. Ipso facto liberat solutio rei plane ejusdem, quae 
erat in obligatione. Perinde autem est, utrum ipse reus 
solvat, an alius pro eo hoc animo, ut Ipse liberetur. — 
Ubi ergo idem solvitur aut a debitore, aut ab alio no- 
mine debitoris, nulla contingit remissio. Nihtl enim ci- 
tra debitum agit creditor, aut rector. Quare st quis 
poenam pertulerit, quam debet, liberatio hic erit, remissio 
non erit. Ac talis liberationis professionem in jure cre- 

“ diti proprie ac stricte änoyıv, dpocham (Quittung), vocant 

 Jurtsconsulti. Alla vero quaeris solutio ipso facto non 
Überat, puta, si aliud, quam quod erat in obligatione, 
solvatur. Sed necesse est, actum aliquem accedere cre- 
ditoris aut rectoris, qui actus recte et usitate remissio 
appellatur. Talis autem solutio, quae aut admitti aut 
recusari potest, admissa in jure, speciale habet nomen 
satisfactionis, quae interdum solutiont strictius sumtae 
oppmitur. Dergl. 6, 8. ©. 80. 10 gegen Soein bemerft 
wird: Illud vero, quod dieit, satisfactione omnino et 
statim tolli debitum, ad rem quidem pertinet, sed ve- 
rum non est, nist satisfactio contra juris usum sumalur 
pro ipsius rei, quae debetur, ab ipso, qui debet, facta 
_sölutione, de qua nos non agimus. In dem Auffate in der 
evang. Kirchenzeitung 1834 wird ©. 606. mit Recht bezwei⸗ 
felt, ob Grotius bier ganz ehrlich war, und aus dem Cor- 
pus Juris ein Beleg dafür beigebracht, daß In dem juriſti⸗ 
(hen Sprachgebrauch die von Grotius angenommene Unter- 
fcheidung der satisfactio von der apocha, oder solutio, fei- 
neswegs fo recipirt iſt, wie Grotius behauptet. 


’ 


424 - I, Ber. I Abſchu. 4 Say. 


daſſelbe ift, Die von Chriftus geleiftete Satisfactton ben Ras 
men einer Satisfaction in dem Sinne, welchen die gewöhn⸗ 
liche Kirchliche Theorie mit diefem Ausdruck verbindet, gar 
nicht verdient. Hat nun aber Ehriftus nicht in dieſem Sinne 
genuggethan, hat er nicht wahrhaft und vollfommen für bie 


Menfchen geleiftet, was Die Menfchen felbft Hätten leiften fol | 


In, fo kann der Satisfactionsbegriff nur infofern noch auf 
ihn angewandt werden, fofern er überhaupt irgend etwas, 
was ed auch feyn mag, Gott für Das gegeben hat, was vm 
den Menfchen felbft in ihrer Beziehung zu Gott hätte geld 
ftet werden follen. Dieß ift daher der eigentliche Sinn der 


Theorie des Grotius, und ihr wefentlicher Unterfchied von de 


kirchlichen Satisfactionstheorte. Der Satisfactionsbegriff if 
von feinem vollen und reellen Inhalt auf den Begriff ein 
irgendwie gefchehenen Leiftung herabgefegt: Chriſtus hat ge 
nuggethan, fofern er eine Bedingung irgend welcher Art, von 
welcher Gott die Vergebung der Sünden der Menfchen ab 
hängig machen wollte, erfüllt, Gott überhaupt dafür irgend 
etwas gegeben hat *).. Diefed Etwas ift nämlich eben jmd 


ı) So fehr Grotius es vermeidet, diefes Moment an der Eiche, 
wo es gerechtfertigt werden follte, befiimmter bervorzuhchen, 
fo Elar liegt es doch in feiner Befiimmung des Satisfac 
tionsbegriffe. Man bemerfe daher auch, wie fidy Grotius 
in Beziehung auf einige Schriftfiellen ausdrüdt. Daß mir 
nach 1 Cor. 6, 20. 7, 23, pretio emtt ‘find, foll nur foriel 
heißen: solutione aliqua Üiberati sumus (a. a. D. 6, 7. 
©. 79.). Den Ausdrud irriluroov 1 Tim. 2, 6., deflen rec 
Bedeutung gegen die focin’fche Erklärung von einem im- 
pendium qualecunque geltend gemacht werden foll, erklärt 
er felbt doch nur fo: Est tale Iuronr, pretium, In gu 
liberator simile quiddam subit ei malo, quod ei immi- 
nebat, qui liberatur (8, 9. &. 107.). Zur Erflärung dt 
Formel vr) noAkor wird bemerkt (9, 3. ©. 114.): Zramus 
mortis debitores. Ab hoc debito liberationem nobis Chri- 





| 


ı 


Die Theorie des Hugo Grotius. 425 


traferempel, ohne befien Statutrung Gott die Sünden ber 
tenfchen. nicht hätte vergehen können. Erhellt nun’ fchon hier⸗ 
8, daß biefe Theorie ſich nur mit Unrecht für bie Firchliche 
asgibt, fo zeigen Dagegen folgende Momente, wie wenig fe 
sn ber foeinianifchen wejentlich verfchieden ift: 

1. Geſetzt auch, im juriftifchen Sprachgebraudy fey auf 
le von Grotius angegebene Weiſe zwiſchen solutio und sa- 
isfactio zu unterfcheiden, fo hat Doch Grotius auf Feine 
Beife nachgeweifen, daß der Tirchliche Satisfactionsbegriff in 
ch unhaltbar ift, und daß ed gegen bie Natur der Sache 
t, neben dem juriftifchen Satisfactionsbegriff zugleich ben 
wchlichen anzunehmen. Sa die Beftimmungen bed Grotius 
ſſcheinen vielmehr felbft als willfürliche, und fich felbft auf⸗ 
ebenbe. Der Satiöfactiondbegriff, wie ihn Grotius beftimmt, 
MI nicht Darauf beruhen, daß ein anderer bezahlt, fondern 
arauf, daß er etwas anderes bezahlt, als der eigentliche Ge⸗ 
enfand der Verbindlichkeit if. Wenn nun aber diefes Ans 
ere näher fo erflärt wird, die Verbindlichkeit forbere Die Be⸗ 
rafung desjenigen felbft, welcher eine Schuld begangen hat, 
ach dem Srundfag, daß die Schuld an der Perfon hängt '), 


stus Impetravit aliquid dando. Dare autem aliquid, ut 
per id ipsum alter a debito liberetur, est solvere aut sa- 
disfacere. Immer ift nur von einem aliquid, nicht aber von 
einem Aequivalent die Rede. Daher können auch Behaup- 
tungen wie 6, 6. ©. 79.: im Tode Ehrifii fey feine solutio 
rei ipstus debitae, quae ipso facto liberet: nostra enim 
mors et quidem aeterna erat in obligatione, nur als di⸗ 
rekter Widerfpruch gegen die kirchliche Echre genommen mer: 
Den, denn eben dieß gehört ja wefentlich zu ihr, daß Ehri- 
fius den ewigen Tod für die Menfchen übernommen habe. 
1) A. a. O. 6,6. ©. 78. gibt Grotius ald Grund an, cur 
poenae corporalis vicarlus ipso facto reum, solvendo poe- 
nam, nequeat liberare — non qula alius solvit, sed qula 
solvit aliud, guam quod est in obligatione. Est enim In 


426 I. Ber. I. Abſchn. 4 Kap. 


fo ift klar, Daß Die letztere Beſtimmung doch wieder mit der erftern 
zufammenfällt, Daß derjenige, welcher für einen andern bezahlt, 


ebendeßwegen weil er ein anderer ift, -ald derienige, welder | 


bezahlen follte, auch etwas anderes bezahlt, als der eigentlis 
he Gegenftand der Verbindlichkeit iſt. Und doch erklärt es 
Grotius bei der Beftimmung des Begriffd der solutio für 
gleichgültig, ob der Schuldige felbft bezahlt, ober ein ande 
rer für ihn, wofern ed nur in feinem Namen gefchieht. Ent 
weder kann alfo nie einer für einen andern bezahlen, ohm 
daß in einem ſolchen Falle die solutio unmittelbar Defwegen, 
weil fie durch einen andern gefchieht, auch eine satisfactio 
ift, oder ed muß, wenn die Möglichkeit nicht geläugnet wer 
den kann, daß einer für einen andern bezahlt, Das Weſent⸗ 


—— — 


liche der Satisfaction vor allem darin gefunden werden, daß 


einer für einen andern bezahlt, abgefehen Davon, ob bad, 
was er bezahlt, baffelbe ift, was der Schuldige felbft bezah⸗ 
len follte, ober etwas anderes. Die rechtliche Möglichket 
aber, daß einer für einen andern bezahlt, oder eine Straf 
übernimmt, kann von Grotius nicht geläugnet werden, ba ihm 
als das Wefentliche der Strafe nicht gilt, daß derſelbe, welcher 
gefündigt hat, geftraft wird, fondern daß überhaupt mit de 
Sünde Strafe verbunden if, Es ift daher eine völlig wils 
fürliche Subftituirung des Einen für das Andere, die fh 
bier Srotius erlaubt hat. Statt zu beweifen, was der Haupt 


obligatione afflictio ipsius, qui deliquit, unde diet solet, 
noxam caput sequi. Quod in aliis quoque obligationibus 
ad factum mere personalibus videre est. — In his enim 
omnibus, sit alius solvat, ipso facto liberatio non seque- 
tur, quia simul aliud solvitur. Quare, ut ex poena unlus 
alteri liberatio contingat, actus quidam rectoris debe 
intercedere. Lex enim ipsum, qui deliquit, puniri im- 
perat. Hic actus respectu legis est relaxatio, respect 
debitoris remissio, 


Die Theorie bes Hugo Grotius. 427 


inft war, welcher nicht blos auf einem folchen Nebenweg 
ſchlichen werden Fonnte, Daß Chriftus nicht blos als alius 
Ivit, fondern auch aliud solvit, beweist Grotius nur, 
ıB nad dem gewöhnlichen juriftifchen Sprachgebrauch bei 
ner Satisfaction nicht fowohl das alius solvit, als viels 
ehr daß aliud solvit ſtattfinde. Die Sache felbft iſt alſo 
icht bewielen, fondern nur auf bie fchon vorausgefehte Sa⸗ 
e eine furiftifche Definition angewandt. Glaubte nun aber 
rotius die Sache felbft fchlechthin vorausſetzen zu bürfen, 
mn er ed aus einem andern Grunde gethan haben, als nur 
egwegen, weil er felbft den von F. Socinus gegen eine Sa⸗ 
action im eigentlichen oder Kirchlichen Sinne vorgebrachten 
kgumenten feine Zuftimmung nicht verfagen konnte? 

2. Wie Grotius den gewöhnlichen Firchlichen Satisfac⸗ 
onsbegriff vermwirft, fo erflärt er fi) auch gegen den Begriff 
er Aeceptilation. Er macht e8 dem Socinus zum Vorwurf, 
8 er den auf ein Strafverhältniß gar. nicht anwendbaren 
kariff der Acceptilation, auf den göttlichen Akt der Sünden» 
ergebung angewandt habe 2). Allein der richtige Geſichts⸗ 





)9. a. O. 6, 7. ©. 79.: Nam accepto fertur ea res, quae 
accipt potest. At poenam corporalem rector revera est- 
git, sed non accipit, quia nihil ex poena ad ipſum pro- 
prie pervenit. Es handelt fich bei Socin fo wenig um den 
Begriff der Acceptilation, daß davon fogar nie die Rede tft, 

- wie Erell in feiner Gegenfchrift (zu der Schrift des Grotius 
zu cap. III. ©. 90. f. unten) mit Recht bemerkte: Videre 
jam potest Grotius, etiamst Socinus dixisset, agi hic 

. de acceptilatione, seu actum hunc Det esse acceptilatio- 
nem, eam tamen sententiam isto, quo hic utitur, argu- 
mento, utpoleinvalido, non everti. Sed unde constat Gro- 
tio, ita sentire Socinum? Quod idem de ipso affırmat 
(cap. 6.), nec scripsit id Socinus uspiam, nec cogitavit > 
sed tantum alicubi reprehendens doctos quosdam viros 
(in margine autem libri sul Bezam notat), qui vocem im- 


428 IL Ber. 1. Abſchn. 4. Kap. 


punkt iſt auch bier verrüdt, und Die juriftifchen Definitionen, 
welche Grotius auch hier zu Hülfe nimmt, find ein ſchwaches 
Mittel, den wahren Stand der' Sadje zu verhüllen. Yür 
Sorin konnte der Begriff der Acceptilation Feine Bedeutung 
haben, da er ja überhaupt durch den Tod Chriſti Gott nicht 
eigentlich gegeben werben läßt, fondern Chriftus mur al 
Verkuͤndiger deffen betrachtet, was Gott durch feinen Wille 
den Menichen ertheilt. Dagegen gibt es Feine andere The 
rie, auf welche der Begriff der Neceptilation mit größeren 
Recht feine Anwendung fände, ald die des Grotius. Wen 
Grotius zur Beftimmung des Begriffs der Acceptilation jagt 
fie ftehe der Bezahlung überhaupt entgegen, fie ſey nur bild 
lich, eine ber bloßen Vorftelung nach gefchehene Bezahlung, 
fo fällt hier die mit dem‘ Ausprud solutio fpielende Zwei⸗ 
Deutigfeit von felbft in die Augen: der Gegenſatz zur Accep⸗ 
tilation kann nur eine ſolche Bezahlung ſeyn, bei welcher die 
Sache ſelbſt, die man ſchuldig iſt, oder ein volllommenes Ae⸗ 
quivalent bezahlt wird ). Daße die Acceptation etwas vor 


putandi apud Paulum esponentes dicunt, id nobis ac- 
ceptum ferri, quod non Ipsi exsolvimus, sed alius pro 
nobis, ostendit, illos non recte locutos: siquidem actus, 
quo quippiam acceptum fertur alteri, qui acceptilalio 
dicitur, sit per sola verba obligationis liberatio, ita ui 
acoeptum non possit ferri illud, quod revera solutum 
est. Quod si ob haec verba (alia enim non reperio) So- 
- cinum et hic et infra reprehendit Grotius, ipsemet cer- 
nere jam potest, vel Socini verba se non considerasse vel 
inique reprehendisse. Es zeigt auch diefe Bemerkung, zu 
welcher Erell volles Recht hatte, das zweideutige Derfahren 
des Grotius. 
Ebenfo zweideutig drückt fich Grotius aus, wenn er 3, 9. 
©. 107. fagt: Ea est pretii natura, ut sui valore aut ae- 
stimatione alterum moveat ad concedendam rem, aut j% 
aliquod, puta impunitatem. Wird die westimatio ven 


1 


et 


Die Theorie des Hugo Grotius. 429 


usſetzt, Das acceptirt werben kann, gibt ja Grotius ſelbſt 
18 wefentliches Merkmal an, ed muß daher auch wirklich 
was gegeben werden. Wenn fie daher eine blos imaginäre 
zezahlung genannt wird, fo ift fie imaginär nur fofern et⸗ 
as blos unvollkommnes gegeben wird, und neben dem wirt 
ch Gegebenen das Mebrige, fen es mehr oder weniger, als 
npfangen gedacht werden muß. Aber eben dieß ift es ja, 
ms Grotius wiederholt ald das eigentlihe Moment feiner 
heorie heroorhebt, daß von Chriftus etwas Gott gegeben 
yrden jey, wodurch die Satidfaction geleiftet wurde, ohne 
yelche Gott die Sünden ber Menfchen nicht hätte vergeben 
Innen. Aus eben biefem Grunde erhellt zugleich das Uns 
ihtige der Behauptung, daß der Begriff der Acceptilation 
uf ein Strafverhältniß nicht anwendbar fey. Wenn Grotius 
{hft von. einem dare aliquid in Beziehung auf den Tod 
hriſti Spricht, fo führt er felbft das Strafverhältniß auch 
Heder auf das Verhältniß des Schuldnerd zum Gläubiger 
wüd, wie auch an ſich ganz in der Ratur der Sache liegt, 
a auch bie Strafe aus dem Gefichtspunft einer Schuld bes 
achtet werden kann, Die zuvor irgendwie abgetragen feyn 
uf, wenn der Menfch Gott gegenüber in das BVerhältniß 
er Gnade eintreten fol. | 

Se weniger geläugnet werden Tann, daß die Theorie bes 
zrotius in den angegebenen beiden Momenten mit Der Sos 
n'ſchen im Grunde ganz zuſammenfällt, defto mehr dringt 
ch bie Frage auf, worin denn noch das Eigenthümliche der 


dem valor, dem Werth im obieftiven Sinn, dem Aequiva—⸗ 
lent, unterfchieden, fo kann fie nur die fubieftive Werth, 
fhägung einer Sache ſeyn, welche ungeachtet ihres unzurei⸗ 
chenden objektiven Werths für zureichend erflärt wird. Wars 
um erflärt ſich aber Grotius hierüber nicht befiimmter, und 
warum hält er zulest die unbeftimmtefte Sormel, dare ali- 
quid propter aliquid, für die angemeflenfte? 


— 


40 - . 11. Ber. 1. Abſchn. 4A. Kap. 


Srotius’schen Theorie beftehe? Es kann nur in der Idee des 
Straferempeld gefunden werden, welche Grotius auf den Tod 
Chriſti überträgt, aber auch in biefer Beziehung kann bie na 
he Verwandtſchaft zwifchen beiden Theorien nicht verkannt 
werben. Obgleich Grotius den Satiöfactionsbegriff in ge 
wißem Sinne fefthalten will, fo kommt doch alles ‘auf bie 
Idee eined Straferempeld hinaus, durch welches Gott zur 
Aufrechterhaltung der Auftorität des Gefeges feinen Haß und 
Abſcheu gegen die Sünde thatfächlich beurfunden wollte 9). 


1) Es erhellt dieß befonders aus folgender Stelle, in welder 
Grotius gegen Soein geltend madıt (6, 14. ©. 86.): Du 
plicem Dei non liberalitatem (ea enim vox ab hoc arqu- 
mento aliena et scripturae inusitata est), sed beneficen- 
tiam nostra quoque sententia agnoscit, et quidem majr- 
rem multo, guam ista nuper nata Socini opinio. Prior 
est beneficentia, quod cum Deus magno odio contra pec- 
catum incitaretur, possetgque tam nobis parcere omnino 
nolle, quam peccatoribus angelis parcere omnino nolit, 
tamen ut nobis parceret, non modo solutionem talem, 
quam admittere non tenebatur, admiserit, sed tpse quo- 
que ultro eam repererit. Hoc certe beneficium multo est 
majus atque illustrius, quam si Deus plane judicans ni- 
hil referre, exemplum statueretur aliquod nec ne, pec- 
cata nostra reliquisset impunita, quod vult Soctnus. Nor 
ergo clementia Dei poenae solutione evertitur, cum ta- 

- lem solutionem admittere, multogue magis invenire (die 
solutio ift alfo nur die Etatuirung des Straferempels) ex 
sola clementia processerit. Der zweite Beweis der göttli- 
chen Güte if, daß Gott feinen Sohn in den Tod gab, u 
eam solutionem, sive satisfactiomem, perageret poenas 
peccatorum nostrorum ferendo, wobei Grotius gegen So⸗ 
ein noch befonders bemerkt: Dei caritatem a nobis majo- 
rem praedicari vel hoc evincat, quod benefiria non es 

solo impendio, sed praecipue ex utilitate, quae es im- 
pendio ad beneficio affectum manat, par est aestimall. 


Die Theorie bed Hugo Grotius. 431. 


ir welchen andern Zweck follte aber die Auftorität des Ges 
zes aufrecht erhalten werden, ald dazu, um ungeachtet der 
teilten Sündenvergebung von der Sünde abzuhalten? Das 
auptmoment wird Daher von Grotius, wie von Socin, in 
n mioralifchen Eindrud gelegt, welchen ber Tod Chrifti her⸗ 
wbringt, nur mit dem Unterfchied, daß dieſes moralifche 
toment von Grotiuß negativ, von Socin aber pofitiv aufs 
faßt wird, fofern nach Grotius bie moralifche Wirkung des 
odes Chrifti in der Darftelung der mit der Sünde verbun⸗ 
men Strafe, nad; Socin aber in der von Ehriftus in fei- 





Nos autem praeter utilttates, quas nobiscum Soctnus con- 
fitetur, unam eximiam, quam ille abnegat, grato animo 
agnoscimus. Neque dicimus, a Deo impensum esse fi- 
Hum, ut ipse Deus suum reciperet (die tadelt demnach 
Grotius an der Eirchlichen Lehre), ac Deum sordidim 
facimus, quod nobis exprobrat Socinus, sed tdeo id fa- 
ctum a Deo dicimus, ut peccati meritum suumgque ad- 
versus peccata odium palam testata faceret, et simul 
quantum ejus nobis parcendo fiert poterat, rerum ordint 
legisque suae auctoritati comsuleret. Alles dieß ift wieders 
am nichts anderes, als die idee des Straferempels, und 
doch wird es von Grotius unmittelbar nachher ein finis su- 
peradditus satisfactionis genannt. Selbſt die dee der 
obedientia activa will Grotius nicht ganz fallen laffen (6, 
16. ©. 87.): Negare nolumus vim satisfactionis esse 
etiam in ipsa Christi actiome (obsequiosa). Solet enim 
saepe eliam actio grata admitti velut in poenae compen- 
sationem. — Quamvis beneficium accipere Deus non pot- 

. est, ipsitus tamen summa bonitas qualecunque obsegulum 
quasi pro beneficio accipit. Iſt diefe actio obseguiosa et» 
mas anderes, als die von Chrifius in feinem Tode. bewieles 
ne moralifche Gefinnung,, die auch die focinianifche Lehre 
zur Vorausſetzung der Sündenvergebung macht? Das Ver⸗ 
mittelnde if immer der moralifche Eindruck, welchen der 
Tod Chriſti hervorbringt. 


432 1. Ber. l. Abſchn. 4. Zap. 
nem Tode bewieſenen moralifchen Geſinnung beftcht. Auch 


von Sorin wird demnad die Ertheilung der Sümdenverge F 


bung von der Erfüllung einer an ben Tob Chrifti geknüpften 
moraliihen Bedingung abhängig gemacht. Es erhellt vo- 
-felbft, daß, wenn einmal der Tod Chrifti unter den morali 
ſchen Geſichtspunkt geftellt, und demfelben zufolge nicht ſowohl 
die vergangenen, als vielmehr die fünftigen Sünden ins Ange 
gefaßt werden, mehrere moralifhe Momente neben einander 
beftehen Tönnen, aber ebenfo wenig kann auch geläugnet wer 
den, baß auf dem Standpunfte, auf welchem die beiden Then 
rien, die Grotius'ſche und Socin'ſche, der Firchlichen gegenüber 
fich ftellen, die Grotius'ſche Idee des Straferempeld als ds 
ne wefentliche Verbefferung der Soein’fchen Theorie angeſehen 
werden muß. Nicht nur iſt die Idee ber Strafe an fich en 
fehr wefentliche8 von Socin nur ‚mit Unrecht unbeachtet ge 
laſſenes Moment jeder Erlöfungs-» und Verföhnungstheorie "), 
fondern e8 entftund hieraus audy der nicht geringe Vortheil, daß 
fo manche neuteflamentlihen Stellen, bei deren Erflärumg bie 
foeintanifche Eregefe von dem Vorwurf. der Willfür und bed 
Zwangs nicht freigefprochen werden Tann, mit der Grotius 
fhen Idee auf ungezwungene Weife fich vereinigen laſſen) 
Dieß ift aber auch der einzige Vorzug, welcher von bieder 


Theorie gerühmt werden kann, im Uebrigen trifft fie, fo wet ' 


fie nicht mit der Socin’fhen in der Hauptſache zufammenfällt, 


ı) A. a. D. 6, 15. &. 87.: Finis hie satisfactionis, sie 
poenae ferendae, multo apertius, immo multo etiam cer- 
tlore nexu cum morte Christi cohaeret, guam illi fines, 
guos agnoscit Socinus. Nam testimontum doctrinae sa- 
tis alque abunde praebere poterant miracula: gloria 
quoque coelestis conferri Christo non interveniente morle 
fucile potuit: at poenae luendae mors, talis praeserlim, 
proprie accommodata est, et poena ipsa pariendae libe- 
rationi. " 

2) Man vgl. bierüber in der Grotius’fchen Schrift cap. 7-10. 


4 





Die Theorie des Hugo Grotius. 433 


verfelbe Borwurf ber Halbheit, welchem Theorien ‚ bie fi 
wifchen zwei wejentlidy divergirende Standpunkte vermittelnd 
Kneinftellen, gewöhnlich nicht ausweichen Tönnen. Das ſoci⸗ 
naniſche Syſtem ift darin ſehr Fonfequent, daß ed, wie von 
wm. Werke Chrifti, jo auch von ber Perſon Ehrifli eine weit 
geringere Borftellung hat, als das Firchliche, in ber Theorie 
des Grotius aber entſteht dadurch ein fehr auffallendes Miß⸗ 
verhältnig, daß fie, während fie in Anſehung des Werkes 
Ehrifti auf die fociniantiche Seite fich ſtellt, in Anfehung ber 
Berfon Chrifti Chriftus mit der Firchlichen Lehre nicht als. 
bloßen Menfchen, fondern als den menſchgewordenen Sohn 
Bottes betrachtet, und daher auch das Leiden eined Gott⸗ 
menfshen auf Feine genügende Weiſe zu motiviren weiß, wenn 
8 doch nur für den Zweck eined Straferempels gefchehen feyn 
ſoll. Diefer Mangel hängt aber mit bem ganzen Charakter, 
burch welchen ſich die Grotius'ſche Theorie von den beiden 
andern ihr gegenüberftchenden unterfcheidet, fehr eng zuſam⸗ 
men. Während dieſe beiden von.der Idee ausgehen, die 
Kechliche von der Idee der abfoluten Gerechtigkeit, Die ſocinia⸗ 
sifche von der Idee der abfoluten Güte Gottes, oder wenig⸗ 
dens das Thatfächliche, den Tod Chriſti, unter den Geſichts⸗ 
punkt der Idee fo ftellen, daß die ganze. Auffaſſung befielben 
mrch Die Idee beftimmt ift, liegt Dagegen der Theorie des 
Brotins Die entgegengefeßte Anficht zu Grunde Man kann 
sicht fagen, daß auch fie von ber Idee ausgeht, da in dem 
Straferempel, das fie in dem Tode Chrifti fieht, die abfo- 
Inte Gerechtigkeit und die abfolute Güte fih auf ſolche Weife 
natralifiren, daß von einem beftimmten Princip der Theorie 
nicht wohl die Rede feyn Tann, außer fofern man fich ge- 
ſicht daß ‘bie vorangeftellte Idee des Straferempeld dieſe 
Theorie von der focinianifchen mehr formell ald materiell un- 
lerſcheidet. Se mehr fie ſich aber den Schein gibt, nur das 
Faktum in feiner reinen Objektivität, in Verbindung mit dem 
jergebrachten Begriff der Satiöfaction, zu ihrer Vorausſetzung 
Baur, bie Lehre von ber Berföhnung. 8 


34: 1. Ber 1 Abſchn. 4 Kay. 


au haben, deſto mehr ſtellt fie ſich demfelben mit der Zuver. f 
ficht gegenüber, fich mit ihm vermittelſt der juridiſchen Di F 


ftinktionen und Definitionen, die ſie zu Hülfe nimmt, fo ab 
finden zu können, daß man auf ber einen Seite ebenfo we 
nig genöthigt ift, für dad Harte und Undenfbare, Das in 
der Firchlichen Theorie zu liegen fcheint, einzuftehben, als am 
der andern in den Widerſpruch -ausdrüdlich einzuftintmen, 
welcher von Sorin dagegen erhoben wird. Inden man fd 
auf diefe Weife einzig nur an das Faktum halten will, ſcheia 
durchaus Fein Sntereffe mehr vorhanden zu feyn, irgend due 
von einer beftimmten Idee ausgehende Theorie zu vertheibl- 
gen, das Faktum feldft aber wirb num ganz nach der Form 
eines juribifchen Proceffes behandelt, bei welchem man ſich 
zu nichts anderem verfteht, als nur zu demjenigen, woz 
man durch die beftehenden juridifchen Formen, ihrer fir 
ften Deutung zufolge, verbunden iſt. Ebenfo verhäft es fich nm 
auch mit: der Perfon Ehrifti. Daß die Vorausfegung ber 
gottmenfchlichen Würde des Erlöſers für die Eirchliche Theo 
rie ebenfo nothwendig, al8 für die ſocinianiſche überflüßig iR, 
tft von felbft klar. Die Theorie des Grotius dagegen äh 
fie zwar thetifch ftehen, hebt fie aber faktiſch dadurch auf, 
daß fie ihr Feine beftimmte Bedeutung für das Werk ber Er: 
löfung zu geben weiß. Warum Chriftus wegen der eigen 
thümlichen Würde feiner Berfon, fofern er der Gottmenſch 
war, fi) vorzugsweiſe zur Statuirung eines Straferempeld 
eignete, iſt nicht einzufehen *). Wäre er nur für dieſen Zwech 


ı) A. a. O. 5, ı2. ©. 72.: Quod poena in Christum collata 
fuerit, hoc ita ad Dei et Christi voluntatem referimus, 
ut ea quoque voluntas caussas suas habeat, non in me- 
rito Christi (qui peccatum cum non nosset, a Deo pec- 
catum factus est), sed in summa Christi aptitudine ad 
statuendum Insigne exemplum, guae tum in mazima Ip 
sius nobiscum eonjunctiohe, tum in tncomparabill yer- 


‚kr. 


| 


Die Thevrie des Hugo Grotius. 435 


welcher ebenfo gut auch durch ihn, als bloßen Menſchen, 
nach ber focinianifchen Borftellung, erreicht werben lonnte, 
und überhaupt nichts an fich nothwendiged in fich ſchließt, 
Menſch geworben, fo bleibt immer ein nicht auszugleichendes 
Mißverhältnig zwiſchen dem Mittel und dem Zwed. ' Statt 
der Debuftion der Innern Nothwendigkeit ber Sache, wie fie 
bie kirchliche Lehre zu geben weiß, und flatt ber völligen Ver- 
uaichtleiſtung auf eine Idee, deren vernunftgemaͤße Nothwen⸗ 
digkeit man nicht anerkennen kann, wie dieß Socin offen bes 
kennt, erhält man bei Grotius durchaus eine Rechtfertigung, 
bie alles, was billiger Weife gefordert werben: Fann, geleiftet 
m. haben. glaubt, wenn fie durch irgenb einen fcheinbaren 
Qweck die abfolute Undenkbarkeit des vorausgefeßten Faktums 
befeitigt hat. Dieß ift der Unterſchied der formellen juridi- 
ſchen, einem gegebenen Rechtfall fich Aufferlich gegenüberftel- 
lenden, und des fpefulativen, auf den innern Begriff der Sa⸗ 
che, ober das abfolute Weſen Gottes, zurüdgehenden Stand- 
yunftg ?). 





Sünftes Kapitel 
oh. Erell. Die Arminianer. 


Das Verhältniß, in welches ſich Grotius durch Die zwei⸗ 
deutige Haltung feiner Theorie zur fociniantichen Lehre ſetzte, 





. "sonae dignitate consistit. Dief if alles, was Grotius hier⸗ 
über zu ſagen weiß. - 

),Echr richtig und treffend if die Aeuſſerlichkeit und Hal: 
tangelefigkeit der Grotius’fchen Theorie auch in dem ſchon 
‚genannten Auffage in der evang. Nirchenzeit. 1834 nachge- 
wieſen. „Die ganz juridifche Aufaflungsweife des Grotius,“ 
wird ©. 539. bemerkt, „iſt blos formell, d. b. es werden 
Die im pofitiven Rechte entfiandenen Formen und Begriffe 
auf die göttlichen Verhaͤltniſſe unmittelbar übergetragen, oder 


28* 


436 


u. Ber. 1 Abſchn. 3. Kap. 


war für die letztere zu nachtheilig, als daß ſich die Anhkw 
ger derfelben nicht zu einer nähern Beleuchtung bed wahre 


vielmehr diefe jenen unterworfen, und darnach geregelt und 
feſtgeſtellt, ein Verfahren, welches die eigene Erfcheinun 
erzeugt, daß die von Grotius thetiich dargeſtellte (im exken 
Kapitel) und die von ihm vertheidigte Lehre der Schrift und 
der Kirche als zwei ganz verfchiedene erfcheinen, ober di 
fein Syſtem in der That eine ganz andere Lehre erzengt, 
als die ift, die er durch das Syſtem vertheidigen will, un) 
zu vertheidigen glaubt.” — ©. 595.: „Das Einfeitige un) 
Schiefe in diefer Theorie verräth fih am erfien und deut 
lihfien darin, daß Grotius nicht im Stande if, eine (aud 
nur moralifche) Nothwendigkeit der Genugthuung Chriſti fon 
fequent nachzuweiſen.“ — „Ohne Genugthuung Feine Ver⸗ 
gebung, war der durch Anfelm zuerſt beffimmt ausgefprocene, 
aber durch alle Zeiten hindurch feftgehaltene Grundfag der 
orthbodoren Erldfungsichre.e. So lange die Gegner nur den 
Sa entgegenfellten, daß Vergebung auch ohne Genugshuung 
allerdings möglich fey, war gegen die einmal faktifche, alle 
von Gott gewollte Genugthuung als Bedingung der Verge 
bung nichts gewonnen. Sie mußten den Beweis führen, daß 


mit Genugthuung Feine Vergebung möglich. Dieß verfucte 


nun namentlich der: jedenfalls fonfequente Sorin. Dem Per 
theidiger der Eirchlichen Lehre, der fich zum direkten Gegen 
fas (ohne Genugthuung Feine Vergebung) nicht bekennen 
will, bleibt nun natürlich nichts übrig, als der negatiw 
Gegenbeweis, daß ohne Genugthuung die Vergebung nidt 
unmöglich fen, .d. h. daß fich die von Ehrifto gefchebene, 
von Gott veranfialtete Genugthuung mit der Wergebung, 
welche ohne fie gefchehen Eonnte, wohl vertrage, oder etwas 
yarador ansgedrücht, daß Gott trotz der Genugthuung die 
Sünde vergeben kann. Das nun und in ber That nicht 
weiter hat Grotius durch fein Buch bewiefen. Wenn dem 
nun die Senugthuung Ehrifii hienach in Feiner nothwendigen 
Verbindung fieht mit der Sündenvergebung, fo ift dieß alſo 
auch nicht Zweck der Genugthuung, und weder fie, noch die 


— 


— ——— ⸗2 


305. Crell. 437 


tandes der Sache hätten aufgefordert fehen follen. Es ge 
ſah dieß durch Die bekannte Erwiederung, welche Joh. Crell 


Erldſung überdaupt, hängt unmittelbar mit der Genagthuung 
zuſammen: denn die Sündenvergebung als Zweck der Ge⸗ 
nugthuung angeben, und doch die innere, durch den Zweck 


ſelbſt geforderte, Nothwendigkeit längnen, ift eine, fo zu ſa⸗ 


sen, logiſche contradictio im adjecto. Die Brage gefaltet 
fich demnach bei Grotius fo: ob nicht Gott Doch noch Brund 
Hatte zur Strafe Ehrifti, obgleich er auch ohne fie den Zweck 
erreichen konnte?“ — ‚Das höchfie, was Grotius Dargethan, 
ift die Möglichkeit, die Tauglichkeit Chriſti zu dem Zweck, 
den Gott mit ihm vorhatte. Darnach aber hatte der Geg⸗ 
ner gar nicht gefragt. Die Frage if vielmehr, warum Gott 
anderes, als um des Todes Ehrifii willen, nicht vergeben 
wollte? Die Antwort aber, die Grotius gibt, ſteht mit den 
Sünden weder in einer nothiwendigen, noch überhaupt in eis 
ner realen Berbindung. Grotins gefteht felbft zu, daß Gott, 
der nach feiner Liebe fchonen, d. h. die Relaration des Ges 
ſetzes eintreten laffen wollte, auch, ohne die Statulrung des 
©traferempels folches hätte thun Finnen, daß er aber neben 
feiner Liebe auch feinen Eifer zeigen wollte, Allein wozu 
noch ein befonderes Erempel, da Gott ſolchen ia Fräftig ge: 
nug an den Iinglaubigen und ihrer Verdammniß zeigt? Und 
welchen Einwürfen und Vorwürfen fegt fih Grotius hiemit 


aus? Itt es nicht 3. B. die größte Ungerechtigkeit, ja bie 
größte Sraufamkeit von Gott, wenn er blos, um feinen Zorn 


Eund zu thun, feinen Sohn den martervollfien Qualen preis- 
gibt, da er auch ohne fie die Sünden vergeben Fonnte, ia 
wirklich auch (nad) Grotius) ohne fie den Menſchen vergibt?’ 
So richtig dieſe leßtern Bemerkungen find, fo muß doch zu⸗ 
gleih, wenn man das Verhältnif der Grotius’fchen Theorie 
sur Socin'ſchen, und das DBerhältniß beider zur Lehre der 
Schrift erwägt, gebilligt werden, daß Grotius den Tod Chri: 
ſti aus dem Geſichtspunkt eines Strafverhältniffes betrachtet, nur 


daͤtte er den ganzen Zweck nicht blos in das Strafexempel ſetzen 


folen. Nur wenn die Nothwendigkeit des Todes Chriſti auf 


438 II. Ber. 1 Abſchn. 5. Ray. 


der Schrift des Grotius entgegenfehte: 2). Es konnte ihn 
nicht ſchwet werden, das Unrecht, das Grotius durch Ten 
einfeitige Polemif den Socinianismus angethan hatte, nad 

zumelfen. Da jedoch die Crell'ſche Schrift, ihrem * 
halte nach, theils nur eine, nichts weſentlich neues darbietende, 
Vertheidigung des ſocinianiſchen Lehrbegriffs, theils eine gar 
zu ſpecielle Erörterung der einzelnen von Grotius vorgebrade 
ten Argumente, und der auf diefelben ich beziehenden Bibel⸗ 
ſtellen enthält, fo iſt es nur die Idee des Strafexempels, in 
Anſehumg welcher die Erell'ſche Kritik hier von Intereſſe ſeyn 
kann. Die Gründe, bie Crell ihr entgegenſetzt, find denjeni⸗ 
gen ganz analog, mit weichen Socin die Satisfactions⸗Idee 
zu widerlegen fucht. Wie Socin befonders den Miderfprud 
der Genugthuung und der Vergebung hervorhebt, fo finde 
Crell denfelben Widerfpruch in der Idee des Straferempels, 
ſofern auf der einen Seite die Aufhebung, auf. ber andern 
die Betätigung des Geſetzes behauptet wird. Wie fich dent 
denken laſſe, daß Chriſtus zur Strafe für unfere Sünden in 
der Abſicht geftorben fey, danitt dem Anſehen des von Gott 
fanftionirten Strafgefeges durch Unterlaffung der Strafe nichts 





andere Weife motivire iſt (mie von Socin gefchah), läßt ſich, 
ohne daß auf Gott der Vorwurf der Graufamkeit fällt, mit 
dem Tode Chriſti die Idee des Straferempels verbinden, fo 
daß an die Stelle der wirklichen Erduldung ber Strafe die 
ſymboliſche Darfellung derfelben geſetzt wird. 

4) Responsio ad librum Hug. Grotii, quem de: satisfactio- 
ne Christi adversus Faustum Socinum Senensem scrip- 
sit. Dom %. 1623. Bibl. Fratr. Pol. Tom. V. ©. 1.j. 
— Sogleich nach Erfcheinung der Schrift des Grotius trat 
H.Ravenfperger, Brof. der Theol. in Gröningen, als Guy» 
ner gegen ihn auf, in der unbedeutenden Schrift: De li- 
bro H. Grotii etc. H. Ravenspergeri judicium. @rönin= 
gen 1617., wogegen ©. 3. Voffius feinen Freund in ber Re- 
sponsio ad judicium H. Ravensp. vertheidigte. 


- a 


Job. Crell. | 439 


tzogen werde, wenn doch Gott eben dieſes Geſetz durch Chri⸗ 
8 und feinen Tod abgeſchafft, und feine Kraft und Guͤl⸗ 
feit für die Zufunft aufgehoben habe? Nehme man in die- 
m-Sinne mit Grotius nicht eine völfige Aufhebung, fondern 
se bloße Relaration des göttlichen Strafgefebed an, in wel- 
em bie ganze Strenge bed woſaiſchen Geſetzes und ber 
ößte Segenfah gegen die Gnade bed Evangeliums ſich dar- 
lie, fo made man aus Chriftus einen Mofed, und ver- 
andle das Blut des neuen Bundes in. das Blut bes alten 
undes, in das nach Rache fchreiende Blut Abels. Befreit 
m und unter bem Fluche ober der Strafe des ewigen To» 
8 ftehen, fen ein Widerfpruch *), ein ähnlicher Widerfpruch 


1) Responsio ad cap. 3. a. a. O. S. 98.: Tollunt se mutuo, 
aliquem velle salvum, et eundem maledictiont, seu mortis 
aelernae poenae, subjicere. Immo licet in evangello quo- 
que comminatio mortis aeternae non credentibus aut non 
restpiscentibus sit proposita, nusquam tamen indicatur , 
eum in finem Dominum Jesum esse mortuum, ut id con- 
firmaret, et insigniter stablliret, sed semeltantum, idque 
obscurius, a Christo indicatur Luc. 23, 31., guomodo ex 
morte ipsius perspiet possit, eos, qui in impietate persi- 
stunt, punitum irl, nec quisguam ex» aliis sacris scrip- 
. toribus, cum docere vult, Implos ac non resipiscentes 
perituros, argumentum ejus rel ea mörte Christi petit. 
. Nempe quia hoc ipsum Novi Foederis non est plane pro- 
prium, et aliquo modo, ut disimus, legale, mors autem 
Christi ad illa, quae Nowi Foederis sunt propria, confir- 
.manda speclat. Quod si ne in hunc quidem finem Chri- 
stus revera est mertuus, Hcet ea res Novi Foederts ali- 
qua ratione sit propria, quanto minus eum in finem 
mortuus censeri debet, ul ejus legis aucloritatem sta- 
biliret, quae non illos demum, qui In ipsum crede- 
re ae resipiscere nolint, sed omnes quotquot aliquando 
peccarint, morti aelternae mancipiat, quae ab Wa di- 
stincta, nullo modo est Novi Foederis propria, sed ab 


440 IL Ber. 1 Abichn. 5. Kap. 


demnach, wie dem Socin zwiſchen Genugthuung und Berge 
bung ftattzuftnden fehlen. Ebenſo verhält es ſich mit einem 


andern Argument. Wie Socin fowohl an fi) fchon Genug 


thuung und Vergebung nicht zu vereinigen wußte, ald auf 
ganz befonders Chriftus fich nicht als den genugthuenden 
Stellvertreter der Menfchen denken Tonnte, fo glaubte Grel 


an — —— 


dem Leiden Chriſti nicht den Charakter eines Strafleiden ' 
zufchreiben zu Eönnen, welchen es ber Theorie des Grotius 


zufolge gehabt haben fol. So wenig Ehriftus, wie Sorn 
zeigte, als einzelner Menfch den ewigen Tod aller Menſchen 


erbulden Eonnte, ebenfo wenig kann, behauptet Crell, Chriſtus 


für fremde Sünden, deren Schuld er nicht theilte, geftaf 
worden ſeyn. Es wibderftreitet dieß der Natur der Strafe, 
und das Leiden Chrifti kann daher, wenn Chriftus nicht un 
gerecht gelitten haben fol, nur im uneigentlichen, nicht abe 
im eigentlichen Sinne eine Strafe genannt werden ?). In⸗ 


en dis dıa nacuy disstdet? Es ift hieraus zu fehen, wie die 
ganze Frage Über das Verhältniß des Gefeges und Evange 
liums hier eingreift. 

4) In der Responsio ad cap. IV. der Grotius’fchen Schrift 
a. a. O. 6.99, zeigt Erell, Christum salva justitia pu- 
niri non potuisse. Das Hauptmoment liegt in der Unter 
fcheidung der beiden Begriffe afflictio und poena (©, 105.): 
Omnis quidem poena afflictio, at nom vice versa omnis 
afflictio poena. — Poena ea demum afflictio est, quae 
vindictue rationem habet. — Unde alterum consequitur 
discrimen, quod poena nemini imponi possit nisi eo jure, 
quod ex delicto ipsius oritur. Id enim vindictae ratio 
postulat, aliogui injusta futura. Afflictio autem possit 
cutplam imponi citra ipsius delictum , vel jure dominil 
absoluti, quod quis in affligendum habeat, vel eo jure, 
quod ex ipsius affligendi valido consensu proficiscitur. 
— Ex eadem poenae forma nascitur tertium discrimen. 
quod propria poenas causa impulsiva, proögumena, sive 
interna, est ira, quo nomine irae quoque analogum W- 


oh. Crell. 44 


m aber Crell fich hiemit ausdrädlich einverflanden erklärt, 
# ber Begriff der Strafe, wenn auch nicht eigentlich, Doch 
eigentlich auf Chriftus angewandt werde *), fieht man 


Iuntatis actum complectimur, at afflictionis non omnis 
ea est causa, sed saepe contraria, nempe amor ac be- 
nevolentia. Indidem et quartum proficiscitur discrimen® 
prior! allguo modo affine, quod poenae, qua talis est, 
sit tantum nocere el, quem punis, non vero ei benefa- 
cere et felicitatem ejus quaerere, at nihil prohibet, quo 
minus is, qui alterum affligit, primo ac per se nihil 
altud, quam ejus Ipsius, quem affligit, bonum ac felici- 
tatem quaerat. Itaque fiert potest, ut quis el, cui af- 
ſtictionem imponit, praemium proponat, quo ei afflic- 
tionem illam abunde compenset, quemadmodum sane tum 
Christo, tum martyribus infinitum afflictionis praemium 
a Deo fuit propositum et Christo jam persolutum, alt 
. poenae naturae id prorsus repugnat, quia id omnem vin- 
dictae ratimem evertit. Ex quibus differentiis, prae- 
sertim tribus prioribus, satis etiam apparet, cur inno- 
cens puniri jure nequeat, affligi jure queat. 
1) Crell beginnt a. a. D. ©. 4. feine Responsio mit der Bere 
fiherung: Vox poenarum, non incommode, guamguam 
ämproprie, ad passionem ac mortem Christi, salva sen- 
tentia nostra, potest transferri. — Grotius, ul apparet, 
- poenarum vocem accepit proprie. — Hanc nos Christum 
sustinuisie negamus, improprie dictam fatemur. Id 
enim, quod Christus perpessus est, cum vera poena tan- 
tam habet cognationem, ut ea vox et phrases, in suppli- 
ciis proprie dictis usitatae, eleganter ad pussionem ip- 
sius traduci possint. EConvenientia primum est in ma- 
teria poenae, quae est afflictio aut nocumentum, dein- 
de in caussa impulsiva procatareticay hoc est peccatis, 
tandem in effectu et fine, qui est, ut realus peccatorum 
admissorum tollatur, et a peccatis homines abstrahan- 
tur, guamquam in modo aliqua est differentia. Deest 
autem polissimum forma, quae est vindictae ratio. Quod 


442 IL Ber. J. Abſchn. 5. Kap. 


nicht, worin denn eigentlich noch die Differenz zwiſchen bei⸗ 
ben Anfichten beftehen fol. Auch bei Grotius kann ja, ba 
er Feine genugthuende Stellvertretung annimmt, und doch de 
Unſchuld Chrifti nicht Täugnet, nicht von einer wirkliche 
Strafe die Rede feyn, fondern nur von einem Straferempd, 


d. 5. der Darftellung bes Zufammenhangd der Sünde mb. 
der Strafe an einem einzelnen Individuum, wobei es bew ‘ 


nach nur darauf angefommen wäre, ben Begriff: einer folden 


Darftellung, durch welchen an die Stelle der Sache ſelbſt ein 


bloßes Bild oder Symbol der Sache, ein Strafſombol, gefeht 


wird, genauer zu beftimmen. 
Die Eirchliche und bie focinianifche Theorie find auf die 


MWeife, fo natürlich es tft, daß zwilchen dem firengen Gege⸗ 


fa, welchen fie bilden, auch wieder etwas Bermittelndes 
hineinfällt, noch immer unvermittelt, da die Grotius’fche Theo 
rie wenigftend in der ihr von Grotius gegebenen Form em 
zu zweideutige Haltung hat, als daß fie ſich, der ſociniani⸗ 
fhen gegenüber, als eine felbfiftändige behaupten Könnte 
Gleichwohl ift Die jene beiden Theorien in einer vermittelnden 
Vorſtellung ausgleichende bei derfelben Religionspartei zu fir 
chen, welcher auch Grotius angehört, der Arminianifchen, nur 


st tamen Grotius ad formam poenae sufficere putat re- 
Iationem 'nocumenti ad peccatum et ad bonum commu- 


-— 


ne, atque adeo poenam definit nocumentum_ peccali | 


caussa culplam inflictum, inservtens bono communi d 
reatui tollendo, in forma rei, de qua agitur, adeoge 
in principali quaestione nobis cum ipso conveniet, n& 

nist forte de voce controversia nobis ab eo har in parte 
movebitur. Rem enim fatemur, vorem poenae propri 
huc pertinere non concedimus. Hier ift, was man [pätt 


die ſymboliſche Anficht vom Tode Chriſti genannt hat, ſchon ; 


ziemlich Far angedeutet. 


4! 


Die Lehre der Arminianer. > 443 


wen es erſt Curcelläus *) ımd Limborch ®), bie fle auf ih⸗ 
F abäqnaten Ausbrud zu bringen wußten. Die vermittelnde 
vee iſt die auf den Tod Chrifti übergetragene Opfer «See. 
we Bedeutung in der Lehre von der Verfühnung wurde 
mr and, fehon von Grotius gegen Socin geltend gemacht, 
er es geſchah dieß nur nebenher 3), und es tft leicht zu fer 
a, daß, folange das Hauptgewicht auf das Straferempel 
fegt wird, deſſen Wirkung fi nur auf die Menfchen bes 
ht, Die Opfer⸗Idee, die eine auf Gott felbft ſich bezichende 
jektive Wirkung vorausfebt, nicht zu ihrer wahren Bebeus 
mg kommen Tann. Eben dieß ift es aber hauptfächlich, was 
ie arminiantfche Theorie bezweckt, den Tod Chrifti in ein 
hektives Berhältniß zu Gott zu ſetzen ). Daher fegt Lim 
orch feine Theorie, nicht blos wie Grotius die feinige, der 
xinianiſchen entgegen, fondern betrachtet fie als die, fowohl 
er lirchlichen, als der ſocinianiſchen auf gleiche Weiſe eni⸗ 
egenſetzte 9. Die Haupteinwendung Limborchs gegen Socin 


— —— 


$) Steph. Curcellaei opera theologica, quorum pars praeci- 
pua institutio religionis christianae. Amfterdam 1675. In- 
‚stit. Lib. V. Cap. XIX. ©. 214. f. 

2%) Phil. a Limborch Theologia christiana ad praxim pietatis 
ac promotionem pacis christianae unice directa. Ed. V. 
Umfterdam 1730. Lib. IH. Cap. XX.f. S. 256.f. 

3) Nur in eregetifcher Hinficht 40, 21. ©. 129. 

4) Schon Epiſcopius machte den Grotius, als ihm Diefer das 
Mannfeript feiner Schrift zufchichte, auf diefen Punkt als 

. das eigentliche zuwonevov zwifchen ihm und feinem Gegner 

Sxxin aufmerffam, indem ex gegen ihn bemerfte, es handle 
ich hauptfähhlich darum: An Christus morte sua circa 
Deum aliquid effecerit? Grotius ging jedoch darauf nicht 
weiter ein, Ep. Grot. 91. ad Voss. . 

5) Restat, bemerkt Limborch V, 22. ©. 262. nad) der Wider: 

‚ Iegung der focinianifchen und der irchlichen Lehre, senten- 
tie nostra, quae Inter duas hasce extremas media est. 


“4 IL Ber. I. Abſchn. 5. Rap. 


it, daß er Chriſtus au einem Priefler ohne Opfer made, 
und das Fönigliche Amt Chrifti mit dem priefterlichen ver 
menge. Wenn dad Opfer Chrifti ben vorbildlichen Opfern 
des 9. T. entfprechen fol, fo. müfie fi) die Thaͤtigkeit Chri⸗ 
fi unmittelbar auf Gott ſelbſt beziehen, und deßwegen ber 
Tod Chrifti ald bie eigentliche Urſache der Suͤndenvergebung 


und Verföhnung mit Gott angefehen werben. Wie wir und 


durch unfere Sünden gegen Gott verfchuldet haben, fo babe 
Chriftus für uns fterben müffen, um Gott das Löfegeld für 
unfere Sünden zu bezahlen. Wäre Chriftus nur zur Bes 
tigung der Wahrheit feiner Lehre und infofern nur mittelbar 
zur Vergebung unferer Sünden geftorben, fo würbe auch bem 


Tode ber Märtyrer in gewißem Sinne bie Vergebung unſe⸗ 


rer Sünden zugefchrieben werden können. Gegen bie Firdlis 
he Lehre dagegen wurde vor allem geltend gemacht, daf 
wenn Chriftus für und vollflommen genuggetban, und all 
und obliegende Gerechtigkeit an unferer Stelle erfüllt Hätte, 
von ums felbft nichts mehr gefordert werden könnte, nicht ein 


mal der das Verdienſt Chrifti ergreifende Glaube. Sage 


man, ed werde von unferer Sünde doc, wenigſtens Danf- 
barkeit und Anerkennung des Verdienſtes Chrifti geforbert, 
fo fey ja die Dankbarkeit auch eine Pflicht, die Chriftus mit 
ber Erfüllung bes ganzen Geſetzes für uns fchon erfüllt ha- 
be *). Daß aber die Lehre von einer der göttlichen Gere: 


s) Daher machen auch die Arminianer, wie die Soeinianer, der 
firchlichen Xehre, insbefondere der Lehre vom thuenden Ge: 
borfam, den Vorwurf, daß fie zur Unſittlichkeit führe. Bol. 
Curcell. Inst. VII. 1, 7.3 Zvertitur necessitas sanctimo- 
niae per dogma de imputata Christi sanctitate. Nam 
si imputatur electis obedientia, guam Christus legi mo- 
rali eshibuit, et ejus sanctitate tanquam pallio tegalur 
eorum impuritas coramı Deo, adeo ul etiumsi nullum er 
ejus mandalis servaverint, et adhuc in omnem nequi- 
liam pruni sint, Deus lamen ipsis ex mera gralia per- 


| 
| 





VE 


Die Lehre der Arminianer. 445 


eilt in vollem Sinne genugihuenden Satisfartion nicht ale 
hre der Schrift angefehen werden könne, wird durch folgen« 
- &ründe gezeigt: 1. Der Tod Chrifti wird ein Opfer ge» 
mnt, aber Opfer find Feine Bezahlung der Schuld, 'Teine 
Uſtaͤndige Satisfaction fuͤr Die Sünde, fondern nur die Be 
ngung, die der freien Vergebung der Sünde vorangehen 
uß. 2. Chriftus hat den ewigen Tod weder intenfiv (ba 
unter der Laft des göttlichen Zorns nicht verzweifelte) noch 
tenſiv erbuldet. 3. Wenn Chriftus alle Strafen für unfere 
anden vollftändig abgebüßt hat, fo bleibt der göttlichen 
mabe nichts mehr übrig, was fie uns ſchenken könnte. Die 
ergebung unferer Sünden ift nicht mehr, wie die Schrift 
hrt, Sache der göttlichen Barmherzigkeit, ſondern nur der 
Mtlichen Gerechtigkeit, welcher vollfommen genuggethan if, 
‚ Wenn Chriftus für und ſchon Satisfaction geleiftet hat, 
ı hat Gott weder das Recht, Glauben und Gehörfam von 
ns zu fordern, wie er doch thut, noch auch, wenn wir ihn 
It leiften, uns der Frucht des Todes Chrifti zu berauben, 
nd wegen unferer Sünden zu beftrafen, Da es ungerecht 
Kire für dieſelbe Sünde die Strafe doppelt zu vollziehen, 


fectam Christi satisfactimmem, justitiam et sanctitatem 
donet et imputet, non est necessartum, ut illi propria 
sanctitate sint ornati. Imo illi operam velle dare nihil 
aliud esset, quam ostendere, te perfectae Christi justitiae 
non satis confidere, quod pro magno habent peccato. 
Unde fit, ut illi sanctimoniae studium requirant tantum, 
ut gratitudinem erga Deum pro salute gratis destinata, 
non ut medium ad illam acquirendam necessartum. Quod 
est sane totam necessitatis rationem evertere. Nam st 

: neque per ingratitudinem hominum unguam revocentur 
Det dona, ut iidem illi docent, illi salute nom escident, 
quibus ea est destinata, etsi gratitudinem suam per ope- 
ra sanctitatis et justitiae non ostendant, sed in pecca- 
torum coeno se adhuc assidue volutent. 


zuerft an Chriftus, und hierauf an und. Daß Chriftus in 
der Schrift unfer Bürge genannt wird, iſt nur aus der Be 
Ihaffenheit des Bundes zu erflären, in Beziehung auf we, 
chen er Bürge iſt. Es folge hieraus nicht, daß er alle durh 
unfere Sünden verichuldeten Strafen auf ſich genommen hat, 
fondern nur, daß er ſich anheikhig gemacht bat, durch fein 
Wort und feinen Geift zu bewirken, daß die Genoſſen de} 
Bundes die Bundesbedingungen erfüllen. Wenn es auch nick‘ 
von allen wirklich gefchieht, fo fehlt e8 Doch von Seiten Chri⸗ 
fti nicht an der Möglichkeit, diefe Bedingung zu erfüllen, und 
nur unter der Vorausfegung diefer von Chriftus für Die Men⸗ 
fchen geleifteten Bürgichaft kann Gott, wenn er durch das 
Blut Chrifti verföhnt ift, einen neuen Bund mit den Sünden ; 
eingeben. Ebenſo wenig fegt der Begriff eines Löſegelds vors 
aus, daß Chriftus für uns alles, was wir Durch unfere Sim ° 
ben verbienten, geleitet hat ). Im Gegenſatz gegen bie 
beiden Theorien liegt nach Limbordy das Hauptmoment da⸗ 
rin, daß Chriftus als wahres und eigentliche Opfer für um 
fere Sünden an unferer Stelle die größten Leiden erhulbe, 
und dadurch die Strafe, die wir verdient hatten, von ımd | 
abgewandt hat. Als Strafe aber Tann das Leiden Chrifi 
angefehen werden, zwar nicht fofern er daſſelbe erbuldete, 
was die Menfchen hätten erdulden follen, aber doch, fofern 
das nach Gottes Willen Aber ihn verhängte Leiden bie Stelle 
einer Strafe vertrat, fo daß fein Leiden diefelbe Wirkung hat 
zur Verföhnung Gottes und zur Vergebung unferer Sünden, 
wie wenn er daſſelbe erbuldet hätte, was wir hätten erdul- 


1" 
446 ll. Ber. L Abſchn. 5. Rap. 
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4) %. a. D. III, 21. 8.: In eo errant quam masime, quod 
vellnt redemtionis pretium per omnia acgquivalens esst 
debere miseriae ill, e gua redemtio fit, redemtionis pre- 
tim enim constitui solet_pro libera aestimatione illius, 
qui captivum detinet, non autem solvi pro captivi meri- 
to. — Ita pretium, quod Christus persolvit, juæta De 
patris aestimationem persolutum est. | 


nn nn > 


Die Lehre der Arminianer. 447 


a follen 9; Der Borwurf der Grauſamkeit kann Bott dar⸗ 
ver nicht gemacht werden, baß er feinen Sohn als Opfer 
xben ließ, da Gott, wie er überhaupt der abfolute Herr 
m allen Menfchen ift, fo auch als Vater dad Recht hat, 
a Sohn dem Tode zu übergeben, da ferner der Sohn fidh frei⸗ 
illig als Opfer zur Befeligung der Menſchen darbot, und 
1, was die Hauptfacdhe ift, Gott dem Sohn mit Rüdficht 
sf feinen Tod die Auferftehung und Erlöfung verhieß. Die 
auptfrage jedoch ft, wie dad Opfer eines einzigen Men- 
ben zur Verſöhnung der zahllofen Sünden einer fo großen 
Benge von Menſchen zureichend feyn Tann? Zureichend war 
|, antwortet Limborch, in doppelter Hinficht, fofern man das 
4 fowohl den Willen Gottes, als auch DieWürbe der Ber- 
a in Betracht zieht. Vom Willen Gotted hing es ab, zur 
öfung der Menſchheit nichts weiter als dieſes Eine Opfer 
ı verlangen, da Gott das abjolute Recht hat, zu. beftim« 
m, was zu feiner VBerföhnung gefchehen fol. So gut es 
2 Mille Gottes war, das Opfer des 9. T. zur Berföh- 
mg ber. Sünden des Volks für zureichend zu erklären, eben⸗ 
"Zut kann dieß in Beziehung auf das Blut Chrifti zur Ver⸗ 
huung der Sünden der ganzen Menfchheit geichehen. Was 

ver die Würde der Perſon betrifft, fo will bier bie arminia- 
ke Dogmani keineswegs unbeachtet laſſen, daß, wenn auch 
hriſtus nur als Menſch gelitten haben kann, ſeine menſch⸗ 


24 M. a. O. III, 22. 2.: Ba ut Ahoi sunsu. Jesus Christus 
- wastro loco punitus recte diestur, quatenus summos ani- 
mi angores, crusisgue mortem maledictam pro nobis tu- 
' Üt, Yuae poenae vicarlae pro peccatis nostris rallonem 
habalt. Atque hoc sensu Dominus morte sus Patri pro 
nobts satisfoctsse, noblsque jusiitiiam merilus esse dict 
potest, quatenus satisfecit non rigort justitiae divinae, 
’ sed volantati Dei justae simul uc miserlcordi,, omniaque 
peregit, vuue ad nosirs reconciiiatlünem a Deo vopuist. 

ta sunt. 


48 1, Ber. 1 Abſchn. 5. Kap. 


liche Natur von der göttlichen in die Einheit der Perſon auf 
genommen worden tft 2). Ja, ſchon als Menſch habe Chri⸗ 
ſtus eine ganz eigenthümliche Würde feiner Berfon gehabt, 
Daher Eönne Tein Zweifel feyn, daß die Würde der Perſon 
auch dem Leiden Chrifti eine unendliche Bedeutung gegeben 
habe 2). 

Co fehr die arminianifche Lehre auf biefer obiektiven 
Seite vom Socinianismus zur Tirchlichen Lehre zurüdlenkte, 
fofehr ſchloß fie fih Dagegen auf der ſubjektiven Seite an den 
felben an. Daſſelbe praftifche Sntereffe, aus welchem der Se⸗ 
cinianismus hervorgegangen war, befeelte auch den Arminia 
nismus, und war die Urfache des Widerſpruchs geweſen, 
mit welchem er fich dem alle fittliche Freiheit aufbebenden ab⸗ 
foluten Prädeftinationddogma entgegengefeht hatte. Wie die 
Sorintaner fonnten daher auch die Arminianer den Glauben 
den Werfen oder dem Gehorfam nicht entgegenfeßen, fondern 
den Sehorfam nur im Glauben begreifen, fofern der Glaube 
überhaupt das Princip der chriftlichen Frömmigkeit und :Heb 
ligung ift 9. Daraus folgte von felbft, daß fie auch die im 
Glauben zuzurechnende Gerechtigkeit Chrifti nicht als das Ob 
jeft des Glaubens betrachten konnten. Limborch erflärt diefe 


1) Dan Eönne daher mit Recht fagen, daß auch der ewige Sohn 
Gottes litt, was der Menſch Jeſus Chriſtus im Fleiſche für 
die Sünder litt. 

2) III, 22, 5.: Personae Christi dignitatem immensum pas- 
sionibus ejus pondus conferre, quis est, qui in dubium 
vocare possit? Unius principis aut ducis captivi digni- 
nitas multis aliis captivis redimendis sufficit : quantum 
momenti censemus ad generis humani liberationem con- 
ferre dignitatem illam supremam Filii Dei? 

3) So definirt auch fchon die Confessio Remonstr. c. 11. da 
Slauben: Necesse est, ut fidei praescriptum non allo 
modo hic conskderetur, quam quatenus proprietate sus 
naturali obedientiam fidel includit. 


an. — Gi, 


Em 


“r Dr 2 


Die Lehre der Arminianer. 449 


hre *) für ganz ungereimt. Nicht nur Iehre. die Schrift 
rgendbs, daß die Gerechtigkeit Chrifti und zugerechnet wer- 
„ſondern e8 lafle ſich auchngar nicht denken, daß Die Ge⸗ 
chtigkeit des Einen dem Andern zugerechnet werde, Da daß 
ze Wefen und Verdienſt der Gerechtigkeit nur darin bes 
ehe, daß fie aus der eigenen freien Selbftthätigfeit jedes Ein- 
inen hervorgeht. Ohnedieß würde ja Die Lehre von einer 
bfoluten Prädeftination eine folche Aneignung durch den 
Kauben völlig überflüßig machen, indem die Erwählten nur 
sd. erhalten würden, was fie ald Ermwählte fchon haben. 
Ne Zurechnung der Gerechtigkeit befteht daher nur darin, daß 
der Glaube ald Gerechtigkeit angerechnet, oder unfere 
wollfommene Gerechtigkeit um Chrifti willen als eine voll 
mmene angenommen wird 2), Das Objekt dieſes Glau⸗ 
end iſt der ganze Chriftus als Prophet, Prieſter und Kö⸗ 
ig, nicht blos mit feiner Verjöhnung, fondern mit feinen 
Behoten, Berheißungen und Drohungen, und der Glaybe an 
jhriſtus felbft kann nur als ein Akt des freien Gehorſams, 
wichen wir Gott leiften, gedacht werden. Werde der Glau- 
e als die Ergreifung der Gerechtigkeit Chriſti definirt, fo 
aſe fich nicht erklären, wie dieſe Ergreifung nicht das Werk 


4) Er befchreibt fie fo VI. 4, 24.: Fidem esse apprehensto- 
nem illius justitine, seu ipsam illam Christi justitiam, 
quatenus fide apprehensa est (fide metonymice hic ac- 
cepta pro objecto suo, Intricate enim hic loquuntur), quae 
zer fidem illam nostra fit, adeo ut justitia Christi ve- 
stiti ac tecti benedictionem a Deo consequamur , perin- 
de uti Jacobus, indutus veste fratris sul primogeniti Esau, 
benedictionem a patre. Isaac consecutus est. 
2) VI. 4, 17: 18.: Est gratiosa aestimatio (mentis divinae), 
seu potius acceptatio justitlae nostrae imperfectae (quae 
st Deus rigide nobiscum agere vellet, in judicio Dei ne- 


quaquam comsistere posset), pro perfecta, propter Jesum 
Christum. 


Baur, die Lehre vonder Verſöhnung. 29 


450 U. Ber. L Abſchn. 5. Kap. 


des Menſchen felbft ſeyn foll, außer fofern ſich der Menſch da 
bei ganz paffiv verhält, und alled auf einen Aft ber göttlis 
hen Allmacht zurüdgeführt wird. Werde aber der Glaube 
ein Werk des Menfchen felbft genannt, fo werbe hiemit nit 
gefagt, daß er einen innern objektiven Werth habe, und die 
formale Urſache unferer Rechtfertigung fey, da die Rechtfers 
tigung nur ein reiner Akt des göttlichen Geiſtes, buch mes 
hen und Gott für gerecht hält, und ber Glaube felbft im 
mer ein an ſich unvollfommener Aft ſey. Wenn ber Glaube 
obgleich felbft ein Werk des Menfchen, den Werken entgegen 
gefegt werde, fo beziehe ſich dieß nur auf den Gegenfap zu 
den Werfen des Geſetzes. Dielen ftehe ber Glaube entgegen, 
fofern er nach Abfchaffung aller äußern Geremonien des Ge 
feßes eine geiftige Gottesverehrung in fich enthalte, und fe . 
nen der Strenge des Geſetzes entfprechenden, fondern nur ds 
nen den Kräften eines jeden angemeflenen Gehorfam verlan- 
ge *). Gegen eine ſolche Zurechnung der Gerechtigkeit Tann 
nicht eingewendet werden, daß es mit der Wahrheit des gött 
lichen Gerichts ftreite, eine unvollfommene Gerechtigkeit für 
eine vollfommene zu erflären. Diefes Argument würde nur 
auf die Gegner zurüdfallen, und fie müßten felbft geftehen, 
daß Gott, wenn fein Gericht Fein unwahres fern fol, bie 
Gerechtigkeit Chrifti nicht als die Gerechtigkeit des Menſchen 


4) VI. 4, 37.: Nec rigidam exigit obedientiam, sed benig- 
nam ac graliosam ac cujusque viribus attemperatam, 
praescriblt enim resipiscentlam, promittitque remissio- 
nem peccatorum, exigit obedientiam fidei, hoc est, nun 
rigidam et ab omnibus aequalem, prout esigebat les, 
sed tantum, quantum fides, id est certa de divinis pro- 
missionibus persuasio, in unoquoque efficere potest, in 
qua eliam Deus multas imperfectiomes et lapsus conde- 
nat, modo animo sincero praeceptorum ipsius observ- | 
tioni incumbamus, et continuo in eadem proficere siı- 
deamus. 


Die Lehre der Armınianer. 451 


sehen kann. Allein Gott erklärt nicht die Gerechtigkeit bed 
zenſchen für eine vollfommene, vielmehr für eine unvoll- 
mmene, er will nur die Gerechtigkeit, die er für eine uns 
Wfommene erklärt, vermöge feiner Gnade, fo annehmen, 
ie wenn fie vollfommen wäre Die völlige Ausfchliegung 
7 Werke aber würde fowohl mit der Lehre der Schrift, wel⸗ 
e die Vergebung der Sünden nicht blos von dem Glauben, 
adern auch von den Werten abhängig macht, ſtreiten, als 
sch Die Ungereimtheit zur Folge haben, daB der Menſch 
ı feiner Sottlofigfeit gerechtfertigt werde. Sind alle Werfe 
m ber Rechtfertigung ausgefchlofien, fo fällt auch der Glau⸗ 
&, fofern er ein Werf des Menfchen ift, hinweg, und ed 
it fich nicht Denken, wie man, ohne in ein leeres Spiel mit 
pelbeutigen Formeln zu verfallen, ben lebendigen Glauben 
er Rechtfertigung verlangen kann *). 


Sechstes Kapitel 


)er Standpunft des Dogma’s in der zweiten Hälfte 
es fichbzehnten und der erfien Des adhtzehnten Jahr: 
hunderts. Rückblick aufdie Myſtiker. J. K. Dippel. 


In den beiden, auf die dargeſtellte Weiſe einander gegen⸗ 
herſtehenden, Theorien, der kirchlichen und der arminiani⸗ 


4) Wie die arminianifche Lehre die natürliche Vermittlung zwi⸗ 
ſchen der Firchlichen und focinianifchen it, fo haben auch 
die neuern Soeinianer, oder Unitarier, In Siebenbürgen felbft 

du ihr eingelenkt. In der zu Elaufenburg im J. 1787 ers 
fehienenen Summa universae theologiae christianae secun- 
dum Unitarios, in usum auditorum theologiae concinna- 
ta et edita (vgl. J. G. NRofenmüller’s kurze Darftellung des 
eigenthümlichen Lehrbegriffd der Unitarier in Siebenbürgen 
in Stäudlin’s und Tzſchirner's Archiv für alte und neue 
Kirchengeſch. J. Bd. 1814. ©. 83. f.) wird P. IL cap. IV. 

29 * 


452 Il. Ber. J. Abſchn. 6. Kap. 


fchen, hatte dad Dogma von der Verfühnung aufs neue ei⸗ 
nen beftimmten Punkt feiner Entwidlung erreicht. Jede der 
beiden Theorien beruhte auf einer eigenthüntlichen im religiö- 
fen Bewußtfeyn begründeten Idee, die eine auf der Idee ber 
ftrafenden Gerechtigkeit, die andere auf der Idee ber freien 
vergebenden Gnade. Indem aber bie letztere Theorie, in der 
Form, welche ihr die Arminianer gegeben hatten, Die Berge 
bung durch die Gnade doch zugleich wieder von ber Außen 
Thatfache des Todes Chrifti abhängig. machte, und ſich da 
durch der erftern Theorie näherte, hatte fie ebenbamit das 
Schroffe und Abftoßende, das die fociniantfche Theorie für das 
hriftliche Bewußtfeyn haben mußte, abgelegt, und fo vice 
Einwendungen, die von Seiten’ der Eregefe erhoben werben 
fonnten, fielen von felbft hinweg. Se mehr auf Diee 
Weiſe der Gegenſatz begründet und in ſich abgefchloffen, und 
jede der beiden Theorien zu dem gleichen Widerfpruch gegen 
die andere berechtigt war, defto mehr konnte es fich in ber 
weitern Entwidlung ded Dogma’d nur um das gegenfeitige 


De sacerdotali Christi Domini munere die Lehre de satis- 
factione fo dargeftellt: Chrifius hat dem Willen feines Bas 
ters einen fo vollkommenen Gehorfam geleiftet, daß er ihm 
in allem dem, was er unferer Sünden wegen von ihm for 
derte, vollfommen genug gethan hat, und daß uns die 
Wohlthat der Vergebung der Sünden und das ewige Leben 
zu Theil wird. Denn obgleich die Leiden eines Einzigen 
nicht das Leiden Anderer werden fünnen, wie Münzen, fi 
Fünnen fie Doch fo angefehen werden, daß eine Wohlthat oder 
Nusen für einen andern daraus entfpringt. Auch hat Gott, 
welcher das Recht hat, Sünden zu vergeben, nad) feine 
Erbarmung, dem Gehorfam Ehrifii, des Heren, einen fo de 
hen Werth beigelegt, fo daß fein Tod ein hinreichendes £ 
fegeld (redemtionis pretium) für das menfchliche Geſchlecht 
‚iR, iedoch in dem Maaße, dab es nur den Glaubigen und 
Gehorfamen zu Gute Eommt. 





Stanbpunft ded Dogma’s sec. 17. u. 18. 453 


chaͤltniß dieſer beiden Theorien handeln. Die Frage konnte 
e nicht blos feyn, welche von beiden allmählig durch Ber- 
ngung der andern das entichiedene Uebergewicht gewinnen 
erde, fondern es Fam vielmehr darauf an, das Wahre, 
; unftreitig jede hatte, zur Einheit des Begriffs zu ver- 
den. Auch abgefehen davon, daß auf der einen Seite das 
ment ber Gerechtigkeit, auf der andern das ber freien 
ade lag, hatte die Kirchliche Theorie die ſtrenge Confequenz 
fi), mit welcher fie den Aft der Berfölmung als einen 
ch feine eigene Idee bedingten Proceß fich entwideln ließ, 
hrend jene andere fich Hauptfächlich dadurch empfehlen muß- 
daß fie den äußern Akt fo viel möglich als einen innern 
faßte, und dem Momente der Subjeftivität fein volles Recht 
räumte. Auf der andern Seite hatte aber auch jede bie 
iche Aufgabe, Die Einſeitigkeit, in welcher fie ſich abzu⸗ 
ießen in Gefahr war, zu uͤberwinden. Lag bei der einen 
eorie die Einſeitigkeit in einer zu Außerlichen Objektivität, 
lag -fie bei der andern in dem UWebergewicht der Subjefti- 
it. Die objektive und die fubjeftive Seite mußten ſich ge- 
feitig tiefer und innerlicher begründen und ergänzen. Zu⸗ 
bft aber Jag das Princip der Bewegung auf der Eeite 
der Firchlichen Theorie gegenüberftehenden. Se höher Die 
mianifch.-arminianifche Theorie das Princip der Subjefti- 
it ftellte, deſto zweifelhafter mußte immer wieder eine dem⸗ 
ven fo unmittelbar widerſtreitende Vorſtellung erſcheinen, 

—— die Idee des thuenden Gehorſams war. Sie 
eb der Natur ber Sache nach bie. (hwächfte, dem Angriff 
Gegner am meiften ausgefeßte, Seite der Firchlichen Satis⸗ 
tionstheorie, deren Freunde auf diefem Punkte fehr leicht - 
8 Intereſſe verlieren Eonnten, fie in. ihrem ganzen Umfan- 
feftzuhalten. Auf der andern Seite aber konnte auch Die 
: gegenüberftehende Theorie auf dem Punkte, auf welchem 
ftund, nicht ftehen bleiben. Sie ftimmte niit der Firchli- 
n in der Vorausfegung überein, daß pofitive Strafen mit 


34° - Ber J. Abſchn. 6. Kap. 


der Suͤnde nothwendig verbunden gedacht werden müſſen, 
aber ſie nahm poſitive Strafen nur an, um ſte ohne weitere 
Ruͤckſicht auf die Idee der göttlichen Gerechtigkeit ſogleich wie⸗ 
der aufzuheben. Es mußte daher nichts näher liegen, al 
den Begriff der pofitiven Strafen felbft, das Verhältniß der 
Strafe zur Sünde, und überhaupt die Vorausfegungen nö 
ber zu unterfuchen, von welchen man bisher auf beiden Sei⸗ 
ten ausgieng, ohne fie noch in nähere Erwägung zu ziehen 

Der Eirchlichen Satiöfactionstheorte konnte es in der Form, 
welche fie zuletzt durch die der Eoncordienformel folgenden lu⸗ 
therifchen Dogmatifer erhalten hatte, nur darum zu thun 
feyn, den eingenommenen Standpunkt zu behaupten. Die 
großen Spyftematifer der Iutherifchen Kirche. des fiebzehnten 
Jahrhunderts machten es fich auch hier zur Hauptaufgabe, nad) 
ihrer befannten Methode, durch MWiderlegung der Antithefen 
und Abwehr der Einwürfe nach allen Seiten hin das orthobore 
Dogma mit dem Bollwerk ihrer fcholaftifchen Beftimmungen zu 
umgeben. Eine weitere Eeite der Entwidlung aber bot fih 


J 


nicht dar, da die Theorie, ohne über ſich ſelbſt hinauszuge⸗ 


hen, die Idee der göttlichen Strafgerechtigkeit, durch die ſie 
weſentlich bedingt war, nicht überſchreiten konnte. Sie konnte 
daher nur die Beſtimmungen, auf welchen ſie beruhte, affir⸗ 
miren. Dazu mußte ſie ſich nicht blos durch Gegner, wie 
die Socinianer und Arminianer waren, ſondern auch durch 
Vertheidiger, wie H. Grotius, veranlaßt ſehen. Auffallend iſt 


jedoch, daß die Grotius'ſche Satisfactionstheorie Die Aufmerk— | 


jamfeit der Tutherifchen Dogmatifer des fiebzehnten Zahrhun- 
derts nicht in höherem Grade auf ſich zog, und das polemi⸗ 
ſche Intereſſe, das auf ihre Behandlung der Dogmatik einen 
jo überwiegenden Einfluß hatte, fie nicht zu ausdrüdlicherem und 
entjchiedenerem Widerfpruch beftimmte. Erft die Theologen 
des achtzehnten Jahrhunderts, Buddeus und Pfaff, faßten das 
eigentlihe Moment derfelben auf, und auch diefe, wie es 
ſcheint, erft nachdem fie durch einen berühmten Suriften jener 


Buddeus u. A. 455 


it, Ulrich Huber, auf daſſelbe aufmerkſam gemacht worden 
wen. Ste ſahen ſich dadurch zu der ausdruͤcklichen Erklaͤ⸗ 
ug veranlaßt, daß der Begriff der Satisfaction hier im ei⸗ 
atlichſten Sinne von der genaueſten Erfuͤllung alles deſſen, 
is die göttliche Gerechtigkeit nach ber vollen Strenge des Geſetzes 
n den Menſchen zu fordern bat, zu nehmen ſey, daß, wenn 
ott auch nur einiged ohne eine ſolche Leiftung oder Satis⸗ 
tion erlafien haben fol, er ebenfo gut auch alles auf die⸗ 
be Weife erlafien haben könne, fomit die Nothwendigkeit 
r Satiöfaction durch den Gottmenfchen überhaupt hinweg⸗ 
de 2), Wenn aber andere zu derfelben Klaffe gehörenden 


4) Vol. Buddens Instit. theol. dogmat. 1723. Ausg. v. J. 
1741. ©. 816.: Satisfactionis vow hic ita accipitur, pro- 
ut expletionem ezxactissimam eorum omnium, quae Deus 

‚ab, hominibus peccatoribus per justitidm suam, secun- 
dum summam legis üxoißeuar, postulare poterat, pro ho- 
minibus a Christo factam denotat. Strictior haecce at- 
que propria satisfactiontis notio, quam sacrae scripturae 
convenientem esse, deinceps demonstrabimus, eo diligen- 
tius hic notanda et custodienda, quo solemnius üllis, qui 
hic In diversa abeunt, est, vocis hujus ambiguitate er- 
rores suos tegere, atque culiginem offundere imperitio- 
ribus. Ezxemplo esse potest magnus ille Grotius, qui etsi 
satisfactionis Christi defensitmem contra Socinum susce- 
perit, eatamen td fecit rationè, ut hostibus veritatts, plus 

. qwam decebat, concedendo, revera nihil egisse videatur. 
Genuinam namque satisfactionis notionem sine necessi- 

. Tate deserit, Christum liberasse nos docens, aliquid pre- 
tti dando. — Reprehenditur Grotius hoc nomine non im- 
merito, tum ab aliis, tum ei a jureconsulto longe cla- 
rissimo, Ulrico Hubero, quem hac de re audiri juvabit: 

„Quod haec cautio (de evitanda vocis hujus ambiguitate) 
minus usquequaque sit observata, facilius theologis, quam 
Grotio juris consulto ignoverim, qui in libro tantopere 
laudato de satisfactione, contra Socinum scripto, hanc 


456 


Theologen berfelben Zeit den Begriff biefer Nothwendigkei 
fo beftimmten, fie fen Feine wefentliche, mit dem Begriffe des 
göttlichen Wefens felbft gegebene, da man Gott auch ohw 
die Idee der Satisfaction fi) denfen fünne, auch Feine phy⸗ 
fifche, da Gott als freier Geift, auch frei firafe, ebenfo we 
nig eine abfolute moralifche, fondern nur eine hypothetiſche, 
die fogenannte necessitas consequentiae, da fie nur er 
was zufälliges, Die Sünde, weldye Adam auch hätte unter 
laͤſſen können, zu ihrer Borausfegung habe *), fo tft, wm | 


1 


— 


1. Ber. L Abſchn. 6. Kap. 


satisfactionis lariorem signifieatimem nimis, ut vide- ' 
tur, cupide sectatur, nec unquam suum lectorem, juris 
imperitum, de periculo ambiguitatis illius admonitum, 
imbuit doctrina, quae, si orthodosam exprimit senten- 
tiam, fallor ego vehementer, etsi falli me cupiam. Et 
enim z5 nayu haec sententia: Christum liberasse nos all- 
quid pretii dando, minime quod toti debito, secundum 
legis rigorem, aequale, sed quo Deus pater contentus fue- | 
rit, qui reliquum remiserlt, hoc est dimiserit sine es- 
pletione, quod sit äyıcva. I. e. missum facere.““ Diss. juri- 
dico theolog. de foederibus, testamentis, liberationibus, 
satisfactionibus etc. Franequ. 1688. Exerc. 7. $.8. Ejus- 
modi sane satisfactio, cum ab eo elilam proficisci potue- 
rit, qui nudus homo est, non video, quid Socinianos mag- 
nopere impedire debeat, quo minus eam admittant: Por- 
ro, sit Deus quaedam sine expletimme seu satisfactione re- 
mittere potuit, ecquid obstubit, cur non omnia potuerit! 
Cadet ergo necessitas satisfactionis. Pfaff gab ein Exa- 
men libelli Grotiani de satisfactione Christi Tüb. 1753. 
heraus. Weber einige ältere, die fich gegen Grotius erflär: 
ten, wie Der fchon genannte Ravenfperger, ift Die fchon mehr 
mals erwähnte Eotta’fche Abhandlung ©. 129. zu vergle: 
chen. 

So Sir. ©. Eanz, ein Theologe, welcher fonft zu den An 
hängern der Wolffchen Philofophie gerechnet wird, in dem 
Compend. theol. purioris üb. 1752. ©. 689. f.f. — Ju 


‚stitiae exercitium Deo non est essentiale: semper lei 


‘ 


% 
Leibniz Wolfifche Philofophie. 467 


fe folche Beftimmungen mit den Duenftebt’fchen vergleichen, 
kht zu fehen, wie man von der Strenge des Satisfactiond- 
griffs immer wieder ebenfo viel hinwegnahm, als hinzu⸗ 
ste, und überhaupt über das unftele Schwanken zwifchen 
bſoluter Nothiwendigfeit und abfoluter Willkür nicht hinweg⸗ 
wenen konnte. Diefer Mangel eines beftimmtern Begriffs 
igte fich auch darin, daß, während Theologen, wie die ges 
annten, Das Zweideutige und Ungenügende des Grotius’fchen 
Satiöfactionsbegriffs aufdedten, andere noch immer der Mei- 
ang waren, Daß er von dem orthodoren nicht wefentlich ver⸗ 
Meden fey. Diefe Anficht war es, die den befannten Hallifchen 
theologen, Joachim Lange, im 3. 1730 (zur Feier des zwei⸗ 
m evangelifchen Jubelfeſtes) zu einer neuen Ausgabe der Gro⸗ 

ö’fchen Schrift beftimmte Y. Um diefelbe Zeit begann bie 
eibniz⸗Wolfꝰſche Philofophie ihren Einfluß auch auf die Theo- 
gie zu Außern, und überhaupt durch die Selbftftändigfelt, mit 
yicher ſich in ihr zuerft Die Philofophie der Theologie zur 
seite jeßte, ein neues eigenthümliches Verhältniß zwiſchen 
hiloſophie und Theologie einzuleiten. Sie hatte auf der ei- 
m Seite eben fo fehr dad Intereſſe, Vernunft und Offen- 


facultas relinquitur impunita dimittendi peccata, licet 
necessariae puniendi rationes prostent. 

4) Er verfichert in der Praef. ©. 22.: Virum juris omnis 
longe peritissimum doctrinam de satisfactione ita trac-. 
tasse, ut etiam sanior ratio, ad juris humani ac divtni 
principia dextre relata, in ea, quod desideret, depre- 
hendat nihil, sed quae demisse admiretur, admittatque 
omnia quam rectissime comparata. Id quod philosophici 
ingenli ao politici ordinis viris non potest non, si sa- 
piunt, esse gratissimum. Et quemadmodum hanc eccle- 
sine evangelicae doctrinam in thesi satis luculenter (si 
pauciora, quae aliquid obscuritatis habent, loca exci- 
plas) propmit, sic Sociniani erroris nervos non minus 
solide incidit evertitque. 


x 


458 IL Ser L Abſchn. 6. Kap. 


barung, Philoſophie und Theologie fo viel möglich ausein⸗ 
ander zu halten, um jeder ihr eigenthuͤmliches und ſelbſtſtaͤn⸗ 
diges Gebiet zu fichern, ald auf der andern Seite ihr Bee | 
ben bahingieng, durch die Boraudfegung des Grundſatzed, 
bag Wahrheiten, die über die Vernunft hinausgehen, nit 
gegen die Vernunft feyen, beide in ein harmontiches Verhält⸗ 
niß zu einander zu feben. Im der erftern Beziehung nunfke 
fie von felbft geneigt feyn, Kirchliche Dogmen, „wie das Sa⸗ 
- tiöfactionsdogma, in ihrer vollen Bedeutung anzuerkennen, 
Nur wenn ed tiber die Bernunft hinausgehende, aber zur Se⸗ 
ligfeit des Menfchen nothwendige Wahrheiten gab, Hatte man 
einen zureichenden Grund, die Offenbarung als einen höhern 
Kreis von Wahrheiten über die Vernunft zu flellen. Daber 
feßte einer der erften Theologen, welcher Die Wolf’fche Philos 
fophie auf die Theologie anwandte, Carpov, Die Lehre von 
der Verſöhnung dadurd) in ein näheres Verhältnig zur Wolfe 
fhen Dffenbarungstheorie, daß er eine Belehrung über das 
Mittel der Verſöhnung des Menfchen mit Gott unter bie 
Kriterien der Offenbarung rechnete %. Ge beftimmter man . 
ſich alfo des Unterſchieds zwifchen den natürlichen und geof 
fenbarten Wahrheiten bewußt wurde, defto weniger Eonnte bie 
Vernunft auch an folchen Lehren, wie das Firdhliche Satisfac⸗ 
tionsdogma war, Anftoß nehmen. Auf der andern Seite konnte 
der ſchon von Leibniz aufgeftellte Grundfag, dag Myſterien 
der Offenbarung von der Vernunft, wenn auch nicht begrifr 
fen, Doch auf eine für den Glauben hinreichende Weife erklärt 
werden können, leicht dahin führen, daß man fich mit dem 
Satisfactionsdogma durch einen ähnlichen philofophifchen oder 
logiſchen Formalismus, wie der juridifche des Grotius war, 
abfinden zu können glaubte, um ed der Vernunft annehmba⸗ 
rer und einleuchtender zu machen, wie ja auch fonft Leibnij 


1) Oeconomia salutis N. T. s. theol. revelata dogm. mcetho- 
do scientifica adornata, Vimar. Praelim. Cap. 1. $. 58. 





Die Myſtiker. 459 


wit der ihm, ebenfo wie dem Grotius, eigenen diplomatifchen 
Gewandtheit die Interefien von Vernunft und Offenbarung 
Wiözugleichen, und zwiſchen dieſen beiden Mächten einen ſchein⸗ 
Bar auf ewige Zeiten gültigen Frieden abzuſchließen ſuchte. 
Das Eine wie das Andere lag an fich in der Leibniz-Wolfs 
ſchen Philoſophie, ein beflimmter materieller Einfluß aber, 
weichen fie auf die Behandlung des Satisfactionsdogma’s 
‚gehabt hätte, laͤßt ſich, obgleich dieß öfters behauptet wird, 
uicht nachweifen. 

Roch iſt Hier, ehe wir auf Die bald nach der Mitte des 
‚wötzehnten Jahrhunderts einen neuen Aufichwung nehmenden 
Behrebungen, das Satiöfactionsdogma der Vernunft näher 
u bringen, übergehen, ein Blick auf eine Reihe von Erſchei⸗ 
Bingen zu werfen, bie fchon feit der Reformation eine fort 
gehende Oppofition, wie gegen den Firchlichen Lehrbegriff übers 
‚haupt, fo insbeſondere auch gegen das Satisfactionsdogma 
Wbeten, aber doch erfi von dem Bunfte aus, auf welchem 
Wir bier in dem Entwidlungsgange unferd Dogma's ſtehen, 
% ihrem Zufammenhang überfehen werden können, die Mys 
fer der proteftantifchelutherifchen Kirche. Die Richtung, die 
in ihnen hervortritt, ift, obgleich ohne äußern Zufammenhang 
biefelbe, die uns fchon in Andreas Oftander begegnete. Sie 
beſteht in dem Widerfpruch gegen eine blos imputative ober 
kußerliche Gerechtigkeit, an deren Stelle ein inneres Princip, 
us das allein wahre und weentliche gejegt werben müfle. 
Dierin lag der Grund der Oppofition, welche ſchon Schwenk⸗ 
ſeld, wie gegen das lutherifche Reformationswerk überhaupt, 
fo insbeſondere gegen die lutheriiche Lehre von der Rechtferti⸗ 
gung erhob. Sie ſchien ihm den Menjchen in ein zu äußers 
liches Verhaͤltniß zu Gott und Chriftus zu fegen, und durch 
die Meinung, am Glauben fey ed genug, und Gottes Gebote - 
zu halten unmöglich, zur Sicherheit und Trägheit zu führen. 
Beſonders tadelte er, daß durch das Vertrauen auf die Ge- 
nugthuung Chrifti den guten Werken und dem Geſetze Gottes 









460 11. Ber. I. Abfehn. 6. Kay. 


zu viel abgebrochen werde, während man dagegen aus dem 
Buchftaben, welcher flatt des regierenden Gnadenkoönigs das 
Regiment führe, einen todten und unbefländigen &lauben 
aufrichte. Die Gefäfle feyen alt geblieben, und der Wen 
folle neu ſeyn, alſo jey ein neuer Buchftabe Daraus geworben, 
der vom Worte des Kreuzes und wahrer Buße nicht töne 
Luther habe und zwar aus Egypten geführt, laſſe und abe 
in der Wüfte figen. Wie bei den Papiften auf Das Vertraum 


der Werke, fo führe man bei den Lutherifchen auf einen fal | 


ſchen erdichteten Glauben und todten Buchflaben. Allein im 


4 


Herzen durch den heiligen Geiſt geſchehe die Rechtfertigung, 
Erneuerung und Wiedergeburt. Die aͤußerliche Erkenniniß 
der heil. Schrift ohne die innerliche Erkenntniß im Worte dab Ä 
Lebens, ohne den Geift Gottes, der das Herz neu macht, ers: 
leuchtet und reinigt, fey ald Wahn, Schein und Gleifnerd 


zu achten, wodurch fich der fleifchliche Menſch mit einem ges 
dichteten Glauben befleide. So hängen wir an einem gedide 
teten Wahnglauben von der Barmherzigkeit Gottes, daß md 
Chriſtus erlöst und alles ausgerichtet habe, nur Daß wir an 
ihn feft glauben, und bleiben fo im alten Wefen, wo fen 
Ernft, Feine Tödtung des Fleifches, Fein Anfang eined neuen 
Lebens fey. Aus dem Außerliden Wort des Glauben! 
fomme aud) ein äußerlicher, biftorifcher Glaube von Gott und 
Chriſto und von allen Werken und äußerlichen Gefchichten in 
der Schrift, aber aus dem innerlihen Wort des Geiſtes 
ein inniger lebendiger Slaube, wodurd wir in-Chrifto allen 
mit Gott handeln, im Herzen feine göttliche Gnade und Bar 
herzigfeit erfennen und annehmen. Das eine Wort fey dad 
Leben, das andere nur ein Zeugniß ded Lebens, beide unter 
fehieden wie Fleifch und Geift . Das Aeußere fol alfo ein 


1) Dieß ift der Hauptinhalt unzähliger Stellen in den Schri— 
ten Schwenffelds. Man vsl. die Sanımlung feiner Schrih 
ten: „Der erfie Theil der chriftlichen orthodorifchen Bücher 


C. Schwenffelb. 461 


nereö werben, und an bie Stelle des hiftorifchen Glaubens 
» Wortes ber lebendig wirkende. Geift oder Ehriftus treten, 


“und Schriften des edlen m: f. w. Mannes C. Schwenkfeld.“ 
1564. namentlich die Schrift vom Mißbrauch des-Evang. 

» ©. 356.f. „Die Lutherifchen follen fich prüfen, heißt es 
z. B. ©.445., ob ihr Glaub auch der Glaub fey, der Ehri- 
ſtum ins Herz bringt, ob Die Neuigkeit des Inwendigen Mens 
ſchen göttlicher Natur Theilhaftigkeit, ja ob Chrifius wefent- 
Lich im Herzen wohnend fey. — Solcher gerechtmacjende 

- Glaube kommt nicht aus der Predigt, fondern aus Gott vom 
„Himmel, er beruhet nicht in dem, daß Ehrifius fein Blut 
. zur Verföhnung und Bezahlung unferer Sünden hat ver- 
- goflen, denn folcher Glaube allein ift ein hiftorifcher, unträfs 
tiger Slaube, fondern der wahre Glaube beruhet in Chri⸗ 
fo in Gott felbft, er beficht auf Weſen und hält ſich an die 
„ewige Wahrheit. — Die Erläfung fowohl als die Genug 
thuung Ehrifti fol, wie alle andere feiner Gaben, im geiſtli⸗ 
chen regierenden Chrifto, in dem alles fummiret und zu fin> 
den if, mit Glauben geſucht und aus ihm wefentlich geholt, 
und ins geiftliche Werk und Amt geführt werden, daß fie 
bei ung Nug und Frucht fchaffe, und nicht auffer ung bleis 
be, fonft würde fie uns nicht nüße fenn Finnen, ia Chris 
fins felbft im glaubigen Herzen wohnend ift unfere Erldfung, 
unfere Genugthuung und die Verföhnnng für unfere 
Sünden 1 Joh. 2. 1 Cor. 1. Ehriftus ik ums worden von 
Gott die Weisheit, Gerechtigkeit u. f. m. Deßwegen foll 
die Erlöfung auf doppelte Weile bedacht und gerichtet wer 
- ben, einmal nad) den Hiftorien des Gefchichts, zum andern 
mal foll fie geiftlich bedacht und angefehen werden in dem 
Welen, darin fie heut in Chriſto fieht, und wie fie nun, 
nachdem fie Teiblich am Kreuze verbracht, durch den Geift 
des Glaubens fammt allen andern Woblthaten Ehrifti auch 
an uns gelange, bei uns zum Nutz angelegt und in unferm 
Herzen. wahr werde.’ (S. 435. f.) Bemerkenswerth ift dabei 
noch, daß Schwenkfeld die äußere gefchichtliche Teibliche Er⸗ 
Ifung als einen Kampf, eine Schlacht Chriſti mit dem bö- 


462 1. Ber. L Abſchn. 6. Kap. 


an vie Stelle der imputativen Gerechtigkeit die weſenlliche, 
Göttliched und Menſchliches ſoll eine innere lebendige Einheit 


fen Geiſt, als eine Ueberliſtung des Teufels darſtellt, der, 
„wenn ex auch ſich etwas bedunken lieh und den Braten von. 
fern ſchmecken Eonnte, doch den Rath Gottes von der Kraft 
des Leidens Chriſti eigentlich nicht gewußt noch verfanden 
bat.” (S. 463. f.) Eine der flärffien Stellen gegen bie Iw 
therifche Lehre ift die auch von Arnold Kirchen« umd Ketzer⸗ 
bit. Th. 1. Bd. XVL Cap. XX. ©. 843. angeführte (Tom.L 
Lib. I. Epist. XCIIL): Gut wär’ es auch, daß die Luthe⸗ 
sifchen zwifchen dem gerechtimachenden Glauben und einem 
biftorifchen Glauben recht Unterfchied hielten. Die Lutherb 
fchen hayen einen hiftorifchen Chrifum, den fie nach dem 
Buchfiaben erkennen, feinen Gefchichten, Lehren, Mirakeln 
und Thaten, nicht wie er heute lebendis iſt und würket. 
Wie fie auch einen hifiorifchen Bernunftglauben und hiſtori⸗ 
fche Suftifitation haben, die fie auf Verheißung fegen, un 
angefehen, wen fie zuftändig find. — Ihre Gerechtigkeit iß Mi 
allein auswendig, DBergebung der Sünden, Glauben, wi 
man etwa Ablaß Eauft, und daß uns Gott um Chriſti wil⸗ 
len die Sünde nicht wolle zurechnen: d. i. ob wir [de 
Sünder find und böfe Buben bleiben, fo werden wir did 
um des Glaubens willen in Ehriftum von Gott für gerecht 
gehalten und angenommen. — Gott lt Feinen für geredt, 
in dem gar nichts feiner wefentlichen Gerechtigkeit iſt. Die 
Rechtfertigung ift im Gange der Gnaden zu richten, bariı 
fie an ung foll gelangen, und wie fie uns durch den heil. 
Geiſt anbeim kommen fol. Darum trachten fo wenig £w 
therifche nach rvechtichaffener Buße und Bellerung des fe 
bens, und wird alfo die Heiligung des Geiftes, die Ernene 
rung des Gemüths und die rechte Frömmigkeit in Chrifs, 
wie auch die neue Gchnrt, die guten Werke und Buße ver 
Dunfelt, daß ich nicht fage, gar aufgehoben. — Der regie 
rende und gerechtmachende Chriftus muß überall den Nad 
trab haben; da Gott rechtfertigt, handelt er nicht allein 
menfchlicher Weife mit dem Menfchen allein, daß er allein 





V. Weigel. 463 


m, auf ähnliche Weife, wie Schwenkfeld fi) auch in ber 
erfon Chrifti Göttliched und Menfchliched nur durch eine 
nere, an fich ſeyende Einheit verbunden denken konnte. Das 
ichſte Glied in der von Schwenkfeld ausgehenden und in je= 
x, durch fo viele theologifche Eontroverfen bewegten und ger 
übten, Zeit in verborgener Stille fortlaufenden muftifchen 
ette ift Valentin. Weigel. Auch er erklärte fi) ebenfo nach⸗ 
rüdlich gegen die imputative Gerechtigkeit, und wollte nur 
je wefentliche ©erechtigfeit als das Princip betrachtet wifien, 
urch welches bie Slaubigen mit Chrifius wahrhaft und we⸗ 
lich vereinigt oder in Chriftus fo verwandelt werden, daß 
e Sotted Wefen an fi tragen. Das unmittelbare Eins- 
erben des Slaubigen mit Chriftus, fo daß felbft der Glau⸗ 
e feine vermittelnde Natur verliert, und. mit feinem Objekt 
t eine ungertrennliche Einheit zufammengeht, hebt Weigel 
sb beftimmter hervor, als Schwenffeld. Chriftus der in« 
endige Herzensmittler, der nicht blos Mittler in der Zeit 
Ber und im Fleiſche ift, fondern auch Mittler der Ewigkeit 
uns nad) dem Geiſt, ift, wie Weigel ſich ausbrüdt, der 
laube felbft, oder der Glaube ift der nicht allein mit feinem 
eiſt, fondern auch mit feinem himmlifchen Fleiſch und Blut 
und wohnende Chriftus Y). Wie dieß immer wieder auf 


verzeihe und fchenfe ihm die Sünde, und entbinde ihn von 
der Schuld, fondern er machet ihn auch befler, das doch 

kein Menfch zu geben pflegt, noch geben kann, denn er 
fchenfet ihm den heil. Geiſt. 

4) Chriſtus if der Glaube felber, fagt Weigel im erftien Theil 
der Poſtill S.101. Das Blut und Fleiſch Ehrißi it nicht 
aus Adam .von der Erden, fondern vom heil. Geiſt, vom 
Himmel: Chriſtus, Gott und Menfch, in der Herrlichkeit des 
Vaters figet und fpeifet alle Glaubigen mit feinem Fleiſch 
und Blut leibhaftig. Alſo iſt Ehriftus nicht blos geiftlich 

"in ung, fondern auch leiblich. Porill Th.2. ©. 113. Da- 

gegen nennt Weigel öfters die Justitia Iimputativa die vom 


464 Il. Ber. 1. Abfchn. 6. Kap. 


den Dfiander’fhen Rechtfertigungsbegriff zurüdführt, fo iR - 
Weigel auf der andern Seite, was feine gnoftifch = myſtiſchen 


Antichrift gedichtete u. f.. mw. Poſtill Th. 1. ©. 173. Th. 3 
S. 26. Befonders gehört bicher die Schrift Weigels: 
Ehriftliches Gefpräch dreier fürnehmftien Verfonen in der _ 
Welt, als Auditoris (der von Gott gelehrte Laie) Concio- 
natoris (der geiftliche Stand auf dem Stuhl Moſis und Pe | 
tri) und Mortis (der gefreuzigte Chrifius), wie der Menſcht 
von Gott gelehret, aus Gott wiedergeboren, mit Chriſto ib 
haftig, innerlich und äußerlich vereiniget, felig und geredt 
werde und nicht außerhalb ihme. Halle in Sachſen 1614. | 
„She wollet nicht zugeben,” fagt der Aud. ©. 16., „die mes 
fentliche leibhaftige Einwohnung Jeſu Ehrifit im Glaubigen. 
Das if der Glaube, nämlich Chriſti Leben in uns herrfchend, 
fein Geift in ung, fein Zleifh und Blut in uns, wer dad 
in ihme bat, und in Ehrifto wandelt, der mag fich der im- 
putativae justitiae teöften, fonft verführet er nur fich felb, 
und würde verdammt mit feinem erdichten Glauben.” ‚Di 
flürzeft dich,” erwiedert der Conc., ‚in die Kegerei Osian- 
dri, der auch da fürgabe, der Menfch Fünnte nicht ander 
- gerecht und felig werden, denn durch die welentliche Ein 
wohnung Gottes, aber folches haben unfere liebe Praecep- 
tores famt den hohen Schulen als irrig erfannt, verdammt 
und verworfen, und obgleich einer wollte Davon etwas zus 
geben, fo würde er nichts dadurch ausrichten, die fürnehm 
fien Gelehrte find alle darwider.“ Aud.: „Wer Dfiander fe 
gewefen, weiß ich nicht, habe auch feine Bücher nicht gele 
fen noch gefehen. Aber in den Schriften der Propheten und 
Apoftel finde ich Diefen meinen Grund genugfam befätigt. 
Wer nun diefes vermwirft, der verwirft auch den Geift nt: 
tes.“ Den Zufammenhang diefer Lehre mit theofopbifchen 
Ideen Finnen fchon folgende Säge in Weigel’8 Schrift: 
„Der güldene Griff, das it, alle Ding ohne Irrthum ja 
erfennen.”’ Neuftadt 1616. Cap. 23. S. 63. zeigen: „Der ſe⸗ 
lismachende Glaub ift das Aug, dadurch alle Geifter gele 
hen und geprüft werden, wer des Glaubens ‚hat, ber hat 


B. Weigel. 465 


‚een betrifft, ber unmittelbare Vorgänger I. Böhme’, def 
ı Lehre von der Erlöfung nur aus dem ganzen Zufammen- 
ng feiner theofophifchen Gnoſis begriffen werben kann, und 
8 daher auch nicht überfehen läßt, auf welche tiefere Wur⸗ 
zum Theil auch fchon bei Schwenkfeld und Weigel Diefe 
ytifche Lehre von. der Erlöfung und Rechtfertigung zurüd- 
bt. Derfelbe Gegenſatz der Principien, in deſſen Sphäre 


- Chrikum und alle Ding in Chriſto. Denn dieweil der Glaub 
ein Werl und ein Licht Gottes if, fo wirkt Gott alles Gute 
..in dem selaffenen Herzen der Menfchen, Gott gibt fich ſelbſt 
- ihnen ind Herz, durch den Glauben, daß er im Menfchen 
wohnet, und das heißt Chriſtus in und wahrhaftig verfent, 
‚den Menfchen aus der Natur in die Gnade verneuert, zu 

guten Werfen, daß der Menfch nicht fein felber fey, ſon⸗ 
"dern Gottes, ein jeder Glaubiger ift ihm felber entnommen 
und Gott gelafien und ergeben (denn wir follen, ſagt Weis 
sel, Deffentl. Slaubensbefenntniß 1618. S. 8., nicht unfer 
felbh eigen feun, fondern def, von dem wir gefchaffen find, 
‚alteritas entm sibi sufficere non potest, wir follen Gott 
‚alles laffen in uns ſeyn, Gott aber, oder Ehriftus, unfer Licht 
und Leben, haben wir nicht in alteritate, nad) dem alten 
Menfchen im Unglauben, iondern in undtate nad) dem neuen 
Menſchen im Glauben), da erkennet fih Gott felber 
im Menſchen, aus folder Erfennmiß kommt das Uxtheil 
über alle Gegenwürff (Objekte). Daher der Titel einer ans 
dern Schrift Weigels: „Erkenne dich felbfi. Zeiget and 

‘> weilet dahin, daß der Menſch fen ein Microeofmud,; das 

‚größte Werk Gottes unter dem Himmel, er fen die kleine 
‚Welt, und trägt alles in ihm, was .da funden wird im Him⸗ 

. wel und Erden, und aud darüber,” Neufadt 1618. Die 

. bier ſich non ſelbſt aufdringende Erinnerung an Jh. Seo⸗ 
tus Erigena, zeigt zugleich am befien die Macht Een 
tung, mit welcher diefe fogenannte Gnofis oder T 
durch alle Seiten fich hindurchsieht, und in jeder gü bie: 
der, durch eine eigenthämliche Uranfchauung neu erseudt, in 
ihrer eigenen Geſtalt erſcheint. 


Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 30 


466 ll. Ber. 1. Abſchn. 6. Kap. 


fih nach 3. Böhme alles Leben in Gott, in der Natur und 
im Menfchen bewegt, bedingt auch die Erlöfung und Wieder: 
geburt ded Menfchen. In dem Centrum jeder Lebensgeburt 
iR auch ein Gentrum der Wicdergeburt, in welchem das Herz, 
oder der Sohn Gottes, aufgeht und geboren wird. Schon 
hierin ift das Wefentliche diefer myftifchen Lehre, die Auffaſ⸗ 
fung des äußern Erlöfungsafts, als eines innerlich ſich ent 
wicelnden Lebensproceſſes, ausgeſprochen. Noch Elarer Legt 
dieß in der hauptfächlich hieher gehörenden Idee der himmli⸗ 


ſchen Jungfrau, Die auf der einen Seite eine andere Form , 


des menfchgewordenen Sohnes, auf der andern aber das i 
dem Menfchen felbft wohnende und wirkende höhere: Princdy 
tft, das auch nad) dem Fall das Band, Das den Menſchen 
in der Einheft mit Gott erhält, nicht völlig fich Löfen laͤßt, 


fondern aufs neue Fnüpft. Wie Chriftus dadurch von def. 
Maria geboren wurde, daß die himmlifche Jungfrau in de | 


Maria eingieng, fo wird Chriflus au in dem Gemüthe dd 


Menfchen geboren, wenn die bimmlifche Jungfrau dem Brüw k 


tigam, von welchem fie nicht laſſen kann, dem zwar gefalle 


nen, aber von Gott nicht völlig Iosgetrennten Menſchen, fh 


zumendet, um ihn von feinem finftern Wurm zu erlöfen, un 
fih mit ihm zu paradiefifher Wonne zu vermählen. Dam 
ſchließt Das erſte Princip zum zweiten ſich auf, der Dat 


wird zum Sohn, oder im Sohne verföhnt, und fo im Seh | 


ng, als dem Herzen Gottes, die Finfterniß und der Zorn Get 
ted in. Licht und Liebe verflärt. Wie ſchon Weigel Chriftus 
ben Glauben felbft nennt, fo ſcheint die Idee dieſer himmb⸗ 
ſchen Jungfrau ihren Urfprung nur in dem: Beftreben zu be 
ben, in diefer idealen Geftalt, die ald Bild und Allegori 


ebenſo fubjektiv als objektiv, ebenfo innerlich als Auferlic if, |. 


BR Whzertrennliche Einheit des Glaubens net feinem Objekt, 
der flibjeftiven Form mit ihrem objektiven Inhalt, zur Av 
fhauung zu bringen. Was immer die Tendenz der Myfil 
ift, das Aeußere ald ein Inneres aufzufaffen, in den That: 





! 


3. Böhme. 3 467 


achen der Geſchichte nur einen bildlichen Reflex der im in⸗ 
ern geiſtigen Leben des Menſchen ſich entwickelnden Momente 
u ſehen, tritt bei J. Böhme klarer als bei andern Myſtikern 
ſervor: das äußere Faktum der Hiſtorie Chriſti hat für ihn 
ich weit mehr, als ſelbſt für Weigel, nur die Bedeutung 
er Allegorie. Das wahrhafte Wefen, ber innerſte Kern als 
er Sefchichte, ift der in dem Centrum jedes individuellen gei⸗ 
tigen Lebens erfolgende, Durch Dei :Gegenfaß"ber Brincipien 
ebingte geiftige Lebensproceß, weldyet ebenſo objektiv als ſub⸗ 
ekttv iſt, da er Bei aller fubfeftiven Imerlichkeit nichts an⸗ 
jerö, als die ewige Geburt des göttlichen Wefens ſelbſt iſt. 
Schöpfung und Erföfung, Erneuerung und, Wiedergeburt find 
m fich derfelbe göttliche Uft, duch wein. has gotliche We⸗ 
en ſich ſelbſt gebiert ). ea 

Was fo eben über die allegerifche Bedeutung gefagtinorben iſt, 
velche Die Geſchichte Chriſti in derTheoſophie I. BVohme'b erhält, 
eitet uns von ſelbſt zu einem weitern Glied auf dieſer myſtiſchen 
Seite der Geſchichte unſers Dogma's, Pi den Quäkern. Was bei 
Schwenkfeld und Weigel nur durchdlickt, bei J. Böhme zwar der 
janzen Auffaffung und Darſtellung unverkennbar zu Grunde ligt, 
iber doch nie ausbrüdlich ausgeſprochen wird, Die Idee eis 
es von den äußern Thatfachen. der Gefchichte Ehriſn unab⸗ 
‚angigen innern Erlöſungsproceſſes, zu. welchem ſich das äu⸗ 
zerlich Geſchichtliche nur als Bild und Allegorie zu verhalten 
cheint, hat fih nun in den Uuäfern zum klaren Bewußtſeyn 
mitwichelt, jo Daß Aeußeres und Inneres nicht mehr, wie bei J. 
Böhme unbeftineiiit und bewußtlos in einander fließt, fondern 
cbenſo in feinem Unterfchted auseinander gehalten, wie in ſei⸗ 
ner Einheit aufeinander bezogen wird. In diefem Sinne un- 
ierſcheiden die Quaͤker eine Doppel ertöfung,. eine.äußere und 


1) Bergl. über * Bobme meine Schrift: Die chrifiliche Gnofis 
©. 557. f. 
30 * 


468 11. Ber. 1. Abſchn. 6. Kap. 


eine innere %). Die äußere ift die von Chriſtus ald dem Er- 
Löfer, welcher die Sünden aller Menfchen an feinem Leibe ges 
tragen, und ben Zorn Gotted zur Bergebung ber Sünden 
entfernt hat, in feinem Leiden und Tode faktifch vollbracht. 
Sn der Innern, welche ebenfo gut als Erlöfung anzufehen tft, 
wie die äußere, wirkt Chriftus in ung, damit wir Die Frucht 


4) Vgl. Roberti Barclaii Theologiae vere christianae Apolo- 
gia. Ed. secunda. Londini 1729. Thesis VII. de justik- 
catione. ©. 163.f. Die Erlöfung if doppelter Art, und 
iede diefer beiden Arten if, obgleich fie in ihrer Anwen 
dung auf ung nicht getrennt werden, ihrer Natur nad) vel- 
tommen. Prima est redemptio a Christo peracta in cor- 
pore suo crucifixo extra nos. Altera est redemptio, quam 
Christus in nobis operatur, quae non minus proprie d 
dicitur et aestimalur redemptio, quam praecedens. Prior 
igitur illa, est, qua homo, prout in lapsu stal, in sal- 
tis capacitate ponitur, et in se transmissam habet mes- 
suram aliquam effigaciae, virtutis miritus vitae, et gre- 
tiae istius, quae in Christo Jesu erat, quae quasi do- 
num Dei potens est, superare et eradicare malum illud 
semen, quo naturaliter, ut in lapsu stamus, fermenta- 
mur. Secunda illa est, qua possidemus et cognoschmu 
puram et perfectam hanc redemptionem in nobis iptis, 
nos purificantem, liberantem et redimentem a potestale 
corruptionis et in favorem, unitatem, gratiam et fami- 
liaritatem cum Deo inducentem. — Secunda hac cognos- 
eimus, potentiam hanc in actum reducfam, qua non re- 
sistentes sed recipientes mortis ejus fructum, videlick 
lumen, spiritum et gratiam Christi, in nobis revelatam, 
oblinemus et possidemus veram, realem et Internam re- 
demptionem a potestate et praevalentia iniquitatis, sic- 
que evadimus vere et realiter redempti et justificati, 
unde ad sensibilem cum Deo unionem et amicitiam ve- 
nimus. Die zweite geht aus der erften gleichfam ale Wir 
fung hervor. Die erfie ifi die causa procurans et efficiens 
der Justificatio, die zweite die causa formalis berfelben. 





Die Quaͤker. | . 469 


feines Todes, das Licht, den Geiſt, die von ihm in und ge- 
vffenbarte Gnade erlangen und befigen, und fo wahrhaft er 
Mot und gerechtfertigt, zur wirklichen Einheit und Freund⸗ 
ſchaft mit Gott gelangen. Dieß fcheint zunächft von der pro» 
teftantifchen Lehre nicht wefentlich verfchleden zu ſeyn: es ift 
ganz ber Natur der Sache gemäß, das Verhältni der Er⸗ 
fung und Rechtfertigung fo zu: beftimmen, daß die Erlöfung 
obieftio ift, was bie Rechtfertigung fubjektiv iſt, oder die Er⸗ 
lung erft in der Rechtfertigung aus ihrem abftraften Anſich 
bheraustritt, und zur wirklichen und concreten Erlöfung wird. 
Allein es erhält dieß doch im Syſteme der Duäfer eine ans 
dere Bedeutung, und ed kann daher nicht blos als eine zu⸗ 
fällige Modifikation angefehen werben, daß der Begriff der 
Kechtfertigung auf den Begriff der Erlöfung zurüdgeführt 
wird. Wenn audy gleich ausdruͤcklich gefagt wird, daß die 
Annere Erlöfung die äußere zu ihrer nothwendigen Vorausſe⸗ 
gung habe, daß wir nut durch den Gehorfam und das Leis 
ben Chriftt erlöst find, fo If doch, wenn wir hinzunehmen, 
was die Quäfer unter ihrem innern Licht und Wort Gottes 
verſtehen, das Verhaͤliniß des Innern und Neußern vielmehr 
bad umgekehrte. Iſt das Innere Licht und Wort Gotted an 
fich jedem Menfchen eingeboren, ald dad von Anfang an in 
der. Menfchheit wirkende geiftige himmliſche Princip, in wel⸗ 
dem Gott ald Vater, Sohn und Gelft wohnt, ald der Sa⸗ 
men, der feiner Natur nach alle zum Guten treibt, als ber 
geiftige Leib Chrifti, als fein vom Himmel gefommenes Fleiſch 
und Blut, oder mit Einem Worte als der innere Chriftus, 
der im Herzen geboren und auögeprägt wird 2), fo erhellt 
hieraus zugleich, in welchem untergeordneten Verhältniß zu 
diefem Innern der äußere biftorifche Chriftus fteht. Kann 


4) Bl. Thesis II. de interna et immediata revelatione ©.3.f. 
und Thesis V..n. VI. de universali et salutifero lumine 
Jesu Christi ©. 80, f. XR 


470 1. Ber. L Abſchn. 6. Kay. 


feine äußere Geſchichte etwas anders feyn, als ein bildlicher 
Refler defien, was am ſich in. ber geifligen Natur des Mau 
fhen liegt, und in der Menfchheit im Ganzen, wie im Leben 
des Einzelnen, fich fort und fort entwidelt, als eine Allegorie 
derfelben Art, wie fchon die Gnoſtiker der alten Zeit, von ds 


nem analogen Standpunkt aus, die Gefchichte Chrifti nah⸗ 


men? Diefer Ummandlung der Hiftorie in eine Allegorie. find 
fih die Quäker felbft wohl bewußt, wenn fie alles Böſe als 
eine Kreuzigung und Tödtung des dem Menfchen eingebor⸗ 
nen Lichtprineips, alles Gute, das fich feiner Natur gemäß 
‚im Herzen des Menfchen entwidelt, als die Geburt amd Aufs 


erfiehung des innern Chriftus. betrachten ). Daher fcheun | 


fie ſich auch nicht, geradezu zu fagen, daß fo nütlich. auch bie 
Kenntniß der Gefchichte Chrifti fey, fie Doc keineswegs noth⸗ 
wendig fey, um ber Frucht des Todes Chriſti theilhaftig zu 
werben, da die Gemeinfchaft mit Dem Vater und Sohn durch 


das innere im Herzen leuchtende Licht vermittelt werde 2 


Mo aber, um alles Zufällige auszufchließen, das Neuere 


dem Innern auf ſolche Weife untergeorbnet wirb, da kam 


auch die Subjeftivität nur durch eine höhere allgemeine Ord⸗ 
nung bedingt feyn. Wie nah I. Böhme die Erneuerung und 
Wiedergeburt des Menſchen die. fortgehende Geburt des götts 
lichen Weſens ift, fo’ ift Daher auch nach der Xehre der Quaͤ⸗ 
ter Die Rechtfertigung des Einzelnen das Werf der im Gans 
zen der Menfchheit wirkenden göttlichen Gnade. Iſt auch Fer 
nem bie Möglichkeit, felig zu werden, abgeſchnitten, ift eö 


1) Vgl. Thesis XIII. De communicatione et participatione 
corporis et sanguinis Christi ©, 377. f. 

2) Bol. Thesis VI. ©. 82.: Tales — participes fiunt bene- 
ſicii mysterii mortis ejus (licet historiae ignari), si sci- 
licet obtemperent semini et lumini ejus, illucenti cordi- 
bus suis, in quo lumine communio habetur cum paire el 
fillo, ita ut eo Implis sancti fiant. 


Die Quäfer. Ä 41 


- 


ur Schulb des Einzelnen, wenn er der göttlichen Erleuch⸗ 
mg. fich nicht glaubig Hingibt, fo ift es doch nur Gott, der 
r:bem: Menfchen, an dem jedem Einzelnen beftimmten Tage 
er Heimfuchung, den göttlichen Samen auffeimen läßt, und 
sonn. einnial diefe Erleuchtung begonnen hat, fo bat die hei- 
ge:geiftige Geburt des neuen Menichen ihren fteten natur= 
muäßen Fortgang, in welchem auch die guten Werke, als 
jel Behenszeichen des innerlich fich geftaltenden Chriftus, nicht 
qlen Törmen, die Mechtfertigung felbft aber befteht nicht in 
en Werken, fondern nur in der Ausprägung Chriftt in ung, 
idem in und gebornen und erzeugten Chriftus, deſſen na⸗ 
wuemäße Frucht die guten Werfe find. Die Rechtfertigung 
t:baher ‚auch nach. der. Lehre der Quäfer Fein deflaratori- 
ver Alt, fondern eine reelle innere Erneuerung und Heili⸗ 
mg' der. Seele, eine innere ‚Geburt, welche Gerechtigkeit und 
eifigfeit in und erzeugt, und alles Verdorbene und Ber- 
ummliche der Natur entfernt und überwindet. Das Prin⸗ 
p ber Rechtfertigung ift nicht bloß der vedhtfertigende Glau⸗ 
Jn ſondern der im Menfchen wirkende Chriftus felbft, der 
e Erlöfung nicht Außerlich, fondern innerlich vollbringt *). 





9) Del. a. a. D. ©. 168. wo der protefiantifchen Lehre folgen- 
de Ehe gegenübergeftellt werden: 1. Internis operationi- 
‚bus (grallae et seminis) Christus intus formatur, et ani- 
mua ill conformis fit, — et — Deus dieitur reconciliart, 
'non quasi actualiter reconetHlatus esset, aut quempiam 
justificaret , vel justificatum teneret, dum interea reali- 
'ter in peccatis imptus, iImpurus et. iInjustus permanet. 
2. Interno hoc partu Christi in homine homo fit Justus, 
ideogue justificatus a Deo. 3. Cum bona opera necessa- 

“ rio et naturaliter procedant a partu hoc, sicut calor ab 
igne, ideo absolute necessarla sunt ad justificationem, 
quasi causa sine qua non; licet non illud propter 
gquod, tamen id In quo justificamur. Den Proteftan- 
ten wird darin Recht gegeben, "daß unter der Justificalio 


472 IL Ber. L. Abſchn. 6. Kap. 


Der Widerſpruch gegen das Deflaratorifche ber yrotes 
ftantifchen Rechtfertigungslchre und die laut ausgeſprochene 
Geringſchätzung alles Aeupern in dem Werke ber Erlöſunz 
und Rechtfertigung weist hier noch einem Gegner feine Stelle an; 
welcher zwar von dem in tiefer befchaulicher Ruhe:.in fich ge 
fehrten Sinn der Myftifer, von welchen bisher bie Rede war, 
durch das Unftete und Abftoßende feines ganzen Weſens ſich 
fehr unterfcheidet, fie aber doch auch wieder in mandyem bes 
rührt, und ſchon wegen des Aufſehens, das feine thells als 
Schwärmerei, theils als frecher Hohn ericheinenden Behaup 
tungen erregten, nicht übergangen werden barf. Es iR der 
zu Ende des ftebzehnten, und zu Anfang bed achtzehnten Jahr 
hunderts unter dem Namen bed chriftlichen Demokritus durqh 
mehrere, befonderd Die Lehre von der Erlöfung betreffende, 
Schriften befannt gewordene Joh. Conr. Dippel *). Ueber 


nicht die guten Werke zu verfichen feyen, da fie cher be ii 


Wirkung als die Urfache ſeyen, zur Erklärung des lehten 
aber gefagt: Intelligimus formationem Christi in neh, 
Christum natum et productum in nobis, a quo bona ope 
ra naluraliter procedunt, sicut fructus ab arbore frw- 
tifera: internus ille partus in nobis, justitiam in nobis 
producens et sanclitatem, ille est, qui nos justificd 
(S. 166. weßwegen man auch nicht fagen darf, daß es kei⸗ 
ne an fich guten Werke gebe ©. 168.). Der protefantis 
chen Lehre wird zum Vorwurf gemacht, es folge aus ihr ade- 
minanda haec consequentia, quod bona opera et pessimas 
peccala talium (qui justi reputantur, dum actualiter in- 
justi sint) prorsus eadem sint in conspectu Dei, cum 
nec illa ad justificationem conducant, neque haec recon- 
ciliationem impediant. — Evertit haee sententia totam 
praclicam Evangelii doctrinam, et fidem ipsam inutiem 
faeit (©. 169. f.). 

ı) Man vgl. über ihn und feine Schriften Walch Ein. in die 
Rel.Streitigf. der ev. Iuth. Kirche Th. II. ©. 718. f. Th. V. 
S. 998. f. Keine Schriften erfchteuen zu Anıfterdam 1:0. 





| 


‚ 3. C. Dippel. 473 


einſtimmend im Ganzen mit den Muffe behauptete er, 
daß wir durch das Außerliche Leiden und Sterben Ehrifti mit 
Gott nicht auögefühnt worden feyen: fein Wandel, Leiden 
and Sterben in dem Fleifch, nebft dem. allgemeinen Opfer und 
der Zahlung der Schuld fey nichts anderes, ald ein Vorbild 
' ined Mittleramts. in dem Geift geweien, vermittelft defien 
rin: und der alte Menſch durch denfelben Berläugnungs=. und 
keidensproceß auf eine unfichtbare Weife getöbtet, vernichtet 
Imd dem Zorn Gottes oder ber verzehrenden Feuerfraft des 
"Baterd zum füßen Geruch aufgeopfert werden müfle, damit, 
| was die Gerechtigkeit erfordere, wieder in und erfüllt werde, 
‚und der neue Menfch zum verlorenen göttlihen Bilde heran» 
wachſe. So beftehe nun das Amt des Mittler und Erlös 
ſers darin, daß er nicht allein als .eim-Hohepriefter das Volk 
‘durch Gebet und Opfer. verfühne, fondern auch als ein Pro⸗ 
phet der gefallenen Ereatur den Weg zur Deiligung in dem 
Eicht von oben zeige, und als ein König und Durchbrecdher 
He Bande des Reichs der Finfterniß zerreiße, und die Crea⸗ 
tur Gottes völlig von der Sünde befreie. Che alles dieß in 
jebem Menfchen zu Stande‘ gebracht ſey, habe der Mittler 
als der andere Adam das Werk der Erlöfung nicht vollen- 
dei 2). Alles dieß ift um fo mehr, da Dippel auch von eis 
sem :innern, unmittelbar aus dem Munde Gottes ausgeflofie- 
se, und in dem Herzen bed Menfchen wirfenden Worte Got⸗ 
tes im Gegenſatz gegen. Das äußere Wort der Schrift, von 
einem innern Licht, das Chriftus felbft in dem Menfchen ſey, 


unter dem Titel: Eröffneter Weg zum Frieden u. f. w 
Später noch: Vera demonstratio evangelica 1729. Zur 
Widerlegung diefer Schrift verband Lange mit der von ihm 
neu herausgegebenen Grotius’fchen Schrift einen Elenchus 
Antidippelianus. 

4) Walch Einleitung in die Kel.Streitigk. der ev. luth. Kirche 
Th. I. ©. 747. . 










4 11. Ber. J. Abſchn. 6. Kap. 


und von einem vom Himmel gebrachten himmliſchen Leite 
ſpräch, von ber Lehre der’ Myſtiker nicht verichleben, eigen - 
thümlich ift aber bei ihm bie Zerſetzung Diefes myſtiſchen Eio 
ments feiner Lehre mit focinianifchen Ideen. Stait mit J 
Böhme und andern Myftifern den Gegenſatz von Zom und, 
Liebe in das göttliche Weſen felbfi zu feben, flellte er an bie: 
Spige feines Syſtems den Sag, baß alle göttlichen Eigen; 
haften in der Liebe zufammenlaufen, und erklärte daher 
alles der Liebe Entgegengefegte, werbe e8 Zorn ober Gerech 
- tigkeit genannt, für eine einen Wechfel und Widerfpruch in 
Gott vorausfegende, des göttlichen Weſens unwürbige Bor. 
ftellung. Da Gott, als die Liebe, bleibt, wie er ift, fo wird, 
nicht Gott mit uns verföhnt, fondern nur wir werben it: 
Gott verfühnt %). Mit den Socintanern behauptet daher au 
Dippel, daß die Strafe für den Zwed ber Beflerung mul, 
auf das Künftige gehe, niemald aber auf das Vergangene, 
welches Gott ald bie Liebe nicht beleidigt habe, demnach auf 4 
feiner Öenugthuung bedürfe. Nur darauf kommt es an, daj 
wir und vom Jrdifchen zum Ewigen wenden. Falſch iſt @. 
daher, daß wir durch eine ©erechtigfeit, die von außen in J 
uns hereinfommen fol, Sott angenehm werden, unfere Ge 
rechtigfeit beruht nicht auf Einbildung, fondern auf Wahr 
heit, d. h. darauf, daß wir Die Reizungen der Sünde über 
winden, wozu Chriftus denen, die ihm gehorcdhen, feinen le 
bendig machenden Geiſt gibt. Für dieſen Zweck ift der volls 
ftändige Sieg über den Teufel und deffen Samen, die Sin 
de, in dem Verſöhnungsopfer Ehrifti, in welchem er fein Fleiſch 


1) Man vgl. hierüber befonderd die von Dippel Furz vor ſei⸗ 
nem Tode im J. 1733. herausgegebene, die Sanptfäge fer 
ner Erldfungslehre enthaltende Fleine Schrift: Hauptfumme 
der theologifchen Grundlehren des Demofriti, in der Can: : 
fhen Sortfegung der Reinbeck'ſchen Betrachtungen Über die 
augsb. Eonf., mo fie abgedruckt und widerlert if, Ih. V. 
©. 447. f. 


F. €. Dippel. > 475 


ahgen ließ, vorgebildet. Darin weicht jedoch Dippel von 
in ab, daß er nicht blos mit Socin die Aufhebung ber 
# das Vergangene ſich beziehenden Strafen als etwas ſich 
3 felbft verftehendes betrachtet, fondern eigentlich Den Bes 
ff der Strafe ganz aufhebt. Wie nach Socin die Aufhe 
ng ber Strafe, ſomit auch die Verknüpfung bes Uebels, 
8 zur Strafe dient, mit der Sünde, ganz von der freien 
ilſtuür Gottes abhängt, fo gibt ed nach Dippel gar Feine 
Akürlichen oder pofitiven Strafen. Die Strafe ift, wie 
ippel ihren Begriff beftimmt, doppelter Art: fie befteht ents 
der in der natürlichen Folge der Sünde, oder in Zuͤchti⸗ 
mgen, durch welche der Menfch erweckt werben fol, Beide 
rten: von Etrafe find Wirkungen der zulaffenden oder der 
ätigen Liebe Gottes. Die Strafen der letztern Art verhängt 
ott um die Strafen der erftern Art. willen: wären dieſe 
ht, jo würden auch jene nicht ſeyn. Die Strafe der er» 
nm Art aber find die natürliche uhd nothwendige Folge der 
ünde. So wenig die Wärme vom Feuer getrennt werben 
an, fo wenig kann die eigentliche Strafe der Sünde, näm⸗ 
heder geiftige Tod, welcher nichts anders ift, als eine Bes 
ubung der Gemeinſchaft mit Gott, von der Sünde getrennt 
erden, da ja die Sünde felbit nichts anders ift, als die 
ehr von höchften Gut und die Neigung zum Irdiſchen *). 
icht Gott ift e8 daher, der die Hölle macht, fondern er 
det fie jchon ald die Folge unferer Sünden. Wie aber die 


41) Bei Canz a. a. O. S. 450. Deßwegen macht Dippel gegen 
die kirchliche Satisfactionslehre die Einwendung a. q. O. 
©. 456.: Wer das fich zueignen will, was aus einer Sa⸗ 
che nothwendig folgt, der muß auch das Andere, woraus ed 
folgt, fich zukignen Iaffen. Nun ift die Strafe eine noth> 
mwendige Folge der Sünde. Will alſo Ehrifius die Strafe, 
als da ift, die Unruhe des Gewiſſens, Trennung von Gott 
übernehmen, fo muß er auch die Sünde fich zueignen. Eols 
ches aber ift ja nicht weniger als Gottesläferung. 











476 1. Ber. L Abſchn. 6. Kap. 


von Gott verhängte eigentliche Strafe der Sünde, ber Rat 1. 
der Sache nach, nicht aufgehoben werben Tann, fo hat ud 
Chriftus auch von der zweiten Art der Strafe, der 3 
gung, nicht befreit, ſondern vielmehr durch fein Beiſpiel wife 
gelehrt, wie wir biefelbe geduldig tragen follen. Denn Wi * 
Züchtigungen mit der einwohnenden Gnade find es allen, Wi“ 
unfern Sinn von dem Irdifchen abführen Tönnen. Dana‘ 
haben fie, da ben wenigften Menfchen die Liebe zum IE 
fhen anders als durch bittere Mittel der Tilgung bes Bf 
genommen werden Tann, ihren ®rund nur in der Liebe Ä 
tes, und der Hauptzwed des Mittleramts bezieht ſich dake, 

da in Sott Fein Zom tft, nicht auf Die Senugthuung wege 
der Sünde, fondern auf die Befreiung von ber inwohn 
böfen Luft, d. h. die Heiligung und Erneuerung *). Sof 
- Dippel auch hierin mit den Socinianern zufammenftimnt; 
welchen er überhaupt weit näher ſteht, als den Dinftifern, 
das Muftifche bei ihm mehr im Ausdrud als in ber Sad 
zu liegen fcheint, fo bleibt Doch immer die weſentliche Diie 
renz, baß in Dippels Syſtem von einer eigentlichen Aufe 
bung der Strafe nicht die Rede feyn kann, indem bie Uehd, 
auf welche er den Begriff der Strafe anwendet, ihrer Natıt 
nach nicht aufgehoben werben Fönnen. Wird der Begriff de 
Strafe nur eigentlich genommen (uneigentlich aber ift er ge 
nommen, wenn das Bofitive vom Begriff der Strafe ausge 
fchloffen wird), fo kann e8 auch Feine Aufhebung der Straf 
geben. Während daher die Socinianer den ewigen oder ge 
fligen Tod, als die eigentliche Strafe der Sünde, in Folge 
der durch Chriſtus ertheilten Sündenvergebung abfolut auf 
gehoben werden laffen, kann er nach Dippel immer nur in 
dem Grade aufgehoben werden, in welchem die zunehmende 
Helligung und Erneuerung des Menfchen die durch die Sin | 
de. entftandene Trennung von Gott mindert und aufhebt. Wir 

jehen daher ſchon bei Dippel die Oppofition gegen die frd- | 


1) A. a. O. ©. 457. 459. 465. 


3. ©. Dippel. 477 


be Satisfactionslehre in die Frage nach dem Begriff der 
wafe überhaupt und in die Tendenz übergehen, an die Stelle 
e pofitiven Strafen die natürlichen zu ſetzen *). 


() Schr natürlich hängt bei Dippel mit der Verwerfung des 
eigentlichen Opferbegriffs und der Vorausſetzung, auf welcher 
er beruht, des Begriffs der pofitiven Strafen, die Heftigleie 

. sufammen, mit welcher er fich über das Wefen ber altteſta⸗ 
mentlichen Religion ausſprach. Dan vgl. die von Lange 
a. a. O. ©. 217. angeführte Stelle: „Die BVerfähnopfer 
find nicht eher aufgelommen, als in der läfterlichen Abgdt⸗ 
terei, da man fich lafterhafte Gotter vorgeftellet, Die Rache, 
Neid und Graufamkeit in fich hätten, und fogar nach Men: 

. fchenblut begierig wären, und dadurch oder in dem an des 
ren ſtatt vergoffenen Blut der armen Thiere ihren Grimm 
ſtilleten. Diefe laferhafte und unvernlnftige Ausfähnung 
der Heiden, unter welchen das jüdiſche Volk fo lange hers 
umgefchwärmet (sic vocat, bemerkt Lange, populi migratio- 
nes ab ipso Filio Dei in columna nubis et ignis directas) 
ehe fie zur Ruhe gekommen, und von welchen fie .diefen ſcho⸗ 
nen Sottesdienft hatten eingefogen, war medulla totius rei 

- deviticae, nicht aber das Verfühnopfer unfers Heilandes. — 
Ich muß frei heraus fagen, daß der ganze ceremonialifche 
Gottesdienft unter den Juden nach der Intention Gottes gar 
nicht angeordnet geweſen, Ehriftum und bie Güter neuen 
Bunbes zn präfiguriren, oder fürzubilden, obſchon derglei⸗ 
chen Eeremonien von dem Apoftel Paulo, um bie Juden das 
von abzubringen, per accommodationem auf die Güter des 
N. T. als Vorbilder gedeutet werden, — vielmehr feget er 
mit ausgedrücdten Worten eine reelle Reinigung und Bes 
freinng in Ehrifio der imputiven oder äzugerechneten Bes 
freiung des alten Bundes entgegen, und fpricht vom Blute 
Chriſti, daß es unfere Gewiſſen reinige von den todten Wer⸗ 

"ten, zu dienen dem lebendigen Gott. Wer diefe ewpres- 
stones unter eine imputirte Gerechtigkeit ziehen Tann, der 
mag ed thun, es wird zwar orthodor lauten, aber auf orifch 
die Schrift erflärt heißen.” Auch hierin liegen Ideen, die 
bald nachher weiter entwickelt wurden. 








Zweiter Abfchnitt. 
Bon J. G. Zöllner bis zur Kant'ſchen Philofopft 


5 









Erſtes Kapitel. 


Toͤllner's Beſtreitung der Lehre vom thuenden Gel 
borfam, und bie Gegner deffelben. 


Nachdem nicht lange zuvor um die. Mitte des achtzche 
ten Sahrhunderts ber ebenfo gelehrte als rechtglaubige Chr E: 
W. F. Walch 1), in einer für fene Zeit Haffifchen Abhandlum, 
das Dogma vom thuenden Gehorfam Chrifti einer den gan 
zen Stand deſſelben überbliddenden, aber durchaus anerkennen 
den und beftätigenden Revifion unterworfen hatte, mahteIR 
G. Töllner feinen befannten in vielfacher Hinficht merkwir⸗ 
dig gewordenen Angriff 2), welcher, fo wenig auch eine fa. 
che Ausdehnung in der Abficht Töllner's zu liegen fchien, und 
fo ficher er den thuenden Gehorfam von dem leidenden tm 


4) De obedientia Christi activa commentatio. Goettingae 1755 
(Eigentlich: Dissert. theol. inauguralis — quam — pub 
lice defendit Christ. Guil. Franz. Walchius. Goett. 175%) 
Die Abhandlung ift großentheils eregetifchen Inhalts. - Die 
Hauptmomente des in ihr geführten dogmatiſchen Beweiſes 
find: A. die Nothwendigkeit, daß Chrifius thuenden Ge 
borfam leiftete, 2. die Möglichkeit, daß er ihn leiften Emm 
te, 3. die wirkliche Leiftung deflelben (vgl. ©. 39.). 

2) Der thätige Schorfam Jeſu Chrifi, unterfucht von Job. 
Gottlieb Toͤllner. Breslau 1768. 


A, R 


3. ©. Zöllner. 479 


ven zu können glaubte, gleichwohl auf das ganze Kirchliche 
Satisfactiongdogma einen ſehr entfcheidenden Einfluß Hatte, 
md ımter die wichtigften Momente gehört, ducch welche in 
kr proteftantifch -Tutherifchen Kirche felbft in Anfehung diefer 
ehre ein Umſchwung der Anſicht herbeigeführt wurde. In⸗ 
em auf Diefe Weife aus dem mit fo großem: Kraftaufiwand 
ufgeführten Gebäude der Satisfactionstheorie der Schluß⸗ 
ein, welcher es abjchließen follte,. zuerft wieber herausges 
ommen wurbe, war eben damit ber Anfang gemacht, das 
Banze wieder in fich felbft zerfallen zu laſſen. Es war eins 
sal in dem Bewußtſeyn bed Beiftes von der Objektivität des 
)ogma’s ein fo gewaltiger Riß gefchehen, daß der mit dems _ 
{ben zerfalfene Geift nimmermehr: ruhen konnte, bis er in 
ner. reinen Subjeftivität ſich von der zwingenden Macht als 
r jener Beftimmungen wieber frei gemacht hatte. Die hie- 
it in ber proteftantifchen Kirche. ſelbſt im beften Bewußtſeyn 
wer guten Sache: beginnende, und mit immer größerer Gleich⸗ 
ültigkeit gegen die .alte kirchliche Orthodorie weiter gehende 
dewegung macht bie Töllner’fche Unterſuchung zum Anfange- 
init eines neuen Zeitabfchnittd. 

- Da bie Lehre vom thuenden Gehorfam Shrift nur ’als 
stouögefepte Lehre der Schrift ihre Stelle im proteftantiichen 
gbrbegriff finden konnte, jo mußten vor allem bie bibfifchen 
Zeweisſtellen für dieſe Lehre jo genau als möglich unterfucht 
verben. Die Hauptpunkte des fehr ausführlichen, eregetlichen 
kheils der Täliner’fchen Schrift ‚find 1) der Beweis, daß nach 
em Elaren Unterricht der Schrift der leidende Gehurfam Chri- 
W’vertretend war, daß Dagegen 2) nirgends in bet Schrift 
ine vertretende Beichaffenheit des thätigen Gehorfams Chri⸗ 
Uigelehrt werde, vielmehr 3) die heil. Schrift das Gegen⸗ 
heil von der gewöhnlichen Theorie vom thätigen Gehorſam 
Chriſti Ichre. Das Lebtere erhellt, wie gezeigt wird, 1) aus 
dem völligen Mangel eined unmittelbaren Unterrichts ber 
Schrift über die genugthuende Befchaffenheit des thätigen Ge⸗ 


480 Il. Ber. II. Abſchn. 1. Kap. 


horſams Chrifti, 2) daraus, daß die heil. Schrift Deutlich das 
-  Gegentheil .von demjenigen lehre, worauf fie gewöhnlich ge 


gründet wird, fofern nach der einftimmigen Annahme Chris f 


ſtus zu dem von ihm geleifteten Gehorfam äußerlich nicht ver- 


bunden geweſen feyn foll, 3) aus Schriftftellen, in welden 


wirklich das Erlöfungswerf auf den leidenden Gehorſam Chris 
fti eingefchränft werde. Obgleich dieſer eregetifche Theil bie 
weſentliche Grundlage der ganzen Unterfuchung ift, fo wür 


ben wir doch fehr irren, wenn wir das eigentliche Moment F 


des erhobenen Widerſpruchs ausfchließlid nur hier fuchen wol, 
ten, da unflreitig, zumal wenn man den Damaligen Stand» 


punkt der Eregefe bedenkt, bie von Seiten der Eregefe ge F 
machten Einwendungen ſelbſt ſchon eine von der gewöhnlichen } 
Theorie abweichende Anſicht von der Erlöfung und Rechtfer F 
tigung überhaupt zu ihrer VBorausfegung hatten. . In bier P 


Hinſicht ſchließt fich Die Töllner'ſche Unterſuchung ganz an de 
ſchon von Pifcator der Lehre vom thuenden Gehorſam en 


gegengeftellten Gründe an. Das Hauptargument Bifcators, da} Fr 
Chriftus. zu dem Gehorfam, welchen er in,und mit feine’ E 


menſchlichen Natur leiftete, nach derjelben für ftch verbunbe 
war, mit demſelben alfo auch nicht die Menfchen vertretm 
fonnte, war, wie Zöllner felbft erklärte 1), auch das einig, 
und fein Bemühen ging daher zunächft nur dahin, demfelben 
noch mehr Evidenz zu geben. Für dieſen Zweck untericheide 
Zöllner die in der bisherigen Beweisführung nicht gehörg 
gefchtedenen beiden Säge: 1) daß der Gehorſam, welde 
Chriftus in und mit feiner menfchlihen Natur Teiftete, ein 

wahre freie Handlung feiner menſchlichen Natur war, un | 
2) daß er nad feiner menſchlichen Natur zu demſelben für 
fi) verbunden war. Was den erftern Sap betrifft, fo kam, 
wenn zugegeben werden muß, daß der Gehorfam Chrifti mır 
als eine aus der Erfenntniß der göttlichen Zwecke herworge 


1) ©. 419 f. 





— — - 


3. G. Töllner. 481 


angene. freie Handlung eined freien. felbfithätigen Subjekts 
bacht werden kann, die Frage nur ſeyn, welcher Ratur in 
hriſtus dieſe freie Handlung zuzufchreiben iſt. Unläugbar, 
ntwortet Töliner, nicht der göttlichen, welche fich des vollen 
zebrauchs der göttlichen Herrlichkeit nicht entäußern Tonnte, 
fo nur der menfchlichen. Entweder können wir uns bas 
reiwillige der Erniedrigung und bes leidenden Gehorſams, 
ber da der leidende Gehorfam im Grunde, wie der ganze 
brige, ein thuenber Gehorfam war, bed Gehorſams Chrifti 
berhaupt, gar nicht Denken, oder ed kann nur bie fich ernie⸗ 
wigende Natur ald eine Durch bie Freiheit des Willens hiezu 
ich beftimmende gedacht werden. Die göttliche Natur wirkte 
u ben Mittleröverrichtungen übernatürlich nur ſoweit mit, 
aß ſte eingrief, wo die eigene natürliche Wirkſamkeit der 
nenfchlichen nicht zureichte, dadurch hörte aber, was burch 
die menichliche Natur geſchah, Teineswegs auf, eine wahre freie 
handlung berfelben zu feyn, fowenig die Leiden Chrifti deß⸗ 
wegen Feine wahre Leiden feiner menfchlichen Ratur waren, 
weil bie göttliche zu berfelben mitwirkte. Laͤßt ſich aber die 
freie Selbftthätigfeit der menfchlichen Ratur in dem Gehorfam 
Ehrifti nicht laͤugnen, fo folgt. hieraus von felbft der zweite 
ber obigen Säge, daß Chriftus zu dem Sehorfam, welchen 
de in und mit feiner menfchlichen Natur leiftete, nach feiner 
menfchlichen Natnr für fi) verbunden war. War, Chriftus 
nach feiner menfchlichen Natur ein wahrer Menſch, und vers 
for er auch durch die perfünliche Vereinigung .feiner menfchlis 
hen Ratur mit der göttlichen die Perfönlichkeit in der erftern 
nicht, fo war er auch ein Geſchöpf, als Geſchöpf aber war 
er zu allen ihm möglichen guten Handlungen für ſich verbun⸗ 
den. Gibt man nun auch zu, daß ber Gehorſam Chriftt, 
wenn auch gleich Chriftus für fih Dazu verbunden war, Doch 
zugleich ftellvertretend feyn Fonnte, fofern es ja nur von Gott 
abhing, ihn den Menfchen zuzurechnen, fo ift Doch Dieß, fo» 

lange, wie die eregetifche Unterfuchung zeigte, Feine ausdrüd- 

Baur, bie Lehre von der Berföhnung. 31 


482 I. Ber. U. Abſchn. 1. Kap. 


liche Erflärung Gottes hierüber vorhanden if, eine bloſe 


nichts beweiſende Möglichkeit 9). 

Auch das zweite Hauptargument Töllners iſt nur eine 
weitere Entwidlung defielben Arguments, das ſchon Piſcater 
mit dem zuvor erwähnten verbunden bat. “Die orthodore 
Theorie fucht dad Unzuteichende des leidenden Gehorfams 


theild aus dem Begriffe der von Chriftus den Menſchen Ei 


worbenen Seligkeit, theild aus dem Begriffe der derſelbe 


entſprechenden fittlichen Beſchaffenheit zu beweifen, ober wk 


Töllner Diefes zweite Argument bezeichnet, aus dem Auk 
Chrifti, während jenes erfte Argument auf die / orthodoxe Le 
re von der Perfon Chrifti ſich flüst. Zum Begriffe der Se 


ligkeit gehört zwar zunaͤchſt Die Aufhebung der Durch Die Siw- 


de verfchuldeten Uebel, die Erlaffung der göttlichen Strafen, 
oder die Vergebung der Sünden, aber es iſt dieß nur: bei 
Negative, zu welchem auch das Pofitive. der Seligkeit hin 
fommen muß, bie in göttlichen Belohnungen und Wohlth«⸗ 
ten beftehende Glüdfeligfeit. Das Erfte bewirkte Ehriftus burg 


feinen leidenden Gehorfam, das Zweite aber Tonnte er mr. 


durch feinen thätigen Gehorfam verdienen. Daffelbe Legt in 
dem Begriffe des Gehorſams. Hat Gott die Menfchen durch 
die vertretende Genugthuung Chriftt zu befeligen beſchloſſen, 
fo kann er dieß nur in der Ordnung eines vollfommenen Ge⸗ 
horſams gegen feine Geſetze befchloffen haben. Wäre aber 
nur der leidende Gehorfam Ehrifti ein vertretender, fo hätte 
er zwar die von ben Menfchen verfchuldete Strafe erbulde, 
nicht aber, was nur durch den thätigen Gehorſam gefchehen 
konnte, die von ihnen zu erfüllende Pflichten. erfüllt. Einen 
vollfommenen Gehorfam gegen die göttlichen Geſetze fordert 
aber fowohl die moralifche Vollkommenheit Gottes, als auf 
Die Ratur des Menſchen, vermöge welcher e8 unmöglicd if, 
dag ein Menic ohne Tugend oder Gehorfam gegen Gott 


1) Tollner a. a. D. ©. 418—453. 





J. ©. Töllner. 483 


cefelig werden Tann. Im Gegenfag gegen das erftere bie- 
beiden Argumente machte, wie früher Pifcator, fo auch 
ner geltend, daß das Poſitive und Negative bier nicht 
rennt werben fönnen, daß die Erthellung ber Seligkeit 
8 anders fey, ald die. Entfernung der ber Seligkeit ent- 
jenftehenden Uebel. Weber die Schrift noch Die Vernunft Ichre, 
3 Chriftus etwas befonderes habe thun müflen, um bie 
tgebung der Sünden, und etwas befonderes, um eine ger 
ıfeitige SGlücfeligfeit zu erwerben, der ganze Gedanke fen 
r eine Erfindung der Theologen, um ihrer Theorie ‘von 
em boppelten vertretenden Gehorſam Chrifti aufzuhelfen *). 


I) Es verdient bier bemerkt zu werden, wie klar und beſtimmt 
Das Moment, das bei Pifcator nur in dem Gage enthalten 
ii, imputare justitiam {ey foviel als remittere peccata, 
von Töllner hervorgehoben wird ©. 475.: „Ein Anfänger in 
ber Philofophie follte doch bereits wiſſen, daß Fein Uebel 
aufhören kann, ohne daß das ihm entgegenfiehende Bute ent» 
fiebt, nachdem jedes mögliche Ding in Anfehung einander 
wiberfprechender Beftimmungen allezeit auf’ die eine oder bie 
andere Weife beſtimmt fern muß. Einem Anfänger in der 
Philoſophie follte doch bereits bekannt feun, daß die Eintheis 
Iung der Hebel in beinhende und verneinende Hebel, welcher 
aufolge entweder etwas Gutes einem Dinge mangelt, oder 
das demfelben entgegenftehende Böfe bei ihm vorhanden if, 
feine in der Natur der Sache gegründete Eintheilung ift. 
So lange nur etwas Gutes fehlt, fo lange ifk das demſel⸗ 
ben entgegenftehende Webel bei mir vorhanden. And fobald 
ich von einem gewißen Nebel befreit worden, wird das dem» 
felben entgegenftchende Gute bei mir wirklich. Und das fin» 
det in Anfehung aller Artin don Uebeln ſtatt, es ſeyen ſol⸗ 
che phoſiſche oder moralifche Uebel. Niemand Tann von eis 
ner Krankheit geheilt werden, ohne daß bie entgegenſtehende 
Gefundheit entfünde. Wer mich von einem Irrthum befreit, 
der hilft mir zur Erkenntniß der demſelben entgegenfichen- 
den Wahrheit. Und wenn eine Iaferhafte Gefinnuns in ie- 


31 * 


484 IL. Ber. IL Abſchn. 1. Kay. 


Noch entichiedener fpricht fidh Die von einem neugerwonnenen 
Bewußtſeyn zeugende Polemik Töliner’8 gegen die Tirchlice 
Satisfactionslehre bei ber Widerlegung des zweiten Argus 
ments aus, welchem folgende Momente entgegengeftellt wer⸗ 
den: Die Ratur des Menfchen fordere zwar zur Glüuͤchkſeligken 
Gehorſam, aber der fremde Gehorfam könne nichts helfen, 
fondern nur der von jedem Einzelnen jelbft geleitete, eben⸗ 
deßwegen aber fordere Gott Feinen abjolut vollfonmenen, fon 
dern nur einen aufrichtigen, keinen größern und vollfonmme 
ren, als jedem, nach feinen Kräften, zu Jeiften möglich fe. 
Kur an einen folhen Sehorfam ift daher die Seligfeit des 
Menſchen geknüpft, da aber einen folchen der Menſch felbk 
zu leiften im Stande ift, fo wäre e8 höchſt unnöthig, wenn 
er von einem Vertreter geleitet worden wäre. Der Begrif 
des. vollfommenen Gehorſams kann überhaupt nur relativ be [ 
fimmt werden. Ein abfolut vollkommener Gehorfam iſt Te T 
nem vernünftigen Gefchöpf möglich, weil er aufhören wür 
de, ein endlicher Gehorfam zu ſeyn. Es iſt daher dem Men 


manden aufhört, fo entſteht Die derfelben entgegenſtehende 
Tugend. Alſo ift es nun erwielen, daß Fein Menfch von 
den mit der Sünde verfchuldeten Hebeln befreit ſeyn Eann, ob 
ne die denſelben entgegenfiehenden Güter und Vollkommen⸗ 
heiten zu erlangen.’ Dabei Tann aber doch die Einwendung | 
nicht überfehen werden: „Wird denn ein Miffethäter bi 
damit, daß ihm die Strafe feiner Miſſethat erlaffen wird, 
auch ein glüdfeliger Menſch?“ Daher noch die weitere Bes 
fimmung: „Er wird durch feine Begnadigung allein frei» 
ich nicht glücklich, wenn fein Zuſtand vorhin nicht glüd. 
lich war. Allein wir Eommen alle darin überein, daß die 
Menfchen, wenn fie nicht gefündigt hätten, volllommen glüd: 
felig gewelen feyn würden. Mit der göttlichen Wergebung 
ihrer Sünden erlangen fie, wenn folche wahrhaftig und volle 
kommen if, alle Verhältniffe wieder, welche fie gehabt ha 
ben würden, wenn fie nicht gefündigt hätten.’ 





3. ©. Zöllner. 485 


ven Telne Tugend ohne. Flecken, und kein Gehorfam ohne 

eimiſchung von Unrecht möglich, aber zu einem andern Ges 

rfam, als biefem relativen ift er auch nicht verbunden, ba 

T erfte Grundſatz für alle Berbindlichkeiten und Geſetze tft, 

5 niemand zu mehr-verbunden feyn Tann, ald ihm zu Id» 

a möglich ift %). Hätte aber Gott einen abfolut vollkom⸗ 

enen Gehorſam zwar nicht von den Menſchen ſelbſt gefor- 

rt, fondern zur Leiſtung deſſelben einen Vertreter aufgeftellt, 
eichwohl aber an demfelben zugleich den Ungehorfam ber 
benfchen beftraft, fo wäre er nad) der größten Strenge ver 
ren, und es wäre nur die kleine Wohlthat übrig geblie⸗ 

n, baß er folche den Menſchen zuzurechnen befchloß. “Die 

ttliche Begnadigung würde eigentlich fein wahres Geſchenk 

ottes mehr feyn, da in diefem Falle Gott weder den un⸗ 
laſſenen Sehorfam, noch Die durch denfelben verfchuldeten 
trafen ganz geſchenkt hätte ®). 

1) Abllner a. a. D. &. 490-502. 

2) A. a. O. &.502—517. Daß biefes letztere Argument mehr 
beweist, als es beweifen foll, if klar. Iſt bie Zurechnung 
eine fo Heine Wohlthat, fo.muß dieß auch vom leidenden 

Gehorſam ‚gelten. Minder erheblich if auch das damit ver- 
bundene Argument, daß der thuende Gehorfam bie Stufen 
der Seligkeit anfhebe. Wenn Chriſtus durch feinen volls 
Fommenen Gehorſam für jeden Menfchen fo viele und fo 
große Tugenden ausgeübt hätte, als er auszuliben verbuns 
>tEhen war, fo Fünne Fein Menſch noch mehrere und größere 
. Zugenden ausüben, als bereits Chriſtus für ihn in der Voll⸗ 

. kommenheit ausgeübt bat, alfo Einne er auch durch eigene 
Cugenden Feiner größeren Seligkeit würdig und. theilbaftig 
werden (&.517—521.). Wenn aber, wie Tollner ausdrück, 

lich behauptet (S. 666.), die gewöhnliche Theorie dom thäe 

"tigen Gehorſam Chriſti die Verbindlichkeit der Erldsten zum 
eigenen Gehorfam nicht anfhebt, fo bliebe in diefer Hinſicht 
immer noch die Möglichkeit, einen Stufenunterſchied anzu⸗ 
nehmen, wofern überhaupt, was jedoch nicht bias. den huen⸗ 


486 I, Ber. IL Abſchn. 1. Kap. 


Wie das erfte Hauptargument gegen bie Lehre vom ihnen⸗ 
ben Gehorſam auf die Berfon Chrifli, das zweite auf das 
Amt Chriftt fich bezieht, fo betrifft das dritte ben Begriff der 
Genugthuung ſelbſt. Die orthodoxe Theorie will aus dem 
Begriffe der Genugthuung, fofern fie ſowohl durch Thum ald 
burch Leiden. geleiftet werden Tann, fihließen, daß eine voll 
fommene Genugthuung, fowohl eine ihuende, als leibende 
feun muß. Diefem Begriff der Genugthuung wird bas ir 
gument entgegengeftellt, daß dem Grunde der menfchlichen 
Berbindlichkeit fchlechthin nicht durch Die Leiftung' eines aw 
dern Genuͤge gefchehen könne. Wenn ber Grund ber goͤtll⸗ 
. den Gefeße nur darin liegen kann, daß fie Durch bie Hand 
lungen, die fie zur Folge haben, die Glüdfeligfeit des Men 
fchen befördern, fo erhellt hieraus von felbft, daß den Ger 
zen Feine Genuͤge gefchieht, wenn fie nicht von den Menkhe 


[577 


ſelbſt erfüht werden. Mit der Möglichkeit des thuenden &e F 
horſams verhält es ſich Daher ganz anders, ald mit der Möp 


lichkeit des leidenden. Wollte man den thuenden Gehorke 
dadurch rechtfertigen, Daß der Gehorſam des Stellvertretat 
dem Menſchen wichtige moralifche Beftimmungsgründe zu 
Beobachtung der Geſetze Gottes gibt, den Menſchen zu einem 
ähnlichen Gehorfam erweckt und verpflichtet, fo iſt leicht m 
jehen, daß er aus diefem Geftchtspunft betrachtet, Die Eigen 
{haft eines ftellvertretenden und genugthuenden Gehorfamd 
perliert, und nur als Beifpiel wirft, und zwar für dieſen 
Zwed um jo befjer, wenn er als ein Chriftus felbft obliegen⸗ 
ber Gehorſam betrachtet wird. Daß aber dem Grunde, aus 
welchem Gott die Sünden ftraft, auch ebenfo wenig bei Volk 
ziehung der Strafe an einem Stellvertreter Genüge gefchehe, 
ald dem Grunde, aus welchem er den Gehorfam fordert, 
wenn berfelbe von einem andern geleijtet wird, laͤßt fich nicht 





ben Gehorfam trifft, die Idee der abſoluten Seligkeit einen 
graduellen Unterfchied nicht ausfchließt. 


J. G. Zöllner. ST 


ebaupten. Der Zwed ber göttlichen Strafen Tann nur fen, 
em Menfchen Motive des fittlidhen Handelns zu geben. Zur 
Irreichung dieſes Zwecks ift aber keineswegs nothwendig, daß 
lejenigen felbft geftraft werden, welche Die Strafen verfchul« 
et Haben, auch bie Beflrafung anderer kann diefelbe mora⸗ 
che Wirkung haben. Man beruft fih aber ferner, um qus 
em Begriffe der Genugthuung, fowohl den thuenden, als 
eibenben Gehorſam abzuleiten, darauf, bag auf den Men- 
den eine doppelte Verbindlichkeit und eine doppelte Verſchul⸗ 
yang liege. Daß der Menſch ald Menich zum Gehorſam ges 
zen Die göttlichen Geſetze, und ald Sünder zur Strafe für bie 
Bebertretung verbunden ift, läßt fich nicht läugnen. Behaup⸗ 
jet man aber, daß ungeachtet der Verbindlichkeit bed Suͤn⸗ 
ders zur Strafe für-den Ungehorfam feine Verbindlichkeit zum 
Behorfam nicht aufhört, fo Tann biefer Sag fowohl heißen, 
baß er beftändig zum Gehorjam verbunden bleibt, ald auch, 
Daß er den nicht geleifteten Gehorſam noch nachzuleiften habe, 
Das Erſtere iſt unftreitig wahr, aber «8 beweist dieß nichts 
für die thuende Genugthuung eines Stellvertreters, ba ber 
Gehorſam, zu welchem ber Menſch beftändig verbunden bleibt, 
nur berjenige feyn kann, welcher von dem Dienfchen ſelbſt ge⸗ 
leitet werden muß, und wenn auch diefer Gchorfam immer 
ein unvollfommener ift, fo, folgt daraus nur, baß der Menfch 
wegen des Mangelhaften feines Gehorſams immer ber Sün- 
denvergebung durch den leidenden Gehorſam -Chrifti, bedarf *). 
Was aber das Zweite betrifft, die Nachleiftung des nicht ge⸗ 


8) Daß bie gemdhnliche Theorie vom thätigen Gehorſam Chri⸗ 
Ri die Verbindlichkeit der Erldsten zum eigenen Gehorfam 
aufbebe, wendet Tollner nicht ein, fondern erflärt vielmehr 
ausdrücklich, daß er an dieſem Vorwurf keinen Theil neh⸗ 
mie (©. 666.), daß aber die moralifche Verpflichtung des 

Menſchen Kärker fey, wenn der thuende Gehorſam nicht ſtell⸗ 
vertretend war, wird gleichwohl behauptet :(&. 102.. 106.). 


38 - 1 Ber. 1 Abſchn. 1. Kap. 


feifteten Gehorſams, fo koͤnnte ein foldyer allerdings nur durd 
einen Stellvertreter, fomit den thuenden Gehorfam deſſelben, 
geleiftet werden, aber aus der Unmöglichkeit auf der Selte 
des Menfchen diefen Gehorfam zu leiften, ift vielmehr nur die 
Folgerung zu ziehen, daß der Menſch zu demfelben nicht ver 
bunden ft, da Gott unmöglich etwas unmögliches wollen 
ann, unmöglich aber ift es, daß der Menfch den Sehorfam; 
welchen er nicht geleiftet hat, nachleiften fol. Endlich IA’ 
fih auch noch beweifen, daß, wenn Ehriftus eine thuende 
Genugthuung für die Menfchen geleiftet hat, eine leiden 
unnöthig, und infofern auch unmöglich ivar, und ebenfo um 
gefehrt, Daß, wenn er durch fein Leiden für fie genuggethan 
nicht zugleich dur, fein Thun genuggethan haben kann. Hat 
Chriftus durch feinen thuenden Gehorfam die ganze wegen 
des Ungehorfams auf den Menfchen ‚liegende Schuld getifgt, 
fo bat er auch alle verfchuldete Strafe abgethan, ba be 
. Strafe nur Folge der Sünde ift, wo daher Feine Schuld iR, 
auch Feine Strafe ſeyn Tann. Hat dagegen Chriftus, wie in 
jedem Sale angenommen werben muß, da bie Echrift nur 
einen leidenden, nicht aber einen thuenden flellvertretenden Ge 
horfam fennt, durch fein Leiden genuggethan, fo hat er da 
durch den Menfchen Vergebung der Sünden erworben, wo 
aber Vergebung der Eünden ift, da ift auch Leben und Ce 
Kigfeit, und eine Genugtbuung durch den thuenden Gehorſam 
wäre daher ebenfo unnöthig, als unvereinbar mit Der goͤtili⸗ 
chen Weisheit .*), 


1) Bl. a. a. O. ©. 558 —598.- ©. 5694. bedient fich Tollner 
auch folgenden Arguments: „Entweder mußte Gott den Men- 
fhen Schuld und Strafe ohne einen Vertreter erlaflen, oder 
von demfelben doch nur eines und das andere annehmen. 
Entweder hat der Vertreter alles gethan, was wir thun fol: 

ten, fomit auch unfere ganze Schuld bei Gott abgetragen, 
und fp übte Gott nicht die gexingſte Gnade aus, wenn er 


3. ©. Zöllner, Ä 489 - 


"Um die Stelle, welche die hiemit in ihren wefentlichen 
Romenten dargeſtellte Zöllner’fhe Unterfuhung in ber Ge⸗ 


gleichwohl die Strafe vollzog. Oder Gott hat den Vertre⸗ 
ter leiden laffen, was wir leiden follten, und fo übte er 
gar Feine Gnade aus, wenn er gleichwohl den vollen Abtrag 
der ihm fchuldig geblichenen Pflicht forderte.’ Der Begriff 
der fiellvertretenden Genugthuung ift hier ganz unrichtig aufs 
gefaßt. - Nicht darin beweist Gott im Werke der Genug- 
thuung feine Gnade, daß er nicht den thuenden und leiden 
den Gehorfam zugleich verlangt, fondern nur entweber den 
“ einen oder den andern, fondern, wie es fich auch mit dieſem 
doppelten Gehorfam Chriſti verhalten mag, die von Chri⸗ 
ſtus geleifiete Genugthuung den Menfchen zurechnet. Würs 
De der Begriff der Gnade nicht anders fefigehalten werden, 
als durch die Annahme, daß Gott die Stellvertretung nur 
entweder auf die Schuld oder die Strafe fich beziehen Iäßt, 
nicht aber auf beides zugleich, ſo würde in doch wieder da» 
bei vorausgefent, was Zöllner als eine in der Natur 
Der Sache liegende Unmöglichkeit Iäugnet, daß mit. der 
Schuld- nicht zugleich Strafe und ebenfo mit der Strafe 
nicht zugleich die Schuld aufgehoben ift, fomit auch ſowohl 
Der thuende als der leidende Gehorfam nothwendig if. Eben 
fo verfehlt it, worüber man fich gleichfalls bei dem fonft 
fireng logiſchen Bang der Töllner’fchen Unterfuchung wun⸗ 
dern muß, folgende Argumentation gegen die gewöhnliche 
Theorie (S. 594.): „Nach derfelben rechnet uns Gott in der 
Handlung unferer Rechtfertigung den boppelten Gehorſam 
Ehriki-zu. Alſo aber erwäckhst ein wirklicher Widerfpruch. 
indem er uns den thätigen Gehorſam deſſelben zurechnet, 
erklaͤrt ex ung für vollfommene Gerechte, für Menfchen, auf 
welchen Feine Schuld haftet. Und indem er uns ben leiden» 
den Gehorfam zurechnet, erflärt er uns für Sünder, indem 
-. wir damit für Menfchen erklärt werden, die Strafen vers 
fchuldet haben. Alſo erklärt er uns zugleich, und in Einer 
. Handlung, für unfchuldig und für fchuldig, für Gerechte und 
für Sünder.” Das Legtere liege ganz in der Natur der 


490 I. Ber. U. Abſchn. 1. Kap. 


fehichte unferd Dogma’s einnimmt, richtig zu würbigen, muß 
man die Aufgabe, die fie ſich feßte, von dem Reſultat auf, 
welches fie führte, wohl unterfcheiden. Die Aufgabe war, das } 
. coordinirte Verhältnig, in welches die Eirchliche Lehre ben 
thuenden Gehorfam zum leidenden in Anfehung ber ftellver 
tretenden Genugthuung feßte, als ein unhaltbares nachzuwei⸗ 
fen, und ben erftern dem lebtern fo unterzuordnen, daß die 
bem thuenden Gehorfam abgefprochene Bedeutung ber fiel 
vertretenden Genugthuung nur dem leidenden zugefchrichen 
werden follte, dieſem aber um fo entichiedener vindicirt wer 
den mußte, je weniger die Borausfegung in Zweifel gezogen 
wurde, daß ohne Stellvertretung und Genugthuung aud fe | 
ne Erlöfung und Verföhnung möglich ſey. Töllner ſelbſt be 
fiimmte daher die eigentliche Streitfrage fo: ob ber thätige 
Gehorfam Chrifti völlig dafjelbe Verhältniß gegen die von 
ihm zu leiftende vertretende Genugthuung gehabt babe, wel⸗ 
he der leidende gegen dieſelbe hatte, oder, ob die Tugenden, 
welche Chriftus in feiner Erniedrigung ausübte, völlig eben 
fo erlöfend und verfühnend waren, als die Leiden, welche er 
in derfelben erduldete, ob demnach die Genugthuung als em 
aus dem thätigen und leidenden Gehorfam zufammengefehte 
Handlung gedacht werden müffe? Durch die Berneinung bie 


Sache, da es mefentlich zum Begriffe der Zurechnung ge 
bört, daß der Menfch als ungerecht und zugleich als gerecht 
betrachtet wird. Aber ebendeßwegen Tann nicht mit Recht 
behauptet werden, daß der. Menfch durdy die Zurechnung 
des leidenden Gehorſams nur für einen Sünder erklärt wers 
de. Daß er Sünder if, iſt zwar die Vorausfegung, wel 
hen Zweck hätte aber die Genugthuung durch den leidenden 
Gehorfam, wenn durch fie nicht bewirkt würde, daß vermits 
telft der GStellvertretung der Menſch von der von ihm ver 
fchuldeten Etrafe befreit, und im Alte der Rechtfertigung 
von ihre freigefprochen wird? Es hat dieß jedoch, wovon 
nachher noch die Rede feyn wird, einen tiefern Grund. 





3. ©. Töllner. 491 


er Frage follte keineswegs jeder Zufammenhang der Genug⸗ 
huung mit dem thätigen Gehorſam geläugnet, fondern viel 
nehr gleichwohl anerkannt werden, daß Chriftus durch feinen 
janzen, jomit auch den thätigen Gehorſam genuggethan has 
re, fofern die Stufe des Gehorfams, auf welcher er litt, den 
zanzen übrigen Gehorſam vorausfegte, und feine Leiden nur 
burch feinen ganzen Gehorfam verbienftlihe und wahrhaft 
genugthuende Leiden wurden: es follte Daher der thätige Ge⸗ 
borfam zwar nicht als ein Theil der Genugthuung, aber doch 
als eine Miturfache derfelben angefehen, und in dieſem Sinne 
fogar zugegeben werden, daß Chriftus das Gefeh für uns 
erfüllt habe, und feine (mit feinem ganzen Gehorfam identi⸗ 
ſche) Gerechtigkeit und zugerechnet werde, weil ohne- und und 
ohne eine Beziehung auf und, weder Chriftus noch die von 
ihm geichehene Erfüllung des Geſetzes geweſen wäre *). Der 
Zweck ging demnach eigentlih nur dahin, die Lehre vom 
Relivertretenden Gehorfam auf den Punkt zurädzuführen, auf 
weichen: biejelbe fich befand, ehe man zwifchen einem thuen- 
ben und leidenden Gehorfam zu unterfcheiden pflegte. Allein 
bie innere Confequenz des Dogma's machte ſich hier auf eine 
bemerkenswerthe Weile geltend. Wie die auf dem Begriffe 
ber Gerechtigkeit beruhende Lehre von der Satisfartion erft 
in ber Idee des thuenden Gehorſams zu ihrer ſich in fi 
ſelbſt abfchließenden Vollendung kam, und in berjelben nur 
vollends zum Bewußtſeyn Fam und ausgefprochen wurde, was 
son Anfang an im Entwidlungsprincip biefes Dogma’s lag, 
fo Eonnte nun ber ftellvertretende thuende Gehorſam mit dem 
in ber Töliner’fchen Unterfuchung ſich ausfprechenden fo ent⸗ 
ſchiedenen Bewußtſeyn der völligen Unhaltbarfeit diefer Lehre 
son dem ganzen übrigen Gehorſam nicht mehr losgetrennt 
werben ,. ohne daß bie den thuenden Gehorfam betreffende 
Frage zar-Lebensfrage für das ganze Firchliche Satisfactionsdog⸗ 


9) Thuner a. a. O. ©. 5.f. 58 f. 


AR IL Ber. IL Abſchn. 1. Rap. 


ma wurde. Die mit der Töllner’fchen Beftreitung begtmen- |. 


de rüdgängige Bewegung Eonnte ihr natürliches Ziel nur auf 


einem dem Firchlichen Dogma entgegengefebten Standby I. 


finden, diefer Standpunkt war jedoch Fein anderer, als ber 
felbe, auf welchen fich Die Socinianer und Arminianer längf 
geftellt hatten, nur mit dem Unterſchied, daß der biöher am 
Berhalb der proteftantifchen Kirche fich bewegende Widerfprud 


gegen das Satisfactionsdogma jetzt innerhalb berfelben feine | 
weitern Verlauf nehmen follte. Dieß ift das eigentliche Me 


ment ber Töllner’fchen Unterfuchung, in welcher ſich überall 
Die Veberzeugung aufdringt, daß ein auf ſolche Weiſe dur 
geführter Widerſpruch gegen den thuenden Gehorfam nur vor 
einer Anftcht ausgehen Tann, welche die weientliche Grundla⸗ 
ge des kirchlichen Satisfactionsdogma’s fchon verlaffen hatt. 
Am unmittelbarften tritt dieß in dem Abſchnitt hervor, in 
welchem Töllner aus dem Grunde und Endzwed der Genug 
thuung gegen den thuenden Gehorfam argumentirt. Dem, 
wenn bier gegen die gewöhnliche Theorie, nach welcher ber 
Grund und Endzwed der Genugthuung dahin gehen folk, daß 
ber vollfommenften Gerechtigkeit Gottes Genüge gefchehe, nicht 
blos die fchon früher erwähnten Gründe, daß in diefem Falle 
feine wahre und wirkliche Begnadigung ftattfinde, und Gott 
die Begnadigung der Menfchen nicht an eine fchlechthin uns 
möglihe Bedingung habe Tnüpfen Können, geltend ge 
macht werden, fondern auch die Einwendung, daß ber eine 
folhen Vorftelung der Sache Gott geradezu alles Recht und 
Bermögen zu begnadigen abgefprochen, Gott unter feine Ge 


jege geftellt werde, wenn er ben Ungehorfam gegen fie nicht 


vergeben fönne, ohne denfelben anf die eine oder andere Weile 
vollfommen vergütet und abgethan zu fehen, fo ift Klar, in 
welchem Widerſpruch dieß mit den Erklärungen der älterg 
proteftantifchen Theologen fteht. Ausdrüdlich wird Daher bie 
göttliche Gerechtigkeit von Töllner, nad) Leibniz, ald Die weile, 
oder mit Weisheit verwaltete, d.h. ihre Wohlthaten mit Rüd: 





3. ©. Zöllner. 43 


icht anf die Wuͤrdigkeit und Empfänglichfelt ertheilende Güte 
efinirt. Wie der Grund ber Genugthuung, dieſer Anficht 
üfolge, die göttliche Liebe war, was auch allein der Lehre 
er Schrift gemäß feyn ſoll, fo kann der Zweck berfelben nur 
n die Helligung des Menſchen gefegt werden. Die Abficht, 
He Menichen zu begnadigen, fol zwar von dem Zwede ber 
Benugthuung nicht ausgefchloffen, aber nur als ein entfern- 
arer Endzweck angejehen werden, zu deſſen Erreichung Gott 
ie Heiligung der Menfchen durch die Genugthuung befchlofs 
en babe. Zur Begnadigung an ſich würde Gott nie.eine Ges 
nngthuung gefordert oder veranftaltet haben, da er aber bie 
Begnadigung nicht anders als in Verbindung mit der Heili⸗ 
gung der Menfchen habe beichließen können, habe er Die Ge⸗ 
nugthuung als ein weifes Mittel zur Heiligung der Menfchen 
Beichloffen, nicht alfo um den Ungehorfam der Menfchen zu 
wergeben, fondern vielmehr den Gehorfam in ihnen zu be= 
gründen, fo daß nicht die .Heiligung durch die Begnadigung, 
Sondern die Begnadigung durch die Heiligung bebingt iſt. 
Die Senugthuüung kann theil nach ihrer unläugbaren Be- 
ſtimmung zur Erlöfung und Befeligung ber Menfchen, theils 
nad der Natur und Abficht eined Begnadigungsmitteld nur 
als Mittel der Heiligung betrachtet werden. Soll die Erlö- 
fung überhaupt vom Uebel der Sünde befreien, d. h. ſowohl 
von der Sünde jelbft, als der Strafe ber Sünde, fo fann 
bie Befreiung von. der Sünde felbft nur durch die Helligung 
geſchehen. Ebenfo kann fie die Befeligung ber Menfchen nicht 
bewirken, ohne daß fie die fittliche Beflerung der Menfchen. 
bewirkt, da niemand ohne Tugend glüdlid, werden Tann. 
Bas aber die Öenugthuung ald Mittel der Begnadigung bes 
trifft, fo wäre fie Fein vollkommenes Mittel hiezu, wenn fie 
nicht von allen Strafen der Sünde, fomit auch den natürlis 
chen, befreite, von welchen man nur durch Befreiung von der 
Sünde felbft frei werden kann. Ueberhaupt iſt es nach den 
noraliichen Bollfommenheiten Gottes unmöglich, die Men- 


494 il. Ber. IL Abſchn. 1. Kap. 


fchen anders, ald im engften Zufammenhang mit der Hal 
gung zu begnadigen, da fid) gar nicht denken läßt, was da 
Begnadigungsmittel feyn fol, wenn es nicht ein Mittel iR, 
die Menichen der Begnadigung empfänglich zu machen, we 
nur durch DBeflerung gefchehen Tann. Als Begnadigungsmk 
tel kann die Genugthuung nur ein Mittel feyn, die Sünde 
ohne Vollziehung der Strafen an den Menfchen zu Hinden, 
da fie das geeignete Mittel ift, in dem Menfchen, fowel 
Vertrauen zu Gott zu weden, oder dad Hinberniß des Be 
trauend, die Beforgniß ber durch die Sünden verſchulden 
‚göttlichen Strafen, zu entfernen, als auch ihn, durch ben de 
danken, daß Gott feinen Unwillen durch Beftrafung der Siw 
de am Stellvertreter geoffenbart habe, mit Furcht vor de 
Eünde zu erfüllen 9. 

Es bedarf feiner weitern Nachweiſung, baß eine in fl, 
chen Säben beftehende Theorie von der Lehre ber Sociniane 
und Arminianer nicht wefentlich verfchleben if. Mit beide 
flimmt fie in dem Hauptgrundfage überein, daß bie Belle 
rung ald die wefentliche Bedingung der Sindenvergebung, 
diefelbe auch faktifch fchon in ſich ſchließt 2), und wenn fe 


1) Zöllner a. a. D. ©. 607-670. Weber das Motiv ber Furt 
it auch ©. 576. zu vergl.: „Nehmen wir an, daß der End 
zweck, für welchen Gott firaft, fen fein höchfies Mißfallu 
an der Sünde zu offenbaren, fo hat er doch mit Affenba⸗ 
rung dieſes Mißfallens Feine andere Abficht, als daß die 
vernünftigen Gefchöpfe durch daffelbe bewegt werden, bad 
Sündigen zu unterlaffen.” Das Grotus’fhe Straferempel! 
In den Bermifchten Auffägen Bd. 2. St. 2. führte Ti 
ner gleichfalld den Sag aus, die Zwecke Gottes bei dem 
Werke der Erldfung feyen Feine andere gewelen, als neu : 
und befonders fiarfe Bewegungsgründe zur Tugend zu fil 
ten, oder die Menfchen mit Furcht, Liebe und Wertranen zu 

fich zu erfüllen. 

2) Bel. S. 670.: Sobald ein fündiges Geſchopf gebeflert oder 


3. G Töllner. 495 


ch von der ſocinianiſchen fich noch umterfcheiden wollte, fo 
wbe fie doch nur um fo gewißer mit der arminianifchen zu⸗ 
nmenfallen 2). So wenig handelt es fi) demnach nur um 


ein aufrichtiger Gehorſam gegen Gott in ihm aufgerichtet 


wird, fobald vergibt ihm Gott ohnfehlbar feinen bisherigen 
Ungehorfam. Dafür reden, man fage, was man wolle, alle 
moralifche Vollkommenheiten Gottes. 


I ©. 685. macht Zöllner dem Gocinus den Irrthum zum Bor» 


surf, die Benugthuung Chriſti zu verwerfen. Den Begriff 
der Genugthuung will allerdings Zöllner in feiner Schrift 
über den thätigen Gehorſam noch fefihalten, wie ſchwach be⸗ 
gründet aber diefer Begriff in feiner Theorie ifi, zeigt am 
beften der fpätere Eleine Auffag: Alle Erflärungsarten vom 
verföhnenden Tode Ehrifti laufen auf Eins zufammen (in 
den theolog. Unterfuchungen Bd. 2. St. 1. Riga 1774. ©. 
316—335.) in welchem Thllner den Alt der Senugthuung und 
Gtellvertretung ächt forinianifch mit einem Akt dee Verſi⸗ 


cherung und Beftätigung vertaufcht. Nach der Theorie So⸗ 


eins bernhe unfer Glaube ouf den. durch Chriſtum überbrach» 
ten göttlichen Verheißungen, und fein od verhalte fich bios 
als eine Beftätigung derfelben. Aber fo ſtehe die Sache bei 
allen übrigen Erklärungsarten des Verfühnenden im Tode 


Chriſti. „War der Tod Ehrifii ein genugthucnder und vers 


tretender Tod, fo war er folhes nicht nur blos durch eine 
göttliche Verordnung dazu, und er Eonnte nicht ohne eine 
ummittelbare göttliche Erklärung darüber erkannt werben, 


- .fandern es hing noch immer von einem freien Rathfchluffe 


ee. 


Gottes ab, ob er ihn dafür annehmen, und den Menfchen 
aurechnen wollte. Alfo aber kommt Doch abermals alles auf 
bie göttlichen Verheißungen an, und der Tod Ehrifti verfis 
chert uns nur die verheißene Wohlthat, fofern er ein von 
Gott erfundenes weifes Mittel deſſelben ik, umd fofern er 
das ernfiliche Verlangen Gottes, die Sünden zu vergeben, 


\ erweifet. Und nun zum Schluffe! Bei allen Erflärungsar- 


ten von dem DVerfühnenden im Tode Chriſti beſteht der eis 
geutliche Grund unfers Glaubens in den göttlichen Verhei⸗ 


s; 


496 11. Ber. 1. Abſchn. 1. Kap. 


die Frage über ben thuenden Gehorſam Chriſti, fondern wid bu 
mehr um das Firchliche Satisfactionsdogma im Ganzen, wd 
ches, nachdem einmal der Unterjchleb des thuenden und Id 
denden Gehorſams von dem dogmatifchen Bewußtſeyn firkt B- 
worden tft, mit dem thuenden Gehorfam ſteht und fällt. N 
aus einem dem Tirchlichen Dogma entfremdeten Stanbpunt # 
laflen fi Argumente begreifen, wie die von Töllner wieder 
holt vorgebrachten, daß die Begnadigung aufhöre, eine wahe #- 
und wirkliche zu feyn, oder eine bloße Gerechterflärung wer 
de, wenn Chriftus den ganzen und obliegenden Gehorſam fr 
uns geleiftet habe, und daß Gott nach feiner höchften Web 
heit, Heiligkeit und Gerechtigkeit die Begnadigung ber Ne 5 
ſchen nicht an die fchlechthin unmögliche Bedingung babe nd E 
pfen können, daß allen Forderungen ber höchften Gerechtigkeit 
Genuͤge gefchehe, und nicht nur der Ungehorfam beftraft, fer 
dern auch der ganze, nicht geleiftete Gehorſam geleiftet wer 
den müfle Allein diefe Unmöglichkeit findet nur auf dem 
fubjeftio menfchlichen Standpunft flatt, bie kirchliche Theork 
ftelit fich aber ebendeßwegen, weil das für den Menfchen ſub⸗ 
jektiv Unmögliche nicht auch abfolut unmöglich ift, auf dm 
abfoluten göttlichen. Warum ftelit fih nun nicht auch Io 
ner auf biefen Standpunkt, auf welchem die wichtigften id 
ner Einwendungen von felbft hinwegfalfen? Iſt die Erfüllung 





ßungen, aber der Tod Chriſti hat und behält auch fein ge 
tes wirkliches Verhältniß zu der verheißenen Wohlthat, und 
ein und daffelbe Verhältniß, uns folche zu verfichern. Nur 
über die Art und Weife, wie er ung diefelbe verfichert, ent 
fieht eine Verfchiedenheit der Meinungen. Die Berheißum 
gen felbft leiden dabei nicht die geringfte Veränderung, und 
der Glaube des Chriften fo wenig, als feine Verpflichtung 
Durch den wohlthätigen Tod Ehrifti. Diefer ift und blit 
verfühnend, fofern er uns unfere Verfühnung verfichert, e⸗ 
babe mit der Art und Weiſe, wie er fie uns verficher, 
weldye Bewandtniß es wolle. 


3. G. Zöllner, © © 497 


es Sefebed, vom Etandpunft Gottes aus betrachtet, eine ab» 
olut noihwendige, wie ſchwach iſt die Einwendung, daß den 
Menfchen für fi, das göttliche Geſetz zu erfüllen, unmög⸗ 
ih ſey, und wenn ohne Erfüllung des Geſetzes auch Feine 
Seligfeit möglich ift, wie nothwendig ergiebt fi) hieraus, daß 
ver Menſch nur durch einen ftellvertretenden Geſetzes⸗Gehor⸗ 
am felig werden kann? , Wozu alfo Einwendungen, welche 
mf dem Standpunkt der Firchlichen Theorie gar nicht erhoben 
verben konnen? Offenbar feben fie demnach einen von die⸗ 
em Standpunkt wefentlich verfchiedenen, ben gerade entge⸗ 
gengejegten, voraus. Diefer nun innerhalb der protefantifch- 
miherifchen Kirche ſelbſt erfolgende Umſchwung ber Anficht 
Bericht fich in dem Töllner'ſchen Werke, mit je größerem Ern⸗ 
Be es feine ftreng wiffenfchaftlich gehaltene Unterfuchung durch⸗ 
führt, und je weniger dem Verfaſſer felbft: ſchon Die ganze 
Bebeutung feines Widerſpruchs zum Bewußtſeyn gefommen 
vu ſeyn fcheint, indem er ja nur einen ebenfo überflüßigen, 
als bedenklichen Auswuchs des Firchlichen Dogma’d abzufchnei= 


.. 


den, den Stamm deſſelben aber unverfehrt ftehen: zu laflen 


weint); nur um fo merfwürdiger aus. Bon bem, gbjeftio 
göttlichen Standpunft fieht man ſich nun ganz auf den ſub⸗ 
jeltio menfchlichen verſetzt; von dieſem aus wird Die ganze 
Lehre von der Verföhnung aufgefaßt und beurtheift.. Das 
Menfchlihe trennt fih, indem es ſich fowohl feines. Unter⸗ 
ſchieds vom Göttlichen, als feiner eigenen Selbfiheit bewußt 
wird, vom ©öttlichen los, da es aber dem Göttlihen,. als 
dem Abfoluten, gegenüber, feine Subjektivität zunächft nicht 


als eine unendliche, fondern nur als eine endliche aufzufaffen 


im Stande ift, fo wird nun der Maßftab der Endlichfeit an 


alles angelegt. Daß der ‘Menfch .ein endliches Geſchöpf ſey, 


bag von ihm in feiner Endlichkeit Feine abfolute Vollkommen⸗ 
beit gefordert werden Fönne, daß er unter ber Bedingung der 


ı) Man vgl. 5. 3. auch ©. 684. . 
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 32 


498 IL. Ber. DI. Abſchn. 1. Rap. 


fittlichen Befferung , die ihrem Begriff nach immer nur etwas 
relatives ift, alles Gute von der höchften Güte Gottes hoffen 
dürfe, daß alle Strafen nur Befferung und Glüdfeligteit be F 
zweden, und bie Beſſerung ober Sugend feldft nur die de FF 
dingung der Glüdfeligfeit ey, dieß find die Lehren, welche 

nun als bie oberften Grunbfäge allen Unterfuchungen übe 
das chriftliche Dogma vorangeftellt werden. Ja, fo fehr ver 
liert ſich diefe Richtung, fobalb fie ihres Princips mächtig ge 
worden ift, alsbald auch in das Subjektive und Enblide, 
daß fie auch allen mit dem Satisfactionsdogma näher m 
fammenhängenden Lehren, insbefondere der Lehre von de 
Perſon Chrifti, demfelben Charakter ſubjektiver Enblichfeit auf 
drüdt. Charakteriftiich ift in diefer Hinficht der zwar anf 
fhon von Anfelm behauptete, jegt aber mit befonderer Em 
phafe, und mit dem beftimmten Bewußtfeyn defien, was hie 
mit gefagt werden follte, wiederholte Satz, daß Chriſtus ald 
Gefchöpf, wie er doch feiner menfchlichen Natur nach unfrds 
tig gedacht werben müfle, für fich felbft zum Gehorfam gegen 
die göttlichen Gebote verpflichtet gewefen fey, fomit im keinem 
Falle andern etwas habe verdienen Fönnen, wie ja überhaupt 
ein Gefchöpf weder fich, noch andern im eigentlichen Sinne etwas 
verdienen Eönne 2). Hiemit war nicht nur dem Satisfac⸗ 
tionsdogma feine wefentlidhe Grundlage genommen, fondern 
auch dem Greatürlichen in Chriftus fo viel eingeräumt, daß 
diefelbe Trennung des Menichlichen vom Göttlichen, bes End» 
lichen vom Abfoluten, auf welcher der Widerſpruch gegen bad 
Satisfactionsdogma beruhte, auf analoge und Fonfequente 
Weile auch für Die Lehre von der Perfon Chrifti geltend ge 
macht wurde. Indem man vor allem darauf bedacht war, 
Chriſtus die volle Berfönlichkeit der menfchlichen Natur und 
die freie Selbftthätigfeit eines fich felbft beftimmenden mora- 
liſchen Subjekt zuzufchreiben, fcheute man fich weit weniger 


9) Tollner a. a. O. S. 46. 49. 361. f. 439. f. 





3.8. Töllner. 499 


r der neftorianifchen Irrlehre von einer doppelten Berfön- 
hkeit Chrifti ald vor der Gefahr, das menfchlich Perjönli- 
e in ihm irgendwie durch das Göttliche zu befchränfen. Denn 
a8 konnte auf der Grundlage einer vollen menſchlichen Per⸗ 
nlichfeit anders übrig bleiben, al8 entweder die Annahme 
ter doppelten Perfönlichfeit, oder, was jedoch auf daffelbe 
nausläuft, eine folche Anftcht von dem Verhältniß des Gött⸗ 
ben und Menichlichen, bei welcher an die Stelle der per⸗ 
nlichen Bereinigung der unbeftimmte Begriff einer bloßen 
inwirkung ber Gottheit auf den Menfchen Jeſus gefegt wird? 
Kefe letztere Annahme ift daher die in ber Töllner’ichen 
rift offen ausgefprochene Anficht, bei welcher fo wenig et- 
nd Bedenkliches gefunden wird, daß man, während man 
e Tirchliche Lehre des Eutychianismus befehuldigt, es nicht 
amal für nöthig hält, den fo nahe liegenden und gegrüns- 
ten Borwurf des Neſtorianismus von ſich abzulehnen 9. 


ni Bel. ©.369.: „Die genauefte Vereinigung des Dienfchen Je⸗ 
fus mit dem Sohne Gottes beſtund in nichts anderem, als 
Daß er der mannigfaltigften Mitwirkung deflelben zu allen 
"feinen Handlungen genoß, darin, daß der Sohn Gottes na= 
türlich, moralifch und übernatürlich zu allen feinen Hands 
Iungen mitwirfte.” Vgl. ©. 431. f.: „Ich glaube ohne eis 
nigen Widerfpruch behaupten zu können, daß die Mitwir- 
Fang der göttlichen Natur zu den Handlungen der menfchlis 
chen nur immer da anfieng, wo die eigene Hinlänglichkeit 
der menfchlichen aufhoͤrte.“ — „Wir haben und den Einfluß 
der göttlichen Natur fo vorzuftellen, daß ihm die göttliche 
Natur theils zum Vorherſehen vieler guten Handlungen in 
einzelnen Fällen behülflich war, welche er fonft nicht vorher⸗ 
geſehen haben würde, theils aber ihn bei der Beurtheilung 
der vorhergeſehenen Handlung vor möglichem Irrthum be: 
wahrte, und dazu half, daß er in jedem Falle die befie Hand: 
fung erkannte.” — Der Eirchlichen Lehre wird.der Borwurf 
gemacht, daß fie mit der Läugnung der Verbindlichkeit Chri: 
ki zum Gehorfam die Perfönlichkeit der menfchlichen Natur 
32 * 


500 1. Ber. IL Abſchn. 1. Kay. 


3a, fo ſehr gefällt fich diefe Anficht in Ihrem Intereffe, bike 
Selbftftändigkeit und Endlichkeit des Menfchlichen: gegen- De 
Beeinträchtigung durch das Göttliche in Schuß zu nehme, 
daß felbft die unfündliche Vollfommenheit des Gehorfam 
Chrifti in Zweifel gezogen wird, weil „die in der Schrift be Ri 
findlichen‘ Beichreibungen deſſelben und nicht nöthigen, dem 
felben eine alle Kräfte einer endlichen Natur überfteigende 
Bollfommenheit (fofern ein vollkommener Gehorfam feines 
vernünftigen Geſchöpf möglich if) beizulegen, und es dahe 
bedenklich feyn würde, bie Nothwendigfeit einer perſonlicha 
Bereinigung des VBertreterd mit ber göttlichen Natur allda 
oder vornehmlich auf Die Unentbehrlichfeit derfelben zur Le⸗ 
ftung eines vollfommenen Gchorfams zu gründen“ %). Kam. 


aufhebe. „Blieb der menfchlichen Natur Chrifti Bein cige 
ner Grund freier Handlungen, fo waren alle uns fo erfches 
nende Handlungen derfelben, blos Handlungen der göttlichen 
Natur, welche in derfelben und durch diefelbe gewirkt nam 
den. Es war bloßer Schein, da es doch fo ausſahe, ad 
ob die menfchliche Natur fie verrichtete, und nach eigenem 
deutlichen Belieben fie verrichtete.“ ©. 561. f. Auf den Vor⸗ 
wurf des Nefiorinnismus nimmt zwar Zöllner ©. 383. Näds 
fiht, aber nur um dem mit Iinrecht verfegerten Neſtorius 
darin Recht zu geben, daß das DVerhältniß der göttlichen - 
Natur des Vertreters gegen deffen menfchliche Natur dahin 
zu befiimmen fey, daß fie derfelben zum Erlöfungswerfe ges 
bolfen habe. | 
1) A. a. O. ©. 492. In demfelben Intereffe wird, obgleich 
fonft verfichert wird, daß Fein Gefchöpf etwas verdienen Ein: 
ne, großes Gewicht darauf gelegt, daß Chriftus für feine 
Tugend belohnt worden fey. „Ich vergebe es,“ fagt Til: 
ner großmüthig ©. 409., „unfern Vorfahren, zu deren Zeit 
das Weſen moralifcher Vollfommenheiten weniger entbedt 
war, daß fie fich Die Tugenden im Erlöfer ohne eine Folge 
von Belohnungen für den Erlöfer gedenken konnten. Aber 
ietzt lebenden Gottesgelehrten Fönnte ich folches ſchwerlich ver» 





3. G. Zöllner. Hi 


te totale-Divergenz biefer neuen Anficht, bie aber gleichwohl 
ar. gegen bie Lehre vom thuenden Gehorfam gerichtet feyn.fallte, 
on. der. Altern kirchlichen offener hervortreten, als bier, ges 
ehe? Bei diefem Stande der Sache ift leicht zu ermefien, 
velchen Werth, die Verficherung der großen Wahrfcheinlichkeit 
ner innerlich vollfommenen leidenden Genugthuung Chrif 
aben kann. Schon dieß. ift charakteriftiich, in -einer folchen 
Bache von einer Mahrfcheinlichfeit zu reden, ebenfo charakte⸗ 
iſtiſch aber aud) der Grund, es fey doch mit Zuthun ber, 
Ablichen Kraft Gottes möglich geweſen, daß Chriftus Binneg 
mem gewißen Zeitraum fo. viel litt, als alle Menichen wer 
ya aller Sünden dieſes Lebens leiden follten, da die ganze 
Bunme von den damit verfchuldeten Leiden, fo groß ſie auch 
eyn mochte, eine endliche Summe geweſen fey, die folglich 
n einem endlichen Dinge habe, vereinigt werden können 4). 
Rur darauf bezieht ſich demnach noch die große Streitfrage 
über den thuenden Gehorfam, ob Chriftus nicht. bloß fo viel 
zelitten, als alle Menfchen, zufammen ‚genommen, wegen aller 
Stinden dieſes Lebens leiden folten, fondern. auf diefelbe 
Heiſe auch foviel gethan habe, als alle Menfchen zuſammen 
genommen in Diefem-Leben thun follten. Beide Genugthuuns 
yen habe er doch der Firchlichen Lehre zufolge neben einander 
34 geleiftet. „Nun frage ich,“ entgegnet Toͤllner in eis 
per für feinen ganzen Standpunft fehr bezeichnenden Stelle %), 
rob es einige Wahrfcheinlichfeit hat, daß Chriftus in demſel⸗ 
bigen Zeitraum, in welchem er fo viel Mitt, als alle Menfchen 
in leiden verfchuldet hatten, auch gerade fo viel gethan has 
be, als alle Menſchen zu thun verbunden waren? Ich frage 


geben. Es iſt ausgemacht, daß eine moralifche Volllommen- 
beit nichts anders, als eine Beſtimmung if, wodurch ein 
phnfifches Gut hervorgebracht wird.” | 

1) A. a. D. ©. 580. 

2) A. a. O. ©. 567. 


302 1. Per. 1. Abſchn. 1. Kap. 


einen jeden, ob es einige Wahrfcheinlichfeit Hat, daß Chrikns 
in demfelben Zeltraume, in welchem er nicht mehr und nic 
weniger litt, als ale Menſchen leiden folkten, auch nicht mek 


und nicht weniger Gutes gethan habe, ald alle Menſchen th J 
follten? Und wie ſolches genau habe abgezählt und abgemh |. 


fen werben können ? Entweder wir müffen unfere Begriffe vor 
ber innern Bollfommenheit der Genugthuung Chrifti vers 


dern, und ſolches, ungefähr wie die Arminianer, mur übe. 


haupt darein fegen, daß Gott feine Tugenden und Liebe ba 


Menfchen zuzurechnen befchloffen hatte, ober wir befinden und | 


in Schwierigkeiten verwidelt, welche dem ganzen Glauben a 
die Genugthuung nachtheilig werden.” Wie wenn auf dieſen 
Standpunkt, auf welchem alles relativ und endlich iſt, um 
nur Außerlih und quantitativ beflimmt wird, an dem Plut 
und Minus des thuenden und leidenden Gchorfams fo viel 
gelegen ſeyn könnte! 


Obgleich Toͤllner unftreitig ein unter feinen Zeitgenoſea L 
jehr hervorragender Theologe war, fo würde doch gewiß fi |, 
ner Schrift ein größeres Gewicht beigelegt, als fie in dal 


That verdiente, wenn nicht neben dem Beifall, mit melden 
fie aufgenommen wurde, felbft auch Die Gegner, die fte fand, 
den Beweis gegeben hätten, wie fehr fchon fie als ein Achter 
Ausdrud. der nun immer klarer hervortretenden eigenthümli- 
chen Richtung jener Zeit anzufehen iſt. An Gegnern, die dab 
löblihe Beftreben zeigten, fich der angegriffenen kirchlichen 
Lehre nad) beften Kräften anzunehmen, fehlte e8 zwar nicht, 
aber wie ſchwach und unerheblich tft ihre Bolemif, wie eng 
und beichräntt der Kreis, in welchem man fich bemegt, wie 
geriiig das Moment, um welches es ſich auf beiden Seiten 
handelt! Daß die Eintheilung des genugthnenden Gehorſams 
in einen ihuenden und leidenden nur aus der Stelle Bhil.2,8. 
in die Lehrbücher gefommen, und (wäre nur nicht zu fürd- 
ten, daß „die Saiten fpringen, wenn man die alten Leyen 
anders ſtimmen wollte!) Längft wieder hätte weggejchafft wer: 





7 


3.4 Erneſti. 503 


ben ſollen, da ſte ber dogmatiſchen Genauigkeit ermangle und 
gur Verwirrung verurſache, daß daher die ganze von Toͤll⸗ 
ger angeregte Frage nur ein durch unbequeme und zweideu⸗ 
ge Ausdrüde veranlaßter Wortſtreit ſey, urtheilten ſelbſt ſol⸗ 
che Theologen, welche, wie Erneſti, der bedeutendſte unter 
Toͤllners Gegnern *), ſich am wenigſten mit ihm einverſtan⸗ 
Den erklärten. Nur indem man offenbar den Sinn für bie 
alte Lehre mehr oder minder verloren hatte, und fie doch nicht 
geradezu fallen zu laflen wagte, Eonnte man alle Schwierig⸗ 
Seiten gehoben zu haben glauben, wenn man mit Umgehung 
Ieder beftimmten Theorie fih an die ſoviel möglid, einfachen 
Sätze hielt, daß die Güte Gottes den Menfchen helfen wolle, 
bie Gerechtigkeit aber die Beobachtung des Geſetzes und Die 
Beftrafung der begangenen Sünden fordere. Darum habe 
Die Weisheit einen Menſchen zu ſchaffen befchloffen, der durch 
bie Berbindung mit dem Sohne Gottes im Stande ſeyn foll- 
te, beides zu thun, die Ehre und Rechte des Gebots und ber 
WBerechtigfeit Gottes zum Dienfte der Güte Gottes, und zum 
Beften der Sünder zu retten. Daher habe er nad) der dop⸗ 
‚yelten, auf den Menfchen liegenden Verbindlichkeit, und dem 
boppelten Zweck, dem Menſchen nicht blos Vergebung ber 
Sünden, fondern auch pofitive Seligfeit zu ertheilen, fowohl 
das Geſetz vollfommen erfüllt, als auch die Strafe der Sün- 
den gelitten, bleibe aber dafür in der Gerheinfchaft der Gott⸗ 
heit ewig. Charafteriftifch ift für dieſe als orthodox geltende 
Lehre ganz befonders die Art und Weiſe, wie fie ſich über 
die Perfon Chrifti ausdrüdt. Um nicht im Sinne der alten 
Lehre der Kirche von einer Menfchwerdung Gotted ober bed 
Sohns, und von einem Gottmenfchen zu reden, fprady man 
von ber Erichaffung eines mit dem Sohn Gottes in Verbin⸗ 
bung tretenden Denfchen, eine Ausbrudsweife, welche ſogleich 


1) In der neuen theolog. Bibliothek Bd. IX. 1768. in der Bes 
urtheilung der Toͤllner'ſchen Schrift S. 914. f. 


504 1. Ber. U. Abſchn. 1. Kap. 


die ganze Aeußerlichfeit des zwiſchen dem Göttlichen und 
Menfchlihen angenommenen Berhältniffes, und das grok 
Moment, das man vor allem auf Chriftus als Menfchen le 1: 
gen zu müffen glaubte, deutlich genug zu erfennen gibt. Mu # 
fönne fich freilich, wurde bemerft, keinen Menfchen denfen, & 
ohne die Verbindlichkeit, Gottes Gefeb zu halten, und nad 
dem Verhältniffe, das der Menſch Jeſus gegen Gott ai 
Schöpfer hatte, fey allerdings die Verbindlichkeit, ihm: zu ge 
horchen, für ihn entftanden, aber man müfje den Menſche 
Jeſum betrachten, als gefchaffen, nicht wie die andern, fer 
dern nur als ein Werkzeug des Sohnes Gottes, durch wel⸗ 
ches er genugthun wolle, das auch für fich Feine Perfon aus⸗ 
mache, jo werde die eigentliche Verbindlichkeit, dergleichen an 
dere Menfchen haben, wegfallen t). Auf diefe fo ſchwach be 
gründete, auf feinen höhern Begriff zurüdgeführte Vorftellung 
ftügte man den Satz, daß Ehriftus als Menſch für fich nicht 
zum Gehorfam gegen Gott verbunden gewefen ſey. Und doch 
war eben Diefer Eat der Ausgangspunft ded Gegners, aub 
welchem er eine ganze Reihe die Lehre vom thuerden Gehors 
fam untergrabender Confequenzen gezogen hatte. Sehr be 
zeichnend ift für jene nun ſchon dem Glückſeligkeitsſyſtem zus 
eilenden, und mit diefem Maasſtab, ald dem abfoluten, alles 


1) Ernefi a. a. D. ©. 923. Als Gegner Tällner’s traten ne 
ben mehreren ungenannten nantentlich auf: Schubert, Vin- 
diciae activae Christi obedientiac. Greifswalde 1768. Wich⸗ 
mann, Abhandlung vom thuenden Gehorſam Ehrifti. Hamb. 
1772. Gegen die Einwürfe der Gegner vertheidigte fich Zölls 
ner, ohne weitere ErheblichEeit für die Streitfache felbk, in 

.. den Zufägen zu den Unterfuch. des thätigen Gehorf. Chriſti. 
Berl. 1770., wozu noch die Nachleſe zum thätigen Sch. Chr. 
in den Theol. Unterf. Bd. 2. St. 2. ©. 237. f. Fam. Man 
vergl. über dieſe Eontroverfe Walch's Neuefte Religiondge 
ſchichte Th. 3. 1773. ©.309. f.: Neueſte Sefchichte der Lehr: 
von dem fogenannten thätigen Gehorſam Chriftt. 





Neue Gegner der Firchlichen Lehre. 506 


anbere meffenden Zeit auch das Argument: die‘ ratidiiee al 
ler göttlichen Sitten⸗, Ceremonial⸗ und Polleth +Befehe, die 
ki alle nur auf die Zurüdhaltung der Menſchen von Laftern, 
und die Beförderung ihres zeitlichen und ewigen Gluͤcks ab⸗ 
gezielt haben, haben bei Chriſtus deßwegen gar nicht ſtatt 
ſinden können, weil er, als am ſich ſchon vollkommen heilig 
und unendlich glücklich, keines dieſer Geſetze ſeiner eigenen 
Stärtjeligfeit wegen zu beobachten nöthig gehabt Habe tye1”. 


Ba 
Zweites Sapitel 


Die Gegner der. Genugthuungslehre überhaupt, 
 Gteinbart, Eberhard, Bahrdt, Henke, Loffler u. A. 


Die in der Tölner’fchen Schrift und aus Beranlaflung 
berjelben ausgefprochenen Lehren und Grundfäge mußten mit 
der ganzen Richtung, aus welcher fie felbft ſchon hervorgegan⸗ 
geh war, dem Bewußtſeyn jener Zeit fich immer mehr mit—⸗ 
theilen. Daß die Erlöfung und Verſoöhnung des Menſchen 
Seiner andern Vermittlung bedürfe, fobald nur auf der Seite 
des Menſchen die einzig denkbare Bedingung der Reue umd 
Beſſerung ſtattfinde, war ohnedieß die immer allgemeiner aus⸗ 
geſprochene Ueberzeugung, und nur dieß machte einen Unter⸗ 
ſchied, ob man ſie mit größerem oder geringerem Widerwil⸗ 
Im gegen die kirchliche Genugthuungslehre ausſprach. Was 
fie empfahl, war jedoch nicht blos der Gegenſatz gegen dieſe 
Lehre, für welche man den richtigen Geſichtspunkt völlig ver⸗ 
Isren hatte, fondern ganz beſonders auch das unmittelbare 
braktifche Snterefie, das mit Umgehung aller unnügen Spe⸗ 
culation in ihr feine willkommene Befriedigung zu finden fehlen. 
Ste paßte vollfommen für eine Zeit, in welcher Schriften, wie 
der befannten Spalding’fohen von der Nupbarkeit des Pre—⸗ 


1) Wichmann a. a. D. Bel. Wal ©. 363. 


506 ‚Ab Ber. I Abſchn. 2. Kap. 


