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I
DIE
DEUTSCHEN FRAUEN
IN DEM MITTELALTER.
VON
KARL ^EINHOLD.
DRITTE AUFLAGE.
ER8TER BAND.
WIEN.
DRUCK OND VERLA.G VON CARL GEROLD'8 SOHN.
1897.
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VOEWORT.
Von meinem Buche fiber die deutschen Frauen im
Mittelalter ist eine dritte Auflage nOtig geworden, die
ich hiermit den alten Freunden des Werkes und denen,
die es zu neuen Freunden gewinnen mOchte, ubergebe.
Auch diesmal trat die Aufforderung der Verlagshandlung
iiberraschend an mich heran. Ich habe keinen Umguss
vornehmen ktanen, sondern nur eine bessernde tTber-
arbeitung. Die Grenzen, inner deren sich der Inhalt dieses
Buches bewegt, sind so weit, dass eine vollige Erneuerung
eine Reihe von Jahren erfordern wiirde, auf die ich nicht
mehr rechnen darf.
Mein Buch hat mit der sogenannten Frauenfrage
nichts zu thun, die heute so lebhaft, am lebhaftesten von
4 den Frauen selbst, verhandelt wird. Ich gebe eine ruhige
£ Darlegung des deutschen Frauenlebens in vergangenen
J| Zeiten, wie ich meine, zu Ehren der deutschen Frauen und
in dankbarer Empfindung fur das, was Mutter, Gattin
I und Freundinnen mir waren und sind.
^ Es werden bald funfzig Jahre, dass ich die Vor-
arbeiten zu diesem Werke in Halle begann, im October
^ 1847 v ; sechsundvierzig, dass es im Sommer 1851 zu Wien
, erschien. Im deutschen Leben sah es damals anders aus
^>
als heute. Gewaltige Ereignisse haben die 'deutschen
Staaten umgestaltet und auch das deutsche Haus nicht
unberiihrt gelassen. Im Bauern- und kleinen Biirgerstand
ist vieles umgeworfen , das noch von den Urvatern her
bestund im Lebensbetrieb, in Sitte und Gedanken.
Mein Buch wird beitragen, in diese friihere Zeit den
Einblick offen zu halten. Die Formen mogen zerfallen,
wenn nur der alte gute Geist unseres Volkes fortlebt, der
unsterbliche Geist der Deutschen, den ich mir nicht anders
denken kann, als den Geist edler Menschlichkeit.
Berlin, Weihnachten 1896.
Karl Weinhold.
Inhalt des ersten Bandes.
Seite
Erster Abschnitt. Die Namen 1
Die allgomeinen Benennungen des Weibos. Die Eigen-
namen.
Zweiter Abschnitt. Die Gottinnen 25
Dritter Abschnitt. Die Priesterinnen, weisen Frauen
und Hexen 50
Vierter Abschnitt. Das Made hen 78
Die Erziehung des Weibes. Die rechtlicho Stellimg
der unverheirateten Frau.
Fiinftor Abschnitt. Liebe und Frauendienst 195
Das Schonheitsideal. Die Liebe vor der hofischen Zeit.
Der rittorliclio Frauendienst.
Sechster Abschnitt. Die Vermahlung 2(55-898
Die Rechtsbestimmungen iiber die Ehe. Die Gebrauche
bei Verlobung und Hochzeit.
.^..<e>-.
Erster Abschnitt
Die Namen.
Die geschichtliche Betrachtung der Sprache ergibt far
die Volkergeschichte nach alien Seiten die reichsten und oft
die aberraschendsten Aufschlasse, denn wo die Chroniken
und Urkunden noch schweigen, da redet das einzelne Wort.
Weit aber die geschichtlichen festen Zustande hinaus leitet
es uns in die ersten Zeiten der VOlker, als sie in Gegenden
und in Gemeinschaften lebten, die ihnen nachher fern wurden;
als sie nicht nur in politischer, sondern auch in geistiger
Kindheit stunden und sich Worte, Begriffe und Zustande
erst schaffen mussten. Jene ersten Zeiten sind far den
Forscher so anziehend, wie far Eltern und Kinderfreunde die
Jahre, in denen sich das Kind in die Menschheit hineinlebt.
Die tagt&glich neu zustrOmenden Eindracke werden in dem
jungen Geiste verarbeitet und mit eigenthOmlich schOpferischer
Kraft durch Laute bezeichnet, welche zum Worte] geschlossen
Sinnliches und Greistiges in sich vereinen. Diese Vorgange
beobachten, dem Gange und den Granden dieser Entwicklung
nachsparen, gehOrt zu den anziehendsten Aufgaben der
Wissenschaft. Da fahlt man in einem jeden einzelnen Laut
Leben und geistige Bedeutung, und hOrt in den verbundenen
Lauten die Gedanken sich erzeugen und ordnen. Jedes Wort
leitet auf einen Keim, aus dem eine mehr oder minder stark
sinnliche Wahrnehmung spricht.. Jedes alte Wort spiegelte
ursprttnglich einen sinnlichen Eindruck ab und die abstracte
Bedeutung, die es sp&ter etwa erhielt, ist eine abgeleitete.
Mag das Etymologisiren oft auch trocken und vielfach ab-
schreckend sein, es ist doch eine ungemein bedeutende und
lohnende Arbeit.
Weinhold, Deutsche Franen. I.
Was Jemand nennt, das kennt er auch irgendwie; der
Wortvorrath eines Volkes bezeichnet also den Umfang seines
geistigen und leiblichen Besitzes. 1st ein Wort in sehr alter
Zeit entlehnt, so war auch der Gegenstand, den es ausdrttckt,
dem Volke nicht ureigen. Diese einfachen Wahrheiten machen
dem Geschichtsforscher die Sprachkunde unentbehrlich, denn
durch sie gewinnt er Licht far die Urzustande der VOlker.
So ist denn auch uns, die wir daran gehn, die Verhaitnisse
zu entwickeln, in denen die Frauen bei den Germanen der
alten Zeit stunden, eine Durchmusterung des Sprachschatzes
wichtig. Die allgemeinen Benennungen des Weibes, so wie
die Eigennamen germanischer Frauen sind in gleichem Maasse
dabei zu beachten.
Im Gotischen zun&chst treten uns zwei nahe verwandte
Worte entgegen, quino als allgemeine Bezeichnung des Weibes,
quens als Benennung der verheirateten Frau. Sie weisen beide
in ihrer Grundbedeutung auf die mtltterliche Bestimmung
hin und lassen sich durch Gebarerin tlbersetzen 1 ). Dabei be-
wahrt sich Wilh. Wackernagels scharfsinnige Bemerkung
tlber die Bedeutung der durch Laut verschiedenen, aber aus
einer Wurzel gebildeten Worte. Quino, althochdeutsch qu'ena,
das den Vocal des Prasensstammes zeigt, gibt die Bestimmung
kund: es ist das zum gebaren bestimmte Wesen; quens im
Vocal des Plurals der Vergangenheit, weist auf den Erfolg:
es ist das durch gebaren vOllig zur Gattin gewordene Weib.
Das Wort ist tlbrigens alien germanischen Sprachen bekannt,
und findet sich im Altsachsischen (qu'ena : quan) , Angel-
sachsischen (cvine : even) und Altnordischen (Jcona : quan) mit
gleicher Zweitheilung durch Laut und Bedeutung wie im
Gotischen 2 ).
1 ) Als Stammverb ist guinan, quan, quenum aufzustellen, urver-
wandt dem lat. gignere, griech. T^vvav. Zu quino stimmen gr. t UV1 ^?
slav. skena zona, skr. jani.
2 ) Mittelhochdeutsch ist nur hone (aus queue) erhalten, mit
der Bedeutung der Ehefrau. tiber das Fortleben des Wortes Grimm,
Deutsch. WOrterb. V, 1689 f.
3
Ausser diesen Worten finden wir zwei andere: wtp,
Weib (s&chs. wif, altn. vif) und frouwa, Frau (altn. freyja).
Das Wort Weib zu erkl&ren ist schwierig, und die mittel-
alterliche Ableitung von einem sagenhaften KOnig Wippeo
von Frankreich 1 ) frommt eben so wenig wie neuere Deutungen.
Auffallend ist, dass das Wort sachlichen Geschlechtes ist;
wir mOgen daraus auf einen allgemeineren ungeschlechtigen
Begriff schliessen, der erst spater sich zu der persOnlichen
Bezeichnung des Weibes einschrankte. Aus den verwandten
Worten*) ergibt sich als Grundbegriff der der Bewegung. Weib
bezeichnet also wohl ein bewegliches, gewandtes Wesen.
Frau heisst zunachst die Herrin, ursprunglich aber die
frohe, milde, gnadige 8 ). Das Verhaitniss des Germanen zu
seinem Herrn, die Stellung des freien Mannes zu dem Ftthrer,
der durch Tttchtigkeit ausgezeichnet, den treuen Gefahrten
mit milder Hand und freundlichem Sinne fesselte, war ein
schOnes und heiteres; darum hiess der Herr auch der er-
freuende und gutige. Lange hat das Wort Frau den alten
Sinn „Herrin ft bewahrt; es war noch im 13. Jahrhundert
ausschliessliche Bezeichnung der vornehmen Weiber, ohne
TJnterschied ob sie verheiratet waren oder nicht. Iwein, der
Ritter mit dem LOwen, entgegnet auf den Antrag, der ihm
gemacht wird, ein edles Madchen zu heiraten, bescheiden
und in verstellter Niedrigkeit, er sei an Stand der Jungfrau
nicht gleich, eine Frau mQsse einen Herren haben (Iw. 6626) 4 ).
x ) Frauenlob, MS. Hag. 3, 115. Dieser Wippeo erinnert an den
Admiral in Flore und Blanscheflur,
*) ahd. weibjan bewegen, weibon in Bewegung sein, schwanken,
fliessen. Ags. wdfjan schwanken; altnord. veifa schwingen; lat.
vibrare. Kluge, Etymologisches W6rterbuch der deutschen Sprache,
deutet Weib als das innerlich erregte, begeisterte Wesen.
^ da% frdUwen an in ist bekant, des fint si frouwen genant,
Strieker, Frauenehre 1801. diu frouwe frduwet unde unfrouwet
maneger mooter hint, MSH. 3, 71. die mit tugenden fr&uwent dne we,
die hei$e ieh vrouwen, MSH. 3, 106. Vgl. Freid. 106, 4. dazu W. Grimm
uber Freidank, S. 70, und Grimm, DWb. IVil. 1, 221 f.
4 ) Vgl. auch Frauend. 508. 28, man muozs eine frouwe nennen
von ir hohen art; 546, 15. von gepurt ein frouwe ist si und von
1*
Auch im Norden hiessen nur die vornehmeren freyjur, wfthrend
vif zu den Benennungen dex geringeren Frauen gehOrte, wie
sich in den Rigsmal zeigt, wo eine der TOchter des Gemein-
freien (Karl) Vif heisst. Neben dem allgemeinen Gteschlechts-
begriffe bezeichnete demnach wip (vif) ein Rangverh<niss,
ausserdem aber bedeutete es wie Jcone das Eheweib. Es
steht also der Jungfrau (maget) gegenttber 1 ), wahrend sich
frou und maget wohl vertragen {frou maget, Eneit 8978.
Erec 804. 1530. MSH. 2, 172. Vgl. Nib. 303, 4. Parz. 550,
15. 25). In fromoe lag im 13. Jahrhundert wenigstens noch
nichts, was auf das Vermahltsein hinwies. Wo es gleich-
bedeutend mit wip (Eheweib) erscheint, da ist dies eben nur
Schein *), und es ist entweder der vornehme Stand der Frau,
Oder das hOfisch untergeordnete Verhaltniss des Mannes zu
dem Weibe stark hervorgehoben. Zuweilen wird, um an-
zudeuten, dass eine SchOne vornehm und verheiratet sei,
frou und wip verbunden 3 ). Welches Wort, FraU oder Weib
vorzttglicher sei, darttber ward in der hofischen Minne-Poesie
vielfach gestritten. Walther von der Vogelweide entschied
sich fQr Weib 4 ), Reinmar von Zweter, der Meisner, Regenboge,
Raumeslant sprachen ebenfalls dafar, und huben hervor, dass
tugenden wip; 565, 1. von guete wirt ein arm wip wol frouwe und
darzuo wiplich Up. Amis 461. M8 wart der phaffe gelobet von frouwen
und von wiben. Hierzu stimmt durchaus, was in der Snorre Edda,
Gylfaginning c. 24 bei Freyja gesagt wird: von ihrem Namen stamme
der Ehrenname, dass vornehme Weiber (rikiskonur) frur genannt
werden.
J ) diu e hie? magt, diu was nu wip, Parz. 45, 24. fi was ein
maget, niht ein wip, Parz. 60, 15. 84, 6. swd ze wibe wirt ein maget,
Ulr. Trist 288. do wart diu maget vil gemeit ein also schoene wip,
MSH. 2, 172.
2 ) Vgl. Lachmann zu Iwein 4006. Haupt zu Engelh. 652.
») edeU frouwe liebet; wip, Passion. 42, 1. Parz. 302, 7. Trist.
9294. H. Trist. 1076.
4 ) Wip tnuoz iemer sin der wibe hohste name, und tiuret baz
dan frouwe als ichz erkenne 48, 38 (L.). In den Yersen so swuere ich
wol daz hie diu wip bezzer sint danne ander frouwen (57, 5) sind
sich wip und frouwen nicht entgegengesetzt, sondern sind synonym ;
der G-egensatz liegt in hie und ander.
5
sich das weibliche, namlich die keusche Zucht und Scheu
vor unziemlichen Dingen in diesem Namen ausspreche.
Heinrich von Meissen trat dagegen iibermftthig far das Wort
Prau in die Schranken und erhielt dadurch, wie es scheint,
seinen Zunamen Frauenlob 1 ). In neuerer Zeit hat man sich
auf seine Seite geschlagen. Weib wird jetzt fur die Ehefrau
in den hoheren Standen nur selten gebraucht und Frau hat
hiernach seine Bedeutung ausgedehnt. In den niederen Standen
bezeichnet es nach wie vor die Verheiratete, und dient
ausserdem allgemein, den geschlechtlichen Gegensatz zum
Manne auszudrticken.
Fttr das ihm abgehende Wort frou besitzt das Alt-
sachsische *) ein anderes, namlich femea, zugleich gemeinsam
mit dem Angelsachsischen ifaemne), dem Friesischen ifamne)
und dem Altnordischen (feirna). Das Wort erinnert auffallend
an das lat. femina; indessen ist Entlehnung Oder selbst
Verwandtschaft abzuweisen. Auf das Altnordische gesttltzt,
wo feima die schamige Jungfrau, feiminn schttchtern, schamhaft
bedeuten, fassen wir auch dies Wort als ursprilngliches Beiwort
und tlbersetzen es „die schamhafte, ziichtige". Im Friesischen
hat auch famne wie das angelsachsische faemne tlberwiegend
die Bedeutung Jungfrau und steht dem wif gegenttber 8 ).
Ein anderes Wort fur Frau hat das Alts&chsische ausser
mit dem Angelsachs. und Altnord. mit dem Althochdeutschen
gemein, namlich idis (ags. ides, ahd. itis). Dies Wort dient
im Althochdeutschen und dem Sachsischen, namentlich aber
2 ) Herman der Damen bei Hagen, MS. 3, 168a. Allerdings kann
man diese Stelle auch so verstehn, dass Heinrich den Namen
Frauenlob als G-eschlechtsnamen fiihrte. Dass Frauenlob in dem
Namen Frau die Ehefrau verherrlichte, also der Poesie der Liebe
die Poesie der Ehe entgegen stellte, l&sst sich aus dem Sprach-
gebrauche der Zeit nicht begriinden: Zacher in Ersch und G-rubers
Encyklop. I. Sect. XLVIII, 378.
2 ) Das Wort frua in der Essener Handschr. ist wie das alt-
nord. fru ein hochdeutscher Eindringling.
3 ) Jac. Grimm, Geschichte der deutschen Sprache (Leipz. 1848),
652. 1001. Richthofen, Altfriesisches Worterbuch 726. Halbertsma lexic.
frisic. 957 ff. Doornkaat, Ostfries. Worterb. 1, 535.
6
im Angelsachsischen allgemein far jede Frau jedes Alters,
gleichviel, ob verheiratet oder nicht, hat aber daneben eine
mythische Bedeutung und bezeichnet gOttliche Jungfrauen,
namentlich GOttinnen des Geschickes. Im Altnord. 1 ) hat dis
ausser dieser mythischen die Bedeutung ehrwfirdiges Weib
und auch Schwester. Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich
idis zu den altn. Worten id, idn, idja Arbeit, Verrichtung,
idia, idna arbeiten, halte. Idis bedeutete also die schaffende,
arbeitsame, gewandte, und ware filr das riihrige Weib wie
fiir die Schicksalschafferin ein passender Ausdruck.*)
Ein altes, allgemein germanisches Wort ist Braut (*brudis,
got. hrups, altn. brudr, alts, brud, ags. bryd, altd. brut), das die
Verlobte, auch die junge Frau bezeichnet, in lateinischen In-
schriften des 3. und 4. Jahrhunderts die. Schwiegertochter,
wie auch in romanischen Glossen des 9. Jahrhunderts. Das
Wort bedeutet wahrscheinlich die heimgefilhrte, wobei dahin
gestellt sei, ob dies nach Erfallung der rechtlichen Erwerbung
des Madchens oder durch Raub geschehen ist. 8 )
Das Altsachsische und Angelsachsische haben fur Weib,
Frau auch das Neutrum fri, freo, das holde, geliebte Wesen,
ein Wort, das gleich einer Anzahl altnordischer Benennungen
nicht weiter verbreitet ist.
Die Ktinstelei und Begriffspalterei der altnordischen
Dichter rief filr die verschiedenen Verhaltnisse und die ausseren
und inneren Erscheinungen des Weibes eine grosse Menge
Worte hervor. Dazu kam die Skaldenregel, dass. alle Benen-
2 ) tiber das Verhaltniss von dis und idis, Noreen, Altnord,
Grainmat. §. 137, 2.
2 ) Meine bereits 1851 (Deutsche Frauen, S. 5) vorgetragene
Deutung wird in der Zeitschr. f. deutsche Philol. 27, 242 als neuer
Fund vorgebracht!
8 ) Soph. Bugge in Paul-Braunes Beitragen 13, 184 f., der die
auf gleicher Ableitung beruhende Erklarung von Bopp und Grimm
corrigirte. — Das aus dem Gotischen aufgenomme brutus in latein.
Inschriften des 3. u"nd 4. Jahrhunderts hat v. Domaszewski in den
K Heidelberg. Jahrb. III. 2. nachgewiesen; die Glosse nurus bruta
G. Lowe.
nungen weiblicher Tracht und weiblichen Schmuckes als
dichterischeBezeichnung derFrauen gebraucht werden kOnnten.
Ich ttbergehe diese letzteren ohne weiteres 1 ) und hebe von
den anderen altnordischen Benenmmgen nur einige heraus.
Das vermahlte Weib hiess briidr, vif und fliod*) (neutr.), eine
kluge Frau (hot, eine sanfte und ruhige dros, eine prahlerische
und hochmttthige fvarri (m.) und fvcurhr (m.), eine mannliche
riftill (m.), eine Strohwitwe faeta, die Witwe eines gewaltsam
getodteten hadl (m.), die Witwe eines siechtodten eckja, die
einen Mann gehabt hatten, hiessen djur, die alten Weiber
JcerMngcvr, die Jungfrau heisst mar (Sn. E. 201 f.). Dem alt-
nordischen mSr (Grenit. meyjwr) entspricht das gotische mavi
(Genit. maujos), weibliche Bildungen zu got. magus (altn. mggr),
der Knabe, Jiingling, Sohn. AUs selbem Stamm erwachsen
ist got. magaps (alts, magafh, alth. magat), Maget, Magd, ur-
spranglich das unverheiratete jungfrauliche Madchen. Die Be-
deutung Dienerin kommt im Deutschen erst im 12. Jahrhundert
neben der alten auf. Im Sachsenspiegel, S. 20, I, also im
Niederdeutschen des 13. Jahrhunderts, wird sogar ein leib-
eigenes Madchen mit maget bezeichnet. — Unser neuhochd.
Madchen (mitteld. Verkleinerung aus Maet = Meit, Maid, der
verschmolzenen Form von Maget), im 18. Jahrhundert noch
Magdchen, Magdgen geschrieben, hat die verschiedenen Be-
deutungen des alten Maget geerbt: weibliches Kind, unver-
heiratete Tochter, Jungfrau und auch Dienerin.
In dem Frauenbuche Ulrichs von Lichtenstein (618 ff.)
zahlt die Dame, mit der sich der Hitter tlber die Zustande
der Gesellschaft der Zeit unterhalt, ftlnf Arten von Frauen
auf: die verheiratete, die Witwe, die maget, d. i. die im
elterlichen Hause lebende Jungfrau, die ledigiu wip und die
friundin. Unter den ledigen sind unverheiratete Madchen in
unabhangiger Stellung verstanden, die sich, wie es im Frauen-
J ) Vgl. auch J. Grimm, Deutsche Mythologie 839 f.
2 ) fliod ist nur ein Wort der Poeten. Sophus Bugge (Studien
tiber die Entstehung der nord. G-fltter- und Heldensagen, fibers,
von Brenner, S. 6, Anm. 3) vermuthet, dass es aus dem ags. fled
oder floed in Frauennamen (z. B. Eanfled, Adelfloed) entlehnt sei.
8
buch (626, 30) heisst, nach ihres Herzens Willen vermahlen
kOnnen, wenn sie wollen. Die friundin (sonst auch cmie ge-
nannt) ist die Geliebte ohne bindende gegenseitige Ver-
pflichtung.
In den Namen fttr das weibliche Geschlecht im allge-
meinen treten schon bedeutende Grundvorstellungen der
Germanen, ja selbst der Indogermanen, von den Frauen hervor :
das rdhrige, fleissige, das heitere schtae, das zttchtige Wesen
schmttckt das Geschlecht der Mtltter des Volkes.
Aber reicher und vielseitiger erscheinen uns die Eigen-
schaften der gennanischen Madchen und Frauen durch die
persMichen Eigennamm, welche mit einer tlberreichen Ftille
aus den altesten Rechts- • und Geschichtsaufzeichnungen
•strOmen 1 ). Heute ist die Zahl der Vornamen verhaltnissmassig
klein, und zieht man die fremden ab, sogar sehr gering;
heute wissen die wenigsten, was der Name bedeutet, den sie
in der Taufe empfingen. Noch in der merovingischen und
karlingischen Zeit'zahlten dagegen diese Namen nach tausenden
und man war sich des Inhalts bewusst, weil die Bestandtheile
derselben noch in der Sprache lebten und die Vorstellungen,
durch die sie gebildet waren, noch in dem geistigen Leben
aufrecht stunden.
Spiegelungen des altesten germanischen Lebens sind
diese Personennamen, und da dieses ein Leben voll wandernder
Eroberung und voll kriegerischer Unruhe gewesen ist, in
welchem auch die Frauen oft genug genOthigt waren, Leben
und Freiheit zu vertheidigen oder die wunden Manner zu
pflegen und heilen 2 ), so ist ein sehr grosser Theil der alt-
deutschen Frauennamen des kriegerischen Geistes voll. Das
germanische Weib erscheint durch sie den Schildmadchen und
Walktlren Wodans 8 ) verghchen.
l ) E. FOrstemann, Altdeutsches Namenbuch. I. Personennamen.
Nordhausen 1856.
a ) Vgl. im 2. Capitel die Ausfuhrungen iiber die deutschen
Walktiren.
8 ) Miillenhof, Zur Runenlehre, S. 44, Halle 1852.
Indem aber den Frauen auch die Gabe prophetischer
Voraussicht und heiliger Weisheit zugetraut ward, so spricht
sich in den poetisch gedachten und empfundenen Namen der^
selben ttberhaupt alles hOchste aus, das dem Weibe in seiner
gOttergleichen Erhebung eigen war.
Die Form der germanischen Namen ist in der Regel die
des zusammengesetzten Wortes. Es sind also zwei Wort-
stamme mit einander verbunden; der zweite tragt die gram-
matische Flexion, die nach der attributiven Bedeutung dieser
Namen adjectivisch sein und die ganze Namensbildung als die
eines zusammengesetzten Adjectivs erweisen muss. Freilich
wird dieses dadurch versteckt, dass die aiteste nominale
Flexion der Adjectiva 1 ) bei diesen Eigennamen festgehalten
ward, wodurch sie ausserlich den Substantiven gleichen.
Die Namen, welche im zweiten Gliede die Benentiung
eines lebenden menschlichenoder thierischen Wesens enthalten,
scheinen allerdings von jener Hauptmasse gesondert zu
stehn, indem sie substantivisch ausgehn. Unter den Frauen-
namen gehOren nur die in -hern (oder birin = barn Kind),
ihiu (Dienerin) und winja (Freuiidin) hierher. Die in wip
(Weib) wird man gleich den mannlichen auf man als Kose-
namen fassen mtissen.
Der zweite Theil der zusammengesetzten Nomina enth<
den allgemeinen Begriff, welcher durch den ersten Theil
seine nahere Beziehung und Bestimmung empfangt, wenn
nicht die Zusammensetzung eine bloss copulative Verbindung
(dvcmdva) zweier synonymer Worte ist, wie dies in Berhtwiz
(die glanzende und weisse), in Baudegunt, Hildigunt, G-undhilt,
Baduhilt, Baghilt, Haduwic vorliegt. Die Zahl der in den
Frauennamen erscheinenden zweiten Glieder ist gegen die
Fttlle der ersten ungemein beschrankt.
Am haufigsten kommen hier vor hire oder berga, burc,
drut, flat (fledis), gunt, heit, hilt, lint, niu, rat, run, sint,
swint; weniger zahlreich sind: bolt (bolda), berht, bern (birn),
2 ) Leo Meyer, tJber die Flexion der Actfectiva im Deutschen,
S. 5 ff. Miillenhoff, bei Haupt Zeitschr. 16, 154.
10
diu, fridu, gart, gilt, hadu, Jieri, hart, hrdban, loue, Hup,
muot, war, widu, wie, wih, wini, wis; selten sindinFemininis:
gis, grim, helm, leich, leis, mwrka, munt, snot, tac, wait, wvUf.
Ganz ttberwiegend sehen wir hier die Beziehung der
Frauen auf den Krieg ausgedrttckt: zun&chst in den Namen
auf gunt und hilt, dann in den gleichbedeutenden auf hadu,
wie, auf lauc als den Kriegsbrand, und auf den dichterischen
Ausdruck far Kampfspiel, leich. Die Tragerinnen dieser Namen
werden als walktlrengleiche Frauen bezeichnet. Und wie
diese von Wodan den Befehl empfingen, seine Gunstlinge zu
schutzen, so sprechen auch die Frauennamen in hire, burc
und munt diese Aufgabe aus ; die Friedenstifterinnen erscheinen
in den Namen in fridu. Die Ausrttstung zum Kampf schildern
die Namen in gis und widu (Speer), in hdm und Unt (Schild) ;
die Eigenschaften der Starke, des Muthes, des Kampfeszornes
die in bait, drut, hart, swint, in muot und in grim. Auf die
Theilnahme am Heereszug gehen die Namen in heri und sint;
die begleitenden Thiere des Kriegsgoites und seiner Schaaren
tauchen in den Namen in hraban und wolf auf.
Die tibermenschlichen Eigenschaften der Voraussicht in
die Zukunft und der zauberischen Einwirkung auf dieselbe
werden den Tragerinnen der Namen in -run zugetheilt;
Weisheit tiberhaupt und Vorsicht den in leis, rat, snot, wis
und war benannten.
Die Beziehung auf priesterliches Amt der Frauen geben
die Namen in gelt (gilt) und wih.
Glanzend in SchOnheit heissen die in berht und flat,
erfreuend und freundlich die in Hub und wini. Die Aus-
stattung mit einer vollen, durch das erste Wort dann naher
bestimmten PersOnlichkeit geben die Namen in heit
Den Besitz an Land und Hof deuten die Namen in
mwrka und zum Theil in gart an; die Gewalt irgend worfiber
die in wcilt; die Abkunft die in bern und niu, ein dienendes
Verhaltniss die in diu.
Die Grundeigenschaften nun, welche in diesen zweiten
Gliedern der Frauennamen ausgedriickt sind, erhielten, wie
gesagt, durch die Worte des ersten Gliedes der Zusammen-
11
setzung ihre nahere Beziehung. Das logische Verhaltniss
der beiden Glieder kann wie in alien Wortcompositionen
mannigfach sein.
In der appositionellen Verbindung steht der erste Theil
attributiv zum zweiten: so in den Namen, welche mit
adverbialem al, filu, hoh, sdp, sini, wela oder mit fram
beginnen, wohl auch in denen mit amal, ercan, irmin (erman,
erm), ferner in den durch un eingeleiteten, in denen im nicht
negative, sondern steigerndeBedeututighaben mOchte: Unberta,
Unhardis, Unhilt, Unramna; endlich in den meisten, die einen
Adjectivstamm als erstes Glied haben, wie halt, hart, richi,
snd, stare, swint, wie alt, fruot, gamal, wis, oder wie berht,
blidi, flat, fri, fro, geil, holt, Hub, sconi, mm und seis.
Zuweilen ist die appositionelle Verbindung vergleichend,
soinSneoburc, diedemSchnee gleiche (schneeweisse) schtitzende
Frau; in Sunnihilt, die sonnengleiche, kriegerische Jungfrau ;
in S61berta ; die wie die Sonne gl&nzende; in Blicdrut, die
dem Blitz gleiche, starke Jungfrau; in Dagahilt, die wie der
Tag strahlende Kampferin; Helidgunt, die heldengleiche
Kriegerin. Auch die Namen, welche einen Thiernamen im
ersten Gliede haben, fallen hierher: die Frau wird mit dem
kriegerischen Thier (am, ebur, hraban, wisunt, wolf) ver-
glichen oder dem Schwan (swan) oder auch dem schnellen
Hirsch.
Am reichsten entwickelt ist die casuelle Verbindung,
in welcher der erste Theil zum zweiten im Verhaltniss eines
Genitivs, Dativs, Locativs, Ablativs oder Accusativs steht.
Genitivische Compositionen sind u. a. Adalbirc, die schtitzende
Frau des Geschlechtes ; Reginbirin, das Kind der rathenden
GOtter; Wihdiu, die Dienerin des Heiligthums; Marcadrut,
die starke Jungfrau des Grenzlandes; Herigilt, die Priesterin
des Heeres (oder accusativisch : die das Heer des Feindes
opfernde) ; Gebahilt, die Schlachtjungfrau der Gabe, d. i. die
freigebige Walkilre; Hildileis, die kriegskundige ; Siginiu, die
Tochter des Sieges.
Dativische: Alahgunt, die fur den Tempel kampfende
Jungfrau; Uodalhilt, die fur das Stammgut streitende;
18
Christhildis, die far Christus kampfende; FridurOn, die mit
runischer Kraft far den Frieden wirkende.
Instrumentale : Madalberta, die durch Rede gianzende;
GSrdrtid, die mit dem Ger starke ; Rantgunt, die mit dem Schild
kampfende ; Mahthilt, die mit Kraft kriegende ; Bauglind, die
Schildtragerin mit dem Ring; Muotswint, die durch geistige
Erregung starke; Ratwina, die durch Rath sich freundlich
erweisende.
Locativische : Anganburg, die Schatzerin in derGefahr;
Waledrto, die starke auf dem Walfeld; NOtharja, die Fahrerin
in der Kampfesnoth; Ostar-Westar-Sunt-Northilt, die nach
Osten, Westen, Silden, Norden ziehende Walkare.
Ablativische : Wolkandrtit, die aus den Wolken stammende
Jungfrau; Wachilt, die aus den Wogen entstammte Kriegs-
frau; SSoburc, die meerentstiegene Schatzerin ; Himilrat, die
vom Himmel gekommene Ratherin.
Accusativische : Salabirc, die das Haus schQtzende;
Otfrida, die den Besitz schirmende; Otgeba, die Reichthum
gebende; Gundwara, die far den Kampf vorsichtig sorgende.
Versuchen wir die ersten Worttheile nach ihrer Be-
deutung an sich in Gruppen zu bringen, so ist die kriegerische
die dichteste. Wir treffen zunachst die Worte far Kampf und
Krieg: badu, baga, gund, hadu, hiltja, saka, wtc mit den
dichterischen Ausdracken nit und not, wozu ich angan ziehe.
Die kriegerischen Schaaren erscheinen in diot (fheoda), fara,
folc, heri, Uut, truht, der Kriegszug in sint, der Tod in der
Schlacht in wal. Waffen und Wehr sind bezeichnet durch
scvro, isan (gekarzt is), durch asc, ger, geit (Spitze, Geschoss),
gis und gisal, ort und widu, durch brant (Schwert) und ecki,
durch rant (Schild) , hdm und grima , brunja (brimne).
Kraft, Schnelligkeit und Muth werden theils substantivisch,
theils adjectivisch als Eigenschaften der kriegerischen
Frauen gegeben durch ellan, megin, maht, slwrc, drut, hart,
fasti, mOglicherweise durch wing-; durch il-, snd, swind,
(swid), wohl auch want-wendM; durch muot, and-; bait, heist,
nand, wilt, helit. Die Aufgabe zu schutzen, retten, zu suhnen,
beruhigen, und zum Frieden zu fuhren, erweisen berc, burc,
13
wohl auch gart, neri-, ritn- (got. rimis, Euhe), suon, stiUi,
fridu. Der erkampfte Sieg erscheint in den Namen mit
sigu, der schmttckende Ruhm in hrod ruot (fldd), lop, mari,
ruom, wuldar.
Die GOtter und gOttlichen Wesen, deren Wille und
Wirken sich im Kriege den Menschen vor allem offenbart, geben
sich in den Namen mit ans (ds, ds), got, goz (gaut), alb, hftn,
thurs, Ing {Ingal,? angil), Mimi, itis, kund; ihre HeiligthOmer
in cUdh und wih, ihre Opfer in gelt (gildi), die den kriegerischen
Gottheiten geweihten Thiere in arn, hraban, swan, in ebwr
und wolf.
Auf den Ausgang des Kampfes und anderer wichtiger
Uhternehmungen wird gewirkt durch unter sich verbundenen
Zauber und Weissagung (run). Ferner weisen die Namen mit
gand und sisu darauf, so wie auf heilbringende Vorbedeutung
die mit heil beginnenden; auf Recht und Gesetz die Namen
mit bil, ewa (eo), dine und torn im ersten Gliede.
Die geistigen Gaben, welche zu allem diesen nOthig
sind, deuten die im ersten Namenstheil auftretenden Sub-
stantiva an: danc, hugu, modal, mahal, mwot, muni, ragin,
rdt, wan, die Adjectiva fruot, war, wis, und nach der ger-
manischen Ansicht, dass 4ie Weisheit auf einem Wissen ruhe,
das ein langes erfahrungsreiches Leben gab, wohl auch alt
und gamal.
Aber nicht bloss in ernster Hoheit und ttbermenschlicher
Kraft des Leibes und Geistes erscheint das dichterische Vor-
bild der germanischen Frau. Die heiteren frohen Ztlge fehlen
nicht, wie die Namen bezeugen, welche mit anst und gaman,
mit wilja und winja, mit bltd-, fag-, frt, fro, geil, holt, Hub,
triu, mm und zeiz anheben. Und die SchOnheit deutscher
Frauen, welche die Sttdlander bewunderten, kommt in den
Namen zum Ausdruck, deren erster Theil berht, fl&t (fled),
glis, has, sconi, zier, tac und wunnja sind.
Auf schmftckenden Zierrat weisen die Namen nur spar-
lich: ein Name mit baug (Bauglint), wenige mit wid (ags.
vela, viola), einige mit golt gehOren hierher.
14
Beziehung zu Reichthum im allgemeinen drttcken freilich
die haufigen Namen mit aud oder 6d aus. Die mit erbi gehn
auf das Erbgut des Geschlechtes oder Hauses, auf das auch
die Namen mit odal, heim, hof, Ms und sal weisen. Das
Volksland erscheint in lant maria und gam den weiblichen
Namen verwebt.
Maehtig und gewaltig erscheinen die Frauen in dem
poetischen Namenspiegel durch die mit rtchi und wait haufig
eingeleiteten Namen; freigebig, wie alle machtigen sein
mussten, durch die mit mild und geba (giU).
Die Familie endlich, des ganzens Lebens Grund und
Sttttze, tritt in den zahlreichen Namen mit adal heraus;
weniger oft wird Jcuni gefunden, einzeln sibbja. Die mit barn
(bern), erl, goman und wtp beginnenden Namen drttcken
ebenfalls Verhaltnisse der Frauen zu den nachsten Lebens-
genossen aus.
Es ist nicht immer leicht, die beiden Worte, welche die
zusammengesetzten Eigennamen bilden, in ein logisches Ver-
haltniss zu einander zu bringen. Wie in der Wortcomposition
aberhaupt das zweite Glied . zuweilen zur Bedeutung eines
Suffixes herabsinkt (man denke an die Substantiva in heit,
schaft, tac und tuom), so ist auch in den Personennamen im
Laufe der Zeit der eigentliche Sinn des zweiten Theiles oft
verdunkelt und vergessen, und derselbe dem unbedeutenden
oder bedeutungslosen grammatischen Suffix gleich geworden.
Die Composition aber aberhaupt zu leugnen und die
Worte, welche im zweiten Gliede stehen, z. B. bald, berht,
brand, grim, gund, hart, man, mund, rat, sind, als sinnlose
Conglomerate von zwei- bis vierfachen Suffixen hinzustellen,
wie Franz Stark ^ versucht hat, muss als Irrthum abgewiesen
werden.
MOglicherweise kOnnen sich Namen, die einen Widersinn
enthalten oder wertfgstens Schwierigkeiten der Deutung bieten,
2 ) Vgl. den Auszug aus seinem Vortrag liber die Irrthumer
in der heutigen Forschung liber deutsche und keltische Personen-
namen im Anzeiger der Wiener Akad. d. Wissensch. 1870. Nn- 12.
15
daraus erkl&ren, dass sie durch Entlehnung je eines Namens-
theils von Verwandten gebildet wurden, z. B. Gerlant von
G6rn6t und Lantberga (vgl. K. G. Andresen, tiber die Namen
und die Namengebung der alten Deutschen: Nord und Stid,
Heft 123).
Schon durch den Wortaccent erhielt der erste Theil uber
den zweiten das tJbergewicht ; es kam ferner die Neigung
dazu, in bequemer Eede und in kosender Stimmung die
schwertOnenden zweist&mmigen, oft drei- oder mehrsilbigen
Namen zu kttrzen. Diese Kttrzung geschah Qberwiegend zum
Nachtheile des zweiten weniger betonten und im Begriffe
allgemeineren Gliedes; das erste erschien als formaler Kern
und ward es dadurch auch logisch. Weit seltener blieb der
zweite Theil im Vortheil. Die einfachen zahlreichen Berta,
Hilde, Trude kOnnen an sich nicht far eins oder zwei be-
weisen, da sie ebenso gut den ersten als den zweiten Theil
vertreten kOnnen. Als alte Belege aber ftir den zweiten
Namentheil mttssen gelten Fara far Burgundofara, Bugga fQr
Eadburga 1 ); als moderne kOnnen in Erinnerung gebracht
werden Burgi von Walburg, Trude von Gertrud, Wicke von
Hedewig.
Durch die einfache Verktlrzung der zusammengesetzten •
Namen, gewOhnlich mittelst Tilgung des zweiten Theiles,
entstunden eine Menge scheinbar einfacher Namen, so Adela
aus Adelheid, Berta aus Bertrgtda, Brilna aus Brilnhildis,
Gunda aus Gundfrid, Hatha (neu Hede) aus Hathuwic, Hruada
aus Hruadalaug, Ida aus Idaberga, Cuna (Ktine) aus Cunigunt,
Lioba aus Liobgytha, Wendela aus Wendilburgis.
Hier blieb der erste Theil ganz unverandert bis auf die
grammatische Endung.
Es trat aber auch in ihm zuweilen eine Veranderung
ein durch consonantische Angleichung; so ward Hilda, gleich
Hildberga, zu Hidda, oder Hilda, gleich Hildegard, zu Hille,
Mehta fur Mechthild zu Mette.
l ) Stark, Die Kosenamen der Gerinanen, Wien 1868, S. 15 f.
In diesem Buche ist die Bildung der hyperkoristischen Namensformen
systematisch untersucht.
16
Es konnte ferner vom Suffix des alten ersten Namen-
theils ein Consonant abgeworfen werden : so ward aus Amal-
hild Ama, aus Gisalberta ward Gisa, aus Eberhilt ward Ebe.
Eine Fortbildung des unveranderten ersten Gliedes ward
durch die verkleinernden Suffixe vollzogen. So entstunden aus
Theodetrudis oder aus Thiathilt deminutive Theodila Thietila,
aus Wieldrflt Wielicha, aus Ermingart Erminza, aus Chunigunt
Chuniza. Mit assimilirender Veranderung des ersten Stammes
gehOren hieher u. a. Bettana aus Belletrudis, Mettelina aus
Mehthilt, Hilleke aus Hiltgunt; mit Verschmelzung Reinula
aus Reginhilt.
Durch Syncope geschah weitere Verkilrzung dieser
Deminutivformen: Dietla far Dietila, Sicla far Sigila, Heilke
filr Heilika (aus Heilwic), Richza fttr Richiza aus Richcart,
Matza Metza aus Mettiza von Mechthild, Hiza aus Hittiza,
von Hildburg, Geza 1 ) von Gerza aus GSrtrud.
Weit seltener als diese mannigfachen Kdrzungen aus
dem ersten Stamm sind bei den Namen aberhaupt, besonders
aber bei den Frauennamen, Kurzungen durch Verschmelzung
beider Sttaime. So ward Gterbirg zu Gepa, Th^dburg zu Tebe,
Walburg zu Wabe, Wobbe, Wigburg zu Wibe.
Deminution dieser Contractionen lasst sich nachweisen :
z. B. Hibele Hibbeke, das auf Hildburg, Tebeke, Tibbeke, das
auf Thedburg, Thiadburg zurftckgeht.
Wortzusammensetzung ist also nach dem vorgetragenen
die herrschende Form der alten Personennamen ; die scheinbar
einfachen sind Ktirzungen der Zusammensetzung, meist auf
Kosten des zweiten Wortes.
Dennoch finden sich in dem alten Namenschatze einige
wirklich einfache Namen. Gerade unter den aitesten von den
Historikern tlberlieferten germanischen Frauennamen kommen
Veleda und Ganna vor, denen sich sp&ter die langobardische
2 ) Gewohnlicher Gesa, Gese, vgl. meine Abhandlung: Die Per-
sonennamen des Kieler Stadtbuchs, S. 25 (Jahrbiicher f. d. Landes-
kunde der Herzogth. Schleswig - Holstein und Lauenburg, IX.
Kiel 1866).
1?
Gambara anreiht. Etwas jiinger sind Tupa (Verbriider. buch
von St. Peter) und Hinta (Emmeran. Schenk.), ferner Gnanna
und Swestar, Doltiga, die superlativen Liuposta (Kozroh, p. 159,
a. 821) und Her6sta (Juvav. n. 61, 82. a. 930), die numeralen
Niunta (Meichelb. n. 179) und Sipunta (St. Peter 77, 35), die
participialen Traganta (Kausler I. n. 30), Puwenta, Wahsanta
(St. Peter 98, 4. 5), Gerenta, mit den entsprechend gebildeten
westfrankischen Elienta, Grivienta, Merigenta ; ferner die von
Volksnamen genommenen: Peiarin, Franchin, Fresin, Ostro-
Wulthrogotha, Sw&bin, Thuringin, Walhin. Wenn wir noch die
persOnlich gewordenen Wunnja Wunne, Minne 1 ), Triuwe,
FrOude, S&lde, die im 13. und 14. Jahrhundert Ofter begegnen,
hinzunehmen, so werden wir die wirklich einstammigen alten
Frauennamen vor uns haben. Es sind, wie Mullenhoff (Zur
Runenlehre, S. 54 f.) zweifellos richtig aussprach, Beinamen,
Kennzeichnungen gewisser PersOnlichkeiten nach Eigenschaft,
Ursprung, allerlei Verhaitnissen und Beziehungen, die dann
zu wirklichen Eigennamen geworden sind. Eine weit reichere
Quelle als fur die Vornamen, nach heutigem Ausdrucke, sind
diese Benennungen, welche nicht bloss einstammig waren, fiir
die spateren Familiennamen geworden 2 ).
Die Fiille der schOnen, bedeutungsvollen Namen war
tlber alle germanischen VOlker gleich stark ergossen. Natiir-
lich treten landschaftliche und zeitliche Unterschiede hervor.
Manche Bildung ist bei den Franken oder bei den Oberdeutschen
haufig, welche bei den Sachsen, den Friesen, den Nordger-
manen selten ist oder ganz fehlt. Und wie Hunnen und Ro-
manen zahlreiche deutsche Namen entlehnten, so drangten
sich auch gallische und galloromanische in den deutschen
Schatz ein und kamen namentlich bei den Westfranken theils
rein, theils mit deutschen Stammen vermischt, in Umlauf-
J ) Urkundliche Belege fiir Minne z. B. a. 1250 Hess. Urk. II.
n. 114. a. 1304. Diplomat. Runense (handschriftl. im steir. Arch.)
I. 2, 1122. Fur FrOude: Vreutla 14. saec. Lilienfeld. Necrol. 6. Marz.
2 ) "Ober die Zunamen auf Island und in Skandinavien vgl.
mein Altnordisches Leben. Berlin 1856, S. 277—282.
Weinhold, Deutsche Frauen. I. 2
18
Als das Christenthum die Gewalt fiber das deutsche Volks-
thum erhielt, mussten viele Namen wegen stark heidnischen
Geruches anstOssig werden. An ihre Stellen traten allmahlich
kirchlich geheiligte, und je fester der Christenglaube, je blasser
die alte GOtter- und Heldenwelt im Volksgeiste ward, umso
schneller schwand die Namenfttlle der Vergangenheit. Aber
bis in das 14. und zum Theile in das 15. Jahrhundert haben
noch uralte Frauennamen kraftig gelebt, von denen wir heute
nichts mehr ahnen.
Mehr fast als das Christenthum hat der modische Ge-
schmack verandernd auf die Namen gewirkt. Seitdem die
Deutschen in die Bewegung der Kreuzzdge gerissen und mit
franzOsischem, griechischem und arabischem Kitterleben ver-
traut wurden, seitdem die franzOsischen Romane im 12. Jahr-
hundert den Geschmack an den nationalen Epen verdarben,
traten auch die Manner- und Frauennamen der deutschen
Lieder und Sagen hinter die der Modefiguren zurttck. Recht
heimisch wurden dieselben aber doch nicht. Die Gewalt der
Kirche zeigte sich auch hier fiber das eigentliche Leben
starker als die litterarische Laune.
Ich will hier eine keineswegs erschOpfende Sammlung
von fremden Frauennamen aus verschiedenen Jahrhunderten
auffuhren.
Aus dem achten Jahrhundert merkte ich an: Adsonia,
Alexandra Alexandria, Anastasia, Auscella, Beata, Benedicta,
Christina Cristiana, Celsa, Clementia, Constabila, Diatheta,
Disba, Dominica, Elegia, Elena, EUsabeth EUsaba Ilisabia,
Eugenia, Hilaria, Johanna, Judith, Juliana, Maria, Osanna,
Petronilla, Salvia, Sanctonia, Sigundina, Severiana, Sibilla,
Stadia.
Aus dem neunten: Agatha, Anna, Beata, Benedicta,
Bona, Christina Cristana, Cecilia, Elena, Fonteja, Galilea, Gre-
goria, Honoria, Judenta, Judith, Jutta Judta, Laurentia, Leonza,
Lilia, Marcellina, Osanna, Passiva, Petronilla, Quintella, Re-
gina, Salva, Secundina, Sulvana, Susanna, Ursilina, Vin-
centia Zenza.
19
Aus dem zehnten: Agoneia, Amata, Beata, Christiana
Christina, Eugenia Genia, Felia, Genovefa, Gregoria, Justina,
Leonora, Lina, Maria, Onerina, Paulina, Petronilla, Regina,
Solsepia, Susanna, Vincentia, Victoria,
Aus dem elften: Beatrix, Cecilia, Elisabeth, Euphemia/
Judith, Justitia, Regina, Sophia, Theophanu.
Aus dem zwOlften: Agatha, Agnes, Anastasia, Beatrix,
Benedicta, Brigida, Clementia, Christina, Elena, Elisabeth,
Euphemia, Plorie, Judith Judita, Johanna, Letitia, Margaretha,
Maria, Osanna, Paulina, Petrissa, Regialis, Regula, Sibilia,
Sophia, Sprinza, Tiberia.
Aus dem dreizehnten : Abele (Apollonia), Agnes, Angela,
Anna, Ave, Beata, Beatrix, Benedicta, Benigna, Brigitta, Ca-
tharina, Cecilia, Christancia, Christina, Clara, Claricia, Cle-
mentia, Constantia, Elide, Elisabeth Elisa, Eneit, Enzia, Eufe-
mia Offemia, Facia, Fides, Florie, Gabrielis, Helena, Imagina,
Isalda, Jacominia, Johanna, Juliana, Justina, Juditha, Juta,
Letitia, Lora, Lucia, Mabilia, Margareta, Maria, Officia, Omenia,
Pelagia, Petrissa, Petronilla, Philippa, Salome, Salvet, Sa-
pientia, Sara, Sigune, Sophia Soffe Soffeke, Stephania, Ursula,
Venia, Vita.
Aus dem vierzehnten: Apellonia Abele, Agatha Aythe,
Agnes Nese, Agnete Agnite Nithe, Amietta, Anna, Antonia,
Ave Aveke, Barbara, Beate, Benedicta, Benigna, Brigitta
Breide Preide, Catherina Kete Kacze, Cecilia Cilia Cille, Clara,
Clementia Minte, Crescentia, Christina Christein Stine, Doro-
thea, Elisabeth Elsebe Else Elseke Ilsebe Use Beta, Enide,
Eufemia Ofemia Ofmia Ofmei Feme Femeke, Eveke, Formosa,
Iliane, Imagina, Isabete Bete Beta, Isolde Isalde Eysald Eysal,
Johanna Hanne Hanneke, Jolenta, Judith Jutta Jotte Gutte
Juda Jeute, Lorette, Lucie Cige Zige Syke Tzie, Manilia,
Margareta Margareth Greta Grete Grite Greteken, Maria Ma-
rusch, Obeldine, Operatrix, Osanna, Petrissa Peterse, Petro-
nella Nelle Nelleke, Philippa, Regine Reine, Sabina, Salome,
Sapiencia, Scholastica Scholaste, Sigune, Sophia Saffla Zaffia
Saffe Zaffe Saffeke Fia Fyga, Speronella, Sprinca, Sulika,
2*
20
Susattne Sanne, Ursula Urs, Verena, Veronica Fronike, Za-
charia, Zwenna.
Aus dem filnfzehnten: Afra, Agatha, Agnes Agnete,
Amaly Amalei, Anastasia, Anna, Apollonia Abel, Barbara,
Benedicta, Benigna, Bia (mit Eusebia), Brigitte Preyd, Catha-
rine Katrein, Cecilie Zile Szile Sile Cileke, Clara, Cornelia.
Nelle Nelleke, Christine Christein, Dorothea, Elisabeth Ilsebe
Use Else Lise, Eufemia Effemia Ofmei Offei, Eva, Helena,
Hilaria, Johanne Hanneke, Jutte Jutteke, Lucie, Magdalene
Lene, Margarete Grete Grede, Maria Mike, Osanna, Palmia,
Petrissa, Polixena, Potentiana, Rebecca Beke, Regina, Sabine,
Scholastica, Sibille Bille Belleke, Sigune Sigaun, Sophia Fyga,
Speronella, Susanna, Ursula, Veronica Efranica.
Um die zu gewissen Zeiten besonders (iblichen Frauen-
namen lebendig vorzufuhren, hebe ich urkundlich oder dich-
terisch bezeugte Gruppen heraus.
In einem Nonnenkloster hiessen im J. 800 die Schwestern
also *) : Emhilt, Leobwina, GlismOt, Trudhilt, Masa, Werinburc,
Turnwiz, Immina, Williswind, Waltrat, Gotaswind, Leobhilt,
Folcswind, Blidrat, Mechthilt, Deotrat, Eowic, J3ilihilt, Deot-
burc, Engilwiz, Tota, Heilacwih, Reginwih, Elena. Im Kloster
Essen sassen 1054 zusammen die Abtissin Theophanu, die
Dekanin Swanaburg mit den Nonnen Adelheid, Swanehild,
Hathewig, Emma, zwei Mazaka, einer Hizela, Sigeza, Wan-
dela, FricOz, Berhta, Oda, Riklend, Wetzala und der Probstin
Gepa 2 ). Auf der elsassischen Hohenburg lebten unter ihrer
gelehrten und kunstsinnigen Abtissin Herrad von Lands-
berg (t 1195) folgende meist adliche Nonnen zusammen:
sieben Adelheid, vier Gerdrut, vier Hedewig, drei Mechthilt,
zwei Agnes, zwei Edellint, zwei Heilwic, zwei Lutkart, zwei
Richinza, je eine Anna, Bersint, Bertha, Clementia, Christina,'
Cunigunt, Guota, Hazicha, Ita, Juta, Margaretha, Odilia, Rilint,
Uoticha, Willebirc. Ausserdem die Conversen Aba, Bertha,
Demuot, GSrtrud, Heilwic, Hemma, Hiltegunt, Junta, Mehtild
x ) Schannat, Cod. tradit, Fuldens. N. 140.
2 ) Lacomblet, Niederrhein. Urkundenb. 1, n. 190.
21
(zwei), Richinza, Sibilia. Herr&d hat diesen ganzen stattlichen
Convent in ihrem Bilderwerke Hortus deliciarum abconterfeit \
In dem niederrheinischen Kloster Georesheim (Jerens-
heim) lebten zwischen 1208 und 1216 als Nonnen ftinf Jutta,
drei Clementia, drei G6rtrfld, je zwei Berthr&d, Frider&d und
je eine Beata, Beatrix, Dtaitid, Fridelind, Frideswind, Geva,
Gtida, Irmenthrfid, Ltogart, Mabilia, Sophia 2 ).
In den Liedern Neitharts von Reuenthal treten die
Bauerinnen Adelheit, Ave, Berhtel, Bride, Buoze, Diemuot,
Elle, Ermelint, Friderun, Geppe, Gisel, GOtelint, Gundrat,
Hedewic, Heilke, Helene, Hiltpurc, Hiltr&t, Hilde, Irmengart,
Jiute Jiutel, Kunegunt Kunze, Liutgart, Matze, Richilt, Trute,
Uodelhilt, Wendelmuot Wentel, Wicr&t auf. In unechten Neit-
hartliedern kommen hinzu Bele, Diemel, Else, Elsemuot, Hs-
muot, Gerdrfit, Hereburc, Hetze, Prisel, Werlint, Wilbirc 8 ).
Das sind bayrische und Osterreichische Bauerndirnen aus
den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts. Schwabische
aus der zweiten Halfte ftlhrt Graf Konrad von Kilchberg
in einem seiner Lieder 4 ) ein : Adelgunt, Anne, Beate, Berhte,
Bride, Cl&re, CrSte, Diemuot, Edellint, Elide, Ellin, Else,
Engel, Fide, FrOude, Gepe, Geri, Gisel, GOzze, Guote, Heil-
wic, Hemme, Herburc, Hezze, Hiltegart, Hilte Hille, Igel,
Irmelin, Ite, Juzze, Katrin, Kristin, Ktinegunt, Liebe, Ltigge,
Mezze, Mije, Minne, Nese, R6se, Salme, Salvet, Sidrat, Suffle,
Tilije, Uedelhilt, Uedelsint, Uote, Vite, Wille, Wunne.
Aus dem Renner Hugs von Trimberg ergeben sich als
Frauennamen, die um die Scheide des 13. und 14, Jahrhun-
derts im Bambergischen haufig waren: Adelheit, Agnes, Berhta,
Elle, Gisel, Hille, Jiute, Liutgart, Metze (6430, 10204, 11417.
12751. 18232).
*) Engelhardt Herrad von Landsberg und ihr Werk Hortus
deliciarum. Stuttg. 1818. Taf. 11, 12, S. 60.
2 ) Lacomblet, Urkundenb. 2, 29.
8 ) Neidhart von Reuenthal, herausgeg. v. M. Haupt, S. 18, 21,
29, 31 f., 37—39, 4L f., 46, 55 ff., 68, 74, 93, 102. — S. XVII, XLII,
XLV, LIV.
4 ) v. d. Hagen Minnes, I, 25.
Far Norddeutschland bentttze ich zu dem hier verfolgten
Ziel das Kieler Stadtbuch von 1264- 1288 *). In diesem flnden
sich wahrend jener Prist folgende Frauen aus Kiel einge-
tragen: Abele, Alburg, AlhSd, Anne, Ava, Berta, Boyke, Ce-
cilia, Ebbe, Elburg, Elisabeth, Ermegard, Frethebern, Frethe-
burg, G£rburg, Gertrud Gese, Gysla, Hebele, Heyleke, H61wig,
Heine Henne, Hibeke, Hildegunt, Hilleke, Ida Ideke, Ymma,
Ingburg, Jutte, Katherina, Ladburg, Ltidgard, Lyza, Margarete,
Megthild, Menburg, MengsM, Modeke, Ocleke, Odilie, Reinburg,
Rigburg, Royceke, Salome, Sokka, Sophia, Thebbe, Tebeke,
Tette, Thetsed, Walburg, Wendele Wendelburg Wendelsed,
Wigburg Wibe Wibeke, Wille.
Die Lilbecker Frauennamen in dem BGrgerregister von
1317 — 1355 zeigendamit vieleVerwandtschaft: Bela (far Abele),
Adelheid, Christina, Elisabeth, Engelke, Ermgard, GSrburg,
GSrtrud Gesa Geseke, Heilwig, Heine, Hildegund Hilde Hille
Hilleke, Herburg, Ida, Jutta, Lutgard , Mechtild (Mette),
Tale, Tele, Telse Telseke, Teybe Tibbe Tibbeke, Wendel
Windela, Wiba, WilmOdis, Wilseke, Walburg Wobbe, Wulleke 2 ).
Unter den zu Nordhausen in Tharingen 1312 aufgenom-
menen Bttrgern flnden sich folgende Frauen 8 ) : vier Luckard,
drei Adelheid, drei Bertrad, drei Jutte, drei Mechthild, zwei
Hille, eine Cristina mit je einer Cyna Oder Tzina, eine Kone-
gund mit zwei Kunne, zwei Itte, je eine Bertha, Elene, Ely-
zabeth, Ermentrud, Hildegund, Johanna, Margaretha, Richlind,
Ruthlind, Sophia, Thele, Wilborg.
! ) Meine Abhandlung: die Personennamen des Kieler Stadt-
buchs. Kiel, 1866 in den Jahrbuchern fur Landeskunde d. Herzogth.
Schleswig-Holstein und Lauenburg. B. IX).
2 ) Mantels uber die beiden altesten Lubecker Burgermatrikeln.
Ltibecker Schulprogramm von 1854, S. 20. In dem Lubecker Toten-
tanz von 1489 (Dodes danz, herausg. von B&thcke, S. 76) sind vom
V. 1335—1351 eine grosse Zahl damals ublicher Frauennamen genannt.
3 ) E. G. Forstermann, Die Bildung der Familiennamen in
Nordhausen im 13. und 14. Jahrh. Nordhaus. Schulprogr. v. 1851,
S. 9, 10.
23
In dem Stralsunder Stadtbuch von 1310—1342 ') sind
folgende Frauennamen aus den besitzenden Kreisen der Stadt
eingetragen: Abele, Alheydis Ale yd is, Ave Aveke, Beate,
Berte Berteke, Katerina, Cecilia, Kine, Konegundis Kun-
neke, Cristina, Ebbe, Eyleke, Elisabeth Elsebe Elzebe,
Ermegart Ermegardis, Ertmoda, Evece, Gherborch Gerborgis
Gherburgis, Germodis, Ghertrudis Ghese Gesa Gese Gheseke,
Gisle Ghysle, Gobeke, Hebele, Heylewich, Hille Hilleke
Helleke, Ida Ydeke, Yrame, Juda, Lyse, Lucia, Lutgart, Lut-
mod, Margarete, Greta Grete Greteke, Mechthildis Mech-
tilda Mette Metteke, Minte, Odborch, Reyborch, Reyneke, Ri-
quart Ricke Rixe Rixa, Sophia, Tale Taleke, Tibbe Tybbe
Theyba, Tilse Tilseke, Tobe, Walburga -is Wobbe, Wen-
dele, Wiba Wibe Wibeke.
In ' alien diesen Gruppen aus dem Siiden und dem Norden
iiberwiegt noch das deutsche Element. Im 15. Jahrhundert
andert sich das. Die altererbten heimischen werden zum
grossen Theil vergessen, die kirchlichen Namen breiten sich
aus, und auch unter 'ihnen findet kn Grunde nur eine be-
schrankte Zahl besondere Gnade. Dabei werden Ortlich kirch-
liche Verhaltnisse bestimmend, indem die Patrone der Pfarr-
kirchen grossen Einfluss auf die Taufhamen bekamen.
Filr die Namenverbreitung im 15. Jahrhundert will ich
den Convent im Katharinenkloster in Ntlrnberg anfuhren.
Hier befanden sich 1428 filnfunddreissig Schwestern, darunter
sechs Elisabeth, je fiinf Annen und Margarethen, je drei
Agnesen, Katherinen und Kunegunden, je zwei Barbara,
Dorothea, Ursula, je eine Cristina und Magdalena. Zur Reform
wurden aus dem Brigittenkloster von SchOnsteinbach im Elsass
(Basler Bisthum) zehn Schwestern geholt. Darunter waren drei
Margarethen, zwei Urseln, je eine Agnes, Anna, Elspet,
Gertraut, Katherine mit einer Laienschwester Agnes 2 ).
2 ) Das zweite Stralsundische Stadtbuch. I. Liber de Hereditatum
obligatione. Herausgeg. von Chr. Reuter, P. Lietz und 0. Wehner.
Stralsund 1896.
2 ) 31. Jahresbericht des histor. Vereines far Mittelfranken
(1863), S. 8.
24
In dem Dominikanerinnenkloster in Halberstadt waren
1465 neunundzwanzig Schwestern, und zwar sechs Elsen,
filnf Margariten nebst drei Greten, eine Gertrud mit drei Gesen,
zwei Kunnen (Kunigunde), zwei Metten (Mechtilde), je eine
Agnete, Anna, Barbara, Effemia, Katharine, Lucke (Lutgart),
Magdalene (Urkundenbuch der Stadt Halberstadt II, 286).
Es wird wohl nicht uninteressant sein, auch die Namen
von Jiidinnen zu lesen, welche in deutschen Stadten lebten.
Im Jahre 1270 wurden in K6ln urkundlich genannt
Aleidis, Betulina, Gela, Guda (zwei), Gutheldis, Hanna, Ioia,
Jutta, Micgelgud, Minna 1 ).
Aus Wien kann ich aus dem 14. Jahrhundert anfQhren:
Eferl, Hainsuezz, Hester (Istier), Febel (Phebel), Jufika, Lieb-
lein, Perla, Ryssa, Sara, Schendel, Selde, Slaba, Slana, Smez-
zel, Symcha 2 ).
Besonders charakteristisch sind die Namen Breslauer
Jiidinnen aus den Jahren 1345—1357, auch wegen der Ver
mengung des deutschen, judischen und polnischen Elements :
Baczawa, Bogumila, Chaima, Czeslawa, Czorna, Deslawa,
Dobruska, Dragana, Duchawa, Yrowde und das gleichbedeu-
tende hebraische Simcha, Golda, Kuna, Lybusch, Malkaym,
Nassa, Pechna Pichna, Radachena Radochna, Rosa, Ruetta
(Ruth), Salda, Sara, Schidczina, Schona, Schula, Stanka, Swet-
licza, Zwza und die nach ihren Mannern benannten Danie-
lissa, Lazarissa, Smogelissa 8 ).
*) Ennen, Quellen III, 2 f.
2 ) Schlager, Wiener Skizzen, 1. Reihe, S. 39 f. 2. R. 190 ff.
s ) Archiv fiir Kunde Oesterreich. Geschichtsquellen XXXI,
104 ff. Es sei hier auch auf die Abhandlung von Dr. Zunz, Namen
der Juden, verwiesen in desselben Gesammelten Schriften II, 1, 82
(Berlin 1876).
Zweiter Absehnitt.
Die Gottinnen.
Wenn sich die altesten deutschen Frauennamen als
Spiegelungen der hOchsten Vorstellungen von dem weiblichen
Geschlechte ergeben haben, die in den gOttlichen Frauen-
gestalten persOnliche Erscheinung gewonnen hatten, so wird
es nun nothwendig, uns in den germanischen Himmel selbst
aufzuschwingen.
Die altesten Nachrichten fiber die germanische Religion
und den germanischen Kultus verdanken wir den ROmern,
vor alien Cornel. Tacitus. Neben den grossen drei GOttern
Mercurius, Mars und Hercules oder auf deutsch Wodan, Tius
und Thunar weiss er auch von einigen Gottinnen *), am
meisten von Nerthus, wie er sie mit ihrem germanischen
13 amen kennt, der grossen Erdmutter, Terra mater, wie er
sie auf rOmisch erklart. Er berichtet, dass ihre Verehrung
sieben VOlker verbinde, die nOrdlich der Langobarden, also
n6r<Hich von der Unterelbe in einem wasser- und waldreichen
Lande wohnen. Es ist eine GOttin, die sich mtltterlich um
ihre Yerehrer kummert und sie besucht. Das geschieht be-
sonders an ihrem grossen Feste, an dem sie von ihrem auf
einer Insel des Meeres 2 ) in einem heiligen Walde gelegenen
Heiligthum aus, auf einem mit Kuhen bespannten verhullten
1 ) Meine Absicht ist durchaus nicht, eine vollstandige Mytho-
logie der germanischen Gottheiten weiblichen Geschlechtes hier zu
geben, sondern ich will nur das wichtige heraushehen.
2 ) Welche Ostseeinsel gemeint ist, kann man nicht sagen,
gewiss nicht das zu ostlich gelegene Rtigen, wo durch Gelehrte
neuerer Zeit der Taciteische Bericht localisirt ward, mit der falschen
Namensform Hertha.
26
Wagen, den nur der Priester berQhren darf, einen Umzug
durch das Land halt, wahrend Friede und Ruhe in den VOlkern
herrscht und alle Orte, die sie besucht, von festlicher Freude
erfullt werden. Der Priester bestimmt das Ende des Umzuges
und bringt den geheimnissvollen Wagen, nachdem er im Wasser
gereinigt und entstlhnt ist, an den heiligen Ort zurtlck. Die
Sklaven, welche die Reinigung vornahmen und das gOttliche
Geheimniss schauten, starben als Opfer der GOttin. Es war
ein Frilhlingsfest, der Ein- und Umzug der Segen und Ge-
deihen bringenden ErdgOttin, die sich den Menschen wieder
offenbart 1 ).
Die VOlker des Nerthusbundes gehOren zu den Ingvaonen;
Nerthus ist eine Wanin, ein Glied jenes GOttergeschlechts,
das wir aus der nordischen Mythologie besser als aus der
deutschen kennen. Von der kimbrischen Halbinsel verbreitete
sich der Wanenkult tlber die danischen Inseln nach Schonen,
Schweden und den anderen skandinavischen Landern; zu
welcher Zeit wissen wir nicht, aber vor der Einfilhrung des
Wodankults in Skandinavien. Nach dem hartnackigen Kampfe
zwischen der Wodan- und der Wanenreligion, der mit einem
Vertrage schloss 2 ), sassen die Anhanger der letzteren vor-
nehmlich in Schweden fest, ohne indessen den Thunarkult
(den Thorsdienst) unterdrilckt zu haben, den eigentlichen Kult
der Nordgermanen.
Den Namen der Nerthus linden wir hier allerdings nicht
mehr 8 ), aber dafur den Namen derFreyja, die eine Tochter
des Niprctr ist, d. i. des germanischen Nerthus, des Bruders
und Gemahls der taciteischen Nerthus. So wie Niprclr durch
seinen Sohn Freyr in den Hintergrund gedrangt ward, obgleich
auch er noch grosse Verehrung genoss (Vafthrudnism. 38,
Grimnism. 16), so war die weibliche Niprdr durch ihre Tochter
J ) Ygl. Mannhardt, Wald- und Feldkulte I, 567-602.
2 ) Ygl. meine Abhandlung iiber den Mythus vom Wanenkriege,
in den Sitzungsberichten der Kgl. Preuss. Akademie der Wissen-
schaften, Berlin 1890, S. 611—625.
3 ) Morfir erhielt in Skandinavien die Skadi zur Gattin, ein
Mannweib riesischer Abkunft.
27
Freyja vOllig ersetzt worden. Freyja, die Herrin (ahd. frouwa),
Freyr der Herr (got. frauja), sind im Wesen Wiederholungen der
Eltern und nur anders benannt, mit einem allgemeinen Namen,
der demuthiger Verehrung entsprang, gleichwie die griechische
Persephone die Herrin {dicitoiva) hiess und wir noch jetzt
Gott Oder auch Christum den Herrn zu nennen pflegen.
Was wir aus den altskandinavischen und islandischen
Quellen uber das gOttliche Geschwisterpaar erfahren, zeigt sie
als sonnige, Fruchtbarkeit der Erde und Liebesfreude den
Menschen spendende, milde Gottheiten. Sie sind reich und
verleihen Reichthum. Freyja heisst die goldige (gullveig) 1 );
sie freut sich am Schmuck und tr> ein strahlendes Brust-
geschmeide, das brisingamen. Ihr Gatte heisst der Keiche, 6dr,
und ihre Tochter Hnoss, das Geschmeide.*) Odr verliess Freyja
und wanderte weit umher und die GOttin weinte ihm goldene
Thranen nach. Das ist ktirzere Fassung einer aus europaischen
Marchenmotiven gebildeten Erzahlung, die Saxo Grammaticus,
der danische Geschichtschreiber (um 1200) in seinem Werke
(VI, 330—34 Mailer) tiberliefert, und die von Paul Heyse in
seiner poetischen Novelle Syritha erneut ist. Die KOnigstochter
Sigrid (Syritha) will nur demjenigen Freier sich vermahlen,
dem es gelingt, einen freundlichen Blick von ihr zu gewinnen.
Othar, dem Sohne Ebbes, gluckt das so wenig als anderen
und er verlasst sie. Als ein Riese sie raubte, befreit er Sigrid ;
auch jetzt erhebt sie ihre Augen nicht zu ihm ; ebenso wenig
dann, als er sie einer bOsen Waldhexe entreisst. Sie wandert
in Armuth lange herum, bis sie in deaHof von Othars Vater
kommt, wo sie trotz der Lumpen als Tochter edler Abkunft
erkannt und demgemass behandelt wird. Othar, der sie er-
kennt, bittet sie vergebens, den Schleier abzulegen. Da lasst
er zur Hochzeit mit einer anderen rtlsten und Sigrid muss
dem Brautpaare Abends beim Zuge in die Brautkammer die
Kerze vortragen, Sie empfindet nicht wie der Lichtstumpf auf
J) Meine Abhandl. uber den Wanenkrieg, S. 619. (S. 9.)
2 ) In dem alten Lande des Wanenkult, der holstein-jiitischen
Halbinsel, wie auf den danischen Inseln hat man reiche antiqua-
rische Goldfunde gemacht.
ihre Hand brennt, aber als Othar sie bittet, die Hand in acht
zu nehmen, hebt sie den Kopf und blickt ihn zartlich an.
Da ist das Geltibde gelOst und Sigrid wurde die Gattin
Othars 1 ).
Der Brustschmuck (men, germ, mani) Freyjas wird von
den Mythologen verschieden ausgelegt, bald auf den Mond,
die Milchstrasse, den Morgen- oder Abendstern, das Morgen-
roth, ja selbst auf den Regenbogen. Darin, dass eine glanzende
Himmelserscheinung darunter zu verstehen sei, stimmen
demnach alle tiberein. Wenn nun (nach einer viel entstellten
Mythe) Loki das Halsband stiehlt und Heimdall ihm dasselbe
wieder abnimmt, so ist wohl kein Zweifel, dass das Brisingamen
ein grosses Himmelslicht, die Sonne, bedeutet. Loki hat den
Schmuck im Meere geborgen und Heimdall holt ihn nach dem
Siege Qber Loki von dort heraus. Im Meere versinkt die Sonne,
aus ihm taucht sie wieder auf. Gleich Loki trachten auch
die Riesen, die hier als Feinde der Weltordnung erscheinen,
nach Freyja mit ihrem Schmuck. Ohne die Sonne muss die
Erde vergehen. So wird nach dem Bruchstuck in der Vnluspa
(Str. 21) Gullweig (d. i. Freyja) durch den Hohen (d. i. Odin
als Unterweltsgott) verfolgt und getodtet ; wieder geboren und
wieder gestorben, lebt sie dennoch fort und fort. Auch dieser
Mythus zeugt far Freyja als SonnengOttin. Sie besitzt ein
Federkleid, durch dessen Anlegung nach naiver uralter Vor-
stellung sie zu einem Falken wird: sie ist damit als WindgOttin
bezeichnet. Und wenn ihr und ihrem Bruder, mit dem sie
die meisten Ziige des Wesens gemein hat, der Eber heilig
ist, so weist das wieder auf die Sonnengottheit hin, deren
mythisches Bild haufig das Wildschwein ist, bei der Verhtlllung
der Sonne in dunkeln Wolken').
Der Eber gait in unserer alten Poesie als Bild des Helden,
und filr heldenhaft gelten alle GestirngOtter, denn sie stehen
*) Eine Untersuchung iiber dieses Marchen gab Axel Olrik in
der Zeitschrift des Vereins fur Volkskunde II, 252—258 (Berlin 1892).
2 ) Gubernatis, Die Thiere in der indogermanischen Mythologie
(Deutsche tfbersetzung). Leipzig 1874, S. 339.
29
in ewigem Kampfe mit den Wolken und der Nacht und gehen
als Sieger daraus hervor. So wird denn auch Freyja mit Grund
als kriegerische GOttin genannt Wenn ihr die Halfte der
gefallenen, die andere dem Odin zugesprochen wird (Grim-
nism. 14. Gylfaginning c. 24), so weist das deutlich auf den
Yertrag zwischen Wanen und Asen (oben S. 26). Und wenn
geglaubt ward, dass die Seelen der Jungfrauen nach dem Tode
zu ihr fahren (es ergibt sich aus Egilssaga 78, 19) ! ), so er-
weist sich die germanische Freyja, gleich der hellenischen
Despoina, auf Grund ihrer Eigenschaft als ErdgOttin auch als
Unterweltsgottheit.
Die hohe Bedeutung der WanengOttin (Vanadis, Vana-
brudr) tritt aus allem diesem heraus. Sie ist die grosse
weibliche Gottheit der Ingvaonen, die bei den anderen Ger-
manen mit denselben Grundzugen und nur mit anderem Namen
erscheint, als Frija oder Frigg, die Geliebte oder die Gattin 2 ),
namlich des grossen Volksgottes. Auch hier ist das Eigen-
schaftswort zum Eigennamen geworden.
Der uralte Germanengott war der leuchtende Himmels-
gott, Tiuz (Hjevaz, Hevaz), dessen Verehrung ganz besonders
von dem Swebenbunde treu bewahrt ward, der aber ursprttng-
lich der hOchste Gott aller Germanen gewesen ist 8 ). Ihm wird
die grosse GOttin in altester Zeit vermahlt gewesen sein,
Frija also zu ihm geh6rt haben. Wenn wir kein ausdrilck-
liches Zeugnis dafur besitzen, so erklart sich das aus der
frtlh eingetretenen besonderen Beziehung von Tius auf den
Krieg: den ROmern erschien er als Mars, den Germanen als
1 ) Auch von Gefn, in der wir die gabenselige, milde Eigen-
schaft Freyjas besonders ausgestaltet sehen, hiess es, dass sie, die
jungfrauliche Gottin, alle Jungfrauen nach deren Tode zu sich nehme.
2 ) Diese Deutungen des Namens aus dem St. pri, germ, fri,
hat schon Pott Etymol. Forsch. 2, 425 gegeben.
