Skip to main content

Full text of "Die deutsche Literatur der Gegenwart, 1848 bis 1858"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 


























- 
’. 





y 





Die deutfche 


Aileratur der Gegenwart. 


VX 


Erſter Band. 


Die deutſche 


Literatur der Gegenwart. 
1848 bis 1858. 
- Nobert Prus. 


Ob aus verlornen Aehren, 

Ob aus verwehter Streu 

Nicht etwa noch mit Ehren 

Ein Strauß zu binden ſei? 

Ob nicht aus Korn und Mohne 
Noch eine bunte Krone, 

Werth daß man ihrer fihone, 
Sich fammeln lafle HIN und treu? 


Sreiligrath, „SAwiſchen den Sarben. 


Erſter Band. 


od — 
Leipzig, 
Voigt & Öünther. 
1859. 


n 






ALTES uva 
& 1renman & 3 


® & 0f art AH) 5 
* 
E v8 














Borwort. 


Z 77 


Es iſt kein beſonders günſtiger Zeitpunkt, in welchem das 
vorliegende Werk, nach jahrelanger Vorbereitung, vor das 
Publicum tritt; die politiſche Lage des Augenblicks mit ihren 
vielfachen Sorgen und Befürchtungen hält die öffentliche Auf- 
merfjamfeit vermaßen gefangen, das Gefühl unferer nationalen 
Zerjplitterung ift wieder einmal fo lebendig, ver Ruf nach end⸗ 
licher Abhülfe dieſes Elends fo allgemein und fo dringend ge⸗ 
worden, daß alle andern Intereſſen, auch diejenigen der Lite 
ratur und der Riteraturgefchichte, darüber in den Hintergrund 
treten. | 

Und boch, wenn es nur wirklich fo ift, wer wollte fich nicht 
darüber freuen, auch wenn er jelbft für ven Augenblid einige 
Nachtbeile dadurch erlitte? Der Verfaffer wenigftens ift von 
jeher ver Anſicht geweſen und hat dies zum eigentlichen Leitſtern 
jetner fchriftftellerifchen Thätigkeit gemacht, daß auch unfere 


vi Borwort. 


Literatur nicht eher zu neuer Blüthe und neuem Gehalt ge- 
langen kann, als bis erft- unfer gejchichtliches Leben felbft einen 
neuen, fruchtbaren Boden gewonnen hat. Dies alſo iſt das 
Erfte und Dringendſte, die Nation zum Bewußtſein ver ohn- 
mächtigen und unwürdigen Xage zu bringen, in welcher fie fich, 
durch eigene wie durch fremde Schuld, gegenwärtig noch be- 

findet, damit an diefem Bewußtſein ſich auch die Kraft und der 
| Willen entzünde, diefem Zuftande ein Ende zu machen und uns 
endlich denjenigen Bla unter ven Völfern Europas zu erfäm- 
pfen, ver ung gebührt. 


Auch das vorliegende Buch ift aus eben diefem Beftreben 
hervorgegangen, auch fein Grundgedanke ift zu zeigen, wie Das 
hiftorifche und das literarifche Dafein eines Volkes ftets in 
ber innigften Wechjelbeziebung fteht und wie auch Die Roſe der 
Schönheit immer nur einem Gejchlechte aufbewahrt ift, welches 
den Muth und die Kraft hat, auch um die Palme der Freiheit 
zu ringen, Und jo mag das Bud) denn, troß feines den Inte— 
refjen des Tages feheinbar jo fremden literargefchichtlichen In- 
balts, immerhin mit hingehen als ein Beitrag zu der großen 
praftifchen Aufgabe unferer Zeit, wenn auch freilich nur als ein 
jehr geringfügiger. 

Was im Uebrigen Anlage, Umfang und Zweck des Buches 
betrifft, fo babe ich mich darüber in ber Einleitung jo ausführlich 
ausgeſprochen, daß es überflüffig fein würbe, auf dieſen Ge⸗ 











Borwort. vu 


genftand hier noch einmal zurückzukommen. Das Buch will, 
ſoll und Tann feine wirkliche Literaturgeſchichte fein, es will nur 
Beiträge und Borarbeiten zu emer künftigen Literaturgefchichte 
unferer Gegenwart liefern und auch dabei hat es fich, aus Grün- 
den, die in dem Werke felbft des Näheren erörtert find, ganz 
beftimmte Schranken geftellt, vie e8 weder übertreten wollte 
noch durfte. Wenn der Verfaffer bei alledem hofft, nichts völlig 
Ueberflüffiges und Unnützes gethan zu haben, fo begrünbet biefe 
Hoffnung fich theils auf den äußerlichen Umftand, daß die fonft 
üblichen Lehr = und Handbücher. unferer Riteraturgefchichte grabe 
dies legte Jahrzehnt berfelben entweder ganz mit Stillſchweigen 
übergehen oder doch nur fehr beiläufig erwähnen, theild und 
hauptjächlich aber auf das Intereffe, welches dem Gegenſtande 
jelbjt inne wohnt und das auch unter den augenblidlichen Ver⸗ 
bältniffen noch immer nicht völlig erlofchen fein wird. 


Die dem zweiten Bande angehängte Zeittafel macht auf 
biplomatifche Genauigkeit und Vollftändigfeit keinen Anſpruch, 
vielmehr ſoll fie nur dem Gebächtniß des Leſers zu Hülfe 
fommen und bie Ueberficht über bie Literarifche Bewegung ber 
fetten zehn Jahre, ſoweit diefelbe fich auf belletriftifchem Ge⸗ 
biete geäußert hat, einigermaßen erleichtern. 

Schließlich fieht ver Verfaffer fich genöthigt, die Lefer um 
Nachficht zu bitten, falls hier und da einzelne Druckverfehen ftehen 
geblieben fein follten; ein hartnädiges Augenübel, an welchem 





VIII Vorwort. 


er ſeit Monaten leidet, hat es ihm unmöglich gemacht, die Re⸗ 
viſion des Druckes mit der Genauigkeit zu leſen, die er unter 
andern Umſtänden darauf verwandt haben würde. So iſt z. B. 
Bd. II, Seite 130, Zeile 7 v. u., ſowie gleich darauf ©. 131, _ 
Zeile 5 v. o. ftatt „Sichem“‘ „Sericho” zu leſen; Bd. I, ©. 285, 
Zeile 6 v. o. iſt „Euphoreon“ ftatt „Euphorion“ natürlich eben» 
falls nur ein Drudfehler — und fo wird wol noch mancher 
Heine Irrthum ftehen geblieben fein, ven ber Leſer geneigteft 
jelbft verbeſſern wolle. 


Stettin, Auguft 1859. 
R. P. 














Inhalt des erfien Bandes. 


III I LI I BL IE 


, Seite 
I. Die Literaturgeſchichte und ihre Stellung zur Gegenwart . 1 


II. Das Jahr Adhtzehuhundertachtundvierzig und die Bene 
Riteraur . . . . 39 
11. Politiſche Dichter and vor- und nachmarzlicher Zeit ... 67 
1. Die politiſche Poeſie vor und nach dem Jahre Aqhtund- 


vierzig .. Er . 69 

2. Hoffmann von Fallerbleben en 81 

3. Franz Dingelfibt  . . - 2: 2 2m 9898 

4. Ferdinand Freiligratb - - © 2 > 2 1005 

5. Moriz Hartmann - - - > 2 > 116 

6. Alfred Meiner - > > > 22 en en... 197 

1. C. F. Scherenberg - - . . nn... 12 

8. Oskar von Redwitz und Genoſſen ern. 148 

9. Franz Trautman.... 2... 14 

IV. Erzählende Dihtung- - - - > > rennen. 165 
1. Epos und Pjeudo-Epo8 . . . » > 2 2 2000. 167 

2. Rudolf Gottihall . . . . een. 0. 178 

3. Wolfgang Müller von Königswinter een... 1897 

4. Stanz Loeher. nn. 197 

5. Adolf Schultt.. 202 

V. Poetiſcher Au⸗ und Nachwuchhß.. .. 209 
1. Neue Menſchen....... 211 

2. Friedrich Bodenftedt -. » > 2 2 0 220 


3. Paul Heyſe.. 22227 


DIRT 


Inhalt des erften Bandes. 


’ Seite 
Dito Roquette © > 2 2 oo rn nn. Ml 
. Julius Rodenberg . . . rennen. 29 


Klaus Groth und Theodor Storm . nn. 264 
Zulius Hammer und Julius Stum . . .... 27 
. Hermann in - 2 > 2 nennen. 276 
Ferdinand Gregorovius . 2. 2 2 2 nenn. Bl 
Julius Großße. 8287 








I. 


Bie Fiteraturgefchichte und ihre Stellung 


zur 


Gegenw art. 


Brup, die deutfche Literatur der, Gegenwart. I. 1 


Die Literaturgefchichte hat bei me im Lauf ber Tegten dreißig 
Jahre merfiwärdige Schickſale um Umwandelungen erlebt. In ver 
öben Zeit der zwanziger Jahre, zur Blütezeit der Reſtauration, war 
fie es hauptſuchlich, wenn nicht ausſchließlich, welche Die patriotifchen 
Hoffnungen der Ration wach erhielt und am der ſich überhaupt 
noch eine Art won öffentlichen Leben entzüinvete In der Literatur 
and ihrer Geſchichte war jemem Gedanlken ber deutſchen Einheit, 
ber vamals übrigens fo [wer geächtet war and ben body feine Ver⸗ 
folgungen und Xechtemgen, ja ſelbſt ferne Spott- und Stadjelreden 
der Gegner jemals völlig erſticken konnten, vie einzige Zuflucht ge: 
öffnet; felbft vie Wörter „Nationalität“ und, Deutſchthum“ pafftr- 
ten das Argusauge der damaligen Polizet nur noch, wenn fle einem 
fiteracheftorifchen Werte vorkamen. Es iſt höchſt charakteriſtiſch und 
verdient ber Abſchätzung des politiſchen und ſittlichen Einftuffes, wel⸗ 
chen die Literaturgeſchichte bei uns ausgeübt hat, wohl erwogen zu 
werben, daß gerade in ber Zeit unferer tiefſtett natxonalen Zerſplitter⸗ 
ung nnd Entwürdigung, zunächſt nach den Befreiungskriegen, da alle 
jene großartigen Hoffnungen und Träume, mit denen unſere Bäter 
in die Schlacht gegangen Maren, an wer mitleidlofen Wirtfichfeit 
zerflntterten — daß gerade vamals zuerſt das Wort „Nationul- 
ſiteratur entfkınd: und in Gebrauch kam (vurch Wachler, 1818)5 
bie Nation, jeves anderen Bandes beraubt, flüchtete ſich gleichſam 
im ven Aether der Poeſie und fürchte hier, im dankbarer Verehrang 

e 


4 Die Literaturgefchichte 


ihrer großen Dichter und Denker, die Pygmäen zu vergeffen, welche 
die Praxis der Öegenwart beherrfchten. 

So vorbereitet, war ed nur eine ganz natürliche Folge, wenn 
bie neue Bewegung der Geifter, die ſich zu Anfang der vreißiger 
Jahre in Veranlaſſung der Julirevolution über Deutſchland ver- 
breitete, fich wiederum ber Literatungefchichte als ihres hauptfäch- 
lichften Werkzeugs bediente. Das Ziel allerdings, auf welches 
biefe Bewegung hinarbeitete, war in feinen legten Conjequenzen der 
Literatur, wenigftens wie biefelbe fich bis dahin geftaltet hatte,-und 
folgerecht auch der Literaturgefchichte eher feindlich als freundlich. 
Es handelte fi darum, die Nation aus der einfeitigen literarifchen 
Bildung, den abftracten äfthetiichen Intereſſen, in denen fie ſich bis 
dahin bewegt hatte, aufzurütteln und fie hinüberzuführen in bie 
Praxis des öffentlichen Lebens; es handelte ſich parum, die Literatur 
jener Alleinherrfchaft zu entkleiden, vie fie bis dahin bei und aus⸗ 
geübt hatte und Theorie und ‘Praxis, Literatur und Leben, Poeſie 
und Wirklichkeit, Kunft und Staat in pas richtige und naturgemäße 
Berhältniß zu. einander zu bringen. 

Dies richtige und naturgemäße Verhältniß aber konnte in 
Wahrheit nur hergeftellt werben, indem bie Piteraturgefchichte felbft- 
fi) entſchloß, ihr olympiſches Dafein, hoch über ven Häuptern der 
Menjchen, im reinen, leivenjchaftlofen Aether, zu vertaufchen gegen 
ein Leben voll Kampf und Streit und Widerſpruch, defien Schladht- 
felver ſämmtlich mitten in der. Wirflichfeit Ingen. Unſere Poeten 
und Schriftfteller mußten fich entſchließen, herauszutreten aus je- 
nen geweihten Kreifen, in denen fie fih bi8 dahin von per Welt 
und ihrem Treiben abgefchloffen hatten; fie mußten fick einlaflen 
auf die Wünſche und Neigungen eines Publilums, das ſchon nicht 
mehr von äſthetiſchen Interefjen allein in Bewegung gefett- warb; 
fie mußten Ternen, ihre poetifche Saat mitten auf Die Heerfraße zu 





‚ und ihre Stellung zur Gegenwart. 5 


ftreuen, auf den fteinigen Ader ver Wiſſenſchaft, unter die Dormen 
und Difteln der Theologie, ja felbft mit ver Politik, dieſem (wie 
man bi8 dahin gemeint Hatte) vollftändigften und principiellften 
Gegenſatz aller Boefte, mußten fle ſich befreunden Iernen. | 

Es verſtand fi von felbft, daß eine fo gewaltige und tief- 
greifende Umwälzung, welche die ganzen Grundlagen unferer bis- 
berigen Literatur, ja unſeres Lebens ſelbſt veränderte, nicht ohne 
entſprechendes Geränfc und fogar nicht ohne mannigfache Tehlgriffe 
und Irrthümer durchgeführt werden konnte. Die tumultuarifche 
Generation, die bei-uns, namentlich um bie Mitte der dreißiger 
Jahre, die Literatur mit einem Lärmen erfüllte, der mitunter fehr 
ſtark an ein altes, wohlbelanntes Sprichwort erinnerte, bietet, durch 
das Glas des Aeſthetikers betrachtet, allerdings nur einen wenig 
tröftlihen Anhlid. Dennoch gebührt ihr das Verdienſt, die Noth- 
wenbdigfeit jenes Uebergangs, wenn auch nicht klar eingefehen un 
begriffen, doch wenigftens inftinetmäßig geahnt und herausgefühlt - 
zu haben. Yung, übermäthig, durch feine Rüdfichten gebunden, 
gab fie fi der neuen Richtung der Zeit mit wahrem Fanatismus 
bin; ja fie fleigerte fie abfichtlich bis zum Uebermaß, zur Carricatur, 
unbefünmert um’ das Kopffchätteln der Verftändigen und fogar 
ſtolz auf die allerdings wicht allzufoftipieligen Martyrien, die fie 
fih durch ihre literarifch- revolutionäre Thätigfeit zugezogen. 

Und freilich ift e8 für den nüchternen Zufchauer leicht, eines 
derartigen Fanatismus zu fpotten. Doch follte man immer ein- 
gevenf bleiben, daß ohne Leidenſchaft nichts Großes und Edles je- 
mals durchgeſetzt worben iſt und daß das eine fchlechte Wahrheit 
wäre, die an ihrer eigenen Carricatur zu Grunde ginge. - 

Ungleich reiner und vollftändiger als in der probuctiven Lite- 
ratur offenbarte die neue Richtung der Zeit ſich in der hiſtoriſchen 
und Fritifchen Behandlung ver Literatur, das heißt alfo in ber 


6 Die Literaturgeſchichte 


Literaturgeſchichte. Es iſt nun einmal ein Naturgeſetz aller hiſto 
riſchen Entwickelung, daß jede neue Epoche damit anfängt, ſich 
feindlich aufzulehnen gegen diejenige, die ihr unmittelbar vorangeht 
und in der ſie ſelbſt ihren eigentlichen Urſprung hat; es kommt kein 
Kind zur Welt, ohne daß es ſeiner Mutter Schmerzen macht, und 
ſo war auch dieſe Einſeitigkeit und Strenge des Urtheils, mit ber 
die Literatur der dreißiger Jahre über ihre Vorgänger zu Gerichte 
ſaß und gleihjam im Handumdrehen eine Menge von. Berühmt⸗ 
beiten zerſtörte over doch zerſtört zu haben glaubte, an die ſich bis 
dahin fein Zweifel gewagt hatte, etwas vollfomnen Natürliches 


und Nothwendiged. Indem man im Begriffe jtand, gleichlam ein. 


neues literariſches Konto zu eröffnen, war es zunächſt erforderlich, 
bie alte Rechnung abzuſchließen und ſich zu überzeugen, was wir 
denn eigentlich als dauerndes und wahrhaft werthunlles Eigenthum 
hejaßen und was als frhlechter Poften ein für allemal aus ven 
Büchern zu ftreihen. ‘Der Boden, beftimmt, eine neue Sant groß⸗ 
zuziehen, mußte vor allem erft gereinigt werben, und wenn man Dabei 
in jugenblichem Eifer auch hie und da ein wenig zu weit ging und 
wenn bier ein Trieb mit abgehadt, dort ein Keim mit ansgerifien 
wurde, pie vielleicht einer fchonenderen Behandlung werth gewejen 
wäre, jo mußte das gutgerecdhnet werden auf die große Erute, Die 
man von dem neubeitellten Ader zu gewinnen hoffte. 

Damit war denn and) der Charakter beftimmt, ben die Lite 
ratur in dieſer Uebergangsepoche annimmt. Die Litexaturgeſchichte, 
in den zwanziger Jahren weſentlich poſitiv, ſammelnd, zuſtimmend, 
wurde im Lauf der dreißiger Jahre überwiegend negativ, ſichtend, 
zerſtörend; hatte das Publicum bis dahin feine Freude gehabt au 
ben vielen Ehrenſäulen und Düften, die man im Pantheon unjerer 
Literaturgeſchichte aufftellte, jo jauchzte e& jet den bilderſtürme⸗ 
riſchen Händen zu, welche die faum errichteten wieder umftichen 


; 





und ihre Strilung zur Gegenwart. 7 


nd dabei, zur Erhöhung des allgemeinen Berguugens, ech iu ihren 
Machwillen nicht ſcheuten, die Scherben gegen vie Aſpivauten zu 
ſchleudern, die bes Eingangs harrten 

Es war dies ein ganz nenes Motiv, aber wie die menſchliche 
Natur mm einmal ift, feines von den ſchwächſten, die Literatur⸗ 
geſchichte beim Publicum in Gunſt zu ſetzen. Bis dahin hatte Der 
Literarhiſtoriker nur die Andacht, vie Verehrung, vie Begeifterung 
feiner Leſer in Anfpruch gereramen, jetst fand auch ihr Mathwille, 
ihre Spottſucht Befriedigung. Sie war bis dahin fehr ernſt, ſeht 
feierlich geweſen, umfere „Nationalliteraturzeſchichte — und jet, 
in dieſer Friegexifchen Nftang, dampfend vom Blut der Exfchlage- 
wen, wie wurde fie jet fo unterhaltend, jo kurzweilig, To pilant! 
Es jah fih gar zu angenehm zu für das ımbetheiligte Publicnm, 
wie hier ein Lorbeerkranz von ehrwuͤrdigen Scheiteln flog und dort 
zen zweiter und wenn zuletzt die ficchtbaren Kritiker ſelbſt einer ven 
anbern bei ven Koöpfen Eriegten und was evajt uud feierlich wie ein 
Toptengericht begormen, zu Ende ging mit Kopfnüffen und Prügeln 
wie eine Hanswurſtlomboie — auch gut, jo war der Spaß doppelt 
amd das Amuſement um jv-vollftäniger. 

Und >war geichah Dies Alles nicht bloß unter den Plaͤnklevn 
ver Tapeälitersstur, ſondern andy die ernſtere Wiſſenſchaft vermochte 
ſich dieſer negativen, zerſtbreuden Stimmung der Zeit nicht völlig 
zu eutziehen; ſelbſt ver. Gelehrte, der Handſchriften entzifferte und 
Biblüorheken durchwühlte, vertaufchte von Zeit ya Zeit den behag⸗ 
lichen Lehnftuhl mit dem Schlachtroß der Kritik und würzte ſeiue 
Ercerpte und Beweisſtiicke mit polemiſchen Bemerkungen. Ein 
beruihmtes literachiſtoriſches Werk, das in dieſer Zeit erſchien und 
zus ich ſowol ſpeciell um bie Literaturgeſchichte wie um bie Bildung 
nes Publieums im Mgemeinen Berbienfte erworben hat, die nie- 
mals in Verzefſerheit gerathen ditrfen, verdawft feinen ungewöhn⸗ 


8 Die Literaturgeſchichte 


lichen Erfolg, wenigſtens beim größeren Publicum, zum guten Theil 
dieſer moroſen, faſt menſchenfeindlichen Stimmung des Verfaſſers, 
mit welcher derſelbe auf die Literatur im Allgemeinen, namentlich 
und beſonders aber auf die literariſchen Beſtrebungen der Zeitge⸗ 
noſſen herabblickte, während er ſelbſt die allbewunderten Größen 
unſerer ſogenannten klaſſiſchen Epoche nicht völlig ungerupft ließ. 

Man ging ſogar noch weiter. Man machte die Literatur- 
geſchichte zu einer Kritik unferes nationalen Lebens liberhaupt, man 
machte die Bücher verantwortlich für Die Thaten, und ba man an 
bie eigentlichen Machthaber ver Geſchichte, Die Könige und Fürſten, 
bie Feldherren und Staatsmänner, nicht jo recht herankommen 
fonnte, jo ließ man die PBoeten- und Schriftfteller, vie. Roman— 
dichter und Komödienſchreiber für fie büßen. 

Natürlich wäre dies Alles nicht möglich geweſen ohne jenen 
praktifh=politifichen Trieb, deflen wir bereit8 gedacht haben und 
ber fi der Nation in immer weiteren Kreiſen mehr und mehr 
bemächtigte. . 

Auch der Literaturgefchichte. Hatte man es früher ganz 
natuüurlich und angemefjen gefunden, die Literatur als etwas Selbft- 
fländiges, Organifches, von ber übrigen Entwidelung Unab⸗ 
hängiges zu betrachten, jo fand man es jeßt eben fo natüglich und 
eben fo angemeſſen, fie nur als einen Theil des nationalen Dajeins 
überhaupt, nur als ein Spiegelbild der gefchichtlishen, der politi- 
fhen Zuftände im Allgemeinen anzuſehen. War ver Mafftab, 
nach dem man unfere literarifchen Größen gemeſſen, bis dahin ein 
ausſchließlich äſthetiſcher geweſen, ja hatte man es Seitens bei 
älteren Schule als einen befonveren Vorzug der Literaturgeichichte 
betrachtet, daß hier von politifchen Partheien und Gegenfägen feine - 
Rede: fo verbrängte jet der politiſche Maßſtab den äfthetifchen, 
und auch in der Anmendung bes erfteren wurde man bald eben fo 





und ihre Stellung zur Gegenwart. —-g 


einjeitig, wie man in der Handhabung des letzteren geivefen war. 
Was ein Poet gebichtet, ein Schriftfteller gefchrieben, danach fragte 
man bald nur noch an zweiter Stelle; als Hauptſache betrachtete 
man, wie er fi) politiſch verhalten, welche Stellung ex zu ben 
Parteien feiner Zeit eingenommen, wie er überhaupt feinen fitt- 
lihen Charakter gegenüber ver Praxis des Lebens entfaltet und 
behauptet hatte... War bisher über die Bücher der Menſch ver- 
gefien worben, hatte man bie Poeten-fammt und fonders wie 
einen Bogel Phönir betrachtet, ver ohne Füße ewig nur in ben 
freien Lüften ſchwebt, fo lag jet umgelehrt die Gefahr nahe, über 
den Verfaſſer vie Bücher, über ven Menfchen ven Schriftfteller 
zu vergeffen, over ihr doch auf unbillige Weife gegen ben. erfteren 
herabzudrücken. Man erinnere fih beifpieldweife, wie Goethe 
damals wegen jenes angeblichen Mangels an PBatriotismus und 
Ratisnalgefühl mißhandelt warb und welche Fratze man anberer- 
feits aus Schiller machte, alles. nur, um ˖ den politifchen Leiden⸗ 
ſchaften uud Partheiſtandpunkten ver Zeit zu ſchmeicheln. — Auch 
iſt es in dieſer Zeit, daß die Jagd auf bie geheimften PBerfünlich- 
keiten unferer großen Dichter und Schriftſteller beginnt; es ift bie 
Zeit, wo man fid) mit wahrhaft athemloſer Gier auf jeden made 
gelaflenen Brief und jedes Tagebuchblättchen wirft und fich nicht 
eher zufrieven giebt, als bis man glüdlich herausgebracht bat, 
was der berühmte Mann an biefem Tage gegeflen und getrunken 
oder welchen Rod er am jenem getragen, wer bie Chloe in biefem 
Gedichte ift und wer bie Doris in jenem und wie viel Küffe er mit 
ver Einen gewechjelt und aus weichen Gründen er mit ver Andern 
gebroden... 

Wie gefagt, es ſind auch dabei wieder auferorbentlich viel 
Einfeitigfeiten und Vebertreibungen vorgelommen: allein unter ber 
mitunter ſehr abſchreckenden Hülle dieſer Eimfeitigfeiten und Ueber⸗ 


10 Die Literaturgeſchichte 


treibungen Tag body em Fortſchritt, den wir, nicht bloß in wilfen- 
fchaftlicher Hinficht, Tondern mehr noch in Beziehnng auf Die nativ⸗ 
nale Entwickelung überhaupt, als höchſt betrüchtlich bezeichnen 
müßten. Die Macht der Perſönlichleit wurde wieder in ihre Rethte 
eingefeistz man überzeugte ſich auf nene, daß es nicht genug iſt, 
ein großes Talent, ein tieffinniges Genie zu fein, ſondern daß man 
dabei auch ein tüchtiger Menſch fein müffe, ja daß bei Licht be= 
feben das exftere gar nicht mögfich ohne das betztere und daß alle 
Kunſt und alle Bildung nur ein todter Sfitter, wenn fie wicht zu⸗ 
gleich ven Charakter veredelt und zu entiprechenden Thaten an⸗ 
feiert. Die Literaturgeſchichte, die foeben noch ftreitjlichtig, fchaben- 
froh, boshaft geweſen war und im Uebermaß ihres kritiſchen Eifer 
fih nur allzu häufig auch an die fchlechten und nievrigen Leiden 
{haften des Publicums gewendet hakte, mußte dieſe ſchlupfrige 
Bahn jest notwendig verlafjen; indem fie es als ihre Hauptauf⸗ 
gabe erfaunte, die ftttlichen Motive zur Geltung a- bringen, weiche 
fih in der Literatur offenbaren, gewann fie jelbft ven Ernfluß einer 
flttlichen Macht und mußte alfo auch in ihrem eigenen Auſtreten 
eine dem entfpredhende Haltımg annehmen. Hatte fie Anfangs 
nur dem Schünheitsfinne geſchmeichelt, dann die Leidenſchaften 
aufgeftachelt, jo mußte fie jet, Lehrerin und Prophetin zugleich, 
die Nation hiaweifen auf ‘die uuerjchöpflichen Quellen ſittlicher Er⸗ 
hebung, die in der Literatur eines Bolfes ſprudeln und deren Heil- 
traft um fo mächtiger, weil fie zugleich eben fo viel Quellen ver 
Schönheit und der äſthetiſchen Befriedigung find; fie mußte von 
ber Vergangenheit auf die Zukunft hinüberdeuten und e8 der Na⸗ 
tion zum Bewußtfein bringen, daß dasjenige, was unjerer Literatur 
auch mangelt, felbft auch in ihren vorzäglichften and verbältniß- 
mäßig vollendetſten Schöpfungen, überhanpt richt auf dem Felde 
der Literatur und nicht Hon Dichtern aub Krititern, ſondern allem 





und ihre Stellung zur Gegenwart. | 31 


anf dem Felde der Wirklichkeit und des hiſtoriſchen Lebens, nicht 
durch Bücher, ſondern allein durch Thaten gewonnen. werden kann.. 
Auf dieſem Standpuukte ungefähr befand die Literaturge— 
ſchichte ſich, als jene belannten Ereigniſſe zu Ende ver vierziger 
Dahre eintraten, durch bie, wenigſtens für den erſten Anblick, unſer 
gefanimtes öffentliche Leben eine völlig veränderte Geſtalt erhielt. 
- Bär die Kieratur lag darin, wie es ſchien, ein außerordent⸗ 
Hier Triumph. Run hatte ſich ja erfüllt, was ſie fo lange theils 
warnend, theils frohlockend voraus gejagt, nun war ja einge 
Jroffen, wovon fie fo lange gejprochen, bald offen, bald verſteckt, 
ja was, in deu mammigfackiten Modulationen, feit mehr als einem 
halben Menfchenalter den eigentlichen Grundten der Literatur ge⸗ 
bildet und wofür fie ſelbſt fo wiel Angriffe und Berfolgungen, fo 
viel Zurückſetzungen und Knechtungen erduldet hatte. Unſere 
Dichter hatten wicht gelogen, fie waren nicht von Traumbildern 
nunebelt gemefen, die heißen Köpfe, die aus ber Stille der Nacht 
emporgejahren waren, nach ben nahen Sturmgloden zu borchen; 
der Glaube, den fie fo ftoly verfündet, hatte fie-nieht getäufcht: 
die Freiheit, an ber ihr Herz fo hoffnungsvoll gehangen, war fein 
Bhantom — da wandelte ſie ja hin, leibhaftig vor allem Boll, und 
jelbft das Blut, das ihr Gewand benetzte, wie ſtand es ihr in den 
Augen umjexer jungen Dichter: fo ſchön! 

Alber nicht bloß Die Literatur feldft, auch bie itersturger 
jchichte konnte mit einer gewiſſen Befrienigung auf beu Weg, ben - 
fie. bis dahin gegangen war, zuridhliden. Freilich fiel die Ge= 
waltfamleit.der Ereigniſſe ihrem frievlichen, wiſſenſchaftlichen Sinne 
einigermaßen unbequem; gewöhnt an fletige, organifche Entwicke- 
lungen, würde fie es ohne Zweifel licher gejehen haben, wäre 
biefer Uebergang minder ſtürmiſch, das Hereinbrechen einer neuen 
Zeit minder tumultuarifch und plötzlich gewefen. 


12 ¶ Die Citeraturgefchihte 


Und auch darüber konnte ſie ſich nicht täufchen, daß ein guter 
Theil der Popularität und des Einfluffes, deſſen fie bis dahin ge= 
nofien, unter den gewaltigen Erſchütterungen dieſer Zeit verloren 
gehen mußte. Wer hatte jetzt, mo ein Ereigniß das andere drängte, 
noch Zeit, wer noch Luft, noch Fähigfeit, ſich um Bücher und 
Schriftfteller zu kümmern? Was galten in biefem Augenblid, va 
bie Schwerter klirrten und ein allgemeiner fehnfüchtiger Ruf nach 
großen Männern, Männern der That und des Handelns durch 
die Welt ging — was galten jest noch die Dichter, die Känftler? 
Die Literaturgefdsichte befand ſich in der Lage eines Erziehers, der 
Jahre lang fein ganzes Sinnen und Trachten darauf verwendet 
hat, feinen Zögling ‚groß zu ziehen und für das Leben reif zu 
machen, und fiehe da, da ex e8 nun ift, fo wendet er. dem Erzieher 
den Rüden und läßt ihn einſam zurüd. | 

Es kam dazu, daß offenbar die Literatur ſelbſt ebenfalls einer 
Krifis entgegen ging. Sie war fogar fon mitten barin; man 
fprach ſchon mit Geringfhägung von Kunft und Wiſſenſchaft, man 
erflärte ſchon, nachdem man ſich fo lange lediglich an Büchern ge- 
nährt hatte, ein neuer Brand- von Alexandria fei gar jo übel nicht, 
und nachdem unfere Dichter und Schriftfteller fo lange das große 
Wort geführt, fo werde es nur ganz in der Ordnung fein, wenn 
fie jest auf einige Zeit verftummten — Amerika, das Land (mie 
man damals nod) glaubte) ver Freiheit als ſolches, hat auch feine 
Singvögel, und fo wird. ja aud) ein-Bolf, das übrigens nur hat 
was es bebarf, der Poeten und Schöngeifter wol für einige. Zeit 
entbehren können. 

Das waren fchlechte Ausfichten, wenigftens für Gelehrte und 
Dichter. Über immerhin, man fand fich darein um des großen 
Bmedes-willen, ven man dadurch zu fördern glaubte. Literatur 
und Siteraturgefchichte hatten, fo ſchien es für den Augenblid, ihre 





I | . ⸗ 


und ihre. Stellung zur Gegenwart. 18 


Miſſion vollendet; ſeit Yahren waren fie fo zu fagen über ſich jelbft 


binansgegangen, feit Jahren hatten fie die Ration immer und 
immer wieder- Darauf hingemwiefen, daß Runft und Wiſſenſchaft 
allein richt hinreichend, ein Volk groß und glüdlich zu machen, ja 
daß Kunſt und Wiſſenſchaft ſelbſt ihre Blüte auf pie Dauer wicht 
behanpten fünnen, wenn fie nicht in dem Boden eines. thätigen, 
ſelbſtbewußten Volkslebens wurzeln, nicht der Himmel der Freiheit 
auf ſie herniederſtrahlt. 

Dieſer Himmel hatte ſich jetzt entwöltt Die deutſche Nation, 
bis dahin der Spott unter den Völkern Europas, war plötzlich er⸗ 
wacht und hatte eine Thatkraft entwidelt und eine Kühnheit, welche 
aller Bereihnungen ſpottete. Mußte die Literatur denn nun aud) 
für einige Zeit verfinmmen, mußten Kunſt und Wiſſenſchaft zu⸗ 
rüdtreten, was ſchadete es, da ja das neue politiiche Leben, das 


ſich bei uns zu entwickeln im Begriffe ſtand, die neue, großartige 


Geſchichte, Der wir entgegen gingen, nothwendig auch Poeſie und 
Wiſſenſchaft einen neuen, geoßartigeren Inhalt verleihen, ihr neue 
Kraft, neues Teuer einbauchen mußten? Und Angeſichts biefer 
Zubmft, die nım ja ſchon gar. nicht mehr aushbleiben Tonnte, wer 
von unſeren Dichtern, unſeren Scheiftftellern bätte fo eitel, fe 
engberzig fein jollen, ver Dunkelheit zu grollen, in. bie er einſt⸗ 
weilen zurücktreten mußte und hätte ven Lorbeer, mit dem er fi 
ſchon zu ſchmücken gedachte, nicht mit Frohlodcen wiebengelgt auf 
dem Altar. des Baterlanps ? 

Rum, wir willen jest. und willen zur Genüge, was aus dieſen 
und ähnlichen Hoffnungen geworden iſt und in melden bittern 
Wermuth die geträumten Lorbeeren unſerer Zukunft ſich verwan⸗ 
delt haben. Weſſen die Schuld, daß es fo und nicht anders ge 
kommen, dies zu erörtern wäre theils überfläffig, indem darüber 
unter allen Urtheilsfähigen überhaupt feine Meinungsverſchieden⸗ 





14 Die Literamrgejchichee 


heit beſteht, theils würde dieſe Erörterung wenigſtens nicht file 
“ diefe Stelle paſſen. Wir überlafien «8 aljo dem Lefer, ſich Die 
Züde, die wir bier abfichtlich Lauffen, nach feinem beſten Willen zu 
ergänzen und wenden und zu unſerem eigentlihen Thema zurück 
wändlidy zur Literatur und ihrer Geſchichte und ben Einwirkungen, 
welche das Fahr Achtunevierzig mitſammt dem großen Rücchlag, 
ber demſelben folgte, auf beide ausgeübt bat. | 

Der Anblid ift mieverichlagend genug. So viel Hoffnungen 
bamal® auch geſcheitert und fo- viel Träume ſich als nichtig er⸗ 
wieſen — gründlicher, als die Niederlage, welche vie Hoffnungen 
ber Literatur damals erlitten, vürfte doch fein zweiter von den 
zahlreichen Schiffbrüchen geweſen fein, welche die Dahre Acht⸗ ui 
Neunundvierzig bezeichnen. Nicht davon reden wir jest, daß vom 
ben neuen, friſchen Leben, welches vie Literatur fich als nächſte und 
unmittelbarſte Folge jener Ereigniſſe verfprodyen hatte, fich auch 
fo gar nichts zeigen wollte Diefer-Erfcheinung und ver Nuf- 
fuchung der Gvänve, woher dieſelbe ftanımt, wird erft der nächfle 
Abſchnitt unſeves Buches, ja in gewiſſem Sinne das ganze Buch 
felbſt gewidmet fein. Hier beſchäftigt uns zumächſt num die Frage, 
welche Stellung vie Literatur in Folge jener großen und albge⸗ 
meinen Enuttäuſchung fortan in der öffentlichen Meinung einnahm 
ww wie namentlich. der Literarhiſtoriker Aber die Literatur der 
Geogenwart und ihre Leiſtungen urtheilte. 

Die Antwort ift leicht gegeben. Wie ſchon einmal um Lauf 
ver dreißiger Yahre, fo meafste die Literatur auch jet wieder Den 
Brögetjiungen abgeben für Alles, was die Natien verſchulvet, mit 
dom allerdings ſehr mefentlichen Xinterfchiene nur, daß man damals 
wenigſtens nur gewiſſe einzeine Richtungen, gewiſſe befkinmste 
Epochen unſerer Literatur fir ſchulvig erltaͤrt hatte, während man: 
jetzt nicht übel Luſt bezeigte, unfere gefanumte Literatur in Bauſch 











und ihre Stellung zur Gegenwart. 15 


und Bogen für eine Berirrung — ja was fage ich? eine Ber: 
irrung? file einen Landesverrath, für ben eigentlichen Giftbecher 
za erkllären, der die. geſunden Säfte unſeres Volls verborben un 
es zu großen und glüdlichen Thaten unfähig gemacht hatte. So 
viel Zahre hatten wir anf bie Vortrefflichleit unferer Literatur 
gepocht und uns groß gethan mit nuſern Dichtern und Schrift: 
ſtellern und waa hatte: fie uns nen genügt? Hatte die klafſifſche 
Vergangenheit. unſerer Literatur den politiſchen Bedürfniſſen ber 
Gegenwart deu. mindeſten Vorſchub geleiſtet? Hatte bie Nation 
ber Dichter und Denler, wie wir und fo lange mit Stolz genannt, 
ſich jetzt wirklich auch als eine Nation ker That bewiefen? Ganz 
im Gegenteil; ver plüäbliche und rafche Auffchwung jenes vwer« 
hänguipvollen Marz · war gleichſam ein poetifcher Rauſch gewefen, 
eins jener phumtaftifchen: Anwandelungen, wie Boeten: und Küuſt⸗ 
lex denſelben ausgejegt ſind, und nachdem der Rauſch jetzt verflogen, 
o Simmel, wie wiederjchlagend, wie beſchamend war jetzt der 
Katzenjammer! 

Würde dies abex gefshehen fein, wünden Greigniffe, bie fe 
glorreich begannen, ein ſo Hägliches Ende genommen. haben, wenst 
bie Nation nicht durch den allzulangen und allzuausſchließlichen 
Umgang mit. ihren: Dichtern und Künftlere verweichlicht und ber 
wahren männlichen Kraft beraubt worken. wäre? Oder hätten. 
wenigftens die Dichter ſelbſt dem Volke eine geſundere und kräftigere 
Nahrung daxgeboten? Waren wenigſtens vie Stoffe, melde fie 
behandelt, ven anderem, wänxlicherem Schlage geweſen! Aber 
bei dieſen ewigen Lenz⸗ und Liebesgedichten, bei biefem. ganzen 
ſchönſeligen Realismus, der. unſere gefammte Literatur durchdringt 
und der. gexade da am allergrößten unh allereinſeitigſten iſt, wo 
wir bisher, in beklagenswerther Vexblendung, den. eigentlichen. 
Ruhm und die Größe unferer Litexatur zu exbliden meinten — 


16 Die Literaturgeichichte 


- 


was konnte da freilich herauskommen? Unſere Dichter, auch Die 
fogenannten klaſſiſchen nicht ausgenemmen, ja fogar ſie am wenig: 
ften, haben immer nur in Phantafien-gelebt, fie find. immer nur 
einem Traumbild von Schänheit nachgelaufen, das ihren perfün- 
lichen Reigungen und Bebürfnifien ſchmeichelte, file die Nation und 
ihre gejchichtliche Aufgabe aber volllommen unfrnchtbar und ver- 
verblich war. Unſere Dichter haben fich immer nur mit fich ſelbſt 
und ihren eigenen innerlichen Zufländen befhäftigt, fie waren 
Egoiften durch Die Bank, wohlmeinenve, liebenswürdige Egoiſten, 
die. jelbft feine Ahnung davon hatten, welchem Götzen fie eigentlich 
bienten — aber dennoch Egoiften. Statt fi unter Das Volk zu 
miſchen und ferne Leiden und Freuden kennen zu lernten, um die⸗ 
jelben ſodann in ihren Dichtungen abzufpiegeln und ‚folchergeftalt 
dem: Volk ein Bildniß feiner felbft aufzurichten, haben fie ſich immer 
nur in vie Meinen Leiden und Freuden ihres eigenen Ich einge- 
fponnen; ftatt fi in die Tiefen ves Vollslibens zu verjenfen und 
bier den Stoff zu einer neuen felbftftänvigen nationalen Form zu’ 
finden, find fie immer nur bei ven Fremden in die Schule gegangen, 
bein bei ven Yranzofen, bald bei ven Englänvern‘, bald bei den 
Grieden — und gerade die griechifche Schönheitsideal, als das 
allerentlegenfte,; allerfrempefte für unfere Zeit und ihre Bedingun⸗ 
gen, hat ven allermeiften Schaven angerichtet. 

Hinweg / demn mit ver thörichten Tradition, als ob wir jemals 
eine große Haffifche Literatur befeflen hätten! Ja hinweg mit der 
Literatur Kberhanpt! Hat die Literatur uns die politifche Einheit 
gebracht, deren wir jo dringend berürfen? Unſere Dichter und 
Schriftftefler, mit all ihrem Wohllaut, all ihrem Tieffinn, haben 
fie uns Staatsmänner, haben fie uns Politiker erzogen und ges 
bildet, wie die Noth dieſer Zeiten fie erheiſcht? Oder vervanfen 
wir nicht vielmehr gerade ihnen und ihrem falſchen Idealismus 











und ihre Stellung zur Gegenwart.. 17 


dieſe parlamentarifchen Schönrebner, biefe Träumer und Ipealiften, 
die uns das Schiff der deutſchen Freiheit fo glüdfich auf den Sand 
gefahren haben? 

Auch haben wir jest in der Lhat Anveres und Dringenveres - 
zu thun, als Bücher zu Iefen und Berfe mitanzuhören. Wir müſ— 
fen Geſchichte ſtudiren und Nationalökonomie, um uns für bie 
praftifchen Tragen vorzubereiten, die das Schickſal über lang ober 
furz noch einmal an uns ftellen wird. Wir müfjen Actienvereine 
gründen und Fabriken anlegen und Dampfmafchinen bauen, um 
unfere Induſtrie auf. die Beine,zu bringen und dem nationalen 
Wohlſtand aufzubelfen; denn nur reihe Bölfer — wobei man 
nad England ſchielt — verftehen frei zu fein, und bevor wir nicht, 
gleich England, über eine wohlhabende Gentry zu gebieten haben, 
die im Parlanıent ſitzen kann auch ohne Diäten, eher werden alle 
Conſtitutionen und alle Parlamente der Welt uns nichts nützen. 

Alſo noch einmal: hinweg mit der Literatur! hinweg mit 
den Poeten, den vollksverderbexiſchen! Oder wenn ihr die Tinte 
einmal mit Gewalt nicht halten könnt, nun gut, ſo verſchont uns 
wenigſtens mit euren idealiſtiſchen Traumbildern und beſchreibt 
uns, wenn ihr durchaus fchreiben müßt, die Wirklichkeit ver Dinge, 
und zwar in ihrer allerwirklichften Geftalt; zeigt uns den Bauer, 
wie er feinen Mift fährt, ven Schufter, wie er feinen Pechdraht 
zieht, ven Kaufmann, wie ex jeinen Kaffee und Zuder abwägt — 
ihr [hwanft? ihr zaubert? ihr rümpft wol gar die Nafe und 
meint, Miftfahren und Pechdrahtziehen ſeien zwar vecht nützliche 
und ehrbare Beſchäftigungen, aber doch nicht im Mindeſten poetiſch? 
Ah ertappt, Verräther! So gehört ihr auch noch ver alten volfs- 
feindlichen Schule der Idealiſten an un ſeid nicht werth, für 
das aufgeklärte praktiſche Geſchlecht aus der Mitte des neunzehn⸗ 
Jahrhunderts die Feder zu führen! 


Brup, die dentfche Literatur der Gegenwart. I, . 2 


18 Die Kiteraturgefchichte 


Sprachen die Stimmflihrer der. neuen — wie fie ſich ſelbſt 
nannte — realiftifchen Richtung fih num auch nicht ganz fo un: 
umwunden und nachprüdlich aus, jo wird doch Niemand, der das 
Treiben berjelben während ver legten Jahre mit einiger Aufmerk⸗ 
famteit betrachtet hat, in Abrede ftellen mögen, daß wir den Grunde 
gedanken, fo zur jagen vie letzte Perfpective ihres Syſtems (wenn 
es nämlich dieſen Namen überhaupt verbiente) ziemlich richtig 
gezeichnet haben. Daher dies vornehme Achfelzucken, mit dem fie 
von der Vergangenheit unferer Literatur ſprechen; daher dieſer 
blutdürſtige Grimm, mit dem fie den fchriftflellerifchen Probuctionen 
Ber Gegenwart entgegentreten — bie beutfche Poeſie ift ja fir 
bankerot exftärt, ‚wie können dieſe Menfchen fi) unterftehen, noch 
immer Verſe zu machen und Bücher zu fehreiben?! Daher endlich 
biefer für Den unbetheiligten Zuſchauer faft komiſche Eifer, mit 
welchen fie, im Gegenfat zu dem allgemeinen Bervammungsuriheil, 
daß fie übrigens über die Literatur der Gegenwart füllen, gewiſſe 
einzelne Autoren und einzelne Bücher auf den Schild heben, von 
denen fie fich eine befonvere praktiſche Unterftägung ihres Syſtems 
verfprechen — oder richtiger zu fagen: in denen fte, zum Theil 
febr ohne Grund, eine Beftätigung und Ansfährung ihrer Prin⸗ 
eipien erblicken. 

Und doch dürfen wir bei alledem nicht verkennen, daß auch 
dieſer Richtung wieder, trotz der Uebertreibungen, in denen ſie ſich 
augenblicklich gefällt, etwas Wahres und Richtiges zu Grunde 
liegt, ja daß fte jelbft, eben in ihren Uebertreibungen, als ein noth⸗ 
wendiges und berechtigtes Product der Zeitſtimmung ans der allge 
meinen Entwidelung diefer fetten Jahre hervorgegangen iſt. Es 
ift ganz richtig, daß wir Durch Die Pforte ver Schönheit allein nicht 
zur Freiheit gelangen werben, fonvern daß noch anbere und Fräf- 
tigere Mittel dazu gehören, das Ilion unferer politifchen Zuknnft 





und ihre Stellung zur Gegenwart. 19 


zu erobern. Man darf fogar noch weiter gehen. Man darf den 
Anflägern des Idealismus zugeftehen, daß die ausfchließliche und 
unbefchräntte Herrichaft, die derfelbe jo lange Aber unfere Literatur 
ausgeübt hat, allerdings nicht bloß dieſer, ſoudern auch dem Volke 
ſelbſt in mancher Hinſicht zum Schaden gereicht hat; es iſt dadurch 
in den deutſchen Charakter in der That etwas Unbeſtimmtes, 
Nebelhaftes, ein gewiſſes Ungeſchick für die praftifchen Bedürjniſſe 
des Lebens gekommen, das wir ſchon zu verſchiedenen Malen ſehr 
ſchmerzlich gebüßt haben und das wir nothwendig erſt ablegen 
mäflen, besor wir hoffen dürfen, unſere politiſchen und gefel- 
ſchaftlichen Zuftände mit einigen Erfolg zu ordnen und feftzuftellen. 
Gewiß wirb dazu eine angeftrengte und vorurtheilsfreie Beſchäf⸗ 
tigung wit den hiftorifchen Wiffenfchaften, mit Rationalölonomie, 
Statiſtik und älmlichen Disciplinen eine ganz zwedmäßige Bor: 
beratung fein, und auch gegen ben Satz, daß zur politifchen 
Größe und Unabhängigkeit eines Volks cin gewiſſer Wohlftand 
nerläßlich ift, Haben wir nicht daS Mindeſte einzuwenden. 
Eben fo räumen wir ein, daß die fogenannte klaſſiſche Epoche 
unferer Literatur einem fpäteren, politifch freieren und mächtigeren 
Geſchlechte vielleicht nicht ganz in jenem Nimbus unbebingter und 
fleckenloſer Vollkommenheit erſcheinen wird, wie wir dieſelbe jetzt 
noch erblicken und wie unfere Bäter und Großeäter es in noch viel 
höherem Grade gethan haben. Jeder Dichter, auch der urſprüng⸗ 
lichſte und veichbegabtefte, fpricht immer nur den Inhalt der Zeit 
und des Bolfes aus, unter dem ex lebt; eine abfolute Kunft giebt 
es eben fo wenig, als es z. B. eine abfolut volffommene Staats- 
forın giebt. . 
Daß nun der Bildungszuſtand — das Wort Bildung Im 
weiteften Sinne gefaßt — auf weldyem vie Nation ſich zu Goethe's 
und Schillers Zeiten befand, keineswegs ein abſolut volllommener . 
24 


20 Die Literaturgefchichte 


war, daß er nicht bloß übertroffen werden kann, fondern auch über- 
troffen werden muß, wenn es nicht mit der Entwidelung unjeres 
Volkes ein für allemal vorbei fein fol, ja daß er in manchen und 
. nicht unmwefentlichen Bunkten von der Gegenwart in der That ſchon 
übertroffen ift — mer wollte das leugnen? Wir brauchen darum 
nicht ſcheel herabzufehen auf jene bei, all ihren Befchränktheiten 
dennoch fo große und glänzende Epoche, noch brauchen wir 
irgend etwas von dem, was wir al® ihr wahres und bleiben- 
bes Befitthum anerkannt haben, aufzugeben. Auch nicht ihren 
jest jo viel gefcholtenen Humanismus und Kosmopolitismus. 
Um dem Zeitalter ver Goethe und Schiller, der Leffing und Her- 
der auch in diefen beiden Punkten gerecht zu werben, müflen wir 
uns nur erinnern, aus welcher Barbarei und welchem Pfahlbürger- 
thum daffelbe ſich erſt herauszuarbeiten hatte und mit welchem 
neuen, welchem alles bewältigenden Glanze die Idee eines ſchönen, 
freien Menſchenthums, einer über alle nationalen und religiöfen 
Schranken erhabenen Berbrüverung aller Menſchen auf jenes Ge- 
ſchlecht hernieberftrahlte. | 

Und auch kann es ſich jetzt unmöglich darum handeln, dieſe 
erhabenen Ideen gleich unnützem Ballaſt über Bord zu werfen; 
wohin das führen würde, davon haben wir in dem eben ſo ge— 
häſſigen wie unklugen Nationalitätenſtreit des Jahres Achtund⸗ 
vierzig und ferner in den religiöſen Häleleien, die jetzt allerorten 
wieder anfangen, einen zwar kleinen, aber ich dächte genügenden 
Vorgeſchmack erhalten. Nein, ſondern darauf kommt es an, das 
Eine zu thun, ohne das Andere zu laſſen; wir wollen das Eine bei- 
behalten und das Andere dazu erwerben; zum Humanismus fol 
ſich das Nationalgefühl, zum Kosmopolitismus der Patriotismus 
gejellen; wir wollen Menfchen bleiben, aber zugleich Bürger werben. 

Wie das zu erreichen fein wird? Die Zukunft wird es 





und ihre Stellung zur Gegenwart. 21 


lehren; es lernt Niemand ſchwimmen, als wer ind Wafler geht. 
Die Thatfachen haben eine unwiderſtehliche Macht; vieles, was 
dem einfam britennen Geifte unfaßbar und unlösbar erſcheint, 
ordnet ſich gleichſam von’ jelbft, fowie nur die Stunde der Er⸗ 
füllung gekommen ift. Auch uns kann nur die Praris zu Prak⸗ 
tifern erziehen; die Loͤfung irgend einer politifchen Trage, die ung 
jest noch quält und ängftigt, darum für unmöglich erklären, weil 
wir für ven Augenblid noch nicht die Mittel und Wege zu ihrer 
Löſung erfennen,. wäre eine fehr klägliche Weisheit und würde 
eben jo wenig Vertrauen in das Wefen ber Beeihelt wie in unſere 
eigene Kraft verrathen. 

Auch haben eben unſere klaſſiſchen Dichter uns einen ef 
lichen Fingerzeig hinterlaffen, wie dieſe Schwierigfeiten zu befeiti= 
gen, biefe Scheinbar fo unlösbaren Widerfprüche zu verſöhnen fein 
werden. Was fie auf äfthetifchem Gebiete vollbracht, genau das- 
felbe muß die Nation jegt auf dem Gebiete der Geſchichte und ver 
politifchen Praris thun. Das if der eigentliche Charakter un⸗ 
ſerer Haffifchen Epoche, darum führt-fie piefen Namen und darin 
vor allem  befteht die unverlierbare und unfhäßbare Erbſchaft, bie 
fie uns binterlaffen: daß fie vie fremde helleniſche Form mit 
deutſchem Geiſt erfüllte und eben dadutch ein neues Drittes erſchuf, 
das eben ſo ſehr deutſch iſt wie griechiſch und in dem die edelſten 
und liebenswürdigſten Eigenſchaften der modernen wie der antiken 
Zeit ſich durchdringen und verſöhnen. 

Ganz diefelbe Aufgabe ift. uns nun auch auf dem pelitiſchen 
Gebiete geſtellt. Auch hier kann es ſich nicht darum handeln, in 
autochthoniſchem Eigenſinn neue, bisher unerhörte Formen des 
Staatslebens auszubrüten, noch weniger wird eine leidlich gefunde 
Politik fich jemals dazu entſchließen können (mas freilich bie Kory- 
phäen unferer vermaligen Reaction nicht bloß verlangen, ſondern 


22 Die Literaturgeichichte 


worauf fie ſich wol nod) gar eiwas zu Gute thun, als auf einen ganz 
bejonderen Beweis ihres Patriotismus and ihrer fiaatsmännifchen 
Einfiht) — noch weniger, fage ih, wird eime leidlich geſunde 
Politik fih jemals dazu entjchließen, gewifle, unferen Zuſtänden 
und Bedürfniſſen im Uebrigen entſprechende Formen des Staats⸗ 
lebens bloß darum unbenutzt zu laſſen oder wo fie bereits eingr⸗ 
drungen find, wol gar wieder zu vernichten, weil biefelben nicht 
von Fein an auf unferem Boden gewachſen, ſondern erft von 
fremd her zu uns eingeführt find. Vielmehr befteht die Aufgabe 
auch hier darin, in die non fremd her überlieferte Form den eige⸗ 
nen deutſchen Geift zu gießen und fo eine neue, höhere Form zu 
Ihaffen, die, indem fie über alle nationale Befchränttheit erhaben 
ift, doch dem Wefentlichen und wirklich Werthvollen ver Nationali- 
tät aufs vollftändigfte eutfpricht. 

Aber dag wir zu dem Punkt zurückkehren, von dem wir ur⸗ 
fprünglih ausgingen. Es ift ven Vertretern ver realiſtiſchen 
Richtung, fagten wir, einzuräumen, daß auch unfere Haffifchen 
Dichter den heutigen Anforderungen nicht völlig und nicht in allen 
Bunkten genügen, um deswillen nämlich, weil der heutige Bildungs 
zuftand über den damaligen hinausgefchritten ift und weil wir 
ſeitdem Bebürfniffe kennen gelernt und Ideen in und genährt 
haben, von venen jenes klaſſiſche Zeitalter noch keine Ahnung hatte 
und denen wir jebt auch in unferer Poeſie wienerbegegnen wollen. 
In der That jedoch wird dies letztere erſt gefchehen fünnen, wenn 
bie nene Weltanjchauung, die wir in Kürze als die politiich praf- 
tifche bezeichnen und in deren erften, noch ziemlich trüben und nebel- 
baften Anfängen wir uns augenblicklich befinden, vereinft zu voll- 
ftändiger Tageshelle durchgedrungen und zum wirklichen lebendigen 
Inhalt des allgemeinen Bewußtſeins geworben fein wird. Nur 
ber hohe Sommer erzeugt wirklich reife und ſchmackhafte Früchte; 


und ihre Stellung zur Gegenwart. 23 


nur wo eine gewiſſe Weltaufchauung eine ganze Nation oder bad) 
die überwiegende und tonangebende Mehrzahl verfelben burd- 
prungen bat, wo fie mit einem Wort zur Herrichaft gelangt-ift, 
und zwar zur ruhigen, wiberfianbslofen Herrſchaft, da erſt gelingt 
es ihr, ſich auch in der Poefie eben dieſes Volkes rein und voll- 
ſtändig abzufpiegeln. 

Wer aljo lüftern if nach einem neuen Hoffen Zeitalter 
der deutſchen Dichtung, das vermöge feines größeren und veicheren 
Inhalts jenes frühere dann allerdings übertreffen wird, in ähn- 
licher Art etwa, wie Shafefpeare Goethe und Schiller überragt; 
wen es verlangt nach einer neuen Blüte umferer Literatur, bie 
dann eben fo reakiftifch wie idealiſtiſch, eben ſo politiſch wie äfthetifch 
fein wird — der wird allerdings zunächſt nichts beſſeres thun können, 
als wenn er darauf binarbeitet, den politifch praltifchen Sinn der 
Nation zu ſtärken und zu eben und-eben dadurch ven Eintritt jener 
neuen gefchichtlichen Epoche, von ver allein auch der Eintritt einer 
neuen poetifchen Epoche abhängig ift, zu beſchleumigen. Er ſtudixe 
deun aljo Gefchichte und Nationalölonomie und Statiftil, er jei 
ein- regelmäßiger Zuhörer auf den Tribünen unferer Kanmıern 
und ftähle feine Geduld, indem er das hundertmal Vernommene 
zum hundert und erſtenmale wieder hört; ex jehe auch ven Bauern 
zu, wie ex feinen Dünger fährt und dem Schuſter, wie er Pedh- 
draht zieht; ja er lade, wenn bies fo zu feinem äſthetiſchen Kate- 
chismus gehört, auch unfere angehenden ‘Dichter ein, ibm babe 
Geſellſchaft zu leiten und ſich ebenfalls in ven Realismus der 
Düngerbereitung zu vextiefen — — 

Aber nur das Dichten felbft verbiete er nicht! Er fpiele nicht 
den Heinen Papft und belege nicht mit Bann und Interbict, bie nicht 
itberhaupt verſtummen wollen, weil die Morgendämmerung jener 
neueg Haffiichen Epoche noch nicht da ift, und die, weil wie Zeit ihnen 


24 Die Literaturgeichichte 


noch keine größeren Stoffe bietet, ſich einftweilen noch begnügen, ihre 
eigenen Kleinen Leiden und Freuden zu fingen ober der — oft, wir‘ 
geben es zu, fehr gegenftandlofen — Sehnfucht des Volles Worte zu 
geben oder auch die Schäden und Schwären abzuzeichnen, mit denen 
der Leib des Vaterlandes in dieſem Augenblick noch behaftet ift. 
Eine künftige glüdfichere Zeit, welche das Siechthum abgeſchüttelt 
hat, an dem wir noch darnieberliegen, wird dies alles nicht mehr 
thun, weil fie e8 nicht nöthig hat. Aber diefe glücklichere Epoche 
iſt noch nicht da, wir leben noch in der Zeit der individuellen 
Leiden und Freuden, ber patriotifchen Sehnfucht, der nationalen 
Krankheit und Ernievrigung — „und ver Lebende hat Recht!“ 

Und weil man mın dies auf Seiten unferer neueſten Kritiker 
und Literarhiftorifer vergeflen hatte, und meil ferner jede Ueber- 
treibung auf der einen nothwenbig eine andere nach der entgegenge- 
feßten Seite hin hervorruft, fo hat fich in jüngfter Zeit ein bis dahin 
allerdings fehr vereinzeltes Beftreben fund gethan, die Literatur der 
Gegenwart vielmehr ins günftigfte Licht zu rücken und fie ſogar als 
einen Fortſchritt gegen unfere klaſſiſche Literatur zu vemonftriren, und 
zwar nicht bloß einen -beabfichtigten, gleichfam innerlich verftedten, 
fondern als einen auch ſchon wirklich auageführten und vollendeten 
Fortſchritt. 

Da dieſe enthuſiaſtiſchen Lobredner unſerer neueſten Literatur 
bisher im Ganzen nicht viel Anklang gefunden haben, weder beim 
Publicum, noch felbft bei ihren Kollegen von der Feder, fo brauchen 
wir uns auch bei ihrer Widerlegung nicht lange aufzuhalten. Ge— 
meinfam mit ven Berächtern unferer neneften Literatur ift ihnen per 
geringſchätzige Seitenblid, ven fie auf unfere Haffifche Epoche wer- 
fen. Uno freilich ift das für fie noch eine dringendere Nothwendig- 
feit al8 für jene. Denn da fie uns ja beweifen wollen, daß wir 
glücklichen Menſchen aus der Mitte des neunzebnten Jahrhunderts 


und ihre Stellung zur Gegenwart. 25 


die Heroen aus dem Ende des achtzehnten bereitd um mehre Kopf: 
längen überragen, foerforbert &8 allerdings ihr Bortheil, jene Heroen 
fo Hein wie möglich darzuſtellen. Diefe Benrtheiler täten fich 
dabei gewöhnlich auf einen Umftand, der auch von uns bereits an- 
gedeutet wirrde: nämlich auf den ungleich veicheren Inhalt unferer 
Zeit, namentlich nach ver biftorifch politifchen, ober noch allgemeiner \ 
gejagt, nach der nationalen Seite hin. 

Sie laflen dabei nur eines außer Acht, diefe mehr liebens⸗ 
wirbigen und wohlmeinenden als fharffinnigen Kritiker: nämlich 
daß, wie von uns ebenfalls bereits erinnert ward, der Inhalt einer 
Zeit nur jedesmal. dann zum vollftändigen und in fich haxmonifchen 
poetifchen Ausdruck gelangt, wenn bie Zeit felbft dieſes Inhalts voll- 
fommen mädtig if. Wer aber möchte wol behaupten, daß bies 
mit ver-Beit, in der wir leben, ver Fall? da ja im Gegentheil 
das Halbe und Unfertige, das erfolgloje Streben nad) Zielen, die 
wir gern erreichen möchten und doc, nicht erreichen lünnen, ber, 
wahre Charakter unferes Zeitälters tft. Zugegeben, daß der In: 
halt unferer Zeit am ſich ein größerer und bedeutenderer ift und daß 
fomit auch der Poefie in unferen Tagen neue und höhere Preiſe 
geftecft find, als zur Zeit unferer klaſſiſchen Dichtung: fo hat doch 
diefe letztere Dafür ihren an fich Heineren und ärmlicheren Inhalt 
jo rein und vollftändig zur Darftellung gebracht, Abficht und Aus- 
führung, Form und Inhalt veden fich in ihren gelungenften Erzeug- 
niſſen fo vollftändig, daß eben nichts darüber geht, und daß felbft 
Generationen, die ver Damaligen Bildung noch weit mehr überlegen 
fein werben, als wir uns augenblidlich rühmen bürfen, doch noch 
immer die Vollendung befien, was damals geleiftet warb und den 
Umftänden nach allein geleiftet werben fonnte, mit Bewunderung an- 
erfennen werben. Es iſt richtig, daß gerade det reichere und groß- 
artigere Inhalt, deſſen unfere Zeit ſich zu bemädhtigen fncht, eben 


, 


6. Die Literaturgeſchichte 


deßhalb auch die Aufgabe des Poeten bei weitem ſchwieriger macht; 
es iſt allemal leichter, ein Goethe'ſches Lied zu dichten, als ein 
Shakeſpeare'ſches Drama. Wir geben ſogar noch weiter; wir 
geſtehen zu, daß es Zeiten giebt von ſo revolutionärer Gährung 
and fo krankhaftem, ungewiſſen Inhalt, daß ein wollendetes Kunſtwerk 
innerhalb ihrer ſchlechthin nicht zu Stande kemmen kann — und 
wir find ſogar ſehr ernſtlich geſonnen, unſere gegenwärtige Zeit für 
eine ſolche kranke, in ſich zerſpaltene und darum auch der reinen 
poetiſchen Darſtellung unfähige Zeit zu erklären. Aber wenn es 
kindiſch iſt (und jene früher beſprochenen Rhadamanthe laſſen ſich 
dieſe Kinderei zu Schulden kommen), dieſen allgemeinen Fluch der 
Zeit den einzelnen Dichtern und Schriftſtellern in die Schuhe zu 
ſchieben und fie dafür verantwortlich zu wachen, daß unſere Staats— 
männer nicht weiſer, unſere Feldherren nicht glücklicher, unſere ge⸗ 
ſammte Nation nicht einſichtvoller und thatkräftiger: ſo iſt es zwar 
gutmüthiger, aber darum nicht minder eitel und vergeblich, von jener 
allgemeinen Krankheit überhaupt keine Notiz nehmen zu wollen und 
ſich für geſund zu erklären, bloß weil man es gern ſein möchte. — 

Zwiſchen dieſen beiden Extremen hindurch möchte nun das 
vorliegende Buch, das ausſchließlich der Betrachtung unſerer aller⸗ 
jüngften Literaturepoche gewidmet iſt, einen Mittelweg einſchlagen. 
Die Mittelwege, wir wiſſen es wohl, ſind heutzutage nicht be⸗ 
liebt, in der Politik ſo wenig wie in der Literatur; wir haben ſo 
lange in dumpfer Neutralität verharrt, daß wir nun glauben, Recht 
und Wahrheit könnten nirgend anders liegen, als auf einer der 
beiden äußerſten Seiten. 

Und doch wird Derjenige, dem es nicht um das Beifallsgeſchrei 
dieſer oder jener Partei, auch nicht um Befriedigung irgend eines 
perfönlichen Kitzels, ſondern allein um die Wahrheit zu thun iſt, ſich 
ſchon entfchließen müſſen, viefen beſcheidenen und wenig beliebten 


.und ibre Stellung zur Gegenwart. 27 


Mittelweg einzufchlagen. Dan iſt darum noch nicht neutral und 
noch weniger iſt man inpifferent, weil man bie Wahrheit nicht bloß 
auf diefer oder jener Seite fucht und findet: man erfüllt wielmehr, 
meinen wir, nur bie allererfte und dringendſte Pflicht Des Hiftorikers, 
indem man von den Anſchauungen der Extreme nur eben hiftorifche 
Notiz nimmt, ohme dadurch fein eigenes Urtheil beftimmen zu 
laſſen. Es mag verbrieklich fein, aber es ift num fo: die Wahrheit 
bat einmal das Eigenthümliche, daß fie felten oder nie in eines 
Menſchen Hand gegeben oder einer Partei allein gleichſam als 
eiſernes Beſitzthum zugefprochen tft, vielmehr gleich dem Licht "des 
Himmels, ift fie etwas Allgemeines, und wie das Licht überall mit 
Schatten gemifcht ift, ja wie es überhaupt nur Licht giebt, weil auch 
Schatten iſt, ſo ift auch die Wahrheit überall mit erthum vermiſcht 
— Iiacos intra muros peccatur et extra! 

Diefe ewig vermifchten Atome von Licht und Schatten, von 
Wahrheit und Irrthum zu fonvern, tft denn aljo die nächte und 
dringendſte Aufgabe des Hiſtorikers und er wird fie nur erfüllen 
fönnen, indem ex weder ausfchlieplich zur einen noch zur andern 
Fahne ſchwört, fondern fiseng ven Weg ver Mitte innehält, ver 
ihm die freie Ausficyt nach rechts wie nach links geftattet.” Dieſe 
Art der Auffaffung, wir wiederholen es, hat wenig Pilantes und 
Glänzendes, und wer fich entſchließt, fie zur feinen zu machen, ver 
muß and) von vornherein auf das laute Beifalldgefchrei der Menge 
verzichten. Ja er muß fich vielleicht gefallen Iaflen, daß man fein. 
Buch farblos und langweilig fchilt; — ihm wird bamı immer noch 
der Troft bleiben, durch fein farbloſes und langweiliges Buch mehr 
zur wirflicden Aufklärung des Publicums und Damit auch zur end⸗ 
lichen Löjung der uns geftellten Aufgaben beizutragen, als jene 
planten und ‚glänzenden Schriftfteller, die durch ihre kurzweiligen 
aber einfeitigen und unwahren Ausfprüche vie öffentliche Dleinung 





28 Die Literaturgeſchichte 


nur immer mehr verwirren und den Tag der endlichen Geneſung 
nur immer weiter hinausſchieben. 

Es wird dieſe Pflicht, nach beſter Einſicht das Wahre von 
dem Falſchen zu fondern, aber um ſo dringender, wo, wie in dem 
vorliegenden Falle, in ihrer treuen und gewifſſenhaften Erfüllung 
das einzige Verdienſt liegt, das der Hiftorifer ſich überhaupt er- 
werben Tann. 

Nämlich wern man ihm dann nodh den Ehrennamen des Hifto- 
rikers zuerkennen will und wenn nicht ſchon das Prädicat eines 
bloßen Meaterialienfammlers, eines bloßen Vorarbeiters fir eine 
fünftige wirkliche Geſchichtſchreibung unter diefen Umſtänden voll- 
fommen ausreichend wäre. Und mit diefer unfcheinbaren Stellung 
begnügt fich der Berfaffer des vorliegenden Werkes; er begnügt fish 
damit, theils weil er dieſe verhältnißmäßig leichte Aufgabe dem 
Maß feiner Kräfte am angemeflenften hält, theils und vornehmlich, 
weil es ihm überhaupt nicht wol möglich ſcheint, von einer Be— 
wegung, in der wir noch mitten darin fteben, die noch zu feinemziel, 
keinem Abſchluß gelangt ift, ja an welcher der Autor jelbft fich vielfach 
perfönlich betheiligt hat, ſchon jetzt eine wirkliche Gefchichte zu Kiefern. 

Dies alfo ver Zweck unferes Buches. Es will in einer Reihe 
einzelner, dennoch nicht zufemmenhanglofer Bilder und Skizzen 
eine Heberficht geben über den gegenwärtigen Stand unferer Literatur. 
Daß das Jahr Achtundvierzig, von dem wir dabei unferen Aus- 
gang nehmen, wirklich eine neue Epoche unferes nationalen Lebens 
und alfo auch unferer Literatur eingeleitet hat und daß ferner in 
den Büchern, die feitvem gefchrieben worben, ven Autoren, die feit- 
bem ünter uns aufgetreten find, auch ein genügenves Material zu 
einer derartigen Betrachtung vorliegt, darüber dürften wol alle 
Urtheilsfähigen derſelben Anficht- fein. Ueber den legtern Punkt, 
das Genügende bes vorliegenden Materials, fcheint ung ein Zweifel 


und ihre Stellung zur Gegenwart. 29 


fogar um fo weniger entftehen zu fünnen, je mehr e8 bei den vor⸗ 
handenen Literaturgefchichten, auch diejenigen nicht ausgenommen, 
die erft in der allerjüngſten Zeit erſchienen find, gleichjam zum. 
guten Ton gehört, ven ber Literatur der Gegenwart, entwerer gar 
feine oder. boch nur eine jehr unvollftändige Notiz zu nehmen. 

Zwar auf den VBorwurf.ver Unvollftändigfeit muß auch der 
Verfaſſer des vorliegenden Werkes fich gefaßt machen. Wo bie 
Dinge noch fo fehr im Fluß find, wo Alles erft jo durchaus im ” 
Werden und Entftehen ift, wo mit jedem neuen Tage fo viel’ nene 
Perjönlichkeiten auftauchen und auch wieder verfchwinden, wie Dies 
alles in der Literatur Der Gegenwart der Hall, und wo dieſe Literatur 
endlich, wenigftens ihrem äußeren Umfange nad, fo überaus reich 
und mannigfach ift, da dürfte es nur die Wahl geben: zwifchen 
zwei Unmöglichleiten: nämlich entweber diefen ganzen äußerlichen 
Reichthum vollftändig zu Buch zu bringen, ober aber bei der Aus- 
wahl, die Somit nothwendig eintreten muß, allen Anforderungen zu 
genügen: 

Das Eine, wie gefagt, ift jo unmöglich wie das Andere, und 
wenn der Verfaſſer ſomit vorgezogen hat, ſtatt einer trockenen und 
doch niemals vollſtändigen Nomenclatur eine Auswahl einzelner 
Charakteriſtiken und Skizzen zu geben, fo. weiß er zum Voraus, 
baß er es mit diefer Auswahl bei weitem nicht Allen recht gemacht 
haben und daß Diefer und Jener fich beflagen wird, warum gerade 
jein Lieblingsfchriftfteller — oder wol ‚gar warum. er felbft über- 
gangen ift, währenn doch fo viele umbeventendere Geifter Zutritt 
gefunden haben. Der Verfaſſer kann zu feiner Entſchuldigung nur 
anführen, daß bei einem -Unternehmen gleich dem vorliegenden dem 
Subjectiven Urtheil nothwendig etwas überlafjen bleiben muß: wo- 
bei er fich gern befcheivet, daß jenem ſubjectiven Urtheil ein anderes 
jubjectines Urtheil mit demſelben Rechte gegenübertritt. 


30 Die Literaturgejchichte 


Er macht ferner wiederholt darauf anfmerffam, daß es gar 
nicht in feiner Abficht gelegen bat noch Liegen konnte, eine wirkliche 
Geſchichte unferer jüngften Piteraturentwidelung zu geben, ſondern 
daß er nur Beiträge zu einer Tänftigen Gefchichte derſelben liefern 
wollte — und ſolchen Beiträgen wird denn ſchon einige Unvoll⸗ 
ftänpigfeit nachgefehen werden müſſen. 

” Enplih aber kann er verfichern,, daß, wenn er auch bei der 
Auswahl der hier beſprochenen Bücher und Perfönlichleiten mehr 
oder weniger feinem fubjectiven Ermefien folgen mußte, dies fub⸗ 
jective Ermeſſen zum wenigſten durch Yeinerlei unlautere Rüdfichten 
„beeinflußt worden tft. Insbeſondere weiß er ſich fehr weit entfernt 
von dem naiven Irrthum gewiſſer Literarhiftorifer und Kritiker 
vom jüngften Datum, bie einen Schriftſteller dadurch tobt zu 
machen oder aud nur aus dem Gedächtniß des Bublicums aus: 
löſchen zu können glauben, daß fie ihn in ihren Schriften mit 
Stillſchweigen übergehen.  Diefe Guten follten doc wiſſen, daß 
die Literatur fein „golvenes Buch“ kennt, fondern daß bier, wenn 
irgendwo, Jeder ber Sohn feiner Thaten iſt. Es iſt eine Erfah⸗ 
rang, die nicht won heute ſtammt, daß nicht fehlen viejenigen 
- Autoren, mit denen unfere Literarhiſtoriker und Aeſthetiker ſich am 
allermeiftein zur than machen, vom Publicum faum. dem Ramen 
nach gefannt -werben,-während anverezfeits auch unfere hocher⸗ 
keuchteten Literarhiiteriter zum Theil gar feine Ahnung davon 
haben, was die Menge eigentlich lieſt und melde Bilcher, welche 
Scyeiftfteller alfo den meiften Einfluß auf ihre Zeitgenoſſen aus 
üben. Zum Theil liegt. das alkerbings an dem Mißverhältniß 
unferer Bildung im Allgemeinen, ein Mißverhältniß, pas vie 
Literaturgefehichte wol wahrnehmen und ausfprechen, ‚aber doch mit 
aller Unftvengung wicht unmittelbar binwegräumen kann. Aber 
eben jo wenig fol fie daſſelbe auch vermehren und verſchlimmern, 


| 








> 


und ihre Stellung zur Gegenwart. 31 


indem fie ihr Auge gefliffentlich ‘gegen die Thatfachen verſchließt 
md, von Barteifucht oder Eitelkeit verblenvet, bald Größen 
fchafft, die Niemand kennt, bald Autoren todt zu ſchweigen jucht, 
die fich thatfächlich doch iminer. eines ſehr veipectablen Einfluſſes 
und einer ſehr wohlthuenden Anerkennung erfreuen und daher andy, 
im Beſitz diefer Anerkennung, jenes geflifientirche Schweigen mit 
großem Gleichmuth ertragen können. 

Von dieſem egoiftifchen Treiben, dies Fünnen wir dem Leſer 
verfichern, ſoll ihm bier alfo Feine Spur begegnen, noch werben 
wir den Thatſachen irgend welche Gewalt anthun, um etwa ein 
beftinmtes äſthetiſches Syſtem oder gar ich weiß nicht welche poli= 
tifche over ſociale Doctrin zu unterftäßen. Gewiß war ed ber 
Literaturgeſchichte ſehr Heilfam, als fle mit den politifchen In— 
tereffer des Tages in nähere Verbindung geſetzt warb, und Niemand 
kaun es wol weniger emfallen, ihr einen Borwinf daraus zu 
machen, als dem Berfaſſer des gegenwärtigen Buches, der an 
dieſem Streben felbft, nad) dem bejchetvenen Maß ferner Kräfte, 
thãtigen Antheil genommen hat. Nur tft man and) dabei wieder in 
ein Ertrem verfallen und bat ſich einem Uebermaß ergeben, das eine 
Eorrectur nach der anderen Seite bin nothwendig macht. Unfere 


Dichter und Schriftiteller find öffentfiche Charaktere, pas verfieht 


ſich, und nehmen al folche Theil an Allem, was bie Oeffentlich- 
feit bewegt. Aber barum min jeden Poeten fogleich auch nach ſeinem 
politiſchen Glanbensbelenntniß zu fragen oder ihm die Piſtole eines 


an ſich ganz wohlgemeinten, aber in feiner eimfeitigen Anwendung 


doch herzlich philiſterhaften Moralſyſtems auf pre Bruſt zu ſetzen, 
und wenn er nicht fofort mit der einmal ausgetheilten Parole 
antwortet, paff, fo wird er über ven Haufen geſchoſſen — das 


ſcheint uns denn Doch nicht bloß ſehr einfaͤltig, fondern andy betr 


geſchmacklos. 


32 Die Literaturgefchichte 


‚Dies führt uns auf einen anderen einigermaßen verwandten 
Punft, über den wir und mit unferen Leſern noch zum voraus zu 
verftändigen wünſchen. Das vorliegende Bud, beſchränkt fi aus- 
ſchließlich auf Dasjenige, was man früher die ſchöne Literatur | 
nannte. Daß diefer Name unter uns fo ganz ausgeftorben ober 
boch wenigstens einen ftarf altfränfifchen Beigeſchmack erhalten hat, 
ift feineswegs fo beveutungslos, wie wol mancher meinen möchte. 

Vielmehr hängt diefe vereinzelte und anſcheinend fo unerbeb- 
liche Thatfache aufs genauefte mit der Entwidelung zufammen, 
« welche die Willenfchaft ver Literaturgefchichte in ben legten Jahr— 
zehnten bei uns genommen hat. Auch hier wieder war e8 ein ganz 
unzwejfelhafter Fortfehritt, daß man ven Begriff ver Literatur er- 
weiterte, und den Standpunkt des Aefthetifers, von dem aus man 
biefelbe bis dahin allein betrachtet. hatte, nit mehr zum aus- 
ſchließlichen Maßſtab machte. Man war zu ber Erkenntniß ge= 
langt, daß die gefammte Literatur ein 'großer Organismus, in 
bem bie Poefie nur gleichjam die Stelle des lebendigen Herzſchlags 
vertritt; um dieſen Herzichlag richtig zu verffehen, um zu willen, 
was in ähm fluthet und welche Kräfte ex hinwieberum in Be: 
wegung jest, ift e8 unerläßlich, ven Organismus vollſtändig und 
im Zufammenhange zu kennen. . _ 

Inſofern alfo war es durchaus richtig, daß man, bejonders feit 
Schloſſer's und Gervinus' Vorgang, die Literaturgefchichte nicht 
mehr auf bie Geſchichte der Poefie allein befchränfte, ſondern daß 
man auch einzelne wiſſenſchaftliche Disciplinen mit in den Umkreis 
derſelben zog, namentlich alſo die Philoſophie, die Theologie, die 
Geſchichtſchreibung, die philologiſchen Studien, ſowie überhaupt 
Alles, was auf den Schönheitsbegriff einer beſtimmten Zeit und 
feine Darſtellung innerhalb der Poeſie einen unmittelbaren und 
nachweislichen Einfluß übt. 








und ihre Stellung zur Gegenwart. 33 


Allein dabei hätte man auch ftehen bleiben, man hätte, um 
die Grenzen der Literaturgeſchichte nicht ungebührlich auszudehnen, 
jeverzeit im Auge behalten follen, daß der Riterarhiftorifer im 
fpecifiihen Sinne von jenen wifjenfchaftlichen Disciplinen nur 
immer fo weit Kenntniß zu nehmen hat, als es denſelben gelungen 
ift, in das Gebiet der Schönheit, das Reich der Dichtung hinüber- 
zueagen; Philofophie, Theologie, Geſchichte 2:. haben hier Feine 
Rolle an fich zu fpielen, fondern nur infoweit fie als Vorbereitungs⸗ 
und Erziehungsmittel, ja wenn man will, geradezu als Nahrungs- 
mittel unferer Dichtung gebient haben. 

Statt diefe eben fo nafürliche wie nöthige Grenze innezu⸗ 
halten, bat man neuerdings angefangen, den genannten wifjen- 
ſchaftlichen Disciplinen eine felbftändige Stellung neben der Ge— 
fchichte unſerer ſchönen Literatur einzuräumen. Ja man hat biefe | 
fegtere wol gar in den Schatten 'geftellt und ven ihr gebührenden 
Raum verkürzt, um ſich deſto weitläufiger über jene wiflenfchaft- 
lihen Fächer anszubreiten; wir haben LTiteraturgefihichten, fogar 
ſehr gerühmte und gelefene Literaturgeſchichten, vie fi) 3. B. über 
die Hegeliche Philofophie oder über Niebuhrs Römische Geſchichte 
mit ermüdender Weitläufigfeit auslaffen’ währenn fie allbefannte 
und einflußreiche Schriftfteller, die für die poetifche Signatur der 
Zeit von höchfter Bedeutung geweſen find, theils mit wenigen 
Worten abfertigen, theild auch wol ganz bei Seite laſſen. — Halte 
ung doch Niemand für fo ſchwachköpfig, als wüßten wir nicht den 
Einfluß zu würdigen, welchen die Hegelfche Philoſophie, ſowie über— 
haupt die neuere Philofophie feit Kant, wie auf unfer gefammtes 
Leben, fo auch auf die Entwidelung unferer Poeſie ausgeiibt.hat, 
oder als wären wir im Unflaren über das ungemeine Verbienft, 
das unſere Gefchichtfchreibung feit Niebuhr fih um Ausbildung 


und Kräftigung des hiftorifchen Sinnes in unferer Nation erworben 
Brup, die deutſche Literatur der Oegenwart. I, g 


34 Die Literaturgefchichte 


hat, eines Sinnes, ven auch der Poet nicht entbehren kaun, am 
wenigften in unferen Tagen. Vielmehr verfteht es ſich ganz von 
felbft, daß Heutigentags Niemand eine Gefchithte unferer neuern 
deutfchen Dichtung jehreiben kann, ohne auf die gleichzeitige Ent» 
widelung unferer Philofophie, unferer Geſchichtſchreibung ꝛc. 
Rückſicht zu nehmen; der Tehler, den wir beklagen, liegt eben nur 
darin, daß man auch bier wieder das heilige Gejet des Maßes 
verlegt und dasjenige, was an diefer Stelle nothwendig eine bloße 
Nebenjache bleiben mußte, zum Rang einer Hauptſache erhoben 
hat, in dem Grabe fogar, daß die eigentliche .umd wirkliche Haupt- 
fache darüber nicht felten zu kurz gekommen ift. 

Unferer Literaturgefchichte ift dadurch die Gefahr nahe ge— 
treten, in daſſelbe Chaos zurückverſetzt zu werben, dem fie in ben 
Anfängen ihrer Entwidelung fi jo mihſam entrungen: das Chaos 
der Polyhiftorie. Gelehrtengefhichte und Gefchichte der Poeſie 
werben fich nothwendig in vielen Punften berühren: denn die Poeteh 
fallen eben nicht vom Himmel und wo die Öelehrten ihre Nahrung 
finden, da erwachfen in den meiften Fällen auch die Dichter. Aber 
darum ift e8 doch noch nicht verftattet, die Grenzen beider Gebiete 
aufzuheben und willfürlid) eins in das andere hinüberzuziehen. In 
den älteren Titeraturgefchichten, in denen, die noch aus der poly= 
hiftorifchen Epoche ftammen, finden wir aud) neben wenigen. |pär- 
lichen Notizen über Dichter und deren Werke ausführliche Excurfe 
nicht bloß- über Philofophie oder Gefchichte, ſondern auch über 
Jurisprudenz, Mebicin, Botanik ꝛc.; wenn das fo fort geht, wie 
man nenerdings angefangen, jo werden wir nächſtens wieder auf 
denjelben Standpunkt zurüdgebracht fein. Ein Troſt bleibt dabei 
nur, daß der Tehler in ven meiften Fällen mehr ein Fehler 
ber Noth als ein Fehler der Einficht iſt. Verſchiedene unferer 
neueften Literarhiftorifer, und darunter gerade diejenigen, bie ſich 





und ihre Stellung zur Gegenwart. 35 


am allermeiften bazır berufen wähnen, find in Philofophie und 
Geſchichte bei weiten beffer zu Haufe als in der Poefie, bei der es 
nun einmal mit dem bloßen Bücherlejen nicht abgemacht ift, fon= 
bern zu deren Verſtändniß und richtiger Würdigung auch ein ges 
wiſſes Gefühl des Schönen, ein gewiſſer angeborener Geſchmack 
gehört, den ſich Niemand willfürlich geben noch nehmen kann. Bon 
der Ratur in viefem Punkt ftiefmütterlich behandelt, mas blieb 
jenen Trefflichen übrig, als aus der. Noth eine Tugend zu machen, 
und ba die paar Kategorien, bie fie in der Schule des Aefthetiferg 
aufgegabelt, zur Beſprechung einer größeren Anzahl von Poeten 
doch eben fo wenig ausreichen wollten, als der „politifch-moralifche 
Bettlermantel,“ ven fie um die Blöße ihres Gefhmads geworfen — 
nun gut, jo fetten fie und vor was fie eben hatten und unterhielten 
uns über Philoſophen und Hiftorifer, wo wir ihr Urtheil über 
Poeten und poetifhe Werke erwarteten. 

Lenkt fomit das vorliegende Buch, trog feiner übrigens fo_ 
lockern Form, auch in diefem Punkt zu einer etwas ftrengeren Ge— 
wöhnung zurid und beſchränken wir baher ben Begriff der Litera⸗ 
tar bier ausschließlich auf die ſchöne, die poetifche Literatur, fo 
glauben wir damit etwas für den gegenwärtigen Augenblid nicht 
ganz Ueberflüffiges zu thım, feineswegs aber wollen wir damit das 
Recht, ja die Verpflichtung des Literarhiftorifers, auch von den 
wifienfchaftlichen Disciplinen Notiz zu nehmen, in Abrede ftellen 
md wäre dies ein Mißverſtändniß, gegen das wir uns nicht nur 
durch Die vorſtehende Erörterung, ſondern auch durch unſere eigenen 
früheren Verſuche auf dem Gebiet der Literaturgeſchichte genügend 
geſichert halten. 

Schließlich noch ein Wort über das Motto, das wir unſerem 
Buche vorgeſetzt haber. Daſſelbe ſoll ihm nicht zum müßigen 


Schmucke dienen, ſondern mit gutem Vorbedacht haben wir es 
3 * 


36 Die Literaturgejchichte 


gewählt als ein Symbol veffen, was wir. mit unferer Schrift ſelbſt 
bezwecken und. was gleichfam ven innerften Lebenspunft verfelben 
bildet. — Biſt dur, geneigter Lefer, wol ſchon einmal über ein 
Kornfeld gegangen, unmittelbar nachdem die Saat geſchnitten und 
die. goldenen Garben eingefahren worden? Es ift das ein nad. 
denklicher Gang, Herbft und Sommer, Vergangenheit und Gegen- 
wart reichen fih darin auf eigenthümliche Weife die Hand. Noch 
breitet fi) der Himmel blau und mild über die ſchweigende Flur, 
aber feine Farbe hat doch ſchon einen gewifien blafjeren Ton ange- 
nommen, ber auf den beginnenven Herbft hindeutet. Wo vor Kurzem . 
noch die Halme Iuftig durcheinandermogten, ftehen jetzt öde, dürre 
Stoppeln; indem dein Fuß fie ftreift, tritt er hie und da nod 
auf -einen gefnidten Halm, eine zerſtreute Garbe, welche - die 
Schnitter überfehen oder vergefien haben. Oder er berührt aud) 
bier und da eine einfame Kornblume, welche die Sichel verſchont 
hat, ober jenen wilden Mohn, von dem das Lied des Dichters 
ſpricht und deſſen volles, fattes Roth fo ſchön hineinleuchtet in die 
berbftlich gefärbte Landſchaft. Ja wenn du genauer hinfiehft, ge- 
wahrft du wol hier und ſdort zwifchen ven Stoppeln ein friſchauf⸗ 
feimendes, grünes Hälmchen, den jungen Trieb vereinzelter Körner, 
welche die Aehren, ſich beugen unter. ver Laſt ihres Segens, um 
ſich ſtreuten und die ein günftiger Zufall behütete, daß fie weder 
vom Fuß des Wanderers zertreten noch von dem Schnabel hungri= 
ger Bögelchen aufgepickt wurden. Und ver Anblick viefer ſproſſenden 
Hälmchen, mitten unter ven toten Stoppeln, freut dich. ‘Du fragft 
nicht, was aus ihnen werden fol, du denfft nicht daran, daß viel- 
leicht fchon der nächſte Nachtfroft fie erftict, oder dag der Pflug 
bes Landmanns, der die Scholle umwühlt zur neuen Saat, fie 
vernichten wird — gemug, daß fie dir mitten in herbftlicher Verödung 
das Bild des künftigen Frühlings vor die Seele geführt und dich 


- 


. 








w 


und ihre Stellung zur Gegenwart. 37 


aufs neue erinnert haben an die ſtill waltende Macht ver Natur, 
bie ja doch zuletzt fein Körnchen verloren gehen läßt und bie auch 
über die Heinen grünen Halme eine fhügenve Hand gebreitet hält... 

Ganz ſoich ein Gang ift auch der, den wir hier durch das 
Gebiet unferer neueften Literatur anzutreten im Begriffe find. Ja, 
wir ergeben uns barein: bie Literatur ber Gegenwart ift nur roch 
ein großes Stoppelfeld, die Saat ift längft gefchnitten und in bie 
Scheuern gebracht, und auch das wollen wir babingeftellt fein Laffen, 
ob nicht auch umter der Ernte, die wir glüdlich eingeheimft haben 
und die für den Augenblid unfer ganzes Beſitzthum bilvet, fich 
manche zu leichte Garbe befindet, ob nicht manches, was wir 
für gefunde Frucht hielten, mit Brand und ähnlichen Schäden be- 
haftet ift und ob daher der Gewinn, den wir und von ber glüdlich 
eingebrachten Ernte verſprachen, zulegt in der That fo groß fein 
wird, wie wir erwarteten. 

Aber immerhin, bis zum nächſten Yrühling wird fie ſchon 
reichen — und daß biefer Frühling kommt und daß die ewige Zeu- 
gungsfraft der Gefchichte noch nicht erftorben ift, beweifen das nicht 
ſelbſt viefe jpärlichen, grünen Halme, die da zwifchen den Stoppeln 
emporwachfen? Der Fuß des Wanderers fcheut fih, die Korn⸗ 
blume und ben wilden Mohn zu zertreten, über den er bahin- 
fchreitet, und wir follten uns von heroftratifchem Gelüft verleiten 
lafien, ven Stab zu brechen über eine ganze Literaturepoche, bloß 
weil ihr die klaſſiſchen Poeten und die Meiſterwerke fehlen, vie fte 
doch ihrer ganzen Natur nach nicht hervorbringen konnte? Und 
wenn jene Blumen und diefe Halme in der That zu nichte weiter 
nüge wären, als daß fie mit untergepflügt werben unter bie- 
Saat der Zufunft, ja wenn ihre ganze Beſtimmung wirklich nur 
darin beftände, das Auge des Vorübergehenden zu erfreuen und 
den Glauben an bie Zukunft in ihm wach zu erhalten, fo wäre ſchon 


. 
* 


38 Die Literaturgeſchichte und ihre Stellung zur Gegenwart. 


das, glauben wir, jener aufmerkſamen und liebevollen Betrachtung 
werth, die wir der Literatur der Gegenwart auf den nachſtehenden 
Blättern gewidmet haben und zu der wir den geneigten Leſer hier- 
mit ebenfalls einladen. 


Ob aus verlornen Aehren, 
Ob aus verwehter Streu 
Nicht etwa noch mit Ehren 
Ein Strauß zu binden ſei? 
Ob nicht aus Korn und Mohne 
Noch eine bunte Krone, 
Werth daß man ihrer ſchone, 
Sich ſammeln laſſe ſtill und treu? 





II. 


Das Jahr Achtzehnhundertundachtundvierzig 


die deutſche Literatur. 


Bereits in der Einleitung erwähnten wir, daß unter ven 
vielen Niederlagen und Enttäufchungen, welche das Jahr Achtund-⸗ 
vierzig mit ſich geführt hat, faft die ſchlimmſten diejenigen find, 
welche die Literatur bei diefer Gelegenheit‘ erfahren. 

Und zwar bezieht ſich das nicht bloß auf die veränderte Stel- 
fung, welche vie Literatur in Folge diefer großen Rataftrophe fo- 
wol im Urtheil der Kritifer und Literarhiftorifer mie überhaupt 
in ver öffentlichen Dleinung einnimmt, als auch auf vie Schidfale, 
welche die Literatur unmittelbar an ſich jelbft erfahren hat. Mit 
welchen Erwartungen, welchen Hoffnungen hatte nicht grade Die 
Literatur diefem Ereigniß entgegengeblidt, das fo lange gleich einer 
drohenden Wetterwolfe an dem Horizont unferer Zukunft ftand, 
von allen gefehen und bemerkt, nur von Denen nicht, über deren 
Häupter das Unwetter ſich zunächſt ergießen follte! Mit welchem 
Behagen, welcher Schävenfreude hatten unfere Poeten, unfere 
Zeitungsfchreiber das allmähliche Herannahen der grauen, unheim⸗ 
lichen Wolke verkündet! Wie hatten fie triumphirt, da dieſelbe, 
ſich fortwälzend von Bergſpitze zu Bergſpitze, immer tiefer ſich 
ins Thal herabſenkte, und wie hatten fie, aufgejauchzt, da der zün⸗ 
dende Strahl jest endlich wirklich herniederzuckte! 

Der Irrthum war verzeihlich; auch haben wir ihn alle damals 
nach der einen oder der anderen Seite hin getheilt, indem wir von 
ver fo lange vorausverküñdeten Revolution theils mehr hofften, 


42 Das Jahr Ahtzehnnhundertundachtundvierzig 


theils auch mehr fürchteten, als fie in Wahrheit zu leiften im Stande 
war. Wir waren eben noch Neulinge im politifchen Leben; wir 
Sprachen von den Stürmen der Gefchichte noch, wie der Binnen- 
länder von ven Stürmen des Meeres fpricht, die er auch noch nie- 
mals mit Augen gefehen und von denen er daher ebenfalls nur 
bie großartige und malerifche Seite im Gedanken hat, ohne ſich zu 
erinnern, wie viel Menjchenleben dabei zu Grunde gehen, und daß 
Derjenige, ver leibhaftig in. foldem Schiffbruch ftedt, gern alle 
Malereien der Welt darangebe. für einen einzigen fichern und 
trodenen Fleck. 

Legt find wir wieder durch Die Erfahrung klug geworben. 
Wir willen jeßt, daß politifche Revolutionen zwar mitunter un⸗ 
vermeiblid, fein. können — gerade ſo unvermeidlich, wie. gemille 
Revolutionen des Erdlebens — daß fie aber bei alledem in ihres 
nächften und unmittelbarften Folgen immer mehr zerſtörend als 
fegnend wirken: wie ja auch erjt Jahrhunderte vergehen müffen, 
bevor die Lava, die grünende Felder und blühende Saaten ver. 
nichtet hat, fih zum fruchtbaren Boden umgeftaltet. Allerdings 
trägt diefer Boden alsdann doppelte und dreifache Frucht: aber 
was Tann das Denjenigen nügen, deren Hab und- Gt damals 
der Flammenftrom verſchlang und die jegt längft im Grabe modern, 
wenn endlich eine neue, üppige Saat aus der tobten Aſche empor- 
feimt? Wer zum Schwerte greift, fol durch das Schwert um- 
kommen; fo fommt auch Denjenigen, welde vie Revolutionen 
gemacht haben, ober richtiger gejagt: die es haben dahin fommen 
laſſen, daß bie. Revolation zur Nothwendigfeit ward, non ben 
wohlthätigen Folgen verjelben am allerwenigften zu Gute, viel- 
mehr gehen fie regelmäßig zu Grunde als das tragifche Opfer 
ihrer Schuld, und erft für fpätere Gefchlechter, die an dieſer letzteren 
feinen Theil mehr haben, verwandelt fih ver Fluch in Segen. 








und die beutfche Literatur. 43 


Das ift fo.nicht bloß bei einzelnen gefchichtlichen Pperſonlichteiten, 
auch ganze Völker unterliegen demſelben Geſetz. 

Auch ihre Literaturen. Die deutſche Literatur ber vierziger 
Jahre hatte auf halb naive, halb frevelhafte Weiſe mit dem Bilde 
ber Revolution gejpielt, wie das Kind mit dem Feuer. Bei allem, 
was ihr unbequem. oder nerdrießlih, war immer bie Revolution, 
vie umaushleibliche, ihr letztes Wort; ihre Klaviatur hatte nur 
einen Zon td. dieſer hieß: gebt Acht, die Revolution kommt! 
Wurde ein Buch confiscirt oder ein beliebter Profeſſor abgeſetzt 
oder ein mißliebiger Miniſter eingejegt, immer verjelbe Refrain; - 
bie Revolution war das große Wunderfraut, das geheimnißvolle 
Abracadabra, Das alle Wunden heilen und alle verborgenen Schäge 
aufveden follte. 

Bor allem vie Schäte, welche hie Literatur in ſich felbft zu 
tragen meinte. Das war nicht Die Schuld unferer Dichter, daß 
wir feine poetischen Meifterwerke mehr hatten, beileibe nicht, das 
war bloß die Schuld der Cenſur und der Übrigen unfrejen Zuſtände, 
unter denen wir [hmachteten; ver Baum unferer. Poeſie war jung 
und kräftig wie je, und wenn er wicht längft hoch hinauf in alle 
Himmel gewachſen war, jo Tag das lediglich an den Volizeifcheeren, 
die fein Fräftiges Wachsthum vorzeitig ſtutzten und feine hoffnungs⸗ 
reichten Triebe mitleivlos verftümmelten. Gebt nur die Prefie 
frei, laßt nur Jeden fehreiben, was er will und kann, enthebt bie 
Bühne nur des polizeilichen Zwangs, der ihr jest alle Lebensadern 
unterbindet, und ihr ſollt ſchon jehen, welche Gedichte, welche Ko- 
mane, welche Thenterftüce wir vemmächft haben werben! - 
Mun, die geoße Polizeifcheere warb zerbrodden, und went fie 
auch jeitvem wieder fein ſäuberlich zufammengefeßt und in Gang 
gebracht worden ift, fo ſchneidet ſich doch nicht mehr ganz fo ſcharf 
und namentlich nit fo geräufchvoll, wie ehedem. Seiten, wo 


44 Das Jahr Achtzehnhundertundachtundvierzig 


Jeder hat können drucken laſſen, was ihm irgend in den Sinn 
gekommen iſt, ſelbſt den baarſten Unſinn und die nackteſte Jufamie 
nicht ausgenommen, haben wir ebenfalls gehabt, und für gewiſſe 
Richtungen der Tagespreſſe dauert dieſe goldene Freiheit, ſo dumm 
und ſo gemein zu ſein wie nur immer möglich, ja noch in dieſem 
Angenblick fort. Auch die Bühne ift eine Zeit lang ziemlich ent- 
feffelt gewefen und noch gegenwärtig eriftirt neben dem Schlenprian 
der Hofthenter eine ganze Anzahl von Privatıntternehmungen, 
die wenigftend von der Etifette, welche jene höfiſchen Inſtitute 
bindet, nichts willen und die gern jedes Stück zur Aufführung 
bringen, ob. ſchwarz oder weiß, reactionär oder liberal, wenn e8 nur 
Kaffe macht. 

Aber feltfam, die verheißenen Meifterwerte find bei allepem 
audgeblieben. . Ja wenn man der allgemeinen Stimme trauen 
darf, fo hätte unfere Literatur nach dem Jahre Adhtundvierzig 
im Bergleih mit der vormärzliden fogar offenbare Rüdfchritte 
gemadht. 

Wie weit dieſe letztere Anficht begründet ift, dies zu erörtern, 
oder vielmehr an einer Reihe von Thatfachen varzulegen, ift ber 
Zweck unferes ganzen Buches, und bürfen wir daher bem eigenen 
Urtheil des Leſers durch eine vorzeitige Beantwortung bier nicht 
oorgreifen. Nur dies wird ſchon hier zu bemerken geftattet ſein, 
daß, follten wir uns auch ſchließlich genöthigt fehen, der allgemei= 
nen Stimme beizutreten, dies doch noch gar jo niederfchlagenn 
nicht fein und uns die Ausfichten in die Zukunft nody gar nicht fo ver= 
fümmern würde, wie man etwa glauben möchte. Schon oben haben 
wir daran erinnert, daß es Zeiten ver Gährung und des innern 
Zwiejpalts gleich der unferen überhaupt nicht vergönnt ift, ein 
volles und reines Abbild ihrer felbit in ver Kunft nieberzulegen. 
Rur ein durchweg gefunder Boden bringt auch gejunde Früchte; 





und bie deutſche Literatur. 45° 


num wahrhaft geſunde, in fich felbft befriedigte Zeiten bringen 
auch wahrhaft vollendete Kunftwerfe hervor. Futter fürs Pulver 
wie wir, Menſchen, auf die Grenzmark zweier Zeitalter binge- 
fchleuvert, bloß um den Abgrund auszufüllen, Zwittergejchöpfe 
mit halben Wänfchen, halben Hoffnungen, halben Erfolgen, müffen 
fih aud in der Kunft mit bloßen Anläufen und Verſuchen begnü- 
gen. Wem es ein Troft, daß e8 andern vielgefeierten Epochen, 
deren Charakter urjprünglich wicht jehr verſchieden von dem unferes 
Zeitalters, nicht beſſer ergangen ift, der blicke rückwärts auf Die Zeit 
unferer Befreiungskriege, gewiß eine Zeit großartiger nationaler 
Erhebung und frifcheften volfsthümlichen Lebens — und doch in 
poetifcher Hinficht wie unfruchtbar, wie Dürftig ift fie geblieben! 
Ober mas wollen bie paar Kriegs- und Siegslieder der Arndt und 
Schenfendorf, der Körner und Rückert fagen gegen die Ströme 
Blutes, die damals vergoffen, gegen Die überfchwenglichen Hoff- 
nungen, die damals genährt wurden? Sie find zum Theil jehr 
ſchön dieſe Lieder und werden ihren Ehrenplag unter ven Kleinodien 
unferer Literatur gewiß für alle Zeit behaupten — aber die Hand 
aufs Herz: im Vergleich zu dem gewaltigen Auffchwung, ben vie 
Nation Damals genommen hatte, reichen fie doch nicht völlig aus, 
noch find fie genügend, ein fo ungeheures weltgeſchichtüiches Dei 
niß in der Literatur würdig zu vertreten. 

Aber ihr meint, diefer Aufſchwung fei zu bald wieder ge 
brochen, dieſes weltgejchichtliche Ereigniß in zu Heine und niedrige 
Kanäle abgeleitet worden, als daß es der Boefie möglich gewejen 
wäre, ven richtigen Nuten davon zu ziehen? Out, fo blickt weiter 
rüdwärts, blickt nach jenjeits des Rheins, zu einem Volke, das an 
Elafticität und Beweglichkeit des Geiſtes der deutſchen Schwerfällig- 
feit fo weit voran fteht und das überdies. mehr als ein Jahrhundert 
hindurch die Literatur von ganz Europa beberricht hatte: blickt zurüd 


46 Das Jahr Achtzehnhundertuntachtuntvierzig 


auf die erfte franzöfifche Revolution. Sie bietet ganz genau daſſelbe 
Schaufpiel. Auch bier im Volk die allgemeinfte und ungeheuerfte 
Aufregung, eine Fülle von Ereignifien, ein wahres Pandämonium 
von Leidenschaften, Charaktere, Schidfale, Begebenheiten wie der 
Dichter fie fich nur immer wünfchen mag, ganze vollſtändige Tragö- 
dien, fir und fertig auf die Bühne zu bringen — aber: bieje 
Dichter fehlen! diefe Tragödien werben nicht gefchrieben! Im 
Gegentheil, was in dieſer Zeit ja noch gefchrieben wird, trägt, mit 
faum nennenswerthen Ausnahmen, den Stempel der nächternften 
und froftigften Langenweile; die franzöftfche Literatur ift nie Dürfti- 
ger und inbaltlofer. gewefen, als gerade zu der Zeit, da das na- 
tionale Leben Frankreichs in ven allerfühnften und höchſten Wogen 
ging, die franzöfifhen Armeen bie glänzenpften Siege errangen, 
Frankreich jelbft auf dem höchſten Gipfel feiner Macht und feines 
Ruhmes ftand. | 

Oder wen auch das noch nicht belehrt, num wohl, ver blicke 
noch einige Jahrhunderte weiter rüdwärts, auf die Reformation. 
Auch diefes Ereigniß, das, wenn je eines, ven Namen eines uni— 
verſalen, weltbewegenven verbient, ift in feiner nächften Iiterarifchen 
Umgebung nur fehr dürftig und unfcheinbar vertreten; auch dieſer 
erfte Anbruch eines neuen Lebens, das dann fpäterhin die ganze 
Welt vurchfluthen und in allen Zweigen menfchliegen Könnens und 
Wiſſens ein ganz neues Dafein erweden follte, Bringt an dem 
Baum unferer Literatur zunächſt nur fehr befcheivene Knoſpen 
hervor. Das proteflantifche Kirchenlied — allen Refpect, und 
auch den Schwank und die polemifche Literatur des Neformations- 
zeitalterd wollen wir uns, troß ihrer Roheit und unfünftlerifchen 
Vormen, gern gefallen laffen. Im Uebrigen aber ſteht es hier 
doch ebenſo wie mit den Befreiungsfriegen, nur daß die Verhält- 
nifle hier noch weit koloſſaler, der Widerſpruch hier noch weit 





- and bie beutjche Fiteratur. 47 


augenfälliger ift. So wenig bie Lieder unſerer Arndt und Körner 
bei all ihrer Echönheit genügen, ein auch nur annäherntes Bild 
jenes nationalen Auffhwungs zu geben, der endlich in ven Be— 
freiungsfriegen zum Ausbruch fam, eben jo wenig ift auch das 
Kirchenlied und der Schwan des Reformationszeitalters ein eben- 
bürtiges poetifches Seiteäftüd zu ver ungeheuren gefchichtlichen 
Bewegung, welche das deutſche Boll damals ergriffen hatte und 
deren Wogen noch weit, weit in vie Jahrhunderte hinaus, bis in 
unfere Gegenwart und felbft noch über dieſe hinweg reichen. 
Behaupten wir nun um deßwillen, daß jene großen geſchicht⸗ 
lichen Ereignifie überhaupt poetifch unfruchtbar gewefen find und 
daß die Literatur niemals einigen Nuten von ihnen gezogen? 
Nicht von weiten fommt uns eine jo verkehrte Behauptung 
in ben Sinn; die allerobexflächlichſte und’ lüdenhaftefte Kenntniß 
der Literaturgeſchichte würde hinreichend fein, fie zu widerlegen. 
Zwar den Befreiungskriegen ftehen wir noch zu nahe und find 
felbft noch -zu ſehr befhäftigt, wenn auch zum Theil unmifjend, 
ja mit Wiperftreben, die nothwendigen und unausbleiblichen Con» . 
ſequenzen dieſes Ereigniſſes zu ziehen, als daß wir über bie Ein- 
wirkungen deſſelben auf unfere Literatur ſchon ein vollftändiges, 
klares Urtheil haben können; vielleicht ſogar ift Die Zeit noch gar 
nicht gelommen, wo diefe Wirkungen felbft ſich änkern. “Dennoch 
mag ſchon hier daran erinnert werben, daß die ſchwäbiſche Dichter: 
ſchule, dieſe reinſte umd nationalfte Form unferer romantiſchen 
Epoche, weſentlich in den Freiheitskriegen wurzelt. Auch die 
deutſche Alterthumswiſſenſchaft, dieſe unſchätzbare Errungenſchaft 
ber Gebrüder Grimm und ihrer Mit- und Nachſtrebenden, iſt eben⸗ 
falls unter dem Einfluß der Befreiungskriege entitanden — und 
was für neue und fruchtbare Quellen fi aus dem Schachte diefer 
Wiffenfchaft noch für unfere Dichtung erdffnen werben, wer will 


48 - Das Iahr Achtzehnhundertundachtundvierzig 


das heute ſchon ermeſſen?! Nur daß der Einfluß ebenſo gewal⸗ 
tig wie heilſam ſein wird und daß wenn irgendwo, hier der Anfang 
einer neuen, im höhern Sinn nationalen Dichtung liegt, das aller⸗ 
dings läßt fich ſchon jet vorausfagen. 
Was ferner die franzöfiihe Revolution betrifft, jo wäre 
weber die volfsthimliche Muſe Béranger's noch die ganze Schule 
ber franzöſiſchen Romantifer möglich gewejen ohne jenes Eteigniß. 
Der Idealismus des.alten Frankreich mußte erft gebrochen, die Hof- 
cirfel mit ihren fchöngeiftigen Weibern und ihren galanten Abbés, 
mußten erft bi8 auf die legte Spur zerſtreut und -vernichtet fein, 
bevor ein Sohn des Volks fo keck, fo frei in bie Saiten greifen 
und fi ven Beifall ganz Frankreichs damit erobern Fonnte; bie 
franzöftfchen Armeen mußten erſt den halben Erdkreis über- 
ſchwemmt, die Pferde ver Kofafen erft aus ver Seine getrunfen haben, 
bevor das nationale Vorurtheil, das Franfreich bis dahin von 
jeder Kenntnif fremder Literaturen zurüchielt, überwunden und aus 
dem geſchmackbeherrſchenden Frankreich ein Schüler der Deutfchen 
und ber Britten ward; die Autorität in ihren verſchiedenſten Ge⸗ 
ſtalten mußte erſt gebrochen, die Baftille erſt gefchleift werden, be- 
vor man das Joch zu brechen wagte, mit welchem das Anfehen ver 
franzöfifchen Akademie auf der Literatur des Landes laſtete. — 
Und befanntlich hat die Fiterarifche Umwälzung mit viel größeren 
Schwierigteiten zu kämpfen gehabt und ift verhältnißmäßig viel 
langſamer vor ſich gegangen, als bie politifche; nad) ver Wiever- 
herftellung des mittelalterlichen Feudalismus ſehnt ſich in Frank⸗ 
reich Niemand, ſelbſt nicht die gegenwärtigen Machthaber, wol aber 
war das vereinzelte Auftreten einer genialen Schauſpielerin genügend, 
ver klaſſiſchen Tragödie der Corneille und Racine, welche die 
Romantiker längſt beftattet zu haben meinten, neues Reben einzu- 
hauchen, allen Bictor Hugo's und Alerander Dumas’ zum Trotz. 











und bie beutfche Literatur. 49 


‘ Die literarifhen Nachwirkungen der Reformation endlich 
find fo weitreihenn und jo anerkannt, daß es vollkommen über⸗ 
flüffig wäre, wollten wir uns bier noch dabei aufhalten. Nicht 
bloß die deutſche Literatur, die Literatur der Welt bat diefe Nach⸗ 
wirkungen verſpürt; nicht bloß Leſſing und Herder, Schiller und 
Goethe, Kant und Hegel, auch Shafefpeare hätte ohne die Sorine 
ver Reformation niemals das Licht des Tages erblidt. Wohin: 
wir auch fehen auf dem Gebiet der Kunft und der Wiffenihaft — 
von ven praktiſchen Gebieten gar nicht zu ſprechen — überall 
begegnen wir dem Einfluß ver Reformation; fte ift das große 
Centralfener, das bie ganze moderne Welt erwärmt und deſſen 
Wirkungen wir überall verjpüren; ibe den Rücken kehren, beißt 
vom Leben felber ſcheiden, währenn fie ſelbſt auf Diejenigen, vie 
ihre ſegnenden Strahlen nur durch Widerfpiegelung aus zweiter 
und dritter Hand empfangen, noch eine Fülle des reichſten Wohl- 
feins ergießt. Beweis dafür bie italienifche und bie einft jo hoch⸗ 
ſtehende ſpaniſche Literatur, vie nicht nur beide in demfelben Maße 
abgeftorken und verfümmert find, wie Italien und Spanien von 
ber Berührung mit der Meformation zurüdgehilten wurben, fon= 
bern die auch das Wenige, was fie in neuerer Zeit überhaupt noch 
hervorgebracht. haben, lediglich dem Einfluß des proteftantifchen 
Geiftes (durch Bermittelung ver franzoſiſchen, engliſchen, deutſchen 
Literatur) verdanken. 

— Und unn betrachte man auch die Kehrſeite der Medaille. Wir 
haben noch ein Beiſpiel anzuführen, das aber in der That alle 
übrigen entbehrlich macht: Shaleſpeare. Auch Shaleſpeare, dieſer 
größte aller Poeten, dieſes leibhaftige Vuch der Natur,” vor 
dem alle übrigen Dichter zurücktreten müſſen, felbft auch Bater 
Homer mit all feiner Einfalt und lindlichen Erhabenheit nicht aus⸗ 
genommen, iſt auch weder umter ven Gräueln ber Burgerkriege— die 


Brug, die deutſche Literatur der Gegenwart I. 


4 


50 Das Jahr Achtzehnhundertundachtundvierzig 


fein Baterland Fe lange zerfletfchten, noch im Beitalter der eng⸗ 
liſchen Revolntion geboren, ſondern nach jenem und vor dieſem, in 
dem glorreichen Zeitalter der Königin Eliſabeth, in der eigentlichen 
Blütezeit des: „alten luſtigen England“, auf ber Grenzſcheide zwiſchen 
Lem Mittelalter. und der modernen Welt, in einer Epeche, bie noch 
bie ganze Unbefangenheit und Neivetät, ven ganzen Warbennerh- 
thum und Das volle finnlihe Behagen des erſteren befaß, waͤhrend 
gleichgeitig der Gedankenreichthum ber wodernen Zeit und ihre fie 
fen-geiftigen Kämpfe bereitd die Stirn des großen Dichters furchten. 
Nur einer folhen. Zeit, -bie in ſich fo harmoniſch, fo durchaus 
befriedigt war, wte dad damalige England unter dem Gcepter 
feiner jungfräulichen Königin, die wir jest freilich aus unferer'ge= 
ſchichtlichen Perſpective etwas anders betrachten als ihre Zeitgenoffen 
— ner einen ſolchen Zeitalter konnte es vorbehalten fein, dieſes 
„Wunder der Welt“ zu erzeugen. Ja mit dem Inſtinct des Poeten 
wandte Shakeſpeare ſich ab von den beginnenden Vorboten jener 
religiöſen und politiſcher Umwälzung, die dann ein Menſchenalter 
nach dem Tode des Dichters mit dem blutigen Tage von Whitehall 
ihren Höhepunkt erreichte: ſie ſtörten ihm die ſchöne Ruhe, diefe puri= 
taniſchen Grillenfänger, fie verfinſterten ihm mit ihrem politif- 
theologifchen Parteigezänf den heitern Aether, in: welchem. ber 
wahrhaft große und glüdliche Künſtler aller gedeihen kaun. — 

Wird nım das Jahr Achtundvierzig bei uns dermaleinſt von 
ähnlichen Literarifchen Rachwirkungen begleitet fein‘, wie. vie eben 
beſprochenen Ereigniſſe? a— 

Wirklich beantworten würde dieſe Frage nur derjenige können, 
ber das Buch der Zufunft aufgefchlagen nor fich hätte und der nament- 
lich darüber gewiß wäre, ob und welche politiſchen und gejelliehaft- 
lichen Folgen das Zahr Achtundvierzig nach ſich ziehen wird. Sollte 
daſſelbe wirklich nur, wie die Reaction uns gern glauben machen 


und die deutſche Literatur. 51 


will, von „Literaten, Polen und Juden“ angeftiftet fein, ift es 
wirklich nm ein Rauſch, eine Berirrimg geweſen, wie die Falſch⸗ 
münzer ver Gefchichte und fo gern überreden möchten — ja dann 
allerdings, danu wird dies „tolle Jahr” auch an der Literatur jo 
wirkungslos und unfruchtbar voräbergehen, wie an unſerer Geſchichte 
überhaupt. Iſt es Dagegen, wenn auch wielleicht in noch fo ver- 
kehrier Form und mit noch fo garftigen Auswüchſen behaftet, den⸗ 
noch der erſte Anfang einer neuen Epoche in der Entwidelung amferer 
Nation geweſen, haben wir iu jenem verhãngnißvollen März wirklich 
die eriten, wenn auch noch fo ungeſchickten, noch fo flolperigen 
Schritte zur Einftigen Einheit und Größe des deutſchen Baterlandes 
gethban, num ganz, gewiß, fo werben auch vie Folgen für unfere 
Literatur wicht ausbleiden. Denn im Ganzen und Großen geht 
pie Piteratur immer venfelben Gang wie das Leben, nur daf- fie 
zuweilen etwas voraußseilt und wieder ein andermal etwas zuräd- 
Bleibt; es find bie eigentlich Haffifchen, die goldenen Zeiten, wo 
beides unmittelbar zufammenfällt ind diefer, wie man weiß, hat 
es bei allen Völkern nur ſehr wenige gegeben, ja einige find vers 
tofchen uud zu Grunde gegangen, ohne daß die Sonne eines ſolchen 
goldenen Zeitalters ihnen jemals geleuchtet. | 
Welcher von beiden Aaffaffungen in Vetreff des Jahres Acht⸗ 
anbpierzig und feiner gefchichtlichen Bebeutung ver Leſer ſich nun 
zuneigen will, das müfſen wir natürlich dem eigenen Geſchmack 
deſſelben überlaſſen. Wir für unſer Theil hegen die Ueberzeugung, 
daß, von fo viel Widerwärtigem und Fratzenhaftem pas oftgenannte 
Jahr auch begleitet war und in fo vielen Punkten wir für den 
Augenblick auch noch hinter dem März Atunrpsierzig zurüdge- 
fchleudert fcheinen, daſſelbe Doch in ver That ber Beginn einer 
neuen Epoche geweſen ift — einer Epoche, in ber es ſich nun ausweiſen 
muß, ob die deutſche Nation Aberhaupt zu politiſcher Größe berufen 
m 


52 Das Jahr Achtzehnhundertundachtundvierzig 


und befähigt. iſt oder nicht und die und daher auch zu einer nie ge= 
kannten Macht und Größe oder aber zu einem jühen und vollſtän— 
digen Untergange führen wird. 

Wir ſtützen aber dieſe unſere Anſicht darauf, erſtens daß die 
Weltgeſchichte überhaupt kein Puppenſpiel iſt und daß Gott, die 
Vorſehung, das Schickſal, die innere Vernunft der Dinge, gleichviel 
wie wir e8 nennen — furz, daß dieſes geheime und unfaßbare 
Etwas, das die Wege der. Völfer lenkt und ihre Geſchicke beftinumt, 
ein ſchon in feinen unmittelbarften Folgen fo großes und erjchttern- 
bes Ereigniß, wie die Revolution des Jahres Achtundvierzig, gar 
nicht zugelaſſen hätte, wäre es nicht feine Abficht, noch andere und 
großartigere Folgen daraus abzuleiten. Schon im gewöhnlichen 
Berkehr von Einem zum Andern betrachten wir es als jelbfiver- 
ſtändlich, daß Jeder bei dem, was er thut, auch feine beſtimmie 
Abſicht hat und fehen in dem Mangel dieſer Vorausſicht ein ficheres 
Zeichen von Yeichtfertigfeit oder Verſtandesſchwäche. Und von 
der Weisheit ver Gefchichte wollten wir geringer denken? Und 
ihr wollten wir zutrauen, daß fie Ströme Blutes vergießt und 
ganze Reiche umwälzt und das Wohl von Millionen erichättert — 
warum? etwa bloß, damit ver Zufchauer ver „Kreuzzeitung“ und 
feinesgleihen Recht. behalten, vie in ver Revolution mur ein 
„Strafgericht Gottes“ erbliden, beftimmmt, ven Troß ver Völfer zu 
brechen, und die Großen der Erde zur Wachſamkeit zu ermahnen ? 
Möglich, daß dieſe Auffaffung fih auf irgend ein Bibelwort ſtützt; 
wir für unfer Theil vermögen darin nur eine Blasphemie zu er- 
bliden. . - 

Unfer Glaube. gründet, ſich aber auch zweitens darauf, daß, 
gegenüber ven vielen wirklichen und vermeintlihen Nüdfchritten, vie 
wir feit dem Jahre Achtundvierzig gemacht haben, ein offenes, von 
feinem Vorurtheil verdunkeltes Auge doch noch eine viel gräßere 











und bie deutfche Fiteratur. 53 


Menge ſolcher Punkte gewahr wird, in denen wir in nachmärzlicher 
Zeit die wejentlichften und unzmweidentigiten Yortfehritte gemacht 
haben. Dieſelben bier im Einzelnen aufzuzählen over gar bes 
näheren zu beleuchten, würde dem Zweck dieſes Buches wider: 
ſprechen. Wir begnügen uns daher nur, an die Aufhebung ber 
Cenſur (mir fagen nod nicht: die Entfeflelung der Breffe: — dem 
wie bie Erfahrung gelehrt hat, fo ift das unter Umftänden noch 
zweierlei), ferner an die Einführung der Geſchwornengerichte, wenig- 
ſtens in einem großen Theile Deutſchlands, desgleichen an -die 
größere Einheit, die wir anf dem Gebiet der materiellen Intereſſen 
erlängt haben und andere allbefannte Thatſachen ähnlichen Schlages 
zu erinnern. Ja wenn wir dem März Achtundvierzig nichts weiter 
verbankten, als daß der größte reindeutſche Staat, zugleich ver 
größte proteftantifche Staat Deutfchlands aus der Bahn des Ab- 
ſolutismus in diejenige einer verfaffungsmäßigen Entwideling 
binübergelentt hat, wie dieſelbe nun auch für den Augenblid fein 
mag — fe würde dies nach unferm Dafürhalten allein ſchon hin- 
reichen, den genannten Monat zu. einem jeven deutſchen Patrioten 
tbeuren und gefegneten zu machen. 

Aber auch in der Titeratur werben die Spuren einer derartigen 
Einwirkung ſchon jetzt keineswegs völlig vermißt: Freilich find die⸗ 
jelben zum großen Theil noch jehr ſchwach, ja bei einigen kann man 
fürs erfte noch in Zweifel darüber fein, ob fie ver Literatur zum 
Bortheil oder zum Nachtheil gereihen. Aber genug, fie find de, 
umb beuten, felbjt auch in ihrer gegenwärtigen unfertigen und un- 
fchönen Geftalt, jevenfal® auf eitte weitere Entwidelung: ver her⸗ 
ben Knospe gleich, unter deren umfcheinbarer Hülle das Auge bes 
Gärtners ja auch ſchon die fünftige Frucht erkennt. 

Sehen wir uns biefe erften, ungemiflen Spuren denn etwas 
näher an. Ä 


L 


54 Das Jahr Achtzehnhundertundachtundvierzig 


Zunůchſt ift es eine Thatjache, vie felbft ver flüchtigſte Blick 
in unfer dermaliges Titerarifches Treiben erlennen läßt, daß jene 
Iſolirung ver Schriftfieller vom Volle, jened vornehme Zurück⸗ 
ziehen des Antoren auf ſich jelbft, das namentlich zur Zeit unjerex 
romantiſchen Schule in Blüte fand, von dem aber auch unfere 
Haffiiche Epoche leineswegs völlig freizuſprechen iſt, gegenwärtig 
vollſtändig aufgehört hat. Am ſichtbarſten wird dies in der wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Literatur, Die wir durchweg von einem wahrhaften Yana- 
tismus ergriffen ſehen, populär zu werden um jeven Preis. ‘Der 
frühere Gelehrtenhochmuth, durch ven mir unter ven Nationen Eu- 
ropas noch bis vor Kurzem fo übel berufen waren und mit dem 
das Ungeſchick unferer Gelehrten, ſich dem Volle verſtändlich zu 
machen, Hand in Hand ging, droht völlig auszufterben; nicht bloß 
unfere Naturforfcher, auch unfere Geſchichtſchreiber, unſere Literar⸗ 
hiſtoriker, unſere Aeſthetiker, unſere Archäologen, ſelbſt unſere 
Philoſophen, wenn wir deren noch hätten, alles ſchreibt jetzt „Fürs 
Volk,“ alles legt feine Bücher jo an, daß fie auch der großen 
Menge zugänglich und verſtändlich find. 

Ganz ohne Widerſpruch läuft auch dabei wieder viel Ber: 
kehrtes und Thörichtes mit nuter. Die Wiflenfchaft popularifirt 
fich ftellenmeife dermaßen, daß fie nahe an das Triviale ftreift; 
auch giebt es fo gut eine Art, vem Volle zu ſchmeicheln als den 
Vürften und vielleicht ift jene noch widerwärtiger und noch entfitt- 
lichender als dieſe. Im Ganzen aber ift der Fortſchritt, den wir 
im Lauf des leßten Jahrzehnts in Diefer Hinficht gemacht haben, 
doch unverkennbar und eröffnet die glücklichſten Ausſichten in bie 
Zukunft. Es kann hier, wo wir uns, wie früher erinnert, ledig⸗ 
lich auf die [höne Literatur. und deren Erzengiſſe beſchränken, wicht 
darauf ankommen, einzelne Namen. aufzuzählen: aber fo viel ift 
gewiß, daß unfere neu entſtandene populär⸗wiſſenſchaftliche Litera⸗ 


and bie beutfche Literatur.  - 55 


dur die erften und vorzüglichſten Namen aufzuweiſen hat, die 
unſere Literatur Aberhaupt befigt und daß bie glänzenbiten Sterne 
‚anjeres Iiterarifchen Himmels, biefelben Sterne, bie ſich ehedem in 
ſtolzer Einſamleit gefielen, es ſchon nicht mehr verſchmähen, “ihr 
mildes Sicht auch in bie Hutte des Armen und Unwiſſenden herab 
zu ſenden. 

Was nun fpeciell die jhöne Literatur anbetrifft, fo Tann. 
dieſer Drang nad Populariſirung im ihr allerdings weniger deut⸗ 
lich zu Tage. treten, ſchon um veßhalb, weil fie von Haus aus und 
ihrer eigenſten Natur nach populär iſt; die Poeſie iſt die eigent⸗ 
liche Sprache des Volls und wo das Volk es verlernt fie zu ver 
ſtehen, oder wo es müde wird ihr zu hovchen, da tragen. allemal 
die Poeten jelbft die Schule. 

Den Poeten der Gegenwart nun, wie groß ober fein, wie 
gut oder ſchlecht fie fein mögen, muß man wenigſtens dies Zuges 
ſtändniß machen, daß fie fich viefer ihrer volksthümlichen Be 
ftimmung bei weitem bewußter find und dieſelbe viel fefter tm Auge 
behalten, als es wol von ven Dicktern früherer Epochen geſchehen 
if. Eime Literatur ber Salons, ver erchwfiven-Kreife, wig fie kurz 
vor Achtundvierzig noch in fo üppiger Blüte ſtand, exiftirt ‚bei 
und eutweder gar nicht mehr ober iſt Doch in ver Hauptfache dem 
Fleiß des Buchbinders überlaſſen, ver die dahin einſchlagenden 
Producte durch Die gehörige Portion Goldſchamm amd Seidenzeug 
für den Geſchmack eines hohen Publicums appretirt. 

Auch- von jener „Literatur der Literatur,“ wie man-fle nicht 
unpaſſend genannt bat, jenen Novellen und Dranten, deren Helven 
Dichter und Kuͤnſtler find und in denen die Literatur gleichſam mit 
fich ſelber ſpielt, ift wenig oder nichts wiehr zu verfplren. Diefelbe 
hatte bei uns zu zwei verfchiebenen Malen in ler geftanden und 
‚war nicht nur von den Scyeiftitelleen jeibft mit großen Eifer an- 


56 Das Jahr Achtzehnhundertundachtundvierzig 


gebaut, ſondern zum Theil auch vom Publieum mit lebhaften 
Beifall aufgenommen worben: einmal zur Blütezeit ver Romantik, 
da beſonders die Künftlervramen der Oehlenſchläger, Kind ꝛc. Die 
Thränendrüſen in Bewegung: fetten, und dann wiederum in ven 
dreißiger Jahren, zur Zeit des fogenannten jungen Deutſchland, 
das fich ſelbſt wiel zu intereſſant vorkam und auch auf feine Heinen 
Martyrien einen viel zu hohen Werth legte, als daß es die Helen 
feiner Novellen und Erzählungen, lauter blaffe ſchnurrbärtige junge 
Männer mit viel Weltſchmerz und einer außerorbentlichen Fähig- 
feit zu lieben, nicht vorzugsmweife aus dem Stande der Schriftfteller 
und Künftler hätte entnehmen follen. Diefe Novellen freilich 
fanden beim Publicum nur wenig Anklang; auch waren fie eigent- 
ih gar nicht für das Publicum, ſondern für ven Fleinen Kreis 
der Eingemeihten, für die Herren Collegen von der Feder, vorzugs⸗ 
weife aber für die jungen und alten Damen gefchrieben, die nod) 
gutmütbig und unerfahren genug waren, für Dichter und Künftler 
als folhe zu ſchwärmen. Defto glüdlicher waren einige Schrift- 
ſteller derſelben Richtung, als.“ fie daſſelbe Thema einige Jahre 
jpäter, nur in etwas gemilverter Faſſung und mit dem: Vortheil 
eines befannten hiſtoriſchen Coftüms, auf die Bühne verpflanzten. 
Einige dieſer Stüde erwarben ſich lebhaften Beifall und haben fich 
zum Theil bis jest auf dem Repertoire behauptet; auch dürften fie 
leicht das Beſte fein, was die betreffenden, Schriftfteller gejchrieben 
haben. - J 

Jetzt, wie geſagt, iſt dieſe Mode vorüber und wo ja noch 
etwas davon auftaucht, da geſchieht es weit weniger, um den Stand 
ver Schriftſteller und Künſtler in eitler Selbftbefpiegelung zu ver- 
herrlichen, als vielmehr um die Widerſprüche und Eohflicte nach- 
zuweilen, in welche einzelne PBoeten nnd Künftler in Folge ihrer 
unpraftifchen und träumerifchen Natur mit der Wirklichkeit ges 








und-bie beutfche Literatur. 57 


rathen; es find alfo mehr Zugeftännwifle, die mau dem, praftifchen 
Charakter unſers Zeitalters macht, als daß es dabei auf eine 
Darftellung des literarifchen und tünftlerifchen Treibeus ſelber | 
abgefehen wäre. 

Wohl aber giebt ſich in der Literatur der Gegenwart ein Be- 
ftreben fund, aud) den puetifchen Erzeugniffen ein fo großes Publi- 
cum wie nur immer möglich zu verſchaffen. Einiges davon mag 
wieder dem induſtriellen Charakter dieſes Zeitalters zuzuſchreiben 
ſein; unſere Poeten wollen ſich durch die Gelehrten nicht ganz vom 
Markt der Literatur verdrängen laſſen, ſie wollen zeigen, daß fee 
ebenfalls „für das Volk“ zu ſchreiben verftehen. 

Zum Theil freilich fallen ihre Berfuche ziemlich wunderlich 
aud. Die Einen apotheoftren ven Handel mit Kaffee und Syrup, 
zeigen an grauslichen Berjpielen, wie man durch ven Verkehr mit 
Speculanten und Wucherern ins Unglüd gerathen kann und daß es 
unter den Juden fehr viele. fchlechte Menſchen giebt, verhältniß⸗ 
mäßig ungefähr eben ſo viel, als unter ven Ehriften, und wollen 
uns binterbrein’überreven, fie hätten „das dentfche Vollk bei feiner 
Arbeit aufgefucht:” Andere wieder verlegen eine beliebige Herzens. 
gejchichte, gerade fo abgedroſchen und langweilig, wie fie ehedem 
zwiſchen Gräfinnen und Baronen fpielten, unter die Viehmägde 
und Bauerburſchen, radebrechen dazu in einigen möglichen und _ 
verfchiedenen unmöglichen Dinleften, fpiden. das Ganze, um ihm - 
ven legten Hautgont zu geben, mit einigen Dutzend Sprichwörtern, 
bie fie fi aus irgend einer gelehrten Sammlung zufammengelefen 
haben und wollen uns nım ebenfalls einveden, fie hätten uns „das 
deutſche Boll“ gefchilvert „wie es if.” Noch Andere fehildern pas 
Bolt allerdings wie es ift, aber nur von feiner Schattenfeite; fie 
ftürzen fich in die Kloake unjerer großen Städte, durchwühlen bie 
Dinfterion der Zuchthäuſer und anderer übel berufener: Dexter, 


58 Das Jahr Achtzehnhundertundachtundvierzig 


excerpiren wie Gerichtözeitungen, - drehen ein haarſträubendes Be 
ſpinnſt aus Mord⸗ und Diebs- und Meineidsgeſchichten — und 
ſiehe da, der „deutſche Sittenroman“ ift fertig. 

Große Verkehrtheiten das alles, ohne Zweifel, und dennoch 
liegt auch ihnen wieder ein gewiffer, wenn auch noch fe dumpfer, 
noch fo unverſtandener Ing zum Wahren und Richtigen zu Grunde. 
Das iſt das realiſtiſche Element, das allen dieſen Productionen, 
wie fratzenhaft ſie fh zum Theil auch anſehen, gemeinſam if. 

Wie es fich mit dieſem vegliftifchen Element im Allgemeinen 
verhält und daß es wenig Einſicht in das Wefen der Kunfl und 
noch weniger Geſchmack verräth, daſſelbe ver idealiſtiſchen Richtung 
unferer Eaffiicden Epoche mit derjenigen infeitigfeit entgegen zu 
ſetzen, wie, es jetzt von gewiflen kritiſchen Autoritäten gejchteht, 
das haben wir zum Theil fchen in unferer Einleitung angedeutet. 
Der ganze Streit zwifchen Realismus und Idealismus, ber jetzt 
auf den verjchienenen Gebieten ver Kunſt fo viel von ſich reven 
macht, ift überhaupt, bei Lichte befehen, ein ſehr müßiger; nur 
Zeiten, die über füch felbft jo im Unklaren find und noch dermaßen 
am ihren eigenen Inhalt ringen wie die umfere, können eine fo müßige 
Fehde mit einem ſolchen Eifer und ſolchem Aufwand von Oelehrfans- 
feit führen. Hoffentlich wird es ſchon dem nächſten Geſchlecht damit 
fo gehen, wie. es jetzt una mit dem berühmten Streit zwiſchen Gott- 
ſched und ven Schmeizerit um Mitte des vorigen Jahrhnuderts geht: 
man wird gar nicht begreifen Türmen, um was der Streit ſich eigent 
Ich gedreht hat und wird fchliehlich zu ver Einſicht kommen, aß beide 
Parteien gegenfeitig mehr gegen Luftgebilde als gegen Realitäten 
gefochten haben. Der wahren Kunft ift ver Idealismus eben fo 
unentbehrlich alB ber Realismus: denn was if} alle Kunſt ſelbſi 
anders, als bie ideale Verklärung des Reale, die Aufnahme und 
Wiedergeburt der Wirklichkert ir dem ewig mvergänglichen. Reiche 





und die deutſche Literatur. 59 


des Schönen? Welche Seite in einem beftunmten Kunſtwerk und 
weiterhin in einem ganzen beftimmten Zeitalter überwiegt, Das wird 
eben fo fehr von ver Befähigung und dem Charakter des einzelnen 
Künftlers, als von dem Genius des Zeitalters im Allgemeinen ab- 
hängen. (Entbehrt, wir wieberholen es, Tann keine von beiden 
werben; weder ber abfracte Idealismus, der ſich um bie Wirklich“ 
fert der Dinge nicht kümmert, kann ein Kunſtwerk ſchaffen, noch 
zagt der brutale Realismus, der nichts meiter weiß, und will als 
eben dieſe gemeine Wirklichkeit der ‘Dinge, jemafs hinauf in. bie 
beiteren Höhen ver Kımfl. Das vollendetſte Kunſtwerk wird aber 
allerbings immer dasjenige fein, in welchem beide Seiten, die reale 
wie die ideale, fih am vellftändigften deren und am gleichmäßigften 
zu ihrem Rechte fommen. Es ift das Ei des Columbus: nur daß 
pie handwerksmäßige Tagesfritif, Die ja immer ein möglich wor- 
nehmklingendes Stichwort haben muß, um ihre eigene Gedanken⸗ 
leere zu verbeden, untürlich ihr ganz fpecielles Intereſſe darin findet, 
diefe an fid) ſo einfache Frage und bamit zugleich den unbefangenen 
Sinn des Publicums mit hochtönenden Drafelfprächen zu: verwirren. 

Was nun die Poeten ver Gegenwart anbetrifft, fo ſchweifen 
viefelben für ven Augeüblick mehr nach der realiftifchen als nach 
der idealiſtiſchen Seite, hin and. Es liegt dies theils wieder an 
bem überwiegend praftifchen Eharafter unferes gefanumten Zeit⸗ 
alters, theils auch Darin, daß bie. Dichter der früheren Epoche, 
insbeſondere andy die großen Dichter unſerer Haffifchen Zeit, dieſe 
realiftifehe Seite weniger angebaut, zum Theil jogar über Gebühr 
zernachläffigt haben. Die lebende Generation finvet hier alfe 
nicht nur ein freies. Feld, auf dem fie den Bergleich mit unſeren 
Haffifchen Dichtern weniger zu fürchten bat und auf dem es ihr 
daher verhältnigmäßig Teichter fällt Lorbeeren zu erringen, ſonderu 
fie findet hier auch Belegenheit, eine Einfeitigkeit zu berichtigen und 


60 Das Jahr Achtzehnhundertundachtundvierzig 


einen Mangel zu ergänzen, ven ihre Borgänger fi) haben zu Schul= 
den kommen laſſen. | 
Und wenn fie dabei num ihrerſeits wiederum das richtige 
Maß überfchreiten und aus Iauter realiftifchen Eifer zum Theil 
in das Ordinäre und Widerwärtige verfallen, fo liegt auch ein 
ſolches Uebermaß wiederum zu fehr in ber menſchlichen Natur, als 
daß wir fie darum beſonders hart anflagen möchten. Die Ge— 
ſchichte ſorgt ſchon dafür, daß jedes Uebermaß feinen Zügel, jener 
Irrthum feine Berichtigung findet, und wie in der Natur jenes 
reißende Thier auf ein anderes noch reißenderes trifft, fo wird 
auch in Literatur und Kunft eine Uebertreibung regelmäßig durch 
eine andere noch größere wieder wett gemacht. Das Wejentliche 
der Poefie und Kunft ift dabei fo wenig betheiligt und hat davon 
fo wenig zu fürchten, wie Die ewige Ordnung der Natur durch Die 
Maſſe der reigenden Thiere geftört wird, die einander verſchlingen; 
wir wäünjchen ven letsteren gegenfeitig guten Appetit und auch ven 
Ausſchweifungen und Irrthümern unferer Poeten fehen wir mit 
Gelaſſenheit zu, weil fie Bas ewige Licht der Schönheit ja doch 
nicht auf die Dauer verfinftern können. — - 
In nahem Zufammenhang mit viefem populären Eifer unferer 
Boeten einerfeits, f 0 wie mit dem Borwiegen des realiftifchen Ele⸗ 
ments anbererfeits fteht ferner die Wahrnehmung, daß gewiſſe bis 
vahin fehr beliebte Gattungen der Poefle in neuefter Zeit viel weniger 
angebaut werben, während andere bis dahin fehr wenig benichtete fich 
einer ungleich forgfältigeren Pflege zu erfreuen haben. So wird 
namentlich ein Zurücktreten der Lyrik bemerkt, während die epifchen 
Gattungen, von dem Zwittergeſchöpf des erjählenden Gedichtes 
bis hinauf zum drei⸗, vier⸗, ja neunbändigen Roman, mit einem 
bis dahin ganz ungewohnten Eifer angebaut werden. 
Wir laflen dabei den Werth ver einzelnen Producte zuvörderſt 





und die deutſche Literatur. 61 


völlig aus dem Spiel und faſſen nur die Thatſache als ſolche ins 
Auge. Und da glauben wir dieſelbe denn als eine ganz erfreu⸗ 
liche bezeichnen zu dürfen. Allerdings wird die Lyrik, dieſe eigent- 
liche Poeſie des Herzens und ſeiner Empfindungen, niemals aus⸗ 
ſterben, fo lange es eben noch Herzen giebt, die einer warmen und 
innigen Empfindung fähig find. Unſere Rritifer haben gut. vie 
Naſe rümpfen, unfere Literarhiſtoriker, die all dieſen lyriſchen Sing⸗ 
fang. zu Buch bringen ſollen, gut die Hände ringen über dieſe 
Fluth von Liebeslievern und Frühlingsliedern und Trinkliedern, 
bie von allen Seiten herbeigeſtrömt kommt und. mit jedem Tage 
höher fleigt und raufcht und wogt und fich überftärzt, „als wollte 
das Meer noch ein Meer gebären‘; jo unbequem biefe Lieder euch 
Aeſthetilern von..ver Schulbank auch find, fo wohlbexechtigt ſind 
fie und fo unfterhlih. Wie jeder neue Frühling neue Blumen und 
neue Lerchen bringt und wie jelbft ver Greis am Stabe, der dieſe 
Wiederkehr des Yrühlings mit fernen Blumen und Liebern ſchon 
achtzigmal gefehen hat, ſich dennoch glüdlih ſchätzt und es als 
eine hohe Gunft des Himmels. betrachtet, daß er daſſelbe auch noch 
zum einundachtzigſten Male erleben darf: fo bringt auch jedes neue 
Geſchlecht feine neuen Frühlings⸗- und Liebespichter hervor, fo 
lange noch ein Becher ſchäumt, eine Roſe duftet, noch ein ſchönes 
Mäpdenauge winlt — umd verräth es daher eine mehr als. grei- 
ſenhafte Morefität, wenn man viefem ganz natürlichen und echt 
menſchlichen Treiben durch kritiſche Machtſpruche ein Ende fegen will. 

Etwas anderes freilich ift e8, wenn die Frühlingsſänger, 
denen wir alfo ihre Eriſtenz an fich von Herzen gönnen, entweder 
falfche Tonarten-fingen oder aber wenn fie fich einbilden, im Mit- 
telpumft der Welt zu figen und Niemand auf Erden hätte etwas. 
Wichtigered und Dringenderes zu thun, als ihrem Gezwitfcher zu 
horchen. In diefem Betracht ift denn Das Zurücktreten der Lyrik, 





69% Das Jahr Achtzehnhundertundachtundvierzig 


das wir in diefem Augenblick bemerken, für die Boeten felbft ganz 
zwedmäßig und heilfem und auch das Bublicum kann nur dabei 
gewinnen und wäre e8 auch nur deßhalb, weil vie oft vernommenen 
Melodien durch die nunmehr entftehende Pauſe wieder einiger⸗ 
maßen neu werden und alſo an Reiz und Aanehmlichleit ge 
winnen. 

Der Vortheil ſigert ſich aber: od daburch , daß unfere 
Dieter in demfelben Maße wie fie fi} von der Lyrik mehr und- 
mehr abwenden, Rd der epifchen Diektung zufehren. Es war 
dies auch eines von ben Schlagworten der vormärzlicden Literatur, 
diefer Vorzug, welchen bie epifche Poeſte vor ber lyriſchen behauptet 
und daß 28 nur eines-großen pokttifchen Anſtoßes, einer großen, 
weltbewegenden That bedürfe, nm Die verſteckten epifchen Keime, 
bie in den Köpfen umferer Dichter ſchlummerten und die natürlich 
vie garftige Vettel, die Eenfur, wieder nicht zer Blüte kommen 
ließ, zur fehönften und glücklichften Entfaltung zu bringen. 

Nun, werm es ſich nur um Dichtungen hanvelt, Die ſich ſelbſt 
als epifche bezeichnen, gleichwiel wie fie find, fo hat das Jahr Acht⸗ 
undvierzig im biefem Punkte allerdings einmal Wert gehalten. 
Eine genanere Prüfung wird allerdings ergeben, vaß ein großer 
Theil diefer angeblichen - epifchen Dichtungen mit vem wahren 
Wehen der epiſchen Poeſie gerade fo viel zu tun hat, wie mit Der 
Poeſie überhaupt, nämlich gar nichts, und daß ed nur eine Sache 
der Mode ift, wenn unſere jungen Dichter jett mit einem Bänd- 
hen „Exzählender Dichtungen“ debütiven, wie wir Andern vor 
zwanzig und dreißig Jahren mit lyriſchen Gedichten vebütirt haben. 
Immerhin erkennen wir an, daß auch darin wieder ern gewiſſer 
Fortfchritt liegt, und daft fich darin ein gewiſſes Bewußtſein von 
dent Vorzug der epifchen Poefte kund giebt, wenn vergleichen 
überhaupt nur zur Modeſache werden kaun. Mar ftubirt eine 








und bie beistfehe Literatur. 63 


Zeit wicht bloß in ihrer großen und glänzenven Eigenſchaften 
ſondern eben To ſehr und vielleicht noch mehr auch in ihren Thor- 
heiten: und Wicherlichkeiten, und wenn wir ben Moden, die Schneider 
und Putzuracherinnen unter und aufbringen, eine gewiſſe kultur⸗ 
hiſtoriſche Bedeutung nicht abfprechen, warum jollten wir uns dem 
gegen vie Moden ver Literatur fo gar ſpröd und ablehnend zeigen ? 

Eine weitere und, wie ung durnkt, ebenfalls höchſt erfreuliche 
Folge dieſes Zurücktretens des fubjectiven Elements erfennen wir 
ferner darin, daß bie literaxiſchen Streitigleiten and Fehden, nee 
früher einen fehr breiten Raum in unferer Literatur einnahmen, 
gegenwärtig faft völfig verſtummt fire. Freilich rührt dies großen 
Theils mit von ver veränderten Stellung ber, welche bie Literatur 
überhaupt bei uns einnimmt. Die Literztur Hat in ven. legten 
zehn Jahren fehr au Werth. und Anſehen verloren, darüber dürfen 
wir uns nicht täuschen, brachen es aber auch nicht’ zu then, weil 
es, rechwerſtanden, eine Erfcheimung, ", bie wiederum zu ben er⸗ 
frenlichen gehört. 

Denn in ventfelben Moe, mie die Literrtur rei uns verloren, 
hat das Leben au Anſehen und Bebentung gewonnen. Das ein⸗ 
feitige Intereffe, was wir im vormärzlicher Feit den literariſchen 
Zuftänden und PBerfönlichleiten wiremeten, war doch im Grunde 
xur em kläglicher Rothbebeif für pas mangeluve politifche In⸗ 
tereſſe. Schauſpieler nud Schriftſteller theilten dazunial bei ms 
das nach den damaligen Begriffen wenig ehrenvolle Privtlegennt, 
Öffentliche Perſonen zu fein und als ſolche auch dem öffentlichen 
Urtheil, ſei es lobend, ſei es tadelnd, zu unterliegen; aır diejeni⸗ 
gen, denen wir das Bad am liebſten gefegnet hätten, an die Mi⸗ 
niſter und Staatsmuͤnner, durften wir nicht heran, und fo ließen 
wir denm unſern ganzen Grimm und ganzen Durſt nach Oeffent⸗ 
lichkeit an den armen Schauſpielern und Literaten aus. Jetzt 


64 Das- Jahr Achtzehnhundertundachtundvierzig 


ift auch das anders geworben. Wir haben jebt, gleichviel unter 
welchen Beichräntungen, aber genug, wir haben ein öffentliches 
politifches Leben, wir haben nationale Intereffen, die wir öffentlich 
erörtern, wir haben auch Minifter, Minifterialräthe und ähnliche 
&ündenböde, auf die wir unſern Grimm ausfchütten dürfen; man 
braucht nicht mehr, wenn man ſich einen- hübſchen gefunden Aerger 
verfchaffen will, die Zänkereien zweier. fi) bekämpfender Schrift- 
fteller zn Iefen, ſondern jede beliebige Zeitung, Die wir zur Nach⸗ 
mittagslectäre in Die Hand nehmen, bietet ung den reishlichften und 
paſſendſten Stoff dazır. 

Damit ift denn das Imterefie, das wir den inneren. Kämpfen 
unferer Literatur bisher zuwandten, vollftändig entwurzelt, und 
ba man ohne Zufchauer feine Turniere zu- halten pflegt, fo haben 
damit auch Die Kämpfe und Fehden felbft ein ebenfo raſches wie 
natürliches Ende genommen; es verlohnt. fi) nicht mehr, einander 
bie Köpfe blutig zu fchlagen, da Niemand mehr ift, der unfern 
Siegen Beifall Hatjcht oder gar Thränen des Mitleids in unfere 
Wunden träufelt. Ueberhaupt ift der ganze Ton: umferer Literatur 
in dieſen legten Jahren bei weiten befcheivener, maßvoller, beinahe 
hätten-wir-gefagt, anftändiger geworben, wenn dies .nicht Die Sup⸗ 
pofition in fich ſchlöſſe, als wäre er früher zuweilen unanſtändig 
gewefen; vie Literatur fühlt eben, daß fie nicht mehr vie. erfie 
Stelle einnimmt und findet ſich in diefe ihre Degradation mit dem 
Anſtande und der edlen Yaflung, vie man entthronten. Ainigen 
fo allgemein nachzurühmen pflegt. 

Blicken wir nun. no einmal anf das Bisherige zuruch p 
müſſen wir allerdings einräumen, daß die Merkmale, die wir bie 
hieher beigebracht haben, mehr negativer als bofltiner Natur find; 
wir haben ‚mehr geſagt, was unſere Literatur nicht iſt, als was 
ſie iſt. 











und bie deutſche Literatur. 65 


Dies lettere, alfo Die pofitive Schilderung unferer gegenwär- 
tigen literarifchen Zuftände bilvet nun eben Inhalt und Aufgabe 
unferes Buches und fol damit zugleich das bier nur im Allgemein- 
ften Angeveutete weiter ausgeführt und begründet werben. 

Und zwar werben es zunächſt die Schiffule unferer politifchen 
Poefie fein, die uns bejchäftigen. Als die große Kataftrophe des 
Jahres Achtundvierzig über uns hereinbrach, fanden in unferer 
Literatur hauptſächlich zwei Gattungen in Blüte: die politifche 
Poefie und die Dorfgefchichte. Sehen wir denn zuwörberft, mas 
die nahmärzliche Zeit aus der erfteren gemacht hat und welche 
Entwickelung diejenigen Dichter genommen haben, die damals, als 
Bannerträger der politifchen Dichtung, auf der Höhe unferes Par- 
nafjes ftanden — oder doch zu ftehen fehienen. .. . 


Brup, die deutſche Literatur der Gegenwart. I. 5 


> 














II. 
Politiſche Dichter 


aus vor: und nachmärzlicher Zeit, 


5° 











v 


1. = 
Die politifche Boefie vor und nad dem Fahre 
Achtundvierzig. | 


Die politifche Boefte in Deutſchland Tann dieſelben Worte 
auf fi anwenden, mit denen die Helena in’ Goethe's Fauſt fich 
einführt: auch fie ift „viel bewundert, viel gefcholten.” Woher 
diefe widerſprechenden Urtheile ftarfimen und in wie weit das Lob 
ſowol wie der Tadel, die Bewunderung wie die Geringfhägung, 
welche ver politifchen Dichtung bei ung zu Theil geworben, in der 
That gerechtfertigt ift, das ift theils zur Blütezeit der in Rede 
ftehenden Gattung fo vielfach und von’ fo verſchiedenen Seiten her 
erörtert worben, theils hat der Berfaffer dieſes Wertes felbft ſich 
fhon an einem andern Orte fo ausführlih darüber vernehmen 
laſſen, daß dieſer Gegenftand hier füglich unberührt bleiben Tann. 

Nur an eine Thatjache fei e8 uns zu erinnern verftattet, bie, 
fo viel uns bekannt, bisher noch nicht die ihr gebührende Beachtung 
gefunden hat und bie uns doch bei der fchließlichen Würdigung unfe- 
ver politifchen Poefte, ſowie des Einfluffes, den fie auf das Publicum 
ausgeübt hat, von nicht geringer Bedeutung zu fein ſcheint. Das 
ift Die Thatfache, daß die politifche Poefie längere Zeit hindurch das 
einzige oder doch das vornehmfte und fräftigfte Band war, welches 
das Publicum überhaupt noch mit der Literatur der Zeitgenoffen 
verfnäpfte und ihm ein lebhafteres literarifches Intereſſe einflößte. 
Dean weiß ja noch, wie die Stimmung des Bublicums im Lauf 


70 Bolitifche Dichter aus vor- und nachmärzlicher Zeit. 


der vierziger Jahre bei und war. Es wer die Gefchichte Des 
Jahres Achtundvierzig im Kleinen; auf die gewaltige Begeifterung, 
mit welcher man ven Antritt des neuen Jahrzehnts begrüßt hatte, 
war eine eben fo gewaltige Ernüchterung und Abſpannung gefolgt. 
Der einzige und allerdings ſehr weſentliche Unterſchied war, daß 
man ſich damals noch mit der Hoffnung ſchmeichelte, früher oder 
ſpäter das große Lobs aus ver Pandorabüchſe der Revolution zu 
ziehen. Doc war dieſe Hoffnung bei Vielen, ja bei ven Meiften 
zugleich auch von einer ftillen Furcht begleitet; man venommirte 
weiplich mit dem „großen Ereigniß‘‘, das num nächftens hereinbrechen 
follte, fagte ſich doch aber bei allevem in der Stille felbft, daß dies 
„große Ereigniß“ vermuthlich auch nicht fo ganz glatt abgehen, fon- 
bern allerhand Unbequemlichkeiten in feinem Gefolge haben würbe. 
Und felbjt wo dies nicht der Fall und wo man bem bevor- 
ftehenden Umſchwung der Dinge nicht bloß mit einer Miſchuug 
von Furt und Schadenfreude, fonvern mit wirklicher männlicher 
Faſſung, ja mit ver Veberzeugung entgegenfahb, daß dieſe Ka⸗ 
taftrophe allein im Stande, den Gefchiden unferes Volks diejeni- 
gen Bahnen zu öffnen, die daſſelbe nothwendig wandeln müffe, 
wenn es überhaupt noch eine Zufunft haben folle — felbft da 
war, eben in Folge dieſer Meberzeugung, die ganze Erwartung 
ausſchließlich auf vie Zukunft. gerichtet, man ftand, fo zu jagen, 
- fortwährend auf ver Lauer, jeden Augenblid in bie Höhe fahrend, 
ob das lang verheißene Unwetter jet nicht enblich heveinbreche.. . 
Eine folde Stimmung mag an fid) jelbft ſehr poetiſch, fehr 
dramatiſch fein, aber dem unbefangenen Genuß ver Poefie ift fie 
nicht günftig. Daher verminderte fich denn auch das literariſche In⸗ 
terefle des Publicums von Tag zu Tag und zwar mit um jo größe- 
rer Schnelligfeit, je weniger die Schriftfteller ber dreißiger Jahre, 
jowie ihre nächſten Vorgänger, die Romantifer, es verſtanden 


Die pofitifche Poeſie vor und nach dem Jahre Achtundvierzig. 71 


hatten, ſich die Theilnahme des größeren Publicums zu erwerben. 
Auf vie literarifchen Zuftänve ber zwanziger und breißiger Sahre 
paßt recht eigentlih, was wir oben von einer „Literatur der 
Literatur” äußerten; fomp! die Romantiter wie das fogenannte 
junge Deutfchland Hatten nur für gewiſſe erclufive Kreife gefchrie- 
ben, ver Maſſe des Volle waren fte, fammt den von ihnen vertrete- 
nen Intereſſen, fremd und unverſtändlich geblieben. 

Biel zu der Verſtimmung des Publicums Hatte ferner das 
von der Kritik fo einftimmig verkündigte Dictum beigetragen, daß 
bie Zeugungskraft der deutichen Poefie ein für allemal erſchöpft 
fei und daß, nachdem Goethe und Schiller todt und Tied und 
Künkert alt geworden, Uhland aber in Stillſchweigen verfunfen, 
es fih um den Reſt gar nicht mehr verlohne. Das Publicum 
hatte diefe traurige Weisheit — und wir nennen fie traurig, weil 
ein Bolt, das. feine Poefie für todt umd erftorben erflärt, ſich 
felbft damit das Leben abſpricht — das Publicum, jagen wir, 
Batte dieſe traurige Weisheit aboptirt; nachdem man ihm fo 
oft und jo nachdrücklich wiederholt, daß wir bloß noch Epi- 
gonen, und daß man wit umferer ganzen nachkllaſſiſchen Litera- 
tur feinen Hund mehr vom Ofen locke — mun gut, fo hatte e8 fich 
das gefagt fein laſſen und war gegen bie Literatur der Zeitgenoflen 
wirfüc jo fremd und gleichgültig, fo ablehnend und verbroffen 
geworben, wie eine Literatur der Epigonen e8 allerdings verbient. 

Diefer Entfremdung und. viefer Verdroſſenheit nun hatte zu⸗ 
erft vie politifche Poefie wieder ein Ende gemacht. An ihrer wilden 
Gluth, wie-jäh fie emporſchlug, wie vegellos fie fladerte, hatten 
die Herzen des Vollks fich zuerft wieder erwärmt; ihr ſchmetternder 
Trompetenton, wie widerwärtig er ben Aefthetifern in die Ohren 
gellte, hatte zuerft wieber die Theilnahme des Publicums wach ge- 
rufen. -Nein, die Gelehrten hatten doch nicht Recht gehabt, der 


172 Politiſche Dichter aus vor- und nachmärzlicher Zeit. 


Baum der veutfchen Dichtung war doech noch nicht erfiorben, es 
gab noch Dichter unter und, welche die Muſe ſelbſt geweiht, Dich⸗ 
ter, nicht unwürdig, ſich den großen Namen ver Vergangenheit an- 
zufchließen. Daher viefer allgemeine und beifpielloje Erfolg ver 
politifchen Dichtung in der erften Hälfte der vwierziger Jahre: es 
war nicht bloß die Sympathie der politifchen Intereffen, nit bloß 
bie zwingende Macht des Stoffes, was der jungen politifchen Dich- 
tung alle Herzen zuführte, fondern e8 war auch zugleich die Freude 
Darüber, daß es mit ver deutſchen Poeſie alfo doch noch nicht ganz 
vorbei, und daß auch wir noch Gelegenheit haben follten, Lorbeeren 
zu flechten und Kränze auszutheilen. Glaube man doc ja nicht, 
daß unfer Publicum wirklich jo mürriſch und unempfänglich, wie 
unfere Kritifer und felbft auch ein Theil unferer Schriftfteller es 
darzuftellen liebt! Im Gegentheil, das Publicum bat nichts 
lieber, als wenn es in ver Literatur recht friſch und rährig zugebt, 
es intereffirt fich gern, es läßt fich gern mit fortreigen, ſelbſt and 
auf die Gefahr hin, die Preife, vie e8 ſoeben erſt auägetheilt hat, in 
der nächſten Stunde wieder zurüdfordern over des Raufches von hente 
fid) morgen ſchämen zu müſſen. Natürlich joll weber die Kritik 
ihr Urtheil nach diefen wechfelnden Stimmungen des Publicums 
modeln, noch follen unfere Schriftfteller auf dieſelben [peeuliren: 
aber Notiz davon nehmen und ſich klar machen, woher dieſe Stim⸗ 
mungen kommen und nad welchen Öefegen oder auch mur nad) 
welchen Launen fie wechſeln, das allerdings, glauben wir, würde 
weder ver Kritif noch den Schriftftellern ſchaden. 

Allein zugegeben, daß die politiihe Poeſie dem Publicum 
theils durch Sich ſelbſt, theils durch verfchienene günftige Umflände 
empfohlen ward und zugegeben ferner, daß fie wirklich das eigent- 
liche herrſchende Geſtirn am literariſchen Horizent der vierziger 
Jahre war: ift ver plößliche und tiefe Sturz, ven fie in demſelben 


N 











\ 
/ 


Die politifche Poeſie vor und nach dem Jahre Achtundvierzig. 73 


Augenblicd erlitt, da alle ihre Ideale fich zu verwirklichen fchienen, 
dann nicht um jo unbegreiflicher, ja um fo [hmählicher? 

Denn die Thatfache ſelbſt läßt fich in feiner Weiſe ableugnen: 
mit dem Eintritt derſelben Ereigniffe, auf welche die politifche 
Poefie jo lange bingeventet und an deren enplicher Herbeiführung 
fie einen. fo wetentlichen Antheil genommen hatte, gebt fte ſelbſt zu 
Grunde; fie ift gleichfam der Moſes geweien, ver jein Bolt nur 
bi8 an das Land ver Verheißung führen durfte, ohne es felbft 
zu betreten. Liegt das nun an der politifchen Poefie jelbft? oder 
liegt e8 am Publicum? oder wo überhaupt liegt Die Schuld eines 
fo raſchen und glanglofen Untergangs ? 

irgend liegt fie: weil nämlich überhaupt gar feine Schuld 
eriftirt und weil die politifche Poeſie der vierziger Jahre nur deßhalb 
fo raſch zu Grunde gegangen ift, weil fie die ihr zugemefiene Auf- 
gabe fo vellftändig erfüllt hatte; fie verſummte, weil fie nichts 
mebr zu fagen, fie ftarb, weil fie nichts mehr zu thun hatte. 

Die politifhe Poeſie der vierziger Jahre iſt hauptſächlich, 
man kann jagen ausfchliehlih Inrifcher Natur: denn Die wenigen 
Verſuche, fie zur epifchen oder dramatiſchen Geſtaltung fortzubilden, 
ſtehen zu vereinzelt und haben unter den Poeten der Zeit ſelbſt zu 
wenig Nachfolge gefimden, als deß ſie hier in Anſchlag gebracht 
werben könnten. 

Nun aber haben wir bereits an einer früheren Stelle erinnert, 
wie das lyriſche Element überhaupt in Folge des Jahres Achtund⸗ 
vierzig mehr in den Hintergrund getreten iſt. Wir hatten zu ſehr 
empfinden müſſen, wohin die lyriſche Verſchwommenheit, die ſich 
unſerer Nation bemächtigt hatte, endlich führt; wir hatten es büßen 
müſſen auf jede nur erdenkliche Weiſe, daß wir fo viel Jahre hin⸗ 
durch mehr Politiker mit vem Herzen als mit dem Kopfe gewefen 
waren, und daß unfere ganze ſtaatsmänniſche Weisheit in zwei 


74 Bolitifche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


oder drei Schlagworten beftand, gut genug, die Berfe eines Poeten 
zu f[hmüden, aber bei weitem nicht ausreichend, wo e8 fich um 


" Schlichtung und Feftftellung praktiſcher Verhältniſſe handel. Na- - 


türlich mußte dieſer Rückſchlag auch auf die politifche Poeſie feine 
Wirfung üben; man wollte überhaupt nichts mehr vonerhabenen Ge⸗ 
fühlen und Schönen Empfindungen wiflen, man hatte die Lyrik ſatt — 


wie hätte man denn bie politifche Lyrik noch länger ertragen mögen? - 


Es fam dazu ferner, daß die politifche Lyrik, wie fle fi im 
Laufe der vierziger Jahre bei und geftaltet hatte, wejentlich eime 


Prophetie war: wir meinen, daß ihre Ziele ſämmtlich erſt in einer . 


für ven Augenblid noch ziemlich nebelhaften Zuhmft lagen, und 
daß ihr ganzes Geſchäft vorläufig nur darin beftand, mit großem 
Nachdruck und einem exrkledlichen Aufwand von Worten auf Diefes 
unbeftimmte Ziel hinzumeifen. 

Man hat unferer politifchen Dichtung dies Unbeftimmte, 
Verſchwommene ihres Inhalts, ſowie das mehr oder minver Phra⸗ 
jenhafte ihres "Ausprudd, das damit nothwendig zufammenhing, 
häufig und nicht ohne BVitterfeit vorgeworfen. Ja man hat fich 
nicht gefcheut, unfern politifchen Dichtern einen -Theil, wo nidt 
das Ganze jener Verſchwommenheit umd jenes hohlen Enthuflasmns 
zuzufchieben, ven unſer Volk dann der praftifchen Entmwidelung ver 
Dinge gegenüber unzweifelhaft gezeigt hat. In der Schule unferer 
Poeten, fagte man, fei dieſes großfprecherifche und dabei doch fo 
feige Geſchlecht erzogen, das erft nicht laut genug nad Thaten, 
Thaten, Thaten! ſchreien kann und das dann bei der erften Gelegen⸗ 
heit feine Thatkraft zu beweifen, davonläuft wie ein gejagter Haſe; 
aus ven Verfen umferer Dichter habe es die phantaftifchen Bor- 
ftellungen von ver Zukunft unferes Vaterlandes gewonnen, bie es 
dann weber durchzuſetzen, noch mit guter Manier aufzugeben ver- 
ftand, bis es endlich zu ſpät und Alles verloren war.... 


Die politifche Poefie vor nnd nach dem Jahre Achtundvierzig. 75 


Beide Bormürfe find, wie uns bänft, gleich ungerecht. Die 
Poefie, wir haben es ſchon einmal gefagt, kann nur immer den 
Inhalt wiedergeben, den fie von ihrer Zeit und. ihrem Boll em⸗ 
pfängt. Ganz gewiß war bie politifche Lyrik ber vierziger Jahre 
zum großen Theil phantaftifch, unklar, großfprecherifch: aber war es 
das Publicum viefer Zeit denn nicht ebenfalls? Haben die Ereig⸗ 
niffe des Jahres Achtumdvierzig nicht zur Genüge gezeigt, wie völlig 
unvorbereitet und unfundig wir in politischer Beziehung waren, und 
bat denn irgend einer gewußt, vom erſten Staatsminifter angefangen 
bi8 zum letzten Zeitungsfchreiber, was eigentlich mit uns werben 
jollte? Und jest, da das Kind in den Brunnen gefallen ift, jegt 
verlangt ihr, die Poeten hätten ihn zudeden follen? Wunderlicher 
Einfall, von einer Handvoll Dichter eine Tiefe der Einficht und 
eine Reife der Erfahrung zu verlangen, die Niemand, aber auch 
Ihlechthin Niemand bei uns beſaß, von Memel bis zum Bodenſee! 

"Was nun aber gar ven Borwinf anbetrifft, als hätten vie 
Poeten das Bolf verborben und als würde das Jahr Achtund- 
vierzig etwa einen glüdlichern Verlauf genommen haben, hätten. 
unfere politifchen Dichter uns nicht jo viel Narrheiten in den 
Kopf gefeßt: fo heißt das denn doch wirklich der Wahrheit ind. Ans 
geficht fchlagen. Denn das riehtige Verhältniß ift vielmehr Dies, 
daß die Poeten. nichts Größeres. und Tieffinnigeres dichten fonnten, 
weil nichts der Art im Volke lebte; fie mußten ſich begnügen mit 
Bifionen und Phrafen, weil vie politifche Bildung des Volkes 
jelbft nur eine vifionäre und phrafenhafte war. Hätte aljo einer 
von beiden rund, dem andern Borwürfe zu machen, fo, dünkt 
wid, wären es weit eher die Poeten als die Nation; fein Bolt 
muß befiere Dichter verlangen, als e8 erzeugen kann, und wenn 
diejenigen, vie e8 hat, ihm nicht gefallen, fo faſſe es zuerft in feinen 
eigenen Bufen und befenne, daß es fich ſelbſt auch nicht gefällt... . 


76 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


Bei allevent bleibt das factifche Reſultat natürlich daſſelbe; 
die politifche Poeſie ift bei uns‘ zu Grunde gegangen, weil fie ihre 
Aufgabe erfüllt Hatte, weil man der lyriſchen Ueberſchwänglich— 
feiten überhaupt überbrüffig geworben und weil gegenüber einer 
hiftorifch bewegten Zeit, einer Zeit voll Ereigniffe und Thaten, 
eine bloße Poefie ver Sehnfucht und der unbeftimmten Erwartung 
ſich unmöglich behaupten konnte. 

Aber wohlgemerkt: dies Alles gilt nur von ber politiſchen 
Poeſie der vierziger Jahre, über die politiſche Poeſie an ſich iſt da- 
mit noch nicht das Mindeſte entſchieden. Oder wer wollte in 
Ernſt behaupten, daß alle politiſche Poeſie nothwendig denſelben 
lyriſchen, phantaſtiſch nebelhaften Charakter tragen mäffe, wie die 
politiſche Dichtung der vierziger Jahre ihn allerdings zeigt? Die 
flüchtigſte Erinnerung an die attiſche Komödie zur Zeit des Ariſto— 
phanes over an die Satiren und Pasguille des Reformationszeit⸗ 
alterd (um von unzähligen anderen Beifpielen zu fchweigen) 
würde vollfonmen genligen, das Unhaltbare viefer Behauptung zu 
erhärten. 

Wie fteht e8 denn mm alfo mit der politifchen Poefie als 
folder? Wir räumen ein, daß die politifche Lyrik, die da fo 
plötzlich in den Wogen des Jahres Achtundvierzig untergegangen, 
nur eine beftimmte Phaſe, eine vereinzelte, noch dazu ſehr unvoll⸗ 
fommene Form der politifchen Dichtung überhaupt gemwefen; es ift 
alfo auch mit vem Aufhören der erfteren über den Fortbeſtand ‚over 
doch die Erneuerung ver politifchen Poefie im Allgemeinen nichts 
entfchieven und bleibt daher noch immer die Frage offen, ‘ob wir 
vieleicht nicht noch in dieſem Augenblick eine politifche Poeſie haben, 
wenn auch Allerdings unter jehr veränderter Form und mit fehr 
abweichendem Inhalt als früher. 

Dem den alten Streit, ob es itberhaupt‘ eine politische Poefie 


Die politiiche Poefie vor und nach dem Jahre Achtundvierzig. 77 


geben fol und darf, hier zu erneuern, kann ung natürlich nicht in 
den Sinn fommen; derſelbe ift durch die Literatur aller. Zeiten 
und Bölfer längft entſchieden, und konnte dieſe ganze Frage über- 
haupt nur in einer Zeit aufgeworfen werben, ber das politiſche 
Intereffe im Allgemeinen etwas fo Neues und Umerhörtes war 
und wo die eben entftehenven Parteien noch mit jo jugendlicher 
Hiße über einander herfielen, wie Das Alles in unjerer vormärz⸗ 
lichen Zeit ver Fall war, Die ganze Sadıe jteht wiederum außer- 
ordentlich- einfach: wo eine beitimmte Zeit und ein. beſtimmtes 
Bolt ſich von politiichen Intereſſen ergriffen fühlt, da werben 
diefe Intereſſen auch nach dem ihnen entſprechenden poetifchen 
Ausdruck ringen. . Und da es mım feine Zeit und fein Volf giebt, 
wenigftens auf die Dauer nicht, das noch irgendwie lebensfähig und 
dennoch von allen politifhen Intereſſen verlafien wäre, jo wird 
und kann bie politifche Poeſie auch niemals ganz ausfterben. Auch 
haben unfere Yiterarhiftorifer und Sammler uns ja grünblid, ge= 
nug nachgewieſen, daß bie politifche Poeſie felbft bei uns häuslichen 
Deutſchen keineswegs etwas fo Neues und Unerhörtes war, wie 
man bei. ihrem erfien Wiederauftreten zu Anfang der vierziger 
Jahre meinte. Wiederauftreten, jagen wir: denn. in ber That 
hatten wir fie längft bejefien und unfere Sammler konnten uns 
jofort mit ganzen dicken Bänden politifcher Dichtungen bejchenten, 
von Urzeiten angefangen bis auf die gegenwärtige Stunde; ſelbſt 
Goethe, dieſer unpolitifcye Dichter als folder, Onethe, von dem 
ber beliebte Wahlſpruch „Pfui, ein politifch Lied, ein garſtig Lieb“ 
berftammt — felbft Goethe nimmt in den Repertorien diefer Samm⸗ 
ler jeine wohlvgrdiente Stelle ein. Es war damit alfo, wie mit 
jo vielen Dingen, ja mit den allermeiften in ver Welt: nicht die 
politiſche Poefie felbft hatte uns gefehlt, ſondern nur das Bewußt⸗ 
fein, da8 Berftänpniß derfelben, wir waren nur felbft wicht in ber 


78 Bolitiiche Dichter aus vor⸗ und nahmärzlicher Zeit. 


gehörigen politifchen Stimmung geweſen, darum hatten wir fein 
Berinfnig nad politiſcher Poeſie gehabt: wie ja auch 3. B. ver 
geſunde Menſch nicht merkt, daß er einen Magen bat, außer wem 
ihn bungert. 