Digtamıtä; und deren. Beförderung, welche Lehren, wie na- 
menilich die ‚Kirchliche. Senugthuungslehre, zunaͤchſt zwar nur 
für ‘den Kanzelvortrag und Volksunterricht, für unpraftiich 
und :.unbraudybar erklärten,  zugleiy aber deutlich genug 
bie tiefer liegende, jener Zeit; eigene Scheu und Abneigung 
vor.;allem Spelulativen fund gaben, bie. allgemeinfte Be 
konwberung: gezollt wurde. Mit diefer Scheu vor jeder ſpe⸗ 
kulatiwen Bermittlung, und Diefer die Wichtigkeit und Wahrheit 
ber chriftlichen Dogmen nur nach ihrer Nuͤtzlichkeit und Braud- 
| barfeit beurtheilenden Richtung auf das Praftifche, hing aufs 
engfte zufammen, daß man fich überhaupt nicht über bie Un- 
nıittelbarfeit des Natürlichen zu erheben vermochte, und nur 
im Ratürlichen und Sinnlihen das höchſte Ziel feines fittli- 
chen Strebens fand. Die Vortrefflichkeit des, menschlichen An- 
lagen, die yatürliche Güte des menſchlichen Herzens, die de 
ſtimmung des Menſchen zur Glüdfeligfeit, der natürliche An- 
ſpruch aller auf die vom Chriſtenthum verheißene Seligkeit, 
dieß waren die großen Lehren, die in jener in dem endlichen 

Kreiſe ihrer Suhjektivitaͤt ſich gefallenden, in dem Lichte der 
neuen Aufflärung fich fplegelnden, auf ihre reine Philofophie 
und geſunde Vernunft fo ficher vertrauenden, alles nur nad 
ihrem Eubämonismus und Nüglichkeitöfuftem bemefienden, von 
der Sympathie für die Seligfeit der Heiden fo lebhaft be 
wegten, und in allem diefem dem Ziele der Menfchheit fid 
fo nahe. wähnenden Zeit fort und fort im Munde geführt 
wurden, und je mehr die Herolde und Heroen der Aufklaͤ 
zung einer in ihrer fubjeftiven Vorftelung fo glüdlichen Zeit 
auch durch die Form ihrer Schriften den neu fich bildenden 
Geſchmack des Publikums für fich zu gewinnen wußten, befo 
mehr glaubte man mit dem Wufte der alten Scholaftif auch 
über den ganzen Inhalt der nur auf fie geſtützten Dogmen 
auf immer hinweggefommen zu feyn. Es lag zu fehr in ber 
Natur der Sadye, daß die befannte Tendenz eines Gteinbatt, 
Eberhard und Bahrdt ganz beſonders auch mit der Firdli- 


Neue Segner ber kirdylihen Lehre, 507 


chen Satisfactiondlehre in Conflikt kommen mußte, als daß 
BB befrembden Fönnte, ihre Namen auch in der Gefchichte uns 
78 Dogma’d zu finden. Se weniger aber nach fo vielen 
agſt vorgebrachten Einwendungen gegen jene Lehre ſelbſt 
etwas neues von Bedeutung gefagt werden zu können 
en, defto mehr mußte fi) nun ber nicht nur ohne Schen 
Zurüdhaltung erhobene, fondern auch von einem gewi⸗ 
pbilofophifchen Streben geleitete Widerfpruch gegen die 
Borausfegungen richten, auf welchen jene Lehre beruhte. Es 
daher, wozu ſchon früher der Uebergang gemacht wurde, 
tfächlich der Begriff der Strafe, welcher jest in Unterfus 
ung gezogen wurde, und das Nefultat, auf welches bie 
e, das Bofitive mehr und mehr abftreifende, und an bie 
Vtielle deſſelben das Natürliche und Unmittelbare ſetzende Auf⸗ 
Wärung führte, fonnte nur in der neugerwonnenen Einficht be 
Reben, Daß es Feine andere Strafen gebe, als natürliche. 


Dieb ift das Moment, um welches es fich in den weis 
een Srörterungen, auf welche wir geführt werben, handelte, 
‚amd der Bunft, von weldhem vor allem &. ©. Steinbart aus⸗ 
ging, als er in feinem Syſtem der Slüdfeligfeitölchre des 
Ehriſtenthums der Lehre von der Genugthuung und Berföhs 
nung ihre Stelle nur in der Reihe „der willführlichen Hypo⸗ 
theſen, welche den Einfluß des .Chriftentbums auf die Gluͤck⸗ 
ſeligkeit verhindern“ anmeifen konnte %. Alle Berwirrungen 
in der geſammten praftifchen Religion, behauptete Steinbart, 
entftehen gewißermaßen. aus der Berworrenheit des Begriffs 
der göttlichen Strafen, durch eine richtige Erfenntniß dieſes 
Begriffd werden daher auf einmal alle Mißverftändnifie in 





4) Spfiem der reinen Philofophie, oder Glückſeligkeitslehre des 
Chriſtenthums, für die Bedürfniffe feiner aufgellärten Lande; 
leute und andrer, die nach Weisheit fragen, eingerichtet. 
Züllichau 1778. &. BB. f. 118. f. 


508 A. Ber. IL Abſchu. 2. Rap. 


ber Lehre ‚von Chrifto und der von ihm geftifteten Verſoh⸗ 

nung aufgelöst, und hiedurch zugleich Die Hindernifle, welde 

den praftifchen Einfluß des Chriftentbums auf das natürk, 

che Gewiſſen der Menichen hemmen, hinweggeräumt. Um babe 

zu beftimmen, welche Strafen Chriftus an unferer Stelle über. 
nommen habe, müfje vor allem die Frage beantwortet ww 
den, was eigentlich Strafen feyen. Für diefen Zweck werta 
Hie phyſiſchen und -moralifchen Folgen der Handlungen unten 
ſchieden. Da die phyſiſchen Kolgen, der Natur ber Sa 
nach, nicht von den Handlungen getrennt ſeyn Tönnen, fo ge 
hören fie nicht zu den Strafen, und Chriftus kann fie daher 
auch nicht für die Deenfchen übernommen haben. &igentlide 
Strafen find nur die moralifchen Folgen übler Handlungen, 
und zwar find fie theils natürliche, theild willfürliche Strafe 
der Sünden gegen Gott. Was nun die natürlichen Strafen 
der Sünde in diefem Siune betrifft, ſo kann uns auch in bie 
fer Hinfiht Chriftus nicht von den Strafen der Sünde befteit 
haben, da die natürliche Strafe der Sünde, das innere Miß⸗ 
vergnügen über fich felbft, als moralifche Folge einer Hands 
lung etwas wohlthätiges ift, fofern dadurch jeder zu größe 
rer Vorfiht und zu befferem Gebrauch der Vernunft erwedt 
wird. Als mögliches Objekt des die Menfchen von den Fol- 
gen der Eünde befreienden Verdienſtes Chrifti bleiben daher 
nur die willfürlichen Strafen übrig, welche ſich auf das Ber 
hältniß beziehen, in welchem Gott als Geſetzgeber zu den 
Menſchen fteht. Aber auch in Anfehung diefer Strafen wird 
fein reeller Begriff der Strafe angenommen, indem auf eine 
bemerfenswerthe Weiſe an die Stelle eines objektiven Ber 
hältniffes ein blos ſubjektives gefegt wird. Statt von ber 
Borausfegung auszugehen, daß Gott als Gefeßgeber ber 
Menſchen mit der Vebertretung feiner Geſetze pofitive Strafen 
verbunden habe, wird vielmehr geradezu vorausgefegt, daß 
ein ſolches Strafverhältnig des Menfchen zu Gott nur eine 
jubjeftive Vorftellung fey. In Hinficht des Geſetzgebers ent⸗ 


G. ©. Steinbart. °= ..' 509 


teben zwar mit dem Bewußtieyn, ihn beleidigt zu haben; 
er unangenehme Vorftellungen, fte find aber ſehr verfchies 
yener Art, je nachdem wir uns den Gefebgeber entweder als 
nen, harte Dienfte fordernden, jedes Vergehen mit unbarm- 
serziger Strenge ftrafenden Tyrannen, oder als einen güti« 
yen und einfichtövollen Vater denfen, welcher und durch Die 
Befolgung feiner VBorfchriften nur glüdlicher machen will. Im 
Western Falle werden wir uns zwar vor ihm fchämen, aber 
dennoch ihn lieben und nicht fürchten, daß er und noch :elen« 
ber machen werde, ald unfere Thorheit uns fchon gemacht 
bat .Hievon wird nun die Anwendung auf die Lehre von 
ber Erlöfung durch Chriſtus gemacht. Nicht an ſich hat Chri⸗ 
Aus die Menichen von den Strafen der Sünde befreit, da es 
sicht an fich foldhe Strafen gibt, von welchen der Menfch be⸗ 
freit werden müßte, fie eriftiren nur in der Vorftellung des 
Menfchen, nur das Bewußtſeyn des Menfchen bat alfo Chri⸗ 
Aus befreit, indem er dem Menfchen die Furcht und Angſt 
vor den Strafen nahm, Die er fich einbildete. Diefe Furcht und 
Angſt hatten aber nur die Juden. Die Juden alfo erkaufte 
und erlöste Chriftus 1. von dem geſammten moſaiſchen Frohn⸗ 
dienſt und allen willfürlichen Anforderungen Gottes an fie, 
2, von ber fHlavifchen Furcht, daß die Vergehungen gegen 
das mofaifche Geſetz an ihnen im Sterben beftrafi, und fle 
durch den Tod dem Satan zur Bollziehung aller Verfluchun⸗ 
gen überliefert werden. Da die Heiden diefe Vorftellungen, 
weiche das mofatiche Geſetz, oder vielmehr die pharifälfche Aus⸗ 
legung befielben zur Zeit Chrifti, erweckte, nicht hatten, fo ift 
ia Beziehung auf fie von feiner Erlöfung von Strafen bie 
Rede. Was aber das Verhältniß ber Juden und Heiden zu 
einander betrifft, fo find beide durch Chriſti Tod unter ein« 
ander und mit Gott ausgeföhnt, fofern die wegen bed. mos 
fatfchen Gefeges unter ihnen fattfindende Feindſchaft aufge 
boben ift, und fofern fie durch Chriftus gebeten werben, ſich 
ausföhnen zu lafien, d. h. alle fürchterlichen Begriffe von eis 


510 11. Ber. 1. Abſchn. 2. Kap. 


ner willfürlichen Behandlung Gottes aufzugeben, und “, 
trauen und Freudigfeit zu ihm zu faflen. Hiedurch de ey 
wortet fich die Frage von felbft, ob Die Erlöfung durch Ta 
ftus blos dadurch geſchah, daß er und von den gütigen, 7 
ſichtsvollen, väterlichen Gefinnungen Gottes durch Lehre, Ari 
ben, Leiden, Tod, Auferftehung verficherte, oder dadurd, Ay Fr° 
er graufame willfürliche Strafen, wie Die Juden nad ds M 
Tode erwarteten, felbft übernahm. Die Theorie einer fh 
vertretenden Genugthuung iſt eine ganz widerchriftliche u 
widerfinnige Hypothefe, die Ausgeburt des kranken Gehimb 
eines Auguftin und Anfelm, gegründet auf Die ächt manichä⸗ 
ſche VBorausfegung, daß in Gott der Gegenfab eines boppd- 
ten Princips fey, eined guten und böfen, zwei mit gleide 
Unendlichkeit wider einander ftrebende Eigenfchaften, nach wes 
dyen Gott feine ftrauchelnden Kinder, vermöge der einen zu 
verbefiern und vollfommener zu machen, vermöge ber andern 
ins Elend und Berderben zu ftürzen, gleich ſtark geneigt iR. 
Hebt nun die Borausfeßung eines ewigen inneren Widerſprucht 
im Weſen Gottes fich felbft auf, fo Fann Gott für das chriß⸗ 
liche Bewußtfeyn nur die abfolute Güte und Liebe, und be 
GSerechtigfeit Feine die Güte einfchränfende Eigeufchaft, fon 
dern eine der Empfänglichfeit des Objekts proportionirte oder 
weife Güte feyn, woraus erhellt, daß alle Strafen fich auf 
Das Befte derer, welchen Geſetze ertheilt find, beziehen, und 
proportionirte Beförderungsmittel der Befferung feyn müffen, 
alle Uebel aber, bei welchen diefe Abficht nicht fattfindet, aus 
einem bei Gott undenkbaren Mangel der Güte, oder Der Mad, 
oder der Klugheit, entftehende Ungerechtigfeiten find. Beinahe 
fieht man fich durch eine fo ächt dualiftifche Gegenüberftellung 
der beiden Theorien und der ihnen entfprechenden göttlichen 
Eigenfchaften, und durch die Bitterfeit, mit welcher die jüdir | 
fhe Religion befchuldigt wird, „der Menfchen mehr Bor: 
theile und Freuden des Lebens geraubt, ald gegeben, fie mehr . 
geängftigt und in Schreden geſetzt, als beruhigt und mit 





G. ©. Steinbart. 511 


tungen erfüllt zu haben“ 2), in die Zeit bed marclonitis 
KEN Dualismus verfeht, welcher auf gleiche Weife die Ge⸗ 
wligfeit und alles mit ihr Zufammenhängende in das Ju⸗ 
um verwieſen, und dem Chriftenthum nur die reine ab⸗ 
: Mitte Liebe Gottes vorbehalten wiflen wollte. So wollte ber 
X der Sphäre der Subjektivitaͤt ſich mit immer größerer Will⸗ 
E bewegende Geiſt, nachdem er die objektive Nenlität der 
ung der Suͤndenſtrafen an das ſubjektive Moment der 
Bene und Beſſerung geknuͤpft hatte, aus eigener Machtvoll⸗ 
Ummenheit auch von dem in der Furcht und Angft der Reue 
M ausſprechenden Bewußtſeyn des göttlichen Zorns ſich be⸗ 
freien, und dieſes Bewußtſeyn, mas einer der erſten bemerkenswer⸗ 
Ben Berjuche ift, den Inhalt des N. T. als bloße Zeitworftel- 
eng von ber abjoluten Wahrheit der chriftlichen Lehre zu un⸗ 
kerfcheiden, denen überlaffen, welche noch auf dem Stand- 
hunkt des Judenthums ftunden, und von diefem aus erft zum 
Chriſtenthum überzutreten im Begriffe waren. Auf Ddiefen 
Kußerften Punkt konnte jedoch nur der in der Steinbart’fchen 
Blüdteligfeitsichre des Chriftenthums fich ergebende rein fub- 
jeftioe Geiſt diefer Zeit fich verirren. 

So weit ging wenigftens der Steinbart in Manchem bes 
räbrende, aber in wiffenfchaftlicher Hinficht weit über ihm ftes 
bende berühmte Apologete des Sofrated, J. A. Eberhard, nicht. 
ber auch bei Eberhard ift es der Begriff der Strafe, in def- 
fen Beſtimmung das ganze Mrment der Sache gefeht wird. 
Die Bollftommenheit der Strafr ‘, dieß iſt das Wefentliche der 
berharb’fchen Theorie 2), befte,t darin, daß fle nicht größer 
And, als es nöthig ift, daß fie das größte Gut hervorbrin- 
gen, oder das Befte des leidenden Subjekts bezweden, und 


4) Bl. a. a. D. Vorrede ©. XII. _ 

2) Neue Apologie des Sokrates, oder Unterfudiung der Lehre 
von der Seligkeit der Heiden (erfie Ausg. im Jahr 1772.) 
Zweite Ausg. 1776. 1. Th. ©. 90. f. 


512 I. Ber. . 1, Abſchn. 2. Kap. 


folglich, fobald die Beſerung beffelben erfolgt it, zus Mar 
SP dieß nicht immer bei menfchlichen Strafen, fo. fans 

die Vortrefflichfeit der . göttlichen Strafen: nichts ande au n 
fi bringen, ald daß fie die Beſſerung bed Geftraften ar 
Abficht haben. Iſt die Beſſerung erfolgt, fo haben and 6 K 
göttlichen Strafen ihren. möglichen Rutzen erreicht. Der me 
ralifche Nutzen, den fie noch außer dem leidenden Subjeit W 
andern haben follten, Tann nur. hierauf einzig und ‚allein ip 
ruhen, daß dur fie Das ‚Herz, zur Liebe bed Guten gefühl 
wird, Sobald bie in der Abſicht bes. höchſten Regenten Ip 
gende Beſſerung erfolgt iR, muß bie Empfindung ber Gira 
ben feligften Folgen der erhaltenen Beflerung Platz machen 
Bei diefer Einrichtung wird die lebendigfte Ueberzeugung cm 
halten, daß das Wohlgefallen Gottes und Die GLüdieligiek 
eines Geiſtes mit feiner moralifchen Güte im genaueften Bars 
haͤltniß fteht. Auf dieſe Weite wirb die-Strafe bie einzige 
Wohlthat, die dem Sünder erzeigt werben Tanı. Wenn ber 
ber auch dad Phyſiſche ber Strafe bleibt,. der beffer beichrk 
Sünder wird ed Fein Uebel mehr nennen, da er fid, babe 
nicht unglüdlich fühlt. Vielmehr wird er bei biefer Bar 
ftelung der göttlichen Strafen zu innigerer Liebe und Ande 
tung bes hödhften Wefens fich bewogen fühlen, als durch als 
les, was ſich blos auf bie Befriedigung der göttlichen Ride 
tergerechtigfeit bezieht, die mit dem Wohle des leidenden Sub 
jekts nichts gemein hat. Nach diefen Grundſätzen Tann kein 
ftellvertretende Genugthuung ftattfinden. If das, was ber 
Strafe ihren Nuten gibt, nur ihre Verbindung mit bem Ber | 
gehen und die dadurch hervorgebradhte Beſſerung, fo kam 
biefe jchlechthin nicht erfolgen, wofern diefe Verbindung nid 
fo finnlich ald möglich if. Es ift daher nicht genug, bab | 
nur irgendwo eine Etrafe verhängt wird; wen es nicht in | 
dem fündigen Subiekt felbft gefchieht, fo ift alle moraliſche 
Frucht diefer Etrafe verloren. Bei diejer Beſtimmung dei 
Begriffs der Etrafe ift eine Aufhebung der Etrafe, wie bi 





— ——— 





3. A. Eberhard. 519 


Satisfactionstheorie vorausgefegt wirb, moraliſch unmöge 
Aber auch die Theorie des Grotius, welche Bott nicht 
Beleidigten, fondern als Negenten betrachtet, und das 
Kim der Strafe in den eremplariichen Zwed fest, iſt unge 
ud, da das Bild eines menfchlichen Regenten ein fehr 
Mbäquater Ausdrud der Idee Gottes if. Da in dem goͤtt⸗ 
den Staat niemand zu feyn aufhört, fo Tann jebe Strafe 
on beiwegen einen mehr als eremplariichen Nutzen haben. 
je aber alle Strafen in dem göttlichen Staat nur erempla- 
h wirken follen, iſt völlig undenkbar, wenn man bebenkt, 
3: der größte Theil der Verbrechen und Strafen demjeni⸗ 
I, der nicht den ganzen Regierungsplan Gottes bis ins 
gelne verfolgen, und auch das Innere der menfchlichen 
ndlungen durchſchauen kann, verborgen bleiben muß. Der 
terfchied der göttlichen und menfchlichen Etrafen befteht viel» 
br eben darin, daß die göttlichen auch da, wo fie einen ex⸗ 
plariſchen Nuten haben, zugleich auf die Befferung hins 
fen. Die Strafen Gottes follen zur Beförderung des Wohle 
Weltalls dienen, nicht blos dadurch, daß fie den Zus 
wer durch die Etrafe des Verbrecherd fchreden, fondern 
& dadurch, daß fie den Beltraften In der Verehrung des 
gemeinen Wohls fein eigenes finden lehren. Ein menſchli⸗ 
e Regent kann zwar ftrafen, ohne die Beflerung bes Ver⸗ 
chers zur Adficht zu haben, Gott aber kann nicht firafen, 
se ben Uebertreter befiern zu wollen. Eo wahr ift es al- 

daß Etrafen ein Glüd für den Beltraften find, das er 
ſelbſt wünfchen muß, und fo unhaltbar find auch Die 
ünbe, durch welche man aus bem Regenten » Berhältnik 
tteö eine unmittelbare Berjöhnung Gottes ableiten wollte *). 


) Man vgl. hierüber den zweiten im Jahr 1778 erſchienenen 
Zeil der neuen Apologie des Eofrates, in weldhem Eber⸗ 
hard die Lehre von der Genusthuung einer neuen umfaflen- 
den Unteriuchung unterwarf (Abſchn. V. ©. 154.f.). Ueber 
Orstins ik bel. ©. 195. f. zu vergl. 


Baur, bie Lehre von ber Berföpuung. 33 


514. IL. Per. IL Abſchu. 2. Kap. 


Es handelt fih demnach auf dem Standpunft, auf wel 
chem diefe. Gegner der Firchlichen Satisfactionslehre ſtehen, 
nicht mehr um die Frage, ob Gott auch ohne Genugthuung 
unter der bloßen Vorausfegung der Reue und Befferung, de 4 
Strafen der Sünden aufhebe (in der Behauptung diefes Haup⸗ 
fages der neueren Verſöhnungslehre machte ſich das fubielt, 
ve Bewußtfenn der Zeit in feiner ganzen überwiegenden Macht 
geltend) *), fondern die Frage war vielmehr, ob überhaupt | 


1) Auf eine bemerkenswerthe Weife fpricht ſich die Gewißhei 
Diefes errungenen Standpunkte der Gubjeftivität in folgen 
der Stelle der Eberhard’fchen Apologie Th. IE S. 206.f. 
ans: „Man Eann nicht ohne Vergnügen bemerken, wie bi 
£ehre von einer vertretenden Genugthuung ſelbſt unter den 
Händen ihrer Bertheidiger eine beflere Geftalt angenommen . 
bat. Es wird nun allgemein erkannt, daß fie den Geſin⸗ 
nungen und den Gitten des Ehriften zuträglich ſeyn müſſe, 
wenn fie des höchften Weltregierers würdig ſeyn fol, Weld 
ein großer Schritt zu einem volllommenern Chriſtenthum ik 
nicht durch diefe Verbeflerung der Theorie feit der Verwer⸗ 
fung der fcholafiifchen Theologie durch die erſten Neformw ° 
toren gefchehen? In Ddiefer elenden Verunftaltung des ar 
(prünglichen, fo einfältigen und mwohlthätigen Chriſtenthums 
that Gott alles um feinetwillen, die Schicflichkeit,, die Ber 
hältaigmäßigkeit in diefer DBeranftaltung Gottes war gar 
nicht aus dem Bedürfniß und dem Wohl der Menfchen herr " 
geleitet, nlles ging dahin, die Eiferfucht und die Majekät 
eines orientalifchen Deipoten zu befriedigen, deſſen Ruhm 
mit dem Wohl des Menfchen nichts gemein hatte. Aus die 
fen finfieru Ideen leitete man die Nothwendigkeit ber, daf 
der Erxlöfer alles Leiden der Menfchen zwar nicht der Art, 
Doch der Battung nach übernähme. Protefiantifche Schola⸗ 
filer traten, fo bald der afcetifche Geift Luthers aus der 
protefiantifchen Kirche gewielen war, und von neuem der 
falten Spigfindigkeit Plag gemacht hatte, in die Fußſtapfen 
ihrer Eatholifchen Vorgänger, und leiteten aus ihren Grund 
fügen die Nothwendigkeis einer vollfommenen gleichwiegen 


G. F. Bahrdt. 515 


ch von einer Aufhebung der Strafe, einer Vergebung der 
inben die Rede ſeyn könne, da der Begriff der Strafe ſelbſt 
e Möglichkeit einer Strafen» Aufhebung ausfchließet Deß⸗ 
gen iſt fchon Hier der Ort, wo die Unterfuchungen 3. F. 
he Loͤffler's über die Genugthuungslehre *) ihre Stelle fin- 


— 


den Genugthuung her, ganz gegen ben belebenden erquicken⸗ 
den Geift Luthers.“ Luther habe auf den Glauben gebrun 
gen, und e8 liege am Tage, wie nabe er einer mittelbaren 
Desnadigung durch die Erlöfung geweſen ſey, wenn er ihr 

: wicht noch näher gefommen fey, fo fey 28 die Schuld feiner 
:Beiten gewefen. 

8 Weber die Firchliche Genugthuungsichre, Zwei Abhandlun⸗ 
gen. Züllichnu u. Freiſt. 1796» Zuerſt ald Anhang zu dem 
erſten Bande der Predigten, 2. Aufl. Züllihau 1794. nun⸗ 

: ‚mehr: im erfien Bande der Eleinen Schriften Löfflere, Wei⸗ 
mar 1817. ©. 244. f. Die zweite diefer beiden Abhandlun⸗ 
gen ift eine Vertheidigung und weitere Begründung der ers 
Ken. — Zwiſchen Eberhard und Steinbart auf ber einen und 
Löffler auf der andern Seite ſteht noch C. F. Bahrdt mit 
Der anonym erfchienenen Schrift: Apologie der. gefunden 
Vernunft durch Gründe der Schrift unterfüst, in Bezug 

auf die chrifliche Verſoͤhnungslehre. Bafel 1781. Da diefe 
(die Seiler’fche Vertheidigung der kirchlichen Lehre beftrei- 
tende) Schrift in wilfenfchaftlicher Hinficht keinen bedeuten» 
:den Werth hat, fondern nur-nah:Bahrdt’fcher Weile die 

- „Eberharb’fche Theorie popularifirt und in ſchroffen Eägen 

der kirchlichen Lehre entgegeuſetzt, ſo mag es, am den Fort⸗ 
gang der obigen Entwidlung nicht durch bloße Wiederho- 
Inngen zu unterbrechen, genügen, hier das Weſentlichſte zu 
bemerken. Bahrdt gebt gleichfalls von dem Begriff der 
©trafe ans und bdefinirt denielben (S: 36.) fo: Strafe iſt 
jedes Beflerungsmittel, das nur im Augenblid feines Das 
fepns mit unangenehmen Empfindungen verbunden ii, und 
das bios uneigentlich Strafe heißt, weil es auf Sünde folgt. 
Strafe im Bibelſinn if nicht Strafe im Deenfchenfinn. 
©trafe bei Gott ik Wehlthat, if Benusung des Uebels zum 
33 * 


516 II. Ber II. Abfchn 2. Kap. 


den, da fie ganz von der Borausfegung der Unmoͤglichkeit, ſowohl 
der Sündenvergebung, als der Öenugthuung ausgehen. Unmög- 


Heil der Menfchen. Diefer Begriffsbeftimmung zufolge wir 
die Frage: ob es poſitive Strafen gebe? in folgenden © - 
gen beantwortet (S. 61.): 1. Es gibt bei Gott keine eigen 
lichen pofitiven Verordnungen und Strafen, 2. Gott benäkl 
die Uebel als weifer und guter Vater, als Educator, nich 
als Richter. 3. Alle die Worte: Gefeg, Strafe, Richter, 
Fluch find Anthropopathien aus den rohen Zeiten, bie, ned 
dem unter uns gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht in die 
Dogmatik gehören. 4. Die menfchliche Straftheorie kam 
daher in der Lehre von der Erlbſung Jeſu Chrifi nik 
entfcheiden. Hierin if fchon die metaphyſiſche Unmdglide 
feit der Verſoͤhnungslehre ausgefprochen., Es gibt ſchlecht⸗ 
bin Feine Strafen, von denen uns Ehriftus durch fellver: 
tretende Erduldung derfelben erlöfen Eonnte. Denn 1. alle 
Strafen Gottes find Glieder einer Kette, die Gott nicht zerreis 
Ben Tann und will. Gott kann alfo Feine aufheben, Feine 
erlaffen, alfo auch Feine um eines fiellvertretenden Leiden? 
willen erlafien. 2. Alle Strafen. Gottes find Wohlthaten 
im eigentlichen Sinn, und Erlöfung von Wohlthaten if Un⸗ 
finn. (Alle Uebel, die den fehlerhaften Dienfchen treffen, 
find entweder natürliche Folgen feiner Thorheiten, und blei⸗ 
ben alfo nah wie vor, folange diefe Thorheiten da find, 
Eönnen alfo nur durch Beflerung aufgehoben werden, oder 
ed find allgemeine Hebel, die in der Reihe der Iirfachen und 
- Wirkungen ihren Grund haben, die Gott um mehrerer wid» 
tiger Endzwecke willen veranfaltet, und die er im Vorbeige⸗ 
ben gleichfam benügt, um den Sünder aufmerkſam zu ma 
hen, und feine Beflerung zu befördern). Daran fehliefen 
fich folgende weitere Momente an: 1. Wenn auch alle Stra 
fen an fich erlaßbar wären, fo iſt ed doch a posteriori ges 
wiß, daß der Mittler der Menfchen Feine weggenommen hat 
(S. 74.). 2. Einen Unfchuldigen für Schuldige firafen, IR 
eine Ungerechtigkeit, die unter Menfchen auch in dem felten 
fien Fällen Faum entfchuldigt werden Fann, aber bei Gott 


3.8. Ch. Löffler. 517 


b-tönne Bott einen Menfchen, infofern.er gefünbigt hat, nicht 
8 einen fehuldigen anfehen, weil e8 unmöglich fen, daß Bott 
n Menfchen anders denfe, als er wirklich ſey. Ein unſchul⸗ 
ger Sünder fey ein Widerſpruch, welcher im Verſtande Got⸗ 
3 nicht ftattfinden könne. Diefe Unmöglichkeit, für welche 
e Vergangenheit oder die Zukunft feinen Unterfchied madhe, 
une auch durch die Zurechnung der Unfchuld eines Frem⸗ 
n nicht aufgehoben werben, aus bem boppelten Grunde, 
eil es einen Unfchuldigen gebe, der einen Ueberfluß an Un 
nid hätte, da auch der Tugendhaftefte, Gott felbft, nur fo 
A Tugend habe, als er bebürfe, und weil ein moraliiches 
Iefen der Zurechnung einer fremden Tugend, die als ſeine 


durchaus nicht ſtattſindet. Alſo if die Verſbhnungslehre 
auch allen geſunden Begriffen von Gott zuwider (S. 168.). 
3. Das Strafen einiger Schuldigen für viele Schuldige kann 
zwar als Strafexempel einigen Nutzeun haben, obwohl die 
Erfahrung lehrt, daß er ſelten und unerheblich iſt. Aber 
einen Unſchuldigen ſtrafen, um ein Strafexempel aufzuſtel⸗ 

Nlen, kann gar nichts nützen. Alſo hat die Verſohnungslehre 
keinen Nutzen, als Aufſtellung eines Strafexempels (S. 177.). 
Dieß hängt ſchon mit dem Beweis der moraliſchen Unmdg⸗ 

lichkeit der Genugthuung zuſammen. Die Verſohnungslehre 
beſſert nicht, weil den Menſchen nichts beſſert, als wovon er 
einſieht, daß es ihm Schaden bringe, wenn er es nicht un⸗ 
terlaͤßt: ebenſo wenig beruhigt ſie, da in dem Menſchen gar 
kein Bedürfniß iſt, ſein Vertrauen zu Gott und ſeine Ruhe 
auf ein ſtellvertretendes Leiden eines Mittlers zu gründen. 
Reine und deutliche Begriffe von Gottes Güte und Liebe 
find für jeden nicht phantaſirenden Menſchen hinreichende 
Quelle des Troſtes und der Beruhigung, welche weniger als 
Die Scheinruhe der Verfähnungslehre in Leichtfinn und Si⸗ 
cherheit ausartet. Alfo if die Verſoͤhnungslehre moralifch 
unmöglich, weil fie die Zwecke Gottes cher hindert, ale bes 
fördert, .wenigfiend für dieſe Zwecke gung entbehrlich iſt 
ES. 208. f. vgl. 279.). 


518 11. Ber. 11. Abfehn. 2. Rap. 


eigene angejehen werben Fönnte, auf. feine Weiſe empfaͤnglih F' 
fey. Der vergangene Zuftand bleibt daher, wie er ik, d 
Tann in Anfehung deffelben nicht geändert, nichts aufgehoben 
und getilgt werden, und wie dieß von der Erlafſung ef‘ 
Schuld gilt, fo gilt es auch von ber Erlaffung der Straf 
Es ergibt fi dieß aus dem Begriff und Zwed der Shah 
von ſelbſt. Durch jede Strafe fol entweder blos das begew 
gene Unrecht geahndet, ober auch eine Veränderung. ber &e 
finnung bewirkt werden. Das Erftere ift die Denkart be 
firengen Gerechtigkeit, das Letztere die ber weiſen heiligen &i 
te. Bei Gott kann, wenigſtens was die willfürlichen Sim 
fen betrifft, Fein anderer Gottes würdiger Zweck voraußge 
feßt werden, als bie Befjerung des Geftraften. Eine wik 
fürliche Strafe fans daher nur folange dauern, bis Der Zwech 
defien Mistek fie ſeyn fol, erreicht ift, fie länger fortbauem 
zu laſſen, wäre gegen die göttliche Weisheit, folglich bedarf 
es in diefer Hinficht Feiner fremden Genugtbuung, um bie 
Gottheit zur Aufhebung willfürlicher Strafen geneigt zu mar 
hen. Wollte man fagen, die fremde Erduldung ſelbſtverdien⸗ 
ter Strafen fey ein Fräftigered Befferungsmittel, als bie ei⸗ 
gene Empfindung verfelben, fo Fönnte dieß doch nur dam 
von Erfolg ſeyn, wenn die Strafe von dem Unfchuldigen ned 
zu erdulden iſt, und ihm alfo durch unfere Beſſerung ein | 
Theil der Strafe erjpart werden Tann, nicht aber, wenn bie | 
Strafe ſchon erduldet iſt, folglich unfere Befferung oder Br- 
ſchlimmerung auf feinen Zuftand feinen Einfluß mehr had 
fann. Es läßt fich jedoch nicht blo8 aus dem Begriffe de 
Strafe, fondern auch aus der Natur der moralifchen Hand 
lungen felbft die Unmöglichkeit darthun, daß die Strafen der 
felben vor einent Freniden übernommen werden. Es Tommi 
bier der Unterfchied der Materie und der Form einer Hand 
lung in Betracht. Die Materie einer Handlung, ober die 
Handlung als etwas blos Neufferliches, kann auch von einem 
andern verrichtet werden, unmöglich ift eine Stellwertretung 





3.8. Ch. Löffler. 519 


in Hinſicht des Kormellen einer Handlung, Ihrer Breihelt ober 
Moralitaͤt, die als etwas blos Inneres von ber eigenen Ent- 
ſchließung und Abficht abhängt. Ebenſo verhält es fich mit . 
ber Beftrafung der Handlungen. Die Strafe für eine gefeh- 
voidrige Handlung, bei welcher es blos auf die Materie an⸗ 
bommt, fann als etwas Yeußerliches und MWillfürliches, auch 
erlaſſen oder von einem andern uͤbernommen werden. Da 
aber die Form, oder die Moralität, der Handlungen etwas 
Zuneres iſt, fo kann auch ihre Belohnung und Beſtrafung 
van der Perſon des frei Handelnden nicht getrennt werden, 
ab Fein anderes, ald das handelnde Subjekt treffen, und 
Ba nur Gott über Die Moralität richtet, fo vollzieht auch nur 
Wett die Strafe, und zwar wollzieht er fie durch das Gewif- 
fen.. Die Strafe einer unmoralifchen Handlung als folder 
beſteht daher blos in ber Mißbilligung der Vernunft, in ber 
Berurtheilung bed Gewiſſens, die weder von einem Andern 
empfunden, noch von Gott aufgehoben werden kann. Daß 
aber Gott außer diefen Innern Strafen der Sünde noch man- 
che Außere willfürliche mit derfelben verfnäpft habe, kann wer 
nigftens ohne eine förmliche Erklärung Gottes, vermöge wel: 
er wir folche äußerliche Uebel als Strafen der Unfttilichfeit 
anzufehen hätten, nicht behauptet werden, würde e8 aber aud) 
folge Strafen geben, .fo könnte auch von ihnen Fein anderes 
Urtbeil gelten, als daffelbe, das von den willfürlichen Stra- 
fen der ©otiheit überhaupt gilt 9. 

Obgleich diefe Argumente uns fchon wiederholt in ver- 
ſchiedenen Geftalten und Wendungen begegnet find, fo find 
bach bie verfchiedenen Einwendungen, die ſich gegen dik Firch- 

liche Satisfactionglehre erheben laffen, hier in ihrer Bündig- 
fen Form auf folche Weife zufammengefaßt, daß uns bie Löff- 

ler'ſchen Unterfuchungen zugleich als eine Ueberſicht über die 
ganze bisherige Polemik gelten Tönnen. "Sie lauft v von ver⸗ 


N Zweite Abd. Kl. Schr. 1. Bd. E. 291. f. | 


520 11. Ber I. Abſchn. 2. Kap. 


fchtedenen Seiten in dem von Löffler mit der entſchledenſten 
Beſtimmtheit ausgefprochenen: Refultat zufammen, daß eine 
Sündenvergebung im eigentlichen Sinne eine Unmöglichkeit 
ſey. Hierin liegt das Moment, wodurd ſich Diefe neuere 
Theorie von der focinianifchen und arminianifchen unterſchei⸗ 
det. Während die beiden legtern die Realität pofltiver Stra 
fen vorausfegen, und die Aufhebung berfelben auf die abje- 
lute Güte und Liebe Gottes zurüdführen, Täugnet Die neuere 
Theorie jeden die Möglichkeit einer Sündenvergebung tm ds 
gentlichen Sinn in ſich fließenden Begriff der Strafe, und 
geht daher auch in Anfehung der Frage, um welche es ſich 
bier handelt, nicht blos auf bie göttliche Güte und Liebe, fon 
‚dern hauptſächlich auf die göttliche Weisheit und Heiligkeit 
zuruͤck, vermöge welcher an fich ſchon mit der Sünde nichts 
verbunden werden kann, was erft vermittelft der göttlichen 
Güte und Liebe wieder aufgehoben müßte. 

Indem aber dieß das Refultat ift, auf welches man auf 
dem Wege ber Theorie geführt wurde, mußte fich von felbk 
bie Frage aufbringen,“ wie daffelbe mit den die Thatfache der 
Sündenvergebung fo klar bezeugenden Ausfprücen der heili⸗ 
gen Schrift vereinbar jey 9)? Es iſt ſchon bemerkt worden, 





1) Auf die Frage, welche die obige eigentlich zur Vorausſetzung 
bat; warum überhaupt Sefu und befonders feinem Tode Bes 
snadigung und Geligfeit als Wirkung zugelchrieben wird 
(vgl. Bahrdt a. a. D. ©. 116. f.), gab man ganz Die focis 
nianifche Antwort, welche namentlich Bahrdt a. a. D. 
©. 119. auf folgende Weife gefaßt hat: If Befferung, Grund, 
Urfach, Bedingung, nothiwendiges antecedens unferer Bw 
gnadigung, fo ift der, welcher Grund, Urſach u. f. w. uns 
ferer Beflerung ift, auch Srund, Urfach u. f. w. unferer Bes 
gnadigung, Verſoͤhnung und Seligkeit, denn wenn B die Urs 
fach ik von C, und A die Urfach von B, fo ik auch A die 
Urſach von C. Sefus hat die Beflerung der Menfchen bes 
gründet, 1. durch feinen Unterricht, 2. durch fein Beifpiel, 


3.4. Eberhard. 521 


>Heinbart diefe Frage zu löfen fuchte. Tiefer und mes 
Ser ging jedoch zuerft Eberhard in die Beantwortung 
»een ein. Der große Yortichritt, welcher in jener Zeit 
> &regefe dadurch gemacht wurde, daß man ſich von 
-sothwendigfeit überzeugte, aus ſich felbft herauszugehen, 
Ech in den ganzen Kreis der Vorftellungen und Verhaͤlt⸗ 
in welchem ein Schriftiteller Iebte und fchrieb, hineinzu⸗ 
sen, mußte auch auf die Auffaffung ber Lehre von ber 
Sfaction den wihtigften Einfluß haben, und auf die für 
Be fo wefentliche Unterfcheidüng zwifchen Inhalt und Form 
en, und wenn auch jene Zeit in ber Ueberraſchung über 
Broße von ihr gemachte Entdedung, baß jede Zeit ihr ei⸗ 
es Bewußtieyn habe, ihrem jo ſtark überwiegenden Hange 
Subjeftivität auch darin nachgab, daß fie nun überall, 
allen geichichtlichen Erfcheinungen nur ein wechjelndes Spiel 
ESubjektivität erbliden, und den ganzen Lehrinhalt des 
T. in ein buntes Gewebe zufälliger Zeitworftellungen auf⸗ 
n wollte, fo war nun doch einmal der große Schritt ges 
hen, das Selbftbewußtfeyn des Geiſtes von dem fubjefti- 
Bewußtfeyn der Zeiten und Individuen zu unterfcheiden. 
> fehr die Männer, welche die Grundfäbe der Interpreta⸗ 
, deren Gültigkeit für die Schriften des klaſſiſchen Alter- 
nd nicht geläugnet werben konnte, zuerft auch für die 
erpretation der neuteftamentlichen Schriften in Anſpruch 
men und weiter entwidelten, dabei von der Abſicht ent⸗ 
t waren, die objektive Grundlage des Eirchlichen Glaubens 
richüttern, wie fehr fte hierin nur dem Zuge des fidy über 
felbft und die Objekte feiner Erfenntniß verftändigenden 
fteß folgten, beweist vor allen andern Ernefti. Auf Die 
Recht hochgeachtete Auktorität dieſes Begruͤnders Der neuern 


—— — — 
3. durch die Beglaubigungen feiner Lehre (z. B. das Ver; 
nunftmäßige und Allgemeinfaßliche feiner Lehre), 4. durch 
ſein Leiden und ſeinen Tod. 


524 1. Ber. IL Abſchn. 2. Kap. 


dem Geftchtöpunft eined Verföhnungsopferd fey, fuchten. biek 
Theologen weiter nachzumelfen, für die Sache der chriftlichen 
Religion von der größten Wichtigkeit geweſen. Es ſey da⸗ 
durch nicht nur der Anftoß entfernt worden, welchen bie 5% 
den und Judenchriſten an dem ſchmachvollen, mit der Würde 
, und Beftimmung Jeſu unvereinbar fcheinenden, Tode deſſelben 
nahmen, fondern e8 habe ſich daran auch alle Heilfame, Das bie 
Betrachtung dieſes Todes haben konnte, auf eine für ihre Zap 
fungöfraft und ihren Geſchmack angemeſſene Weile angefnüpft 
Dadurch erft fen ed den Apofteln möglich geworben, bie Ju 
den von dem Vertrauen abzuziehen, das fie auf die alten 


Verfühnungsgebräuche ihrer Religion zu fegen pflegten, ir 


dem fie den Tod Jeſu, wie ald das einzige Sühnopfer, fo 
auch ald den größten Beweis, fowohl der göttlichen Liebe, ald 
der göttlichen Strafgereihtigfeit darftellten. Obgleich die Apo⸗ 
ftel hierin einer hergebrachten, in den zufälligen Bebürfniiien 
jener Zeit begründeten, und infofern noch ungeläuterten Vor⸗ 


Vertheidiger, Sheil der mwefentlichen Relision, alfo Ein 
die Dpferthenrie Eein Pendant des Erlöfungsmerks fen. 
Wenn alfo Ehriftus ein Opfer genannt werde, fo fey ed Als 
legorie aus dem jüdiichen Stantscerentoniel. Wenn aber 
auch die Dpfer eine wahre Beziehung auf Ehrifti Tod ge: 
habt hätten, wenn fie auch von den Apofteln nicht blos als 
legorifch,, für jüdifche Lehrlinge, gebraucht würden, fo wär: 
den fie doch Fein fiellvertretendes Leiden eined Mittlere bes 
weifen, weil nie eigentliche Strafe durch ein Opfer ertra⸗ 
gen, oder auch nur aufgehoben worden fey. Jede Strafe 
des Staatsgeſetzes ſey vollzogen worden. Nur Die Aufbe 
bung des göttlichen Mißfallens an der Perfon ſey bezeich⸗ 
net, und der Menfch dadurch für rein d. h. zutrittsfähig er: 
Elärt worden, alfo Eönnte, alles verglichen, der Tod Jeſu 
nicht mehr als Erklärung, Berficherung fenn: daß jeder 
Slaubige ohne weiteres Dpfer begnadigt und felig fen (Eine 
Argumentation, aus der fich ebenfo gut die entgegengefehtt 
Solgerung ziehen läßt!). 


98. 8. Henke. 525 


ung gefolgt feyen, fo habe doch der Begriff des Opfers 
feiner Beziehung auf den Tod Jeſu auch eine innere Wahr 
t, ſofern er die Unfchuld Jeſu, die heilfame, dad Gewiſſen 
) Sünderd beruhigende Kraft feines Werkes, das Gottges 
lige des von ihm nad) dem Willen Gotted übernommenen 
des, und feine für das Wohl anderer ſich aufopfernde und 
igebende GSefinnung ausdrüde 2). Bei diefer Anficht von 
n Ruben des Todes Jeſu, wobei demnach ein befonderes 
wicht auf die die heilfame Wirkung deſſelben vermittelnden 
Woorftellungen: gelegt wird, glaubte man auch die Roth» 
mdigfeit befielben aus einem andern Gefichtöpunft betrach⸗ 
ı zu müſſen. Sft die Nothwendigkeit ded Todes Jeſu ber 
atisfartionstheorie zufolge eine abjolute und objektive, nad) 
e foeiniantfchen Lehre dagegen eine blos fubjeftive und res 
ige, ſofern nur unter Vorausſetzung des Todes Dig Lehre 
fü den moralifchen Einfluß auf die Menfchen haben Tann, 
Ichen fie haben fol, fo geht die neuere Theorie, von wels 
T bier die Rede iſt, auch in der Beſtimmung diefed ſubjek⸗ 
en Moments noch weiter. Sie nimmt zwar gleichfalls an, 
z der Tod Jeſu nothwendig war, weil Sefus nur durch 
en Tod feine Lehre, oder feine fefte Ueberzeugung von der 
ihrheit derfelben beftätigt, und das ſchönſte Beiſpiel voll⸗ 
eter Tugend und den größten Beweis feiner Liebe gegen 
Menſchen gab, wie fie aber überhaupt alles, was fich 
f den Tod Jeſu bezieht; aus dem Hiftorifchen, das Tem- 
elle und Zufällige von dem an ſich Wahren und Allge 
nen genau unterfcheidenden Geſichtspunkt aufzufaflen fucht, 
zieht fie auch bei der Frage über die Nothwendigkeit deſ⸗ 





) Man vgl. hierüber befonders Henke, Lineamenta institutio- 
‘num fidei christianae historico-criticarum Helmfädt 1793. 
weite Ausg. 1795. ©. 152.f. Edermann, Compendium 
Theologiae christianae theoreticae biblico-historicae. Al⸗ 
tona 1791. ©. 132. f. 


528 U. Ber. IL Abſchn. 2. Kap. 


felben vor allem Die befondern Berhältniffe in Betracht, in 
welchen fich Jeſus befand, und es wurde baher ſchon von 
benfelben Theologen, weldye, wie Henke, beſonders baranf 
ausgingen, Die Zeituorftellungen von ber wahren Lehre Sc 
auszufcheiden, darauf hingewiefen, daß Jeſus nad) der gam 
zen Geftaltung feiner Verhältniffe, wie wir uns ihn, ſowohl 
feinen Wolfögenofien überhaupt, als auch befonders feine 
Füngern gegenüber, denfen müflen, nur in feinem Tode da 
geeignete Mittel zur Realiftrung feiner Zwede und Plane ⸗⸗ 
hen Eonnte, und ebendeßwegen die Nothwendigkeit des Tode 
vor allem für ihn felbft eine fubjektiv moralifche war 9). 
Wenn auf der einen Seite Die Sündenvergebung als es’ 








1) Henke a. a. D. ©. 171.: Quando ı) Christus non esd 
per vim, neque isto in aelatis vigore, isto tempore d 
modo, cum tali pompa e vivis sublatus, quando omnim 
diuturnior lucis usura el contigisset, vixz fierl non pels- 
rat, quin aliquando regem illum raperet admiratim 

. tanit viri et exspectatione defiza, rerum novaram. cup 
ditate incensa multitudo, provinciam seditionibus impl- 
rei, fatule urbis üc templi exeidium, non multo pod 
futurum, immature acceleraret, atque sic omnis non mo- | 
do rei christianae progressio et propagatio, cum omal, 
guae inde pependit rerum conversione, interciperetur, ve- 
rum etiam omnis disciplinae, quam Christus volueret 
stabilire, fructus Interiret, ac fere omnis illius cognitie 
memoria et fama obliteruretur. Porro autem, 2) quum 
restauratae post mortem cruentam vitae Christi ad re- 

sStaurandam fidem et spem discipulorum, in illo positam, 
tantam vim fuisse Intelligamus, ut alium quempiam re- 
rum eventum, qui ındjorem vel eandem vim habiturs 
fuisset, fingere haud possimus, hinc quoque elucet, quam 
aptus et nexus e Christi supplicio fuerit felix rerum ab 
Apostolis gestarum swcecessus (oh. 16,7.). Der Tod Ge 
fu war demnach für feine Jünger eine ſubjektive Nothwen⸗ 
Digfeit. 


3.3. Ch. Löffler. 527 


unmöglich geläugnet, auf ber andern Seite aber als neu⸗ 
amentliche Lehre anerkannt wird, jo kann beides nur durch 
Borausfegung vereinigt werden, daß die lettere als eine 
Se Zeitidee anzufehen fey, woran fich jedoch fogleich bie 
tere Frage anſchließen muß, ob bie Apoſtel ſelbſt in bie» 
-Zeitivee befangen waren, ober über ihr flehend nur für 
ı Zwed ihres Lehrberufes ſich an fie accommobdirten. Das 
tere wurbe von den Theologen, mit deren Anficht wir e8 - 
e zu thun haben, gewöhnlich angenommen. Man glaub« 
durch die Annahme, daß die Apoftel für fich ſelbſt das 
ahre und Richtige erkannt, aber nad ihrer Lehrweisheit 
gut gefunden haben, es dem Bewußtfeyn ihrer Zeitgenof- 
unter einer ihnen befannten Form mitzutheilen, jo viel 
glich zu verhüten, daß es zwiſchen der an ſich wahren 
ze und der Schriftlehre zu einem entichtedenen Bruche kom⸗ 
‚ Rur aus demfelben Beftreben läßt ſich auch die Anficht 
Herd erklären, daß die Apoftel, wie Löffler in den ſchon 
annten Abhandlungen durch eine Art von Induction zu 
yeifen fuchte, nie von Vergebung der Sünden der Chriften 
Des Todes Jeſu willen reden, fonbern, baß fie bloß bie 
rgebung der vor der Annahme des Chriſtenthums began⸗ 
en Sünden von jenem Tode ableiten. Die ganze Vorſtel⸗ 
8, daß durch vergoffenes Blut jemand gereinigt, und ihm 
Strafe der Uebertretung vergeben werde, ſtamme aus der 
ſaiſchen Religions » Verfaffung. Wie fchon die Propheten 
fer und Gehorſam verbanden, fo: habe das Chriftenthum 
Dpfer gänzlich aufgehoben, und das MWohlgefallen Got⸗ 
nur an bie Reinheit des Herzens und an ftandhafte be 
Tliche Tugend geknüpft. Da aber Jeſus fein bei der Grün⸗ 
sg des Chriſtenthums vergoffened Blut das Blut eines 
ven Bundes genannt, und mit dem Blute verglichen habe, 
t.welchen bei der Stiftung bes mofalfchen Geſetzes das 
E befprengt und gereinigt worden war, fo haben die Apo⸗ 
I diefe angegebene Aehnlichkeit ergriffen, und das Blut Jefu 


528 1. Ber. DI. Abfchn. 2. Kap. 


ald das Blut vorgeftellt, welches Diejenigen reinige, die in 
den neuen chriftlihen Bund mit Gott treten, und Chriſtus 
habe dadurch die Geftalt eines Opfers erhalten. Nur in den 
einzigen Falle, wenn ein über feine biöherigen Sünden Be 
fümmerter und an verjühnende Opfer Gewöhnter, ein Mit 
glieb der chriftlichen Kirche zu werben wuͤnſche, Fönne bie Lehe 
art der Apoftel wiederholt und nachgeahmt werden. Da aber 
bie Apoftel jelbft Die Reinigung Durch das Blut Jeſu und bie 
damit verknüpfte Vergebung auf die vor. der Annahme dei . 
Chriſtenthums begangenen Sünden einfchränfen, und von Six 
ben der Chriften durchaus nichts wiſſen wollen, fo gehöw 
die in der Kirche üblich gewordene Lehre von der Vergebung | 
der Sünden und der Lafter der Ehriften, um des Todes Ich : 
willen, nicht in die Zahl der chriftlichen Wahrheiten: fie ha⸗ 
be, außer ihrer Schädlichfeit, Feinen Grund in der h. Schrift 9. 
Betrachten wir diefe Anficht etwas näher, fo kann man ſich 
nicht wundern, daß fie überall nur Widerfpruch gefunden 
hat. Ihre Tendenz geht zwar, was die Sache felbfi betrifft, 
gleihfalls nur dahin, die Lehre von der Sündenvergebung. 
als eine bloße Zeitvorftelung aufzufaffen, fie kommt aber dam. 
über in Widerfpruch mit fich felbit, daß fie auf der einen 
Seite den Apofteln das Bewußtſeyn diefer Worftellung als 
einer bloßen Zeitvorftellung zufchreibt, auf der andern Seite | 
aber das, was fie zu einer bloßen Zeitvorftellung mad, 
jelbft wieder aufhebt. Wenn fte Die Apoftel abfichtlich immer 
nur von der Vergebung foldher Sünden, die von den Juden | 
und Heiden vor ihrem Webertritt zum Chriſtenthum begangen 
worden find, nicht aber der Sünden der Chriften reden läßt, 
fo Tann dieß von den Apofteln nur deßwegen gefchehen feyn, weil 
fie felbft dad Bewußtfeyn hatten, daß es an fich, ober für 
diejenigen, für welche die Lehre von der Sündenvergebung 
nicht als Zeitvorftellung Bebürfniß ift, alfo für die Chriſten 





1) Löffler a. a. O. S. 360. f. 





% 


3.5 €. Löffler. 529 


a ihrem Unterfchleb von den Juden und Heiden, Feine Sün- 
benvergebung gibt. Wenn dagegen Löffler felbft zugibt, daß 
auch. die Chriften, obgleich fie nach der Lehre der Apoftel ein 
seines und heiliges Volk feyen, dennoch in manchen Fällen 
fehlen, und für ſolche aus Uebereilung berrührende Berges 
Sangen der Vergebung bedürfen, warum foll den Apofteln, 
wenn fie in jener Beziehung das Weſen der Sünbenverge 
bung fo gut erfannten, in dieſer letztern die richtige Erkennt⸗ 
wi. abgefprochen werben, und welche Urſache ift demnach vors 
henden, Stellen, in welchen Die Apoſtel dieſe Erfenntniß wirk⸗ 
Bi ausfprechen, wie namentlich der Stelle 1Joh. 2, 1., eine 
den natürlichen Sinne ber Worte widerftreitenbe Erklärung 
;wefgudringen? ) Sagt man, daß bie Vergebung der Sün« 
ben der Shriften allein von der Beſſerung, nicht von dem Tos 
de Jeſu abhänge 2), fo kann auch dieß keinen fo wefentlichen 
Umierſchied ausmachen, da ja die Apoſtel auch die Juden und 
beiden zur Beſſerung aufforderten, und dem Tode Jeſu in 
„feinen Falle ein die Beſſerung bewirkender moraliſcher Ein⸗ 
Hab abgeſprochen werben Tann. Soll daher gleichwohl bie 
"ehre von ber, Sündenvergebung nur in die Sphäre Der Zeit⸗ 
Verftellungen verwiefen werden, fo kann dieß nur durch Die 
Borausfegung motivirt werden, daß die Apoftel überhaupt 
Koch in ben Vorſtellungen ihrer Zeit befangen waren (dieß 





4) Löffler erklärt die tele 1 Joh. 2, 1., die mit Recht von den 
Gegnern feiner Anficht gegen ihn geltend gemacht worden 
ik, fo (&. 353.): „Dieß, Geliebte, fehreibe id) euch, damit 

2 dhe nicht in jenem fündhaften Zuftande beharret, und follte 
ſich noch jemand darin finden, fo wende er fih nur an un: 
fern Beiftand bei Gott, an Jeſum den Unfchuldigen, und 

5  fät.dabei voraus, daß der Brief zum Theil an Nichtchri— 

: ſten vder an folche £efer gerichtet ſey, welche noch Weniges 
vom Chriſtenthum wußten, oder Feine fefte Heberzeugung das 
oon hatten. 

2) Löffler a. a. D. ©. 367. 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. 34 


532 IL Ber. A. Abſchn. 3. Kap. 


liche Lehrweife der In die genannte Klaffe gehörenden Ther 
logen läßt ſich, wie ich glaube, auf folgende Hauptmomenk 
zurüdführen. 

1. Die Unterfuchungen, von welchen zuleßt die Rebe war, 
gingen von bem Begriff der Strafe aus, und hatten bed 
Reſultat zur Folge, daß es eigentlich Feine Strafe gebe, weis 
che aufgehoben werben Fönne, eine Sündenvergebung im d+ 
gentlichen Sinne alſo nicht flattfinde. Der Begriff pofltive 
Strafen fchien den genannten Gegnern der Tirchlichen Lehre 
ein der Vernunft woiderftreitender zu feyn. Eben diefen Be 
griff mußten daher die Vertheidiger derfelben vor allem rech⸗ 
fertigen, wenn fie die Lehre von der Sündenvergebung Im 
kirchlichen Sinne fefthalten wollten, und es tritt Daher auf 
fchon bier der Unterſchied der beiden einander gegenüberfe 
henden Anfichten fehr Ear hervor. Hatten die Einen die In 
ficht, daß Die Sünde Feine andere Folgen haben Tönne, al 
nur foldhe, die fih aus dem natürlichen Zufammenhang ber 
Urfachen und Wirkungen begreifen lafien, fo beriefen fich ba 


Bei Gruner kommt alles darauf hinaus, quod Christus ma- 
la physica, ex peccatis hominum oriunda, et in ha 
mortem patientisstme fortissimeque pertulit, damit die 
Menfchen dadurch die Sünde verabfcheuen lernen, und fid P 
überzeugen, Daß die phufifchen Uebel und auch der Ted, 
non tam esse mala, quam videri imprudentibus. Salt |: 
hätte ja Gott feinen einzig gelichten Sohn nicht fo viele 
und fo große Uebel erdulden laffen Finnen. A. a. O. S. 44. 1. 
Veber Semlers ebendahin gehörenden dogmatifchen Indiffe | 
rentiömus, vergl. man deſſen Verſuch einer freiern theoleg. 
£ehrart. Halle 1777. ©. 466. Denkende Ehriften haben di | 
Sreiheit, an die beftiimmte Art und Weife entweder gar nid 
zu denken, und blos den Verficherungen ber Liebe und Om 
de Gottes zu glauben, oder fie koͤnnen eine andere Reihe 
des Zufammenhangs aus folchen Redensarten, wie satisfar- 
tio vicaria u. ſ. w. fammeln, ohne der Sache, dem Erfol⸗ 
ge, dem Verdienſte Chriſti im Geringften Eintrag zu thun. 





Die Bertheidiger ber kirchlichen Lehre. 533 


gegen bie Anbern darauf, daß ber göttliche uüͤbernatuͤrlich wir⸗ 
Tende Wille audy andere, als blos natürliche Folgen mit ber 
Sünde verbinden könne. Offenbar fen doch, wurde bemerkt, 
die. Einrichtung der Sinnenwelt von der Weisheit und Güte 
bes Allmächtigen nach moralifchen Zwecken veranftaltet. Da 
mm Gott alles fo lenke, wie es bie Beförderung ber ſittli⸗ 
chen Bollfommenheit und bes wahren Wohlfeynd ber vernünfs 
ügen Gefchöpfe erfordere, fo werde er gewiß auch diejenigen 
Uebel, die in dem Zufammenhange der Dinge einmal da 
een, und ohne noch größern Schaden anzurichten, nicht 
ganz vertilgt werben Tönnen, fo anwenden, daß fie zur Ver⸗ 
Binderung der Sünde, zur Erwedung der Gewiſſen frecher 
Menichen, und zur Warnung anderer dienen. Poſitive Stra- 
fen ſeyen alfo ſolche Uebel, welche zwar nicht felbft aus ben 
Sünden der Menfchen entftehen, aber von der Weisheit Got- 
tes abfichtlich fo gelenkt werden, daß fie den Menfchen an 
die Webertretungen des Geſetzes, die er begangen, erinnern, 
das Strafgefühl In ihm erweden, und ihm feine Schuld vor 
Augen bringen. Wenn auch fein Menfch im Stande fey, in 
Einzelnen Fällen mit Sicherheit die Gründe anzugeben, wel⸗ 
he bei den Schiefalen der Menfchen in Gottes Rathſchluß 
serborgen Liegen, fo Eönne doch auch niemand mit Gewißheit 
enticheiden, ob dieß oder jenes ben Sünder treffende Uebel 
nicht in der That nach Gottes Abficht eine pofitive Strafe zu 
nennen fey. Pofttive Strafen feyen jedoch Feine willfürliche, 
fie haben ihren Grund in der Schwachheit der Menjchen, und 
feyen fo wenig eine bloße Geburt des Aberglaubens, daß fie 
wielmehr ein Earer Beweis der Güte und Weisheit Gottes 
ſeyen, ber fich mit Vaterliebe zu ber Schwäche und den Ge- 
finnungen feiner Geſchöpfe herablaffe. Den Hauptbeweis für 
Die Realität folcher Strafen fand man in der altteftamentli- 
chen Geſchichte. Da aber die durch den Tod Jeſu aufgeho- 
benen Strafen ſich nicht blos auf die gegenwärtige, fondern 
die Fünftige Welt beziehen, fo mußten hauptfächlicdy die Stra⸗ 


3... Ber II. Abſchn. I.Rap ı 


fen der. tänftigen Welt aus dem Gefichtöpunft pofltiver Stra 
fen betrachtet werden. Die natürlichen Strafen der Sünden, 
das unangenehme Bewußtſeyn eines fchledhten Lebens, die Uns 
ruhe des Gewifiens, die Furcht vor. dem Richter; die fchreds 
liche Erwartung einer peinvollen Zufunft, behauptete man, 
begleiten zwar den Menfchen über die Grenzen. dieſes Lebens 
hinaus, aber diefe aus ber Natur der Sünde ſelbſt entftehen- 
den Wirkungen der Sünde werden durch andere Auffere Pel- 
nigungen ungemein vermehrt. Daß bie Seele mit ihrem Koͤr⸗ 
per wieber vereinigt, und dadurch der Schmerz vermöge der 
ſinnlichen Werkzeuge vergrößert werde, daß die Seele zuvor 
fhon und nad) der Vereinigung mit diefem erwedten Körper 
in einen fehr fchredlichen Ort verfegt werde, daß fle in ber 
unangenehmen Gefelihaft und. Verbindung mit böfen Ger 
fern und ungebefferten Seelen leben müfle, daß felbft das 
Element, in welchem fie fih dann befinde, ihr fehmerzhafte 
Empfindungen erregen werde, daß in allem biefem die Weis 
beit und Güte Gottes ſich offenbare, welche die Hölfe dazu 
beftimmt babe, Seelen, die ſich bier nicht durch Wohlthaten 
zur Beflerung leiten laffen, durch Zmangsmittel vom Böfen 
abzuhalten, zur Erfenntniß ihrer Sünden zu bringen, und 
zum Gehorfam gegen Gott zu nöthigen, folde und andere 
Argumente waren die Gründe, durch welche man die Reali⸗ 
tät pofitiver eiwiger Strafen zu erweifen fuchte ). Je weiter 
aber durch die Annahme pofitiver Strafen der Begriff der 
Strafe ausgedehnt wurde, defto freieren Raum hatte man 


ı) Dan vgl. hierüber Seiler: Weber den Verfühnungstod Jeſu 
Chriſti, Erlangen 1778. Zweiter Theil 1779. vgl. befonders 
©. 60.f. (gegen diefe Schrift ift die fchon erwähnte Bahrdt- 
ſche gerichtet, deren Polemik bei aller Dberflächlichkeit doch 
die fchwachen Seiten des Eeiler’fchen Raiſonnements mei⸗ 
fiend treffend aufdeckt). Die Fragen der zweifelnden Ber: 
nunft: If Vergebung der Sünden möglich? ft von Gott 
Begnadigung durch Ehriftum zu hoffen? Erl. 179. ©. 76. f. 


Die Bertheidiger ber kirchlichen Lehre 535 


auch, die Möglichkeit ihrer Erlafjung anzunehmen. So noth- 
wendig pofitive Strafen zu feyn fehlenen, fo mußte man doch 
zugleich anerkennen, dab Strafen überhaupt nicht das beſte 
Mittel zur Beförderung der moralifchen Gefinnung feyen, und 
nahm daher an, dag Strafen in allen denjenigen Fällen, in 
welchen die Begnadigung mehr zur Beſſerung beitragen kön⸗ 
ag, erlaflen werden ). Daß aber ald der eigentliche Zweck 
der Strafe die Befferung des Sünders anzufehen fey, glaubte 
man der neuern Theorie nicht zugeben zu dürfen, und er: 
Bärte es daher für eine Vermeſſenheit, wenn das ſchwache 
Gerchöpf, um bie Schielichkeit einer vertretenden Genugthuung 
a priori läugnen zu fönnen, der Gerechtigfeit des Allerhöch⸗ 
Ken die Geſetze vorfchreiben wolle, daß alle ihre Strafen ſich 
auch auf das Beſte des leidenden Subjeftd erftreden, und 
folglich fobald die Beſſerung defielben erfolge, nachlaffen, aber 
auch, wenn fie ihren Nuten follen erreichen Tönnen, von dem 
Sünder felbft empfunden werben müflen. Es laffe fich bei 
keiner Strafe mit Zuverficht behaupten, daß fie für Fein an⸗ 
deres Subjekt außer dem Leidenden belchrend feyn könne, weil 
ihr Zufanmenhang mit dem Verbrechen und Sterblichen ver: 
borgen fey. Wenn auch Gott vermöge feiner Güte mit den 
esemplarifchen Strafen überall gern den befiernden Zwed ver: 
binden werde, wenn e8 anders in allen Fällen möglich fey, 
fo können doch wir, die wir in das Ganze Feine Einfiht ha⸗ 
ben, nicht zum voraus annehmen, daß alle Strafen, welde 
in dieſem unermeßlichen Reiche nothwendig find, beſſernd ſeyn 
können. Sey es aber unerweislih, Daß alle göttliche Stra- 
fen nothwendig Befjerung des Beftraften zur Abficht haben, 
fo Fönne biefer Zweck, ber. vielleicht bei manchen göttlichen 
Strafen nicht einmal flattfinde, wenigftend nicht der einzige 
ſeyn, und es laſſe ſich Daher auch nicht behaupten, daß, ſo⸗ 


1) Seiler die Fragen u. ſ. w. S. 1114. f. Verſöhnungstod Ch. I 
S. 46 f. 


— 


536... IL Ber. IL Abſchn. 3. Kay. 


bald die Beflerung erfolge, die göttlichen Strafen ihren möge 


lichen Rugen erreicht haben, und folglich nachlaſſen ). Diele 
Theorie mußten bie Vertheidiger der kirchlichen Berföhnungs 
lehre aufftellen, um fowohl die Aufhebung der Strafen nit 
6108 von der Bebingung der Beflerung abhängig zu machen, 
als auch die Möglichkeit eines ftellvertretenden Strafleidens 
zu reiten. Da man auf den abfoluten Begriff der Gerechtig⸗ 


keit ‚nicht zurüdzugehen wagte, fo hatte ber eremplarikie 


Zwed der Strafe um fo mehr einleuchtendes 2). Mit bieder . 
Theorie glaubte man daher. audy das von den Gegnern vor 
gebrachte Argument, daß ein Unfchulbiger nicht für Schuldi⸗ 
ge geftraft werben könne, hinlänglich widerlegt zu haben ®). 

2. Setzte man daß eigentliche Weſen der Strafe in ben 
Zwed der Befferung, fo ergab fich hieraus.von felbft, daß 
nach erfolgter Beſſerung die Strafe hinwegfällt. “Die eigent 
de und unmittelbare Urfache der Sündenvergebung ift daher 
nur die Beſſerung, und von einer Begnadigung kann daher 
nur infofern Die Rede ſeyn, fofern fie in der Beflerung fchon 
enthalten if. Anders aber mußte das Verhaͤltniß von Beh 
ferung und Begnabigung von denen beftimmt werben, welche 


die Befjerung nicht als den eigentlichen Zwed der Strafe bes 


trachteten. Folgt die Begnadigung oder Sündenvergebung 
niht an ſich ſchon aus der Befferung, fo kann fie nur als 
das der Beflerung Vorangehende, und von ihr Unabhängige 





1) Vergl. Schwarze über den Tod Jeſu, als ein weſentliches 
Stüd feines wohlthätigen Plans zur Beglückung des menſch⸗ 
lichen Gefchlechts. Leipz. 1795. ©. 10.f. Eben davon hans 
delt ganz befonders Storr in dem erſten Haupttheil ber Abs 
handlung über den Zweck des Todes Jeſu. 

2) Seiler, über den Verſöhnungstod J. Chr. Th. J. ©. 26. 

" Michaelis Gedanken über bie Behr der heil. Schrift von 
Sünde und Genugthuung, als eine der Vernunft gemäße 
Lehre. Neue völlig unigearbeitete Yusg. 1779. ©. 597. 617. 

3) Seiler a. a. 9. ©. 66. 


Die Bertheidiger der kirchlichen Lehre. 537 


Est werben, und nur bieß fehlen ben Gegnern ber neuern 
de bie fcheifigemäße Lehre von dem Zufammenhang bes 
= Sefu mit ber Sündenvergebung zu feyn. Daß berfelbe 
ehre der Schrift zufolge nicht blos als ein mittelbarer, 
die Beſſerung vermittelter, fondern nur als ein unmit- 
>er gedacht werben durfe, fuchte man jegt im Gegenſatz 
x die von den genannten Gegnern erneuerte ſocinianiſche 
° mit befonderer Sorgfalt und Gruͤndlichkeit nachzuwei⸗ 
Die Oründe, welche man für dieſen Zweck geltend machte, 
n hauptſächlich folgende: 1. An fich ſchon erlaube der 
emeine Sprachgebraudy nicht, wenn gejagt werde, daß 
18 zur Vergebung ber Sünden geftorben fey, eine die Ber- 
ang eigentlich erft bewirkende Mittelurfache hineinzudenken. 
Auch andere Ausdrüde, deren fich die Apoftel bedienen, 
n fie 3. B. fagen, daß wir durch den Tod Jeſu gerecht» 
gt, mit Gott ausgeföhnt jeyen, beweifen dieß. 3. In fo 
n Faͤllen werde bie allgemeine, dem menfchlichen Geſchlecht 
yenfte und dargebotene - Begnadigung als eine der Bes 
ung und Beflerung vorangehende Wohlthat dargeftellt, 
als ein Argument und Beweggrund derſelben gebraudit. 
m weitern Beweis bieten 4. alle diejenigen Stellen bar, 
selchen der Tod Jeſu und die Folgen und Wirkungen deſ⸗ 
n als ein Sühns oder Sündopfer befchrieben werden. 
wenn 5. in einigen Stellen die Kraft und Wirkung des 
es Jeſu felbft auf die Zeiten vor demfelben, und auf das 
e menfchliche Gefchlecht ausgedehnt werde, fo fen hieraus 
lich zu fehen, daß an eine erft durch Die Beſſerung bes 
te Vergebung nicht gedacht werden könne *). 
3. Was die nähere Beftimmung bed Zufammenhangs 
Todes Jeſu und der Sündenvergebung betrifft, jo war 
‚von dem Gedanken an eine objektive, im Wefen Gottes 





Storr, Pauli Brief an die Hebr. Zweiter Theil, über den 
eigentlichen Zwed des Todes Jeſu. Tüb. 1789. ©. 571. f. 


540 : IE Ber I. Abfhn 3. Kap. 


alle Menfchen für ihre Sünden geftraft würden, ba im Ic: 
tern Falle für den Einzelnen doch immer noch die Hoffnung 
zuruͤckbleiben könne, daß ihm Gott, ohne feine Sünde zu ſtra⸗ 
fen, vergebe *). Um das Mittel der Verföhnung, den Teb 
einer fo hohen Perfon, mit dem dadurch erreichten Zweck fe 
viel möglich in ein angemeffenes Verhaͤltniß zu fegen, defe 
len fich diefelben Theologen befonders auch in der Vorſte⸗ 
lung, daß der Eindrud des durd ben Tod Sefu gegebem 
Straferempels fich nicht blos auf Die Menſchheit, ſondern anf 

das ganze Geiſterreich erſtrecke 2). | 


1) Geiler, Berl. J. ©. 289. f. 

2) Bel. Storr a. a. D. ©. 601. 607. 626. f. 631. und an meh 
zeren andern Stellen, Seiler Berfdhn. I. ©. 381. und We 
fonders Michaelis a. a. D. ©. 657. welchem hierin aud 
der Verfaffer der Schrift: Der wahre Gefichtspuntt der db 
bellehre vom Berföhnungstode Jeſu Chriſti Halle 1782. folk. U. 
So falle, meint Michaelis, der Einwurf hinweg: ob aid 
die Senugthuung Chriſti zu viel, eine zu große Deranfal 
tung, und die Einwohner unfers gegen das Ganze fehr Alb 
nen Erdbodens ein zu geringer Gegenftand find? Sonder 
lich, da fich doch die meiften, wie es fcheine, durch die a 
Chriſto vollzogene Strafe ihrer Sünden nicht von Sünde 
abfchrecken oder beffern laſſen. Ob dieß nicht viel Mittd 
und zu wenig Endzweck fey? Wenn derfelbe Theologe, um 
das Leiden Jeſu in das rechte Verhältniß zur Größe feine 
Perſon zu ſetzen, weiter fo argumentirt: durch wenig Uebel 
ſey viel Uebel verhütet, Durch das Leiden eines Einzigen, 
der Standhaftigkeit genug gchabt habe, es zu ertragen, un 
fo belohnt worden fen, daß die Summe feines Glücks, feh 
£eiden Davon abgezogen, alle Summen von Glück überfteig, 
die wir denfen Eünnen, werden ungezählte Millionen vor 
ewigem Uebel bewahrt (S. 658.); fo ift Elar, daß die He 
bertragung unferer Strafen auf Chriftus, bei dieſer Vorkel: 
Iung, obgleich Michaelis ſich ausdrüdlich Dagegen erklärt 
(S. 647.), doch nur eine Scheinübertragung wird. 





G. Ch. Storr. 541 


Die Sdee des Straferempels fehlt nicht leicht bei einem 
‚heologen jener Zeit, aber nur bei Storr if} fie die Grund⸗ 
age einer entwidelten Theorie geworden, die hier um fo we⸗ 
iger überfehen werden darf, je weniger fich fonft jene Zeit 
u einem folchen Gedanken zu erheben vermochte. Die Storr⸗ 
che Theorie hat, obgleich. der Begriff der Gerechtigkeit an⸗ 
ſjers beftimmt ift, die größte Aehnlichkeit mit der Anfelm’fchen; 
we diefe geht auch fie darauf hin, bie Seligfeit der Men- 
Wen als eine von der Berfon Chrifti auf fie übertragene zu 
betrachten. Wie Anfelm geht auch Store ‚davon aus, daß 
bee Menfch Sefus als Gefchöpf für fich -felhft verbunden war, 
De ihm vorgefchriebenen göttlichen Gebote zu halten. Wie es 
iber überhaupt freie Güte des Schöpfers war, Daß die menfche 
Ihe Ratur Jeſu fo ganz vorzügliche Anbagen hatte, und mit 
em Aoyos eos perfönlic, vereinigt wurde, fo hätte Gott Je⸗ 
um ohne vorangehende Erniedrigung und Erprobung des 
Behorfams in den Genuß der feiner urfprünglichen Würde 
wtfprechenden Herrlichkeit und Seligfeit. verfegen können, wenn 
z nicht befondere Abfichten mit Jeſus zum Beten anderer 
Menſchen gehabt hätte Wollte daher Gott dem Gehorfam, 
ren er feinen Abfichten zu Folge forderte, bei Jeſu, wie bei 
mbdern Gefchöpfen eine pofitive Belohnung geben, fo mußte 
m der Herrlichkeit, welche ſchon in der urfprünglichen Ein- 
Achtung Jeſu gegründet war, und die er auch ohne jene Pro⸗ 
ben bed Gehorſams, vermöge feiner natürlichen Anlage und 
Berbindung mit Gott, zu genießen gehabt hätte, wenn es Gott 
gefallen hätte, feine Erniedrigung von ihm zu verlangen, und 
u der Ehre, die Jeſus nun beim Genuß feiner urfprüngli= 
hen Borzüge als natürliche Folge feines Gehorſams einernd- 
tet, noch etwas weiteres hinzufommen. Da aber zu feinem 
perfönlihen Wohl nichts hinzukommen Tonnte, was nicht fchon 
in der yperfönlichen Vereinigung des Menfchen Jeſu mit dem 
ewig Geliebten des Vaterd, der mit dem Vater Eins ift, ge- 
gründet wäre, fo Eonnte die pofitive Belohnung des Menfchen 


542 11. Ber. IL. Abſchn. 3. Kay. 


Jeſu blos in der Befeligung anderer um Jeſu willen befte 
ben. Er war zwar, bie göttlichen Forderungen vorausgefekt, 
für fich felbft zum Gehorfam verbunden, und hat daher auch 
die auf feinen Gehorfam gefezte Belohnung eigentlich ſelbſt 
erworben, fotern aber feine Belohnung in dem Rechte beftund, 
uns an feiner Seligfeit Antheil nehmen zu laffen, ift fein Ge 
horſam zugleich wohlthätig und verdienftlich für uns, genug⸗ 
thuend aber iſt er, wenn auch nicht vertretend, wie fein Lei⸗ 
den, fofern dem vouog' Epyuv dadurch Genüge gefchieht, dab 
die Befeligung der Menfchen zu einer Folge des Gehorfams 
gemacht wurde‘). Das Hauptmoment diefer Theorie befteht 
wie bei der Anfelm’fchen darin, daß von Jeſus eine morali 
fche Leiftung gefchieht, die auf der einen Seite wie jede Les 
ftung diefer Art nicht unbelohnt bleiben darf, auf der andern 
aber vermöge der Würde, in deren Beſttz Sefus an fich ſchon 
iſt, nicht an Ihm felbft, fondern nur an andern belohnt wer 
ben kann, nur betrachtet Store nicht, wie Anfelm, den Tod 
Jeſu ald eine Aufgabe, zu welcher Jeſus an ſtch nicht ver 
pflichtet war, fondern nad) Storr war Sefus zu feinem gan 
zen Gehorfam überhaupt, fowohl verpflichtet, als nicht vers 
pflichtet; verpflichtet, wie überhaupt jedes Geſchöpf zum Ge 
horfam gegen Gott verpflichtet iſt, nicht verpflichtet aber, ſo⸗ 
fern er für feine Perfon durch feinen Gehorſam nichts erlans 
gen Fonnte, was er nit an fich. ſchon hatte. Eben dieß iſt 
aber auch fchon der Punkt, wo fi und die Unhaltbarfet 
biefer Argumentation aufdeckt. Wie das Falſche Der Anfelm- 
ſchen Theorie vor allem darin befteßt, Daß das Leben und 
der Tod Jeſu nicht unter denfelben fitilichen Geſichtspunkt ge 
ftellt werden, fo trennt Store auf eine in fittlicher Hinficht 
nicht zuläßige Weiſe den Genuß ber Seligfeit von ber fittli- 


4) Ueber den Zweck des Todes Jeſu ©. 666.f. Vgl. Doctri- 
nae christianae pars theoretica e sacris libris repetita. 


Stuttg. 1793. ©. 244. f. $. 86. u. 87. 


3. Ch. Storr. 543 


hen Bollfommenheit. Zum perfönlichen Wohl Sefu, behaup- 
tet Storr, konnte durch feinen im Zuftande der Erniebrigung 
geleifteten Gehorfam. nichts hinzufommen, was er nicht an 
fih ſchon Hatte, aber doch würde, wird zugleich behauptet *), 
wenn Jeſus nicht gelitten hätte, „fein Gehorfam wenigftend 
nicht in dem hoben Maaße, nicht in dem ausnehmenden 
Glanze ſich haben zeigen können, wie jest, da er, der Sohn, 
nicht allein der Herrlichkeit, worauf er den natürlichften Ans 
ſpruch hatte, ſich gern auf eine Zeitlang begab, fonderh ſo⸗ 
gar den ihm fo empfindlichen, und bei einer fo erhabenen 
Perfon höchſt befremdlichen Tod am Kreuz freiwillig über- 
nahm. Hier erreichte der Gehorfam Sefu feine höchſte Stufe, 
dDieß war biejenige Probe des Gehorfams, welche eben am 
meiften bewundert, und als der auffallendfte Beweis angeje- 
hen wird, daß der Menfch Jeſus feiner alles überfteigenden 
Herrlichkeit nicht nur vermöge feiner natürlichen Anlagen und 
feiner urfprünglichen Verbindung mit Gott fähig, fondern 
auch vermöge feiner moralifchen Vortrefflichkeit würbig few. 
Dieß iſt eben der vorzüglichfte Grund des ganz ausnehmens 
den MWohlgefallend Gottes an ihm. Wie der Gehorfam Jeſu 
durch fein Leiden des Todes glänzender wurde, fo wurde es 
auch die Ehre, die er um jened Gehorfams willen von dem 
darauf erfolgten Genuſſe feiner Herrlichkeit hat.” Iſt aber 
dieß der Fall, wie kann zugleich behauptet werden, es habe 
durch den Gehorſam Jeſu zu feinem perfönlichen Wohl nichte 
binzufommen können, was er nicht an ſich ſchon hatte? Wuͤr⸗ 
de diefe Behauptung nicht voraudfegen, daß unter Dem pers 

- fönlichen Wohl Jeſu eigentlich nichts anders verftanden wird, 
als der äußere finnlihe Genuß der höchſten Summe von 
Gluͤckſeligkeit? Je mehr aber die Seligkeit, als eine an. fich 
unſinnliche, im engften und unmittelbarften Zufammenhang 
mit der fie bedingenden fittlichen Vollkommenheit, und alg 
ö —i — 


1) A. a. O. S. 665. 


544 IL. Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


mit ihr weſentlich Eins gedacht wird, deſto weniger kann ge⸗ 
läugnet werden, Daß jede Zunahme der ſittlichen Vollkom⸗ 
menheit auch eine Zunahme der Seligkeit in ſich ſchließt. Das 
aber die ſittliche Vollkommenheit Jeſu durch feinen Gehorſan 
eine ſehr bedeutende Zunahme gewann, oder vielmehr dadurch 
erſt ihren wahrhaft ſittlichen Werth erhielt, wie Tönnte dich 
in Zweifel gezogen werden, wenn Doch, wie Storr felbft bes 
hauptet, der moralifhe Werth eined Geſchoͤpfs eigentlich auf 
der Stärfe des Gefühls feiner Abhängigkeit von dem Schr | 
pfer beruht, oder feine Ehre von dem Gehorfam, von be 
MWilligfeit abhängt, womit ed ſich dem unterwirft, dem es 
feiner Natur nach aufs vollftändigfte unterworfen ift, daß ed 
demnach auch dem Menfchen Sefus zu Defto größerer Ehre 
gereicht, je mehr die Willigfeit, mit der er von Gott abhing, 
offenbar wurde? Hatte der von Jeſu geleiftete Gehorſam bie 
Folge, daß er „die Herrlichkeit, welcher er vermöge ‚feiner 
perfönlichen Vereinigung mit dem ewig Geliebten des DBaterd 
fähig ift, nun nicht blos als einen natürlichen Vorzug, ode A 
als Geſchenk feines Urhebers, deffen Willen er jene allerbe J 
fonderfte Berbindung mit Gott zu danken hat, fondern zu 
gleih als Lohn feines Gehorfams und feiner rechtichaffenen 
Sefinnungen, oder als ein ehrenvolled Zeugniß der göfllis 
hen Zufriedenheit mit feinem Verhalten und mit feinem me 
ralifchen Werth, ald eine feierliche Erklärung feiner Recht⸗ 
fhaffenheit und feines Gehorfams genießt“ *), fo wird ja bie 
durch ausdrüdlid, anerkannt, daß jede fittliche Vollkommenheit 
ohne fittlichen Werth ift, fomit auch noch Feine wahrhafte fitt 
liche Sriftenz hat, folange fie nicht ihrer natürlichen Unmit 
telbarfeit enthoben, und durch. die eigene Freiheit und Selb 
thätigfeit des fittlichen Subjekts vermittelt ift. Iſt Jeſus als 
Menſch ein fittliched Subjeft, wie jeder Menfch, fo muß er 
auch denſelben fittlichen Geſetzen, die fi) von der Natur Feines 


1) A. a. O. ©. 664. 


G. Ch. Storr. 545 


Attlichen Weſens trennen lafien, unterworfen feyn, und es 
kn baher bie fittliche Belohnung, bie die Folge feines fitt- 
Üben Gehorſams war, fi nur auf ihn felbft bezogen, oder 
nir in dem durch feinen Gehorfam gewonnenen Bewußtſeyn 
eſtanden haben, daß feine natürlichen Borzüge durch bie fitt- 
Ihe Vermittlung fein wahrhaftes freies Eigenthum geworden 
Kb. War aber Jeſus als fittliches Subjekt auch einer fittli« 
ben Belohnung fähig, fo fällt Dadurch von felbft die Vor⸗ 
ausſetzung hinweg, auf welche die Storr’fche Theorie die Rothe 
weidigfeit gründet, die eigentlich Jeſu felbit zufommende Bes’ 
Inung auf die Menfchen zu Ihrer Beſeligung überzutragen, 
id wenn nun von einer Nothmwendigfeit in dieſem Sinne 
ücht weiter die Rebe feyn kann, fo führt und bie Storr’fche 
Theorie von der Anfelm’fchen, mit weldyer fie zunächſt die 
rößte Aehnlichkeit zu Haben fheint, vielmehr zu der ſocinia⸗ 
iſchen hinüber, welche zwar auch die Seligkeit der Menfchen, 
Es ein Geſchenk, deſſen Urheber Jeſus vermöge feines Ge- 
orfams geworden ift, betrachtet, aber den Grund dieſes Zu⸗ 
immenhangs nur in einer freien Beranftaltung Gottes fin- 
et. Was die Storr’fche Theorie von der ſocinianiſchen uns 
sricheidet, bleibt fobann nur noch Die Idee Des für den Zwed 
er Straffanction im Tode Jeſu gegebenen Sträferempeld und: 
te von diefem Gefichtöpunft aus angenommene Nothwendig- 
et des Todes. Aber auch in diefer Hinficht ift die Storr⸗ 
de Theorie mit Recht in Anfprudy genommen worden... Da 
mf dem biblifchen Standpunkt, auf welchen Storr fid) ftellt, 
tichts für wahr gelten Tann, was ſich nicht aus Stellen der h. 
Schrift mit hinlänglicher Evidenz nachwöeiſen läßt, fo fragt 
id vor Allem, ob auch das N. T. den Tod Jeſu als eine 
Dffenbarung der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit dar= 
Melle. Eben dieß wird nun aber in Beziehung auf die Haupt- 
Felle, auf welche Storr fich beruft +) (Rom. 3, 25. 26.), von 


) A. a. O. ©. 553. f. vgl. ©. 571. f. 
Baur, bie Lehre von der Verſöhnung. 39 


546 I. Ber. IL. Abſchn. 3. Kap. 


Theologen, welche fonft auf demfelben Standpunft mit Storr 
ſtehen, geläugnet. Wenn in der genannten Stelle, wurde 
bemerkt, fowohl nad ihrer ganzen Beichaffenheit, als nad 
ber Meinung fo vieler unpartheiifcher Schriftausleger, die Ge 
rechtigfeit Gottes fo viel fen, als feine Gnade gegen bie Sün- 
der, oder der Erweis derfelben, die Begnadigung felbft (mie 
1, 17. wo V. 18. Gottes Ungnade, oder ihre Folgen, fein 
Strafen, jener Gerechtigkeit Gottes entgegengefegt werben), 
wenn diefer Sinn wenigftend ebenfo gut hermeneutifch mög 
lich jey, als derjenige, welchen man fonft fo häufig Dark 
gefunden habe, fo Fönne fie feinen tüchtigen und überzeugen 
den Beweis eined Satzes abgeben, welcher fonft nirgends ame 
drüdlich in der Schrift vorfomme, des Sapes, daß Jen 
zur Offenbarung der Strafgerechtigfeit Gottes geftorben fey, 
oder um das fürchterlichfte Straferempel für die Menfchen za 
ſeyn 9. 

Die Storr'ſche Theorie hat, obgleich fie nur auf bibl⸗ 
fhem Grunde ruhen will, doch ganz die Geſtalt einer Die Rote 
wendigfeit eines Verſoöhnungstodes aus apriorifchen Voraus 
fegungen, insbefondere der Idee der göttlichen Heiligkeit und 
©erechtigfeit, erweifenden Theorie. Kann Gott die Sünde 
der Menfchen nicht vergeben, ohne wenigftend ein Strafe 
empel zu flatuiren, oder das Anfehen der Straffanction auf 
recht zu erhalten, fo Fann der Tod Jeſu nur aus dem & 
fihtspunft einer nothwendigen Vermittlung betrachtet werde, 
er ift abfolut nothmwendig, wenn auch nicht in Beziehung auf 
das Wefen Gottes jelbft, Doch in Beziehung auf bie den Mar 
hen gegenüber in Ihrer Unverleglichfeit zu erhaltende Aub 
torität des göttlichen Geſetzes 2). Je weniger e8 aber über 


1) Schwarze, über den Zod Sein ©. 141. f. 

2) An Storr fchließt fich in der Idee des Straferempels be 
fonders Reinhard an, welcher in feinen Borlefungen über 
Die Dogmatif von Berger 1801. ©. 396. zwar als Haupt⸗ 


Döderlein, Morus. . 547 


mpt in: dem Geifte jener Zeit Tag, fich auf den abfoluten 
tandpunft zu ftellen, und die Wirklichkeit von ber Idee aus 
. begreifen %), deſto gewöhnlicher wurde es bei dem Tode 
fu, als einer Hiftorifch gegebenen Thatfache, ftehen zu blei⸗ 
n, an welche Gott vermöge feiner Liebe zu den Menfchen 
e Gewißheit der Sündenvergebung geknüpft habe. Man 
ollte daher nur das Faktum in feiner Zweckmäßigkeit nach⸗ 
eiſen, ohne aus apriorifchen Gründen demonftriren zu wol- 
s, unter welcher Vorausſetzung allein Gott die Sünden ber 
tenfchen habe vergeben können. In dieſem Sinme, in wel 
em namentlich Döderlein *), Morus 3), Knapp *) den Zus 





zweck voranftellt, daß durch Ehriftus die feterlichfie Verſi⸗ 

cherung von der Bereitwilligkeit Gottes, die Sünden zu vers 
geben, oder eine unmwiderfprechliche Beftätigung der Lehre es 
fu gegeben wurde, aber doch zugleich.den Tod Jeſu als ei« 
nen fiellvertretenden betrachtet, fofern fich Jeſus ihm blos 
deßwegen unterwarf, damit den Menfchen die Strafen ers 
laſſen werden koͤnnten, die fie fonft felbft dulden müßten 
(©. 400.), was nad ©. 407. nur den Sinn haben kann, 
Sort habe die Helligkeit feiner Geſetze und Forderungen nicht 
beffer verwahren Finnen, als durch das an Chriſto aufge 

ſtellte Straferempel, und die Dadurch gegebene Verficherung, 

daß die muthwilligen Nebertreter diefer Gefeße von den Stra, 
fen deſſelben unausbleiblich würden betroffen werden. 

4). Au Storr iſt hievon, feinem reinbiblifchen Standpunkte, zu⸗ 
folge weit entfernt, und wie er es in Hinficht der behaup⸗ 
teten Nothwendigkeit der Genugthuung für eine Vermeſſen⸗ 
heit des fchwachen Sterblichen erflärt, Der Gerechtigkeit des 
Allerhöchfien Geſetze vorzufchreiben, und fich in die Regie: 
rung des gBttlichen Staats zu miſchen (a. a. D. ©. 570.), 
fo muß daflelbe auch von der Idee des Straferempels gel« 

- ten, fo groß allerdings das Gewicht ift, das Storr auf fie 
legt. 

2) Döderlein, welcher in feiner Institutio theologi christiani 
in capitibus religionis theoreticis, nostris temporibus ac- 


35* 


548 IL Ber. I. Abſchn. 3. Kap. 
fammenhang bed Todes Jeſu und der Sündenvergebung bes 


commodata, die ganze Lehre vom Tode Jeſu und von der 
Verſöhnung unter das Lehrſtück de justificatione gefellt hat, 
hebt zwar auch noch die Grotius'ſche Idee des Straferem- 
pels hervor, Doch mehr nur in der erfien Ausgabe vom 9. 
1781. als in den fpätern. In hoc ancipitt spei timorisque 
conflictu, e quo sane emergere per se non potest pectu 
humanum (fo ſchließt Däderlein Ed. I. Pars post. &. 900, 
feine pſychologiſch moralifche Deduktion der Mealität einer 
Verföhnungsanftalt) Deus subvenit, modumque auzilii sie 
disposuit, ut et legum suarum majestati caverelur, ei & 
.ppenarum metu ad certam felicitatis spem animus hu- 
manus averteretur: quorum allerum poena peccaltorum 
inflicta evemplogue severitatis proposito effectum es, 
alterum admonitu de habitu passionum unius ad univer- 
sum genus humanum. In den fpätern Ausgaben, namenb 
: lich der fechsten von Junge beforgten vom J. 1797. wird 
ftatt des Straferempels um fo mehr als Wirkung des Lebens 
und Todes Jeſu hervorgehoben (©. 438. f.): intelligitur, 
quanta virtutis dignitas sit, quantam commendationen 
habeat voluntatis divinae ple exsequendae studium, quan- 
tum obsequit, constantis ac absoluti, honorem_ deferd 
Deus ad cultores suos. Das Anfehen der göttlichen Gefecht 
erhelle nicht beffer, guam hoc exemplo virt, qui non 
allam ob causam placuit Deo, quam propter obsequium, 
ac qui adeo placuit ob puritatem animi vitaeque numi- 
ni, ut cum semel videret, legibus suls apprime satisfac- 
tum esse ab uno, hanc ob causam reliquis venlam se con- 
cedere velle declararet. Die beziehe fich ſchon auf das 
Sweite, das durch den Tod Jeſu erreicht werden follte: « 
poenarum metu avertendos excitandosque ad spem feh- 
ceitatis animos fuisse, wie ja überhaupt alle Anftalten st 
tes den Zweck nostrae tranquillitatis et virtutis stabilien- 
dae ac promovendae haben. Vgl. auch Döderlein’s Ehrifl. 
Rel. Unterricht nach den Bebürfniffen unferer Zeit von Jun⸗ 
ge Th. XI. 1802. ©. 229. 
3) Epitome theo). christ. Lips. 1789. ©. 140.: Non attinet, 


Döberlein, Morus, Knapp. "549 


mmten, wollte Sott durch den öffentlichen Tod Zefu, als ei⸗ 
in die Augen fallende, hiezu in pfochologifch moralifcher 
Inficht fi ganz befonders eignende Thatfache, eine Beftäti- 
ng feiner Verheißung, die öffentliche an eine finnliche Bes 
benheit gefnüpfte Erklärung geben, daß er, nachdem Sefus 
ıen fo vollfommenen Gehorfam im Thun und Leiden be 
efen habe, den Sündern vergeben, und unter der Bedin⸗ 
ng ber Beflerung die Strafen der Sünde erlaffen wolle, 
ven darauf hat im Allgemeinen auch Seiler, in feiner. ſpaͤ⸗ 
n Schrift, feine früher dargelegte Anficht zurüdgeführt. 
aß Jeſus die Menfchen von den. Strafen der Sünde .bes 
it, ihre Srlafiung dadurch möglich gemacht habe, daß er 


demonstrare (a priori) Deum non posse condonare, nisi 
quid (dv. c. exemplum poenae) intercessertt. Sufficit, 
Deum instituisse sic, ut interveniente morte Christi, et 
respectu ad hanc mortem promitteretur venla et accipe- 
retur: nos aulem animadvertere (a posterlori) posse, 
Deum hoc sapienter, benigne, sancte instituisse. 

„) Nach Knapp a. a. D. Th. 2. ©. 288. ift nichts fofehr ger . 
eignet, Zutrauen zu Gott, und Dankbarkeit und Eiche zu 
ihm einzuflößen, und alle Surcht vor göttlichen Strafen zu 
vertreiben, als der von Jeſu für Die Menfchen, die eigentlich 
die Strafe hätten leiden ſollen, erduldete Tod. Es komme 
alfo, bemerkt Knapp, alles daranf hinaus, daß Gott aus inniger 
Liebe und Wohlwollen gegen die Menfchen dieß außerordentliche 
Mittel gewählt habe. So fielle es die h. Schrift immer vor, und 


fo koͤnne dieſe Lehre Feine nachtheilige Solge für die Mora» _ 


lität haben, Doch hebt auch Knapp als Zweck Gottes hervor, 
an Jeſu zu zeigen, daß ihm die Stunde äußerfi mißfalle, 
und daß er fie nicht ungeftraft laſſe. Das Anfehen feiner 
zum Heile der Menfchen gegebenen Gelee habe nicht an: 
ders, als durch Strafen aufrecht erhalten werden können, 
- die auf Mebertretung gefest waren, und auch wirklich voll, 
zogen wurden. Wie dieß jedoch an Jeſn geſchah und ge» 
ſchehen Fonnte, wird nicht weiter entwidelt. 


550 IL Ber. IL Abſchn. 3. Kay. 


felbft als Strafwuͤrdiger und Sünder behandelt worden, wird 
zwar von Seiler aufs neue verfichert, wenn aber zugleich bes 
hauptet wird, daß die Auferfiehung Jeſu zur Erreichung des 
. großen Endzwedd ber Sündenvergebung ebenfo nothwendiz 
gemefen fey, als fein Tod, daß dieſe beiden Begebenheiten zus 
fammen die Erlafjung der Strafen möglich gemacht haben, 
fofern durch feine Auferfiehung die Wahrheit der Verheißung 
beftätigt wurde, daß er fein Blut zur Vergebung der Suͤn⸗ 
den vergieße, fo ift Klar, daß das Hauptmoment des Tode 
Jeſu nur in die Durch denfelben gegebene faktiſche Erklärung 
gejetst werben kann *). Ueberzeugt man fi) von Der Unhalk 
barkeit der Borftellungen, durch welche man den Zuſammen⸗ 
hang des Todes und der Sündenvergebung als einen weſent⸗ 
lichen und Innern beflimmen wollte, fo bleibt zulegt nicht 
anderes übrig, als ihn für eine bloße äußere Erklärung def 


fen zu halten, was, nady der ältern Anſicht durch ihn, ad Fi 


das nothwendige und einzige Mittel, bewirkt worden feyn follte 
Iſt aber ber Tod Jeſu eine faktiſche Erklärung und Manife 
ftation der von Gott den Menfchen ertheilten Sündenverge 
bung, fo wird er dadurch ganz unter denfelben Gefichtöpnft 
geftelt, aus welchem überhaupt das Leben Jeſu als eine 
göttliche Offenbarung zu betrachten ift, und es können babe 
‚auch die Zwede des Todes nur aus feinem Zufammenhang 
mit dem Leben Jeſu nachgewiefen werden. Dieß ift die An 
fiht, welche befonderd Schwarze in der genannten Schrift, 
wie fehon der Titel berfelben fagt, ausgeführt hat. Jeſus 


1) Wiffenfchaftliche Strenge ift überhaupt kein Vorgug der Sei⸗ 
ler'ſchen Schriften, welche neben denen von Michaelis zu 
den befonders charakteriftifchen Produkten jener feichten und 
geiftlofen Periode der deutfchen Philofophie und Theologie 
gehören, ganz befonders aber leidet Die oben gemeinte Schrift: 
Die Fragen der zweifelnden Vernunft u.f. w. an allen Mün: 
geln einer unwiſſenſchaftlichen Darfellung. 


— 





Ch. 9. Schwarze. 551 


Rarb, um und In ein ſolches Verhältnig mit Gott zu verfe- 
zen, daß wir bei aufrichtiger Befferung, wegen unferer Suͤnd⸗ 
baftigfeit keine befondern aufierordentlichen Strafen, feinen 
Bünftigen elenden Zuftand fürchten dürfen, fondern kindliches 
Zutrauen zu ihm, unb die Hoffnung der ewigen Seligfeit ha⸗ 
ben Fönnen. Für diefen Zweck wählte Gott, der Allweife und 
Wgütige, den blutigen Tod feines Sohnes zum Mittel unfe- 
tee Begnadbigung. Aber diefer Zwek kann durdy den Tod 
eu nur dadurch erreicht werben, daß er bemfelben Beduͤrf⸗ 
Id entfpricht, welchem Gott überhaupt durch bie Sendung 
Yefu entfprechen wollte, d, h. der Menfchheit die Belehrung, 
Sefferung und Beruhigung gewährt, deren fie bedarf, wenn 
{hr jetziger und Fünftiger Zuftand vollfommener, erfreulicher 
und glüdlicher, und eben dadurch fowohl ihrer vernünftigen 
Natur, als des Urheber derfelben würdiger werden fol. 
Sehr natürlich dringt daher Schwarze befonders darauf, daß 
bei einer richtigen Auffafiung des Todes Jeſu alles auf den 
Willen und die ausdrückliche Erklärung und Verordnung Got» 
les anfomme, wie er diefen Tod von und betrachtet und bes 
nüßt wifien wolle, was er uns dadurch feierlich anfündige 
und zufage, und zu welchen Hoffnungen er und Fraft befiel- 
ben berechtige, woraud eben erhelle, daß ber Tod Sefu nie 
bon feiner Lehre‘ getrennt werden dürfe, fofern nämlich nur 
aus den eigenen Erklärungen Jeſu und der Apoftel die uner- 
ſchuͤtterliche Weberzeugung entftehen könne, daß die freiwillige 
und liebevolle Aufopferung Jeſu zum Beten des Menfchen- 
geſchlechts nicht etwas blos Zufälliges in feinen Schiefalen, 
fondern eine Hauptjache, ein wefentliches Stüd feines wohl⸗ 
thätigen Planes und Gefchäftes, gewefen fey 9). 


1) Schwarze a. a. D. ©. 14.f. 160. 165. Der befondere Be- 
weis, daß ber Tod Jeſu in Verbindung mit feiner Lehre 
41. die Belchrung ven den wichtigfien Wahrheiten fehr er- 
leichtert und befördert, 2. ein ſehr wirkſames Beruhigungs⸗ 








552 1. Ber. IL Abſchn. 8. Kap. 


Wird der Tod Jeſu zwar als ein weientlicher Thell fer fee 
ned Lebens, aber doch zugleich auch wieder als ein im Zu Ir 
fammenhange ded Ganzen verfchwindended Moment bettads Ike 
tet, jo verficht es fich von felbft, daß die alte Unterfcheidung f 
eined.thuenden und leidenden Gehorſams ihre Bedeutung ver 
Ioren hat. Die überhaupt auch bei den rechtglaubigen Then 
Iogen des Zeitraums, von welchen hier die Rebe ift, ſich⸗ Mi 
bare Öleichgültigfeit gegen die fombolifch-Firchliche Lehre, ſprich 
fich befonders auch in diefem Punkte aus, in Anfehung de fi 
fen man fi im beften Falle mit ber vagen Unbeftimmthet 
der Milderungen begnügte, zu welchen Ernefti in Zolge de ii 
Töllner’fhen Unterfuchung feine Zufluht genommen hatt 
Auf diefe Weile, unter ausdrüdlicher Berufung auf Ernefi, 
nahm fich befonders Seiler in feiner frühern Schrift der ab 
ten Lehre an, und febte den Beftreitern derſelben die alk 
Antwort entgegen, ‚ed haben zwei. Forderungen Der ‚göttlichen 
Gerechtigkeit erfüllt werden müſſen, um bie Menfchen nid 
blos von den Strafen der Sünde zu befreien, fondern aud ge Ki 
recht zu machen. Chriftus fey nicht blos Menſch, fonden I} 
auch Sohn Gottes, als Sohn Gottes aber fey er nicht ver 
bunden gewefen, menfchliche Natur an fid) zu nehmen, un || 
ſich den Gefegen der Menfchheit überhaupt, und fogar de 
befchwerlichen Gefegen der Sfraeliten zu unterwerfen: noch 
weniger hätte man von diefer erhabenen Berfon erwarten job 
len, daß fie fich in der mit ihr vereinigten Menſchheit fo vie 
len Berfuchungen ausfegen würde. Da der Sohn: Gottes zu 
allem dieſem nicht verbunden geweſen fey, fo habe er dieß nuran 


mittel, und 3. ein Bellerungsmittel, und in diefer dreife 
chen Beziehung ein mefentliches Stüc feines großen Plans 
ift, macht den Hauptinhalt der zwar vorzüglichen, aber mehr 
in der Weife einer Reinhard’fchen Predigt, als einer fireng 
wiffenfchaftlichen Unterfuchung gefchriebenen Schrift aus 
(©. 173—280.). 


©. F. Seiler. 553 


der Stelle der Menſchen thun Tönnen, in der mit ihm verei- 
nigten menfchlichen Natur, die nur als das Inftrument zu 
betrachten fey, durch welches der Sohn Gottes feinen Gehor- 
ſam geleiftet habe 9. Mit diefem flellvertretenden Gehorfam 
follte jedoch nur dieß gefagt feyn, daß wir wegen des vollkom⸗ 
menen Gehorſams Chrifti von Gott fo behandelt werden, ald 
wären wir jelbft vollfommen gerecht. Wie ſchon dieß den 
wahren und vollen Sinn ber Eirchlichen Lehre nicht ausdrüds 
be, fo ſprach fih Seiler in feiner fpätern Schrift im beſtimm⸗ 
tern Begenfage gegen biefelbe dahin aus, ed werde nirgends 
in der Schrift gelehrt, daß Sefu Heiligkeit und Gerechtigfeit, 
Tugend und Frömmigkeit und moraliſch fo zugerechnet werden, 
als wenn es unfere Tugenden wären, der Begriff der Zurech⸗ 
nung werde nur dann richtig genommen, wenn man eine mo= 
raliſche und .thätige Zurechnung unterfcheide, und unter ber 
legtern eine folche verfiehe, vermöge welcher ein Menſch um 
der Tugenden und BVerdienfte eines andern willen mancher⸗ 
lei Wohlthaten empfange, fo daß der von einem Tugendhaf- 
ten geleiftete Gehorſam ihm nicht allein unmittelbar, fondern 
auch mittelbar durch Diejenigen Wohlthaten, die andere um 
feinetwillen empfangen, vergolten werde ®). Daß fowohl bei 
biefer legtern Beftimmung, als auch fchon jener erſtern die 
Borausfegung der Nichtverbindlichkeit Chrifti nicht mehr nöthig 
iſt, iſt far. Ohne dieſe Vorausſetzung wollte Daher Reinhard ®) 
ber Tugend Ehrifti eine ftellvertretende Natur beilegen, fofern 
®ott um dieſer in Chriſto vorhandenen Fertigkeiten willen Die 
bei den Slaubigen befindlichen mangelhaften Sertigfeiten zu 
gut halte und: belohne: da Gott die ganze Menfchheit Jeſu 
sum Beften des menichlichen Gefchlechtd hervorgebracht habe, 
fo könne er die Tugend derfelben, wenn fte gleich aus einer 


1) Ueber den Berfühnungstod 3. Ehr. Th. 1. &. 340. f. 
2) Die Tragen der zweifelnden Bernunf u. ſ. w. ©. 233. f. 
3) A. a. O. S. 420. 