3 ) Auch noch die Tencterer nannten den Mars den pracipuus
deorum (Tacit, hist. 4, 64), so wie er als regnator omnium deus, als
das initium gentis bei den Semnonen und alien Sweben verehrt
worden ist (German. 39).
30
wigans 1 ), Kriegsgott. Und wie auf den lateinischen Votiv-
steinen, die von germanischen Gardereitern, den von Trajan
errichteten equites singulares, herrtthren, dem Mars nach
Zangemeisters Beobachtung 2 ) die Victoria beigesellt ist, so
wird die Gattin des Tius dieselbe Einengung ihres Wesens
erfahren haben und aberwiegend zur KriegsgOttin geworden
sein. Da wir nun wissen, dass die Friesen den germanischen
Mars besonders verehrten, werden wir die Baduenna, deren
Hain im friesischen Lande lag und deren Name von badu, der
Krieg, abgeleitet ist, far die Gefahrtin Oder Gattin des Tius-
Mars halten diirfen.
Durch eine Nachricht tlber die von einem Theil der
Sweben verehrte Is is, die Tacitus (German. 9) gibt, erkennen
wir, dass die Bedeutung der Gemahlin des grossen Sweben-
gottes wenigstens landschaftlich noch die alte im 1. Jahr-
hundert n. Chr. geblieben war. Was der rOmische Autor von
dem fremden Kult der fremden GOttin sagt, ist rOmische
Deutung der Nachricht, dass bei swebischen VOlkerschaften
eine GOttin durch Opfer verehrt ward, deren Symbol das Schiff
war. Das erinnerte ihn oder seine Gew&hrsmanner an das
Fruhlingsfest der Isis, das am 5. Marz in Rom als navigium
Isidis (Schiff der Isis) begangen ward. Schiff und Pflug sind
nun Symbole der germanischen Frtthlings- und SommergOttin,
die bei den Festen derselben in festlichen Aufztigen herum-
geftihrt wurden, und so kamen die ROmer darauf, diese germa-
nische Gottheit als Isis zu interpretiren. Diese GOttin kann
keine andere als Frija gewesen sein, die einzige grosse deutsche
GOttin, von der wir wissen. Da die Sweben aber Tiuverehrer
waren, ist zugleich Frija als Gemahlin des Tius erwiesen 8 ). Auch
2 ) In der Deutung der Inschrift auf der bei Tongern 1855
gefundenen Bronzetafel nehme ich mit Cosijn den Dativ Vihansae
als Dativ eines mannlichen Wiham, nach der i-Declination, zu der
ans gehOrte, wie schon der N. PI. anseis, altn. asir beweist.
2 ) In den neuen Heidelberger Jahrbuchern V. 51.
8 ) Mit den Attributen der Isis erscheint auf rOmischen Votiv-
steinen am Niederrhein, die von ROmern und Belgen gesetzt wurden,
eine dea Nehalennia, die man endlich aus der Liste der germanischen
GOttinnen streichen sollte!
31
die Dienerinnen Var und Syn der nordischen Frigg deuten auf
ihre alte Verbindung mit Tius, dem Dinggott. Aber Tins, der
mit dem Gott der Istv&onen, dem Wodan, sich in die religiose
Herrschaft aber das binneniandische Germanien theilte, trat
nach und nach in den Hintergrund. Die Wodanverehrung
breitete sich aus und Wodan -Mercurius erhub sich zum
Hauptgott zuerst in dem deutschen, dann auch. Vnx noiflt-
germanischen Kult. So wird nun auch Frija- Frigg zur Grattin
Wodan -Odins.
Ihr Wesen ist dem der Freyja durchaus gleich: auch
sie war eine HimmelsgOttin, die segnend und befruchtend auf
das Erden- und Menschenleben wirkte. Der Mythus von dem
Halsband, den wir bei Freyja kennen lernten, ist vielleicht
auch von ihr erzahlt worden *), wenigstens ging in Banemark
eine Sage, dass sie aus allzugrosser Freude am Golde die
eheliche Treue verletzt habe (Saxo I, 42). Auch hier wird
das Gold, wie bei Freyja, auf die Sonne zu deuten sein, und
die Wohnung der Frigg im Wasser (den Fensalir) auf das
Meer, worein die Sonne allabendlich zur Ruhe geht, wie der
Wanderer abends in seinem Hause. In dem einen Merseburger
Zauberliede ist die Wandrerin (Sinthgunt) die Schwester der
Sunna, die hier neben der Frija auftritt, obgleich ursprunglich
beide eins sind.
Fttr das Wesen 2 ) und die Aeusserungen ihrer Macht sind
die Personificationen bedeutsam, die der Frigg in der nordi-
schen Mythologie als gOttliche Dienerinnen beigegeben sind:
Full a, die GOttin der Fillle, des Reichthums, die in Deutsch-
land ihr als Schwester beigegeben war (Merseburger Spruch 2);
HI in, die schtltzende; , Gna, die rasche Botin; Saga, die viel-
kundige Erzahlerin, die wie Frigg selbst, im Wasser wohnt
und dem Odin taglich erzahlt, was sie weiss; Eir, die hilf-
reiche; Snotra, diekluge; Siofn, die derLiebe waltet; Lofn,
!) Miillenhof, Frija und der Halsbandmythus in Zeitschrift f.
deutsch. Alterth. XXX, 217—260.
2 ) Das alteste Zeugniss fur den Namen Frija gibt die tJber-
setzung des lat. dies Veneris in Frijutac, woraus zugleich erhellt, dass
die heidnischen Deutschen sie der Venus ahnlich hielten.
83
die uber die VerlObnisse gesetzt ist, wie WAr Qber Treue und
Eid; Syn, die den Rechtsgang hiitet. 1 ) Es sind das alles nur
personificirte Eigenschaften der Frigg.
Ihre Verbindung mit Odin erscheint in der nordgerma-
nischen Mythologie ganz fest; Tyr ist hier unbeweibt. Sie
sitzt neben Odin auf der Hausbank und schaut auf die Welt
lierab, gleich der Hausfrau, die das Treiben im Hofe beob-
achtet. Auch die langobardische Sage schildert sie wie eine
menschliche Hausfrau 2 ), an die man sich wendet, ura von
dem Gemahl etwas zu erreichen: d£r kluge Rath und die
entschlossene That Freas verschaffte den Winilen den Namen
Langobarden und als Namensgeschenk den Sieg tiber die
Wandalen (Prolog zum Edict K. Rotharis ; Paul. Diakon. 5, 8).
In Deutschland ist Frija (wie der eine Merseburger
Segen sie nennt) durch die Sage von der weissen Frau f ) in
ihrer altesten Natur bis heute in der Erinnerung geblieben,
wenn die Volkssagen auch den alten Mythus nur entstellt
und modernisirt tiberliefern. Die Erl5sung der in einen Berg
oder eine verfallene Burg gebannten Frau oder Jungfrau
durch die unerschrockene That eines Mannes, der dafur einen
Schatz gewinnt, geht zuruck auf die Mythe von der geraubten
und gefangenen Sonnenfrau, die in den Winterwolken ver-'
schlossen, durch einen Gott oder einen halbgOttlichen Helden
'den Winterdamonen entrissen wird; der Schatz des Somraer-
lebens ist zugleich dadurch gewonnen.
Die Erinnerung an Frija lebt ferner bis in die Gegen-
wart hinein in den Volksuberlieferungen von einem viel-
namigen, geisterhaften weiblichen Wesen, das im Laufe der
vielen Jahrhunderte und unter dem Einflusse der Kirche
2 ) "War und Syn sind juristische Personificationen und zeugen
auch dafur, dass Frija urspriinglich zu Tius, dem Dinggotte, gehorte.
2 ) In echter Kyffhausersage ist die Konigin Holle die Wirth-
schafterin des Kaisers Friedrich: Emil Sommer, Sagen, Marchen und
Gebrauche aus Sachsen und Thiiringen, S. 6.
3 ) A. Kuhn in der Zeitschrift fur deutsche Mythologie 3,
368—392. E. H. Meyer, German. Mythologie 367.
83
nattirlich die alten heren gOttlichen Ztlge meist verloren hat
und zu einem Schreckgespenst entartet, aber jedem freien
und kundigen Auge hinter dem triiben Nebel noch erkennbar
ist. Selbst der Name Frija oder Frigg ist landschaftlich noch
erhalten, und die anderen Benennungen werden als Attribute
durch das in einer Madrider Handschrift des Corrector des
Burchard von Worms erhaltene Friga holda erwiesen. Aus
den zahllosen Volkssagen ergibt sich diese geisterhafte Frau
deren verbreitetste Namen Holle und Berchte sind, als eine
gOttliche Erscheinung, die zu dem Seelen- und Erdenleben
in enger, fursorglicher Beziehung steht. Sie schiittelt den
Schnee herab aus den Wolken, sie hilft beim PflQgen und
dem Flachsbau, sie wacht fiber dem Fleiss der Spinnerinnen.
Eine merkwttrdige uralte Uberlieferung hat sich am
Harz (Lauterberg) erhalten *), dass Frau Holle aus dem Flachs
den sie in den ZwOlften auf dem Wocken finde, ein Netz
spinne, mit dem sie die fange, welche im nachsten Jahr
sterben sollen. Hier ist sie TodtengOttin, und zu solcher hat
sie sich besonders als Gattin Wodan-Odins entwickelt, der
ein Ftthrer der abgeschiedenen, in den Lttften wohnenden
Seelen (neben seinen anderen Eigenschaften) war, und nach
heute noch geltendem Volksglauben mit der Nachtjagd, dem
wuthenden Heer (Wodans oder Wuotans Heer), der wilden
Fahre (der wilden Schaar), durch die nachtlichen Lilfte, zu be-
sonderen heiligen Zeiten namentlich, stQrmt. Gleich ihm jagt
auch Frija mit den Geistern einher (so schon in dem bei
Burchard v. Worms gebttssten Aberglauben), oder wenn sie
milder auftritt, schreitet sie durch das Land, hinter sich die
ungetauft verstorbenen Kinder.
^ Mittheilung von Herrn GR. Wilh. Schwartz. Das Netz
geisterhafter Wesen ist auch sonst bekannt: Der bflhmische Wasser-
inann (Sage aus Moldautein) spannt ein unsichtbares Netz tiber den
Fluss; wer hineinkommt, ist auf ewig verloren (Vernaleken, Mythen
und Brauche in Osterreich, Wien 1859, S. 163). Auch in des Strickers
Daniel (4128. 7459) ist ein solches Netz gespannt, Vgl. auch Rosen-
hagen zu Daniel 4128.
Weinhold, Deutsche Frauen. I. *
8*
Interessant ist die Fortfristung der alten Namen in
landschaftlichem Wechsel, den wir von Nord nach Slid durch
Deutschland verfolgen kOnnen 1 ).
Den Namen Frie, Fr6e (man erinnere sich der lango-
bardischen Frea), Fricke*) (altn. Frigg), Frecke finden wir
noch auf Rtlgen, in Pommern, in der Ucker- und Neumark,
auch im alten Ostfalen (Halberstadt) festgehalten.
In Mecklenburg, in der Priegnitz und der nOrdlichen
Altmark heisst sie Fru Wod, Fru Goden, Fru Gode, nach
ihrem Gemahl, dem Wodan.
In der sildlichen Altmark, im Havellande und in Ruppin,
in den Jerichowern Kreisen, ferner in der Zauche, im Flaming,
auch um Wittenberg und Torgau, ferner im Magdeburgischen
und durch Anhalt bis zum Petersberge bei Halle ist die Fru
Herke (Harke, Harfe) nicht vergessen.
Weit ist das Gebiet der Frau Holde oder Hulde, ge-
wOhnlich mit Angleichung von Id zu B, Ho lie genannt, die
Herrin der Holden, der guten Holden, der' elbischen Geister
und auch der Seelen der Ungeborenen oder Verstorbenen.
Der Name ist bezeugt aus dem stidlichen Niedersachsen Ost-
lich der Weser, einzeln auch aus Westfalen und dem Magde-
burgischen, ferner bekanjit aus Hessen, vom Westerwald,
aus der Wetterau, aus Thiiringen, dem Mansfeldischen, aus
dem Vogtlande 8 ) und Schlesien. In Siebenbiirgen sind nur
geringe Spuren von ihr geblieben.
Aber auch in Tirol erscheint Holle : im Oberinnthal und
Otzthal. Im Pusterthal klingt er an in den Hollenleuten
(J. Zingerle, Sagen aus Tirol. 2. A. S. 706).
Der Holde oder Holle ganz gleich ist die Berchte oder
Perchte, die am nOrdlichsten in Theilen Westfalens und im
a ) Wir verdanken die Feststellung derselben den hochver-
dienten verschwagerten Forschern A. Kuhn und Wilh. Schwartz.
Letzterer, der tiberlebende, wird tiber die sichere tJberlieferung der
neuerdings angefochtenen Namen sehr bald sich &ussern.
2 ) Das kk ist == altera gg (ggj), vgl. altn. Frigg, das auf
urgerm. jj zuriickgeht.
3 ) KOhler, Volksglaube im Voigtlande, S. 476.
$5
Thuringischen Orlagau erscheint *), fiber das altbayrische Land
verbreitet ist, auch in Schwaben und im Elsass auftritt
ebenso in Tirol, soweit hier nicht Holle der Name dieser
altgOttlichen Erscheinung ist 2 ). Ihr Wesen deckt sich ganz
mit dem der Holle. Wichtig ist, dass sie auch mit dem alten
Symbol der Frija, dem Pfluge, auftritt (BOrner 113, 126, 133)
und dabei von den Heimchen, „weinenden Kindern", d. i.
den Kinderseelen, begleitet erscheint, wie sie auch in Tirol
mit den Geistern der verstorbenen Kinder umzieht. Aus dem
fortlebenden Volksglauben ergibt sich die heilige Zeit des
Mittwinters als ihr besonders heilig ; der letzte Tag derselben
war ihr geweiht; da kehrte sie (so dtlrfen wir das alte aus
den Trfimmern herstellen) von ihren Umztlgen, auf denen
sie von dem elbischen Gefolge begleitet war, in ihr Heilig-
thum zuruck. Der Name Perchtentag 8 ) und das zu demselben
stattfindende, jetzt fast erloschene Perchtenlaufen oder Perch-
tenspringen 4 ), bewahrt die Erinnerung. Dass die segnenden,
fursorgenden, mutterlichen Eigenschaften der Frau Berchta
und Entstellungen in das Wilde, G-espenstische, Unheimliche
in der Volkstlberlieferung durcheinandergehn, darf keinen
wundern. Aus der Erhaltung des Gedachtnisses an die grosse
heidnische GOttin durch weit tlber tausend Jahre bis zur
Gegenwart lasst sich schliessen, wie verehrt und geliebt
Frija von dem ganzen Volke der Germanen gewesen ist. Die
hehre, holde, gianzende Frau des grossen Volksgottes lebte
fort neben der durch die christliche Kirche vergOttlichten
Heilandsmutter Maria. Das deutsche Yolk kennt sie bis in
unsere Zeiten als eine WolkengOttin, die Schnee und Regen
1 ) Gerade aus dem Orlagau hat BOrner in seinen Sagen die
wichtigsten Perchtamythen geschopfb.
2 ) Von dem stidlichen Eisackthal, wohin sie aus Bayern (Freising)
gekommen war, drang sie nach Welschtirol hinab, wo man sie als
Froberte, la d<mna Berta, la brava Berta kennt.
8 ) Es war ein . unglucklicher Einfall Schmellers, die Perchta
als Personification des Epiphanientages zu nehmen.
*) Mannhardt, Wald- undFeldculte 1, 542 ff. Weinhold, Weih-
nachtspiele 20 ff. .
a*
herabschickt; die als befreite SonnengOttin mit ihrem Pfluge
und Wagen 1 ) umherzieht und die Felder segnet, den Flachs-
bau und das Spinnen htltet ; die Qber den Seelen der Menschen
waltet und sie aus ihren Brunnen in Kindesgestalt ins Leben
schickt, und die Verstorbenen wieder an sich nimmt und an
der Spitze der abgeschiedenen Geister durch die Ltlfte rauscht.
Wenden wir uns wieder nach den skandinavischen
L&ndern. Der eigentliche Landgott derselben war der Donner-
gott, Thonarr Oder, wie er nordisch gewOhnlich hiess, Th6rr.
Als seine Mutter wird Jprd, die Erde, genannt, oder auch
Fiprgyn, die GOttin des Gebirges*). Als ein Name der Jprd
findet sich nordisch auch HI 6 dy n, von dunkler Bedeutung, die
man aber kaum der auf lateinischen am Niederrhein und in
Friesland gefundenen Votivsteinen genannten dea Hluda (dat.
Hludanae) vergleichen darf. Es waren rOmische Fischerei-
p&chter, die diese Steine setzten.
Vermahlt ist Th6rr mit Sif 8 ), der schOnhaarigen GOttin,
deren Goldhaar Loki hinterlistig abschnitt. Th6rr zwang ihn,
einen Ersatz durch die Kunst der Zwerge zu schaffen, die
ein neues [Haar schmiedeten, das wie naturliches auf Sifs
Kopf anwuchs. Das ist der einzige Mythus von dieser GOttin,
der sie wohl als eine ErdgOttin darstellt, deren Schmuck zeit-
weilig vernichtet wird, aber aus dem Erdinnern wieder heraus-
wachst. Der Name Sif wird ein Attribut sein und kann die
Erfreuende bedeuten 4 ).
a ) Mit dem Wagen zieht Perchte nach Tiroler, Holle nach thiirin-
gischer Sage um, gleich der Nerthus.
2 ) got. fairguni, Berg; als Namen deutscher Bergztige sind
aus fruhmittelalterlichen Quellen tiberliefert Virgunnia, Fergunna.
Die Bedeutung Regen- oder Wetterwolke hat das Wort im Ger-
manischen nicht gehabt.
8 ) An einigen Stellen heisst Th6rs Gemalin Jarnsaxa, eine
Riesin, nacfr dem dunkeln Felsgebirge genannt.
4 ) 0. Wamatsch in den von F. Vogt herausgegebenen Bei-
tragen zur Volkskunde (Breslau 1896), S. 243, leitet Sif (ein ,;o-stamm)
von einem St. 'aeifan, von dem got. sifan, ags. sifjan, gaudere, ab-
37
Eine nordische GOttin ist dann Gefjon, von der (am
fruhesten in einem Fragment Bragi des Alten) die Mythe
ging, sie sei einst aus der Riesenwelt mit einem Pfluge ge-
kommen, vor den sie vier Stiere gespannt hatte. Sie pflugte
ein grosses Stuck Land ab, das sie Selundr nannte, es trieb
westwarts. Ein Wasser aber entstund, wo sie es ausgepfltlgt
hatte. Es ist die in einer Mythe bewahrte Erinnerung an
eine gewaltige Sturmfluth und die Seenbildung des Malar in
Uppland (Mttllenhoff, Deutsche Alterthumskunde 2, 361). Gefjon
muss also eine MeeresgOttin gewesen sein; ihr Name, der
mit dem altsachsischen geban, ags, geofon, die See, zusammen-
hangt, best&tigt es.
Von ihr zu trennen ist die jungfrauliche Gefn, die nur
eine Abspaltung von Freyja ist und sie als die gebende,
milde bezeichnet (vgl. S. 29). Auch I dun wird nur eine
jiingere Gestaltung der Idee des wieder erwachenden Lebens
der Natur sein, das durch die winterlichen Machte (Thiasi)
nur voriiibergehend geraubt werden kann. Sie ist also aus
Frija entstanden.
Eine MeeresgOttin ist auch Ran, des alten Meergottes
Aegir oder Gymir Weib, schon nach ihrem Namen die raube-
rische, die VerkOrperung der wilden, grausamen, habgierigen
Natur der See. Wahrscheinlich bezeichnet sie nur eine Eigen-
schaft der GeQon, die, von dieser abgetrennt, eine besondere
Personification erfuhr. Die neun TOchter, welche sie mit
Aegir hatte, ergeben sich durch ihre Namen als VerkOrpe-
rungen der Wogen. Ran fischt alle Ertrunkenen mit einem
Netze auf und behalt sie bei sich. Wer ihr Geld mitbringt,
dem ist sie freundlich, denn alle Wassergeister sind habgierig.
Auch der Ran, so wie der GeQon stellt die deutsche
Mythologie nichts gegentlber, und ebensowenig der nordischen
Hel, der UnterweltsgOttin, die zu der bOsen Sippe Lokis ge-
rechnet ward und in der finstern und kalten Nebelwelt (Nifl-
geleitet sind. — Als Gemahlin des Donnerers kOnnte sie auch als
Gewittergottin genommen werden (W. Schwartz, Ursprung der
Mythologie, S. 144). Allein Thorr ist auch der Gott des Ackerbaues
und so scheint die chthonische Natur der Sif vorzuziehen.
heim) einen grossen Hof hatte, darin sie alle aufnahm, die
an Krankheit und an Alter starben. Ste ist der Gegensatz
zu Frija-Freyja. Keine Mythe geht von ihr, sie ist nur eine
Personification des Grabes.
Uber dem Leben der Menschen waltet das Ge Schick,
das mit dem Tode des Einzelnen endet. Die Germanen nannten
esWurth: in den alten deutschen Dialecten linden wir alt-
hochdeutsch wwrt mit der Bedeutung von Schicksal (fatum,
fortuna, eventus) ; im angelsachsischen wurfh als Verhangniss,
Tod, im altsachsischen wyrd auch als Geschick, Verhangniss.
Der Ubergang aus dem abstracten Begriff in ein persOnliches
Wesen ist altsachsisch und angelsachsisch mehr oder minder
vor sich gegangen; am entschiedensten im Altnorwegisch-
isiandischen, wo aus dem abstracten turdr, yrdr die machtige
Gestalt der NorneUrdr herausgewachsen ist, die unter einer
der drei Wurzeln des Weltbaums ihren Brunnen hat, zu dem
die GOtter kommen, Urtheil zu schOpfen. Aber Urctr selbst
schafft (urtheilt), und auch im deutschen Glauben hiessen die
den Nornen verwandten Schicksalsgeister die raschen SchOf-
finnen, die gachschepfen (Yintler, Blume der Tugend 7865),
denn das Schicksal schafft rasch.
Aus den geisterhaften Wesen, die das Leben des ein-
zelnen Menschen geleiteten, den Folgegeistern (fylgjur), wie
sie im Norden hiessen, und die aus den Yorstellungen von
<ier menschlichen Seele sich entwickelten, stammen die
Schwestern Oder Genossinnen der Urdr, die Nornen inornir).
Das Wort norn kommt nur im Altnorwegisch-islandischen
vor und ist noch nicht sicher gedeutet. Von drei Kiesen-
madchen, grossmachtigen, spricht die Vpluspa; an jftngerer
Stelle werden die Namen Urdr, Verdandi, Skuld genannt
und ihre Thatigkeit bezeichnet als Gesetze setzen, das Leben
kiesen den Menschenkindern , und das Schicksal verkttnden.
Sie wirken die Faden des Lebens, sie spinnen und weben.
Und wie das Leben licht und dunkel ist, so sind auch die
Nornen gtinstig und ungtinstig den Menschen und die eine
namentlich (im Norden Skuld) gilt als grimm und bOse.
Dass in Deutschland ein ganz ahnlicher Glaube an solche
weibliche G-eister gebliiht hat, beweisen die noch heute in
Silddeutschland lebenden Sagen von den drei Jungfrauen.
Das fruheste Zeugniss gibt, freilich erst aus dem Anfang
des 15. Jahrhunderts , der Tiroler Hans von Vintler in
seiner Blume der Tugend (7863 ff.): „manche Leute haben
den Wahn, dass unser Leben die G&chschepfen geben \m4
dass sie uns hier regieren, und viele Diernen sprecheiv, sie
richten tlber uns auf Erden". Das sind also ganz die Nornen.
Auch der Name Heilratin erinnert an isl&ndische Ausdrilcke
fiber die Thatigkeit der Nomen.
Was sich ferner aus dem Volksglauben in den alt-
bayrischen Landen Ober- und Mederbayern, Tirol, Oberpfalz 1 )
sowie aus Mittel- und Kheinfranken und Elsass, auch aus d '
Schweiz ergibt, bezeugt den Glauben an drei Frauen oder
Jungfrauen, die in BerghOhlen und in der Nahe von Gewassern
wohnen, spinnen und singen (es ist dabei an Zauberlieder
zu denken), Faden und Seile spannen, auf Leben und Tod
der Menschen Einfluss haben, und sich namentlich bei Ehe-
schluss und Kindersegen theilnehmend zeigen v Sie sind die
einen weiss, die dritte schwarz.
Von dem festen Glauben an die drei Schicksalsfrauen
in Silddeutschland zeugt ihre Aufnahme unter die kirchlichen
Heiligen unter den Namen S. Einbet, S. Warbet (Walbet,
Yorbet) und S. Wilbet 2 ). Sie wurden zu Gefahrtinnen der
h. Ursula gemacht, hatten aber das Martyrium nicht getheilt,
weil sie zur Pflege der h. Aurelia in Strassburg zurilckblieben,
Dort starben sie auch nach der Legende und wurden in der
Kirche Altsanctpeter bestattet. In Worms, wo sie auch eine
alte Verehrung genossen, machte sie die Sage zu Tochtern
!) Vgl. namentlich Fr. Panzer, Beitrag zur deutschen Mythol,
I, 1-209.
2 ) Fr. Panzer, Bayrische Sagen und Gebrauche I, 6. 23. 31. 69.
J. Zingerle, Sagen von Tirol (2 A.) 29—31. 596, und in der Zeitschrift
d. Vereins f. Volkskunde II, 323. — Rochholz, Die drei Gaugottinnen
Walburg, Verena und Gertrud als deutsche Kirchenheilige. Leipzig
1870. W. Hertz, Deutsche Sage im Elsass 51.
des BurgunderkOnigs Gunther und liess sie von den Hunnen
wegen der Treue gegen Christus zu Tode martern. Aus
dem alten Bergkloster wurden ihre Steinbilder spater in den
Hochchor des Doms tlbertragen. Grosse Verehrung geniessen
sie noch heute in Ober- und Niederbayern, namentlich in
Schildturn, sowie in Meransen in Tirol. Bei DOrre und in
Pest- oder Seuchezeiten werden kirchliche Bittgange zu ihnen
gehalten, sie gelten aber auch in Schildturn als hilfreich bei
Unfruchtbarkeit und in Geburten.
In Norddeutschland sind die Sagen von den drei Jungfern
sehr verblasst und nicht haufig.
Dass der Glaube an diese SchicksalsgOttinnen auch in
England bestund, bezeugen die drei weirdsisters in Shakespeares
Macbeth und in andern Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts,
worin sie auch weirdelves heissen (J. Grimm, D. Mythol. 378).
An die rOmischen Parzen, die griechischen Moiren (die
im neugriechischen Volksglauben lebendig blieben) brauche
ich nur zu erinnern, um damit anzudeuten, dass es nicht
bloss im germanischen Wesen liegt, die Schicksalsgeister sich
weiblich vorzustellen. Wie die Faden des Flachses gesponnen
und daraus durch knupfen und schlingen das Gewebe wird,
so spinnen sich die Tage einer nach dem andern fort und
knapfen sich an einander, bis das Leben fertig ist. Oft bricht
der Faden ab, wie das Leben jah abreisst. Aus solcher
Vergleichung entstund das Bild der Schicksalsspinnerin „und
Weberin" '), naturlich nicht die Idee des Schicksals selbst.
Wir durfen fur die germanischen Schicksalsfrauen auch
nicht auf die hohe Schatzung des ahnungsvollen und weisen
Theils der Frauennatur besonderes Gewicht legen, da diese
damonischen Wesen nicht bloss germanisch sind. Die be-
deutendste, Wurd, ist eine Personification der aus der Er-
fahrung erwachsenen Idee vom dem tragischem Menschenlose,
3 ) In dem Corrector des Burchard von Worms XIX, c. 5, ist
eine der Beichtfragen an Frauen, ob sie beim Weben Zauberlieder
gebraucht, um Unheil anzurichten (Friedberg, Aus deutschen Buss-
biichern, S. 85).
41
vom Entstehn und Vergehn. An sie schlossen sich. (damit
kehren wir zum Ausgang zuriick) zu dieser Idee sich leicht
fttgende geisterhafte Wesen an.
Der erste Merseburger Zauberspruch *) schildert in seinein
epischen Theil die Thatigkeit tlberirdischer Frauen, Idisi
genannt, die auf einem Schlachtfeld sich hier und dorthin
niederliessen (aus den Laften kommend) und in drei Scharen
thatig sind: die einen legen Fesseln an, , die anderen werfen
sich den Feinden entgegen, die dritten lOsen die Bande des
Gefangenen, und der LOsungsspruch wird gesprochen: ent-
. spring den Haftbanden, entflieh den Feinden!
Die Idisi sind also Frauen des Walfeldes, und ihre
Thatigkeit ist nur eine Ubertragung in die mythische Welt
von dem, was die Griechen und ROmer von der Theilnahme
der germanischen Weiber an den Kriegsfahrten der Manner
erfahren hatten.
Wahrend der Schlachten stunden Weiber, Mutter,
Schwestern und Kinder hinter den Reihen der Kampfer
(Germ. c. 7). Es geschah, um die Tapferkeit anzufeuern und
die Feigheit zu beschamen (Tac. hist. IV, 18). Als die VOlker
des Ariovist in der Schlacht gegen Casar vorruckten, flehten
sie die Frauen von der Wagenburg herunter, weinend und
mit ausgebreiteten Armen an, sie vor Gefangenschaft zu
schtltzen (Casar, b. gall. I, 51). Als der Tag der Entscheidungs-
schlacht filr die Wandalen kam, hess KOnig Gelimer die
Frauen mit den Kindern und alien Schatzen in die Wagen-
burg mitten in der Aufstellung des Heeres bringen, Um die
Manner hierdurch zum aussersten Widerstande zu treiben
(Procop. b. vandal. II, 2).
In den Schlachtruf der Manner mischte sich das er-
munternde Geschrei der Weiber (Tacit, hist. IV, 18). Wandte
sich das Gefecht unglucklich, wichen die ihren, so warfen
sich die Frauen den Mannern entgegen und beschworen
dieselben, sie vor Gefangenschaft zu bewahren. Dadurch
!) Aus dem 9. Jahrhundert iiberliefert durch Eintragung in
eine Merseburger Handschrift.
ist, wie Tacitus sagt, manche Schlacht den Germanen gerettet
worden (Germ. 8). Ergreifendes erzahlt Plutarch im Leben
des Marius von den Entscheidungssctilachten gegen die
Ambronen und Kimbern. Als die Ambronen in der Schlacht
bei Aquae Sextiae zurQckwichen, stttrzten sich ihre Weiber
und Schwestern von der Wagenburg mit Schwertern und
Beilen auf die fliehenden und trieben sie gegen die ROmer.
Im wtithenden Handgemenge mit den Feinden fielen die
Frauen (c. 19). Und ebenso warfen sich die Weiber der
Kimbern auf die weichenden Manner, Brflder imd Vater,
hieben auf sie ein, erdrosselten dann, als alles verloren war,
ihre Kinder und mordeten sich selbst (c. 27). Unerschrocken
zogen die Germaninnen den Tod der Gefangenschaft vor. In
dem Kriege Caracallas waren viele chattische und alemannische
Frauen gefangen worden. Sie durften zwischen Knechtschaft
und Tod wahlen, viele wahlten den Tod. Als sie aber doch
sammtlich zum Verkaufe als Sclavinnen abgefGhrt wurden,
todteten sich manche selbst und ihre Kinder (Dio Cass. 77, 14).
Da nimmt es nicht Wunder, wenn wir von Frauen
lesen, die unter den Mannern mitstritten. In dem ersten Feld-
zuge Marc Aurels gegen die Marcomannen fanden die ROmer
auf dem Schlachtfelde die Leichen bewaffneler Weiber (Dio
Cass. 71, 3). In Aurelians Triumphzug wurden zehn Gotinnen
aufgefuhrt, die mit den Waffen in der Hand gefangen waren ;
weit mehr waren in den Schlachten gefallen (Flav. Vopisc.
vit. Aurel. c. 34).
Die rOmischen und griechischen Historiker erzahlen
also von den germanischen Frauen das, was die Mythen auf
die Idisi, die Walkuren, die Helm- und Schildmadchen Wodans,
tlbertragen hatten. Die Folge war, dass die Amazonen von
den Geschichtschreibern der spateren Zeit und des Mittel-
alters mit den tapferen Gotinnen in Verbindung gebracht
wurden 1 ). Selbst der Langobarde Paul Warnefrids Sohn er-
wahnt das Gertlcht, dass im innern Germanien ein Amazonen-
volk lebe (Paul. Diac. hist. Langob. I, 15).
*) Jordan. Getic. c. 7. 8. Procop. b. got. IV, 3. Eckehard. chron.
bei Pertz, Monum. VIII, 120 f.
43
Die Idisi entsprechen den nordischen Walktiren, aber
der Name dieser lasst sich aus Deutschland nicht nachweisen.
Doch die Spur eines verwandten gibt das ostfriesiche Wort
walrider fur den Nachtalp *), eigentlich der Todtenreiter, wie
die Walktire die Todtenkieserin ist, und zwar eine reitende.
Es liegt also sehr nahe, Walreiterin als deutschen engeren
Namen neben den allgemeineren idis (oder itis, Frau, Jungfrau
tlberirdischer Art) zu fugen.
Die skandinavischen Walkuren (ValJcyrjur *) sind in ihrem
Grundwesen mit den deutschen Idisi durchaus verwandt, sie
haben sich aber mit dem Odinsdienst in der Wikingerzeit
eigenthtimlich entwickelt 8 ). Sie wurden zum kriegerischen
Gefolge Odins, zu seinen Schildmadchen (skjaldmeyjcur), Sieg-
madchen (sigrmeyjar) ; und weil der Sieg der Manner Wunsch
ist, seinen Wunschmadchen (oshmeyjar). Er sendet sie aus,
seinen Willen in den Schlachten zu vollfuhren, den Gang des
Kampfes zu leiten, den Sieg zu bestimmen, diejenigen mit
der Waffe zu zeichnen, welche fallen sollen, und die dem
Tode bestimmten nach Valhpll, der Halle der vornehmen
Todten 4 ), zu geleiten. Auch eine Vorbereitung des Ausganges
der Schlacht ist ihnen ttbertragen, wie aus der Erzahlung in
der Ni&lssaga (c. 158) zu schliessen ist. Unmittelbar vor der
blutigen Schlacht bei Clontarf (23. April 1014), die zwischen
den Nordmannern und dem irischen OberkOnig Brian stattfand,
beobachtete ein gewisser DOrrudr zu Catanes (Caithness) durch
ein Fenster die Webearbeit von zwOlf Walktlren. Darme von
Menschen waren Schuss und Einschlag, Pfeile bildeten den
2 ) Kuhn-Schwartz, Norddeutsche Sagen, Nr. 338, 358, und Doom-
kaat Koolman, Ostfries. W6rterb. Ill, 502 f.
2 ) Von Danemark aus nach England tibertragen, walcyrigean.
8 ) L. Frauer, Die Walkyrien der nordgermanischen G-otter-
und Heldensage. Weimar 1846. W. Grolther, Studien zur germa-
nischen Sagengeschichte. 1. Der Valkyrienmythus. Mimchen 1889.
Hartland, The Science of Fayry Tales. Ch. X. XI. London 1891.
4 ) Todtenwahlerin bedeutet valkyrja; voir (m.) Tod, die Menge
der Todten, namentlich auf dem Schlachtfelde. Die Walktiren nehmen
die dem Schlachtengotte gelobten und gebrachten Menschenopfer in
Empfang.
44
Kamm, Schwerter das Blatt, MenschenkOpfe hingen als Ge-
wichte am Webebaum. Die Frauen sangen dazu dttstere
Weisen und bestimmten aus dem Gewebe den Lauf und
Ausgang der Schlacht.
Als Namen von Walkuren werden genannt Geirdriful,
Geirplul, Geirskpgul, Geirahpd, Gpll, Gpndul, Gunnr, Herfiptr,
Hildr, Hialmjjrimul, Hiprjjrimul, Hlpck, Hplk, Hrist, Hrund,
Mist, Radgrid, Randgrid, Reginleif, Sigrdrifa, Sigrto, Skeggpld,
Skuld, Skpgul, Sveid, Svipul, fygn, tryma, trudr: Namen,
die sie als gottgeborene, kraftige und zauberreiche, waffen-
geschmtickte, Fesselung und Lahmung bringende, das Geschick
entscheidende Frauen des Krieges bezeichnen. Aus der Helden-
sage kennen wir die Walkuren Brynhildr, Sigrdrifa, Grimhildr,
Sigrlinn, Signin, Svanhvit, Sv£fa.
In Valhpll 1 ) kredenzen die Walktlren den Helden den
Metbecher, des Amtes als Dienerinnen des gOttlichen Wirtes
waltend. Auch Liebschaften entspannen sich zwischen ihnen
und den seligen Kampen 8 ). Manche ist auch, wenn sie an
einem Waldsee zum Bade das Vogelgewand abgelegt hatte,
in dem sie zu Schwanen oder Krahen wurde, in die Gewalt
der Manner gekommen und darin geblieben, bis sie das Feder-
kleid wieder erlangte und als Vogel entfloh. Die Grenzen
zwischen dem gOttlichen und menschlichen verschwimmen
hier, wie bei den unteren Gottheiten und den Heroen uber-
haupt. Die Frauen der Wolsungen- und Helgisage: Signy,
Brynhildr, Gudnin, Svafa, Kara verrathen durchaus ihren
HbermenschlichenUrsprung. DerGlaube scheint auch geherrscht
zu haben, dass mannergleiche Heldinnen, wie es deren genug
in der Wikingerzeit gab, Walktlren werden konnten; ebenso
dass Walktlren bleibend im Gefolge bertlhmter KOnige zogen.
Sigrun, Hagens Tochter, ist ganz Walktlre, obschon sie in
J ) Eigentlich die Todtenhalle, aber von den Odinsglaubigen
und den Dichtern zur glanzenden KOnigshalle ausgestaltet, die nur
vornehme Todte, die durch die Waffen fielen, aufnahm.
2 ) Die vedischen Apsaras, die Gottermadchen, die gleich den
Walkuren Schwangestalt annahmen, stehn selbst zu Indra in sehr
vertrautem Verhaltniss.
45
menschlichen Verhaitnissen steht. Als Guetrun den At
seinem ganzen Hofgesinde aus Rache in der Halle verbrennt,
sterben auch Walktiren (skialdmeyjar) in der heissen Lohe
(Atlaqu. 45). In der Bravallaschlacht k&mpfen die Schild-
jungfrauen Wisma, Heidr und Vebiprg auf Seite des Danen-
k6nigs Harald Hilditonn und sind die Puhrerinnen dreier
Heerhaufen 1 ). Die romantischen Sagen von Hervpr Angantyrs
Tochter und Hervpr Heidreks Tochter*), ihrer Enkelin, wurzeln
in wirklichen Zustanden der Wikingerzeit, die mit dem Ende
des 8. Jahrhunderts begann. Die Norweger nahmen ihre Frauen
mit auf die kriegerisch-rauberischen Seefahrten und bewaffhete
Madchen (skialdmeyjar) haben an den Kampfen wirklich theil-
genommen (Joh. Steenstrup, Normannerne 2, 127).
Die Walktiren werden als schOne Madchen geschildert;
weiss, gianzend wie die Sonne, von strahlendem Antlitz, gold-
geschmuckt heissen sie; dabei sind sie wissend und weise.
Mit Helm und Schild, in fester Brttnne, von Blitzen umspielt,
reiten sie durch die Ltlfte und uber die Wasser. Schtltteln
sich die Rosse, so fallt von den Mahnen fruchtbarer Thau in
die Thaler und Hagel auf die Waider. Sie erscheinen zu drei,
sechs, neun, zwOlf und dreizehn.
Hat auch der Krieg in der nordischen Vorstellung das
Wesen der Walktiren ganz durchdrungen, so sind doch noch
Andeutungen der alten elementaren Natur dieser damonischen
Madchen in dem Thau und Hagel geblieben, den ihre Rosse ab-
schtltteln. Denn sie sind ursprunglich Greister der Wolken 8 ), die
vom Wind gejagt uber Land und See fliegen, Boten des Sturm-
gottes, leuchtend in den Bhtzen, rasselnd in dem Donner.
Es hat sich ein sehr altes angelsachsisches BeschwOrungs-
lied gegen den Hexenschuss und Rheumatismus erhalten 4 ),
das die Luft- und Wolkenfrauen bewafifnet vorftthrt und Pfeile
und Speere sendend auf die Menschen ; das Spell soil die Eisen
*) Sagabrot of fornkonungum, c. 8.
2 ) Hervararsaga, c. 6. 7. 18.
8 ) Eine Walktire heisst Mist, Nebel.
4 ) J. Grimm, Deutsche Mythol. 1191. 2. A. Grein-Wulcker r
Biblioth. d. angels. Poesie, S. 317.
46
wieder heraustreiben, bei Anwendung zugleich einer Salbe, die
aus Butter und den Krautern Febrifugia, rothe Nessel und
Wegebreite gesotten ist.
„Laut waren sie, ha! laut, da sie ttber den Httgel ritten,
waren einmttthig, da sie fiber Land ritten. Schirme du dich
nun, der du von diesem Hass genesen willst : heraus, kleiner
Speer, wenn er drinnen sei! — Ich stund unter Deckung,
unterm hellen Schilde, da die machtigen Weiber ihre Schar
ordneten und ihre gellenden Gere entsandten. Ich will ihnen
einen andern wieder senden, den fliegenden Pfeil von vorn
entgegen: heraus, kleiner Speer, wenn er drinnen sei! — Es
sass ein Schmied, schlug das kleine Messer heraus,
kleiner Speer, wenn er drinnen sei ! — Sechs Schmiede sassen,
fertigten Todesspeere. Heraus Speer! nicht sei drinn, Speer!
Wenn hierin sei des Eisens Theil, es soil schmelzen! — Wenn
du warst in die Haut geschossen Oder in das Fleisch oder in
das Blut, oder in die Glieder geschossen, nimmer sei dein
Leben getroffen! Wenn es sei der Ansen Geschoss oder der
Elben Geschoss oder sei der Hexen Geschoss: nun will ich
dir helfen. Dies sei dir zur Heilung des Ansen Geschosses,
dies fur das Elben Geschoss, dies fur das Hexen Geschoss:
ich will dir helfen. Entweich ins Gebirge . . . helfe dir der
Herr! a
Wenn eine weisse Wolke am Horizont aufsteigt, fragt
der Esthe: „Welcher weisser Schwan fliegt in die HOhe?" 1 )
Dieser bildliche Ausdruck erkl&rt aufs einfachste die elbischen
Madchen, die Schwanengestalt annehmen, alsWolkengeister.
Legen sie die Verwandlung wieder ab, so stehn sie, nach
dem durchgehnden Gesetz der KOrperverwandlung, das bei
alien VOlkern gegolten hat, in nackter menschlicher Gestalt
da. Viele Sagen 2 ) erzahlen da von, wie sich ihrer dann Heroen
oder menschliche Manner bemachtigen und sie einige Jahre
besitzen, bis das Schwanmadchen, d. i. die Wolkenfrau, wieder
in ihr Reich entflieht. Dieses Wolkenreich ist zugleich das
*) Castreen, Finnische Mythol. 71.
2 ) Grimm, Mythol. 398. fl. A. Kuhn, Westf&l. Sagen 1, 219.
47
Reich der vom Menschenleibe gelOsten Seelen. In der Schwan-
rittersage 1 ) liegt dafilr ein bekanntes Beispiel vor: die ge-
heimnissvolle Heimat Lohengrins ist die Todtenwelt.
Die Verbindung der elbischen Geister mit den Menschen
ist in dem Alp- oder Martenglauben noch heute fest-
gehalten. Im Volke lebt jetzt noch die Meinung, diese oder
jene Frau, dies oder das Madchen mtisse in der Nacht in
irgend welcher Gestalt als Alp oder Mart umwandeln. Der
Leib liege inzwischen steif, die Seele schliipfe aus ihm und
suche andere Menschen auf und angstige sie. VermOge der
be&ngstigte Mann den Alp zu fassen oder festzuhalten, so
wandle sich dieser in ein nacktes Weib, werde also wieder
was er war. Hier tritt ebenso wie im Hexenglauben die enge
Beriihrung mit den Wolken- oder Schwanfrauen heraus.
Die tiberg&nge zwischen den einzelnen Arten der
Elbinnen sind tiberhaupt unmerkbar. Wie sich die Wolken
auf den Bergen und den Waldern gern niederlassen und dann
wieder in die HOhe schweben, so bertthren sich die Wolken-
und die Waldfrauen und die Elbinnen der BerghOhen sehr
nahe. Die Wolken sind die Vermittler zwischen Himmel
und Erde, zwischen dem gOttlichen und menschlichen Reich.
Die elbischen Madchen begehren nach Verkehr mit den
Mannern der Menschen und bethOren sie leicht, denn sie
verwirren die Sinne, und die Berilhrung mit der Geisterwelt
bringt Unheil. Die lieblichsten von ihnen sind die s&ligen
(saligen) Fraulein der deutschen Alpen, auch Wildfrauen
genannt, weise giltige Madchen, die in den FelshOhlen
wohnen, die Thiere des Gebirges schutzen, schOn singen und
mit den Hirten gern verkehren.
Die Baumgeister bilden wieder fur sich eine Schar ; die
einen von ihnen sind riesige Weiber, oder wenigstens mit
Flechten und Moos bewachsenen Baumen gleiche, rauhe und
starke GesohOpfe; die andern ein zwerghaftes Volkchen, das
i) W. Muller, Die Schwanrittersage, in Pfeiffers G-ermania 1,
418-440.
48
von dem Sturm geruttelt und verfolgt wird: die Holz-,
Busch-, Loh- Oder Moosweiblein ').
Die allgemeinen Eigenschaften der Elben tragen auch die
Wasserfrauen, die Nixen, denen in der Regel das Wilde
und Grausame der m&nnlichen Wassergeister nach der Volks-
sage nicht anhaftet. Es sind schOne, wohlgebildete Madchen 2 ),
die wie alle Elbinnen Gesang und Tanz lieben, unter die
Menschen kommen, gern Liebschaften ankntlpfen, die aber
weder ihnen noch den Jtlnglingen Glilck bringen. Wie alien
Wassergeistern war auch diesen Nixen die Gabe der Weis-
sagung verliehen.
Das Verlangen nach dem Verkehr mit den Menschen
ftthrt die Waldelbinnen nach Tiroler Sage oft in die Hauser
und HOfe der Menschen, wo sie allem Segen bringen und
rustig schaffen, bis sie plOtzlich in ihre Welt zurackgerufen
werden.
Wenn in Stiddeutschland den Holz- und Waldfraulein
ein Ahrenbiischel auf dem Felde stehn gelassen wird, so sehen
wir den Ubergang der Wald- in die Feldgeister. Das
Oberhaupt derselben ist die Kornmutter (Kornwif, Roggen-
moeme), die in sehr verschiedenen Gestalten geschildert wird *),
ihre echte gOttliche Erscheinung aber hat, wenn sie als hohe
weisse Frau durch das wogende Getreide schreitet. Sie ist
die segnende grosse ErdgOttin. Gute Ernte Oder Hungersnoth
hangt von der Gunst der Feldgeister ab. In der Regel sind
sie gute Geister, wie schon ihr alter Name Bilweisse (bilvite)
bezeugt, der freilich spater auf sch&digende Wesen tlbertragen
worden ist.
a ) tJber die Waldgeister W. Mannhai'dt, Wald- und Feldculte
1, 72—154. Berlin 1875.
2 ) tJhQT die KOrpergestalt der Nixen s. meine Abhandlung
in der Zeitschr. des Vereins fur Volkskunde V, 121 — 133: Beitrag
zur Nixenkunde, S. 122.
3 ) Mannhardt, Die Korndamonen. Berlin 1868. Roggenwolf und
Roggenhund. Danzig 1866.
49
Unter den eigentlichen Hausgeistern, den Kobolden,
tritt das weibliche Geschlecht merkwiirdigerweise ganz zurack.
Sie sind Herdg6tter und damit Feuerelben.
Nur in dem Schlangenpaar, das als Schutzgeist im
Hause wohnt, ist das weibliche Geschlecht nicht zu leugnen.
Es sind die Seelen des Ahnherrn und der Ahnfrau des Ge-
schlechts, die in dem Hause der Familie blieben.
Weinhold t Deutsche Frauen. I.
Dritter Abschnitt.
Die Priesterinnen, weisen Frauen und
Hexen.
Aus der Fiille der mythischen Bildungen unseres
Alterthums haben wir nur die GOttinnen herausgehoben, um
an ihnen die germanische VergOttlichung des weiblichen
Wesens zu erkennen. Aber das Religiose darfen wir nicht
bloss in der Apotheose des Menschlichen bertihren, sondern
auch insoferne die Frauen im Dienste des GOttlichen thatig
sind oder aus dem Menschlichen hinaus in das tTbersinnliche
streben. Die Priesterinnen, dann die weisen Frauen heid-
nischer und christlicher Zeit verlangen Betrachtung, und das
Hexenwesen kntlpft sich an.
Die Germanen hatten keinen besonderen Priesterstand
wie die Gallier. Jeder Hausvater vollzog die Opferungen,
Losungen und Gebete fur sein Haus, wie er die Rechte des-
selben ttbte und die darauf ruhenden Pflichten erfullte. Die
Heiligthumer der Dorfgemeinde, des Gaus, des Staates pflegten
die gewahlten Vorsteher und leiteten die gottesdienstlichen
Handlungen. Allerdings erwahnt Tacitus der sacerdotes: so
Ijei der Losung in Offentlichen Angelegenheiten (Germ. 10),
bei der Wahrnehmung der Strafgewalt tiber die unter Gottes-
frieden stehende Volksversammlung und uber das zum Kriege
ausziehende Yolk (Germ. 7. 11). Er nennt auch einen Priester
bei dem Heiligthume der Nerthus und fur den Dienst der
narvalischen Alcis (ebd. c. 40. 43). Wir haben darunter aber
stets einen princeps im priesterlichen Amte zu verstehn.
Wahrend im Kriege z. B. die meisten principes die mili-
tarischenFiihrerstellen versehen, empfingen andere die wichtige
51
Aufgabe, den GOttern fur den Sieg zu opfern, die heiligen
Feldzeichen zu haten und den Gottesfrieden, welcher aber
dem Volke in Waffen lag, gegen jede Verletzung durch Hand-
habung der Strafgewalt zu schatzen. Ein solcher princeps
in priesterlichem Amt und wohl auch mit priesterlichen Ab-
zeichen war jener Libes, „der Priester der Chatten", wie
Strabo (VII, 1) ihn nennt, der ihn unter den vornehmsten
Germanen im Triumphzuge des Germanicus auffuhrt. Er
war augenscheinlich als Oberpriester des chattischen Heeres
gefangen worden.
Auffallen mag, dass bei den Burgunden im 4. Jahr-
hundert neben dem KOnig, der bei Misswachs oder bei Kriegs-
ungiack vom Volke abgesetzt wird, ein unabsetzbarer Ober-
priester unter dem Titel der Alteste (sinistus-sinista) erscheint
(Ammian. Marc. 28, 5). Das ist die selbstandige Abzweigung
der sacralen Amtsbefugniss des KOnigs, die das Yolk nicht
den Zufallen unterwerfen wollte. In Norwegen und Danemark
sind nun auch in den letzten Zeiten des Heidenthums neben
den Fttrsten und HeradskOnigen, die den Opferdienst far ihre
Landschaft zu verrichten hatten und den Haupttempel der-
selben besassen, angesehene Manner nachweisbar, die ihre
eigenen Tempel hatten, und als sie nach Island auswanderten,
die leicht abzubrechenden Bauten mitnahmen und druben
wieder aufrichteten. Ein solcher Tempelbesitzer sammelte
um den heiligen Hof als Priester (godi) desselben bald eine
Tempelgemeine. Zu seinem Priesterthum fttgten sich bald
die weltlichen Offentlichen Rechte und Pflichten aber den
Bezirk, das godord, so dass auch in dieser nOrdlichen Colonie
die uralte germanische Verbindung des priesterlichen und
des obrigkeitlichen Amtes sich neu vollzieht 1 ).
Die norwegisch-isl&ndischen Quellen wissen aber auch
von Priesterinnen, Tempelpriesterinnen (gydjur, hofgydjur)
neben den Priestern. Wenn wir von der Freyspriesterin im
J ) K. Maurer, Bekehrung des norweg. Stammes zum Christen-
thum 2, 209—220. — Zur Urgeschichte der Godemvurde, in Zeitschr.
f. deutsche Philol. 4, 125—130.
4*
schwedischen grossen Freystenipel absehen, einem jungen
Madchen, das des Gottes Weib (Freys kona) hiess und mit
dem GOtterbilde zu den Opferschmausen an den Freysfesten
zog (j. Olafs s. Tryggvas. c. 73), so werden diese priester-
lichen Frauen wohl nur far gewisse Dienste befugt gewesen
sein, besonders ftlr den Opferdienst in den Htifen der GOttin-
nen 1 ).
FQr Deutschland mftssen wir ttber die priesterlichen
Frauen dasselbe sagen. Wo sie erscheinen, ist ihr Amt be-
schrankt: sie nehmen die Weissagung vor durch Losung,
durch Deuten der Erscheinungen im Opferblute und durch die
anderen dazu ublichen Mittel, um so mehr als die Germanen
dem ganzen weiblichen Geschlecht die Gabe der Prophetie
zuerkannten (German. 8).
Unter Kaiser Yespasian war den ROmern die Bructerin
Veleda bekannt worden, die weithin hoch geehrt ward,
nachdem sie die Vernichtung der rOmischen Legionen durch
die Bataver vorausgesagt hatte. Sie wohnte in einem Thurme,
und zeigte sich den Abgesandten der umwohnenden Stamme
nicht selbst; einer ihrer Verwandten vermittelte Frage und
Antwort. Man ehrte sie durch freiwillige Geschenke. Yornehme
Gefangene, besondere Triumphstilcke der Beute, sandte man
ihr zu. Die ROmer selbst verschmahten nicht, sich an sie zu
wenden und sie aufzufordern, ihren Einfluss auf die Deutschen
zur Beilegung des Krieges zu verwenden. Sie soil schliesslich
von den ROmern gefangen worden sein 2 ).
Als eine altere beriihmte Seherin nennt Tacitus (Germ. 8)
die A lb run a, die wahrscheinlich in den Feldztigen unter
Drusus und Tiberius ihr Ansehen erwarb 8 ). Unter Domitian
stund Ganna bei den Semnonen in hohen Ehren (Dio
a ) Finnur Jonsson in der mir gewidmeten Festschrift (Strass-
burg 1896, S. 19.
2 ) Tacit, hist. IV, 61. 65. V, 22. 24. Stat. sylv. I. 4. 90. Den
Namen Veleda hat Miillenhoff, Zur Runenlehre, S. 55, als das Ap-
pelativ vilida (altnord. vild) Wohlwollen, Gnade gedeutet.
3) Miillenhoff a. a. 0. 51. 53.
53
Cass. 67, 5). Spater hat bei den Langobarden nach dem sagen-
haften Bericht tiber den Ursprung des Volkes G am bar a
durch Weisheit und Voraussicht grossen Einfluss getibt.
Das sind beruhmte Namen einzelner. Aber dem ganzen
weiblichenGeschlechte wotinte nach demGlauben derDeutschen
prophetische Gabe bei (Germ. 8). Casar erz&hlt (b. gall. I. 50),
dass die deutschen Hausmtitter durch Losung und prophetische
Kunst erkunden mussten, ob ein Treffen zu liefern sei oder
nicht. Strabo (VII. 2) entwirft ein lebendiges Bild von den
kimbrischen priesterlichen Wahrsagerinnen, die das Heer
begleiten. Es sind grauhaarige, barftissige Weiber in weissen
Kleidern, die eherne Gtirtel umschliessen, mit M&nteln von
feinem Linnen. Sie ftthren die Kriegsgefangenen zu einem
grossen ehernen Kessel und durchschneiden ihnen tiber dem-
selben die Kehle. Aus dem Blute, das in den Kessel strOmt,
weissagen sie. Andere prophezeiten aus den Eingeweiden den
ihren den Sieg. Wahrend der Schlacht schlugen sie auf die
abgenommenen Deckfelle der grossen Wanderwagen und
machten damit gewaltigen Larm, der die bOsen Machte ab-
wehren sollte.
Ein paar Jahrhunderte spater erzahlt Eunapius (Excerpt,
ed. Bon. 82) von den Westgoten, die in das rOmische Reich
einbrachen/ dass jeder Stamm (qpvAiJ) die Heiligthilmer aus der
Heimat mit sich filhrte, sammt den Priestern und Priesterin-
nen derselben. Diese gotischen Priesterinnen (Uqsuu) werden
wir aus den kimbrischen Seherinnen (7tQO[idvzeig) erklaren
dtirfen: es sind die Wahrsagerinnen, die tiber Wagen und
Gewinnen im Kriege ihre Stimme gaben, wahrend die Priester
jene Hauptlinge sind, denen der grosse Opferdienst oblag,
die GOtterbilder, die heiligen Zeichen wahrend des Kriegs-
zuges anvertraut wurden und die den Gottesfrieden zu wahren
hatten.
Mit dem Christenthum verschwanden die heidnischen
Priester und Priesterinnen von Staatswegen. So wie nur
allmahlich der neue Glaube sich der Herzen bemachtigte und
die Kirchenlehre sehr langsam zum inneren Besitz selbst der
Gebildeteren ward, so wurden auch die altererbten religiftsen
54
Riten lange noch festgehalten. Was die Kirche nicht ihren
Ceremonien anglich, erhielt sich als verweltlichte Sitte Oder
als abergiaubischer Gebrauch, bei dem die Frauen, in Fort-
setzung priesterlichen Amtes und zu geheimem zauberischem
Werk besonders geeignet und geschickt, stark betheiligt
waren 1 ). DieVerbote der geistlichen und weltlichen Obrigkeit,
die Beichtspiegel und Bussordnungen richten sich haufig gerade
gegen die Weiber.
Es gab viele in den germanischen Landern, die im Rufe
der Kenntniss der Krafte von Worten und Dingen und der
Kunst sie zu brauchen stunden. In Skandinavien hiess ein
solches Weib, das mehr wusste und konnte als andre, vplva 8 ),
spakona, galdrakona, seidkona, und dasichhier alles im volleren
Zusammenhange erkennen lasst, als in den zerstreuten Be-
merkungen der deutschen aiteren Quellen, so wollen wir von
diesen skandinavischen weisen Frauen ausgehn,
Zunachst ist festzuhalten, dass den bedeutenderen vplur,
namentlich der aiteren Zeit, jenes sanctum et providum inne-
wohnt, von dem Tacitus spricht: die Gabe der Voraussicht
in den Gang des Naturlettens und in das Geschick der Menschen
und VOlker. Sie schauen die Zukunft in Gesichten und
Traumen ; da, wo ihre Verkundigung besonders gesucht wird,
unter Gebeten zu der Gottheit. Ein uraltes germanisches Mittel
zur Erforschung des in der Zeit Verhilllten war das Losen,
d. h. das Werfen von geschnittenen Holzstabchen, die mit
bedeutsamen Zeichen (Runen) beritzt waren. Entweder gab
der Wurf an sich schon deutliche Entscheidung, oder die
Zeichen bedurften noch besonderer Deutung. Die Gebete, die
dabei an die GOtter gerichtet wurden, erbaten die Erfailimg.
des durch die Losung Erforschten. So bekam das Wort Los
(altnord. hlaut) neben der Bedeutung Losstabchen den des
') Belege der Fortdauer uralter Gebrauche, bei denen die
Weiber mit Losung, Segnung und Zauber beschaftigt sind, gibt
meine akademische Abhandlung Zur Geschichte des heidnischen
Ritus. Berlin 1896.
2 ) toha {valva) die Stabtragerin, von valr, dem beim Seid ge-
brauchten Zauberstabe: Mullenhoff, Deutsche Alterthumskunde 5, 42.
55
wunderbaren Zeichens, des iibernattirlichen Mittels. Das Zeit-
wort losen bedeutete ausser das Los werfen und durch das
Los erhalten: die Zukunft erforschen, zaubern 1 ). Denn die
Erforschung der Zukunft war stets mit der Absieht verbunden,
auf die Wendung der Dinge durch gOttliche Kraft einzuwirken,
Alle jene Frauennamen, in denen das Wort, run erscheint,
bezeichnen Weiber, welche Weissagung und ubernaturliche
Krafte tiben.
Es gab zwei Weisen, ttber menschliche Art hinaus auf
lebendes oder todtes zu wirken 2 ). Das eine, mehr geistige
Mittel, war der galdr, das Sprechen einer Formel in gebundener
Rede, die ursprtlnglich ein Gebet um Gewahrung desWunsches
war und spater zum BeschwOrungs- und Zauberspruche ward.
Verbunden war damit die Einritzung einer oder mehrerer
Kunen. Sie blieben als festigende Zeichen des galdr auf den
zu schtttzenden oder zu kraftigenden Gegenstanden. Der galdr
half gegen allerlei Gefahr, feite die Waffen, sprengte Fesseln,
heilte Wunden und Krankheiten, wandelte Feindschaft in
Freundschaft, erweckte Liebe, beschwichtigte die Elemente,
lenkte die Winde, wohin man wollte , beschwor die Todten.
Die zweite Art war der seidr (Zeitwort sida; efna,
fremja, setja seid). Es ist der eigentliche Zauber; ilber seine
Austtbungsweise ist aber wenig bekannt. Zu den Zauber-
spruchen kamen mancherleiGebrauche und es scheinen mehrere
Personen dabei nOthig gewesen zu sein. Wahrend der galdr
tiberwiegend eine gute, schaffende Wirkung hat 7 zeigt sich der
seidr haufig verderblich; er schafft Unwetter 7 schadigt Feld-
frtichte, Wiesen und Vieh, bringt Schwache 7 Krankheit, Wahn-
sinn und Tod tiber die Leute, gegen die er sich richtet 7 zwingt
a ) Miillenhoff, Zur Runenlehre, 2a 42. Homeyer, tTber das ger-
manische Losen. Berlin 1854. — Im bayrischen Dialect bedeutet
loesseln noch aberglaubische Handlungen vornehmen, besonders zur
Erforschung der Zukunft. Die Loesselnachte sind die Nachte, in denen
das besonders geschieht, wie Thomas-, Christ- und Dreikonigsabend.
Schmeller, Bayr. W6rterbuch 1, 1519.
2 ) K. Maurer, Bekehrung 2, 122 — 14 f. Finnur Jonsson, um
galdra, sei3, seidmenn og vOlur (Thrjar Ritgjorctir, Kaupmannahofn
1892, S. 5-28).
56
sie eilig aus weiter Feme zur Stelle zu kommen, verwirrt
durch plotzlichen Nebel und Staub, ftthrt trttgerisches Blend-
werk vor, wandelt in Thiergestalt, wahrend der menschliche
Leib wie todt liegt, ruft Todte und Unholde u. dgl. Auch die
Kenntniss der Zukunft und verborgener Schatze kann der seidr
geben.
Wir sehen also den ganzen Inbegriff des Zaubers durch
geheimnissvolle Sprttche und Mittel im heidnischen Norden
geiibt, und erfahren, dass es nicht wenige Manner und Weiber
gab, die als spamenn und spakonur, seidmenn und seidkonur,
durch Wahrsagen also und Zaubern, ihr Leben fristeten. Einige
der vplur wollen wir heraufbeschwOren.
Thorbiorg 1 ) hiess die kleine vplva, sie war die letzte
von neun Schwestern, die sammtlich wie sie weise Frauen ge-
wesen waren. Im Winter fuhr sie im Lande umher, und die
Leute luden sie zu ihren Festschmausen , wo sie weissagte.
So ladet sie auch der reiche Bauer Thorkell ein, um zu er-
fahren, ob das Hungerjahr aufhOren werde. Am Abend kommt
sie an, von einem ihr entgegengeschickten Manne geleitet. Sie
tragt einen dunkeln, mit Riemen gebundenen Mantel, der von
oben bis unten mit Steinen. besetzt ist, am Halse Glasperlen,
auf dem Kopfe eine Mutze von schwarzem Lammfelle und
mit weissem Katzenpelz gefuttert ; in der Hand halt sie einen
Stab mit steinbesetztem Messingknopf. Die Hande stecken in
Katzenfellhandschuhen ; an den Ftlssen hat sie rauhe Kalb-
fellschuhe mit langen Riemen und grossen ZinnknOpfen auf
den Enden derselben. Ihren Leib umschliesst ein Korkgiirtel,
an dem ein Lederbeutel mit den Zaubergerathen hangt. Da
sie herein tritt, wird sie von alien ehrerbietig gegriisst, und
der "Wirth fuhrt sie auf den Ehrenplatz, den Hochsitz, der fur
dies Mai mit einem Polster aus Huhnerfedern bedeckt ist.
Die Mahlzeit fur die Seherin besteht aus Ziegenmilchgrtttze
und einer Speise von allerlei Thierherzen. Thorbiprg ist diesen
Abend schweigsam und zum Weissagen nicht aufgelegt, in-
a ) Thorfinns saga Karlsefnis. c. 3. in den Antiquit. americ.
104—113.
57
dessen verheisst sie den andern Tag den Wunschen zu will-
fahren. Als es da zum Abend ging, war alles bereit, was sie
zum Zauber bedurfte; allein es fehlten Frauen, welche die
Sprttche zur Schutzgeisterlockung (vardlokkur) verstunden, wie
sie die Seherin will. Endlich flndet sich eine, Namens Gudridr,
die auf Island solche Sprttche gelernt hatte; weil sie aber
Christin ist ; entschliesst sie sich erst nach langem Bitten,
behilflich zu sein. Da schliessen die Frauen um die Wahr-
sagerin auf dem vierbeinigen Zauberschemel einen Kreis, und
Gudridr beginnt mit schOner Stimme ein so herrliches Lied
zu singen, dass alle entziickt sind, und die Wala sagt, es
seieh viele Naturgeister dadurch herbeigelockt und willig ge-
worden. Sie selbst gesteht auch, es sei ihr vieles dadurch
deutlich gewOrden, was ihr zuvor verborgen war. Darauf
weissagt sie das Ende des Hungerjahres und verkundet alien
das, was sie zu wissen wiinschen, und zieht dann auf
den nachsten Hof, von dem bereits ein Bote nach ihr ange-
kommen war.
Ebenso mag eine Geschichte von einer vplva und seifl-
kona Heidr erzahlt werden (Orvarodds s. c. 2). Sie wusste
durch ihre Kunst die noch nicht gewordenen Dinge und be-
suchte die Gastgebote, um den Menschen tlber Witterung und
ihr Schicksal Auskunft zu geben; im Gefolge ftthrte sie funf-
zehn Knaben und funfzehn Madchen. Einmal hatte sie ein
gewisser Ingialdr zu Beruriodr in der norwegischen Landschaft
Vik zu sich geladen. Wie einem hohen Gaste geht er ihr mit
vielem Gefolge entgegen, und bittet sie nochmals in aller
FOrmlichkeit, in sein Haus zu treten. Als gegessen ist, lasst
Heidr die andern schlafen gehn, sie selbst bleibt mit ihrem
Gesinde wach, um in der Nacht den Zauber zu iiben. Am
Morgen erklart sie sich im Stande zu weissagen und heisst
die Manner ihre Sitze einnehmen, und einer nach dem andern
tritt zu ihr, um zu hOren, wie sich sein Leben fugen werde.
Dann verkundet sie noch, wie das Jahr verlaufen werde, und
andres mehr. Ein unangenehmer Auftritt mit einem unglau-
bigen ZuhOrer, Oddr genannt, beschliesst die Sitzung. Trotz
seiner bestimmten Drohung jede Verkundigung, die ihn be-
58
treffe, zu strafen, sagt sie ihm doch in Versen sein Geschick
voraus und der Trotzige wirft ihr dafdr einen Stock derb an
den Kopf. Heitfr lasst sogleich ihre Sachen zusammenpacken
und obschon sie Ingialdr durch reiche Geschenke zu versOhnen
sucht, obschon sie dieselben annimmt, lasst sie sich nicht
mehr halten, und zieht weiter.
Noch manche nordische Geschichten erzahlen von den
Wolven. Alle berichten, wie die weise Frau, gewOhnlich von
einem Gefolge umgeben 1 ), im Lande herumwandert, bei den
Herbstgastereien ein willkommener Gast ist, in der Nacht
den Zauber tlbt und vom vierbeinigen Schemel herab ihre
Weissagungen verkttndet. Der seidr, der zur Austibung lhrer
Kunst unerlasslich scheint, mag zuweilen ein Sod aus allerlei
zauberkraftigen Dingen gewesen sein, der unter hersagen von
Spruch und Lied bereitet ward. Aus dem Wallen des Wassers,
dem Krauseln der Zuthaten in der Hitze, vielleicht auch aus
dem Bodensatze las die Frau die Zukunft. Der Zaubersessel
ist von verschiedener HOhe gewesen 2 ). Es wird erzahlt, wie
einmal Manner in ein Haus kamen, wo Zauberer ihr Wesen
trieben. Sie sehen den Schemel; einer geht unter ihn und
ritzt unter schadenden Spriichen Runen daran, die den Seid
stOren. Als nun die Zauberer auf den Schemel sich stellen,
brechen sie mit ihm zusammen und Wahnsinn erfasst sie
so, dass sie im Walde in Sttmpfe und Abgrdnde sich stiirzen
(Fornald. S. 3, 319). Sblcher Seidmanner wird haufig gedacht
und sie spielen in den Kampfen der ersten christlichen KOnige
Norwegens eine bedeutende Rolle. Die am Heidenthume und
der alten freien Verfassung fest hielten, glaubten in dem
Zauberwerke gegen die Bestrebungen der Bekehrer und Usur-
patoren die Hilfe der alten StammgOtter zu finden. Als-
Harald SchOnhaar Norwegen unter seine Alleinherrschaft zu
bringen strebt und dabei die Bekehrung zum Christenthume
als Hilfsmittel benutzt, verfolgt er die Seidmanner besonders
!) Landnama b. III. c. 2. Eyrbyggja c. 15. Vatnsdoela c. 1Q
Vigaglumss. c. 12.
2 ) Laxdoela c. 35. Vgl. fiber den seidhjallr Finnur Jonsson a. a.
0. 17.
60
heftig. Er lasst seinen eigenen Sohn ROgnvald Rettilbein von
Hatfaland, der solche geheime heidnische Kttnste trieb, von
Erich Blutaxt aberfallen und mit achtzig Seidmannern ver-
brennen (Fornmanna, S. 1, 10. 2, 134).
Die Stellung, welche die Weissagerinnen und Zauberinnen
in der Offentlichen Meinung einnehmen, ist sehr verschieden.
In der aiteren, rein heidnischen Zeit genossen die Seherinnen
wenigstens und auch die, welche unmittelbar auf Leben und
Schicksal wirkten, wie der Grlaube ging, hohe Verehrung.
Spater wich die Hochachtung der Scheu und Furcht. Der
gewerbsmassige Betrieb der Zauberei konnte namentlich den
Seidmannern ihr moralisches Ansehen nicht erhohen. Die
Annahme des Christenthums als Staatsreligion veranderte
naturlich vieles auch in dieser Hinsicht. Der heidnische Glaube
erlosch freilich nicht mit der Aufrichtung des Kreuzes. Indem
die HeidengOtter far Damonen und Teufelsgeister von den
christlichen Priestern erklart wurden, mussten sie sich unter
das Zaubervolk mischen, wie denn Snorri Sturluson in seiner
Ynglingasaga Odin und die Asen als Seidmanner darstellt.
Die tFberzeugung von der wirklichen Macht der Wahrsager
und Zauberer bluhte mit ihrer Existenz fort. Theils waren
es heimliche Heiden, .theils offene Christen. Man hatte wohl
Verachtung und Tadel far das dunkle Treiben, aber man
ftirchtete es. Allerdings schritt die Kirche in alien ihren so-
genanntenChristenrechten, ebenso die weltliche Gesetzgebung
dagegen ein 1 ). Heimliches Heidenthum, weissagendes Spruch-
sprechen (galdr) und Zauberkunst (fiplkyngi) galten fur eins.
Strafen far den Zauber waren hohe Gteldbussen, bei Unver-
mOgen Unfreiheit, karzere oder lebenslangliche Landesver-
weisung, Recht- und Priedlosigkeit mit Einziehung des Ver-
mOgens.
Bei den Deutschen finden wir dieselben Zustande des
Zauberwesens wie bei den Nordgermanen. Wenn in Norwegen
und Schweden die finnische Zauberei als einflussreiche Nach-
barin oft genannt wird 7 so darfen wir vielleicht auch far die
i) K Maurer, Bekehrung II, 415-420.
60
Magie in Deutschland manche Einwirkung von aussen be-
haupten, namentlich seit den Kreuzzugen, die enge Beriih-
rungen mit den Romanen und den Orientalen brachten.
Im Orient wie im Occident herrschte von aitester Zeit
der Glaube, dass durch die Kraft gewisser Worte und stoff-
licher Mittel in die geheime Werkstatt der hOheren Weltkrafte
eingedrungen und dieselben dem Willen des Menschen nutzbar
gemacht werden kOnnten. Schutz und Wahrung des eigenen
Lebens und Besitzes, Schadigung des fremden, Gewalt tlber
"Wetter und Feldsegen, Liebeszauber, Verwandlung in Thier*
gestalt, Erzeugung und Abwehr von Ungeziefer aller Art,
BeschwOrung der Todten und Damonen wurden bei den Orien*
talen, Griechen und ROmern von den Wissenden und Kundigen
getibt. Der Glaube an gespenstische weibliche Wesen, die
empusae, lamiae, strigae blfthte in Italien stark. Und ganz
denselben Glauben linden wir iiberall in alter und neuer Zeit,
Der Hexenglaube war und ist iiberall vorhanden, und ein
allgemein menschlicher Wahn gewesen.
Das muss fur die Frage nach dem Ursprung desselben
in Deutschland nicht vergessen werden. Der feste Glaube
an die MOglichkeit iibernaturlicher Wirkungen, die auch den
Menschen und vorzuglich den Weibern durch den Zauber
mOglich sei 7 ist die Grundlage des Hexenglaubens. Dann tritt
hinzu die trberzeugung von der MOglichkeit des Gestalten-
wechsels ; der Glaube auch eines Uberganges von den Menschen
zu den gOttlichen Wesen durch die abgeschiedenen Seelen.
Aus diesen Elementen hat sich bei den Germanen wie bei
den andern VOlkern der sogenannte Hexenglaube der alteren
Zeit gestaltet; den der spateren Zeit haben die Inquisitoren
und Hexenrichter gemacht. Suchen wir das kurz darzulegen.
In den aberglaubischen Meinungen von Weissagung
und Zauber , die sich durch die Jahrhunderte in gleichen
Ztigen fortbewegen, treten die Frauen in Folge der Begabung,
die ihnen von je dafur zugeschrieben wurde, in besonderer
Thatigkeit und Ruhrigkeit hervor. Aber das Gesetz schiltzte
sie zunachst gegen bOswilligen Verdacht und wies leicht-
fertige Verfolgung ab. In der Lex salica (tit. 64) werden
61
uber denjenigen Strafen verhangt, welcher einen Mann Kessel-
trager bei der Hexenwirthschaffc (hereburgius hoc est strio-
porcio) gescholten hat oder ein Weib eine stria, ohne es
beweisen zu kOnnen. In dem Edict des LangobardenkOnigs
Rothari (197. 198. 376) wird verboten, eine freie oder unfreie
striga oder masca zu schelten oder sie aus Verdacht, dass
sie eine Hexe sei, zu todten.
Darin liegt kein Schutz der Zauberei, sondern die gesunde
Yeraunft leitete die Gesetzgeber, die Anklagen wegen Zauberei
im allgemeinen fur Phantasiewerk zu erklaren und erst auf
bewiesenen Schaden oder die b5se Absicht, Schaden zu
stiften, Strafen zu setzen. Zauberei und Giftmischerei er-
scheinen am haufigsten verbunden. ') In diesem Sinne be-
statigte Karl d. Gr. die Satzungen der Paderborner Synode
von 785, can. 6, dass der Glaube an menschenfressende Hexen
heidnischer und teuflischer Aberglaube sei, und er setzte
Todesstrafe auf die Verbrennung einer vermeintlichen Hexe.