Einer der verbreitetften und ſchädlichſten Irrthümer dabei ift, 
daß man, fi nur an die Öeftalt crinnernd, unter der die politifche 
Poeſie im Lauf ver vierziger Jahre unter ums auftrat, noch immer 
glaubt, alle politifche Poeſie müffe nethwentig auch Freiheitspoefie 
fein und jeder politiiche Dichter, nun das verfteht fih von ſelbſt, 
das ift immer fo ein fleiner Mazzini in Berfen. Man vergift 
Dabei, daß tie Poefie ihrem innerften Weſen nad) nur ein Epiegel 
ift und daß es alfo auch in Betreff ber politifchen Poefie nur ganz 
darauf ankommt, wer und was fich eben darin fpiegelt, ob Keoo- 
futionäre oder Neactionäre, ob rothe Republikaner oder ſchwarzweiße 
Treubünpler. Die Mufe reiht ihre Leier jedem, der fie zu fpielen 
verjteht, einerlei ob er für vie phrugijche Müte oder für Thron und 
Kirdye ſchwärmt. So wenig alfo die politifche Poeſie an eine be= 
ftimmte, beifpielSweife die Iyrifche Form geknüpft ift, ebenfowenig 
ift fie an ein beftimmtes politifches Glaubensbekenntniß gebunden; 
die politische Poeſie ift eben Poefie oder fol es doch fein und erfennt 
als ſolche feine anderen Regeln und Geſetze an, als Diejenigen, bie 
der Kunft überhaupt gegeben find. Ä 

Lebt nun die politifche Poejie, in dieſem erweiterten und allein 
richtigen Sinne aufgefaßt, unter und noch fort? Iſt vielleicht nur 
die Blüte der politifchen Lyrik unter der heißen Sonne des Jahres 
Achtundvierzig gewelft und feimt der Samen, ben fie um fich ge= 
ftreut, vielleicht in anderen Formen wieder auf? Sollte namentlich 
nicht Diefer Uebergang von ver Lyrik zur epifchen Dichtung, deſſen 
wir früher bereits gedachten, mit ven Schidfalen unferer politifchen 
Poeſie in irgend einem Zufammenhang ftehen? j 





Die politifche Poeſie vor und nach dem Jahre Acqhtundoierzig. 79 


Die Antwort auf dieſe Frage wird ſich am vollſtändigſten 
und bequemſten ergeben, indem wir die namhafteſten politiſchen 
Dichter der vierziger Jahre der Reihe nach an uns vorübergehen 
laſſen und dabei dasjenige prüfen, mas fie in nachmärzlicher Zeit, 
aljo in den zehn Jahren, vie recht eigentlih das Thema dieſes 
Buches bilden, geleiftet haben. Es ergiebt ſich dabei, um dies ſchon 
bier vorauszunehmen, das intereffante Refultat, daß nur die Wenig-. 
fen von ihnen den Verſuch gemacht haben, die in vormärzlicher 
Zeit angefchlagene und damals vom PBublicum mit fo viel Beifall 
aufgenommene Weife auch nad) dem Jahre -Achtumbvierzig noch 
fortzufeßen; vielmehr hat vie überwiegende Mehrzahl von ihnen . 
ſich anderen Gebieten zugewenvet, und zwar haben fie, was ums 
wiederum in hohem Grave charafteriftifcy erfcheint, beinahe ohne 
Ausnahme den Uebergang von der Iyrifchen zur epifchen oder auch 
zur dramatiſchen Dichtung zu machen verjucht. 

An dieſe vormärzlichen politifchen Dichter werden wir ſodann 
diejenigen anjchließen, welche vie politifche Poefie unter ven fo fehr 
veränderten Berhältniffen der nahmärzlichen Zeit vertreten und 
deren Poefie jelbft daher eine ſehr veränderte ift; es werben ſich 
darunter einige Namen befinden, vie man überall eher erwarten 
würde, nur nicht unter ver Phalanx unjerer politischen Dichter. Doc 
wird die Ueberraſchung des Lefers ſich fofort mindern, wenn ex nur 
im Gedächtniß behält, was wir foeben über ven allgemeinen Charafter 
ber politifchen Dichtung geäußert haben; auc wird man ſich, hoffen 
wir, bei näherer Anficht überzeugen, daß weder Willkür noch 
Schavenfreude, ſondern nur eine möglicherweife irrthümliche, aber 
body jedenfalls ehrlich gemeinte gefchichtliche Ueberzeugung ihnen dieſe 
Stelle angewiefen hat. 

Schmerzlich ift es ung dabei, daß in dieſer Ueberſicht gerade 
derjenige Dann fehlen muß, der am Himmel ver vierziger Jahre 


80 Politifche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


am hellſten ftrahlte.und ver politifchen Poeſie vie Theilnahme des 
Publicums in einem Umfang gewonnen hatte, wie fein Anderer. 
Aber gerade dieſer einft fo beredte und fruchtbare Dichter ift feit - 
Jahren verſtummt und wir wiſſen nicht einmal, ob er jemals wieder 
zu der verlaffenen Muſe zurückfehren wird... . 


„Und die fo reich vor feinem Geifte fund, 
Er darf die Zukunft nicht zur Blüte treiben, 
- Und feine Träume miüffen Träume bleiben; 
Ein unvollenbet Lied finkt er ins Grab, 
Der Berfe Schönfte ninımt er mit hinab.“ 


2. 


Hoffmann von Sallersleben. 


n 


Beftimmte der poetifche Merth-eines Dichters fi allein nad) 
ver Zahl ver Lefer, die er findet, jo gebührte Hoffmann von Fallers- 
leben unter den politifchen Poeten der vierziger Jahre ohne Zmei- 
fel die erfte Stelle. Kein anderes Product dieſer Gattung ift 
damals fo häufig gelefen worden und hat, in ven verfchievenften 
Kreifen des Publicums, eine ſolche Popularität erlangt, wie feine 
„Unpolitifchen Lieder“ und jenes ganze Geſchwader Heiner poetifcher 
Stadhelichriften, die der Verfaſſer bis zum Jahre Achtundvierzig 
raſch hinter einander. erfcheinen ließ und pie alle denſelben Charakter 
tragen. — 

Belanntlih mußte Hoffmann von Fallersleben- die Beröffent- 
lichung der „Unpolitifchen Lieder‘ mit dem Berluft feiner Breslauer 
Profeſſur büßen und auch font hatte er allerhand Pladerei von 
Cenſur und Polizei auszuftehen. Nicht ohne Grund: fofern es die 
Aufgabe der damaligen Polizei war, alles aus der Literatur entfernt 
zu halten, was die ohnedies ſchon fo üppig auffeimende Saat ver 
Unzufriedenheit nod) nähren und das fhwanfende Anjehen ver Ge- 
walt noch mehr erfchüttern konnte. Nach viefer Seite hin gehörten 
die „Unpolitifchen Lieder” wirklich zu dent Gefährlichften, was bie 
damalige Breffe aufzuweiſen hatte; .jelbft vie Herwegh’fchen „Brund⸗ 

pfeile‘ richteten unter dev großen Maſſe nicht halb fo viel Schaden 


Vrup, die deutſwe Literatur der Gegenwart. T. 


m 


82 Politiſche Dichter aus vor- und nachmärzlicher Zeit. 


an (immer im-Sinne der damaligen Wächter-der Ordnung gejpro- 
chen), als diefe kleinen, unjcheinbaren Nadelſtiche ver Hoffmannfchen 
Mufe, ſchon um deswillen nicht, weil jene bei weitem nicht fo tief 
in das eigentliche Volk, in vie Kreife ver Bürger und Handwerker 
eindrangen, wie die Hoffmannjchen Gedichte. 

Etwas anders ftellt fi) die Sache freilich, wenn wir den 
äfthetifchen Werth von Hoffmanns politifcher Lyrik ins Auge faſſen. 
Dazu ift es jedoch nöthig, uns die gefammte Erſcheinung dieſes 
Dichters, gleichſam fein poetifches Werben und Entfepen ind Ge⸗ 
dächtniß zu rufen. 

Wie ven Fachgenoffen wohl befennt, ıft Hoffmann von Fallers⸗ 
leben nicht Bloß einer unferer fruchtbarften und volksthümlichſten 
Boeten, fondern er nimmt auch eine Ehrenftelle unter den deutſchen 
Sprach- und Alterthumsforſchern ein; ja feine Poefie ſelbſt ift 
geboren und groß geworben in der Luft unferer älteren deutſchen 
Dichtung, die den Berfafler von feinen Fünglingsjahren an ummeht 
und fein Blut gleichjam getränft hat mit dem Hauche jener ver- 
ſchwundenen Zeit. Die Gefchichte der deutſchen Poefie fennt eine 
ganze Anzahl folder Dichter, denen ihre gelehrten Studie nur 
als Uebergang und Brüde zur Poeſie dienten: währenn umgefehrt 
auch unfere Gelehrtengeſchichte nicht ganz arm an Beifpielen ſolcher 
Männer ift, denen eine frühzeitige poetifch dilettantiſche Neigung 
ven erften Sporn gab zu ven gelehrten Studien, durch die fie fich 
dann fpäterhin die glänzenpften Berdienfte erwarben. Selten jedoch 
fällt beides, gelehrtes Studium und poetifche Neigung und Befähi- 
gung, jo zufammen und dient eines dem andern fo zur Ergänzung, 
wie dies bei Hoffmann von Tallersleben der Fall ift. 

Die literargeſchichtlichen Studien umferes Dichters beichäftigen 
fih befanntlich vorzugsmeife mit der Uebergangsepodye vom vier- 
zehnten zum fiebzehnten Jahrhundert: einer Epoche aljo, in welcher 


Hoffmann von Fallersleben. 83 


die innigfte und füßefte Boefie des Volksliedes ſich mit der phili- 
ftröjen Seichtigfeit des Meiftergefangs und der pebantifchen Weit- 
läuftigfeit unſerer gelehrten Dichter vielfach durchkreuzt. Diefe 
boppelten Elemente der reinften und liebenswürdigſten Poeſie und 
einer gewiſſen philiftröfen Schwerfälligfeit, einer gewiſſen haus⸗ 
badenen Nüchternheit finden wir nun aud in unferm Dichter 
wieder. Während er einerſeits vem Volksliede den leichten Schwung 
der Berfe, ven Wohllaut ver Reime, die Naivetät und Frifche des 
Inhalts abgelernt hat, begegnen wir andererfeits bei ihm auch einer 
gewiſſen behaglichen Breite, einer gewiflen Vorliebe für das Platte 
und Nüchterne, mit einem Wort, einer gewiffen Spießbürgerlichkeit 
des Denkens und Empfindens, die auf das allerlebhaftefte an vie 
bürgerlihen und gelehrten Dichter der eben genannten Epoche 
erinnert. Ja wie Hoffmann in feinen perfünliden Schickſalen 
und Abentenern, halb Gelehrter, halb Troubadour, heut vom 
Staub der Bibliothefen, morgen vom würzigen Duft des Waldes 
genährt, jest in Bücher vergraben und dann wieder auf ber 
Landſtraße, Stod in ver Hand und Ränzel auf dem Rücken, over 
auch unter guten Gefellen in ver Schenfe, hinter vem ſchäumenden 
Dedelglafe, der legte fahrende Dichter der deutjchen Literatur — 
wie er auf diefe Weife, fagen wir, perfünlich die zwiefachen Ele— 
mente jener Epoche _repräfentirt, fo thut er es namentlich und 
‚ganz beſonders auch in feinen Dichtungen. Kein Dichter unſerer 
Tage ift io von innerer Muſik erfüllt, in feinem hat vie Lerche 
des Volksgeſangs ein jo treues und weithallendes Echo gefunden, 
als in ihm. Es ift gewiß Feine bedentungsloſe Thatjache, daß 
von allen lebenden veutichen Poeten, ja vielleicht von allen deut⸗ 
ſchen Poeten überhaupt feiner ver muſikaliſchen Compoſition fo 
viele Texte geliefert bat, felbft Uhland, felbft Seibel, ſelbſt Heine 


nicht ausgenommen, noch leben irgend eines Anderen Lieber, von 
6* 


84 Bolitifche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


„Flügeln des Gefanges“ getragen, dermaßen im Munde des Volfes, 

‚wie es mit Hoffmann gejchehen ift. — Freilich giebt e8 eine ge— 
wiſſe abermeife äfthetifche Kritik, welche auch zu biefer Thatſache 
oornehm die Achfeln zucken wird: im Munde des Volkes — das 
heißt heutzutage, ins Profane überjeßt, in ven Kneipen der 
Studenten, auf der Bierbanf des Bürgers, in dem Tauten Munde 
des Handwerksburſchen — und dies, was will Dies fagen? Wir 
für unfer Theil, die wir nicht gemeint find, den Werth eines 
Dichterd einzig und allein nad) ven Paragraphen des Afthetifchen 
Lehrbuchs abzumeljen, wir find im Gegentheil der Aufiht, daß 
dies außerordentlich viel zu jagen hat und daß es eine fchönere 
und ruhmvollere Unfterblichkeit ft, mit irgend einem kurzen nanıen- 
Iofen Liede in dem vielgefhmähten Munde des Volkes fortzuleben, 
als wohl eingebunden und mit Einleitung und Noten verfehen, 
auf ven Bücherbrettern unferer Gelehrten zu ftehen, um höchſtens 
‘alle Menſchenalter einmal von einem Raritätenfammler in vie - 
Hand genommen zu werden. - 

Aber vermuthlid; hätte unfer Dichter dieſe ungemeinen Erfolge 
gar nicht gehabt und wäre gar nicht diefer allgemeine Liebling des 
Publicums geworben, wären ihm nicht aud) jene philiftröfen Ele— 
mente beigemifcht, von denen wir vorhin ſchon fpradhen. Im 
beutichen Publicum, es läßt ſich num einmal nicht leugnen, ſteckt 
ein gut Stück Philifter; der deutſche Michel ift mehr als ein 
bloßes Sprüchwort. Diefem deutſchen Michel hat Hoffmann 
von Tallersleben feine ſchwachen Seiten mit bemundernswürdi- 
gem Scarffinn abgelanfcht — oder vielleicht auch: es ſteckt in 
ihm jelbft ein ſolches Stüd- deutſchen Michels, daß das Publi- 
cam fih davon nothwendig angeheimelt fühlen mußte. Ge- 
trade die Xeichtigfeit, mit welcher der Dichter probucirt und Diele 
eigenthümliche Sangbarkeit feiner Lieder bat ihn zumeilen zu einer 


Hoffmann von Fallersleben. 85 


gewiſſen Oberflächlichkeit und Nachläſſigkeit ſowol im Ausdruck 
als in ver Wahl feiner Stoffe verleitet; die Grenze des Populä⸗ 
ren und des Trivialen ift überall nur ſchmal und aud Hoffmann 
von Yallersleben hat fie nicht immer inne gehalten. Indeſſen da 
biefe Beimifchung des Trivialen und Spießbürgerlichen fi, wie 
wir gefehen haben, aus ver ganzen Geneſis unferes Poeten erklärt 
und da ferner, nach einem befannten Dichterwort, jeder eigene 
Charakter Recht hat, fo werden wir auch ven Berfaffer ver „Un- 
politifchen Lieder” in dieſem feinem Rechte anzuerkennen und jene 
einigermaßen ſchwachen und trivialen Stellen als den nothwen⸗ 
digen Schatten in dem übrigens jo lichten, jo lebensvollen Bilde 
zu begreifen haben. — 

Eben viefelbe. Mifhung zeigte fih nun aud in feinen poli- 
tifhen Dichtungen, ja fie zeigte fich hier ſogar noch deutlicher als 
anderwärts, was ſich zum Theil wol aus der ungemeinen Eil- 
fertigfeit erklärt, mit welcher ver Dichter dies Gebiet einige Jahre 
hindurch anbaute. Allein was auch der Aefthetifer vagegen ein- 
wenden möge: zum Erfolg feiner politiihen Dichtungen hat grade 
dieſe triviale und philifterhafte Seite derfelben am allermeiften 
beigetragen. Wenn Herwegh mit feiner erhabenen, aber mehr 
oder weniger gegenſtandloſen Begeifterung, dem Glanz feiner Bil- 
ber, dem ftolzen Schmung feiner Rhythmen recht eigentlich ver 
Dichter ver damaligen Jugend war (ad) ja wohl, der damaligen!), 
jo repräfentirt Hofimann von Fallersleben dagegen den gefunden _ 
Menſchenverſtand mit all feinen Vorzügen und Schattenfeiten, alfo’ 
mit feiner Klarheit, feiner Gediegenheit, feinen Selbftvertranen, 
aber auch mit feiner Beichränftheit, feiner Ueberſchätzung des ſchlecht⸗ 
bin Sinnenfälligen und feinen fonftigen zahlreichen VBorurtheilen. 
Hermwegh fpricht die Hoffnungen aus, welche die Bruft ver damali- 
gen Jugend” jhwellte; in Hoffmann von Fallersleben kommt ver 


86 Politifche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


Aerger zu Worte, mit dem der Anblie fo vieler Verfehrtheiten das 
fonft fo ruhige Gemüth ver Männer erfüllte und ver darum nicht 
minder Aerger war, weil er es liebte, fich in humoriſtiſche Formen 
zu kleiden. 
Nach vem Jahre Achtundvierzig jedoch lenkte dieſer Aerger 
ſich auf ganz andere Gegenſtände als auf Könige und Miniſter. 
Der nachmärzliche Philiſter hatte kein Gedächtniß mehr für die 
Fußtritte, die er vor dem März erduldet; es fiel ihm auch nicht 
ein oder er vergaß abſichtlich, daß nicht Derjenige der Brandſtifter 
iſt, der zuerſt Feuer ſchreit, ſondern der Feuer und Span unbe— 
wacht neben einander gelaſſen hat. Der Philiſter ſucht feine 
Krankheit überhaupt nur immer da, wo ed ihm grade weh thut, 
und fo überfchüttete er auch nad) dem März Achtunvvierzig Demo- 
traten und Clubredner und Parlamente und Berfaffungen genau 
mit demfelben Grimm und venfelben Schmähungen, vie er in 
vormärzliher Zeit gegen — num ja doch, gegen jemand ganz an⸗ 
ders gerichtet hatte. 
Zum Organ dieſer veränderten Stimmung ſich herzugeben, dazu 
war der Dichter der „Unpolitiſchen Lieder“ natürlich viel zu ehrlich 
und liebte Freiheit und Vaterland mit zu aufrichtiger und inniger 
Liebe. Was blieb ihm alſo übrig, als die politiſche Leier überhaupt 
an den Nagel zu hängen? Die politiſche Lyrik, wie wir oben geſehen 
haben, fand in der nachmärzlichen Zeit überhaupt keine Stoffe mehr, 
am allerwenigſten aber hätte Hoffmann von Fallersleben fie gefun— 
den. Wir haben ven Dichter vorhin einigemale mit Hermwegh zufam- 
mengeftellt und in ver That find dieſe Beiden gleichſam die Pole, 
zwiſchen denen die politifche Tyrif der vierziger Jahre fich bewegt. 
Die Parallele läßt fi ohne Mühe noch weiter durchführen und 
bietet noch" manche interefiante Punkte; hier genüge e8, nur einen 
hervorzuheben. Während Hermegh überall die großen Principien 


Hoffmann von Fallersleben. | 87 


des Bolkerlebens, Freiheit, Nationalität, Selbftregiment ver Bür- 
ger zc. im Auge hat, wenn auch freilich nicht immer in der Flarften 
Beleuchtung, fo Tehnt umgefehrt Hoffmanns politifche Muſe fich 
faft durchgehends an ganz beitimmte Begebenheiten und Zuftänbe. 
Herwegh ift abftract bi8 zum Phantaftifchen, Hoffmann contret bis 
zum Trivialen; Herwegh wirft am mãchtigſten durch ſeine Leiden⸗ 
ſchaft, Hoffmann durch ſeinen trodnen Sarkasmus; jener reißt 
uns fort in Odenſturm, dieſer unterhält uns mit Heinen ſpaßhaften 
Anekdoten. Herwegh ruft die Fürften feiner Zeit auf zum Kampf 
gegen den Franfen und ven Czaren, die großen Entſcheidungskriege 
ver Bölfer, die in der Zukunft lauern, bilven ven Hintergrund 
feiner farbenreichen und erfchlitternvden Gemälde; Hoffmann von 
Fallersleben fieht, als Achter politifirender Spiegbürger, nicht 
weiter als feine Nafe reicht, der Fleine Krieg mit Bolizet und 
Cenſur ift fein liebſter Stoff und mit mehr Behagen ald Wis weiß 
er uns die Wechjelfälle veffelben in zahlreichen Schwanten und 
Schnurren abzuſchildern. 

Aber dieſer Krieg war nun zu Ende — oder wo er nicht zu 
Ende war, da wurde er mit einer Erbitterung geführt und nach 
einem ſo erweiterten Maßſtabe, daß die kleinen Stachelreden und 
Scherze des Dichters dagegen nothwendig verſtummen mußten. Der 
Dichter machte es alſo, wie ſein eigentlicher Schutzpatron und 
Wahlverwandter, der deutſche Philiſter, es ebenfalls gemacht hatte: 
er wandte der Politik kurzweg den Rüden und gründete ſich, mitten 
in einer Zeit allgemeiner Unruhe und Zerftdrung, einen heimath⸗ 
lichen Herb, deſſen Ruhe ihn, ven Vielgewanderten, Doppelt freund- 
Üich empfangen mußte. 

Bon biefem heimathlichen Hewe aus, der fich für ihn in⸗ 
zwiſchen mit den ſchönſten Kränzen des häuslichen Lebens, mit Ehe⸗ 
und Aelternglück geziert hat, ſendet der Dichter num mit gewohnter 


88 Bolitifche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


Fruchtbarkeit Buch auf Buch in die Welt, bald gelehrte Forſchungen, 
bald Liederbücher, die, wenn fie jet auch nichts mehr- von „unpo- 
litiſchen“ Tendenzen enthalten, doch noch immer den Weg zum 
Herzen des Volkes finden. 

Hier haben wir e8 ſelbſtverſtändlich nur mit den lebteren, de den 
poetischen Producten, zu thun, bie der Dichter im Lauf dieſes 
jüngften Jahrzehnts veröffentlicht hat. Und auch über fie können 
wir ung ziemlich kurz fallen, indem fie ung den Dichter nur genau 
anf dem Stanppunft zeigen, den er vor den „Unpolitifchen Lie— 
dern” eingenommen und von. dem ihn nur bie allgemeine.,, Roth ver 
Zeit” hinweggedrängt hatte. Er iſt ganz wieder der alte fahrende 
Sänger, der fröhlich trillernd durch die Welt zieht, jede Blume am 
Wege bricht, jedem ſchönen Mädchen zunidt und vor allem an feiner 
Thür vorbeigeht, wo „ver Herrgott feinen Arm herausgeftredt 
bat.“ Auch die Fülle und Friſche des Liederquells hat fich nicht 
verringert; mit derfelben muntern Eile, mit der in ben vierziger 
Fahren „Unpolitifche Lieder,” „Hoffmannfche Tropfen,” „Spitz⸗ 
kugeln“ zc. auf einander folgten, ſchickt er jetzt „Liebeslieder,“ 
„Lieder ans Weimar‘ ıc. in die Welt: alle in demſelben ziexlichen 
Format, in dem einft jene verbotenen Lieder von Hand zu Hand, 
ja. wir dürfen fagen von Herzen zu Herzen ſchlüpften. Das 
bedeutendſte darunter ift ohne Zweifel die vierte Auflage ber 
„Gevichte,” die 1853 ans Licht trat. Es ifi eine faft vollſtändige 
Sammlung der älteren Gedichte des Verfaflers, mit Ausſchluß 
feiner politiſchen Poefien: und da leßtere wirklich nır in ſehr be⸗ 
dingtem Sinne zu dem eigentlichen Charakter des Poeten gehören, 
jo dürfen wir der eben genannten Sammlung wol nachrühmen, 
daß fie uns ein Totalbild des Dichters Liefert. 

Und dies Zotalbild macht ven wohlthuendſten und erfreu- 
lichſten Eindruck. Wir haben tieffinnigere und geiftwollere Dichter, 


Hoffmann von Fallersleben. 89 


ohne Frage, aber wenige von folder Geſundheit und ſolchem durch 
und durch tüchtigen Kern wie Hoffmann von Fallersleben. Im 
biefem “Dichter iſt fein Falſch, er fingt immer nur, weil und wie er 
muß und von allen ven Unzähligen, vie fein Lied erfreut, ift er 
jelbft immer derjenige, der die meifte und aufrichtigfte Freude daran 
hat. Wir möchten diefen Dichter einer fröhlich. grünenden Rebe 
vergleichen, deren Wurzeln, ſtark und doch biegſam, hinunterreichen 
bis tief in Das Herz unſeres Volles; Tein Sturm, fein Ungewitter, 
fein noch. fo heißer Sonnenbrand hat ihr Wachsthum brechen oder 
ihre Blüte verdorren können; ſtark und mild, ernft und fröhlich, 
und immer wahr und ächt wie das deutſche Gemüth und ver deutſche 
Bein, bält Hoffmann von Fallersleben in feinen Gedichten Alles 
vereinigt, was dem deutſchen Herzen, lieb und theuer ift, feine beften 
Freuden, feine bitterften Leiden, feine Theuerften Hoffnungen; wäre 
e8 noch üblich, den einzelnen Dichtern wie ehevem Beinamen zu. 
geben zur Bezeichnung ihrer hervorſtechendſten Eigenſchaften, ſo 
würden wir für ihn den Namen „des Deutſchen“ vorfchlagen. 

Die Heineren Sammlungen, welche ver Dichter im Lauf diefer 
Jahre veröffentlicht hat, Hier namentlich aufzuzählen, erfcheint über- 
fläffig, da. diefelben im Einzelnen wenig Charafteriftifches darbieten 
und nur eben durch ihre Totalität von Wirkung find. Doch heben 
wir hier zwei hervor, die, wenn fie auch dem Bilde unjeres Dichters 
feine wejentlich neuen Züge beifügen, doch aus anderen Gründen 
von Interefle find: „Liebeslieder“ (1851) und „Kinderwelt in 
Liedern“ (1852). — Die erfigenannte Sammlung war das erfte, 
womit der Dichter feinen Rückzug aus der politifchen Poeſie antrat, 
over richtiger gejagt, womit er öffentlid befannte, daß er dieſen 
Rüdzug bereit8 vollbracht uud das Herweghſche „Trauerſpiel der 
Freiheit” mit ver „Sklaverei Idylle“ vertaufcht hatte, jener Idylle, 
in.deren traulichem Schatten Roſen und Reben blühen, und Mäb- 


90 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


den, ſchöner als Rofen, Blide werfen, berauſchender als der Saft 
der Neben. Es gehörte einiger Muth dazu, nachdem man fo lange 
als politifcher Dichter jo gefeiert worden und in biefer Eigenjchaft 
fo große Eroberungen gemacht hatte wie Hoffmann von Yallers- 
leben, zu ver beſcheidenen Gattung des Liebesliedes zurüdzufchren. 
Es ehrt den Dichter, daß er diefen Muth beſaß, beſonders Da zu 
jener Zeit, al8 die „Liebeslieder“ zuerft erjchienen, alſo unmittelbar 
nad den Erjchütterungen unferer Nevolutionsepodhe, auf dem 
Liebesliede noch eine gewifje Art von Acht und Bann ruhte. Ufer 
Dichter, mit dem gefunden Blid, der ihm überhaupt eigenthümlich, 
theilte dieſes Vorurtheil nicht; er erfannte vie Liebe als das wahre 
Grundthema der Welt, das innerſte Band, das alle Weſen zu- 
fammenbält und darum aud.ein unerjchöpfliches und unvergäng- 
liches Thema ber Poeſie: 

„Was iſt die Welt, wenn fie mit Dir 

Durch Liebe nicht verbunden? 

Was ift die Welt, wenn Du in ihr 

Nicht Liebe haft gefunden?“ 

Allerdings tritt auch in dieſen „Liebesliedern“ die mehrfach 
beſprochene Doppelnatur unſeres Dichters wieder zu Tage, ſo 
jedoch, daß die ſchwunghafte, poetiſche Seite entſchieden über- 
wiegt. Wie der Dichter feiner „Johanna“, als ber Heldin die⸗ 
jer Lieder, nachrühmt, daß ihm in ber Liebe zu ihr ein neuer 
föftliher Frühling aufgegangen, fo haben unter dem Strahl dieſer 
reinen und edlen Leinenfchaft auch alle reinen und edlen Empfiu⸗ 
bungen feiner Seele ſich mit erneuter Innigfeit entwickelt und faſt 
überall in viefen Liedern den veinften und edelften Ausdruck gefun- 
ben. Es ift nicht die himmelſtürmende, fterneverpuffenve Ueber⸗ 
Ihwänglichleit einer erſten Iugendleidenſchaft, die fich in biefen 
Liedern ausfpricht: es ift eine einfach innige, eine im beften Sinne 











Hoffmann won Fallersleben. 91- 


männliche Liebe, die eben durch dieſe Innigkeit, durch das Treue, 
Wahre, Männliche der Empfindung doppelt wohltyut, mehr 
Gluth als Flamme, mehr Wärme als Glanz. So begleitet fie 
den Dichter durch die Kämpfe des Lebens, nicht ihn verweichlichend, 
ſondern vielmehr feinen Muth neu anfenernd und ihn aufrichtenn 
und ermunternd, wo vie Streihe des Schickſals ihn zur fällen drohen: 


„Bald ein Flüchtling und Berbannter, 
Bald ein Feind, ein vielverfannter, 
Bald ein Freund, ein gerngenannter, 
Muß ich fingen, muß id) jagen, 
Spotten, lachen, fluchen, klagen, 
Muß ich ringen, kämpfen, wagen 

Für die Freiheit immerzu, 

Ohne Raſt und ohne Ruh. 


"Und Dein Bild giebt mir’s ©eleite, 
Und Dein Bild fteht mir zur Seite, 
Meberall in jedem Streite, 
Heißt mich muthig weiter ftreben, 
Stets von neuem mich erheben, 
Und bejeliget mein Leben; 
Lieb’ und Freiheit find für mich, 
Eins geworben jetzt buch Did.“ . . ’ 

“ Einen ganz entgegengefegten Ton fchlägt die „Kinderwelt in 
Liedern” an und gewiß für Viele einen fehr überrafchenden. Und 
allerbings fcheint e8 auf den erften Anbli ein jeltfamer Wider- 
ſpruch, wie grade Hoffmann von Fallersleben dazu kommt, Kin= 
derlieder zu bichten: ex, der uns übrigens fo recht Das alte felige 
Bagabunventhum des Lichterlebens darſtellt, dieſer alte Ueberall 
und nirgend, der gleich Walther von ver Vogelmeide der Lande 
gar viele gefehen hat — wie kommt grade er dazu, das fehönfte 
Heiligthum des Herpes, das Rinverleben, mit fo lieblichen Blumen 


.993 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


zu befränzen? Diefer Lievermund, ehemals jo wohlgeftimmt, ven 
Jubel der Zecher zu preifen, over auch politiiche Pfeile zu verfen- 
ven, was weiß er won ben holden Räthſeln der Kinverwelt und 
wer gab ihm dieſe wunderbare Runft, die kleinſten, füßeften Ge⸗ 
heimniſſe derfelben zu verfünden? 

Wer freilich den Entwidelungsgang unferes Dichters näher 
fennt, oder wer auch nur der vorftehenven Charafteriftif deſſelben 
einige Aufmerfjamfeit geſchenkt hat, ver erfennt auch fehr bald den 
nahen und innigen Zufammenhang, in welchem auch dieſe Richtung 
der Hoffmannſchen Poefie mit dem übrigen Charakter unjers 
Dichter8 fteht. Kindermund und Volksmund gehören ja ſchon 
nad) dem Sprüchwort zufammen und fo geziemt e8 auch dem glück⸗ 
lichen Erneuerer des alten Volfslieves ganz wohl, auch den Dol- 
metſcher der Kinderwelt und ihrer Geheimniffe zu machen. 

In der That bilden diefe Bemühungen des Dichters für das 
Kinderlied einen Grundzug feines Weſens; fie reichen hoc) hinauf in 
feine Bergangenheit und ftehen, gleich feiner gefammten Poefte, mit 
feinen gelehrten Studien, insbeſondere mit feinen Bemühungen um 
das ältere deutſche Volkslied in der nächſten und fruchtbarften 
Verwandtſchaft. Weil er nämlich nicht bloß als Gelehrter, fon- 
dern zugleich als Poet forfchte und ſammelte, fo genügte ihm auch 
ber bloße todte Buchftabe nicht, ſondern mit dem Text jener Lieber 
ſuchte er auch zugleich ihre Seele, ihr Herz, pas heißt alfo vie Melodie 
zu. retten. Hat doch Hoffmann felbft kaum ein Lied gefchrieben, 
das die -mufifalifche Begleitung nicht gleihfam von felbft heraus- 
forderte; wie hätte denn fein wärmftes Intereſſe ſich nicht jenen 
längſtverklungenen Weiſen zuwenden ſollen, mit denen einſtmals 
die alten Sänger ihre Lieder begleiteten. 

Zu diefem literarhiftorifchen und mufifalifchen Intereſſe aber 
gefellte fi mit der Zeit auch ein päbagogifches. Ober vielmehr 





Hoffmann von Fallersleben. 93 


es ging aus den beiden erfteren hervor. Der Dichter felbft hat 
und darüber mit liebenswärbiger Offenheit belehrt. Angezogen 
durch die einfachen, oft wunderbar jchönen Volksweiſen, die ben 
alten Liedern zu Grunde liegen, verfuchte er zu denſelben neue 
Terte zu dichten: und zwar, damit grade das heranwachſende 
Geſchlecht die köſtliche Erbſchaft des Alterthums vette und zu 
neuem Leben bei fich erwede, Texte, bie er ber Kinderwelt in den 
Mund legte, fo daß Lied und Melodie gleichzeitig bei derſelben 
eingeführt würden. Dem wahren Dichter ift eben nicht8 verbor- 
gen; derſelbe Zauberftab, mit vem er die tiefften und qualvollſten 
Räthjel der Menſchenbruſt enthilllt, fchließt ihm auch das verlorene 
Paradies der Kinderwelt noch. einmal auf und lehrt ihn jenes füRe 
. Stammeln, das noch mit dem Ausdruck ringt und dennoch fo viel 
zu fagen weiß. Unſerm Dichter aber mußte diefe Einfachheit ver 
Kinderfprache um fo beſſer glücken, je einfacher und naiver er felbft 
fih in feinen Anfhauungen und Empfindimgen erhalten hat und 
je mehr er felbjt noch ein Kinverherz ift, ein ſchlicht natürliches, 
bald ernft und finnig, bald übermüthig tänveln. 

Die erften Lieder diefer Art erfchienen in Ernſt Richter's 
„Unterrichtlich geordneter Sammlung“ (1836) und fanden fo all- 
gemeinen Beifall und eine jo große Verbreitung, daß der Dichter 
fih veranlaßt jah, eine eigene Sammlung mit Ciavierbegleitung 
zu veranftalten. So erjchienen die „Fünfzig Kinderlieder. Nach 
Driginal- und befannten Weifen mit Clavierbegleitung von €. 
Richter“ (1843), denen zwei Jahre fpäter weitere „Wünfzig neue 
Kinderlieder mit Beiträgen unferer verſchiedenſten Componiften“, 
ſowie 1847 eine britte Sammlımg „Bierzig Kinderlieder” folgten. 
Aus diefen drei Sammlungen gingen fpäter hervor: „Hundert 
Schullieder. Mit bekannten Vollsweifen verfehen und in brei 
Heften herausgegeben von Ludwig Erk.“ Diefelben wurden in 


94 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 
. / 


zahlreichen Schulen eingeführt und find ſeitdem eine Hauptquelle 
für alle Schul- und Mufiklehrer geworden, weldye ähnlihe Samm- 
lungen für die Jugend herausgeben. Ueberhaupt giebt es jeit 
mehr denn zwanzig Jahren feine Sammlung (und die Zahl verfel- 
ben iſt höchft beträchtlich), wo nicht ein gut Theil Hoffmannjcher 
Lieder mit unterläuft, bald mit, bald ohne Namen des Verfaſſers. 
Daſſelbe Schidfal hat auch die mit Melodien verfehene Lieder— 
fammlung gehabt, die er (gewiß auch ein charakteriftifher Zug) 
im Jahre Achtundvierzig, mitten unter ven Stürmen des großen 
„Völkerfrühlings“, unter dem Titel: „Siebenundbreifig Lieber 
für das junge Deutſchland“ herausgab, vie jedoch wegen ver Un- 
gunft der damaligen Zeitumſtände im größeren Publicum nur mes 
nig Berbreitung fand. 

Was nun bis dahin in biefen vaſchiedenen Sammlungen 
zerſtreut lag, das wurde vom Verfaſſer in der „Kinderwelt“ neu 
geſammelt und vereinigt. Freilich ſteht das Buch in einem nicht 
unweſentlichen Punkte hinter ſeinen Vorgängern zurüd:_e8 fehlen 
ihm nämlich die Melodien. Doch ift ver Mangel nicht fo bedeu— 
tend, wie e8 anfange ſcheint, indem, wie wir ſelbſt und aus viel- 
facher Erfahrung überzeugt haben, in ven. Texten dieſer Lieder fo 
viel innere Muſik enthalten ift, daß die Melodie ganz von ſelbſt 
auf die Lippe fpringt. Ja wir ıhaben e8, erlebt, wie Kinder, die 
von funftmäßiger Mufif noch nicht die geringfte Ahnung hatten, 
beim Xecitiven biefer Lieder unwillkürlich in eine gewiſſe Melodie 
verfielen, vie zwar mit Generalbaß und Harmonielehre auf fehr 
gefpannten Fuß geftanden haben mag, die innere Luft und Freu- 
digfeit des. Kindes aber vollfommen ausdrückte und damit auch 
bas echt Kinpliche des Textes aufs Glänzendſte bewährte. . 

Was nun fohließlich dieſe Texte felbft angeht, fo umfaſſen 
biefelben den ganzen Heinen und doch jo unſchätzbaren Reichthum 





Hoffmann von Fallersleben. 95 


ber Kinderwelt, vom erften Kududruf an bis zu Schlittenfahrt 
und Schneemann, von Kreifel und Stedenpferb bis zu ven erften 
Stiefelhen, in denen der kleine Herr ſtolz daherfnarrt, und auch 
bie Langeweile des fchmollenden Kindes und felbft auch das Grab 
ber Mutter ift nicht vergefien. — Wir nannten Hoffmann von 
Fallersleben vorhin den deutjcheften Dichter der Gegenwart und ganz 
gewiß Tonnte nur ein deuticher Dichter, ein Dichter von der Ge— 
müthstiefe und Innigfeit, Die wir unferem Volke fo gern als Eigen- 
thum nachrühmen, fich dermaßen in bie Anſchauungen und Em- 
pfindungen ver Kinderwelt verfegen. Diefe Hoffmannjchen Kinder⸗ 
lieber, fo leicht fie auf der Wage der Xefthetil wiegen, bilden Doch 
in der That eine ver jchönften Blumen in vem Kranz, der die Stirn 
unjeres Dichters ſchmückt; nirgend ftreift hier das Einfache au 
das Leere, das allgemein Verftänpliche an das Zriviale, nirgend 
fehlt jener Hauch der Boefie, ver auch noch ein Maikäferlied ver- 
eveln Tann, wenn aud, freilich nicht in ber jentimental koketten 
Weiſe, wie unjere neneften Wald- und Märchennichter e8 lieben. 
Es ift wiederum ein echt deutſcher Zug und wir wüßten feinen, 
mit dem wir die Beſprechung unſeres Dichters lieber fchließen 
möhten, als biefen: wie er, ber vielgewanderte Mann, der fo 
bieler Menſchen Länder und Städte gefehen und jo viel Schickſale 
erduldet hat, hier, zum fröhlichen Weihnachtsſchenker vermummt, 
mit feiner Liedergabe in der Hand an alle Thüren Tlopft, wo 
fröhliche Kinder beifammen find, oder wo ein einſames auf die Stimme 
der Mutter lauſcht. Möge er denn Hopfen! Wir find gewiß, daß 
ihm überall gern geöffnet wird, die Kinder felbft aber werben ihn 
empfangen mit den Worten des alten Trougemundliedes: 


„Wilkome, varender man!‘ 


3, 
Stanz Bingelftedt. 


Auch Franz Dingelftent gehört zu den heliebteften und gelefen- 
ſten Dichtern aus der Blütezeit unſerer politifchen Lyrik. Doc 
erwuchs ihm dieſe Popularität aus ganz anderen Kreifen, als es 
etwa bei Herwegh oder Hoffmann von Fallersleben ver Fall war. 
Hatte jener fein Publicum hauptſächlich unter der heißblütigen 
Jugend, unter Studenten und angehenden Schriftftelfern und 
wurben die Hoffmannfchen Lieber vorzüglich im Haufe des Bürgers 
gelejen, jo ergögten an ven „Liedern eines kosmopolitiſchen Nacht⸗ 
wächters“ (und befanntlicd war dies der Titel der Sammlung, 
mit welcher Dingeljtebt im Jahre 1840, alfo gleichzeitig mit 
Hoffmann von Fallersleben in die Reihen unferer politiichen Dich⸗ 
ter eintrat) ſich hauptfächlich die äſthetiſchen Feinſchmecker, Die— 
jenigen, denen es am liebſten geweſen wäre, es hätte gar keine 
politiſche Poeſie gegeben: indeſſen da fie nun doch einmal vorhan- 
den war, fo wollten diefe Männer des erclufiven Geſchmacks fie zum 
wenigften recht elegant, vecht fein zugeichliffen, vecht reih an Wit 
und epigrammatifcher Schärfe haben. Wenn e8 dann auch mit dem 
Teuer der Vegeifterung, ver Tiefe und Innigkeit der Empfindungen 
etwas weniger gut ‚beitellt war, fo wurbe das von dieſen Beur- 
theilern gern nachgefehen; ja im Gegentheil, ver leichte Froſt der 
Ironie, der auf den Liedern des „kosmopolitiſchen Nachtwächters“ 





Franz Dingelftebt. | 97 


lag, unb durch den felbft feine berebteften Ergüffe eine gewiſſe 
reservatio mentalis erhielten, machte fie diefen Feinſchmeckern erft . 
recht angenehm und fühnte fie nod) am meiften mit dem an und für 
ſich ſo bedenflichen Unternehmen des Dichters ans. 

Natürlich fol damit gegen den Patriotismus des Dichters 
ſelbſt fo wenig gejagt jein, mie gegen feine Freiheitsliebe. Jeder 
Menſch hat jeine eigene Art zu lieben und zu haflen, und auch die 
Freiheit wird nicht von Allen auf die gleiche Weiſe geliebt, felbft 
nicht von denen, die fie gleich innig Lieben. — Franz Dingelftebt 
ſtellt fich feinem ganzen ſchriftſtelleriſchen Charakter nad als ein 
Ausläufer unferer romantifhen Epoche dar. Am nächſten und 
innigften hängt er mit dem Jungen Deutjchland zufammen, unter 
deſſen ſchirmenden Fittigen ex ſich auch zuerft in die Deffentlichkeit 
wagte. Auch feine äufßerlichen Schidjale erinnern lebhaft an bie, 
"Tendenzen und Ideale der eben genannten Generation. Gymna⸗ 
fiallehrer in einer Heinen kurheſſiſchen Stadt, bei Färglichen Einfünften 
ber ganzen Langenmweile eines deutſchen Kleinſtädterlebens preis- 
gegeben, an einen Beruf gefettet, der zwar in ber Vorftellung recht viel 
Poetifches hat, deſſen Praris aber dem feinen und einigermaßen 
ariftofratifchen Sinne des Dichters nur wenig zufagte, hatte er 
mehr als hinlängliche Gelegenheit, jenen „Weltſchmerz“ in ſich 
zu frefien, der nach der äfthetifchen Theorie des damaligen Jungen 
Deutichland das erſte und nothwendigſte Requiſit eines Dichters 
bildete. 

Allein bei aller Glätte und Schmiegjamteit ber Form ſteckte 
in dieſem angehenden Poeten doch ein gewiſſer Kern männlichen 
Trotzes, er war eben eine heſſiſche Natur — und mit dieſem alten 
trogigen Heflenmuth warf .er die Miſere feines Schulmeifterlebens 
von fich und ftürzte fi, Kopf veran, in die Wogen ber Literatur. 

Und die Wogen trugen ihn gnädig. Jenes Ideal des Jungen 


Brup, die deutfche Riteratur der Gegenmart. I. 


98 Bolitifche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


Deutſchland, das in allen Novellen ımd Erzählungen veflelben 
wieberfehrt, Das Ideal reich und vornehm zu ſein und dabei von 
einer ſchönen md geiftvollen Frau geliebt zu werben, aud) wol in die 
Nähe eines Funftfinnigen Hofes zu kommen — dies Ideal, das 
ſchon feit „Wilhelm Meifter” in den Köpfen unferer jungen Dichter 
ipufte und das von dem Jungen Deutichland-nur mit befonderem 
Behagen ausgebildet worden war, fiehe da, Franz Dingelftebt war 
der Glückliche, ver es erreichte.- Bekanntlich wurde Dingelftedt 
wenige Jahre nach Veröffentlichung feiner Nachtmächterlieder mit 
dem Titel eines Hofraths als Bibliothekar des Könige von Wür- 
temberg angeftellt; kurz darauf vermählte er ſich mit einer unferer 
genialften und gefeiertften Sängerinnen, fievelte 1850 nad München 
über, um bie Xeitung des dortigen Hoftheaters zu übernehmen-und 
ift in dieſem Augenblid Intendant des Großherzoglichen Hoftheatere 
zu Weimar; alfo eine Laufbahn, fo angenehm und glänzend, wie fie 
fett Goethe nur wenigen deutſchen Poeten beſchieden gewefen ift. 
Es war nöthig, an diefe Äußeren Lebensumftände zu erinnern, 
weil fie weſentlich mit zur Charafteriftif des ‘Dichters oder doch 
zur Erklärung feiner Eigenthümlichfeiten gehören. . Wir fuchten 
vorhin in Hoffmann von Fallersleben eine Miſchung von Dichter 
und Spießbürger nadyzuweifen; in Franz Dingelftevt begegnen 
wir einer ähnlichen Mifchung, nur daß es hier der Dichter und 
der Salonmenſch ift, die bald in einander übergehen, bald fich in 
ven Weg treten. Dem Salonmenjchen gehört die zierlihe, bis 
auf das Heinfte durchgearbeitete Form der Dingelſtedt'ſchen Gedichte 
an, ihm ferner fein eleganter Wit, feine brillante Satire, feine 
Alles belächelnde Ironie, die er nach Umftänden auch gegen fich 
felber wendet. Dagegen erfennen wir den Didyter in dem vollen 
Herzichlag, der unter diefen äußerlich fo wohlgemeſſenen Rhythmen 
pulſt, in der Glut der Leidenſchaft, die zuweilen auf Momente 





Franz Dingelitebt. | 99 


emporzuct, endlich in bem treuen, reblichen, troß Irrthum und 
Fehlgriff allem Großen und Schönen mit Eifer nachſtreben— 
den Herzen, das fih in feinem ganzen Thun und Dichten 
fundgiebt. 

Wie fchon gejagt: dieſe Elemente, ihrer widerſtrebenden 
Natur gemäß, treten ſich nicht ſelten in den Weg und erklären wir 
uns daraus unter anderem bie verhältnißmäßige Unfruchtbarkeit, 
durch welche Dingelftent fi) vor den Übrigen Poeten der Gegen- 
wart auszeichnet. Aber in ven „Liedern eines kosmopolitiſchen 
Nachtwächters“ hatten beide Saiten, der Poet und ver Salon- 
menſch, fich aufs glücklichſte durchdrungen und verfühnt und da- 
durch ein Etwas hervorgebracht, das eben fo neu wie pifant war 
und der Beifall, ven e8 bei einem großen Theil des Publicums fand, 
vollfommen rechtfertigte: nämlich den revolutionären: Salonmen- 
ſchen. Seht hier Herwegh — fo ſchwärmt der übermüthige Stubent; 
jeht hier Hoffmann von Fallersleben — fo räffonnirt ver Hanb- 
werksmaun hinter feinem Biere; aber ſeht hier ven „Kosmo— 
politifchen Nachtwächter,” fo witelt und ftichelt die vornehme Welt 
über ihre eigenen Gebrechen, ja jelbft das Pathos, zu dem ber 
Dichter fich ftellenwers erhebt, trägt in feiner überwiegend becla- 
matorifchen Haltung noch etwas von dem Elanz und Pomp des Hof- 
lebens an fich. Sie ift je nachträglich befannt genug geworben, dieſe 
„Revolution in Glacéhandſchuhen,“ und ſelbſt pas Schaffot hat feine 
blutigen Opfer von ihr geforvert. Nun-gut, in den „Liedern eines 
kosmopolitiſchen Nachtwächters“ hatte fie ihren Dichter vorausge⸗ 
ſchick und wol Mander hat ihm’ im Jahre Bierzig Beifall ge- 
llatſcht, ver e8 acht Jahre fpäter am liebſten geſchen hätte, wenn 
gar keine Buchdruckerpreſſen exiſtirten.. 

Ein ſolcher Dichter konnte ſich nad dem Scheitern unferer 


großen nationalen Erhebung natürlich am erften darüber tröften; 
‚18 


⸗ 


100 Bolitifche Dichter aus vor- und nahmärzlicher Zeit. 


follte den untergegangenen Hoffnungen des Volks überhaupt eine 
poetifche Grabrede gehalten werden, fo fonnte es nur von bem 
„Kosmopolitiſchen Nachtwächter“ gejchehen. 

Und inſofern iſt denn das, was ſich im erſten Augenblick 
ſo unbegreiflich und widerſprechend anſieht, vielmehr eine ganz 
richtige und natürliche Conſequenz: nämlich daß Franz Dingelſtedt 
zu den ſehr wenigen vormärzlichen Dichtern gehört, die auch nach 
dem Jahre Achtundvierzig noch verſucht haben, ‚ven Ton des poli- 
tifchen Liedes unter und anzufchlagen und zwar ganz in dem alten 
vormärzlichen Tone. Franz Dingelſtedt Tieß im Herbit 1850 er- 
fcheinen: „Nacht und Morgen. Neue Zeitgevichte.” Hatte e8 
etwas Ueberraſchendes für das Publicum gehabt, den Sänger der 
„Unpolitiſchen Lieder,“ den Mann, den man ſeit Jahren gewöhnt 
war, in Vers und Reim ſich immer nur auf der Heerſtraße des 
öffentlichen Lebens tummeln zu ſehen, auf einmal weitab im 
Muyrtenhain ver Liebe, als zärtlichen Minneſänger wiederzufin⸗ 
ben: jo war es eine noch weit größere Ueberraſchung, den „Kosmo⸗ 
politifchen Nachtwächter, den „Mann mit ven Hortjchrittsbeinen, 
über defien Haupt jeitvem fo ganz andere Sterne aufgegangen zu 
fein Ichienen, hier noch einmal auf dem ſonſt fo überfüllten, ſeitdem 
faft verödeten Gebiet politifcher Lyrik anzutreffen,. — ein Nach—⸗ 
zügler nicht bloß des Zeitgeſchmacks, ſondern faft auch feiner felbft. 

Und doch begreifen wir vollfommen die. innere Nöthigung, 
die grade Dingelftevt antrieb, den gefcheiterten Hoffnungen des. 
Baterfandes die Grabrede zu halten. Diefer Schiffbruh war 
jo kläglich, Die haarfträubende Tragödie veflelben wurbe zu= 
gleih von fo viel komischen Auftritten begleitet, daß bier nur bie 
Ironie den Leichenredner machen konnte. Hätte ein Poet damals 
wirklich ausfprechen wollen, oder vielmehr hätte er ausfprechen 
fönnen, was damals die Druft der Beften und Epelften im Bolf 





Franz Dingelſtedt. 101 


durchzuckte, als die Paulsficche ihre Pforten ven Gemählten ver 
Nation verſchloß, ohne das Werk der fo fchmerzlich erfehnten Eini- 
gung vollendet gefehen zu haben — es hätte müflen ein Gedicht 
vol Byron’scher Verzweiflung und Weltverachtung werben. . . . 
Aber das wäre ein Ton gewefen, deſſen weber vie Leier 
unſeres Dichters fähig war, noch hätte das Publicum ihn ausge- 
halten, und fo ſchlug der Voet denn, mit ganz richtigen Verſtändniß 
der Zeit wie feiner jelbft, denjenigen Ton an, als deſſen Meiſter 
er fich bereits bewährt hatte, den Ton ver Ironie. Das Mkeifte, 
was die eben genannte Sammlung an eigentlich pofitifchen Gedich⸗ 
ten enthält, gehört dem epigrammatifchen Genre an. Nament- 
ih richtete der Verfaffer feine Geſchoſſe gegen vie vergeblichen 
Berfuche, die deutfche Einheit auf parlamentarifhem Wege herzu- 
ſtellen. Das Frankfurter Parlament wurde in einer Reihe „Fresken 
aus der Paulskirche“ veripottet. Diefelben hatten früher im Stutt- 
garter „Morgenblatt“ geftanden und hier, unter den unmittelbaren 
Eindrücken der Zeit und in einer Zeitfehrift, die dem Auge bald 
wieder enträdt wird, hatte man fie ſich können gefallen laffen. 
Jet dagegen, unter ganz anderen Berhältniffen und zu einem 
Buche gefammelt, machten fie auf ven unbefangenen Leſer einen 
einigermaßen peinlichen Eindruck, von dem auch ver Wit und bie 
friſche, kecke Laune, vie ver Dichter im Einzelnen bewährte, nicht 
ganz befreien konnte. — Neben dem Frankfurter Parlament mußte 
auch die Erfurter Verſammlung, die erft wenige Monate zuvor 
ftattgefunven hatte, dem Spott des Dichterd empfinden. Ganz 
gewiß gehört dieſe Erfurter Berfanmlung und mas ſich daran an- 
ſchließt, zu vem Mläglichften, mas unfere gefammte neuefte Geſchichte 
aufjzumeifen hat — und das will etwas jagen. Aber Fußtritte 
gegen einen Todten find allemal etwas Häßliches, auch wenn 
e8 fein todter Löwe, menn es nur ein tobtgeborened Kind ift, 


102 Bolitifhe Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


und fo erregten auch dieſe Epigramme gegen das Erfurter Par- 
Iament eine für den Dichter mehr peinliche als jchmeichelhafte 
Senfation. 

Ueberbaupt zeigte fi) an der ganzen Sammlung wieder ein- 
mal fo recht das Unzulängliche des ironiſchen Standpunkts und 
daß es denn doch Dinge giebt, mit denen der bloße Spott nicht 
fertig wird. Nicht nur der Priefter, auch der Poet bedarf des 
Glaubens, bei fich jelbft ſowol, wie namentlich auch bei denen, an 
welche er ſich wendet; — wann und wo aber hätte es wol eine am 
ſich jelbft jo verzweifelnve, fo völlig glaubenlofe Zeit, wann und 
wo ein Bolf gegeben, das feiner felbft fo überbrüffig geworben war, 
bas mit fo viel Falten, nacktem Zweifel, fo viel ſpöttiſcher Gleich— 
gültigfeit, fühllos, achtlos, in die eigene Zukunft ftarrte, als wir 
im Jahre Yunfzig, dem Jahre ver Schlacht von Idſtädt thaten? 
Zur Begeifterung zu zerfnidt, zum Zorn zu ohnmädtig, zum Haß 
zu abgejpannt, für Spott und Wit zu friſch verwundet, was follten 
wir noch mit Zeitvichtern und Zeitgedichten beginnen? Nein, 
einem folchen Volke, für das auch das beftgemeinte politifche Lied 
unwillkürlich zum Pasquill ward, einem ſolchen Volle gebührte 
-allein noch das Schweigen, und der „Kosmopolitiſche Nachtwächter” 
hatte nicht wohl gethan, das feine zu brechen ... 

Und fo beftand das Werthvollſte und Erquidlichfte in dieſer 
Sammlung denn grade in demjenigen, was nad) ber urfprünglichen 
Anlage eigentlich am wenigſten dahin gehörte: nämlich in derjenigen 
Abtheilung des Buches, welche die Prologe, Reden und jonftigen 
Gelegenheitögedichte enthält, die ber damaligen Stellung -des 
Dichters am Stuttgarter Hofe ihren Urfprung verdanken und die 
fich hier unter dem ironifirenden Titel „Nachtmächter als Hofpoet‘ 
zufammengebrudt finden. Da zeigte fich, "neben einer — wie ges 
wöhnlich bei biefem Dichter — fehr vurchgearbeiteten, mitunter 


Franz Dingelſtedt. 103 


gradezu vollendeten Form viel edler künſtleriſcher Eifer, viel wahre 
und ächte Humanität, die natürlich im den Augen der Verſtändigen 
dadurch nichts von ihrem Werth verlieren fonnte, daß fie mit ihrem 
Evangelium, dem Evangelium ver Kunſt, der Bildung und ber 
fittlichen Freiheit ſich vorzugsweiſe an die Vornehmen und Reichen 
wandte. | 

Und doc verkümmerte auch diefer jchöne und edle Kern des 
Buchs unter dem Mehlthau, mit dem der ironifhe Standpunkt 
bes Dichters den übrigen Inhalt nes Buchs bedeckt hatte. „Nacht 
und Morgen” bat verhältnißmäßig nur wenig Anklang bei ver 
Lefewelt gefunden und ift nicht im Stande gewefen, das durch 
frühere Vorgänge erfchütterte Verhältniß zwifchen dem Dichter 
und dem Publicum wieder berzuftellen. 

Es ift Died um jo bedauerlicher, als Dingelitent, wenn wir 
uns über feine poetifche Eigenthümlichkeit nicht völlig tänfchen, zu 
denjenigen Dichtern gehört, die des öffentlichen Beifalls nicht wohl 
entbehren können. Wehr oder meniger ift das zwar bei allen ber 
Tall, die Aberhaupt etwas für die Deffentlichkeit zu Ieiften fuchen. 
Doch giebt es einzelne Inorrige Stämme, vie feft genug gewurzelt 
und Gottlob von der Natır auch mit einer hinlänglih harten 
Rinde befleidet Hub, nm Froft und Regen und alle Unbilden der 
Witterung zu ertragen: während andere, vielleicht edler geartete, 
aber eben Deshalb auch empfinvlichere Bäume nur in der warınen 
Luft der öffentlichen Theilnahme gedeihen. 

Zu dieſen leßteren, wenn wie nicht irren, gehört Dingelftebt 
und ſcheint uns hierin ein weiterer Grund für das Stillfchweigen 
zu liegen, das er ſeitdem beobachtet. Allerdings hat er feitdem 
in Dresden, Miinchen und zahlreichen anderen Orten ein hiftorifches 
Trauerfpiel aufführen laflen: „Das Haus des Barnevelbt,' das 
auch im Ganzen mit recht vielem Beifall aufgenommen worben ift. 


3104  Bolitifhe Dichter aus vor - und nachmärzlicher Zeit. 


Doc fällt daſſelbe, ſoviel und befannt, feiner urfprünglichen Ent- 
ftehung nad) in eine frühere Zeit; ‘auch ift es nicht im Drud er- 
ſchienen, und da wir nicht fo glücklich geweien find, es von der 
Bühne herab kennen zıf lernen, jo vermögen wir fein Urtheil darüber 
zu fällen. — Auch ein paar Bändchen Novellen, die der Dichter vor 
einigen Jahren veröffentlichte, fallen größtentheils in eine frühere 
Zeit, find auch im Ganzen genommen zu leichte Waare, um auf die 
Beurtheilung feines poetifchen Charakters von Einfluß zu fein. Das 
interefjante und verbienftliche Werk aber, das er zu Ende 1857 umter 
dem Titel „Studien und Copien nach Shafejpenre” herausgab, ge- 
hört nicht mehr dem Gebiete an, deſſen Befprechung wir uns bier 
allein vorgeſetzt haben. Uno felbft wenn vie wäre, fo würbe es 
body nur beftätigen, was die legten zehn Jahre dieſes Dichters 
überhaupt zeigen: nämlich, daß er den richtigen Schwerpunft feines 
Weſens noch nicht gefunden und bei allen Annehmlichkeiten feiner 
äußeren Stellung und allen Berdienftlichen feiner amtlichen Wirk⸗ 
jamfeit noch nicht den inneren Frieden und Die geiftige Veftigfeit er⸗ 
langt hat, deren der Dichter bedarf, um die Schäte feines Innern 
fröhlichen Muths zu Tage zu fördern. 

Möge fie ihm denn bald zu Theil werben; es wäre Schave 
darum, wenn ein jo reiches und glüdlich organifirtes Talent nach 
jo vielverheißenden Anfängen fo früh an feinem Ziele angelangt, 
ein jo helles und Inftig praſſelndes Teuer fo raſch zu Aſche ge- 
brannt fein jollte. 





4, 


Ferdinand, Freiligrath. 


Wenige unferer jüngeren Dichter haben einen fo rafch erworbe- 
nen Ruhm fo rein und glänzend bewahrt, wie Freiligrath; wenige 
haben, von ihrem erften Auftreten an, in einem fo innigen und herz- 
Iihen Berhältnig zum Publicum geftanden und daſſelbe vor jeder 
Störung fo glüdlich bewahrt, wie der Dichter des „Löwenritt.“ 

Vreiligraths Name tauchte in einer Seit auf, wo die Theil— 
nahme für die lyriſche Dichtung in Deutſchland ſehr erſtorben war; 
Platen, der überhaupt ſeiner ganzen Natur nach niemals populär 
werden konnte, ſo ſehr ihn ſelbſt danach verlangte, hatte dem Vater⸗ 
lande ſchmollend den Rücken gewandt, Heine fing nachgrade an ſich 
ſelbſt zu wiederholen, Chamiſſo ſtand erſt im Aufgang jenes 
Ruhmes, der fein greiſes Haar fo ſpät, dann aber auch fo voll- 
fändig frönen follte, und fo fand Freiligrath, als er zuerft mit feinen 
Wüftenbildern und feinen übrigen prächtigen Schilderungen ber 
tropiſchen Natur auftrat, ein ziemlich freies Feld. . 

Aber auch vie Eigenthitmlichkeit feines Talents und die Art 
und Weife feines Auftretens war ganz geeignet, ihm raſch die all⸗ 
gemeinfte Aufmerkſamkeit zuzuwenben. Denn Freiligrath bejaß, 
was der deutſchen Lyrik feit Langem mangelte und was das Publi⸗ 
cum doch nicht auf immer entbehren mochte: er befaß, was bie 
Sinne feffelt und vie Phantafie in Bewegung fest: Pracht und 
Ölanz der Farben, neue und überraſchende Bilder und Stoffe 


106 Politiiche Dichter aus vor- und nachmärzlicher Zeit. 


von fo. entlegener Herkunft, wie man fie auf dem Marfte ver deut- 
Schen Literatur bis dahin noch nicht gefehen hatte. Selbſt das 
Grelle und Phantaftifche, das ſich in einigen feiner Jugendgedichte be- 
merfbar macht, trug nur dazu bei, ihm bie Theilnahme des Bublicums 
zu gewinnen, grade wie bie ſeltſ amen ungewohnten Reime, beren 
er ſich mit Vorliebe bediente und die ebenfalls ſo fremd, ſo prächtig 
ins Ohr fielen. Ja ſelbſt wenn der Dichter im einen und andern 
Stück einmal des Guten zu viel that, wenn ſeine Farben gar zu 
ſchreiend, ſeine Reime gar zu wunderlich wurden — inmerhin, 
gegen das wäſſrige Einerlei unſerer Abendzeitungspoeten war die 
wilde Fieberhitze, die ums aus ven Schöpfungen dieſes Poeten ent- 
gegenloderte, doch ſchon immer ein Gewinn. 

Bon verſchiedenen Seiten wurde Freiligrath damals der Bor- 
wurf gemacht, daß e8 ihm an Innerlichkeit fehle; fein Colorit, fagte 
man, ſei jehr ſchön und wirkungsvoll, feine Schilderungen ſehr 
maleriſch, ſeine Sprache ſehr pikant, aber nur das Herz, das Ge— 
müth, alſo dasjenige, was den Dichter eigentlich erſt macht, das 
gehe bei ihm leer aus. — Wie unbegründet oder doch zum wenig⸗ 
ſten wie vorſchnell dieſer Vorwurf geweſen, das hat ſich dann ſpä⸗ 
terhin gezeigt, als die Liebe das ſpröde Herz des Dichters ne 
und er fein köftliches: „O Tieb’, jo lang bu lieben kannſt!“ o 
feine „Ruhe in der Geliebten‘, oder jenes prächtig wilde F 
„Mit Unkraut“ ſang: 


„Ich ſchritt allein hinab den Rhein, 
Am Hag die Roſe glühte, 

Und wunderſam die Luft durchſchwamm 
Der Duft der Rebenblüte. 

Cyan' und Mohn erglänzten ſchon, 

Der Südwind bog die Aehren; 

Ueber Rolandseck, da ließ ſich keck 
Eines Falken Luſtſchrei hören.“ 


Ferdinand Freiligrat,. 107 


Unter diefen Umftänden war das Verhältniß des Dichters 
zum Publicum, das feine Gedichte in zahlreichen Auflagen ver- 
ſchlang, immer inniger and herzlicher geworden, als es plöglic 
gegen Mitte der vierziger Jahre noch eine ganz neue Weihe 
erhielt, nämlich die Weihe der politifchen Sympathien, die Frei- 
ligrath bis dahin jo troßig von ſich abgefehrt hatte-und die den 
Widerſtrebenden num plöglich gefangen nahmen. 


Bekanntlich war Freiligrath einer ver letzten unter ven Junge: 
ven, welche ſich der politifchen Richtung unferer Poeſie anſchloſſen. 
Seine derbe weſtfäliſche Natur, fo ſchien e8 längere Zeit hindurch, 
war zu vealiftifch, ver prächtig brennende Farbenſchmuck, in welchem 
feine Mufe fich gefiel, bedurfte eines zu feiten, zu maflenhaften 
Hintergrumdes, als daß er ſich mit ven etwas blafjen, etwas nebel- 
haften Idealen unferer damaligen politifchen Lyrik hätte befreunden 
können. Auch ſchien es feinem energifchen, um nicht zu fagen eigen- 
finnigen und grilligen Charakter gemäß, mitten burd das Ge— 
dränge des Marktes, in trogiger Berfchlofienheit, feinen Weg für 
ih zu gehen. Ebenſo befannt invefjen ift e8 auch, wie plöglich 
und alsdann mit welder Gewalt der Umjchlag erfolgte („Mein 
Glaubensbekenntniß,“ 1845). Je länger es gedauert, bevor die 
allgemeine Glut der Zeit auch dieſe ſpröde Natur erwärmt und 
mit je größerer Anftiengung fie ſelbſt ſich ihre romantiſche Iſolirt⸗ 
heit bis dahin zu bewahren geſucht hatte, je größer war nunmehr 
anch der Ungeſtüm, je ſtürmiſcher der Uebermuth, mit dem er ſich 
der neuen Richtung in die Arme warf. 


Unfere Rritifer vom Handwerk haben damals allerdings Höchft 
klüglich die Achſeln gezudt und haben eben in ver Plöglichkeit dieſes 
Uebergangs einen Grund finden wollen, wenn nicht die Wahrhaftig- 
keit der Motive felbft, doch menigftens die Daner diefer neuen Phafe 


108 Politiſche Dichter aus vor- und nachmärzlicher Zeit. 


in Zweifel zu ziehen, welche der. Dichter da jo ımermwartet ange- 
treten hatte. | 

Diefe Zweifel find denn num im Laufe der legten zehn Jahre 
grünplichft widerlegt worden. Hoffmann von Fallersleben, be— 
kanntlich der Bekehrer Freiligraths, Tehrte zu Myrten und Rofen, 
zu Liebeslievern und Idyllen zurüd, während Freiligrath, der fo 
ſpät und plötzlich Bekehrte, umerfchütterlich fefthielt an dem ein- 
mal erfaßten Banner und ſich weder durch das Kopfſchütteln der 
Kritit, noch durch äußerliches Mißgeſchick und Fähriichkeiten aller 
Art davon abbringen ließ. Gleich Dingelſtedt, gehört Freiligrath 
zu den wenigen Dichtern, welche die Fahne des politiſchen Liedes aus 
der vormärzlichen in die nachmärzliche Zeit hinübertragen. Aber 
wenn der Salondichter Dingelſtedt auch dabei ſeinem ironiſchen 
Standpunkt treu bleibt, ſo offenbart hingegen Freiligrath auch in 
ſeinen politiſchen Gedichten, den nachmärzlichen ſo gut wie den vor— 
märzlichen, den ganzen trotzigen Ungeſtüm ſeines Temperaments 
und die ganze wilde Glut ſeiner Leidenſchaft. Freiligrath war der 
einzige Dichter von Ruf und Namen, der den Muth hatte, gegen— 
über den ungeheuren Ereigniſſen, die im März des Jahres Acht— 
undvierzig auf uns hereinbrachen, ſich als Poet zu behaupten: ſein 
Gruß der „Lebenden an die Todten“ mag in politiſchem Betracht 
ſehr verſchiedenartigen Beurtheilungen unterliegen, aber in poeti- 
ſcher Hinficht iſt es ein Meifterftüc, dem die Literatur aller Zeiten 
nur wenig an bie Seite zu jegen hat. Selten over nie hat ber 
glähenpfte Zorn, der inbrünftigfte Haß, die zähnefletſchende Ver- 
achtung fi in fo wahrhaft großartiger, jo erfchütternder Weife 
ausgefprochen, noch ift e8 viel anderen Dichtern gelungen, vie an 
fih widerwärtigften und graufigften Scenen noch in einer fo edlen 
poetifchen Beleuchtung zu zeigen. — Dieſelbe Ridjtung bat ber 
Dichter dann weiter verfolgt. in feinen „Neueren politifchen und 











Ferdinand Freiligrath. 109 


focielen Gedichten,” won denen, fo viel ung befannt, zwei Hefte er- 
ſchienen ſind, das leute im Spätherbft 1850, zu einer Zeit, da 
ver Dichter ſelbſt bereits den Boden Englands als Flüchtling be- 
treten hatte... Diefe Gedichte athmen ſämmtlich oder doch der über- 
wiegenden Mehrzahl nach venjelben. ungebändigten Zorn, wie ber 
Gruß ver „Lebenden an die Todten“. Ya, es ift etwas von dem 
wilden Schlachtenmuth der alten Ratten in biefem  blauäugigen 
Sehne Weltfalens, er hat nicht umfonft jo lange — wenn and) 
nur im Geiſt — unter dem heißen Himmel Afrikas gemeilt, es ift 
etwas in ihm übergegangen yon dem falten Grimm, ver lodernpen 
Dlutgier, mit welcher der Tiger fich auf feine Beute wuft,.... 

Da es aljo mit dem Vorwurf der Inconſequenz und bes 
Wankelmuths nicht gehen wollte, wolan, ‚jo hatten unſere Kritiker 
einen anderen zur Hand. Und zwar war es. berjelbe, der ſchon 
einmal in feiner unpolitifchen, ja antipolitifchen Epoche wider ihn 
erhoben war, nämlich daß das Talent dieſes Dichters ſich nur auf 
das Yeußerliche ver Poeſie, auf das Colorit, die Schilderung, ven 
Vers erſtrecke, während das Innere unbefriebigt bleibe. Ohr und 
Auge, fagte man, werben überfchüttet, mit prädjtigen Reimen das 
eine, mit noch prächtigeren Bildern das andere: aber das Herz, 
diefe eigentliche Heimat ber Lyrik, was giebt uns fein, was em⸗ 
pfängt unfer Herz? Sogar die Macht der Liebe, der allesbe- 
jwingenden, feht her, ob fie dieſem ftarren Bufen noch etwas mehr, 
ald wenige ftammelnve, faft verſchämte, faſt unwillige Laute -zu 
entlocken vermag! 

Als Vorwurf gefaßt, war dieſe Bemerkung jedenfalls ſehr 
verkehrt und, wie bereits erinnert, ſehr unbegründet; ſie hätte, ſo 
weit ſie überhaupt Platz greifen durfte, nur als geſchichtliche Wahr⸗ 
nehmung geäußert werden dürfen. Es iſt allerdings Freiligrath's 
Verdienſt und die eigentliche Grundlage ſeiner literarhiſtoriſchen 


110 Politiihe Dichter dus vor⸗ und nahmärzlicher Zeit. 


Bedeutung, in einer Zeit, da unfere Dichtung unter den Händen 
ber „Kind- und Kindeskinder“ (mie Platen fie einft-nanıtte) voll⸗ 
kommen ausgeblaßt und verwafchen war, in lauter abftracter, ver= 
himmelnder Gefühlsfeligkeit — e8 ift, ſagen wir, Freiligrath's lite— 
varhiftorifches Verbienft, in dieſe ausgeblaßte, vermafchene Dichtung 
zuerft wierer Anſchauung, Farbe, finnlihe Friſche und Lebendig- 
feit gebracht zu haben; jo weit feine baroden, jeltfamen Keime und 
dieſer miderfpenftige, gleihfam in den Zügel knirſchende Vers ſich 
‘von dem herfömmlichen Trott ‘ver Tageöpoeten entfernte, eben fo 
frembartig, ſo wunderſam ſah diefe Pracht der Tropenwelt, welche 
. ſeine früheſten Gedichte uns entfalteten, zwiſchen die blaſſen, weſen⸗ 
loſen Schatten hinein, die übrigens dazumal den deutſchen Parnaß 
bevölkerten. Die Geſchichte, da hilft kein Seufzen, geht nun ein⸗ 
mal nicht anders als in Extremen: und fo wäre es auch nur völlig 
in der Ordnung gewefen, wenn der bloß innerlihen, abftracten 
Poefie der Zeitgenoſſen in Freiligrath ein ausſchließlich äußeres, 
finnlihes Talent entgegengetreten wäre. 

- Aber wolan denn, was- die Natur diefem Dichter verfagt zu 
haben fchien, das hat die Entwidelung der Geſchichte nachträglich 
in ihm hervorgerufen; wozu die Liebe zu ſchwach war, dus hat der 
Haß vermoht — 

Si natura negat, facit indignatio versum. 

- Diefer Dichter, dem alle Leidenſchaften zund überhaupt alles 
ethifche Element ſcheinbar fo fern lag, wie ift er jebt auf einmal, 
unter der heißen Sonne der Revolution, fo ganz Leidenſchaft, in⸗ 
grimmige, verzehrende Leivenfchaft geworden! Mit unerbittlichem 
Hanmerfchlag bat das Elend der Zeit die harte Rinde feiner Seele 
gefprengt und: mit züngelnder Flamme fchlägt jett jenes Feuer her- 
por, von bem er felbft Schon als jechzehnjähriger Knabe, bruſtkrank 
über feinem isländiſchen Moosthee brütend, propbezeiete: 








Ferdinand Freiligratb. 111 


„Feuer lodre, Feuer zucke 

Durch mich hin mit wildem Kochen; 
Selbſt der Schnee, in deſſen Schmucke 
Einſt mein Haupt prangt, ſei durchbrochen 


\ 


Bon der Flamme, die von innen 
Dich verzehrt; — wie roth und meiß 
Hella Steine von den Sinnen 

Wirft nach der Faröer Eis; 


So aus meinem Haupt, ihr Kerzen 
- Wilder Lieder, ſprühn und mallen 

Sollt ihr, und in fernen Herzen 

Siedend, ziihend nlederfallen 


Wir haben e8 bier, mie ſich von felbft verfteht, durchaus 
nicht mit- dem Bolitifer, lediglich mit dem Poeten Freiligrath zu 
thun. Wir gehen fogar noch weiter; wir befennen offen, daß Dies 
unausgeſetzte Toben und Wüthen der Leidenſchaft, dieſe gehäuften 
Verwünſchungen, Flüche, Drohungen, die einige von Freiligrath's 
neuern Gedichten anfüllen, uns auch in bloß äſthetiſcher Hinſicht 
keineswegs zuſagen und daß wir darin nicht allein eine Beſchränkt⸗ 
heit des Politikers, ſondern auch eine Verirrung des Künſtlers er⸗ 
bliden. Angenommen indeſſen, daß eine derartige Einſeitigkeit 
fünftlerifch geftattet wäre, angenommen, daß es eine Poefle des 
Haſſes gebe over geben könnte und daß ed dem bloßen Zorn, dem 
bloßen Grimm als folchen vergönnt wäre, in die Saiten der Kunft 
zu greifen — bier wäre die Aufgabe gelöft! Niemand, welcher 
politifchen Richtung er auch angehöre, fobals er nur gegen fich 
jelbft wahr fein will, wirh fich Dem gewaltigen Eindruck diefer Dich⸗ 
tungen entziehen, Niemand die erhabene, recht eigentlich dämoniſche 
Begeifternng in Abrede ftellen fönnen, von der biefelben durchfluthet 
find. Es ift, nad feinen Vorzügen und Schwächen, völlig derfelbe 
alte Freiligrath, wie er ſich zuerft vor bald einem Menfchenalter 


112 Politiſche Dichter aus vor- und nachmärzlicher Zeit. 


die Bewunderung des deutſchen Publicums — und welches abge- 
ftandenen, entneroten Publicums damals! — im Flug eroberte: 
verfelbe dröhnende, klirrende Vers, diefelbe Pracht der Bilder, tie= 
jelbe Gewalt ver Schilderungen, derſelbe troßige, finftere Ungeftüm. 

Aber freilich auch im Einzelnen diefelben Mebertreibungen und 
diefelbe Neigung zum Yaunenhaften, Saprieiöfen, das ſich hier 
einigemal fogar zur offenen Geſchmackloſigkeit fteigert. Ya dieſer 
Mangel an ftrenger äſthetiſcher Durchbildung tritt in diefen „‚Neue= 
ren Gedichten” fegar noch häufiger hervor als früher; die ganze 
extreme Stellung, welche der Dichter bei Abfaffung derſelben ein- 
nahm, brachte e8 fo mit fih. Nicht mehr auf ſchwankem Kameel- 
hals wiegt er fich durch die Wüfte, noch belaufcht er den kämpfen⸗ 
den Ziger in ber Einſamkeit des Urwalds: der Geift des Tigers, 
jener, den auch der edle Lenau einmal in dem Prolog zu feinen 
„Albigenſern“ anruft, ift in ihn felbft gefahren, aus dieſen Verſen, 
biefen Liedern flammt uns fein Auge, züugelt uns fein Rachen, 
ſtreckt ſich uns feine, drohende, zudende Klaue entgegen — brecht 
nicht den Stab über den Dichter, brecht den Stab über die Zeit, 
„ſeine Herrin und unfre, die ihn alfo umgeſchmiedet, aus jo har- 
tem Herzen jo wilde Funken hervorgelodt hat! 

Allein jo fehr die Noth der Zeit unfern Dichter auch verän- 
dert, fein treues deutsches Blut hatte fie doch nicht vergiften, 
die urjprüngliche Einfalt und Bieverfeit feines Herzens. doch nicht 
erftiden können. So brachte er denn aud in der in Rebe fiehen- 
den Sanımlung einzelne Klänge von milderem, gemäßigterem 
Tone, und grabe diefe waren, was freilich fehr nahe lag, auch in 
künſtleriſcher Hinficht die gelungenften und erfreulichften. So ganz 
befonders das „Weihnachtslied für meine Kinder, vor der Aus⸗ 
weifung 1850,” auf das wir hier, wo wir den wilden Grimm des 
Dichters eben mit jo lebhaften Farben gezeichnet haben, um- fo 





Ferdinand Freiligrath. | 113 


lieber binzeigen, als es den Beweis liefert, wie viel Sauftmuth 
bei fo vieler Wildheit und wie viel wahres, ächtes, inniges Gefühl 
bei fo mancher geflifientlichen Maßlofigkeit und Uebertreibung wohnt. 
Auch in Betreff der Ausführung ift das Gedicht ein kleines Cabi⸗ 
netsftüd von Anmuth und Sauberkeit; gleich der Anfang führt uns 
mitten in die Situation: . 


„Zum jechften Mal der Kerzen Strahl 
Anfach“ ich auf der Fichte; 

Das ift ein Schrein! Herein, berein, 
Und freut euch an dem Lichte! 

Genug gebarrt, genug geiharrt 

Im Gang und an ber Thüre! 

Die Schelle klingt, der Riegel ſpringt: 
Herein, mein. Kleeblatt - Biere! 


Herein, ihr Froh'n! Ad, wo nicht fchon, 
Ihr zarten, jungen Leben, 
Kamt ihr, wie heut, auf mein Geläut — 
Wir ſind Nomaden eben! 

Heil eurer Luſt! Mir füllt die Bruſt 

Ein ſchmerzlich ſüßes Träumen, 

Anheb ich weich ein Lied für euch 

Bon euren Weihnachtsbäumen! 


Der erfte, erzählt ver Dichter, wuchs auf Schweigergrumd, ber 
zweite und dritte flanden an der Themſe: 


Das nächfte war ein heimifch Paar, 
Ein Tannenpaar vom Aheine, 
Das Wurzeln ſchlug und Radeln trug 
Auf hohem Uferfteine, 
Dem Riß der Ley entragt’ es frei, 
Landein die Eifel blaute, 
Und Weingerank umflog ven Hang, 
Bon bem es nieberjchaute. 
Brup, die deutfche Literatur der Gegenwart. I. 8 


Dt 


112 Bolitifche Dichter *" „mehr Zeit. 
Pd 
bie Ber uf riler Rlippe, von wo er dem 
ftand- ME —— letztes Leberohl nachgerauſcht 
derf ger en „pie Dange Trage, wo er, „Rauchfroſt 
fer rt 7 jan ? ypeipeen imacötanne- fällen wird: 
ya FE ie , 


BT. ufs Neu umfängt fie treu 
a gie ande werther Boden — 
alt⸗ fißrer i ift, fie fteht zur Frift 


aim Hublon in ben Toben. 


ger auch davor ſollen die Kieinen nicht bangen: ber Dichter 

nen bie ehrliche Rothhaut, die alsdann ihr Freund und 

ſchilde wird, ja er führt ſie ſchon jetzt zu dem alten Eich— 
* aus dem wunderſam ſummende, ſchwirrende Stimmchen er⸗ 

da m es find bie Bienen, die ſchon jest in fill vorjorglicher 
it zufammentragen zu dem Wachs, das Fünftiges Jahr ven 
einſamen Weihnahtsbaum ber. Berbannten jenfeit® des Oceans 


erhellen fol: 


So jorgt Ratur auf ferner Flur . 

Schon heut fiir end, ihr Lieben! - 
Und Menſchen auch, lebend’gen Hauch 

Und Odem trefft ihr drüben! . 

Manch rauhe Hand durchs rauhe Land 

Treibt euch den Pflug entgegen, 

Die ſegnend ſich, waldnachbarlich 

Auf eure Stirn wird legen. 


Manch rauhe Hand im rauhen Land 
Wird Beeren für euch brechen; x 

Mandy treuer Mund aus Herzensgrund 

Euch küſſen, zu euch jprechen; 

Manch lieb’ Geficht-, aus Locken dicht, 

Am Blodhaus euch begrüßen; 

Manch Heiner Fuß, thaunafien Schubs, 

Boreilen enren Füßen! 





Ferdinand Freiligrath. 115 


- Drum muß e8 fein, und ftößt der Rhein 
\ Eud aus, ihr Bagabunden: 

Der neue Herd, der fefte Herb, 

Der wird euch doch gefunden ! 


Die Heimath nur macht heimathlos 
: Die Kinder ihres Dichters! 

Wie man weiß, hat die trübe Vorausſicht des Dichters ſich 
nicht ganz erfüllt, er ift wenigſtens nicht genöthigt geweſen, bis 
nach Amerika auszuwandern ; das Afyl, das er auf englifchem Bo⸗ 
ven gefunden, ift ihm geblieben, ja Jeinem Fleiß und der allge- 
meinen, herzlichen Achtung, welche bie Tüchtigfeit und Zuverläfftg- 
feit feines Charakters ihm aud in der Fremde erworben bat, ift e8 
fogar gelungen, ihm eine verhältnigmäßig behagliche und geficherte 
Stellung zu verſchaffen. | | 

Aber die Adern der Poeſie find ihm doch unterbunden. Gleich 
Dingelſtedt ift auch reiligrath verftummt: aber nicht weil ihm ver 
innere Haltpunkt fehlt, ſondern ad, weil ihm das Baterland 
mangelt! — Seit feinen „Neueren Yolitifhen und focialen Ge⸗ 
dichten“ hat Freiligrath wenig oder nichts von eigener Arbeit ver⸗ 
öffentlicht. Er überſetzt und überſetzt mit der Sorgfalt und ber 
Virtuoſität, durch die er eine neue Epoche in der Gefchichte unferer 
Ueberſetzungskunſt hervorgerufen hat; eine feiner jüngften und be- 
deutendften Arbeiten in dieſem Fache ift die Hebertragung von Long- 
fellow's berühmtem „Lied von Hiawatha.“ Sie iſt wiederum ein 
Meiſterſtück in ihrer Art — aber doch nicht das, was der Dichter 
ſeinem Volke leiſten könnte und leiſten würde, wenn die linde Luft 
der Heimath ihn umſchmeichelte, wenn deutſche Laute an ſein Ohr 
ſchlügen, deutſche Hände den Druck ſeiner Rechten erwiederten — 
wenn er mit einem Wort kein Verbannter wäre .... 


— 


114 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


Der heutige, erwachſen auf ſteiler Klippe, von meer dem 
Rhein, dem Hollandsgänger, ein letztes Lebemohl nachgerauſcht 
hat, eutpreßt Dem Dichter. die bauge Frage, wa er, „Rauchfroſt 
im Haar,” die nächſte Weihnachtstanne fällen wird: 


Bielleicht aufs Neu umfängt fie treu 
Alt» Englands werther Boden — 
Doc fichrer ift, fie fteht zur Frift 
Am Hudlon in den Toben. 


Aber auch davor füllen Die. Kieinen nicht bangen: ber Dichter 
ſchildert ihnen die ehrliche Rothhaut, die alsdann ihr Freund und 
Nachbar fein wird, ja er führt fie ſchon jett zu dem alten Eich— 
baum, aus dem wunderfam ſummende, ſchwirrende Stimmehen er- 
tönen — es find bie Bienen, die ſchon jet in fh vorſorglicher 
Arbeit zufammentragen zu dem Wade, das künftiges Jahr den 
einfamen Weihnachtsbaum der. Berbannten jenſeits des Oceans 
erhellen ſoll: 


So ſorgt Ratur auf ferner Flur 

Schon heut für euch, ihr Lieben! 
Und Menſchen auch, lebend'gen Hauch 

Und Odem trefft ihr drüben! . 

Manch rauhe Hand durchs rauhe Land 

Treibt euch den Pflug entgegen, 

Die fegnend ſich, walbnachbarlich 

Auf eure Stirn wird legen. 


Manch raube Hand im-rauhen Land 

: Wird Beeren für euch brechen; N 
Manch treuer Mund aus Herzensgrund 
Euch küilſſen, zu euch jprechen; 
Manch lieb' Geſicht, aus Locken Dicht, 
Am Blockhaus euch begrüßen; 
Manch kleiner Fuß, thaunaſſen Schube, 
Voreilen enren Füßen! 








Ferdinand Freiligrath. 115 


Drum muß es fein, und ſtößt ber Rhein 
. Eud aus, ihr Bagabunden: 
" Der nene Herb, ber fefte Herd, 

Der wird euch Doch gefunden | 


Die Heimath nur macht heimathlos 
: Die Kinder ihres Dichters! 

Wie man weiß, hat die trübe Vorausſicht des Dichters ſich 
nicht ganz erfüllt, er ift wenigſtens nicht genöthigt gewefen, bis 
nad) Amerika auszumandern ; das Afyl, das er auf englifchem Bo: 
ben gefunden, ift ihm geblieben, ja feinem Fleiß und ver allge- 
meinen, herzlichen Achtung, welche die Tüchtigkeit und Zuverläffig- 
feit feines Charakters ihm aud) in der Fremde erworben hat, ift es 
ſogar gelungen, ihm eine verhältnißmäßig behagliche und geficherte 
Stellung zu verſchaffen. | 

Aber die Adern der Poeſie find ihm body unterbunden. Gleich 
Dingelftedt ift auch Freiligrath verftummt: aber nicht weil ihm ver 
innere Haltpumkt fehlt, ſondern ach, weil ihm das Baterland 
mangelt! — Seit feinen „Neueren politiſchen und focinlen Ge⸗ 
dichten“ hat Freiligrath wenig oder nichts von eigener Arbeit ver— 
öffentlicht. Ex überſetzt und überſetzt mit der Sorgfalt und der 
Birtuofität, durch die er eine neue Epoche in der Gejchichte unferer 
Ueberfegungsfunft hervorgerufen hat; eine feiner jüngften und be- 
deutendſten Arbeiten in dieſem Fache iſt die Uebertragung von Long⸗ 
fellow's berühmtem „Lieb von Hiawatha.“ Sie ift wiederum ein 
Meifterftüc in ihrer Art — aber doch nicht das, was der Dichter 
feinem Volke leiften könnte und leiften würde, wenn bie linde Luft 
der Heimath ihn umfchmeichelte, wenn beutfche Raute an fein Ohr 
ſchlügen, veutfche Hände den Drud feiner Kenn e ermwieberten — 
wenn er mit einem Wort kein Verbannter wäre. 





5. 
Moriz Hartmann. 


Wie groß die Macht war, welche die politiſche Lyrik in den 
vierziger Jahren bei uns entfaltete, das zeigt ſich unter anderm 
auch darin, daß es ihr gelang, ſogar jenen Wall niederzuwerfen, 
der bis dahin die öſterreichiſche Literatur von der des übrigen 
Deutſchland getrennt hatte; ſo groß war die Sympathie, welche 
dieſe Gattung damals bei uns erweckte, daß ſie ſelbſt über die 
ſchwarzgelben Schlagbäume hinüberdrang und ung auch von Oeſter⸗ 
reich her einige allgemein beliebte und geſchätzte Dichter zuführte. 

Zwar in gewiſſem Sinne könnte man die geſammte politiſche 
Dichtung ein öſterreichiſches Gewächs nennen, inſofern nämlich 
zwei öſterreichiſche Dichter, Anaſtaſius Grün und Nicolaus Lenau, 
ganz unzweifelhaft die erſten Vorläufer der ſpätern politiſchen Lyrik 
ſind und durch ihr Muſter nicht wenig dazu beigetragen haben, daß 
politiſche Stoffe überhaupt wieder zu einem Gegenſtand der Poeſie 
gemacht wurden. Indeſſen war doch ſelbſt das ausgezeichnete Talent 
der beiden eben genannten Dichter nicht im Stande geweſen, die 
politiſche Poeſie bei ihren Landsleuten populär zu machen, vielmehr 
geſchah letzteres erſt, wie ja auch in Deutſchland ſelbſt, durch die Her- 
wegh'ſchen „Gedichte eines Lebendigen.“ Anaſtaſius Grün's „Spa- 
ziergänge eines Wiener Poeten,“ die zuerſt 1832 ans Licht traten, 
und Nicolaus Lenau's „Albigenſer“ vom Jahre 1845, bezeichnen ſo 


Moriz Hartmann. 117 


ziemlid) die Grenz⸗ und Höhenpunkte defien, was in Oeſterreich 
auf dem Gebiet der politifhen Dichtung unabhängig von unmittel- 
barftem beutjchen Einfluß geleiftet ward; was dazwiſchen Liegt, ift 
von geringer Exhebfichkeit, mit Ausnahme Karl Beck's, deſſen „Ge- 
dichte eines fahrenden Poeten‘ (1838) ſammt feinen übrigen |poren- 
klirrenden Jugenddichtungen jedoch nicht in Defterreich, fondern in 
Deutfchland und unter dem allernächſten Einfluß ber deutſchen 
Bildung entftanden, wie fie denn auch, gleich den Dichtungen von 
Lenau und Grün, von Deutfhland aus in die Welt gingen. 

Im Ganzen dürfte der Antheil, welchen Defterreich an unferer 
politifchen Poefle genommen, epochemachender -gewefen fein für 
Defterreich felbft, als für die deutſche Literatur. Doch verdankt 
letztere dieſer Berührung einige friſche und liebenswürbige Talente, 
unter denen wir Moriz Hartmann die erfte Stelle einräumen. 


Moriz Hartmann's Ruf als einer der begabteften Dichter 


nicht bloß ſeines öſterreichiſchen Vaterlandes, ſondern der jüngern 
Generation überhaupt, ftantmt bereits aus vormärzlicher Zeit. 
Er gründet fi auf die Sammlung „Keld und Schwert,” die ver 
Dichter bereits 1845 veröffentlichte und auf die zwei Jahre fpäter 
erfchienenen „Neueren Gedichte.“ „Keld und Schwert,” ſchon 
durch feinen Titel an Huf und feine gewaltigen Schaaren erin- 
nernd, feiert .vie Vergangenheit des böhmifchen Volks und beflagt 
‚in ergreifenden Accorven feinen angeblihen Verfall und feine Er: 
niedrigung unter das Joch des Fremden. Mit fo viel Schwung 
und Mannigfaltigfeit der Dichter dies Thema and) zu behandeln 
gewußt hat und fo anerfennenswertb namentlich aud die Einfach- 
heit und Natürlichkeit des Auspruds ift, deren er fich dabei beflei- 
Rigt, ganz im Oegenfa zu der fonftigen Manier ber öfterreichifchen 


! 


Dichter, fo fönnen wir doch nicht bergen, daß bei aller Bewimbe- - 


rung einzelner fhöner und tiefempjumdener Stellen das Ganze doch 


7 


118 Bolitifche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


immer nur einen etwas peinlichen Eindruck auf uns gemacht hat: 
deshalb nämlich, weil wir nie recht begreifen konnten, wie ein 
Dichter von deutſchem Blut und deutſcher Abkunft, ja ‚ver felbft 
in deutſcher Sprache dichtet, dazu kommt, die unterdrückte, wohl- 
gemerkt von Deutſchen unterdrückte Nationalität des böhmiſchen 
Volks zu feiern und den gefnnfenen Muth defſelben mit Hoffnungen 
zu nähren, bie, follten fie fi jemals erfüllen, eben ſo viel Nie— 
derlagen für des Dichters eigene Landsleute, fur die Deutſchen 
hätten werden müſſen. 

Doch lag ja der furchtbare Ernſt, zu welchem der anfangs jo 
muthwillig gefchlirte Nationalitätenftreit in Defterreich ſich ſpäterhin 
fteigerte, ven Augen der Mehrzahl damals noch fehr ferne, und fo 
mochte ja auch wol ein junger ftoffhungriger Dichter bis auf Weite- 
res vergeflen, daß Böhmen jeit Jahrhunderten eine jo gute deutjche 
Eroberung, wie je eine nicht bloß durch vie Kraft des Schwertes, 
fondern auch durch bie weit höhere des Geiftes und der Bildung 
gemacht ift; er mochte, in Ermangelung anderer, würdigerer Stoffe, 
immerhin ein bischen fchön thun mit ven Leiden eines Volfes, das 
für ihn ein fremdes war und mochte ihm Lorbeeren um die Stirne 
flecdhten, Die aus der Schmach feines eigenen Vaterlandes gemachjen 
"waren. Der Deutjche bat nun einmal von Alters diefen kosmo— 
politifchen Zic, Daß er fich eher um aller Welt Schaden, als um 
feinen eigenen Vortheil kümmert. Auch find wir überzeugt, daß 
der Dichter nach ven Erfahrungen, die ex ſeitdem gemacht, wenn 
er feine poetifche Laufbahn noch einmal beginnen follte, dieſelbe 
vermuthlich nicht mit der Verherrlichung eines fremden Volkes auf 
Koften feines eigenen eröffnen wirbe. Und enblich hat Moriz 
Hartmann fi) auch ſeitdem praftiich als ein fo guter Deutfcher 
_ bewiefen und macht noch jett, wo er das bittere Brot der Ver— 
bannung eilen muß, dem deutſchen Namen im Ausland fo viel 


Moriz Hartmann. 119 


Ehre, daß wir ihm Bien Sehr feiner Jugend wol nachſehen 
mögen. 

So war Morig Hartmann denn, als das Jahr Achtund⸗ 
vierzig hereinbrach, bereits ein berühmter Mann, und da man da—⸗ 
zumal noch glaubte, es ſei nichts leichter, als kranke Staaten zu 
kuriren und ein talentvoller Dichter müffe um deswillen auch noth- 
wendig ein ebenfo vorzüglicher Staatömann fein, jo wurde Mori; 
Hartmann in das Parlament zu Frankfurt gewählt. Er ſaß da— 
felbft auf der Außerften Tinten und galt als ein eifriges und thäti- 
ges Mitglied derſelben. Gleichwol ließ feine finatsmännifche 
Wirkſamkeit ihm noch Zeit, ſich auch als Dichter thätig zu erwei⸗ 
jen. Noch während feines Aufenthalts in Frankfurt veröffentlichte 
er die „Chronik des Pfaffen Mauritius: Spottverfe nach Art der 
Dingelftept’fchen, mit dem Unterfchiede nur, erſtlich, daß ſie grade 
nad) der entgegengeſetzten Seite gerichtet und zweitens, daß fie noch 
ein gut Theil gröber und ffandalfüchtiger waren. Im Uebrigen 
hatte die „Chronik des Pfaffen Mauritius“ daſſelbe Schieffal, wie 
alle dieſe Nachzügler unferer politifchen Dichtung, die ſich nach 
dem März Achtundvierzig hervorwagten: fie wurde nur wenig be- 
achtet und trug daher auch nur wenig dazu bei, ben Ruf des Dich⸗ 
ters zu vergrößern. 

> Als conſequenter Anhänger ver Linken, begleitete: Moriz Hart⸗ 
mann das Rumpfparlament nach Stuttgart und wurde hier in den 
Sturz deſſelben verwidelt. Er mußte flüchten und zwar ging er 
zumaͤchſt nach Frankreich, wo er längere Zeit theils in Baris, theils 
in den ſüdlichen Provinzen lebte. Von Paris aus machte er zur 
Zeit des Krieges zwiſchen Rußland und den Weſtmächten als Corre⸗ 
ſpondent der „Kölniſchen Zeitung“ eine. wunderbar abenteuerliche 
Erpedition nach der Türkei; über die Fata, die er auf derſelben 
auszuſtehen gehabt hat und die bunt genng find, hat er in der Ein- 


z 


120 Politiſche Dichter aus vor- und nachmärzlicher Zeit. 


leitung: zu feinen unlängft erfchierienen ‚Erzählungen eines Unfte- 
ten” ausführlicher berichtet. Yängere Zeit war er völlig verſchollen, 
er galt für todt, ja was Viele noch fchlimmer dünkte, für begraben 
in irgend einem ungarifchen Kerker, bis er endlich glücklich nach 
Paris zurüdgelangte, wo er ſich noch gegenwärtig aufhält. 

Daß ein fo unfletes und abenteuernves Leben, wenn es ven 
Dichter auch allerdings mit einer Menge Erfahrungen und An- 
ſchauungen bereicherte, doch feinen poetifchen Leiſtungen nicht günftig 
fein konnte, Liegt auf der Hand. Auch hat Moriz Hartmann in ber 
That in dieſen letten zehn Iahren nichts geleiftet, was ſich ber 
Sammlung „Kelch und Schwert“ oder den „Neueren Gepichten“ 
zur Seite fegen ließe. Natürlich wäre e8 fehr ungerecht, wollte 
man dem Dichter zum Vorwurf machen, was doch nur-fein befla- 
genswerthes Schidfal verſchuldet bat; die Luft des Erils, ſchon an 
Vreiligrath’8 Beifpiel haben wir es geſehen, ift einmal nicht'geeignet, 
Dichter groß zu ziehen; ein Ovid in Tomi mag jentimental kokette 
Klagen ausftrömen und ſich zurüdjchnen nach. ver verfcherzten Hof⸗ 
gunſt und dem üppigen Wohlleben bes kaiſerlichen Rom, ein Dicy- 
ter aber, was wirklich ein Dichter ıft, nicht bloß ein poetifirender 
Rhetor, verſtummt unter dem Drud der fremden Atmofphäre, over 
. träntelt doch dahin wie ein Baum, der feinem heimathlichen Erd⸗ 
reich entnommen iſt.... 

So kann venn Alles, was Moriz Hartmann feit feiner unfrei- 
willigen Auswanderung veröffentlicht hat, nur ven Werth von Stu- 
dien in Anfpruch nehmen. Doch find es gewiflenhafte und zum Theil 
auch recht erfolgreiche Studien. Auch Moriz Hartmann hat fi 
von ber politifhen Dichtung in dem frühen ſpecifiſchen Einne los⸗ 
gejagt; feine „Chronik des Pfaffen Mauritius“ ift nicht nur ſein 
ſchwächſtes, ſondern auch fein leisies Werk diefer Gattung gemefen. 
Statt auf viefer Bahn, die fürs Erfte fein Ziel mehr bat, weiter 


Moriz Hartmann. - 121 


zu gehen, hat auch er werfchtenene. Berjuche gemacht, fi) non ber 
lyriſchen zur epifchen Dichtung durchzuarbeiten. 

Gleich das Erſte, was er aus dem Exil veröffentlichte, gleich- 
ſam ein poetifcdyer Gruß an die Freunde in der Heimath, war ein 
jeldher epifcher Verjuh: „Adam und Eva’ (1851). Es war höchft 
harakteriftifcher Weife -ein Idyll: Beweis genug, wie wenig ber 
Dichter fich unter dem politiſchen Parteigetriebe innerlich befriedigt 
gefühlt: hatte und wie herzlich e8 ihn ans ven Parlamentsvebatten 
und Zeitungsartifeln zurückverlangte nach einfachen und naturge- 
mäßen Zuftänden. Leider nur hatte ver Dichter fi im Stoff 
vergrifien. „Adam und Eva” ift Die Gefchichte eines jungen Paa- 
es, das ſich beim Herannahen ver Ruſſen aus- feinem böhmtjchen 
Heimathoorfe in das Dickicht des Waldes flüchtet, wo es nun, wie 
einſt, Paul und Birginie,“ in paradiefifeher Unſchuld zufammen Lebt. 
Natürlich hat auch- dies Paradies feine Schlange, nämlich einen 
ruſſiſchen Offizier, der das Verftel im Walde entvedt und vem- 
jungen Mädchen mit feinen Zupringlichfeiten Yäftig fällt. Adam 
zeigt fich dabei, wie auch in einem fpäteren Kampfe mit einem Wolf 
als rüftiger Held und erobert ſich dadurch das Herz feiner ſchönen 
Gefährtin, die, nachdem das Dorf von ven Feinden verlaflen ift, 
nad) ſolchen Proben feines männlichen Muthes fein Bedenken mehr 
trägt, auch vor dem Altar feine Gefährtin für Zeit und Emwigfeit zu 
werben. — Alfo eine Dorfgefchichte, die jedoch, um Die zarten und 
anmuthigen Motive, die allerdings darin enthalten ſind, zur richtigen 
Geltung zu bringen, nicht nur mit: weit größerer pfychologifcher 
Schärfe, ſondern namentlich auch mit größerer Plaſtik hätte aus- 
geführt werben müffen. Trotz der Sorgfalt, mit weldyer ver Did;- 
ter die beiden Hauptfiguren behandelt, haben biefelben doc, etwas 
Blaſſes, Unbeſtimmtes behalten, während die untergeordneteren 
Figuren völlig charakterlos und nebelhaft ſind. Auch in der Form 


‘122 Politiſche Dichter aus vor- und nahmärzlicher Zeit. 


hat fi der Dichter vergriffen; eine ganz niedliche Dorfgefchichte 
ift darum noch fein geeigneter Stoff zum Epos und überdies find 
bie Herameter, in welche ber Dichter feine Geſchichte eingefleivet 
hat, von fo „fragwürdiger Geftalt,“ als ob niemals ein Voß ober 
Platen eriftirt hätte. 

Noch in vemfelben Jahre ließ der Verfaſer ein Bändchen 
poetiſcher Erzählungen unter dem Titel „Schatten“ erfcheinen. 
Daſſelbe enthält fünf epifche oder doch gleichfam epifche Gedichte. 
Denn fo löblic und anerfennenswerth das Bemühen des Dichters, 
- jein leichtflüffiges, Iyrifch abfchweifenves Talent zur epifchen Com⸗ 
pofition zufammen zu faſſen, ohne Zweifel auch war, fo weit blieb 
. er auch noch in diefen erzählenven Gedichten hinter der eigent- 
lichen Aufgabe des Epos zurüd. Der Strom ver Byrif mag mit 
entfeffelter Welle, in fchönem freiem Spiel ſorglos, auffichtlos da⸗ 
binftrömen, das epifche Gebicht dagegen und fei es in noch fo engem 
Rahmen, verlangt eine ſtrengordnende, künftlerifshe Hand, ſowol in 
Wahl des-Stoffes und Anlage des Planes, als auch in der gleidh- 
mäßigen und überdachten Bertheilung der Gruppen; e8 verlangt 
vor allem einen greifbaren geſchichtlichen Kern, voll Intereffe, Wahr- 
beit und Leben und ebenſo in der Ausführung greifbare plaftifche 





J 





Geſtalten. Beides ſucht man in dieſen erzählenden Gedichten ver- _ 


geblich, oder findet es doch nicht in dem Grade und mit der Gleich— 
förmigfeit, welche das Kunſtwerk erforbert. Freilich follen e8 nad 
der Abficht des Dichters ſelbſt nur „Schatten“ fein. - Allein wenn 
dieſe Abficht dazu dienen ſoll, das Schattenhafte, Unfichere und 
Berwifchte in dieſen Gedichten zu rechtfertigen oder auch nur zu 
beihönigen, jo müſſen wir vie Abfidyt felber tadeln. 

Das erfte und umfangreichſte Stüuck ver Sanmlung, „Sad: 
ville”. führt uns in die Hallen eines altenglifchen Edelmanns, zu 
dem ritterlichen Gelage Iuftiger Zecdy- und Jagdgefährten. Alles 











Moriz Hartmann. 123 


dies Beiwerk ift vortrefflich ausgeführt, charafteriftifch, anſchaulich 
und voll innern Lebens. Der eigentliche epifche Kern Dagegen, die 
Fabel des Gedichtes, weldhe-ven erften Fahren des breißigjährigen 
Krieges, insbefondere den Abenteuern der ſchönen Elifabeth von ver 
Pfalz entnommen ift, hat trog der emzelnen dramatiſchen Mo— 
mente dennoch im Ganzen etwas Lahmes, Unbefriebigenbes, weil 
eben der Stoff nicht gehörig gruppirt tft und die einzelnen Figuren 
nicht mit gleihmäßiger Sorgfalt in Scene geſetzt find. 

“ Weit unerheblicher, bei einzelnen jehr Schönen Schilverungen 
find „die Berbannten von Locarno.“ „Kallokas oder ver Bund 
der Gleichen, ein Traum,“ ftreift in das philofophifche Gebiet, 
aber nur init geringem Glück. Dagegen ift in „Luiſe von Eiſenach“ 
ein einfacher, faft abgenutzter Stoff vermöge ber leivenfcheftlichen 
Seite, die er der Behandlung darbot und bie ſich dem Talent des 
Dichters ſehr glücklich anfchmiegte, zu einer höchſt erfreulichen Wir- 
fing gebracht. Auch „Luiſe von Eiſenach“ ift fein eigentliches 
Epos, nur eine Reihenfolge einzelner bald epifcher, bald Inrifcher 
Epiſoden; aber lebendig, friſch und in einer wohllautenven und 
poetifch Durchgearbeiteten Sprache. — Den Schluß bilpen „die 
letzten Augenblicke Ludwig Batthyany's,“ die der Dichter ſchon ein- 
mal, im fünften Heft ver „Chronik des Pfaffen Mauritius“ ver- 
Öffentlicht hatte. Der Stoff ift ohne Zweifel wie für bie Poeſie 
geſchaffen; uber fei es, daß er der Gegenwart noch zu nahe liegt, 
jei:e8, daß das mehr weibliche und anfchmiegende Talent des Dich- 
ter8 einem jo großartigen Gegenftanve nieht gewachfen ift, genug, 
bas Gedicht hat auf uns immer nur den Einvrud fraftlos weich⸗ 
licher Sentimentalität und unangenehm aufdringlicher Schönreb- 
nerei gemacht und fähen wir e8, ſowol um feines Helden als um 
feines Dichters willen, am liebften der Bergefienheit übergeben. 

Dagegen findet fich num zwiſchen diefen erzählenden Gedichten 


124 PPoolitiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


. unter dem Titel: „Intermezzo. Tagebuchblätter“ eine Reihenfolge - 


Inrifcher Poefien eingeſchaltet, Liebesgedichte voll fo edlem Feuers 
und dem größeren Theile nach auch von jo vortrefflicher Fünftleri- 
cher Ausführung, daß man wohl Grund hat, dieſes „Intermezzo“ 
als die eigentliche Lichtpartie ver „Schatten” zu bezeichnen. Poeten 
pflegen fchlechte Kenner ihrer jelbft zu fein und fo begegnet e8 ihnen 


| nicht felten, daß grade Dasjenige, worauf fie bie meifte Mühe 


verwandt haben und was fie felbft am höchften zu ſchätzen geneigt 
find, in der That am menigften gelingt: währenn Anderes, nach 
ihrer Meinung Untergeoroneteres den vollen Beifall der Leſer er- 
hält und verbient. Indeſſen Haupt- oder Nebenjadhe, Intermezzo 
oder eigentliches Thema, es ift fchon allemal eine-Gunft des Him- 
mels und der Poet preife fich hochbeglückt, dem foldye Gedichte, wie 
dies „Intermezzo gelingen. 

Leider indeß hat der Dichter damit auch, wie es ſcheint, für 
längere Zeit von der Poeſie im engeren Sinne Abſchied genommen. 
Einzelne Gedichte in Zeitſchriften und Almanachen, ſowie einige 
Ueberſetzungen und Bearbeitungen aus fremden Sprachen ausge⸗ 
nommen, hat Moriz Hartmann ſeit den „Schatten,“ alſo in einem 
Zeitraum von ſieben Jahren, nichts Poetiſches mehr veröffentlicht; 
vermuthlich weil die Unſtetheit ſeines äußeren Lebens ihn nicht zu 
derjenigen inneren Sammlung und Ruhe gelangen ließ, deren der 
Dichter nothwendig bedarf. 

Dagegen hat er in dieſer Zeit erſtlich ein zweibändiges „Tage⸗ 
buch aus Languedoc und Provence” (1853.u. 1854) veröffentlicht. 
Es find lebendige und anmuthige Schilderungen aus dem Süpen 
Tranfreihs, aus jenem Paradies der Dichter, wo ver Lorbeer und 


bie Myrte blüht, wo einft-Betrarca feine vielbemunderten Reime 


verfertigte, wo aber au das Blut der Camiſarden den Boben 
neßte, ber uns hier in feinen verfchiedenartigften Beziehungen, fo- 














Moriz Hartmann. 125 


wol nad feiner lanpfchaftlihen, ‚wie nach feiner archäolegifchen, 
als auch befonvers nach der gejchichtlichen Seite hin dargeftellt 
wird. Denn das ift es vornehmlich, mas Moriz Hartmann von 
ver gewöhnlichen Schaar der Zouriften vortheilhgft unterfcheibet, 
daß er überall ein Auge für das Volt, namentlich und hauptfäch- 
lich aber für das leidende Volf hat. „Jedes Land,” fagt er ein- 
mal von fich felbft, „wird mir erft dann lebendig, wenn ich e8 mit 
gewifien Helden feiner Gefchichte bevölfere und ich bereife es, wie 
man einen Roman lieft, immer in Begleitung bes ‚leivenden‘ Hel⸗ 
den, in dem ich Alles oder das Meifte, das ich fehe und erlebe, auf 
ih beziehe. Daß diefe Helven meiner Reijeromane oder Romans 
reifen meift die Unterbrüdten des Landes find, das ift jo mein Ge⸗ 
fhmad, meine Sympathie. In Irland war e8 Robert Emmet 
und die Katholiken, im ſüdlichen Frankreich find es Roland Jean 
Cavalier und die Proteftanten. Nächten Frühling bereife ich 
wahrjcheinlich Corſika und ſchon ahne ich, daß Pascal Paolı mein 
Auserwählter fein wird , durchwandere ich aber Die Pyrenäen, dann 
were ich mich allem Anfcheine nach weniger um die idylliſch glüd- 
liche Republil von Andorra, als um die Cagot's kümmern, welche, 
wie man fagt, von den Zimmerleuten abflammen, vie das Kreuz 
-Chrifti gezimmert und die noch vor faum einem halben Sahrhun- 
dert als Ausgeftoßene ungeftraft angefpuct werden durften.‘ 

Wie wir bereits erwähnt haben, iſt der “Dichter weder nad) 
Corfifa, noch in die Pyrenäen gelommen, fondern fein Schidfal 
hat ihn nach Bulgarien und an den Bosporus verfchlagen. Bon 
bort zurüdgefehrt, hat er vor Kurzem, wie ebenfalls bereits erwähnt 
ward, zwei_Bänvchen "Erzählungen eines Unfteten‘ erfcheinen 
laſſen. Es ift nicht ver erfte Verſuch, den unfer Dichter auf no 
velliftifchem Gebiete gemacht hat; ſchon 1850, alfo gleichzeitig mit 
„Adam und Eva,‘ over vielleicht noch einige Monate früher, er- 


126 Bolitiiche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


Ihien von ihm ein auf böhmifcher Erbe fpielender Roman, „Der 
Krieg um ven Wald.“ Doch war verfelbe von feiner bejonderen 
Erheblichkeit. und auch die „Erzählungen eines Unfteten“ find zwar 
recht niedliche Feuilletongeſchichtchen, ftehen aber Doch zu dem, was 
der Dichter bei größerer Sammlung unftreitig leiſten könnte, in 
keinem Verhältniß. 

Und fo ſcheiden wir denn auch ven ihm mit dem Wunſche, 
daß er recht bald auf den Boden der Heimath zurückkehren möge, 
um, ein poetiſcher Antäus, erneute und verdoppelte Kräfte zu ent⸗ 
wickeln. 








6. 
— Algfred Meißner, 


Neben Moriz Hartmann und gleichzeitig mit ihm wurde Al⸗ 
fred Meißner bekannt. Gleich Jenem von deutſchen Aeltern in 
Böhmen geboren, hat er die Erſtlinge ſeines poetiſchen Ruhms 
ebenfalls dadurch erworben, daß er fi) ver Oppoſition des natio— 
nalböhmiſchen Geiſtes gegen die Oberherrſchaft des Deutſchthums 
anſchloß. Es geſchah dies damals in Böhmen ſehr häufig und auch 
von Solchen, die ſich für die Abkömmlinge der Libuſſa in der That 
nur ſehr wenig intereffirten. Dieſe Oppofttion nahm bei Vielen nur 
bie nationale Maske vor, um die eigentliche politische Abficht vahin= 
ter zu verbergen; nicht das alte Böhmenreich wollten fie wieder her- 
ftellen, fonbern nur an dem damaligen Öfterreichifchen Syſtem fid) 
reiben und ihm Heine Verlegenheiten bereiten, da e8 mit den großen 
ja doch vorläufig nichts werben wollte. Niemand that dies, wenig- 
ftens mas bie. Boefte anbetrifft, mit größerem Nachdruck und mehr 
Erfolg, als Moriz Hartmann und Alfred Meifner; fie. waren 
gleichſam die Dioskuren des poetiſch verflärten Böhmen und damit 
zugleich die Bannerträger: ver ganzen wpofkionetufigen Jugend 
des damaligen Oeſterreich. 

Alfred Meißner war noch ſehr jung, als er ſeine erſten „&e- 
dichte“ erſcheinen ließ (1845). Allein auch in feinen ſpüteren Pro⸗ 
ductionen hat er dieſen Charafter der Ingendlichkeit beibehalten, 


⸗ 


128 Bolitiiche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


nad) feinen Tugenden fomol wie nad) feinen Mängeln und Einfei- 
tigfeiten. Alfred Meißner hat ein raſch empfängliches, leichtbe⸗ 
wegliches Herz, feine Begeifterung iſt ſtürmiſch und hell auflodernd, 
ſeine Leidenſchaft von großer Gewalt des Ausdrucks, wenn auch 
nicht immer von gleicher Tiefe; auch jene eigenthümliche Melancho— 
lie, die ſo oft über die friſche Wange der Jugend gebreitet liegt und 
ihr nicht ſelten einen ſo beſonderen Reiz verleiht, fehlt ihm nicht. 
Andererſeits jedoch zeigt ſich in ſeinen politiſchen und ſocialen 
Anſchauungen — und wir müſſen dieſelben in ven Vorgrund rücken, 
weil ja Meißner ſelbſt vorzugsweiſe ein politiſcher und ſocialer 
Dichter ſein will und ſeiner eigenen Poeſie nur ſoweit Werth und 
Geltung beilegt, als ſie ſeinen politiſchen und ſocialen Anſichten 
zum Ausdruck verhilft — es zeigt ſich, ſagen wir, in den politiſch 
ſoeialen Anſchauungen dieſes Dichters vielfach eine Unreife und 
Unſelbſtändigkeit, wie ſie eben der Jugend anzuhaften pflegt. 
Meißner iſt frühzeitig, zu frühzeitig, fürchten wir, in die Schule 
der franzöfifchen Socialiften. gegangen, nämlich bevor er felbft hin- 
längliche Erfahrung und Schärfe des Urtheils hatte, um diefelben 
kritiſch zu fichten und eben fo ſehr in ihrer hiftorifchen Nothwendig⸗ 
feit, wie andererſeits in ihrer wiſſenſchaftlichen Unzulänglichkeit zu 
begreifen. Die Jugend liebt alles Neue und fo warf auch Alfred 
Meißner fih mit wahren Heißhunger auf dieſe neueften Ausge⸗ 
burten des franzöfifehen- Geiftes, der ja bis vor Kurzem das Pri- 
vileg hatte, alles Neue und Modiſche in Eurs zu fetzen. Allein 
es gebrach dem jungen Dichter an der philofophifchen Durchbilvung 
und vielleicht and am der Ausdauer, welche dazu gehört hätte, 
jene Doctrinen wirflich zu durchdringen und das Wahre und Blei- 
bene von dem Irrthümlichen und Vergänglichen zu ſondern. 
Alfred Meißner ift in feinen Dichtungen durch und durch Socialift 
oder will es wenigftens fein, aber er ift ein confufer Socialift, was 











Alfred Meißner. 199 


freilich noch anf viele, ja-auf die meiften Socialiften neben ihn paßt; 
die Unreife und Unklarheit des Theoretifers thut bei ihm ben Er⸗ 
folgen des Poeten Abbruch. 

Ein anderer jugendlicher Zug, in dem ſich Licht und Schatten 
ebenfalls auf bedenkliche Weiſe vermiſchen, iſt die außerordentliche 
Unbefangenheit, mit welcher dieſer Dichter ſich und ſeine Perſon 
und feine intiniften perfönlichen Beziehmmgen dem Publicum preis 
giebt. Glückliche Jugend, die ſich noch einbildet, vie ganze Welt 
drehe fich um fie! Wenn wir älter werben und Erfahrungen ſam⸗ 
meln, dann kommen wir auch fehr bald dahinter, daß Vieles, ja 
das Meifte, was uns perfönlich von der alleräußerften Wichtigkeit 
ift, die Menfchen neben und nur jehr wenig intereffirt und daß 
biefer gutmüthige Eifer, mit dem wir nnjere Umgebung von allen 
Heinen Einzelheiten unſeres perfünlichen Lebens, unferer Hoffnungen, 
Wuünſche und Abfichten unterrichten, nur allzu häufig ein Öegen- 
ftand bald des Spottes, bald fogar der Langenweile wird. Yon die 
fem Eifer zeigt Alfred Meiner fich in ganz ungewöhnlichem Grabe 
ergriffen; faſt alle feine Bücher wimmeln von perfünlichen Bener- 
fingen, Anfpielungen, Bekennmiſſen, als ob er gar nicht für das 
Bublicum, jondern für lauter gute Fremde ſchriebe. Im gemeinen 
Leben pflegt man das Eitelfert zu nennen. Doc; möchten wir Dies 
fen herben Ausprud auf Alfren Meißner nicht gern anwenden, in= 
dem feine Eitelfeit dam wenigſtens mit fo viel Naivetät und Gut⸗ 
mäüthigfeit gemifcht ift, daß man ihm nicht im Ernſt gram darum 
fein Tann. Nichtsdeſtoweniger unterliegt e8 wol feinem Zweifel, 
daß er dies allaugroße Imterefje für feine eigene Perſon ablegen 
muß, wenn er Werke von dauernder und felbfländiger Bebeutung 
Schaffen will. 

Und das ift es denn wol überhaupt, was ihm zumeiſt mangelt 
und worin bie. fpecififche Jugendlichkeit dieſes Dichters fh am 


Brup, die deutfche Literatur der Gegenwart I. 


130 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


Dentlichften kund giebt: die Unſelbſtändigkeit feines Talents. Daß 
fein Erftlingsproduct, Die vorhin erwähnten „Gedichte,“ hauptſäch⸗ 
(ih in Nachahmungen beftand, darüber natürlih wollen wir ihm 
nicht den mindeſten Vorwurf machen; alle jungen Dichter, fo weit 
die Riteraturgefchichte reicht, fangen mit Nachahmungen an, und 
wenn Meißner daher in dieſen „Gerichten“ Byron, Heine, George 
Sand und andere Kornphäen ber Zerrifienheitsepoche faft mehr als 
billig nachahmt, fo hat er fi) darin nur des Rechtes bebient, das 
jedem angehenden Dichter zufteht. 

Aber auch fein zweites Product, das bereits im nächſtfolgenden 
Jahre erfchien, „Zizka,“ (1846) ließ, fo glänzend das Talent des 
Dichters ſich Übrigens darin ofjenbarte, doch wenigftens nicht viel 
Driginalität verfpären. Ohne Lenau's „Albigenſer“ wäre Meiß⸗ 
ners „Zizla“ nicht entftannen. Das Gebicht enthält große und 
zahlreiche Schönheiten, wenn and mehr in Igrifcher als in epifcher 
Hinfiht, und ift daher auch mit Recht ein Lieblingsbuch unferes 
Publicnms geworden. Freilich muß man, um daſſelbe ungeftört 
zu genießen, fich erft mit ver Reflerion abfinden, bie uns, wie wir 
ſchon vorhin geftanden, auch den Genuß von Hartmann’ „Kelch 
und Schwert” einigermaßen verfümmert: vie Reflerion, daß es 
ein deutſcher Dichter ift, der bier auf Unkoſten feiner Nation ein 
fremdes Volk feiert. Ya, dieſe Reflerion teitt uns hier noch am 
fo näher, wenn wir uns erimmern, daß es der Enkel eines ehedem 
viel geleſenen deutſchen Schriftfteller8 von gutem ſachſiſchen Blute 
iſt, der bier den Czechen ſpielt .. 

Doch ſollte der Dichter halb ſelbſt Gelegenheit. haben, viefe 
Nationalitätenfrage, vie er bis dahin nur von der poetifchen Seite 
betrachtet hatte, duch in ihren praftifchen Confequenzen kennen zu 
lernen. Der Sturm von Achtundvierzig brach aus und fachte ven 
unter ber Aſche ſchlummernden Haß zwiſchen Deutfchthum und 














— ꝰ— — 
— — — — — 

— — — — — — 
— — — — — — — 


Alfred Meißner. 131 


Czechenthum zu folchen lichten Flammen an, daß dem Dichter des 
„Zizka,“ der denn doch zu deutſch fühlte, um ſich den Czechen völlig 
in die Arme zu werfen und den andererſeits feine poetiſche Ver⸗ 
gangenheit wiederum verhinderte, fich den Deutjchen frei und offen 
anzufchließen, es für das gerathenfte hielt, fein Vaterland für 
einige Zeit gänzlich zu verlafien. Alfred Meißner ging nad) Paris, 
das er ſchon bei einem früheren Aufenthalt Tieb gewonnen hatte. 
Die Ausbeute feiner diesmaligen Reife legte er in einem zmeibän- 
digen Werke „Revolutionäre Studien aus Paris“ (1849) nieder, 
bie indeſſen nur beweifen, daß man zwar ein recht talentvoller Dich- 
ter, aber doch nur ein fehr ſchlechter Beurtheiler politifcher Zuſtände 
fein Tann. Denn von allem, was Meißner in diefem, in einem 
mehr glänzenden als gediegenen Stile gejchriebenen Buche über ven 
Vortgang der Februarrevolution, ſowie überhaupt über vie Ent- 
wickelung der franzöfifchen Zuſtände propbezeit, ift grabe das 
Gegentheil eingetreten. Außerdem aber vergöttert er in dieſem 
Bude das franzöfiiche Volk in einer Art und Weife, die felbft für 
uns ſehr beſcheidene Deutfche etwas Verletzendes hat und die wir 
wiederum nur der großen Jugendlichkeit des Verfaſſers zufchreiben 
fünnen. — Daffelbe gilt auch von Meißner's Buch über Heine 
(„Heinrich Heine. Erinnerungen von Alfren Meißner,‘ 1856), das 
zwar erft beveutend fpäter erfchien, das wir hier jedoch gleich mit 
anfchließen, weil der einjeitige und maßloſe Enthufiasmus, ber 
fih darin für den Dichter der „Neifebilder” fundgiebt, fowie bie 
ſelbſtgefällige Plauderhaftigkeit, vie fih darin ausſpricht, ebenfalls 
nur durch die mangelnde Reife des Verfaſſers entfchuldigt wer- 
den fann. on 

Eine fernere Frucht jenes parifer Aufenthalte vom Jahre Acht- 
unbvierzig war „Der Sohn des Atta Troll”: wie ſchon ber Titel 
fundgiebt, ein Sprößling des Heine’fchen „Atta Troll,‘ aber fein 


y 


132 Bolitiihe Dichter aus vor- und nachmärzlicher Zeit. 


befonder® gerathener. Meißner ift zu weich, zu lyriſch file Die 
Satire; ihm fehlt der free Wi und die großartige Nonchalance, 
mit der der „moderne Ariftophanes” derartige Ungezogenheiten ge- 
nießbar zu machen wußte. 

Aber wolan, der Dichter felbft, ſcheint es, kommt zum Be- 
wußtſein feiner Einfeitigfeit und furcht fich mehr und mehr aus ner 
lyriſchen Unbeftimmtheit herauszuarbeiten. In demfelben Fahre, 
wie „Der Sohn des Atta Troll,“ erfchien noch ein zweites Büchlein 
von Alfred Meißner: „Am Stein. Skizzenbuch vom Traunfee“ 
(1850). &8 war das Erfte, oder wenigſtens das erfte ſelbſtaͤndige 
Bud, womit Alfred Meißner das Gebiet ver Novelliftil betrat, 
oder fi) ihm doch näherte. Denn in ver That ift das Bud, ein 
Zwitterding zwifchen Novelle und Reiſeſchilderung. Oder auch, 
was daſſelbe ift: es tft weder Reifebefchreibung noch Novelle, weder 
Geſchichte noch Reflerion, e8 hat genug von Allem, um an Alles 
zu erinnern, und Doc) zu wenig, um nad einer Richtung bin wirk⸗ 
lich zu befriedigen. „Am Stein’ ift das fehr ausführlich gehaltene 
and an Wiederholungen: nicht eben arıne Tagebuch eines Aufent- 
halts, den der Dichter mit einem poetifchen Freunde, Franz Hederich, 
dem Autor des „Rain, an den Ufern des romantifchen Traunfee’s 
gemacht und dem er manche lieblihe und erheiternde Erinnerung 
abgewonnen hat, beſonders wenn man fich dabei auf den Stand- 
punkt des Freundes ſtellt. Was dieſer Standpunft Bedenkliches 
hat, haben wir bereits erinnert. Es mag viel Verführeriſches 
haben, ſo öffentlich vor dem Publicum mit ſeinen Freunden zu 
plaudern und ein elegantes Büchlein zu machen aus den unfchein- 
baren Abentenern und den häufigen Mußeftunven einer Sommer- 
friſche. Uber doch follten unfere Dichter, bei denen es jekt in ber 
That zur wahren Manie geworben tft, jede Heine Exholungsreife 
und jeven Badeaufenthalt literariſch auszumünzen, es ſich nicht 




















Alfred Meißner. 133 


jo bequem machen; fie follten bedenken, daß ber Dichter „mit feinen 
Stoffen wächſt“ und daß nur derjenige jemals im Stande fein wird, 
etwas Großes zu leiften, der feine Seele fortwährend auf das Große 
und Erhabene gerichtet hält. — Auch noch in anderer Hinficht unter- 
liegt das Meißner'ſche Büchlein nicht unwichtigen Bedenken. Diele 
Baftarbliteratur von Novelle und Reifebefchreibung ift jegt ſehr be= 
liebt; fie ſchreibt fid) ja eben fo bequem als fie fich Lieft! Dennoch follten 
unfere Dichter auch hier wieder erwägen, daß das Peben ven Poeten 
heutzutage fchon mehr als billig zerfplittert, daß vie gefchlofiene 
Form umd die unvermifchte Eigenthümlichfeit der Stempel jeves 
wahrhaften Kunftwerfs ift und daß überhaupt ber ächte Künſtler 
nur ftet3 die ftrengften und höchften Forderungen an. fidh richten foll. 

Alfred Meißner fteigerte denn wenigſtens die Forberumgen, die 
er an ſich richtete; von der Zwittergattung ber Reifenovelle ſchritt 
er vor zum wirffihen Noman. In demſelben Jahre 1855 erfchie- 
nen raſch hintereinander „Der Pfarrer von Grünrode“ und „Der 
Freiherr von Hoftiwin.” In dem erfteren Romane fucht der Ver⸗ 
faſſer mehr eine politifhen, in dem zweiten mehr jeine focialen 
Anfichten darzulegen; jener behandelt bie Stellung des Individuums 
zur Revolution, diefer das Verhältniß der Gefchlechter in Hinficht 
auf Liebe und Che. Merkwürdig ift Dabei, daß der Dichter, wäh» 
rend er ſich in erfterer Beziehung ziemlich gemäßigt zeigt und von 
feiner früheren einfeitigen Vergötterung der Revolution merklich 
zurücigefommen ift, im Punft ver „freien Liebe‘ dagegen noch völ⸗ 
lig den franzöfifchen Theorien anhängt; er wird alfo vermuthlich 
wol ein befferer Liebhaber als Politiker fein. Dagegen gleichen 
beive Romane fi in der Unflarheit und Unficherheit der Erfindung, 
fowie in der unplaftifchen und fchattenhaften Ausführung. Der 
Dichter, indem er fi) dem Roman zumenbet, erfennt zwar pie Noth⸗ 
wenbigfeit epifcher Objectivität an, allein er felbfi ſteckt noch zu tief 


134 Bolitifche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


in Fer Inrifchen Verſchwommenheit, um fein Ziel wirklich zu er- 
reihen. Zwar ſucht er, was ihm an plaftifcher Sicherheit abgeht, 
durch eine gewiſſe Vorliebe für das Barode und Seltfame zu er- 
ſetzen; ba er feine Porträts zu liefern vermag, fo liefert ex wenig- 
ftens Carrikaturen. Doc fieht Jedermann fogleich ein, daß dieſer 
Erſatz fein wirklich ausreichender ift und daß das nur einen Teufel 
mit dem andern außtreiben heißt. Weberhaupt macht ſich grave 
in diefen Romanen am fühlbarften, was wir vorhin über bie 
Jugendlichkeit diefes Dichters bemerften. Es fehlt ihm noch zu 
jehr an Kenntniß des menfchlichen Lebens, eine Kenntniß, die viel⸗ 
leicht der Lyriker, aber ganz gewiß nicht ver Romandichter, biefer 
eigentliche Dichter des Weltlaufs wie er ift, entbehren kann. Am 
mißlumgenften ift ver „Freiherr von Hoftiwin.” Schon der ganze 
Gedanke, einen abftracten Don Inan, einen raffinirten Läftlung, 
ver ein wahres Gewerbe daraus macht, bie Unſchuld zu verführen, 
ja der mitten in unferer cultivirten, wohlpolizirten Welt fich einen 
ganzen Harem verführter Schönen anlegt, zum Helden eines Ro- 
mans zu wählen, fcheint uns mehr aus einer phantaftifchen Auf- 
wallung, einer unflaren Laune des Dichters, als aus einer reif- 
lichen Ueberlegung hervorgegangen. Dazu aber ift auch die Aus- 
führung fo jchattenhaft, der Help ſelbſt entbehrt fo fehr allen gei= 
fligen Hintergrundes , der Verlauf der Fabel endlich iſt jo gewöhn- 
lich ımb wird nur bier und da durch einzelne Sinalleffecte fo jählings 
unterbrochen, daß der Eindruck des Ganzen _ein fehr unerquid= 
licher iſt. 

Auch ſcheint das Unzulängliche ſeines Verſuchs dem Dichter 
ſelbſt nicht verborgen geblieben zu ſein. Wenigſtens hat er den⸗ 
ſelben ſeitdem umgearbeitet und erweitert zu einem vierbän⸗ 
digen Roman „Die Sanſara“ (1857), von dem jedoch in dem 
Augenblick, da wir dieſes ſchreiben, erſt die beiden erſten Bände 


Alfred Meißner. 135 


erſchienen find, weshalb wir und denn auch jedes Urtheils darüber 
enthalten. 

Und überhaupt will der Dichter ſelbſt ja feine Itomane nur 
als Studien zu Kimftigen Dramen angefehen willen; in ver Wid⸗ 
mumg feines „Freiherrn von Hoſtiwin“ fpricht er es gradezu aus, 
daß bie novelliftifche Form für ihn überhaupt nur ein Nothbehelf 
und daß er fi) vem Roman nur deshalb zugewenbet, weil das 
Theater, dieſes feine eigentliche Leivenfchaft, fo gar ſchwer zu er= 
obern iſt. 

Nun, an Eroberungsverfuchen hat ex e8 wenigftens nicht fehlen 
laſſen. In den ſechs Jahren, von 1851 bis 1857, hat der Dichter 
brei Dramen in Drud gegeben, von denen bie beiden legten auch 
hier und da über die Bühne gegangen find, jedoch ohne Erfolg: 
„Das Weib bes Urias,“ „Reginald Armftrung oder die Macht des 
Geldes" und „Der Prätenvent von York“. 

Das erſte dieſer Stüde, „Das Weib bes Urias,“ wurbe von 
ben Freunden des Dichters mit lauten Poſanmenſtößen empfangen; 
wieder einmal follte der Meſſtas des modernen Drama geboren 
fein und zwar Diedmal in der Stiftshütte des alten Bundes. Hin- 
terbrein ift e8 ſehr ſtill davon geworben und auch der Dichter jeldft 
wird jest hoffentlich zu der Einficht gelangt fein, daß fein „Weib 
des Urias“ nur ein einziger großer Yehlgriff war, ein Fehlgriff in 
ber Wahl des Stoffe, ein Fehlgriff in ver Auffaſſung veflelben, 
ein Yehlgriff in ver Ausführung, kurzum ein Fehlgriff von ber 
erſten bis zur lebten Zeile. Zwar was bie_bramatifche Behand⸗ 
(ung biblifcher Stoffe angeht, fo ift dieſelbe befanndlich neuerdings 
bei unferen Dichtern jehr in Aufnahme gefommen. Die Frage 
ift zu weitfchichtig und greift zu tief in das Wefen des ‘Dramas, fo» 
wie unfereö mobernen Lebens überhaupt ein, um bier jo beiher er» 
Örtert zu werben. Daß der Dichter, ver es heutzutage unternimmt, 


136 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


einen- biblifchen Stoff für das Thenter zu bearbeiten, jevenfalls 
mit ganz bejonderen Schwierigkeiten zu fampfen hat, das zum we⸗— 
nigften wird wol Riemand beftreiten. Allerdings bat ber Dichter, ° 
vornehmlich der pramatifche Dichter, noch mehr zu thun, als bloß 
feine Gegenwart abzufchilvern, es fteht ihm frei, feine Stoffe zu 
wählen, wie und wo ver Genius ihn treibt; wenn ex aber wirklich 
ein Dichter ift, fo kann und wird er inftinetmäßig immer nur ſolche 
Stoffe wählen, in denen bie Ideen feiner Gegenwart ſich abfpiegeln. 
Je felbftändiger dabei, ich möchte jagen, je fefter, je compacter 
der Stoff an ſich, je deutlicher, je wohlthuenver wird das Spiegel- 
bild fein, je ungezwungener die Uebereinſtimmung, je größer bie 
Wirkung. 

x Nun wollen wir durchaus nicht behaupten, daß nicht auch im 
ben Gefchichten des alten Teſtaments verfchievene, vielleicht ſogar 
recht zahlreiche Situationen find, die auf fo allgemein menfchlichen 
und darum fo. unvergänglicden Ideen beruhen, daß nicht auch unfer 
gegenwärtiges Bewußtfein ſich darin noch wiederfinden könnte. Al⸗ 
lein zur dramatiſchen Bearbeitung möchten wir diefe Stoffe darum 
doch nicht empfehlen; dazu ift das Coſtüm zu entlegen, Land und 
Bolt, Sitten und Gebräude, ja felbft die ethifchen Anſchauungen 
erfordern noch immer zu viel gejhichtliche Vorausſetzung und Ver⸗ 
mittelung. Mit dem gebrudten Buch ift Das anders. Der Lefer 
kann ſich dieſe Vermittlungen, wo ſie ibm nicht fofort zu Gebote 
ftehen, doch vieleicht verfchaffen. Dem unmittelbar gegenwärtigen, 
dem zuſchauenden Bublicum aber vürfen wir biefe Arbeit der ge= 
ſchichtlichen, wol gar ver gelehrten Bermittelung nicht exrft zumuthen, 
ſondern das will ummittelbar gepadt und hingerifien fein. Was im 
Theater nicht anf den erften Anlauf erobert wirb, wirb nie er. 
obert; wer ſich erft befinnen muß, ob er applaubiven foll oder nicht, 
ber applaubirt gewiß nicht. 











Alfred Meißner. 137. 


Schon alfo in dieſem Umſtande, daß Alfred Meißner den 
Stoff feines Erſtlingsdramas der kiblifchen Gefchichte entnahm, 
zeigte ſich eine Ader jener Caprice und Launenhaftigkeit, vie wir 
auch bereit in feinen Romanen fanden. Aber noch viel deutlicher 
tritt dieſe Launenhaftigkeit und dieſer Mangel an tieferem künſtle⸗ 
rifchen Berftänpnig in ver Ausführung feines Stüdes hervor. 
Wollte der Dichter und einmal ein biblifhes Drama geben, fo 
mußte er daſſelbe auch in biblifcher Einfachheit zu halten wiſſen; 
richtete er an feine Zufchauer die Forberung, ihre ganze gegenwär- 
tige, jo unendlich vorgeſchrittene Cultur wenigftens für die Daner 
eines Theaterabends zu vergefien und fich einen Stoff aus der Kin⸗ 
derſtube des menjchlichen Geſchlechts gefallen zu laſſen, ſo mußte 
er auch feinerjeits die Selbftäberwindung haben, nicht mehr geben 
zu wollen und nad) feinen höheren Kränzen zu ringen, als e8 bei 
dieſem Stoffe möglih war. Er mußte alfo namentlich Berzicht 
feiften auf moderne Geiftreichigfeit und moderne Bielgemifchtbeit 
her Charaktere; er.mußte feine Leier herabftimmen zu dem naiven, 
dem einfach kindlichen Tone, in welchen ein Stoff wie biefer fich 
alfein varftellen läßt und ver ihm allein feine Wirffamteit, wir ' 
möchten jagen feine- Unverlegtheit fichert. 

Bon dem Allen jebody ift in dem „Weib des Urias“ nichts ge⸗ 
heben. Der Dichter hat den biblifchen Stoff eigenmächtig ach 
modernen Anſchauungen erweitert und verändert; fiatt der naiven 
Charaktere und ver einfachen Handlung, welche wir in der Bibel 
finden, hat er uns eine jehr fünftlich verflochtene, eine Intrigue 
nach neufranzöſiſchem „Zufchnitt gegeben, ſowie Charaktere, Die 
ihren Urfprung nicht dem unbefangenen Stubtum der menjchlichen 
Natur, geſchweige denn dem Studium der Bibel, ſondern dem 
krankhaften Gelüſt des modernen Dichtens zu verdanken haben. 
Dieſe Meißner'ſche Bathſeba, die ihren Ehebruch mit ſo viel ſchön⸗ 


138 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


redneriſcher Sentimentafität überfleidet, dieſer Urias, der fich gegen 
die Schmad; jeines Ehebetts mit fo viel altſpaniſcher Kitterlichfeit 
und dabei zugleich wieder mit fo viel civilrechtlicher Schlauigfeit 
wappnet — nein, das find die Figuren der Bibel nicht, das find 
eine Menfchen aus der Zeit Davids, eintaufend Jahre vor Ehrifti 
Geburt, das find jungdeutſche Novellenfiguren aus der Mitte des 
neunzehnten Jahrhunderts, angefränfelt von ber ſprichwörtlichen 
Dläfie des Gedankens, die unter dem heutigen Geschlecht feine rechte 
vejolute Leidenſchaft, weder rechte Liebe noch rechten Haß mehr 
auffommen läßt. Diefe Bathſeba follte Baronin von X. heißen, 
biefer Urias Rittmeifter von der Armee fein und ven badifchen Feld⸗ 
zug mitgemacht haben, fo wäre das Ding noch einigermaßen in 
Drbnung. 

Noch weit verfehlter jedoch und gradezu abgefhmadt ift der⸗ 
jenige Charakter des Stüds, auf den der Dichter ſelbſt fichtlich 
ven meiften Fleiß gewendet hat, ja um deſſentwillen er das ganze 
Stüd geichrieben zu haben foheint: ver Charakter des David. Wir 
haben für ven David ver Bibel nicht die geringften Sympathien, 
weber für den Hirtenfnaben nody für den König, wir geben ihn 
daher auch jever beliebigen Behandlung preis, nur zu einem Seiten- 
verwanbten des „Treiherrn von Hoſtiwin“ foll man ihn denn 
doch nicht machen. War es einmal die Abficht des Dichters und 
hielt er e8 für angemefien, einen Charakter von abjoluter Nichts⸗ 
wäürbigfeit zum Mittelpunft eines Dramas zu machen, wollte er 
und das Bild eines Despoten aufftellen, ver jo feig wie boshaft, 
fo graufam wie tüdifch, jo frech wie wollüſtig, fo eimfältig wie 
ſchwach — nun wohl, wir wollen feiner Phantafie feine Schranten 
ſetzen, er fonnte fein Scheufal fo grell ausmalen wie ihm beliebte 
und konnte e8 Hinz oder Kunz mennen, oder wenn e8 ihm um einen 
hiftorifchen Namen zu thun war, auch gut, vie Jahrbücher der Ge⸗ 


€ 


Alfred Meißner. 139 


fehichte haben, wie man behauptet, einige gefrönte Häupter diefes 
Schlages aufzuweifen, vie Gefchichte Des byzantiniſchen Hofes 3. B. 
hätte ihm allein ſchon eine ziemliche Auswahl derartiger Charaktere 
dargeboten. Aber wer in aller Welt heißt ihn feinen Wechfelbalg 
grade David taufen? David der königliche Sänger, ber fromme 
Sirtenfnabe, ven fein kühnes Gottvertrauen zum Retter und Herr- 
fcher feines Volkes macht, und der auch in ver Verirrung der Lei⸗ 
denſchaft immer noch ein Menſch bleibt, ein Schwacher, finmlicher, 
fchnellhethörter Menſch, aber gleihwol ein Menſch, nicht wie viefer 
Meißner'ſche David ein ekles Compoſitum von Dummheit und Nichts- 
würdigkeit! Denken wir ung dieſes „Weib des Urias“ (wie beim 
Erſcheinen des Städes von ven Freunden des Verfaſſers verlangt 
ward) auf bie Bühne gebracht, denken wir und als Zufchauer bei 
jener Scene des erſten Actes, wo Bathſeba dem geliebten David 
bas Geſtändniß macht, daß fie ein Pfand feiner Liebe unter dem 
Herzen trägt und wo David viefes Geftändnig mit der Jumuthung 
erwiebert, den Urias nur fchleunigft aus dem Lager nach Haufe 
fommen zu lafjen — 
„Du fagft ihm nichts, empfängft ihn wie zuvor — 
. Und — eine Nacht lenkt alles ins Geleis... 

Wer, frage ich, könnte ven Ekel zurückhalten, ven viefe Scene 
nothwendig Jedem erwecken muß, ber nur noch einen Funken von 
fittlichem, ja nur von äfthetiichem Gefühl befigt? „Ueber jo etwas 
kann fein Mann hinweg,“ heit e8 bei einer ähnlichen Gelegenheit 
in der Hebbel’fchen Magdalena; über jo etwas kann auch fein Zu⸗ 
ſchauer, fein Lefer hinweg, das ganze Intereſſe, das wir an dem 
Stüde nehmen möchten, ift vermichtet mit piefer einen Scene, unfer 
&fthetifcher Magen fühlt ſich ſeekrank, wir verlafien das Haus und 
legen das Buch bei Seite. 

Und doch weiß der Dichter fich grade mit dieſer Wenvung 


140 Politiſche Dichter aus vor- und nachmärzlicher Zeit. 


offenbar nichts Kleines, es ift dies fichtlich eine der Hauptpointen 
gewefen, bie ihn überhaupt zur Wahl viefes Stoffes angereizt 
haben, viefes pifante pfochologifche Problem, wie ein Liebhaber, 
mitten in der Blüte feiner Leidenſchaft und ohne ver Geliebten 
etwa überbrüffig zu ſein, zum Kuppler derſelben werben kann, und 
zwar zum Kuppler zwifchen ihr umd dem eigenen Ehemann! Zuge— 
geben, daß dieſes Broblem wirflic fein Pilantes hat, wertigftens 
für gewiffe Gaumen, und daß dieſe Mifchung widerſprechender 
Leivenfchaften, vie dabei entfteht, wirklich ihre pſychologiſch in- 
tereffanten Seiten barbietet; zugeftanden ferner, daß biefes Problem 
nur allzu oft in Wirklichkeit geftellt werden mag und daß mithin 
auch die Boefie ein gewifies Hecht hat; fich beflelben zu bemeiftern: 
jo behaupten wir dennoch, daß e8 höchſtens der Novelliſtik veritattet 
fein Tann, daſſelbe zu verarbeiten, niemals aber dem Drama und 
am allerwenigften dem biblifhen Drama. — Bon ven Berftößen, 
bie der Dichter fidh gegen ven Charakter ver Zeit in Gebräuchen, 
Sprade, Bildern ꝛc. hat zu Schulden ‚kommen laflen, fehweigen 
wir; fo zahlreich diefelben auch find, fo kann man fie doch kaum 
mehr in Anfchlag bringen gegen ven großen, ben unverzeihlichen 
und wiederum nur durch feine Jugendlichkeit zu erflärenven Ber- 
ftoß, den der Dichter Damit begangen hat, daß er einen Stoff wie 
biefen zum Unterbau einer bloßen frivolen pfychologifchen Stepfis, 
einer bloßen lüfternen Neugier herabgewürdigt und bie erhabene 
Einfalt ver bibkifchen Ueberlieferung durch eine Behandluug à la 
Scribe und Dumas verunziert hat. — 

Einige Jahre darauf erſchien „Reginald Armſirong, “ 
zwar zuerft von der Prager Bühne herab. Es ift eine —* ge⸗ 
wöhnliche Erſcheinung, daß man einen Fehler, den man einmal 
begangen und deſſen man ſich bewußt geworden, das nächſte Mal 
durch einen Fehler nach der entgegengeſetzten Seite hin überbietet; 








Alfred Meißner. 141 


wer heut bei einem angefagten Bejuc zu fpät gefommen, wird fehr 
vermuthlich das nächſte Mal zu früh kommen. Aehnlich erging es 
unferm Dichter mit feinem zweiten dramatischen Berfuh. Im 
„Weib des Urias“ hatte er ſich in eine graue Vorzeit verloren, in 
„Reginald Armſtrong“ ftürzt er fi in vie unmittelbarfte Gegen- 
wart; „Das Weib des Urias“ fpottet aller fcenifhen Möglichkeit, 
weniger äußerlich als innerlih, „Reginald Armftrong” ift ganz, 
was man fo jagt, den Schaufpielern auf den Leib gefchrieben und 
will zunächſt und vor Allem nur ein wirffames Bühnenftüd fein. 
Aber wenn man auch heut genau fo viel zu früh fommt, wie man 
geftern zu fp&t gekommen tft, jo fommt man damit noch immer nicht 
zur vechten Zeit; „Das Weib des Urias“ war ein verfehltes Stüd 
md auch „Reginald Armſtrong“ können wir noch fein gelungenes 
neımen, bloß weil feine Fehler nach ver entgegengeſetzten Seite Liegen. 

‚Einen anerfennenswerthen Fortſchritt dagegen hat der Dichter 
in feinem jüngften Drama „Der Prätendent von York“ gemadht. 
Es iſt derſelbe Stoff, ven Schiller einmal in feinem „Warbeck“ 
bearbeiten wollte und fchon diefer Umſtand, daß der Dichter ſich 
bier an Schiller anfchließt, ſowie daß er Überhaupt mit Befeitigung 
der jungbentfchen Capricen und Tendenzen ben einfad natitrlichen, 
feufchen Boden ber Geſchichte betritt, erweckt ein günftiges Vorur⸗ 
theil. Die Ausführung bleibt zwar noch- beträchtlich hinter ber 
Anlage zuräd, ver Dichter verſteht noch nicht mit den großen 
Maflen zu agiren, die das hiftorifche Drama erfordert; auch find 
feine Motive für die großartige Einfachheit der. Tragödie zum 
Theil noch zu Heinlich und zu erfünftel. Immerhin jedoch hat ex 
hier einen Weg betreten, in Betreff deſſen. wir nur wünſchen können, 
daß er ihn rüſtig und ohne Schwanken fortwandle: denn es iſt der 
Weg der Wahrheit, Einfachheit und Natur und dieſer allein führt 
zu den Höhen der Kunſt. 


7. 
C. F. Scherenberg. 


Mit Alfred Meißner ſchließen wir die Reihe derjenigen 
Dichter, welche die Aufänge ihrer literariſchen Bekanntſchaft noch 
aus der politiſchen Lyrik der vierziger Jahre herdatiren; er war der 
jüngſte dieſer Generation, er iſt, wie wir geſehen haben, auch der⸗ 
jenige, der in der lyriſchen Unbeſtimmtheit ſeiner ſpäteren drama⸗ 
tiſchen und epiſchen Verſuche die Spuren ſeiner Herkunft noch am 
deutlichſten an ſich trägt. Allerdings wäre, wenn. eine ftreng- 
chronologiſche Anordnung überhaupt mit dem Zweck dieſes Buches 
vereinbar wäre, hier noch eines anderen Dichters zu erwähnen, der 
ſich ebenfalls zuerſt als politiſcher Dichter in den vierziger Jahren 
bekannt machte und der fich dann hinterdrein gleichfalls auf den 
verſchiedenſten Gebieten der Literatur verſucht hat: Rudolf Gott⸗ 
ſchall. Allein theils traten Gottſchall's politiſche Gedichte zur 
Zeit ihres Erſcheinens weniger in den Vorgrund, theils nehmen 
ſie in der Entwickelungsgeſchichte dieſes Dichters überhaupt keine 
fo hervorragende Stelle ein, wie dies bei ven bisher beſprochenen 
Poeten der Fall war, und werden wir daher auf Gottſchall an einer 
anderen Stelle unferes Buchs zurückkommen, in dem Abſchnitt über 
bie erzählende Dichtung, eine Gattung, die grade Gottſchall in 
nachmärzlicher Zeit mit großem Fleiß angebaut hat. 

Bevor wir jevoch dazu übergehen, müſſen wir hier noch erſt 














C. F. Scherenberg. 143 


derjenigen Dichter gedenken, welche, im Gegenſatz zu den bisher 
beſprochenen Freiheitsſängern, auch die entgegengeſetzte, bie reae⸗ 
tionäre oder doch wenigſtens die conſervative Seite der politiſchen 
Poeſie zur Geltung brachten. 

Denn wie wir bereits erümerten: die politiſche Poeſie an ſich 
iſt ſo gut liberal wie reactionär, ſie hält es ſo gut mit dem Fort⸗ 
ſchritt wie mit dem Rüdfchritt, mit der Erhaltung wie mit der Zer⸗ 
flörung des Beftehenden, und nur die perfönliche Ueberzeugung des 
einzelnen Dichters, ſowie andererſeits die allgemeine Stimmung 
des Beitalters. wird den Ausfchlag geben, welche Seite ihres 
Januskopfes, ob Die nach vorwärts oder die nach rückwärts blickende 
die politifche Dichtung im gegebenen Falle eben zeigen fol. 

Und da nun, aus Gründen, über die wir ebenfalls bereits 
einige Andeutungen gegeben haben, bie Stimmung des Publicums 
in Folge der Erfahrungen des Jahres Adhtundvierzig weſentlich 
reaetionär geworben war, ober boch wenigſtens bebeutenb confer- 
vativ, indem man vor allem weiteren Fortfchreiten den grünblichften 
Refpect befommen hatte: jo war es auch eine nothwendige Cone 
fequenz dieſes Umſchwungs, daß nunmehr, und zwar in vemfelben 
Maße wie die Freiheitdichter verftummten, auch vie Poofie des Rück⸗ 
ſchritts die conſervative, lohale Dichtung zu Worte kam. 

Inzwiſchen würde man dieſen Sängern des Königsthums 
und der guten bürgerlichen Ordnung Unrecht thun, wollte man 
glauben, daß nur der warme Sonnenſchein des Glücks fie hervor⸗ 
gelodt. Im Gegentheil, einen nicht unwefentlichen Antheil an der 
Entftehung, oder doch wenigftens an dem Hervortreten dieſer Rich⸗ 
tung haben jedenfalls auch die Gefahren, die Erſchütterungen und 
Demüthigungen gehabt, welche Thron und Altar im Jahre 1848 
hatten beſtehen müſſen. Es giebt ja der Geſchichten genug, wo 
ein pfögficher Schreck oder eine zum Aeuferften geſteigerte Angſt 


J 


144 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


Stummen die Sprache wiedergiebt. So wurde auch der loyalen 
Dichtung, wie wir ſie zum Unterſchied gegen die revolutionäre 
Poeſie der vierziger Jahre nennen wollen, der Mund erſt geöff⸗ 
net, als fie ihre Ideale vom Untergange bedroht ſah. Eriſtirt 
hatte ſie ſelbſt ſchon lange: denn wie wir es früher einmal an einem 
anderen Orte ausgedrückt haben — „Heil Dir im Siegerkranz“ 
und „Ich bin ein Preuße“ find fo gut politifche Lieder wie etwa 
die Marfeillaife oder das berühmte „Noch ift Polen nicht verloren.” 
Aber e8 war dieſer Ioyalen Poefle ergangen, wie e8 dem Menſchen 
jo häufig geht: der fihere Beſitz hatte fie träg und ftumm gemacht. 
Erſt da fte ſich aus ihrer officiellen Behaglichkeit aufgeftört ſah, 
ba die revolutionären Lieder, von denen fie fich bis dahin gutwillig 
batte überjchreien laſſen, in vie Wirklichkeit überzugehen drohten, 
ba erſt raffte fie fich zufammen und feßte dem Lieb das Lied ent= 
gegen. — Auch hat alles Untergehenve für die Poefie einen ge- 
wiffen melancholifchen Reiz; eine balbverwitterte Ruine ift auch 
poetifcher als ein mwohlconfervirtes, friſch angeftrihenes Schloß 


und auch das deutſche Reid, ift erft beſungen worden, feitvem man 


e8 zu Örabe getragen. Das ift ja eben die wahrhaft erhabene 
Aufgabe aller Boefie und darum ift fie ja die eigentliche Ber- 
fühnerin des Menfchengefchlechts, weil fie über jeden Abgrund noch 
eine Brüde zu ſchlagen, auf jedes Grab noch eine Rofe zu pflanzen 
weiß. Auch auf die alte Zeit, die da fo unrettbar unterging — 
unrettbar, weil fte felbft die angeftrengteften Bemühungen umferer 
bermaligen Staatstünftler noch nicht haben wiederherftellen 
fönnen — warf fie noch einen letten verfühnenden Schein; wie 
das Abendroth fich auf ven Fluthen fpiegelt, die foeben noch in 
wilder Empörung Schiff und Mannſchaft verſchlangen, fo verflärte 
bie Poefte auch den großen Schiffbruch noch, welchen Das König⸗ 
thum von Gottes Gnaden mit feinen übrigen politifch religiöfen 


€. F. Scherenberg. 145 


Anhängfeln in ver Bewegung bed Jahres Achtundvierzig erlitten 

Am glüdlichiten, weil am naivften, geſchah diefe Apotheoſe 
durch ©. F. Scherenberg, ven Dichter von „Ligun“ und „Waterloo,“ 
ben „‚preußifchen Tyrtäus,“ der das bis dahin als fo unpoetiſch 
verſchriene preußifche Soldatenthum auf einmal zum Rang einer 
poetiſchen Macht zu erheben mußte. — Wir haben Scherenberg in 
einem früheren Werke (Rene Schriften, I., 241 ff.) ausführlich 
harakterifirt, und da wir unferer damaligen Schilderung nichts, 
wenigftens nichts wejentlich Neues hinzuzufügen wüßten, jo begnügen 
wir uns, bier überhaupt nur an dieſen Dichter zu erinnern und anf die 
Stelle hinzudeuten, die ihm in der Geſchichte unferer modernen Paefie 
zulommt. Anch Scherenberg ift fein epifcher Dichter: wennſchon 
erſt feine Heldengedichte aus der preußifchen Geſchichte“ e8 ge- 
wefen, vie ihn dem Publicum zuexft bekannt gemacht haben 
und durch die auch feine bereits in vormärzlicher Zeit erſchienenen 
lyriſchen Gedichte („‚Bermifchte Gerichte,” zweite Auflage 1850) 
nachträglich zur Anerkennung gebracht worden find. Scherenberg 
ift, wie wir dies an dem bezeichneten Dite näher nachgewieſen 
haben, viel. zu fragmentariſch, zu ungeduldig, vor allem zu 
eigenſinnig und grillenhaft, um es zum wirklichen Epos zu 
bringen. Das Epos erfordert nicht nur eine plaſtiſche Ruhe, 
ſondern auch eine Weite der Weltanſchauung, deren der ſehr be⸗ 
ſchränkte Blick dieſes Dichters nicht fähig iſt. Auch hat er, 
trotz aller Vorausſagungen feiner Freunde, ja trotz der Aufmunte⸗ 
rungen, die ihm von hoher und höchſter Seite zu Theil geworden, es 
noch zu keinem wirklichen Epos gebracht, nicht einmal zu einem, 
das ſich ſelbſt dafür ausgäbe: ſondern alles, mas ex bisher ges 
leiſtet hat, find nur epiſche Fragmente, Anläufe, Studien. 

Aber allerdings hat er einige Eigenſchaften, deren der epiſche 


Brup, die deutſche Literatur der Begenwart, L. 10 


146 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


Dichter nicht eutbehren darf und deren Doch die Mehrzahl unferer 
jüngeren Dichter (Scherenberg ſelbſt ift bereits 1798 geboren, 
alfo Kängft kein Jüngling mehr) ermangelt. Er hat einen be= 
fchränkten, aber ſichern Blick, eine enge,. aber in fi conieqmente 
Weltanſchauung; er weiß der Leier der. Dichtkunſt nur wenige ein⸗ 
zelne Töne zu entlocken, aber dieſe Töne find voll umd kräftig; ſeine 
Zeichmmg ift grob, aber deutlich, er liefert nur Holzſchnitte, aber. 
diefe Holzfchnitte haben Mark und Leben; er hat enplic Manier, 
aber diefe Manier ift zum wenigften feine nachgeahmte. 

Es müßte denn bie Nahahınung feiner felbft ſein und in dieſe 
iſt Scherenberg allerdings von Jahr zu Jahr tiefer gerathen. Im 
feinen fämmtlichen Gedichten, wie fte aufeinander folgen, von 
„Waterloo“ (1849) angefangen bi8 zu „Ligny“ (1850). und 
„Leuthen“ (1852) und dem gänzlich vwerumglücten „Abnfier“ 
(1856), find alles nur Wiederholungen feiner felbft, und zwar 
"werben Diefelben in eben dem Maße carrifirter und unwahrer, als 
ver urfprängliche Wein ver Scherenberg’fchen Dichtung durch dieſe 
ewig neuen Aufgüſſe verwäfjert wird. 

Größere Hoffnungen hat vie Literatur daher auch ſchwerlich 
mehr auf ihn zu ſetzen; dazu iſt er ſelbſt bereits in Jahren zu weit 
vorgeſchritten und and, feine Manier iſt zu ſtereotyp geworben. 
Inzwifchen bleibt er immer ein denkwürdiges Beiſpiel von. ven faft 
frampfhaften Anftrengungen, mit welchen vie Literatur Der Gegen- 
wart und namentlich die politiſche Dichtung ſich aus ber lyriſchen 
Innerlichkeit and Unbeftimmtheit zu epiſcher Objeetivität und Plaſtik 
durchzuarbeiten ſucht. Wir haben Scherenberg's Dichtungen ſo⸗ 
eben als Fragmente bezeichnet; man könnte fie eben fo gut auch 
unverbanete Epen nennen, ein an ſich geſunder umd nahrhafter 
Stoff, den aber der ſchwache Magen dieſer Zeit noch nicht gehörig 
bewältigen kann. Inzwiſchen wenn ver Leib unſeres öffentlichen 

















€. F. Scherenberg. | 147 


Lebens nur übrigens feine Gefunbheit wiebergewinnt und die ihm 
natürlichen Sunctionen frei und ungehindert vollziehen Iernt, fo 
wirb ſich auch dieſe Schwäche mit der Zeit wol geben und 
aus den zerftreuten epifchen Fragmenten wird einem glüdlicheren 
Geſchlecht dereinft noch ein volles, wirkliches Epos erwachſen. Und 
dazu dürfen die Scherenberg'ſchen Dichtungen denn t wenigſtens als 
Borläufer betrachtet werben. . 


— — — — — 


10* 


v 8, 
Bskar von Redwik und Genoffen. 


Aber wenn: auch die Scherenberg'ſchen Verſuche noch mangel- 
hafter wären als fie find, immerhin würde doch der tüchtige fittliche 
Kern, der in dem Dichter ftedt und bie Abweſenheit aller 
Kofetterie, aller tendenziöferr Berechnung, die feine Gedichte kenn⸗ 
zeichnet, mit den äfthetifchen Gebrechen verjelben ausjühnen. 
Scherenberg ift der Tyrtäus der preußifchen Reaction geworben, 
nicht weil er e8 fo gewollt hat, ſondern weil zufällig die Veröffent- 
chung feiner militärifchen Helvengebichte mit dem Siege der be- 
waffneten Reaction in Preußen zufammenfiel; er würde fein 
„Waterloo“ und „Leuthen” um fein Haar breit anders gefchrieben 
haben, auch wenn e8 feinen Neunten November und feinen fieg- 
reichen Feldzug nad) Baden gegeben hätte. Das ift Die angeborene 
Keufchheit einer ächten Dichternatur, das ift der fittliche Triumph, 
der für viele äfthetifche Niederlagen entſchädigt. 

Grade umgekehrt fteht e8 mit dem zweiten Fanfarenbläfer 
ver fiegreihen Reaction, mit Oskar von Redwitz. “Der hat fich 
feine Trompeterftüdchen genau fo answendig gelernt, wie bie 
"Menge fie eben hören wollte; ohne die glüdlich gelungene „Wieder⸗ 
berftellung von Thron und Altar’ würde diefer Dichter entweder 
gar nicht gefimgen haben, oder ja doch, er wilrde gefungen haben, 
und vermutblich eben fo laut wie jegt, nur aber aus einer anderen 


‘ 





Oskar von Rebwig und Genoffen. 149 


Tonart. Wir haben dieſen Unterſchied zwifchen Scherenberg und 
Redwitz, ver zugleich ein typiſcher Unterſchied für ganze große Rich⸗ 
tungen unferer modernen Literatur ift, in dem früher erwähnten Auf- 
jag dahin zu formulicen gefucht; daß wir Scherenberg den Dichter, 
Redwitz aber den Modedichter nannten. 

Und daß wir legterem mit dieſer Bezeichnung fein Unrecht gethan. 
haben, das hat das Schickſal, Das ſeitdem über dieſen ehemaligen Lieb» 
ling des Publicums hereingebrochen ift, zur Genüge bewiefen. Wir 
leben in einer kurzathmigen Zeit, allerdings; das Publicum des neun- 
zehnten Jahrhunderts ift ein gefräßiges Ungeheuer, das viel Futter 
braucht und daher auch viel Renomméen verfchlingt. Aber ein Ruf, 
ber nicht länger Dauert, al8 von der „Amaranth‘ bis zur „Sigelinde,“ 
vom todtgebornen „Thomas Morus“ gar zu gejchweigen, ein Ruf, 
ver mit Kuiebengungen beginnt und mit Auslachen envet, dem wäre 
doch wirflich beſſer, er wäre nie zur Welt gekommen. 

Der Grundcharakter ver Redwitz'ſchen Dichtung iſt Eitelkeit; 
ſeine Muſe iſt beides auf einmal, ſowol Betſchweſter als jenes an⸗ 
dere, was das Sprichwort ſonſt erſt den alt gewordenen Betjchwe- 
ſtern prophezeit. Wir haben vorhin die Eitelkeit eines gewiſſen 
andern Poeten zn entſchuldigen geſucht, mit der Eitelkeit dagegen, bie 
ſich in Redwitz und ſeiner Richtung kundgiebt, vermögen wir keine 
Nachſicht zu haben. Denn es iſt ein Unterſchied, ein jugendlich 
eitler Poet, der in naivem Selbſtbehagen doch immer nur ſich 
und ſeine eigene Perſönlichkeit preisgiebt, oder aber eine Eitelkeit, 
die in ſchlauerwogener Berechnung ihr Spiel treibt mit den Ideen 
ſelbſt. Alfred Meißner plaudert nur gern ein bischen von ſich, 
feinen perſönlichen Freunden und Erlebniſſen, ver Dichter der 
„Amaranth“ dagegen kokettirt mit Gott und Glauben und Tugend. 
Was für ein Geſchrei hat man nicht erhoben, als einige heißblütige 
politiſche Dichter der vierziger Jahre den Patriotismus zur Partei⸗ 


150 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmãrzlicher Zeit. 


ſache machen und ihren politiſchen Gegnern das Recht und die 
Fähigkeit abſprechen wollten, das Vaterland ebenfalls, wenn auch 
nach einer andern Manier zu lieben! Nun und dieſer Redwitz 
und ſeines Gleichen machen ſogar Tugend und Frömmigkeit zur 
Parteiſache, ſie behaupten ſogar, wer Gott nicht in ihrer Art diene, 
könne ihm überhaupt nicht dienen; jede Tugend, die nicht ihren ſpe⸗ 
ciellen Stempel trägt, erflären fie für untergefehobene Münze, fte 


leugnen, daß man ein ehrlicher Menſch fein könne, wenn man nicht 


bafielbe Kreuz verehrt wie fie umd auch mit vergleichen Zahl von 


Kniebeugungen. Ja der Unſinn geht noch weiter und verirrt 


- 


ſich auf Gebiete, "die der religiöfe Fanatismus doch fonft un- 
berührt zu Iaffen pflegt. Unſere Frommen fenfzen und jammern 
wol, daß Goethe foldy ein arger Heide, aber daß er troß feines Hei- 
denthums ein großer Dichter gewefen, das pflegen fie doch wenig⸗ 
ftend nicht zu Ieugnen. Herr von Redwitz hat dad Syftem noch 
weiter entwidelt, er leugnet, daß Jemand überhaupt ein Dichter 
fein kann, deſſen Saitenfpiel nicht gleich dem feinen „am Kreuze 
ſchwebt,“ er leugnet, daß es überhaupt eine andere Poeſie giebt, als 
dieſe lammſchwanzwedelnde, die er und feine Anhänger it Diode 
bringen möchten! Es fei uns verftattet, hier einige Sätze einzuſchal⸗ 
ten, die wir ſchon einmal in dem mehrermähnten Aufjaß „Dichter 
und Modedichter“ drucken ließen. Der fittlihe Exnft, jagten wir 
da, der die Belehrung, die Züchtigung der vertrrten Welt auf fich 
nimmt, würde auftreten mit flammenvem Zorn, mit ftrafenver 
Hoheit, mit Worten, die gleich Pfeilen träfen, nicht mit dieſer ge- 
ledten Triviafität, bie aller Gedanken und Einfällen des Herrn 
von Redwitz anklebt. Der fünftlerifche Ernſt aber (denn and 
feiner müfjen wir Herrn von Redwitz bar und ledig. erflären, 
wie des fittlichen) — der künftlerifche Exnft würbe es vor allen 
mit dem eigentlichen Kunſtwerk ernfter nehmen und ſich nicht diefe 


Oskar von Redwitz nud Genoflen. 151 


Loderheit ver Form, diefe Repfefigfeit und Breite ver Darſtellung, 
dieſe imern Widerjprühe und -Unmöglichleiten ver Comppfition 
zu Schulden kommen Inflen, Herr von Redwitz iſt viel zu niedlich, 
viel zu verliebt in ſich jelbft, um uns wirklid ala der berufene Diche 
ter der Reactiog zu gelten ; nicht ihr Kämpfer ift er, fondern nur . 
ihr Randalierfus, der in feinen ‚etwas grünen Bewußtfein ſich 
unendlich, fiolz und glücklich fühlt über die hohen Stiefel und pas 
Collet mit Schwiiren und ven klirrenden Sarras, mit dem er dem 
momentanen Siegeszug der Reaction zur Seite gehen darf. Zeige 
man uns doch in der ganzen vidleibigan „Amaranth‘ nur einen 
einzigen neuen Gedanken, eine einzige Stelle von Kraft und Leiden⸗ 
haft, ja nur von Fanatismus! ine einzige, von. ber auch ein, 
- refigiöfer ner politischer Gegner des Herrn von Rebiwig fich er⸗ 
ſchüttert, ja nur berührt, nur angeregt fühlen fönnte! Geihwäg 
der Eiteffeit von hinten bis vorn, dünne Gedanlen in langſchwei⸗ 
figer, lahmer Ausführung, alles breiweich, ohne Nero und Kraft, 
ein Clauren in Verſen und mit geſchornem Kopf! Ä 
Diefes Urtheil, das wir zu einer Zeit Tällten,: da das Geßirn 
des Herrn von Redwitz noch in feinem Zenith ſtand, iſt ſeitdem 
durch die Ereigniſſe ſelbſt aufs Vollſtändigſte beſtaͤtigt worden; was 
damals, dem Beifallswinſeln hyſteriſcher Weiber und weiberähn⸗ 
licher Männer gegenüber, nur erſt vereinzelte Kritiker zu Außen 
wagten, das ift im Lauf weniger Jahre zur allgemeinen Ueberzeu⸗ 
gung geworden und fo ſchnell die Menge fih um ben Trinmph- 
wagen bes Herrn. von Redwitz gejammelt hatte, eben ſo ſchnell und 
noch ſchneller hat fie fich auch wieber verlaufen. Neben ven ziwanz 
jig oder mehr Auflagen, welche die „Amaranth‘ (zuexft 1849) er- 
lebte, ‚war ber Erfolg des „Märchen“ (1850) ſchon ziemlich, be- 
ſcheiden, derjenige ver „Gebichte” (1852) war noch hefcheidener, bie 
„Sigelinve” (1854) erregte nur nach Gelächter und ver „Tho⸗ 


152 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


mias Morus“ (1856) erregte gar nicht? mehr, weil ihn nämlich 
Riemand mehr gelejen bat. Seitdem ift der Dichter verftummt; 
and) von ber Wiener Profeſſur ver Literaturgeſchichte und Aefthetik, 
mit der man ihn beldhnt hatte, und zu der, wie es ſcheint, weder 
feine eremplarifche Frömmigkeit, noch die ſechs Dpnate Studium 
unter Simrock's Anleitung im Bonn ausreichen wollten, hat er ſich 
zurüdgezogen. Hier und da munfelt e8 zwar von einer neuen Tra⸗ 
gödie, mit welcher der Berfafler des „Ihomas Morus“ befhäftigt 
fer: doch ift bis jeßt nichts davon ans Licht getreteit. 

Und das ift nun ein- fernerer Unterfchieb zwifchen dem Dichter 
und dem Modedichter, daß jener fingt, weil er jo muß und aud) 
wenn Niemand auf ihn achtet, der Mobedichter aber verſtummt, 
fowie der Beifall der Menge aufhört, ihn zu ermuntern, der Son- 
nenblume gleich, die ihren prahlerifchen aber puftlofen Kelch auch 
verſchließt, ſowie die Sonne aufhört, ihr zuzufcheinen. War der Dich⸗ 
ter der „Amaranth,“ wofür er fih ausgab, und wofür-er — mir 
wollen e8 wenigftens jo hoffen — fich felber hielt, ver poetifche 
Eonjtantinus Magnus, ver die Altäre der Heiden zerftört und das 
alleinbeſeligende Kreuz aufrichtet — er würde feiner „Gen: 
bung‘ auch jet noch treugeblieben fein, ja, er würde biejelbe nur 
um fo Tauter verlündigem; je weniger die Menge auf ihn hören 
will. Wer eine neue Xehre ausbreiten will, muß im Nothfall auch 
den Muth bes Märtyrer haben; wer immer nur mit dem Winde 
fegeln mag, beim erſten eonträren Lüftchen aber Die Kappe über Die 
Ohren zieht und fich in feine vier Pfähle verkriecht, ver kann ein 
ganz guter und liebenswürdiger Menſch ſein, aber zum Apoſtel iſt 
er gewiß nicht beſtimmt. 

Wer aber ſich ſelbſt verläßt, wie Können dem die Nachahmer 
und Schüler treu bleiben? Mit vem Beifall des Bublicums find 
and) die Nachahmer verfhwunden, Die ſich um den Triumphwagen 














Oskar von Redwitz und Genoflen. 153 


bes Herrn von Rebwig drängten, alle in ver Hoffnung, ebenfalls 
einen Fetzen von ben Kränzen und den übrigen guten Dingen zu 
erhajchen, vie Herrn von Redwitz von allen Seiten ſo reichlich zu= 
flogen. Kein Kreuzer, fein Schweizer; feit die fromme Mufe ves 
Herrn von Redwitz aufgehört hat, die gefeierte Schönheit ver vor- 
nehmen Welt zu fein, feit man feine ariſtokratiſchen Theezirkel mehr 
zufammenladet, um „Amaranth” und „Sigelinde“ vorzulefen, feit, 
mit einem Wort, Herr von Redwitz geworben ift wie unfereiner, 
feitvem find aud) die Nachahmer verſchwunden, die feine Fußtapfen 
gar nicht breit genug treten fonnten. Es wäre daher auch eine 
ganz unverdiente Ehre, wollten wir den Einen over Andern biefer 
Nahahmer hier noch mit Namen anführen; der Tag, der fte gebo— 
ven, bat fie auch binweggerafft, Die Mode, die fie ausgefpien, bat 
fie auch wieder hinabgeſchlungen. 

- Und doch. wollen wir and) Herrn von Redwitz und der von 
ihm vertretenen Richtung die Anerkennung nicht verweigern, bie 
überhaupt jeder Richtung gebührt, vie fich bis zur hiſtoriſchen Er⸗ 
ſcheinung durchzuſetzen weiß: die Anerlennung nämlich, daß ein be 
ſtimmter und nach Yage der Dinge unvermeidlicher Krankheitsftoff ver 
Zeit in ihm zu einer höchſt energifchen Aeußerung gelommen ift. Je 
energifher aber bie. Krankheit, um jo rapiber ift auch ihr Verlauf 
geweſen und um fo mehr dürfen wir uns daher auch der Hoffnung 
bingeben, ein für allemal von dieſem bösartigen Stoff befreit zu 
fein. Defür alfo. foll Herr von Redwitz Dank haben und auch 
fein Platz in einer künftigen Kranfheitögeigichte bes deutſchen 
Geiſtes ſoll ihm unbenommen bleiben. 