N 


554 11. Ber. IL Abſchn. 3. Kap. 


natürlichen Schuldigkeit entiprungen fey, zu dem beſondem 
Gebrauch der Beglüdung der Menichen nach Gefallen beſtim⸗ 
men. Bet diefer Wendung kann es nicht befremden, daB an 
dere, wie Storr und Snapp *), fo nacdhdrüdlich- fie auch aw 
erfannten, daß wir vermöge des Gehorſams Jefu, oder fra 
der Ihm zuerfannten Belohnung fo behandelt werben, wie ii 
wenn wir einen vollfommenen Gehorfam geleiftet, und ums 
dadurch Diefer hohen Seligfeit fähig gemacht hätten, doch die 
ganze Beftimmung eines den Menfchen zugerechneten ftellven 
tretenden thuenden Gehorſams lieber fallen ließen, und bi 
Unterfcheidung eined thuenden und leidenden Gehorſams nır 
dadurch redhtfertigten, daß ed unter den Leiden am fchwer 
ften gewefen fey, Gehorſam zu leiften, hier alfo eigentlich auf 
feiner höchften Stufe der Gehorfam am thätigften habe fern 
müfjen 2). Um fo mehr konnte man daher auch, wie immer 
gewöhnlicher wurde, die ganze Unterfcheidung auf ſich berw 
hen laffen. 

Da, wie aus allem diefem erhellt, die Richtung der Jet 
immer mehr dahin ging, von der Lehre von der Verföhnung 
alles auszufchließen, was den Echein einer auf aprioriſch 
Borausfegungen gebauten Theorie an fih trug, und nid 
mit Haren Zeugnifien der heil. Schrift bewieſen werden Font 
te, fo muß man es ganz natürlich finden, daß auch die von 
Storr und andern, auf eine zum Theil an die tranfcendentn 
Fdeen des Drigenes erinnernde Weife, hervorgehobene Bezie⸗ 
hung des Todes Jeſu auf das geſammte Geifterreich immer 


1) A. a. O. ©. 294. wo zugleich bemerkt wird, Das ganze 
Mißverſtändniß und der ganze Streit in diefer Lehre fen le 
Diglich daher entfianden, daß man zwei Dinge getrennt habe, 
die nicht getrennt werden Finnen. Alles, was Chriftus ge 
than und gelitten habe zu unferm Beften, befomme dadurd 
eigentlich feinen Werth, daß cr es aus Gehurfam gegen den 
göttlichen Willen gethan habe. 

2) Storr a. a. D. ©. 665. 669. 





oo Ch A. Schwarze. 555 


miger Beifall fand. Es fey nicht wahrfcheinlich, wurde be= 
erkt, daß die über und erhabenen Glieder des Geifterreichs 
ch des Todes Jeſu zur Verftärkfung ihrer Ueberzeuguug von 
otte8 Gerechtigkeit und von den Folgen der Sünde bedurft 
ben, und wir werden wohl thun, wenn wir und aud) hie⸗ 
| um das fo dunkle ©eifterreih nicht zu fehr befümmern, 
; die Erklärung und Betrachtung ded zum Heile der Men» 
en geichehenen Todes hiezu Feine nöthigende Beranlaffung 
be 4). So. follte demnach auch Hierin der ganze theologis 


ı) Schwarze a. a. D. ©. 147.f. TDiefelbe Frage betrifft der 
theologifche Briefwechfel eines Laien über die Verführung 
unfers Planeten und anderer Welten mit Bott durch Chris 

ſtum. Leipz. 1782. Wie die Theologen diefer Periode die 
mit derfelben Frage zufammenhängende Vorfiellung von der 
Erlöfung, als einer Befreiung aus der Gewalt bes Teufels, 
welche die Ältern proteftantifchen Theolsgen noch immer als 
Nebenvorſtellung feftgehalten hatten, modifieirten, ift am bes 
ſten aus der oben & 72. erwähnten, diefem Gegenftande 
befonders gemwidmeten Abhandlung Döderlein’s zu erſehen, 
deren Nefultat (vergl. ©. 155.) iſt: Nimis curlosi at- 
que indignantis esse videtur, modum beneficti ubique velle 
perscrutari. Possemus itaque commode et frui libera- 
tione a potestate Diaboli et laudare Jesum, et qua ra- 
tione nos liberarit, sine dispendio ignorare. Facile ta- 
men e superiore disputatione colligi posse arbitror, obti- 
gisse eam nobis maxime Evangelii, h. e. doctrinae atque 
disciplinae christianae beneficio. Omnia certe commoda, 
quae Christo debentur, e duobus velut fontibus derivan- 
tur in homines, passione et doctrina. Atque passionis 
mortisque virtus non penitus hoc loco excludi debet. Nam 
cum a, peccato nos redemit, non potuit, quin a Diabolo, 

. eul peccatores subjiciuntur, simul liberaret. Dein clu- 
rum habemus Pauli testimonium Ebr. 2. Denique mor- 
te novum regnum, contrarium diabolo, acquistvit et aus- 
picatus est. Multo tamen magis doctrinae Christianae 
Lam insigne beneficium debert esxistimo. 


X 


556 U. Ber. 1. Abſchn. 3 Kap. 


fche Gefichtsfreis auf das rein Menfchliche befchränft werden 
Dieß führt uns noch auf einen weitern Punft. 

4. Eine Accommodation zu Zeitvorftelungen, ‘wie fie von 
mehreren Theologen angenommen wurde, Tonnten Diejenigen 
nicht für zuläßig halten, die für die in der heil. Schrift nie 
bergelegte Lehre den ftrengeren Offenbarungsbegriff feſthieb F 
ten. Es läßt fich daher voraus erwarten, Daß fie es ald ie FF 
re Aufgabe betrachteten, die Hypotheje einer Accommodation f 
wie fonft fo auch bier, befonders zu beftreiten *). So nativ 
lich aber dieß ift, jo befremdend kann ed beim erften Anbild 
erſcheinen, daß dieſelben Theologen zum Theil wenigſtens dog 
wieder auf eine ganz verwandte Anſicht zurückkamen. Wem 
auch Jeſus und die Apoftel ſich nicht zu Zeitvorftellungen ar 
commodirt haben, fo follte dagegen nad) der Anficht man 
cher die von Gott im Tode Jefu getroffene Veranftaltung nr 
als eine Herablaffung und Anbeauemung Gottes zu der Dat f 
weife der Menfchen aufgefaßt werden können, fomit bie ge T' 
wöhnlich nur auf die Zeit Sefu und der Apoftel angewande 
Accommodations-Tdee auf die Menſchheit im Ganzen ausge F 
behnt werden. Man erinnerte an den allgemeinen Zwei, 
welchen die Offenbarung, wie jede Erziehung, habe, den $% 
higfeiten, Neigungen, Vorkenntniffen, überhaupt ben Bedürf 
niffen derer, für die fie beftimmt ift, fo angemeffen als mög 
lich zu feyn. Könne der Urheber aller Einficht und Weisheit 
nicht hinter menfchlichen Pädagogen zurüdbleiben, fo müfle er 
fi, ‚wie in der ganzen Offenbarung fo auch in der Veran⸗ 
ftaltung des Todes Sefu, zu feinen ſchwachen finnlichen Ge 
ihöpfen herabgelaffen haben. Die Borftellungen von de 
Nothwendigfeit und Kraft der Opfer feyen unter Juden und 
Heiden fo allgemein verbreitet, und mit dem Bewußtſeyn der 
Strafmwürdigfeit der Sünde und dem Glauben an bie Ber 
jöhnlichkeit und Gnade der Gottheit gegen die Sünder fo eng 






























ı) Man vgl. hierüber befonders Etorr a. a. D. ©. 533. f. 


Accommodationo⸗Idee. 557 


verbunden geweien, daß bie göttliche Weisheit und Güte den 
lebergang zu der Grundlage einer vollfommneren und geiſti⸗ 
jern Religion nicht beffer habe einleiten fönnen, als durch 
Ne Beranftaltung ded größten, alled gut machenden und ewig 
geltenden Opfers im Tode Jeſu. So habe der Jude und 
beibe in der neuen Religion zwar etwas weit höheres und 
Bichtigeres, aber doch demjenigen, was ihm in feiner bishes 
igen Religion fo ehrwürbig und beruljigend geweien war, 
huliches wiedergefunden, und fich gefreut, auf der einen 
Bette von der Laft des Opferbienftes befreit zu werden, auf 
er andern ein ‚göttliche Begnadigungämittel von ewig gel- 
endem Werth zu erhalten, bei welchem feiner zu menfchlich 
en Gott denfenden Vernunft Fein beunruhigender Zweifel 
abe übrig bleiben köͤnnen. Das Storr'ſche Bedenken, daß 
eine biblifche Stelle vorhanden fey, in welcher der Tod Jeſu 
ur Bergebung der Sünden ald ein Werk der göttlichen Her⸗ 
Iblaffung dargeftellt werde, hob man durch die Bemerkung, 
aß dafielbe Beduͤrfniß, das die göttliche Herablaffung noth⸗ 
vendig machte, eine- Aufklärung über ihre Beichaffenheit un- 
nöglich gemacht, und felbft die Erleuchtung ber Apoſtel ihre 
wibhwendigen Schranken gehabt habe. Wenn aber auch biefe 
säterliche Erziehungsweisheit Gottes von der Durch Sefu Lehre 
wfgeflärten Vernunft mehr und mehr erfannt werde, fo blei- 
je. doch dieſelbe Vorftellung von der verjühnenden Kraft des 
Eodes Jeſu immer bafjelbe fubieftive Bebürfniß der ſchwachen 
Annlichen Menfchheit, da unfere Kenntniß von Gott überhaupt 
mehr oder weniger anthropopathifch fey, und nur auf ana= 
logiſchen Schlüfien beruhe, und da die ganze Sprache der 
heil. Schrift fo befchaffen fey, Daß dadurch jene, zwar wohl 
Ihätig wirkenden, aber doch nur menfclichen, Vorſtellungen 
bon Gott unterhalten werden 2). 


1) Ausgeführt wurde diefe Anficht befonders von Schwarze in 
der genannten Schrift (man-vgl. ©. 165. f., 209. f.), zinges 


558 11. Ber. U. Abfchn. 93. Kap. 


Es knuͤpft ſich an dieſen letztern Punkt von ſelbſt an, 
was hier überhaupt über den Zeitraum in der Geſchichte un 


lenkt aber wurde zu ihr fchon feit Ernefii, und fie if ganz 
bezeichhend für eine Zeit, in welcher der für die reinbife 
rifche Auffaffung der biblifchen Urkunden erwachende und fid 
bildende Sinn bei der farren Form des alten Offenbarungsglam 
bens nicht mehr fiehen bleiben Fonnte, während man dad, 
ungeachtet des Subjektiven, deflen man fich bei der Lehre 
der heil. Schrift bewußt wurde, den göttlichen Inhalt ders 
felben fich fo wenig als möglich beeinträchtigen laſſen wollte, 
Beides gehört gleich wefentlich zum Eigenthümlichen der Ers 
neſti'ſchen Schule. Erneſti ſelbſt hat die’Grundidee dieſer 
Anſicht in den Vindiciae arbitrii divini in relig. constituenda 
ausgefprochen: Sapientia divina rem Ita moderata est, ut 
propagatio doctrinae Christi quam masxime cum natu- 
ra rerum humanarum, fh. e. ingeniis humanis, tempori- 
bus ac locis consentiret. Id effict poterat — st ipsa dee- 
trina, quoad salva summa (essentia) ejus fiert pesset, 
. accommodaretur temporibus illis, h. e. ingentis popalo- 
rum sensibusque, ut inde nihil ei, aut quam minimum 
impedimenti objiceretur (Op. theol. 1773. ©. 307.). Man vgl. 
ferner Senff Verfuch über die Herablaffung Gottes in der chriß- 
lichen Religion zu der Schwachheit der Menfchen Leipz. 1792. 
und das Treue theol. Journal, herausg. von Hänlein und 
Ammon II. 4. ©. 344. auch Junge in Döderlein’s Eprifl. 
Rel. Untere. Th. XI. S. 260. f. Belonders aber verdient bier 
noch Lang (zur Beförderung des nüglichen Gebrauchs dei 
Zeller’fchen Wörterbuchs des N. T. Th. 3. ©. 232. f.) er⸗ 
‚wähnt zu werden, welcher über Diefelbe Anficht ſich 
auf folgende Weiſe erklärte: „Der von Gott zugelaflen 
Tod Chriſti wurde zu einem Opfer für die Sünden der Welt 
beſtimmt, nicht als ob ohne dieß Opfer fchlechterbings Feine 
Bott anftändige Sündenvergebung hätte fattfinden koͤnnen, 
fondern weil Opfer für die Sünden, (es fey, daß ihr erfer 
Urfprung menfchliche Erfindung oder Anordnung: der Ad 
zur ſchwachen Sinnlichkeit der Menfchen herablafienden Got⸗ 
tes war) nun fchon einmal in der Welt waren, und bie der 


Accommodations⸗Idee. 559 


ſers Dogma's, von welchem hier zuletzt Die Rede war, noch 
hinzuzufugen iſt. So wenig ed auch an einer Verſchiedenheit 
und einem Gegenſatz der Anfichten fehlte, fo groß iſt gleich“ 
wohl, bei näherer Betrachtung, die Uebereinftimmung. “Die 
ganze Zeit bewegte fih in dem Kreife der Accommodations⸗ 
Idee, nur mit dem Unterfchled, daß die eine den Kreis ders 
felben enger, die andere weiter 309. Das Wahre der Ac⸗ 
commodations⸗Idee ift der zum Berwußtfeyn gefommene Un- 
terfchied zwifchen Form und Inhalt, dad Unwahre berjelben 
die für. notwendig gehaltene Nachgiebigfeit gegen eine Form, 
die man doch nur als eine zufällige und fubjeftive, und eben- 
darum unmahre erfennen muß. Indem man diefe Nachgie⸗ 
bigfeit gegen eine als unwahr erfannte Form nicht nur den 
Interpreten der göttlihen Offenbarung, Jeſu und den Ayos 
fteln zufchrieb, fondern auf Gott felbfl, als den Urheber der . 
Offenbarung übertrug, zog man ebendadurd das objektiv 

Göttliche in den niedrigen Kreis der menſchlichen Subjektivi⸗ 
tät herab, und ließ das Abfolute in dem Endlichen unterges 
- ben. Der Grund hievon Fonnte nur in der Unfähigfeit lie⸗ 
gen, fich über die Sphäre der Subjeftivität zu erheben, und 
Das Abfolute feinem wahrhaften Inhalte nach fich zum Bes 
wußtjeyn zu bringen. Se mehr aber die Idee des Abfoluten 
in ihrer Objektivität Dem Bewußtſeyn fich entzog, defto freies 
ren Spielraum hatte die Subjeftivität, in ihrer überwiegen- 
den Macht ſich geltend zu machen. Daß man zugleic) die 
Borftelungen, die den Inhalt des religiöfen Bewußtfeyns bes 
flimmten, felbft als eine blos fubjektive Form anerkannte, in 


von ihrer Nothwendigkeit und Heiligkeit fich fo feſt gefegt 
hatte, und weil dieſe Subflitution des Opfers des Todes 
Chriſti für alle andere Dpfer nicht nur den Eigenfchaften 
Gottes nicht widerfprach, fondern vielmehr auf das polls 
kommenſte damit harmonirte, und der Denktungsart des da⸗ 
maligen Weltalterg entſprach, ohne gegen die Denkungsart 
des nachfolgenden reifern und aufgeklärtern fchlechterdings 
anzuſtoßen.“ Man vgl. dagegen Storr a. a. D. E. 552. 


x 


560 I. Ber. I. Abſchn. 3. Ray. 


ihr aber eine nothiwendige Herablaffung Gottes zur menſchli⸗ 
chen Schwachhelt fah, beweist nur um fo klarer, wie wenig 
man fi) aus den beengenden Schranfen feiner Subjektivität 
herauszubemwmegen vermochte. Form und Inhalt, obwohl uns 
terfchteben, fielen auf diefe Weife immer wieder in eine un 
zertrennliche Einheit zufammen, weil das Subjekt, wenn ihm 
nicht mit der Form auch der Inhalt verloren gehen follte, 
von feiner fubjeftiven Form fich nicht trennen konnte. Wie 
widerfnrechend die Annahme einer ſolchen Herablaffung Got⸗ 
tes iſt, muß gerade bei ber Lehre von der Verſöhnung am 
meiften in die Augen fallen. Befteht das Wefen ber Bew 
föhnung darin, daß der Menſch mit Gott fidy einigt, ſich 
durch Gott, als das Allgemeine und Abfolute, in feinem gan⸗ 
zen Seyn und Wefen beftimmt werden läßt, aber ebendeßwe⸗ 
gen feine Subjektivität von fid, abthut, fo bezwedt Dagegen 
jene Herablafjung gerade das -Entgegengefehte, Dem Subjdi. 
feine Freiheit und fein Recht zu laſſen. Damit es feine na 
türlichen Triebe und Neigungen, feine Bebürfniffe und Ir 
tereffen nicht aufopfern muß, fol Gott felbft fich zu ihm ber 
ablafien, und die menfchliche Subjeftivität foviel möglid in 
ihrer gewohnten Sphäre fich fortbewegen laſſen. In Diele 
Hinficht waren gewiß Diejenigen, welche, wie Storr, die Ac⸗ 
‚commodationd-Fdee in jeder Form verwarfen, hiezu vollkom⸗ 
men berechtigt, wenn aber diefelben Theologen eine Herablaf 
fung Gottes in dem zuvor erwähnten Sinn hauptfächlich aus 
bem Grunde verwarfen, weil feine biblifche Stelle vorhanden 
ſey, in welcher eine foldye Abficht des Todes Jeſu angegeben 
fey, und zugleich nichts dringender einzufchärfen wußten, als 
daß ed. die größte Vermeffenheit des fchwachen fterblichen Ge 
fhöpfes jey, über die Abfichten Gottes irgend etwas wiſſen 
zu wollen *), fo festen Doch auch fie wieder nur auf einem 
andern Wege die Subjeftivität in ihr volles Hecht ein. Sit 


1) Storr a. a. O. ©. 570. f. 


Accommodationg-Fdee 561 


r Menfch ſo wenig im Stande, das an ſich Seyende, Wah- 
‚, Allgemeine:zu erkennen, fo bleibt für ihn’ alles fubjektio 
id willkuͤrlich, felbft wenn er in den Haren Zeugniffen der 
4. Schrift die ficherften Kriterien ber objektiven Wahrheit 
; haben glaubt! Blieben doch felbft auch Diejenigen, welche 
oifchen Inhalt und Form, Objektivem und Subjeftivem, We⸗ 
ntlichem und Unmwefentlihem ftrenger zu unterfcheiden ſuch⸗ 
n, und das ihrem religiöfen Bewußtſeyn nicht Zufagende 
3 eine Accommodation zu fremdartigen Zeitvorftellungen von 
ch zurückwieſen, wenn auch auf andere Weife, in demfelben 
standpunfte der Subjeftivität befangen, da nicht nur an fich 
bon eine foldhe Scheidung etwas blos willfürliches war, fon« 
een auch in ber Lehre von der Verfühnung nur den Zwed 
atte, jede objektive Vermittlung hinwegzuräumen, bie die 
öttliche Begnadigung von einer andern Bedingung abhängig 
sachte, ald der Reue und Beflerung. In den Willen des 
Subjefts alfo follte alles gefeßt werben, wodurch der Menſch 


nit Gott verfühnt werden kann, und das Subiekt follte das 


ver auch für fich felbft Die Macht haben, das Geſchehene un⸗ 
jeichehen zu machen. Die hiemit in engem Zufammenhang 
tehende pelagianifche Vorausſetzung, daß der Menfch von Na⸗ 
kte.gut fey, und bei der Trefflichkeit der Anlagen des menſch⸗— 
lichen Herzens, wovon jene Zeit fo vieles zu rühmen wußte, 
bie Sünde Immer nur als ein durch ſich felbft verſchwinden⸗ 
des Moment anzufehen fey, hatte In dem ganzen Geifle jener 
Zeit tiefe Wurzeln gefchlagen, und zieht ſich durch jene ganze 


Periode der proteftantifchen Theologie hindurch. Wie Außer- 


lich war das Bebürfniß der Erlöfung gedacht, wenn felbft 
ber in der tiefern Auffaffung der Wahrheiten des chriftlichen 
Slaubens unter den Theologen jener Zeit fofehr hervorragen⸗ 
de Storr der geiftlofen Hypothefe eines Michaelis 1) feinen 


1) Ueber Sünde und Genugthbuung ©. 559. Storr a. a. D. 
©. 649. 


Baur, vie Lehre von der Verföhnung. 36 


562 Dl. Ber. II. Abfchn. 3. Kap. 


Beifall fchenken konnte, daB die befondere Beichaffenheit der 
erften Berfündigung, oder das Eſſen von der verbotenen, 
gleich einem Gift wirfenden, Frucht die fchlimme Difpofition 
zu den unmäßigen und gewaltjamen Trieben, in weldye man 
das Weſen der Erbfünde feste, verurfacht habe. Wird die 
Sünde nur als eine, die an fich gefunde Natur des Menſchen 
äußerlich afficirende, Krankheit gedacht, fo muß auch die Gna⸗ 
de. der Erlöfung dem Menfchen gleich äußerlich bleiben, und 
es Tann fich daher felbft in der Theologie eines Store nicht 
verbergen, wie wenig bie gottmenfchliche Perfon des Erloͤſers 
als das abfolute Princip der Vermittlung des Menſchen mil 
Sott aufgefaßt ift, und wie fehr dagegen die Die Wuͤrdigken 
bed Menfchen bei weiten überfteigende Seligkeit doch imm 

” wieder die Farbe eines äußern, zum wahren Wefen des &c 
ſtes fi nur äußerlich verhaltenden Guts an ſich trägt, in 
defien Genuß die vom Gluͤckſeligkeits⸗Ideal begeifterte Zeit ih 
te liebfte Befriedigung fand ?). 


1) Als ein charakterifiifches Merkmal jener, in ihrem überwie 
genden Zuge zur Subjeftivität des Geſammtbewußtſeyns in 
fo hohem Grade ermangelnden, Zeit ift auch die beinahe gam 
allgemeine Sgnorirung des fombolifch kirchlichen Lehrbegrift 
in den dogmatifchen Lehrbüchern anzufehen. Wie fedr fehlt 
es fogar einem Storr an dem Intereſſe, ſelbſt bei ſolchen 
Dognien, welche eine fo ausgebildete Firchliche Form erhal: 
ten haben, wie das Satisfactionsdogma, auf die Firclice 
£ehre auch nur in hiftorifcher Hinficht die gebührende Rück⸗ 
ficht zu nehmen! Es darf daher mit Recht das zum .Theil 
fhon in der Kant’fchen Periode, noch befiimmter aber bald 
nachher fich anfündigende Bedürfniß, von dem fombolifchen 
Zehrbegriff wenigftens auszugehen, um an der Kritif deſſel⸗ 
ben den dem Fortfchritte der Zeit entiprechenden dogmati⸗ 
(hen Standpunkt zu gewinnen, unter die Kriterien einer 
neuen Epoche der Theologie gerechnet werden. 





DRITTE PERIODE. 


Bon der Kant'ſchen Philoſophie 
bis anf die nenefte Zeit. 


r 
i 
J 





.36* 





Erftes Rapitel 


Kant und die der Kant’fhen Philofophie folgenden 
ZheologenZieftrunf, Süskind, Stäudlin, C. Eh. Flatt, 
u.a. — Krug. — De Wette, Bretfohneider, Schott. 


In dem zulegt gefchilderten Zeitraum ber Geſchichte un⸗ 
ſers Dogma's tft die Subjeftioität zu ihrem vollen Rechte ge 
fommen. Die vorherrfchende Richtung ging dahin, die Ver- 
föhnung des Menſchen mit Gott als die eigenfte Sache Des 
Subjekts zu betrachten. Das Subjekt, der Menſch in feinem 
Fürfichleyn, darf ſich verföhnt mit Gott wiſſen, fobald er nur 
fi} entichließt, die Stunde zu bereuen. und fich zu beffern. 
Und damit der Vorſatz der Beflerung feinen Zweck nicht ver 
fehle, unmittelbar mit demfelben alles abgetban wäre, was 
in Hinficht des Zwecks der Beflerung, der Glückſeligkeit, hem⸗ 
mend und ftörend in das Berhältnig Gottes und des Men- 
ſchen eingreifen Fönnte, ift der höchſte abfefute Begriff, durch 
welchen das Weſen Gottes beftimmt wird, feine abfolute Güte 
und Liebe, zu welcher alfe andern Eigenſchaften Gottes in eis 
nem untergeordneten Verhältniß ſtehen. Wie ed ‚der abjolu- 
ten Güte nur um das Beſte der Menfchen zu thun feyn ‚Tann, 
jo wird der höchſte Endzweck des Menfchen in eine Gluͤckſe⸗ 
ligkeit gefebt, durch deren -Ertheilung jeder Einzelne für fi 
das für ihn ſubjektiv mögliche höchfte Maaß des Guten ges 
nießt. Wenn man daher den eigenthümlichen Charakter ber 
Periode, von welcher bisher die Rede war, in die Herrichaft 
das Eudämonismus febt, fo iſt ebendadurch auch das an ihr 
fo fichtbar hervortretende Uebergewicht der Subjeftivität be⸗ 
zeichnet, aber es erhellt fchon hieraus auch zugleich, wie Die 
kritiſche Philofophie, indem fie dem berrfchenden Eudaͤmonis⸗ 


566 Il. Ber: 1. Kap. 


mus entgegentrat, auch ber entfcheidende Wendepunkt des le || 
bergangs von der Subjeftivität zur Objeftivität wurde. Die 
fer Uebergang kann zunächft immer nur dadurch gefchehen, 
daß in ber Subjeftivirät felbft eine höhere geiftige Macht fid 
entwidelt, welcher fi das Einzelne, als dem über ihm fie 
henden Allgemeinen, Objeftiven, an ſich Seyenden unterord 
‚nen muß. Es ift dieß die durch Kant mit aller Macht des fit 
lichen Bewußtſeyns zur Anerkennung gebrachte abfolute Ge 
feßgebung ber praftifchen Vernunft, in welcher das Eigen 
thümliche ded Standpunkts der Kant’fchen Philoſophie ebenk I 
. Har hervortritt, als auf der theoretifchen Seite Derfelben. Wk II 
Kant den Dogmatidmud der alten Metaphyſik dadurch ve 
nichtete, daß er vor allem das Verhältnig des Subjefte a |. 
dem ihm gegenüberftehenden Objekt der Erfenntniß unterfuf 
te, and auf diefem Eritifchen Wege das Subjeft zwar aus dm 
tranfcendenten Regionen, in welche ed fich verirrt hatte, ım I' 
feine fubjeftiven Vorftelungen für objektive Wahrheit zu hal 
ten, auf ſich felbft zurücführte, und zum Haren Berwußtiem 
feiner. fubjeftiven Befangenheit und Cinfeitigfeit brachte, abe 
auch in dem Subjefte felbft die höchften formalen Geſetze dei 
Denfend und Erfennens ald das jeder Erfahrung vorangehen⸗ 
de Apriorifche, ald das Allgemeine und Nothwendige, ode 
Objektive, nachwies, fo ift auch das von Kant aufgeftellte höch⸗ 
fte Princip der praftifchen Vernunft ebenfo ſubjektiv, als ob: 
jeftio, fubjektiv, fofern e8 ganz ber Sphäre des Selbſtbe⸗ 
wußtfeyns angehört, objektiv aber, fofern e8 in dem Bewußt 
feyn des Einzelnen felbft als eine abjolute, unbedingt gebie 
tende Macht, in welcher der freie Bille ı nur durch ſich ſelbſt 
bedingt iſt, fich ankuͤndigt. 

Wie hiedurch der Standpunkt der gantſchen Philoſophie 
im Allgemeinen beſtimmt iſt, ſo ergibt ſich hieraus von ſelbſt die 
Bedeutung, in welcher fie als ein neues Moment in den Ent⸗ 
widlungsgang unfered Dogma’s eingreift. Es verfolgt fe 
nen ang, wie bisher, fo auch jetzt, vorzugsweife auf der fub- 





Die Kant'ſche Bhilofophie, 867 


jefttven Seite, aber nah Maßgabe der fittlichen Grundſaͤtze, 
die als höchkte allgemeine Norm gelten. Die ganze große 
Reform, durch welche Kant für die Sittenlehre ein neues 
Princip ſchuf, mußte auf alle auf die Verföhnung des Men- 
ſchen mit Bott ſich beziehenden Lehren Den entfcheidendften Einfluß 
baben. Die Idee des Sittlidhguten trat nun als conftituti- 
ves Princip an die Stelle der in fich felbft zerfallenden Gluͤck⸗ 
ſeligkeitslehre. Wie fehr hiedurch der ganze fittliche Geſichts⸗ 
punft verändert werden mußte, zeigte ſich zuerft bei der Fra- 
ge-über die Möglichkeit der Sündenvergebung oder Strafen- 
aufhebung. Iſt der Zweck der Strafe die Befferung des Men- 
chen, und ebendeßwegen die Beſſerung felbft dad Mittel, dem 
Menſchen die Gluͤckſeligkeit, deren er fähig ift, zu ertheilen, 
fo verfteht ſich von felbft, daß die Strafe aufhört, fobald 
bie Beflerung erfolgt ift, ganz anders aber geftaltet fich Die 
Sache, wern der höchſte Endzweck des Menfchen in daß fitt- 
lich Gute gefeht wird, und die Slüdfeligfeit nur infofern ale 
:ein wefentlicyed Element ded höchften Guts gedacht werden 
kann, fofern fie durch die fittlihe Wuͤrdigkeit bedingt iſt. 
Hieraus folgt von felbft, daß, wenn auch der Menfch, fofern 
er fich beffert, feine weitere Strafe, fondern vielmehr eine 
feiner Beſſerung proportionirte Glückſeligkeit verdient, doch Die 
Beflerung auf den ihr vorangehenden Zuſtand Feinen Einfluß 
haben kann. Die früheren Verſchuldungen bleiben auch nad) 
“erfolgter Befferung diefelben, und die Idee des höchften Guts, 
der moralifche Endzweck der Welt, die Proportion der Glück⸗ 
feligfeit und Sittlichfeit, wird ebendadurch realifirt, daß Schuld 
und Strafe im genaueften Berhältniß zu einander fiehen. So 
nothwendig und unmittelbar dieſe Folgerung aus den Kants 
fchen Principien der praftifchen Vernunft hervorgeht, fo ſchwan⸗ 
kend war gleichwohl die Anficht mehrerer der Kant’fchen Phi- 
Lofophie folgenden Philofophen und Theologen über die Fra— 
ge: ob Vergebung der Sünden, oder Strafen-Aufhebung, nad) 
Kant'ſchen Principien möglich fey oder nicht? Während Die 


4 


568 III. Ber. 1. Kap. 


ſtrengeren Anhänger derſelben die Erlaſſung von Schuld md 
Strafe mit allen Begriffen einer zweckmäßigen ſittlichen Wek⸗ 
einrichtung und der göttlichen Gerechtigfeit für unvereinbar 
erklärten 1), glaubten Dagegen andere einen folchen Zwieſpal #ı 
zwifchen dem Chriftenthyum und der Kant'ſchen Philoſophie 
nicht zugeben zu dürfen, und aus. den Principien derſelben 
nicht blos die Möglichkeit, fondern fogar die praftifche Roth 
wendigkeit der Erlaſſung der Strafen, unter der Bedingung Hi 

“der Befferung, nachweifen zu fönnen. Cine Deduktion dieſer J 
Art verfuchte namentlih 3. H. Tieftrunf in feiner bekannten J 
Genfur des proteftantifchen Lehrbegriffs ?), indem er: diefed 
Dogma unter diejenigen Säße rechnete, deren Realität bi 
praftifche Vernunft ald nothiwendige Vorausfegung zur Raw 
lifirung der Idee des moralifchen-Endzweds der Welt poſtu⸗ 
lire. Die Vernunft fey berechtigt, Gott zu allem demjenigen, 
was der Menfch felbft nicht könne, und doch Die Möglichkeit 
des moralifchen Endzwecks der Welt erfordere, als wirkende 
Urfache zu denken. Ein folcher Fall finde ganz befonders bi 
ben felbftverfchuldeten, obgleich fich befiernden Menfchen flatt. 
Die yon dem Pflichtgefeb gebotene Heiligkeit Bleibe für und 





1) Wie z. B. C. Chr. Erb. Schmidt, Verſuch einer Moralphir 
Iofophie, Jena 1790. $. 390.: Belohnungen und Strafen las 
fen fich fo wenig als Verdienſt und Schuld von einer Pers 
fon auf eine andere moralifch übertragen, oder überhaupt 
abändern, erlaffen, vorenthalten, erhöhen, man müßte denn 
alle Begriffe von zweckmäßiger fittlicher Welteinrichtung und 
von göttlicher Gerechtigkeit aufheben und verläugnen. Könnte 
Gott die gerechte Strafe des fittlich Böfen erlaffen, fo Eönnte 
er auch das Böfe erlaubt machen. Dann wäre aber fein 
Geſetz kein moralifches, fondern ein willfürliches. 

2) Cenſur des chriftlichen proteftantifchen Lehrbegriffs, nach den 
Prineipien der Religiongkritif, mit befonderer Hinficht auf 
die Lehrbücher von D. J. C. Döderlein und D. ©. F. N. 
Morus. Drei Theile Berl. 1791-95. Zweite Aufl. 1796. 


3.9. Tieftrunk. | 569 


ſtets unerreihbar. Wenn auch Der Uebergang vom Böfen 
zum Guten durch eine gänzlidhe Umwandlung bes innern 
&rundes unferer Denkungsart gefchehen fey, fo laufen doch 
mitten im Fleiße zu guten Werfen noch immer Selbftverfchuls 
dungen ımter. Hiezu kommen bie vorigen, vor der Befferung 
begangenen, Bergehungen, welche von uns nicht getilgt wer⸗ 
Den Finnen, da wir im ftrengften Gehorfam doch nie mehr 
als unfere Schuldigfeit thun, folglich aus allen unfern noch 
fo guten Handlungen nie etwas Weberverdienftliches zur Til⸗ 
gung der alten Schuld entipringen könne. Wir finden une 
alfo nie in der vor einem heiligen Richter gültigen Gerechtig⸗ 
Beit, und doch müflen wir dieſe Gerechtigkeit durch Tilgung 
unferer Schuld haben, wenn die Idee des moralifchen End« 
zwecks der Welt realifirt werden fol. Denn, wenn die Suͤn⸗ 
ben ein unüberwindliches Hinderniß ber Seligfeit wären, und 
an dem Schuldner dad gerechte Verdammungsurtheil wirf- 
lich vollzogen würde, jo würde ber Zweck der Welt, welchem 
zufolge alle Menfchen durch Heiligung zur Seligfeit gelan⸗ 
‚gen follen, an dem Schuldner verloren gehen. Stehe aber 
biefer Zweck als praftifches Vernunftgebot feft, fo müffe er 
auch durch Bedingungen, bie fich aus ihm felbft ergeben, als 
möglich gedacht werben können, folglich um der Realifirung 
der dee bes moralifchen Endzwecks willen eine Verfühnung 
und Genugthuung möglic, feyn, wodurd der Mangel eiges 
ner ©erechtigfeit vor einem heiligen Richter erfegt und Die 
Schuld getilgt werde. Es bleibe uns alfo nichts übrig, als 
der Glaube, daß die felbftftändige Weisheit aus ber Fülle 
ihrer Heiligkeit dad ergänzen werde, was den Subjeften, ob 
zwar durch eigene Schuld, an der erforderlichen Qualität zur 
Seligkeit gebreche, der Glaube alfo, daß Gott fih in Hin- 
ficht auf die Seldftverfchuldungen der Menfchen felbft genug: 
thun werde, aber fo, daß er zwar gnädig gegen ung ſey, je 
doch feine Gnade an die Bedingung binde, daß wir, fo viel 
wir Fönnen, dem Gefebe der Heiligfeit gehorchen. Dieß fege 


- 


570 All. Ber. 1. Rap. 


eine Correfpondenz der Güte, Heiligkeit und Gerechtigkeit &ot- 
tes voraus, vermöge welcher er begnadige, und Doch gerecht 


“ fey, heilig und doch) Sünden vergebe, eine durch die göttliche 
Weisheit bewirkte Correfpondenz, welche flattfinden muͤſſe, 


weil der Glaube daran aus dem apodiktifchen praftifchen Ge 
fete hervorgehe, wenn gleich die Möglichkeit und Beſchaffen⸗ 
beit derfelben an fich ein undurchdringliches Geheimniß fey '). 

Gegen diefe Deduftion ift mit Recht eingewendet wor⸗ 
den, daß, wenn auch der babei vorausgeſetzte Grundfag: bie 
Vernunft fen berechtigt, Gott zu allem demjenigen, was der | 


Menſch felbft nicht kann, was aber gleichwohl zur Möglid 


feit des moralifchen Endzwecks der Welt erfordert wird, al 
wirkende Urfache. zu denfen, nicht in Zweifel gezogen werde 
fönne, Doch die Nothwendigkeit einer Erlafiung der Straf I, 
keineswegs aus den Kant’fchen Principien folge. order 
ber moraliſche Endzweck der Welt, daß jedes fittlich gute We 
fen in der genaueften Proportion zu feiner Würdigfeit GIkd 
feligfeit erlange, fo widerfpreche es der Forderung nicht, wen | 
der Menfch, der von einem fittlich böfen Zuftande in den fr 
lich guten erft überging, nur infofern als er fittlich gut Ic, 
Antheil an Glüdfeligkeit erlange, und fofern er fittlich bil 


‘war, ebenfo feinen proportionirten Antheil an Beftrafunge 


empfange. Nur in dem Fall würde die. Bernunft berechtigt 
feyn, von Gott zu erwarten, oder als praftifches Poftulat 
anzunehmen, daß Gott das Unvermögen ded Menfchen er 
gänzen und den Mangel der vollgültigen Gerechtigkeit erſe— 
sen werde, wenn ed ein unverfchuldetes wäre, als ein folde 
könne es aber nicht angefehen werden, da es ja ber Borauf 
fegung nad) Selbftverfchuldungen feyen, die den Menichen an 
der Seligfeit hindern. Indem man aber auf eine Deduftion 


41) Tieftrunk Cenſ. des prot. Lehrb. Th. 2. S. 212. f. 223. f. 
227.f. 279.f. 292 f. 321. 325. f. 358. 334. f. Wergl. Th. 3. 
Vorr. S. LXV.f. 





F. ©. Säöfind. 571 


tothwendigfeit der Strafenaufhebung Verzicht leiften zu 
n glaubte, wollte man doch wenigftens die Möglichkeit 
ben deductren, oder fo viel darthun, daß ed dem moras 
Endzweck der Welt nicht widerfpreche, wenn der Sün- 
nter der Bedingung der Beſſerung von den verdienten 
en loögefprochen, und von der göttlichen Güte zur Ges 
: zugelaffen werde, damit, wenn etwa eine ald wirklich 
ch erwieſene Offenbarung eine ſolche Strafenaufhebung 
rifch lehrte, die Vernunft Feine Urfache hätte, dieſes 
na zu bezweifeln. Die Realifirung des höchften Guts, 
Beförderung der höchftmöglichen Sittlichfeit und Glück⸗ 
At, in der genaueften Harmonie, fen zwar, behauptete 
der höchfte Endzweck, welchem, wie alles andere, fo auch 
irkliche Vollziehung der Strafen untergeorbnet fey; wenn „ 
ber erweifen ließe, daß in ber moralifchen Welt, in’ wels 
das höchfte Gut realifirt werden fol, daſſelbe vollftändi- 
ealifirt, d. h. ein größered Maaß fittlicher Vollkommen⸗ 
and proportionirter Glückfeligkeit der vernünftigen Weſen 
ı Aufhebung der Strafen unter der Bebingung der Beſ⸗ 
g, als durch wirkliche Vollziehung derfelben, auch an den 
ſſerten, befördert werden würde, fo würde die Vernunft 
ytigt ſeyn, Die Aufhebung der Strafen als ein praftifches 
lat wirklich anzunehmen. Dogmatiſch lafje fih nun zwar 
behaupten, daß der Zweck ber ftrafenden Gerechtigkeit 
dem Endzweck des höchſten Guts wirklich‘ in Collifton 
ne, aber ebenfo wenig Laffe fich beweifen, daß Strafenaufhes 
unmöglich), d. b. mit dem moralifchen Endzwed der Welt im 
erſpruch ſey, oder daß bei der Aufhebung der Strafen, 
: der Bedingung der Beiferung, die Sittlichfeit und pro« 
onirte Glüdjeligfeit der vernünftigen Weſen nicht in dem 
iße, wie bei der Vollziehung derjelben, ftattfinden könne. 
mehr laſſe es ſich doch als möglich denken, daß in einer 
igen moralifchen Welt bei den wirklich ſchon Gebeſſerten 
red Fortſchreiten in füitlicher Vollkommenheit, und folg- 


. 972 IL Ber. 1. Kap. 


lich auch in proportionirter Gluͤckſeligkeit wirkſamer durch an 
genehme ald unangenehme Empfindungen, wirkſamer burk 
eine von Strafen freie, ald mit Strafen vermifchte und be 
ſchraͤnkte Gluͤckſeligkeit befördert werben könne %). Schon diek 
Motivirung Farm deutlich genug zeigen, wie der Gedanke e— 
ner folchen Deduktion nur in Folge eines Rüdfalls vom Kam 
tifchen Standpunkt zum eubämoniftifchen entftehen konnte. #- 
Sittlichkeit Das höchſte abfolute Gut, der höchſte abſolne 
‚Zwed eines vernünftigen Wefend, fo Tann jedes Plus md 
Minus der Glüdfeligfeit nur durch die Idee der Sittlichken 
bedingt feyn. Schon aus diefem Grunde läßt fich die hier vor 
ausgeſetzte Collifion gar nicht denken, und es erfcheint daha 
ald eine ganz unftatthafte Behauptung, baß die Bernunf 
zwar ohne Ausnahme den Unmoralifchen für ftrafiwürdig 
Häre, hieraus aber nicht gefchloflen werben könne, Daß bei 
Geſetz der wirklichen Beftrafung abfolut allgemeingültig ſch 
Da fein Geſetz ohne feine Anwendung gedacht werben kam, 
fo würde ein Geſetz, das zwar abftraft gedacht abfolut, ie 
feiner conereten Anwendung aber nicht abfolut feyn fol, ebew 
deßwegen auch an fich nicht abfolut fenn. Ebenſo wenig fam 
man fich auf die Heiligkeit als ein höheres, über dem Geſeh 
ber MWürdigfeit und dem Gefeß der Gerechtigkeit ftehendes, 
Geſetz berufen, da die Idee der Heiligkeit nothwendig mit 
der Idee der Sittlichkeit zufammenfällt, und daher auch die 
drei Momente der Heiligkeit, Würbdigfeit und Gerechtigkeit 
doch nur wieder die Sittlichfeit und Glüdfeligfeit in ihrer ge 
naueften Broportion find. Läßt fi) Demnad, überhaupt fchen 










1) Süsfind im Flatt'ſchen Magazin für hr. Dogm. und Me 
ral St. 1. 1796. Ueber die Möglichkeit der Strafenaufbe 
bung, oder der Gündenvergebung, nach Principien der prab 
tifchen Vernunft S. 1 — 67. Vgl. St. 9. 1803. Mod) et 
was über die moralifche Möglichkeit der Aufhebung verdien⸗ 
ter Sündenftrafen ©. 71-1%. 


3. G. Suokind. 373 


eine Colliſton zwiſchen dem Geſetz der Sittlichfeit an ſich und 
ſeaner concreten Anwendung, wie hier vorausgeſetzt wird, nicht 
vdenfen, fo läßt fich auch ebenfo wenig läugnen, daß durch 
He Borausfegung, das höchſte Gut Fönne durch Erlaffung 
der Strafen in höherem Grade realifirt werden, ald durch 
"Dre Bollziehung, die Sittlichkeit der Glüdfeligfeit unterge- 
wbnet wird, indem biefe Borausfegung nichts anderes in fich 
begreift, ald die Behauptung, daß bei einem moralifchen Sub» 
jekt die angenehmen Empfindungen, welche die Aufhebung 
Der Strafen zur Folge hat, ein ſtärkeres Motiv der Sittlich« 
Bett nicht blos wirklich fenen, fondern unbefchadet der Idee 
Des höchften Guts ſeyn dürfen, als die Idee der Sitilichkeit 
tbft, eine Behauptung, die mit den erſten Principien ber 
Kant’fchen Sittenlchre in einen zu offenbaren Widerfpruch 
Sommt, als daß hierüber ein weiterer Zweifel ftattfinden könn⸗ 
we. Wie Süskind, um die Möglichkeit der Strafenaufhebung 


mit der von Kant in bie Proportion der Sittlichkeit und Glüd- 


feligfeit gefeßten Idee des höchften Guts zu vereinigen, Die 
Idee der Heiligkeit voranftellte, in der That aber die Idee 
der Heiligkeit felbft wieder ber Idee der Gluͤckſeligkeit unter» 
orbnete, fo machte Tieftrunf, um feine Deduftion der Noth⸗ 
wenbigfeit einleuchtender zu machen, einen gleichen Verſuch 
mit der Idee der Liebe des Geſetzes. Das höchſte Ziel der 
ſitilichen Vollkommenheit aller. vernünftigen Geſchöpfe fey die 
Liebe des Geſetzes, das nie aufhöre, Ziel und Endzwed zu 
feyn, wenn auch die endlichen Weſen denfelben oft aus den 
Hugen verlieren. Die Lebe des Geſetzes aber beftehe in der 
Einigfelt des Herzens mit demfelben und in der Erfenntnjß, 
daß die Zufriedenheit mit ſich ſelbſt und feinem Dafeyn durch 
die felbfithätige Befolgung des Geſetzes bedingt fey. Liebe 
des Geſetzes aber fey nicht möglich, wenn feine WVerzeihung 
vor demfelben möglich fey, da durch die Sünde ein Unfriede 
zwiſchen dem Gefeb und dem Subjekt entftanden ſey, welcher 
nicht feyn fol, und daher wieder aufgehoben werden müfle. 


574 HL Ber. 1. Say. 


Soll alfo die Liebe des Geſetzes das Ziel ber moraliſchen Voll⸗ 
fommenheit aller Bernunftweien feyn, mithin auch der Ge⸗ 
fallenen und Abtrünnigen, fo jey fie nur möglich, wenn das 
Geſetz dem reuigen Sünder 'verzeihe, folglich fen die Verge⸗ 
bung der Sünden ein Poftulat der praftifchen Vernunft '). 
Mit Recht muß_bei diefer neuen Wendung der Tieftrunf'fchen 
Deduktion ſchon die dem kalten Rigorismus des kategoriſchen 
Imperativs ſubſtituirte Liebe des Geſetzes Bedenken erregen. 
Doch ſoll dieſelbe nur von der Heiligkeit des Geſetzes verſtan⸗ 
den werden 2), und der Hauptgedanke demnach eigentlich die⸗ 
fer feyn: Wenn durch das Bewußtſeyn der Strafwürdigfelt, 
oder den Unfrieden des Menichen mit dem Geſetz, feine Ber- 
werflichkeit und Berdammlichkeit vor demſelben, der Zweck bed 
Geſetzes, feine Heiligkeit, nicht aufgehoben werden fol, fo muͤſſe 


eine Vergebung. vor demfelben ftattfinden, worüber, da fie ' 


nur aus dem Geſetz felbft ergehe, das Geſetz fich ſelbſt ge 
nugthun müfje Worin jedoch diefe Vergebung und Genug 
thuung beftehen fol, wird nicht gefagt. Sehen wir davon 
ab, daß ohnedieß vom Kant'ſchen Standpunkt aus fich nicht 
denfen läßt, wie das vom Geſetz ausgeſprochene Strafurtheil 
die Heiligkeit des Geſetzes aufheben fol, jo kann offenbar mit 


1) Stäudlin, Beiträge zur Philofophie und Gefchichte ber Re 
ligion und GSittenlehre. 3ter Bd. 1797. SR die Sündenvei⸗ 
gebung ein Poftulat der praftifchen Vernunft? Beantwortet 
von J. 9. Tieftrunk. ©. 1ı2.f. Man vgl. bef. ©. 155.1. 
Tieftrunk beftreitet Die erfie der genannten beiden Süskind⸗ 
fchen Abhandlungen, deren zweite fodann die erfiere gegen 
die Ziefteunffchen Einwendungen zu rechtfertigen fucht. 

- 2) Tieftrunk bemerkt ausdrüdlich a. a. D. ©. 186. f.: Er fol⸗ 
gere die Nothwendigkeit der Verföhnung nicht aus dem Po⸗ 
fiulat, daß die Glückfeligfeit der Sittlichkeit proportional 
fenn foll, woraus die Sündenvergebung nicht gefolgert wer 
den Ednne, fondern nur daraus, daß der Zweck der Heilig 
keit unbedingt und immer berfelbe fen. 


Die Rant’fche Theorie 575 


allem diefem nur fo viel gefagt fenn: dad Geſetz dürfe nicht 
blos ein einfeitig verwerfendes und verdammendes, fondern es 
müfle auf der andern Seite auch ein billigendes und beloh» 
nendes feyn. Da das erftere, wie fich von- felbft. verfteht, 
nur im Falle der Uebertretunig des Geſetzes, Das Teßtere nur 
im Falle der Webereinftimmung des Menfchen mit dem Ger 
feße flattfinden kann, fo geht aus diefer ganzen Deduftion 
‚nichts hervor, was nicht von felbf in ber Idee bes Geſetzes 
enthalten iſt, und es iſt daher auch nicht einzuſehen, wie die 
Möglichkeit, daß aus einem und demſelben Geſetz Verwer⸗ 
fung und Gnade ergehe, als etwas ſchlechthin unbegreifliches 
dargeſtellt, und auf die praktiſche Nothwendigkeit der aus 
dem Geſetze ergehenden Gnade und Vergebung ſo großes 
Gewicht gelegt werden kann. Was ſedoch dabei vorſchweben 
mochte, iſt die Idee, daß ſolange der Menſch noch dem ab⸗ 
ſoluten kategoriſchen Imperativ gegenüberſtehe, an eine inne⸗ 
re und lebendige Einheit mit Gott und eine wahrhafte Ver⸗ 
ſöhnung nicht gedacht werden Tann. Allein dieſe an ſich ganz 
wahre, aber auch den Kant’fchen Standpunft überfchreitende 
Idee iſt hier noch nicht zum Flaren Bewußtfeyn gekommen. 

. Ein fo vages und unbeftimmted Hin= und Herreden über 
Nothwendigkeit und Möglichkeit der Strafenaufhebung, oder 
Sündenvergebung, hätte wenigftens nad) Erfcheinung der Kant⸗ 
ſchen Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft *) 
für überflüßig gehalten werden follen. Kant ſelbſt fchlug in 
diefer auch für die Gefchichte unfers Dogma’s merfwürdigen 
Schrift einen ganz andern Weg ein. So wenig es ihm um 
einen der Eirchlichen Lehre fo viel möglich entfprechenden Ber 
griff der Sündenvergebung zu thun war, fo fehr flimmte.er 
doch mit ihr in dem ernften Beftreben zufammen, das Beduͤrf⸗ 
niß einer Wiederherftellung und Verföhnung in feiner. ganzen 
Tiefe aufzufaflen. Darauf bezieht fich die Kant’fche Lehre vom 


1) Sie erichien zuerſt im %. 1793. 


576 IL Ber. 1. Kap. 


radifalen Böfen, das nach Kant nicht blos in der Sinnlidy 
feit, fondern in der Unterordnung des Sittengefeged unter 
die Sinnlichkeit befteht, und rabifal.genannt wird, weil es, 
obgleich es feinen legten Grund nur in einem Afte der Frei⸗ 
heit haben Tann, Doch jedem in ber Erfahrung gegebenen Ge 
brauch der Freiheit vorangeht, und als Ein natürlicher Hang 
in dem Menfchen eingewurzelt ift, welcher die Wurzel. aller 
befondern böfen Diarimen und Handlungen, den oberften: fub⸗ 
jeftiven Grund aller Marimen, felbft verdirbt. Obgleich es 
aber al® natürlicher Hang durch menfchliche Kräfte nicht zu 
vertilgen ift, fofern Die guien Marimen, durch welche e8 als 
lein gefchehen könnte, als radikal verberbt vorausgefeht wer 
den müflen, fo muß gleichwohl als möglich angenommen wer 
den, daß es zu: überwiegen ift, weil es in dem Menfchen ald 
frei bandelndem Weſen angetroffen wird. Schon hierin if 
die ©rundidee der Kant’fchen VBerfühnungslehre und das fubs 
- jektive- Princip derſelben, der Grundſatz, daß, was der Menſch 
im moralifchen Sinne ift oder werben foll,: gut oder böfe, et 
dazu fich felbft, durch eine That feiner Freiheit, machen muß, 
Har ausgefprochen. Wie in dem von Natur böfen Menschen 
das Böfe immer nur ald ein erft gewordenes gedacht werben 
ann, die urfprängliche Anlage ald eine Anlage zum Guten, 
der Menſch alfo an fi) gut vorausgefeht werden muß, fo 
fann auch die Möglichkeit des MWiedcraufftehend vom Böſen 
zum Guten nicht in Zweifel gezogen werden. Dein abfolu- 
ten Sollen, das ungeachtet jenes Abfalls, ald fittlicheS Gebet 
ungeſchwächt in der Seele des Menſchen erichallt, muß das 
abjolute Können entfprechen. Es muß daher auch in bem 
gefallenen Menfchen ein unverdorbener unvertilgter Keim bed 
Guten als zurüdgeblieben vorausgejegt werden. Da die Adi 
tung für das wmoralifche Geſetz nie :werloren gehen Tann, fo 
darf die in ihr beftehende Triebfeder zum Guten nicht erft er 
worben, fondern nur in ihrer Reinigfeit als oberfter Grund 
aller unferer Marimen wiederhergeftellt werden, aber demun- 


— 


Die Kant'ſche Theorie, 577 


geachtet kann diefe Wiederherftellung der urfprünglichen Ans 
lage zum Guten in und nur al8 eine Art von Wiedergeburt, 
als eine neue Schöpfung, eine Aenderung des Herzens, ges. - 
dacht werden, da, folange die Grundlage der Marimen unse 
lauter bleibt, das moralifch Gute nicht durch eine allmälige 
Reform, fondern nur durch eine Revolution in ber Geſinnung 
des Menfchen, durch einen Uebergang zur Marime der Hei⸗ 
ligfeit derfelben, durch eine Umwandlung der Denfungsart, 
bewirkt werden kann. Sft aber einmal der Menfch dem Prin⸗ 
eip und der Denfungsart nad) ein für das Gute empfängli«. 
ches Subjekt, fo ift er für den, der den intelligibeln Grund 
des Herzens, aller Marimen der Willkür, durchſchaut, für: 
welchen alfo die Unendlichkeit des Fortfchritts Einheit if, für: 
Gott foviel, als wirklich ein guter ihm gefälliger Menſch. So 
wenig ſich alfo auch begreifen läßt, wie ber Menſch, bei ſei⸗ 
ner angebornen VBerderbtheit für alle Gute, Die urfprüngliche 
fittliche Ordnung unter den Zriebfedern, und hiemit Die An⸗ 
lage zum Guten in feinem Herzen, in ihrer Neinigfeit durch 
eigene Kraftanwendung wiederherftellen kann, fo fchließt Doch 
die Rothwendigfeit diefer Umwandlung auch ihre Möglichkeit, 
in fih. Der Menfch Tann durch fich felbft wiederhergeftellt,. 
oder mit dem abfoluten Sittengefeß, und fofern Gott mit dem⸗ 
felben Eins tft, mit Gott felbft verföhnt werben. Das Prin⸗ 
cip diefer Verfühnungstheorie ift daher durchaus nur Die fill _ 
liche Freiheit. Ebendeßwegen fällt fie auch fofehr der mora⸗ 
liſchen oder fubjektiven Seite zu,. daß felbft ihre Beziehung 
auf die Idee Gottes etwas fehr unweſentliches if. Ihre Ob» 
jeftivität ift nur Die Objektivität des abfoluten Sittengeſetzes. 
Gleichwohl aber läßt Kant die beiden Momente,. in deren 
Sphäre fich feine Theorie bewegt, den Abfall und die Wie⸗ 
derherftellung, oder das böfe und gute Princip des Menfchen, 
auf eine Weife mit einander vermittelt werden, Durdy welche 
feine Theorie einen mehr objektiven oder religiöfen Charafter 
erhält. Wird der Menfch dadurch wieberhergeftellt, DaB ver⸗ 


Baur, die Lehre von der Berföhnung. 37 


378 HL Ber. 1. Kap. 


möge feiner moralifchen Freiheit das abfolute Eittengefeh zur 
oberfien Marime in ihm erhoben wird, fo iſt dieß ber rein 
moralifche Ausdrud für die Idee der Verſöhnung. An die 
Stelle des blos moralifchen Begriffs feht nun aber Kant im 
der perfonificirten Idee des guten Princips die religiöfe Idee 
des Sohnes Gottes. In dieſer Hinficht iſt das eigentliche 
Prineip der Verföhnung nad) Kant nicht die fittliche Sreihelt, 
oder das durch fie in dem Menfchen berrfchend gewordene 
gute Princip, fondern der Sohn Gottes, deflen Idee Kam 
auf folgende Weife entwidelt: Das die Herrichaft über deu 
Menſchen gewinnende gute -Princip, fofern ed perfonifidkt 
wird, iſt die Menichheit in ihrer abfoluten moralifchen Bob fi 
fommenheit, das Urbild der fittlichen Gefinnung in ihrer gaw 

zen Zauterfeit, der allein Gott wohlgefällige Menfch, ber von 
Ewigkeit ift, und um deſſen willen alles gemacht if. Di k 
wir nicht begreifen, wie die menfchliche Natur für dieſes Ur 

bild auch nur habe empfänglich feyn können, Tann man  & 
gen, ed fen vom Himmel zu uns herabgefommen, und bak 
die Menfchheit angenommen. Als Speal, wie ed gedacht wer 
den muß, Tönnen wir e8 und nur unter der Idee eines Ma 
ſchen denken, der nicht nur alle Pflichten felbft ausübt, um 
durch Lehre und Beifptel das Gute im größten Umfang aus fi 
breitet, fondern auch alle Leiden bis zum fcehmählichften Io 
um des Weltbeften willen übernimmt. Diefe Sdee nun hal 
ihre objektive Realität vollftändig in fich felbft, da fe in m 
ferer moraliſch gefeßgebenden Vernunft Liegt: wir follen ih 
gemäß feyn, und müffen e8 daher auch können. Aber gled 
wohl ftellen fi ihr, wie Kant fagt, nody mehrere Schwie 
tigfeiten entgegen, oder fie muß erft Durch gewiße. Moment 
für das fittlich ‚religiöfe Bewußtſeyn des Menfchen vermittdt 
werben, und zwar 1. in Beziehung auf bie Heiligkeit des 
Geſetzgebers bei dem Mangel unferer eigenen Gerechtigfät. | 
Sehen wir auf die That in und, auf die Angemefjenheit m | 
ſers Lebenswandeld zur Heiligkeit des Gefepes, fo bleiben 








Die Kant'ſche Theorie. 579 


wir immer von dem ©uten, das in ung realifirt werben fol, 
unendlich weit entfernt, ‘aber wir können uns den Kortfchritt . 
ind Unendliche zur Angemefjenheit mit dem Gefeb wegen der 
überfinnlichen Sefinnung, daraus er abgeleitet wird, von ei- 
nem Herzendkündiger in feiner reinen Intellektuellen Anſchauung 
als ein vollendetes Ganze auch der That nach beurtheilt den⸗ 
fen... 2. Eine andere Schwierigkeit betrifft die moraliiche Glück⸗ 
ſeligkeit, fofern fie von der Beharrlichkeit einer im Guten im⸗ 
mer fortrürfenden, nie daraus. fallenden Gefinnung abhängt, 
im: weldyer Beziehung nur dieß feftzuhalten ift, daß die gute 
und lautere Oefinnung, deren man ſich bewußt ift, der uns 
regierende gute Geift, auch das Vertrauen auf ihre Beharr- 
lichkeit und Seftigfeit, obzwar nur mittelbar, bei fi führt, 
und ber Tröfter (Baraflet) if, wenn und unfere Fehltritte 
wegen:ihrer Beharrlichkeit beforgt machen. 3. Die wichtigfte 
Schwierigkeit bezieht fih auf die Idee der göttlichen Gerech⸗ 
ugkeit. Der Menjch fing immer vom Böfen an, wenn er 
alfo auch keine neuen Schulden macht, fo bat er doch immer 
noch nicht bejahlie alte. Dieſe urfprünglihe Schuld, das ra- 
Difale Böfe, iſt die allerperfönlichfte, und da nun das fittlich 
Böſe, als ein Böfed der Gefinnung, eine unendliche Schuld 
bei ſich führt, jo würde jeder Menfch einer unendlichen Strafe 
und der Verſtoßung aus dem Neiche Gottes ſich zu gewärti« 
gen haben. DieAuflöfung liegt nun Darin, Daß in der mo» 
ralifchen Sinnesänderung ſchon ihrem Begriff nad) diejenigen 
Uebel als enthalten gedacht werden fünnen, bie der neue gut» 
gefinnte Menſch, ald vor ihm verfchuldete, und als folche 
Strafen anfehen kann, wodurd der göttlichen Gerechtigkeit 
Genüge gefchieht. Die Sinnedänderung it das Ablegen des 
alten, und dad Anziehen des neuen Menfchen, ein ungetrenn⸗ 
ter moralifcher Aft, weil die Verlaffung des Böfen nur Durch 
Die den Eingang ins Gute bewirkende, ‚gute Sefinnung mög- 
lich il, Der Ausgang aus der verderbten Gefinnung in Die 
gute iſt an fi) ſchon Aufopferung und Antretung einer lan- 
37 * 


582 I. Ber. 1. Kap. 


gelangen kann. Die Umänderung ded Menfchen zum Guten, 
feine Wiedergeburt, kann zwar nur Durch das in ihm zur Herr 
haft gelangende gute Princip bewirkt werben, fobald es aber 
in feiner conereten Erſcheinung und Wirklichkeit, als bie die 
ganze Geſinnungs⸗ und Handlungsweile des Menſchen be 
flimmende fittlihe Macht gedacht werden fol, wirb es zu ei⸗ 
nem Ideal, von welchem fich der Einzelne ſtets durch eine 
weite Kluft getrennt fieht. Daher bleibt das Princip der Ber 
föhnung und Redjifertigung immer nur der, ungeachtet aller 
Mangelhaftigfeit der That, an’ fich gute Grund ber Gefinnmg. 
Dieß ift daher auch ald die Hauptidee der Kant'ſchen Ber I 
föhnungstheorie zu betrachten. Die meiften Beurtheiler haben 
jevoh das Hauptmoment derjelben in der WBorftellung be 
Subftitution gefunden, welche nad) Kant bei dem ſich befferw 
ben Sünder ftattfindet, fofern ber neue Menſch ber göttliche 

Gerechtigkeit dadurch genugthut; daß er die von dem alte Ii 
Menfchen verfchuldete Strafe leidet. Bon diefer Seite wurk 
daher die Kant'ſche Hypothefe, wie man die Kant’fche The fi 
rie überhaupt bezeichnete, hauptfächlich angegriffen. Sie ſq 
fhon darum, wurde gegen fle eingemwendet, unzuläßig, wei 
fi) auf eine ganz Eonfequente Weife gerade das Gegenthil |: 
von demjenigen, was Kant Dabei beabfichtigt habe, Daran 
folgern laſſe. Denn, wenn alle Leiden und Uebel des Lebens 
überhaupt als Strafen der verderbten Sefinnung oder Mt 
Berfchuldungen der Menfchen follen angefehen werden kömen, 
fo könne ja der Menſch, auch wenn er fich nicht beſſere, fid 
um der ihn treffenden Leiden willen, als einen foldyen anle 
hen, der die Strafen ſchon erduldet habe, folglich fie nik | 
mehr erft in der Zufumft fürchten dürfe, fondern von denſel⸗ 
ben frei fen. Es fey nicht abzufehen, inwiefern die Herzen‘ 
änderung den Leiden des Lebens erft die Form von Strafen 
geben, oder die Wirfung haben fol, daß fie als Strafen 
angefehen werden fünnen, wenn fie nicht an fich ſchon ale 
foldye gelten können, können fie aber an fid) ſchon Dafür gel 





Die Kant'ſche Thevrie. 583 


ten, fo Eönne ja auch der Ungebeflerte fle dafür anfehen *). 
Darauf wurde jedoch mit Recht erwiedert, daß, wenn. auch) 
ber. Richtgebefierte allerdings die ihn treffenden Leiden als 
Strafe anfehen könne, er doch feine Rechtfertigung nicht dar⸗ 
auf gründen Tönne, ebendeßwegen weil er ſich nicht befiere. 
Die Frage fen nicht blos, ob der Menfch die Uebel als Stra- 
fen‘ zu betrachten babe, fondern, wenn und unter welcher Be⸗ 
bingung er die Erbuldung derfelben auch als etwas Verbienft- 
liches betrachten könne, und dieß könne er nur in der Qua- 
Btät eines Sebefferten 2). Aber auch bie ber Kant’fchen Theo- 
sie zu. Grunde liegende Hauptidee felbft, daß bie Leiden bed 
Lebens, als eine Strafe ber ‚Sünde anzufehen feyen, wurbe 
in Anſpruch genommen. Es laſſe ſich nicht. beweiſen, daß 
‚ohne Sünden Feine Leiden ftattfinden wuͤrden, fobald "man 
aber zugebe, daß der Gebeſſerte nicht alle Leiden, bie ihn tref⸗ 
fen, als Strafen feiner vorigen Berfchuldungen ſich zuzurech⸗ 
nen habe, fo müfle man auch zugeben, daß er ed in Hinficht 
eines großen Theils derfelben unentfchieden laſſen müfje, ob 
fe Strafen oder blos Beförderungsmittel feiner Tugend für 
ihn feyn follen. Um fo weniger könne daher angenommen 
werden, daß dad Maaß von Leiden, das ein Gebeflerter zu 
erbulden habe, gerade immer in gleichen Verhältniß mit ber 
Beichaffenheit feines vor der Befferung geführten Lebenswan⸗ 
dels ſtehe °). Einwendungen biefer Art Fönnen zeigen, wie 


4) Bel. Süskind a. a. D. in der erſtern der genannten beiden 
Abhandlungen ©. 20. f. 
3) Zieftrunt in Stäudlins Beiträgen a. a. D. S. 180. 
3) Vgl. Store, Bemerkungen über Kants philofophifche Reli⸗ 
gionslehre, Tüb. 1794. ©. 15. Süskind a. a. D. ©. 20. 
C. Chr. Slate, Philofophifchseregetifche Unterfuchungen über 
Die Lehre von der Verſoͤhnung der Menfchen mit Gott, als 
ein neuer Beitrag zur endlichen Entfcheidung der dogmati⸗ 
fhen Streitfragen, welche fich auf diefe Lehre beziehen, 
Sätt. 1797. 1. Th. ©. 116. f. 


584 ill. Ber. 1. Kap. 


felbft diejenigen, die fi) mit dem Standpunft der Kant'ſchen 
Philoſophie zu befreunden wußten, doch zugleich noch an ber 
alten Straftheorie hingen, welcher zufolge es wefentlich zum 
Begriff der Strafe gehört, daß mit jeder einzelnen Sünde . 
auch ein :beftimmted Quantum äußerer pofitiver Uebel verbun⸗ 
den if. Die Kant'ſche Theorie ift hinlänglich begründet, wos 
fern nur. überhaupt der Zufammenhalig der Uebel des Lebens 
mit der Sünde nicht geläugnet wird. Wie follte aber biefer 
Zufammenhang geläugnet werden können, wenn body, wie 
die Sünde in ihrem ganzen Zufammenbang nur als die d% 
ſammtthat ded menschlichen Geſchlechts aufgefaßt werden fam, I: 
fo auch das Uebel in feiner Abhängigkeit von der Sünde mi 
gleiche Weile nur ald die Geſammtſchuld des Geſchlechts u ſ 
betrachten iſt? Und wer ift fich dieſes Zuſammenhangs de 
Sünde. und des Uebels lebendiger bewußt, ſomit auch von Wi 
dem Gefühle feiner Strafwürdigfeit tiefer dDurchdrungen, au 
eben der fich Beflernde, wenn doch felbft die wahre Ertemb Ki 
niß.der Sünde, ohne welche man auch feines Strafverhäl 1 
niſſes ſich nicht bewußt wird, erft Durch die Beſſerung entſe Fi 
ben Tann ? F 
Wie man ſich aber auch die Sache vermittelt denke 
mochte, mochte man die Idee des ſtellvertretenden Leidens für 
einen wefentlichen Beftandtheil der Kant'ſchen Theorie, oder 
nur für eine verfinnlichende Nebenvorftelung halten, als bie 
wejentlichen ſich gegenfeitig ergänzenden Clemente der Kank 
fhen Theorie find unftreitig die beiden Sätze zu betraditen: 
1) Eine eigentliche Aufhebung der Strafen in demjenigen Sin 
ne, welchen man gewöhnlich mit dem Begriffe der Sünden 
Vergebung zu verbinden pflegt, ift undenkbar, Da fie den 
Principien der praftifchen Vernunft wibderftreitet, gleichwohl 
aber darf ſich 2) der fish beſſernde Menfc feiner Verſöhnung 
mit Gott und feiner Rechtfertigung bewußt feyn, Dieſe Sätze 
bielten daher die Tiheologen feft, welche in der Lehre von ber 
Verſöhnung zwar von den PBrincipien der Kant’fchen Philo: 





⸗ 


Die Kant'ſchen Theologen. 585 


fophie. ausgingen, aber die Kant'ſche Theorie in der ihr von 
Kant felbft gegebenen Form nicht fehr -einleuchtend finden 
tonnten. Um fo mehr fuchten fie genauer zu beftimmen: und 
zu entwideln,' wie der zweite jener beiden Sätze mit dem er- 
Ben zufammenbeftehben könne. Es ift dieß der Standpunft, 
auf welchen fich befonderd C. Ch. Flatt, C. F. Stäudlin und 
: &. 5. Ammon ftellten, . folange fte der Kant'ſchen Philofo- 
phie am entichtedehften folgten. Als befondere Momente des 
Verhaͤltniſſes Gottes gegen den fich befiernden Sünder, wie 
«8 nady den Prineipien der praktiichen Vernunft zu beftim«- 
men ſey, wurden von Dielen Theologen hauptfächlid, folgende 
Dauptpunfte hervorgehoben: 1. Der Sünder kann des Wohlge- 
fallend Gotted an der Umkehrung feiner Marimen, und an 
dem ernftlichen Beftreben, feinen beffern Orunbfägen einen 
überwiegenden Einfluß auf feine Vorftelungen, Gefühle, Nei⸗ 
gungen und Handlungen zu verichaffen, verfichert feyn. Er 
iſt aus diefem Grunde und in Diefem Sinne mit Gott vers 
föhnt. 2. Er darf der göttlichen Unterflüßung bei dem Bes 
ftreben, feine guten Marimen in Ausübung zu bringen, infos 
fern gewiß ſeyn, als der göttliche Beiftand nicht mit der Ra- 
tur ber Moralität ftreitet, oder feine eigene freie Selbſtthä⸗ 
tigkeit hindert. Und er darf dieſen Beiftand Gottes nicht blos 
in Rüdficht auf feine natürlichen Anlagen, und in Rüdfidht 
auf alle äußern Verhältniſſe überhaupt, welche ihm die Mo» 
ralität bisher erfchwert haben, fondern auch in Beziehung auf 
Diejenigen Hinderniſſe, welche er durch felbftverfchuldete Schwä⸗ 
Hung feiner moralifchen Kraft feiner Beflerung in den Weg 
gelegt hat, erwarten. Gr ift ein Gegenftand der göttlichen 
Gnade. Im Bertrauen auf diefe göttliche Unterftügung, ver 
bunden mit dem Glauben an feine Freiheit, Tann er 3. die 
Hoffnung fchöpfen, daß er feiner bisherigen Immoralität un« 
geachtet, dennoch bei einem beharrlichen Eifer im Guten das 
Ziel der moralifhen Vollkommenheit und Glüdfeligfeit durch 
unendliche Annäherung erreichen werde. Er iſt gerechtfertigt. 


586 UL, Ber. 1. Kap. 


Diefe Hoffnung wird 4. durch bie Furcht vor ben Strafen 
feiner vorigen Sünden ebenfo wenig, ald der Muth zur Befr 
ferung gelähmt, wenn der Menich mit einer ächt moralifchen 
Gefinnung den Gedanken fefthält, daß alle Strafübel, bie er 
für feine Berfchuldungen leiden muß, zugleih aud zur Er 
böhung feiner Moralität genau in eben dem Berhältniß beis 
tragen können, in welchem fie feiner Gluͤckſeligkeit Abbruch 
thun %). Dur die Entwidlung diefer Momente erhielt die 
rein moralifche Berföhnungstheorie, welcher zufolge demnach 
ber Menſch felbft in dem Grade feine Berfühnung und Recht⸗ 
fertigung realifirt, in welchem er fein fittliches Verhalten mit 





ı) Man vgl. C. Chr. E. Schmid, Philofophifche Dogmatik 1796. 
©. 177. €. Chr. Zlatt in der S. 583. genannten Schrift 
Th. I. ©. 189. f. 196.f. Stäudlin, Lehrbuch der Dogmas 
tif und Dogmengefchichte, Gott. 1801. S. 460.f. Ammon, 
Summa theologiae christianae. Gött. 1802. Inbegriff der 
evang. Glaubenslehre, Gött. 1805. (teutfche Bearbeitung der 
Summa) ©.220.f. Bezeichnend if für den Standpunkt die 
fer Theologen auch die Eorgfalt, mit welcher fie zugleich 
dem praktifchen Religionslehrer Vorfchriften für den zweck 
mäßigen Vortrag dieſer Lehre ertheilen. Dan vergl. Zlatt 
©. 237.f. 269.f. Ammon ©. 232. Bei dem leßteren, mel 
cher ſich überhaupt, ungeachtet der klar Durchblickenden Kants 
fhen Grundfäge. am unbefiimmteften erklärt, veducirt fi 
auch die wiffenfchaftliche Beſtimmung diefer Lehre auf die 
beiden Eautelen, die dem chriftlichen Religionglehrer gege 
ben werden, er habe zwei Punkte wohl zu beherzigen, ein 
mal ſich zu hüten, durch einfeitige und myſtiſche Betrach⸗ 
‚„. tungen über das blutige Verdienſt Jeſu das Geſchäft jüdi⸗ 
. ‚fcher Leriten in eitlen Allegorien zu betreiben, und dann auf 
“Bis Bebürfnifle der Schwachen infofern Rückſicht zu nebe 
Wien, daß ihnen durch ein unmeifes Hinwegdogmatifiren der 
wech Jeſum zu erwartenden Vermittlung nicht ein michtis 
3 Hälfsmittel der Beruhigung und Befferung geraubt, und 
Gewiſſen dadurch verwundet werde, 






Die Kant'ſchen Theologen. ı 587 


dem Sittengeſetz in Uebereinſtimmung bringt, vollends ihre 
Ausbildung, trat aber ebendamit nur um fo mehr in ihrer 
&infeitigfeit hervor. Liegt die Verföhnung des Menfchen nur 
anf dem Wege einer unendlichen Annäherung, eines Fort⸗ 
ſchritts Ind Unendliche, ſo fteht das Gefeh ewig dem Men- 
chen als eine feindliche Macht gegenüber, mit weldyer er in 
fein vollfommen harmonifches Verhältnig kommen kann, ber 
Zwieſpalt dauert ewig fort, und fo gut man fagt, der Menſch 
dürfe auch auf diefem Wege feiner Berföhnung und Rechtfer- 
tigung gewiß feyn, kann man ebenfo gut jagen, e8 gebe für 
ihn keine Verföhnung und Rechtfertigung, da fte nie wahrs 
haft zu Stande kommt. Klar genug bat dieß einer jener 
Theologen felbft ausgefprochens: „Die Vernunft verheißt uns 
auf Feine Weife eigentliche Aufhebung der Sündenftrafen, aber 
fie läßt und doch in Anfehung derfelben nicht ohne Troft. 
Sie eröffnet und eine Ausficht ind Unendliche, eine Möglich- 
keit ins Unendliche, im Guten ..fortzufchreiten, eine unendliche 
Zahl: guter Handlungen auszuüben u. f. w. Sn diefer un⸗ 
endlichen Reihe erblidt der Menfch feine Sündenvergebung,, 
feine Rechtfertigung, und wenn er auch gleich das Ziel nie 
mals erreicht, und fie in feinem einzelnen Zeitpunfte. feiner 
Fortdauer anzutreffen tft, fo ift doch bei dem beftändigen Fort- 
fchreiten das, was ihr abgeht, in PVergleichung mit dem, 
was fie wirklich ift, fo Klein, daß er ed einer wirklichen Ver⸗ 
gebung und. Rechtfertigung gleichfchäben mag” +). Modhte 
man dabei auch nody fo großes Gewicht auf die Annahme le⸗ 


1) Stäudlin a. a. O. S. 468. Es iſt dieß die gewdhnliche r ra⸗ 
tionaliſtiſche Lehre von der Sündenvergebung und Verſöh⸗ 
nung, wie ſie auch in den dogmatiſchen Lehrbüchern von 
Wegſcheider (Instit. theol. christ. dogm. P. II. Cap. II. 
- 8.140.) und Tzſchirner, (Vorlef. über die chriftl. Glaubens» 
lehre, nach den Lehrb. der evang. proteft. Kirche, herausg. 

von Hafe Leipz. 1829. ©. 414. f.) dargeſtellt wird. 


586 Il, Ber. 1. Kap. 


Diefe Hoffnung wird 4. Durch die Furt vor ben Strafen 
feiner vorigen Sünden ebenfo wenig, al6 der Muth zur Bei 
ferung gelähmt, wenn ber Menſch mit einer Acht moraliſchen 
Geſinnung den Gedanken fefthält, daß alle Strafübel, die a 
für feine Verfchuldungen leiden muß, zugleich auch zur Er 
höhung feiner Moralität ‘genau in eben dem Verhältniß bei 
tragen. können, in welchem fie feiner Glückſeligkeit Abbrud 
thun 4). Durch die Entwidlung diefer Momente erhielt die 
rein moraliſche Berföhnungstheorie, welcher zufolge bemmnad 
der Menſch felbit in dem Grabe feine Berfühnung und Rebt 
fertigung realifirt, in welchem er fein fittliches Verhalten mi 





ı) Man vgl. C. Chr. E. Schmid, Philoſophiſche Dogmatik 1798. 
©. 177. €. Ehr. Zlatt in der S. 583. genannten Schrift 
Th. I. ©. 189.f. 196. f. Stäudlin, Lehrbuch der Dogma⸗ 
tif und Dogmengefchichte, Gott. 1801. ©. 460.f. Anm, 
Summa theologiae christianae. ®ött. 1802. Inbegrif m 
evang. Slaubensichre, Gott. 1805. (teutfche Bearbeitung der 
Summa) ©. 220. f. Bezeichnend ift für den Standpunkt fie 
fer Theologen auch die Sorgfalt, mit welcher fie zugldd 
dem praftifchen Religionslehrer Vorſchriften für den zwed⸗ 
mäßigen Vortrag diefer Lehre ertheilen. Dean vergl. Zlatt 
©. 237.f. 269.f. Ammon ©. 232. Bei dem leßteren, wel 
cher fich überhaupt, ungeachtet der Elar durchblickenden Kants 
fhen Grundfäge. am unbefiimmteften erflärt, redueirt ſich 
auch die wiffenfchaftliche Beſtimmung diefer Lehre auf bie 
beiden Eautelen, die dem chriftlichen Religionglehrer gege⸗ 
ben werden, er habe zwei Punkte wohl zu beherzigen, ein 
mal fich zu hüten, durch einfeitige und myſtiſche Betrad» 
tungen über das biutige Verdienſt Jeſu das Gefchäft jüdi⸗ 
fcher Leriten in eitlen Allegorien zu betreiben, und Dann auf 
die Bedürfniffe der Schwachen infofern Rückſicht zu neb 
men, daß ihnen durch ein unweifes Hinmwegdogmatijiren der 
durch Jeſum zu erwartenden Vermittlung nicht ein wichti⸗ 
ges Hülfsmittel der Beruhigung und Beſſerung geraubt, und 
ihr Gewiſſen dadurch verwundet werde. 





Die Kant'ſchen Theologen 387 


m Sutengeſed in Uedbereinſtimmung bringt, vollends ihre 
sBbildung, trat aber ebendamit nur um fo mehr in ihrer 
nfeitigfeit hervor. Liegt die Verföhnung ded Menfchen nur 
f dem Wege einer unendlichen Annäherung, eines Fort» 
witts ind Unendliche, fo fteht das Gefeh ewig dem Men- 
ven als eine feindliche Macht gegenüber, mit weldyer er in 
m vollfommen harmoniiches Verhältnig kommen kann, ber 
wieſpalt dauert ewig fort, und fo gut man fagt, der Menſch 
irfe auch auf diefem Wege feiner Berföhnung und Rechifer- 
zung gewiß feyn, kann man ebenfo gut fagen, ed gebe für 
n feine Verſöhnung und Rechtfertigung, da fie nie wahr: 
ft zu Stande kommt. Klar genug hat dieß einer jener 
heologen felbft ausgefprochen: „Die Vernunft verheißt ums 
ı$ Feine Weife eigentliche Aufhebung der Stndenftrafen, aber 
r läßt uns doch in Anfehung derſelben nicht ohne Troft. 
ie eröffnet und eine Ausficht ins Unendliche, eine Möglich- 
u ins Unendliche, im Guten .fortzufchreiten, eine unendliche 
ahl gister Handlungen auszuüben u. ſ. w. In dieſer uns« 
dlichen Reihe erblidt der Menfch feine Sündenvergebung, 
ne Rechtfertigung, und wenn er auch gleich das Ziel nie 
als erreicht, und fie in feinem einzelnen Zeitpunfte. feiner 
wtdauer anzutreffen iſt, fo ift Doch bei dem beftändigen Fort⸗ 
weiten das, was ihr abgeht, in Vergleichung mit dem, 
as fie wirklich ift, fo Klein, daß er es einer wirklichen Ver⸗ 
bung und Rechtfertigung gleichichäen mag” %). Mochte 
an dabei auch noch fo großes Gewicht auf die Annahme le⸗ 


1) Stäudlin a. a. O. ©.468. Es ift dieß die gewöhnliche ra- 

tionaliſtiſche Lehre von der Sündenvergebung und Verſöh⸗ 
nung, wie fie auch in den dogmatifchen Lehrbüchern von 
Wegfcheider (Instit. theol. christ. dogm. P. III. Cap. II. 

5.140.) und Tzſchirner, (Vorlef. über die chriftl. Glaubens» 
lehre, nach den Lehrb. der evang. proteft. Kirche, herausg. 
von Hafe Leipz. 1829. ©: 414. f.) Dargefellt wird. 


590 UL Ber 1. Rap. 


nur durch fich felbfl. Denn Gott muͤſſe doch an dem Men⸗ 
ſchen dasjenige finden, mas Gott wohlgefallen fol. Un |i 
wenn ihm auch von außen etwas dargeboten werde, was ihn || 
Gott wohlgefällig machen könne, fo müffe er doch wenigftns | 
biefed Dargebotene freiwillig annehmen und benügen, fen | 
Wille müfje alfo doch zulegt den eigentlichen Grund des gött- 
lichen Wohlgefallend enthalten, es könne nicht bloße Paſſivi⸗ 
tät jeyn, was ihm dad Wohlgefallen erwerbe, fonden a 
muͤſſe es jelbftthätig erwerben. Auf ber andern Seite aber 
heiße ed: Entweder kann der Menſch des göttlichen Wohlze 
fallend gar nicht theilhaftig werden, oder er wird ed um 
durch einen andern. Deun Gott kann doch an dem Unvel⸗ 
fommenen fein Wohlgefallen haben. Der Menſch aber # 
und bleibt immer unvollfommen, wie fehr er auch nach bem 
Guten ftrebe, fein Wille ift dem Geſetze nie wirklich. ange 
meffen, alfo kann er auch nicht Durch benfelben das Wohlge 
fallen Gotted erwerben. Man kann daher mit Recht fagen: 
Der Menſch kann nicht Durch eigenes Verdienſt, fonbern e 
muß durch ein fremdes DVerdienft gerecht und felig werden !) 
Die beiden einander gegenüberftehenden Theſen, von welden 
die eine den Sinn habe: Handle, d. h. arbeite an deiner fitts 
lichen Beredlung aus allen deinen Kräften, gleich als. ob du 
dich felbft unmittelbar bes göttlichen MWohlgefallens theilhap 
tig machen könnteſt, Die andere aber: Glaube, d. h. hege dab 
fefte Vertrauen zu Gott, daß, wiewohl du es nie bis zur 
wirklichen Vollkommenheit dringft, und alſo infofern ihm nicht 
wohlgefälft, Gott doch in Rüdficht auf das, was nicht un 
mittelbar in Dir angetroffen wird, was aber mittelbar dir zu 
Theil werden Tann, did) feines Wohlgefalend würdigen wer 
de, follen fi in der Syntheſis vereinigen: Arbeite aus allen 
Kräften an deiner fittlichen Vervollkommung mit dem feften 
Bertranen, daß Gott, ungeachtet der dir noch anhangenden 


1) Krug a. a. D. ©. 312. f. 


W. T. Krug. 591 


Unvollfommenheiten, wenn auch nicht um deines eigenen, fo doch 
um eines fremden Verdienftö willen fein Mibfallen an dir haben, 
oder durch feine freie Gnade dir beine Sünden vergeben wer« 
be 2). Hiedurch fol die Antinomie vollfommen aufgelöst 
ſeyn. Es Fällt jedoch ſogleich in die Augen, baß auf diefe 
Weite der Knoten nur zerfchnitten if. Wird ber Antithefe 
zufolge eine Mitwirkung von Seiten Gottes zur Rechtferti« 
gung des Menichen für nothwendig erachtet, fo verfteht fich 
von felbft, daß der Natur der Sache nach Die eigene Mitwir- 
tung bed Menfchen dadurch nicht ausgefchlofien werden kann, 
aber nicht ebenfo verfteht ſich von felbft, Daß, wenn die Thefe 
lautet: der Menſch könne nur durch fich felbft des göttlichen 
Wohlgefallend würdig werben, biefelbe fo eingefchräntt wer⸗ 
den darf, daß fie auch die Antithefe in ſich aufnimmt. Die 
Auflöfung der Antinomie tft daher eine durchaus einfeltige, 
da die zur Ausgleihung widerftreitender Säge nothwendige 
Reſtriktion durchaus nur auf die Seite der Thefe fällt. Ob 
aber die Theſe eine folche Neftriktion an ſich zulafie, wird 
nicht nachgewieſen, fondern fchlechthin vorausgeſetzt, darf aber 
dieß fchlechthin vorausgefeßt werden, fo findet überhaupt kei⸗ 
ne Antinomie, fomit auch Feine Auflöfung einer Antinomie 
ſtatt. Die Ausgleihung der Thefe und Antithefe ift eine rein 
äußerliche, indem die Synthefe einfad, dadurch zu Stande 
Tommt, daß diejenige Beftimmung der Thefe, durch bie fie 
allein unter den Geſichtspunkt einer Antinomie geftellt werben 
kann (daB nämlich der Menſch nur durch fich felbft des gött« 
lichen Wohlgefallend würdig werben kann), weggelafien wird. 
Was aber die Sache felbft betrifft, fo ift die hier vorausges 
feste Zuläßigkeit der Neftriftion der Thefe wenigftens nach 
Kant'ſchen Principien (deren Gültigkeit von Krug bier nicht 
beftritten ift) nicht zuzugeben, da ein Syſtem, das die fittlis 
che Freiheit zum abfoluten Brincip macht, und des Harren auf 


4) A. a. O. G. 327. f. 





592 - TE Ber. 1. Rap. 


göttliche Hülfe für fittliche Trägheit erklärt, das höchfte Moment 
der VBerföhnung und Reditfertigung, ohne in Widerftreit mit ſich 
felbft zu kommen, nicht in die Möglichkeit eines fremden Vers 
dienſtes ſetzen kann. Was demnach der Krug’fchen Auffaflung 
der dogmatiſchen Frage, um welche es ſich handelt, ein ge⸗ 
wißes Intereſſe fuͤr die weitere Geſchichte unſers Dogma's 
gibt, iſt nur das in ihr ſich ausſprechende Beſtreben, von 
dem dem ſittlich religiöſen Bewußtſeyn der Zeit nicht mehr 
genügenden moraliſchen Standpunkt Kants auf einen dem re⸗ 
ligiöſen Intereſſe mehr zuſagenden überzugehen. Die Mög 
lichkeit eines ſolchen Uebergangs aber erſcheint in einer Zeit, 
in welcher die Kant'ſche Philoſophie zwar beſtritten, aber noch 
durch keine andere vorherrſchende Anſicht verdrängt war, noch 
auf keine Weiſe gerechtfertigt. | 

Ehe wir jedoch diefer neuen Wendung folgen, kſt noch 
das Verhältniß zu unterfuchen, in Das fidy die bisher blos 
ale Theorie betrachtete Kant’fche Lehre theild zur Thatſache 
des Todes Jeſu überhaupt, theild zur neuteftamentlichen Lehre 
von der Sündenvergebung und ihrem Zufammenhang mit dem 
Tode Zefu feßte. Da nach den Principien der Kant’fchen Phi⸗ 
ofophie eine Sündenvergebung oder Strafenaufhebung im ds 
gentlichen Sinne nicht flattfinden kann, fo Tann weder von 
einem unmittelbaren noch mittelbaren Zufammenhang derſel⸗ 
ben mit dem Tode Jeſu die Rede feyn. Das Wefentliche der 
Sündenvergebung ift nur die auch gegen den Sünder fort 
dauernde Gnade Gottes tberhaupt, deren Realität unmittels 
bar im fittlichen Bewußtſeyn felbft begründet iſt, und daher 
auch nicht erft durch cine äußere Thatfache realifirt werben 
darf. Da nun aber, wenn auch gleich Fein urfächlicher Zus 
fammenhang, weder in dem einen noch andern Sinn, ange 
nommen werben fol, dennoch die Sündenvergebung, wie fie 
von Sant beftimmt wird, in irgend einer Beziehung zum To⸗ 
de Jeſu gedacht werben muß, fo kann der Tod Jeſu nur ald 
Die äußere thatfächliche Darftellung der durch die praktiſche 


Die Kant'ſchen Theologen. 593 


Vernunft gegebenen Idee angefehen werden. Wird der Be 
griff der Verföhnung und Senugthuung nady Kant dadurch 
realifirt, daß der neue Menfch die von dem alten verfchuldete 
Strafe leidet, wofür anders Fann der Tod Jeſu gehalten wer- 
den, als für eine Berfinnlichung diefer fittlichen Idee? Es ift 
daher die ſymboliſche Anficht vom Tode Jeſu, welche, wenn 
fie auch ſchon früher da und dort zum Vorfchein fam, Doch 
erft durch die Kant'ſche Verfühnungstheorie in die ihr in der 
Geſchichte unſers Dogma’d gebührende eigenthümliche Stelle 
eingefegt wurde. Die dur das fittliche Bewußtfeyn gegebesie 
Idee der Sündenvergebung und die äußere Thatfache des Tos 
des Jeſu ftehen nicht, wie in den beiden andern Haupttheorien, 
ber Firchlichen und der focinianifchen, in einem Innern urjächlis 
Ken Zufammenhang mit einander, fondern es iſt nur das 
äußere Verhältniß der. Sache und ded Bildes, wodurch fie 
verbunden find. Die äußere Thatſache fol nur dazu dienen, 
bie fittliche Idee, die ſich in ihr veflektirt, zum Bewußtſeyn 
zu bringen, und wenn biefer Zufammenhang von einem hö⸗ 
bern Standpunkt aus als ein wejentlicher und nothwendiger 
aufgefaht werden fol, fo kann es nur von jener Kant’fchen 
Anfiht aus geichehen, welcher zufolge die reine ideale Kirche, 
‚oder das ethifche Gemeinwefen, deſſen Stiftung Kant für noth⸗ 
wendig hält, um real zu werden, zuerft eine flatutarifche 
Form annehmen muß, welche, durch den Glauben an 
eine äußere Offenbarung, das dußere Introduftionsmittel 
für. die reine Vernunftreligion ift, inden der finnliche Menſch 
ohne eine finnliche Beftätigung fein Vertrauen zu den Wahrs 
beiten der Vernunft haben würde. Das Lebtere ift jedoch 
hier nicht das Hauptmoment, da e8 fich Hier zunächft nur 
um den Begriff ded Symbols handelt, wie derfelbe befonders 
von Zieftrunf und. Stäudlin auf den Tod Jeſu angewandt 
worden ift. Ein Symbol ift, wie Tieftrunf den Begriff deſ⸗ 
jelben beftimmi %), eine auf einer Analogie beruhende Darftel- 


1) Eenfur des prot. kehrb. Th 2. ©. 349.f. 
Baur, die Lehre von der Verſöhnung. 38 


504 III. Ber. 1. Kap. 


lung, wobei entweder Achnlichfeit der Dinge, oder Doch Achn- 
lichkeit des Berhältniffes der Dinge, angedeutet wird. In die 
fem Sinne ift der Verföhnungstod Jeſu Symbol, als Dars 
ſtellung des Verhältniffes, worin Gott als Verföhner zu den 
Menſchen fteht. Diefelbe Gefinnung, welche Jeſus Durch fein 
Leiden und Sterben bewiefen hat, haben wir uns aud) in 
Gott zu denken, fofern wir Vergebung der Sünden von ihm 
hoffen. Das, was fi aus der Neflerion über den Tod Je 


ſu in feiner Beziehung auf die Menfchen ergibt, gilt auch von 


dem Alte der göttlichen Weisheit, wodurd fie Die Menſchen 
mit fi und zu fi) verföhnt, und gibt uns eine lebendig 
Vorſtellung der göttlichen Geſinnung in diefer Angelegenheit, 
eine angemefjene Darftellung der Regel, nach welcher wir und 
das Verhalten Gottes verftändlich machen follen. Gott if e, 
welcher fi) dadurch) der Welt als verföhnt darſtellt. Es fin 
det Daher zwifchen der Abficht des Verſöhnungstodes Jeſu um 
der Abficht des verföhnenden Vaters die innigfte Correſpon⸗ 


. denz und Einheit ftatt, und niemand kann ſich für gerechtie- 


Rs 





tigt vor Gott halten, als allein durch den Blauben an bie 
fen Tod. Bon bemfelben Geſichtspunkt aus betrachtet Stände 
in den Tod Jeſu ſowohl ald den rührendften Beweis de 
Liebe Gottes und Jeſu zu den Menfchen, und infofern zugleich 
als einen Verficherungsgrund einer noch größern Liebe Gotted 
gegen die Menfchen, ber Sündenvergebung, ald auch als din 
Symbol der den Sündern gebührenden göttlichen Strafen, 
und fo überhaupt ald eine lehrreiche ſymboliſche Hand⸗ 
lung, durch welche beides, die göttliche Güte und Strafgerech⸗ 
tigkeit, und zwar in ihrer Vereinbarkeit, finnlich und faßlich 
bargeftellt werben follten %). So fehr diefe fombolifche Au 
ficht auf der einen Seite nur ber entfprechende Ausdrud für 
die objektive Bedeutung des Todes Jeſu zu feyn fcheint, f 

3) Sötting. Bibl. der neueften theolog. Literatur I. Bd. 17%. 


Ueber den Zweck und die Wirkung des Todes Jeſu ©. 233. 
(vgl. 825.) 881. f. Lehrb, der Dogm. ©. 488. f. 





Die ſymboliſche Anficht. 595 


flar iſt zugleich, wie fubjektiv hier alles iſt. Betrachtet man 
das äußere Faktum für fih, fo erfcheint der Zufammenhang 
beffelberr mit der Sdee, unter deren Gefichtöpunft ed geftellt 
wird, keineswegs als ein wefentlicher und notwendiger, bie 
* wird auf das Faktum erſt uͤbergetragen, und die ver⸗ 
Ahledenen Symbole, welche man im Tode Jeſu finden woll⸗ 
SM (deven Verſchiedenheit für ſich ſchon die Subjeftivität Dies 
MStandpunftd beweist), find nichts anders, als verfchiedene 
Ahelibe Anſichten, welche möglich find, je nachdem derſelbe 
"Wegenftand von dieſer ober jener Seite betrachtet wird, ohne 
Wh fih für die objektive Realität der mit dem Faktum vers 





Jandenen Idee irgend ein genügender Beweis geben Fäßt. Ins, _ 


Dem man es hier nur mit Symbolen und Bildern zu thun 
jet, fommt man von dem Bilde nie zur Sache felbft, da 
Bild feine Bedeutung nicht in fich felbft, fondern. nur 
Ber ſich hat, in der Idee, deren Reflex es tft, die Idee 
ft aber, deren Bild in dem Tode Jeſu fich abfpiegeln fol, 
ht demſelben fo unabhängig und felbftftändig gegenüber, 
ihr Berhältnig zum Faktum felbft ein blos äußerliches 
feibt, und daher immer wieder die Stage fi) aufbringen 
B, was denn der Tod Jeſu, wenn wir von feiner bildli« 
pen Bedeutung abfehen, an ſich geweſen jey? Man Fann fd) 
baher nicht wundern, daß die ſymboliſche Anficht, wie fie zu⸗ 
erſt durch Kant zu ihrer Bedeutung Fam, in der weitern Aus⸗ 
hildung und durchgeführtern Anwendung auf die Theologie, 
bie fie in der Folge befonders durch De Wette mit Hülfe der 
anf Kant'ſchem Grunde weiter fortbauenden Fries'ſchen Phi- 
Mophie erhielt, auch um fo mehr in ihrer Subjeftivität her⸗ 
yortrat, und zulegt fogar das offene Geftändniß nicht zurüd- 
hielt, daß es ihre nur um eine ideale Anfchauung, eine das 
Befühl anfprechende äfthetifche Idee zu thun fey, deren Wahr- 
seit der kritiſche Verftand zwar nicht anerkennen Eönne, aber 
jleichwohl auf ſich beruhen laſſen dürfe ‘). 


1) Vgl. De Wette, Religion und Theologie 1815. Zweite Ausg. 
38 * 


598 II. Ber. 1. Kap. 


auflöslihe Schwierigkeiten führe, welche tief in das morali 
fche Bewußtſeyn eingreifen, und die heiligften yraktiice f 
Srundfäge erfchüttern, und felbft mit den reinen Borftellun F 
gen von moralifcher Schuld, Verdienft, Zurechnung, göttl 
cher Serechtigkeit, welche wir fonft im N. T. antreffen, in 
Widerſpruch ftehen *). Der Ausweg nun zur Löfung dm 
fo bedeutend fcheinenden Schwierigkeit follte einfach in m 
Annahme beftehen, daß das, was von den phufifchen Wir 
tungen bed Todes Jeſu im N. T. gefagt werde, von dam 
göttlihen Erklärung durch eine Thatfache zu verftehen M. 
Wenn es alfo heiße, daß Sefus an der Stelle der Menftn 
Strafen erduldet, und ihnen Vergebung der Sünden verſchaß 
habe, fo könne dieß nur fo verftanden werden, Daß Gott hund 
diefen Tod und die Damit verbundenen Leiden, als Durch Eyn⸗ 
bole, erklärt babe, er ſey der gerechte Richter alles Boſen 
Wenn aber gefagt werde, daß diefer Tod ung die Gnade mb 
Lebe Gottes wieder verfchafft, und uns wieder ausgeföhl 
babe, fo heiße dieß foviel, daß in eben diefem Tode, dBb J 
ner Aufopferung des eigenen Sohns Gottes Die unendiik 
Liebe Gottes zum Menfchengefchlecht erklärt oder verfichert wor 
den fey, daß die Menfihen, ungeachtet jede Sünde beftraft 
werden müffe, fi) Doch, unter der Bedingung Der Befferung, 
einen noch höhern Grad zufünftiger Seligfeit zu verſprechen 
haben. So laufe der Tod mit feinen übrigen Schidfalen pw 
rallel. Sein Leben fey eine ſtillſchweigende Verfündigung de 
göttlichen Willens, des ganzen Sittengefeßes, fein Tod fün 
Dige die göttliche Gerechtigkeit und Liebe in einer fchmefterli 
chen Verbindung an, feine Auferftehung und Erhöhung we: 
heiße uns die Unfterblichfeit und einen fiegreichen Kampf mit 
den Verfuchungen zum Böfen. Zur Rechtfertigung dieſer Ans 
ficht berief man fidh darauf, daß es im A. und N. T. of 
von Gott heiße, daß er etwas thue und ausführe, wenn e 






1) Stäudlin a. a. D. ©. 846. f. 875.f. Dogm. &. 487. 


C. Ch. Blatt, 5% 


h blos etwaß erkläre, befannt mache, verheiße und drohe *). 
an fieht jedody nicht, wie ſchon dadurch die ganze Schwie- 
keit der Sache gehoben feyn fol. Wenn die Sündenver- 
bung durch den Tod Jeſu nicht fowohl bewirkt, als viel- 
Hr nur erflärt worden ſeyn fol, fo fällt zwar die ftellver- 
tende und genugthuende Vermittlung hinweg, aber es bleibt 
ie nad dem anerkannten Sinne des N, T. in Aufhebung 
r Strafe beftehende Sündenvergebung, beren Möglichkeit 
ich den Principien der Kant'ſchen Philoſophie nicht zugege- 
a werden kann. Deßwegen muß bier nod die Voraudfe- 
ig zu Hülfe genommen werden, daß, was im N. T. von 
T Sündenvergebung im eigentlichen oder engern Sinn ge 
ot wird, nur von der Zuficherung der allgemeinen, auch 
an Sünder nicht entzogenen Gnade Gottes zu verftehen fey, 
ver ebendadurdy verliert nun die auf Diefem neuen Wege ver« 
chte Erklärung alle Haltung. Während man zugibt, daß 
g von dem Tode Jeſu handelnden neuteftamentlichen Stellen 
rem nächften und natürlichften Sinne nad) nur von der ei« 
mtlichen Sündenvergebung verftanden werden fönnen, foll 
ich nicht Diefe fpectellere Lekre, fondern eine davon weſent⸗ 
ch verfchiedene allgemeine Wahrheit ber wahre Sina jener 
tellen feyn 2). Wie läßt fich beides anders, als unter Vor⸗ 


1) Stäudlin, Gott. Bibl. a. a. D. ©. 880.f. Dogm. ©. 488. _ 
2) In diefer Auskunft, die auch bei Stäudlin vorausgeſetzt wer⸗ 
den muß, obgleich Stäudlin fich hierüber nicht fo. genau er» 
Elärt hat (man vgl. jedoch a. a. D. ©. 836. f.), fieht befon- 
ders Flatt (Philof. ereget. Unterfuh. Th. 2. 1798. Vorr. 
©. XXX.) den „glücdlichen Mittelweg zwifchen dem Vers 
fahren derer, welche in die Schriften des N. T. nur ihre 
eigenen Philofopbeme, oder die Philoſophie ihres Zeitalters 
eintragen, und zwifchen der grammatifchshiftorifchen Stren- 
ge folcher Sinterpreten, welche den Ausdrücen des N. T. 
gerade diejenigen Begriffe unterlegen zu müſſen glauben, wel⸗ 
che fich entweder aus der Etpmologie felbk ergeben, oder 


600 11. Ber. 1. Kap. 


ausſetzung einer Accommodation zufammendenfen? Man muh ja 
ed daher ganz natürlich finden, daß Diefelben Theologen, un Ig 
geachtet fie fich gegen die Accommodationg - Hypothefe erflär Ir 
ten, Doch wieder in diefelbe zurüdfielen. Am die Menfchen Hı 
zu befiern, fo entwidelte man die zur Vermittlung dienende 11 
Ideen, haben Jeſus und die Apoftel in ihren verborbenn Yı 
Zeitgenoffen vor allem, zwar ein lebhaftes Gefühl ihrer Strap 1: 
würdigfeit erweden, zugleich aber auch die Ausficht auf cr 
ne hohe Gluͤckſeligkeit eröffnen muͤſſen. Allein die einfchrän 
fende Bedingung der Beflerung habe bei den neubeldt 
ten Chriften beunruhigende Zweifel über ihr Bürgerrecht u⸗ 
ter dem nenen Volk Gottes erwedt, als ungebildete Menſchen 
haben fie fich überhaupt nur ein doppelte Verhältniß gegen 
Gott denken können, nach welchem der Menfch entweder cin 





welche laut der Gefchichte zwar allerdings von einem Thal 
ber Zeitgenoffen, aber vielleicht nur von dem roben und 
ungebildeten Haufen, oder von feichten rabbinifchen Grüblers 
nit gewißen Ausdrücken verknüpft wurden, ohne darauf Rüb 
ficht zu nehmen, wie häufig die Bedeutung der Worte, de‘ 
ren äußere Form fich nicht verändert, durch eine höhere Be 
fiesfultur, durch ein feineres moralifches Gefühl von einzel: 
nen Menfchen vergeiftigt und veredelt wird.’ In dielem 
Sinne foll daher unter ayems auaprıöv, obgleich zugegeben 
wird, daß der Ausdruck etymologifch den Begriff der Stras 
fenaufhebung in fich fchließt, Daß nad) den unter Juden und 
Heiden verbreiteten Opfer⸗Ideen Strafenaufhebung als das 
Wefentliche der Sündenvergebung betrachtet wurde, daß Je 
fus und die Apoftel den unter ihren Zeitgenoffen herrfchen 
den Begriff von Ayems dunoruv beibehalten haben (a. a. 2. 
&.20.), gleichwohl unter diefem Ausdruck, vermöge einer Mes 
tonymie der Wirkung für die Urfache, überhaupt die Gnade 
Gottes gegen den fich beffernden Sünder verfianden werden, 
da man ja nicht genäthigt fen, die der Vorftellung Des ro 
ben und ungebildeten Menfchen entfprechende etymologiſche 
Bedeutung beizubehalten (a. a. D. ©. 5.f. 21.) 