Ganz ebenso wird in dem sogenannten Ancyranum canon
episcopi, das sich zuerst in der Visitationsordnung des Abt
Regino von Prum Cf"915) findet, den BischOfen und-Pfarrern
aufgetragen, mit allem Nachdruck gegen die teuflische Weis-
sagung und Magie {sortilegam et magicam artem) zu ver-
fahren und die solcher Kunste verdachtigen aus ihren
Sprengeln zu verjagen. Aber es heisst weiter: manche
nichtswurdige Weiber glaubten durch Verblendung des
Teufels, dass sie in der Nacht mit Diana oder Herodias und
vielen Frauen auf Thieren reitend uber weite Lander flOgen
und in gewissen Nachten zum Dienst jener heidnischen
Damonen berufen wurden; in dem Volke fande dieser Aber-
glaube auch viel Anhang. Die Geistlichkeit aber habe zu
predigen, dass solches Ltlgen seien. Wer jenes glaube, oder
a ) H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 2, 674 ff. Leipz.
1892. — Im 13. Jahrhundert sind luppe (Gift) und eouber formelhaft
verbunden; lupperinne, luppelcerinne bedeutet ohne weiteres Zauberin;
auch luppe an sich wird fur Zauber gebraucht, wie schon das goti-
sche lubjaleisei (Gal. 5, 20) gleich dem gr. qmpnaiceia Giftmischerei
und Zauberkunde. zugleich ist.
02
auch glaube, dass jemand seine Gestalt verwandeln kOnne,
der habe den rechten Glauben verloren und sei schlimmer
als ein Heide, er sei zu excommuniciren.
Es ergibt sich schon hieraus, dass die Kirche die
Bestrafung des Glaubens an Zauberei und der Falle erwiesener
Hexerei an sich genommen hat. Die karlingische Gesetz-
gebung 1 ) hatte den kirchlichen BehOrden die Verfolgung
heidnischer Gebrauche, des Zaubers und der Wahrsagerei
aberlassen, und in den BeichtstOhlen und von den Synoden
ward demgem&ss verfahren. Kirchliche Bussen traten also
an die Stelle der Leibes- und Lebenstrafen. Einen interessanten
Einblick gewahren die Bussordnungen 2 ), und vor allem das
19. Buch der Canonessammlung Bischofs Burchard von Worms
(t 1025), welches fur den deutschen Aberglauben des mittleren
Westdeutschlands jener Zeit ungemein lehrreich ist, und
uberall kirchliche Busssatze, fur leichtes Vergehn Fasten
bei Wasser und Brot, verhangt 8 ).
Dann entwickelte sich der Teufelsglaube starker. Man
glaubte fest daran, dass der Satan in allerlei Gestalten unter
den Menschen wandle, urn sie zu verfahren und zum Abfall
von Gott zu bringen, und dass er dazu namentlich bei Mannern
die Gestalt eines schOnen Weibes, bei Frauen die eines
stattlichen Mannes annehme. Im 11., 12. und 13. Jahrhundert
verbreitet sich der schon fruher nachweisbare Glaube von
Vertragen des Menschen mit dem Teufel. Der Doctor ecclesiae,
Thomas von Aquino (Quodlib. XI, art. 10), erklarte die Teufel
far wirkliche Wesen, die mit den Menschen fleischliche
Gemeinschaft eingehn, ihnen auch schaden und Wetter
machen kOnnten.
Frah wurden die ketzerischen Secten, welche seit Anfang
des 13. Jahrhunderts auch in Deutschland grausame Ver-
folgung erfuhren, mit den Zauberern und Teufelsbundlern
*) Brunner, D. Rechtsgesch. 2, 681.
2) Wasserschleben, Die Bussordnungen der abendl&ndischen
Kirche, Halle 1851.
8 ) Vgl. die Auszage bei Grimm, Mythol. 4. A. 3, 404 ff. und
E. Friedberg, Aus deutschen Bussbuchern 81—101. Halle 1868.
63
zusammengeworfen und so gebietet auch der Sachsenspiegel
in einem Athem, die Ketzer,- Zauberer und Giftmischer, falls
sie aberfuhrt warden, zu verbrennen '). Der Schwabenspiegel
hat diese Bestimmung natttrlich beibehalten *).
Der Inquisitionsprocess gegen die Ketzer erweiterte
sich in Frankreich im 13. Jahrhundert trotz der Zurecht-
weisungen des Papstes Alexander IV. zum Inquisitions-
verfahren gegen die Wahrsager und Zauberer*). In Deutsch-
land hatte die an dem Inquisitor Konrad von Marburg, dem
Beichtvater der h. Elisabeth von Tharingen, geabte Volks-
justiz die Ketzerrichter scheu gemacht, und trotz jener
Bestimmungen im Sachsen- und Schwabenspiegel wirkten in
der geistlichen Gesetzgebung die vernanftigen Bestimmungen
des Canon episcopi fort. Alles Zauberwerk ward fur Aber-
glauben erklart; die sich damit abgaben, verfielen den Kirchen-
strafen. Die frtthesten nachweislichen Hinrichtungen von
Hexen (mulieres divinatrices, incantatrices) fallen erst in das
15. Jahrhundert: nach Hamburg 1444, Heidelberg 1446,
Basel 1451, Bern 1454. Als die far Oberdeutschland und
den Rhein nach 1475 bestellten Inquisitoren der Ketzerei,
die Dominikaner Heinrich Kramer und Jac. Sprenger, zugleich
Hexenverfolgungen anstellen wollten, stiessen sie auf den
grOssten Widerstand. Sie wandten sich deshalb an den Papst
Innocenz VIII. und dieser erliess nun am 5. December 1484
die Bulle Summis desiderantes , welche die Hexenprocesse
in Deutschland angeschart und zahllose Scheiterhaufen ent-
zandet hat. Nach dieser Bulle ist die Hexerei in dem
Bandniss mit dem Teufel begrandet; die AbschwOrung Gottes
und des Christenthums geht voraus. Mit Hilfe der Teufel
schadigen die Zauberer und Hexen Leib und Leben der
Menschen, das Vieh, die Baum- und Feldfrachte und die
Weidepiatze. Auf Grand dieser Bulle und um den noch
immer fortdauernden Widerstand der verstandigeren Geist-
J ) den sal men upper hort brennen Landr. II. 13, 7.
2 ) Landr. 174. 368. J. Lassberg.
3 ) Es ward dabei immer auf das alttestamentliche Gebot
2. Moses 22, 18, 3. Moses 20, 27 Bezug genommen.
64
lichen, welche den Glauben an Hexen fur Trug erklarten,
zu brechen, schrieb Jac. Sprenger mit Hilfe seines Gesellen
Kramer und des Joh. Gremper von Konstanz die Dogmatik
des Aberglaubens, den Hexenhammer : Malleus maleficarum
(Colon. 1489 u. 0.), der von der KOlner theologischen Facultat
approbirt und von den Criminalisten des 16. Jahrhunderts als
das Gesetzbuch ttber Hexenglauben angenommen worden ist.
Die Hexerei war nunmehr zum Teufelsbund und Teufels-
diensi gemacht. Die Hexe schwor Gott und Christum ab, sie
ergab sich dem Teufel mit Leib und Seele, betete ihn an als
Herrn und Gott, und lebte mit ihm in buhlerischer Ver-
bindung, aber ohne Freude und Frucht. Die Hexe muss
Schaden und Unheil stiften, wie ihr der Teufel gebietet. Sie
bedient sich allerlei Mittel hierzu: der Zauberformeln mit
rituellen Gebrauchen, des bOsen Blickes, gebrauter Tranke,
Pulver, Krauter, Salben, und fliegt entweder in eigener nackter
Gestalt in die Lilfte Oder wandelt sich dazu in allerlei Vogel-
form (namentlich in Gans, Ente, Elster, Eule) Oder in die
eineg raschen Thieres (Pferd, Wolf, Hase, Katze, Geiss), das
auch mit einem Stabe, Besen Oder einer Ofengabel wechseln
kann *).
Bei den grossen Versammlungen, die nicht bloss zu
Walpurgis und auf dem Brocken (der nur fur Medersachsen
Hexenberg war), sondern zu allerlei Zeiten auf Bergen und
Wiesen statt hatten, geht es zu, wie den Ketzerversamm-
lungen, ja wie den Liebesmahlen der ersten Christengemeinden
nachgesagt ward : zuerst wird die Teufelsmesse gehalten, dann
folgt ein Mahl, und darauf die wildeste Unzucht*).
J ) Von dieser Verwandlungsfahigkeit hiessen die Zauberinnen
altnorw. isl. hamhleypur.
2 ) J. Grimm, D. Mythol. 991—1058. Soldans Geschichte der
Hexenprocesse. Neu bearbeitet von H. Heppe. 2. Bde. Stuttgart 1880.
In beiden Werken wird auch weitere Litteratur angefuhrt. Nur
weniges will ich hier zufugen: L. Rapp, Die Hexenprocesse und ihre
Gegner aus Tirol. Innsbruck 1874. J. Zingerle, Barbara Pachlerin, die
Sarnthaler Hexe, und Mathias Perger, der Lauterfresser, Innsbruck
1858. Fr. Muller, Beitr. zur Geschichte des Hexenglaubens und des
Hexenprocesses in Siebenburgen. Braunschweig 1854. Fr. Ilwof
65
Wir Ziehen den Schleier iiber das unsagliche Elend der
Hexenprocesse, ilber die haarstraubende Verworfenheit der
Hexenrichter und Hexenspurer, uber die Roheit der Henker,
und heben nur hervor, dass das gescholtene finstere Mittel-
alter keinen Theil daran hat. Das 16. und 17. Jahrhundert
sind die tollsten Zeiten der Hexenprocesse und es sind un-
gezahlte Tausende jedes Alters, jedes .Standes und beider Ge-
schlechter gemartert, geschandet und verbrannt worden in
alien Landern Europas, nicht zum wenigsten in Deutschland,
ohne Unterschied des kirchlichen Bekenntnisses. In dem aU-
gemeinen Wahn wagten nur wenige, aber um so mehr zu
riihmende Manner, als Gegner der Hexenverfolgungen aufzu-
treten, Genannt milssen werden die drei Jesuiten Adam Tanner
PaulLeymann undFriedrich vonSpee. GrosseWirkung machte
etwas spater der Hollander Balthasar Bekker mit seinem rasch
und weit verbreiteten Buche De betoverde Wereld (Leuwarden
1691 — 93) und nicht minder Christian Thomasius in Halle
mit seinen kurzen Lehrsatzen von dem Laster der Zauberey
(1701). DieHirnseuche liess allmahlich nach unddieRegierungen
begannen dagegen einzuschreiten. In Preussen schaffte Fried-
rich Wilhelm L, in Osterreich Kaiserin Maria Theresia die
Hexenprocesse ab. In den geistlichen Furstenthumern aber
bluhten sie mit aller Mchtswiirdigkeit weiter. Am 21. Juni
1749 ward die Nonne Maria Renata Sanger von Unterzell bei
"Wurzburg als Hexe gerichtet. Der Filrstbischof hatte sie zur
Enthauptung begnadigt, ihr Leichnam aber ward verbrannt.
Die letzte gerichtete Hexe auf deutschem Reichsboden war
eine arme Bauerndirne, Anna Maria Schw&gelin im Stifte
Kempten. Sie ward nach dem v.om Ftirstabt von Kempten
bestatigten Urtheil am 11. April 1775, enthauptet.
Der Hexenglaube ist freilich nicht erloschen. Noch heute
kommen hier und da merkwtlrdige AusbrQche dieses Volks-
wahns zum Ausbruch, und mancher fanatische Orthodox
Hexenwesen und Aberglauben in Steiermark (Zeitschr. des Vereins
fur Volkskunde 1897). — tiber die orgiastische Natur der Hexenfeste
= alter Opferfeste der Weiber, vgl; meine akadem. Abhandlung zur
Geschichte des heidnischen Ritus. Berlin 1896, S. 15 f.
Weinhold, Deutsche Frauen. I. 5
60
mOchte noch jetzt den Teufelsglauben sammt dem Hexen-
wahn zum Kennzeichen echter Religiositat machen 1 ).
Das alteste tlberlieferte germanische Wort far ein
damonisches Wesen war unhul})6, womit Wulfiladasgriechische
datgicavj dcupdviov ilbersetzte; weit seltener braucht er das
Masculinum unhulf>a dafQr, das ihm sonst als tJbertragung
von didfiolog dient. So verbreitet muss auch bei den Goten
der Glaube an weibliche Damonen gewesen sein. Althoch-
deutsch ist nur das Masculinum unholdo, d. i. der Teufel,
belegt, und nur hOchst sparlich, Dass aber auch das Femini-
num vorhanden war, beweist das vom 11./12. Jahrhundert
ab hauflge diu unholde for teuflisches Weib, Nachtfahrerin,
Zaubrerin, das bis ins 17. Jahrhundert brauchlich war und
dann hinter das Wort Hechse, Hexe zurttcktritt.
Das uns geiauflge Wort Hexe ist ein altes westgermani-
sches Wort. Es lautet althochdeutsch hazus hazusa, voller haga-
zussa, hegezisse, mittelniederlandisch hagetisse haghedisse,
angelsachsisch hagtesse hagtis, im Mittelhochdeutschen hekse,
hexse, hexe und ist entweder von dem Adjectivstamm haga
(altnord: hagr geschickt, klug) abzuleiten: das kluge, ver-
schmitzte Weib (Grimm, Mythol. 992), oder ist aus dem
Substantiv hac Wald, Hain, zu erkiaren: das Waldweib
(Weigand, Deutsches WOrterb. I, 804). Die alte Verbindung der
elbischen Waldfrauen und der weisen Frauen erklart die Be-
nennung.
In Oberdeutschland, besonders im bajuvarischen Gebiete,
ist Drud, Trud, bis heute tlblicher als Hexe. Die mittel-
hochdeutsche Wortform ist trute, trutte; es scheint nicht zu
altn. J)nidr, J>ruda, Jungfrau, und dem Walkurennamen \>mAv
a ) tiber den heute noch nachweisbaren Hexenglauben gibt
eine tTbersicht Ad. Wuttke, Der deutsche Volksglaube der Gegen-
wart. 2. A. Berlin 1869, in vielen Paragraphen, vgl. S. 475 f. Auch
U. Jahn, Hexenwesen und Zauberei in Pommern (Festschrift der
Gesellschaffc fur Pommersche Geschichte. Stettin 1886). J. Zingerle,
Sitten, Brauche und Meinungen des Tiroler Volkes, S. 31—35. Inns-
bruck 1857. .
67
zu gehOren, da es im bayrischen nie zu Draud, Traud ward,
sondern kurzes u behielt 1 ).
Bilwiss, Bilweisse, das urspriinglich einen guten elbi-
schen Geist, dann einen Feldzauberer bezeichnete (Grimm,
Mythol. 441), findet sich im 15. — 17. Jahrhundert auch fur
Hexe gebraucht*).
Andere deutsche Benennungen der Hexen, die ihren ver-
schiedenen Eigenschaften entsprangen, sind:
Wettermacherin, -katze, -hexe. Wolkengilsse. Nebelhexe.
Blitzhexe, Strahlhexe. Donnerkatze. Zessen- (Sturm)macherin.
Nachtfahre (altnord. queldrida Abendreiterin ; myrkrida,
Nachtreiterin). Mantelfahre. — Dechselrite (Rockenreiterin).
Besen-, Gabelreiterin (altnorw.-isl. ttlnrida, gandreid).
Feldspinnerin. Questenpinderin 8 ).
Milchdiebin, -zauberin. Molkenstehlerin, -tOversche.
Mausschlagerin.
Teufelsbraut, -bule.
Wenn die germanische heidnische Seherin in die Zukunft
blickte, enthtillten sich ihr nicht bloss die Geschicke der
Menschen und VOlker, sondern sie schaute auch, da wir dem
eddischen Gedichte VOluspa vertrauen und es nicht filr eine
blosse Nachbildung sibylliriischer Prophetie halten, in die Zu-
kunft der GOtter und der von ihnen gegriindeten Ordnung.
Die Unholden und Druden haben schwerlich ahnliche
Gesichte gehabt und verktlndigt, wie die nordische Wala
jenes Gedichts. Erst als das Teufelswesen sie umspann,
glaubte wohl manche der Frauen, die s£ch selbst ubernatarliche
Krafte zutrauten, an VerrQckungen in das Reich des Teufels
und meinte den Fttrsten der HOlle in seiner infernalen Urn-
gebung zu schauen.
i) Grimm, D. WGrterb. 2, 1453 if. Schmeller, Bayr. WOrterb.
I 2 , 648 f.
2 ) Sleigertuchl. 244, 14. In schlesischen Schriften des 16. und
17. Jahrhunderts (so auch bei Andr. Gryphius) haufig.
8 ) Wird wohl Besenbinderin bedeuten; Quast, Queste ist ein
Laub- oder Zweigbuschel.
5*
68
In den Himmel aber strebten die christlichen
Seherinnen. Sie stehn auf dem festen Grunde des
Kirchenglaubens. Ihre Seele aber verlangt nach dem persOn-
lichen Schmecken und Schauen des GOttlichen und die
Phantasie tragt sie auf den Flflgeln der theologischen Bildung
ihrer Beichtvater in die Kammer des himmlischen Brautigams.
Himmel und HOlle beschaftigen die christliche Ein-
bildungskraft friih, und dass gerade die rege Phantasie
asketischer Weiber in diesen Bildern sich gerne bewegte,
ist nattirlich. Bonifaz berichtet (ep. 147) von einer englischen
Nonne, welche sich in Gesichten fiber die Freuden des
Himmels und die Qualen der HOlle erging und magnetische
Aussagen tlber ihr ganz unbekannte Personen und Verhaltnisse
machte. Die eigentliche Heimat dieser Gesichte von dem
Lande der Verheissung und von der Welt der Seligen war
Irland, von wo sich eine Yisionenlitteratur in das ubrige
Abendland verbreitete.
Besonders beliebt ward im 12. und 13. Jahrhundert die
Vision des irischen Bitters Tundalus. Drei Frauen des
St. Paulsklosters in Regensburg, Otageba, Heilka und Gisel,
liessen sich eine Abschrift des lateinischen Buches von
Tundalus machen, die ein Regensburger Geistlicher Alber
dann in deutsche Verse iibertrug 1 ).
Die erste grosse geistliche Seherin Deutschlands war
die heilige Hildegard von Beckelheim (geb. 1098, gest. 1179),
Abtissin des von ihr 1148 gestifteten Klosters auf dem
Ruprechtsberge bei Bingen, eine geistreiche, erweckte und
sehr gelehrte Frau. ' Sie hat einige Heiligenleben verfasst, und
iiber Sprachliches, Medicinisches und Naturwissenschaftliches
geschrieben 2 ). Ihr bedeutendstes Werk nach dieser Richtung
2 ) Gedruckt bei K. A. Hahn, Gedichte des 12. und 13. Jahr-
hunderts. Quedlinb. 1840, S. 41—66. Visio Tungdali, lateinisch und
deutsch, von A. Wagner. Erlangen 1882.
2 ) Ein Verzeichniss ihrer Schriften gab v. d. Linde in den Hand-
schriffcen der k. Landesbibliothek in Wiesbaden 1—96. Eine Ausgabe
der meisten gibt der 197. Band der Patrol. Christ, von Migne, mit
waren die neun Bucher Physica, eine Zoologie, Botanik und
Mineralogie. Aber in hOherem Ansehen als. hierdurch stund
sie durch ihre Klugheit und Weisheit. In ihren Offenbarungen
wurden ihr nicht bloss die himmlischen Zustande, sondern
auch die weltlichen erOffnet. Wie eine christliche Weleda
wirkte sie weithin. Mit zwei KOnigen und Kaisern (Konrad III.
und Friedrich I.), mit mehreren Papsten, vielen BischOfen,
Abten und Abtissinnen, stund sie in einflussreichem Brief-
wechsel. Papst Eugen III. schatzte und approbirte ihre
Schriften.
Der persOnliche Verkehr mit Gott Oder Cbristus ist ein
wesentliches Element der Enthullungen Hildegards. Derselbe
erhalt seine Richtung durch die Ausdeutungen des Hohenliedes.
Wie diese den Klosterfrauen besonders durch die Beichtvater
vermittelt wurden, kann unter andern ein hiibsehes, noch
dem 12. Jahrhundert-angehOriges Lehrgedicht zeigen, das in
einer Adelnhauser Handschrift enthalten ist 1 ).
Eine jungere Zeitgenossin Hildegards war die gleich ihr
heilig gesprochene Elisabeth von SchOnau (geb. um 1129,
gest. als Meisterin im Kloster SchOnau bei Oberwesel 1164),
. deren Offenbarungen, Mahnreden und Briefe ihr Bruder Egbert
(t als Abt von SchOnau 1184) aufgezeichnet und geordnet
hat ? ). In drei Buchern Offenbarungen erzahlte Elisabeth ihr
geistiges Leben in den Jahren 1152—1161, auf Bitten ihres
Bruders und auf Befehl ihrer Oberen, auch durch einen Engel
von Gott selbst dazu geheissen. An die Welt wendet sich ihr
spaterer Liber viarum Dei, eine Reihe Busspredigten und
ernster, selbst drohender Mahnungen, vorziiglich an die
Einleitungen von F. A. Reuss. — Analecta S. Hildegardis opera
spicilegio Solesmensi parata edid. Pitra. 1882. — Schmelzeis, Leben
und Wirken der h. Hildegard. Freiburg 1879.
a ) Gedruckt in den altdeutschen Blattern 1, 343—347. Das
Benedictinerinnenkloster Adelnhausen lag damals vor Freiburg i. Br.;
das Geb&ude ist spater zur Stadt selbst gezogen.
2 ) Die Visionen der h. Elisabeth und die Schriften der Abte
Ekbert und Emecho von SchOnau. Herausg. vonF. W. E. Roth. Brunn,
1884. 2. A. 1886. Dazu Ph. Strauch in dem Anzeiger fiir deutsches
Alterthum und deutsche Litteratur. Berlin 1886. Bd. XII, S. 25 ff.
70
Geistlichkeit, reich an poetischen Anschauungen und schOnen
Bildern, oft von heiligem Zorn getragen. Ihr letztes Werk
gab Erithflllungen fiber die h. Ursula und die eilftausend
Jungfrauen. Elisabeths Werke wurden in vielen Handschriften
verbreitet, und hatten auch schon im 13. Jahrhundert Einfluss
auf verwandte Kreise in Norwegen und auf Island.
Es kam dann das 13. Jahrhundert mit seinem Drange,
ein neues, auf den innersten Menschen gebautes religiOses
Leben zu schaffen. Die Ketzersecten, die darin wurzeln, das
eifrige Wirken der neuen Orden der Franziskaner und Domini-
kaner, die philosophische Bewegung unter den Theologen
brachte frischen Sauerteig in das abendl&ndische Christen-
thum und nicht zum wenigsten in Deutschland. Es kam eine
epidemische religiose Erweckung unter die Weiber im Lim-
burger Land und in Brabant: Christine von S. Trond (t urn
1224),Margarethe vonIpern(1216 — 1237), Ludgardvon Tongern
(tl246) 1 ) sind die bedeutendsten dieser begnadigten Frauen.
Im obern Deutschland folgten die bayrischen Weiber nach,
wie der Kegensburger Franziskanerdichter Lamprecht in seiner
Tochter Syon (v. 2838 ff.) bezeugt 2 ). Es waren nicht die vor-
nehmen und gebildeten, sondern Weiber aus dem niederen
Volke, meist im Leben vorgerilckte, welche von der Ekstase
ergriffen wurden. Lamprecht ruft darum aus: herre got, wa%
Jcunst ist da$, da$ sich ein alt tvip ba$ verstet dan witzige
man! Wir haben auch kurze Berichte von einer Dorfmagd
und einer Mtillerin, welche durch ihr inneres religiOses Leben
bekannt wurden und die Aufmerksamkeit der PredigermOnche,
zum Gluck fur sie ohne Ketzergeruch erregten 8 ).
Die Dominikaner waren es ilberhaupt, welche die ekstati-
sche Bewegung unter den deutschen Frauen, besonders den
geistlichen, unter ihre Pflege nahmen. In den KlOstern der
1 ) Preger, Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter,
S. 44—69.
2 ) Vgl. meine Anmerkung hierzu in meinem Lamprecht von
Regensburg, Paderborn 1880, S. 523.
3 ) German. XVIII, 196 f.
71
Dominikanerinnen 1 ) und Benedictinerinnen, dann unter den
Beginen fasste mystische Religiosity tiefe Wurzeln. Es sind
thuringische und magdeburgische Nonnen, die sich nataentlich
begnadigt zeigen: Mechthild von Magdeburg, Gertrud und
Mechthild von Hackeborn, Gertrud von Helfta.
Die geistig bedeutendste ist dieMagdeburgerMech-
thild, in der man Dantes Matelda sieht*). Geboren 1212,
entwich sie ihren Eltern, von Verlangen nach religiOsem Leben
getrieben, um 1235 nach Magdeburg und ward Begine; ihr
jungerer Bruder Baldewin ward Dominikaner in Halle. Von
grosser Bedeutung ist fttr sie die Bekanntschaft mit dem
Lector des Neuruppiner Dominikanerklosters, Heinrich von
Halle, um 1256 geworden. Schon seit 1250 hatte sie begonnen,
ihre Erfahrungen und Offenbarungen aufzuzeichnen ; ffinfzehn
Jahre setzte sie das fort. Heinrich ordnete das Ganze und
versah es mit einer Vorrede. Ein anderer Lector Heinrich hat
nach Mechthilds Tode eine freie lateinische Ubersetzung ge-
macht und in dieser Gestalt mag Dante Mathildes Offen-
barungen kennen gelernt haben. 1270 ging sie in das
Benedicterinnenkloster Helfta bei Eisleben, das unter der
Abtissin Gertrud von Hackeborn stund. Sie fQgte hier ihren
sechs Bttchern Offenbarungen ein siebentes hinzu. In Helfta
ist Mechthild von Magdeburg um 1282 gestorben.
Ihre Aufzeichnungen nannte sie ein fliessendes Licht
der Gottheit. Es ward von ihr in ihrer niederdeutschen
Muttersprache verfasst. Erst Heinrich von NOrdlingen hat es
um 1344 in das Alemannische tlbertragen 8 ), worin wir es
x ) Greith, Die deutsche Mystik im Predigerorden, Freiburg 1861.
2 ) Purgator. XXXIII, 119. Bohmer im Jahrbuch der deutschen
Dantegesellschaft III, 103 ff. Preger, Dantes Matelda, Munchen 1873.
Lubin, La Matelda di Dante Allighieri. Graz 1860, suchte Dantes
Matelda in Mechtild von Hackeborn.
3 ) Preger in den Sitzungsberichten der Munchener Akad. der
Wissensch. 1869. II, 151 ff. Offenbarungen der Schwester Mechtild
von Magdeburg, herausgeg. von G. Morel. Regensb. 1869. Die latei-
nische Cbersetzung findet sich zusammen mit dem liber specialis
gratiae im 2. Band der Revelationes Gertrudianae et Mechtildianae.
Pictavii (1877). .
72
kennen. In sieben Biichern enthalt es bunt durch einander
die mannigfachsten Ergusse der geistreichen , dichterischen,
vom Feuer der Gottesliebe durchleuchteten Nonne. Das
mystische Grundthema der Brautschaft der Seele mit Gott
klingt ilberall durch , und wird in den verschiedensten
Variationen vorgetragen. Betrachtungen ilber das rechte
Leben, scharfe Ermahnungen an Geistliche und Laien, Visionen
von Himmel und HOlle und den letzten Dingen, alles was in
langen Jahren vor die Erfahrung und das innere Gesicht der
erweckten geist- und kenntnissreichen Jungfrau trat, sind in
kurzeren und langeren Ausftihrungen , oft in regelloser
poetischer Form, gewOhnlich sinnig und dichterisch, zuweilen
auch mit stark hervorsprudelnder Kraft, die tlber weibliches
Maass geht, ausgesprochen. Es ist ein merkwurdiges schOnes
Denkmal des deutschen geistlichen Frauenlebens in dem
13. Jahrhundert 1 ).
Das Kloster Helfta bei Eisleben, in das sich Mechthild
von Magdeburg zuriickzog, war durch seine Abtissin Gertrud,
aus dem edlen thuringischen Geschlecht vonHackeborn 2 ),
zu einer Statte geistlichen Lebens und gelehrter Frauenbildung
erhoben worden. Gertrud forderte von den Nonnen Lernen
des Lateins, fortdauernde Beschaftigung mit der heiligen
Schrift und Versenken in inneres religiOses Leben. Die Biblio-
thek vermehrten fleissige klOsterliche Schreiberinnen. Die
Meisterin Mechthild von Wippra stund der Abtissin treu zur
Seite. Durch vierzig Jahre waltete Gertrud von Hackeborn
segensreich ihres Amtes (t 1292).
Ihre zehn Jahre jiingere Schwester Mechthild von
Hackeborn war bereits mit sieben Jahren in das Kloster
aufgenommen und von ihrer Schwester erzogen worden. Friih
wurden ihr viel Offenbarungen zu Theil. Zur Aufzeichnung
derselben kam es aber erst nach dem Tode der Abtissin Ger-
trud wahrend langerer Krankheit Mechthilds durch zwei Mit-
! ) Vgl. auch Preger, Geschichte der deutschen Mystik I, 91—112.
Ph. Strauch, Allgem. deutsche Biographie 21, 154 f. und in der Zeit
schrift fur deutsches Alterthum 27, 368 f.
2 ) Preger in der Allgem. deutschen Biographie 9, 73.
73
schwestern, deren eine wahrscheinlich die jungere Gertrud
gewesen ist. Nach Mechthilds Tode (19. November 1299) liess
die Abtissin Sophia von Querfurt das anfangs ohne Mitwissen
der Urheberin lateinisch niedergeschriebene und vor ihrem
Scheiden noch durchgeseheneWerk, den Liber specialis gratiae,
verOffentlichen. Er fand grosse Verbreitung. Noch im 16. Jahr-
hundert ward er lateinisch und in deutscher Bearbeitung
(Buch geistlicher Gnaden) Ofter gedruckt. Ihre prophetischen
Gaben, ihre Klugheit und ihr liebreiches Wesen hatten Mechthild
von Hackeborn schon bei Lebzeiten weithin Verehrung ver-
schafft 1 ).
Die Freundin Mechtilds von Hackeborn, die Nonne
Gertrud von Helfta, auch die grosse Gertrud genannt
(geb. 1256), war im Kloster Helfta von frilher Jugend an
ganz in der gelehrten und frommen Zucht der Abtissin Gertrud
von Hackeborn aufgewachsen. In ihrem funfundzwanzigsten
Jahre ward sie zu innerem Leben erweckt. Sie ward ebenso
eine begeisterte Lehrerin der heiligen Schrift als eine hoch-
begabte Empfangerin und VerkQnderin vision^rer Erlebnisse,
die in ihrem Legatus divinae pietatis (dem sogenannten Ger-
trudenbuche) , den sie 1289 aufzuzeichnen begann und den
eine Freundin fortsetzte, geschildert sind. SchOne Gebete ent-
halten die Exercitia spiritualia 2 ). Sie scheint um 1301 ge-
storben zu sein. Im 17. Jahrhundert ist sie heilig gesprochen
worden.
Was das 13. Jahrhundert begonnen, setzte das 14.' Jahr-
hundert fort. . Wir kennen aus dieser Zeit eine Reihe ober-
deutscher und schweizer NonnenklOster von ekstatischem
1 ) Ph. Strauch, Allgem. deutsche Biographie 21, 156 f. und in
der Zeitschr. f Or deutsches Alterth. 27, 376 f. — Der latein. Text des
Liber spec. grat. zuletzt gedruckt in den Revelationes Gertrudianae
et Mechbildianae. II. Pictavii 1877.
2 ) S. Gertrudis Magnae Legatus divinae pietatis. Accedunt
ejusdam Exercitia spiritualia. Opus nunc primum integre editum
Solesmens. monachorum cura et opera (Bd. I der Revelationes Ger-
trudianae ac Mechtildianae), Pictavii 1875. — Preger, Geschichte der
deutschen Mystik I, 74 ff. Strauch in der Zeitschrift fur deutsches
Alterth. 27, 373.
7*
Geiste erfttllt: Adelnhausen zu Freiburg i. Br., Unterlinden zu
Kolmar, Katharinenthal im Thurgau, Toess bei Winterthur,
Diessenhoven, Otenbach in der Schweiz, ferner Wiler bei
Esslingen, Medingen bei Dillingen und Ebenthal in Franken.
In Toess lebte als Dominikanerin Elsbeth Stagel aus
Zflrich, die geistliche Tochter Heinrich Seuses, des tief-
poetischen Epikers der Gottesminne. Ihrer Aufzeichnung nach
seinen mflndlichen Mittheilungen und nach den Briefen, welche
er ihr schickte, verdanken wir das erste Buch des sogenannten
Exemplares Seuses 1 ), worin „die heilige, erleuchtete Person,
die gar mtihselig und leidend war in dieser Welt", wie Seuse
die Elsbeth nannte, das Anfangen und Zunehmen seines geist-
lichen Lebens beschrieb. Seine Briefe sammelte sie besonders *),
diese Zeugnisse der liebreichsten Wirksamkeit eines hochbe-
gabten Seelsorgers.
Dasselbe Verhaitnis wie zwischen Seuse und Elsbeth
bestund zwischen Heinrich von NOrdlingen und Margarete
Ebner. Heinrich warWeltpriester, Freund Seuses und Taulers
und pflegte den Verkehr durch Wanderungen und Briefe unter
den Erweckten. Er sah namentlich auch in der Einwirkung
auf begnadigte Frauen seine Aufgabe. Um 1344 ubertrug er
das Fliessende LichtMechthilds von Magdeburg aus dem Nieder-
deutschen ins Oberdeutsche. — Margarete Ebner (geb. 1291,
t 1351) war Nonne im Kloster Maria Medingen bei Dillingen
inSchwaben und gehOrte vielleicht dem Nurnberger Geschlechte
der Ebner an. Ihre Beziehungen zu Heinrich bezeugen die
J ) Die deutschen Schriften Heinrich Seuses, herausgegeben
von P. Denifle. I, S. XVII.
2 ) Seuse vernichtete zwar seine Handschrifb der vollen Samm-
lung, nachdem er fur das vierte Buch seines Exemplars (Denifles-
Ausg. I. 573-623) einen Auszug gemacht hatte. Da aber mehr
Handschriften vertheilt waren, ist jenes ursprungliche Briefbuch nicht
untergegangen. Einige Handschriften sind aus dem vollstandigen
und dem gektirzten Briefbuche gemischt, so die, welche Preger fur
seine Ausgabe: Die Briefe H. Seuses (Leipz. 1867) benutzte. VgL
Denifle in Haupts Zeitschr. fur deutsches Alterth. XIX, 346-371.
XXI, 89—142. ftber Elsbeth Stagel auch Ph. Strauch in der Allgem.
deutsch. Biographie, Artikel Suso.
75
Brief e desselben 1 ) an seine geistliche Tochter; ausserdem sind
ihre Aufzeichnungen tlber ihr eigenes inneres Leben erhalten.
Als Margareta starb, ging Heinrich, der Zeuge ihres
Todes war, nach dem fr&nkischen Kloster Engelthal, wo die
berOhmte Nonne Christine Ebner lebte*). Dieselbe (geb.
1277) war als Kind in jenes Kloster gegangen, von innerster
Sehnsucht getrieben, wie wir es bei Mechthild von Hackeborn
und Gertrud von Helfta sahen. Sie hatte sich den strengsten
asketischen Ubungen ergeben und hatte seit dem funfzehnten
Jahre Gesichte gehabt, deren Mittelpunkt nattlrlich ihre Braut-
schaft mit Jesu ist, die sie im Styl des Hohenliedes filhlt und
schildert. Allm&hlich verbreitete sich der Ruf von ihr, sie
ward eine berilhmte Begnadigte. Die Geisler kamen und sie
musste zu ihnen von dem Herrn reden; 1350 kam KOnig
Karl IV. mit vielen Grossen nach Engelthal und liess sich
von ihr segnen. Ende 1351 suchte Heinrich von NOrdlingen
sie auf und sie hatte in seiner Gegenwart viele Entztlckungen
und Offenbarungen. Der ekstatische Zustand dauerte bis in ihr
76. Jahr. Sie starb am 27. December 1355, dem Tage, der
ihr schon in ihrer Jugend als Todestag verktindet worden war.
Tagebuchartig hat sie ihr inneres Leben bis in ihr hohes Alter
beschrieben ").
Unter den nicht wenigen erweckten Dominikanerinnen
von Engelthal, tlber welche das Btichlein von der Gnaden
LTberlast chronikartig berichtet, zeichnete sich auch Adelheid
aus dem Langemannschen Geschlecht von Nilrnberg aus.
Sie war jtlnger als Christine Ebner und starb 1375. Ihr
Bericht tlber die Wunder, die Gott an ihrem Leben gewirkt
!) Heumann, Opuscula, S. 331 ff. 351—404. Ntirnberg 1747. Dazu:
Preger in der Zeitschr. f. hist. Theol. XXXIX, 79 ff.
2 ) Der tlberlieferung nach war Christine eine altere Schwester
der Margarete. Die Verwandtschaft hat sich aber bis jetzt nicht
erweisen lassen: Lochner, Leben und Gesichte der Christine Eb-
nerin. Ntirnb. 1872, S. 7.
8 ) Auszugsweise herausgegeben von Lochner, vgl. vorige An-
merkung. Es wird ihr auch das Buchlein „der Nonne von Engel-
thal Buchlein von der Gnaden ftberlast" (herausg. von C. Schroder,
Tubingen 1871) von manchen zugeschrieben.
76
und iiber die Gesichte, die sie hatte '), bewegt sich ziemlich in
gleicher Weise wie die Lebensbeschreibung ihrer Mitschwester.
Ihr geistlicher Freund war Abt Ulrich von Kaisheim, des
Cistercienserordens, ein Freund Heinrichs von NOrdlingen und
Taulers.
In verwandter Art werden sich die bis jetzt ungedruckten
Visionen und Tagebflcher der Dominikanerinnen von Katha-
rinenthal bei Diessenhofen, Otenbach in Zttrich, Wiler und
der Clarissin Magdalena von Freiburg halten 2 ). Denn das Ver-
langen des Gemtithes, sich in persOnlichen Verkehr mit Gott zu
setzen, ist tlberall das gleiche. Die Wege, auf denen die Seele
die Vereinigung mit dem himmlischen Brautigam sucht und
findet, waren von S. Bernhard, von Hugo und Richard von
S. Victor und von den anderen grossen mystischen Theologen
des 13. und 14. Jahrhunderts gewiesen. Die Vermittelung
dieser Kenntniss tibernahmen die geistlichen Berather jener
Frauen 8 ) und es verbreitete sich jene entzuckte und aber-
schwengliche Stimmung des inneren Menschen, in welcher
die Gottesminne die ganze Natur tiberw<igte und das Uber-
irdische mit alien Sinnen wahrgenommen ward.
Angedeutet mag nur werden , dass die Frauen in den
mannigfachen ketzerischen Secten des 13. und 14. Jahr-
hunderts gewOhnlich stark vertreten waren. Auch die Be-
ginen 4 ), jene niederdeutschen barmherzigen Schwestern ohne
Ordensgeliibde, kamen in den Verdacht, viele unter sich
zu haben, die vom rechten Glauben abgewichen seien. Der
a ) Die Offenbarungen der Adelheid Langemann, herausgeg. von
Ph. Strauch. Strassburg 1878.
2 ) J. Baechtold, Geschichte der deutschen Litteratur in der
Schweiz. Frauenfeld 1887, S. 213 ff.
8 ) Predigten und Abhandlungen mystischen Inhalts sind nicht
selten an geistliche Frauen gerichtet: W. Wackernagel, Altdeutsche
Predigten und Gebete. Basel 1876, S. 381.
4 ) Von Lambert Beghe (t 1187) in Liittich gestiftet. — Mos-
heim, de Beghardis et Beguinabus, Lips. 1790. Hallmann, Gesch. des
Ursprungs der belgischen Beghinen. 1842. Seibertz, Beghinen und
Begharden in Westfalen (Anzeiger fur Kunde deutscher Vorzeit,
Ntirnberg 1863, S. 313 ff).
77
Grund liegt in dem auch unter ihnen sich aussernden Ver-
langen nach einem moglichst personlichen Verhaltniss zu Gott ').
Die folgenden Jahrhunderte entbehren der Prophetinnen
und der Begnadigten nicht.. Auch bei diesen spateren „gott-
seeligen Jungfrauen" bricht die brautliche Stimmung hervor;
tiefsinnige Spruche gehn den Weissagungen uber die Ereig-
msse m Staat und Kirche und Qber die letzten Dinge gerade so
zur Seite als bei den Mechthilden und Gertruden des 13. Jahr-
hunderts.
Das sanctum et providum ist in den deutschen Frauen
^eriOschenden Mittelalter noch nicht erloschen.
h.,nH H Der Erfilrter Satyriker Nicolaus von Bibra (Ende des 13. Jahr-
auna erts) sagt von ihnen v. 1626: accidit hoc quod earum quedam
vocafcKunf™ ^ TOl rapiuntur ut ^deant Christum: vulgus jubilum
Vierter Abschnitt.
Das Madehen.
Von den GOttinnen und weisen Frauen treten wir
hinein in den Hausraum der Wirklichkeit. Dort wandelten
wir unter Gestalten religiOser Verehrung und begeisterter
Erhebung ttber das Menschliche; von hier ab verkehren wir
mit der Frau unter der Lust und Last des Lebens, mit dem
Madehen, der Gattin, der Mutter. Wir begleiten sie von der
Wiege durch die Jahre der Jugend und Liebe in die Zeiten
der Sorge und des Verarmens, wir winden ihr den brautlichen
Blumenkranz und reichen ihr den Witwenschleier.
Die dunkle Seite der Stellung des Weibes, seine sachliche
Bedeutung im Alterthum, bildet die Grundlage dieser Ver-
haltnisse. KOnnten wir tiefer hinab in die Vorzeit unseres
Volkes dringen, so wurden der Beweise noch mehr werden,
dass auch bei den Germanen das Weib einmal jene tiefe
Stellung einnahm, in der es bei alien VOlkern auf niedriger
Bildungsstufe erscheint.
In dem Alterthume trat der Einzelne hinter die Gesammt-
heit zurflck. Wie selbst die Dichtkunst nicht als eine Gabe
zu Lust und Nutz des Einzelnen gait, sondern der Dichter
nur der Mund schien, durch welchen der Volksgeist seine
Poesie ausstrOmen liess, so war auch in alien tibrigen Ver-
haltnissen die Gesammtheit der lebendige Quell, aus dessen
Fluth der Einzelne bald Leben bald Tod schOpfte. Das Leben
des Einzelnen hat in solchen Zusttaden keine hohe Bedeutung,
sondern wenn die Gesammtheit es zu vernichten beschliesst,
so muss es erlOschen. Dem Staate, der auf der Manner
Starke gebaut war, musste daran liegen, diese sich zu
wahren; darum tritt ilberall im Alterthume das Streben
79
hervor, einen schwachlichen Nachwuchs zu unterdrucken
und jedem freien Vater wird das Eecht ertheilt, schwache
Knaben bald nach der Geburt auszusetzen. Das Leben der
Madchen war vOllig dem Gutdiinken des Vaters tlberlassen.
Diese allgemeinen Bemerkungen sind auch filr die
Germanen als richtig anzunehmen. Wir raumen damit jener
Mittheilung des Tacitus, dass die Zahl der Kinder irgend zu
beschranken, unter ihnen filr verbrecherisch gelte (Germ. 19),
nur eine bedingte Wahrheit ein 1 ). Auch bei den Germanen hat
es einst als Eecht gegolten, die Kinder auszusetzen 2 ). Als
gewOhnlicher Anlass erscheinen Theuerung und Hungersnoth.
Namentlich die islandischen Zustande sind uns deutlich. Die
Unfruchtbarkeit der Insel machte es zur strengsten Pflicht,
die Entstehung eines Proletariates zu verhtlten. Die Mittel,
die man ergriff, waren streng und hart wie die Natur und
die Menschen der Insel. Bei einer Hungersnoth ward einraal
beschlossen, alle Alten und Erwerbsunfahigen zu todten
(Fornmannas. 2, 225) 8 ). Mit gutem Kechte waren aber die
Ehen der Armen der gesetzlichen Ftirsorge unterworfen.
Heiraten sich zwei, die nicht ein bestimmtes Maass des Ver-
mOgens nachweisen kOnnen, und die Ehe ist fruchtbar, so
mttssen sie sammt den Kindern aus dem Lande; ja sogar
der gesetzliche Verlober der Frau und der, in dessen Haus
der Brautkauf vor sich ging, werden verbannt, wenn nicht
!) Kiinstliche Beseitigung der Frucht wird in den Volksrechten
an denen, welche den Trank gaben, im Salischen Recht (19, 4.
Cod. 5) mit hoher Geldbusse, im bayrischen Gesetz mit Verlust der
Freiheit (VIII. 18), im westgotischen Recht mit dem Tode (VI. 3, 1)
bestraft.
a ) Grimm, Rechtsalterthumer 455—460. K. Maurer, die Wasser-
weihe des germanischen Heidenthums, S. 10 fF., 71 f. Bekehrung
des norwegischen Stammes 1, 433. 2, 181. f. 2, 273. 275. Weinhold,
Altnord. Leben. Berlin 1856, S. 260 f.
8 ) Dieser Beschluss hangt mit der Sitte zusammen, die sich
aus dem Alterthum aller V61ker nachweisen lasst: vgl. u. a. P. Sar-
tori, Alten- und Krankentodtung in Andrees Globus LXVEI. Nr. 7, 8.
Rud. Steinmetz, Endokannibalismus in d. Mittheil. der Anthropolog.
Gesellschaft in Wien XXVI, 1-60. (1896).
80
jener die Emahrung der Kinder ubernimmt. Das Paar darf
erst zuruckkehren, wenn es das bestimmte VermOgen nach-
weisen kann, und die MOglichkeit fernerer Vermehrung ver-
schwunden ist (Grag&s Festath. 12). Uber die Erhaltung der
erwerbsunfahigen Oder verarmten Glieder einer Familie fanden
sich ebenfalls genaue Bestimmungen , die alle darauf aus-
gingen, dem Staate die Last einer Armenernahrung zu er-
sparen, und naturlieh jeden darauf denken liessen, sich keine
Familienarme irgendwie heranzuziehen.
Als im Jahre 1000 auf Island das - Christen thum durch
Beschluss der allgemeinen Volksversammlung angenommen
wurde, war die Annahme von der Minoritat an die zwei Be-
dingungen gekntipft, nach wie vor Pferdefleisch essen zu
dOrfen, und die Kinder wie im Heidenthum aussetzen zu
kOnnen. Bald jedoch ward die letztere Forderung beschrankt
und nur die TOdtung ganz verlassener und verwaister Kinder
gestattet. In den skandinavischen Landern ward bald mit
der staatlichen Einfuhrung des Christenthums das Kinder-
aussetzen ohne alle Ausnahmen bei Friedens- und VermOgens-
verlust oder Landesverweisung verboten 1 ). Die Sorge fur
die mutterlosen und ganz armen Kinder wurde der Landschaft
ubertragen (Frostath. 2, 2. Biarkeyjarr. c. 3.) Ubrigens ward
auch auf Island schon in der letzten heidnischen Zeit das
Gefuhl milder, und selbst den UnvermOgenden wurde es
verargt, wenn sie die Kinder aussetzten (Gunnlaugs s. c.
3. Fornmannas. 3, 111).
Ausser der Armuth konnte noch anderes zu dem harten
Verfahren bestimmen. Wie bei anderen VOlkern waren oft
Traunie der Anlass, ein Kind, von dem sie Unheil verkundeten,
auszusetzen. Der Islander Thorstein, Egils Sohn, ein reicher
Mann, traumte, seine Frau solle ein Madchen gebaren, das
2 ) Es ward dabei zwischen der Todtung ungetaufter und ge-
taufter Kinder insofera unterschieden, als die Strafe fur die Beseiti-
gung eines ungetauften Kindes durch das halbe Wergeld des Kindes
und eine Geldbusse an den Bischof abgekaufb werden konnte.
K. Magnus Erlingsson hub den Unterschied auf; K. Maurer, Wasser-
weihe 71.
81
viel Ungluck bereiten werde. Als die Zeit der Niederkunft
naht und er zur grossen Volksversammlung reisen muss,
befiehlt er seiner Frau J6frid, wenn sie ein Madchen gebaren
sollte, es auszusetzen. Sie entgegnet ihm aber, dass solches
fur ihn eine Schande und Thorheit sei, da er selbst reich sei
und auch reiche Verwandte habe. Da sie nun in seiner Ab-
wesenheit eines schOnen Madchens genest, braucht sie eine
List, indem sie dem bestimmtenWillen des Mannes nicht offen
zu trotzen wagt. Sie lasst den Befehl nur scheinbar ausfuhren;
Helga bleibt am Leben und durCh ihre SchOnheit erfullt sich
des Vaters Traum. Davon erzahlt die anziehende Geschichte
des Skalden Gunnlaug Schlangenzunge. — Sehr erklarlich ist
die Ausfuhrung der alten Sitte, wenn von der Familie eine
Schmach abgewendet werden sollte, die ihr durch die Geburt
eines Kindes drohte. Nicht selten war auch das Kinder-
aussetzen ein Mittel zur Rache, dessen sich leider selbst die
Mfltter gegen die Vater des Kindes bedienten. Eine Islanderin
beschloss aus Wuth daruber, dass ihr Mann AsbiOrn eine
Tochter ohne ihr Mitwissen verlobt hatte, keine Kinder mehr
aufzuziehen und liess ihr n&chstes Kind kussetzen. Sie erklarte •
dem verzweifelten Vater nach der That, sie wolle keine Kinder
erziehen, die gegen ihren Willen weggegeben wilrden (Finn-
bogas. c. 2).
Ohne weiteres durfen wir annehmen, dass das Aussetzen
vorzuglich die Madchen traf, da es den Armen immer leichter
ward, einen Knaben aufzuziehen. Auf den SOhnen ruht das
Leben und die Hoffnung des Hauses, in ihnen winkt den Eltern
die Aussicht auf vermehrte Ehre oder auf spatere Erleichterung
ihrer Lage. Die Madchen, ttber deren Geburt sich in Volks-
gebrauchen weit wenigerFreude bekundet als ilber die Knaben 1 ),
konnte das harte Geschick schon dann treffen, wenn in der
Familie keine oder nur wenige SOhne und viel TOchter ge-
boren wurden. Einen Beleg dafttr gibt die Lebensbeschreibung
des heiligen Liudger. Liafburh, Liudgers Mutter, war als neu-
l ) J. Grimm, Deutsche Kechtsalterth. 403. Rochholz, Ale-
mannisches Kinderlied und Kinderspiel 281.
Weinhold, Deutsche Frauen. I. 6
gebornes Kind in grOsster Lebensgefahr, denn ihre Grossmutter
war in Zorn, dass sie lauter Enkelinnen und keinen Enkel
erhielt. Sie gab also den Befehl, das Kind ins Wasser zu
werfen *). Allein eine mitleidige Xachbarin zog es zeitig genug
heraus und fltichtete es in ihr Haus, wo sie Zeit gewann. ihm
etwas Honig auf die Lippen zu traufeln. Xun war das Kind
gerettet ; denn sobald ein Kind Speise genossen, war es nach
heidnischem Satz unerlaubt, dasselbe zu todten (Pertz Scr. 2,
406). Im heidnischen Xorwegen und auf Island durfte kein
Kind, das bereits niit Wasser benetzt war und einen Xamen
erhalten hatte, ausgesetzt werden*).
Trotz der Yerbote der weltlichen Gesetze und der Kirche
erlosch ubrigens weder im Norden noch in Deutschland die
Kinderaussetzung ganz. Es gab ja stets Yerhaltnisse. in denen
die Geburt eines Kindes unbequem oder von Nachtheilen be-
gleitet, geradezu auch verderblich erschien, und die Aussetzung
blieb dann immer noch milder als der Mord. Man hoffte, dass
die ausgelegten, ausgesetzten Kinder, die fun t kin t (fundelkint,
fundelinc), wozu sie wurden, falls man sie fand. die Barni-
herzigkeit erwecken wurden. In der Legende (Judas Ischariot,
Gregor auf dem Steine, Albanus) und in dem Heldenepos
(Wolfdietrich) begegnen wir solchenFindelkindei*n, denFruchten
ungesetzlicher Yerbindungen 3 ).
Einem glucklichen Zufall und der Milde der Finder blieb
das Leben der armen Yerstossenen uberlassen. Zogen sie den
Findling auf ; so gehOrte er ihnen durchaus zu eigen; wenn
sie ihm kein andres Recht gaben, als HOriger. Im Schwaben-
spiegel findet sich die Bestimmung: wer ein Kind aufhebt,
das seine Eltern ausgeworfen haben, und es erzieht, bis es
stark geworden, dass es dienen kann, dem muss es dienen,
weil er ihm zu seinem Leben geholfen hat. Erhoben spater
seine Eltern oder der Herr, dessen Eigenleute die Eltern waren,
a ) Nach altfiies. Recht (1. Fris. Y, 1) war die Todtung eines
Kindes durch seine Mutter unmittelbar nach der Geburt straflos.
2 ) K. Maurer, AVasserweihe 71. Weinhold, Altnord. Leben 261.
3 ) Cber Sagen von ausgesetzten Kindern Grimm, Rechts-
alt. 455.
8a
Ansprtiche auf den Findling, so musste dem Findelvater
mindestens das Kostgeld ersetzt werden 1 ).
Erst in den aufbluhenden St&dten wurden Stiftungen
fur die ausgesetzten Kinder gemacht, wie es scheint, zuerst
im 14. Jahrhundert. Die Kinder wurden gewohnlich vor die
Klrche oder vor das Rathhaus gelegt, vor die Hauser der
Gteistlichen, auch vor ein Nonnenkloster, und wo Findelhauser
waren, vor diese. Ihr Leben schien damit der aussetzenden
Mutter gesichert. Aber es war auch sehr verlockend, nament-
lich fur leichtfertige und gewissenlose arme Mutter geworden,
sich eines Kindes zu entledigen, ohne es zu todten. Der Baseler
Rath sah sich deshalb zu Anfang des 15. Jahrhunderts zu
dem Beschluss genothigt: welch frow das hinnantfur tftt und
sich das erfindet, das man die in den Ein werfen sol 2 ).
Die Aussetzung blieb immer die Ausnahme, die Regel
war, dass das Kind in das Leben hinein wuchs, in das es
geboren war.
Die Niederkunft der Mutter geschah in altester Zeit
meist auf dem Fussboden des Hauses, das eben nur einen ein-
zigen, von den Wanden und dem Dach umschlossenen Raum
hatte, daher noch die spatere Rechtsbestimmung stammt, dass
das Kind als lebend zurWelt gekommen gait, das die vier
Wande und das Dach beschrieen (angeschrieen) hatte. Da lag das
Neugeborene, bis der Yater es aufheben liess und damit in
seinen Schutz und in die Sippe aufnahm. Der Xame Hebamme 3 )
stammt wohl von diesem Brauche und bezeichnet wahrschein-
die Helferin, die das Auflieben und dann auch das sich an-
schliessende Baden besorgte, woher sie auch (seit dem 15. Jahr-
hundert) padmueter, Bademutter, Bademume hiess. Im Pinzgau
im Lande Salzburg war es noch am Ende des 18. Jahrhunderts
Sitte, dass nach dem starkenden Mahle (eine Eierspeise und
J ) Schwabenspiegel, Landr. 298 (Wackernagel). Im Sachsen-
spiegel ist nichts davon enthalten.
2 ) Baseler Rechtsquellen 1, 111.
8 ) ahd. hefianna, hevanna, mhd. hevamme, heueamme, hebemuoter,
hevemuter, nl. hevemoeder.
6*
84
ein Glas Branntwein), das die WOchnerin gleich nach der
Geburt erhielt, das nackte Kind eine Viertelstunde, auch wohl
langer, ilber ein ausgebreitetes Tuch auf den Fussboden ge-
legt ward 1 ). Den Brauch, das neugeborene Kind sofort unter
die Stubenbank zu legen, bezeugt Kochholz aus der Schweiz *).
In aitester Zeit war das erste Bad des jungen Menschen
nicht warm. Aristoteles hatte gehOrt, dass viele BarbarenvOlker
die Kinder gleich nach der Geburt in kaltes Flus^wasser
tauchten, und der Arzt Galenus (2. Jahrhundert n. Chr.) nennt
ausdriicklich die Germanen als solche, welche diesen grausamen
Brauch tlbten 8 ). Weil es eine Sitte war, muss sie auch einen
festen Namen gehabt haben,' wahrscheinlich daupjan, tauchen,
womit Wultila auch ohne Scheu die christliche Taufe, das
(iaitzlZsiv ubersetzte. Auch die westlichen Deutschen behielten
dOpjan, toufan dafur nach ihrer Bekehrung und liessen es
durch kein kirchliches Wort, wie bei anderen Kulthandlungen,
verdr&ngen.
Die erste Nahrung erhielt das Kind naturgemass an der
Mutterbrust. Auch Honig dem Neugeborenen auf die Lippen
zu traufeln war uralte Sitte 4 ). Das Kind, das Nahrung ge-
nossen, durfte nicht mehr getodtet werden. Den Abschluss
der Aufnahme unter die Menschengemeinde machte dann die
Namengebung; dadurch ward das Kind zur PersOnlichkeit
und das halbe Wergeld (Mannbusse), das ihm das Gesetz
zuerkannte, erhub sich nun zum ganzen. Nach den Angaben
im salischen und ribuarischen Gesetz und auch nach dem
alemannischen Recht 5 ) geschah die Namengebung innerhalb
der ersten neun Nachte. .
: ) L. Hiibner, Beschreibung des Erzstiftes und Reichsfiirsten-
thums Salzburg 2, 694 (Salzburg 1796).
2 ) Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel 279 f.
3 ) MtillenhofF im Anzeiger f. deutsch. Alterth. 7, 408.
4 ) Grimm RA. 457. A. Kuhn, Herabholung des Feuers 137.
5 ) 1. Sal. 24, 4. 1. Ribuar. 36, 10. Pact. Alam. 2, 31. 1. Alam.
Hloth. 79. — An den lange erhaltenen Scherz: Die Schwaben lagen
die ersten neun Tage blind, an den rOmischen dies lustricus am
neunten Lebenstage, sei nur erinnert.
85
Bei den Nordgermanen dagegen schloss sich diese Hand-
lung unmittelbar dem Begiessen des Kindes mit Wasser
(ausa barn vatni), also dem ersten Bade an 1 ). In Skandinavien
trat sonach der Neugeborene sehr rasch nach dem Eintritt
in das Leben auch in sein voiles Wergeld ein.
In der Eegel wird der Vater als geborener Vormund
dem Kinde den Namen gegeben haben. Es war immer nur
ein einziger Name. Dass er sich dartlber zuweilen mit seiner
Frau oder den Verwandten berieth, ist bei der Bedeutung, die
unsere Vorzeit mehr als die Gegenwart den Namen beilegte,
erklarlich. Auch ist, in Skandinavien wenigstens, die Namens-
gebung mitunter einem andern anwesenden Manne als Ehren-
bezeigung tiberlassen worden 5 ).
Der gegebene Name ward nicht aufs Geratewohl oder
nach irgend einer Liebhaberei gewahlt, sondern haupts&chlich
mit der Rucksicht, die verwaridtschaftlichen Beziehungen
anzudeuten. Da es in der langsten Zeit des Mittelalters noch
keine erblich gefilhrten, den Einzelnamen stetig zugefugten
Familiennamen gab, die erst seit dem 12. Jahrhundert sehr
allmahlich und auch landschaftlich beschrankt Eingang fanden,
so war jene Rucksichtnahme um so wicr\£iger.
Man hatte verschiedene Weisen, die Verwandtschaft in
den Namen zu bezeichnen 8 ). Eine sehr alte, in unseren altesten
Namen bereits sparlich erscheinende, war die Abwandlung
der Namen durch Ablaut: der Vocal des Namens erschien
entweder gesteigert oder geschwacht. Die Mutter z. B. hiess
Ada, die Tochter Oda (Uota), die Mutter Adalhilt, die Tochter
Uodalhilt, die Mutter Baba, die Tochter Buoba.
Ebenfalls alt war die Bindung der Namen der G-e-
schlechtsgenossen durch den gleichen Anlaut, also den Stab-
x ) K. Maurer, tTber die Wasserweihe des germanischen Heiden-
thums. S. 5. ff.
2) Weinhold, Altnord. Leben 262. Maurer, Wasserweihe 8.
s ) Mone in seinem Anzeiger filr Kunde t. Yorzeit V, 104 — 107.
Weinhold, Altnord. Leben 264—269. Stark, Kosenamen der G-er-
manen 161 f.
8(3
reim- So ist Thusnelda mit dem Sohne Thumelicus gebunden,
eine Mutter Atha mit der Tochter Abba (769. Cod. Lauresh.
I. 110), eine Mutter Waltpurc mit dem Sohn Wolfcrim (861.
Herrgott geneal. austr. dipl.). Es genttge nur noch, an die
allitterirenden Namen der BurgundenkOnige Gibich, Gilnther,
Gemot, Giselher, und an Hildebrand mit dem Sohn Hadu-
brand zu erinnern.
Auch ward voller vocalischer Reim gebraucht. In einer
frankischen Urkunde von 635 (Pardessus n. 270) flnden sich
die BrQder Ado Dado Rado, auf Island die Briider Gaukr
und Haukr (Halfdans. Eysteinson. c. 27).
Die Namen enthielten ferner im ersten Oder im zweiten
Theil der Composition denselben Wortstamm:
In dem mythischen Welsungengeschlecht ging das
bedeutungsvolle sigu durch die Namen hindurch: von Sigi
dem Odinssohn, nach skandinavischer Sagentlberlieferung,
stammen die Urenkel Sigmund und Signy. Signy ist mit
Siggeir vermahlt, Sigmunds Sohn ist Siegfried, Sigurdr. In
den letzten Gliedern der ostgotischen Amalungen klingt
theuda (diet, das Volk) (lberall durch : des grossen Theuderich
Tochter war Theudagotho, sein Neffe Theudat, dessen Kinder
Theudanantho und Theudagisil hiessen. Diese Art, die Bluts-
verwandten durch einen Namen zu verbinden, war im SUden
und Norden Germaniens verbreitet. Ich will nur wenige
Belege aus Deutschland anfuhren : eine Mutter hiess Deotwich,
die Tochter Deotswind; der Vater Isanhart, die Tochter
Isanpirig; der Yatersbruder Wuldarrich, die Nichte Wuldarniu;
der Vater Ilprant, die Tochter Ilpurg. Auf diesem Wege
sind nicht wenig zusammengesetzte Namen entstanden, die
an sich keinen rechten Sinn geben.
Die Ubereinstimmung des zweiten Compositionstheiles
ward fast noch haufiger zur Andeutung der Yerwandtschaft
gebraucht. Yon einem frankischen Ehepaare Rainarius und
Amalgardis entsprossen die SOhne Raganharius und Amal-
harius, sowie die TOchter Raingardis, Angilgardis (Polypt.
Irm. 255). Yon einem bayrischen Paare Deotniu und Hr6dni
87
der Sohn Nahniu, und die TOchter Chrimhilt und Kisalni
(806. Meichelbeck hist. Frising. I, 203). In einer andem bayr.
TJrkunde von ungefahr 783 stehn die Bruder Alprich und
Ascrich mit den Schwestern Marchrat, Waltrat und Angilrat
(ebd. 70). Ein elsassischer Vater Uodalrich hatte die SOhne
Adalrich und Wisarich (799. SchOpflin Alsat. diplom.).
Die Beispiele liessen sich ohne Ende haufen. Auch das*
selbe Suffix ward beliebt: So hatte ein Vater Pirhtilo die
SOhne Tuotilo, Fritilo, C6zzilo, Petilo (791. Meichelbeck I, 81),
Wir finden die Briider Bernicho und Biricho, Gundolt und
G§rolt u. s. w.
Zuweilen wurden auch verwandtenLeuten Namen gleicher
Bedeutung gegeben. So stehn die Namen des bekannten Hel-
denpaars Hildibrant und Hadubrant zu einander. Aus Nord-
gennanien sind die Bruder Hrafn und Kr&kr, KOtt und Kisi
anzufiihren.
Aber es begegnen auch dieselben Namen. Der Name des
Grossvaters ward gern dem Enkel gegeben: wir finden in
einer bayrischen TJrkunde den Grossvater Isanhart mit einem
Enkel isanhart (836. Meichelbeck I, 309), in einer aleman-
nischen die Grossvater Wolfkis und Horscwin mit gleich-
namigen Enkeln (818. 826 Neugart I. 172. 186). Auch Vater
und Sohn, Bruder und Schwester (nur mit verschiedener gram-
matischer Endung, z. B. Odo, Oda), Vatersbruder und Neffe
hiessen gleich. In Nordgermanien war derselbe Brauch, der
sich bis in unsere Gegenwart oft genug nachweisen lasst. In
manchen Geschlechtern (man denke an die Fiirsten Reuss)
wird derselbe Vorname ununterbrochen fortgefilhrt, Oder es
ist ublich, denselben Namen wenigstens als Nebennamen
durchzufuhren.
Der Name, sagte ich vorhin, macht das Kind zur Per-
sOnlichkeit. Er ist kein Lautschall, sondern ein Wort mit
Inhalt, er hat Bedeutung und Macht. Nenne ich den Namen,
so denke ich an das Wesen, das ihn tragt und dieses Wesen
wirkt auf mich. So hat sich Scheu und Ehrfurcht, Widerwille
und Hass auf den Namen ilbertragen und in alien VOlkern
eine Menge von Vorstellungen und Glauben oder Aberglauben
88
mit den Namen verbunden 1 ). Fur uns kann geniigen, auf
einiges unmittelbar an diese Stelle gehOrige zu erinnern.
In Norwegen ist noch jetzt die Meinung, wenn eine
schwangere Frau von einem Verstorbenen traumt, dass dieser
„nach dem Namen gehe", das heisst sich einen Namensvetter
suche. Es wird das Kind dann nach ihm genannt, weil es
Gliick bringt 2 ). Das hangt, wie Konr. Maurer nachgewiesen 8 ),
mit dem altnorwegischislandischen Glauben zusammen, dass
ein Sterbender oder auch ein Todter Vortheil davon habe,
wenn ein zu erwartendes Kind nach ihm benannt werde, so
wie auch das Kind Nutzen davon ziehe. Schon in alten wie
in neueren islandischen Quellen wird von Traumerscheinungen
Verstorbener zu diesem Zweck berichtet.
Nach Frtihverstorbenen wurden auf Island nicht gern
Kinder benannt. Das gait und gilt auch in Deutschland, wo
man es fur unheilvoll halt, nach einem verstorbenen Ge-
schwister ein spater geborenes zu nennen. Das verstorbene
zieht das jungere nach.
Aus Norwegen und Island wird die Sitte bezeugt, der
Namengebung ein Geschenk, die Namenfestigung (nafnfestr),
folgen zu lassen 4 ). Eeiche und Vornehme gaben ihren Knaben
Landbesitz, Ringe, Waffen. Diirfen wir die Patengeschenke
als Fortsetzung hievon nehmen, so hatte diese Namenfestung
auch im deutschen -Yolke bestanden. Haufig sind diese Gaben
in nordischen Quellen erwahnt, wenn einem Erwachsenen ein
Beiname *) aus irgend welchem Anlass zugelegt ward. Dafur
haben wir auch ein altes deutschheidnisches Beispiel in der
langobardischen Sage, dass Wodan, als er dem Volke der
Winilen den Namen der Langbarte gegeben , er auf Freas
2 ) R. Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiche, Stuttg.
1878, S. 165-184. Kr. Nyrop, Navns Magt. Kobenhavn 1887.
2 ) Liebrecht, Zur Volkskunde. Heilbronn 1879. P. 311.
3 ) Zeitschrift des Yereins fur Yolkskunde 1, 111. 5, 99. Maurer,
Bekehrung 1, 234.
4 ) Weinhold, Altnord. Leben 263. K. Maurer, Wasserweihe 8.
5 ) Eine Saminlung dieser Beinamen (kenningarn9fn) in meinem
Altn. Leben 277 ff.
Forderung „so wie du ihnen einen Namen gegeben, so gieb
ihnen den Sieg", als Namengeschenk ihnen den Sieg verlieh 1 ).
Angeschlossen werde hier gleich, dass das Kind noch
ein Geschenk erhielt, wenn der erste Zahn durchbrach, nordisch
das Tannfe (Zahngeld) genannt 2 ). Dass noch heute dieses Er-
eigniss von deutschen Muttern als sehr wichtig betrachtet wird,
ist bekannt. Die Warterin Oder Amine erhalt gewOhnlich ein
Geschenk dabei.
Wieweit die vom Oberrhein, namentlich aus dem Aar-
gau, nachgewiesene Sitte zuruckgeht , in der Geburtsstunde
des Kindes einen Baum in den Garten zu pflanzen, als Lebens-
und Schicksalsbaum, weiss ich nicht. Die von Geiler von Kaisers-
berg in seiner Emeis (1508) erzahlte Geschichte von den drei
Schusterkindern, die sich bei Beziehung eines neuen Hauses
in dem Garten jedes einen bestimmten Baum als Schicksals-
baum wahlten, zeugt nicht fur den Geburtsbaum, sondern for
die weitverbreitete und alte Vergleichung des menschlichen
Lebens mit dem der Pflanzen, namentlich der Baume, die zu
manchen sinnreichen Gebrauchen gefuhrt hat 3 ).
Sobald das Kind das erste Mai gebadet war, wurde es
in Thierfelle, in spaterer Zeit in Tucher gehallt; bei den
Armen blieb es wohl ganz nackt auf dem bereiteten Lager
liegen. Das altnordische Gedicht Kigsthula, das von der
Wanderung des Gottes Heimdallr (Rigr) auf der Erde erzahlt
und wie er der Vater der drei Stande des Volkes wurde,
berichtet von Thraels (des Unfreien) Geburt bloss, er sei mit
Wasser begossen und Thraell genannt worden; Karl (der
2 ) Prol. ed. Rothar., Paul. diac. 1, 8.
2 ) Weinhold, Altnord. Leben 284.
8 ) Rochholz, Aleraannisches Kinderlied 284. Mannhardt, Wald-
und Feldkulte 1, 49. tiber Baumpflanzung zur Aussteuer der
Tochter R. Andree in d. Mittheil. der anthropolog. Gesellscli. in
Wien. 1884. 8. April.
90
freie Mann) dagegen wird nach der Namengebung in ein
Tuch gehullt, Jarl (der Fftrst) in Seide 1 ). Die Umwindung
mit Binden oder Bandera ist fiilh ttblich gewesen. Auf der
Trajanssaule sind dakische Frauen abgebildet, welche ein
Wickelkind in einer Art Mulde auf dem Kopfe tragen*). In
den Gedichten des 12. und 13. Jahrhunderts werden die mit
leinenen oder seidenen Binden gewickelten Kinder Ofter er-
wahnt, und auf Bildern des 14. und 15. Jahrhunderts sieht
man das Kind von Hals bis Fuss in ein weisses Tuch gehilllt,
das kreuzweise mit rothen Bandern umwunden ist, in der
Wiege liegen 8 ). Eine Art Wiege mag fruh in Gebrauch
gewesen sein. So wie bei den Skridhflnnen 4 ) , wird auch
bei den Germanen das Kind in Thierfellen oder in einem
Tuche zwischen zwei Baumen oder Stangen aufgehangt
worden sein. Im 9. Jahrhundert f ) waren Wiegen in unserer Art
tlblich, schaukelbare, h&zerne Bettgestelle 6 ). £ur Sicherung
des Kindes wurden Bander kreuzweise dartiber gezogen;
wenigstens sieht man das auf Bildern vom Ende des
13. Jahrhunderts 7 ). Zum Schmucke, aber auch wohl zum
spielen fur das Kind streuten die Ammen Blumen auf das
Wiegenbettchen (Grieshaber Pred. 2, 3). Frauen, die draussen
auf dem Felde zu arbeiten hatten, nahmen das Kind sammt
*) So heisst es auch von dem kleinen Wolfdietrich (B. I. 141) :
also daz kindel kleine wart Hz dem bade erhaben, Man wantz in
schoeniu (var. sidin) tiiecher, daz wil ich iu sagen, Ein palmdtsidin
Jcu88iu man umb daz kindel want, Und ein giirtel sidin teas sin
windelbant.
2 ) Colonna Trajana, ed. Arosa-Frohner. Taf. 105.
8 ) Engelhardt Staufenberg 90. 98.
4 ) Procop. b. got. II, 15.
6 ) ahd. waga wiga; mhd. wage wigfc wiege.
6 ) In der Constanzer Biblia pauperum (Ende des 13. Jahrh.,
herausg. von Laib und Schwarz, Zurich 1867. Bl. 1) ist eine Wiege
zu sehen, ein kleines Kinderbett mit Wiegebogen.
7 ) Engelhardt Hitter v. Staufenberg, 98. Das Waglseil, "Wiegen-
seil, Deiselseil ward der WSchnerin von Freundinnen geschenkt:
Rochholz, Alemannisches Kinderlied 290.
91
der Wiege mit sich 1 ). Doch mochten manche es auch in
ein Tuch legen, das zwischen zwei Baumen aufgehangt
werden konnte, gleich einer Hangematte. Wenigstens kann
man das noch jetzt in deutschen und slavischenGegenden sehen.
Zum Schutze des Kindes gegen alles Unheil wird der
Wiege in heidnischer Zeit ein Runenzeichen eingeritzt worden
sein. Spater und noch jetzt wird der Drudenfuss gegen die
Hexen daran gemalt 2 ). Auf einem Kupferstiche des Israel
von Meckenem (A. Schultz, Deutsches Leben im 14. und 15.
Jahrhundert, S. 181. Fig. 227) sieht man die mit Bandern
kreuzweise tiberzogene Wiege mit dem Pentagramm am
Fussende.
Jede deutsche Mutter nahrte ihr Kind an ihrer Brust,
wie Tacitus (Germ. 20) gegenilber den ROmerinnen ruhmt,
welche ihre Kinder Ammen und Magden (iberliessen. In den
vornehmeren Kreisen anderte sich aber das allmahlich, und
gewisse kirchliche Bestimmungen scheinen darauf gewirkt
zu haben, dass manche Frauen die Kinder entweder gar
nicht saugten oder bald entwOhnten 8 ). Im allgemeinen ist
es wie in der Gegenwart gehalten worden, dass die kraftigen
und die armeren Mutter ihre Kinder selbst nahrten, schwachere
und namentlich reichere sie einer Amme ubergaben 4 ). Die
a ) J. Grimm, Reinhart Fuchs 351. Vgl. eine bildliche Darstellung
von Adam und Eva aus dem 14. Jahrhundert, auf der Adam mit der
Hacke arbeitet und Eva am Rocken spinnt, ein Wickelkind in nie-
driger Wiege zu Fiissen: Anzeiger d. Germ. Museum. XXVII, 175. ,
2 ) Rochholz, Alem. Kindersp. 289. Zeitschr. d. V. f. Yolksk. 6, 253.
s ) Augustin, der Apostel der AngeJsachsen, fragt bei Papst
Gregor an: post quantum temporis mulieri enixae vir suuspossit in
carnis copulatione conjungi? Der Papst antwortet: ad ejus concubitum
vir suus accedere non debet, quoadusque qui gignitur ablactetur.
Beda h. eccl. 1, 27.
*) Pafur Belege aus den Gedichten des 12. u. 13. Jahrhunderts
zu sammeln, ist tiberflussig. Bedeutungslos auch ist, dass in der
dem Original naher stehenden Berliner Hs. von Werners Marienleben
die Kinder bei den Ammen schlafen (Fundgruben II. 209, 147), wahrend
die starkere Uberarbeitung der Wiener Hs. (4312. Feifalik) sie bei
den Miittern liegen lasst.
92
Gedichte des hOflschen Kreises erwahnen aber auch, dass
selbst KOniginnen ihre Kinder an die eigene Brust nahmen
(Parz. 113, 9. Lanzel. 88).
War es nicht mOglich dem Kinde Muttermilch zu geben,
so ward es mit Thiermilch aufgezogen, die man ihm durch
ein HOrnchen einflOsste 1 ).