9. 
Franz Trautmann. 


Alſo nicht ihre ſpecifiſche Frömmigkeit, nicht ihr Katholicis 
mus, nicht ihre Vorliebe fürs Mittelalter, auch nicht ihre re 
actionäre- Richtung im Allgemeinen iſt es, was uns an der Reb- 
witz'ſchen Muſe verftimmt und beleidigt, fonvern lediglich die 
Unmwghrheit und Eitelkeit, welche fie in allen dieſen Städen an ven 
Tag legt; nicht ver Richtung felbft gilt unfer Verdammungsurtheil, 
fondern nur dem ſchnöden Maskenſpiel, das mit ihr getrieben wird. 
Daß die Reaction fo gut poetifch fein kann, wie pie Freiheit, haben 
wir mit Nachprud hervorgehoben. Ebenſowenig find Poefle und 
Frömmigkeit, jelbft im ver orthodoxeſten Färbung, unvereinbar; wer 
das behaupten wollte, müßte (um aus Dielen nur Einige zu nen- 
nen) weder einen Luther, noch einen Paul Gerhard kennen; ja wir 
werden jelbft noch in dieſem Buche Gelegenheit haben, an dem Bei- 
fpiel eines Dichters unferer Tage zu zeigen, daß „Fromme ‚Lieder‘ 
allerdings recht fromm fein fünnen und darum noch Teineswegs 
trivtal oder unpoetifch zu fein brauchen. Nun, und mas ben 
Katholicismus anbetrifft, jo find ja, follten wir meinen, zwei Namen 
wie Dante und Calderon allein fhon hinreichend, unfere Behaup⸗ 
tung unterftüden: Dante und Calveron, die bei all ihrer katholischen 
Beſchränktheit doch gewiß zwei Dichter des erften Ranges find und 


Franz Trautmann. - = 155 


ſich bis auf die fernfte Nachwelt als ſolche behaupten werden. Es 
fommt überhaupt nay darauf an, daß Die Weltanſchauung, aus ber 
heraus der Poet feine Dichtungen ſchafft, eine ädhte und wahr: 
haftige fer; trifft dieſe Borausfegung zu; fo ift ver Katholicismus 
io poetifch wie der Broteftantismus, wenn wir auch nicht in Ab⸗ 
rede ftellen wollen, daß allerdings dem einen höhere Ziele geſteckt 
md großartigere Bahnen eröffnet find, als dem andern. 

Ganz ebenfo aber, wie mit dem Katholicisinus, verhält es 
ſich auch mit dem Mittelalter im Allgemeinen. "Auch bier kommt 
es nur darauf an, daß ver Poet, der uns für das Mittelalter be⸗ 
geiftern will, auch ſelbſt Davon begeiftert Tei, daß ex es ſelbſt Tiebe, 
mit inmiger, hingebenver, naiver Liebe, nicht bloß damit Fofettire. 
Fouqué und die Übrigen Romantiker viefes Schlages kokettirten 
bloß mit dem Mittelalter, das fie felbft gar nicht - annten; 
fie benutzten es nur als Zuflucht und Schild gegen gewiſſe ihnen 
unbequeme Anfprüde ver Gegenwart; ihre ritterlichen Helden, 
die von minniglihen rauen fo zart geliehloft wurden, waren 
eigentlich immer nur ſie ſelbſt, und wenn fie die Feudalwirthſchaft 
bes Mittelalters rähmten und Reibeigenfchaft und jus primae noctis 
poetifch verherrlichten, fo dachten fie dabei in ver Stille nur, wie 
hübſch es fein müßte, wenn fie and noch folde Feudalherren wiren 
und andy noch ſolche angenehme Vorrechte hätten. Darum hatte 
dieſe romantiſche Koletterie mit dem Mittelalter auch Teinen Be⸗ 
Rand; e8 war ein Wechſel, den die Eitelleit ver Autoren auf die 
Einfalt des Publicums zog imd der denn ſchließlich fo honorirt 
wurde, wie es in folchen Fällen zu gefchehen pflegt. 

Daß aber eine gefunbe und anfrichtige Vegeifterung für das 
Mittelalter, verbunden mit wirflicher Kenntniß defielben und — 
was natürlich nicht fehlen darf — mit einem natürlichen Talent 
gefälliger und lebhafter Darftellung, anch heute noch, mitten in un- 


* 


156 Politifche Dichter aus vor- und nachmärzlicher Zeit. 


jerem aufgellärten Zeitalter vie achtbarſten poetiſchen Erfolge er- j 


reihen kann, dafür kann und der Dichter zum Exempel vienen, 
deſſen Namen wir diefem Abfchnitt vorgefett haben: . Freilich wird 
ex felbft fich wol einigermaßen wundern, fich bier in diefer Gejell- 
ſchaft anzutreffen. Denn in der Naivetät, die ihm überhaupt anflebt, 
und bie zu feinen beften und glücklichſten Eigenjchaften gehört, wird 
er felbft ſich bis jet wol fchwerlich Har darüber geworden fein, daß 
er auch nur ein Stüd, aber ein .gefundes und liebensmürbiges Stück 
ber gegenwärtigen Reaction ift und daß ohne die Niederlage der deut— 
Ichen Demokraten, ja wir behaupten noch mehr: ohne das wiederherge⸗ 
jtellte Wunder ver unbefleckten Empfängniß Mariä auch feine allerlieb- 
ſten mittelalterlichen Genrebilder unmöglich geweſen wären ober doch 
niemals die Anerkennung gefunden hätten, die ihnen bei Hoch und Nie— 
drig, bei Kritikern und Leſern in ſo reichem Maße zu Theil geworden. 

Franz Trautmann iſt ein ganz lokaler Dichter, ex kennt nur 
ſein altbairiſches Vaterland und auch dies mır in katholiſch mittel⸗ 
alterlicher Beleuchtung. Aber dies kennt er wirklich und feine Bes 
geifterung für das Mittelalter, mit feiner Einfalt, feiner Olaubens- 
jtärfe, feinem frifchen Fräftigen Humor, iſt eine wahrhafte und 
unerfünftelte. Franz Trautmann „will feine BZeitgenofien nicht, 
wie es einft die Romantifer thaten, in das Mittelalter zurück— 
führen, um fie ver Gegenwart. zu entfremden, nein, nur als Talis- 
man foll e8 ihm dienen, die in ber Noth biefer Zeit veröbeten und 
zufammengefchrumpften Herzen bes Volkes wieder aufzurichten. 
Er will ihnen den Schacht der Vorzeit aufſchließen und will ihnen 
zum Bewußtſein bringen, welche Schätze alter keuſcher Sitte, männ- 
licher Tüchtigkeit und ächten thatkräftigen Bürgerſinns hier ver- 
borgen find. Das Bolt fol wieder inne werben ber Herrlichkeit 
feiner alten Zeit, e8 fol die großen Männer, die hellen und leuch⸗ 
tenden Seiten feiner Vergangenheit wieder kennen und lieben lernen, 











' 


Franz Trautmann. 157 


aber nicht un in müßiger Bewunderung die Hände in den Schoß 
zu legen, fonvern um Dasjenige, was an diefer Vergangenheit 
wirflid gut und groß geweſen, durch rüftige That zu newem Leben 
zu erweden und der nemen Beit und ihren Forderungen ein altbe- 
währtes Herz, ein Herz voll deutſcher Kraft und Demuth, voll 
hãuslicher und bürgerlicher Tugend entgegenzutragen. 

Ueber das Bervienftliche dieſes Beftrebens kann fein Zweifel 
obwalten. Was dem Dichter dabei aber zu ganz befonberem Lobe 
gereicht, das ift, daß er feine patriotifch praftifche Tendenz feiner 
Poefie niemals über ven Kopf wachſen läßt, fondern immer und 
wor Allem Poet bleibt, ein Teck geftaltenver, fchaffensfreudiger Poet, 
vol Phantafie und lebendiger finnliher Empfindung. Nur auf 
piefe Weife wird es ihm auch möglich, bei aller Abfichtlichkeit, Die 
an feiner Verehrung des Mittelalters Liegt, ſowie bei aller Be- 
ſchränktheit feines fpecififch bairiſchen Patriotismus, doch immer 
eine gewiſſe fünftferifche Naivetät zu behaupten; es ift wicht Lanne 
(wie bei den Romantifern) oder Schönthuerei (wie bei Redwitz), 
£8 ift Zug des Herzens und wahlverwandte Stimmung, was ihn 
zu den hohen mittelalterlichen Domen mit ihren anvächtigen Betern, 
zu den Burgen mit ihren Reifigen, zu den fpitsgiebeligen, traulichen 
Bürgerhänfern mit ihren tüchtigen Männern und ihren fittigen 
Jungfrauen zieht. Ja felbft wo feine Neigung für das Mittelalter 
‚zuweilen etwas Einfeitiges gewinnt, wo er einmal Miene macht, die 
Bergangenheit auf Koften der Gegenwart zu feiern, oder wo er 
feinen Kultus der Vorzeit bier und da an zu geringfügige, einiger- 
maßen triviale Gegenftände anfnüpft, da thut er auch dies mit 
ſolcher Unbefangenheit und ſolchem kindlichen guten Glauben, daß 
man ihm unmöglich darum böfe fein kann. 

Was diefen Darfiellungen aber emen ganz beſondern Reiz 
verleiht imd ihnen neben ihrem poetiſchen Intereſſe auch einen ge⸗ 


— 


158 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nachmärzlicher Zeit. 


wiſſen kulturgeſchichtlichen Werth verſchafft, das iſt die bis ins 
Kleinſte gehende Kenntniß, welche ver Verfaſſer ſich von ven mittel- 
alterlichen Zuſtänden ſeines Vaterlandes, insbeſondere aber ſeiner 
Vaterſtadt München verſchafft hat, die deshalb auch der Haupt⸗ 
ſchauplatz feiner Erzählungen iſt, ſowie bie; wir möchten ſagen pho— 
tographiſche Treue, mit welcher ex vis äußerliche Detail jener Zeit 
in Sitten, Gebräuchen und Einrichtungen, ja felbft auch) in ver 
Sprache wiederzugeben weiß. In letzterer Hinficht hat Franz 
Trautmann fid) einen eigenthümlichen Jargon gebildet, eine Rach- 
ahmung des mittelalterlichen Chronifenftils, die Anfangs etwas 
fremdartig wirkt, vie aber zu dem übrigen Coſtüm dieſer Erzäh— 
lungen recht gut paßt und an die man ſich um fo keichter gewöhnt, 
mit je größerer Birtuofität der Dichter fie behandelt. 

Ein ſolches Stüd Mittelalter nun, fo treu, fo geſund, fo 
tüchtig und dabei won dieſer Lebenswahrheit, wärde unter allen 
Umftänden eine intereflante und merkwürdige Erſcheinung fein. 
Und doc haben wir ben intereffanteften Punkt verfelben noch gar 
nicht berührt, können es auch, bei ver velicaten Bejchuffenheit des 
Bunktes, nur andeutungsweife thun. . Nämlich menn wir Aber vie 
perfönlichen Berhältniffe des Dichters recht unterrichtet find, fo ift er 
ſelbſt, dieſer poetifche Heroin Altbaierns, gar fein geborner Altbaier, 
vielmehr gehört er urjprünglich jenem wanvernven Bolfe an, das 
ein alter Yluch über die ganze Erde verbreitet hat und das überall 
und nivgend zu Hauſe: ſo daß alfo aud fein Katholicismus ver- 
bältnigmäßig nur von jehr jungem Datum. Liegt hier ein eigen- 
thümliches Naturfpiel zu Grunde? Oper ift e8 nur ein neuer Be⸗ 
weis für die oftgemachte Erfahrung, daß grade Neophyten bie 
meifte Empfänglichleit und das ſchärfſte Auge für vie Eigenthüm- 
lichkeiten der neuen Umgebung, in welche fie eintreten, haben, in 
welchem leßteren Kalle noch ganz beſonders die Mäßigung zu loben 


Franz Trautmann. 159 


jein witrbe, die Franz Trautmann gegen Andersdenkende beobachtet. 
und die fonft befanntlich vie Sache der Neophuten nicht ift. 

Das erjte Auftreten unferes Dichters fällt in das Jahr 1853, 
wo er ein Büchlein herausgab: „Eppelein von Geilingen.”. Das 
it ein Bolksbuch im beſten Sinne, lebendig und anſchanlich, 
unterhaltend und ergöglich und dabei doch nicht ohne ernſteren ſitt⸗ 
lichen Hintergrund, voll derben, tüchtigen Humors, ohne Empfindelei 
und auch ohne die ſonſt bei Scriftftellern diefer Gattung fo beliebte 
Schönfärberei, die feinen Umriß zart, feine Farbe ſchwach, keine 
Uebergänge verwilcht genug befommen kann. In Heinen flüdh- 
tigen Skizzen entfaltet ver Dichter hier ein Imftiges Städ mittel- 
alterlichen Lebens. Es find nur die Fahrten und Schmänte 
eines einzelnen Raubritters, was ex ung hier zum beften giebt, eines 
Raubritters, wie es in alten Zeiten unzählige gegeben, wenn fie 
auch nicht alle jo ergöglich waren "und foldhe gefunde Aber von 
Bis und Schalfhaftigfeit in fich trugen, wie e8 bei Herrn Eppelein, 
mit all feiner Grauſamkeit und feinen ritterlichen Unthaten, wirklich 
ver Fall war. Allein viefe einzelnen Züge werden vom Dichter 
mit fo viel Lebhaftigkeit geichilbert, das Coſtüm ift überall 
jo treu gehalten; bie mittelalterliche Weltanſchanung in ihren 
vielfachen Nuancen beim Ritter, beim Geiftlichen, beim reichen 
Spießblirger 2c.ift fo-richtig getroffen, endlich auch der Chronikenſtil, 
befien der Berfafler fich bereits in biefem feinen Erſtlingswerk be- 
dient, mit fo viel naiver Treue und zugleich wieder mit fo viel 
kritiſchem Geſchmack behandelt, daß das Heine anſpruchsloſe Buch, 
das jedenfalls mehr ächtes Mittelalter enthält als eine ganze Bi⸗ 
bliothet Fouqué'ſcher Romane zuſammengenommen, ſich raſch den 
allgemeinſten Beifall erwarb. 

Durch dieſen Beifall ermuthigt, ließ der Dichter wenige Mo⸗ 
nate ſpäter ein zweites, umfangreicheres Werk erſcheinen: ,, Die 


160 Politiſche Dichter aus vor⸗ und nahmärzlicher Zeit. 


Abenteuer Herzogs Chrifteph von Baiern, genannt der Kämpfer. 
Ein Volksbuch für Alt und Yung“ (2 Bde). Der Stoff hätte 
nicht glücklicher gewählt fein innen, namentlich, für die patriotiſch 
lokalen Zwecke, die bei Franz Trautmann immer in ber erſten 
Reihe ftehen. Herzog Chriftoph mit dem Beinamen der Kämpfer, 
der vierte und: vorlegte Sohn jenes Herzogs Albrecht von Baiern, 
der. durch feine Liebe zur ſchönen Agnes Bernauerin beinahe ebenfo 
berühmt geworben iſt, wie feine Geliebte felbft durch ihr tragifches 
Enpe, ſtellt fich bier dar als ein rechter Auszug und Inbegriff alles 
Deflen, mas am deutſchen Mittelalter geſund, tüchtig und erfreu- 
lich ift: ftark und mannhaft ohne Roheit, ein unermüdlicher Jäger 
und Ringer, Freund des Volks, deſſen Spiele er ebenfo teilt, wie 
feine Gefahren und Drangfale, fromm ohne Kopfhängerei, Tebens- 
Iuftig und verb, ein Freund des Weins, der Lieber und ber Wei⸗ 
ber, ohne Uebermuth und Völlerei, fein romantisch fentimentaler 
Schmachtlappen, jondern ein tüchtiger, fernhafter Mann, wie wir 
und den Deutfhen und namentlich einen deutſchen Fürſten des 
Mittelalters gern denken mögen. Mit liebenoller Treue hat ver 
Dichter die Spuren feines Helden in Chroniken und Sagen aufge 
ſucht und zuſammengeſtellt und auf dieſe Weiſe ein ebenfo belehren- 
des. wie unterhaltendes Bild des ausgehenden Mittelalters felbit 
geihaffen, das nur bie und da, namentlih gegen das Ende 
bin, ein wenig zu breit gerathen ift und fich zu jehr in einzelne Anel⸗ 
doten zerfplittert. Doch gehören grade einige von dieſen Epiſoden zu 
ven Slanzpartien des Buchs, namentlich alle biejenigen, in denen ber 
Dichter das Gebiet des Komifchen betritt. Denn das ift überhaupt 
harakteriftiich für Franz Trautmann und muß bei der Beurthei⸗ 
lung feines mittelalterlichen. Enthufiasmus wohl un Auge behalten 
werben, daß er immer da am glüdlichiten ift, wo er feines humo⸗ 
riftifchen Laune den Zügel jchießen läßt. Sentimentalität und 











Franz Trautmann. 161 


Romantik im traditionellen Sinne find nicht feine ſtarke Seite; 
bier fliegt ihm fowol in Darftellumg wie Erfindung leicht etwas 
Spiegbürgerliches an. Seine Scherze dagegen haben etwas eigen- 
thümlich Trocknes, Kerniges, das ihnen gar wohl zu Geſichte fteht 
und den Leſer raſch in. viefelbe behagliche Stimmung verfeßt, welche 
bei dem Dichter felbft vorwaltet. Eine foldhe komiſche Epiſode 
ft 3. B. vie allerliebſte „Geſchichte des Klefterfchreibers von 
Seldenthal“ im zweiten Band des „Herzog Chriſtoph,“ die wir 
feinen Anftand nehmen, als die Krone des ganzen Buchs, fowie 
überhaupt als eine ver beften bumoriftifchen Erzählungen zu bezeiche 
nen, die neuerdings bei uns gefchrieben find. 

In dieſer naiven und täditigen Weife hat Franz Trautmann 
‚nun alle die Jahre her rüftig fortproducirt. Seine einzeltten, ziem- 
fih zahlreichen Schriften bier des Genaueren aufzuzählen, ift une 
nöthig, da bloßer bibliographiicher Ballaft nicht in dies Buch gehört, 
vie Charakteriſtik des Dichters aber mit dem Vorſtehenden erſchöpft 
jheint, feine fpäteren Schriften auch feine Veranlaflung bieten, 
unferem Gemälde irgend welche neue Züge von Erheblihteit hinzu⸗ 
zufügen. Nur feiner „Chronica des Herrn Petrus Nöderlein, eines 
Glucksritters aus alter Zeit,” (2 Bde.) müſſen wir bier noch ges 
denken, theils weil ver Verfaſſer tarin den erften Anlauf zu einer 
in ſich abgefähloflenen größeren Eompofttion genommen hat, theils 
weil das Buch zu den im unferer Literatur fo feltenen Verſuchen 
gehört, das Gebiet des komischen Romans anzubauen. Traut- 
mann's „Petrus Nöckerlein“ ift ein Abentenrer.aus dem Anfang 
des Sechzehnten Jahrhunderts, ver nach mancherlei leichtfertigen 
Ingendſtreichen endlich in „vie lob⸗ und preiswürdige Stadt Mün⸗ 
chen“ gekommen iſt, um daſelbſt ſein Glück zu verſuchen. Als den 
geeignetſten Weg dazu betrachtet er es, zwei ſchoͤnen und, wie ſich 
von ſelbſt verſteht, reichen Kaufmannstöchtern den dof ” machen 


Brug, die deutſche Literatur der Gegenwart. I. 


162 Politiſche Dichter ans vor⸗ und nahmärzlicher Zeit. 


und zwar gleichzeitig, fo daß, wenn der eine Strid reißt, ex ſich doch 
immer nod) am anbern wieder aufrichten kann. Yu größerer Sicher- 
heit verfchmäht er es jogar nicht, noch einer britten, der Tochter 
eines Schenkwirths, Hoffnungen zu ermeden, die ihm denn auch in 
ſehr reeller Weife mit Speife und Trank und baaren Vorſchüfſen 
vergolten werben. Ueberhaupt ift Herr Nöderlein ven Raten gleich, 
die, wenn fie vom Dache fallen, überall, wohin fie auch kommen, 
feft auf ihren Beinen ftehen,; Allen weiß er zu fohmeicheln, Allen 
zu imponiren, von Allen feinen Heinen unſchuldigen Vortheil zu 
ziehen, bi8 der Krug am Ende doch fein herkömmliches Schickſal bat 
und, der Alle fäufchte, jelbft als ver Getänfchte daſteht. Daß ver 
Dichter nicht müde wird, das Verwerflihe und Unfittlihe in dem 
Treiben des „windflüchtigen Gefellen und Glücksritters“ nachdrück⸗ 
lichſt hervorzuheben, macht zwar dem fittlihen Ernſt des Dichters 
alle Ehre: wie e8 andererſeits ein Beweis feiner Gemüthlichkeit 
und feines richtigen poetifchen Taktes ift, daß er Herrn Nöcker⸗ 
lein nicht als beſchämten Abenteurer hinter den Couliſſen verſchwin⸗ 
ben, fonvdern ihn in fich geben und fich befiern läßt. Nur ift er 
auch babei wieder ein wenig zu breit geworben, ein Fehler, ber ihm 
überhaupt öfters begegnet und allerdings bei feiner ganzen Manier 
nur ſchwer zu vermeiden ift. 

Denn daß diefe Manier, mit fo viel Gewanbtheit und An- 
muth der Dichter fie handhabt, doch auch wie jede Manier, das 
beißt jede Darftellungsweife, die nicht ſtreng aus der Sache jelbft 
hervorgeht, ihre Gefahren hat, das zeigt ſich am deutlichſten, wo 
ber Dichter fich verführen läßt, viefen mittelafterlichen Chronikenftil 
auch auf ſolche Gegenftände anzuwenden, auf die er ein für allemal 
nicht paßt, alfo namentlich auf Dinge und PBerfonen, die ver un- 
mittelbaren Gegenwart angehören. Dies ift ihm in feinem neueften 
Dpus, feinem Erinnerungsbud an Schwanthaler („Ludwig Schwan- 














Franz Trautmann. 163 


thaler’8 Reliquien,” 1858) begegnet. Es ift intereffant zu fehen, 
wie diefe mittelalterlihen Wendungen und Redensarten, über. die 
der Dichter fonft mit fo viel Leichtigkeit und Sicherheit gebietet, hier, 
in dieſer falfchen Anwendung, etwas Steifes und Erzwungenes er- 
halten und wie der ganzen fprachlichen Darftellung damit fofort jene 
Leichtigkeit und jener rafche natärlihe Fluß verloren geht, durch 
welhe die Schriften des Berfaflers fich jonft auszeichnen: ein 
fiheres Merkmal, daß er mit Anwendung dieſer feiner Manier et- 
was vorfichtiger zu Werke gehen follte. Ueberhaupt wird er gut 
tbun, entweder etwas fparfamer in feinen Miittheilungen zu wer- 
ven, oder aber fich bei Zeiten nach einer andern Stilart umzu= 
ſehen. Nur das Einfahe und durchaus Naturgemäße ermüdet 
nie, jeve Abfonverlichfeit aber und ob fie im erften Augenblid nod) 
jo ptfant fei, verliert an Wirkung und verfagt ihre Dienfte zuletzt 
völlig, wenn fie allzuoft oder gar am unrechten Orte wieberfehrt. 


162° Politiſche Disk 


und zwe· 
imm⸗ 
bei’ 


e? 








IV. 


Erzählende Dichtung. 


- 














IV. 


Erzählende Bidhtung. 


1. 
Epos und Pfeudo- Epos. 


Wir. haben im vorigen Abſchnitt gejehen, wie die Mehrzahl 
unjerer politifchen Lyriker aus den Bierziger Jahren im Lauf des 
legten Jahrzehnts die verjchievenartigften Anftrengungen machte, 
die Kluft von der bloß fubjectiven zur objectiven Dichtung, von der 
Lyrik zum Epos, zu überfchreiten. Bei einem Volle, das von aller 
hiſtoriſchen Bewegung und allem gejchichtlichen Handeln fo lange 
ausgeſchloſſen geweſen war, wie das unfere, konnte dieſe Kluft 
natürlich nicht anders als fehr tief, mithin auch der Uebergang ſehr 
ſchwierig fein, und erklärt fi daraus zur Genüge, weshalb bie 
Verſuche jener Dichter im Ganzen nur fo geringen Erfolg hatten. 

Daſſelbe Schaufpiel wiederholt fich num auch bei den Übrigen 
Dichtern dieſes Decenniums, die mit jener älteren politifchen Gene- 
ration entweder gar nicht oder doch nicht in mmittelbarem Zuſam⸗ 
menhang fiehen. Unſere geſammten Poeten, alt und jung, von 
ber rechten und der linken Seite, haben in ven legten zehn Jahren 
eine ungemeine und namentlich in der deutſchen Literatur ſeit Jahr⸗ 
hunderten ganz unbelumte Fruchtbarkeit im erzählenven Gericht 
entwidelt. 

An und für ih und von dem Werth ber einzelnen Producte 
abgejehen, ift das nım gewiß ein ganz erfreuliches Zeichen, grade 
wie jene Rückkehr zum Drama um zum Roman, welche unfere 


168 Erzählende Dichtung. 


Literatur ſeit Ausgang der dreißiger Jahre angetreten hat. Alle 
dieſe Dichtgattungen, erzählendes Gedicht, Roman, Drama, er- 
fordern eine gewiſſe Soncentration, eine gewifje Plaftif des poeti= 
chen Talents; fie erfordern ferner eine aufmerkſame Beobachtung 
der Wirklichkeit, ſowie eine unbefangene Schätzung der Welt und 
ber Menſchen; endlich und vor allem aber erfordern fie jenen ans- 
bauernven Fleiß und jenes Gefühl für vie Einheit und Gleich— 
mäßigfeit einer fünftlerifchen Compoſition, das uns. bei der üblichen 
Inrifchen Unbeftimmtheit, fowie andererſeits bei der falfchen Genia⸗ 
lität unſerer halb philoſophirenden, halb kritiſirenden, aber nur 
ſelten producirenden Dichter ſo ziemlich abhanden gekommen war. 
Eine Nation von dem Reichthum ver Bildung, ber glänzenden 
literariſchen Vergangenheit und felbft ach von der Größe ver praf- 
tiſchen Aufgaben gleich ber veutjchen, konnte fich unmöglich auf 
die Dauer mit einer Poefie begnügen, vie weſentlich nur in lyriſchen 
Gedichten beftand, und noch dazu faft nur in lyriſch fentimentalen, 
wie dies bei ung faſt zwanzig Jahre hindurch, von der erftar Blüte 
der Reſtauration bis in ven Anfang ver vierziger Jahre, ver Tall 
mer. Freilich find die Breife des Drama und des Epos fehr ſchwer 
gu erringen, fie feßen lange Uebungen voraus und eine gewiſſe 
Technik, die ſogar erſt traditionell geworben fein muß, um mit aller 
Freiheit und Unbefangenheit gelibt zu werben. Während ferner 
per Iyrifche Dichter, der Dichter ver Sehnfucht und ver Erinnerung, 
in jeder Epoche leben kann, auch in ver politifch verſunkenſten und 
ohnmächtigften, ja mährenn ein einzelnes Inrifches Stüd auch einem 
Dichter ganz vortrefflich gelingen kann, veffen Talent im Uebri- 
gen nur mittelmäßig: jo find Drama und Epos vielmehr bie 
Arbeit ganzer Generationen und fünnen nur da wirklich zur Reife 
gelangen, wo ein ganzes Volk ſich auch praktiſch zu epiſcher That⸗ 
kraft, zu dramatiſcher Beweglichkeit emporgezungen hat. 


Epos und Pieupo - Epos. 169 


m 


Inſofern alſo hätten wir allen Grund, dieſe neueften epifchen 
Berjuche unferer Dichter mit günftigem Vorurtheil zu empfangen; 
fo unzeif fie im Einzelnen auch fein mögen und mit fo großer Bor- 
liebe die meiften von ihnen auch noch das alte vormärzliche Gebiet 
ver Sentimentalität und Gefühlsſchwärmerei aubanen, fo können 
fie und doch immerhin als ein Zeichen dienen, daß die Nation auf 
dem Wege iſt, ſich innerlich zuſammenzuraffen und daß, wenn auch 
noch fo tief verborgen und für den Augenblick in noch fo verfün- | 
merter Geftalt, doch irgendwo ein Keim von Thatkraft und gediege⸗ 
nerem, männlicherem Sinne ſich zu regen anfängt. 

Allein dieſe günſtigen Vorurtheile verlieren ſich größten- 

theils, ſowie wir den einzelnen Gedichten näher ins Auge ſchauen. 
In den meiſten von ihnen iſt von epiſcher Handlung ſo wenig zu 
ſpüren, wie von männlicher Geſinnung oder Einheit der künſtleri— 
ſchen Form. Vielmehr was in diefen fogenannten erzählenden Ge⸗ 
dichten Erzählenves iſt, das iſt meiſtentheils ans ven Romanen un⸗ 
ſerer Leihbibliotheken entlehnt, es iſt Ban der Velde und Tromlitz 
in Berfe gebracht. Die angebliche poetiſche Zuthat aber beſteht 
theils in einem Luxus von Schilderungen, bei venen auf Glanz 
der Bilder und Glätte oder Neuheit der Reime mehr Bedacht genom⸗ 
men ift, als auf Wahrheit ver Anſchauungen und Natürlichkeit und 
Treue der Darftellung, theils in einer Fluth von Neflerionen 
und Selbftbefpiegelungen, mit denen der Dichter um fo geſchwätziger 
um fich wirft, je weniger er feines eigenen epifchen Stoffes Herr 
zu werben vermag, ober vielmehr der novelliftifchen Verwickelung, 
bie ihm den wahrhaft epifchen Stoff erfeken foll. 

Einige von viefen Mängeln freilich liegen in der Gattung felbft 
und dürften fich auch bei ver forgfältigften Behanblung nicht völlig 
vermeiden laſſen. Die poetiſche Erzählung ift von Hauſe aus eine 
Art von Zwittergattung, gleichfam die gereimte Novelle; ihre 


170 Erzählende Dichtung. 


Grenzen find minder eng und bieten mehr Spielraum für die Sub- 
jectivität des “Dichters, als das etgentliche epifche Gedicht ; vieles von 
Schmuck, Staffage, Reflerion, überhaupt von willfürlichen und 
fubjectiven Zuthaten, was das Epos ftreng vermeiden muß, darf 
das erzählende Gedicht fi noch immerhin ‚verftatten. - 


Allein fo weit, wie die Dichter der Öegenwart es thun, darf 
dieſe Freiheit doch unter feinen Umſtänden ausgebehnt werben. 
Handlung und Charakteriftit, dieſe beiden Grundpfeiler der drama⸗ 
tifchen wie der epifchen Poefie, dürfen von dem erzählenden Gedicht 
wol gleichſam mit etwas reicherem Laubwerk umkleidet und unter 
dieſem üppigen Schmuck mehr verſteckt werden, fehlen aber dürfen 
ſie auch hier niemals. 


In der Mehrzahl unſerer erzählenden Dichtungen jedoch fehlen 
ſie in der That; es ſind unausgetragene lyriſche Gedichte, zuſam⸗ 
mengeballt zu einem formloſen Klumpen, der nun ſo wenig lyriſch 
wie epiſch oder überhaupt lebensfähig iſt, fratzenhafte Weſen mit 
klafterlangen Armen und Beinen und einem Kopf wie ein Stückfaß, 
aber mit einem winzigen, faſt unſichtbaren Leibe, in welchem wir- 
vergebens nach einem das Ganze beherrfehenden und zuſammenhal⸗ 
tenden Herzfchlag juchen. Bon dem Antheil, ven am vielen biefer 
ephemeren Erſcheinungen der Buchbinder hat und daß mande von 
ihnen ganz offenbar nur gefchrieben find, weil viefe Gattung jet 
eben in der Mode ift und weil ver Verleger fo und fo viel beprudtes 
Bapier brauchte, einen allerliebft vergolveten Einband damit aus⸗ 
zufüllen, davon wollen wir gar nicht erſt fprechen. Solcher hand= 
werksmäßigen Nachahmer finden fich überall und zu allen Zeiten; 
„machen“ fie nicht in erzählenden Gebichten, jo „machen“ fie in Dorf= 
geſchichten oder politifchen Liedern, oder. bürgerlichen Dramen, oder 
in irgend etwas anderem, was grade an ber Tagesordnung iſt; 


Epos und Bieuboepos. 171 


ihre Zudringlichkeit und die Unverfchämtheit, mit ver fie frembe 
Ideen ausmünzen, tft unfterblich wie fie felbft. 

Wäre alfo in der hier in Rede ftehenden Gattung übrigens 
nur mebr Leben und gefunve, frifche Kraft, fo möchten wir biefe 
Poeten von Buchbinders Gnaden ſchon immer ihr Weſen treiben 
lafien. So jedoch fteht der Werth veffen, was in dieſer Richtung 
bei und probucirt wird, fo ziemlich im. umgefehrten Verhaältniß zu 
der Fruchtbarkeit, welche unfere Dichter dabei entwideln. Wir _ 
fagten foeben, daß die Mehrzahl viefer „erzählenden Gedichte” nicht 
mehr als verfificirter Tromlig oder Ban der Velde. Aber das find 
noch) die beſten und biejenigen, die verhältnigmäßig noch Das meifte 
epifche Xeben haben. Neben viefen gereimten Ritter- und Räuber- 
gefchichten ift, ausgebrütet in der ſchwülen Luft unferer politifchen 
Reaction, noch ein anderes Gefchlecht in Flor gekommen, über das 
man den Stab gar nicht raſch genug brechen kann und Das zur 
Entfittlihung und Berweihlihung des Publicums mehr beiträgt, 
als durch bie vereinten Anftvengungen unferer befferen Dichter im 
Jahren wieder gut gemacht werben. kann. Das find die fogenanun- 
ten Märchendichtungen, die Gefchichten von verliebten Elfen und 
Nixen, von Blumen, die fi) in Menfchen und Menſchen, die fich 
in Blumen verlieben, Gefchichten, wo vie Sterne bes Himmels und 
die Kräuter der Erde mit einander reven und Vögel und Fiſche und 
jede noch fo einfältige Creatur hat Menfchenverftand und bloß der 
Dichter hat feinen, over findet e8 doch nicht nöthig ihn zu zeigen. 
In feiner anderen Gattung zeigt der trübe Bodenſatz unſerer 
Tage ſich fo deutlich, wie in viefen angeblihen Märchen; es 
ift ganz der abgelegte Thenterflitter der alten Romantik, der und 
bier unter ver Maske epifcher Dichtung entgegentritt. Epos, ei ja 
doch! Auch das Epos verlangt zuerft und vor allem menſchliche In- 
tereſſen, es verlangt greifbare, lebensfähige Geſtalten, in denen 


172 Erzählende Dichtung. 


wir Fleifch von unferm Fleiſch und Blut von unferm Blut erlennen. 
Wenn aber eine Tee, ih weiß nicht aus welchem -verfchollenen 
Märchenbuch, zur Lilie verwandelt wird und_diefe Lilie verwanbelt 
fi) wieder in ein Franenzimmer und dies Frauenzimmer verliebt 
fih und friegt Kinder und erlebt allerhand läppifche und grau— 
fige Abenteuer, bis fie fich endlich in Lilie und Fee zurüdverwandelt 
und dann fteht ver verlaffene Liebhaber vor der verwelften Lilie 
und verwelft ebenfalls — um des Himmels Willen, wo iſt da das 
menfchliche und poetifche Interefie? Und wo vor allem ift da eine 
Spur von epifcher Objectivttät?! Märchen, fagt man, find gut für 
Kinder und können nur von kindlichem Sinne genoflen werben: aber 
darum ift noch nicht jene Kinveret ein Märchen und am wenigften 
ift jedes kindiſch erſonnene Märchen ein Epos. 

Auf die Einzelheiten viefer kindiſchen Literatur Können und mögen 
wir uns bier nicht einlaffen. Vielmehr genügt e8 aud) hier wie⸗ 
derum, nur die Exrfcheinung im Allgemeinen angemerft und künftigen 
Geſchichtſchreibern ver Berirrungen und Krankheiten unferer Literatur 
zur Beachtung empfohlen zu haben. Indem wir alfo diefen ganzen 
wäüften Haufen bier bei Seite laffen, führen wie unferen Leſern nur 
eine Heine Zahl jüngerer Dichter vor, die nad) dem ſchwer errunge- 
nen Kranz der ächten epifchen Dichtung wenigſtens ernft und ehrlich 
geftrebt haben und die, auch wenn fie einftweilen noch hinter ihrem 
Ziele zurüdgeblieben, doch eben wegen ihres ernften und tüchtigen 
Strebens einer Tiebevollen Beachtung würdig find. 

> Der erfte darunter ift Rudolf Gottfchall. 


2, 
Rudolf Gotifhall. 


Wiewol nod ein Jahr jünger als Alfred Meißner, trat Ru⸗ 
dolf Gottſchall noch noch einige Jahre früher in ver Literatur auf, 
als der Dichter des „Zizfa.” Schon Anfang der wierziger Jahre, 
als achtzehnjähriger Student, veröffentlichte er von Königäberg 
aus, dem Mittelpimft der pamaligen liberalen Bewegung, einige 
Hefte politifcher Gedichte, unter denen beſonders die „Lieber Der 
Gegenwart” (1841) und die „Cenſurflüchtlinge“ (1842) Beadj- 
tung fanden. , 

Und dieſen Charakter der Yugenplichfeit, von. dem fein erſtes 
Auftreten begleitet mar, hat ver Dichter auch fpäterhin.in.ähnlicher 
Weife feftgehalten, wie Alfred Meiner: mit vem Unterſchiede je⸗ 
doch, daß, währenn Alfred Meißner mehr die negative, fo zu jagen 
weibliche Seite der Jugend repräfentirt, in Rubolf Gottſchall mehr 
die pofitiven, männlichen Eigenfchaften verfelben hervortreten : alfo 
namentlih der Muth, vie Begeifterung, ver Thatendrang der 
Jugend, aber freilich auch ihr Mebermuth, ihr unklares Schnen, 
ibr unbeftunmter, ziellofer Drang. Es iſt etwas Stubentifches in 
biefem Dichter, ſowol in feinen Erſtlingsproducten wie auch in 
feinen jpäteren; der Moſt der Jugend ſchäumt in ihm hoch auf; 
wir hören in feinen Verſen die Sporen klirren, die Hieber raſſeln, 
aber nicht etwa mit jener Eofetten Selbftgefälligfeit wie bei Osfar 





174 Erzählende Dichtung. 


von Redwitz, nein, bei dem Verſaſſer ver „Genfurflüchtlinge” ge- 
hört diefer Apparat wirklich zum Charakter des Dichters, er ift eine 
naturgemäße und nothmwendige Ergänzung feines inneren Weſens, 
das in biefen farbigen Bändern und Mützen, dieſem Klırren und 
Raffeln noch eine naive umd eben beshalb erlaubte DBefriebi- 
gung findet. 

Am deutlichſten giebt fich dies in der Form der Gottſchall'ſchen 
Dichtungen zu erfennen. Rudolf Gottſchall hat das os magna 
sonaturum, das nach einem alten Spruch ven Poeten macht: aber 
auch ein andrer, nicht minder wahrer Spruch paßt auf ihn, näm⸗ 
lich daß die Jugend leicht fertig ift mit dem Wort. Allerdings ge: 
hört, wie auch ſchon oben von uns eingeräumt warb, dieſe VBor- 
fiebe für das Glänzende, Schillernde des Ausdrucks, dieſe Hin: 
neigung zur Phraſe mit einem Wort, von der auch Gottſchall 
in der Mehrzahl feiner Dichtungen nicht freizufprechen ift, mit zum 
“ allgemeinen Charakter ver Epoche und der Gattung, in welche Das 
erfte Auftreten dieſes Dichters fällt. Gottſchall liebt die Gleich— 
niffe und Bilder mehr als billig; wo er die Wahl hat zwifchen dem 
Einfachen und Schutucdlofen und dem prächtigen, wenn auch minder 
bezeichnenden Ausdruck, da wird er fi in nem von zehn Fällen für 
ven lettteren entjcheiden; ja felbft einen gewiſſen Schwulft und 
Bombaft verfhmäht er nicht immer, wenn diefer Schwulft nur redht 
glänzend, dieſer Bombaft recht farbenprädtig ift. 

Was inzwiſchen mit dieſem Uebermaß wieder verfühnt, das 
ift, Daß es das Uebermaß einer wirklich reihen Natur, fein felbft- 
gefälliges Echauffement ver Ohnmacht ift, die hinter diefen gehänf- 
ten Slittern nur ihre eigene Nadtheit zu verbergen fucht. “Der 
Dichter ift feines Reichthums noch nicht ganz Herr, die Perlen 
und Kleinodien, welde bie braufende Fluth feines Geiſtes ans Ufer 
ſpült, Tiegen noch etwas wüft durcheinander, es fehlt ihnen noch 


- 


Rudolf Gottſchall. 175 


per funfigerechte Schliff und einzelne Mufcheln ſind auch wol gra- 
vezu hohl. Aber gleichviel, fo find das alles. doch nur Fehler des 
Reichthums und dieje laſſen fich bekanntlich mit ver Zeit verbeffern, 
während die Mängel ver Armuth unverbefferlich und unerfeglich find. 

Haben wir fomit in Rudolf Gottſchall eine überwiegend tyriſch 
pathetiſche Natur zu erkennen, ſo zeugt dies umſomehr für den 
ernſten und gewiſſenhaften Eifer, mit welchem dieſer Dichter an der 
Entwickelung und Fortbildung ſeines Talents arbeitet, daß grade 
er, ben die Ratur weſeutlich zum lyriſchen Dichter angelegt hatte, 
jo unausgeſetzt bemüht ift, fi) zur epifchen und dramatischen Dich— 
tung emporzuarbeiten. Mit achtzehn Jahren pofitifcher Lyriker, 
machte er ſchon mit zweiundzwanzig Jahren, alfo zu einer Zeit, 
wo unfere angehenden Dichter fonft nur felten Luft, gefehweige denn 
bie Fähigkeit haben, aus ber Welt der fubjectiven Empfindimgen 
herauszutreten, einen erften vramatifchen Verſuch, und zwar in ber 
biftorifchen Tragödie: „Robespierre“ (veröffentlicht 1846). Dieſem 
Verſuch folgten raſch anfeinanver zahlreiche andere, von denen 
einige auch zur Aufführumg gelangten und fich zum Theil lebhaften 
Beifall erwarben; fo „Die Blinde von Alcala,” „Die Marfellaife‘ 
und „Herdinand von Schill.“ Im Oanzen beläuft die Zahl der 
pramatifchen Arbeiten, welche der Dichter bis 1850, alfo in einem 
Zeitraum von ungefähr fünf Iahren veröffentlichte, ſich auf nicht 
weniger als acht. Freilich ift auch dieſen Arbeiten ver Charakter 
‘ver Jugendlichkeit, in dem vorhin bezeichneten Sinne, ſehr deutlich 
aufgeprägt; fie find mehr lyriſch al8 dramatiſch und haben fid) da⸗ 
ber auch, trog des Beifalls, mit dem fie zum Theil bei ihrem 
erften Erſcheinen aufgenommen wurden, gleihwel nicht auf ber 
Bühne behaupten fünnen. Es fpricht für Gottſchall's Ausdauer, 
fowie dafür, daß, troß ver lyriſchen Verkleidung, in ver fein dra- 
matifches Talent fich bis dahin noch kundgab, der Kern eines der- 


176 Erzählende Dichtung. 


artigen Talents doch wirklich in ihm ruht, daß er fi) durch dieſe 
- halben Erfolge nicht hat zurückſchrecken laſſen, ſondern feinen dra⸗ 
matifchen Studien auch fpäterhin treu geblieben if. Die Zahl 
der Stüde, die er nad) dem Fahre 1850 theils veröffentlicht, theils 
zur Veröffentlichung bereit'hat, dürfte kaum geringer fein, als die 
ver früheren; e8 befinden fich darunter auch Yuftfpiele, von denen 
namentlich eines, „Pitt und For,“ auf verfchievenen deutſchen und 
außerveutihen Bühnen mit Beifall gegeben if. Doc find dieſe 
Stücke bis jetzt noch nicht im Drud erfchienen und fteht ung daher 
kein Urtheil darüber zu. 

Ueberhaupt interefſirt Gottſchall uns hier vornehmlich als er⸗ 
zählender Dichter, wie denn auch die hervorragendſten und bedeu⸗ 
tendſten ſeiner Produetionen dieſer Gattung angehören; ſelbſt in 
Betreff ſeiner dramatiſchen Verſuche läßt ſich ein gewiſſer Wende⸗ 
punkt nicht verkennen, der mit dem Jahre 1850 eintritt, zu 
welcher Zeit ver Dichter nämlich anfing, ſich hauptſächlich dem epi- 
chen Gebiete zuzuwenden. Bis dahin hatte er daſſelbe verhältniß⸗ 
mäßig nur fehr wenig angebaut, ſogar weniger als unfere jungen 
Dichter zu thun pflegen,. unter deren Iyrifchen Exftlingen ſich denn 
doch gewöhnlich aud eine Anzahl von Balladen und Romanzen 
und ähnlichen Eleineren epifchen Dichtungen befinvet. Im Gott 
ſchall's früheften Gedichten ift dieſe Inrifch-epifche Gattung, wie ge- 
jagt, verhältuigmäßig nur jparfam vertreten; defto größer ift bie 
Fruchtbarkeit, die ex feit vem Jahre Funfzig dafür entwidelte. 
Abgefehen von einigen Eleineren erzählenven Gebichten, bie in ben 
jo eben veröffentlichten „Neuen Gedichten‘ (1858) enthalten find, 
namentlich „Sonta,” eine Kofadengefhichte, und „Barrabas,” jener 
Mörder und Miffethäter aus dem neuen Zeftament, welchen vie 
Juden frei baten, um dafiir Chriftus hinrichten zu laſſen — gehö⸗ 
ven hierher beſonders zwei umfangreiche Dichtungen: „Die Göttin. 


Nudolf Gottſchall. 177 


Ein hohes Lied vom Weibe“ (1853) und „Carlo Zeno. Eine 
Dichtung“ (1855). Beide bifven nicht nur die Höhenpunkte deffen, 
mas der Dichter bisher geleiftet bat, fondern fie nehmen auch 
ımter den erzählenden Dichtungen, welche vie letzten Fahre uns 
überhaupt gebracht haben, einen der hervorragendſten Pläße ein und 
wirb e8 deshalb gerechtfertigt fein, wenn wir un bier etwas näher 
damit beſchäftigen. 

In „Die Göttin“ tritt der überwiegend lyriſche Charakter des 
SottfhalPfchen Talents noch am veutlichften hervor; es iſt gleich- 
fam das: epische Seitenftiid zu den Jugenddramen biefes Dichtere. 
Ja wie ſchon ber Titel bes Wertes jelbft mehr auf ein lyriſches, 
als auf ein erzählennes Gedicht, mehr auf einen Hymnus, als auf 
ein Epos hindeutet, fo kann man’ auch in Zweifel fein, ob man dies 
Gedicht überhaupt der hiſtoriſchen Gattung beizählen darf. Alfer- 
dings liegt ihm ein hiftorifches Ereigniß zu Grunde, eine — mahre 
oder fingirte — Anefoote aus der franzöfifchen Revolution. Um 
das Leben ihres angellagten Gatten zu vetten, verfteht eine junge, 
edle und fchöne Frau fi dazu, wiewol innerlich widerftrebend, 
bei einem jener berüchtigten Revolutionsfefte, mit denen man 
damals das „höchfte Weſen“ feierte, vie Rolle der Göttin ver 
Bernunft zu Übernehmen. Allein ihr Opfer foll unbelohnt blei- 
ben: als fie, die verhaßten Kränze und Binden von fich fchleu- 
dernd, athemlos in das Gefängniß ihres Gatten eilt, ift der— 
felbe bereits hingerichtet — aus Berjehen, wie Chaumette fagt, 
weil der Wächter betrimfen war und ven Gegenbefehl vergejien 
hatte — und die Unglückliche endet in Verzweiflung und Wahnfinn. 

Inzwiſchen hat der Dichter von dieſem hiftorifchen Ereigniß 
nur die alleräußerften Umriffe benutzt, e8 hat ihm nur die Beranlaj- 
ſung geboten zu einer Reihe tenvenziös didaltiſcher Dichtungen, 
beren Mittelpunft „das freie Weib,” fowie überhaupt die e Befreiung 


Brup, die deutſche Literatur der Gegenwart. I. 


180 Erzählende Dichtung. . 


ftüd zu der „Göttin; wie dort das freie Weib, foll hier der 
freie, thatkräftige, nur auf ſich ſelbſt beruhende Manu gefeiert 
werben, ver Mann im Bollgefühl feiner männlichen Kraft und 
‚Würde, gleich gewaltig an Körper wie an Geift, von feiner Re- 
flerion entnervt, ‚tapfer, Klug, großmüthig, Helv ver Arbeit wie 
bes Genuſſes, der dieſes Namens in der That noch würdig ift und 
bem matten, kraftloſen Gefchlecht unferer Tage zum beſchämenden 
Spiegelbilde dienen kann: 


Der Mann, der volle, ganze, 
Der Mann aus einem Guß, 
Den mit geweihtem Kranze 
Geſchmückt der Genius; 

Der muthig ohne Wanken 
Den Opfertod erwählt; 

Der Thaten und Gedanken 
Und Geiſt und Herz vermählt; 


Der, glei) an würb’ger Tugend, . 
Die Helden Roms begrüßt, 
Den Irrthum feiner Jugend 

. Mit großen Thaten büßt; 

- Der feſt am Baterlande 

= In böfen Zeiten hält; 

Dem Undank ſelbſt und Schande 
Nicht edlen Sinn vergällt; 


Der noch mit grauen Loden 
Bewährt die Ingendkraft, 

Im Kampfe unerſchrocken, 
Im Denken unerſchlafft, 

Vom Schickſal ſchwer getroffen 
Noch feſt im Buſen hält 

Des Friedens heil'ges Hoffen, 
Den Traum der beſſern Welt. 














Rudolf Sottihel. 181 


Zu dieſem Zweck benutzt dev Dühter die hiſtoriſche Figur Des 
Carlo Zeno, eines venetianifhen Edeln aus dem Ende des vierzehn⸗ 
ten Jahrhunderts, der, nachdem er durch fühne und glüdliche Han⸗ 
belsunternehmungen fich jelbft reich und mächtig, durch eine Reihe 
glänzenver Siege aber fein Vaterland groß und triumphirend ge 
macht bat, plötzlich anf der Höhe feines Glücks den Wechſel alles 
Irvdiſchen erfahren muß ; feiner Güter beraubt, verfolgt und verra⸗ 
then von Denen, die er ſelbſt erft gerettet und groß gemacht, endet er 
in der Verbannung, arm und elend, aber ungebrochenen Herzens, bis 
zum letten Augenblid in Handeln und Dulven ein richtiger Mann. 

Sowol in der Wahl dieſes Stoffs, als auch in der Behand⸗ 
bung deſſelben erlennen wir bie reifende Kraft des Dichters. Hatte 
bie Fabel, die der „Göttin“ zu Grunde liegt, für vie Empfin⸗ 
bung bes Leſers etwas Peinliches, beſonders in biefer breiten, 
bis ins Kleinſte vetaillirten Ausführung eines mehr ballaben- 
baften als eigentlich epifchen Stoffes: jo hat ver „Carlo Zeno“ 
dagegen ven jehr erheblichen Borzug, ums in eine wirklich epifche 
Welt, eine Welt des Hanvelns, des Kämpſens, des Vollbringens 
einzuführen, wie denn auch Zeno felbft, in der naiven Fülle feiner 
männlich Fräftigen Perfönlichkeit, Held des Schwertes, der Liebe 
und des Bechers, zum Mittelpunkt eines epifchen Gedichts voll- 
fommen geeignet ift und einen viel befriepigenberen Eindruck macht, 
als die tendenziöſe Helvin ver „Göttin,” vie bei all ihrer Gat- 
tenliebe denn dodl etwas BVerfchrebenes und Blauſtrumpfartiges 
hat. Freilich hat ber Dichter auch hier wiederum ben eigent- 
lichen epiichen Mittelpunkt vielfach verlafien, um fich in zahlreichen 
Epiſoden und Digreffionen des Breiteftar zu. ergehen. Inzwi⸗ 
chen find dieſe Epifopen im „Carlo Zenn“ doch nicht fo über 
wiegend lyriſcher und tenbenziöfer Natur, wie in jenem erfteren 
Gedicht. Während in dieſem der epifche Kern nur der Epijoben 


.182 Erzäblende Dichtung. 


megen da zu fein fcheint und von ihnen nicht felten bi zum Un- 
kenntlichen überwuchert wird, ſtehen die Epiſoden des „Carlo 
Zeno“ doch wenigſtens auf epiſchem Boden; in einer langen Reihe 
glänzender Schilderungen zieht Die ganze Pracht und ſinmnliche 
Fülle des altitalienifchen Lebens an uns vorüber; Schlachtgemälpe, 
Trinkgelage, Liebesfcenen löſen fih in buntem Wechjel ab und be= 
völfern die Phantafie des Leſers mit einer Yülle bald ammuthiger, 
bald erſchütternder Bilder. 

Aber auch des Guten kann man befanntlich zu viel thun und 
der Dichter des „Carlo Zeno“ hat es gethan. Es mag ſehr ver⸗ 
drießlich ſein in einer Zeit, die wahrhaftig nicht an Ueberfülle von 
Kraft und Feuer leidet, ſondern weit eher am Gegentheil, ſich von 
der Kritik fortwährend zurufen laſſen zu müſſen: Maß, Maß! Den 
Becher nicht zu voll geſchenkt! Nicht fo freigebig mit dem Fener⸗ 
wein deines Talents! Aber da das Maß nun einmal der wahre 
Gürtel ver Schönheit ift und da Rudolf Gottſchall übrigens fo 
viele von den Eigenfchaften, befigt, aus denen ein ächter Dichter 
fih bildet, jo darf die Kritif auch mit biefen wiederholten War- 
nungen nicht zurückhalten; geben fie doch nur die Achtung zu er- 
kennen, welche fie im Uebrigen vor feinem Talente hegt, fowie 
bie Hoffnungen, die fie in ihn feßt und deren. Erfüllung der Dichter 
ih in vemfelben Maße nähern wird, je mehr es ihm gelingt, 
fih von den Uebertreibungen und Maplofigfeiten zu befreien, bie 
ihm jest noch, Reminiscenzen feines ftudentifchen Urfprungs, an= 
kleben. Wie die „Göttin“ weſentlich aus Iyrifchen und didak⸗ 
tifchen Digreffionen, fo befteht der „Sarlo Zeno, bei Ticht bes 
fehen, hauptfädhlich aus Scilverungen. Es finden fidh darun⸗ 
ter fehr fchöne und fehr Tebendige; nur find ihrer überhaupt zu 
viele. Fortwährendes Gewürz ſtumpft den Ganmen ab; ein 
Maler, ver keine Mitteltinten anwenden wollte, würde bei allem 





Rudolf Gottſchall. 183 


Fleiß und aller Pracht der Farben doch niemals eine befriedigende 
Wirkung erzielen. Diefe nothwendigen, dem epifchen Gedicht dop⸗ 
pelt nothwendigen Ruhepuntte fehlen dem „Carlo Zeno;“ es ift 
ein unausgefehtes Jagen und Heben, das nicht mehr anregt, nicht 
mehr unterhält, fondern nur noch ermüdet. Das Gevicht ift über- 
haupt zu lang, der Poet ift zu ausführlich, zu vollſtändig geweſen: 
ein Vorwurf, der and ſchon die „Göttin,“ wenn auch nicht 
ganz in vemfelben Grave trifft und der äberhaupt für die über- 
wiegend vhetorifche Seite des Gottſchall'ſchen Talente charalteri⸗ 
Ri 

- Diefe Erwähnung feiner rhetorifchen Eigenfchaften führt ung 
auf eine Eigenthümlichkeit dieſes Dichter8, Die wir zwar oben ſchon 
im Allgemeinen angebeutet haben, auf die wir aber hier noch einmal 
zurückkommen möffen, weil fie in der That einen ſehr weſentlichen 
Zug indem Gemälde bildet. Das ift der rhetorifche Bomp, der ihm 
anbaftet, in feinen lyriſchen ſowol, wie in feinen epifchen und drama⸗ 
tifchen Gedichten und der ſich, wie wir ſchon oben fagten, nicht felten 
gradezu bis zum Bombaft fteigert. Allerdings ſteht Gottſchall auch 
darin wieder nicht allein; es iſt überhaupt ein charakteriftifcher Zug 
für-eine gewiſſe Generation unſerer modernen Dichter, daß fie hart- 
nädig jede nächfte und natürliche Bezeichnung eines Gegenſtandes 
vermeiden und fi) unausgefegt nur immer in Bildern und Gleich- 
niffen bewegen: als ab Reiten wirklich vornehmer wäre als Gehen 
und als ob es nicht beffer, ſchlechtweg einen Fuß vor den andern zu 
fegen und damit vorwärts zu fommen, als aus dem Sattel zu fallen 
und fi Das Genid zu brechen. Zum Theil liegt dieſer Fehler 
wol an den falfchen Begriffen, die man fich lange. Zeit'von ver 
Poeſie als etwas der Wirklichkeit Widerſtrebendem und Feinplichem - 
gemacht hatte, während pie Poeſie doch in ver That nur die Ver- 
klärung der Wirklichkeit ift, gleichfam der göttliche Funken, ver 


‘ 


184 Erzählende Dichtung. 


jever Creatur eingeboren ift und der nur aus ber irdiſchen Ber- 
mifchung nicht immer ganz rein und Deutlich hervorſtrahlt — und iſt es 
und daher auch immer ganz beſonders charakteriſtiſch erſchienen, daß 
grade die öſterreichiſchen Dichter, alſo die Dichter eines Laudes, 
in welchem Ideal und Wirklichkeit, Forderung der Bildung und 
concrete Leiſtung ſich bisher am fchroffften gegenüber ſtanden, dieſer 
Manier am allermeiften huldigen und es barin zu der allerbefla- 
genswertheften Virtuofität gebracht haben. Und doch fann es für 
feinen Einfichtigen dem allermindeſten Zweifel unterliegen, daß Eins 
fachheit und Natürlichkeit, wie fie überhaupt die unentbehrlichen 
Grundlagen aller wahren Kunft find, auch den hauptſächlichſten 
und nothwenbigften Schmud der Dichterfprache bilden und daß ein 
Poet, der gegen das ABE der- Sprache, gegen gefunden. Menfchen- 
verftand und grammatifche Richtigkeit verftößt, weit mehr ein unge: 
ſchickter Verſemacher, als ein wirklicher Dichter ift. 

Noch eine zweite Reflerion, zu welcher Rudolf Gottſchall ung 
ſowol durch ſeinen „Carlo Zeno,“ wie überhaupt durch feine lyriſch⸗ 
epiſchen Dichtungen Veranlaſſung giebt, paßt gleichzeitig auf un- 
fere modernen Epifer im Allgemeinen. Diejelbe bezieht fi) auf 
ben vielfachen Wechſel des Bersmaßes, den diefe Dichter Lieben 
und dem auch Rudolf Gottſchall in feinem epifchen Berfuchen mehr 

als billig Huldigt. Daß zur Einheit des Kunſtwerks auch die Ein- 
heit ver Form gehört und daß namentlich ein epijches Gedicht, das 
auch eine epifche, nicht bloß lyriſche oder Inrifchepramatifche Wir- 
fung heroorbringen will, auch nothwendig ein Versmaß feithalten 
muß, das ſcheint ung zu den exften und einfachften Grundfägen ver 
Kunft zu gehören. Andererſeits jedoch fcheint der überreizte Ge- 
ſchmack der gegenwärtigen Generation biefe Einheit der Form, die 
ſich feinen abgeftumpften Sinnen nur als-Einförmigkeit darftellt, 
allerdings nicht mehr vertragen zu können. Und darum wollen 








Rudolf Gottfehait. 185 


wir unferen angehenden Epikern es denn auch nicht weiter zum 
Verbrechen anrechnen, daß ſie ſich dem Geſchmack des Publicums 
in dieſem Punkte fügen. Indeſſen, wie bunt der Wechſel der For⸗ 
men auch ſein mag, den man dem modernen Dichter verſtattet: 
daran, daß die Form dem jedesmaligen Inhalt entſprechend fei 
und in innerer Beziehung dazu ſtehe, alſo anch nicht jedes beliebige 
Metrum jedem beliebigen Stoff übergeworfen werde, wit ein Regen⸗ 
mantel, der für Jeden paßt, ſondern daß der Stoff das ihm ent⸗ 
ſprechende Metrum gleichſam von innen heraus erzeuge, wie das 
ja überhaupt ver naturgemäße Prozeß aller Dichtung iſt, "baren 
müſſen wir freilich fefthalten. Unfere modernen Epiler dagegen 
verlegen dieſen Hauptgrunpfaß ver Kunſt ſehr hänfig.und zwar oft, 
wie es fcheint, aus bloßem Muthwillen. Auch Rudolf Gottfchall 
und fein „Carlo Zeno“ macht darin feine Ausnahme; wir vermö- 
gen und 5. B. weder die Knittelverfe des erften Buchs, noch ven 
gereimten anapäftifchen Tetrameter des dritten (den wir überbieß, 
um dies beiläufig zu bemerken, für ein ſehr unglädliches, bei län= 
gerer Anwendung fogar unerträgliches Versmaß halten) aus Grün- 
ben poetifcher Nothwendigkeit zu erklären, oder warum das zmeite 
im Jambus ver Tragödie, das fünfte aber in ver Ribelungenftrophe 
abgefaßt ift. Auch fiheint ver Dichter felbft pabei gar feinem in- 
neren Motive gefolgt zu fein, es ift diefelbe abſtraete Formen⸗ 
ſchwelgerei, wie fie auch feinem übertriebenen Bilverreihthum zu 
Grunde liegt; wie dort das innere Auge, fo joll hier das Ohr des 
Leſers durch immer neuen Wechjel befchäftigt und angeregt werben. 
Das aber ift ein fehr gefährliches Princip, das. in diefem Falle 
noch einen ganz befonderen Uebelſtand mit. fich geführt hat. Hätte 
ber Dichter nämlich durch das ganze Gedicht ein Versmaß feſtge⸗ 
halten, fo würde die übermäßige Ausvehnung, welche er feinem ' 
Gedicht gegeben hat, ihm vermuthlich felbft .bemerfbar geworben 


186 Erzäblende Dichtung. 


‘ fein umd wir dürfen annehmen, daß er mit geſchicter Hand das 
Ueberflüſſige entfernt haben würde. 

Die Sammlung „Sebaſtopol,“ die der Dichter 1857 heraus⸗ 
gab und in der er die wichtigſten Ereigniſſe des Krimkrieges feiert, 
bietet keine Veranlaſſung, ausführlicher dabei zu verweilen, indem 
er ſich dabei hauptſächlich von feiner uns bereits bekannten rheto⸗ 
riſchen Seite zeigt, das Ganze auch zur Zeit des Erſcheinens noch 
zu ſehr im Bereich ber Zeitungsnachrichten lag, um einer durch⸗ 
greifenden poetiſchen Wirkung fühig zu fein. — — 

Mittlerweile hat der Dichter angefangen, ſich neben dieſen 
poetiſchen Beſchäftigungen auch einem umfangreichen und ſorgfäl⸗ 
tigen Studium der Literaturgeſchichte und Aeſthetik hinzugeben; die 
Früchte deſſelben hat er theils in feiner ſoeben erſchienenen „Poetik“ 
(1858), theils in ſeinem zweibändigen Werk über „Die deutſche 
Nationalliteratur in der erften Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“ 
(1855) niedergelegt: Beides recht ſchätzenswerthe Arbeiten, beſon⸗ 
ders die leßtere, in der fich eine reiche Belefenheit mit Gefhmad und 
gefundem Urtheil verbindet, wenn auch das Bemühen, die Litera⸗ 
tur der Gegenwart in möglihft rofigem- Lichte erfcheinen zu 
laſſen, den Berfafler hie und da zu Kleinen Extravaganzen und 
Schiefheiten verleitet hat. Kine derartige Verbindung ber poeti= 
ſchen Praris mit der äftbetffch-wiffenfchaftlichen Theorie bildet einen 
Charakterzug unferer Literatur überhaupt und hat nicht wenigen 
threr erften und glänzendften Größen — man vente nur an Scil- 
ler — die‘ glüdlichften Dienfte geleiftet. Wir zweifeln nicht, daß 
derſelbe wohlthätige Einfluß fih auch bei Gottfchall bewähren 
und daß auch biefer von der Natım fo reichbegabte Dichter durch 
forgfältige Fritifche Studien, an ſich ſowol wie an Andern, ſich zu 
immer größerer Reife entwideln und’ ven großen Zielen des Epos und 
des Drama, denen er nachftrebt, fi, immer mehr annähern wird. 








3. 
Wolfgang Müller von Königswinter. 


Auch Wolfgang Müller gehört recht eigentlich zu ven „ungen“ 
Boeten, auch ihm ift ver Charakter einer ewigen Jugendlichkeit auf- 
geprägt. Aber wenn es bei Alfred Meißner mehr vie Sentimen- 
talität und Unfelbftänpigfeit, bei dem Dichter des „Carlo Zeno“ 
. mehr der Uebermuth der Jugend und ihre Luft am Bunten, Olän- 
zenden ift, was uns entgegentritt, jo stellt Wolfgang Müller vor 
zugsweiſe die Heiterkeit, den unverwüſtlichen Frohſinn, bie uner⸗ 
fhöpflihe Genupfähigfeit der Jugend dar. - Alfred Meißner's 
Muſe ift ein ſchmackhafter Federwein, ber befanntlich noch immer 
etwas trüb und flodig ift, Rudolf Gottſchall ift ein gährender, 
brauſender Moft, ver Faß und Reifen zu fprengen droht, in Wolf- 
gang Müller's Liedern aber perlt uns ein klarer, heller Wein ent- 
gegen, ein Wein, der, mas ihm wielleiht an Feuer und geiftigem 
Gehalt abgeht, durch Würze und Anmuth der Jugend erſetzt. 

Tadle ung Niemand, daß wir ums in diefe veniologifchen Bil⸗ 
ver verlieren: Wolfgang Müller ift ein Sohn des Rheins, bes 
rebenumkränzten, und da find viefe Bilder ganz an ihrem Plaß. 
In der That repräfentirt kein anderer Dichter der Gegenwart 
die Eigenthümlichfeit des Rheinlands, feine maleriſche Schönheit, 
die lachende Fruchtbarkeit feiner Geftlve, den heitern, muntern 


‘ 


188 | Erzählende Dichtung. 


Sinn jeiner Bewohner dermaßen, wie e8 Wolfgang Müller in 
feinen beften und glücklichſten Producten gelungen ift. 

Und folher wohlgelungenen Producte hat er-eine ganze Menge 
geliefert. Müller ift 1816 geboren; in ber zweiten Hälfte ver 
dreißiger Jahre ftudirte er zu Bonn Medicin und hielt ſich dam 
im Jahre Vierzig, alfo zu einer Zeit großer politischer Aufregung, 
zum. Zwed feiner Staatsprüfung in Berlin auf. Bon hier aus 
ſchickte er an die Revaction ver damaligen „Deutſchen Jahrbücher” 
ein Gedicht, das Diefelbe auch, fo wenig fie der Poefie fonft geneigt 
war, in ihre Spalten aufnahm. Es war nur ein ganz furzes ©e- 
dicht, ein Epigramm auf eines jener ftelzbeinigen Trauerfpiele, bie 
Raupach damals, als Todtengräber feines eigenen Rufes, an ber 
Berliner Hofbühne aufführen ließ. Aber in biefen wenigen Zeilen 
ſprach ſich ein fo liebenswürdiger Humor, verbunden mit einem fo 
gefunden, natürlichen Urtheil aus, daß das Gedicht (Das. übrigens, 
jo viel wir wiflen, in Müller's fpätere Sammlungen nicht mit 
aufgenommen tft) die wohlwollendſte Beachtung und das beſte Vor⸗ 
urtheil für den Verfaſſer erweckte. 

Und wie er ſich in jenen Erſtlingsverſen ausſprach, fo iſt der 
Dichter auch fernerhin geblieben: geſund, liebenswürdig, von beſter 
Laune. Mitten in einer trüben und verdroſſenen Zeit hat Wolf- 
gang Müller's Muſe fih immew ihre lächelnde Miene bewahrt. 
Nicht als ob es ihm an. Theilnahme für die Geſchicke feines 
Volkes fehle, im Gegentheil, die Liebe zum Baterkand und hie Be- 
geifterung für ven Ruhm und die Größe deſſelben bildet einen ſehr 
hervorſtechenden Zug in dem Charakter dieſes Dichters; neben den 
Rebenhügeln des Rheins ſpiegeln ſich in ven Müller'ſchen Dich⸗ 
tungen auch die Trümmer der Vergangenheit wieder, die ernſt und 
ſtill in den königlichen Strom herniederſchauen und mit ſeine aller⸗ 
ſchönſte Zierde bilden. Aber wie dieſer Dichter durchweg geſund 








Wolfgang Müller von Königswinter. 189 


ift, fo ift e8 auch fein Patriotismus; trog alledem und alledem 
giebt er ven Glauben. an vie Zukunft unferes Volls nicht auf, er 
weiß, daß bei ver Kopfhängerei nichts herausfommt und daß nur 
ber. verloren ift, der fich-felbft verloren giebt. Freilich bat vie 
Natur e8 dem Didyter leicht gemacht, jo tapfer und wohlgemuth 
in die Welt zu ſchauen: weilen Wiege am Ahern ftand, wer von 
früh auf Zeuge des rährigen, tüchtigen Treibens geweſen ift, das 
diejen Bollsftamm befeelt und wem envlich auch in feinem perfön- 
lichen Dafein eine gewiſſe Behaglichfeit nicht verfagt ift, der kann 
fich allerdings ſchon eher als Andere den ungebeugten Muth und 
vie heitere Lamme bewahren. Aber daß dieſer Muih uud viele 
Laune fich auch in feinen Berfen fo deutlich und liebenswitrbig aus- 
ſpricht, das ıft doch i immer ein perſönliches Verdienſt des Dichtere, 
das wir gern und freudig anerfennen. 

Die erſte Sammlung von Müller's „Gedichten“ erfihien 1848, 
vermochte jedoch, troß des vielen Schönen und Sinnigen, das fie 
enthält, oder vielleicht eben deswegen in jener tumultuariſchen Zeit 
nicht vecht durchzudringen. Ueberhaupt, fo patriotifch geſinnt Mül⸗ 
ler's Mufe auch ift und in fo tiefem und treuem Herzen fie Die Ge- 
ſchicke des Vaterlands trägt, fo wenig liebt fie e8 body, eigentliche 
politiſche Stich⸗ und Schlagwörter in ihr Banner zu ſetzen; Wolfgang 
Müller ift ein ſehr fruchtbarer Lyriker, doch beftgen wir von ihm, 
wenigſtens fo viel uns erinnerlich, fein einziges eigentlich politifches 
Lied. Daß wir darin einen Fortſchritt und Borzug erhliden, brau⸗ 
chen wir nach dem, was. wir im zweiten Abfchnitt unferes Werkes 
über diefen Gegenftand geäußert haben, gewiß nicht-erft zu verfichern 
und ebenfowenig kann nach dem, mas wir über das VBerhältni ber 
lyriſchen zur epifchen Dichtung im Allgemeinen bemerken, ein Tadel 
darin liegen, wenn wir -binzufegen, daß Müller als lyriſcher Dich⸗ 
ter zwar recht viel Anmuth und Friſche, aber doch im Ganzen nur 


190 Erzählende Dichtung. 


wenig Eigenthümlichkeit zeigt. Die Tiefe der Leivenfchaft und ver 
Keichthum der inneren Welt ift es ja überhaupt nicht, wodurch das 
leichtblätige Bolt am Rhein ſich auszeichnet, ,-fie nehmen das Leben 
zu leicht, es fließt ihnen zu raſch und lieblich, als daß fie befondere 
Neigung verfpüren follten, ſich in die Abgründe der Empfindung, 
die Dornen der Speculation zu vertiefen, das überlaffen fie ihren 
Brüvern im Norden und Süden, während fie felbft, das heitere 
Bolt der Mitte, auch in ihren Leivenfchaften und Empfindungen 
gern ein gewiſſes mittlere® Maß bewahren. 

Dagegen find die Aheinkänder ganz unzweifelhaft ein höchſt 
praftifches Volk; die preußifche Rheinprovinz, die fo lange als ver 
politifch gebilvetfte und aufgeflärtefte Theil der Monarchie galt, ift 
jedenfalls der induftriellfte Theil derfelben; ver Hare, heitere Muth, 
bie joviale Sicherheit, mit weldyer der Rheinlänver die Erfcheinungen 
bes Lebens auffaßt, macht ihn beſonders geeignet zur Praris bes 
Handels und der faufmännifchen Speeulation, fowie überhaupt zu 
Allem, was mehr Thatkraft und Mutterwis als eigentliche geiſtige 
Arbeit erfordert. 

Ganz daſſelbe Verhältniß ſpiegelt ſich nun auch in Wolfgang 
Müller ab, dieſem eigentlichen Poeten des Rheinlandes. Als Ly— 
riker zwar recht lieblich und angenehm, aber doch ohne hernorftechende 
Eigenthümlichkeit, entfaltet er ven ganzen Reichthum feines Talents 
erft da, wo er das epifche Gebiet betritt, das eben deshalb auch ver 
Haupttummelplag feiner poetifhen Thätigkeit geworben if. — Den 
„Gedichten,“ die ſeitdem in zweiter ſtark vermehrter und verbeffer- 
ter Auflage erichienen find (1858), folgte vier Fahre fpäter die „Lore 
lei. Xheinifche Sagen.” Auch von biefem Buche ift ſeitdem eine 
zweite fehr vermehrte Auflage unter dem etwas veränderten Titel 
„Lorelei. Rheinifches Sagenbuch“ erfchierren. Im dieſer erwei- 
terten Geftalt enthält das Buch nicht weniger als 120° BaHaven, 





Wolfgang Müller von Königswinter. 191 


ein epifcher Reichthunt, deſſen nur wenige veutfche Dichter ſich erfreuen 
bürften und ver in dieſem Falle um fo ſchätzenswerther ift, als es 
großen Theils wirkliche Balladen find, weder gereimte Anefooten 
noch bloße Stimmungsliever mit epifcher Pointe. Das Bud) ift 
Ludwig Uhland zugefchrieben; wir meinen e8 nicht beffer charakte— 
rifiren zu können, als indem wir einige Strophen aus dem Wid— 
mungsgedicht herfeßen: j 


Mein Lied, mit leichten Flügeln 
Zieh durch ven Maienfchein, - 
Zieh hin zu Schwabens Hügeln 
Vom goldig grünen Rhein! 

O, ſchlag die hellſte Weife 

In treuften Worten an’ 

Und töne dort zum Preife 

Dem beften deutfchen Mann! 


. 


Mein Uhland, hoher Meifter 
Mit jüßem Liedermund 
Wie friſche Früblingsgeifter“ 
Thut dein Gefang. fich fund. 

‚ Bor Allen, bie da fingen 

Im deutſchen Dichterhain, 

Erhebt dein Lied die Schwingen 
So kräftig, keuſch und reii. 


Du ſingſt von ſtarker Treue 
Und kühnem Männermuth, 

Du wexrkeſt ſtets aufs Neue 

Der Heimathliebe Gluth; 

Du weihft jo hehre Lieder 

Dem ſchönen Vaterland, 

Giebſt friſche Hoffnung wieder, 
Wo ſchier bie Hoffnung ſchwand. 


192 : Erzäblende Dichtung. 


Inm Dichten und im Leben, 
In Thaten wie im Wort, 
Galt es dir ftets, zu heben , _ 
Den beften Schat und Hort: ” 
Das ift ın Macht und Ehre, " 
, In Füll' und Kraft zugleich, 
Das einig, heilig, hehre, 
Uralte deutſche Reich! 


Du Geift vol Männertugend 

Du Herz, in Liebe mild, en 
Stets warft du unfrer Jugend 

Ein ewig helles Bild! “ 

Du biſt's auch mir geweſen - 

Auf meiner Sängerfahrt: - 

Ich hielt am deutſchen Weſen, 

Ich hielt an deutſcher Art. 


Gleichzeitig mit der erſten Auflage ver „Lorelei“ erſchien „Die 
Maikönigin. Eine Dorfgefhichte in Verſen.“ Sollte mit dieſem 
Zuſatz auf dem Zitel nur ver Mode eine Huldigung dargebracht 
werben — denn ed war eben bie Blütezeit ver Auerbach'ſchen Dorfge⸗ 
ſchichte — oder follte es wielleiht nur ein eben nicht glüdlicher Ver⸗ 
fuch fein, an die Stelle des griechiſchen Idylls ein veutjches Wort 
zu fegen, fo brauchte man es nicht allzugenau damit zu nehmen. 
In der That jedoch fchien ver Dichter etwas mehr damit beabfih- 
tigt zu haben, ex wollte, ſchien e8, eine neue Gattung bamit ein- 
führen, die verfificirte Dorfgeſchichte als Seitenſtück zur proſaiſchen. 

Allein dieſer Verſuch war verfehlt und hat daher auch glück⸗ 
licherweiſe keine oder doch nur ſehr ſparſame Nachahmer gefunden. 
Die Dorfgeſchichte (um dies hier ſchon vorweg zu nehmen, da wir 
die Gattung ſelbſt erſt im zweiten Bande unſeres Werkes näher be- 
ſprechen werben) iſt ein für allemal auf die Proſa angewieſen, jo gut wie 


Wolfgaug Müller von Königswinter. 198 


der Roman und die fociale Novelle, die man auch wol verfucht hat 
(Byron, Puſchkin) in poetische Formen zu gießen, ohne damit jedoch 
mehr als ein unerquicliches Zwitterweſen zu.erreichen. Die Dorf- 
geſchichte namentlich erfordert eine Fülle von Heinen technifchen 
Details, fiir welche in ver eigentlichen poetifchen, Der gebundenen 
Rede kein Raum ift. Sie erfordert ferner eine Lolalifirung in 
Dialekt und Sprechweiſe, die in ven meiften Fällen mit Vers und 
Reim ſich nicht verträgt. Eine richtige Dorfgefchichte, bie mehr 
jein will als eine bäuriſch verkleivete Städterin, muß immer etwas 
Holzſchnittartiges haben, in verben, kecken Streichen; ſchon dieſer 
gleihmäßige Fluß des Verſes ift viel zu glatt, dieſer Wohllaut 
bes Reims viel zu füß, viel zu zierlich für die derbe Treue und 
Natürlichkeit, die wir von der Dorfgefchichte vorzugsweiſe erwarten. 

Inſofern alfo war der Verſuch unferes Dichters fein beſonders 
glüdlicher und auch im Punkt ver Erfindung zeigte er ſich nur als 
ein richtiger Sohn bes neunzehnten Jahrhunderts. ‘Die Wabel 
der „Maifönigin” ift überans einfach, vielleicht ſogar zu einfach, 
Namentlich in den trefflichen und: mannhaften Thaten, durch welche 
der Held der Gefchichte, Rainer, des Herrenbauers wackerer Knecht 
und würdiger Geliebter feines holden Töchterleins, fich unferer 
Theilnahme empfehlen und die Hand feiner Geliebten erringen will, 
möchte ſelbſt für einen unverwöhnten Gefchmad etwas mehr Abwech⸗ 
felung wünſchenswerth gewejen fein. Die „Retter der Geſellſchaft“ 
waren allerdings damals, als das Buch erjchien, noch jehr an der 
Tagesordnung, diefe vielfachen und immer wiederkehrenden „Ret⸗ 
tungen‘ jedoch, Rettungen an Freund und Feind, in denen Rainer 
ercellirt, von den durchgehenden Pferden an, mit denen das Ges 
dicht beginnt, bis zu der Feuersbrunſt am Schluß, aus deren wild⸗ 
lodernden Flammen der Phönix der Liebe fich emporjchwingt, haben 
doch etwas gar zu Einförmiges und bleiben in dieſer gehäuften 


Prup, die deutſche Literatur der Gegenwart. I. 18 


I . Ergählenbe Richtung. 


Zaſammenſtellung fogar nicht ohne einen leiſen loauſchen Veige 
ſchmack, ven ber Dichter doch ganz gewiß nicht beabfichtigt. hat. — 
Deſto gelungener dagegen ift die Ausführung des Gedichts. Der 
Schauplatz weſſelben warb vom Dichter in Die Nähe bes Siebenge⸗ 
birges zerlegt, alſo fo recht in die Mitte des Schauplatzes, auf 
welchen Muller's Muſe ſich am liebſten und auch amt glücklichſten 
bewegt. Die Reize ver Natur in Flur men Wald, Gebirge und 
Stroͤm, die dad Siebengebirge. krönen, die wechſelnden Beſchäfti⸗ 
gungen des Landlebens, bie Luft des ländlichen Feſtes hei Geſang 
und Tanz und Wen — das Alles wird hier mit einer. Wahrheit 
und Anſchaulichkeit geſchildert und zugleich auch mit fo viel Achter, 
inniger Poeſie, daß ver Leſer ſich aufs Lebhafteſte davon ange 
zogen fühlt und über einzelne ſchleppende Stellen und proſaiſche 
Wendungen, die der Feder des Dichters hier und da entſchlüpft 
find, bereitwillig hiuwegſieht. Ä 

Der „Maikbnigin“ ließ ver Dichter ‚mei Jahre ſpater den 
„Prinz Minnewin, ein Mitteſommerabendmärchen,“ folgen. ‘Dies 
iſt unſeres Bedünkens nicht nur unter den Producten dieſes Dich- 
ters, ſondern auch unter Allem, was unſere erzählende Dichtung 
im lketzten Zahrzehnt hervorgebracht hat, bei weiten das Beſte und 
dasjenige, worin das meiſte und ächteſte epiſche Blut rollt, 
Der Dichter hat ſich hier einen Schriftfteller zum Vorbild genom⸗ 
men, ber, ehedem fehr gefeiert, non der lebenden Generation kaum 
mehr. genannt, geſchweige beim gelaunt wird und Der doch für das 
Gebiet, um das «8 füh hier handelt, das Gebiet ver erzählenden 
Dichtung, leichtlich das beſte Muſter ſein dürfte, das wis aus mo⸗ 
derner Zeit überhaupt beſitzen — Wieland, ver Dichter des „Obes 
ron.” Der Stoff iſt nicht ſelbſtändig vom Dichter erjunden, aber 
wit Geſchick ausgewählt und ausgebildet worden. Prinz Minne⸗ 
win wird auf Befehl feines Vaters fern von dem Verlehr der Men⸗ 








Wolfgang Häller von Königswinter. 195 


fchen in einem einfauten, tief im Watde werfledhten Schloß erzogen, 
ungefähr wie ber Sigismund ın Calderon's, Das Reben ein Traum.“ 
Der Zweck dieſes wunderlichen päüdagogiſchen Experiments iſt, Priny 
Minnewin vor jeder Berührung mit der argen Verfluhrerin, der 
Liebe, zu ſchützen und dadurch den böſen Einfluß einer feindlichen 
Fee zu Schauden zu machen. Aber „wenn dieſe ſchweigen, werben 
die Steine reden;“ da Menſchen ihm nicht davou ſprechen Dürfen, 
fo verlünden die Vögel, deren Sprache er verfteht, ihm das große 
Myſterium ver Liebe Eine Taube, die ſich zu ihm in den Thurm 
gerettet hat, erzählt ihm fo viel von ver Sußigkeit ver Liebe und 
entwirft ihm das Bild einer entfernten fchönen Jungfrau mit fo 
reizenden Farben, daß fein Herz fid) bald von der heißeſten Sehne 
ſucht ergriffen fühlt. . Diefe Sehnfucht drängt ihn zu Thaten, er 
verläßt fein einſames Schloß, zieht iu die Welt und beſteht eine 
Menge feltfamer und wunderbarer Abenteuer, bis. er.enblich vie 
Geliebte glücklich auffnvet uud fich zu ewigem Bumdniß mit Ihr ver- 
mählt. Auch dieſe Fabel, wie man fickt, iſt ziemlich einfach: doch 
bat ver Dichter fie fo glücklich durchgeführt und mit fnlcher Fülle 
phantaftifsher und Jieblicder Züge ausgeſtattet, daß wir, wie. gejagt, 
fein Bedenlen tragen, diefem Gedicht bie Palme vor allen ubrigen 
feiner Gattung zuzuerkennen. 

Dieſelbe heitere und aumuthig Phaniaſtik offenbart A 
auch in Müllers Epos „Der Kattenfänger von St.-Goar,“ 
nur daß die Einheit ver epifchen Handlung bier nicht fo ſtreng bes 
wahrt und durchgeführt ift, wie im „Prinz Minnewin.“ Es ift 
wiederum eine vheinländifche Gefchichte, und wenn vie Fabel felbft 
etwas Dürftiges hat, das mitunter felbft nahe an das Triviale 
ftreift, fo entſchädigen dafür reichlich die prächtigen Schilderungen 
rheiniſchen Lebens und rheinifcher Sitte, mit denen der Dichter auch 


biefes Werkchen wieder ausgeftattet hat und in denen er denn wahr- 
13 * 


196 Erzählende Dichtung. 


haft als Meifter daſteht, ein rühmliches Vorbild für alle Mitftreben- 
den, welche Schäße ver Poefie noch im veutfchen Volksleben ruhen 
und daß man ein fehr nationaler und jehr patriotifcher Dichter fein 
kann, auch ohne ein einzigesmal in die Seiten Herwegh's und feiner 
Zeitgenoſſen gegriffen zu haben. — 

Denfelben friſchen, männlichen Geift athmet auch das nenefte 
Werk des Dichters: „Johann von Werth, eine deutſche Reiterge- 
ſchichte“ (1858). Auf grümblichen biftorifchen Studien berubend, 
ſchildert daſſelbe das fee Reiterblut, dieſen ächten Schn des mun⸗ 
tern, übermüthigen Rheinlandes, mit eben ſo treuen wie lebhaften 
Farben und wenn auch, bei der großen Ausdehnung des Gedichts, 
der Ton der Reimchronik nicht überall ganz vermieden iſt, ſo bilden 
die friſchen, poetiſch lebendigen Stellen doch bei Weitem die Mehr⸗ 
zahl und machen das Ganze zu einer höchſt anregenden und befrie⸗ 
digenden Lectüre. 

Außerdem hat ver Dichter noch ein Luftfpiel „Der Rothman⸗ 
tel,“ das auch auf verfchievenen Bühnen gegeben worben ift, fowie 
zahlreiche größere und Kleinere kunſtgeſchichtliche Arbeiten verfaßt, 
unter denen befonders fein Buch über die „Düffelporfer Künſtler 
aus den legten fünfundzwanzig Jahren” verdiente Anerkennung ge- 
funden hat. Doch ift uns erfteres Werk nicht bekannt geworben, 
leßteres aber fällt zu jehr aus dem Kreife, den unfer Buch fich ab- 
gefterft bat, als daß wir und. hier des Näheren darauf einlaſſen 
könnten. 








4, 
Franz Sorher. 


Schon an Wolfgang Müller. hatten wir nor Allem vie Ein⸗ 
fachheit und Natürlichkeit, ſowie die geſunde Friſche feiner Did 
tungen zu rühmen. Derſelben Einfachheit und Natürlichkeit begegnen 
wir num ach bei Franz Loeher, einen Dichter, der recht eigentlich 
hieher gehört, ürfofern ex nämlich neben zahlreichen wifjenfchaft- 
lichen Leiftungen als Dichter bisher nur ein einziges Mal, dies eine 
Mal aber mit einem ergählenven Gedichte aufgetreten ift: „Gene 
tal Spork.“ Die Einfachheit und Natürlichkeit des Dichters 
muß in dieſem Yalle ſogar um fo mehr anerfannt werben, als die⸗ 
jelbe und für einige andere Eigenfchaften entſchädigen muß, bie 
Locher entweder gar nicht oder doch nicht in dem Maße befisst, wie 
men fie fonft wel bei Dichtern erwartet und verlangt. Dahın 
gehört namentlich eine gewiſſe Fülle der Phantafie, ein gewiſſer 
Schwung der Begeifterung, mit einem Wort eine gewiſſe Lyrik, 
beren ja Fein Dichter ganz entbehren darf, gleichviel welches Feld 
ver Dichtung er anbaut, dig aber bei Loeher nur in fehr mäßigem 
Grade entwidelt iſt. Selbſt feine Einfachheit grenzt zuweilen 
an Trockenheit, feine Natürlichkeit an Alltäglichkeit; fein ganzes 
Gedicht ift mehr eine Art Chronik als ein Gedicht. Indeſſen ſolche 
danatifer der Einfachheit und. Natürlichkeit find wir num eimmal, 
daß wir ſelbſt viefe ſtellenweiſe Alltäglichkeit und Dürre ben Ueber⸗ 





198 Erzählende Dichtung. 


fhwenglichfeiten vorziehen, in denen unfere angehenden Dichter fich 
fonft wol gefallen. Erkannten wir in Rudolf Gottſchall ven über- 
müthigen, ſporenklirrenden Studenten, fo ift Franz Loeher ver 
überlegſame, beſonnene Bürger, der denn eben vor lauter Befonnen- 
heit wol mitunter auch zum Spießbürger wird; repräfentirte Wolf- 
gang Müller ‚uns die ganze ſchöne finnliche Fülle, die Jovialität 
und Lebensfriſche des Aheinlänvers, fo ift dagegen Franz Locher 
ein ächter Sohn der fruchtbaren, aber nicht beſonders poetifchen 
norbdeutjchen Ebene, ein richtiger Weftfale, ausdauernd und tlidh- 
tig, treu und feft, auch nicht ohne Gemüthlichkeit, wol aber ohne 
jenen höhern Schwung der Phantafte, ven Die gefegnete Traube des 
Rheins erzeugt. Ä 

Im Gegenſatz zu den bisher beſprochenen Dichtern iſt Franz 
Loeher verhältnißmäßig erſt ſpät, erſt in reifen Mannesjahren, in 
der zweiten Hälfte der. Dreißiger, zum Dichter geworden ober Dach 
als ſolcher öffentlich aufgetreten. Auch dies iſt harakteriftifch für 
. feine. geſammte poetifche Stelfung: er. ift eben der Mann, ver über- 
legſame, nüchterne Mann unter: den ſewarmenden und braufenben 
Yünglingsherzen. 

Aber eben deshalb. trifft er den ächten epifchen Tom nur um 
fo befler. . Die Lyrik ift die Poeſie des Jünglings-, dus Epos Dies 
jenige des Mannesalters. Und als ein gereifter Dann trat Franz 
Rocher in vie Boefie; ex hatte ſchon manden Sturm an ſich ver- 
übergeben lafjen, Sturm des Meeres und Sturm des Lebens, be- 
ver er jeinen erſten Vers veröffentlichte. Die nächften Jahre nach 
Vollendung feiner akademiſchen Stubien (und auch das: tft charak⸗ 
teriftifch für Franz Locher, daß, währenn alle bisher befprochenen 
Dichter fich ver Literatur als folcher winnteten, ex vielmehr das Stu⸗ 
dium ber echte, biefer praktiſchſten aller Wiſſenſchaften, wicht bloß 
ergrifl, jondern daß er auch dauernd dabei aushielt) — nad Ballen» 











Stanz Locher. 199 


dung feiner Stubien, jagen wit, verbrachte er eine Reihe von 
Jahren auf größeren Reifen, auf denen: er. einen bebentenden Theil 
von Europa nebft ben: norbamerifanifchen Freiſtaaten beſuchte; 
die Ergebniſſe ſeiner Reijebeobachtungen hat er im: dem liebenswũr⸗ 
digen Buche „Laub und Leute“ (3 Bde. 1853 ff.) niedergelegt, 
eins von den wenigen Werken unſerer modernen Touriſtenliteratur, 
das man zweimal leſen kann und das nicht wenige Monate nach 
feinem Erſcheinen bereits zu: Maeulatur geworben ift: — In feine 
weftfälrfche Heimath zurücgefehrt, betheiligte er ſich lebhaft an ven 
politifchen Bewegungen des Jahres Achtundvierzig; in ber aufge 
töften preußischen Zweiten Kammer jvon 1849 ſaß er als jüngfies 
Mitglien, fah fh jedoch bald darauf in politiſche Unterſuchungen 
und Prozeſſe verwickelt, vie ihn veranlaßten, ver Heimath ‚aufs 
Neue ven Rücken zu menden. Zum zweitenmale zurückgebehrt, war 
er dann einige Jahre Privatdocent der Rrisprudenz zu Güttin: 
gen, bis ex vor etwa vier Jahren als Borlefer des Königs Max von 
Baiern und Profeffor an ver dortigen Univerſität nach München 
berufen ward. Erftere Stellung hat er unſeres Wiſſens mar kurze 
Zeit hindurch verfeber®, als Lehrer des Rechts Dagegen: ift ex noch 
jest an der Münchener Hechſchule mit beiten Erfolge tätig. 

Als ein fo gewiegter, ja wir. dürfen jagen von Sturm and 
Wetter geſchüttelter Maun num, ſchrieb er fein Gedicht vom „Ges 
neral Sport” Es ift etwas Berwandtes zwifchen dem ‚Dichter 
und feinem Helven, wie es ja auch überall fein muß, wo ber erſtere 
dem letteren wirklich gerecht werden will. Wie General: Spork, 
iſt auch Franz Loeher ein Sohn der Rothen Erde; gleich ihm iſt ex 
ein guter Katholik, aber ohne den mindeſten Fanatismus; wie fein 
Held, hat andy. ver Dichter ſich von früh auf durch allerhand Muth 
und Fährlichkeiten hindurchſchlagen müffen; gleich dem kühnen Sei» 
tergeneral, der ven Schrecken ˖des deutſchen Namens bis nach Parts 


— 


200 Erzählende Dichtung. 


trug, ift auch Locher ein Charakter von ungewöhetliher Energie, 
Kühnheit und Selbftvertrauen. 

Damit war denn das Wichtigfte gegeben, bie Sympathie des 
Dichters mit feinem Stoff. Was die Ausarbeitung bes letzteren 
anbetrifft, fo bat Locher e8 fi) damit, wie ſchon angedeutet, ein 
wenig leicht gemadt. Das Gedicht ift in einer Art von Kuittel- 
verd gefchrieben, die Reime find nicht befonders wohllautenb, bie 
Sprache mitunter ein wenig ſchwerfaͤllig und ungelenk; das Ganze 
ift Das Propuct eines Mannes, ver die Poefie mehr als eine Her⸗ 
zensfache treibt, denn als eine Kunſt. Andererſeits jebod tft jo 
viel geſundes, tüchtiges Leben varin, die Darftellung ift fo frifch, 
ber ganze Ton des Gerichts jo männlich und fräftig, daß wir un- 
fere äfthetiichen Bedenken gern jchweigen beißen und uns nur bes 
angenehmen Totaleindrucks erfreuen. Es werden kunſwollere und 
regelvechtere Gedichte geſchrieben, als Loeher's „General Sport,‘ 
ganz gewiß: in dem jedoch, was das Wefentliche der Poefte ift, in 
ber plaftifchen Kraft, ver Unmittelbarkeit und Friſche Des Auspruds, 
ſowie endlich in ber innern Harmonie und Geſundheit der ganzen 
Weltanfchauung, darf dies Gedicht, mit all feinen fprachlichen und 
fonftigen ‚Mängeln, fich dreiſt dem Beſten, was in biefen letzten 
zehn Jahren erſchienen ift, an die Seite ftellen. Der Berfaffer 
erinnert in vielen Stüden an Franz Trautmann, dem er ſowol 
in feinem naiven Katholicismus, wie durch feinen ftarfansgeprägten 
Localpatriotismus gleicht; er iſt gleichſam ein weſtfäliſcher Franz 
Trautmann in Verſen. Zugegeben, daß das Geure als ſolches 
nicht beſonders groß und erhaben iſt und keine Erfolge von unfterb- 
licher Dauer zuläßt, fo iſt es doch immer ſchon etwas, zumal in jo 
zerriffenen Zeiten wie bie unferen, auch im Kleinen groß zu fein. 
Auch Liegt diefer ganzen Richtung ein gewifler pofitiner Kern zu 
Grunde, in dem wir ein höchft heilfames Eorrectiv gegen die Aus⸗ 











Franz Locher. 201 


ſchweifungen und Maflofigfeiten unferer politijchen Lyriker einer- 
feits, fowie gegen das Berhimmeln und Verdüfteln unferer ſenti⸗ 
mentalen Dichter andererfeits erblicken; entſchließen unfere angehen⸗ 
den Poeten ſich nur erſt, in einen kleinen, aber beſtimmten und 
dabei lebensfähigen Kreis ſich ſo einzuleben und ihn ſich mit der 
Sorgfalt und Liebe zu eigen zu machen, wie Franz Loeher und 
Franz Trautmann es gethan haben, fo werden bie großen und 
weltbewegenden Werke ſich mit der Zeit auch wol wieder finden. 


. | 5. 
Adolf Schults. 


Hier zum erſten Mal in unferer Galerie zeitgenöſſiſcher Dich—⸗ 
ter ftoßen wir auf einen Namen, deſſen Träger, dem Lob und Tadel 
ver Parteien entrüdt, bereits nicht mehr unter den Lebenden ift. 
Im Fahre 1816 geboren, wurde Adolf Schults im April 1858 
durch einen rafchen Tod von einem langwierigen und unbeilbaren 
Siechthum erlöft. Es wäre eine unwürdige Mebertreibung, wollten 
wir behaupten, daß fein Tod. eine unerfegliche Lücke im beutjchen 
Parnaß geriffen, oder daß fein Name beftimmt fei, dereinft unter 
den erften Sternen unferer Literatur zu glänzen. Wol aber, wenn 
ein liebenswürbiges Talent, wenn forgfältige und gewiſſenhafte Be= 
_ nußgung deſſelben, wenn Fleiß, Auspauer und Treue, verbunden mit 
einer männlichen und tapfern Gefinnung, einigen Anfprud darauf 
haben, in der dankbaren Erinnerung ver Zeitgenoffen fortzuleben: 
jo ift dies bei Adolf Schults der Fall, und meinen wir nur die 
Pflicht des Hiftorifers zu erfüllen, indem wir fein Bildniß bier 
einſchalten. | 

Gleich Rudolf Gottſchall, machte auch Adolf Schulte ſich zu= 
erſt in der Sturm⸗ und Drangperiode unſerer vierziger Jahre durch 
politiſche Lieder bekannt. Doch waren diefelben von keiner beſou⸗ 
deren Erheblichleit. Adolf Schults war in der Gegend von Elber⸗ 
feld zu Haufe, in jenem gefegneten Wupperthal, das eben To jehr 











Adolf Schufts. 203 


durch feine Induftrie wie durch feine Frönmigkeit (und letzteve 
fol in vielen Fällen auch nur eine Art von Induſtrie fein) im Ruf 
ſteht, in jenem anmuthigen Hägellanve,, das zwifchen ber weft 
fälifchen: Ebene und ben maleriſchen Ufern des Rheins mitten inne 
Gegt. Dem entfprehenb ift auch in dem poetiſchen Charakter 
dieſes Dichters hauptſächlich das Anmuthige ausgedrückt; ex hat 
weder die Kraft noch Energie feines weitfähfchen Nachbars Franz 
Loeher, noch hat die Ratur ihm jenes Leichte. Blut und jene ſinn⸗ 
liche Friſche mitgegeben, wie den rheiniſchen Poeten; es ift ein 
wobhnemenver, tüchtiger Mittelfchlag, betriebfam und ftetig wie 
feine Stammigenoflen, mit einem mehr häuslichbürgerlichen, als 
eigentlich poetiſchen Horizen. ©, 

Wenn ber liebenswürdige und wohlmeinende Dichter ſich 
nichts deſtoweniger auch zum epiſchen Gedicht berufen fühlte, jo war 
das theils, wie wir wiſſen, ein allgemeiner Zug der Zeit, theils 
an Zeichen feines reblichen und eifrigen Streben, das im Bewußt⸗ 
fein feines guten Willens auch vor foldhen Zielen nicht zurück⸗ 
ſchreckte, die vielfeicht über das Maß ferner Kräfte hinauslagen. 
Adolf Schults bat ſich als erzäßlenver Dichter hauptſächlich durch 
zwei Werlkchen bekannt gemadt: „Martin Luther. Ein Iyrife 
epifcher Cyklus“ (1853) md „Ludwig Cape. Ein hiſtoriſches 
Gericht” (1855). „Martin Luther“ giebt. fih ſchon anf. vem 
Titel als ein Zwittergeſchöpf von Epos und Lyrik kund; Die 
firenge und einheitliche Durchführung des epifchen Gedichts fucht 
man bier: durchweg vergeblich au ebenfo jene reinen plaſtiſchen 
Sormen, vie allerdings im Begriff ver epiſchen Dichtumg Liegen. 
„Martin Luther” if gleich Gottihal’s ‚Göttin der Vernunft,“ von 
ber. das Gedicht fveilich übrigens fo verſchieden iſt wie möglich, über⸗ 
wiegend reflettirender Natur; die einzelnen hiſtoriſchen Momente ver⸗ 
ſchwinden faſt unter ver Breite Inrifcher Ergüſſe over philoſophiſcher 


204 Erzählende Dichtung. 


Betrachtungen; felbft zur eigentlichen Ballade oder Romanze fonımt 
es nur felten, da ver Stoff ala folder dem Dichter überhaupt wenig 
gilt, fondern nur vorhanden zu fein fcheint, ihm als Anhaltpunlt 
für feine fubjectiven Empfindungen und Reflerionen zu dienen. Doch 
ift dies, wie wir ja mehrfach gefehen haben, mehr oder weniger ein 
Gebrechen der ganzen Gattung, die derin wieder gewifie Krank⸗ 
heiten uud Schwächen unferes Zeitalters im Allgemeinen abjpiegelt, 
und wäre e8 daher unrecht, wollten wir ben Dichter dafür pexfön- 
Ich in Anfpruch nehmen. Auch zeigt das Gebicht noch einige an- 
dere und vortheilhaftere Seiten. Bon ernitem, männlichen Geift 
burchbrungen, bildet es einen erfreulichen Gegenſatz gegen vie 
ſüßliche Kopfhängerei und Scheinheiligfeit, die eben damals von 
anderer Seite her als der wahre Kern der Poefle verfünbigt warb; 
in. dem Ganzen fpricht fih ein gewiſſer verfländiger Nationalis- 
mus aus, der vielleicht nicht fehr poetifch iſt, deſto mehr Bead- 
tung aber als eultwrgefchichtliches Moment verbient, fowie man 
fh nur an die pietiftifhe Nachbarſchaft erinnert, in welcher 
baffelbe entftanden. Ueberhaupt ift Verſtändigkeit ver vornehmſte 
Charakter dieſes Gebichts; die einzelnen hiſtoriſchen Momente find 
zwedmäßig ausgepählt, vie Charaktere, fo weit in dieſer ver⸗ 
ſchwimmenden Gattung überhaupt von Charakteren die Rebe fein 
Yan, mit hiſtoriſcher Treue gezeichnet, die Form fauber und tüch⸗ 
tig und nur felten durch Heine Nachläffigfeiten entftellt, beſonders 
durch häufige Wiederholung gewiſſer Redeweiſen, ober auch durch 
einzelne Längen, die ſich ohne Mühe hätten befeitigen laſſen. 
„Ludwig Capet“ behandelt das teagifche Ende Ludwigs des 
Sechzehnten. Gewiß war es keine leichte Aufgabe, die gewaltigſten 
Begebenheiten ver franzöſiſchen Revolution in einen fo engen 
Hahmen, wie die poetifhe Erzählung ibn allein zuläßt, gleichfam 
in einem poetifchen Auszug zufaunmenzufaflen, ohne fie ihrer hifto- 








Adolf Schulte, 206 


rischen Würde zu entlleiven oder in das Tendenziöſe und. Abſtract⸗ 
Rhetoriſche zu verfallen. Beide fo nahe liegende Klippen hat ver 
Dichter mit großer Geſchicklichkeit vermieden. Aus den wenigen 
Gruppen, welche fein Gedicht ung vorfährt, und wie ſich von dem 
biftorifchen Hintergrund in finnlich lebenviger Fülle abheben, offen- 
bart der Geift ver Gefchichte fih in großen und Fräftigen Zügen; 
fein Standpunkt iſt überall ein Acht poetifcher, ſchon deshalb, weil 
er ein Acht menjchlicher ift und weil der Dichter den tragiichen 
Untergang des Königthums ebenfo mit empfindet und daſſelbe 
Herz dafür hat, wie für die Kämpfe und Irrthümer der jungen 
Freiheit. Das Gedicht beginnt mit dem Prozeß des Königs und 
führt uns ın fünf Abfchnitten: „Zwei Lilien im Kerker,“ „Roſe, 
Greis und Yüngling,” „Kerkerſtunde,“ „Berg unb Gironde,“ und 
„Der Todesgang,“ bis zur Hinrichtung des Königs. Als Gegen- 
ftüd zu dem gefangenen Königspaare hat der Dichter eine Liebes- 
gejchichte zwifchen. Hofe von Malesherbes und dem jugendlich 
fhönen und kühnen Barbarour, dem Stolz der Gironde, einge 
flodten, wodurch er zugleich Gelegenheit erhielt, die übrigen be= 
deutendſten Perfönlichleiten jener Epoche, Vergniaud, Robes- 
pierre 2c. anf ungezwungene Weife in fein Gemälde mit aufzu= 
nehmen und jenen ftillen Krieg der Parteien zu fehilvern, der im 
Schoos ber Freiheit felbft wilthete und dieſer bald einen fo ſchmäh⸗ 
Eichen Untergang bereitele. Die Charakteriftil iſt bei aller hiſto⸗ 
riſchen Treme maßvdll und edel; nur für die unglückliche Königin 
hätte der Verfaffer die Farben fleffemmeife wol etwas weniger 
grell wählen dürfen. Die ſprachliche Darftellung entfpricht -in 
ihver gebiegenen Einfachheit ebenfalls der Würde des Oegenſtandes; 
auch erbliden wir einen. wefentlichen Fortſchritt darin, daß ber 
Dichter vie ſonſt fo beliebte Mannichfaltigfeit ver Versmaße, wie 
fie. uns nod in feinem „Martin Luther“ begegnet, für diesmal 


206 Erzählende Dichtung. 


verſchmaͤht und das ganze Gedicht im derſelben einfachen und 
ſchlichten Form durchgeführt hat. Ein beſonders glücklicher Ge— 
danke, durch ven dies Fragment ber; Revolutionsgefehichte erſt 
feinen wahren poetiſchen Abſchluß erhält, iſt es, daß der Dichter 
unter den Zuſchauern ver königlichen Hinrichtung auch Napoleon 
einführt — zwar gegen den Buchſtaben ver Geſchichte, da Napoleon 
Buonaparte fich zu jener Zeit befanntlic gar nicht in Baris, ſondern 
in Corſika befand, aber übrigens in fo postifrher Weife, daß man 
den Kleinen Anachronismus gern verzeibt: - 


. . Fern ab vom Volksgedränge 

Da hält ein Reiter fill auf hohem Roß; 
Er blickt verachtend nieder auf die Menge, 
Aus jenem Aug’ ein zornig Bligen ſchoß. 
Jetzt ſtampft fein Roß — er hebt fich in den. Bügeln; 
Die Mähne ftreichelt er dem Hengft und ſpricht: 
„Geduld, Geduld! noch müſſen wir uns zilgeln! 
Dach kommt die Zeit — wir Beibe fehlen nicht!“ 


Wer war der Mann, der feine Zeit erharıte, 
Der Reiter, deſſen Roß vor Kampfluſt fharrie? 
Der Erbe war's ber Revolution; — 
Dort kannte Keiner noch den Buonaparte, 

Nun kennt die Welt ihn als Napoleon. 


Bon einem dritten ergäblenpen Gedicht, das der Dichter voll⸗ 
endet nachgelaſſen haben ſoll, und deſſen Gegenſtaud das granenwolle 
Ende Michel Servets iſt („Der Schwan von Genf), ſind bis jetzt 
nur Bruchſtücke bekanut geworden, die kein erſchöpfendes Urtheil 
geſtatten. — Im Ganzen jedoch war, wie der Leſer hoffentlich auch 
aus vorſtehenden Andeutungen eutnonnen haben wird, das epiſche 
Gedicht nicht eigentlich dasjenige, zu welchem umfer Dichter vor⸗ 
zugöweife berufen war, vielinehr- war feiu eigentlicher Beruf daB 
Hans, der heimiſche Herd mit feinen Heinen flillen Freuden, 


Adolf Schulte, 207 


feinen füßen Sorgen und Entbehrungen, feinen nody füßeren Ge— 
nüflen, die er mit großer Wahrheit und Innigfeit in wahrhaft 
poetiſchem Lichte zu Schildern wußte. Im feinen „Gedichten,“ die 
1857 in dritter vermehrter Auflage erjchienen, zeichnet fi) der 
Abſchnitt „Zu Haufe” vor allen übrigen aus; hier, am traulichen 
Herde, in der Mitte feiner Kinder, für die er ald redlicher Haus- 
vater fchafft und ſorgt, muß man ven Dichter kennen lernen, um 
ihn wahrhaft.Tieb zu gewinnen. Auch in feinem legten Werke: 
„Der Harfner am Herd” befingt er die Freuden und Leiden eines 
„Nebenfach gefegneten Proletarifhen Hausvaters mit einer An- 
muth und Innigkeit, die fein Herz ungerührt laffen wird. Und 
ganz gewiß bat das Haus bafjelbe Recht, auch in der Poefie, wie 
der Staat und die Gefchichte, nur einer kranken Zeit wie ber 
unferen, der das politifche Bewußtjein jo lange Zeit fo gänzlich 
abhanden gefommen war, konnte e8 begegnen, in der Politik die 
einzige Sphäre ber Kunft zu erbliden: wie e8 ja überhaupt nur 
ein Nachklang unſerer bureaukratiſchen Vielregiererei war, wenn 
auch unfere angeblichen Liberalen bis vor Kurzem nicht übel Luft 
hatten, dem Moloch Staat ven Menschen zu opfern. Bliden wir 
nad England, das ja fonft fo vielfach das Ideal unferer po= 
litiſchen Hoffnungen ift! Hier ift neben dem freieften und felbftän- 
digften Staatsleben zugleich das engfte und innigfte Familienleben; 
dem Engländer find fein Yand und fein Haus gleich theuer. Auch 
barın wieber liegt ein Yingerzeig, dem unfere Dichter nur nachzu⸗ 
gehen brauchen, um zu ven fchönften KRefultaten zu gelangen — 
wenn biefelben auch nicht grade auf dem Gebiet der erzählenven 
Dihtung Tiegen, das ja überhaupt nur eine vorübergehende Be: 
deutung hat und das nur infoweit von Werth ift, als fich dereinft 
ein wirkliches Epos daraus entwideln wird. 

















V. 


Poetifher An- und Nachwuchs. 


— —— — 


"Brup, die deutſche Literatur der Segenwart. I. 14 











1. 
Neue Menfden. 


Die Dichter, die wir bisher betrachtet, gehörten in ihren An⸗ 
fängen ſämmtlich ver vormärzlichen Zeit an oder fanden doch in 
nächfter Berbinbung mit der großen politifchen Kataſtrophe vor Anmo 
Achtundvierzig, fei es, daß fie die Conſequenzen verfelben weiter führ- 
ten, ſei e8, daß fie denſelben entgegentraten; wenn auch zum Theil erft 
im Lauf biefer lebten zehn Jahre in die Deffentlichfeit getxeten, 
trugen fie doch mehr oder minber das Gepräge eimer früheren Zeit 
an ſich und hatte „vie Sünde der Väter“ fich auch auf fie vererbt. 

Hat dies Jahrzehnt denn aber gar fein eigenes poetifches Ge⸗ 
ſchlecht aufzuweiſen? Im dem großen Gang ver Weltgefchichte ift 
ein Jahrzehnt freilich blutwenig, aber in ber Literatur, zumal in 
einer fo fruchtbaren Literatur gleich- ver ımferen, will es fehon 
immer etwas fagen: Hat bies Jahrzehnt ſich denn alfo ganz un- 
fruchtbar an neuen Schöpfungen erwiefen? Giebt e8 in unferer 
Poeſie, mit einem Wort, feine „Neuen Menſchen“ mehr? 

Man keunt ja Die Klagen, in denen unſere jungen oder nad) 
Gelegenheit auch alten Weltverbeſſerer ſich zu ergehen pflegen — jene 
Weltverbeflerer, bie den Banferott, ven ihre philofophifchen, politi⸗ 
{hen over focialen Theorien bei ver Gegenwart machen, bamit zu ver⸗ 
decken ſuchen, daß fie Wechſel ansftellen auf eine unbegrenzte, nebel- 
bafte Zukunft. Die jetzigen Menſchen, fagen dieſe, find freilich nicht 


14* 


: 212 Boetiicher An und Nachwuchs. 


gemacht, und zu verftehen, Die haben feine Kraft, fein Feuer, feine Be— 
geifterung mehr. Aber laßt nur erft ein neues Gefchlecht herangewach⸗ 
fen fein, da follt ihr ſchon jehen, wie die Welt anders und befler wird 
und wie wir endlich doch noch Recht befommen, auch wenn wir 
felbft e8 nicht mehr erleben. Neue Principien brauchen auch neue 
Menſchen, das ift fo Har wie der. Tag; die neuen Menſchen, vie 
Menſchen ver Zukunft follen Ieben und vie alten mag ver Teufel 
holen, ſobald es ihm gefällt! — — 

Wie geſagt, wer kennt dieſe Klagen und Vertröſtungen nicht? 
wer bat nicht: darüber gelächelt und doch mitten im Lächeln noch 
etwas wie Wehmuth oder Mitgefühl dabei verſpürt? Wer hat 
nicht in aller Stille an feine Bruft ſchlagen und ſich geftehen 
müflen, daß auch er feine geheimen Hoffnungen, vielleicht auch 
feine Leiden hat, mit denen er es ganz ähnlich macht? Jenes 
gelobte Land unferer Wünfche und Hoffnungen, das beim Antritt 
unſerer Wanderung uns fo nahe zu liegen jcheint und dem wir au⸗ 
fangs mit fo rüftiger Kraft entgegeneilen, wird immer nur von 
unendlich Wenigen erreicht; die Meiften von ums werben ſich ſchon 
glücklich zu preifen haben, wenn fie nur im Augenblid des Hin⸗ 
ſcheidens einen letzten, dämmernden Blick auf das Land werfen 
dürfen, das ſie ſelbſt nicht mehr betreten ſollen, und wenn ſie da⸗ 
bei zugleich ein Geſchlecht um ſich erblicken, auf das ſie ihre Kämpfe, 
ihre Sehnſucht, ihre Hoffnungen. vererben dürfen. Neue Zeiten 
brauchen neue Menfchen, ganz gewiß: aber mit deu neuen Men— 
ihen kommen auch neue Leidenfchaften, neue Irrthümer, nene 
Krankheiten. Die Weltgefhishte ift ein ewiger Fortfchritt, ohne 
Zweifel: aber ebenveshalb find ihr auch immer neue, immer uner- 
füllte Hoffnungen geftellt, Ioden immer neue Irrwege vom Ziel, 
die immer anfd Neue berichtigt werben müſſen. Gleichwie die 
Wonne des eifrigen und vorurtheilsfreien Forſchers nicht die er- 


Nene Menſchen. | 213 


reihte Wahrheit ift — denn hinter jeder erreichten Wahrheit 
bämmern ihm, gleich der. Sternenwelt im Ferurohr des Aſtro⸗ 
nomen, immer neue Wahrheiten auf, vie zu neuer Forſchung, 
neuer Arbeit nöthigen — ſondern vie Forſchung felbft ift fein Ge- 
nuß und feine Befriedigung: ebenfo liegt auch das eigentliche Ziel 
ver Weltgefehichte nicht außerhalb ihrer, ſondern vielmehr ihre 
eigene unendliche Entwickelung ift felbft das Ziel. 

Und. da ift es dem Menſchen denn nun freilich ein Troft, 
basjenige, woran fein Herz gehangen und was ihm jelbft nur halb 
gelungen over auch ganz mißlungen it, ver Zufunft zur Vollen⸗ 
bung anheim zu geben. 

Nur follte fich dabei Jeder klar machen, daß es mit dieſem 
Troſt nicht anders fteht als mit Allem, woran der Menſch fich 
tröftet: es ift ein Troft, o ja — aber doch nur für den, - der 
daran glanbt. Das Kind, das fein Borkenfchifichen dem Bade 
anvertraut, der mit fpärlicher Welle fein väterliches Haus um- 
fließt, freut fich auch bei dem Gedanken und wird nicht müde, fich 
das Erfiaumen der Leute auszumalen, wenn fein Schiff nun weit, 
weit von bier, durch Dörfer und Städte, auf mächtig angewad)- 
fenem Strome dahinſchwimmt, Bis e8 endlich auf dem Meere an- 
langt, mo die großen Seeſchiffe ſich wiegen mit ven riefenhaften 
weißen Segeln. — Gutmüthiges Kind! Es weiß nicht oder be— 
denkt nicht, daß inzwilchen tanfend und abertaufend neue Quellen 
ſich ergofien haben, taufend neue Borkenſchiffchen, noch weit zier= 
licher gefchnitst, weit luftiger bewimpelt, als feines, aufs Waſſer 
gefeßt fein werden — und daß doch von allen fein einziges am - 
Ziele ankommt, es fei denn als ein unanfehnliches, unbeachtetes 
Stückchen Holy.... | 

Auch in unſerer Poefie hat die Tradition von den „Neuen 
Menſchen,“ die endlich und endlich fommen müflen und unter deren 


214 | Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


Händen dann auch unſere Dichtung ein ganz neues Anſehen ge= 
winnen wird, von jeher.eine große Rolle geſpielt. Sogar jharf- 
fichtige Krititer hat es gegeben, die ſchon den Stern über ver 
Krippe erbliden wollten, wenn fie nicht gar bereits den Meſſias 
felbſt gefehen zu haben glaubten — z. B. im Spiegel; welch ein 
Mißbrauch ift mit viefen Erwartungen und Prophezeihungen nicht 
allein beim deutjchen Theater getrieben worden! Aber ach, bei ge- 
genauerem Hinblid war der Stern nur eine Sternſchnuppe, viel- 
leicht gar nur ein Schwärmer gewejen, den irgenv ein ſchlauer 
Burſche in finger Berechnung in die Höhe geworfen hatte, bie 
vermeintlihen Meffinffe waren bei näherer Belanntfchaft Men⸗ 
ſchenkinder wie Alle, der Strom der Literatur aber raufchte und 
firömte fort und fort, neue Quellen öffneten fi, neue Namen 
tauchten auf — werben fie glüdlicher fein als ihre Vorgänger? 

Niemals jedoch ift das Gerede von der neuen Richtung und 
den „Neuen Menſchen“ in ver Poeſie lebhafter geweſen, noch ift 
es allgemeiner vernommen worden als in dieſen letzten zehn 
Jahren. Sehr natürlich. Wir haben ſo viel verſchuldet und 
haben ſo viel zu bereuen, daß wir uns am liebſten ganz und gar 
vergeſſen und verleugnen möchten. Wir gefallen uns ſelbſt ſo 
wenig mehr, tragen fo viele unausgeſprochene ſchmerzliche Geheim⸗ 
niffe im Bufen, daß jedes neue Gefiht und jeder neue Ton uns 
eine Erleihterung, eine Erlöfung dünkt, bloß weil e8 ein neuer tft 
und meil wir und dadurch abgelenkt fühlen von unferer peinlichen 
Selbſtbetrachtung. 

Der Ton freilich, in dem man bei uns jetzt von dieſem 
neuen Geſchlechte ſpricht, iſt etwas gemäßigter geworden, als es 
wol ehedem und namentlich in den dreißiger und vierziger Jahren 
der Fall war, wo die falſchen Meſſiafſe nur fo auf allen Gaſſen 
umberkiefen und faft jedes kritifche Blatt feinen befonveren Präten⸗ 





Neue Menfcen. 215 


venten hafte,: für den e8 Krone und Reich erfänpfen wollte. 
Darin, wie in vielen andern Dingen, hat das Jahr Achtundvierzig 
denn body etwas aufgeräumt; man Fünbigt bie „Neuen Menſchen“ 
unferer Poefie nicht mehr mit Trompetenſtößen an, ſetzt nicht 
mehr von ſechs zu ſechs Wochen einen neuen König der Literatur 
aufs Schild, glaubt nicht mehr, Goethe und Schiller wären be⸗ 
ſeitigt und der Reſpect vor unſeren großen Klaſſikern wäre nur 

noch ein Zopf — warum? weil wir in der Form mindeſtens 
eben fo klaſſiſch, in den Ideen aber noch ein gut Stück vorge 
ſchrittener ſind, als ſie. | 

Im Gegentheil, e8 ift jet eine orventliche Manie der Be- 
fcheivenheit ing Publicum gefahren, mit fofetter Demuth vühmt 
man ſich, wie anſpruchslos der Geſchmack wieder geworben, an 
wie wenigem man fic) begnügt, ein bischen Lenz, ein bischen Liebe, 
ein bischen Frömmigkeit — und wie ftill es wieder auf unferm 
Parnaf zugeht, demſelben Parnaß, der vor Kurzem nody fo laut 
erdröhnte von Tumult und Waffen und Kriegsgefchrei. Jetzt ift 
vergleichen verpönt, und zwar nicht bloß polizeilich, ſondern auch 
vom Geſchmack des Publicums; jet muß Alles Hein, zart, nied⸗ 
lich fein, die Leidenſchaft darf nur noch flüftern, nicht mehr 
ſprechen, geſchweige denn auffchreien, der Schmerz nicht mehr 
meinen, nur noch um ſtilles Beileid bitten, ja Amor felbft, diefer 
Amor, deſſen Herrihaft in unferer Literatur übrigens fo vollitän- 
dig wieber hergeftellt ift und der den wilden Kriegsgott jo glücklich 
aus dem Felde geichlagen hat, ſelbſt Amor darf nur noch im Frad 
erfcheinen — oder noch beiler in der Pfaffenkutte. 

Auch diefer Rüchſchlag ift ſehr natürlich. Was in dieſem 
Augenblid, unter ven Siegeszeichen ver Reaction, bie Literatur 
bei uns beherifcht und den Geſchmack beftimmt, iſt daſſelbe fatte, 
wohlhäbige Philiſterthum, das in allen übrigen Stüden wieber 


216 Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


ans Ruder gelangt iſt — oder dem doch wenigſtens von denen, die 
in der That am Ruder ſtehen, damit geſchmeichelt wird, als ob 
Alles, was geſchieht, um feinetwillen geſchähe. Mit vemfelben 
feiften Schmunzeln, mit dem fie ung verſichern, ſich in politiſchen 
Dingen allerdings refignirt zu haben, Freiheit und Vaterland 
wären freilich ganz refpectable Gegenftänte, aber e8 wäre doch 
viel abftracter Idealismus dabei und für einen praftiichen Men— 
fchen bleibe es doch endlich Die Hauptfache, wie er fich redlich durch 
die Welt ſchlägt und ſich und die Seinigen ernährt — mit dem⸗ 
ſelben feiſten Schmunzeln und demſelben ironiſchen Augen- 
zwinkern geſteht man auch zu, daß bie Könige des Tages, diefe 
allerliebſten, goldgeränderten Duodezpoeten, die Einem da fo regel- 
mäßig jeden Geburtstag und jeven Weihnachten ind Haus ge- 
ſchneit kommen, wie ehedem Pfeifenföpfe oder Tabafbeutel, aller- 
dings’ feine befonders großen und tiefen Geifter find. Große 
Geifter, fagt man, würden auch für folche Heine Menjchen, wie 
wir find, und ſolche mittelmäßigen Zeiten wie die unferen, gar 
nicht paſſen. Es ift bei und wie in vem Märchen, wo die Meinen 
Leute auch ein ganz Heinwinziges Häufel und in dem kleinwinzigen 
Häufel ganz Heinwinzige Bettchen und Stühlen u. f. w. haben 
müſſen. So brauchen aud wir Heinmwinzigen Menſchen ver Gegen- 
wart, die wir uns unfere Nußfchale mit Noth und Mühe wieder 
zurechtgeleimt haben, nur Heinwinzige Poeten mit winzigen Stimm- 
hen, die ja nicht zu laut fingen, und winzigen Gegenftänven, bie. 
und das bischen Blut, das wir nody haben, ja nicht zur fehr in Be- 
wegung jegen.. Es iſt nur eine Poeſie fürs Haus, was wir ver- 
langen: aber wenn fie dauerhaft ift und die Farbe gut hält, fo 
legen wir einen höhern Werth darauf und bezahlen fie thenrer, 
als die poetifchen Phantasmagorien unferer Himmelftürmer von 
ehedem. | - 














Reue Menſchen. 217 


Und daß wir das eingefehen haben und daß auch unfere 
Dichter nicht zu hoffärtig find, ſich umferem Geſchmacke zu fügen, 
daß fie Gejchichte und Freiheit und Vaterland und andere foldhe 
unbequeme Dinge, die Einen bloß mit ber Polizei in Colliffien 
bringen können, wirklich dahinten laſſen und wie zu Bater Gleims 
Zeiten von Wein und Liebe and Jugend, ja ganz befonders von 
Ingend fingen — das, fahren dieſe Philifter der Aeſthetik fort, 
das ift ver Punkt, auf ven e8 am allermeiften anfommt und wo- 
durch ihr und unfer Berbienft ſo groß wird wie irgend eines. Wie 
hat er Doch gefagt, da ber Goethe oder ver Schiller — man kann 
diefe alten Herren, bei denen Alles fo voll Gedanken und Speen 
ift, nicht mehr fo im Kopf behalten: aber dafür fauft man fie ſich 
als „Billige Klaſſiker“ Band für Band vier Groſchen und giebt 
ihnen den erften Pla in ver „Familienbibliothek“ — wie hat er 
doch gefagt? „Wer ven Beten feiner Zeit gelebt, der hat gelebt 
für alle Zeiten.” Nun, und wenn wir auch nicht beſonders gut 
find, fo find wir doch jedenfalls die Beften, nämlich weil wir die 
Einzigen, die überhaupt da find; wir find das eigentlihe Mark 
des Staats, wir zahlen unfere Steuern und Miethen regelmäßig, 


wir haben alles oppofitionelle Gelüſte möglichft beftegt, wir reſpec⸗ 


tiren jede beſtehende Macht, am meiften aber biejenige, bie 
unfern Geldbeutel refpectirt — warum follten uns nicht auch die 
Poeten refpectiren? warum follten fie nicht fingen, was uns 
gefällt, zumal uns ja nur lauter angenehme Dinge gefallen, als. 
da find Wein und Weiber, Blumen und DBögel, Jugend und 
Mebe, Paradies und ewige Seligkeit? Das find die richtigen 
„Neuen Menfchen,“ das ift die wahre „neue Poefle,“ die das ein- 
gejehen hat und bie deshalb auch nicht klüger, noch edler, noch tief- 
finniger fein will als wir. Mögen die „Alten“ unter unferen 
Dichtern, Jene, die ung mit ihrer Poeſie noch zu etwas „Höheren“ 


218 Poetifcher An⸗ und Nachwuchs. 


zu führen gebachten und deren Lieber noch von Menſchheit und 
Fortſchritt und ähnlichen blaffen Idealen träumen — mögen fie doch 
ſchwarz werden vor Neid! “Denn es ift ja doch nur ver pure Neid, 
weiter nichts, weshalb fie fo fcheel jehen zu diefer neuen, - naiven, 
gemüthlich⸗kindlichen Richtung; fie ärgern fich, daß dieſe anfpruchs- 
Iofen Poeten. fo fleißig gelauft werden, während fie jelbft mit all 
ihrer Weisheit und Erhabenheit als graue Ladenhüter ver- 
fhrumpfen. Aber „Der Lebende hat Recht:“ und darum jollen 
luch die „Neuen Menſchen“ leben, die Dichter ber keidenſchaft 
aoſigkeit und des heiteren, friedlichen Genuſſes! 

Wohlan denn, ſehen wir dieſen „Neuen Menſchen“ etwas 
näher ins Geſicht, prüfen wir die angebliche „neue“ Richtung 
unſerer Literatur, ob fie wirklich fo jung, fo urſprünglich iſt, wie 
fie felpft und ihre Freunde uns verfihern. Natürlich beſchränken 
wir und auch dabei wieder auf wenige hervorragende Namen, 
nur auf ſolche Perfönlichfeiten, die wirklich noch eine poetifche Zu⸗ 
tunft haben; die Menge der bloßen Nachahmer und Dugenbpoeten, 
bie grade auf dieſem Gebiete außerordentlich zahlreich find, über- 
laflen wir ihrem ‘Dunkel, grade wie jene Fabrikanten unjerer neuen 
Märchenpoefte, mit denen fie auch vielfach zufammenfallen. 

Vorausſchicken wellen wir dabei no, was ſich zwar eigent- 
lich von felbft verfteht: nämlich Daß auch dieſe Richtung ihre ganz 
unzweifelbafte hiftorifche Berechtigung hat, ja daß auch fie wienerum 
“einen Fortſchritt in fich fchließt, der ſelbſt durch den Mißbrauch, 
den die Nachahmer für ven Augenblid damit treiben, nicht aufge 
hoben wird. Es ift wiederum das große hiſtoriſche Gefetz des 
Rückſchlags, das fish darin offenbart. “Diefe lachenven, berhern- 
den, küſſenden Poeten der Gegenmart find das nothwendige Gegen- 
ftäd zu unferen ehemaligen Weltihmerzlem einerfeits, forte 
andererfeit zu unferen politifchen Fanatikern aus den vierziger 











Neue Menfchen. 219 


Jahren; wie Jene die Welt nur mit thränehverfchleiertem Auge 
ſahen, wie biefe ein Gefeß emaniren wollten, daß fein Mann fein 
Mãdchen mehr füffen folle, bevor nicht das Vaterland befreit wäre, 
fo ftürzen die lehensluſtigen Poeten der Gegenwart fich umgefehrt in 
ein einziges großes Meer des Genufles und vergeffen beim Flöten 
ver „Bulbul” und beim „Wein von Schiras,“ daß es doch noch 
etwas mehr in ber Welt giebt, als bloß Wein und Mädchen und 
daß die „Schenke zwar ein recht angenehmer Aufenthalt, aber 
doch noch lange nicht die ganze Wahlftatt ver Menſchheit 0 ober 
anch nur die alleinige Heimath der Dichtung ift. 

Indeſſen wo auch Sehen berrfchen, fo werben doch nicht 
Alle davon ergriffen und auch. von denen, die ergriffen werben, 
werben doch immer einige wieder gefund, fo fehwer Die Krankheit 
au fein mag und fo wenig bie- Aerzte fie zu heilen wifien. So 
giebt e8 auch mitten in biefer entneristen und vermeichlichten Zeit, 
in Diefer Zeit, die ven Genuß zu-ihrer Loſung macht, weil fie zum 
Leiven nicht mehr Kraft und Muth befigt — auch in dieſer flachen, 
genußfeligen Zeit giebt es noch immer einzelne Ipoetifche Perfün- 
fichfeiten, welche zwar vom Strom der Gegenwart berührt, ‘aber 
nicht völlig hinweggeſchwemmt find: Dichter, meinen wir, deren 
Herz ver Freude offen ift und die mit trunfenem Mund die 
Wonnen der Liebe und des Rauſches fingen, ohne darum ber 
höheren Aufgaben ver Menſchheit gänzlich zu vergeflen, ja im 
Gegentheil, bei denen ber ſinnliche Genuß, ven fie feiern, ſelbſt 
nur der Ausdruck jenes fittlichen Wels und jener geiftigen Freiheit 
it, zu der fie, ale ächte Diener ver Kunft, die Menſchheit ſelbſt 
emporzuführen ftreben. 

Ein folcher Dichter iſt vor Allen Ben Bodenſtedt, der 
dentfehe Mirʒa⸗ So 


2, 
Friedrich Bodenfedt. 


Wie Franz Loeher, mit vem er auch einige innerliche Gemein- 
Schaft hat, nämlich einen gewiffen Zug praftifcher Verſtändigkeit, 
das Erbtheil ihrer nieverfächlifchen Herkunft, hat auch Friedrich Bo- 
denſtedt das Glück gehabt, frühzeitig in entlegene Länder geführt zu 
werben und fich in der Fremde eine Menge neuer und bildender An⸗ 
ſchauungen zu gewinnen. 

‚Allein während Franz Loeher hauptfächlich nach dem Weiten, 
nad Amerika, dem Lande der Praxis ging, wurde Bodenſtedt an 
bie Grenze Afiens verfchlagen, in die uralte Wiege der Menſchheit, 
in das Land fchöner, ftiller Beichaulichleit, um port in dem ſchon 
von Goethe gepriefenen Often „Patriarchenluft zu koften.” Anfangs 
Haußlehrer in einer vornehmen ruſſiſchen Familie in Moskau, kam 
ex fpäterhin nach Tiflis, ver Hauptftabt des alten Armenien, in die 
Nähe jener uralten Bergvölker, deren trotziger Heldenmuth feit mehr 
als einem Meufchenalter die halbe Macht des ruffifchen Heiches im 
Scad erhält. Hier lernte er jenen Mirza-Schaffy kennen, einen 
armenifchen Mollah oder Priefter, deſſen Namen er feitvem in 
Deutſchland ſprichwörtlich gemacht hat und deſſen heitere Lebens⸗ 
weisheit bie eigentliche Amme ver Bodenſtedt'ſchen Muſe geworben 
ift. Ueber das Verhältniß der Bodenſtedt'ſchen „Gedichte des Mirza⸗ 
Schaffy“ zu ver hiftorifchen Berfünlichkeit des armenifchen Gelehrten 


Friedrich Bodenftebt. | 221 


und Priefters bat Bodenſtedt ſelbſt feitvem fich mit anerfennens- 
werther Offenheit geäußert. Es ift dadurch 'beftätigt morben, was 
jever Kenner der Poefle und — dürfen wir binzufegen — des 
menſchlichen Herzens, ſofort beim exften Erſcheinen biefer Lieder 
(im Jahre 1851; vierte, ftarkvermehrte Aufldge 1857) voraus⸗ 
wußte: nämlich daß ex feinem gelehrten Freunde nur die allgemei= 
nen Anregungen verdankt, daß aber vie Lieder felbft fein volles und 
freies. Eigen find; Mirza⸗Schaffy ift ihm nur eine Lebensſtudie ge- 
weſen, nicht aber ein Original, dag er bloß ind Deutſche übertragen. 

Die „Gerichte des Mirza-Schaffy” machten gleich bei ihrem 
erſten Erſcheinen großes Auffehen und haben fich feitvem unwan⸗ 
delbar in ver Gunſt des Publicums erhalten. Sie fielen in eine 
Bat, wo dieſe dumpfe Schwüle ver Genußfucht, die jett auf uns 
laftet, eben im Entftehen war ; theils ahnte man damals noch nicht, 
wie verderblich viejelbe für ums werden und wie fie alle edleren 
Reime unferes Lebens für geraume Zeit erftiden follte, theils und 
bauptfächlich aber trat der Genuß bei Mirza-Schaffy felbft jo maß- 
voll und edel, in ſolcher ächten poetiſchen Schönheit auf, daß jedes 
Sithetifche wie ſitiliche Bedenken dadurch befeitigt ward. Ja, Mirza⸗ 
Schaffy lehrt auch das Evangelium der Freude, aber er lehrt es 
eben als ein Evangelium, nämlich nicht bloß für ſich, ſondern für 
Ale, die ganze Menſchheit will er froh und glücklich wiſſen, weil 
Glück und Freude gut machen und weil nur vie Böfen verdrießlich 
find. Darum wird er, ber ewig Lachende, auch nicht müde, vie 
Heuchler und Pharifäer ‚zu züchtigen, jene verftodten Böſewichter, 
die den Namen Gottes und feines Propheten auf der Lippe tragen, 
im Herzen aber Haß und Neid, und die ihrem Nebenmenfchen-Leine 
Freude gönnen, weil fle nämlich gern alle für fich allein haben 
möchten. Iſt Mirza-Schaffy erhaben in feiner bacchiſchen Heiter- 
feit und feinem unftörbaren Gleichmuth, der darum doch nichts we⸗ 


222 Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


niger als Gleichgültigkeit gegen das Gemeine und Niedrige iſt, ſo 
iſt er nicht minder" erhaben, wo er den Heuchlern die Larve vom 
Gefiht reißt und fie in ihrer erbärmlichen Nacktheit, zittern vor 
Scham und Groll, darſtellt; beraufcht uns der ſüße Duft ver Rofen- 
blätter, die ex feiner Geliebten in ven Bufen ftreut, fo entzikden uns 
nicht minder bie Pfeile, die er gegen die Feinde der Wahrheit und 
der Schönheit fendet, und auch dieſe Pfeile noch And mit Rofen 
ummwunden. Denn wie jehr er die Lüge verabfcheut und wie ver- 
haßt ihm das Volk der Phariſäer und Schriftgelehrten ift, fo ift 
und bleibt Duldung doch fein oberſtes Gefetz und felbft die bitterfte 
Rache, pie er an feinen Feinden nimmt, Löft fich zuletst doch immer 
in ein verfühnenpes Gelächter auf — fie find hauptſächlich nur des 
balb fo 658, weil fie fo dumm find, darum fol ver Wifſende fie zu 
belehren fuchen, vor Allem aber foll er aud in dem Irrenden im- 
mer noch den irrenden Bruder erkennen. — Die „Gedichte des 
Mirza-Schaffy“ find eins von ben Büchern, die man als „weltliche 
Bibel“ bezeichnen darf; in dieſen Trinf- und Liebeslievern, dieſen 
Epigrammen und Sprüden, einem armenifhen Mollah in ven 
Deund gelegt, ift mehr chriftliche Dulpung und wahre Hrönmigkeit, 
als in all ven Buß- und Beichtpfelmen, mit denen unfere neuen 
Lämmleinsbrüder fich felbft und die Poefie abmartern. — Dazu 
kommt dann noch die außerorbentliche Birtuofität, mit welcher Bo— 
denſtedt in dieſen Gedichten die Sprache zu behandeln weiß und bie, 
weit entfernt von jenen Künfteleien und geflifientlichen Berrenkungen, 
in welche ver Altmeiſter dieſer Richtung, Rückert, nicht felten ver- 
fallen iſt, jeberzeit ebenfo einfach und natürlich, wie Mar und ver- 
ftänpfich bleibt. | 

Unter den Übrigen poetischen Probucten Bodenſtedt's ift Nichts, 
was fich ven „Gedichten des Mirza Schaffy“ an bie Seite ftellen 
könnte. Das ift fein Vorwurf für den Dichter, er bat in Mirza⸗ 





Friedrich Bodenſtedt. 223 


Schaffy einen Typus geſchaffen und ausgebildet, der nun der deut⸗ 
ichen Poeſie für alle Zeit unverlierbar bleibt — und ein Dichter, 
dächte ich, dem das gelungen, ver hat in der That wol genug gelei= 
ſtet. Die „Gedichte,“ welche Bodenſtedt 1852 erſcheinen ließ, 
zeichnen fich zwar ebenfalls durch Klarheit und Verſtändigkeit aus, 
find aber im Ganzen etwas nüchtern und entbehren jenes poetischen 
Feuers, das die Lieber und Sprüche des Mirza-Schaffy belebt. 
Der Mehrzahl diefer „Gedichte“ fehlt e8 an der eigentlichen Iyri= 
ihen Inmigfeit, e8 find wohlgemeinte, verftändige Reflerionen, ge= 
fund und tlichtig, aber nicht felten an das Profaifche ftreifend. Am 
glüdlichften ift der Dichter auch hier, wo er den Boden feines ges . 
liebten Often betritt ; fo namentlich in dem Abſchnitt, Morgenland,“ 
„Hamſat und Murat,” „Muhamed,“ „Die Rofen von Tiflis,“ vor 
Allen aber in dem föfllihen Bud, „Edlitham,“ in welchem ver 
Dichter dem jungen-Glüd feiner Liebe die reizendſten Kränze windet. 

Auffallend ſchwach dagegen ift das epifche Element in Ballade 
und Romanze vertreten. Dennoch hat der Didjter wenige Monate: 
fpäter ver allgemeinen Richtung der Zeit, die nun einmal auf die 
erzählende Dichtung binarbeitet, ebenfalls feinen Tribut barbringen 
mäffen: „Ada, vie Lesgbierin.” An der Fabel dieſes Gedichts, 
jo weit fie des Dichter eigene Erfindung ift, laſſen ſich allerdings, 
wie an ber Mehrzahl unferer erzählenden Dichtungen, nit un⸗ 
erhebliche Ausftellungen machen. Die Anlage an fi ift vor⸗ 
trefflih; Emir Hamſad, ver zur Blutrache Berpflichtete, ver fo Tange 
ehrlos umberfchweifen muß, bis er die Schuld gefühnt und feinem 
Blutfeinde das Leben geraubt hat, ift eine prächtige Figur, von groß⸗ 
artig Yedden Zügen und einer Naturwahrheit, die unwiderſtehlich hin⸗ 
reißt. Allein in dem Fortgang des Gedichts wird er durch eine bevor⸗ 
zugte Nebenfigur zu fehr in den Schatten gedrängt und dadurch das 
Intereſſe, das wir an ihm und damit an dem ganzen Gebichte neh- 


224 Poetiicher An⸗ und Nachwuchs. 


men, zu ſehr geſchwächt. Auch hat die Mitte des Gedichtes etwas 
Schleppendes, die Handlung fteht zu lange ſtill; wo wir ihren kräf- 
tigften Fortgang erwarten und einer fich ſteigernden Verwickelung 
mit Spannung entgegenjehen, erhalten wir landſchaftliche, didaktiſche 
und andere Epifoven, die zwar an ſich größtentheils recht ſchön, aber 
doch bier nicht an ihrem Plage find. Am wenigften befriedigt der 
Ausgang des Gedichts. Es ift ein altes Geſetz, welches das Epos ſo 
gut beachten muß wie das Drama, daß der Untergang des Helden 
nicht zu plötzlich und nicht durch zu untergeordnete Perſonen herbeige⸗ 
führt, auch dicht am Schluſſe keine neue Perſon mehr eingeführt wer⸗ 
‚ven darf, die für die Wendung des Gedichts entſcheidend wird, es 
wäre den, daß wir jchon vorher von ihr. wiſſen und auf ihre Erſchei⸗ 
nung vorbereitet und fogar gejpannt worden find. Dies Grundgeſetz 
der epifchen und bramatifchen Dichtung bat Bodenſtedt in der 
„Ada“ außer Acht gelafien und dadurch die Wirkung feines Ge- 
dichts ſelbſt weſentlich beeinträchtigt. — Im Mebrigen bot der Stoff 
dem Dichter erwünſchte Gelegenheit, micht nur feine perfönliche 
Kenntniß jener Gegenven zu befunden, ſondern auch jene Meifter- 
ſchaft in der Natur- und Sittenjchilderung zu pethätigen, von ver 
er ſchon früher in feinen mehr wifenfchaftlich gehaltenen Werken: 
„Die Böller des Kaukaſus“ (zuerft 1847, dann zum zweiten Mal 
und gänzlich umgearbeitet unter dem Titel: „Die VBölfer des Kauka— 
ſus und ihre reiheitsfämpfe gegen die Ruſſen. Ein Beitrag zum 
neueren Gejchichte des Orients,” 1857) und „Zaujend und Ein 
Tag im Orient,“ (2 Bde. 1850) fo glänzende Proben -geliefert 
hatte. Die Pracht diefer Gebirgswelt, das Raufchen ihrer Ströme, 
die Lieblichkeit ihrer Gärten, die erhabene Einfamfeit ihrer Steppen, 
ift mit unnergleichlicher Treue und Lebhaftigkeit geſchildert. Ebenfo 
auch die Sitten ihrer Bewohner, diefe unbezwinglide Kampf⸗ und 
Freiheitsluſt, diefe Urfprünglichfeit und Energie ‚der Leidenſchaften, 











Friedrich Bobenftebt. 926 


diefer Fauatisnms des Glaubens, verbnuden mit diefer Imrigfeit 
und Tiefe der. Liebe uud dieſer edlen, ritterlichen Schwärmerel: Die 
Charalleriſtik iſt ebenfalls vortveiflih; Scham ſelbſt, ver Prophet 
und Held non Darge, tritt in Den wenigen Scenen, in denen er uns 
vorgeführt wird, mit einer. Ueberlegenheit und Größe des Charak⸗ 
ters auf, daß wir ſofort den oberſten Helden und Prieſter, den 
Rächer und Vefreier feines Balls in ihm erkennen. Auch bie zahl⸗ 
reichen Schlachtſeenen und. friegerifhen Schilnerungen find von 
einer Aufchaulichkeit und Lebendigfeit, ver wir bet unfern modernen 
Dichtern nur felten begegnen. Die Sprache ift größentheils einfach: 
und dem Gegenftande angemefien, ohne darum bes poetifchen 
Schwunges zu entbehren; nur begegnen wir audy hier wieder jenem 
vielfachen und unmotivirten Wechfel des Rhythmus, über ven wir 
uns ſchon oben bei Gottihall’8 Carlo Zeno äußerten und ver aller- 
dings bei den Dichtern der Gegenwart durch das Herfommen ver- 
maßen fanctionirt ift, daß man fie faum mehr darum tadeln darf. 
. Endlich hat Bodenſtedt fih aud im Drama verfucht, indem 
er jenen faljchen „Demetrius“ beurbeitete, den Schiller als Torſo 
hinterlaffen und an welchem feitvem fo viele jüngere Dichter ihre 
Kräfte vergeblich erprobt haben und noch immer erproben. Boden⸗ 
ftedt hat fich in einer Unabhängigkeit von Schiller erhalten, auf die 
ihn freilich fchon die Eigenthümlichkeit feines Talents hinwies ; das 
Stüd ift Har und verftändig, wie Alles, was Bodenſtedt fchreibt, 
entbehrt jedoch des eigentlichen dramatiſchen Lebens und jcheint da⸗ 
ber auch feine Aufführung in München (1856) feinen beſonders 
burchgreifenden Erfolg gehabt zu haben. 
Der biftorifchsethnographifchen Arbeiten Bodenſtedt's haben 
wir bereit3 gedacht. Außerdem bat er ſich auch als Ueberſetzer 
poetischer Werke ein Verdienſt erworben, das hier zwar nicht näher 


gewürdigt werden kann, aber ebenfowenig mit Stilljchweigen über- 
Prug, die deutiche Literatur der Gegenwart. I. 15 


226 Poetiſcher Au⸗ und Rachwuche. 


gangen werden darf. Namentlich gelten ſeine Ueberſetzungen aus 
dem Rufftfchen. (Bufchlin 1854, Bermontoff 1855) Fir muſterhaft, 
ſowol was vie Treue, ald was die Gewandtheit und den poetifchen 
Duft der Sprache angeht. Neuerdings bat er fein ſchönes Ueber⸗ 
ſetzertalent auch ver englifchen Literatur zugewenbet; fein auf-fünf 
Bände angelegtes Werk über „Shakeſpeare's Zeitgenoſſen und ihre. 
Werke, in Charafteriftifen und Ueberſetzungen,“ deſſen erſter die 
Dramen des John Webſter enthaltender Band zu Reujahr 1858 
erſchien, verfpricht eine eben fo große Bereicherung für unfere wif- 
fenfchaftliche wie poetifche Literatur zu werben. 





8, 
Baul Heyfe. 


. Erinnert Bodenſtedt durch feine „Lieder des Mirga-Schaffy‘ 
an die morgenlänbifche Epoche des alternden Goethe, fo lehnt da⸗ 
gegen Paul Heyſe, jet gemieinfam mit Bodenſtedt an dem kuuſtfin⸗ 
nigen Hofe König Marimilian’8 von Baiern lebend, fi mehr an 
ben Hellenismus unferes großen Dichters an. j 

Nämlih wenn bei Baul Heyſe überhaupt ſchon won einer 
beſtimmten äfthetifchen Richtung die Rebe fern könnte. Diefer ohne 
Zweifel reichbegabte Dichter bat bis jett noch die ihm zuſagende 
Sphäre nicht gefunden ; bald romantiſch, bald klaſſiſch, bald Schüler 
Goethe's, bald der modernen Franzoſen, treibt er fich in raftlofen 
Verſuchen und Experimenten umber, vie jenem’ [hönen Talent zur 
Zeit noch etwas Unfertiges, um nicht zu fagen Dilettantifches geben. 
In feinem Exftlingswert „Brancescn von Rimini” (1850) zeigte 
er fi als einfeitiger Nachahmer Shakeſpeare's, vorzugsweife an 
ven Yenferlichkeiten, ja zum Theil an ven Roheiten des großen 
Dritten haftend, wie dies den Nachahmern zu gefshehen. pflegt. 
„Brancesca von Rimini” war eines jener unmöglichen Dramen, an 
denen unfere moberne Literatur fo veich ift: unmöglich nicht nur durch 
ihre Bühnenwidrigfeit, ſondern noch weit mehr durch bie fittlichen 
Widerwaͤrtigkeiten und Uebertreibungen, die ver Dichter darin zuſam⸗ 

menhäuft. Dan konnte einen Augenblick zweifelhaft fein, ob dieſe 


15* 


- 


228 | Boetifcher An- und Nachwuchs. 


Roheit, in welcher ver Verfaſſer der „Francesca von Rimint‘ ſich ge⸗ 
fiel, wirkliche Ueberfülle ver Kraft oder vielleicht nur ein Dediman- 
tel für das Gegentheil fei. Die weitere Eutwidelmg des Dichters, fo 
weit fie bis jeßt vorliegt, ſcheint mehr für das Letztere zu entfcheiden;; es 
ift, wie gefagt, ein fchönes und angenehmes Talent, aber doch mehr res 
ceptiv als productiv, mehr aneignend und nachbildend, als [höpferifch. 

In feinem zweiten Product „Urica” (1852) hat der ‘Dichter 
den Kothurn Shakeſpeare's mit den Sporenftiefeln der neufranzöft- 
ſchen Romantik vertaufcht. „Urica“ ıft die Gefchichte einer jungen 
Mohrin, welche zur Zeit ver erften franzöfifchen Revolution in 
Baris in einer reichen gräflichen Familie lebt, in der fie als Pflege 
find aufgenommen worden. Doch hat die Pietät dieſes Verhältniſſes 
das heiße Herz der ſchwarzen Schönen nicht hindern können, in 
glühender Leidenſchaft für den Sohn ver Gräfin, ihren Pflegebru⸗ 
der, zu entbrennen. Der junge Graf iſt kein verſtockter Ariſtokrat, 
nichts weniger: er ſchwärmt ſogar für Menſchenwürde und Men- 
ſchenrechte, ſchwärmt namentlich auch für Emanctpation der Neger. 
Aber die Liebe der ſchwarzen Urica anzunehmen, kann er ſich den⸗ 
noch nicht entfchließen — warum? Nun ganz einfach, weil fie eine 
Schwarze ift. Allen Refpect vor Humanität und Menſchenrecht: 
aber eine Negerin, eine ebenholzſchwarze Negerin fein und die Gat⸗ 
tin eines Weißen, eines reichen, vornehmen Weißen werben zu wollen, 
diefer Einfall iſt denn Doch zu toll! Urica, unfähig, den Sammer 
biefer Enttäufchung zu ertragen, entflieht aus vem Schloß ihrer 
geäflichen Pflegeältern. Sie verbirgt fi) zwifchen den ſchmutzigen 
Hütten der Vorftadt, am Ufer der Seine bei einem armen, rohen 
Fiſcherweib: ihr Dann 

„. . fiſcht Nachts und muß ſich Tags erholen 
Und ſieht dann gern der Guillotine zu — 

darum braucht fie eine Wächterin für ihre Hütte. Ih dieſer Lage 


/ 





Plön 229 


erhalt Uriea Gelegenheit, ein Wert ver Großmuth und Vergebung 
an dem einft jo Heißgeliebten zu vollbringen. Von einer Bande - 
wüthender Iofobiner verfolgt, reitet der Graf fich in den Kahn des 
RNegermadchens. Schon iſt e8 gelungen, die Berfolger zu täufchen, 
der Graf, um ihren Argmohn vefto fiherer von fich abgulenten, 
trinkt auf das Wohl der Republit und will mit plumpem Shen 
das ſchwarze Fiſchermädchen dazu umarmen: 


Er ſchlägt den Arm um fie; de bricht ei ein Schrei 
Bon ihren Lippen, der nah Wabnſinn klingt. 

Sie ſtößt den Arın hinweg, der fie umſchlingt — 
Es füllt ihr Tuch — ein ſchwarzes Haupt wird frei, 
Bon krauſem, glänzenden Gelod umringt, 

Draus funtelt ihm ein Augenpaar entgegen — 

Er fennt es nun! Sein leßter Muth verfintt, 

Da wild die Lippen bort ſich regen: 


„Zurück! Du lügft! Hat dich die Todesangft 
Befreit vom Efel vor der Negerin, 

Daß ih nun gut genug zum Küffen bin, 

Dog du vorm Kuffe der Verweſung bangft? 

Hat Elend mich gebleiht? Sieh hin, fieh hin, 
Um welch' ein niedrig Liebchen du geworben. 
Rühr' fe nicht an! Sie ift von ſtolzem Sinn, 
Ob auch zur Grafenbrant nerborben !’‘ 


Die Berfolger, dadurch aufmerkſam gemacht, bemächtigen ſich 
des rettenden Kahnes; der Graf wird erkannt, ſein Haupt fällt 
unter dem Beil des Henfers. — Und Urica? 


Man fagt, vorm Henter fiel fie auf die Knie 

Und bettelt’ um ben Ted. Der arge Mann 

Beſah ihr Angeſicht und lacht’ und ſchrie: 

Geh, häng' dich auf, wenn du die Welt verſchworen. 

Verdienſt dir doch die Guillotine nie, 

Denn die iſt viel zu gut für Mohren.. F 


230 Boetifcher An- und Nachwuchs. 


So ſitzt fie denn, vom Tode felbft verfehmäht wegen ihres 
ſchwarzen Angeſichtes, geaftert, wahnwitzig, eine verlaflene, hülf⸗ 
loſe Bettlerin, mitten zwiſchen all dem Glanz und der Ueppigkeit, 
mit denen die Kaiſerzeit die Boulevards von Paris wiederum 
bevölfert: . 


Sie fieht nicht auf. Ein plötzlich zudend Web 

Belebt nur felten ihre ftarren Züge, 

Zwei Worte fpricht fie dann: „Egalite!, 
Egalits!“ und „Lüge! Lüge!” 


Died die Schlußworte des Gerichts, das bei feinem erften 
Ericheinen ein eben fo großes Auffehen wie Mifbehagen erregte. 
Denn Niemand Eonnte verfennen, daß hier ein fruchtbarer und gewal- 
tiger Stoff mit kräftiger Hand heransgegriffen war: aber Niemand 
fonnte auch das Ungenügende ver Ausführung entgehen, noch dieſer 
eigenthümliche Kitzel, der auch hier wieder, wie in ber „Francesca 
von Rimini’ fein Gefallen daran hatte, die grelliten Contrafte, ohne 
fung, ohne Befriedigung, ſchroff neben einander zu ftellen. Alles, 
was ein Dichter feinen Schöpfungen an äußeren Vorzügen mit- 
geben kann, hat der Verfaſſer der „Urica” mit reiher, ja ver- 
ſchwenderiſcher Hand über fein kleines Kunſtwerk ausgefchüttet; bie 
Schilverungen find von ergreifender- Lebhaftigkeit, das Colorit 
warm und fräftig, die Keime vein und wohllauten, die ganze Die- 
tion Inapp, gedrungen, voll männlichen Lebens. Aber das Beſte 
fehlt dennoch, jenes Befte, ohne welches auch das Gute aufhört, 
gut zu fein: e8 fehlt vie verfühnende Kraft des Dichters, es fehlt - 
der fefte fittliche Boden, auf vem alle Widerſprüche ſich löſen müf- 
fen — fagen wir e8 frei heraus: es fehlt der Abglanz des Gött- 
lichen, in dem alle irdiſche Verfehrtheit ihre Beruhigung und Ber- 
föhnung findet, und das doch im Gegentheil nirgend fefter wurzeln 











- Bank Heyfe - u 231 


follte als grade im Bufen des Dichters. Die „Urica” ift-ein Racht⸗ 
ftäd in der ‚finfterften, häglichften Bedeutung bes Works; nirgend 
ein Schimmer des Troſtes, irgend em Strahl fittlicher Erhebung, 
der in dieſes Dunkel file, Miles wüft, öp, ekelhaft, nie ganze Welt 
en Tollhaus voll Verbrechen und Aberwis! Mag bas in ber 
Wirklichkeit zuweilen fo fein: der Dichter, wenn er wirklich ein 
. Dichter tft, ſoll fein Talent Lieber haben. — oder wenn viefer Aus- 
druck zweibentig klingt: er foll zu hoch. denken von feiner Kunft und 
den fittlichen Verpflichtungen, welche fein Talent ihm auferlegt, um 
ſich zu ſolchen Nachtſtücken herzugeben ; ven abgeftumpften Gaumen 
eines verwöhnten, entnervten Publicums zu figeln, mag ein ©e- 
dicht wie bie „Urica“ gut fein, ver Freund des Wahren und Schb⸗ 
nen aber kann ſich nur mit Unwillen Davon abwenben ——. sber 
mern nicht mit Unwillen, fo doch wenigftens mit Bedauern über 
das Talent, das hier an eine fo unſchone, ſo troſloſe Aufgabe ver⸗ 
ſchwendet ward. 

Oder wäre vieleicht auch dies veranem am falſchen Ouꝰ 
‚Hätte ber Dichter gar kein Kunſtwerk verdorben, weil er nämlich 
überhaupt keins hat liefern wollen, ſondern nur eine intereſſante 
Studie?. Muß das Herz bes Leſers ſich ungekränkt fühlen, weil 
der Poet weder aus dem eigenen Herzen geſchrieben, noch an das 
Herz der Andern fich gewandt hat, ſondern das Game tft wie- 
derum. ein Experiment, fo zu: fagen ein Kritzeln umt dem Griffel, 
bloß zur Uebung und ohne daß der Zeichner felbft wecht weiß, was 
babei herauskommen wixb, ein Götterbild ober eine Fratze? 

Faſt ſcheint es fo: denn noch in demſelben Jahre mit der „Uriea” 
erſchien ein drittes Gedicht deſſelben Berfaflers, das eimen ganz 
entgegengefebtten Geift athmet: „Die Brüder. Line chinefifche 
Geſchichte in Berſen.“ Es ift ein Büchlein von kaum zwei Bogen, 
ein Gedicht von wenigen hundert Zeilen, aber jo einfach und llar, 


. 232 Poetiſcher An- und Nachwuchs. 


fo harmonifh -und friebfertig, daß es ſchwer fällt, es für das 
Erzeugniß eines und deſſelben Dichters zu halten. Das Ge⸗ 
dicht, einfach und fchlicht nach Stoff und Haltung, iſt ein Meines 
Meiſterſtück, forgfältig ausgearbeitet bis in den geringfügigften 
Zug, dabei yon einer höchſt wohlthnenden gleichmäßigen Milde, bie 
dabei doch keineswegs ber Kraft entbehrt. Ein Dichter, der foldhe 
„Studien nur jo binwerfen konute, mußte in der That noch zu 
Größere berufen fein; gelang e8 ihm nur erft per bilettantifchen Neu⸗ 
gier, bie ihn jetzt noch bald hier bald dahin trieb, Dkeifter zu werben, 
ſo ließ fich ohne Widerfpruch noch viel Schönes von ihm erwarten. 

‘ Über nein, diefer Dichter will doch wol ſelbſt nieht höher 
hinaus, ex gefällt ſich im Erperimentiren und bleibt dabei, das 
Mittel. zum Zwed zu machen. So mußten diejenigen wetheilen, 
welche bie bisherige Laufbahn des Dichters zwar theilnehmend, 
aber auch mit Unbefangenhät verfolgt hatten und denen num bie 
Sammlung in die Hände fiel, welche er im Jahre 1854 unter dem 
Zitel, „Hermen“ herausgab. in bekanntes Berliner Witzblatt 
beutete den etwas preientiöfen Titel, der aber grade dadurch wieder 
bezeichnend iſt für den Dichter, dahin aus, daß unter Hermen“ 
bekanntlich Bildwerle verſtanden werben. „ohne Haud und Fuß.“ 
Das war nun allerdings witziger als wahr, ja man hätte im Ge—⸗ 
gentheil behaupten lönnen, dieſe Heyfe'ſchen Gerichte hätten nur 
Hand und Fuß, fie wüßten ſich nur mit Grazie in einer Reihenfolge 
ſchöner Stellungen zu bewegen, dagegen was das Gebicht eigent⸗ 
lich erſt zum Gedicht macht, der warme Pulsſchlag der Empfindung, 
ber Blitz des Gebanfens, die naive Fülle eines natürlichen, in ſich 
jelbft befriebigten, aus fi jelbft hervorquellenden Lebend, davon 
fand. fie in dieſen Hermen“ allerdings wenig oder nichts. Es ſind 
mriſt ältere Stücke, die der Dichter hier darbietet, daruutex nament⸗ 
lich „Urica“ und „Die Brüder.“ Rur. zwei Neuigbeiten waren 











Paul Heuſe. 233 


bingugelommen: „Zwölf Idyllen aus Sorrent“ und „Perſens. 
Ein Buppenfpiel” Die „Idyllen“ ſind im ſehr zierlichen Diſtichen 
geſchrieben, wie der Dichter denn überhaupt ein ausgezeichnetes 
formales Talent befitst und eine ungewöhnliche Herrſchaft über. die 
Sprache übt, die bei ihm faſt immer von untadelhafter Glätte iſt. 
Die Situation dagegen, in welcher ver Dichter ſich ſelbſt in ben 
„ullen‘‘ vorführt,. vie Situation eines Vnäutigams nämlich, ber 
gern ein wenig unteren werben möchte, e8 aber ans Reipert vor ber 
Braut zu Hauſe nicht wagt, bat eimas fo Philiftröfes und Küm⸗ 
merliched, daß men (wie jo oft bei dieſem Dichter) nur bie jchime 
Form bedauern kann, in Die ein fo anſchoner und wenig ebenbür⸗ 
tiger Zuhalt gegoflen ift. 

- Das Puppenfpiel ‚Berjens” tft vur eine Vorftudie zu einem 
größeren Werte, das bald darauf ebenfalls aus Licht trat: „Me⸗ 
leager. Eine Tragödie.“ Das war eine nene Wandelung dieſer 
proteifchen Dichternatur. Hatte das beſte uud gediegenfte jener 
biöherigen Werke, dad Gedicht „Die Brüder” am. die Obijectivität 
und plaftifche Ruhe Goethe's erimert, fe knüpfte, Meleager“ allex- 
dings auch an Goethe an, aber-an.eine Epoche, ma ber Dichter 
ver „Iphigenie“ felbſt noch ziemlich weit von ‚jener plaſtiſchen 
Ruhe und Sicherheit. entjerut. war. Meleager,“ eine laſſiſche 
Tragöpie in Ruitielverfen,‘ wie: Rudolf Goltjhell das wunderliche 
Opus charakteriſirt, hat ſich die Goethe ſchen: Sugenbpranucte aus 
der Titanenzelt des werdenden Dichters zum Muſter genommen, 
freilich ohne auch ihnen ganz treu zu bleiben: denn der Straßburger 
Goeche und Sopholfes, antilifirende und moderne Elemente, alt⸗ 
klaffiſche Chorgefänge und Fauſtiſcher Kuittelvers, griechiſche 
Syhymbolik und Seutimentalität des neumzehnten Jahrhunderts, gehen 
bier bunt durcheinander. Auch bie Wahl des. Gegenſtandes er⸗ 
regt gerechte Beenteu, fo beliebt dieſe antifen Stoffe auch in ven 


. 232 Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


fo harmoniſch und friedfertig, daß es ſchwer fällt, -e8 für das 
Erzeugniß eines und deſſelben Dichters zu halten. Das @e- 
‚dicht, einfach und fchlicht nach Stoff und Haltung, iſt ein kleines 
Meifterftücd, forgfältig ausgenrbeitet bis in den geringfügigfien 
Zug, dabei von einer höchſt wohlthnenden gleichmaͤßigen Milde, vie 
Dabei doch beineswegs der Kraft entbehtt. Ein Dichter, der ſolche 
„Studien“ nur fo hinwerfen konute, mußte in der That noch zu 
Großerem berufen fein; gelang es ihm nur erſt der dilettantiſchen Neu⸗ 
gier, die ihn jetzt noch bald hier bald dahin trieb, Meiſter zu werden, 
fo.ließ ſich ohne Wiberfpruch noch viel Schönes von ihm erwarten. 

Aber nein, dieſer Dichter will doch wol ſelbſt nicht höher 
hinaus, ex gefällt ſich im Erperimentiren und bleibt dabei, das 
Mittel. zum Zweck zu machen. So mußten biejenigen wetheilen, 
welche bie bisherige Laufbahn des Dichters zwar theilnehmend, 
aber auch mit Unbefangenheit verfolgt hatten und denen num bie 
Sammlung in die Hände fiel, welche er im Jahre 1854 unter dem 
Titel, „Hermen“ herausgab. Ein befanntes Berliner Witblatt 
beutete ven: etwas pretentiäfen Titel, der aber grase dadurch wieder 
bezeichnend iſt für den Dichter, dahin aus, daß unter „Heimen“ 
bekanntlich Bildwerke verſtanden werben. „ohne Hand und Fuß.“ 
Das war nun allerdings witziger als wahr, ja man hätte im Ge⸗ 
gentheil behaupten lönnen, dieſe Heyfe'ſchen Gerichte hätten nur 
Hand und Fuß, fie wüßten ſich nun mit Grazie in einer Reiheufolge 
Ihöuer Stellungen zu bewegen, dagegen was das Gebicht eigent⸗ 
lich erft zum Gedicht macht, ber warme Pulsſchlag ver Empfinbung, 
ber Blitz des Gebantens, ‚die naive. Fülle eines natürlichen, in fich 
jelbft befriedigten, aus fi jeibft hervorquellenden Lebens, davon 
fand. fi in dieſen, Hermen“ allertings wenig oder michte. Es ſind 
meiſt ältere Stüde, bie der Dichter hier varbietet, Darunter nament- 
& „Aria! und „Die Brüder.“ Rur. zwei Neuigleiten waren 











Paul Henie. - 23:3 


hinzugekommen: „Zwölf Idyllen aus Sorrent“ und „Periens. 
Ein Buppenfpiel” Die „Idyllen“ find. in ſehr zierlichen Diſtichen 
geſchrieben, wie der Dichter denn überhaupt ‚ein. ausgezeichnetes 
formales Talent befittt und eine ungewöhnliche Herrſchaft über die 
Sprache übt, die bei ihm faſt immer von untadelhafter Glätte iſt. 
Die Sitnation dagegen, in welcher der Dichter ſich ſelbſt in den 
Idillen vorführt, die Sitnation eines Braͤutigams naämlich, ber 
gern ein wenig. untreu werden möchte, es aber ans Reſpect vor der 
Braut zu Hauſe nicht wagt, hat etwas fo Philiftröfes und Kinn⸗ 
merliches, daß wen (wie fü oft bei dieſem Dichter) nur bie ſchöne 
Tom bedauern kann, in die ein fo nfiäner und wenig ebenbür- 
tiger Inhalt gegoffen ift. 

.. Das Buppenfpiel Bares“ ift nur eme Vorftndie zu einem 
größeren Werke, das bald darxauf ebenfalls aus Licht trat: „Me⸗ 
leager. Eine Tragödie.“ Dias war eine nene Wandelung dieſer 
proteiſchen Dichternatur. Hatte Das. beſte und gediegenite feiner 
biſherigen Werbe, das Gedicht „Die Brüder“ an die Objectivität 
und plaſtiſche Riche Goethe's erinnert, fo knüpfte, Meleager“ alex: 
dings auch an Gotthe an, aber an eine Epoche, wo der Dichter 

r „Iphigenie“ ſelbſt noch ziemlich weit von jener plaſtiſchen 
Ruhe und Sicherheit enkjerut.wor. Meleagex,“ eine „aifiiche 
Tragödie in Ruitielverfen,‘ wie. Rudolf Goltſchall das wunderliche 
Opus charakteriſirt, hat ſich die Goethe ſchen Dugendproducte aus 
ver Titanenzeit des werdenden Dichters zum Muſter genommen, 
freilich ohne auch ihnen ganz treu zu bleiben: denn der Straßburger 
Goethe und Sopholles, autikifirende und moderne Elemente, alt- 
llaffiſche Chorheſänge und Fauftiſcher Kuittelders, griechiſche 
Symbolik und Seutimentalrtät des neumgehnten Jahrhunderts, gehen 
bier bunt durcheinauder. Auch bie Wahl des Gegenſtandes er⸗ 
regt gerechte Bebenten, fu beliebt dieſe antiken Stoffe auch in ven 


234 Poetiſcher An- und Nachwuchs. 


fetten Jahren bei unjern Dramatikern geworden find; dieſe antiken. 
Mythen vertragen das moderne dramatiſche Detail nicht, die Indivi⸗ 
bualtfirung, weldye die moderne Poeſie überhaupt verkıngt, ift uwer⸗ 
einbar mit ihrer typiſchen Einfachheit. Läßt man indeß die Forde⸗ 
rung eines einheitlichen organifehen Kunſtwerks fallen, begnägt man 
fi) wieverum, dag Stüd nur als eine geiftreiche Stute anzufehen, fo 
enthält. e8 allerdings viel Schönes, Namentlich hat ver. Charakter ber 
Mutter einige wahrhaft erhabene Stellen; and) als Ganzes ift er 
verhältnißmäßig am beften vurchgeführt, wie er denn auch jedenfalls 
am meiftendramatifchen Kern enthält. Dagegen ift Meleager ſelbſt 
eine etwas ſchwächliche Figur und auch die Naivetät ver Kleopatra, 
feiner Braut, hat einen etwas fofetten Zug. Die emancipirte 
Schönheit Atalante dürfte wol ebenfalls zu viel modernes Blut 
haben, währenn der Oheim Doreus, jever Zoll ein Philifter, in 
einem Ifflandiſchen Drama vermuthlich befier an feinem Plate 
gewejen wäre. Dagegen ift die Sprache auch hier wieder von un- 
gemeinem Wohllaut; auch die zahlreichen Sentenzen athmen eben- 
foviel Fülle des Gedankens wie Hoheit des Ausdrucks; das Chor- 
lied der Barzen ift ein Meiſterſtück, es find Mlänge darin, wie fie 
in der That feit Goethe nicht vernommen wurden. 

Und doch hinterläßt das Ganze nur einen unbefrievigenden 
Eindruck. Es iſt bier wiederum Vieles beiſammen, was den 
Dichter macht, ganz gewiß: aber eben ſo gewiß fehlt auch dieſem 
Drama wieder der eigentliche Lebenskern, die Beziehung zum Boll 
und zur Gegenwart des Dichters. Daß wir damit nicht verlangen, 
der Dichter ſolle die Zeitung in Verſe bringen, wie es wol eine zeit⸗ 
fang unter uns Mode war und- den jungen Dichtern fogar zu 
großem Ruhm verhalf, das verfteht fich von ſelbſt. Aber irgend 
eine Beziehung muß jedes Kunftwerl, das. nicht bloß iu den Bücher⸗ 
ſchränken ver Aefthetifer, nein, auch in den Herzen des Bolles [eben 











Paul Heyſe. 0 235 


will, zu'feinex Gegenwart doch haben; irgend eine Ader muß doch 
aus der lebendigen Fülle der Zeit in ben Buſen des Dichters 
binüberreihen. Am allermeiften gift dies vom Drama; ein einzelnes 
Iprifches Gericht kann füh etwa darauf beſchränken, eine vorüber⸗ 
gehende, bloß indivinnelle Stimmung auszudräüden — wiewol auch die 
Wirkung des Inrifchen Gedichts um fo vollſtändiger fein wird, je all- 
gemeiner und vein menschlicher ver Inhalt der ausgefprochenen Stim- 
mung ift,.troß ihrer indiwinuellen Faſſung — fo.muß das Drama 
nothwendig in dem allgemeinen Leben ver Bölker, vem großen Boden 
ber Geſchichte wurzeln, mag dies hiftorifche Element fi) nun Direct 
in einzelnen gefchichtlichen Ereiguiflen und Perjönlichkeiten reprä⸗ 
fentiren, oder mögen wir ed nar in ber allgemeinen Stimmung des 
Dramas wieverfinden. In dieſem Heyfe'ichen „Meleager“ aber 
ift weder das eine noch das andere der Fall, wir finden fo wenig 
die Ereignifle wie die Stimmungen-umd Leidenfchaften unjerer Zeit, 
barin wieder, das Bange ift eine Abjtraction, die keine Heimath 
hat, als den Schreibtifc des Dichters. 

Rod einige Monate vor dem „Melenger” war ein Band 
„Novellen“ erſchienen; verfelbe enthält neben einigen älteren, von 
uns zum Theil bereits befprochenen Gerichten, beſonders eine Anzahl 
in Proſa abgefafter Erzählungen. Dieſe Erzählungen find umferes 
Bedunkens das Keiffte und Beſte, was Paul Heyſe bisher geleiſtet 
dat. Es ift merkwüurdig, wie Die erfriſchende Macht der Wirklich- 
keit fich anch an ihnen wieder bewährt. Hier, wo der Dichter durch 
feinen Stoff genöthigt iſt, ſich auf vie YJuftänbe des wirklichen 
Lebens einzalaſſen, wo ev Menſchen ſchildert, wie er fie in der That 
fennen gelernt, mit denen ex geliebt und gelitten, nicht bloße Ab- 
fractionen. ver Phantaſie, wo er fich mit einem Wort mitten in das 
Gewühl ves Lebens ftürzt und nicht feiner empfinden, nicht zierlicher 
venfen, nicht geiftreicher veflectiven will, als wir eben alle thun — 





236 Boetifcher An- und Nachwuchs. 


bier verliert feine Neigung für das, Abfouderliche und Geſchraubte 
ſich zwar noch nicht ganz, aber fie tritt doch bei weiten maßvoller 
und minder zudringlich auf. Auch jene eigenthümliche Kälte, die 
überhaupt alle Schöpfungen dieſes Dichters charakterifirt, iſt in 
biefen „Novellen“ noch nicht völlig überwunden; auch ihnen merken 
wir ed an, daß er mehr mit dem Berftande al8 mit dem Herzen 
arbeitet. Doc vertragen dieſe beiden Eigenſchaften, eine gewiffe 
Kälte und eine gewille Vorliebe für das Pikante, Abfonderliche, 
ſich mit der Novelle, die ja urjprünglich nur die möglichft objectiv 
gehaltene Erzählung irgend eines abſonderlichen Vorfalls oder Cha⸗ 
rakterzugs ift, fich wol noch am erſten und jo iſt e8 dem Dichter, immer 
die Schranfen feiner Eigenthümlichkeit, ſowie anbererfeit® bie 
Schrauken ver vorliegenden Gattung feflgehalten,, hier in ber That 
gelungen, einige in ſich vollendete und wahrhaft befriedigende Ar⸗ 
beiten zu liefern. Es ſind im Ganzen vier Erzählungen; die Krone 
darunter iſt „La Rabbiata,“ ein lebensfriſches, ſonniges Gemälde 
wie heiße Liebe und jungfräulicher Stolz in dem Herzen eines ita⸗ 
lieniſchen Naturkindes mit einauder kämpfen, von entzückendſter 
Friſche und glücklichſter Lokalfärbung. „Marion“ iſt ein aumu- 
thiger Schwank, der vielleicht mur etwas Inapper und anſpruchsloſer 
gehalten fein ſollte, um noch günftiger zu wirken. And) „Die Blin⸗ 
pen” haben jehr fchöne. Stellen: doch bleibt es immer. mißlich, einen 
Vorfall ans dem Krankenzimmer zur Grundlage einer poetiſchen 
Verwickelung zu maden und auch die Art und Weife, wie biefe 
Berwidelung.bier gelöft wird, hat etwas Gewaltfames und Unbe 
friebigenves. Das ſchwächſte Städ der Sammlung und vermuth- 
lich das jüngfte ift das letzte, „Am Tiberufer;“ hier find bie 
Situationen ganz ſo amf die Spike gejtellt, Die Farben ganz fo 
grell, die Entwidelung. gran fo jäh und fprunghaft,, wie wir es 
n den Erſtlingsproducten bes Dichters fanden. 