” 
C. Ch. Flatt. 601 


Gengenſtand der Guͤte Gottes oder ein Gegenſtand feiner Un⸗ 
gnade iſt, eine beruhigende und uͤberzeugende Belehrung von 
ber Wahrheit, daß der Sünder zugleich ein Gegenſtand der 
- Gnade und der Strafgerechtigfeit Gottes fey, fey bei ihnen 
nicht möglich geivefen. Unter diefen Umftänden habe es die 
Lehrweisheit der Apoftel erfordert, ihre Zeitgenofien auf den 
Tod Jeſu, als einen Opfertod, Hinzumelfen, welcher für fie 
theils ein Erinnerungsmittel ihrer Strafbarkeit, theils ein Vers 
fiheryngsgrund der göttlichen Liebe werden follte. Wenn nun 
Dabei zugleich als Refultat der eregetifchen Unterfuchung gels 
tend gemacht wird, daß nad) der Lehre der Apoftel der Vers 
. söhnungstod Sefu nichts anders fey, ald eine finnliche Verſi⸗ 
cherung von der Entfernung folcher Uebel, welche theild gar 
nicht Strafen der Sünden feyn können, theild durch Die Beſ⸗ 
- ferung felbft nothwendig aufgehoben werden, daß aber die 
* Mpoftel den Mißdeutungen, welchen ihre ganze Vorſtellungs⸗ 
. art vom Tode Iefu fowohl, al8 einzelne Ausdrüde, fehr na⸗ 
: Hürlich audgefebt waren, und dem nachtheiligen Ginfluß eines 
ſolchen Mißverftändnifies auf die Tugend dadurch vorgebeugt 
" Haben, daß fie Befjerung zur unnadjläßigen Bedingung Der 
Theilnahme an allen den Wohlthaten machten, die den Chri⸗ 
ſten durch den Tod Jeſu zugefichert wurden 9), was ift bieß an⸗ 
ders, als diefelbe ebenfo unnatürlicye, als unlautere Getheilts 
. beit des Bewußtſeyns der Apoftel, welche ſtets als das An⸗ 
Rößigfte der Accommodationd » Hypothefe angefehen werben 
muß? Indem man aber, fofehr man auf dem Boden der 
Accommodations⸗Idee fund, doch nicht eigentlich zu ihr feine 
Zuflucht nehmen wollte, wurde man dadurch von felbft zu 


I) Flatt a. a. O. Eh. J. ©. 225. f. Auch Ständlin, welcher 
in der Gdtt. Bibl. a. a. D. die Accommodations⸗Idee wis 
derlegt, behauptet doch in Dem Lehrbuch der Dogmatik ©. 487. : 
daß in dem Vortrag jener Lehre Accommodation fattgefun« 
den babe, laſſe fich kaum bezweifeln. 


602 II. Ber. 1. Rap. 


einem weitern bemerfenswerthen Schritt hingetrieben, die Lehre 
ber Apoftel über den Tod Jeſu von der eigenen Anſicht und 
Lehre Jeſu hierüber fo viel möglich zu unterfcheiden und zu 
trennen. Zwar hatte nody Stäudlin dad Refultat feiner Un- 
terfuchung der Ausfprüche Jeſu über den Zweck feines Todes 
‘ in die Behauptung zufammengefaßt, daß Iefus in der Haupt 
fache eben das hierüber gelehrt habe, was nachher feine Apo⸗ 
fiel, unter fo mancherlei VBorftellungen und Wendungen, mit 
fo vieler Sruchtbarfeit und treffender Anwendung, gelehrt ba 
ben *), um fo größeres Gewicht legte aber ſchon Flatt auf 
diefen Punkt, über welchen ſich demſelben vielmehr folgendes 


Refultat zu ergeben ſchien. Alle Umftände machen ed wahr 


fheinlih, daß Jeſus es für eine Hauptabficht feines Todes 
ausgegeben habe, die finnlichen Erwartungen von ihm, ald 
bem Meſſtas, zu verdrängen, und dem Geift feiner Lehre, der 
zu einer moraliſchen Stüdfeligkeit führe, Eingang zu verſchaf⸗ 
fen. Ob er in einigen feiner Reden darauf hingedeutet habe, 
bag fein Tod eine finnliche Verficherung der Gnade Gottes 
gegen die Sünder feyn foll, laſſe ſich wenigftend nicht mit 
Gewißheit entfcheiden. Dieß könne auch daraus nicht gefol- 
gert werben, daß die Apoftel den letztern Zwed zur Haupt 
abficht des Todes Jeſu machen, denn die Apoftel haben, uns 
abhängig von den Reden Sefu, von der Gottheit auf Diefe 
Idee geführt werden können, welche Jeſus aus weifen Grün 
den der weitern Entwidlung ihrer moralifch > religiöfen Be 
griffe überlaffen habe. Wer den Beweis über fich nehmen 
möchte, daß die Gottheit es für nöthig gefunden Habe, den 
Apofteln über die Ausfprüche Jeſu, welche den Zweck feine 
Todes betreffen, eine vollftändige Erläuterung zu geben, wer 
beweifen, daß Paulus, der fich über den verfühnenden Zwei 
des Todes Jeſu fo mweitläufig erfläre, auch mit allem dem, 
was Jeſus felbft über feinen Tod fagte, habe bekannt wer- 


1) Gött. Bibl. a. a. D. ©. 433. 


C. Ch. Flatt. 603 


den muͤſſen, wer endlich beweiſen, daß die Apoſtel, die ſich 
in ihren Briefen nirgends auf die eigenen Erklärungen Jeſu 
berufen, ihn nicht mißverſtanden, und das, was er ſelbſt von 
anderweitigen Abſichten ſeines Todes ſprach, auf den Zweck 
der Verſoͤhnung bezogen haben? Wenn wir uns die durch 
eine höhere Leitung beförderte Einſicht der Apoſtel in die Lehe 
ce Jeſu als eine fucceſſiv erworbene Vollkommenheit denken, 
fo ſey der von Jeſu felbft angegebene Zwer feines Todes an 
ihnen felbft allmälig volfommener, aber wenigftend nicht an» 
fangs ſchon foweit erreicht worden, daß fle Diefen Zweck felbft 
hätten einfehen können. Da nun Jeſus felbft diefe Anficht 
feines Todes feinen Jüngern nicht mitgeiheilt habe, und bie 
Idee von einem Durch Leiden. und Tod verfühnenden Meſſias 
auch Fein herrfchender Zeitbegriff gewefen fey, fo könne die Gott⸗ 
heit die Jünger nur durch folgende Mittelbegriffe auf ihre 
Vorſtellung von dem Verjöhnungszwed des Todes Jeſu ges 
Iettet haben: 1. Jeſus felbft habe feinen Tod für einen fehr 
wichtigen Theil feiner Beftimmung erklärt. 2. Der Tod Jes 
ſu fey an ſich ſchon cine zu auffallende und unbegreifliche Bes 
gebenheit gewefen, ald daß diejenigen, welche von feiner gött⸗ 
lichen Sendung und Meffiaswürde überzeugt waren, fich ihn 
ohne einen fehr wichtigen Zwed hätten denfen können. 3. Die 
Religion Jeſu war eine neue Religion. 4. Die beruhigendfte 
Berfiherung von der Gnade Gottes fehlen nur der Tod des 
Meſſias ald Opfertod zu geben. 5. Wahrfcheinlich haben die 
Sünger auch das Drafel des Eſaias (c. 53.) auf dad, Leiden 
und ben Tod Jeſu angewandt. 6. Die Aufnahme der uns 
reinen Heiden in das Volk Sotted mußte die Jünger in ihrer 
Borftelung von dem verfühnendem Zwede des Todes Sefu 
beftärfen %). Alle diefe Momente machen nur um fo Harer, 
wie von dDiefem Standpunkt aus Die ganze Lehre der Apoftel 
vom Tode Jeſu, fofehr fie audy als eine unter der Einwirz 


1) Flatt a. a. O. Th. 2. ©. 86-97. 


604 | UL Ber. 1. Rap. 


fung und Leitung. der Gottheit entſtandene Dargeftellt wird, 
in der Hauptfache, doch nur aus einem rein natürlichen Urs 
fprung abgeleitet werden konnte. Welches Intereffe Eonnte 
man daher, nachdem einmal eine fo große Differenz zwiſchen 
Jeſus und den Apofteln angenommen war, nody haben, zu 
der Accommodations⸗Idee zurüdzulenten, um die Apoſtel we⸗ 
nigftend in der Sphäre ihres eigenen Bewußtſeyns tiber’ ihre 
Seit zu flelen, und fie yon dem Standpunkte Jeſu fo. wenig 
ald möglich zu trennen? Schon dadurch war der unmittelba- 
re Uebergang zu der bald darauf von den Freunden Des fi 
weiter ausbildenden und verbreitenden hiftorifchen Rationalid 
mus, von De Wette, Wegfcheider und andern in Diefelbe 
Klafie gehörenden Theologen, ohne weiteres Bedenken audge 
fprochenen Anficht hinlänglich vorbereitet, welcher zufolge bie 
ganze Lehre der Apoftel von dem Tode Jeſu nur als das 
natürliche Erzeugniß theils des allgemeinen. Ideenkreiſes, in 
welchem die Apoftel mit ihren Zeitgenofjen lebten, theils der 
befondern Verhältniſſe, in welchen fie ſich nach dem Tode Je⸗ 
fu befanden, und des Einfluffes, welchen fie auf ihre Vorftels 
‚lung von der Perſon Jeſu hatten, betrachtet werden Tann. 
Eine verföhnende Kraft und Bedeutung fehrieb Jeſus feinem 
Zode nur umeigentlich zu, indem er, wenn er von einem Los 
fegeld für die Menfchen ſprach, nur dieß fagen wollte, daß 
feine Durch feinen Tod beftätigte Lehre Die Menfchen vom Elend 
der Sünde befreien werde. Die Idee eined Verſöhnungs⸗ 
tode8 würde mit den Orundfägen feiner Lehre im Widerſpruch 
fiehen, da er Tugend und Frömmigkeit zur einzigen Bedin- 
gung der Seligfeit machte, und mit Verwerfung äufferer Ge 
bräuche und Symbole eine rein geiftige Verehrung Gottes 
lehrte. Seine Schüler aber haben foldye Erklärungen über 
feinen Tod, in welchen er ihn unter dem Bilde eines Sühn⸗ 
opfers Darftellte (wobei Jeſus felbft fehon Ef. 53. vor Augen 
haben mochte), nach ihrer nationalen und geiftigen Befchränft- 
heit unrichtig aufgefaßt und eigentlich genommen, woraus fos 


De Wette 605 


nn durch Anwendung altteftamentlicher Stellen, und unter 
m Einfluſſe der Zeitvorftelungen, und wohl auch alerandri«- 
icher Ideen (insbefondere der Idee vom Priefterthum und 
Httleramt des Logos), diejenige Form der Verföhnungslch- 
, die wir bei ihnen finden, hervorging 2). 

Je weniger nach allem biefem von der abfoluten und ob« 
tiven Nothwendigkeit des Todes Jeſu als eines Verſöh⸗ 
ngötodes zum Heile der Menichheit in irgend einem Sinne 
ch die Rede feyn Eonnte, defto mehr ſah man ſich veran⸗ 
st, fi wenigftens über bie relative und, fubjeftive Noth« 
ndigfeit deſſelben genauere Rechenichaft zu geben, als bis⸗ 
r gefchehen war, und ſprach daher jegt ohne Bedenken von 
r aus rationaliftifchem Geſichtspunkt betrachteten Nothwen⸗ 
jfeit des Todes Jeſn). So hat fih nun die feft abge⸗ 


ı) De Wette Commentatio de morte Christi expiatoria. Bers 

lin 1813. ©. 96. f. Wegicheider Institutiones theologiae 
‚christianae dogmaticae Halle. 1e Ausg. 1817. 761833. ©. 491. 
Bol. auch Tzſchirner a. a. S. A01.f. Das Schwanten De 
Wette's zwifchen der fumbolifchen und rein rationalififchen 
Anficht fpricht fich in Sägen ans, wie folgende find ©. 103.: 

“ Hoc de morte Jesu vicaria dogmate, licet Jesu ipstus 
religioni alieno ejusque auctoritate destituto, neque a 
superstitione judaica plane libero, ita tamen usi sunt 
Paulus Apostolus et auctor epistolae ad Hebraeos, ut ma- 
æima inde ad religionem christianam redundarit utill- 
tas. — Neque negandum est, nostram doctrinam, ita 
auctam atque exornatam, summa dignam esse admira- 
tione, et cuilibet, qui, quod vere pium est, sub quocun- 
que latet involucro, agnoscere potest, religiostssime c0- 
lendam. Daher alfo der Werth der äfthetifchen Sdeeg. Und 
doch fol Jeſus alle Symbole ſchlechthin verworfen haben, 
weil ihn der Mofatfche Kultus belehrt habe, symdola sacra 
in superstitionem vertere (&. 103.). 

ı) Man vgl. die unter dem obigen Titel gegebenen Bemerkun⸗ 
‚gen in Gabler's Neueftem theol. Journal Bd. 9. 1802. 3. Et. 


606 Ill. Ber. 1. Kay. 


fchloffene Einheit der alten kirchlichen Verföhnungslehre in 
verfchiedene auseinander . fallende Elemente aufgelöst, Die 


S. 272.f. © 2. Nitzſch, Prolus. I. Il. De mortis adesı 
Christo oppetitae necessitate morali. Viteb. 1810. (In 
dieſen Abhandlungen wird jedoch mehr im Sinne der fpms 
bolifchen Anficht die Nothwendigkeit der Aufopferung de 
Lebens aus dem Bemußtfenn abgeleitet, das Jeſus von fe 
nem Berufe gehabt habe, die Fähigkeit des. Menfchen im 
Kindfchaft Gottes auf eine rührende Weife darzufiellen, ud 
für den äußern Bürgen der Gnade Gottes erkannt zu ver⸗ 
den). Ganz befonders gehört hieher die genannte De Wettes 
fehe Commentatio. Ihr Hauptinhalt ift zwar eine Unterſo⸗ 
chung der auch ſchon von Stäudlin (Gött. Bibl. I. ©.239.) 
und Slate (Philof, ereg. Unterf. Th. 2. ©. 37. f.) erdrtertm 
Frage: Db die Juden zur Zeit Jeſu und der Apoftel einen 
leidenden und fterbenden Meffias erwartet haben, es ik die} 
aber nur die Borfrage für die eigentliche Aufgabe der Un⸗ 
terfuchung,, welche &. 85. fo befiimmt wird: Cum en ih, 
quae hactenus disputata sunt, satis elarum esse videa- 
tur, Jesu aequales omnia alia potius ab eo exspectasse 
et postulasse, quam ut mortem cruentam subiret, quae- 
ritur, quibus causts ad hoc consilium capiendum addu- 
tus fuerit. Das Refultat der Unterfuchung ift: Jeſus ent⸗ 
fchloß ſich zu fierben in der Hoffnung, daß fein Tod die Er⸗ 
wartungen eines irdifchen Meffiasreichd vernichten märde. 
In der Gemüthsſtimmung, in welche ihn die unheilbare Vers 
kehrtheit feines Volkes verfegt habe, fen ihm der Tod müns 
fchenswerth gewefen, und der Haß der Priefter und Phari: 
fäer Habe ihn unvermeidlich herbeigeführt, er habe ihn nid! 
fuchen, fondern ihm nur nicht auf pflichtwidrige Weife aus: 
weichen dürfen. Dazu fenen auch noch altteftamentliche Stel⸗ 
len gekommen, die ihn in feinem Entfchluffe, fich aufzuopfern. 
beftärkt haben. Die entgegengefeste fupranaturaliftifche An: 
ficht, daß Jeſus ohne einen befondern göttlichen Auftrag den 
Entfehluß, fich fo frühe dem Tode zu mweihen, nicht hätte 
faffen Fünnen, batte €. Chr. Flatt im Süskind'ſchen N 


De Wette, 607 


teftamentliche Lehre von der Verföhnung trägt Ihrer gan- 

Geſtalt nach nur den fubjeftiven Charakter der Apoftel 
> ihrer Zeit an fih, und hat daher auch nur eine hiſtori⸗ 
> Bedeutung. Der Tod, welchen Jeſus ftarb,- läßt ſich 
r aus ber eigenthümlichen Befchaffenheit der individuellen 
rhältniffe, in welchen Jeſus dem jüdiſchen Volke gegenüber 
) befand, erklären, und die Gewißheit der Sündenverges 
ng und Berföhnung mit Gott, welche die alte Theorie nur 
: Die Auflere, von Gott veranftaltete Thatfache. des Todes 
fu knüpfen Eonnte, Tann der Menfch nur in fich felbft fin- 
n, in feinem Streben nad) Tugend und Frömmigkeit, oder 
feinem fittlichen Bewußtfeyn, in ber ebenfo fubjeftiven, als 
folnten Autonomie der nad) ihren Geſetzen den fttlichen 
zerth des Menfchen befiimmenden Vernunft. In allem dies 
n Eönnen wir nur den zu feiner vollfommenen Ausbildung 
id Gonfiftenz gefommenen Standpunkt der Subfektivität er- 
nmen; das willfürlich Subjektive ber vorkantifchen Periode 
at theild Durch die reinere objektivere Auffaffung Des ges 
hichtlich Gegebenen, theils durch die Reinheit der fittlichen 
zrundſätze, durch welche das Verhältniß bes Menfchen zu 
Sott beſtimmt wird, Haltung und Beſtimmtheit gewonnen. 


St. 12. 1805. in der Abhandlung: Läßt ſich die Ueberzen⸗ 
gung Jeſu von der Gemwißheit und moralifcher Nothwendig⸗ 
Feit feines frühen Todes aus einem rationalififchen Geſichts⸗ 
punkt betrachten? (befonders gegen D. Paulus im Commen⸗ 
tar zum N. T. gerichtet) vertheidigt. Das Selbſtbewußt⸗ 
feun des Rationalismus jener Zeit fpricht fich in dem Ur⸗ 
theil aus, das De Wette a. a. O. S. 91. tiber diefe Flatt⸗ 
fche Abhandlung fällte: Non est, quod miremur, eos, qul 
rationis leges spernunt, historiae etiam illudere. Die 
ganze Gefchichte beftätige ja die Wahrheit, kominem tali 
antmi indole praeditum et tale opus aggressum, non po- 
tuisse non inimicis succumbere. Die etwas Matte Antwort 
ſ. in Bengels Archiv für Theol. I. Bd. 1. 9. ©. 56. 


608 IN. Ber. 1. Kap. 


Was aber der Subjektivität auf ihrem Standpunft cine feſte 
Confiftenz gibt, ift auch ſchon im Begriff, über Denfelben hin 
auszuführer, da die Subjektivität ihren Halt und Beltand 
nur in einer über ihr ftehenden Objektivität haben Tann. 
Der nächſte Bunft, welchen wir zu firiren haben, ift das 
ber nur Schleiermacher. Wie fehr aber zwiſchen Kant und 
Schleiermacher noch der Spielraum der in ihre Negativität 
ſich zufammenziehenden Subjektivität ift, fehen wir befonders 
auch aus foldyen Geftaltungen unſers Dogma's, welche von 
dem Einfluffe der Kant'ſchen Philoſophie am wenigften be 
rührt. wurden, und vielmehr die ihr entgegenftehende Seite 


bilden. Schott und Bretfchneider gehören zu denjenigen Dog ° 
matifern, welche der Philofophie, oder der ihren Immanentn 
Begriff verfolgenden Bewegung des Dogma’d gegenüber dab, , 


Intereſſe des biblifh und Eirchlich überlieferten fupranaturals 


ſtiſchen Offenbarungsglaubens vertreten, und mußten es daher 


auch in Anfehung unfers Dogma’s als ihre Aufgabe betrach⸗ 
ten, die objektive Vermittlung, die für Die Lehre von der Ber 
föhnung ſchon in ihrer Beziehung auf Chriftus liegt, auf de 
nen fo viel möglich beflimmten Ausdrud zu bringen. Wie 
inhaltsleer und negativ, wie unfelbftftändig und haltungslos 
ift aber audy bei diefen beiden Dogmatifern die ganze Faſſung 
unfered Dogma’s! Daß die ftellvertretende Bedeutung des 
Todes Jeſu das Hauptmoment fey, von welchen alles ans 
dere abhänge, wird von Echott zwar anerkannt, aber ber 
Begriff derfelben nur durch den aus den neuteftamentlichen 
Stellen hierüber als Nefultat fich ergebenden Sa beftinmt, 
Die Vergebung der Sünden ftehe im engften Zufammenhang 
mit dem Tode Jeſu, ohne daß von Seiten der Menfchen ir 
gend etwas Bermittelndes ftattfinde, wodurdh Gott zur Vers 
Hebung der Sünden erft beftimmt würde. Daher ftellen die 
neuteftamentlichen Schriftfteller den ftellvertretenden Tod Jeſu 
als den größten Beweis der göttlichen, jedoch mit der göttlis 
chen Gerechtigkeit und Heiligkeit engverbundenen, Liebe bar. 


J 


Schott und Bretfchneiber. 609 


Die Stelle jeder weitern Begründung vertreten bloße Bibel⸗ 
:elfen, ohne alle Arideutung irgend eines fpefulativen Mo« 
nents. Dabei werden Einwürfe wie der alte, daB ed von 
Seiten Gottes hart und graufam gewefen fey, Sefum einem 
olchen Tode preiszugeben, nicht nur aufs neue aufgeführt, 
onbern auch durch die alte Antwort befeitigt, daß ja Jeſus 
reiwillig für die Menfchen geftorben fey, und von Gott da= 
für die größte Belohnung erhalten habe. Die Accommobda- 
Hons-Hypothefe wird zwar mit Dem Ernft und Nachdrud, mit 
welchen: die neuteftamentlichen Schriftftellen : von dieſer Lehre 
reben, unvereinbar gefunden, zugleich aber ein foldyer Zufanı= 
menhang bderjelben mit gewißen Zeitworftelungen angenom- 
wen, welcher die Annahme nothwendig made, Gott habe 
Surch die Sendung und den Berföhnungstob Jeſu auf bie 
Bedürfniffe und Erwartungen jener Zeit befondere Rüdficht 
mmen, eine Anficht von dem Wefen und Werth des Chri- 
Renthums, welche unftreitig die ausdrüdliche Erklärung, daß 
Mefelbe weife und gütige Accommodation Gottes felbft auch 

für alle folgenden Zeiten ihren Nuten habe, als nicht 
ganz überflüßig erjcheinen läßt 2%). Etwas höher wird zwar 
De vermittelnde Bedeutung des Todes Jeſu von Bretſchnei⸗ 
der geftellt, jedoch nur durch eine neue, an ſich unmwefentliche, 
‚Form der Grotius’fchen Theorie. Die befondere Liebe Gottes 
:ju dem Gebefierten, dieß ift der Hauptgedanfe der Bretſchnei⸗ 
ber’fchen Entwidlung, habe ihm den Eintritt in eine felige 
Welt nach dem Tode öffnen wollen, aber die Kiebe Gottes 
‚gm Allgemeinen, zur moralifchen Weltorbnung, habe die Bes 
Rrafung des Gebeſſerten gefordert. Da num bie befondere 
Liebe der allgemeinen weichen müffe, fo frage ſich, ob ſich 
sicht ein Mittel denken Laffe, durch welches bei der Begnadi- 
gung Des ©ebefferten die moralifche Weltordnung ficher ge⸗ 








4) Schott, Epitome theologiae christianae dogmaticae. Leipzig 
1811. ©. 142—158. | 


Baur, die Lehre von ber Berföhnung. _ 39 


612 ui. Ber. 1. Kap. 


fen. Für uns jedoch feyen dieſe vermittelnden Vorſtellungen 
fein. Bebürfniß mehr, weil das Chriftentbum uns groß gezo⸗ 
gen habe, weil wir nad) unferer Weltanſchauung ben Tob 
nicht mehr für ein Uebel anfehen *)., Somit find wir über- 





4) Die Grundlage des evangelifchen Pietismus, oder die Lehren 
von Adams Fall, der Erbfünde und dem Opfer Chrifti. Nah 
Gründen der heil. Schrift geprüft, mit den Anfichten da 
chriftlichen Kirche der erften drei Jahrhunderte verglichen, 
und nach ihrem Gebrauthe für die chriſtliche Theologie be⸗ 
urtheilt von D. 8. ©. Bretfchneider. Leipz. 1833. ©. 10. 
423. Man vgl. meine Recenſion diefer Schrift in den Jahr: 
büchern für'wiffenfch. Kritik 1834. Apr. Pr. 63—68. Alles 
dings fagt Bretfchneider auch fchon in dem Lehrb. der Dogm. 
a. a. O. ©. 293.: Der alten Welt, melche Jeſus und die 
Apoftel zu lehren hatten, war die Vorfiellung von einem 
Aufenthaltsorte der Verfiorbenen außerhalb der Erde, von 


einem Mebergang in eine von ber irdifchen wefentlidy vers - 


ſchiedene Welt, fremd, wenn auch einzelne griechifche und 
römifche Weife eine Ahnung von einer folchen Unſterblich⸗ 
feit hatten. Sollte nun die chriftliche Idee von der Bes 
freiung vom Tode und dem Gewinn eines höhern überirdis 
fchen Lebens in der Sprache der alten Welt, und für fe 
verftändlich ausgefprochen werden, fo mußte fie fo Tautenk 
Chriſtus habe uns von dem Zuftande des Todes in der Un 
termwelt befreit, und den Anfpruch auf Leben, und zwar fe 
ben im Himmel und bei Gott erworben. Nur unter dieſer 
Lehrform Eonnte der alten Welt die chriftliche Idee begreif- 
lich gemacht, und zugleich ihre mangelhafte Vorfiellung von 
dem Aufenthaltsorte der Verſtorbenen gründlich verbeſſert 
werden. Tefus und die Apoftel hätten aber diefer Lehrform 
nicht bedurft, wenn fie es nicht mit Juden und Griechen zu 
thun gehabt hätten. Vielleicht Eonnte auch die Wahrheit 
nicht anders, als unter diefer Form in die Seelen der Apo⸗ 
fiel gelangen. Wir aber dürfen uns nicht an die Lehrform, 
fondern wir müflen uns an die dargeftellte Idee felbfi hal: 
ten, denn bei uns bedarf die Lehre von der Ermwerbung ei⸗ 


* 


— 


Bretfchneiber. 613 


mpt über das Chriſtenthum hinausgewachfen, und bedürfen, 
if unfere Weltanfhauung, bie vernünftige Weltanficht der 


nes vollfommenen höhern Dafenns der jüdifchen Grundlage 
von einer Serfkörung der Gewalt des Hades nicht. Hier 
‚ wird jedoch nur die Form der Lehre, als eine jener Zeit an. 
gehörende, oder als Accommodation betrachtet, nicht Die Sache 
ſelbſt, und Bretfchneider ſelbſt argumentirt gegen eine folche Be⸗ 
ſchraͤnkung des Zweckes des Todes Jeſu fo: Es würde ſich mit 
Gottes Weisheit und Gerechtigkeit nicht vertragen, wenn er Je⸗ 
fum, wie es doch fein Rathſchluß war, einem fo [chmerzlichen und 
fchmachvollen Tode übergeben hätte, blos in der Abficht, um 
die jüdifchen Vorftellungen vom Scheol zu zerfiören, was 
Doch ebenfo gut durch bloßen Unterricht und die Thatfachen 
der Auferfiehung und Himmelfahrt Jeſu gefchehen Eonnte, 
und wirklich geſchah. Der Tod Jeſu könne nicht blos einen 
relativen und ſubjektiven Nugen in Hinficht der Entfernung 
eines Irrthums, fondern er müſſe auch eine objektive Wirs 
tung haben, und dem menfchlichen Gefchlecht einen abfolus 
ten Nußen gewähren, nämlich, daß Gott den Menfchen die 
Strafen der Sünde erlaffen, und fie in eine Welt verfeken 
wolle, in welcher ihnen Leben und Seligkeit zu Theil wer» 
den foll, Iſt aber eben diefe Vorausſetzung, daß vermittelſt 
des Todes Tefu die Strafen der Sünde erlaffen werben, eis 
ne irrige, fallen fomit auch alle jene Zwede, die nach dem 
Dbigen durch den Tod Jeſu realifirt werden follen, hinweg, 
wozu anders kann Jeſus geftorben fenn, als für den Zweck, 
Die jüdifchen Vorftellungen vom Scheol zu zerfkören? Wels 
he Beziehung hat aber diefer Tod auf und, wenn wir jene 
Scheols s VBorftellungen nicht mehr haben, derſelbe alfo für 
und nicht ebenfo wie für die Juden als Sühnopfer gelten 
Tann? Die reine Idee der Unfterblichkeit hat zwar das Aufs 
bören der Scheold : VBorftellungen zur Vorausſetzung, wenn 
‚aber, wie Bretfchneider Grund. des ev. Piet. ©. 387.f. . 
ausführt, Die Entwiclung aller Ideen in der Vernunft, als 
fo auch der religidfen, bedingt iſt durch die Entwicklung der 
Weltanfchauung, d. b. das empirifche Erkennen, das nur ein 


614 ill. Ber. 2. Kap. 


neueften Zeit, geftügt, de8 veralteten nur für eine frühere Zeit 
feine Dienfte leiftenden Erziehungsmittels nicht mehr! 3 
Dieß etwas anderes, ald die bekannte, fo oft vernommene, 
Sprache ded das Chriftenthum für antiquirt erflärenden Ra 
tionalismus ? 


Zweites Kapitel 


Die Schleiermaher’fche Slaubenslehre, ihre Freu 
de und Gegner. 


Ein neues höchſt wichtiges Moment bildet, wie in dr 
neuern Theologie überhaupt, fu insbeſondere in der weitem 
Entwicklung unfered Dogma's die Schleiermacher’fche Glau⸗ 
benslehre. Wie die Kant'ſche Philofophie nicht nur der gaw 
zen Behandlung der Lehre von der PVerfühnung eine neu 
harakteriftifche Geftalt gegeben, fondern auch, wenn wir auf 
Die ihr unmittelbar vorangehende “Periode zurüdfehen, un 
ftreitig einen fehr wichtigen Sortfchritt bewirkt Hat, fo muß 


anderer Name für das Prineip des Rationalismus ift, fo ih 
diefe Weltanfchauung das Princip der religidfen Entwids 
lung, und es ift nicht einzufehen, welchen eigenthümlichen 
Antheil das Chriftenthbum für unfere Zeit noch an derfelben 
haben fol. Auf eine bemerfenswerthe Weife trifft dieſe Bret⸗ 
fchneider’fche Anjicht mit der Eteinbart’fchen (f: oben ©. 509.) 
zufammen. Das Chriftenthum, oder wenigſtens der Tod Je 
fu, hat feinen Zweck dadurch erreicht, daß die Juden von if 
ren Scheols-Vorftellungen,, ihrer Zurcht vor dem Hades ber | 
freit wurden. Selbſt in der Schott’fchen Dogmatik kommt 
die Scheols= dee auf gleiche Weife zum Worfchein. Die 
Lehre vom Tode Jeſu, fagt Schott a. a. D. ©. 149., hänge 
zufammen mit der jüdifchen Meinung, vitam proprie dic- 
tam post mortem nullam esse sperandam, nist culpa, pec- 
eato Adamitico contracta, prorsus fuerit sublata. 





Schleiermacher. 615 


daſſelbe auch von der Schleiermacher'ſchen Glaubenslehre be- 
hauptet werden. Worin dieſer Fortſchritt beſteht, kann nur 
nach demjenigen beſtimmt werden, was und in den ver⸗ 
fchtedenen, feit der Reformation gemachten, Verſuchen, das 
Dogma auf eine dem. hriftlich religiöfen Intereſſe ebenſo fehr 
ald den Anforderungen der Wiſſenſchaft entiprechende Weife 
zu beflimmen, ald mangelhaft und ungenügend erjcheinen 
mußte. Wenn fi) auf der einen Seite in der alten kirchli⸗ 
chen Theorie, ſoſehr auch die hohe objektive Bedeutung, wel- 
che fie der Perfon und dem Werke des Erlöfers beilegte, dem 
chriſtlichen Gefühl zufagt, eine große Ginfeitigfeit darin 
barftellt, daß fie das Subjeft zu wenig zu. feinem Rechte 
kommen läßt, und daſſelbe in ein’ blos Außeres, für die den⸗ 
Sende Vernunft nicht gehörig vermitteltes Verhältniß zu der 
Berfon und dem Werke des Erlöferd fegt, fo tritt Dagegen 
auf Der andern Seite in den derſelben ſich gegenüberftellenden 
Aheorien, und felbft in der auf die abfolute Geſetzgebung der 
gpraftifchen Vernunft fich flügenden Kant’fchen, das Moment 
er Subjeftivität mit einem Uebergewicht hervor, welchem ges. 
genüber das durch Chriftus vollbrachte Erlöfungswerf feine 
objektive Bedeutung völlig verlieren zu müffen fcheint.. Die 
Schleiermacher'ſche Glaubenslehre ſetzt ſich auch hier die Auf- 
gabe, beide gleich einfeitige Richtungen mit einander zu 
vermitteln, und die auf beiden Seiten liegenden religiöfen und _ 
wiffenfchaftlihen nterefien auf gleiche Weile zu befriedigen. 
Die objeftive Bedeutung, welche das Firchliche Dogma für die 
Perſon und das Werk des Erlöfers verlangt, fol hinlänglich 
fichergeftellt werben, ohne daß man auf der andern Seite ges 


nöthigt ift, zu Vorausfegungen zurüdzufehren, gegen welhe 


ſich die denkende Vernunft lange genug gefträubt hat. Die- 
fer allgemeine, Gegenfäge verfühnende, Charakter der Schleier⸗ 
macher’fchen Glaubenslehre, welchem zufolge auch die zulegt 
durch Kant der Lehre von der Verfühnung gegebene Form nur 
als eine folche betrachtet werden kann, welche Die engen Schran- 


616 Ill. Ber. 2. Kap. 


fen ihrer Subjeftivität erft durchbrechen muß, um bem objk: 
tiven Gehalt der Tirchlichen Lehre näher zu kommen, brüdt 
fich in der. Schleiermacher’ichen Behandlung unfers Dogma’d') 
jehr Ear in dem Gegenfag aus, in welchen Schleiermadk 
felbft feine Theorie zu andern Auffaffungen fett, indem er fr 
mit dem Anfpruch auftreten läßt, die wahre Mitte zu fen 
zwiſchen zwei andern, von welchen die eine Die magiſche, bie 
andere die empirifche zu nennen fey. Das Magiſche Liege in 
einer durch nichts natürliches vermittelten Cinwirfung, die 
aber doch einer Perſon zugefchrieben werde. Diefe Anficht 
ftreife ganz nahe an das Dofetiihe. Denn wäre Chrikus 
auf foldye Weife jet zwar ald Berfon,.aber nur als himm 
lifche, ohne irdifche Gegenwart, doch auf wahrhaft perjünli 
Weiſe wirkffam, fo hätte er auch ſchon immer ebenfo wirken 


können, und feine wirkliche perfönliche Erfcheinung wäre nur 


eine überflüßige Zugabe geweſen. Diejenigen, Die eine ws 
mittelbare perfönliche Einwirkung gleichfalls annehmen, abe 
fie durch das gefchriebene Wort vermitteln, feyen zwar weniger 
magiſch, wenn fie dem Wort die Kraft beilegen, eine Stimmum 
bervorzurufen, bei welcher der Einzelne für jene perfönlice 
Einwirkung empfänglich werde, aber noch magijcher, wen 
das natürliche Element die Kraft haben fol, Chriftum zu 
feiner Einwirkung zu difponiren, denn eine folche Wirkfam- 


feit gleiche dann vollfommen. der, welche den Zauberfprüden ' 





beigelegt werde. Wenn man daher Die Sündenvergebung von ' 


der Strafe, welche Chriftus erlitten, herleite, und die Eelig- 
feit der Menfchen felbft ald einen Lohn darftelle, weldyen Gott 
Chriſto für jenes Strafleiden darreihe, fo fey dieß magild. 
Die Mittheilung der Seligfeit fey nur göttliche IWillfür, wem 
ein fo fchlechthin innerliches, als die Seligfeit ſey, ohne in 
nerlich begründet worden zu feyn, von außen her hervorge 


4) Der ehriftliche Glaube, nach den Grundfägen der evangel. 
Kirche. Zweite Ausg. Zweiter Band 1832. ©. 103. f. ©. 139.1 


Schleiermacher. 617 


bracht werben fol. Ebenſo magiſch werde die Suͤndenverge⸗ 


bung bewirkt, wenn das Bewußtfeyn der Strafwürdigfeit deß⸗ 
wegen aufhören fol, wenn ein anderer die Strafe getragen 
habe. Daß hiedurch Die Erwartung der Strafe aufgehoben 
werde, laſſe fid) denken, allein e8 fey dieß nur das finnliche 
Element der Sündenvergebung, und es bliebe noch daß ei⸗ 
gentlich ethifche, nämlich das Bewußtſeyn der Strafwuͤrdig⸗ 
Teit, welches alſo ohne allen Grund wie weggezaubert er⸗ 
ſcheinen müßte. In dem Begriffe des. Magifchen find auf. 
dieſe Weife die ftärkften und bedeutendften Cinwürfe zuſam⸗ 
mengefaßt, die der kirchlichen Satisfactionslehre feit alter Zeit 


‚gemacht worden find, An ber entgegengefegten empiriſchen 
Auffaſſungsweiſe aber tadelt Schleiermacher, daß ſie Die erlöfen- 


: be Ihätigfeit Chrifti nur In die Bewirfung unferer wachlen- 
den Bollfommenheit febe, fofern biefelbe unter den Formen 
der Lehre und des Beifpield gefchehen könne. Dieſe Formen 
aber ſeyen allgemein und nichts unterſcheidendes, und da durch 


wer 


f 


7 He immer nur unvollfommened in und bewirkt werbe, fo bleis 


be nidyts übrig, ald daß wir auf Die Erköfung im eigentlich⸗ 


’ Pen Sinn, auf das Hinwegnehmen der Sünde, Verzicht lei⸗ 
ſten. Ebenſo wenig könne die zunehmende Verbeſſerung des 


Einzelnen feine Befreiung vom Uebel verbürgen, und feine 


Seligkeit begründen, die Verfühnung fomme daher nicht als 


Beſitz und Genuß vor, fondern werde wejentlich nur als Hoff- 
nung aufgeftellt, und Chriſtus fey fo bei unferer Seligfeit nur fo 


betheiligt, wie er auf die zunehmende Verbeflerung wire, d. h. 
- fo, daß auf eine fpecififche Verfchtedenheit zwifchen ihm und 
: andern Menfchen wenig anfomme. Hiemit fagt ſich Schleier- 


macher auch von der moralifchen oder rationaliftifchen Anficht 
von der Verſöhnung ebenfo entichieden los, als von der dog⸗ 


matiſch kirchlichen, um fo mehr aber fragt fi, worin bie wes 
‚ Tentliche -Berfchiedenheit der von Schleiermacher jenen beiden 


Auffaffungsweifen entgegengefegten Theorie beſtehe? Schleier⸗ 


macher drüdt das Eigenthümliche derſelben durch die beiden 


618 IL. Ber. 2. Kap. 


Säte aus, daß der Erlöjer die Glaubigen burch feine erlö- 
. fende Thätigfeit in die Sräftigfeit feines Gottesbewußtſeyns, 
durch feine verföhnende in die Gemeinfchaft feiner ungetrüb- 
ten Seligfeit aufnehme. Der Begriff, an welchem bier alle 
hängt, ift der Begriff der Lebendgemeinfchaft. Wer erlößt 
und verföhnt werden fol, kann es nur durch die Lebensge 
meinfchaft mit Chriftus werden. Hiemit ift zwar zunädhk 
nichts gefagt, was uns nicht längſt ald eine von vielen vor- 
gezogene Auffafjungsweife der Lehre von der Erlöfung und 
Verſöhnung begegnet wäre, und wenn Schleiermacher felik 
Die feinige muftiich nennt, fo dürfen wir und nur rüdwärs 
wenden, um zu fehen, welcdye mit ihr verwandte Elemenk 
fih vorfinden, und auf welcher Seite fie liegen, um und fe 
gleih zu überzeugen, welches Recht Schleiermacher aud in 
biefer Hinficht zu dieſer Bezeichnung hatte. Cine neue und 
eigenthümliche Wendung erhält nun aber jene Auffaffungd 
weile bei Schleiermacher dadurch, daß er bie Lebensgemein- 
fhaft mit Chriftus ſelbſt für jeden Einzelnen nur durch das 
von Chriftus geftiftete Gefammtleben vermittelt werden läßt, 
Chriftus ift als Erlöfer Stifter eines Gefammtlebend: daher 
darf feine erlöfende Thätigfeit nicht als eine auf den Einzel⸗ 
nen unmittelbar einwirfende, fondern nur ald eine von dem 
von ihm geftifteten Gemeinwefen abhängige gedacht werben. 
Seine Thätigfeit ift dadurch bedingt, daß die Einzelnen in 
den gefchichtlichen Kreis feiner Selbftoffenbarung eintreten. 
Dieß ift die natürliche Vermittlung der Thätigkeit Chrifi, 
Gleichwohl ift diefe Thätigfeit nur die Fortfebung der ſchö— 
pferiichen göttlichen Thätigfeit, aus welcher aud Die Perſon 
Chrifti entftund. Wie bei Entftehung derfelben die ſchöpferi⸗ 
ſche göttliche Thätigkeit, die fich in ihm ald das Seyn Got⸗ 
tes befeftigte, das einzig thätige war, fo kann ſich auch in 
dem Einzelnen die Thätigkeit Chrifti nicht befefligen, ohne 
auch in ihm perfonbildend zu werden. Das ganze perfünlis 
che Selbſtbewußtſeyn wird Dadurch ein anderes, Daß wir bie 


Schleiermader. 619 


felbe göttliche Kraft, von welcher in ihm alles ausgeht, auch 
als Die Duelle unferer Thätigfeit finden. Eben dieß ift die 
‚Mittheilung feiner Bollfommenheit und Unfündlichkeit, oder 
die Kräftigfeit feines Gottesbewußtſeyns, die die Wirkung ſei⸗ 
ner erlöjenden Thätigfeit if. Wie er Dadurch ald.Erlöfer Die 
Macht der Sünde bricht, fo ift e8 nur die andere Seite die 
ſes Aufgenommenfeyns in feine Lebensgemeinſchaft, daß er 
auch den Zufammenhang zwifchen Uebel und Sünde aufhebt. 
Stifte die erlöfende Thätigkeit eine Dem Seyn Gottes in Chris: 
ſtus entfprechende Thätigfeit in jedem Glaubigen, fo ftiftet 
das verjöhnende Element, die Seligfeit des Seyns Gottes, in 
ihm ein jeliged Gefühl, in welchem Schmerz und Leiden, 
‚ wenn aud nicht materiell, duch formell aufgehoben find. 
‚Bei der Beurtheilung der Schleiermacher’fchen Theorie 
fommt alles auf die Frage an, wie ed fich mit‘ der hier vor⸗ 
ausgeſetzten erlöfenden und verfühnenden Thätigfeit Chrifti 
verhält, fofern fie auf der einen Seite zwar nur eine durch 
ein Gemeinweſen vermittelte, auf der andern aber doch zu— 
gleich, wie fie von Schleiermacher befchrieben wird, eine wahr⸗ 
haft perfönliche feyn fol? Laßt fich jened Mittelbare auf der 
einen, und dieſes Unmittelbare auf der andern Seite vollfom- 
men zufammendenfen, oder fommt die Schleiermacher’fche 
. Theorie, indem fie widerftreitende Elemente in fich vereinigen 
will, zulegt Doch wieder auf eine der beiden Auffaffungswei- 
fen, welchen fie fich entgegenfeßt, zurüd, die magifche oder 
empirifche? Um ſich hierüber näher zu verfländigen, darf man 
nicht vergeffen, daß man fich hier in dem Mittelpunfte der 
Schleiermacher'ſchen Glaubenslehre befindet, auf dem Punf- 
te, von welchem der ganze jo Funftvoll gegliederte Organis⸗ 
mus derfelben ausgeht, und auf welchem insbefondere die für 
das Ganze fo wichtige Lehre von der Perſon Chrifti beruht. 
Wer Glied der chriftlichen Gemeinfchaft ift, findet fich in fei- 
nem religiöfen Bewußtfeyn auf eigenthümliche Weiſe beftimmt, 
und Tann alle Clemente, die den wefentlichen Inhalt feines 


! Mi 
\ 


620 ME Ber. 2 Rap. 





Bewußtſeyns ausmachen, nur auf Chriftus als den Stifte 
der chriſtlichen Gemeinſchaft zurüdführen: Indem nun abe I 
der Chrift von dem Mittelpunkt der innern Erfahrungen fe | 
nes chriftlichen Lebens, in welche er ſich hineingeftellt ficht, 
ausgeht, und fie nur als Wirkungen Chrifti betrachten Tann, 
muß fih von ihnen aus, da die Würde und Wirkſamkeit 
Ghrifti einander gleichgefegt werben muͤſſen, auch ergeben, was 
Chriſtus felbft gewefen if. Auf diefem Schluffe von der Wir 
fung auf Die Urfache beruht die ganze Schleiermacher’fche Chri⸗ 
ftologie. Da der Chrift als Glied der chriftlichen Gemein⸗ 
[haft auch überzeugt feyn muß, daß dem menfchlichen Ge 
fchlecht Feine vollfommnere Seftaltung des Gottesbewußtfeynd 
bevorfteht, fondern jede neue nur ein Rüdichritt wäre, und 
Daß in derfelben jedes Wachsthum an Wirkfamfeit des Got- 
tesbewußtſeyns nicht aus irgend einer neu hinzutretenden Kraft 
hervorgeht, fondern immer nur aus ber rege bleibenden Ems 
pfänglichkeit für feine Einwirkung, fo muß offenbar jeder ge | 
gebene Zuftand dieſes Gefammtlebend nur Annäherung blei⸗ 
ben, zu dem, was in dem Grlöfer felbft geſetzt ift, d. h. es 
muß ihm eine urbildliche Würde zufommen. Diefe urbilblide 
Würde darf aber nicht blos ein Ideal feyn, das in der Wirklich⸗ 
feit nicht eriftirt, fie muß auch gefchichtlihe Wahrheit haben. 
Soll die Selbftthätigkeit ded neuen Geſammtlebens urfprüng- 
lich in dem GErlöfer feyn, und von ihm allein ausgehen, fo 
mußte er als gefchichtliches Einzelweſen zugleich urbildlich feyn, 
d. h. das Urbildliche mußte in ihm vollfommen geſchichtlich 
werden, und jeder gefchichtliche Moment defjelben zugleich dad 
Urbildliche in fi) tragen. Es Eönnte alfo feine wahre Ge 
meinfchaft zwifchen ihm und uns ftattfinden, wenn er nidt 
al8 das Urbild, welchem die Gemeinde immer nur fich an- 
nähert, über das fie aber nie hinausfommen kann, unter den 
gewöhnlichen Bedingungen des menfchlichen Lebens fich ent 
widelt hätte. Es ift hier nicht der Ort, die Unhaltbarkeit 
dieſer Chriftologie, die Undenkbarkeit des Zufammenfeyns ber 


Schleiermader. 621 


den Elemente, aus welchen ſie Die Berfon bed Erlöfers con« 
wirt, des urbildlichen und geichichtlichen, von ben verſchie⸗ 
nen Gefichtspunften aus, unter welche fie geftellt werden 
an, nachzumeifen 1), Bleiben wir bier nur bei dem Näch- 


I) Wenn ich hier, wie früher in der chrifil. Gnoſis ©. 643. f., 
Die Incongruenz des Urbildlichen und Gefchichtlichen in der 
Schleiermacher’fchen Chriftologie behaupte, und zwar aus 
Dem Grunde, weil überhaupt zwifchen der Idee und der 
Wirklichkeit, der Natur der Sache nach, ein Verhaͤltniß der 
Incongruenz Rattfindet, fo verfieht es fich von felbft, daß ich 
Die dee, oder die Urbildlichkeit, in ihrem rein abfoluten 

 &inn nehme, _und die Fülle und Zotalität der Idee dem 
abfoluten Wefen Gottes felbft gleichlege. Ich beftreite das 
ber die Schleiermacher’fche Chriſtologie, weil fie fich zwar 
diefelbe Aufgabe ftellt, welche die Eirchliche Theorie zu Idfen 
fucht, in der That aber etwas ganz anders, einen weit ges 
zingern Begriff, an die Stelle des Firchlichen fett. Die Vers 
theidiger der Schleiermacher’fchen Ehriftologie, wie Schwei- 
zer über das Leben Jeſu von Strauß (Theolog. Stud. und 
Krit. 1837. 38H. ©.498.) geben felbft zu, daß die dee, oder 
Gott in feiner totalen Fülle, fofern er im Leben des Men⸗ 
fchen fich manifeftirt, nur in der Totalität des ganzen Men- 
fchengefchlechts zur Erfcheinung komme, alio nur in der gans 
zen Menfchheit fein adänuntes Abbild habe, fen ein Sag, 
den ſich unftreitig Echleiermacher nicht nur habe gefallen 
Laffen, fondern recht eigentlich in feiner Weltanfchauung als 
einen Grundſatz habe haben müflen. Nur glaubt Schweizer, 
der Sag, daß die dee ihre totale Manifeftation in menfch- 
licher Form nur in der Totalität des menfchlichen Gefchlechts 
finde, fey ein Sag, welcher hier gar nicht den Streit be⸗ 
rühre, es handle fih nur um das andere Lemma, ob die 
dee daneben auch noch abfolut in einem Individuum ers 
feheine. Eben dieß if es, was ich nicht zugeben kann. Wie 
kann denn die Idee, muß Ich bier fogleich entgegnen, abfo> 
Int in Einem Individuum erfcheinen, wenn doch zugleich be⸗ 
baupter wird, daß Gott fein. adänuates Abbild nur in der 


622 


ften ftehen, was mit ber Lehre von der Erlöfung und Be 
föhnung, um welche e8 uns zu-thun ift, zufammenhängt, I 


Ill. Ber. 2. Kap. 





Totalität des ganzen Menfchengefchlechts habe, abfolut alfı 
nur in der Menfchheit erfcheine? Schon dadurch wird allı 
jene abfolute Erfcheinung der dee in Einem Individum 
eine bios relative. Die Idee erfcheint in dem Individuum, 
zum lnterfchied von ihrer Erfcheinung in der Zotalität dei 
Gefchlehts, fo wie fie überhaupt in einem Individuum er: 
fcheinen Eann, alfo auch auf der höchften Stufe einer fol: 
chen Manifeftation nur relativ. Man beachte daher nur, 
was aus der abfoluten Erfcheinung der Idee in dem Eine 
Individuum wird. Die abfolnte Erfcheinung der Idee in 
dem Einem Individuum führe Schweizer auf den Begrif 
der fpecififchen Dignität Chriſti als des Religionsſtifters zu 
rüd, und diefe fpeeififche Würde Chriftt it die aus der tieß 
fien Erlebung des göttlichen Weſens gefchöpfte geniale Ins 
dividualität Ehrifti: er ift der Größte auf dem Gebiete der 
Religion, das größte religidfe Genie, wie es vor ihm noch 
Feines. gegeben hat, und auch nach ihm Feines mehr geben 
wird. Woher weiß man aber, daß kein anderes, noch groͤ 
Beres religidfes Genie Eommen kann? Auf empirifchem We 
ge kann man dieß natürlich nicht willen, aber ebenfo wenig 
auf dem Wege der Spekulation, denn, wenn Die dee im 
Individuum überhaupt nicht abfolut, fondern nur relativ 
erfcheinen Fann, wer will die Grade diefer Nelativität mit 
einem abfoluten Maßſtab beftimmen? Wenn man daher aud 
noch fo weit davon entfernt if, Chriſtus als einen bloßen 
Religionsveranlaffer anzufehen, fo muß doch auf der andern 
Seite auch Dem Sag, daß die Art, wie die Idee ſich realis 
firt, nicht diefe it, in Ein Eremplar ihre ganze Gülle auszuſchüt⸗ 
ten, fein Recht bleiben, und man ift nicht berechtigt, die fpecififche 
Dignität Chrifti, als Religionsftifters, der abfoluten Erſchei⸗ 
nung der dee in dem Individuum gleichzuſetzen, oder dem 
Begriffe des Gottmenfchen zu jubftituiren. Aus diefem Bruns: 
de Fann ich auch dem Argumente, Durch welches meine ver: 
ebrten Freunde D. Kern (Tüb. Zeitichr. für Theol. 1836. 


Scäleiermader. 623 


ft von ſelbſt Har, Daß gerade ber Weg, auf welchem Schleier- 
nacher feine Ehriftologie zu Stande bringt, indem er von den 


9. 2. ©. 32.) und D. UImann (in dem Antwortſchreiben au 
D. Strauß Theslsg. Stud. und Krit. 1838. 2. H. ©. 34.) 
Diefe Theorie, in welcher ich nur eine neue Form des Arianismus 
feben kann, auf der Schleiermader-Schweizer’fchen Grund⸗ 
lage weiter zu begründen fudhten, Fein großes Gewicht beiles 
gen, dab die Perfänlichkeit des Menſchen folange noch nicht 
vollendet, und der wahre Begriff des Menfchen noch nicht 
erreicht ſey, folange das menfchliche Leben der “idee noch 
nicht entfpredhe, dak alfe irgendwann in ber Weltgefchichte 
der Moment eintreten müfle, in welchem im Zuſammenhan⸗ 
ge der Menſchheit diejenige Perfon erfcheine, die unberührt 
von dem fonk allgemeinen Widerſpruch mit der Idee, in ih⸗ 
rer Perfönlichfeit die “Idee der Menfchheit rein und voll⸗ 
Kändig darſtelle. Aufgehoben iſt der Widerfprud mit der 
Idee in dem Individuum, nur wenn das “Individuum abfo= 
Iut mit Gott Eins ik, wie kann ader das Individnum ab- 
folut mit Bott Eins werden, wenn doch zugleich behauptet 
wird, daß Gott wur in der Menfchheit im Ganzen fein ab» 
foIntes Abbild habe? Die einzige Form, in welcher das Ins 
dividnum abfolut mit Gott Eins werben fann, ik nur bie 
kirchliche Theorie, bei diefer bleibe man alfo auch, und ſub⸗ 
fituire ihr feinen von ihr weſentlich verfchiedenen Begriff. 
Eine religiäfe Senialität, wenn fie auch noch fo eminent ge- 
dacht wird, ſteht doch immer tief unter Der “dee des Sott⸗ 
menſchen. 2öst ſich nun aber, wie nicht geläugnet werden 
Tann, die Firchliche Theorie in Doketismus auf, und kann 
ſich die Schleiermacher'ſche in der ihr neueftens gegebenen 
Form nicht über die Sphäre des Arianismus erheben, fo 
müßte es fchlechthin unmöglich ſeyn, dem Chriſtenthum den 
Charakter der abfoluten Religion zu vindiciren , wenn nicht 
die Natur der Sache felbk dahin führte, die abfolute Idee, 
die durch Chriſtus in das Bewuftfegn der Menfchbeit eins 
getreten if, von der Realifirung derfelben in der Perſon 
Chriſti zu unterfdpeiden. Diele abfolute Idee iR Die weſent⸗ 


624 UII. Ber. 2. Rap. 


Wirkungen auf die Urfache zurüdichließt, nur auf die Gaule- 
lität eines urbildlichen Principe, auf die abfolute Macht der 
in der Menfchheit zum Bewußtſeyn gefommenen Idee, Teine- 
wegs aber auf eine urbildliche Perfönlichfeit, in welcher, als 


ihrer concreten Geftalt die abfolute Idee fich felbft individus 


liſtrt hätte, zurüdführt. Die Erfahrungen des innern Lebend, 
deren ſich der Ehrift in der Mitte der chriftlichen Gemeinſchaſt 
bewußt wird, feßen nur das Daſeyn eines der Menſchheit ein 
gepflanzten neuen Lebensprincips voraus, das fo unbegreifid 
es auch in feinem Urfprung, in Anfehung des Individumms, 
in welchem es zuerft zum Bewußtfeyn Fam, und fich wirkfem 
erwies, fenn mag, ed doch vollfommen erflärbar macht, we 
ſich aus ihm nicht nur das Ideal abfolut göttliher VBolltons 


menheit, mit allen den Zügen, die auf ben hiftorifchen Chr 


ſtus übergetragen wurden, erzeugte, fondern auch alle je: 


Wirkungen hervorgingen, welche den weientlichen Inhalt deß 


chriſtlichen Bewußtſeyns ausmachen. Und wenn, wie mit 


liche Einheit Gottes und des Menfchen, und Chriſtus kaun aller 


Dings nicht anders, als anf die intenfiofte Weife von ihr durch⸗ 


| 


drungen, und ihre Realität fo vollfommen, als es nur immer ei⸗ 


nem Individuum möglich ift, in fich dDarftellend gedacht werden, 
aber dabei bleibt es Doch immer zugleich ebenfo wahr und unbes 
fireitbar, daß das Individuum unter der dee ſteht. Wie wenig 
fann der Begriff abfoluter Vollkommenheit und Unfündlichkeit 
für das Individuum feftgehalten werden (melden Begriffiafchen 
Schleiermacher felbft fo viel möglich wieder befchränft, wenn 
der dominirende Einfluß Chriſti Feineswegs direkt und un 
mittelbar auf die taufenderlei Beziehungen des menfchlichen 
Lebens fich erſtrecken foll (vgl. Schweizer a. a. O. ©. 501.), 
wenn doch nach der Schrift felbft niemand gut ſeyn kann, 
denn der einige Gott, Chriſtus alfo Gott im abfoluten Sinn 
(nach der Eirchlichen Lehre) fenn müßte, um abfolut gut zu 
ſeyn. Der Begriff der unfündlichen Entwiclung, anf mel 
chen die neue arianifche Theorie den alten Begriff der Ans 
martefia zurückführt, ift ein ganz relativer Begriff. 


— 


Schleiermacher. 625 


Recht bemerkt worden iſt, die Perſönlichkeit, in welcher ein 
ſolches Princip zuerſt wohnte, an ſich ſchon ihre Bedeutung 
verliert, ſobald ſich daſſelbe auf andere fortgepflanzt hat, und 
baher Schleiermacher ſelbſt in dem chriſtlichen Bewußtſeyn nichts 
findet, das uns nöthigte, das Fortwirken des Erlöſers uns 
anders zu denken, als ſo, daß ſein ſich fort und fort in der 
Menſchheit mehr organiſirender Geiſt in immer weitern Krei⸗ 
fen die Menſchheit an ſich zieht und beſeelt, für Chriſtus, als 
hiſtoriſche Perfon, alfo blos die Bedeutung übrig bleibt, daß 
der der Gemeinde eingefenkte Geift ſich nur durch fein Bild 
forterzeugen kann, fo ift ja das dem chriftlichen Bewußtſeyn uns 
nitttelbar Gegenwärtige nur der durch Chrifti Bild in ber 
Gemeinde fortwirkende Geift, nicht aber eine die urbildliche 
Berfönlichkeit Chrifti vorausfegende Wirkſamkeit. Hieraus 
geht nun aber audy hervor, daß, wenn das Mefen der Erlös 
fing und PVerföhnung von Schleiermacher als eine Lebens- 
Gemeinſchaft mit Chriftus beftimmt wird, Diefer Ießtere Aus« 
drud nur in einen fehr unelgentlichen Sinne genommen wers- 
‚den Tann, und es ift Kar, daß, wenn an fich ſchon der Bes 
griff einer Lebensgemeinfchaft, welche auf der einen Seite eis 
ne perfönliche, fomit auch unmittelbare, auf der andern aber 
eine Durch ein Gemeinmwefen vermittelte feyn fol, Beftimmun- 
gen in fich enthält, deren Vereinbarkeit ſich kaum denfen läßt, 
nur Die leßtere diefer beiden Beftimmungen, welche das Haupt⸗ 
gewicht auf der Vermittlung durch die Gemeinſchaft legt, als 
Die wefentliche angefehen werden fann. - Das Wahre der Sa- 
de, das aus der Gonfequenz der Schleiermacher'ſchen Brin- 
eipien fi) allein Ergebende, ift daher ftatt der Aufnahme in 
die Lebendgemeinfchaft mit einem Chriftus, deffen gefchichtli= 
he Urbildlichkeit fich nicht erweifen läßt, und deſſen fortleben- 
de. Berfönlichkeit zu glauben, nicht einmal im Intereffe des 
chriſtlichen Bewußtſeyns liegen fol, das Aufgenommenfeyn 
bes Einzelnen in den Kreis eines Geſammtbewußtſeyns, in 
welchem das der chriftlichen Gemeinſchaft eigentbümliche Prin⸗ 
Baur, die Lehre von der Berföhnung. 40 


626 IIL Ber. 2. Kap. 


cip ſich wirkfam erweist. Auf diefe Weife geht nun zwar al 
lerdings Schleiermacherd myſtiſche Auffaſſungsweiſe der Eis 
fung und Berföhnung in diejenige über, welche er ſelbſt als 


die empirifhe bezeichnet, welche alled Ueberriatürliche in da | 


Erlöfung läugnet, und diefelbe blos durch Lehre und Beiſpie 
vermittelt werden: läßt, und wenn auch dieſer letztern zugeflaw 
den werden muß, daß fie das zu bewirken im Stande if, 
was, wenn überhaupt die Erlöfung Realität haben foll, im 
mer als das MWefentlichfte des Zuftandes der Grlösten be 


trachtet werden muß, die Erwedung und Bildung eine num. 


geiftigen Lebens, fo fieht man in dieſer Hinſicht wenigkes 
nicht, worin die wefentliche Verſchiedenheit zwiſchen ihr us 
der Schleiermacher’fchen Theorie beftehen fol. Erlöst md 
verföhnt mit Gott weiß fich derjenige, welcher durch das von 
Chriſtus der Menfchheit eingepflanzte Princip, und das von 
demfelben ausgegangene geiftige Leben die Macht der Sünde 
in fich gebrochen, und die an der Sünde haftende Schuld ie 
ſich aufgehoben fühlt. Auf der andern Seite aber würde man 
unftreitig auch hierin ein großed Unrecht an der Schleierme 
cher’fchen Lehre begehen, wenn man fie auf den Standpunkt 
des gewöhnlichen Rationalismus herabziehen wollter Sie 
flimmt demfelben nur in ihrem Widerfpruch gegen Das ma 
gifch Uebernatürliche bei, ohne deßwegen den Begriff des Ue 


bernatürlichen felbft aufzugeben, und wenn fie auch, was ihr | 


Verhältniß zu der dem Nationalismus gerade gegenüberfle 


henden Anficht betrifft, ihre gefchichtliche UrbildlichFeit des Ers | 
löſers auf Feine genügende Weife rechtfertigen kann, fo wär I 


de man doch fehr irren, wenn man glauben wollte, mit de 
gefchichtlichen Eriftenz eines urbildlichen Erlöfers falle auf 
die Wahrheit und Wirklichkeit der urbildlichen oder abfoluten 
Idee hinweg. Es bleibt auch fo vollfommen wahr, was 
Schleiermacher im Gegenfat gegen die empiriſche Auffafſungs⸗ 
weife erinnert, daß wir und mit dem Selbftbemußtfeyn wad» 
fender Vollkommenheit nicht begnügen können, weil es ebenfo 








Shleiermader. 697 


fehr dem Bewußtfeyn der Sünde, ald dem ber Gnade ange 
börig, das eigenthümlich Chriftliche nicht in fich fchließen Fann. 
Das chriftliche Bewußtſeyn kann demnach überhaupt nicht blog 
bei einem relativen Begriff ftehen bleiben, ſondern fich nur 
auf den abfoluten erheben, oder ed gehört zu ihm wefentlidh 
Die allen Chriften gemeinfame Ueberzeugung, daß dem menſch⸗ 
lichen Geſchlecht Feine vollfommnere Geftaltung bed. Gottesbe⸗ 
wußtfeyns bevorftche, fondern jede neue nur ein Ruͤckſchritt 
wäre, und jeder gegebene Zuftand des chriftlichen Geſammt⸗ 
lebens immer nur Annäherung zu dem bleiben Tann, was 
ſchon als Höchftes im chriftlichen Bewußtſeyn ſelbſt geſetzt ift. 
Worin befteht nun aber diefes Höchfte des chriftlichen Bewußt⸗ 
ſeyns, wenn die gefchichtliche Eriftenz eines urbildlichen Erlö- 
ers nicht die nothwendige Vorausſetzung deffelben ſeyn fol? 
Daſſelbe Princip, das die urbildlihe Würde des hiftorifchen 
Ehriſtus der Schleiermacher'ſchen Chriftologie zufolge conſti⸗ 
tuirt, wird als ein Princip des religiöfen Bewußtſeyns auf 
gefaßt, das zuerft in Chriſtus und durch feine Berfon in der 
‚Menfchheit zum Bewußtſeyn gefommen ift, und der Unter- 
ſchied der einen Anficht von der andern befteht daher darin, 
baß der eigenthümliche Vorzug, welchen der hiftorifche Chris 
Aus nad) Schleiermacher auf eine für alle andern ausſchlie⸗ 
Bende Weife gehabt hat, als das Gemeinfame betrashtet wird, 
das an fih zum Weſen der Menfchheit überhaupt gehört. 
Wenn daher nad) Schleiermacher das, was ben Erlöfer von 
allen andern Menſchen unterfcheibet, die ftetige Kräftigfeit fei- 
nes Gottesbewußtſeyns ift, welche ein eigenthümliches Seyn. 
Gottes in ihm war, fo müfjen wir dagegen vielmehr fagen, 
biefes Seyn Gottes in ihm ſey durch ihn und an ihm als 
das Seyn Gottes in der Menfchheit, ald die wefentlihe Eins 
beit Gottes und des Meufchen, als die Idee des Gottmen- 
ſchen, in der Menfchheit zum Bewußtfeyn gefommen, und dag 
eonflitutive Princip eines neuen geiftigen Lebens ‚geworben. 
In diefem Princip liegt demnach auch die objeftive Realität 
| 40 * 





628 m. Ber. 2. Say. 


der Erlöfung und Verföhnung. Der allgemeinfte und meint 
lichfte Begriff der Erlöfung und Berföhnung iſt das Eink 
werben des Menfchen mit Gott. Die nothwendige objettie 
Vorausſetzung aber, unter welcher allein der Ginzelne mi 
Gott geeinigt, oder erlöst und verföhnt werben Tann, if die 
Wahrheit, daß der Menfch an fi mit Gott Eins if. Die 
fed Princip ift allein das eigenthümlich chriſtliche, wenn ad 
das wahrhaft chriftliche Princip des religiöfen Bewußtſeyn 
‚und Lebens nur dasjenige gelten kann, welchem ſich jedes aw 
dere als ein blos relatives. unterordnen muß. Solange dw 
her das Weſen der Erlöfung und Verfühnung nicht durd der 
fen Begriff beftimmt ift, Tann es auch Feine dem chriſilichen 
Bemußtfenn genügende Erlöfungs- und Berföhnungstheork 
geben, wie am beutlichftien aus der Vergleihung der Kant 
fhen Berföhnungstheorie erhellt, welche die Verföhnung nut 
auf dem Wege einer unendlichen Annäherung an ein ebendeß⸗ 
wegen immer nur in der bloßen Vorftellung eriftirenbes Ideal 
zu Stande fommen läßt, alfo nie wahrhaft und wirklich m 
Stande bringt, da fie aus der Idealität des Sollend: nk 
zur Realität des Seyns kommen kann. Diefe objektive Rea⸗ 
Lität ift Dagegen hier in der nicht blos al8 Ideal dem Sub—⸗ 
jeft vorfchwebenden, fondern an fich feyenden Einheit des Götb 1. 
lichen und Menfchlichen gegeben, fofern diefelbe Die objektive ]: 
Vorausſetzung ift, unter welcher allein in dem Einzelnen bie || 
Erlöfung und Verſöhnung fubjeftiv realifirt werden kam. ſi 
Wenn nun der entfchiedene Fortfchritt, welcher für die Ent 
wicklung des chriftlihen Dogma's in der Schleiermacher’jcen 
Glaubenslehre gefchehen ift, in nichts anderem fofehr gefun⸗ 
den werden muß, ald darin, daß der abfolute Charafter de} 
Chriſtenthums von Schleiermacdher auf eine, fowohl dem 
riftlichen Bewußtſeyn, als der Idee der Wiflenfchaft in weil 
höherem Grade, als zuvor, entfprechende Weiſe beftimmt wor 
den ift, fo gilt dieß ganz beſonders auch in Beziehung auf 
bie Lehre von der Verföhnung, wenn auch der von Schleier 





Schleiermader. 629 


er aufgeftellte Begriff der Lebensgemeinfchaft mit Chri⸗ 
auf. VBorausfegungen beruht, welche ſich wiffenfchaftlich 
rechtfertigen laſſen. Wie dieſer Fortſchritt befonders der 
Rant’iche Principien ſich flügenden, das eigenthümliche 
n des ChriftentHums mehr oder minder verfennenden 
logie: gegenüber ſich Ear herausftellt, fo zeigt fich ein 
ver Kortichritt von einer andern Seite. So ftarf und 
begründet das Selbfibewußtfeyn war, mit welchem die 
schen Theologen von den Principten der praktiſchen Ver⸗ 
; ausgingen, und fo wenig fich läugnen läßt, daß bie 
: Behandlung des chriftlichen Dogma’s dadurch eine weit 
ivere Haltung erhielt, als ihr das unwiſſenſchaftliche 
ihren der früheren Periode geben konnte, fo Tann doch 
Berfuch, den ganzen Inhalt des Chriftenthums auf die 
idſätze und Formeln der Kant'ſchen Philoſophie zurüdzus 
n, in demſelben Verhältniß, in welchem dieß dem chriſt⸗ 
. Bewußtfeyn widerftreitet, nur als eine fubjeftive Anficht 
Willkür ericheinen. Mit dem Charakter der Subjektivi⸗ 
tt zwar auch die Schleiermacher’fche Glaubenslehre wie 
eine andere auf, wenn fie von Feiner andern Quelle der 
ihen Wahrheit wiflen will, ald dem unmittelbaren 
ichen Gefühl, aber diefer fubjeftive Standpunft hat eis 
ſehr objektiven Hintergrund in der Vorausfegung, daß 
chriſtliche Gefühl, wie e8 in dem Einzelnen ſich aus⸗ 
t, nur der Refler der Eindrüde ift, welche der Einzelne 
ben Erfahrungen des in der chriftlichen Gemeinfchaft in 
gewedten geiftigen Lebens in fi aufnimmt. Wie Chris 
nur durd die Vermittlung der Gemeinde wirkt, fo ifl 
ven Einzelnen alles, was zum Inhalt feines religiöfen 
ißtſeyns gehört, durch die Gemeinfchaft, deren Glied er 
vermittelt. In ihr liegt das Princip aller objektiven 
rheit und fubjeftiven Gewißheit, und nur hieraus iſt es 
: auch zu erklären, daß Schleiermacdjer alle chriftliche 
rheit als eine fchlechthin hiſtoriſch gegebene betrachtet, 


| 
630. Ill. Ber. 2. Rap. 


und die Philofophie vom Glauben aufs firengfte gefchieden 
wiffen will. Auch Kant Fonnte, wenn er feinen philoſophi⸗ 
fhen Standpunft mit dem Chriftenthum in Vebereinftimmmung 
bringen wollte, die ganze Gefchichte des Chriftenthums nur 
als die objektive Vermittlung betrachten, durch welche der res 
ne Dernunftglaube allmälig zu feiner Reinheit hindurchdrin 
gen follte. Fe negativer aber der Kant'ſche Vernunftglaube 
zum Inhalt der chriftlichen Offenbarung fich verhält, deſto 
. mehr Eonnte Kant in dem ganzen Verlauf der chriftlichen Kir 
che nur eine Verunreinigung der reinen Vernunft= Ideen er 
bliden, einen flatutartfchen Kirchenglauben, welcher nur un 
ter den größten Berirrungen dem reinen Bernunftglauben al 
Vehikel und Mittel der öffentlichen Vereinigung der Menfchen 
zur Beförderung des lehtern dienen konnte. Je mächtiger und 
überwiegender aber auf diefe Weife die Objektivität der Ge 
fchichte demjenigen gegenüberfteht, was von einem Standpuntt 
aus, wie der Kant’fche ift, als reine Vernunftwahrheit gelten 
fol, defto ſubjektiver erfcheint diefer Standpunft felbft. Es 
verhält fich diefer Standpunft im Ganzen ebenfo negirend umd 
proteftirend zur-Gefchichte, wie die Anſicht derer, Die aus dr 
nem höchft einfeitigen Neformations » Intereffe in dem ganzen 
Entwicklungsgange des Chriftenthums nichts anders fehen wol- 
len, als eine immer größere Entftelung und Verkehrung be 
Grundſätze, die ihnen ald das wahre Weſen des Proteftans 
tismus. gelten. Den geraden Gegenfag zu einer ſolchen An 
ficht, welche die Objektivität der Gefchichte mit der Macht ded 
fubjeftiven Bemußtfeyns beherrichen und fich unterwerfen will, 
bildet die Schleiermacher’fche Glaubenslehre, fofern fie von 
ihrem Standpunft aus die chriftliche Gemeinſchaft als das 
Reich des, ald Gemeingeiſt die Glaubigen befeelenden, heiligen 
Geiftes betrachtet, und daher auch in der ganzen Geſchichte 

des Chriſtenthums, ungeachtet aller Einfeitigfeiten und Ber: 
irrungen, die überall überwiegende, durch alles hindurchdrin⸗ 
gende Wirkfamfeit des eigenthümlichen Princips des Chriften- 


Schleiermader 631 


md erfennen muß. Nur unter diefer Borausfehung kann 
die chriſtliche Gemeinfchaft fofehr als die Duelle aller 
lichen Wahrheit und des chriftlichen Heils gelten, daß 
ı der Einzelne nur receptiv verhalten darf, um von der er- 
mden und verjöhnenden Thätigfeit Des Durch Die Vermitt⸗ 
ig feiner Gemeinde aufden Einzelnen.einwirfenden Chriſtus an- 
ogen, oder in feine Lebendgemeinfchaft aufgenommen zu wer- 
. Können wir den Kant’fchen Standpunft einen einfeltig 
teftantiichen, dem Princip der Subjektivität einen zu freien 
helraum gewährenden nennen, fo fällt Dagegen nicht min« 
klar in die Augen, wie fehr fich die Schleiermacher’fche 
aubenslehre -auf die Seite der Fatholifchen Kirche ftellt. 
rc wie dort wird ja die perfünliche Wirkſamkeit des Erlö- 
3 foviel möglich zurüdgeftellt, und es ift ſtatt derfelben viel«- 
hr die Firchliche Gemeinfchaft, in welcher dem Cinzelnen 
8 gegeben ift, wodurch für ihn- fein religiöfes Leben ver- 
telt werden fol. Sa, wir müflen fogar fagen, daß der 
griff der religiöfen Gemeinfchaft in der Schleiermacher'ſchen 
zubenslehre reiner in ſich abgefchlofien ift, al8 in dem Sy⸗ 
n der Eatholifchen Kirche. Es darf Hier nicht überfehen 
den, Daß der eigentliche Mittelpunkt der Schleiermacher- 
n Glaubenslehre in letzter Beziehung immer wieder das 
feftive Bewußtſeyn, oder das unmittelbare chriftliche Ges 
Lift. Indem fie bier ihren Standpunft nimmt, um fid 
ı demfelben aus den Inhalt des chriftlichen Glaubens und 
end zum Bewußtfeyn zu bringen, geht fie aus der Sphäre 
. fubjeftiven Bewußtſeyns immer nur foweit heraus, als 
big ift, um die Erfahrungen des Innern Lebens, als Wir- 
gen einer außerhalb des unmittelbaren Selbftbewußtfeyng 
enden Urſache, aus einem zu ihrer Erklärung hinreichenden 
ncip abzuleiten. Diefes Princip Tiegt in der religiöfen 
meinfchaft, von welcher der Einzelne, al8 Glied derſelben, 
ängig iſt. Es ift der, ald Gemeingeift das Gefammtbe« 
Btfeyn der Slaubigen bildende, heilige Geil. Da aber 


632 Al. Ber. 2. Kay. 


Schleiermgcher diefen Geiſt nur in feinem Verhältniß zu der 
Gemeinſchaft, in welcher er wirft, betrachtet, und jede obiels 
tive Beziehung auf ein immanentes Trinitäts-Verhältniß laͤug⸗ 
net, fo drüdt ſich Hierin der zwiſchen Subjeftivität und Ob 
jeftivität fehwebende Charakter der Schleiermacher’fchen Glau⸗ 
benglehre fehr Har aus. Wie Chriftus das Seyn Gottes in 
einem menfchlichen Individuum ift, fo ift der heilige Geift die 
Vereinigung des göttlichen Weſens mit der menfchlichen Ra 
tur in der Form ded das Gefammtleben der Glaubigen be 
feelenden ®emeingeiftes, aber je treffender diefe Formel den 
heiligen Geiſt als das der Menichheit eingepflanzte, und in 
ihr in immer weiterem Kreife wirkende abfolute Princip ber | 
zeichnet, deſto auffallender wird nur, wie Schleiermacher die 
Schranken der religiöfen Gemeinfchaft, deren Gemeingeiſt der 
heilige Geift ift, nicht überfchritt, und ihn als eine objektive Be 
fiimmung des in ihın, wie in dem Sohne, fi) mit ſich ver: 
mittelnden göttlichen Weſens felbft auffaßte. Daher ift-nım 
eben bier der Bunft, auf welchem die Schleiermacher’fche Lehe | 
re von der. Erlöfung und Verföhnung, fo fehr fie den abfe- 
Iuten Begriff derfelben erfaßt zu Haben fcheint, Doch wieder 
in einem Mißverhältniß zu demfelben fich darftellt, und fo 
gar nahe daran ift, auf ben Kant’schen Standpunft zurüdus 
fallen. Iſt das Weſen der Erlöfung und Verföhnung, dem | 
abjoluten Standpunfte des Chriftentbumd gemäß, ald bie 
Mitiheilung der unfündlichen Vollfommenheit und ungetrüb 
ten Seligfeit Chrifti, ald die Aufnahme in feine Lebendge 
meinfchaft, fomit auch in die Gemeinfchaft des Seyns Gottes 
in ihm, mit Cinem Worte, als die Einheit des Göttlichen und 
Menſchlichen beftimmt, wird nicht der. reale Begriff diefe 
Einheit Dadurch wieder aufgehoben, daß dem Erlöfer und dem 
Geiſt, durch welche fie vermittelt werden fol, das Wefen Got 
tes ein fremdes tft, daß fie felbft nicht an fi) mit ihm Eind 
‚find, ſondern ihm nur in einem äußern, nicht näher beſtimm⸗ 
baren Verhältniß gegenüberftehen? Bleibt nicht auch fo Die 


Schleiermacher. 633 


ſelbe unausfuͤllbare Kluft zwiſchen Gott und dem Menſchen 
befeſtigt, durch welche die Kant'ſche Lehre in ihrem, in ſtets 
unerreichbarer Ferne uͤber dem Menſchen ſtehenden, Sittenge⸗ 
ſetz den Menſchen von Gott trennt? Hieraus ergibt ſich uns 


mun erſt ber eigenthuͤmliche Charakter der Schleiermacher'ſchen 


i 


Berföhnungstheorte. Sie geht zwar über die Kant'ſche Sphaͤ⸗ 
re der Subjektivität hinaus, in welcher das ganze Moment 
ber Berföhnung nur in bas Subjekt faͤllt, das Subjekt felbft 
in ber Unendlichkeit feines fittlichen Strebens die Idee der ' 
Berföhnung realifirt, aber ebendarum nur in unendlicher An⸗ 
näherung, allein die Objektivität, zu welcher fie ſich wendet, 
SR nur die Objektivität der Gefchichte, oder der gefchichtlich 
gegebenen religiöfen Semeinfchaft, die dem Einzelnen als die 
—J beſtimmende objektive Macht gegenuͤber ſteht. Wie die 
"Sünde die Geſammtthat, das Uebel die Geſammtſchuld bes 
: Gehklchte ift, fo ift auch die Erlöfung und Verföhnung das 


i gemeinſame Werk des Geſchlechts, und wenn auch dad Ges 
4° fehlecht, foweit ed das Bewußtfeyn der Erlöfung und Verföhr 
ge nung in fid) trägt, oder vom heiligen Geift, als feinem Ge⸗ 


— 


meingeiſt, beſeelt und regiert iſt, nur der Durchgangspunkt für Die 
in ihrem höchſten Princip von Gott ausgehende erlöfende und 
Herföhnende Thätigkeit feyn fol, fo ift doch eben dieß, wiefern 


“ & als ein bloßed Durchgangsmoment anzufehen ift, das 


ſchlechthin Unbekannte, und die höchfte göttliche Urſächlichkeit, 
auf welche das Subjeft zurüdgehen muß, um für fein Ab» 


"hängigfeitögefühl einen abfoluten Anfnüpfungspunft zu ha⸗ 


ben, verhält fich zu Dem Gefammtleben, durch weldyes für den 


Einzelnen alles vermittelt wird, auf diefelbe Weife, wie Das 


Kant'ſche Ding an ſich zu der Welt der Erfcheinung und Er⸗ 


fahrung. So ift der Dualismus, in deffen Gegenfäten der 
Natur der Sache nach die Idee der Verſöhnung nie zu ihrer 
wahren Realität fommen kann, aud in der Schleiermadhers 
fhen Glaubenslehre, fo fehr fie alle die Einheit Got—⸗ 
#8 und des Menfchen hemmenden Schranken mit aller 


634 | II. Ber. 2. Kap. 


Macht zu durchbrechen ftrebt, noch nicht völlig überwun 
den ?). 


1) Die zwifchen Subiektinieät und Objektivität ſchwebende Hal 
tung der Schleiermacher’ihen Glaubenslehre fällt noch meh 
in die Augen, wenn wir andere Schriften Schleiermacher 
vergleichen, in welchen Die verfchiedenen Standpunkte, die 
in der Glaubenslehre fo viel möglich zur Einheit verbunden | 
find, noch mehr in ihrer natürlichen Einſeitigkeit hervartres 
ten. In der zuerfi im J. 1805. erfchienenen Weihnachts ' 
feier hat ſich Schleiermacher über die Einheit des Gökli- 
chen und Menfchlichen, oder wie er es hier nennt, die & 
nerleiheit des Seyns und Werdens, und infofern auch über 
die Erldfung und Verfühnung auf folgende Weife ausgefpre 
chen (zweite Ausg. Berl. 1826. ©. 139. f.): „„Der Einzelne 
if das Werden allein, und ift, fich anfchließend an die manch⸗ 

faltigen Bildungen der Erde, im Abfall und Verderben, 

welches if die Imwietracht und die Verwirrung, und er fin 
det feine Erlöfung nur in dem Menfchen an fih (in wel⸗ 
chem ewig die Einerleiheit if, des Werdens und des Gegnd, 
und das Willen, der Gedanke diefer Einerleiheit). Darta 
nämlich ift die Erlöfung, Daß eben jene Einerleiheit ewigen 
Seyns und Werdens des Geifted, wie er fich auf diefem 
Weltkörper offenbaren Eann, in jedem felbft aufgeht, fo daf 
jeder alles Werden und auch fich felbft nur in dem emigen 
Senn betrachtet, und liebt, und infofern er als ein Werden 
erfcheint, auch nichts anders fenn will, als ein Gedanke de 
ewigen Seyns, noch in einen andern ewigen Seyn will ge 
gründet fenn, als in dem, melches einerlei it mit dem im: 
mer wechfelnden und wiederfehrenden Werden. Darum fin 
det fich zwar in der Menfchheit jene Einerleiheit des Seyn 
und Werdens, weil fie ewig ald der Menfch an fich if und 
wird; im Einzelnen aber muß fie, wie fie in ihm if. 
auch werden, als fein Gedanke, und als der Gedanke eind 
gemeinfchaftlichen Thuns und Lebens.’ Hier vernimmt man 
noch die Sprache des Kichte’fchen Idealismus, der ganze 
Standpunft if der der Subiektivität, und Seyn und Wer: 


Schleiermader. 635 
Sm Uebrigen behandelt die Schleiermacher’iche Glaubens: 


hre, gemäß ihrem an das Firchliche Syftem ſich anfchließen« 


den, der Menſch an ſich und der Einzelne, find nichts ans. 
ders, als das abfolute, und das empirifche Sch, ald Untere 
fchied und Einheit. Doch ift fchon hier von Bedeutung, daß 
die Einerleiheit des Seyns und Werdens auch in der Menſch⸗ 


beit im Ganzen, als der werdende Menfch an fich angefchaut 
- wird. Wergleichen wir die Reden über die Keligion, fo exe 


Jg 


" Scheint hier zwar die Religion in der Form der Semeinfchaft, 


aber der Grundzug eines wahrhaft religidfen Vereins wird 
sur in die völlig freie geiftige Thätigkeit aller Mitglieder 
defielben, in der Gründung ſowohl, als in der Sheilnahme 
an dem Bereine gefest, ohne daß die der Glaubenslehre fo 


wichtige Grundbefimmung, daß die Gemeinfchaft weſentlich 
bedingt fen durch einen beflimmten Anfangspunft in der 


Gefchichte, hervorgehoben wird. Als die Grundanſchauung 
des Chriftenthums wird das allgemeine Entgegenfireben als 
les Endlichen gegen die Einheit des Ganzen aufgeftellt, oder 
Die Beziehung alles Endlichen auf das Univerſum, aber es 
iſt dieß nur der Begriff der vollendeten oder abfoluten Re» 
ligion, und von dem wahrhaft Eigenthümlichen des Ehriften- 
thums, von einer beſtimmten biftorifchen Beziehung auf die 
Derion Chriſti, it hier nirgends die Nede (Reden über die 
Rel. Erfie Ausg. 1806. II. Rede). Ja, wenn Schleiermacher 
das Verderben und die Erlöfung, die Seindfchaft gegen Gott 
und die Mermittlung mit ihm, als die beiden ungertrennlich 
mit einander verbundenen Eeiten jener Anfchauung nach 
weist, und ebendeßwegen eine ewig unbefriedigte Sehnfucht 
amd cine heilige Wehmuth, als das Grundgefühl des Chris 


ſtenthums bezeichnet, fo fteht dieß fogar in direktem Wider- 


foruch mit der Glaubenslehre, welche eine nur als Hoffnung 
aufgeftellte, nicht ald Genuß und Beſitz gegebene Verfähnung 
für das nicht eigenthümlich Chriftliche erflärt (Th. 2. ©. 116.). 
Vergleicht man diefe Auffaffungsmeifen, welche zwar vers 
fchieden, aber fich doch auch nahe genug verwandt find, um 
in einander überzugehen, fo kann man ſich um fo weniger 


| } 
636 Il. Ber. 2. Rap. > 


ben Charakter, bie Lehre vom Tode Jefu nach ber hergebrad. ji 
ten Lehrform des hohenpriefterlichen Amts Chrifti, wie es ſo 
ne vollfommene Gefegeserfüllung, oder feinen thätigen &ehor 
fam, und feinen verföhnenden Tod, oder feinen leidenden Ge 
horſam, nebft der Vertretung der Glaubigen bei dem Vater, inf 
ſchließt. Das Wefentliche in dem hohenpriefterlichen Werk 
bes thätigen Gehorfams Chrifti befteht darin, daß fein Ihm 
allein dem göttlichen Willen vollkommen entfpricht, und die 
Herrfchaft des Gottesbewußtſeyns in ber menfchlichen Natın 
rein und ganz ausdrüdt. Dieb iſt der Grund unferd Bes 
hältniffes zu ihm, fofern abgefehen von der Verbindung wi 
Ehriftus weder ein einzelner Menfch noch irgend ein beſtinm⸗ 
ter Theil des Gefammtlebend ber Menſchen vor Gott gerecht 
iſt. So fihließt der Schleiermacher’fche Begriff der Lebende 
gemeinſchaft von felbft den auf chriftlichem Boden nicht anzu 
fechtenden Sat in ſich, daß Chrifti Gehorfam unfere Gerech⸗ 
tigfeit if, oder feine Gerechtigkeit und zugerechnet wird. De 
gegen verwirft Schleiermacher die Formel, daß Chriftus das 
göttliche Geſetz erfüllt habe, da das Geſetz allemal einen Un 
terfchied und Zwieſpalt zwifchen einem gebietenden höhern mb Ti 
einem unvollfommenen untergeordneten Willen bezeichne. Nur |! 
ben göttlichen Willen alfo habe Ehriftus erfüllt, aber auf |; 
biefen nicht an unferer Stelle oder zu unferm Beßten, fofen I: 
auch Chriftus, da nur das Vollkommene vor Gott beftehen 
Fönne, nichts gleichfam zur Vertheilung an andere übrig bw 





wundern, wie das eigenthümlich Chriftliche in der Schleier 
macher’fchen Glaubensichre doch immer nur als etwas Aulı 
ferlich aufgetragenes erfcheint, deſſen loſer Zufammenhay 
mit dem eigentlichen Grundelement des Ganzen, fo Fünflid 
auch die verfnüpfenden Fäden verfchlungen find, doch feinen 
tiefer Blickenden entgehen Fann. Vergl. H. Schmid, üuͤber 
Schleiermacher’s Glaubenslehre, mit Beziehung auf die Ka | 
den über die Religion. Leipz. 1855. ©. 20. 1. 


Schleiermacher. 637 


be, und ſein Geſammtgehorſam, nur ſofern durch ihn unſere 
Uufnahme in die Lebensgemeinſchaft mit ihm bewirkt werde, 
zu unferm Beften gereiche. Ebenſo haben, was den leiden. 
ben Gehorſam Chrifti betrifft, bie Ausdrüde, daß Chriftus 
durch feine freie Hingebung im Leiden und Tod der göttli« 
"Wen Gerechtigkeit, .ald welche den Zufammenhang zwiſchen 
Sunde und Uebel geordnet habe, genug gethan, und uns da⸗ 
brrch von der Strafe der Suͤnde befreit habe, nach Schleier⸗ 
wacher einen leicht verſtändlichen und leicht zu vertheidigenden 
Em, wenn man fie davon verftehe, daß Chriftus, um uns 
in die Gemeinfchaft feines Lebens aufzunehmen, erft in unſe⸗ 
se Gemeinſchaft eintreten mußte, und die höchſte Steigerung 

Wines Mitgefühls mit menfchlicher Schuld und Strafwürdigs 
Weit die unmittelbare Begeifterung zu dem höchften Moment 
fa dem Grlöfungsgefchäft war, ‘woraus der Sieg über bie 
Suͤnde hervorging, und mit der Sünde auch ihr Zuſammen⸗ 
hang mit dem Uebel überwunden wurde. Wie ber thätige 
Behorſam Chrifti feinen hohenpriefterlichen Werth darin has 
be, daß Gott und in Chriſto ald Genofjen feines Gehorfams 
ſehe, fo beftehe der hohenpriefterlidhe Werth feines Ieidenden 
Gehorſams darin, dab wir Gott in Chrifto fehen, und Chriftum 
wach -feirier fich ſelbſt fchlechthin verläugnenden Liebe, ald den 
unmittelbarften Theilhaber der ewigen Liebe, die ihn gefendet 
und ausgerüftet habe. Gegen die Theorie aber, weldyer zu⸗ 
folge Gott für den Erlöfer fein Leiden als Strafe georbnet, 
und der Erlöfer felbft den göttlichen Zorn über die Sünde, 
als ihn treffend und auf ihm ruhend, empfunden haben foll, 
werben bie zwei wichtigen Einwendungen erhoben, daß fie auf 
der einen Seite alle menschliche Wahrheit in dem menfchlichen 
Bewußtſeyn Chriſti aufhebe, wenn er, was ber Ratur der 
Sache nad) nur Mitgefühl in ihm feyn Eonnte, als fein per» 
fönliches Selbftbewußtfeyn gehabt haben fol ), ‚auf der an« 


4) Sie würde alfo auf Dokerismus führen, eine andere Frage 


638 Il. Ber. 2. Kap. 


dern Seite aber .auf Der Borausfegung” von einer abfolutm " 


Nothwendigkeit göttlicher Strafen, auch ohne Rüdficht auf ik 
ten Naturzufammenhang mit dem Böfen, beruhe, welche von 
der Vorftellung einer von ben roheften menfchlichen Zuftänden 
auf Gott übertragenen Gerechtigkeit nicht zu trennen fe. 
Wenn jedoch von einer flellvertretenden Genugthuung in die 
fem Sinne nicht die Rede feyn könne, fo könne man dagegen 
den Ausdrud umfehrend Chriftum unfern genugthuenden Stel 


vertreter nennen, fofern er einerfeitd, vermöge feiner urbildli⸗ 


hen Würde, in feiner erlöfenden Thätigfeit die Vollendung 
ber menfchlichen Natur fo darftelle, Daß vermöge unfers Eind 
gewordenſeyns mit ihm Gott die Gefammtheit der Glaubigm 
nur in ihm fehe und würdige, anderntheild fein Mitgefühl 
mit der Sünde, das flark genug war, um bie zur Aufnahme 
aller Menfchen in feine Lebensgemeinfchaft hinreichende, in 
feinem Tode in der abjoluten Kraft der freien Dingebung fd 
Darftellende, erlöfende Thätigkeit hervorzubringen, immer no 
unferm unvolfommenen Bewußtfeyn ber Sünde zur Ergis 
zung und Bervollftändigung diene. Mußte Die alte Satit 
factiondtheorte, ihrem Begriffe der Strafe zufolge, das Haup- 
‚moment auf den leidenden Gehorſam legen (zu welchem ja 
ber Thätige erft ald Ergänzung hinzufam), fo Tann dage⸗ 
gen eine Theorie, wie die Schleiermacher’fche, das Leiden nur 
als eine um fo intenfivere Thätigfeit auffaflen, und in den 
Mitgefühl, in das fie das Weſen des leidenden Gehorjamd 
fest, nur den Impuls zur höchften That des thätigen Gehen 
ſams ſehen. 

Die Schleiermacher'ſche Glaubenslehre hat ſich, was un 








aber iſt, ob nicht die Schleiermacher’fche Theorie von de 
Perſon Ehrifti ſelbſt, ebenfo gut als die orthodore, die Wahr 
heit des menfchlichen Bewußtſeyns in Chriftus aufhebt, und 
auf einen Doletismus führt, mit welchem Fein wahres Dit 
gefühl vereinbar if. 





4 


e 
\ 


Schweizer. 689 


fireitig als ihre größte Eigenthuͤmlichkeit zu betrachten iſt, die 
roße Aufgabe gefegt, auf der einen Seite das Abfolute des 
riſtenthums in feinem reinften Sinne aufzufafjen, und auf 
feinen entjprechendften Ausdrud zu bringen, auf der andern 
aber dieſes Abfolute nicht in abjoluter Uebernatürlichkeit dem 
Menſchen gegenüberftellen, fondern es in feiner Uebernatuͤr⸗ 
Kchfeit zugleich unter den Gefichtspunft einer natürlichen Ent⸗ 
widlung und Vermittlung, einer über die Sphäre ber- menſch⸗ 
lichen Natur nicht abfolut Hinausliegenden Caufalität, zu ſtel⸗ 
m. Hieraus ift ed daher zu erflären, warum fie das größ« 
ta Bericht auf die urbildliche Würde des Erlöfers legt, und 
Mefelbe burch feinen andern Begriff beftimmen zu Fönnen 
glaubt, ald den höchften, welchen es für das menfchliche Bes 
wußtſeyn gibt, denfelben, welchen ebendeßwegen das Ehriften- 
um, als die abfolute Religion, ſtets als feinen eigenthüms 
Wöften feftgehalten hat, das Seyn Gottes in einen: ber Menſch⸗ 
beit angehörenden Individuum, oder die Einheit des Göttli- 
den und Menfchlihen, während zugleich ihr Hauptbeftreben 
babin geht, Diefen Begriff auf einen Ausdrud zu bringen, 
welcher es von felbit begreiflich macht, wie dieſe urbildliche 
Würde Chrifti, oder die abfolute Kräftigfeit des Gottesbe⸗ 
wußtſeyns, die Dad Seyn Gottes in ihm war, als eine Form 
und Beftimmiheit des Gottesbewußtſeyns, auf einer Linie mit 
bemjenigen liegt, was als eine allen Menfchen gemeinfame 
Sinlage, und als eine wefentliche Eigenſchaft der für das Gött- 
liche empfänglichen menfchlichen Natur gedacht werden muß. 
Man hat dieß auch Die fowohl fpecififche, als graduelle Dig⸗ 
gität des Stifters der chriſtlichen Religion genannt Y, Aus 
dieſem boppelten Geſichtspunkt muß daher auch die Lehre von 
ber Berföhnung betrachtet werben, welche in ber Schleierma- 
cherſchen Glaubenslehre, der Natur der Sache nad, in bem 


4) Schweizer, über die Dignität bes Neligionsfifters, Theolog. 
Stud. und Lrit. 1834. 36 H. ©. 521. Vgl. oben ©. 631, 


640 il. Ber. 2. Kap. 


engften und unmittelbarften Zufammenhang mit Der Lehre von 
ber Berfon Chrifti fteht. Als Aufnahme in Die Lebensgemein- 
fchaft mit Chriftus, als Mittheilung feiner unfünblichen Voll⸗ 
fommenheit und ungetrübten Seligfeit, ift die Verſöhnung des 
Menfchen mit Gott Theilnahme an der abfoluten Würde Chris 
fit, welche, ihrer objektiven Seite nad) betrachtet, als Das dem 
Ginzelnen zunächft noch in feiner Objektivität gegenüberftchen- 
de Verdienft des Erlöfers, das durch ihn der Menfchheit mits 
getheilte Bewußtjeyn der an fich feyenden Einheit des Goͤtlli⸗ 
hen und Menſchlichen if. Das Aufgehen dieſes Bewußtſeyns 
in der Menfchheit kann, wie‘ der Eintritt des Erlöfers in bie 
Menfchheit feldft, nur als etwas übernatürliches betrachtet 
werden, worin fi das Chriftenthum in feiner. fpecififchen 
Dignität, als die abfolute Religion, beurkundet, Die natürli- 
che Seite aber, die bier ein ebenfo mefentlicher Theil der Be 
trachtung ift, als bei der Perſon Chriſti, befteht Darin, daß 
biefes Bewußtſeyn der Ginheit des Menfchen mit Gott dem 
Einzelnen nicht durch eine unmittelbare yperfönliche Einwir⸗ 
kung bes GErlöfers zu Theil wird, fondern durch eine natür- 
liche Vermittlung, die Vermittlung des von Chriftus geftifte 
‚ ten Gemeinwefens, d. h. auf einem Wege, welcher nur unter 
der Vorausſetzung als ein natürlicher anzufehen-ift, daß in 
das gemeinfame Bewußtſeyn der Menſchen nichts übergehen 
faım, was nicht im Wefen der menfchlichen Natur felbft be 
gründet ift. Hieraus erhellt nun aber auch, daß jede Auf 
faffung der Schleiermacher’fchen Lehre eine einfeitige werben 
muß, weldye nur eine diejer beiden wefentlih zufammen ge 
hörenden Seiten fefthält. Allein eben dieß fcheint ſowohl von 
den Freunden als Gegnern der Schleiermacher’fchen Glau⸗ 
benslehre nicht immer genug beachtet worden zu ſeyn. Waͤh⸗ 
rend die Freunde berjelben die mit der Firchlichen Lehre zw 
fammenftimmenden Schleiermacher’fchen Formeln und Beſtim⸗ 
mungen bed Dogma’s ſich aneigneten,: überfahen fie nicht fe 
ten, daß ber Sinn und Charakter derſelben nur durch ben 


Nitzſch. 641 


Zuſammenhang des ganzen Syſtems beſtimmt wird. Die 
Gegner richteten ihre Angriffe vor allem auf diejenige Seite 
des Syſtems, auf welcher Schleiermacher das Uebernatuͤrliche 
des Chriſtenthums ſeiner ſtarren Aeuſſerlichkeit zu entheben, 
und unter einer allgemeinen Denkform dem Bewußtſeyn naͤher 
gu bringen ſuchte, ohne zu bedenken, ob ſie die Schwierigkeiten, 
welchen Schleiermacher begegnen wollte, auf eine befrtedigen« 
dere Weiſe zu heben willen. An die Schleiermacher’fche Glau⸗ 
benslehre fchließt fich unftreitig Nitzſch's Syſtem der chriftlis 
hen Lehre näher an, und Säbe, wie folgende: Das Vor⸗ 
Bild als folches fey dem Sünder ein fremdes, foll ed ganz 
für uns und nicht ebenfo fehr wider uns feyn, fo müffen wir 
es als ein uns gefchenkted Gemeinleben, als einen Anfang 
unfers neuen Dafenns, als eine Bürgichaft unferer Begnabi- 
gung dergeftalt erfennen, daß feine Unerreichbarkeit uns nur 
noch mehr in feine Gemeinfchaft hineinziche, die erlöfungebe- 
Vürftige Welt bedürfe der Gemeinfchaft eines Mittler, der-in der 
suveränberlich heiligen Liebe feines Mittheilungsbeftrebeiis ben 
Tod von der Sunde ihres Unglaubens empfange, um in der Herr- 
lichkeit feiner Todesüberwindung ihr das Leben zu geben, durch 
feinen Zod werde fein Leben ein zur Heiligung der Gemein⸗ 
de vollfommened Gemeinleben u. f. w., können wohl nur im 
Schleiermacher ſchen Sinn genommen werden. Wenn dage⸗ 
gen, abgeſehen davon, daß der Begriff der Lebensgemeinſchafi 
wicht näher beitimmt wird, bad Hauptmoment auf ben Be⸗ 
griff der Beriohnung gelegt, für dieien Zweck fogar zwiſchen 
Berföhuung unb Berfühnmg unterfhieben und behaupıet 
wird, bie Echräft Ichre nicht blos eine Berföhrung ter Belt 
(reseneilistie),, jondern auch Berfühnung ber Ehinde ber 
ganzen Welt (expiatie), fie beziehe Gottes Thas und Willen 
auch unmitichhar auf das Leiden und ben Tod Jeſu, ber Mii- 
fefbäters-Tob bes Erisiers astiprohe dem tellverssasenben Lei 
ben des BMeiüas (Ei. 53.,, bem erisıtersen anmaligen zur 
vollfommenen Eifurskr, kran deſien erh an gauuch Brit 
Baur, vie Lehre vor ver Bertopunug. 41 


642 UL. Ber. 2. Rap. 


wahrhaft gottesbienftlich und zugangsfähig habe werden koͤn⸗ 
nen u. f. w., fo verräth fich. hierin fogar die Der Schleier⸗ 
macher’fchen entgegengefeste Tendenz, flatt das Negative ber 
Aufhebung der Schuld in dem Pofltiven der Ertheilung de 
Lebendgemeinfchaft zu begreifen, vielmehr das Erſtere dem 
Lepteren voranzuftellen, und ebendeßwegen auch dem leidenda 
Gehorfam, welcher bei Schleiermacher nur die Krone des thaͤ⸗ 
tigen iſt, eine fpecielle Beſtimmung In dem Zwede der Ber 
fühnung zu geben. Iſt aber dieß bie Hauptidee, fo erwar 
tet man mit Recht eine nähere Nachweiſung dieſes Zufammen- 
hangs, ba ed keineswegs für fich klar ifl, wie der Satz: daß 
Chriſtus vermöge eines ftellvertretenden, und in der Stellen 
tretung genugthuenden Gehorfams und Leidens unfere Ge 
rechtigfeit, oder unfere Rechtfertigung ift, zwar aus dem Be 
griffe der Verfühnung im engern Sinn abgeleitet, gleichwohl 
aber als ber einzige Grund des Leidens Jeſu nur Die gättli- 
he Liebe angefehen werben fol %). Der Zufammenhang alle 
dieſer Begriffe erfcheint als ein blos Außerlicher, ber innen 

Vermittlung noch ermangelnder, wenn man nicht etwa biefe | 
be zuletzt doch nur in der Firchlichen Lehre fuchen foll. Unter 
den Gegnern der Schleiermacher’ichen Glaubenslehre verdient 
bier vor andern der auch in der Lehre von der VBerföhnung eine 
durchaus polemifche Stellung gegen fie einnehmende Steudel?) 