Ausser der Amme hatten in der hohen Gesellschaft
noch andere Frauen das Kind in Pflege zu nehmen: erfahrene
altere Weiber und schOne junge Madchen*). An Verzartelung
und mancher tlblen Sitte fehlte es dabei nicht und Bruder
Berthold von Regensburg fand Stoff genug, verkehrte Kinder-
zucht im 13. Jahrhundert zu rugen (Predigten I, 33 — 36.
II. 58).
Eine solche Verzartelung und ebenso die Menge der
bezahlten Pflegerinnen war nattirlich unserem Alterthum
ganz fremd. Unter den Deutschen zu Tacitus Zeit, auch
wohl noch spater und ebenso in Skandinavien waren die
Kinder, Knaben wie Madchen, ausser der Obhut der Mutter
gewOhnlich in Gesellschaft unfreier Kinder, mit denen sie
gleich behandelt, in gleichem Spiel und gleicher Beschaftigung
die Kindheit verlebten (Germ. c. 20). Dieselben wurden
ihnen Ofters, wie nordische Quellen bekunden, bei der Namen-
gebung zum Eigenthume geschenkt 8 ) und blieben das ganze
Leben in ihrer nachsten Umgebung, folgten den Brauten als
Theil der Mitgift und theilten mit den Witwen den Tod.
Als sich Brunhild nach Siegfrieds Ermordung selbst ersticht,
ordnet sie an, dass neben ihr eine Zahl ihrer Knechte und
Magde, und auch die Eigene, welche mit ihr erzogen wurde
(fostrman), verbrannt warden (Sigurdarqu. inskamma 70). Dieser
Brauch, der sich auch bei anderen Volkern flndet und noch
in der heutigen Prinzenerziehung etwas ahnliches hat, beweist
tibrigens schon allein, wie mild in vieler Hinsicht das Alter-
2 ) Ynglingasaga, c. 29. G-ute Frau 1671. Thomas Platter Selbst-
biographie 4. Stellen aus franzos. Gedichten bei Alw. Schultz, Hof.
Leb. I, 150. 2. A.
2 ) Gudrun Str. 25. 198. Lanzel. 93.
3 ) Weinhold, Altnord. Leben 285.
thum die Unfreien behandelte. Wir wissen dies bekanntlich
auch aus des R6mers Bericht (Germ. c. 25). Das freie
oder edle Kind, das mit einem unfreien unter denselben
Herden und auf demselben Boden aufwuchs, das mit ihm
Speise und Trank, Lust und Sorge theilte, konnte die Genossen
desselben nicht schmahlich behandeln. Zu einer Ausgleichung
der ausseren Verhaltnisse und Unterschiede wirkte ferner die
im Norden wenigstens allgemeine Sitte (Altnord. Leben 235),
dass die Eltern ihre Kinder Verwandten oder Freunden zur
Erziehung (f6str) ubergaben, und dazu gern geringere als sie
waren wahlten. So ttbergibt KOnig Eirikr von HOrdaland
seine Tochter Gyda einem reichen Bauer (Fornm. s. 1, 2).
Dieser Erzieher (f6stri) iibernahm die leibliche Pflege und
sonstige Ausbildung des Ziehkindes (f6str), suchte ihm alles,
was er verstund, zu lehren, und seine Erfahrung und Ge-
wandtheit ihm anzueignen. Lebensklugheit und der Anstand,
die Zucht, waren hierbei gewiss Hauptsache; bei den Knaben
kam natuTlicli die Ausbildung in kOrperlichen Fertigkeiten
und in der ^Waffenfilhrung hinzu. Wie das oben angefuhrte
Beispiel zeigt, wurden die Madchen auch Mannern anvertraut,
ja KOnig Hergeir soil seine einzige Tochter Ingigerd einem
unverheirateten Manne, dem Jarl Skuli, zur Erziehung (For-
naldars. 3, 521) ilbergeben haben.
Nach der Gemeinschaft, die sich in vielen Dingen zwi-
schen Skandinavien und Deutschland nachweisen lasst, milssen
wir auch bei den deutschen Stammen die Sitte, die Kinder
in andern Hausern erziehen zu lassen, vermuthen. 1st sie
nicht bezeugt, wenn wir im Gedicht von Gudrun lesen, dass
diese junge Fttrstentochter zu ihren Verwandten in Danemark
zur Erziehung (durh zuht) geschickt wird und dass man ihren
Bruder Ortwin dem alten Wate von Sturmlant iibergibt
(Gudr. 574)? Eine Spiegelung hoflschen Brauches *ist es doch,
wenn in Pleiers Tandareis (618) die indische KOnigstochter
Flordibel von den Eltern zur feinen Erziehung an Artus Hof
geschickt wird. SOhne wurden in Skandinavien gern den
Brildern ihrer Mutter anvertraut (Altnord. Leben 285). Das
ist die enge Verbindung zwischen Oheim und Neffe , die Ta-
94
citus (Germ. 20) hervorhebt und die auf der uralten Schatzung
der Verwandtschaft durch Mutterblut beruht.
Sitte war es unter den Karolingern, den sachsischen
und den frankischen KOnigen, dass die SOhne der Vornehmen
mehrere Jahre am KOnigshofe erzogen wurden ; und Gleiches
geschah wieder mit den SOhnen ihrer Vasallen an den HOfen
der Landfttrsten.
Nach der Bekehrung der deutschen und skandinavischen
VOlker zum Christenthum erfolgte die Namengebung durch
den Priester bei der Taufhandlung. Die Eltern bestimmten
den Namen, zuweilen mit Rucksicht auf die Paten. Die Kirche
forderte, dass die Taufe ohne Verzug geschehe ; meist ist sie
am Tage nach der Geburt vollzogen, und das gilt als Eegel
bis heute bei den katholischen Christen.
In reichen und vornehmen Kreisen bot die Taufhand-
lung Gelegenheit zu Festen; die stadtischen Obrigkeiten er*
liessen bereits im 13. Jahrhunderte Verordnungen zur Ein-
schrankung des dabei entwickelten Luxus. Man ubertrieb auch
die Zahl der Taufzeugen. Nach kirchlicher Satzung genugte
ein Pate 1 ). Bruder Berthold von Regensburg nannte daher
schon zwei sehr viel, drei tiberviel und tadelte scharf, dass
bis zwolf gebeten wurden (Bertholds Predigten I, 23. II, 57,
15). In KOln ward bei zehn Mark Busse verboten, dass mehr
als zehn Frauen zum Kintkirsten (Taufen) zu Kirche gingen
(Ennen, Quellen I, 27). Wie noch heute veranlasste manche
armere Eltern das Geschenk, welches die Paten dem Kinde
gaben, wobei auch der Amme schon damals nicht vergessen
ward, mOglichst viel zu laden.
Brauch war, die WOchnerin imKindbettezu besuchen.
Aber der Luxus machte sich auch hier im spateren Mittel-
alter breit und kostbare Gastereien wurden in den Stadten
J ) Ahd. toto adpater, tota admater; gota, admater mhd. gote
gote, Pate, Patin und auch das Patenkind (lautlich dem got. gudja,
altn. godi, Priester, entsprechend) ; mhd. (seit dem 12. Jahrhundert)
bate Pate (aus pater entstellt). Zu Gote Gote vgl. Schmeller l 2 , 962.
Lexer, Karntn. W5rterb. 119.
95
bei diesen Besuchen Sitte, den sogenannten KindbetthOfen,
gegen welche Polizeiverordnungen erlassen wurden, ebensp
gegen tlbertriebene Geschenke, die von den Gasten der Kind-
betterin auf das Bett gelegt wurden 1 ).
Nicht minder sahen sich am Ausgange des Mittelalters
die stadtischen Obrigkeiten veranlasst, gegen das Geprange
einzuschreiten, wenn die Mutter, das mOglichst geschmtickte
Kind auf dem Arme, nach Ablauf der sechs Wochen zur Ein-
segnung zu Kirchen ging. Auch in der hofischen Gesellschaft
ward der Kirchgang festlich gehalten. Dabei ward in den
vornetaien Hausern zuweilen erst die Taufe vorgenommen
(Tristan 1953 ff., j. Titur. Str. 1079), obschon die Volks-
prediger, wie Bruder Berthold, gegen die VerzOgerung der
Taufe eiferten, weil die Seligkeit des Kindes dadurch &
fahrdet werde (Pred. I, 31 f. ; II, 57).
Das siebenteJahr war die Zeit, in der die tibergabe
in fremde oder wenigstens in mannliche Htade geschah 2 ). i m
westerlauwerschen Friesland war es spater gesetzlich gestattet
dass der Sohn einer Witwe, sobald er sieben Jahre alt wurde
und sich zur Selbstandigkeit vor dem Eichter befahigt erklarte,
nicht bloss selbst ohne Vormund sein durfte, sondern auch
die Mundschaft tiber seine Mutter .ubernehmen konnte. Er
gab ihr dann den Schutzlohn, funf Schilling fur das Jahr
(Westerlaw. ges. 420 a ; 25 Richthofen). Erklarte sich der Knabe
mit sieben Jahren noch nicht fur miindig, so hatte er der
Mutter bei seiner Yerheiratung den Schutzlohn filr die ersten
zwOlf Jahre zu zahlen, dafur dass er behutet wurde vor dem
Zahne des Schweines, dem Schnabel des Huhnes, dem Bisse
!) Jager, Ulm, S. 520. Niirnberger Polizeiverordnungen, S. 70.
Hiillmann, Stadtewesen IV, 161. Weist. 1, 489. Michelsen-Asmussen,
Archiv I, 1, 9^. Grand et Roquefort vie privee 3 ? 192. A. Schultz,
Deutsches Leben im 14. und 15. Jahrhundert 181—185. Eine alte
symbolische Gabe an die WOchnerin scheinen Eier gewesen zu sein,
in Thuringen Droheier = Gedeiheier genannt: Regel in Kuhns Zeit-
schrift f. vergl. Sprachf. 10, 137.
2 ) Grimm, Rechtsalterth. 410 f. Wackernagel, Lebensalter.
Basel 1862, S. 48 ff. S. Palaye (Kluber) 1, 2. 177. 211. Gudr. 24.
Biter. 2028. Trist, 2055.
98
des Hundes, dem Hufe des Hengstes, dem Home des Rindes ?
vor Feuer, wallendem Wasser, Brunnen, Graben und scharfen
Waffen (Richth. 389*). Nach einem der altschwedischen Ge-
setze (Gutalag 18) war die Mutter nur die ersten drei Jahre
fur des Kindes Pflege verantwortlich. Da muss sie es in die
Wiege legen, auf dem Schosse oder im Bette haben, und bei
ihm schlafen. Kommt es wegen nachlassiger Beaufsichtigung
durch Jemand zu Schaden, so hat dieser keine Busse zu zahlen.
Um die Wiege oder das Bettchen des Kindes stunden
nach altem Glauben bald, nachdem es geboren, die Schicksal-
frauen und spannten die Faden des Gewebes seines Lebens.
Man lud wohl auch weise Frauen ein, um sein Geschick zu
weissagen 1 ). Auch deutsche Sagen berichten von den drei
Jungfrauen, die sich bei dem Neugeborenen einflnden und
seinen Lebensgang bestimmen (oben S. 39). Aber das Beste
war und wird sein das sorgende Auge und die pflegende
Hand der Mutter. Das Mutterherz wacht iiber dem starken-
den Schlaf des Kleinen und mit kosenden Worten und leisem
Gesang lullt sie es in den Schlaf, murmelt wohl auch einen
Spruch gegen die Unterirdischen oder die Wassergeister, die
in den ersten Nachten (im Christenthum vor Taufe und Ein-
segnung) darnach trachten, ihre hasslichen Kinder mit den
kleinen Menschen zu vertauschen.
Die Wiegenliedchen 2 ) sind noch heute uberall im
Volke ein besonderer Theil der Kinderpoesie und manches
reicht ziemlich weit hinauf. So liess es auch die Geistlichkeit
zu, dass in der Christmette eine Wiege mit dem Jesuskind auf
den Altar gestellt und von Maria und Joseph gewiegt ward,
*) Weinhold, Altnord. Leben 283 f.
2 ) In alien Sammlungen von Kinderliedem zu finden, so in
Simrocks Deutschem Kinderbuch, in E. Meiers Kinderreimen aus
Schwaben, bei Dunger, Kinderlieder aus dem Vogtlande, Fiedler,
Volksreime aus Anhalt-Dessau, in den Kinder- und Ammenreimen
(Bremen 1836), in Frischbiers Preuss. Volksreimen, bei Firmenich
Germaniens Yolkerstimmen und sonst.
97
die dazu ein Susaninne (Schlafliedchen) sangen 1 ). Bis in neue
Zeit hat sich in katholischen und lutherischen Kirchen dieser
Christnachtbrauch mancher Orten erhalten ; Mutter und Kinder
freuten sich daran.
Durch das ganze Kinderleben gehn die Reime und
Liedchen, mit welchen Mutter und Ammen die allmahlich
„sich versinnenden" Kleinen spielend ergetzen. Und wenn
wir sie auch nicht in Aufzeichnungen weit vergangener
Zeiten verfolgen kOnnen , so beweist doch die Uberein-
stimmung der deutschen aller Landschaften vom Elsass bis
Siebenbtlrgen, von den Deutschen am Monte Rosa bis nach
Schleswig, mit den Kinderreimen und Liedern in Dane-
mark, Norwegen, Island, in England und Schottland, dass
hier allgemein germanisches Erbe erkannt werden muss, das
eben deshalb in seinem echtesten Bestande uralt ist. Von
jenen gemachten, altklugen, lehrhaften und deshalb albernen
Reimen neuer Erfindung scheidet die altererbten die Nai-
vetat, kindisch scherzende Tumpheit und herzige Warme*).
Die Schoss- und Knieliedchen, die Ammenscherze mit Hand
und Fingern des Kindcs, mit dem ganzen kleinen KOrper,
dann die Zahlreime, die Verschen, womit die Aufmerksamkeit
des erwachenden Geistes auf die Natur gelenkt wird, machen
einen kleinen Schatz aus 3 ). Dazu treten dann die mit Gesang
und Handlung begleiteten Spiele, von dem Ringelreihen an,
den selbst Drei- und Vierjahrige mittreten und -singen, bis
J ) H. Hoffmann v. Fallersleben , Goschichte des deutschen
Kirchenliedes. 2. A. Hannover 1854, S. 416 ff. Weinhold, Weihnacht-
spiele und Lieder, Graz 1853, S. 48 ff.
2 ) Sinnig hat W. Grimm Uber Kinderwesen und Kindersitten,
in der Einleitung zu den Kinder- und Hausmarchen, 1819, Bd. II,
gehandelt; wiedergedruckt in den kleinen Schriften von W. Grimm
1, 358-405.
3 ) Das Deutsche Kinderbuch von K. Simrock ist eine um-
fassende Sammlung davon. Ein (zu vervollstandigendes) Verzeichniss
der Litteratur gibt H. Dungor, Kinderlieder und Kinderspiele aus dem
Vogtlande. 2. A. Plauen, 1894. S. IV— VII. Die romanischon und die
slavischen VOlker sind nicht minder reich an dieser Kinderpoesie air;
die germanischen.
7
Weinhold, Deutsche Frauen. I.
96
zu ausgefiihrteren und ftlr gr&ssere Kinder geeigneten
Spielen, einer Erbschaft, die von den Grossen einer ver-
schwundenen Welt auf die Gegenwart gekommen ist, in den
Jahrhunderten abgeschliffen und oft entstellt, fur den Forscher
von hohem Interesse. E. L. Rochholz hat in seinem Alemannischen
Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz (Leipzig 1857)
am ausftihrlichsten darilber gehandelt. Die vielen Sammlungen
der Kinderreime geben reiches Material. Was sich aus unserm
Mittelalter daftlr aufspiirenlasst, hat Ignaz Zingerle (Das deuteche
Kinderspiel im Mittelalter. 2. A. Innsbruck 1873) sinnig dar-
gestellt. Auch hier bieten sich aus England und Skandinavien,
sowie von andern VOlkern aberall Vergleichungen *).
Werfen wir nun einen Bhck auf das Spielzeug ohne
Reim und Sang, mit besonderer Rticksicht auf die Madchen.
Berthold von Regensburg spricht davon, wie die Madchen
alle ihre Liebe auf eitle Sachen wtirfen wie kleine VOgel und
Hiindchen, Puppen, Glasringe, Kranze u. dgl. *). Er deutet
damit auf die verschiedenen Arten des kindhchen Spielzeuges.
Sehn wir zunachst ab von der Unterhaltung, welche sich
die Kinder von jeher mit Obst und Eiern 8 ), Ntlssen*) und
Bohnen bereitet haben, dann von der Klapper, die sich aus
Thon gebrannt in suddeutschen wie in Lausitzer Grabern
heidnischer Zeit gefunden hat, so sind es lebendige Thiere,
mit denen sie spielten oder an denen sie sich erfreuten. Der
Hund ist der treue gute Geselle, der sorgsame Schtttzer der
Kinder stets gewesen. In der hoflschen Zeit wurden aber auch
Stuben- und Schosshundchen von den Damen viel gehalten
1 ) Ich fiihre nur an: Al. Bertha Gomme, The traditional Gaines
of England, Scotland and Ireland, with tunes, singing -rhymes and
methods of playing. London 1894. Esquien, Les jeux populaires de
Tenfance. Rennes 1890. Ein bibliograph. Verzeichniss der ital. Giuochi
e Canzonette infantili bei Pitr6, Bibliografia delle tradizioni popolari
d* Italia. Torino 1894, Cap. III.
2 ) Latein. Predigt, citirt von M. Haupt, Neithart, S. 124.
3 ) Zingerle, Kinderspiel 4. 49.
4 ) Berliner, Aus dem Leben der deutschen Juden im Mittel-
alter. Berlin 1871, S. 11.
99
und damit Luxus getrieben '), auch ttbertriebene Liebe an sie
verschwendet.
Neben den Htindchen waren Hermeline, ja selbst Wiesel,
EichhOrnchen und Marder Spielzeug der M&dchen und Frauen 2 ).
Dass die Katze in gleicher Weise als Stuben- und Lieblings-
thier in dem Mittelalter gehalten ware, ist mir nicht bekannt.
Als mausefangendes gezahmtes Thier wird sie erst seit dem
11. Jahrhundert in Deutschland erwahnt').
Besonders beliebt waren die zahmen VOgel*). Unser
weidlustiges Mittelalter hatte an der Vogelweide, dem Vogel-
fange, seine besondere Freude. Das waldreiche Land bot den
geflugelten Thierchen in Berg und Ebene iiberall Herberge.
Die HOfe, welche den Namen Vogelweide filhren, von deren
einem der herrliche Sanger Walther den Beinamen tragt, die
vielen Orte, welche Vogelsang heissen lind nach Waldern be-
nannt sind, die voll singender VOgel waren, bezeugen schon
an sich die Aufmersamkeit, welche unsere Vorfahren den
fliegenden Sangern schenkten. Und mOgen auch die Ortsnamen
Vogelsang sich nur bis zum 13. Jahrhundert verfolgen lassen 6 ),
mag auch in unserer poetischen Litteratur erst von Anfang
des 12. Jahrhunderts ab (Annol. 47—50) der Vogelsang neben
den Blumen gefeiert werden, so geschieht es doch gleich in
so vollen TOnen, dass der griine Wald und das Lied der
V6gel, die Wiese mit den Blumen und die SchOnheit und die
Liebe eine unzerfcrennliche Kette bilden, die jeder Dichter
*) Trist, 15873. Wigal. 11, 19. 60, 24. Frauend. 114, 23. gr. Wolfd.
1374, 3. Virginal 130, 9. 138, 9. 662, 5. 671, 12.
2 ) gr. Wolfd. 1374, 3. Virgin. 138, 11. 352, 7. 560, 11. 659, 9.
848, 7.
3 ) Diimmler iiber Otloh von S. Emmeram, Sitz.-Ber. d. Berliner
Akad. d. W. 1895, S. 1097.
4 ) spilvogel VOgel mit denen man spielen kann, Altsw. 161, 29.
tibertragen auf Kinder, das Spielzeug der Mutter, Mart. 23, 8., auf die
Geliebte, Hatzl. II, 85, 47.
6 ) Ed. Jacobs in den Beitragen zur deutschen Philologie. Halle
1880, S. 216 ff.
100
schmiedet. Das weist doch auf eine angeborene Empfindung
hin , ).
Im Kafig oder dem Yogelhaus hielt man SingvOgel im
12. und 13. Jahrhundert 5 ); Walther von der Vogelweide
fuhrte nach dem typischen Bilde der Liederhandschriften ein
Vogelbauer im Schilde. Gleiche Freude hatte man an spre-
chenden Staren, Raben, Elstern 8 ) und Sittichen (Papageien) 4 ).
Dass VOgel auch Spielgesellen der Kinder waren, be-
zeugt mehr als eine Stelle unsrer alten Gedichte (Zingerle
a. a. 0. 6. 7.). Zur Vergleichung sei erwahnt, dass in einem
altperuanischen Kindergrabe neben der kleinen Mumie in
Tticher gehtillt ein Papagei lag, der mit Korallenhalsband und
an den Fiissen mit Zieraten geschmtickt war (Berl. Mus. f.
VOlkerkunde. Peruan. Abth. Nr. 7341).
Dazu kamen die JagdvOgel: daz vederspil; voran der
edle Falke, den vornehme Frauen pflegten und schmuckten
und der zum Bilde des Geliebten in der lyrischen Poesie der
hOfischen Zeit ward B ) ; dann auch der Sperber 6 ).
Seltener mOgen abgerichtete Mause gewesen sein, welche
Hug von Trimberg im Eenner (2750) als Kinderspiel erwahnt;
sie wurden vor einen winzigen Wagen gespannt und mussten
ihn Ziehen.
a ) Dass man im 13. Jahrhundert Sommerspaziergange in den
Wald machte, sich an den Blumen und dem Vogelsang zu erfreuen,
beweist u. a. Warming 1875 flf., 2019 f., 2075 f., 2376 ff. Yom Futtern
der freien Vogel spricht aus dem 10. Jahrhundert Thietmar v. Merse-
burg I, 21. IV. 36.
2 ) Zingerle, Kinderspiel 12. Ein Verzeichniss der namentlich von
den Dichtern genannten VOgel ebd. 9.
3 ) Egbert, Fecunda ratis 67. 1109. Rudlieb 8, 14. Morungen in
Minnes. Fnihl. 127, 23. 132, 8. 35. Megenberg 219, 28.
4 ) M. F. 127, 23. 132, 8. WigaL 68, 13. 74, 22. Megenberg 221, 31.
5 ) M. F. 8, 33. 9, 5. 37, 8. Nibel. 13, 2. 14, 3. Rother 3854. Mtiglin
M. L. 6, 1. Ursprunglich ist der Falke das Bild des scharfaugigen
und scharf den Feind packenden Helden; so noch jetzt in der sud-
slavischen Poesie. Die Montenegriner nennen sich mit Stolz die
Falken der Crnogora. Der Falke (sokol) ist das Wappenthier Bosniens
und der Herzegowina.
6 ) Hagen, Ges. Abent. no. XXII.
101
Die Kinder der Vorzeit spielten auch mit Thierbildern,
die aus Thon, Holz und Metall gemacht waren, Irdene er-
wahnt die Legende von der Kindheit Jesu; durch uralte Funde
und mittelalterliche Ausgrabungen werden sie bezeugt. HOl-
zerne bemalte VOgel kennen wir wenigstens aus einem alt-
franzOsischen Gedichte 1 ) und metallene Thierbilder lassen
sich aus Island nachweisen 2 ). Derartige Nachbildungen, oft
sehr einfacher und alterthumlicher Art und zum Kinderspiel
bestimmt, haben sich bis in die Gegenwart forterhalten. Nicht
minder die kleinen thOnernen oder glasernen Gefasse, mit
denen die Madchen schon im Mittelalter 8 ) die Kiichenwirth-
schaft der Mutter nachahmten.
Ein interessanter Fund von fiber hundert Thonfigtir-
chen aus dem 14. Jahrhundert ward 1859 in Ntirnberg unter
dem Strassenpflaster gemacht: es waren weibliche Gestalten,
gepanzerte Reiter, nackte Kindlein, Wickelkinder, auch einige
heilige Figuren, dann kleine TOpfe, Kannen, Schalen, HOrner
und ahnliches irdenes Spielzeug far Kinder. Einige der Frauen-
bilder hatten eine runde Vertiefung auf der Brust, in welche
etwa ein Gulden passt. Die meisten hatten ein Loch, das zum
einstecken eines Lichtes bestimmt scheint. Diese werden aller-
dings fur Leuchter zu nehmen sein. Ganz ahnliche Frauen-
bildchen aus gebranntem Thon, in der Tracht der zweiten
Halfte des 14. Jahrhunderts, hatte man fruher auf der Burg
Tannenberg in Franken 1 gefunden *). In Schlesien sind kleine,
etwa 9 Centimeter hohe Frauenfigtirchen aus Kalkstein aus-
gegraben, die nach der Tracht dem spateren 14. Jahrhunderte
angehOrten 8 ).
Das Kreisel- oder Topftreiben, Schnellkilgelchen und
Holzsttlckchen (meize und zOlle) schieben war auch im Mittel-
!) A. Schultz, Hof. Leben. 2. A. 1, 155.
2 ) Weinhold, Altnord. Leben 293.
3 ) Elisab. 3610 f.
4 ) Anzeiger fiir Kunde deutscher Yorzeit. Nurnberg 1859. Sp.210.
5 ) Schlesiens Yorzeit. Breslau. Ill, 497.
102
alter Unterhaltung der kleinen Welt 1 ). Frilhzeitig mag die
To eke auch bei den deutschen Madchen beliebt gewesen sein,
wie sie es bei den rOmischen war, die sie beim Heranreifen der
Venus opferten 2 ),' und bei den hellenischen. SchOne und rtLh-
rende Darstellungen geben Kindergrabsteine des 4. und 5. Jahr-
hunderts v. Chr. aus dem Piraus, die Kinder mit Puppe oder
Vogel in der Hand, einen Hund vor sich, abbilden. Die Puppen
sind haufig ohne Anne und Beine, zuweilen aber auch schOne
weibliche, kleine, nackte Figuren. Vielleicht war dieTocke durch
dieROmer in Deutschland bekanntworden, vielleicht auch nicht;
dieVersuche, GOtterbilder in Teig und Holz zu bilden, kOnnen
auch die Erfindung dieses Spielzeugs veranlasst haben, das
wir in alter und neuer Zeit und bei den verschiedensten VOl-
kern finden 8 ). Genug, im 9. und 10. Jahrhundert war es in
Deutschland allgemein bekannt und die Gedichte des 13. Jahr-
hunderts schildern uns mehrmals die Freude der Madchen an
vielen und schOnen Puppen. Sie behandelten gleich denheutigen
Kindern die Tocke wie die Mutter ihr Kind, legten sie in die
Wiege und iibten in leichtem Kindessinn sich zur schweren
Mutterpflicht vor. Bis in die erwachsenen Jahre spielten sie
gern damit 4 ). Dem Madchen in seiner stillen, sinnigen und
lieblichen Art ist solches Vorspiel der mutterlichen Sorge an-
geboren und es traumt sich auch gern voraus in die eigene
Hauslichkeit.
Die Kinder spielten im kleinen mit vollen Schreinen
und Kasten, mit Hausgerathe und Putz, und der arme Heinrich
von Aue weiss seinem Gemahl, dem freundlichen MeiertOch-
x ) Zingerle a. a. 0. 28.
2 ) Ahd. tocha, mhd. tocke, nhd. Tocke, Docke (wahrscheinlich
urspriinglich ein HolzklOtzchen bedeutend) ist das alte deutsche Wort
fur Puppe und noch in Oberdeutschland und Schlesien* ublich. Grimm,
W6rterb. II. 1208—1213. Nachweise iiber mhd. tocke in den Worter-
biichern von Benecke-Mtiller und Lexer; vgl. ferner Ign. Zingerle,
Das deutsche Kinderspiel im Mittelalter. 2. A. Innsbr. 1873, S. 19—22.
Das Wort Puppe stammt aus lat. pupa, mit. buppa.
3 ) Vgl. u. a. Fewkes, Dolls of the Tusayan Indians. Leiden 1894.
(Internationales Archiv f. Ethnogr. VII.)
4 ) Neithart v. Reuenthal, her. von M. Haupt, 124, 18.
103
terlein, nichts lieberes als Lohn des Mitleids mit seinem Elend
zu geben, denn Spiegel und Haarbander, Gtirtel und Ringelein } ).
Zu dem Spielzeug der Kinder wie der erwachsenen
Madchen gehOrten die Wtirfel, das Brettspiel und das Schach.
So vortheilhaft Tacitus die Germanen auch schildert,
das Laster des Spiels hebt er doch scharf heraus ; verwundert
daruber, wie ein sonst so ttlchtiges und reines Volk das
Wurfelspiel sogar im nuchternen Zustande bis zur Leiden-
schaft treiben kOnne. Haben sie alles verspielt, so setzen sie
auf den letzten Wurf Leib und Freiheit ; der verlierende wird
sammt Weib und Kind Sklave und darauf von dem Gewinner
m6glichst bald verkauft, der die Schmach eines solchen Ge-
winnstes sich gern aus den Augen rilckt (Germ. 24). Das
Wurfelspiel (wurfelspil, topelspil, hashart) 2 ) blieb das ganze
Mittelalter hindurch bei den Deutschen beliebt, und auch die
Frauen trieben es eifrig. Glossen, Concilienbeschlusse, Edicte
der KOnige und Stellen verschiedener Gedichte beweisen es.
Dass das Wurfelspiel beliebter Zeitvertreib junger megde war, er-
sehen wir aus Konrads von Wurzburg Trojanerkrieg (15886 ff.).
Es war auch ein gewOhnliches Mittel zur Unterhaltung der
Gaste, wenn dieselbe den TOchtern des Hauses ubertragen
war. So lesen wir im Gedichte von Rudlieb (IX, 62. XV, 24)
wie Rudliebs Neffe mit der Tochter des Hauses, in dem er
mit dem Ohm einkehrte, sich zum Wtlrfelspiele setzt und
Ring und Herz verspielt. Auch den Mtachen und Nonnen war
diese Unterhaltung sehr angenehm und dauerte trotz strenger
Verbote unter ihnen fort. Um sie von solcher weltlicher Lust
einigermassen abzuziehen oder dieselbe mOglichst geistlich zu
machen, erfand der Bischof Wibold von Cambray (972) ein
besonders kunstreiches und auf die christlichen Tugenden urn-
gedeutetes Wtirfelspiel, eine Alea regularis, das viel verbreitet
gewesen zu sein scheint (Pertz mon. 9, 433). Indessen wurde
1 ) Hartmann v. Aue, Armer Heinr. 335. — Uber die Ringe a\s
Spielzeug spater.
2 ) Aus dem arab. jasara, wiirfeln, nach Diez.
104
der weltliche Wiirfel dadurch nicht verdrangt, und Concilien
wie Synoden haben stets vergebens dagegen gekampft 1 ).
Die Wiirfel waren von Bein oder von Elfenbein 2 ); in
dem Morfund von Silderbrarup in Schleswig fand sich sogar
ein Wiirfel aus Bernstein 8 ), der mehr oblong als viereckig
war. Die Wiirfelaugen hiessen mit romanischen Namen essi,
esse; dus, taus; tria, drie; quater; zingo, zinke; ses. Eeinmar
von Zweter, der ehrenwerthe Spruchdichter des 13. Jahr-
hunderts, hat die teuflische List des Erflnders der Wiirfel
dargelegt, der durch scheinbar fromme Bedeutung der ein-
zelnen Zahlen die Spieler um so sicherer beriicken wollte
(MSH. n. 196 b , Nr. 109). Ein Strafgedicht aber das Wiirfel-
spiel verfasste im 14. Jahrhundert Peter Suchenwirt (CI. H&tz-
lerin, S. 203).
Forderte das Wiirfelspiel 4 ) die Leidenschaft der Mensehen
heraus und verfiihrte sie zu Trug und Zank und zu den bOse-
sten Verirrungen 5 ), so war das beim Brettspiel (bickelspil,
bretspil, zabelspil; in oder uf dem brete spiln oder zabeln)
weit weniger zu befiirchten. Dasselbe ist sehr frtth zu den
(rermanen gekommen; schon auf einem der beiden Tondern-
schen GoldhOrner, die 300 — 350 n. Chr. gesetzt werden, waren
zwei Manner mit einem Brett abgebildet, das an den vier Seiten
mit Steinen belegt ist. Es entspricht im ganzen unserem
- 1 ) Das stets auf Geldgewinn gerichtete zabeln ward nicht bloss
in Privathausern, sondern auch in offentlichen Spielhausern, zabelhus
Warnung 1308, getrieben, oder in der taberne, dem lithus, vgl. Haupt
zu Parz. 82, 13 ff. in s. Zeitschr. XI, 53 ff.
2 ) M. Boica VII, 502. Bisch. Wolfgers v. Passau Eeiserechn.
S. 3. Konrads von Haslau Jungling 292.
8 ) Engelhardt, Thorsbjergen Mosefunden 22.
4 ) Von dem Fall der Wiirfel (cadentia, frz. chance, deutsch
iibernommen als schanze) bildeten sich ubertragene Redensarten auf
den Gliicks- und Zufall.
6 ) tessera materies est omnis perditionis, tessera depomt ho-
minem summae rationis. sunt comites ludi mendacia jurgia nudi,
rara fides furta macies substantia curta. Carmina burana no. 183.
prefice, scribe, lude, sed non cum tessera lude, predigt Nicolaus
v. Bibera dem vagus scolaris, v. 1291.
105
Damspiel oder Damenziehen (jeu de des), und ward mit den
bickel- oder zabelsteinen auf dem zabelbret gespielt. Die
lunden Steine waren von Holz, von gewOhnlichem Bein oder
Elfenbein und bei kostbarem Stoffe auch durch Schnitzerei
verziert. Ein dem 11. Jahrhundert zugeschriebener Brettstein
mit einer Scene aus dem Apolloniusroman liegt in der filrst-
lichen Sammlung in Sigmaringen 3 ), ein andrer aus dem 12.
Jahrhundert mit einem ritterlichen Kampf bilde in der mittel-
alterlichen Sammlung zu Basel 2 ). Aus dem 13. Jahrhundert
und aus spaterer Zeit sind mehrere erhalten 8 ). Die Madchen
und Frauen spielten gern im Brett um kleine Werthsachen
oder um Neckereien (Konrad, Trojan. Kr. 15897 ff.), und die
bickelsteine werden unter ihren Besitzthtlmern genannt 4 ).
Sobald auf dem, Brett mit Wtlrfeln gespielt ward, durch
deren Wtlrfe die Steine herausgeworfen und wieder gewonnen
wurden (wurfzabelspil; buf) ging es heftiger um Ofewinn.
Streitscenen, die beim Brettspiel entstehn, sind morgen- und
abendlandischen alten Eomanen wohl bekannt.
Von dem Aufwand, der in der reicheren Gesellschaft
mit Zabelbrett und Steinen getrieben ward, geben noch manche
erhaltene Bretter Kunde. Besonders zu erwahnen ist eins,
das in einem Altar zu Aschaffenburg als Reliquienbehalter
gefunden ward, dessen Felder aus Jaspis und Bergkrystall
bestehn, unter denen allerlei Figuren romanischen Styls auf
Goldgrund liegen. Der Deckel ist von Krystall mit Silber-
zierat r ).
Eine besondere Art des Brettspiels war die mile oder
das mil en 6 ). Ob es unserem Mtihle Ziehen entspricht, oder
!) v. Hefner -Alteneck, Kunstwerke und Qerathe. Taf. 38 D.
Die Deutung des Bildchens durch Messmer im Anzeig. f. K. d. Vorz.
XXVI, 132 ff.
2 ) Abgebildet im Fuhrer durch die ma. Samml. in Basel, S. 36.
8 ):Schultz, HGfisches Leben I, 533. (2. A.)
4 ) Haslein in Hagens Ges. Abent. XXI, 91. Dieffenbach, Gloss. 252.
5 ) v. Hefner -Alteneck, Kunstwerke und Gerathe des Mittel-
alters II, 62-65; ein ahnliches in der Ambraser Sammlung zu Wien,
E. v. Sacken, Die Ambraser Sammlung II, 117.
6 ) Eilhart Trist. 6365. Krone 641.
106
mit Wttrfeln gespielt ward, lasst sich schwer entscheiden;
denn das Bild in der Heidelberger Handschrift des Eilhartschen
Tristan, auf dem drei Karten und zwei Haufchen Brettsteine
vor den spielenden liegen, kann nichts gelten, da es erst aus
dem 15. Jahrhundert ist.
Das von Hug von Trimberg im Renner 16733 genannte
trtttscheln mit pretspil und mit krichelin scheint ein KnOchel-
spiel zu sein 1 ).
Alle diese Spiele ttbertraf an Ansehen das kOnigliche
Schachspiel, egregius scachorum ludus (Carm. Burana no.
185), ein herren spil (Virginal 514, 11) genannt, weil es recht
eigentlich als Spiel der vornehmen Kreise gait 2 ).
In Indien als Kriegsspiel im 6. Jahrhundert erfunden,
war es von dort nach Persien und urn das 8. Jahrhundert
nach Arabien gekommen, wo es seine rechte Pflege und
Ausbildung erhielt : '). Durch die Araber ist es nach dem
Abendlande gebracht worden. Das alteste Zeugniss fttr
Italien gibt ein Brief des Peter Damiani von 1063 etwa,
worm tlber das weltliche Leben des Clerus und dabei ttber
die Leidenschaft des Wttrfel- und Schachspiels (alearum in-
super furiae et schachorum) geklagt wird. Fttr Spanien zeugt
eine bekannte, gegen Ende des 11. Jahrhunderts fallende Stelle
in der Disciplina clericalis des Petrus Alfonsi VI, 8, worin den
sieben freien Kttnsten der Gelehrten die sieben ritterlichen
Kttnste (probitates) reiten, schwimmen, bogenschiessen, Faust-
kampf, Vogelstellen, Schachspiel (scacis ludere) und Verse-
machen gegenttber gestellt werden. Alter als jener Brief des
Peter Damiani ist ein Zeugniss fttr das Schachspiel in Ober-
1 ) Elsassisch Drusch, die Knochel, Frommann, Zeitschr. fiir d.
Mundarten IV, 9. Renner 17531 wird trutscheln neben bozzen und
scheiben als die rechte Lust der Scholaren geruhmt.
2 ) W. Wackernagel, tlber das Schachspiel im Mittelalter: Kleine
Schriften I, 107—127.
8 ) A. v. d. Linde, Geschichte und Literatur des Schachspiels.
Berlin 1874. I, 64 ff. tlber die Verbreitung nach Europa, ebd. 134 ff.
A. v. d. Linde, Quellenstudien zur G-eschichte des Schachspiels.
Berlin 1881.
107
deutschland, das in der lateinischen Novellendichtung Ruod-
lieb (II, 185 ff.) sich findet, wonach der Held derselben auch
ein ausgezeichneter Schachspieler war. Gegen die Mitte des
11. Jahrhunderts 1 ) ist hiernach das edle Spiel in Stid-
deutschland schon bekannt gewesen und viel fruher ist es
nicht zu uns gekommen. In den althochdeutschen Sprach-
denkmalern findet sich das Wort sc&ch noch nicht; in dem
12. Jahrhundert begegnet es oft und eine Menge Redensarten,
die aus dem Spiel stammen, werden in der Sprache auch der
Dichter gebraucht 2 ).
Die altesten erhaltenen Schachfiguren geh6ren dem
12. Jahrhundert an 8 ); es sind schwere, faustgrosse Stttcke
aus Elfenbein Oder Hirschhorn, die unter Umstanden recht
gut als Wurfstticke dienen konnten, wie sie die schOne An-
tikonie brauchte, als man sie mit Gawan in zartlicher Ein-
samkeit tlberraschte (Parz. 408, 29 ff). Nach den Angaben
franzflsischer Dichter wurden die Figuren auch aus Edelsteinen
geschnitten. Am gewOhnlichsten aber waren sie aus Holz;
Wirnt von Gravenberg in seinem Wigalois (10580; 270, 1)
beklagt das freilich, da Elfenbein prachtiger sei. Das Schach-
brett (scacarium, sch&chzabel, entsteljt zu sch&chzagel oder
sch&fzabel) war den Figuren entsprechend einfach oder kostbar.
Die mittellateinischen Namen der sch^chzabelgesteine
waren rex, domina oder femina oder virgo oder regina, eques,
2 ) Gegen die altere Datirung durch Schmeller hatte schon
W.Grimm, Z. Geschichte des Reims 142 f. 7 Einwehdungen erhoben;
vgl. auch MtiUenhoff-Scherer, Denkmaier, S. 363, 2. A. Seiler stellt
den Ruodlieb um 1030. Von Seiten des Schachhistorikers ist liber
das Alter des Ruodlieb gehandelt durch v. d. Linde a. a. 0. II,
142-149.
2 ) Die frtihste Erwahnung des schachzabels in einem deutschen
Gedichte, Rolandl. 22, 17. Stellen aus Gedichten hat v. d. Linde
gesammelt a. a. 0. II. 164—169, wozu W. Miillers und Lexers WOrter-
biicher zu vergleichen sind. Eine schachspielende Dame sieht man
auf dem Bilde des Markgrafen v. Brandenburg in der Manessisch-
Heidelberger Liederhandschrift.
3 ) v. d. Linde a. a. 0. II. 311—321. — Massmann, Geschichte des
mittelalterlichen Schachspiels. Quedlinburg 1839. Taf. I— X. A. Schultz,
Hofisches Leben I, 539 f. Weinhold, Altnordisches LGben 425.
108
alficus alphinus oder senex, roccus, pedites; die deutschen
kiinec, kiineginne, ritter, alte, roch, venden (oder vuozgengen) ;
die nordischen konungr, drottning oder fru, riddari, biskupr,
hrokr, ped 1 ).
In welchem Ansehn daa Schachspiel im 13. und in
den folgenden Jahrhunderten als ernstes inhaltreiches Spiel
stund, beweist am schlagendsten, dass ein Dominikaner, Ja-
cobus deCessoles 2 ), tiber das Schachspiel eine Reihe von
Predigten hielt, in denen er nach der symbolischen und alle-
gorischen Auslegekunst jener Zeit die Figuren und die Regeln
des Spiels auf die sittlichen und die gesellschaftlichen Pflichten
und Lebenssatzungen der einzelnen Stande auslegte. Wenn
diese von Jacobus um 1300 in Buchform gebrachten Predigten
fQr die Geschichte der abendl&ndischen Spielart des Schach
sehr wichtig sind, so zeigen sie andrerseits, wie tief ver-
wachsen dasselbe mit dem ganzen Leben des Occidents ge-
worden war. Das Solatium ludi Scacchorum scilicet regiminis
ac morum hominum et offlcium virorum nobilium, oder wie
der Titel auch heisst Liber de moribas hominum et de of-
ficiis nobilium super ludo scaccorum des Jacob von Cessoles
fand lateinisch und in Ubertragungen die weiteste Ver-
breitung 8 ).
Ausser prosaischen Ubersetzungen in das Deutsche sind
vier poetische deutsche Bearbeitungen zu erwahnen. Die
alteste scheint die von Heinrich von Beringen*), einem Ale-
mannen aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts; dann folgte
die von Konrad von Ammenhusen, Leutpriester zu Stein am
Oberrhein (1337 vollendet), welche spater (1507) Jacob Mennel
J ) Die altfranzosischen waren roy, roine oder fierge (= fers),
chevalier, auphin, roch, peons.
2 ) Nach v. d. Linde, Geschichte und Litteratur des Schachspiels.
Berlin 1874. I. Beil. S. 31, war. Jacob ein Lombarde und fallt zwischen
1250 und 1300.
8 ) v. d. Linde a. a. 0. Beilage 2 zu Band I.
4 ) Das Schachgedicht Heinrichs von Beringen, herausg. von
P. Zimnierniann. Tubingen 1883.
109
ausbeutete 1 ). Im Ostlichen Mitteldeutschland hat ein unge-
nannter Geistlicher, der Pfarrer zum Hechte, 1355 den Cessoles
in deutsche Verse gebracht 2 ); eine niederdeutsche gereimte
Bearbeitung hat ein Dorpater Schulmeister Stephan zwischen
1357 und 1376 ausgefiihrt 8 ).
In den polizeilichen Spielverordnungen stadtischer Obrig-
keiten wurden Schachspiel und Brettspiel vom Verbot aus-
genommen, freilich audi das Kartenspiel, wenn es zu
keinem hohen Einsatz gespielt war. Die Spielkarten sind eine
chinesische Erfindung vom Jahre 1120 n. Chr. Geb. und haben
dann den Weg tiber Arabien nach Spanien und Italien ge-
nommen, wie aus dem span. Namen naipes, dem italien.
naibi fur Karten geschlossen wird. Vor der zweiten H&lfte
des 14. Jahrhunderts scheinen die Spielkarten in keinem
der Hauptiander des Occidents verbreitet gewesen zu sein
bald aber das einschreiten der Obrigkeit nOthig gemacht tax
haben. Aus Regensburg, Nilrnberg und Ulm stammen die
altesten Verbote, also aus Stadten, die mit Italien in leb-
hafter Handelsverbindung stunden 4 ). Nach Basel kam das
Kartenspiel 1377 aus Frankreich. Ulm ward namentlich der
J ) Das Schachzabelbuch Kunrats von Ammenhusen. Nebst den
Schachbuchern des Jac. von Cessole und des Jac. Mennel, herausg.
von Ferd. Vetter. Frauenfeld 1892.
2 ) Her. von E. Sievers, Z. f. d. Alt. 17, 161-388.
3 ) Nach dem Ltibecker Druck hersg. von Schliiter. Norden 1889.
*) Regensburg 1378, 1393 nach G-meiners Chronik, citirt bei
Schmeller, Bayr. W. 2, 286. 1, 284. St. Galler Rathssatzungen v. 1379.
Im Nurnberger Pflichtbuch zu 1388. Ulm 1397. 1400. 1406. — Es
geniige iiber die Karten zu verweisen auf v. Eitelberger, tTber Spiel-
karten, in den Mittheilungen der k. k. Centralcommission Wien (1860)
V, 93—102. 140—147. — Collectio Weigeliana, Die Anfange der Drucker-
kunst von T. 0. Weigel und Zestermann. Leipz. 1866, II. 173—213.
Jeux de cartes du XIV. au XVIII. Steele representes en 100 planches.
Paris 1844. — (Merlin) Origine des cartes a jouer. Paris 1869. —
Lehrs, Die altesten deutschen Spielkarten. Dresden 1885. — Bierdimpfl,
Die Spielkarten des Bayr. Nationalmuseums. Miinchen 1884. — Katalog
der im G-erm. Museum befindlichen Spielkarten und Kartonspiele-
Niirnberg 1886. — Wilshire, A descriptive catalogue of playing and
other cards in the British Museum. 1879.
110
Hauptort filr die fabriksmassige Anfertigung gemalter Karten
(worunter freilich nicht bloss Spielkarten zu verstehn sind).
Die Venetianer Maler litten unter Einfahrung dieser deutschen
Erzeugnisse und ftthrten 1441 hierttber Klage. Aber Ulm be-
herrschte den Kartenmarkt; in kleinen Fassern wurden diese
Fabricate bis Sicilien und von dort weiter im 15. Jahr-
hundert ausgefiihrt.
Wir haben die Herstellung" der Karten, die zunachst
durch Handmalerei, seit Mitte des 15. Jahrhunderts durch
Patronendruck, spater auch durch Kupferstich geschah, hier
nicht zu verfolgen. Uns geht nur an, dass auch das weib-
liche Geschlecht in Deutschland gern Karten spielte. Im 15.
und 16. Jahrhunderte hatten die reichsstadischen Damen
Spielkranzchen, sogenannte KarthOfe; eine neuverheiratete
musste sich bei ihren Freundinnen und Verwandten dadurch
vorstellen. Auch die KarthOfe wurden unter die Luxusordnung
gestellt 1 ). Wie leidenschaftlich durch diese Zeiten das Karten-
spiel unter den Frauen gepflegt ward, kann Fischarts spGttische
Bemerkung im Gargantua (c. 25) bezeugen: „dann er must
gespilt haben. Kart war sein Morgengab, wie der Augsburgi-
schen Weiber".
Auch das Kartenspiel unterlag geisthcher Moralisation.
Bald nachdem es in Basel bekannt worden, schrieb ein dor-
tiger Dominikaner Johannes einen Ludus cartularum morali-
satus, darin er das Spiel beschrieb und fur Vornehme und
Geringe dann moralisch auslegte. Und ein spaterer Prediger-
mOnch, der Elsasser In gold hat in seinem Goldenen Spiel 2 )
1432 ausser aber das Schach in Predigtweise tiber das Bret-
spiel, das Kartenspiel, das Wurfelspiel, das „Dantzenspil"
') Jager, Ulm 518. 539. t Y ber das Spielen unter den Juden
deutscher Stadte: Berliner, Aus dem Leben der deutschen Juden
S. 10 f. tTber moralisirende und symbolisirende Auslegungen des
Kartenspiels: v. d. Linde, G-esehichte und Litteratur des Schachspiels.
1. Beil. S. 147. tTber das Spiel vom Rechtsstaridpunkt: H. Schuster,
Das Spiel, seine Entwicklung und Bedeutung im deutschen Recht.
•Wien 1878.
2 ) Neu herausgegeben von Edw. Schroder, Strassburg 1882.
Ill
(darin er laufen, springen, ringen begreift), zuletzt uber das
„Schiessenspil a (kugeln, bolen, ballen, kegeln) moralisch-sym-
bolisch. gehandelt. Eine Menge sprachlicher Wendungen sind
aus dem Kartenspiel auf Verhaltnisse des Lebens iibertragen
worden 1 ).
Vom Spiel zum Ernst! Wir wollen jetzt die Weise
der Erziehung des weiblichen Geschlechtes in unserem
Mittelalter darzustellen suchen. Dabei werden wir freilich uber
die unteren und armeren Schichten des Volkes so gut wie
nichts aus den Quellen schOpfen kOnnen. In ihnen ging es
her, wie etwa noch im vorigen Jahrhunderte unter der Land-
bevOlkerung, als der Schulen auf den DOrfern wenige stunden
und der Unterricht selbst in den Schulen der Kirchorte durftig
und wenig regelmassig war. Die Madchen wurden auch damals
noch zuerst zum Htlten der Ganse, zu kleinen Arbeiten im Hause
undFeldeangeleitet, lerntennothdurftigdenKatechismus, kaum
lesen, schreiben selten, und wurden dann bei wachsenden
Kraften die Magde des elterlichen oder brtiderlichen Hauses
und dadurch zur Stellung als Hausfrau vorbereitet. So ist es
auch in dem Mittelalter gewesen.
Anders freilich stund es um die Erziehung in der reichen
und vornehmen Gesellschaft.
Die TOchter der Vornehmen wuchsen entweder bei
Pflegeeltern auf oder wurden der Obhut einer Erzieherin ttber-
geben, Meisterin oder Zuchtmeisterin (meisterinne, zuht-
meisterinne, zuhtmuoter ; magezoginne) genannt, die zugleich
tlber die gesammte weibliche Umgebung des Frauleins gesetzt
war. FtirstentOchterwaren namlichvon einer Schaar junger Mad-
chen aus den bestenGeschlechtern desLandes umgeben, die ihre
Gespielen und die Genossen der Lehre und Unterhaltung
waren 2 ). Die Meisterin unterwies in weiblichen Arbeiten, in
der Anstandslehre und zuweilen auch in Musik; ausserdem
war sie die Ehrendame der Pfleglinge. Neben ihr stund ein
x ) R. Hildebrand in Grimms D. Worterb. V, 235 ff.
2 ) Epist. Alcuin. 199. Monach. Sangall. II, 12. Angilbert III,
182 flf. (Pertz, Monum. II, 396 ff.). Gudr. 566. Lanzel. 4067.
112
hoher Hof beamter, der Kammerer, als Schutz und Hiiter der
jungen FurstentOchter, dem es verstattet war, in die Erziehung
einzugreifen und zu rilgen und bessern, wo es ihm nOthig
schien (Gudr. 411. 1528. Erigelh. 1843).
Einen Blick in die Erziehungsart der vornehmen Madchen
gestattet Einhards Bericht ttber die Weise, wie Karl d. Gr.
seine TOchter Rottrud, Berhta, Gisela, Rothaid, Theotrada
unterrichten liess (Einhardi Vita Kar. M. c. 19). Selbst bestrebt,
sich in Wissenschaften noch spat auszubilden, liess er das
bei ihm fruher versaumte bei seinen Kindern wohl wahr-
nehmen. SOhne wie TOchter wurden in alien Kenntnissen,
die er selbst zu gewinnen suchte, unterrichtet. Die TOchter
mussten ausserdem weben und spinnen lernen* damit sie die
Mussestunden nutzlich verbrachten, und wurden zu dem, was
zur Zucht und Sitte gehftrt, angeleitet. Aber schon vor Karl
des Grossen Zeit ist in Neustrien ein gewisser wissenschaft-
licher Unterricht der Madchen nachzuweisen. Als Chlothar
das thuringische Reich zerstOrt hat (529), lasst er Radegund,
des letzten KOnigs Ermanfried Nichte, zur feineren Erziehung
nachFrancien bringen, wo sie im lesen und schreiben (in litteris)
unterrichtet wird (Venant. Fortunat. vita Radeg. 2). Bei den
Ostgoten hatte das Vorbild der rOmischen Bildung auf die Er-
ziehung der Madchen Einfluss. Theoderich konnte dem thiirin-
gischen KOnig Ermanfried die Bildung seiner Mchte, die er
demselben vermahlte, nicht genug riihmen ^ ; und Amalasvinth,
seine Tochter, gait filr eine Gelehrte.
Den wissenschaftlichen Theil des Unterrichtes leitete
immer ein Weltgeistlicher oder ein Monch, denn sie waren die
einzigen Gelehrten der Zeit. An den HOfen tibernahm der
Kapellan die Lehrstunden ; zuweilen auch wurden die Madchen
gleich den Knaben in Klosterschulen gegeben. In England
kam dies bald nach der Bekehrung des Landes in Brauch;
x ) Cassiodor schrieb an Ermanfried: habebit felix Thoringia
quod nutrivit Italia, Uteris doctam, moribus eruditam, decoram non
solum genere quantum et feminea dignitate, ut non minus patria
vestra istius splendeat moribus quam suis triumphis. Cassiodor.
var. 4, 1.
113
da es aber anfangs an guten KlOstern fehlte, wurden die
Kinder, die besonders sorgfaltig unterrichtet werden sollten^
in franzOsische Klosterschulen geschickt. Das dauerte, bis der
ostanglische KOnig Sigebert mit Hilfe kentischer Priester
Klosterschulen nach gallischem Muster in seinem Lande
grttndete, die nach dem Antritte des Erzbischofs Theodorus
(668) in Blute traten. In den englischen FrauenklOstern
wurden auch klassische Studien getrieben, so weit diese eben
gingen. Am ausgezeichnetesten scheint das Kloster Winbrunn
gewesen zu sein. Dort machten die Nonnen sogar lateinische
Verse und in diesem Kloster wurde auch Lioba (Leobgyd),
eine Verwandte des heil. Bonifaz, gebildet, welche far die
deutschen FrauenklOster wichtig ist. Sie folgte namlich dem
Rufe von Bonifaz nach Deutschland und ward Vorsteherin
des Klosters Bischofsheim an der Tauber, im Wurzburger
Sprengel, das von dem grossen Missionar zur Musterbildungs-
statte der deutschen Nonnen bestimmt war. Die litterarische
Bildung scheint freilich auf das Lesen der heiligen Schrift
beschrankt gewesen zu sein.
Auf den Grundlagen, welche hier und anderwarts durch
die englischen Nonnen gelegt waren, baute die Folgezeit
weiter, und die FrauenklOster wurden die gewOhnlichen Er-
ziehungsanstalten der reicheren Madchen. Kenntniss des Kate-
chismus, der Gebetformeln, kirchlicher Gesange und einiger
biblischer Geschichten und Legenden nebst weiblichen feineren
Arbeiten haben von jeher diese Klosterbildung ausgemacht,
welche nicht im mindesten unseren Anforderungen an die
Frauenerziehung gemlgt, im Mittelalter aber ihren Werth be-
anspruchen darf. Die Klausnerin Liutbirg, die in der Nahe
von Halberstadt lebte und unter Ludwig dem Jiingeren (876
bis 882) gestorben ist, unterrichtete junge Madchen im Psalmen-
singen und in Handarbeiten. Erzbischof Ansgar von Hamburg
schickte ihr Schulerinnen zu 1 ). Auch die h. Hildegard hatte
ihren ersten Unterricht von einer Klausnerin erhalten.
i) Vita, c. 35 (Pertz, Scr. IV, .164).
Weinbold, Deutsche Frauen. I.
114
Der Unterricht begann wie heute ungefahr mit funf
Jahren. Ansgar ward als fflnfjahriges Kind in die Schule ge-
schickt (Pertz 2, 690), Bruno der heilige mit vier Jahren
(929) dem Bischof Balderich von Utrecht tlbergeben (Pertz
6, 255). Der jiinge Flore des Romans ist fQnf Jahre alt,
da lasst ihn sein Yater „zu den Bttchern setzen", ein-
gedenk dass den Kindern, sobald sie etwas verstandig
werden, die Lehre am besten eingehe. Der Knabe kann
sich aber von seiner Gespielin, der gleich alten Blan-
scheflur, nicht trennen, und weiss es bei seinem Vater
durchzusetzen, dass sie, die Tochter einer Sklavin, an dem
Unterrichte theilnehmen darf. Um den Kindern mehr Lust
und Eifer zu machen, lasst seine Mutter noch sechzig kleine
Madchen mit in die Schule gehn (Konrads Flore 1395). Era-
elius erhielt mit funf Jahren Unterricht im lesen, Gregor
der ffuote sundaere mit sechs Jahren, Alexius mit sieben 1 ).
Sieben Jahre waren das gewOhnliche Alter fQr den Eintritt
der Knaben in die Schule. Auch in die Schulen der Nonnen-
klOster wurden die Madchen mit sieben Jahren aufgenommen.
Im Norden scheinen sieben Jahre, also der Zeitpunkt, wenn
der Knabe der mutterlichen Erziehung ferner trat, ebenfalls
den Anfang des Unterrichts gegeben zu haben. Der Jarl
Hakon lasst seinen ZOgling, den KOnigssohn Hakon, als er
sieben Jahre alt ist, zu den Btichern setzen (Fornmanna s.
9, 241). War das Kind sieben Jahre geworden, so trat an
seine Eltern oder an die Paten die Pflicht heran, dasselbe
die Glaubensformel und das Vaterunser zu lehren (Berthold,
Pred. I, 44).
Die Unterweisung in den Elementen der Wissenschaft
fand indessen bei den Germanen, wenigstens in Bezug auf die
Knaben, nur schwer Eingang. Dem Manne gehOrten die Waflfen,
sie fahren zu lernen, und die Glieder des Leibes und damit
die Seele zu starken, war seine Erziehung 2 ); das Weib alien-
falls mochte sich die geheimen Kilnste des Lesens und des
!) Eracl. 396. Hartmanns Gregor 986. Alexius A. 168.
2 ) Altnord. Leben 293—320.
115
Schreibens aneignen, so dachten und sprachen sie. Wir lernen
diese Ansichten aus dem Streite kennen, in den Amalasvinth,
die Tochter des grossen OstgotenkOnigs Theoderich, mit den
Vornehmen ihres Volkes gerieth. Sie liess ihren Sohn, den
jungen K6nig Athalarich, von einem rOmischen Grammatiker
unterrichten und hatte ihm ausserdem drei alte Goten zu
Erziehern gesetzt. Darttber ward das Volk unwillig und be-
antragte durch Abgeordnete die Anderung der Erziehung.
KOnig Theoderich habe keine Kinder der Goten in die Schule
schicken lassen; Gelehrsamkeit entfremde dem Manne mann*
lichen Sinn, denn er werde dadurch furchtsam und weibisch.
Dem Knaben gehOre der Ger und das Schwert zur tJbung.
Amalasvinth musste diesen Vorstellungen nachgeben und ge-
sellte fortan statt der Greise ihrem Sohne gotische Knaben
als Gef&hrten (Procop. b. goth. 1, 2). Seltsame Ironie ist es
tlbrigens, dass demselben Athalarich in einem. Edicte durch
seine rOmischen Rathe Filrsorge ftlr die Grammatiker und
eine ilberschwangliche Lobrede auf die Grammatik eingegeben
ward *). Zu beachten bleibt auch bei diesem Widerstreben
der gotischen Patrioten gegen die rOmische Bildung, dass von
Theodat, dem MitkOnige der Amalasvinth, berichtet wird, er
sei in lateinischer und griechischer Litteratur und in theo-
logischer Wissenschaft bewandert gewesen*).
Karl d. Gr. verordnete, nachdem er schon 786 und 789
unter Alcuins Beirath die Errichtung von Schulen fQr die
Erziehung des Clerus befohlen, auf dem Aachener Reichstage
von 802 (c. 12), dass jeder Laie seine SOhne in die Schule
schicken solle, damit sie lesen lernten. In Mainz 813 (c. 45)
wird die Forderung wiederholt, mit Betonung des lernens der
nothwendigsten Katechismusstucke. Aber die Verordnungen
halfen wenig, denn an wenig Orten im grossen Frankenreich
gab es Schulen, selbst nur fiir die nOthigste Bildung der
Cleriker. Und nun erst for die Laien ! Der Widerstand gegen
2 ) Esheisst unter anderm in diesem Edicte: hac (grammatica)
non utuntur barbari reges: apud legales dominos manere cognoscitur
singularis. Cassiod. var. IX, 21.
a ) Cassiod. var. X, 3. .
8*
116
die elementarste Schulbildung blieb auch das ganze Mittelalter
hindurch unter den deutschen Mannern; sie kam ihnen pf&f-
fisch oder weibisch vor. Die Klage des Kapellans KOnig
Konrads II., des gelehrten Wipo, dass die Deutschen jede
Bildung nutzloa und schmahlich danke, wahrend sie in Italien
gesucht und angesehen sei 1 ), kOnnen wir tlber unser ganzes
Mittelalter erheben. Es gab auch unter den Laien stets ein-
zelne Manner, die Bildung und Wissenschaft ehrten; die
Menge des Adels aber glich jenen Vettern Ulrichs von Hutten,
die uber den gelehrten Verwandten spOttisch die Achsel
zuckten. Ganz im Geiste Wipos, aber ebenso vergebens rieth
der unbekannte geistliche Dichter der Warming (v. 1495 ff.)
im 13. Jahrhundert den Rittern, ihre Kinder lesen lehren
zu lassen, damit sie aus den Buchern das Recht lernten
und die Liebe zu Gott 2 ), ein Rath, den wir in einem fran-
zOsischen Doctrinal des 13. Jahrhunderts fast mit denselben
Worten den Junkern ertheilt sehen 8 ).
Die Grundvoraussetzung der modernen Bildung ist lesen
und schreiben. Schon aus dem Uber den Jugendunterricht
im allgemeinen bemerkten ergab sich, dass diese Ktlnste
mit der Grundung der NonnenklOster in Deutschland auch
den M&dchen und Frauen zuganglich wurden. Lioba (Leobgyd),
die Verwandte des h. Bonifaz, die Abtissin von Bischofsheim
2 ) Tetralog. in honor. Heinric. III. (1041 verfasst). Wipofordert
den Konig auf, ein Gesetz zu erlassen, dass die Yornehmen ihre
SOhne in die Schule schicken mussen, gleich dem italienischen Adel.
Heinrich III. selbst hatte auf Betrieb seiner Mutter Gisela eine
gelehrte Erziehung genossen, unter ihm bliihten die Studien im Reich.
Auch Heinrich IV. und Heinrich V. waren gebildet; von Heinrich IV.
wird gertihmt, dass er die einlaufenden Briefe selbst habe lesen
konnen. Am Hofe der fr&nkischen Kaiser wurden vornehme Knaben
noch erzogen und unterrichtet: Wattenbach, Deutschlands Geschichts-
quellen 2, 3 ff. (6. A.)
2 ) Die Klagen tiber die Gleichgiltigkeit oder Feindseligkeit des
deutschen Adels gegen die Wissenschaften dauern in der Folge fort.
Vgl. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen 2, 5 (6. A.)
3 ) F. Wolf in den Denkschriften der Wiener Akademie der
Wissensch. XIII, 182.
117
an der Tauber, durfen wir. daher als eine der ersten Lese-
und Schreibmeisterinnen deutscher Jungfrauen nennen. Wie
diese neue Kunst von den Nonnen nicht bloss zu kirchlichein
Dienst getlbt ward, sondern auch zur Aufzeichnung weltlicher
Liedchen, welche sie sich unter einander zuserideten, beweist
das kirchliche Verbot von 789 1 ).
Wenn unter den Frauen sieh der Trieb nach Bildung
aussert, so geht er zunachst auf die Aneignung von lesen
und schreiben. KOnigin Mathilde, die Witwe K'Onig Heinrichs L,
hatte sich nach des Gemahls Tode diese Kenntnisse erworben
und hielt darauf, dass ihre ganze Dienerschaft, mannliche
und weibliche, lesen und schreiben lernte 2 ). Auch einsichtige
Mtltter liessen ihre TOchter in diesen Elementen unterweisen 8 ).
Ein Hauptzweck filr die Lesekunst des weiblichen Ge-
schlechts war, den Psalter mit eigenen Augen geniessen und
auswendig lernen zu kOnnen. Albert von Stade berichtet, die
h. Hildegard (t 1179) habe bis zu ihrer Erleuchtung nach der.
Sitte der adlichen Madchen nur den Psalter gekannt und ge-
konnt, den sie eine Klausnerin gelehrt hatte. Dann habe sie
plotzlich durch ein Wunder sammtliche Bucher des alten und
neuen Testaments auswendig gewusst. Wir haben friiher
schon von ihrer Gelehrsamkeit und ihrer geistigen Bedeutung
gesprochen (S. 68). Gisela, die Gemahlin Kaiser Konrads II.,
liess sich die notkersche Ubersetzung' der Psalmen und des
Buches Hiob abschreiben 4 ). Der Psalter (Salter, salterbuoch)
war das gewOhnliche Andachtsbuch der Frauen und zahlte zu
den vorzugsweise weiblichen Erbstiicken; saltere unde alle
buke, die to godes deneste horet, die vrowen pleget to lesene,
x ) nullatenus ibi winileodes scribere vel mittere praesumant.
Gapit. general, v. 789, c. 3. Dass winileot uberhaupt den Gegensatz
zu den geistlichen Psalineri und Hymnen bezeichnet und die Gesange
weltlichen Inhalts umfasst, nicht bloss Liebesliedchen, ergibt sich aus
den lat. Glossirungen dieses Wortes.
2 ) Widukind. Ill, 75 (Pertz Y, 466).
3 ) Pertz V, 336.
4 ) Pertz, Mon. II, 58.
118
waren Bestandtheil der Gerade 1 ). Otfried schon lasst die
Jungfrau Maria bei der Verktodigung aus ihrem Psalter singen
(L 6, 10) 2 ) und nach den Gedichten des 13. Jahrhunderts hofi-
scher und volksthflmlicher Haltung ist der Psalter der stete
Begleiter der Frauen, aus dem sie beten 8 ) und mit dessen
verschiedenen Stdcken sie wohl auch nach Frauenart Segen
und BeschwOrung treiben*). Diese t&glichen Gebetbtlcher, in
kleinem Format, trugen die Frauen mittels eines Riemens am
Gtirtel, oder auch in einem Beutel oder KOrbchen bei sich 6 ).
Gerade die Psalmen wurden seit dem 9. Jahrhundert fort-
wahrend in das Deutsche tibersetzt, sicher deshalb, weil
sie das weibliche Erbauungsbuch waren und blieben. So
konnten denn auch die Prediger, wie Bruder Berthold von
Regensburg mehr als einmal that, in ihren Reden die Frauen
auf die Bibelstellen verweisen, die sie in dem Psalter gelesen
hatten. Einem unbegabten, dtlrftigen Scholaren wird in einem
lateinischen Gedicht des 13. Jahrhunderts geraten, die Horen
und den Psalter gut zu lernen und dann eine Madchenschule
zu halten (Zeitschr. f. deutsche Philol. 5, 183).
Weiteres fur die Lesekunde des weiblichen Geschlechts
im 12., 13. und 14. Jahrhundert ergibt sich in Bezug auf die
Klosterfrauen aus den zahlreichen lateinischen und deutschen
Handschriften, die zum gottesdienstlichen Gebrauch derNonnen-
klOster bestimmt waren. Fur die weltlichen vornehmen Frauen
kann zunachst die Grafin von Cleve zeugen, welcher Heinrich
*) Sachsensp. I. 24, 3, dazu Grimm, Rechtsalterthumer .577—583.
Aufbewahrt wurden die Bucher in einem Schrein. Steinmar fragt
das Madchen, dem er fur seine Gunst u. a. einen schrin verheissen,
als es ihn mahnt: waz sol der schrin? wiltu eine salterfrouwe wesen?
MSH. II, 158a.
2 ) Das Auswendiglernen des Psalters gehOrte zu den Elementen
des Unterrichts bei Geistlichen und Laien: Fr, A. Specht, Gtesch. des
Unterrichtswesens in Deutschland bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts
Stuttg. 1885, S. 60 f. 66.
3 ) Parz. 438, 1. Flore 6223. Siegfried des Dorferers Frauentr. 68.
Sperber 151. Roter Mund 176. Virginal 130, 9. Ortnit 523 (Mone).
4 ) Wackernagel, Die mittelalterliche Sammlung in Basel, S. 9.
6) Wattenbach, Schriftwesen. 3. Aufl. S. 401.
119
von Veldeke die Handschrift seiner noch nicht vollendeten
Eneide 1 ) zum lesen und schauen (also eine mit Bildern gezierte
Handschrift) lieh. Der Jungfrau aber, welcher das Buch zur
Verwahrung anvertraut war, entwendete es Graf Heinrich
Raspe und nahm es nach Thuringen mit sich. Ferner jene
Frau Bele, welche sich die geistlichen Gedichte Wernhers
vom Niederrhein und des Wilden Manns abschreiben Hess 2 ).
Gewiss dttrfen wir annehmen, dass viele jener zierlichen, mit
reichen Initialen Oder auch mit Miniaturen geschmtickten
Handschriften, die von den Dichtungen beliebter Poeten ge-
fertigt wurden, im Besitze reicher Frauen gewesen sind 8 )»
Aus solchen Biichern lasen dann die TOchter ihren Eltern
(Iwein 6455), Hoffraulein ihren Gebieterinnen vor (WigaL
2710 ff. oder 73, 9) 4 ); und auch zum eigenen, stillen lesen
waren sie bestimmt. Swelh sinnic wip diz maere geschriben
siht, spricht Wolfram von Eschenbach (Parz. 337, 3); und
Thomasin von Zirclaerfc empfiehlt in seinem Welschen Gast
den Jungfrauen bestimmte Gedichte, um sie anzuhOren oder
selbst zu lesen (1026 ff.) 5 ). Dass spaterhin wenigstens in
jenen NonnenklOstern, in denen das erregte mystische Leben
blilhte, von dem wir gesprochen haben, die Kunde des Lesens
zu Hause war, bedarf kaum eines Wortes.
*) Eneide, herausg. v. Behaghel 134, 45 ff.
2 ) Wernher v. Niederrhein, herausg. v. W. Grimm, S. Y.
8 ) Die KOlner Wigaloishandschrift, im ersten Yiertel des
13. Jahrhunderts geschrieben, besass im 15. Jahrhundert eine Gr&fin
von Castel, Pfeiffer Wigalois, S. IX. Eine spatere beruhmte Bucher-
sammlerin war Mathilde, Tochter des Churfursten Ludwig IV. von
der Pfalz, in erster Ehe mit Graf Ludwig von Wirtemberg (f 1450),
in zweiter mit Herzog Albrecht dem Yerschwender von Osterreich
(t 1463) vermahlt, an welche Puterich von Keicherzhausen seinen
Ehrenbrief richtete, in dem er seinen Biicherschatz mit dem ihren
verglich. tTber Mathilde Uhlands Schriften 2, 249 ff. E. Martin, Erz-
herzogin Mechthild, Freiburg 1871.
4 ) Entsprechende Stellen aus franzCsischen Gedichten bei
A. Schultz, Hflf. Leben I, 160. (2. A.)
5 ) Von Isot heisst es : die Utter (der geistliche Lehrer) do und
allewege beide buoch und seitespil Trist. 7730. si kunde schriben unde
lesen 8145.
120
Freilich fehlt es auch nicht an Andeutungen, dass die
Frauen der vornehmen Gesellschaft des 13. Jahrhunderts der
Buchstaben unkundig waren *) ; konnten doch selbst Wolfram
von Eschenbach, der tiefsinnige, grosse poetische Stoflfe geistig
durchdringende Dichter, ferner Ulrich von Liechtenstein, der
reiche steirische Bitter (t 1275), und weit spater Graf Hugo VHL
von Montfort (t 1423) nicht lesen, obgleich sie die gesellige
Bildung ihrer Zeit besassen und als Dichter gefeiert waren.
Lesen und Schreiben lernen hielt der deutsche Hitter fttr die
Einleitung zum geistlichen Stande und liess es daher die
SOhne, die nicht Geistliche werden sollten, nicht lehren. Fur
die Frauen der niederen und armeren Schichten wird gewiss
jedes Buch mit sieben Siegeln verschlossen gewesen sein 2 ).
Die Schreibekunst setzt die Kenntniss des Lesens
voraus, ist aber selbst eine hOhere Stufe der Bildung. Dass
die deutschen Nonnen im 8. Jahrhundert recht gewandt zu
schreiben verstunden, beweist jenes Verbot der Aufzeichnung
und gegenseitigen Mittheilung weltlicher Gedichte (S. 117).
Ausserdem wissen wir, dass die Nonnen von Maaseyk
damals schreibkundig waren und dass neun Nonnen filr den
gelehrten Erzkaplan Karls d. Gr v Hildebald von K61n, Hand-
schriften fertigten 8 ).
Aus dem 12. Jahrhundert kennen wir die Bene-
dictinerinnen vom Nonnberge in Salzburg, von Admont in
Obersteiermark und die Frauen des Medermunsters in Regens-
burg als damit besch&ftigt, ftir ihr Kloster oder fur ihre geist-
lichen Vater und Brtlder Werke lesbar und zuverlassig abzu^
schreiben 4 ). Besonders genannt als Schreiberinnen werden aus
J ) Rosengarte C. 974. Ernst B. 349.
2 ) Bruder Berthold von Regensburg konnte in einer seiner
Predigten (II. 233, 6) geradezu sagen: wan ir leien niht lesen kunnet
ah wir pfaffen, so hat iu got ouch zwei groziu buoch geben, da ir
alle die saelde an lesen mohtet, der iu ze libe und ze sele nutze waere.
daz eine ist der himel, daz ander diu erde.
3 ) "Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter. 445 ff. (3. A.)
*) Specht, Geschichte des Erziehungswesens 272 f. Auch die
Nonnen Gertrud, Sibilia u. a., welche fur die Domini Monasterienses
einen Codex abschrieben, Zarncke, Comment, de epistola presb,
Johann. S. 5.
121
jener Zeit Diemuot von Wessobrunn, Gutta von Scfywarzen-
tann und Liutkart von Mallersdorf in Bayern *). In einer Hand-
schrift aus dem Stift S. Lamprecht in Obersteiermark hat
die ungettbte Hand einer weiblichen Schreiberin auf die Rander
ein Gedicht noch im 12. Jahrhundert geschrieben *). Wir haben
f erner an die tagebuchartigen Aufzeichnungen der ekstatischen
Nonnen des 13. und 14. Jahrhunderts iiber ihre Gesichte
und mystischen Empflndungen zu erinnern. Von der Cister-
Cienserin im Rotenmiinster Constanzer Sprengels Katherine
?uBrugg (1366) hat sich ein Antiphonar erhalten 8 ). Als gute
Schreiberinnen waren die Nonnen von Zinna (zum Magde-
burger Erzbisthum gehOrig) im 15. Jahrhundert bekannt*).
Auch mit Malereien nach dem Geschmack der Zeit ihre
Handschriften zu schmticken, verstunden manche Kloster-
frauen. Ein jetzt im Pester Museum bewahrtes prachtvolles
und sehr grosses Missale ist das Werk der Regelnonne Mar-
garethe von Merode im niederrheinischen Kloster Schillings-
kapellen (Archiv ftir Osterreichische Gesch. 42, 514) aus der
zweiten H&lfte des 15. Jahrhunderts. Daneben gab es im
15. Jahrhundert auch weltliche Lohnschreiberinnen, die ftir
Liebhaber Handschriften fertigten, z. B. die Augsburger
Biirgerin Clara Hatzler 6 ), die fur J6rg Roggenburg allerlei
Gedichte 1470/71 zusammen schrieb, und von der einSchwaben-
spiegel im Kloster Lambach liegt.