Paul Heyſe. 237 


Zwiſchendurch hat Paul Heufe noch einige poetifche Ueber⸗ 
fegungen, 3. B. das mit Emanuel Seibel gemeinfam heransgegebene 
„Spantfche Liederbuch“ (1852), ſowie verſchiebene gelchrte Arbeiten, 
ebenfalls auf die tomanifchen Literaturen bezäglich, herausgegeben. 
Auch kam ſchon 1855 ein Drama von ihm in Münden zur Aufs 
führung, „Die Pfälzer in Irland.” Im Druck ift daſſelbe nicht 
erſchienen; darf man jedoch den Berichten: trauen, weldye die Zei⸗ 
tungen feiner Zeit daräber lieferten und denen ſelbſt von Hehſe's 
Freunden nicht widerſprochen ward, fo wären dieſe „Pfälzer in Ir⸗ 
land“ eine ziemlich verfehlte Arbeit. Mit einem Sprung, der fich 
grade bei dieſem Dichter allerdings außerordentlich Leicht erklären 
würde, foll er darin plöglich in die Bahn der Frau Birch - Pfeiffer 
bitübergelenft und ein Rühr- und Schauperftüd voll der allereraf- 
jeften Effecte geliefert haben. Das Stück iſt unjeres Wiflens nur 
einmal gegeben worden; der ‘Dichter ſelbſt foll e8 nad der erſten 
Aufführung zurückgezogen haben: 

- Nicht viel-glüdicher ſcheint er mit feinen „Satinerimen® ge⸗ 
weſen zu ſein. Das Stück, mit welchem der Dichter wieder in 
ſeine frühere antififirende Manier zurücklenkte, hat zwar bei dem 
befannten Münchener Preisausfchreiben von 1857 den erften Preis 
davongetragen, das Publicum jedoch fcheint Dielen Ausſpruch der 
gelehrten Schiedsrichter nicht ratificirt zu haben, infofern die Auf: 
führung des Stüds überall fait gelafien haben fell; im Drud ift 
es bis jet ebenfalls nicht erſchienen und vermögen wir daher ein 
genaueres Urtheil darüber wicht abzugeben. — Endlich erfchten ganz 
neuerlich noch ein Band „Neue Novellen“ und ein erzählendes Ges 
dicht, „Thekla“: die Geſchichte eimer chriſtlichen Märtyrerin aus 

dem zweiten Jahrhundert unferer Zeitrechnung — prächtige Hexa⸗ 
meter, aber unferer Zeit und ihren Intereſſen ſo fremd, wie der 
Mann im Monde. 


338 Boetifcher An- und Nachwuchs. 


- Wie erklären wir uns nun die Erſcheinung viefes Dichters ? 
und wie gebört er namentlich hierher, wo wir vorzugsweiſe Die 
poetifchen Repräfenienten unjerer gegenwärtigen Reactionsepoche 
bie Dichter ver Freude unb des umbefangenen Febenögenufjes ab- 
ſchildern wollten? 

Ganz gewiß gehört er hieher Denn auch Paul Heyſe mit all 
ſeinen Abſonderlichkeiten und Verzwicktheiten iſt ein Dichter des 
Genuſſes, nur daß dieſer Genuß ſelbſt bei ihm kein unmittelbarer 
und natürlicher, ſondern ein künſtlich zurechtgemachter iſt; wie Bo⸗ 
denſtedt der Dichter des naiven ſiunlichen Genuſſes, fo iſt Paul 
Heyſe der Dichter des äfthetiichen Raffinements und der bilettan- 
tiſchen Feinfchmederei. Bobenftedt ft ein Niederſachſe, Paul 
Heyſe ein Berliner. Bon früh an ift der Dichter unter äfthetifchen 
Eindrüſcken aufgewacfen; fein Vater felbft war ein feinfinwiger 

und geſchmackvoller Gelehrter, und auch Übrigens traten dem Dichter 
von Jugend auf vorwiegend äfthetiiche Einpräde und Auregungen 
entgegen. Was in dieſer äfthetifch durchgewürzten Luft gewonnen 
und erreicht werden fann, das hat der Dichter ſich redlich ange 
eignet: Feinheit des Geſchmacks, Empfänglichleit ver Phantafie 
und einen vegen, faft überregen Eifer zur poetifchen Production. 
Das ift etwas, aber bei weitem nicht genug, ja in-feiner Berein- 
zelung kann und muß e8 fogar- ſchädlich wirken. Geſchmack des 
Urtheils, Eleganz ver Form, Geiftveichigfeit ver Pointen — o ja, 
das konnten die neuen Athener an ber Spree ihrem poetifchen Lande⸗ 
mann mitgeben: aber das Erbtheil einer männlichen, thatfräftigen 
Oefinnung, ernfte und ausdauernde Begeifterung für Die großen 
Schickſale ver Menfchheit, Bertrauen in die Gefchichte und ihre 
ewigen Entwidelungen — das konnten fie ihm nicht mitgeben, weil 
fie e8 felbft nicht befaßen. Die ganze -äfthetifche Liebhaberei, ver 
ganze geiftreiche “Dilettantismus, der die Berliner „gebildeten“ 


\ 











Paul Hayfe. 239 


Kreife erfüllt, ſpiegelt fi in. Paul Heyſe wieher, es iſt Pegafus 
um Joche, aber leiver nicht im Joch des Lebens, das die wahre 
Kraft nur ftärkt und erhebt, fondern in einem Joch aus Roſen 
und Nachtviolen, deren füßer ‘Daft endlich auchd die friſcheſte Kraft 
betäubt und erſchlafft. 

Hat ein folder Dichter eine Zufunft? Bir wagen bie Frage 
nicht zu entfcheiden; Die Irrgänge des Talents (und mit einem 
foldjen haben wir e8 bier unzweifelhaft zu thun, wenn aud fürs 
Erfte nur mit einem formalen, nachbildneriſchen Zalent) find oft 
wunderbar; hat es Poeten gegeben, die fi) aus Formloſigkeit 
und wüſter Zerfahrenheit gefammelt baben zu reinen, Teujchen 
Werken ber Kunft, warum fellte ein Poet nicht auch einmal ben. 
umgefehrten Weg einfchlagen und von der Schale zum Kern, von 
der Form zum Geift Hindurchbringen Eiunen? Was wir Diefem 
Dichter zunächſt wünjchten, das wären ‚große und bebeutenve 
Lebenserfahrungen, melde, und follte e8 auch mit unfanften Streiche 
jein, die allzuglatte Schale feines Weſens zerfchmetterten und den 
Kern tieferer Empfindung und. wahrer Leidenſchaft, der doch hoffent- 
lich in ihm liegt, zu Tage fürderten. Es taugt dem Poeten nicht, 
wenn die Hand des Schickſals ihn allzufanft führt oder wenn er all- 
zuwenig erlebt. Im Jahre Achtundvierzig war Baul Heyſe wol 
theils noch zu jung, theils wurde er durch feine perſönlichen Verhält- 
niffe wol zu ſehr auf die confervative Seite, die. Seite Derer ‚ges 
zogen, bie in ber ganzen Vollsbewegung nur ein Ungeheuer von 
Roheit und Verwilderung fahen, als daß er bie Bedeutung dieſer 
Zeit vollkommen begriffen und ihr die richtige Wirkung auf fich ver= 
Hattet hätte. Der Dichter verlebte dann einige Zeit in Italien, 
ſcheint aber auch bier ausſchließlich mur der Schönheit des Landes 
und feinen gelehrten und fünftlerifchen Studien: gelebt zu haben; 
wenigftens fuchen wir in Allem, was er bisher aus Italien veröf- 


‚er Pe 7, „ und Xachwuchs. 
gott 
zinem einzigen Ton, in dem die eben jetzt 


a4 na 
jemtiche, 2° en u „op Schmerzen des Italienifchen Volks ihren 
prenneR er (See iſt in Stalin derfelbe, wie in Ber- 


—* fände" ze Mißt, er finvirt umd äfthetifirt, aber nirgend ſehen 

zn; er nieht, er Jin Herz für das Bolt und feine Sefchichte hat. Der 

wir, —7 p niefteicht Luſt haben, ſich mit Goethe's Beiſpiel zu 

Bo j „n aber erftlich war. Goethe Mandyes verftattet, was 

ie: Goethes nicht verflattet ift, und zweitens war Goethe 

Dann feiner Zeit, Paul Heyſe aber tft der Sohn unferer Zeit 
pver follte es doch wenigftens. fein. 

Kurz nach feiner Rücklehr aus Italien hat der Dichter dann, wie 
ſchon zu Anfang erwähnt, an dem kunſtſinnigen Hofe König Mar’ von 
Baiern eine Stellung gefunven, vie feinen künftferifchen Neigungen 
entfpricht, während ſie ihn zugleich vor jeder gemeinen Lebendforge 
fihert. Möge die Gunft des Schickſals, die ihn won feinen erften 
Schritten in die Oeſſentlichkeit an fo reichlich zu Theil geworden, 
denn auch als befruchtender Sonnenſchein in fein Inneres fallen 
und hier nicht bloß ſchöne und zierlihe, fondern auch große und er- 
habene Empfinbungen erweden! — 

Sp viel ift gewiß: auf dieſem Wege erperimentirender Geift- 
reidhigfeit, den Paul Heyſe bis jetzt gewandelt ift, farm er wol ein 
gepriefener Salondichter werden, aber zum Herzen der Nation ge= 
langt er damit fo wenig wie zur Unfterblichleit. 








4, 
Otto Rognette. 


So ift das einzige Bofitive denn, was an Paul Hehfe bis 
jet hexrvortritt, die ungewöhnliche Glätte und Sauberkeit feiner 
poetifchen Form. In diefer Beziehung fteht ein anderer junger 
Dichter ihm nahe, deſſen Name ebenfalls erft in der nachmärzlichen 
Zeit auftauchte und ber ſich mit ungewöhnlicher Schnelligkeit nicht: 
nur einen literarijchen Auf erworben hat wie Paul Heyſe, ſondern 
auch eine Popularität, deren der Dichter des „Meleager“ ſich noch 
lange nit erfreut. 

Das ift Otto Roquette. Das erite Werf, womit diejer 
Dichter in der Literatur auftrat, war jene „Walpmeifters Braut- 
fahrt“ (1851), bie jeitvem einige Dutzend Auflagen erlebt hat 
und die vom Dichter ſelbſt zur Stunde noch nicht übertroffen ift. 
Otto Roquette ift der eigentliche Dichter der Jugend, wie fie in 
der nachmärzlichen Zeit geworden: Iebensluftig, unbefangen, ſpie⸗ 
leriſch, je nach den Umſtänden bald heiter, bald traurig, aber 
nad beiden Richtungen hin ohne bejonvere Tiefe, das Leben glatt 
von der Oberfläche ſchlürfend, vor Allem aber mit einem ftarfaus- 
geprägten Bemußtfein ihrer eigenen Jugendlichkeit, die auch in ber 
That das Hauptverbieuft dieſer Poeten bildet, nur Schade, daß 
es fid mit jedem Tage verringert. Er ift der mahre Repräfentant 
jener „Reuen Menfchen, vie aus der trüben Fluth des „tollen 


Brug, die deutiche Kıreratur der Gegenwart. I. 16 


242 Boetiicher An- und Nachwuchs. 


Jahres“ emporgetaudht find und die fih nun außerordentlich 
fhön und außerorventlih Hug vorkommen, bloß weil fie vie 
Narben und Wunden nicht ‚tragen, die uns entftellen. und weil 
fie die Thorheiten nicht begangen, unter beren Folgen wir zu 
leiden haben. 

In „Waldmeiſters Brautfahrt” trat dieſe abftracte Jugend⸗ 
lichkeit noch fehr frifch und liebenswärkig aufz das Publicum, auf 
dem das Blut und der Staub der jüngften Vergangenheit noch 
Iaftete, fühlte fih angenehm überrafcht Durch eine jo ganz jugend» 
fee, naive Erſcheinung, an ber die Leiden und Kämpfe ber 
festen Jahre fo ganz ſpurlos varüber gegangen waren und bie 
mitten in einer fo büftern und anfgeregten Zeit nody ven Muth 
hatte, das Glück der Jugend umd des unbefangenen Lebensgenuffes 
zu feiern. „Walpmeifters Brautfahrt” gehört jener Märchen- 
bichtung an, die dann fpäter fo über alle Maßen üppig einporge- 
wuchert ift und fo viel garftiges Unkraut herorgebradht hat. Da⸗ 
mals war diefe Gattung noch ziemlid; neu, ja „Walpmeifters 
Brautfahrt” gehört ſelbft mit zu den Werfen, durch welche fie in 
Aufnahme gefommen. Am wenigften aber ahnte das Publicum 
damals bereits, was es ſich in dieſen Schnarogerpflanzen eigent- 
lich erzog, und fo war bie Freude, mit welcher das Roquette'ſche 
Märchen aufgenommen warb, eben jo lebhaft wie allgemein. — 
Der edle-Prinz Waldmeiſter (Asperula odorata) Bat ſich mit 
feinem Hofgeſinde, ven duftigen Wald- und Frühlingskräutern, 
aufgemacht auf die Brautfahrt zu ver ſchönen Prinzeſſin Reben- 
blüte, dem lieblichen Töchterlein König Fenerweins, der mit 
feinem zahlreichen und herrlichen Hofftaat, ven edlen Rhein-, Neckar⸗ 
und Mofelweinen zu Rudesheim Reſidenz hält. Ein mißgänftiger 
Pfaffe, ein heimliher Schleder und Schluder, dem, wenn er allein 
ift, feine Speife zu gewürzt, fein Wein zu evel ift und ber doch wor 


Otto Roquette. 243 


den Leuten auf die edle Gottesgabe ſtets nur ſchimpft und ſchilt, 
greift ihn auf dem Spaziergang auf und ſteckt ihn in das eherne 
Burgverließ der Botaniſirkapſel. Die Beſorgniß, welche vie Ge- 
faͤhrten und Diener des Prinzen darũber ergreift, ſowie der Kampf, 
vurch den fie den edeln Gefangenen endlich befreien, giebt Veran: 
laffung zu einer Reihe lebhafter und Tieblicher Schilverungen, zu 
denen Aberall die köſtliche Rheinlandſchaft mit ihren Burgtränmern 
und ihrer goldenen Segensfülle einen eben jo bedeutenden wie an- 
muthigen Hintergrund bildet. Eben fo die Juräftungen zur Hoch— 
zeit am Hofe zu Rüpesheim, wo insbeſondere die glückwünſchenden 
Geſandtſchaften der deutfchen Werne in einer Reihe treffenvder, mit 
gfücfichftem Humor ausgeftatteter Bilder vorgeführt werben. — 
Doc vergeflen die Freunde des eblen Brautpaares mitten umter 
bem Jubel der Hochzeit nicht, daß fie noch Rache zu nehmen haben 
an dem feigen Heuchler, der ihren Fürften in Gefangenfchaft ge- 
halten und ſich überhaupt von jeher, wenn nicht als Verächter, 
doch als Verleumder ihrer ebelſten Gaben gezeigt hat: Die ein- 
fadye Liebesgefchichte eines Jägers und eines Winzermädchen, fo- 
wie bie Mbentener einer wandernden Studentengeſellſchaft, vie 
gleichſam den Chorus des Ganzen Bildet und deren Lieber fich wie 
frifhe, duftige Waldrofen durch den vollen Kranz diefer Dichtung 
winden, find auf geſchickte Weiſe mit hineinverflochten. “Die Der: 
widelung findet ihre Löſung endlich bei einem Zechgelage ber 
Studenten, in welches aud ver beuchlerifche Pfaffe mit hinein⸗ 
geräth und wo denn bie vereinigten Wein- und Kräutergeifter als 
würziger Maitranf ihm dermaßen zu Kopfe fteigen, daß er fih 
ganz offenfundig und fichtbarlich unter dem vermunderten Kopf- 
ſchütteln derfelben Leute, denen er fonft immer fo viel von Ent- 
haltſamkeit und Mäfigung vorgeprevigt hat, — beraufcht. 

Um viefe, wie man fieht, höchſt einfache Unterlage fchlingt 


16* 


244 Boetifcher An- und Nachwuchs. 


fich, feldft einer Rebe vergleichbar, die Roquettefche Poefie: denn 
in biefer ihrer erften und glüdlichften Offenbarung ift fie edel 
geformt, faftig und frifch, von ſchöner Mannigfaltigkeit wie das 
Blatt der Rebe und lauter und rein und voll herrliden Feuers 
wie ihre Frucht. Im dem ganzen Gebicht, deſſen glüdlicher Bor- 
gang nachher fo viel erfünftelte und Franfhafte Producte nach ſich 
‚ziehen fellte, ift nichts Ungeſundes, nichts Gemachtes, Verzwicktes, 
Angezwungenes, ſondern überall tritt uns die ſchönſte und edelſte 
Natürlichkeit entgegen, das volle, friſche Behagen ver Ingend, ver 
die Welt fo ſchön erſcheint, weil fie ſelbſt noch fo ſchön ift. Und 
das mar es denn auch, was diefes Gedicht eines Damals noch 
völlig unbefannten, namenlofen Poeten, der damals jelbft noch 
halleſcher Student war, zu einem Lieblingsbuch unferer Leſewelt 
machte: diefer Zug reiner, naiver Jugendlichkeit, der das Ganze 
durchdringt und jeden Vers und jede Zeile mit edlem, keuſchem 
Feuer belebt. Nein, wie ſchwer diefe Zeit auch auf uns laftete 
und wie trübe Nebel über unjerer Zufunft brüteten: jo lange unter 
der beutjchen Jugend noch Herzen fchlugen wie das Herz dieſes 
Dichters, jo lange aus der Hand eines deutſchen Studenten uns 
noch ein Gedicht kommen konnte, wie dieſer „Waldmeiſter,“ ſo 
lange brauchten wir auch den Glauben an die Zukunft unſeres 
Vaterlandes nicht aufzugeben, ſondern durften feſt an ver Hoff- 
nung halten, daß Schiller’8 große Weiſſagung fich dereinſt doch 
nod) erfüllen ind die Schönheit uns doch noch eine Erzieherin zur 
Freiheit werden wird! 

Leider bat der junge Dichter fi) auf der Höhe, die er mit 
diefem jeinem Erſtlingswerk gleihfam im Fluge erftärmt hatte, 
auf die Dauer nicht zur behaupten vermocht, vielmehr zeigt fich 
in feinen nachfolgenden Beröffentlihungen von Buch zu Buch ein 
immer größerer Rückſchritt. Zwar daß das Nächte, was er nad) 


Otto Roquette. 245 


„Waldmeiſters Brautfahrt” in die Welt fandte, ein etwas ſchwäch— 
liches. Product mar, die konnte man ihm allenfalls verzeihen; 
„Waldmeiſters Brautfahrt” mar erft wenige Monate zuvor er- 
fhienen, der glänzende Erfolg, den er damit erlangt hatte, war 
dem jungen Dichter ein wenig zu Kopf geftiegen, und fo durfte ver 
Mangel an Selftkritit, ven fein mächftes Werk verrieth, eben nicht 
überrafhen. Es war ein Roman oder doch etwas dem Aehn⸗ 
liches: „Orion. Ein Phantafieftüäd‘ (1851). Allerdings offen- 
bart fi, auch in diefem Buche (das übrigens, wenn wir vecht 
unterrichtet find, eine ziemliche Zeit vor „Waldmeiſters Braut 
fahrt” geſchrieben ift) viefelbe gefunde Auffaſſung des Lebens, 
derfelbe Hare, heitere Sinn, diefelbe Luft am Wahren, Natär- 
lichen, Ungelünftelten, vie uns im „Waldmeiſter“ fo jehr entzüdt. 
Nur ift in dem Roman allerdings noch Manches hinzugefommen, 
was dieſe gefunde, natürlihe Grundlage trübt: Reminiscenzen 
und Traditionen einer überwundenen Bildung, dergleichen jedem 
heranwachſenden Dichter anhaften und durch welche die Jugend 
ſich rächt, dieſe ſonſt fo neidenswerthe, fo köſtliche Jugend. Den 
goldenen Traum feines Märchens konnte der Dichter ohne Stu- 
dinm, ohne Anftrengung, frei aus der jugenblich begeifterten 
Seele ſpinnen; bie blühende Nebe, die fih am Felsgeftade des 
Rheins emporranft, war eben ſtark genug, dies liebliche Gebilve, 
gewebt aus Friblingspuft und Jugendwonne, mit feinem leichten 
Elfenvölkchen zu tragen. Mit dem Koman' dagegen war ber 
Dichter unvermeidbar auf den Boden der Wirklichkeit verwieſen; 
bier genügt e8 nicht an einer Traumwelt, wie lieblich fie auch fei, 
noch au einzelnen poetifchen over geiftreichen Schilderungen, ſondern 
im Roman wollen wir ein für allemal ein, wenn anch künſtleriſch 
verflärtes, ‚doch immerhin. ein Abbilo des Lebens, wie es if, 
wollen Menſchen von Fleiſch und Shit, in Lagen, vie unfere Theil- 


* 


246 Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


nahme erregen, mit Abſichten und Zwecken, welche in dem allge- 
meinen Boden des Jahrhunderts wurzeln und bie eben deshalb 
unferer Sympatbhien verfichert find. — An diefer Kenntniß des 
wirklichen Lebens aber fehlt e8 dem Verfaſſer des „Drion“ nod. 
Das Bud) ift, als Roman betrachtet, ziemlich, interefielos, mehr ein 
Tagebuch des Dichters felbft, der feine jugenplichen Kämpfe und 
Entwidelungen darin nieverlegt, als eine eigentliche wirfliche Ge— 
ſchichte; es fehlt nicht bloß an ver plaftifchen Ruhe, welche jenes 
epifche Kunſtwerk befigen foll, e8 fehlt vor Allem. auch an ver Kraft 
und Sicherheit ver plaftifchen Geſtaltung ſelbſt. Die Charaktere, 
und darunter höchſt bezeichnender Weife grade Diejenigen, die 
der Dichter ſelbſt mit der meiſten Vorliebe gezeichnet und auf 
die.er ſich wol in der Stille am meiften zu Gute gethan bat, 
ſind nebelhaft, unfaßbar; die Fabel, ſtatt mit Nothwendigkeit aus 
ven Charakteren zu fließen, trägt in ihrer ganzen Bufanmen- 
ſetzung Die Spur des Willfürlichen, Abentenerlichen, bie im üblen 
Sinne romanhaften Nothbehelfe, zu denen der Verfaſſer fich zu 
ihrer endlichen Löſung genöthigt ſah, hätten ihm ſelbſt als Finger⸗ 
zeig dienen können, daß er ſich hier auf einem ſalſchen Wege be⸗ 
fand, einem falſchen ſchon deshalb, weil er ihn ſelber nicht lennt 
und überſieht. | 

Denn darin verrieth ſchon in Diefem- zweiten Werke des Dich⸗ 
ters das Umzulängliche einer abftracten Jugendlichkeit fih auf ſehr 
fühlbare Weiſe: in dem Mangel an Lebenserfahrung und pofitivem 
Inhalt, ver fein Wert harakterifirtt. Niemand foll ernten wollen, 
wo er nicht gefüet hat, noch um Preife ringen, wo ihm bie Kennt⸗ 
niß der Waffen mangelt. Wollen wir auch ven Rigorismus nicht 
fo weit treiben, wie Jean Paul, der irgend einmal die Torberung 
aufftellt, Niemand folle einen Roman fehreiben vor feinem breißig- 
ſten Jahre; weil es nicht wahrſcheinlich, daß Jemand vor feinem 








Otto Roquette. 247 


dreißigften Jahre Welt und Menſchen bereits jo weit kennen 
gelernt habe, wie der Roman es nun einmal mit Nothwendigkeit 
erforbert: jo jcheint uns Doch Dies ein ganz billiges, ganz gerechteh 
Berlangen, daß auch ver Poet nichts ausgebe, was er nicht vorher 
erworben und daß Derjenige, dem die Natur das köſtliche Geſchenf 
des poetiſchen Talents verliehen, nun auch aus-allen Kräften dahin 
arbeite, dieſem Talent einen entſprechenden Inhalt zu gehen — um» 
auch ven Schmerz und die Entbehrungen foll er nicht ſcheuen, welche 
die vollftändige und gründliche Bewältigung der Wirflichleit ihm 
auferlegt. . Ä | 
Dies Vacuum des Selbfterlebten zu verbeden, hat ver Dich⸗ 
ter des „Orion“ nun-nothgedrungen, wie wir fon vorhin 
andeuteten, zu allerhand Reminiscenzen und Traditionen greifen 
müſſen. Dabei, wie bie Jugend denn mır allzubereit if, die aller- 
verjchiedenartigften Eindrücke auf ſich wirken zu laſſen und wie fle 
mit ihrem jugenplich gefunden Magen auch in geifliger Hinſicht das 
ingerlichft Unverträgliche mit dem gleichen naiven Appetit verſpeiſt, 
iſt es auch dem Dichter des „Orion“ paffixt, gleichzeitig zwei 
höchft: entgegengefegte Muſter zu-copiven. Auf ver einen Seite 
nämlich begegnen wir der mwohlbefannten Auerbady’ichen Dorfge- 
ſchichte, deren Nadahmung eben Damals anfing eime ziemlich allge- 
meine und unvermeibliche Krankheit unferer Literatur zu werben, 
während auf der andern bie alte Romantik hineinfpielt und. zwar 
in ihrer finfterften, geſchmackloſeſten Geſtalt, in der Geftalt der Haff- 
mann’shen Spukgeſchichte. Diefe letzteren Elemente wirken na- 
. mentlich höchſt ſtörend und könnten Einen an dem Talent dee 
Dichters faft irre machen; er hatte im „Waldmeifier“ einen jo 
vollen und geſunden Zug aus dem Boru ächter, unſterblicher Re- 
mantif getban, der Romantik ver Tugend, ver Natur, der Liebe — 
wie war e8 ihm nur möglich, bier. fo tief in Die falſche zu gerathen? 


248 Boetifcher An- und Nachwuchs 


Derfelbe Dichter, der uns in feinem Wein- und Wandermärchen 
bie todte Natur fo herrlich vermenſchlicht hatte, wie hat er es hier 
nur fiber das Herz bringen können, menfchliches Leben und menſch⸗ 
liche Leidenſchaft det rohen Naturkraft eines unverftändigen und 
unmenſchlichen Fatalismus zu überliefern? 

- Daß das Buch Daneben auch mandye interefiante und Liebens- 
würdige Partien enthält, daß namentlich die ziemlich ausgebehn- 
ten’ lanbfehaftlichen Schilverungen recht lebendig und anmuthig 
find, und daß wir. auch hier wieder auf eine Menge eingeftreuter 
Lieder treffen, die einen frifchen und liebenswürdigen Geift athmen, 
und von benen einzelne fich den prächtigen Stuventenlievern aus 
„Waldmeiſters Brantfahrt” wicht unwürbig zur Seite ftelen — 
das Alles war zwar richtig, konnte doch aber den halben und trüben 
Eindrud, den der „Orion“ hervorbrachte, nicht wefentlich verbefjern. 
Auch war die Aufnahme des Buchs nur lau, der Dichter felbft aber 
nahm für längere Zeit von dem Gebiete des Romans Abſchied, 
um ſich wieder zu jenen poetischen Erzählungen zurückzuwenden, 
die damals überhaupt Move zu werben anfingen und zu demen 
er felbft durch fein Erftlingswerk einen fo fchönen Beitrag ge- 
liefert hatte. 

Allein bevor wir die Übrigen erzählenden Dichtungen des Ber- ' 
faſſers näher ins Auge faflen, fcheint e8 zwedinäßig, uns bier zu- 
vörberft mit ſeinen lyriſchen Dichtungen bekannt zu machen. Die 
jelben erfchienen zu Enve 1851 umter dem Titel „Liederbuch,“ 
entiprachen jedoch den Hoffmingen, welche „Walpmeifters Brant- 
fahrt“ erweckt hatte, ebenfalls nicht völlig. Das „Liederbuch“ ift- 
„Der Jugend“ gemibmet; der Jugend, bie „jelbft noch ringt,“ will 
ber Dichter feine Lieder bringen, weil „nur fie zu fingen verftehen“; 
„Die mit den jugendgoldenen Locken,“ die noch mit „Jugendübermuth 
in die lebensbunte Urne lachend greifen,“ die noch „in feligen Wahne 








Otto Rogquette. 249 


Gekoſe jedwede Blüte zur Frucht gereift fehen,“ vie follen deeſe 
Liederernte als ihr Eigenthum hinnehinen: 
Und kanns dem Lied zu feſſeln Euch gelingen, 
- Mit froher Bruſt will ich es mit Euch fingen! 

Das Hang nun freilich nicht ſehr ſchwungvoll, im Gegenteil, 
e8 war eine ziemlich abgebrauchte und -triviale Wendung, und 
denfelben trivialen Geiſt athmete auch das ganze Widmungs⸗ 
gedicht; troß feiner enthufinftiichen Sprache und troß der Bilderfülle, 
mit welcher der Dichter, ganz im Gegenfat zu feiner fonftigen 
Einfachheit, darin um fi) wirft, dreht es ſich Doch fo ziemlich im 
Kreife und kommt über den etwas dünnen Gedanken: „Ich bin 
jung und du bift jung, fe find wir alle beide jung,“ nicht eigentlich 
hinaus. Es ift wahr, Dedicationen und Ähnliche mehr oder minder 
officielfe Gedichte gelingen nidjt immer, in dieſem Falle jedoch lag 
der Grund denn doch wol tiefer: das Eingangsgedicht mußte fo 
dünn und ſchwächlich ausfallen, weil der Dichter in der That nichts 
auszufprechen hat, als dies etwas abftracte Bewußtſein feiner 
Jugend und weil dies allein doch unmöglich hinreichend iſt, 
einen wirklichen Dichter zu machen. Allen Refpect vor der Jugend, 
das verfteht ſich; fie ift Die Löftlichfte und unſchätzbarfte aller Natur⸗ 
gaben, das kann Niemand tiefer empfinden, als wer die Jugend 
jelbft Ichon im Rücken hat. Junger Wein ſchmeckt immer gut, felbft 
wenn aus dem perlenden Moſt hinterbrein ein Jchaler, matter 
Kräger werben ſollte; jelbft alte Tugenden find oft nicht halb. fo 
liebenswäürdig als junge Fehler. Allein fo bereitwillig wir Dies an- 
erfennen, fo mäflen wir doc andererſeits auch vabei bleiben, daß 
wenigften® auf dem Gebiete der Kunft die Jugend allein noch nicht 
ausreichend if. Auch bie Jugend, wo fie fich will poetifch ver- 
nehmen laſſen, muß einen Inhalt haben; e8 geht wol ein= auch 
zweimal, aber e8 geht nicht immer, wie ein Heiner mımterer Flachs⸗ 


:232 . Boetifcher An- und Nachwuchs. 


fo harmonisch und friedfertig, daß es ſchwer . fällt, -es für das 
Erzeugniß. eines und deſſelben Dichters zu halten. Das &e- 
dicht, einfach und {licht nach Stoff und Haltung, ft ein Heines 
Meifterftäd, ſorgfültig ausgenrbeitet bis in den geringfügigften 
Zug, dabei von einer höchft wohlthnenden gleichmäßigen Milde, vie 
babei doch beineswegs ber Kraft entbehrt. Ein Dichter, ver folche 
„Studien“ nur ſo binwerfen konnte, mußte in der That noch zu 
Groðßerem berufen fein; gelang es ihm nur erft per bilettantifchen Neu⸗ 
gier, die ihn jest noch bald hier bald dahin trieb, Meiſter zu werben, 
ſo: ließ fich ohne Wiberjpruch noch viel Schönes von ihm erwarten. 
‘ Aber nein, diefer Dichter will doch ‚wol felbft nicht Höher 
hinaus, ex gefällt ſich im Experimentiven, und bleibt dabei, das 
Mittel. zum Zweck zu machen. So mußten biejenigen wethsilen, 
‚welche bie biäherige Laufbahn des Dichters war theilnehmenb, 
aber auch mit Unbefangenhät verfolgt hatten und denen num bie 
Sammlung in die Hände fiel, welche er im Jahre 1864 unter dem 
Titel, „Hermen“ hevansgab. Ein befanntes Berliner Witzblatt 
deutete ven etwas pretentißdjen Titel, der aber grase dadurch wieder 
bezeichnend iſt für. den Dichter, dahin aus, daß water „Hermen“ 
bekanntlich Bilowerke verftauben werben. „ohne Hand und Fuß.“ 
Das war nun allerdings wigiger als wahr, ja man hätte ım Ge⸗ 
gentheil ‚behaupten loönnen, biefe Heyſe'ſchen Gerichte hätten nur 
Hand und Fuß, ſie wüßten ſich nur mit Grazie in einer Reihenfulge 
Ihöuer Stellungen zu bewegen, Dagegen was das Gedicht eigemt- 
lich exrft zum Gedicht macht, ber warme Pulsſchlag der Empfindung, 
ber Blitz; des Gebanfens, die naive Fülle eines natürlichen, in fich 
jelbft befsiebigten, aus fi, jeibft hervorquellenden Lebens, davon 
fand: ſich im biefen.„Dermen“ allerbings wenig oder nichts. Es find 
. meift ältere Städe, bie der Dichter hier Darbietet, Darunter uament- 
lich „Mrica! und „Die Brüder. - Rur. zwei Nenigfeiten waren 











Paul Heuſe. 233 


bingugelommmen: „Zwölf Idyllen aus Sorrent“ usb „Perſens. 
Ein Puppenfpiel” Die „Idyllen“ find in ſehr zierlichen Diſtichen 
geihrieben, wie der - Dichter denn überhaupt ein ausgezeichnetes 
formales Talent befäbt und eine ungewöhnliche Herrſchaft über. die 
Sprache übt, die bei ihm faſt immer von untadelhafter Glätte iſt. 
Die Situation dagegen, in welcher der Dichter ſich ſelbſt in ben 
„Ihllen vorfühst, die Situation eines Brämigams nämlich, ber 
gern ein wenig unten werben möchte, es aber and Reſpect vor der 
Braut zu Hauſe nieht wagt, bat eimas fo Philiftröfes und Küm⸗ 
merliches, vaß man (mie fo oft dei dieſem Dichter) nur bie ſchöne 
Tom bedauern kann, in die ein fo nnſchoner und wenig ebenbür⸗ 
tiger Inhalt gegoſſen iſt. 

Das Puppenſpiel Bergen“ ift um eine Borſindie zu einem 
größeren Werle, das bald darauf ebenfalls aus Licht trat; „Me⸗ 
leager. Eine Tragödie.“ Das war eine neue Wandelung dieſer 
proteiſchen Dichternatur. Hatte Das. beſte und gediegenſte feiner 
bisherigen Werke, das Gebiet „Die Brüder“ an die Objectivität 
und plaſtiſche Ruhe Goethe's erinnert, fe Imüpfte „Bielenger allex⸗ 
dings auch an Goethe an, aber:an.eine Epoche, wo ber Dichter 
der „Iphigenie“ felbſt noch ziemlich weit von jener plafkifchen 
‚Ruhe und Sicherheit. entferut:war. „BReleagex, eine „Eaffifche 
Tragödie in Kuitteluerfen,” wie: Rubdalf Gobtjchell das wunderliche 
Opus charalteriſirt, hat ſich Die Goethe ſchen Sugenbpropucte aus 
der Titanenzeit des werdenden Dichters zum Muſter genommen, 
freilich ohne auch ihnen ganz treu zu bleiben: denn der Straßburger 
Goethe und Sophokles, antilifirende und moderne Elemente, alt⸗ 
llaffiſche Chorgeſäuge und Fauſtiſcher Kuittelvers, griechiſche 
Symbolik und Seutimentalität des neungehnten Jahrhunderts, gehen 
bier bunt durcheinauder. Auch vie Wahl des Gegenſtandes er⸗ 
regt gerechte Vehenteu, fo beliebt dieſe antifen Stoffe auch in ven 


234 Poetiſcher An- und Nachwuchs. 


letzten Jahren bei unjern Dramatilern geworden find; dieſe antiken. 
Mythen vertragen dad moderne dramatische Detail nicht, die Indivi⸗ 
bualifirung, weldye die moderne Poefie Überhaupt verlangt, ift unver: 
einbar mit ihrer tupifchen Einfachheit. Läßt man indeß die Forde⸗ 
rung eines einheitlichen organiſchen Kunſtwerks fallen, begnügt man 
fi) wiederum, das Stüd nur als eine geiftreiche Studie anzırjehen, fo 
enthält es allerdings viel Schönes, Namentlich hat ver. Charakter ver 
Mutter einige wahrhaft erhabene Stellen; auch ale Ganzes ift er 
verhältnigmäßig am beften vurchgeführt, wie er besm auch jedenfalls 
am meiftendramatifchen Kern enthält. Dagegen ift Meleager ſelbſt 
eine etwas ſchwächliche Figur ımd auch die Naivetät ver Kleopatra, 
feiner Braut, bat einen etwas fofetten Zug. Die emancipirte 
Schönheit Atalante dürfte wol ebenfalls zu viel modernes Blut 
haben, während ber Obelm Doreus, jeder Zoll ein Philifter, in 
einem Ifflandiſchen Drama vermuthlich beffer an feinem Plate 
gewejen wäre. Dagegen ift die Sprache auch hier wieber von un⸗ 
gemeinem Wohllaut; auch die zahlreichen Sentenzen athmen eben- 
ſoviel Fülle des Gedankens wie Hoheit des Ausbruds; das Chor- 
lied der Barzen ift ein Meifterftäd, es find Klänge darin, wie fie 
in ver That feit Goethe nicht vernommen wurben. 

Und doc hinterläßt das Ganze nur einen unbefriebigenden 
Eindruck. Es iſt hier wiererum Vieles beifanmen, was ben 
Dichter macht, ganz gewiß: aber eben fo gewiß fehlt auch dieſem 
Drama wieder der eigentliche Lebenskern, die Beziehung zum Bolt 
und zur Öegenwart des Dichters. Daß wir damit nicht verlangen, 
der Dichter folle die Zeitung in Berfe bringen, wie es wol eine zeit- 
fang unter une Mode war und den jungen Dichtern jogar zu 
großem Ruhm verhalf, das verſteht ſich von ſelbſt. Aber irgend 
eine Beziehung muß jenes Kunftwerf, das nicht bloß in den Bücher⸗ 
ſchränken ver Aeſthetiker, nein, auch in den Derzen des Bolles leben 


Paul Hegfe. 08 


will, zu’feinex Gegenwart doch haben; irgend eine Ader muß Doc 
aus ver lebenvigen Fülle der Zeit in ben Buſen des Dichters 
hinüberreichen. Am allermeiften gilt dies vom Drama; ein einzelnes 
Inrifches Gericht kann ſich etwa darauf befehränten, eine vorüber- 
gehende, bloß individnelle Stimmung auszupräden — wiewol auch die 
Wirkung des Inrifchen Gedichts um fo vollftändiger fein wird, je all- 
gemeiner und rein menschlicher ver Inhalt ver ausgeſprochenen Stim- 
mung ift,.troß ihrer individuellen Faſſung — fo.muß das Drama 
nothwendig in dem allgemeinen Leben ver Bölfer, vem großen Boden 
ber Geſchichte wurzeln, mag dies biftorifche Element fi nun direct 
in einzelnen gefchichtlichen Ereigniſſen und Perſönlichkeiten reprä- 
fentiren, oder mögen wir e8 nur in ber allgemeinen Stimmung bed 
Dramas wieverfinden. In dieſem Heyſe'ſchen „Meleager“ aber 
ift weder das eine noch das andere ver Fall, wir finden fo wenig 
die Exreignifie wie die Stimmungen-umd Leidenfchaften unferer Zeit, 
darin wieber, das Ganze ift eine Abftraction, vie feine Heimath 
bat, als den Schreibtiich des Dichters. 

Rod einige Monate vor dem „Meleager“ war ein Band 
„Novellen“ exrjchienen; derſelbe enthält neben ewigen älteren, von 
und zum Theil bereits befprochenen Gerichten. befonvers eine Anzahl 
in Brofa abgefaßter Erzählungen. Diefe Erzählungen find unferes 
Bedunkens das Reiffte und Beſte, was Paul Heyſe bisher geleiſtet 
bat. Es iſt merkwürdig, wie bie erfriſchende Macht der Wirklich⸗ 
beit ſich auch an ihnen wieder bewährt. Hier, wo der Dichter durch 
feinen Stoff genöthigt ift, ſich auf vie. Zuſtaͤnde des wirklichen 
Lebens einzulaſſen, wo ex Menſchen ſchildert, wie ex fie in der That 
fennen gelernt, "mit denen ex geliebt uud gelitten, wicht bloße Ab- 
ſtractionen der Bhantafle, wo er fh mit einem Wort mitten in das 
Gewuhl ves Lebens ftürzt und nicht feiner empfinden , nicht zierficher 
denlen, nicht geiſtreicher reflectiven will, als wir eben alle thun — 


236 Poetiſcher An» und Nachwuchs. 


hier verliert feine Neigung für das, Abfımverliche und Geſchraubte 
ſich zwar noch nicht ganz, aber fie tritt doch bei weiten maßvoller 
und minder zubringlic auf. Auch jene eigenihämliche Kälte, die 
überhaupt alle Schöpfungen dieſes Dichters charakterifirt, ift im 
biefen „Novellen‘ noch nicht völlig überwunden; auch ihnen merken 
wir edan, daß er mehr mit dem Verſtande als mit dem Bergen 
arbeitet. Doc vertragen dieſe beiden Kigeufchaften, eine gewiſſe 
Kälte und eine gewifle Vorliebe für das Pilante, Abſonderliche, 
ſich mit der Novelle, die ja urſprünglich nur die möglichft objectiv 
gehaltene Erzählung irgend eines abſonderlichen Vorfalls oder Cha⸗ 
rakterzugs ıft, ſich wol noch am erſten und fo iſt e8 dem Dichter, immer 
bie Schranfen feiner Eigenthümlichkeit, ſowie andererſeits bie 
Schrauken ver vorliegenden Gattung feftgehalten, hier in der That 
gelungen, ewige in ſich vollendete und wahrhaft befriedigende Ar- 
beiten zu liefern. Es find im Ganzen vier Erzählungen ; die Krone 
darunter ift „La Rabbiata,“ ein lebensfriſches, ſonniges Gemälde 
wie heiße Liebe und jungfräulicher Stolz in dem Herzen eines ita⸗ 
lieniſchen Naturkindes mit einander kämpfen, von entzückendſter 
Friſche und glücklichſter Lokalfärbung. „Marion“ iſt ein aumu⸗ 
thiger Schwank, der vielleicht mır etwas knapper und anſpruchsloſer 
gehalten fein ſollte, um noch günſtiger zu wirken. Auch, Die Blin⸗ 
den“ haben ſehr ſchöne Stellen: doch bleibt es immer mißlich, einen 
Vorfall aus dem Krankenzimmer zur Grundlage einer poetiſchen 
Verwickelung zu machen und auch die Art und Weiſe, wie dieſe 
Verwidelung bier gelöft wird, hat etwas Gewaltſames und Unbe- 
friebigenves. Das ſchwächſte Städ ver Samnılung und vermuth- 
lich das jüngfte ift das letzte, „Am Ziberufer;“ bier find bie 
Situationen ganz fo anf die Spike geflellt, pie Farben ganz fo 
grell, die Entwideluug ganz fo j&h und fpınughaft, wie wir es 
n den Erftlingspronueten des ‘Dichters fanden. 


Paul Heyſe. 237 


Zwiſchendurch hat Paul Heyſe noch einige poetiſche Ueber⸗ 
ſetzungen, z. B. das mit Emanuel Geibel gemeinſam herausgegebene 
„Spaniſche Lieberbuch“ (1852), ſowie verfchiedene gelehrte Arbeiten, 
ebenfalls auf Die romaniſchen Literaturen bezkglich, herausgegeben. 
Auch kam ſchon 1855 ein Drama von ihm in München zur Aufs 
führung, „Die Pfälzer in Irland.” Im Drud ift daſſelbe nicht 
erſchienen; darf man jedoch den Berichten trauen, weldye die Zei⸗ | 
tungen feiner Zeit darüber lieferten und venen ſelbſt von Hehſe's 
Freunden nicht wiverfproden ward, fo wären diefe „Pfälzer in Ir⸗ 
land” eine ziemlich verfehlte Arbeit. Mit einem Sprung, der fi 
grade bei Diefem Dichter allerdings aufßerorbentlich leicht erklären 
würde, ſoll er darin plöglich in die Bahn der Fran Birch - Pfetffer 
hinübergelenkt und ein Rübr- und Schauderſtück voll der allercraf- 
jeften Effecte geliefert haben. Das Stüd iſt unferes Wiſſens nur 
einmal gegeben worden; der Dichter felbft. joll es nach ver erſten 
Aufführung zurückgezogen haben: 

“ Nicht viel glückicher ſcheint er mit feinen „Sabinerumen“ ge⸗ 
weſen zu ſein. Das Stück, mit welchem der Dichter wieder in 
ſeine frühere antikiſivende Manier zurücklenkte, hat zwar bei dem 
befannten Münchener Breisausfchreiben von 1857 den erften ‘Preis 
bavongetragen, dns Publicum jedoch ſcheint vielen Ausſpruch ver 
gelehrten Schiedsrichter nicht ratificirt zu haben, infofern die Auf: 
führung des Stüds überall kalt gelaſſen haben fell; im Drud ift 
es bis jetzt ebenfalls nicht erichienen und vermögen wir daher ein 
genaueres Urtheil darüber nicht abzugeben. — Endlich erfchien ganz 
neuerlich noch ein Band „Neue Novellen“ und ein erzählendes Ge- 
dicht, „Thekla“: die Geſchichte eimer chriftlichen Märtyrerin aus 
dem zweiten Jahrhundert unferer Zeitrechnung — prächtige Hexa⸗ 
meter, aber unferer Zeit und ihren Sntereflen fo fremd, wie ber 
Mam im Monde, 





338 Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


Wie erklären wir und nun bie Erfcheinung dieſes Dichters ? 
und wie gehört er namentlich hierher, wo wir vorzugsweiſe bie 
poetifchen Repräfententen unferer gegemwärtigen Renctionsepodhe, 
bie Dichter der Freude und des unbefangenen Febenögenufiet ab- 
Ichifpern wollten? - 

Ganz gewiß gehört er hierher Denn auch Paul Heyſe mit all 
ſeinen Abſonderlichkeiten und Verzwicktheiten iſt ein Dichter des 
Genuſſes, nur daß dieſer Genuß ſelbſt bei ihm kein unmittelbarer 
und natüurlicher, ſondern ein künſtlich zurechtgemachter iR; wie Bo⸗ 
denſtedt der Dichter des naiven finnlichen Genuſſes, fo iſt Paul 
Heyſe der Dichter des äſthetiſchen Raffinements und ber bilettan- 
tiſchen Feinſchmeckerei. Bodenſtedt iſt ein Niederſachſe, Paul 
Heyſe ein Berliner. Von früh an iſt der Dichter unter äſthetiſchen 
Eindrücken aufgewachſen; fein Vater ſelbſt war ein feinſimniger 
und geſchmackvoller Gelehrter, und auch übrigens traten dem Dichter 
von Jugend auf vorwiegend äſthetiſche Eindrücke und Anregungen 
entgegen. Was in dieſer äſthetiſch durchgewürzten Luft gewonnen 
und erreicht werden kann, das hat der Dichter ſich redlich ange⸗ 
eignet: Feinheit des Geſchmacks, Empfänglichkeit der Phantaſie 
und einen regen, faſt überregen Eifer zur poetiſchen Production. 
Das iſt etwas, aber bei weitem nicht genug, ja in ſeiner Berein- 
zelung kann und muß es ſogar ſchädlich wirken. Geſchmack des 
Urtheils, Eleganz ver Form, Geiftveichigfeit der Pointen — o ja, 
das konnten bie nenen Athener an ber Spree ihrem poetifchen Yande- 
mann mitgeben: aber das Erbtheil einer männlichen, thatfräftigen 
Gefiunung, ernfte und ausdauernde Begeiflerung für die großen 
Schichſale der Menfchheit, Vertrauen in die Gefchichte und ihre 
ewigen Entwidelungen — das konnten fie ihm nicht mitgeben, weil 
fie es felbft nicht befaen. Die ganze -äftbetifche Liebhaberei, der 
ganze geiftreiche Dilettantismus, der die Berliner „gebildeten“ 


x 








Baul Hape. 238 


LKreiſe erfüllt, ſpiegelt ſich in Paul Heyſe wieder; es iſt Pegaſus 
im Joche, aber leider nicht im Joch des Lebens, das die wahre 
Kraft nur ſtärkt und erhebt, ſondern in einem Joch aus Roſen 
und Nachtviolen, deren ſüßer Duft endlich auch d die friſcheſte Kraft 
betäubt und erſchlafft. 

Hat ein folcher Dichter eine Zufunft? Wir wagen bie Frage 
nicht zu entſcheiden. Die Irrgänge bes Talents (und mit einem 
holen haben wir e8 bier unzweifelhaft zu thun, wenn auch füre 
Erſte nur mit einem formalen, nachbilpnerifchen Talent) find oft 
wunderbar; hat es Poeten gegeben, die fi) aus Formloſigkeit 
und wüſter Serfahrenheit gefammelt haben zu reinen, keuſchen 
Werken der Kunft, warum fellte ein Poet nicht auch einmal ben. 
ungefehrten Weg einfchlagen und von ver Schale zum Kern, von 
der Form zum Geift hindurchdringen können? Was wir biefem 
Dichter zunächft wünſchten, das mären ‘große und beveutende 
Lebenserfahrungen, welche, und ſollte es auch mit unfanften Streiche 
ſein, die allzuglatte Schale feines Weſens zerfchmetterten und ven 
Kern tieferer Empfindung und: wahrer Leidenſchaft, ver doch hoffent- 
lid in ihm Liegt, zu Tage förderten. Es taugt dem Poeten nicht, 
wenn bie Hand des Schickſals ihn allzuſanft führt oder wenn er all⸗ 
zuwenig erlebt. Im Jahre Achtundvierzig war Paul Heyfe wol 
theils noch zu jung, theils wurde er durch feine perſönlichen Verhält- 
niſſe wol zu fehr auf die confervative Seite, die. Seite Derer ‚ges 
jogen, bie in ver ganzen Volksbewegung nur ein Ungeheuer von 
Roheit und Verwilderung fahen, als daß er die Bedeutung dieſer 
Zeit vollfommen hegriffen und ihr Die richtige Wirkung auf ſich ver- 
attet hätte. Der Diditer verkebte dann einige Zeit in Italien, 
ſcheint aber auch hier ausſchließlich mur der Schönheit des Landes 
und feinen gelehrten und fünftlerifchen Stupdien: gelebt zu haben; 
wenigftens fuchen wir in Allem, was er bisher aus Italien veröf- 


240 Poetifcher An- und Nachwuchs. 


fentlichte, vergeblich nach einem einzigen Ton, in dem die‘eben jett 
fo brennenden Reiven und Schmerzen. des-italtenifchen Volks ihren 
Machhall fänden. Paul Heyſe ift in Italien derfelbe, wie in Ber- 
kin; er liebt, er küßt, er findirt und äfthetifiet, aber irgend ſehen 
, Wir, daß er ein Herz für das Bolf und feine Geſchichte Bat. “Der 
Dichter wird vielleicht Luft haben, ſich mit Goethe's Beifpiel zu 
eutſchuldigen: aber erftlich war. Goethe Manches verftattet, was 
den Nicht- Gverhes nicht werftattet iſt, und zweitens wear Goethe 
der Mann feiner Zeit, Paul Hefe aber- ift der Sohn unferer Zeit 
dder follte es doch wenigſtens fein. 

Kurz nach feiner Rücktehr aus Italien hat der Dichter dann, wie 
ſchon zu Anfang erwähnt, an dem kunſtſinnigen Hofe König Max’ von 
Baiern eine Stellung gefunven, die feinen fünfferifchen Neigungen 
entipricht, während ſie ihn zugleich vor jeder gemeinen Rebensforge 
fichert. Möge die Gunſt des Schickſals, die ihn von feinen erften 
Schritten im die Oeffentlichkeit an fo reichfich zu Theil geworben, 
denn and ald befruchtender Sonnenfchein in fein Inneres fallen 
und hier nicht bloß ſchöne und zierliche, fondern aud) große umd er⸗ 
habene Empfindungen erweden! — 

So viel iſt gewiß: auf dieſem Wege experimentirenvder Geift- 
reichigkeit, den Paul Hefe bis jetzt gewandelt ift, kanm ex wol ein 
gepriefener Salondichter werden, aber zum Hergen ber Nation ge 
fangt er damit it fo wenig wie zur Unfterblichkeit. 


4, 
Otto Roquette. 


So iſt das einzige Poſitive denn, was an Paul Heyſe bis 
jetzt hervortritt, die ungewöhnliche Glätte und Sauberkeit ſeiner 
poetiſchen Form. In dieſer Beziehung ſteht ein anderer junger 
Dichter ihm nahe, deſſen Name ebenfalls erſt in der nachmärzlichen 
Zeit auftauchte und der ſich mit ungewöhnlicher Schnelligkeit nicht 
nur einen literariſchen Ruf erworben hat wie Paul Heyſe, ſondern 
auch eine Popularität, deren der Dichter des „Meleager“ ſich noch 
fange nicht erfreut. 

Das ift Otto Roquette. Das erite Werk, womit viefer 
Dichter in der Literatur auftrat, war jene „Walpmeifters Braut- 
fahrt” (1851), die feitdem einige Dutzend Auflagen erlebt hat 
und bie vom Dichter felbft zur Stunde nody nicht übertroffen ift. 
Otto Roquette ift der eigentliche Dichter der Jugend, wie. fie in 
ber nachmärzlichen Zeit geworben: lebensluftig, unbefangen, ſpie⸗ 
lerifh, je nach ven Umſtänden bald heiter, bald traurig, aber 
nach beiden Richtungen hin ohne bejonvere Tiefe, das Leben glatt 
von der Oberfläche jchlürfend, vor Allem aber mit einem ftarfaus- 
geprägten Bewußtſein ihrer eigenen Jugendlichkeit, Die auch in der 
That das Hauptverbienft dieſer Poeten bildet, nur Schade, daß 
e8 ſich mit jedem Tage verringert. Er ift der wahre Repräfentant 
jener „Neuen Menſchen,“ vie aus ver trüben Fluth des „tollen 


Brup, die deutsche Lıteratur der Gegenwart. I. 16 


242 Poetiſcher An- und Nachwuchs. 


Jahres“ emporgetaudt find und bie fi nun außerordentlich 
ſchön und außerordentlich Hug vorkommen, bloß weil fie bie 
Narben und Wunden nicht tragen, die uns entftellen- und weil 
fie die Thorheiten nicht begangen, unter deren Folgen wir zu 
leiden haben. | 

In „Walpmeifters Brautfahrt” trat dieſe abjtracte Jugend⸗ 
fichkeit noch ſehr frifch und liebenswärkig auf; das Publicum, auf 
dem das Blut und der Staub der jüngften Vergangenheit noch 
laftete, fühlte fih angenehm überrafcht durch eine fo ganz jugend- 
fee, naive Erſcheinung, an ber die Leiden und Kämpfe ber 
legten Jahre fo ganz ſpurlos varüber gegangen waren und bie 
mitten in einer fo büftern und anfgeregten Zeit nody den Muth 
hatte, das Glück der Jugend und des unbefangenen Lebensgenuffes 
zu feiern. „Walpmeifters Brautfahrt” gehört jener Märchen⸗ 
dichtung an, die dann fpäter fo über alle Maßen üppig einporge- 
wuchert ift und fo viel garftiges Unkraut herorgebradht hat. Da⸗ 
mals war diefe Gattung noch ziemlich neu, ja „Waldmeifters 
Brantfahrt” gehört felbft mit zu ven Werken, durch welche fie in 
Aufnahme gefommen. Am wenigften aber ahnte das Bublicum 
damals bereits, was es ſich in dieſen Schniarogerpflanzen eigent: 
lich erzog, und fo war die Freunde, mit weldher das Roquette’fche 
Märchen aufgenommen ward, eben jo lebhaft wie allgemein. — 
Der evle- Prinz Walvmeifter (Asperula odorata) bat ſich mit 
feinem Hofgefinde, ven duftigen Wald- und Frühlingsfräutern, 
aufgemacht auf vie Brantfahrt zu ver ſchönen Prinzeſſin Reben- 
blüte, dem Tiebfichen Tochterlein König Fenerweins, der mit 
feinem zahlreichen und herrlichen Hofftaat, ven edlen Rhein-, Neckar⸗ 
und Mofelweinen zu Rüdesheim Reſidenz hält. Ein mißgänftiger 
Pfaffe, ein heimlicher Schleder und SchIuder, dem, wenn er allein 
tft, feine Speife zu gewürzt, fein Wein zu edel ift und ber doch vor 


Otto Roquette. 243 


den Leuten auf die edle Sottesgabe ftets nur ſchimpft und ſchilt, 
greift ihn auf dem Spaziergang auf und ſteckt ihn in das eherne 
Burgverließ der Botaniſirkapſel. Die Beſorgniß, welche vie Ge- 
fährten und Diener des Prinzen darũber ergreift, fowie ver Kampf, 
vurch den fie den edeln Gefangenen endlich befreien, giebt Veran: 
laffung zu einer Reihe Yebhafter und lieblicher Schilderungen, zu 
denen Aberall bie köſtliche Rheinlandſchaft mit ihren Burgtrümmern 
und ihrer goldenen Segensflille einen eben fo bedeutenden mie an⸗ 
mutbigen Hintergrund bildet. Eben fo die Zurüſtungen zur Hod- 
zeit am Hofe zu Rüdesheim, wo insbeſondere die glückwünſchenden 
Geſandtſchaften der deutſchen Werne in einer Reihe treffender, mit 
glücklichſtem Humor ausgeftatteter Bilder vorgeführt werden. — 
Doc vergeffen die Freunde des eblen Brautpaares mitten unter 
dem Jubel der Hochzeit nicht, daß fie noch Rache zu nehmen haben 
an dem feigen Henchler, der ihren Fürften in Gefangenſchaft ge— 
halter und fi überhaupt won jeher, wenn nicht als Verächter, 
doch als Berleumber ihrer ebelften Gaben gezeigt hat. Die ein- 
fache Tiebesgefchichte eines Jügers und eines Winzermädchen, ſo— 
wie Die Abenteuer einer wandernden Stupdentengefellichaft, vie 
gleihfam den Chorus des Ganzen bildet md deren Lieder fich wie 
frifhe, duftige Waldrofen durch den vollen Kranz diefer Dichtung 
winden, find auf geſchickte Weife mit hineinverflochten. Die Ber- 
widelung findet ihre Löfung endlich bei einem Zechgelage der 
Studenten, in welches auch der heuchleriſche Pfaffe mit hinein⸗ 
geräth und wo denn die vereinigten Wein- und Kräutergeifter als 
wärziger Maitrank ihm dermaßen zu Kopfe fteigen, daß er fich 
ganz offenfundig und fichtbarlich unter dem vermunberten Kopf- 
ſchütteln derſelben Lente, denen er fonft immer fo viel von Ent- 
haltſamkeit und Mäfigumg vorgeprebigt hat, — berauſcht. 

Um dieſe, wie man fieht, höchſt einfache Unterlage fchlingt 

16* 


244 Boetifher An= und Nachwuchs. 


ſich, ſelbſt einer Rebe vergleichbar, die Roquettefche Poeſie: denn 
in bdiefer ihrer erften und glüdlichjten Offenbarung ift fie evel 
geformt, faftig und friſch, von ſchöner Mannigfaltigkeit wie das 
Blatt der Rebe und lauter ımd rein und voll herrlichen Feuers 
wie ihre Frucht. In dem ganzen Gedicht, deſſen glüdlicher Bor- 
gang nachher fo viel erfünftelte und krankhafte Producte nach fid 
ziehen follte, ift nichts Lingefunves, nichts Gemachtes, Verzwidtes, 
Angezwungenes, ſondern überall tritt und die ſchönſte und edelite 
Natitrlichkeit entgegen, das volle, friſche Behagen ver Jugend, ber 
bie Welt fo ſchön erfcheint, weil fie ſelbſt nod fo ſchön ift. Und 
Das war es denn auch, was diefed Gedicht eines damals nod) 
völlig unbefannten, namenlojen PBoeten, der damals felbft noch 
hallefher Student war, zu einem Lieblingsbudy unjerer Yejewelt 
machte: dieſer Zug reiner, naiver Sugenplichleit, der das Ganze 
durchdringt und jeden Vers und jede Zeile mit edlem, keuſchem 
Feuer belebt. Nein, mie ſchwer diefe Zeit auch auf ung laftete 
und wie trübe Nebel über unferer Zukunft brüteten: jo lange unter 
ber deutſchen Jugend noch Herzen fchlugen wie das Herz dieſes 
Dichters, jo lange aus der Hand eines deutichen Studenten uns 
nod) ein Gedicht kommen konnte, wie diefer „Waldmeiſter,“ jo 
lange brauchten wir auch den Glauben an vie Zukunft unferes 
Baterlandes nicht aufzugeben, ſondern durften feit an ver Hoff- 
nung halten, daß Schiller’8 große Weiſſagung ſich dereinſt doch 
noch erfüllen ind die Schönheit uns doch noch eine Erzieherin zur 
Freiheit werben wird! 

Leider hat ver junge Dichter ſich auf der Höhe, die er mit 
biefem feinem Erſtlingswerk gleihfam im Fluge erſiürmt hatte, 
auf die Dauer nicht zu behaupten vermocht, vielmehr zeigt ſich 
in feinen nachfolgenden Beröffentlihungen von Buch zu Bud ein 
immer größerer Rüdfchritt. Zwar daß das Nächſte, was er nad) 


Otto Roguette. 245 


„Waldmeiſters Brautfahrt“ in die Welt jandte, ein etwas jhwäch: 
liches. Product war, dies konnte man ihm allenfalls verzeihen; 
„Waldmeifters Brautfahrt“ war erft wenige Monate zuvor er- 
ſchienen, der glänzende Erfolg, den er damit erlangt hatte, war 
dem jungen Dichter ein wenig zu Kopf geftiegen, und fo durfte ber 
Mangel an Selftkritil, den fein nächſtes Wert verrieth, eben nicht 
überrafchen. Es war ein Roman oder doch etwas dem Aehn⸗ 
liches: „Orion. in Phantaſieſtück“ (1851). Allerdings offen- 
bart fi, auch in diefem Buche (das übrigens, wenn wir vedht 
unterrichtet find, eine ziemliche Zeit vor „Waldmeiſters Braut: 
fahrt” geſchrieben iſt) viefelbe geſunde Auffafiung des Lebens, 
derjelbe Hare, heitere Sinn, viefelde Luft am Wahren, Natür- 
lichen, Ungelünftelten, die uns im „Waldmeiſter“ fo jehr entzüdt. 
Nur ift in dem Roman allerdings noch Manches hinzugelommen, 
was diefe geſunde, natürliche Grundlage trübt: Reminiscenzen 
und Traditionen einer überwundenen Bildung, vergleichen jedem 
heranwachſenden Dichter anhaften und durch welche die Jugend 
ſich rächt, dieſe fonft ſo neidenswerthe, fo köſtliche Jugend. ‘Den 
goldenen Traum ſeines Märchens konnte der Dichter ohne Stu- 
dium, ohne Anftvengung, frei aus der jugenblich begeifterten 
Seele ſpinnen; die blühende Rebe, vie fih am Felsgeftade des 
Rheins emporranft, war eben flarf genug, dies fiebliche Gebilde, 
gewebt aus Frühlingspuft und Jugendwonne, mit jeinem leichten 
Elfenvölkchen zu tragen. Mit dem Homan' dagegen war ber 
Dichter unvermeidbar auf den Boden ver Wirklichkeit veriwiefen; 
hier genügt e8 nicht an einer Traumwelt, wie lieblid, fie auch fei, 
noch an einzelnen poetifchen oder geiftreichen Schikperungen, ſondern 
im Roman. wollen wir ein für allemal ein, wenn auch künſtleriſch 
verflärtes, doch immerhin ein Abbild des Lebens, wie es iſt, 
wollen Menſchen von Fleiſch und Blut, in Lagen, die unſere Theil- 


⸗ 


246 Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


nahme erregen, mit Abſichten und Zwecken, welche in dem allge- 
meinen Boden des Jahrhunderts wurzeln und die eben deshalb 
unferer Sympathien verfichert find. — An dieſer Kenntniß des 
wirklichen Lebens aber fehlt e8 dem Verfaſſer des „Drion“ noch. 
Das Bud ift, als Roman betrachtet, ziemlich intereffelos, mehr ein 
Tagebuch des Dichters felbft, ver feine jugendlichen Kämpfe und 
Entwidelungen darin nieverlegt, als eine eigentliche wirfliche Ge— 
ſchichte; es fehlt nicht bloß an der plaftifchen Ruhe, welche jedes 
epiſche Kunſtwerk befigen ſoll, e8 fehlt vor Allem auch an ver Kraft 
und Sicherheit ver plaftifchen Geftaltung ſelbſt. Die Charaktere, 
und darunter höchſt bezeichnender Weife grade diejenigen, die 
der Dichter felbft mit der meiſten Vorliebe gezeichnet und auf 
die er ſich, wol in der Stille am meiften zu Gute gethan bat, 
find nebelhaft, unfaßbar; vie Fabel, ftatt mit Nothwendigkeit aus 
den Charakteren zu fließen, trägt in ihrer ganzen Zuſammen⸗ 
ſetzung die Spur des Willfürlichen, Abentenerlichen; die im üblen 
Sinne romanhaften Nothbehelfe, zu denen der Berfafler fih zu 
ihrer endlichen Löfung genöthigt fah, hätten ihm felbft als Finger⸗ 
zeig dienen können, daß er fich bier auf einem ſalſchen Wege be⸗ 
fand, einem falſchen ſchon deshalb, weil er ihn ſelber nicht kennt 
und überſieht. | 

Denn darin verrieth ſchon in Diefem- zweiten Werke des Dich- 
ter8 das Unzulängliche einer abftracten Jugendlichkeit ſich auf ſehr 
fühlbare Weife: in vem Mangel an Lebenserfahrung und poſitivem 
Juhalt, ver fein Werft harakterifirt. Niemand fol ernten wollen, 
wo er nicht gefüet hat, noch um Preife ringen, wo ihm die Kennt- 
niß der Waffen mangelt. Wollen wir auch den Rigorismus nicht 
fo weit treiben, wie Jean Paul, der irgend einmal die Forderung 
aufftellt, Niemand folle einen Roman fchreiben vor feinem dreißig⸗ 
ften Jahre, weil e8 nicht wahrſcheinlich, daß Jemand vor feinem 











Otto Roquette. 247 


dreißigſten Jahre Welt und Menſchen bereits fo weit Tonnen 
gelernt habe, wie ver Roman es nun einmal mit Nothwendigleit 
erfordert: fo fcheint uns Doch dies ein ganz billiges, ganz gerechte: 
Berlangen, daß auch ver Poet nichts ausgebe, was er nicht vorher 
erworben und daß Derjenige, dem die Natur das köſtliche Gefchenf 
des poetifchen Talents verliehen, nun auch aus allen Kräften dahin 
arbeite, dieſem Talent einen entſprechenden Inhalt zu geben — und 
auch ven Schmerz und die Entbehrungen foll er nicht ſcheuen, welche 
die vollfländige und gründliche Bewältigung der Wirklichkeit ihm 
auferlegt. 

Dies Vacuum des Selbſterlebten zu verdecken, hat ver Dich⸗ 
ter des „Orion“ mun- noibgevrungen, wie wir ſchon vorhin 
anbeuteten, zu allerhand Reminiscengen und Trabitionen greifen 
müflen. Dabei, wie die Ingend denn nur allzubexeit ift, bie aller: 
- verichievenartigften Einprüde auf fich wirken zu laſſen und wie fie 
mit ihrem jugendlich gefunden Magen auch in geiftiger Hinfickt das 
innerlichſt Unverträgliche mit dem gleichen naiven Appetit verſpeiſt, 
ift es auch dem Dichter des „Orion“ paffixt, gleichzeitig zmei 
höchft: entgegengeſetzte Muſter zu-copiren. Auf ver einen Seite 
nämlich begegnen wir der wohlbefannten Auerbady’fchen Dorfge- 
fchichte, deren Nachahmung eben damals anfing eine ziemlich allge- 
meine und unvermeibliche Krankheit unferer Literatırr zu werben, 
während auf ver andern bie alte Romantik hineinfpielt und zwar 
in ihrer finfterften, geſchmackloſeſten Geftalt, in der Geſtalt der Haff- 
mann’shen Spulgeſchichte. Dieſe leßteren Elemente wirten na⸗ 
. mentlich höchſt ftörend und könnten Einen an dem TLolent- des 
Dichters faft irre machen; er batte im „Waldmeifter“ einen jo 
vollen und geſunden Bug aus dem Boru ächter, unfterblicher Re⸗ 
mantik gethan, der Rowmantik ver Jugend, ver Natur, der Liebe — 
wie war es ihm nur möglich, hier fo tief in wie falfche zu geratben ? 


« 


248 Poetifcher An- und Nachwuchs 


Derfelbe Dichter, der uns in feinem Wein- und Wandermärchen 
die todte Natur fo herrlich vermenſchlicht hatte, wie hat er es hier 
nur fiber das Herz bringen können, menfchliches Leben und menfch- 
liche Leidenſchaft der rohen Naturkraft eines unverftändigen und 
unmenſchlichen Fatalismus zu überliefern? 

- Daß das Buch daneben auch manche intereffante und liebens⸗ 
würdige Partien enthält, daß namentlich die ziemlich ausgedehn- 
ten’ landſchaftlichen Schilverungen recht Tebendig und anmuthig 
find, und daß wir. auch hier wieder auf eine Menge eingeftreuter 
Nieder treffen, die einen frifchen und liebenswürbigen Geift atmen, 
und von denen einzelne fich den prächtigen Studentenliedern aus 
„Waldmeiſters Brautfahrt‘ nicht unwürbig zur Seite ftellen — 
das. Alles war zwar richtig, konnte doch aber den halben und trüben 
Eindruck, ven der „Orion“ hervorbrachte, nicht wejentlich verbeffern. 
Auch war die Aufnahme des Buchs nur lau, der Dichter felbft aber 
nahm für längere Zeit von dem Gebiete des Romans Abſchied, 
um ſich wieder zu jenen poetifchen Erzählungen zurückzuwenden, 
bie damals überhaupt Mode zu werden anfingen und zu denen 
er felbft durch fein Erftlingewert einen fo fehönen Beitrag ge- 
liefert hatte. 

Allein bevor wir die übrigen erzählenden Dichtungen des Ber- 
faflers näher ins Auge faflen, jcheint e8 zwedmäßig, uns hier zu- 
vörderſt mit fernen lyriſchen Dichtungen befannt zu machen. Die= 
jelben erfähienen zu Ende 1851 ımter dem Titel „Liederbuch,“ 
entſprachen jedoch den Hoffnungen, welche „Waldmeiſters Braut- 
fahrt“ erweckt hatte, ebenfalls nicht völlig. Das „Liederbuch“ ift- 
„ber Jugend“ gewidmet; ver Jugend, bie „felbft noch ringt,“ will 
der Dichter feine Lieder bringen, weil „nur fie zu fingen verfiehen“; 
„die mit den jugendgoldenen Locken,“ die noch mit „Iugenpfibermuth 
in die lebensbunte Urne lachend greifen,“ bie nod) „it feligen Wahns 











Otto Roquette. 249 


Gekoſe jedwede Blüte zur Frucht geveift fehen,“ die follen „Diele 
Liederernte“ als ihr Eigenthum hinnehinen: 
Und kanns dem Lied zu feſſeln Euch gelingen, 
- Mit froher Bruſt will ich es mit Euch ſingen! 

Das Hang nun freilich nicht ſehr ſchwungvoll, im Gegentheil, 
es war eine ziemlich abgebrauchte und triviale Wendung, und 
denfelben - trivialen Geift athmete auch das ganze Widmungs- 
gedicht; trotz feiner enthufiaftifchen Sprache und troß der Bilderfülle, 
mit welcher der Dichter, ganz im Gegenſatz zu feiner fonftigen 
Einfachheit, darin um ſich wirft, dreht es ſich doch fo ziemlich im 
Kreife und kommt über den etwas dünnen Gedanken: „Ih bin 
jung und du bift jung, fe find wir alfe beibe jung,” nicht eigentlich 
hinaus. Es ift wahr, Debicationen und ähnliche mehr oder minder 
officielle Gedichte gelingen nicht immer, in viefem Falle jedoch lag 
der Grund denn doch wol tiefer: das Eingangsgevicht mußte fo 
bänn und ſchwächlich ausfallen, weil der Dichter in der That nichts 
auszufprechen hat, als dies etwas abftracte Bewußtſein feiner 
Jugend und weil dies allein doch ' unmöglich hinreichend iſt, 
einen wirklichen Dichter zu machen. Allen Kefpect vor der Jugend, 
das verſteht fich; fie iſt Die Köftlichfte und unſchätzbarſte aller Natır- 
gaben, das kann Niemand tiefer empfinden, als wer die Jugend 
ſelbſt Ichon im Rüden hat. Junger Wein ſchmeckt immer gut, felbft 
wenn aus dem perlenden Moft- hinterbrein ein Jchaler, matter 
Krätzer werben follte; felbft alte Tugenven find oft nicht halb. fo 
liebenswürdig als junge Fehler. Allein fo bereitwillig wir dies an- 
erfennen, jo müflen wir Doch andererſeits auch dabei bleiben, daß 
wenigftens auf dem Gebiete der Kunft die Jugend allein noch nicht 
ausreichend if. Auch die Jugend, wo fie fi) will poetifch ver- 
nehmen laſſen, muß einen Inhalt haben; es gebt wol ein= auch 
zweimal, aber es geht nicht immer, wie ein Heiner mımterer Flachs⸗ 


250 Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


kopf, der die Schule hinter und vierzehn Tage Ferien vor ſich hat, 
auf einem Beine tanzen und den Hut ſchwenken und dazu ſchreien: 
„Hurrah, ich bin jung, ich habe nichts zu thun;“ — ſondern erſt 
wenn dieſer Jugendſinn ſich an großen und würdigen Gegenſtänden 
bewährt, wenn er die Wirklichkeit des Lebens, ſei es genießend, ſei 
es ringend, an ſich preßt, mit einem Wort, wenn die Jugend zu— 
gleich als Jugendmuth und Jugendkraft auftritt, dann erſt vermag 
fie uns poetiſch zu intereſſiren und zu feſſeln. 


In „Waldmeiſters Brautfahrt“ war ſie ſo aufgetreten, in 


dem „Liederbuch“ : dagegen zeigte fie ſich größtentheils leer und in⸗ 
haltlos. Es iſt, mit wenigen Ausnahmen, ein äußerlich ganz an⸗ 
genehmes, aber innerlich leeres Quinkeliren, in meiſt ziemlich 
verbrauchten Weiſen, bei denen es nicht ſelten den Anſchein gewinnt, 
als wäre die Seele des Dichters gar nicht recht dabei geweſen und 
das Ganze wäre nur eine gewiſſe mechaniſche Gewöhnung, eine 
bloße Beihäftigung der Stimme, wie etwa die Holzſchläger. im Walde 
jodeln und tremuliren, ohne dabei etwas zu empfinden over etwas 
Größeres ausprüden zu wollen, als ein gewifles allgemeines Gefühl 
der Exiſtenz. Allerdings finden ſich daneben and) einige vortreff- 
lie Stüde, von wahrer und tiefer Empfindung und leichtenn, glüd- 
lichen Ausdruck: allein ihre Zahl iſt doch zu gering und nerjchwindet 


zu jehr in der Maſſe des Unbedeutenden und Inhaltlofen, das bie’ 


Sammlung übrigens bietet. Ein bedenklicher Charafterzug tft 
feruer das ſehr Iebhafte Bewußtfein, das der Dichter ſelbſt in- 
zwifchen von feiner eigentlichen Sugendlichleit und deren Anmuth 
gewonnen hat; auch mit Jugend und Natürlichkeit läßt ſich fofetti- 
ven, fo gut wie mit Wahrheit und Bieverherzigleit, und ber 
Dichter des „Liederbuchs“ ſchien es bereits ven. weit- Darin ge= 
bracht zu haben, 

Auch diefe Sammlung fand im Ganzen nicht die Aufnahme, 





Otto Roquette. 251 


die der Dichter ſelbſt, nach dem glänzenden Empfang bes „Wald⸗ 
meiſter“ vermuihlich erwartet hatte, und fo waudte er ſich deun, 
wie bereits erwähnt, zum erzählenden Gedicht zurück. Es ſind be⸗ 
fonders drei Werke, die hier noch genannt werden müſſen: „Der 
Tag von St. Jakob“ (1852), „Herr Heinrich” (1853) und „Hans 
Haidekukuk“ (1855). Das bedeutendſte darunter ift „Dex Tag von 
St. Jakob,“ infoweit fi darin zum mindeften das Beſtreben fund 
giebt, des hiftorifchen Lebens und feiner großartigen Erfcheinungen 
Derr zu werben, 

Aber freilich ift ver Verſuch nicht geglüdt, im Gegentheil, er 
bekundet erſt recht die Schranke, die nad ven bisherigen Erfah- 
rungen zu urtheilen dem Talent dieſes Dichters gefett iſt umd die er 
felbft durch geflifientliche Verzärtelung feines Talents noch immer 
enger gezogenhat. Zwar nie Wahl des Stoffes könnte kaum glüdlicher 
fein; eine der ruhmreichſten Epifopen aus dem Freiheitskampf ver 
Schweizer Eidgenoſſen, einer per erhabenften Siege, den Mannesmurh 


und Baterlandsliebe jemals über fremde Gewaltherrſchaft davongetra⸗ 


gen, eines der glorreichften Opfer, die jemals auf dem Altare ver Frei⸗ 
heit Dargebracht worden — wo giebt es einen würdigern Gegenftand 
für die Leier des Dichters? Was wäre geeigneter für den ernſten, wuch⸗ 
tigen Schritt des epiſchen Gedichts ? Und womit lönnte grade einjugenb- 
ficher, ein jugenpbegeifterter Poet feine Zeitgenofien befier erheben ?! 
Allein vieler „Tag von St. Jakob“ ift gar fein epifches Ge- 
Dicht, auch nicht einmal ein erzählendes: es ift ein Landſchafts- 
gemälde mit zufälliger hiſtoriſcher Staffage, eine jener Blumen- 
hagen'ſchen Novellen in Verſen, deren wir- in einem früheren 
Abſchnitt gedachten. Statt das. hiftorifhe Ereigniß, das er dar⸗ 
ftellen und feiern will, zum wirklichen, lebendigen Mittelpunlt feines 
Gedichtes zu machen, ftatt der geſchichtlichen Idee, welche fich in der⸗ 
jelben offenbart, vie Motive und die Charaktere feiner Dichtung zu 


252 Poetiſcher An - und Nachwuchs. 


entnehmen und auf diefe Art im höheren und eigentlichen Sinne 
den Ton der Zeit zu treffen — ftatt deſſen febt der Dichter in 
dieſen großartigen Hintergrund, auf dies erhabene Theater der 
Alpenwelt, das ſich ſo eben mit dem Blut der Helden färbt, ein 
beliebiges Liebespaar, deſſen Schickſal er mit dem hiſtoriſchen 
Ereigniß, das die eigentliche Aufgabe feines Gedichts bildet, in 
eine ganz willfürliche Verbindung bringt und für deſſen Freuden und 
Leiden, Zänfereien und Verſöhnungen, Glück und Tod er nun das 
Intereife feiner Leſer fortert, nicht um ihrer felbft wien, nein, 
Alles im Namen des Tages von &t. Jakob! Und wenn viejes 
Liebespaar nur wenigſtens im Geift und Ton jener mittelalterlichen 
Zeit und jenes ſchweizeriſchen Schauplates gehalten wäre; - follen 
wir denn doch einmal von der Höhe des hiftorifchen Gedichtes 
herabfteigen, um uns mit einer bloßen Novelle in Verſen zu 
begnügen, jo. wäre Dad noch wenigftens eine Art von Entſchädigung. 
Diefer Balentin aber und dieſe Verena mit ihren verfchmähten 


NRoſen, mit ihren Schmollen und Neden, mit ihrer Dialeftif ver 


Leidenſchaft, die ſich vor fich felbft verbirgt, um ſich heimlich 
nur am fo tiefer zu geniefen — nein, das können ja unmöglich 
bie Zeitgenoffen Joſt Reding's und ‚Hermann Seevogel's, bonnen 
keine Schweizer des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts 
ſein, das ſind Salonmenſchen aus der Mitte des neunzehnten, gute 
Figuren für eine moderne Novelle oder ein bürgerliches Drama, die 
ſich nur aus Uebermuth oder Kofettexie in dieſe bäuriſche Tracht 
verkleidet haben! — Aber auch dieſe ſchlechteſte Sorte von Ro— 
mantif zugeftanden, hat der Dichter des „Tag von St. Jakob“ doch 
offenbar felbft nicht gewußt, was damit anfangen. ‚Der Mangel 
an Erfindungsgabe, der fich in Verwendung und Berknüpfung der 
überlieferten tomantifchen Ingredienzien fund giebt, ift auffällig, 
felbft in einer Beit, deren ſtarke Seite die poetifche Erfindung 











Otte Roquette. 253 


befanntlich nicht ift. Auch die patrietiiehen Reflerionen, vie ver 
Dichter über Freiheit und Völkerſchickſal anſtellt, haben trag ver 
löblichen Mäßigung, deren er fid) Dabei befleifigt, etivas Dünnes, 
Unfertiges. Auch die lyriſchen Beigaben, vie im „Waldmeiſter“ 
eine Glanzpartie des Gedichts bilveten, find bier außerordentlich 
ſchwach, fogar die Form, in welcher der Dichter Doch fonft eycellirt, 
hat etwas Mattes und Ungelenies. Auch dabei iſt e8 wientr Der 
Mangel an Inhalt, der ſich rächt; viefer längere Vers, veflen der 
Diehter fi) im „Zag von St. Jakob“ bedient, hat ihn offenbar 
genirt, er Happt und fchleppt, gleich al8 ob e8 an Gedankeninhalt 
gefehlt hätte, ihn auszufüllen. | 

Noch ſchwächer find „Herr Heinrich“ und „Dans Haide— 
kukul.“ Das erftere Gedicht, in welchem der Dichter fich wieder 
dem mit fo viel Glück betretenen Gebiet des Märchen nähert, bat 
wenigftend einige ſchöne Naturfchilperungen, „Hans Haidekukuk“ 
dagegen, eine Nürnberger Stadt⸗ und Kriegsgeſchichte, ift völlig 
flach umd troden, und felbft die eben aufgehenve Sonne der Refor⸗ 
mation, die in Das Zeitalter des Gedichts hineinleuchtet, ift-nicht 
im Stande gewejen, dem legteren etwas friſchen, männlichen Geift 
einzuflößen ; e8 iſt Alles recht gewandt, recht niedlich, aber doch 
nur — Nürnberger Waare. | 

Es bleiben uns noch bie dramatiſchen Verſuche des Dich⸗ 
ters zu erwähnen. Dieſelben find ziemlich zahlreich. Dad iſt, 
fo viel wir und erimmern, nur- eins davon („Die Sterner und die 
Pfitticher” 1856) zur Aufführung gekommen, vie meiften find auf 
dem Wege zur Bühne fteden geblieben und nur eines davon ift in 
die Deffentlichleit des Buchhandels getreien: „Das Reid) der 
Träume. Ein pramatifches Gedicht in fünf Aufzügen.” Daſſelbe 
erfhien im Herbft 1853, alfo zu einer Zeit, wo die Lorbeeren bes 
„Waldmeiſter“ noch ziemlich friich waren. Auch ift ja ver Ueber⸗ 


254 Poetiſcher An- und Nachwuchs. 


gang vom lyriſchen Gedicht zum Drama Im Allgemeinen jo natırr- 
gemäß und dabei für Das Talent des Dichters ſelbſt jo entſcheidend, 
daß der erfte dramatiſche Verſuch eines Poeten, der ſich bereits-auf 
anderen Gebieten einen Namen gemacht hat, allemal mit Intereſſe 
empfangen wird. Dies Intereffe kam auch Roquette's „Reich der 
Träume‘ entgegen, ſah fich jedoch ebenfo enttänfht davon wie von 
Allen, was viefer Dichter feit ‚Balpmeiftere Brautfahrt“ ver- 
öffentlicht hat. 

„Das Reich ver Träume” behandelt einen vom Dichter frei 
. erfundenen Stöff. Nun iſt e8 mit den erfuntenen Stoffen im höheren 
Drama, in dem Drama, das noch etwas mehr fein will, als nur 
eine Befriedigung des Thenterbevürfnifies, bekanntlich allemal 
ein mißliches Ding; felbft anerkannte Meifter find daran zu 
Schanden geworden. In dieſem Falle aber hatte ver Dichter fich 
die Schwierigkeit noch um ein VBeträchtliches gefteigert Dadurch, daß 
ber von ihm beliebte Stoff nicht bloß ſchlechthin untheatraliſch ift, 
ſondern auch fehr wenig Dramatifches hat. Die Heldin des Stüdes 
ift eine junge, ſchöne Gräfin, deren unlängft verftorbener Vater 
alchymiſtiſchen und Fabbaliftifchen Künſten ergeben war; aufge 
wachen in der Umgebung-feiner Retorten und Inftrumente, unter 
. Erzählungen und Vorftellungen einer Geifterwelt, die von allen 
Seiten unmittelbar in das menſchliche Dafein hineingreift, bat fie 
das richtige Maß für die Wirklichkeit ver Dinge verloren oder auch 
niemals beſeſſen. Sich felbft und ihrer Umgebung entfrembet, lebt 
fle in einer Welt von Träumen, die ihr Herz und Sinne mit tril- 
gerifchen Bildern umgaukeln; in Trauerkleider gehüllt, Hält fie 
nächtliche Unterredungen mit Geiftern und Luftgeftalten und er- 
wartet fehnfüichtig den Augenblid, wo „ihr Genius‘ ihr erſcheinen 
und fie durch die Pforte des Todes zu ihrem Bater hinüberführen 
wird. DBergebens hat ein Freund des Lebteren, ein Arzt von tiefer 











Otto Roquette. 255 


Kenntniß und unbeſtechlicher Rechtſchaffenheit, dem ihre Erziehung 
nach dem Tode des Vaters zugefallen, ſie von ihrem Irrthum zu 
überzeugen verſncht; der Wahn der Traumwelt, die fie gefangen 
hält, iſt mächtiger als alle Borftelungen und Ermahnungen 
ihres Lehrers, die fie im Gegentheil nur immer reizbarer, immer 
unglüdlidher madyen. 

Aber was dem Arzt und Lehrer nicht geüngt, das vollbringt 
die Liebe. Durch“ eine zufällige Verkettung von Umſtänden 
begegnet Nymphäa'n (dies iſt der Name der Heldin) grade 
in dem Augenblick, da ſie die Erfcheinung „ihres Genius“ 
und damit ihren Tod erwartet, ein junger, ritterlicher Fürſt, der 
ihr Herz zu neuem Daſein erſchließt und ſie, eben ſo ſehr 
durch ſeine Liebkoſungen wie durch ihre eigene Leidenſchaft, von 
ihrem Irrthum zurückbringt und mit der Welt, der wirklichen, 
verſöhnt. 

Dies der Kern des Stücks. Ob derſelbe ſtoſthaltig genug, 
ein Drama daraus zu machen, bleibe hier unerörtert. Jedenfalls 
würde eine ſehr große Kunſt, namentlich viel pſychologiſche Fein— 
heit und Tiefe, vor allem aber eine ſehr weiſe Beſchränkung in der 
Wahl der Mittel dazu gehört haben. Beſonders in Beziehung 
auf dieſen letzteren Punkt iſt es intereſſant, „Das Reich der 
Träume“ mit einem andern bekannten Theaterſtück zu vergleichen, 
das eben damals vielfach gegeben ward und dem auch unſer 
Dichter allem Vermuthen nach eine weſentliche Anregung verdankt: 
„König René's Tochter,” von dem Dänen Henrik Hertz. Dort wie 
hier ein pathologiſcher Vorgang, dem wir nach unſerem perſönlichen 
Dafürhalten eine dramatiſche Berechtigung allerdings abſprechen 
müſſen; dort Blindheit des Leibes, hier Blindheit des Geiſtes, 
und in beiden Fällen die Liebe als ber eigentliche rettende Arzt. 
Nun verfennen wir auch Die Mängel des Hert’fchen Stücks gewiß 


256 Poetiſcher An- und Nahmuche. 


nit; insbeſondere glauben wir nicht, daß vaffelbe mehr ift als 
ein jogenanntes „vramatijches Gedicht” — und bekanutlich führte 
diefe Gattung ihren Namen genau wie lucus a non lucendo: 
„dramatiſche Gedichte,“ Die vielleicht „Gedichte,“ aber ganz 
gewiß feine „vramatifchen” find —, und, haben wir es Deshalb 
auch nie zu billigen vermocdt, daß man das Stüd vor die ihm 
innerlichft fremde Welt ver Lampen gebracht hat. 

Aber bei alledem wie maßvoll, wie vorfichtig iſt der Dänische 
Tichter zu Werke gegangen!, Wie eng hat er ſich die Grenzen ge- 
ftedt, wie anſpruchslos, als eine bloße dramatiſche Studie, eine 
bloße Scene tritt fein Stüd auf! „König René's Tochter hat 
nur einen Aft und von Perfonen nur das Allernothwendigſte. 
Das „Reich der Träume” dagegen fett reichlich ein Dutzend 
Berfonen in Bewegung, es bat fünf wohlgemefjene Acte ‚und 
macht in allen Dingen ven Anſpruch, ein vichtiged und wirk— 
liches Theaterſtück zu fein. Damit aber ift ihm ver poetifche 
"Duft abgeftreift, ver Dämmer ter Phantaftif ift zerftört, in dem 
23 allein hätte eriftiren können; mas man fi ın kurzer, gebräng- 
ter Haltung als einen anmuthigen poetifchen Einfall allenfalls 
hätte gefgllen laflen, das macht, zu fünf Acten ausgejponnen und 
mit allem Apparat eines Theaterftüds verjeben, nur einen ſehr 
unbefriedigenven, faft fomifchen Eindruck; jo viel Schale (Denkt 
man) und jo wenig tern, fo viel Form und fo wenig Inhalt, 
eine fo lange Einleitung und ein fo dürftiges Refultat! 

Dem Dichter ift das zum Theil felbft nicht entgangen, um 
die Magerkeit jeines Stoffes, welcher der dramatischen Bearbeitung 
denn doch gar zu wenig ergiebige Geiten barbot, einigermaßen zu ver- 
decken, hat er noch verſchiedene andere Fabeln pamit in Verbindung ges 
ſetzt. Allein dieſe Verbindung iſt rein äußerlich geblieben; ſtatt, wie 
ein Drama ſoll und muß, aus Einem Punkt und Einem Gedanken 





Otto Roquette, ‘987 


zu erwachſen, find hier drei, vier verſchiedene Handlungen willlile⸗ 
lich zufanmengelegt, ohne eine Spur von Nothwendigkeit uber 
inneren Zuſammenhang. Da haben wir einen Silamönt, Herzog 
von PBeroufe, aus Frankreich verbannt wegen einer Mordthat, 
zu der er ſich im Zorn vor. den Angen bes Königs hat hinteißeh 
Iafien; da Haben wir einen jungen Wäftling Alfanpo, ver fein 
Bernrögen verſchwendet und vie Kaufleute von Marſeille auf 
ſchnoͤde Weife betrogen hat — was hat das mit dem „eich der 
Traume“ zu tbun? und welcher inmere, welcher geiflige Zuſam⸗ 
menhang ift zwifchen biegen Perfonen and dem Grundgeduuken 
des Städs? Kin Drama darf feine willlärkihe Anhäufumg von 
Abentenern und Zufälligfeiten fein; im der Novelle, namentlich 
in der Novelle im älteren Sisme, mag das Abeniener als ſolches 
herrichen, das Drama muß ein fireng geglieverter Organismus 
fein von ſich gegenfeitig. bebingenben, gepewjeitig ergünzenden 
Theilen. Allerdings ergiebt ſich zum Schluß des Stücks, daß 
wer Wuſtling Alſandd derſelbe Cdelmann iſt, gegen ven ver ver⸗ 
bannte Herzog damals im Zorn ſein Schwert erhoben; er iſt 
nicht getöbet, une verwundet geweſen, ſodaß einer allfeitigen Aus⸗ 
ſoͤhnung nichts im Wege ſteht. Doc macht dieſe plötzliche Eut⸗ 
hüllang auf ben Leſer keinen anderen Eindruck als ben eines 
Theatereffeets; auf die Bretter gebracht, wärbe fie ſogar als 
ein jehr verbrauchten, fehr ungefchidter Theatereffect erkannt und 
von den Zuſchauern, fürchten wir, mit jenem Kichern begleitet 
werben, das allemal ber ſchlimmſte Tod if, den ein Stüd 
fterben kann. | 

In den legtverwichenen Jahren bat der Dichter eine 
Schweigſamkeit gezeigt, die fonft eben nicht zu den hervorragenden 
Eigenſchaften unjerer jungen Boeten gehört. Doch wird foeben, 
nachdem er 1855 mit „Das Hünengrab“ einen verunglüdten 


Brup, die deutſche Literatur der Gegenwart I. 17 


4 


258 Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


Streifzug in das Gebiet der Tromlitz⸗ Blumenhagen'ſchen Romantik 
unternommen hatte, ein neuer breibänbiger Roman von thin ange- 
kündigt, „Peter Falk:“ eine Kitnftlergefchichte, ir ver, Ahnlich wie 
im „Orion,“ innere Zuſtände, Reflerionen und Gefühlsergiegungen 
für Die mangelnde Handlung entſchädigen follen. — ft diefe 
Schweigſamleit, durch Die Otto Roquette fich neuerdings auszeichnet, 
nur die Folge größerer Sammlung und ernfler innerer Arbeit, Die 
der Dichter an fidh felbft vollführt, fo können wir nur ihm wie 
ber Literatur dazu gratuliren. Dem Dichter des „Melenger” 
wünſchten wir große und bedeutende Schidfale, die ihn zur Ein⸗ 
kehr in fich ſelbſt Bringen und feiner Pnefie eine größere Inner- 
lichkeit und Leidenſchaftlichkeit geben möchten. Dem Verfaffer 
des „Waldmeiſter“ ift etwas Aehnliches zu wänfchen; auch er 
haftet noch zu ſehr an new Oberfläche der Dinge, er macht fich vie Poefie 
zu leicht, .e8 iſt noch zu viel Dilettantismus in ihm, wenn auch 
fein einfach angelegtes Naturell ihn ‚nor den Sapricen und Selt- 
famfeiten geſchützt hat, in denen Paul Henfe ſich gefälk. Bor Allem 
aber ſuche ex felbft erſt einen werthvollen und tüchtigen Inhalt 
zu gewinnen; ſonſt ift er in Gefahr, von dem ſchlimmſten Schid- 
fal ereilt zu werben, das es überhaupt giebt — dem Schichkſal, 
alt und greifenhaft zu werben, während feine Locken noch braum, fen 
Auge noch Hell, ſein Arm noch kräftig Hi... . . 


5. 
Inlius Rodenberg. 


In nächſter Verwandtſchaft mit Otto Roquette ſteht Julius 
Rodenberg; wie Moriz Hartmann und Alfred Meißner einſt die 
Dioskuren der politiſchen Lyrik bildeten, ſo ſind Otto Roquette 
und Julius Rodenberg die eigentlichen Dioskuren unſerer „Neuen 
Menſchen.“ Bemerken wir an Rodenberg auch nicht ganz die⸗ 
ſelben Vorzüge wie am Dichter des „Waldmeiſter,“ ſo zeigt er 
doch jedenfalls vieſelben Mängel und Einſeitigkeiten; ja wenn es 
möglich wäre, daß ein verhältnißmäßig jo jugendlicher Schrift- 
fteller, wie Otto Roquette ſelbſt erſt iſt, bereits Schüler haben 
könnte, jo dürfte Rodenberg füglich als Roquette's Schüler be- 
zeichnet werben. Nur in einem Punkt wäre der Schüler alsdann 
dem Meifter überlegen: zwar fchwelgt auch. Rodenberg hauptſäch⸗ 
Lich noch in dem abftracten Wonnegefühl der Jugend, doch tritt 
dies Jugendgefühl bei ihm ſchon ein gut Theil männlicher und 
fräftiger auf, wie bei dem allzuzierlichen Dichter des „Liederbuch.“ 
Auch die Rodenberg'ſche Mufe ift noch etwas breit und geſchwätzig 
und thut ſich ebenfalls noch.ein wenig zu viel darauf zu gute, daß 
fie jung, jung unb nochmals jung ift. Aber bie Jugend fucht fich 
hier doch wenigſtens ein würdiges Ziel, der Poet vergißt doch nicht 
ganz und gar, daß es noch größere Dinge giebt, als Mädchen⸗ 
ſchürzen und Weinhauszeichen, oder die Blümchen .auf dem. Felde 


17* 


960 Poetiſcher An - und Nachwuchs. 


und die Sterne am Himmel. Er läßt uns im Jünglinge zugleich 
den werdenden Mann erbliden, und wenn auch fein Jugendmuth und 
Drang zuweilen noch etwas unklar und phantaftifch ift, fo ift Doch 
dieſe Unklarheit immer beſſer als eine Durchſichtigkeit, die nur 
Folge der Inhaltloſigkeit ift. 

Was dagegen das ſpecifiſche Talent betrifft, jo fteht Roden⸗ 
berg darin, wenigftend fo weit feine Leiftungen bis jeßt vorliegen, 
hinter dem Dichter des „Waldmeiſter“ zurüd. Rodenberg's Ta- 
fent ift hauptſächlich nachahmend; faft zu jenem feiner Gedichte, 
namentlich feiner größeren, kann man fofort das Original nach- 
weifen, das ibm dabei, bewußt oder unbewußt, vorgejchwebt hat. 

Shen in ven „Schleswig= Helfteinifchen Sonnetten‘ (1849), 
mit denen ber Dichter, ſoviel ums erinnerlich, fich zuerft in die 
Literatur einführte, fchloß er ſich Geibel’s bekannten politifchen 
Sonnetten mehr als billig an. Demſelben Miufter eiferte er auch 
in „König Harald's Tobtenfeier‘‘ (1852) nad. Es ift unmöglich, 
dieſe Dichtung zu lefen, ohne fich jofort aufs Lebhaftefte an Geibel's 
„König Sigurd's Brautfahrt“ erinnert zu fühlen. Doch fällt ver 
Dergleih nicht zu Rodenberg's Vortheil aus. Hier wie dort 
ftehen Froſt des Alters und junge Gluth ver Liebe, zarte Jung⸗ 
fräulichkeit und nordiſch firenges Heldenthum, Leivenfchaft und 
Schickſal fid, gegenüber; hier wie dort werden wir auf bie wogende 
See geführt in die märchenhaft prächtige Zeit, ba bie alten nor⸗ 
bifehen Seefönige mit triumphirendem Barmer das Meer be- 
. herrfchten uud bie Genüſſe und Schäße des Südens an ber un⸗ 
wirthbaren Küſte ihrer Heimath zuſammenbrachten; bier wie bort 
verfelbe tragiſche Schluß, in ven das in Flammen untergehende 
Schiff ‚gleich einem ſchwimmenden Katafall prächtig hineinleuchtet. 
Wer nicht nur bat Geibel die Fabel feines Gedichts ungleich 
forgfältiger aus⸗ und vurchgearbeitet, ſondern auch Ton und 


Julius Rodenberg. 261 


Farbe der Zeit, ſowie der gewählten Umgebung bat er bei weitem 
richtiger getroffen. Beſonders in letzterer Hinficht bleibt das 
Rodenberg'ſche Gedicht hinter feinem Vorgänger noch weit zurüd; 
Sprache wie Ideengang find zu modern, zu zierlih, tragen 
zu wenig das Gepräge biefer großartigen nordiſchen Welt, m 
die der Dichter und doch übrigens verfegen will; wir glauben 
diefem „grinunen“ König Harald nicht, wenn ex von „bes Da⸗ 
ſeins © in‘ fingt, ven er getrunken, noch von den Schmer⸗ 
zen, bie es ihm erregt „nur ein Menſch zu fen.” Das ıft Julius 
Rovenberg, der fo fühlt und denkt, aber nidht König Harald, 
das ift ver Lyriker, der feine eigenen Empfindungen ausipricht, 
noch nicht der Epiter, ver fremde Geftalten zu fchaffen und zu 
beleben weiß. Auch in der Form erreicht „König Harald's Tod⸗ 
tenfeier“ fein Muſter nicht; Geibel’s „König Sigurd“ fchreitet 
von Anfang bis zu Ende in berfelben prädtigen Nibelungen-- 
ftrophe einher. ernft und maßvoll wie ein Held in der Rüftung, 
während „König Harald's Todtenfeier“ alle jene bunten Läppchen 
eines nnaufhörlichen Formenwechſels anshängt, die in ber mo⸗ 
bernen Epik fo befiebt find und hier jo hänfig bie innere Armuth 
bes Dichters nerbeden mäflen. 

Inzwiihen war „Walvbmeiſters Brautfahrt” von Bitte 
Roquette erfchienen und fofort antwortete Rodenberg mit „Der 
Majeſtäten Felſenbier und Rheinwein luſtige Kriegshiſtorie“ 
(1852). Doch iſt auch dieſer Nachklang nur etwas ſchwächlich 
ausgefallen und erreicht weder die Anmuth der Form noch bie 
köſtliche jugendliche Laune, durch die das Orginal ſich auszeichnet. 

Bedeutender zeigt Rodenberg ſich als Lyriler in feinen „Lievern‘ 
(1853). Auch bier weht uns derſelbe Fräftige und muthige Geift 
an, der vie „Schleswig⸗ Holfteinifchen Sonnette” eingegeben; es 
find freilih nur Nachahmungen ver vormärzlichen politifchen: 


262 Poetiiher An⸗ und Nachwuchs. 


Lyrik, aber gefchict gemacht und zweckmäßig angewendet. Auch 
die Naturfchilderungen, in denen Rodenberg ſich ebenjo gefällt, 
wie der Dichter des „Liederbuch,“ tragen bei ihm nicht das Weiche, 
Träumeriſche, Zerfloffene, wie bei Ienem. Schon daß er fidh fo 
häufig auf das Meer hinausbegiebt, in das Tofen ver Brandung, 
wo der verwegene Schiffer der empörten Fluth fein Leben jedem 
Augenblid abringen muß, ift ein mejentlicher Bortheil für ihn, 
indem es feinen Schilderungen mehr Bewegung und Yarbe und 
eine männlichere, Träftigere Stimmung verleiht. Beſonders aus 
ben. „Liedern "von Helgoland‘ weht es und-zumweilen allen Exrnftes 
an wie eine frifche, gefunde Seeluft, welche die Nerven ftärft und das 
Blut frifch und Fräftig macht. Ueberhaupt ruhen hier, in dieſer 
Welt des Meeres, noch poetifche Schäte, die hoffentlich auch in 
unferer Literatur nody zur Hebung kommen werben, wenn nur erft 
bie „Deutſche Flotte“ kein bloßes Traumbild, oder gar wie jebt, 
ein leerer Spottname ift. 

Auch als Dramatiker hat Rodenberg ſich verfucht; z. B. 
in „Waldmüllers Margareth‘‘ (1855). Doch find es mehr Ge— 
legenheitöftücke zum Zweck der mufifalifhen Compofition, als 
daß fie eine felbftändige poetifche Bedeutung in Anfprud nehmen 
ünnten. 

Außerdem Hat Rodenberg fi) auch als Reiſeſchriftſteller be⸗ 
fannt gemadt. Es ift jegt jo Mode unter unferen jungen. Didh- 
tern, ſich durch Reifen zu bilden, und gewiß ift das auch nicht nur 
eine jehr ımterhaltende und bequeme, jondern umter Umftänven 
auch eine ſehr erfprießliche Art ver Bildung. Aber wohlgemerkt, 
nur unter Umftänden ind nur bis auf einen gewifien Punkt. 
Das Studium kann das Reifen doch nicht erfegen, obwol unfere 
angehenden Dichter das jebt zu glauben fcheinen und obwol es 
fih im Eoupe des Eifenbahnivagens allerdings angenehmer fitt, als 


Julius Rodenberg. 263 


hinter den Büchern. Es heißt wol, der Dichter ſoll Welt und 
Menſchen kennen lernen, und wo wäre mehr Gelegenheit dazu als 
auf Reifen? Ganz gut: aber neben jener empirifchen Bilvung be= 
darf der Dichter doch noch einer anderen, höheren, die weder auf 
ven Tanzplägen von Mabille, nody unter ven Trümmern des 
römiſchen Coloſſeums gefunden, fondern allein in der firengen, 
entſagungsreichen Schule der Wiſſenſchaft gewonnen wird. Schiller 
und Goethe find auch nicht im Reijewagen die Heffikhen ‘Dichter 
geworden, die fie find, ſondern im ernften, wifienfchaftlihen Stu⸗ 
bium ver Kunſt und ihrer Geſetze. Davon indeß wollen unſere 
heutigen jungen ‘Dichter nichts wiſſen; das Leben ift kurz, bie 
Welt groß, das Reifen billig — alfe reifen wir. Ind wenn 
wir gereift find, fchreiben wir Blcher davon, und von dem Honerar 
der Bücher reifen wir wieder, und fo geht das fort, in infinitum, 
aber nicht immer mit Orazie ... 

Diefe Reflexion lag bier abe, da Yulims Rodenberg durch 
ſein 1856 erſchienenes, Pariſer Bilderbuch“ dieſer falſchen Reiſeluſt 
mehr als billig gehuldigt hat. Dagegen iſt er in ſeinem neueſten 
Bert dieſer Gattung, dem „Bilderbuch aus England und Wales” 
zu einer ernfteren. umd geviegeneren Auffaflung zurlidgefehtt; vie 
genanere Beiprechung beider Werte gehört nicht hierher. - — 


4 


6, | ” 
Alaus Groth und Theodor Storm. 


An Otto Roquette und Julius Rodenberg ſahen wir, welde 
eigenthümliche Gefahren: in- viefen werfchrobenen Zeiten, in denen 
wir leben, jelbft auch die Jugend mit fi fährt, dieſer köſtliche 
Morgen des Lebens. Wir ftellen ihnen zwei ‘Dichter gegenüber, bie 
fich umgelehrt durch das Ernſte und Sinnige ihrer Richtung aus— 
zeichnen, das ſich ftellenmweife und namentlich bei dem einen von 
ihnen ſogar bis zu einer entſchieden melancholiichen Färbung fleigert: 
ein neues Beifpiel dafür, daß, wie es feiner no fo arnten und 
winterlihen Zeit an einzelnen Roſen ver Freude fehlt, ſo auch mehr 
als ein Wunm an ben Roſen nagt, mit veuen die Gegenwart fich 
kränzt und Hinter denen fie nur allzuhäufig pie Dläffe ihres Auge- 
ſichts zu verfieden ſucht. . 

Das ift Klaus Groth und Theodor Storm, beide aus jenen 
Scleswig- Holfteinifchen Marken gebürtig, vie fo vergeblich mit 
fo viel edlem Blut getränkt worden und die noch in diefem Augen⸗ 
blid die brennendſten und ſchmachvollſten Wunden find an dem 
wundenbedeckten Leib unferes Baterlandes. Klaus Groth hat ſich 
beſonders als Dialectvichter einen rafchen und glänzenden Ruf ers 
worben; feine zuerft 1853 unter dem Titel Quickborn“ erfchienenen 
Gedichte find in plattdeutſcher Mundart gefchrieben und verdanken 
biefem Umftand ohne Zweifel einen nicht geringen Theil ihres Er⸗ 











Klaus Groth und Theodor Storm. 265. 


folge. Denn die plattdeutſche Literatur, wie die Literatur alles ab⸗ 
ferbenden Sprachen hatte ſchon fett Yangem keinen irgenbwie bedeu⸗ 
tenden Dichter aufzumeifen gehabt; bie Mehrzahl, vie ja noch platt: 
deutſch dichteten, waren entweber Schwänkemacher oder gar bloße 
Reimſchmiede geweien, vie nur Platideutſch fchrieben, weil man fie 
hochdeutſch gar nicht gebeſen hätte. 

Dieſe Specialitit bes Dialects kann uns bier natürlich nicht 
weiter intereffixen; wäre.es ver Fall und hätten wir uns bier über- 
haupt einzulaſſen auf die Frage, ob und in wie weit bie plati⸗ 
deutſche Mundart noch Iebensfähig und namentlich zur Poefle ge: 
eignet ift, fo würden wir bier neben Klaus Groth noch den 
Mekleuburger Lokaldichter Fritz Reuter zu ermähnen haben, ber bie 
Beachtung der Titeraturfreunbe ebenfalls in hohem Grabe verbient. 

Auf Klaus Groth dagegen Täßt.fich das bekannte Leifing’fche 
Wort anwenden, daß Rafael ein großer Maler geworben, auch 
wenn er ohme Hände zur Welt gelommen wäre. Ganz ebenfo und 
mit noch größerer Beſtimmtheit läßt fi auch von dem Dichter des 
„Quickborn“ behaupten, daß er ein: Dichter geworben, gleidwiel in 
welcher Sprache er gedichtet, und wenn es auch am Ende gar Dies 
Hochdeutſch geweſen wäre, auf das er felbft in der Borrebe feiner 
Sammlung ſo vornehm wmitleivig herabblidte. Klaus Groth ſteht 
ven. Junglingen Roquette und Wopvenberg ‘ale ächter, richtiger 
Mann gegenüber: eine reife, klare, in ſich felbft gefättigte und 
befeftigte Dichternatur, voll Kraft und Grazie, ſtark und mild, 
mit feften Wurzeln den Boden ver Wirklichkeit umflammernd und 
doch das Haupt ftolz sufreit in den Wollen gleich ven Buchen ſei⸗ 
ner Heimath. 

Einzelnes allerdings erinnert darau und zwar nicht auf vor⸗ 
theilhafte Weile, daß auch das Plattdeutſch keineswegs die Infel um 
Meer unſerer mobernen Bildung iſt, für die feine blinden und ein⸗ 


266. Boetiiher An⸗ und Nachwuchs. 


feitigen Berehrer es gern ausgeben möchten, fondern daß auch die 
harte, zähe Rinde unferes norodentichen Bauerthums allmählig von 
modernen Elementen durchzogen wird. Es find im „Quidborn“ 
einzelne Gedichte, welche ven Beweis liefern, dag Klaus Groth 
nicht bloß die Schule der modernen, alfo hochdeutſchen Bildung 
durchgemacht bat, fondern aud von den Berirrungen und Kranf- 
heiten dieſer Bildung ift er nicht unverfchont geblieben. Wir be= 
gegnen hier und da Anklängen an Heine und zwar an bie jchlechtefte 
Manier viefes Dichters, die zur Genüge zeigen, daß audı der Zwil⸗ 
Iichlittel des Bauern vor dem modernen Weltſchmerz nicht ganz 
ſchützt, wenigftens in allen den Fällen nicht, wo er einem nicht fo 
zu jagen auf ven Leib gewachfen, ſondern wie bei Klaus Groth, 
erft nachträglich darauf zurechtgefchneivert iſt. Keine falfchere 
Borftellung, als wollte man Klaus Groth deshalb, weil er ſich der 
plattveuti hen Mundart bedient, für einen fogenannten Naturdichter 
halten. Klaus Groth ift nichts weniger als auf vem freien Felde 
des Dilettontismus aufgewachfen, er hat feinen Goethe ftubirt und 
bat überhaupt eine fo ftrenge und ernfte Schule durchgemacht, wie 
wir fie unferen „jungen Poeten“ nur immer wänfchen mögen. 

Erft von der Höhe biefer, durch gewifienhaftes Studium er- 
Iangten Bildung ift er dann wieder hinabgeftiegen in ven Schacht 
- des Volfslebens und hat hier den Stoff gefanmmelt zu feinen herr⸗ 
lichen, lebensvollen Schilderungen. Es ift in ver Mehrzahl vieler 
Gedichte eine unvergleihlihe Immigfeit, Wahrheit und Tiefe der 
Empfindung, verbunden mit der größten Anfchaulichleit und Leben⸗ 
bigfeit der Darftellung und dem fchlagenpften und glädlichften Aus- 
druck. Das Schalfhafte fteht dieſem Dichter eben fo zu Gebote 
wie das Ernfte und Erhabene, ver Ton des Liedes fo gut wie der 
Ballade, die Thräne der Wehmuth ſo gut wie das helle Gelächter 
ber freude, und wenn er ſich von gewiſſen tiefften Tiefen der Leiden⸗ 








Klaus, Groth und Theodor Storm. 267 


ſchaft fern. häft, fo zeigt er auch Darin nur feinen richtigen Inſtinct, 
indem weder vie Eigenthümlichkeit ſeines Talents, noch das ſprach⸗ 
liche Mittel, deſſen er ſich bedient, für dieſe tiefſten Tiefen geeignet 
ſein würde. Was ihm aber einen ganz eigenen Reiz verleiht, das 
iſt der eigenthümlich ſinnende, faſt welancholiſche Zug, der über 
ſeiner Dichtung ausgebreitet liegt: jenem leiſen, zitternden Dufte 
gleich, der nicht ſelten grade bei völlig wolkenloſem Himmel über 
der fonnenbeglängten Yanpichaft-fehwebt. Belanntlich findet dieſer 
Zug ſich bei dem norbdeutichen Bauer felbft ziemlich ſtark ausge- 
prägt; wir erinnern-beifpielweije an die norddeutſchen Sagen und 
Märchen; die, fo ſchalkhaft fie zum Theil auch find, doch ebenfalls 
eine gewiſſe ernſte, wehmüthige Falte auf ver Stirne tragen, zu welcher 
der lädhelnde Mund denn mitunter ganz abfonderlich fieht. So iſt auch 
Klaus Groth's Schalkhaftigkeit — umd Gottlob, er ift noch zu⸗ 
weilen ſchalkhaft, Diefer Dichter — nicht felten von einer leifen 
Melancholie überjchattet; es ift als wolle er uns noch etwaß jagen, 
aber raſch verfchließt er e8 wieder im tiefſten Herzen, weil e8 unjere 
Wreude nur ftören würde: ein Eindruck, der durch den eigen- 
thümlichen Charakter des Dialects, dies Ichwerfällig gefchwätige, 
plauderhaft wortkarge Weſen vefjelben noch gefteigert wird. 

Alles zufammengenommen alfo ift biefer „Quickborn“ ein 
währhafter- „lebendiger Born“ der Poefie und neben fo mancher 
niederſchlagenden und befhämenven Erfahrung, die wir im Laufe 
dieſes Jahrzehnts am deutfchen Volke gemacht haben, muß bie 
rajche und allgemeine Berbreitung, welche ver Quickborn“ gefun⸗ 
pen (e8 fin im wenigen Jahren nicht allein vier oder fünf Auflagen, 
fondern auch vier hochdeutſche Meberjegungen davon erfchienen), als 
eine der erfreulichſten und hoffnungsreichften gelten. — Erwäh- 
nenswerth ift.noch, daß Klaus Groth fid) war auch als hochdeut⸗ 
fcher Dichter verfucht hat („Paralipomena,“ 1855), aber ohne als 


268 Poetiſcher An- und Nachwuchs 


folcher irgend welche hervorſtechenden Eigenschaften zu entwideln. 
Auch feine plattveutfch gejchriebenen Erzählungen („Bertellen,” 
2 Bde. 1856 und 1858) fünnen fich feinem „Quickborn“ nicht au 
bie Seite ftellen. 

Sein Landsmann Theodor Storm ift ihm nicht nur durch 
Geburt und Herkunft, ſondern ebenfo fehr durch feine geiftige Rich- 
tung und die Beschaffenheit feines Talents verwandt. Es war 
nur ein fleines, dünnes Buch, diefe „Gedichte von Theodor Storm,‘ 
mit denen der Berfafler 1853 ans Licht trat, nachdem eine frühere, 
noch Kleinere Sammlung „Sommergeſchichten und Lieder” (1851), 
trog ihres Werthes nur wenig Verbreitung gefunden hatte, und 
nur eine Kleine, ſtille Welt, in die fie uns einführten, bie Welt 
des Haufes, noch genauer die Welt des Ehe⸗ und Kinderglücks; 
alfo eine Welt, welche ven „jungen“ Boeten, vie das Glück ver 
Wanderſchaft noch für das Höchfte halten und denen ver frucht- 
barſte Baum noch nicht halb fo Tieb ift, wie der dürre Steden, 
an bem fie vie Welt durchziehen, noch jehr ferne liegt. 

Allein gleich Adolf Schults und in noch höherem. Grade als 
er, weiß auch Theodor Storm biefe Feine Welt mit fo viel Innig⸗ 
feit zu durchdringen, fein Realismus ift fo harmoniſcher, fo tief 
poetifcher Natur, daß wir nad) gar keinen pilanteren Stoffen, feinen 
blendenderen Farben Berlangen tragen. Auch anf dem Antlitz 
dieſes Dichters ruht ein melancholifcher Zug, ja er tritt bier noch 
viel deutlicher hervor, als bei dem Dichter des Quickborn“ 
Theodor Storm hat mehr finſtere als heitere Stunden durchlebt; 
feine Seele iſt erſt in der zehrenden Gluth des Schmerzes reif ge⸗ 
worden; noch jetzt wendet er ſich mit Vorliebe den Bildern des 
Todes und der Verweſung zu, ja gewiſſe entſetzliche Stunden des 
Abſchieds, gewiſſe theure, bleiche Mienen, die der Tod ihm auf 
ewig verhüllte, ſtehen ſo feſt vor ſeinem inneren Auge, daß er 


Klaus Groth und Theodor Storm. 2369 


immer und immer wieder darauf zurückkommt und daß felbft feine 
Luft und Heiterkeit noch von einer leifen Wehmuth vurchzittert iſt. 
- Aber diefe Wehmuth hat nichts Kranfhaftes, nichts Gemach⸗ 
tes, noch.hindert fie den Dichter, die Schönheit der Welt und das 
Glück des Lebens mit danfbarem Herzen anzuerfennen. Bon der 
Gruft, die ihm fo früh jo Theures verſchlaug, wendet er fich heim⸗ 
wärts zu feinen Kleinodien, jeinen Kindern, feinem „Häpelmann,“ 
die er im Ernſt und Spiel mit väterlicher Zärtlichkeit belanfcht 
und denen er die lieblichften Märchen zu fingen weiß. Ja ſelbſt 
von dem Grabe feiner patriotifchen Hoffnungen erhebt er fich ge⸗ 
faßten Sinnes, wie e8 dem Manne geziemt, der da weiß, Daß eine 
ewige Gerechtigkeit in der Weltgefchichte lebt und daß wir biefer 
Gerechtigkeit nur in die Hände arbeiten, indem wir redlich wirken 
und fchaffen, ein Jeder an feinem Theil. Will man fi des 
Fortſchritts bewußt werben, ven unfere Poefte in ven legten Jahr⸗ 
zehnten gemacht hat und ſoll denn doc einmal von „Neuen Men⸗ 
ſchen“ gefprochen werden, wolan, fo vergleiche man den gefaften, 
männlichen Schmerz dieſes Dichters mit jenem Weltſchmerz und 
jener ſchönthueriſchen Zerriffenheit, wie fie Durch Heine in unſerer 
Literatur Mode geworben war und wie fie noch bis vor Kurzem 
bei der Mehrzahl unferer Dichter umging; da wird man bald 
merfen, um was es fih handelt und daß wir uns in der That ge- 
wifler Fortſchritte rühmen dürfen. 
Seitdem die obengenannte Sammlung ſeiner „Gedichte“ dem 
Berfafler die wohlverdiente Aufmerkſamleit des Publicums zumandte, 
ift er ein ziemlich regelmäßiger Saft auf dem Markt ver Piteratur 
geworden, theils mit neuen Liedern, theils mit Heinen novelliftifchen 
Schilderungen und Skizzen. Sie find alle von ungewöhnlich klei— 
nem Umfang, diefe Storm’schen Bücher, wahre Meine literarifche 
„Dävelmänner‘; fo erfreulich es ift, neben fo vielen Schriftftellern, 


270 Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


vie ihr bischen Werg gern zu endloſem Faden fpinnen, auch mal 
Einem zu begegtien, der fein Gold one Zuſatz, wern auch nur in 
ganz Fleinen Münzen ausprägt,. jo wird der Dichter doch darauf 
Acht zu geben haben, daß dieſe Kleinmalerei bei ihm nicht zur Manier 
ansartet. Schon jetzt fehen dieſe Heinen Geſchichtchen fich ziemlich 
gleich ; beifpiel8weife heben wir bie „Drei Sommergefchichten‘ heraus, 
die 1854 unter dem Titel „Im Sonnenschein” erfchienen. Sie 
verdienen ihren Namen: es Liegt wirklich ein fommerliher Glanz 
und Duft anf diefen reizenven -Heinen Gemälden — over wie fonft 
follen mir fie nennen? Erzählungen find es auf feinen Fall, bloße 
Situationen, bloße Schilderungen, aber von unvergleichliher- Treue 
und Sauberfeit ver Zeichnung und einer höchſt wohlthuenden Wärme 
der Empfindung: Namentlich in leterer Beziehung ift e8 interef- 
fant, den Dichter der „Sommergeſchichten“ mit Baul Hefe zu ver- 
gleichen, ver wol auch fo in das Kleine und Feine zu arbeiten Tiebt. 
Aber während wir bei Baul Heyfe nur ven-graztöfen Meikelfchlag 
bes Künſtlers bewundern, fühlen wir bei Theodor Storm auch den 
warmen Herzſchlag des Poeten, ven Schlag eines Herzens, das ſich 
mit uns freut und mit uns betväbt, weil e8 gleich und des Lebens 
Luft und Wehe an fich felbſt erfahren und durchgekämpft hat. — 
Nur wie gejagt, vor der allzufleinen, allzupeinlichen Detailmalerei 
hüte der Dichter ſich. In der Malerei mag man die Mieris be- 
wundern, für die Poefie taugen ſie nicht: denn man kann zwar ein 
Gemälde mit ver Loupe betrachten, von einem Gedicht aber, das 
wir..erft durchs Glas befchauen müßten, wäre eben dadurch ver 
befte Schmelz hinweggewifcht. ' ' 


7. 


Julius Hammer und Julius Sturm. 


Wir ſchalten hier zwei Dichter ein, die ebenfalls, gleich den 
Dichtern des ‚Quickborn“ und der „Sommergeſchichten,“ gegeuüber 
ben Poeten der Jugend und des Genuſſes, die ernftere Seite des 
Lebens vertreten, von den beiden eben genannten aber ſich dadurch 
unterfcheiden, daß fie e8 überwiegend auf.vem Wege der Betrach⸗ 
tung · und der Lehre tbun: Julius Hammer une Julius Sturm. 
Beide ſtimmen darin überein, daß fie Reflerionspoeten find, Doch 
ift Hammer mehr vivaktifcher, Sturm mehr Iyrifcher Natur; jener 
lehrt, dieſer erbaut; jenem gelingt ver Spruch befler, dieſem 
bas Lied. Dagegen find fi Beide wiederum verwandt im ber 
Klarheit und Milde ihrer Anfchauungen, in der Wärme und 
Innigkeit ihres Wefens, endlich i in der Reinhei und Sauberkeit 
ihrer Formen. 

Julius Hammer hatte ſich bereits eine ganze Reihe von 
Jahren in den verſchiedenſten Gattungen der Literatur verſucht, 
jedoch ohne rechten Erfolg: bis es ihm endlich mit ſeiner Samm⸗ 
lung: „Schau um dich und ſchau in dich“ (zuerſt 1851), denen 
raſch zwei andere ähnliche gefolgt find: „Zu allen guten Stunden“ 
(1854) und „Feſter Grund“ (1857), gelungen ift, ſich ein zahl- 
reiches und anbängliches Puͤblicum zu erwerben: Doch ift vie erftere 
Sammlung noch immer Die gediegenfte und reichhaltigfte geblieben. 


272 Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


Der Dichter verkündigt darin eine klare, milde Lebensweisheit, ein⸗ 
fach und ſchlicht, auch nicht beſonders tieffinnig, aber von innigem 
Wohlwollen für alles Gute und Tüchtige, fowie von aufrichtiger 
Ehrfurcht für alles wahrhaft Menfchliche erwärmt. Will man der 
vidaktifchen Poeſie einmal das Bürgerrecht auf dem Parnaß ein- 
räumen — und was möchte e8 wol helfen, fie durch kritiſche Macht⸗ 
ſprüche zu verbannen, da fie ja doch immer und zu allen Zeiten 
wiederfehrt, alfo jedenfalls auf einem allgemein ’empfunvenen Be- 
dürfniß beruht? — fo kann fie nicht wohl zwedimäßiger und liebens⸗ 
würdiger auftreten, als in biefen Hammer'ſchen Gebichten, bie 
ebenfo ehr zur Umfchen in der Welt, wie zur Einkehr in fich felbft 
ermuntern. — Die Sammlung „Zn allen guten Ständen“ erreicht 
ihre Borgängerin nicht ganz. Es ift eine Art poetifchen Kalenders, 
in weldhem ver Wechſel der Jahreszeiten, Firchliche und ländliche 
Feſte und Anderes, wie bie Reihenfolge der Monate es miit fi 
bringt, poetiſch verherrlicht werben. Vielleicht ift viefe Breite ver 
Anlage daran ſchuld, daß, der Dichter auch in der Ausführung ein 
wenig breit geworben und daß neben manchem recht Gelungenen 
und Innigen ſich auch einiges Derfehlte und Schwächliche findet. 
Einen Fehlgriff erbliden wir namentlih in der Aufnahme des 


‚orientaltfchen Elements, diefe Manier erfordert eine gewiſſe fimt- 


liche Fülle, eine Art poetifcher Truntenheit, die Dem Maren, einiger- 
maßen nüchternen Sinne diefes Poeten verfagt ifl. Auch flört die 
Bermifhung mit dem antiken Element, in deſſen Anwendung ber 
Verfaſſer jedoch ebenfalls nicht durchweg glücklich geweſen ift, indem 
er zuweilen in eine mythologiſche Romenclatur verfüllt, die zu den 
Zeiten unferer Großväter allerdings recht ſehr Mode war, aus ber 
neueren Poeſie aber mit Hecht verbannt iſt. Im „Feſter Grund 
iſt der Dichter mehr zu feiner früheren Weife zurückgekehrt, und wenn 


nichtöbeftoweniger der Eindruck auch hier nicht ganz fo.befriebigenv 











Yulius Hammer und Julius Sturm. 973 


it, wie in „Schau um did) und ſchau in dich,“ fo Liegt das wol 
bauptfähhli daran, daß er nit mehr fo neu ift und daß ber 
Dichter ſelbſt ſich feine beften Pointen bereits vorweg genommen hat. 
Außer al didaktiſcher Dichter ift Julius Hammer neuerdings 

au als Roman- und Theaterdichter aufgetreten. Sein Drama: 
„Die Brüder” wurde bisher nur in Dresden aufgeführt. Auch 
fein Roman: „Eintehr und Umkehr“ (2 Bde. 1855) ift eime ächt 
Dresoner Geſchichte, nicht bloß ihrem Lokal nach, fondern auch in 
Betreff der. geiftigen Färbung. Man wirft unferen modernen 
Poeten fonft ver., daß fie ihre Helden zu. häufig unter dem Aus- 
wurf ver -Öejellichaft wählen und mit zu großer Vorliebe bei 
ihauerlihen und haarfträubenden Situationen verweilen. Auf 
Yulius Hammer und feinen Roman kann diefer Vorwurf Feine 
Anwendung finden; hier find die Menfchen alle außerordentlich 
gut. ‘Die beipen Böjewichter des Romans werben fon im erften 
Bande abgethan, und was num übrig bleibt, ift alles von einer 
. Braoheit und Gemüthlichkeit, die. man mufterhaft nennen könnte, 
wenn jie nicht leider ein Mein wenig langweilig. wäre. Auch die 
Form des Buches ift fauber und wohlgefeilt; ver Eindruck des 
Sanzen ift mehr harmlos und ftillpergnügt, als eigentlich poetiſch. 
In diefer Sauberkeit und Harmlofigfeit giebt fi) auch Julius 
Sturm als ächten Oberfachfen-zu erfennen. Er ift der richtige poe⸗ 
tifche Yandemann Zulius Hammer’s, nur daß, wie ſchon erwähnt, 
der lyriſche Charakter bei ihm vorherrſcht; bemerken wir an Julius 
Hammer zumeilen eine gewiſſe rationaliftiiche Nüchternheit, fo 
erfreut uns an Julius Sturm eine edle Schwärmerei der Empfin- 
dung, die doch nirgend dad Mare Auge des Dichters trübt oder 
ihn gar zu einfeitigem Yanatismus verleitet. | 
Und doc Liegt diefe Gefahr der Gattung, welche Julius 
Sturm angebaut hat, nicht ganz fern. Nämlich) wie Julius Hammer 


Brugg, die deutiche Literatur der Gegenwart. I. . 18 





274 Poetiſcher An⸗ und Nachwuchs. 


gleichſam ein weltlicher Prieſter iſt, ſo iſt Julius Sturm ein wirt: 
licher dichtender Prediger; jener will aufflären, dieſer durch Fröm⸗ 
migkeit erbaune. Aber ſeine Frömmigkeit iſt geſund und unver⸗ 
falſcht, ſie wirft weder ſcheele Seitenblicke auf die Andersdenkenden, 
noch kokettirt ſie, wie bei Redwitz und Genoſſen, mit ſich ſelbſt. 
Julius Sturm hat ſeit ungefähr zehn Jahren eine Reihe von Lieder⸗ 
ſammlungen erſcheinen laſſen, die vom Publicum ſämmtlich mit 
Theilnahme aufgenommen worden find; fo „Gedichte“ (1850), 
„Zwei Roſen over das hohe Lieb der Liebe” (1853), eine freie 
Bearbeitung und Erweiterung des biblifchen Hohen Liebes, „Neue 
Gedichte” (1856), „Neue fromme Lieder und Gedichte” (1857) xc. 
Sie tragen alle venfelben einfachen, ſchmuckloſen Charakter; es find 
reine, tiefe länge des Herzens, wahr und innig, wie die Eimpfin- 
dung, bie darin zum Ausdruck gelangt. Der Dichter iſt fanft, 
mild, bingebend, aber bei alledem nicht ohne Kraft; er ift enpfin- 
bungsreih ohne Sentimentalität, er ift fromm ohne Heuchelei. 
Gleich Thesdor Storm, an deſſen zarte, finnige Seite er erinnert, 
ohne jedoch jene Fülle verhaltener Leivenfchaft zu haben, die ben 
Schleswig-Holfteinifchen Dichter auszeichnet, ift auch Julius Sturm 
nicht unberährt geblieben von dem Kampf des Lebens, im Gegen 
theil, wir ſehen veutlich die Hand des Schickſals, die auch in dieſes 
Leben hineingreift und feine üppigften und verheißungsvollſten Blü⸗ 
ten knickt. Aber wir fehen auch, wie der ‘Dichter diefen feindlichen 
Geſchicken muthig Stand hält und ſich durch Nacht und Ungewitter 
zum Siege emporſchwingt. 

Wir ſagten bereits, daß ein großer Theil der Sturm'ſchen 
Lieber zur Erbauung beſtimmt iſt: allein auch da, wo ber Dichter 
ih an beſtimmte Weberlieferungen des firhlihen Glaubens an- 
lehnt, trägt feine Poeſie doch nirgend etwas künſtlich Gemachtes 
oder dogmatiſch Beſchränktes an fi, vielmehr hat er e8 mit glüd- 





Zuling Hammer und Julius Sturm. 275 


lichem Inſtinct, dem Inſtinct eines guten Herzens und eines ächten 
‚Dichters, verftanden, auch jene pofitiven kirchlichen Beziehungen in 
den Aether reiner, wahrer Poefie emporzuheben und fie eben 
dadurch jedem poetifch empfänglichen Gemüthe, einerlei welcher 
Slaubensrichtung daſſelbe angehört, zugänglich und verſtändlich zu 
machen. Diefem Haren, harmonischen Inhalt entſprechend ift auch 
bie Form klar, leicht umd gefällig, nirgends flogen wir auf einen 
ſchiefen Gedanken, nirgends auf einen fchwerfälligen oder dunkeln 
Ausdrud und nur was die Reinheit der Keime anbetrifft, vermag 
ber Dichter feine ſächſiſche Herkunft nicht ganz zu verleugnen. 


- — 


18° 


8. 
Hermann. Fingg. 


Daß unſere Zeit aber nicht bloß ſolche milden und weiblichen 
Charaktere hervorbringen kann, wie Inlius Hammer und Julius 
Sturm, ſondern daß ihr auch die Kraft herber Männlichkeit nicht 
ganz verſagt iſt, dafür bietet Hermann Lingg einen eben ſo über⸗ 
raͤſchenden wie glänzenden Beweis, 

Auch in anderer Hinlicht noch gehört Hermann Lingg zu den 
merkwirbigften Phänomenen unferer neueren Literatur. Während 
unfere Dichter fonft regelmäßig gewiſſe Schul- und Lehrjahre vor 
ven Augen des Publicums durchmachen, trat er mit feinen von 
Emanuel Geibel herausgegebenen und bevorworteten „Gedichten“ 
(1854) gleich fir und fertig, wie eine geharnifchte Pallas vor die 
Deffentlichfeit, und zwar gleich mit’ einem fo ausgeprägten und 
eigenthiimlichen Charakter, daß das Publicum, das -unferer Zeit 
eine folche poetifche Zeuguingsfraft gar nicht mehr zugetraut hatte, im 
erften Augenblid ganz verduzt Davon ward. Das war wirflic einmal 
ein „Neuer Menſch;“ da war nichts Nachgebilvetes, nichts Ange 
lerntes, fondern in ſchöner, natürlicher Frifche quillt der Strom der 
Lieder aus dem narbenvollen Herzen dieſes Dichters. Statt fich, wie 
die Mehrzahl unferer heutigen jungen Boeten, in müßige Tänve- 
leien zu verlieren und eine kurze Liebſchaft zu einem langen Klage: 











Hermann Yinge.. 277 


lied auszufpinnen, hat Hermann Lingg feinen Blick frühzeitig den 
großen Erfcheinungen des Völkerlebens in Gefchichte, Religion und- 
Sitte zugewendet; feine Poefie ift plaftifch, geftaltenreich, ohne darum 
der innern Wärme zu entbehren; kehrt er aber einmal in das eigene 
Herz ein, läßt er uns einen Bid thun in die Welt der Empfün- 
dungen, die hier, unter ver ruhigften Oberfläche doch fo wild, fo 
ftürmifch durcheinander wogen, fo gefchieht auch dies mit fo viel 
weifer Mäßigung, es ift, ganz im Gegenfat zu der Zerfloſſenheit 
und Ueherfhwänglichkeit unferer Tagespoeten, ſo viel gebiegene 
Männlichfeit darin und ſolch fefter, ſelbſtbewußter Sinn, daß wir 
uns nur um fo lebhafter Davon angezogen fühlen. Gleich Theodor 
Storm befigt Hermann Lingg eine ungewöhnliche Meifterfchaft in 
dem Ausprud geheimer, tiefverhaltener Leidenſchaft; es iſt die Ruhe 
in der Bewegung. 

Im innigſten Zuſammenhange damit ſteht fein ausgezeichnetes 
plaftifches Vermögen , das fi) namentlich in feinen Schilderungen 
offenbart, ja feine ganze Boefie ift zum großen Theil vefcriptiver 
Nat. Doc ift es nicht jene ängſtliche Moſaikarbeit, nicht jenes 
Zufammenhäufen, Zuſammenwürfeln von Farben, Bildern, Ver⸗ 
gleichen, das die Mehrzahl feiner vichterifchen Collegen für die wahre 
Höhe der Kunſt hält und mit dem fie doch in der That nur ihre eigene 
dürftige Leere vergeblich) zu verdecken fudyen — nein, die Schilde⸗ 
rumgen dieſes Dichter® gehen ſtets nur aus der Nothwendigfeit des 
fünftlerifchen Organismus hervor, fie find durchweg dramatiſch 
und tragen denfelben ernften, männlichen Geift an ſich, der ihn 
übrigens Zu einer fo bemerkenswerthen Erfcheinung mitten in 
ver Verweichlichung und ſchonthueriſchen Betriebſamkeit unſerer 
Tage macht. 

An Hermann Lingg zeigt es ſich überhaupt recht, welch ein 
Segen in der Einfamkeit liegt und was der Künſtler dabei gewinnt, 


278 Poetifcher An- und Nachwuchs. 


wenn er nicht allzufrüh in das Lärmen des Tages, in die laute 
Geſchäftigkeit des Kiterarifchen Marktes gerifien wird. Hermann 
Lingg hat fich aus fich jelbft entwidelt, jo weit Das in ımjerer mo= 
dernen Zeit überhaupt noch möglich ift; die wiberfprechenden Rich- 
tımgen des Tages haben auf ihn feinen Einfluß geübt, mie hat er 
um den Beifall der Menge gebublt, fondern in heiliger Stille dem 
Gott feines Innern gedient. Im viefer ftrengen, ftolzen Abfonde= 
rung, die felbft eine gewiffe Herbigfeit nicht ſcheut, erinnert er 
an Platen, dem er auch darin gleicht, daß er mit beſonderer Vor— 
fiebe. unter ven Trümmern des klaſſiſchen Altertbums verweilt. 
Doc gehört ex in der Form entſchieden ber modernen Zeit au; 
man könnte ihn, wenn mit vergleichen Wortfpielen überhaupt viel 
genäßt wäre, einen mit Haffifchem Geift gefättigten Romantiker 
nennen, einen Heine, an deſſen Zerrifjenheit er zumeilen nicht un- 
deutlich erinnert, mit Platenfhem Inhalt. — Natürlich find nicht 
alle Stüde ber Sammlung (die übrigens vom Publicum, nachdem 
daſſelbe fich von feiner erften Beſtürzung erholt hatte, mit großem Bei= 
fall aufgenommen wurbe und bereits faft fo viel Auflagen wie Jahre 
zählt) von gleichem Werth. Im einigen, namentlich in denjenigen, 
welche ven Abfchnitt „Geſchichte“ eröffnen, macht fich ftellenweife 
eine gewiſſe Hinneigung zu der Schiller’fchen Prachtrhetorik bemerk⸗ 
bar, die dem heutigen Gefhmad bekanntlich nicht mehr recht zufagt. 
Andere Dagegen, und in ver That nicht wenige, find in ihrer Art 
vollendet. So vor allem „Der fhwarze Tod:“ ein Nachtgemaälde 
von erjchätternder Großartigkeit, das vielleicht nur an einigen 
Stellen, beſonders gegen die Mitte hin zu ſehr ausgeführt iſt, um 
in die Reihe jener klaſſiſchen Gedichte aufgenommen zu werden, 
die den Schmuck unferer Literatur bilden und von. Geſchlecht zu 
Geſchlecht forterben: 





Hermann Lingg. 279 


Erzitt’re, Welt, ich bin die Peſt, 
Ich komm' in alle Lande, 

Und richte mir ein großes Feſt, 
Mein Blick iſt Fieber, feuerfeſt 
Und ſchwarz iſt mein Gewande. 


Ich bin der große Völkertod, 

Ich bin das große Sterben, 

Es geht vor mir die Waſſernoth, 
Ich bringe mit das theure Brot, 
Den Krieg hab’ ich zum Erben. ꝛc. 


Außer diefen „Gedichten, die jedoch in den verſchiedenen Auf- 
lagen verjchieventlich vermehrt worden find, hat der Dichter bis 
jetzt nichts weiter veröffentlicht; wir rechnen ihm auch das als einen 
Vorzug an und als ein neues Merkmal feines ächten Dichtergeiftes, 
daß er ſich nicht, gleich fo vielen anderen angehenden Poeten, durch 
den Beifall, ver feinem Erftlingswerf zu Theil geworben, zu einer 
übereilten und vegellofen Probuctivität hat verführen laſſen. Biel 
und gut find nad) einem alten Spruch felten züſammen; wir find 
ber Tagelühner ver Literatur eben genug, ald daß wir und nicht 
freuen follten, wenn einmal ein Schriftfteller unter uns auftritt, 
ber das Recht hat, ſparſam zu produciren — und muß namentlich 
in biefer Hinficht das Jahrgehalt, durch welches König Marimilian 
von Baiern den Dichter über die gemeine Nothdurft des Tages 
emporgehoben bat, als ein wahrhaft königliches Geſchenk bezeich⸗ 
net werden. 

Inzwiſchen ſoll der Dichter ein größeres epiſches Gedicht unter 
der Feder haben: „Die Völkerwanderung,“ aus dem auch bereits 
in der erſten Auflage der „Gedichte“ verſchiedene Bruchſtücke mit⸗ 
getheilt wurden. Natürlich hat jeder Dichter das Recht, ſich 
feinen Stoff frei zu wählen, am allerwenigften aber kann es und 
einfallen, über ein Gedicht zu urtheilen, das noch gar nicht vollendet 


280 Boetifcher An- und Nachwuchs. 


vorliegt. Eines gewiſſen Bedenkens aber können wir uns aller- 
dings nicht erwehren und zwar eben im Hinblid auf die mitgetheilten 
Proben, ob diefer an fich fo entlegene, fo unerguidliche Stoff wol 
wirklich zur poetifchen Behandlung, zumal in unferen Tagen, ge- 
eignet ift; was ift uns, umter Denen fich eine ganz andere Wande⸗ 
rung der Öeifter entwidelt hat, die alte mythiſche Völkerwanderung 
und welche Sympathien vermag fie zu erweden? Sol und muß 
fie aber einmal poetifch behandelt werben, fo ſcheinen ung bie zier⸗ 
lihen Ottaverime, in benen bie mitgetheilten Bruchftüde abge- 
faßt find, am wenigften dazu zu paflen; ein fo wüfter, formlofer 
Stoff, in diefem zierlichften, regelrechteften aller Maße, macht einen 
Eindrnd auf uns, faft wie ein Wilder im Frad. " 

Doc der Genius leitet den Dichter; er wird auch Hermann 
Lingg leiten, der jedenfalls eine der reinften und ächteften Dichter- 
naturen ift, die neuerdings unter uns aufgetreten und befien Namen 
wir allen Denen, bie biefes letzte Jahrzehnt ver poetifchen Unfrucht- 
barfeit anlagen, triumphirend entgegenhalten dürfen. 


9. 
Serdinand Gregorovius. 


Ferdinand Gregorovius ift dem größeren Publicum als Dich- 
ter bis jet nur wenig befannt; mit fo einftimmigem Beifall feine 
vortrefflichen touriftifchen und Kulturgefchichtlichen Schriften (,Cor⸗ 
fica,“ 2 Be. 1854; „Figuren. Geſchichte, Leben und Scenerie 
aus Italien,” 1855; „Die Örabmäler ver römischen Päpfte. Hifto- 
riſche Studie,“ 1857) aufgenommen worden und fo werbreitet fie 
find, ſo wiſſen doch nur wenige befonders aufmerkſame und eifrige 
Freunde der Literatur, daß diefer gründliche Kenner ber Alten 
» Welt, viefer forgfältige Beobachter des modernen Volkslebens, diefer 
geſchmackvolle Interpret der antiken Runftrefte auch ein eben fo geiſt⸗ 
und geſchmackvoller Dichter ift. 

Und doch, wer auch nur jene Reifebücher und Schtiverungen 
mit einiger Sorgfalt gelefen, ver hätte ſich wol eigentlich felbft 
fügen müſſen, daß dieſer Schriftfteller nothwendig auch Poet. 
Mit unnahahmlichen Farben fchildert Gregorovius die Pracht der 
ſüdlichen Natur, aber auch für die ernfte Schönheit der alten Kimſt 
fteht ihm jederzeit das richtige Wort zu Gebote; an raſchem Faden 
läßt er die Geſchichte der Vergangenheit fi) vor uns abfpinnen, 
aber auch den Punkt, an den das Interefle ver Gegenwart ſich 
knüpft, weiß er mit ſcharfem Blick und ficherer Hand beranszu= 


282 Poetiſcher An - und Nachwuchs. 


kehren und in das entſprechende Licht zu ſetzen; er iſt vertraut mit 
den großen Geiſtern des alten Rom und auch die Helden, die der 
vulkaniſche Boden Italiens in der Neuzeit geboren hat und auch 
das tägliche Treiben des Volks, ſeine Arbeiten, ſeine Luſtbarkeiten 
und Thorheiten ſchildert er uns mit denſelben lebhaften und treuen 
Farben. 


Daneben aber iſt er auch ein ſcharfſinniger und wohlgeſchulter 
Philoſoph, und zwar nicht einer von denen, deren Philoſophie bloß 
hinter dem Ofen hockt; nicht nur Italien, das Land der Schönheit, 
ſondern auch das Gebiet des Staats und der modernen Geſell⸗ 
ſchaft hat er durchwandert und auch von hier eine bedeutende und 
glückliche Ausbeute mit zurückgebracht. Noch bevor Gregorovius 
nach Italien ging, gab er ein gründliches und geiſtvolles Werk über 
„Goethe's Wilhelm Meiſter in ſeinen ſocialiſtiſchen Elementen“ 
(1849) heraus, das nicht nur ein tiefes Verſtändniß Goethe's, 
ſondern auch eine eigenthümliche und fruchtbare Auffaſſung des mo⸗ 
dernen Lebens im Allgemeinen bekundete. 


Woher denn dieſe Mannigfaltigkeit? woher dieſes inſtinct⸗ 
mäßige Verſtändniß, das er für die verſchiedenartigſten Aeuße— 
rungen der Kunft und des Lebens hat? 


Daher eben, weil Gregorovius nicht bloßein kenntnißreicher und 
gründlicher Gelehrter, nicht bloß ein vwieljeitig gebildeter und auf- 
merkfam um fich blickender Touriſt, fondern weil er zugleich auch 
ein Dichter ift, weil er das Geheimniß des Daſeins im eigenen 
Buſen trägt und weil bie Fülle der Erjcheinungen, vie ihn umgiebt, 
nur gleichfam das Spiegelbild feines inmeren Reichthums ifl. 
Darin liegt namentlich der Reiz feiner Beſchreibungen von Land 
und Bolt, das giebt ihnen diefe eigenthümliche Anmuth und Friſche, 
biefen peetifchen Schmelz, ver über feinen Schifverungen aus= 


® 


Ferdinand Gregorovius. 283 


gebreitet liegt: dieſes Herzblut des Poeten, das. alle feine Figuren 
durchſtrömt und Großes wie Kleines, Hohes wie Niedriges, Kunft 
wie Natur, Bergangenbheit wie Gegenwart mit derſelben liebevollen 

Hingebung erwärmt und belebt. 

Und diefe Wärme und Tiefe der Empfindung, dieſe finnige 
und großartige Auffaffung finden wir nun auch in feinen poetifchen 
Berfuchen wieder. Zwar die „Magyarenlieber, die er 1848 
zur Zeit des ungarifchen Krieges exfcheinen ließ, waren nur ein 
fliegenves Blatt, pas er in den Strom der Zeit warf; es war ein 
melodiſcher und mwohlgemeinter Nachklang ver älteren politischen 
Lyrik, aber ohne felbftändigen Inhalt. 

Ebenfalls noch ein Erſtlingswerk, aber ein boffnungreiches, 
war, feine Tragödie: „Der Tod des Tiberius“ (1851). Zwar 
eine Tragödie war diejer Tiberius nicht, nicht einmal ein Drama, 
nur eine pſychologiſche Skizze, Die e8 dem Verfaſſer beliebt hatte in 
einer. Reihenfolge pramatifcher Scenen zur Ausführung zu bringen. 
Zum Drama fehlt dem Gebicht erftens die Handlung; diefe epi- 
jodifchen Schilderungen aus ven legten Tagen des Tiberius, biefe 
gelegentlichen Verhandlungen des Senats, dieſe Feſte von Capri, 
dieſe Verſchwörungen, die bier in ‚ziemlich lockerer Reihen— 
folge abwechfeln, ohne doch ein irgendwie erſchöpfendes Bild ver 
Situation zu geben, fünnen wol allenfalls für ven Rahmen, vie 
Einfaffung eines dramatiſchen Werkes gelten, nicht aber für ven 
Kern einer wirklichen dramatiſchen Handlung. Daraus ergiebt 
fi denn fofort ein zweiter Mangel bes Stüds: wie an ber dra⸗ 
matifchen Handlung, jo fehlt es ihm aud an einer eigentlichen 
Charakterentwidelung. Tiberius ift fertig, wie wir ihn kennen 
lernen; wir erfahren nichts über den’ Weg, auf dem er zu biefem 
Gipfel der Verworfenheit und Weltveradhtung gelangt ift, noch 
wird uns irgend eine neueintretende Krifis feines Charakters zur 


. 284 Poetiſcher An- und Nachwuchs. 


Anſchauung gebracht; er ift, mie er bleibt und bleibt, "wie er 
ift, während boc jedes wahre bramatifche Intereffe einen inner- 
fihen Umſchlag, eine Entwidelung und Krifis des " Eharaliere 
vorausſetzt. 

Eine weitere Folge dieſer beiden Uebelſtände iſt die Maſſe 
von Monologen, in denen Tiberius ſich ergeht und die bei aller 
Schönheit, ja Großartigkeit im Einzelnen, doch auf die Dauer 
etwas ermüdend wirken. Allein auch mit dieſen und einigen 
ähnlichen Fehlern, die ihre gemeinſame Wurzel ſämmtlich in ber 
unter uns Deutfchen faft zur Regel gewordenen Bernachläffigung 
ber dramatifchen Technif haben, bleibt „Der Tod des Tiberius‘ 
gleichwol einer der bebeutenpften bramatifchen Verſuche, welche 
viefe zehn letzten Jahre aufzumeifen haben. Der ganze Stil 
des Stüds hat etwas Edles und Großartiges; es ift eben tra- 
gifher Stil. Der Ton des Zeitalter ift, ohne Antiquitä- 
tenfram und ohne pevantifche Nachäfferei, mit wunderbarer 
Treue gehalten. Namentlich in der Schilderung der Hauptperfon, 
in dieſer ſich ſelbſt und die Welt verachtenden, der Welt und 
ihrer jelbft überbrüffigen Schlechtigfeit des Tiberius, hat Der 
Dichter fih als ein Meeifter ver Charafteriftit bewährt; hier iſt 
fein Zug, ber nicht in das Gemälbe pafite, fein Wort, fein Hauch, 
bie ung wicht den Eindruck machten, als könnten fie wirklich ein- 
mal auf der bleichen, von Menſchenhaß und Selbftverachtung ge- 
fräufelten Lippe dieſes majeftätifchen Sünders gejchwebt haben. 
Auch die Sprache muß mit befonverer Auszeihnung genannt wer⸗ 
ben; dem Gegenftande angemefjen, ift fie überall von einer wahr- 
haft ehernen Feftigkeit, ſchmucklos, knapp, dennoch des poetischen 
Schwunges nicht entbehrend und dabei von einer höchft glüdlichen 
bramatifchen Lebendigkeit. 

Sei ed nun aber feine Reife nach Italien, wo der Dichter 





Ferdinand Gregorovius. | 285 


nod) im dieſem Augenblid vermeilt, jei es die Kälte und Gleichgül— 
tigfeit, mit welcher „Der Tod des Tiberius“ von dem größeren 
Publicum aufgenommen. ward, genug, Die Mufe des ‘Dichters ver- 
ſtummte ſeitdem beinahe völlig, und erft vor etwa Jahresfriſt 
bat er feinen Freunden im VBaterlande wieder Ein poetifches Gaft- 
geſchenk von jenfeit der Alpen zugehen laflen: „Enphoreon.” Es 
find poetifche Schilderungen aus dem häuslichen Leben ver Alten, 
anfnäpfend an den Schmuck einer antifen Lampe, vie in Pompeji 
ausgegraben warb und bie in der Hand des Dichters zu einem 
Schlüſſel wird, mit dem er uns die innerften und anmuthigjten 
Bartien des Alterthums aufichließt.. Wie es dem antiken Gegen- 
itand geziemt, ift auch die Form der Antife mit Gefhmad und 
Sorgfalt nachgebilvet;. der melodiſche Fluß des Hexameters, das 
Ohr mit antikem Hauch) umfchmeihelnd, trägt uns zuräd in jene 
glüdlichen Zeiten, wo der Altar der Schönheit, der jet tief ver— 
graben Liegt unter Schutt und Graus, noch hochaufgerichtet ſtand 
vor allem Volk. 

Im Uebrigen it es weder Zufall nod Willkür, daß wir 
biefen von der Kritik bisher wenig beachteten Dichter eben an dieſe 
Stelle fegen. Verkanntes oder nicht hinlänglich. gewürbigtes Ver- 
bienft in feine Rechte einzufegen, ift ja überall einge ber ſchönſten 
Pflichten des Hiftorifers, in der Literatur ſowol wie in der Po- 
htif: und wenn dies Buch eine Menge von Namen nit nennt, 
die unferen Literaturgefchichten ver Gegenwart font als Ballaft 
dienen, warum foll es nicht einige wenige Namen anführen, veven 
bisher in der Fiteraturgefchichte entweder gar nicht oder bach nur 
ſehr flüchtig gedacht ward? — An diefe Stelle aber, in Lingg's 
Nachbarſchaft, gehört Gregoronius wegen ber inneren Berwandt- 
haft, in welcher er zu dieſem Dichter fteht. Es ift in ihm 
nicht nur berfelbe weitgreifende hiſtoriſche Blick, verbunden mit 


286 Boetifcher An- und Nachwuchs. 


berfelben Liebe für das klafſiſche Alterthum, es ift auch derſelbe 
ernfte, finnige Geift, dieſelbe Gedrungenheit der Form, mit 
einem Wort dieſelbe firenge Männlichkeit, welche Lingg und Gre 
gorovins erfüllt und die hoffentlich in beiden Dichtern nod zu 
einer Reihe ſchöner, harmonifcher poetifcher Schöpfungen empor- 
blühen wird. 





10, 
Iulins Braße. 


In die Nachbarſchaft diefer beiden Dichter gehört aber auch 
ferner noch Zulins Große, der jüngfte unferer Dichter (feine 
„Gedichte“ haben erft im Spätherbft 1857 -vie Preffe verlaffen, 
ein früheres Werk von ihm aßer, ein pramatifcher Verſuch: „Cola 
di Rienzi,“ 1850, iſt mit Recht in Vergeflenheit gerathen): und 
zwar aus benfelben Gründen, weshalb wir Gregorovius und Lingg 
zufammenftellten. Auch Iulius Große ift ein richtiger „Neuer 
Menſch,“ feiner jener ewigen Yünglinge, deren Jugend uns endlich 
langweilig wird, weil fie und immer nur daſſelbe lachende Kinderge⸗ 
ſicht zeigen, nein, feine Jugendlichkeit, die allerdings noch zuweilen 
fehr wilb ſchäumt und lärmt, tft nur bie herbe Knoſpe reifenver 
Männlichkeit. Es ift wiederum feines von ben fhlechteften An- 
zeichen, die wir an unſerer neueften Literatur bemerken, biefe eigen⸗ 
thümliche Herbigfeit, dies etwas ftarre, trotzige Wefen, das ſich 
grade an ihren jüngften und hoffnungsreichen Vertretern kundgiebt; 
wie ſchon Georg Herwegh vor beinahe zwanzig Jahren mahnte, 
daß wir genug geliebt und daß es num endlich Zeit fer zum Haſſen, 
fo und mit fo viel größerem Recht kann man von unferen heu- 
tigen Dichtern fagen, daß fie lange genug füR und zierlich geweſen 


288 Poetiſcher An- und Nachwuchs. 


und daß es nun endlich an der Zeit, ein wenig herber und männ⸗ 
licher zu werden. 

Nur in einem Punkt unterſcheidet dieſer Dichter, den beſon⸗ 
ders die Fülle und Selbſtändigkeit einer ungemein fruchtbaren, wenn 
auch noch einigermaßen ungeregelten Phantaſie auszeichnet, ſich 
weſentlich von den beiden vorhin beſprochenen Dichtern: das iſt ſeine 
Vorliebe für das Mittelalter. Was für Lingg und Gregorovius 
der klaſſiſche Boden ver Alten Welt, das iſt für Große die Roman⸗ 
tif des Mittelalters. Große [hwärmt mit dem jugendlichen Pagen 
für die ſchöne Burgfrau ‚ ex läßt den Falken fteigen und tummelt 
fih hoch zu Roß in ritterlihem Kampf; er vertieft fich im bie 
Zauber der altdeutſchen Märchenwelt und läßt Zwerge und Kobolve 
ihre ſchalkhaften Streiche treiben; er führt uns in die Heine, mittel- 
‚alterlich enge Stapt, unter das Dach des Keinen ſtillen Bürger⸗ 
hauſes, zunächſt am grauen Stadtthor mit den bröckelnden Steinen 
und dem grünen Epheu, wo ehedem ſich die Taube jo dicht und trau⸗ 
(ic) wölbte und wo num boshafte Spaten zwitfchern von der Noth des 
Mädchens, das der Geliebte verlafjen hat; er ahmt jenen mittel: 
alterlihen Malern nad, die ven Triumpbzug des Todes abeonter: 
feien und ſchreibt Phantafieftüde aus den Memoiren des Senfen: 
manns. Das find zum Theil fehr vüftere, zum Theil fehr grelle 
Bilder, aber fie find mit fräftigem und ficherem Pinfel entworfen ; 
28 iſt Mark im dem Arm, der dieſe feden Striche da jo fpielent 
an die Wand wirft, unbefümmert, ob hier.eine Nafe zu lang, ort 
eine Hand etwas zu kurz ober ein Fuß ein wenig fehief geräth. 
Sceltet nit auf die ſchiefen Beine und die langen Nafen; folde 
wilde, nerwegene Gefellen geben oft bie. befonnenften und beiten 
Meifter und jedenfall® berechtigt dieſe ftrogende Naturkraft zu 
befieven Hoffnungen, als vie geledte Zierlichkeit jener Alademiler, 
die alle Geheimniſſe ver Kunft erjchöpft zu haben glauben, weil fie 


Julius Große. 289 


x 


Lineal und Winkelmaß fleifig verwenden und alles fein auf Pro- 
portionen gebracht haben. | 


Doch Italien ift umd bleibt nun einmal das Heimatland 
ber Kunſt und fo betritt auch diefer von der Romantif des Mittel: 
alter8 aufgefängte Dichter den alten Haffiichen Boden: „Reliefs, 
Italtenifche Charaktere und Figuren. Gefchrieben 1856.“ Und 
da geht nun eine höchſt merkwürdige Veränderung mit ihm vor: 
aus dem ſchwärmeriſchen Romantiker wird plößlich ein ſchaden⸗ 
froher Rationalift, aus dem Liebhaber der Kloftermauern und 
Kreuzgänge wird ein Feind der Mönche und Pfaffen, ver vie 
ätzende Lauge feines Spottes gradeaus auf die diden feiften Köpfe 
der italienifchen Priefter gießt. 


Ueberhaupt ift dies ein höchſt eigenthimlicher Zug des Dic- 
ters, in welchem er ſich am Deutlichſten als Sohn unferer modernen 
Zeit zu erkennen giebt: diefer gänzliche Mangel an Begeifterung, 
ja auch nur an Pietät für bie Reſte des Haffifchen Alterthums, die 
todten fowohl wie die lebendigen. Auch ſchon in Lingg und 
Gregorovius lebt etwas von dieſem fritifchen Geifte, mit dem wir 
heutzutage das moderne Italien betrachten und von dem nur ein 
folder abftracter Aefthetifer, wie 3. B. Paul Henfe, fich völlig frei 
erhalten konnte. Im feinem jedoch tritt dieſer kritiſche Geift ſchärfer 
und fchneivenver hervor als in Julius Große; er ift unerfhöpflich 
in farkaftifchen Einfällen, wo es gilt, die Armfeligfeit ver „Enkel 
ver Caeſaren“ zu verfpotten und die fittliche und bürgerliche Herab- 
gelommenheit zu ſchildern, in die fie durch ihre geiftlichen und 
weltlichen Herrfcher verfett find. Den Große'ſchen Gebichten ift 
deshalb auch die Auszeichnung wiverfahren, von den Polizeibehörben 
eines gewiffen deutſchen Staates, in dem Kunſt und Willen] haft 
im Hebrigen vie forgfältigfte Pflege erfahren, confieirt und ver⸗ 


Drup, die deutſche Literatur der Gegeuwart. I. 


290 Poetiſcher Au⸗ und Nachwuchs. 


boten zu werden. Aber der Funke des Genius läßt ſich durch 
feine Polizeimaßregeln auslöſchen; auch das wilde Feuer, das in 
dieſen Große'ſchen Gedichten lodert, wird ſich, wir ſind überzeugt 
davon, dereinſt noch zu reiner, ſchöner Flamme verklären, der 
Naine des jungen Dichters aber, der gegenwärtig in die Polizei— 
Iiften eingetragen ward, wird, hoffen wir, bereinft noch einen 
Ehrenplatz einnehmen auf den Blättern unferer Literaturgeſchichte. 





Lelpzig, Drad vom Bieferte & Devdent, 


Die deutfche 


Citeratur der Gegenwart. 


NANNY 


Zweiter Band, 











Die deutſche 
Literatur der Gegenwart. 
1848 bis 1858, 


Bon 
Nobert Prutz. 


Ob aus verlornen Aehren, 

Ob aus verwehter Streu 

Nicht etwa noch mit Ehren 

Ein Strauß zu binden fei? 

Ob nicht aus Korn und Mohne 
Noch eine bunte Krone, 

Werth daß man ihrer fchone, 
Sich fammeln laffe fill und treu? 


Freiligrath, „Bwifchen den GSarben.“ 


weiter Sand. 


— un DD — 


Leipzig, 
Boigt & Günther. 
1859. 








Inhalt des zweiten Bandes. 





“ Seite 
1. Da8 Junge Dentichland von ehedem und jest . . ... 1 


1. Allgemeines über Stellung und Bedeutung des joge- 


nannten Jungen Deutihland - - » 2 2 2 22.08. 
2. Karl CGublom - . 2 2 2 2 2 . 14 
3. Theodor Mundt . - » 2. 2 2 2 2 2 nen. 48 
4. Guſtav Kühne - . 2: 2 2 2 2 2m nn nn. 52 
5. he ern nnn. 60 
1. Der Romaı . . . 0.6 
1. Die deutſche Belletriſtit und das Bustium 0... 69 
2. Guſtav Freytag . . 7... |) 
3. Mar Waldan . . . 2.2... 185 
4. Wilibald Aleris und Levin Schucling nenn. 133 
5. Heinrih Koenig . - - .. 139 
6. Friedrich Hackländer und Brei — ... 15 
7. Karl von Holte..... ... . 18 
8. Robert Sifele © > 2 > Er 8201 
9. Gottfried Keller . . . een. 208 
10. Theodor Mügge und Edmund Hbſer een. 212 
11. Alerander von Sternberg . . - 219 
IN. Die Dorfgefhichte. Berthold Auerbach und dern Gott- 
helf; Joſef Rank und die nadabmer en . 297 
IV. Dicgtende Srauen . . . - en nenn 247 


1. Die Literatur und die rauen . . nee. 249 


VI Inhalt des zweiten Bandes. 


Seite 
2. Louiſe Mühlbach.. 2354 
3. Fanny Lewald. 257 
4. Louiſe von, Sal. . . ° . 262 


5. Amely Bölte, Julie Burow und Ottilie Wildermuth . 267 

V. Das Drama der Gegenwart; Andfichten in die Zulunft . . 271 
Zeittafel der in den Jahren 1848 bis 1858 erfienenen belle⸗ 

triſtiſchhen Werke...... nn. 284 





"I 


20s Iunge Beutichland von ehedem und jebt. 


Brus, die deutſche Literatur der Gegenwart. II. 1 








1. 


Allgemeines über Stellung und Bedeutung 


des 


fogenannten Jungen Deutfchland. 


Im erſten Bande unferes Werkes haben wir und ausſchließ⸗ 
lich mit ſolchen Schriftſtellern beſchäftigt, die entweder im letzten 
Jahrzehnt überhaupt erſt aufgetreten ſind oder die ihren Urſprung 
doch nicht weiter zurück datiren, als bis zum Anfang der Vierziger. 
Auch hatten dieſe fäınmtlichen Schriftſteller, mochten fie auch hie und 
da in andere Gattungen übergreifen, ihren Schwerpunkt doch we— 
ſentlich in der Poefie im ſtrengeren Sinne, namentlich und haupt⸗ 
fächlich in der Lyrik und im erzählenden Gebicht. 

Aber ift die Kiterarifche Phyſiognomie unferer letzten zehn 
Sahre damit nun wirklich erihöpft? Datirt unfere jüngfte. Lite 
raturepoche ‚wirklich umd.. ausschließlich exft vom Jahre Vierzig? 
Reicht Fein älteres Gefchleht mehr in die Gegenwart herüber ? 
Sollten insbeſondere jene Schriftfteller ganz verftummt fein, bie 
ehedem, im Lauf der dreißiger Dahre, unter dem Namen des Jungen 
Deutfchland fo viel von ſich renden machten ? 

Man kennt die Gefchichte von dem Heinen Töffel, ber, dieſes 
Beinamens überdrüſſig, fein Heimathsdorf verläßt, in den Krieg 
geht, Wunden und Ehrenzeichen davonträgt, und da er endlich, ein 
ſchnauzbärtiger, pulvergefchwärzter Invalive, wieder in fein Dorf 
zurückkehrt, was ift ver erfte Gruß, mit dem man ihn empfängt? 
„Sieb, Heiner Töffel, lebſt Du noch?!“ 


ı* 


4 Das Junge Deutihland von ehedem und jekt. 


Die Schriftfteller des fogenannten Jungen Deutſchland haben 
fih über ein einigermaßen ähnliches Schickſal zu beklagen. Auch 
fie haben im Laufe der beinahe dreißig Jahre, die vergangen find, 
feitvem jener Beiname zuerft auf fie angewendet ward, alles Mlög- 
liche gethan, venfelben in Vergefienheit zu bringen; auch fie haben 
Schlachten gelämpft und Abenteuer beſtanden und haben dam ein 
andermal fich ftill zu Haufe gehalten, währen die ganze Welt 
braufte und ſchwärmte; auch an ihmen ift die Zeit nicht fpurlos 
porübergegangen, auch fie haben längft aufgehört, die wahre Jugend 
Deutſchlands zu fein, e8 find fogar mehrentheils ganz olive, ganz 
rubige Bürger, im literariſchen wie im politifchen Sinne, aus ihnen 
geworben — und doch können fie vieſen verhůngnißvollen Beinamen 
nicht los werben, und doch müſſen fie, obwol zum Theil mit ergrau⸗ 
tem Kopf, dieſe Bezeichnung des „Jungen Deutjchlanp‘ mit fi 
herumfchleppen bis an das Ende ihrer Tage. 

Verhängnißvoll aber nennen wir dieſen Beinamen ceils wegen 
ſeines polizeilichen Urſprungs und der kleinlichen politiſchen Verfol⸗ 
gungen, an bie er erinnert, theils wegen des Widerſpruchs zwiſchen ven 
Erwartungen, welche ein ſolcher Name erweckt und Denrjenigen, was 
bie Träger deſſelben wirklich geleiftet haben. Es find bebeutenve 
Schriftfteller Darunter, ausgezeichnet ſowol durch die Gewandtheit und 
Energie ihres Talents, als namentlich durch die Bielſeitigkeit ihrer 
Leiftungen. Wir verdanken ihnen einige fehr geiftvolle kritifche Erbr⸗ 
terungen, einige fehr wirffawe Thenterftüde, einige fehr unterhaltende 
Romane und Erzählungen: aber bei allevem — ein eigentliche und 
wirlliches „Sunges Dentfchlann“ hätten wir uns doch nech anders 
gedacht. . 

wiewol es ſehr unrecht wäre, wollten wir die Träger dieſes 
Namens für die Erwartungen, die derſelbe erwectt und die von ihren 
nur zum Heinften Theil befriedigt worben find, verantwortlich 








- Allgemeines über Stellung und Bedeutung zc. 5 


machen. Es iſt eine fehr triviale Wahrheit, die aber doch auch in 
Kunft und Wiſſenſchaft ihre Geltung hat: Jeder ift jung — in feiner 
Jugend, und wenn wir, deren Locke eben noch braun, deren Auge 
beül, deren Blut heiß und ftümifch ift, — wenn wir nicht begreifen 
können, wie dieſe altersmüden, werwitterten Geftalten da vor und 
auch einmal jung gewejen fein follen, jo fteht ſchon ein neues Ger 
ſchlecht dicht hinter uns, bereit, denfelben Spott und viefelben Zweifel 
auf unfern, o Himmel, wie bald ebenfalls kahl gewordenen Scheitel 
zu ſchleudern. Nicht darauf eigentlich fommt e8 bei ver Würdigung 
geſchichtlicher Perfönlichkeiten an, was Jemand geleiftet, fonbern ob 
und in wie weit er Dasjenige geleiftet, was ımter den einmal beftehen- 
ven Berhältniften überhaupt zu leiften möglich war und wogu fein 
Schickſal, das ihn grade in viefen und feinen anderen Verhältniſſen 
geboren werben ließ, ihn gleichfam vorausbeſtimmt hatte. 

Legen wir dieſen beſcheidenen, aber doch allein gerechten Maf- 
ſtab an das fogenannte Junge Deutfchland, fo wird Manches und 
Bieles von dem, was und jetzt am dieſer Erſcheinung verftimmt 
und beleidigt, volllommen Mar und begreiflich werven. Wenn 
je eine literariſche Epoche, fo verdienen jene dreißiger Jahre, 
in melde das Auftreten des Jungen Deutſchland fällt, ven 
Namen einer -Uebergangsepoche; ſowol bie Vorzüge und Ber: 
bienfte, die wir den Mitglievern des Jungen Deutſchland durchaus 
nicht abfprechen wollen, als auch ihre Irrthümer und Unzulänglich- 
feiten wurzeln vornehmlich in diefem Umſtand. Die Julirevolution 
auf ver einen, die Ausbreitung und Popularifirung der Hegel'ſchen 
Philofophie anf der. andern Seite hatten jene Herrfchaft der Ro⸗ 
mantif, die fi ungefähr ſeit Schiller’3 Tode mehr und mehr über 
unfere Literatur ausgedehnt hatte, und die das Kiterarifche Seiten- 
ſtück unferer politifchen Reſtauration bilvet, theils geſtürzt, theils 
wenigftens fo erfchüttert, daß der Umſturz demnächſt und ohne große 


6 | Das Junge Deutfchland von ehedem und jegt. - 


Anftrengung erfolgen mußte. Nun aber ift es ein biftorifches Geſetz, 
daß tiberlebte, dem Untergang geweihte Richtimgen nicht ſowol durch 
völlig neue, ihnen ſchnurſtracks entgegengejeßte geſtürzt werben, als 
vielmehr von innen heraus; e8 ſtirbt eben Niemand, als an fich felbft. 

Oder um e8 noch genauer audzubräden: bie neue Richtung 
ber Zeit, welche allervings im Entftehen ift, tritt zunächſt in ver 
Form der alten abfterbenven Richtung auf und namentlich auch mit 
ihren Mängeln behaftet; es giebt feinen Sprung im ver Gefchichte 
und auch da, wo fie von einem alten, überlebten Princip zu 
einem neuen, höheren fortfchreitet, ift e8 immer biefelbe Entwidelung, 
bie 3. B. in ver Natur aus dem abfterbenven, werwefenden Samen⸗ 
forn die neue Frucht hervorgehen läßt. Das Zunge Deutſchland 
war der entjchievenfte und ausgeſprochenſte Gegenjat gegen bie 
bisherige Romantik, aber in weſentlich romantiſcher Form; die Ein- 
feitigfeit unſerer bisherigen bloß literarifchen Bildung wollte es 
aufheben, e8 wollte die Piteratur enger ans Leben anfchliegen und 
ihren ermatteten Leib in ber freien Luft der Gefchichte, durch Die 
Berührung mit Politik, Philoſophie und Theologie erfrifchen und 
wieber heritellen, bebiente fi dazu aber jelbft noch ausſchließlich 
Iiterarifcher Mittel; es wollte mit einem Wort die Titeratur über 
fi ſelbſt binausführen, verfiel aber, mitten in biefem Streben, 
bemfelben Iiterarifchen Kaftengeift, dem auch die Romantik ge 
huldigt hatte; e8 wollte eine pofitifch fociale Partei fein und 
brachte es doch nur bis zur literarifchen Coterie. 