1) Nisfh a. a. D. Dritte verb und verm. Aufl. Bonn 1837. 
©. 238-248. Es wollte mir nicht recht gelingen, der Nitzſch⸗ 
fchen Lehre eine befriedigendere Seite abßzugewinnen. Wie 
fehr Nitzſch felbk gerade in diefem Lehrſtüch mach einer Has 
reren Faſſung gerungen hat, zeigt am beften ‚die Vergleichung 
der verfchiedenen Ausgaben des Nisfch’fchen Lehrbuchs. Ya 
der Nisfch’Tchen Lehre vom Sohn Gottes waltet noch zufeht 
der altteffamentliche Meffinsbegriff vor, als daß nicht aud. 
die Lehre von der Verföhnung fich zu einfeltig an Ef. 52. 
und 53. hätte anfchließen müſſen. a 

2) Die Glaubenslehre der evangel. proteh. Kirche, nach ihrer 


Steudel. 643 


genannt zu werben, Ginwendungen, wie folgende, daß das 
Schleiermacher'ſche Gottesbewußtſeyn den biblifchen Begriff 
der Gottfeligkeit nicht erfchöpfe, daß die vorausgefehte Vers 
mittlung der Gemeinſchaft Chrifti durch die Gemeinde den 
biblifchen Standpunkt verrüde, mit dem von Schleiermadjer 
felbft angegebenen Unterfchied der evangelifcheh und Fatholis 
ſchen Kirche ftreite, und den hiſtoriſchen Chriſtus in eine bloße 
Idee umfchlagen laſſe, daß die Anficht von dem glaubigen 
Anfchließen des Einzelnen an den perjönlichen Ehriftus nur 
bei dem Streben, Natur, als analog den Geſetzen der prganis 
[hen Ratur, auch im Reiche des Geiſtes zu haben, als eine 
magifche und feparatiftifche ericheine, hingegen als naturges 
mäß, wo bie felbftftändige Natur des Geiftes, und bie freie 
aber nicht trügende Natur der Liebe, als der einigenden, nicht 
mißfannt werde *), find nur um fo bezeichnender, je befler fe 
einerjeitd den Hauptpunft treffen, und je entichiedener fie an⸗ 
dererfeitö auf einen völlig Divergirenden Standpunkt hinwei⸗ 
fen, den der göttlichen Wilfür. Iſt auch die Natur des Gele 
ſtes, wie ja das Denken felbft feiner Natur nach nichts ans 
ders ift, nur Zufammenhang und Bermittlung, fo kann bie 
freie Liebe, wenn durch ihren Begriff die Einwendungen der 
benfenden, auf bie Ermittlung eines natürlichen Zuſammen⸗ 
hangs gerichteten, Vernunft niedergeſchlagen werden ſollen, nur 
die Willkür ſeyn. Und doch kann auch die Steudel'ſche Glan⸗ 
benslehre ſich nicht entſchlagen, ein Element in ſich aufzuneh⸗ 
men, in welchem ſich der Einfluß der Schleiermacher'ſchen nicht 
wohl verkennen läßt. Als das Weſentliche der Lehre von 
der Berfühnung fegt Steudel, daß Gott der ihm durch Suͤn⸗ 
de entfremdeten, und eben damit unſeligen Menſchheit nach 
ſeiner heiligen Liebe zu Huͤlfe kam, indem er den unter jeder 


guten Begründung, mit Rückſicht auf das Bedürfniß der Zeit 
dargefiellt von D. 3. Ehr. 5. Steudel. Tüb. 1834. 
1) A. a. O. ©. 284. 


ur 


642 Ill. Ber. 2. Ray. 


wahrhaft gottesbienftlich und zugangsfähig habe werden koͤn⸗ 
nen u. f. w., fo verräth fich hierin fogar die der Schleies 
macher’fchen entgegengefegte Tendenz, flatt das Negative der 
Aufhebung der Schuld in dem Pofltiven der Eriheilung de 
Lebendgemeinfchaft zu begreifen, vielmehr das Erſtere dem 
Lepteren voranzuftellen, und ebendeßwegen auch Dem leibenden 
Gehorfam, welcher bei Schleiermadyer nur Die Krone des ih 
tigen iſt, eine fpecielle Beftimmung in dem Zwecke der Ber 
fühnung zu geben. Iſt aber dieß Die Hauptidee, fo erwar⸗ 
tet man mit Recht eine. nähere Nachweiſung dieſes Zufammens | 
hangs, da es keineswegs für fich klar if, wie der Sa: dh 
Chriſtus vermöge eines ftellvertretenden, und in der Stellter 
tretung genugthurenden Gehorfams und Leiden® unfere Ge 
rechtigfeit, oder unfere Rechtfertigung ift, zwar aus dem Be 
‚griffe der Verfühnung im engern Sinn abgeleitet, gleichwohl 
aber als der einzige Grund bes Leidens Jeſu nur Die goͤtill⸗ 
che Liebe angefehen werden fol %). Der Zufammenhang alla 
diefer Begriffe erfcheint als ein blos Außerlicher, ber innen 
Vermittlung noch ermangelnder, wenn man nicht etwa biefe- 
be zulebt Doch nur in der Firchlichen Lehre fuchen foll. Unte 
den Gegnern der Schleiermacher’ichen Glaubenslehre verdit F 
hier vor andern der auch in der Lehre von der VBerföhnung em | 
durchaus polemifche Stellung gegen fie einnehmende Steudel) |: 








! 


1) Nisfh a. a. D. Dritte verb und verm. Aufl. Bonn 1837. 
©. 238—248. Es wollte mir nicht recht gelingen, der Nitzſ⸗ 
ſchen Lehre eine befriedigendere Seite abzugewinnen. Wie 
ſehr Nitzſch felbit gerade in diefem Lehrſtück nach einer Es 
reren Saflung gerungen hat, zeigt am beften die Vergleichung 
der verfchiedenen Ausgaben des Nisfch’fchen Lehrbuchs. A 
der Nisfch’fchen Lehre vom Sohn Gottes waltet noch zufehr 
der altteffamentliche Meffinsbegriff vor, als’ dag nicht aud 
die Lehre von der Verſoͤhnung fich zu einfeltig an Ef. 52. 
und 53. hätte anfchließen müffen. 

2) Die Glaubenslehre der enangel. proteft. Kirche, nach ihrer 


GSteudel. 643 


genannt zu werben, Ginwendungen, wie folgende, daß Das 
Schleiermacher'ſche Gottesbewußtſeyn ben bibliichen Begriff 
der Sottfeligkeit nicht erfchöpfe, daß Die vorausgefehte Vers 
mittlung der Gemeinſchaft Chrifti durch die Gemeinde den 
biblifchen Standpunkt verrüde, mit dem von Schleiermadher 
ſrelbſt angegebenen Unterſchied der evangeliſchen und katholi⸗ 
ſchen Kirche ſtreite, und den hiſtoriſchen Chriſtus in eine bloße 
Idee umſchlagen laſſe, daß die Anſicht von dem glaubigen 
Anſchließen des Einzelnen an den perfönlichen Chriſtus nur 
bei dem Streben, Natur, als analog den Geſetzen der organi⸗ 
ſchen Natur, audy im Reiche des Geiſtes zu haben, als eine 
magiſche und ſeparatiſtiſche erſcheine, hingegen als naturge⸗ 
aß, wo die felbftftändige Natur des Geiſtes, und die freie 
‚aber nicht trügende Natur der Liebe, als der einigenden, nicht 
‚nibfannt werde t), find nur um fo bezeichnender, je befier fte 
merſeits den Hauptpunft treffen, und je entfchiedener fie ans 
ſeits auf einen völlig divergirenden Standpunkt hinwei⸗ 

fen, den der göttlichen Willkur. Iſt auch die Natur des Gei⸗ 
ſtes, wie ja dad Denken felbft feiner Natur nach nichts an« 
ders iſt, nur Zuſammenhang und Vermittlung, ſo kann die 
freie Liebe, wenn durch ihren Begriff die Einwendungen der 
denkenden, auf die Ermittlung eines natuͤrlichen Zuſammen⸗ 
hangs gerichteten, Vernunft niedergeſchlagen werden ſollen, nur 
bie Willkür feyn. Und doch Tann aud) die Steudel’fche Glan⸗ 
venslehre ſich nicht entſchlagen, ein Element in ſich aufzuneh⸗ 
men, in welchem ſich der Einfluß der Schleiermacher'ſchen nicht 
wohl verkennen laͤßt. Als das Weſentliche der Lehre von 
ber Berfühnung fest Steudel, daß Gott der ihm durch Suͤn⸗ 
de entfremdeten, und eben damit unſeligen Menſchheit nach 
ſeiner heiligen Liebe zu Huͤlfe kam, indem er den unter jeder 


guten Begründung, mit Rückſicht auf das Bedürfniß der Zeit 
dargefiellt von D. J. Ehr. 5. Steudel. Tüb. 1834. 
1) a. a. O. ©. 284. 
0 44 * 


646 ill. Ber. 2. Rap, 


dem Bewußtfeyn der Menfchheit mitgetheilte Einheit des Göt- 
lichen und Menfchlichen ift, bie allen das wahrhaft chrifl. 
he Princip der Verföhnung in ſich fhließt, mit welchem NXm 
men ſie auch bezeichnet werben mag, fen es mit dem negal- 

ven Begriff der Sündenvergebung und Strafenaufhebung, 
oder bem pofitiven der Kindſchaft Gottes und ber Lebendge 
meinfchaft mit Chriftus. Je weniger aber auch in der &tew 
del'ſchen Darftelung der Lehre von der Verföhnung bite 
wefentliche Begriff Kar und beftimmt aufgefaßt und durchge⸗ 
- führt ift, defto mehr muß man aud) in ihr die fichere willen 
fhaftliche Haltung vermiffen ). Als bemerfenswerthe Be 





. 4) Zu ber Unklarheit der Sterdel'ſchen Darfielung rechne id 
befonders auch die Unterfcheidung der beiden Momente, ver 
welchen ©. 265. f. die Rede if, Des objektiven Gegebenſeyn 
Ehrifti, und der fubjektiven Befähigung zur Hinnahme Ehris 
fi. Was. foll diefe Befähigung feyn? Die Offenbarung der 
Liebe Gottes, fagt Steudel, Ebnnte für den Menfchen mt 
etwas Aeuſſeres Hleiben, wenn ihm Chriftus nicht fo gefchent! 
wäre, daß er ihn als die vor Gott geltende Gerechtigkei 
fich aneignen konnte, wenn nicht die Befähigung, Ehrifi Ge⸗ 
rechtigkeit in fich aufzunehmen, dem Menfchen verbürgt wi 
re. Ewig nimmermehr könnte der Menfch, als Sünder, lid 
als Gegenftand des göttlichen Wohlgefallens erfaffen, d. h. 
feine verfühnende Kiebe fich denken, welche dem Sündigen 
in ihm ſich zumendete. Darum bedürfe ed nothmendig der 
andern Seite der Verfühnung zu deren wirklichen Zuſtan⸗ 
defommen, daß der Menſch, das dem heiligen Gott Wohlge 
fällige in fich gepflanzt habe, d. b. den Gehorfam Ehrifi 
als Lebenskeim in fich aufnimmt. Wie kann aber, muß hie 
gefragt werden, dieß Lettere gefchehen feyn, ehe Sort dem 
Elinder fich zugewendet hat? Würde fo nicht, was allen 
durch die Berfühnung bedingt feyn kann, zum Bedingenden der 
Berfühnung gemacht? Iſt aber die Verſöhnung fchon obiel: 
tiv gegeben, dann fragt es fich, ob Die in ihr fich offenba: 
rende Liebe Gottes dem Menfchen nicht blos Aufferlich blei⸗ 


Steubdel. 647 


ente, welche, bei allem Schwanken, body zugleich ein über Die 
chliche Theorie hinausgefchrittenes dogmatiſches Bewußtſeyn 
urkunden, duͤrfen noch folgende hervorgehoben werden: 1) daß 
ich hier von einer Aufhebung ber Strafen, zumal der pofi⸗ 
ven, als dem Mefentlichen der Sündenvergebung und Ver⸗ 
mung nicht die Rede ift, wozu die Verſuchung um fo nä⸗ 
r lag, da Steudel die naturlichen Strafen in die Reihe ber 
tiven eintreten läßt, und die letztern gerabe als biejenigen 
trachtet, deren Eintreten die Idee eines heilig waltenden 
blies fotbere 2); 2) daß gegen die Tirchliche Theorie einge- 


be, wenn er die Gerechtigkeit Chriſti nicht in fih aufnähme. 
Soll die die Befähigung zur Hinnahme Chrifti fen, fo 

ſtimmt zwar auch dieß mit der Schleiermacher’fchen Dogmas 
tik zuſammen, offenbar aber iſt die Stellung und Bezeich⸗ 
nung dieſes Moments nicht paſſend. J 

1) Deßwegen nämlich (vgl. a. a. O. ©. 225.) weil ber Menſch, 
je fündiger er fen, um fo weniger das GStrafbare der Gin 

+ de, eben vermöge der Li der Sünde, in fich zur Geltung 
Tommen laffe. Man vergeffe bei der Behauptung, daß in 
der Sünde felbft auch ihre Strafe liege, die wahre Natur 
der Sünde, wie diefe, je mächtiger fie fey, gerade dem Men» 
fhen um fo mehr den Sammer und die Größe der Sünde 
verberge, und mehr und mehr zur Freude am Bbſen ums 
fchlage, fo daß die Strafe der Sünde im umgelchrten Vers 
haͤltniß zu ihrem Wachsthum abnehme, fatt im Verhältniß 
zur überhandnehmenden Macht der Sünde fich zu fleigern. 
Läuft aber dieß nicht am Ende auf einen fehr Aufferlichen 
Begriff der Strafe hinaus, wobei die innere Negativität des 
Bbſen, das Gericht, das die Sünde in fich trägt, verfannt 
iR? Wer kann glauben, daß die Freude am Bien, auch 
blos ſubjektiv betrachtet, eine wahrhaft beglückende ik? Es 
gehört zur Natur der Sünde ſelbſt, daß fie mit dem Uebel 
äufammenhängt, alfo andy einen Keim der Eelbfizerfidrung, 
oder ihre eigene Strafe, in fich träge. Weit gefehlt alfo, 
daß fie, je mehr fie fich vollendet, um fo mehr fich der Stra: 


- 


0648 Ill. Ber. 3. Kay. 


wendet wird, fie falle Die Gerechtigkeit Gottes nach der Ana⸗ 
logie der menfchlichen, während die Gerechtigkeit nad) Ihrem 
wahren Begriff nur durch die Vollziehung der Strafe am 
Schuldigen befriedigt werben könne. Ebenſo wirb Die ale 
Unterfheidung des thuenden und leidenden Gehorfams mit 
dem Schleiermacher’fchen Grunde zurüdgewiefen, daß ber ih ' 
dende nur die Krone des thätigen fey. Wenn Daher auch wie 
ber vom Tode Chrifti, ald einer Beranftaltung namenllich 
der ausgleichenden heiligen Liebe Gottes die Rede tft, fo fol 
Dieß Doch nur davon verftanden werden, Daß die Bereitwillig- 
keit Gottes zur Eüindenvergebung nicht anders, denn zugleiq 
auch im Ernfte der Heiligkeit, al8 der abfoluten Gegnerin von 

allem Böjen, fi kund thue *). | 


Drittes Kapitel, 


Neue Verfuche einer Verfühnungstheorie, hbauptfäd 

lih im Segenfag gegen die kirchliche Lehre, und dw 

durch veranlaßte neue Rechtfertigungen der letztern. 

Klaiber, Menfen, Stier. Die evang. Kirchenzeitung 
Göſchel. 


Schon bei den zuletzt erwähnten Darſtellungen ber Ver 
ſöhnungslehre iſt das mehr oder minder negative Verhälmiß, 
in welches fie fich zur kirchlichen Lehre feßen, befonders be 
merkenswerth. Daffelbe negative Verhältniß zur Firchlicen 
Lehre ift der am meiften gemeinfame Charafter einer Reihe 
neuer Verfuche einer VBerfühnungstheorie, welchen bier ihre bes 
fjondere Stelle anzumeifen tft, da in ihnen auf der einen Seite 
das allgemeine Streben der Zeit fehr fichtbar ift, das Dogma 


fe entzieht, fie geht ihr, ihrer Natur zufolge, nur un fo um 
vermeidlicher entgegen. 
) A. a. O. S. 269. f. 267. 





Klaiber. 649 


fer und innerlicher aufzufafien und zu begründen, auf ber 
idern aber fich nichts wahrnehmen läßt, was fie in eine 
eciellere Beziehung zu ber den Gang des Dogma’s beftim- 
enden Hauptrichtung ſetzte. Daher können fie nur unter 
m angegebenen Gefichtöpunft bes Verhältniffes zur kirchli⸗ 
en Lehre, je nachdem fie Sch entweder in Oppofition zu ihr 
ben, ober ihre Rechtfertigung und Begründung übernehmen, 
ſammengefaßt werden ?). 

Aus dem Gefichtspunft einer Antitheſe gegen die alte 
ehliche Satisfactionstheorie ift hauptfähli auch Die durch 
ne klare und lichtvolle Entwidlung, und insbefondere eine 
hr gründliche eregetifche Erörterung ſich auszeichnende, in 
danchem an die Steudel'ſche Glaubenslehre fich anfchließen- 
: Klaiber’fhe Unterfuchung der neuteftamentlichen Lehre von 
r Sünde und Erlöfung °) aufzufaflen. Schon die Unter- 
yeidung, von welcher Klaiber in dem unfer Dogma betref- 
nden Theile feiner Unterfuchung ausgeht, indem er, der dop⸗ 





1) Von einer unevangelifchen Form des Firchlichen Dogma’s 
fpricht auch A. Hahn (Lehrbuch des chriftl. Glaubens, Leipz. 
1828. ©. 488.), fo jedoch, daß er im Tode Jeſu den Begriff 
eines allgemeinen Sühnopfers fefihält, um deffen willen Gott, 
und fo wahr er den Gefreuzigten aus dem Tode erwedte, 
den Reuigen alle ihre Schuld erläßt. Die ganze Behandlung 
diefer Lehre hat aber zu wenig einen wiffenfchaftlichen Chas 
after, als daß etwas gefchichtlich merfwürdiges aus ihr hers 
vorzuheben, und weitere Rüdficht auf fie zu nehmen wäre. 


3) Chr. B. Klaiber gab zuerſt heraus: Die Lehre von der Vers 
fBhnung und Rechtfertigung des Menfchen, ein philof. ereg. 
Berfuch. Tüb. 1823. Eine völlige Umarbeitung diefer Schrift 
if die obige ſehr ausführliche Abhandlung in den von Klai⸗ 
ber herausgegebenen Studien der enang. Geiftlichkeit Würs 
tembergs VII. 2. VIE. 1. u. 2. 1835 — 36. Hieher gehören 
blos VIE. 1. u. 2.: Die verfühnende Bedeutung des Lebens 

und Todes Chrifti. 


650 III. Ber. 3. Kap. 


pelten Beziehung zufolge, nach welcher das Leben Chrifti, al 
des Gottes⸗- und Menfchenfohnes aufzufaflen ift, als die Bes 
fchiedenheit und Einheit des Göttlichen und Menfchlichen und 
ald die Darftellung des Göttlichen in der Form des menſch⸗ 
lichen Lebens und Bewußtſeyns, das Verfühnungs- Werk als 
eine Darftelung des Göttlichen und göttlicher Ideen an ſich 
und eine Darftelung menſchlicher Lebens-Verhältnifie, zumBe | 
hufe der Befreiung der Menfchheit von allem Ungöttlihen 
und der neuen Einigung. derfelben mit dem Böttlichen, beirach⸗ 
tet zeigt den umfaflenden Standpunft, auf welchen fich dieſe 
Unterfuhung ftelt. Der erftere Punkt betrifft fogleich die 
Hauptfrage, um welche es ſich ber Eirchlichen Lehre gegenübe 
handelt, wie Diejenigen Eigenſchaften des göttlichen Weſens, 
“ welche fich in bem allgemeinen Begriffe des Haſſes des Bir 
fen vereinigen, alfo namentlid die Heiligkeit und: Gerechtig⸗ 
feit, theils an fih, theils in ihrem Verhältniß zu der Ace 
und Gnade Gottes, aufzufaflen find; Im Gegenfah gegen 
die Trennung der Heiligkeit und Gerechtigkeit von der ver 
gebenden Liebe und Gnade Gottes, worauf die Firchliche Lehre 
beruht, wird vielmehr geltend gemacht, daß die göttliche Ge 
rechtigfeit nur in Einheit mit feiner heiligen Liebe, d. h. nur 
als Aeußerung imd Darftellung berfelben, in dem Verhältnis 
zu endlich freien Wefen, aufzufafien fey, da alle, nur in de 
Abftraftion getrennten, göttlichen Eigenfchaften in der abfolus 
ten Vollkommenheit feines geiftigen Wefens Eins feyen. Es 
Laffe fi} daher, wirb weiter entwirfelt, in Gott Feine Eiger 
haft oder fein Wille denfen, welcher, wenn ed feiner heiligen 
Liebe gemäß fey, zu vergeben, dieſer ©nade antithetifch ent- 
gegenträte. Beftimme man Dagegen bie Gerechtigkeit als ei⸗ 
ne die Strafe abfolut und unbedingt fordernde Eigenſchaft, 
ſo daß ohne Genugthuung Feine Vergebung ftattfinde, fo ba 
be diefer Begriff feine eigentliche Quelle in einem egoiſtiſch 
aufgefaßten Begriff der göttlichen Ehre. Ebenſo irrig feyen 
die Dabei zu Grunde liegenden Begriffe der Sünde und Strafe. 


. Blaiber. | 651 


Die Sünde ſey In dem endlichen Weſen immer nur als et⸗ 
was relatived, bie Strafe aber, ihrer Natur nach, nicht als 
ein burch ein Außeres pofltives Geſetz willfürlich mit ber Süns 
be verbundenes Uebel, fondern ald natürliche Folge der Sän- 
de anzufehen, worin fowohl bie Unmöglichkeit ber Uebertra- 
gung auf ein anderes, ald das fünbigende Subjekt, ald auch 
bie Möglichkeit ihrer Aufhebung durch die vergebende Gnade 
Gottes, freilich nur mit der Tilgung der Sünde felbft, liege. 
Der Zwed ber Strafe Fönne nur Befferung feyn, wie von 
ſelbſt daraus folge, daß ber höchfte Wille der heiligen Liebe 
auf die Realifirung der Heiligkeit und Seligfeit in allen We⸗ 
. fen gerichtet fey. Wenn nun aber, wie aus der Entwidlung 
Diefer Begriffe erhellt, Gott, vermöge feiner heiligen Liebe, oh⸗ 
. ne Öenugthuung und Sühne bie Sünden vergeben fann und 
will, fo befteht das Weſen biefer Vergebung in ber Offenba⸗ 
rung der heiligen Liebe Gotted an fündige Weſen für den 
Zwed, die Folgen der Sünde in ihnen aufzuheben. Aus dies 
fem Gefichtspunft ift Daher ber Tod Jeſu zu betrachten, Er 
ift nach) der Lehre des N. T. auf der einen Seite Darftellung 
der vergebenden, von dem Elende der Sünde rettenden Liebe 
Gottes, auf der andern Seite Darftellung der göttlichen Hei⸗ 
ligfeit in ihrem Verhäliniß zu der fündigen Menfchheit. Ob⸗ 
glei nämlich das Verhältniß Gottes zur Menfchheit, auch 
fofern fie eine fündige geworden tft, ein ewiges, in feinem uns 
veränberlichen Wefen begründetes tft, fo hat doch die Menſch⸗ 
beit die vergebende und rettende Gnade Gottes nur durch 
Chriftus, zwar nicht als ob fie Ehriftus erft objektiv für Gott 
felbft vermittelt oder verwirklicht hätte, fondern fofern nur der 
Sohn Gottes, ald der Offenbarer des göttlichen Weſens und 
Willens an Die Menfchheit, fie dieſer miitheilte, für das menfdy- 
liche Bewußtſeyn verniitielte, für den menfchlichen Beſitz ver- 
wirklichte. Was demnach an ſich ſchon aus dem Wefen der 
heiligen Liebe Gottes hervorgeht, wendet fi in dem Tode 
Jeſu der fubjeftiven Seite zu, es ſtellt fich in dem Kreiſe Der 


652 HL Ber. 3. Say. 


menfchlichen Lebensverhältnifie dar, als eine befondere Aus 
prägung jener Liebe in. den Formen und Berhältnifien bes 
endlichen Lebens und Bewußtſeyns. Chriftus ſtellt fowohl 
bie durch die Sünde in das Menfchenleben hereingebradten 
Berhältniffe, mit dem Zwede und der Wirkung ber Beenbi | 
gung derfelben für die Menfchheit, als auch bie Ideale Seite 
des Menfchenlebens dar, welche an die Stelle der Sünde tre 
ten, und durch Chriftus in bemjelben wirklich gemacht wer 
den fol 9. 

Das Michtigfte, was auf jener erftern Seite Liegt, ik in 
dem Satze zufammengefoßt: Durch den Tod Chriftt iſt der 
Menfh von dem Geſetz und dem verbammenden Strafurthel 
defielben befreit. Indem Chriftus theilnehmend eingieng in 
die burch die Sünde erzeugten Uebel der Menfchheit, und 
fich der Durch das Geſetz gedrohten Strafe unterzog, iſt fen 
Leiden ein Leiden wegen der Sünden der Menfchen, und ein 
Leiden nicht blos überhaupt zum Beften der Menfchen, fo 
dern auch an ihrer Stelle, fofern in dieſem Eingehen Chrifl 
in Diefelben die Bedeutung und Kraft der Erlöfung der Menfd» 
heit von denfelben liegt. Diefe Stellvertretung darf aber nicht 
im Einne der Satisfactiondstheorie genommen werden, ſon⸗ 
dern Ehriftus trat nach der Lehre des N. T. in die Leben 
verhältniffe des alten Menichen, in die Sündenleiden de 
Menfchheit, nur ein, um fie zu befiegen und zu beendigen, um 
den Tod, als überwunden, das ihn drohende, aber nur für 
jene alten Lebensverhältniffe geltende Geſetz ald aufgehoben, 
und für den im Glauben an Chriftus in das Verhältniß des 
neuen Lebens Eingetretenen als nicht mehr gültig darzuſtel⸗ 
len. Diefe Bedeutung hat der Tod Jeſu, in Verbindung mit 
feiner Auferftehung, als der vollflommenfte Sieg über alle je 
ne Folgen der Sünde. In der Bredhung und Vernichtung 
der Gewalt des Todes durch den Tod und die Auferftehung 


1) A. a. O. VIII, 1. ©. 5.f. 8.f. 15. 24. 36. f. 74. f. 81.f. 


Klaiber. 653 


Jeſu Liegt alfo das Verdammungsurtheil, das Gott In dem 
Tode Jeſu über die Sünde ausgefprochen hat. Um aber diefe 
Aufhebung des Geſetzes richtig zu verftehen, ift nicht zu vers 
gefien, daß das Geſetz als Ausdrud des Heiligen Willens 
Gottes erft in dem Bewußtſeyn des endlichen und fündhaften 
Weſens, das den göttlichen Willen nur als einen unbedingt 
verbammenden und ftrafenden fich denten kann, feine eigen⸗ 
thuͤmliche Form, und mit dem im Bewußtfenn fih Darkellen- 
den Gegenſatz auch die Heiligkeit Gottes, die in Gott mit der 
Liebe Eins ift, die Form einer ber Liebe entgegenftehenden Ges 
feßesgerechtigfeit annimmt, weßwegen die Ausgleichung beider 
nur auf dem Standpunfte des endlichen, in ben Gegenſatz 
bes Geſetzes und der Gnade getheilten, Bewußtſeyns eine Stelle 
finden farm. Kann demnach die Satisfactionstheorie in dem 
Begriffe des Geſetzes Feinen Stübpunft finden, fo wirb fle 
auch in anderer Beziehung durch die neuteftamentliche Lehre 
von ber Aufhebung des Geſetzes durch den Tob Jeſu ausge- 
ſchloſſen . Denn nicht aufgehoben fönnte das Gefeh feyn, 
fondern ber Tod Jeſu müßte vielmehr als berjenige Aft auf« 
gefaßt fenn, durch welchen das Gefeg, auch nad) feiner ver- 
dammenden Form, in feiner ewigen, durch ben an Chriftus 
vollzogenen Strafaft noch beftätigten, Gültigkeit dargeſtellt wür« 
de, wenn e8 mit feinem Strafausfpruh in einer abfuluten 
göttlichen Gerechtigkeit, im Sinne der Satiöfartionötheorie, ſei⸗ 
nen Grund hätte 2). 

Es ift dieß jedoch nur Die negative Seite der verfühnen- 
den und erlöfenden Thaͤtigkeit Jeſu, welcher noch bie pofitive 
gegenübertritt, auf welcher die heilige Liebe Gottes nach ihrer 
pofitiven Thätigfeit, als die von der Suͤnde felbft reinigende 
mb das heilige Leben in Gott Darreichende Kraft auf eine dem 


9) €8 if dieß ein fehr treffender, zur Widerlegung der Satis⸗ 
- faetionslehre fehr fchlagender Gedanke, im diefer Form Wes 
nigens neu. 

2) A. a. O. G. 83. f. 97. 122. 126. f. 131. f. 139, f. 


III. Ber. 3. Rap. 


Seite neigt fie fi, wenn fie durch die erlöfende und verfüh- 
nende Thätigfeit Chrifti, ald des Sohnes Gottes, ihrer poß⸗ 
tiven Seite nach, ein neues göttliches Lebensprincip der Menſqh⸗ 
heit mitgetheilt werden läßt. Allein bier bleibt fie nur auf ak 
bem Wege ftehen, indem fie, ungeachtet ihrer Proteſtation ge 
gen das blos fymbolifch Vorbildliche, doch über den Begrif 
eines Vorbilde, das der Menich in ſich nachzubilden hat, nit 
hinausfommt. Was foll denn jene höhere Lebens=. und Sie 
gesfraft, die Ehriftus ertheilt, was fol Chriftus ſelbſt als 
Sohn Gottes, was das durd ihn der Menfchheit mitgetheifte 
göttliche Lebensprincip feyn, wenn es nicht als ein abſoluies 
beftimmt ift, d. h. ald dasjenige, durch welches der Mark 
zum Bemwußtfeyn feiner an fich feyenden Einheit mit Gott as 
hoben worden tft? Ohne diefen Charakter der Abfolutheit bleibt 
das ChriftenthHum immer nur eine, neben feiner Lehre, durd 
das Vorbild Chrifti und die fymbolifche Anficht, welche man 
von feiner Berfon und feinem Leben gewinnen Tann, wirlken⸗ 
de pelagianifche Förderung des an fih in der Natur des Maw 
ſchen liegenden Guten. 

Wie Klaiber bei feinen Unterſuchungen über die Lehr 
von der Verſöhnung, hauptfächlich den Gegenſatz .gegen die 
kirchliche Satisfactionslehre vor Augen hatte, fo reizte dad 
Anftößige, Das man feit alter Zeit in ihr fand, fortgehend 
auch noch in der neueften Zeit felbft folhe, Die im Uebrigen 
ganz auf dem Standpunfte des Firchlichen Offenbarungsglaw 
bend ftunden, zu einem Widerfprudy, weldyer an die Heftig 
feit der alten Gegner grenzte, und auch größtentheild nur 
längſt vorgebrachte Behauptungen wiederholte. Dieß ift es, 
was bie Hafenfamp-Menken’fhe Verföhnungslehre 2), ſoweit 


656 


nur in der Schleiermacher’fchen Anficht liegen Eann, daf 
überhaupt für Gott Fein durch die Sünde geſetzter Gegenfat 
exiſtirt. | 

1) Dan vgl. über fie befonders den dritten Artikel des Aufſa⸗ 


Haſenkamp. Menken. 657 


in ihrer unmiffenfchaftlichen fragmentariſchen Geſtalt in der 
ihe der zur Gefchichte unfers Dogma's gehörenden Theorien 
e Stelle verdient, hier bemerfenswerth macht. Die Haupt« 
e, an welcher ſie hängt, iſt der ausbrüdlich allem andern 
rangeftellte Sat, daß Gott die Liebe tft, und was nit 
be ift, auch nicht in Gott iſt 9. Won diefer Hauptidee 
8 richtet fich ihr Widerfpruch unmittelbar gegen die Satis⸗ 
tonstheorie, indem fie ihr den Vorwurf macht, Daß bie 
wföhnung, bie fie lehre, nur eine aus Zorn hervorgehende 
rotdnung Gottes fen, daß fte, wenn auch den Blenden das 
vch ‚geholfen werde, doch nur die Veranftaltung eines Zor- 


des in der evangel. Kirchenzeitung: Gefchichtliches aus der 
Verfühnungs: und Genugthuungsichre Gebr. 1837. Nr. 15. f. 
März Nr.20.f. Ueber die Genefis dieſer Theorie wird hier 
(vergl. Sahrg. 1830. Pr. 70.) bemerkt: Der Begründer iſt 
%. ©. Hafenfamp (CF. 1777.), der nad) eigenem Geftändniß 
von Soein und Dipyel in feiner Orthodorie irre gemacht, 
nun beide vermifchend, ein eigenes Syſtem zu fertigen fuch> 
te, welches auf feine zwei Halbbrüder Friedrich Arnold und 
Johann Heinrich überging, dann von dem Sohne des Bes 
gründers Paflor €. H. ©. Hafenlamp zu Vegeſack eifrig 
vertheidigt wurde, und eine befondere Stüge an dem Paftor 
G. Menken in Bremen erhielt. Die hieher gehörenden 
Hauptfchriften find: Hafenfamp, die Wahrheit zur Gottſe⸗ 
ligkeit. Zeitfehr. I. Bd. 4 Hefte. Bremen 1827—30. Mens 
Sen, Verſuch einer Anleitung zum eigenen Unterricht in den 
Wahrheiten der h. Schrift 1825. Weber die eherne Schlan» 
ge und das fnmbolifche Verhältniß berfelden zu der Perfon 
und Gefchichte Jeſu Chriſti 1812. Zweite Ausg. 1829. Bol. 
Diiander, Zum Andenfen D. &. Menken's. Ein Beitrag 
zur neueßen Gefchichte der Theologie. Tüb. Zeitfchr. für 
Theol. 1832. 9. 2. Die Verföhnungslehre von D. &. Mens 
ten. In wörtlichen Auszügen aus deflen Schriften. Bonn 
1837. 
1) Die Verſbhnungslehre von D. ©. Menken ©. 1. 


Baur, die Lehre von der Berföhnung, 42 


68 Ill. Ber. 3. Kap. 


nes fen, der fchlechterdings nicht vergebe, biß er fich in Strak 
gefättigt habe, und daß alfo Die Liebe bei der Sache nur dar 
in beftehe, daB die Strafe von dem Einen, dem eigentlid 
Schuldigen, hinweggenommen, und auf einen Anbern, den Un 
ſchuldigen, übertragen werde. Nach diefem dem Worte Ges 
tes widerfprechenden ) Syftem, das, ungeachtet feit dreihun 


9» Dielen Widerfpruch fuche Denken in einem Auffag über Ep. 
2,3. in der Haſenkamp'ſchen Zeitfchr. Heft 3. S. 0. auf 
folgende Weife nachzumeifen: „Wäre ed anders, bätte «ia 
Rathſchluß des Zorns vom Anbeginn über die Menfchhel ge 
waltet, hätte nicht die Welt mit Gott, hätte Gott mit ix 
Welt verfühnt werden müflen, Fäme die Anftalt der Ben 
fühnung aud dem Zorn, und nicht aus der Liebe, fo wärk 
Chriftus gefagt haben: Gott bat der Welt gezürnt bis zu 
Tode, ich aber habe die Welt geliebt und bin gefommen, J 
‚mein Leben zu taffen für die Welt, um feinen Zorn zu wer 
ſöhnen.“ Wozu die Anmerkung: „Iſt es nicht auffallend, P 
daß die Lehre von dem, was nach dem einmüthjgen Zeugal) 
aller Glaubigen den Mittelpunft, oder das Herzblatt be 
Schriftlehre, ausmacht, und worin die evangelifche Herrlid ° 
keit des N. T. vor dem A. T. vorzüglich befteht, das Wort, 
oder die Sache und die Lehre von der Verföühnung nad dr 
fnmbolifchen oder orthodoxen Dogmatik auf ein Wort gegrün 
det wird, Das niemals über die Lippen des Eingebornen von 
Dater voll Gnade und Wahrheit gefommen it? Die Op 
matik redet vom Zorn Gottes, feßt den Zorn Gottes ale das 
Erfte und Höchfte, zu deflen Stillung und Befriedigung al: 
les fo hat gefchehen müffen, Chriſtus nie, auch nicht ein ein 
sigesmal. Chrifius redet von der Gnade Gottes, von der 
Liebe feines Vaters. Und nun foll die Rechtglaubigkeit ganz 
befonders darin beftehen, daß man in blinder Anhänglichleit 
an Kirchenväter und Kirchenlehre, und in Enechtifcher Abhän: 
gigkeit von den fumbolifchen Büchern, mit ihnen, in der Lehre 
von der Verföhnung, von dem Zorn Gottes, nicht aber mit 
Chriftus von der Liebe Gotted rede.” Auch in der Stelle 
Eph. 2, 3. behauptet Menken, könne der Ausdruck des Ape⸗ 





Hafenfanp. Menten. 659 


+t Sahren die heilige Schrift für mehr denn dreißig Millio⸗ 
a Menfchen wieder zugänglich geworben fey, bis auf den 
tigen Tag in der Ehriftenheit bominire, beftehe das Weſen 
r Berföhnung Darin, daß ber unendliche Zorn Gottes über 
: endliche Sünde Adams und über die angeborne und wirfs 
ye Sünde feiner Nachkommen in einer der Unendlichkeit die⸗ 
Zornes entfprechenden Strafe getragen, und alfo geſtillt 
d verföhnt werde, da aber diefer Zorn alfo undenkbar und 
erichwenglich fey, daß fein endliches Weſen im Stande ges 
fen, ihn tragen zu fönnen, fo fey darum bie zweite Per⸗ 
ı in der Gottheit Menjch geworden, um mit den Kräften 
e Gottheit die Laft des ewigen Zornd der erften Berfon in 
re Gottheit zu tragen, und durch Erduldung der Strafen 
fer Sünden zu ftillen und zu verföhnen *). Sa, Die kirch⸗ 
he Lehre wird nicht nur befchuldigt, daß in ihr offenbar 
chts anderes, als die Fraffe VBorftellung herriche, welche Die 
he Menge bed Heidenthums nad) ihren vor ung liegenden 
olfsbüchern gehegt habe, welcher zufolge, um die Racheluft 


field nicht bedeuten, daß das Menfchengefchlecht unter dem 
Fluch oder dem verdammenden Wrtheil des Zorns Gottes 

ſtehe, weil es nicht fo fen. Haſenkamp fagt iedoch a. a. O. 
S. 295.: mit Genauigkeit drücken fich die Apoftel dahin aus, 
daß nur diejenigen, welche unter dem Gefes fanden, von 
dem Fluche deffelben erlöst fenen, fofern fie glaubig wurden, 
daß aber die Heiden, wie Abraham, ohne das Geſetz und feis 
ne Drohungen, gleich durch den Glauben an Jeſum, die Kind: 
fhaft und den heiligen Geift empfingen. Nur die Juden 
würde alfo, als unter dem Geſetz fiehend, der’ Zorn Gottes 
treffen, eine, ungefähr wie bei Steinbart (vgl. oben ©. 590.), 
an Dualismus fireifende Vorftellung, die jedoch zu wenig zu 
einem Elaren Begriff entwickelt if, als daß fie weiter berück⸗ 
ſichtigt zu werden verdiente. 

1) Haſenkamos Zeitſchr. H. 3. ©. 268. Menken über die eher⸗ 
ne Schlange ©. 47. 

42 * 





660 MM. Ber. 3. Kap. 


der Götter und ihren vermeintlichen Zorn zu befriebigen, Op I) 
fer herbeigefchleppt worden feyen,"fondern fogar geraden da P 
Meifterftüt des Vaters der Lügen, eine Ausgeburt der Fi # 
ſterniß, ein abgefchmadtes Fündlein der Menfchen und Ted 1 
genannt 9). Mit Socin und Dippel flimmt Daher diefe Br 1 
föhnungslehre, im Gegenfage gegen die Firdhliche, in bem 
Hauptfabe zufammen, daß nicht Gott mit den Menſchen, fon 
dern der Menſch mit Gott verföhnt worden fey. An dien 
Hauptſatz fchließt ſich ſodann unmittelbar Die weitere Behaup 
tung an, daß das Leiden Chrifti an fich Fein Srafleiden, am 
wenigften aber ein ftellvertretendes, gewefen ſey, welche auch 
von Menten, wie von den frühern Gegnern der Satisfactionde 
lehre, namentlich Socin, auf den Widerfpruch zwifchen Bar 
gebung und Genugthuung gegründet wird. “Denn wo kin J 
Schuld gefchenft, gar Feine Strafe erlaffen, wo alles mb ER 
des fo ganz abgeftraft und auägeftraft werde, Daß gar keir 
Strafe mehr übrig bleibe, ja, wo um bie Ueberfchwenglichkek 
oder Unendlichkeit der Strafe zu erlangen, Gott felbft fie üb . 
nehmen, und an fich in feiner Vereinigung mit der Manfk 
heit vollziehen müfle, da könne doch nicht von Gnade m 
Vergebung die Rede feyn. Die Strafe, alfo ber To, } 
hätte von Rechtöwegen alfobald aufhören, und der vorige Ju 
ftand, der Befit des ewigen Lebens, für alle wieder eintrem 
muͤſſen. Aber nicht alfo: der Tod, fage der Apoftel, fey Fol 
ge und Berderben der Sünde, er fey der Sünde Sold md 
Lohn, die Gabe Gottes aber, das freie, durch Fein Wal, 


1) Haſenkamps Zeitichr. a. a. D. ©. 268. 266. 267. 277. And 
Rudolf Stier fagt in feinen Beiträgen zur bibläfchen The 
Iogie ©. 89. von der der Satisfactionslehre zu Grunde lie 
genden Gerechtigkeit, es liege in ihr das in Gott verpflanitt 
Selbft des Teufels, eine Bezeichnung, für welche man hd 
auch auf den hiſtoriſchen Entwiclungsgang diefer Lehre br 
rufen Eönnte, . 


Hafentamp. Menken. 661 


scch Feine Büßung, durch kein Verdienſt und durch Feine er- 
sldete Strafe zu erringende Geſchenk feiner. heiligen Liebe fey 
8 ewige Leben duch Jeſum Chriftum unfern Herrn. Eben 
u fey der Reichthum ber Liebe Gottes, daß er, ohne Strafe 
ı fordern und ohne Strafe zu üben, das fündige Menfchen- 
schlecht von dem Tode, den es fich durch Die Sünde zu⸗ 
gogen habe, durch Anſtalten feiner Heiligkeit, voll uner- 
tünblicher Gottesweisheit und Gotteskraft, erlöst, und dem⸗ 
(ben ewiges Leben gefchenft habe. Daher nenne auch bie 
Schrift das Leiden und Sterben Jeſu niemals eine Strafe, 
wer ftatt der Menfchen erbuldet habe 9. 


In diefen wenigen Säben, welche nichts neued enthalten, 
d ihre Bedeutung nur durch Die Erneuerung eines fo leb⸗ 
ften Widerſpruchs erhalten, ift eigentlich fchon das Wefent- 
be diefer Lehre gegeben. Doch Dürfen wir über diefer mehr 
w antithetifchen Seite die fittliche Tendenz nicht überfehen‘, 
s "auf der mehr thetifchen Seite der Menfen’fchen Lehre in 
wißen, mit ihr verbundenen, eigenthümlichen Vorftellungen 


1) Vergl. Erangelifche Kirch. Zeit. a. a. D. Februar. S. 124. 
Die Verföhnungsstehre von D. ©: Menken ©. 18. Ebenfs 
fast Hafenfamp a. a. D. ©. 281.: Der Vorwurf, die Bir 
bel enthalte Wideriprüche, fen gerecht, fobald die Lehre 
in ihr gefunden werde, daß Gott erlaffene Strafen entwe- 
Der anderswo vollziehen müfle oder fchon vollzogen habe, 
denn Trug und Tänfchung. wäre dann der fo oft bereits im 
A. T. wiederholte Ruhm von Gottes Gnade und großherzis 
gem Verzeihen, ed wäre dann in der Wahrheit von Gottes 
Seite nichts gefchenft, und nur feine Strenge und Gerech⸗ 
tigkeit im Abrechnen verdienten ein zweidentiges Lob. Men⸗ 
Ten macht, wie Klaiber (f. S. 653.), befonders auch auf den 
arellen Widerfpruch aufmerffam, in welchen das Gefeg bei 
diefer feiner hochſten Sanetion mit fi ſelbſt komme. Bel. 
Dfiander a. a. D. ©. 162. en 


x 


662 : ! IL Ber. 3. Kap. 


liegt, In biefer Hinficht darf es nicht für zufällig gehalten 
werden, daß Menfen in demfelben Verhältniß, in welchem bi 
‚tirchliche Lehre mit allem Nachdrud darauf dringt, daß Chr 
ftus nur in der Einheit der menfchlichen Natur mit der gött 
lichen das Werk der Verſöhnung vollbracht habe, bie mög 
(ich tieffte Selbftentäufjerung Chrifti von den unendlichen G 
genfchaften feiner höhern Natur als die wefentlichfte Bedin— 
gung deſſelben betrachtete, und fowohl hierüber als über bie 
Prüfungs» und Suͤndefähigkeit Chrifti die ftärfften, beinake 
in das andere Grirem übergehenden, Ausdrücke gebraudte 
Der Sohn Gottes, behauptet Menfen, babe nicht eine Men 
fhennatur angenommen, wie fie vor dem Yal war, ehe fie 
in Adam durch das Eſſen der giftigen und tödtlichen Frucht 
fündlih und fterblich geworden, vielmehr eine folche, wie fie | 
nach dem Fall in Adam war, und in allen jeinen Nachkom⸗ 


- men fey, eine fterblihe Natur, um fterben zu Fönnen, und 


barch feinen Tod dem die Macht zu nehmen, ber des Todes 
Gewalt hatte, er fey in der Gewalt des fündlichen Fleiſches 
erfchienen. Sündlichfeit und Sterblichfeit gehören zu du 
Weſen der natürlichen irdifchen Menſchheit, ein Unſuͤndliche 
und Unfterblicher jey Fein wahrhaftiger und völliger Adamk 
und Menfchenfohn. Dabei habe er aber ſich nicht nur von 
aller. wirklichen Sünde rein bewahrt, fondern auch Die Sünd 
lichkeit der menfchlichen Natur, die noch Feine wirkliche Sin 
de fey, vom erften Beginn feines Lebens an, fo überwunden, 
verläugnet und gefreuzigt, daß fie nie eine Sünde werden . 
fonnte, bis fie endlich völlig ganz und ewig vernichtet war. 
Er habe die Geftalt des fündlichen Fleiſches in feiner Perſon 
aufgehoben, und fen fo zur Sünde gemacht worden, da er 
den fchmählichen Leib des Fleiſches anzog, die verachtetfte al 
ber Seifteögeftalten, die Geſtalt des fündlichen Fleiſches, an 
nahm. Er habe fidy felbft geopfert, da er durch fortgefehte 
Ueberwindung und Anfopferung biefe Geftalt in ſich vernich⸗ 
tete, fey das verjöhnende Suͤndopfer ber Welt geworben, da 


Menten. 663 


„ec in feiner Perſon die Sündlichfeit der Menfchennatur auf- 
mo pferte und vernichtete, diefe Natur in feiner Perſon unffind- 
ich machte, die fündliche Dienfchennatur in feiner Berfon Gott 
A ad Engeln und Teufen unſündlich barftellte, wie er fie her⸗ 
ach, als er in den Himmel einging, auch unfterblich darge- 
Breit habe. Die Opferbebeutung und Entfündigungsfraft ber 
g: Weiden Chrifti befteht demnach in der Hingabe feines fünbli- 
5* Fleiſches, in der reellen ſittlichen Opferung und Vernich⸗ 
der Sünde durch den weſentlich in ihm wohnenden ewi⸗ 

sen Geiſt, d. h. in Ueberwindung ber alleräußerften Schwie⸗ 
y/ Agleiten des Gehorſams und der allermächtigften Reize zur 
m Sünde, für welche feine menſchliche Natur nicht abfolut un« 
änglih war, in der reinen Vollendung der menschlichen 
Natur in ihm und ihrer Chrenrettung vor Gott, die einer 
„a feiner willen ergebenden Lebens⸗ und Ehrenerklärung über 
fe das menschliche Geflecht überfchwänglich werth war, wäh- 
| = für ihn felbft fein Prüfungsleiden feine Erhöhung zum 








Haupte der Schöpfung wurde Y). Dadurch erhält die Men- 
Ten’fche: Berföhnungslehre nicht nur eine fehr ernfte fittliche, 
\ fondern auch, da die fittliche Kraft Chrifti nur als eine ab- 
: folute gedacht werden kann, eine gewiße fpefulative Bedeu- 
‚ kung, welcher zufolge das. durch Ehriftus der Menfchheit mit« 
getheilte Bewußtſeyn der in der Menfchheit wohnenden abfo- 
luten fittlichen Kraft, die in ihrer höchften thatfächlichen Voll⸗ 
„ endbung in der Perfon und dem Leben Chrifti ſich darſtellt, 
das Princip der Berföhnung des Menfchen mit Gott ift, nur 
- Tommt dieſe Theorie Dadurch mit ſich ſelbſt in Wiberftreit, daß 
fie, je mehr fie darauf dringt, daß Ehriftus nur in der wahr- 
haft adamitifchen, des Göttlichen entäußerten, Menfchheit das 
Werk der Erlöfung und Verföhnung vollbracht habe, in dem- 
felben Berhältniß auch bie Berbindung der göttlichen und 
menfchlichen Ratur, wenigſtens im Sinne des orthodoxen Sy- 


) Die Verfipnungslchte S. 18. f. Dfiander a. a. O. ©. 163. 


664 III. Ber. 3. Kap. 


ftems für unmefentlich halten muß. Ohne Zweifel ift es nu 
aus der überhaupt in der Menken'ſchen Lehre fi) ausipre 
chenden ſtreng fittlichen Tendenz ) zu erklären, dab Menlen 
auch der alten Vorftellung eines Kampfes des Erlöfers mi 
dem Teufel, wie es fcheint, mit einer gewißen WBorliebe fih 
zuwandte. Wenigſtens iſt e8 nur der Zweck der fittlichen Pruͤ⸗ 
fung, für welchen Chriftus während feine® ganzen Lebens auf 
jebe denkbare Weife vom Satan verfucht worden feyn ſollte). 
Konfequent war es endlich, daß eine, von Princip der abſo⸗ 
Iuten Liebe Gottes aus, der Satisfactiondtheorie fich entgegen. 
ftellende Lehre auch die Ausficht auf eine allgemeine 2 Wieder⸗ 
herſtellung eröffnete ?). 


4) Mit diefer fittlichen Tendenz ſtimmt jedoch“ nicht recht zu 
fammen, daß Dienken, gemäß feiner Anficht vom Fall, als 
der natürlichen Folge des Genufles giftiger Früchte, die Erb 

ſünde als ein Unrecht. leiden, und daher die Erldſung dad 
auch wieder als einen gewißermaßen von der Gerechtigleit 

geforderten Erfag darftellte. . Dfiander a. a. D. ©. 160. 

Jeſus follte die Hölle in ihrer ganzen LIR und Bosheit über 

winden. Er Eonnte die Menfchheit nicht erlöfen, ohne die 

- Hölle ganz überwunden zu haben. Der Catan follte an ihm 
das Höchfte beweifen, was fatanifche Lift: und Bosheit ver: 
mag, und Jeſus dagegen das vollfommenfte Wohlverhalten, 
was ein vernünftiges Wefen in Demuth vor Gott und in 
der Liebe zu den Menfchen beweifen kann. Es follte nichts 
geben, wovon der Satan jemals hätte fagen Eönnen, wenn 
Jeſus noch dieſes gelitten hätte, fo wäre er gefallen, wie 
Adam, der Satan follte vielmehr erkennen müflen, Jeſus fep 
unüberwindlich. Verſöhn. Lehre ©. 13. f. Bergl. Dfiander 
a. a. D. ©. 160. 

3) Vgl. Dfiander a. a. D. ©. 171. Bemerkenswerth ift hier 
noch die Verwandtſchaft, in welcher die Menken’fche Lehre 
zum Irvingismus ſteht. Man vgl. die in der Evang. Kir: 
chenzeit. Bd. XXI. 1837. Juli Nr. 55. ©. 433. f. mitge: 
theilten Aftenftücke über die auf den Irvingismus fich be 


ur 


2 


— 


Menken. 665 


In dem Gegenſatz von Zorn und Liebe bewegt ſich die 
Menlen'ſche Verſöhnungslehre, ohne über denſelben anders 


ziehenden Vorfälle in der theologiſchen Schule zu Senf. Aus 
The orthod. and cath, doctrine of our Lord’s human na- 
türe werden folgende, hieher gehörige, Säge Irving's ausge⸗ 
boben: 1. „Chriſtus hat unfer fündhaftes Sleifch, oder un⸗ 
\ fere gefallene Natur angenommen, und fie gegen den Teu⸗ 
fel, die Welt und das Zleifch heilig behauptet. Man denke 
fich jede Art menfchlicher Leidenfchaften, jede Art menfchli- 
cher Irrthümer, jede Art menfchlicher Bosheiten, die jemals 
begangen worden find, man denke fie fih wie den Menfchen 
antlebend und wie verbündet gegen die Heiligkeit deſſen, der 
nicht blos Menfch geworden ift, fondern auch der Sohn des 
Menſchen und Erbe aller Gebrechen, die der Menfch auf fei- 
ne Kinder überträgt (©. 17.). Chriſtus wurde durch alle 
der gefallenen Menfchheit anhängende, und jeden entarteten 
Menfchen beherrfchende böfe Neigungen beunruhigt, nur daß 
fie Sefus nicht beherrfchten, weil ee von Gott geboren oder 
erzeugt war (S. 111.). Sch behaupte, daß die reichhaltige 
Quelle der menfchlichen Verderbtheit auf ihn geöffnet war, 
und daß der (Augiass) Stall der menfchlichen Ungerechtig⸗ 
keit, in feiner Perfon, ihn zu reinigen, und die wilden Thiere 
der menfchlichen Leidenfchaften, fie zu bändigen, ihm gegeben 
waren (©. 126.). Ich glaube, daß es zum Wellen des or- 
thodoren Glaubens gehöre, zu behaupten, dab Chriſtus bis zu 
feiner Auferfiehung, wie Paulus hat fagen Finnen: Nicht 
ich, fondern die Sünde, die in mir wohnt, und 
- mich verfucht in meinem Fleiſch; ganz fo, wie er nach feis 
ner Auferfiehung bat fagen Edunen: Sch bin Iosgetrennt von 
den Sündern. Und aufferdem denfe ich, daß der einzige 
Unterfchied zwifchen feinem Leib der Niedrigkeit und feinem 
Auferficehungsleib der fey, daß die Süinde feiner menfchlichen 
Natur anflebend blieb, und fie fierblicy und verweglich mach» 
te, bis zu Der Zeit, wo er von den Todten auferfiand (©. 127.). 
Es waren in Jeſu Chriſto natürliche Begierden, ehrgeizige 
Beftrebungen und geiftige Dunkelheiten vorhanden (©. 24.). 


666 


Il, Ber. 3. Kap. 


binwegzufommen, als dadurch, daß fie Die eine Seite bei 
Gegenſatzes, den Zorn, in der andern, der Liebe untergehen 


Sein Wille war der nämlichen Stlaverei, wie wir, unter 
worfen, unter dem Drud des Teufels, der Welt umd dei 
Fleiſches (S. 89.). Es iſt eine Fegerifche Lehre, die in der 
Zeugung Chrifti etwas mehr erblickt, als die Einpflanzung 
des Lebens des heiligen Geiſtes in die Glieder feiner menſch⸗ 
lichen Natur, wie es uns durch Die Wiedergeburt eingepfanzt 
ward (©. 140.). Es war im Fleifhe Chriſti ein Hang zur 
Melt und zum Satan vorhanden, und das Geſetz des Zlei« 
[ches war dort ganz und gar gegenwärtig‘ (Baxters Dar: 
fiellung ©. 107.). 2. Um nicht Läugnen zu müſſen, baf 
Chriſtus volllommen heilig gewefen ſey, wird behauptet, „‚daf 
der Hang zur Sünde nicht firafbar if, fofern man fich zu 
fündlichen Handlungen nicht fortreißen läßt, und daß dieſer 
Hang an fich Fein Hinderniß if, vollfommen heilig zu feon 
(Orth. et cath. doctr. G. 153.). 3. Da Sefus Die gefalle 
ne und fündhafte Adamsnatur angenommen hatte, fe Eonnte 
er dem Leiden und dem Zode, die er ertrug, nicht entgehen. 
„Wenn Ehrifus mit feiner heiligen Perfon,’’ fagt Troing, 


die Natur eines fündhaften Gefchöpfes angenommen bat, I 


fonnte er und mußte fogar fierben” (ES. 91.). 4. Da die 
Leiden und der Tod Tefu Chriſti Die nothwendige Folge de3 
Zuftandes, in den er getreten, waren, fo haben fie nicht einzig 
und allein eine Strafe für die Sünden der Welt feyn, und 
er hat fie nicht blos an unferer Statt, ale unfer Bürge, er: 
dulden Eünnen. „Wenn Chriſtus,“ lehrt Troing, nicht im 
Stande eines Sünders war, und Gott ihn doch behandelt 
hat, ale wäre er darin gewelen, fo mag, wenn dieß Die Be: 
deutung ihrer Zurechnung und Vertretung, oder welchen Na; 
men fie Diefer Lehre geben mögen, ift, Diefe Lehre auf immer 
fern bleiben von meiner Theologie.” Srving erklärt fogar, 
daß die Annahme, die Leiden und der Tod Tefu Chrifti feyen 
ein Gott dargebrachtes Opfer, um ung Gottes Gnade zusus 
wenden, ein heidnifcher Irrthum fen, und daß cine folde 
Vorausſetzung von einem hoͤchſt barbarifchen Begriff von Gott 


Stier, 667 


ließ. Auf diefelbe Seite ftellte HR. Stier, welcher mit glei⸗ 
cher Entfchiedenheit erklärte, daß er nichts wiſſen wolle von 
einer Stillung des Zornd des Vaters (Catech. maj. Art. 2.) 
und von einer Verſöhnung Gottes mit und, weil Gott nicht 
Zorn babe, wie ein Menfch, und Feiner Verföhnung bedürfe, 

am wenigften durd) feinen eigenen Sohn, nichts Davon, daß 
‚ bad Leiden Chriftt felbft auch Strafe geweſen fen, weil nur 
die Ueberzeugung vom Mißfallen Gottes ein Leiden zur Strafe 
mache, Chriftuß aber, ald reiner Menſch und Sohn Gottes, 
immerdar gewußt habe, daß ihn der Water liebe, nichts end- 
Lich von einer Zurechnung des an unferer Statt von Chriftus 
geleifteten Geſetzgehorſams, und von einem Wohlgefallen Got⸗ 
ted an uns um Chrifti willen, weil weder Schuld noch Ver⸗ 
dienft Uebertragung leide, und wenn das auch gienge, wir 
Dann ja Berdienft hätten vor Gott, während wir doch ewig 
ohne Berdienft begnadigt werden. Doc wollte Stier den Zorn 
Gottes wenigftens in fubjeftivem Sinne aufrecht erhalten. Die 
Gerechtigkeit Gottes, ſofern fie als Heiligkeit Eins fen, und 
im. Einen Gott Eins ſeyn müffe mit feiner heiligen Liebe, fey 
nur die Forderung allgemeiner Anerkennung des Mißfallens 
Gottes an der Sünde in feinem vollen Ernfte. Das fey die 
einzige Genugthuung, welche Gott vom Sünder verlangen 
müfle, das ſey feine Strafe, d. b. die im Verhältniß zu Gott 


ausgehe.“ Chriſti Leiden haben nach Irving durchaus nicht 
die Zolge, und Gottes Gnade zuzumenden, und die Art und 
Weile, wie fie ung zur Seligkeit verhelfen, tft folgende: Die 
Leiden Jeſu Chriſti gewähren mir die Seligfeit, indem fie 
mir Veranlaffung geben, an die göttliche Liebe in allen No⸗ 
then und unter allen Bedingungen zu glauben, und mir den 
Beweis liefern, daß jemand, der in meinem Zuflande ſich 
befindet, durch den Glauben fiegreich aus jedem Kampfe her: 
vorgehen kann“ (©. 107.). Bon diefer Lehre behauptet Ir⸗ 
ving, daß die Wahrheit feit fünfzehnhundert und mehr Jah: 
ren nicht befannt gewefen fen. 


\) 


668 IL Ber. 3. Rap. 


nothiwendige Bedingung, wenn gefündigt worden fey. Nicht 
Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit feyen alfo in Gott 
ſelbſt im Widerftreit, fondern nur deren Anerkennung im menſch⸗ 
lichen Bewußtſeyn. Der Sünder müfle empfinden, daß Gott 
wider die Sünde fey, und das ſey der Zorn Gottes, nicht in 
Gott, fondern im Sünder, al8 das von der Reinigkeit Got 
tes verurfachte Gefühl des Leidens und ber Bein, das zugleid 
das lautere Feuer feiner Liebe fey; wenn er Vergebung erlan- 
gen fol, fo müfje er die in Gott ewig bereite Liebe der Ber- 
gebung dennoch als eine heilige, die Sünde nicht wollende, 
nur zur Beſſerung vergebende erkennen, ober er erkenne fie 
gar nicht, und bleibe in feinem Bewußtfeyn beim Zorne ?). 
In einer fpätern umfaffendern, die frühere zun Theil berid- 
tigenden, Unterſuchung 2) will aber Stier den zuerft rein ſub⸗ 
- jeftio gefaßten Zorn Gottes wieder in einem reelleren Sinne 
nehmen, obgleich Teineswegs in der Abficht einer Annäherung 
an die Firchliche Lehre, gegen welche vielmehr aufs neue in 
den ftärfften Ausdrüden geltend gemacht wird, was nur im- 
mer gegen fie zu fprechen fcheint. In das Gebiet der forma 
Ien Dialektik, in welchem die Genugthuungslehre mit derſel⸗ 


1) Andeutungen für glaubiges Schriftverkändnig im Ganzen 
und Einzelnen. Erſte Sammlung. Königsb. 1824. Die Ers 
löfung in Chriſto nah Röm. 3, 21—26. ©. 379.f. S. 389. f. 
Wie Hafentamp und Menken fagt auch Stier, die Schrift 
fage nirgends, Chriſtus habe Gott mit uns verſöhnt, fondern 

“uns mit Gott, und in der Umftellung diefer Rede ohne alles 
Recht, fo wie in dem dazu genommenen Begriffe des deut: 
ſchen Worts Verföhnen, der keineswegs im Grundterte fep, 
befiehe der ganze große Mißverfiand, für deffen allgemeinere 
Hebung wohl jest erft die Zeit gefommen ſey. 

2) Andeut. für glaubiges Schriftverfi. Zweite Sammlung. Aud 
unter dem Titel: Beiträge zur biblifchen Theologie. Leipzig 
18238. ©. 24—116. Ausführliche Erörterung der Erldſungs⸗ 
und Verſoͤhnungs⸗Lehre. 


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Stier. 669 


ben Schärfe abzuweiſen fey, mit welcher fie fi) ausgebildet 
babe, gehöre überhaupt das Geheimniß des Kreuzes gar nicht. 
Aber auch als eine bloße Offenbarung und Berficherung der 
| Heiligen Gnade Gottes und eine Erflärung feines Mißfallens 
!_ an der Sünde könne der Tod Jeſu nicht genommen werden, 
| weil dieß vorausfegen würbe, das Verderben des Menfchen 
liege nur im Bewußtfeyn, nicht im Willen, nur im Unglau- 
ben, nicht in der Unmacht, fey nur eine Verſchiebung, nicht ei⸗ 
ne Zerrüttung der Kräfte. Daher weife des Gottmenſchen 
Tod auf des Sottmenfchen Leben, und diefes auf Die Menfch- 
werbung des Sohnes Gottes, ald die Wurzel des Verſöh⸗ 
nungstodes zurüd. Wenn man aber auch im Gebiete des 
Weſens und nicht des Bildes, der Mitiheilung und nicht der 
Darftellung fey, fofern der zweite Adam der Kanal des wie⸗ 
berbelebenden göttlichen Krafteinfluffes fey, durch welchen die 
in der ewigen Gnade längft getilgte, nur in uns zu tilgende 

; Schuld oder Sünde gededt und abgethan, und wir mit Gott 
neu vereinigt werden, fo fey doch mit dieſer Reducirung des 
Verſöhners auf den Wiedergebärer noch nicht alles erklärt, 
und es frage fich immer noch, wie denn die Wiedergeburt uns 
fer8 Weſens der hinreichende Aufichluß zum Kreuzestode Des - 
Gottmenſchen fey. Dieſer Aufihluß wird Darin gefunden, daß 
unfer Fleiſch von Gottes Geift nicht hätte wahrhaft überwim- 

.. den werden-können, wenn Chriftus nur unfer Fleiſch und Blut 
in der Geburt an fi) genommen und nicht auch in feinem 
Qual⸗ und Berlaffungdtode für und umgeboren hätte, da⸗ 
dur, daß er in unferm Fleifh und Blut die Todes⸗ und 
Berderbensmächte und die hemmenden Fähigkeiten beffelben 
überwand, und feine und verwandte Menfchheit zu einem uns 
genießbaren Geiſt⸗, Fleiſch⸗ und Lebensblute verflärte, Durch 
deſſen Genuß vermöge der gläubigen Sehnſucht wir wieder 
Leben in uns bekommen, in deſſen Salbung wir den großen 
unvermeidlichen Umgeburtsproceß unſerer verderbten Natur 
auszuhalten und nachzukämpfen vermögen. Wolle man nun 


670 Ill. Ber. 3. Kap. 


diefen Tod ald den Zorn Gottes auffafien, in welchen Chri⸗ 
ftus für und hineingegeben fey, fo ſey dieß vollkommen ri» 
tig, jobald man nur nicht eine im göttlichen Willen urftändi- 
ge, und in ihm zu befänftigende Nacheluft verftehe, fonbern 
ein in der Kreatur erwachtes finfteres Feuer des Gegenſatzes 
mit dem Lichtfeuer der ewigen Liebe, einen Tod in der Menſch⸗ 
heit, der auch die Heiligkeit Gotted nur als tödtenden Grimm 
zu empfinden vermöge. Wie dieß zu verftehen ift, Drüdt Stier 
noch deutlicher aus in folgenden Worten W. Law's 1): „Das 
foftbare Blut des Sohnes wurde nicht vergoffen, um ihn zu 
befänftigen, der ja In fich Feine andere Natur gegen die Men- 
fhen hat, als Liebe, fondern ed wurde vergoflen, um de 
Zorn, das Feuer der gefallenen Seele zu dämpfen, und in 
ihr eine Geburt von Licht und Liebe zu erzeugen. Wie der 
Menſch in der göttlichen Natur lebt, webt und ift, und vom 
ihr gehalten wird, fey nun feine Natur gut oder böfe, fo Tann 
man auch den Zorn des Menfchen, der in dem finftern Feuer 
feiner gefallenen Natur entftanden ift, in einem gewißen Sin- 
ne Zorn Gottes heißen, wie man von ber Hölle felbft fagen 
fönnte, fie fey in Gott, weil nichts außer feiner Unermeßlich⸗ 
feit ift, aber Hölle ift nicht Gott, noch ift der Zorn Gottes 
Gott, fondern jene ift die Behaufung des Teufels, dieſer der 
feurige Zorn des Teufels“ 2). So fpielt diefe, Dem Vorge⸗ 
ben nach nur auf dem Grunde der Schrift fid) bewegende, Er- 
örterung der Erlöfungs= und Verſöhnungslehre immer ficht- 
barer in die J. Böhme’fche Theofophie hinüber. Um den Tod 
Chrifti in der ganzen Tiefe feiner Bedeutung aufzufaffen, muß 
auch der Zorn Gottes feftgehalten werden. Würde er aber 
im gewöhnlichen Sinne genommen, fo müßte man fich auch 
zu dem fo ftarf perhorrescirten juridifchen Satisfactionsbegriff 


4) The grounds and reasons of christian Regeneration. Deutſch 
Tüb. 1822. $. 23. 24. 
2) Stier a. a. D. ©. 45. 52. 57. 63. 66. 78. 84. 88. f. 


Stier. 671 


befennen. Daher wird nun die Sache zuerft ſubjektiv gewen⸗ 
bet, und der Zorn Gottes fol, freilich in einen fehr uneigentli- 
hen Sinne, nur die im Bewußtſeyn fich ausfprechende und 
fühlbar werdende Mißfälligfeit der Sünde vor Gott feyn. Da 
jedoch diefer rein fubjektive Sinn nicht genügt, jo wird Die 
Sache realer jo genommen, daß unter dem Zorn Gottes das 
ber göttlichen Liebe entgegengefebte finftere Yeuer der Kreatur 
verftanden werden fol. Es ift von jelbft Elar, daß diefes 
Feuer nichts anders ift, als die Sünde felbft in ihrem Ge⸗ 
genfag zu Gott. Wenn fih num aber auch ganz gut denfen 
läßt, wie die Sünde vermöge diefed Gegenfated das Objekt 
des göttlichen Zornes ift, fo bleibt doch völlig unbegreiflich, 
wie fie der Zorn Gottes felbft feyn fol, fomit als göttliche 
Dualität in Das Weſen Gottes felbft verfeßt werden kann. 
Allein bier ift nun der Punkt, wo der Zorn Gottes in das 
Gebiet der. theofophifchen Spekulation übergeht. Der Zorn 
Gottes iſt die Sünde, alfo eigentlich der Zorn ded Menfchen 
und nur in: gewißem Sinne der Zorn Gottes. Sie ift der 
Zorn Gottes, und auch wieder nicht der Zorn Gottes, d. h. 
fie gehört zur Natur Gottes, wie alles, was ift, in Gott iſt, 
gehört aber. auch wieder nicht zur eigentlichen Natur Gottes, 
weil biefe nur die Liebe ift, fie ift alfo in Gott und nicht in 
Gott, fofern in Gott felbft ein Unterfchied ift, nämlid) jener 
Unterfchied der beiden Principien, des finftern und lichten, 
auf defien Vorausfegung das eigenthümliche Weſen der Theo⸗ 
fophie beruht. So wenig auch dieſe Begriffe in der Stier« 
ſchen Darftellung weiter entwidelt find, und fo unwillkürlich 
fie vielleicht zu ihnen hineingeführt wurde, fo ftehen wir doch 
mit ihnen fchon auf einem Boden, auf welchem die Spekula⸗ 


tion aufs neue im Begriffe ift, fih unferd Dogma's zu be⸗ 


mächtigen. 

Hiemit war im Grunde ſchon ein Schritt der Annähes 
rung zur kirchlichen Lehre wieder gefchehen. Der reale Be- 
griff Des göttlichen Zorns, auf welchen fie beruht, war Doch 


672 III. Ber. 3. Kap. 


in irgend einem Sinne wieder anerkannt. Allein eine fo far 
fe Sprache, wie ſich Hafenfamp, Menken und Stier gegen 
diefelbe erlaubt haben, Tonnte nicht unerwiebert bleiben, und 
in einer Zeit befonders, in welcher eine Partei der ewangeli- 
ſchen Kirche es fih zur höchften Aufgabe macht, das wahre 
Heil derfelben durch das Fefthalten am Buchftaben der Sym⸗ 
bole neu zu begründen, war der von vielen Seiten erhobene 
Widerfpruch gegen die Firchliche Satisfaftionslehre zu heraus⸗ 
fordernd, als daß nicht alle Kraft zur Reaktion Hätte aufge 


boten werben follen. So erfchien ber unter dem frieblich lau | 
tenden Titel: „Geſchichtliches aus ber Berföhnungs - md Ge 
nugthuungslehre” einen fehr beftimmten polemifch - dogmali _ 


fen Zwed verfolgende Aufſatz der evangelifchen Kirchenzei⸗ 
tung 9. Im erſten der bisher erſchienenen drei Artikel die 
ſes Aufſatzes wird auf Anfelm zuruͤckgegangen, als denjen⸗ 


gen Kirchenlehrer, deſſen, die Bibellehre in ihrer innern Roth⸗ 
wendigkeit und Vernuͤnftigkeit darſtellende, Theorie ebenfo ge 


wiß die einzige ſey, die uns in den Beſitz des vor Gott gel⸗ 
tenden Verdienſtes ſetze, als es gewiß ſey, daß es Fein eins 
ger Menſch außer Chriſto beſitze *), im zweiten wird Hugo 
Grotius als der Begründer eines theologiſchen juste milies 
in Unterſuchung gezogen, dem in unſerer Zeit fo viele huldi⸗ 
gen, und das zwifchen Wahrheit und Lüge alfo verhandle, 
als ob beides Extreme eines Dritten wären, und als ob nidt 
Wahrheit und Lüge, fondern Lüge und Lüge einander gegen 
überftünden 3), im dritten wird an Hafenfamp und Menke 
nachgewiefen, wie in Folge der Grotius’fchen Scheinorthodo⸗ 
xie in der neuern Zeit eine unendliche Zerfplitterung in um 
ferm Lehrbegriff entftanden fey, in welcher jeder Dogmatifer 


1) Sahrgang 1834. ©. 1.f. ©. 521.f. Jahre. 1837. S. 113.f. 
©. 153. f. 

2) Jahrg. 1834. ©. 3. 4. 

3) Jahrg. 1834. ©. 613. 


Evang. R.Zeitung. 673 


feine Anftcht gebe, und vpn diefer aus bie des Andern bes 
lampfe, und alle zufammen, mehr oder weniger bewußt oder 
unbewußt, der Kirchenlehre gegenübertreten, fo daß nicht mehr 
blos aus dem Lager der Feinde Chrifti gegen die Genugthuungs- 
lehre der Kirche geftritten werde, fondern diefe unter den Glaubigen 
felbft ihre indirekten Verbündeten haben 9. Bei diefem Stan- 
be der Dinge ift leicht zu erachten, welche wichtige Stelle in 
der. neueften Gefchichte unferd Dogma's der genannte Aufſatz 
einnimmt. Zwar follte man denken, das dogmatifche Ver⸗ 
dienſt defielben könne an der ihm hier gebührenden Stelle nur 
in der hiftorifchen Zuruͤckweiſung auf die, für alle Zeiten in 
ihrer ganz einzigen Bedeutung daftehende, Anſelm'ſche Theo⸗ 
tie gefunden werden, allein der Verfaſſer deſſelben hat es 
gleichwohl nicht unterlaffen, fie nad feiner Anficht auf eine 
Weiſe zu begründen, welche für fich felbft näher betrachtet zu 
werden -verdient. Die Hauptfäbe feiner Argumentation find 
folgende: Die Sünde ift in ihrem tiefſten Grunde Negation 
Gottes felbft. Ste tft zwar durch den Sündenfall in die Welt 
gekommen, aber nicht erſt an ſich geworden, vielmehr iſt der 
| Men mit feiner Sünde in die Sünde, das Reich der Suͤn⸗ 
de, gefallen. Das Verhaͤltniß Gottes zur Sünde ift ein ab- 
folutes „es iſt das Verhältniß Gottes zur Negation feiner 
ſelbſt. In dieſem Verhältniß ift der Begriff der Strafe mit⸗ 
gelegt: fie ift nicht außer der Sünde, ald der Negation Got- 
“tes, oder vielmehr das Negative weientlich als Verderben und 
od. Und das eben ift gerade die Macht Gottes, daß. alles, 
was ihm entgegenfteht, Verderben ift, und was fich ihm ent- 
gegenfeßt, dem Verderhen heimfält. Gott als lebendige Macht 
iſt undenkbar, ohne fi immer geltend zu machen, und zu ma⸗ 
nifeſtiren gegen alles, was iſt. Alles was ift, ift aber: ent» 
weder auf Seiten ©ottes, oder auf der Seite der Negation 
Gottes, und darnach erfährt e8 die Manifeftation ſeiner Macht. 


1) Sahrg. 1837. ©. 113. | 
Banr, die Lehre von ber Berföhnung. 43 


674 "A. Ber. 3. Kap. 


Diefe ſich geltend machende Macht Gottes, welche zugleih 
Ausflug feines Willens ift, ift, als Innerer Zuftand im Bes 
hältnig zur Sünde gedacht, fein Zorn. Aus dem Zoms, 
Straf» und Berderbend -Berhältniß, in welchem ber Menig 
ſich befindet, zu feinem urfprünglichen, ihm anerfchaffenen, Helle 
und Lebensverhältniß zurüdzufehren, ift dem Menſchen able 
ut unmöglich, da e8 ſich um die Sünde im Menſechen ſchlecht⸗ 
bin, oder um den Menfchen in der Sünde handelt, um den 
Totalzuftand des Verderbens, um die Rüdfehr aus biefem 
Verhaͤltniß, welches für den Menſchen das Strafverhälniß 
tft. Die Tilgung der Sündenſchuld in der Strafe, und die 
Tilgung der Sünde felbft, in vollfommener Heiligung, if die 
Aufgabe der Erlöfung. So unmöglich aber die Tilgung de 
Schuld und der Sünde für den Menfchen ift, fo unmöglih 
ift fie auch außerhalb des Menſchen, weil dann nidt de 
Menſch, der Sünder, erlöst wäre, Diefe Unmöglichkeiten en 
fpringen aus dem Wefen Gottes felbft, find alfo von ber A, 
daß fie Sott felbft nimmer mehr umgehen Tann. Indem nm 
aber der Sohn Gottes Menfch wurde, und als der menſch 
gewordene Soitesfohn die Tilgung der menfchlicden Sünder 
ſchuld und der Sünde felbft übernahm, that er dieß in de 
menſchlichen Natur, ja, als die menfchliche Natur, ſomit iſ 
in ihm die menfchliche Natur felbft entfündigt, und er bat in 
feiner menſchlichen Natur die ganze Menfchheit vertreten )). 
Würde diefe Argumentation nur auf die Anfelm?fche zus 
rüdgehen, und nichts anderes feyn wollen, als eine einfache, 
etwa eined andern Ausdruds fich bedienende Wiederholung 
berjelben, fo würde fie ſich auch nur in Diefelben Schwierige 
keiten und Widerfprüche verwideln, allein fie will, obgleich 
ſchon Anfelm die Bibellehre in die adäquatefte, der Vernunft 
am meiften entiprechende Form gebradyt haben fol, Doch zu 
gleich über fie hinausgehen, eine noch befriebigendere willen 





1) Jahrg. 183%. ©, 586, f. 


Evang. K.Zeitung. 675 


ſchaftlich gründlichere Löfung des großen Problems geben, 
' zeigt aber dadurch nur um fo auffallender, wie wenig fie aud) 
‘ nur über das Mangelbafte der Anfelm’fchen Argumentation 
hinwegzukommen im Stande ifl. Es erfordert feinen großen 
Scharfſtnn, um fogleich zu fehen, daß es nichts Verungluͤck⸗ 
u teres geben Tann, als den Gedanken, mit welchem fie Die Ans 
k felm’fche Theorie noch überbieten will. Wie die Anfelm’fche 
br geht. fle davon aus, die Sünde in ber ganzen Tiefe ihres 
1. Weſens aufzufaflen, die Sünde kann daher nur etwas Abfo- 
N. Untes feyn, als Beeinträchtigung, oder Negation, der unendlis 
dien Ehre Gottes ift fie feldft etwas Unendliched, allein Ans 

: Selm betrachtet dabei die Sünde immer nur als die freie That 
bes Menfchen, nur fofern der Menſch vermöge feines freien 
illens Gott die ſchuldige Ehre nicht erweist, zieht er fi 
‚eine unenblihe Schuld zu, aber die unerhörte Behauptung 
konnte einem Anfelm nit in Sinn kommen, daß die Sünde 
nicht als freie That des Menfchen, fordern an fich etwas ab⸗ 
ſolutes fey, wie ber Berfaffer des genannten. Aufſatzes behaup⸗ 
tet, wenn er das abfolute Verhältnig Gottes zur Sünde, oder 
das Berhältnig Gottes zur Negation feiner felbft fo beftimmt, 
die Sünde fen durch den Sündenfall nicht erft an fich gewor⸗ 
> ben, fondern der Menfch vielmehr, mit feiner Sünde in Die 
Sünde gefallen. Iſt die Sünde durch die That des ſittlich 

- freien Wefens, das fie zuerft begeht, nicht erft an fich gewor⸗ 
den, ſo ift fie überhaupt etwas von ber fittlichen: Freiheit un⸗ 
abhängiges, eine an fich. feyende. Macht, welche als die Ne⸗ 
gation Gottes Gott gegenüberfteht. Was ift aber dieß an⸗ 
:.» ders, als ein ächt manichäifcher Dualiömus, wie ja auch der 
. Berfaffer dieſes Auffages ohne Bedenken von einem, dem 
Suüundenfall vorangehenden Reich der Sünde fpricht, und al⸗ 
les, was ift, dadurch gefchieden feyn läßt, .daß e& entweder 
auf der Seite Gottes, oder auf der Seite der Negation Got⸗ 
tes fteht. Die Sünde fteht alfo Gott gegenüber, wie im mas 
nichäifchen Syftem auf der einen Seite dad Reich. des Lichte, 

| 43 * 


676. U. Ber. 3. Kap. 


auf der andern dad Reich der Finfterniß fteht, der urfprüng- 
lich dem Reich des Lichts angehörende Menſch, fallt in das 
Reich der Sünde, und kann aus demfelben nur dadurch wie 


der erlöst werben, daß das Kichtreich mit feiner Macht in das 


Reich der Finfterniß eingreift, fich in daffelbe herabläßt, um 
das feiner Natur Verwandte aus demfelben an fich zu zie⸗ 
ben, ftellvertretend in fein Leiden einzugehen, in Diefem Leiden 
aber auch die Macht des Reichs der Finfterniß zu breden, 
da das Princip des Lichtreichd feiner Natur nach In lehter 
Beziehung immer wieder das abfolut überwiegende feyn muß. 
Hier ift nun zwar allerdings Fein jurifiifcher Proceß, wie ber 
bes Grotius, aber ein phyſiſcher, und mit ſolchem phyfiſchen 
Broceß glaubt man am Ende die Wahrheit feftgeftellt haben! 
Es ift in der That bemerfenswerth, wie diefe neue “Theorie 
das gerade‘ Gegenftüd zu des Grotius ift, und wie biefelben 
Vorwürfe, die fie mit allent Recht der Grotius’fchen macht, 
mit demfelben Gewicht auf fie felbft zurüdfallen. Wenn dar 
ber gegen Grotius eingewendet wird, daß er Gott, Sünde, 
Strafe als drei außer und neben einander ftehende Faktoren 
fee, Die ſich wefentlich nicht berühren, zu deren Vermittlung 
und Beziehung zu einander er erft ein Viertes, wiederum 
außer den drei Faktoren ftehendes, fuche, nämlich ein poſitives 
Geſetz, und das aus ihm refultirende Rechtsverhältniß, in die 
fer Abgerifienhett aber weder bie Natur der Sünde, noch das 
Weſen der Strafe, noch der Zufammenhang beider im Mer 
fhen mit Gott zu erfennen fey, fondern nichts als juriſtiſche 
Definitionen übrig bleiben 9), fo berühren fih in dieſer neum 
Theorie zwar allerdings die drei Faktoren, Gott, Sünde und 
Strafe wefentlih, aber diefe wefentlihe Berührung iſt nur 
eine phuftfche, und das Vierte, das fie vermittelt, und in 
Beziehung zu einander feßt, ift auch nur etwas Aeufferliches, 
nämlich der Sündenfall, welcher, fobald ein von demſelben 


1) Jahre. 1834. ©. 586. 


Evang. Peltun. 677 


unabhaͤngiges für fich beftehendes Reich der Sünde gefebt iſt, 


I 


nur als ein Angriff des Reich der Finfterniß auf das Reich 
des Lichts gedacht werden kann. Es find daher mit Einem 
Worte phufiiche Verhältniffe, welche an die Stelle der jurifti« 
ſchen Definitionen des Grotius gefeht werden %. Zwar Tönnte 
es fcheinen, gegen den Vorwurf des Manichäismus habe ſich 
Diefe Theorie hinlänglich Dadurch vorgefehen, daß fie die Suͤn⸗ 
de als die bloße Negation Gottes beftimmt, fomit nur als 


etwas Negatives, nicht aber als etwas Pofitived, wie dieß 


4) Mit diefem phyſiſchen Begriff Gottes fimmt auch ganz zu⸗ 
fammen, was Jahrg. 1837. ©. 172. über den Zorn Gottes 
gefagt wird. Der Zorn wird zwar nicht eine Eigenichaft 
Gottes, aber der Affekt einer Eigenfchaft, nämlich der Hei⸗ 
Kigkeit, genannt. Im Born fen zwar nicht die Liebe aufge» 
hoben, wohl aber die Licbesänfferung aufgehalten. Darin 
aber breche die Liebe wieder durch, daß fie es nicht vertra⸗ 
ge, gehemmt zu fen, und nun diefe Hemmung felbft aufhe⸗ 
be, weil das Gefchöpf es nicht Fönne. „Die Aeußerung der 
Helligkeit Gottes im Zornfeuer” wird weiter mit F. v. Mever, 
Inbegriff der chrifil. Glaubenslehre 1832. ©. 175., gelagt, 
„bat ihren Grund im Wefen Gottes, fie ift aber dieſem We⸗ 
fen an fich fremd. Phyſiſch zu reden, fo ift der Zorn Got⸗ 
tes das abfloßende Princip, feine Liebe das anziehende, beis 
de find Eins, und fließen in der allein ewigen Anziehung 
wieder zufammen. Aber folange die Liche Gottes das Ge⸗ 
ſchopf, das Kind des Zorns von Natur, nicht anziehen Tann, 
mit defien Willen, fo lange bleibt diefelbe Liebe als Zorn 
über ihm, wie eine Wolfe, die der warme Ennnenftrahl zus 
fammenzieht und nicht aufzulöfen vermag.” Den zornigen 
Gott will diefe Theologie um keinen Preis fich nehmen lafs 
fen, dagegen thut fie fich viel darauf zu gut, ben blutdür⸗ 
fligen, oder jenes Prafle Zerrbild, das dem Jüngling in Tho⸗ 
luck's Lehre von der Sünde und vom Derfühner, oder die 
wahre Weihe des Zweiflers (erfie Aufl. 1823. ©. 114. f.), 
als die gewöhnliche Eirchliche Lehre entgegentrat, aufzugeben. 
Jahrg. 1834. ©. 2. 


678 IL Ber. 3. Kap. 


weſentlich zum Manihälsmus gehört, betrachtet. Allein als 
etwas rein negatives kann die Sünde in feinem Falle beirad« 
tet werben, wenn fie Doch bei aller Negativität ihres Weſent 
auch wieder etwas realed und wirkliches ift, und wenn es, 
wie der Verfaſſer des Auffages fagt, fihon vor dem Eünden 
fall eine an ſich feyende Sünde, und ein urfprüngliches Reich der 
Sünde gibt, fo ift ohnedieß dadurch ein rein negativer Bes 
griff der Sünde von felbft ausgeſchloſſen. Unftreitig fann 
das Acht Manichäifche dieſes Dualismus nur - Dadurch beids 
tigt werden, daß die Sünde nicht als etwas an fich ſeyendes, 
fondern als etwas an fih erft gewordenes aufgefaßt wird, 
aber dann Tann auch nicht mehr behauptet werden, daß das 
Verhaͤltniß Gottes zur Sünde ein abjolutes ift, oder dad Der: 
hältniß Gottes zur Negation feiner ſelbſt. Mit dem Begrifk 
Gottes ift allerdings auch die Negation Gottes geſetzt, ſofem 
bie Negation ein abfolutes Moment des Denkens tft, abe : 
Negation und Sünde find nicht identifche, fondern wefentlid 
verſchiedene Begriffe. Wären fie identifch, wäre das Verhält- 
niß Gottes zur Sünde ſchlechthin nur das Verhältnig Gottes 
zur Negation feiner jelbft, fo müßte auch alles, was nidt 
Gott ift, fchlechthin Eünde feyn, aber Die Welt und Der Menſch 
find nicht ©ott, ihrem Begriffe nach von Gott verfchieden, 
.Infofern die Negation Gottes, ohne darum ihrem Begriffe 
nach nicht8 anders zu feyn, als die Eünde, oder das abſo⸗ 
Iute Böfe. Geht man daher, um das Verhältniß Gottes zur 
Eünde, ald ein abfolutes aufzufaflen, auf den Begriff der 
Negatton zurüd, fo muß man entweder Sünde und Negation 
fhlechthin gleichfegen, und die Eünde ift in demfelben Einn 
abfolut, in welchem alles, was nicht Gott ift, die abfolute 
Negation Gottes ift, was offenbar der manichäiſche Dualid- 
mus ift, oder man Fann, wenn man dieſem manichäifchen Bes 
griff der Sünde ausweichen will, nur den Begriff der Nega- 
tion feithalten, die Negation in diefem höchften abfoluten Ein 
ne aber iſt nicht anders, als das logiſche Moment des An: 


Evang. K. Zeitung. 79 


wöfennd, des Unterfchieds, die Diremtion des Enblichen und 
nendlichen, und man betritt ebendamit, wenn die Idee der 
erföhnung auf dieſem Wege begründet werden fol, ein Ges 
et der Spekulation, das von: der Sphäre der Anſelm'ſchen 
atisfactionstheorie wefentlich verfchieden iſt. Dieſe felbft aber 
; weder auf bie eine noch die andere Weife befier gerechtfer⸗ 
zt, ald von Anfelm felbft gefchehen ift, während man doch 
irch Das Beftreben, über fie hinauszugehen, und die rechte 
egründung für fie erft zu fuchen, felbft das Geftändnig ab⸗ 
gt, wie wenig man ſich Durch die ihr von Anfelm gegebene 
orm befriedigt fühle, und wie wenig fte daher auch den ab» 
Inten Vorzug verdienen könne, welchen man gleichwohl ihr 
erfennt. | 
Hieraus ergibt fidh zur Genuͤge, welchen Werth eine fol- 
e Bertheidigung ber Eirchlichen Lehre haben kann *). Wel- 


4) Soll. die Kirchliche Genugthuungslehre vertheidigt werden, 
fo ift der ohne Sweifel von demfelben Theologen, in ben 
Beiträgen zur Vertheidigung der evangel. NRechtgläubigfeit, 
Erfte Lieferung Heidelb. 1825, (oder: die Unwiſſenſchaftlich⸗ 
keit und innere Verwandtſchaft des Nationalismus und Ro⸗ 
manismus in den Erfenntnißprinceipien und Heilsichren des 
Chriſtenthums, dargethban von E. Sartorlus) Kap. 6. von 
der ftellvertretenden Genugthuung Chriſti ©. 121.f., einges 
fhlagene Weg der weit angemeffenere. Hier wird alles auf 
Die Frage: wie das Verdienſt Chriſti, Das nichts anders if, 
als die vollkommene Gefeges » Erfüllung, welche der Natur 
der Sache nach gerecht macht, das unfrige wird? zurückge⸗ 
führt, und zur Beantwortung derfelben gefagt, daß es ohne 

- Schenfung und Hebertragung ung nie zu eigen werden wärs 
Ve. Da nun jenes Schenken und Zurechnen ein rein poſi⸗ 
tiver Alt der göttlichen Gnade fen, fo ergebe fich dar⸗ 
aus, daß wir über unfern Beſitz des Verdienſtes Chriſti 
durch gar Leine Spekulation und Theorie darüber, ſon⸗ 
dern lediglich durch eine auf unmittelbarer Offenbarung 
Gottes beruhende Erklärung feiner Gnade, oder durch 


680 1. Ber. 3. Kap. 


che grobe Verwirrung der Begriffe liegt aber auch ſchon dr 
bei zu Grunde, daß die Lehre, die ald Firchliche vertheidigt 
werden fol, geradezu mit ber Anfelm’fchen identifch genom- 
men wird. Es iſt in den frühern Hiftorifchen Unterfuchunge 
gezeigt worden, welche weientliche Differenz zwiſchen der An- 
felm’fchen und der fombolifchen Lehre der Lutherifchen Kirche 
ftattfindet. Handelt e8 fi) daher um den wahren Begriff 
der legtern, fo ift ed ebenio wenig erlaubt, Beftimmungen, 
welche nach den fombolifchen Schriften der lutherifchen Kirde 
wefentlich zu ihr gehören, fallen zu laſſen, als es erlaubt fegn 
fann, ſolche in fie aufzunehmen, welche nur der Anfelm’ihe 
Lehre eigenthümlih find. Ebenſo falfh iſt das Vorgeben, 
daß die Anſelm'ſche Lehre nicht blos nach Anfelm bei den Re 
formatoren, und durch die blühendften Zeiten der evangelifche 
Kirche hindurch, fondern auch vor Anfelm ſchon in der früße 
ften Zeit der chriftlichen Kirche als Kirchenlehre gegolten ha⸗ 
be t). Zwar foll dieß nur von der Grundlage und da 
Grundzügen der Kirchenlehre zu verfichen fenn, und Hiemi 





die ausdrücliche Verheißung und Zufage des göttlichen Eu 
angeliums vergewißert werden Fünnen (©. 130.). Nur file 
man auch, Tonfequenter Weife, bei dieſer pofitiven Deklara- 
tion des göttlichen Willens einfach fiehben bleiben. Denn 
fobald man, um von ihr den Vorwurf einer willfürlichen 
Rechtfertigungsart, die ebenfo gut auch anders hätte einges 
richtet werden fünnen, abzuwenden, fagt, wie a. a. O. ©. 132. 
weiter gefagt wird, vielmehr laſſe fich gar Feine andere den» 
fen, welche das Geſetz und Evangelium glücklicher, heilia 
mer und zweckmäßiger verbände, welche uns zu gleicher Zeit 
eine ebenfo große Heiligkeit, als Gnade Gottes vffenbarte, 
welche ebenfo Fräftig auf unfere Befeligung, als auf unfere 
Heiligung einwirkte, fo fommt man dadurch fogleich wieder 
in die Theorie hinein, was man body eben auf dDiefem Wege 
vermeiden wollte. 

1) Evang. Kirchenz. 1834. €. 3. 


Evang. R.Zeitung. 681 


ı nicht geläugnet werden, daB fle zu allen Zeiten auch ein 
t -menfchliches Beiweſen und Beiwerf gehabt habe, auf welcher 
v  MWillfür beruht aber eine ſolche Scheidung des Subftanziellen 
t amd Accidenziellen, um am Ende diefe ächt Fatholifche Sta- 
bilität des Dogma's zu Stande zu bringen? Allein ſolche, je 
b -bder vernünftigen Auffaffung der Geſchichte widerftreitende, Bes 
Et hauptungen find freilich nöthig, um den eigentlichen Grund des An» 

ſtoßes der Gegner an der Öenugthuungs =» und Verföhnungslehre 
‚ nicht in dem Eigenthümlichen der Anfelm’fchen Lehre, fondern - 
.im dem vor ihr VBorhandenen, und von ihr Voraudgefesten 
zu finden, mit Einem Worte in Chriftus felbft ), und Män- 
ner, deren Andenfen man doch felbft ein gefegnetes nennen 
muß 2), ald unmittelbare Feinde Chrifti zu brandmarfen. 
-. Darum, darf auch dieß in einer Gefchichte der Lehre von der 
Berföhnung nicht verfchwiegen werden, wie in der neueften 
Zeit jene hochmüthige Verkegerungsfucht, welche alle Verſchie⸗ 
Denheit der Auffaffungsweife des chriftlichen Dogma’s nur aus’ 
‚ber Verkehrheit des Unglaubens herleiten will, und in allen 
Abweichungen von dem Buchftaben der Eymbole, der allein 
gelten fol, und doch nach Belieben auch wieder nur für ein 


4) Jahrg. 1834. ©. 5. belegt, wie fich erwarten läßt mit der 
Stelle: „Der natürliche Menfch vernimmt nichts vom Gei⸗ 
fie Gottes, denn es ift ihm eine Thorheit.“ Der geiftige 
Menſch ift alfe nur derjenige, welcher mit dem Derfaffer des 
Auffages die Anfelm’fche Satisfactionslehre für die reine, nur 
theorerifch gefaßte, Bibellehre hält, alle andern aber, die diefe 
Weberzeugung nicht theilen Fünnen, gehören unter die Kate⸗ 
gorie des natürlichen Menfchen: Kann jener grund= und 
bodenlofe, nur fein eigenes Sch für das reine Drgan der 
Wahrheit haltende Subiektivismus, welchen der Verfaſſer 
des Aufſatzes felbft andern zum Vorwurf macht (Jahrg. 1837. 
©. 170.), fich in irgend jemand gewaltiger aufblähen, und 
thdrichfer geberden, als in ihm felbfi? 

2) Jahrg. 1837. ©. 122. 


682 IH. Ber. 3. Kap. 


menſchliches Beiweſen und Beiwerk erklärt wird, nur ein 
Werk der Lüge erblickt, fich befonderd auch Diefe Lehre für ihre 
Zwecke, zur Förderung defien, was fie evangeliſches Chriſten⸗ 
thum nennt, auserſehen hat. 

Gegen eine juriſtiſche Behandlung der Satisfaktlonsleh⸗ 
re, wie die des Grotius war, glaubten ſich Theologen, wie 
die zuletzt erwähnten, nicht ſtark genug erklären zu können. 
Aber dabei ſollte gleichwohl der weſentliche, nur von dem 
atomiſtiſchen Materialismus der Zeit verfannte, Lebenszuſam⸗ 
‚menhang der beiden Wiffenfchaften, ver Theologie, dieſer Könign 
aller Wiffenfchaften, und der zu ihrer Hülfe beftimmten erftgebor 
nen Tochter, der Jurisprudenz, wie überhaupt, fo Insbefondere in 


= Beziehung auf die Lehre von der Erlöfung auf Feine Wek 


tberfehen werden. Das juriftifche, von Anfelm als Sati& 
faction bezeichnete, von Hugo Grotius nur formel juriſtiſch 
erläuterte Element, fey älter als fein Name, älter als alle ju 
riftifch theologifchen Unterfuchungen‘ darüber, nämlich fo alt, 
als bie Erlöfungslehre felbft, denn e8 beruhe auf der Vermil⸗ 
Iung und Gnade Gottes, und fey fo alt, ald der Nathichluf 
Gottes zur Vergebung der Sünden, und zur Erlöfung de 
gefallenen Menfchengefchlecht8, wurde von einem Juriſten er 
innert 1), welcher dieſe juridifche Seite der Erlöfung in de 
Ephäre der Wiffenfchaft, welche das, was ift, zum Gedan 
fen, zum Begriff, überhaupt zum Verftändniß zu bringen ha 
be, zu vertreten, ſich um fo mehr aufgefordert fühlte, je mehr 
eben diefe Seite in der theologifchen Wiffenfchaft felbft nur 
unvollftändig erkannt, ja felbft von treuen Haushaltern und 


1) 8.8. Söfchel, Zerfireute Blätter aus ben Hand⸗ und Hülfe 
akten eines Juriſten. Wiffenfchaftliches und Gefchichtliches 
aus der Theorie und Praris, oder aus der Lehre und dem 
Leben des Rechts 1832. Vgl. Kiterar. Anzeiger für chrifl. 
Theologie und Wiffenfchaft überhaupt, herausg. von Tholud 
1833. ©. 69.f. Evang. 8.8. 1834. ©. 14. 


Göſchel. 683 


uslegern des Worts Gottes in ihrer nothwendigen und we⸗ 
ulichen Bedeutung verkannt werde. Die Folge hievon war, 
iß ſich Philoſophie, Jurisprudenz und Theologie zu einer 
uen juriſtiſchen Genugthuungstheorie vereinigten, deren We⸗ 
stliches in folgenden Hauptſätzen beſteht: 

Das Wefen der Liebe befteht in der aftiven und paifiven 
emeinſchaft mit ihrem Gegenftande, fie ift aktiv. und paſſiv 
fitheilung. Nach der erften Beziehung erweist fid) Die 
trafe als Liebe dadurch, daß das Recht, näher der, der 
8 Recht und Gerechtigkeit felbft ift, den Verbrecher, welcher 

und ihn verläßt, darum doch nicht verläßt, ſondern auf 
n wirft, und fih ihm mittheilt. Nach der zweiten Bezies 
ng, welche aus ber erften, überhaupt aus der Gemeinſchaft, 
ſthwendig folgt, erweist fich Die Strafgerechtigfeit als die 
ebe dadurch, daß jene, näher die Perſon, welche die Gerech⸗ 
zkeit felbft ift, in Folge der ihrerfeits fortbauernden Gemein- 
yaft mit Lem Geſtraften, deſſen Strafleiden mit leidet, und 
se fih nimmt. Der Unterfchied zwifchen Dem Strafleiden des 
ngerechten und Unheiligen, und dem Strafleiden bed Ge 
chten und Heiligen befteht aber darin, daß jener, weil er 
h vom Rechte getrennt und die Gemeinſchaft zerriffen bat, 
efer hingegen umgefehrt, weil er von dem Uebelthäter nicht 
läßt, fondern feinerfeitS die Gemeinſchaft mit ihm fortfegt 
onft würde er nicht ftrafen), die Folgen des Unrechts als 
n Leiden trägt. In diefem. Strafproceß ber Liebe Liegt zu⸗ 
(eich und volftändig der gefammte Heilungsproceß, indem 
urch die Gemeinfchaft, welche auf der eirien Seite als ein 
widauernder Bund fich bewährt und verwirklicht, auch der 
ndern Seite die Rürffehr und der Zugang dazu eröffnet wird, 
8 wird jedoch zur Realifation dieſes Wiederherftellungspros 
ſſes allerdings noch zweierlei vorausgefest, nämlich von Sei» 
n des Gerechten, welcher ftraft und die Strafe felbft leidet, 
aß er ftärfer fen, als das Unrecht, deſſen Folgen er trägt, 
m Sünde und Strafe überwinden zu können, von Selten 


64 . IM. Ber. 3. Kap. . 


Des Ungerechten, daß er zugreift, d. h. das Beduͤrfniß fühl, _ 
fein Unrecht einfleht, und Doppelt fchmerzlich empfindet, weil 
die Folgen feines Unrechts auf den Gerechten zurüdfalln 
Der Organismus kann das einzelne Eranfe Organ, deſſen 
Krankheit auf ihn zurüdfält, nur dann heilen, wenn einer. 
feits er felbft gefund und ftarf ift, die Krankheit zu bewäll- 
gen, andererfeit8 aber das Organ die Mittheilung Des geſun⸗ 
den Organismus wieder anzunehmen im Stande ift. Hienach 
wird Die Strafe nur dadurch zum Löfegeld der Sünde, daß 
fie der Gerechte auf fi nimmt, das Unrecht wirb nur das 
Durch vergeben, daß es abgebüßt und getilgt wird, abgebüßt 
wird es aber nur dadurch, daß der Gerechte, welcher ſtraf, 
mittelft der Liebes = Gemeinfhaft die Strafe auf fich nimmt, 
um fie zu überwinden, und die Gemeinfchaft wiederherzuftels 
len. Die Satisfaction iſt damit, daß der Ungerechte leidet, 
fo wenig vollendet, daß fie vielmehr wejentlich in dem ſtell⸗ 
vertretenden Leiden bes Gerechten beiteht. Sie .joll Wieder 
herftellung der ®emeinfchaft mit Gott bewirken, kann e8 abe 
nur dadurch, daß Gott als Menfch mit leidet, er felbft bie 
Gemeinfchaft nicht verweigert. Wenn e8 heißt, daß die Ge 
rechtigkeit Satiöfaction fordere, fo ift damit eben nur gefagt, 
Daß fie, als Die Liebe, die Tilgung des Unrechtd und die Wie 
berherftellung des Rechts auch für den, der ed gebrochen hat, 
erheifche, denn es gefchieht der Gerechtigkeit nur dadurch ge 
nug, daß fie wieberhergeftellt wird. Darum befchränft ſich 
aud) die Forderung nicht auf das Strafleiden des Ungerech⸗ 
ten, in welchem vielmehr nur die erfte Liebesäußerung fih 
fund gibt, fie erſtreckt fi vielmehr auf gemeinfames: Leiden, 
Fragen wir, worin das: wefentlih Neue und Eigenthüms 
liche Diefer Theorie beftehe, fo muß man ſich wundern, wie 
eine mit folchem Anfpruch auftretende Theorie bei näherer Bo 
trachtung doch nur auf eine leere, der neueften Philofophie ab. 
geborgte, Phrafeologie hinausläuft. Der Grundgedanke, auf 
welchen fie beruht, ift, daß die Gerechtigkeit nicht blos ald 


Goͤſchel. 68 


abſtrakte Gerechtigkeit gedacht werden duͤrfe, ſondern zu⸗ 
h auch mit der Liebe Eins ſeyn müͤſſe, fo daß, wie bie 
echtigfeit ein Ausfluß der Liebe. ift, in der Strafe Die Ges 
igkeit fi) als die Liebe erweist. In diefem Sinne wird 
r nicht nur gejagt, daß Die Strafe oder das Strafrecht 
Berbrecher auch wieder zu Ehren bringt, fofern die Strafe 
in die Sphäre des Rechts zurüdführt, ihrer Wahrheit 
zulegt- der offenbare Sieg des Rechts felbft tft, als des ob- 
ven Willens gegen den im Unrecht fich geltend machenden fub- 
sen, fondern daraus auch die Folgerung abgeleitet, daß, da 
- Richter das Recht in Perſon ift, ein Richter, welcher 
t, ohne zu lieben, die Gerechtigkeit in .einen todten, einer 
m Wage vergleichbaren Mechanismus verkehren würde. 
nit iſt jedoch nichts gefagt, was nicht längft anerkannt 
ben wäre, und am meiften von allen Denjenigen, wels 
ben Zwed der Strafe in die Befferung bed @eftraften 
n, neu aber iſt nun die Wendung, daß der ftrafende Rich- 
vermöge der als Liebe fich erweiſenden Gerechtigkeit, und 
durch Diefelbe vermittelten Gemeinfchaft mit dem Geftraf- 
das Strafleiden deſſelben zu theilen habe. Allein eben 
zeigt fich in der Anwendung auf das Leiden Chrifti ale 
ungenügende Vorftellung. Iſt die Strafe dazu beftimmt, 
Verbrecher in die Sphäre des Rechts zurüdzuführen, fo 
ſie an ihm felbft vollzogen werden, und die Liebe des 
enden Richters kann ſich nur durch Die Realifirung der 
hen Zwede der Strafe bethätigen. Soll nun aber biefe 
: Theorie eine neue Rechtfertigung und Begründung ber 
öhnlichen Satisfactionslehre feyn, wie fie e8 feyn will, fo 
fie mit derfelben auch vorausfegen, daß Chriftus nicht 
Die Leiden der an ben Menfchen felbft vollgogenen Strafe 
einem Mitgefühl mit ihnen getheilt, fondern dieſe Strafe 
t in feinem ſtellvertretenden Leiden an der Stelle der 
deßwegen von der eigenen Erduldung der Strafe befrei⸗ 
Menſchen uͤbernommen habe. Wie ſoll aber dieß aus den 


686 111. Ber. 3. Rap. 