In der hOflschen Zeit gait die Schreibkunst auch fur
eine feingebildete weltliche Frau sehr empfehlenswerth. La-
vinia schrieb den Namen des geliebten Eneas mit goldenem
Griffel auf die Wachstafel (Eneit 10621). Die ungluckliche
2 ) Rockinger in den Abhandl. der bayr. Akademie d. W. XII, 2,
173. Oberbayr. Archiv I, 355—373. Mon. Boica XV, 249. 260. Watten-
bach 445.
2 ) Schflnbach in Haupts Z. f. d. A. XX, 154.
8 ) Wattenbach a. a. 0. 446.
4 ) Jacobs und Ukerts Beitrage zur alteren Litteratur II, 24.
6 ) Liederbuch der Clara Hatzlerin, herausg. von C. Haltaus,
Quedlinburg 1840. — tiber Clara Hatzlerin Herberger in Baracks
Katalog der Furstenbergschen Bibliothek zu Donaueschingen, Nr. 830.
122
Mutter Gregors des guten Stlnders verzeichnet auf die elfen-
beinerne, mit Gold und Edelsteinen verzierte Tafel ihre und
des Kindes unheilvolle Geschichte (Hartmanns Gregor 547 ff.)
Isot, das Muster eines* fein erzogenen vornehmen Frauleins
aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts, kann auch schreiben
und lesen (Gotfr. Trist. 8141 ff.). Durch Ulrich von Lichten-
stein wissen wir, dass nicht bloss jene Romanheldinnen,
sondern auch lebendige deutsche Frauen die Schreibkunst
Hbten : seine Dame schrieb ihm einmal einen Brief in Prosa,
ein andermal ein Gedicht und sandte es ihm zu (Frauend.
31, 30. 59, 20. 60, 25).
Auf dem Bilde Reinmars von Zweter in der Manessischen
Liederhandschrift ') sitzen zu Ftlssen des dictirenden Dichtera
ein Madchen, das mit der Rohrfeder auf die lange Pergament-
rolle schreibt, und ein Knabe, der mit dem Griffel in die
Wachstafel grabt.
In der heidnischen Zeit wurden die Runen in Holz,
Bein, Stein und Metall geritzt oder geschnitten. Dass gar
manche Frauen diese geheimnissreiche, mit tiefen Wirkungen
verknupfte Kenntniss besassen, ist fnlher gesagt. Grosse Auf-
zeichnungen waren es gewOhnlich nicht; oft gentlgte eine
einzige Rune. Aber es gab sp&ter auch langere Inschriften
in Runenstaben. So fordert nach der Egilssage (c. 78, 27)
Thorgerd ihren Vater Egill auf, seinen Schmerz urn den er-
trunkenen Sohn in einem Gedichte (dem Sonartorrek) zu
lOsen. Sie wolle es dann in einen Stab ritzen.
Mit der lateinischen Schrift kamen auch die Schreibstoffe
der rOmischen Welt nach Deutschland: Pergament, dann
Papier, mit Tinte und dem Schreibrohr oder der Feder'). Da-
nebenblieben zu flttchtigerenAufzeichnungen und zu Ubungen 8 )
die mit Wachs tiberzogenen Tafeln in Brauch, auf welche
2 ) v. d. Hagen, Bildersaal altdeutscher Dichter, Taf. 41.
2 ) Wattenbach, Schriftwesen des Mittelalters 96 ff., 113. ff.,
222 ff., 233 ff. (3. A.)
s ) Hug v. Trimberg im Renner 17394 nennt tavel und griffel
als das, was in schuoler hende gehOrt; vgl. auch Specht, Gesch. des
Unterrichtswesens, S. 70.
123
mit dem Griffel oder einem Stabchen geschrieben ward. Die
Tafeln waren von Holz oder filr Reiche von Elfenbein mit
Schnitzwerk und Goldverzierungen *) ; die Griffel in einfachster
Art von Holz oder auch von Glas, die kostbaren von Elfen-
bein mit und ohne Schnitzwerk oder von Gold oder Silber 2 ).
Diese steckten in einem Griffelfutter; neben ihnen die Stab-
chen zum tilgen der Schrift und glatten der Wachsfl&che.
Wurden briefliche Aufzeichnungen far Entfernte auf Wachs-
tafeln geschrieben, so kamen sie in ein verschliessbares Be^
h<niss 8 ). So schickte Elisabeth Staglin dem Heinrich Seuse
ihre Lebensbeichte nach Constanz, geschrieben auf eine
Wachstafel und verschlossen *).
Die auf Pergament, und seit dem 14. Jahrhunderte
mehr und mehr auf Papier geschriebenen Briefe wurden zu-
sammengefaltet, beschnitten, auswendig mit der Adresse ver«
sehen und gesiegelt. Bei den Pergamentbriefen zog man zu-
weilen einen schmalen Pergamentstreifen durch den Brief
und setzte das Siegel hierauf, so dass der Streifen zerschnitten
werden musste, um den Brief zu Offnen. Das Briefformat war
Querquart. Aufbewahrt wurden die Briefe in einer Lade (Vir-
ginal 247, 1. 482, 12), wie das auch in den Archiven geschah.
Die Boten trugen die ihnen anvertrauten Briefe in einer
Tasche (Virgin. 454, 13) oder am Gttrtel in einer Buchse
(pyxis, Virgin. 930, 1. Konr. Troj. Kr. 980), die auch briefvaz
genannt wird (Ges. Abent. Nr, 6, 48. Enikel, Weltkr. 27026).
Seitdem die Germanen mit anderen VOlkern in Oftere
und genauere Bertihrungen kamen, erlangten sie auch die
Kenntniss fremder Sprachen. Es kann natttrlich for die
a ) Gregor 547. Flore 828. Abbildungen von diptychengleichen
Tafeln in der Weingartener Liederh. (herausg. v. Fr. Pfeiffer, S. 89)
und in der Manessischen (v. d. Hagens Bildersaal. Taf. 4, 41. 42).
2 ) Eneide 10619. Flore 829. 2358. Neith. 48, 11. Wattenbach,
Schriftwesen 219—222. (3. A.) Cher den hauftgen Gebrauch der
Wachstafeln im Mittelalter und selbst bis in neuere Zeit: Wattenbach,
ebd. 59-89.
3 ) Eneide 10809. Eracl. 1680—1685. Virgin. 442, 1. 482, 11.
4 ) Seuses ExemDlar I. 2. c. 36.
124
altesten Zeiten kein schulmassiger Unterricht darin voraus-
gesetzt werden ; der Gebrauch und der gegenseitige Verkehr waren
die Sprachmeister. Slaven und finnische St&mme sind uralte
Nachbaren der Germanen im Norden und Osten gewesen, die
Kelten im Westen und Silden; die Kenntniss ihrer Sprachen
wird im Wechselverkehr oft erworben sein. Seit Ariovist ver-
mittelte die gallische Sprache zunachstden Verkehr der Deutschen
mit den ROmern, bis sie auch Latein lernten. Das Griechische
und Lateinische gewannen dann weit grOssere Bedeutung als
jsne; die sildlichen Ostgermanen erfuhren von Byzanz, die
Westgermanen von Rom jene Einwirkung, welche uber-
legene Geistes- und Lebensbildung stets austibt. Gotische
Junglinge lernten in Konstantinopel griechisch, wie sehr viele
junge Westdeutsche in Rom und in dem rOmischen Heere
sich schori frtiher rOmische Rede und Sitte angeeignet hatten.
Auch die Frauen mOgen nicht selten mit den Mannern in
solcher Kenntniss gewetteifert haben. Wie lieblich plauderte
in rOmischer Rede die Swebin Bissula mit ihrem Herrn und
Freunde Dec. Magnus Ausonius (t 396)! Von Amalasvinth,
des grossen Theoderichs Tochter, rtihmt Cassiodor, dass sie
neben grosser Gewandtheit im Gotischen in attischer Zunge
beredt gewesen sei und sich in rOmischer prachtig ausdrilckte
(Var. 11, 1. 10, 4). Der spatere Anschluss der meisten Ger-
manen an die rOmische Kirche und die Anlehnung des fran-
kischen KOnigthumes an die rOmischen Staatsformen seit
Chlodwig gaben der lateinischen Sprache eine grosse Macht
in den deutschen VOlkern. Dass einer der merovingischen
KOnige, Chilperich I. (t 584), der auch fur den Schulunterricht
der Knaben im Latein Filrsorge trug (Greg. Tur. hist. Franc.
5, 44), als lateinischer Dichter genannt wird, ist bekannt 1 ).
Auch in NonnenklOstern ward schon damals lateinisch gelehrt;
eine Nonne* Baudonivia verfasste in merovingischer Zeit eine
Lebensbeschreibung der heiligen Radegund; im 8. Jahr-
hunderte schrieb in dem Kloster Heidenheim im Eichstatter
2 ) Unter den Wandalen versuchten aich einige als lateinische
Dichter, Anthol. lat. ed. Meyer n. 545—557.
125
Sprengel eine englische gelehrte Nonne das Leben der ihr
verwandten Bekehrer Willibald und Wynnebald l ). Unter Karl
dem Grossen nahm das alles einen hOheren Aufschwung. In
seiner Hofschule, die sich bald zu einer Akademie mit prak-
tischen Zwecken entwickelte, war er selbst ein Schtller ; seine
TOchter, seine Hofleute mussten seinem Beispiele folgen. Sein
Sohn und Nachfolger Ludwig hatte in seiner Jugend Griechisch
und Latein gelernt und auch lateinische weltliche Dichter ge-
lesen; wollte aber spater nichts mehr von diesen wissen und
wollte sie auch in den Schulen nicht mehr lesen lassen (Thegan.
Vita Ludov. c. 19) 2 ). Paul Warnefrieds Sohn lehrte hier das
Griechische, er, der fruher am langobardischen Hofe die KOnigs-
tochter Adelperga unterrichtet hatte, fQr die er zur Erg&nzung
von Eutrops Breviarium, das er mit ihr gelesen, seine rOmische
Geschichte schrieb. Unter die Beschlttsse des Aachener
Concils von 817 ward eine Bestimmung tlber die Erziehung
der Nonnen aufgenommen (c. 22, de sanctimonialibus), die
auf dem Briefe des h. Hieronymus an die Laeta fusste, und
durch welche ausser Lesen und Schreiben auch Grammatik
(natttrlich lateinische) und Kenntniss der h. Schrift, wenigstens
einiger Bticher derselben, namentlich der Psalmen, fQr den
Unterricht vorgeschrieben wurde.
Die sachsischen Kaiser schritten in der Theilnahme far
hOhere Bildung auf Karls Bahn fort. Kaiser Ottos zweite Ge-
mahlin Adelheid, aus dem burgundischen Hause und Witwe
KOnig Lothars von der Lombardei, war eine hochgebildete Frau,
und nicht minder Otto des II. Gemahlin, die Griechin Theo-
phano. Die Verbindungen mit Byzanz Offneten auch der grie-
chischen Sprache das Thor. Die Tochter Herzog Heinrichs I.
von Bayern, Hedwig, die Nichte KOnig Ottos I., war mit dem
griechischen Kaiser Constantin als Kind verlobt und hatte
von Kammerlingen, die deshalb nach Deutschland kamen,
griechisch gelernt. Spater als junge Witwe des Herzogs Bur-
*) Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands 2, 356 f. Watten-
bach, Deutschlands Geschichtsquellen 1, 137. (6. A.)
2 ) Vgl. Braune in den Beitr. zur Gesch. der deutschen Spr. u.
Litt. XXI, 6.
126
kard von Schwaben lernte sie von dem Sangaller MOnche
Eckehard auf ihrer Feste Hohentwiel lateinisch und las mit
ihrem Lehrer Virgil und Horaz. Sie lehrte den jungen Kloster-
schtiler Burkard etwas Griechisch *). J. V. Scheffel hat diese
gelehrte und bedeutende Frau, sowie ihren Lehrer durch den
Zauber der Dichtung fur die Gegenwart auferweckt.
Hedwigs Schwester Gerbirg war Abtissin des sachsischen
Stiftes Gandersheim (ungefahr von 957 bis 1001) und durch
ihre Gelehrsamkeit und Weisheit wiirdig der kOniglichen Ab-
kunft 2 ); ihre Schiilerin war Hrotsvith. Sie fdhrte dieselbe in
die schwierigeren lateinischen Schriftsteller ein und durch sie
erreichte Hrotsvith jene Herrschaft uber den lateinischen Aus-
druck, die sie schmtickt. Das erste Zeugniss ihrer erworbenen
Kenntnisse waren funf Legenden, denen sie noch drei folgen
liess. Dann wagte sie sich an eine Folge von sechs KomOdien
{962 — 967), die sie dazu bestimmte, den leichtfertigen Terenz
aus den Schulen zu verdrangen. Gleich darauf dichtete sie
nach der Aufforderung ihrer Abtissin Gerbirg das Lobgedicht
auf deren grossen Oheim KOnig Otto I. (968) und sandte es
dem Kaiser wie dessen Erbsohne zu. Den Beschluss ihrer
schriftstellerischen Thatigkeit machte die Erzahlung der An-
fange des Klosters Gandersheim. Den historischen Gedichten
kann auch die nach mundlicher Uberlieferung von Hrotsvith
verfasste Leidensgeschichte des h. Pelagius zugezahlt werden,
die im tlbrigen unter die Legenden gehOrt. Legendarisch ist
der Charakter sammtlicher Dichtungen der Hrotsvith. Wie sie
die Geschichte, welche sie vortragt, als Wunderwerk fasst,
das an dem sachsischen Hause gewirkt ward, so sind auch
ihre KomOdien dramatischeDarstellungen legendarischen Stoffes,
den sie der Gegenwart mOglichst nahe bringen will, indem
sie Menschen und Leidenschaften nach dem Leben ihrer Zeit
bildet. Ihre Stellung zur Frage der Moralitat vergleicht sich
derjenigen der Verfasser der englischen Famihenromane des
i) Eckehard, IV. cas. S. Galli (Pertz, Mon. II, 122—125). "Ober die
geringe Kenntniss des Griechischen in jener Zeit bei den Deutschen
SpQcht, Gesch. des Unterrichtswesens, S. 108 f.
2 ) R. KOpke, Hrotsvith von Gandersheim. Berlin 1869, S. 35 f,
127
18. Jahrhunderts, die gleich Hrotsvith die bedenklichsten Cha-
raktere und Situationen schilderten und die Eechtfertigung
dafur in dem endlichen Siege der Tugend fanden.
Es ist filr die Zeit der Ottonen bezeichnend, dass in den
Frauenstiften ihres Hauses wegen der darin herrschenden
Bildung' und des Sinnes fur Wissenschaft vornehme Knaben,
die zum geistlichen Stande bestimmt waren, erzogen wurden *).
Herford und Quedlinburg zeichneten sich im 10, Jahrhundert
auch nach dieser Seite aus.
In Quedlinburg verfasste (970—987) Hazecha, die Schatz-
meisterin des Stiftes, eine Schrift zu Ehren des h. Christoph.
Ebendort hatte Agnes von Weimar, Gattin des Pfalz-
grafen Friedrich von Sachsen (t 1037), eine ausgezeichnete
Erziehung genossen (MG. Scr. X, 142).
Auch noch des letzten Sachsen, Kaiser Heinrichs II.
Gemahlin Kunigunde, besass eine gute litterarische Bildung und
war in kirchlichen und Profanschriftstellern bewandert.
Unter den Kaiserinnen des fr&nkischen Hauses sind
Gisela von Burgund, Konrads II. Gemahlin, und Agnes von
Poitiers als gebildete, geistigem Leben geneigte, bedeutende
Damen zu rtihmen. Ein Zeugniss far die Kunde des Latei-
nischen bei stiddeutschen Nonnen des 11. Jahrhunderts ist
das an befreundete Klosterfrauen gerichtete Lehrgedicht Her-
manns des Lahmen von der Reichenau ttber die acht Haupt-
stinden (1044—1046 gedichtet) *). Von der gelehrten und visio-
naren Abtissin vom Ruprechtsberg bei Bingen, der h. Hilde-
gard (1098 bis 1179), haben wir bereits frilher gesprochen.
An wissenschaftlicher Bildung ihr verwandt war Rich-
lint, die von dem Kloster Berg bei Neuburg a. d. Donau durch
Herzog Friedrich von Schwaben, den spateren KOnig und Kaiser,
urn 1140 zur Abtissin auf die Hohenburg (Odilienberg) in den
Vogesen berufen ward, um das verfallene Stift zu bessern.
*) Wattenbach, Geschichtsquellen 1, 321. 337. 356 (6. A.). Specht,
Gesch. des Unterrichtswesens 282.
2 ) Dummler in Haupts Z. f. d. A. XIII, 432. Die Bildung der
Nonnen dieser Zeit ist eine Riickstrahlung des geistigen und gelehrten
Lebens des Clerus unter Kaiser Heinrich III.
128
Unter Eichlint bildete sich Herrad von Landsberg, die 1167
ihre Nachfolgerin ward 1 ). In ihrem anmutigen Garten, Hortus
deliciarum zu Latein, stellte sie ihren Conventualinnen auf
dem weit hiniiber zum Schwarzwald und sudwarts zu den
Alpen schauenden Kloster eine Art von Conversationslexikon
im Sinne des 12. Jahrhunderts zusammen, das durch Bilder*
schmuck, Poesie und Musik noch grOsseren Reiz erhielt 2 ).
Aus dem bayrischen Kloster Tegernsee stammen jene
drei lateinischen Liebesbriefe mit eingesprengten deutschen
Satzen und dem deutschen Volksliedchen ,Du bist min, ich bin
din', die einem Madchen in die Feder gelegt sind (Minnesangs
Friihling von Lachmann und Haupt, 221 — 224). Ich zweifle
durchaus an dem weiblichen Ursprung; wenn sie aber auch
ein MOnch als Specimen seiner stilistischen Gewandtheit und
zur Vergnilgung seiner verliebten Seele verfasst hat, so kOnnen
sie doch bezeugen, dass man Frauen damals Ubung im Latein-
schreiben zutraute.
Aus dem 13. Jahrhundert leuchtet das Benedictinerinnen-
kloster Helfta bei Eisleben als eine Wiege lateinischer Sprach-
kenntniss und biblischenStudiums, nicht bloss durch seine geist-
reichen, erweckten Seherinnen hervor. Wir haben da von schon
frtiher (S. 72 ff.) gesprochen. Solche FrauenklOster sind spater
nicht mehr zu entdecken.
Der lebendige Verkehr der Deutschen mit den benach-
barten romanischen und slavischen Volkern in Krieg und
Frieden hat unzweifelhaft seit der Zeit Karls des Grossen
die Kenntniss dieser lebenden Sprachen vielen nOthig gemacht.
*) Dass das sogenannte Hohenburger Hohelied (herausgeg. v.
Jos. Haupt. Wien 1864) nicht von den Abtissinnen Richlint und
Herrad verfasst ist, wie der Herausgeber behauptete, ist von Bech
(Germania IX, 352 ff.) und Hayner (Paul und Braune, Beitrage III,
491 ff.) erwiesen.
2 ) Engelhardt, Herrad von Landsperg und ihr Hortus deliciarum.'
Mit 12 Kupfertafeln. Stuttgart 1818. — Hortus deliciarum par Tabbesse
Herrade de Landsperg. Reproduction heliographique, Strassb. 1879 ff.
— Ch. Schmidt, Herrade de Landsberg. Strassb. 1896.
129
Von KOnig Otto L, der nicht lateinisch verstund und der nur
sein sachsisches Deutsch redete 1 ), wissen wir, dass er
franzOsisch und wendisch konnte, wenn auch nur selten
sprach (Widukind. II, 36).
Dann kamen die Kreuzztlge und steigerten das Bedtlrfniss
der abendiandischen VOlker, namentlich der Deutschen und
der Franzosen, sich zu verstehn. Im 12. Jahrhundert beginnt
die grosse Einwirkung der franzOsischen Lyrik und Epik auf
die deutsche ; schon aus litterarischen Interessen lernten nicht
wenige aus den hOheren Kreisen franzOsisch und proven-
zalisch. Die Kenntniss der provenzalischen Lyriker ist bei
mehreren deutschen Dichtern des 12. Jahrhunderts sicher er-
wiesen; die der franzOsischen Dichter steht fdr sehr viele
fest. Frankreich war das Yorbild der modernen Cultur ge-
worden, franzOsisch gait als die Sprache der vornehmen Welt.
Im Laufe des 13. Jahrhunderts wurde es bei den norddeutschen
Grossen Brauch, Franzosen an ihren HOfen zu halten und
ihre Kinder franzOsisch lernen zu lassen 2 ). Die politischen
Beziehungen Deutschlands zu Stldfrankreich, Italien und Eng-
land mftssen auch auf die Kenntniss der Sprachen dieser
Lander bei den Deutschen gewirkt haben, so wie wir auch
das umgekehrte annehmen mtlssen. Im Romane Cteomades
!) Flodoard. a. 948. Liudpr. hist. Otton. c. 11. Eckeh. cas. S. Galli,
c. 16 (Mon. II, 139). Otto II. verstund Latein; seine Mutter Adelheid,
Tochter Rudolfs von Burgund, las ihm die einlaufenden lateinischen
Schreiben vor.
2 ) Beweis ist eine Stelle in Aden&s Roman de Berte. Aden&s
schildert natfirlich nicht die Zeit Karls des Grossen, sondern seine
eigene ;
Tout droit a celui temps que je ci vous devis
Avoit une coustume ens el Tyois pals,
Que tout li grant seignor li conte et li marchis
Avoient entour aus gent fran^oise tous dis
Pour aprendre frangois leur filles et lor fils.
Einen Beweis, dass das nicht so allgemein war, gibt Herzog
Rudolf von Osterreich, KOnig Rudolfs (v. Habsburg) Enkel, der, mit
Blanca von Frankreich verlobt, als er nach Paris zur Hochzeit kommt,
kein Wort mit der Braut sprechen kann, nach Ottokars Chron.
75425. 75628.
We i n h o 1 d , Deutsche Frauen. I 9
130
wird von dem jungen Herrn erzahlt, dass er mit grossem
Gefolge nach Coin zog, um hier deutsch (tyois) zu lernen.
Interessant, wenn auch nicht beweisend, sind die Zeugnisse
der Dichter tlber die Sprachenkunde der vornehmen Gesellschaft.
So wird der irischen KOnigstochter Isolde die Kenntniss der
Sprache von Dublin, des FranzOsischen und des Lateinischen
nachgerilhmt (Trist. 7988). Von Beaflor riihmt ihr Vater seinem
Gaste, sie sei so wohl erzogen (kurtois), dass sie jedes fran-
zOsische Gedicht ihmvorlesen und mit ihmBrettspielen(zabelen)
kOnne (Mei 230, 30). Eine franzOsische Jungfrau, Dorame,
soil nach dem Romane von Karl dem Kahlen franzOsisch,
lateinisch, lombardisch, romanisch (rommion), bretonisch,
limosinisch, in allem vierzehn Sprachen verstanden haben 3 ).
Einem Provenzalen, Vileme de Nevers, einem Inbegriffe aller
ritterlichen Vollkommenheiten, wird im Roman de Flamenca
Fertigkeit im Burgundischen, FranzOsischen, Deutschen und
Bretonischen beigelegt 2 ). Genug, wir sehen, dass der leben-
dige Volksverkehr jener Zeit auch in dieser Hinsicht seine
Friichte trug. Die Kriege, Reisen und langerer Aufenthalt in
fremden Landern gaben den Mannern die Fertigkeit in andern
Zungen; Knaben und Junglinge wurden zii diesem Zwecke
auf Reisen geschickt 8 ). Als Tristan sieben Jahre alt ist, sendet
ihn sein Vater mit einem verstandigen Manne aus, damit
er die Sprachen der Fremde lerne (Gottfrieds Trist. 2061) 4 ).
Uberhaupt gait das Reisen schon damals als ein treffliches
Bildungsmittel, wenn es auch oft genug eine eitle Modesache
blieb und sich an manchem jungen Herrn die Verse des
Schulmeisters Hug von Trimberg (Ende des 13. Jahrhunderts)
bew&hrten: manger hin ze Parts vert, der wenic lernt und
2 ) Monmerque et Michel, Theatre fran<jais, S. 601.
2 ) Raynouard lex. rom. 1, 22.
3 ) Casar von Heisterbach erzahlt V, 42 von einem Ritter Mengoz,
der als Jungling nach Frankreich gegangen war, um franzosisch zu
lernen.
4 ) In Eilharts Tristan 194 ff. will der junge Tristan nur vremde
lant beschawen. Parz. 144, 20. heisst es mit Anspielung auf Tristans
Bildungsweise von dem jungen Parzival: er kunde kurtosie niht, als
ungevarnem man geschiht
181
■vil verzert; so hat er dock Paris gesehen (Renner 13390). Der
Sangaller MOnch Tuotilo (9. Jahrhundert) machte zu ktlnst-
lerischen und wissenschaftlichen Zwecken weite Reisen (multas
propter artificia simul et doctrinas peragraverat terras (Eckeh.
cas. S. Galli 39). Im skandinavischen Norden war das Reisen
em wesentlicher Theil der Erziehung 1 ). 15 Jahre alt, bittet
Gunnlaug Ormstunga seinen Vater, ihn auf Reisen zu schicken
und drei Jahre spater macht es ihm der Vater seiner ge-
liebten Helga zur ausdrucklichen Bedingung der Verlobung,
vor der Heirat noch anderer Lande Sitten kennen zu lernen
(Gunnl. s. Ormst. c. 4). Bei solchem Leben in der Weite
konnten sich auch in dem abgeschlossenen Norden Sprach-
kenntnisse mannigfacher Art verbreiten und ausser dem
Finnischen, das manche schwedische Madchen in Finnland
selbst lernten, mochten das Deutsche, das AngeMchsische
so wie keltische und romanische Dialecte je nach Umstanden
bekannt sein 2 ).
Das Bildungsmittel des Reisens war freilich den Frauen
meist verschlossen und sie waren auf den Unterricht im
Hause oder im Kloster beschrankt, wenn sie nicht in ihrer
Jugend ins Ausland zur Erziehung geschickt waren. Auch
fQr die Sprachen wurden geistliche Lehrer bestellt 8 ). Neben
denGeistlichen traten die Spielleute, namentlich.in der hOfischen
Zeit, als Sprachmeister auf, diese leichten ZugvOgel, welche mit
der bunten Waare, die zur Unterhaltung begehrt ward, von
Volk zu Volk zogen. Die provenzalischen und franzOsischen
schweiften von Spanien bis in die Lombardei und Deutsch-
land, und auch die deutschen versuchten sich in der Fremde.
Deutsche Spielleute waren in Italien, deutscheGeigernamentlich
a ) Erici disquisitio de peregrinatione Islandorum. Lips. 1755
Altnord. Leben 112. 360-363.
*) Altnord. Leben 405—407.
s ) Isot, die Mutter, war von einem Geistlichen unterrichtet
worden, auch in seitspil und freniden Sprachen. Die junge Isot
erhalt denselben Meister, Trist. 7700 ff. Auf dieser Grundlage baut
der Unterricht des Spielmanns, in den sich Tristan- versteckt hat
weiter: der bezzerte sie sere, ebd. 8004 ff.
9*
182
in Frankreich im 13. Jahrhunderte sehr beliebt 1 ). Die Spiel-
leute waren zugleich far ihre SchOlerinnen wie aberhaupt far
Frauen und Manner die Vermittler der Poesie des Tages. Sie
ersetzten mit dem lebendigen Wort und Sang die Bilcher
und verringerten die Schwierigkeit, schriftlich die poetischen
Erzeugnisse der Gegenwart kennen zu lernen. Indem sie zu-
gleich mehr oder minder die alten volksmassigen Dichtungen
im Besitze hatten, waren sie recht dazu angethan, allseitig den
poetischen Schatz der Zeit aufzuschliessen oder wenigstens den
Schiassel dazu in die Hand zu geben.
Wie ein fruchtbarer Boden, den die Sonnenstrahlen be-
scheinen und den darum Blumen bunter Farbe schmucken,
liegt das Gemtith und der Geist unserer Frauen der Vorzeit
vor unseren Augen. Dem hOchsten vertraut und mit Blicken
in die Zukunft oder in die himmlischen Geheimnisse be-
gnadigt, klug und lernbegierig, empf&nglich und feinsinnig,
wie sie waren, konnte den Frauen das Keich der Poesie sich
nicht verschliessen. Freilich, der Gott der Dichtkunst, wie die
Nordgermanen ihn gestaltet hatten, war mannlichen Ge-
schlechtes; aber Saga, die GOttin der Erzahlung, war ein
Weib, und unsere alte Poesie war aberwiegend episch und
berichtete weit mehr von dem, was geschehen war, als dass
sie die gegenwartige Stimmung des Gemttthes in kunstreiche
Rede gesetzt hatte.
Doch treten -gerade in Skandinavien eine Reihe von
Frauen auf, zwar nicht als skaldengleiche Dichterinnen, aber
doch mit einzelnen Strophen, die sie rasch nach Umstanden
und Gelegenheit erfinden, gleich den Dirnen unsrer Alpen,
welche ihre Liedchen urn die Wette mit den Mannern zu
reimen wissen. In den SOgur werden solche im Augenblicke
gefundene Frauenstrophen Ofter erwahnt und mitgetheilt 2 ).
!) Roman de Cleomadfcs: Michel, Theatre fran^ais 105. Poeti
del priino secolo 2, 175.
2 ) Egilss. c. 48. 74. Orvaroddss. c. 2. Hardar s. Grimkelss.
c. 7. 11. Vigastyrss. c. 22. Fornmannas. IV. 12, 60.
133
In den sparlichen Trummern unsrer deutschen Poesie
heidnischer Zeit, ebenso in den Anfangen unsrer mit der
Feder geschriebenen poetischen Litteratur ist nichts, das auf
Betheiligung des weiblichen Geschlechtes wiese. Hrotsvith,
die lateinische geistliche Schriftstellerin der Ottonenzeit, haben
wir dort erwahnt, wo ihr Name zu stehn hat ; als deutsche
Dichterin findet sie keine Stelle. Die erste mit Namen ge-
nannte Poetin in deutschen Versen ist eine fromme Frau des
Osterreichischen Alpenlandes, Ava, welche in den Todten-
und Zeitbtichern von Klosterneuburg, Melk, Zwettel, Garsten
und St. Lamprecht eingetragen ist als im Jahre 1127 am
8. Februar verstorben und die als Klausnerin bezeichnet
wird 1 ). In der Vorauer Handschrift sind drei Gedichte von ihr
iiberliefert 2 ) : eines von den sieben Gaben des heiligen Geistes
und wie sich dieselben mit dem Leibe und der Seele des
Menschen mischen. Das zweite handelt von den letzten Zeiten,
in denen der Antichrist herrscht. Das dritte spricht von dem
jungsten Tage: nach den funfzehn Vorzeichen und wenn
Stein und Holz und Wasser und Berge in Feuer stehn,
kommt plOtzlich der jangste Tag ; die Todten werden erweckt
und Christus erscheint als gewaltiger Herrscher, er, der ehe-
mals heimlich in die Welt gekommen war. Er halt Gericht
und die guten empfangen die Krone. Der Teufel aber mit
seinen Gesellen ftogt die Sander, die keine Busse gethan und
fiihrt sie zu seinem Gesinde. Mit der lebendigen Schilderung
der himmlischen Freuden schliesst das Gedicht, auf welches
die Anmerkung folgt, dass Ava dieses Buch dichtete, die
Mutter zweier SOhne, welche ihr die Gedanken zu der Dich-
tung gaben. Der eine wird als schon todt beklagt. — Ohne
diese Mittheilung wurde man eine Frau nicht als Verfasserin
der drei Gedichte erkannt haben 8 ), deren erstes besonders auf
2 ) Diemer, Deutsche Gedichte des 11. und 12. Jahrhunderts.
Wien 1849, S. XIV f.
2 ) a. a. 0. 276, 4-279, 29. 280, 1—282, 26. 283, 1—292, 23.
8 ) Wenn Scherer, Geistliche Poeten 2, 75 sagt, die Keihenfolge
der untreuen Paare, in denen Frau und Magd voranstehe, beweise,
dass kein Mann der Dichter sei, so ist das ein schwacher Beweis.
tw
Bekanntschaft mit theologischer AVjssenschaft der Zeit deutet.
Auch in dem Schlusse des dritten zeigen sich die gelehrten
SOhne. Die Mutter Ava hat aber, was ihr diese gaben, in
jenem eigentjitimlich anmuthenden Tone unsrer geistlichen
Poeten des 11. und 12. Jahrhunderts vorgetragen, in dem
sich glaubige Warme und innige FrOmmigkeit mit der Frische
und Herbigkeit der Volksdichtung verschmolzen hat.
Etwas jtlnger als die Gedichte der Osterreicherin ist
der ohne Anfang und Schluss erhaltene Arnsteiner Marien-
leich, eine lyrische Dichtung in sehr ungleichen Strophen,
welche Preis und Anrufung der h. Jungfrau um Reue und
Gnade enthalt und nur einmal kurz an Jesus den Herrn sich
errinnert. Die Dichterin 1 ), fromm und gelehrt, also wohl
eine Klosterfrau, hat ihrem Dialect nach im Lahngau ihre
Heimat.
Ein kleineres fragmentarisch ilberliefertes gereimtes Ge-
dicht ist das Gebet einer bedrangten Frauenseele zu Gott um
Trost und um Hilfe 2 ). Es wird von einer Frau verfasst sein,
denn es tritt nicht wie etwas nachgemachtes, auf gegebene
Formel geschriebenes auf, sondern ist tief empfunden. Im
iibrigen mOgen die deutschen Gebete des 12. und 13. Jahr-
hunderts 8 ), diefiirdenGebrauch vonklOsterlichen und weltlichen
Jungfrauen und Weibem bestimmt sind, gleich den lateinischen
zuweilen die Beichtvater zu Verfassern haben. Freilich wissen
wir auch, zu welcher HOhe religiOser Poesie sich die deutschen
Frauen des 13. und 14. Jahrhunderts erhuben, und wollen
Der Reim auf getriwe veranlasste die Heranziehung von diuwe, sowie
281, 24 durch den Reim auf crefte der Herr und der Knecht voran-
tritt. Auch die Worte 286, 2 nusken unde bouge, daz gesmide der frowen
treten aus der iibrigen Umgebung nicht so scharf hervor, dass sie
nur eine Frau gebraucht haben konnte. Auf die weiblichen HOrerinnen
oder Leserinnen sollen sie wirken.
i) Miillenhoff-Scherer, Denkmaler, N. XyXVIII.Y. 123. 157 f. 219.
2 ) Diemer, Deutsche Gedichte 375—378.
8 ) z. B. Graff, Diut. II. 288 ff. Wackernagel, Altd. Predigten
222 f., 379. Diemer a. a. 0. 379-383. Haupts Z. VIII, 298—302 (dazu *
Bech, German. VI, 222. E. Schroder in Haupts Z. XXVIII, 20 f.). .
135
auch fQr die lateinischen Gebete an die Exercitia spiritualia
der grossen Gertrud erinnern (S. 73).
Von geistlichen Dichterinnen ware dann nur noch aus
dem 14. Jahrhunderte die Verfasserin eines Alexius zu
nennen 1 ), deren Name verborgen ist.
Wie steht es aber urn die weltliche Poesie, die Epik
und Lyrik des 12., 13. und 14. Jahrhunderts, und urn die
thatige Betheiligung der deutschen Frauen? Haben sie nur
durch Auge und Ohr empfangen, nur durch SchOnheit und
Liebreiz die Sinne der Dichter erregt, haben sie nicht mit-
gedichtet an Lied und Mare?
Unter den zahlreichen epischen grOsseren und kleineren
Dichtungen ist keine unter dem Namen einer Frau ttberliefert
und schwerlich eine auf eine Dichterin mit tlberzeugendem
Grunde zuruckzufuhren.
Dagegen finden sich unter den altesten erhaltenen
lyrischen Liedern des 12. Jahrhunderts eine Reihe von
Strophen, zum Theile namenlos, zum Theile unter dem Namen
altester Lyriker uberliefert, welche in den Mund und die
Empfindung von Frauen gelegt sind. Von der Ansicht aus-
gehend, dass in der alteren Zeit tieferes Liebesgefahl nur den
Frauen zuzutrauen sei, hat W. Scherer 2 ) eine grOssere Zahl
jener Liedchen far weibliche Erzeugnisse erkiart; Mullenhoff
aber hat auf die Reigen und Gesange der Madchen hinge-
wiesen, gegen welche die Geistlichkeit seit dem 9. Jahr-
hundert zu eifern hatte; in ihnen seien die ungeschriebenen
altesten Liebeslieder, welche augenblickliche Stimmung den
Madchen und Frauen eingab, erklungen. Wenn nun aber von
Milllenhoff selbst dafur Zeugnisse beigebracht wurden, dass
auch der rauheren Heldenzeit alle Tonarten der Zartlichkeit
zu Gebote stunden, so ergibt sich daraus, dass an und fur
sich nicht jede tiefere Liebesempfindung als Zeichen weib-
a ) S. Alexius Leben, herausgeg. v. Massmann 45—67.
2 ) Sitz.-Ber.d. Wiener Akad., LXXVII, 440 ff., unter Zustimmung
Miillenhoffs (Denkmaler deutscher Poesie und Prosa 2, 154. 3. A.).
186
lichen Ursprungs einer alten Strophe anzumerken ist, selbst
wenn die Verse einer Frau in den Mund gelegt wurden. Es
ist in dem altesten Geschlechte der mit Namen hervortretenden
ritterlichen Lyriker des 12. Jahrhunderts ganz in tJberein-
stimmung mit der Stellung, welche noch im grOssten Theile
des 12. Jahrhunderts die Manner zu den Frauen behaupteten *),
iiblich gewesen, „Frauenstrophen", wie gerade nicht gltlcklich
gesagt wird, zu dichten. Meinloh von Seflingen, die Burg-
grafen von Regensburg und Rietenburg bezeugen es ; Heinrich
von Veldeke (Minnesangs Frilhling 57, 10. 67, 17) undFriedrich
von Hausen (M. F. 54, 1) waren die letzten, die es thaten.
Spater erhielt sich nur der Wechsel noch, der Dialog zwischen
Mann und Frau. Es ist nach allem diesem zweifelhaft, ob
auch nur eine jener Frauenstrophen wirklich einer Dichterin
gehOrt. NurMOglichkeit, nicht Gewissheit lasst sich behaupten *).
Die kttnstlerisch entwickelte ritterliche Lyrik des Mittel-
alters kennt keine Frau als Dichterin. Der Frauendienst als
Motiv der Liebeslieder schloss sie von selbst aus; auch der
politische und gnomische Spruch gehOrt nicht in das Bereich
des Weibes. Manches Madchen, wohl auch manche junge Frau,
wird noch in alter Weise ein kleines Liedchen zum Reigen
und bei geselliger Lust erfunden haben; doch fand sich kein
Schreiber daftir, wie fur jenes in manchen Spielarten noch
bis heute fortklingende
Du hist mm, ich bin din,
des solt du gewis sin.
du U$t heslozzen
in minem herzen:
verlorn ist das sluzzelin:
du muost immer drinne sin
das dem ersten von drei lateinischen, einem Madchen in die
!) Vgl. unsern 5. Abschnitt.
2 ) Am ausfiihrlichsten hat Scherer a. a. 0. dariiber und dafur
gesprochen. Dagegen H. Paul in Paul-Braunes Beitr. 2, 414. F. Brach-
mann in der Germania 31, 443—461. Jeanroy, Les origines de la po6sie
lyrique en France 284 f. Paris 1889.
187
Feder gegebenen Liebesbriefen in einer Tegernse&*^J3ani&.
schrift des 12. Jahrhunderts angefugt ist 1 ).
Als im 14. und 15. Jahrhundert das fromme Lied aus
der lebendigen persOnlichen Religiositat deutscher Manner
herausbluhte, sind die Frauen nicht stumm geblieben. Mehr
als eines jener von lebhaftem Liebesverlangen nach Jesus
durchgltlhten Lieder, die sich gern an weltliche Gesange als
ihre Contrafactur anlehnen, ist sicher von einer klOsterlichen
Jungfrau gedichtet. So die Lieder: Wer hilft mir, dass ich
den begrife, Nach dem min herze sich versent etc. etc. —
Weine herze, weinet ougen, Weinet blfites trehene r6t
etc. etc. — Ich wil j&rlanc numme sunden, Sprach ein frou-
welin gemeit etc. etc. — Aus gotes herzen ein wort ent-
sprang, Es was und ist On anefang etc. etc. — Wol uf im
geistg6n Baden, Ir zarten frowelin etc. etc.
Als das Mittelalter zu Ende ging und die alten epischen
Stoffe noch einmal in neuen Formen aufbltihten, sind es
einige vornehme, dem Auslande entstammte Frauen gewesen,
welche sich an der Ubersetzung fremder Romane in das
Deutsche betheiligten. Elisabeth, dem Grafen Philipp von
Nassau in erster Ehe vermahlt, eine Tochter des Grafen
Friedrichs von Vaudemont, Bruders Karls I. von Lothringen,
tibersetzte den Roman Lother und Mailer aus dem franzO-
sischen Original, das ihr$ Mutter Margarete 1405 hatte ver-
fassen lassen, und spater den Hugschapler, dessen franzO-
sische Gestalt ihr Sohn ihr verschaffte. Eleonore, des KOnigs
Jacob I. von Schottland Tochter, seit 1448 Gemahlin des Erz-
herzogs Siegmund des Einfaltigen von Osterreich, verdeutschte
den Roman Pontus und Sidonia. Sie und ihr Gatte waren
GOnner des fleissigen tibersetzers Heinrich SteinhOwel. — Aus
dem pfalzgraf lichen Hause in Heidelberg, in dem seit Mitte des
14. Jahrhunderts Liebe zur Litteratur und Kunst hervortrat,
ging die PfalzgrafinMechthild(1418— 1482), Tochter Ludwigs HI.
3 ) Gedruckt mit den latein. Briefen in Minnesangs Friihling,
S. 223. Zu der Fortdauer des fast formelhaften Liedchens R. M.
Meyer in Zeitschr. f. d. Alterth. 29, 133. Bolte, ebd. 34, 161. Berger
in Zeitschr. f. d. Philol. 19, 464.
188
und der Grafin Mechthild von Savoyen, hervor, die als Witwe
des Erzherzogs Albrecht VI. von Osterreich in Rottenburg
am Neckar einen glanzenden Hof hielt. Sie war eine GOnnerin
des Dichters Hermann von Sachsenheim und des Btlcher-
freundes Ptlterich von Reichertshausen 1 ). Auch ihre Schwa-
gerin Margareta von Savoyen, von 1445 — 1449 mit Mech-
thilds Bruder Ludwig IV. vermahlt, war eine Freundin
deutscher Litteratur. Nicolaus von Wyle rahmt sie und Eli-
sabeth von Brandenburg, Tochter des Markgrafen Albrecht
Achilles, Gemahlin des Grafen Eberhards des Jttngeren von
Wtirtemberg, als des hOchsten Lobes werth. Elisabeths Base
Barbara, Tochter des gelehrten Markgrafen Johannes Alchy-
mista von Brandenburg, seit 1433 mit dem Markgrafen Ludwig
Gonzaga von Mantua vermahlt, hatte den Ruhm, eine der
gebildetsten und ausgezeichnetsten Frauen Italiens zu.sein.
Sie verstund griechisch, schrieb elegante lateinische Briefe in
die deutsche Heimat, ward aber auch von den deutschen
Schriftstellern Albrecht von Eyb und Nicolaus von Wyle hoch
gepriesen*).
Auch am MttnchenerHofe unter den HerzOgen Albrecht III.
(t 1460) und seiner Gemahlin Anna von Braunschweig, sowie
unter Albrecht IV. (t 1508) lebte Theilnahme und Freude an
der Litteratur. Michael Beheim, Johann Hartlieb, zuletzt Ulrich
Ftteterer fanden hier Aufnahme, An Ulrich Ftieterers Be-
milhungen, die Gral- und Tafelrundabenteuer noch einmal der
Gegenwart vorzufdhren, erfreute sich Albrecht IV., der Freund
dieser alten Geschichten aus einer untergehenden Zeit.
Zu den geschatzten Fertigkeiten einer wohlerzogenen
Frau gehOrte im Mittelalter so gut wie heute die Kunst des
Gesanges und des Spieles auf einem Instrumente.
J ) Uber Mechthild, E. Martin, Erzherzogin Mechthild. Freiburg
1871. — Ph. Strauch, Pfalzgr&fin Mechthild in . ihren litterarischen
Beziehungen. Tubingen 1880.
2 ) B. Hofmann, Barbara von Hohenzollern, Markgrafin von
Mantua. Ansbach 1881. (Jahresbericht des historischen Vereines fur
Mittelfranken.)
139
Singen ist eine Naturgabe, die nicht jeder menschlichen
Kehle verliehen ist; die Ausbildung geschieht nach dem zeit-
lichen Stande der Musik.
Wie es urn die germanische Musik in altester Zeit, ehe
die rOmische Kunst durch die Kirche einwirkte, bestellt war,
hullt sich in Dunkel. Gesungen aber ward von den Deutschen,
wie die ROmer uns berichten, bei festlichen Gelagen wie beim
Vorrtlcken zum Gefechte, und auch die festlichen Umzttge
der GOtterbilder so wie andere heilige Handlungen sind von
Liedern begleitet worden. Gebildeten fremden Ohren klang
freilich dieser Germanengesang wie das Krachzen wilder
Vogel (Julian, misopogon n, 56). Es war einstimmiger Ge-
sang der Menge, Chorgesang, an dem wohl auch die Weiber
sich betheiligten, die selbst im kriegerischen Lager den
Mannern nahe waren, wie wir im zweiten Abschnitte aus-
gefahrt haben (S. 41 f.). Einer mochte vorsingen und die
Menge wiederholte dann die Verse oder fiel mit einem Rund-
gesange oder Kehrreim nach jeder Strophe ein.
Es ware sehr falsch, unsere modernen Volksliederweisen
als Nachfolgerinnen der altesten germanischen Gesange
herbeizuziehen. Selbst die Melodien des 15. und 16. Jahr-
hunderts sind Erzeugnisse einer spateren musikalischen Kunst,
die durch Vermittlurig des Kirchengesanges ihre Wurzeln in
der rOmischen und griechischen Musik hat. Sie starben aber
im 17. Jahrhunderte ab und unsere heute noch gesungenen
Weisen gehn hOchstens bis zum Beginne des achtzehnten
zurack 1 ). Wir kOnnen jenen altesten vorhistorischen Gesangen
etwa die eigenthttmlichen Lieder stidslavischer Stamme, z. B.
der Kroaten und Slovenen, vergleichen, wie sie abendlich von
den Weibern vor den hochgelegenen Hiltten in die Thaler
hinaus gesungen oder gerufen werden, denn Gesang will
unseren Ohren dieses GetOne so wenig erscheinen; als dem
Kaiser Julian der Galm seiner deutschen Feinde.
Auf eines muss hier nachdrucklich hingewiesen werden,
dass namlich unsere alte Pichtung nicht gelesen, sondern
') Fr. Bohme, Altdeutsches Liederbuch. Leipzig 1887, S. LXX.
140
gesagt und gesungen ward, d. h. sie war auf den getragenen,
in melodischem Tonwechsel sich bewegenden Vortrag be-
rechnet, der von selbst strophenm&ssige Abtheilungen forderte.
Dieser Gesang konnte entweder ganz frei schweben Oder durch
sehr einfache Instrumentalbegleitung gestiltzt werden. Erst
aus dem singen und sagen hat sich das blosse sagen oder
lesen, d. h. der recitirende Vortrag der unstrophischen erz&h-
lenden Gedichte herausgebildet 1 ).
Wenn wir also von lebendiger Betheiligung der Frauen
an der weltlichen Poesie der vorhOfischen Zeit hOren, von
ihrer Liebe zu den Liedchen, welche die Geistlichkeit von
Amtswegen schelten musste, von ihrer Leidenschaft far Tanz
und Reigen, die immer durch Gesang begleitet wurden, dann
wissen wir von selbst, dass sie sangen. Gerade der Tanz,
tiber den wir spater handeln werden, gab den Frauenkehlen
die meiste Gelegenheit, sich hOren zu lassen, und das dauerte
auch in der hOfischen Zeit fort. Die Lyrik tlberhaupt blieb in
der alten Verbindung mit der Musik: Wort und Weise, d. h.
Text und Melodie, waren untrennbar; ein nicht gesungenes,
sondern bloss gelesenes Tanz- und Liebeslied ware undenkbar
gewesen.
An der Singkunst dieser spateren Zeit werden sich die
Einfliisse des Kirchengesanges fruchtbar erwiesen haben, der
zuerst durch Karl den Grossen, dann durch KOnig Otto I.
mittels italienischer und aquitanischer Meister gebessert
worden war. Die Kunst der Gregorianischen Sangerschule
wurde in den Kirchen des frankischen Staates zum Muster
erhoben. Liegt in dem Gregorianischen Gesange tlberhaupt
das Streben nach Melodie, indem an Stelle des rhythmischen
und metrischen Princips der Ambrosianischen Singschule der
steigende und fallende Wechsel der Tone gesetzt ward, so
erhub sich nun auch die Forderung eines guten Vortrages.
Raban Maurus verlangte von dem Sanger Lieblichkeit; seine
Stimme solle nicht rauh, krachzend, dissonirend klingen,
*) Lachmann, ttber Singen und Sagen. 1833. (Kleinere Schrifben
zur deutschen Philologie 461—479.) F. Wolf, tJber die Lais Sequenzen
und Leiche 13 ff.
141
sondern hell, angenehm, deutlich und geiaufig (de institut.
clericor. HI, 48). Weitere FOrderung brachte dann Guido von
Arezzo (1,020—1040) durch Yerbesserung der Notenschrift und
durch Bemahungen um die Ausbildung der Harmonie. Die
Melodie hat sich erst ein paar Jahrhunderte spater im mehr-
stimmigen Satze unseren Begriffen genahert, nachdem die
Harmonie zuerst in Frankreich, dann in Italien und vor
allem in den Niederlanden kunstreich ausgebaut worden war.
Aus dieser Hinweisung auf die spatere, ausserhalb der
Grenze des eigentlichen Mittelalters fallende Entstehung des
melodischen Liedes ergibt sich von selbst, dass die einstim-
migen Weisen, welche die lyrischen Dichter des 12. bis 14.
Jahrhunderts ihren Worten unterlegten, uns sehr wenig ge-
fallen haben wtirden. Inwieweit die einzelnen den damaligen
musikalischen Kunstforderungen entsprachen, wird nicht leicht
zu beurtheilen sein; dass sie aber nur Naturerzeugniss *) und
keine Kunstproduction waren, muss geleugnet werden. Die
in der Jenischen und der v. d. Hagenschen Handschrift
uberiieferten Melodien der Minne- und Meistersinger, in denen
wir doch wohl Wiedergaben alter Weisen sehen mtlssen,
zeigen einen jiach Melodie ringenden Wechsel hOherer und
tieferer Tone, ohne dass der Text den Rythmus bestimmte.
Die Dichter mussten sich, da sie auch die wise (Melodie) zu
dem t6ne (Metrum) erfanden, eine musikalische Bildung an-
eignen, gleich der Technik der Wortdichtung: sie lernten
singen unde sagen. GehOrte es doch in der hOfischen Zeit, auch
zur feinen Erziehung der Knaben und Madchen, kunstmassig
singen zu lernen 2 ), denn dieses wie das Saitenspiel diente
J ) Forkel, Allgem. Gesch. der Musik. 2. Thl. S. V f. — Konr.
Burdach in dem Excurs tiber die musikalische Bildung der deutschen
Dichter im 13. Jahrhundert in seinem Reinmar und Walther (Leipz.
1880, S. 174—182) will die Musik der Minnesinger in melodischer wie
in rhythmischer Hinsicht von der geistlichen Kunstmusik unabhangig
wissen. Der Gesang der Minnesanger sei naturalistisch gewesen.
Erst bei dem Marner, noch mehr bei Frauenlob sei Einwirkung
der musikalischen Kunst zuzugeben.
2 ) Alexand. 212. Lanzel. 266. Gottfr. Trist. 3623, 8000. Wigam.
344. Mullers Samml. 3, XXVIII. a.
142
zur Unterhaltung so gut wie heute. Was in einer franzOsischen
Anstandslehre fur Damen (Chastoiement des dames 447 — 462)
gesagt wird, gilt auch fiir die Deutschen: „der Gesang ist
ein Trost in der Einsamkeit, in Gesellschaft macht er beliebt.
Wird man gebeten zu singen, so lasse man sich nicht lange
bitten, singe aber auch nicht zu lange, denn das nehme dem
-schOnsten Gesange seinen Werth. Singe man zu einem In-
strument, so miisse man laut singen". Es gab auch im
13. Jahrhunderte Madchen und Frauen, die auf ihr wol singen
eitel waren; Bruder Berthold von Eegensburg tadelt sie um
diese Hochfart 1 ). Einen kunstreichen Gesang schildert eine
S telle in dem um 1300 verfassten Reinfried von Braunschweig
(23080—97): bei dem Empfange der Fttrstin ertOnt ein Ge-
sang, bald laut bald leise, Quinte und Discant lassen sich
angenehm vernehmen, dann zieht sich im Falset die Octave
zur Quarte und steigt dann wieder zur vollen Octave auf,
•d. h. die Begleitung der Melodie geht in der Quinte, dann in
-der Octave, fallt zur Quarte und steigt wieder zur Octave.
Die Melodie bewegt sich in B dur und in B moll; einen Todten
hatten diese Noten erwecken kOnnen 8 ).
Seit Ende des 12. Jahrhunderts war der mehrstimmige
Satz gefunden.
Aus der Mitte des 15. Jahrhunderts haben wir dann
die altesten aufgezeichneten, .contrapunktisch bearbeiteten
dreistimmigen Melodien von deutschen Liedern in dem Loch-
heimer Liederbuche 8 ), zugleich mit einer Mischung der Stimm-
gattungen, die auf den Inhalt der Texte sorgsam und ver-
standig Rucksicht nimmt. Die Melodie ist von der Stimme
zwischen Discant und Bass, von dem Tenor, geftthrt. Eine
!) Predigten, herausg. v. Pfeiffer I. 83, 22. 192, 9. 527, 10.
2 ) Alinliche Stellen enthait die um 1400 verfasste Minneregel
des Eberhard yon Zersen, namentlich 420 ff. sind zu vergleichen.
Vgl. dazu die Erlauterung von Ambros in WObers Ausgabe, S. 247 ff.
und uber Be molle und discantus auch Jacobsthal, Uber die musikal.
Bildung der Meistersanger in Haupts Zeitschr. f. d. A. XX, 69 ff.
3 ) Herausg. v. Arnold und Bellermann in Chrysanders Jahr-
buchern fiir musikal. Wissenschaft. Bd. II. Leipzig 1867.
148
schOne Bltithezeit begann damals fur das deutsche Lied, die
durch das 15. Jahrhundert bis 1575 dauerte, und es zugleich
zu einem edlen Mittel geselliger Unt6rhaltung machte *). Von
1576 ab wird durch italienischen Einfluss das contrapunktische
Lied zuruckgedr&ngt und die Accordenbegleitung der Melodie
dringt durch. Das beliebteste begleitende Instrument war im
16. Jahrhundert die Laute.
Uber die musikalischen Instrumente mOge
folgendes geniigen.
Das alteste Tonwerkzeug, das mit kQnstlerischer Absicht
zum Gesange gebraucht ward, war wohl die Harfe: Jordanes
(Getic. c. 5) erzahlt, dass die Goten die Thaten ihrer Vor-
fahren in Liedern zur Cither sangen : unter der cithara haben
wir aber die Harfe zu verstehn, welche Venantius Fortunatus
VII. 8. als deutsches Instrument der rOmischen Lyra gegen-
tiberstellt 2 ), und die er als Begleiterin der barbarischen (fr&n-
kischen) Lieder (leudi) nennt (carm. praef.). In den Beowulf-
Jiedern und in anderen angelsachsischen Dichtungen, ebenso
in den altnordischen Heldenliedern erscheint die Harfe (hearpe,
harpa) als das Instrument, welches die Helden und Sanger
schlagen und welches Freude und Wonne erweckt, wenn ein
Lied dazu aufsteigt. Als der letzte WandalenkOnig Gelimer
von den Byzantinern eng belagert war (533), erbat er sich
von dem feindlichen Feldherrn Pharas als letzte Gabe ein
Brot, einen Schwamm, eine Harfe; diese um dazu das Lied
zu singen, das er auf sein Ungluck gedichtet hatte (Procop.
b. vand. II. 6). KOnig Gunther aber, als der Schwager Etzel
(Atli) ihn in den Wurmgarten hatte werfen lassen, schlug die
Harfe (Atlamal 66), um die giftigen Schlangen zu beschwich-
tigen. Die Harfe blieb das beliebteste Instrument zur Beglei-
tung der Lieder bis in die hOfische Zeit, in der sie von der
2 ) R. v. Liliencron, tJber das erste Auftreten selbst&n&igeT
Musik als Gegenstand der Unterhaltung in Deutschland: Sitz.-Ber.
der Miinchener Akademie. 1873, S. 660 flf.
2 ) Romanus lyra plaudat tibi, Barbarus harpa. In den Glossen
wird harpha harfe, durch chelys und cithara gegeben, harphaere ist
citharoedus, citharista.
144
moderneren Rote verdrangt ward 1 ). Die niederen Spielleute,
auch wohl die Kirche haben sie niemals aufgegeben.
Die Harfe war mit Drahtsaiten verschiedener Lange be-
zogen und hatte eine dreieckige deltaartige Gestalt von ver-
schiedener GrOsse 2 ). Die Saiten, deren Zahl nach der Breite
des Instrumentes verschieden war und die sich allmahlich, wie
jene zunahm, vermehrt haben, wurden entweder nach antiker
Art mit einem Stabchen (dem plectrum, Trist. 3556) oder mit
den Fingern von beiden Seiten des Instrumentes gertthrt 8 ).
Eine Harfenart war die salmharpha (psalterium), auch
psalterie genannt, eine mit Resonanzboden versehene zehn-
oder mehrsaitige, beim spielen horizontal gehaltene Harfe 4 ).
Die Rote (rota, rote, rotte, hrotta, chrotta, crota, ags.
crud, engl. crowd, gadhel. emit, kymr. crwth), welche in der
hOfischen Zeit als modernes Instrument die deutsche Harfe
zurttckdrangte, war ein ursprtinglich britisches Tonwerkzeug 5 ),
das als eine mit gleich langen Saiten bezogene sechssaitige
kleinere Harfe erscheint. Aber auch ein mit gewOlbtem Re-
sonanzboden versehenes Instrument wird als Rote (crwth,
cruit) bezeichnet, das auf vier Darmseiten mit dem Bogen,
auf zweien, die niedriger lagen, mit dem Daumen gespielt
ward. Die Rote ist also eine Vermittlung zwischen Harfe
und Geige 6 ). Die dreisaitige, mit dem Bogen gespielte Rote hiess
*) W. Wackernagel, Litteraturgesch. § 43, Anm. 21. — Bei
Thomas spielt Tristrem die Harfe, bei Gottfried zuweilen statt der
Harfe die Rote: Heinzel, Zeitschr. f. d. A. 14, 436.
a ) Eine besondere Art war die cithara anglica, diu englische
harpfe, kelt. clarseach genannt; im Parzival (623, 20. 663, 16) und
j. Titur. (2946) heisst die englische Harfe swalwe.
8 ) die harphen riieren unde slahen (Trist. 3551. 8068), ags. hear pan
gretan, altn. horpu knia, sveigja.
4 ) Vgl. Ambros in W6bers Ausgabe von Eberhards Minneregel,
S. 245, der darauf hinweist, dass die Italiener das Hackbrett noch
jetzt saltiero tedesco nennen.
6 ) Romanus lyra plaudat tibi, Barbarus harpa, GraBCus Achilliaca,
crotta Brittanus canat, Venant. Fort. VII. 8.
•) F. Wolf Lais, Sequenzen und Leiche 242—248. Wewerten,
tJber crwth und rotte, Monatsheffce fur Musikgeschichte XIII, Nr. 7
bis 12 (1881).
145
Kebec (afr. rebec, rubebe, ital. ribeba, deutsch rebebe, rebebli,
nl. rebebie), ein ursprQnglich arabisches geigenartiges Instru-
ment, das in England und Prankreich gern zur Begleitung
des Gesanges von den Spielleuten gebraucht ward, in Deutch-
land aber nur selten und erst im 14. Jahrhunderte erwahnt
wird. 1 ).
Gerade nicht haufig erscheint die lira, lire, unter der
bald die antike, mit den Fingern oder dem Plectrum geruhrte
gleichschenklige kleine Harfe (Trist. 7995), bald ein fidel-
artiges Instrument gemeint ist 2 ), wie es scheint, also der
Rote sehr verwandt.
Die Laute, ein arabisch-spanisches, der Guitarre ver-
wandtes Instrument, wird vor dem 15. Jahrhunderte in Deutsch-
land nicht erwahnt. Sie ward geschlagen (ltoenslahen: Netz,
1733) oder „gezwickt a . Die fanfsaitige Laute hiess Quinterne.
Das beliebteste, mit dem Bogen gestrichene Saiteninstru-
ment war die Fie del (videle, ahd. fidula, mit. vidula, vitula,
von den fides, den Saiten, benannt). Otfried schon nennt sie
(V. 23, 198) neben lira, suegala, harpha, rotta unter den In-
strumenten des himmlischen Concertes. Sie ward ebenso das
beliebteste Tonwerkzeug der gewerbsmassigen Spielleute
als der ritterlichen Dichter, mit welchen sie ihre Lieder be-
gleiteten. Volker von Alzei verherrlicht in der Heldensage
die ritterlichen videlaere, und bezeugt mit seinem Spiel, dass
auch ohne Gesang dieses Instrument zur Geltung kam. Manche
andere Stellen der Gedichte beweisen das ebenfalls.
Von der Fiedel bald unterschieden, bald gleichbedeutend
mit ihr erscheint die Geige, aber in Deutschland wird sie
erst im 12. Jahrhunderte genannt (Diemer, Vorauer Ged.
139, 11). Die Fiedel hat zwei durch Seitenwande verbundene
Deckbretter.
*) Seuses Exempl. I. 2. c. 38. Eberhard, Minneregel 415.
2 ) Wolf Lais 246. Ambros a. a. 0. 242 f. — Verschieden davon
ist die lyra mendicorum, das aitere organistrum, deren Saiten durch
ein gedrehtes Had in Schwingung gebracht wurden, Sie hiess auch
symphonic oder chifonie, Wolf 245, zuweilen auch vielle.
W e i nh o 1 d , Deutsche Frauen. I. 10
146
Von den Blaseinstrumenten werden Horn (haurn)
und Schwegelpfeife (svigl, ahd. swegala, mhd. swegele swegel)
schon gotisch genannt. Sie wurden spater gleich der bustine,
der floite, phife, schalmie, dem licion (mlt. licinia), dem
tambtir (tabilr), der trumme, bunge, sumber, ptlke, zimbel,
von den Spielleuten zur rauschenden Musik gebraucht 1 ).
Die Spielweiber, d.. i. die weiblichen Gefahrtinnen der
herumziehenden Musikanten, haben alle die genannten In-
strumente spielen gelernt. Fur die gesellige Unterhaltung
waren bei Mannern und Frauen nur die Saiteninstrumente
beliebt und wurden auch nur von ihnen erlernt: in frttherer
Zeit also die Harfe, auf der mehrere Helden der Dichtung
als Meister gertthmt werden 2 ), dann die Rote, die Fiedel Oder
Geige, zuweilen wird auch die Lire genannt. Die Unterweisung
der Knaben und Madchen erstreckte sich hierauf 8 ). Die er-
lernte Kunst ward theils zur Begleitung des Gesanges und
Tanzes, theils zum selbstandigen Spiel verwerthet. Fur das
letzte geben die Stellen aus RudUeb und aus Gottfrieds Tristan
vollen Beweis.
Den Unterricht in der Musik ertheilten den vornehmen
Fraulein und edlen Knaben in der Kegel gebildetere Spielleute.
*) Zusammenstellungen tiber die von den franzfls. und nieder-
land. Spielleuten gebrauchten Instrumente im 12. bis 14. Jahrhundert
gab Hoffmann von Fallersleben hor. belg. VI, 190—200. Ambros bei
Wober, Eberhards Minnelehre 239—247. "Ober die irischen Musik-
instrumente Sullivan in s. Introduction zu 0' Curry, Manners and
customs of the ancient Irish, vol. I. p. CCCCLXXXVI— DCXXXIV
und 0' Curry, ebd. vol. Ill, 212—409. Abbildungen bei A. Schultz,
HSfisches Leben I, 552-562. Deutsches Leben im 14. und 15. Jahr-
hundert, S. 518 if.
2 ) Rudlieb 8, 30 ff. Trist. 3545 ff.
») Alexand. 207 ff. Eilh. Trist. 132. Gottfr. Trist. 2094. Lanzel.
262. Wigam. 342. — Trist. 7731. 7991. Konr. Welti. 26 ff. Heinr. Apollon.
15158. Auch hier kann Isot als das Ideal der hofisch gebildeten Dame
gelten, welche videln, die Ure* rueren, die harpken elahen und pasturUe,
rotruwange, runddte, $chemewne 9 refloit und folate singen konnte,
Trist. 7991 ff., 8062 ff.
14*
Spielmann Tristan, welcher die junge Isot in fremden
Sprachen und in derMusik unterrichtete (Trist. 7991 ff.), suchte
ihr noch andere Kenntnisse zu eigen zu machen, „die Mora-
litat". Man verstund darunter die Kunst der schOnen Sitten
oder des tadellosen Benehmens nach der gesellschaftlichen
Yorschrift *). Solche M o r a 1 i t a t war natttrlich eine unerlass-
liche Eigenschaft der feinen Prauenzimmer und auf sie war
der Fleiss aller Zuchtmeister und -Meisterinnen gerichtet.
Bass sich bei dem geselligen Yerkehre feste Satzungen
ausbilden mtlssen, ist naturlich. Esmuss geltendeVorschriften
geben tiber das Benehmen in den verschiedenen Lagen des
Lebens, tlber das Betragen als Wirth und Gast, gegen Manner
und Prauen, bei Tische und beim Tanze; die Sitte muss den
Leidenschaften einen Zilgel tlberwerfen und wer den Anstand
verletzt, muss eine Huge erfahren. So hohl und bedeutungslos
zuweilen das gesellige Gesetz scheint, das Leben kann ohne
dasselbe die feinere, ruhigere Haltung nicht bewahren.
Wer das Mittelalter einigermassen kennt, weiss, wie
streng geregelt in ihm das Benehmen war, wie die Haltung
des KOrpers, das Tragen der Kleider, das Reden genauen
Yorschriften unterlag, so dass etwasgleichmassigabgemessenes
durch die Menschen ging, das uns freier gewOhnten nicht
selten ein Lacheln abzwingt. Schon Jacob Grimm hat als an-
schauliche Zeugnisse daftlr die Bilder der Handschriften an-
geftthrt 2 ), und es ist in der That sehr anziehend, noch auf
den Holzschnitten der fliegenden Blatter und Bogen des
16. Jahrhunderts dieselben Haltungen und Stellungen wahr-
zunehmen wie in den Miniaturen und an den Bildwerken .des
10. und der folgenden Jahrhunderte :l ). Wenn sich auch erst
1 ) mordliteit: diu kunst diu leret schoene site -mordliteit daz
s&ezc lesen, daz ist salic unde reine — si leret uns in ir gebote gote
und der welt gevaUen. Trist, 8008 ff.
2 ) Wiener Jahrbucher 1825. Bd. 32, S. 232.
3 ) Die Litteratur uber die Ajistandslehre des MA. ist nicht
unbedeutend. Fur Deutschland wollen wir auf den welschen Gast
des Thomasin von Zirkl&re, auf den Winsbecken und die Winsbeckin,
auf den Jtingling Konrads von Haslau, auf das Gedicht von der Hof-
10*
148
im 12. Jahrhundert in Deutschland eine im modernen Sinne
feine Gesellschaft ausbildete, so weist doch genug darauf hin,
dass frGh unter den germanischen VOlkern eine feste Meinung
tlber das Wohlanstandige gebot. Zu der „Moralitat u der ho-
flschen Zeit bedurften jedoch die deutschen Manner erst
fremder Anleitung und es flel ihnen schwer genug, sich in
die galanten Vorschriften der Welschen einzustudiren. Dass
Italienern und Franzosen die deutsche Sprache roh wie Ge-
kreisch der VOgel und Hundegebell vorkam, grade wie einst
dem Kaiser Julianus Apostata, dartlber wollen wir uns nicht
wundern. Eine fremde Sprache, die schwer zu lernen ist, be-
urtheilt man selten gerecht. Aber auch die Sitten der Deutschen
erschienen den westlichenNachbarn plump. In den lateinischen
Bearbeitungen der Thiersage, Ecbasis, Isengrimus und Rei-
nardus, reden und benennen sich die feineren Thiere fran-
zOsisch, die plumperen, wilden und dummen, wie Wolf und
Esel, werden als Deutsche geschildert. Solche Meinung von
den Deutschen herrschte im franzOsischen Flandern wie in
Sttd-Frankreich. Ein so hirnverbrannter Narr, wie der Trou-
badour Peter Vidal, erlaubte sich zu sagen, er finde die
Deutschen ungeschliffen und tolpelhaft (deschauzitz e vilas);
wenn einer sich einbilde, hoflich zu sein, sei es zum sterben ;
ihre Sprache gleiche dem Gebelle der Hunde ; er wolle lieber
in der Lombardei als Sanger bei seiner blonden Dame bleiben
denn iiber Friesland Herr sein (Raynouard 5, 339) 1 ). Die Aus-
bildung des Ritterthums in Frankreich und der Provence, die
zucht bei Keller, Altd. Gedichte, n. 5. ; fur die Niederlande auf das bouc
van seden bei Kausler, Denkmaier altniederl. Sprache II, 561 flf. ver-
weisen; die franzosischen einschiagigen Gedichte verzeichnete Gaston
Paris, La litterature frangaise au moyenage, § 103.
: ) Andere Stellen, in denen die Provenzalen sich feindlich
gegen die Deutschen aussern, bei v. d. Hagen, Minnes. IV, 5—7.
"Obrigens sagte ein deutscher Stamm dem andern auch gerne allerlei
nach, das nicht fein war, vgL W. Wackernagel, Die Spottnamen der
VOlker bei Haupt, Z. VI, 254—261. C. Fr. von Posern-Klett, Aus der
Vergangenheit der deutschen Stamme. Leipz, 1861. R. Peiper im
Anzeig. f. K. d. Vorzeit 1874. 101—106.
149
Annahme der ritterlichen Gesetze und Formen durch die
deutschen Herren ward entscheidend seit dem 12. Jahrhundert.
Wie die franzOsische Sprache und Litteratur im 13. Jahr-
hundert in Deutschland hohe Geltung hatte, so ward auch
die „Moralitat a wesentlich den Nachbarn abgeborgt; nur
weniges in der Anstandslehre lasst sich als echt deutsch be-
haupten. Doch dieses wenige gerade ist ein Zeugniss deutscher
Zucht und beweist, wie keusch das Verhaltniss zwischen den
beiden Geschlechtern lange geblieben war.
Was die Hand eines fremden Mannes beruhrt hatte,
durfte die Frau nicht anfassen (Parz. 512, 16). Noch strenger
untersagte die Sitte den Frauen, Mannerkleider zu tragen.
Die drei FQrstentOchter, die mit dem jungen Hagen von Irland
auf der Greifeninsel gelebt hatten, sind, als sie erlOst wurden,
ohne Kleider; und doch nehmen sie nur widerstrebend und
durch die Noth gedrungen die Gewander an, welche ihnen
die Schiffer bieten (Gudr. 114). Als Gudrun und Hildburg am
Wintermorgen fur die bOse Gerlint am Meere waschen mttssen,
nur von einem Hemde bedeckt, und ihnen Herwig und Ortwin
nahen und Mantel anbieten, da schiagt Gudrun trotz Scham
und Frost sie aus, denn niemand solle an ihrem Leibe Mannes-
kleider sehen (Gudr. 1232. 33). Erlaubte sich eine Isianderin
Hosen zu tragen, so konnte sich ihr Mann von ihr scheiden
(LaxdOelas. c. 35).
Die Cardinaltugend des mittelalterlichen Lebens, nament-
lich der hoflschen Zeit, war die Ma^e, das richtige Masshalten
im Geftthl und im Handeln, die sittliche Besonnenheit, welche
alles anstOssige und tibermassige vermeidet. Auch die Kirche
pries die Temperantia als eine moralische Haupttugend ')
und unterstiitzte damit die Forderungen der weltlichen Ge-
sellschaft. Muoter aller tugende wird die Ma$e in einem ihr
gewidmeten Gedicht des 12. Jahrhunderts genannt (Germania
Vin, 97 — 103). Aller werdekeit ein fttegerinne, daz sit ir
zeware, frowe Maze, er saelic man, der iuwer ISre hat, ruft
*) Meine Anmerkung zu Lamprechts v. Regensburg Syon,
V. 2963.
150
Walther v. d. Vogelweide (46, 82) ; sie verleiht die FrOhlich-
keit der Guten und schtttzt gegen HOlle und Teufel (Warming
325—356). tTberall bei den Dichtern der Zeit zeigt sich, wie
das ganze Leben unter dem Gebote dieser Tugend des An-
stands und der Sitte stund. Vor allem den Frauen war die
M&$e noth und darum betet Wolfram von Eschenbach zu
Gott fQr die treuen, reinen Frauen, dass rehtiu rnd$e sie durchs
Leben begleite 1 ); er kOnne um kein grosser Gltlck fair sie
bitten (Parz. 3, 3— 6)*).
Wer die Gesetze der modernen Gesellschaft kannte und
beobachtete, alles, was denselben entsprach, hiess seit dem
12. Jahrhundert hOvisch. womit das franzOsische curtois iiber-
tragen ward. HOvescheit (frz. curtoisie, prov. cortezia) war
die Eigenschaft des fein gebildeten, in der besten Gesellschaft
sich gut darstellenden Menschen, der in Kleidung und Ma-
nieren untadelhaft, alle geselligen Ktinste und Tugenden be-
sass und in keiner Lage einen Paragraphen der Standesehre
verletzte. Den Gegensatz bildet das rohe, unfeine Wesen der
ausser der guten Gesellschaft stehnden, die dOrperheit, fran-
zOsisch vilanie.
FQr die Frauen der ritterlich-hOflschen Zeit galten we-
sentlich folgende Regeln. Einen Mann lange und starr anzu-
sehen, verbot die dem GefQhle entsprechende Sitte 8 ). Indessen
durfte das keine Frau bestimmen, auf einen Gruss entweder
gar nicht oder nur sehr herablassend zu danken. Gegen arme
wie reiche, so lautete die Yorschrift, miisse man gleich artig
und freundlich sich zeigen 4 ). In einem franzOsischen Doctrinal
des 13. Jahrhunderts wird den Edelfrauen gelehrt, nur die
Ritter mit Worten und Kopfneigen zu grtissen, alle Qbrigen
') Vgl. hierzu Winsbekin 6, 1 scham wide md$e sint zwo tugent,
die gebent uns frouwen hohen pris.
2 ) Namentlich ist Welscher Gast 9686-9992 herbeizuziehen.
Maze ist nicht bloss der aussere Anstand, sondern auch die Gesinnung,
in der er wurzelt.
8 ) Welscher Gast 400. Nibel. 382, 2. Chastoiem. d. dames 139-162.
4 ) Lichtenst. Frauenb. 597, 28. Konr. Troj. Kr. 15002. Chastoiem.
d. dames 76— 90.
151
dagegen bloss durch beugen des Hauptes. Fraulein (damoyseles)
dttrfen nicht zuerst grQssen und haben nur den Kopf zu
neigen 1 ). Aus einer sp&teren Lehre eines Vaters fQr seine
TOchter von dem Ritter dela Tour 2 ) ergibt sich, dass damals
die Damen beim Grusse ihre Haube abnahmen.
Ptir das Ausgehn der Frauen gab es manche Regeln.