Auch dies lag weniger an den Tendenzen und Mitteln bes 
jogenanuten Jungen. Deutſchlands, als vielmehr an ven unreifen 
und unfertigen Zuſtänden, unter denen daſſelbe fich entwidelte. Die 
Kluft, welche Literatur und Leben damals bei ung trennte, war zu 
groß, höchſtens ein Dichter, auf ven Fittigen des Genius, hätte fie 
überfliegen können: einen ſolchen wahrhaft genialen Dichter aber 








Allgemeines über Stellung und Bebeutung xc. 7 


wie hätte dieſe in fich zerrifiene, ohnmächtige Zeit ihn zu erzeugen 
vermocht? So fehr auch vie Theorie grade des Jungen Deutſchlands 
dagegen anlämpfte, es bleibt doch richtig: nur höchſte Geſundheit if 
höchftes Genie, es giebt feinen in fi) unharmonifchen und zerriffe- 
nen Dichter, der etwas Ganzes und Harmoniſches fchaffen könnte. 
Die Flügel des. Jungen Deutſchland reichten minder weit, grade fo 
weit, wie bie Schwungfraft ber Beit, in der dieſe Schriftfteller ſelbſt 
entftanden- und lebten. - Das eigentliche große Gebiet der Poefte, 
Epos und Drama, war ihnen verfchlofien und hat fich auch fpäter- 
hin, fo beharrlich fie zum Theil an jene Pforten pochten, ihnen fo 
wenig erjchloffen, wie irgend Einem aus moderner Zeit; felbft bie 
am weiteften vordrangen, find doch immer nur im Vorhof ftehen 
geblieben. Das Junge Deutfchland war überhaupt weit we= 
niger poetifch als Kiterarifch; die Lyrik namentlich, diefer Grundton 
aller Poefie, ver durch alle Gattungen verfelben mehr oder weniger 
hindurchklingt, war ihm vollſtändig verfagt. Auch dies lag großen 
Theils in feiner hiſtoriſchen Stellung; nachdem die Romantik fo 
maßlos in Gefühlen gefchwelgt, nachdem fie die ganze Poeſie zu 
einer bloßen abftracten Lyrik, ja noch weiter, zu bloßen mufifalifchen 
Stimmmgen verflüchtiget hatte, war e8 dem Geſetz hiftorifcher Ent- 
wickelung ganz angemefjen, daß ven Romantikern nunmehr ein Ge- 
ſchlecht auf die Ferſe trat, bei dem Gefühl und Empfindung im 
Gegentheil jehr umentwidelt waren und das hauptſächlich von den 
kritiſchen Mächten des Berftandes geleitet ward. Auch die Roman- 
tiker hatten viel und gern kritiſirt, aber fe thaten e8 immer nur 
zu äfthetifchen Zwecken; bei den Schriftftellern des Jungen Deutfch- 
land Dagegen follte. die Kritil weſentlich eine praftifche Macht fein, 
fie kritifirten die Literatur, weil fie das Leben, fie geißelten bie 
Poeten, weil fie die Stantsmänner ihrer Zeit firafen oder umſtim⸗ 
men wollten. Die Romantiker hatten von einer „poetifchen Poefte‘ 


8 Das Junge Deutichland von ehebem und jebt. 


gefabelt, das Junge Deutſchland ftellte die Liferatur ansprüdlich in 
den Dienft der PBraris und fehrieb feine Bücher nur, weil ihm zu 
Thaten theils die Gelegenheit, theils wol auch die Fähigkeit 
mangelte. g 

Der Berfafler hat ſchon früher einmal Veranlaſſung gehabt, 
ſich über Stellung und Bedeutung des Jungen Deutfchland ziemlich 
volfländig und. im Zuſammenhang auszufprechen (vergl. „„Vorle- 
fungen über bie deutſche Literatur der Gegenwart,” 1847). Es 
find ſeitdem mehr als zehn Fahre vergangen’ ımb feine Anfichten 
find heut noch viefelben wie damals, weshalb es ihm denn aud) 
verftattet fein mag, hier einige jener früher geäuferten Säge zu 
wiederholen. — Es ift, fagte er damals, die harakteriftifche Eigen- 
fhaft der modernen Literaturen, ſich aus ver Kritik zu entwickeln; 
ber Geift hat feine parabiefifche Unſchuld, feine Naivetät verloren, 
er- wird, was er wird, erft durch die Entzweiung der Reflerion. 
Darum geht aud in der Geſchichte ver modernen Literaturen 
jever neuen Epoche, jevem neuen Anſatz der Dichtung ein Ge— 
ſchlecht reflectirender Geifter, eine Generation von Rritifern woran, 
bie kommenden Probucttonen die Wege zeigen, indem fie die Unzu- 
länglichleit der bisherigen erweifen. So geht vor Goethe Leffing, 
fo vor den revolutionären Boeten der Sturm⸗ und Drangepoche die 
revolutionãäre Kritit Oerftenberg’s, der Frankfurter Anzeigen 2c. ein⸗ 
ber; jo wird die probuctive Romantik eingeleitet durch die kritiſche, 
bie Tiech, Brentano, Arnim durch die Schlegel; fo geht ver Poefie 
ber Gegenwart die Kritif des Jungen Dentfchland voraus. 

Allein es ift das Schickſal dieſer vermittelnden Generationen, 
und mır dadurch eben gelingt es ihnen, Vermittler zu werden, daß 
fie nur halb erft in der neuen, halb noch in ver alten Epoche ſtecken: 
‚ zwiejpältige Weſen, ſchwankend zwifchen zwei Zeitaltern und daher 
fehr gewöhnlich mißverſtanden und verlengnet von beiden. Die 





Allgemeines über Stellung und Bebeutung ıc. 9 


Schlegel und Genoſſen ſteckten noch halb .in der claflifchen Epoche 
Goethe's und Schiller's, von ber fie ausgegangen — und das wer 
ihre Stärke; das Junge Deutſchland ftedite noch halb in der Ro— 
mantif, die e8 befämpfte und — das war feine Schwäche. 

Die Abficht des Jungen Deutfchland war ohne Zweifel vie 
befte. Es hatte die Aufgabe der Zeit richtig begriffen, e8 war nicht 
umfonft bei Hegel in die Schule gegangen, hatte nicht umfonft das 
Ereigniß der Iulitage erlebt. Wie fi in der Hegel’fhen Philo- 
fophie Idee und Wirklichkeit verfähnt hatten, fo ſuchten dieſe Schrift: 
fteller jeßt das Leben mit der Literatur, die Literatur mit dem Leben 
zu vermitteln. Die Literatur verließ im Jungen Deutfchland ihre 
romantiſche Serbftgenügfamteit, fie hörte auf Selbftzwed zu fein, fle 
wollte ven großen bewegenden Mächten des Lebens, der Gefchichte, 
der Politik, der praktiſchen Entwidelung des Völkerlebens ſich die= 
nend aufchließen. 

Und wie hierin Die Eonfequenzen der Philoſophie, fo fuchte e8 
andererſeits auch die Confequenzen der Julirevolution zu ziehen und 
ihre Refultate, over doch mas damals ihr Reſultat zu fein fchien, 
nad, Deutfchland zu übertragen; die pittoresfe Schilderung, die ein 
hervorragendes Mitglied des Jungen Deutfchland in einer feiner 
früheften Schriften von dem Augenblid macht, da er in der Berliner 
Aula, eben ven akademiſchen Preis für eine theologifche Concur- 
renzarbeit empfangend, zuerft die Nachricht vom Ausbruch ver Juli⸗ 
revolution erhält, fowie von dem tiefen und Alles bewältigenven 
Eindruck, ven diefe Meldung auf ihn hervorbringt, ift, wenn auch 
vielleicht mit etwas poetijchen Farben ausgeſchmückt, doch der Sache 
nad) vollftändig wahr und bezeichnend. Auch für die Angehörigen 
des Jungen Deutfchland war jenes „Vive la liberté!“ das in den 
Sulitagen durch die Gaſſen von Paris fhallte und das und noch 
zehn Jahre fpäter- aus den Hermwegh’fchen Berfen entgegentönt — 


10 : Das Junge Deutfchland von ehedem und jekt. 


auch fiir das Junge Deutſchland, fage ich, war Freiheit das Loſungs⸗ 

wort; auch fie fühlten, daß die Zeit der bevorzugten Individuali⸗ 
täten vorüber und daß die wahre Souverainetät nur der Tiootalität 
des Volkes gebühre; audy fie waren Revolutionäre. 

Aber, Kinder einer: romantifchen Zeit, aufgewachfen unter 
ihrem Einfluß, angeſteckt von ihrem Siechthum, entbehrten fie der 
Kraft, die richtig verftandene Aufgabe auch richtig durchzuführen. 
Es fehlte ihnen vielleicht weniger das Talent — dem das, wie die 
Folge gelehrt hat, war verfatil genug — als die Begeifterung, ver 
Glaube, die fittliche Energie; iin Gegenfat zu dem perpetuirlichen 
Rauſch der Romantiker waren fie nur zu nlichtern und dieſe Nüch— 
ternheit that nicht nur ihren poetifchen Leitungen, fondern auch 
ihrem fittlihen Verhalten Abbruch; fie waren zu Hug, zu überlegt, 
zu praktiſch, um ſich dem Princip, das fie im Uebrigen befannten, 
völlig rückhaltlos und bis zur Aufopferung ihrer ſelbſt hinzugeben. 

Im Gegentheil, dieſes Selbſt ſpielt bei ihnen eine ſehr große 
Rolle; es iſt die Achillesferſe dieſer übrigens ſo tapfern und 
kriegsluſtigen Jugend. Jedes geſchichtliche Princip ſetzt ſich nur 
auf die Art durch und wird nur dadurch zur wirklichen geſchichtlichen 
Macht, daß es ſich in beſtimmten Perſönlichkeiten verkörpert; es 
wird nicht eher wahrhaft allgemein, bevor es nicht individuell wird 
— genau derſelbe Hergang, wie in der Kunſt, in der das Allgemeine 
und Ewige auch nur inſoweit wirkt, als es in ſinnlich beſtimmter 
und individueller Geſtalt ausgeprägt wird. Aber in dieſer Bei- 
mifhung des Individuellen und Vergänglichen in das Allgemeine 
und Ewige liegt aud) eine große Gefahr, — es kommt zuweilen, 
ja wol jehr häufig vor, daß das Vergängliche vem Ewigen über ven 
Kopf wählt und daß die Perfünlichksit erntet, was das Princip ge⸗ 
ſäet hat. ’ 

Diefer Gefahr iſt auch das Junge Deutſchland unterlegen und 








Allgemeines fiber Stellung und Bedeutung 2c. 11 


zwar in um fo höherem Maße, je ungelibter und unausgeprägter das 
individuelle Vermögen jener Zeit überhaupt no war. Wie im 
Jungen Deutfchland, dem vorhin gebrauchten Ausdruck nach, die po= 
litiſche Partei ſich zur literartfchen Coterie verdummt, fo wird ihm 
auch bie Freiheit zur Willkür, das philofophifche Syſtem zur ein- 
jeitigen und excluſiven Schule. Es find die wahren Louis Philipp’s 
unferer literarifchen Revolution: unter nem Titel des Bürgerfönigs, 
des Volfsfreundes ift e8 nur die eigene Perfönlichkeit, das eigene 
vergängliche Ich, dem fie jchmeicheln und für das fie arbeiten. 
Dies erflärt aud) das Verhalten, das fie fowol zur Philoſophie 
wie zur Politik beobachtet haben und das fich in beiven Fällen durch 
Confequenz eben nicht auszeichnet. Kaum trat die. Philofopbie aus. 
ben Banden ver Schule heraus, kaum wurbe- mit Anwendung ihrer 
Principien auf Kunft und. Leben Exnft gemacht, fo fanden diefelben 
Schriftfteller, . die ſich kurz zuvor noch mit fo lautem Jubel unter 
dem Banner der Philofophie verfammelt hatten, eben dieſe Philo⸗ 
fophie auf einmal jehr unbequem und langweilig. Es war-ihnen 
ganz genehm geweſen, wor ven Augen ver Welt in philofophifcher 
Rüſtung einberzuftolziren und ſich als tiefe Denker anſtaunen zu 
laffen: fowie die Philofophie aber Miene machte, bie eigenen Pro⸗ 
duete eben dieſer Schriftiteller nach ihrem firengen Maßſtab zu 
meflen, pa erhoben fie anf einmal Iaute Klage über philojophifche 
Barbarei und Geſchmackloſigkeit. — Ebenfo in der Bolitil. Kaum 
hört die Freiheit auf ein Privilegium zu fein, kaum fängt das po= 
litiſche Intereffe an überzugehen in die Maſſen, fo finder fie die 
Freiheit auf einmal fehr unäfthetifch, fo Hagen fie lebhaft über 
diefen Rigorismus der Zeit, der gar Feine reine Kunft, feine reine 
Schönheit mehr auflommen Kafie, fo thun fie vornehm und heucheln 
Berachtung einer Popularität, um vie fie ſich vor Kurzem noch fo 
eifrig bemühten, die ihnen aber freilich jene exeluſiven Kreife, jene 


12 | Das Junge Deutſchland von ehedem und jekt. 


Kreiſe der literariſchen Kenner. und Feinſchmecker, für welche fie 
- nad) Art der Romantiter hauptfächlich thätig waren, nicht wohl 
hatten geben können. 

Das Junge Deutſchland iſt der letzte Ausläufer der Genie 
periode. Wie ehemals die Stürmer und Dränger, wie zu Ende 
des Jahrhunderts die romantische Genoſſenſchaft des Athenäums zc., 
fo traten auch fie gewaltfam lärmend in die Literatur, jo begannen 
auch fie damit die Vergangenheit über Bord zu werfen und die Yor- 
derung. einer neuen Literatur, einer neuen Dichtung aufzuftellen. 
Bei der außerorventlihen Erſchlaffung, in welche unfere Literatur 
während-ver zwanziger Jahre gerathen war, bei der. Zahmheit der - 
Phrafenpreberei, ver hohlen Ableierung des altromantifchen Runft- 
katechismus, zu welcher die Kritik herabgefunfen, war auch in biefer 
Qurbulenz, mit welcher das Junge Deutſchland auftrat, dieſer Rück⸗ 
ſichtsloſigkeit ſeiner Kritik, dieſer Impietät, dieſem Terrorismus, 
mit dem es der geſammten frühern Literatur das Leben abſprach, 
während es mit ſtudentiſcher Keckheit ſich ſelbſt in ven Mittelpunkt 
der Bewegung ſtellte — es war in alle dem ohne Zweifel ein 
Fortſchritt, es diente auch Dies zu einem Heilmittel, einem Zug⸗ 
pflafter gleichfam, welches der Schwäche der Zeit: aufgelegt ward. 

‚Aber über viefe Anregung find die Schriftfteller des Jungen 
Deutſchland auch nicht hinausgekommen, wenigftens fo lange nicht, 
als fie ſelbſt fich noch dazu zählten and als ein Junges Deutſchland 
noch anders als in den Kepertorien der Titeraturgefchichte beftand; 
bie Frucht, deren Süßigkeit man die herbe Knoſpe verzeibt, ift ent- 
weder ganz ausgeblieben, oder zeigt doch ein ganz anderes Ausfehen 
umb gehört einer ganz andern Gattung an, als man nad) dem erften 
Auftreten diefer Richtung. hätte vermuthen follen. 

Dies führt uns auf die Thätigkeit, welche die Mitgliever des 
ehemaligen Jungen Deutjchland in nachmärzlicher Zeit entwidelt 











Allgemeines über Stellung und Bedeutung ıc. 13 


haben. Diefelbe ift ſehr beträchtlich, fowol dem Umfange nad, als 
auch was die Wirkung auf das Publicum anbetrifft; es ift unmög- 
ih, die Literaturgefchichte dieſer legten zehn Jahre zır jchreiben, 
ohne auch dieſer Schriftfteller zu gebenfen, welche diefelbe mit fo 
zahlreichen und zum Theil jo viel gelefenen Schriften bevöllert 
haben. Zwar haben nicht alle Mitgliever dieſer ehemaligen Ge- 
nofjenfchaft in gleihem Maße an diefer Thätigleit Antheil genom- 
men; Einige find verftummt, Andere find auf Gebiete gerathen, vie 
von Literatur und Kunft, wie die Dinge heutzutage ftehen, nur noch 
den Namen tragen und aus denen e8 ven Betreffenven daher auch 
ſchwer fällt, ven Weg zur literarifchern Production zurückzufinden. 
Aber deſto größer ift dafür die Fruchtbarkeit desjenigen Schrift: 
ftelleis, der uns ven Charakter des Jungen Deutſchland überhaupt 
am xeinflen und vollftänbigften vepräfentirt, und durch ven pas An⸗ 
venfen an dieſe im Mebrigen Längft erloſchene und vergefiene Ridy- 
tung auch gllein nod im Gedãchtniß des Publicums erhalten wird: 
Karl Gubtlew. 





2, | 
Karl Gutzkow. 


Wir bezeichneten Karl Gutzkow fo eben als ven hauptfächlich⸗ 
ften Repräfentanten, fo zu fagen ven eigentlichen Erben des ehe- 
maligen Jungen Deutſchland, und ‚meinen damit ebenfowohl bie 
Borzüge als die Schwächen, die pofitive wie Die negative Seite 
dieſes Schriftfteller8 angedeutet zu haben. Wie Niemand aus feiner 
"Haut wacjen kann, fo kann auch Niemand die geiftige Haut ab- 
ſchütteln, mit ver feine Zeit und feine gefchichtliche Herkunft ihn 
umkleidet haben oder wenn e8 Einzelnen gelingt, vie Schlangenhaut 
der Vergangenheit von ſich abzuftreifen und einer neuen werjüngten 
Zeit mit verjüngtem Leibe entgegenzutreten, fo ift das doch, grade 
wie in der Naturgefchichte, im Uebrigen für den Betreffenden felbft 
mit jo viel Unbehagen und Anftrengung verknüpft, daß bie Spuren 
davon ſich nie ganz verlieren. 

An Entwidelungsfähigkeit fehlt e8 nun Karl Gutzkow wahr- 
lich nicht, im Gegentheil, wenn wir. vorhin fchon dem ungen 
Deutfchland im ‘Allgemeinen eine große Verfalität nachſagten, fo 
zeigt fich diefe Eigenfchaft bei feinem feiner ehemaligen Meitgliever 
beutlicher und in höherem Maße, als bei Gutzkow. Er ift ber 
wahre Proteus unferer modernen Literatur; wie es feine Gattung 
giebt, die er nicht angebaut hätte, von der Kritik bis zum Drama, 
vom Epigramm bis zum großen, neunbändigen Roman; fo giebt e8 

















Karl Gutzkow. . 15 


auch in der Welt ver Empfindung keinen Ton, den er nicht anzu⸗ 
fhlagen, in der Welt des Geiftes feine Farbe, die er nicht zu tragen 
wüßte. Gutzkow ift nicht nur einer ber fruchtbarften, er ift auch 
einer ber zäheften und ausdauerndſten Schriftfteller, welche unfere 
Literatur irgend aufzumeifen bat. Diefe Zähigfeit bildet fogar 
einen Hauptzug ‚im ſeinem Titerarifchen Charakter. Gutzkow ift 
ferner vor den urfprünglichen Geiftern, welche ihr Ziel gleichfam im 
Fluge erreichen: vielmehr zeigt er ſich auch darin als ein ächter 
Sohn feiner Zeit, daß feine Bildung eine ungemein zufammenge . 
fette ift und daß er mehr mit nem Kopf als mit dem Herzen, mehr 
mit dem wohlgefchuften Talent als mit dem angebornen Genie ar- 
beitet. Als rlftiges‘, arbeitfames Talent ift Gutfow überhaupt 
refpectabel, ja er kann in diefer Hinficht allen Schriftftellern ſeiner 
Zeit zum Mufter dienen, wie er ja auch von allen, wenn auch nicht 
die frifcheften und duftigſten, doch jedenfalls die meiften Korbeeren 
geerntet hat. Gutzkow gehört zu ven Naturen, bie, wie das 
Sprichwort jagt, nieht todt zu kriegen find; eine Nieverlage tt für 
ihn immer nur ein Antrieb zu einem neuen Kampfe, zwanzignral 
vom Pferde gefallen, fteigt er zum einundzwangigften Mal wieber 
auf imd zwingt ben Rörtigen Pegaſus endlich doch, wohin er ihn 
haben will. 

Nur daß man dieſen Zwang mitunter auch etwas verſpürt 
und daß ſein Pegaſus überhaupt mehr ein wohlgerittenes Manege⸗ 
pferd iſt, als ein wildfeuriger Nenner. Wie die Tendenz die ge= 
ſammte literariſche Thättgkeit des Jungen Deutſchland beherrſchte 
und zwar nicht fowot als ein Innerliches, Urſprüngliches, als viel⸗ 
mehr als ein Aeußerlich hinzugekommenes und Auferlegtes, jo iſt 
Gutzkow auch. heutzutage noch, nadı allen Wandelungen, die er 
durchgemacht, weſentlich Reflexionspoet. 

"Das iſt um im Munde gewiſſer Kritiker, die zwar die Para⸗ 


16 Das Junge Deutfchland von ehedem und jekt. 


graphen des Compenbiums, nicht aber bie Fülle der Erjcheinungen 
vor Augen haben,..ein jehr harter Vorwurf. Wir find darüber 
anderer Meinung, wir glauben, daß es eine kindiſche Forderung 
wäre, wollte man von einer Zeit, die fo durch und durch veflectirt 
ift wie die unfere, etwas Anderes als Reflerionspoeten verlangen 
oder-wenigftens, wollte man ein geoßes Gefchrei erheben und fidh, 
ich weiß nicht Über welche äfthetifche Gewaltthat beſchweren, wo .bei 
einem Poeten dieſer reflectirenven Zeit die Neflerion nun auch 
wirklich in ben Vorgrund tritt.. Weit entfernt alfo, Gutzkow einen 
Bormurf damit zu machen, wollen wir mit der Bezeichnung Re- 
flerionspoet hier nur das feftftellen, daß, wie bei ven meiften Dich⸗ 
teru unferer Tage, der Berftand bei ihm die Oberhand hat über 
die Bhantafie und daß feine Schöpfungen ihren Urjprung weniger 
ben unmittelbaren Eingebungen des Genius, als einer gejchidten 
und -forgfältigen Combinstion gewiffer, durch Beobachtung und 
Nachdenken gemonnener Eindrüde verdankt. 

Bedenklicher dagegen erjcheint es uns, daß dieſer Dichter, 
trotz feiner ungemeinen Verſalität und trot feiner wiederholten 
Entpuppungen, doch eigentlich nie einen neuen Inhalt gewonnen, 
fonvern ſtets nur den alten in ben mannigfachſten Foxmen repro⸗ 
ducirt hat. Wie die Kritik das Hanptfahrwaifer des beginnenden 
ungen Deutſchland bildete, fo überwiegt in Gutzkow auch jetzt noch 
die Kritik und macht. fig nicht felten auch da geltend, wohin fie 
nicht gehört, in jenem Gebiet naiv realiſtiſcher Darftellung, auf 
welchem der Derausgeber . ver „Huterhaltungen am Häuslichen 
Herd’ fich neuerdings mit fo viel Bebaglichleit miedergelafien bat. 
Das Junge Deutichlend trat ferner zuerft und hauptſächlich in der 
Journaliſtik auf; e8 war der eigentliche Regenerator unferer ver⸗ 
fumpften und verſunkenen Tagesprefſe, und wenn ver Literar- 
hiſtoriker ftellenweife zweifeln fann, in welchen Siunne er bie Acten 














Karl Gutzkow. 17 


über das Junge Deutſchland eigentlich abjchließen fol, in verurthei⸗ 

lendem oder in freifprechenvem, fo wird der Gefchichtichreiber ver 

deutſchen Journaliſtik nicht umbin Fünnen, ihm — neben großen 

Scattenfeiten — auch große und unvergängliche Verdienſte zuzu- 

erkennen. Diefes Borwiegen des journaliftifchen Charakters zeigt fich 

num auch noch in der zweiten, mehr pofitiven Hälfte von Gutzkow's 

literariſcher Thätigfeit, und zwar wiederum nad) beiden Seiten 

hin, im Guten fowohl wie im Schlimmen. Es war gewiß ein Ver⸗ 
dienſt, pas dieſer Schriftiteller fich erworben bat, als er, die Stirn 

noch frisch bekränzt mit ven eben errungenen Lorbeeren ber „Ritter 

vom Geiſte,“ noch einmal binabftieg in die Arena der Tageslite- 
ratur und ein Blatt gründete (die ſchon genannten „Unterhaltungen 
am häuslichen Herb,“ 1852), das einen Mittelpunkt zu hilden 
fucht für Die popmlär=belletriftiiche Production, die Unterhaltungs- 
literatur im fpecififchen Sinne, eine Gattung alfo, auf welche unfere 
Poeten bis vor Kurzem noch mit großer Geringſchätzung herab- 
fahen. Das Bervienft, das Gutzkow fich dadurch erworben, wird 
aber um fo größer und macht der Kraft feiner Selbftüberwin- 
dung um jo mehr Ehre, als das von ihm gegründete Blatt im 
Sanzen einen fehr gemäßigten und idylliſchen Charakter trägt und 
ihm wenig oder gar feine Gelegenheit bietet zu jenen journaliftifchen 
Kämpfen, jenen polemifchen Erörterungen und Aufregungen, - die 
ex fonft fo ſehr liebte und die Anfangs fo viel dazu beitrugen, feinen 
Namen bekannt zu machen. Es ift das aber wirklich eine Ent- 
fagung und will etwas bedeuten, wenn man alt und grau gewor- 
pen ift unter den Kämpfen ver Literatur, mit einem Mal unter die 
Friedensfreunde zu gehen und alle jene zierlichen Pfeile des Spottes, 
jene blanfen Klingen des Wiges, jene krummen Säbel der „gött⸗ 
lichen Grobheit,“ die man bis dahin mit fo wieler Birtuofität ge- 
handhabt, auf einmal zum alten Eifen zu legen. 

Brup, die deutſche Literatur der Gegenwart. II. 2 


18 Das Zunge Deutichland von ehedem und jekt. 


Allein das journaliftifche Blut, das Gutzkow durchdringt, iſt 
dabei nicht ſtehen geblieben, es äußert ſich, gleich ſeiner kritiſchen 
Neigung, auch da, wo wir es eben nicht zu ſpüren wünſchen, näm-= 
lich auch in feinen poetifchen Productionen. Wie man ven See— 
mann am Gang erfennt oder wie man es gewiffen ausgevienten 
Soldaten anmerkt, daß fie bei ver Cavallerie geftanden haben, fo 
merkt man ed auch Gutzkow in Allem, mas er fhreibt, noch heut- 
zutage an, baß er feine literariſche Rekrutenzeit bei ver Journaliſtik 
abgevient hat. Die praftifche Tendenz, die Berechnung auf den 
unmittelbaren, augenblidlihen Erfolg, an die man fi) als Tages— 
ſchriftſteller fo leicht gewöhnt, ja die hier vielleicht unentbehrlich 
und nothwendig iſt, blickt noch jegt aus Allem hervor, was Gutzkow 
ſchreibt; jelbft einige feiner berühmteften ‚und beliebteften Theater— 
ſtücke (man venfe 3. B. an „Uriel Acoſta,“ den dramatifchen Pen- 
dant ver damaligen freigemeinvlichen Zeitungspreſſe) find eigentlich 
nicht viel mehr als vramatifirte Zeitungsartikel, ja ſogar feine neun- 
bändigen „Ritter vom Geifte” find im Grunde nur eine jehr ge— 
hit combinixte, mit vielen höchft lehrreichen und ergößlichen 
Beifpielen illuftrirte Sammlung von „Premiers -Paris.‘ 

i Noch mehr: Gutzkow ift zum Theil ſogar hinter fidh felbit 

und fein eigenes Princip zurüdgegangen und hat in den litera- 
rifchen Erzeugniffen feiner zweiten Hälfte Motive benutzt und Ten⸗ 
denzen verfolgt, die er im Anfang ſeiner Laufbahn mit dem ganzen 
Uebermuth ſeiner jugendlichen Polemik verfolgte. Als Gutzkow 
um feine erſten literariſchen Sporen kämpfte, waren ihm die Ro— 
mantifer viel zu alt;. ſeitdem ift er noch bis hinter die Romantiker 
zurücgegangen und hat feine Vorbilder von einer Generation ent⸗ 
nommen, bie fehon von den Romantikern als antiquirt betrachtet 
wurde. Wie fehr Gutzkow felbft ſich auch dagegen fträuben mag, 
eine unbefangene, auf biftorifcher . Vergleichung beruhende Kritik 














Karl Gutzkow. 19 


kann in den Dramen und Romanen feiner fpäteren Epoche doch 
nicht8 jehen, als den wieberauferftandenen Iffland und Kotebue. 

Und aud) das wieder joll ihm keineswegs zur Unehre geſagt 
fein. Iffland und Kogebue haben nicht nur die Literatur ihrer 
Zeit in einem Grade und einer Auspehnung beherrfcht, wie es ſtets 
nur wenigen Schriftſtellern vergönnt war, ſondern auch jetzt noch, 
da kein Nimbus der Zeitrichtung ſie mehr umgiebt und da ſie das 
gewöhnliche Schickſal der Triumphatoren, nämlich erſt gekrönt und 
dann geſteinigt zu werden, in ſo erſchütternder Weiſe getheilt 
haben — auch jetzt noch und grade jetzt wieder, da mit dem Nim⸗ 
bus der Zeitſtimmung auch die Gefahren beſeitigt ſind, welche dieſe 
beiden Schriftſteller für das ſittliche Verhalten ihrer Zeitgenoſſen 
mit ſich führten, müſſen wir in ihnen ein Paar höchſt fruchtbare 
und bedeutende Talente anerkennen. 

Auch würde man Gutzkow, meinen wir, ſehr Unrecht thun, 
wollte man es nur ſeinem ſchlechten Geſchmack oder irgend einem 
ſonſtigen perſönlichen Fehlgriff zuſchreiben, daß er ſich grade dieſe 
beiden Schriftſteller zum Vorbild ſeiner ſpäteren und eingreifendſten 
Thätigkeit genommen hat. Vielmehr iſt auch das wieder theils eine 
Folge innerer geſchichtlicher Nöthigung, theils eine Frucht jenes 
feinen, inſtinetmäßigen Verſtändniſſes für die Bedürfniſſe und 
freilich auch die Schwächen feiner Zeit, von dem Gutzkow auch 
übrigens fo viel Proben geliefert hat. 

Um das leßtere vorauszunehmen, fo ift e8 eine ganz unbeftreit= 
bare Thatſache, daß unfere Zeit, fer e8 aus eigenem Antrieb, ſei es 
als Gegenſatz gegen die frühere politifche Leidenſchaftlichkeit, einen 
ſehr deutlich ausgeprägten Hang zum Idylliſchen, Häuslichen, Sen- 
timentalen befist. Konnte man vor dem verhängnißvollen März 
nicht wild genug thun, fo weiß man jeßt feiner Sanftmuth und 


Zartheit feine Grenze zu fegen; mochte man damals feine andere 
2* 


20 Das Junge Deutfchland von ehevem und jeßt. 


Mufit hören, als „Trommeln und Pfeifen, krieg'riſcher Klang,“ 


fo hört man jest den ſchmelzenden Trillern unferer literariſchen 
Flötenbläfer mit verfelben Andacht und demſelben Behagen zu, wie 
anfere Großmütter zur Zeit ihrer Jugend thaten. Wir haben 
das zum Theil fehon bei Gelegenheit unferer modernen Märchen: 
dichter gejehen: wie Die Welt in vormärzlicher Zeit nicht weit genug 
fein fonnte, fo wird-fte jet niemals zu eng; damals mußte Alles 
im Koloſſalſtil gehalten fein, jest florirt die Miintaturmalerei; da⸗ 
mals Brobnabog, jest Liliput. 

Und auch das ift wieder nur halb ein Irrthum, halb die von 
der Natur gebotene Befriedigung eines wirflichen und richtigen Be: 
bürfniffes. In diefer Heinen Welt des Haufes, in die wir und jet 
wieber flüchten, wie Hein fie jet, ift Doc immer noch mehr Behag⸗ 
lichfeit und poetifches Leben, als in dem unabjehbaren Sumpf unferer 
Tageepolitif; diefe Kleinen, zierlichen Empfindungen, bie wir wie- 
berum in uns nähren und pflegen, haben doch noch immer mehr 
Wärme und find darum auch menſchenwürdiger, als die falte, iro- 
nifche Sleichgültigfett, viefer Froſt der Selbftveradytung, der uns 
im Anblid unferer öffentlichen Zuſtände überfällt; es ift nicht die 
Sonne, nur ber Mond, der blaffe, fentimentale Mond iſts, der 
uns jcheint, aber auch eine blaffe Mondnacht ift befler, als die ab⸗ 
folute Dunfelheit, die und Übrigens umgiebt. 

Aber auch ganz abgefehen von diefen Zeitrückſichten, lebt in 
Iffland und Kogebue ein gewiſſes berehtigtes Etwas, das eben 
deshalb auch zu allen Zeiten wiederkehrt. Wir Deutfchen find num 
einmal eine fentimentale Nation; wir laffen ung gern rühren, wir 
find gute Hausväter und nehmen an den kleinen Ereignifien ver 
Familie zum mindeften denfelben Antheil, wie an ben großen Be- 
gebenheiten der Gefchichte. Und wenn wir nun, rührungsbebürftig 
wie wir find, uns mitunter auch von Dingen rühren Iaflen, an 











Karl Gutzkow. | 21 


denen in der That nichts Rührendes tft, oder wenn wir das häus- 
liche Intereffe auf Koften des öffentlichen, ven Spießbürger auf 
Koften des Bürgers nähren, fo ift das nur eine jener Uebertrei- 
bungen und verkehrten Anwendungen, denen alle menjchlichen Em- 
pfindungen ausgeſetzt ſind. 

Andererſeits jedoch, um zu begreifen, wie grade der Dichter der 
„Ritter vom Geifte” mit folder Vorliebe auf Iffland und Kogebue 
zurüdlommt, darf man auch nicht außer Adıt laſſen, daß er 
ein geborener Berliner und daß er ſowol feine frühefte Kind⸗ 
heit wie feine eigentlihen Bildungsjahre im märlifhen Sande 
verlebt hat. So übel berufen num aber der Berliner auswärts auch 
wegen feiner angeblichen Gemüthloſigkeit ift und fo fehr ex ſelbſt fich 
darin gefällt, ven „Geiſt, ver ewig verneint” unter ven Stämmen 
Deutſchlands zu ſpielen, jo iſt Doch Jedem, ver dieſen abfonberlichen 
Menſchenſchlag wirklich kennt, auch nicht verborgen, daß er, ganz 
im Widerfpruch mit feiner loſen Zunge und feinen fonftigen frivolen 
Manieren, im Gegenteil ein fehr empfinpfames Herz hat und 
außerordentlich leicht gerührt wird. Beweiſe für viefa mehr ethno⸗ 
graphiſche als Literargefchichtliche Behauptung zu liefern, ift hier 
nicht der Ort; vorhanden aber find fie in großer Zahl und laſſen 
fi mit leichter Mühe beibringen, von dem berühmten Wohlthä- 
tigfeitsfinn der Berliner angefangen bis hinunter zu den Erfolgen, 
welche die Rührſtücke ver Frau Virch- Pfeiffer grade beim Berliner 
Publicum davongetragen und die ja auch nur wieder eine blaſſe 
Eopie der Lorbeeren find, die Iffland und Kotzebue fid) ehedem bei 
ven Berlinern erwarben. Wie jest Frau Bird)» Pfeiffer und wie 
vor dreißig Jahren Raupach (in dem, beiher bemerft, mehr Ber- | 
wandtſchaft mit Frau Birch- Pfeiffer ftedt, im Guten wie im 
Schlimmen, als feine wohlgefeilten Jamben verrathen), ſo waren 
einſtmals Iffland und Kotzebue nirgend in Deutſchland ſo beliebt und 


22 Das Junge Deutichland von ehedem und jet. 


zählten ihre Bewunderer in ſolchen Schaaren, als in der preußiſchen 
„Hauptſtadt ver Intelligenz.” Bon Iffland, deſſen Hauptwirkſam⸗ 
feit ja unmittelbar nach Berlin fFallt, iſt dies allbekannt. Aber auch 
Kotzebue's Ruhm ging hauptſächlich von Berlin aus; in Berlin 
ſchlugen ſeine Theaterſtücke zuerſt und am kräftigſten durch, in 
Berlin etablirte er in Gemeinſchaft mit Garlieb Merkel jenen 
„Freimüthigen“ (1802), in welchem er ſeinen, den Kotzebue'ſchen 
Standpunkt zum Maßſtab aller literariſchen Erſcheinungen machte, 
der Claſſiker ſowol wie der Romantiker; in Berlin endlich wurde 
er, der bis dahin nichts als zahlreiche Theaterſtücke und Romane 
geſchrieben hatte, Mitglied der Akademie der Wiſſenſchaften und 
Gaſt eines Hofes, der ſich gegen die Literatur der Zeit übrigens 
wenig aufmunternd verhielt und zwar Lafontaine mit einer Penſion 
begnadigte, Goethe und Schiller aber dem Heinen Weimar bereit- 
willig überließ. Ri; 

Bon dieſem Iffland-Kotzebue'ſchen Blute nun, das jomit 
das ganze Berlinertbpum mehr oder minder durdpringt, felbit 
bi8 auf unfere Tage — oder wer möchte in den jet ausgeſtorbenen 
Edenftehern und ihrem geiftoollen Nachfolger, vem heutigen „Klad⸗ 
deradatſch,“ eine gemiffe Verwandtſchaft mit ver Kotzebue'ſchen 
Komik verfennen — von dieſem Iffland⸗-Kotzebue'ſchen Blute, fage ich, 
das für das ganze Berlinerthum alter und neuer Zeit fo charak- 
teriftifch, ift num auch einiges auf Karl Gutzkow, dieſen beveutend- 
ften Schriftfteller, ven das Berlin der Oegenwart, wenigſtens auf 
belletriftifchem Gebiete, hervorgebracht hat, übergegangen. Wie das 
malcontente, verbrießliche Wefen, die Luft am Zanken und Nergeln, 
bie Gutzkow in feiner erften Epoche auszeichnete und die fich auch jetzt, 
unter dem erheiternden Strahl des öffentlichen Erfolgs zwar ver- 
mindert, aber feineswegs ganz verlosen hat, ein ächt Berlinifches 
Gewächs ift imd ihre Herkunft von den Ufern ver Spree ‚feinen 








Karl Gutzkow. 23 


Augenblid verleugnen Tann, fo trägt auch feine Sentimentalität 
und die Vorliebe für das Häuslich-Rührſame, das fi in feinen 
neneften .Producten äußert, einen entſchieden Berlinifchen Zug. 
Gutzkow ift ein Achter Berliner darin, daß er fofort über Alles 
ein fertiges Urtheil bat, daß er über Alles witzig, geiftuoll und an- 
genehm zu plaudern weiß: aber nicht minder Berliniſch ift auch 
die Süßlichkeit ver Empfindung und die Hinneigung zum Kleinen, 
Idylliſchen, die dicht neben feiner ätzenden Satire und feinen fühnen 
focial-politifchen Phantasmagorien liegt und bier oft fo wunder 
fame Contrafte bervorbringt, Berlin ift befanntlih unter allen 
europäifchen Großſtädten von der Natur am ftiefmütterlichften be- 
handelt; die Landſchaft, in ber es Liegt, ift eine der ärmften und 
dürftigften, die man fich vorftellen fan. Und doc könnte Nie- 
mand, der mitten in einem Paradiefe wohnt, erpichter fein auf den 
Genuß ver freien Natur und eine '„möblirte Sommerwohnung“ 
mehr zu den Bebürfnifien des Lebens rechnen, als e8 vom Berliner 
„Bürger“ gejchieht. Freilich ift der Bürger dafür in den An⸗ 
ſprüchen, die er an die Natur macht, auch ſehr bejcheiden; eine. 
grünbeftrichene Leinwand mit einer Gartenbanf darunter, hart an 
einer ftaubigen Chauffee, ift vollkommen ausreichend, fein land⸗ 
Ichaftliches Bedürfniß zu befriedigen und ihn in eine Begeifterung 
zu verfegen, die er dann hinterbrein nicht felten beim Anblid ver 
Rheinufer oder bei einem Sonnenaufgang vom Nigi — nicht 
empfindet. Man mache die Anwendung davon auf Gutzkow und 
man wird Manches an dieſem Schriftfteller als natürlich und noth- 
wendig begreifen, was auf den eriten Anblid nur als Wilffür oder 
Mangel des Talents erjcheint. — 

Wenden wir und nunmehr nad) diefer allgemeinen Charafterifti 
dieſes ebenjo fruchtbaren wie einflußreichen Schriftſtellers zu den- 
jenigen Werfen veflelben, welche in die Zeit fallen, die uns hier 





22 Das Junge Deutſchlanr von und jetzt. 


zählten ihre Bewunberer i in folder vi fein fchon mehrfach genann- 
„Hauptftabt der Intelligenz.” m Geiſte“ entgegen. Schon in 
feit ja unmittelbar nad) ” em dieſes Werkes verdient bafielbe, 
Kotzebue's Ruhm J — — und Beharrlichkeit, eine nicht 
Ihlugen feine 2°. Ze Es find neun ziemlich ftarfe Bände, vie 
Berlin etabl” ‚- AH ganz brei Iahren (1850—1852) ans 
„Freimüt⸗ ** m werden die neun Bände nicht ganz in dieſer 
Stande Ye fein, vielmehr wird der Dichter fein Werk ſchon 
ber ” * pei ſich herumgetragen und auch mit Ausarbeitung 
er FIR * Aufang gemacht haben. Dennoch kann, nach inneren 
ea Merkmalen, der Entwurf des Romans in der Haupt- 
pt wohl vor das Fahr Adhtundvierzig fallen und haben wir 
“ r allen Umftänven einen feltenen Beweis von Energie und 

1 barkeit barin anzuerkennen. 
” Bas das eben genannte Jahr felbft und die damit verbundene 
roße politiſche Umwälzung anbetrifft, fo hatte Gutzkow es aller- 
pings nicht an Verfuchen fehlen laſſen, ſich in irgend einer Art 
perfönlih daran zu betheiligen. Auch darin wieder hatte er eine 
anerfennenswerthe Sefbftüberwindung gezeigt. Denn einmal war 
pie Bewegung des Jahres Achtundvierzig überhaupt nicht fo ange 
than’, daß fie von Schriftftellern geleitet werden Tonnte, vielmehr 
mußte Jeder, Schriftfteller oder nicht Schriftfteller, ver fich in ihren 
Schlund ftärzte, zum Voraus wiffen, daß er ein Opfer feiner Toll- 
fühnbeit werden würde. Sodann aber war auch die Stellung, 
welche die ehemaligen Mitgliever des Jungen Deutfchland zur Po⸗ 
litik des Tages einnahmen, eine beſonders genirte und nmbequeme. 
Es war ihnen ergangen, wie es ven meiften Menfchen, trotz alles 
Scheltens und Predigens, in der Regel geht, ſobald fle älter werben: 
ein neneres, jüngeres Geſchlecht, das Gefchlecht der politifchen vy⸗ 
rifer, ein Geſchlecht, mit dem fie ihrer Natur nach nicht wohl con- 





Karl Gutzkow. 25 


en tonnten, hatte fie in der öffentlichen Meinung überholt und 
end einen Theil der Früchte geerntet, welche fie gefäet. Der- 
verfchmerzt ſich aber nicht leicht, und fo zeigt ſich auch bei 
chriftftellern des Yungen Deutfchland genau von da ab, wo 
die politifche Lyrif in Schwung kommt und zur Modegattung des 
Tages wird, eine gewiſſe Abneigung gegen Politik und politifche 
Literatur im Allgemeinen. Es war buchſtäblich daſſelbe Verhältniß 
wie zur Philoſophie; ſo lange Politik und Philoſophie ein Monopol 
gewiſſer exeluſiver Literaten gebildet hatte, fo lange waren fie ein 
ganz vortreffliches, ganz unentbehrliches Element der Literatur ge- 
weſen; fobald das politifche Intereffe aber anfing, Eigenthum ver 
Maſſen zu werben, ſobald namentlich bie politifchen Dichter auf- 
traten und mit der Gewalt und Süßigfeit und meinetwegen auch 
mit dem Lärm ihrer Melopien das Publicum zu fich herüberzogen, 
von demfelben Augenblid an hieß die Politif grade jo barbarifch 
und unpoetifch wie die Bhilofophie. 


Außerdem aber war bie gefammte Richtung des Jungen 
Deutichland viel zu ſehr ein Product des Salons, es fpufte 
zu viel darin nad) von den abftract äfthetifhen Intereſſen der 
alten Romantifer, als daß vie Titerarifchen Vertreter dieſer 
Richtung fih von der praftifch- politifchen Bewegung ber vier- 
ziger Jahre hätten können fehr angefprochen fühlen. E8 war ein 
Berhältniß wie zwifchen Heine und Börne; alle dieſe Schrift: 
fteller des Jungen Deutſchland trugen Glacéhandſchuhe, alle ſchau— 
derten fie innerlich zufammen vor der harten, ſchwieligen Fauſt des 
Arbeiters, alle, jo demokratiſch fie zum Theil aud) thaten, gehörten 
innerlich, nach Wünfchen und Neigungen, doch zur Ariftofratie; fie 
waren im Grunde fehr ftille, friedliche Leute und wenn fie hie und 
da auch, ein Schwert führten, fo war es doch mehr die Patentklinge 


24 Das Junge Dentihland upon ehedem und jeßt. 


vornehmlich intereffirt, fotritt ung zumächft fein fchon mehrfach genann- 
ter großer Roman „Die Ritter vom Geifte” entgegen. Schon in 
Hinficht auf den äußeren Umfang viefes Werkes verdient daſſelbe, 
als ein Beweis feltener Ausdauer und Beharrlichleit, eine nicht 
gewöhnliche Anerfennung. Es find neun ziemlich ftarfe Bände, vie 
im Laufe von nod nicht ganz drei Jahren (1850—1852) ans 
Licht traten. Freilich werden bie neun Bände nicht ganz in dieſer 
Zeit gefchrieben fein, vielmehr wird der Dichter fein Wert fchon 
Jahre zuvor bei ſich herumgetragen und auch mit Ausarbeitung 
vefjelben den Anfang gemacht haben. Dennoch kann, nad inneren 
wie äußeren Merkmalen, ver Entwurf des Romans in der Haupt- 
fache nicht wohl vor das Jahr Achtundvierzig fallen und haben wir 
alfo unter allen Umftänden einen feltenen Beweis von Energie und 
Fruchtbarkeit darin anzuerlennen. . 
Was das eben genannte Fahr felbft und die Damit verbundene 
große politiſche Umwälzung anbetrifft, fo hatte Gutzkow es aller- 
dings nicht an Berfuchen fehlen laſſen, ſich in irgend einer Art 
perfönlih daran zu betheiligen. Auch darin wieder hatte er eine 
anerfennenswerthe Selbitliberwinbung gezeigt. Denn einmal war 
bie Bewegung des Jahres Achtundvierzig überhaupt nicht fo ange- 
than’, daß fie von Schriftftellern geleitet werben konnte, vielmehr 
mußte Jeder, Schriftfteller over nicht Schriftfteller, der fich in ihren 
Schlund ftärzte, zum Voraus wiffen, daß er ein Opfer feiner Toll- 
fühnheit werben würde. Sodann aber war auch die Stellumg, 
welche die ehemaligen Mitglieder des Jungen Deutſchland zur Po- 
litik des Tages einnahmen, eine befonder8 genirte und unbequeme. 
Es war ihnen ergangen, wie e8 den meiften Menſchen, troß alles 
Scheltens und Predigens, in der Kegel geht, ſobald fte älter werben: 
ein neneres, jüngeres Gefchlecht, pas Geſchlecht ver politifchen Yy- 
rifer, ein Geſchlecht, mit dem fie ihrer Natur nach nicht wohl con⸗ 


Karl Gutzkow. 25 


curriren konnten, hatte fie in ver öffentlichen Meinung überholt und 
wenigftens einen Theil der Früchte geerntet, welche fie gefäet. Der⸗ 
gleichen verſchmerzt ſich aber nicht leicht, und fo zeigt ſich auch bei 
den Schriftftellern des Jungen Deutfchland genau von da ab, mo 
die politifche Lorif in Schwung fommt und zur Modegattung des 
Tages wird, eine gewifle Abneigung gegen Politik umd politische 
Literatur im Allgemeinen. Es war buchftäblich daſſelbe Verhältniß 
wie zur Bhilofophie; fo lange Bolitif und Philofophie ein Monopol 
gewifjer exeluſiver Literaten gebildet hatte, fo lange waren fie ein 
ganz vortreffliches, ganz unentbehrliches Element ver Literatur ge⸗ 
wejen; ſobald das politifche Interefie aber anfing, Eigenthum der 
Mafſen zu werben, fobalo namentlich die politifchen Dichter auf- 
traten und mit der Gewalt und Süßigfeit und meinetwegen auch 
mit dem Lärm ihrer Melovien das Publicum zu fich herüberzogen, 
von demfelben Augenblid an bieß die Politif grade fo barbariſch 
und unpoetifch wie die Philofophie. 


Außerdem aber war die gefammte Richtung des Jungen 
Deutihland viel zu jehr ein Product des Salons, es fpufte 
zu viel darin nad) von den abftract äfthetifchen Intereſſen ver 
alten Romantifer, als daß die literarifchen Vertreter dieſer 
Richtung fid) von ver praftifch. politifchen Bewegung ber vier- 
ziger Jahre hätten können jehr angefprocden fühlen. Es war ein 
Berhältnig wie zwifchen Heine und Börne; alle dieſe Schrift: 
fteller des Jungen Deutfchland trugen Glacéhandſchuhe, alle ſchau— 
derten fie innerlich zufammen vor der harten, jchwieligen Fauſt des 
Arbeiters, alle, fo demokratiſch fie zum Theil auch thaten, gehörten 
innerlich, nad Wünfchen und Neigungen, doch zur Ariftofratie; fie 
waren im Grunde ſehr ſtille, frievliche Leute und wenn fie hie und 
da auch ein Schwert führten, fo war e8 doch mehr die Patentflinge 


26 Das Junge Deuttchland von ehedem und jetzt. 


des Studenten, als der ‚Tue, unpoetiſche Säbel des eigentlichen 
Soldaten. 


droſſenheit als dieſe ariſtokratiſche Scheu und ſtürzte ſich, gleich 
beim Beginn der Märzbewegung, perſönlich in ihre dichteſten Wo- 
gen. Er nahm Antheil an ven Demonftrationen, die ven Berliner 
Märztagen zunächſt vorangingen, er haranguirte die Arbeiter und 
hielt Reden im Thiergarten. Auch in ver nächften Zeit nach Aus- 
bruch der Revolution war er zumeilen noch in jenen Klubs und 
Bolfsverfammlungen zu finden, in denen man damals in kindlicher 
Naivetät das Fundament ver Staaten zu gründen meinte. Bald je 
doch ſah er das Vergebliche dieſes Strebens ein und zog fich aus ber 
praktiſchen Politik zurüd, nichts mit ſich nehmend, als ven ehrenven 
Haß der Kreuzzeitung und ihrer Genoffen. 
| Doch war diefer Rüdzug zunächſt nur ein äußerlicher; er flieg 
nur von der Tribüne des Volksredners, ohne Damit die Politik felbft 
aufzugeben, er zog ſich nur auf ven ihm wohlbelannten Poften der 
Literatur zurück, ohne darum bie politifche Praxis ganz aus dem 
Auge zu lafjen. Diefer Titerarifchen Betheiligung des Verfaſſers 
an den Ereignifjen des Jahres Achtundvierzig verdanken zwei fleine 
Schriften ihren Urfprung, die noch im Laufe vefjelben Jahres, zum 
Theil ſogar nod) unter den unmittelbaren Einprüden ver Märztage 
erfchienen: „Anſprache an das Volk“ und „Deutſchland am Bor- 
abend feines Falls und feiner Größe.” Beide waren aus einen 
mwohlmeinenden und patriotifhen Sinne hervorgegängen, theilten 
jevody das Schickſal, das Patriotismus und wohlmeinende Abficht 
damals überhaupt hatten, fofern fie nicht ver Leidenſchaft ver Par- 
teien fchmeichelten: nämlich das Schickſal, überhört zu werben. 
Unmittelbar hiernach ſcheint Gutzkow an die Ausarbeitung 
feiner „Ritter vom Geiſte“ gegangen zu fein, und fpricht auch das 





Gutzkow, wie gejagt, berwand ſowol jene mißgünſtige Ber- 








Karl Gutzkow. 27 


wieder für die ungewöhnliche Begabung dieſes Schriftftellers, daß 
er in eimer Zeit "fo- allgemeiner Gährung und Unruhe umd 
nachdem er felbft erft jo wenig ermuthigende Erfahrungen ge- 
macht hatte, fi dennoch zu einer fo großen und ſchwierigen Arbeit 
zufammenzuraffen vermochte. Auch bat dieſe Energie gewiß nicht 
ven kleinſten Antheil an dem Beifall, mit welchem vie „Ritter vom 
Geiſte“ aufgenommen wurden und mit dem ſich filr den Dichter 
ſelbſt eine ganz neue Epoche eröffnete. Denn gleich Alfred Meißner 
und anderen jüngeren Dichtern gehört aud) Gutzkow zu den Schrift- 
ftellern, die den Sonnenschein der öffentlichen Anerkennung nicht 
wohl entbehren fünmen; herber Tadel verwirrt und entmutbigt fie, 
während Lob oder wenigftens ſchonende Beſprechung ihrer Fehler 
fie ermuntert und anfpornt und mit dem Wollen zugleid) aud) ihre 
Kraft vermehrt. Für die Literaturgefhichte im firengen, wifjen- 
Ihaftlihen Sinne iſt' das allerdings feine Rüdfiht, die Kritik des 
Tages dagegen, die ſich ihres wefentlich pädagogifchen Charakters . 
denn Doch nie ganz entfchlagen follte, dürfte auf dieſe Eigenthüm- 
lichkeit mancher unſerer Schriftſteller allerdings wol Rückſicht 
nehmen und konnte es daher auch unſeres Bedünkens nichts Falſche⸗ 
res und Verkehrteres geben, als die plumpen Keulenſchläge, mit 
denen gewiſſe Kritiker über Gutzkow und ſeine „Ritter vom 
Geiſte“ herfielen, offenbar mehr um ein perſönliches Müthchen an 
ihm zu fühlen, als wirklich bloß in äfthetifchem Interefle. " - 
Ueberhaupt haben die „Ritter vom Geifte” das Schickſal ge 
habt, eben fo maßlos erhoben wie herabgefeßt zu werben; währen 
bie Einen nur einen vergeblichen Anlauf darin fahen, glaubten die 
Anderen ein Buch darin zu erbliden, würdig ben Meiftermerfen _ 
aller Zeiten und aller Nationen an die Seite gefegt zu werben. 
Beides mit Unrecht. Auch bei ven „Rittern vom Geifte,” wie 
bei Allem, was die Gegenwart heroorbringt, wenigftens fomeit es 


28 Das Junge Deutichland von ehedem und jet. 


irgend einer höhern Gattung der Kunſt angehört und höhere An- 
fprüche zu befriedigen fucht, muß man den halben und zwieſpältigen 
Charakter im Auge behalten, ver unferer Zeit überhaupt aufgeprägt 
ift. Ja, e8 ift.eine Zeit verfehlter Anläufe, halber Thaten, großer 
Beitrebungen, benen ver Erfolg nicht entfpricht und infofern wir 
die „Ritter vom Geiſte“ als ein Fünftlerifches Ganzes, eine Com⸗ 
pofition im ſtrengern und eigentlichen Sinne betrachten, infofern 
dürfte auch dieſer Roman des. geiftuollen und firebfamen Autors 
nicht nur binter den Forderungen der Kritik, fondern vermuthlich 
auch hinter feinen eigenen Forderungen zuräicgeblieben fein. Es 
fehlt vem Roman vor Allem ver geiftige, ver ivenle Mittelpunft ; 
“ fir diefen breiten, mafjenhaften Leib ift die Idee, die ihn beherrfcht, 
theil8 an fich zu Hein, theils nicht mit genügender Deutlichkeit aus- 
geprägt. Wir find es zwar von Schiller's „Geifterfeher” und 
Goethe's „Wilhelm Meiſter“ her gewöhnt, Geheimbünde und ähn- 
liche myſteriöſe Geſellſchaften und Berfünlichkeiten als erlaubte und 
beliebte Staffage des Romans zu betrachten. Aber andere Zeiten, 
andere Sitten. Goethe und Schiller und ihren humaniftiichen Be- 
ftrebungen lag bie Idee eines derartigen Geheimbundes, einer Frei- 
mauerei zu ben höchften und erhabenften Zwecken nod ziemlich 
nahe: wie ja auch die Freimauerei felbft zu eben jener Zeit ihre 
einflußreichjte Rolle fpielte und — man venfe an Lefling und Her: 
„der —- ihre fchönften Triumphe feierte. Tür unſere Zeit dagegen, 
die Zeit ver vollftändigften und unbedingteſten Deffentlichfeit, haben 
biefe Myſterien ihren Heiz und damit aud) ihre Wichtigkeit verloren; 
wir zweifeln, ob fie nur noch als Apparat eines Romans mit Er- 
folg zu verwenden fein dürften, ganz gewiß aber find fie nicht mehr 
ausreichend, um, wie e8 in den „Rittern vom Geiſte“ gefchieht, den 
Mittelpunkt und geiftigen Kern der Fabel zu bilden. Das Unzu- 
längliche dieſes Motivs wird aber in dieſem Falle um fo auffälliger, 








Karl Gutzkow. 29 


je mehr wir uns hier übrigens auf modernem Boden befinden und 
je treuer das Bild ift, das der Dichter und von der Gegenwart, 
ihren Kämpfen imd Leiden, ihren Hoffnungen und Verirrungen 
entwirft; e8 hat etwas Unbefriedigendes, das beinahe ind Komiſche 
umzujchlagen droht, wenn endlich dieſe ganze .vielgeftaltige Welt, 
die wir neun ftarfe Bände hindurch) mit fo viel Aufmerkſamkeit 
verfolgt haben, fih zu einem neuen, höchſt unmodernen Geheim- 
dienſt, einer Art politifcher Yoge oder Maurerbund zufpigt. 

, Diefer Mangel einer durchgreifenden, das Ganze organisch 
zuſammenhaltenden Idee von hinlänglicher Bedeutung und Lebens- 
fähigkeit hat es denn auch verfchulvet, vaß auch Die Hanptcharaktere 
des Romans, die eigentlichen Helden veffelben, die Träger feines: 
idealen Theile, nicht völlig genügen; auch ſie find nicht bedeutend, 
nicht großartig genug, auch fie müßten, um ihre Umgebung wirklich 
fo zu überragen, wie wir es von dem Helden des Romans mit 
Recht verlangen, zum minbeften einen ganzen Kopf höher fein. 
Doch trifft diefer Vorwurf freilich mehr oder weniger alle Gutstow- 
fhen Dichtungen und nicht bloß die Gutzkow'ſchen allein, ſondern 
überhaupt die meiften Erzeugniffe unjerer modernen Literatur. 
Die unter unferen Schaufpielern das Gefchlecht der jugenvlichen 
Helden völlig auszufterben droht, jo vermögen auch unfere Dichter 
feine poetifchen Helden mehr zu erfinden; es weht einmal nicht die 
Luft bei uns, in der die Helven wachen, wir find jetzt nur ein 
halbes, ſchwächliches, in fich felbft verfümmerndes, widerſpruch⸗ 
volles Geſchlecht, müffen uns alfo aud) begnügen, wenn die Poefte, 
biefer Spiegel der Wirklichfeit, und nur halbe, ſchwächliche Ge- 
ftalten gigt, nicht aber, wie gewifle bärbeißige Kritiker thun, nach 
Kinderweiſe den Spiegel zerſchlagen, weil das Bild, das er uns 
zurädftrahlt, uns nicht gefällt. 

Laſſen wir alfo derartige hochgefpannte, das Maß unferer 








30 Das Junge Deutfchland won ehedem und jetzt. 


Zeit überjchreitenden Yorberungen bei Seite; juchen wir ın ben 
„Rittern vom Geiſte“ feines jener Werke, die ebenfofehr auf ber 
Höhe ihrer Zeit wie der Dichtung fiehen, und deren ja das ganze 
Gebiet des Romans, bei Fichte befehen, bisher nur ein einziges 
aufzuweiſen hat, nämlich Cervantes’ Don Quixote, der für den 
Roman daffelbe großartige und unerreihbare Mufter ift, wie 
Shafejpeare’s Dramen für die Bühne; begnügen wir uns vielmehr 
mit einer Reihe einzelner, höchſt lebendiger Schilverungen und 
Genrebilder, die, wenn fie auch nicht immer ganz gefchidt verknüpft 
‚ find, oder wenn. fie ſtellenweiſe auch eins dem andern im Wege 
ſtehen, doch im Ganzen recht viel Anregendes und Unterhaltendes 
bieten und der ſcharfen Beobachtungsgabe des Dichters ebenſoviel 
Ehre machen, wie der Kraft und Sicherheit ſeines darſtellenden Ta⸗ 
lents: ſo verdienen die „Ritter vom Geiſte“ allerdings als eins der 
hervorragendſten und gelungenſten Werke bezeichnet zu werden, 
welche die jüngere Literatur überhaupt hervorgebracht hat. Na- 
mentlich in der Schilderung gewiſſer anbrüchiger, innerlich hohler 
Charaktere, ſowie gewiſſer morſcher, innerlich fauler gefellfchaftli- 
cher Zuſtände hat der Dichter ein namhaftes Talent entwickelt. 
Denn auch auf die „Ritter vom Geiſte“ paßt, was der modernen 
Literatur überhaupt nachgeſagt wird: nämlich daß ſie die Schatten⸗ 
ſeiten des Lebens geſchickter und treuer und darum auch mit mehr 
Vorliebe darſtellt, als feine Lichtfeiten. Die Thatſache zugeſtan⸗ 
den, ſo wird doch auch ſie ihre Begründung wiederum nur darin 
finden, daß das Leben der Gegenwart eben mehr Schatten- als 
Lichtfeiten darbietet amd daß unſere angehenven Dichter Gelegen⸗ 
beit haben, mehr kranke als geſunde Zuſtände, mehr faule und 
nichtswürdige, als edle und großartige Charaktere zu ſtudiren. 
Dieſer Schätzung der „Ritter vom Geiſte,“ vie alſo kein 
Kunſtwerk erſten Ranges, wohl aber einen recht unterhaltenden und 











Karl Gutzkow. . 31 


wohlgejchriebenen Roman darin erblidt, hat nun, dünkt ung, auch 
bie Aufnahme entfprochen, welche das Buch beim Publicum gefum- 
ben. Jene neuen Bahnen freilich, welche einzelne enthufiaftifche 
Anhänger des Dichters beim Erfcheinen der erften Bände verfün- 
digten, haben die „Ritter vom Geiſte“ unferer Literatur nicht er- 
öffnet. Auch jener „Roman des Nebeneinander,” ven der Dichter 
jelbft im Vorwort der „Ritter vom Geifte‘ etwas gar zu eilig an- 
fündigte, bat fich eben fo ſchnell wieder verlaufen, wie er in Scene 
geſetzt ward, ohne irgend welche Spuren feines Auftretens: zurüd- 
zulafien. Allein aud) darin können wir feine wirkliche Niederlage 
des Dichters erbliden; wenn der Wein nur gut ift, was fommt 
auf ven Zettel an, der auf der Flaſche klebt? Dieſer nicht ganz 
wohl angebrachte Nachprud, mit welchem Gutzkow in erfter Vater⸗ 
freude feinen „Roman des Nebeneinander” ankündigte, war noch 
eine unter den obwaltenden Umſtänden voppelt verzeihliche Remi⸗ 
niscenz jeiner früheften jungveutichen Epoche; 88 war damals nod) 
jo Diode, von jerer neuen Novelle und jeden neuen Drama, ja oft 
nur von einer glänzend gefchriebenen Kritif ven Anfang einer neuen 
Iiterarifchen Epoche zu datiren, und wenn nun ein Dichter, der üb» 
rigens fo viele Beweife feines raftlojen Fleißes und feiner unermüds 
lichen Strebfamfeit gegeben hat, fi) von einer foldhen veralteten 
Mode audy einmal zur Unzeit befchleichen läßt, jo iſt das Doch ge- 
wiß fein Grund, ihn nun gleidy vor, ein Fritifches Inquifitions- 
tribunal zu fchleppen und das Buch zu verbammen um des VBor= 
worts willen. , 

Und dies zweideutige Vergnügen, das Gute und Wohlgelungene 
barum zu verwerfen, weil e8 nicht gleich das Beſte und Vollkom— 
menfte ift, was fich denken lüßt, hat nun auch das Publicum jenen 
fritifchen Keßerrichtern überlafien und hat, während jene das völlig 
Berfehlte des Unternehmens zu erweiſen fuchten, das Buch jelbft 


32 Das Junge Deutichland von ehedem und jekt. 


mit Wohlwollen und Freundlichkeit bei fi aufgenommen. Die 
„Ritter vom Geifte” haben in wenigen Jahren drei Auflagen er- 
lebt und wenn wir auch zugeben, daß dieſer ftatiftifche Mafftab 
noch lange fein äfthetifcher ift, fo darf pas Factum doch auch nicht 
ganz überſehen werben, am Wenigften bei einem Buche von ſolchem 
Umfang, das fchon eben deßhalb nicht ganz leicht ins größere 
Bublicum dringt. 

Für den Berfaffer felbft aber begimmt damit, wie wir fchon 
oben andenteten, eine neue Epoche; nachdem diefer große Wurf ges 
lungen, faßt er nicht bloß Zutrauen zum Publicum, fondern aud 
fein Zutrauen zu fich jelbft erhebt und befeftigt fich; jein Weſen 
verliert mehr und mehr das krankhaft Gefpannte, Neizbare, das 
wir wol früher an ihm bemerften, er wird (in moraliſchem Sinne 
natürlich) jo zu jagen fetter, wohlgenährter und damit auch behag⸗ 
licher und unbefangener. Das befannte Wort, das Shaleſpeare's 
Cäfar von den fetten Leuten jagt, die ungefährlich find und mit 
denen er daher umzugehen wünjcht, paßt auch auf die Literatur; 
gebt einem Dichter Erfolge, nährt ihn mit dem Zuckerbrod des 
Lobes und in neunzig Fällen von hundert, gebt Acht, wie liebens⸗ 
würdig er wird! 

Mit den „Nittern vom Geiſte“ hatte Gutzkow gleichfam feinen 
Frieden mit dem Publicum und mit fich felbft gefchloffen und dieſe 
friebfertige Stimmung äußert fi auch fofort in einer Reihe grö- 
ßerer und Heinerer Productionen, vie ſämmtlich das Gepräge des 
Behaglichen, Friedfertigen, Liebenswürdigen an fi) tragen; ber 
Dichter will jegt nicht mehr kämpfen, er will feine Siege genießen, 
er will fich nicht mehr mit Feinden herumfchlagen, er will die Zahl 
feiner Freunde vermehren und befeftigen. Died Bemühen giebt 
fih nad allen Richtungen fund, welche der fo ungemein fruchtbare 
und bewegliche Autor von jest ab einfchlägt. Als erzählender 





Karl Gutzkow. 33 


Dichter kultivirt er hbanptfächlich die Heine Erzählung und Novelle; 
als Dramatiker (ein Punkt, über den wir ſogleich noch ausführlicher 
fprechen werden) verläßt er den eigentlichen tragifchen Kothurn, der 
ihm allerdings niemals recht gepaßt hat, und fteigt zu ven minder 
hochſtrebenden, aber erfolgreicheren und beliebteren Gattungen bes 
Luftfpield und des Familiendramas herab; als Kritiker endlich zeigt 
er jett eben fo viel Milde, wie er ehedem fcharf, beißend und 
zum Tadel geneigt war, und äußert fich, gleich dem alternden Goethe, 
in ber Regel nur dann, wenn er eine mehr oder minver lebhafte 
Anerkennung auszufprechen hat. 

Diefe einzelnen ſehr zahlreichen Producte können wir hier na- 
türlich nicht namentlich aufzählen. Das Meifte davon wurde zuerft 
in den „Unterhaltungen am häuslichen Herde“ veröffentlicht, deren 
wir bereits gedacht haben umd die als bie unmittelbare Frucht jenes 
guten Einvernehmens zu betrachten find, das durch die „Ritter vom 
Geiſte“ zwifchen dem Autor und dem Publicum bergeitellt worden war. 
Eine beträchtliche Anzahl diefer Heinen Erzählungen, Oenrebilver, 
Charafteriftifen, äfthetifchen, Literarifchen und focielen Betrady- 
tungen hat der Dichter feitvem unter dem Titel „Die Heine Narren- 
welt” (3 Bbe., 1855) gefammelt; die Freunde deſſelben werben fie 
mit Vergnügen lefen und ſich des bunten und mannnigfachen In⸗ 
bafts erfreuen. Nur bei einem ber zahlreichen Producte Anit denen 
er nach den „Rittern vom Geiſte“ vors Publicum getreten ift, 
wollen wir noch einige Augenblide verweilen und auch das nicht jo- 
wol um feines äftbetifchen Werthes willen (der in ver That nicht 
jehr erheblich ift), als vielmehr, weil wir darin eine Beitätigung 
deſſen finden, was wir oben über die fentimentale, rührfame Seite 
diefes Dichters und die innige Verwandtſchaft feines poetifchen 
Charakters mit feiner Berliner Heimath äußerten. " 

Das iſt das Buch: „Aus der Knabenzeit,“ das Gublowi im 


Brup, die deutſche Literatur der Gegenwart. LI. 


34 Das Junge Deutichland von ehedem und jetzt. 


Sommer 1852, aljo beinahe gleichzeitig mit den letzten Bänden 
der „Ritter vom Geifte“ erjcheinen ließ. An und für ſich zwar 
hatte es etwas Ueberraſchendes und auch vie Verehrer des Dichter 
wurden im erften Augenblid einigermaßen ſtutzig darüber, daß er, 
ver kaum PVierzigjährige, der noch in ber vollen Blüte männ- 
licher Fahre ſtand, bereit3 mit einer Art von Memoiren over Selbft- 
befenntnifien hervortrat: eine Gattung befanntlich, die dem höheren 
Alter vorbehalten ift, vem Alter, das fich felbft dem Ende feiner 
Laufbahn nahe fühlt und das, auf die Zukunft verzichtenn, ſich 
noch einmal im Glanz der Vergangenheit fonnen will. Auch 
bat ber Dichter wol felbft gefühlt, daß vie Zeit, Memoiren zu 
Schreiben, für ihn noch nicht gefommen. Er verwahrt fi in ver 
Einleitung feines Buchs ausdrücklich dagegen, als fei e8 ihm um 
eine Geſchichte feiner Jugend zu thun gewejen; feine eigene Perfon, 
verfichert er, ſei ihm felbft bei Abfaſſung veflelben fo gleichgültig 
gewefen, daß er an nichts weniger gedacht als ein Entwidelungs- 
bild feiner felbft zu entwerfen. Nicht fein Jugendleben will er 
ſchildern, ſondern nur den Schauplaß dieſes Jugendlebens; es 
tollen, nach der Abficht des Verfaflers, Beiträge fein zur Charal- 
teriftit Berlins, zunächſt desjenigen Berlin, wie es ſich vom 
Schluß der Freiheitskriege bis etwa zum Jahre Zwanzig geftaltet 
Batte. Gutzkow will mit biefem Buche dem üblen Rufe ent- 
gegentreten, deſſen Berlin im übrigen Deutſchland genießt; in ver 
Geſchichte feines eigenen Heinen Jugendlebens will er, wie er 
ſelbſt ausdrücklich fagt, ven Beweis liefern, Daß das Innere des 
Berliner Lebens keineswegs fo Taltverftändig, fo gemüthlos md 
ohne Urfprünglichkeit ift, wie man gemeiniglich glaubt und wie bie 
Berliner ſich wol jelbft zu geben lieben, fonvern daß auch bier, 
wenigftens in der beſcheidenen Stille des häuslichen Lebens, ein 
friſcher Quell ächter und wahrhafter Gemüthlichkeit ſprüdelt, deſſen 











Karl Gutzkow. 95 


wohlthätige Spuren fich auch fpäterhin niemals ganz abwaſchen 
oder entftellen laflen, auch nicht einmal von denen, vie es felber 
wünſchen. | 

Diefen Verfiherungen des Verfaſſers ift gewiß Glauben zu 
ſchenken; es ift ihm wirklich mehr um den guten Auf feiner Bater- 
ſtadt ald um eine Verklärung feiner eigenen Jugendgeſchichte zu 
thun geweſen. Auch ift vie legtere in ver That fo einfach, fo arm 
an Abenteuern und Ereigniffen im gewöhnlichen Sinne des Worts 
und dabei auch äußerlich fo eng begrenzt, daß e8 der ganzen Kunſt 
bes Erzählers und ver vielfach eingelegten Epiſoden und Reflexionen 
bedarf, um unfer Intereffe in Thätigfeit zu erhalten. Selbft mit 
dem Auge bes Kindes gefehen, das bekanntlich, gleich dem Schmet- 
terlingsauge, Alles, was e8 erblidt, ins Wunderbare vergrößert, 
würde biefe Welt ver Gutzkow'ſchen Kindheit noch immer ziemlich 
Hein und unbedeutend erfcheinen: und ıft e8 fomit wol nur ein 
unter diefen Umſtänden unvermeiblicher und fogar Danfenswerther 
Nothbehelf, wenn ver Erzähler, beforgt um die Unterhaltung feiner 
Lefer, Standpunkte und Anfhauungen mehrfach vermwechjelt und 
feiner frühesten Kindheit nicht felten Wahrnehmungen und Betradı- 
tumgen unterfchiebt, im denen ver Leſer ohne Weiteres die fcharfe 
Beobachtungsgabe des gereiften und vielerfahrenen Mannes erkennt. 

Ganz ohne perfünliche Abſicht, bewußt oder unbewußt, ift 
das Buch aber bei allevem Doch wol nicht entftanden. Auch hätte 
ber Berfafler gar nicht nöthig gehabt, viefelbe fo ſehr in Abrede 
zu ftellen, indent das Buch, was e8 dadurch etwa an Unmittelbar- 
feit und poetifchem Reiz verliert, reichlich wiedergewinnt durch feine 
biftorifchen Beziehungen, fowie als Beitrag zur Charakteriftif des 
‚Dichters ſelbſt. Sagen wir e8 frei herans: das Buch „Aus ber 
Knabenzeit” ift nicht bloß gefchrieben, um einen Beitrag zu einer 
künftigen Gejchichte Berlins und der Berliner zu liefern, ſondern 

34 


36 Das Junge Deutfehland von ehedem und jekt. 


der Autor bat damit zugleich ein ſentimentales Bedürfniß feines 
eigenen Herzens befriedigen wollen. Und grade dieſe Sentimentalität 
ift in hohem Grave charakteriſtiſch. Hatte doch faum ein anderer 
moderner Schriftjteller die — wahren oder vermeintlichen — Eigen- 
thümlichkeiten und Gebrechen feiner Heimath ſich müſſen jo häufig 
vorrüden laſſen, als Gutzkow feine Berliner Herkunft. Gutzkow 
ift Berliner — wie kann er da ein Dichter ſein? Er hat 
feine Kindheit an den unromantifchen Ufern der Spree nerlebt — 
wie Tann er da Phantafie, Wahrheit der Empfindung, Wärme 
des Herzens haben? Wie fann er mit einem Wort etwas anderes 
fein, als ein nüchterner, abftracter Berftandesmenfch, einer jener 
bleichen, blutlofen Schatten, von denen die Einbilpungsfraft unferer 
knödeleſſenden Landsleute fich Die Gegend um Berlin bevölkert denkt?! 

Diefe Berkennung, wie jo manche andere, hatte an dem Dich⸗ 
ter ber „Ritter von Geiſte“ feit Langem genagt; da nun enblich 
ver Erfolg feines großen Romans das. Eis gebrochen hat, da er 
bie bisherige veflectirte Zurüdbaltung aufgeben und zum Publicum 
Iprechen darf wie ver Freund zum Freunde — was ift das Erſte, 
was er äußert? Eine jentimentale Klage um die entichwundene 
Kindheit, eine Jugendelegie & la Matthiffon, ein ſchmerzliches Auf- 
zeigen der Wunden, bie er empfangen und aus denen er in ber 
Stille geblutet hat, bevor dieſe Lorbeeren fie Fühlen durften. 
Es ift unferes Bedünkens überaus charakteriftiih für dieſen Dich⸗ 
ter, daß er ſelbſt auf der Höhe feines Ruhms die Mühſeligkeiten 
und Entbehrungen nicht vergeſſen kann, die es ihn gefoftet, bevor 
er fo weit gelangte. Er antwortet feinen Erfolgen nicht mit einem 
Triumphgeſchrei, fondern mit einer Klage; ja am Schluß des Bor- 
wort® bedauert er mit ausprädlichen Worten das geringe Glüd, 
das er bisher gewöhnlich in der Wilrdigung feiner Herzenömotive 
gehabt habe! 














Kari Gutzkow. 37 


- Auch Übrigens tritt diefe jentimentafe, wehmüthige Stimmung 
in dem Buche vielfady hervor; es ift darin, wenigftend an 
menden Stellen, eine Innigfeit des Gemüths und eine Wärme 
ver Empfindung, ver Berfaffer vertieft ſich in vie Heinen Leiden 
und Freuden feiner Jugend mit einer Naivetät und Unbefangen- 
heit, wie man fie ihm, biefem angeblichen Berliner als folchem, 
allerdings bis dahin nicht zugetrant hatte. Vielleicht hätte er fo- 
gar wohlgethan, fich diefem Zuge feines Herzens noch unbefangener 
und mit nod) größerer Freiheit zu überlaſſen; er verfällt hier und 
da in einen Ton der GSelbftverfpottung und abfichtlichen Ueber— 
treibung, der feinen ganz glüdlichen Eindruck macht und den ver 
Berfaffer vergebli dadurch zu rechtfertigen fucht, daß er ſich auf 
den „bekannten aufgebaufchten Ausdruck des fomifchen Heldenge- 
dichtes“ beruft. Poet oder Gefchichtfchreiber, gleichviel, jeder Autor 
muß zunächſt Ehrfurcht vor. feinem eigenen Gegenftande bezeigen, 
wenn derſelbe von: Leſer reſpeetirt werben foll; wie follen wir beim 
Lefen warın werben, wenn wir fehen, daß der Berfafier jelbit feiner. 
eigenen Wärme nicht recht traut und ung, mitten in unferer beften 
Begeifterung, das kalte Waffer ver Berfiflage über ven Kopf gießt?! 
Bortrefflich dagegen und mit zu dem Velten gehörig, was Gutzkow 
überhaupt gefchrieben, find die zahlreichen Bartien des Buches, in 
benen ber Verfaſſer mit ſcharfem Griffel einzelne beftimmte Per- 
fonen und Zuftände feiner Umgebung zeichnet. Hier liegt über- 
haupt die Stärke dieſes Schriftftellers, in ver Schärfe und Sicher: 
beit, mit_der er einzelne Richtungen der Zeit, namentlich wo fie 
ſich in beitimmten Perſoͤnlichkeiten verkörpert haben, darzuftellen 
weiß; die Gemälbe, die er auf dieſem Gebiete liefert, find vielleicht 
nicht immer ganz porträtähnlich, machen aber doch den Eindruck 
wohlgearbeiteter Porträts — wie e8 Gutzkow denn befanntlid) in 
feiner vormärzlichen Epoche gelang, durch feine unter Bulwer's 


38 Das Junge Deutichland von ehebem und jet. 


Namen gejchriebenen „Zeitgenoſſen“ (1837) Publicum und Kritik 
und fogar Das Argusauge der Polizei zu täufchen und ven Glauben 
zu erweden, als rührten viefe Charafterbilder wirklich von einem 
Manne ber, der dem Theater der Weltgefchichte fo nahe ftand, wie 
der englifche Novellift. 

In dem Bud „Aus der Knabenwelt“ ift dieſe Kunft des 
Porträtmalers nun allerdings zumeilen an jehr Heine und gering- 
fügige Objecte verſchwendet worben; wir fünnen das bebauern, 
müſſen aber doch die Kunft felbit anerkennen. Auch verräth dieſe 
Schärfe ver Auffafjung vielleicht nur wenig kindliches Gefühl, vefto 
größer dagegen ift die männliche Sicherheit, die fih darın aus— 
ſpricht; es wird uns aus biefem Studien begreiflih, woher ver 
Dichter jene Schlurfe, jene Melanien, jene Hadert ıc. entnommen 
und wie er fich überhaupt jene Lebendigkeit und Bieljeitigfeit ver 
Charakterzeihnung angeeignet hat, vie wir an den „Rittern vom 
Geifte” anerkennen müffen, auch werm wir im llebrigen die Aufgabe, 
bie der Dichter ſich in dieſem Romane geftellt hat, nicht fir ganz 
gelöft erachten können. — 

Diefelbe ungewöhnliche Fruchtbarkeit nun aber, wie für. die 
Erzählung, die Schilverung, die Kunft und LTiteraturbetrachtung zc., 
hat Gutzkow auch für das Drama entwidelt, nur daß fie hier nicht 
ganz denſelben günftigen Erfolg hatte wie dort. 

An ſich zwar ift die Anhänglichkeit, vie Gutzkow dem Theater jo 
lange Jahre hindurch bezeigt hat, fehr natürlich und fehr mohlbe- 
vechtigt. Unfere Literarbiftorifer und Kritiker ſprechen gewöhnlich nur 
davon, die Einen mit Beifall, Die Andern mit Kopfichütteln, daß ver 
Dichter des „Richard Savage” es gewefen, ver dem Theater ber Ge⸗ 
genwart zum Durchbruch verholfen; fie überfehen pabei jedoch, daß es 
andererjeitd auch das Theater geweſen, dem Gutzkow feine erſten durch⸗ 
greifenden Erfolge, ven erſten Anfang feiner Popularität verdankt. 











Karl Gutzlow. 39 


Aber fo unlengbar diefe Erfolge andy find, und fo gewiß Gutz⸗ 
kow nicht nur einer der fruchtbarften und beliebteften Romandichter, 
fonbern auch der geſchickteſte Theaterfchriftfteller unferer Tage ift, jo 
glauben wir doch nit, daß die Bühne der wahre Beruf dieſes 
Autors, oder Daß er der eigentlichen Aufgabe des dramatiſchen Dich- 
ters näher gekommen als irgend ein Poet unferer durch und durch 
undramatifchen Zeit. Als erzählender Dichter hat Gutzkow durch 
fleißige Beobachtung der Wirklichkeit, genaue Berechnung der Ber- 
hältnifje und unabläffige Uebung feines Talents fih einen feiten . 
Boden erworben, auf dem er num Herr ift und ben fein Neid ver 
Eoncurrenten und feine Mißgunft der Kritiker ihm entziehen kann. 
Für das Drama jedoch reichen diefe an fich ſehr achtbaren Eigen- 
haften nicht aus; bier, wenn irgendwo, bedarf es noch einer ge- 
wiſſen urfprünglichen Begabung, eines gewiſſen göttlichen Funkens, 
der überall nur felten aufleuchtet, am allerjeltenften aber in unferen 
Tagen. Wir werden auf diefen Gegenſtand im Berlauf unferes 
- Buches, in dem Abſchnitt über das Drama ver Gegenwart no 
ausführlicher zu fprechen fommen und bemerken daher hier nur, daß 
Gutzkow's zahlreiche pramatifche Berfuche zwar denfelben unermüd⸗ 
lichen Fleiß und dieſelbe geſchickte Hand verrathen, wie jeine übrigen 
Schriften, daß aber das eigentliche dramatiſche Talent, vie Gabe, 
große, unmittelbar gegenwärtige Maſſen durch Die Gewalt der Lei- 
denſchaft zu ergreifen und zu erjehüttern und der Natur felbft ven 
Spiegel vorzahalten, ihm zum minveften in demſelben Grabe ver- 
fagt ift, wie feinen fämmtlichen Zeitgenofien. 

Sa in gewiſſer Beziehung und unbefchavet ver Exfolge, die er 
mit einzelnen feiner Stüde thatfächlidh errungen, möchten wir. die 
dramatiſche Seite des Dichters gradezu für ſeine ſchwächſte erklären. 
Denn grade bier, wo es ſich um die freieſte Entfaltung nes Ge⸗ 
nius, um ein wirkliches Nachichaffen des Lebens handelt, zeigt bie 


+0 Das Junge Deutfhland von ehebem und jebt. 


Schranke, welche dieſem Dichter gefetst ift und die, wir wiederholen 
es, in ber Hauptfache allerdings immer nur die Schranke feiner 
Zeit ift, ſich am allerveutlichften. Dahin gehört namentlich die allzu⸗ 
genaue Rüdfichtnahme auf die jedesmalige Zeitftimmung, überhaupt 
die allzuängftliche Sorge um den Erfolg, welche man biefem Autor 
nicht ganz mit Unrecht zum Borwurf gemacht hat und die wir uns 
ſchon an einer früheren Stelle durch feine journaliftifche Herkunft 
und feinen Dienft ımter ven Plänflern der Tagespreſſe zu erklären 
ſuchten. Selbft „Uriel Acoſta“ und „Zopf und Schwert,“ dieſe 
beiden Pfeiler von Gutzkow's dramatiſchem Ruhme, verdanken ihren 
Erfolg doch größtentheils nur der geſchickten Benutzung der Zeit⸗ 
umftände, fowie der Sympathien und Antipathien, von denen das 
Publicum der vierziger Jahre auf politifchem und theolegifchen 
Gebiete bewegt warb. | 

Solche Far ausgeſprochenen Sympathien und Antipathien 
aber fehlen unferer Zeit, e8 fehlt die in fich befeftigte, mit fich jelbft 
übereinftimmende öffentliche Meinung, die einem Dichter, der gern 
mit der aura popularis fegelt, zur Richtſchnur dienen könnte; 
überall, wohin wir bliden, Berftimmung, Widerſpruch, Unzufrie- 
benheit, ohne daß dieſe Unzufriebenheit fich. irgendwo zu jener vor- 
märzlihen Energie, jenem allgemeinen Oppofitionsgeift erhöbe, 
ber dem Dichter eine fo bequeme Handhabe darbot. Aus diefem 
Umftand hauptfächlich erklären wir uns das conftante Mißgeſchick, 
das Gutzkow's ſämmtliche nahmärzliche Bühnenverjuche (mit deren 
einzelner Aufzählung wir uns bier nicht weiter befaflen wollen) 
gehabt haben; der Dichter hat fein Fahrwaſſer verloren, er weiß 
nicht mehr, wo er feinen Anker werfen fol, hat aber auch, als rich⸗ 
tige8 Rind unferer Zeit, nicht poetifche Kraft und dramatiſches 
Vermögen genug, um eine neue Welt aus ſich heraus zu fchaffen. 

Es gejellt ſich dazu noch ein anderer Umftand, ben man frei- 











Karl Gutzkow. 41 


\ 


lich auf den erften Anblic vielmehr für höchſt günftig halten folfte. 
Belanntlich hatte Gutzkow, der ſchon in vormärzlicher Zeit eine faft 
bedenkliche Wertigkeit darin hatte, gewiſſen Schaufpielern gewiſſe 
Rollen auf den Leib zu fhreiben und dem Mimen überhaupt mehr 
Einfluß auf feine pramatifchen Arbeiten verftattete, als dem Dichter 
in Wahrheit gut ift — Gutzkow hatte bekanntlich feitvem Gelegen- 
heit erhalten, al8 Dramaturg des Drespener Hoftheaters (1847 bie 
1850) die Bühne aufs Genauefte fennen zu lernen und fidh mit der 
gefammten Technif des Theaterweſens vertraut zu machen. Allein 
grade dieſe allzugenaue Kenntniß ſcheint ihm verhängnigvoll ges 
worden zu fein. Auch der Dichter muß noch gewiſſe Illuſionen 
haben, er muß noch an ein Anonymes, Dämonifches in der Kunft 
glauben, er muß nicht gar zu fehr davon überzeugt fein, daß fich 
Alles „machen“ läßt, wenn man nur erft ven Pfiff heraus hat. 
Diefe Illuſion wird dem Theaterdichter aber zerftört, wenn er 
ver Bühne allzunahe tritt und allzutief hinter die Couliſſen, in bie 
Geheimniffe ver Schminkbüchſen, die Miyfterien ver falfchen Waden 
und Nafen blidt; er weiß dann zu jehr, wie Alles gemacht wird 
und verliert darüber die Kraft und den Muth des Machens felbfi. 
Sehen wir doch nur, was unfere fogenannten Dramaturgen 
und artiftiichen Directoren als Poeten leiften! Man erinnert ſich 
ja wol noch, welche Hoffnungen die Dichter felbft fich bi8 vor Kurzem 
davon machten und weld ein Aufſchwung unferer pramatifchen Dich⸗ 
tung prophezeit ward, fobald nur erft alle oder doch die Mehrzahl 
unferer bedeutenden Bühnen unter einer „Eunftverftändigen‘ Yeitung 
ftänden. Nun, was diefe Dramaturgen und artiftifchen Leiter dem 
Theater und ver dramatischen Titeratur im Allgemeinen genützt haben, 
davon an einem andern Orte; ſoviel über läßt fich ſchon hier behaup- 
ten, daß Diejenigen Poeten, venen das zweideutige Glüd eines ſolchen 
Dramaturgenpoftens zu Theil warb und vie fich ihm mit Anftrengung 





49 Das Junge Deutichland von ehedem und jebt. 


ihrer Kräfte ernftlich widmeten, für ihre eigene Dichterifche Entwicke 
lung feinen. Bortheil davon gehabt haben. Die Mehrzahl von ihnen 
ift fogar völlig verjtummt; was hat Dingelftent für das Theater 
geichrieben, jeit er als Intendant nach München und Weimar berufen 
ward? was Laube, ſeitdem er K. K. Director des Wiener Burgthea⸗ 
ters ift, außer dem „Eifer“ und dem „Montrofe,” zwei Stüde, 
welche e8 ber Kritik denn auch wol verftattet fein wird, fie mit 
etwas anderen Augen zu betrachten, als ein novitätenhungriges 
Publicum? Selbſt Roverich Benedir, der fonft jo Fruchtbare, 
ſah fi, fo lange er ven Thespisfarren in Frankfurt a. M. lenkte, 
beinahe außer Zhätigfeit geſetzt. — Auch glaube man nidt, 
daß diefe abnehmende Fruchtbarkeit bloß von der Laft mechanifcher 
Arbeit herrührt und vem vielen Aerger, den die armen Dramae- 
turgen und Theaterdirectoren Tag für Tag zu fehluden haben; 
der Werger ift Schon manchmal eine ganz fruchtbare Muſe gemefen 
und je etmüdender, follte man meinen, die Tagesarbeit, mit um 
fo größerer Inbrunft müßte der Dichter ſich ja der Kunft zuwenden: 
einem Liebhaber gleich, dem von ber jpröden Geliebten nur feltene 
und fparfame Umarmungen verftattet werben. Nein, der Grund 
liegt tiefer, er Liegt darin, daß, wer der Sonne zu nahe fteht, ftatt 
ihres Glanzes nur noch ſchwarze Fleden fieht; wie es nach einem 
befannten Sprichwort für den Kammerdiener feinen großen Mann 
mehr giebt, jo giebt e8 auch für den Dramaturgen feine pramatifche 
Poefie mehr — er hat in ver Göttin zu fehr das Weib gefehen, 
er glaubt überhaupt an feine Poefte mehr, nur noch ans Theater 
und die Theatereffecte. 

Diefe allzugenaue Kenntmiß der praftifchen Bühne und ihrer 
Effecte ift num auch für Gutzkow verhängnißvoll geworben; zu ver- 
traut mit ven Heinen Künſten ver Coulifje, hat er ver Verſuchung 
nicht widerſtehen können, diefelben auch in feinen Stüden in Be- 











Karl Gutzkow. 43 


wegung zu feßen und zwar nicht einzeln und mit weiter Sparſam⸗ 
feit, fondern nad) dem alten Spruch: viel hilft viel, am Tiebjten 
alle auf einmal. Dadurch iſt ver Dichter des „Uriel Acofta” im 
feinen neueren. vramatifchen Berfuchen in ein Probiren und Expe- 
rimentiren, ein Calculiren und Raffiniren gerathen, das, wie jede 
zu gewaltfame Anftrengung, in ven meiften Fällen des Zieles ver- 
fehlt und dem Verfaſſer ftatt der gehofften Lorbeeren nur Dornen 
eingebracht hat. Zu Anfang viefes Abfchnitts bezeichneten wir die 
Ausdauer und Unverdrofjenheit, welche diefer Dichter in feinen 
Iiterarifchen Verfuchen zeigt, als eine feiner bervorragenpften und 
Lobenswertheften Eigenfhaften. Für einen dramatiſchen Dichter 
ift diefelbe ganz beſonders ſchätzenswerth; daß fie in Deutſchland 
fo felten; das ift mit ein Grund, weshalb die dramatische Literatur 
bei uns niemals hat fo recht geveihen wollen. Der Mehrzahl 
unferer jungen Dramatiker find eine, zwei Niederlagen, ja nicht 
einmal Niederlagen, nur ein, zwei halbe Erfolge genug, dem 
Theater für ewig abzufchwören: nicht grade aus Beſcheidenheit, 
nicht weil fie an ihrem Talent für die Bühne zweifelhaft geworben 
find, im Gegentheil, fie glauben ihren höheren Beruf damit erft 
recht documentirt zu haben, das Elend ift nur, daß das rohe, ım- 
verftändige Publicum fie nicht zu würdigen weiß — aber genug, 
fie wenden ihm den Rüden und. gefellen fich zu dem zahlreichen 
Haufen jener Mißvergnügten, die ta behaupten, die deutſche Na⸗ 
tion fönne und werbe nie ein Drama haben, etwa weil Deutjch- 
land feine Republik ift, oder weil die Theatervorſtellungen bei uns 
nicht, wie in Franfreih und England, bis nah Mitternacht 
dauern, oder weil vie Tantieme nody nicht durchweg bei uns einge- 
führt ift, oder aus irgend einem andern gleid) triftigen Grunde. 

Anders Gutzkow; er ift bei ven Franzofen in die Schule ge— 
gangen, er.weiß, daß grade der Dramatiker nur durch bie Fehler 


44 Das Junge Dentfchland von ehebem und jekt. 


Hug wird, die er begeht und daß durchſchnittlich zwölf durchgefal⸗ 
lene Stüde dazu gehören, damit enblidy eines gefchrieben wird, das 
Beifall findet. 

Allein auch des Guten kann man befanntlich zu viel thun und ber 
Dramatiker Gutzkow hat e8 gethan. In feinen ſämmtlichen neueren 
Stücken ift eine ſolche ängftliche Berechnung des Effects, ein folches 
Hafchen nach vraftifchen Wirkungen, ein jolches Zufammenraffen und 
Auffpeihern aller möglihen Motive, Situationen und Kataftrophen, 

daß die Totalwirkung darüber meiftentheild gänzlich verloren geht. 
Es ift doch gewiß nicht bloß ein veränderter Gefchmad oder gar 
eine Laune des Publicums, daß, während einzelne feiner vormärz- 
lichen Stücke noch jegt von Zeit zu Zeit gern gefehen werben, von 
allen Theaterarbeiten, mit denen Gutzkow in ven legten zehn Jahren 
aufgetreten ift, auch nicht eine einzige ſich auf den Brettern behauptet 
hat. Und doch find unter diefen neueren Stücken alle Gattungen 
‚vertreten, von der hiftorifchen Tragüpie „Philipp und Perez“ 
(1853) an bis zu „Lenz und Söhne oder die Komödie der Bel- 
jerungen‘‘ (1855). 

Dies letztere Stüd ift eine folche Duferkare bramatifcher 
Fehlgriffe und dabei für Diefe neuefte Periode von Gutzkow's Thätig- 
feit als Theaterdichter jo harakteriftifch, daß es ſich ſchon verlohnt, 
einige Augenblicke dabei zu verweilen. Die Innere Miſſion, der 
Drang der Zeit, in chriſtlicher Wohlthätigkeit, wahrer und falſcher, 
ein Heilmittel oder doch wenigſtens eine Ableitung, eine Beſchwich⸗ 
tigung zu fuchen für die eigene innere Unbefriebigtheit, ift gewiß 
ein höchft intereffanter Zug in der Signatur umferes Zeitalter und 
verbient als folcher ohne Zweifel auch- die Beachtung des Dichters. 
Aber nicht jeder poetiſche Stoff ift darum auch ſchon ein Stoff für 
die Sarricatur: und Sarricaturen, Carricaturen vom Scheitel bis 
zur Zehe, Carricaturen, in denen nicht8 mehr an bie urſprüngliche 








Karl Gutzkow. 45 


menschliche Grundlage erinnert, fondern aus jedem Worte, jeder 
Miene, jever Stellung blidt ung überall nur die Caprice entgegen, 
der Uebermuth der Reflexion, ver fie ins Leben rief — ſolche un- 
poetiſche, phantafielofe Earricaturen find e8, die und in „Lenz und 
Söhne“ vorgeführt werden. Es giebt einen Grad poetifchen Hu- 
mors, allerdings, der in göttlicher Ungebundenheit des proſaiſchen 
Berftanves jpottet und die Regeln ver Logik mit triumphirendem 
Gelächter über ven Haufen wirft. Allein die Zufammmenhang- 
Iofigfeit, die uns in „Lenz und Söhne” Anfangs in Erftaunen, 
dann in Berwirrung, endlich in Unwillen verſetzt, ift nicht von der 
Urt, noch könnte eine moberne bürgerliche Komödie jemals ber rich⸗ 
tige Platz dazu fein, felbft wenn das Talent des Verfaſſers fich 
überhaupt zu diefer Art poetifcher Extravaganzen neigte, was doch, 
wie man weiß, keineswegs der Ball iſt. Diejenigen unferer Leſer, bie 
das Stück aus eigener Anfchauung kennen, wollen wir noch an die - 
eigenthümliche Verwendung erinnern, Die der Dichter darin von den 
fogenannten lebenden Bildern madt. Dieſe ächt vilettantifche Gat⸗ 
tung, die mit der Romantik in die Höhe kam und bie. felbft Goethe 

damals nicht unwerth hielt, in jeine „Wahlverwandtichaften” mit 

aufgenommen zu werben, die aber ſeitdem mehr und mehr berabge- 

fommen ift, fo daß fie auf ver Bühne höchſtens noch als Zugmittel 

bei Ausftattungsopern und Balletten benutt wird, hat Gutzkow in 

feinen neueren Stüden zum Rang eines dramatiſchen Motios erfter 

Ordnung erhoben; es giebt faum eines darunter, in dem nicht le 

bende Bilder oder Komödie in der Komödie oder etwas dem Aehn⸗ 
liches vorläme. Kann vie Berivrung, in welcher der Dichter be- 

fangen ift, fich deutlicher fumd geben? und kann es ein offeneres 

Eingefländniß poetifcher Unzulänglichkeit geben, ald wenn man 

feine dramatifchen ee ı von dergleichen äußerlichem Apparat. 
erwartet? 

0 


46 Das Junge Deutichland von ehebem und jeßt. 


Auch in „Ella Roſe,“ Gutzkow's jüngftem und ebenfalls einem 
feiner ſchwächſten Stüde, ift diefer Apparat zur Anwendung ge- 
fommen. Wir nennen „Ella Roſe“ eines feiner ſchwächſten Stücke, 
weil jene krankhafte Neigung für halbe und ſchwächliche Charaktere 
und innerlich unmahre und unmögliche Verhältniſſe, die wir an 
feinen Jugendproducten bemerften, aud) in dieſer „Ella Roſe“ fehr 
beutlich bervortritt. Ueberhaupt gilt dies mehr oder minder von 
allen dramatiſchen Verſuchen Gutzkow's und dient uns als ein 
neuer Beweis dafür, daß das Drama vielleicht feine Birtuofität, 
aber ganz gewiß nicht fein eigentlicher Beruf iſt; biefe fittliche Un— 
bedeutendheit und Unwahrheit feiner Helven und dies Berfchrobene 
und Berzwidte der Situationen, aus denen er feine dramatiſchen 
Motive ableitet. Zwar find auch feine Romane und Novellen 
nicht ganz frei von dieſem Gebrechen, das wir uns ja auch ſchon 
bemüht haben, als ein allgemeines Gebrechen unferer Zeit zu bes 
greifen: doch wird daſſelbe hier bei weitem nicht fo fichtbar und 
wirft lange nicht fo ſtörend, wie in feinen vramatifchen Arbeiten. 
Es ift das wiederum die alte Erfahrung, daß der Leſer fi) Vieles 
gefallen läßt, was dem Zufchauer, der nicht bloß mit der Phantafie, 
jondern mit dem unmittelbaren leiblichen Auge fieht, unerträglich 
wird. Die Gebrüder Wildungen find auc, feine befonveren fitt- 
lichen Heroen, aber gegen ſolche blafirte und fittlich herunterge- 
kommene Perfonnagen, wie die meiften: Hauptperfonen der Gutz⸗ 
kow'ſchen Dramen find, ftehen fie doch noch als wahrhafte 
Riefen da. — 

Während BVorftehendes gefchrieben wurde, ift der Dichter 
wieberum mit einem großen Zeit- und Sittenroman nad) Art der 
„Ritter vom Geifte“ hervorgetreten: „Der Zauberer von Rom.“ 
Da bis jetzt nur der Anfang des auf neun Bände beredineten Wertes 
oorliegt, fo ift natürlich noch Fein eigentliche Urtheil Darüber ge- 

9 


” 








— 


Karl Gutzkow. 47 


ſtattet. Yon Gutzkow's Freunden wird der neue Roman ſehr ge: 
priefen und ihm ein’ Erfolg vorausgefagt, ähnlich wie ihn die 
„Ritter vom Geiſte“ gehabt haben. Indeſſen wenn dieſe Pro- 
phezeiung auch nicht eintreffen und ver „Zauberer von Rom’ vie 
neue Epoche in ver Entwidelung des deutfhen Romans nicht ber- 
beifüthren follte, welche bie Freunde des Dichters im Geift ſchon 
dadurch angebahnt fehen, fo hat Gutzkow doch ohnedies genug ge- 
feiftet umd die Energie und Fruchtbarkeit feines Talents hinlänglich 
bewährt, um als der hervorragendſte und einflußreichfte Titerarifche 
Repräfentant unferer Gegenwart anerkannt zu werden und als 
folcher auch in die Jahrbücher der Literaturgefchichte überzugehen. 


3. 
Theodor Mundt. 


Zeigt ſich uns in Gutzkow die Productivität, zu der das Junge 
Deutſchland, trotz ſeiner eigentlich unproductiven Grundlage, unter 
dem Einfluß begünſtigender Umſtände, ſowie angetrieben von einer 
ſtarken und energiſchen Perſönlichkeit ſich anſtacheln konnte, im vor⸗ 
theilhafteſten und glänzendſten Lichte, ſo iſt dagegen Theodor Mundt 
der wahre Repräſentant dieſer urſprünglichen Unproductivität; Theo: 
dor Mundt iſt vielleicht derjenige aus dieſer ehemaligen Genoſſen⸗ 
ſchaft, der am meiſten fremde Stoffe in ſich aufgenommen, am 
meiſten geleſen, ſtudirt und nachgedacht hat, aber auch derjenige, den 
die Natur am wenigſten zum Dichter berufen. Auch Mundt hat ſich 
in allen Gattungen verſucht; verſteht ſich, die junge Literatur von 
damals kam ja mit Stiefeln und Sporen auf die Welt und konnte 
Alles, was ſie wollte. Gleich Gutzkow hat auch Mundt Romane, 
Novellen, Kunſtbetrachtungen, jelbft Dramen verfertigt; er hat 
fogar einige Bücher von ernftem, wiſſenſchaftlichem Anftrich ge- 
ſchrieben und neuerdings fogar in die Geſchichtſchreibung hinüber 
dilettirt. Aber mit nichts iſt es ihm vergönnt geweſen, wahrhaft 
durchzugreifen; während die Gelehrten über ſeine wiſſenſchaftlichen 
Verſuche den Stab gebrochen, haben ſeine poetiſchen das Publicum 
kalt gelaſſen. | 

Theodor Mundt gehört auf diefe Art zu den niederſchlagend⸗ 











. Theodor Munbt. | 49 


fen Erſcheinungen unferer neuern Literatur. Ein Mann von 
mannigfadher Bildung, von umbeftreitbar gutem Willen, felbft von 
mancherlei ſchätzenswerthen Kenntniften, entbehrt er doch des Einen, 
was in der Kunſt wie in der Wiffenfchaft allein dauernde Erfolge mög: 
lich macht, ja was dem Gelehrten, dem Künſtler ſelbſt erſt Befriedi⸗ 
gung gewährt: die eigentliche zeugende Kraft. Mundt's gelehrte oder 
doch gelehrt ſein ſollende Schriften machen zumeiſt den Eindruck, 
als wären ſie auf Beſtellung des Buchhändlers geſchrieben; auch 
find es großentheils Compilationen, denen man nicht einmal eine 
befonvere Vollſtändigkeit und Zuverkäfligfeit nachrühmen kann und 
bie ihre innere Unbedeutendheit vergeblich unter einem Schwall 
philoſophiſch fern follender Redensarten over auch unter einem _ 
froftigen Prunk poetiftrender Bilder und Gleichniffe. verbergen. 
Die poetifchen Verſuche aber hat ex fi felbit abgenöthigt und 
dieſer innere Zwang, ohne daß ihm ein natürliches und leichtflüſſi— 
ges Talent entgegenfommt, ift anerfanntermaßen die allerunfrucht- 
barfte und unglücklichſte Mufe, die e8 giebt. Hätten alle vergleichen 
Barallelen.nicht fo leicht etwas Schielenves, jo möchten wir Theodor . 
WMundt den Friedrich Schlegel des Jungen Deutſchland, viefes 
legten Auslänfers ver Romantif, nennen: wobei wir freilich: pas 
punctum saliens lediglich auf die Beiden gemeinfame Unproducti⸗ 
vität befchränfen, Friedrich Schlegel’ Gelehrſamkeit aber und jene 
tieffinnigen Geiftesblige, Die ihm menigftens zeitweije durchzuckten, 
völlig an ihren Ort geftellt fein laſſen. 

Unter biefen Umftänden hat Thevdor Mundt ſich denn auch 
auf dem Felde der Literatırr nicht eigentlich behaupten können, viel- 
mehr ift er mit allem guten Willen und allem äufßerlichen Fleiß 
ſchon jegt ein verfchollener Mann; er ſchreibt wol noch, jehreibt 
fogar fehr viel, aber feine Bücher werben nur ſehr wenig gelejen 
und haben auf vie Literatur ver Gegenwart keinen irgend er⸗ 


Brup, die deutſche Literatur der Gegenwart. II. 4 





50 Das Zunge Deutichland won ehedem und jetzt. 


kennbaren Einfluß ausgeübt... Den meiften Beifall fcheint er noch 
mit feinen Reiſebildern und feinen Hiftorifchen Skizzen (3.38. „Bar 
riſer Kaiſerſtizzen,“ 2 Be. 1857; „ber Kampf um das Schmarze 
Meer” und „Krim-Girai,“ beide 1855 2c.) gefunden zu haben. 
Hier kann er uns höchſtens infoweit intereffiren, als ex gleichzeitig 
mit ven Anfängen ver „Ritter vom Geifte” ebenfalls den Verſuch 
machte, in einem größeren Romane ein Spiegelbild ver Zeit und 
ihrer Beftrebungen,. namentlich auf politifhem Gebiet zu geben: : 
„Die Matadore” (2 Bde. 1851). 

Allein geade diefer Roman beweift auch aufs Allerſchlagendſte, 
was wir foeben über Mundt's Unfruchtbarkeit und das Erzwungene 
feiner poetifchen Erzengniffe äußerten... Der Verfaſſer will bier, 
wie gejagt, die Zeit abeonterfeien, in der er lebt, vermag es jedoch 
nicht weiter als zu einem plumpen Zerrbild gewifjer empiriſcher 
Perfönlichkeiten zu bringen, bie dann, damit dem Leſer die Pointe 
ja nicht verloren gebe, durch Namensanfpielungen, Aufnahme ein- 
zelner allbefannter hiftorifcher Züge und ähnliche Heine Mittel kennt⸗ 
lich gemacht werben. Einiges von diefem Unweſen findet fich bes 
kanntlich auch in Gutzkow's „Ritter vom Geiſte:“ doch wird e8 Bier 
wenigftend durch andere, künſtleriſch zuläfjigere und wirkſamere 
Mittel theilmeife vervedt und aufgehoben. Streichen wir Dagegen 
and Mundt's „Matadoren“ die trivialen Zugmittel hinweg, was 
bleibt übrig? Eine Fabel von wahrhaft haarſträubender Unmwahr- 
ſcheinlichkeit — Scenen widerwärtigfter Hoheit, wie vie Ehebruch⸗ 
fcene im erften Buch mit ihren Nacktheiten, ihren Peitſchenhieben, 
ihren Scheintobten — unmögliche Situationen, wie jene der Gräfin 
im Gafthof, wo bie ihr Ziel verfehlende Kugel ven Pfoften des Bett- 
ſchirms durchſchießt und zwar fo wunderſam mittendurch ſchießt, daß 
die Gräfin mit ihrem ſcheußlich zerfetzten Angeſicht, das ſie ſo lange 
por aller Welt verborgen gehalten, nun auf einmal, gleich einem Ge- 


o S 


Theodor Mundt. 51 


fpenft, vor den entfegten Zufchauern auftaucht — Lieder, in denen 
zwar nicht die Poefie, aber doch ver Reim mit dem gefunden Men⸗ 
fchenverftande durchgegangen ift — endlich eine Sprache, ver man 
es wahrlich nicht anmerft, daß der Verfaffer einjtmals eine „Kunſt 
ber deutſchen Proſa“ gefchrieben hat, vie einige Zeit hindurch ſogar 
als eines der kanoniſchen Bücher des Jungen Deutſchland galt. — 

Geitvem hat Theodor Mundt noch eine Heine hiſtoriſche Er- 
zählung herausgegeben: „Ein beuticher Herzog” (1856). Es ift 
zwar nicht mehr als ganz gewöhnliche Leihbibliothekenlektüre, aber 
wenigftens mit einer gewillen trodenen Berftänpigfeit und in einem 
Haren, lesbaren Stil geichrteben: und nach ven „Matadoren“ 
ift Das ſchon ein fehr erheblicher Schritt zum Beſſeren. Gauz 
neuerlich erfchien von ihm noch ein vierbändiges, halb belletriftifches, 
halb memoirenartiges Werk, „Graf Mirabeau‘ (1858). Ben 
dieſem vermögen wir jeboch hier nichts weiter zu jagen, als daß 
Herr Mundt darin in die Schnle feiner Frau gegangen ift; was 
das heißt, werben wir in einem fpäteren Abſchnitt erfahren. 


ar 


4, | 
Guſtav Kühne. 


Eine bei weitem liebenswürdigere Erjcheinung ald Theodor 
Mundt ift Guſtav Kühne, der .chevem zur Blütezeit des Zungen 
Deutfchland mit Erfterem vielfach zufammen genannt ward, wie er 
denn and) wirklich nicht ohne eine gewiſſe innere Verwandtſchaft 
mit ihm iſt. Auch Kühne hat Fein hervorragendes productives 
Talent, auch ihm fehlt e8 an Phantafie, Wärme, Leidenſchaft, auch 
feine poetifchen Arbeiten fcheinen ihren Urfprung mehr einer gewiſ⸗ 
en reflectirten Anftrengung als einem freien und natürlichen Er- 
guß des Talents zu verbanfen. 

Doc ift dabei ver große und für Kühne fehr günftig aus- 
fallende Unterjchied, daß, währen" Mundt gegen vie Schranfe feiner 
Natur anlämpft, Kühne ſich ihr willig und ohne Wiverftreben ge- 
fangen giebt. Mundt ift verdrießlich, weil er nicht kann, wie er 
möchte; auf allen Arbeiten Mundt's liegt neben dem Fluche der 
Impotenz eine gewiffe trogige Verbiffenheit, ein gewiſſer Grimm, 
. daR e8 fo und nicht anders ift, endlich eine gewiſſe wortreiche 
Großthuerei, Die ung gern möchte vergeflen machen, wie es eigent- 
lich fteht. | . 

Ganz im Gegenſatz dazu ruht auf Kühne's poetifchen Ver⸗ 
fuchen ein gemiffer linder Hauch ver Wehmuth, eine Art melando- 
licher Beſcheidenheit, die nicht ohne Reiz iſt. Diefer Dichter weiß, 





Guſtav Kühne, 63 


vaß die höchften Ziele der Kunſt ihm fo werig erreichbar find, wie 
irgend einem ber Mitlebenden, ja daß er felbft hinter manchem von 
biefen an Ergiebigfeit und Fülle des Talents zurückſtehen muß. Aber 
weit entfernt, fich dadurch erbittern und verbrießlich machen, oder aud) 
zu-einer thörichten Großmannefucht aufftachel zu laſſen, reſignirt 
er ſich vielmehr und bietet feine Gaben mit einer anmuthigen Zu— 
rüdhaltung, wie Jemand, ver Blumen auf ven Weg ftreut, die ihm 
zum Strauß nicht prächtig genug dünken. — Mundt wie Kühne 
find beide vorwiegend weibliche Natıren: aber Mundt hat nur bie 
Schwäche nes Weibes, während Kühne zugleich feine Zartheit und 
Grazie befigt; Kühne begreift fich ſelbſt in dieſer feiner weiblichen 
Beichränttheit und macht feinen Berfuch, dieſelbe zu überſchreiten, 
währenn Theodor Mundt aus dem ihm ein- und angebornen Weib 
vielmehr einen fluchenden und ſchwörenden Bramarbas zu marhen 
fucht — nun und man weiß ja, was das Sprichwort von ven’ Hen⸗ 
nen fagt, vie Fräben. 

Reicht alſo auch Kühne's zlafüſches Talent zu ſelbſtändi⸗ 
gen poetiſchen Schöpfungen nicht überall aus, ſo iſt es immerhin 
bedeutend genug, um das wahr und treu Empfangene auch treu und 
lebendig, in plaſtiſcher Fülle wiederzugeben; im ſelbſtändigen 
Schaffen nicht beſonders glücklich, ift er ein um ſo glücklicherer 
Nachbildner. Dazu tritt dann, als ein Charakterzug, durch den 
er ſich wiederum vor vielen ſeiner Mitſtrebenden auszeichnet und 
ben wir nicht hoch genug anſchlagen können, wenn wir bie Wider⸗ 
ſprüche, die Anfeindungen und Hemmmniffe erwägen, unter denen 
auch er fich hat entwideln müſſen — 8 tritt dazu eime fittliche 
Grazie, ein Inſtinet des Rechten und Würbigen, eine Unparteilich- 
keit endlich und Milde, welche Ießtere fich von denen, die ſie micht 
befigen, leichter verfpotten Täßt als nachahmen. - 

Gleich den Übrigen Mitgliedern des Jungen Deutſchland, 


54 Das Junge Dentfchland von ehedem und jeßt. 


ja gleich der Mehrzahl unferer jüngeren Schriftfteller überhaupt, 
bat auch Kühne feit Jahren eine lebhafte journaliſtiſche Thätigkeit 
entwidelt; auch fteht er bekanntlich noch jetzt an der Spige einer 
gerngelefenen Zeitfchrift, die ex mit Taft und Umficht rebigirt. 
Dabei hat-e8 ihm nun freilich, vermöge der angebornen Weichheit 
und Milde ſeines Charakters, zuweilen begegnen fünnen, wir -geben 
e3 zu, duldſamer zu fein gegen das Mittelmäßige und perfönlichen 
Berhältniffen mehr Einfluß zu gönnen anf fein Urtheil, als mit 
ber firengen Gerechtigkeit überall vereinbar war. Aber nie und 
nirgend hat er fich dazu herbeigelafien, das Bedeutende herabzu- 
ziehen, bloß deshalb, weil es das Bedeutende, noch zeigt ſich bei 
ibm eine Spur jener krankhaften Eiferfucht, jener Bläffe des Nei- 
bes, jener Unfähigkeit, eigenen Tadel over fremdes Lob zu hören, 
durch Die nicht wenige feiner literariſchen Genoflen auf fo häfliche 
Weiſe entftellt werden. Das find, mag man jagen, Eigenfchaften, 
bie fich von jelbft verftehen, und Schmach über ven, der fie nicht 
bat und Doch mitreden will im Areopag der. Deffentlichleit. Ci 
je doch, fie follten ſich wol von felbft verfichen, wer aber unfere 
Literatur kennt wie fle ift, der weiß auch, daß fie in ver That zu 
ben Seltenheiten gehören... ... 

Was nun diejenigen literariſchen Arbeiten Guſtav Kühne's 
anbetrifft, vie in dies leßtverwichene Jahrzehnt fallen, fo find da⸗ 
unter an biefer Stelle bauptfächlich zwei anzuführen: „Deutſche 
Mämer und rauen. Eine Gallerie von Charakteren‘ (1851) 
und „Die Freimaurer. Cine Familiengeſchichte aus dem vorigen 
Zahrhumdert“ (1854). Das biftorifche Porträt, pas Charakter 
oder Lebensbild gehört befanntlich zu denjenigen Gattungen, weldye 
das ehemalige Junge Deutfchland mit ganz befonderm Yleiße kul⸗ 
tioirt, auch hat e8 verhältnißmäßig feine beften und vorzüglichften 
Leiſtungen darin geliefert. Ganz beſonders gilt dies von dem 





Guſtav Kühne, 55 


Berfafler ver. „Deutfchen Männer und Frauen.‘ Derſelbe bat pabei 
ſo viel Feinheit bei fo viel Treue, fo viel Gründlichkeit und richtiges 
füttliches Gefühl dei jo viel Eleganz und Sauberkeit ver Darftellumg 
bewährt, daß wir fein Bedenken tragen, ihm ven Preis diefer Öattung 
zuzuſprechen, ſelbſt aud) neben Gutzkow's berühmten „Zeitgenoffen.“ 
Es mag geiftreichere Auffafiungen, pilantere und glänzenvere Dar- 
ſtellungen geben: aber bie wifienfchaftliche Gediegenheit, vie feine 
Mäßigung, vor allem ver fittlihe Eruft, ‚welcher vie Kihne’jchen 
Darftellungen bejeelt, bietet einen mehr als verchlichen Erſatz für 
jene Flitter der Geiftreichigkeit, jene gefünftelten Bointen und Com⸗ 
Binationen, in bie von Andern wol das ganze Weſen des geſchicht⸗ 
lichen Porträts geſetzt worben if. — Seine feltene Begabung für 
bies Fach hatte Kühne bereits in feinen zu Ende ver dreißiger Jahre 
erjhienenen „Männlichen und» weiblichen Charakteren,“ ſowie in ven 
„Porträts und Silhouetten“ vom Jahre Dreiundvierzig bewährt. 
Daß ver Verfaſſer inzwischen nicht ftille geftanden, ſondern ſich auf 
biefer foliven und tächtigen Bahn rüſtig fortentwicelt hatte, davon 
liefert fein obengenanntes Werk einen höchft erfreulichen Beweis. 
Das Buch, das wol werth ift, in vie Riteraturgejchichte aufge 
nommen und dadurch über‘ die Fluth des Tages. enmporgehoben zu 
werben, giebt in zwolf einzelnen, äußerlich von einander unab- 
hängigen, innerlich füch jenoch ergängenven Charafterzeichnungen ein 
faft volfftändiges Gemälde ver bedeutendſten Entwidelungen, bie im 
beutfchen Geifteslehen von Ausgang des vorigen Jahrhunderts bis 
auf Die Gegenwart, von Moſes Menvelfohn und Kaifer Joſeph an 
bis auf Karl Seydelmann, ven berühmten Schaufpieler, und Friedrich 
Fröbel, ven Schöpfer ver Kindergärten, ftattgefunven haben. Viel⸗ 
leicht hätte der Berfaffer noch mehr auf das Einzelne eingehen und 
mehr Rüdficht auf denjenigen Theil nes Publicums nehmen follen, 
bem das hiftorifche. Material minder gegenwärtig iſt und ber doch 


56 Das Zunge Dentichland von ehedem und jet. 


auch, ja grade er, vielfachen Nutzen aus dem Buche ziehen Tamm; 
e8. find weniger geſchichtliche Darftellungen ala Reflexionen, höchft 
verftändige, höchſt Iehrreiche, zum Theil auch höchſt feine und fin- 
ige Reflerionen, aber doch immer nur Reflexionen über die Darge- 
ſtellten Perfünlichfeiten, ohne daß dieſe felbft in ihrem Thum und 
Leiden unmittelbar vor uns treten. Doc) baftet dies Uebergewicht 
ber Reflerion ja mehr oder minder der gefammten Gattung an und 
bleiben daher Kühne's „Männer und Frauen“ auch in diefer Be⸗ 
fhränfung ein fehr dankenswerthes Bud; bei aller weiblichen 
Receptivität geht durch das Ganze ein fo männlicher, geſunder Geift, 
es ift jo frei von jener Tendenzjägerei, bie man uns fonft wol für 
politifchen Charakter verkaufen will, und doch fo belebt von ächte- 
ſtem Gemeinfinn, daß es feinen Platz unter ver Heinen Anzahl 
ebenſo unterhaltender wie belehrenvder Schriften, die wir in Diefem 
Fache befigen, gewiß nod) lange behaupten wird. 

Nicht ganz fo angemefjen, wie dies mehr weibliche Genre-des 
Porträts ift dem Talent dieſes Autors der Roman, ſowie über- 
haupt die freie, poetifche Schöpfung. Doch find auch feine „Frei⸗ 
maurer“ ein recht achtbares Buch. Sind fie auch wicht die Frucht 
urfprünglichen poetifcyen Vermögens, fo tragen fie doch alle Merl- 
male erniten und gediegenen Strebens an fi; tragen fie nicht 
den Stempel des Genius auf der Stirn, fo laſſen fie doch überall 
den Maun von feinem Geſchmack, von redlichem Fleiß und äfthe- 
tifcher wie fittlicher Gediegenheit erkennen; reißen fie uns nicht 
bin durch Glanz und Pracht der Schilverungen, verfetzen fie uns 
nicht den Athem durch neue, dramatiſch fpaunende Situationen, 
zeigen fie überhaupt keine beſondere Ueberfülle von Phantafte und 
Leibenfchaft, jo erfreuen fie den Lefer Doch überall durch die Soli: 
bität der gefchichtlichen Unterlage, durch Klarheit und Feſtigkeit 
ber Charafterzeichnung, fowie durch die Eleganz und Sauberkeit 











Guſtav Kühne. 57 


ber Ausführung. Einzelne Partien find fogar von einem höchſt 
anmutbigen poetifchen Duft umflefien, ver un jo mohlthätiger wirkt, 
je reiner er iſt und je weniger wir darin von jenem Hautgout des 
Verbrechens und ber fittfichen Berwilberung- verfpüren, mit dem 
unfere modernen Poeten ihre romantischen Schüffeln fonft wol mie 
mit einer beizenden Aſafoetida fhmadhaft zu machen ſuchen. 
So namentlich vie Waldidylle zu Anfang des Buchs; das ift Achte 
Waldeslaft, vie wir bier athmen, das find die düſtern und Dabei 
doch fo magischen, fo herzverſtrickenden Schatten ver deutſchen Walt: 
einſamkeit. Auch die Schilverung des Heinen deutſchen Hoflebens ift 
vortrefflich; dieſe alte Erlaucht, dieſe Hofpamen, diefe Bagen- und 
Knabenſtreiche, wie das alles lebt! Es ift uns, als hörten wir ben 
ſchweren Tritt des alten Herin durch bie Iden Gemächer ſchlurfen, 
wir hören das Rauchen ver Gewänder, das Wehen ber Fächer und 
auch das leife. Gelächter hören wir, das fich über all dieſe ſteife 
Pracht und die ganze kleingroße Herrlichkeit Luftig macht. — Im 
weiteren Berlanf des Buchs fällt der Roman einigermaßen auseln- 
ander; viefe umfangreichen Sittenfchilberungen, biefe literargejchicht- 
lichen, theologiſchen und jonftigen wiffenfchaftlichen Erörterungen ent- 
halten zwar recht viel Belehrendes und Intereſſantes, wer. eigentliche 
Roman jedoch leivet darunter, pie Maſſe der Epiſoden und das allzu⸗ 
ſichtbare Bemühen des Dichters, ja leine irgendwie bedeutende Ers 
ſcheinung ver Zeit irgendwie unerwähnt zu baſſen, ladet der Geschichte 
zu viel Ballaſt auf und hemmt dadurch ihren Fortgang; einen Ro⸗ 
man haben wir erwartet und erhalten ſtatt / deſſen vielmehr eine Gal⸗ 
lerie literargeſchichtlicher Porträts und kulturhiſtoriſcher Skizzen, 
bie zwar an fich recht fhäbbar und namentlich recht belehrenn find, 
aber doc nicht eigentlich in diefen Rahmen paflen Eur großer 
Uebelſtand, der einen ſo forgfältigen Arbeiter nicht hätte begegnen 
jollen, ift ferner, baß.wiy den Zuſammenhang ver Fabel, alfe pas: 


58 Das Junge Deutſchland von ehedem und jett. 


jenige, was ben eigentlichen Romanleſer am meisten bejchäftigt und 
in Spannung erhält, bereitö in ver erften Hälfte des Buches voll- 
ſtändig durchſchauen, und nichtsdeſtoweniger müffen wir uns in ber 
zweiten Hälfte das Ganze noch einmal in voller Ausführlichleit und 
fogar nicht ohne einige Längen: vorerzählen laſſen. Das fett aber 
eine Geduld voraus, bie ein deutſcher Romanlefer für gewöhnlich 
nicht hat und die Daher and; der Dichter nicht beanfpruchen follte. 

Neben und. nach biefen größern Werfen bat Kühne in ben 
lebten Jahren noch einige Heinere Arbeiten veröffentlicht, befonders 
in ber von ihm herausgegebenen Europa.“ Dieſelben find theils 
äfthetifchen und Literarhiftorifchen Inhalts, wie bie fehr ſinnigen 
und fauber ‚gehaltenen „Frauenbilver aus Goethe's Leben,“ theils 
gehören fie jener Gattung von Reiſebildern amd tourifiifchen Skizzen 
an, die das Junge Deutſchland, auch hierin wie in jo vielem im 
Heine’! Fußtapfen tretend, ebenfalls in Aufnahme brachte und bie 
lange Zeit mit dem bifterifchen Porträt und der Kritik feine eigent- 
liche Stärfe bülbeten, freilich aber auch. zu manchem Mißbrauch 
Beranlaflung gaben. Bon viefem Mißbrauch hält Kühne, deſſen 
Muſe überhaupt etwas Keuſches, jungfränlich Verſchlofſenes bat 
— auch hierin der Gegenſatz des Mundt'ſchen Mänadenthums, das 
nicht minder wiberwärtig ift, wenn es ſich auch zeitweilig als „Ma⸗ 
donna“ maskirt — fi) durchaus frei. Da ift nichts van jener Anel- 
dotenjagd, jenen perfönluhen Stanvalen und Klatjchgefchichten, auch 
nichts von jener Liebedieuerei gegen die-verehrlichen Herren Sollegen 
oon der Feder, welche Diefe Gattung ehedem, zur Glanzzeit des ungen 
Deutihland, va Heinrich Laube, Reiſenovellen“ ſchrieb over Theodor 
Mundt , Weltfahrten“ auftellte, mit Recht in fo üblen Ruf brachte. 
Bielmehr begegnen wir auch bier demfelben Fleiß in Erforſchung und 
Zufammenftellung des Materials, derfelben Wilde und Beſounen⸗ 
beit bed Urtheils, enplich derſelben gebilbeten und forgfältig ger 











Guſtav Kühne. 59 


feilten, werm auch mitunter etwas fchwerfälligen Form, die wir an 
diefem Schriftfteller überhaupt zu ſchätzen haben. 

Endlich ift Kühne (der fi ſchon in vormärzlicher Zeit zu 
wiederholten Malen an das Drama wiägte, freilich ohne befonveren 
Erfolg: „Raifer Friedrich III.“ und „Iſaure von Caſtilien“) neuer⸗ 
dings auch mit einem Drama aufgetreten und zwar mit vemfelben 
„Demetrius,“ den auch Bobenftebt vor Kurzem bearbeitete und ver 
unferen jungen Dramatifern überhaupt wie ein Pfahl im Fleiſche 
ſteckt. Kühne hat fich ſtreng an ven Schiller’fchen Entwurf gehalten, 
wenigftens in ber erſten, von Schiller ſelbſt mehr ausgeführten Hälfte 
des Stüdes. Daffelbe foll bei ver Aufführung in Dresden und an- 
verwärts mit recht vielem Beifall aufgenommen worben fein; ob 
verfelbe anhaften und dem Stüd längere Dauer und größere Popu- 
Iarität verfchaffen wird, ſteht abzuwarten. — Duß aber auch folche 
mebr weiblichen, zurückhaltenden Natnren von geringer Schöpfungs- 
kraft in einzelnen Momenten wenigftens eines höhern poetifchen 
Schwunges fähig find, das beweift eine Heine Anzahl von Liebeslie⸗ 
bern, Die Kühne gleichzeitig mit vem „Demetrins“ gefchrieben zu haben 
ſcheint und die ſich m verſchiedenen Zeitfchriften und Almanachen ab- 
gedruckt finden. Wollten wir viefen Liedern bloß nachrühmen, daß 
fie das Beſte, was das ehemalige Junge Deutſchland auf dem ihm 
fonft ziemlich verſchloſſenen Gebiete ver Lyrik hervorgebracht, fo wäre 
damit freilich nur wenig gefagt; e8 find aber in ver That und von 
allen Vergleich abgefehen, höchſt anmuthige und empfindungsreiche 
Gedichte, die und den Berfafler von einer ganz neuen Seite kennen 
gelehrt haben. — Womit allerdings noch immer nicht gefagt ift, daß 
biefes jo plötlich aufleimenve Inrifche Talent nun auch ſchon zur 
biftorifchen Tragödie, zur Tragödie im-großen Sqiller ſchen Stil 
ausreichen wird. 


> 


5 | 
Ernfi Roffak. 


Dem Triumphzug folgt gewöhnlich ver Luſtigmacher. Nun, 

die Schriftfteller, mit denen wir uns foeben befchäftigt haben, ſind 
grade feine Triumphatoren, dafür aber ift Ernſt Koſſak auch kein 
Luftigmacher, ſondern ein wißiger und geiſtvoller Humorift, der den 
Ernſt des Lebens unter den komiſchen Wiverfprächen. veflelben wohl 
aufzufinden und biefe- wie jenen poetifch zu verflären weiß. In 
diefem Zuſammenhange aber führen wir biefen Schriftfteller hier 
auf, theils weil er gleich dem ehemaligen Jungen Deutſchland we⸗ 
fentlich und fogar ausſchließlich Journaliſt ift, theils weil er gleich 
jenen hauptſächlich das moderne Berlinertbum rvepräfentirt, und 
endlich weil ihm, bei aller Anmuth und Liebenswürdigkeit und ſelbſt 
bei allem lachenden Humor, doch ein gewiſſer Zug ironiſcher Zer⸗ 
riſſenheit aufgeprägt ift, der ſehr lebhaft an die Generation bes 
Jungen Deutfchland erinnert. 

Doch find das nur die Anfänge dieſes Schriftftellers, gleich⸗ 
fam bie erfien herben Keime; die Reife und Süßigkeit, zu ber er 
biefelben entwidelt hat, find das Bervienft feines Talents und feines 
Fleißes. 

Wir ſagten ſoeben, Eruſt Koſſak ſei ausſchließlich Journaliſt. 
Wir müſſen das noch genauer beſtimmen: er iſt nicht ſowol Iour- 
naliſt als vielmehr Feuilletoniſt. Man kann über den äſthetiſchen 


Ernſt Koſſak. 61 


Werth des Feuilleton und ſeine literariſch ſociale Nothwendigkeit 
in Zweifel fein: aber genug, nöthig oder überflüſſig, Schmarotzer⸗ 
pflanze over gefunder Trieb am Baum unferer Literatur, es ift ein- 
mal da, Ernft Koſſak aber gebührt das Verdienſt, zuerft ein eigent= 
liches deutſches Feuilleton gefchaffen zu haben. Das ift nicht mehr 
jene geiftweiche Oberflächlichleit der franzöſiſchen Feuilletons, vie 
unſere Rachahmer, die Angftarbeiter ver Tagespreſſe, meift ſo kläglich 
verwäflerten, das ift nicht jener frivole wigelnde Ton, nicht jenes 
leidige Hafchen nach augenblicliehen Effecten, wie e8 an der Seine 
zu Haufe iſt amd wie man es, gewiß nicht zum Vortbeil unferer 
Literatur, in neuerer Zeit auch fo vielfach zu uns verpflanzt hat: 
nein, das ift ein veutfches Dichterherz, das uns aus biefen bunten 
Schilderungen überall wohlthuenn anheimelt, ein lebendiges, warm⸗ 
fühlendes Herz, das die Erſcheinungen um ſich her um fo treuer 
widerfpiegelt, je tiefer es felbft ift und das durch die fcharfe und 
feine Beobachtungsgabe, mit der e8 ſich verbunden, nichts eingebüßt 
bat von der Treue und Innigkeit feiner Empfindungen. 

Die Grazie des Stils, das Pilante und Uebertaſchende der 
Eombinationen galt bisher als ver vornehmfte Reiz des Feuilleton, 
bie Heinen Wichtigleiten des täglichen Lebens mit einer zierlichen 
Hülle zu umkleiden, den Lefer auf die mühelofefte Weife, gleichfam 
im Fluge, zu befchäftigen oder zu unterhalten, al8 feine vorzüglichfte 
Aufgabe. Ernſt Koſſak Liefert ven Beweis, daß dieſe fcheinbar 
fd frivole, fo nichtige Gattung noch einer höheren Ausbildung 
und eines ernftern und wärbigern Bieles fähig iſt. Zur Grazie 
der Form gefellt fich bei ihm die ewig treue, ewig unverwüft⸗ 
liche, die Grazie der fittlichen Empfindung; es ift nicht bloß ein 
pifanter und geiftreicher Schriftfteller, es ift auch ein für- alles 
Hohe und Würdige begeifterter, ein patriotifher, ein wahr- 
haft menſchlich gefinnter Menfch, durch deſſen Glas wir hier das 


62 Das Junge Deutſchland ven ehedem und jet. 


bunte, närrifhe Treiben des Tages belaufchen. - Indem er und 
ſcheinhar allernings nur. unterhalten will, indem er eine mittelmäßige 
Oper, ein fohlechtes Stüd, eine einfältige Tagesneuigkeit befpricht, 
ſtreift er zugleich mit leiſer aber fiherer Hand an die wichtigflen 
Probleme unferer politifhen und focialen Zuſtände und deckt mit 
balb wehmuthigem, halb tröftlichem Lächeln pie Wunden auf, Die den 
Leib dieſer thörichten Geſellſchaft eniftellen. Es iſt nichts Leichtes, 
in der That, dem ewig hungrigen Magen des Publicums jeden Tag 
mit einer-neuen Schüffel, einem neuen Artikel aufzuwarten und in 
jedem nenen Artikel auf neue Weife wigig und anmuthig zu fein; 
e8 gehört dazu eine Biegjamleit des Talents, die mit ver Würde 
und, Selbftändigfeit des Charakters nur ſchwer vereinbar ift. 

Koſſak ift es gelungen, diefe widerſtrebenden Elemente zuſam⸗ 
menzufnüpfen ; nie opfert ex dem brilfanten Stil die Wahrheit und 
Schönheit des Gedankens, nie dem glänzenden Einfall die Unpartei- 
lichkeit und Würde des Urtheils; fein Wig ift ebenfo elegant wie tref⸗ 
fend, jein Urtheil nicht bloß fcharf, ſondern auch gerecht und unabhängig. 
Der einigermaßen leichtfertige.- Beruf des Yeuilletoniften ift von ihm 
mit einer fttlihen Würde umkleidet worden; unter ver Masfe des 
leichten, fpielenden Scherzes verfolgt er ernſthafte ſociale Zwecke, vie 
feinen raſchhingeworfenen ˖ Schilverungen neben ver äſthetiſchen Be- 
friedigung, die fie gewähren, auch einen dauernden Fulturgejchicht- 
lichen Werth verleihen. Darum widerfährt feinen Artikeln aud, 
was ſonſt bei diefer leichtfertigen, fo ganz uur auf ben Tag und 
feine Wirkung berechneten Literatur unerhört ift: man kann fie mehr 
als einmal, man kann fie hintereinander lefen, und wenn fie als 
Zeitungsartifel die angenehmfte Wirkung thaten, jo nehmen fie fich 
hinterdrein, zum Buch gefammelt, nicht minder erfreulich und lie 
benswärbig aus. 

Ebenſo aber, wie das zweideutige Handwerk des Yenilldtoni- 











Ernft Koffal. 63 


fin, bat Ernſt Kofſak auch das Berlinerthum literarifch veredelt. 
Der hohle, frivole Witz iſt hier zu reellem Inhalt, die weichherzige 
Berliner Sentimentalität zu ſittlichem Ernſt gelangt, beide ver⸗ 
einigt, haben ſich zum wohlthuendſten Humor verklärt. Nicht Jules 
Janin, der Held des pariſer Feuilletons, wenn es denn doch einmal 
eines fremden Pathen fir dieſe in ihrer Gemüthlichleit und ſittlichen 
Ehrenhaftigkeit fo ächt deutſchen Darſtellungsweiſe bedarf, ſondern 
Charles Dickens ft der Stammvater des Koffoffdyen Feuilletons. 
Es iſt daſſelbe ſchöne menſchliche Behagen, wie bet dem unſterblichen 
Verjfaffer ver „Pickwickier,“ dieſelbe Luſt an dem Unſcheinbaren und 
Geringen, dafſelbe warme Mitgefühl für die Heinen Leiden, kleine⸗ 
ren Freuden der Unterdrückten und Verlaſſenen, endlich in der Dar⸗ 
ſtellung eine Plaſtik und Friſche, die ſich dem beneidenswerthen 
Talent des brittiſchen Dichters zwar nicht an bie Seite ſtellen darf, 
aber doch an ihn erinnert und zwar nicht zu ihrem Nachtheil. 


Diefelbe höhere Färbung hat Koſſak auch jenem dritten Ele- 
ment ertbeilt, das aus ber Erbſchaft des ehemaligen Jungen 
Deutſchland auf ihn überging. Ja, unter der lachenden Maske 
dieſes Schriftſtellers ruht oft ein tiefer, oft ein bitterer Ernſt; ſelbſt 
mit den Sorgen des Lebens vertraut und wohl wiſſend, wie oft ge- 
heimes Elend lacht, grade wenn e8 fid) am allerverlafjenften fühlt, 
zumal in einer großen Stabt, die feine Zeit hat und auch keine Luft, 
fid) um die Leiden des Einzelnen zu befümmern, wenigftens jo lange 
nicht, bis fie in der Zeitung geftanven haben — gleicht Kofjafe 
Mufe jenen Narren Shakeſpeare's, deren Lippe von Späßen über- 
fließt, während ihr Auge von Thränen perlt. Doch iſt auch dieſer 
Gegenfat bei ihm Fein jäher, ſchneidender, ſondern die Poefie, die 
Alles bewältigenve, Alles verflärenpe, verflärt auch ihn und läßt den 
Dichter aud) an den Contraften und kleinlichen Erbärmlichfeiten mo- 





64 Das Junge Deutſchland von ehedem und jekt. 


‚vernen. Refivenzleben® jenes große Amt der Berfühnung vollziehen, 
das überhaupt ver göttliche Beruf aller Kunft if. 

Leider bat diefer Dichter (denn dieſen Namen verdient Kofiak 
vor Vielen, obgleich er, fo weit uns befannt, nie im Leben einen 
Vers gefchrieben hat) noch nicht bie Zeit und die äußere und inmere 
Sammlung.gefunven, die dazu gehört, ein größeres poetifches Werk 
zu ‚verfaflen. In der That glauben wir in Kofſak mehr Talent 
und mehr inneren Beruf zu einem mobernen beutfchen Sittenwoman 
zu entdecken, als ſich bei der Mehrzahl Derjenigen findet, vie fich 
in biefem Augenblid für die eigentlichen und berufenen Herrſcher 
unferes Parnaffes halten. An vie Galeere des Tagesjchriftſtellers 
geſchmiedet, die er aber ſtets noch mit. Kränzen ver Boefle zu 
umwinden weiß, hat er fein ſchönes und fruchtbares "Talent bisher 
noch immer in Heinen, mehr zufälligen Schilderungen zerfplittern 
müſſen. Doc ift auch in diefen Heinen gelegentlichen Skizzen fo 
viel Poefte und fo viel ſchöner, Achter Humor, daß fle dem Dichter den 
vollften Anſpruch nicht nur auf die Aufmerkſamkeit des Publicums 
— die fehlt dem beliebten Schriftiteller obnebies nicht — ſondern 
auch auf die Anerkennung der Kritik fihern. Eine nicht unbeträdt- 
liche Anzahl verfelben ift, wie wir vorhin ſchon andeuteten, vom 
Verfaſſer felbft aus den Zeitfchriften, in denen fie zuerft erfchienen, 
herausgenommen und zu größeren und Heineren Sammlungen ver- 
einigt worden. So „Berlin und die Berliner. Humoresken, Slizzen 
und Charafteriftifen” (1851), „Parifer Stereosfopen‘” (1856), 
„Biftorietten” (1856) 2.5 e8 find alles Bücher von geringem 
Umfang, aber von großer Liebenswürbigfeit und poetijcher Friſche. 

Ueberhaupt zeigt fi auch an dieſem Schriftfteller wieder recht, 
wie einfeitig und mit welcher geringen Kenntniß der Fiterargefchicht- 
lichen Thatfachen diejenigen urtheilen, die der Literatur der Gegen- 
wart in Bauſch und Bogen ven Vorwurf machen, eine Literatur 








Ernft Kofjal. 65 


des Berfalld und der Berwilberung zu fein. Wir werden fogleich 
etwas ganz Achnliches in Betreff ver Unterhaltungsliteratur im 
Allgemeinen zu bemerken haben. Hier wollen wir nur daran erin- 
nern, was diefer Zweig der Literatur, ven Ernſt Koſſak vertritt, 
noch vor ganz Kurzem, noch vor zehn und zwanzig Jahren war, 
welch vürftiges niedriges Gewächs und zu welcher "poetifchen Blüte 
ex durch diefen Schriftfteller gebracht worben ift; man vergleiche 
nur 3. B. die Saphir/jche „Schnellpoft” und Achnliches, was 
in den zwanziger und dreißiger Jahren als die Duinteffenz ber 
Berliner Tagesprefie galt, mit dieſen Koſſak'ſchen Feuilletons, um 
fi) des Yortfchritts bewußt zu werben, ben wir gemacht haben und 
der weit tiefer greift und noch viel ernftere Confequenzen mit fich 
führt, als man dieſer ephemeren Gattung auf den erften Anblid zu⸗ 
trauen möchte. . 

Aber freilich, um zu finden muß man vor Allem fuchen; un⸗ 
fere Literarhiftorifer aber, wie ſie gewöhnlich find, mefjen das lite— 
rariſche Verdienſt bald nad) der Elle, bald nad) dem Gewicht eines 
überlieferten und doch oft fehr wurmftichigen Ruhmes. Auch an 
Ernſt Koſſak ift die Literaturgeſchichte bisher theils vornehm vor- 
übergegangen, theils hat fie ihn mit wenigen nichtsſagenden Zeilen 
halb mitleivig abgefertigt. Nun, wir unferes Theils glauben, daß 
in biefem Autor, der bisher noch nichts oder doch nicht viel mehr 
als Iournalauffäge und Tageskritilen gefchrieben hat, mehr Poeſie 
ſteckt und ein frifcherer Keim der Zukunft, als in ganzen Bänden 
von Romanen und Gevichten und haben e8 daher für unfere Pflicht 
gehalten, ihm einen Pla hier einzuräumen, unbefümmert um das: 
„Was will Saul unter den Propheten?” das und und ihm babei 
- vielleicht entgegenjchallt. 


Vrußs, die deutfche Literatur der Gegenwart, II 5 


II. 


Der Roman. 


3* 











1. 


Die deutſche Belletrifiik und das Publicum. 


Die deutſche Literatur rühmt ſich bekanntlich eine der reichſten 
zu fein, die. exiſtirt. Und allerdings, wenn ber Reichthum einer 
Literatur nur in der Maffe von Büchern befteht, welche fie jährlich 
ans Licht fendet, fo befigen wir in unferer Literatur in der That 
ein geiftiges Californien, ebenfo reich und ebenfo ımerfchöpflich wie 
das Goldland jemfeits des Oceans. Berhäft es fih Dagegen mit 
dent Reichthum einer Literatur ebenfo vote mit allem jonftigen Reich⸗ 
thum einer Nation und felbft auch mit dem Reichthum des Einzelnen, 
nämlich daß nicht die aufgefpeicherten Vorräthe ven Reichthum bil- 
ben, fondern vielmehr ver Gebrauch und Umſatz, nen man von ihnen 
macht — mit anderen Worten: wird auch ver Reichthum einer. 
Literatur nicht durch die Maffe ihrer Bücher, fondern lediglich von 
dem Maße beftimmt, in welchem dieſe Bücher einerfeits den Volks⸗ 
geift zur Darftellung' bringen und ambererjeits ihn jelbft wieder 
entwickeln und bilden helfen, fo möchte der gepriefene Reichthum 
unferer Literatur wol beträchtlich zuſammenſchmelzen. Ä 

Alle moverne Bildung beruht auf einem gewiſſen Zwieſpalt, 
einer Kluft, nach deren Berfühnung und Aufhebung man mol 
ringen und arbeiten kann, die darum aber noch keineswegs that> 
fächlich aufgehoben if. Wir haben Feine Sklaven mehr, die zur 
Knechtſchaft geboren werben, aber dafür haben wir unfere geiftigen 


70 5 Der Roman. 


Heloten, arme Paria's, für die aller Reichthum unferer Bildung, 
alle Blüte unferer Wiffenfchaft fo gut wie nicht vorhanden ift und 
die fih niemals mit und Anderen an viefelbe Tafel geifligen Ge⸗ 
nuſſes ſetzen dürfen. 

Das, wie geſagt, iſt ein Grundzug aller modernen Bildung 
und darum giebt es auch in allen modernen Literaturen gewiſſe 
Gattungen und gewiſſe Werke, die immer nur von einem kleinen 
Kreiſe vorzugsweiſe Gebildeter verſtanden und genoſſen werden 
können, während die Maſſe des Publicums vielleicht kaum eine 
Ahnung bat von ihrer Exiſtenz. Nicht ſelten geſchieht es ſogar, 
daß dieſe Werke des excluſiven, bevorzugten Geſchmacks grade die⸗ 
jenigen ſind, auf welche eine Literatur mit Recht am allerſtolzeſten 
iſt und die am meiſten zu ihrem Ruhme beitragen. Aber ähnlich 
wie der Edelſtein im Märchen, der von den armen Fiſcherkindern 
nur wegen feines bunten Olanzes als Spielwerf benutzt wird, dient 
auch ver Glanz diefer berühmten Namen ver, Mafle höchftens nur 
dazu, fih müſſig darin zu fonnen, ohne daß ihre Kenntniß eine 
Bereicherung, ihre Bildung einen Zuwachs, ihr Schönheitögefühl 
eine Befriedigung davon hätte. 

In feiner Literatur jedoch ift dieſe Spaltung ſchroffer, dieſe 
Kluft tiefer, noch iſt irgendwo vie Zahl dieſer „unbekannten Götter“ 
größer als bei ims in Deutſchland. So groß bei uns die Maſſe 
der Bücher, ſo gering der Kreis der Leſenden; unzählige Bücher 
werden in Deutſchland gedruckt, Jahr aus Jahr ein, die außer 
dem Autor ſelbſt und allenfalls der Braut des Autors (denn die 
Frauen ſind darin ſchon weniger gefügig und wiſſen ſich dieſem 
Nothdienſt ſchon eher zu entziehen) Niemand lieſt als nur der Re⸗ 
cenſent — und auch dieſer nur, wenn das Exemplar ihm ge- 
ſchenkt ward — und auch das nur im dluge und mit halbaufge⸗ 
ſchnittenen Blättern! 





Die deutſche Belletriftit und das Publicum. 71 


Konnten die Handelsbücher umferer Verleger reden, wir wür⸗ 
den oft wunderfame Geſchichten zu hören befommen. Schon an 
einer früheren Stelle Haben wir e8 ausgeſprochen, daß es ums nicht 
von weiten in ben Sinn kommt, ven Maßſtab bes Abfaes für den 
einzigen oder auch nur deu hauptſächlichſten Maßſtab fiir den Werth 
eines Buches zu halten. Indeſſen wenige vereinzelte Fälle ausge: 
nommen, bei denen dann immer ganz eigenthirmliche Conftellationen 
thätig gewefen fein mäflen, wird bie Wirkung eines Buchs auf das 
Bublicum allerdings wefentlicd von feinem Abſatz bedingt fein und 
in ziemlich genauem Berhältmif zu demſelben ftehen. - 

Da es nun aber unzweifelhaft erft die Wirkung eines Buches 
auf pas Publicum ift, was ibm feine Bedeutung für den Reich— 
thum einer beftimmten Literatur oder Literaturepoche verleiht, fo 
läßt ſich auch daraus wieder fchließen, wie e8 mit dem Reichthum 
unferer Literatur beftellt ift und was wir eigentlich an fo manchem 
berühmten Namen befiten — nämlich einen Namen und wine 


Und zwar findet dies Verhältniß bei uns nicht bloßi in ſolchen 
Gattungen ſtatt, die ihrer Natur nach nur auf ein kleines Publi⸗ 
cum beichräntt find, alſo nicht bloß in gewiſſen wiffenschaftlichen 
Gebieten, deren Ausdehnung ⸗ überall mehr in die Tiefe als in die 
Breite gebt und bie daher auf Popularität im gewöhnlichen Sinne 
verzichten müſſen: nein, diefe Literatur der Recenfionseremplare er- 
ſtreckt ſich bei uns auch anf folche Gattungen, vie grade recht eigent⸗ 
lich für das große Publicum beſtimmt find, ja deren Begriff ſchon 
die allerweiteſte Verbreitung in den verſchiedenſten Bildungskreiſen 
mit ſich zu bringen ſcheint. 

Oder was wäre feinem Begriff nach populärer als die Unter- 
Haktumgsliteratur? . Welche. Onttung äfthetifcher Production hätte 
mehr Anſpruch, von Alt und Yung ımd Arm und Reich, in 


“ 


72 Der Roman. 


Hätten und Paläften, in Cafernen unb Fabriken gelefen zu werben, 
als ver Roman, diefe eigenthümlichfte Schöpfung der modernen 
Literatur, diefer wahre Ueberallundnirgends, vem alle Höhen und 
Tiefen offen fiehen, dem feine Wirklichleit zu proſaiſch, Teine Ex- 
findung zu phantaftifch ift, Dies eigentlichfte postifche Abbild unferes 
vielbewegten , vielverflochtenen, vielirrenden modernen Lebens? 

Freilich, wenn man bloß die Inventurliſten unſerer Literatur, 
ich meine jene ſogenannten Literaturgeſchichten nachſchlägt, die mer 
Titel und Jahreszahl der Bücher und allenfalls noch einige biogra⸗ 
phifche Notizen über die Berfaffer bringen umd ihre ganze Aufgabe 
erfüllt zu haben meinen, wenn fie möglichft viel ſolcher Namen und 
Notizen zufammenjchleppen, jo ift das Lager unferer vaterländiſchen 
Literatur allerdings auch im biefem Artilel außerordentlich wohl 
affortirt; ja wir befigen dann jo viel Romanfchreiber und darunter 
fo viel ausgezeichnete und vortrefflide, dag wir famn willen, wo 
wir damit hleiben follen. . | 

Klappen wir Dagegen das Buch zu und fehen uns in ber 
Wirklichkeit um; fragen wir die Derleger deutſcher Romane oder 
noch befier, fragen wir die Leihbibliothefen (denn das find ja doch 
bei und in Deutſchland vie hauptſächlichſten und oft fogar bie ein- 
zigen Bermittler der Unterhaltungslectäre); ja fragen wir hier und 
ba im Publicum felbft nach, was ihm von all dieſen gefeierten 
Namen belannt ift, befchleihen wir, Die gnädige Frau in ihrem 
Boudeir, die Rähterin neben ihrer Arbeit, den Lieutenant auf ber 
Wache, ven Studenten guf feinem Cauapé; fhlagen wir Die zer⸗ 
leſenen Bände auf, die der Schuljunge eilig unter den Tiſch ftedt, 
wenn ber Lehrer die Reihe heruntergefchritten kommt; fehen wer 
zu, was für Bücher das find, die von allen dieſen und unzähligen 
Anderen am meiften, am liebften und am aufmerkfamften gelefen 
werden — und wir werben fangen fünnen, wir haben einen weißen 





Die deutſche Belletriftit und das Publicum 73 


Kaben gefehen, wenn wir dabei unter je funfzig Fällen auf einen 
Namen ſtoßen, ven unſere Literarhiſtoriker kennen und empfehlen. 

Neben der Politik der Diplomaten giebt es, wie man weiß, 
noch eine andere, die mit Noten und Protokollen nichts zu thun 
bat, die auf keinem Lehrſtuhl gelehrt wird, in kein Syſtem gebracht, 
von feinem Hofe anerfannt ift — und bie ſich doch ſchon in vielen 
‚Fällen unendlich mächtiger und erfolgreicher erwieſen hat, als alle 
Kunſt der Politiker vom Fach. 

Ganz ebenſo giebt es auch neben der Literatur der Literar⸗ 
hiſtoriker noch eine andere, vielleicht ſehr undfthetifche und jedenfalls 
ſehr unberühmte Literatur, die aber doch vor jener den nicht unwe⸗ 
fentlichen Bortheil hat, eine gelefente zu fein: Meine literarifche Cofter- 
monger, die fich anf der großen Handelsbörſe der Literatur freifich 
nicht dürfen fehen Lafien, die nur von der Hand in den Mund leben, _ 
nur die Refte auflaufen von ven Tifchen der Reichen, - deren Waare 
niemals Acht, oft ungefund und ſchädlich ift, aber an deren wan⸗ 
dernder Tafel Tauſende ſich fättigen, die von Tauſenden gekannt, 
von Tauſenden herbeigewinft werben zu heimlich lüfternem Genuß! 
Es wäre ein intereflantes Unternehmen, würde aber freilich eine 
größere Kenntniß des Publicums und mehr Berührung mit ben 
verfchievenartigften Klaſſen deſſelben erfordern, als unfern Schrift- 
ftellern, gefchweige denn unſern Gelehrten. gemeiniglich zu Gebote 
ſteht, ftatt der herkömmlichen gelebrten oder Afthetifchen Literatur- 
gefchichte einmal eine Hiftorie der Literatur zu fehreiben vom bloßen 
Standpunkt des Leſers aus: das heißt alfo eine Literaturgefchichte, 
wo nad) gut ober ſchlecht, gelungen oder mißlungen, gar feine Frage 
wäre, ſondern wo es fidy allein darum handelte, welche Schrift- 
ftelfer,, in welchen Kreifen, welcher Ausvehnung und mit welchem 
Beifall fie gelefen werben. Leicht wilrbe eine folche Arbeit gewiß 
sicht fein und noch weniger dankbar, infofern man babei auf Die 





74 Der Roman. 


Anerkennung der Schriftfteller felbft rechnen wollte: denn fo wenig 
es uns einfällt, dem Refultat einer folchen Unterfuchung durch ein- 
feitige Behauptungen worgreifen zu wollten, fo feheint uns doch aller- 
dings dies feitzuftehen, daß dabei viele jehr glänzende Namen fich 
merklich verfinftern und dafür andere auftauchen würden, vie das 
Ohr des Literarhiftorifers bis dahin noch niemals vernommen. 
Ja mir zweifeln, ob es überhaupt nur viele deutjche Namen 
fein möchten, ‚vie dabei zum Vorſchein kommen würden. Deun zu 
ber eigenthümlichen Stellung unferer Unterhaltungsliteratun gehört 
auch dies, daß fie fich weit mehr von fremden Beſtandtheilen, na⸗ 
mentlich von Ueberjegungen aus dem Franzöfifchen und Englifchen 
nährt, als von eigenen waterlänpifchen Erzeugniffen. Wir wollen 
und dürfen diefer Erfcheinung bier nicht näher auf den Grund 
gehen, weil uns dies in Regionen führen würde, die außerhalb ber 
literargeſchichtlichen Betrachtung liegen. Aber daß diejenigen nicht 
im Rechte find, welche diefe Begünftigung der fremben Unterhal- 
tungsliteratur, wie fie bei uns factifch befteht, allein und lediglich 
aus der Vorliebe erklären wollen, melde vie deutſche Nation für 
‚ alles Fremdländifche befigt, ober vielleicht auch nur befigen fol, 
das jcheint uns auch ohne befondere Unterfuchung ziemlich einleuch⸗ 
tend zu fein. Grade in denjenigen Kreifen der Geſellſchaft, in 
denen bie Unterbaltungsfiteratur bei uns die meifte Verbreitung 
findet und die, wie wir mol nicht erft zu verfichern brauchen, bie 
vorzugsweiſe gebildeten nicht find — grade da ift Die Vorliebe für 
das Fremde wol ſchwerlich fo mächtig wie man glaubt: fondern bie 
einzige Frage, um bie es fi da handelt, befteht darin, ob das 
Bud) verftändlih, ob es unterhaltend, ob es feſſelnd iſt. Iſt es 
das, jo wird es gelefen, ſtudirt, verfehlungen, einerlei ob Ueber⸗ 
fegung oder Original. Weinfchmeder mögen prüfen und wählen, 
ob dieſe Trüffel aus Perigord oder aus Franken, jener Schinken 








Die deutfche Belletriſtik und Das Publicum. 75 


aus Weitfalen over Bayonne ift: ver gefunde Magen des Volks ift 
zu hungrig, fein Geſchmack zu wenig verwöhnt, um ſich mit folchen 
Bedenklichkeiten zu plagen, e8 jchludt vergnügt hinunter, was ihm 
ſchmeckt, ohne fi um Pak und Heimatſchein zu kümmern. 

Aber auch nur was ihm ſchmeckt. Und das ift denn der zweite" 
und wichtigfte Punkt, auf den es hier anfommt und aus bem 
auch das Uebergewicht, welches bie franzöfifche und englifche Unter- 
haltungsliteratur bei uns allerdings behauptet, fich zur Genüge 
erflärt, ohne daß wir deshalb nöthig hätten, die Nation einer be- 
fonveren Fremdthümelei zu beſchuldigen. Unfer Publicum lieſt die 
Dickens und Thackeray, die Sue und Dumas nicht deshalb, weil- 
fie Engländer und Sranzofen find, noch läßt es die deutſchen Ro— 
mane ungelejen, weil e8 deutſche: ſondern e8 Tieft die einen, weil Ste 
unterhaltend find, weil es das Leben der Wirklichleit darin abges 
fpiegelt finvet,, weil intereffante Charaktere, mächtige Leiven- 
ſchaften, fpannende Verwidelungen ihm daraus. entgegentreten — 
und wirft die anderen bei Seite, weil fie langweilig find oder doch 
wenigftens eine Sprache reden und von Dingen handeln, Die das 
Publicum im Großen entweber nicht t verfeht oder für vie es fich 
nicht intexeffirt. 

Ganz gewiß ift e8 ein nationales Unglüd, daß wir Dentfche 
ven Hauptbeſtandtheil unferer literariſchen Unterhaltung aus ber 
Fremde holen und uns für Gefchichten enthuſiasmiren, die im fran- 
zöfifchen und englifchen Leben wurzeln und nur von demjenigen voll- 
ftändig gewürdigt werben fünnen, der auch mit viefem Leben jelber 
vertraut ift. Allein fo lange und infoweit unfere deutſchen Schrift⸗ 
ſteller nicht verftehen, das deutſche Leben ebenfo auszubeuten und 
zu ebenjo interefjanten Romanen zu verarbeiten wie jene Franzoſen 
und jene Engländer, fo lange, fcheint es ung, Darf man mwenigftend 
die Schuld dieſes Unglücks nicht vem Publicum beimeſſen. Patriotis- 


- 


76 Der Roman. 


mus ift ein fchönes Ding: aber aus Patriotismus fi bei einem 
deutſchen Roman lartgweilen und ven Kurzweiligen fremden Roman 
ungelejen lafien, das wäre denn doch eine etwas abſtracte Forde⸗ 
rung. Schon Brander im „Fauſt“ räumt ein, daß ein ächter 


deutſcher Mann zwar keinen Franzen leiden mag, 


„Doch ihre Weine trinkt er gern —“ 
und mit diefen Weinen des Geiftes, die unfere überrheinifchen 
Nachbarn fo friich, fo pridelnd und obenein in fo zierlichen Ge⸗ 
faͤßen zu bieten wiffen, follten wir e8 anders machen!? 

Mlein man erhebt noch einen anderen Einwand, der darum 
nicht minder ſchwer in die Wagfchafe fällt und auf ven auch die 
Literaturgefchichte nicht weniger Rückſicht zu nehmen hat, weil er 
ein äufßerlicher, materieller if. Man weiſt auf die Verſchiedenheit 
des Preifes hin, zu dem unfere beutjchen Originalromane und jene 
Ueberfegungen aus dem Englifchen und Franzöſiſchen zum Kauf ge 
ſtellt werden. Fir die vier ober fünf Thaler, welche ein vreibän- 
diger deutſcher Roman vircchfchnittlich koſtet, Tann, wer fonft Luft 
hat, fich eine ganze Bibliothek überfetter Romane kaufen; als 3.2. 
um Mitte der vierziger Jahre Sue's berühmte „Myſterien“ das 
Lieblingsbuch von Europa waren, erſchien davon eine wohlge— 
machte und gutausgeftattete Ueberſetzung ins Deutfche, in welcher 
ber ganze Roman, volle zwanzig oder einundzwanzig Bände, nur 
einen einzigen preußiſchen Thaler koſtete. Wie ift es möglich, daß 
ber deutſche Roman fich gegen diefe Concurrenz behauptet? Und 
wie fol e8 mit der veutfchen Unterhaltungsliteratur jemals anders, 
jemals beffer werden, e8 wäre denn, daß unfere Verleger fich ent- 
ſchließen, die deutſchen Driginatcomane ebenfo billig oder mo mög- 
lich noch billiger zu geben, als jene Ueberſetzüngen? 

Das deutsche Publicum (fährt man fort) ift arın, zumal das⸗ 
jenige, welches Bücher kauft; wo felbft die vornehmſte Frau es nicht 








Die deutſche Belletriftil und das Publicum. 77 


unter ihrer Würde hält, ein intereffantes neues Buch nicht aus dem 

Buchladen, ſondern aus ber Leihbibliothek holen zu laſſen, oder wo bie 

reichften Leute ihr Budget haben fir Pferde.und Thenterpläge und 

Eoncertbillet8 und Gemälde und Nippesjachen und foger auch für 

Innere Miffion und Verbreitung des Chriftenthinns unter ben 
Negern am Senegal, für Bücher aber, deutſche Bücher haben fie 
keins — da freilich kann von einer Blüte der Literatur nicht ge- 
ſprochen werben, da muß der. Leihbibliothelar König der Literatur 
fein, da muß das fremde, aber billige das vaterländiſche, aber 
theure Product nothwendig verbrängen. 

Ohne Zweifel liegt in diefen Klagen und Anlagen nicht bloß 
etwas, ſondern ſogar jehr viel Michtiged. Die Thatſachen felbft 
ſind leider unbeftreitbar, nur in der Art und Weife, wie man fie 
combinirt, fcheint man uns nicht ganz zweckmäßig zu Werke zu gehen; 
man hält, meinen wir, für Grund, was vielmehr Folge, fir Ur⸗ 
fache, was vielmehr Wirkung if. Unſere Verleger find, was man 
auch ſonſt purchfchnittli von ihnen urtheilen mag, denn doch zum 
wenigften Kaufleute und haben rechnen gelernt, oder die es nicht 

gelernt haben, vie müflen e8 nachträglich thun und müſſen fo lange 
Lehrgeld zahlen, bis fie gelernt einen richtigen Calcül zu entwerfen. 

Run. läßt fi) aber jo wenig im. Buchhandel, wie in einem 
andern Handels- oder Gewerbszweig, in welchem ver Concurrenz 
freier Zutritt verftattet ift, irgend ein Monopol behaupten, noch 
ein höherer Preis für eine Waare fefthalten, als dieſelbe wirklich 

„werth if. Wäre es alfo möglich, oder wäre e8 doch bis vor Kur- 
zem noch möglich geweſen, deutſche Driginalromane zu benfelben 
oder gar noch geringeren Breifen zum Verkauf zu ſtellen wie bie 
Veberfegungen, ſo müßte dies in Folge ver Concurrenz, die im 
Buchhandel ebenfo groß ift wie irgendwo, in ver That ſchon Längft 
geſchehen fein. Es iſt aber- nicht gefchehen und fonnte, vereinzelte 


18 Der Roman. 


Ausnahmen abgerecänet, bisher nicht gefchehen, weil der Abſatz, 
auf den bei dem deutſchen Roman zu rechnen, durchſchnittlich zu 
“gering if. Die fpecielle Auseinanderjegung mit Zahlenangaben 
und ähnlichem technifchen Apparat wird man ung hier erlaffen; es 
genäge das Factum, daß eine gewöhnliche Romanauflage im deut⸗ 
ſchen Buchhandel in der Regel halb fo ftarf ift wie bie Auflage 
wiflenfehaftlicher Werke, vie do, follte man meinen, für ein viel 
fpecielleres und alſo auch Heineres Publicum bejtimmt find. Aber 
Hein over groß, das wiflenschaftliche Werk hat fein beſtimmtes 
Publicum, von dem e8 nicht bloß gelefen wird, fondern auch gekauft, 
während unfere Romanliteratur lediglich auf die Leihbibliothefen 
und Lefezirkel angewiefen ift. Nechnet man nun dazu, daß unfere 
Ueberfetzer zwar fehr billig arbeiten, unfere Dichter dagegen (und 
mit vollem Recht) um fo beifer honorirt fein wollen, mit je mehr 
Ernft und Liebe fie fi ihrem Berufe widmen und je größer ihre 
literariſche Geltung, fo wird man ſich vielleicht entſchließen, Das 
Mißverhältniß, das bei und bisher zwifchen dem Preife eines 
deutſchen und eines überjegten Romans geherricht hat, mit etwas 
anderen Augen zu betrachten. 

Nicht Doch, erwiedert man uns, das Mißverhaltniß bleibt ſo 
ſchreiend wie zuvor: nur fällt die Schuld nicht mehr auf das Publi- 
cum, fondern allein auf ven Buchhändler. Warum macht er es 
nicht, wie feine Collegen jenſeits des Rheins? In Frankreich kauft 
man jeßt bie intereflanteften und gediegenſten Producte ver belletrifti- 
ſchen Literatur zu einem Preife, ver bei uns kaum hinreichen würde, 
ven Einband zu bezahlen; die Franzofen haben ganze Sammlungen, 
ganze Bibliothefen gegründet, in welchen vie beliebteften Werfe zu 
ben allermäßigften PBreifen zu Kauf geftellt werben, ein Verfahren, 
das natürlich diefen Werken felbft eine immer größere Verbreitung 
verihafft. Warum machen unfere veutfchen Verleger es nicht ebenfo ? 





Die deutſche Belletriſtik und das Publicum. 79 


Warum haben fie nicht mehr Courage, warum drucken fie nicht von 
einem deutfchen Originalroman fo viel Tauſende wie jet Hunderte 
und ſchleudern fie dann ins Publicum zu demſelben fpottbilligen 
Preife, wie jegt mit dem Ueberſetzungen gefihieht? ‘Die National- 
Dfonomie hat es längſt als ein-Grunpfag alles Handels nachge⸗ 
wieſen, daß ver Abſatz einer Waare ſich in vemfelben und ſogar in 
fteigendem Verhältnifſe vermehrt, als ver Preis ſich verringert: 
Alle Gefchäftszweige haben von viefer Erfahrung profitirt, warum 
läßt nur der deutjche Buchhandel fie unbenugt? Oder ja, er hat fie 
ebenfall8 benugt,; aber nur erſt für Die populäre. Journaliſtik, die 
Raturwiſſenſchaften und wenige andere befonvers vollsthümliche 
Zweige der Literatur. Die Erfahrungen, die er dabei gemacht, follen 
durchſchnittlich Die günftigften fein: warum wenbet er ſie nicht auf 
pie Belletriftil an? Warum. liefert ex nicht deutſche Originalro- 
mane in berfelben_ maffenhaften Auflage und zu demfelben billigen 
Preife, wie z. B. jegt gewiſſe naturwiſſenſchaftliche Werke ver 
breitet werben? r u 

Der Abfag einer Waare nimmt in demfelben Grade zu wie 
der Preis der Waare ſich verringert; ganz recht. Aber doch wol 
nur, wenn und inſoweit die Waare überhaupt ein- Bedürfniß ift, 
oder beim Publicum in Gunft fteht? Eine Waare, die ich nicht 
brauchen kann, over die mir nicht gefällt, Taufe ich immer zu theuer, 
auch wenn fie mir. halb geſchenkt wird: und weil das fo ift, und 
weil ich fie immer zu theuer kaufen würde, kaufe ich fie lieber gar 
nit. Das Humdert Auftern vier Groſchen — ein entzüdender 
Gedanke, nicht wahr?! Aber doch immer nur für den, der Auftern 
überhaupt liebt und dem fie zufagen; wer fein Aufternefler iſt, 
wird e8 wahrhaftig nicht werben und wenn das Hundert vier Heller 
Toftete, ftatt vier Groſchen oder auch vier Thaler. 

Machen wir davon die Anwendung auf den vorliegenden Fall. 


80 Der Roman. 


Ein Buch, deſſen Inhalt mid) übrigens nicht intereſſirt, das meinen 
Geiſt nicht zu befchäftigen, meine Aufmerkfamkeit nicht zu paden 
und feftzuhalten weiß, wird dadurch nicht interefjanter für mid und 
wird darum nicht mehr gelefen, weil e8 billig ift; fonft müßten ge⸗ 
ſchenkte Bücher. wenigſtens auch immer gelefen werden, was doch 
erfahrungsmäßig keineswegs ver Fall iſt. Vielmehr, wie bei jeder 
‚anderen Waare, wird bie Billigfeit des Preiſes auch beim Buche 
erft Dann von Bedeutung, wenn das Buch felbft duch feinen In⸗ 
halt zu einer Iebhaftern Verbreitung fähig und geeignet if. Dann 
aber wird fie Durch einen billigen ‘Preis auch ganz außerorventlich 
beförbert, wie fich dies ja nicht nur in England an gewiflen didak⸗ 
tiſch moralifchen Schriften, in Frankreich an ven jebt fo beliebten 
Unterhaltungsbibliothefen, fondern au in Deutſchland an einigen 
hervorragenden Unternehmungen (man denle 3.3. an das Brod- 
haus’sche „Converſationslexikon“ mit feinen Hunderttanfenven von 
‚Exemplaren, an die Cotta'ſche Voffsausgabe der „Deutſchen Claſ⸗ 
ſiker“ 2c.) bewährt hat und an den ſchon erwähnten billigen Volks 
zeitſchriften und naturwiſſenſchaftlichen Saunnelwerlen ſich noch 
in dieſem Augenblick bewährt. 

Wenn dieſe Fälle nun bisher in Deutſchland nicht zahlreicher 
waren, fo ſcheint uns dies hauptſächlich daran zu liegen, daß erft- 
lich unfere Schriftfteller in der Kunft, für ein großes Publicum 
verſtändlich und anregend zu fehreiben, fich bis in die neuefte Zeit 
. im Allgemeinen noch ziemlich ungewandt zeigten und zweitens, daß 
viele unferer Verleger glaubten, ver billige Preis allein fei ſchon 
hinreichend, einer gewiflen Unternchmung den allerftärkiten Abſatz 
zu verſchaffen. 

Und doc iſt der billige Preis nur die eine Hälfte, die andere 
und minbeftens eben fe wichtige befteht, wie gejagt, darin, daß 
das Bud) auch feinem Inhalte nach Bedürfniß und Geſchmack des 








Die deutiche Belletriſtik und das Publicum. 81. 


Publicums befriedige. „Billig und gediegen“ — dieſer große 
Wahliprud des modernen Gewerbslebens im Allgemeinen, veffen 
Nichtachtung der deutſchen Inbuftrie bereits jo vielen Schaden ge⸗ 
tban und fo manche altberühmte Erzeugniſſe derſelben vom Welt⸗ 
marft verbrängt hat, findet and) auf ven Buchhandel feine rück⸗ 
baltlofefte Anwendung; and bier werben nur biejenigen Unterneh- 
mungen auf bie Dauer glüden und nur für vie wird bas größere 
Publicum fid) wirklich inteveffixen, welche beide Forderungen gleich 
mäßig zu erfüllen ſuchen. 

Run war von allen Zweigen unferer Literatur bie Belletrifi 
bisher am allerwenigften im Stande, diefelben zu erfüllen. Nicht bloß 
die übliche Höhe ver Bücherpreife ftand ihr im Wege, fondern neben 
diefer Höhe Des Preifes und Hand in Hand mit ihr, als zwei Um- 
ftände, welche fich gegemfeitig bevingen und von denen jeder gleich- 
zeitig Urfache und Wirkung des andern ift, ftand-ver größern Ber- 
breitung unferer Unterhaltungsliteratur auch das Ungeſchick unjerer 
Romanfchreiber entgegen, Bücher hervorzubringen, die wirklich im 
Stande waren, in Pie Menge einzubringen-und ein mehr. als exelu⸗ 
fives Publicum zur unterhalten. 

Zwar bei einigen war das wicht bloß Ungeſchick, e8 war auch 
verfehrte Abfiht. Unter ven romantiſchen Zrapitionen unferer 
Literatur hat kaum eine-zweite ſich länger erhalten und ift für bie 
Literatur felbft verderblicher geworben, als Die Geringſchätzung, mit 
ner die Mehrzahl unferer Dichter die Maſſe des Publicums be- 
teachtete und durch die fie fish verleiten ließen, in einem populären 
Erfolg nicht allein nichts Wünjchenswerthes zu ſehen (oder ſich aud) 
wol fo zu ftellen), ſondern grabezu etwas Ehrenrühriges, dergleichen 
ein gebikveter „Schriftfieller” von Herzen gern den „Tagelöhnern 
des Marktes‘ überließ. Unſere fogenannten „gebildeten, unfere 
„höheren“ Schriftfteller waren lauter verfannte edle Seelen ever 


Brup, die deutfche Literatur Der Gegenwart, II. 6 
‘ 


82 ‚Der Roman: 


hielten ſich doch dafür, die mit dem großen Haufen nichts zu thun 
haben mochten und deren literariſcher Ruhm, wenigftend in ihren 
eigenen Augen, um fo höher ftieg, je Heiner die Gemeinde, von ber 
fie gefeiert wurden. Selbſt bie Kritik, felbft die Literaturgefchichte 
ſtimmte in diefe Thorheiten mit ein; wie es in der deutſchen Philo⸗ 
fophie eine Zeit gegeben hat, wo das umverftänblichite Shftem als 
das tieffinnigfte bewundert ward, fo gab es auch in ımferer Aeſthetik 
eine Epoche, wo die Dichter um fo mehr gepriefen wurden und für 
um fo poetifcher galten, je weniger man fie las. 