Begriffen, von welchen dieſe neue Theorie ausgeht, folgen? 
Es iſt nur die willfürliche Unterfchlebung eines in den Br 
miffen auf feine Weife begründeten Begriffs, wenn aus de 
Vorausfegung, der ftrafende Richter dürfe dem Geftraften fer 
ne Lebe nicht entziehen, Die Folgerung gezogen wird, Gott 
muͤſſe Menſch werden, weil fonft die Wiederherftellung ber 
©emeinfchaft nicht bewirkt würde. Diefe Gemeinfchaft beſteht J 
ja fchon darin, daß das Recht, indem es den Verbrecher firaft, 
ebendadurch nicht von ihm abläßt, und foweit fie einer Wie 1 
derherftellung bedarf, gefchieht fie Dadurch, daß eben die Strak | 
in die Sphäre ded Rechts zurückführt. Wer dDieß fefthält, 
wird fi) auch durch folgendes Raiſonnement nicht berebm 
laffen können, irgend einen Schritt weiter zu kommen: „A 
der Oberfläche, bei welcher die faule Vernunft in ber Einbl—— 
dung ihrer Infallibilität ftehen bleibe, fcheine allerdings de 
gefunden Vernunft nichts widerfprechender, als ftellvertreies 
des Leiden, Leiden eines Unfchuldigen für Die Schuldigen, und 
nun zeige es fich gleihwohl, indem wir nüchtern und pri 
fend in die Begriffe felbft eingehen, daß nichts fo fehr, als 
das bloße vereinzelte Strafleiden des Schuldigen dem Begrik 
und Zwede der Satiöfaction widerfpreihe. Wie denn dag Un 
recht, der Abfall von dem gefunden Rechtsorganismus getilgt 
werden könne, wenn dieſer felbft von dem abgefallenen Or—⸗ 
gane ſich entferne, und Damit nichts mehr gemein haben wolle, 
und wenn eine ganze Gattung abgefallen und krank fey, von 
der Fußſohle bis zum Haupte, wie fie geheilt werden koͤnne, 
was ihr Leiden gegen ihren Abfall helfe, wenn nicht der Art, 
ftatt äußerlich davor ftehen zu bleiben, in das Leiden eingebe, 
und zu biefem Zwecke in Die Gattung felbft, als fie felbft, ein- 
gehe? Wozu helfe fonft alle Strafe, wenn der Etrafende mit 
dem Geftraften doch nicht wieder in Gemeinfchaft treten wol 
lea Gewiß, wenn einmal erwiefen ift, daß der Die Stelle 
der Menfchen vertretende Chriftus in den Organismus ber 

Gattung eingegangen, daß er die Gattung felbft ift, fann dem | 





Goͤſchl. 687 


x, Einzelnen nur durch dieſe Weſens⸗Gemeinſchaft, oder vermit- 
ntelft des Zufammenhangs geholfen werden, in welchem der 
ui Einzelne zum Ganzen fteht. Aber woraus folgt denn, was 
J doch hier allein das Hauptmoment der ganzen Argumentation 
x ſeyn muß, dieſes Eingegangenſeyn in die Gattung? Daß es 
i aus dem Begriffe der Strafe, auch nach der hier gegebenen 
j Beftimmung deffelben nicht folgt, iſt ſchon gezeigt. Es koͤnnte 
daher nur aus dem Begriffe ber Liebe abgeleitet werden, ſo⸗ 
"fern ed zum Weſen der Liebe gehört, fich mitzuthellen, und 

>. 4 eine Gemeinfchaft des Wefens und Lebens einzutreten, aber 
- tbendamit verläßt dieſe Theorie, wie fie ja auch felbft zulegt 
‚an die Stelle des Richters den Arzt fett, den juridifchen Bo- 
"den, auf welchen fie fich urfprünglich ftellte, und auf welchem 
Ste fi) allein. bewegen darf, wenn fie leiften fol, wozu fte ſich 
. anbeifchig gemacht hat, aus dem juridiichen Begriffe der Strafe 
und des Strafrechtd eine Debuftion der Satisfaftionslehre zu 
..geben. Offenbar ‚fließen hier zwei verſchiedene Begriffe und 
. Standpunkte in einander. Der Begriff der Strafe geftattet 
nicht, Die Liebe von ber Gerechtigkeit zu trennen (bie Strafe 
- erweist fich fo in dem Dafeyn des Rechts, an dem, der das 
Recht bricht, als Liebe, oder als Gnade, weil in ihr das Recht, 
welches ein But ift, ja das Gute felbft %), feinen Einfluß 
auch dem nicht entzieht, der ſich feinerfeit8 deſſelben begeben‘ 
und verluftig gemacht hat, und die Vergebung iſt die Krone 
der Strafe, mittelft Deren der Uebertreter in die Gemeinfchaft 


4) Söfchel drückt dieß auch fo aus: Die Strafe ift, ald Rega⸗ 
tion des Unrechts, nicht blos ein Hebel gegen den Verbrecher, 
fondern auch für ihn, indem damit nicht blos dem Rechte 
Überhaupt, und dem, der das Unrecht leidet, fondern auch 
dem, der das Unrecht thut, als einem vernünftigen Wefen 
gegen feine eigene Unvernunft Genugthuung verfshafft wird. 
Es ift keine Negation ohne ein pofitives Element, wie follte 
doch die Negation, melde‘ die Negation des Rechts negirt, 
das Recht ſelbſt nicht affirmiren ? 


688 I. Ber. 4. Rap. 


mit dem Rechte, die er zerrifien hat, wieder aufgenommen 
wird), allein der Begriff der Strafe bleibt Doch immer, wie 
ed ber juridifche Standpunkt erfordert, der Hauptbegriff und 
der der Liebe iſt der untergeordnete. Wird aber der Begriff 
der Liebe vorangeftellt, fo tritt der der Strafe in ein unies 
georbneted Verhältniß zu demfelben, und der juridifche Ger 
fichtspunft fait hinweg. Es wird alfo entweder der jurldis 
ſche Geſichtspunkt feftgehalten, aber man kommt auf demfelben 
nicht auf ein ftellvertretended Leiden des Gottmenſchen, oder 
man kommt auf dieſes Refultat, aber nicht auf Dem juribifchen 
Standpunft, auf welchen. man ſich urfprünglich ſtellte, was nicht 
anders ift, als die alte Antinomie zwifchen der Liebe und de 
Gerechtigkeit. Wie demnach hiedurd), wie Göſchel meint, be 
ganze große Snabenakt der Heildordnung zu unferer Erföfung 
ſich als ein Juftizaft erweifen fol, ift gewiß nicht einzuſehen, 
wohl aber mag und, was Göfchel zum Schluffe feiner Gu⸗ 
widlung fagt, daß durch die Berföhnung Gott auch. dem 
Menfchen das werde, was er an fih und für fich ift, abfe 
Inter Geiſt, in welchem bie Fremdheit, die an der Offenbar 
rung’ des objektiven Geiſtes zurüdgeblieben war, vollends ab 
geftreift ift, auf ein anderes Gebiet hinübermweifen, auf wds ' 
chem die Theologie, was fie bei der ihr ftetö fremd bleiben 
den Jurisprudenz nie finden Tann, mit befierem Grunde hd 
der Bhilofophie zu fuchen berechtigt ift. 


VBiertes Kapitel. 


Die neueſte Entwidlungs- Epoche des Dogma's. Zi 
te, Daub, Schelling, Hegel, Marheinede. Die Geg 
ner der Hegel’fchen Lehre. Schluß. 


Ehe wir unfer Dogma auf dem letzten Schritte feined 
neueften Entwidlungsgangs weiter verfolgen, ift es gut, ei⸗ 
nen flüchtigen Blick auf das zuletzt durchlaufene Gebiet deſſel⸗ 


Die neuefte- Entwidlungs- Epoche. 689 


ben zuruͤckzuwerfen. Zwiſchen die beiden Entwicklungs⸗Epo⸗ 
chen, welche, wie für die Geſchichte ber neueften Theologie 
überhaupt, fo insbeſondere auch die Verfühnungslehre, . Durch 
bie Schleiermacher'ſche Glaubenslehre auf der einen und bie 
Hegel’iche Neligionsphilofophie auf der andern Seite bezeich- 
net find, fallen mehrere Verfuche einer Verföhnungstheorie, 
yon. welchen jedoch, wie gezeigt worben ift, feiner zu einer 
felbftftändigen Bedeutung gelangen Eonnte, da fie mit andern 
fon früher gemachten Derfuchen zufammenfallen, und ſich 
von ihnen nur durch eine mehr oder minder unwefentliche Form 
unterfcheiden. Um daher dasjenige, was wir im Verhältniß 
zu ‚dem frühern Entwidlungsgang unfers Dogma’s als ‚einen 
wefentlichen Fortfehritt betrachten können, rein und beftimmt 
aufzufaflen, müflen wir immer wieder auf den Schleierma- 
cherſchen Standpunkt zurüdgehen. Das Eigenthümlicye des 
Schleiermacher'ſchen Standpunkts aber, ſoweit uaſer Dogma 
auf demſelben zu einem neuen Moment ſeiner Entwicklung fort⸗ 
geſchritten iſt, befteht in folgenden zwei Hauptpunkten: 1. Da 
die Verſöhnung ihrem Weſen nach die Aufnahme in die Le⸗ 
bendgemeinfchaft mit Chriftus: ift, fo tft ihr Princip eben das⸗ 
jenige, was die eigenthümliche Würde der Berfon Shrifii kon⸗ 
ſtituirt, alſo die abſolute Kräftigfeit des Gottesbewußtſeyns, 
oder das Seyn Gottes in Chriſtus: mit dem Bewußtſeyn 
dieſer Einheit des Göttlichen und Menſchlichen nimmt der Ein⸗ 
zelne das Princip der Verſöhnung in ſich auf. 2. Sofern die 
Verſöhnung als Aufnahme in die Lebensgemeinſchaft Chriſti 
eine Thaͤtigkeit des Erlöſers iſt, iſt ſie in Beziehung auf den 
Einzelnen keine unmittelbar perſönliche, ſondern eine durch die 
von dem Erlöfer geſtiftete Gemeinſchaft vermittelte, fo daß 
der Einzelne nur ald Glied diefer Gemeinfchaft, und in dem 
ihn mit derfelden verbindenden Gefammtbewußtfeyn ſich mit 
Gott verföhnt wifien Fann, das Princip der Berföhnung zus 
nächft nur aus derfelben in fih aufnimmt. In dieſen beiden, 
in wejentlicher Beziehung zu einander ftehenden, Momenten tft 
Baur, bie Lehre von der Verſöhnung. 44 


690 ME Ber. 4. Ray. 


zwar der Begriff der Berföhnung auf feinen abfoluten Aus— 
druck gebracht, aber auch nur in einer rein geſchichtlichen Ber 
deutung aufgefaßt. Der ganze Proceß, in welchem ber Be 
griff der Verſöhnung fich felbft realifirt, wird nur als ein in 
ber ®emeinfchaft, in welcher das in Chriftus als Einheit ges 
feßte Gottesbewußtſeyn in feinem zeitlichen Werben zu feiner 
gefchichtlichen Realität gelangt, fich entwidelnder angeſchaut, 
nicht als ein objektiv göttlicher, durch welchen, wie bei der kirch⸗ 
lichen Satisfactionstheorie, ein auf dad Weſen Gottes ſelbſt 
ſich begiehender Gegenfag für das Bewußtfeyn Gottes ausge 
glichen werden fol. Die ganze Betrachtungsweife tft eine 
blos fubjeftive. Das von dem Inhalt der Erfahrungen de 
Innern chriftlichen Lebens erfüllte Bewußtfeyn des Cinzelnen 
erweitert fi) zum Bewußtſeyn der Gemeinfhaft, in welde 
fih der Einzelne hineingeftelt fieht, und geht In demfelben fo 
weit zurüd, bis e8 einen bie eigenthümliche Beſtimmtheit die 
ſes Sefammtbewußtfeyns hinlänglich erflärenden Anfangspunft 
gefunden hat, welchen objektiven Grund aber dieſes Princip 
in dem Weſen Gottes felbft habe, in diefe Frage weiter ein 
zugehen, liegt ganz aufferhalb diefes Standpunfts. Und doch 
wird der Geift des Menfchen immer wieder, wie auch bie 
neuefte Geſchichte unſers Dogma's zeigt, auf dieſe Frage zus 
ruͤckgetrieben; er kann ſich nur dann wahrhaft und abſolut 
verföhnt wiſſen, wenn er den Grund bes fein religiöſes Be 
wußtfeyn mit fich felbft entzweienden Zwieſpalts im Weſen 
Gottes felbft aufgehoben weiß. Das iſt Die tiefe Bedeutung 
ber kirchlichen Satisfactionslehre, das die geheimnißvolle An- 
ziehungskraft, die ſie durch die ihr zu Grunde liegende Total⸗ 
anſchauung ausübt, fo unbefriedigend und abſtoßend ſie in al 
len ihren einzelnen Vorftelungen if. Nur wenn Gott den 
Menfchen mit fih verföhnt, oder vielmehr in der Verföhnung 
des Menfchen fich mit fich felbft verföhnt, der fubjeftive Geil 
mit dem objektiven, der endliche mit dem abſoluten Eins wird, 
iſt der Menſch wahrhaft und abſolut verföhnt, nur dann iR 


Die neueſte Entwicklungs-Epoche. 691 


Die unendliche, ben Menſchen von Gott trennende, Kluft ver⸗ 
den, und die Scheidewand aufgehoben, die die Urſache 

daß Gott dem Menſchen immer noch als ein fremder und 
Wietchlofiener gegenüberftcht. Das Letztere if das Mangel- 
hafte und Ungenügende der Schleiermacher’fchen Lehre, auf 
Deſer Seite liegt daher auch das natürliche Ziel, auf welches 
Jas feiner Innern Bewegung folgende Dogma hinftreben muß. 
Wei welche Weiſe der weiter ftrebende Geift die Löfung ber 
zör ihm liegenden Aufgabe verfuchen mag, er fann, feiner Nas 
ir nach, nur von der Subjeftivität zur Objektivität ſich fort- 
| en, nur bier den Punkt finden, auf welchem er zu fei- 
Ruhe fommen fol. So gewiß aber auf diefer Seite der 
Begriff ber VBerföhnung erft zu feiner wahrhaft objektiven Rea⸗ 
Btät gelangen muß, fo gewiß ift auch, Daß burch den erft zu 
‚geibinnenben objeftivern Standpunkt das ſchon von Schleier- 
wocher erreichte Moment der Objektivität nicht wieder aufge⸗ 
werden darf, die Vermittlung der auf den Einzelnen 

—* beziehenden erlöfenden und verſöhnenden Thätigfeit Chriſti 
[pur bie von ihm geftiftete Gemeinfchaft, fofern als objefti- 
we Wahrheit nur das gelten kann, was im gefchichtlichen Be⸗ 
„wußtſeyn der Menfchheit, in dem natürlichen Zufammenhange 
Wer Gattungs-Gemeinfcyaft, von welcher das Individuum ges 
engen und beftimmt wird, in feiner Objektivität fich geltend 
u machen im Stande ifl. Im dieſer Hinficht iſt zwar ſchon 
hier ber Uebergang von dem Standpunft der Subjeftivität zu 
bdem Standpunft der Objektivität, aber gleichwohl iſt diefe 
- ganze Sphäre, da das Geſammtbewußtſeyn der Gemeinſchaft, 

: in welcher der Einzelne ſteht, nur das erweiterte Bewußtſeyn 
des Subjekts iſt, eigentlich nur als tie Ephäre bes ſubjekti⸗ 
ven Bewußtſeyns anzuſehen, und die Aufgabe kann daher nur 
bieſe ſeyn, die beiden Momente, durch welche der ſubjektive Geiſt 
mit dem objektiven ſich zur Einheit zuſammenſchließen ſoll, das hiſto⸗ 
riſche und das ſpekulative, fo mit einander zu vermitteln,‘ daß ſich 
in beiden die lebendige Bewegung bes abfoluten Geiſtes offenbart. 


44 * 














6% Ill Ber. 4 Kap. 


Wie das, in der von Chriſtus geftifteten Gemeinfchaftg 
gebene, gefchichtliche Moment, als die Seite des ſubjekin 
Bewußtſeyns, in ber Schleiermacher'ſchen Glaubenslehre zuh 
zu feinem Rechte gekommen ift, aber auch nur in feiner. &e 
‚ feitigfeit fich darftellt, fo ift-jened andere Moment, das rea 
fpefulative, das als ein philofophifches ganz dem neuern 
wicklungsgange ber Philofophie angehört, ſchon früher af 
eine um fo einfeitigere Weife hervorgetreten; wir müflen da 
ber hier etwas weiter zurüdgehen, um bie verfchiebenen Sb 
den, an welchen die Entwicklung bed Dogma’s weiter m. 
läuft, zur Einheit zufammenzufaffen. 

Sobald bie neuere Philofophie von der Außerften Enke 
der Subjeftivität, in welche fie fich in dem Sch - Brincip ber 
Fichte'ſchen Wiſſenſchaftslehre verlief, fich wieder zuruüͤckwand⸗ 
te, um dem Subjeft wenigſtens das Objekt in gleicher Bebew 
tung zur Seite zu ftellen, und das Abfolute. als die abfolnke 
Sdentität des Subjeftiven und Objektiven‘ aufzufaflen, wer 
fhon dadurch auch für die chriftliche Verföhnungslchre, wem 
wir auf die Geftalt zurüdfehen, welche fie zulegt durch be 
Kant'ſche Philofophie erhalten hatte, ein neuer entſcheidende 
MWendepunft gefommen, und fie wurde nun zunächft unter 
den objektiven Gefichtspunft des Verhältnifies Des Unendlich 
und Endlichen geftellt. Es gefchah dieß fchon Durch Fichte 
felbft. Die wefentlihe Modifikation, welche Fichte feiner m 
fprünglichen Lehre dadurd gab, daß er an die Stelle de 
abfoluten Ichs Gott und das göttliche Leben als das Eine 
wahrhaft Seyende, außer welchem nichts iſt, feßte, hatte, ald 
die Anmelfung zum feligen Leben, wie Fichte felbft feine neu 
Lehre nannte, eine fehr nahe Beziehung zu der chriftlichen Lehre 
von der Berföhnung, welche in der Form, die fie hier erhiekt, 
ber innerfte und weſentlichſte Akt des göttlichen Lebens felbk 
wurde. Die Hauptfäge Diefer Lehre verdienen hier um fo mehr 
eine Stelle, da ſie und fihon früher fogar in Derfelben, nur 
wenig verfchiedenen, Form ald eine merfwürdige gefchichtlick 


‘ 
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Fichte. 693 


ne begegnet find. Es ift außer Gott, lehrt Fichte ©), 
einft Scotus Erigena, gar nichts wahrhaftig und in der 
entlihen Bedeutung des Worts, da, ald das Wifien, und 
Hefee Wiſſen ift Das göttliche Dafenn felbft, ſchlechthin und 
anunitidber, und wiefern wir Das Willen find, find wir fel- 
= er in unferer tiefften Wurzel das göttliche Dafeyn. Alles 
aambere, was noch als Dafeyn uns erfcheint, die Dinge, bie 
—— bie Seelen, wir ſelber, inwiefern wir und ein un⸗ 
ftändiges und unabhängiges Seyn zufchreiben, ift gar nicht 
hrhaftig und an’ fi da, fondern es ıft nur da im Be- 
wußtſeyn und Denken, als Bewußtes und Gedachtes, und 
a Aurchaus auf Feine andere Weife. Gott iſt nicht nur innerlich 
md in fich verborgen, fondern er ift auch da, und äußert 
r ‚md offenbart fich, fein Dafeyn aber unmittelbar ift nothwen⸗ 

Dig Wiflen, oder Bewußtſeyn und Selbftbewußtfenn (dad Da⸗ 
ſeyn bed Seyns tft das Bewußtſeyn, Die Vorftellung des 
„.Geme). In diefem feinem Dafeyn ift er alfo da, wie er 
* Achlechthin in ſich ſelber iſt, ohne irgend ſich zu verwandeln, 
auf dem Uebergang vom Seyn zum Daſeyn, in ſich felbft Ei⸗ 

nerlei, ohne Veränderung noch Wandel, und da wir das Wiſ—⸗ 
— ſen oder dieſes göttliche Daſeyn ſelbſt ſind, ſo kann auch in 
and, wiefern wir dieſes Daſeyn find, keine Veränderung oder 
„ Wandel, fein Mehrered und Mannigfaltiges, feine Trennung, 

: "Unterfcheidung, noch Zerfpaltung ftattfinden. Nun aber findet 

fich Dennoch dieſe Mannigfaltigkeit und Zerfpaltung des Seyns 
. In dem Seyn und der Wirklichkeit, und Hieburch entfteht Die 

Aufgabe, diefen Widerforuch zwifchen der Wahrnehmung und 
Wirklichkeit und dem reinen Denfen zu vereinigen, zu zeigen, 

wie Die wiberftreitenden Ausfprüche beider Dennoch neben ein- 

ander beftehen, und fo beide wahr ſeyn fünnen. Das Be 















1) Die Anweiſung zum feligen Leben oder auch. die Religions⸗ 
Ichre. Berlin 1806. Man vgl. befonders die fünfte Vorle⸗ 
fung ©. 124 — 152. 


‘ 





694 U Ber. 4. Rap. 


wußtfeyn, als ein Unterfcheiden, ift e8, in welchem das ur: 
fprüngliche Weſen des göttlichen Seyns und Daſeyns eine 
Verwandlung erfährt. Durch den Begriff wird basjenige, 
was an fi) unmittelbar das göttliche Leben im Leben iſt, zu 
einem fiehenden und rubenden Seyn, dieß ift Die ©eftalt, bie 
es in diefer Verwandlung annimmt. In der Reflerion auf 
ſich ſelbſt ſpaltet fih das Wiſſen durch fich felber und feine 
eigene Natur, indem es nicht nur überhaupt fich einleuchtet, 
welches Eins wäre, fondern zugleich auch fich einleuchtet als 
Das und das, welches zum erften das. zweite gibt, ein aus 
- dem erften gleichfam herausfpringendesd, fo daßıdie eigentliche 
Grundlage der Reflerion gleichfam in zwei Stüde zerfällt, 
Der erfte Gegenftaud, ber abfoluten Neflerion tft die Welt, 
Diefe Welt muß aber, der innern Form der Reflerion zufolge, 
in diefer Neflerion zerfpringen und fich zerfpalten, ſo Daß bie 
Melt, oder das ſtehende Dafeyn überhaupt und im Allgemd- 
nen, mit einem beftimmten Charakter heraustrete, und die al, 
gemeine Welt in der Reflerion zu einer befondern Geſtalt fh 
gebäre. Wie alfo der Begriff überhaupt ald Welterzeuger fd 
zeigt, fo zeigt ſich der freie Neflerionsaft ald Erzeuger de 
Mannigfaltigkeit, einer unendlichen Mannigfaltigkeit in ber 
Welt. Die Eine Wels fpaltet ſich unwiderbringlich in unenbli- 
che Seftalten, deren Auffafjung nie vollendet werben Tann, 
son denen daher immer nur eine endliche Reihe im Bewußt⸗ 
feyn eintritt. Aber Doch bleibt ungeachtet Diefer Mannigfal⸗ 

. tigfeit die Welt diefelbe, die eine in fich gefchloffene und volle 
endete Welt, das Gegenbild des in fich felber gefchloflenen 
göttlichen Lebens, bleibt da, wo fie allein ift, nicht in einer 
einzelnen Reflerion, fondern in der abfoluten und Einen Grund⸗ 
form des Begriffs, welche niemals im wirklichen unmittelbas 
ren Bewußtfeyn, wohl aber in dem, Darüber fid) erhebenden, 
Denken wiederhergeftellt werden kann, ebenfo wie auch in dem⸗ 
felben Denken das noch weiter zurüdliegende, noch tiefer ver- 
borgene göttliche Leben wieberhergeftellt wird. Hieraus ergibt 


Fichte. 095 


ſich von felbft, wie, biefer Lehre zufolge, der Begriff der Ber- 
föhnung beftimmt werben muß. Solange der Menſch noch 
etwas für fich felbft feyn will, kann das wahre Seyn und 
Leben in ihm fich nicht entwideln, und es bleibt ebenbarunı 
auch der Seligkeit unzugaͤnglich, denn alles eigene Seyn ift 
nur Richtfeyn und Beichränkung des wahren Seynd, auf den 
erften Standpunfte der Sinnlichkeit, die ihr Gluͤck von den 
Objekten erwartet, lauter Unfeligfeit, da durchaus Fein Ob⸗ 
jeft den Menfchen befriedigen kann, oder auf dem zweiten der 
blos formalen Geſetzmäßigkeit zwar Feine Unfeligfeit, aber da- 
gegen Falte Apathie und abfolute Unempfänglichkeit für. allen 
Genuß bes Lebens ). Wenn aber ber Menfch durch Die höch⸗ 
ſte Freiheit ſeine eigene Freiheit und Selbſtſtändigkeit aufgibt und 
verliert, wird er des einigen wahren, des göttlichen, Seyns und 
aller Seligkeit, die in demſelben enthalten iſt, theilhaftig. Die⸗ 
ſes Leben an ſich iſt Eins, und bleibt ohne alle Wandelbar⸗ 
keit ſich ſelbſt gleich, es iſt im Grunde überall, wo eine Ge⸗ 
ſtalt und ein Grad des Lebens angetroffen wird, nur muß 
es, wenn es durch Beimifchung von Elementen des Todes 
und ded Nichtieyns verdeckt iſt, aus dem Scheinleben ftch!erft 
entwideln. Wenn glei) aber unfer Seyn an fd ewig fort 
das Seyn des Seyns iſt und bleibt, ſo iſt doch das, was 
wir ſelbſt und für und ſelbſt find, Haben und beſitzen, in ber 
Form unferer felbft, des Ich, der Reflerion, im Bewußtſeyn, 
niemals das Senn an ſich, fondern das Seyn in unferer Form 
als Weſen, und es mifteht daher: die Frage, wie denn das, 
in die Form ſchlechthin nicht rein eintretende Seyn dennoch 
mit der Form zufammtenhängt? Allein es gibt ein Band, das 
höher ald alle Reflerion, das reine Seyn und die Reflerion 
verbindet, Die Liebe, Gottes. In diefer Liebe ift das Senn 


4) Der dritte Standpunkt ift der der eigentlichen Sittlichkeit, 
der vierte der der Religiofität, der fünfte der der Willen» 
haft. &. 139. f._ 


6% I, Ber. 4. Kap. 


und Das Daſeyn, iſt Gott und der Menſch Eins, völlig ver 
ſchmolzen md verfloffen, des Seyns Tragen und Halten fe- 
ner felbft in dem Dafeyn ift feine Liebe zu fih, die Empfin 
dung’ uber Diefes feines ſich felbft Haltens ift unfere Liebe 
su ihm, oder, nad der Wahrheit, feine eigene Liebe zu ſich 
feldet; Ar der Form der Empfindung, indem wir ihn nicht zu 
lieben vermögen‘, fondern nur er felbft es vermag ſich zu lie 
ben in uns. Dieſe Liebe iſt die Quelle aller Gewißheit, Wahr⸗ 
heit md’ ‚Realität, höher denn alle Bernunft, die Schöpferin 
des Lebens und ber Zeit, vollendete Seligfeit 2). | 
Es iſt im Ganzen dieſelbe Anfigt von dem Verhältniß 
Goites und der Welt, oder des Abfoluten und Endlichen, die 
"uns in den Daub’fchen Theologumenen 2) begegnet, nur ers 
ſcheunt ſie uns hier zugleich mit dem ſehr ſichtbar in die Au— 
vr fallenden Beftreben, fich nicht blos in die chriftliche Theos 
* ſondern auch in den Formalismus ber kirchlichen Ter- 
öldgie hineinzubilden Das Weſen der Religion ift vor 





9) Sol. Peunte Vorleſung S. 251. f. Zehnte Vorl. ©. 281.f. 
‚Wie auffallend die Fichte'ſche Lehre in dieſer ſpätern Form 
mit der Lehre des Joh. Scotus Erigena zufammenfimmt, 
Zeigt die Vergleichung mit der obigen Darftellung (vgl. be: 
fonders ©. 131. f.) von felbft. Und Doch wie verfchieden if 
der Weg, auf welchem die beiden Syſteme fich bildeten! Das 
Syſtem des Seotus Erigena ruht auf der Grundlage des 
Platonismus, der das Abfolute um fo reiner aufzufaflen 
glaubte, je mehr er ed zu einer binden Abfiraftion made, 
aber auch der Fichte’fchen Lehre Eonnte das Abfolute, als 
man fich von dem Ungenügenden eines Idealismus überzeug: 
te, welcher das abfolute Subjekt, um deffen Begriff fich feit 
Kant die ganze neuere Philofophie bewegt, nur in das Ich 
feßen wollte, zunächft eine bloße Abftraftion fenn. 
2) Theologumena, sive doctrinae de religione christiana ex 
natura Dei perspecta repetendae capita potiora. Heidelb. 
1806. 


- Daub. | 697 


Tem die Berföhnung 9). Die Verföhnung des Univerfums 
ellt ſich in der Menfchheit ald Religion dar. Da nichts 


41) Die Theologumena handeln 4. de Deo 2. de religione 3. de 
religionis doctrina, der Abfchnitt de religione zerfällt in 
Die drei Unterabtheilungen, a. de expiatione b. de pietate 
c. de cultu Dei publico. Die drei Haupttheile von Gott, 
der Religion, der Religionslehre, handeln eigentlich von Gott 
an fich, oder den Eigenfchaften des Waters, von Bott ale 
Sohn und von Gott als Geiſt. Dan vergl. hierüber die 
Theol. ©. 207.: Pro essentia sua, seu qualis est, Deus 
cognoscitur, dum principtum 1. sul ipsius 2. mundi et 
3. rationts necessarto spectatur et cernitur, ut igitur pro 
sua etiam forma, sive is tantusque,\qui et quantus est, 
distincte intelligi possit ac suspici, triplex haec naturae 
divinae idea potisstmum erit explicanda et definienda. 
— Quaerendum itayue primo: quae quantaeque virtutes 
in Deo, auctore sul, pro aseitate, aeternttale et auragzxiz 
sint positae; deinde: quas pro natura creatrice, conser- 
vatrice et reconciliatrice in numine Det, princtpio mundi, 
eelebrare et venerart fas sit, denique, quibus, pro sancta 
sua veraque et intelligenti natura, numen Dei, princi- 
pium rationis excellat? Quoniam vero, quae secundo et 
tertio loco commemorantur, virtutes nimirum Dei Filii 
et Dei Spiritus, non prius explicari possunt, quam na- 
tura religionis et doctrina de religione esplorata sit, 
omnes attributorum divinorum notiones ita distribuendas 
eensemus, ut locus de Deo eas, quae sunt Dei patris, lo- 

cus de religione, quae ad Deum Filium, et locus postre- 
mus, quae ad Deum Spiritum pertinent, complectatur. 
Durch die Religionslehre lernen wir, naturam Dei abso- 
Iute intelligentem perspicere, virtutesque ejus intelligere, 
et rationem cognoscere absolutam, quae inter principium 
Dei mundique et mentis intercedit ab aeterno, cujusque 
ideam trinitatis nomen designat.. Sie handelt daher 1. de 
natura Dei absolute intelligente, cujus homines in effi- 
ciendo et coguoscendo Vero Sanctogue sunt particines; 


6%8 Il. Ber. 4. Kap. 


außer Bott ift, alles nur infofern ift und befteht, fofern u 
Gott geweiht ift, fo gehört zur Religion breierlei, Die Verſt 
nung, Schöpfung und Erhaltung *), ober da bie Relige 
‚nichts anders tft, als das Wefen Gottes felbft, Gott ift ab 
Berföhner auch Schöpfer und Erhalter. Selig iſt, wer. dur 
Die abfolute Freiheit zur abfoluten Nothwendigkeit erhoben #, 
das Prineip diefer Freiheit ift Gott, fofern er die Welt und Hi 
Die Menfchheit mit Gott verföhnt, Die Welt kann durd fh 
felbft Gott nicht genugthun, nur Gott hat eine Gott genye 
thuenbe oder verfühnende Natur, ald der Gott genugtkuenk 
Gott iſt er der Sohn, als der, welchem genuggethan wird, 
ber Bater, beide aber find an ſich Eins; die Berföhnung ge 





2. de virtutibus Dei absolute intelligentts, quibus deben 
intelligentiam absolutam (die drei Begriffe ber abfeluta 
Intelligenz, Heiligkeit und Wahrheit, auf Einen gebracht, ge 
ben den Begriff der Spiritualität (r# reuueros), sive Dei, 
qui cum sanctitati, veritati et intelligentiae absolute 
mentem humanam reddit, ipsam sibi adjunctissimam 
-habet, ab eaque, ut cujus auctor est, nil plane diffen), 
3. de trinitate, quae est forma absoluta essentiae din- 
nae, ita ut non solum, quoad religionem , unus Deus in 
tribus personis vere colatur pariterque tres personae in 
uno Deo colendae sint, sed etiam, quoad doctrinam de 
religione, unum ubique In tribus et pariter in uno tria neces- 
sarlocognoscantur (©.433). Diefe Grundideen der Daub'ſchen 
Theologumena muß man vor Augen haben, un die der eb: 
re von der Verfühnung gegebene Stellung richtig aufzufaflen. 
Der ceoncrete Inhalt, welchen diefe Theologumena der Bot 
tesidee geben, zeigt, dem abftraften Begriff Fichte's gegen 
über, am beften Die fo oft verfannte Bedeutung derfelben. 

1) Conseerantur homines Deo, cui a Deo aeterno reconcilian- 
tur, vere item creantur, cum Deum cognoscunt atque ado 
rant, vere aulem conservantur, cum omni eorum posteri- 
tati cognoscendi Deum et adorandi perpetua data en 
occasto (&. 245.). 


Daub. 699 


t an fih zum Weſen Gottes, und ift fo ewig, als bie 
böpfung und Erhaltung. Bon Ewigkeit opfert Gott ſich 
Welt, oder befichle Gott der Vater, daß Gott der Sohn 
‚ ihm opfere und ihm genugthue. Daher ift die Genug⸗ 
umg, indem Gott als genugthuend die Stelle der Welt 
tritt, eine flellvertretende, und zwar ſowohl aktiv als. paſ⸗ 
‚ AS Berföhner erhebt: Gott Die Welt zur abfoluten Noth⸗ 
nbigfeit, und ift dadurch zugleich ihr Schöpfer und Erhal⸗ 
,‚ ober der Grund ihrer abjoluten Realität und Freiheit. 
Bwegen wird Sefus Chriftus der Sohn Gottes, ald Schö⸗ 
e und Erhalter der Welt, auch als Verföhner und Erlö- 
des Univerfums, fofern es außer Gott ift, verehrt. Als 
rſöhner der Welt ift der Gott genugihuende, und in biefer 
nugthuung die Stelle der Welt vertretende Gott auch Er- 
er der Menfchen. Das Berderben der Welt, der Hang, für 
zu feyn, fih von Gott abzufehren, und fich in feiner ei- 
ıen Individualität geltend zu machen, ift aud) das Verber- 
ı des Menichen, obgleid, der Menſch an ſich, wie die Welt, 
lichen Urfprungs und abfolut vollfommen ift. “Die hier- 
8 entfpringende Eitelfeit und Richtigkeit einer in fich felbft 
rgehenden Eriftenz ift die ewige Strafe, im Gegenſatz gegen 
8 ewige Leben des alles mit ſich verfühnenben Gottes. ALS 
8 abfolute Princip der Welt ift Gott Verföhner, . Schöpfer 
d Erhalter, diefe dreifache Natur Gottes ift an fich eine 
d dieſelbe, voranfteht aber für dad Bewußtfenn des Men⸗ 
en Die Idee der Genugthuung oder Verföhnung, in welcher 
) die abfolute Sufficienz, Afeitär und Ewigkeit am unmit- 
barften ausdrüdt, und daher auch ber.Begriff der Schö- 
ing und Grhaltung enthalten if. Die Idee Gottes aber 
3 des genugtbuenden und verföhnenden enthält drei Mo 
mie, 1. das Thun, 2. das Leiden und 3. ald die Einheit 
n beiden, den abjoluten Gehorſam. Die Stelle der Welt 
rtretend, leiftet Gott Genugthuung, vorerft durch abfolutes 
nn, Dem abfoluten Thun eniſpricht die abfolute Realität, 


700 U. Ber. 4. Kap. 


da Thun an fich ſoviel tft, ald Seyn. Sofern nun der am 
Gott jeyende Gott dazu thätig ift, Daß Die Welt der wahn J 
Kealität theilhaftig wird, leiftet er durch feine abfolute Res |i 
lität Gott dem Vater Genugthuung. Dieß iſt der Begrf 
der aktiven Genugthuung, durch welche Gott um ber Bd Ii 
willen und an der Stelle der Welt fi) Gott weiht. 6 ge fi 
hört zum Begriff Gottes, ald des an ſich Seyenden, daß al⸗ 
led, was außer Gott ift, Feine abfolute Subftftenz hat, um 
fich ſelbſt nicht genug ift: dieß iſt das höchfte, von dem höde 
ſten Gott gegebene Geſetz. Sofern Gott Urheber der Wet 
ift, ift er außer dem an fich feyenden Gott: wenn er mm 
durch abfolutes Thun Gott dem Vater, deſſen Wille es ff, 
Daß alled außer ihm fich nicht felbft genug feyn ſoll, gehen 
fam ift, fo leiftet er ihm durch feine abfolute Realität Ge⸗ 
nugthuung, und weiht fih ihm, indem er nichts außer dem 
an ſich feyenden Gott ſeyn will %). Diefes abfolute Thu 
Gottes iſt feine abfolute Liebe zur Welt und Menfchheit, durh | 
die er fie zur wahren Realität, d. 5. zu Gott zurücführt 
Aber auch durch abfolutes Leiden leiftet Gptt, an der Stelle 
der Welt, Gott Genugthuung. Abfolutes Leiden ift ſoviel, 
als abfolute Freiheit, Denn, wer abfolut will, wird nur durch 
fich felbft beftimmt, was ein abfolutes Leiden if. Wenn nun 
Gott, der Sohn, deßwegen leidet, damit die Welt von de 
Welt befreit und frei werde, fo leiftet er durch feine abfolute Freis 
heit Öott, dem Vater, Genugthuung, und dieß ift der Begriff 
der paſſiven Genugthuung, in welcher Gott um Der Welt wil- 
len Gott geweiht wird. Diefes Leiden ift aber auch ein Ster- 
ben, und ein freiwilliger Tod für die Welt, damit fie frei und 
mit Gott Eins fey, fofern Gott, als Princip der Welt, nicht 


1) Non cupiendo esse praeter eum, qui est auctor sul, nul- 
lamque appetendo aut retinendo essentiam et subsisten- 
tiam propriam sibi atque differentem a natura Det, quem 
ipse, tanquam auctor mundi, suum habet auctorem. ©. 26. 





Daub 701 


Ber dem an fich feyenden Gott feyn will, und ebenbaburd,, 
B er ed will, auch wirflidy nicht außer ihm iſt. Diefed ab- 
Iute Leiden ift, als Eigenfchaft Gottes, feine höchſte Barm⸗ 
rzigfeit, durch bie er fidh für die Freiheit der Welt aufop⸗ 
+, und fie zu der wahren Freiheit, oder zu Gott, zurüdführt. 
iefes abfolute Thun und dieſes abfolute Leiden machen zu⸗ 
mmen den abſoluten Gehorſam aus. Gott, als Sohn, hat 
ich feiner Afeität die Welt unter ſich, ngch feiner verſöhnen⸗ 
n Natur fteht er unter dem Bater, an fich aber ift er fei- 
m Weſen nach einer und derfelbe (ouosorog). Sofern er 
wch feinen genugthuenden Gehorfam die Welt verföhnt und 
löſst, ift die Welt fchlechthin von ihm abhängig, er felbft 
er wirft auf Die Welt beftimmend ein, und nimmt ihre Na⸗ 
ran, fo daß er nady feiner Nfeität über fie-erhaben, nad 
mer verföhnenden Natur aber mit ihr .identifch iſt, und Die 
mze Welt zu feinem Körper madt *). Co wird. durch den 
4) Bon diefer Weltwerdung Gottes ift zu unterfcheiden Die 
Menfchwerdung Gottes, deren Stellung im Daub’fchen Sy= 
fiem aus Solgenden (De cultu Dei publico ©. 313.) zu ers 
fehen ift: Odseg#Jo suo numen Dei homtnes expilat, quos 
omnipotentta sua pios reddit et vere creat, tdemque om- 
nipraesentia sua complectitur omnes et vere comservat, 
cul autem se conservanti insunt, ub eo sese partim edu- 
cari, partim consecrari, eumque triplici munere fungen- 
tem, regio nempe ac prophetico et sacerdotali, cernunt. 
Namque Deus omnipraesens generis humani rez est, ef- 
ficitque, ut, qui gignuntur homines et in toto orbe terra- 
rum vivunt, regno suo sibive insint, partim educando 
eos, ceu prophela, partim publice sibi consecrando, ceu 
sacerdos, itaque ipsos et genus eorum vere conservat. 
Constat ergo cultus Dei publicus et generis humani edu- 
catione et publica ejus comsecratione, cumque Deus edu- 
candi homines ac sibl publice consecrandi causa natu- 
ram hominis ipse induat, lisque sese humana natura 
‚praeditum commonstret, hoc loco nobis disserendum est, . 


702 IL Ber. 4. Kap. 


abfoluten Gehorfam, welchen Gott Gott leiftet, Die ganze mit 
ihm verbundene und identifche Welt Gott geweiht, und zur 


a) de Deo omnipraesente, sive de Det Fillo, qui homo d 
generts humani rex est, b) de divina generis humanl 
educatione, c) de divfna ejusdem et publica comsecratie- 
ne. Die Menfchwerdung felbft und die gottmenfchliche Na 
tur befchreibt Daub fo (S. 324. f.): Deus (6 wos ra Ya) 
cujus principltum est numen supremum, et qui ipse aue- 
tor cernitur totius universi, indeque mundi ac mentis et 
hominum generis, aeternum adjunzisse sibi dicendus es 
naturam humanam, quae constat innocentia et sapientia 
summa, eamque, cum adsumserit, mantfestare naturan 
divinam, ac Deum ipsum hominibus, quem et oculis d 
mentis acle contueantur, commonstrare putandus est. — 
Ut homines naturam divinam induant, atque divint sta, 
Deus, qui a Deo est, naturam humanam induit et nai 
eitur. — Indutum vero Deum esse natura humana, ratis 
docet, quae eum inter et. genus humanum absolute inter- 
cedit. Nimirum est numen Dei naturae humanae pris- 
eipium, haec autem in infinitum definitur, pariterque in 
definito est infinita, atqui Deus, auctor sui, pro natura 
sua divina, i. e. pro aseitate, aeternilate et auraozi« 0m- 
ne superat infinitum ac definitum, idem vero auctor to- 
tius universi, pro divina ista, quae est creatrix, conser- 
vatrixz et reconciliatriv, non abest a mundo, qui in inf 
nitum definitur, nec demum pro ea, quae sancta est ve- 
raque et absolute intelligens, abest a mente, quae in defi- 
nito efficitur infinita. Pro divina igitur natura Deus, 
auctor Universi, naturam humanam, quae: est mundi et 
mentis indijferentia, cujusque principium numen, parem 
sibi habet et nil penitus differentem a divina, qua ipse 
auctor sul, utitur. ÜUtriusque ergo naturae, humanae et 
divinae, conjunctionem in Deo Filio aeternum esse semi- 
tur. Natura humana, eut aliquid divini est, pollet qui- 
dem sanctitate ac veritate et intelligentia absoluta, cum 
vero speclata per se non sit vere, sed solum efficiatur 


Daub. 708 


ſichſten Seligfelt erhoben. Die höchſte Freiheit des abſolu⸗ 
n Thuns und bie höchſte Realität des abfoluten Leidens mas 
en das Weien ‘der abfoluten Rothwendigfeit aus. Durch 
efe verföhnt Gott in feinem Gehorſam die Welt, und be= 
eit fie von ihrer Knechtſchaft. IR die Differenz der Welt 
m ihrem Princip völfig aufgehoben, fo kann die Welt, da 
© Priucip nicht außer Gott feyn will, auch nicht von Gott 
feriren, und fich nicht durch ſich felbft beftimmen. In Ans 
hung Gottes ald des Schöpferd und Erlöfers der Welt ift 
eß der Stand der Erhöhung, im Stande der Erniedrigung 
ver befindet fidy Gott in feinem, um der an fich Enechtifchen 
ıd niedrigen Welt willen, thuenden und leidenden Gehor⸗ 

m 9). 

Im Allgemeinen ſehen wir uns hier ganz wieder auf den 
tandpunkt zurüdgeftellt, auf welchem ſchon Scotus Erigena 
und, den rein ſpekulativen oder metaphyſiſchen. Das Weſen 
r Berföhnung befteht nur in der wefentlichen Einheit des 
tenfchen mit Gott, oder fie wird nur als ein Aft aufgefaßt, 
. welchem Gott fi mit fich felbft verföhnt. Der im Bes 
ußtfeyn gefeßte Unterſchied zwiſchen Seyn und Dafeyn, Die 
sihmwendige Differenz, welche in der höchften Abftraftion des 
enkens vorausgeſetzt werden muß, wenn überhaupt das ab- 
lute Seyn des abfolut Einen auch ein abjolutes Wiſſen feyn 
M, oder der Unterſchied zwifıhen dem als Sohn mit der Welt 
entifchen Gott und dem ald Bater an fich feyenden wird 


(quapropter Deo reconcilianda est, indeque vere creanda 
et conservanda), non nequit esse humilis fragilisque et 
 Interitura. Deus ergo, in quo velle nil differt ab esse, 
et cujus nalurae divinae par est hominis natura genui- 
. na, vult humilem hanc fragilemque sibt in aeternum ad- 
Junetam esse, qua vero indutus est, eam una cum genere 
humano habet sibi reconciliatam. 
4) Theolog. ©. 244-272. 


704 II. Ber. 4. Rap. 


als ein fchlechthin aufgehobener betrachte. Es ift fogar dem 
Ausdrud- nach ganz die neuplatonifche Alleinheitölchre eines 
Scotus Erigena, wenn Fichte das Ganze feiner Lehre fo zu 
fammenfaßt: Das göttliche Daſeyn, feine Aeußerung und Of 
fenbarung, ift fchlechthin Durch fih und ſchlechthin nothwendig 
Licht, das inwendige nämlich und das .geiftige Licht. Dieſes 
Licht, Sich -felbft überlafien bleibend, zerftreut und zerfpaltd 
fih in mannigfaltige und in unendlihe Strahlen, und wir 
auf diefe Weife, an diefen einzelnen Strahlen, fich felber ımb 
feinem Urquell entfremdet. Aber daffelbe Licht vermag aud, 
durch fich felbft, aus Diefer Zerftreuung fich wieder zuſammen⸗ 
zufaffen, und fich als Eines zu begreifen, und ſich zu verfe 


ben, ald das, was es an fich ift, ald Dafeyn und Offende ' 


sung ©otted, bleibend zwar auch in dieſem Verſtehen,, das, 
was ed in feiner Form ift, Licht, Hoch aber in dieſem Zuſtan 
de, und permittelft dieſes Zuftandes felber, ſich deutend, alb 
Nichts reales für ih, fondern nur als Dafeyn, und Eid 
Darftellung Gottes 1). Ebenfo fommt die Daub’fche Verfög- 
nungslehre nur auf ben, den ganzen Inhalt Diefer Theologu⸗ 


4) Anw. zum fel. £eben ©. 125. Wie diefe vom Seyn zum 
Wiffen und vom Wiffen zum Seyn ſich bewegende Lehre übers 
haupt ebenfo pantheiftifch, als idealiftifch-ift, fo ift es nur 
die ſubjektive idenlififche Seite derfelben, wenn fie fich auch 
auf folgende, gleichfalls an Scotus Erigena erinnernde, Weife 
ausfpricht: Was du fiehft, bift ewig du ſelbſt, aber du bik 
es nicht, wie du es fiehft, noch fieheft du es, wie du es bif. 
Du bift es, unveränderlich, rein, farben und geftaltlos. Nur 
die Neflerion, welche gleichfalls du felber bift, und du dar⸗ 
um nie von dir trennen Fannft, bricht es in dir in unendlis 
che Strahlen und Geftalten. Wiffe darum doch, daß es nit 
an fich, fondern nur in dieſer deiner Reflexion, als deinen 
geiftigen Augen gebrochen, und mie ein Mannigfaltiges ge 
faltet ift, erhebe über diefen Schein dich zum Denken un. ſ. w. 
©. 119. 


— — 


Fichte und Daub. 205 


mena in fid) zufammenfaffenden, Sa zurüd: Deus Deum 
Deo manifestat. So fehr nun aber in der bier ald meta 
phyſiſche Wahrheit ausgefprochenen Lehre von der weientlis 
chen Ginheit Gottes und des Menfchen die Lehre von ber Vers 
föhnung nicht blos auf dem höchften objektiven, fondern aud) 
dem dem chriftlichen Bewußtfeyn, wie e8 in der Lehre von 
der Berfon Chrifti fih ausdrüdt, allein entfprechenden Stand⸗ 
punkt aufgefaßt ift, fo fehr vermißt man Dagegen Die auf der 
Seite des fubjeftiven Bewußtſeyns liegenden Momente der Vers 
mittlung. Alle Realität des Seyns wird auf eine foldye 
Weiſe in der Idee der abfoluten Einheit feftgehalten, daß der 
Unterfchied, fobald er hervortritt, in der Nichtigkeit feiner 
Scheineriftenzg alsbald wieder verjchwindet, ohne zu feinem 
Rechte zu kommen, und ſich zur vollen concreten Realität des 
Bewußtſeyns herauszubewegen, wie benn bei Daub nicht fo= 
wohl von der Verfühnung des Menfchen mit Gott, als viel- 
mehr nur von der Verſöhnung der Welt mit Gott die Rede 
if. Hierin liegt fodann aud, der Grund, warum das Chris 
ſtenthum bier fo wenig zu feiner wahren hiftorifchen Realität 
und Bedeutung kommen kann, fo daß die aus ihm aufge- 
nommenen Begriffe und Firchlichen Formeln, wie dieß befon- 
ders bei Daub fehr auffallend tft, der im Uebrigen ‚rein phi- 
Iofophifch gehaltenen Lehre nur zur äußern Färbung dienen. 
Fichte hat fich über das Verhältniß feiner Lehre zum Chriften- 
thum jelbft näher ausgefprodyen, aber «8 geht hieraus nur 
um fo klarer hervor, wie fehr diefe Anfiht in allem, was 
fi auf die Würdigung des hiftorifchen Charafterd des Chri- 
ftenthun bezieht, noch unter dem Schleiermacher’fchen Stand- 
punkt fieht. Ohne Zweifel habe Jeſus von Nazareth die al- 
lerhoͤchſte, und ben Grund aller andern Wahrheiten enthalten- 
de Erfenntniß von ber abjoluten Identität der Menfchheit mit 
der Gottheit in Abficht des eigentlich Realen an der erftern 
befefien. Wenn nun fchon der Philofoph diefelben Wahrhei⸗ 
ten, ganz unabhängig vom Chriftenthum, mit einer ganz an⸗ 
Baur, vie Lehre von der Perföhnung. 49 


706 N. Ber. 4. Kap. 


dern Konfequenz und Klarheit finde, fo bleibe Doch ewig wahl, 
daß wir mit unferer ganzen Zeit und mit allen unfern pi 
lofophifchen Unterfuchungen auf dem Boden des Chriftentkum 
ftehen, und daß alle, die feit Zefu zur Vereinigung mit Got 
gefommen, nur durch ihn und vermittelft feiner Dazu gefom 
men. Allein, daß in Jeſu zu allererft und auf eine feinen 
andern Menfchen .alfo zufommende Weile das ewige Dafem 
Gottes eine menfchliche Perfönlichkeit angenommen habe, fr 
ein blos hiftorifcher, Teineswegs aber ein metaphyfifcher Sag, 
und nur das Metaphuftfche mache felig, nicht aber das H⸗ 
ftorifhe. Der metaphyſiſche Beftandtheil jeder Erfcheinung 
fey nur dasjenige, was nicht als. bloßes Faktum für fich fick, 
fondern aus einem höhern und allgemeinern Geſetze folge, md 
daraus abgeleitet werden könne. Wenn daher nur jemand 
wirklich mit Gott vereinigt, und in ihn eingefehrt fen, fo ſey 
es ganz gleichgültig, auf weldhem Wege er Dazu gefommm 
fen, und es wäre eine fehr unmübe und verkehrte Beſchaͤfü⸗ 
gung, anftatt in der Sache zu leben, nur immer das Ander 
fen des Wegs fich zu wiederholen. Falls Jeſus in die Welt 
zurüdfehren könnte, fo fey zu erwarten, daß er vollkommen 
zufrieden feyn würde, wenn er nur wirklich das Chriftenihum 
in den Gemüthern der Menfchen herrichend fände, ob man 
nun fein DVerdienft dabei preifete oder überginge. Wie bie 
ganze Menfchheit aus dem göttlichen Weſen hervorgehe, laſſe 
fih ald allgemeine metaphyſiſche Wahrheit begreifen, daß aber 
dad abfolut unmittelbare Dafeyn Gottes, Das ewige Willen 
oder Wort, rein und lauter, wie es in fich felbft ift, ohne alle 
Beimifhung von Unklarheit oder Finfterniß, und ohne alle ins 
dividuelle Befchränfung in Sefu von Nazareth, in einem pers 
ſönlich finnlichen und menſchlichen Dafeyn, ſich Dargeftellt ba 
be, fey nur ein für Die Zeit Jeſu und der Stiftung des Chris 
ftentbums und den nothwendigen Standpunft Jeſu und der 
Apoftel gültiger hiftorifcher Satz, für uns könne als hiſtoriſches 
Urfaftum nur gelten, was am Tage liege, daB Jeſus jene 


Fichte und Daub,. 707 


‚allgemeine Wahrheit zuerft gewußt und gelehrt habe. Mes 
taphyficirt aber werde dieſes Faktum durch einen daſſelbe 
übderfliegenden Verftandeögebrauh, wenn man es in feinem 
runde zu begreifen ftrebe, und etwa zu dieſem Behufe eine 
Gapothefe, wie das Individuum Jeſus ald Individuum aus 
Sem ‚göttlihen Weſen hervorgegangen fey, aufftele 9). So 
entſchieden bier aller Werth nur auf das Allgemeine der me⸗ 
taphyſiſchen Wahrheit gelegt wird, fo fpricht ſich doch ſelbſt 
ia Vielen Erklärungen Fichte's ein großes Schwanken in Hin⸗ 
ſicht des Verhaͤltniſſes des Metaphyfiſchen und Hiſtoriſchen 
aus. Waͤhrend der Perſon Jeſu eine ihn von allen andern 
Menſchen unterſcheidende, fo zu fagen, metaphyfiſche Dignität 
abgeſprochen wird, muß ihm Doch eine folche in hiftorifcher 
Sſicht wieder beigelegt werben. Es kann nicht geläugnet 
werben, daß jene allgemeine metaphufifhe Wahrheit wenig- 
tens In Jeſus zuerft zum Bewußtfeyn Fam, und daß bein- 
nach, wenn auch an ſich jeder Menſch durch feine eigene Na⸗ 
tur zum Bewußtſeyn derſelben fich erheben kann, dennoch nur 
er, ſeiner hiſtoriſchen Stellung zufolge, für das Bewußtſeyn 
ber Menichheit im Großen, der Vermittler diefer Wahrheit 
geworden ift, und noch immer iſt. Darum fann es aber auch 
nichts fo unnüges und verfehrtes feyn, wie Fichte behauptet, 
bas Andenken des Weges, auf welchem diefe Wahrheit zum 
Bewußtſeyn der Menfchheit gefommen ift, fich immer zu wies 
derholen. Welche Bedeutung erhält demnach fchon dadurch 
das Hiftoriiche, dem Metaphyſiſchen gegenüber, und wie Kar 
ergibt fich felbft auf dem Fichte'ſchen Standpunkt die Noths 
wendigfeit, die allein feligmachende Wahrheit nicht blos in 
dem Einen für fi, fondern nur in beiden Momenten gufammen zu 
erkennen? Was wäre die metaphyſiſche Wahrheit ohne ihre hi⸗ 
ſtoriſche Vermittlung, wenn ſie nicht durch ihre hiſtoriſche Er⸗ 


4) Bol. die fechste Vorleſung s. 153. und die Beilage zu der⸗ 
ſelben S. 341. 


45 * 


fheinung, und zwar nicht blod in einzelnen zerfireuten Indi⸗ 
piduen, fondern in dem organifchen Zufammenhang ber ge 
fchichtlichen Entwidlung, in dem Bewußtſeyn der Menfchhett 
fi) verwirklichte, fomit auch aus der abftraften Region der 
Philofophie in das conerete Leben der Religion herausträte, 
und zum Geſammtbewußtſeyn einer veligiöfen und kirchlichen 
Gemeinfchaft würde, und was. wäre auf der andern Sekt 
das Hiftorifche, alles, was fich in einem nody fo weiten Um 
fange in der Geſchichte der Menfchheit objeftivirt, und dem 
Bewußtſeyn derſelben fich einverleibt hat, wie fubjeftio und 
zufällig würde e8 in aller feiner äußern Objektivität fen, 
wenn ed nicht auch in feiner wahren Objektivität, in Iehter 
Beziehung alfo auch als eine metaphufiiche, d. h. im Weſen 
Gottes felbft begründete Wahrheit begriffen werben Fönnte? 
Darum handelt ed fich hier immer noch um den. lebendigen 


Zufammenfchluß der, auch hier noch immer in ihrem abftrab - 


ten Gegenſatz einander gegenüberftehenden, beiden Seiten, be 
metaphyfifchen und der hiftorifchen, von welchen Die eine, die 
metaphufifche, fich ebenfo in ihrer Einfeitigfeit in der Fichte 
fhen Religionslehre und in den Daub'ſchen Theologumenen 
ausgebildet hat, wie Die andere in der, “auf der empirifchen 
Grundlage des Firchlichen chriftlichen Bewußtſeyns ruhenden, 
Schleiermacher’ichen Glaubenslehre. Kann jene nicht auß ib 
rer metaphyſiſchen Höhe zur concreten Wirklichkeit des Lebens 
herabfteigen, fo_weigert fich dagegen dieſe die Echranfe zu 
überfchreiten, die in dem hiftorifchen Anfangspunft des Stif 
ters der chriftlichen Gemeinſchaft dem empirifchen Bewußtſeyn 
gefegt if. Solange aber diefe beiderfeitige Schranke noch 
nicht durchbrochen, und der von oben nady unten führende 
Meg mit dem die entgegengefebte Richtung von unten nad 
oben nehmenden nicht zu einem und demfelben geworden iſt, 
find Gott und Menſch noch nicht zur wahrhaft verfühnenden 
Einheit verbunden. Und doch gibt e8 in der ganzen Gefchichte der 
geiftigen Entwidlung der Menſchheit nichts merkwürdigeres und 


Selling. 709 


erhebenderes, als die Einheit des Reſultats, zu welchem wir 
ſchon hier Spekulation und Geſchichte, oder Philoſophie und 
Religion, bei aller Divergenz ihrer Richtungen ſich vereinigen 
ſehen. Während hier das chriſtlich⸗ religiöſe Bewußtſeyn, je 
reiner es ſich uͤber den eigentlichen Inhalt des geſchichtlich uͤber⸗ 
lieferten Chriſtenthums zu verſtändigen ſucht, nichts mit groͤ⸗ 
Berem Ernſt als den weſentlichſten Inbegriff aller chriftlichen 
Wahrheit feſtzuhalten weiß, als die in der Perſon Jeſu Chri⸗ 
ſti der Menſchheit zum Bewußtſeyn gekommene Einheit des 
Göttlichen und Menſchlichen, iſt es dort die metaphyſiſche Spe⸗ 
kulation, die auch von ihrer Seite in keiner andern Wahrheit 
Den abfoluten Ziel- und Ruhepunkt ihres Strebens anerkennt. 
Der erfte wichtige Schritt zur Ausgleichung jener beiden 
Divergirenden Seiten gefchah dadurch, daß Schelling, wie er 
überhaupt das Abfolute ald die Identität des Subjefts und 
Objekts, des Idealen und Realen, des Unenblichen und End⸗ 
lichen auffaßte, das Endliche, das bei Fichte immer nur ale 
verfchwindendes Moment in Betracht fommt, zu höherer po⸗ 

- fitivee Bedeutung erhob. Hieraus ergaben fih die, ſchon in 
den der Abhandlung über die Freiheit zunächft vorangehenden 
Schelling'ſchen Schriften 9 aufgeftellten, Säge, daß das Ab- 
folute nicht ein reined Eins fey, weil es ald foldhes ohne Of⸗ 
fenbarung feiner felbft wäre, daß Gott nichts anders fey, als 
bie lebendige Einheit Des Vielen, die organifche, d. h. in fich 
gegliederte, und darin ſich offenbarende Einheit, oder das les 
bendige Band von fich felbft und einem Andern, alles Leben 
aber ein Werben, oder bie Heberwindung eines Gegenſatzes 
fey, die ohne ein Werden nicht möglich ſey. So habe denn 
das göttliche Leben, um Leben zu feyn, fi dem Leiden und 
Werben unterthan gemacht, welches dad Schirfal alles Les 
bens fey, und habe es übernommen, in eine Gefchichte fich 


1) Vgl. befonders die Vorleſungen über die Methode des akad. 
Stud. Vorleſ. VIII. u. IX. 


210 I. Ber. 4. Kay. 


dahin zu geben. Das göttliche Reben wird auf biefe Weik 
unter der Form eined göttlichen Proceſſes gedacht, welchen & 
in feiner Manifeftation durchläuft, und nur fo durchlaufe 
kann, daß das Endliche die nothwendige Form ber Offene 
rung, bes offenbaren Gottes, ift, oder dasjenige, worin Got 
fein gefihichtliches Leben hat, Gott in feinem Werben, de 
Sohn Gottes. Das ift die ewige Menfchwerbung Gottes Is 

der Menfchheit: die Menfchheit allein ift er ewige Sol 
Gottes, aus dem Weſen des Vaters aller Dinge geboren, der 
offenbare Gott, erfcheinend als ein leidender, den Verhaͤnz⸗ 
niffen der Zeit unterworfener Gott, ber im Leiden, feiner Er 
ſcheinung in Chrifto, die Welt der Endlichkeit fchließt, umd bie 
Der Unendlichkeit, oder der Herrfchaft des Geiſtes eröffne, 
Dadurch ift zwar Chriftus ald der Gipfel der werbenden 
Menichheit bezeichnet, aber er ift nicht ald Einzelner Gottmenſch; 
Da die Menfchwerbung Gottes eine ewige ift, tft auch Chriſtus 
als ewige Idee zu betrachten. Die Darftelung in der Ab⸗ 
handlung über die Lehre von der Freiheit unterfcheibet ſich 
von der frühern nur dadurch, Daß der Gegenſatz in Gott ven 
ler, ald Dualität von Natur und Geift, aufgefaßt, und be 
Proceß des in der Geſchichte der Menſchheit fich offenbaren⸗ 
ben göttlichen Lebens nach feinen wefentlihen Momenten und 
Wendepunkten beftimmter charafterifirt if. Cine genauere 
Entwicklung diefer Lehre ift hier, da der allgemeine Stand» 
punft derfelben ſich von felbft ergibt, nicht nöthig. Was je 
doch die Lehre von der Verföhnung felbft betrifft, fo kann das 
Weſen der Verföhnung, gemäß dem fowohl ethifchen, als dua⸗ 
liſtiſchen Princip der Schelling’fchen Freiheitstheorie, nur in 
Dasjenige Moment des hier fich entwidelnden Proceſſes gefet 
werden, in welchen die beiden Principien ſich zur Einheit 
durchdringen, alfo in die göttliche Transmutation, durch wel 
che im Menfchen das Gute, ald das Licht, aus dem finftern 
Princip herausgebildet wird, die Bewältigung und Berk 
rung der Natur durch den Geift, oder dad Einswerden de 


Schellin. 71 


Partikularwillens mit dem Univerfalwillen, unb die Ver⸗ 
wirklichung der wahren, mit ber Freiheit identiſchen, Nothwen⸗ 
digkeit und des wahrhaft Guten bis zur endlichen Ausſchei⸗ 
bung bes Böen. Nur durch die wirkliche und entichiebene 
Umwendung Tann ber Menfch den Frieden in feinem eigenen 
Innern, und, ald wäre jegt erft der anfänglichen Idea Ge⸗ 


„ hüge gethan, ſich verföhnt mit feinem Schußgeift, dem in ihm 


handelnden ©eift oder Princip, finden ). Das Princip aber, 
durch welches die Verſöhnung in diefem Sinne realifirt wird, 
Aſt Die Menfchwerdbung Gottes im Chriſtenthum, ald das wich- 
tigfte Moment dieſes göttlichen Evolution» Proceffes, durch 
welches das lichte Princip über dad Dunkle, ber Geift über 
die Natur, das Gute über bad Böfe das entfchiebene Ueber- 
gewicht gewinnt, oder in Dem urbilblichen und göttlichen Men⸗ 
ſchen, als dem höchſten Gipfel der Offenbarung, die Geburt 
bes Geiſtes in die Gefchichte eintritt. Und zwar muß biefes 
höhere Licht des Geiſtes, das zwar von Anbeginn in der Welt 
war, aber unbegriffen von ber für fich wirkenden Hinfterniß, 
und in annody verfchloffener und eingefchränkter Offenbarung, 


um bem perfönlichen und geiftigen Böfen, wie es in der Macht 


der des Bewußtſeyns der Menfchen fich bemädhtigenden Dä- 
monen fich äußerte, entgegenzutreten, gleichfalls in perfönlicher 
menſchlicher Geſtalt erfcheinen, und als Mittler, um ben Rap⸗ 
port der Schöpfung mit Gott auf der höchſten Stufe wieber- 
bherzuftellen, denn nur Perfönliches Tann PBerjönliches Heilen, 
und Gott muß Menſch werden, damit der Menfch. wieber zu 
Gott komme. Erft mit der auf diefe Weife hergeftellten Bes 
ziehung bes Grundes auf Gott ift die Möglichkeit ber Hei⸗ 
Iung (bed Heil8) wieder gegeben. Auch nach biefer Lehre hätte 
demnach in dem Werke der Erlöfung ein Antagonidmus der- 
felben Art flattgefunden, wie derjenige ift, won welchem bei 
den Gnoſtikern und Kirchenlehrern, namentlich bei Drigenes 


4) Philof. Unterf. über das Weſen der menfchl. Freiheit ©. 473. 


712 111, Ber. 4. Rap. 


die Rebe if. Die Hauptfache aber ift, daB das Princip de 
Berföhnung in die mit der Epoche des Chriftenthums begin 
nende Menfchwerdung Gottes gefegt wird, und in demfelbn 
Verhaͤltniß, fowohl im Allgemeinen, als in den eifzelnen In 
dividuen, fich verwirklicht, in welchem die in der Berfon Chri⸗ 
ſti ſich offenbarende ewige Idee zu ihrer Realität gelangt 
Vollendet ift Daher auch die Verföhnung, wenn das ibenle 
Princip und das mit ihm Eins gewordene reale fich gemein 
ſchaftlich dem Geiſt unterordnen, und dieſer als das göttliche 
Bewußtſeyn auf gleiche Weiſe in beiden Principien, als die 
abſolute Identität beider, lebt, oder die beiden gleich ewigen 
Anfänge, in welche der Ungrund nur darum fich theilte, da 
mit Leben und Liebe jey, und perfünliche Eriftenz, durch bie 
Liebe, die alles in allem ift, Eins werben 9. 


| 


Auch in der Hegel'ſchen Philofophie hängt Die Lehre von, 


der Verföhnung mit dem ganzen Eyftem fo eng zufammen, 
Daß fie nur aus dem Innern Organismus Defielben begriffen 
werben kann. Wie in jedem, auf den Standpunkt des Ahle 
Iuten fich ſtellenden, philoſophiſchen Syſtem ift fie die hochſte 
Spige, in welcher dad Bewußtſeyn Des Abfoluten fich vollen 
det und abichließt. Es Fönnen daher auch hier nur Diejenis 
gen Momente hervorgehoben werden, welche wefentlich dazu 
gehören, um den, durch Die ganze vorangehende Entwidlung 
bedingten, letzten Yortfchritt des chriftlichen Dogma’s näher 
ins Auge zu faflen. 

Das erfte Moment, das hier in Betracht kommt, ift das 
rein logifche oder metaphyfiiche, enthalten in dem an der Epige 
der Hegel’fhen Religions = Philofophie ftehenden Sage, daß 
Gott, als der abfolute Geift, der dreieinige it. Sofern Gott 
Geiſt ift, gehört ed zu feinem Wefen, ſich zu offenbaren und 
zu objeftiviren, oder fich als Unterfchiedenes zu ſetzen, und fi 
felbft ein Anderer zu werben, aber ebenfo wefentlich ift ihm 


1) A. a. O. ©. 457. 460. 496. 499. 


Hegel. 713 


auch, in dieſem Unterfchled mit ſich felbft tbentifch zu feyn. 
Es ift.alfo zwar ein Unterfchieb in Gott, ohne melden Fein 
Broceß, ſomit auch Fein Leben in Gott wäre, aber biefer Un- 
terſchied iſt in der göttlichen Idee unmittelbar wieder aufger 
hoben. Es tft hier noch Fein ernfterer, tiefer gehender Unter⸗ 
fchied, zu feinem Rechte kommt der Unterfchted erft in dem 
aus Gott entlaffenen Sohn, welcher als die Welt, oder das 
Endliche, in freier Selbſtſtändigkeit Gott gegenübertritt, aber 
aus dieſer Trennung und Entzweiung auch wieder zur Ein⸗ 
heit mit Gott, dem mit ſich ſelbſt identiſchen abſoluten Geiſt, 
zuruͤckgeht. Schon in dieſem erſten Momente iſt die ˖ ganze 
Hegel'ſche Verſöhnungslehre enthalten. Ihre objektive Wahr⸗ 
heit hat die Verföhnung nur darin, daß fie als ein imma⸗ 
nenter Proceß des ſich mit fich vermittelnden göttlichen We⸗ 
jens felbft gedacht wird. Das endliche fubjektive Bewußtfeyn 
kann fich daher nur dadurch verföhnt wiffen, daß die Verſöh⸗ 
nung ein ewiger im Weſen Gottes felbft vollzogener Akt ift, 
das Endliche an ſich mit dem Abfoluten verföhnt iſt, in ber 
Einheit des Endlichen und Unendlichen, ohne welche das Uns 
enbliche nicht das wahrhaft Unendliche wäre. Es iſt Dieß der 
höchfte metaphyfifche Standpunft, auf welchen man fidh ſtel⸗ 
len Tann, aber auch ftellen muß, wenn die Realität der. Vers 
föhnung zuleßt nicht blo8 der Subjeftivität des Bewußtſeyns 
anheimfallen fol. Nur fofern der Menih an ſich, in der 
Idee des dreieinigen Gottes felbft, mit Gott verföhnt ift, kann 
ed für das fubjektive endliche Bewußtfeyn eine Verföhnung 
geben. Diefe höchfte objektive Seite ift auch der kirchlichen 
Berföhnungslehre Feineswegs fremd, fofern das Verhältniß, 
in welchem der Sohn im Werke der Erlöfung und Verſöh⸗ 
nung zum Vater fteht, in letztet Beziehung feinen nothwendi⸗ 
gen Grund nur in dem durch die Trinitäts»Fdee bedingten 
Berhältnig zwilchen Vater und Sohn hat. Nur ift Diefes 
Berhättniß nicht auf den eigentlichen metaphyfiichen Ausdrud 
gebracht. Aber auch von der Schelling’fchen Lehre unterfchei- 


714 U. Ber. 4. Kap. 


bet fich die Hegel’jche durch ihre rein metaphyſiſche oder lo 
giſche Form, indem fie die Dualität von Natur und Geil, 
bei welcher Schelling ſtehen bleibt, nicht in Das Weſen Gottes 
an fich fest, fondern Gott, den abfoluten Geift, nur als das 
reine Denfen mit den logifchen Momenten des LUlnterfchieds 
und der Sdentität beftimmt. 

Iſt dieſes erfte metaphyſiſche Moment bei Hegel nicht 
6108 reiner,’ als bei Schelling, fondern auch zugleich conereter, 
als bei Fichte und Daub, deren abftrafter Gottes = Fdee der 
lebendige Broceß fremd bleibt, gefaßt, jo kommt weiter in Be 
tracht, DaB es auch nicht für fich fteht, wie bei Fichte und 
Daub. Die Hegel’ihe Religions « Philofophie nimmt neben 
ihm auch jenes andere in ſich auf, das wir oben das hiſto— 
rifhe nannten, und es findet daher alles, was fich auf dem 
von Echleiermacher eingefchlagenen Wege als Refultat ergibt, 
und auf den Sage beruht, daß nichts als. chriftliche Wahr: 
heit gelten Eönne, was fich nicht als Ausfage des, von dem 
Gefammtbewußtfeyn der chriftlichen Gemeinfchaft getragenen, 
religiöjen Bewußtſeyns des Einzelnen nachweifen läßt, auch bei 
Hegel, unter dem Hegel’fchen Begriffe der Gemeinde, feine 
Stelle. Denn die Gemeinde wird nach Hegel durch die em- 
pirifchen Subjefte gebildet, welche dem Subjekt gegenüber, an 
welchem, was durd den Geift für den Menfchen zur Gewiß- 
heit der Verföhnung wird, geoffenbart ift, den Glauben ha- 
ben, oder im Geiſte Gottes find, und als folche, über welde, 
mit der Entftehung des Glaubens, der Geift Gotted ausge: 
goſſen ift, die finnliche menfchliche Erfcheinung, welche Gegen 
ftand des Glaubens ift, geiftig auſzufaſſen wiſſen. 

Wenn demnady nach dem erften Moment die objektive 
Realität der Verföhnung nur in dem Weſen Gottes felbft ge 
gründet feyn Tann, fo Tann nach dem zweiten Die fubjeftive 
Gewißheit derfelben nur aus dem chriftlichen Bewußtfeyn kom⸗ 


men. ber wie verhalten fich nun dieſe beiden Momente zu 


‚ und wie werben fie mit einander vermittelt? Die 





Hegel. | 715 


Bermittlung, durch welche erft die Verfühnung bes Deenfchen 
mit Gott ein Moment des ganzen Procefied wird, in welchem 
Sott, als der abfolute Geift, ſich mit fich felbft vermittelt, iſt 
Das Sigenihümliche der Hegel’fchen Religions» Philofophie. 
Vermittelt werden diefe beiden Momente zunächſt da» 
Durch, daß Gott in dem Sohn, welchen er ald das Andere fich 
gegenüberftelt, und in welchem er gleichwohl ewig mit fich 
ſelbſt Eins ift, fich zur Welt objeftivirt, Die Welt aber ift 
ſowohl Natur, als endlicher Geift, und der endliche Geift iſt 
In feiner unmittelbarew Geftalt der natürliche Geiſt. Als na- 
türlicher Geift aber iſt der Geiſt noch in feiner unangemefje- 
nen ©eftalt, er muß, um ald Geift wirklich zu werden, aus 
feiner Natürlichkeit und Unmittelbarfeit heraustreten. Hiezu 
iſt nöthig, daß er diefer Unangemeffenheit, oder diefer Tren⸗ 
nung feined Begriffs und feines unmittelbaren Daſeyns, fich 
bewußt wird. Dadurch ift die Entzweiung, der Gegenſatz, 
der Widerfpruch mit fich felbft, gelebt. Der ©eift ift ſich be» 
wußt, Daß er nicht ift, wie er ſeyn fol, daß er als blos na⸗ 
türlicher Geiſt feiner Natur nach böfe it, als Geiſt aber in 
dieſem natürlichen Seyn nicht verharren, fondern durch feinen 
- Willen gut ſeyn fol. Er fühlt in fich den unendlichen Schmerz 
der Entzweiung mit ſich felbf in der Sünde, und des Wider⸗ 
ſpruchs mit der Welt in dem Uebel, der Folge der Sünde. 
Aus diefem im Bewußtſeyn des Menfchen ſich ausfprechenden 
Gegenſatz ergibt ſich das Bedürfniß der Verſöhnung. Wie 
kann aber Dafjelbe befriedigt werden? Nur durch das Bewußt- 
feyn der Ausföhnung, der Aufhebung des im Bewußtfeyn ge- 
fegten Gegenfates, welcher demnad von dem Subjeft als 
ein an ſich unwahrer, nicht an fich feyender, erfannt werden 
muß. Dieß fept aber voraus, daß der Gegenſatz an fich nicht 
if, oder nur infofern geſetzt ift, fofern er an ſich auch wieder 
aufgehoben ift. Nur durch die Vorausfegung, daß ber Ges 
genſatz an ſich nicht vorhanden ift, oder Gott und Menfch nicht 
in einem abfoluten und abftraften Gegenfap einander gegen- 


716 il. Ber. 4. Rap. 


überftehen, eine Vorausſetzung, deren Wahrheit nur badurd 
begründet ift, daß jenes Andere, tn welchem Gott ſich von fid 
unterfcheibet, der Sohn, die Welt, auch wieder mit ihm Eins 
ift, der ſubjektive Geift alfo auch Eins ift mit dem objektiven, 
ift die Möglichkeit und Bedingung gegeben, daß das Subjelt 
ihn auch für ſich aufhebe, oder fich defielben als eines au 
gehobenen bewußt werde, und dadurch den Frieden, Die Ber 
föhnung, erlange. Die Nachweifung, wie dieß gefchieht, if 
Die eigentliche Aufgabe der Dialektif der Hegel’fchen Religions 
Philofophie. Das, wovon ſie ausgeht, ift der endliche Geiſt 
in feinem Berhältniß zur Natur, An der Natur entwidelt 
ſich zuerſt das Gottesbewußtſeyn des Menfchen, an ihr erhebt 
fich der endliche Geift zu ſich felbft, um aber zum Wiſſen von 
feiner Wahrheit zu gelangen, muß fich fein Bewußtfeyn über 
die Natur erheben. Dieß kann nur durch den endlichen Geiſt 
felbft gefchehen. Zum Bewußtfeyn aber, daß Gott ihm nahe 
fen und Eins mit ihm, kann der Geift nur durch Gott gelan- 
gen. Gott muß fih ihm alfo offenbaren, aber nicht blos Aus 
perlich, fondern durch eine wefentliche und Innere Verbindung, 
d. h. dadurch, daß Gott Menſch wird, wodurch allein dem 
Menfchen die an ſich fenende Einheit der göttlichen und menſch⸗ 
lihen Natur, in gegenftändlicher Weife, geoffenbart werden 
fann. Dieß ift hier, wo ed nur noch um die unmittelbare 
finnlihe, dur die Anfhauung und Empfindung gegebene, 
Gewißheit zu thun ift, daß Gott und Menfh an fich Eins 
find, das erfte Moment: Gott erfcheint als Menfch in der 
Horn der Ginzelnheit. Das zweite Moment ift der Tod Chris 
fi, in" welchem die unmittelbare finnliche Form abgeftreift, und 
die äußere Gefchichte durch die Vermittlung des Glaubens | 
der Gemeinde zu geiftigem Inhalt erhoben wird. Der fin 
liche Inhalt wird durch die geiftige Auffafjung des Glaubens 
in dem Zeugniß des Geiftes von ſich ein ganz anderer, ber 
einzelne Menſch wird verwandelt von der Gemeinde, und ger 
wußt al8 Gott und mit der Beftimmung, daß er der Sohn 


[4 


Hegel. 17 


®otted ſey, mit allem dem Enblichem befaßt, da8 der Sub» 
jeftivität als folcher angehört, als, Gottmenſch, und fein Les 
benslauf ald der Proceß und Lebenslauf Gottes felbft, wel 
eher, als der Dreieinige, in dem Sohn die Menfchheit fich ges 
genüberftellt, und in derjelben mit ſich identifch bleibt 2). 

So tief greift Die Idee Der Verföhnung in das ganze 
Syſtem der neueften Philofophie ein. Diefelden Momente, 
durch welche die Idee des abfoluten Geiftes fich hindurchbe⸗ 
wegt, find die Momente, durch welche der Begriff der Vers 
föhnung ſich realifirt. Der göttliche Lebensproceß ift nichts 
anders, als die Verſöhnung oder Vermittlung Gottes, als des 
abfoluten Geiftes, mit fich felbft. Ihren Urfprung nimmt das 
her die Entzweiung, auf deren Borausfegung das Beduͤrfniß 
der Berföhnung beruht, in der Idee Gottes felbft, oder dars 
in, baß es zum Wefen Gottes, ald des lebendigen Geiſtes 
gehört, ſich von ſich zu unterſcheiden. In der Idee Gottes 
iſt der Unterfchied auch wieder abjolut aufgehoben, je mehr 
aber der Unterjchied zu feinem Rechte fommt, der Gegenſatz 
des abfoluten und endlichen, des, objektiven und fubjeftiven 
Geiſtes in feiner ganzen Weite hervortritt, und in der Suͤn⸗ 
de und dem Tode des Menfchen zu feinen äußerſten Momen⸗ 
ten fortgeht, defto mehr muß auch auf der andern Seite die 
Idee der Verſöhnung zu ihrer Realität gelangen. Da aber 
in der Idee des göttlichen Weſens felbft der Unterfchied an 
ſich aufgehoben ift, jo Tann dieß nur auf der Seite des fub- 
jeftiven Geiftes geſchehen, d. h. nur dadurch, daß die an fidy 
- jeyende Einheit des Endlihen und Unendlichen dem endlichen 
fubjeftiven Geifte zum Bewußtfeyn fommt. Das iſt die Bes 
deutung, welche Chriftus, ald der Gottmenfch, hat, fofern in 
ihm die wefentliche Einheit des Endlichen und Unendlicyen, 


1) Hegel, Vorlef. über die Philof. der Relig. Werke Bd. XI. 
und XI. Man vgl. die nähere Nachmweifung und Entwick⸗ 
lung in meiner Schrift: Die chriſtl. Gnoſis €. 671. f. 


718 Ill Ber. 4. Kap. 


oder des Menichlichen und Göttlichen, zum Bewußtſeyn de 
Menfchheit kommt. In demfelben Verhaͤltniß, in welchen 
diefes Bewußtſeyn in der Menfchheit, fowohl den einzelne 
Subjekten, die deſſelben fähig find, als auch ber Geſammt⸗ 
heit derfelben, der Gemeinde, fich verwirklicht, ber ſubjekllve 
Geift mit dem objektiven zur Einheit ſich zufammenfchlleft, 
oder Gott in dem Geifte feiner Gemeinde zu ſich felbft zuräd: 
fehrt, als der abjolut freie und unendliche Geiſt, realifirt 
ſich auch der Begriff der Berföhnung in der Idee bed abſo⸗ 
luten, mit fich felbft identifchen, Geiftes. Objektiv kommt fie 
fhon dadurch zu Stande, daß Gott, als Gottmenfch, in bie 
Welt eingeht, und ſchon dadurch fih mit der Welt verföhnt 
zeigt, aber die Hauptſache ift, Daß fie auch ſubjektiv fich rea⸗ 
firt (in dem Bewußtſeyn der Subjefte, deren Bewußtfeyn das 
Selbſtbewußtſeyn Gottes ift), wie ja überhaupt Die Religion, 
‚deren Mittelpunft die Lehre von der Verſöhnung ift, ihrem 
Weſen nach nichts anders ift, als das werdende Bewußtſeyn 
der Einheit Gottes und des Menfchen. 

Wollen wir aber die Hegel’fche Verföhnungslehre in if 
rer mehr theologifchen Geftalt kennen lernen, fo muͤſſen wir 
und zu Marheinefe wenden, deſſen Darftelung Diefer Lehre 
folgende ift: 

Wie die unmittelbare Einheit Gotted und der Welt fi 
in den Gegenſatz fortbewegt, fo hat auch die Entzweiung feinen 
Beftand in fi, fondern ihr Zweck ift erſt die Verſöhnung, in 
welcher der Begriff der wahren Einheit fich ſelbſt erreidt. 
Die Verſöhnung der Welt mit Gott durch Gott aber ift, daß 
das mit fi und der Welt einige göttliche Wefen fich felbit 
durch das Verderben der Welt, e8 vertilgend, hindurchbewegt. 
Als der ſich felbft ewig Genugfeyende ift Gott auch der fi 
feldft ©enugthuende. Genugthun aber kann Gott nur ald 
Gottmenſch, in welchen die Möglichkeit der Verſöhnung dars 
in enthalten ift, daß in ihm die menfchliche Natur nicht im 
Unterfchiede fteht von der göttlichen. Die Genugthuung des 


Marbeinefe. 719 


Sottmenfchen iſt eine ftellvertretende, fofern er in ber Verſoͤh⸗ 
nung der Welt die Stelle der Welt vertritt, worin bie dop⸗ 
pelte Beitimmung liegt, daß die Welt in ihrem Verderben 
Gott nicht genugthun fann, daß fte aber in ihrer Wahrheit 
und Wirklichkeit, als menfchlihe Natur, oder in Ihrem wah⸗ 
ren und heiligen Princip durch die Perfon des Einen Men 
fihen, der die Stelle aller vertritt, und deßwegen in feiner 
Einzelheit der allgemeine Menſch iſt, vertreten iſt. Im der 
Bewegung zur Berföhnung fteht auf der einen Seite ber 
Menſch In feinem natürlich-moralifchen Verderben, der Sünde 
und Schuld, und der Aufhebung beider, der Strafe, und auf 
der andern Seite der in feiner Menfchheit fich genugthuende 
Gott, oder Jeſus Chriftus in feinem Thun, in feinem Leiden, 
und worin beide aufgehoben find, in feinem Gehorfam. Der 
Gottmenſch allein offenbart in fich die menichlihe Natur, in 
ihrer Integrität und Vollkommenheit, welches ihre Einheit mit 
der göttlicjen ift, und zeigt, daß die Sünde nicht eine abſo⸗ 
Inte Nothwendikeit der menfchlichen Natur, oder dieſe felbft 
fey. Sn ihm, deſſen Bewußtfeyn nicht aus der Natur, fon: 
dern aus dem Geiſte ift, ift Die menichlihe Natur nur das 
Medium der Offenbarung feiner göttlichen. Wie der Gott« 
menſch, als der Heilige, der Sündlofe ift, fo ift er auch der 
Unfchuldige, fofern aber die Schuld in ihrem Unterfchieb von . 
der Sünde, dad Bewußtfeyn oder die Grfenntniß der Sünde 
tft, Tann die Sündenfchuld der Welt auch für ihn feyn. Sn 
diefem Sinne begibt ſich der Gottmenfch in das Verderben der 
Melt, und bewegt fih durch daſſelbe. Die Strafe, mittelft 
welcher die Suͤndenſchuld hinwegfällt, iſt die Identität oder 
Aufhebung der Sünde und Schuld. Das Leiden und Ster- 
ben des Gottmenfchen ift zwar feine eigentliche Etrafe, hat 
aber doch die Form der Strafe und weist in dem unmwahren 
und ungerechten Strafurtheil, aus welchem es hervorging, auf 
die allgemeine Schuld der Welt hin, indem er nicht nur um 
ihrer willen leidet und ftirbt, fondern auch darin trägt und 


720 Ul. Per. 4. Kap. 


buͤßt, was bie Welt verdient. Auf diefe Weife trägt alfo Chr 
ſtus Die Strafe der Welt, aber wie wird dadurch die Sünk 
und Schuld der Menſchen getilgt, und die Verföhnung da 
Welt mit Gott geftiftet? Das Bewußtſeyn des Unverföhnt 
ſeyns, das der Menfch in feinem Widerfpruch mit dem Gefeh 
und in dem Widerfpruch mit fich felbft, oder in feinem Schmerz, 
in ſich hat, ift an ſich ſchon der Glaube an die. geftiftete Ber- 
föhnung des Menſchen mit Gott. Als diefe Wahrheit war 
die Berföhnung vorhanden, ehe fie ald Handlung des Gott 
menfchen. durch die unendliche Liebe in feinem Thun und Les 
den vollendet worden if. Dadurch wurbe einerfeitd in feinem 
Thun und Erfüllen des Gefeged der Widerſpruch der Welt 
mit dem Geſetz negirt und aufgehoben, und ftatt beffelden 
das Thun der Welt zu feiner Wahrheit erhoben und gehe 
ligt, andererfeits in feinem durch die Sünde der Welt bewirk- 
ten Leiden und Sterben die von ihr verfchuldete Strafe für 
ihre Schuld und Sünde, ohne eigene Schuld und Sünde, von 
ihm übernommen und getragen, wodurch Leiden und Sterben 
überhaupt feine urfprüngliche Bedeutung verlor, und als Strafe 
der Sünde, von ber Unfchuld felbft erduldet, in Der ganzen 
Menfchheit aufgehoben wurde. So betrachtet ift Daher bie 
dur Ehriftum geftiftete VBerföhnung das Bewußtfenn, ba 
dem durch den Glauben an ihn, feine Gerechtigkeit und Ge 
duld, Entjündigten weder die begangene Sünde, noch das er⸗ 
duldete Leiden und Sterben ein Hinderniß der Seligfeit fey, 
und in der Offenbarung diefer Wahrheit hat das Thun md 
Leiden Chrifti feine verföhnende Kraft und Bedeutung. Durch 
feine reinfte und vollfommenfte Liebe Teiftet ſich Gott in feiner 
Menfchheit Genüge, indem der Menſch, in feiner göttlichen 
Ratur, aus Liebe, im Namen Aller, durch feine Gerechtigkeit 
ihre Ungerechtigkeit, durch feine Unfchuld ihre Schuld vertilgt. 
Es leidet und ftirbt alfo Einer für alle, aber nicht Damit fie 
nun gar nicht mehr leiden und fterben, jondern Damit fich in 
ihm das Leiden und Sterben Aller concentrire, und fie nur, 


Marheinefe. 721 


fo wie er, leiden und fterben lernen. Denn Stellvertreter ber 
Menſchheit ift er nicht, fofern er außer ihr, fondern fofern er 
fie jelbft ift, und das in allen Individuen Gleiche in fich ver- 
einigt barftellt. Das Unvermögen der Welt, felbft genugzu⸗ 
thun, oder ihr Ungenügendes, das ber Genugthuung bedarf, 
ihr Widerfpruch mit Gott und mit fich felbft ift auf Seiten 
der Welt ein Thun und Leiden, d. b., da das Thun das Freie, 
Das Leiden das Nothwendige ift, der Widerfpruch der Frei 
heit und Nothwendigkeit. Diefer Widerfpruch tft aufgehoben 
in der Verfühnung, als der wiebderhergeftellten Einheit der 
Sreiheit und Nothwendigfeit in dem Sottmenfchen, in welchem 
Das Nothwendige an und für fich felbft das Freie, das Freie 
an und für ſich felbft das Nothwendige ifl. Beide find auf- 
gehoben im unendlichen Gehorfam, der als thätiger und lei⸗ 
dender der Begriff der Verſöhnung felbft ift, der beide ald Mo⸗ 
mente in fi hat. Als ein Gchorchen hat das Thun und Lei- 
den Chrifti eine innere Beziehung auf das Müßen, oder auf 
das nothiwendige Wollen, indem aber biefes zugleich das Freie 
iſt, iſt die Nothwendigfeit zu ihrer Freiheit und ebendamit der 
Sehorfam, ald freiwilliger, erft zu feiner Wahrheit gefommen. 
as infonderheit den Tod Chrifti betrifft, fo tritt in ihm der 
Unterfchied Gottes und des Menſchen, in der Einheit felbft, am 
ftärfften hervor, aber indem der Tod des Gottmenſchen nicht 
etwa nur das Thun und Leiden des Ginzelnen in feiner Ein- 
zelheit, ſondern in feiner unendlichen Allgemeinheit-ift, ift fein 
Gehorſam bis zum Tode felbft ein unendlicher, und alle End- 
Ktchkeit in ihm aufgehoben; feine Aufopferung für. die Welt ift 
der Anfang eines neuen Lebens in ihr ?). 


. 4) Die Grundlehren der chriftlichen Dogmatik als Wiffenfchaft. 
Zweite Aufl. 1827. ©. 227— 247. Vergl. auch Marheinefe, 
Lehrbuch des chriftl. Glaubens und Lebens. Zweite verb. 
Aufl. Berl. 1836. ©. 184.f. Unter den auf der Seite der 
fpekulativen Theologie fiehenden Theologen mag bier auch 


Baur, bie Lehre von ber Berföhnung. - 46 


⸗ 


\ 


722 Ä II. Ber. 4. Roy. 


Das Berhältniß biefer Darfellung zur Hegel’fchen Lehre 
wird ſich von jelbft ergeben, wenn wir bier zum Schluffe un 


noch Uſteri genannt werden, fofern er in der vierten, großen: 
theils umgenrbeiteten, Ausgabe der Entwicklung des paulinis 
fchen Lehrbegriffs (1832) die neuefte ſpekulative Verfähnungs 
Idee fogar als ein Element des paulinifchen Lehrbegriffs an 
erfennt. Uftert bemerkt a. a. O. ©. 133. in der Stelle Col. 
:7 4,.16. werde durch die Worte: ra navre, Ta 8» Tois a0- 
" voig 'xal Ta ent am yns das Weltall, die Totalität alles End: 
lichen, Gefchaffenen , bezeichnet. Diefes werde nach B. 20. 
durch Chriſtum mit Gott verfähnt, zu ihm zurückgeführt, was 
vorausſetze, daß es als von Bott abgefallen gedacht werde, 
und die Sriedensfitftung finde alfo nicht zwifchen dem Himm⸗ 
lifchen und Irdiſchen fiatt, fondern zwiſchen Gott und dem 
Au, d.h. ſowohl dem Himmlifchen, ald dem Irdiſchen. Ent 
weder habe dieß gar Eeinen Sinn, oder einen fehr tiefen, fye 
tulativen. Jenes werden die annehmen, die überall mehr 
fubjeftive Meinungen, als realen objektiven Gehalt fehen, 
Dagegen die neuere fnekulative Dogmatik dieß als eine der 
tiefſten chriftlichen Ideen erkenne. „Die Deenfchwerbum 
des aus dem Urgrunde aller Dinge (Dater) gezeugten Soh—⸗ 
nes Gottes ift die Verfühnung des Endlichen mit dem Un⸗ 
endlichen, des Gefchaffenen mit dem Urgrund Des Seyns, dei 
Zeitlichen mit dem Ewigen. Der menfchgewordene Sohn 
Gottes aber tritt Durch den Tod wieder heraus aus der Sphäre 
des Endlihen, Gefchaffenen, Zeitlichen, in Die Sphäre der 
Unendlichkeit zuruck, als Geift, der nun im Endlichen wal: 
tet, und ‚es ewig mit Gott verbindet.” Dagegen ficht Hafe, 
Lehrbuch der evang. Dogmatif. Zweite umgearb. Aufl. 1838. 
©. 333. in der fpefulativen Verföhnungs- dee eine panthei⸗ 
ftifche, von der firchlichen, nach ihrem Grunde umd ihre 
gefchichtlichen Bildung durchaus verfchiedene Anficht, welche 
nur in gnoflifchen Syſtemen, bei Pſeudo⸗Dionys und Erige 
na Anklänge finde. Das Bemeinfame fen blos: Die Gott 
heit ale dem Schidfal der Endlichkeit unterworfen. Aber 
als Entwicklungsmomente diefes Bewußtſeyns feyen die My 





Die Gegner der Hegel'ſchen Lehre. 723 


ferer Unterſuchung nad) auf einige der widhtigften Einwenduns 
gen, welche gegen die letztere gemacht worden find, Rückficht 
nehmen. 
Eine der haltungslofeften Einwendungen, die aber gleich⸗ 
wohl für das oberflächliche Bewußtſeyn der Zeit viel ein⸗ 
feuchtendes hat, und zugleich befonderd audy deßwegen hieher 
gehört, weil fie das BVerhältniß der Hegel’fchen Philofophie 
zum Chriftentbum ganz von dem Gefichtöpunft der Verjöh- 
nungs⸗Idee aus auffaßt, ift unftreitig diefe: Es fey eine der 
riftlichen Anichauungsweife geradezu widerſprechende Mei- 
nung, jeden Menfchen an fi ſchon als göttlich, und Die 
Menſchwerdung auf diefe Weife ewig zu jegen. Der tiefe Ges 
danfe des Chriftenthums von der Wiedergeburt des alten Men⸗ 
fchen zu eitiem neuen werde verflacht, wo die Idee der neuen 
Schöpfung umgewandelt werde in die Lehre, daß es zur Ber- 
ſohnung des Menfchen nur der Einficht in die an ſich ſchon 
Dafeyende Einheit Gottes und des Menfchen beduͤrfe. Es er- 
belle von felbft, daß, fo geftellt, das Chriftenthum in feinem 
ſpecifiſchen Unterfchled von dem Nichtchriftlichen nicht behaup-' 
I tet werben fönne, fondern dasjenige gerade außer Acht gelaf- 
ſen fey, worauf das Chriſtenthum am meiften Gewicht lege. 
y Da aber hier alle8 einzig unter die Form des Denkens ge- 
y ftellt fey, fo werde der ganze Proceß der Wiedergeburt blos 
‚ betrachtet als eine immanente Entwidlung der urfprünglichen 
y Natur. Run jey das allerdings eine nothwendige Seite ber 
Betrachtung, dag auch im Wiedergebornen nur dasjenige wirk⸗ 
lich werde, was die innerfte Anlage und Beſtimmung feiner 
Natur fey, allein nach chriftlicher Anficht Habe dieſes Anſich 
in dem Menfchen ohne Chriſtus nicht die immanente Kraft, 
fich felbft zur Wirklichkeit zu erheben, fondern ed fey in ge- 
x bundenem Zuftande, fonft hätte e8 ja fchon eine Art von Wirk 


» then von Oſiris, Heralles und Monis weit bedeutfamer, als 
die Gefchichte des Gekreuzigten. 
46 * 


724 - U Ber. 4. Say. 


lichkeit vor Chriftus %. Haltungslos darf dieſe Einmwendung | 
mit Recht genannt werden, ba fie, um nicht gar zu unmtt 
telbar in das entgegengefehte Ertrem eines unchriftlichen Dua⸗ 
lismus zu verfallen, ihre eigene Widerlegung in ſich aufneh 
men muß, und nur an ihr fich halten kann. Sf denn nid 
auch nach dem Chriſtenthum die Erlöfung nicht ſowohl eine 
neue Schöpfung, als vielmehr nur die Erneuerung zu der ur 
ſpruͤnglich dem Menfchen anerfchaffenen Natur, und wie kam 
die Erlöfung anderd gedacht werden, wenn doch zugegeben 
wird, daß im Wiedergebornen nur das wirklich werde, was 
bie, innerfte Anlage und Beſtimmung feiner Natur fey, fomit 
doch auch an ſich ſchn in ihm vorhanden feyn muß, was 
durch die Erlöfung zur Wirklichkeit gebracht wird? Waäre dieß 
nicht fo, fo müßte ja nicht blos der natürliche Menfch ein an- 
derer feyn, ald der .urfprüngliche, fondern auch der Menfh 
an fih durch die Sünde ein ganz anderer geworden feyn, und 
es ließe fich nicht begreifen, wie zwiſchen dem alten und neuen 
Menfchen noch ein Verhältniß der Fdentität angenommen wer 
den kann. Was aber der Menfch an fich iſt, ift er noch nit 
in der Wirklichkeit, und die Idee muß, um zu’ihrer Realität 
zu gelangen, erft in die Erfcheinung heraustreten. Es iſt dar 
ber wirklich. fo, wie auf dem Standpunft der erwähnten Ein- 
wenbung als undenkbar voraudgefegt wird, Daß das, was 
in dem Wiedergebornen wirklich wird, fchon vor Chriftus d- 
ne Art von Wirklichkeit hatte, nämlich diejenige Wirklichkeit, 
bie alles hat, was, ehe es Außerlich zur Erſcheinung kommt, 
zuvor fchon wenigſtens der Idee, oder dem Princip, nad) yor- 
handen ift, wie ja auch Chriſtus, ehe er Menfch wurbe, de 
zur Menfchwerdung. beflimmte Sohn ©otted war. BDabdurd 
wird aber dem Chriftenthunt: nicht das Geringfle von feine 
eigenthümlichen Würde entzogen; und es läßt fih um fo we 
niger begreifen, wie an ber Anficht, es ſey i im Chriſtenthum 


1) Tüb. Zeitſchr. für Cheol. Jahn 1836. PR 1. ©. 177. f. 


Die Begner der Hegel’fchen Lehre. 125 


nur faktiſch realifirt worden, was an ſich ſchon vorhanden war, 
irgend ein Anftoß genommen werden Tann, da ja das Chris 
ftenthum felbft nichts anders feyn will, als die Offenbarung 
und äußere Verwirklichung des ſchon von Ewigkeit‘ in Gott 


- eriftirenden Rathfchluffes der Erlöfung. Was aber äußerlich 


fich verwirklicht, ift feinem Princip nach an ſich fchon vorhan⸗ 
Den, und es läßt fich Daher mit Recht behaupten, daß die ganze 


hiſtoriſche Wirklichkeit nichts anders ift, als Das in der Zeit 


werdende Bewußtfeyn befien, was ald ewige Idee in Gott 


exiſtirt. Zwiſchen der an ſich feyenden Idee auf der einen, 
und dem fie aufnehmenden fubjeftiven Bewußtfeyn auf der 


andern Seite ift die Erfcheinung und faktiſche Wirklichfeit die 
bloßen Vermittlung. Hierin liegt der Grund, warum jede 


Anfſicht, die das wahre Wefen-des Ehriftenthums nur in ſei⸗ 


ne äußere faktifche Objektivität fegen will, fich immer ‚wieder 
als eine durchaus unhaltbare zeigt. Daß Gott in Chriftus 
Menſch geworden, ift unftreitig die wefentlichfte Thatfache des 
Chriſtenthums. Wie Fönnte aber dieß gefchehen feyn, wenn 
nicht die menfchliche Natur an fich Die Empfänglichkeit für das 
Göttliche hätte, und wenn es nicht auf der andern Seite eben- 
fo eine wefentlihe Beftimmung Gottes wäre, fid) in ber 
menfchlichen Natur zu offenbaren, und Menſch zu- werden. 
Dder wie hätte die Erlöfung und Verföhnung ded Menſchen 
mit Gott durch den Tod Jeſu bewirkt werden können, wenn 
Gott nicht an ſich ſchon mit dem Menfchen verföhnt, und mit 
ihm Eins geweſen wäre, da ja die Verföhnung nichts anders 
ift, als Die Wiederherftelung der Einheit mit Gott? Den uns 
mittelbarften Gegenſatz bilden in dieſer Hinficht Die Hegel’jche 
Berföhnungslehre und die kirchliche Satisfactionstheorte, ſo⸗ 
fern die lebtere die Realität der Verſöhnung ebenfo fehr nur 
in das äußere Faktum des Verföhnungstodes fegt, wie fle das 
gegen die Hegel’iche Religions⸗Philoſophie nur im Weſen Got⸗ 
tes felbft, oder in der abfoluten Idee, begründet wiſſen will 
Aber eben dieß ift ja die in verfchlebenen Wendungen immer 


726 Il. Per. 4. Kap, 


wieberfehrende Haupteinwendung gegen bie von jener Theorie 
behauptete Nothwendigkeit des Todes Jeſu, daß fie Die objed, 
tine Realität der Berfühnung von einem äußern Faktum au 
eine Weife abhängig macht, weldhe der Idee des abjoluten . 
Weſens Gottes widerftreitet, und das abfolute Weſen Gottes 
felbft durch eine ihm gleihfam Außerlich gegenüberftehende Nat 
. beichränft, wie wenn auch für Gott felbft nichts objektive Rea⸗ 
lität hätte, was fich nicht in einem äußern hiftorifchen Faktum 
verwirklicht hat. Folgt aber daraus, daß der Menſch an Rh 
mit Gott verföhnt ift, ehe die Verföhnung Durch das äußere 
Faktum ded Todes Jeſu vollbradyt wird, daß das letztere ds 
was völlig überflüßiges und bebeutungslofes if? Keineswegd, 
fobald wir nur nicht vergeffen, daß die Religion ihrem Weſen 
nach nichts anders ift, als Offenbarung, oder Verwirklichung 
des an ſich Seyenden für das Bewußtſeyn. Was an fich if, 
fommt zu feiner wahren Realität nur dadurch, Daß es auch 
für den Geift ift, im Bewußtſeyn des Geiftes zu feiner Eri⸗ 
ſtenz und Wirklichkeit gelangt. Worin anders Tönnte babe 
auch die objektive Realität des Chriftentbums beftehen, als 
darin, daß ed das wefentlichite Moment des Proceffes if, 
durch welchen das an fich feyende Verhältniß Gottes und bed 
Menſchen für das fubjektive Bewußtfeyn des Menſchen vers 
mittelt wird? Hieraus ergibt ſich von felbft das Uẽtheil über 
Die weitere Cinwendung, welche nur eine andere Form ber 
bisher erörterten ift, Daß eine Anficht, welche eine rein imma» 
nente Entwidlung der urfprünglichen menſchlichen Natur fege, 
als pelagianifch zu bezeichnen fey, weil fie das chriftliche Le⸗ 
ben nur als Steigerung des natürlichen betrachten Eönne !). 
Zur Begründung diefer Einwendung wird dem in ber Kirde 
aufgetretenen Pelagianismus, welchen man den fubjektiven 
nennen könne, ein objeftiver gegenübergeftellt, welcher, wie 
jener den Einzelnen fich felbft erlöjen laſſe, Die angebliche Sr 


1) A. a. D. ©. 179. 