Sie durften weder zu grosse noch zu kleine Schritte machen,
mussten leise auftreten und sich nicht auffallend bewegen 8 ).
Die Gedichte vergleichen die schmucke Erscheinung des sich
Offentlich zeigenden ziichtigen Weibes den glatten, sauber
gestrichenen Falken, Sperbern und Sittichen 4 ). Den Daumen
der linken Hand in die Spange oder das Schntlrlein geschlagen,
das den Mantel tiber dem Busen zusammenhielt, mit zwei
Fingern der Rechten den Mantel emporziehend und ihn ge-
schlossen unter der Brust haltend, so schritt eine hofische
Frau einher (Trist. 10942) B ). Ohne Mantel auszugehn gait far
unschicklich. Koketten trotzten indessen oft der Sitte, denn
mit dem blossen Kleide konnten sie lockender spielen, indem
sie es theils hOher als gewOhnlich hinaufzogen, so dass die
Fttsse sich zeigten, theils indem sie den Schlitz des Kleides
J ) F. Wolf, Denkschriften der Wiener Akademie XIII, 182.
2 ) S. Palaye (Kluber), Ritterwesen 1, 188. tJber das Hutabnehmen
in unserm Alterthum, J. Grimm, Mythol. 1, 29, Anm. 2. R. Hilde-
brand in Pfeiffers Germ. XIV, 123.
») Welscher Gast 417. Trist. 10993. Krone 29371. Frauend. 282,
32. Troj. Kr. 7518. 27744. Walth. v. Rheinau 27, 33. Chastoiem. d.
dames 65—70.
4 ) Trist. 10998. Konr. Troj. Kr. 7536. 20297. Fragm. 19* Rom.
de la Rose 13736-13778. Hoffartiger Gang ward mit den Kranichs-
schritten verglichen: Walther 19, 31. Freidank 30, 18 (vorsichtig
tastend Irregang 336); der schleichende Pfauentritt zeigt Trauer an
(Walther 19, 32), aber auch Gleissnerei und Hinterlist (Wilmanns zu
Walther 19, 32).
• 6 ) Beim stehn ward die Brust vom Mantel frei gemacht und
der rechte Fliigel desselben unter der linken Brust von dem linken
Arm in Faltenwurf festgehalten: Weingartner Liederhandschrift,
her. v. Fr. Pfeiffer, S. 122-128.
152
an Brust und Seiten zu zeigen strebten 1 ). Eine zftchtige
deutsche Frau hielt es freilich far die grOsste Schande, wenn
ein Mann ihre blossen Fasse sah *). Adalgisa, die Gattin des
Langobarden-Farsten Sighart, begleitete einmal ihren Gemahl
auf einem Kriegszuge und sass da eines Tages die Fdsse
badend im Zelte. Da ging zufallig ein vornehmer Langobarde
voruber und sah die Ftirstin. Ausser sich daruher, beflehlt
Sighart der Frau des Yornehmen die Kleider bis an die Waden
abzuschneiden und sie also durch das Lager zu ftlhren. Die
Folge ist, dass sich jener mit einem andern des Volkes,
dessen Weib Sighart schwer beschimpft hatte, verbindet und
den Fursten ermordet 8 ). Ging eine Frau auf der Strasse Oder
sonst Offentlich, so musste sie vor sich hinsehen und die
Blicke nicht hin und her fliegen lassen, denn das verrieth
unsteten, leichtfertigen Sinn. Sie durfte sich natQrlich auch
nicht oft umsehen; allein ein wenig ruckwarts blicken ge-
hOrte zu den unverbotenen Ktlnsten eines schOnen Weibes.
Wie der Falke auf dem Aste weder starr hinblickt noch be-
weglich den Kopf wendet, so sollte der Blick einer Frau sein 4 ).
Beim ruhigen stehn hielt sie, wie das auch Manner-
brauch war, die H&nde Obereinander in der HOhe der Weiche.
Die Brust ward zuruckgezogen, der Unterleib mehr nach
vorn getragen 6 ). Beim Sitzen gait es far Frauen unschick-
lich, die Beine zu kreuzen (Welsch. Gast 411). Die Haltung
des Mantels, dieses nothwendigen, im Sommer und Winter
!) Welscher Gast 451. Konr. Troj. Kr. 15134. Rom. de la Rose
9331. 13756. Chast. d. dam. 183.
a) Rother 2084.
s ) Chron. Salernit. c. 76 (Pertz 5, 505). Auch fur einen Mann
war es eine Schande, barfuss gesehen zu werden: Chron. Salern.
c. 83. Kaiserchron. 6694 f.
*) Walth. 46, 14. Welscher Gast 459. Winsbekin 5, 9. 7, 1. 8,
4. Konr. Troj. Kr. 15010. Fragm. 19*- Philipp Marienl. 800. Chast. d.
dam. 75.
6 ) Haupt z. Engelh. 3678. — Wigal. 1552. Rother 2799 und die
Bilder vieler Handschriften, z. B. Manessische Liederhandschrift bei
v. d. Hagen, Bildersaal, Taf. 13. 16. 18. 19. 46. Weingartner, Lieder-
handschrift, S. 25. 47. 122. 128.
168
gleich getragenen Toilettenstttckes, war im Sitzen ziemlich
der im Stehn gleich. Er wurde tiber dem Schoss zusammen-
geschlagen, der linke Arm ruhte auf dein Knie, der rechte
ward freier gehalten, so dass von dem Untergewand ziemlich
viel hervorsah.
Trat ein Mann grussend an die sitzende oder in das
Zimmer, so erhub sich die Frau vom Sessel und ware sie
die machtigste KOnigin gewesen 1 ). Sie verneigte sich vor
dem Grttssenden und lud ihn ein, wenn er edlen oder ritter-
lichen Standes war, sich neben sie zu setzen 5 ).
Ob der Mann rechts oder links der Frau sass, scheint
sich nach Umst&nden gerichtet zu haben. Krimhilt sitzt rechts
von Etzel (Nib. 1298). An den christlichen nordischen HOfen
war der Sitz der KOnigin auf der linken Seite des Hochsitzes,
rechts vom KOnig sass der Bischof 8 ). Vor Einfiihrung des
Christenthums mag ihr Sitz rechts gewesen sein. Ubrigens
sehen wir auf Miniaturen des Festlandes eine ahnliche Rilck-
sicht auf die Geistlichkeit, indem, falls ein vornehmer Priester
in der Gesellschaft ist, dieser rechts und die Frau links sitzt 4 ).
Besondere Sorgfalt ward dem Benehmen bei Tische zu-
gewandt und dartlber eine umstandliche Lehre gebildet, die
in besondern Gedichten vorgetragen wurde B ). Vorzdglich ward
2 ) Nib. 343, 2. Gudr. 334. 1631. Mei u. Beafl. 217, 30. Bruder
Berthold I. 330, 35 ff. Staufenberg 301. Vgl. Nib. 397. 1125. 1658.
1718. 1719. 1724. MSHagen 2, 192 •■ Berthold I. 364, 39.
2 ) Eneide 4953. Parz. 187, 5. Wilh. 291, 4. Wigal. 14, 11. Mei
63, 11.
3 ) Fornmannas. 5, 332. Nials s. c. 35. — Auf der zweiten Bank-
reihe (nordri oder uacdri beckr) waren die Sitze der Frauen zur
rechten des Hochsitzes. Vgl. Gunniaugss. Hafn. 1775, not. 93.
4 ) Pertz, Monum. germ. hist. VIII, tab. I.
6 ) Disciplina cleric. XXVIII, 7 ff. Tannhausers Hofzucht bei
Haupt, Zeitschr. fur d. A. VI, 488, dazu VII, 174. Tischzucht im
Bosenton Altd. Blatter 1, 281 if., eine andere ebendas. 111. Keller,
Altd. Erzahl. S. 541 f. M. Geyer, Altdeutsche Tischzuchten, Alten-
burg 1882. Siegburger Tischzucht in Z. f. d. Alt. 28, 64. Contenance
de table, Altd. Bl. 1, 266. Jacob KObels Tischzucht ebd. 288. S. Brants
Narrensch. c. 110*- Dedekindi Grobianus et Grobiana I, c. 2—10. II.
III. c. 5. Grobianus, Tischzucht. 1538. Kurtze Tischzucht fOr die
154
den Frauen eingescharft, nicht zu viel bei Tische zu sprechen
und im Essen und Trinken nicht unmassig zu sein 1 ). Der
linke Arm mhte auf dem Tische.
Geschwatzigkeit und vorlautes Wesen, zu starkes und
rasches Sprechen, Rufen, Lachen oder Fluchen bezeichnete
die Sitte, wie sich von selbst versteht, als unschicklich 2 ).
Die Frau muss Maass halten, denn nur so vermag sie Anmuth
und Wtirde zu bewahren, ohne die keineWeiblichkeit besteht.
Den FttrstentOchtera ward tlber eine Tugend besondere
Unterweisung gegeben, ttber die Freigebigkeit {milte). Man
muss sich die Hofhaltung der germanischen Stammfarsten
oder der KOnige vergegenwartigen, wie sich eine Schaar
kampfttichtiger Manner um sie vereinigt, in ihrer Methhalle
von Morgen bis Abend zecht und in allem auf den Schatz
des Fursten angewiesen ist 8 ). Soil ein kriegerischer Zug, ein
festliches Unternehmen angegriffen werden, so bedurfen die
Gefahrten, die ihnen zu Sieg und Tod folgen, der Waffen,
des Rosses, der Kleider, des Schmuckes; und kehren sie
zuruck, glticklich und siegreich, so empfangen sie den Lohn.
War der Herr mild oder konnte er freigebig sein, so war
die Zahl der Gefahrten um ihn gross; daher strebten die
Fursten oft auf eine uns stOrende Weise nach Reichthum;
nur dieser war das Mittel, ihr Geschlecht und Volk gross
und ruhmreich zu machen. Bei dem Einflusse, den sich die
Frauen haufig auf die Offentlichen Unternehmungen des Gatten
zu verschaffen wussten, war ihre Gesinnung, ob karg, ob
ungehofelten Grobianusknechte. 1£94 (Heyses Bucherschatz no.
1833-1835). Vgl. ferner Welsch. Gast 471-526. Clara HiLtzlerin 276*-
Chast. d. dam. 491—532. Bonvesin de quinquaginta curialitatibus ad
merisam (Berliner akadem. Monatsbr. Febr. 1851).
!) Chast, d. dam. 297—336. Rom. de la Rose 1362§— 78. Letztere
Stelle beruht zum Theil auf Ovid, de arte ainandi III. 765 fF.
2 ) Nith. 69, 20. Welsch. Gast. 405. Gudr. 1474, 1. Konrad, Troj.
Kr. 15016—22. 15052. Walth. v. Rheinau 27, 47. Chast. d. dam.
14-20. 199. 249. 295.
8 ) Tacit. Germ. 14 iiber die Leistungen der altgermanischen
principes an ihre comites.
165
freigebig, von Bedeutung. Auch sie spendeten an das Gefolge
und an die Heergenossen Gaben, und namentlich an den
grossen Festen trat ihre Milde zur Schau, far welche sie
nicht nur den Hofstaat neu zu kleiden und zu schmacken
hatten, sondern auch den Gasten, den vornehmsten wie den
geringsten, eine Gabe reichen mussten: bald ein kostbares
Gewand, bald einen Armring, oder ein anderes Kleinod. Das
Geschenk kauft in das Herz. ein; zog eine neuvermahlte
Furstin in das Land des Gatten, so suchte sie durch reiche
Gaben die grossen Herren des Landes und die Frauen des
Hofes ftlr sich zu gewinnen, und es war darum der Vater
Sorge, die TOchter mit dem nOthigen Schatze zu versehn.
Allein sie mussten auch wissen, wie und wem sie geben
sollten; darum ward in die Erziehung aufgenommen, wie
man auf rechte Weise geben und wem man versagen solle 1 ).
Wie Qbertrieben und wahnsinnig hier und da die Freigebig-
keit geilbt ward, lasst sich kaum ahnen. Je mehr verschwendet
und nutzlos far irgend jemand vergeudet wurde, um so hOher
glaubten manche ihren Kuhm zu steigern 2 ). Die nimmersatten
fahrenden Sanger, Spielleute und Gaukler trugen natiirlich
dazu bei, im 12. und 13. Jahrhundert die Hoffeste zu wahren
Weihnachtsbescherungen zu machen, denn nicht allein der
Wirth und die Wirthin gaben, sondern auch die vornehmen
Gaste, und nattirlich wem vornehmlich, als dem unersattlichen
Volke der Fahrenden mit der spitzen Zunge, das alles hahm,
was es bekommen konnte: getragene Kleider, Pferde, Waffen,
Geld. Diese Leute machten die Tugend zu einer Nothwendig-
keit, denn der karge, das heisst derjenige, welcher ihren
Heisshunger nicht stillte und ihre BICsse nicht deekte, ward
durch sie in alien Landen geschmaht und verspottet, und
wenige Filrsten nur hatten Muth genug, wie Rudolf von Habs-
burg, den in die Lande hinaus gesimgenen Vorwurf ruhig
hinzunehmen.
2 ) Vgl. u. a. Graf Rudolf y* Welscher Gast 13565—14626.
Freidank, Cap. 33. Wernh. v. Elmend. 333—345. Reinmarv. Zweter,
Spr. 118—121.
2 ) F. Diez, Leben der Troubadours, S. 397.
166
Bei den KOnigen des deutschen Reiches waren es freilich
nicht bloss die Leute der armen diet, die heischten. GrOssere
Forderungen erhuben die Farsten und die anderen Grossen,
und ein Gut, ein Recht urns andere musste ihnen aus poli-
tischen GrQnden tiberlassen werden. Die Staufer verbluteten
daran. Echte, rein menschliche Tugend des Gebens hat damit
nichts zu thun, und sie zu tiben ist vor allem der Frauen
Beruf. Die deutschen Frauen haben das niemals vergessen,
nicht die armen, nicht die reichen. Der Schmuck der Milde
und der Barmherzigkeit ist der schOnste Stern auf der weib-
lichen Brust.
Zu dem Wissen und KOnnen, das die germanische Frau
unserer Vorzeit besitzen musste, wenn sie die besten An-
forderungen an ihr Geschlecht befriedigen wollte, gehOrte
auch die Heilkunst. Natttrlich ist darunter keine medicinische
Wissenschaft zu verstehn, sondern jene Kenntnisse und
Fertigkeiten, die wir heute etwa mit dem Namen Volks- und
Hausmedicin belegen, und die theils in der Anwendung geheim*
wirkender Worte und symbolischer Handlungen, theils in dem
Gebrauche heilkraftiger Krauter, Steine und anderer Stoffe,
theils in einfacher chirurgischer Hilfe besteht.
Wie alle VOlker auf einer gewissen Bildungsstufe, hielten
auch die Germanen die Krankheiten far die Wirkung bOser,
iibermenschlicher Wesen oder erzttrnter GOtter. Diese mussten
durch Gebet und Opfer versOhnt werden, sollte der Kranke
genesen: Gebetformeln, BeschwOrungssprttche , Segen, sinn-
bildliche Gebrauche, die Anwendung gottgeweihter Krauter
und Steine (der Donnerkeile namentlich), sammtlich Mittel, die
vom Heidenthum her bis in unsere Tage tlblich sind, ent-
stammen jener Vorstellung *).
Es ergibt sich zugleich, dass die Priester und jene
weisen Frauen, die wir ja den Priesterinnen vergleichen
kOnnen, in der heidnischen Zeit die arztliche Kunst tlbten.
*) M. Bartels, Die Medicin der NaturvOlker. Leipzig 1893.
J. Grimm, Deutsche Mythologie, Cap. 36. 37. 38. M. Bartels, tfber
BeschwOrungsformeln, Z. d. Vereins f. Volkskunde 5, 1—40.
157
Das Sprechen der Gebete und Segen, dazu das Bitzen von
Runen, die Anwendung sonst als kraftig gel tender Mittel
war ihr Amt. Sie wandten sich mit den Gebeten an die Gotter
in deren Bereich das betreffende Leiden gehOrte: bei Wunden
wohl an den Kriegs- und Schwertgott, in den Nothen der
Weiber an Frigg, im Xorden auch an Frevja und Menglod.
Urn Hilfe gegen bOse Dfcmonen ward der Doiwergott Thdrr
im Norden allgemein angerufen, dessen heiliges Zeichen, der
Hammer, als Amulet haufig getragen oder zum Schutz ein-
geritzt ward.
Bei den Deutschen schrieb man den elbischen Wesen
besonderen Einfluss auf die Gesundheit der Menschen und
Thiere zu; plotzliche Lahmungen namentlich wurden ihnen
zugemuthet. Sie konnten aber auch die Menschen heilen, und
noch unsere Heldensage kennt die wilden wip, die Wald- und
Wasserfrauen, als heilkundig. Von einem wilden wibe hatte
der alte Wate der Gudrunlieder seine arztliche Kenntniss ge-
lernt (Gudr. 529 — 531); ein Meerweib heilte den Held Abor
(Haupt, Z. V, 6 ff.), und Dietrich von Bern genas durch ein
wildez frOuwelin von seinen Wunden (Eckenl. Str. 172 if.).
Die ausseren Mittel , welche diese wilden Weiber nach den
genannten Gedichten dabei anwenden, sind Krauter in Ver-
bindung mit Badern und TJmschlagen, ausserdem Pflaster;-
und gleich den wilden kannten auch die hauslichen Frauen
dieselben. Dazu kamen die durch lange Erfahrung erlernten
Handgriffe bei Verrenkungen, Bruchen, Quetschungen. Man
legte sich im 14., 15. Jahrhundert Sammlungen von Segen-
formeln und Heilmittelrecepten handschriftlich an. Als Bei-
spiel sei auf die Wolfsthurner Handschrift (Tirol, 15. Jahr-
hundert) hingewiesen, deren hierher gehOriger Theil in der
Zeitschrift des Vereins fur Volkskunde 1, 172 f. 315 f. ge-
druckt ist.
Bei dem kriegerischen Leben unsers Alterthums ver-
steht es sich von selbst, dass die Behandlung der Wunden
sich durch reichliche Erfahrung fruh entwickeln musste. Bei
den Frauen, welche die Heere und V6lker begleiteten, fanden
die Verwundeten die nachste und beste Hilfe (German, c. 7)
138
durch Verband und Waschung der verletzten Glieder, Auf-
legung von'Krautern und Pflastern, Besprechung und Segen.
So blieb es auch in der Folgezeit. Zogen auch die Weiber
nicht mehr mit in das Feld, sie verstunden sich noch auf
Heilung der Wunden. Nach dem blutigen Kampfe am "Wasgen-
stein verbindet Hildgund die versttlmmelten Glieder der drei
uberlebenden Helden (Walthar. 1405). Die nordischen Sagas
erzahlen von mehr als einer Frau, welche die im Gefecht
oder im Holmgang verletzten verband und chirurgisch be-
handelte 1 ), und die ritterlichen Gedichte erwahnen sehr oft,
dass die vornehmsten Frauen, verheiratete und unverheiratete,
den wunden Bittern hilfreich waren durch Verband, Auflegen
von Krautern und Pflastern, Anwendung der Arzneien und
Wundsegen*). Daneben gab es gewerbsmassige Arztinnen
(Trist. 1275. Eracl. 2974) 8 ) und nattlrlich auch Arzte (fiber die
wir hier nicht zu handeln haben). Ausserdenr gehOrte es zu
den Eigenschaften eines voUkommenen Bitters, sich auf die
Behandlung der Wunden zu verstehn 4 ) durch Verband, Salben
und Wundsegen.
Dabei wurden auch edle Steine gebraucht, deren Be-
rdhrung oder Bestreichung das Mittelalter heilende Kraft zu-
schrieb 5 ). Im Norden kannte man einen Lebensstein, der Gift
und Entzundung aus den Wunden zog und den man deshalb
*) Weinhold, Altnord. Leben 389 f.
2 ) Die h. Hildegard (f 1179) sammelte in ihren Physicis allerlei
medicinischeKenntnisse. — Eilh.. Trist. 951. Gottfr. Trist. 7077. 9440.
Erek 5147. 7206. Iw. 5609 ff. 7776. Wilh. 99, 19. Krone 6721. 9539. g.
Frau 2681. Wigam. 5266. Roseng. C. 1996. — S. Palaye, Ritterwesen
(tibers. v. Kluber) 1, 189. Weinhold, Altnord. Leben 386-392.
8 ) Eine Augen&rztin zu Munchen, 1351 schon todt, Mon. boic.
XXXV. 2, 94.
*) Erek 4252 ff. Reinhart 1813 ff. Parz. 165, 5. 506, 5. 507, 2L
Krone 6648 flf. — Walewein 10157 und dazu Joncbloet in s» Ausg.
des Walew. II. 27 f.
5 ) Iwein 2953. Lanzel. 8525. f. Flore 1660. 2891. 4763. 6722.
Wigal. 796. Biter. 7047. Walew. 10157 flf. Volmers Steinbuch 133 ff.
229 flf. 259 ff. 407 flf. Die medicinische Behandlung geschah sprichwOrt-
Mch in verbis herbis et lapidibus.
160
bei sich trug, zuweilen in den Schwertgriff eingesetzt. Auch
den Belemniten und Echiniten schrieb man Heilkraft zu und
verstarkte dieselbe noch durch Runenritzung.
Unter den Heilmitteln innerer Krankheiten gedenken
wir des kalten Wassers. In der Translatio S. Alexandri wird
zum Jahre 851 erz&hlt, dass eine Friesin, Fanburg mit
Namen, welche an Krampf in alien Gliedern litt, von den
Frauen, die sie heilen wollten, beinahe eine ganze Stunde
in kaltes Wasser gesteckt ward. Die Folge war Verkrttm-
mung und L&hmung der Arme und Beine (Pertz, Monum.
2, 680). Die Wasserheilmethode muss aber durch das ganze
Mittelalter, das die Bader ja liebte, gedauert haben. Im Jahre
1344 nahm der Rath von Speier einen wazzerartzat als
Schutzgenossen auf.
Die heilkraftigen warmen und kalten Quellen scheinen
fruh gebraucht, und bei den Waldbrunnen namentlich zugleich
Einwirkung der Waldgeister geglaubt worden zu sein (Haupt,
Z. V, 6 £).
Die Behandlung einer wohlhabenden Fieberkranken im
14. Jahrhundert leraen wir aus der 48. Fabel Boners: Die
vom Riten (Schuttelfrost) heimgesuchte Abtissin wird fest
zugedeckt; sie lasst sich dann einen heissen Ziegelstein auf-
legen, die Ftisse mit Essig und Salz reiben, das Haupt mit
Rosenwasser laben, und als sie zu schwitzen beginnt, sich noch
mit einem Pelz ttbejrdecken. Sie geniesst dann ein Reismus
mit Mandelmilch angemacht, nimmt Zuckervioiat zur besseren
Verdauung und einen Granatapfel zur Anfrischung des Mundes.
Solche mit Zucker und Krautern angemachte S&ftchen waren
beliebt. Der Zuckerviolat, ebenso der Zuckerr6s&t ; den Megen-
berg erwahnt (344, 34), waren angenehme, heilsame Wurzen,
gleich anderen Syropeln.
Die weibliche Krankenpflege ward von der Kirche
wesentlich gefOrdert. Fromme Frauen erftillten eine christliche
Pflicht im Besuch und in der Wartung der Kranken und
Siechen. Die freie, regellose Vereinigung der Beginen, die von
den Niederlanden im 13. Jahrhundert ausging, stellte sich
ausser der Wollenweberei auch die Krankenpflege zur Auf-
160
gabe und erwarb sich dadurch viel Verdienste. Sie waren
im Volke durch ihren Fleiss und den unmittelbaren Verkehr
mit ihnen beliebt, der Kirche dagegen wegen ketzerischer
Neigungen zuweilen verdachtig. Der wahrend des Kostnitzer
Concils dichtende alemannische Verfasser von des Teufels
Netz spendet ihnen das hOchste Lob ob ihrer treuen Sorge
far Leib und Seele der Leidenden (5974 ff.) 1 ), wahrend er von
den arz&tinnen, den Weibern, die gegen Lohn mit ihren
Mittelchen und mit Segen und Beschwftrung heilen und bGssen,
nur tlbles zu sagen weiss. So lange es geht, tuond si gem
minnen, nachher verkuppeln sie Manner, Witwen, Jungfrauen
und Weiber (10292 ff.). Neben den Beginen haben die Tertia-
rerinnen, d. i. die Schwestera der dritten Kegel des heil. Franz
von Assisi, unter fester Ordenszucht in der Krankenpflege
seit dem 13. Jahrhundert gewirkt.
Ein wichtiger Theil der Erziehung, die Anleitung zu
den Haus- und Handarbeiten, war die natttrliche Sache
der Mutter oder an ihrer Statt der Meisterin. Spinnen, weben,
schneidern und sticken galten als nothwendige Fertigkeiten
des deutschen Weibes, sollte es auch dereinst eine Krone
tragen. Die vornehmsten Frauen stellten sich im Mittelalter
nicht ausserhalb des Hauswesens; die Kuche und die Nah-
stube waren ihnen wohlbekannte Raume, denn sie waren
sich alle bewusst, dass sie nicht zum Vergnugen und zum
Mussiggang da waren, sondern auch thatig sein und niitzen
sollten. Was frommt das Malen und Musiciren und Welschen
der modern erzogenen Madchen unserer Gesellschaft, wenn
das Haus ihnen fremd bleibt und sie dem Leben rathlos gegen-
tiberstehn, sobald es mit den gewOhnlichsten Forderungen
an sie herantritt?
J ) Bei ihrem offenen Verkehr mit den Einwohnern der Stadte
und ihrer grossen Zahl gab es auch manche von schlechter Fuhrung
unter ihnen. Nicolaus v. Bibra in seinem carmen satyr, v. 1605—1654
schildert die Beginae bonae und malae.
161
Wie heute in kleineren Haushaltungen die Mutter ihre
Tochter zu allem anlernt, was far das Leben nOthig ist und
sie darum zur Bereitung der Speisen anleitet, so war
es von jeher. In grOsseren Hausern, namentlich an den HOfen
der KOnige und der Grossen des Reiches, stund der Ktiche
ein Koch mit seinen Knechten und Buben als Ktichenmeister'
vor. Eine KOchin wird selten und erst spat erwahnt 1 ). Die
KOche erscheinen als komische Figuren in unseren Gedichten
und Schauspielen 2 ) wegen ihres weibischen Geschaftes, ihrer
Unsauberkeit und Zanksucht. Sammlungen von Recepten fur
kiinstlichere Speisen, sogenannte buechlin von guoter spise,
linden sich seit dem 14. Jahrhundert 8 ), werden aber erst
spater haufiger. Sie entstammen zum guten Theil KlOstern.
Wir werden spater bei Schilderung des geselligen Lebens
Speisezettel des 13. und 14. Jahrhunderts mittheilen.
Weit mehr Zeit als die Kiiche forderte die Bereitung
der Kleidung, denn im altdeutschen Hause ward nicht
bloss geschneidert und gestickt, sondern auch gesponnen und
gewebt.
Wir ktinnen freilich auch eine weit altere Zeit er-
schliessen, in der das Spinnen und Weben noch nicht er-
funden war, die Zeit, in welcher nur Thierfelle und allerlei,
was die Pflanzenwelt geeignetes bot, zur Bekleidung diente.
Die Menschen der alteren Steinzeit kannten, wie die Funde
in den RenthierhOhlen beweisen, schon Kochgeschirr von
Thon und rohe Knochennadeln, mit denen sie die Felle der
wilden Thiere zu ihrer Bekleidung zusammennahten , und
2 ) Vgl. die Nachweisungen bei Lexer, Mhd. Wb. I, 1659. 1661
Ahd. kommt kochinne noch nicht vor.
2 ) Meine Bemerkungen in dem Jahrb. fiir Litteraturgeschichte
von Gosche I, 26 f.
3 ) Das alteste bekannte findet sich in einer Wurzburger
Handschr. des 14. Jahrh., herausgeg. als Buch von guter Speise,
Stuttg. 1844, vgl. ferner das Tegernseer Kochbtichlein aus dem
15. Jahrh. in Pfeiffers Germ. IX, 192 ff., ein alemannisches Buchlein
von guter Speise herausgeg. von A. Birlinger in den Miinchener
Sitzungsber. 1865. November, und die Nachweisungen ebd. S. 172 ff.,
ein wurtembergisches herausgeg. v. W. Wackernagel in Haupts
Z. IX, 365 ff.
Wei nb old, Deutsche Frauen. I. *
162
vielleicht auch Stttcke von Lindenbast, feste Baumschwamme,
die weich geklopft wurden, auch wohl Birkenrinden, durch
Thiersehnen und Pflanzenfasem mit der Nadel verbanden.
In der jtingeren Steinzeit, mit der die jetzige Menschenperiode
zusammenhangt, sind diese Fertigkeiten sicher schon gedbt
worden. In ihr ist aber ausser dem durch die Finger bewirkten
flechten von Faden auch bereits die Webekunst bekannt
gewesen, wie die Funde der schweizerischen PfahldOrfer gelehrt
haben, die mehrere tausend Jahre vor Christus zurttckreichen
und wahrscheinlich von keltischen Stammen herrtlhren. Hier
hat man schon gesponnen und gewoben. Es sind also Faden
von den Fasern einer Flachsart mittelst Spindel und Wirtel
gedreht und diese Faden auf einem Webstuhl mit Schiffchen
und G-ewichtsteinen zum Gewebe verarbeitet worden. In der
Bronzezeit ist man noch weiter gelangt. Auch die Schafwolle
und die Haare von Hirschen und anderemWild wurden ver-
sponnen und verwebt. Dabei wurden Thierhaare, die Wolle
und die Pflanzenfasem auch miteinander gemischt versponnen
und dieses Garn dann zum Gewebe verarbeitet. Sehr lehr-
reich sind in dieser Hinsicht die Kleiderreste, die man in
den schleswigschen und jutischen Baumsargen der . alteren
Bronzezeit gefunden hat, und die blondhaarigen, stattlichen,
unverbrannten Leichen, von jedenfalls germanischem Typus
angehOrten. Sie fiihren bis in das dritte Jahrtausend vor
Christus hinauf. Die Webekunst muss schon damals recht .
weit gediehen sein. Im Kieler Museum ist an den Stoffresten
beobachtet worden, dass die Faden der Kette nach anderer
Richtung gedreht sind als die des Einschlags, wodurch. ein
recht haltbares Zeug entstund. In der jttngeren Bronzezeit
(letztes Jahrtausend vor Christus) wurde in das Wollgewebe
auch feiner Bronzedraht eingewirkt oder aufgenaht; auch
Goldfaden haben sich in den Grabern von BornhOved in Hol-
stein im G-ewebe gefunden 1 ).
2 ) Julie Mestorf in der Zeitschr. d. Gesellsch. f. Schlesw.-
Holst. Lauenb. Gesch. V, 195—204. Mittheilungen des Anthropolog.
Vereins f. Schlesw. Holstein IV, 11. VII, 10. Vierzigster Ber. des
Kielei Museums, Kiel 1894, S. 6.
163
Diese antiquarischen Beobachtungen erg£nzen in sehr
willkommener Weise die historischen Notizen, die uns die
ROmer fiber die sudgermanischen Gewandstoffe geben. Pom-
ponius Mela, der Geograph aus der ersten Haifte unseres
1. Jahrhunderts, lasst die Germanen mit kurzen Wollen-
m&nteln (sagis) oder einem Gewand aus Baumbast bekleidet
sein. Valer. Flaccus 6, 97 lasst die Bastaraen sich mit Baum-
bast bedecken. Strabo VII, 2, 3. berichtet von den Umhtagen
der kimbrischen Priesterinnen aus feinem Linnen, und Plinius
(h. n. 19, 2) sowie Tacitus (Genn. 17) wissen von der
Weberei der Deutschen und ihrer Vorliebe fur Leinwand-
bekleidung. Bei den Goten waren die Linnenkleider im 4. Jahr-
hundert so allgemein, dass sie die Habsucht der Byzantiner
reizten (Eunap. c. 6). Bei alien germanischen VOlkern finden
wir in der n&chsten Zeit die Leinwand mit Vorliebe fttr die
Bekleidung verwandt.
Das Zeichen des deutschen Mannes war das Schwert,
das Sinnbild der Frau die Kunkel 1 ); Schwertmagen hiessen
die Verwandten vaterlicher Seite, Spindelmagen die der Mutter.
Nornen wie Schwanjungfrauen und Riesinnen drehten nach
der Mythe feine Faden aus kOstlichem Flachs. Die KOnigin
Berta, Karls d. Gr. sagenhafte Mutter, ward als Spinnerin
noch in spater Zeit gefeiert und Karl selbst hielt, wie uns
sein Biograph Einhard (c. 19) erzahlt, darauf, dass seine TOchter
ihre mtlssigen Stunden mit Wolleweben und bei Spindel und
Rocken verbrachten. tlber dem Grabe der Herzogin Liutgart
von Lothringen und Franken, einer Tochter K6nig Ottos I.,
das bei St. Alban in Mainz lag, ward eine silberne Spindel
aufgehangt (Thietmar. chr. II. 42) 2 ). Spindel und Rocken
blieben bis zum Anfange unsers Jahrhunderts das alte schOne
2 ) J. Grimm, Rechtsalterthiimer 163. 171. Akerman, On the
distaff and the spindle as the insignia of the female sexe in former
times: Archaeologia 1857. 1, 83 ff.
2 ) Die h. Elisabeth von Thtiringen spann mit ihren Frauen
Wolle fur die Minoritenkutten und ernahrte sich sogar nach der
Legende in ihrer freiwilligen Armuth von Wollespinnen. (Ged. von
d. h. Elisabeth 2341. 6986.)
11*
164
Zeichen der deutschen Frau. Sie haben sich auch in manchen
Landschaften ebenso lange in wirklichem Brauche unter dem
Landvolke erhalten und sich durch das Spinnrad, das 1520 von
dem Braunschweiger Jttrgens erfunden sein soil, nicht ganz
verdr&ngen lassen 1 ). In dem ganzen bauerlichen Leben nahm
bis in die Gegenwart das abendliche Spinnen der Hausfrau
mit dem Gesinde eine wichtige Stelle ein. Der Leinen- und
Wollenzeugvorrath des Hauses und Hofes wurde hier be-
schafft, bis die Fabriken durch billige Herstellung der Stoffe
diese Hausweberei des Landmanns vernichteten. Die Rocken-
stuben 2 ), deren Name zuerst in einem Fastnachtspiel des
15. Jahrhunderts (Keller, Fastn. 386, 27) genannt wird, sind
damit auch eingegangen, grade nicht zum Schaden fttr die
Sittlichkeit der bauerlichen Jugend, aber zu bedauern, weit
damit ein Schatz an alten Volksiiberlieferungen zu Grunde
gegangen ist, uber die Fischart im Bienenkorb als ilber rocken-
stubnerisch Evangelium spottete.
In den Herren- und FrohnhOfen des Mittelalters finden
wir diese Verhaltnisse im selben Grundzuge, aber erweitert.
Den zu befriedigenden Anspriichen gemass ward hier die
Zeugfertigung ins grosse getrieben; die vielen unfreien Magde
und TOchter der Ministerialen und HOrigen, welche auf be-
stimmte Zeit am Herrenhofe frohnen mussten 8 ), wurden in
dem Frauenhause (screona, gynaeceum, genitium, genicium,
genez) und dem Werkgadem 4 ) wesentlich mit Spinnen,
"Weben und der Anfertigung der Kleider, Wasche und anderer
2 ) Eine geschichtliche "Qbersicht der Spinngerathe gibt das
Werk von H. v. Rettich, Spinnradtypen. Eine Samrnlung von Spinn-
gerathen. Mit 144 Abbildungen. Herausgegeben vom k. k. Ackerbau-
Ministerium. Wien 1895.
2 ) K. A. Barack in der Zeitschr. fur deutsche Culturgesch. IV,
36 f. (1859).
3 ) G. L. v. Maurer, Geschichte der FrohnhOfe I, 115. 135. 241 f.,
394 f., II, 387 f., Ill, 325.
4 ) Ein eigenthtimliches wercgadem, worin dreihundert Madchen
arbeiten, ist Iwein 6186—6406 geschildert. Diese als Kriegszins hin-
eingegebenen Frauen arbeiten auf den Verkauf und erhalten von
dem Pftinde Gewinn 4 Pfennige zu ihrem dtirftigen Unterhalte.
165
Nahtereien ftir die Wirthschaft beschaftigt. Den Stoff aber
gaben nicht bloss die Schafschuren und Flachsernten der
eigenen Gater, spndern auch die Abgaben und Lieferungen,
welche von den Unfreien und Zinsleuten an den Hof jahrlich
gegeben werden mussten. Karl d. Gr. ordnete fur seine Meier-
und MusterhOfe im Capitulare de villis regiis c. 43 an, dass
zu bestimmten Zeiten an die Werkstatten (genitia) *) Flachs,
Wolle, Waid, Scharlach, Wollkamme, Karden geliefert wurden,
woraus und womit dann die Magde und Frohnarbeiterinnen
Leinwand, Wollenzeug und Kleider zu machen hatten. An
alien grossen und kleineren HOfen, ebe'nso bei den reicheren
KlOstern war es so, und nur durch diese Menge dienstbereiter
und gettbter Frauenhande erklart es sich, dass zu den grossen
Festen des eigenen und der fremden Hauser oft sehr raseh
die erforderlichen Kleider gefertigt werden konnten, welche
fur den Anzug der fiirstlichen Personen und ihrer Umgebung
sowohl, als far die Geschenke 2 ) an die Gaste und die Gehren-
den gebraucht wurden.. Die Gewandkammern wurden dann
stark in Anspruch genommen. Bei Stiftungen von grossen
Kirchen oder KlOstern zeichneten sich vornehme Frauen
nicht selten aus, indem sie die ganze Ausstattung an Linnen-,
Wolle- und Seidenarbeiten tibernahmen und selbst mit den
eigenen Madchen oder auch durch Dienstleistung der Frauen
und TOchter der Ministerialen und Zinsleute herstellten.
Die Tracht war bis in das 14. Jahrhundert bei Mannern
und Frauen einfach genug, so dass weibliches Geschick leicht
damit fertig werden konnte. Das zuschneiden (sriiden), wie
das Zusammennahen (naejen) musste jedes tUchtige Weib
verstehn. Die Chroniken selbst berichten von vornehmen
Frauen, die durch ihre Schneiderkunst weitbertlhmt waren,
so im 11. Jahrhundert von Mathilde, der Sch wester des Bi-
J ) Die Frohnarbeiterinnen in diesen Frauenwerkstatten hiessen
lateinisch feminae geneciae (genitiae), geneciariae, gadales (von gadem),
ancillae pensiles, pensilariae.
2 ) t)ber die mittelalterliche Sitte, fertige oder auch getrag^ne
Kleider als Geschenke zu geben, Zappert in den Wiener Sitzungsber
XIII, 127-130.
166
schofs Burkard von Worms (t 1025), und von Adela 1 ), der
Gemahlin des Grafen Balderich von Geldern. Die Witwe KOnig
Heinrichs III., Agnes von Poitiers, arbeitete, als sie sich in
das Kloster zurtlckgezogen hatte, dort Tag und Nacht mit
eigener Hand Kleider fur die Armen 2 ). Auch die Gedichte
der hOfischen Zeit erw&hnen, dass Ftirstinnen die Gewander,
welche von ihren Madchen genaht wurden, selbst zuschnitten
und die Arbeit leiteten 8 ). Von Gutta, der Gemahlin KOnig
Wenzels IV. von BOhmen, Tochter Rudolfs von Habsburg,
berichtet die KOniginhofer Chronik, dass sie ihre Hoffraulein
nicht mtlssig gehn liess, sondern sie im Weben, Spinnen und
Nahen unterrichtete.
Eine feine, saubere Naht gait natOrlich schon damals
viel; besonderes Lob war, dass man sie gar nicht bemerkte
(Herbort 8475).
Was die Nadeln betrifft (n&dala, mhd. nadele, n&lde,
got. n§|>16, die Naherin), so haben wir fruher der groben
Knochennadeln der Steinzeit erwahnt. In dem Bronzealter
sind die Nadeln von Erz und haben gewOhnlich das Ohr in
der Mitte. Sie haben sich haufig in Frauengrabera jener
Periode gefunden und staken stets in einer Hulse von Holz
oder Bronze. Im alteren Eisenalter kommen neben den bron-
zenen eiserne Nahnadeln auf ; das Ohr ist nun in den Kopf
verlegt. Die Hulse bleibt zunachst noch von Erz. Spater kamen
auch beinerne Nadelbuchsen (n^delbein MSH. H, 279 b ) in
Brauch. Die Frauen tnigen sie gleich den SchlQsseln immer
bei sich, und auch in das Grab nahmen sie sie mit, wie wir
vorhin erwahnt haben.
Manche Nahte, besonders die an den Saumen. und in
denEcken der Kleider, wurden mit Borten besetzt 4 ), die zur
J ) Vita Burchard. episc. bei Pertz, Monum. VI, 837. Alpert. de
diversit. tempor. I, 2. (Pertz, Mon. VI.)
2 ) Bernold. annal. ad a. 1077 bei Pertz VII, 303.
3) z . b. Nibel. 353, 4. Parz. 127, 1, Wilh. 63, 4. Weinhold,
Altnord. Leben 322.
4 ) Borte, mit Bord, der Rand verwandt, bezeichnet an sich
Rand, Einfassung (mhd. borte; ahd. borto), Saum, Besatz. — Ein
porte ob iegelicher nat, Servat. 492.
167
Verzierung der Gewander, sowie der Kopfbedeckungen im
Mittelalter viel verwendet wurden.
Das Wirken dieserseidenen, mitGoldfaden durchzogenen *)
Bander an der Rahme (g. Frau 1945. Mart. 22, 19) gehOrte
zu den Kunstfertigkeiten der Frauen; in Skandinavien war
borda skogul eine dichterische Bezeichnung des Madchens.
Die Werkzeuge zum Bortenwirken (briden, slahen, dringen)
waren die drihe und die spelte ; dann kam auch . die Nadel
in Anwendung, besonders um die edeln Steine zu festigen,
welche zur ErhOhung der Pracht noch auf die Borten gesetzt
wurden 2 ), ebenso wie auf die Kleider von edlem Stoffe, von
Seide oder Sammt.
Mit der Nadel stickten ferner die Frauen; sie nahten
also mit leinenen, seidenen und goldenen Faden allerlei Ver-
zierungen und Bilder auf Gewandstticke und Tapeten. Die
Rahme diente auch hier zum Aufspannen der Stoffe. Die
kirchlichen Gewander 8 ) verpflanzten die rOmisch-byzantinische
Stickkunst in das Mittelalter; in den KlOstern befanden sich
die Stickschulen und geistliche Frauen waren die Lehrerinnen
der weiblichen Jugend in ktinstlichen Handarbeiten, wie das
bis in die Gegenwart in katholischen Landern noch haufig
ist. Die Klausnerin Liutbirg (t um 870) hatte durch ihre
Fertigkeiten weiten Ruf und gait nach den Worten ihres
Biographen (Pertz, Mon. IV, 160. 163 f.) far eine Daedala.
Ansgar schickte junge Madchen zu ihr, damit sie dieselben
im Psalter und in ktinstlichen Arbeiten unterweise. In ahn-
licher Schule war die KOnigin Gisela von Ungarn, Gemahlin
des h. Stephans I. und Schwester Kaiser Heinrichs II., ge-
wesen, die nach einer noch vorhandenen gemalten Casula
*) weben, naegen, spinnen, siden mit golde zinnen, Walth.
v. Rheinau 23, 16.
2 ) Nib. 31. 32. 349. Gudr. 1379. Wilh. 60, 4. Gesammtabent.
XX, 147. 281. — Ein besonders verzierter Borte war das Bracken-
seil, das Titur. 137—143 beschrieben wird.
3 ) Fr. Bock, Geschichte der liturgischen Gewander, I, 125 ff.
E. Dummler bei Haupt, Z. XIV, 264 f.
168
von feinem Byssus ein prachtiges Messgewand stickte, das
spater als ungarischer KrOnungsmantel gedient hat 1 ).
Eine bayrische entsprungene Nonne, die sich von Lohn-
stickerei n&hrte, hatte, so- sagt der Dichter, jene schOne
Haube des Meiersohns Helmbrecht genaht, die uns in dem
anziehenden Gedicht Wernhers des Gartners (Mitte des 13.
Jahrhunderts) beschrieben wird 2 ). Sie erhielt daftir ein ganzes
Rind und ausserdem Eier und Kase. In der Mitte zog sich
ein Streif hin, der mit VOgeln bestickt war; auf der rechten
Halfte sah man die Belagerung und ZerstOrung Trojas sammt
Eneas Flucht; auf der linken die Thaten KOnig Karls und
seiner Gesellen Ruland, Turpin und Oliver. Zwischen den
Ohren stund die Rabenschlacht, in der Witege Helches beide
SOhne erschlug; dazu war von einem Ohr zum andern mit
glanzender Seide ein Tanz genaht: zwischen je zwei Frauen
trat ein Ritter und die Fiedler spielten dazu. Alles das befand
sich auf der Haube und man weiss nicht, soil man die Stickerei
oder den grossen Schadel des jungen Helmbrecht mehr be-
wundern, auf dem alte und neue Geschichte und VOgel und
Tanze Platz hatten.
Bilder aus der Heldensage, die ilberhaupt fur die Kiinste
des Mittelalters Motive gab 8 ), stickten auch die nordischen
Frauen auf Decken und Wandumhange. Eine solche Tapete
arbeitete nach dem zweiten Gudrunliede Gudrun (Krimhilt),
als sie nach Sigurds (Siegfrieds) Ermordung sieben Halbjahre
3 ) Mittheil. der k. k. Central-Commission II, 146. — Der unter
den deutschen Rronungskleinodien in der Wiener k. k. Schatzkammer
verwahrte Mantel (pallium) ist 1163 in arabischer Werkstatt fur den
KOnig Robert Guiskard verfertigt worden. Er hat reichste Gold-
und Perlenstickerei und ist mit Filigran-, Emaille- und Niellostiicken
verziert.
2 ) Meier Helmbr. 33-103. 109 ff. Eine mit. VOgeln bestickte
Haube eines Bauern Neith. 86, 7. Hirsche und Hunde auf der mit
Borten besetzten Haube, Wolfdiet. B. 24. Die goldnen und silbernen
Hauben waren Prachtstticke der vornehmeren Manner bis in das
16. Jahrh.; die Luxusordnungen ergingen auch gegen sie.
3 ) Siegfriedbilder beschrieben und erklart von C. Save, iiber-
setzt und mit Nachtragen verseheu von Julie Mestorf, Hamburg 1870.
109
in Danemark bei Hakons Tochter Thora verweilte, zusammen
mit dieser. Sie stellten die deutschen Sale und die danischen
Manner dar, und bildeten die roten Schilde der frankischen
Recken und das behelmte schwertgegilrtete Volk ab, das den
Geliebten umgab. Sie griffen in die Geschichte der Vorfahren
Siegfrieds und stickten Siegmunds Schiffe, wie sie vergoldet
und mit Schnitzwerk geschmtlckt vom Strande fuhren und
wie sich Siggeir und Sigar sadwarts in Fuhnen schlugen.
Unter den Schatzen, die Grimhild ihr zur Suhne fur Sigurd
bietet, sind auch hunische (frankische) Madchen, welche
ktinstlich zu weben verstehn und mit Gold zu sticken (Gud-
runarqu. H, 14—16. 26). Auch Brilnhild wird in der Vol-
sungasaga c. 24 in Mitten ihrer Jungfrauen als kunstfertige
Stickerin geschildert: sie naht mit Goldfaden am Rahmen,
wie Sigurdr den Drachen schlug, darauf den Schatz erwarb
und den Regin totete.
Die deutschen und die englischen Frauen waren im Aus-
and wegen ihrer Kunstfertigkeit berahmt und ihre Manner
wurden wegen der kunstreich gestickten Kleider oft be-
wundert. Ein bedeutender Rest solcher alten Stickereien nor-
mannischer Frauen ist in einer leinenen Tapete erhalten,
welche 63 Meter lang und 46 Centimeter breit in der Kathe-
drale von Bayeux bis 1870 aufbewahrt ward und in 72 Bil-
dern ; die 530 Figuren mit vielen Inschriften enthalten, den
Sieg Wilhelms II. von der Normandie ilber den Grafen Harald
von Kent in der Schlacht bei Hastings darstellt. Sie soil von
der Gemahlin Wilhelms des Eroberers, Mathilde (t 1084), her-
ruhren, nach andern von Mathilde, der Tochter Heinrichs I.
von England, der Mutter Heinrichs II. '). Man sieht, wie gross-
artig diese Arbeiten betrieben wurden und wie sie zugleich
2 ) Die Abbildung eines Theiles der Stickerei gab Lancelot im
6. Bande der Memoires de l'academie des in script, et bell, lettres
(1724), das ganze im 8. Bande; dann bei Montfaucon, Hist, de la
monarchie frang. par les monumens. I. II. 1730; eine Nachbildung
im kleinen bei d'Agincourt, Hist, de Tart par les monum. Taf. 167.
Ygl. A. Jubinal, Tapisserie de Bayeux. — Labarte, Arts industriels IV.
349. — The Bayeux-Tapestry reproduced in autotype-plates with
historic notes by Fr. Rede Fowke. London, Arundel Society 1875.
170
eine nicht geringe Bedeutung hatten. Sie dienten den Frauen
zur Verherrlichung ihres Geschlechtes und Volkes oder stellten
einen Gegenstand dar, welcher im Geiste der Zeit Anklang
fand, wie die Erinnerungen an Karl und seine Paladine und
an die antiken Sagenstoffe. Diese Arbeiten hatten also eine
hOhere Bedeutung, die in den neueren Damenstickereien ver-
gebens gesucht wird.
Sehr lebendig tritt diese Frauenarbeit, die ebenso zum
Schmuck der Wandbehange als der Tafeltucher und kleinerer
TQcher und GewandstQcke diente, in dem Gedicht Wolf-
dieterich vor Augen. Der junge Held Hugdieterich weiss nicht
anders zu der in einem Thurme von ilirem Vater gegen die
Bewerber verschlossenen schOnen Hildburg von Salnecke zu
gelangen, als durch Verkleidung in ein kunstreiches vornehmes
Weib. Deshalb lernt er nahen, spinnen und an der Rahme
sticken, und lehrt dann wieder zum Beweis seiner weiblichen
Art und Kunst zwei Jungfrauen der KOnigin Liebgart von
Salnecke ein schOnes' breites Tischtuch sticken, worauf allerlei
VOgel und mancherlei wilde jagdbare Thiere im Walde mit
Gold gebildet waren. Fur den KOnig selbst stickt er mit
gesponnenem Golde eine reiche Haube, die mit breiten und
schmalen Borten eingefasst ist 1 ).
Von solchen Stickereien hat sich manches erhalten und
wird in den Sammlungen jetzt hoch geschatzt und zu Muster-
stucken far die Gegenwart benutzt. Die mit Leinen- oder
Wollfaden, mit Seide, mit Gold und Silber auf Linnenstoff
eingestickten Darstellungen sind auf grOsseren Sttlcken, wie
Tafellaken und Wandteppichen , mit Vorliebe beliebten Ro-
manen und Novellen des Mittelalters entnommen 2 ), oder geben
!) Wolfdieter, B. 22—24. 60—67.
2 ) Vgl. u. a. den 'Wienhauser Wandteppich aus dem Anfange
des 14. Jahrh. mit niederdeutschen Spriichen, bei Mithof, Archiv f.
Niedersachsens Kunstgesch. II. Taf. 6, und das Erfurter Tafeltuch
aus der 2. Halfte des 14. Jahrh., mit Wolle im Plattstich gestickt,
mitteldeutsche Spruche, Anzeiger f. K. deutsch. Vorz. 1866. Sp. 15 ff.;
beide mit einer Scenenreihe aus dem Tristanroman. Auf einem
Regensburger Wandteppich des 14. Jahrh. sind 24 Medaillons mit
Scenen aus Romanen gestiokt, German. XVIII, 276.
171
VOgel und Jagdthiere wieder mit dem siylisirten Laub-
ornament, welches Baume und Blumen darstellen soil. Die
Kirchenparamente sind mit symbolischen Figuren, mit bibli-
schen und legendaren Gestalten und stylisirtem Laubwerk
reich verziert. Auch hier zeichnen sich die Linnenstickereien
durch die Wirkung der einfachen Mittel oft sehr aus. Ich
will nur auf eine Pultdecke des 14. Jahrhunderts im Ger-
manischen Museum in Nurnberg aufmerksam . machen (Mit-
theilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum I, Taf. 17).
Auch die Kleider wurden mit Stickereien verziert.
In einem Grabhtigel, dem BierringhOi im Kirchspiel Mammen
bei Wiborg in Jtttland, welcher der letzten heidnischen Zeit
angeliOrt 1 ), fanden sich Reste eines Mantels Oder tTberkleides
von ziemlich feinem wollenem Stoff, bestickt mit Blatt-
ornamenten, mit MenschenkOpfen, die durch Hande verbunden
werden, mit LOwen oder Leoparden, die durch einen kandelaber-
ahnlichen Gegenstand getrennt werden, alles sehr geschickt
mit Wollengarn ausgef&hrt. Auch ein paar Zieraten von
Goldblech fanden sich, welche das Gewand geschmttckt haben
mochten, ferner Wollen- und Seidenstiicke mit eingewebtem
Golddraht; namentlich verdienen eine Art Manschette und
zwei Stacke eines Seidengtirtels die hOchste Beachtung.
Auch die ritterlichen WappenrOcke, sowie die Decken
tlber die Streitrosse (covertiure) gaben zur Anbringung bild-
licher Darstellungen durch Stickerei und Weberei viel Gelegen-
heit. Ausser dem Wappenbilde, womit sie gerne bestreut
waren, liebte man allerlei bildliche Darstellungen, namentlich
Thiere und Blumen 2 ) darauf anzubringen. Zuweilen ward
2 ) Der Fund ist von Worsaae beschrieben in den AarbOger
for nordisk Oldkyndighed 1869, S. 203-218, dazu die Abbild. namentl.
auf Taf. 4. 5. 6.
2 ) Engelhart 2535 ff. — Die Bilder Hartmanns v. Aue in der
"Weingartner und Manessischen Liederhs., Albrechts v. Heigerloh,
"Walthers v. Klingen, Heinrichs v. Rugge, Hiltbolts v. Schwangau,
Walthers v. Metz. — „undersniten waehe mit vil fremder spaehe"
(Erek 10026) konnte man von Wappenrock, Covertiure und Banier
oft sagen.
172
das Wappenschild von anderem Zeug ausgeschnitten und auf
Rock und Decke genaht (Parz. 14, 17. Wigal. 3893). Seit dem
13. Jahrhundert wurden auch Buchstaben, theils einzelne,
theils zu SprQchen verbundene, auf die Kleider, den Gtlrtel
und das Reitzeug gestickt oder gewoben 1 ). Ende des 15. und
anfangs des 16. Jahrhunderts stickte man auch ganze Lieder
samt der notierten Melodie schwarz auf weisse Linnen-
tttcher. In der burgundischen Bibliothek zu Brussel liegen
vier solche Tacher in dem Liederbuche, welches der Herzogin
Margarethe von Parma, der Tante Kaiser Karls V., gehOrt
hat; ein jedes enthalt eine Strophe des Liedes „Mag ich dem
gluck nit danken vil af ).
Wie heute gab es Vorzeichner (bildaere) fur die Sticke-
rinnen, da nicht jede im Stande war, die Zeichnungen auf
die Stoffe sich selbst zu entwerfen (Helbling 8, 208 f.).
Die iiblichste Art des Stickens war der Kreuzstich;
erst in der letzten Zeit unserer Periode kam der Plattstich
auf. Die Goldfaden wurden mit Uberfangstichen festgenaht.
Noch spater ist der Drellstich angewandt.
Noch im 16. Jahrhunderte dauerte die alte Stickerei
auf Leinen- oder auch auf Handgeweben mit verschieden-
farbigen Faden von Leinen-, Woll- und Seidengarn, mit ge-
sponnenem Gold und Silber fort 8 ) und auch die Stylisirung
der Zeichnung erinnert meist noch an das Mittelalter.
2 ) Engelh. 2553. Troj. Kr. 20126. anon. Leobiens. bei Pez scr.
rer. austr. I. 947. Die Deutung einzelner Buchstaben, wie sie inn
14. Jahrh. Sitte wurden, gibt das Gedicht n. 77 in Lassbergs Liedersal.
Vgl. das Bild Herzog Heinrichs v. Breslau und des Schenken von
Limpurg in der Manessischen Liederhandschr.
2 ) Mone, Anzeiger VI, 422.
8 ) Olafsen und Povelsen, Reise durch Island, S. 99 (Kopen-
hagen 1774), wird erzahlt, dass die vornehmen Islanderinnen Tticher,
die zu verschiedenen Zwecken verwandt wurden, mit Thieren, YOgeln,
Blumen und allerlei Figuren in verschiedenen Farben ausnahten.
Auch in Schleswig-Holstein und Jutland erhielt sich diese Stickerei
lange. Beweise dafur enthalt u. a. das Thaulowmuseum in Kiel und
das Hamburger Gewerbemuseum.
173
Neben dieser Handstickerei kamen die gewebten Urn-
hange (Wandteppiche), Tisch- und Handtucher mit Ornamenten
und Figuren mehr und mehr in Brauch, die spater in den
flandrisch-burgundischen Gobelins, namentlich denen von Arras,
zur hohen Kunstblute gediehen. Die Kirche war auch hier
die Vermittlerin der rOmischen teppichartigen Tucher gewesen,
die zum Abschlusse der einzelnen Hausraume dienten. Durch
die Kreuzziige hatten die abendlandischen Krieger die morgen-
landischen Teppiche kennen gelernt; auch die spanischen
Araber mit ihren Webereien lieferten treffliche Muster. Das
reicher sich ausstattende mittelalterliche Haus brauchte die
grossen Gewebe, um bei festlichen G-elegenheiten die nicht
immer bemalten W&nde der Sale bunt und anmuthig zu
bekleiden. Unsere Gedichte des 12. und 13. Jahrhunderts
erzahlen an vielen Stellen von den umbehengen und rucke-
lachen, von Seide und Gold durchzogen, wenn sie besonders
kostbar sein sollten, die durch Ringe an Stangen befestigt
und verschiebbar von der HOhe des Saales oder der Palas-
zimmer, zuweilen auch, wie es scheint, aussen am Palas
lierabhingen 1 ). Bilder aus beliebten Erzahlungen wurden am
liebsten darauf gesehen. So konnte ein rheinpfaizischer
Dichter vom Ende des 12. Jahrhunderts, Blicker von Steinach,
dessen Gottfried von Strassburg als eines noch lebenden
ruhmend gedenkt, die Schilderung eines Umhanges zur Ein-
kleidung seines Gedichtes nehmen, worin er eine Reihe Liebes-
novellen des griechischen Alterthums vortrug*). In Frankreich
sind aus dem zwolften und den folgenden Jahrhunderten eine
Anzahl von Wandbehangen mit ahnlichen DarsteJlungen er-
J ) Vgl. die Stellen in Benecke-Mullers Mittelhochd. Wb. I
612 und in Lexers Mhd. Wb. II, 1731; namentl. die Beschreibung
eines umbehanc Alexand. 5949 ff.
2 ) Das Gedicht ist leider verloren. Frz. Pfeiffer, Zur deutschen
Litteraturgeschichte 1—18, glaubte allerdings in einem Fragment
(Mone, Anzeig. IV, 314—321) einen Rest des Umhangs zu erkennen,
allein die Annahme ist durchaus nicht sicher, vgl. Joh. Schmidt in
Paul und Braunes Beitr. Ill, 173—181.
174
halten '), und auch in Deutschland fehlte es ; wenigstens vom
12. und 13. Jahrhundert ab, nicht an bilderreichen Urn-
hangen, welche durch die eingewebten deutschen Inschriften
ihren deutschen Ursprung bezeugen. Mit entschiedener Vor.
liebe wurde weltliches Leben darauf dargestellt: Scenen der
geselligen Unterhaltung, Bilder aus Romanen und aus volks-
thtimlicher Sage. Einer der altesten erhaltenen, nach meinem
Wissen, ist ein' jetzt auf der Wartburg befindlicher Wand-
teppich, in horizontal liegender Kette gewebt, mit nach-
helfendem Kettenstich, der die Belagerung einer von Wilden-
mannern vertheidigten Burg durch ein anderes Wildmannlein-
heer darstellt; die Lanzen und Pfeile gehn in Rosen oder
Lilien aus, die Zeichnung ist lebendig und reich 2 ). Der Styl
ist frtlhgotisch.
Das germanische Museum in Nurnberg besitzt einen
gewirkten Wandteppich aus dem Ende des 14. Jahrhunderts,
welcher auf einem reichen Hintergrunde von Architektur und
Landschaft ein sehr bewegtes Bild aus dem Gesellschafts-
leben der hOheren Stande gibt 8 ). In dem 15. Jahrhundert
blieben diese Darstellungen beliebt *). Der Gebrauch der Wand-
teppiche hat sich in das 16. und 17. Jahrhundert fortgepflanzt.
An der Teppichweberei oder -Wirkerei waren die
Frauen in Deutschland auch betheiligt. In den Steuerregistern
von Basel werden 1453 und 1454 gewerbsmassige heidensch
werkerinnen aufgeftihrt. Auf einem Teppiche des 16. Jahr-
hunderts im Milnchener Nationalmuseum, die Anbetung der
h. drei KOnige darstellend, sieht man eine Nonne an einem
Teppich weben. In Paris aber waren die Weiber im 13. und
14. Jahrhundert von der Teppichwirkerei ausgeschlossen. Die
Statuten der tappessiers de tapis sarazinois bestimmen, dass
*) Fr. Michel, Recherches sur le commerce, la fabrication et
l'usage des etoffes de soie, d'or et d'argent et autres tissus precieux.
Paris 1852-1854. II. 383 ff. 397. 407 flf. 480 f .
2 ) Anzeiger f. K. d. Vorzeit 1870, Sp. 92 flf. mit Abbildung.
*) Anzeiger f. K. d. V. 1857, Sp. 325, mit Abbildung.
*) Ebd. 1855, Sp. 316 f. 1869, Sp. 260 f. Heyne, Fuhrer durch
die mittelalterliche Sammlung in Basel, S. 20 f.
175
wegen der Schwere und Gefahrlichkeit des Handwerks Frauen
nicht darin arbeiten dttrfen 1 ); es wird dabei auf das her-
richten und auseinandernehmen des Webstuhles Bezug ge-
nommen.
An dem geschlossenen Handwerke 2 ) tlberhaupt sind in
Deutschland Madchen und Frauen seit dem 13. Jahrhundert
mehr Oder minder betheiligt gewesen. Das Augsburger Stadt-
recht von 1276 spricht von Lehrmadchen im Handwerk im
allgemeinen mit Bezug auf Streitigkeiten fiber den Lohn,
und diese Bestimmung kehrt fast formelhaffc noch in Stadt-
rechten des 16. und 17. Jahrhunderts wieder 8 ).
In den Ordnungen der einzelnen Handwerke und den
Zunftbtlchern des 14. und 15. Jahrhunderts wird ferner haufig
erwahnt, dass jeder Meister seine Frau und Tochter, zuweilen
auch seine Magd zur Hilfe bei der Arbeit nehmen kOnne.
Einzelne Gewerke schlossen diese Befugniss aber aus, so die
Tuchscherer imd Hutmacher zu KOln im 14. Jahrhundert.
Die Ltlbecker Schneiderrolle von 1370 verbot dem Schneider,
seine Magd mit zum nahen zu setzen, wahrend er die Ehe-
frau mitarbeiten lassen durfte.
Bei einigen Handwerkern, so bei den Lein- und Woll-
webern und bei den Schneidern, die als Zunft seit dem
13. Jahrhunderte in Blfite kamen, ist die Betheiligung des
weiblichen Geschlechts in grOsserem Umfange durch die
Natur der Arbeit gegeben. Das Spinnen 4 ), Garnziehen, Wolle-
2 ) Stahl, Das deutsche Handwerk, 1, 61 Giessen 1874 nach
Boileau, KSglemens sur les arts et metiers de Paris 405 flf.
2 ) Unzunftige Lohnnaherinnen, Stickerinnen u. s. w. hat es
im ganzen spateren Mittelalter gegeben. tft>er jtidische Weberinnen,
Stickerinnen und Putzmacherinnen, Berliner, Deutsche Juden im
Mittelalter 7 f.
8 ) Stahl a. a. 0. 46 f. — Von l§rdiernen Oder l&tOhtern wird
ausdrtickhch gesprochen in der *Miinchener Weberordnung des
14. Jahrh. und der Ordnung der Weber zu Speier von 1360.
*) Das Spinnen ward freilich auch von Mannern betrieben. Die
Ulmer Weber hielten eine Menge von Knechten und Magden zum
spinnen, Jager, Ulm 634. Es warf diirftigen Lohn ab: Berthold
Pred. 108, 4.
176
kammen, die Vorarbeiten fur die Gewandbereitung, lagen
von je in weiblicher Hand. In Schlesien gab es im 14. Jahr-
hundert eine besondere Zunft der Garnzieher, in der Manner
und Frauen gleich berechtigt waren 1 ). In KOln war das Garn-
machergewerk ausschliesslich weiblich 2 ), ebenso das der
Goldspinnerinnen.
Als grosse weibliche Genossenschaften entwickelten sich
seit dem 13. Jahrhundert die Beginen den Rhein entlang
von Nieder- bis Oberland und nach Mitteldeutschland hinein.
Sie waren in manchen St&dten wie in KOln und in Basel
viel hundert stark und ernahrten sich meist von Spinnen
und Weben, aber auch von Sticken und Nahen. (In kurzem
Uberblick Norrenberg, Frauenarbeit und Arbeiterinnenerziehung
im deutschen Mittelalter. KOln 1880.) Auch die Tertiarerinnen
des h. Franziskus trieben im 15. und 16. Jahrhunderte in
ihren Conventen Linnen- und Wollenweberei.
Entspannen sich zwischen den zunftigen Webern und
den unztinftigen Weberinnen Streitigkeiten, so verfugte in
Strassburg der Rath 1330 auf Klage der Weber, dass die
Frauen, welche mit Hilfe von Knechten (Gesellen) wollene
Zeuge und Stuhllaken fertigten, der Zunft beitrieten mussten.
Im Jahre 1430 klagten die Weber ttber die Schleier- und
Lein weberinnen beim Rath, der dahin entschied, dass die-
selben nach der Zahl ihrer Stuhle einen Beitrag zur Zunft-
btichse geben sollten 8 ).
In den Statuten der deutschen Schneiderzunfte aus dem
14. und 15. Jahrhundert gilt als Grundsatz, dass jede Nahterin,
sobald sie ihr Gewebe handwerksmassig, d. i. mit Lehr-
madchen und Magden betrieb, der Zunft beitreten und Burgerin
werden musste 4 ). Beschrankungen kamen Ortlich vor. In den
oberrheinischen Stadten musste jede Schneiderin bei der Zunft
sich einkaufen ; von der HOhe des eingezahlten Geldes hingen
1 ) Ordnungen von Striegau 1358, Breslau 1377, Liegnitz 1382,
Schweidnitz 1396 im Cod. diplom. Siles. VIII.
2 ) Ennen, Geschichte von KOln II, 629. 635.
8 ) Schmoller, Die Tucher- und Weberzunft in Strassburg 41?.
4 ) Stahl a. a. 0. 80 ff.
17?
ihre Befugnisse ab, so audi die, Lehrlinge zu halten. In
KOln durften die Naherinnen im 14. Jahrhundert nur Frauen-
kleider, gestickte WappenrOcke und Untergewander fertigen.
Die Schneider trachteten im 15. Jahrhandert tiberhaupt dar-
nach, die Nahterinnen in ihren Befugnissen zu beschranken
und auf Leinwandnahterei zu verweisen. Es sind dies die
Vorzeichen der mit dem Ende des 17. Jahrhunderts abge-
schlossenen Bewegung, wonach das mannliche Gteschlecht
Bedingiing zum Eintritte in ein Handwerk ward. Bis 1500
aber erscheinen die Frauen nirgends von einer Zunft aus-
geschlossen Oder den mannlichen Arbeitern im Rechte nach-
stehend, sobald sie nur ihren vollen Beitrag zur Zunftkasse
leisten wollen.
Auch Handelsgeschafte sehen wir im Mittelalter von
Frauen betrieben. Der Hausierhandel mit Gewtlrz und Klein-
waaren, Messern, Ringlein, Hefteln, Tisch- und Handtachern,
Kopfb&ndern u. dgl. nahrte gar manches koufwip 1 ). Ausser-
dem handelten die kotiflerinnen in den sdddeutschen Stadten
(z. B. Ulm, Augsburg, NUrnberg) mit alten Sachen. Weder
sie, noch die Hausiererinnen erfreuten sich eines besonderen
Rufes; theils war ihre Ehrlichkeit nicht zweifellos, theils
spielten sie die Gelegenheitsmacherinnen und Kupplerinnen.
Auch die Beginen beschaftigten sich, wenigstens im
Ltittichschen, mit Handelsgeschaften. Auf der Luttichschen
Synode von 1287 *) ward beschlossen, dass die Beginen,
welche mehr als zehn Mark Handelscapital hatten, nicht die
Steuerfreiheit ihrer Mitschwestern geniessen sollten.
• Wir warden von den Verhaltnissen germanischer Madchen
kein vollstandiges Bild erhalten, wenn wir nicht ihrerecht-
liche Stellung uns deutlich zu machen versuchtem
2 ) Strickers Erzahlung in Hagens Grermania VIII, 299. v. d.
Hagen MS, II, 304 b - Lassberg, Lieders. n. 166, 300. Jager, Ulm 685 f.
2 ) Cap. 29, 2. Hartzheim cone. Ill, 717.
Weinhold, Deutsche Frauen. I. 12
178
Germanischer Grundsatz war, dass nur derjenige ein
selbstandiges und vollberechtigtes Glied des Volkes sein
konnte, der alle Pflichten, welche der Staat auferlegte, zu er-
fullen vermochte. Damit ist die rechtliche Stellung der Weiber
bezeichnet und zugleich bestimmt, dass sie ursprttnglich
keinen Landbesitz haben konnten, weil auf diesem alle Offen-
lichen Rechte und Pflichten ruhten. Die Germanen waren
aber zu billig, als dass sie das Weib persOnlich rechtlos
machen wollten ; es ward ihrn daher eine rechtliche Vertretung
und Vertheidigung seiner Person gegeben, welches Verh<niss
munt (lat. mundium), d. i. Schutz (Vormundschaft), hiess l ). Auch
der Knabe stund so lange, bis er wehrhaft gemacht war und
liegendes Eigen zu selbst&ndiger Verwaltung empfing, unter
der Mundschaft; das "Weib aber entwuchs ihr in der alten
Zeit nie 2 ) und nur ausnahmsweise trat es in ein freieres
Verhaltniss.
Wir haben zwei Stufen der Unmttndigkeit zu scheiden:
auf der ersten befand sich das Weib, so lange es unerwachsen
war; auf die zweite freiere trat es, sobald es zu seinen
Jahren kam, sobald es mannbar (vollzeitig, fulltida) wurde *).
Die nordgermanischen Rechtsbucher geben dafiir das fOnf-
zehnte, die islandischen das sechzehnte Jahr an; bei den
stidgermanischen Stammen scheint das zehnte, zwOlfte, vier-
zehnte oder sechzehnte Jahr der Punkt, wo das Ejnd, na-
mentlich der Knabe, einige Selbstandigkeit erlangte. Sie bezog
sich theils auf eine gewisse rechtliche Handlungsfahigkeit,
theils auf das VermOgen.
Nach norwegischen Gesetzen konnte ein funfzehnjahriges
Madchen sein Erbe tibernehmen 4 ) ; nach islandischen kam der
J ) Die verschiedenen Worte fur das Schutzverhaltniss und den
Schiitzer (Vormund) bei Kraut, Die Vormundschaft 1, g. 1.
2 ) Edict. Roth 205 nulli mulieri liberae sub regni nostri ditione
lege Longobardorum vivehti liceat in suae potestatis arbitrio i. e. selb-
mundiae vivere, nisi semper sub potestate viri aut potestate curtis
regiae debeat permanere.
3 ) J. Grimm, Deutsche Rechtsalterthumer 411 ff.
*) er komin til fidrhalds, Frostathings b. 9, 23. Gulath. 128.
179
unverheirateten Frau mit sechzehn Jahren der voile Niess-
brauch ihres VermOgens zu, die freie Verftigung darilber jedoch
erst mit zwanzig. Die Verheiratung, auch wenn sie vor sech-
zehn Jahren erfolgte, gab ihr beides (Grag&s arfath, 4). In
dem norwegischen Frostathingsgesetz ist der Satz aufgestellt,
dass Weib wie Mann ihr VermOgen so lange selbst verwalten
dtirfen, als sie die Kraft haben, auf dem Hochsitz des Hauses
zu sitzen 1 ). Eine zu weite Auslegung der weiblichen Selbst-
standigkeit mtlssen wir aber zurttckweisen; denn sobald es
einen Kauf oder Verkauf oder sonst welche rechtliche Ver-
fugung tlber das VermOgen gait, so war die Zustimmung und
die Offentlich erkl&rte Erlaubniss des Vormundes, far die Ehe-
frau also ihres Mannes, unumganglich erforderlich, Nur wenn
sich die berufenen Vertreter nachlassig bewiesen, konnte die
Frau, wenigstens nach dem Frostathingsgesetze (11, 17), ganz
selbstandig handeln; Unzucht allein verwirkte ihr dies Eecht.
Auch bei den stldgermanischen Stammen trat mehrfach
eine Lockerung der alten strengen Bevormundung des Weibes
frtlh ein. Bei Gtlterverkaufen, welche Frauen unter salischem,
langobardischem, alemannischem oder auch rOmischem Eechte
vornehmen, steht in Urkunden des 11. Jahrhunderts die Unter-
schrift der Frau voran; die Bestatigung durch den Mann darf
freilich nicht fehlen 2 ). Einen nicht geringen Grad von Selbst-
standigkeit verrath sodann der stlddeutsche Brauch, dass die
Freilassung eines Leibeigenen durch ein sechzehn- oder vier-
zehnjahriges Madchen vollkommen giltig war 8 ). Gab ein
Madchen unter vierzehn Jahren einen Unfreien los, so war
die Handlung nicht rechtskraftig (Schwabenspiegel, Landrecht
72, Lassberg). Nach ripuarischem Gesetz (LXXXT) konnten
von fttnfzehn Jahren ab die Madchen gerichtlich klagen und
ebenso verklagt werden. Nach westgotischem Eecht (II. 4, 11)
a ) 8%dlfr shall hverr rdda fe sino me dan hann md sitja i ond-
vegi sino svd kona sem karlmadr, Frostath. 9 ? 29.
2 ) Muratori antiquit. dissert, 22 (II, 267)/
8 ) Vierzehn Jahre . waren. durch die Gewohnheit den gesetz-
lichen sechzehn gleichgestellt worden..
12*
180
durften Madchen und Knaben mit vierzehn Jahren ein rechts-
giltiges Zeugniss ablegen ] ).
Mochte die Vormundschaft strenge oder locker sein,
ohne dieselbe lebte kein altgermanisches Weib. Wem aber
kam sie zu? — Ursprttnglich war es die ganze Sippe. Die
Spuren davon zeigen sich noch im angelsachsischen Recht,
auch im danischen und norwegischen *).
Dann trat der nachste Schwertmag als Vormund ein,
also der Vater, so lange er lebte; er hatte far SOhne und
TOchter einzustehn, wo zu bGssen war, einzutreten, wenn
sie an Leib und Ehre verletzt wurden, und seine Einwilligung
zu allem zu geben, was ihre Person und ihr VermOgen be-
traf. Nach seinem Tode folgte far die weiblichen Mitglieder
des Hauses und die jangeren SOhne wieder der alteste Schwert-
mag, also der alteste Sohn des verstorbenen Hauptes der
Sippe. Nach einigen Rechten flel das Mundium der Mutter zu 8 ).