Diefe Epoche ift Gottlob überwunden. Wir haben es ſchon 
an einer früheren Stelle ausgefprohen: und hätte vie politifche 
Boefie der vierziger Yahre kein anderes Verdienſt, als daß fie dies 
Vorurtheil des excluſiven Gefhmads vernichtet und unfere Dichter 
‘aufs neue und nachdrücklich daran erinnert hat, daß alle Poeſie 
ihren wahren Boden im Volle hat und daß fein Dichter zu hoch 
geboren, Fein Talent zu vornehm ift, um fi) außerhalb der Zeit 
und ihrer Strömungen zu ftellen, fo würde ſchon dies ein fehr 
weſentliches Verdienſt fein und ven güftigften Anſpruch auf Hifto- 
rifche Anerkennung begründen. 

Nirgend aber zeigt dieſe Umwandlung fid) deutlicher, noch hat fie 
irgendwo nachhaltiger gewirkt, als in unſerer Unterhaltungsliteratur. 
Diefelbe hat feit dem Jahre Achtundvierzig wirflid, ein ganz neues 
Anfehen gewonnen. Aus dem Sturm und Drang umferer politi- 
ſchen Lyrik hat ſich, in richtiger Conſequenz, ver hiſtoriſche, der zeit⸗ 
genöſſiſche Roman entwidelt; zum wirklichen epifchen Gedicht noch 
nicht reif, nicht in ſich befeftigt genug, hat unſere Zeit in dieſer vor⸗ 
zugsweiſe modernen Gattung des Romans den glücklichſten und 
angemeſſenſten Ausdruck gefunden. Unſere Romanſchreiber ſetzen 
nicht mehr, wie in der Blütezeit der Tieckſchen Novelle, ihren Stof; 
barein, nur für eine Heine, romantiſche Gemeinde zu fchreiben; 





Die deutſche Belletriftif und das Bublicum. 83 


fie benugen den Rahmen des Romans nicht mehr, allerhand theo- 
Iogifche oder äfthetifche oder fonftige theoretifche Streitfragen zu er- 
drtern. Bielmehr bemühen fie fih, uns in ihren Dichtungen 
wirklich Fleiſch von unferm Fleifh und Blut von unſerm Blut zu 
geben, das heißt, fie fischen den Roman auch bei uns zu bem zu 
erheben, wozu er feiner Natur nach beftimmt ift und was über- 
haupt jede ächte Poeſie fein fol und muß: ein Spiegelbild bes 
Lebens, ein poetifch verklaärtes, künſtlerifch gereinigtes, aber doch 
immerhin ein Bild des Lebens! Wie viel für den Augenblid aud) 
noch fehlen mag, daß diefes Ziel überall erreicht fei, und wie viel 
Verkehrtes und Schwächliches fich auch an den einzelnen Berfuchen 
noch nachweisen laſſe, genug, die Bahn ift doch wenigſtens eröffnet, 
unfere Boeten wifjen und fühlen doch wenigftens wieder, worauf e8 
ankommt, fie machen nicht mehr aus dem Irrthum ein Verdienſt, 
werfen nicht mehr um die poetifche Schwäche ven Mantel äftheti= 
ſcher Vornehmheit — jo wird man ja auch dem Ziel allmählig 
näher und näher kommen. 

Wir fprachen vorhin von den buchhändleriſchen Beziehungen 
unſerer Unterhaftungsliteratur. Auch in dieſem Betracht ift der 
innerliche Fortfchritt, den unfere Unterhaltungsliteratur im Laufe 
dieſer Iepten zehn Jahre gemacht hat, nicht ohne Einfluß geblieben. 


Man bat nicht nur angefangen, einzelne anerfannte und treffliche 


Romane älterer Zeit in neuen billigen Ausgaben zu verbreiten (wie 
3. B. die Immermann'ſchen), ſondern auch für die Neuigfeiten 
unſerer belletriftifchen Literatur ift der Breis zum Theil erheblich 
herabgefegt und dadurch wenigftens bie Möglichkeit einer größeren 
Berbreitung gegeben worden. Es hat fogar nicht an Berfuchen ge 
fehlt, nach Art der Franzoſen ganze belletriftifche Bibliotheken zu 


gründen, in benen billiger Preis und Geviegenheit des Inhalts fih 


vereinigen, ober boch vereinigen follten. Einige dieſer Unterneh: 
6* 





84 Der Roman. 


mungen find nad dem erften,. vielleicht etwas zu weit geſteckten 
Anlauf wieder zu Grunde gegangen, aus Urfachen, vie uns bier 
nicht intereffiren, andere Dagegen blühen.nody fort und wenn auch 
feine von ihnen den Umfang und ven Einfluß auf die Bildung des 
Publicums und die Productivität der Schriftiteller erlangt hat, ven 
einige der franzöfifchen Unternehmen in ver That ausüben, jo ift es 
doch immerhin ein Anfang, der eine weitere Entwidelung hoffen 
läßt und dem daher eben fo ſehr vie Aufmerkſamkeit des Literarhifto- 
rikers wie bes Rulturhiftorifers. gebührt. 
Ueberhaupt bildet die Unterhaltungsliteratur bie eigentliche 
Glanzſeite unferer gegenwärtigen Titerarifchen Production und 
wenn wir vorhin ſchon jenen abftracten Kritifern, die für bie 
Literatur der Gegenwart nichts als Wehklagen und Verwünſchungen 
haben, ven Namen Ernſt Koſſak's und ven hauptſächlich von ihm 
repräfentirten Aufjhwung des Feuilletons entgegenhielten, jo bietet 
unſere Umterhaltungsliteratur noch eine ganze Menge von Namen 
bar, auf die wir" mit gerechtem Stolz verweifen dürfen. Freilich 
ift.e8 leicht, mit dein äfthetifchen Compendium in der Hand, aud) 
bem Roman ber Gegenwart noch allerhand Gebrechen und Mängel 
nachzumeifen. Allein dieſe leichte Manier ift nicht biejenige des 
Gefchichtfehreibers, ‚ver bei feinen Urtheilen, den lobenden fo- 
wohl wie ven tabelnden, immer bie hiftorifch gegebenen Bedingungen 
im Auge behält und die Gegenwart nicht bloß won ber Warte 
ber Zufunft, fondern ganz beſonders auch vom Standpunkt ber 
Vergangenheit aus betradjten. Vergleichen wir doch nur die Ber- 
gangenheit unferer Unterhaltungsliteratur mit Demjenigen, was 
jet auf .viefem Gebiet theils angeftxebt, theils geleiftet wird, und 
Niemandem, glauben wir, ver fein Auge nicht abfichtlich verfchlieft, 
wirh ber ungemeine Fortfehritt verborgen bleiben fünnen, ven mir 
auf diefem Felde gemacht haben. Es ift ganz gut, immer nur auf 














b 
Die deutſche Belletriſtik und das Publicum. 85 


unfere Haffifchen Dichter zu verweifen, nur follte man nicht ver- 
gefien, was für ein Schund neben biefen Haffifchen Dichtern nicht 
bloß gefchrieben, fondern auch gelefen, und nicht bloß gelefen, nein, 
auch verfchlungen worden ift und daß unfere Klaſſiker felbft bei 
ihren Zeitgenofjen nicht halb die Anerkennung und Berbreitung 
fanden‘, die jenen erbärmlichen Producten zu Theil ward. Freilich 
wird unter und Tein Roman mehr gefchrieben, wie etwa ver „Wer: 
ther” over „Wilhelm Meifter ober gar „bie Wahlverwanbt- 
ſchaften,“ viefer, was die gleichmäßige künſtleriſche Vollendung an- 
betrifft, erfte und worzüglichfte aller deutſchen Romane, wir haben 
fögar Yeinen Sean Baul mehr, der, mit allen feinen Auswüchfen 
und fo nahe er zuweilen die Grenze zwifchen Dichter und Mode— 
bichter ftreift, fich zu unferen heutigen Romanfchreibern alervinge 
noch immer verhält wie der Rieſe zu den Zwergen. 
Aber dafür haben wir auch keine Spieß und Cramer, keine 
Schlenkert und Vulpius mehr. Unſere Unterhaltungsliteratur hat 
ſich ihrem Begriff, die eigentliche Durchſchnittsliteratur der Zeit 
zu ſein, mehr und mehr angenähert, jener nivellirende Charakter, 
den man unſerer Epoche übrigens ſo vielfach nachſagt, hat ſich auch 
an ihr bewährt, wir haben nicht mehr die Höhen, aber auch nicht die 
Abgründe, unfere guten Schriftfteller ſind nicht mehr fo gut, aber 
auch unfere fchlechten nicht mehr fo fchlecht wie früher. Wenn es 
nichts weiter wäre, als daß neben Goethe und Schiller aud) jene 
Spieß und Cramer geſchrieben, fo hätte das allerdings nicht viel 
auf fi. Das Uebel lag vielmehr darin; daß dieſe Pygmäen ver Lite⸗ 
ratur auf Koften jener Herven lebten; während Goethe's „Wilhelm 
Meifter” mehr denn zehn Jahre brauchte, um es zu einer zweiten 
Auflage zu bringen, während (um In ein anderes Gebiet überzu- 
ſchweifen) Taſſo und Iphigenie von den Zeitgenoflen faum beachtet 
wurden, war Vulpius ber gefeierte Held des Publicums, zählte 


86 Der Roman. - 


Cramer feine Auflagen nad halben Dutenden und wurde, ih 
wie er aus ber Preſſe fam, fofort in fremde Sprachen überfest. 
Wir wollen dabei auch noch dies einräumen, daß der Beifall, ven 
jene Schriftfteller bei der Maſſe des Publicums fanden, feineswegs 
ganz unverbient war und daß in „Rinaldo Rinalbini” und „Her- 
mann a Spaba” ebenfoviel, ja. vielleicht noch mehr naturwüchſiges 
Talent und rohe, verbe Kraft war, als in verfehievenen unferer 
heutigen Belletriften. Aber ſchon darin, daß die Roheit, vie ſa⸗ 
Ioppe, zum Theil ſchmutzige Form, in welcher die damalige Unter- 
baltungsliteratur auftrat und in ber fie fi ven Beifall des Publi⸗ 
cums eroberte, heutzutage gradezu unmöglich iſt, ſchon Darin ſcheint 
und ein nicht unerheblicher Fortſchritt zu liegen. Wir erkennen 
das Gewicht an, das es fir bie ſittliche Haltung des Menſchen hat, 
ob er ſchmutzig oder gewaſchen, “in einem heilen oder zerrifſenen 
Rod einhergeht, und dies zerrifiene, unfaubere, fchlotternde Ge 
wand, in mweldem die Unterhaltungsfchriftfteler ver Haffifchen 
Epoche ſich dem Publicum präfentirten, follte ohne Bedeutung fein ? 
und es follte fein Fortſchritt darin liegen, daß unfere heutigen 
Romane, wenn fie auch vielleiht an wirklichem Kunftwerth 
and Fülle des poetiſchen Bermögens nicht viel höher ſtehen ale 
jene, fi) doch wenigſtens einer anſtändigen Form, einer gebilveten 
und fehlerfreien Sprache, kurzum einex Haltung bedienen, wie man 
fie eben annimmt, wo man in guter Geſellſchaft erfeheint? Große 
Geiſter laſſen ſich nicht Schaffen, in der Politik fo wenig wie in ver 
Literatur, die Natur giebt fie entweder. freiwillig her, over fie 
bleiben ganz aus. Über daß die Mittelmäßigkeit wenigſtens an- 
ftändig auftritt, daß die Heinen und befehränften Geifter wenigſtens 
in der Form eine Ahnung des Höheren bethätigen, dies ift aller 
dings ein Yortfchritt, der fich bei zunehmenver Bildung, durch Fleiß 
und ftrenge Selbftbeobadhtung machen läßt. 











Die deutſche Belletriftif und das Bublicum. 87 


Und unfere Unterhaltungsliteratur hät ihn gemacht. Sogar 
das Gros derſelben iſt heutzutage ungleich gebildeter und hat einen 
viel größeren Reſpect vor den Forderungen der Kunſt, als es vor 
zwei oder drei Menſchenaltern ſelbſt bei den Koryphãen unſerer Unter⸗ 
haltungsliteratur der Fall war. Zugegeben, daß dieſer Reſpect 
häufig nur ein inftinetmäßiger iſt, fo iſt Doc) ſchon das wieder ein 
unbeſtreitbarer Fortſchritt, wenn der Reſpect vor dem Edlen und 
Schönen ein Inſtinct der Maſſe wird. Wir glauben nicht durch 
unſere ganze bisherige Dorftellung den Verdacht auf uns gelaben 
zu haben, als wollten wir die Lobredner umferer gegenwärtigen 
Literatur machen umd fie mit Zorbeeren Trönen, bie fie.nicht ver- 
bient; aber das behaupten wir allerdings, Romane, wie fie zur Zeit 
anferer Öroßväter in aller Händen waren and gleichjam den eifersien 
Beſtand ver Literatur bildeten, find heutzutage unmöglich. Nicht als 
ob wir nicht auch heutigen Tages noch unfere Spieß und Cramer 
befäßen; aber e8 find wenigſtens Spieß and Eramer einer erhüheten 
Potenz, fie haben fid) wenigſtens veine Wäſche angezogen, fie 
ſprechen, wenn nicht ſchönes, doch richtiges Deutſch, fie haben fich 
das Schwören und Fluchen abgewöhnt, fie taumeln nicht mehr 
trunfen auf offener Straße und ſuchen das Bublicum nicht mehr 
duch Ausmalung frivoler und üppiger Scenen anzuloden. Mau 
redet in gewiſſen Kreifen fo viel von der Unfittlichleit unferer 
‚hentigen Unterhaltungsliteratur, man beflagt fidy, daß fie das Her} 
der Jugend werpefte und ihren Kopf mit unklaren Borſtellungen 
erfülle. Nun denn, wir möchten diefe modernen Jeremiaſſe doch 
nur fragen, ob ſie wol jemals einige Dutzend älterer deutſcher 
Romane, Romane aus ver vielgerühmten Zeit des ſtrengen patriar⸗ 
chaliſchen Regiments. uud der ehrbaren Familienſitte durchblättert 
haben; wir möchten fie, um von ben eigentlichen Schmutz⸗ und 
Schandgeſchichten ganz abzuſehen, beifpiefsweife nur fragen, ob 


88 0 . Dex Roman, 


ihnen ver Name Karl Friedrich Laukhardt's befannt ift, eines in 
ben achtziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und 
ſelbſt bis in ben Anfang des jegigen hinein fehr verbreiteten und 
beliebten Schriftfielere, insbeſondere bei der alademifchen Jugend, 
die fi) ganz vornehmlich zu ihm hingezogen fühlte, weil er nämlich 
felbft ein verborbener Student war umd ben ganzen Borrath feiner 
romantischen Effecte ven Erinnerungen feiner eigenen wüften Stu- 
dentenzeit entnahm. Wo wird vergleichen heutzutage noch ge= 
Schrieben? wo könnte e8 gejchrieben werden? Der Sumpf äfthes 
tifcher und fittlicher Verſunkenheit, aus dem biefe und zahlreiche 
ähnliche Exrfcheinungen jener Zeit hervorgingen, ift von der Sonne 
ber Bildung längft aufgetrodnet worden, und wenn es möglich 
wäre, daß ein Schriftiteller ver Art noch unter uns erſchiene, wer 
will behaupten, daß er Leſer fände?! 

Aber nicht bloß die große Maſſe umferer Unterhaftungsfite- 
ratur hat ſich verbefjert mad gehoben, es find nicht bloß die nege= 
tiven Tugenden "geringerer. Geſchmackloſigkeit und geringerer Ber- 
wilberung, bie wir an ihr bemerfen, fondern mit und neben biefer 
großen Maffe . zeigt die. Unterhaltungsliteratur der Gegenwart 
zugleich eine Reihe fchriftftellerifcher Perfinlichkeiten, die auch 
durch ihre pofitiven Eigenfchaften, duch ihr Talent, ihren kümſt⸗ 
leriſchen Ernſt, ihre äſthetiſche Gewiffenhaftigleit, zum Theil auch 
durch ihre Fruchtbarkeit une die Anmuth ihrer Produetionen unfere 
Anfmerkfamkeit auf fich ziehen. Eine Anzahl folder Berfänlich- 
leiten werben wir auf den folgenven Blättern an uns vorübergehen 
laſſen. Wenn es für ben Literarhiftoriler der Gegenwart ſchon 
überall ſchwierig ift, aus ‚ver unüberfehbaren und immer neuen 
Mafle der Erfcheinungen, bie. auf ihn einbringen, biejenigen aus- 
zuwählen, bie ſich am meiften eignen, als litexarifihe Nepräfentanten 
ihres Beitalters zu dienen: fo.ift dieſe Schwierigfeit natürlich Doppelt 











— — —— — —— 
— — — — — — — — 
LE — 6 — — —— 


Die deutſche Belletriftit und das Publicum. 89 


groß in ber Unterhaltnngsliteratur, fowol wegen ihres Umfangs 
als aud) wegen ber Berfchievenheit ver Geſchmacksrichtungen, die 
dabei zur Geltung fommen. Der nachftehenven Ueberficht Tiegt 
daher auch ver Gedanke an Vollſtändigkeit durchaus fern; ſollte in- 
deß irgend ein jüngerer Schriftſteller uns zürnen, daß wir ſeine vor⸗ 
trefflichen Romane unerwähnt gelaſſen haben, nun fo können wir 
ihm einſtweilen nur den freundſchaftlichen Rath geben, recht fleißig 
und mit gutem Erfolge fortzuproduciren, ſo zwingt er uns vielleicht 
noch, ſeiner nachträglich, in einem beſonderen Anhang zu gedenken. 


2. 
Guflan Freytag. 


Natürlich können wir an die Spitze unferer Ueberſicht niemand 
anders ftellen als Guftav Freytag, den Lieblingspichter, wenn auch 
nicht unferes Volks, doc) jedenfall unferer guten Gefellihaft, ven 
Berfafler eines Romans, der in wenigen Jahren fieben oder acht Auf⸗ 
lagen erlebte und den Franzoſen und Englänver wetteiferten, in ihre 
Literatur zu übertrügen. Das find Erfolge, die jedenfalls Beach⸗ 
tung verbienen, und wenn wir auch hier vielleicht wieder, wie bei 
dem Dichter der „Ritter vom Geifte” ſchließlich zu dem Refultate 
gelangen jollten, daß die Lorbeeren, weldye die Stirn des Berfaflers 
frönen, denn dod) nicht fo ganz ohne Makel find, wie feine Ber- 
ehrer uns überreden möchten, und daß auch durch dies fcheinbar fo 
üppige Reis am Baume der Literatur derſelbe krankhafte Zug gebt, 
ver diefelbe überhaupt Tennzeichnet, fo wird and das weder bem 
perfönlichen Berbienft des Dichters, noch feiner richtig verſtandenen 
gefchichtlichen Stellung Eintrag thun. 

Aber nicht bloß feiner ausgezeichneten Erfolge halber, jonbern 
auch um deswillen gehört Freytag an dieſe Stelle, weil er in ber 
nächſten Beziehung zu derjenigen Literarifchen Generation ftebt, die 
wir in dem erften Hauptabfchnitte unferes Buchs befprachen: zu 
der Generation des Jungen Deutſchland. 


Ouftan Freytag. 9 


Wir find gefaßt darauf, dag biefem unferem Ausſpruch ein 
Schrei des Unwillens, der Empörung von Seiten feiner Freunde 
und Bewunderer antworten wird. Wie? Guſtav Freytag, diefer 
anfcheinend fo gefunve, jo lebensfrifche Dichter, ein geheimer An- 
verwandter deilelben Jungen Deutjchland,. gegen das er ſelbſt in 
feinen jonrnaliftifch-kritifchen Arbeiten fo vielfach zu Felde gezogen ? 
Der Berfafler von „Soll und Haben,“ der „das veutfehe Volk bei 
feiner Arbeit aufgefucht‘‘ haben fol, ja deſſen Roman nicht bloß 
als ein wortreffliches Buch, als ein höchft anmuthiges und gehm- 
genes Kunſtwerk, nein, als ein „wichtiger Fortſchritt innerhalb der 
nationalen Entwidelung‘ felbft bezeichnet wird, eben dieſer Dichter 
follte in innerm Zuſammenhange ftehen mit einer Literaturepoche, 
die aller ernften Arbeit Feind war, bie ſich um die Nation nicht 
fümmerte und zu deren jchlimmften Fehlern die falſche Genußfucht 
gehörte, die bei ihr freilich nur die nothwenvige Kehrfeite ihrer 
fonftigen Blafirtheit und Zerrifienheit war? 

Gut veun, befchränfen wir unfern Ausorud: Guſtav Freytag 
gehört nicht unmittelbar zum Jungen Deutſchland, aber daſſelbe 
ſetzt fih in ihm fort. Er ift das Junge Deutſchland, das zum Be— 
wnßtfein feiner eigenen Irrthümer fommt und das fi) bemüht, die⸗ 
jelben abzulegen. Doch ift man befanntlich noch nicht fehlerfrei, weil 
man feine Fehler einfieht; die Zeit, in Der wir geboren werben, prägt 
ums Allen gewiſſe Muttermale und Narben ein, fo feft und tief, daß 
fie durch fein nachträgliches Wachen und Reiben herausgeben. Auch 
Guſtav Freytag hat ſich über die jungveutfche Weltanſchauung, die 
feine eigentliche Grundlage bilvet, allmählig emporgehoben; noch 
jet können wir bei einiger Aufmerkſamleit in feinen nicht zahlreichen, 
aber um fo forgjältiger. ausgearbeiteten und daher auch für ihn 
felbft um jo bezeichnenveren Arbeiten gleichſam vie Stationen erfen- 
nen, die er zurücklegte, indem er fi allinählig von der jungbeut- 


92 Der Roman. 


ſchen Blafirtheit zu jenem fittlich patriotifchen Pathos entpuppte, 
welcher feinen berühmten Roman zwar nicht eigentlich erzeugt, 
aber doch gewiffen Partien deſſelben ein höchſt anſprechendes Colo⸗ 
rit verliehen hat. 

Vorausſchicken müſſen wir dabei, daß Guſtav Freytag über- 
haupt nicht der Mann des kräftigen Ausdrucks und der ſcharf aus- 
geprägten Leidenſchaft ift. Freytag malt fehr fauber, fehr niedlich, 
aber immer nur in etwas blafjen Farben und einem gewiſſen Heinen 
Stil; die Eleganz muß bei ihm die Kraft, die Grazie die Energie, 
bie allgemeine wohlwollende und menfchenfreundliche Abficht die be 
wältigende Macht der Leidenſchaft erfegen. Solche Naturen wer: 
ben es niemals zu großen. und außerordentlichen Leiſtungen bringen: 
dafür aber haben fie den Vortheil, daß auch ihre Fehler und Irr- 
thümer immer nur leife, faft unmerklich auftreten und fich niemals 
in jenes Extrem verlieren, das der größeren, aber ungebänbigten 
Kraft fo nahe Liegt. 

Auch die jungdeutfhen Elemente in Guſſav Freytag treten 
demgemãß ziemlich zahm auf und tragen eine ſehr milde, faſt ver⸗ 
ſöhnende Färbung. Wir finden dieſe Elemente zunächſt in fänmt- 
lichen pramatifchen Arbeiten dieſes Dichters. Zwar fein Erftlinge- 
werk „Die Brautfahrt” (1843) ift zu unerheblich, um hier in 
Betracht zu kommen. Ganz ohne Zufammenhang aber mit ter 
jungdentfehen Kichtung des Verfaflers ift auch dies romantiſche 
Lufifpiel nicht; vielmehr führt e8 uns, eben als foldhes, auf jenen 
altromantiſchen Boden zurüd, dem ja, nach unſerer frühen Darftel- 
lung, das Junge Deutſchland, dieſer eigentliche letzte Ausläufer ver 
Romantik, überhaupt entiproffen ift. Auch, Der Gelehrte“ (1847) iſt 
‚ zu fragmentarifch, um einen beſonders ergiebigen Beitrag zur Charak⸗ 
terijtif des Dichters zu liefern; auch gehört er bereits in eine fpätere 
Epoche, nämlich in diejenige, wo der Dichter felkft bereits anfing, 


® 








Guftav Freytag. 93 


an feinen jungdeutſchen Idealen zweifelhaft zu werden und ſich nad) 
einem anderen und foliveren Boden feiner Thätigfeit umzufehen. 
Defto deutlicher ‚dagegen finden wir diefe jungdeutfchen An- 
fänge in „Die Balentine” (1846) ausgeprägt. Nur kritifcher Kurz⸗ 
bli oder perfönliche, Bewunderung kann fid) dagegen verblenven, 
daß die Fabel dieſes Stüds mit ihren auf die äußerſte Spite des 
Erlaubten und Möglichen geitellten Situationen vollſtändig jenem 
verzwidten, franfhaften. Genre angehört, welches Das Junge Deutſch⸗ 
land mit fo viel Vorliebe kultivirte. Es ift bier viefelbe Unwahr⸗ 
heit der bürgerlichen und fittlihen Verhältniſſe, daſſelbe Haſchen 
nad) gewaltfamen und unnatürlichen Effecten, endlich daſſelbe frank: 
bafte Gelüfte, mit ven ewigen Begriffen des Rechts und ver Sitt- 
Tichleit ein verwegenes Spiel zu treiben, wie 3. B. in ver Mehrzahl 
ver Gutzkow'ſchen Stüde, über die Daher auch pie einfeitigen Be— 
wunderer Freytag's den Stab nicht hätten fo gar geräuſchvoll bre- 
hen follen; der ungemefjene Tadel, ven fie über Gutzkow ausſchüt⸗ 
ten, verustheilt das eben jo ungemeffene Lob, das fie Freytag 
ertheilen. Auch Held und Heldin des Stüds find ganz jo krankhafte, 
unwahre, kokette Charaftere, wie wir fie in den Dramen und Nos 
vellen des Jungen Deutſchland finden. Diefer Saalfeld, der inner- 
ih Demokrat ift, während er äußerlich ven ariftofratiichen Stuger 
ſpielt; der fo blaſirt ift und fo emotionsbedürftig, daß ey nicht weiß, 
ob er „mit den Indianern den Stier jagen oder in Deutſchland Lies 
berlich werben ſoll;“ der Nachts zu den Damen ins Feniter. fteigt 
und ihnen durch feine „Bebeutenpheit; und „Gefährlichkeit“ im- 
ponirt; deſſen Ehrgefühl jo ımentwidelt, daß er, um ven guten 
Ruf einer Dame zu ſchützen, fich ſelbſt eines Diebſtahls zeiht und 
deſſen fittliche Begriffe jo verwerren find, daß er nicht übel Luft 
bat, einen humoriſtiſchen Spitzbuben, den er von feiner Neigung zu 
fremden Eigenthum furiren will, zum Meineid zu verleiten; der 


94 Der Roman. 


endlich die allerfchönften und allermohltönenpften Redensarten von 
Bolt und Baterland im Munde führt, von dem wir aber im gan- 
zen Stüd nicht eine einzige vollsthümliche oder ſonſt ruhmwürdige 
That erfahren, e8 müßte denn das feltfame Erziehungserperiment 
fein, das er mit dem ſchon erwähnten Spigbuben anftelt — und 
andererſeits die weibliche Helvin des Stüdes, viefe Valentine, vie 
allen Ernftes in Zmeifel darüber fein kann, ob fie Das Opfer bes „be⸗ 
deutenden“ und „gefährlichen Mannes annehmen und ihn wirklich 
ind Zuchthaus jpazieren laſſen foll, um ihren Ruf vor der Geſell⸗ 
Ihaft damit zu repariven; die felbft nie weiß, ob ihre Empfindungen 
Wahrheit ever Irrthum find und ob fie liebt oder bloß liebelt; die 
mit volllommenfter Unbefangenheit von fich ſelbſt ausfagt, fie Tiebe 
den Yürften zwar nicht, aber „warum fol ich ihn nicht heirathen, 
ich habe Ehrgeiz“ — nun in ver That, wenn das nicht die richtigen 
jungdentfchen Perfonagen find, jo hat e8 nie fofette Helden und ver- 
drehte Weiber auf ver Bühne gegeben und Gutzkow's ‚Werner‘ 
und „Ella Rofe“ find poettfche und fittliche Meiſterwerke! 

Aber durch Eins allerdings unterfcheivet das Städ fi vor- 
theilhaft von feinen jungdeutſchen Stammmvettern: das ift die Ele: 
ganz und Sauberfeit der Form. Freytag arbeitet langſam und 
bedächtig, er Tennt die jähe Haft nicht und auch nicht dieſen ewig 
nagenden Stachel des Ehrgeizes, der andere, ihm innerlich nahe ver⸗ 
wandte Dichter zu immer neuen und immer ſchwächern Productionen 
treibt. Freytag ift eine innerlich fühle, phlegmatifche Natur, ohne 
jene fliegende Hite und nervöſe Neigbarkeit, vie z. B. Gutzkow fo 
viel zu fchaffen macht; ex läßt die Dinge an ſich fommen, er gönnt 
ſich Zeit, und auch bei Ausarbeitung feiner Schriften geht er mit 
einer Langſamkeit und einer Rüdfiht auf pas Kleine und Ein- 
zelne zu Werke, vie das Genie nicht kennt und auch nicht bebarf, 
Freytag aber vor jenen Unebenheiten und Gefchmadlofigkeit des 





Guſtav Freytag. 95 


Stils, jenen lockeren und ungefchieten Verfnüpfungen, mit einem 
Wort, vor all jenen Fehlern ſchützt, die aus allzugroßer Flüchtigfeit 
hervorgehen. — Man hat Freytag's dramatiſche Sprache fehr ger 
priefen, man hat ihre Einfachheit, ihre Durchſichtigkeit, ihre geift- 
vollen Pointen zu rühmen verfucht, ja man hat fih nicht ent- 
blodet, an Leifing und bie lebenvigfeit und heitere Ratirlichkeit des 
Leſſing'ſchen Dialogs zu erinnern. Allein auch damit, fürchten wir, 
hat man wiederum weit über das Ziel hinausgefchoflen. Freytag's 
Stil zeichnet ſich weniger durch feine Tugenden, als durch die Abwe⸗ 
ſenheit gewiſſer in unſern Tagen ſehr verbreiteter Fehler aus; er iſt 
nicht ſchwülſtig, nicht phraſenhaft, behängt ſich nicht mit ſchiefen Bil- 
dern und Gleichniſſen und ſtreift nur hier und da an jene Ueberzierlich⸗ 
keit und jenes allzu geſpitzte, pointirte Weſen der jungdeutſchen drama⸗ 
tiſchen Sprache. Dagegen fehlt ihm, wie die Leidenſchaft ſelbſt, ſo auch 
der Ausdruck derſelben. Freytag iſt, was man in der Studentenſprache 
„patent“ nennt; wer ſich mit dem Eleganten, Zierlichen, Graziöſen 
genügen läßt, der wird bei Freytag reichliche Befriedigung finden; 
wer dagegen vom Dichter Höhern Schwung und ftärferes Pathos 
verlangt, der wir nicht auf die Dauer bei ihm aushalten. 

Es hängt dies aufs Innigſte zufammen mit einem andern 
Charakterzug diefes Dichters, dureh den er fich wiederum als ächten 
Stammgenoffen des Jungen Deutſchland ausweifl. Nämlich wie 
die Schriftfteller des Fungen Deutfchland, fo ift auch Freytag eine 
überwiegend weibliche Natur. Er ift zart, finnig, verſchämt; ſelbſt 
wo er frivol ift (und er ift e8 weit öfters, als die von ſittlichem 
Pathos überfliegenden Eolporteure feines Ruhms entweder wiflen 
oder willen wollen), vermeidet er doch forgfältig jeven irgendwie 
anftögigen Ausdruck; er befikt das in der guten Gefellfhaft von 
jeher hochgeſchätzte Tätent, bie bedenklichſten Dinge mit der füßeften 
Stimme und dem unbefangenften Angeficht zu fagen. 


96 Der Roman, 


Rechnen wir dazu num die gefchidte Technik des. Stücks ſowie 

die genaue und ſorgfältige Erwägung des theatvalifchen Effects, ſo 
erklärt der glänzende Erfolg, den „Die Valentine” bei ihrem erften 
Auftreten davontrug, fih aufs allernatürlichfte, und jogar ohne 
daß wir Daran zu erinnern brauchen, erftend wie ausgehungert das 
Theaterpublicum damals war, und zweitens, wie jehr die dramati⸗ 
chen Berfuche des Jungen Deutſchland auf Stüde wie „Die Valen- 
tine“ vorbereitet hatten; das heit alfa auf Stüde, die zwar alle 
inneren Mängel und Gebrechen des Jungen Deutſchland ebenfalls 
befaßen, aber in milvefter und anfprechenpfter Form. Freytag 
war von ber allgemeinen Krankheit der Zeit, die im Jungen Deutſch⸗ 
laud zum Ausbruch gekommen, grade nur jo weit angeftedit, um 
nicht Durch feine Geſundheit aufzufallen; wäre nicht aud in ihm 
etwas von demſelben ungejunden Blute geweſen, wie hätte das Pu—⸗ 
blicum jener Zeit, nody dazu das Publicum der Logen und Sperrs 
fige, jo mit ihm ſympathiſiren können?! 
Drenſelben jungdeutfchen Stempel trägt auch das zweite 
Theaterſtück des Dichters, „Graf Waldemar”. Daffelbe iſt zwar 
erſt 1850 im Druck erſchienen, war indeſſen ſchon im Winter Sie 
benundvierzig vollendet und wurde auch damals bereits, ſowie im 
Jahre Achtundvierzig auf verſchiedenen Bühnen zur Aufführung 
gebracht. Doch hat es weder damals noch ſpäter beim Theater⸗ 
publicum beſonderen Anklang gefunden. Sehr natürlich. Grade 
„Graf Waldemar“ deckt die jungdeutſche Herkunft des Dichters 
am allernackteſten auf, während das Publicum doch zu der Zeit, 
da das Stück vor die Lampen trat, die jungdeutſche Nervenkrank⸗ 
heit ſchon ſo ziemlich überſtanden hatte und ſich bereits von andern 
und inhaltvolleren Intereſſen ergriffen fühlte. 

Zwar ganz unberührt war auch der Dichter des „Graf Wal⸗ 
demar“ von dieſem Heilungsproceß nicht geblieben. Es iſt wahr, 





Guſtav Freytag. ” 97 


ver Held des Stüds ift in ver erften Hälfte deſſelben womöglich 
noch jungdeutſcher und noch mehr von falſcher Genialität durch⸗ 
drungen, als ſelbſt der Saalfeld in „Die Valentine.” Graf Wal- 
demar ift ein vornehmer Wäftling, der, nachdem er alle Genüffe 
ver feinen Welt erfchöpft und nirgend Befriedigung gefimben hat, 
von der ftillen Anmuth einer einfach kindlichen Natur ergriffen und 
zur Tugend zurückgeführt wird. In dieſer Beſſerung, dieſem Auf- 
geben der abſtracten jungdeutſchen Genialität, dieſem Sichwieder⸗ 
anſchmiegen an die poſitiven Verhältniſſe ver Familie und der bür- 
gerlichen Geſellſchaft liegt der Fortjchritt, den der Dichter in dem 
Stüde gemadt hat, während bafjelbe übrigens, was die Technik 
umd die äußeren Effecte angeht, um ein Beträchtliches hinter „Die 
Balentine” zurächleibt. Saalfeld verharrt auch am Schluß des 
Stüds noch in feiner genialen Ainbeftimmtheit, wir entlaflen 
ihn, ohne die mindefte Sicherheit dafür gewonnen zu haben, daß 
bie Liebe zu feiner Valentine ihm num auch wirklich die Stetigfeit, 
ben Ernft und die Tiefe verleihen wird, die wir bisher an ihm ver- 
mißten und die alle feine geiftreichen Parodorien nicht verbeden konn⸗ 
“ten, mit einem Wort, der jungbeutfche Held der „Valentine“ bieibt ſich 
eonfequent: Graf Waldemar dagegen fehreibt feiner jungdeutſchen 
Bergangenheit ven Scheibebrief und wirft fich ver Tugend in Die Arme. 

Dabei waren nur zwei Uebelſtände. Erſtens macht ein confes 
quentes Tafter weitmehr dramatiſchen Effect als eines, das auf halbem 
Wege wieder umkehrt; ein Böſewicht over aud) wie Saalfeld ein lie- 
benswurdiger Leichtfuß, der in feiner Sünden Blüte dahinfährt ober, 
als Birtnofe des Leichtfinns, dem Schickſal felbft ein Schnippchen 
ſchlägt, ift ungleich dramatiſcher und läßt-bei den. Zufchauern eine 
viel größere Befriedigung zurück als eine neugebasfene Tugend, die 
das Cierhäntchen ver Sünde, der fie joeben erft entjchlüpft.ift, noch 
ganz nain auf dem glatt geftrichenen Scheitel trägt. Das Pnblieum, 


Brup, die deutſche Literatur der Gegenwart. II. 


98 - Der Roman. 


fagten wir, war bei dem Exfcheinen des „Graf Waldemar’ über 
die jungbeutfche Krankheit hinaus, wenigftens hatte ver eigentliche 
Parorhsmus fich bereits gelegt. Aber eben deshalb wollte es nicht 
folche neubekehrte Seelen, wie e8 felbft uod) war; eine gewiſſe Stimme 
des Innern fagte ihm, wie ſchwachbeinig dieſe feine eigene Tugend, 
und barum konnte es fi aud) mmöglich für einen Helden interef- 
firen, ber ibn weniger die Energie der eben überſtandenen Krank⸗ 
beit, al8 vielmehr die Unficherheit der Genefung vor Augen führte. 

5 Noch weit nachtheiliger wirkte ber zweite Uebelſtand: nämlich 
daß Waldemar's Geneſung jo über die Maßen raſch, jo völlig äu- 

Kerlich vor ſich geht und daß wir naher auch fein rechtes Zutranen zu 
feiner Belehrung faflen fünnen. Der Dichter hatte fich hier offenbar 
eine Aufgabe geftellt, die vielleicht vom Roman, von der Novelle, 
aber ganz gewiß nit vom Drama gelöft werben kann. Der Ro- 

man mit feiner langfamen, zögernden Entwidelung bietet Gelegen⸗ 
heit, uns bie allmählige Umftimmung des Helven vor Augen zu 
führen; in feinem breiten Rahmen ift Raum für alle jene kleinen 
Züge, deren wir bebürfen, um an eine fittliche Wiedergeburt zu 
glauben. Das Drama bietet biefen Raum nicht, der Zufchaner 
glaubt nur, was er fieht, ex entbehrt jenes ergänzenden Beiftandes 
ber Phantafie, ver dem Romandichter feine Aufgabe jo fehr erleich⸗ 
tert. Und da e8 nun unmöglich ift, jene Heine, unfcheinbare Saat 
von Einbrüden und Entichlüffen, durch die eine ſittliche Um— 
wandelung allmähltg herbeigeführt wird, uns von der Bühne herab 
ſichtbar zu machen, fo find auch alle plöglichen Beflerungen des 
Helden im Drama unzuläffig; fie ſtehen in der moralifchen Welt 
genau auf derfelben Stufe und beanfprucden auch venfelben Kunſt⸗ 
werth wie ber Blig, der ven boshaften Hurka in Bahrdt's „Lichten⸗ 
feiner” im entſcheidendſten Momente erfchlägt und deſſen befannt- 
lich aud Laube in feiner „‚Bernfteinhere” nicht entrathen konnte. 


Guſtav Freytag. 99 


Auch die tugendhaften Entfchlüffe, welche Graf Waldemar faßt, 
ja feine ganze Liebe zur Gertrud ift nur ſolch ein Theaterblitz; es 
ift moralifches Kolophonium, das uns, die wir recht gut wiffen, wie 
die Theaterblige gemacht werben, unmöglich in Erftaunen over 
Andacht verjeßen kann. — 

Wir legten vorhin einen gewiſſen Nachdruck darauf, daß 
„Graf Waldemar,‘ wiewol erft nach dem März 1848 ins größere 
Publicum gedrungen, doch bereit8 vor dieſer großen Kataſtrophe 
gefchrieben ward. Auch iſt e8 in der That nöthig, Dies im Auge 
zu behalten, weil nämlich dieſe allgemeine politifche Kataſtrophe zu: 
gleih zu einer morahifch-äfthetifchen Kataftrophe für den Dichter 
ward, der vom Jahre 1848 an eine neue Epoche feines Lebens da⸗ 
tirt. Der Bruch mit feiner jungdeutfchen Herkunft, der ſchon im 
„Graf Waldemar” angedeutet liegt, kommt mit den Einprüden des 
Jahres 1848 zur Vollendung. 

Es kamen noch verfchiedene andere, mehr perſonliche und daher 
hier nieht nöher zu erörternde Umſtände dazu, dieſe Umwandelung 
zu beſchleunigen. Der Dichter, der bis dahin als Privatdocent 
in Breslau gelebt hatte, war kurz zuvor in Folge perſönlicher Be⸗ 
ziehungen in mehr poſitive geſellige and bürgerliche Verhältniffe ein⸗ 
getreten; unter den erſten Stürmen der Märzrevolution acquirirte 
er das Eigenthum der durch Ignaz Kuranda geſtifteten und damals 
namentlich in Oeſterreich ungemein verbreiteten Zeitſchrift, Die 
Grenzboten“ und hatte ſomit auf einmal für Haus und Herd zu 
ſorgen. Das trieb ihn, der bis dahin ebenfalls zur Oppoſition 
gehört hatte, wenn auch nar zur ſtillen, denn mehr und mehr im 
das confervative Lager; „Die Grenzboten,“ die zu Kuranda's Zeiten 
eines der thätigften und gefürchteten Oppofitionsfournale- gewejen 
waren, wurben, feit fie in Freytag's Befig übergegangen, eine Haupt⸗ 
ftüte unferer damaligen parlamentariſchen Rechten. | 

q* 


100 Der Roman. 


Beichleunigt wurde diefer Uebergang purd vie Ausfchwei- 
fungen, welche die nachmärzliche Oppofition fich zu Schulden fom- 
men ließ und die an dem Dichter des „Graf Waldemar” einen 
ſehr ftrengen Beurtheiler fanden. Wir befhäftigen uns bier felbft- 
redend nur mit den größern, ven eigentlich fünftlerifchen Leiftungen 
biefes Schriftftellers und laſſen die zahlreichen Journalartikel und 
ſonſtigen gelegentlichen Arbeiten, die aus feiner Feder hervorge— 
gangen, unberückſichtigt. Nur in Betreff einiger derſelben müſſen 
wir eine Ausnahme machen, weil fie für die innere Entwidelung 
des Dichters in_der That nicht ohne Bedeutung. Das. find na⸗ 
mentlich die humoriftifchen Epifteln, die er im Sommer Achtund⸗ 
vierzig, alfo zur Zeit der Berliner Nationalverfammlung, an Michel 
Mros richtete, den Genoſſen von Kiol-Bafja und andern oberjchle= 
flihen Tagelöhnern, die dazumal in der genannten Berfammlung 
ſaßen und da allerdings eine etwas verwimberliche Rolle ſpielten 
— wiewol im Orunde nicht verwunderlicher als Diejenigen, Die vor 
Kurzem noch mit großer Emphaje verfichert hatten, daß Preußen 
nun und nimmer etwas wie ein Parlament und eine Conſtitution 
haben würde, und die nun ganz vergnügt im erftern faßen, um an 
ver Tegtern mitzuarbeiten. Man bat dieſen Epifteln einen außeror- 
bentlichen Humor, eine bezaubernde Frifche nachgerühmt. Wir unfers 
Theils fönnen diefer Anficht nicht ganz beitreten. Wir geben zu, daß 
bie in Rede ftehenden Auffäge mit einer großen Feinheit des Stils 
und einer gewiſſen graziöfen Bosheit gejchrieben find; es ift verfelbe 
mit fich ſelbſt ſpielende, ſich ſelbſt ironifirende ariftofratifche Ueber: 
muth darin, wie 3. B. in den Aufläten, die ver Verfaſſer gleich 
zeitig over kurz darauf über die „Kunſt des Rauchen‘ fchrieb und 
in denen er, mit einem Exnft amd einer-Wichtigfeit, als ob es fich 
wirklich um eine Lebensfrage der Kunſt oder Wiflenfchaft handelte, 
nicht bloß eine Naturgefchichte, fordern ‚auch eine vollftändige 








Guſtav Freytag. . 101 


Aeſthetik ver Cigarre lieferte. Diele ftille Neigung zu den „noblen 
Paffionen” gehört überhaupt mit zum Charafter-viefes Dichters; ex 
erinnert darin, wie in nod, einigen anderen Punkten an feinen 
fchlefifchen Landsmann Heinrich Laube, nur daß er audi darin 
wieber maßvoller und zierlicher iſt und wenn Laube mit großem 
Halalı Hirſche hegt oder auf die Gemsjagd geht oder fonftige 
Böcke ſchießt, fo begnügt Freytag ſich, in feinen türkiſchen Schlafrod 
gehüllt, den bläulichen Duft der Havannah in die Luft zu blaſen 
und dabei tiefſinnige Betrachtungen über die phyſiologiſche, merkan⸗ 
tile, ſociale, politiſche, moraliſche, äſthetiſche und noch einige andere, 
Seiten des Rauchens anzuſtellen. 


In dieſer ſpielend geiſtreichen Manier nun, die wieder ein 
ächt jungdeutſches Gewächs und bei Freytag nur mit der ihm eigen⸗ 
thümlichen Grazie überkleidet iſt, ging er in den vorhin erwähnten 
Epifteln auch den armen Mros' und Kiol-Baſſa's des damaligen preu- 
ßiſchen Parlaments zu Leibe. Es fam ihm dabei zu ftatten, daß er, 
felbft ein geborener Oberfchlefier, das eigenthümliche Naturell des 
oberſchleſiſchen Bauern und Tagelöhners mit befonderer Genauigfeit 
fannte und feine ganz aparten Studien daran gemacht hatte. So 
bat er in diefen Epifteln venn wirklich ein recht ergötzliches Genre- 
bild geliefert — ergöglich nämlich für Diejenigen, denen der furcht- 
bare Ernſt jener Tage überhaupt noch Zeit und Stimmung übrig 
ließ, ſich an dergleichen zu ergötzen. Freytag. hatte ganz Recht, 
wenn er die politifche Unfähigkeit und Unmündigkeit dieſer Kiol- 
Baſſa's und Conforten geigelte und die Abſurdität hervorhob, bie 
darin lag, daß Menfchen, die nicht ihren eigenen fehr einfachen Ge- 
ſchäften vorftehen, ja die nicht lefen und ſchreiben konnten und aljo 
an den exrften und unentbehrlichften Vorbedingungen geiftiger Bildung 
feinen Antheil hatten — daß Menfchen diefes Schlag8 berufen fein 


102 Der Roman. 


follten, über das Gefchiel Des preufifchen Staates, ja ganz Deutſch⸗ 
lands mit zu entfcheiben. 

‚Und doch würde, wie und wenigfteng bünft, vie fchalfhafte. 
Laune, mit welcher Freytag dieſe politifche Unfähigkeit geißelte, noch 
beffer und namentlich noch pyetifcher gewirkt haben, "hätte er feine 
Geſchoſſe nicht bloß nad) einer Seite gerichtet, ſondern hätte er 
neben diefem Spott und neben dieſer Perfiflage auch ein ſtrafendes 
und zürnendes Wort gehabt für Diejenigen, durch deren Trotz und 
Hartnädigkeit die öffentlichen Verhältniſſe in dieſe gräuliche Verwir⸗ 

sung gerathen waren, Mros und Kiol-Baſſa hatten ſich auch nicht 
"von freien Stüden in ein preußiſches Parlament gedrängt; unfäg- 
liche Thorheiten hatten erft begangen, unfägliche Verbrechen verübt 
werben müfjen, bevor die armen oberjchlefiichen Idioten ihre parla⸗ 
mentariſchen Narrenſtreiche zum Beſten geben konnten. Davon 
aber findet ſich in diefen „bewunbernswerthen” Epiſteln keine Spur; 
ohne eine Ahnung zu haben von jener höhern Gerechtigkeit des 
Poeten, ſtellt Freytag, darin noch immer ein richtiger Ausläufer 
des Jungen Deutſchland, ſich einſeitig auf den Standpunkt jener 
„Gebildeten,“ die ihren äſthetiſchen Zartfinn durch die Aus— 
ſchweifungen der Freiheit ſo ſehr beleidigt fühlten, daß ſie darüber 
die Freiheit ſelbſt zum Teufel gehen hießen. 

Der Dichter dieſes ſatten, behaglichen, auf ſeine vermeintliche 
Bildung ſtolzen Mittelſtandes iſt Freytag denn auch fernerhin ge— 
blieben; auf feinen weiten, grünen Triften, unter dem warmen Son- 
nenjchein feiner Gunft find jene Lorbeeren gewachſen, welche ven 
Berfaffer der „Journaliſten“ und des „Soll und Haben” Frönten. 
— Die „Jourmnaliſten“ erfchienen zuerſt 1854. Die Bewegung der 
Revolution war damals allerdings längft zum Stillftand gebracht 
und aud) die flegreiche Reaction hatte bereits etwas von ihrem Ueber⸗ 
muth und ihrer Gehäffigfeit nachgelaffen. Aber noch bluteten die 








Guſtav Freytag. 103 


Wunden, welche bie eine wie die andere gefchlagen, und es gehörte 
viel Muth dazu, in dieſe offenen Wunden das pridelnde Salz des 
Wites und der komiſchen Laune zu firenen. 

Viel Muth, oder eine fehr Leichte und fehr oberflächliche Hand 
und vielleicht auch ein etwas dumpf gewordenes Salz. Beides paßt 
auf Freytag's, Journaliſten.“ Im Punkt der technifchen Gewandtheit 
ſowie ver pramatifchen Totalwirkung flebt dies Stitd fowol der, Va⸗ 
lentine“ als vem „Graf Waldemar” ganz beträchtlich nach. Aller- 
dings hat e8 weit mehr Beifall gefunden als jene und ift überhaupt 
eins unferer hefiebteften neueren Theaterſtücke geworden. Prüft man 
jedoch die Art dieſes Erfolgs näher, fo ergiebt ſich erftens, daß der⸗ 
felbe weit mehr einzelnen, zum Theil fehr epiſodiſchen Scenen und 
Charakteren gilt als dem Stüd im Ganzen, deſſen Fabel im Gegen: 
theil etwas Unflares and Erzwungenes und deffen Ausgang etwas 
Nüchternes und Unbefriedigendes hat. 

ragen wir aber zweitens, mem das Stüd denn eigentlich fo 
fehr gefällt und wo e8 dies ungemeime Glück gemacht hat, fo bes 
gegnen wir wieder bemfelben behaglichen Mittelftand, derſelben 
fatten, etwas breitmänligen Bourgeoifte, der fi) der Dichter bes 
reits durch feine Polemik gegen Mros und Kiol-Bafla fo fehr em- 
pfohlen hatte. Es hatte etwas Ueberraſchendes, daß ein Schriftfteller, 
der perfönlich in fo innigen Beziehungen zur Journaliſtik ftand und 
der jelbft einen großen Theil des Einfluſſes, deſſen er füch erfreute, _ 
feiner eigenen joumaliftifden Thätigkeit verbantte, in feinem Luft- 
fpiel von eben viefem Stanve ein im Ganzen fo wenig ſchmeichel⸗ 
haftes Bild entwarf, ein Bild, in dem nur die Schattenfeiten mit 
Tünftlerifcher Energie hervorgehoben waren, währenn- die Tichtfeiten 
ziemlich blaß und dämmerig geblieben. Die befrennvete Kritif hat 
zwar auch dies vertheidigen wollen, indem fie meinte, grabe die un⸗ 
günftige Beleuchtung, in welcher ver Dichter die Journaliſtik bier 





8 


104 | Der Roman. 


erſcheinen laſſe, fei ein. Beweis für die. „warme menfchlidye Theil- 
nahme,” die er für diefelbe hege, und die Journaliſtik müſſe ſich von 
feinen Carricaturen eigentlich „ gefehmeichelt” fühlen. Nun, in 
Dberfhlefien mag das allervings Move fein, daß man fi für 
die Prügel bedankt, die man friegt, in unſeren minder idylliſchen 
Gegenden hat die „warme menfchliche Theilnahme,“ die darin lie- 
gen fol, wenn man jemanven einen Efel bohrt, bis jett noch nicht 
recht zur Anerkennung gelangen wollen. 

Alleın grate Dad war es, was das Puhlicum, bei dem „Die 
Journaliſten“ hauptſächlich zünbeten, zu hören wünjchte: dieſe bil- 
ligen Späße über die Journaliſtik, dieſe Ausplaudereien aus ven 
Heinen unfauberen Geheimniſſen der Redactionsbureaus, Diele 
Geftändniffe Schöner Seelen a la Schmod. Und wern der Dichter 
dann wieder an anderen Stellen die Ehre und Würde der Tour: 
naliſtik mit mehr pathetifchen als überzeigenden Worten hervorhob 
und dem Glück, Journaliſt zu fein, eine beiler ftilifirte als durch⸗ 
dachte Standrede hielt — nun ja verſteht ſich, je ließ man fich auch 
- da8 gefallen; wir find ja alle liberal, alle durch die Bank, nur daß 
wir und von den verwünfchten Krawallen und dem ewig unzu= 
friedenen Pöbel nicht in unferm foliden Geſchäftsbetrieb wollen 
ftören laſſen. ’ 

Ganz beſonders aber mußte dieſem Publieum die Oberfläd- 
lichleit behagen, mit welder ver Dichter der „Journaliſten“ die 
politifchen Gegenfäte des Tages behandelt hat. Das Stüd fpielt 
offenbar in Deutſchland, in unferen Tagen, in nachmärzlicher Zeit; 
es ift darin von. Parteien, von Clubs und Wahlverfammlungen 
bie Rede. Aber was für Parteien das find, umd um welde Prin⸗ 
cipien es fich in dieſem Wahlkampf handelt, an dem er uns übrigens 
eine fo lebhafte Theilnahme zumuthet, davon verräth der vorfüch- 
tige Dichter Fein Wort. Und mit Rüdficht auf ven Theatexeffect 











Guſtav Freytag. 105 


war das gewiß fehr klug; ſchloß er ſich irgend einer der factiſch be⸗ 
ſtehenden Parteien an, ſo hatte er vielleicht dieſe für, aber ganz 
gewiß alle übrigen gegen ſich. Das vermied er durch dieſe abſtracte 
Unbeſtinnntheit, mit der er die eigentlichen politiſchen Tendenzen 
feines Stüds völlig in der Schwebe ließ. Freilich ftand dieſe Un- 
beſtimmtheit im fchreienpften Widerſpruch mit der realiftifchen, faft 
erapirifchen Treue, mit welcher ver Dichter feine Piepenbrink, feine 
Bellmaus, feine Schmod ꝛc. abconterfeite. . Allein dem Publicum 
fagte fie zu, fie entſprach der Unbeftimmtheit, in welcher die Zu⸗ 
Schauer jelbft fi in Betreff ihrer politifchen Anfichten und Ten⸗ 
denzen zu erhalten liebten und machte es eben dadurch möglich, daß 
das Stück mehr oder minder bei allen Richtungen und allen Par— 
teien geftel. 

. Auffallend ift ferner die Armuth der Phantafie, vie ſich in 
der Charafteriftit der beiden Hauptperfonen, Bolg und Adelheid, 
kundgiebt. Das find wieder genau diefelben Figuren, die wir bes 
reits in ,, Die Valentine“ und „Graf Waldemar” kennen lernten: 
nur daß fie dort Saalfeln und Graf Waldemar und Valentine und 
Fürftin Ulaſchla hiegen, und daß fie, je weiter wir den Dichter auf 
feiner Laufbahn begleiten, immer maßvoller und immer milder, 
aber freilich auch immer blaffer und verfhiwemmener werden. - 

Aber nein, wir thun dem Dichter Unrecht: es ift nicht bloß 
Mangel an. Bhantafie, es ift die Schranke feines eigenen Weſens, 
es iſt der urfprüngliche jungdeutſche Inhalt deſſelben, ver troß der 
äſthetiſch ſittlichen Wiedergeburt, welche inzwiſchen mit dem Poeten 
vorgegangen, ihn auch hier wieder nöthigt, ſeine Helden und Hel⸗ 
dinnen aus dem Kreiſe jungdeutſcher Ideale und Anſchauungen zu 
entuehmen. In Abelheid allerdings iſt das emancipationsluſtige 
Weib bereits ſehr zahm geworden, Boltz dagegen mit feinem Ueber⸗ 
muth, ſeiner Raſeweisheit, ſeinem ſtachlichen Humor gehört völlig 


106 Der Roman. 


in die Kategorie ver Saalfeld und Waldemar; er ift ein geniali- 
firender Ariftofrat von der Feder, wie, Saalfeld ein Ariftofrat des 
Eiprit, Waldemar ein Ariftofrat der Liederlichkeit ift oder doch ſeinwill. 

. >’ Und im eben diefe Kategorie gehört nun auch ber eigentliche 
Held des Romand „Soll und Haben“ (1855): -Herr von Fink, 
diefer Schreden ver Commis, der über die Maßen geiftreiche, ritter 
liche, fporntragende Herr von Fink, der auf feinem Comtotrfihemel 
figt wie ein Gardelieutenant zu Pferde — jeder Zoll ein ſolid ge- 
worbener Saalfeld, ein Waldemar ohne Waldemar'ſche Lieder- 
lichkeit, ein Bol am Comtoirtiſch, der ſtatt Journalartikel an 
Hauptbuch und Kladde ſchreibt! 

Wir nannten Herrn von Fink ſoeben den eigentlichen Helden 
von „Soll und Haben. Und wirklich ift er es, fowohl nad, dem 
geiftigen Gehalt, mit welchem der Dichter ihn ausgeftattet, als 
nad) ver fichtlichen Vorliebe, mit welcher er ihn überhaupt behandelt 
bat und gegen die das etwas’ bläkliche Bildniß, Das er und vom 
bem nominellen Helven feines Romans, dem braven Raufmanne- 
diener Anton Wohlfahrt entwirft, nur um fo merklicher abfticht. 
Anton Wohlfahrt ift nur der äußerliche, Herr von Fink Dagegen 
der innere Mittelpunft des Romans; Anton ift nur ein armes, 
Ihwädliches Kind ver Pflicht, in Herm von Fink Dagegen bat ter 
- Dichter den eigentlichen Sohn feiner Liebe gezeugt. 

Seltfames Verhängniß! Merkwürdige Zähigleit der ange 
bornen Grundlage, die fich durch Feine Kunft und feine Bildung 
ganz verdrängen läßt und die wie ein geheimer Blutfled aus allen 
Schenern und Blanfputen immer wieder hervortritt! So haben die 
fittlich politifchen Ummwandelungen und Wiedergeburten denn aljo 
noch nicht völlig geholfen, die eigentlichen Ideale des Dichters tras 
gen noch immer: eine unverfennbare jungbeutfche Färbung und felbft 
noch, da er „Das deutſche Volk bei ver Arbeit ſucht,“ jchweift fein 








Guftao Freytag. - 107 


Blick ab und bleibt mit behaglihem Schmunzeln auf ven Purzel⸗ 
bäumen und Capriolen eines Gamind höherer Ordnung haften. 
Man hat auch in Herrn von Fink einen Appftel, ich weiß nicht 
welcher großartigen und humanen Ideen finden wollen. Uns geht 
das Verſtändniß für dieſe Art von Apofteln ab; wir haben feine 
Sympathie für diefe Wohlthäter ver Menfchheit, die damit ans 
fangen, ihre Umgebung auf die Hühngraugen zu treten und fie.aus- 
lachen, wenn fie aufſchreien. Diefer Herr von Fink, wie wir ihn 
anſehen, ift eine Heine malitiöfe Perfonage, die fih ein Gewerbe 
daraus macht, alle Menfchen zu neden und zu plagen und ſich un- 
gehener geiftreih vorkommt, wein e8 ihr gelingt; er ift liebens- 
würdig, ja, wir räumen es ein, aber bo nur in dem Sinne 
Tiebenswürbig, wie man bon einer liebenswürdigen Bosheit fpricht. 
Und bei viefem Herrn von Fink ift das Herz des Dichters, bei 
Anton Wohlfahrt, dem angeblichen Helden der Arbeit und der bür- 
gerlichen Ehrbarkeit, ift nur fein Kopf; Herrn von Fink hat der Dich⸗ 
ter für fich felbft gefehrieben, Anton Wohlfahrt nur für das Publicum. 
Aber das Publicnm dankte ihm Die Mübe — mobei wir na= 
tärlich nur immer dasjenige Publicum um Auge haben, das aud 
ven „Journaliſten“ feinen Beifall zugejubelt hatte und das ſchon in 
Obigem von-ung genügend charakterifirt worden ift. Dieſem Bubli- 
enm und fernen Intereſſen entfprady nicht nur. bie ungemein zarte, 
milde Färbung, welche and) dieſes Werk wiederum an fich trägt, 
ſondern es entſprach ihm namentlich aud das Bild, das hiervon 
ber „Arbeit des Volks“ gegeben, ſowie der ſehr hohe Werth, ber 
biefer Arbeit hier beigelegt ward. Allen Refpect vor der Firma 
T. D. Schröber und ihrer Tanfmännifchen wie moralifchen Soli- 
vität! Allen Refpect auch vor der mehr nätlichen als angenehmen 
Beihäftigung des Dütchendrehens, Kaffeeabwiegens und Ballen: 
ſchnürens! Es mag auch Boefie darin fteden, wir geben es zu 


106 . ger gemalt: 

| . up ba Freytag e8 in der That verftan- 
firer f BB, ve) rebfaferigen Leinwand einige allerliebfte 
E Pi za * hinzuzeichnen. Aber fo ſollte man auch 


zit Mr ” * dieſe Poeſie des Gewürzkrämerladens nur 
——* und untergeordneten Gattung angehört; man 
‚inet * igften einräumen, daß dies nicht diejenige. Poefie iſt, 
— ungen ber Bölfer ergreift und fie zu großen Thaten an- 
—* auch in großen Leiden tröſtet und ermuthigt. 
peibtı Auch entſchuldige ſich der Dichter nicht damit, daß fein Thema 
i en fi) brachte and daß, da er einmal entjchloffen war, die 
sefie des Handels und der faufmännischen Thätigfeit zu zeigen, 
ipm feine größeren Umriſſe, feine lebhafteren Farben verftattet 
maren. Die Poefie des Handels? Aber die ſtudirt man wicht in 
einem Haufe T. O. Schröver, wo man ſich Iangweilt und lang⸗ 
weiten muß, die ſtudirt man überhaupt nicht im Binnenlande, fon= 
pern allein in ver belebenden Nähe des Meeres, im Gewühl ber 
Seeftabt, im Gewimmel des Hafens, wo Schiffe und Menfchen 
aller Nationen ſich durcheinanderdraͤngen unb wo jelbft dem Ge- 
würzkrämer, ver feinen Kaffee und Zuder umfegt, fi ummill- 
fürlich das Bild ferner Länder und entlegener Hummelsftriche vor 
bie Seele drängt. Es iſt das auch wieder ein ächt jungbeutfcher 
Zug, dies Hexabziehen großer und weitgreifender Ideen in das 
Enge und Häusliche, dies Verengern einer weltgefchichtlichen Per⸗ 
fpective zu einem bloßen Privatftandpunft. Grade jo wie der ‘Dichter 
von „Soll und Haben‘ bier die weltbewegende Idee des Handels 
und ber faufmännifchen Speculation in die enge Umgebung eine® 
Gewürzladens bannt und das, was ganze Welttheile in Verbindung 
fest, zum bloßen Vehikel einer Privatliebes- und Leidensgefchichte 
macht, grade jo waren die Dichter des ehemaligen Jungen Deutfch- 
land mit ‘ven Ideen der Freiheit, des Staates, ber bitrgerlichen Ge⸗ 





Guſtav Freytag. 109 


ſellſchaft verfahren; hier wie dort, ftatt Die Fülle des goldenen Lichte 
frei auf uns hereinfluthen zu laſſen, fing man einen Sonnenftrahl 
ab, fpaftete ihn künſtlich und ließ nun, in dieſer Beleuchtung vie 
Seifenblafen ver eigenen Heinen Phantafie dahingaukeln. 

Kann ſomit die Wahl des Stoffs in. poetifcher Hinficht als 
feine ganz glüdliche und geeignete bezeichnet werben, fo war. fie um 
fo glücklicher mit Rüdficht auf die praftifchen Bedürfniſſe derLeſe⸗ 
weit. Es ift nun einmal jo, daß Jever am liehften von fich ſelbſt 
und feinen eigenen „Hühnern und Gänfen‘ lieſt. Was ift uns He: 
kuba? Aber was wir find, das willen wir oder wünſchen es eben 
vom Dichter zu erfahren. In dem Freytag'ſchen Roman mın fand 
ein ganzer höchſt beveutender und einflußreicher Theil des deutſchen 
Publicums fich wieder; der ganze Kaufmannsftand mit feinen ſämmt⸗ 
lichen Buchhaltern, Commis und Lehrlingen, ſowie andererjeits die 
große Zahl mehr oder mimber verſchuldeter Gutsbeſitzer, denen die 
Branntweinbrennereien und die Zuckerfabriken und die kleinen ſtillen 
Geſchäftchen mit Schmul und ig grade eben ſolche geheimen 
Kopfſchmerzen machen, wie dem Herrn von Rothſattel des Ro— 
mans — alle dieſe jehr zahlreichen und bis dahin der Literatur 
größtentheils entfremdeten Klaſſen der modernen Geſellſchaft ſahen 
ſich hier mit einer ganz ungewohnten poetiſchen Glorie umgeben. 
In dieſer Hinſicht nimmt das Freytag'ſche Buch in der That eine 
nicht geringe kulturhiſtoriſche Wichtigkeit in Anſpruch, inſofern es 
der Literatur ganz neue Kreiſe aufſchloß und ein äſthetiſches 

Intereſſe in Gegenden erweckte, wohin ſonſt kaum ein Roman ge⸗ 
drungen war. 

Aber freilich, wie niedlich iſt das Bild auch, das der Dichter 
ſeinen Leſern entgegenhält! Mit welcher Geſchicklichkeit hat er 
- feine Photographien retouchirt, wie wohl hatte er es verſtanden, 
mit jener Artigfeit, die ja auch die Porträtmaler der großen Welt 


108 Der Roman. 


und müflen es ja wol zugeben, da Freytag es in der That verftan- 
ben bat, auf biefer etwas grobfaferigen Leinwand ‘einige allerliebfte 
Genrebilder und Skizzen hinzuzeichnen. Aber ſo ſollte man auch 
uns einräumen, daß dieſe Poeſie des Gewürzkrämerladens nur 
einer ſehr Heinen und untergeordneten Gattung angehört; man 
jollte zum wenigften einräumen, daß dies nicht diejenige Poeſie iſt, 
welche die Herzen der Völker ergreift und fie zu großen Thaten an- 
treibt, oder auch in großen Leiden tröftet. und ermuthigt. 

Auch entſchuldige fich der Dichter nicht damit, daß fein Thema 
das ſo mit fich brachte und daß, da er einmal entfchloffen war, Die 
Boefie des Handels und der faufmännifchen Thätigfeit zu zeigen, 
ihm keine größeren Umriſſe, keine lebhafteren Yarben verftattet 
waren. . Die Poefie des Hanvel8? Aber die ftudirt man midht in 
einem Haufe T. O. Schröver, wo man ſich langweilt und lang- 
‚weilen muß, bie ſtudirt man überhaupt nicht im Binnenlande, fon= 
bern allein in ver belebenvden Nähe des Meeres, im Gewühl ber 
Seeftabt, im Gewimmel des. Hafens, wo Schiffe und Menfchen 
aller Natzonen ſich durcheinanderdrängen und wo felbft dem Ge 
würzfrämer, der feinen Kaffee und Zuder umſetzt, ſich umwill- 
fürlich das Bild ferner Länder und entlegener Simmelsftriche vor 
bie Seele drängt. Es iſt das auch wieder ein ächt jumgbeutfcher 
Zug, dies Herabziehen großer und weitgreifenvder Ideen in das 
Enge und Häusliche, dies Verengern einer weltgefchichtlichen Ber: 
fpective zu einem bloßen Privatftandpunft. Grade jo wie der Dichter 
von „Soll und Haben“ hier Die weltbewegenbe Idee des Handels 
und ber kaufmänniſchen Speculation in die enge Umgebung eines 
Gewürzladens bannt und das, was ganze Welttheile in Verbindung 
fett, zum bloßen Vehikel einer Brivatliebes- und Leidensgeſchichte 
macht, grade fo waren bie Dichter des ehemaligen Jungen ‘Deutfch- 
land mit den Ideen der Yreiheit, des Staates, ber bürgerlichen Ge⸗ 











Guſtav Freytag. | 109 


ſellſchaft verfahren; hier wie dort, ftatt die Fülle des goldenen Lichts 
frei auf uns hereinflutben zu lajjen, fing man einen Sonnenftrahl 
ab, jpaftete ihn Fünftlih und ließ num, in diefer Beleuchtung vie 
Seifenblafen der eigenen Kleinen Phantafie dahingaukeln. 

Kann fomit die Wahl des Stoffe in poetifcher Hinficht als 
feine ganz glüdliche umd geeignete bezeichnet werben, fo war. fte um 
fo glücklicher mit Rüdficht auf die praftifchen Bedürfniſſe der⸗Leſe— 
weit. Es ift nun einmal jo, daß Jeder am liehiten von ſich felbft 
und feinen eigenen „Hühnern und Gänfen” lieſt. Was ift ung He: 
kuba? Aber was mir find, das willen wir oder wünſchen e8 eben 
vom Dichter zu erfahren. In dem Freytag'ſchen Roman mın fand 
ein ganzer höchft bedeutender und einflufgreicher Theil des deutſchen 
Publicums fich wieder; der ganze Kaufmannsftand mit feinen ſämmt⸗ 
lichen Buchhaltern, Commis und Tehrlingen, fowie andererfeits die 
große Zahl mehr oder minder verfchuldeter Gutsbeſitzer, denen die 
Branntweinbrennereien und die Zuckerfabriken und vie Heinen ſtillen 
Gefchäftchen mit Schmul und sig grade eben: ſolche geheimen 
Kopfichmerzen machen, wie dem Herrn von Rothfattel des Ro- 
mans — alle diefe fehr zahlveichen und bis dahin ver Literatur 
größtentheils entfremveten Klafjen der modernen Geſellſchaft ſahen 
fich hier mit einer ganz ungewohnten poetifchen Glorie umgeben. 
In diefer Hinfiht nimmt das Freytag'ſche Buch in der That. eine 
nicht geringe Kulturbiftorifche Wichtigkeit in Anfpruch, infofern es 
der Literatur ganz neue Kreife aufſchloß und ein äfthetifches 
Intereſſe in Gegenden erwedte, wohin‘ ſonſt kaum ein Roman ge⸗ 
drungen war. 

Aber freilich, wie niedlich iſt das Bild auch, das der Dichter 
ſeinen Leſern entgegenhält! Mit welcher Geſchicklichkeit hat er 
ſeine Photographien retouchirt, wie wohl hatte er es verſtanden, 
mit jener Artigkeit, die ja auch die Porträtmaler der großen Welt 


110 Der Roman. 


auszeichnet, hier einer etwas zu diden Nafe eine beſſere Proportion, 
bort einer niedrigen Stirn mehr Höhe, einem etwas finnlichen 
Mund mehr Adel und Lieblichkeit zu geben! Der Gevanfe, das 
Kleinleben der Kaufmannswelt zum Gegenſtand eines poetifchen 
Gemäldes zu machen, war an und.für fich gar nicht jo nen, wie 
die Bewunderer des Dichters meinten -und wie ex felbft nach dem 
etwas emphatiichen Vorwort es geglaubt zu haben ſcheint; wir er- 
innern ftatt vieler anderer nur an Hadlänber, der in feinem ſchon 
1846 erfihienenen „Handel und Wandel“ ganz biefelben Regionen 
geſchildert hatte. 

Nur nicht in ſo roſenfarbenem Licht, und darin liegt denn das 
Hauptgeheimniß der großen und beiſpielloſen Wirkung, welche dieſer 
Roman bei uns gehabt hat. Was ſich mit Milde, Sauftmuth 
und Grazie erreichen läßt, das hat Freytag. bier in der That er⸗ 
reicht; es ift nicht möglich, liebenswürbiger, harmlofer und nad) 
allen Seiten hin verföhnlicher zu fehreiben, als es ber Verfafler 
von „Soll und Haben“ gethan hat. Nur die armen Juden, die 
fommen allerdings übel weg, fie find der wahre Sünbenbod, denen 
- alle Schuld und Verderbniß aufgehäuft wird; wenn es feine Juden 
gegeben hätte, wenn Herr von Rothfattel feinem jünifchen Wucherer 
in die Hände gefallen wäre, was müßte das für ein Leben gewejen 
‚fein, wie ſchuldlos, wie naiv und vor allem wie behaglich ! 

Indeſſen kann ja ver Roman ein böfes Princip fo wenig ent- 
behren wie das Drama, und da die Freunde des Dichters uns 
überdies belehrt haben, daß die Juden ſich eigentlich geſchmeichelt 
fühlen müſſen durch die moraliſchen Fußtritte, die ihnen hier zuge⸗ | 
tbeilt werben, fo wollen wir dem Dichter dieſen feinen Judenhaß 
(der natürlich einem großen Theil des Publieums wiederum jehr 
glatt einging) nicht weiter anrechnen. Auch ift es wirklich der ein- 
zige Schatten, der auf diefe fonft fo fonnige Landſchaft fällt. Hier 





Guſtav Freytag. 111 


iſt Alles Friede, Freude, Fidelität; alle Menſchen ſind ſo ſchrecklich 
gut (immer mit Ausnahme der böſen Juden und natürlich auch der 
Polen, die der Dichter mit Jenen ungefähr in gleichen Raug ſiellt 
und für deren Nationalgefühl er grade ſo viel Achtung hat, wie für 
die von den Chriſten aufgezwungenen Schattenfeiten des jüdiſchen 
Charakters) „und haben einander ſo lieb,“ daß wir gar nicht recht 
abſehen, warum ſie einander nicht gleich Anfangs um den Hals 
fallen, ſtatt ſich mit lauter Großmuth und Edelſinn noch erſt ſo 
viel vergebliche Kümmerniß zu bereiten. O gewiß iſt es ein köſt— 
liches Ding um das lachende Antlitz eines Poeten und keinen ſchö— 
neren Beruf kann es für die Kunſt geben, als gefurchte Stirnen 
zu glätten und gepreßte Herzen zu erleichtern. Aber wie voller 
Sonnenfhein auf einer Landſchaft che eine Spur von Schatten 
leicht etwas Einförmiges und Ermüdendes hat, fo Darf auch Die 


Heiterkeit des Künftlers, die und wahrhaft erheben und beruhigen. 


will, eines ernften Öintergrundes nicht entbehren; wir lachen nur 
mit dem herzlich, won dem wir wiflen, ober Doch vorausjeben, daß 
er. auch herzlich, mit und weinen könnte. 

Der Diaffe des Publicums dagegen war aud) dieje ewig heitere, 
ewig ſchmunzelnde Laune des Dichter höchft angenehm; Lachen, 
Plaudern, ven Ernft des Lebens vergefien, das war es ja, was Die 
Menge wünſchte, wonach fie ſich fehnte und weshalb fe zulegt ſo— 
gar, ba gar Feine anderen Mittel mehr verfangen wollten, nad) 
einem Buche griff. Das Buch war geiftreich und glänzend gejchrieben, 
e3 unterhielt ohne zu fpannen, es beſchäftigte ohne zu echauffiren, 
man konnte es aus der Hand legen und den Courszettel nachſehen 
und dann wieber weiter lefen und verrechnete fich bei alledem um 
kein Biertelgrocentchen. O in ver That, das war ein harmantes, 
ein liebenswärbiges Buch! Das mußten wir uns faufen und vor⸗ 
leſen laſſen von der lieben Frau und den Fräulein Töchtern mit 


112 Der Roman. 


ber fhönen hochdeutſchen Ausſprache! — Daß dem Buch bei allen 
feinen ausgezeichneten und glänzenden Eigenfchaften einige andere, 
kaum minver erhebliche mangeln, daß e8 ihm namentlich an aller 
Kraft und Fülle ver Leivenfchaft gebricht und daß in dem ganzen 
preibändigen Werke nicht eine Stelle, nicht eine Scene ift, Die 
dem Lefer eigentlich padt und erſchüttert, fondern ver ganze Ein- 
druck verläuft ſich immer in vemfelben glatten, mohlgefälligen Be- 
hagen, das war natürlich in den Augen dieſes Publicums kein 
Fehler, im Gegentheil ein neuer Vorzug war ed unv- half das 
gute Einverftänpniß zwifchen dem Buch und dem Publicum nur 
noch befeftigen. 

Ob und welchen Einfluß diefer außerordentliche Erfolg und 
diefe Sympathie, mit welcher das Publicum gegenwärtig feinen 
Namen nennt, auf den Dichter felbft haben wird‘, das wird num 
‚abzuwarten fein. E8 find ſeit dem Erjcheinen von „Soll und 
Haben” nunmehr vier Jahre vergangen, und noch ift ver Dichter 
mit feinem neuen Werke hervorgeireten. Wir fennen bereits diefe 
Zurückhaltung und Mäßigung feines Talents und können e8 nur 
billigen, daß, fo wenig feine Iheatererfolge ihn zu einer über- 
reisten theatralifchen Productivität verleiteten, eben fo wenig auch 
ber unerhörte Succeß feines Erſtlingsromans ihn etwa zu einer 
übereilten Ausbeutung feines jungen Ruhms veranlaßt. SDiefer 
Dichter kann, wie wir bereitd im Eingang unferer Charakteriftif 
erinnerten, überhaupt nur in der höchſten Sammlung, mit größter 
Borficht und Concentration aller feiner Kräfte arbeiten. Und daß 
er das auch wirklich thut und daß er feiner Ratur nichts abzu- 
zwingen ſucht, was fle nicht freiwillig hergiebt, das ift eine von 
ven pofitiven Eigenichaften, welche ihn auszeichnen und durch die 
er in ber That verbient, jüngeren Schriftftellern als ein Mufter 

aufgeftellt zu werden. Für das Maß feines Talents ift Niemand 





| 
— 


Guſtav Freytag. 113 


verantwortlich, ſondern immer nur für bie Anwendung, die er da⸗ 
von macht. Diefe Anwendung aber ift bei Freytag ſtets eine höchſt 
überlegte, bejonnene und verftändige. Es ift Dies ein Zug, durch 
den ex, wie durch feine Elegam und die Vornehmheit ferner jour⸗ 
naliftifchen Haltung an Guſtav Kühne erinnert, dem er über- 
dies and durch fein vorwiegenn‘ weibliches Talent verwandt -ift. 
Gleich Kühne und fogar noch beſſer als Kühne kennt auch Freytag 
ſich jelbft und das Maß ſeines Talents ganz genau; wie er in feinem 
neneften Roman lauter fatte, zufriebene, vergnügte Menſchen jchil- 
bext, fo ift er auch mit fich ſelbſt volllommen zufrieven amd ımter- 
nimmt nichts und begehrt nichts, was er ſich nicht fähig fühlt zu 
erreichen. Was für Verſuche und Studien der Dichter in der Tiefe 
feines Schreibpults vergraben bat, das können wir matärlic nicht 
willen; aber was bie öffentlich erfchienenen Werke anbeteifft, fo 
giebt es in biefem Angenblick wenig deutſche Schriftfieller, vie ſich 
wit jeher Sicherheit entwidelt und fo wenig todte Körner um fich 
ausgeftreut haben. 

Eine andere pofitive Eigenſchaft, welche biefen Autor gleich- 
falle zu einem Gegenſtand des Stubinms fir jimgere Dichter 
empfiehlt, ift der geſunde Realismus feiner Darftellung. Derſelbe 
ift, was das perfünliche Verdienſt des Dichter angeht, um fo höher 
zu jchäßen, als er ihm keineswegs angeboren, ſondern eben- 
falls nur die Frucht forgfältiger und wohlgeleiteter Uebung iſt. 
Freytag's Erſtlingsgedicht, der fchon genannte „Kunz von Rofen,“ 
ift noch außerordentlich blaß und abftract und auch noch in „Die 
Balentine” und „Graf Waldemar” find es Imehr gewifle Neben- 
und Ausfüllfiguren als die Helden ver Stüde jelbft, die zur voller 
realiftifcher Wahrheit gelangen. Doch merken wir grade dieſen 
Nebenfiguren an, wie das praftifche Talent des Dichter8 mehr und 
mehr erftarft, bis e8 fich endlich in „Die Journaliſten“ und „Soll 


Brup, die deutſche Fiteratur der Gegenwart. II. 8 


114 Der Roman. 


und Haben” in feinem vollften und liebenswürdigſten Glanze zeigt. 
Eine gewiffe Energie und Friſche der Farben freilich wird man von 
Freytag nie verlangen dürfen; wie bie Gewalt der Leidenſchaft, To 
ift ihm auch die eigentliche finnliche Fülle und Unmittelbarfeit ver- 
fagt; es find nicht eigentlich Gemälde, nur Kupferftiche, was er 
liefert, aber fleißige und jorgfam ausgeführte Rupferftiche, die ebenfo 
fehr die Gefchiclichkeit feiner Nadel, wie e ben Ernft feines künſtle⸗ 
riſchen Strebens befunden. 

In diefem Fleiß und dieſem "or möge bie heranwachſen de 
Generation ihm denn nacheifern; ſo wird er zwar keine Schule 
gründen, wozu er überhaupt durch die ganze Beſchaffenheit ſeines 
Talents nicht geeignet und ift e8 daher auch ein ſehr verfehrter Einfall 
feiner Bewunderer, ihn zu einem äfthetifhen Schulhaupt erheben 
zu wollen — wohl aber wird die wohlwollende Theilnahme, die das 
Publicum ihm zollt, fi immer mehr befeftigen und ausbreiten un 
auch Diejenigen werden ihm ihre Anerkennung nicht verfagen, die 
fih im Uebrigen nicht überzeugen können, daß mit „Soll und 
Haben” eine neue Epoche unferer Poefle begonuen, oder daß Frey⸗ 
tag feinen Antheil habe an den Irrthümern und Krankheiten 
feiner Zeit. 





3. 
Mar Waldau. 


Gleich Guſtav Freytag ſtammt aud) Mar Waldau, oder wie 
er mit feinem. bürgerlichen Namen heit, Georg Spiller von Hauen⸗ 
ſchild, aus Schlefien. Aber wenn der Dichter von „Soll und 
Haben‘ uns mehr das leichte Blut, den lebensfriſchen, genußlieben⸗ 
den Charakter des Schlefiers vergegenwärtigt, fo fpricht fi in Max 
Waldau hauptſächlich die Raftlofigfeit, Das Leichtbewegliche, unruhig 
Hinundherfpringende aus, das dem Schlefler ebenfalls eigen- 
tbämlich ift und fogar einen fehr wejentlichen Theil feines nationa- 
len Charalters bilbet. 

Bei Max Waldau wurde dieſe allgemeine Raſtloſigkeit des 
ſchleſiſchen Naturells noch erhöht, theils durch die Zeit, in der er 
lebte, theils durch ganz beſtimmte perfönliche, ja ſelbſt körperliche 
Eigenſchaften. Mar Waldau iſt eine durch und durch pathologiſche 
Erſcheinung, ſogar im mediciniſchen Sinne des Wortes: und wenn 
dies einerſeits als ein Verhängniß auf ihm gelaſtet und ihn, trotz 
ſeiner reichen Begabung und trotz ſeines ernſten, ja leidenſchaftlichen 
Strebens, verhindert bat, jene höchſten Ziele ver Kunſt, deren er ſich 
ſelbſt ſo deutlich bewußt war, nun auch wirklich zu erreichen, ſo war 
er andererſeits auch eben durch dies Pathologiſche ſeiner Erſchei⸗ 
nung zum eigentlichen Dichter unſerer Zeit in einem Grade berufen, 


wie kaum ein Zweiter neben ihn. 
4 8” 
® 


‚ 


116 Der Roman. 


Denn daß unjere Zeit eine innerlich zerrüttete und tieffranfe 
ift, das wird Niemand leugnen, der irgend eine Empfindung hat 
von der Atmofphäre, in ber er felber lebt. Es ift eine Zeit großer 
Ideen und Kleiner Thaten, fühner Anläufe und ſchwachen Boll- 
bringens; mit der veutlichften Einficht in das, was ihr eigentlich, 
noth thut, fehlt ihr doch Die Kraft, eben dies Nothwendige aus fich zu 
erzeugen und fo greift fie denn, unzufrieden mit ſich jelbft und be⸗ 
ängftigt durch das Gefühl ihrer eigenen Ohnmacht, bald hierhin 
bald dahin, erfchöpft alle Theorien und ftellt vie verjchievenartig- 
fien Experimente an, um den Punkt aufzufinden, von dem aus fie 
bie Welt, die Welt ihrer Hoffnungen und Ideale in Bewegung jegen 
Konnte und der Doc, für Völker wie für Individuen; immer nur im 
eigenen Innern liegt. 

Daß eine folche Zeit nicht im Stande ift, in der Kunft etwas 
Geſundes und in ſich Harmonifches zu ſchaffen, liegt auf der Hand 
und ift auch von uns bereits an verſchiedenen Stellen dieſes Werkes 
ausgeſprochen worven. Wohl aber werden grade frankhaft reizbare 
Gemüther, Talente von übermäßiger, krankhafter Spannung bejon- 
vers befähigt fein, diefem krankhaften Inhalt ver Zeit zum künft- 
lerifchen Ausdruck zu verhelfen. Und darin eben liegt denn, wie 
gefagt, die große und dauernde Beveutung, welche Dar Waldau 
für die Literatur unferer legten zehn Jahre in Anſpruch nimmt. 
In einer Zeit des Widerſpruchs lebend, ift er felbft ver eigentliche 
Dichter des Widerſpruchs. Begabt mit einer wunderbaren Em- 
pfänglichleit, mit ver eine faft ebenjogroße Productivität Hand in 
Hand geht, nimmt er an allen Richtungen feines Zeitalter6 den 
Iebhafteften Antheil; in dem wilden Chaos Diefer revolutionären 
Epoche ift kein Ton, der nicht in feinem Herzen nachllänge, Feine 
geiftige Bewegung taucht auf, für die er nicht ein raſches und glüd- 
liches Verſtändniß hätte. Allein dieſe aflzugroße Empfänglichfeit 


Dar Waldau. 11% 


verhindert ihn nicht nım, ſich einer beſtimmten Richtung fo ganz und 
vollftändig anzufchließen, wie e8 ver einheitliche Ton des Kunſtwerks 
erfordert, ſondern fie läßt ihn auch nicht zu jener Objectivität und 
Ruhe ver Darftellung gelangen, ohne bie ein wirkliches Kunſtwerk 
überhaupt nicht gedacht werben Tann. Wenige Dichter haben in fo 
jüngen Jahren bereits eine’ ſolche Univerfalität der Bilbung und der 
Intereffen gezeigt wie Mar Waldau; mit dem ganzen titanenhaf- 
ten Ungeftäm der Jugend, dabei von raſtloſem Fleiße, ſuchte er ſich 
jede Art von Kenntniß anzueignen und jedes Willen zu erf&höpfen. 

Allein grade dieſe Vielſeitigkeit, in der er wiederum ein fo getreuer 
RKepräfentant uuferer Tage ift, wurbe verhängnißeoll fir ihn; in 
einer Zeit, wo Jeder, auch der Dichter, nothwendig Partei ergreifen 
und eine Fahne befennen muß, zu der er ch hält, ſchwankte er zwi⸗ 
fchen den Barteien bin und ber — oder vielmehr er gehörte allen 
und zugleich) Feiner an, die Univerfalität feiner Bildung begegnete 
überall verwandten Faden und ließ ihn’ andererfeits andy überall 
ſchwache Stellen entdecken, von denen er ſich zurückgeſchreckt und 
abgeſtoßen fühlte. Seine philofophiſchen und hiſtoriſchen Studien 
hatten ihn dem Socialismus in die Arme geführt; er ſchwärmte 
für jenes Ideal allgemeiner Brüderlichkeit, das unter den Stürmen 
des Jahres Achtundvierzig zum Theil auf ſo wunderliche Art ins 
Leben gernfen werden ſollte und von dem wir dann, nicht ohne ım= 
fere Schuld, wiever foweit weggeſchleudert worben find. - Aber zu- 
gleich geftattete fein fcharfer kritiſcher Verſtand ihm nicht, fich über 
die Unzulänglichfeit diefer radikalen Doctrinen, noch über bie 
Schwächen und Thorheiten ihrer Vertreter zu täufchen, während 
andererſeits fein poetifches Gemüth und vielleicht auch gewifle pet 
föntiche Neigungen und Gewöhnungen von dem Glanze der, wie es 
ſchien, dem Untergang geweihten Ariftofratie ſich aufs Lebhaftefte 
ergriffen und angezogen fühlten. Das Alles: brachte ihn denn, 


118 Der Roman. 


ungeachtet feiner praltifchen Tendenzen und wiewol er felbft vie 
innigfte Berwandtfchaft der Literatur mut dem Leben als eine noth- 
wendige Vorausſetzung der erfteren betrachtete, nichts deſtoweniger 
in eine gewifje abftracte Stellung, die vielleicht ſehr geeignet war, 
fcharffinnige Reflerionen und Betrachtungen über ven Gang der 
Zeit anzuftellen: allein um Kunftwerfe von allgemeimem Werthe zu 
ſchaffen, war ver. Boden dieſer Weltanſchauung denn doch zu be= 
weglich und aus zu widerjprechenven Elementen gemifcht. 

Dazu fam nun, daß Mar Waldau ſich — und leider, wie 
der Erfolg gezeigt hat, mit nur allzurichtigem Vorgefühl — einem 
früßzeitigen Tode verfallen glaubte; er litt an einem organifchen 
Herzfehler, der ihn zu Zeiten mit heftigen körperlichen Beſchwerden 
heimfuchte und, mitten in einer jcheinbaren Fülle von Kraft und 
Geſundheit, fein Leben jeden Augenblid mit einem jähen Tode be= 
drohte. Mar Waldau felbft bat das Eigenthümliche verartiger 
Herzkrankheiten an einem feiner Romanhelven geſchildert; fie ver- 
leihen demjenigen, ver daran leibet, gleichſam zum Erſatz für pie 
fortwährende Todesgefahr, in ver er ſchwebt, eine gefleigerte Em⸗ 
pfänglichkeit für alle Eindrücke der innern und äußern Welt, bie 
krankhafte Reizbarkeit des Körpers erzeugt eine wunderbare Steige 
rung ber geiftigen Kräfte, das Lebensöl, deſſen Tropfen fchon ge 
zählt find, quillt eben veshalb um fo mächtiger und brennt mit um 
fo glängenverer Flamme, gleihfam als wüßte es jelbft vie Nähe 
des Augenblids, wo dieſe Flamme auf ewig verlöfchen foll.... 

Es ift ferner eine allgemeine Schwäche der Jugend, daß fie, 
einmal zum Worte gelangt, auch glaubt, bei jever Gelegenheit und 
mit jedem Worte, das fie fpricht, Alles jagen zu müſſen, was fie 
nur irgend auf bem Herzen hat. Die Jugend weiß noch nicht oder 
glaubt noch wicht daran, daß fein Baum auf ven erfien Streid 
fällt; fo oft fie das Schwert zieht, will fie aüch gleich vie ganze 








Mar Waldau. 119 


Belt erobern; in der Gluth ihrer Begeifterumg, beraufcht von ihren 
eigenen Idealen, meint fie noch, ver. Sieg der Wahrheit fünne 
gar nicht zeitig und wicht volfitänbig genug errungen werben und 
weift mit Geringſchaͤtzung. jene Abſchlagszahlungen zurück, mit denen 
der Mann, belehrt durch die Erfahrungen eines mühevollen Lebens 
und denen, vie nach ibm kommen, auch etwas vertrauend, ſich wohl 
oder übel zufriedengiebt. Selbſt ein Kind des Augenblicks, glaubt die 
Ingend auch die Geſchicke der Welt noch an den Erfolg des Augen⸗ 
blicks gebunden und fürchtet, die ganze Zukunft zu verlieren, wenn 
ſie auch nur einen Moment der Gegenwart ſcheinbar ungenützt 
vorüber läßt; ihre Hoffnungen und Träume an die Stelle der Wirk⸗ 
lichkeit ſetzend, kennt fie noch nicht jene herbe und body jo nöthige 
Tugend ver Entjagung, zu welcher wir Welteren allmählig in der 
ſtrengen Schule des Lebens erzogen werden. 

Dieſer allgemeine Drang der Jugend mußte bei Mar Waldau 
noch um ein Bedeutendes gefleigert werden durch das Bewußtjein 
ſeines körperlichen Leidens und die Ahnung des vorzeitigen Endes, 
dem er entgegenging. Er in ber That hatte keine Zeit zu verlieren; 
Thon berührt von der Hand des Todes, mußte er eilen, dieſe ganze 
reiche Welt von Entwürfen, Anſchauungen und Gedanken, vie er 
in ſich verſchloſſen trug, künſtleriſch zu verkörpern und ihnen eben 
dadurch eine Dauer zu fihern, bie über die kurze Spanne jenes 
eigenen Daſeins hinausreicht. Daher viefe fieberhafte Haft feiner 
Production; daher viefe fi überſtürzende Fülle ver Entwürfe, bie 
nicht felten fo groß war, daß Eines über dem Anvern liegen blich, 
darunter zum Theil grade diejenigen Werke, die ihm am meiften 
am Herzen lagen umd denen er ſelbſt ven größten Werth beimaß, 
wie benn 3. B. fein großer, anf fünf Bände angelegter hiftorifcher 
Roman „Der Jongleur,“ der wiederum nur ber poetifihe Vorläufer 
einer ausführlichen, aus ven Quellen gentbeiteten „Geſchichte der 


120. Der Roman. 


Troubadoure und ihres Zeitalters“ fein follte .undb von dem er in 
Briefen und Geſprächen wie von einem Längft fertigen Werte zu 
reden pflegte, unvollendet geblieben iſt. Daher aber auh — mit 
wenigen leicht erfenntlichen Ausnahmen, zu denen wir beſonders 
feine 1850 erjchienene Canzone „D dieſe Zeit!“ rechnen — in 
dem, was er wirklich zu Stande brachte, dieſe Unfertigfeit und Zer 
floffenheit der Form; daher dieſe vielfachen Epifonen und Abſchwei⸗ 
fungen, die oft völlig aus dem Rahmen des Kunſtwerks herams- 
fallen; daher überhaupt dieſer Mangel an Selbftbeichräntung und 
dieſer ächt jungdeutſche Trieb, alle ragen ber Zeit mit einem 
kurzen Machtſpruch zu löfen und bei jener Gelegenheit über Altes 
und noch Einiges zu fprechen. — Es ift dieſe Erſcheinung aber um 
fo merkwürdiger, al8 wenige Dichter der Gegenwart theoretifcher 
Weiſe eine lebhaftere Empfindung von ber Nothwendigkeit einer 
geichloffenen Kunftform befaßen und überhaupt eine größere Ehr- 
furdt vor ven ftrengen und feufchen Forderungen der Schönheit 
Batten, als Mar Waldau. Alleın das ift ja eben der Fluch dieſes 
in ſich zerfahrenen Zeitalters, daß wir, ſelbſt mit dem reblichften 
Willen und der klarſten Einfiht, gleichwol Hinter unfern eigenen 
Idealen zurückbleiben und ven Weg nicht finden können, ber aus 
ber grauen Steppe ber Theorie auf die grüne Weide ver Wirklich⸗ 
feit hinüberführt; es ift ein rafchlebennes Jahrhundert, das, von 
Tantalusqualen gepeinigt, vom Verſuch zu Verſuch forttaumelt 
und feine eigenen Pflanzungen wieder einreißt, bevor fie noch haben 
Wurzel Schlagen können. 

Diefe fieberhafte Unruhe unferer Zeit, piefe ihre Luft an in» 
mer neuen Experimenten und Berfuchen fand in Mar Waldau ihren 
wahrhaft klaſſiſchen Ausprud und erklärt der allgemeine und enthn· 
ſiaſtiſche Beifall, den der Dichter während der kurzen Zeit ſeiner 
öffentlichen Wirkſamkeit erlangte und ber ſelbſt von ſolchen getheilt 





Mar Waldau. . 121 


ward, die ihm principiell gegenüberſtanden, - fich auf dieſe Art aufs 
Vollſtändigſte. Ja auch hier wieder müſſen wir bie Weisheit des 
Schickſals bewundern, die für jedes Bedürfniß auch fofort die Bes 
friedigung bei der Hand hat und ſtets ven richtigen Mann für den 
richtigen Augenblick geboren werben läßt. Das lebende Geflecht, 
wer wüßte es nicht?! iſt nem Untergange verfallen; feiner von benen, 
bie jegt noch auf Erben wandeln, wird jemald das gelobte Land 
ber Sreiheit exbliden; umfer Ruhm und unfere Befriedigung fann 
und wirb.immer nur darin beftehen, daß wir für den bereinftigen 
Beſitz verfelben kämpften und Kitten. Und fiehe da num, dieſem dem 
Zope gemweihten Geſchlecht erweckt das Schickſal einen Dichter, der 
ebenfalls bereits das Zeichen des Untergangs auf der Stirne trägt 
und der eben and dieſer Todesahnung ſeine vollſte und glühendſte 
Begeiſterung ſchöpft! Die fieberhaft erregte, ſo zu ſagen echauffirte 
Zeit findet ihren Ausdruck in einem Poeten, der ſich ebenfalls in 
einem fertwährenden Echauffement befindet, nur daß dies Echauffer 
neent ihm natärlich ift und mit Nothwendiglejt aus den Bedingungen 
feines geiftigen und fürperlichen Daſeins hervorgeht. 

Hätte Mar Waldau nichts weiter beſeſſen als die eben bezeich- 
neten Eigenfchaften und wäre er wirklich nur in allen Stüden der 
tree Spiegel feiner Franken, widerſpruchsvollen Zeit geweſen, fo 
würde chen bies genügt haben, ihn zum berufenen Dichter eben 
diefer Zeit zu machen. Im der That jedoch befaß er noch andere 
und höhere Eigenfchaften ; wurzelnd in dem allgemeinen Boden feiner 
Epoche, die Bruft ummogt von ihren oft trüben Fluthen, ragte er 
doch mit dem Haupte weit über fie hinaus in den reinen Aether 
einer befjeven und daher auch glüdlicheren Zukunft. Es iſt nicht 
bloß die Sympathie der gemeinfamen Kraukheit, was bie Zeitge- 
noſſen mit fo magiſchem Zuge au dieſen Dichter feſſelte: auch ihr 
eigenes beſſeres Theil, auch die. Ahnung einer künftigen glüdlicheren 


\ 


122 . Der Roman. 


Beit, beren ja bie Gegenwart ſich nie völlig entfchlagen kam, auch 
felbft wo fie e8 möchte, fanden fie in ihm wieder. Keinem Künft- 
ler gelingt es jemals, im einzelnen Kunſtwerk fein ganzes Selbft 
vollſtändig niederzulegen, es bleibt immer nod etwas zurück, und 
oft das Beſte, was er uur anzudeuten, nicht auszuſprechen vermag: 
woher denn auch das tieffiunige Wort ſtammt, daß der Künftler alle⸗ 
mal größer als fein Kımftwerl, Wenn von irgend einem Dichter 
ber Gegenwart, fo gilt Died Wort von Mar Waldau. Geine 
Schwächen waren die Schwächen einer Zeit; allan als jelhftän- 
diges Eigenthum lebte in ihm eine edle und fchöne Begeifterung für 
alles Gute, ein freudiger Glaube an die Menfchheit und ein Wohl⸗ 
wollen, das jeden Augenblid bereit war, dieſen allgemeinen Glauben 
auch dem Einzelnen gegenüber praftifch und nicht ſelten mit eigenen 
Opfern zu bewähren. Diefer Hauch einer reinen, warmen Men- 
ſchenliebe durchdringt Alles, was Mar Waldau geſchaffen und er- 
ſetzt reichlich die Afthetifchen Mängel und Einfeitigleiten, die Jemen 
Werken anhaften; er hat fein reines und harmoniſches Kunſtwerk 
zurüdgelaffen, ‚aber hin und ber gerifien von ben widerſprechendſten 
Strömungen feiner Zeit wie er war, ift er doch ſtets bemüht ge- 
weſen, rein und harmonisch zu empfinden, Möglich, daß einzelne 
feiner Zeitgenoflen dieſen tiefen Zug des Herzens Inftinctartig im 
ibm berausgefüählt haben und daß mit naher Diefe ungemeine Innig⸗ 
keit ftammt, mit welcher namentlich die Jugend ihm anhing; ver⸗ 
ftanden hat jeine Zeit ihn in dieſem Punkte gewiß nicht, ſchon deß⸗ 
halb nicht, weil fie noch in Haß und Winerfpruch befangen ift und 
das Evangelium der Liebe noch nicht kennt. Aber die Zukunft 
wird e8 fennen und dieſe wird dann auch in Mar Waldau bei 
all feiner fchriftftellerifchen Zerfahrenheit doch den Borlänfer 
ihrer größten und edelften Beitrebungen erblidien und wirb feinen 
Namen dafür ſtets mit ver Achtung und Theilnahme nennen, 


Mar Waldau. 123 


die Jedem gebührt, der im Dienfte der Zukunft kämpft, leivet 
und irrt. — 

Endlich it Mar Waldau auch noch in einem anderen, mehr 
äußerlichen Sinne der eigentliche Dichter ver Gegenwart: nämlich 
infofern ſeine ganze fchriftitellerifche Wirkſamkeit, nah Anfang und 
Ende, in die kurze Spanne Zeit fallt, mit ber wir uns bier be- 
ſchäftigen. Allerdings hatte er bereit im Jahre 1847 als Heidel⸗ 
berger Student mit fnapp zwanzig Jahren „Ein Elfenmärden‘‘ 
veröffentlicht: daſſelbe war jedoch fputrlos vorübergegangen und auch 
bie „Blätter im Winde,” fowie die „Canzonen,“ tie er im nächſt⸗ 
folgenven Jahre erjcheinen hieß, vermochten nicht, ſich durch ven 
politiihen Lärm, der damals die Welt erfüllte, hindurchzuarbeiten. 
Erſt ver fhon vorhin erwähnten Canzone „O dieſe Zeit!” gelang 
es, ſich ein allgemeines Gehör zu verſchaffen; fie erfchien zu An- 
fang des Jahres 1850, alfo zu einer Zeit allgemeinfter Abſpannung 
und Ernüchterung, wo wir unſere liebften Hoffnungen ſchon längft 
zu Grabe getragen hatten, ja wo viele. von uns bereits ein leifer 
Zweifel beſchlich, ob es nicht vernünftiger fer, die Todten tobt fein 
zu laſſen und mit ven Lebenden, wie fie auch fein mochten, zu jubeln 
und zu genießen -. 

Diefem Gefühl ber beginnenden Selbſtoerachtung ‚einem Ge— 
fühl, das dann im Lauf der nächſten Jahre immer weiter um ſich 
greifen und auf die Geſchicke unſerer Nation den verhängnißvollſien 
Einfluß üben folte, gab Mar Waldau in dem genannten Gedichte 
einen -ebenfo energijchen wie poetiich erhabenen Ausprud. Das 
waren nicht mehr die Siegesfanfaren, mit denen die polittfche Lyrik 
der vierziger Jahre daherzog: die ernften, langgezogenen Klagetöne 
waren das, mit denen die Nation ihre eigenen Hoffnungen beftattete, 
e8 war ber mit Erbitterung und Scham gemifchte Schmerz eines 
Bolfes, das im. Begriff ſtand, fich felber aufzugeben. Das Gedicht 


14 Der Roman. 


‘war, wie gejagt, das Erfte, womit Mar Waldan beim Publicım 
wirklich durchdrang, ift aber, nach unjerem Dafürhalten wenigſtens, 
auch das Befte und Schönfte geblieben, was er überhaupt geleiftet; 
nie wieder hat fein ganzes, der Zerſplitterung nur allzugeneigtes 
Weſen fi) jo concentrirt und auch in der Form hat-r nie wieder 
viefelbe Vollendung erreicht, wie in dieſem Gedichte, an das daher 
auch, glauben wir, das Gedächtniß feines Namens in Ipäterer Zeit 
vorzüglich geknüpft ſein wird. 

Inzwiſchen konnte ein Dichter von ſo reichen Anlagen und 
von einer ſolchen Univerjalität-ver Bildung und der Intereſſen na= 
türlich nicht lange auf dem verhältnißmäßig engen und befchränften 
Gebiete der Iyrifhen Dichtung ausdauern; er bedurfte einer brei- 
teren Bühne und eines umfaffenveren Rahmens, und fo ließ er denn 
ſchon in demſelben Jahre, in welchem bie eben beiprochene Canzone 
erichienen war, and) ven breibändigen Roman „Aus der Natur“ 
ans Licht treten, dem wenige Monate fpäter der Roman „Aus der 
Junkerwelt“ folgte. Ueberhaupt ift auch dies charafteriftifch für 
unfern Dichter und zeigt wiederum, weld ein ächtes Kind feiner 
Zeit er war, daß er in den wenigen Jahren, bie ihm zu wirken 
vergönnt und die nach der gewöhnlichen Annahme faum ausreichen 
dürften, ein einziges poetifches Werk von Bedeutung zur Reife zu 
bringen, ſich der Reihe nad) in ſämmtlichen poetifchen Gattungen 
verfucht hat, im Inrifchen wie im erzählenden Gedichte, im Roman 
wie in ver Novelle, im ernften wie im fomifchen Fache; ſelbſt in 
das Gebiet des Dramas ift er hinfbergeftweift, wenn auch nur ale 
Ueberſetzer von Silvio Pellico’8 „Francesca da Rimini” — nit 
zu rechnen die zahlreichen Kritiken und fonftigen Abhandlungen über 
äfthetifche und Titerarifche Angelegenheiten, vie er in verfchtedenen 
Zagesblättern veröffentlichte. 

Den meiſten Beifall bei ven Zeitgenoſſen erntete der Roman 





Mar Waldau. | 125 


„Aus ver Ratur;“ bereits nad) Jahresfriſt wurbe eine zweite Auf- 
Iage davon nöthig, was Damals, wo man nod) nicht die fieben oder 
acht Auflagen von „Sol und Haben‘ kannte, noch für eine befon- 
vere Auszeichnung galt. Aber freilich traf das Buch mit feiner 
kalten, zerjegenden Ironie, feiner unerbittlichen Durchgrübelung 
aller Lebensverhältniſſe und Beziehungen, der es bei alledem doch 
auch wieder nicht an einer gewiſſen jugendlichen Kechheit, einem ge⸗ 
wiſſen idealiſtiſchen Aufſchwung mangelte — das Buch, ſage ich, 
grade in dieſer feiner widerſpruchsvollen Miſchung, traf das ent⸗ 
nüchterte, mit ſich ſelbſt zerfallene Publicum wie ein erquickender 
Mairegen. Man kam ſich ſelbſt fo geiſtlos und verkommen vor- 
und nun Gottlob, hier war ein Buch, das von Geiſt wahrhaft 
ſtrotzte und Jedem, welcher Richtung er auch angehörte und zu 
welcher Partei er ſich auch bekannte, etwas zu denken und nachzu— 
grübeln gab. “Die Zeit hatte uns eben erft fo graufame Wunden 
geichlagen, fo viele Hoffnungen waren hinweggemäht worven für 
ewig und nun ſahen wir, Daß auch zwifchen dieſen Gräbern die Blume 
des Humors noch fo luſtig fproffen konnte; wir waren alle fo müd 
und abgelebt und hatten den Glauben an die Zukunft fo gründlich 
verloren und bier nun kommt der Poet und deutet unter Lachen 
und Thränen hinüber auf jenes Reich des Geiſtes, das ewig uner- 
ſchüttert fortbefteht und dem auch wir uns, troß aller Irrthümer 
und Fehlgriffe, mit jedem Augenblid mehr nähern. 

Diefe culturhiftorifche Seite dünkt und in der That die be= 
beutenpfte des Werks. Als eigentlihen Roman fünnen wir es nicht 
beſonders hoch anfchlagen, im Gegentheil, wir erbliden darin ein 
Wiederanknüpfen an faljche, längft überwundene Manieren, wie 
namentlich in dem Jean Paulifirenden Ton, und fomit einen Rück⸗ 
ſchritt hinter Dasjenige, was fchon vor Mar Waldau auf vem Ge- 
biete des deutſchen Romans geleiftet war. Die Babel ift dürftig, 





126 | Der Roman. 


zumal im Berhältniß zu dev außerorbentlidh breiten Ausführung, 
und entbehrt der Dramatifchen Spannung; es gefchieht in dem Ro- 
man überhaupt zu wenig und wird zu viel und über zu viel ge 
ſprochen. Diefe Gefpräche und Reflerionen find großentheils fehr 
“ geiftreich, fie ftehen im innigften Zuſammenhange mit ven Intereflen 
der Gegenwart und haben zu dem feltenen Erfolge, den das Bud 
beim Publicum erlangte, ohne Zmeifel das Meifte beigetragen. 
Allein wenn auch zugeftanden werben muß, baß der Roman, ver- 
möge feiner Ioderen Kunftform, in dieſem Punkt eine größere Frei⸗ 
heit verftattet al3 irgend eine andere poetische Gattung, fo darf 
doch auch dieſe Freiheit nicht übertrieben, fie Darf namentlich nicht 
bahin ausgebehnt werben, daß barüber | der Roman als folder 
völlig verloren geht. 


Und dies ıft bei Mar Waldau's „Aus der Natur” an vielen 
Stellen, ja an den meiften der Fall. Der Roman fo gut wie das 
Drama foll eine Handlung enthalten, hier aber haben wir wefent- 
lich nür Betrachtungen und Geſpräche und Geſpräche und Betrach— 
tungen; bie Figuren des Buchs interefficen uns weit weniger durch 
das, was fie tyun — obwol auch dies zum Theil wunberlich genug 
ift und eine nicht unbeträchtliche Beimifchung jungveuticher An— 
Schauungen und Tendenzen verräth — als durd das, was fie 
ſprechen; fie fprechen, wir wiederholen es, meiftentheils ſehr jchön, 
jehr geiftreich, jehr elegant — aber ein Roman ift eben fein Ge— 
ſpräch und was nützt dem hungrigen Magen die pifantefte Brühe, 
wenn e8 an Fleiſch oder anderer gefunder Nahrung mangelt?! 


Daß unter diefen Umftänden von’ einer ſcharfen und confe 
quenten Charakteriftif nicht die Rede fein kann, liegt auf der Hand. 
Allerdings find die Charaktere zum Theil fehr fein und geiftreich 
angelegt, aber befto mangelhafter ift die Ausführung. &8- fehlt 








Mar Waldau. 127 


das eigentliche plaſtiſche Element, ver Dichter, in feinem jugend» 
„ lichen Ungeftüm, verfteht es noch nicht, Die Gebilde feiner Phantafie 
vollſtändig von ſich abzulöfen und-fie zu eigenem Dafein frei hin⸗ 
zuftellen ; er zerftört noch fortwährend jelbft Die Illuſion, indem er 
hinter feinen Figuren bervortritt wie ein ungefchidter Puppen⸗ 
fpieler, dem vie Fäden in Unordnung gerathen find. In ven meiften 
Fällen fprechen die Perfonen dieſes Romans nicht das was, noch 
fo wie fie nad, ihrer Eigenthiämlichleit und den Umſtäuden, in denen 
fie füch befinden, denken und- fprechen müßten, ſondern Aberall ift 
es der Poet ſelbſt, ver ſehr geiftreiche, über Alles reflectivende, mit 
Allen fertige Poet, der ihnen die Worte in ben Mund legt. Das 
giebt denn, bei aller Mannigfaltigfeit der Gegenftände und allem 
Wechſel ver Stanppunkte, doch ſchließlich eine Einfürmigleit, bei 
der eine wahrhafte Charakteriſtik nicht beftehen fan. - 

Eine Ausnahme hiervon wie überhaupt von allem, was wir 
bisher an dem berühmten Romane auszufegen hatten, bilden nur 
die oberſchleſiſchen Dorfgefchichten, vie urſprünglich im pritten Bande 
enthalten waren und bie ver Dichter dann bei Gelegenheit ver zwei- 
ten Auflage in. den zweiten Band verpflanzte. Schon diefer 
äußerliche Umftand zeigt freilich, in welchem loderen Zuſammen⸗ 
hauge dieſe Geſchichten mit dem Roman als foldhem ftehen umd wie 
wenig hier von jener ftrengen organifchen Gliederung zu finden ift, 
deren fein ächtes Kunſiwerk entbehren kann. Allein davon abge 
fehen, find die Geſchichten felbft köſtlich; da ift Alles, was wir in 
dem Romane felbft vermiffen oder doch nicht in genügenvem Maße 
finden: eine fpannenve Fabel, geſchickte Vertheilung des Stoffs, 
Knappheit ver Darftellung, Plaſtik ver Schilverungen, endlich eine 
fcharfe und glückliche Charakteriftif, vie ſich namentlich in einigen 
untergeordneten Figuren zur größten Unmittelbarfeit und Leben⸗ 
digkeit ſteigert. Man flieht an viefen Heinen Erzählungen jo recht, 


128 Der Roman. 


was ber Dichter hätte leiften Tönnen, wäre es ihm möglich gewor⸗ 
ben, fih mehr zu concentriren und Kleinere Stoffe mit größerer 
Sorgfalt zu behandeln; wir nehmen einen Anftand, viefe gelegent- 
lichen Einfchiebjel, mit denen ver Verfaſſer feldft nicht recht wußte 
wohin, mit unter das Befte zu zählen, was wir auf dem. Gebiete 
ber Dorfgeſchichte befigen, ja als komiſche Dorfgefchihten, in Räd- 
ficht auf ihre überwiegend humoriftifche oder wenn man will iro⸗ 
nijche Haltung, dürften fie grabezu einzig daſtehen. 

Der Roman „Aus ver Innkerwelt“ bietet feine Beran- 
laſſung, läuger bei ihm zu verweilen; er zeigt. ven ‘Dichter vom 
feiner neuen Seite und nur feine Schwächen und Einfeitigfeiten 
fäßt er noch fühlbarer herportveten, als es fchon in feinem Erft- 
lingsromane gefchehen war. Der Zufammenhang ber Fabel ift hier 
nod) loderer, die Charakteriftif noch farblofer, der Faden ver Er- 
zählung wird noch häufiger und noch geflifientficher durch allerhand 
Excurſe und Einlagen unterbrochen, die noch länger find umd in 
penengper Dichter das Stedenpferb feiner Reflexionen noch willlür⸗ 
licher und maßloſer tummelt, als in dem Buche „Aus. der Natur.“ 
— Auch blieb die Aufnahme von Seiten des Bublicums bei Weiten 
zurück hinter derjenigen, welche fein erfter Roman gefunden; ja ver 
Verfaſſer jelbft — was ihm natürlich nur zum Lobe gereichen kann 
— ſchien einigermaßen irre zu werben an ber Manier, die er in 
dieſen beiden Werfen befolgt hatte und die denn allerdings, eben 
weil fie Manier war, nicht allzuoft wiederholt werben durfte. We- 
nigftens bat er, troß feiner ungemeinen Fruchtbarkeit und wiewol 
Keflerionen und Excurfe dieſer Art ihm jenen Augenblid zu Gebote 
ſtanden, doch nichts mehr in diefem Gere geſchrieben; eine Reihe 
von Auffätzen „Ans der Reifemappe,” in denen berjelbe Ton noch 
fortgefett warb, blieb ſogar unvollendet liegen, während der Dichter 
fi mit größten Eifer jenem hiftorifchen Romane zumandte, vefien 








Mar Waldan.- 2 129 


wir bereitd gedachten und ber denn feiber auch en bloßes Fragment 
geblieben iſt. 

Auch Aber Max Wala 8 erghenbe Dichtangen können wir 
und furz fafſen, da ſie wenig eigenthümlichen Werth beſigen und 
wel nur im Augenblick des Erſcheinens durch den Namen ihres 
Verfaſſers getragen wurden. In ber „Cordula. Eine graubünd⸗ 
ner Sage“ (1851) verherrlicht er den Heldenſinn ver Schweizer 


Banern im Rampfe gegen den Uebermuth und pie Gewaltthätigleit 


ihrer ritterlichen Unterdrüder. Es ift eine Art Dorfjgeſchichte in 
Berfen mit kriegeriſchem Hintergrund; die Gegenfäge des üppigen, 
ſittenloſen Riſterſtandes und ber biedern, unſchuldigen Bauern 


werden in etwas greller Färbung ſchroff gegeneinander geſtellt, 


während doch grade die Verbrauchtheit dieſer Gegenſätze eine etwas 
maßvollere und vorſichtigere Behandlung rathſam gemacht hätte. 
— Daſſelbe gilt ven der Fabel des Gedichts, bie in ihren Grund⸗ 
zügen ebenfalls ein wenig verbraucht iſt, imo and) in ver Ausführung 
hat e8 der Dichter nicht verſtanden, ihr. weſentlich neue Seiten ab» 
zugeroinnen. Die Sprache iſt von fehr ungleicher Beſchaffenheit; 
während einzelne Stellen von ächtem Igrifhen Schwunge und mahr- 
haft dichteriſchem Wohllaut erfüllt find, keuchen andere gleichſam 
und ſtammeln unter der ſchweren Wucht der Reflexion, die vergeb⸗ 
lich Bilder auf Bilder häuft, ihren profaifchen Urſprung dahinter 
zu verſtecken. Insbeſondere gilt dies von den laudſchaftlichen 
Schilderungen, die zwar zu ihrer Zeit von ber Tageskritik fehr ge⸗ 
priefen wurden, bie aber.und, offen geftanben, immer nır ziemlich 
ſchwülſtig und ſchwerfällig erſchienen find. Ueberhaupt hat es nus 
von jeher Wunder genommen amd gehört wol mit zu den Wider⸗ 
ſpruchen, an denen bie Erſcheinung dieſes Dichters fo. veich ift, wie 
er es über fein poetiſches Gewiſſen bringen kounte, zu einem Gebicht 
von dieſem Inhalt und Umfang ein fo ungefchidtes und unmnfite⸗ 


Brup, die deutſche Literatur der Gegenwart. II. 








130 Der Roman. 


liſches Metrum zu nehmen; ‚wie biefer Rnittelverg ;-in welchem die 
„Cordula“, abgefaßt ift. . Einigermaßen erklärt fich dies allerdings 
wol ans der übermäßigen Haft, mit welcher der Dichter arbeitete 
und in Folge deren er ſich⸗denn auch genöthigt jah, bei vorfommer 
ben ‚weiten Auflagen die weitgreifenpften Veränderungen und Um- 
ftellungen mit feinen Schriften vorzunehmen; auch die „Cordula,“ 
von ber 1854 eine zweite Auflage erfihien, hat dieſe nachbeſſerude 
Hand des Dichter$ erfahren, doch ohne dabei wefentlich zu gewinmen. 

Auch die „Rahab,“ die zu Ende des ebengenannten Jahres, 
alſo wenige Wochen. vor dem Tode des Dichters erjchien, war ein 
folcher erfter Wurf und e8 hat uns häufig als ein pfychologiſches 
Problem beſchäftigt, was ver Dichter mit diefem Werke wol ange- 
fangen und wie er e8 umgeftaltet hätte, falls e8 ihm vergönnt ge⸗ 
wefen wäre, das Erfcheinen des Gedichts längere Zeit hindurch zu 
überleben und es mit kühleren Blicken zu betrachten, als es dem 
Dichter im Augenblid des’ Schaffens zu thun möglich iſt. Wir 
hoffen, er hätte e8 aus der Zahl feiner Werke ganz ausgeftrichen. 
Denn jo viel Schönes, ja Großartiges es auch im Einzelnen enthäft, 
fo iſt das Ganze doch von der widerwärtigſten Beſchaffenheit, in- 
bem darin eine an fich unwahre and unnatürliche Situation, under 
kümmert um das fittliche und äfthetifche Gefühl des Leſers, mit 
wahrhaft raffinixter Breite bis in das Heinfte Detail ausgemalt 
wird. Die Heldin bes Gedichts ift Die Rahab ver Bibel, vie 
„Hure von Sichem,“ die, um Rache zu nehmen für die Erniedrigung, 
in welche fie gerathen, ihre Vaterſtadt und ihre Mitbürger in die 
Hand des Feindes Liefert. Mit graufamer Luſternheit fpärt der 
Dichter allen geheimften Irrgängen dieſer zerrütteten Weiberfeele 
nad und es ift nicht zu leugnen,‘ daß er dabei manches eigenthäm- 
liche und überrafchente Motiv aufdeckt. Allein die ganze Aufgabe, 
bie er ſich hier geftellt hat, bleibt bei allenem doch eine höchſt un⸗ 





Mar Waldau. 131 


natürliche und widerwärtig. Gewiß foll pie Poeſie vor feinem 
Elend zurädbeben, auch vor feinem fittlichen; auch auf das ſchmerz⸗ 
bevedte Haupt des Verbrechers ſoll fie ihre fühnende Hand noch 
legen und den Punkt aufdecken, wo auch er noch mit ber Menſch⸗ 
heit verwandt ift. Allein ein Weib wie biefe „Hure von Sichem“ 
zur Heldin eines Gebicht8 zu machen, fie, von ver wir weiter nichts 
wiffen als den dürftigen Bericht ver Bibel und die und daher auch 
nicht im Mindeſten intereffiren kann, weder in biftorifcher, noch in 
allgemein menfchlicher Hinficht, zum Gegenſtand einer tieffinnigen 
pſychologiſchen Erörterung — ja was fage ih? zur Märtyrerin zu 
erheben, in deren Schidjal wir die Kämpfe und Leiden unferer Tage 
ſymboliſch abgefpiegelt fehen follen: das fchmedt denn doch ſtark 
nach Hebbel’icher Geſchmacksverirrung und läßt uns in der „Rahab“ 
nur das übereilte Product einer ſchwachen Stunde fehen, wie fie ja 
auch bie größten und geiftoollften Dichter zuweilen haben. 

Und fo find es denn überhaupt nur Fragmente und Anläufe, nur 
Berfuche und erfte, oft allzurafche Witrfe, was und von vem Dichter 
übrig geblieben ift; feine feltene Begabung gleihmäßig auszubilden 
und bie Fülle ſeiner Anſchauungen und Intentionen in einem großen 
und ſorgſam gereiften Werke nieverzulegen, wurde der faum Dreißig⸗ 
jährige durch den Tod verhindert. Ein bösartiges Nervenfieber 
entriß ihn feiner Familie, feinen Freunden und feinen meitreichen- 
ven literariſchen Plänen im Januar 1855. Mar Waldau gehört 
fomit zu jenen Frühverftorbenen, an denen unfere Literatur fo reich 
ift und die namentlich den jevesmaligen Eintritt eines neuen litera- 
rifhen und focialen Princips bei uns mit einer gewiflen Regel: 
mäßigfeit begleiten — wie ja auch von dem blühenden Baum 
unzählige Blüten welf und todt hernieberflattern müſſen, bamit 
einige wenige zu gefunden Früchten reifen. Aber wie die melfen 
Blüten den Fuß des Baumes beveden und fih mit. dem Erdreich 


9* 


132 


Der Roman. 


vermifchen,, aus dem: er feine Nahrung zieht, jo geht auch ein Etwas 
von ihnen in ven Baum felbft über und noch aus dem ‘Duft ver 
ſchwellenden Frucht weht uns ein leifes Erinnern an jene frühge- 
fallenen Blüte an. Se wird aud Mar Waldau, mit jeinem 
reinen, Schönen Streben, feinem fühnen Denken, feiner warmen 
und innigen Empfindung, in der künftigen Entwidelung unferer 
Literatur wieder aufleben, und glüdlichere, wenn auch nicht reicher: 
begabte Talente, denen das Schickſal eine längere Lebenspaner 
gewährt, werben zu Ende führen, wonad er rang und wofür 


er lebte. 


Das ift fürwahr ein neivenswerthes Loos, 
Gleichwie vom Blitz, dem heiligen, erfchlagen, 
In voller Kraft, in friſcher Jugend Tagen, 
Hinabzuſteigen in der Erde Schoos! 


Kühn war ſein Muth und ſeine Hoffnung groß; 
Vom Arm Der Muſe früh emporgetragen, 


Die Bruſt geſchwellt von jugendlichem Wagen, 


Sah er des Lebens licht're Hälfte blos. 


Drum nicht um ihn, nur um euch ſelber klagt, 
Die ihr, geſchreckt vom nahenden Verderben, 
Gleich Sklaven noch am Joch des Lebens tragt! 


's iſt Schickſalsſpruch, die Guten müſſen ſterben; 


Wer bleibt zurück, ihm unſern Schmerz, o ſagt, 
Und mit dem Schmerz die Rache zu vererben? 





4, 
wilibald Aleris und Fevin Sgüin. 


Einen Intereffanten Gegenfag zu Mar Waldau bilden die 
beiden Schriftſteller, deren Namen wir dieſem Abſchnitte vorgeſetzt 
haben. "Wie jener unftät und ruhelos, nad) allen Seiten hin ſeine 
Fäden anfnüpfend und in alle Gebiete des Wiffens und Denkens 
hinüberſchweifend, ſo ſind dieſe feſt in ſich abgeſchloſſen, beſchränkt 
auf ein kleines Terrain, aber dies mit vollkommener Meiſterſchaft 
beherrſchend. Ueberwiegt bei Mar Waldau die Reflexion, fo zeich— 
nen Wilibald Alexis und Levin Schücking ſich vor allem durch ihren 
geſunden Realismus, die Anſchaulichkeit, Wahrheit und Treue ihrer 
Schilderungen aus. Verdeckt in den Waldau'ſchen Remanen der 
Dichter mit feinen perſönlichen Anſichten und Tendenzen nicht ſelten 
ſein eigenes Kunſtwerk, fo haben wir an ven beiden anderen haupt⸗ 
ſächlich diefe in Deutſchland feltene Objectivität zu refpectiren, die 
fie ihren Figuren und Situationen zu geben willen. Imponirt 
Mar Waldau durch die Mannigfaltigfeit der Interefien und- die 
Univerfalität feiner Bildung, fo bemegen dieſe dagegen fi) in ven 
engften Schranken und werben es nicht mie, einem verhältniß- 
mäßig armen und einförmigen Stoffe immer neue Seiten abzuge- 
winmen. Der Dichter des Romans „Aus der Natur‘ ift Kosmo- 
polit, das ganze unermefliche Reidy des Geiftes ift feine Heimath; 
Lenin Schücking dagegen und Wilibald Aleris wurzeln feft in dem 


134 | Der Roman. 


Boden der Provinz, in der fie geboren, unter den. Menfchen, in 
deren Mitte fie aufgemachfen find, oder doch wenigftens unter ben 
Erinnerungen, welche ihnen von dieſen vererbt wurden. Mar 
Waldau's Romane find überhaupt fehwer zu Haffificiren; wollte 
und müßte man fie überhaupt einer ver herfümmlichen Gattungen 
einverleiben, jo würde man fie vielleicht am paſſendſten als fenti- 
mental pbilofophifche bezeichnen, etwa in der Weife der Klinger- 
ſchen und Jean Paul'ſchen Romane, welche legtere er ſich ja deutlich 
genug zum Vorbild genommen hatte. Dagegen kann über das 
Geld, welches Wilibald Aleris und Lenin Schäding anbauen, gar 
fein Zmeifel obwalten: fie ſchreiben hiſtoriſche Romane und ihr 
Mufter und Vorbild ift Walter Scott. 


Am meiften gilt dies von Wilibald Alerıs, den man daher 
auch nicht mit Unrecht den märfifchen Walter Scott genannt hat. 
Wilibald Aleris iſt nicht nur einer unſerer beliebteſten, ſondern auch 
unſerer fruchtbarſten Schriftſteller. 1798 zu Breslau aus einer 
franzöſiſchen Refugiéfamilie geboren, aber ſchon frühzeitig nach 
Berlin zurückverſetzt, trat er zuerſt im Jahre 1822 mit dem Roman 
„Waladmor“ auf: eine Nachahmung Walter Scott's, die jo ge— 
- {ungen war und ihrem Vorbilve fo nahe kam, daß ber Dichter es 
wagen durfte, ſie unter Walter Scott's eigenem Namen erſcheinen 
zu laſſen, ohne daß dieſe verwegene Myſtification, da ſie endlich 
entvedt warb, ihm zur Unehre gereicht oder feinem literariſchen 
Rufe Abbruch gethan hätte. 


Im Gegentheil lenkte das gelungene Bagflid bie allgemeine 
Aufmerffamfeit auf ven jungen Dichter und weckte bie beiten Hoff- 
nungen füt feine Zukunft. Dennoch machte ein zweiter Roman 
in bemfelben Geſchmack, „Schloß Avalon,’ ven er 1827 folgen ließ, 
nicht daſſelbe Glück, und ebenſowenig vermochten feine Berfuche, die 





- 


Wilibald Alerie und Lenin Schüding. 135 


philoſophiſchen und focialen Kämpfe jeiner Zeit in romantiſchem Ge⸗ 
wande abzufchilvern, fih in der Gunft des größeren Publicums 
feftzufegen. Dieſe Verfuche, bei denen wir hauptfächlic an Werke, 
wie „Das Haus Düſterweg,“ die „Zwölf Nächte,” fowie Die Mehr- 
zahl feiner Hleineren Novellen denken, erjchienen im Lauf ber vrei- 
Biger Jahre; die „Zwölf Nächte,” ſoviel uns befannt das lekte 
Werk diefer Richtung, datirt aus vem Jahre 1838. 

Denn während ver Dichter noch fo mit der Kaltfinnigfeit des 
Publicums rang und vergebene nad) einem Wege fuchte, ber ihn 
zum Herzen feines Volfes führte, hatte er, ohne es ſelbſt vecht zu 
wiſſen, geleitet hauptſächlich durch Die Traditionen feiner Jugend 
und feinen glücklichen Inftinct, ſchon beinahe zehn Jahre zuvor fich 
eine Bahn eröffnet, die, jo unfcheinbar fie anfangs auch war, ihn 
Dennoch in ihrem Vortgang zu einem der gelefenften und beliebteften 
Dichter der Gegenwart machen follte.e Mit den unmittelbaren 
Nachahmungen des Walter Scott ging e8 nicht mehr; wie jeder 
Wis, hatte aud) ver Wit diefer Moftification nur einmal gezündet 
und dann nicht wieder. Aber wolan, ftatt zu Walter Scott in 
die Nebel von Alt-England auszumandern, verfegen wir Walter 
Seott felbft nad) Deutichland, ftatt immer nur feine Sprache müh- 
ſam nachzuſtammeln, nöthigen wir ihn, unfere eigene Sprache zu 
reden! Sollten die Zanber diefer Walter Scott'ſchen Romantik 
wirklich nucan die jchottifchen Berge und. Thäler gebunden jein ? 
Walten diejelben Zauber nicht auch über ven Fichtenwäldern der 
Mar? Sind fie nicht auch überhaupt an allen Orten,: wo nur 
das there Wort „Vaterland“ ein Echo findet? Und wenn deutjche 
Lefer ſich für den Hof der jungfräulichen Königin Elifabeth und 
für ‚die Gefahren und Abenteuer des Prätendenten zu interefliven 
vermögen, wie noch ganz anders müßte e8 auf fie wirken, wenn 
ber deutſche Roman es wagte, vie Heldengeſtalt Friedrich's des 


136 Der Roman. 


Großen in dem Donner feiner Schlachten, umgeben von feinen 
treuen Soldaten, dem Auge des Leſers vorzuführen?1 


& entftanb ber vaterlänpifche Roman „Cabanis,“ der 
1832 in ſechs Bänden ans Licht trat. Auch „Cabanis“ fand 
* anfangs nicht bie Theilnahme, auf welche der Dichter gerechnet 
hatte und die er in ſo hohem Grade verdiente; mehr denn zwanzig 
Jahre haben vergehen müſſen, bevor das ausgezeichnete Werk in 
ſeinem vollen Werthe anerkannt ward, und zwar nicht bloß von 
Seiten der Kritik, die in Bewunderung deſſelben von Anfang an 
ziemlich einftimmig war, ſondern auch von Seiten des Publicums, 
das erft allmälig, wie der hiſtoriſche Sinn und das patriotiſche Be— 
wußtſein der Nation ſich mehr und mehr entwickelte, zu der Einſicht 
gelangte, welchen Schatz unſere Literatur in dieſem Werke eigentlich 
beſitzt. In der That ſteht „Cabanis“ noch jetzt unübertroffen da; 
nicht nur fein anderer deutſcher Romandichter, ſondern auch Wili- 
bald Alexis felbft ift dem Ideal des hiftorifchen Romans nie wieder 
jo nahe gefommen, wie in viefem Werke, ober doch wenigftens in 
ben erften Bänden vefjelben, vie ſich unbedenklich dem Beten an— 
reihen, was auf dieſem Gebiete überhaupt eriftirt. 


Vielleicht war e8 nicht die Schuld des Dichters, daß er nicht 
ohne Aufenthalt auf dem eingefchlagenen Wege fortging. Die Zeit 
verhältwiffe waren dem vaterländifchen Romane damals nicht 
günftig, am wenigften dem mobernen; e8 war die Blütezeit der 
Cenſur und der politifchen Maßregelungen und Wilibald Aleris 
jelbft hatte bereits erfahren müſſen, wie leichtverleglid) die Haut 
der Damaligen Olympier war. Wenn er fi) daher zu Ende der 
breißiger Jahre auch dem vaterländifchen Roman wieder zumanbte, 
dem er. von da an unverbrüchlich treu geblieben ift, fo 308 er es 
doch vor, rüdwärts in die Jahrhunderte zu greifen und feine Stoffe 


“ 








Wilibald Alexis und Leon Schüding. 137 


dem politifch unverfänglichen und unanftößigen Deittelalter und 
feinen bärgerlihen und ritterlichen Fehden zu entnehmen. 

In diefer Art erfchtenen der Weihe nach „Der Roland von 
Berlin” (1840), „Der falſche Waldemar” (1842), „Hans Jürgen 
und Hans Jochen“ (1846) und „Der Wärmolf“ (1848), Iettere 
beide auch unter dem baroden Gefammttitel „Die Hoſen res Herrn 
von Bredow’': Werke, bie zum Theil unter der Entlegenheit und 
Schwerfälligfeit des Stoffes leiden — denn auf bie Dauer hält 
es allerdings fchwer, fich für diefe märfifchen Raubritter und ihre 
Gewaltthätigkeiten zu intereſſiren — die aber in Betreff ver Aus- 
führung ſich ebenfofehr durch die Genauigkeit und Sauberkeit der 
Zeichnung; wie durch die Treue des Localtons auszeichnen. Sa 
gewiß, Wilibald- Mleris iſt der eigentliche-Dichter der Mark; ver 
anfcheinend fo dürre, fo einfürmige Boden diefer yon der Natur 
nicht eben verſchwenderiſch behandelten Landſchaft gewinnt ante 
ben Händen dieſes Dichters ein wunderſames poetifches Leben, wir 
fehen die dürre Heide fich unermeßlich dehnen, wir athmen ven 
Duft diefer Kieferwaldungen und hören den ſchweren Flügelfchlag 
des Reiherg, ber über bie ſchilfbewachſene Fläche des Sees bahin- 
ſchwebt. | 

Und nicht bloß die Natur der Mark weiß Wilibald Aleris in 
unübertrefflichen Landſchaftsbildern zu ſchildern, fondern auch bie 
Eigenthimlichkeit ihrer Bewohner, in alter wie in neuer Zeit, hat 
er .mit Sorgfalt und Liebe ſtudirt und giebt fle wieder mit einer 
"Sicherheit ver Linien und einer Treue und Wärme ber Färbung, 
wie fie bei unſern deutſchen Romanſchreibern, die durchſchnittlich 
im Reiche ver Phantafie beffer zu Haufe find, als in der Wirklich- 
feit, nur höchft felten gefunden wird; mit derſelben Naturtreue, mit 
ber er uns bie alten knorxigen Fichtenſtämme abſchildert, ſchildert 
er auch die eigenſinnigen, knorrigen Gemüther, die unter dieſen 


138 Der Roman. 


Bäumen ‚groß geworben find und Die, was ihnen an Schwung 
ver Empfindung und Glan; der Phantafie abgeht, durch bie 
Energie ihres Wollens und bie Tüctigfeit ihres ſitilichen Charak⸗ 
ters erſetzen. 

Seit Anfang der funfziger Jahre iſt Wilibald Alexis nun in 
ein neues Stadium ſeiner poetiſchen Entwickelung eingetreten oder 
vielmehr er iſt zurückgekehrt auf den Weg, den er ſchon im „Caba⸗ 
nis“ mit ſo glänzendem Erfolge eingeſchlagen hatte. Durch die 
Ereigniſſe des Jahres Achtundvierzig, die man denn doch nicht 
ganz und überall ungeſchehen machen konnte, von den Rüdfichten 
befreit, die feiner Mufe in ver Wahl ihrer Stoffe bis dahin aufer- 
legt waren, vertaufchte er das Mittelalter und feine nach grave 
etwas voflig geworbene Romantif mit dem frifchen vollen Leben 
ber Gegenwart, indem er fortan Romane fchrieb, die eben fo fehr 
die patriofifchen Erinnerungen wie die unmittelbaren, lebendigen 
politiihen Sympathien feiner Zeitgenoffen in Anſpruch nahmen. 

Es fommen bier befonders drei größere Werke in Betracht, 
von denen namentlich die beiden erftern ſowohl der Tendenz wie dem 
Inhalte nach im innigften Zufammenhange fiehen: pas ift der fünf⸗ 
bändige Roman „Ruhe ift die erfte Bürgerpflicht oder Vor fünfzig 
Jahren” (1852) und „Iſegrimm. Ein vaterländifcher Roman.” 
(Drei Bände,.1854), wozu fih dann gleichjam als. Epilog ber 
gleichfalls dreibändige Roman „Dorothe“ (1856) gejellt. In 
ſämmtlichen drei Romanen hat der Dichter ſich das höchſte Ziel ge⸗ 
ſteckt, das dem Romanſchreiber, ja dem Dichter überhaupt ver- 
ſtattet iſt: die Vergangenheit ſoll ihm zum Spiegel der Gegenwart 
werden, nicht bloß unterhalten will er, ſondern auch lehren und 
züchtigen, die Muſe ſoll die Wege weiſen, welche das Vaterland 
zu wandeln hat, um jene Höhe der Macht und des Ruhmes zu er⸗ 
reichen, zu der es, wenigſtens nach der Meinung des Dichters, 





Wilibald Aleris und Lenin Schlicing. 139 


berufen iſt und zu der ſich dann mit Ihm auch das geſanmte übrige 
Deutſchland erheben wird. 

Allein mit der Größe der Aufgabe wachen natürlich auch die 
Schwierigkeiten ver Löſung, und fo darf es ja wol ausgeſprochen 
werben, ohne dem binlänglich bewährten Talent des Verfaſſers und 
feinem wohlerworbenen Ruhme zu nahe zu treten, daß dieſe Werke, 
jo viel Schönes -und Intereſſantes fie auch enthalten, doch ala 
Ganzes den früheren ähnlichen Arbeiten des Verfaflers nachftehen 
und weder bie Forderungen der Kritik, noch das gutereſt des Leſers 
vollſtändig befriedigen. 

Am ſchwächſten iſt grade derjenige Roman, den der Berfaffer 
jelbft offenbar mit der größten Sorgfalt gearbeitet und dem er vie 
eingehendften Studien gewidmet hat: „Ruhe tft die erfte-Bürger- 
pflicht.”- - Das Buch. schildert die preußifchen und namentlich vie 
berliner Zuftände kurz vor und zu ber Zeit der Kataftropbe von 
Jena, alfo gewiß ein intereffanter und dankbarer Stoff. Wenn ver- 
ſelbe hier gleichwol nicht völlig zur Geltung kommt, fo liegt das 
hauptſächlich an der umgehörigen Vermiſchung des poetischen und 
bes hiftorifchen Elements, des Romans und ver Gefchichtjchreibung, 
welche ver Dichter fich bat zu Schulden kommen laſſen. Als Ro- 
man ift das Buch zu geſchichtlich, als Geſchichtswerk zu romantiſch; 
indem ver Berfafler weder als Hiftorifer auf ven poetifchen Schmud 
Berzicht-Teiften, noch als Poet etwas von den reihlichen gejchicht- 
lichen Hilfsmitteln aufgeben wollte, die ihm, Danf feinen Studien, 
zu Gebote ftanven, hat er ſich die Wirkung nach beiden Seiten bin, 
fowohl als Poet wie als Hiftorifer, verfümmert. Das Bud), wir 


wieberholen e8, enthält eine Menge. vortrefflicher Einzelheiten: aber 


auch. die ſchönſten und intereflanteften Einzelheiten, felbft wenn fte 
noch fo dicht gehäuft wären, find doc, niemals im Stande, dem 
Lefer jenes Intereſſe zu erfegen, das er nur an der Einheit 


v 


140 - Der Roman, 


der Handlung: und einer beftimmten hervorragenden Perfönlid- 
feit nimmt. 

Eine ſolche Handlung aber unt eine piche Perſönlichkeit fehlen 
dieſem Roman: oder wenn ſie ihm nicht ganz fehlen, ſo werden ſie doch 
von der Maſſe der Epiſoden und Nebendinge in einem ſolchen Grade 
verdeckt und gleichſam überwuchert, daß fie nicht zu der ihnen ge 
bührenden Wirkung gelangen können. Vielleicht entgegnet man 
uns, der Gedanke des Buchs bilde die Einheit deſſelben. Ganz 
wohl: aber fofern das Buch ein Kunſtwerk und namentlich ein Ro- 
man fein foll, muß biefer Gedanke ſich nothwendig in einer- be- 
flimmten poetifchen Figur und einer beftinnmten einheitlihen Hand⸗ 
lung concentriren. Unſere deutſchen Romane find fonft im ber 
Regel zu luftig, e8 fehlt ihnen an Specialitäten, fie halten fich, in 
idealiſtiſcher Vornehmheit, zu weit erhäben über das Gegenwärtige. 
Hier im Gegentheil find der Specialitäten zu viel, der Roman hat 
ſich aufgelöft in lauter einzelne Genrebilver over noch richtiger ge- 
fagt, in einzelne Hiftorifch - romantifche Scenen, die meift an fidh 
recht hübſch find, aber fein eigentliches lebendiges Verhältniß, feine 


- organifche Beziehung zu einander haben. Wir erſtaünen über die 


Fülle verjchiedenartigfter Figuren, welche der Dichter hier zufam- 
mengeführt hat, wir'erfreuen uns an ver Oenauigfeit ber Zeichnung, 
der Treue des Colorits, der Naturwahrheit und Friſche, melche er 
der Mehrzahl diefer Figuren verliehen Hat — aber wie fommt es 
bei alledem, daß feine davon unfere Aufmerkſamkeit zu feſſeln, feine 
unfer Herz eigeritlich zu erwärmen, ja daß der ganze Roman uns fo 
wenig zu befriedigen im Stande ift? Weil fie uns alle nur den 
Eindrud von Nebenperfonen machen; weil wir uns unwillkürlich 
hinter und zwiſchen ihnen noch nach anderen, bedeutenderen Figuren 
umfehen, die befähigt wären, die Träger des Gedankens zu bilden; 
weil mit einem Worte der ganze Roman wol eine poetifch illuſtrirte 


Wilibald Aleris und Levin Schücking. 141 


Geſchichte, nicht aber, was er Doch ſein ſollte, die Poeſie ver Ge⸗ 
ſchichte ſelbſt iſt. 

Und doch trug die Geſchichte dem Dichter einige höchſt geeignete 
Figuren gleichſam entgegen: die Koönigin Luiſe, der Miniſter Stein, 
ber Prinz Louis Ferdinand — welche Charaktere, welche Schickſale, 
welche Situationen! Bon dem legteren, dem Prinzen, diefem-eigent- 
lihen natürlichen Helden der ganzen Tragödie, hat der Dichter gar 
feinen Gebrauch gemacht, vieleicht weil er fich diefen Stoff durch 
einen befannten. älteren Roman (von Fanny Lewald) vorwegge- 
nommen glaubte; die beiden anderen hat er zwar benußt, aber wie- 
rerum uur als Nebenfiguren. — Endlich ift auch dies fein ganz 
günjtiges Zeichen für die fünftleriiche Einheit des Romans, daß 
fünf ſtarke Bände dem Verfaſſer gleichwol noch nicht. genügt haben, . 
die angejponnenen Fäden zu Ende und den Roman jelbft auch nur 
zum nothoürftigften äußerlichen Abſchluß zu bringen; vie meiften 
diefer. zahlreichen Figuren, vie uns mit jo vieler Sorgfalt geſchil⸗ 
dert wurden, verſchwinden aus unferen Augen, ohne daß wir er: 
fahren, welchen Ausgang ihr Schickſal nimmt und wie bie vielfach 
verjchlungenen Fäden fich ſchließlich entwirren. 

Diefer. letztere Uebelſtand konnte natürlich dem Dichter felbit 
nicht entgehen und jo vertröftete er den Leſer am Schluſſe feines 
Werkes auf eine demnächſt zu liefernde Fortſetzung veflelben, in 
welchem alles, was in dem vorliegenden nur Einleitung und Anfang 
geblieben, zum bölligen Abſchluß gebracht werben follte. 

Diefe Fortjegung erfhien auch wirklich wenige Jahre fpäter; 
es ift ver bereits genannte ‚‚Iegrimm.” Doch find die Fäden, 
welche die beiden Romane verbinden, nur von fehr loderer Beſchaf⸗ 
fenheit:, jo daß wer ven „Iſegrimm“ etwa mit der Erwartung in 
die Hand nimmt, bier nun wirklich den verheißenen Abſchluß zu 
finden, ſich bald fehr enttäufcht jehen wird. . „Iſegrimm“ ift mehr 


142 | Der Roman: 


ein Gegenftüd ale eine Fortfegung feines Vorgängers; wie dort 
der Zufammenfturz des alten Preußens, fo werden bier die Elemente 
gefchildert, aus denen die Möglichkeit feiner Erneuerung fich bildete. 
Es ift noch nicht die blutig prächtige Worgenröthe von Anno Drei- 
zehn, nur erft die Dämmerung, in welcher Tag und Nacht, alte 
Schmach und neuer Ruhm nod mit einander int Streite Tiegen. 
Doch ahnen wir bereitS das hereinbredhende Licht; wo felbft ein 
fo Inorriger, "fo widerhaariger Charakter, wie diefer alte Herr von 
Dnarbig, der neuen Zeit zum Werkzeug dienen muß, felbft gegen 
feinen eigenen Willen, da kann der Sieg der guten Sache unmög- 
lich mehr lange ansbleiben. Alles Talent und felbft aller Enthu- 
ſiasmus iſt unfruchtbar, fo fange ihm ver Boden eines gefunden, 
räftigen Volkslebens mangelt; viefe Volksnatur, in ihrer dämo⸗ 
nifchen Urfprünglichkeit, fchilvert der Dichter, umd wenn er dabei 
auch die Auswüchſe und Schattenfeiten derfelben nicht zu verbergen 
ſucht, fo können wir das im Namen ber poetiſchen wie hiſtoriſchen 
Gerechtigkeit nur billigen. 

Ueberhaupt, wenn eine Fülle der intereſſanteſten Detailmalerei, 
wenn tiefe Kenntniß des Gegenftanvdes und eine edle, mannbafte 
Geſinnung genügend find, ein vortrefflihes Buch zu liefern, fo darf 
der „Iſegrimm“ als eine ver waderften poetifchen Thaten gelten, 
bie einem Dichter unferer Tage geluhgen find. Dagegen ift das 
eigentlich Romanhafte in dieſem Buche ſchwächer, als wir es bei 
Wilibald Alexis zu finden gewohnt find, der fich fonft vor der Mehr- 
zahl unferer Romanfchreiber auch dadurch auszeichnet, daß er eine 
kräftige und frischtbare Bhantafie hat und Situationen und Ber- 
wicelungen zu erfinden weiß, die den Lejer wirklich paden. 

Dies ſpannende, padenve Element, aljo das Dramatifche des 
Romans, tritt in dem „Iſegrimm“ zurüd hinter der Breite der Schil- 
berungen ımb Reflexionen; ganz gegen feirie Natur erfcheint ber 


Wilibald Aleris und Levin Schücking. 143 


Held mehr betrachtenn als handelnd, und wo er ſich endlich zum 
Handeln entſchließt, da entfprechen feine Thaten nicht den Erwar⸗ 
tungen, die er in und rege gemacht bat. Der Dichter ift in denſelben 
Sehler verfallen, ven wir fveben erft an dem Roman ‚Ruhe ift bie 
erſte Bürgerpflicht‘“ bemerkten: die Fabel des Buchs ifl zu meitläufig 
angelegt und vie Loderheit ver Compefition läßt dieſen Uebelſtand 
nur um fo fihtbarer werben, die intereflanteften Figuren, die ſpan⸗ 
nendften. Situationen werben nur beiläufig, nur’in Epifopen abge: 
macht, die zum Theil mit Meiſterſchaft ausgeführt ſind, aber doch 
den Mangel einer durchgreifenden und einheitlichen Handlung wie⸗ 
derum nicht erſetzen können. 

Und ebenſowenig kann die edle patriotiſche Geſinnung, die das 
geſammte Werk durchdringt “und feinen eigentlichen Lebenshauch 
bildet, für feine äſthetiſchen Mängel vollſtändig entſchädigen. ‘Der 
Dichter hat dem. Hange zur Reflerion, dieſer natürlichen Folge des 
zunehmenden Alters, zu ſehr nachgegeben, ver Roman ift zu didak⸗ 
tiſch, zu tendenziös. Ganz gewiß fann und darf ein Kunſtwerk 
auch eine politifche Grundlage haben, ja e8 wird fogar um fo höher 
fiehen, je mehr es son ven praftifchen Beftrebungen feiner Zeit in 
fi) aufgenommen hat. Allein dies politifhe Element muß ſodann 
auch das geſammte Kunftwerf durchdringen, e8 muß gleichfam feine 
Seele, feinen innerften Lebensnerv bilden; es darf nicht Hier ober 
bort in ſchweren, todten Maſſen aufliegen wie nadtes Geftein, ſon⸗ 
dern e8 muß ſich in poetifches Fleiſch und Blut, in Charaftere und 
Ereigniffe verwandelt haben. Der „Iſegrimm“ ift reidy an geift- 
vollen und ſchlagenden Bemerkungen über die Rage Preußens zur 
Zeit des Tilfiter Friedens; vieles davon hat der Dichter fichtlich 
mit nächſter Beziehung auf vie Zeit geſchrieben, in ber fein Buch er- 
ſchien, und allerbings lag der Vergleich in manchen Punkten fo 
nahe, daß es fchwer gefallen fein würde, ihn nicht zu ziehen. Als 


144 Der Romau. 


Zeitungsartikel over auch als ſelbſtändige politiſche Broſchüre 
würden dieſe Betrachtungen ohne Zweifel von großem Intereſſe 
geweſen fein, im Roman dagegen, wo vor Allem. unſere Phantaſie 
befchäftigt-werpen fol, wo wir unterhalten, nicht belehrt werben 
wollen, ftöyen fie, ja ihre allzuhäufige Wiederkehr wirft zuletzt fo- 
gar ermüdend und ftumpft uns ab gegen die Wahrheit des Inhalte. 

Ein zweiter und vielleicht voch ſchlimmerer Mangel des. Buchs, 
den freilich mehr oder minder unſer geſammter hiftorifcher Roman 
theilt, befteht in der unorganifchen Vermiſchung des poetiſch erfun- 
denen und des biftorifch überlieferten Stoffe. Ohne Frage bat ber 
Poet das: Recht, die Welt ver Wirklichkeit mit ven Gefchöpfen feiner 
Phantafie zu bevölkern; fogar die ganze Kunſt und Kraft des Poeten 
befteht ebem nur darin. Aber Geichichte und ‚Erfindung dürfen 
nicht äußerlich neben einander bergehen, vielmehr müſſen fie ſich 
gegenſeitig durchdringen, es muß aus beiden ein neues drittes Ge⸗ 
ſchlecht hervorgehen, welches ebenjojehr der Wirklichkeit wie der 
Phantafie angehört und eben in dieſer Doppelnatar das Zeugniß 
ſeines idealen Urſprungs trägt. 

Im „Iſegrimm“ dagegen haben wir zum größten Theil zur 
maskirte Geſchichte; die biftorifihen Figuren und Zuftände find 
der Mehrzahl nach ganz roh, ganz unvermittelt in die Dichtung 
binübergenommen, une mit einem: poetifcdy verkrämten Mäntelchen 
um.die Schulter, das jedoch den Kundigen nicht zu täufchen ver- 
mag, während es den Unkundigen nur in Unruhe und Mißbehagen 
verſetzt. Es entfteht auf dieſe Weife eine Zmwittergattung von 
Memoiren und Romanen, die vielleicht für ven überfättigten Zeit- 
geihmad etwas ſehr Pikantes hat, aber doch mit den Grundbe⸗ 
dingungen der Kunft ein fir allemal unvereinbar if. Was ver 
Poet giebt, foll er ganz geben, jedes ächte Kunſtwerk muß fich aus 
ſich felbfterflären; ein Roman, bei dem wir jeden Augenblick fiH- 


Wilibald Alerts und Lenin Schücking. 145 


halten mätlen und fragen, wer und was eigentlich gemeint ift,. und 
aba, ganz recht, das iſt dieſer Mimifler und das jener, und der da 
ift dev bekannte Geutral N. N., und. bie Sttwation bier hat ſich 
eigentlich da und da ˖ zugetragen und ficht da oder dort quellenmäßig: 
verzeichnet — nein, ein ſolcher Roman Mann noch immer mit ſehr 
viel Geiſt und Talent geſchrieben, ex lann eine ſehr anziehende, ſehr 
umterhaltende Lectüre fein, aber ein wirklicher Roman, ein eigent- 
liches poetiſches Kunstwerk iſt er nicht. - 

In dieſer legteren und allervings äfthetifch wirbtigen Sin: 
ſicht iſt der dritte Roman diefer Reihe, die, Dovothe,“ feinen beiven 
Vorgängern überlegen. Freilich war der Dichter dabei auch nicht 
jenen Verfuchungen ausgeſetzt, wie bei den beiden amberen, ber 
Gegenwart ſoviel ikhexkiegenven Werlen. Die „Dorothe“ ſpielt 
in den letzten Regierungsjahren des Großen Kurrfiften; vie Heldin 
des Romans iſt jene bekannte ‘Dorothea von. Holſtein, die Dritte 
Gemahlin des Kurfürſten, eine Frau von hohrm männlichen Geiſte 
und einer. ſeltenen Thatkraft, die aber eben in Folge des Eiufluſſes, 
ben fie auf ihren fürſtlichen Gemahl und ſomit anf den Gang der 
öffentlichen Ereigniſſe ausübte, der Gegenſtand ſehr verſchiedenar⸗ 
tiger Beurtheilungen geweſen iſt. Die Abſicht nes‘ Dichters ſcheint 
vornehmlich dahin gegangen zu fein, ein Gemalde ver Intriguen 
und Kabalen zu liefern, deren Tummelplatz ver damalige Berliner 
Hof war und die denn enblich an dem graben Sinne des Rurfürfien - 
und der einſichtsvollen und thätigen Kebr feiner Gemahlin ſcheitern. 
Auch. hier wieder liegt die Beziehung. auf’ die Gegenwart außer⸗ 
ordentlich nahe, während gleichzeitig‘ bie größere Entlegenheit des 
‚Stoffes dem Dichter eine Freiheit und Unbefangenheit des portuichen 
Schaffens bewahrt hat, die wir an den beiden vorhin befprochenen 
Romanen theilweife vermiſſen. Wenn das Bud) nichtsdeſtoweniger 
keinen ganz ungetheilten Erfolg gehabt bat; fo rührt das wel vor- 


Prup, die deutiche Literatur der Gegenwart, II. 10 


144 Der Roman. 


Zeitingsartifel oder auch als ſelbſtändige pofitifche Broſchüre 
würden dieſe Betrachtungen ohne Zweifel von großem Intereſſe 
gewefen fein, im Roman dagegen, wo vor Allen. unjere Phantafie 
beſchäftigt werben foll, wo wir unterhalten, nicht belehrt werben 
wollen, ftören fie,. ja ihre allzuhäufige Wiederkehr wirkt zuletzt fo- 
gar ermüdend und flumpft uns ab gegen die Wahrheit des Inhalts. 

Ein zweiter und vielleicht noch fchlimmerer Mangel des. Buchs, 
den freilich mehr oder minder unfer geſammter hiftorifcher Roman 
theilt, befteht in der unorganifchen Vermiſchung des poetiſch erfun⸗ 
denen und des hiſtoriſch überlieferten Stoffe. Ohne Trage hat ber 
Poet. das: Recht, die Welt der Wirklichkeit mit den Gefchöpfen feiner 
Phantafie zu beväffern; ſogar die ganze Kunſt und Kraft des Poeten 
beſteht eben nur darin. Aber Geſchichte und Erfindung dürfen 
nicht äußerlich neben einander hergehen, vielmehr müſſen fie fich 
gegenſeitig durchdringen, es muß aus beiden ein neues drittes Ge⸗ 
jhleht hervorgehen, welches ebenjofehr der Wirklichkeit wie der 
Phantafie angehört uud eben in dieſer Doppeluatur das Zeugniß 
ſeines idealen Urſprungs trägt. 

Im „Iſegrimm“ dagegen haben wir zum größten Theil nur 
maskirte Geſchichte; Die hiſtoriſchen Figuren und Zuſtände find 
der Mehrzahl nach ganz roh, ganz unvermittelt in die Dichtung 
hinübergenommen, nur mit einem poetiſch verbrämten Mäntelchen 
um die Schulter, das jedoch den Kundigen nicht zu täuſchen ver⸗ 
mag, während es den Unkundigen nur in Unruhe und Mißbehagen 
verſetzt. Es entſteht auf dieſe Weiſe eine Zwittergattung von 
Memoiren und Romanen, die vielleicht für den überſättigten Zeit⸗ 
geſchmack etwas ſehr Pikantes hat, aber doch mit den Grundbe⸗ 
dingungen der Kunſt ein für allemal unvereinbar iſt. Was der 
Poet giebt, ſoll er ganz geben, jedes ächte Kunſtwerk muß ſich aus 
ſich ſelbſt erklären; ein Roman, bei dem wir jeden Augenblick ſrill⸗ 








Wilibald Alerts und Lenin Schücking. » 145° 


halten miffen und fragen, wer und was eigentlich gemeint iſt, und 
abe, ganz recht, das iſt dieſer Miniſter und das jener, und ber da 
iſt der bekanmte Geurral N. N., und. bie Sitnation hier hat ſich 
eigentlich da und da ˖ zugetragen uud ſteht ba ober dort quellenmäßig 
verzeichnet — nein, ein ſolcher Roman kann noch immer mit ſehr 
viel Geiſt und Talent geſchrieben, er kann eine ſehr anziehende, ſehr 
unterhaltende Lectüre fein, aber ein wirklicher Roman,- ein eigent- 
liches poetiſches Hunfiwert iſt er nicht. 

In dieſer letzteren und allervings äfthetifch wichtigen Hin: 
ſicht ift der Dritte Roman diefer Reihe, die, Dovothe,“ feinen beiden 
Vorgängern überlegen. Freilich war der Dichter dabei auch wicht: 
jenen Berfuchungen ausgefeßt, wie bei den beiven anderen, ber 
Gegenwart ſoviel sükhecliegenden Werken. Die „Dorothe“ fpielt. 
in den letzten Regierungsjahren des Großen Karfürften; vie Heldin 
des Romans iſt jene bekannte Dorothea von. Holſtein, ‚bie dritte 
Gemahlin es Kurfürſten, eine Frau von hohrm männliden Geiſte 
und einer ſeltenen Thatkraft, die aber eben in Felge des Grufluffeg, . 
ver fit auf ihren fürſtlichen Gemahl uud ſomit anf ven Gang ver 
Öffentlichen Ereigniſſe ausübte, der Grgetfionv ſehr verſchiedenar⸗ 
tiger Beurtheilungen geweſen ift. ‘Die Abficht nes ‘Dichters fcheint 
vornehmlich dahin gegangen zu fein, ein Gemälde ver Intriguen 
und Kabalen zu liefern, deren Tummelplatz ver damalige Berliner 
Hof war und.die denn endlich an dem graben Sinne des Kurfürflen 
und der einſichtsvollen und thätigen Wiebe feiner Gemahlin jcheitern. - 
Auch. hier‘ wiever liegt die Beziehung auf die Gegenwart außer⸗ 
ordentlich che, während gleichzeitig‘ bie größere Ontlegenheit- des 


‚Stoffes dem Dichter eine Freiheit-umd Unbefangenfeit des.poetifchen 


Schaffens bewahrt hat, ne wir ar den beiden vorhin beſprochenen 
Romanen theiweife vermiffen. Wenn das Buch nichtsdeſtoweniger 
feinen ganz ungetheilten Erfolg gehabt hat, jo rührt das wol vor- 


Brup, die deutfche Literatur der Gegenwart. II. 10 


146 Der Roman. 


züglich daher, daß ver Stoff, trotz der ächt känftlerifchen Behand⸗ 
lung, doch immer etwas Peinliches, um nicht zu jagen Abſtoßen⸗ 
bes behalten hat; dies Gemälde menfchlicher Arglift und Ränle ıft 
zum nieberfchlagend, bie Luft, in ber wir bier atmen, zu brüdenp, 
als daß ein reines äfthetifches Behagen möglid wäre, und auch 
von ber Heldin des Romans willen wir aus anderweitigen Quellen 
zuviel Ungünftiges und Zweidentiges, als daß der Verſuch, den ber 
. Dichter hier macht, fie verfkänbig zu purificiren, nach allen Seiten 
bin gelingen könnte. 

Seit die „Dorothe“ erithienen, ift der Dichter leider von einer 
ſchweren Krankheit befallen worden, bie ihn der poetifchen Thätig- 
feit für längere Zeit entfrenivet hat. In dem Augenblid, da wir 
biefes fchreiben, bringen die Zeitungen die Nachricht von feiner 
völligen und glüdlichen Wieverherftellung und fo dürfen wir, bei - 
ber jeltenen Fruchtbarkeit, die ihn auszeichnet, gewiß noch mandyer 
ſchönen und danlenswerthen Gabe von ihm entgegenfehen. Auch 
dürfen wir, bevor wir von ihm fcheiden, bes Vervienfles nicht un- 
erwähnt laſſen, daß er ſich feit einer Reihe von Yahren als Heraus- 
geber des „Neuen Pitaval‘ (fett 1842, bis jet 26 Bände) erworben 
bat. Diefe Sammlung ver intereffanteften Kriminalgefchichten 
aller Yänder und Zeiten nimmt nicht nur in Folge ver außerorbent- 
ich gewandbten und feſſelnden Darftellung einen der erften Plätze 
in der Unterhaltungsliteratur der Gegenwart ein, ſondern audı 
über dies Intereſſe der bloßen Unterhaltung hinaus, fiir Die Rechts⸗ 
anſchauung des großen Publicums, ja für vie praftifche Geftaltung 
unſerer Rechtsverhältniſſe felbft ift das Buch von Bebentung ge- 
worden und hat einen Einfluß erlangt, deſſen nur wenige gelehrte 
juriftifche Werke fich rühmen dürfen. Eine der fhönften und fegens- 
reichften Errungenfchaften unferer Zeit, eine der wenigen Früchte 
bes Jahres Achtundvierzig, die von dem Mehlthau ver Reaction 





Wilibald Aleris und Lenin Schliding. 147 


noch nicht vBllig zernagt und verdorben find, die Deffentlichteit und 
Münplichkeit des Gerichtsverfahrens, ift von dem „Neuen Pitaval“ 
von feinem erften Anfang an mit ebenfoviel Gemandtheit wie Sadı- 
fenntniß verfodhten worden. Zu einer Zeit, mo es bei und noch 
für eine große. Bermwegenheit galt, an ven Myfterien ver Gerichts: 
ftube zu rlitteln und die unbedingte Ueberlegenheit ſtudirter Richter 
in Zweifel zu ziehen, zeigte der „Neue Pitaval” an either Reihe 
merfwürbiger und erſchütternder Beifpiele, wie beſchränkt in. ver 
That jene vielgepriefene Actenweißheit, wie viel leichter ver unbe⸗ 
fangene, von feinem gelehrten Vorurtheil umbüfterte Blick des un⸗ 
ſtudirten Richters in vie Seele des Angeklagten hinabdringt und 
wie viel gerechter daher, nicht blos im juriſtiſchen, fondern auch 
im ſittlichen Sinne, ein Verfahren iſt, das mit der That zugleich 
die innere Entſtehung derſelben aufzudecken und feſtzuſtellen fucht. — 
Der Berlauf ver Ereigniffe hat das Beſtreben des „Neuen Pitaval“ 
umterftägt, politifhe Motive haben die Bedenken ber Juriſten über- 
wunden. Auch in Dentfchland begreifen wir jet den Schauder, 
mit welchem ſchon in ben fiebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 
ein berühmter englifcher Rechtslehrer von Richtern fprach, bie den 
Angellagten „in einem verfehlofienen Zimmer und auf ein paar auf 
Papier gejchriebene Fragen und Antworten hin“ aburtheilen — 
und wenn ber ſtudirte Richter auch noch nicht überall in Deutfch- 
land von den Gejchworenen verprängt worden ift, ja wenn in ben 
legten Jahren jelbft da, wo das Geſchwornengericht factifch befteht, 
mehr oder minder wirkſame Verſuche gemacht worden find, bie 
Competenz veffelben zu befehränfen, fo ift doch der Grundſatz der 
Deffentlichleit und Mündlichkeit faft überall bei uns zur Geltung 
gefommen und wird ganz gewiß and) barin bleiben. 

Und diefer moraliſche und praftifche Triumph, ven ver „Neue 


Pitaval“ davongetragen, Hat denn zuleßt mehr zu befagen und 
10* 


148 Der Roman: 


muß dem unermäbfichen Herausgeber eine veinere und größere 
Befriedigung gewähren, als alle poetifchen Xorbeeren, bie feine 
Stirne zieren. — 

Wenden wir und jett zu Levin Schäding. Derſelbe bildet 
an dem Himmel: unferer befletriftifchen Literatur: gewiffermaßen das 
Zwillingsgeſtirn zu Wilibald Alexis; wie jenen den Walter Scott 
der Marf, fo darf man diefen füglich den Walter Scott Weſtfalens 
nermen. Selbft auf per „Rothen Erde“ geboren und ihr durch Ju⸗ 
genderinnerungen und Familienbande vielfach verwandt, hat Schücking 
es fich zur Aufgabe geftellt, ſowol. die landſchaftlichen Eigenthiim- 
(ichfeiten jener Heimath wie die Tuchtigkeit und Kernhaftigfeit ihrer 
Bewohner, die freilich auch eine gewiffe Startheit und Grillenhaf⸗ 
tigkeit nicht ausfchließt, zur poetiſchen Darftellung zu bringen. 
Wie Wilibald Aleris feine dichteriſchen Gemälde beinahe ausfchließ- 
li auf den dürren Boden der Marf verlegt, fo verläßt Lenin 
Schüding nur felten feine: weftfälifche Heimath — und wo er e8 
thut, thut er es in der Megel nicht ungeftraft. An beiden Schrift- 
fielern wird fo recht ſichtbar, mit welchen feſten und umlöslichen 
Banden die Heimath auch ven Genius des Dichters umfpinnt und 
welch ein verhängnißvoller Irrthum e8 war, da man eine Zeit lang 
glaubte, die veutfche Voefie, als ächte Kosmopolätin, in bie leere, 
blaue Luft, weit weg von. allen lokalen und nationalen Begiehungen, 
vermweifen zu fünnen. 

Und auch das wird an diefen Beifptelen klar, welche Schäge 
der Poefie in dem Leben und den Sitten unſeres deutſchen Volkes 
noch verborgen liegen und wie e8 nur des richtigen, von der Muſe 
gemeihten Blickes bevarf, um da, wo das profane Auge nur bürre. 
Heiveflächen oder einförmige Saatfelver erblickt, pas veinfte Gold 
ber Dichtung aufzufinden. Allerdings war Levin Schücking nicht 
ber exfte, ver Weftfalen gleichjam für die veutfche Poeſie eroberte; 





Wilibald Aleyis und Levin Schücking. -149 


Immermann im feinem „Miäuchhaufen“ und Freifigrath.in ein- 
zelnen feiner beſchreibenden Dichtungen waren ihm bereits voran⸗ 
gegangen. 

Diefen Vorgängern Hat Levin Schilling fich mit glücklichitem 
Erfolge angefchloften; der Boden Weftfalens mit feinen bichten 
Wälvern, feinen langgevehnten Fluren, ſeinen vereinzelten Weilern, 
feinen Heden und -Kampen vient ihm nicht bloß zum äußerlichen 
Staffage feiner Romane, ſondern diefe umgebende Natur wird in 
‚feinen Dichtungen wahrhaft lebendig; wir hören das Rauſchen 
‚biefer uralten Haine, wir ſehen ven gaftlihen Rauch aus dem 
einjamgelegenen Haufe emporfteigen und fühlen uns durchſchauert 
von all ven großen und geheimnißvollen Erinnerungen, welche viefen 
Boden. für das Gefühl jenes Deutfchen fo heilig und ehrwürdig 
machen. Mit verfelben Meifterfchaft und vemfelben breiten, mar- 
tigen Binjel, mit welchem Wilibald Aleris die einförmigen Steppen 
ber Mark abfchilvert, malt Lenin Schüding die reichere Natur 
. jeines weſtfäliſchen Vaterlandes. Und aud er bieibt nicht bloß 
bei dieſen Aenperlichfeiten ftehen; gleich Wilibald Aleris hat er 
auch einen fcharfen und aufmerkſamen Blick fir die geiftiger und 
fittlihen Eigenthilmlichkeiten dieſes Volksſtammes, ven er uns in 
den verſchiedenſten reifen und Abftufungen mit immer gleicher 
. Treue und Anfhaulichleit vorführt; wir treten in das ftattliche 

Gehoöft des Bauern, der ſich als Freiherr fühlt auf dem eigenen 
Grund und Bopen, nehmen Pla an der üppigen Tafel des Dom- 
herrn, belaufchen die phantaftifchen Anſchläge und Gelüfte ver 
weftfäliihen Adelskette und lernen auch ven Heinen Bürger kennen, 
in feiner etwas zopfigen, ſpießbürgerlich abgefchloffenen, aber grund. 
ehrlichen und tüchtigen Weife. 

Zwar einige Unterſchiede finden zwifchen unfern beiden Ro⸗ 
manbichtern dennoch ftatt, und darunter auch ſolche, bie nicht bloß 


150 Der Roman. 


bie poetifche Individualität betreffen. Zuerſt macht fich ſchon der 
allgemeine Unterſchied zwifchen Rorb- und Mittelveutfchland geltend; 
Wilibald Aleris, ver Zögling des märkiſchen Sandes, tft trodener, 
nüchterner, er hat nicht vie Gluth und das faftige, zuweilen fogar 
blendende Colorit, das Levin Schüding zu. Gebote fteht. Dagegen 
fehlt es diefem letteren. wieder an der norddeutſchen Beharrlichkeit 
und Strenge gegen ſich jelbft, mit welcher Wilibald Aleris den ein⸗ 
mal entworfenen Plan zu Ende führt und langſam, mit immer 
gleicher Sorgfalt, bis in vie Heinften Einzelheiten burcharbeitet, 
felbft auf vie Gefahr hin, feine Leſer einigermaßen zu ermüden. 
Levin Schücking liebt vielmehr die raſche, ſprungweiſe Entwide- 
lung; er liebt vie Ueberraſchungen, vie plötzlichen Coups, die -uner- 
werteten Enthüllungen. Gleich Wilibald Alexis, Meifter. des 
Details, unterliegt er nicht felten ver VBerfuchung, die zufammten- 
-haltende Idee des Ganzen zu vernadläffigen, ja wol gar die Ent- 
widelung mit plöglichem Rud übers Knie zu brechen. Schücking's 
Figuren verfprechen in der Regel bei der erften Belanntfchaft mehr, 
als fie in ver Folge halten; die Compoſition fällt, je mehr wir une 
ver Löſung des Knotens nähern, um fo mehr aus einander; es ift 
als ob der Künftler, ermüdet von feiner eigenen Sorgfalt, fein Wert 
nun um jeden Preis zu Enve bringen wollte, gleichviel ob durch die 
tafchen dicken Striche, die er jchließlich aufträgt, Die Harmonie Des , 
Ganzen zerftört und der Totaleindruck des jo mühſam angelegten 
Kunſtwerks gefährdet wird oder nit. Bon ven größeren Ro- 
manen des Dichters find, fo viel wir uns erinnern, bie 1846 er- 
fehienenen „‚Ritterbürtigen‘‘ das Einzige, was fich von biefem Fehler 
frei erhält und eben deshalb auch nach unſerm Dafürhalten nicht 
‚nur das beſte unter ven Werten des Dichters, ſondern überhaupt 
einer ber beften Romane, ven. wir befiken. 

Noch wichtiger find zwei andere Unterſchiede, die den innerfien 


Bilibald Alexis und Levin Schücking. 151 


Kern beider Dichter betreffen: Wilibald Aleris ift Proteſtant, 
Levin Schüding ift Katholik. Freilich findet ſich von fpecififch katho⸗ 
liſcher Färbung bei ihm keine Spur, im Gegenibeil, ex fteht entfchie- 
den anf Seiten der Aufflärung und nimmt willigen und freudigen 
Antheil an allen Schäten ver proteflantifchen Bildung. Dennoch 
glauben wir nicht zu irren, wenn wir einen gewiflen. Mangel an 
philofophifcher Schärfe, an Klarheit und Feftigfeit des Gedankens 
den Einfläffen zufchreiben, welche bie katholiſche Erziehung und 
Umgebung auf ihn ausgeäbt hat. 


Ferner hat Wilibald Alerid von früh auf das Glück gehabt, 
einem großen Staate von felbftändigem nationalen Bewußtſein und 
weltgefchichtlicher Stellung anzugehören und wir haben gefehen, wie 
mächtig das Gefühl, das dadurch im Dichter erwedt ward, feine 
Schöpfungen durchdringt und belebt. 


Dieſes Glück, das für Jedermann unſchätzbar if, am meiften 
aber für den Poeten, entbehrt Levin Schäding. Zwar feit ben 
Befreinngökriegen gehört die Provinz, ver Schädling entitamınt, 
ebenfalls zu Preußen, wenn auch nicht vollftändig, fo doch zum 
größern Theil. Allein viefe Verbindung war zn der Zeit, ba 
Schücking ſich der Poeſie zumandte, noch zu neu, die Bortheile der⸗ 
felben noch zu ungewiß und ftreitig, als daß ber ‘Dichter, der über- 
dies, wenn wir recht berichtet find, in dem hannöverſchen Antheil 
geboren iſt, ſich an dieſen Beziehungen Weſtfalens zu der großen 
preußiſchen Monarchie hätte erwärmen können. Das preußiſche 
Weſen trat im Gegentheil in Weſtfalen anfänglich ziemlich ſchroff 
uud feindſelig anf oder wurde doch von der Bevbllerung ſelbſt in 
biefem Sinne aufgefaßt; die ſtrenge altpreußifche Zucht trat zu- 
nächſt nur als milttärifcher und bureaukratiſcher Zwang auf, eine 
Menge alter guter und ſchlimmer Gewohnheiten wurde jählings 


152 ' Der Roman. 