Die Gegner ber Hegel'ſchen Lehre. 7127 


löſung durch den göttlichen Geift ald eine That des allge 
meinen Menſchengeiſtes anfehe, und die Vermittlung durch 
Chriſtus dem allgemeinen objektiven, die Macht ber Selbfter- _ 
löſung in fich tragenden, Menfchengeift erfegen laſſe. Diefe 
Anklage auf Pelagtanismus müfle daher erlaubt feyn, ſolan⸗ 
ge e8 das Syſtem nicht zu einem Unterfchleb des Menfchen- 
geiftes von dem Gotteögeifte gebracht habe. Wie wenn Ehris 
ſtus die Erlöfung anders, denn ald Gottmenfch, hätte voll- 
bringen fönnen! Muß er aber in dem Werfe der Erlöfung 


nothwendig als Gottmenſch gedacht werben, fo Tann dabei 


. nicht der Unterfchied, fondern nur die wefentliche Identitaͤt des 
Gsttilichen und Menfihlichen in Betracht kommen, weil we⸗ 
ſentlich verfchiedene Elemente nie zu einer wahren Einheit fich 
vereinigen können. WIN man daher biefe wefentliche Einheit 
bes Böttlichen und Menſchlichen den allgemeinen objektiven 
Menfchengeift nennen, fo ift im Wefentlichen hiemit nichts ans 
ders geſagt, ald was von felbft im Begriffe des Gottmenfchen 
liegt. Gibt e8 einen Punkt, in welchem Gott und Menfch 
‚wefentlih Eins find, und ein folcher muß doch vorausgeſetzt 
werben, wenn nicht die weientlichften Wahrheiten des Chriftens 
thums, die Lehre vom Gottmenfchen und von, der Erlöfung 
und Berföhnung, etwas fchlechthin undenkbares werben follen, 
fo verfteht es ſich Doch von felbft, daß dieſer Punkt nicht im 
individuellen DMenfchengeift liegen Tann, fondern nur im alls 
_ gemeinen, d. 5. dem an ſich feyenden Weſen des Geiſtes. Wir 
kommen daher auch von diefer Seite wieder auf die Behaup- 
tung zurüd, daß Die Erlöfung und Berföhnung nur unter der 
Borausfesung gine faktifh wirkliche geworden feyn kann, wenn 
fie an ſich möglich ift, dieſe Möglichkeit felbft aber nichts an⸗ 
ders ift, als die an fich feyende Einheit des Göttlichen. und 
Menihlichen. Möglichkeit und Wirklichkeit aber find nicht 
identifh, fondern die nothwendigen, weſentlich verſchiedenen, 
Momente, durch welche der Begriff fich Hindurchbewegt, um 
-fidh mit fich felbf zu vermitteln. Da nun dieſe imma- 


728 | UL Ber. 4. Rap. 


nente Bewegung des Begriffs aus der Möglichfeit, oder den 
abftraften Anfichfeyn, zur eoncreten Realität nicht gefchehn 
kann, ohne daß das zwifchen dieſen beiden Momenten liegenk 
Moment der Unmittelbarfeit, Hier. alfo der Unmittelbarkeit be 
. natürlihen Menfchen, welcher mit ber urfprümglichen Ratır 
des Menfchen, ober dem Menfchen an ſich auf Feine Weile 
identificirt werben barf, negirt und aufgehoben wird, fo ik 
lcicht zu fehen, wie unrichtig hier der Begriff Des Pelagianids 
mus angewandt wird, ba die wefentliche Eigenthümlichfeit deſ⸗ 
felben vielmehr gerade darin befteht, in der Unmittelbarkeit. 
ftehen zu bleiben, und die Nothwendigfeit einer Diefelbe negi⸗ 
renden Bermittlung zu läugnen. Verwandter Art find die 
vom fittlihen Standvunkt aus erhobenen Einwendungen‘), 
„daß bie fittliche ISmputatton auf dem Gebiete Des Geiſtes⸗Le⸗ 
bens gar feine Stelle habe, daß ed blod darauf anfomme, 
das Bewußtfeyn feiner ald Geiſtes zu haben und geltend zu 
machen, und von dem Bewußtſeyn der Sünde, nicht aber der 
Sünde felbft, erlöst zu werden, weßwegen das ganze Wer 
der Berfühnung darin beftehe, zu verftehen, wie das Anders 
getwordenfeyn Gottes nur eine Fortbewegung Des Geiftes zu 
fich felbft fey, der Menfih alfo ſich als den Verfühnten habe, 
indem er an die Stelle feined ununterdrüdbaren fittlichen Bes 
wußtſeyns, Durch das er ſich ald Sünder erfenne, das burd 
Dialektif gewonnene fee, daß er als Geiſt gar nicht fündigen 
fönne, alfo in ungetrübter Ginigfeit mit Gott beharre, und 
ftetig beharret habe, wir demnach, ftatt der Sünde, nur eine 
einftweilige, durch das Fortfchreiten des Geiftes zu hebende, 
_ Unangemeffenheit der Erfcheinung zur Idee haben” — lauter 
Säte, die auf dem tiefgehenden Mißverftändniß beruhen, das 
der endliche individuelle Geift, als folcher, mit Dem allgemei- 
nen, an fich feyenden, identifch fey, und der fittliche Begrif 
der Sünde völlig hinmegfalle, wenn die Sünde als das Für: 


4) Steudel, die Glaubenslehre der ev. prot. Kirche ©. 291.. 


Die Gegner der Hegel’fchen Lehre. 29° 


fichſeyn des Geiſtes im Gegenſatz gegen das Anſichſeyn deſſel⸗ 
“ben beſtimmt werde, wovor doch ſchon bie einfache Betrach⸗ 
tung hätte bewahren können, daß auch das ſittliche Bewußt⸗ 
feyn eine befondere Form des Bewußtfeynd überhaupt if, und 
nur ald ein durch den allgemeinen Zufammenhang des geifti= 
gen Lebens bedingteds Moment angefehen werden kann, oder 
der Menſch doch auch ald Sünder nicht aufhört, Menſch, 
d. h. ©eift, endlicher Geift, zu ſeyn. 

Wichtiger fcheigt eine’ andere, zunächft Die Chriftologie ber 
Hegel'ſchen Religiond - Philofophie betreffende, Einwendung, 
welche bei dem zengen Zufammenhang der Chriftologie und, 
Berföhnungslehre ebenfo gut auch gegen die Iehtere gerichtet 
tft. Liegt ed, wird gefagt ), dem Hegel’fchen Syſtem zufols 
ge, ſchon in dem Begriffe des göttlichen Lebens, daß Gott in 
Feiner endlichen Geftalt die angemefjene Form oder Wirklich⸗ 
Feit feines Weſens findet, Liegt vielmehr im Begriffe des Ends 
lichen, nur eine inadäquate Darftelung der Idee und nur 
Das zu feyn, was einen Augenblid des Seyns hat, fo tft von 
felbft Har, daß für einen ſolchen perfönlichen Gotimenfchen, 
in welchem die Fülle der Idee Wohnung gemacht hätte, Feis 
ne Stelle übrig bleibt. Auch würde Gott aufhören, ein le= 
benbiger Gott zu feyn, wenn irgendiwie, fey ed in einem Ein⸗ 

. zelnen oder im Ganzen, die Wirklichkeit der Idee eine abfolute 
wäre. Denn die Unangemefienheit jeder Seftalt zu dem Gehalt ift 
Das, was fort und fort den Proceß wieder follicitirt. In feis 
nem vollfommenen Refultat würde der Proceß erlöfchen, und 
mit ihm das göttliche Leben. Es ift dieß allerdings der bedeu- 
tendfte Einwurf, welcher vom philofophifchen Standpunft aus 
‚gegen die orthodore Chriftologie erhoben werden kann, daß 
e8 der Idee des Abfpluten fchlechthin mwiberftreitet, mit einem 
Individuum fo Eins zu feyn, daß das individuelle Selbftbe- 
wußtfeyn mit der Idee des Abfoluten zur abfoluten Einheit 


— 





1) Tüb. Zeitſchr. für Theol. 1836. H. 1. ©. 172. 


» 
N 


230 ill. Ber. 4. Say. 


fi zuſammenſchließt. Sofern nun die Hegel’iche Bhilofophk 
biefe Unmöglichkeit gleichfall8 behauptet, und durch ihr Sy 
ſtem begründet, trifft fie der Vorwurf, in einem feindlichen 
Verhältniß zur orthoboren Chriftologie zu ftehen. Allein die 
fer Vorwurf verliert fehr von feinem Gewicht, wenn man be 
denkt, Daß es, wie von ben Gegnern bes Hegel’fchen Religions 
Philoſophie felbft zugegeben werben muß, überhaupt noch kei⸗ 
ner Theorie über die Berfon Chrifti, ald des Gottmenſchen, 
gelungen ift, die Aufgabe, um bie es fich hier der Vorausſe⸗ 
zung zufolge handelt, auf eine befriedigende Weife fo zu lö- 
fen, daß nicht immer wieder das eine oder Das. andere ber 
beiden bier einander gegenüberftehenden Ertreme, der “Dofes 
tismus oder der Ebionitismus, das Refultat eines jeden Ver 
fuch8 Diefer Art gewefen wäre. Die Aufgabe, welche zu lö⸗ 
fen tft, ift, wie von felbft erhellt, eine doppelter e8 muß vor 
erft eine ſolche Einheit des Göttlihen und Menfchlichen, wie 
bie orthodore Chriftologie voraudfegt, ald an ſich möglid 
nachgewiefen, fodann aber auch Dargethan werden, daß biele 
Einheit in der Berfon Sefu von Nazareth zur hiftorifchen Er⸗ 
fcheinung geworben fey. Da das lettere, wie ſich von felbft 
verfteht, nur hiſtoriſch oder empirifch bewielen werden Fann, 
und jeder Beweis diefer Art nur in dem Falle zu einem ge- 
nügenden Refultat führen könnte, wenn er eine befriedigende 
Löfung der erftern Aufgabe ſchon zu feiner Vorausſetzung hät⸗ 
te, fo ift klar, daß es fich zunächft einzig nur um Diefe han- 
delt. Allein alle Verfuche ihrer Löfung, fofern fie nicht in 
bloßen Behauptungen beftehen, fondern eine philofophifche Be 
gründung im eigentlicdyen Sinne bezwecken, können gerade über 
den Hauptpunft, um weldyen es zu thun feyn muß, daß die 
Einheit des Göttlichen und Menfchlichen in einem einzelnen 
beftimmten Individuum auf eine für alle andere Individuen 
ausſchließende Weife real geworben fey, nicht hinwegkommen. 
Indem der Gottmenſch, als die Einheit des Göttlichen und 
Menfchlichen, wofern anders die Idee deſſelben nicht blos eine 


Die Öegner der Hegel’fchen Lehre, 731 


bem empirifchen Boden entfprungene, fonbern in ber Vernunft 


‚gegründete, allgemeine und nothwendige Wahrheit ſeyn fol, 


in feiner Einzelheit zugleich als der allgemeine Menſch genoms 


‚men werben muß, geht ſchon dadurch das einzelne Individuum 
unwillkürlich in den allgemeinen Gattungsbegriff der Menſch⸗ 


- Bet über. Iſt e8 nicht geradezu die Beichreibung des Gat⸗ 


tungsbegriffd der Menichheit, wenn Marheinefe vom Gott⸗ 
menfchen fagt, er fey der in feiner Einzelnheit allgemeine, und 
in feiner Allgemeinheit einzelne Menfch, die von Gott geſchaf⸗ 
fene menfchliche Natur in ihrer Integrität und Illabilität, und 
eben barin zugleih als der zweite Adam Repräfentant dei 
Menfchheit, Die Wahrheit des erften, der Stellvertreter der 
Menschheit, nicht fofern er außer ihr, fondern fofern er fie 
jelbft jey, ‚und das in allen Individuen Gleiche vereinigt in 
ſich dDarftele? Und wenn nun auch ber Gottmenfch in biefem 
Sinne Jeſus Chriftus genannt, und mit der Perſon deſſelben 
identifch genommen wird, fo erfcheint Doch auch dieß zunächft 
noch als eine bloße Vorausſetzung, die in Anfehung der Sa⸗ 
che felbft Feinen Schritt weiter führt. Aber auch diejenigen 
fommen nicht weiter, welche, in ftrengem Gegenſatz gegen bie 
fpefulative Chriftologie der Hegel’fchen Schule, den Begriff 


des Gottmenfchen, als des Haupted der Gemeinde, auf folgen- 


De Weife fpefulativ feftzuftellen glauben: Wie der Menſch das 
Haupt und die Krone der natärlichen Schöpfung fen, fo fey 
auch die Menfchheit, als die auselnandergetretene Vielheit ei- 
nes höhern Ganzen, einer höhern Idee, zu betrachten, nämlich 
Chriſti. Und wie die Natur fich nicht blos in der Idee ei⸗ 
nes Menſchen zur Einheit verfammle, fondern im wirklichen 
Menſchen, fo faſſe ſich auch die Menfchheit nicht zufammen in. 
einer bloßen Idee, einem idealen Chriftus, fondern in dem 
wirklichen Gottmenſchen, der ihre Totalität perfönlich darftelle, 
und aller einzelnen Individualitäten Urbilder ober ideale Ber- 
fönlichkeiten in fich verfanmle. Und wenn die erfte Zufam- 
menfaflung zerftreuter Momente in Adam, wenn auch felbft 


32.00. Mk per. 4 gap. 


noch ein Naturweſen, Doch eine unendlich höhere Geſtalt dar- 
geftellt habe, als jedes der einzelnen Naturweſen, ſo ſtehe auch 
der zweite Adam, obwohl in ſich eine Zufammenfaffung de 
Menſchheit, und felbft noch ein Menfch, doch als eine unend- 
lich höhere Geſtalt da, denn alle einzelnen Darftellungen un 
ferer Gattung 9). Daß andy bieß nur eine Umfchreibung de 
©attungsbegriffd der Menfchheit ift, liegt Har am Tage. Wie 
der Menſch nicht als einzelnes Individuum, fondern als Gat- 
tung, über die Natur ſich erhebt, fo ift auch Ehriftus, wenn 
er in gleichem Sinne eine Zufammenfaffung der Menſchheit 
feyn fol, nicht ein Individuum, fondern die Menfchheit im 
Ganzen, die menfchliche Sattung, nur nach einer andern Seite 
ihres MWefens, nicht blos der natürlichen, fondern der geifb- 
gen. Dabeinehme man aber, was freilich bier einen fehr bedeuten- 
den Unterfchied ausmacht, den Begriff der Gattung nicht blos 
als eine leere logifche Abftraftion,; fondern im Sinne des als 
ten, dem Nominalismus entgegenftehenden, Realismus, als 
das reale Allgemeine, die fubftanzielle Einheit, bier alfo, als 
den fubftanziellen, in die Vielheit der einzelnen Individuen ſich 
dirimirenden, aber ſie auch in ihrer realen Einheit zuſammen⸗ 
haltenden Menſchengeiſt. Wie ſollte aber in dem Begriffe deſ 
ſelben irgend etwas liegen, woraus die abſolute Identität des 
allgemeinen Gattungsbegriffs mit einem einzelnen beſtimmten 
Individuum ſich ableiten ließe? Ja, liegt hierin nicht gerade⸗ 
zu ein unauflöslicher Widerſpruch? Soll der Gottmenſch auf 

der einen Seite, was unſtreitig zu feinem Begriffe gehört, der 
allgemeine Menfch ſeyn, oder das Allgemeine der Gattung, 
auf ber andern Seite aber dieſes Allgemeine Der: Gattung 


1) Es iſt dich die Idee, die mein verehrter College, Herr Prof. 
Dorner, in feiner hiftorifch = Eritifchen Abhandlung über die 
Entwiclungsgefchichte der Chriftologie, befonders in den neues 
ren Seiten, Tüb. Beitfchr. für Theol. 1836. 1. 9. ©. 2339. 
aufgeftellt hat. 


Die Gegner der Hegel’fihen Lehre. 733 


mit einem beftimmten einzelnen Individuum identiſch feyn, fo 
müßte er ald Gattung alle Individuen in ſich begreifen, als das 
mit der Gattung fchlechthin identifche Individuum aber zu als 
len andern Individuen fich fehlechthin ausfchließend verhalten 
(fofern ja das Allgemeine der Gattung mit dem Individuum 
nicht ſchlechthin Eins wäre, wenn nicht die Allheit der Indi⸗ 
viduen mit jenem Individuum ebenjo individuell Eins wären, 
wie fie in dem Sattungsbegriff Eins find), fo daß nothwen⸗ 
Dig entweder das Allgemeine im Individuum, oder das Indi⸗ 
viduum im Allgemeinen aufgeht. Dagegen Hilft es nichts, 
fi) darauf zu berufen, daß die Unendlichkeit in endlicher Ge- 
ftalt intenfivo wohnen könne. Die intenfive Unendlichkeit hat 
jedes menfchliche Individuum, fofern es dem endlichen Geiſte 
wefentlich ift, auch unendlich zu feyn, bier aber foll ja ein ein⸗ 
zelnes Individuum mit dem Unendlichen auf eine Weile Eins 
ſeyn, wie fie nur bei diefem Cinen Individuum, keineswegs 
aber bei allen andern Individuen, ftattfindet. Daher führt 
auch der Begriff der intenfiven Unendlichkeit nur auf ein all- 
gemeined Verhältnig, keineswegs aber auf ein einem einzelnen 
Individuum eigenthümliches. j 
- Bei diefem Stande der Sache liegt die Doppelte Frage 
fehr nahe, welchen Grund eine jeder Begriffsform widerftrei- 
tende Chriftologie im chriftlichen Bewußtſeyn felbft habe, und 
warum dagegen bie der fpefulativen. Betrachtung immer wies 
“der ſich aufbringende Idee ded Gottmenfchen für das shriftli- 
che Bewußtieyn fo unbefriedigend feyn fol? Was die erftere 
Frage betrifft, fo ift zwar allerdings ber Begriff des Gott⸗ 
menſchen, als eines Individuums, die Eirchlich hergebrachte Leh⸗ 
re, allein ed Tann auch die Mangelhaftigfeit und Unhaltbar⸗ 
keit Derfelben nicht in Abrede gezogen werben. Geht man num 
‚aber von der Firchlichen Lehre auf die biblifche zurüd, fo muß 
wiederum zugegeben werden, daß in der legtern zwar bie Ele⸗ 
mente ‘der Lehre, um welche es fich. handelt, in ihrer Unmits 
telbarfeit enthalten ſind, aber ebendeßwegen auch noch nicht 


TA DE Ber. 4. Kap. 


in derjenigen Form, welche die wifjenfchaftliche Verftändigun ' 
über fie verlangt. Beruft man fi) daher auf das chriftlide 
Bewußtfeyn, fo kann ed nur ald auffallender Widerſpruch er: 
fiheinen, die Firchliche Form der Lehre, deren Weſentliches 
eben darin befteht, daß der Gottmenſch nur als Individuum 
genommen wird, fallen zu lafien, zugleich aber doch von ber 
Borausfegung, als der dem chriftlicgen Bewußtfenn einzig ge 
nügenden, auszugehen, daß feine andere Theorie, wahr feyn 
fönne, als nur eine foldhe, weldye den Gottmenſchen als In- 
dividuum fefthält, was nichts anders iſt, ald der Widerfprud, 
die erft in Frage ſtehende Möglichkeit ber Sache aus ih⸗ 
rer. ſchon als Thatſache vorausgefegten Wirklichkeit erflären 
zu wollen. Auf der andern Seite aber follte man, was bie 
zweite’ $rage betrifft, bereitwilliger, ald bisher gefchehen ift, 
anerfennen, welche fowohl religiöfe, als fpefulative Bedeutung 
der ©attungsbegriff der Menfchheit hat. Das WBermittelnde 
zwifchen dem Individuum und der Abfoluten kann nur be 
Gattung feyn, zu weldher dad Individuum gehört, Das All 
‚gemeine, unter welches feinen Begriff nad) dad Befondere und 
Einzelne geftellt werden muß. ft e8 eine mwefentliche Wahr: 
heit des chriftlichen Glaubens, daß der Menfch göttlicher Na- 
tur oder mit Gott Eins ift, wodurd anders kann dieſe wer 
fentliche Einheit zwifchen Gott und dem Menfchen vermittelt 
werden, ald durch das Allgemeine, Anfichfeyende, Der menſch⸗ 
lichen Natur, die Idee der Menfchheit, die zwar in der uns 
endlichen Vielheit der Individuen fich fort und fort individua⸗ 
fifirt, aber auch die lebendige fubftanzielle Einheit ift, in wel⸗ 
cher alles Befondere und Individuelle aufgehoben iſt. Der 
Gottmenfc in Diefem Sinne ift der allgemeine, urfprünglice, 
nach dem Bilde Gottes geichaffene, urbildlihe Menſch, deſſen 
Begriff nothwendig mit dem bibliſch chriftlichen Begriff von 
Ehriftus, ald dem zwar mit dem Vater identifchen, aber aud - 
von Ewigkeit, feiner wefentlichen Beftimmung nah, Menſch 
werdenden Sohn ©otted zufammenfält. Wirb nun der Gott 


Die Gegner der Hegel’fhen Lehre. 735 


menfc ‚in diefem Sinne, wie von dem hierin weit mehr an 
Daub als an Hegel fich anfchließenden Marheineke gefchieht, 
mit dem hiftorifchen Individuum Jeſu von Nazareth, gerades 
zu ibentifichrt, fo tft dieß nicht nur ein wiflenfchaftlich nicht 
gerechifertigter Sprung, fonbern aud) eine Die Spekulation von 
der Gefchichte gewaltfam losreißende Einfeitigfeit, welcher die 
GHegel'ſche Religions» Philofophie, hierin auf der Grundlage 
der Schleiermacher’ichen Glaubenslehre fortbauend, fehr ente _ 
ſchieden entgegentritt. Es handelt ſich hier nämlich nicht blos 
um bie rein fpefulative Frage, was iſt der Gottmenſch an fich, 
ober der Idee nach? fondern zugleich auch, wofern anders bie 
ſpekulative Wahrheit auch als eine Wahrheit des chriftlichen 
Glaubens gelten fol, um die Frage: wodurch ift jene Idee 
für das menfchliche Bewußtſeyn vermittelt, auf welchem Wege 
ift fie nicht los in das Bewußtſeyn des Einzelnen, fondern 
das Bewußtfeyn der Menfchheit überhaupt eingegangen? ober 
wie ift die objektive Wahrheit der Idee des Gottmenfchen auch 
zur ſubjektiven Gewißheit geworden? Hier ift daher auch erft 
der Ort, wo bie Frage entftehen kann, wie ſich die Idee des 
Sottmenfchen zu der Biftorifchen Perfon Jeſu von Nazareth 
verhalte, und wenn nun aud) diefe Frage nur durch Entfer- 
nung einer Lehre beantwortet werden kann, welche wohl nie 
in eine der denkenden Vernunft entfprechende Form gebracht 
werden Tann, fo liegt doch zwilchen dieſem Ertrem und ber 
rein ebionitiichen Vorſtellung von ber Perſon Iefu Raum ges 
nug, um Jeſu eine Würde und Erhabenheit zu vindiciren, bie 
ihn von allen andern Menichen fpecififch unterfcheidet, und hoch 
über fie ſtellt ). Es mag hier nicht weiter unterfucht wer- 


4) Hier ift demnach der Ort, wo die oben (S. 622.) erwähnte 
neuere Theorie von der Perfon Chriſti zu ihrem Rechte 
fommt. Es kann dieß aber auch nur in diefer Sphäre ge: 
ſchehen, in welcher von ber hifiorifchen Exrfcheinung des In» 
dividuums, an welche dieſe Theorie zumächft fich hält, dire 
abfolute Idee noch unterfchieden werden muß. 


736 Mu Ber. 4 Rap. 


. den, wie weit die Hegel’fche Chriftologie in der ihr biöher ge - 


gebenen Form dem chriftlichen Bewußtſeyn genügt oder nid, 
in jevem Zalle aber darf dieß als ein wefentliche® Verdienſ 
der Hegel’ichen Religiond-Philofophie geltend gemacht werben, 
daß fie die objektive und fubjeftive Seite der in Frage ftehen- 
den Wahrheit wohl unterſcheidet, und die chriſtliche Offenba⸗ 
rung als die nothwendige Vermiltlung betrachtet, durch wel⸗ 
che allein die Idee des Gottmenſchen, oder die an ſich feyen- 
de Einheit des Göttlichen und Menfchlichen, in das Bewußt- 
feyn der Menfchheit übergegangen if. Wird das Weſen bed 
Chriſtenthums von diefem Gefichtspunft aus betrachtet, fo er⸗ 
lebigt ſich dadurch von felbft die Einwendung, daß bie Idee 
eine in dem Gottmenfchen von Ewigfeit menſchwerdenden 
Gottes eine dem Chriſtenthum widerftreitende fey, Denn wie 
Die Religion überhaupt das werbende Bewußtfeyn bes an fi 
feyenden Verhaͤltniſſes zwiſchen Gott und dem Menſchen ift, 
fo ift erft im Chriftenthbum der Wendepunkt, in welchem ber 


von Ewigfeit in Dem Menfchen, feinem Ebenbilde, Menſch wers 


dende Gott dadurd wahrhaft Menſch geworden, und in ber 
Menfchheit geboren it, daß dem Menichen feine Einheit mit 
Gott durch Chriftus zum Bewußtſeyn gefommen, und zur 
thatfächlichen Gewißheit geworden if. Auf derfelben Nicht⸗ 
Unterfcheidung des Objektiven und Subjeftiven beruht endlich 
auch die die Lehre von der Berföhnung näher betreffende Ein- 
wendung, daß der angeblichen unendlichen Realität der Ein- 
heit Gottes und des Menſchen ebenfo fehr eine unenblicde 


Nicht⸗Realität gegemübergeftellt werden müfle An fich feyen 


alle Menfchen göttlich, aber in der Wirklichkeit jeder feinem 
Begriffe immer und weſentlich widerfprechend, denn der Be _ 
griff eines jeden fey in Diefer Philofophie nicht eine individuelle 
tdeale Perfönlichkeit, fondern das Allgemeine oder Gott, dem 
als Unendlihem das Endliche weſentlich unangemeffen fer. 
So fey aljo die Verföhnung in der Einheit mit Gott hier 
ebenfo ſehr nicht ba, als fie da fey. Sie fey da im Anfich 


\ 


Die Gegner der Hegel’fchen Lehre. 737 | 


des Menfchen, denn dieß fey mit Gott Eins. Aber fie fey 
auch nicht da, weil diefe Einheit nie vollkommen wirklich wer⸗ 
den Fönne 9. Diefelbe Philofophte lehrt aber auch, daß der 
Begriff aus feingm Anfichfeyn ſich zur conereten Realität im 
fubjeftiven Bewußtſeyn fortbewegt. Wenn nun auch das fub- 


-  Jeftive,Bewußtfeyn der objektiven Idee, die &8 in ſich aufneh- 
. men fol, nie vollfommen adäquat, fondern nur in einem uns 


endlichen Fortfchritt zu ihr begriffen ift, fo wird Doch dadurch 


bie an fi) feyende Einheit des Menfchen mit Gott ebenfo we⸗ 


nig aufgehoben, als e8 in der gewöhnlichen kirchlichen Lehre 
vom Slauben ein Widerfpruch if, daß ber Menfch im Glau⸗ 
ben zwar Chriftus, als das Princip der VBerfühnung, ergreift, 
und ſich in ihm mit Gott verföhnt und Einsgeworden weiß, 
aber ſich doch zugleich auch wieder feines unendlichen Unter- 
fchied8 von ihm bewußt wird. Das ift der ewige Proceß, in 
welchem der fubjeftive Geift fort und fort ringen muß, Die 
objektive Einheit mit ©ott, nachdem fie ihm zum Bewußtſeyn 
gekommen ift, auch fubjeftiv zu realifiren, und mehr und mehr 
die Schranke zu durchbrechen, die Das fubjeftive Bewußtſeyn 
son dem Abfoluten trennt, mit welchem es fich zur concreten 
lebendigen Einheit zufammenfliehen ſoll 2). 


1) Tüb. Zeitfchr. für Theol. 1856. 1. 9. S. 195. 

2) Es freut mich, hier zum Schluffe noch die neueſte Schrift 
über die große Frage der Zeit, 3. Schaller, der hiftorifche 
Chriſtus und die Philofophie. Leipz. 1858. erwähnen zu kön⸗ 
nen, und die Hauptideen derfelben im Wefentlichen mit der 
oben gegebenen Entwicklung der Momente, um welche es fich 
in.der neueflen Geftaltung des Dogma’s handelt, zufammen- 
treffen. zu fehen. Der enge wefentliche Zufammenbang der 
£ehre von der Verföhnung mit der Lehre von der Perfon 
Ehrifti erhellt aus folgenden Hauptfägen: Die Idee der Ver⸗ 
fühnung bat er an der ganzen Menfchheit ihre vollendete 
Wirklichkeit, und fie. wäre gar nicht dee, wenn fie an ei: 

nem einzelnen Individuum haften bliebe; ſagen wir aber: 


- Baur, bie Lehre von der Berföhnung. 47 


738 Il. Ber. 4. Kap. 


Man würde die zulegt gemachten Bemerkungen fehr un 
richtig auffaflen, wenn man glauben wollte, fie zielen nur 


die Gattung der Menfchheit it die Gottmenſchheit, fo haben 
wir damit eigentlich nur den Drt angegeben, wo fich die 
dee der Gottmenfchheit realifiren foll, denn verſtehen wir 
unter Gottmenfchheit einen beſtimmten geifiigen inhalt, fo 
ift diefer in der Gattung immer nur an fich, und fomit aud 
nicht geiftig wirklich (&. 60.). Die Theilnahme des Einzel: 
nen an der Gattung ift Feine perfönliche, fondern nur fub- 
flanzielle Theilnahme, und das ift eben die Baſis der Ent: 
zweiung, Daß der Menſch nicht als Subjekt fich mit Gott 
in Einheit weiß. Solange nur die Gattung gottmenfchlic 
ſeyn foll, bleibt das Individuum ale ſolches, Das fich felbk 
wiffende Subjekt, auch troß der Negation feiner Natürlich⸗ 
keit, und feiner geiftigen Umgeftaltung, nad) wie vor aus der 
Göttlichkeit ausgefchloflen; denn die Gattung iſt nur das 
unperfönliche Allgemeine: es kommt alled daranf an, daß die 
Subjektivität als folche, als diefe fich wiffende Einzelnheit, 
mit der abfoluten Subieftivität vereint, und in das Wefen 
Gottes aufgenommen wird. Das Fundament der Verfähnung 
iſt Daher von Seiten des menfchlichen Bewußtſeyns gerade die 
Gewißheit, daß auch die atome Einzelnheit der Subjektivi⸗ 
tät den Menfchen nicht abfolut von Gott trennt, fondern 
daß vielmehr auch diefe höchſte Spige der Endlichkeit im 
göttlichen Leben anerkannt und erhalten if. Nur die per: 
fönliche Einheit hat eine abfolut verfähnende Kraft. Der 
fpefulative Begriff der Verfühnung ift der Begriff des Bei: 
fies überhaupt, und zwar handelt es fich Dabei vorzugsmeile 
um das Verhältniß des endlichen Geiſtes zum abfoluten Geif, 
des endlichen Selbfibewußtfenns zum abfoluten Bewußtſeyn, 
oder das Nefultat, daß das wirkliche Willen des Menfchen 
von Gott das Wiſſen Gottes von fich felbft if. Die abſo⸗ 
Inte Einheit des Bewußtſeyns und Selbfibewußtfeyng, in mel: 
cher das Abfolute die endlichen Subjekte, als fich felbk mil: 
fende,, in fih aufnimmt, und ihre unendliche Realität und 
Sreiheit beffätigt, oder das Subieft in dem Gegenftand ſei⸗ 


Schluß. 739 


darauf hin, bie neueſte ſpekulative Verföhnungslehre und Die 
mit ihr zufammenhängende Chriftologie ald die endliche, in 


nes Bewußtſeyns zugleich fich felbft weiß, ift der wirkliche, 
als Geiſt eriftirende Geiſt, Die fich offenbarende, den Gegens 
faß durchbrechende perfönliche Gegenwart Gottes, die per: 
fönliche Immanenz Gottes im Menfchen, als die wirkliche, 
alles durchdringende und über alles übergreifende Perfänlich- 
Reit. Diefe abfolute Wahrheit ift als unmittelbar erifiirend, 
als ein für das einzelne Subjekt anfchaubarer Gegenftand, 
ein einzelner wirklicher Menſch, mit der vollen Natur der 
Menfchlichkeit, welcher aber zugleich die ganze Fülle der 
Goͤttlichkeit, d. h. den wirklichen perfänlichen Gott in ſich 
trägt, welcher alfo der fich als Gott wiffende Dienfch und der 
fih als Menſch willende Gott oder Gortmenfch ift (S. 32— 
105.). Die ift demnach, wie er hier entwidelt wird, der - 
Begriff des hiftorifchen Chriſtus, welcher allerdings als dag 
Bewußtſeyn der Verföhnung, das wahrhaft geiftige Willen 
vom perfönlichen Gott, die perfünliche Immanenz Gottes im 
einzelnen Menfchen, der eriftirende Gottmenfch, Fein bloßer 
Mythus fenn kann. Nun fährt aber auch diefe Entwicklung 
weiter fo fort (S. 127.): Der bifkorifche Chriſtus, welcher 
als einzelnes Subjekt nur von wenigen gefchaut, aber nicht 
als Perfon den Glaubigen gegenwärtig ift, ift auch nicht der 
wirkliche Sottmenfch, nicht der Mittler, der Erlöfer, fondern 
das Gegentheil von allem dem, er ift die Spike des Egois- 
mus, denn er behält die ganze Fülle der Göttlichfeit, die Ofs 
fenbarung und Einheit mit Gott, für ſich allein, ſtößt alle 
von der Sottmenfchlichkeit aus, und gibt denen, die an ihn 
glauben, nicht den Frieden, fondern die Unfeligfeit der un- 
befriedigten Hoffnung und die Gewißheit der unaufldsbaren 
Entzweiung mit Gott zum Lohn. Es liegt fogleich im Bes 
‚ griffe des Gottmenfchen, daß er fein Welen, die Fülle der 
Goͤttlichkeit, nicht in fich verfchließt, fondern mittheilt, daß 
er nach der biblifchen Vorſtellung alle, die an ihn glauben, 
als feine Brüder anerkennt, und. zu Kindern Gottes erhebt. 
Diefe Theilnahme aller an der Perfon und der That Chriſti 


47 * 


740 IL Ber. 4 Rap 


jeder Beziehung befriedigende Löfung des großen Räthſels 
darzuftellen, mit welchem ſich ber menſchliche Geift eine fo 


enthält allerdings eine Negation des einzelnen individuellen 
Chriſtus in fih, ift jedoch nur dadurch eine wirkliche und 
geiftige, daß fie ebenfofehr aud) die ſpecifiſche Eigenthümlich⸗ 
feit Ehriftt anerkennt, und ale die Brundlage dee ganzen 
chriſtlichen Lebens fefthält. Das einzelne Subjeft, Chriſtus, 
fieht andern GSubieften als Gegenftand gegenüber. Diefe 
bloße Gegenkändlichkeit wird aber fogleich Dadurch durch⸗ 
broden, daß das endliche Subjekt in Chriftus zugleigh die 
verfönliche Eriftenz des abfoluten Subjekts anfchaut. Hie⸗ 
mit iſt das Bewußtfenn, daß endliches und abfolutes Sub⸗ 
jeft fchlechthin von einander getrennt find, thatfächlich aufs 
gehoben und widerlegt. Dieb gefchieht durch den Tod und 
die Auferfiehung. Als der auferftandene ik Chriſtus, nicht 
irgend ein einzelnes Subjekt, fondern das gottmenfchliche 
Individuum (S. 130.). Sum Gottmenfchen im wahren Sinn 
wird demnach Chriſtus erſt dadurch, daß er als einzelnes 
Subjekt aufhört zu ſeyn, und zum abfoluten Subjekt wird. 
Das abfolute Subjekt aber, zum Unterfchied vom einzelnen, 
ti nichts anders, als der allgemeine, die Sefammtheit der 
Individuen in fich begreifende Menfch. Auf diefe Weife Für 
men wir Doch wieder auf den Begriff, der Gattung zurüd, 
fofern fie das Allgemeine der einzelnen Subjekte ift, aber 
freilich mit dem großen Unterfchied,, daß, was Die Gattung, 
als folche, nur an fich enthält, in dem allgemeinen abfoluten 
Subijekt durch das Selbfibemußtfenn des Geiſtes vermittelt 
if. Darin befteht Daher das Weſen der Verſöhnung, daß 
‚der Menfch als freies Subieft weiß, was der Menfch an fi 
ift, und durch dieſes Wiffen wird die Menfchheit als Gat 
tung zum Neich Gottes, zur Gemeinde. Aber wie verhält 
fih nun Ehriftus, als einzelnes hiftorifches Individuum, zu 
der einen und der andern Eeite, wenn doch die perfönliche 
Einheit des Menfchen mit Gott, in welcher Das Weſen dei 
Gottmenſchen befieht, für Ehriftus als einzelnes Subjekt nichts 
fpecififches feun Tann? Ik es nicht Elar, daß fie nur dadurch 


* 


Schluß. 741 


lange Reihe von Jahrhunderten befhäftigt hat. Sie ſollen 
nur ungerechtem unb einfeitigem Tadel für den Zweck begeg- 
nen, damit ihr wahres Berhältniß zu dem ganzen, ihr voran- 
gehenden und fie bedingenden, Entwidlungsgange bed Dog- 
ma's und ber neuefte Standpunft defielden erkannt werden 
Tann. Die Arbeit des Geiftes, deſſen Aufgabe es ift, die ewi⸗ 
ge Wahrheit für das zeitliche Bewußtfeyn der Menichheit zu 


zur fpeeififchen Eigenthümlichkeit in ihm werden kann, Daß 
daffelbe Bewußtfenn, das er mit andern theilt, in allen ans 
dern ein erft durch feine Vermittlung gewordenes tft, dieſes 
Bewußtſeyn alfo in ihm allein mit dem abfoluten Vorzug der 
Priorität iſt? Und wenn nun auch ein folches Princip des 
geiftigen Lebens in feinem abfoluten Anfangspunft nur in 
feiner intenfivften Stärke gedacht werden Fann, fo if doch 
nicht minder wahr, wie von Schaller felbft anerfannt wird 
(©. 53.), daß die Idee fi) durchgängig in diefer Weife ren» 
lifirt, daß fie zuerfi an einem einzelnen Punkte hervortritt, 
und von diefem aus erft ihre innerliche Fülle und Wahrheit 
über viele, ein Volk, die Menfchheit, ausfchüttet. Wenn als 
fo die Kirche die Perfon Chriſti als gottmenfchlich bezeichnet, fo 
- meint fie damit durchaus nicht, daß mit dem Tode Ehrifti dieſe 
Sottmenfchlichkeit ganz und gar aus’ der Mienfchheit vers 
fchwunden fey, fondern fie hält ebenfofehr die ewige Gegen 
wart Ehrifti in den Glaubigen feft, und betrachtet fich ſelbſt 
als den Leib Chriſti, d. h. fie fegt dem Gottmenfchlichen bes 
Individuums das Gottmenfchliche der Gattung zur Seite, oder 
laͤßt vielmehr erſt in dem zum abfoluten Subjekt erhobenen Indis 
viduum, alfo der Menfchheit, die Idee des Gottmenfchen fich 
wahrhaft realifiren. Dieß if demnach die äußerſte Spike, 
die das Dogma in feiner fpefulativen Bewegung erreicht hat. 
Vergl. auh J. W. Hanne, Rationaljsmus und ſpekulative 
Theologie in Braunfchweig. Ein Verſuch über das wirklis 
he Verhältniß beider zum chriftlichen Glauben, nebft einer 
fpekulativ-dogmatifchen Entwicklung der Menfchwerdung und 
Derföhnung Gottes in ihrer Nothwendigkeit und Wirklichkeit. 
Braunſchweig 1838. 


142 Ill. Ber. 4. Kap. 


vermitteln, wird auch Fünftig nicht ruhen, und das Mangel 
hafte und Einfeitige, das auch dieſer Theorie, wie jeder menfc- 
lichen anhängt, fehärfer und entfchiedener von ihr abthun, als 
es fich jest fchon für das Bewußtfeyn der Zeit herausftellt, 
Das aber muß jedem, welcher, dem Gange der bisherigen Un- 
terfuchung gefolgt tft, Elar geworden feyn, wie dad Dogma durch 
die immanente Bewegung feines Begriffs von einer Form im- 
mer wieder zu einer andern fortgefrieben wird, bis endlich 
auch die neuefte Theorie in die durch eine fo lange Reihe von 
Sahrhunderten fortlaufende Kette der Entwidlungsmomente 
als neues Glied eingreift, und an fie fich anichließt. In der 
jeder VBorftellung anhängenden Negativität liegt der Impuls zu 
einem weiter ftrebenden Fortjchritt, und es ift unmöglich, von 
dem fpäter gewonnenen Standpunkt zu dem frühern verlaffe- 
nen zurüdzulenfen, ohne mit dem Selbſtbewußtſeyn des Gei- 
ſtes in Widerftreit zu fommen. Nur vorwärts geht der Zug 
des Geiftes, was aber einmal in feiner Negativität erfannt 
ift, bleibt ein auf immer überwundenes und aufgehobenes Mo- 
ment. Diefed Streben des Geiftes, über alles blos Indivi—⸗ 
duelle und Subjektive, alles blos Aeufferlihe und Zufällige 
binwegzufommen, um fich zum wahrhaft Allgemeinen und Ob- 
jeftiven au erheben, und darum auch nichts als Wahrheit an- 
zuerfennen, was ſich nicht als eine im Wefen des Geiftes felbft 
begründete Wahrheit, al& ein mefentliched und nothwendiges 
Moment des feines wahren Wefens fi bewußtwerdenden, 
in dem fteten Wechfel ſich feßender und aufhebender Formen 
den allein wahren Inhalt erftrebenden, und in der Freiheit 
und Wahrheit feines Selbſtbewußtſeyns fih mit fich felbit zu- 
fammenfcjließenden und verfühnenden Geiftes erkennen läßt, 
zeigt fich zu Feiner andern Zeit. großartiger und bedeutunge- 
voller, als in der neueften Entwidlungsperiode unſers Dog- 
ma’d. Darum ift ed auch noch nie aus einem höhern und um: 
fafjendern Standpunkt aufgefaßt worden, als in der neueften 
Zeit, in welcher die Bhilofophie und die Theologie ſich zu dem 


Schluß 743 


Nefultat vereinigen, daß die hriftliche Lehre von ber Ber: 
föhnung, wie fle durch die Lehre von der Perfon Chrifti, als 
des Sotimenfchen, ihre nothwendige Beitimmung erhält, eben- 
fofehr die höchfte Aufgabe der Spekulation, als den innerften 
Mittelpunkt des in der chriftlichen Gemeinfchaft ſich ausſpre⸗ 
chenden chriſtlichen Bewußtſeyns in ſich begreift *). 


1) Da wir ung, ſeitdem der durch die Reformation hervorge⸗ 
tretene Gegenfaß des Fatholifchen, und proteftantifchen Lehr: 
begriffse in Beziehung auf unfer Dogma firtrt worden if 
(f. oben ©. 344. f.), nicht mehr veranlaßt gefehen haben, auf 
die Lehrweiſe der Eatholifchen Kirche zurückzugeben, fo kann 
bier noch die Frage entfichen, wie fich. diefelbe zur neuern 
Entwicflungsgefchichte unferd Doama’s verhält? In der That 
aber könnte diefe Frage auch auf ſich beruhen, fo ausſchließ⸗ 
lich gehört die ganze Bewegung des Dogma’s mit allen fie 

„ bedingenden Momenten nur der proteflantifchen Kirche an. 
Um jedoch auch dieſe Geite des Dogma’s nicht unberührt zu 
lofien, mag das Wenige, das etwa Beachtung verdient, da 
es ſich für ein eigenes Kapitel nicht eignet, und früher noch 
Eeine paflende Etelle finden Eonnte, in der Form einer Ans 
merkung nod) beigebracht merden. Eine bemerfenswerthe Mo: 
dififation erhielt die Darfellung unferse Dogma’s in der ka⸗ 
tholifchen Kirche erfi am Ende des vorigen Jahrhunderts und 
zu Anfang des gegenwärtigen, als die zum ganzen Geifte 
der Zeit gehörende Gleichgültigkeit gegen das Poſitive des 
chrifitichen Dogma's, und die vorherrfchende Richtung auf 
das Praftifche, die in der protefiantifchen Kirche fo großen 
Einfluß auf die Geftaltung des Dogma’s hatte, auch der ka⸗ 
tholifchen Kirche fich mittheilte. Die Hand» und Lehrbücher 
eines Ildefons Schwarz (Handb. der chriftlichen Relig. Erfte 
Ausg. Bamıb. 1793. Fünfte 1818.), B. Salura (Neueſte Theo: 
Ingie des Chriſtenthums. Ein Plan zur Reform der Theo: 
Iogie und ein Verſuch, die Lehre vom Chriſtenthum auf die 
urfprüngliche Sprache, Simplicität und Schönheit wieder zu⸗ 

- rüchzuführen. Augsb. 1800—4.), E. Klüpfel (Institutiones 
theologiae dogmaticae. Wien 1807.) Dobmayer (Systema 


744 


theologiae eatholicae. Gulzbach 1807—19.), geben, zum Theil 
unter Einwirkung Eantifcher Ideen, eine. Darftellung unfers 
Dogma’s, bei welcher der Unterfchied der Eonfeffionen bei- 


nahe ganz in den Hintergrund zurückritt. Nach ldefons 
Schwarz a. a. O, 2r Bd, &.272. läßt fich die Möglichkeit 


gar wohl denken, daß durch Leiden eines Unfchuldigen ein 
Schuldiger befreit werden Einne. Wenn dem lnfchuldigen 
Dadurch nichts entgehe, wenn er fich freiwillig dazu anbiete, 
wenn der ganze Zweck der Strafe erreicht, ja noch vollfem: 
mener erreicht werde, als durch die Beftrafung des Schul⸗ 
digen, wenn dadurch mehr Gutes geftiftet, Dadurch die For: 
derung des Geſetzes zugleich erfüllt, aber ohne daffelbe der 
böchfte Endzweck einer ganzen Geifterflaffe nicht erreicht wür⸗ 
de, foift eine Subftiturion gang an ihrer Stelle. Genugge: 
than hat der Sohn Gottes, wie Galura den Begriff der Ge 
nugthuung beftimmt (a. a. D. 5r Bd. ©. 230.), fofern er 
für unfer ewiges Heil foviel gethan hat, als nothmendig if, 
die Sünde mit allen ihren Solgen aufzuheben, und Gottes 
Reich herzuftellen. Bon einer Nothwendigkeit der Satisfac⸗ 
tion Fann man nur infofern reden, fofern fie einmal gefches 
ben if, und wenn fie nicht nothwendig gewefen wäre, be 
Vater feines eigenen Sohnes geſchont haben würde. Die 
Nothwendigkeit iſt daher nur eine hypothetiſche, Feine abſo⸗ 
lute. Nos, ſagt Klüpfel a. a. O. T. II. ©. 139., in rebus 
istiusmodi, de quibus silet verbum Dei, indulgere nolu- 
mus humanis ratiocinüs, ne videamur velle leges ‚prae- 
scribere ipsit Deo. Consultius igitur ducimus, rem ar- 
guere ex eventu. Es ift dieß ganz der Standpunft der pro; 
teftantifchen Theologen, welche, jeder Theorie fich enthaltend, 
nur das Faktum in feiner Zweckmäßigkeit nachzumeifen fu: 
ten, und ihre Erörterung derfelben, wie dieß auch bei den 
genannten Eatholifchen Theologen der Fall ift, nur auf Stel 
len der Schrift gründeten. Auch Klee (Katholifche Dogmatif. 
Mainz 1835. 22 Bd. 1. ©. 472.) beftimmt den Begriff der 
Stellvertretung nur dahin, fie beftehe in nicht mehr noch we: 
niger, als daß Ehriftus durch feinen leiblichen Tod den Grund 
und Zuftand des geiftigen Todes aufgehoben, und deffen Zolgen 
semildert habe für alle, der Intention und Suffieienz nad, 


\ " N 245 
und für jene der Wirklichkeit nach, welche in feinen Leib und 
Geiſt ſich einſetzen laſſen, fein Leiden fich fo zu eigen zu fine 
chen. Chriſtus habe nicht formell unfere Strafe als folche 
erduldet, da er als Unfchuldiger Feiner formellen Strafe fäs 
big fey, auch nicht materiell, da er nicht dem geiftigen To⸗ 
de, auch nicht der Unmwilfenheit und Begierlichkeit, verfallen 
gewefen ſey. Er habe auch nicht in dem Sinne unfere Stelle 
- vertreten, Daß uns Durch feine Genugthuung eo ipso Schuld 
und alle Strafe erlaffen fen. (Ebenfo proteftirt auch Brenner 
Kathol. Dogm. 5r Bd. 1829. ©. 36. gegen die harte Bor» 
Rellung, als wenn Gott die Strafen, welche die fündigen 
Menfchen hätten bezahlen follen, von dem Infchuldigen ge» 
fordert hätte, um auf folche Weiſe feine Strafgerechtigfeit 
zufrieden zu fielen, denn folche Ansgleichung ftreite mit Gott 
und Vernunft. Chriftus babe genuggethan heiße nur, er 
habe geleiftet zur Rettung der Menfchen, was Feiner aus ihnen 
geleiſtet hat und leiften Eonnte). Der leibliche Tod, alles 
Elend des Lebens, Unmwiffenheit und Begierlichkeit, ſeyen ges 
blieben, und von der Schuld werden wir erfi durch Erfül- 
lung der an uns geftellten Gorderungen, um an feiner Erlös 
fungsgnade Antheil zu nehmen, frei. Das Leßtere deutet 
ſchon auf die Tendenz des Katholicismus bin, neben der Sa⸗ 
tisfaetion Chriſti zugleich den nöthigen Raum für die Sa⸗ 
tisfaetionen des Menfchen felbft offen zu laffen. Noch mehr 
fchließt fich Klee an die althergebrachte katholiſche Lehrweiſe 
Darin an, daß er ausdrücklich auch den Begriff der satisfa- 
etio superabundans wieder aufnimmt. Nicht blos hinreis 
chend war die Genugthuung Ehrifti für alle Menfchen und 
alle Sünden, fondern überflüßig, da fie ald Genugthuung der 
Menfchheit des Sohnes Gottes unendlich, die Sünden aller 
Menfchen dagegen nur endlich find, denn, wenn auch die Na⸗ 
tur, in welcher: der Sohn dem Leiden und Tode der Genugs 
thuung fich hingegeben, das principtum quo, endlich ift, fo 
haben dennoch die Handlungen Chriſti von der göttlichen 
Perfon, als ihrem principtum quod, eben unendliche Form 
und Dignität. Liefer iſt Dobmayer (a. a. O. T. VI.©. 354.) 
in den Widerfireit des Dogma’s mit der Vernunft eingegan⸗ 
gen, indem er die Verſoͤhnungs⸗Idee aus dem Gefichtspunft 


746 


einer dreifachen Antinomie auffaßt. Aus dem Begriff Got: 
tes ergibt fich die Antinomie der beiden Säge: Gott Fann 
zur Vergebung der Sünden Feine andere Bedingung als die 
Einnesänderung fordern, und Gott muß nebft der Sinnes- 
änderung noch eine andere Senugthuung für die vorigen Sün⸗ 


— den von dem ſich beſſernden Sünder fordern. Sie vereini⸗ 


gen ſich in der Syntheſis: die Güte erläßt dem ſich beſſern⸗ 
den Menfchen einige Strafen, aber die Gerechtigkeit wird 
andere zur fortfchreitenden Beſſerung dienliche über ihn ver 
hängen. Auf der Eeite des Menfchen fieht die Antinomie 
der beiden Säge: Der Menfch wird: durch fich felbft des gätt- 
lichen Wohlgefallens theilhaftig, und der Menſch muß durd 
fremdes Verdienft Gott wobhlgefällig werden, die Krug'ſche 
Antinomie, welche auf diefelbe Weife, wie von Krug (f. oben 
S. 590.), ausgeglichen wird. Aus dem Begriffe einer ftells 
vertretenden Senugthuung durch Ehriftus entfpringt Die dritte, 
pon der erften nicht mwefentlich verfchiedene, Antinomie der 
beiden Säße: Mor Gott kann Feine fiellvertretende Genug: 


thuung fattfinden, weil dadurch alle Begriffe von Verdienſt 


und Belohnung“ von Schuld und Strafe, und mithin das 
Gefeß von Proportion zwiſchen Moralität und Glückſeligkeit 
aufgehoben wird, und Gott kann fremde Genugthuung for: 
dern und annehmen, denn die Beförderung des Guten, oder 
die Rettung des Menfchengefchlechts durch die Leiden eines 
Unfchuldigen enthält nichts, was widerfprechend oder unge: 
reimt wäre. Die Spnthefis heißt: Gott Fann die ftellvertre: 
tende Genugthuung nicht als Strafe des Genugthuenden, 
fondern als menfchenbeglücdende That, nicht als GSurrogat 
der Perfonalpflicht, fondern als Stütze unferer Schwachheit, 
und als Ermunterungsmittel unferer Thätigkeit fordern und 
annehmen. Won einer auch nur der Storr’fchen ähnlichen 
Theorie ift bei diefen Dogmatifern nichts zu finden. Dage 
sen begegnen ung die Grundzüge einer doppelten Verſoͤh— 
nungstheorie bei dem berühmten Repräfentanten der Fatho: 
lifch = fpefulativen Theologie, A. Günther, in der Vorſchule 
zur fpefulativen Theologie des poſitiven Chriftenthbums. In 
Briefen. Zweite Abtheilung. Die Sncarnationstheorie. Wien 
1329. ©. 260. f. Der eine der beiden Brieffteller trägt cine 


741 


Theorie vor, in welcher mit Verwerfung des rein juriftifchen 
Begriffs einer ftellvertretenden Genugthuung.die Stellvertre: 
tung nicht als eine Webertragung, fondern als eine Ertras 
gung, und zwar nicht der Schuld, fondern der Etrafe der 
Sünde aufgeftellt wird. Diefe Stellvertretung geht als Idee 
urfprünglich von Gott in feiner ewigen’ Liebe aus, und der 
Endzweck, welchen Gott realijiren will, iſt Inofulation des 
göttlichen Lebens, d. h. der Wiedergeburt zum ewigen Leben. 
Der Tod Ehrifii it nicht Die causa movens Deum, fondern 
die causa medians in der Erlöfung Gott if ung nicht 
gnädig, weil Chriftus unfer ift, fondern Chriſtus if unfer, 
weil Gott gnädig iſt. Gegen den iuriftifchen Genugthuungs- 
begriff wird eingemendet, daß der Wahlſpruch aller Juri⸗ 
ften: "summum Jus summa injuria zum Urtheilsfpruch der 
vicarifchen Satisfaction werde, Das Necht fordere immer nur 
die Beſtrafung des Schuldigen, die Beftrafung des Unſchul⸗ 
digen führe zum Begriff des höchfien Unrecht, damit Gott 
fein Recht, das höchfte Recht, rette, was ein handgreiflicher 
Widerfpruch fey. Wie die Satisfartionstheorie dem Opfer: 
tode Chriſti zu viel beilege, fo thue eine andere Theorie, de= 
ren Hauptgedanfe die dee reiner Vergebung ſey, zu wenig. 
Gott verzeihe dem Sünder unter der einzigen Bedingung der 
Befferung. Damit aber diefe Bellerung eintreten könne, 
müſſe Gott jene Idee feiner reinen Sündenvergebung mit⸗ 
telft Verfündigung an den Dienfchen ergehen laffen, durch 
den Tod Sefu, als ein finnliches Bild von der Größe der 
Sünde, mittelt Anfchauung der Größe in der Strafe, fo- 
fern jene ein folches Opfer erfordert, Damit diefe von der 
Menfchheit hinweggenommen werden Fünnte, ohne. daß da⸗ 
durch die Heiligkeit und Gerechtigfeit Gottes verlegt wür⸗ 
de. Da aber das Grundverderben nicht blos in dem Bes 
wußtſeyn, fondern im Willen, nicht blos im Unglauben, fon» 
dern in der Ohnmacht Liegt, fo muß das Erldfungswerf, als 
Wiedervereinigung des Geiftes mit Gott, ein Werk wefentli= 
cher Mittheilung und Einpflanzung, und kann nicht das Werf 
bloßer Vorweiſung oder Worbildung feyn. Die erlöfende 
Kraft Ehrifi Tann daher nur in feinem Leben liegen, und 
doch foll uns auf der andern Seite fein Leben nur durch fei: 


748 


nen Tod zu Theil werden. Der Grund hienon liegt darin, 


daß der Logos Gottes bei feiner Incarnation Fein gefunde 


Drgan des Menfchheitsförpers befeelte. Der Sohn Gottes 
wurde als Sohn des alten Adams aus einem Weibe gebo 
ren. Als heiliger Menſch aber mußte er freimillig dieſen 
Leib des Todes und der Sünde als ein Opfer Gott hinge 
ben, d. b. das irdifche Blut, Die Thierfeele, ausgießen, 
um auf folche Weife der Gerechtigkeit genug zu thun, umd 
der Liebe die Hände zu Öffnen. So gründet fich der Opfer: 
tod Chriſti auf Feine unferer Vernunft unerforfchliche Eigen: 
fchaft im Wefen Gottes, denn Gott ift Die Liebe, wohl aber 
auf eine Eigenfchaft in der menfchlichen Natur, die wir hies 
nieden nie vdllig begreifen werden, auf welche jedoch die 
Schrift hinweist, wenn fie fagt: ohne Blutvergießen Feine 
Vergebung, denn die Seele des Sleifches ift im Blute, und 
das Blut ifis, das für die Seele verfühnt. A. a. O. ©. 270. 
Es ift dieß im Ganzen derfelbe Gang, welchen die Stier⸗ 
fhe Theorie genommen hat, charakterifiifch aber iſt die dem 
Blut zugefchriebene verfühnende Kraft, eine Vorftellung, die 
um fo merfwürdiger if, da fie uns auch bei andern Eatholis 


- fchen Schriftfiellern der neueften Zeit begegnet. Bei Gin: 


ther felbf wird diefe Theorie nur als weitere Ausführung 
der de Maiftrefchen Anficht vom Dpfer (vgl. die Abhands 
lung über die Opfer im 5ten Bande der Weberfegung der 
Werke de Maiſtre's S. 411. f.) gegeben, welcher zufolge die 
uralte Vorftellung von der fühnenden Kraft des Bluts ihre 
Wurzel in den tiefften Tiefen der menfchlichen Natur ha 
ben foll. Hiemit verbindet de Maiftre die Lehre von der 
Neverfibilität, daß Die Unfchuld für die Schuldigen zahlen 
könne, und leitet Daraus als nächfte Folgerung ab, daß, da 
einmal das Leben fchuldig fen, auch ein minder koſtbares 
für ein anderes dargeboten und angenommen werden fünne, 
die Lehre von der Subſtitution. Noch tiefer greift bei F. 
Bander (Borlefungen Über eine Fünftige Theorie des Dpfers 
oder Kultus. Münfter 1837.) diefelbe Idee in Das myſtiſche 
Dunkel des Naturlebens ein. Wie nach Baader der durd 
den Sündenfall in die Materie verfirickte Geiſt nur durd 
bie Vermittlung der Materie fich zur freieren Thätigkeit ſei⸗ 


2749 


nes geiftigen Lebens erheben kann, fo find insbefondere 
an das Blut, fofern es der Träger des animalifchen Lebens, 
ebendarum aber auch das Gefängniß des Geifimenfchen und 
das Drgan des Geiftes der Sünde ift, fpiritale Potenzen 
gebunden. Daher foll das Opfer durch das Vergießen des 
Bluts nicht blos die an daffelbe gebundenen geiftigen und 
feelifchen Kräfte, fondern auch, vermöge des folidarifchen Zu⸗ 
fammenhangs zwifchen allen Dingen Einer Klaffe, die noch 
in der Materie befangenen geiftigen Kräfte des Opfernden, 
welche fich mit dem Geopferten in Rapport gefeßt haben, be⸗ 
freien, und in eine höhere Region erheben, oder, was daffel- 
be ift, die Wirkung haben, daß die den‘ Menfchen gefangen 
haltenden unreinen Mächte von ihm auf das Genpferte abs 
geleitet werden, ebendamit aber die Kräfte des Geopferten 
als nährendes und befruchtendes Prineip in die Subſtanz 
deffen, für den geopfert wird, eingehen — großentheils Vors 
fiellungen, die uns von dem Standpunkte der neueften Phi⸗ 
Iofophie auf einmal wieder in die von heidnifchen Ideen ges 
fchwängerte Periode des Gnofticismus und Manichäismug zu⸗ 
rückverfegen. Der auf die de Maiftrefche Idee gebauten, 
bei Baader in Manichäismus auslaufenden Theorie ftellt 
Günther zur Widerlegung eine andere gegenüber (©. 286. f.), 
welche von der Grundanficht ausgeht, daß es für das reine 
Geifterreich Feine Reverfibtlität oder Subftitution gebe, weil 
fih die freie Caufalität und Subftanzialität, als relative 
Abfolutheit, in jedem Einzelnen feindlich entgegenfege, wenn 
man fich ein organifches Ganze aus den einzelnen heilen 
Eonftruiren, und fo die dee einer Solidarität des Geifter- 
reichd gewinnen wolle. Im Reiche reiner Geifter gebe es 
wohl eine Nachahmung und Verführung, aber Feine Stelle 
vertretung und Zurechnung, weil es in demfelben wohl zu 
einem moralifchen Verfonalismus und zu einer Donamifchen 
Hierarchie, nie aber zu einem dynamiſchen Organismus kom⸗ 
men Eönne, der nur im Naturleben fattfinde, weil hier all’ 
und jedes Einzelne nur die concrete Erfcheinung eines und 
deffelben Princins und der Einen Subftanz fen, die die Eis 
ne Seele aller Naturdinge fen. Aber Gott habe fich nicht 
blos mit dem reinen, fondern auch mit, dem verhüllten Geis 


e 


fierreich, mit der Menfchheit, als der Syntheſe von Geiß 
und Natur, in lebendigen Verkehr geſetzt. Diefe Syntheſe 
involvirt einen lebendigen Wechfeleinfluß, eine dynamiſche 
Neciproeität zwifchen den beiden Subftanzen. Das Geiker: 
leben iſt Perfönlichkeit mit Selbſtbewußtſeyn, das Neaturle 
ben Sattungsleben mit Bewußtfeyn. Das Individuum in 
der Natur bat daher nur Werth und Bedeutung in der 
Gattung und für diefelbe, und nur im Gattungsleben kann 
eine Zortpflanzung und Bererbung flattfinden. Da nun die 
dee von der Menfchheit als Synthefe von Geift und Natur 
auch dee Gottes ift, die in der Menfchheit nur real ge 
worden ift, fo erfennt Gott kraft diefer Idee den einzelnen 
Menfchen nur im Ganzen feiner Gattung, und die Gattung 
auch im Einzelnen, fofern diefer der Nepräfentant der Sat- 
tung ſeyn kann, wie folches der Fall im Urmenſchen als Ba: 
ter des ganzen Gefchlechts if. Kraft jener Idee und der 
Varticipation des Geiftes am Gattungsleben mittelft Sort: 
pflanzung kann es in derfelben Gattung einen doppelten An: 
fang, einen doppelten Kepräfentanten geben. Ein Sohn dei 
erfien Adam dem Fleifche nach Fann Vater des erfien Adam 
und feiner Nachkommen dem Geifte nach werden, und fo 
der Vater des Menfchengefchlechts zum Eohne des zweiten 
Adam. Indem ſo der erfie und zweite Adam derfelben Sat: 
tung angehören, hebt der freie Gehorſam des zweiten den 
freien Ungehorſam des erftien Urmenfchen auf, und die 
Menfchheit fleht als Gattung für die Anfchauung Gottes oh: 
ne Widerfpruch mit Gott da. Diefer freie Willensaft des 
zweiten Adam, als gänzliche Hingabe feines Daſeyns im den 
Willen der Gottheit, hat nur unter der Herrfchaft jener 
dee aufhebende Kraft und genugthuende Wirkung, die als 
folche zugleich eine flellvertretende Genugthuung ift, weil fie 
nur die Gattung vom Widerfpruch mit Gott reinigt, ohne 
Gott, der jenen Gehorfam nur unter derfelben dee für den 
Ungehorfam annimmt, mit fich in Widerfpruch zu fegen. 
Dieß ift demnach die Günther’fche, auf der dualiftifchen Idee 
des Menfchen, als eines Vereinweſens von Seift und Natur, 
beruhende Satisfaetionstheorie. Was wird jedoch durch fie 
gewonnen? Ihre Bafis foll ſeyn (©. 297.) die Sheilnabs 


751 


me der Menfchheit an dem Gattungsleben der Natur, info- 
fern fie die lebendige Einheit des’ Gegenfages im Freatürlic 
chen Senn iſt, nur in diefer Theilnahme bilde die Menfch- 
heit ein organifches Ganze, und nur in diefem gebe es eine 
Keciproeität zwifchen den Theilen und dem Ganzen, und 
nur in diefer komme es fodann auch zur ethifchen Reverfibis 
lität der freien Handlungen. Aber gerade hieraus erhellt 
ja deutlich genug, daß die Theilnahme der Menfchheit an 
dem Gattungsleben der Natur nur die äußere Bedingung ift, 
unter welcher der Menfch von der Schuld und Strafe der 
Sünde erlöst werden Fann. Gibt es eine Erlbſung, die der 
Menfch fich nicht felbft geben, die ihm nur durch einen Er- 
Löfer zu Theil werden Eann, fo kann er allerdings nur un- 
ter der VBorausfesung an ihre theilhaben, daß er mit dem 
Erlöfer in Gemeinfchaft flieht, alfo in denfelben organifchen 
Zufammenhang hineingeftellt ift, -welchem der Erldfer ſelbſt 
angehört. Allein es iſt dieß zunächft nur die äußere Seite 
der Möglichkeit der Erldfung, und eine ganz andere, davon 
wefentlich verfchiedene Frage if: ob überhaupt der Menfch 
durch das Verdienſt eines Erlöfers erlöst werden kann, und 
wenn nun der Menfch als Vereinweſen von Geift und Na- 
tur definiert, und vom Geift im Gegenfas zur Natur gefagt 
wird, daß er in feiner: freien Caufalität und Eubflanzialität 
nur fich verfchulden, nur fi) verdienen Fann (©. 293.), fo 
it ja Ear, daß ebendadurch dem Menfchen, fofern er Geift 
ift, die Möglichkeit der Erlöfung an fich abgefprochen wird, 
Geiſt aber bleibt der Menfch auch als Vereinweſen von Geift 
und Natur, und wenn auch die Syntheſe von Geift und Na⸗ 
tur, die das Wefen des Menfchen ausmacht, als Verbindung 
zweier Subflanzen oder Lebensprincipien, einen lebendigen 
Wechfeleinfluß, eine dynamiſche Reciprocität swifchen beiden, 
eine communtcatio idiomatum, involviren foll (S. 287.), 
fo tft Doch nicht einzufehen, warum das Webergewicht dieier 
Reeiproeität fofehr nur auf die Seite der Natur fallen foll, 
daß der Menfh, um Naturweſen zu ſeyn, aufhört zu feyn, 
was er als Geift if. Kann aber der Menfch, unbefchadet 
feines Wefens, um den Begriff eines Naturweſens in fich zu 
realifiren, aufhören zu fenn, was er als Geift in feiner freien 


752 


Saufalttät und Subftanzialität ik, ſo iſt ja ebendamit auch 
zugegeben, daß diefer ganze Gegenſatz von Geift und Natur, 
deren Synthefe der Menich fenn foll, ein durchaus fchiefer 
und begriffslofer iſt. Sch habe fchon an einem andern Drte 
(Gegenfat des Katholieismus und Proteflantismus. Zweite 
Ausg. 1836. ©. 231. f. befonders ©. 681. f.) diefen Günther: 
fchen Dualismus, und die Prineipien, auf welchen er beruht, in 


‚Unterfuchung gezogen. Seitdem hat Hr. X. Günther in feiner 


neueften Schrift: Die Juste-Milieus in der deutfchen Philofo: 
phie gegenmwärtiger Zeit. Wien 1838. auch auf dieſe „Bemaͤn⸗ 
gelung” feiner Theorie Rückficht genommen. Es hat mich jedoch 
der ganze meiner Schrift gewidmete Abfchnitt (S. 389-408.) 
nur in der Ueberzeugung beflärkt, daß eine Theorie, bie dem 
Gegenfag von Geift und Natur fo wenig auf einen Elaren 
Begriff zu bringen weiß, und überall mehr auf pifante, bald 
dahin bald dorthin abfpringende Phrafen, als auf eine zu 
fammenhängende methodifche Entwicklung ausgeht, nicht be 
rufen feyn kann, eine bedeutende Stelle in der Gefchichk 
der Philofophie und Theologie einzunehmen. 





NRegiſter. 


A. 
‚ 150. 190. f. fein Ver: 
! 3% Anſelm 195. fein 
entar über den Brief an 
mer 190. feine Senten- 
1. feine Apologia 205. 
Itniß feiner Lehre zu der 
,. Paulus 199. 
ıl 146. 
ion 264. 271. 309. 
ıtion 427. 428. 
27. 193. 2326. 255. 274. 
62. 750. 
odation 477. 523. 556. 
0. 609. ihr Wahres und 
reg 559, 
er Gr. 2315. 217. 
2 von Hales 215. 
einer 67. 101. 516. 605. 
, allegorifche Bedeutung 
fchichte Ehriftt 467. 470. 
8 345. 
. 413. 84. 167. 220. 226. 
147. 310. 318. 
Iheit 372. 
after 71. 
us 73. 
585. 
ismus 367. 


"Avaxegalaiwors nach Irenäaͤus 37, 

Avrallayue 76. 80. 

Antinomie der Vernunft in der 
Lehre von der Verfähnung 589. 
688. 746. 

Anfelm von Eanterb. 12. 142. f. 
fein Begriff der Satisfaetion 
158. 183. 296. fein Berhältnig 
zu Abälard 195. feine Satis⸗ 
factionstheorie von den folgen» 
den Scholaftifern nicht anges 
nommen 2:8. von Duns Seas 
tus befiritten 253. 260. ihr Ders 
bältniß zur lutherifchen 291. 
296. 680. — 322. 370. 510. 541. 
545. Geine Lehre Die der Bere 
nunft abäquntefte Form der Bis 
bellchre 672. 674. Falſche Bes 
bauptungen über fie 680. 

Apocha 423. 

Apollinarig 110. 

Apoftel 522. 524. 527. 556. 597. 
602. 

Arianismus 107. 269. neue Form 
deffelben 623. 

Ariſtoteles 231. 246. 
Arminianer 367. 442. 502. das 
Vermittelude ihrer Theorie, 

Arriaga 345. 


e, bie Lehre von ber Berföhnung. 48 


754 


Athanaflus 85. 94. 99. 105. 108. 
112. 322. 

Auferfiehung 114. Chrifti, 383. 
407. 410. 470. 550. 740. 

Auguſti, 18. 

Yugufiin, 68. 70. f. 85. 110. 144- 
161. 202. 233. 510. 


2. 


Baader, 5. 748. 

Bähr, 17. 18. 46. 

Bahrdt, 515. 523. 526. 

Barclai, R. 468. | 

Bafilides 24. 

Baſilius der Gr. 84. 

Banmgartens Erufius 20. 147. 
186. 283. . 

Belial 80. 

Bellarmin 307. 317. 345. 349. 

Bernhard von Clairvaux 190. 
200. f. 205. 305. 

Biel, Gabr. 271. 351. 

Blondel 368. 

Böhme, J. 466. 470. 474. 671. 

Bonaventura 214. f. 247. 

Bremer 745. 

Bretfchneider 69. Schwanfen 
zwiſchen Eupranat. und Nat. 
611. über den Tod Jeſu 612. 
Webereinfimmung mit Eteins 
bart 613. 

Buddeus 454. 


€. 


Calvin, 307. 331. 349. 367. 372. 
feine Idee von der Menfchbeit 
Chriſti 337. feine Polemik ge- 
gen 3. Diiander 338. fein pos 
Ativer Begriff der justitia 331. 


Regiſter. 


Chriſtenthum, feine Eigenthuͤm⸗ 


Camers 363. 
Canz 456. 
Capellus 368. 
Carpow 488. 
Chemniz 303. 





























lichkeit 138. 628. 635. eine neue 
Schöpfung 723. fein Wefen und 
Zweck 611. Chriſt. und Ber 
nunft 150. 593. 597. 611. ald 
Glückſeligkeitslehre 507. Me 
taphyſik und Chriſtenthum 706. 
Chriſtus ald Urmenſch 40. die 
Einheit des Betrennten 126. der 
- urbildlihe Menſch 130. 32. 
Adam und Chriſtus 275. der 
andere Adam 473. Haupt bt 
Gemeinde 235. 327. der Giy 
fel der Menfchheit 710. der in⸗ 
nere Chriſtus 469. der Glas 
be 463. das Princip der Ge⸗ 
rechtigfeit, die justitia essen- 
tialis 317.320. 322. fein himm⸗ 
lifches Fleifh und Blut 46. 
469. Prophet 405. 473. Hobe⸗ 
priefter 65. 405. 11. Dominus 
legis 303. thut ſich felbft genug 
348. wietern Erlöfer im fecie. 
Epfiem 405. ift nur Mittler 
nach der menſchlichen Natır 
337. iſt zum Gehorſam verben: 
den 355. 481. 498. Sıı. 555 
nicht verbunden 50%. fein Ge 
borfam 33. 62. 280. 297. 305. 
636. 332. Belohnung feines Ge⸗ 
borfams 531. fein Leiden‘ 
ſchmerz 233. Werth feines fa: 
dens 238. 316. 38%. 438. 59. 
fein Zod 8. 10. 23. 26. 34. all 


Negifter. 


- Kampf und Sieg über den Teu⸗ 
fel 27. 35. 43. als Opfer 55. 
238. 663. als Erfak 97. feine 
Seele als L£öfegeld 49. vergl. 


88. 239. 604. fein Fleifch eine 


Lodfpeife 75. 79. das pſycho⸗ 
Iogifchsfittliche Moment feines 
Todes 193. 209. 405.549. fein 
Tod Fein Strafleiden 440. cin 
Symbol 593. nach Hegel 716. 
Marbeinefe 721, Zweckmaͤßig⸗ 
keit und Nothwendigkeit feines 
Leidens und Todes 224. 231. 
247. 408. ſubjektive Nothwen⸗ 
digkeit feines Todes 525. 605. 
Das Beifpiel feined Todes 180. 
406. Hauptablicht feines Todes 
602. Darftellung der Liebe und 
Heiligkeit Gottes 651. Wirkun⸗ 
gen feines Todes 239. verfähs 
nende Kraft 604. Art feines 
Todes 332. Beziehung auf das 
Geißerreich (f. Orig.) 540, 554. 
610. Erduldung der Höllenfira- 
fen 307.348. Widerfpruch zwi⸗ 
fchen feinem Tod und feiner 
Auferficehung 383. Sein Ver: 
Dienfi 248. 349. feine Geſetzes⸗ 
Erfüllung 356. feine Ubiquität 
355. feine Fürbitte 198. feine 
eminentia gratiae 237. feine 
Dignität als Meligionskifter 
622.639. Der bifiorifche und 
urbildliche Chriftus 621. 626. 
Seine Sündlichkeit 662. 665. 
Die kirchliche und die ſpekula⸗ 
tive Chriſtologie 729. der his 
fiorifche und ſpekulative Chri⸗ 
Aus 739. 


Chryſpſtomus 103. 300. 

Elemens von Alex. 50. 52. 

Elemens VI. 272. 346. 

Communicatio idiomatum 307. 
347. 

Eoneordienformel 291. 297. 322. 
334. 363. 368. 372. 

Eonfeffien, die aussb. und die 
Apologie derfelben 289. 298. 
301. 30%. 

Cotta 17. 

Creatur, ihr Begriff 123. ihr Un» 
vermögen zur Satisfaction 221. 
243. 255. zum vollflommenen 
Gehorſam 484. die Beſchraͤnkt⸗ 
heit ihres Willens 547. 560. 
ihre Einheit mit dem Wort 268. 

Credere und intelligere 150. 

Crell 4237. 437.f. 

Eureelläus 443. 

Eyrill von Aler. 102. f. 116. 148, 

Eyrill von Jeruſ. 9. 

D. 


Dämonen 44. 48. 59. 611. 

Daub 696. die Idee feiner Then- 
logumena 697. ihre Einfeitige 
keit 703. 

Dekalogus 359. 

Demofritus 472. 

De Wette 595. 604. 605. 606. 607. 

Dionyſius der Areop. 120. 137. 

. 7122. 

Dippel 472. 657. 660. feine Po⸗ 

lemik gegen die altteſtamentli⸗ 
che Religion 477. 

Dobmaier 743. 745. 

Döderlein 72. 80. 530. 547. 656. 

Dogma, das chriſtliche in feiner 
Entwicklung 11.f. 23.143.f. 742. 


45 * 





(2O6 


Dofetismus 66. 82. 139. 143. 145. 
479. der kirchlichen Lehre 616. 
623. 730. 

Dominicaner 270. 

Dominicus a Soto 345, 

Dualismus, gnofiifcher 28. von 
Verſtand und Gemüth 596. die 
hemmendeSchranfe der Schlei- 
ermiacher’fchen Glaubenslehre 
633. manichäifcher 675. 678. 
neuefter Fatholifcher 752. 

Duns Ecotus 217. 218. f. fein 
Gegenfag zu Thomas 248. 
261. befireitet die Anfelm’fche 
Theorie 253. bezieht das Ver: 
dienſt Chriſti nur auf die menſch⸗ 
liche Natur Chriſti 253. 261. 
ſeine rationaliſtiſche Tendenz 
258. ſeine Lehre von der Per⸗ 
ſon Chriſti 261. ſein höchſtes 
Prineip 263. ſein Pelagianis⸗ 
mus 269. 

Durandus de S. Forciano 270. 

E. | 

Eberhard 511. fpricht das Be⸗ 

wußtſeyn des neugewonnenen 
Standpunkts aus 514. wendet 
die Aecommodationstheorie an 
522. 

Eckermann 523. 525. 

Ekhardt 366. 

Engel 161. 174. 256. 279. 294. 

Episcopius 443. j 

Erigena, Joh. Secotus 118. f. 
Charakter feines Syſtems 131. 
Urtheile über ihn 136. feine 
Zrinitätslehre 145. — 465. fein 
Berhältniß zu Fichte 693. 696. 
704. — 732. 


Regiſter. 


Erlbſung, Begriff 5. 89. Erik ° 
fungswert nad) Frenäus 3. 


"ihr Prineip 107. fpekulativ 


Idee derfelsen 127. nad) Ans 
felm 157. Doppelte der Quäfer 
468. Erlöfung und Rechtfertis 
gung 469. ©. Die verwandten 
Art. 

Ernefii, Gegner Tbllner's 503. 
552. feine Verdienſte um die 
Eregefe 521. über Uccommodas 
tion 558. 

Eudämonismus des forin. Sy 
fiems 414. der vorkant’fchen 
Periode 504. 506. 565. 572%. 

Eufebius von Eäfaren 99. 

Eutyches 145. | 

Eregefe, foeinianifche 391. ihr 
Sortfchritt 521. 


8. 

Serrandus, Diae. 72. 

Flatt, C. Ch. 583.585. 599. 616. 

Formula cons. Helv. 367. 

Fichte 634. feine Werföhnungs: 
lehre 692. feine Uebereinſtim⸗ 
mung mit Seotus Erigena 693. 
696. 704. feine Anficht vom 

Hiſtoriſchen des Chriſtenthums 
705. Einſeitigkeit ſeiner Reli⸗ 
gionslehre 708. 

Franziſcaner 270. 

Fraſſenius 345. 


G. 
Galura, B. 743. 
Gehorſam ſ. obedientia. 
Geiſt, der heilige, 41. 139. 140. 
697. bei Dfiander und Ealvin 





Regiſter. 


343. als Gemeingeiſt 631. der 
Geiſt als die abſolute Identi⸗ 
tät 712. als der abſolute, der 
Dreieinige 712. f. der natürlis 
che 715. der Proceß des Geis 


ſtes 737. 745. der endliche Geiſt 


- "und der abfolute 738. 

- Gemeinde 714. 716. 718. 740. 

Genugthuung f. Satisf. u. f. w. 

Gerhard 290. 305. 307. 348. 390. 
Geſetz, nad) der protefi. Lehre 302. 

36. Nothwendigkeit feiner Er⸗ 

- füllung 361. NRelaration des 
Geſetzes 416. 439. Aufhebung 
des Geſetzes 653. 

Gerechtigkeit, Begriff 13. 68. fo» 

. -eintanifcher 374. Moment Dies 
fes Begriffs für die Entwick; 
lung des Satisfactionsdogma’s 
27. 158. 160. 188. 219. 232. 
308. 370. 650. 

Glaube im proteft. Sinn 287. 
294. 373. 397. 460. im focin. 
397. Verhaͤltniß des ſoe. Bes 
griffs zum protefl. 402. armin. 
Begriff 448. 450. nach Weigel 
463. 

Guoſtiker 23. 51. 82. 143. 145. 
470. 711. 749. die Bedeutung 
Der Gnoſis 146. 465. 

Gboſchel 682. 

Gott, der Sohn und Geift die 
Hände Gottes 41. alles in al⸗ 
lem 134. Menfchwerdung 164. 
475. 267. nach Thomas von 
Aa. 269. nach Weffel 279. nach 
Schelling 710. die Ehre Got: 
te8 170. feine ratio 170. fein 


Broceh 170. 184. 710. 713. feir . 


757 


ne ewige Geburt 467. fein ab» 
folutes Weſen nach Anfelm 188. 
nad) Thomas und Duns Seo⸗ 
tus 188.263. ſoeinian. Begriff 
Gottes 371. Senn Gottes nach 
Fichte 693. Gott erfennt fich 
ſelbſt im Menfchen 465. Der 
Zorn Gottes 473. 659. 668. 674. 
677. Gott ald Richter 310. als 
Slaubiger 378. als Regent 415. 
5413. als die moralifche Welt- 
ordnung 588. Sein adäguns 
tes Abbild in der Menfchheit 
621. Yhyſiſcher Begriff Got⸗ 
te8 677. Negation Gottes 673. 
678. Immanenz Gottes im Men⸗ 
ſchen 739. 

Gottmenſch 2. 5. 7. 40. 42. 63. 
83. 102. 117. 119. 717. Prin⸗ 
eip der Einheit Gottes und des 
Menfchen 330. wiefern der@otts 
menfch nothwendig 222. 260. 
279. 434. fein Blut 309. fein 
Tod 166. ob zu fierben fchule 
dig 182.. Der fpefulative Bes 
griff des Gottmenfchen 734. 
738. f. 

Gotti 345. 

Gratia prima et secunda 257. 
infusa 352. 

Oregor der Gr. 68. 77. 78. f. 
92. 202. 


Gregor von Nazianz 85. 87. 109. ' 


114. 

Gregor von Nyſſa 70. 73. 7%. 
81. 85. 113. 277. 

Gregorius de Valentia 345. 

Grotius, H. 414. 443. das We⸗ 
fentliche feiner Theorie 419. 


ii 


138 


ihe Unterfchied von der kirch⸗ 
lichen Lehre 420. von der ſo⸗ 
ein. 429. A553. ihr Widerfpruch 
438. ihre Gegner in ber Iuth. 
Kirche 454. 513. ihre Anhäns 
‚ger 538. 541. 546. 609. fein ju⸗ 
ridifcher Formalismus 423.425. 
434. 435. f. das Gegenfüd zu 
feiner Theorie 676. 

Gruner 532. 

Bünther, U. 746. f. 


9. 

Hahn 639. 

Safe 722. 

Hafenfamp 656. f. 

Hegel 147. 150. 330. feine Reli⸗ 
gionsphilofophie 712. die Geg⸗ 
ner deſſelben 723. fittliche Ein⸗ 
wendungen 728. 

Heidenthum 2. f. beidnifcher Do⸗ 
ketismus 59. doketiſcher Cha⸗ 
rakter 83. 139. 

Heiligkeit, ihre Idee 572. Hei⸗ 
ligkeit und Gerechtigkeit 655. 

Heilmann 531. 

Henke 523. 525. 

Henno 345. 

Hilartus, Diae. 71. von Picta⸗ 
vium 100, 116. 

Homilien pfeudoelem. .40. f. 

Huber, 1. 455. 

Hugo von St. Victor 206. 

Hutter 290. 


J. 
Jacobus de Teramo 80. 
Idee, Afthetifche 595. 605. Idee 
und Wirklichkeit 621. 724. bie 


Negifter. 


abfolute Idee 626. die Renlis 
firung der dee 622. 741. 

Ignatius 25. 

Imperativ, der kategoriſche 574 
575. 588. Widerftreit mit der 
Gnade des Evangeliums 588. 

Imputatio 314. 358. 368. 39%. 
Imputation und Satisfaction 
386. 

Johannes von Damafcus 79. 91. 
234. 

Irenaͤus 30. 64. 67. 68. .297. 

Irvingismus 665. 

Iſidor von Hifpalis oder Sevilla 
72. 79. 


Judenthum 2.f. 477. 509. 527. 


Jungfrau, die himmliſche 466. 

Juriſten 419. 682. 747. 

Juſtin der M. 26. 366. 

Justificatio nad) Thomas-von Aa. 
269. im Iuther. Spftem 313. 
"318. 365. 

Justitia legis 330. justitia es- 
sentialis 317. 320. 322. 368. 
imputativa 388. 449. 459. 463. 
472. 477. 

K. 

Kant 14. 282. Verhältniß der 
Kant'ſchen Philoſophie zumEe⸗ 
cinianismus 413. das Charak⸗ 
teriſtiſche der Kant'ſchen Phi⸗ 
loſ. 565.f. Kant's Lehre vom 
guten und böfen Princip und 
von der Verfühnung 575. ihr 
Prineip 576. 578.582. ihre Ein» 
feitigleit 587. f. die Kant'ſchen 
Theologen 567. 584. 629. Kants 
Iche interpretation 596. Kant 
und Schleiermacdher 628. f. 


Regiſter. 


Karg, G. 353. 
Koraliniov 96. 188. 
Katholifen, ihre Lehre von der 


Berföhnung 344. 743. ihr Per 


lagianismus 350. 
Kirchenzeitung, evang. 435. 672. 
681. 
Klaiber 641. 
Klee 744. 
Klüpfel, €. 743. 
Knapp 530. 547. 549. 554. 
Kreuz als Symbol 233, 
Krug 589. 


L. 


Lange, J. 415. 557. 473. 477, 

Lang 558. . 

Law, W. 670. 

£eibniz 458. 492, Leibniz Wolfe 
{he Philof. 457. 

Lenz 19. 

£eo der Gr. 68. 72. 77.93. 116. 

Leviathan 79. 225. 

Licht, das innere 469. 473. 704. 

Limborch 445. 2 

Loͤffler 515. f. bef hränft die Suͤn⸗ 
Denvergebung auf die Sünden 


der Heiden und Juden 527. 


Inconſequenz 529. _ 

£ogo8 36. 38. 42. 63.541. Prin⸗ 
eip der Verföhnung bei Ori⸗ 
genes 65. bei Athanafing 95. 
bei Eyrill von ler. 104. feis 
ne Menfchwerdung 97.111. 131. 
541.748. fein Mittleramt 605. 

Lugo, Joh. de, 345. 

£uther 289. 290. 298. 350. 515. 
bie Iutherifchen Theologen 289. 


305. 307. 454. ihr Iinterfchieb 


759 


von Dfiander und Ealvin 334. 
361. 366. ihre Gleichgültigkeit 

gegen die fombolifchskirchliche 

Lehre 552. 562. Charakter des 

Iuth. Lehrb. 372. feine Einfei« 

tigfeit 414. feine Aeußerlich⸗ 

keit 462. 

M. 

Maiftre, de, 748. 

Manichäismus 250. 510. 675. 677. 
749. 

Marcion 24. 28. 30. 51. 52. 79. 

Marheinefe 718. 731. 735. 

Medina 345. 

Melanchthon 289. 343. 

Menken 656. f. eigene Vorftellung 
von der Sündlichfeit Chriſti 
662. vom Kampf mit dem Teu⸗ 
fel 665. vom Sall 662. 664. 

Menfch, der erſte 37. das Bild, 
nach welchem er gefchaffen wur⸗ 
de 39. 117. 124. 269. 328. Die 
Einheit der Ereatur 124. Uns 
terfchied der Sefchledhter 125. 
feine doppelte Natur 127.135. 
fein Fall 125. 127. 273. feine 
Rückkehr 133. allein das Sub⸗ 
jeft der Erldfung 294. Mifros 
fosmus 465. der alte und der 
neue Menfch 579. der Menfch 
an fich 724. feine wefentliche 
Einheit mit Gott 726. 734. 

Menzer, B. 366. 367. 

Meritum, fcholaft. Begriff 237. 
245. luth. 311. 

Meffinsbegriff 603. 606. 641. 

Michaelis 530.539. 540. 550: feis - 
ne Hypotheſe von der Exrbfüns 
de 561. 


760 


Montanismus 41. 

Monophufiten 145. 

Morus 547. 

Mothus, mythifche Seite des Dog» 
ma's 53. 61. 143. 186. 294. 
Mythen von Dfiris, Herakles 
uf. w. 723. 

Myſtiker, myſtiſche Anficht von 
der Verföhnung 111. 236. 618. 
die Myſtiker der proteft. luth. 
Kirche 459. 473. die Tendenz 
der Myſtik 466. 


N 


Natur, ihre Differenzen oder ih⸗ 


re vier Formen 121. 139. ihre 
Zerriſſenheit eine Folge der 
Sünde 125. ihre Rückkehr 134. 
Natur und Geiſt 715. 

Meander 20. 200. 

Negation 71. 133. 134. 137. 673. 
678. 687. 

Neſtorius 72. 103. f. Neftorias 
nismus 499. 

Nitzſch, C. L. 606. C. J. 641. 

Nominalismus 270. 732. 

Nothwendigkeit, ihr Begriff 231. 
necessitas consequentiae 253. 


D. 

Obedientia activa und passiva 
281. 297. Berhältniß beider 
305. 312. 315. 326. 330. 354. 
381. die obed. act. 313. 350. 
352. beftritten von Zöllner 479. 
aufgegeben von Etorr, Knapp 
u. A. 554. der thätige und lei- 
dende Sehorfam nach Schleier: 
macher 636. nach Daub 699. 
nach Marheinefe 721. 


Regiſter. 


Oecam, W. 271. 

Olevianus 366. 

Opfer 5. 10. 54. 65. 88. 92. 213. 
393. 443.477. jüdifche Opfer: 
theorie 523. 556. 597. nenefe 
Dpfertheorie kathol. Theol. 748. 

Drigenes 43. feine Lehre von den 
Dämonen 43. das Mangelhafte 
feiner £ehre von der Erlöfung 
66. 75. feine myftifchen Bor: 
fiellungen 144. 554. 711. 

Dftander, Andr. Hauptpunfte 
feines Streits 318. fein Be 
griff von der Kechtfertigung 
326. von der Gerechtigkeit 340. 
feine £ehre von Chriſtus 323. 
vom Ebenbild Gottes 328. my: 
fiifcher Charakter feiner Lehre 
327.459. des Pantheismus be 
fhuldigt 339. fein Verbältnif 
zu Calvin 338. zu Pifcator 368. 


- Weigel über ihn A64. 


P. 

Palacios, Mich. de 271. 

Paradies 126. 

Pareus 366. 

Parſimonius 353. 

Paulus, der Ap. 7. 72. 199. 332. 
354. 398. 477. 644. feine alle 
gorifirende Methode 516. 

Pelagianismus 269. 350. 561.726. 

Petau, Denys 18. 

Petrus Lombardus 69. 79. 84.138. 

.. 208. 2353. feine Sentenzen 20. 
214. 248. 

Pfaff 454. 

Philofophie, die neuere 692. 69. 

Philo 66. 


Regifter. 


Pifentor 350. 353. fein Verhälts 
niß zu Socin 370. 380. zu Tbll⸗ 
ner 480. 482. 483. 

Plato 522. Platonismus 696. Plas 
tonismus und Ehriftenthum 120. 
138. 

Prädeftination 108. 154. 372. 448. 
449. 

Proteffantismus 81. fein Prin- 
cip 287. fein Standpunft in 
der Lehre von der Erlöfung und 
Verſoͤhnung 295. fein Verhält- 
niß zum Socianismus 371. 


Q. 
Quäker 467. 
Quenſtedt 305. 308. 312. 348. 457. 


R. 


Rationalismus 587. 604. 611. 


617. 679. 741. 

Ravenſperger 438. 

Realismus 271. 732. 

Reatus poenac 242. 246. 

Rechtfertigung 313. 321.325. das 
Imputative und Deflaratori: 
ſche 316. 332. 444. 459. 472. 
Lehre Piſeators 354. der So⸗ 
cinianer 402. der Quäfer 470. 
Merhältniß zur Sündenverge- 
bung 358. 365. Rechtfertigung 
und Erlöfung 469. Kant’fcher 
Begriff 580. 585. 

Reformation 13. 285. 

Neformirte, in Frankreich 367. 
die Lehre der Reform. von der 
obed. activa 367. 

Reinhard 530. 546. 553, 

Religion 1. 287. 697. 726. 736. 


761 
Remissio 422. peccatorum 241. 
311. 358. 368. 483. \ 
Robert Pulleyn 205. 
©. 


Sartorius 679, 

Satisfactio 101. superabundans 
238. 259. 264. 267. 745. 84- 
tisf. und meritum 311. satisf. 
solutio und remissio 422. 625. 

Satisfactionstheorie 12. 18. 101. 
103. Anfelm’fche 142. 156. 541. 
ihr Srundbegriff 157. Die fol⸗ 
genden Scholaftifer 189. Bes 
griff der Satisf. nach Anfelm 
158. 163. 183. 188. 296. nad) 
Mbälard 196. nach Thomas 237. 
246. nach Duns Scotus 255. 
(utherifcher 289. Lehre der Res 
formatoren 272. der F.C. 291. 
die Kant’fche Theorie und die 
Eirchliche 580. iuriftifche Theo» 
rie 682. Satisf. und Juſtifika⸗ 
tion im proteſt.Syſtem 313.318. 
358. Beftreitung der lutheri» 
fchen Satisfactionslehre 370. 
374.377. Hauptmomente der 
Dppofition gegen fie 370. 479. 
Neuere Gegner 648. f. Tiefes 
re Bedeutung diefer Lehre 690. 

. ihr Verhältnig zur Hegel’fchen 
Verſoͤhnungslehre 725. Das 
MWiderfprechende des Satisfae⸗ 
tionsbegriffs 580. das Magis 
iche deffelben 616. Harte Vor⸗ 
würfe 388. 444. 472. 475. 510. 
516. 656. 660. Tas Berhälts 
niß der Satisfaetionslehre zur 
Schrift 599. 


762 


Schaller, J. 737. 

Schelling 709. 713. 748, . 

Sceols s dee 613. 

Schleiermacher 318. 330. 614. f. 
das Eigenthümliche ſeiner Glau⸗ 
benslehre 615. 619. 639. in der 
Lehre von der Verföhnung 689. 
ihr Ungenügendes 691. Die In⸗ 
Eongruenz des Gefchichtlichen 
und Urbildlichen in der Schl. 
Ehriftologie 621. Die Eonfes 

‚ quenz der Principien 625. Sein 
Verhältniß zu Kant 629. Vers 


Ihiedene Standpunkte feiner 


Schriften 634. 

Echloffer über Abälard 198. 

Schmid, €. Ch. €. 568. 586. 588. 

Scholaſtik, ihr Charakter 142.147. 
189. ihre Dialektik und Me⸗ 
taphyfik 154. 184. 285. ihre ra⸗ 
tionelle Tendenz 150. f. 185. 
ihre Perioden 195. 214. ihre 
Haltungsloſigkeit und ihr tranſ⸗ 
cendenter Dogmatismus 230. 
286. ihre Einfeitigfeit 295. ih⸗ 
re Vorliebe für das Typiſche 
156. 233. Proteſt. Scholaftis 
fer 454. 514. 

Schott 608. 

Schubert 50%. 

Schwarz, Ild. 713. 

Schwarze 530. 550. 

Schweizer 621. 

Schwenffeld 459. feine Polemik 
gegen Luther 460. 

Scotiften 270. 288. 344. 348. 

Geiler 530. 534. 539. 550. 552. 

Semler 523. 532. 

Senff 558. 


Regifer. 


Socianismus 371. feine Dialek: 


tif 373. 377. 386. fein Refle: 
zionsftandpunft 373. 376. ſei⸗ 
ne Ehrifiologie 409. feine Ues 


. bereinkimmung mit der Kants 


fhenPhilofophie 412. feine Ein- 
feitigkeit 414. feine Eregefe 391. 
432. Lehre der neuern Eocis 
nianer451. Neuere Gegner der 
foein. Lehre 537. 

Socinus, $. 374. — 421. 431. 
443. 495. 660. 

Sohn Gottes 40. 138. 144. 165. 
210.263. nach Kant 578. nad) 
Daub 698. nach Schelling 700. 
nach Hegel 713. feine Bezies 

bung zur Creatur 268. feine 
Menfchwerdung 39. 328. 466. 
503. 552. 662. 701. 648. 

Epalding 505. 


. Stancarus 347. 


Gtäudlin 585. 593. 599. 602. 

GSteinbart 507. 614. 

GStellvertretung 8.46. 56. 96. 277. 
304. 638. 652. 685. 744. 747. 

Stephanus Gobarus S5. 

Steudel 644. 728. 

Stier 660. 667. 748. 

Storr 530. 541. 554. fein Ber: 
hältniß zu Anfelm 541. zu den 
Cotinianern 545. zu Grotius 
538. gegen die Acceommodations⸗ 
idee 557. das Charakteriſtiſche 
feines Standpunfts 561. 

Strafe, ihr Begriff 379. 441. 478. 
507. 515. 582. 687. pojitice 
Strafen 454. 476. 532. Doppel» 
te Art von Strafen 475. na 
türliche und pofttive 508. 532. 


Regiſter. 


589. 647. Zweck der Strafe 
Befferung 511. 518. 535. 567. 
651. Unmöglichkeit der Stra» 
fenaufhebung 476.518. 568. 584. 
Nothwendigkeit derfelben 568. 
Möglichkeit 571. Der Strafs 
proceß der Liebe 683. 

©traferempel 418. 422. 425. 427. 
4350. 438. die Örotius’fche dee 
immer wieder feftgehalten 494. 
538. 541. 546. 

Suarez 345. 


Sünde, Anfelm’fcher Begriff 158. 


187. der des Duns Scotug 250. 
ein Gottesmord 308. die Ne⸗ 
gation Gottes 673. 675. Sün⸗ 
Denvergebung 356. Begriff der- 


felben im N. X. 599. Unmög- 


lichkeit derfelben 516. 518. 674. 
Sündenvergebung und Genug⸗ 
nugthuung 378.421. S. V. und 
Seligfeit 483. S. V. und Beſ⸗ 
ferung 536. Berhältniß der 
Sündenvergebung zum Tode 
Jeſu 40%. f. 592. Sündenver⸗ 
gebung Fein Gegenfland der 
Spefulation 679. 

Süskind 571. 

Spykes 523. 

Symbol 593. fombolifche Anficht 
vom Tode Jeſu 442.593. 606. 
von feiner Perfon 655. 

Synode, die Trid. 344. 


T. 
Tanner 345. 
Taufe, ihre Bedeutung nach Tho⸗ 
mas 243. 
Taylor 523. 


763 


Zeller 523. 558. ° 

Zertullian 25. 52. 100. feine Chris 
fiologie 40. 

Teufel, fein Verhältniß zur Ver» 
fühnungs= “dee 27. feine Herr⸗ 
fchaft und fein Recht 30. 36. 
47. 68. 89. 155. 191. 200. 211. 
233. 555. feine Täuſchung 34. 
49. 52. 53. 73. 76. 462. fein 
Kampf mit dem Erlöfer 34. 43. 
461. 664. fein dualiſtiſches Vers 
hältniß zu Gott 57. 69. 155. 
187. Der Mörder von Anfang 
an 127. Der Kerfermeifter Got» 
tes 192. carnifex 307. 

Theodoret 70. 85. 297. 

Theologie, ihr Charakter vor der 
Scholafiif 143. FEataphatifche 
und apophatifche 137. Verhälts 
niß der Theologie und Philo⸗ 
fophie 149. 458. Theologie und 
Jurisprudenz 682. 688. 

Theoſophie 465. 

Thomas von Aq. 217. 230. f. bes 
fchränft das Verdienſt Chriſti 
nicht blos auf die Erbfünde 246. 
fein Berhältniß zu Anfelm und 
Duns Scotus 260. feine Idee 
vom myſtiſchen Leib Chriſti 235. 
327. fein hochſter Standpunkt 
266. 

Thomaſius über Origenes 61. 

Thomiſten 270. 288. 344. 

Tieftrunk 568. 573. 593: 

Zöllner 478. fein Verhältnig zu 
Piſcator 480. 482. 483. zu So⸗ 
ein 495. Zweck feines Angriffe 
490. Moment deffelben 492. 
497. fein Neftorianismus 499. 


764 


feine Divergenz von der kirch⸗ 
lichen £chre 501. 

Tod als Negation 71. 133. Per» 
fonificirt 96. 

Tournely 345. 

Zransfubflantiation 146. 152. 

Trinität nach Scotus Erig. 140. . 
nach Atbanafius 145. nad) An⸗ 
felm 165. nach &ocin 374. nach 
Schleiermacher 632. nach Daub 
697. nach Hegel 712. 

Tzſchirner 587. 605. 


u. 


Unigenitus, Bulle, 272. 346. 
Urfinus 366. 
Uſteri 722. 


V. 


Valentianer 24. 

Vasquez 345. 

Verdienſt 235. 237. 248. 

Verſohnung, Begriffs. Momen⸗ 
te deſſelben 9. Perioden der 
Geſchichte des Dogma’s 45. 
Realität des Begriffs 119. my⸗ 
ſtiſche Anficht 111. naturphilof. 
124. 136. als Proceß in Gott 


Regiſter. 


170. 184. proteſt. Begriff 29. 
focin. 377.395. Kant’fcher 578. 
582. 587. Schleiermacher' ſcher 
618. 625. 634. Bichte’fcher 692. 
Daub’fcher 697. Schelling'ſcher 
710. Hegel’fcher 713. 727.- Das 
Weſentliche des fpekulativen 
Verſoͤhnungsbegriffs 738. 
Voſſins 438. 


W. 

Walch 301. 478. 

Wegſcheider 587. 60%. 

Weigel, V. 463. feine Schriften 
463. 

Werke 398. 450. 460. 472. 

Weſſel, Joh. 276. feine Beſtim⸗ 
mung des flellvertretenden feis 
dens 279. Moment der fiche 
978. fein Begriff des Teſtaments 
279. über obed. act. 281. 300. 

Wichmann 50%. 

Wikliff 272. das Moment der 
Buße 274. 

Winkelmann 366. 

Wort, inneres 469.473. f. Logos. 


Ziegler 17. 





Drudfehler. 
©. 40. t. 10. v. u. I. in welchem, als Menſchen, fi. ats Menſch 
— 60. 10. 9. u. I. nimmt fi. nennt 
— 152. — 1. unten |. ransfubflantiation 
— 173. — 13. v. 0. l. 160. fi. 1 
— 40. — 5.0.0. iſt „mit Got zu fireichen 
— — — 9. v. o. l. deffelben fi. derfelben 
— 638. — 12. v. u. Ber ehätige. R. der Thätige 
— 641. — 10. v. o. l. s ſt. D