Es bestund dies jedoch fast allein in dem Rechte, die Tochter
zu verloben, denn die vaterlichen Verwandten hatten einen
naheren oder ferneren Theil an der Vormundschaft und fahrten
namentlich die Oberaufsicht aber das VermOgen (vgl. OstgOtaL
giptab. 18); ebenso mussten sie in alien Fallen der Klage
eintreten. War der alteste Sohn selbst noch nicht zu seinen
Jahren gekommen, so abernahm der nachste Verwandte vater-
licher Seite die Greschlechtsvormundschaft. Nach deutschem
Rechte war dies der Bruder des Vaters, nach nordischem
stund dieser Schwertmag ferner und die Grrossvater und die
Grossmatter, zuweilen auch die Mutterbrader gingen ihm
*) In gewissen Fallen war das Zeugniss der Frauen vor Gtericht
ebenso giltig wie das der Manner; so in Sachen wegen Todtschlag
und Unzucht (Frostath. 4, 39. Uplandslag VIII, 11. Borgarthings
kristenr. II, 14). tJber Zauberei ist ihr Zeugniss entscheidend (G-ulathu
c. 28). Sollte festgestellt werden, ob ein bald nach der G-eburt ge-
storbenes Kind wirklich gelebt habe, so gait ein Frauenzeugniss gleich
zwei Mannerzeugnissen (Uplandsl. Ill, 11).
2) Brunner, Deutsche Rechtsgesch. 1, 89.
3) L; Wisigoth. III. 1, 7. IV. 2, 13. L. Burgund. 59. 85, 1.
Freiburg. Stadtr. 32. Uplandsl. III. 1, 7. Sjellands 1. 1, 47. 48.
181
voran 1 ). Die Vormunder traten . iiberhaupt nach dem Grade
der Verwandtschaft ein 2 ), in dessen Bestimmung sich bei den
verschiedenen Rechten grosse Abweichung kund thut. In den
einen sehen wir n&mlich die Cognaten den Agnaten. ziemlich
gleich stehn, so dass sie gemischt folgen; andere lassen die
weiblichen Verwandten auf die mannlichen folgen; nach andern
sind die Verwandten miitterlicher Seite ganz ausgeschiossen,
und der Grundsatz, dass nur Schwertmage Vormfinder sein
kOnnen, ist so weit ausgebildet, dass der Richter beim Aus-
gehn der v&terlichen Verwandten mit "Qbergehung der Spille-
mage einen Vormund kurt, wobei er jedoch jene beratheh
muss 8 ). Indessen scheint hier und da der Familie miitterlicher
Seite eine Mit&ufsicht zugestanden zu sein; so haben nach
ostgotiandischem Gesetze (giptab. 20) die mtitterlichen Ver-
wandten das Recht der Bander, wo sie es beeintrachtigt
meinen, wahrzunehmen und sie gerichtlich zu vertreten, ob-
schon im ubrigen die Vormundschaft bei den Agnaten steht.
Die gebornen Mundwalte sind die altesten und natar-
lichsten; die Wahl eines Vormundes durch den Vater ist
eine junge Einrichtung (Schwabensp. 323, 2). Alter ist, dass
das Staatsoberhaupt, wenn geborne Vormunder fehlen, die
Mundschaft mit alien Rechten an Bussen und Erbe iibernahm.
Es beruht dies auf der natiirlichen Verbindung von Ge-
schlechtern und Staat. War namlich ein Geschlecht in seinen
wehrhaften Gliedern ausgestorben, so musste der Vorsteher
der Gemeine den Schutz der wehrlosen an sich nehmen, bis
sie irgendwie zur Bildung eines vollstandigen Geschlechtes
wieder gelangt waren. Hieraus entwickelte sich die Ober-
vormundschaft des KOnigs ilber alle unmundigen und schutz-
bedurftigen.
!) L. Saxon. 7, 5. Nordfries. ges. 568% 9. L. Wisigoth. III. 1.
7. Gragas festath. 1. Uplandsl. Ill, 1. Sjellands. 1. 1, 47. 48. Jydske
lov 1, 33.
2 ) Die Vormundschaftsordnung hangt mit der Erbenfolge zu-
sammen.
3 ) Magdeburger Sch6ffenurtheil bei Kraut, Vormundschaft 169.
182
Die Pflichten des Vormundes bestunden in der Ver-
waltung des VermOgens seines MQndels Oder der Beaufsich*
tigung der Verwaltung; sodann in der Wahraehmung der
persGnlichen Interessen, namentlich bei der Verlobung; endlich
in der rechtlichen Vertretung desselben: einmal also in der
Pflicht, die Klage zu erheben, das andere Mal ; ihr zu ant-
worten. In der nahen Yerwandtschaft des Vormunds lag zu-
gleich die Entschadigung fdr seine Mahen, denn er trat nach
dem etwaigen Tode des Milndels mit bedeutendem Erb-
anspruche ein und hatte auch nach verschiedenen Rechten
Theil an den Bussen, welche filr Verletzung der bevor-
mundeten geleistet wurden.
Es liesse sich allenfalls annehmen, dass die Germanen
Verletzungen des Weibes nicht leichter beurtheilten als die
des Mannes, dass also Wergeld und Busssatze far Mann und
Frau gleich waren. So flnden wir es auch im friesischen,
angelsachsischen, in den meisten nordischen und unter Um-
standen selbst im westgotischen Rechte, ebenso noch spat
in einem hessischen Weisthume '). Andere Stamme huben
jedoch die Wehrlosigkeit des Weibes hervor und fassten
deshalb seine Verletzung schwerer, setzten darum auch die
Bussen hOher an: so unter den friesischen Landrechten die
Westerg6er Gesetze (463, 23) um ein Viertel, die Brockemer
(178 a ), die Emsiger (15. 28) und noch andere (Richthof. 281 b , 30.
318 b , 14) um ein Drittel, das PivelgOer Landrecht (II, 12. 27),
ferner das uplandische, alemannische, bayrische, burgundische
Recht um die Halfte 2 ). Die lex Saxonum (XV) gibt der Jung-
frau doppelte Compositio; jedes Weib, das schon geboren
hat, setzt sie dem Manne gleich. Das bayrische Gesetz be-
2 ) Add. sapient, in 1. Fris. V. Adelb. dom. 73. Grag. vigsl.
c. 48. Ostgotal. drapab. 9. Gulath. c. 159. Weist. 3, 325. In der
1. Wisig. IV. 4, 3 steht das Weib tiber 50 Jahren dem Manne gleich,
im Alter von 15—20 Jahren gilt es 100 sol. mehr. Wilda, Strafr.
572 bemerkte, dass die ausdrtickliche Erwahnung in der Gragas und
im friesischen Volksrecht, das Geschlecht mache keinen Unterschied,
auf eine friihere abweichende Meinung deute.
2 ) L. Alemann. LXVIII, 3. LXIX. L. Bajuv. III. 13, 2. 3. L.
Burg. LIL Uplandsl. IV, 11.
183
stimmt, dass ein Weib durch Waffentragen das ihm sonst
gebiihrende doppelte Wergeld verliere, ebenso das lango-
bardische (ed. Roth. 381). Ein dreifaches Wergeld geben dem
Weibe die Langewolder Kiiren von 1282 (§. 34) und far das
fruchtbare Alter auch das salische Gesetz (XXXIV, 2. LXXIV).
Wie die Germanen in ihrer Auffassung des Weibes
mehrfach von der Kirche abwichen, so auch hier. Die Geist-
lichkeit, geneigt, die Frau als ein unreines und niedriges
Wesen zu betrachten 1 ), wobei Evas Sandenfall als Hauptgrund
dienen musste, konnte sich mit der germanischen hohen
Schatzung nicht vereinen und wirkte darauf, dass das Weib
rechtlich allmahlich an Werth verlor. So wird denn im
Sachsenspiegel (III. 45, 2) und im Schwabenspiegel (Landr.
310) den Frauen nur die halbe Busse und das halbe Wergeld
eines Mannes ihres angeborenen Oder erheirateten Standes
gegeben.
Einige Volksrechte theilen die S&tze nach den Lebens-
stufen des Weibes ein. Das thilringische und salische Gesetz
(1. Angl. et Werin. X, 3. 4. 1. Sal. XXVHI. 7—9. LXXV)
stellen das Wergeld far eine Frau, die keine Kinder be-
kommen konnte, dreimal niedriger als fur eine mannbare
und noch fruchtbare. Das westgotische Recht (VIII. 4, 16)
machte mehrere Unterschiede : fur ein Madchen unter funf-
zehn Jahren ward nur das halbe Wergeld des Mannes gezahlt,
von 15—20 Jahren war es um 100 sol. hOher,. von 20 bis
50 Jahren seltsamerweise 50 sol. niedriger, von 50—65
stund es gleich ; uber diesem Alter erhielt die Frau die Halfte
des nachst vorangehnden Satzes. Auch fur die verschiedenen
Jahre der Manner sind verschiedene Satze genommen. Wie
im sachsischen Gesetz die Jungfrauschaft auch im Wergeld
berucksichtigt wurde, ist schon erwahnt. Von selbst versteht
sich, dass, seitdem die Standesunterschiede stark hervortraten,
auch die Bussen und Wergeldsatze nach dem Stande ver-
schieden waren.
l ) Vgl. Riezler, Gesch. der Hexenprocesse in Bayern, S. 185 f.
184
Die einzelnen Busss&tze anzufuhren, wird man mir gern
erlassen. Ausser der Busse fttr die TOdtung (wergelt, ags,
leodgilde, altn. manngipld, mannbot) bestunden feste Be-
stimmungen, wie kOrperliche oder sittliche Verletzungen ge-
biisst werden sollten. Der alteste Grundsatz : Leben um Leben,
der durch den Brauch der Blutrache hindurchgeht, trat zurtick
hinter den, dass der freie Mann Gewaltthaten; an den'en kein
sittlicher Makel haftete, durch Bussleistung an den Verletzten
oder seine Sippe, und durch eine Strafe fur den Friedensbruch,
ablOsen kOnne. Unsere Volksrechte, deutsche wie nordische '),
sind hierin sehr ausftihrlich und gewahren durch die Einzel-
heiten manchen Schluss auf die sittlichen Zustande des be-
treffenden Volksstammes.
Waren Unmilndige an Leib, Ehre oder Gut geschadigt,
so hatte der Vormund die Klage zu erheben, und ward sie
bewiesen und der verklagte ilberfuhrt, so wurde die Busse
geleistet. Dass dieselbe dem Vormund tibergeben ward, unter-
liegt keinem Zweifel; welchen Theil er aber von ihr zog,
ist nicht fest bestimmt. In den Fallen nattlrlich, wo eine
Schadigung seines Eechtes geschehen war, wie bei unrecht-
massiger Verlobung, Entfuhrung und unrechtmassigem Bei-
liegen, kam ihm die voile Busse zu 2 ). Bei eigentlichen Ver-
letzungen des Mttndels aber zog er nach nordischen Eechten
entweder gar nichts (Sjell. 1. n, 20. Ill, 38) oder nur die
Halfte oder gar nur ein Drittel 0. Fris. 9, 9. OstgOtal.
vadham. 14. Grag. vigsl. 54). Lag Todtschlag vor, so theilte
sich der Vormund als Verwandter mit den tlbrigen nachst-
berechtigten Magen bald von der Schwertseite allein, bald
auch von der Spilleseite in das Wergeld. War der Vormund
selbst der Thater, wie dies bei Verletzungen der Frauen
2 ) Grimm, Rechtsalterth. 404 ff. Wilda, Strafrecht der Germanen
398-438.
2) L. Fris. 9, 11. 13. 1. Sax. XL. 1. Liutpr. 121. Bajuv. VII.
10. Sjelland. 1. Ill, 38. Gulath. c. 51. Uplandsl. III. 1. Zusatz zu
VestgOtal. II. (Collin och Schlyter corp. jur. Sveogoth. ant. I, 239).
Im longobard. Recht (ed. Roth. 139) wird die Busse zwischen die
beiden MundschaftsbehOrden, den Konig und den Vormund, getheilt.
186
durch ihre Manner vorkommen konnte, so wurde nach nor-
dischen Reehten die Klage und Busse von ihrem n&chsten
Schwertmagen, der ihr Verlober gewesen war, erhoben und
die Busse zu der Mitgift gelegt (OstgOtal. vadham. 10. Vest-
gOtal. II. fridb. 8).
Gewiss ist ferner, dass das Weib Theil am Wergelde
eines Verwandten haben konnte. Die weiblichen Glieder der
Familie waren nicht von der Pflicht zur Blutrache aus-
geschlossen — man erinnere sich, wie Kriemhild diese Pflicht
erfullte! — es musste ihnen also auch das Recht auf das
Wergeld zugestanden werden. Als der Riese Thiasi von den
GOttern erschlagen ist, macht sich seine Tochter Skadi nach
Asgard auf und droht mit der Blutrache, wenn ihr nicht ge-
nugende Sahne geboten werde. Als Dag den Helgi getodtet,
bietet er seiner Schwester Sigrun Wergeld far den Gemahl
(Helgaqu. Hundingsb. II, 28 ff.). Das islandische Recht theilt
den Prauen ein Drittel des Wergeldes zu (Gr&g. fest. 20.
vigsl. 54), wovon sie aber den dritten Theil dem Vormund
' abgeberi mtissen. Eigenthilmlich sind die Verhaltnisse im
norwegischen Gulathingsbuch (c. 221). Hier treten die Mutter,
die Tochter, die Schwester und die Frau des erschlagenen
in den Genuss einer Geldstthne (kvengiaver) ; allein dieselbe
ist von dem Wergelde verschieden, denn dieses wird von
ihren n&chsten Schwertmagen, also hier von dem Vater der
Mutter des erschlagenen, vom Sohne der Tochter oder
Schwester, in Empfang genommen (Gulath. b. c. 225 f.).
Ebendort sind die Spillemage des MOrders zur Wergeldleistung
verpflichtet (c. 227. 231. 232. 235. 245). Es bestund also nach
diesem Recht wie nach dem angelsachsischen (Alfreds ges.
c. 27) die Einrichtung einer Familienburgschaft 1 ), von der die
Frauen nicht ausgeschlossen waren. In einem gewissen Falle
sehen wir sogar im islandischen und norwegischen Rechte
die Verpflichtung und das Anrecht der Frauen auf das Wer-
geld ganz bestimmt heraustreten. Hinterlasst namlich der
getOdtete nur eine Tochter und ist niemand naher als sie
!) Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte I s , 74—78.
18*
zur Hauptbusse (hOfudbaugr) berechtigt, so nimmt sie dieselbe
gleich einem Sohne. Ebenso ist die Tochter des MOrders, im
Falle kein Sohn lebt, zur Erlegung des Wergeldes ver-
pflichtet. Beides gilt indessen nur von den unverheirateten
TOchtern, denn mit der Verm&hlung gehn Recht und Pflicht
auf die n&chsten Schwertmage ttber (Gr&g. vigsl. 114). Im
norwegischen Gulathingsbuch (c. 275) hat die Schwester das*
selbe Eecht wie die Tochter 1 ).
Aus skandinavischen Sagas ergibt sich feraer die An-
sicht, dass der Tochter oder der Witwe eines erschlagenen
voller Ersatz ftlr den Vater oder Gatten durch Verheiratung
mit dem Todtschlager geleistet wtlrde; freilich zeigt sich
dabei auch, dass die Frauen sittlichen Widerstand hiergegen
bekunden*). Es war das ein altgermanischer Brauch, denn
auch die Asen bieten der Tochter des von ihnen erschlagenen
Riesen Thiasi Busse ftlr den Vater durch Verheiratung mit
einem von ihnen: Skatti ward dadurch Gattin Niprds. Wir
mtlssen auch die Ehe zwischen dem LangobardenkOnig Albwin
und Rosimund, der Tochter des GepidenkOnigs Kunimund, "
den Albwin in der Schlacht erschlug, auf dieselbe Sitte zuruck-
ftlhren. Fast alles weist demnach darauf, dass die Weiber
in sehr alter Zeit Theil am Wergeld hatten, und das thtlrin-
gische und langobardische Recht haben sich also, indem sie
das Wergeld den Schwertmagen allein zutheilen, von dieser
ursprunglichen Auffassung bedeutend entfernt (1. Angl. et
Wer. I, 3. 6. 1. Liutprandi 13) 8 ).
Aus dem uralten Glauben, dass der Meineid eines Ge-
schlechtsgenossen den Fluch der GOtter auf das ganze Ge-
J ) Vgl. auch Frosthath. 6, 4.
2 ) Magnusars. c. 46. Ans s. bogasveigis c. 7. Halfdanars. Eysteinss.
c. 3.
3 ) Nach 1. Angl. Wer. I, 9 wiirde die Tochter nach dem Aus-
gange der fiinften vaterlichen generatio mit dem Eintritte in das
liegende Erbe gem&ss I, 6 auch die ultio proximi et solutio leudis
ubernehmen. In der 1. Liutpr. 13 wird ausdriicklich gesagt: filiae
ejus eo quod femineo sexu esse provantur, non possunt faidam
ipsam levare.
187
schlecht herabrufe, erklart sich auch eine Bestimmung der
burgundischen Lex Gundobada 8, 1, wonach die Frau oder
auch die Mutter des SchwOrenden zur Eideshilfe herangezogen
wird 1 ). Erforderliche Eide mussten von den Frauen selbst
geleistet werden 2 ). Ward die Entscheidung in gegen sie er-
hobenen Klagen einem Gottesurtheil tiberlassen und dabei
auf Zweikampf erkannt, so hatte ihr nachster Schwertmag
fur sie einzutreten 8 ); nur in einzelnen Fallen und wahr-
scheinlich erst in jtingerer Zeit ward den Weibern selbst
der Kampf zugeschoben. Im eng anschliessenden Kleide
kampften sie mit einem Steine, den sie in den Schleier.
gebunden hatten, gegen den Mann, der sich halb in einer:
Grube mit einem Stocke vertheidigte 4 ). Arten des Gottes-
urtheils, die den Weibern haufig zuerkannt wurden, waren
die Probe mit glilhendem Eisen, das sie in blossen Handen
neun Schritte weit zu tragen hatten, oder mit neun gltthenden
Pflugscharen, tiber die sie barfuss schreiten mussten; der
Kesselfang, wobei sie einen Stein aus einem Kessel voll
siedenden Wassers zu holen hatten, und die kalte Wasser-
probe, die bei den Hexen im 16. und 17. Jahrhundert haufig
angewandt wurde. Das Weib ward dabei an einem Seile ins
Wasser geworfen und ftlr unschuldig erklart, wenn es unter-
ging, fur schuldig aber, wenn es sich oben hielt; denn der
Glaube war, dass das Wasser nichts unreines und daher auch
keinen Misseth&ter in sich dulde 6 ). Auch die Kreuzesprobe.
J ) Brunner, D. Rechtsgesch. 1, 89.
2 ) Sachsensp. I. 47, 1. Schwabensp. Landr. 75. Eine Eides-
formel fur Frauen Weisth. 3, 777. Uber den nastait s. unten.
3 ) Vermochten . die Frauen keinen ihrer Schwertmage zu
stellen, so pflegten sie Miethkampfer (campiones) anzunehmen oder
mussten sich der Feuerprobe unterwerfen, 1. Angl. et Werinor. do
veneficiis. Vgl. Gaupp, Gesetz der Thuringer 405—407.
*) Majer, Gesch. der Ordalien 270—274. Philipps, Die Ordalien
bei den Germanen, S. 10. Ukert in Jacobs und Ukert, Beitr. zur
aiteren Litteratur III, 119—128. Vgl. uberhaupt J. Grimm, Rechts-
alterth. 908—937. Wilda, Ordalien in Ersch und Grubers Encyklopadie
III. 4, 452-490.
5 ) Soldan-Heppe, Geschichte der Hexenprocesse I, 394 ff.
188
scheint nicht selten bei Weibera gebraucht zu sein. Beide
Parteien stunden mit erhobenen Armen wahrend einer Messe
an dem Kreuze; wer die Arme zuerst sinken liess, ward
fQr uberfuhrt gehalten 1 ).
War die angeklagte durch den Beweis aberfQhrt und
ward auf Geldbusse gegen sie erkannt, so zahlte der Vormund
die Busse aus dem VermOgen des MOndels. Reichte dasselbe
nicht hin, so scheint er mit seinem eigenen Vermogen heran-
gezogen worden zu sein; wenigstens liegt es im Wesen der
Mundschaft, dass der Vormund nicht bloss schutzt, sondern
auch bftrgt. Wo er nicht solidarisch verpflichtet ist, findet
sich Abweichung von der ursprttnglichen Auffassung 2 ).
Bei Kindern unter ihren Jahren und bei Wahnsinnigen
durfte keine. andere als Geldstrafe vorkommen, erwachsene
Weiber dagegen wurden auch peinlich gestraft. Die alt-
germanischen Grundsatze zeigen jedoch auch hier eine milde
Beurtheilung der Frau, wie sie spater in der goldenen Bulle
(c. 24, §. 3) zwar ausgesprochen, aber nicht durchgeftthrt ist.
Die nordischen Gesetze lassen wenigstens darauf schliessen;
denn fur Verbrechen, bei denen den Mannern der Tod gewiss
war, stund den Prauen Ausgleichung durch Geld mehrfach
frei. Ihre Strafe war in den oberschwedischen Gesetzen schon
dadurch milder, dass sie nicht friedlos werden konnten und
ihr Landbesitz demgemass nicht eingezogen werden durfte
(egh ma hanna bo skiptas). KOnigsfriedenbruch (edhsOre),
KOnigsbusse (ensak) und Herrenstrafe (harrathocke) konnten
sie nicht auf sich laden. Ward aber ein Weib fQr einen vef-
tibten Mord von dem Blutracher auf frischer That erschlagen,
so lag es ungebtisst (OstgOtal. drapab. 9. vadham. 15. 22. 35).
x ) Vgl. Gengler, Deutsche Rechtsgeschichte 403.
*) Vgl. hieruber Kraut, Vormundschaft I. §§. 37. 38. — Zahlte
der Vormund keine Busse oder hatte die Frau keinen Vormund im
Lande, so verlor sie nach ostgotiand. Rechte die Freiheit, Ostgotal.
vadham. 35. 37. Die Weigerung des Vormunds, in der gesetzlichen
Frist von funf Tagen die Busse zu erlegen, zog ihm Friedlosigkeit
und VermOgenseinziehung zu, Ostgotal. drapab. 9.
189
Der Lebensstrafen, die an denWeibern vollzogen wurden,
gab es verschiedene. Gegen das Hangen, die uralte Todesart,
die als Opfer an die GOtter zu nehmen ist, straubte sich
spater das Gefuhl 1 ). Wie das Uplandslag (IV, 29) bestimmt,
dass kein Weib gehangt Oder geradert, sondern lebendig be-
graben werden solle, so setzt auch das Eiber Stadtrecht von
1294 (25) fest, wegen der weiblichen Ehre (for en quindeligh
aeraes schyld) solle kein Weib gehangt, sondern lebendig be-
graben werden 2 ). Das ostgotiandische Gesetz (vadham. 35) ge-
stattete indessen fQr eine auf frischer That ergriffene Diebin
den Strang, ebenso die Westerlawer Gesetze fur eine Ehe-
brecherin (404 b , 11). Auch die Strafe des Rades ward in der
Kegel nur gegen Manner in aiterer Zeit erkannt; Frauen
wurden dafQr verbrannt, gesteinigt Oder ersauft (Grimm,
R. A. 689). Erschlug ein Mann seine Frau ohne rechtlichen
Grund, so ward er in mittlerer Zeit geradert; todtete die
Frau ihren Mann, so verflel sie der Strafe durch die Sippe;
nach Uplandsl. IV, 13 wurde sie gesteinigt. Ftlr eine Gift-
mischerin, durch die jemand gestorben, bestimmte das up-
landische Gesetz den Feuertod (IV, 19). KindesmOrderinnen
wurden spater zuweilen in eine Grube gelegt und darauf ge-
pfahlt (Grimm, R. A. 691). Nicht ungewOhnlich war ferner
in aiterer Zeit, Frauen zur Lebensstrafe unter die Hufe der
Rosse zu werfen oder sie tlberfahren und von Pferden zer-
reissen zu lassen 8 ). Die schOne Schwanhild ward auf den
Befehl des Gotenk6nigs Ermanrich der Sage nach von Pferden
zertreten, als sie ihre Liebe dem Sohne des greisen Brauti-
gams schenkte (GudrtinarhvOt 16). Die FrankenkOnigin Brun-
hild wurde mit ihren Haaren und Armen an den Schweif
eines wilden Rosses gebunden und zu Tode geschleift (Pertz
I, 286).
Eine besondere Rticksicht nahmen die Gesetze wie heute
auf die Schwangeren. GewOhnlich wurden die Strafen erst
i) Grimm, Rechtsalterth. 687.
2 ) ttber das Lebendigbegraben der Frauen in den Niederlanden
Hoffmann v. Fallersleben, Horae belg. VI, 226.
3) Greg. Tur. Ill, 7. Chron. Fovalic. Ill, 14 (Pertz IX, 101).
190
nach erfolgter Entbindung vollzogen oder aberhaupt gemildert.
Selbst im Hexenprocess kannte man hier Schonung bis zur
Entbindung.
Nachdem wir so eine Ubersicht fiber die Mundschafts-
yerhaltnisse des Madchens und seine Stellung zum Offentlichen
Kecht zu gewinnen suchten, liegt uns noch ob, sein Erbrecht
kurz darzulegen.
Altgermanischer Rechtssatz war, wie schon erwahnf
wurde, dass nur der Mannesstamm den Landbesitz des Ge-
schlechtes fflhrte und dass die weibliclien Familienglieder
allein an der beweglichen Hinterlassenschaft Theil hatten.
Er beruhte darauf, dass auf dem liegenden Eigen die privaten
und Offentlichen Pflichten und Rechte hafteten, deren voile
tTbernahme furdas Weib nach seiner ganzen natilrlichen Anlage
unmOglich war. Bei den Salfranken wenigstens fiel bis auf
KOnig Chilperich (t 584) Grund und Boden bei Abgang von
SOhnen an die Gemeinde.
Erst allm&hlich, nachdem in der Gemeine- xind Staats-
yerfassung Anderungen eingetreten waren, erbten die Frauen
auch Grund und Boden. Interessant ist die Vermittlung zwi-
schen der.schroffen Ausschliessung und der Gleichberechtigung
zu beobachten.
War kein Sohn oder kein Sohn desselben vorhanden,
so gestatteten das langobardische, alemannische, burgundische
urid s&chsische Recht den tibergang alles Erbes auf die
TOchter 1 ). Dasselbe geschah auf Island, wo sogar ein Godord
(Hof mit Priester-, Verwaltungs- und Richterrecht) auf die
TOchter erben konnte, die aber naturlich das darauf ruhende
Amt durch einenMann desBezirkes verwalten lassen mussten 2 ).
Bei den Franken traten die weiblichen Familienglieder in dem
Erbe des Grundbesitzes des Hauses (der terra salica, avia-
tica ; hereditas aviatica) gegen die mannlichen entschieden
zuiUck; es gait dies besonders fur die Weiber der ent-
!) leg. Liutpr f I t 1. 4 1. Alam. 57. Burgund. XIV, 1. Saxon.
44. 46.
a ) Grag. festath. 21. thingsk. 21.
191
fernteren Verwandtschaftskreise. Die TOchter aber und die
Schwestern erhielten bei den Salfranken durch KOnig Chilperich
das Erbrecht am Landbesitz 1 ). In merovingischer Zeit konnten
aber bereits testamentarische VerfQgungen zu Gunsten der
TOchter gemacht werden 2 ). Bei den Angeln und Werinern
erbte der Sohn die ganze Hinterlassenschaft. War kein Sohn
vorhanden, so trat im Landbesitze der nachste Verwandte
von der Speerseite als Erbe ein, in der beweglichen Habe
(pecunia et mancipia) aber die Tochter, Oder wenn sie fehlte,
die Schwester, oder drittenfalls die Mutter. Von der Mutter
erbte die Tochter nur die Gerade, d. i. Schmuck und Kleider.
Erst im ftinften Grade geht die ganze Erbschaft vom Speer
auf die Spindel aber (1. Angl. et Werinor. I, 1 — 9).
Auf eine Zurttckstellung der Weiber hinter die Manner
in der Erbfolge lasst sich auch bei den Priesen und den
Angelsachsen fflr die alteste Zeit aus dem minderen Rechte
derselben aberhaupt schliessen. Seit dem 9. Jahrhundert aber
trat bei den Angelsachsen die Tochter in das ganze Erbe
vom Vater vor alien entfernteren Verwandten ein 8 ).
Nach dem Sachsenspiegel (I, 17) geht zwar im engeren
Erbenkreise das mannliche Geschlecht dem weiblichen vor,
also Sohn der Tochter, Vater der Mutter, Bruder der Schwester.
In dem Erbenkreise fiber die Geschwister hinaus aber treten
die gleich nahen ohne Rticksicht auf das Geschlecht zu glei*
chen Theilen ein; diese Erben hiessen die Sachsen Ganerven.
Nicht viel spatere Rechte und Statuten stellen SOhne und
TOchter dem gesammten Erbe gleich. nah, wie das von den
Volksrechten schon das westgotische Gesetz (1. Wisigot. IV,
2, 1. '9) gethan hatte, und auch an das Lehngut erhalten
die Weiber mehrfach denselben Anspruch wie die Manner*).
2 ) Brunner, D. Rechtsgesch. 1, 195.
2 ) Waitz, D. Verfassungsgesch, II, 191 f. v. Amira, Erbenfolge
und Verwandtschaffcsgliederung nach den altniederdeutschen Rechten
12 tt
8 ) y. Amira, Erbenfolge 95.
4 ) Kraut, Privatrecht 422 f. 3. A. .
192
In den Weisthtlmern erhielt sich indessen hier und da die
alte Ausschliessung der TOchter. So bestimmt das Dorn-
heimer Weisthum (Ostl. Schwarzwald, Grimm Weisth. 1, 378),
dass die Knaben im liegenden, die TOchter im fahrenden
Ghite das Erbe haben sollten. Nur wenn nicht so viel fahren-
des vorhanden sei, um gleiche Theile zu bilden, sollten die
Madchen durch liegendes entschadigt werden.
Besonders behandelte Theile der Hinterlassenschaft sind
die wesentlich mannlichen und die wesentlich weiblichen Dinge,
also einerseits der Panzer (vestis bellica i. e. lorica, 1. Angl.
Wer. I, 6) und das Schwert, anderseits Schmuck und Frauen-
gewand 1 ). Das thtiringische (anglisch-werinische), das bur-
gundische Gesetz und vor allem der Sachsenspiegel mit den
an ihn sich anlehnenden Eechtsbestimmungen kennen diesen
weiblichen Erbtheil mit dem Namen rhedo, rade Oder gerade.
Der Sachsenspiegel (I. 24, 3) nennt als Bestandtheile der
rade Schafe, Ganse, Kasten mit beweglichem Deckel, alles
Gam, Betten, Pftthle, Kisten, Leilache, Tischlachen, Hand-
tttcher, Badelachen, Becken, Leuchter, Flachs, alle Weiber-
kleider, Ringe, Armspangen, Schapel, Psalter und alle gottes-
dienstlichen Btlcher, Sessel, Laden oder Schreine, Teppiche,
Wandbehange, Rftcklachen und alien Kopfputz (al gebende);
ausserdem Bttrsten, Scheren 2 ), Spiegel. Alles unverschnittene
Gewand und unverarbeitete Gold und Silber gehOrte nicht
zur Gerade. In den norwegischen und ostgotlandischen Rechten
erscheinen jene Geschlechtsvorausnahmen aus der Hinter-
lassenschaft ebenfalls 8 ).
Die Gerade erbte nach sachsischem Rechte auf die
nachste weibliche Verwandte, auf die Tochter also oder auf die
*) J. Grimm, Rechtsalterthtimer 566—586. Kraut, Grundriss
uber das deutsche Privatrecht, §. 182, 29—58.
2 ) In den Bildern zum Sachsenspiegel dient die Schere, ausser-
dem zuweileu Bursten, Schafe und Ganse als Abbildung der Gerade.
8 ) Frostath. IX, 9. Hakonarb. c. 75. Uplandsl. Ill, 70. Ostgotl.
giptab. 15. Hans Privil. 42.
nachste Nichte 1 ). Waren mehrere TOchter vorhanden und eine
oder mehrere von ihnen schon ausgestattet (titgeradet), so
erbte die nicht ausgestattete die Gerade (Sachsensp. I, 5, 2).
Uberhaupt ward spater bei der Erbtheilung billige Buck-
sicht darauf genommen, ob die TOchter schon ausgestattet
waren oder nicht. Die unverheirateten nahmen daher nach
norwegischem Eechte von dem Erbe einen Theil hinweg,
welch er der Ausstattung der verheirateten entsprach (Frostath.
11, 2). Ein Verlust alles Erbrechtes trat nach altestem Eecht
fur die TOchter dann ein, wenn sie den Vorwurf der Un-
keuschheit auf sich gezogen hatten. Die islandische Gragas
(arfath. 23), ebeilso der Sachsenspiegel (I, 5, 2) huben diese
Bestimmung auf; das ostgotlandische Eecht (arfdhab. 1)
machte die Yerzeihung der Eltern zur Bedingung des Wieder-
eintrittes der Erbfahigkeit ; der Schwabenspiegel (Landr. 15)
sagt, ein Madchen unter fttnfundzwanzig Jahren verwirke in
solchem Falle Vater- und Muttererbe; sei es alter, so kOnne
es wohl seine Ehre, aber nicht sein Erbe verlieren. Letzterer
Grundsatz gait im Sachsenspiegel uberhaupt (I. 5, 2).
In dem Eddaliede Atlamai (75) wird erzahlt, dass Gudrun
nach dem Falle ihrer Brttder Gunnar und HOgni das Erbmahl
(erfl) fur sie anrichtete, so wie Atli eines fur seine gefallenen
Treuen. Es ist ein Gedachtnissmahl der Todten, wobei der
Erinnerungsbecher (minni) filr sie getrunken wird.
Dieses Erbmahl war aber, wie der Name schon zeigt,
nicht bloss zu Ehren der Todten bestimmt, sondern zum An-
2 ) Nach Sachsensp. I. 7, 3. Weisth. 3, 103 nimmt die aiteste
Tochter die Gerade, nach Weisth. 3, 189 (Engern) die jungste. Vgl.
auch Weisth. 1, 283. 376. 3, 102. Bei hOrigen Leuten fiel sie, wenn
keine unberathene Tochter da war, an den Herrn (Weisth. 1, 75.
106. 270. 3, 33. 56. 185). Wax aber die Tochter unberathen und sie
so lebenskr&ftig, dass sie die vier Wande ersieht (Weisth. 1, 290),
dass man sie durch die Wand schreien h6rt (W. 3, 148), dass sie die
vier Wande beschreit (W. 3, 103), eine brennende Ampel ausblasen
(W. 3, 102), auf einer Bank stehn und der Mutter Kasten auf-
schliessen kann (W. 3, 208), so fallt dieser die Gerade zu, vgl. Grimm,
Eechtsalterth. 410. — Auch der Bruder, welcher Geistlicher ist, aber
noch kein Amt (kerken oder provende) hat, erbt von der Gerade.
Sie wird aber bei ihm zum Erbe, denn von seiner Hinterlassenschaft
wird keine Gerade genommen, Sachsensp. I. 5, 3.
Wei nh old, Deutsche Fratien. I. **
194
tritt des Erbes und ward mit allerlei Gebrauchen festlich be-
gangen. Die Frauen konnten also erst in jttngerer Zeit,
nachdem sie die Befehigung zum Erbe erhalten, an der Sitte
wirklichen Theil haben. Ein Todtenopfer; ein Trinkgelage
das sich dem Gedachtnissbecher, der durch die Banke gekreist
hatte, anschloss; Lieder, die zuerst zu Ehren des Verstor-
benen gesungen wurden, aber dann auch ohne Bezug auf den
Todesfall weiter ertOnten; das Lied begleitende Tanze, end-
lich Spiele tlberhaupt lassen sich als Bestandtheile der all-
mahlich ausartenden Feier durch die kirchlichen Verbote in
Deutschland, wie durch die nordischen Sagas aufstellen. Nach-
dem der Gedachtnisbecher auf den Abgeschiedenen von dem
Erben geleert war und alle ihn nachgetrunken hatten, verliess
im Norden der Erbe den Schemel, auf dem er bisher gesessen
hatte, und bestieg denHochsitz desHauses, zum Zeichen, dass
er nun an die Stelle des frttheren Herrn desselben trete 1 ).
Wie die Kirche auch sonst volksthtimliche heidnische
Gebrauche ihren eigenen Gesetzen und Sitten anzupassen ge-
wiisst hat, so ist das auch mit dem Erbmahl geschehen. Die
Zeit der tieferen Trauer, welche vom kirchlichen Todtendienst
durchzogen war, fand mit dem dreissigsten Tage nach dem
Tode ihren Abschluss. Auf diesen Dreissigsten wurden nun
die volksthumlichen Gebrauche des Todten- und Erbmahls
tibertragen. Seit dem 10. Jahrhundert ist diese Feier des
Dreissigsten in Deutschland zu beweisen, und da im Sachsen-
spiegel die juristische Bedeutung dieses Tages filr die Besitz-
ergreifung der Erbschaft durch den nachsten Erben als altes,
allgemeines Sachsenrecht erscheint, so werden wir, indem
wir auch in den nordischen RechtsbUchern einen der kirch-
lichen Seelamtstage far den Todten, d. i. den siebenten Oder
den dreissigsten, als den Termin des rechtlichen Eintrittes in
das Erbe finden, die Verschmelzung des kirchlichen Todten-
amtes mit deutschem Oder germanischemuraltemErbgebrauche
filr unser Mittelalter bewiesen erachten diirfen.
2 ) Weinhold, Altnord. Leben 500 f. G. Homeyer der Dreissigste.
Berlin 1864 (Abhandl. d. k. Preuss. Akaderuie d. Wissensch.) 101 ff.
118 flf. 144.
Funfter Abschnitt.
Liebe und Frauendienst.
Waz. toaere marines wunne, des frdiite sich sin lip,
e$ entaeten schoene meide und herlichiu wip?
Nibel. 273, 1. 2.
Got hdt gehoehet und geheret reine frouwen,
da$ man in wol sol sprechen unde dienen zaller zit.
Walth. 27, 30.
Swd du guotes wibes vingerlin Swer nie leit durh liep gewan,
mugest erwerben und ir gruoz., dern weiz ouch niht, wie herze-
das; nim: ez. tuot dir kunibers liebe lonen lean*
buoz.. MS. Hag. I, 302*-
du solt zir kusse gdhen
und ir lip vast umbevdhen: Er gewan nie manlichen muot
daz git gelucke und hohen muot der niht toerliche tuot
op si kiusche ist unde guot. etswenne durh diu wip.
Parziv. 127, 29 ff. Lanzel. 1017.
In der Alexandersage flndet sich das Marchen von
schOnen Blumen im Walde, aus deren festen rothen und ;
weissen Bluthenknospen, wenn der Schnee zergangen ist, lieb-
liche Madchen herausspringen, die den Sommer in reizender
Jugend unter dem Waldesschatten und dem Vogelsang hin-
leben. Wenn aber die Brunnen zu fliessen aufhOren, der Wald
fahl wird und die V6gel verstummen, dann schwinden die
Blumenkinder auch dahin und ihr kurzes Leben ist vergangen.
Den wundersamen Blumen lassen sich die Menschenmadchen
vergleichen. Ist der Vorfrtthling vorbei und dasjungeMenschen-
kind aus den ersten Jahren herausgethaut, dann schiesst es
auf wie jene Waldpflanzen ; und wenn die Zeit der Reife ge*
naht ist und Ahnung" und Sehnen sich' um die junge Brust
legt, dann tritt aus der springenden Hftlle des Kindes das
13*
196
stlsseste Wesen der SchOpfung, die Jungfrau. Aber die Brunnen
der Jugend rinnen nicht immer, die Blatter der SchOnheit
rieseln eines nach dem andern auf die braune Erde und der
Lebenston der Liebe verhallt. Da verhttllt das Weib sein Ant-
litz, und Heil ihm, wenn es sterben kann wie jene Frauen
des Marchens.
Das jungfrauliche Weib birgt einen unnennbaren Reiz;
Anmuth und hauchlose Reinheit flechten sich gleich Rosen
und Myrthen zusammen und drucken dem einfachsten "Weibe
eine glanzende Krone auf das Haupt. HOher angelegte Voiker
haben vor der Jungfraulichkeit stets ehrfilrchtige Scheu ge-
habt. Sie wussten die ersehnte Wiedergeburt der Gottheit
nicht anders zu vermitteln, als dass sie den menschwerden-
den Gott durch eine Jungfrau gebaren liessen. Sie verliehen
der Jungfrau Krafte, welche das menschliche Mass ubersteigen;
die Gabe der Weissagung ward ihr vertraut, und Zauber zu
kntipfen und zu lOsen vermochte zumeist die Reinheit des
Weibes.
Wir Deutsche dtlrfen mit gerechtem Stolze auf unsre
Yorfahren blicken, wie sie uns der ROmer schilderte. Es war
ein reines, kraftiges, keusches Volk, ein Volk, das rauh und
ungebildet in vielem, doch das richtige Gefuhl im Herzen
trug. Auch ohne ausdrilckliche Zeugnisse mttssten wir auf
eine besondere Achtung der Jungfrau bei den Germanen
schliessen; denn unter den GOttinnen unseres Volkes beweist
eine Reihe lieblicher Bilder, wie das Madchen verklart ward,
und auch im Rechte flnden wir die Juiigfraulichkeit geachtet.
Wir sehen jedoch hier einen eigenthilmlichen Streit zwischen
Frau und Jungfrau eintreten. Wahrend in einigen Volks-
rechten (1. Sax. II, 2. Hunsing6er Busst. 12. 13) Beleidigungen
cler Jungfrauen hOher gebilsst werden als die verheirateter
Frauen, zeigen andere (1. Alam. LVIII, 3. Bajuv. VII, 8.
10 — 13) einen Vorzug dieser, indem sie die Verletzung
der Rechte des Ehemannes hOher anschlagen als die Belei-
digung der Jungfraulichkeit. Das friesische Recht stellt Jung-
frauen und Witwen gleich ausgezeichnet vor die verheirateten
Weiber.
197
Selbst im Kriege. haben die Germanen ihre Achtung des
Weibes nicbt selten bewahrt, wenn die G-eschichte auch
gerade aus den Kriegen von Deutschen gegen Deutsche Grau-
samkeiten gegen Frauen und Kinder meldet. So brachten die
bereits bekehrten, aber innerlich noch heidnischen Franken
beim Ubergang ttber den Po dem Kriegsgotte ein grosses
Opfer von gotischen Weibern und Kindern als Erstlingen des
Krieges (Procop. b. got. II, 25), und die Thtlringer verubten
in den Kampfen mit den Franken an frankischen Frauen
und Kindern arge Rohheiten (Gregor. tur. HI, 7). Die Wi-
kinger pflegten bei ihren Einfallen in das Frankenreich alles,
Manner, Weiber, Kinder, niederzuhauen , wenn sie siegten.
Aber auch das Gegentheil lasst sich bezeugen. Als der west-
frankische KOnig Rudolf 925 die Stadt Auga (Eu) ersttirmt,
in die sich die Normannen unter Rollo geworfen haben, werden
alle Manner niedergemacht, die Frauen aber unberilhrt ge-
lassen (Richer, hist. I, 50). Gleiche Schonung hatte fruher
Totila den Neapolitanerinnen und ROmerinnen bewiesen, und
als ein vornehmer Gote sich eine Ungebtthrlichkeit gegen ein
neapolitanisches Madchen erlaubt hatte, liess er ihn trotz all-
gemeiner Verwendung hinrichten und sein VermOgen jenem
Madchen geben (Procop, b. got. Ill, 6. 8. 20). Die Skandi-
navier hatten den Frauenfrieden (quenagrid) gesetzlich fest-
gesetzt und hielten ihn in Kriegen und Familienfehden;
-ebenso genossen nach deutschen Gesetzen des 13. Jahrhunderts
Weiber und Jungfrauen alle Tage und alle Zeit an ihrem
Leibe und Gute Friede 1 ). Auch darin zeigt sich eine bevor-
zugte Stellung der Jungfrauen augenscheinlich, dass in frilher
Zeit als festeste Burgschaft des Friedens zweier V51ker oder
Staaten vornehme Jungfrauen als Geiseln gegeben wurden 2 ).
Auf diese Weise kam der Sage nach die burgundische Ktaigs-
tochter Hildgund an Attilas Hof.
x ) Sachsensp. II, 66, 1. Henrici treuga 1 (1230).
2 ) Germ. 8. hist. IV. 79. Sueton. Octav. 21. Dio Cass. 71, 12.
196
Lassen wir nun die Madchen und Frauen unserer Vorzeit
vor unsere Augen treten, wie die Schilderungen der KOmer
und Griechen, spater die Dichtungen und Bildwerke des
tieferen Mittelalters sie uns vorzaubern. In den alteren Zeiten
vor allem treten uns hohe, kraftige Gestalten mit hochblondem
Haare und bl&ulichen Augen entgegen; Leiber, die von der
ungeschwachten Kraft des Stammes zeugen . und die frische
Farbe des Wald- und Feldlebens tragen. Die Frauen waren
kernige Blondinen von jener stattlichen Erscheinung, die noch
heute nicht ganz verschwunden ist. Wie sich in jedem Volke
zu jeder Zeit die SchOnheit einzelne Stamme und Gegenden
zu Lieblingen wahlt, so werden auch bei den Germanen die
einen VOlkerschaften die andern an leiblicher Ausstattung
iibertroffen haben. Die gotischen VOlker zeichneten sich na-
mentlich durch hohen Wuchs, schOnes Gesicht, weisse Haut
und blondes Haar aus (Procop. b. vand. 1, 2) und ihre
Frauen waren allgemein so uberraschend schOn, dass selbst
die verwOhnten OstrOmer ihr Erstaunen dartiber laut aus-
serten (Procop. b. goth. 8, 1). Auch die Wandalinnen er-
weckten die Bewunderung der Byzantiner (Procop. b. vand.
n, 4). Im spateren Mittelalter waren in Frankreich die
deutschen Manner und die flandrischen Frauen als die
schOnsten ihres Geschlechtes beruhmt '). In Deutschland (auch
in Italien und Frankreich) gingen allerlei ungereimte . und
gereimte Sprftche urn, besonders im 15. — 17. Jahrhundert,
in denen die Weiber verschiedener Lander gepriesen wurden,
Oder welche aus den besonderen SchOnheiten einzelner Land-
schaften das Bild eines vollkommenen Weibes mosaikartig
zusammensetzten 2 ).
Wenn ich nun nach unseren mittelalterlichen Gedichten
die SchOnheit des Weibes im einzelnen zu schildern versuche,
a ) Le Grand et Roquefort, Vie privee 3, 405.
2 ) Sterzinger Miscellanhandschr. 332. Hatzlerin n. LXVIII.
Lochheimer Liederbuch, Nr. 42. Bebel. facet, lib. III. Fischarts Gar-
gantua 1590, S. 141 f. Fischarts Dichtungen, her. v. Kurz III, 436 ff.
Rabelais Gargantua, tibersetzt von Regis 2, 203. Eine provenzalische
Strophe bei Raynouard, Choix V, 154, eine italienische bei Reinsberg-
Diiringsfeld, Internationale Titulaturen 1, 8.
199
so gewahrt es sicher ein Interesse fur die historische
Asthetik, in die Herzens- und Kunstkammer der Dichter des
12. und 13. Jahrhunderts zu blicken 1 ). Entzilcken uber die
weibliche SchOnheit spricht sich ganz natiirlich in sehr vielen
Versen der epischen und lyrischen Dichter deutlich aus. Es
genilge hier an Walthers von der Vogelweide Strophe (46,
10. L.) zu erinnern, in der er die Erscheinung einer schOnen
edlen Frau schildert, wie sie in gesellschaftlichem Anzuge
(wol gekleidet unde wol gebunden), in heitrer Anmuth, vor
ihrer Umgebung hervorleuchtend wie die Sonne vor den
Sternen einherschreitet. „Der Mai bringe uns alle seine
wunderbare SchOnheit, schOner ist doch ihr holdseliger Leib !
wir lassen alle Blumen stehn und schauen das herrliche
Weib an."
Mehr als einer 2 ) verweilt gern und lange bei dem Preise
einer schOnen Frau und erkiart sich unfahig, solche Reize
*) tTber die Ideale der SchOnheit bei den Griechen: E. Rhode,
Der griechische Roman 150 ff., bei den Italienern des 14.— 16. Jahrh.
J. Burckhardt, Cultur der Renaissance in Italien (1860) 342 ff. t)ber
das deutsche SchOnheitsideal im 12. und 13. Jahrh. Alw. Schultz,
Quid de perfecta corporis humani pulchritudine G-ermani saec. XII.
XIII. senserint. Wratisl. 1866. Uber das franzosische Schonheits-
ideal der ritterlichen Zeit: L. Gautier, La chevalerie, S. 374 ff.
2 ) Zusammenh&ngende Schonheitsschilderungen finden sich bei
Herbort, Wirnt, Konrad Flecke, bei Konrad v. Wtirzburg mehrfach,
bei Ulrich v. Eschenbach, bei Jans Enikel, im Wigamur, Reinfried,
bei Walther v. Rheinau (Maria), in Heinzelins Minnelehre, in vielen
erotischen Geschichtchen.und.in Dichtungen des XIV. Jahrh. In den
alteren epischen G-edichten des 12. Jahrh., so in Eilharts Tristan,
begegnen sie mcht, einzelne formelhafte Ausdriicke abgerechnet.
"Veldecke in der Eneide schildert (1687 ff.) zwar Didos Gewand, aber
nicht ihre Gestalt; 5156 wird ein Anlauf zur Schilderung ihrer Reize
genommen. Hartmann verhalt sich im Erek ahnlich; 323—341 findet
sich eine kurze Schilderung, 1540. ff. wird die Kleidung beschrieben,
aber die leibliche SchOnheit 1700 nur ganz fliichtig gestreift; charakte-
ristisch ist 8926 ff. Im Iwein meidet Hartmann die SchOnheits-
beschreibung absichtlich. Gotfried verhalt sich im Tristan in ver-
wandter Art; 706 ff. wird mannliche, 922 weibliche Schonheit kurz
beschrieben; 10890 schildert der Dichter Isotes Anzug etwas aus-
fiihrlich, hat aber fur ihren KOrper nur wenig Worte. Wolfram geht
200
vOllig zu schildern. Ein Beispiel gewahre Konrad Fleckes
Beschreibung der schOnen Blanscheflur. Goldgl&nzende Haare,
sagt der Dichter, fielen um die Schlafe, die weisser als
Schnee waren; feine, gerade Brauen zogen sich fiber die
Augen, deren Gewalt sich keiner mit aller Kunst erwehren
konnte; Wangen und Mund waren schOn roth und weiss,
die Zahne ohne Tadel und elfenbeinen, Hals und Nacken wie
vom Schwan, die Brust voll, die Seiten waren lang und der
Leib in der Mitte zart und fein. Alles war so schOn, dass
man zu keinem Ende des Lobes kame und lobte man auch
noch so lange 1 ).
an den weiblichen Reizen nicht stumm voriiber, aber beschreibt
nicht das ganze Bild, wie das auch bei den Lyrikern der Fall ist.
In formelhafter Art wird den Einzelheiten ihr Preis gegeben, bei
Wolfram mit der ihm eigenen Colorirung. Das Volksepos liebt aus-
gefiihrte Schilderungen uberhaupt nicht und hat daher auch keine
breiten Beschreibungen weiblicher Schonheit. Es beharrt auf der
alteren Enthaltsamkeit. (Vgl. tiber den gleichen Zug bei den Griechen :
E. Rohde, Der griech. Roman 151.)
*) Flore 6873 if., andere Stellen Eneide 5156 f., Herbort 2489 ff ,
Wigal. 867 ff., Krone 8177 ff., Engelh. 2966, Troj. Kr. 19902 ff,
Wigamur 4905 ff, Reinfried 2107 ff, ttlr. Alex. 16978 ff 23799 ff
23909 ff. Altdeutsche Blatter I, 242. II, 392. Lassberg Lieders. 193,
115 ff. Hugo v. Montfort n. 21. Oswald v. Wolkenst. n. 50. Fast-
nachtspiele von Keller 265 f. Liederbuch der Clara Hatzlerin 37 b -
38*- H. Sachs, Fabeln und Schw&nke, her. von GOtze I. n. 1. Vgl.
auch Raynouard, Choix III, 202. Meon, Fabliaux et contes 3, 424.
Monmerqu6 et Michel, Theatre frang. 58. Vgl. auch Ci sont les divisions
des soixante-douze biautes qui sont en dames, bei Meon, Recueil de
fabl. I. Jubinal, Jongleurs et trouvSres 119. 182. Blasons anatomiques
du cors feminin. Lyon 1537. Rabelais Gargantua (v. Regis) II, 203.
Fischarts Gargantua (1590) 141. Hoffmannswaldau, Abbildung der
vollkommenen SchOnheit (Neukirchs Sammlung. Leipzig 1697. 2,
62). Z. d. V. f. Volkskunde 5, 358. Pitre, Archivio d. tradiz. popol.
XIII, 258 und andere italienische von R. KShler, German. 11, 219
beigebracht. In den verschiedenen Fassungen werden 7, 18, 30, 60,
72 Schonheiten aufgezahlt. Zu erw&hnen ist auch Bertrands von
Born Lied: Domna puois de mi no us cal (Rayn. Choix 3, 139), wo
er sich aus den Reizen der damals beruhmten SchOnheiten das Bild
einer Geliebten zusammensetzt.
201
Wir wenden uns zu den einzelnen SchOnheiten. Ein
bedeutender Theil derselben war das Kennzeichen der Nord-
vOlker 1 ), das lange blonde Haar. Wir wissen, wie bei den
Griechen blondes Haar geschatzt war (in den neugriechischen
Volksliedern ganz ebenso) und welchen Geschmack die RO*
merinnen daran fanden und wie hochblond unter ihnen Mode-
farbe wurde. Diese Vorliebe ging in das Mittelalter tlber und
erhielt sich dasselbe hindurch in den romanischen Landern,
wo nattirlich die dunkelhaarigen Damen zu allerlei Farbe-
mitteln deshalb greifen mussten. Die germanischen Frauen
•achteten, was die Fremde an ihnen sch&tzte, selbst sehr hoch
und iiberall wird dieser Schmuck besonders hervorgehobem
Helga Thorsteins Tochter gait fur das schOnste Madchen
auf Island ; nicht wenig trug ihr Haar dazu bei , das wie
Gold glanzte und so lang war, dass sie sich ganz darein
htillen konnte (Gunnlaugs s. c. 4) 2 ). Wissen wir doch, dass
auch die Manner, bei denen es zugleich das Zeichen der
Freiheit war (Rechtsalterth. 283) auf das lange Haar viel
.hielten und die gallische Ziegenpomade (inventum ruti-
landis capillis) noch fleissiger brauchten als die Frauen (Plin.
h. n. 28 ; 51). Ein rtlhrendes Beispiel filr die Liebe zu den
Locken des Hauptes gibt eine bekannte Stelle der Joms-
yikingasaga (c. 15). Als die ktthnen Seerauber der Jomsburg
nach hartem Kampfe uberwunden und gefangen sind und in
langer Reihe dasitzen, um einer nach dem andern enthauptet
zu werden, und als der Tod an den jiingsten kommt, bittet
er, man mOge ihm sein schOnes blondes Haar zuvor hinauf-
binden, damit es nicht blutig werde.
Bei den Frauen namentlich war krausgelocktes Haar
im 12. und 13. Jahrhundert beliebt 8 ), Ausserdem schatzte
2 ) Zeuss, Die Deutschen und ihre Nachbarstamme 5i f.
2 ) Weinhold, Altnord. Leben. 182.
8 ) reit reideloht Parz. 151, 23. 232, 20. 809, 2. Titur. 36, 2,
Wigal. 27, 5. Krone 8196. g. Gerh. 1688. Wigam. 4600. Virgin. 967,
13. Reinfr. 2110. 2140. krisp Wilh. 154, 11. krispel und krus
Partonop. 8685. Tr. Kr. 19908. krushar krisp unde gel MSH. I,
202
man die Lange der Locken 1 ) oder der schOn geflochtenen
ZOpfe 2 ). Die beliebteste Farbe blieb gelb wie gesponnenes
Gold oder wie Seide. Aber auch weissgelb wird als schOn
geschildert (Eneit 5156) und der Farbe falber Kramseide ver-
glichen (Lieders. 205, 92. — val har lane MSH. 1, 22 b . lieht
valbez har, Enikel Wkr. 13910. ir har als die siden lieht
ebd. 19683).
Braunes Haar wird seltener in den Gedichten an schOnen
Frauen oder Mannern gertlhmt. In den nordischen Liedern
und Sagas gilt braune Haarfarbe als Kennzeichen der Goten,
Langobarden, Franken (Altnord. Leben 181). Jedenfalls er-
schienen also in der Wikingerzeit die Sttdgermanen den nor-
dischen Yettern dunkelhaariger als sie selbst. Schwarzes
Haar gait fttr hasslich oder wenigstens filr fremd (ebd. 182).
Die Wangen liebte man von gesunder Farbe, weiss und
roth gemischt, wie gemalt 8 ). Die Rose dient zur Vergleichung
der schOnen ROthe der Backen 4 ). Wolfram preist die Wangen
der geliebten Frau als eine thauige rothe Rose, und Konrad
von Wttrzburg vergleicht die frische ROthe einer Rosen-
knospe, die sich im Morgenthau Offnet. Der Glanz der Wangen
wird auch einem Spiegelglas verglichen (Enikel Wkr. 12496).
Verirrung gegen den Geschmack der Zeit war, dass die Eng-
landerinnen des 12. und 13. Jahrhunderts die bleiche Farbe
fQr schOn hielten und durch weissschminken zu erreichen
327. har als di goltdraet — lind sam di siden, Enikel, Wkr. 12505.
(Von Enikel wird blondes Haar ofter dem zum nahen verwandten
Golddraht verglichen, Strauch zu Enik. Wkr. 11419.)
3 ) Wigal. 65, 31. Wildonie verk. wirt 329. EJrone 8196.
2 ) Parz. 151, 24. Wigal 65, 31. 190, 28. Frauend. 166, 17. Walth.
v. Rheinau 26, 56. Reinfr. 2140. Philipp Marienl. 836.
8 ) Eneit 5170. Herbort 601. Erek 1701. Trist. 17568. Krone 8178.
Partonop. 8656. Philipp Marienl. 856. Walther v. Rheinau 26, 40.
Wigam. 4913. Enikel Wkr. 12499. 14320. 19682. MSH. I, 150 b - 348*-
II, 23-
*) Herbort 3280. Nib. 281, 2. Wolfr. Lied. 9, 36. MSH. I, 24*-
II, 366 b - Wigal. 895. Partonop. 8679. Tr. Kr. 19956. Demant. 8697.
Apollon. 2145. Aber auch die ganze Gestalt wird einer Rose verglichen:
Strickers Daniel 527. 4281.
203
suchten l ). Gesimder war der FranzOsinnen Geschmack, welche
sich, wenn sie blass waren, durch gutes Friihstilck lebhafter
zu farben suchten (Chastoiem. de dames 367 — 372).
. Both und durchscheinend wie eine Bltlthe Oder wie eine
Rose im Thau, ja so roth, als streue er beim l&cheln Rosen,
gltihend, als kOnne Feuer daraus springen (Parzival 257, 20),
lockt der schOne Mund. Trotzig und iippig fragt er den lieben-
den: ja trutz? wer wagt mich zu ktlssen? (MSH. 2, 25 b ).
Klein, festgeschlossen und schwellend verheisst er dem ent-
ztlckten Manne die siisse Wonne des Kusses 2 ).
Wie Hermelin aus Scharlach, blicken aus den siiss-
athmenden Lippen die feinen, kleinen, geraden Zahne, deren
Weisse dem Elfenbein, der Lilie, dem Schnee verglichen
wird 8 ).
Mund bringen aber zu Munde die freundlichen Blicke,
die wie Sonnenschein aus den klaren Feueraugen in das Herz
spielend blinken 4 ) und deren Glanz den Sternen, dem Kerzen-
licht, dem Glas oder dem Spiegel verglichen wird 5 ).
J ) Anselmi Cantuar. opera II. B.** p. 197. Lutet. 1675. Daraus
Alex. Neckam (Th. Wright essays 1, 193).
2 ) Die Vergleichungen des Mundes mit der Rose sind sehr
haufig; auch dem Rubin wird er verglichen, z. B. MSH. I, 336*-
Gesammtabent. XV, 60. Tr. Kr. 14692. Wigam. 4909. Roter munt war
Kosename der Geliebten (German. 9, 402), aber auch Umschreibung
fur schone Frau.
8 ) Herb. 2994. MSH. I, 120 b - 308" II, 71 b - 218*- Partonop. 8672.
Walth. v. Rheinau 26, 26. Reinfr. 2210. Enikel Weltkr. 12515. —
Wigal. 918. Flore 6900. — Parz. 130, 11. Krone 8192. Tr. Kr. 19973.
*) spilndiu ougen Walth. 27, 56. 109, 19. 118, 32. MSH. I, 86 b -
351 b - 359 b - II, 366 b - Frauend. 507, 29. 521, 14. Flore 6891. Ernst B.
5191. Wolfdiet. B. 243. Pantal. 1954. Tr. Kr. 29236. Heinr. Trist. 3520.
Hadam. 649. Meier. 2919. Virgin. 116, 13. Lohengr. 6107. von Uehten
ougen spilnde blicke Frauend. 400, 12. Suchenw. 26, 40. der frouden-
rtche ostertac, der lachende in ir ougen lac Trist 925. lachende ougen
Wigal. 880. Mantel 12, 19. Frauend. 520, 2. 521, 13. ougm lose Enikel,
Wkr. 9777.
6 ) Gesammtabent. XIII, 80. XXIV, 25. Reinfr. 2159. — Phil.
;Marienl. 840. — Tr. Kr. 19935. — Neifen 12, 16. MSH. I. Ill*- 153"
Trist. 11977.
201
Die Farbe der Augen wird nicht besonders hervor-
gehoben; auch in Deutschland scheint, wie in Frankreich,
wo das vair die beliebteste Tinctur der Augen war, die un-
bestimmte Buntheit des Augapfels beliebt gewesen : ir ougen
klar gemischet waren ane var (Liedersaal XLV, 58). In der
Schilderung der Jungfrau Maria (bei Philipp 840 ff.) wird der
saphirne Oder jachatne Stern im milchfarbenen Weiss ge-
schildert, bei Walther von Rheinau (25, 47) der gianzend
schwarze Augapfel in hyacinthenem oder saphirnem Kreise
geruhmt. Graue Augen werden als schOn beschrieben von
Heinrich vom Ttirlein (Krone 8182. Mantel 12, 19. 17, 15).
Die Augenbrauen liebte man geschwungen, schmal und
scharf, wie mit dem Pinsel gezogen. Ftir besonders schOn
galten die braunen, worunter uberhaupt die dunkleren gemeint
sein mOgen 1 ); die Augenlider liljenweiss (Enikel Wkr. 12482).
Der Raum zwischen den Brauen musste breit sein,
zusammenstossende galten fur hasslich 2 ).
Die Stirne liebte man gewOlbt und weiss 8 ); die Nase
massig lang, nicht breit, nicht hOckericht, sondern gerade,
hOchstens ein wehig gebogen 4 ); das Kinn rund, weiss wie
Elfenbein, Schnee oder Lilien und mit einem Gnibchen ge-
schmtlckt 5 ) ; den Hals rund, nicht zu lang und nicht zu voll,
von so feiner Weisse, dass man den rothen Wein, den die
?) Eneit 5159. Wigal. 875. Flore 6889. MSH. I, 167 b - II, 65 b -
264*- III, 468 b - Mantel 12, 20. Engelh. 2882. Tr. Kr. 19924. Phil.
Marienl. 837. Wigam. 4922. Ulrich v. Eschenb. Wilh. 1506. Enikel,
Wkr. 12480. Reinfr. 2119. Gesammtabent. XIII, 79. XV, 57. Lieders.
XLV, 58.
2 ) Walth. v. Rheinau 26, 9. Rom. de la Rose 530. Meon, Fabl.
IV, 409.
3) Carm. bur. XLII, 4. Wigal. 871. Flore 6888.
*) Carm. bur. XL, 4. Wigal. 890. Flore 6832. Krone 8183.
Engelh. 2976. Tr. Kr. 19936. Phil. Marienl. 848. Enikel, Wkr. 12513.
Walth. v. Rheinau 26, 32. Gesammtabent. XX, 43. Suchenw. XXV, 200.
*) MSH. I, 15 b - 22 b - 61 b - 210 ■• II, 23 "• Krone 8197. Tr. Kr.
19984. Phil. Marienl. 862. Walth. v. Rheinau 26, 27. Gesammtab. XX,
47. Fragm. 43 c - Suchenw. XXV, 193. Hatzl. 188"-
205
SchOne trank, durch die Haut scheinen sah (Enikel Wkr.
12525. 14340. Ges. Abent. 20, 48). Das ward noch an der
schOnen, ungltlcklichen Agnes Bernauer gertthmt (Arapeck bei
Freyberg, Sammlungl, 174), derGeliebtenHerzogAlbrechtsIH.
von Bayern.
Schultern und Nacken mussten nicht minder weiss
glanzen und glatt und wohlgebildet sich herabsenken *). Die
Arme verlangte das SchOnheitsbild linde, weiss, rund und
massig lang 2 ); die Hande schOn geformt, weich und von
einer Weisse, die dem Hermelin oder dem Schnee verglichen
wird 8 ); die Finger lang, fein und schmal, dieNagel glanzend*).
Die SchOnheit des runden, weissen, jungfraulich kleinen
und doch vollen Busens wird gebtihrend gepriesen 5 ).
Den Wuchs des schOnen Weibes beschreibt ein spaterer,
der aber ganz in der Anschauung des Mittelalters steht,
Suchenwirt, ze rna%en lane, enmitten klein (fein), sinwel mit
swanc(XXV, 181) 6 ). Die schmale, feine Taille bei voller Brust
2 ) Flore 6902. Tr. Kr. 7506. 19988. Wigam. 4936. Enikel, Wkr.
12704. Reinfr. 2142. Montfort XXI, 19.
2 ) Alex. 5277. Herbort 2496. Parz. 130, 24. Krone 8203. MSH.
11, 84 b - Partonop. 8697. Tr. Kr. 19994. Eracl. 1820. Heinzel. Minnel.
660. Lassb. Lieders. CCL, 46. Hatzl. 185 a
8 ) Eneit 5175. arme blame, schune hande, vinger lane, glander
negel, Herbort 2496. — Eilh. Trist. 967. Erek 355. Parz. 279, 13. Trist.
8070. 9420. Wigal. 4883. Krone 8204.-, MSH. II, 21 b - Tr. Kr. 15778.
Heinzel. Minnel. 661. Wigam. 4935.
*) Flore 6910. Krone 8208. Philipp Marienl. 878. Tr. Kr. 15830.
Demant. 2207. Walth. v. Rheinau 27, 25. Gesamrntab. XL, 23. Lohengr.
787. Reinfr. 2256.
5 ) Carm. bur. LVI, 3. Parz. 258, 26. Wilh. 155, 7. Titur. 36, 2.
j. Tit. 1249, 3. Lohengr. 3125. MSH. II, 93- III, 468 b - Partonop.
8731. Gesammtab. XL, 22. Fragm. 26 "• — der minne rosenbollen
fragm. 43 c - — ateam zwei kugellin Tr. Kr. 20215. — zwene epfel
j. Tit. 1247, 3. Tr. Kr. 20218. Gesammtab. LVIII, 20. Lieders. CLXXXIII,
127. Reinfr. 2267. — zwo Urn Wigam. 4931. Suchenw. XXV, 184.
Keller Erz. 179, 2. Wolkenst. Nr. XXXVII. 2, 1. Fastnachtsp. 399,
12. 653, 16. 749, 34.
6 ) Dazu Montfort XXI, 22 ff. Kittel 25, 22 if.
206
und Httfte priesen die Dichter oft 1 ). Wolfram v. Eschenbach
vergleicht solchen Wuchs humoristisch dem der Ameise (Parz.
410, 2. 806, 24). Die schlank aufgeschossenen MMchen werden
auch einem Baumreise verglichen 2 ), oder einer Kerze (Wolfd.
B. 338, 2). An den runden Beinen schliesst dann ein schmaler,
kleiner Fuss 8 ), der so gewOlbt ist, dass sich ein VOglein
darunter verstecken kann, die ganze liebliche Gestalt des
Weibes ab.
Die Vergleichung des herrlichen Frauenbildes mit Sonne
und Mond ist auch der deutschen alten Poesie gel&ufig 4 ).
Sonnenweiss (solhvit H&vam. 97), sonnenglanzend (solbiprt
Helgaqu. 2, 45) sind Beiworte in Liedern derEdda; diu sunnen-
brehende liehte heisst Isot bei Heinrich von Freiberg (Trist,
4495. 4526) und Gottfried von Strassburg vergleicht die beiden
Isolden (Tochter und Mutter) der Sonne und dem Morgenroth
und Brangaene dem Vollmonde (Trist. 9460 f.). Sie leuchtet
wie die Sonne, sangen Heinrich von Morungen (M. Fruhl.
129, 20) und der hundert Jahre jungere Markgraf Otto IV. von
Brandenburg (MSH. 1, 12 b ); ein juncfrou sam diu sunne, sagt
Jans Enikel Wkr. 9754. Es ist der voile, die Welt durch-
leuchtende SchOnheitsglanz. Yon den schOnen Armen Gerds,
der Tochter des Riesen Gymir, war die Luft und das Meer
durchstrahlt (Skirnismal 6).
Aber auch dem milden, reinen Schimmer des Mondes
vergleichen, wie Griechen und ROmer gethan 5 ), unsere mittel-
alterlichen Dichter die Geliebte, namentlich gern dem Vollmonde
(Morungen, M. 'Fruhl. 136, 7. 143, 25. ff. Neithart 58, 24),
!) Bother 75. Alex. 5896. En. 5158. Herb. 610. Parz. 413,
18. Trist. 10898. MSH. I, 22 b - II, 78 *• 84 b - III, 468 c - Tr. Kr. 20000.
— hiiffe MSH. II, 86 b - 93*- Wigam. 4908. Lohengr. 3130. fragm. 26 c -
2 ) swankel als ein ris Parz. 806, 18. Wilh. 154, 13. alsam ein
widegerte MSH. 1, 301 b -
3 ) MSH. II, 84 b - 93 s - Tr. Kr. 20012. Fragm. 18 6 Wigam. 4941.
Suchenw. XXV, 167. 172. Montfort XXI, 29. Altswert 25, 27.
4 ) Stan. Prato, Sonne, Mond und Sterne als Schonheifcssymbole
in Volksmarchen und Liedern, in d. Zeitschr. d. Vereines f. Volks-
kunde. 5, 363-383. 6, 24-52.
6 ) E. Rohde, Der griechische Roman 153.
207
und beliebt ist das Bild, wie der Mond die Sterne tiberstrahle,
so die gepriesene Frau alle tibrigen 1 ).
Durch das armliche, zerrissene Gewand der edelarmen
Enite leuchtet ihre weisse Haut wie ein Schwan, Oder wie
eine Lilie unter schwarzem Dornstrauch (so heisst es in
Hartmans Erek 330. 337). Schwanweiss, Svanhvitr, ist ein
alter Frauenname, und auch Beiname von Frauen (EQadgudr
svanhvit), und auf die Vergleichung weiblicher schOner Weisse
mit dem Schnee 2 ) grilnden sich die Frauennamen Snsefridr,
Sn6oburc und Schneewitchen des Kindermarchens.
In den Marchen vieler VOlker wird erzahlt, dass schOnen
und guten Madchen, wenn sie sprechen oder lachen, Kosen,
Weizen, Goldmunzen, Ringe, Perlen aus dem Munde fallen 8 ).
Auch in deutschen Marchen findet sich, freilich selten, dies
erwahnt, haufiger in skandinavischen. —
Man hat wohl gesagt, die Liebe sei unter den Deutschen
in ihrer rechten Heimat; andre VOlker hatten sie auch, allein
sie sei bei ihnen ein sinnliches, verrauschendes Gefuhl; nur
bei den Deutschen bluhe die innige, durch Geist, Gemuth und
Leib dringende, zwei Seelen verschmelzende ewige Kraft,
die wir mit einem alten schOnen Worte Minne heissen. Wer
mOchte den andern YOlkern Unrecht thun? Wer wollte aus
ubertriebenem Patriotismus unwahr sein? Das aber ist gewiss,
dass das echte deutsche Wesen in seiner Beschaulichkeit,
seiner sinnigen Selbstversenkung, seinem Gemtithsreichthum
und seiner bescheidenen Selbstsucht alle Stoffe enthait, um
eine rechte Liebe oder Minne mOglich zu machen. Langsam
wie dieMuschelerschliesst sich das Herz der deutschen Jungfrau,
um dem geliebten Manne die Perle treuer, unendlich be-
!) Kaiserkron. 11754. Nibel. 282. 760, 3. Erek 1767. MSH. 1,
112 b - Luarin 751.
2 ) lieplich priune, rote rosen roete, snebes wize hat ir lip,
Lichtenst. Frauend. 508, 30. noch wizer danne ein sn^ ir lip vil wol
gestalt, Morungen, M. F. 143, 24.
8 ) R. KOhler zu L. Gonzenbachs Sicil. Marchen 2, 225 mit
Nachtrag in der Zeitschrift des Vereins fur Yolkskunde 6, 71 f.
Uhlands Schriften 3, 420 ff. 512. 5, 130.
208
gliickender Weiblichkeit zu spenden. Das echte deutsche
Madchen sieht in ihm nicht das mannliche Wesen, nicht den
Yergniiger und Ernahrer, sondern den Freund, den Vertrauten,
den treuen Gef&hrten in Freud und Leid diesseits und jenseits
des Grabes. Die deutsche Liebe ist unverganglich und hofift
die Unsterblichkeit; die undeutsche entsteht und vergeht mit
der Stunde des Eausches, und ihr graut vor langerem Leben
als in einer Spanne Zeit. Die deutsche Liebe ist fromm und
kindlich wie Gretchen, die undeutsche ist wie die Semiramis
der Sage.
Das Wort Minne ist ein Edelstein unserer Sprache. Es
bedeutet ursprunglich das Denken und Sinnen, dann das
gtltige, liebende Meinen ; die althochdeutschen tTbersetzer geben
caritas durch minna wieder; auch die liebende Hingabe an
Gott und Christum wird Minne genannt. So erklart sich, dass
Minne die hohere wahre, innere Neigung zwischen Mann und
Weib bezeichnet, im 12. und 13. Jahrhundert auch die durch
den Frauendienst eigenthumlich gestaltete. Durch das ganze
18. Jahrhundert herrscht in diesem Worte die edle Be-
deutung vor. Was Wolfram v. Eschenbach in den Titurel-
bruchstticken 51, 2 sagte, Minne wohne auf der Erde, ftthre
in ihrer Eeinheit zum Himmel, sie sei allenthalben, nur nicht
in der HOlle, das tOnt durch die Dichter der Zeit hindurch.
Eins der besten Worte, spricht Eeinmar von Zweter (Spr. 32),
ist Minne: Minne ist die Ubergoldung, der vollste Schatz der
Tugenden, Minne schliesst die guten Werke fest in sich. Sie'
ist die Lehrerin reiner Gesinnung, Keuschheit und Treue
sind ihre Gefahrten. Mchts kann der edlen Minne sich ver-
gleichen als eine Frau, die Ehre 7 Treue und Ziichtigkeit
starkt, den Weisen vertraut, den Thoren fremd ist.
Aber der pessimistische Zug, der durch die Geschichte
gar manches Wortes geht und es oft ganz tOtet, bricht -auch
in Minne durch. Neben der schOnen ursprunglichen reinen
Bedeutung liegt fruh die einer leidenschaftlichen Empfindung
darin : schon althochdeutsche Glossen ubersetzen ardor (Hitze)
und ignis (Feuer) durch minna, und in den folgenden Jahr-
hunderten wird das Wort hier und da fur die geschlechtliche
209
Liebe gebraucht 1 ). Dies wird im 14. Jahrhundert haufiger
und so wird das Wort allmahlich in guter Gesellschaft ge^
mieden. Urn 1500 gilt Minne ftir ein unanstandiges Wort
(Haupt zu Engelh. 977) und damit ist sein Tod in den Schrift-
werken besiegelt. Es lebt erst im 18. Jahrhundert durch die
erwachende Beschaftigung mit den Minnesangern des Mittel*
alters wieder bei den Dichtern auf.