über den Haufen geworfen und. auch unter deu ſchlimmen befanden 
ſich einige, die man nur ungern vermißte. 

Ueber allem Untergehenden ſchwebt ein gewiſſer Duft der 
Poeſie, wie. ber Duft ver Abendröthe über der nmitergehenden 
Sonne Auch die alte Pfaffen- und Dynaſtenherrſchaft, unter ver 
‚man in MWeftfalen fo lange gejeufzt hatte, gewann gegenüber dem 
eiubringenden Preufenthum. urplötzlich eine gewiſſe poetifche Ver⸗ 
klärung; es war die „alte Zeit” im Gegenfat zu der neuen, von 
. der man noch nicht wußte, was fie bringen und wohin fie führen 
würde — und für die Mehrzahl der Menjchen ift die „alte Zeit“ 
auch immer die „gute alte Zeit.“ 

+ Der Dichter viefer „guten alten Zeit, * der Zeit des Krumm⸗ 
ſtabs und feiner gefegneten Herrfchaft, der Perüden und Yontan- 
gen, der gepuderten Köpfe und der gejchminkten Wangen ift Levin 
Schücking. Mit größter Beharrlichkeit hat er mitten unter den 
Trümmern des ehemaligen heiligen römiſchen Reichs, „daß Gott 
erbarm',“ ſich gleichſam eine eigene poetiſche Domäne urbar ge 
macht, eine Domäne, wenn man will, von geringem Umfang, aber 
von großer Ergiebigkeit, auf ber er nun völlig zu Haufe iſt. Das 
ift das Leben und Treiben ver Meineren Höfe, beſonders der geift- 
lichen, und jener Reichunmittelbaren, wie ſie bis zu Anfang des 
Jahrhunderts vorzüglich im Weften und Süden unjeres Bater- 
landes beſtanden. Auf viefem Felde ift jein Blick von unver⸗ 
gleichlicher Schärfe, feine Zeichnung von bewundernswerther Ge⸗ 
nauigfeit und Sicherheit, ferne Farbe ſtets lebenswahr und friſch; 
wir hören gleichſam das Rauſchen und Reigen biefer altmodiſchen 
faltigen Gewänder, ſehen das Nicken und Bengen dieſer Perüden 
und Fedexrbüſche, fühlen ben Druck dieſer Schnürbrüſte und Span⸗ 
gen, au bie, trotz allem Druck und aller Enge, das Herz, das ewig 
: junge, ewig umbefiegbare Herz doch fo ſtürmiſch, jo gewaltig ſchlägt! 











Wilibald Aleris und Levin Schliding. 153 


Dean ahnt leicht, welche intereflenten Gegenfäge ſich auf die⸗ 
fem Boden entfalten müſſen und zu welchen pikanten Abenteuern 
und Berwidelungen berfelbe Gelegenheit bietet. - Allein mit fo 
großer Birtuofität Levin Schtiding die. Bortheile ſeines ‚Stoffes 
ausbeutet und ſoviel intereffante und glädliche Beobachtungen er 
jener alten verwotteten Zeit bereits abgewonnen hat, ſo läßt ſich 
doch nicht in Abrede ftelen, daß viele Zeit felbft eme längſt über- 
wundene, die Welt aber, die ihr angehörte, eine verhältnißmäßig 
fleine und unbedeutende ii. Wir find hier gleichſam nur in dem 
Vorzimmer der Weltgefchiähte, es fehlt hier jene große, weitreichende 
Perjpective, die 3. B. die branvenburg- preufiiche Geſchichte To 
wichtig macht. Darum iſt audy ein eigentlich biftericher Roman, 
ein Roman im geoßen Stil, hier faum möglich, vielmehr weiſt bie 
Beſchaffenheit ſeines Stoffes felbft ven Dichter auf das hiſtoriſche 
Genrebild, die Anekdote mit vorwiggend Iofaler Färbung hin. 

Und im dieſem Genrebild ift Levin Schücking nun Meifter. 
Je Heiner und enger die Welt, die er barftellt, je größer bie. Ge- 
nauigkeit, mit der er fie zeichnet; es ift ung, als träten wir in einen 
Löngftverlafienen Ahnenſaal, die großen ernſten Bilder -an den 
Wänven fehen uns jchmeigend am, wir athmen ven eigenthümlichen, 
aus Moder und Wohlgerüchen gemiſchten Duft, ver diefe Räume 
erfüllt und Hier und da findet fi ja auch mol noch eine verbfichene 
Schleife over ein halbzerfnitteter Liebesbrief, Der und daran erin- 
nert, daß dieſe Räume nicht immer fo ernft und ſchweigſam geweſen 
und daß diefe ehrbaren. Geſichter, troß Puder und Reiſtoa, eben⸗ 

falls einmal zu laͤcheln verſtanden.. 

Das erfte Auftreten Levin Saädinys ale Romandichter Fällt 
in den Aufang der vierziger Fahre, wo raſch nad) einander „Em 
Schloß am Meere” (2 Bde. 1843), „Die Ritterbürtigen“ und 
„Eine dunkle That,” die beiden lettern 1846, erichienen. In dieſen 











154 Der Roman. - 


früheften Leiftungen bat das Zalent des Dichters ſich am glän- 
zendſten bewährt; namentlich find, wie wir bereits erwähnten; „Die 
Ritterbürtigen“ ein Werk von ausgezeichneter Schönheit. 

Seitdem hat er e8 ſich einigermaßen bequem gemacht; er pro- 
ducirt viel, vielleicht zur viel, und fo wird ed mit dem Einzelnen 
nicht fo gar genau genommen. Am glüdlichften ift der Dichter 
immer da, wo er fich in den ebenbezeichneten engen Grenzen hält; 
wo er dieſelben verläßt, geräth ex leicht ins Abenteuerliche und Ober- 
flächliche. Die ſämmtlichen Romane und Erzählungen des frucht- 
baren Verfaſſers hier einzeln aufzuzählen, würde und zu weit 
führen; wir befchränfen uns auf diejenigen, die währenn bes leiten 
Decenniums erfchienen find, und auch von ihnen heben wir nur ein- 
zelne hervor, die entweber beſonders gelungen find oder im Gegen⸗ 
theil das Talent des Dichters auf irgend einem bemerlenswerthen 
Abweg zeigen. , 

Die beiden vorzäglicften unter Lenin Schücking's neueren Ro- 
manen find: „Ein Sohn des Volkes“ (2 Bde. 1849) und „Der 
Bauernfürft” (2 Bde. 1851). Beide jpielen auf weftfältfcher Erve. In 
dem „Sohn des Volkes“ wird der ˖ Gegenſatz zwifchen der alten er- 
erbten Sitte ver weftfälifchen Bauern und ver Altes nivellirenden, 
Alles in Berwirrung feßenven falſchen Aufklärung, vie gelegentlich 
wol auch die Begriffe von Recht, Ehre und Vaterlaud wegesca⸗ 
montirt, in höchſt wirkſamer Weife zur Geltung gebracht; ver alte 
Dorfichulge, welcher ven eigenen Sohn, der feines deutſchen Ur- 
ſprungs vergeifen bat und in bie Dienfte des frangöftichen 
Ufurpators getreten ift, von der Schwelle feines Hanfes weiſt, ıft 
eine Figur, ber wir. bie imnigfte Theilnahme nicht verfagen 
fönnen. — „Der Bauernfürft‘ bewegt fich ebenfalld der Hanpt- 
fache nach auf dem wohlbefannten Felde ver „guten alten“ weft- 
fäliſchen Zeit. Doch bat der Dichter diesmal mit glücklichen 


Wilibald Aleris und Lenin Schücking. 155 


Takt zwifchen die Trümmer dieſer morſchen, untergehenven Zeit 
bie Morgenröthe des neuaufgehenden Revolutionszeitalters binein- 
fallen laſſen, wodurch denn eine Reihe ebenfo menſchlich wahrer, wie 
poetifch fpannenver Eonflicte berbeigeführt wird. 

Der nächſtfolgende größere Roman, „Ein Staatsgeheimniß“ 
(3 Bde. 1854), fpielt ebenfall® wieder zum großen Theil in Weft- 
folen, im Uebrigen ift jevoch der Dichter in der Wahl. dieſes Stoffes 
nicht beſonders glücklich geweſen. Dex Held ber Gefchichte ift-ver 
angebliche Ludwig XVIL, jener Übrmader Naundorf, der von 
feinen Anhängern unter dem Titel eines Herzogs der Normandie 
verehrt warb und ber feinergit in den öffentlichen Blättern und 
zum Theil auch vor den Gerichten viel von fich reden machte. Levin 
Schücking hat fi) auf das Jünglingsalter feines Helden beſchränkt: 
allein pa verjelbe auch als Jüngling nichts Heldenmäßiges thut, ja 
nicht einmal etwas Bereutendes, etwas Menſchlichergreifendes leidet, 
fo hat ver ganze Roman dadurch etwas Paflives, um nicht zu fügen 
Inhaltloſes bekommen. “Die falſchen Demetrins und Waldemar 
find befanntlich eim jehr dankbarer Stoff für vie Poeſie, aber wir 
warum? Weil fie thatkräftig auftreten, weil fie durch die Kühnheit 
ihrer Pläne, durch die Energie ihrer Entjegließungen die Mängel 
ihres. Stammbaumes in Bergeflenheit bringen. Davon ift bei 
biefem Ludwig XVII. feine Rede; es ift ein. unfelbjtänpiger, 
ſchwacher, unentfchloffener Knabe, verliebt, leichtgläubig, ohne Plan 
und Ziel, der Andere für fi) handeln und venfen läßt, nehmen 
wir ihm feine Actenftüde und Documente, was bleibt übrig? Und 
auch dieſe Üctenftäde und Documente, die der Dichter in ihrer 
ganzen Tanzleimäßigen Breite mitteilt und an bie er felbft mit 
einer ſchwerzubegreifenden Hartnädigfeit glaubt, bieten Doch immer 
nur ein hiftorifches, aber fein poetifches Interefle, und felbjt das 
erftere dürfte in ven Augen einer unbefangenen Kritik, zu der freilich 





156 Der Roman. 


der Dichter dieſes Romans nur wenig geneigt ſcheint, noch fehr zu- 
fammenfchrumpfen. Das Befte an tem Buch find wiederum bie 
Epifsren, ja es find eigentlich lauter Epifoden, eine Reihe intereſ⸗ 
fanter Randzeichnungen, zu denen nur leider der Tert fehlt. 

In „Der Held der Zukunft,“ einem Heinen einbändigen Ro: 
man, der 1855 ans Ficht trat, iſt die. Fabel im Gegentheil fehr be 
deuten angelegt; der Dichter will uns die Eonflicte und Kämpfe 
eines edlen, hochſtrebenden Gemüthes fchildern, das im einer 
ſchwachen Stunde von zärtlicher Leidenſchaft verblendet, fi bat 
verleiten laffen, ver großen Welt gewifje Eonceffionen zu machen und 
der num fowohl mit ihr wie mit feinen eigenen Idealen in bie pein- 
lichſten Zerwitrfnifie und Wiperfprüche geräth. Leider bat e8 dem 
Berfaffer nicht gefallen, das intereffante Thema mit entfprechenver 
Sorgfalt durchzuführen; nur ber Anfang des Buchs ift vollſtändig, 
ja diefer ſogar mit einer gewiflen Breite ausgeführt, die Entwicke 
lung dagegen ift, wie ung bies bei Levin Schucking nicht felten ke- 
gegnet, übereilt und lüdenheft, die Auflöfung gewaltfam und un- 
volftändig, fo daß das Ganze, bei einzelnen glänzenden Partien, 
doch feinen recht befriedigten Einprud gewährt. 

An denfelben Fehlern leiden zwei andere Romane bes Ber- 
faflers, in denen er ebenfalls jenen hiſtoriſchen Boden verlaflen hat, 
auf dem er fich fonft mit ſoviel Glück und Sicherheit bemegt: 
„Die Königin der Nacht” (1852). und „Die Sphinr (1858). 
Beide Romane leiden an außerordentlichen und faft unerträg- 
lichen Unwahrfcheinlichleiten. - Wir beſcheiden ung gern, daß dem 
Romandichter auch in biefem Punkte eine gewifle Freiheit verftattet 
fein muß und daß gewiffe Erfindungen und Sitimtionen, die z. B. 
von der Bühne gefehen unerträglih wären, fi im Roman noch 
immerhin verbrauchen laffen. Allein auf einen falſchadreſſirten 
Brief die ganze Verwidelung, fowie auch ein zufälliges und fehr 


Wilibald Aleris und Levin Schücking. 157. 


abentenerlicyes Zuſammentreffen zweier Perſonen die ganze Loͤſung 
eines Romans begründen, wie e8 in „Die Königin der Nacht?‘ ge= 
ſchieht — over dem Unſinn ver Flopfenpen- Tiſche allen Ernſtes als 


poetifches Motiv einführen und uus glauben-machen wollen, ein 


übrigens vollkommen nüchternex und verftändiger junger Mann, 
ein junger Diplomat aus gutem Haufe, werpe ſich mit einer Dame 
vermählen und Wochen und Monate lang an ihxer Seite ‚leben, 


ohne quch nut ben Namen feiner. Gemahlin zu miflen, wie ver. 


’ 


Dichter dies in „Die Sphiur“ verſucht — das heißt, bie Freiheiten. 


des Romandichters venn doch etwas zu weit ausdehnen. 
In feinen ganzen alten Glanz dagegen zeigt das Talent des 


Dichters ſich in der hiſtoriſchen Erzählung „Der Sohn eines be⸗ 


rühmten Mannes“ (1856). Der berühmte Mann iſt Johann von 
Werth, bekannt als einer der tapferſten und glücklichſten Partei- 


gänger des vreißigjährigen Krieges, der kühne Keiteranführer, ver 


als General des Kurfürften Mar von Batern feinen Namen ven 
Franzoſen fo furchtbar gemacht hatte, daß, als er endlich in Folge 
der Schlacht bei Rheinfelden gefangen und nad) Frankreich abge- 
führt ward, felbft feine Gefangenſchaft noch ein epochemachendes 
Ereigniß für die Neugier und das Mitgefühl des franzöſiſchen Pu— 
blicums war. Auch in der vorgenannten Erzählung ift Johann 
von Werth der eigentliche Mlittelpunft. Die Abenteuer und Ber: 
irrungen feines Sohnes Adolph von Werth und das tragifche Ente, 
das venfelben frühzeitig ereilt, bilven zwar äußerlich die Yabel ver 
Erzählung, ihre eigentliche Wirkſamkeit erhält fie jedoch erft in ver 
Art und Weife, wie dieſe Abenteuer und Schickſale ſich in ver Seele 
des väterlichen Helden wiberfpiegeln. Die Erzählung an fich ift 
einfach und ohne eigentliche fpannende Momente, aber von jener 
Kraft und Friſche der Darftellung, die wir diefem Dichter ſchon fo 
vielfach nachgerühmt haben; bejonders find die Schilderungen aus 


158 Der Roman. 


den höfiſchen und friegerifchen Kreifen viefer Zeit vortrefflich und 
von Acht dramatiſcher Lebendigkeit. 

Auch die beiden Erzählungen „Aus den Tagen der großen 
Kaiſerin“ (2 Bde. 1858) gehören zu dem Ammuthigften und Lie- 
benswürbigften, was der Dichter gefchrieben. Doc, ift, wie gefagt, 
feine Productivität zu groß und die Zahl feiner Schriften zu be 
trächtlich, um bier bei jeder einzelnen derfelben zu verweilen und 
auch feine Igrifchen wie dramatifchen Verfuche („Gedichte,“ 1846; 
„Der Redekampf zu Florenz,“ 1854 :c.), bürfen hier füglich über- 
gangen werben, da fie nur den Rang von Nebenarbeiten in An- 
ſpruch nehmen und für die poetifche Eigenthũmlichreit des Dichters 
ohne Bedeutung ſind. 





5. | 
Heinrich Koenig. 


Was für Lenin Schüding die „Rothe Erde“ von Weftfalen, 
das ift für Heinrich Koenig das „Goldene Mainz“ und fein luſtiges 
Treiben unter der Herrſchaft des Krummftabs, bis dann jener 
Sturm der franzöfifchen Revolution hereinbrady, ver dieſe Perle 
des Reichs für längere Zeit dem beutfchen Baterlande eutfremdete 
und in deſſen Wirbeln fo manches edle, freiheitdürſtende Herz in 
unfeliger Spaltung zu Grunde ging: der Mittelpunkt feines dich⸗ 
terifhen Schaffens, auf den er immer und immer wieder zurüd- 
fommt und bei dem er gleichjam feine geiftige Heimath findet. 

Woher dieſe Vorliebe ſtammt, iſt leicht zu erklären; wie in 
Levin Schüding’3 Jugend die Erinrierungen der mweftfälifchen Klein- 
ſtaaterei hinüberfpielen, fo mar Heinrich Koenig (geboren 1790) 
noch Zeuge jenes geiftlichen Kegiments, das in bem „Goldenen 
Mainz” feinen glänzendften und prächtigften Sit aufgefchlagen 
hatte. Heinrich Koenig's Wiege ftand in Fulda, diefer uralten 
Kloſterſtadt, die Damals noch zu dem Erzbisthum Mainz gehörte. 
Auch Übrigens fpielte das geiftliche Wefen in feiner Jugendentwicke⸗ 
fung eine große Rolle. Der Dichter felbft hat diefes fein Jugend⸗ 
leben in einem eigenen, 1852 evichienenen Büchlein beſchrieben: 
„Auch eine Jugend.“ 

Das iſt ein liebenswürdiges Buch, das vortrefflich geeignet 


160 Der Roman 


ift, in das innere Leben res Dichter einzuführen. Große Aben- 
teuer und merkwürdige Begebenheiten darf man freilich nicht er- 
warten, troß der bewegten Zeit, in welcher der Dichter heranwuchs. 
Auch Koenig’s Jugendgeſchichte iſt ſo einfach und ereignißlos, wie 
das Jugendleben unſerer modernen deutſchen Dichter zu ſein pflegt: 
ein ächtes deutſches Kleinleben voll bürgerlicher Tüchtigkeit und 
Einfalt, in das auch die Schatten der Armuth nur grade ſo weit 
hineinfallen, um den Frieden und die traute Stille, die bei alledem 
über dieſem ärmlichen Dache walten, deſto lebhafter empfinden zu 
laſſen. 

Eine eigenthümliche Färbung erhält das Bild durch bie 
geiſtlich katholiſche Nachbarſchaft, in welcher der Knabe, ſelbſi einer 
ſtreng katholiſchen Familie angehörend, aufwächſt, und die von 
frühan fein geſammtes Thun und Treiben, fein Denken und Em- 
pfinden, feine Spiele wie feine Studien, feine Fleinen Freuden und 
Leiden, Hoffnungen und Befürchtungen umfchlofien hält. 

Und. nicht bloß die geiftliche, auch vie weltliche Herrlichleit des 
Katholicismus lernte der Knabe damals kennen. Wie Lern 
Schücking, jo befist-auch Heinrich Koenig eine beſondere Meiſter⸗ 
haft darin, das Leben und Treiben an ven Heinen deutſchen fatho- 
liſchen Fürſtenhöfen des vorigen Jahrhunderts darzuſtellen. Sehr 
natürlich; lebte er ſelbſt doch als Knabe in der nächſten Nähe einer 
ſolchen Hofhaltung und ſah ihr mit neugierig naiven Kinderaugen 
ſozuſagen in Schüſſeln und Töpfe. Freilich dauerte die Herrlichkeit 
nicht lange; kaum zwölfjährig, erlebte ver Knabe die Umwandlung 
des alten Bifchoffiges in ein weltliches Fürftentbum, indem Fulda 
zuerſt 1802 an die Herrjchaft des Prinzen von Dranien überging, 
um wenige Jahre fpäter als leichterworbene Beute den Franzofen 
zuzufallen. 

Das waren denn freilich fchlimme Eindrücke für die Seele des 





Heinrich Koenig. 161 


heranwachſenden Knaben, und noch jetzt liefern die Schriften des 
Mannes den Beweis dafür, wie tief dieſelben ſich in die jugendliche 
Seele eingruben. Noch halb ein Kind, hatte er das lockere Treiben 
an dem geiſtlichen Hofe mit anfehen. müſſen; er ſah bie ſchmunzeln⸗ 
den, fetttrieſenden Geſichter der Domherren, wie fie offen und 
heimlich jedem ſinnlichen Gelüſte fröhnten, er hörte von geheimen 
Liebſchaften und verbotenen Zuſammenkünften und ſah wie das 
Gift des Pfaffenthums, nah und fern, Alles, was mit ihm in Be⸗ 
rührung kam, verpeſtete. | 

Und dann wieder fah er, wie dieſe ganze geiſticche Herrlichkeit 
eines ſchönen Morgens wie mit einem Zauberſchlage verſchwunden 
war; er ſah im Lauf weniger Jahre eine Herrſchaft der andern 
folgen; ſah, wie politiſche Eide geſchworen und wieder aufgelöft 
wurden; ſah, wie in denſelben Kreiſen, wo vor Kurzem noch naive 
Frömmigkeit und altbürgerliche Sitteneinfalt geherrſcht hatten, 
Leichtfertigkeit und moraliſche Verderbtheit um ſich griffen — und 
ſah, wie bei alledem die Welt'ruhtg ihren Gang ging und wie bie- 
ſelben Menſchen, die Meineid nnd Treubruch und jede Art von 
Berbrechen auf fich geladen hatten, vor ven Augen ver Leute bei alle- 
dem doch volflommen umbefcholten und geachtet daftanden, fo lange 
fie nur die Macht in Händen hatten. 

Eine unerwartete Wendung gewann bie enge, befchränfte 
Yugenpleben, als eine leichtfinnig begonnene Liebſchaft den noch 
nicht Einundzwanzigjährigen plöglich und gegen feine eigene inner- 
liche Neigung in das Neb einer unzeitigen und unpaſſenden Che 
verftridte. Was der Dichter dabei in jugendlichem Unbedacht ver- 
ſchuldet, bat das Schickfal ihn reichlich büßen laſſen. Zwar brechen 
feine Jugenderinnerungen ber ber Gefchichte dieſer unglücklichen 
Heirath ab: aber auch ohne mit den Einzelheiten näher befannt zu 
fein, ahnen wir trübe und gefahrvolle Verwidelungen, die auf das 


PBrug, bie deutfhe Eiteratur der Gegenwart. II. 11 


162 | | Der Roman. ⸗ 


innere und. äußere Leben des Dichters nicht ohne den wichtigſten 
Einfluß bleiben konnten und deren Spuren wir benn. auch vielfach 
in feinen fpäteren Schriften begegnen, namentlich in venjenigen, 
welche fich, wie „NRegina‘ (1842) und „Veronika“ (2 Bde. 1844) 
mit ben focialen Zuftänden ber modernen Welt, insbeſondere aber 
mit dem Seelenleben der Frauen befchäftigen. - 

Am verhängnißvolften für ven Dichter follte jedoch zuvörderſt 
die allzugroße Nähe werben, aus welcher er Das Leben und Treiben 
der katholiſchen Geiftlichfeit, der hohen wie der niebrigen, kennen 
gelernt hatte. Es ging ihm,. wie allen kräftigen Gemüthern: ber 
Drud, der ihn hatte zu Boden beugen follen, vermehrte nur feine 
Spannfraft, die Sclaveret wurbe ihm eine Schule der Freiheit und 
auf dem nad) ftrenger jefuitifcher Norm eingerichteten Gymnaſium 
zu Fulda fog er jenen Geift ver Oppofition und der Aufllärung in 
ſich, der dann nicht nur feine gefammte ſchriftſtelleriſche Thätigkeit 
beftimmte, ſondern ver ihn auch praktiſch in allerhand Conflicte mit 
ber, katholiſchen Geiftlichkeit brachte, Die endlich fogar feine fererliche 
Ercommunication zur Folge hatten. 

Inzwiſchen hatte fi) in der Nähe feiner Heimath, in Kaflel, 
das luſtige Königreich Weltfalen etablirt ynd zum zweiten Male 
und in noch größerem Umfang wieberholte fi) das Schaufpiel, das 
er als Knabe in Fulda kennen gelernt hatte; wieder wurben Ber: 
rath und Treubruch die Parole des Tages, wieder hielten entnernte 
MWüftlinge und ſchöne, üppige Frauen die Zügel der Herrichaft in 
ihren von Begierde zitternden Händen, wieder waren Tugend umd 
Revlichfeit geächtet, während das ſchwelgende Lafter triumphirte. 

Es folgte dann die Wieverherftellung des Kurfürftenthum 
Heflen und auch der Dichter, dem inzwifchen eine Anftellumg als 
furfürftlicher Finanzſecretair zu Fulda zu Theil geworben war, 
wurde in den Schematismus beffelben mit aufgenommen; er fah 





Heinrich Koenig. 163 


Das rohe bäurifche Laſter die weichen Polſter einnehmen, auf denen 
foeben noch das höfiſchverſchmitzte ſich gedehnt hatte, die Zöpfe 
und bie Stodprügel wurden wieder hergeftellt und fieben Jahre 
ber ungeheuerften Bewegung, ver ungeheuerften Leiden mit einem 
Veperftriche- vernichtet. 0 

Über der Dichter war inzwifchen zum Manne gereift; feine 
Seele ergrimmt bei dem Anblid fo vieler Verkehrtheiten und Bes 
drüdungen und fowohl in feinen Schriften wie in feiner öffentlichen 
Wirkſamkeit als Tandtagsabgeordneter (1832) zeigte er ſich als ein 
fühner und mannhafter Vertheibiger der unterbrüdten Freiheit. 
Doc erlangte er damit nur, daß zu dem Haß der Geiftlichkeit, der 
bereit3 auf ihm laftete, fi auch noch) der Argwohn und die Miß— 
gunſt der weltlichen Macht geſellte; ermüdet durch jene unaufhör- 
lichen Heinen Nadelſtiche, auf die bereit8 die vormärzlihe Büreau⸗ 
kratie ſich fo meifterhaft verftand, zog er ſich endlich (1847) ans 
dem Staatsdienſt zurüd, um fortan nur noch feiner Muſe zu 
leben. — 

In der vorſtehenden flüchtigen Skizze ſeines Lebensganges 
glauben wir zugleich die Elemente angedeutet zu haben, welche den 
weſentlichſten Inhalt der Koenig'ſchen Dichtungen bilden. Heinrich 
Koenig iſt ein Tendenzſchriftſteller und zwar gehört er mit Leib 
und Seele der liberalen Richtung an; jeder Gedanke des Fort— 
ſchritts, der auf irgend einem geiftigen oder praftifchen Gebiete 
auftaucht, fei e8 in der Religion, in der Politik, in der Geſellſchaft, 
findet an ihm einen beredten und mannhaften Vertheidiger. 

Allein er weiß au, und ein langes erfahrungreiches Leben 
bat ihn gelehrt, daß die Freiheit nie auf.einmal und vollftändig, 
eine gewappnete Minerva, aus dem Haupte der Zeit. hernortritt, 
fondern daß auch unter dem Banner der Freiheit Ticht und Nacht 
mit einander ringen und daß gefehlt wird, hüben und brüben. 


11 * 





164 Der Roman. 


Darum wählt er zum Hintergrund feiner Dichtungen mit Vorliebe 
ſolche Epochen, in denen vie Some ver Freiheit zwar bereits am 
Horizont emporgeftiegen ift, aber noch mit Wolfen und Nebeln zu 
kämpfen bat; mit erſchütternder Wahrheit zeigt er, wie ſchwer, ja 
wie unmöglich e8 in folchen Zeiten allgemeiner Gährung für den 
Einzelnen ift, ſich vollſtändig rein und fledenlo8 zu erhalten und 
wie e8 häufig grade die größten und ebelften Herzen find, durch vie 
der Riß der Zeit amt tiefften und unheilbarften hindurchgeht. 


Schon fein erſtes Werk, „Die hohe Braut,” das 1833 er- 
ſchien, fchilvert, wie der Sturm der franzöfifchen Revolution in vie 
friedlichen Thäler ver ſavoyiſchen Alpen hereinbricht und wie bie 
reinften und jchulplofeften Herzen dadurch voneinander geriffen 
und in unfeligen Wirbeln umhergetrieben werden. Eine ähnliche 
haotifche Zeit, doch diesmal auf dem religiöfen, nicht auf dem po- 
litiſchen Gebiete, ſchildern „Die Waldenſer“ (2 Bde. 1836), wäh 
vend in „Wiliam’s Dichten und Trachten‘ das dämoniſche Ringen 
und Kämpfen der Dichterſeele mit der Welt und ſich ſelbſt dar⸗ 
geftellt wird. Die ſchon genannten Novellen „Regina” und „Bes 
ronika“ knüpfen an wichtige Zeitfragen der vierziger Jahre an: 
jene an die Stellung des modernen Judenthums, dieſe an bie 
Trage ver gemifchten Ehen, die damals die Gemüther des deutſchen 
Volks in fo heftige Bewegung verfegte und ganz Deutſchland in 
zwei feinbliche Lager zu fpalten drohte. 


Doc, befindet der Dichter fich in viefer Sphäre des modernen 
focialen Lebens nicht ganz auf dem ihm entſprechenden Boden; wie 
fein Talent überhaupt ein veflectivendes, anlehnendes tft, fo ent⸗ 
behrt auch feine Phantafie ver Urfprünglichleit und Srifche und 
fagen ihm daher auch folhe Stoffe immer am meiften zu, wo er 
fih an ein vorhandenes gefchichtliches Material anlehnen kann 








Heinrich Koenig. 165 


und. wo mithin an feine Erfindungskraft nicht allzugroße. For⸗ 
derungen geſtellt werden. 

Dies iſt denn namentlich ver Fall in ven „Clubiſten in 
Mainz‘ (3 Be. 1847), ohne Vergleich das Beſte und Bedeutendſte, 
was Heinrich Koenig gefchrieben hat. Zwar an epifcher Ruhe und 
plaftifcher Fülle ver Darftelung vürfte „Die hohe Braut‘ viel- 
leicht noch den Borrang verdienen; pagegen haben „Die Clubiften 
in Mainz” den weientlihen Vorzug, daß wir uns darin auf deut- 
[hen Boden befinden und daß e8 ein Stück deutſcher Geſchichte ıft, 
das hier vor und abgefpielt wird. 

Und welch ein Stüd Geſchichte! Das alte „golpene Mainz,” 
biefer wahre Herd und Mittelpunkt vheinifcher Luft und Lebens⸗ 
fülle, beherrfcht von ftumpffinnigen Pfaffen und Liftigen Ränke— 
madern; die urfprünglich fo gefunde, fo kernhafte Bevölkerung ber 
maßloſeſten fittlichen und politifchen Verwilberung preisgegeben; 
bie edelſten Herzen, ihres natürlichen Halts beraubt, hin und ber 
geriffen in dent unfeligen Kampf zwifchen Vaterland und Freiheit, 
dem fie endlich als tragifches Opfer fallen! 

Der eigentliche Held der „Clubiſten in Mainz“ ift Georg 
Horfter, eine Lieblingsfigur des Dichters, der ev auch bald darauf 
ein eigerres Werk widmete: „Haus und Welt, eine Lebensge- 
ſchichte“ (2 Ve. 1852). Das Bach ift, wie ber Berfaffer in der 
Einleitung erzählt, als ein Nachhall feiner „Clubiſten in Mainz‘ 
entftanden: und zwar im jenem unfeligen Herbſt des Jahres 
Fünfzig, als die Reaction, jeder Scheu ledig, ihren zerſtörenden 
Gang auch in die unmittelbare Nähe des Berfaffers, nach Kurheſſen 
richtete. Damals ald (wir ſprechen mit bes Verfaſſers eigenen 
Worten) „jeder gegen bas Recht und das Wohl feines Vaterlandes 
nicht gleichgiltige Mann für lange Zeit auf jene Sammlung und 
Hebung der Seele verzichten mußte, die zur jelbftändigen poetifchen 


166 Der Roman. 


Production gefordert wird‘ — trat das Bild Georg Forſter's, 
das er bereits in den „lubiften in Mainz” in ven Kreis feiner 
Leſer beſchworen hatte, aber, wie er felbft jagt, „nur halb erfenn- 
bar,“ aufs Neue vor feine Seele, und er befchloß, das wechſelvolle 
Leben viefes „Büßers ver Freiheit“ zu erzählen, „heiter und um— 
ſtändlich, aber ohne Nebenabfichten und Nubanwenbungen, fo daß 
es durch fich-jelbft einem finnigen Lefer Unterhaltung gewähre und 
ihm überlaffen bleibe, was er Dahinter noch weiter fuchen und ben- 
fen möge.” \ 

Und allerdings giebt das Neben Georg Forſters recht ſehr 
viel zu bedenken, für alle Zeiten, am Meiſten aber für die unſere. 
Im einer Epoche, wo die deutſche Wiſſenſchaft im Ganzen genom- 
men noch ziemlich unempfänglich war für die Stimme ber Freibeit 
und wo ſelbſt unfere erhabenften Dichtergenien faum noch daran 
dachten, daß fie neben der idealen poetifchen Heimath auch noch ein 
politifches, ein bitrgerliches Vaterland befaßen, das ebenfalls Rechte 
an fie geltend zu machen hatte — war Georg Forſter einer ber 
Erſten in Deutſchland, dem nicht nur das Bewußtfein von ver 
Nothwendigfeit einer politifchen Entwidelung der Nation aufging, 
fondern der auch den fühnen Schritt aus ver ‘Theorie in die Wirf- 
Iichleit, aus den Büchern in das Leben nicht fcheute. 

Den fühnen jagen wir, nieht den glüdlichen. Es war eine 
Schuld des gefammten Zeitalters,. in welchem Forfter lebte und 
das man ja auch fonjt als das fosmopolitifche bezeichnet, daß der 
Begriff des Baterlandes feine bindende Kraft für ihn verloren hatte: 
vergeftalt daß er, zwifchen Freiheit und Vaterland geftellt, fich für 
bie erfiere entfcheiven und das Vaterland an die Freiheit preiägeben 
zu. müſſen meinte. Wir haben venjelben Conflict fih in unferen 
Zagen erneuern fehen, und wiederum find eine Menge evel gearteter 
und wohlgefinnter Naturen darüber zu Grunde gegangen. Weit 








Heinrich Koenig. 167 


entfernt daher, in pas Geſchrei über Berrath und Untreue mit ein- 
zuftimmen, mit welchem Forſter's Name fo lange verfolgt ward 
und welden, wenn wir nnd vecht entfinnen, zuerſt Gervinus im 
feiner „Geſchichte der deutſchen Dichtung,” ſowie in der gleichzeitigen 
Sammlung ver Forfter’fhen Schriften entgegentrat, müſſen wir 
doch darauf beharten, daß Forſter, indem er das Heil Deutfch- 
lands ausfchließlic von den Sranzofen erwartete und biefes Heil 
felbft durch die Abtretung deutſcher Brovinzen nicht zu theuer zu 
erfaufen glaubte, nicht bloß einen politifchen Irrthum begangen 
bat, fondern auch eine fittlihe Schuld. Jedem tragifchen Con⸗ 
flict Tiegt eine fittliche Schuld zu Grunde: ımb wo wäre ein Unter- 
gang tragifcher als. dieſes Ende Forſter's, wie er, verlaflen, im 
fremden Lande, an Enttäufhung und — unausgefprochenem Heim- 
meh ftirbt?! Heinrich Koenig hat fich ven Dank aller einfichtigen 
Patrioten erworben, indem er, ungeachtet aller Vorliebe, vie er 
für feinen Helden hegt, diefe fittlide Schuld deſſelben doch nirgend 
zu verdeden oder auch nur zu beſchönigen fucht; felbft das Herbfte, 
was man über Forfter’s Verfahren in Mainz fagen kann und was 
leider nicht Jo unbegründet ift, wie man zum Ruhme des unglück⸗ 
then Mannes wol wünfchen möchte, läßt er wenigitens zwiſchen 
ven Zeilen lefen: nämlich daß Forſter ohne die langjährige und, 
wie er jelbft allmählig glaubte, unldsbare Verwirrung feiner finan- 
zielen und häuslichen Berhältniffe wol ſchwerlich fo raſch gehandelt 
und ſich ver franzöſiſchen Bartei fo blindlings in die Arme gewor- 
fen, wie er e8 gethan. 

Es ift aber dies Die zweite große Lehre, die unfere Zeit aus 
dem Leben Forſter's zu ziehen hat und wieberum wiflen wir e8 dem 
Dichter Dank, daß er grade viefe Lehre gleichfam zum Grundthema 
feines Buches gemacht hat: die Lehre nämlich, daß bie Freiheit 
nur durch Entſagung gewonnen wird und daß auch der edelſte Wille 


168 Der Roman. 


und das reinfte Streben nicht ausreichen, wo das Maß der Be— 
fonnenheit und der Selbftbefchräntung fehlt. Ganz vortrefflich 
wird nachgewieſen, wie dieſer Mangel an Selbſtbeſchränkung und 
feſtem häuslichen Sinne ſich von früh auf. durch Forſter's ganzes 
Leben hinzieht, fein wiffenfchaftliches ſowohl wie bilrgerliches, ja 
wie er biefen Fluch der Maß- und Orbnungslofigfeit ſchon als 
früheftes und einziges Erbtheil von feinem Vater empfängt. Erſt 
aus den häuslichen Tugenden erwachen bie politifchen; nehmt Eng⸗ 
land feinen großartigen Familienſinn, und gebt Acht, wie viel ihm 
non feinem großartigen Bürgerfinn noch bleiben wird. In der 
Stille des Haufes, in der keuſchen Umgrenzung des eigenen Herbes 
ift e8, wo bie künftigen Bürger des Baterlandes erzogen werben; 
hier haben wir. durch Beharrlichleit, Ordnung und ernſtes, nüch⸗ 
terne8 Streben, durch Entſagung, Maß und Selbſtbeherrſchung 
ben Grund zu legen zu ver vereinftigen Rettung Deutſchlands, — 
wenn das nämlich überhaupt noch zu retten ift. , Zugleich ift, wie die 
Dinge jet bei ung ftehen, dieſer häusliche Kreis beinahe ver einzige, 
ber und überhaupt noch geblieben ift. Zwar auch biefer nicht völlig: 
benn die Polizeimafchine des gegenwärtigen Staates firedt Die un⸗ 
erbittlichen, eifernen Arme befanntlid auch bis in Das Innere des 
häuslichen Lebens. Aber es ift doch wenigſtens noch ein Stüd 
bavon geblieben, .ein fchwimmenves Eiland gleihjam, mitten in 
ben trüben Fluthen der Gegenwart, bie Saat einer kommenden 
befjern Zeit darauf auszuftreuen. Benutzen wir biefen Boden, wie 
er e8 verbient und laſſen wir uns Forſter's Beifpiel zur Warnung 
gereihen, wie bie perfönliche Schwäche ver eltern fich möglicher- 
meife in ben Kindern als politiſches Verbrechen, zum Unglück des 
Vaterlands wie zu ihrem eigenen, wiederholt! 
Doc fehren wir zu dem Buche, das und zu dieſer Abſchwei⸗ 

fung veranlaßte, zurück. Daſſelbe iſt ver Hauptſache nach ſtreng 











Heinrich Koenig. 169 


biftorifch; nur an der Kunft, mit weicher der Stoff gruppirt ift, 
ſowie an ber feinfinnigen Sorgfalt, mit weldyer Die einzelnen pfn- 
chologiſchen Motive durchgeführt find, erfennen wir Die nachbeſſernde 
Hand des Künſtlers. Eine wirkliche Aenberung oder Umarbeitung 
des Stoffes bat berfelbe ſich nirgend erlaubt;. wenn bie, Gefchichte 
bier nichtsdeſtoweniger mit allem bald anmuthigen, bald gewaltigen 
Wirkungen der Boefte auftritt, jo liegt das in dem tiefen poetifchen 
Gehalt ver Charaktere und Schickſale, die hier zur Darſtellung 
fommen. — Einen vorzäglichen Schmud bes. Buches bilden bie 
ansführlichen Schilderungen aus ber Sittengefchichte und dem ge⸗ 
felligen wie literariſchen Treiben der bamaligen Zeit. Für ber: 
gleichen Schilverungen beſitzt Heinrich Koenig überhaupt ein aus: 
gezeichnete Talent; feine reflectivenve, grübelnde Natur, unterſtützt 
durch die vorherrſchende Neceptivität feines Wefens, weiß fich mit. 
wunberbarer Geſchicklichkeit in längft entfchwundene Zeiten und 
Zuftände einzuleben und ben Irrwegen nachzugehen, auf weldgen 
einzelne beventende und merkwürdige. Charaktere ſich entwidelt 
haben. Es iſt daſſelbe Talent der Detailmalerei, Dad wir aud) 
an Wilibald Aleris und Levin Schücking zu bewundern haben: 
und wenn dafielbe auch bei Heinrih Koenig nicht mit berfelhen 
Unmittelbarteit und Parbenfrifche auftritt, fo entſchädigt er 
dafür burd bie ſorgfaltige Durcharbeitung und Sauberkeit feiner 
Zeichnungen. 

Dieſe Schilderungen bilden denn auch die eigentliche Glanz⸗ 
ſeite des großen dreibändigen Romans, den er 1855 unter dem 
Titel: „König Jeröme's Carneval“ herausgab. Wir haben eben 
gefehen, wie Kaſſel und die tolle Zeit der dortigen weftfälifchen 
Herrſchaft gleichſam den zweiten Bol in ver Seele des Dichters 
bildet. Es ift das ergänzende Gegenftüd zu dem Goldenen Mainz“ 
zur Zeit der franzöſiſchen Republik: bort vie Schreden der Revo: 


170 , Der Roman. 


Iution über ein ſtillumfriedetes, reblich ftrebendes, aber von feinen 
Oberen verlaflenes Bürgerthum hereinbrechend, hier ein Abgrund 
franzöfifcher Leichtfertigfeit und Sittenlofigkeit, aus dem beutfcher 
Mannesmuth und deutſche Beſonnenheit fi, wenn auch nicht ohne 
ſchwere Einbuße, doch endlich ftegreich herausarbeiten. 

Der Dichter bewegt fich hier wie in ‚Die Clubiften in Mainz” 
auf einem Terrain, auf dem er durch Herfunft und Studium poll- 
fommen zu Haufe, und auch der Stoff gehört zu der Gattung, die 
ihm am Meiften zufagt: es ift mehr memoirenhafte Schilverung 
als eigentliche romanhafte VBerwidelung, mehr ein behagliches Ent- 
falten und in die Breitegehen, als ein dramatiſcher Berlauf gewal⸗ 
tiger Leidenſchaften und ergreifender Situationen. Das Buch 
erinnert darin wie auch noch in anderen Punkten an Wilibald 
Alexis’ „Iſegrimm,“ zu dem e8 gewiſſermaßen ein Seitenſtück bildet. 
Doch hat der Verfaſſer ſich den Vortheil entgehen laſſen, den der 
märkiſche Dichter jo geſchickt benutzte, indem er in die Mitte feines 
Romans einen Charakter ftellte, in deſſen Inorrig trotzigem 
Weſen ſich gleichſam die Natur feines Landes abjpiegelt und der, 
ganz abgefeben von den Zeitbeziehumgen, fchon durch ſich felbft, 
durch feine ftarfausgeprägte Eigenthümlichkeit, durch feine fitt- 
liche Energie und die Kraft feines Auftretens, den Leſer feſſelt und 
befriedigt. 

Das läßt ſich nun von dem Hermann Zeutleben, der ven Mit⸗ 
telpunft des Koenig’schen Romans bildet, nicht wohl fagen. Der⸗ 
felbe ift im Gegentheil ein etwas blaffer, ſchwächlicher Gefelle, feine 
Naivetäten find meiftentheils zu kindlich, feine vielfachen Wande⸗ 
lungen zu plöglich und zu unmotivirt, als daß wir rechtes Zutrauen 
zu ihm faflen, rechte Theilnahme für ihn gewinnen fünnten. Selbft 
für das Intereffe des gewöhnlichen, mur auf. Interhalting aus- 
gehenven Leſers iſt er zu unbedeutend, faft hätten wir gejagt zu 








Heinrich Koenig. 171 


langweilig. Nun iſt eine gewiſſe fpießbürgerliche Langweiligfeit aller- 
dings ein Zug des deutſchen Nationalcharalters, am Romanhelden 
aber wollen wir ihn doch nicht ſehen oder wenigſtens nur in humori⸗ 
ftifcher Beleuchtung, während biefer Hermann Teutleben feine Lang⸗ 
weiligkeit und Farbloſigkeit, ſeine jugendliche Unreife und Unent⸗ 
ſchiedenheit, mit einem Wort ſeinen Mangel aller heldenhaften 
Eigenſchaften ganz ernſthaft und mit großem Nachdrück zur Schau 
trägt. — Diefem nüchternen, farblojen Helden entfpricht auch bie 
Fabel des Romans; fie ift ebenfalls ziemlich interefielos, und wo 
ja einmal einzelne dramatiſch ſpannende Fäden hervortreten wollen, 
da läßt der Dichter ſelbſt dieſelben ſogleich wieder fallen, ſo daß d die 
Erwartung des Leſers unbefriedigt bleibt. 

Dieſer Mangel einer ſpannenden Fabel und eines bedeutenden, 
ſeine Umgebung wahrhaft beherrſchenden Helden macht ſich in dieſem 
Falle aber um ſo fühlbarer, je breiter die Umgebung ſelber iſt 
und mit je größerer Unbefangenheit der Dichter ſich ſeiner Vorliebe 
für kulturgeſchichtliche Schilderungen und Excurſe hingegeben hat. 
Es iſt daſſelbe Mißverhältniß zwiſchen dem Beiwerk des Romans, 
den zahlreichen Lokalſchilderungen, den Nebenfiguren und Epiſoden 
und dem eigentlichen Kern und Mittelpunkt deſſelben, das wir auch 
bei Wilibald Alexis bemerkten. Freilich bat auch der deutſche 
Dichter in dieſer Hinſicht mit ganz beſonderen Schwierigkeiten zu 
fampfen; wo in der Nation ſelbſt jo wenig Heldenhaftes iſt und wo 
bie eigene vaterländiſche Gefchichte jo wenig große Charaktere er- 
zeugt, da muß e8 natürlich aus der Phantafie des Dichters ſchwer 
fallen, beveutenbe poetifche Helden hervorzubringen und Charaktere 
zu fhaffen, bie in der That würdig und befähigt find, die idealen 
Elemente der Dichtung zu vepräfentiren. 

Dagegen hat der Dichter in der Charakteriſtik der Neben- 
figuren zum Theil Vortreffliches geleiftet, wenn auch mehr auf der 


172 Der Roman.. 


Schatten=, als auf der Fichtfeite, mehr in dert biftorifchen Porträts, 
als in den-poetifch. erfundenen Geſtalten. Unter legteren ift Tina 
ohne Zweifel die bedeutendſte und anmuthigfte und aud) diejenige, 
an welche der Dichter felbft die meifte Sorgfalt verwendet hat; 
wenn fie dem Lefer bei alledem keinen ganz reinen und wohlthuen- 
den Eindruck binterläßt, fo Tiegt das wol hauptſächlich an der pikan⸗ 
ten, aber poetifch wie fittlich unmöglichen Doppelftellung zwifchen 
Dann und Geliebten, in welche der Dichter fie verſetzt umd die 
allenfalls durch ein tragiſches Ende verſöhnt werben, nimmer- 
mehr aber den fomdvienhaften Ausgang nehmen durfte, den ber 
Poet ihr zu geben für gut befunden hat. 

Mit großer Schärfe und Feinheit dagegen iſt König Jeröme 
mit feiner Teichtfertigen Umgebung gezeichnet; anch ‘der Finanzmi⸗ 
nifter von Bülow, Johannes Müller, in feinem Schwanken und 
feiner Unentſchiedenheit, der Kapellmeifter Reichardt zc. find ſehr 
gelungene Borträts, und auch in den zahlreichen Statiften des Ro⸗ 
mans, den Spionen, Kupplern, Polizeidienern, von-benen er wim⸗ 
melt, zeigt ſich eine große Lebendigkeit und Friſche der Charakte⸗ 
riſtik. — Ein Uebelſtand freilich bleibt immerhin an ber ganzen 
Gattung haften. Es iſt verfelbe Uebelftand, den wir auch an 
Wilibald Aleris’ Romanen aus ver preußifchen Gefchichte bemerften, 
und aud) dem Verfaſſer von „König Jerdme's Earneval” ift es 
nicht gelungen, ihm überall zu befeitigen: vie Gefchichte in ihrer 
memoixenhaften Ausführlichfeit jpielt zu unmittelbar in den Roman 
hinein, die gehäuften Porträts hiſtoriſcher Perſönlichkeiten ſtören 
bie poetifche Unbefangenheit und erweden dem Leſer eine gewiſſe 
profaifche Neugier, ein geroiffes Fritifches Geläfte, ven Dichter mit 
der Gefchichte in der Hand zu controliren, ob fih das Alles auch 
wirffich fo verhalten, was denn natürlich dem Finfterifen Eindrud 
nicht eben günftig iſt. — 





Heinrich Koenig. 178 


Neben diejen größeren Werken, ven eigentlichen Stützen feines 
ſchriſtſtelleriſchen Ruhmes, hat Heinrich Koenig im Lauf.ver legten ' 
Jahre noch eine Anzahl kleinerer Arbeiten geliefert, die er felbft 
vermuthlich nur als Lückenbüßer betrachtet und auf die Daher auch 
hier nicht näher eingegangen werben fol. Für einen beliebten 
Schriftſteller, der unter allen Umftänven auf die Theilnahme des 
Publicums zählen darf, Liegt die Verfuchung zu dergleichen leicht⸗ 
bingeworfenen Arbeiten nahe genug; der See will feine Opfer, die 
Leihbibliothefen wollen ihre Novitäten haben und fo ift e8 denn im- 
merhin als ein Fortſchritt zu betrachten, wenn anerkannte und be= 
fähigte Schriftfteller fich herbeilaffen, dies frivole Bedürfniß des 
Publicums zu befriedigen, als wenn dieſe Befriedigung ausfchließ- 
lid) ven Tagelöhnern ver Literatur überlaflen bleibt. — Unter dem 
Titel „Seltfame Gefchichten” Yieferte Heinrich Koenig eine Samm- 
fung Heinerer Erzählungen und memoirenartiger Schilderungen, 
unter denen namentlich die legteren manches Intereflante enthalten. 
In der biftorifchen Novelle „Täuſchungen“ führt der Dichter und 
nochmals auf jenen Boden des republifanifch unterwühlten Mainz, 
‚ ben er bereits fo vielfach und fo erſchöpfend gefchilvert hat. Der 
Held ift ein vornehmer Schwindler, ein Abenteurer, ber ſich unter 
ber Masle des geiftreihen Mannes in allerhand bedenkliche und 
zweibeutige Unternehmungen einläßt und wenn auch jchließlich die 
poetifche Gerechtigkeit an ihm gebt und ihm die Maske vom 
Antlig gerifien wird, fo ift doch ein folder Charakter überhaupt 
nicht befonders geeignet, die Sympathien des Leſers zu erweden. — 
Völlig verfehlt iſt das neuefte Werk des Dichters: „Marianne ober 
Um Liebe leiven‘ (2 Bde. 1858): da ja aber nach dem hefann- 
ten Sprichwort felbft Homer zuweilen jchläft, jo wird man ja aud) 
einem. Übrigens jo fruchtbaren und talentvollen Schriftiteller ein 
einzelnes verfehltes Buch wol nachſehen dürfen. 


174 Der Roman, 


- Schließlich fei bier noch erwähnt, daß Heinrich Koenig ſich 
gelegentlich auch als Dramatiker vetſucht hat: „Die Wallfahrt” 
(1832) und „Otto III.” (1836). Es find Berfuche, wie faft jeder 
ſtrebſame deutſche Dichter, mag fein Talent in der That auch in 
einer ganz anderen Sphäre liegen, fie einmal anzuftellen pflegt; das 
Licht der Lampen haben fie unferes Willen! niemals exrblidt und 
auch für die bramatifche Literatur find fie ohne Bedeutung. 








6. 
Sriedrich Hacländer und Friedrich Gerſtäcker. 


Wir bezeichneten Heinrich Koenig als einen weſentlich reflec⸗ 
tirenden Dichter. Sein Pothos, fagten wir, ift die Tendenz; mit 
Borliebe bewegt ex fich in folchen Zeiten und folhen Gegenven, wo 
Licht uud Finſterniß noch mit emander im Kampfe liegen und wo 
das gewaltige Ringen des Jahrhunderts fich wieberfpiegelt in dem 
tragischen Schidfal einzelner hervorragenber Perfönlichkeiten. Man 
kaͤnn zuweilen zweifeln, ob Heinrich Koenig mehr zum Dichter oder 
zum Hiſtoriker berufen und ob das, was er uns bietet, mehr Poeſie 
oder mehr Geſchichte iſt. Die Receptivität iſt bei ihm größer als 
bie Productivität, fein kritiſches Vermögen ſtärker als feine Phan- 
taſie; feine Muſe ift ein gar gelehrtes Frauenzimmer, das erft viele 
Bücher durchſtöbert und viele Syſteme durchforſcht haben muß, 
bevor fie fi) Daran macht, ven mühſam geſammelten Stoff auf ihre 
Weife zu verarbeiten. Danımı haftet auch Allen, was er jchreibt, 
eine gewifle Kälte, faft müfjen wir jagen, eine gewifie Schwerfäl- 
ligkeit an; Heinrich Koenig ift ohne Humor und obwohl’ er e8 liebt, 
feinen Stil mit allerhand -wigigfeinfollenden Einfällen und An- 
fpielungen zu verbrämen, fo ift doc der Wit eben nicht feine 
ftarfe Seite. 

Wohlan dem, hier find zwei andere Lieblinge unferes roman 
leſenden Publicums, die von Neflerion und Tendenz nichts willen, 


176 Der Roman. 


ächte Naturburfche, die ſich um Bücher und Syſteme vou jeher 
biutwerig gekümmert, dafür aber fich tüchtig im Leben getummelt 
und obenein von der Natur die Föftliche Mitgift einer immer heitern 
Laune und eines immer lachenden Humors empfangen haben: 
Friedrich Hadländer und Friedrich Gerftäder. 

Die ungeheure Mehrzahl unferer deutſchen Poeten nimmt ven 
Weg in die Literatur durch Die Studirftube; ehe fie vie Welt kennen, 
fchreiben fie Bücher und ehe fie Bücher ſchreiben, fchreiben fie Kri- 
tifen. Hier find denn einmal zwei Schriftfteller, die einen völlig 
entgegengejetsten Weg eingefchlagen haben. Beide, Hadlänver 
wie Gerftäder, find nicht aus den gelebrten, ſondern aus den ges 
werbtreibenven Ständen hervorgegangen; beide haben nie eine Uni⸗ 
verfität befucht, nie eine eigentliche wiſſenſchaftliche Bildung erhal⸗ 
ten. Dafür aber haben beide von Iugend auf vielfache Gelegenheit 
gehabt, Welt und Menfchen fennen zu lernen; das bunte Treiben 
ber Wirklichkeit, das der Mehrzahl unjerer Poeten Zeit ihres Lebens 
ein Buch mit. fieben Siegeln bleibt, bat ſich frühzeitig vor ihren 
Blicken entfaltet, ja. fie ſelbſt haben in mannigfachſter Weiſe 
thätigen Antheil daran genommen. Die große Maſſe unferer 
Schriftfteller entwidelt fi, immer nur im Treibhaus der Theorie, 
Hadlänver und Gerftäder bat die Schule des Lebens großgezogen; 
weil fie felbft ſo viele Abenteuer beftanden, vermögen fie fo aben- 
tenerliche Bücher zu fchreiben; in den harten Kämpfen, die fie mit 
ber Realität ver Dinge geführt Haben, hat fi) diefer Realismus 
der poetifchen Darſtellung herangebildet, den wir an ihnen be 
wundern. 

Beide find in demfelben Jahre (1816) geboren. Hadläuper's 
Heimath ift das gewerbreiche Burtſcheid bei Aachen, befanmtlich 
eine unferer thätigften und ſtrebſamſten Fabrikſtädte. Mit 
einer fehr mangelhaften Schalbildung wurde er in einem Alter von 


N 


Friebrich Hadländer und Friedrich Gerſtäcker. 177 


vierzehn Jahren als Lehrling in eine Modewaarenhandlung nach 
Elberfeld gebracht; hier lernte er praktiſch alle jene „kleinen Leiden“ 
des angehenden Kaufmanns fkennen und vertiefte ſich gründlichſt in 
jenen „Handel und Wandel,“ den er ſpäterhin ſo ergötzlich, wenn 
auch freilich nicht in der roſenfarbenen Beleuchtung ſchilderte, in der 
z. B. Guſtav Freytag das Haus T. A. Schröter u. Comp. erblickte. 
> Doc laſſen ſich ſolche Heinen Leiden beſſer ſchildern als erle⸗ 
ben. Der junge Dichter — denn ſchon als Lehrling dichtete Had- 
länder nicht nur, fondern eihzelne feiner jugendlichen Producte waren 
auch ſchon durch bie Elberfelder Localblätter in die Deffentlichkeit 
gedrungen — fühlte fi) hinter dem Ladentiſch nichts weniger als be⸗ 
haglich und fo’ ergriff ex niit Begier die Gelegenheit, ſich einem an« 
deren, ihm, wie er glaubte, niehr zuſagenden Stande zu widmen: er 
trat in die preußische Artillerie, und wenn er bis bahin mit der 
Mifere' des armen Handlungslehrlings zu kämpfen gehabt hatte, fo 
lernte er nun das ganze vergolvete Elend eines modernen Friedens⸗ 
folpaten fennen. Auch wurde er deſſelben bald wieder überdrüffig 
und trat in ſeinen früheren Stand zurück, jedoch nur um ihm in 
kurzem aufs Neue und num für immer zu entſagen; voll kecken 
Jugendmuthes einem Tolente vertrauend, von dem ev bis dahin 
nur erft .fehr untergeordnete Proben abgelegt hatte, begab er ſich 
nad Stuttgart, der großen Metropole des ſübdeutſchen Buchhan⸗ 
dels, um daſelbſt als Schriftfteller fein Glück zu verfuchen. 
Und das Gluck war ihm hold; die „Bilder aus dem Soldaten⸗ 
leben im Frieden,” die er 1841 veröffentlichte und in denen er die 
Erinnerungen feiner eigenen militairifchen Leidenszeit niederlegte, 
erregten das allgemeinfte Aufſehen und verſchafften ihm raſch einen 
beliebten Namen. Auch war diefer Erfolg wohlverdient; ſo leicht 
diefe Skizzen auch hingemorfen waren und fo viel Mängel ihnen 
in ftiliftifcher Hinſicht anklebten, fo wurde das Alles doch reichlich 


Brup, die deutjche Literatur der Gegenwart. II. 13 


178 Der Roman. 


aufgemwogen durch bie gefunde, natürliche Friſche und ven naiven 
Humor, der fie belebt. Man muß nur immer die Zeit fefthalten, 
in welcher Hadlänver zuerft vor dem größern Publicum auftrat. 
Die deutſche Literatur hatte dazumal jene krankhafte Bläffe, die ihr 
von ben Zeiten unferer Romantiker her anhaftete, noch nicht völlig 
überwunden, fie war noch fehr abfiract und fchaufelte ſich noch 
immer lieber, ein Vogel Phönir, in ven blauen Lüften, als daß fie 
verfucht hätte, ſich in der Welt der Wirklichfert heimifch zu machen. 
In diefe Welt nun eröffnete Hackländer einen Blid — und 
welch einen Blick! Das hatten wir ja Alles felbft miterlebt, das 
waren ja ‚alles lauter gute alte Bekannte, dieſe fhnurrbärtigen 
MWachtmeifter, dieſe näfelnden Lieutenants, dieſe dicken Hauptleute 
mit ihren Kreuzmillionen Donnerwettern, bis hinauf zu deni geſtren⸗ 
gen Herrn Oberſten, der gar nicht mehr anders ſpricht, als nur in 
Fluch⸗ und Schimpfwörtern und. gleich Zeus feine Blitze ohne Au⸗ 
ſehen ver Berfon nach allen Seiten hin entfendet; wir hatten fie 
geathmet, dieſe ſchwere dicke Luft der Wachtſtuben mit ihrem Ge⸗ 
mengfel von Tabak, Schnaps und Unfchlittlichtern; wir hatten fie 
gehört und wieder gehört, diefe tauſendmal vernonmenen und im⸗ 
mer wieder belachten Schwänke und Wie, die gleihfam mit zu 
dem eifernen Beftand ver Kaſerne gehören und auch pie melancho⸗ 
fifchen „drei Tage Mittelarreft” hatten wir gelegentlid, mit- durch⸗ 
“ gemacht. Das Alles wurde hier mit einer Wahrheit und Treue 
gefchilvert, ‚vie unmiberftehlich feffelte; je feltener dieſe durchaus 
realiftiiche Behandlung in umferer damaligen Titeratur nad war, 
je größer mußte natürlich auch die Wirkung fein, es war ein ganz 
neuer Genuß, der dem Publicum bier geboten ward und es gab fi) 
ihm bin mit der ganzen ungetrübten Freude und Unbefangenbeit 
eines überrafchten Kindes. 
Diieſe ſtreng realiſtiſche Darftellung fehrt nun auch in allen 


⸗ 


Friedrich Hadlänber und Friedrich Gerſtäcker. 179 


ſpäteren Schriften unſers Dichters wieder. Dieſelben ſind ſehr 
zahlreich (z. B. „Handel und Wandel“, 2 Bde. 1860;, Namenloſe 
Geſchichten,“ 3 Bde. 1851; „Europäiſches Sclavenleben,“ 4 Bde. 
1854; „Eugen Stillfried,“ 3 Bde. 1866;, Der neue Don Quixote,“ 
4.Bde. 1858 ꝛc.): denn da Hackländer ſich mit tiefen Gedanken 
und ernſten Studien nicht plagt, ſondern die Wirklichkeit friſchweg 
abſchreibt, mo und wie er fie findet, fo kann er natürlich mit großer. 
Schnelligleit probuciren. Ads denſelben Gründen bat er auch ein 
fehr großes umd jehr anhängliches Publicum; feine Bücher Iefen fich 
alle jo Leicht, fie machen fo wenig Anfprüche an die Denkkraft, ja 
ſelbſt nur an die Phantafie des Leſers, es ift fo gar nichts darin 
von Tendenzen und Theorien, fondern Alles fpinnt ſich fo glatt 
und friedlich ab und auch der Schluß ver Gefchichten ift allemal 
fo befriedigend, wie ein richtiger Romanleſer e8 ſich nur immer 
wünſchen kann. — Es find in allen feinen Werken immer viefelben 
Menſchen und dieſelben Lebenskreiſe, denen wir begegnen; da ift 
ein wenig Hof: — der Dichter war bekauntlich eine Zeitlang als 
Secretair des Kronprinzen von Würtemberg beichäftigt und Tebt 
noch jetzt in intimen Beziehungen ˖ zu der vornehmen Geſellſchaft 
der ſchwäbiſchen Reſidenz — etwas alter Adel, etwas neuaufſtre⸗ 
bendes Bürgerthum, viel, ſehr viel Kramladen, viel Theater⸗ und 
Couliſſenwirthſchaft, etwas Literatur und Buchhandel, nicht zu 
vergeſſen die unvermeidlichen Lieutenants und Officierburſchen, zu 
denen der Dichter noch von ſeinen Leidensjahren als preußiſcher 
Artilleriſt her eine ſtille Zuneigung behalten hat. 

Es iſt merkwürdig, mit welcher Selbſtgenügſamkeit Hackländer 
in dieſen einmal liebgewonnenen Kreiſen beharrt und wie unver⸗ 
droſſen er iſt, immer dieſelben Marionetten an denſelben Fäden zu 
ziehen. Da iſt feine Fortbildung der Anſichten, feine Erweiterung 
ver Standpunkte, feine Aufnahme neuer Elemente und An- 


12 


“ 


180 . Der Roman. 


ſchauüngen ; mit vollkommenſter Unbefangenheit reproducirt der 
Dichter ſich ſelbſt im feinen eigenen Figuren und iſt dabei ſtets ge= 
wiß, ein dankbares Publicum zu finden. 

Denn noch ſteht es ja in Deutſchland jo, daß man nur für 
ben Philifter zu ſchreiben brauch, um heit des größten Publicums 
‚gewiß zu fein. — 

Selbſt die Ereigniffe und Abenteuer feines eigenen [päteren Le⸗ 
bens bleiben auf die Erzeugnifie dieſes Dichters ohne direeten Einfluß 
‚und vermögen ferner Bhantafie feine neuen Schwingen zu verleihen. 
Hackländer hat das Glüd gehabt, große Reifen zu machen und viele 
fremde Länder zu fehen, zun Theil unter fo giftigen Umftänben, 
wie fie einem. PBrivatmanne.nur felten zu theil werben. . Ein vor- 
nehmer Ravalier, ver vom König von Würtemberg nad) dem Orient 
geſchickt wurde, um bafelbft edle Pferde einzukaufen, wählte ihn 
zum Reifegefährten; er begleitete ferner den Kronprinzen von Wür- 
temberg auf wieberholten Reifen durch Italien, Sieilien, Norb- 
deutſchland, Belgien und Rußland; auch Spanien wurbe neuer- 
dings von ihm befucht und währenn des Feldzugs der Defterreicher 
gegen Sardinien, im März 1849, befand er fi im Hauptquartier 
des Grafen. Radetzky. Allein abgefehen von ven Schilderungen 
feiner Triegerifehen Abenteuer („Solvatenleben im.Kriege, 2 Bde. 
1849), iſt feinen Schriften von allevem nur wenig anzumerfen; 
jelbft die Farbenreiche Welt des Morgenlanves hat nur wenig Ein- 
druck auf ihn gemacht und fowol die „Daguerreotupen, aufgenom- 
men auf einer Reiſe in ven Orient,“ (2 Bde. 1842), wie „Der 
Pilgerzug nad) Mekka“ (1847) find nur ziemlich nüchtern und pro⸗ 
ſaiſch ausgefallen. Der. Dichter kennt eben feine Stärke und 
beutet fie aus wie ein Muger Kaufmann: in jenen vorhin bezeich- 
neten Rreifen ift er vollſtändig zu Haufe und da es dieſelben Kreife 
find, aus denen das große Publicum jelber' zufammengejegt ifl, 





Friedrich Hackländer und Friedrich Gerftäder. 181 


und da ferner, wie man weiß, ein Jeder am Liebſten von ſich felber 
hört und lieſt, ſo iſt bie Speenlation auch gewiß ganz ver- 
fändig. — 

Noch ungleich bewegter und abentenerliher iſt das Leben, 
weiches Frienrich Gerftärer geführt hat. Zu Hamburg als der 
Sohn eines zu feiner Zeit beliebten Sängers und Schauſpielers 
geboren, begleitete ex benfelben fchon als Kind auf feinen häufigen 
Kunfireifen und gewöhnte fi) dadurch frühzeitig an ein unfletes 


Wanderleben. Nach dem Tode des Vaters follte er Kaufmann 


werben: allein fein Sinn ftand in die Ferne, er wollte nach Amerika 
auswandern, und um ſich dazu gehörig vorzubereiten, widmete ex 
fich eine Zeit lang der Landwirthſchaft. 1837. fchiffte er fich auf 
gut Gläd nach Amerika ein. Allein dies ſogenannte „gute Glüd 


ift häufig ein ſehr ſchlimmes. Ohne beſtimmten Tebensberuf, ſelbſt 


ohne genügende Kenntnifſe, gerieth Gerftäcer auf dem fremden, 
ungaſtlichen Boden bald in vie bitterſte Noth; das bischen Hab 


und Gut, das er aus Europa mitgebracht hatte, wurve ihm von 
einem „fmarten Yankee” richtig abgenommten und fo fah der an⸗ 


gehenve Dichter ſich bald allen Wechjelfällen des nordamerikaniſchen 
Lebens hilflos preiägegeben. 

Oper nein, .micht hilflos: der ſtarke, Fräftige Wann, mit ben 
gefunden Gliedern und der unerſchütterlichen Kraft feines Willens, 
fand die Hilfe in fich ſelbſt. Reißt einen deutjchen Dichter oder 
Gelehrten, wie fie nun einmal find, aus ven Verhältniſſen, in denen 
er. aufgewachſen umd in neun von zehn Fällen wirb er zu Grunde 
gehen, wie ein ausgeſetztes Kind. Gerftäder ging nicht zu Grunde; 
bie deutſche Stubenluft hatte noch nicht an feinem Jugendmuth und 
feiner Kraft gezehrt. In ben verſchiedenartigſten Lagen und zum 
Theil unter den wärftigften Verhältnifien, bald als Heizer und 


Matrofe, bald ats Hanblanger, bald als Pächter, zuweilen auch 





182 -- Der Roman. 


als Holzhauer, als hauſirender Krämer, als Silberfhmid, einmal 
fogar als Fabrikant von Billenfhachteln, durchſtreifte er Die Union 
von einem Ende zum andern und fchlug jich überall tapfer durch; 
waren feine Mittel erſchöpft, ſo griff er zu ver erften ber beften 
Arbeit, die fich ihm darbot, und hatte er ſich Damit ein Meines Kapital 
gefammelt, fo begab,er ſich aufs Reue auf die Wanderſchaft. Auch 
lebte, er längere Zeit hindurch als Jäger in den Urwäldern, von 
allen Menfchen abgeſchieden, nur feiner guten Düchfe, and feinem 
Jagdglück vertrauend. 

Auf diefe Art ſammelte Gerftäder ven Stoff zu den „Streif- 
md Jagdzügen dürch die Vereinigten Staaten - Nordamerikas,“ 
(2 Bde. 1844), mit denen er nad) feiner endlichen Rückkehr nad) 
Europa zuerft als Schriftfteller auffrat und denen dann raſch nadh 
einander zahlreiche andere Werfe folgten. Dieſelben geben fämmt- 
lich die Eindrüde wieder, welche der Dichter währenn feines Auf⸗ 
enthalts in Amerika gefammelt. Das Beveutenpfle darunter find 
„Die Regulatoren am Arkanſas“ (3 Be. 1846) und „Die Fluß: 
piraten im Miffiffippi (2 Be. 1848): beide ausgezeichnet ſowol 
durch die Lebendigkeit amd Frifche der landſchaftlichen Schilderungen, 
wie namentlich auch durch das dramatiſche Interefle ver Fabel und 
bie lebhafte und Fräftige Charakteriſtik. Gerfläder erinnert, in 
feinen Borzügen jowol -wie in jeinen Schwäden, an Karl Spind- 
ler; es ift dieſelbe unverwüſtliche Erfindungskraft, dieſelbe Heppig- 
keit ver Phantafie, dieſelbe Plaſtik der Darſtellung, aber freilich 
auch derſelbe rohe Naturalismus und derſelbe Mangel an Selbſti⸗ 
kritik, dieſelbe Hinneigung zu einer er leichtferüigen, faſt fabrifmäßigen 
Production. 

Dieſer letztere Vorwurf trifft Gerſtäcker beſonders in jũngſter 
Zeit, nach feiner Ruckkehr von der großen Reiſe um die Welt, die 
er im Frühjahr 1849 antrat. Schon die Schilderung dieſer Reife, 


— 


Friedrich Hackländer und Friedrich Gerſtäcker. 183 


vie er 1852 in 5 Banden veröffentlichte, zeigt nicht mehr ganz bie 
Friſche des Eolorits und bie naive Anmuth der Darjtellung, durch " 
die feine früheren Werte fich auszeichnen; es iſt nicht mehr ber ut 
befängene Drang der Mittheilung, ver ihm Sie Feder in bie Hand . 
giebt; der ehemalige Bewohner der amerifanifchen Urwälder tft 
Schriftfteller geworben, Schriftfieller vom Handwerk und gießt in 
feinen Wein’ grade fo viel Waffen, mie das große Publicum e8 
liebt. — Wir verzichten Daher auch Darauf, dieſe Werke: hier im 
Einzelnen aufzugählen. Es find theils Neifeerinnerungen, theils 
Romane, theils Botfs- und Kinverfchriften: Alles räftige, gefunve 
Waare, aber etwas flüchtig zubereitet umb mehr auf das Bedürf—⸗ 
niß des großen Haufens, als auf die Befriedigung des Kenners 
berechnet. " 

Und darin ſtimmt ex denn wiederum mit Fredrich Hadlãnder 
überein. Natur und Schickſal haben für dieſe beiden Schriftfteller 
außerordentlich viel getban; durch den derben, friſchen Realismus, 
der in ihren Schriften berrfcht, find fie ein wahrhaft erfriſchendes 
Element für die Literatur der Gegenwart geworben. Allein fo 
viel ſich in diefer Schule des Lebens auch fernen läßt und fo fehr 
beide Dichter durch vie Fälle ihrer praktiſchen Erfahrungen der 
Mehrzahl ihrer fchrrfftellerifchen Collegen überlegen find, Eines 
kann die bloße Empirie doch nicht geben: das tft die höhere künſt⸗ 
leriſche Bildung und die bewußte Empfindung bes Schönen. Hier 
haben beide Dichter ihre Achillesferfe; fle find interefiant, unterhal- 
tend, wigig, aber fie find roh; es fehlt ihren farbenreichen Gemäk- 
den an jenem Duft ver Poefte umd jener fünftlerifchen Einheit, die 
allein ans einem ernften und gewiflenhaften Studium ber Kunft 
und ihrer Gefege gewonnen wird. — Bei Hadlänver zeigt ſich das 
vornämlich in feinen dramatiſchen Berfuchen. Allerdings find bie 
beiden Luftfpiele, mit denen er im Lauf ver legten Jahre das 





184 Der Roman, 


dentſche Theater bexeicherte („Der geheime Agent,“ 1850 in Wien 
bei der von Laube ausgefchriebenen Concurrenz mit einem Preife 
gekrönt, und „Magnetifche Euren,“ 1851) von Seiten des Publi⸗ 
cums mit lebhaften Beifall aufgenommen worben, und als geſchidt 
gearbeitete und wirkfame Bühnenftäde haben fie deufelben ohne 
Zweifel aud) verdient. Im Uebrigen aber mangelt es beiden Stüden 
doch an eigentlicher Poefie; die Komik kommt nicht über den Spaß 
hinaus, e& fehlt jene große und freie Weltanſchauung, ohne die fein 
wahrer Humor fi. entfalten. Tann; der Dichter müßte ernfler 
und tiefer nachgedacht haben über die wichtigften Probleme der mo⸗ 
dernen Gejellfchaft, ex müßte mit einem Wort dem Idealen näher 
fiehen, wenn fein Realismus erfreulicher und feine Komik poetiſch 
wirkſamer fein follte. 

Bei, Oerftäder macht der eben gerügte Mangel ſich beſonders 
in der Vernachläſſigung der Form bemerkbar. Nicht nur in der Com⸗ 
poſition feiner Werke zeigt. ex neuerdings eine tadelnswerthe Leicht⸗ 
fertigkeit, ſondern auch die Correctheit und Reinheit der ſprachlichen 
Darſtellung wird von ihm mehr als billig vernachläſſigt. Es wäre 
ſehr ſchade und würde ein wirklicher Berluft für unfere Literatur 
fein, wenn zwei jo frifche und liebenswürdige Talente, wie Ger- 
fläder und Hadländer urfprünglich find, durch Vielfchreiberei und 
gefliffientliche Bernachläffigung zu Grunde gehen folltn. Und doch 
wird, wenn fie ſich nicht bei Zeiten zur Umkehr won dem neuerbinge 
betretenen Wege entfchließen, viefer. Ausgang kaum zu vermeiden 
fein. Ä 


— 





T. 


Aarl von Holtei, 

Zu dieſen netæraliſtiſchen Talenten wie Hackländer und Ger 
ſtäcker gehört auch Karl non Halte. Diefer Dichter, der wit feinen 
Lieverfpielen, feinen Romayen, feinen gefelligen Scherzen: :c. feit 
mehr als einem Dienfchenalter fo viel zur Erheiterung des Publi⸗ 
cums beigetragen, iſt ſelbſt eine tieftragifege Erſcheimmg; es iſt der 
alte Komödiant, der, nachdem das Publicum ſich verlaufen hat und 
die Lampen ausgelöſcht ſind, ſich die Schminke von den abgehärm⸗ 
ten Wangen miſcht und ſtill und einſam im fein armliches Kaͤmmer⸗ 
lein zurücklehrt. 

Wir denken dabei nicht F an den undant, welchen Holtei 
von Seiten des deuiſchen Theaters erfahren, dem er bie beſte 
Kraft feiner. Sabre, ein ganzes Beben voll Arbeit und Anftrengung, 
voll Hoffnungen und Enttäufchungen gewinmet bat: auch vie lite: 
rariſche Kritik hat ven Dichter Holtei von jeher mit-einer eigen⸗ 
thümlichen Spröpigteit behandelt, vie am. fo auffallenver ift, wenn 
mean damit die Zuperlommenheit vergleicht, mit der ſie jo viele 
andere weit unbebentenbere und barum auch mit Recht Längft ver- 
geſſene Erſcheinungen aufgenommen. 

Wir für unſer Theil vermögen dieſe Spröwigleit nicht zw 
theilen; wir halten im Gegentheil das poetiſche, namentlich das 
dramatiſche Talent bes Herrn vpn Holtei für. eines ber. veichſten 


186 Der Romdn. 


und glüdlichften, die und in ben legten Jahrzehnten befcheert ge 
weſen find, und beffagen aufrichtig die ungänftigen Verhältniſſe, 
welche ihn gehindert haben, daſſelbe mit größerer Sorgfalt auszu⸗ 
bilden und ſich zu bebeutenberen und dauerhafteren Schöpfungen 
zufammen zu faffen. 

Freilich, wie der Menſch Überhaupt feines Glüdes Schmid 
ift, fo ift auch jene Ungimft ver Verhältniſſe zum Theil von Holtei 
feldft verjchuldet worden. In Guſtav Freytag md Mar Waldan 
erfannten wir beftimmte einzelne Seiten des fchlefiichen National- 
charalters; Karl von Holtei ift dev Schlefter, wie er leibt und lebt. 
Da ift Alles beifammen, was dies eigenthümliche Välkchen keun⸗ 
zeichnet: der jubelnde Uebermuth ung vie ſtille Melancholte, bie 
raſtloſe Beweglichkeit und die in ſich feldft verſinkende Indolenz, 
Sentimentalitaät und Schalfheit, tiefes Raturgefühl und ein un- 
widerſtehliches Vedarfniß nach geſelliger Aufregung und Zer⸗ 
ſtreuung. 

Und vor Allem auch viel ſhefiſcher Siem. e⸗ iſt in 
Schleſien bekanntlich ſchon viel polniſches Blut; man muß die 
großen ſchleſiſchen Gutsbefitzer und Staudesherren gefehen haben, 
namentlich vor zwanzig, dreißig Jahren, bevor noch die Roth der 
Zeit ihnen die Flügel allzuſehr beſchnitten, wie ſie zur Zeit des Woll⸗ 
marfts an ben Breslauer Wirthstafeln zuſammen kamen und hier 
bei. Champagner und Würfelfpiel die Erträgniſſe eines ganzen 
Jahres in einer Infligen Nacht veriubelten — oder muß einen 
Blick gethan haben in vie Myſterien, vie in ven Heinen fchlefifchen 
Badeftäbten gefeiert werben, zu Winterszeit, wenn ble Guſte abge» 
zogen und vie Fenſterladen gefchloffen ſind und Wirk und Wirthin 
mit behaglichem Schmunzeln den: Gewinn des letzten Sommers 
Aberzählen, um ſich einen Begriff zu machen von bem tollen Ueber⸗ 
muth und ver wahrhaft baechautiſchen Luſtigkeit, welche den Schlefler 








Karl von Holtet. 187 


zu Zeiten ergreift: Im entſchiedenſten Gegenſatz zu dem haushal⸗ 
teriſch nüchternen Sachſen oder dem prahleriſchen Hungerleider 
an der Spree, iſt der" Schleſier jeden Augenblick bereit, feine . 
danze Exiſtenz auf eine Karte zu ſetzen; er iſt ein geborner Hazarde 
fpieler und auch dem veben bietet. ex nur allzu gern ein verwegenes 
Paroli. 

Und auch in dieſem Butt iſt Karl von Holtei ein ächtet 
Schlefier geweſen. Es darf dies ausgefprochen werden ohne die 
Gefahr einer- Indiscretion, da er ja ſelbſt in Den acht Bänden feiner 
„Dierzig Jahre‘ (1842 — 1851) dem Publicum die Sunden und 
Irrthümer feiner Jugend jo ausführlich und mit foviel liebens⸗ 
würdiger Offenherzigleit gebeichtet hat. Bor Allen war das 
Theater die Sirene, die ihn gefangen hielt und ihn; fo oft er ſich 
auch ſchon von ihre losgemacht hatte, immer -und immer mieber 
in ihre umſtrickenden Arme zug. Es iſt ein betrübenver Anblick, 
wie fo viel Talent und fo. viel ſchöne, jugendliche Begeifterung nutz · 
[03 zerflattern, theils weit ſie ſich auf einem unfruchtbaren Boden 
bewegen, theils aber auch weil es dem Talente felhft am Charakter, 
der Begeifterumg an Auspauer und Befonnenheit mangelt. Die 
„Bierzig Jahre,” in venen Holtei die Geschichte feiner Irrfahrten 
und Abenteuer nievergelegt hat, find in kulturhiſtoriſcher Beziehung 
eines der Intereflanteften und merkwürdigften Bücher, die wir. be» 
figen, - und Publicum wie Kritik Haben wiedernm nicht Recht 
daran gethan, daß fie einfeitig nur die Schwüchen des Buchs, wie Die 
allzugroße Breite der Darftellung, die häufigen Wiederholungen, 
das gefliſſentliche Berweilen bei unerheblichen und gleichgiltigen 
Dingen ꝛc. hervorgehoben und darüber ven hohen Werth über⸗ 
fehen Haben, ver ihm als Beitrag zur Sitengefinehe unferer Zeit 
zukommt. 

Mit Bollendung dieſes Buqches, alſo genau mit dem Beginn 


.. 188 ‚Der Roman. 


derjenigen Epoche, bie und hier beſchäftigt, hat Holtei nun wirklich 
und wahrhaftig vom Theater Abſchied genommen und müſſen wir 
es baher bei dieſer allgemeinen Erinnerung an die Berbienfte, melde 
ex fi) um die deutſche Bühne erivorken hat, bewenden laſſen. Allein 
wen auch von bem Theater, fo hatte Holtei darum doch nicht von 
ver Literatur überhaupt Abſchied genommen. Im Gegentbeil, grade 
innerhalb dieſer legten zehn Jahre hat er ſich als Schriftfleller von 
eimer ganz neuen Seite gezeigt und das Publicum, das ihm ver 
den Lampen nicht mehr Stich haften wollte, mit-ganz neuen Mitteln 
am fich gefeflelt. \ 
+ Bir meinen die Holtei’jhen Romane. Jean Paul that 
irgend einmal ven Ausſpruch: wer einen Roman ſchreiben wolle, 
müfle minveftens fein vreißigftes Lebensjahr hinter ſich haben: eine 
Forderung, die freilich der Mehrzahl unſerer heutigen Poeten, die 
ja Alles wiſſen und baher nichts mehr zu erleben brauchen, ſehr 
unbequem fallen wiirde. Holtei dagegen ift ihr nicht blos nachge⸗ 
fommen, er bat fie fogar noch übertroffen; ſchon Lagen beinahe 
funfzig Jahre eines bewegten und erfahrungsreichen Lebens hinter 
ihm, er felbft hatte. bereits ſozuſagen eine ganze Bibliothek von 
Momanen erlebt, bevor er nur daran dachte, viefes Kapital feiner 
Lebenserfahrungen im Roman zu verwertben. Aber dafür fledt 
mm in diefen Holtei’fchen Romanen auch eine foldye Fülle unmit⸗ 
telbarften Lebens, fie find fo reich an Kenntniß ver Menſchen, ihrer 
Leidenſchaften, Thorheiten und Verirrungen, der Spiegel der Wirk⸗ 
lichkeit, ven er in ihnen aufftelkt, ift fo umpfaflend und fo treu, daß fie 
ſich in kurzer Zeit die lebhaftefte Theilnahme der Lefewelt erwerben 
haben, und daß auch die Kritik um dieſer Vorzüge willen gern die 
Roderheit ver Compoſition, pie Flüchtigkeit der Darftellung und bie 
übrigen äfthetifchen Mängel verzeiht, an denen fie leiden. 
Allein bevor wir dieſe Holter’fhen Romane etwas näher ins 








Karl von Holtei. 189 


Auge fafien, fei es geftattet, unfern Dichter noch von einer anberen 
wenig beachteten Seite zn betrachten, die uns gleichwol für bie 
Kenntniß feines poetifhen Charakters von außerſter Wichtigkeit 
düukt: nämlich als lyriſcher Dichter. 


Natürlich denken wir dabei nicht an ſeine in hochdeutſcher 
Sprache abgefaßten Gedichte. Dieſe, obwol ſie es im Lauf der 
Jahre bis zur vierten Auflage gebracht haben („Gedichte,“ 1854), 
find doch, einzelne allgemein bekannte und theilweiſe ſogar zu Volks— 
liedern gewordene Einlagen aus feinen Lieverfpielen ausgenommen, ' 
im Ganzen nur von geringem Werth und erheben ſich nicht über 
das Durchſchnittsmaß der Tageslyrik. Auch die „Stimmen bes 
Waldes“ (1848, zweite Auflage 1855) athmen eine etwas gar 
zu breite Gemüthlichfeit und gehören überhaupt einer zu verdäch⸗ 
tigen Gattung an, als daß wir ihnen eine befondere Wichtigfeit 
beilegen möchten. Dagegen nehmen wir feinen Anſtand, Karl von 
Holtei's „Schlefiihe Gedichte‘ (zuerft 1830, dann in fehr ver- 
mehrter und verbefierter Geſtalt 1851) dem Vorzüglichſten beizu- 
zählen, nicht nur. was pie Dialeftpoefie in neuerer Zeit bei uns 
hervorgebracht hat, jondern auch was unſere Lyrik überhaupt befigt. 
Auch find wir überzeugt, daß, wenn überhaupt etwas aus Holtei's 
Schriften fih in fpätere Jahrhunderte rettet, dieſe „Schleſiſchen 
Gedichte” darunter fein werden; mit dem „Mantellied“ und dem 
„alten deloherren” werben fie feinen Namen unſterblich machen. 


Und jevenfalls find fie dasjenige unter den zahlreichen Pro- 
ducten dieſes Schriftflellers, worin. ver Charakter deſſelben — ber, 
wie gejagt, zugleich ver Charakter feiner ſchleſiſchen Heimat ift — 
ſich am vollſtändigſten und liebenswürdigſten ausfpricht. In einem 
Dialekt gejchrieben, von welchem ber Verfaſſer felbft zugefteht, daß 
er, gena in diefer Form und biefer buchſtäblichen Abfaſſung, viel⸗ 


.190 Der Roman. 


leicht nirgend in Schlefien wirklich geſprochen wird, aljo gleichfam 
‚einem idealen ſchleſiſchen Dialekt, find fie innerlich deſto vollftän- 
biger von ſchleſiſcher Eigenthümlichkeit durchdrungen; ter Dialelt 
iſt bei ihnen kein bloßes Gewand, welches das Gedicht nur äußer⸗ 
lich umgiebt, er iſt die nothwendige naturgemäße Form, in welcher 
bie durchaus locale, provinzielle Denk⸗ und Empfindungsweiſe des 
Poeten ſich kund giebt, ja die er ſelbſt ſich zu biefem Zwecke gleich⸗ 
ſam erſt geſchaffen hat. Dieſe Gedichte könnten in gar keiner 
andern Sprache geſchrieben fein, weil fie geiftig- nur in ihr möglich 
find; nicht bloß der Mund des Dichters fpricht ſchleſiſch, auch fein 
Kopf hat ſchleſiſch gedacht, fein Herz Ichlefiih empfunden. 

Schlefien, von der beutfchen Bildung verhältnißmäßig anı 
Späteften erobert, um dann für einige Zeit einer Ihrer vornehmften 
und fruchtbarften Site, der Ausgangspunkt unferer gefammten 
neueren Dichtung zu werden, gehört bis zur Stunde zu den charak— 
teroollften und eigenthümlichften Provinzen, welche Deutfchland 
aufzumweifen hat. E8 ift innerlich und äußerlich das Land ver 
Sontrafte. Nirgend haben deutſches und flavifches Leben fich fo 
wunderſam vermifcht als in Schlefien; nirgend, im Berhältniß zur 
Kürze der Zeit, hat die deutſche Bildung raſchere und glänzendere 
Fortſchritte gemacht und nirgendb zugleich haben fic, daneben foniel 
urfprüngliche Elemente erhalten wie hier. Und zwar erhalten nicht 
als todter Ueberreft, als unfruchtbarer, unorganifcher Niederfchlag 
einer vergangenen Epoche, ſondern als unmittelbare lebendige Fac— 
toren des gegenwärtigen nationalen Charakters. Auf Schritt und 
Tritt, wohin wir uns in Schlefien wenden, in Sagen und Märchen, 
in Sitten, Einrichtungen und Gebräuchen, ſelbſt aud) im morali- 
ſchen Charafter ver Bevölkerung, blidt überall mitten durch die ger- 
manifche Aufklärung das ſlaviſche Naturleben beventungsvoll hin— 
durch. Hierdurch erflärt ſich nqmentlich auch jener ſchon erwähnte 








Karl von Heltei. zu 191 


melancholiſche Zug, jmer Zug tiefverhaltener Wehmuth und Trauer, 
weicher durch den Übrigens fo muntern, ſo lebensluſtigen Charalter 
des Schleſiers hindurchgeht und ihm eine fo reizende Färbung ver- 
leiht: berfelbe Zug, dem wir überall begegnen, mo ein Naturuolf 
mit der Kultur in Berührung gekommen, ja von ihr erobert worden 
iſt, ohne doch völlig von ihr bemältigt zu fein. 

Sich aus Gegenfägen zu entwidels, ift nun bekanntlich die 
allgemeine Grundbedingung moderner Bildung. Brauchen wir 
demmach noch erſt hinzuzuſetzen, wie vortheilhaft dieſe Miſchung 
widerſprechender Elemente der geiſtigen Entwickelung des ſchleſiſchen 
Stammes geweſen iſt? Und welchen fruchtbaren Boden namentlich 
die Poeſie an der Unterlage dieſes Charakters finden mußte? Wir 
glauben nicht zu viel zu ſagen, wenn wir behaupten, daß bie 
Schleſier das fangreichfte Bold in Deutfchland find, aud bie 
Schwaben nicht ausgenommen; irgend anders gehören Ders und 
Heim fo fehr gleihjam zum täglichen Brote, nirgend anders iſt die 
Bl ver Naturbichter je groß als hier. ' 

, Unfere Gelehrten freilich haben das ſehr einfach und nach ihrer 
Meinung ſehr gründlich exklärt; es find das, fagen-fie, die Nach: 
Hänge jener ſchleſtjchen Dichterjchulen, welche zu wieberholtenmalen, 
vom Anfang des ſiebzehnten bis in das -achtzehnte Jahrhundert 
hinein , ben deutſchen Parnaß beherrſchten, Die Nachflänge ber 
Opitz, Gryphius, Hofmannswaldau, veren berühmtes Beifpiel 
die Poefie fo zu fagen volksthümlich machte bei ihren Landsleuten. 

Run. kommt e8 und gewiß nicht in den Sinn, den Einfluß 
jener Mufter zu leugnen ober die Spuren zu verlennen, welche 
dieſelben der fchleftfchen Localpoeſie bis auf dieſe Stunde aufgedrückt 
haben. Namentlich eine gewiſſe nüchterne Verſtändigkeit, eine ges 
wiſſe lehrhafte Breite, welche wir an verfelben bemerken, fowie die 
auffällige Hinneigung zu gelehrten, befonders mythologijchen An- 


192 | Der Roman. 


fpielungen werben unbeftreitbar auf biefen Stammbaum zurüd- 
führen fein. Im der eigentlichen Hauptſache jedoch verhält es ſich, 
glauben wir, grade umgelehrt. Jene Poeten find in Schleſien ent- 
ftanden, weil der Nationalcharakter hier durch die eigenthümbliche 
Miſchung feiner Elemente von Ganfe aus fo poetifch war, der 
Baum unferer Dichtung hat hier die Knospen zu feiner zweiten 
Blüte angefebt, weil fein anderer Boden im damaligen Deutjd- 
land ſich an jungfräulicher Kraft, an Urfpränglichleit, Gediegen⸗ 
beit und Friſche mit Schlefien vergleichen konnte; wicht die berühm⸗ 
ten fchleftfchen Poeten haben das ſchleſiſche Volk poetiſch gemacht, 
fondern umgefehrt, Das poetische ſchleſiſche Volk hat jene berühmten 
Poeten hervorgebracht. — 

Daß aber dieſe poetifche Kraft und Friſche auch jetzt noch 
nicht ausgeſtorben iſt, daß fie ſich nicht bloß in die Bücher zurück⸗ 
gezogen hat, ſondern auch jetzt noch mit jedem Tage neue, fruchtbare 
Reime treibt, davon geben, neben fo manchen anderen mit Recht 
hochgeſchätzten Erſcheinungen unferer jüngften Literatur, deren wir 
ja auch in diefem Werke bereits ausführlich gepackt haben, ganz 
beſonders auch Karl von Holtei's „Schlefifche Gedichte” einen höchſt 
erfreulichen und anmutbigen Beweis: Aber freilich, wer war Auch 
berufener, ver poetifche Dolmetſch feirier Heimath zu werden, als 
eben Holtei, diefer eigentliche Mufterichlefter aus dem Anfang des 
neunzehnten Jahrhunderts? Und wie der Menſch allemal am 
Liebenswürbigften ift, je unbefangener, vertenulicher er ſich giebt, 
fo meinen wir aud) die Holtei'ſche Muſe niemals lieblicher und an- 
muthvoller gefehen zu haben, als in diefen Liedern, in denen fie fo 
ganz im Hauskleid erfcheint und fo ganz in der naiv geſchwätzigen 
Weiſe ihrer Heimath plaudert. An dem Schaf von urfprünglicher 
Poeſie und ächtem dichteriſchen Leben, der in biefen wenigen Blät⸗ 
tern zufammengebrängt ift, könnte manche in Golpſchnitt prangende 








Karl von Holtei. 193 


Sammlung unſerer modernen Poeten ſich bereichern. Es ift eine 
unendliche Süßigkeit in dieſen Liedern; die Gemüthlichleit, im 
edelſten und fchönften Sinne, feiert hier ihre glänzendſten Triumphe 
und wiewol die Mehrzahl von ihnen beſtimmt iſt, bei feſtlichen Ge- 
legenheiten im muntern Kreife Beim Klang der Gläfer abgefungen 
zu werben, fo fehlt doch faft nirgend zugleich jener melancholiſche, 
wehmüthige Zug, an den wir bereit8 erinnerten und durch deſſen 
milden Flor die Sonne der Freude nur um ſo lieblicher und ent⸗ 


züdenver bindurthſtrahit. 


Wundernſchien', — üm a Mai 

Wenn derbliehn, — üm a Mai 

Alle Blümel und de Beeme wer'n fu grien'; — üm a Mai 

Ach wie läßt, — im a Mai 

Irſcht a Fer! — im a Mai 

’8 läßt nich’ tumb mit frifchen Richeln, ſu a Feſt! — im a Mai 
Ha’n de Kuuſtler nich’ geäzelt und gehimpert, — noch em Mai 
Ha’n gebicht’t, getracht’t, gefungen und geflimpert, — noch em Mai 
‚., Wunderſchien — üm a Mai 

Wenn derblieh'n — im a Mai 

Alle Blümel und de Beeme wer’n fu grien’! — im a Mai ,:, 


Ueber'm Quall — üm a Mai 
Nichtingall — im a Mai 
Singt und pruͤllt, ma’ dächte: 7 wär der ve ſebge Shall, — im a Moi 
Wenn a gung — lim a Mai 
Wenn a fung — im a Mai 

Daß zengsriim de ganze Prumenade Hung; — im a Mai 

Oder dän bat fich der Popelman gefobert, — üm a Mai ' 

Seine Wange i8’ fund wievelmal vermopert, — üm a Mai 

Und a liegt’ — im a Mai 

Recht vergniegt — im a Mai 

Bei der Mutter Erbe, Re Un ſochte wiegt, — im a Mat 


Brup, die deutſche Literatur der Gegenwart. II, 13 


- 


194 Der Roman. - 


Eens i8’ Har, — im a Mai 

Gens bleibt wahr: — im a Mai 

UP em Raſen i8’ der heiligfte Altar! - — üm a Mai 

Unverhunzt — üm a Mai 

Wohnt de Kunſt — üm a Mai 

Draußen bei der Frau Natur, wu wär'ſche ſunſt/ — üm a Mai 
Und do mügt i'r fingern, malen, tichten, machen, — im a Mai 
Beſſer wie Natur wird's keene Kunſt d'ermachen; — Um a Mai 
Deßhalb bleibt, — üm a Mai 

Wie⸗d⸗er'ſch treibt, — im a Mai 

Od natürlich, daß die Macherei befleibt, — im a Mai ‚:, 


Uf das Grab — üm a Mai 

Stedt’ a Stab, — im a Mai 

Dan Euch Gott zu Eurer Erden-Reefe gab, — im a Mai 

Kömt was raus — im a Mai 

Schlägt a aus — üm a Mai 

Und do wird wul gar a friiches Beemel draus?! — im a Mai 
Und das Beemel grient und blüht uf.Euerm Hübel, — im a Mai 
Su a Nuchwuchs, dächt' ih, wär doch o' nich bel? — Um a Mai 
2, Wunderſchien', — im a Mai j 
Wenn derblieh’n — im a Mai 

Alle Blümel und de Beeme wer'n fu grien’! — üm a Mai. .:, 


Diefelbe jeelenvolle Gemüthlichkeit, dieſelbe Innigkeit und 
Tiefe ver Empfindung finden wir nun aud) in den Holtei'ſchen Ro- 
manen; auch in ihnen fehwebt über, aller Luſt und allem Jubel, 
über allen Liebſchaften und Abenteuern: das Bewußtſein der allge: 
meinen irbifchen Bergänglichkeit und milvert die bacchifche Trunken⸗ 
heit zu ftiller, wehmüthiger Freude. 

Oder wenigftens in feinen befleren Romanen ift e8 jo. Dem 
allerdings find die einzelnen von fehr verjchienenem Werthe; wie es 
beliebten Romanfchreibern fo leicht begegnet, hat auch Holtei ſich 
in jüngfter Zeit einer gewiſſen Vielſchreiberei ergeben, die ihm bei 
der großen Leichtigkeit ſeines Talents und der ächt fchlefiichen Breite 








Karl ven Holtei. 195 


feiner Darftellung doppelt gefährlich zıı werden droht. Wir fagen 
das mit Bedauern, nicht um dem Dichter einen Borwurf damit zu 

machen; nach fo vielen vergeblichen Anftrengungen und nachdem er 

fo oft in feinen beſten Plänen gefoheitert, hat er endlich, ſchon auf | 
ber Schwelle des Graifenalters, in dem Roman einen fihern und 

daukbaren Boden für feine fo vielfach gemißbrauchte Thätigkeit ge⸗ 

funden, und da ift e8 denn natürlich, daß ex fich zuweilen auch wol 

etwas meiter darauf ausbreitet als eben nöthig wäre. Holtei ift 

ein alternder beutfcher Dichter; unfer Volt bekümmert fih um 

feine Boeten befamitlich erft, wenn fie tobt find, unſere Könige und 

Fürſten aber haben viel zu viel zu thun, als daß fie daran denken 

önnten, einem Manne wie-Holtei für den Reft feiner Tage ein 

ſorgenfreies Pläschen zu verjchaffen. Damit ift Alles gefagt — 
und vielleicht ſchon zu viel... . 

Der erfte Roman, mit weldhem Holtei vet das Puhlicum 
trat, das nicht wenig überrafcht war, ven alten Chanſonnier plöß- 
lich als Romandichter kennen zu lernen, waren „Die Bagabunden“. 
(4 Bde. 1852, zweite Auflage 1857). Das ift freilich kein 
tiefangelegtes Kunſtwerk, bloß ein Stück Menfchenleben ift das, 
bunt, toll, abentenerlich, fehr Iuftig an manchen Stellen, fo daß 
man fih den Bauch ‚halten muß vor Lachen, wenn ber Herr 
Schkramperl, ver glüdlihe Witwer einer Riefin wie auch Inhaber 
einiger lebendiger Zwerge, feine Schwänke macht und an andern 
wieder fo wehmüthig jo wehmüthig — nun ja, e8 fünnte der Weh⸗ 
muth vielleicht Hier und da etwas weniger fein, bie melodra⸗ 
matifche Rührung, durch welche Holtei früher von der Bühne herab 
ſo viele Herzen ergriff, paßt: befier zu ber geſchminkten Welt ber 
‚Soulifien als in das volle frifche Leben viefes Romans. Und bed) 
gehörte auch Diefer Zug, ſowie Die ganze unfünftlerifche Zerfloſſen⸗ 
heit, an ver es in Anlage umd Ausführung keidet, nothwendig zu 


13* 


196 Der Roman. ' 


dem Buche, werm baffelbe fein follte, was es ift und was wir aud 
für fein noch jo vollendetes Kunſtwerk vertaufchen möchten: ver 
Holtei wie er leibt und lebt, mit feiner ganzen fchlefifchen Treu⸗ 
berzigfeit, feinem ans Lachen und Weinen fo Tieblich gemiſchten 
Humor, feinem Biſſel Eitelkeit, feinem ſehr & Biſſel Leichtſinn und 
feiner noch viel, viel größeren Herzensgüte, Ehrenhaftigfeit und 
fittlichen Treue, — er, der fiebenswürdigfte und befte aller Tauge⸗ 
nihtfe, die unſer verſemachendes, ſchauſprelerndes, deklamireudes 
Jahrhundert erzeugt hat, der wahre Peter Schlemiehl der modernen 
dentſchen Literatur, die er mit fo viel trefflichen Theaterſtücken, fo 
viel föftlichen Liedern, einer jo merfwärbigen Sammlung perjön- 
licher und literarifcher Belenntniffe befhentt hat — und die ihm 
für das Alles nicht einmal Das armfelige Bischen Schatten gewährt 
bat, dad man Nachruhm, Nachrubhm. in. Deutſchlaud nennt! — 
„Die Vagadunden“ find das getreue Abbild der Irrfahrten, 
welche ber Dichter ſelbſt in feiner langiährigen Laufbahn als Thea⸗ 
terbichter und darftellender Künftler gemacht bat; die ganze bunte 
Welt ver Bühne, Alles was „gaulkelt“ und „fich jehen läßt“ für 
Geld, von ver Primadonna, der man die Pferde vom, Wagen 
fpannt, bis zum Feuerkönig und Drehorgelipieler, iſt darin einge 
fangen und treibt bunt durcheinander feine tollen Streiche. Auch 
bier verleugnet der Dichter ven Freimuth nicht, ven er ſchon bei 
Gelegenheit feiner Selbſtbekenntniſſe bewieſen; das Buch ſtreift ſtel⸗ 
lenweiſe an das Leichtfertige, namentlich machen die immer wieder⸗ 
kehrenden, zum Theil ſehr handgreiflichen Liebesabenteuer auf die 
Dauer keinen ganz angenehmen Eindruck. Doch zeigt der Dichter 
auch babei eine jo große Unbefangenbeit und Treuherzigkeit, daß 
man ihm nirgend ernftlich zürnen kann; hat er fich feldft doch nie, 
beſſer gegeben als er ift, wie follte er venn die Schattemjeiten einer 
Welt verheimlichen, vie nun einmal keine Schule der Tugend und 





. 


Karl von Holtei. 197 


Keuſchheit ift und die dabei fein Zweiter in Deutfchland fo gründlich 
fennt als er. 

Der große Yeifall, welchen „Die Vagabunden“ fanden, ver- 
anlaßte den Dichter, ſchon im nächſtfolgenden Jahre mit einem 
neuen Romane hervorzutreten und diesmal fogar mit einem fünf- 
bändigen: „Chriſtian Lammfell” (1853). 8 ift die Geſchichte 
eines Tatholifchen Priefters, ver, als das Kind einer gemifchten 
Che, unter ven Schreden des fiebenjährigen Krieges geboren, bis 
in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hineinlebt, fogar bas 
Jahr Achtundvierzig noch ‚miterlebt, und deſſen Hare, reine, fried- 
Jiche. Seele dem Dichter als Vehikel dient, vie verfchiebenartigften 
Berhältniffe und Ereigniffe darin abzufpiegen, von bem religiöfen 
Fragen und den großen politifchen Begebenheiten dieſer hundert⸗ 
jährigen Epoche au bis zu, den Heinen Leiden und Freuden des 
häuslichen Lebens, das hier in allen möglichen Beziehungen und 
allen nur erdenkbaren Situationen gejchilvert wird. 

Aber freilich ift e8, einem unverbürgten Gerücht zur Folge, in 
ber Hölle ein gut Stüd furzmeiliger als im Himmel; auch bie fri- 
oolen „Bagabımden‘ lefen ſich bet Weiten angenehmer und find ein 
gut Theil unterhaltender, als biefer ihr tugendfamer Nachfolger. 
Chriſtian Zammfell ift, was man fo fagt, ein Engel von Menſch: 
ſehr gut, fehr fromm, fehr findlich, aber and fehr befchränft und 
von einer abſoluten Paffivität, die denn natürlich. dem ganzen Ro- 
mane etwas Einförmiges und Langweiliges giebt. „Chriftian 
Lammfell“ ift ein biograpbifches Idyll, beftehenn aus lauter Schil- 
derungen und Zwiegeſprächen, vie fich in behaglicher Breite dahin⸗ 
'zieben, gleich) der berühmten Ebene von Liegnitz. “Dergleichen zu 
lefen ift man nicht immer in der Stimmung; gewinnt man es jedoch 
über ſich und hat man ſich namentlich erft durch die über vie Maßen 
weitgefponnene Einleitung, bie bei ven Großeltern des Helden an- 





198 Der Roman. ' 


bebt, glücklich hindurchgekämpft, fo ftößt man auf manche recht 
lieblihe und anmuthige Scene, wie 3. B. jener zartempfundene 
Zag im erſten Bande, wo das Töchterchen vor Luſt darüber, Daß 
für das verwaiſte Heine Brüderchen endlich eine Amme gefunden ft, 
der topten Mutter ins Ohr flüftert: „Mutter, er trinkt!” — Doch 
finden fi folde Scenen für den großen Umfang des Buches ver- 
hältnißmäßig doch zu wenig, und aud, die zahlreichen theoretijchen 
und tendenziöfen Unterfuchungen über katholiſches und proteſtan⸗ 
tiſches Bekeuntniß, über Befehlen und Gehorchen, Freiheit und Ge- 
willen ꝛc. vermögen. ven Lefer wicht ſchadlos zu halten, fo wohlge⸗ 
ment dieſelben auch find und ein fo liebenswürdiger Eifer, alle 
Gegenfätze zu befeitigen und alle Menfchen in Liebe und Freundſchaft 
zu verſöhnen, fich darin auch ausfpriht. -- 

In abnehmendem Lichte zeigte das Talent des Dichters fich 
ferner in dem Roman: „Ein Schneider” (3 Bde. 1854). Es 
ift wiederum ein Lebenslauf, ſogar ein halbes Dutzend Lebensläufe 
auf einmal und vielleicht noch mehr. Doc ift mit. Ausnahme ver 
Ingendgeſchichte des Helven, in der. fich einige hübfche Partien 
finden, in jenem halb fomifchen, halb fentimentafen Geme, auf 
das dieſer Dichter fich jo gut verfteht, auch nicht ein einziger barım=- 
ter, der das Intereffe des Leſers ermeden könnte ober ber einen 
Hiftorifer verdient hätte. Der Wırfang des Buchs erimert lebhaft 
an den allbefannten „Lumpacivagabundus“ und auch im weitern 
Berlauf begegnen wir zahlreichen Reminiscenzen ans allerhand 
älteren Büchern und Stüden, was denn allerdings für eimen 
Mann, ver inr Lauf ver Jahre fo viel. gefehen und gelefen bat 
wie Karl von Holtei, ſchwer zu vermeiden. fein mag; ber Fehler 
ift nur, daß fih ans allevem fein Ganges hat abrunden wollen, 
es find disjscta membra und auch die ungemeine Ausführlich 
keit der Darftellung, vie ums feinen nod fo geringfügigen Punkt 


Karl nen Holtei. 199 


erläßt, bat diefelben zu feinem lebendigen Organismus ver- 
knüpfen Fünnen. 
Nachdem der Dichter fich mit Diefen Drei größeren Romanen kräf⸗ 
tig Bahn gebrochen, hat er raſch nach einander eine Menge ähnlicher 
Werke von größerem und geringerem Umfang folgen laſſen, unter denen 
ſich manches recht Gelungene, aber freilich auch vielleichte Waare 
befinvet. Mit zu dem Beten gehört vie Erzählung „Ein Mord in 
Riga” (1855). Hier hat der Dichter die Klippe allzugroßer Reb- 
feligfeit, am der fein ſchleſiſches Naturell ihn fonft fo häufig ſcheitern 
läßt, glucklich umſchifft. Die Erzählung hat im Gegentheil etmas 
Straffes, Knappes; in dramatiſcher Lebendigkeit fehreitet fie unauf- 
haltfam vorwärts, Scene auf Scene fteigert fih das Intereffe, 
während der raſch hereinbrechende Schluß uns befrievigt und ver- 
ſöhnt entläßt. — „Ein vornehmer Herr” (ebenfalls 1855) ſchildert 
jene Heinen Leiven des menfchlichen Lebens, die unfere eigene 
Schwäche und Eitelkeit uns fchafft und Die oft grade unter der glän- 
zenpften Hülle am allerempfinvlichiten nagen. Doch hat die Anlage 
des Romans viel Unmwahrjcheinliches und die grellen Farben, in 
welche die beiden Hauptcharaftere gefleivet find, tragen nur dazu 
bei, diefe Unwahrfcheinlichfeit noch fühlbarer zu mahen. Den 
Schluß des Buches bei den Geſetzen ver Kunſt zu verantworten, 
möchte dem Dichter ſchwer fallen. Im Leben mag e8 zuweilen ge= 
ichehen, daß das Kafter triumphirt, währen die Tugend unter- 
brüdt wird; vom Poeten jedoch verlangen wir eben mehr als eine 
bloße Abſchrift der Wirklichkeit, wir verlangen, daß er das Leben 
nicht bloß äſthetiſch, fondern auch fittlich verfläre, und wenn auch 
das einzelne Subjeft zu Grunde geht, fo muß er doch wenigftens 
bie Idee des Rechts und der Sittlichkeit triumphiren laffen. — 
Auch in „Schwarzwaldan” (2 Bde., 1856) hat der Berfafier 
fih ein Thema gewählt, das eigentlich über die Sphäre feines 


200 Der Roman. 


Tolents hinausliegt. Holtei ift ver Dichter der Thatſachen, nicht 
aber der innern Zuſtäude. „Schwarzwaldau“ jedoch ift ein weſent⸗ 
Lich pſychologiſcher Roman; es ift Die Geſchichte eines urfprunglich 
wohlwollenden, fauften, ja ſchwächlichen Charakters, der durch eine 
unglückliche Verknüpfung von Umftänden zum Mörber wird und 
der Dual dieſes Bewußtſeius nicht anders zu entgehen weiß, als 
durch — einen zweiten Mord, und diesmal einen planvoll beab- 
ſichtigten Mord. Das Thema ift gewiß interefiant genug, hätte 
jedoch, um zu feinem vollen Rechte zu gelangen, ewwas tiefer be 
handelt werden müſſen, als Holtei's einigermaßen flüchtige Muſe 
es zu thun im Stande war. 





-8, 
Robert Giſeke. 


Robert Giſeke iſt ebenfalls ein geborner Schleſter. ber, 
ein Rind der Gegenwart und der mobernen Bildung, die bes 
Tanntli die proninziellen Unterſchiede mehr und mehr verwiſcht, 
mit Eifer zugethan, if ihm von feiner ſchleſtſchen Abſtammung 
wenig mehr übrig geblieben, als eine gewiſſe leidenſchaftliche 
Erregtheit, eine gewiſſe Ueberfülle ver Phantaſie und jene Leichtig⸗ 
Leit und Anmuth des: Redefluſſes, die den Schlefier gleihfam an- 
geboren wird. Robert Giſeke ift einer unferer gewandteſten und 
geiftreichften Erzähler; vun den Intereflen der Zeit lebhaft ergriffen 
und namentlich mit ven Kämpfen auf dem Gebiete der neueften 
Philoſophie und Theologie wohlvertraut, hat er ſich die Darftellung 
des modernen Lebens, namentlich in feinen geiftigen Krifen, zur 
Aufgabe gemacht. 

Am Nächften trat er dieſer Aufgabe in fernem ame erſchie⸗ 
nenen Erſtlingswerke: „Moderne Titanen“ (3 Bde., 1861). 
Der Dichter war. damals noch außerordentlich jung; er hatte ſelbſt 
feine Stubien faum noch vollendet. Aber vielleicht gehörte eben 
ein jo junger Mann dazu, um fich mit jo frifcher Kraft und fo unbe- 
fangenem Muthe an ein fo [hwieriges Unternehmen zu wagen. Die 
„Moderne Titanen“ wollen nämlich nichts Geringeres fein, als ein 


202 Der Roman. 


bis zur Porträtähnlichkeit gefteigertes Gemälde jenes philojophifch- 
theologifchen Rapdicalismus, ver dem politifhen Umſchwung Des 
Jahres Achtundvierzig voranging — veranging: denn der innere 
Zufammenhang zwilchen beiden möchte bei genauerer Prüfung wol 
faum fo erheblich fein, als gemeiniglich geglaubt wird und ale 
namentlich die Anhänger jener rapicalen Schule felbft fi rühmen. 
Der Held des Romans ift einer jener unruhvollen, unerjättlichen 
Charaktere, deren das vormärzliche, lediglich ver Speculation zu⸗ 
gewandte Geſchlecht ſo viele erzeugt hatte: Titanen allerdings, aber 
nur Titanen nach ihrem Wollen, Zwerge im Vollbringen. Da 
nun endlich die Schranken der Wirklichkeit ſich vor ihm öffnen, 
fann er nirgends den Punkt finden, die Wirklichleit mit ſeinem 
Ideal zu verfühnen; von Irrthum zu. Irxthum tanınelnd,, immer 
aufs neue die Wolke ftatt der Juno umarmend, zerfplittert er feine 
Kraft nutzlos, in vergeblihem Ringen; der gewaltfame Tod, den 
er endlich findet, ift eine Wohlthat für ihn, indem er. dadurch von 
ver Laſt eines Daſeins befreit wird, deſſen Rätbfel ex wol berühren, 
fpgar mit Lüſternheit auffuchen, aber niemals bewältigen, niemals 
löſen konnte, weil e8 ihm dazu au. Kraft und Ausdauer gebrach. 

Eine intereilante Aufgabe, ohne Zweifel, und mitten aus dem 
Leben gegriffen. Doc ift freilich vie Ausführung noch ſehr un⸗ 
gleich. Während in einzelnen Partien des Romans ſich eine große 
realiftifche Kraft zeigt, befonvers wo der Dichter Gelegenheit hat, 
Selbſterlebtes und Angeſchautes zu ſchildern, find andere wie 
derum ganz fo abftract und farblos, fo in das Allgemeine und 
Unbeftimmte verſchwimmend, wie die Exftlingswerfe unfexer Poeten 
zu fein pflegen. . 

Aber auch die Anwendung, welche ver Dichter von feinem 
realiſtiſchen Talent macht, ift nicht ganz unbedenllich. Die Ge 
nauigkeit, mit welcher er gewiſſe literarische Kreife und Perſönlich⸗ 








Rohert Gijele. 203 


keiten jener Zeit abzeichnet, überſchreitet theilweife das künſtleriſche 
Maß. Ein bloßes Porträt, wie getvew immer, ift darum nad) 
kein Runftwerf, ſondern erft vie ideale Sphäre, in welche e8 erhoben 
wird, macht es dazu. Seit der Dichter der „Moderne Titanen“ 
mit viefem „Doctor Horn,” dieſem „Propheten,“ dieſem „Ober⸗ 
pfarrer“ und anderen ähnlichen Figuren debütirte, in denen er in 
leichter Vexhüllung bekannte Perfönlicgkeiten jener Zeit darſtellte, 
haben freilich noch. andere und parunter fehr berühmte und nam 
hafte Schriftfteller es "nicht verfhmäht, daſſelbe Reizmittel anzu⸗ 
wenden. Allein ſo gewiß die Wirkung deſſelben auf den großen 
Haufen auch iſt, jo mäflen wir doch darauf beharren, daß daſſelbe 
künſtleriſch unzuläſſig; es erweckt im Leſer ein frivoles, den Zwecken 
der Kunſt widerſprechendes Intereſſe, während es den Dichter 
ſelbſt der Gefahr ausſetzt, zum bloßen Pamphletiſten herabzuſinken. 
Das glückliche Naturell unſeres Dichters bewahrte ihn davor, 
auf dieſem ſchlüpfrigen Wege weiter zu gehen, wie denn überhaupt 
fein nächſtes Werk einen: bedeutenden Fortſchritt bekundete: „Pfarr⸗ 
Röschen. Kin Idyll aus unferer Zeit.” (2 Bde. 1851.) 
Allerdings hatte er es ſich viesmal auch ein gut Stück leichter ge= 
macht. Diefes „Idyll aus unferer Zeit” ift einfach, fehr einfach: 
die Herzenägefshichte eines Landmädchens, Das, eben im Uebergang 
von der Knospe zur Blute, nur halb erft Jungfrau, halb noch 
Kind, von den heiten Strahlen ver Liebe getxoffen wird, um kurze 
Zeit darauf, betrogen und enttäuſcht, am gebrochenen Herzen 
zu ſterben. 

Allein wer möchte dem Dichter dieſe Einfachheit feiner & 
ſchichte wol ernfthaft zum Vorwurf machen? Das menſchliche 
‚Herz in den Wonnen und. Qualen der Liebe ift ein: jehr einfaches, 
ſehr altes Thema, an vem gleihwol die Poefie aller Jahrtauſende 
dichtet, ohne es jemals völlig zu erſchöpfen. Auch, gehört offenbar 


204 Der Roman. 


mehr Kraft und Energie des Talents dazu, einem einfachen uub 
faſt verbrauchten Etoffe neue Seiten-abzugeivinnen, das heißt ihn 
in neuer und eigenthäsnlicher Welfe zu durchdringen, als ben Lefer 
mit neuen, aber baroden und unnatürlichen Einfällen zu blenden 
und in Verwirrung zn fegen. — Dem Dichter des „Pfarr -Röschen” 
fand viefe Kraft zu Gebote. Das „Pfarr -Röschen“ ſelbſt in der 
ſüßen Einfalt feines Herzens ift eine anmuthig feſſelnde Geſtalt, 
der ſelbſt auch diefer Ieife Zug von Sinnlichkeit, den ber Dichter 
feinem Gemälde beizumifchen gewagt heat, nicht übel ſteht. Auch 
die ländliche Umgebung ver jungen Heldin ift mit fiherer Hand, 
in lebensvollen und deutlichen Strichen gezeichnet und nur bier und 
da läßt der Berfafler in dem zuweitgetriebenen Benühen, doch nur 
ja überall recht naturwahr zu fein, ſich zu einzelnen PBinttheiten 
verleiten. — Minder glüdlich ift ver Dichter in der Charakteriftif 
des ebelmänmifchen Liebhabers gewefen, dem bie junge ländliche 
Schöne zum Opfer fällt. Es ift die Art ber Jugend, daß fie nicht 
Maß zu halten weiß, im Guten fowerig wie im Böfen, und auch 
bier verräth die Jugendlichkeit des Dichters ſich in der allzugrellen 
Färbung, die er diefem Charakter gegeben bat. Ein fo liebliches, 
dabei fo gefundes umd kernhaftes Wefen wie das „Pfarr: Röschen“ 
uns übrigens gefchildert wird, durfte fi unmöglich an einen fo 
völlig unerheblichen, fo inhaltleeren Menſchen verlieren, wie dieſer 
Werner. Die ungemeine Rapivität, mit welcher der Dichter feine 
Heldin von der Macht ihrer Leidenfchaft überwältigt werden läßt, 
würde immer und unter allen Umftänven etwas Befremdliches haben, 
zumal bei einem fo ftreng erzogenen, fo einfach gewölnten, won 
Ratur fo gefunden Mäbdchen; völlig unbegreiflich wird fie uns aber, 
wenn wir die geiftige Befchaffenheit veifen in Erwägung ziehen, ver, 
gleih Cäſar, faft ſchon durch fein bloßes Erfcheinen dieſen Sieg 
davonträgt. Es mag in Wahrheit To fein, daß nicht felten bie 














Robert idee. 205 


ebelften Weiberhexzen- fih an die miferabelften Männer verlieren; 
allein wenn der Dichter nichts weiter zu thun wußte, als nur dieſe 
Erfahrung zu erempfificixen, fo war das, dünkt uns, ein ſehr Niet 
gewählter Stoff für feine Kımfl. 

Im der That jevod hat er noch mehr und noch Größeres lie⸗ 
fern wollen und zum Theil auch wirklich geliefert, als eine bloße 
Herzensgeſchichte. Neben diefer Idylle, die freilich zu fo tragifchem 
Ausgang führt, geht noch ein Drama geiftiger Kämpfe und. Ents 
widelungen einher, das unjere ganze Theilnahme in Auſpruch 
nimmt und und aus der Stille des Pfarrhaufes mitten in bie 
theofogifchen und philofophifchen Ennflicte ver Gegenwart verjeßt, 
Schon oben haben wir auf die Vorliebe hingewieſen, mit welcher 
ver Berfafier theologifch-philofophifche Stoffe behandelt; vie 
Ausschweifungen des modernen theolsgiihen Radicalismus in 
ihren Geift und Herz ertöbtenden folgen waren das hauptſäch⸗ 
lichte Thema feiner „Modernen Titanen“ geweſen. Hier num 
liefert er uns das Gegenſtück dazu; er zeigt uns, wie auch Die Starr⸗ 
beit des orthobogen:Rixchenglaubens, übertragen in die Welt des 
Hauſes nnd des gemäthlichen Beifammenlebens, zu einen Fluche 
wird, ber alle Blüten des häuslichen Daſeins abitreift und bie, 
Herzen, die fih am innigften angehören jollten, in gegenfeitigem 
Argwohn und Widerſpruch verhärtet. Er zeigt, wie ver theolo⸗ 
giſche Hochmuth und der Bekehrungseifer des rechtgläubigen Seelen- 
hirten, angewandt auf die kleinen Vorfälle des häuslichen Lebens, 
ausartet zur gehäſſigſten und unerträglichſten Tyrannei: einer Ty⸗ 
rannei, die, wie es Tyrannen allemal ergeht, aus Selaven Rebellen 
erzieht, und zwar feige, hinterliſtige Rebellen. Namentlich der alte 
tyranniſche Pfarrer ſelbſt ıft wortvefflich geſchildert; ebenfo feine: 
Gattin in dieſem allmählichen Berfauern und Vertrocknen bes Ge- 
müths. Dagegen ftreift der Sohn Johannes, der. heimliche Atheift 


206 Der Roman. 


und Libertin, in einzelnen Zügen bereits wieder an die Carricatur ; 
feine plögliche Befferung läßt den Leſer ſehr unbefriedigt, jo nöthig 
fie dem Dichter allervings auch war, um fein Buch doch irgendwie 
zu verfühnendem Abſchluß zu bringen. 

| In einer anderen Weife wird das Thema ver „Movernen Ti- 
tanen” wieder aufgenommen in ben beiden nächftfolgenden Roma» 
nen des Dichters: „Carrièͤre! Ein Miniaturbild. aus der Gegen- 
wart‘ (2 Bde. 1853) und „Kleine Welt ind große Welt” (3 Bde. 
ebenfall® 1853). Doc) bleiben beide hinter ihren Vorgängern 
zurüd; ſie find, wie es ſcheint, mit zu großer Haft geichrieben, der 
Dichter hatte feine Erfahrungen und Beobachtungen in jenen. beiden 
früheren Werten ausgegeben und hat fich feine Zeit gelaflen, neue 
zu ſammeln, er maß fich mit dem Abklatſch fremder Vorbilder be= 
gnügen und geräth darüber zum Theil in das Schablonenhafte 
und Unnatürfihe. Im dem Roman „Carriöre” ſoli gezeigt wer⸗ 
den, wie jene Welt- und Himmelſtürmer, die wir in den ,Modernen 
Titanen“ kennen lernten, ſich endlich nicht nur mit dem Himmel, 
ſondern auch mit der Erde zurecht finden, und zwar nicht in Folge 
eines feigen Compromiſſes, ſondern aus wirklichem Reſpect vor der 
Macht der ſittlichen Verhältniſſe, Die doch in letzter Inſtanz auch 
den Gang der Welt beſtimmen und regeln. Ein ähnlicher Gedanke 
fiegt au) dem Buche „Kleine-Welt und große Welt“ zu Grunde; 
e8 foll gezeigt werden, wie hohl und nichtig bie gefeierten Geifter 
des Tages ımd wie im Gegentheil ein ehrliches und redliches Stre= 
ben auch in den engften Schranken nody immer Raum findet, etwas 
Tüchtiges zu leiften. Aber beide Werke ſind, wie gefagt, zu flüchtig 
ausgeführt und ftehen mit dem, was der Dichter eigentlich beab- 
fichtigte, zum Theil im entfchtevenften Widerfpruche. 

„Kleine Welt und große Welt“ ift der Iegte Roman, der bis 
ießt aus dieſer gewandten und fruchtbaren Feder herporgegangen; 


Robert Giſeke. 207 


vielleicht hat der Dichter felbft das Uebereilte feiner jüngften Pro- 
duckionen gefühlt und die Nothmwenvigkeit eingefehen, erſt wieber 
ein tüchtiges Stüd zu leben, bevor er fortfährt zu dichten. An Ge— 
legenheit zu maticherlei Erfahrungen kann es ihm nicht fehlen; er 
redigirt feit einigen Jahren die in Leipzig erfcheinende „Novellen- 
Zeitung,” und zwar genießt diefelbe unter feiner Leitung das An- 
fehen eines unferer gefhmadvolliten und ehrenhafteften Unterhal- 
tungsblätter. — Als Dramatifer hat er fi mit einem hiftorifchen 
Trauerſpiel: „Johannes Rathenow, der Bürgermeifter von Berlin‘ 
und einem Luſtſpiel: „Die beiden Cagliofiro’8“ verſucht; letzteres 
ift unferes Wiſſens noch nirgend zur Aufführung gelangt, während 
„Sohannes Rathenow‘ auf verſchiedenen beutſchen Bühnen mit 

Beifall gegeben wurde. - = 


9, 
Gottfried Keller. 


Ein geendling mitten auf der breiten Heerſtraße unſerer Belle⸗ 
triſtik, ſteht Gottfried Keller da. — Gottfried Keller ſtammt aus ber 
Schweiz und in der That zieht ihn eine Art von jchweizer Heimweh 
aus dem realiftifchen Treiben ver Gegenwart in ven jüßen Dämmer 
per Romantik zurück; er ift eime nur von Wenigen verftandene und 
gewürdigte Erjcheinung, der es gleichwol Durch ihre nicht felten an 
das Bizarre anftreifende Eigenthümlichkeiten gelungen ift, die all- 
gemeine Aufmerkſamkeit auf ſich zu Ienten. 

Gottfried Keller war urfprünglich Maler, und noch jetzt erin- 
nert die Schärfe und Sauberkeit feiner Detailfchilverungen an ben 
vafchen, ſcharfen Blid, mit welchem ver Maler vie Außenwelt bes 
trachtet. Doc vertaufchte er ſchon frühzeitig Palette und Pinſel 
gegen die Feder des Schriftftellers. Bereit um Mitte der vier 
ziger Jahre, alfo zu einer Zeit, pa die politifche Lyrik eben in voll- 
fter Blüte ftand und die gefammte Literatur mit ihren Hornftößen 
und Schlachtrufen erfüllte, trat er mit einer Sammlung „Gevichte”‘ 
auf, die im Gegentheil einen Geift des Friedens und, der Anmuth 
athmeten, ber jenem tumultuarifchen Zeitalter vollftändig abhanden 
gelommen wor. Diefelbe Neigung, von dem Herfümmlichen ab- 
weichend, in eigenen Bahnen zu wandeln, hat er auch fpäterhin ge= 
zeigt; er liebt e8, fich fern von dem Getümmel der Welt in einfame 





Gottfried Keller. | 209 


Träume einzufpinnen, er felbft iſt gine traumhafte Natur, welche die 
ſtrengen Unterſchiede der Wirklichkeit nicht feſtzuhalten vermag und 
für die das ganze Daſein ſich auflöſt in ein liebliches Hinwogen und 
Dämmern ber Gefühle, gleichſam eine innere Muſik ver Seele, die, 
uns wie das Alphorn des Schweizers an bie verlorne Welt der Un⸗ 
ſchuld und des kindlichen Friedens mahnt. — So forgt die Weis- 
heit der Geſchichte dafür, daß feine geiftig berechtigte Richtung 
jemals völlig ansftirbt; wie die Natur den Samen jeder Pflanze, 
den Rein jeves Thieres bewahrt, die einmal vorhanden find, fo 
fieß die Geſchichte auch mitten in unſerm altklugen Zeitalter diefen 
einfamen Dichter groß werben, der in ber bämmernden Gtille 
feines Herzens alle fügeften Zauber der Kindheit als ein unverlier- 
bares Beſitzthum mit-fich trägt. 

Gottfried Keller it ein Dichter von nur geringer Fruchtbar⸗ 
teit. Natürlich, er Schreibt immer nur für fih, nie für das Pu— 
blieum. Sein Hauptwerk ift „Der grüne Heinrich. Roman in 
vier Bänden“ (1854). Wie der Dichter ſich zuerft als Lyriker 
bekannt gemacht hatte, fo trägt auch dieſer Roman noch einen über- 
wiegend lyriſchen Charakter. Selbft ven Namen Roman könnte 
man dem Buche ftreitig machen; wenigftens muß ver Lefer auf jene 
Fülle von Abenteuern, auf jene intereffanten und fpannenden Per- 
widelungen, welche dieſer Gattung fonft eigenthümlich find, in die⸗ 
fem. Falle verzichten. Aber doch wird Niemand, ver nicht bloß und 
ausſchließlich vom ftofflichen Reize abhängt, das Buch Tangmeilig 
oder ermüdend finven.. Es ift ein Seelengemälde, das Gemälde 
einer Kinderfeele, die umter unfern Augen allmählig zum Knaben 
und Yüngling heranwãchſt: Tagebuchbfätter, zum Theil von fehr 
Ioderer Faſſung, aber von bewunvernswürbiger Teinheit der Be⸗ 
obachtung und einer unwiderſtehlichen Innigkeit und Wahrheit 
der Empfindung. Der eigentliche erzählende Theil in ſehr un⸗ 


Prußs, die deutſche Literatur der Gegenwari. II. 


210 Der Roman. 


bedeutend, wir müſſen uns an dem Reichthum pſychologiſcher Be— 
obadıtungen genügen lafjen, die zum Theil fo ſchlagend find und fo 
new, und die. verborgenften Geheimniſſe ver Kinderwelt mit ſolcher 
Klarheit vor uns aufdecken, Daß wir und dadurch an Rouſſeau's 
berühmte „Eonfefliong” erumert fühlen. — Doch gewährt ber 
Schluß des Buchs feine Befriedigung. Der Dichter weiß für feinen 
Helven einen andern Ausgang, als daß er ihn wahnfimmig werben 
läßt, ja fchließlich entvedt es fi, daß er fchon ven jeher wahn- 
ſinnig geweſen. Ein ſchlechtes Compliment, in der That, für 
dieſe romantifche Traumwelt, die der Dichter doch Übrigens mit jo 
viel Anmuth und Lieblichkeit zu ſchildern weiß. 

Mehr auf realem Boden bewegt der Dichter fih in „Die 
Leute von Seldwyla“ (1856). Es find Dorfgefhichten, in denen 
die ſchweizer Lokalfärbung durch den romantifchen Nebel, durch 
welchen Gottfrien Keller die Dinge zu fehen liebt, ziemlich verwifcht 
ft. Auch übrigens ift das Buch nicht frei von allerhand romanti- 
ſchen Launen uud Unarten, ja in einigen Stüden, wie 3. B. gleich 
in dem Anfangsſtück, Pankraz ver Schmoller” treten fie fogar fehr 
deutlich hervor. Auch in den beiden legten Stüden der Samm— 
lung: „Die drei gerechten Kantmmacher“ und „Spiegel, das Kätz⸗ 
chen,’ herrfcht ein erzwungener und unnatürliher Humor, der an 
das alte befannte „Eile mich, damit ich lache“ erinnert, Dagegen 
find „Frau Regel Amrain und ihr Yüngfter” und „Romeo umb 
Yulie auf dem Dorfe“ dem Dichter in hohem Grade gelungen. 
Namentlich ift der Charakter der Frau Amrain jowol nad) Anlage 
wie Ausführung ein Kleines Meifterftüd und auch Die Gefchichte 
bes unglüdlichen Liebespaares, das endlich, da bie Erbe ihrer Liebe 
keine Stätte bietet, feine Zuflucht in der Fühlen Welle des Flufſſes 
ſucht und findet, ift bei aller Einfachheit in hohem Grade erſchüt⸗ 
ternd; ſchade, daß der Verfafler durch ven übelgemählten Titel dem 








Öottfrieb Keller, 211 


Ganzen eine ironifche Beziehung aufgeprüdt hat, die nirgend we— 
niger hinpaßte, als an dieſe Stelle. 

Alles zufommengenommen, befindet das Talent des Dichters 
fich noch in der Gährung und wird noch erft abzuwarten ſein, wozu 
es fich abklären wird. Daß es aber ein beveutenbes und liebens⸗ 
würdiges Talent iſt und daß es ſchade wäre, wenn dieſe urfprüng- 
lich fo gefunde Natur fih in dem Net ihrer eigenen Träumereien 
enblich völlig verftriden und bamit der Poefte überhaupt verloren 
gehen follte, das läßt ſich ſchon jet behaupten. 


— — — — 


14* 


1090. 
Theodor Mügge und Edmund Horfer. 


Iſt fomit Gottfried Keller in Gefahr, ſein Talent der alten 
Sirene der Romantik zum Opfer zu bringen, fo ſtellen ſich uns da⸗ 
gegen Theodor Mügge und Edmund Hoefer als zwei,DHauptreprä- 
fentanten jenes ftrengen, unerbittlihen Realismus dar, der bie 
Boefie ver Gegenwart beherrfcht und in dem bie überwiegend praf- 
tiſche Richtung unferes gefammten modernen Lebens fich abfpiegelt. 

Zwar Theodor Mügge gehört eigentlich einer viel älteren 
Generation an; man lieft ihn im Grunde nur no, weil man ihn 
bereit8 fo lange gelefen hat und weil Keiner mit den Kunftgriffen 
des belletriftiichen Handwerks fo vertraut ift und fie fo geſchickt an- 
zuwenden weiß, wie der Dichter des „Zouffaint” und ver „Ven⸗ 
deerin.” Inzwiſchen hat e8 immerhin etwas Nefpectables, das 
PBublicum, das befanntlic in Deutſchland fonft eben nicht das be- 
ftändigfte ift, ein volles Menjchenalter hindurch Jahr aus Fahr 
ein mit Lefefutter zu verforgen und ſich dabei unausgeſetzt in ber 
Mode zu erhalten, weshalb wir denn auch dem unermüdlich fleis 
ßigen Schriftfteller feine beſcheidene Stelle an diefem Orte nicht 
verfagen wollen. — Die Zahl ver Mügge'ſchen Romane und No- 
vellen ift außerorventlich groß; 1806 zu Berlin geboren, ‚ließ er 
jeine erſten belletriftifchen Verſuche bereits zu Ende ver zwanziger 
Jahre erfcheinen. Anfangs hielt er ſich ziemlich genau in jener 


x 


Theodor Mügge und Edmund Hoefer. 213 


breiten Heerftraße, welche die Tromlitz, die Ban der Belde und an⸗ 
dere Koryphäen der damaligen Leihbibliothefenliteratur angebahnt 
hatten: wie es ihm denn überhaupt, troß feiner ungemeinen Frucht⸗ 
barkeit, an eigentlicher Originalität und Selbſtändigkeit des 
Schaffens fehlt. 

Dafür befigt er jedoch eine große Bildſamkeit ımd ein feines 
Berftändniß für den wechfelnden Geſchmack des Tages. Theodor 
Meügge hat fih der Reihe nah in die verfchiedenften Manieren 
hineingearbeitet und bat es in jever verftanven, fein Publicum zu 
befriedigen und die Gunft der Leſewelt zu behaupten. Er ift über- 
haupt ein mehr formales, als eigentlic, dichteriſches Talent; feine 
Hauptftärfe befteht in der Schilverung, namentlich in der land: 
ſchaftlichen, und mit befonderem Geſchick weiß er immer neue und 
pifante Scenerien aufzufinden. Wie Andere reifen, um poetifche 
Eindrücke zu gewinnen, fo reift Theodor Mügge, um Landſchaften 
und Eoftüme zur ftudiren; das Uebrige findet fih. In feiner Ju⸗ 
gend, da fein Sinn nod) nach Amerika ftand und er ſchon im Be⸗ 
- griff war, nach Peru zu gehen, um unter Bolivar für die Freiheit 
zu fechten, war e8 Befonders die Schilderimg der ſüdamerikaniſchen 
Zropenwelt, durch welche er feine Leſer feſſelte; der fchon genannte 
„Touſſaint,“ (4 Bde. 1830), der überhaupt den Ruf des Did;- 
ters begründete, verdankt hauptfächlic, diefen Schiverungen ben 
ungewöhnlichen Beifall, der ihm zu Theil ward. In fpäteren 
Jahren (1843) machte der Dichter dann eine größere Reife nad) 
Schweden und Norwegen und es ift wahrhaft ftaunenswerth, 
was er alles aus diefer Reife auszumünzen gewußt hat, befonvers 
nachdem noch bie ffandinavifche Bewegung und der Hägliche Streit 
zwifchen Dänemark und Deutfchland dazugekommen. Seitdem 
fpielt die Mehrzahl feiner Romane auf däniſch-ſchwediſch⸗norwegi⸗ 
ſchem Boden; mit verfelben Virtuoſität und derſelben Treue der 


214 Der Roman. 


Farben wie ehedem ven glühenvden Himmel der Antillen, ſchildert 
er jebt. die eisumjiarrten Fjorde Norwegens oder die Marfchen 
und Dünen der jütifchen Halbinfel, Auch vie beiven neueften unter 
feinen größeren Romanen, „Afraja“ und „Eric Randal“ bewegen 
ſich auf demſelben Terrain; fie find, wie Alles, was Mügge ſchreibt, 
geſunde, derbe Koft, ein willfommener Zuwachs der Leihbibliotheten, 
ohne daß die Poefie ſich fonverlih daran bereicherte. — 

Weit beveutenter ift Edmund Hoefer, ver vielleicht in dieſem 
Augenblick mit Theodor Mügge die Auszeichnung theilt, der gele- 
ſenſte und beliebteſte Erzähler Deutſchlands zu ſein. Auch Edmund 
Hoefer beſitzt ein außerordentliches Talent der Schilderung, ja 
daſſelbe iſt vielleicht noch um fo größer, je einfacher und anſpruchs⸗ 
loſer die Gegenſtände, die er ſchildert, und je weniger ſie im Stande 
ſind, die Phantaſie des Leſers durch fremde Namen und andere 
Abenteuerlichkeiten zu entzünden. Eomund Hoefer hat eine Gegend 
des deutſchen Vaterlandes zu poetifchen Ehren gebracht, die ſonſt 
eben nicht im beften Rufe ftand: er ift ver Dichter der pommerjchen 
Oſtfeeküſte. Mit Hinreißender Gewalt weiß er ben einfür- 
migen und body ewig nenen Anblick zu fhilvern, den das Meer 
gewährt indem es feine raftlofen Wellen gegen vie flache, niebrige 
Küfte ſpült; wir jehen das einfame Fiſcherhaus an dem wiefen- 
umfränzten Bodden, wir fteigen in das leichte Fahrzeug und 
gleiten mit raſchen Segeln über die ewig unergründliche, heim— 
tückiſche Fluth. 

Oder wir ſitzen in dem alten verwitterten Jagdſchloß tief im 
Walde, wo weit und breit nichts zu hören iſt als das Bellen der 
Rüden und das Knarren der Wetterfahnen auf dem morſchen Dache; 
wir figen in dem düſtern Erker hinter den Heinen trüben Scheiben, 
durch die aller Drten der Wind pfeift und laffen ung von einem 
alten fehnurrbärtigen Großonfel oder einem griesgrämigen Börfter 





Theobor Mügge und Edmund Hoefer. 215 


Geſchichten von ehebem erzählen, unheimliche Geſchichten, bie ans 
das Blut in den Adern ftoden maden. . 

Oder wir befuchen ubmejfefungähafber auch bie Heinen Gar⸗ 
niſonſtädte der Umgegend und miſchen uns in das muntere Treiben 
der Offieiere; wir machen Fenſterparade vor den Häuſern der 
Schönen, trinken, würfeln, ſetzen in die Karte, verführen aus purer 
nichtsnutziger Langerweile die Weiber unferer Freunde und laſſen 
uns dafür’ eine Kugel durch ben Kopf ſchießen oder werben alte 
fanertöpfifche Hageſtolze, denen Jedermann ſchon auf hundert 
Schritte den tiefen Menſchenhaß und die terfallenheit mit fi ſel⸗ 
ber anfieht... 

' Denn wie bei jevem Achten Dichter, fo ift auch bei Edmuud 
Hoefer die landſchaftliche Umgebung nur der Rahmen, aus 
dem die Menſchen, dieſe eigentlichen und einzigen Träger 
aller Poeſie, deſto deutlicher und kräftiger hervottreten. Es iſt eine 
geheime Verwandtſchaft zwiſchen ven Menſchen, vie er und zeichnet, 
und ber ernften ſtiefmütterlichen Natur, dem finftern Grin ver 
Wälder, dem trüben Grau des Himmels, dem geheimuißvollen 
Wogen und Braufen des Meeres, das Edmund Hoefer mit fo 
großer Meiſterſchaft fehilvert; das harte karge Erdreich erzeugt 
harte verſchloſſene Menſchen mit gewaltigen Leidenſchaften, vie ihre 
Empfindungen gleichwol in tieffter Bruſt zu verbergen wiffen und 
deren erzenen, wettergebräunten Zügen du nicht anſiehſt, was ihre 
Herzen bewegt, und ob fie Darüber zerfpringen follten. . . 

In der Darftellung diefer verhaltenen, am ſich felbft zehreuden 
Leidenſchaft beſitzt der Dichter feine wahre Stärke; hier erreicht er 
häufig mit den geringften Mitteln Die außerordentlichſten Effecte, Die 
ſich 638 zum wahrhaft Tragifchen fteigern. Ueberhaupt ift das Co⸗ 
lorit feiner Dichtungen trüb und ſchwermüthig, wie ver norviſche 
Himmel, unter dem fie fplelen; felbft fein Lachen und feine Heitexfeit 


216 Der Roman. 


teägt in der Kegel einen gewiſſen hypochondriſchen, ffeptifchen Zug, 
ungefähr wie ein alter geprüfter Seemann lacht, wenn ein Novize 
ihm die Beftänpigfeit des Wetters. oder die günftige Richtung des 
Windes rühmt. . 

Dafür aber ift ver Dichter andeverjeitd auch in der Darſtel⸗ 
Iung des Tragifchen und Erſchütternden frei von aller Sentimen- 
talität. Die Geſchicke vollziehen ſich bei ihm mit eherner Noth- 
wenbigfeit; wie dieſes Schiffervolf, dieſe ernften ſchweigſamen 
Bauern, diefe pulvergefchwärzten Soldaten ihre Todten ſtumm 
begraben und ohne Klage, fo zeigt der Dichter auch in Den ges 
waltigften und erfchütterndften Scenen immer daſſelbe gemefjene, 
wortfarge Weſen, nirgend macht er fein eigenes Klageweib, ſondern 
was morſch ift, läßt er abfallen, ftreng und gerecht, wie das Schid- 
fat jelbft. 

Und wenn nım einmal nach Iangem trüben Dunfel die Sonne 
der Freude voll und rein an dieſem umwölften Himmel emporfteigt — 
bie weißen Segel gligern über die blaue Fluth, die hochbeladenen 
Erntewagen ſchwanken heim, überall ift Muſik und Tanz: o wie ift 
dann auch bie Heiterfeit des Dichterd fo geſund und kräftig! wie 
tönt. fein Lachen aus fo voller, frifcher Bruſt! wie genießt er fo 
dankbar bie kurze goldene Stunde, welche die neibifchen Götter ihm 
befchieden haben! Wie der Schmerz und die Leidenſchaft des Dich⸗ 
ters, ift auch fein Humor männlich und ſtark; er ift überhaupt mehr 
eine Lectüre für Männer als für Frauen, welche legteren durch eine 
gewiſſe Herbigfeit und Widerhaarigkeit feines Weſens, die aber zu 
ber herlömmlichen Sentimentalität unferer Tage den erwünſchte— 
ften Gegenjaß bilvet, mehr zurückgeſchreckt als angezogen werben. 

Edmund Hoefer hat bis jegt nur Heinere Erzählungen ge- 
ſchrieben, aber es find die Perlen unferer beutigen- erzählenden 
Literatur. Diefelben find theild einzeln in den von ihm in Ge— 








Theodor Mügge und Edmund Hoefer. 217 


meinſchaft mit Friedrich Hackländer herausgegebenen „Hausblät⸗ 
tern,“ theils in verſchiedenen größeren und kleineven Samm⸗ 
lungen erſchienen. Beſondere Auszeichnung verdienen darunter die 
„Geſchichten ans dem Volk“ (1852) und „Deutſches Leben“ (1856). 
In der erſtgenannten Sammlung find unter anderm die „Erzäh— 
lungen eines alten Tambours“ enthalten, die zu bem Beſten gehö⸗ 
ren, was der Dichter geſchrieben; unter ihnen iſt wiederum die 
vierte: „Von Roloff dem Rekruten,“ ein wahres Cabinetſtück und 
ein glänzender Beweis, wie Unrecht unſere jungen Dichter haben, 
die immer ſoviel zu klagen wiſſen über Mangel an dankbaren 
Stoffen, und daß bei uns in Deutſchland ſo wenig paſſire, was der 
Poet gebrauchen könne — hier mögen fie lernen, daß das poetiſch 
Wirkſame, ja das tragisch Zermalmende zuweilen in den allereng- 
ften und beſchränkteſten Verhältniffen liegen kann und daß es nur 
bes richtigen Blicks bevarf, um aus dem Kleinften das Größte 
heraus zu finden. 

Mehr von feiner humoriſtiſch-idylliſchen Seite lernt. man ben 
Dichter kennen in „Schwanewiel. Skizzenbuch aus Norbdeutich- 
land‘ (1856). Es ift eine Reihe von Schilderungen aus dem 
täglichen Thun und Treiben, ven häuslichen und ländlichen Be⸗ 
Ihäftigungen, ven Arbeiten und VBergnügungen einer wohlhabenden 
Gutsbeſitzerfamilie anı Strande der Oftfee, in Pommern ober 
Medlenburg: denn dahin deutet die mit bekannter Meifterfchaft 
gezeichnete Rocalität. Der novelliftifche Baden, der dieſe einzelnen 
Schilderungen zufammenhält, ift nicht fehr erheblich, aber doch 
ftellenweife vecht fpannend; fo z. B. das Verhältniß zwifchen Mar- 
garethe und dem alten Oberft, das eben jo neu wie zart gedacht 
ift und im feiner feinen, finnigen Weife zu dem Schönften gehört, 
was wir je bei einem deutſchen Novelliften gefunven haben. 

. Meberhaupt fann man biefen Dichter den Anklägern ver Ge- 


218 Der Roman. 


genwart entgegenbalten, die ihr den Beruf und vie Fähigkeit zu be- 
deutenden poetifchen Leiftungen abſprechen. Mag auch pie Gattung 
felbft, vie er anbaut, nicht die größte fein, fo ift Doch das Talent, 
das er dabei entwidelt, ver lebhafteſten Anerkennung werth und 
darf Edmund Hoefer im dieſer Hinficht ven Vergleich mit den be- 
rühmteften Erzählern ber deutſchen wie der ausländischen Literatur 
nicht ſcheuen. Hier ift Alles vereint, was den glücklichen Erzähler 
bildet: höchfte Wahrheit und Naturtreue der Schilderungen, Origi⸗ 
nafität und Neuheit ver Auffafiung, tiefe Kenntmiß fowol der 
Natur und ded äußern Lebens wie des menſchlichen Herzens und 
ein klarer, leichter, immer anregender, immer charafteriftiicher Fluß 
der Rebe, und ftehen wir daher auc nicht an, Edmund Hoefer über- 
haupt den erften Plag unter unfern heutigen Erzählern einzu- 
räumen. ' 


11. 
Alerander von Sternberg. 


Wir Schließen biefe Ueberficht über die Romandichter ver Ge- 
genwart mit Herrn von Sternberg. Und wie bürfte derſelbe hier 
and) fehlen? Herr von Sternberg ift der wahre Ueberall und 
nirgend unferer erzählenpen Literatur; gleich Theodor Mügge, be- 
herrſcht er feit beinahe dreißig Iahren- ven belfetriftifchen Markt 
und fo viele neue Moden inzwifchen auch aufgefommen find, und 
fo viele Wandelungen ver Gefhmad des Publicums erfahren hat, 
Herr von Sternberg hat fie alle treulich mit durchgemacht, nie ift 
er hinter ferner Zeit zurücgeblieben, wenn er aud allerdings nie- 
mals verftanden hat, ihr felbft einen Impuls zu geben und die 
Saat neuer und fruchtbarer Ideen auszuftreuen. 

Dean hat Herrn von Sternberg wol einen ariftofratifchen 
Dichter, den Dichter der Reaction und’ des Stillftands genannt; 
ja es hat Zeiten gegeben, in denen Herr von Sternberg felbft nicht 
wenig ſtolz auf dieſe Bezeichnung war. 

Und doch, behaupten wir, hat er nicht ven mindeſten An⸗ 
ſpruch darauf. Herr von Sternberg ein Mann des Stillſtands ? 
Der Berfaffer der „Braumen Märchen“ ein Anhänger der Re 
action? Vielmehr im Gegentheil: unter allen deutſchen Roman- 
fchreibern der Gegenwart wifjen wir nicht einen namhaft zu machen, 


220 Der Roman. 


ber die Strömungen des Zeitgeiftes aufmerffamer belaufcht und 
eifriger auf jeden Wechfel der Move fpeculirt hat, als Herr von 
Sternberg. Er ift ver wahre artiste adonisateur, der jeder Laume 
ber Zeit ihr romantifches Schönpfläfterchen aufzufegen verfteht und 
‚mit der Geſchwindigkeit eines Tafchenfpielers jedem neneften ©e- 
ſchmack des Publicums fofort mit einem entfprechenben Roman auf- 
wartet. Zu Anfang der dreißiger Jahre, als Heine florirte, ſchrieb 
‚Herr von Sternberg feine „Zerriffenen.” Als dann vie Kiteratur- 
geſchichte in Mode kam, lieferte ex ſeinen „Moliere‘ und „Leſſing.“ 
ALS die focialen Fragen in ven Vordergrund traten, ftand er bereit 
mit „Baul,” „Diana“ ꝛc. „General Drauf“ quartierte fich im 
Charlottenburg ein und die Oppofition bereitete fi zum pafliven 
Widerftande — Herr von Sternberg ebirte feine „Beiden Schützen.“ 
Das Militär war in Berlin eingezogen, die Nationalverfammlung 
vertagt, die Reaction, nad) glücklich überftandenem Kanonenfieber, 
feste ſich zu Tiſche und fuchte mit. Champagnerftrömen und Wacht⸗ 
fiubenwiten das Gedächtniß der Angft hinwegzufpülen, die fie fo- 
eben noch ausgeftanden — und wer ftand an ber Thür des Saales, 
gefchniegelt und gebügelt, die Serviette unter dem Arm, und reichte 
den wiehernden Gäften die neuefte Speifefarte? Wiederum Herr 
von Sternberg mit feinen „Braunen Märchen,‘ feinem „Gil 
Blas“ und ähnlichen Obfcönitäten. - 

Dies glüdliche Talent, ver Mobernfte unter den Modernen, 
der Vorgeſchrittenſte zu fein unter den Vorgeſchrittenen, mußte denn 
freilich auch mit einigen Opfern erfauft werben; die Götter haben 
es nun einmal fo eingerichtet, daß nicht einem Sterblichen gleich 
mäßig alle Tugenden und Vorzüge zu theil werben und inbent fie 
Herrn von Sternberg eine unermüdliche Beweglichkeit des Geiftes, 
eine Fülle von Phantafie und Wis und eine bezaubernde Erzähler: 
gabe verlieben, verfagten fie ihm doch Eines — ven feften Aufer- 











Alerander von Sternberg. 221 


grund eined confequenten, mit fich felbft übereinſtimmenden Charak⸗ 
terd. Herr von Sternberg ift nur darum fo entwidelungsfähig 
und hat nur deshalb ‚vie verſchiedenen Phafen unfers literarifchen 
und geiftigen Lebens fo getreufich mit Durchmachen fünnen, weil er 
felbft fo völlig ohne eigenen Inhalt ift. Herr von Sternberg 
ift elegant, geiftreich, Tiebenswärbig, aber er hat feinen Charakter 
und feine ſittliche Ueberzeugung; er bleibt ewig nur auf der Ober- 
fläche der Dinge haften und das ernfthaftefte Gefühl und die leiden⸗ 
ſchaftlichſte Emotion, wozu er e8 bringen kann, ift immer nur bie 
Schabenfreuve ver Selbftverachtung und das ironiſche Bewußtſein, 
daß der Menſch ein für allemal ein Lump.. 

Vielleicht war es nicht immer ſo, vielleicht gab e8 eimmal eine 
Zeit, wo Herr von Sternberg ernften und anfrichtigen Antheil nahm 
an den geiftigen Bewegungen des Jahrhunderts und in ver Liebe 
noch mehr als eine angenehme körperliche Erregung, in der Phile- 
fephie noch mehr als ein Sammeljurium von Thorheiten und Wi- 
derſprüchen, in der Kunſt noch mehr als einen bloßen Zeitvertreib 
erblickte. Als er zu Anfang der dreißiger Jahre, unter den Stür⸗ 
men der franzöfifchen und. polnischen Revolution, aus jeinex- veutjch- 
ruſſiſchen Heimath zuerſt nach Deutſchland kam und hier Die genauere 
Bekanntſchaft mit ventfcher Bildung und beutfchem Geiftesleben 
machte, va hatte auch er noch wirkliche geiftige Interefjen und brütete 
auch ſeinerfeits noch mit Ernſt und Eifer über den politifihen, philo- 
ſophiſchen und focialen Broblemen, mit denen jene Zeit fich befehäf- 
tigte. Dieſer Theilnahme an der geiftigen Arbeit unferes Volles 
verdaulten die fchon genannten „Zerriſſenen“ (1832), denen jogar 
die Ehre zu Theil warb, ber ganzen Epoche ihren Namen zu geben, 
ferner „Der Miffionair,“ (1840), „Diana, (1842), „Baul,“ 
(1845) zc. ihren Urfprung: Arbeiten, vie bei aller Flüchtigkeit, ja 
Leichtfertigleit ver Behandlung, doch einen gewillen Ernft des Ge— 


222 Der Roman. 


dankens zeigen umd im ihrer Art ben Beru maden, die geoken 
Fragen. ber Gegenwart zu löſen. . 

Oder war es auch damit vielleicht nicht io ernſtlich gemeint? 
War vielleicht auch dieſe Geſchäftigkeit, mit der Herr von Stern- 
berg ſich an den geiſtigen Kämpfen der Zeit betheiligte, nur ein 
Ausfluß ſeines blos formellen Talents, ein bloßes Erzeugniß 
jener plattirten Bildung, in welcher die Ruſſen und befonders 
die Deutfehruffen fo ftark find und der fie einen fo foliden Anftrich 
zu geben wiſſen, bis dann doch einmal irgend wo und irgend wie 
die Bärentatze des Barbaren unter dem Mantel der Civilifation 
hervor gudt? — Wir wagen e8 nicht zu enticheiden: wohl aber 
fteht die Thatſache feit, daß Herr non Sternberg diefer geiftigen 
Anftvengungen bald herzlich) müde warb amd ſich mit fauniſchem 
Lächeln dem altromantifchen Nihilismus ig die Arme warf. Was 
Geift, was Freiheit, was Fortſchritt! Was Heberzengung und fitt- 
liche Treue! Der Menſch tft aus Gemeinem gemacht, die lebten 
tiefften Quellen der Weishett bleiben ihm doch ewig verichloflen, 
ein Thor alfo, wer ſich darüber härmt und es verfäumt, den flüch— 
tigen Schaum von der Oberfläche. zu nippen.. . . 

Zu weientlicher Beeinträchtigung feines fchriftftellerifchen Au⸗ 
ſehens fiel Herr von Sternberg mit biefer feiner Philofophie des 
Leichtſinns und der Frivolität in eine. Zeit, bie im Gegentheil im- 
mer ernftlicher darauf drang, daß auch die Kunſt den tiefften Inhalt 
des Lebens wiederfpiegele, und daß auch ber Poet nit ohne 
Charakter und fittlicde Ueberzeugung fein dürſe. Man weiß, wel⸗ 
hen Antheil der fittliche Ingrimm ver Zeit an jener politiſch ſo⸗ 
cialen Kriſis hatte, die endlich wit pem Salve Achtundvierzig zum 
Ausbruch kam; es wear nicht blos das Bedürfniß freierer po- 
litiſcher Bewegung, jondern eben fo fehr und. vielleicht in noch 
höherem Grabe war es das verletzte Rechtsgefühl und die. beleibigte 


\ 











Alerander vor Sternberg. ' 223 


fittliche Scham des Volles, was in jenen verhängnikvollen März⸗ 
tagen die Sahne des Aufruhrs durch die. Strafen ug. . - 

- Em Mann wie Herr von Sternberg. mußte ſich durch dieſe 
Dewegung natärlid) grünklichft deplacirt fühlen; aller Ernft, alle 
Leivenichaft, alle Begeifterung war ihm jo gründlich verhaßt, er 
liebte jo jehr die behagliche Ruhe des Weltmanns mit ihren Heinen 
Stillen Freuden und heimlichen Genitffen — und nun auf einmal 
ſtand vie ganze Welt in Flammen der Begeifterung und alle Lippen 
floffen über von Tugend, Freiheit, Baterland?! Das war nicht 
das Genre des Herrn non Sternberg, und fo wurde er mun erft, 
unter ben Stürmen jenes März, wofür man ihn jchon. früher 
gehalten hatte: ver Dichter ver Reaction und des politifchen ' 
Stillftands. 

Allen auch jetzt wurde er es nicht aus Grundſatz und Ueber-⸗ 
zengung -— was haben Grundſätze und Herr von Sternberg über⸗ 
haupt mit einander. zu thun?! — fondern vielmehr aus Geiſtes⸗ 
widerſpruch uud weil viefer Yarın auf allen Gaflen und dies un⸗ 
aufhörliche Trommeln ber Bürgerwehr und biefe vielen ſchreckhaften 
Rachrichten und dieſe endloſen politifchen Geſpräche und ‘Debatten, 
die gar keine harmloſe Unterhaltung mehr auffnımmen liegen, ibm 
den Humor verbarben. — 

Daß 23 fih wirklich fo verhält und Daß wir Heren von 
Sternberg mit diefer Auslegung fein Unrecht thun, das bemeifen 
aufs Unzweifelhafteſte die Werke, welche ex gleichzeitig mit feinen 
„Royaliſten“ (1848), „Die beiden Schützen“ (1849), „Die Kai⸗ 
jerwahl“ (1850) veröffentlichte und denen beun non dem Exuft und 
ber Seiligfeit ver Gefinuung, mit welcher er in ben eben genannten 
Romanen Thron und Altar feiert, blutwenig anzumerken ift. Wir 
meinen bie Unflätereien und Obfednitäten, vig Herr von Sternberg 
in eben diefer Zeit herausgab, die „Braunen Märchen’ (1850), 


224 Der Roman.. 


„Der deutſche Gilblas,“ „Die Nachtlampe“ rc. Im dieſen Schriften 
ſpricht die Frivolität, welche feit Langen, wenn nicht von jeher bie 
eigentliche Muſe dieſes Dichters gewefen, fich ganz nadt und unverhüllt 
aus, auch das letzte Feigenblatt der Scham ift hier abgelegt und wir 
müffen, um Achnliches aufzufinven, zurückgreifen in Die verberbteften 
Zeiten ver franzöfifchen Regentfchaft, zueinem Faublas und Marquis 
de Sade und anderen ähnlichen Schriftftellern, welche pie Poeſie zum 
Phallusdienſt erniebrigten und deren Name dafür nod) heut mit.ver- 
dienter Schmach gebranpmarft if. War das wieberum die alte 
romantiſche Ironie von Seiten des Herrn von Sternberg, daß er 
feinen legitimiftiſchen Expectorationen dieſen unfaubern Commentar 
gab und dicht neben feinen poetiſchen Bollwerken für König und 
Krone dieſes Bordell feiner „Braunen Märchen“ errichtete? Oder 
glaubte er der Reaction ſelbſt etwas Angenehmes damit zu erweiſen 
und war dieſe Verherrlichung des roheſten Genuſſes, dieſe Wieder⸗ 
herſtellung des Caſanova und Crebillon und ähnlicher Nuditäten 
vielleicht in der That der letzte Hintergedanke unferer neuen Bayarde 
aus Hinterpommern ımd ver Mark? Es ift wahr, die Reſtaura⸗ 
tionsgelfüfte gingen damals ſchon ziemlich weit; wer kann berechnen, 
wohin bie entzünbete Phantafie eined neumobifchen Junkers ſich 
verfteigt ?? Und wenn denn doch einmal aller mittelalterliche Plıimber 
aus der Rumpellammer ver. Bergangenheit wieder bervorgeholt 
werben follte, warum. nicht aud) das jus primae noctis, dieſes fo 
angenehme und erfprießliche Recht? Die Sache war doch. wenig⸗ 
ſtens zu überlegen .. 

Aber ſei es nun, daß Herrn von Sternberg ſelbſt dieſe mittel⸗ 
alterliche Berfiummung noch zu ernſt war, ober daß die Erwar⸗ 
tungen, mit denen er ſich der Reaction angeſchloſſen hatte, wicht 
befriedigt wurden, geyug, auch dieſe Phafe war nur von ſehr kurzer 
Dauer. Herr von Sternberg wurde es nicht nur in Kurzem über⸗ 














Alerander von Sternberg. 225 


brüffig, die Helden des Treubund und der Inpalidenvereine „mit 
Gott fir König und Vaterland” poetifch zu verherrlichen, ſondern 
er gab ver Reaction auch den förmlichen Scheivebrief und that öf⸗ 
fentlich Abbitte vor Gott und Menfchen, daß er fo jchmählich fehl⸗ 
gegriffen und ſich auf eine fo falfche Bahn hatte mit fortreißen 
laſſen. Gingeleitet wurde dieſe Umfehr, bei der freilich die Demo- 
Eraten vermuthlich noch weniger gewonnen, als bie Royaliften ver⸗ 
loren haben, beveitd durch „Ein Carneval in Berlin” (1852), bis 
er volftändig zum Durchbruch fam in den „Erimmerungsblättern,“ 
einer Art von Memoiren, die Herr von Sternberg feit einigen Jah⸗ 
ven veröffentlicht und von benen bi8 jet fünf Bandchen erfchienen find. 
Es find ziemlich breite Plaubereien, in jenem eleganten Stil, deſſen 
Herr von Sternberg fo mächtig iſt, vol Wig und Bosheit, aber übri- 
gend nur ein neuer Beleg dafür, wie gänzlich ausgehöhlt dieſer Dichter 
ift und wie fremd ihm alles tiefere geiftige Intereffe und aller Ernft 
einer fittlichen Ueberzeugung. Daß eine alte Buhldirne Schließlich 
fromm wird, ft fchon ſchlimm genug: allein Herr von Sternberg 
zeigt, daß fie auch noch etwas Schlimmeres werben kann, nämlich 
eine alte boshafte Klatfchlife, die jene Freude fchmäht und bie 
Jngend haft und verfolgt, bloß weil fie felbft alt gemerven - 
nad weil zwar nicht fie Die Sünde, aber body die Sünde fie vers 
laſſen bat... 

Seit dieſem feinem Bruch mit ver Reaction ift Herr von 
Sternberg num innerlich wie äußerlich jedes Halt beraubt. Er 
ift nur noch der Revenant feiner felbft, ja es ift wahrhaft kläglich 
zu fehen, wie ein urfprünglich fo reich ausgeftattetes Talent der⸗ 
maßen in ver Irre taumelt und in frampfhafter Gier hierhin und 
dahin greift und doch nirgend Die Stelle findet, in der es wurzeln 
könnte. Wie ein alter Spielmann, auf ven Niemand mehr hören 


mag, flimmt Herr von Sternberg noch einmal alle möglichen Melo- 
Brup, die deutfche Literatur der Gegenwart. II. 15 


226 Der Roman. 


bien an, die ſich zu irgend einer Zeit des öffentlichen Beifalls er- 
freuten; in feinem „Macargan“ (1853) kehrt er zu feinen geliebten 
Enchklopädiften des achtzehnten Jahrhunderts zurüd, er verſucht in 
den „Rittern von Marienburg‘ (ebenfald 1853) den alten hifte- 
rifchen Roman der Tromlig und Blumenhagen, wenn auch mit 
frivolem Aufputz wieder herzuftellen, ja er beſchwört in „Das ftille 
Haus‘. (1854) foger die alte Hoffmann'ſche Spuk⸗ und Gefpen- 
ftergefchichte aus der Nacht ver Vergeflenheit wieder empor... . 
Allein wir fürchten, umfonft: Oder follte vie gemäßigte und 
ſolide Darftellungsweife, deren Herr von Sternberg fid in feiner 
neueften Sammlung von Künftler- Novellen, „Die Drespner Gal- 
lerie“ (1857, bis jetzt zwei Bände) befleißigt, und bie gegen bie 
wüften Experimente feiner legten zehn Jahre fo vortheilhaft abfticht, 
wirklih ver Anfang einer neuen Entwidelung fein? Bei einem 


- fo verjatilen Talent wie Herr von Sternberg, muß man freilich 


auf Alles gefaßt fein und Alles für möglich halten: aber daß bie 
Zodten wieder lebendig werden und daß ein fehaler und abgeftan- 
dener Wein fein urfprüngliches Feuer wieder zurüderhält, das 
dünkt uns, bei allem Refpect vor ven feltenen Fähigkeiten dieſes 
Dichters, ebenfo unwahrſcheinlich, als daß ein Sterblicher fein 
Leben zum zweiten Mal beginnen dürfte. Dan fennt ven web- 
müthigen Seufzer des alten Dichters: 

Ö si praeteritos referat mihi Jupiter annos! 
— aber noch ift Feine Antwort darauf erfolgt... . 


I. 
Die Dorfgeſchichte. | 


Berthold Auerbach und Jeremias Gotthelf; 
Joſef Rank und die Nachahmer. 





7 


Unfere Darftellung der erzählenven Literatur der Gegenwart 
würde fehr unvollſtändig fein umd-eine fehr empfindliche Lücke dar⸗ 
bieten, wollten wir dabei die Dorfgefchichte übergehen. In der 
That ift diefelbe jo wichtig und nimmt in der Literatur der Gegen- 
wart eine fo hervorragende Stelle ein, daß wir ihr hier fogar einen 
eigenen Abſchnitt einräumen. 

Die jüngften Rinder find bekanntlich inmer vie liebften Kinder; 
gegen Niemand ift das Elternherz fo weich und nachſichtsvoll als 
gegen das Jungſtgeborene, das Neſthälchen. Die Dorfgefchichte 
aber ift das Neſthälchen umferer Literatur. Zwar ganz fo jung, 
wie man gewöhnlich glaubt, iſt fie nicht. Es ift richtig, daß ihre 
allgemeinere Verbreitung erft in ven Anfang ver vierziger Jahre 
fällt, und daß fie erft damals in Move gelommen: allein eriftixt 
bat fie ſchon früher, wenn much nur vexeinzeft und nicht mit Dem 
Anfpruch, eime eigene literariſche Gattung, gejchweige denn das 
wehre Univerfalheilmittel und der Rettungsanker ver Literatur 
ſelbſt zu ein. 

Schon in dem alten „Simpliciſſimus,“ diefem abenteuerlichen 
Roman aus dem breißigjährigen Kriege, finden fi einzelne Par: 
tien, namentlich in der Iugendgefchichte Des Helden, bie man breift 
ben heutigen ‘Dorfgefchichten an die Seite fielen kaun. Noch 


w 


230 Die Dorfgefchichte. 


größer ift Die Verwandtſchaft in „Stilling’8 Jugend“ (1776), einem 
Gemälde des ländlichen Lebens am Mittelrhein, voll Föftlicher Ein- 
falt und Anmuth, das äußerlich allen Erforderniſſen der heutigen 
Dorfgefhichte vollftändig ent|pricht. 

Doch befteht freilich noch immer ein mwefentlicher innerer Un- 
terſchied. Jung Stilling fohrieb die Gefchichte feiner Jugend in 
völliger Unbefangenheit, die Vertiefung in die Einfalt des Dorf- 
lebens, die Schilderung ländlicher Sitten und Gebräuche entjprang 
bei ihm keineswegs aus dem Ueberbruß an ber ſtädtiſchen Kultım 
und dem Wunfch ihr zu entfliehen. Vielmehr brachte fein Stoff 
das einfach fo mit fi), und wäre er z. B. in einer ſtädtiſchen Um⸗ 
gebung aufgewachlen, jo würde er Diefelbe gewiß mit derfelben Sorg- 
falt und Treue und eben diefer Hingebung an das Detail gefchildert 
haben, wie er hier feine ländliche Heimath und-feinen Bater, den 
Dorfjchneider umd die ganze enge Wirthfchaft der bäurifchen Hütte 
abzeichnet. — In diefem Sinne wirkte das Buch auch zur Zeit 
feines Erjcheinens; Niemand kam e8 damals in ven Stun, darin 
einen Öegenfat zur ftädtifehen Bildung zu erbliden, obſchon wir 
nicht in Abrede ftellen wollen, daß Die Vorliebe für das patriarcha⸗ 
liſch Urſprüngliche, das Primitive, das jener Zeit überhaupt eigen- 
thümlich war und das zur Regeneration umferer Poefie damals fo 
wefentlich beitrug, auch zu dem großen Erfolg dieſes Buches mit- 
gewirkt hat. Im Ganzen war es aber doch immer nur bie Freude 
an der Naivetät und Treuherzigkeit ver Darftellung im Allge- 
meinen, was ihm diefe günftige Aufnahme verfchaffte, wie denn 
namentlich Goethe, durch ven e8 befanntlich überhaupt in die Def- 
fentlichkeit gelangte, vorzugsweise durch dieſe Seite des Buches ge- 
wonnen ward. Man Fönnte ſomit jagen: Stilling's Iugend war 
zwar eine Dorfgeſchichte, aber ohne es felbft zu willen, e8 war bie 
Intente Dorfgeſchichte, der es noch an dem Gegenfat ber taffinirten 


Berthold Auerbad und Ieremias Gotthelf; Joſef Ranfıc. 231 


ſtädtiſchen Bildung fehlte, um zum Bewußtſein ihrer ſelbſt zu 
gelangen. 
Diefem kritiſchen Moment näherte vie Dorfgefchichte ſich, als 
Immermann die Föltlihe Epifode vom Hoffchulzen in feinen 
„Münchhauſen“ (1837) einfloht. Das Hauptthema dieſes Ro⸗ 
mans erforbexrte einen derartigen Gegenfaß ; gegenüber dieſer Welt 
ber Lüge und bes Schwinvels bedurfte der Dichter eines feften Bo⸗ 
dens und einer befchränften, aber ficheren Welt der Sittlichfeit, um 
ſich darin von jenen tollen Spufgeftalten zu erholen. Wir haben 
es als eine weife Fügung des Schickſals zu erkennen, daß Immer 
mann einen Theil ſeiner poetiſchen Studienjahre grade in Weſtfalen 
verlebte, indem ihm dadurch Gelegenheit ward, das junge Reis 
der Dorfgeſchichte grade in den geſunden Acker dieſes mieverjädhfi- 
ſchen Bauerthums zu verfenten, des eigenthämlichften und kernhaf⸗ 
teften, ben Deutſchland überhaupt noch befigt. Auch war Immer⸗ 
mann befanntlidy Jurift; er hatte vie Bauern hinter dem Actentifch, 
in ihren Rechtshänveln und Streitigfeiten kennen gelernt und war. 
dadurch vor jeder falfehen Sentimentalität und jeder einjeitigen 
Verherrlichung des bäuriſchen Ebarakters hinlänglich geſchützt. 
Darum iſt die Immermann'ſche Dorfgeſchichte — wen dieſe Epi- 
ſode vom Hofſchulzen denn doch einmal fo heißen ſoll und darf — 
auch ſo geſund und kräftig and fo frei von allen jenen koketten Zu- 
thaten, mit denen dieſe Gattung fpäterhin ausftaffirt worden ift 
und bie wol aud) jegt noch zum Theil unter die urjpränglichen 
Borzüge biefer Gattung gezählt werden, während fie doch in.. ver 
That nur zu den Entſtellungen und Berirrungen berfelben gehören. 
Was Immermam, wol mehr Dem Zuge feines poetifchen Ins 
ſtincts folgend, als aus klarer Einficht und Berechnung, fomit begon- 
nen hatte, das wurde wiever aufgenommen und im weiteften Umfang 
fortgefiihrt durch Berthold Auerbach (geboren 1812 zu Norbitetten 


230 Die Dorfgeichichte. 


größer ift die Verwandtſchaft in „Stilling's Jugend’ (1776), einem 
Gemälde des ländlichen Lebens am Mittelrhein, voll köſtlicher Ein- 
falt und Anmuth, das äußerlich allen Erforvernifien der heutigen 
Dorfgefhichte vollftändig entjpricht. 

Doc befteht freilich no) immer ein mwejentlicher innerer Un- 
terſchied. Yung Stilling fchrieb die Gefchichte feiner Jugend in 
völliger Unbefangenheit, die Vertiefung in die Einfalt des Dorf: 
lebens, die Schilderung ländlicher Sitten und Gebräuche entſprang 
bei ihm keineswegs aus dem Ueberdruß an der ftäptifchen Kultur 
und dem Wunfch ihr zu entfliehen. Vielmehr brachte fein Stoff 
das einfach fo mit fih, und wäre er z. B. in einer ſtädtiſchen Um- 
gebung aufgewachfen, jo wärde er Diefelbe gewiß mit derfelben Sorg- 
felt und Treue und eben dieſer Hingebung an das Detail gefchilvert 
haben, wie er hier feine ländliche Heimath und-feinen Bater, ven 
Dorffchneider und die ganze enge Wirthichaft der bäurifchen Hütte 
abzeichnet. — Im dieſem Sinne wirkte pas Buch auch zur Zeit 
feines Erſcheinens; Niemand kam. e8 damals in den Stun, darin 
einen Gegenſatz zur ſtädtiſchen Bildung zu erbliden, obſchon wir 
nicht in Abrede ſtellen wollen, daß: die Vorliebe für das patriarcha⸗ 
liſch Urſprumgliche, das Primitive, das jener Zeit überhaupt eigen- 
thumlich war und das zur Regeneration unferer Poefie damals fo 
wefentlich beitrug, auch zu dem großen Erfolg dieſes Buches mit- 
gewirkt hat. Im Ganzen war es aber doch immer nur die Freude 
an ver Naivetät und Zreuberzigleit ver Darftellung im Allge- 
meinen, was ihm dieſe günftige Aufnahme verfhaffte, wie denn 
namentlich Goethe, durch ven e8 bekanntlich überhaupt in die Def- 
fentlichkeit gelangte, vorzugsweiſe durch diefe Seite des Buches ge- 
wonnen ward. Man köonnte fomit jagen: Stilling’$ Jugend war 
zwar eine Dorfgefchidhte, aber ohne es ſelbſt zu willen, es war bie 
Intente Dorfgefchichte, der e8 noch an dem Gegenſatz der taffinirten 





Berthold Auerbad und Ieremias Gotthelf; Joſef Rank ꝛc. 281 


ſtädtiſchen Bildung fehlte, um zum Bewußtſein ihrer ſelbſt zu 
gelangen. 

Diefem kritifhen Moment näherte die Dorfgefchichte ſich, als 
Immermann die köſtliche Epifode vom Hofſchulzen in feinen 
„Münchhauſen“ (1837) einflodht. Das Hauptthema dieſes Ro—⸗ 
and erforbexrte einen derartigen Gegenſatz; gegenüber dieſer Welt 
der Lüge und des Schwindels bedurfte der Dichter eines feiten Bo⸗ 
dens und einer beſchränkten, aber fiheren Welt der Sittlichkeit, um 
ſich darin von jenen tollen Spufgeftalten zu erholen. Wir haben 
es als eine weife Fügung des Schickſals zu erkennen, daß Immer⸗ 
mann einen Theil ſeiner poetiſchen Studienjahre grade in Weſtfalen 
verlebte, indem ihm dadurch Gelegenheit ward, das junge Reis 
ber Dorfgeſchichte grade in den gefunden Acker dieſes niederſächſi— 
fchen Bauerthums zu verfenten, des eigenthäimlichften und kernhaf⸗ 
teften, den Deutfehland überhaupt noch befist. Auch war Immer- 
mann belanntlic) Juriſt; er hatte vie Bauern hinter dem Actentifch, 
in ihren Rechtshänveln und Streitigkeiten kennen gelernt und war. 
dadurch vor jeder falfehen Sentimentalität und jeder einfeitigen 
Berhberrlihung des bäuriſchen Charakters hinlänglich geſchützt. 
Darum ift die Immermann’sche Dorfgefchichte — wenn dieſe Epi- 
ſode vom Hoffchulzen denn doch einmal fo heißen fol und darf — 
auch fo geſund und kräftig und fo frei von allen jenen fofetten Zu- 
thaten, mit denen diefe Gattung fpäterhin ausftaffirt worden ift 
und die wol auch jet noch zum Theil unter die urfpränglichen 
Borzüge biefer Gattung gezählt werden, während fie dody in ber 
That nur zu den Entftellungen und Verirrungen derſelben gehören. 

Was Immermann, wol mehr Dem Zuge feines poetiſchen Ins 
ſtincts folgend, als aus Marer Einficht und Berechnung, fomit begon- 
nen hatte, das wurde wieder aufgenommen umd im weiteften Umfang 
fortgeführt durch Berthold Auerbach (geboren 1812 zu Norbftetten 


232 Die Dorfgefchichte: 


. im Schwarzwald): Die beiden erften Bände feiner „Schwarzwal- 
ber Dorfgeſchichten“ erſchienen befanntlih 1843, alfo zu verfelben 
Zeit wo — man denke nur an bie politifche Lyrik und die Erneue⸗ 
rung bes, vaterlänbiihen Dramas — unfere Poefie überhaupt eine 
energifche Wendung zum Nationalen und Bolksthümlichen machte. 
Aber wie überall im Leben die Gegenſätze fih berühren, fo ftand 
damals auch die Salonpoefie noch in üppigfter Blüte, der „Ver⸗ 
ſtorbene“ war noch nicht ganz verſchollen, die Gräfin Hahn= Hahn 
galt noch für eine großartige gentale Dichterin und auch aus ven Ro⸗ 
manen und Novellen des Herrn von Steruberg hatte man den Ge— 
ruch der Fäulniß, der aus all diefen Efienzen und Pomaden hex- 
vorſticht, noch nicht herausgefunden. 

Dieſer Gegenſatz ber Salonpoefie ift es num eigentlich, was 
die Auerbach'ſche Dorfgefchichte erzeugt und großgezogen hat; bie 
Dorfgefchichte ift Feine naine Frucht, fondern ein Kind der Reflexion, 
die Tendenz, diefer allgemeine Stempel unferer Epoche, ift auch ihr 
auf die Stirn gedrückt. 

Der darüber noch in Zweifel fein koͤnnte, der erinnere ſich 
doch nur, wie Berthold Auerbach felbft zu feinen „Dorfgefchichten”‘ 
gelommen. Der Dichter, zuerſt aufgetxeten im Jahre 1836 wit 
einigen Heinen publiciftifchen Schriften, denen verſchiedene philo⸗ 
ſophiſche Romane („Spinoza,“ 1837 und ‚Dichter und Kauf⸗ 
mann,” 1839) folgten, hatte bereit$ eine ziemliche Reihe poetiſcher 
Lehrjahre hinter ſich, als er endlich zu dem Eutſchluß gelangte, bie 
Erinnerungen feiner Jugend aufzuzeichnen und ber Walter Scott 
feines Heimathsdorfes zu werden, Derſelbe Gegenſatz einer raf- 
finirten, fremdartigen Bildung, in ben die Dorfgeſchichte jetzt zur 
Literatur im Allgemeinen trat, hatte fie auch in der Bruft bes 
Dichters felbft hervorgerufen. Berthold Auerbach hatte- fich viele 
Jahre lang mit dem ganzen Qualm und Wuft unſerer gelehrien 


Berthold Auerbach und Jeremias Gotthelf; Joſef Rank ıc. 233 


Bildung berumgefchlagen, er hatte in den Schulen der Rabbiner 
gefeffen und bie ganze trübe Scholaftif des Talmud in fih aufnehmen 
müflen. Unbefriebigt davon, hatte er ſodann bei der Philofopbie 
Troft und Hilfe geſucht; vor feinen „Schwarzwälder Dorfgeſchich⸗ 
ten‘ hatte er, wie ſchon erwähnt, ven Roman „Spinoza“ gefchrieben 
und bie Schriften des Spinoza felbft ins Deutſche übertragen. 
Darnach erft, nachdem dies Alles nicht im Stande geweſen war, 
feine Sehnfucht zu ftillen und ihm ben verlorenen Frieden wieder⸗ 
zugeben, nachdem er umfonft die Schutthaufen topter Gelehrfamleit, 
bie Irrgänge der Speculation durchkrochen — darnach erft wurde 
er zum Dichter der „Dorfgefchichten,“ ein richtiger verlorener Sohn 
fehrte er zu der Stätte zurück, wo feine Wiege geſtanden und fand 
hier, auf dem heiligen Boden feiner Kindheit, nicht nur die fo fehn- 
Ich gefichte innere Ruhe und Befriedigung, ſondern aud ein un« 
Ichätbares poetifches Kapital und ben vollen buftigen Lorbeer des 
Dichters. - 

. Denn das Publicum nahm die „Schwarzwälder Dorfge- 
fchichten” mit Begeifterung auf; felten nur waren der naive Beifall 
der Menge und das Urtheil der Kritik fo einftimmig gewejen. Bon 
dem Erſcheinen dieſes Auerbach'ſchen Buchs datirt eine neue Epoche 
unferer erzählenven Literatur und wie auf einen Zauberſchlag ſetzten 
fich fofort unzählige Federn in Bewegung, dem glüdlichen Borbiln 
nachzueifern. 

Im Ganzen und Großen war dieſer Beifall gewiß verdient 
und kann und ſoll es auch keine Schmälerung deſſelben fein, wenn 
wir jetzt nachträglich zu der Einſicht gelangen, daß auch bie 
Auerbach'ſche Dorfmuſe die durchaus fledenlofe und vollkommene 
Schöne nicht iſt, als die man fie im erſten Augenblick bewunderte. 
Namentlich dürfte wol grade diejenige Eigenſchaft, um deren willen 
fie anfangs am Meiſten geprieſen ward, am Wenigſten bei ihr ger 


234 Die Dorfgefchichte. 


funden werben: bie Urfprünglichkeit und Raivetät: Die Auerbady- 
ſchen „Dorfgeſchichten“ find im Gegentheil, wie wir foeben gezeigt 
haben, ein Product der Reflexion und jo find fie denn auch mit 
allen Merkmalen viefes Urfprungs behaftet. Ihrem trefflichen Ur- 
heber kann dies nicht zum Vorwurf gereichen; man wandelt eben 
sticht ungeftcaft unter Palmen, — ich meine, man lebt nicht im 
neunzehnten Jahrhundert, ſchlürft nicht mit vollen Zügen von dem 
Zaubertranf moderner Bildung und noch weniger figt man Jahre 
lang in der finftern Judenſchule und plagt fi) mit ver ſchwer⸗ 
| fälligen Weisheit längſt vergangener Jahrhunderte, um dann mit 
einem Male alle viefe Bildung, die falfche wie die wahre, gleich 
einer Schlangenhaut von fich abzuftreifen und gleichſam wieder, 
ein unjchuldiges Knäblein, in den Schoß feiner Mutter zuriidzu- 
tehren. Unſere gemeinfame Mutter ift aber das neunzehnte Jahr⸗ 
hundert mit feiner kritiſchen Bilvung, feiner gefelligen Kultur, 
feinen großen technifchen Erfindungen, und wir alle tragen, wie wir 
zur Welt kommen, diefes Zeichen ver Kritik und der Neflerion auf 
der Stirn. Wir fönnen e8 vielleicht verwifchen, o ja: aber doch 
nie fo vollftändig, daß nicht irgend welche Spuren davon zurüd- 
bleiben und vor Allem nicht fo, daß man uns nichts von der An- 
ftrengung anmerken follte, die es uns gekoſtet, diefes Kainszeichen 
loszuwerden. 

Die Spuren dieſer Anſtrengung werden wir nun auch an den 
Auerbach'ſchen Dorfgeſchichten gewahr. Es iſt doch immer erſt Natur 
aus zweiter Hand, was der Poet uns hier bietet; aus dieſen Bauer⸗ 
burſchen und Mägden fpricht nicht Das unverfälfchte bauerliche Be— 
wußtfein, ſondern ver Dichter fpricht aus ihnen, ber philofophifch und 
äfthetifch gebilvete, der reflectirende, die Fragen ver Zeit nicht aus 
ver engen PBerfpective bed Bauern, fondern von der Hochgelegenen 
Warte moderner Bildung überſchauende Dichter. 


L } 
Berthold Auerbach und Jeremias Gotthelf; Joſef Rank rc. 235 


Und nicht bloß die Anfichten und Urtheile, auch die Leidenſchaf⸗ 
ten und fittlichen Empfindungen bleiben nicht ohne eine gewiſſe leife 
Färbung, eine gewiſſe äfthetifche Schönmalerei, von der zwar ver 
Dichter felbft gewiß nichts ahnt und weiß, die aber darum doch nicht 
minder flattfindet. E8 kann eben Niemand aus feiner Haut; mag 
der Dichter auch noch fo feſt entfchloffen fein, fich aller Vortheile der 
Kultur zu entfchlagen und vie Welt wirflih nur mit den Augen des 
Bauern zu fehen, er vermag es nicht, auch bei der größten Treue 
wird. er das gebrochene Licht, das feine verfeinerte Bildung auf 
jene urfprünglichen Zuftände fallen läßt, nie ganz befeitigen, fich 
feiner felbft niemals fo ganz entäußern können, daß er nun wirk- 
lich in allen Stüden wie ein Bauer ſpricht, denkt, fühlt. 

Ja wenn er es fünnte, follte und dürfte er es au? Un 
welchen Gewinn hätte die Kunft davon, wenn es ihm wirklich ge= 
länge, jene voliftändige daguerreotypiſche Aehnlichkeit zu erlangen? 

Die Antwort auf diefe Frage giebt der befannte Jeremias 
Gotthelf over wie er eigentlich hieß, Albert Bitzius (geboren 1797 
zu Murten im Kanton Freiburg, geftorben 1857 als Pfarrer in 
Lützelflüh im Emmenthal im Kanton-Bern). Diefer Schriftfteller 
ift recht geeignet, ven Unterſchied zwifchen Kunft und Handwerk, 
zwifchen freier poetifcher Schöpfung und profaifch empirifcher Ten- 
denz fühlbar zu machen. Seine Dorfgefhichten find zum Theil 
noch älter als die Auerbach'ſchen; bereits feit 1837 ließ er, mit ver 
handwerfsmäßigen Fertigfeit, die ihm überhaupt eigen war, Buch 
auf Bud und Gefchichte auf Geſchichte erfcheinen und in allen | 
fhilverte er feine Berner Bauern mit ihren Tugenden und Laftern, 
ihren Kühen und Ziegen, ihren Käſekammern und Miftftätten mit 
einer wahrhaft hanrfträubenven Realität. Warum find ſie denn 
gleichwohl in Deutfehland fo lange unbefannt geblieben? Warum 
haben fie, die der Zeit nach früheren, dennoch in Betreff der Wirs 


236 Die Dorfgeſchichte. 


kung den Auerbach'ſchen Dorfgeſchichten den Vorſprung gelaſſen? 
Ja warum haben ſie bei uns in Deutſchland überhaupt erſt zu 
wirken angefangen, nachdem Berthold Auerbach den Boden gelockert 
und die Gemüther des Publicums für eine derartige Lectüre em⸗ 
pfänglich gemacht hatte? | 

Nicht, wie man gemeint hat, weil die ungeichidte Yorın und 
namentlich der Gebrauch des ſchweizer Dialects ihre Verbreitung 
in Deutichland erſchwerte: hat man doch ſpäterhin ven Dialect er⸗ 
lernt und ſich an. die äfthetifche Unforn diefer Erzählungen nur 
allzujehr gewöhnt: jondern weil Albert Bitzius feine Scenen umb 
Bilder aus dem Berner Bolfsleben als eifriger,- wohlmeinender 
Pfarrer fchrieb, ver für Das geiftige und leibliche Wohl feiner Ge⸗ 
meinde aufrichtig beforgt und thätig war, aber nicht als. Künftler, 
nicht als Poet. Allerdings finden fid in ver Mehrzahl feiner 
Schriften auch einzelne poetifhe Stellen, wie ja überhaupt fein 
menſchliches Herz jo roh und verbärtet ift, nod) vermaßen in ver Profa 
ftect, daß es nicht einzelne poetifche Aufwallungen hätte. Aber vie 
Hauptſache war und blieb dieſem Schriftfteller vech immer die un- 
mittelbare praftifhe Tendenz, nicht die Poefie und ihre allgemei- 
nen humanifirenden Wirkungen; er wollte lehren, befiern, ftrafen, 
wollte feine Bauern fleißiger, veinlicher, feömmer machen, wöllte 
ihnen je nach Umſtänden eine neue Art der Yütterung oder eine 
verbeflerte Methode ver Räfebereitung beibringen, oder auch feinen 
politifchen Gegnern bei Gelegenheit ein Bein ftellen und deu Teufel 
der Aufklärung und des Rabicalismus recht ſchwarz malen, damit 
bie Kinder auf ver Straße fich fehon von Weiten vor ihm fürdhteten 
— das alles und noch vieles Andere wollte er, darunter viel 
Gutes und Nüpliches, aber er wollte micht fein Knie vor ven Regeln 
der Kunſt beugen und nicht Die Geſetze ver Schönheit als vie höchſten 
des Dichters anerkennen. 








Berthold Auerbach und Jeremias Gotthelf; Joſef Rank ꝛc. 237 


Und tarum bat er auch feinen Lohn dahin. Jeremias Gott⸗ | 
helf ift von reactionären Politifern und ängſtlichen Volkserziehern, 
die nur immer in Sorge leben, das Volt nicht zu Hug werben zu 
faflen, über die Maßen gepriefen worden und wird ed auch ferner- 
bin werden, Und auch diejenigen, bie im Hebrigen feine politifchen 
und theologiſchen Anfichten nicht theilen und nicht glauben, vaß der 
Prediger ein-für alle Mal zum Bormund der gefammten Gemeinde 
eingefegt ift, werben doc immerhin die genaue Kenntniß des Volks⸗ 
lebens und die außerordentliche Kraft der Darftellung in feinen 
Schriften bewundern. Aber als Dichter wird eine fpätere, unbe- 
fangenere Beit, bie von der gegenwärtig graffirenden einfeitigen 
Bergötterung der Dorfgefchichte geheilt ift, ihn nicht mehr kennen 
und noch weniger wird man die rohe Raturwahrheit feiner Schil- 
derungen über Bie minder treuen, aber fünftlerifch verflärtert Ge⸗ 
miälde Berthold Auerbach's zu feten wagen. — 

Wie fehr übrigens die Dorfgefhichte dazumal gleichſam in 
der Luft lag und mit welcher Nothwendigkeit vie Macht des Gegen⸗ 
fates anf ihre Entitehung binführte, das zeigt am Beften das Bei- 
fpiel von Joſef Rank, ver gleichzeitig mit Auerbach, nämlich eben- 
falis 1843 mit feinem Werke „Aus dem Böhmerwald“ hervortrat. 
Es waren Schilnerumgen aus dem deutſchböhmiſchen Volksleben, 
ungefähr in derſelben Art wie Berthold Auerbach feine Schwarz- 
wälder Bauern abeonterfeite, nur daß aud) Joſef Rank bei Weitem 
nicht die gründliche theoretifche Bildung und ven feinen künſtleriſchen 
Geſchmack befitt wie Berthold Auerbach. Die Dichtungen Joſef 
Raus leiden im Gegentheil ſämmtlich an Geſchmackloſigkeit und 
Zerfloffenheit der künftlerifchen Form; er übt mweber bie fivenge 
Delonomie in Anlegung des Plans, noch beſitzt er den Fleiß und 
die Sewiflenhaftigkeit in der Ausführung wie Auerbach. Seine 
„Bier Brüder aus dem Volle” (2 Bde. 1845) find ebenfo unflar 


238 Die Dorfgeſchichte. 


und formlos wie fein Roman, Waldmeiſter“ (3 Bde. 1846) und aud 
fein „Hoferfäthchen‘‘ (1854), Das als fein beftes Werk gilt und nächſt 
ben Schilderungen „Aus dem Böhmerwald” auch den meiften 
Anklang beim Bublicum gefunden hat, leivet an großer Zerfloffen- 
beit und Unficherheit der Zeichnung. Es ift in Zofef Rank ein ge 
wiſſes ſomnambules Element, das einigermaßen an ven. Dichter 
bes „Grünen Heinrich” erinnert; doch fehlt Die Srifche der Empfin⸗ 
bung und bie lyriſche Weichheit, welche dieſen auszeichnet. — Neuer: 
dings, wo Joſef Rank ſich ebenfall® einer wüften Vieljchreiberei 
in die Arme geworfen hat und wild durcheinander Dorfgejchichten, 
fociale Romane, biftorifche Dramen zc. fchreibt, hat er dieſe traum- 
artige Befangenheit allervings abgelegt und ſich eine größere Klar⸗ 
heit und Eicherheit des Ausdrucks erworben. Doc, läßt fich nicht 
jagen, daß die poetifche Bedeutung feiner Schriften dadurch ge 
wonnen, im Öegentheil find feine neueften Romane „Die Freunde” 
(1854), „Schön Mimele‘ (1854) ıc. recht gewöhnliches Leihbi- 
bliothefenfutter, wie jeder fingerfertige Scribent es liefern kann, 
auch wenn er nicht aus dem „Böhmerwald“ herftammt. — 

Aber wenden wir uns zu Berthold Auerbach zurüd, der, wie 
er die Dorfgefchichte zuerft ins Leben gerufen oder ihr doch diejenige 
Popularität erobert hat, deren fie gegenwärtig genießt, auch das 
Meifte zu ihrer weiteren Entwidelung und Fortbildung beige 
tragen. | 

Doch da tritt uns ſogleich die Frage in ven Weg, ob und in- 
wieweit die Dorfgefchichte überhaupt bildungsfähig ift, "oder ob fie 
nicht vielmehr durch ven Begriff ver Gattung jelbft auf die engften 
Grenzen angewiefen wird. 

Diefer letzteren Anficht find wir in der That und meinen, in 
Auerbach felbft und feinen fpäteren Schriften eine Beftätigung ber- 
jelben zu finden. Ein von fremdher auferlegtes Joh mag man 


Berthold Auerbach und Ieremias Gotthelf; Joſef Rantıc. 239 


brechen, die Schranfen aber, Die wir ung felber geſetzt haben, müflen 
ung ſtets heilig fein. Und auch ver Künſtler bat feine Schranken, 
die er nicht Überjchreiten darf, fo viel Verlockendes dieſe Ueber- 
ſchreitung auch haben mag. Indem ver Dichter fi) einmal ent- 
ſchloß, in Die enge Heine Welt des bäuerlichen Lebens hinabzufteigen 
und das Licht der Poefie in diefe verhältnigmäßig niedrigen und 
untergeoroneten Sphären fallen zu laffen, übernahm er auch bie 
Verpflichtung, diefe enge Heine Welt in ihrer ganzen Eigenthüm⸗ 
lichkeit zu erhalten; er entſagte freiwillig allen Vortheilen, welche 
mit Gegenftänden und Charakteren verknüpft find, bie einer höheren‘ 
Bildungsſphäre angehören und wenn er auch, wie wir vorhin aus- 
einanderfesten, beim beften Willen niemals im Stande fein wird, 
ganz und völlig in diefer Sphäre aufzugeben, jo wird er. es doch 
aufs Gewiſſenhafteſte vermeiden müſſen, etwas Fremdes und Unge⸗ 
höriges hineinzutragen. 

Der Dichter wird alſo namentlich verzichten müſſen auf jene - 
ganze Dialektik ver Leidenſchaft und jene ganze vielfach ſchillernde 
Welt ver Empfinvungen, wie fie fi nur unter ver Vorausſetzung 
einer höheren und complicirteren geiftigen Bildung entwideln kann. 
Die Empfindungen und Leidenſchaften des Bauern find ſchlicht und 
einfach wie er jelbft; wie die harten, verfchloffenen Züge feines An- 
geſichts jenen Stempel geiftiger Durcharbeitung entbehren und wie 
daher unter ber ländlichen Bevölkerung fich bei Weitem nicht bie 
Mamnigfaltigkeit und Eigenthümlichleit der Phyſiognomien findet, 
bie unter ven gebildeten Klaſſen gefunden wird, jo tragen auch vie 
Empfindungen des Bauern etwas Rohes, Unentwickeltes an fich, 
es fehlt fozufagen das reihe Nervengeflecht, das, felbft erit ein Pro- 
duct der Kultur und in vielen Fällen fogar erſt der Ueberfultur, ver 
Empfindungsweife - des höher Gebildeten ebenfo natürlich ift, wie 
em Bauern feine typiſche Starrheit und Verſchloſſenheit. Es ift 


240 . Die Dorfgeſchichte. 


nicht wahr, was man fo häufig behanpten hört, daß z. D. ver 
Hans over Michel feine Grete ebenfo liebt und in ihren Armen 
daffelbe empfindet wie etwa ein Dante im Anblick feiner Beatrice, 
oder ein Goethe zu ven Füßen der Frau von Stein. Auch in ver 
Liebe, wie Aberhaupt in. allen Thätigleiten der Seele und des Geiftes, 
giebt es eine Rangordnung der Bildumg und immer wirb ber ges 
bildetſte Geift und das gebilbetfte Herz auch am tiefften denfen und 
empfinden. — Dergleihen auszufprechen, wir wifjen e8 wohl, gilt 
bentzutage für einen Hochverrath an der Würde der Menfchbeit; 
ein verfehrter Begriff-von Gleichheit der Rechte, die noch Lange 
nicht Gleichheit ver Fähigkeiten ift umd auch niemals werden kann 
noch wird, hat es bei uns dahin gebracht, daß man alle edelſten 
Blüten ver Bildung vorſätzlich mit Füßen tritt und den plumpen 
Bauerburſchen, deflen ganze Sehnfucht nad) einer neuen Pelzmütze 
und einer filberbefchlagenen Tabakspfeife geht, mit demfelben Maße 
mißt und ihm diefelbe poetifche Achtung erweift wie der Sehnfucht 
eines Taffo oder dem jugendlichen Ungeftäm eined Schiller unter 
ten Karlsſchülern. Es ift das dieſelbe thörichte Sentimentalität, 
die 3. B. auf dem Gebiet des Völferlebens den Unterſchied zwifchen 
Schwarzen und Weißen aufheben und dem armen, ftumpffinnigen 
Negerfklaven nicht bloß dieſelben natürlichen Anlagen, ſondern auch 
dieſelben geiftigen Bedürfniſſe zufchreiben will. Natürlich iſt keine 
Rede davon, daß der Neger, weil als Neger geboren, darum much 
3. ®. zur Sklaverei präbeftinirt fei, oder daß ver rohe und be= 
ſchränkte Bauer ewig roh und befchräntt bleiben müſſe; eine unbe. 
grenzte Entwickelungsfaͤhigkeit ift das allgemeine Erbtheil ver Menſch⸗ 
heit und Jeder, der überhaupt nur ver legtern angehört, hat eben 
darum auch Beruf und Anfpruch auf alle höchſten Güter der Bil⸗ 
bung und der Freiheit. ber nur den Unterfchied ver Anlagen 
fol man nicht verfennen, man foll nicht, um die fo ſehnlichſt Bes 





Berthold Auerbach und Jeremias Gotthelf; Joſef Rank ıc. 241 


gehrte Gleichheit herzuftellen, alle Höhen abtragen und alle Größen 
erniebrigen und ebenfowenig fol man in ver Einfalt und Beichräntt- 
heit des Bauern einen Vorzug erbliden und vie Idylle des Dorf: 
lebens für den eigentlichen Schauplag und die wahre Heimath aller 
Dichtung halten. In der Zeit des Sffland’fchen Familiendramas 
genügte e8 befanntlich, Präftvent oder Kammerherr oder überhaupt 
von Adel zu fein, um für einen ausgemachten Schurken zu gelten; 
in ganz ähnlicher Weife fieht vie Bhantafle unferer Dichter heutzu- 
tage in unfern Bauern und Bäuerinnen lauter Tugendhelven und 
fromme, engelreine Seelen. Ueber die Carricaturen jener Iff⸗ 
land'ſchen Epoche lachen wir jettt; aber muß noch erft gefagt werben, 
daß der blinde Enthufiasmus unferer Dorfgejchichtenjchreiber um 
nichts beſſer iſt? 


Dies alſo verlangen wir von dem Dichter, der, aus freier 
Wahl, die Vortheile der gebildeten Geſellſchaft verſchmäht und ſich 
unter Bauern und Tagelöhnern anſiedelt, daß er dem einmal ge— 
wählten Stoffe und ſeinen Bedingungen alsdann auch treu bleibe; 
er ſoll ſeinen Bauern keine Empfindungen andichten, die ſie nicht 
haben, er ſoll ſeine Dirnen mit den hohen Miedern und den derben 
nackten Füßen, an denen ſie noch die Spuren des Kuhſtalls tragen, 
nicht denken und reden laſſen wie unſere Salondamen, die den 
Heine und den Geibel auswendig wiſſen und in Ohnmacht fallen, 
wenn fie einen dreijährigen Jungen im Bade ſehen. Er ſoll über: 
haupt in feine Fleine begrenzte Welt feine Leidenſchaften und Inter- 
eſſen einführen, die nicht Hineingehören; er fol aus feinen Bauern 
feine Kammerredner machen, noch foll er fie über theologifche Fragen 
disputiren laſſen wie die Profefloren. 


Ganz wohl, entgegnet man uns, die Forderung mag richtig 
fein: aber was bleibt der Dorfgefhhichte dann noch übrig als die 


PBrup, die deutfche Literatur der Gegenwart. II. . 16 


242 Die Dorfgeichichte. 


allgewöhnlichfte Proja? Und wer wirb dieſe einfachen und tri- 
vialen Geſchichten alsdann noch lefen mögen? 

Aber das war es ja eben, was wir beweiſen wollten: die 
Dorfgeſchichte iſt eine beſchränkte, untergesrbvnete Gattung und jeder 
Verſuch, fie dieſer Beſchränktheit zu entheben und ihr eine Mannig- 
faltigfeit und Wichtigfeit der Intereſſen zu verleihen, welche fie 
von Haufe aus nicht hat, Tann nur zu Monftrofitäten führen. Die 
Dorfgefhichte ift ihrer Natur nad) auf bie Anekdote, das Fleine, 
engumrahmte Genrebilb angewiejen. Ja, ba e8 für ven gebilbeten 
Berftand doc, kaum möglich ift, ein wirkliches ernithaftes Intereſſe 
an biefer Heinen, vürftigen Welt zu nehmen — es müßte denn aus 
kulturgeſchichtlichem Geſichtspunkt geſchehen, womit wir uns dann 
aber fofort auf einen ganz anderen Boden ftellen, nämlich auf ven 
Boden der Wiſſenſchaft — fo wird die Auffaffung in den meiften 
Fällen eine wejentlich hHumoriftifche fein müfjen, und werben daher 
diejenigen Dorfgefchichten der Forderung des Aefthetifers am Näd- 
ften kommen und die Eigenthümlichkeit der Gattung am richtigften 
erfüllen, die ſich alles tragifchen Pomps am Meiften entfchlagen und 
fi) mit einer einfach harmloſen, womöglich humoriſtiſch gefärbten 
Schilderung der Wirklichkeit begnügen. 

Darin liegt denn gleich mit ausgeſprochen, was wir über 
Auerbach's ſpätere Dorfgeſchichten denken. Dieſelben hier einzeln 
namhaft zu machen, würde ganz überflüſſig ſein, da ſie Jedermann 
bekannt ſind und ſich in aller Händen befinden. Der Dichter hat 
darin eine außerordentliche Virtuoſität entwickelt und weit mehr 
Kunſt angewendet, als die meiſten ſeiner Leſer wol ahnen. Auch 
finden ſich darunter die vortrefflichſten Sachen; „Der Lehnhold,“ 
„Diethelm von Buchenberg“ ꝛc. find Stücke, die unſerer Literatur 
zur glänzendſten Zierde gereichen und die Niemand wird entbehren 
mögen, der unſere Poeſie überhaupt liebt und ſchätzt. Im Ganzen 








Berthold Auerbach und Jeremias Gotthelf; Joſef Ranlıc. 243 


aber, fitrchten wir, fchöpft der Dichter mit feinem Bemühen, die 
Dorfgefchichte zu einer Art Univerfalpvefle zu entwideln, in ber 
alle, auch die höchſten und gewaltigften Tonarten verftattet find, 
doch nur Waſſer in ein Sieb und. ziehen wir für unfer Theil die 
Heinen einfachen Gefchichten der älteren Sammlung, einen „Tol⸗ 
patſch,“ einen „Befehlerles,“ einen „Ivo der Hairle‘ einer „Grau 
Profefforin,” einem „Lucifer” und felbft aud einem „Barfüßle,“ 
deſſen Naivetät denn doch allmählig etwas gar zu Erfünfteltes 
bat, noch immer bei weiten vor. — 

Aber wenn felbft der Meiſter der’ Dorfgefchichte nicht im 
Stande gewefen ift, die natitrlichen Grenzen biefer Gattung ungeftraft 
zu überfchreiten, wie foll e8 dann erft feinen zahlreichen Schülern 
und Nachahmern beffer ergangen fein? Wie wir fchon vorhin be= 
merften, hat das imitatorum servum pecus ſich faum. auf ein an- 
deres Gebiet der Titeratur mit folcher blinden Gier geworfen, wie 
grade auf die Dorfgefchichte. Es fchten ja fo leicht, e8 war ja das 
Einfachfte von ver Welt, Bauern und Bäuerinnen in Scene zu fegen 
und diefelben rührſamen Gefchichten, die bisher nur immer im Salon 
paſſirten, veränderungshalber nun auch einmal bei ver düſtern Be- 
leuchtung der Banernfchenfe ſich abipielen zu laſſen: ähnlich wie e8 
ja aud) auf unferen Masfenbällen die beliebtefte und billigfte Ver- 
kleidung ift, al8 Bäuerin oder Bauerburfche zu erfcheinen. Allein 
folche Verkleidungen haben für die Poefie dann auch nicht mehr 
Werth, als etwa die höfiſch galante Schäferpoefie des ſiebzehnten 
und achtzehnten Jahrhunderts, an welche die Dorfgefchichte in ihrer 
jegigen ©eftalt überhaupt fehr lebhaft erinnert. — 

Andere diefer Nachahmer, vie fich befler in ven Grenzen ber 
Gattung hielten, verfahen es darin, daß fie den mageren Stoff 
mit zu großem Aufwand und mit zu ermüdender Ausführlichkeit 


behandelten; fie machten aus einer Anefoote, einer Schnurre, bie 
16 * 


244 Die Dorigeichichte. “ 


glattweg erzählt werden mußte, ein vidleibiges Buch und fetten 
dadurch ihre Leſer und ſich felbft auper Athem. Hierher gehört 
namentlich Otto Ludwig, der ſchon in der Novelle „Zwiſchen Him- 
mel und Erde“ an der Klippe einer allzuängftlichen Motivirung 
und einer allzugenauen Detailmalerei gefcheitert war, während feine 
Berfuche auf dem Felde der ‘Dorfgefchichte, wie die „„Deiterethei” zc. 
durch ihre unerträgliche Weitjchmweifigfeit eine wahrhaft monftröfe 
Erjcheinung find. — Im Allgemeinen hat auch bier, wie immer, bie 
größte Beſcheidenheit und Anfpruchslofigfeit ven Steg Davongetragen, 
weshalb wir auch z. B. Melchior Meyr’s „Erzählungen aus dem 
Ries” oder die „Nieverfächfiichen Dorfgeſchichten“ des verftorbenen 
Günther Nicol mit zu dem Beften und Erfreulichften rechnen, was 
biefe Literatur der Nachahmer hervorgebracht hat. 

Allein, fragt man uns ſchließlich, was ſoll unter viefen Um— 
- fländen aus der Dorfgefchichte denn werden und welche Zukunft 
fteht ihr bevor? — Die Antwort ift fehr einfach: wie das Bedürf— 
niß erloſchen ift, welches fie zuerft hervorgerufen hat, fo wird auch 
fie felbft allmählig wieder erlöfchen, wir haben feine Salonpoefie 
mehr, die Pückler, vie Hahn⸗Hahn zc. haben ihre Feder nieverge- 
legt und mithin Brauchen wir auch nicht mehr ihren Gegenſatz, die 
Dorfgejchichte. 

Natürlich fol die Dorfgefchichte darum noch nicht mit 
Stumpf und Stiel ausgerottet werben; was bie Kunſt einmal 
erworben hat und was ihr rechtmäßiges Beſitzthum geworben ift, 
das läßt fie auch nicht wieder fahren. Es wird daher auch bie 
Richtung, der die Dorfgefchichte ihren Urſprung überhaupt verdankt, 
die Richtung auf das Reale und Volksthümliche niemals wieder 
aufgegeben werben. Nur davon ift Die Rede, ob die Dorfgefchichte 
Ausfiht hat, als eigene Gattung noch Lange fortzubeftehen. Und 
biefe Frage verneinen wir. Es wird damit vielmehr, glauben wir, 


Berthold Auerbach und Jeremias Gotthelf; Joſef Ranlıc. 245 


ganz ähnlich gehen, wie mit der politifchen Lyrik, welche fie in ber 
Gunft des Publicums ablöfte und mit ver fle überhaupt weit näher 
verwandt ift, ald man auf den erften Anblid glauben möchte. “Die 
politifche Lyrik als folche hat aufgehört, weil die Epoche des inhalt- 
lofen Sehnend und Schwärmene, des Hoffend und Träumen, 
deren Ausorud fie war und der fie ihren Urfprung verdankte, 
ebenfalls aufgehört hat. Aber darum bat nicht die Politif über- 
haupt aufgehört, ein Element unferer Poefie zu fein; fie tritt blos 
nicht mehr in diefer abftracten Form der Lyrik auf, ſie fucht über- 
haupt nicht mehr ein eigenes poetifches Dafein zu führen, ſondern 
fie ift das Medium geworden, durch welches unfere Dichter bie 
Welt überhaupt erbliden; die politifche Tendenz erweiterte fich zum 
biftorifchen, zum patriotifchen Bewußtfein und die politifche Lyrik 
bildete fich fort zum volksthümlichen Roman und um hiftorifchen 
Drama. 

Und in eben dieſer Entwidehung wird denn aud) die Dorfge- 
Ihichte ihren Platz finden: aber wohlgemerkt, nicht mehr in ihrer 
jetzigen widernatürlichen Vereinzelung, ſondern nur als dienendes 
Glied eines großen poetiſchen Organismus, der das geſammte 
Volksleben mit allen ſeinen Ständen und Klaſſen gleichmäßig 
umfaſſen wird. 











IV. 


Dichtende Frauen. 


ELLE RL LE LE LE L LES: 











1, 
Die Sileratur und die Frauen. 


Es ift unmöglich, einen Rundgang durch die poetifche Literatur 
der Gegenwart zu machen, ohne ver fehriftftellernden Frauen zu 
gedenken. Die Frauen fine eine Macht in unferer Literatur ge- 
worben; glei ben Juden begegnet man ihnen auf Schritt und 
Tritt, Man kann ſich darüber freuen oder beflagen, genug, das 
Factum bleibt und muß als eine Eigenthümlichkeit unferer Literatur 
verzeichnet werben. 

Zwar von fo jungem Datum, wie gewöhnlich angenommen 
wird, ift die Theilnahme der Frauen an der Literatur keineswegs; 
dieſelbe reicht vielmehr weit in die Jahrhunderte hinauf und hat 
nur in unferen Tagen, entiprechend ter größeren Gleichmäßigfeit 
umd der zunehmenden Ausbreitung unferer heutigen Bildung, einen 
fo außerordentlihen Umfang gewonnen, daß es faum noch einen 
einzigen Zweig literarifcher Thätigfeit giebt, jelbft das Kritifiven 
und Necenftren nicht ausgenommen, der nicht won weiblichen Hän- 
ven gepflegt würde; ja auf manden Gebieten, wie z. B. im 
Roman, haben fie fogar entſchieden die Oberhand. 

Die Haflifche Zeit, die Zeit ver Griechen und Römer, kannte 
eine derartige Theilnahme der Frauen an Literatur und Willen, 
Ihaft allerdings nicht. Zwar werden uns, insbefondere bei Den 
Griechen, einzelne Namen von Dichterinnen und Rebnerinnen über: 


250 Dichtende Frauen. 


liefert: doc) find das eben nur Ausnahmen, die für die Stellung 
der Menge nichts entjcheiven. Diefe allgemeine Stellung der 
Frauen ging aber bei den Griechen befanntlich dahin, daß fie nicht 
viel beſſer als eine Art von Hausthieren behandelt wurden. In ver 
alten, der Homeriſchen Zeit, war das anders gewefen: allein mit der 
größeren Verfeinerung und Bermweichlichung ver Sitten, insbeſondere 
mit dem immer größern Zudrange afiatifcher Elemente, war auch Die 
Stellung der Frauen immer beſchränkter und untergeordneter gewor⸗ 
den. Nur wo eine Frau gänzlich aus ven Schranken der Weib- 
Lichfeit heraustrat, wo fie Haus und Familie hinter ſich ließ und ſich 
als Hetäre dem öffentlichen Cultus ver Schönheit und des Genuffes 
weihte, da war es ihr auch geftattet, an Kımft und Wiffenfchaft 
Theil zu nehmen: nicht um ihrer eigenen Ausbildung willen, ſon⸗ 
dern lediglich weil der Genuß, den der Mann im Umgang mit 
diefer Art non Frauen fand, noch erhöht ward, wenn zu dem Reiz ber 
Jugend und der Schönheit noch die Blüte der Bildung binzutrat. 
Jedermann kennt die berühmte Afpafia, angeblich die Lehrerin des 
Berifles in der Beredſamkeit, und auch fonft waren Athen und 
Korinth reich an hochgebilveten, mit allen Borzügen einer gewähl- 
ten äfthetifchen und wiſſenſchaftlichen Erziehung ausgeftatteten He⸗ 
tären. Allein wie gefagt, e8 waren und blieben immer nur Hetären; 
die fittiamen Frauen, die Vorfteherinnen des Hauſes, die Mütter 
ber Kinder waren zu ewiger Bildungslofigfeit verbanımt und 
fonnten und durften daher auch an ver Literatur feinen ſelbſtthäti⸗ 
gen Antheil nehmen. 

Bei den Römern, wo allerdings in der fpätern Zeit der Re- 
publit, noch mehr aber während der Kaiſerherrſchaft, pie rauen ein 
Anfehen und einen Einfluß erlangten, wie vielleicht nie wieder in 
der Weltgefchichte, Frankreich natürlich ausgenommen, ſtanden 
Kunft und Wiſſenſchaft überhaupt in zu geringem Anſehen, als daß 











Die Literatur und die Frauen. 251 


die Frauen befondere Beranlaffung gefunden hätten, um vie Palme 
der Kunft zu werben. 

Eine Aenderung in diefer Hinfiht trat erft ein mit Einfüh— 
rung des Chriſtenthums. Diefes, als die frohe Botfchaft, ven Ar: 
men und Schwachen verkündet, wandte fi vorzugsweife an die - 
Weiber und die Sclaven, und die Gefhichte der Älteften Kirche er- 
zahlt uns von zahlreichen frommen und gelehrten Frauen, welche 
die heiligen Schriften auslegten, öffentliche Vorlefungen hielten 
und an ben theologifchen Streitfragen der Zeit ven lebhafteften An⸗ 
theil nahmen. 

In diefer Art feßte die wilfenjchaftlihe Thätigfeit der Frauen 
ſich aud) durch das ganze Mittelalter hindurdy fort. Die Frauen 
werben nicht leicht eine neue Richtung in Kunft oder Wiſſenſchaft 
einfchlagen, fie werden keine neuen Prinzipien aufftellen, feine neuen 
Erfindungen machen, wohl aber find fie durch die Receptivität ihrer 
Natur vorzüglich befähigt, eine einmal vorhandene Bildung 
‚weiter auszubreiten und zur Herrſchaft zu bringen. Ja es läßt 
ſich behaupten, daß fein philofaphifches Syſtem und feine politifche 
Meinung und feine religiöfe oder äfthetifche Richtung je die Welt 
wirklich beherrfcht hat, als bis die Frauen auf ihrer Seite ftanden. 


Auch iſt es ja ein alter Spruch: für wen fi) die Frauen erklären, 


für ven erflärt fih das Publicum. 

In dieſer Weife, alfo veceptiv, wieverholend, ausbreitend, 
haben die Frauen nun das ganze Mittelakter hindurch bis in die 
Gegenwart hinein den jevesmaligen Gang ver Bildung begleitet 
und auch in Deutfchland haben wir, von der Nonne Hroswitha 
im zehnten Jahrhundert angefangen, bis zu der gelehrten Dorothea 
Schloezer, der in Göttingen in feierlicher Promotion unter Paufen 
und Trompeten der Doctorhut aufgefettt ward, eine Menge lite 
rariſch thätiger und gelehrter Frauen gehabt. Immer, was grade 


252 Dichtende Frauen. 


der wifjenfchaftlihe Inhalt ver Zeit war, fiel fpäter over früher 
aud ven Frauen zu bilettantifcher Uebung anheim; zur Zeit ber 
Mönchspoeſie fchrieben fie lateiniſche Gedichte und Komödien und 
zur Zeit der Polyhiftorie fchrieben fie gelehrte Abhandlungen und 
Commentare. | 

Wenn num gegenwärtig die Frauen fid) vorzugsweife der Bel- 
letriftif zuwenden, jo wäre dies, bei dem Uebergewicht, welches das 
belletrijtifche Interefle bi8 wor Kurzem bei ung behauptete, an und für 
fi vollfommen in ver Ordnung. Der fehr wefentliche Unterſchied 
zwifchen jegt und früher befteht nur darin, daß die Frauen fich aud) in 
ber Titeratur nicht mehr begnügen, bloß in den Bahnen fortzuman- 
dein, welche die Männer ihnen vorgezeichnet haben, ſondern daß fie 
ebenfalls jelbftändig aufzutreten und ihreeigenen Intereſſen in ihrer 
eigenen Weife auszujprechen und zu vertheidigen ſuchen. — Es beftä= 
tigt ſich Dabei daſſelbe Gefeß der Befreiung und Erlöfung, das über- 
haupt die Entwidelungen der Gegenwart leitet; es ift eine Zeit, wo 
alle Ketten brechen und alle Unterprüdten frei aufathmen follen und 
auch am die Frauen, die unferer gerühmten Bildung zum Trotz, 
Danf ber Roheit der Männer, fi) größtentheils noch in fehr ge= 
brüdter und unwürdiger Stellung befinden, ift ver Ruf der Be⸗ 
freiung ergangen. — Wir nannten vorhin die Juden und brachten 
fie in einen gewiſſen Zuſammenhang mit ven jchriftftellernden 
Frauen. Diefer Zufammenhang eriflirt in ver That. Beide, die Ju⸗ 
den wie bie Frauen, find bei uns noch nicht zu ihren wollen Menſchen⸗ 
rechten gelangt, beide fühlen fich noch als die Untervrüdten, Ge— 
kränkten, Mißhandelten; darum werfen beide fich auch mit ſolchem 
Eifer in die Literatur, theils um auf dem Wege der literarifchen 
Deffentlicheit fiir ihre verfannten Rechte zu kämpfen, theils und 
- befonders, um in der ivealen Beſchäftigung mit Kunft und Wiffen- 
{haft einen Troft und eine Entſchädigung zu finden für die Leiden 


Die Literatur und bie Frauen. 253 


und Ungerecdhtigkeiten des Lebens. Es ift traurig zu jagen, muß 
aber doch gejagt werben, weil e8 die Wahrheit ift: wir haben unter 
unfern heutigen Frauen fo viele Schriftitellerinnen, weil wir 
jo viele unglücliche Frauen haben, in der Yıteratur fuchen fie bie 
Befriedigung, welche die Häuslichkeit, diefer nächte und natürlichfte 
Boden des Weibes, ihnen nicht gewährt, fie flüchten in die Poeſie, 
weil das Leben fie zurüdftößt. 

Auf diefe Weife erflärt es ſich auch, weshalb, wie wir borhin 
andenteten, ganze gewiffe Zweige unferer modernen Literatur faft 
ausſchließlich von Frauen gepflegt werden. Man kann nur dichten, 
was man erlebt hat, und fo find auch für gewifle Schattenfeiten 
unferer focialen Berhältnifie, fiir gewiſſe dunkle Sleden in ven 
Herzen und der Bildung unferer Männer, endlich für gewifle Tra- 
gödien des häuslichen Tebens die Frauen die wahrhaft berufenen 
Darfteller: weil nämlich fie unter allen diefen Dingen am meiften 
zu leiden haben, und weilfie dieſelben eben deshalb auch am gründ- 
lichſten kennen lernen und am fleißigften, wenn auch nicht immer 
am richtigften dariiber nachdenken. 

Doch wozu noch ver vielen Worte? da ja der glänzenpfte 
poetifche Lorbeer Europas in dieſem Augenblide auf einem weib- 
lichen Haupte ruht: George Sand, nicht blos die größte Dich- 
terin, fondern auch der größte Dichter unferer Tage. Auf ein 
folches Beispiel fih zu berufen, muß unfern Frauen ſchon verftattet 
fein, wie denn überhaupt vie Kritik bei Beurtheilung der Producte 
weiblicher Federn niemals vergeflen follte, woher dieſe Protucte 

ihren Urfprung nehmen, und daß in den meiften Fällen Schmerz, 
"Kummer, Verzweiflung vie Muſe unferer Frauen ift. Eine glüd- 
liche Frau ſchreibt nicht jo leicht, wohl ver melacuichenr die we⸗ 
nigſtens ſchreiben kann. 


2, 
Cuiſe Mühlbad. 


Wir nannten foeben George Sand; irren wir nicht, fo iftes eine 
Thatfache, vie allerhand zu denken giebt und die doch bisher, ſoviel 
wir willen, noch nirgend hervorgehoben ward, daß. die beiden 
Schriftitellerinnen, welche die Emancipationsiveen ber franzöfifchen 
Dichterin und ihren Kampf gegen die Gefellfehaft bei uns vorzugs⸗ 
weise aufzunehnten und fortzuführen juchten, dem gelobten Yande 
der Erbweisheit, vem Lande Medlenburg angehören: Ida Gräfin 
Hahn-Hahn und Luiſe Mühlbad. 

Ida Hahn-Hahn ift feit Jahren aus der Literatur ausge 
ſchieden; auf die Stufen des fatholifchen Doms zu Mainz hinge- 
ftredt, im Büßergewand, ben Leib umgürtet mit dem hänfenen 
Strid, hat fie Zeter und Wehe gerufen und Gott und Menſchen 
um Verzeihung angefleht wegen der Bücher, die fie ehedem, in der 
ſchnöden Blüte ihrer Weltluft, gefchrieben. Gut, fie follen ihr ver- 
geben fein und wir ſprechen hier nicht weiter von ihr, um fomehr 
als ihre belletriftiiche Thätigfeit genau mit demfelben Jahre auf- 
hört (ihr legter Roman war „Levin, 2 Bde. 1848), mit welchem das 
gegenwärtige Buch beginnt, die Schriften aber, die fie nach ihrer 
Belehrung veröffentlicht hat, mehr vor das Forum einer mebdicini- 
chen als einer literariſchen Beurtheilung gehören. 

Luiſe Mühlbach dagegen fteht noch in vollem Flor. Auch 











Luiſe Mibibah. 255 


fie hat fich gegen früher ebenfalls mefentlih umgewandelt; fie ift 
zwar nicht Fatholifch geworden wie die Gräfin Hahn-Hahn, aber fie 
hat geheivathet und va haben ſich die Emancipationsiveen und der 
Weltfehmerz denn nad) und nad) ebenfall® verloren. 

Dian muß demnach zwei fcharfgefonderte Epochen m dem df- 
fentlichen Auftreten dieſer Schriftftellerin unterjcheiven. In ber 
erſten gehörte fie zu den eifrigften und leivenfchaftlichften Schülerin- 
nen der Sand. Nadter als irgend eine andere Schriftftellerin, fei 
es Deutichlands, ſei es des Auslands, dedte Luife Mühlbach die 
Wunden der Geſellſchaft auf und enthüllte pas Elend und die Schande, 
bie fo häufig unter dem ftillen Schleier des Haufes verborgen ‚Liegen. 
Der Muth, welchen Luiſe Mühlbach vabei an ven Tag legte, war 
groß, fogar zu groß für eine Frau; etwas weniger Muth und da⸗ 
. für mehr weiblihe Scham und Zurüdhaltung märe befler gewefen. 
Ueberhaupt hat Luiſe Mühlbach eine Tede, ungezügelte Phantafte; 
in wildem Uebermuth überfteigt fie jede Schranfe, fie ſchwelgt in 
dem Anblid deſſen, wovor das natürfiche Werb das Auge erfchroden 
niederſchlägt, und findet ein graufames Behagen darin, alle mög 
lichen Gräuel und Unthaten zufanmen zu häufen. — Unfere Worte 
find hart, wir wiſſen e8: allein wer irgend einmal einen Blid in 
einige ihrer älteren Romane gethan hat, wie z.B. „Ein Roman 
in Berlin (3 Bde. 1846) oder die „Hofgefhichten” (3 Bde. 
1847) :zc., der wird ums zugeftehen, daß fie wenigſtens nicht zu 
hart find. 

Das ift nun feit Anfang der funfziger Jahre anders ge- 
worben, aber nur leider nicht. viel beffer. Jene müften Aus- 
ſchweifungen einer ungezügelten Phantafie verlegen den Leſer nicht 
mehr, bie Dichterin fucht nicht mehr vorzugsweise nach Scenen des 
Mordes, des Ehebruchs, der Blutſchande, fie ift ſolid, ſehr ſolid 
geworben, aber leider aud) jehr ſpießbürgerlich. Es ift hier wie 


256 Dichtende Frauen. 


fo häufig im Leben: „zum Teufel ift ver Spiritus, das Phlegma 
ift geblieben.” Seit Luiſe Mühlbach es aufgegeben, bie deutfche 
George Sand zu werben, hat fie ein Fabrikgeſchäft hiftorifcher Ro— 
mane etablirt, das fihern Buchhändlernachrichten zufolge fi 
eines großen Abfates erfreut. Mit verfelben Unerjchrodenheit, 
mit welcher fie früher ven haarfträubendften Situationen ing Antlig 
blickte, fehlachtet fie jett die Berühmtheiten alter und neuer Zeit 
ein, König Friedrich den Großen und Kaifer Joſef den Zweiten, 
Maria Therefia und Napoleon ven Erften, um fie zu fünf-, ſechs⸗ 
und neunbändigen hiftorifchen Romanen zu verarbeiten. Sie ift, 
wie Rubolf Gottſchall fie fehr treffen bezeichnet, die Birch- Pfeiffer 
bes Romans geworden, und treibt ihr Handwerk mit berjelben 
grandiofen Unbefangenheit und verjelben ſouveränen Berachtung der 
Kritit und des guten Geſchmacks, wie die berühmte Verfafferin von 
„Hinko“ und „Nacht und Morgen... Man könnte Frau Mühlbach 
aud) den weiblihen Theodor Mügge nennen: denn. gleich biefem 
hat fie die Stimme des Chrgeizes längft ſchon heſchwichtigt und 
will gar nichts weiter al8 nur Bücher fchreiben, die gut gehen. Das 
hat fie denn erreicht und ſchien uns dieſe Thatfache, daß eine Frau 
in dieſem Augenblid die Hauptfieferantin für den Bedarf der Leih- 
bibliotheken iſt, in kulturhiſtoriſcher Hinficht immerhin intereffant 
genug, ihr bier eine Stelle einzuräumen, auf welche fie in Anbetracht 
ihrer poetifchen Verdienſte allerpings feine Anſprüche gehabt hätte. 


⸗ 


8. 
Fanny Sewald, 


Eine ungleich bebeutendere Erfcheinung und überhaupt eine 
ber bebentendften unter. ven Schrififtellerinnen der Gegenwart ift 
Fanny Lewald. Begabt mit eimem durchdringenden Verſtande und 
einer ſeltenen Beweglichkeit des Geiftes hat fie zugleich einen feinen 
Sinn für das Schielihe und ein Gefühl des Maßes, wie es fich 


- unter unferen ſchriftſtelleriſchen Frauen leider nicht allzuhäufig 


findet. 
Fanny Lewald wurde 1811 zu Konigsbergi in Preußen-in einer 
israelitiſchen Familie geboren. Der jharfe, zuweilen vorwitzige 


Berſtand der JZüdin iſt bei ihr durch das kalte, nüchterne Blut der 


Oſtpreußin gezügelt und in Schranfen gehalten, wodurch denn eine 
gewifje mittlere Stimmung, eine gewifje, wir möchten fagen bür⸗ 
gerliche Klarheit entfteht, der e8 boch wieverum an einzelnen glän- 


zenden Tichtern des Witzes durchaus nicht mangelt. 


Auch hat Fanny Lewald viel gefehen und ihre glüdlichen Na- 
turanlagen jowol durch gewählten Umgang wie namentlich durch 
weite und gutgeleitete Reifen („Italieniſches Bilderbuch,“ 2 Bde. 
1847; „England und Schottland. Ein Reifetagebuch,” 2 Qpe. 
1851 ꝛc.) vortheilhaft ausgebildet. Daß fie zur Oppofition ges 
hört und in ihre Schriftftelleret gern etwas religidfe, politifche und 
ſociale Tendenz hineinmifcht, verfteht ſich unter den bereits 


Brusg, die deutſche Literatur Der Gegenwart. II. 17 


258 Dichtende Frauen. 


angedeuteten- Umftänden ihrer Herkunft von ſelbſt. Doch hat ſie 
auch hierin, einige Jugendſchriften ausgenommen („Clementine,“ 
1842; „Jenny,“ 1843; „Eine Lebensfrage,“ 2 Bde. 1845) ſtets 
ein verſtändiges Maß bewahrt und, Dank ihrer nüchternen Natur, 
fi) freigehalten von jenen Ausſchweifungen und Ueberfhwänglid- 
feiten, die ihre emancipationsiuftigen Mitſchweſtern jonft wol zum 
Beften zu geben pflegen. Fanny Lewald fchreibt die allgemeine 
Stimme jenes fatyrifche Schriftchen „„Diogena” (1847) zu, welches 
Ida Hahn-Hahn ſchwerer traf als alle Angriffe ver Kritik und die 
eigentliche Beranlafjung zu ihrem bald darauf erfolgenven literari- 
ſchen Rückzuge geworben zu fein fheint: und wenn diefe Autorfchaft 
auch von Fanny Lewald felbft niemals öffentlich anerfannt wor: 
ven ift, fo ſprechen doch vielfache i innere Grunde bafur, daß es ſich 
wirklich ſo verhält. 

Dazu iſt vie Sprache dieſer Dichterin beſtimmt, einfach und 
klar. Daß fie männlich denkt, wagen wir nicht zu behaupten, zwei- 
feln auch, daß wir. ihr damit wirklich etwas Schmeichelhaftes fagen 
würden. Aber wenigftens ihrer Sprache einen männlichen Falten⸗ 
wurf zu geben und mit unbeftechlicher Selbftbeobachtung jenes 
üppige Beiwerf zu entfernen, jene Heinen Mebertreibungen und Aus- 
fhweifungen, jene Wiederholungen und Nachläſſigkeiten, die fonft 
den weiblichen Stil harakterifiven und jogar, in richtiger Doſis bei- 
gemiſcht, einen Hauptreiz deſſelben bilden, das verſtht ſie und übt 
es mit großer Geſchicklichkeit. 

Dagegen mangelt es der Dichterin an dem, was bei Männern 
wie Frauen den Dichter hauptfächlih macht: an Phantafte und 
Wärme des Herzend. So lebhaft ihr Verſtand ift, gewifje Ein- 
drücke in ſich aufzunehmen, jo unfruchtbar ift ihre Einbildungskraft, 
biejelben zu combiniren und neue felbftändige Schöpfungen baraus 
abzuleiten; fo feharf fie beobachtet und mit fo hellem Auge fie ihre 


Fanny Lewald. 259 . 


Umgebung beherricht, jo unfähig ift fie, ven warmen Pulsſchlag ber 
Empfindung wiederzugeben und ſich in vie Diälektif der Leiden⸗ 
fchaft, jene väthfelhafte, ſcheinbar ſo widerſpruchsvolle und doch fo 
allmächtige Dialektik zu vertiefen. "Was fie in dieſer Hinficht leiſtet, 
find bei aller Kunft der Anordnung und aller Birtuofität und 
Glätte der Sprache Doch immer nur gemalte Flammen, an benen 
fi) Niemand zu erwärmeit vermag. 

Fanny Lewald ift ferner eine vortreffliche Zeichnerin wirklich ers 
lebter Zuftände: allein fie vermag die Geſtalten der Phantafie nicht 
mit derjenigen Plaſtik und Lebendigkeit hinzuftellen, deren es bedarf, 
wenn wir an fie glauben und uns ernfthaft für fie interefltren 
ſollen. Diefe Dichterin ſchreibt nicht mit dem Herzen, nur mit dem 
Kopfe; die fühle, verftännige Reflexion, die ihren poetifchen Geweben 
als Einſchlag dient, liegt überall zu nadt zu Tage, ihre Figuren 
werben dadurch zus Sehr herabgedrückt zu bloßen Automaten, bloßen 
Schachftguren, ſie haben feine Fülle des Lebens, es fehlt ihnen das 
eigentliche menfchliche Detail, das vielleicht für den Berftand fehr _ 
entbehrlich tft, aber an dem das Herz exft warm, vie Bhantafie erft 
lebendig wird. Fanny Lewald ift, wie wir bereits andenteten, eine 
vortreffliche Reiſebeſchreiberin; ihre vorhin genannten Skizzen aus 
England, Italien ꝛc. zählen zu dem Beten, was unfere neuefte 
Literatur in dieſer Gattung hervorgebracht und übertreffen 
Vieles, was unfere männlichen Federn darin geleiſtet haben. Noch 
Ausgezeichneteres, glauben wir, würde ſie, in größere geſellige Ver⸗ 
hältniſſe verſetzt und auf einem minder unfruchtbaren Boden lebend 
als e8 der Boden unferer deutſchen Geſellſchaft noch immer ift, als 
Memoirenfchreiberin leiften; e8 wäre dies, irren wir nicht, ihr 
eigentlicher- Beruf, in welchen bie, ihr eigenthümlichen Gaben ſich 
am glüdlichften entfalten würden. 


Wie jedoch der herkömmliche Gang unferer Literatur einmal 
17* 


260 Dichtenbe Frauen. 


ift, blieb ihr nichts übrig, als Romane zu fehreiben und da traten 
bie Dlängel ihres Talents dem freilih ziemlich Ichroff hervor. 
Ihr „Prinz Louis Ferdinand‘ (3 Bde. 1849) war dem Stoffe nach 
ein fehr glüdlicher Griff, allein in ver Behandlung zeigte die Dich 
terin fich ihrer Aufgabe nicht gewachſen; ohne Verſtändniß für Das 
Heroifche in der Erſcheinung ihres Helden, wußte fie denfelben nur 
in ein Netz von Liebesgefchichten und Intriguen herabzuziehen, bie 
nicht einmal durch befonbere Neuheit ver Motivirung over Schärfe 
der Charakteriſtik den Lefer fefieln. | 

Einen jehr bedeutenden Anlauf nahm fie in ihrem nächften 
größern Romane: „Wandlungen“ (4 Bhe. 1853). Die Dichterin 
bat fich hier fein geringeres Ziel geſteckt, als ein vollſtändiges Ge⸗ 
mälde ver dentſchen, insbeſondere der preußiichen Entwidelung im 
Politik, Religion, Geſellſchaft innerhalb der legten dreißig Fahre, 
von Mitte ver zwanziger bis anf vie Revolution, zu geben. Allein 
für einen fo gewaltigen Stoff hätte es jedenfalls einer fruchtbarern 
Phantafie und einer Fräftigern Blaftif bedurft. Auch hier wieder - 
begegnen wir dem herlömmlichen Mangel ventfcher Romane, bes 
ſonders wenn biefelben die moderne Zeit und ihre Zuſtände zum 
Gegenftand haben: der Roman bat feinen Helven, ftatt feiner fleht 
im Mittelpunkt defjelben ein Dogma, ein Lehrfat des Verſtandes 
— nämlih daß Unwanvelbarfeit Beſchränktheit und Daß nur 
derjenige Menſch wirklich lebt und Zeit und Welt wahrhaft verfteht, 
ver fich vie Fähigkeit der, Wandlung“ erhält, und wenn Ratur und 
Schickſal einen derartigen Uebergang_von ihm verlangen, venfelben 
freiwillig, mit heiterm Antlitz vollzieht, ohne fich noch Andere mit 
bem Schredgefpenft von Conſequenz, Charalterſtärke, Pflichttreue zc. 
zu martern: ein Saß, ben zu vertheibigen wir natürlich der Dich- 
terin überlaſſen müſſen, ver aber, wirklich ohne „Wanplung” durch⸗ 
geführt, nach unferm Bedünken nothwendig zur nichtswürdigſten 


Fanny Lewalb. 261 


Frivolität führen, Verrath und Treubruch auf den Thron fegen 
und bie robefte Pflichtverlegung, die feigfte und unmännlichfte 
Berhätfchelung feiner felbft mit dem erhabenen Namen ver Tugend, 
fogar der einzigen wahren Tugend behängen würde. 

Indefien Zeus kümmert fi, nach einem alten Sprude, 
nicht um die Schwüre der Tiebenden und die Kritik nicht um die 
Philofophie der Frauenzimmer. Auch ift die Dichterin felbft, und 
gewiß zum Heil ihres Talents wie zum Vortheil ihrer literarifchen 
Wirkſamkeit, von diefem Boden einer abfoluten Tendenzpoeſie bald 
wieder zurlidgefommen. ‘Der renliftifche Trieb der Zeit hat fich 
auch an ihr bewährt, und wenn e8 ihr auch, wie gefagt, an eigent- 
licher Plaſtik und Anſchaulichkeit ver Darftellung gebricht, jo bat 
fie Doch in ihren neueften Schriften auf dem Gebiete des Genrebildes 
und ver Heinen bürgerlichen Erzählung manches recht Löbliche ges 
feiftet. Schon 1851 ließ fie zwei Bände „Berg- und Dünen-Ge- 
Schichten“ erfcheinen: halb novelliſtiſche Reiſeeindrücke, anſpruchslos 
entworfen und mit geſchickter Hand durchgeführt. Noch beffer find 
Ihr die Schilderungen aus den nievern Lebenskreiſen gelungen, bie 
fie in. den Ießten Jahren unter dem Titel „Dentfches Leben“ begon- 
nen hat; es ift, als ob an diefer liebevollen Betrachtung ver Wirk⸗ 
lichkeit, diefem ächt weiblichen Eingehen auf pas Kleine und Uns 
fheinbare ihr eigenes Herz ſich erwärmt, während zugleich ihre 
Phantafie eine Fülle dankbarer und anmmthiger Stoffe gewinnt. 
— Dagegen ift ihr nenefter zweibändiger Roman aus der höhern 
Geſellſchaft „Die Reifegefährten” (1857), wieber nur ein. ſchwäch⸗ 
liches Product und bleibt fowol in Betreff des Gedankeninhalts 
als ver techniſchen Ausführung felbft noch hinter ven „Wande 
lungen“ zurüd. 


— — — — — 


4, 
Suife von Ball. 


Einen ganz entgegengefeßten Charakter lernen wir in ber 
frühverftorbenen Luiſe von Gall, befanntlid) die Gemahlin Levin 
Schücking's, fennen. Wenn Fanny Lewald, Arot allen Taftes und 
aller Zurädhaltung, doch gemifle männliche Züge nicht ganz ver- 
leugnen kann, fo war dagegen Luife von Gall eine ächt weibliche 
Perſönlichkeit. Fanny Lewald, die Tochter des preußifchen Nor⸗ 
dens, ift meift ſtreng, wißig, don kaltem prüfenven Verſtande; 


Luiſe von Gall, in der Nähe der ſchönen Bergſtraße geboren, war 


weich, mild und anmuthvoll. 

Johanna Udalrika von Gall wurde 1815 zu Darmftadt ge⸗ 
boren, aus einem alten freiherrlichen Geſchlechte, welches, urſprüng⸗ 
lich ſchwäbiſchen Stammes, ſich ſeit mehren Generationen im 
Großherzogthum Heſſen niedergelaſſen und ſich beſonders durch mi⸗ 
litäriſche Talente ausgezeichnet hatte. Es war ein zartes und 
ſchwächliches Kind, das ſich jedoch unter der ſorgſamen Pflege der 
Mutter binnen Kurzem erholte und namentlich in geiſtiger Hinſicht 
zu ben günſtigſten Hoffnungen berechtigte. Zur Vollendung ihrer 
Bildung begab ſie ſich mit ihrer Mutter im Jahre 1840 nach 
Wien, wo ſich ihr die bedeutendſten Kreiſe öffneten. Ihre Lieb⸗ 
lingsneigung war damals die Muſik, wobei fie durch eine auöge- 
zeichnet ſchöne Stimme unterftägt warb. Bald jedoch entwidelte 





Luiſe von Sall.- 263 


fich neben dem muſikaliſchen Talent auch ein fchriftftellertfches, und 
zwar war es Friedrich Witthauer, der damalige Redacteur ber 
„Diener Zeitfchrift, Der fie zuerft ermutbigte, mit kleinen Er- 
zählungen und Lebensbilvern, weldye er in feinem Journal abdrucken 
ließ, vor die Oeffentlichleit zu treten. Der plögliche Tod ber 
Mutter im Sommer 1841 verfegte das junge Mädchen in bie 
tieffte Trauer: denn mit einer ungewöhnlicgen Innigfeit, deren 
Spuren fih aud ihren Schriften zeigen, hatte fie an der Ver⸗ 
ftorbenen gehangen. — Wohlwollende Freunde nahmen ſich ihyer 
tröftenn au; eine Reife nad) Ungarn, welche fie in dieſer Zeit 
in Geſellſchaft einer befreundeten Familie machte, richtete nicht nur 
ihren Geift auf, fondern gab ihm auch neue interefjante Eindrücke, 
bie wir befonders in bem Roman „Öegen den Strom‘ wiederfinden. 
Im Sommer des folgenden Jahres hielt fie fich einige Zeit in 
StGoar am, Rhein auf, das damals durch Freiligrath, Simrock, 
. Seibel, Longfellow und Andere ein Sammelplat poetifcher Geifter 
geworben war. „In diefer anregenden Gefellichnft entwidelte das 
Talent dev jungen Dichterin fich, mit überraſchender Schnelligkeit; 
fie jhrieb eine Reihe, von Erzählungen, welche zuerſt im ftuttgarter 
„Morgenblatt“ abgedrudt, fpäter unter. dem Titel „Frauenno— 
vellen‘ gefammelt und mit lebhaften Beifall aufgenommen wurden. 
Dom Rhein begab fie ſich nach Darmſtadt zurüd, in das Haus 
eines Oheims, des Tanpjägermeifters von Gall, und hier war es, 
wo Levin Schirfing fie kennen lernte. Im Frühjahre 1843 wurbe 
ſie feine Öattin. Der Sommer veffelben Jahres wurde von bem 
jungen Baaye theils am Rhein, theils in Darmftadt nerlebt, im 
Herbft aber fiedelte es nach Augsburg über, wo bie „Allgemeine 
Zeitung” einen Kreis interefjanfer und bedeutender Perfünlichleiten 
um ſich verfammelte, denen nun auch Schüding und feine Gemahlin 
fih anſchloſſen. Reifen in vie Schweiz x. brachten angenehme Ab- 


264 Dichtende Franen. 


wechlelung und bereicherten ven Geiſt der lebhaften und ftrebfamen 
Grau. 1843 begleitete. fie Schücking nad Köln, wo verfelbe das 
Tewilleton ver „Kölniſchen Zeitung” vebigirte und wo Das 
Schücking'ſche Haus „in einer grünen Gartenwelt, neben der kölner 
Apoſtelkirche“ nun bald der Mittelpunkt eines geiftvollen und trau⸗ 
lichen Kreifes wurde. 1847 beſuchte Luife von Gall in Begleitung 
ihres Gemahls Italien, feit langem der Gegenftand ihrer innigften 
Sehnfucht; der politifch fo beventende und eräignißreiche Winter 
von 1847 auf-1848 wurde in Rom verlebt und daſelbſt eine Dienge 
intereffanter und anregender Bekanntſchaften angeknüpft. Bis 
1853 verweilte fig dann wieber in Koln, mit Titerarifchen Arbeiten 
beichäftigt, ohne darum bie Pflichten der Hausfrau und Mutter 
zwechufegen. Im Herbft des genannten Jahres zog fie mit ihrem 
Manne anf veilen Beſitzung Saffenberg bei Münfter in Weſtfalen. 
Der Aufenthalt auf dem Lande, wo fie in völliger Abgeſchiedenheit nur 
ihrer Familie und ihrem Talente lebte, hatte anfangs große Reize 
für fie. Leider jedoch fagte das Klima ihrer Geſundheit nicht zu; 
fie fing an zu kränkeln, ver Tod eines geliebten Kindes drückte mit 
ber Seele zugleich den Körper nieder und ſo erlag fie am 16. März 
1855 einem heftigen Fieber, das, endlich in eine Yungenlähmung 
übergebend, fie fanft und ſchmerzlos ver Erbe entrüdte. — 

Dies der Lebenslauf einer Dichterin, welche, ohne je nach dem 
Beifall ver Menge zu jagen over jemals aus bem Kreife ſtrengſter 
Weiblichkeit herauszutreten, durch die Anmuth ihres Talents und Die 
Wahrheit und Innigfeit ihrer Schäpfungen fich nah und fern zahlreiche 
und dankbare Freumde erworben und ſich einen Namen gegründet 
hat, ver nicht vergeflen werben wird. Wie im Leben, war Luiſe von 
Gall auch in ihren Schriften durchaus und vor allem fireng weib- 
ih und wenn darin nad) der einen Seite bin eine unvermeibliche 
Schranke ihres Talents ausgeſprochen iſt, ſo gab es ihren Pro⸗ 





Enife von Gall. . 2ck 


ductionen andererſeits jene ſtrenge fittliche Reinheit, jene tiefe und 
warme Empfindung und jenes edle, liebenawürdige Maß, pas fie 
‚jedem gebilveten Sinne fo anziehend und erfrenlich macht: Luife von 
Gall zählte nicht zu ben Dichterinmen, welche fich in bie Literatur - 
flüchten, weil fie mit der Geſellſchaft, ja mit fi ſelbſt zerfallen und 
bexen Bücher gleichſam nur die Afche find früherer verhängnißvoller 
Flammen: ſondern Har und harmoniſch, in natürlicher Entwidelung, 
wie ihr Lebensgang, waren auch ihre Sthriften, umd wie fie ſelbſt 
von einem tiefen Schönheitfinn und einem Ichenvigen Gefühl für 
das Gute und Edle erfüllt war, fo zeigen auc ihre poetifchen 
Schöpfungen überall ein hohes, reines Streben und eine tiefe Ehr- 
furcht vor jenen fittlihen Grundfägen, auf denen das Heil der Fa⸗ 
milie beruht und ohne die auch die Gefellfcheft nicht exiſtiren kann. 

Zu größeren Productionen fehlte der Dichterin die rechte nach⸗ 
haltende Kraft; namentlich war e8 wol fein ganz glüdlicher Einfluß 
ver bewegten Zeitverhäftnifie, in denen fie lebte, daß fie ihren beiven 
größeren Romanen: „Gegen ven Strom” (1852), vorzüglich aber 
dem „Neuen Kreuzritter” (1853), politiihe Motive unterlegte 
und ſich dabei auf eine Kritik der öffentlichen Berhältniffe und felbft 
einzelner politifcher Perfönlichleiten einließ, ver fie bei allem guten 
Willen doch nicht gewachfen war. 

Am reichften und glüdlichften dagegen entfgltete ihr Talent ſich 
in bem begrenzten Rahmen ver Novelle und ver Heinera Erzählung. 
Beſonders in der Schilderung des häuslichen und gefelligen Lebens 
hat fie Vortreffliches geleiftet, am meiften, wo e8 ſich um die Schil- 
berumg weiblicher Zuftände und Empfindungen handelt; da befist 
ihr Pinfel eine Zartheit und Weichheit und doch zugleich eine Na⸗ 
türlichleit und Friſche der Farben, vie nur von wenigen ihrer 
fhriftftellerifchen Mitfchweftern erreicht, won Feiner übertroffen 
wird. — Der Sammlung „Frauemovellen“ gedachten wir bereits; 


2 f Dichtende Frauen. 


verwandten Inhalts .ift die Sammlung „Frauenleben“ (2Bde. 
1856), die nad) ihrem Tode von ihrem Gemahl herausgegeben 
wurde: Seelengemälve von mäßigem Umfang, in denen bie ver⸗ 
ſchiedenen Seiten der weiblichen Natur- mit eben fo zarter wie fiche- 
ver Hand und einer überrafchenden Schärfe nes Blicks blosgelegt 
werben. — Allein nur um fo lebhafter ift der Schmerz und um 
jo gerechter bie Klage über das umerbittliche Geſchick, daß ein fo 
reiches und. liebenswärbiges Talent mitten in feiner glücklichſten 
Entwidelung jo graufam vahingerafft und damit fo viele hoffnungs⸗ 
volle Keime fir immer vernichtet Hat. 


\ 





e 5 
Amely Bölte, Sulie Burn und Bttilie winernut 


Aus der großen Zahl unſerer dichtenden Frauen, von denen 
freilich gar manche nach dem Muſter der Frau Luiſe Mühlbach in 
der Poeſie weniger die Göttin als die milchende Kuh erblicken und 
bie ihre Bitcher zum Theil mit derſelben Geiſtesruhe und derſelben 
Unbefümmertheit abhaspeln, wie andere Frauen ihren Stritfftrumpf, 
heben wir die Obengenannten hervor: theils meil fie wirklich über 
bie große Maſſe diefer fhriftftellerifchen Danaiben hervorragen, 
theil8 auch weil ihr Talent und vie Richtung, die fle verfolgen, 
typisch ift für Die litexariſche Thätigfeit unferer Frauen im All: 
gemeinen. 

Die jüngfte von chuen, wenn wir nicht i irren,i iſt Amely Belte, oder 
doch jedenfalls die kechſte. Sie erinnert am meiſten an jene emancipa⸗ 
tionsluftigen Damen, die in vormärzlicher Zeit hier und da bei uns 
auftauchten und als deren vorzäglichtte Vertreterinnen wir bie Gräfin 
Hahn⸗Hahn und Luiſe Mühlbach kennen lernten; ihre. Feder iſt 
ſcharf und ſpitz und wird von ihr zuweilen mit mehr als weiblichem 
Muthwillen geführt. Ihr erſtes Werf-woren bie Erzählungen 
„Aus dem Tagebudhe eines Londoner Arztes: Schilderungen aus 
ben Treiben der englifchen höhern Geſellſchaft, etwas grell in der 
Färbung und mit auforinglicher focialiftifcher Tendenz, auch zum 
Theil etwas feltfan und abenteuerlich in Der Erfindung, aber ger 


268 . Dichtende Frauen. 


wanbt und mit Sicherheit ausgeführt. Diefen Charakter des Rafchen, 
Reſoluten tragen auch ihre fpätern Schriften, von denen wir „Ein 
Vorfthaus‘ (1855), „Eine gute Berforgung‘ (2 Bde. 1856) zc. 
namhaft machen. Neuervings bat fie auch angefangen, Reifebriefe 
und Heinere kritifche Auffäge zu veröffentlichen. Doch fteht ihr die 
etwas robufte Polemik, welche fie dabei ausübt, und mit ber fie 
ihre Streiche nach allen Seiten vertheilt, nicht eben gut zu Gefichte; 
auch wenn eine Fran bie Feder ergreift, wollen wir noch immer 
lieber die Frau fehen, als die Amazone. — Sind wir übrigens 
recht unterrichtet, fo ift Amely Bölte ebenfalls eine Medlenburgerin, 
wodurd denn, wenn bie Nachricht begründet ift, unfere obige Be- 
merkung, die deutſchen Nachahmerinsien der George Sand betref- 
fend, eine, wie uns dünkt, nicht unintereffante Vervollſtãndigung 
finden würde. 

"Auch Fran Julie Burow, geb. Pfannenſchmidt, zeigt in ihrem 
literarifchen Charakter gewiffe männliche, robufte Züge. Doch ift 
die Strenge derfelben durch weibliche Tüchtigfeit und hausmütter- 
liche Sorgfalt gemilvert. Frau Julie Burow, deren erſte Schriften 
beim PBublicum ein ganz ungewöhnliches Glück machten und bie 
ſich Dadurch zu einer außerordentlichen, ber Güte ihrer Produc⸗ 
tionen nicht ganz zuträglichen Fruchtbarkeit ermimtert fühlte, zeigte 
anfangs ebenfalls eine gewiffe Hinneigung zu Emancipationsideen. 
Sie ging dabei jedoch mehr vom praftifch dkonomiſchen, als eigent- 
lich ideellen Standpunkt aus, indem fie e8 als die Hauptbebingung 
weiblicher Bildung und Erziehung binftellte, die jungen Mädchen 
jelbftändig zu maden in dem Simme, baß fie fähig wären, 
fih ihr Brod dereinft felbft zu erwerben und mithin nicht exft anf 
den allerdings fehr problematifchen Ausfall der großen Heiraths⸗ 
Iotterie zu warten brauchten. Die Borfchläge, welde Frau Burow 
zu biefem Ende machte, waren zum Theil etwas wunderlich und 


Amely Bölte, Julie Burow und Ottilie Wildermutb. 269 


befundeten mehr Eifer und guten Willen, als Kenntniß des pralti⸗ 
ſchen Lebens und felbft ver weiblichen Natur; fie empfahl den EI- 
tern nicht nur, ihre Töchter in allerhand Handwerken und Ges 
werben unterrichten zu laſſen, fonvern die jungen Mädchen ſollten 
aud) Apotheler, Wundärzte u. vergl. werben. — Indeſſen haben dieſe 
und ähnliche Grillen fih bald wieder verloren und ber gefunde, 
tüchtige Charakter ver Liebenswürbigen Frau, die viel Welt und 
Menſchenkenntniß und jelbft mehr Humor befigt als die ventichen 
Frauen fonft wol zu haben pflegen, entfaltet ſich in ihren zahlreis 
hen Schriften frei und ungehindert. Julie Burow vertritt unter 
ihren Iiterarifchen Mitſchweſtern die Partei des gefunden Menjchen- 
verftandes: eine nicht fehr glänzende, aber jedenfalls um fo ehren- 
werthere Partei. Diefem ruhigen, praftiichen Verftande entſpre— 
hend, gelingt ihr auch am beften vie Schilderung gewiſſer Heinbür= 
gerlicher, profaifcher Zuftände, fo zu fagen des weiblichen Philifter- 
thums, deſſen achtbare und tüchtige Seiten fe mit großer Virtuo⸗ 
fität darzuftellen weiß. Auch die flachen, nüchternen Landſchaften 
Nieverichlefiens und Oftpreußens fchilvert fie mit großem Geſchick 
und eben fo vie ftillbejcheivenen, fleißigen, etwas hansbadenen 
Menſchen, welche dieſelben bewohnen. Es ift mit einem Wort feine 
großartige und glänzende, aber eine gefunde Dichtung, der wir zu 
ihrer großen Verbreitung in den Schichten des mittleren Bürger: 
ſtandes im beiberfeitigen Intereffe nur Glück wünſchen können. — 

An Wärme und Zartheit ver Empfindung, jowie an Tiefe der 
poetiſchen Aufführung werden die beiden Ebengenannten bei weitem 
überragt von Ottilie Wildermuth. Ottilie Wildermuth ift eine 
Schwäbin und hat den ganzen frifchen, treuherzigen Sinn, die Bie- 
derfeit und Ehrlichkeit und auch die kecke, heitere Laune ihres Volks⸗ 
ſtammes. Auch kennt fie denſelben gründlich, wenigftens Die mitt- 
leren Kreiſe deſſelben, vor allem die „Schwäbiſchen Pfarrhäuſer,“ die 


270 Dichtende Frauen. 


ihr ven Stoff zu einer Reihe reizender Heiner Gemälde dargeboten 
Haben. Ueberhaupt ift das &enrebild, die kurze, flüchtig hinge- 
worfene Anekdote, die ſich nicht einmal zur eigentlihen Erzählung 
gliedert, ihre Hauptſtaäͤrke; ihre „Bilder aus ver ſchwäbiſchen Hei- 
math“ (jeit 1856) zeigen eine ungemein glüdliche Gabe ver Dar- 
ftellung und einen milden, ächt weiblichen Sinn. In größern PBro- 
ductioneg hat fte ſich unfers Wiffens erft ganz neuerdings verfucht: 
„Augufte. Ein Lebensbild.“ Doch ift der Verſuch im Bergleich 
zu ihren Heinen Skizzen nicht beſonders glücklich ausgefallen. 





V. 
. Bas Drama der Gegenwart; 
Ausfihten in die Zukunft. 


—— —— — 


ed 





Es bleibt und noch übrig einen Blick auf das Drama zu wer⸗ 
fen. Doch iſt dies bekanntlich grade die ſchwächſte Seite in der 
deutſchen Literatur ver Gegenwart, die eigentliche partie honteuse 
berfelßen, was man ihr freilich nicht allzufehr zum Vorwurf machen 
darf, da e8 ja nicht nur den übrigen modernen Literaturen für den 
Augenblid ganz ebenfo ergeht, fonvern felbft in unferer hochgefei- 
erten Haffifhen Literatur das Drama ja gleichfalls nur eine ver- 
bältnigmäßig untergeortnete Stellung einnimmt. In dem ganzen 
Laufe unferer Gefhichte haben wir Deutſchen es überhaupt noch nie 
zu der Einheit und Geſchloſſenheit des nationalen Lebens gebradıt, 
wie England zur Zeit der Königin Elifabetb, Spanien unter 
Philipp dem Dritten und Vierten, Franfreih unter dem harten, 
aber glorreichen Ecepter Ludwig's des Bierzehnten, und fo dürfen wir 
e8 auch unfern Dichtern nicht zum Vorwurf machen, mern biefe 
Seité der Literatur bei uns im Ganzen nur fpärlid) und ohne rechte 
Erfolge angebaut worden ift. 

Jedenfalls werden wir und unter diefen Umständen hier fehr 
kurz fallen können, und das umfontehr, al® zu dem Mangel an be= 
deutenden Bühnenftüden, ver unfere Literatur ver leiten zehn Jahre 
fennzeichnet, für unjeren Zweck auch nod) der äußerliche Uebelſtand 
hinzutritt, daß viele dieſer Stüde noch gar nicht im Drud erjchienen 
find. Nach dem Erfolg der Aufführung aber ſich ein Urtheil zu 


Prutz, die deutſche Literatur der Gegenwart, LI. 18 





Pr Das Drama ber Gegenwart. 


bilden — obwol, wie fidh von ſelbſt verfteht, erſt die Aufführung 
ver Prüfften des dramatischen Gedichts iſt — hat fein fehr Bes 
denkliches, beſonders bei ung in Deutſchland, wo es in dieſem 
Augenblick, wie an guten und bedeutenden Stücken, ebenſo auch an 
guten und bedeutenden Schauſpielern fehlt, wo wir ſerner keine 
tonangebende Hauptſtadt haben und wo daher ein und daſſelbe Stück 
auf zwanzig verſchiedenen Theatern möglicherweiſe zwanzig verfchie- 
dene Erfolge erleben kann, und wo endlich die Thenterfritif, trog 
Leſſing, Tied und Börne, noch immer größtentheils in den unberu- 
- fenften und unfauberften Händen ift. 

Und fo mögen denn die nachftehenven Turzen Andeutungen, 
bie weder auf Vollſtändigkeit noch Genauigfeit Anſpruch machen, 
fondern nur den augenblidlihen Zuſtand der deutſchen Bühne im 
Allgemeinen ffizziven wollen, genügen. 

Allerdings, wer fich, noch von vormärzlicher Zeit her erinnert, 
welche außerordentlihen Erwartungen grade in Betreff des Thea— 
ter8 von jenem großen politifchen Umſchwung gehegt wurden, deſſen 
Borzeihen damals bereits fo deutlich von dem umwölkten Himmel 
herniederhingen, ver ıfollte im Gegentheil meinen, unjer Theater 
müßte den allerglänzenpften Aufſchwung genommen haben und fich 
‚in der allerüppigften Blüte befinden. Es wurde dazumal viel ge— 
droht und renommirt mit ver bevorftehenven Revolution, aber doch 
nirgend mehr als beim Theater. Wollten die Hoftheaterintendanten 
unfere Stüde nicht geben, nım wartet nur, bie Revolution wird 
euch ſchon lehren, mas ihr ver jungen vramatifchen Literatur ſchul⸗ 
big ſeid. Waren vie Dichter felbft in Verlegenheit um geeignete 
Stoffe und merkten fie ihren eigenen Arbeiten an, daß es ihnen an 
der eigentlichen dramatischen Spanntraft, dem eigentlichen drama⸗ 
tiſchen Lebensnerv fehlte, nun verfteht fi, da war wieder Niemand 
ſchuld daran, als dieje dumpfe politifche Stille,-in der wir lebten. 








Ausfichten in die Zulunft. 275 


Wer konnte unter dem Druck dieſer bleiernen Atmoſphäre einen wahr- 
haft pramatifchen Gedanken faffen? Wo gab es in dieſer jchlaffen, 
thatlofen Gegenwart einen Funken ächten pramatifchen Lebens? Ja 
bie ganze Öefchichte dieſes gefnechteten, zerfpaltenen deutſchen Volkes, 
war fie nicht im höchften Grade undramatifch und fand fich wol 
irgend ein Stoff darin, ein Held, ein Ereigniß, eine große That, 
Die geeignet wären, von ber Bühne herab eine verfammelte Menge 
zu erſchüttern und hinzureißen? Ober ja, vielleicht gab es hier 
und da, in irgend einer vergilbten Chronik, etwas der Art, aber dann 
ftanden wieder Polizei und Cenſur und taufenberlei höfiſch- diplo⸗ 
matifche Rüdfichten im Wege, welche die Benugung dieſer Stoffe 
verhinderten. Alſo auch hier wieder die Revolution und nochmals 
bie Revolution ,. vie ja Alles in Deutjchland und mithin auch das 
Theater mit einem Schlage verjüngen und verbeffern jollte. — Fiel 
aber gar ein Stüd durch, nun dann war e8 ja erft vecht fonnenflar, 
daß wir fo bald wie möglich eine Revolution haben mußten; dieſes 
fiſchblütige Publicum mußte ja erft durch große politifche Ereigniffe 
erwärmt, dieſe dickköpfigen Philifter, die durch nichts zu paden 
waren, erſt durch ein neues Schredensregiment hinweggeräumt 
und ein neues, jugendlich empfängliches Parterre, ein Parterre, 
das Tags die Clubs und jvie Kammerbebatten befuchte, herange- 
zogen werben. ' 
Aber, aber — die Revolution fam, war: da, wurde befiegt, 
ausgelöfcht, vernichtet bi8 auf ven Namen, und die Mifere unferes 
Theaters ift diefelbe geblieben wie zuvor: Oder vielmehr fie hat 
ſich noch verfchlimmert, die Vernachläſſigung, mit der das Chester 
bei uns von oben her behandelt wird, ift noch größer, die Concur- 
renz noch hungriger, das Publicum noch fehlaffer und verbroflener 
‚geworden. Nirgends zeigt die Verwilderung bes Geſchmacks, die im 


Laufe des legten Menjchenalters in Folge unſeres großen literarifchen 
18 * 


276 Das Drama der Gegenwart. 


Interregnums bei uns eingetreten ift, ſich deutlicher und abjchreden- 
der als eben beim Theater. Hier heißt e8 recht eigentlich: fo viel 
Köpfe, jo viel Sinne; jede Tradition, fei e8 in der Yeitung ber 
Bühne, fei es unter ven Darftellern, fei es envlih im Publicum, 
iſt verſchwunden; der zunehmende materielle Wohlftand hat vie 
Theater zu bloßen Opferftätten tes Luxus und tes Sinnenkitzels 
gemacht und Niemand denkt mehr daran, daß einjt ein Leffing, 
ein Sphiller iñ der deutſchen Bühne ein Nationalinftitut fahen, dem 
fie mit freudigem Stolz ihre evelften Kräfte winmeten. Wil man 
willen, was die deutſche Bühne in Folge des Jahres Achtunpvierzig 
gewonnen und welche Errungenfchaft die fo heiß erjehnte Revolu⸗ 
tion ihm zugeführt hat? Die Sommertheater, die den Geſchmack 
an der Kunft wie an der Natur gleichmäßig ververben, und dann 
jene neneften Berliner Poſſen, in denen ver „höhere Blödſinn“ feine 
unverjhämten Purzelbäume jchlägt und mit benen verglichen bie 
alte Wiener Poffe ver Bäuerle, Raimund, Neftroy noch wahrhaft 
ehrwürdig außfieht. - 

Sehr merkwürdig ift ferner, daß in nachmärzlicher Zeit grade 
von denjenigen jüngeren. Autoren, die vor der Revolution nicht ohne 
Glück auf ven Brettern erfchienen und deren raftlofen Anftrengungen 
man es großentheils zu verdanken hatte, daß die Bühne fich über- 
haupt den Mitlebenven öfinete, — daß von allen dieſen, fage ich, 
fein einziger im Stande gewefen ift, feinen Platz auf den Brettern 
zu behaupten, ſondern daß alle mehr oder weniger in Bergefienheit 
gerathen find, auch menn fie übrigens in anderen Gebieten der Li- 
teratur gleichzeitig die glänzendften Triumphe davongetragen haben. 

Zwar daß die Hoffnungen, welche die Bühne anfangs auf 
Friedrich Hebbel ſetzte, fich nicht verwirklichen würden, das konnte 
man bei-einiger Kenntniß von der Eigenthümlichkeit dieſes Dichters 
vorausſehen. Hebbel ift ein großes dramatifches Talent, viel- 


Ausfichten in die Zukunft. 277 


leicht das größte, das wir in dieſem Augenblid befigen. Allein 
mit einer verhängnißgoollen Beharrlichkeit hat er vafjelbe in ven 
Dienft einer falfchen Theorie geftellt; Hebbel's Mufe ift nicht die 
- Schönheit, fondern umgelehrt das Häßliche und Widerwärtige, 
das Abgefhmadte und Fratzenhafte, und das läßt fi nirgend 
weniger ertragen al8 eben auf den Brettern. Und darum ift dies 
gewaltige und urjprüngliche Talent, das felbft in feinen Irrthü— 
mern noch fo lehrreich, für die Bühne fo gut wie nicht vorhanden. 
Seine „Judith,“ noch in vormärzlicher Zeit aufs Theater gebracht, 
ift eine Curiofität, vie höchftene alle Jahre einmal von einer gafti= 
renden Schaufpielerin als Paradepferd benutt wird; „Maria 
Magpalene” hat fich ebenfalls nirgend halten können; vie neueren 
Stüde des Dichters aber, wie „Der Ring des Gyges“ zc. wider⸗ 
fprechen nicht nur den nothwendigen Forderungen ver Bühne, ſon⸗ 
dern aud) den fittlichen Forderungen des Publicums fo vollſtändig, 
daß gar fein Berfuch damit gemacht werben fann. In der „Agnes 
Bernauerin“ bat ver Dichter felbft offenbar die Abficht gehabt, ſich 
zu den Anfchauungen und Gewöhnungen des Publicums herabzu- 
laſſen und ein völlig bühnengerechtes Stüd zu liefern: Doch hat e8 
ebenfalls nirgend Wurzel faſſen können, troß bes populären und 
ergreifenden Stoffes. 

Und wo find Karl Gutzkow, wo Heinrich Laube geblieben, diefe 
Zwillingsherrſcher unferer Bühne in vormärzlicher Zeit? Laube 
hat außer einigen unerheblichen Ueberfegungen und Bearbeitungen 
zwei Stüde geliefert, ven „Eifer“ und ven „Mohtrofe“. Erfterer 
hat allerdings, was man fo jagt, Glück gemacht, aber nur wegen ber 
ſehr dankbaren Rollen und wegen des geſchickten fcenifchen Arange- 
ments; Schaufpieler und Schaufpielvirectoren mögen ſich bei dem 
Berfafler für die intereflante Novität bedanken, die Poefle Dagegen 
kennt das Stüd nicht und für die Literatur eriftirt es nicht. Mit dem 


278 Das Drama ber Gegenwart. ° 


„Montroſe oder der ſchwarze Markgraf” (1859) verhält es ſich 
aber noch jchlimmer; dieſer kann, wie e8 fcheint, auch nicht einmal 
auf den Brettern Fuß fallen, für vie er doch allein. beftimmt ift, 
und fo bürfte das Stüd, troß der lauten Trompetenftöße, bie ihm 
von Wien aus voraufgingen ſchließlich nur auf ein großes Fiasco. 
herausfommen. 

Was ferner Gutzkow betrifft, fo hat dieſer allerdings mit ber 
Beharrlichkeit, die wir an ihm fennen, auch noch nad) dem März 
Jahr für Jahr regelmäßig fein neues Stüd in die Welt gefchidt, 
allein ſie find “auch alle regelmäßig durchgefallen. Der Dichter 
ſcheint das Geheimniß der Bühnenwirfung, deſſen er ſich Doch wenig- 
ſtens in einzelnen feiner früheren Stüde mit fo glüädlihem Erfolge 
bemeiftert hatte, völlig verloren zu haben; weder „Ella Rofa,” 
noch „Lenz und Söhne” und wie fie alle heißen, die armen drama⸗ 
tiſchen Kindlein, die gleich in der Geburt erwürgt wurden, haben 
Gnade vor den Augen des Publicums gefunden, und ſo kann man 
es dem Dichter denn nicht verdenken, wenn er ein ſo undankbares 
Geſchäft endlich in neueſter Zeit aufgegeben und ſich von der Bühne, 
wie es ſcheint, für immer zurückgezogen hat. 

Auch Rudolf Gottſchall's friſches und energiſches Talent hat, 
trotz wiederholter Verſuche, bis jetzt noch keinen durchſchlagenden 
Erfolg erzielen können, ja ſelbſt Roderich Benedir, dieſer „lange 
Ifrael“ des deutſchen Theaters, deflen gutmüthigen Kneipenhumor 
das deutſche Publicum fich fo lange Fahre fo freundlich hatte ge— 
fallen laffen, kann ven richtigen Ton nicht mehr treffen, und nicht 
beiler ergeht es dem wißigen, feinfinnigen Bauernfeld, ben feine 
guten Wiener in vormärzlicher Zeit fo lieb hatten und der nun auch 
eine dramatiſche Ariadne auf Naxos if. + 

Dagegen bat, merkwürdig genug, ein anderer Wiener Dichter 
in biefer dem Theater fo ungünftigen Zeit einen neuen. ımb glän- 








Ausfichten in die Zukunft. ' 279 


zenden Triumph bavohgetragen, und zwar ein Dichter, den man 
vor dem März ſchon hundertmal zu ben Todten gelegt hatte und 
der nun, wenigftend was bie Tragödie anbetrifft, das einzige 
Stüd diefer ganzen zehn Jahre geliefert, das ſich eines allgemeinen 
und durchſchlagenden Beifalls zu erfreuen gehabt hat und wahr- 
haft volksthümlich geworben ift: Friedrich Halm mit feinem vielbe- 
ftrittenen „echter von Ravenna. Das Stüd iſt nicht beſſer, 
nicht Schlechter als die früheren Halm'ſchen Stüde, die „Griſeldis“ 
und „Der Sohn der Wildniß,“ die in den dreißiger und vierziger 
Jahren Furore machten, wohl aber deutet es in der glüdlichen Wahl 
bes Stoffes ven Weg an, den unfer Drama künftighin zu nehmen 
haben wird, um den verlorenen Boden wieder zu erobern: nämlich 
den Weg der vaterländiſchen Gejchichte und der lebendigen politi- 
ſchen Sympathien. 

Und darum können wir auch in der antikiſirenden Richtung, die 
ſich vor einigen Jahren auf unſerer Bühne einniſten zu wollen ſchien, 
keinen Fortſchritt erblicken, ſondern im Gegentheil nur ein neues 
Motiv ihres immer fortſchreitenden Verfalls. Jene altgriechiſchen 
und römiſchen Stoffe ſind für das heutige Bewußtſein ebenſo un⸗ 
zulänglich als die franzöſiſche Regelmäßigkeit, die man damit bei uns 
wieder einſchwärzen will, als hätte Leſſing nie gelebt und als wäre 
Shakeſpeare nie über die Bretter der deutſchen Bühne gegangen. 
Doch iſt dieſe Manie, die ſich theils aus dem Einfluß einiger be— 
rühmter fremder Schauſpielerinnen, wie der Rachel und der Riſtori, 
theils aus der immermehr überhandnehmenden Schlaffheit und Ge⸗ 
dankenloſigkeit des Publicums erklärt, nicht von langer Dauer ge⸗ 
weſen, und wie ſchon jetzt weder von Tempeltey's „Klytämneſtra“, 
noch von Halm's „Elektra,“ noch von Hermann Herſch' „Sopho— 
nisbe,“ die Rede iſt, ſo, fürchten wir, wird auch Paul Heyſe's „Raub 
der Sabinerinnen“ oder Wilhelm Jordan's „Wittwe des Agis“ in 


280 ‘ Das Drama der Gegenwart. 


fürzefter Friſt vergeflen jein, — vorausgefegt, be das größere 
Publicum je von ihnen gewußt bat, 

Eın Stüd von großer poetifher Schönheit und einer ftellen- 
weife hinreißenden Erhabenheit des Ausoruds ift ferner Geibel’s 
„Brunhild“ (1858). Doc fehlt e8 dem ausgezeichneten Werke 
an eigentlichem bramatifchen Leben; auch ift e8 dem Dichter nicht 
. gelungen, das Rohe, Wilde, unfern heutigen Sitten Wiverftre- 

bende, das dem Stoffe theilmeife anflebt und das nur in ber 
mythifchen Umgebung des alten Gedichts weniger deutlich hervor⸗ 
tritt, zu verwifchen und dadurch ven Gegenftand felbft und menjch- 
lich näher zu rüden: und fann e8 infofern auch nur gebilligt wer- 
ben, daß, troß der.großen poefifchen Vorzüge des Stücks, doch feine 
einzige Bühne, felbjt die vem Dichter jo nahbefreundete Münchner 
nicht, den Verſuch gemacht bat, daffelbe zur Darftellung zu brin- 
gen. — Was dagegen Berthold Auerbach's „Wahrſpruch“ (zuerft 
aufgeführt in Stettin im Winter 1858, doch ſchon geraume Zeit 
früher gefchrieben) anbetrifft, fo beftätigt verfelbe nur, was bereits 
der „Andreas Hofer” (1850) vefjelben Berfaffers erfennen Tief: 
nämlich, daß diefer Dichter, der in der Novelle fo intereflante 
bramatifche Conflicte herbeizuführen verfteht, für das Drama 
felbft ohne alle Befähigung ift. 

Außer den eben Genannten find im Laufe ver lebten Jahre 
noch einige jüngere Sterne an unferm Theaterhimmel aufgetaucht. 
Dod hat auch von ihnen bis jett noch feiner allgemeinere Auer- 
fennung gefunden. DVielleiht das bedeutendſte unter dieſen jün- 
geren Talenten ift Otto Ludwig, deſſen wir bereits unter ven Nach— 
ahmern Berthold Auerbach's gedacht haben; fein „Erbförſter“ und 
„Die Maccabäer” find Stüde von großer dramatischer Kraft, aber 
bereit8 zu jehr angeſteckt von Hebbel'ſcher Verſchrobenheit, als daß 
fie Zugang zu den Herzen der Nation finden fünnten. Achtbare 


Ausſichten in die Zukunft. 281 


Verſuche haben ferner Guſtav Kühne und Friedrich Bodenſtedt ges 
macht, beide, wie früher angeführt, mit einem „Demetrius“: ein 
Stoff, den auch Hermann Grimm in Berlin bearbeitet hat, und ber 
alfo wol in ver Luft liegen muß. Doch ward die große Erbſchaft 
Schiller's noch von Keinem angetreten. Wilhelm Genaſt in Weimar 
ließ einen „Bernhard von Weimar‘ und einen „Florian Geyer,” 
Melchior Meyr in Münden einen „Karl der Kühne” im Kampf 
gegen bie tapferen Schweizer Bauern aufführen: Stüde, die wenig- 
ſtens in ver Wahl des Stoffes ein richtiges Verſtändniß zeigen und 
denen jchon deshalb eine größere Verbreitung zu wünſchen wäre, 
als fie bis jetzt leider erlangt haben. -Erfteres gilt auch von einigen 
anderen Stüden, die in diefen jüngften Monaten ihre zum Theil 
glänzende Laufbahn über unfere Bühnen begonnen haben: „Das 
Teftament des großen Kurfürften” von ©. zu Puttlig, ©. v. 
Meyern's „Heinrich von Schwerin,” Hermann Herſch' „Die Anne- 
Life,“ Arthur Müller’s „Die Preußen in Breslau ꝛc.“ Allen viefen 
Stüden ift das patriotiſche Intereffe und Die nähere over fernere 
Anknupfung an die Politif des Tages gemeinfam, und das ift denn 
immerhin ein Anfang, dem mr eine recht glückliche ımd allgemeine 
Nachfolge zu wünjchen bleibt. 

Vreilih, was auf ven Geſchmack unferes Theaterpublicums 
zu geben und wie übel ver angehenve Dichter berathen ift, der fich 
die Erfolge, welche einzelne Stüde hier und da Davontragen, zum 
Muſter nehmen will, fein eigenes Talent danach zu bilden, Davon 
giebt der „Narciß” von Brachvogel ein wahrhaft abfchredendes 
Beiſpiel. Diefer „Narciß“ iſt vielleicht von allen Stüden viefer 
legten zehn Jahre dasjenige, das am meiften beflatfcht, am häufig« 
ften gegeben und ſelbſt von der Kritif am eifrigften bewundert worden 
ift. Und doch ift e8 ein Stüd, veflen ganze Wirkung auf ven 
widerwärtigften Unwahrbeiten, hiftorifchen wie fittlichen, beruht, 


282 Das Drama ber Gegenwart. 


und das die glänzende Aufnahme, die ihm in der That zu Theil 
geworben, nur bei einem Publicum finden fonnte, das ſich ein für 
allemal gewöhnt hat, fowie e8 ins Theater geht, feinen Berftand 

und fein Nachdenken zu Haufe zu laſſen. Die beiden nächſten Stüde 
des allzuleichtfertig gefrönten Dichters, der „Adalbert vom Baban- 
berge” und noch mehr, wie es fcheint, der „Meonvecaus’ haben 
es denn freilich wieder einigermaßen zur Befinnung gebracht. 

Und fo werben die Propheten der vormärzlichen Zeit denn 
Schließlich Doc wol Hecht behalten und e8 wird doch wol erft eine 
volftändige Erneuerung und Umbildung unjeres geſammten öffent- 
lichen Daſeins vorangehen müfjen, bevor die deutſche Bühne einen 
dauernden Aufſchwung nimmt. Erleben werden wir dieſe neue 
beſſere Zeit freilich nicht, aber genug, wenn ſie nur kommt ... 


Dies führt uns zu.der Schlußfrage unſeres Buchs, nämlich 
welches Prognoftifon unferer Literatur überhaupt geftellt werben 
darf und welche Ausfichten ſich ihr für die Zukunft eröffnen. 
Allein grabe die Beantwortung biefer Frage wünfchten wir 
ung erlaffen; auch ift fie in der That unnöthig, wenn nicht an⸗ 
ders unfer ganzes Buch feine Aufgabe verfehlt hat. Iſt dies nicht 
der Fall und ift e8 uns einigermaßen gelungen, ein annähernbes 
Bild von dem Zuftande unjerer gegenwärtigen literariſchen Epoche 
zu entwerfen, fo haben wir auch eben damit ven Leſer genügend in 
Stand gejegt, fich diefe Frage felbft zu beantworten. 

Freilich wird die Antwort verſchieden ausfallen, je nach ber 
perjönlihen Stimmung‘, ver Gefhmadsrihtung, fowie der ganzen 
Dentweife des einzelnen Leſers. Aber in Einem Punkt, dünkt 
uns, müſſen wir doch alle übereinftiimmen: näntlıdh darın, daß 
eine erneuerte Blüte unjerer Literatur nicht möglich ift ohne eine 


Ausfichten in die Zukunft. 283 


Emeuerung unferes gefammten volksthümlichen Dafeins. An Ta- 
lenten, wie wir geſehen haben, fehlt e8 der Literatur der Gegen- 
wart nicht und ebenfowenig an Keimen und Anfäten zu künftigen 
Entwidelungen. Es wird nun aljo allein darauf ankommen, ob 
biefe Keime den Boden und die Sonne finden, deren fie bepirfen. 
Diefer Boden aber ift der Boden eines gefunden, tüchtigen, felb- 
ftändigen Volkslebens, diefe Sonne die Sonne ver Freiheit. Nach 
biefem alfo laßt uns zuerft trachten und alles Uebrige wirb und von 
jelbft zufallen. 


3eittafel, 


1848. _ 


Aleris, W. (W. Häring.) Der Wärwolf. Vaterländiſcher Roman in drei 
Büchern. — Berlin. 

Auerbach, B. Schwarzwälder Dorfgefhichten. Neue Folge. — Mannheim. 

De, AR. Gepanzerte Lieder. I. An Preußens Volksvertreter. — Berlin. 

— Monatsrojen. Erfter und zweiter Strauß. Januar und Februar. 
— 1. Berliner Elegien und Amoretten. — 2. Amoretten. Aus 
Rußland. — Berlin. 

Boas, Ed. Dramatiſche Schriften. — Leipzig. 

Bube, Ad. Naturbilder. Gedichte. — Gotha. 

Deinharpftein, 8. 4. Gefammelte dramatiſche Werke. 5 Bde. — Leipzig. 
1. Liebe und Liebelei. Der Egoift. — 2. Brautftand und Eheftand. 
Das diamantne Kreuz. Modeftus. — 3. VBerwandlungen der Liebe. 
Zwei Tage aus dem Leben eines Fürften. — 4. Erzherzog Mari- 
milian’8 Brautzug. Stradella. Srrthum der Liebe. — 5. Fürft 
und Dichter. Die rothe Schleife. Florette. Der Wittwer. Der 
Saft. 

Sreiligrath, 8. Februarklänge. Gedicht. — Berlin. 

— Die Revolution. Gedicht. — Leipzig. - 
— Die Todten an die Lebenden. Juli 1848. Gedicht. — Düffelborf. 

SKröbel, 3. Die Republifaner. Ein biftorifches Drama in fünf Acten 
— Leipzig. 

Geibel, E. YJuniuslieder. — Stuttgart. 

Gerftäcer, Sr. Die Flußpiraten des Mifftifippi. 3 Bde. — Leipzig. 

Gottſchall, R. Barrikadenlieder. Zwölf Gedichte. — Königsberg. 

Gruppe, ©. $. Königin Bertha. Gedicht. — Berlin. 

Gutzkow, A. Wullenweber. Gefchichtliches Trauerfpiel. Mit des Verf. 
Portrait. — Leipzig. 

— Deutihland am Borabend feine® Falles oder feiner Größe. — 
Frankfurt a. M. 





Zeittafel. 285 


Hebbel, Ar. Neue Gedichte. Mit Portrait des Berfaflers. — Leipzig. 
Heller, RK. Florian Geyer. Roman in drei Bänden. — Leipzig. 
Herwegb, &. Zwei Preußenlieder. — Leipzig. 
Holtei, K. von. Stimmen des Waldes. — Breslau. u 
Iordan, W. Schlachtruf. Gedicht. — Berlin. 
. Klein, 3. £. Die Herzogin. Luſtſpiel in fünf Acten. — Berlin. 
Kompert, F. Aus dem Ghetto. Geihichten. — Leipzig.. 
Kopiſch, A. Allerlei Geifter. Märchenlieder, Sagen und Schwänke. — 
Berlin. 
Saube, H. Paris 1847. — Mannheim. 
Meißner, A. Im Jahre des Heild 1848. Ein Gedicht. — Leipzig. 
Müller, Otto. Die Miediatifirten. Roman inzwei Bänden —Sranfit.a.M. 
Miller von Königswinter, W. Germania. Ein fatyrifches Märchen. — 
Franffurt a. M. 
— — Oden der Gegenwart, — Ditffelborf. 
Rank, 3. Eine Mutter vom Lande. Erzählung. — Leipzig. 
Raupad, E. Mirabeau. Hiftorifches Drama in fünf Acten und einem 
Vorſpiel. — Berlin. 
Reinhold, C. Die Karfreitags-Chriften. Novelle. — Bremen. _ 
Riehl, W. H. Die Gefchichte vom Eijele und Beifele. Ein focialer 
Roman. — Frankfurt a. M. 
Ring, M. Revolution. Gedichte. — Breslau. 
Roller, H. Kampflieder. — Leipzig. 
— Metternid. Gedicht. — Leipzig. 
— Ein Waldmärchen aus unferer Zeit. Gedichte. — Leipzig. 
Ruge, A. Novellen aus Frankreich und der Schweiz. — Leipzig. 
Schults, Ad. Lieder aus Wisconfin. — Elberfeld. 
— Märzgeſänge. Fünfundzwanzig Zeitgedichte. — Elberfeld, 
Scemann, ©®. und A. Bulk. Die Wände. Eine politiihe Komödie in 
einen Acte. — Königsberg. 
Sternberg, A. von. Die Royaliften. — Bremen. 
— Tutu. Phantaftiiche Epijoden und poetijche Ereurſionen. — Leipzig. 
Waldau, M. (G. Spiller v. Hauenſchild.) Blätter im Winde. — Leipzig. 
— Sanzonen. — Leipzig. 


1849. 


Bauernfeld, E. von. Großjährig. Luſtſpiel in zwei Aufzügen und dem 
Nachſpiel: Ein neuer Menſch. Als Manufeript gedruckt und mit 


286 Zeittafel. ° 


einem offenen Briefe an die Theaterbirectionen verſehen. (Geſchrie⸗ 
ben im April 1848.) — Wien. 
Yauernfelv, E. von. Die Republik der Thiere. Phantaſtiſches Drama 
fammt Epilog. — Wien. 
Beh, K. An Franz Iofef. Gedicht. — Wien. 
Benevir, R. Eigenfinn. Luftfpiel. — Leipzig. 
Böitger, A. Ein Frühlingsmärden, Gedicht. — Leipzig. 
Sreiligrath, 4. Blum. Gedicht. Ein Blatt. — Düſſeldorf. 
— Neue politifhe und fociale Gedichte. Erftes Heft. — Düfſeldorf. 
— Wien. Gedicht. Ein Blatt. — Düffeldorf. . 
— Zwiſchen den Garben. Eine Nachlefe Älterer Gedichte. — Stuttgart. 
Serftäcer, Sr. Amerikaniſche Wald- und Strombilvder. 2 Theile. — 
Leipzig. 
— Pfarre und Schule. Eine Dorfgeſchichte in drei Bänden. — Leipzig. 
Sotifhall, BR. Die Marjeillaife. Dramatifches Gedicht in einem Act. 
(Den Bühnen gegenüber als Manufcript gedrudt.) — Hamburg. 
— Gedichte. — Hamburg. 
— Diener Immortellen. Sechs Gedichte. — Hamburg. 
Gregorovius, $. Goethes Wilhelm Meifter in feinen ſocialiſtiſchen Ele⸗ 
menten entwidelt. — Königsberg. 
— Bolen- und Magyarenlieder. — Königsberg. 
Gruppe, ©. $. Theudelinde, Königin der Lombarden. Gedicht. — Berlin 
Gutzkow, K. Neue Novellen. L U. u. d. T.: Imagina Unruh. — 
Leipzig. 
Hartmann, M. Reimchronik des Pfaffen Maurizius. — Frankfurt a. M. 
Herwegh, &. Blum's Tod. Gedicht. — Herifau. 
— Huldigung. Gedicht. Vom Berfaffer felbft verb. Ausg. — Berlin. 
— Letzte Worte. Gedicht. — Leipzig. 
Hoffmann von Sallersleben. Spitzkugeln. Zeit-Diftihen. — Darmftabt. 
Kinkel, Gottfried und Johanna. Erzählungen. — Stuttgart. 
König, H. Spiel und Liebe. Eine Novelle. — Leipzig. 

Fewald, Sanny. Prinz Louis Ferdinand. Roman. 3 Bde. — Breslau. 
Müller von Königswinter, W. Zu Joh. Wolfg. Goethe's Hundertjähriger 
Geburtstagsfeier am 28. Aug. 1849. Gedichte. — Düſſeldorf. 

Niendorf, Emma. Einfache Geſchichten. — Pforzheim. 
Platen-Hallermünde, A. von. Bolenlieder. — Frankfurt a. M. 
Prug, R. Neue Gedichte. — Mannheim. 

Hedwig, ©. von. Amaranth. — Mainz. 





Zeittafel. 287 


Ring, M. Berlin und Breslau. 1847—1849. Roman. 2 Bände. 
— Breslau. | 
Scherenberg, €. $. Ligny. Ein vaterländiiches Gedicht, — Berlin. 
— Waterloo. Ein vaterlänbiiches Gedicht. — Berlin. 
Schücking, F. Ein Sohn des Bolfes. Roman. 2 Theile. — Leipzig. 
Schults, Ad. Leierkaſtenlieder. — Meurs. 
Stahr, Ad. Die Republikaner in Neapel. Hiſtoriſcher Roman. 3 Theile. 
— Berlin. » 
Sternberg, A. von. Wilhelm. 2 Theile. — Berlin. 
— Die beiden Schiiten. — Bremen. 
Strachwitz, Graf Moxitz. Neue Gedichte. — Breslau. 
Sherefe, (0. Lũtzow, geſchiedene v. Dacheracht, geb. v. Struve.) No⸗ 
velfen. 2 Theile. — Leipzig. 
Berlin, 3.Ch. Schr.von. Soldatenbüchlein. Der öfterveicptihritalieniihen 
Armee gewidmet. Zwei Hefte. — Stuttgart. 


1850. 

Auerbach, B. Epilog zur Leffingfeier. Nach der Aufführung von „Emilia, 
Galotti” im k. Hoftheater zu Dresden, gefprochen von Emil Dev⸗ 
rient am 16. März 1850. — Dresden. 

— Andreas Hofer. Gejchichtliches Trauerfpiel in fünf Aufzügen. — 
Leipzig. 

Bovenftedt, Sr. Zaujend und Ein Tag im Orient. Fortfegung und 
Schluß. (2. Bd.) — Berlin. 

Böttger, A. Dämon und Engel. Gedicht. — Leipzig. 

— Til Eulenfpiegel. Modernes Heldengedidht. — Leipzig. 

Burow, Iulie. Frauenloos. Roman in zwei Bänden. — Königsberg. 

Ernſt, ©. A. Norddeutſche Bauerngeichichten. 6 Bochen. — Leipzig. 
1. Der Grenzzaun. 2. Die Liebesiente. 3. Der letzte Bauer von 
Weidenfee. 4. Gotthelf Brandt (eine Lebensgeſchichte). 5. Bauer 
Voß. 6. Der Ruheftörer. 

Fontane, Ch. Männer und Helden. Acht Preußenlieder. — Berlin. 

— Bon der jhönen Rojamunde. Gedicht. — Deffau. 

Freytag, G. Graf Waldemar. Schaufpiel in fünf Acten. — Leipzig. 

Giſeke, Rob. Moderne Titanen. Kleine Leute in großer Zeit. Roman 
in drei Bänden. — Leipzig. 

Gotthelf, Ieremias. (Albert Bitius.) Die Käferei in der Bebfreube. 
Eine Geſchichte aus der Schweiz. — Berlin. 


288 Zeittafel. 


Gottſchall, R. Ferdinand von SO. Tragödie in fünf Aufgügen. — 
Hamburg. 
— Lambertine von Mericourt. Tragödie. — Hamburg. 
Griepenkerl, W. R. Marimilian Robespierre. — Trauerfpiel in funf 
Aufzügen. — Bremen. 
Grün, Anaſtaſtus (Anton Alex. Graf Auersperg.) Pfaff vom Kahlen⸗ 
berg. Ein ländliches Gedicht. — Leipzig. 
Gutzkow, K. Die Ritter vom Geifte. Roman in neun Büchern. — Leipzig. 
— Liesli. Ein Volfstrauerfpiel in drei Aufzügen. Mit drei Hiebern 
bon €. ©. Reißiger. — Leipzig: 
— Vor- und Nahmärzliches. — Leipzig. 
- Hackländer, 8. W. Handel und Wandel. 2 Bände. — Berlin. 
Halm, Fr. (v. Münch-Bellinghaufen.) Gedichte. — Stuttgart. 
Heyfe, P. Francesca von Rimini. Tragödie in flinf Acten. — Berlin. 
Holtei, K. von. Schlefifhe Gedichte. Zweite vermehrte und verbeflerte 
Auflage. — Breslau. 
Klein, 3. £. Ravalier und Arbeiter. Soziale Tragödie in fünf Acten. 
— Berlin. 
— Ein Schügling. Luſtſpiel in drei Acten. — Berlin. 
Cewald, Sanny. Auf rother Erde. Eine Novelle. — Leipzig. 
— Erinnerungen aus dem Jahre 1848. 2 Bände. — Braunjchmweig. 
— Liebesbriefe. Aus dem Leben eines Gefangenen. Roman. — Braun⸗ 
ſchweig. 
Föwe, 8. Eine Dichterwoche. — Stuttgart. 
— Lieder aus Frankfurt. — Stuttgart. 
Meißner, A. Der Sohn des Atta Troll. Ein Winternadtstraum. — 
Leipzig. 
Mofenthal, S. H. Deborah. Volksſchauſpiel in vier Acteu. — Peſth. 
Mügge, Ch. König Jacob's legte Tage. Novelle. — Eisleben. 
Mühlbach, Fouife. Der Zögling der Gefellihafl: Roman. 2. Bde. — 
Berlin. 
— Johann Gotzkowsky, Der Kaufmann von Berlin. Roman. 3 Thl. 
— Berlin. 
Mundt, Ch. Die Matadore. Ein Roman der Gegenwart. 2 Thle — 
Leipzig. 1. Mecklenburg und Paris. 2. Der Frühling in Berlin. 
Muſenalmanach, Deutfcher, für das Jahr 1850. Herausgegeben von 
Ehriftian Schad. — Würzburg. j 
Pfarrius, G. Waldliever. Mit Sluftrationen von G. Oſterwald. — Köln. 





Zeittafel. 289 


Yutlis, G. zu. Luftipiele. 3 Bde. — Berlin. 1. Ein Hausmittel, Bade 
turen. Familien» Zwift und Frieden. Das Herz vergeſſen. — 
2. Die blaue Schleife. Der Brodenftrauß. Seine Frau. Nur keine 
Liebe. Die Waffen des Achill. 

— Was fi) der Wald erzählt. Ein Märchenſtrauß. — Berlin. 

Bedwis, ©. von. Ein Märchen. — Mainz. 

,Reinhold, C. Denkwürdigkeiten eines Hausknechts. 

Bing, M. Die Genfer. Trauerſpiel in fünf Acten. — Breslan. 

Rollet, H. Dramatiiche Dicgtungen. I—3, Bd. — Leipzig. 1. Die Ra- 
Iunfen. Dramat. Gedicht in fünf Acten. 2. Thomas Miünzer. Volks⸗ 
Drama in vier Aufzügen. 3. Flamingo. "Ein Stiid Weitkomödie. 

Auge, A. Revolutionsnevellen. 2 Theile. — Leipzig. 1. Theil. Auch unter 
dem Titel: Der Demokrat. Novelle aus unferer Revolution. 

Stherrnberg, €. $. Gedichte. Zweite Auflage. — Berlin. 

— Leuthen. — Berlin. 

Schulte, Ad. Memento mori! Sieben Lieder. — Eiberfelb. 

Sternberg, A. von. Braune Märchen. — Bremen. 

Storm, Th. Sommergeihichten und Lieder. — Berlin. 

Strachwitz, Graf M. Gedichte. Geſammtausgabe. — Breslau. 

Sturm, 3. Gedichte. — Leipzig. 

Temme, 3. 9. H. Neue deutiche Zeitbilder. 1. Abth. Auch unter dem 
Titel: Anna Hammer. Ein Roman der Gegenwart in brei®änben. 
— Eisleben. 

Waldau, M. (G. Spiller v. Hauenfchild.) Für Gottfried Kinfel, an 
den Prinzen Friedrih Wilhelm von Preußen. Gedicht. — Ratibor, 

— Aus der Junferwelt. 2 Theile. — Hamburg. 
— O dieſe Zeit! Canzone. —- Hamburg. 

Widmann, A. Der Tannhäufer. Ein Roman. — Berlin. 

Hedlitz, 3. Ch. Schr. von. Altnordiſche Bilder. I. Ingvelde Schönwang. 
DO. Svend Felding. — Stuttgart. 


1851. 


Bodenftedt, Sr. Die Lieder des Mirza⸗Schaffy, mit einem Prolog. 
Berlin. 

Pingelfiedt, rz. Nacht und Morgen. Neue Zeitgedichte. — Stuttgart. 

Drofte-Hülshoff, Annette von. Das geiftlihe Jahr. Nebft einem An⸗ 
bange religiöfer Gedichte. — Stuttgart. 


Gall, Aouife von, Gegen den Strom. Roman. 2 Bände — Bremen. 
. Brup, die deutjche Literatur der Gegenwart, II. 19 


290 Seittafel. 


Giſeke, Rob. Pfarr⸗Röschen. Ein Idyll aus unſerer Zeit. 2 Bbochen. 
— Bremen. 
Grimm, Herm. Armin. Ein Drama in fünf Aufzügen. — geipyig. 
©regorovius, $. Der Tod des Tiberius. Tragödie. — Hamburg. 
Hackländer, 4. W. Namenloje Gefhichten. 3 Bände. — Stuttgart. 
— Bilder aus dem Leben. — Stuttgart. 
— Bilder aus dem Soldatenleben im Kriege. 2 Bände. — Stuttgart. 
— Der geheime Agent. Luſtſpiel in fünf Aufzligen. — Stuttgart. 
Hammer, 3. Schau um did und Schau in Dich. Dichtungen. — Feipzig. 
Harimann, M. Schatten. Poetiſche Erzählungen. — Darmftabt. 
— Adam und Eva. Eine Idylle in fieben Geſängen. — Leipzig. 
Hebbel, Sr. Der Rubin. Ein Märchenluftfpiel in drei Acten. — 
Leipzig. 
— Ein Trauerfpiel in Sicilien. Tragikomödie in einem Act. Nebft 
einem Sendfchreiben an H. T. Rötſcher. — Leipzig. 
Heine, H. Der Doctor Fauft. Ein Tanzpoem. Nebft kurioſen Berichten 
über Teufel, Heren und Dichtkunft. — Hamburg. 
— Romanzero. (Gedichte 3. Band.) — Hamburg. 
Hoffmann von FKallersieben. Heimathllänge. Lieber. — Mainz. 
— tiebeslieder. — Mainz. 
Keller, G. Neuere Gedichte. — Braunjchweig. 
Kompert, £. Böhmiſche Juden. Gejchichten. — Wien. 
Koſſak, E. Berlin und die Berliner Humoresten, Skizzen und Cha- 
rakteriſtiken. — Berlin. 
Kühne, 5. Sufl. Deutſche Männer und Frauen. Eine Galerie von 
Charakteren. — Leipzig. 
Fewald, Sanny. Dünen» und Berggeihichten. 2 Bände — Braun⸗ 
ſchweig. 
Aaeißner, A. Das Weib des Urias. Tragödie in fünf Acten. — Frank⸗ 
furt a. M. 
Menzel, W. Furore. Geihichte eines Mönche und einer Nonne aus 
dem Dreißigjährigen Kriege. Roman. 2 Bände. — Leipzig. 
Meyer, M. Franz von Sidingen, Hiftorifches Drama in fünfAufzligen. — 
Berlin. 
Mühlbad, Louife. Katharina Parre. Hiftorifcher Roman. 3 Bände. — 
Berlin. 
— Memoiren eines Weltfindes. Roman. 2 Bände. — Leipzig. 
Müller von Königswinter, W. Loreley. Rheiniſche Sagen. — Köln. 


Zeittafel, 291 


Müller, Otto. Der Tannenſchütz. Weihnachtsnovelle für1851.— Bremen. 
Niendorf, Emma. Einfache Gefchichten. — Stuttgart. 
Pröhle, H. Aus dem Harze. Skizzen und Sagen. — Leipzig. 
— Walddroſſel. Ein Lebensbild. — Deffau. _ 
Prutz. N. Das Engelhen. Roman. 3 Thle. — Leipzig. 
— Die Schwägerin. Roman. — Deſſau. 
— Felir. Roman. 2 Theile. — Leipzig. 
Bank, 3. Aus dem Böhmerwalbe. Bilder und Erzählungen aus dem 
Boltsleben. Erfie Gefammtansgabe. 3 Bände. — Leipzig. 
— Moorgarden. Eine Erzählung. — Stuttgart. 
Bing, M. Die Kinder Gottes. Roman in drei Bänden. — Breslau. 
Rodenberg, 3. von. Fliegender Sommer. Eine Herbftgabe. — Bremen. 
Roquette, ©. Waldmeifters Brautfahrt.e Ein Rhein, Wein- und 
Wandermärchen. — Stuttgart. 
— Drion. Ein Phantafteftlid.. — Bremen. 
Schlicing, 4. Der Bauernfürft. Roman. 2 Bände. — Leipzig. 
Schults, Ad. Zu Haufe. Ein lyriſcher Cyklus. — Iſerlohn. 
Sternberg, A. von. Der deutſche Gilblas. Ein komiſcher Roman. 
3 Bände. — Bremen. 
Waldau, M. (©. Spiller v. Hauenſchild.) Cordula. Graubündner 
Sage. — Hamburg. 
— Nach der Natur. Lebende Bilder aus der Zeit. 3. Theile. — Ham⸗ 
burg. 1. In Tyrol. 2. In Oberſchleſien. 3. In Baden. 


1852. 
Aleris, W. (W. Häring.) Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht, oder vor 
funfzig Jahren. Vaterländiſcher Roman. 3 Bände. — Berlin. 
Auerbach, B. Neues Leben. Eine Erzählung. 3 Bände. — Mannheim. 
Bauernfeld, E. von. Wiener Einfälle und Ausfälle Iluftrirt von 
Zampis. — Wien. 

Beck, K. Aus der Heimath. Gefänge. — Dresben. 

Dovdenftedt, Sr. Gedichte. — Bremen. 

Bölte, Amely. Bifitenbuc eines deutſchen Arztes in London. 2 Theile. — 
Berlin. 

Döttger, A. Düftere Sterne. Neue Dichtungen. — Leipzig. 

Burow, Iulie. Ans dem Leben eines Glücfichen. Roman. — Königsberg. 

Daumer, &. $. Hafis. Neue Sammlung. — Nürnberg. 


Beibel, E., und P. Heyfe. Spaniſches Liederbuch. — Berlin. 
19* 





292 Zeittafel. 


Goltz, Bogumil. Ein Iugendleben. Biographifches Idyll aus Weft- 
preußen. 3 Bände. — Leipzig. 

Gotthelf, Ieremias (Albert Bitins.) Zeitgeift und Berner Geift. 
2 Theile. — Berlin. 

Gottſchall, BR. Die Göttin. Ein Hohesfied vom Weide. — Hamburg. 

Griepenkerl, W. R. Die Gironbiften. Zrauerfpiel in fünf Aufzligen. — 
Bremen. 

Gruppe, ©. 8 Kailer Karl. Eine epiſche Trilogie. — Berlin. 

Gutzkow, K. Bergangene Tage. — Frankfurt a. M. 

Harklänver, 4. W. Eugen Stillfried. Roman in drei Bänden. — 
Stuttgart. 

— Hluftrirte Soldatengeſchichten. Ein Jahrbuch für das Militär und 
* feine Freunde. — Stuttgart. 

Hedrich, Kr3. Lady Eſther Stanhope, die Königin von Tadmor. Tra— 
gödie in drei Acten. — Leipzig. 

Henfe, P. Die Brüder. Eine hinefiiche Gefchichte in Verfen. — Berlin. 

— Urica. — Berlin. 

Höfer, Edmund. Aus dem Boll. Geſchichten. — Stuttgart. 

Hoffmann von Fallersleben. Die Kinderwelt in Liedern. — Mainz. 

Holtei, A. von. Die Bagabunden. Roman. 4 Bände. — Breslau. 

Horn, M. Die PBilgerfahrt der Rofe. Dichtung. — Leipzig. 

Kaufmann, A. Gedichte. Mit Iluftrationen von B. VBautier. — Dilfjel- 
dorf. 

Kofak, E. Aus dem Papierforbe eines Iournaliften. Gelammelte Auf 
fäte. — Berlin. 

Sengerke, €. von. Lebensbilderbuch. Gedichte. — Königsberg. 

‚Merchel, W. von. Die Difteldinger. — Berlin. 

Mühlbach, Fouife. Friedrich der Große und fein Hof. Hiftorifher Ro- 
ntan. — Berlin. 

Niendorf, M A. Die Hegler Mühle. Cyklus märkifcher Lieder. — 
Berlin. 

Pfarrius, G. Trümmer und Ephen. Novellen. — Köln. 

Pröhle, H. Der Pfarrer von Grünrode. Ein Lebendbild. 2 Theile. — 
Leipzig. 

Bank, 3. Florian. Eine Erzählung. — Leipzig. 

Redwitz, ©. von. Gedichte. — Plainz. 

Bing, M. Stadtgeſchichten. 4. Bände. — Berlin. 1. Chriftlinn- Agnes 
2. Die Chambregarniften. 3. An der Börfe. 4. Feine Welt. 





Zeittafel. 293 


Bing, Al. Der große Kurfürft und der Schöppenmeifter. Hifter. Roman 
aus Preußens Vergangenheit. 3 Bände. — Breslau. 

Rovdenberg, 3. von. Dornröschen, — Bremen. 

Roquette, ©. Der Tag von St. Jacob. Ein Gedicht. — Stuttgart. 

Schefer, F. Die Sibylle von Mantua. Ersäblung aus dämmriger Zeit. — 
Hamburg. 

— Hafis in Hellas. — Hamburg. 

Schücking, F. Die Königin der Nacht. Roman. — Leipzig. 

Sternberg, A. von. Ein Carneval in Berlin. — Leipzig. 

Stifter, A. Der Hageftolz. — Peſth und Leipzig. 

— Der Hochmwald. — Peſth und Leipzig. 

Storm, Ch. Immenſee. — Berlin. 

Sturm, 3. Fromme Lieder. — Leipzig. \ 

Calvj, (Thereſe Albertine Louiſe Robinfon, geb. von Jakob.) Die Aus- 
wanderer. Eine Erzählung. 2 Theile. — Leipzig. 

— Heloife. Eine Erzählung. — Leipzig. 

Temme, 3. 9. H. Elifabeth. Neumann. Roman in drei Bänden. — 
Bremen. 

Trautmann, Srz. Eppelein von Gailingen, und was ſich feiner Zeit 
mit dieſem ritterlichen Eulenſpiegel und ſeinen Spießgeſellen im 
Fränkiſchen zugetragen — Frankfurt a. M. 

Uechtritz, Sr. von. Albrecht Holm. Eine Geſchichte aus der Reformations⸗ 
zeit. Roman in neun Bänden. — Berlin. 

Widmann, A. Am warmen Ofen. Eine Weihnachtsgabe. — Berlin. 

— Der Bruder aus Ungarn. Roman. 2 Bände. — Berlin. 

Wildermuth, Ottilie. Bilder und Geſchichten aus dem ſchwäbiſchen 

Leben. — Stuttgart. 


1853. 


Args. Belletriftiihes Jahrbuch für 1854. Herausgegeben von Theodor 
Sontare und Franz Kugler. — Deſſau. 

Auerbach, 3. Schwarzwälder, Dorfgeihichten. 4. Band. — Mannheim. 

Beh, K. Mater Dolorofa. Erzählung. — Berlin. 

Benevir, R. Die Hochzeitsreife. Luftipiel. — Leipzig. 

Bovdenftedt, Sr. Ada die Lesghierin. Ein Gedicht. — Berlin. 

Bölte, Amely. Eine deutſche Palette in London. Erzählung. — Berlin. 

Böttger, A. Habana. Lyrifch-epifche Dichtung. — Leipzig. 

DBurow, Julie. Novellen. 2. Bände. — Leipzig. 


294 Zeittafel. - 


Paumer, ©. $. Frauenbilder und Huldigungen. Gedichte. 3 Bochen. 


— Leipzig. 

Eihenvorff, 3. Sch. von. Julian. Gedicht. — Leipzig. 

Eritis siemt Deus. Ein anonymer Roman. 3 Bände. — Hamburg. 

Gall, Fouiſe von. Der neue Kreuzritter. Roman. — Berlin. 

Gerſtächer, Sr. Aus dem Waldleben Amerikas. 1. Abtheilung: Die 
Regulatoren in Arkanfas. 3 Bände. 2. Abtheilung: Die Fluß- 
piraten des Miffiffippi. 3 Bände. — Leipzig. 

— Aus zwei Welten. Gefammelte Erzählungen. 2. Bände. — Leipzig. 
— Reifen. 2 Bände (Südamerika — Ealifornien.) — Stuttgart. 

Giſeke, B. Karriere! Ein Miniaturbild aus der Gegenwart. 2 Bände. — 

Leipzig. | 
— Kleine Welt und große Welt. Ein Lebensbild. 3 Theile. — Leipzig. 

Gottſchall, R. Carlo Zens. Eine Dichtung. — Breslau. 

Groth, Klaus. Quickborn. Volksleben in plattdeutſchen Gedichten, 
ditmarſcher Mundart. Mit einem Vor⸗- oder Fürwort vom Ober⸗ 
conſiſtorialrath Paſtor Harms. — Hamburg. 

Hackländer, 4. W. Magnetiſche Kuren. Luſtſpiel in vier Aufzügen. 


— Stuttgart. 
Hartmann, M. Tagebuch aus Languedoc und Provence 2 Bände. 
— Darmftadt. 


Heine, H. Die verbannten Götter. Aus dem Franzöfifchen. Nebft Mit- 
theilungen über den kranken Dichter. — Berlin. 
Höfer, Edmund. Gedichte. — Leipzig. -- 
Horn, M. Die Lilie vom See. Dichtung. — Leipzig. 
Kapper, 3. Ball. Eine Erzählung. — Deflau. 
Fewald, Fanny. Wandlungen. Roman. 4 Bände. — Braunfchweig. 
cudwig, ©. Der Erbförfter. Trauerjpiel in fünf Aufzügen. — Leipzig. 
Meißner, A. Reginald Armſtrong, oder Die Welt des Geldes. Trauer- 
jpiel in fünf Aufzligen. — Leipzig. 
Mörike, C. Das Stuttgarter Hubelmännlein. Märchen. — Stuttgart. 
Mofenthal, S. 9. Cäcilie von Albano. — Pefth. 
Mügge, Th. Afraja. Roman. — Frankfurt a. M. 
— Der Majoratsherr. — Berlin. 
— Weihnachtsabend. Roman. — Berlin. N 
Mühlbach, Konife. Berlin und Sansfouci oder Friedrich der Große 
und feine Zreunde. Hiftorifher Roman. 4. Bände. — Berlin. 
— Belt und Bühne. Roman. 2 Theile. — Berlin. 














Beittafel. 295 


Müdler von Königswinter, W. Die Mailönigin. Eine Dorfgefchichte 
in Berjen. — Stuttgart. 
Niendorf, Emma. Erzählungen: — Stuttgart. 
Niendorf, M. A. Anemone. — Berlin. 
— tiebenftein. Eine thüringiihe Sage. — Berlin. 
Yalleske, E. König Monmouth. Ein Drama. — Berlin. ' 
Pidler, A. Gedichte. — Innsbrud. 
Plönnies, Souift von. Marilen von Nymwegen. — Berlin. 
Putlitz, &. zu. Badekuren. Luftfpiel in einem Aufzuger — Berlin. 
— Das Herz vergeffen. Luftjpiel in einem Act. — Berlin. 
Rank, 3. Geſchichten armer Leute, — Stuttgart. 
— Schön-Minnele. Erzählung. — Leipzig. 
Redwitz, O. von. Sieglinde. Eine Tragödie. — Mainz. 
Reinhold, C. Gedichte. — Stuttgart. 
Rovenberg, I. von. Der Majeftäten Feljenbier und Rheinwein luſtige 
Kriegshiſtorie. — Hannover. 
— König Haralds Todtenfeier. Ein Lied am Meere. — Marburg. 
— lieder. — Hannover. 
Roller, H. Heldenbilder und Sagen. — St. allen. 
— Jueunde. — Leipzig. 
Boquette, O. Liederbuch. — Stuttgart. 
— Das Reich der Träume. Ein dramatifches Gedicht in fünf Auf- 
zügen. — Berlin. 
Schults, Ad. Martin Luther. Ein Iyrifchsepiicher Cyklus. — Leipzig. 
Sternberg, A. von. Die Nachtlampe. Gefammelte Heine Erzählungen, 
Märchen und Gejpenftergeichichten. — Berlin. 
— Die Ritter von Marienburg.- Roman. 3 Bände. — Leipzig. 
— Macargan oder die Philofophie des achtzehnten Jahrhunderts. 
Ein Roman. — Leipzig. 
— GSelene. — Berlin. 
Sigismund, B. Lieber eines fahrenden Schülers. Herausgegeben von 
Ad. Stahr. — Hamburg. 
Steub, J. Novellen und Schilderungen. — Stuttgart. 
Stifter, A. Abdias. — Peſth. 
— Bunte Steine Ein Feftgefchent. 2 Bände. — Peſth. 
Storm, Ch. Gedichte. — Kiel. 
Wildermuth, Ottilie. Aus der Kinderwelt. Erräbfungen. — Stuttgart. 
— Dlympia Morata. Ein hriftliches Lebensbild. — Stuttgart. 














296 Zeittafel. 


0 1854, - f 
Aleris, W. (W. Häring.) Iſegrimm. VBaterländifcher Roman. 3 Bände. 
— Berlin. 
Denedir, R. Geſammelte Dramatifche Werte. 8. Band. — Leipzig. In⸗ 
halt: Die Künftlerin. Angela. Das Gefängniß. Der Sänger. 
Die Phrenologen. Das Lügen. 
Dölte, Amely, Männer und Frauen. Novellen. 2 Bände. — Deflau. 
Böttger, A. Gedichte. Neue Sammlung. — Leipzig. 
Burow, Iulie. Bilder aus dem Leben. — Leipzig. 
— Ein Arzt in einer Heinen Stadt. — Roman. 2 Bde. — Prag. 
Fiſcher, I. G. Gedichte. — Stuttgart. 
Freytag, G. Die Iournaliften. Luſtſpiel in vier Acten. — Leipzig. 
Gerſtücker, Sr. Fritz Waldaus Abentener zu Wafler und zu Lande. — 
Münden. 
— Nah Amerika! Ein Volksbuch. — Leipzig. 
— Tahiti. Roman aus der Südſee. 4 Bände — Leipzig. 
Giſeke, R. Johannes Rathenow. Ein Bürgermeifter von Berlin. 
Hiftorifches Trauerfpiel in fünf Acten. — Leipzig. 
Gotthelf, Ieremias. (Albert Bitzius.) Erlebnifje eines Schuldenbauers. 
— Berlin. 
Grimm, H. Demetrius. — Leipzig. 
— Traum und Erwachen. Ein Gediht — Berlin. 
Große, 3. Ueber die Bedeutung der modernen Romantik, mit Rüdficht 
auf bie bildende Kunft. Eine Studie. — Berlin. 
Groth, Klaus. Hundert Blätter. Paralipomena zum Quickborn. 
— Hamburg. 
Gutzkow, K. Ottfrieb. Schauſpiel i in fünf Aufzligen. — dremdes Glück. 
Borfpielfcherz i in einem Aufzuge. — Leipzig. 
Hackländer, 4. W. Europäifches Sclavenleben. 3 Bände. — Stuttgart. 
Hammer, 3. Zu allen guten Stunden. Dichtungen. — Leipzig. 
Hebbel, Sr. Agnes Bernauer. Ein deutſches Trauerfpiel in fürf Anf- 
zügen. — Wien. 
Heyfe, P. Hermen. Dichtungen. — Berlin. - 
Höfer, Edmund. Aus alter und neuer Zeit. Gefchirhten. — Stuttgart. 
Hoffmann von Sallersieben. Lieder aus Weimar: — Hannover. 
Holtei, AK. von. Ein Mord in Riga. — Prag. 
— Ein Schneider. Roman in drei Bänden. — Breslau. 
Hornfeck, Sr. Schenkenbuch. Gedichte. — Frankfurt a. M. 





Zeittafel. | 297 


Iordan, W. Demiurgos. Ein Miyfterium. 3 Bände. — Leipzig. 

Keller, &. Der grüne Heinrid. Roman in vier Bänden. — Braun⸗ 
ſchweig. 

Kühne, 5. &. Die Freimaurer. Eine Familiengeſchichte aus dem 
vorigen Jahrhundert. Drei Bücher. — Frankfurt a. M. 

Kurz, Herm. Der Sonnenwirth. Schwäbiſche Volksgeſchichte aus dem 
vorigen Jahrhundert. — Franffurt a. M. 

Saube, H. Prinz Friedrich. Schaufpiel in fünf Acten. — Leipzig. 

Singg, 9. Gedichte. Herausgegeben von E. Seibel. — Stuttgart. - 

göwe, $. Gedichte. — Stuttgart. 

Cudwig, ©. Die Makkabäer. Trauerfpiel in flinf Acten. — Leipzig. 

Merkel, W. non. Sigelind. Ein Normal-Luftfpiel. Aus dem Sanscrit 
eines Wiener Originals in das Pracrit allgemeiner teuticher Na- 
tion frei und getreu verbollmeticht. — Berlin. 

Mügge, Ch. Die Erbin. Roman. 2. Theile. — Berlin. 

Müller, Otto. Charlotte Adermann. Ein Hamburger Theaterroman 
aus dem vorigen Jahrhundert. — Frankfurt a. M. 

Müller von Königswinter, W. Prinz Minnewin. Ein Mittefommer- 
abendmärden. — Köln. 

Niendorf, M. A. Lieder ber Liebe. — Berlin. 

Pröhle, H. Harzlagen. Gefammelt auf dem Oberharz und in ber übrigen 
Gegend von Harzburg und Goslar bis zur Graſſchaft Hohenſtein 
und bis Nordhauſen. — Leipzig. 

Prutz, R. Neue Schriften. Zur deutſchen Literatur- und Culturge⸗ 
ſchichte. 2 Bände. — Halle. 

Quandt, 3. G. von. Erzählungen des Herrn Kauz. — Dresden. 

Kank, J. Das Hofer⸗Kätchen. Erzählung. — Leipzig. 

— Die Freunde. Roman. — Prag. 
— Sage und Leben. Geſchichten aus dem Volke. — Brag. 

Belftab, F. Garten und Wald. Novellen und vermilchte Schriften. 
4 Theile. — Leipzig. 

Reuter, Sris. Läuſchen und Riemels. Plattventiche Gedichte heiteren 
Inhalts in medlenburgifchenorpommeriher Mundart. — Stettin. 

Boquette, ©. Herr Heinrich. Eine deutihe Sage. — Stuttgart. 

Schefer, $. Hausreden. Gedichte. — Deflau: 

— Koran ber Liebe nebft Heiner Sunna. — Hamburg. 

Scheffel, 3. 9. Der Trompeter von Sädingen. Ein Sang vom Ober: 

rhein. — Stuttgart. 


⸗ 


298 | Zeittafel. 


Schliching, $. Ein Redekampf in Florenz. Dramatiſches Gedicht in 
vier Aufzügen. — Berlin. 
— Ein Staatsgeheimniß. Roman. 3 Theile. — Leipzig. 
— und Souife von Sal. Familienbilder. 2 Bände. — Prag. 
Sternberg, A. von. Das ftille Haus. Eine Erzählung für Winter- 
abende. — Berlin. 
Storm, Ch. Im Sonnenfchein. Drei Sommergeſchichten. — Berlin. 
Sturm, 3. Zwei Rofen oder Das Hohe Lieb der Liebe. — Leipzig. 
Temme, 3. D. H. Die ſchwarze Mare. Bilder aus Litthauen. 3 Bdihen. 
— Leipzig. 
— Schloß Wollenftein. 2 Bändchen. — Leipzig. 
Waldau, M. (6. Spiller v. Hauenſchild.) Rahab. Ein Frauenbild 
aus ber Bibel. Dichtung. — Hamburg. 
Widmann, A. Für ftille Abende. Erzählungen. — Berlin. 
Wildermuth, Ottilie. Neue Bilder und Gefchichten aus Schwaben. — 
Stuttgart. 
1855. 
Becher, A. Zung Friedel der Spielmann. Ein Iyrifchsepifches Gedicht 
aus dem deutfchen Volksleben Des 16. Jahrhunderts. — Stuttgart. 
Zenedir, R. Ein Luftipiel. — Leipzig. 
— Mathilde. — Leipzig. 
Bölte, Amely. Das Forftbaus. — Prag. _ 
Döttger, A. Cameen. Poetiſche Erzählungen. — Leipzig. 
— Der Fall von Babylon. Ein Gedicht. — Leipzig. 
Burow, Julie. Ein Lebenstraum. Roman. 3 Bde. — Prag. 
Pahn, 4. Harald und Theano. Gedicht. — Berlin. 
Paumer, &. 4. Polydora. Ein weltpoetifches Liederbuch. 2 Bände. — 
Frankfurt a. M. 
Eihenvorff, 3. Schr. von. Robert und Guiscard. — Leipzig. 
SFreytag, &. Soll und Haben. Roman in ſechs Büchern. — Leipzig. 
Seibel, E. Meifter Andrea. Luftfpiel in zwei Aufzügen. — Stuttgart. 
Genaſt, W. Bernhard von Weimar. Gefchichtliches Trauerfpiel in fünf 
Acten. — Weimar. 
Gerſtäcker, Sr. Aus der See. Drei Erzählungen. — Prag. 
— Aus Nord- und Südamerika. Erzählungen. — Prag. 
Gottheif, Ieremias. (Albert Bigius.) Die Frau Pfarrerin. Ein Lebens» 
bild. — Berlin. 
Griepenkerl, W. R. Ideal und Welt. Schaufpiel in fünf Heten — Weimar. 


n 2 





Zeittafel. 299 


Groth, Klaus. Bertelln. Plattdeutiche Erzählungen. — Kiel. 
Gutzkow, A. Die Diakoniffin. Ein Lebensbild. — Frankfurt a. M. 
— Ein Mädchen aus dem Volke. Bilder aus der Wirklichkeit. — Prag. 
— Lenz und Söhne, ober bie Komödie ber Beflerungen. Luftfpiel in 
fünf Aufzügen. — Leipzig. 
Heyfe, 9. Meleager. Eine Tragödie. — Berlin. 
— KRovellen. — Berlin. 
Hocher, U. Engelbart und Engeltrut. Ein Gedicht. — Trier. 
Holtei, A. von. Ein vornehmer Herr, oder: Zwei Freunde. Erzählung. — 
Prag. 
— Gedichte. — Hannover. 
— Schwarzwaldau. Hiftorifher Roman. 2 Bde. — Prag. 
Jordan, W. Das Interim. Prologfcene. — Frankfurt a. M. 
— Die Liebesleugner. Lyriſches Luſtſpiel — Frankfurt a. M. 
Kapper, 3. Borleben eines Künftlers. Nach deſſen Erinnerungen. 
2 Bände. — Prag. 
Kompert, J. Am Pflug. Eine Geſchichte. 2 Bände. — Berlin. 
König, H. König Jeröme's Carneval. Geſchichtlicher Roman. 3 Thle. 
— Leipzig. 
Klüirnberger, Ferd. Catilina. Drama in fünf Aufzügen. — Hamburg. 
Sewald, Fanny. Adele. Roman. — Braunſchweig. 
Aarggraff, H. Frit Bentel. Eine Minchhaufeniade. — Frankfurt a. M. 
Meißner, A. Der Freiherr von Hoftivin. 2 Bände. — Prag. 
— Der Pfarrer von Grafenried. Eine deutfche Lebensgeichichte. 2 Thle. 
— Hamburg. 
Mofen, 3. Herzog Bernhard. Hiftoriihe Tragödie. — Leipzig. 
Mühlbach, Couiſe. Friedrich der Große und feine Geſchwiſter. Hiftorijcher 
Roman. (Friedrich d. Große und fein Hof. 3. Folge.) 2 Abthigen. 
6 Bände. — Berlin. 
— Hiftorifches Bilderbuch. 2 Bände. — Berlin. 
— Kaifer Joſef IT. und fein Hof. 1. Abtheilung. Auch unter dem 
Titel: Kaiſer Zofef und Maria Therefia. 4 Bände. — Berlin. 
Munde, Th. Ein deutſcher Herzog. — Leipzig: 
— Ein franzöfifches Landſchloß. Novelle. — Prag. 
Palleske, E. Achilles. Drama. — Göttingen. 
Pichler, A. Hymnen. — Innsbrud. 
Presber, 9. Ideal und Kritil. Ein bumoriftifches Genrebilb aus ber 
Gegenwart. — Frankfurt a. M. 


300 ‚Zeittafel. 


Pröhle, H. Harzbilder. Sitten und Gebräude aus dem Harzgebirge. — 
Leipzig. 
— Friedrich Ludwig Jahn's Leben. Nebſt Mittheilungen aus feinem 
literariſchen Nachlaſſe. — Berlin. 
— Unterbarzifche Sagen. Mit Anmerkungen und Abhandlungen. — 
Aſchersleben. 
Prutz, K. Der Muſikantenthurm. Roman in fünf wüchern. 3 Thle. — 
Leipzig. 
Bank, 3. Die Sreunde. Roman. 2 Bde. — Leipzig. 
Rittershaus, E. Gedichte. — Elberfeld. 
Rovdenberg, 3. von. Waldmüllers Margret. Melodrama in zwei 
Acten. — Hannover. 
Roquette, O. Das Hünengrab. Hiſtoriſche Erzählung. — Defian. 
— Hans Haidekukuk. — Berlin. 
Scheffel, 3.9. Ektkehard. Eine Gejchichte aus dem zehnten Jahrhun⸗ 
dert. — Frankfurt a. M. 
Schücking, K. Der Held der Zukunft. Roman. 2 Bde — Prag. 
Schults, Av. Ludwig Capet. Ein hiftorifches Gedicht. — Elberfeld. 
Stifter, A. Die Narrenburg. — Pefth. 
Storm, Ch. Ein grünes Blatt. Zwei Sommergeſchichten. — Berlin. 
— Gedichte. — Berlin. 
Cemme, 3. D. H. Die Verbrecher. 5 Bohn. — Leipzig. 
Werther, €. J. Sufanne und Daniel. Biblifches Drama — Berlin. 
— Liebe und Staatsfunft. Hiftorifches Trauerjpiel. — Berlin. 
Widmann, A. Nauſikaa. Schaufpiel in vier Acten, mit Mufif und 
Tanz. — Berlin. 
Wildermuth, Ottilie. Aus dem Frauenleben. — . Stuttgart. 
Wilkomm, €. Die Familie Ammer. Deutſcher Sittenroman. — 
Sranffurt a. M. 
1856. 


Aleris, W. (W. Häring). Dorothee. Ein Roman aus der Branden- 
burgiſchen Geſchichte. — Berlin. 

Amara George. Blüthen der Nacht. Lieder und Dichtungen. Eingeführt 
dur Aler. Kaufmann. — Leipzig. 

Apel, Ch. Nähkäthchen. Schaufpiel. — Leipzig. 

Auerbach, B. Barfüßele. — Stuttgart. 

Baderi, Frz. Die Cherusfer in Rom. Eine Tragödie in zmei Ab- 
tbeilungen — Nördlingen. 





Zeittafel. 301 


Becher, A. Novellen. — Peſth. 
Bodenfiedt, Sr. Demetrius. Hiftorifche Tragödie in fünf Aufzligen. — 
Berlin. 
Burow, Zulie. Erinnerungen einer Großmutter. 2 Bde. — Prag. 
Corvinus, 3. Die Chronik der Sperlingsgafje. — Berlin. 
Dahn, 4. Gedichte. — Leipzig. 
Dingelfiedt, Kr. Novellenbuch. — Leipzig. 
Bunker, W. Lieder ohne Weijen. — Stettin. 
Gerfiäcer, Sr. Californiſche Skizzen. — Leipzig. 
— Die beiden Sträflinge. Auftralifcher Roman. 3 Bde. — Leipzig. 
Gottſchall, R. Sebaftopol. Dichtungen. — Breslau. 
Grimm, H. Novellen. — Berlin. 
Sruppe,©.$. Firdufi. Ein epifches Gedicht in fieben Bildern. — Stuttgart. 
Gutzkow, K. Die Heine Narrenwelt. 3 Bde. — Frankfurt a. M. 
Hackländer, 4. W. Erlebtes. Kleinere Erzählungen. 2 Bde. — 
Stuttgart. 
Halm, Sr. (v. Münd-Bellingbaufen.) Der Fechter von Ravenna. 
Hiftorifches Trauerfpiel in fünf Acten. — Wien. 
Hammer, 3. Einkehr und Umkehr. Roman. 2 Thle: — Leipzig. 
Hebbel, $. Gyges und fein Ring. Tragödie in fünf Acten. — Wien. 
Heigel, K. Bar Cochba, der legte Judenkönig. Dichtung. — Hannover. 
Höfer, Edmund. Bewegtes Leben. Gejchichten. — Stuttgart. 
— Schwanwied. Skizzenbuch aus Norddeutichland. — Stuttgart, 
Holtei, K. von. Drei Geihichten von Dienfchen und Thieren. Drei Er- 
zäbhlungen. 1. Der Katenbichter. 2. Der Kanarius. , 3. Das 
Hundefräulein. 2 Bde. — Leipzig. 
Horn, M. Die Dorfgroßmutter. Idylle. — Leipzig. 
Keller, &. Die Leute von Seldwyla. Erzählungen. — Braunichweig. 
König, H. Seltfame Gefchichten. — Frankfurt a. M. 
Kofak, E. Aus dem Wanderbuche eines literarifchen Handwerks⸗ 
burſchen. — Berlin. 
— Hiftorietten. — Berlin. 
Kühne, 4. G. Die Berihmwörung von Dublin. Drama in fünf Acten. — 
Leipzig. 
Kürnberger, 4. Der Amerikamüde. Amerikaniſches Culturbild. — 
Frankfurt a. M. 
Caube, H. Graf Eſſer. Trauerſpiel in fünf Acten. — Leipzig. 
Jewald, Fanny. Die Kammerjungfer. Roman. 2 Thle. — Braunſchweig. 


302 Zeittafel. 


föher, $r3. General Sport. Gedicht. — Göttingen. 

Supwig, ©. Zwiſchen Himmel und Erde. Erzählung. — Frankfurt aM. 
MAeyr, M. Gedichte. — Berlin. 

Mörike, C. Mozart auf der Neife nad Prag. Novelle. — Stuttgart. 

— Bier Erzählungen. — Stuttgart. 

Müller, Otto.’ Der Stadtſchultheiß von Frauffurt. Ein Tamilienroman 
aus dem vorigen Jahrhundert. — Stuttgart. 

Mügge, Ch. Erich Randal. Hiftor. Roman aus der Zeit der Eroberung 
Finnlande Durch bie Ruflen im Jahre 1808. — Frankfurt a. M. 

— Neues Leben. Novelle in Drei Bänden. — Prag. 

— Romane. 4 Bände. Inhalt: 1. Karl der Große und Eromwell. 
2. Der Doppelgänger. 3. Der Fall von Unterwalden. Schloß 
Breitenftein. 4. Gefangen und befreit. — Berlin. 

Mühlbad, Kouife. Königin Hortenfe. Ein napoleonifches Lebensbilb. 
2 Bde. — Berlin. 

Müller von Königswinter, W. Gedichte. Zweite ſehr vermehrte und 
verbefferte Auflage. — Hannover. / 

AAundt, Ch. Parifer Kaiferflizzen. 2 Theile. — Berlin. 

Pröhle, H. Gottfried Auguft Bürger. Sein Leben und feine Dich- 
tungen. — Leipzig. 

Prus, K. Helene. Ein Frauenleben. Roman... 3 Bde — Prag. 

YPutlis, ©. zu. Ungebundenes. Immemorabilien. — Berlin. 

Rank, 3. Schillerhäufer. — Leipzig. 

— Sein Ideal. Erzählung in zwei Büchern. — Ziwidau. 

— Bon Haus zu Haus. Kleine Dorfchronik. — Leipzig. 

Redwitz, ©. von. Thomas Morus. Hiftorifche Tragödie. — Mainz. 

Bing, M. Aus dem Tagebuche eines Berliner Arztes. — Berlin. 

— John Milton und feine Zeit. Siftorifcher Roman. — Frankfurt a. M. 

Rovenberg, 3. von Parifer Bilderbuch. — Braunfchweig.' 

Auge, A. Die neue Welt. Ein Traueripiel in fünf Aufzligen. Mit einent 
Borjpiel: Goethes Ankunft in Walhalle. — Leipzig. 

Schefer, $. Der Hirtentnabe Nilolas, oder Der deutſche Kinderfreugzug 
im Sabre 1212. Nach den Chroniken erzählt. — Leipzig. 

Schücking, £. Der Sohn eines berühmten Mannes. Hiſeeriſche Er⸗ 
zählung. — Prag. 

— Die Sphinx. Roman. — Leipzig. 

Storm, Ch. Hinzelmeier. Eine nachdenkliche Geſchichte. — Berlin. 
Sturm, 3. Neue Gedichte. — Leipzig. 








Zeittafel. | 303 


Sichel, K. Gedichte. — Leipzig. 
Temme, 3.9. 9. Anna Iogszis. 4 Bohn. — Leipzig. 
Treitſchke, H. von. Baterländifche Gedichte. — Göttingen. 
Wilhelmi, A. Luſtſpiele. 2. Bd. — Leipzig. Inhalt: Eine ſchöne 
Schwefter. Abwarten! Ein gutes Herz. 


1857. 


Apel, Ch. Bom Herzen zum Munde, vom Munde zum Herzen. Yieber 
und Gedichte. — Leipzig. 
Dovenfient, Sr. Aus der Heimatb und Fremde. Neue Gedichte. — 
Berlin. 
Dölte, Amely. Liebe und Ehe. Erzählungen. 3 Theile. — Hamburg. 
Burow, Iulie. Der Armuth Leid und Glück. Roman. 3 Thle. — 
Leipzig. 
— Der Glücksſtern. Novelle. — Bromberg. 
Bradvogel, A. E. Friedemann Bad. Ein Roman. 3 Bde. — Berlin. 
— Rareiß. Ein Trauerfpiel. — Leipzig. 
Pingelfient, Srz. Der Aerntekranz. Borjpiel fiir die Weimarifche 
Subelfeier. — Weimar. 
Endrulat, B. Gedichte. — Hamburg. 
Eichenvorff, 3. Schr. von. Lucius. — Leipzig. 
Ernfi, K. Der Pfarrer von Buchendorf. Ein Roman. — Leipzig. 
Sörfter, Marie. Gedichte. — Leipzig. 
Seibel, E. Neue Gedichte. — Stuttgart. 
Gerfiäcker, Sr. Aus dem Matrofenleben. — Leipzig. 
— Das alte Haus. Erzählung. — Leipzig. 
— Herrn Mahlhubers Reifeabentener. Erzählung. — Leipzig. 
Gregorovius, $. Euphorion. Eine Dichtung aus Pompeji in vier Ges 
ſängen. — Leipzig. 
Große, J. Gedichte. — Göttingen. 
Giſeke, BR. Die beiden Caglioſtro. Drama in fünf Aeten. — Leipzig. 
Gutzkow, A. Lorbeer und Myrte. Hiftoriiches Charakterbild in brei 
Aufzügen. — Leipzig. 
Hackländer, 4. W. Der Augenblid des Glücks. 2 Bde. — Stuttgart. 
— Zur Rube ſetzen. Luftfpiel in vier Aufzügen. — Stuttgart. 
Hammer, I. Fefter Grund. Dichtungen. — Leipzig. 
— Zu allen guten Stunden. Dichtungen. — Leipzig. 
Hartmann, M. Erzählungen eines Unftäten. 2 Bde. — Berlin. 


304 Zeittafel 


Holtei, K. von. Bilder aus dem häuslichen Leben. 2 Bde. — Berlin. 
— Noblesse oblige. Roman. 3 Bde. — Prag. 

Sutterus, 3. M. Gedichte. — Trier. 

Kinkel, G. Nimrod. Ein Traueripiel. — Hannover. 

König, H. Täuſchungen. Hiftoriiche Novelle. — Frankfurt a. M. 

Kürnberger, 4. Ausgewählte Novellen. — Prag. 

Kurz, H. Erzählungen. — Stuttgart. 

Supwig, ©. Thüringer Naturen. Charakter - und Sittenbilder in Er- 
zäblungen. 1. Bd. X. u. d. T.: Die Heiterethei und ihr Wiberjpiel. 
Zwei Erzählungen. 1 Theil. — Frankfurt a. M. 

Märker, $. A. Alexandrea. Tragiſche Trilogie. — Berlin. 

Marggraff, H. Gedichte. — Leipzig. 

Meißner, A. Der Prätendent von York: Frauerjpiel im fünf Aufzügen. 
— Leipzig. 

— Die Sanfara. Roman. 4 Bde. — Leipzig, 

Mügge, Ch. Der Boigt don Silt. 2 Theile. — Berlin. 

Mühlbach, FKouife. Napoleon in Deutſchland. 1. und 2. Abtheilung. — 
Berlin. (Inhalt: 1. Abtheilung Raftatt und Iena. 4 Bände. 2. Ab» 
theilung Napoleon und Königin Louife. 4 Bände.) 

Müller von Königswinter, W. Der Rattenfänger von St. Goar. — Köln. 

Mundt, Ch. Graf Mirabeau. 4 Bde. — Berlin. 

Palleske, E. Oliver Erommwell. Ein Drama. — Berlin. 

Prus, B. Gedichte. Vierte verbefferte und vermehrte Auflage. — Leipzig. 

— Ludwig Holberg. Sein Leben und feine. Schriften. Nebft einer 
Auswahl jeiner Komödien. — Stuttgart. 

Bank, 3. Achtſpännig. Bollsroman. 2 Theile. — Leipzig. 

Reuter, Fritz. Kein Hüfung. — Greifswald. 

Bing, M. Hinter den Couliſſen. Humoriſtiſche Skizzen aus der Thea⸗ 
terwelt. — Berlin. 

Rodenberg, 3. Ein Herbft in Wales. Land und Leute, Märchen und 
Lieder. — Hannover. 

Schüchina, $. Sünther von Schwarzburg. Hiftoriiher Roman in 2 Bdn. 
— Prag. 

Schults, A. Gedichte. Dritte vermehrte Auflage. — Iſerlohn. 

Sigismund, P. Asclepias. Bilder aus dem Leben eines Landarztes. 
— Gotha. 

Sternberg, A. von. Die Dresdener Oalerie. Geſchichten und Bilder. — 
Leipzig. 


% 


Seittafel. 305 


Stifter, A. Der Nachſommer. Eine Erzählung. 3 Bde. — Peſth. 
Strovimann, A. Gedichte. — Leipzig. 
— Ein Hoheslied der Liebe. — Hamburg. 

Sturm, 3. Neue fromme Lieder und Gedichte. — Leipzig. 

Tempeltey, E. Klytämneſtra. Tragödie. — Berlin. 

Traeger, A. Gedichte. — Leipzig. 

Treitſchke, H. von. Studien. — Leipzig. 

Wehl, 4. Herzensgeichichten. Novellen. — Göttingen. 

Wilkomm, E. Banco. Ein Roman aus dem Hamburger geben. 
2 Theile. — Gotha. 

Wolffohn, W. Dramatiihe Werke 1. und 2. Band. — Dresben. 
Inhalt: 1. Zar und Bürger. Schauspiel in fünf Acten. 2. Nur eine 
Seele. Schaufpiel in fünf Aeten. 

1858, . 

Arnim, Gifela von. Dramatifche Werke. 2 Bde. — Bonn. 

Bank, ©. Gedichte. — Leipzig, 

Peilhack, M. Gedichte. — Canſtatt. 

Dodenſtedt, Fr. Shakſpeares Zeitgenoffen und ihre Werke. In Charal- 
teriftifen und Ueberfegungen. (In 5 Bänden.) 1. Band. — Berlin. 
Inhalt: John Webſter's dramatiihe-Diehtungen nebft Stücken von 
Marfton, Dekker und Rowley. 

Burow, Iulie. Gedichte. — Prag. 

— Johannes Keppler. Hiftoriihe Erzählung. 3 Bde. — Prag. 

Corvinus, 3. Ein Frühling. — Braunichweig. 

Dingelfiedt, Srz. Gedichte. Zweite Auflage. — Stuttgart. 

— Studien und Eopien nad) Shaffpeare. — Wien. 

Ernfi, K. Bilder aus der Beamtenwelt. — Leipzig. 

Galſter, Alb. Gedichte. — Bielefeld. 

Seibel, E. Brunbild. Eine Tragddie aus der Nibelungenfage — 
Stuttgart. 

Gerſtächer, Kr. Blau Waffer. Skizzen aus dem See⸗ und Injelleben — 
Leipzig. 

— Gold! Ein Ealifornifches Lebensbild aus dem Jahre 1849. 8 Bde. — 
Leipzig. 

Gottſchall, RB. Poetil. Die Dichtkunſt und ihre Technil. Vom Stand- 

punkte der Neuzeit. — Breslau. 
— Neue Gedichte. — Breslau. 


Gutzkow, K. Der Zauberer von Rom. Roman in neun Bänden. — Leipzig. 
Brup, die deutiche Literatur der Gegenwart. II. 20 / 


306 Zeittafel. 


Hackländer, 4. W. Der neue Don Duirote. 5 Bde. — Stuttgart. 

Herſch, H. Sophonisbe. Trauerſpiel in fünf Acten. — Frankfurt a. M. 

Heyſe, P. Neue Novellen. — Stuttgart. 

Höfer, Edm. Norien. Erinnerungen einer alten rau. 2 Bde. — 
Stuttgart. 

Holtei, K. von. Geiftiges und Gemüthlicdes aus Jean Paul's Werfen. 
In Reime gebradht. — Breslau. 

König, H. Marianne oder um Liebe leiden. 2 Theile. — Frankfurt a. M. 


. Koſſak, E. Babebilder. — Berlin. 


Sewald, Fanny. Die Reijegefährten. NRoman. 2 Bde. — Berlin. 

Märcer, 8. A. Gedichte 2 Bde. — Berlin. 

Mofenthal, S. GH. Das gefangene Bild. Dramatiiche Fantafie in Dre 
Aufzügen. — Stuttgart. 

Müller von Königswinter, W. Johann von Werth. ine beutiche 
Reitergeſchichte. — Köln. ‚ 

Mundt, Ch. Caglioftro in Petersburg. Hiſtoriſche Novelle. — Prag. 

Nicol, &. Erzählungen aus Niederſachſen. 2 Bde. — Hannover. 

Presber, 9. Wolkenkukuksheim. Humoriftifches Genrebild. — Frank⸗ 
furt a. M. 

Prutz, R. Aus der Heimath.” Neue Gedichte. — Leipzig. 

Relftab, £. Drei Jahre von Dreißigen. Ein Roman. 5 Bde. — Leipzig. 

Wovenberg, 3. Kleine Wanderchrouik. 2 Bde. — Hannover 

Roquette, ©. Heinrich Fall. Roman in drei Bänden. — Breslau. 

Ring, M. Der Geheimerath in Lebensbild. — Prag. 

— Neue Stadtgejhichten. 3 Bände. — Prag. 

Schefer, J. Homer’s Apotheofe. (In 2 Bänden.) — 1. Bd. — Lahr. 

Schücking, S. Paul Brondhorft, oder die ‚neuen Herren. Roman. 
3 Theile. — Leipzig. 

Schults, A. Der Harfner am Heerd. Ein lyriſcher Cyklus — Weimar. 

Steub, £. Deutiche Träume. Roman. 3 Theile — Braunſchweig. 

Werver, K. Columbus, Trauerjpiel. — Berlin. 

Widmann, A. Dramatiihe Werke. 2 Theile. — Leipzig. Inhalt: 
1. Nauſikaa. Kaifer und Kanzler. — 2. Don Juan de Maranna. 
Sarah Haffurter. 

Wildermuth, Ottilie. Augufte. Ein Lebensbild. — Stuttgart. 


Leipzig, Drud von Gieſecke & Devrient. 








306 Zeittafel. . 


Harkländer, 4. W. Der neue Don Quirote. 5 Bde. — Stuttgart. 
Herfh, H. Sophonisbe. Trauerſpiel in fünf Acten. — Frankfurt a. M. 
Heyſe, P. Neue Novellen. — Stuttgart. 

Höfer, Edm. Norien. Erinnerungen einer alten Yrau. 2 Bde — 
Stuttgart. 

Holtei, K. von. Geiftiges und Gemüthliches aus Jean Paul's Werfen. 
In Reime gebracht. — Breslau. 

König, H. Marianne oder um Liebe leiden. 2 Theile. — Frankfurt a. M. 

. Koffak, €. Babebilder. — Berlin. 

Sewald, Sanny. Die Neifegefährten. Roman. 2 Bde. — Berlin. 

Märker, $. A. Gedichte. 2 Bde. — Berlin. 

Mofenthal, S. H. Das gefangene Bild. Dramatijche Fantafie in Dre 
Aufzügen. — Stuttgart. 

Müller von Königswinter, W. Johann von Werth. ine deutiche 
Reitergeſchichte. — Köln. , 

Mundt, Ch. Caglioftro in Petersburg. Hiftoriiche Novelle. — Brag. 

Nico, &. Erzählungen aus Niederſachſen. 2 Bde. — Hannover. 

Presber, H. Wolkenkukuksheim. Humoriſtiſches Genrebild. — Frant- 
furt a. M. 

Prutz, R. Aus der Heimath. Neue Gedichte. — Leipzig. 

Rellſtab, S. Drei Jahre von Dreifigen. Ein Roman. 5 Bde. — Leipzig. 

Rodenberg, 3. Kleine Wanderchrouik. 2 Bde. — Hannover 

Roquette, ©. Heinrich Fall. Roman in drei Bänden. — Breslau. 

Ring, M. Der Geheimerath Ein Lebensbild. — Prag. 

— Neue Stadtgeſchichten. 3 Bände. — Prag. 

Schefer, £. Homer's Apotheofe. (In 2 Bänden.) — 1. Bd. — Lohr. 

Schücking, S. Paul Brondhorft, oder die neuen Herren. Roman. 
8 Theile. — Leipzig. 

Schults, A. Der Harfner am Heerd. Ein lyriſcher Cyklus. — Weimar. 

Steub, F. Deutihe Träume. Roman. 3 Theile — Braunſchweig. 

Werder, K. Columbus, Traueripiel. — Berlin. 

Widmann, A. Dramatiiche Werke. 2 Theile. — Leipzig. Inhalt: 
1. Nauſikaa. Katfer und Kanzler. — 2. Don Juan de Maranna. 
Sarah Haffurter. 

Wildermuth, Ortitie. Augufte Ein Lebensbild. — Stuttgart. 


Leipzig, Drud von Gieſecke & Devrient. 





a _