Das Wort Minne wich dem Worte Liebe, das zuerst
Anmuth, Wohlgefallen , Freude, Lust bezeichnete und dann
allmahlich den Begriff freundliche Gesinnung, Zuneigung,
Liebe kraftiger entwickelte. Am Ende des 12. Jahrhunderts
hat das Wort diese Bedeutung bereits so sicher, dass es mit
Minne den Wettstreit beginnt 2 ), in welchem dieses schliess-
lich unterliegt. Indem Minne die Liebesempfindung uberhaupt
und damit auch das Sinnliche darin bezeichnet, Liebe aber
die freudige, gehobene Stimmung, die aus der Minne in
edleren Naturen hervorspriesst, so erscheint Liebe allmahlich
als etwas reineres, hOheres. In einer Anrede an Frou Minne 3 ),
die Wolfram von Eschenbach in seinem Parzival halt, sagt
er ihr geradezu, ihre Ehre hange von der Verbindung mit
frou Liebe ab (291, 15 — 18). Darunter ist aber nicht der
Liebreiz, die Anmuth zu verstehn, sondern die edlere, be-
gltickte Seelenstimmung der in Liebe vereinten.
a ) Althochdeutsche Glossen von Steinmeyer 2, 527. Z. 37. 41.
42. - Milst. Genes. 56, 19. 57, 12. Nibel. 588, 3. 601, 3. 783, 3. 797,
4. Erek 9105. Tristan 1313. 1325 Welsch. Gast. 853. MSH. 1, 187 a - III,
159 * Heinzel. Minnel. 1307.
2 ) Auf diese Nebenbuhlerschaft der beiden Worte bezieht sich
Ulrich von Lichtenstein, der sich dagegen und beide fur eins be-
deutend erkl&rt: sttetiu liebe hei^et minne: liebe, minne ist al ein.
die kan ich in minem sinne niht gemachen wol zuo zwein. liebe muo$
mir minne 8tn immer in dem herzen min Frauendienst 430, 1—6. liebe
unde minne als synonyma verbunden, Trist. 16426. 17602.
• 8 ) Die Personification der Minne, der provenzal. Amors (fern.)
entsprechend, findet sich zuerst bei Fr. v. Hausen (M. Fr. 53, 23),
kommt auch bei Wolfram und bei Gottfr. v. Strassburg vor, ist aber
von Walther v. d. Vogelweide besonders oft benutzt.
Weinhold, Deutsche Frauen. I. 14
210
In gleichem Sinne nennt Graf Konrad von Kilchberg
ware liebe der minne tlbergulde (MSH. I. 24'), d. h. etwas
hoheres, kOstlicheres als die Minne; und der Zusammenhang
seiner Verse ergibt , dass er unter minne die durch die leib-
liche SchOnheit der Geliebten entzttndete Neigung, unter liebe
aber die auf ihre giiete und tugent gebaute tiefere Liebe ver-
steht. Diess sind die Wege, auf denen die beiden Worte
weitergingen; das eine stieg hinauf zur Herrschaft, das andera
stieg abwarts und musste sich schliesslich verstecken, bis es
durch die jungen GOttinger Dichter in den ersten siebziger
Jahren des 18. Jahrhunderts wieder belebt und zu neuen
Ehren gefahrt ward.
Minne, trute minne, siie$e minne, mines herzen minne
waren auch kosende Worte der Liebenden unter einander. Die
Zahl derselben zu erschOpfen, wtlrde schwer sein, denn Liebe
ist zu alien Zeiten auch in Schmeichelnamen hOchst erfin-
derisch gewesen. Im Oswaldgedicht 2 ) begrilsst der braut-
werbende Kabe die schOne Frau Spange als Liljen- und Rosen-
thau, als lichten Morgenstern, als Maienreis und bluhendes
Paradies. In einem geistlichen Liebesgesprach in Hug von
Langensteins Martina (77, 84 ff.) begegnen die weltlichen
Koseworte: friedel und tnlt, Taube, Herbsttraube, bluhendes
Paradies, weisse Lilie, rothe Rose, Wurzgarten, Freudenwarte,
Sommerwonne, Gltickesbronnen, blumenreicher Wald, des
Herzen Minnenest, Wonnenthal, Preudensaal, der Liebe Ge-
sundbrunnen (heilwac), Maienthau, Freudenschau, Nachti-
gallensang, der Seele Harfenklang, Osterblume, Honigschmack,
der Freuden Gespiel, endloser Trost. In einem spateren Ge-
dicht (Hatzler. 148') nennt der Liebende die Geliebte unter
andern seinen bltihenden Anger, seinen strahlenden Sonnen-
glast, seiner Seligkeit Biirde, seinen glanzenden Morgenstern,
seine Rose, seinen Mandelkern, seinen stlssen Balsamduft,
seinen Trost bei Nacht und Tag, sein lustiges Maienspiel,
aller seiner Sorgen Ziel, seiner Freude Anfang, der Minne
lustig Band und seiner Augen Himmelreich, dem auf Erden
nichts ist gleich.
2 ) Wiener Hs. in Z. f. d. Alt. 4, 203.
211
Endlich fuhre ich noch aus dem trefflichfen Btichlein
„Der Ackermann aus BOheim" , das im Jahre 1399 ein ge*
wisser Johann zu Saaz in BOhmen verfasste, die Liebes-
namen an, welche der verstorbenen Gattin gegeben werden 1 ):
meiner Wonne lichte Sommerblume, meiner Seligkeit Haft,
meine auserwahlte Turteltaube, meine frOhliche Augenweide,
mein Friedeschild vor Ungemach, meine wahrsagende Wttn-
schelruthe, mein Morgenstern, meines Heiles Sonne, mein
ehrenreicher Falke.
Einzeln kommen solche Koseworte fGr die Geliebte ftberall
in Dichtungen und selbst in Prosaschriften der mittelhoch-
deutschen Periode vor. Allgemein sind die Worte liep, trtlt
oder herzetrtit und sundertrtit 2 ), mit weiblicher Bildung triut-
inne; friunt 8 ) und friundin, herzefriundin, in franzOsischer,
von den hofischen Dichtern ohne Scheu gebrauchter Form
amis und amie;. geselle, trtogeselle, buole (fur beide Ge-
schlechter), saBlic wip, sselic frouwe, saeldenriche^ wip. Dann
finden wir: min siie^iu (Erek 8840), min stie$el (MSH. H, 93*),
stle^er lip (MSH. 2, 24 a . Krone 26505), vil lieber lip (MSH,
2, 167 b ), minneclicher lip; rOter munt, mttndel r6t 4 ); herze
unde sele min (Krone 26607), mines herzen verh (Parz.
710, 29), mines herzen ingesinde (Neith. 56, 13), mines herzen
kie (MSH. HI, 445 a . Grimm, Ged. auf Friedrich den Staufer,
£. 76), mines herzen Osterspil- (MSH. H, 72 a ), mines herzen
Ostertac (ebd. H, 366 b , HI, 442*), mines herzen bltlender 6ster»
tac (Neith. 237, 10), min froelicher Cstertac (Seuse, ExempL
1, 1, 10); mines herzen summerwunne, mines herzen minne
{Seuse, ebd.) ; si sunnenblic, si meienschin, si vogelsanc (MSH.
2, 336 a ) , mein lustig meienspil (Hatzler. S. 148), mines herzen
paradis (Heinzel. Minnel. 1783), mines herzen frOudenschin
1 ) Ausgabe von Knieschek, Prag 1877, S. 4. 6. 10.
2) des Wunsches trut Heinzel. ML. 1539. herzentriitkin MSH.
II, 25*
s ) friunt auch fur die Geliebte gebraucht, Sommer zu Flore 2114,
4 ) Zingerle in Pfeiffers Germ. IX, 402 f. Wilmanns Walther
v. d. Vogelw. S. 158 Anm. Crane 3551. 4399. Die Dichtung vom
rothen Munde, her. v. Keller; Ambraser Liederb. 208, 1.
14*
212
(Krone 26654), mines herzen trdst und ouch min ktineginne
(MSH. I, 108V), mines herzen ktineginne (MSH. I. 116 ft -
174*, vgl. Trist. 872), m. h. keiserinne (MSH. II, 27 b ); mines
herzen spiegelglas (Meier. 2937), miner ougen spiegelglas
(MSH. H, 126 b ), miner ougen spil (ebd. II, 66 b ), miner ougen
wunne (Neith. 65, 12), liebiu schouwe (MSH. H, 263*); vil
stte^iu troesterin (MSH. I, 153 b ), miner frOuden trOst (ebd.
H, 168 ft ), min hfthster trOst in stie^er ougenweide (ebd.
II, 336 b ), al mines tr6stes wunsch und miner saelden tac
(ebd. I, 9'); froelicher sunnentac (ebd. II, 159'), min liebiu
stunt (Seuse, Exempl. I, 1, 10); liehtiu spilndiu sunne (MSH.
I, 131 b )*), rain liehter morgensterne (MSH. I, 125') 8 ), mein
glestig morgenstern (Hatzlerin, S. 148) ; min golt min hort min
edelgesteine (MSH. I, 156*), liebes zarte? gold (Fastnachtsp.
402, 5); sue^iu r6se (Eracl. 3316), min bldende rOse, gewahsen
sunder dorn (MSH. H, 336 a ); meienblttete (Ring 13, 12), lin-
dentolde (ebd. 12, 33), min zuckerkrutkin (MSH. II, 25 8 ), bal-
sam tror, ach du siie^es zuckerrGr (ebd. HI, 420 b ) — Es ist
nur eine Auslese, die aber genQgen wird.
Fur das schiichtern und verzagt sein, wie fur die heftige
leidenschaftliche Liebe bietet unsere alte Sprache und Poesie
eine Anzahl Ausdrttcke, die zum Theil uralt sind und auch
bei andern VOlkern sich finden. Dem Schiichternen wird
zugerufen, die Frau beisse nicht, sie sei kein wildes Thier 4 ) ;
von dem, der an der Geliebten Mund fortw&hrend hangt,
.wird spOttisch gesagt, er esse sie fttrBrot 6 ). Das „vor Liebe
x ) Sommer zu Flore 777. ktineginne MSH. I, 135** frouwe
Icuneginne tibtr lip und aber guot MSH. I, 133 a - min kOnegin
MSH. II, 158 a - min ktineginne Neifen 20, 35. herskunegtn Trist. 18259.
Neith. 66, 26. herzenkiineginne Neith. 71, 35.
2 ) min se svetesta sunnan scima Cod. Exon. 252, 20.
3 ) min morgensternlin MSH. Ill, 307 b - Ring 12 d , 35. Grimm, Ged.
auf Friedr. d. Staufer, S. 73. In einem schwed. Tanzliede (Dybek
Runa 1842, IV. 74) heisst es: und seh ich meine Liebste in dem
Tanze gleich dem Morgensterne gehn.
4 ) min frouwe bizet iuwer niht, Iwein 2269. jo enwas ich niht
ein eber wilde MSH. 1, 97 a - Vgl. Haupt Z. 2, 192. 6, 462.
6 ) disen sumer hat er si gekouwen gar fur br6t, MSH. 2, lll b -
Wackernagel bei Haupt 6, 294.
213
fressen" kntipft sich zugleich an den alten Aberglauben, dass
Frauen lebenden Mannern das Herz aus der Brust stehlen
und essen kOnnten, damit diese in sie verliebt wilrden (Grimm,
Mythol. 1034). Erscheint doch die Liebe als zauberhaft und
wunderbar in Entstehung und Wirkung, so dass einer Zeit,
die an Zaubereinfluss auf Leib und Seele glaubte, die An-
nahme eines Liebeszaubers sehr nahe liegen musste. Auch
hierbei finden wir im skandinavischen Norden die Runen
verwandt. Der islandische Skald Egil Skalagrimsson kommt
auf seiner Reise nach Wermland zu dem Bauer Thorfinnr
und findet dessen Tochter Helga schwer krank. Er ahnt
Zauber, und man entdeckt auch beim Nachsuchen einen
Runenstab im Bette des Madchens. Der ihn schnitt, hatte
die Kunst nicht verstanden und statt Liebesrunen (man-
riinar), die er ritzen wollte, Siechrunen geschnitten. Egil
schabte die Runen ab, warf den Kienstab ins Feuer und
liess die Kleider des Madchens in die Luft hangen (Egils s.
c. 72). — Als Freys Diener Skirnir fur den Gott die Liebes-
werbung bei der Riesin Gerdr anbringt und sie weder Bitten,
noch Versprechungen, noch Drohungen nachgeben will, droht
er zuletzt, Runen gegen sie zu ritzen. Hierauf ftigt sich
Gerdr (Skirnismal 36). Auch aus den nordischen Liedern von
Siegfried werden uns heimliche Liebesmittel bekannt. Durch
Zauberkixnste macht Griihhild (Uote) den Sigurd seiner Liebe
und seines VerlObnisses mit Brynhild vergessen und flOsst
ihm Neigung ftir Gudrun (Krimhilt) ein (Gudriinarqu. 2, 21.
Gripissp. 33. Yplsung. saga c. 25. 26). In dem ersten Bryn-
hildliede (Sigrdrifumai 7) werden Runen gegen BethOrung
durch fremde Weiber mitgetheilt. Die Rune Naud (N6t) auf
den Nagel, Olrunen auf den Rilcken der Hand und auf das
Horn geritzt, worin der Liebestrank (minnisveig) geboten wird,
waren zu solchem Zwecke wirksam. Als besonders kraftig
gait ein Trunk, durch Zaubersprfiche und Lieder und Runen
reich gesegnet (Sigurdrifum. 5). Mit solchen Kansten ver-
suchte sich das ganze Mittelalter, und die kirchlichen Buss-
bestimmungen geben auch in dieser Beziehung manchen
interessanten Beitrag zur Sittengeschichte. Liebeszauber,
214
durch Spruch und Zaubermittel gettbt, gehOrt noch jetzt zu
dem durch alle VOlker verbreiteten Aberglauben 1 ). tFber diesen
Aberglauben spricht Bruder Berthold treffende Worte. Das
eine Mai sagt er: „Pfui, glaubst du, dass du einem Manne
sein Herz aus dem Leibe nehmen und ihm Stroh daftlr hinein-
stossen kOnnest?" und ein andermal: „Es gehn manche
mit bOsem Zauberwerk urn, dass sie wahnen, eines Bauern
Sohn oder einen Knecht zu bezaubern. Pfui, du rechte ThOrin!
warum bezauberst du nicht einen Grafen oder einen KOnig?
dann wiirdest du ja eine Ktaigin werden" (Predigten I, 265.
II, 70). Als die Hexenverfolgungen bluhten, brachte nicht
selten vermeintlicher Liebeszauber ein Weib auf den Scheiter-
haufen, und manches M&dchen musste fur seinen Liebreiz
mit dem Tode bussen.
Aber lassen wir die aberglaubischen Zaubermittel und
wenden wir uns zu dem Verhaltniss zwischen den beiden
Geschlechtern. I n der Stellung, welche der Mann zu dem
Madch.en_.oder 3er Prau in der Liebe einnimmt, offenbart
sich nicht allein die sittliche Keife, sondern auch die gesell-
schaftliche Cultur eines Volkes und einer Zeit. . Wie ver-
schieden ist die letzte nicht in den vielen Jahrhunderten
gewesen, welche wir unser Mittelalter nennen! Welcher Ab-
stand zwischen der Zeit der ersten Germanenkriege gegen
die KOmer und dem Jahrhundert der luxemburgischen KOnige f
Die Hochstellung der Frauen durch die Germanen, die
wir frtther zu beriihren Gelegenheit hatten, war eine mehr
religiose als weltliche, mehr eine passive als active. Sie be-
trachteten das Weib im ganzen als ein kOrperlich schwacheres^
aber geistig begabtes Wesen, das Anspruch auf Schutz und
Schonung, sowie auf Ehrerbietung und Werthhaltung zu
2 ) Vgl. Theodor, poenit. 1, 14. §. 16. confess. Pseudo Egberti
c. 29. poenit. Pseudo Egberti IV. c. 18. poenit. Valicell. II, c. 29
correct. Burchardi c. 64. 154. 160. 161. 164. — Ploss-Bartels, Das Weib
in der Natur- und VOlkerkunde, I s , 352—364. E. S. Hartland, The
Legend of Perseus 2, 117—131. A. Wuttke, Deutscher Aberglaub'e,
§§. 548-555.
215
fordern hatte. Wir wtirden sehr irren, wenn wir die Frauen
als die bestimmenden Mittelpunkte des hauslichen und des
geselligen Lebens ansetzen wollten. Das Weib war Weib, zu
deutsch ein Wesen im Rechte hinter dem Manne, und Frauen
wie jene Albruna, Weleda, Ganna, die auf das G-eschick des
Volkes Einfluss tibten, stunden nicht mehr auf weiblichem,
sondern auf halbgOttlichem Boden. Rechtlich war die Lage
der Frau untergeordnet, sie ist in altester historischer Zeit
der der Kinder im vaterlichen Hause gleich. Und dennoch
war die deutsche Frau sittlich ausgezeichnet. Der keusche
Sinn des Volkes war die Grundrechturkunde des Weibes,
weibliche Zucht und Ehre stunden in hOchstem Werth. Rauh
konntie es behandelt werden, aber nicht roh; es konnte
kOrperliche Misshandlungen in der leidenschaftlichen Aufregung
erfahren, aber keine sittlichen. Ein leuchtendes Beispiel hierfar
ist die gefangene KOnigstochter Gudrun unsers Epos, die
Hartmut von Normannenland ihrem Vater, dem Hegelingen-
kOnig Hetel, und dem Brautigam entfuhrte. Sie lebte viele
Jahre unter den Feinden gefangen, Hartmut liebte sie mit
aller Kraft, aber seine Bitten so wenig wie seiner .Mutter
Misshandlungen vermochten sie, die Verlobte eines andern, ihre
Einwilligung zur Ehe zu geben und Hartmut dachte tiichtig
genug, um nicht mit Gewalt zu rauben, was ihm von der
Gefangeneii versagt ward. Das ist gute germanische Art.
Was wir romantische Liebesverhaltnisse nennen, setzt
eine Verfeinerung des gesellschaftlichen Lebens voraus, die
unseren altesten historisch erkennbaren Zeiten vOllig fremd
war. Ich will dem folgenden Abschnitt nicht vorgreifen, worin
ich von der Verlobung handeln werde. Allein das muss hier
bemerkt werden, dass uber die Hand des Madchens von ihrer
Familie verftigt wurde und dass dem Madchen in alter Zeit
kein Einspruchsrecht zustund. Wer sich um eine Frau bewarb,
hatte also nicht zuerst bei dem Herzen derselben anzuklopfen,
sondern in feierlicher, gemessener Weise unter Betheiligung
seiner Sippe ging er den gesetzlichen Verlober um die Ab-
tretung des Familiengliedes an und erwarb dasselbe durch
feststehende Leistungen.
216
ThOricht ware die Behauptung, dass darum alle Ehen
ohne Liebe geschlossen worden seien. Die uralte zeugende
Weltkraft war auch in der altesten Zeit in den germanischen
Manner- und Madchenherzen heimisch; nur in ihrem Ver-
haltnisse zur Ehe mag einige Verschiedenheit von der spateren
Zeit geherrscht haben. Der Mann fuhlte sich damals in seiner
vollen Bedeutung, in ungekranktem Rechte. Die Verwirrungen
moderner Verhaltnisse waren unbekannt. Es war die Zeit,
da der Speer und die Leibesstarke geboten, die Zeit, da jeder
freie Mann allein unter dem Gesammtwillen gleichfreier stund.
Und auch nachher noch, als der frankische Staat gebildet
war, stund das ganze Leben so auf die Waffen gebaut, dass
Mannestttchtigkeit tiber allem gebot. Da konnte die Unter-
wiirflgkeit gegen ein Madchen, das Aufopfern des Mannes-
willen, am wenigsten schmachtendes Dienen und Werben in
kein Mannerherz kommen. Die Liebe entsprang in dem Busen
des Weibes und der Mann empfing sie als eine Anerkennung
seiner Tuchtigkeit, die er verdient hatte, und die er mit
treuer Zuneigung vergalt.
Wenn nach Zeugnissen filr das eben gesagte gefragt
wird, so- liegen sie theils in der Natur der Verhaltnisse selbst,
theils sind sie aus der Poesie des vorhofischen Mittelalters nach-
zuweisen. Unter den norwegisch-islandischen Gedichten, die
in dem Liederbuche der Edda gesammelt sind, zeichnen sich
die Helgilieder durch SchOnheit und poetische Kraft aus.
Namentlich ragen aber die zwei Lieder von Helgi, dem Hun-
dingstodter, dem Sohne Siegmunds, dem Stief bruder Siegfrieds
hervor 1 ), die uns schOne Zeugnisse fur jene Liebe bieten.
Helgi ist ein echter Welsung. Den Freunden eine Wonne
schiesst der Knabe wie eine Ulme auf; er spart das Gold
nicht, wo es den Gefahrten, das Schwert nicht, wo es den.
Feinden gilt; und als er filnfzehn Jahre alt ist, racht er seinen
Vater Siegmund an dem KOnig Hunding, der ihm Leben und
Land genommen hatte. Hundings SOhne erbieten sich er-
J ) tibersetzt von Hugo Gering: Die Edda. Die Lieder der so-
genannten alteren Edda. S. 160—182. Leipzig, bibliogr. Institut (1892).
Die Geringsche Eddaiibersetzung ist die einzig zuverlassige bis jetzt.
217
schreckt zur Busse far Siegmund, obschon sie den eigenen
Vater mit Blut zu siihnen hatten; allein der Jtlngling weist
das Gold zurtick, er freut sich auf Odins Grimm und der
Gere Unwetter. Gierig heulen die Wolfe des Schlachtengottes
um das Wahlfeld; eine reiche Leichensaat wird gesaet und
der junge Held erschiagt das ganze Geschlecht der Feinde.
Da blitzt es uber den Bergen und unter Helm und in blutiger
Brttnne, Strahlen um die Gere, reiten Schlachtjungfrauen am
Himmelsfelde herauf. Helgi ruft sie an und ladet sie ein, mit
ihm heim zu reiten und des Gelages in der Halle zu geniessen.
Aber vom Rosse herab entgegnet Sigrun, Hagens Tochter:
„Anderes als zechen liegt uns am Herzen. Einem ungeliebten
Manne, dem grimmen HOdbroddr, bin ich vom Vater verlobt
und in wenig Nachten ftlhrt er mich heim, wenn du mich
nicht rettest und den KOnig zum Holmgang ladest". Und
Helgi sagt zu, dem Feinde zu trotzen, wenn der Tod es ihm
nicht wehre.
Helgi hat den HOdbroddr zur Schlacht gefordert und
beide segeln mit ihren Schaaren zu dem bestimmten Wahl-
platz. Die Schiffe rauschen durch das Meer und der Sturm
kommt und die Wogen werfen sich Helgis Kielen trotzig
entgegen. Die Felsen mOchten in der wilthenden Flut zer-
brechen, aber Sigrun schtttzt den geliebten und rettet ihn
aus der Meerfrauen rauberischen Armen. Eine unzahlbare
Menge von Schiffen und VOlkern hat HOdbroddr gesammelt;
auch Sigruns Vater und Bruder stehn bei ihm, denn sie
zurnen dem kecken Brautrauber. Die Erde bebt, da die fahlen
Gere zusammenfahren, aber Helgi ist unerschrocken voran
im Gewuhl und behelmte Jungfrauen beschirmen ihn. Die
Feinde fallen und Rabe und Wolf halten ein reiches Mahl.
Als nun der Kampf schweigt, wandelt Sigrun ilber das
Schlachtfeld ; in den Jubel ilber des Geliebten Sieg mischt
sich bittere Klage um den gefallenen Vater und die Bruder,
deren einer nur vor Helgis Schwerte Gnade fand. Niemand
ist nun, der das Paar zu trennen wagte.
Aber das Gltick ihrer Liebe wahrte nicht lange, denn
es ging aus Blut hervor. Dag, Sigruns Bruder, hat dem
218
Schwager zwar Friede geschworen, aber machtiger denn der
Eid ist die Pflicht der Blutrache. Er opfert dem Odin, und
der Grott leiht ihm den eigenen Ger und Helgi f&llt durch
die Waffe, gegen die nichts schtttzt. Als sein eigener An^
klager tritt darauf Dag vor die Schwester: er habe denbesten
Fttrsten der Welt erschlagen. Umsonst bietet er das reichste
Wergeld, vergebens waizt er die Schuld auf Odin; Sigrun
verflucht den Binder: ein Wolf soil er sein draussen im
Walde, alle Freude soil ihn fliehen, das Ross, das Schiff
wurzele unter ihm fest, wenn ihm auch der Feind im Nacken
sasse.
tiber Helgis Leiche wird der Todtenhilgel aufgeworfen.
Am Abend geht eine Magd zum Grabe, und sieh, da kommt
der todte Herr geritten mit grossem Gefolge und heisst die
Dienerin der Frau sagen, er sei gekommen und bitte sie, das
Blut der Wunde ihm zu stillen. Da steigt Sigrun hinunter
in den Htlgel zum Gemahl und ehe er die blutige Brunne
abstreifen konnte, umhalst und ktlsst sie ihn und klagt, wie
kalt seine Hande und wie benetzt vom Schlachtenthau er sei.
Helgi entgegnet: „Du allein hast Schuld daran; denn jede
bittere Thr&ne, die du weinst, failt als Blutstropfen auf meine
Brust kalt und schwer. Aber wohlauf ! lass uns den kOstlichen
Met trinken, keiner klage tiber die Wunde auf meiner Brust,
denn die Gattin ist doch bei mir dem Todten". Und Sigrun
bereitet das Lager, das friedliche; an seiner Brust will sie
schlummern, wie sie that, als er noch lebte, und Helgi, er-
griffen von solcher Liebe, die auch den Tod nicht scheut,
ruft aus: „Geschehen ist, was niemand wahnte weder spat
noch frtih: die weisse Hagentochter, die lebendige, schiaft
dem Todten im Arm". So schlummern sie bis zum Morgen-
grauen; da muss Helgi auf, denn ehe der Hahn kraht, soil
er tiber den rOthlichen Wegen im Westen der Himmelsbrtlcke
sein. Sie scheiden; Helgi reitet nach Walhalla, Sigrun geht
zum einsamen Gemache. Am Abend harrt sie auf die Wieder-
kunft des Geliebten, aber sie harrt vergebens; und nicht
lange sitzt sie sehnend und verlassen am Todtenhilgel, denn
ihr Herz bricht an der Trennung von dem Geliebten. Die
219
Sage aber erweckte das Paar von den Todten und Sigrun
lebte als Kara, Helgi als Helgi Haddingenheld zu neuer Liebe
auf. Im Liede aber leben sie ewig 1 ).
Ich wasste kaum eine ergreifendere Verherrlichung der
Frauenliebe aufzuweisen als diese Helgilieder, aber die Liebe,
die sie schildern, ist doch anders in ihrer Entstehung, als die
heutigen Liebesgeschichten wollen. Die Neigung entspringt
in dem Madchen und dieses gesteht sie dem Manne, dessen
Trefflichkeit sie in ihm unbewusst erzeugte. Es ordnet sich von
Anfang an unter, es sieht zu dem herrlichen auf,. und doch
ist das Verhaltniss so zart, so innig, so poetisch, wie es nur
das beste sein kann, das sich in umgekehrter Folge ent-
spinnt. Das M&dchen ist rein und der Mann ist edel; da ist
es gleich, wer das erste Wort spricht; es wird die festeste
Liebe bis Qber den Tod hinaus.
Auch das Gedicht von Walther von Aquitanien kOnnen
wir zum Zeugniss auffordern fiber die Liebesverhaltnisse in
der vorhofischen Zeit 2 ). Es gehOrt dem 10. Jahrhundert an.
Der HunnenkOnig Attila hat von den Franken, Bur-
gundern und Aquitanern G-eiseln genommen: aus Burgund
die KOnigstochter Hildgund, aus Aquitanien den KOnigssohn
Walthari, aus Franken Hagano von Troja. Durch Anmuth
der Sitten und kunstreiche Arbeit wird Hildgund der Ge-
mahlin Attilas, Ospirin, bald lieb und diese macht sie zur
Verwalterin ihres Schatzes. Hagen und Walther ttberragen
die Hunnen rasch an Tapferkeit und Starke, und der KOnig
stellt sie an die Spitze des Heeres. Als Hagen aber von seines
KOnigs Gibich Tode hOrt, entflieht er, denn er meint sich
jetzt nicht mehr als Geisel verpflichtet. Walther aber, den
l ) An die Verwandtschafb der Lenore von Burger mit dieser
Sage hat schon W. Wackernagel erinnert: Haupt und Hoffmann,
Altdeutsche Blatter 1, 177.
a ) Waltharius manu fortis, herausgegeben von J. Grimm in
seinen und Schmellers latein. Gedichten des 10. und 11. Jahrh.
S. 1 — 126. Waltharius, Latein. Gedicht des 10. Jahrh. Mit deutscher
"Dbertragung und Erlauterungen von J. V. Scheffel und A. Holder.
Stuttgart 1874.
220
Attila fester an sich ketten will, weist unter scheinbar trif-
tigem Vorwande den Vorschlag einer Vermahlung mit einem
hunnischen Madchen zurtick. In dem nachsten Kriege zeichnet
er sich abermals aus und mit Ruhm geschmuckt kehrt er
an den Hof zuriick. Da tritt er mtlde und durstig in ein
Gemach des Palastes und findet dort Hildgund allein. Er
umarmt und ktisst sie und bittet um einen Labetrunk, und
wahrend er trinkt, halt er ihre Hand fest. Freundlich spricht
er dann weiter zu ihr und erinnert sie daran, dass sie beide
als Kinder von den Eltern verlobt worden seien; was wollten
sie da von unter einander schweigen? Hildgund nimmt die
Rede des beriihmten gefeierten Helden ftlr Spott und nach
einiger Stille erwidert sie: „Warum lasst du die Zunge reden,
was das Herz verschmaht? ein Madchen wie mich kannst du
nicht zur Braut haben wollen". Er aber tlberzeugt sie, dass
er aus dem Herzen spreche, er redet von gemeinsamer Flucht,
theilt ihr den Plan mit, den er langst entworfen, und in
demuthigem Vertrauen erklart nun Hildgund, sie folge, wohin
er sie ftihre. — Die Siegesfeier wird zur Flucht benutzt: als
die Hunnen zur Nacht alle trunken sind, brechen Walther
und Hildgund auf , die Rosse mit Kostbarkeiten des ktaig-
lichen Schatzes reich beladen. Am Tage verbergen sie sich
im Dickicht, in der Nacht fltichten sie auf ungebahnten Pfaden
weiter. So erreichen sie endlich den Rhein, setzen bei Worms
tiber und gelangen im Wasgenwalde zu einer sicheren Statte,
um die erste Nachtruhe seit dem Aufbruche aus Hunnenland
zu halten. Walther vertraut sich Hildgunds Wachsamkeit und
bei ihren Liedern schlummert er ein. Allein er soil keiner
langen Ruhe geniessen. Gtlnther, der FrankenkOnig, hat durch
den Fergen, der sie iibersetzte, von der Uberfahrt der Fremden
bei Worms erfahren; er ist nach den Schatzen Itlstern, welche
der Held mit sich fuhrt, und hat sich aufgemacht mit Hagen
und elf anderen Degen, den Flttchtling einzuholen. Sie nahen
im Walde dem Wasgenstein 1 ); Hildgund gewahrt von dem
J ) L. Uhland hat im September 1857 die im lateinischen Epos
genau geschilderte Felsenburg aufgefunden und J. Scheffel, der sie
1873 besuchte, sie in seinem und Holders Waltharius S. 160 f. be-
Felsgipfel aus unten im Thale die gewaffneten, die sie fur
Hunnen halt, weckt Walther und fleht ihn an, sie zu todten,
auf dass keiner sie bertihre, nachdem sie nicht die seine
werden solle. Walther aber erkennt die Franken und auch
den alten Freund Hagen, riistet sich aber doch zum Kampfe,
und es thut Noth. Denn Gttnther trotz Hagens Abmahnung
verlangt die Schatze als LOsegeld und Walther vertheidigt
sie. Einer der Franken nach dem andern tritt hervor und
einer nach dem andern fallt vor dem gewaltigen Walther.
Der Kampf ruht nicht eher, als bis Hagen, Gunther und auch
Walther schwer verwundet sind und die kecke Kampfeslust
gebiisst ist. Die sich vorher das Leben bedrohten, sitzen nun
friedlich beisammen; Hildgund verbindet dieWunden, mischt
den Wein, und Scherze und freundliche Rede gehn im Kreise
herum. Dann kehren die beiden Franken nach Worms heim,
Walther aber zieht mit Hildgund weiter nach Aquitanien, wo
sie von den Eltern frOhlich empfangen das Fest der Vermah-
lung begehn.
In diesem Gedichte geht allerdings die Liebeserklarung
von dem Manne aus, allein das behauptete Verhaltniss wird
dadurch nicht geandert. Hildgund, die burgundische KOnigs-
tochter, nimmt das Gestandniss des ihr ebenbtirtigen, aber
gleich ihr vergeiselten, als Btirge verpfandeten Westgoten nicht
wie ein Madchen der hofischen Zeit als eineteehr erkiarliche
Huldigung ihrer Reize auf, sondern sie erblickt in Walther
den ruhmreichen, hochgefeierten Helden, fur den wohl sie
Neigung und Verehrung aussern kOnne, dessen Liebeserkla-
rung dem verdienstlosen Madchen aber wie Spott erscheint.
Als sie der Wahrheit gewiss ist , zeigt sie sich fortwahrend
demuthig und seinem Willen zu folgen bemtiht. SchOn ist das
Bild im Wasgenwald, wie sie trotz der eigenen Mudigkeit
liber dem mtiden Walther wacht und den Tod von ihm be-
gehrt, als sie durch die Verfolger sein Verderben und ihre
schrieben. Es ist der Wasgenstein, jetzt Wasenstein, eine halbe
Stunde nOrdlich von dem an der grossen Strasse von Weisse nburg
nach Bitsch gelegenen Dorfe Niedersteinbach. ^^es^TT^
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Schmach vor Augen sieht. Rein und jungfraulich zieht sie
mit dem Brautigam in seine Heimat ein und ein langes,
gltlckliches Leben belohnt sie.
Bis in das 12. Jahrhundert hinein tritt in unserer Poesie
dieser ernste Charakter des Lebens in Liebe und Ehe hervor.
In der G-eschichte von Lucretia, wie sie die deutsche Kaiser-
chronik eines Regensburger Geistlichen aufgenommen hat,
wird erzahlt, dass die ROmer den Collatinus, der aus Trier
zu ihnen geflohen war, veranlassen, um eine ROmerin zu
werben. „Da ward ihm das Weib lieb wie sein eigener Leib
und auch ihn minnte die Frau mit aller Treue, mit Ztichtig-
keit und Freundlichkeit, in aller Demuth liebte sie den ktlhnen
Helden und grosse Wonne ward ihnen eigen" (V. 4339 der
Ausgabe E. SchrOders). Als dann die rOmischen Herren vor
Biternum lagen, da erging sich ihr behagliches Gesprach tiber
allerlei, aber berilhmte Helden, aber Geschichten von Feig-
heit, tlber Rosse und Hunde, uber die JagdvOgel und sonstige
Kurzweil, und dann redeten sie von den Frauen. Einige
sagten, wtlrde ihnen ihr Weib genommen, sie wollten es
nimmer klagen und weinen. „Bei Gott dem machtigen",
sprach dagegen mancher, „ich habe ein frommes Weib, ich
liebe sie wie mein Leben. Bieder ist sie und voll Gtlte, sie
erfreut gar oft mein Geimithe." Der vertriebene Mann aus
Trier aber riefr „bei meinem Leben! ich habe das trefflichste
Weib, das jemals ein Mann auf rOmischer Erde gewann!" 1 )
Und als nun Tarquinius die Wette bietet, sein Weib sei edler
und schOner, reiten die beiden Herren nach Rom, wo sie
um Mitternacht ankommen. Lucretia eilt, als Collatinus an
J ) Man denkt liier und bei anderen verwandten Stellen unserer
alten Gedichte an Yalentins Worte im Faust (3267 ff.): Wenn ich
■so sass beim Gtelag, Wo mancher sich beriihmen mag Und die
Gesellen mir den Flor Der Madchen laut gepriesen vor, Mit vollem
Glas das Lob verschwemmt; Den Ellenbogen aufgestemmt, Sass
ich in meiner Run, Hort' air dem Schwadroniren zu. Und streiche
lachelnd meinen Bart Und kriege das voile Glas zur Hand Und sage:
alles- nach seiner Art ! Aber ist eine im ganzen Land, Die meiner
trauten Gretel gleicht? —
das Thor gepocht, tlber den Hof ihm entgegen und ruft:
„Willkommen seist du, lieber Herr! ich fttrchtete fur dich
gar sehr. Bei dem machtigen Gott! du hast gut gethan,
dass du zu mir gekommen bist. All meine Angst ist nun
von mir gewichen!" Der Gatte aber erwidert kurz: „Was
lasst du aus mir werden? ich habe heute noch nichts ge-
gessen". Und sie heisst das Mahl rtisten und bedient die
zwei, schenkt den Wein in die Goldbecher und bittet den
Gast, frOhlich zu sein. Ihr Gatte aber nimmt das Trinkgefass
und schttttet es ihr ins Gesicht. Sie jedoch verneigt sich
ztlchtig und eilt, ihr Kleid, das begossen war, zu wechseln
und kredenzt dann wieder den Wein. Der Kfrnig aber sprach
zu ihr, als sie sich von ihm vor der Nachtruhe verabschiedete:
„Lohne dir Gott, Frauel dir sind alle Ehren eigen. Sittig bist
du und reich an alien Tugenden", Und in dem Lager rfihmte
er sie nach der RQckkehr als das beste Weib, das er je
geschaut habe, Sie ware werth, die rOmische Krone zu tragen.
Gtite und Demuth neben der SchOnheit sind die Gaben,
wegen derer nach dem allegorischen Gedichte von der Hoch-
zeit der Herr auf dem Gebirge die Jungfrau im Thale zur
Gattin wirbt 1 ). Und die kirchlichen, aus der h. Schrift ge-
zogenen Lehren iiber die Ehe, wie sie in dem gleichzeitigen
Gedichte vom Recht vorgetragen werden 2 ), entsprechen durch-
aus der deutschen volksthtimlichen Auffassung von dem Ver-
haitniss zwischen Mann und Weib. „DasWeib ist vom Manne
gekommen, darum soil sie ihm gehorsam sein, und weil sie
von seinem Leibe ist, geht er ihr. nach und sucht sie in
seine Gewalt zu bringen. Das soil nur nach dem Recht ge-
schehen. In rechter Vermahlung soil sie seine Gattin (chone)
sein, wie er ihr Mann (charl) ist. Das dritte dazu ist das
Kind, die Frucht der Ehe. Altes Recht ist, dass der Laie ein
Weib habe und andere meide. Das junge Weib schmticke
sich und sie lebe mit dem Manne, den ihre Sippe ihr gibt
J ) Deutsche Sprachdenkmale des 12. Jahrhunderts, herausg.
von Th. G. v. Karajan 23, 23.
2 ) Ebend. 12, 6 ff.
und enthalte sich der andern", Und schon vorher sagt der
Dichter: „Nach den Worten Gottes, dass er der dritte wolle
sein, wo zwei im Rechte zusammen sein, so mOge wohl
Gott, wo Mann und Weib wie ein Leib zusammen sind, als
dritter Geselle bei ihnen weilen. Jedes von ihnen sei der
Seelenkammerer des andern, auf dass es far ihn Rede stehn
kOnne bei der Auferstehung" (ebd. 11, 9 — 21). Auf das deutsche
Familienrecht und das Gesetz der Zucht ist also nach der
alt tlberlieferten Meinung die Liebe und die Ehe gegrundet
von altester Zeit bis in das 12. Jahrhundert, und wir wollen
es gleich hier bestimmt aussprechen, auch in dem ubrigen
Mittelalter, trotz hofischem Frauendienst und ritterlicher
Abenteuersucht. Das feste Geruste des hauslichen Lebens
blieb im Grunde auch in der vornehmen Gesellschaft der
stauflschen Periode unerschilttert, mochten sich auch leichtes
Rankenwerk und fluchtige Bltithentriebe darum schlingen 1 ).
Im Burger- und Bauernstande lebte ohnehin die alte Weise fort.
Der Mann filhlte sich als der herrschende Theil in alien
Verhaltnissen und darum auch dem Weibe gegentiber im
Vortheile: in seinem Stolze meinte er die Liebe fordern zu
kOnnen. Ein kurzes Gedicht des 12. Jahrhunderts, welches
Lebensregeln fur ritterliche Frauen gibt 2 ), rath denselben, ihre
Liebe nur dorthin zu wenden, wo man sie zu lieben verstehe.
„Ich habe manchen Mann gesehen, der von keiner anderen
Minne weiss, als dass er wahnt, die Frauen seien in seinen
kraftigen Leib verliebt. Da kommt aber ein anderer, der ist
noch etwas langer als jener, und meint, er solle darum die
Liebe haben. Einer glaubt, die Frauen miissen sich in seine
SchOnheit verlieben, ein anderer in seine Ktthnheit, ein dritter
in sein htibsches Haar; einer, er musse wegen seiner Starke
2 ) Ulrich von Lichtenstein spricht in seinem Frauendienst
trotz des verriickten Dienstes, den er der frouwe leistet, der er sich
gewidmet, mit Zartlichkeit von seiner herzeiilieben konen (Ehefrau) : diu
kund mir niht lieber gesin Frauend. 222, 4 ff. ferner 251, 22. 318, 25.
*) Docen, Miscellaneen II, 306; daran schliesst sich ein zweites
mit Regeln fur ritterliche Manner, vgl. dazu Steinmeyer im Anzeiger
fur deutsches Alterthum und deutsche Litteratur II, 238 f.
225
geliebt werden, einer wegen seiner ritterlichen Thaten —
sie tauschen sich alle furwahr!"
Aus dieser Meinung der Manner von ihrer unwider*
stehlichen Liebenswiirdigkeit gingen nicht bloss jene Gesprache
beim Wein hervor, worin sie von ihren Erfolgen bei den
Weibern theils logen, theils schamlos schwatzten; es wurzeln
auch darin jene sogenannten Frauenstrophen der fc alteren
Lyriker des 12. Jahrhunderts, in denen die Frau als die ver-
liebte und werbende dargestellt wird (oben S. 135 f.). Ein
freches sich anbieten der Weiber, wie es die Kreuzfahrer-
geschichten von den Sarazeninnen und den Griechinnen (mit
einiger Massigung wird es im Grafen Rudolf vorgeftihrt) und
die bretonisch-franzOsischen Romane von den Damen der
ritterlichen Gesellschaft zu erz&hlen liebten, ist durch nichts,
am wenigsten durch unsere Poesie bezeugt, wenn man sie
richtig und einfach auffasst. Verse wie jene unter des Ktirn-
bergers Namen gestellten: wip unde vederspil die werdent
lihte zam; swer si ze rehte lucket, so suochent sie den man,
gehOren einem Don Juan des 12. Jahrhunderts. Man wird
sie heute noch in wustem Mannermunde finden, sollte sie
aber nicht zur sittlichen Signatur der deutschen Frauen jener
Zeit verwenden.
In edeln und tiefer angelegten Mannern ist dem Weibe
gegentiber nicht Stolz und behagliches Empfangen (geschweige
elende Prahlerei) auch in jener alteren Zeit das herrschende
gewesen, sondern die Liebe ward von ihnen ebenso tief ge-
fuhlt, als von den Madchen und Frauen. Walther von Aqui-
tanien kann dies schon bezeugen, ebenso jener Collatinus der
Kaiserchronik. Wieland, der halbgOttliche Held, sitzt in tiefem
Liebesgram an seinem Ambos, als ihm Alvitr entflohen ist,
und harrt seiner schOnen Gehebten, ob sie wiederkommen
wolle (YOlundarqu. 5). Erschatternd spricht sich die dankbare
Liebe des Mannes tiber die Treue des Weibes bis in den Tod
in denVersen aus, welche Helgi sang, als Sigrun in seinen
Grabhiigel gekommen war (Helgaqu. Hundingsb. II, 46. 48).
Das gesellige Leben der vornehmeren deutschen Kreise
ward im 12. Jahrhundert seit dem zweiten Kreuzzuge, auf
Weinhold, Deutsche Frauen. I. 15
welchem die deutsche Ritterschaft mit der franzOsischen in
enge Verbindung gekommen war, weiter und freier. Es erhub
sich eine grOssere Lebenslust, das Bedtirfniss nach gl&nzen-
derem Verkehr untereinander, nach reicherem Schmuck der
kleinen und grossen Festlichkeiten, und damit traten auch
die Frauen aus ihren Gemachern Ofters heraus. Sie waren
nicht mehr bloss beim Kirchgang zu schauen und bei sel-
tenen Hoffesten, sondern auch bei den ritterlichen Kampf-
spielen. Wenn der junge Siegfried ein ganzes Jahr an dem
burgundischen KOnigshofe zu Worms verweilt, ohne Kriem-
hild gesehen zu haben (Nibel. 137), so ist dies in der alten
strengen Abgeschlossenheit der Frauen von dem Verkehr mit
den Mannern des Hofes begrundet und eine Spur alterer Zeit
als der, in welcher die Nibelunge Not ihre abschliessende
G-estalt erh^lten hat.
Das Ritterthum 1 ) hat den hoflschen Frauendienst ge-
schaffen. Die Lebensweise und die dartiber waltenden Ord-
nungen des Ritterstandes sind eine neue, die alten Standes-
rechte wesentlich abandernde Einrichtung, welche sich im
11. Jahrhundert zun&chst in Frankreich ausbildete und von
dort nach Deutschland kam. Die Befahigung zum berittenen
Kriegsdienst gait nun hOher als die freie und edle Geburt;
die erhaltene Umgurtung mit dem Reiterschwert (diu swert-
leite) 2 ) konnte selbst dem KOnig eine ErhOhung der persOn-
lichen Ehre geben. Leute, die nach ihrem Greburtsstande leib-
eigene Dienstmanner waren, stiegen durch das ritterliche
Leben und das Zeichen desselben, den weissen Schwertgurt.
um die Hiiften (la ceinture blanche, cingulum militare), in
die hOchsten Kreise der Gesellschaft auf. Das war eine
2 ) Das Hauptwerk ist z. Z.: La chevalerie par L6on Gautier.
Paris 1884. Der Verfasser geht davon aus, dass die Chevalerie
weniger eine Institution als ein Ideal sei, das die Kirche aus einem
usage germain schuf. „La chevalerie c'est la forme chr^tienne de la
condition militaire; le chevalier c'est le soldat chr^tien", S. 2.
2 ) Schilderung des Ritterschlages bei A. Schultz, HOfisches
Leben 2. A. 1, 181 ff., und ausfiihrlicher K. Treis, Die Formalitaten
des Ritterschlages in der altfranzosischen Epik. Berlin 1887.
227
solche Umwalzung alter rechtlicher Zustande, dass man sich
fiber weitereVerwirrungen und Verirrungen nicht wundern darf.
Fur den Ritterstand bildeten sich feste Satzungen des
Lebens aus: eine besondere Standesehre und Standessitte.
Das Streben, Starke, Mannheit und kriegerische tibung durch
ruhmreiche Thaten bewiesen zu haben, ftlhrte zu der Sucht
nach Abenteuern, und hiermit und mit dem Gebote, den
Frauen, wie alien Schwachen und Bedrangten besonderen
Schutz zu erweisen, verband sich allmahlich ein ausgezeich-
neterDienst, den der Ritter einerDame vor alien widmete,
der aber in Gedanken alien Frauen gait. Frankreich ging
auch hierin voran. „Kein Land versteht sich besser auf
freudvolles Leben als Kerlingen. Deshalb ist seine Ritterschaft
gut; sie ist dort angesehen und beriihmt, manch anderes
Land hat an ritterlichem Leben durch dieses Yorbild zuge-
nommen. Gar schOn dienen die Franzosen den Frauen um
Lohn, denn man lohnet dort den Rittern mehr als irgendwo
sonst", heisst es in dem Gedicht Moriz von Craon (251 ff.).
Also ein anregendes Vorbild ist Frankreich den andern Lan-
dern in Ritterschaft und Frauendienst gewesen. Die Bedin-
gungen aber dafur und selbstandige Anfange dazu waren in
ihnen und natiirlich auch in Deutschland vorhanden.
Leider kOnnen wir die Entwickelung dieser gesellschaft-
lichen Veranderung nicht in den einzelnen Stufen verfolgen,
da wir unsere poetische Litteratur des 12. Jahrhunderts nur
unvollstandig besitzen. In der Kaiserchronik, deren alteste
Gestalt um 1150 fertig war, erkennen wir bereits die Anfange
eines hOflschen ritterlichen Lebens, von Frauendienst aber
flndet sich noch keine Spur. Der Osterreichische Dichter
Heinrich, der in seinen Gedichten „Erinnerung an den Tod"
und „vom Priesterleben" an Laien und Pfaffen Strafrede und
Mahnung richtete und zwischen 1153 und 1163 schrieb,
schildert den Ton der ritterlichen Gesellschaften aus eigenen
Erinnerungen als roh. Den Hauptgegenstand ihrer Unter-
haltung bilden die Weiber; wer sich rtlhmt, die meisten ver-
ftihrt zu haben, gelte am hOchsten. Den Ruhm eines tilch-
tigen Kerls habe, der recht viele im Kampfe erschlug (von
15*
des tddes gehttgde 342 — 372). Mag hier auch der dtistere,
bittere Sinn des Dichters, der der Welt in tiefer Erschtttterung
entsagt hatte, die Worte scharfen, feine, hofische Bildung des
Osterreichischen Ritterstandes in der Mitte des 12. Jahrhun-
derts wird man hiernach nicht behaupten wollen; es ist
Reiterunterhaltung grober Art, von der wir hOren. Doch fallt
auf das Leben zwischen Mann und Weib in der vornehmeren
Gesellschaft Osterreichs durch Heinrich spater noch ein Licht-
Strahl. Er schildert eine Frau, die ihren Mann bewundert,
von seiner SchOnheit, seiner eleganten Kleidung, seinen feinen
Manieren, seinen tandelnden Worten, seiner Kunst, verliebte
Lieder zu singen, entzttckt ist (ebd. 597 — 629). Hier ist also
galantes Leben bezeugt, und die trouiliet, die der Ritter ge-
fallig (behagelichen) vorzutragen verstund, ebenso wie die
troutspd (die Liebesgeschichten), die Heinrich an andrer Stelle
(vom Pfaffenleben, v. 671) erwahnt, verbOrgen uns eine lyrische
und epische, von Liebe handelnde Poesie um 1160 filr das
Donauland, die ohne einausgebildetes geselliges Leben zwischen
den beiden Geschlechtern, ohne einen gewissen Frauendienst,
nicht denkbar ist.
In Osterreich gerade hat die kunstm&ssig sich ent-
wickelnde Lyrik fruchtbaren Boden gehabt: der von Ktlrn-
berg und Dietmar von Aist gehOren dorthin; andre Oster-
reichische Lyriker sind verschollen, welche mit dazu bei-
trugen, dort die Schule der Lyrik zu grtlnden. Die Burg-
grafen von Regensburg und Rietenberg sind aus dem benach-
barten Bayern, Meinloh von Seflingen leitet zu den Schwaben
tlber. Bei dem Rietenburger, bei dem Seflinger, ebenso wie
in den jttngeren Liedchen, die unter Aists Namen gehn, ist
der Frauendienst voll entwickelt. Der Ritter dient um den
Liebeslohn seiner Dame in heimlichem Verhaltniss, das von
Aufpassern (den merhern) gefahrdet ist 1 ). Das letzte Ziel der
WQnsche wird offen als der beste Lohn bezeichnet 2 ); und
i) Minnesangs Friihling 11. 12, 1. 13, 3. 14, 5. 18, 12. 23. 19,
5. 38, 31. 40, 21. - 7, 24. 12, 21. 13, 14. 14, 17. 16, 19.
2) M. Friihl. 13, 22. 14, 34. 15, 8. 17, 2. 35, 21. 40, 2. 7.
229
nicht bloss mit Madchen, sondern tiberwiegend mit verhei*
rateten Frauen werden die geheimen Liebschaften gepflegt.
Als das beste Mittel, den Merkern das Spiel zu verderben,
bezeichnet Meinloh von Seflingen, nicht lange zu schmachten,
sondern sich rasch die Frucht zu brechen 1 ). Aber diese
altesten Liebessanger kennen auch den Liebesgram, und wo
die Frau schmachten lasst und den Dienst nicht bald belohnt,
kommt das zweifelnde bangen und langen, das truren ilber
sie (M. Fr. 11, 26. 12, 29. 35, 22). Alle Motive also des ritter-
lichen Liebens und Leidens tOnen schon hier zu uns heniber.
Die Zeit, in welcher diese altesten ritterlichen Dichter
ihre Lieder dichteten, wird um 1170—1180 angesetzt. Die
Verhaltnisse, aus denen sie heraussangen, sind wahrscheinlich
ein bis zwei Jahrzehnte alter. Zwischen 1180 — 1190 ist der
Frauendienst und mit ihm die Liebeslyrik schon in voller
Bltlthe: der Pfalzer Friedrich von Hausen (t 6. Mai 1190),
der Limburger Heinrich von Veldeke, der Thiiringer Heinrich
von Morungen beweisen es. Die Liebe wird bei ihnen bereits
Gegenstand dialectischer Grubelei, der Dienst ist durchgebildete
Mode. Hierauf wie auf manches in der poetischen Technik 2 )
hat die franzOsische Sitte und sud- und nordfranzOsische Lyrik
eingewirkt.
Aber auch die franzOsische Epik, welche durch "Uber-
setzungen und Bearbeitungen ungefahr seit 1170 auf die
deutsche epische Dichtung sehr entscheidenden Einfluss nahm,
trug dazu bei, dem gesellschaftlichen Leben der ritterlichen
Kreise neue ideale Vorbilder zu stellen. Um* 1170 etwa ward
die Geschichte der verliebten Kinder Floris und Blantseflure
von einem niederfrankischen Poeten in deutsche Verse ge-
bracht; nicht viel sp&ter bearbeitete ein Miniateriale Heinrichs
des LOwen, Eilhart von Oberge, nach franzOsischer Vorlage die
Tristrangeschichte, diese Schilderung der alles bezwingenden,
2 ) man sol ze liebe gdhen: deist fur die merkaere guot. M. Fr. 12, 20.
2 ) W. Wackernagel, AltfranzOsische Lieder und Leiche 207 ff.
— t)ber das YerMltniss der franzOsischen zur deutschen Lyrik des
12. Jahrh.: Jeanroy, Les origines de la poesie lyrique en France.
Paris 1889. Chap. IV.
verzehrenden Gewalt der Liebe ; ihm nach folgte Heinrich von
Veldeke mit der Verdeutschung eines Roman d'Eneas, die
er nach zehnjahriger Unterbrechung urn 1185 vollendete,
also in der Hauptsache 1170 — 1175 ausgeftlhrt hatte. Das
bezeugt alles, dass die Liebe als gesellschaftliches Thema
um 1170 in ganzer Geltung war. Wahrend in den unhOfischen
Schichten des Volkes die Liebe zwischen Mann und Madchen
in alter Weise nach dem einfachen Schlage des Herzens
weiter ging, mit Verheben und Gegenliebe entweder oder mit
Versagen der Neigung, in Freud und in Leid, heimlich und
offen, auch durch herkOmmlichen Liebessang geschmtickt,
gestaltete sich der ritterliche, den Frauen gewidmete Dienst
zu einer besonderen conventionellen Sitte, die oft genug von
wirklicher Leidenschaft frei war, und nur als aussere, das
ganze Leben freilich stark beruhrende modische Gewohnheit
sich ergibt.
Der ritterliche Frauendienst gait vorzugsweise ver-
heirateten Frauen *) , da diese im Vordergrunde der hofischen
Gesellschaft stunden, und das Ziel des Verhaitnisses nicht
die Ehe war. Der Dienst war eine Galanterie, eine Erregung
der Phantasie, ein Hazardspiel, das die Nerven reizte, zumal
es nicht immer ohne Gefahr war. Die Liebe ward unter dem
Einfluss der Ovidschen Ars amandi von den provenzalischen
Dichtern als eine Kunst behandelt, die auf das Sittengesetz
keine Rucksicht zu nehmen hat. Der Ritter erkor sich eine
Dame (frouwe) und bot ihr seinen Dienst an. Eine Dame zu
haben, ein frouwenritter zu sein, verlangte die Mode. Nahm
sie seinen Dienst an, so that er alles in ihrem Namen, wah-
rend sie keinen andern in ihren Dienst nehmen durfte:
ein boesiu lat ir manegen dienen, des tuot ein reiniu niht
(Reinmar von Zweter, MSH. II, 187"). War die Frau dem Ritter
gewogen, so gab sie ihm, wie das unter einem aufrichtigen,
ehrlichen Liebespaar von je geschah, ein Kleinod : einen Ring,
*) Unter den dreissig regulae amoris, welche Andreas Capel-
lanus zusammenstellt (p. 3 b - der Dortm. Ausg.) ist die erste: causa
conjugii non est ab amore excusatio recta. Ygl. auch G. Paris,
Romania XII, 520.
231
ein Band, einen Schleier, einen Ermel Oder ein Kranzlein,
das er fortab auf seinem Speer, Schild oder seinem Helm
trug und das ihn bei seinen ritterlichen Thaten durch das
stete Andenken an die Frau ermuthigte und starkte 1 ). Fran-
zOsischer Brauch unter einem durch. wirkliche Liebe ver-
bundenen ritterlichen Paare war zuweilen auch, dass eines
das Hemd des andern trug. Der Burggraf von Coucy hatte
derDame von Fayel seine chemise, die er getragen, geschickt;
sie legte sie in der Nacht an 2 ). Wolfram von Eschenbach
erzahlt, jedenfalls nach franzOsischer Quelle, dass Gahmuret
ein Hemd seiner Herzeloyde tiber seinem Panzer in der
Schlacht zu tragen pflegte. Achtzehn Stuck wurden von
Speeren durchstochen und von Schwertern zerhauen, ehe er
von ihr schied (Parz. 101, 9 ff. Ill, 14 ff.).
Nachdem sich die Wappenfarben fur die einzelnen
Familien festgestellt hatten, trug der Ritter auch die Farben
seiner Dame. Ich kann aber erst aus dem 15. Jahrhundert
fur Deutschland diesen Brauch aus einem in der Sammlung
der Klara H&tzler (iberlieferten Gedichte (1, 109) bezeugen.
"Was auch der Ritter that, mochte es die Fahrt zu einem
Scherzturnier oder ein Kreuzzug sein, er that es im Andenken
seiner frouwe oder auf ihr Gebot. Viele der Damen verlangten
geradezu den Kreuzzug als Beweis der Liebe; manche be-
wogen mittelbar die Ritter zur Gottesfahrt, wenn sie 'sprOde
!) Schon in Veldekes Eneide (12222 ff.) und in Herborts Liet
von Troie (8188 ff., 9509 ff.) wird das erwahnt; vgl. ferner Parz.
370, 22. 375, 23. 390, 26. Wilh. 19, 25. 55, 12. 357, 6. 364, 20. 408, 18.
Frauend. 186, 25. Mei und Beafl. 82, 14. Wigam. 2067. In dem Maere
von Thomas v. Kandelberg (G-. Ab. Nr. 87) wird von zwolf Studenten
(schuolaeren) erzahlt, die verabredeten, jeder solle am Schlusse der
Woche zeigen, welch Kleinod ihm seine Geliebte in dieser Frist
geschenkt habe: da kommen ein Goldring, zwei Seidenkleider, ein
gesticktes Badelachen, ein goldgewirkter Gewurzbeutel, eine seidene
Haube, eine goldene Brosche zum Vorschein. (v. 233 ff.)
2 ) Sa chemise qu'ot vestue m'envoia por embracier. la nuit
quant s'amor m'argue, la met delez moi couchier, toute nuit a ma
char nue por mes malz rassoagier. Fr. Michel, Chansons duch atelain
de Coucy, S. 98.
232
waren oder die Liebe aus irgend einem Grunde nicht
erwidera konnten. Zuweilen wirkte auch ein frommer
Grund, denn die Dame hatte den halben Anspruch auf das
gute Werk, wenn sie aus reiner Gesinnung den Kitter zum
Kreuzzuge bestimmte 1 ). Die fast allgemeine Stimmung der
Herren, wenn sie durch den Minnedienst zu der Fahrt ins
heilige Land verpflichtet wurden, spricht Hartmann von Aue
aus eigener Erfahrung aus. „Ich fahre mit eurem Urlaub
dahin", singt er, „ihr Herren und Vettern, und segne beim
. Abschied Leute und Land. Memand darf mich um meiner
Keise Grund erst fragen: ich sage es off en, die Liebe, die
mich fing, liess mich die Fahrt geloben, und jetzt befahl sie
tair, die Fahrt zu thun. Es ist nicht mehr zu andern, Gelubde
und Schwur darf ich nicht brechen. — Mancher ruhmt sich
dessen, was er aus Liebe gethan, aber wo sind die Werke?
ich h6re nur Worte. Ich sahe gerne, dass von vielen solcher
Dienst verlangt wurde, wie ich jetzt leisten muss. Das heisst
wohl Liebe, wenn man fur die Liebe in die Fremde zieht.
Seht nur, wie sie mich aus der Heimat tlber das Meer treibt!
Wahrlich, lebte Saladin noch und all sein Heer, die brachten
mich keinen Fuss weit aus Franken". (M. Fr. 218, 5 ff.)
Die Ansicht von dem Kreuzzuge als einem schweren
und bitteren Opfer des Glaubens spricht sich in den meisten
provenzalischen, franzOsischen und deutschen Kreuzliedern
aus. Nur selten gewahren wir die Glut der frommen Begei-
sterung; die Lieder zeigen ein verstandiges tJberlegen der
Vortheile und Nachtheile der schweren Unternehmung, eine
etwas trockene Erinnerung an die Leiden Christi und das
jangste Gericht. Der Gedankenkreis der Kreuzpredigten ist r
abgesehen von den perstalichen Verhaltnissen der Dichter,
auch der der Kreuzlieder: Wir mtlssen das Leiden Christi
ihm vergelten. Ausserdem mtlssen wir Gott wegen unsrer
Stinden versOhnen und durch die Bussfahrt zugleich den An-
i) Hartmann, M. Fr. 211, 20. vgl. 210, 33. Johannsdorf, M. Fr.
94, 34.
233
spruch auf den Himmel erwerben 1 ). Fast nur wenn die Liebe
hineingezogen wird, werden die Kreuzlieder lebendig. Da wird
der Abschied von der Geliebten geschildert, es wird aus-
gefuhrt, wie nur der Leib tiber See fahrt, das Herz daheim
bleibt, wie die Eitterehre und die Minne miteinander streiten.
Aber umsomehr empfindet man, wie schwer es fast alle traf,
die lange, gefahrliche und in jeder Hinsicht opferreiche Gottes-
fahrt zu thun, die den Aufwand eines grossen VermOgens
verlangte. An sich konnte auch die lange Entfernung ihres
Bitters nicht in den Wiinschen der Dame liegen 2 ). Dieselbe
entbehrte, wenn sie ihn liebte, des Freundes; wenn sie nur
ausseren Dienst annahm, der Auszeichnung, welche der Minne-
dienst der Frau stets gewahrte, und der fortwahrenden Be-
friedigung ihrer Eitelkeit zu lange, als dass sie sich leicht
zu einer solchen Forderung entschlossen hatte. Das aben-
teuernde Herumreiten des Herzenvasallen in der Heimat Oder
in benachbarten Landern brachte ihr einen weit stetigeren
Genuss; denn jeder Sieg, den er im Turnier gewann, ward
zu ihrem Kuhme erfochten, ein jeder Gegner, den er im
Stechen ilberwand und in Pflicht nahm, ward fur sie (iber-
wunden; der Eitter schickte ihn ihr als Gefangenen zu 8 ),
den sie nach Gutdunken freilassen konnte. Die untiberwind-
lichen Helden der Tafelrunde sammeln auf solche Weise
ganze Schaaren besiegter Gegner um ihre Damen.
Das Ziel des Frauendienstes war die Gewahrung der
Gunst, der Lohn, wie es gewOhnlich heisst. Der Frau, die
den Dienst annimmt, ziemt es, zu belohnen (M. Fr. 104, 19).
1 ) G. Wolfram, Kreuzpredigt und Kreuzlied, in der Z. f. deutsch.
Alterth. 30, 89-132.
2 ) In dem Gedichte von der alten und neuen Minne (Lass-
berg, Lieders. n. 182) rath die neue Minne: setz niht ze vast dins
herzen gir nach den witvamden knaben. du solt einen liep haben,
der si schoene unde glanz und hoch springe an dem tanz und hie
heime blib bi dir: des rates soltu volgen mir. ob einer sluegen solddn,
was; muotes mahtu ddvon hdn? (251 ff.).
3 ) Es war eine Ehrengabe, die er ihr machte. Auch Kosse
wurden der Dame als ein Preis, den ihr Eitter gewonnen, von ihm
geschickt. Vgl. Herbort 8950 ff.
234
Freilich konnte das sehr verschieden geschehen, und was die
Dame als hohen Lohn ansah, des Hitters Wunsche nicht
gentlgen. Albrecht von Johannsdorf (1185—1209 in Passauer
Urkunden erwahnt) hat ein lebendiges Zwiegesprach mit seiner
Angebeteten gedichtet. Er klagt, dass sie ihn schmachten
lasse. „Wer hat Euch denn zu dieser Not gezwungen?"
fragt sie. „Eure SchOnheit, minnegliches Weib!" — „Und
Eure Lieder wollten mich inUnehre bringen." — „Das wolle
Gott nicht \ u — „Gewahrte ichEuch, so hattet Ihr den Kuhm,
mein ware der Spott. Folgt meinem Rate, lasst das bitten
urn das was nie geschehen kann." — „Soll das mein Lohn
sein?" — »M0g' anderswo Euch das gewahrt werden, das
Ihr von mir begehrt!" — „Sollen meine Lieder und mein
Dienst urn Euch mir nichts verfangen?" — „Wol werdet Ihr
Gltlck haben, ohne Lohn yon mir sollt Ihr nicht bleiben!" —
„Wie meintlhr das, vortrefflich Weib?" — „Viel geschatzter
(we r der) werdet Ihr und voll reiner Freude." (M. Fr. 93, 12
bis 94, 14.)
Wirde und frotlde sind nach Walther v. d. Vogelweide
(96, 15 f.) und alien edleren Mtonern der Zeit der Lohn des
Dienstes. Die wirde ist das aussere Ansehen, das durch innere
Tuchtigkeit erworben wird. In der Erzahlung Moriz von Craon,
der Dichtung eines pfaizischen Dichters aus dem Anfange des
13. Jahrhunderts, heisstes: „GeringenLohn geben schlechte
Weiber : Sele und Leib machen sie den Mannern gar oft zuwider
und freudenleer. Die guten erheben das Geinftt zur Freude, ihr
Lohn fur das, was man im Dienst erwarte, ist Ehre" (409 ff.).
„Nachdem die reinen, silssen Frauen so hohe Ehre geben
kOnnen uns den Mannern, so will ich allezeit den Frauen
dienen, wie's auch komme", dachte Ulrich von Lichtenstein
(Frauend. 3, 25—28), und die Lehre ward ihm gegeben:
„wer im Ansehn leben wolle, milsse einer reinen, edlen Frau
sich zu eigen geben, davon kam' er zu hoher Freude (wtird
er hOchgemuot)." „Nie kam ein Mann zu Ansehen, der nicht
den Frauen diente" (ebd. 9, 7 ff.). Alle Freude kommt von
den Frauen, drum muss man die Frauen ehren, singen Reinmar
von Hagenau und Walther v. d. Vogelweide ilbereinstimmend
(M.Fr. 183, 31. Walth. 99, 8), und viele andre wiederholen es 1 ).
Der Minnedienst zahmt die wilden Gedanken und lehrt sie
Statigkeit (Wolfr. Titur. 116, 4. Strickers Frauenehre 1521 ff.).
Also Treue, veredelte Gesinnung, daraus erwachsendes An-
sehen und das Gemut verkl£rende, freudige, heitre Stimmung
(hCchgemtlete) sind der Lohn der reinen Minne. Der Minne-
dienst wirkt demnach auf den Mann erziehend und reinigend.
Frauenlob (Spr. 246, 14. 438, 4) preist die Minne als Erzie-
herin (meizoginne), und Reinmar von Zweter, der ihm darin
voranging, spricht gar von der hohen Schule der Minne, der
kttnstereichsten, die es gebe (Spr. 32 2 ).
Aber die Welt ist materiell und der Lohn, den sehr
viele dienende Eitter begehrten und erwarteten, ward in der
Sinnlichkeit gesucht. Mit einerNaivet&t, die uns heute uber-
rascht, sprechen die Lieder jener Zeit den letzten Wunsch
aus und bezeichnen unverhohlen den Preis des Dienstes. Auch
diese Frauenritter wurden durchaus nicht immer befriedigt;
manchem ward selbst nach langjahrigem Dienste erwidert,
was Obie dem jungen KOnig Meljanz sagte, als er sie nach
stme dienste urn die Minne bat: al ze fruo ich iuch gewerte
(Parz. 346, 14). Aber manchem auch ward die Dame will-
fahrig und vergOnnte ihm eine Nacht in ihren Armen. Nicht
selten jedoch machte sie dabei die Bedingung, dass er sich
ausser Kuss und Umarmung nichts weiter gestatte und sich
eidlich hierauf verpflichte. Diese Probenachte der Enthaltsam-
keit scheinen im Mittelalter tlber das ganze cultivirte Europa
verbreitet gewesen zu sein. So berichtet ein Chronist, dass
unter' Kaiser Friedrich II. die Italienerinnen ihren Geliebten
solche Vergiinstigung einraumten und dass die Zeit darin
etwas unverf&ngliches sah 8 ).
*) Burdach, Reinmar und Walther, S. 102. Leipzig 1880.
2 ) In franzOsischen Epen ist der Ritterschlag zuweilen der
Lohn, zu dem die Dame dem jungen ihr dienenden Marine verhilft,
und den sie ihm sogar selbst ertheilt: Treis, Die Formalit&ten des
Ritterschlags, Berlin 1887, S. 30 f.
3 ) Fr. v. Raumer, Gesch. d. Hohenstaufen 6, 449.
Als Zeugniss, dass solche enthaltsame Liebesnachte in
der Provence versucht wurden, mag eine Tenzone der Trou-
badoure Aimeric von Peguilain und Elias von Uisel dienen.
Herrn Aimeric hatte seine Dame eine Nacht verheissen, wenn
er ihr schwOre, sich am Kusse zu begntlgen und wenigstens
gegen ihren Willen nicht weiter zu gehn. Er fragte nun den
Freund urn Kath, ob er die Marter ertragen oder meineidig
Werden solle, und Elias erwiderte: er wisse sehr wohl, wie
er sich in solchem Falle zu halten habe, seine Dame solle
ihn meineidig sehen. Aimeric blieb aber bedenklich, denn er
meinte, durch den Eidbruch verliere er Gott und die Geliebte
zugleich, er wolle sich also lieber am Kusse genugen lassen.
Doch Elias schalt ihn ob seiner btlrgerlichen Beschranktheit
(vilania) aus; die Dame kOnne durch Thranen, Gott aber
durch eine Fahrt nach Syrien versOhnt werden (Eaynouard
±, 22).
Far den gleichen Brauch in Nordfrankreich zeugt eben-
falls ein Streitgedicht (jeu parti) 1 ), das folgende Frage be-
handelt: wenn einem Manne, der ehrbar liebt, seine Dame
fiir treuen Dienst eine Nacht in ihrem Bette, tout nu a nu,
bewilligt hat, indem sie ihm nur Kuss und Umarmung frei-
gibt, welches der beiden thut mehr fQr den andern bei be-
wahrter Enthaltsamkeit, der Mann oder die Frau?
Dass in Deutschland in ritterlichen Kreisen des 11. und
12. Jahrhunderts die Sitte solchen Beilagers bestund, beweisen
Verse in Liedern Dietmars von Aist und Eeinmars von Hagen-
au 2 ). Freilich spricht Dietmar vom toerschen Wligen, d. i. ein
narrisches Beilager halten; aber Hartmann von Aue aussert
sich aus seinem ernsten Sinne in seinem Iwein 6574 ff. also :
„wenn einer das fiir ein Wunder erkiart, dass Iwein bei einem
fremden M&dchen so nahe lag, ohne der Liebe zu pflegen,
der weiss nicht, dass ein ttlchtiger Mann sich alles des ent-
halten kahn, dessen er sich enthalten will".
1 ) Matzner, AltfranzSsische Lieder, Nr. 44. Guilliaums li Yiniers
a frere.
2) M. Fr. 40, 34. 41, 6. 167, 7: ■
287
Von dem Fortleben dieses „auf Treu und Glauben Bei-
liegen" in den hOheren Standen auch noch im 16. Jahrhun-
dert sind manche Belege vorhanden 1 ). Es war kein Raffine-
ment, sondern eine sehr alte und durch viele VOlker ver-
breitete Sitte 2 ), die sich in gewisser Regelung bis heute fort-
gepflanzt hat. Sie entstammt schwerlich den hofischen Kreisen^
Fast in alien deutschen Landern ist den Liebhabern der
Landmadchen eine Nacht im Jahre Oder meist in der Woche
zum Besuche ihrer Schatze gestattet, und es soil dies in
manchen Gegenden stets in alien Ehren ablaufen. In andern
wird der Brauch dadurch gerechtfertigt, dass das Paar fortab
fQr verlobt gilt und ihm also nur die kirchliche Trauung fehlt,
welche sich im Volke uberhaupt schwer einbtlrgerte. Der Mann,
der nach solcher Vergunstigung treulos wird, ist in der Mei-
nung des Volkes gebrandmarkt.
Die Namen des Brauchs sind verschieden: in der Schweiz;
zu Bolt gehn, kilten 8 ), Gassel gehn; schwabisch fugen; in den
Vogesen schwammeln; im Bayrischen gasseln und fenstern;
steirisch und tirolisch fensterln und gasseln; k&rntisch brenteln
und gasseln; frankisch schnurren, afnFreigehn; in der Had-
stedter Marsch thilren ; englisch bundle 4 ).
Aus jenen heimlichen Zusammenkanften ritterlicher
Paare, deren Entdeckung nattlrlich mit der hOchsten Gefahr
verbunden war, ist eine besondere Gattung lyrischer Lieder
wenn nicht hervorgegangeri, so doch zur ktinstlerischen Ent-
wicklung gekommen, die T age lie der, die albas der Pro-
J ) Bolte zum Diideschen SchlOmer von J. Strieker (1584), S. 64.
2 ) Belege aus verschiedenen VOlkern gab F. Liebrecht, Zur
Volkskunde (Heilbronn 1879), S. 378. — tTber das Schwertklingen-
geltibde unten bei der Vermahlung.
3 ) R. Hildebrand, D. W6rterb. V, 704. L. Tobler, Schweizer
Yolkslieder 1, S. CXXYI. Rochholz, Deutscher Glaubo und Sitte
1, 59. Birlinger, Alemannia IV, 1—10.
*) Fischer, tJber die Probenachte der teutschen Bauernmadchen,
Berlin 1780. Weddigen, Westphai. Magazin 3, 115. Hallmann, Briefe
iiber die Grafschaft Glaz (1823), S. 73. Kuhn-Schwartz, Norddeutsche
Sagen und Gebr&uche, S. 405. P. Rosegger, Aus meinem Handwerker-
leben 326 ff. Cber die estnischen Verhaltnisse: v. SchrOder, Hoch-
zeitsbrauche der Esten, S. 196—199.
venzalen, die aubes der Franzosen. Schon vor der Zeit des
ritterlichen Frauendienstes hat sich ein liebendes Paar nachtlich
gefunden und hat ihm der Morgen die verbotenen Freuden
gestOrt; schon frOh wird die Poesie auch in Deutschland
dieses dankbare Thema benutzt haben. Aber erst mit dem
Eintritte der Lyrik in die Litteratur beginnen auch die nach-
weisbaren Lieder jenes Inhaltes.
Die altesten Strophen, die wir unter den G-esichtspunkt
des Tagesliedes stellen kOnnen, sind ein sogenannter Wechsel
des Burggrafen von Kegensburg (M. Fr. 16, 15 — 17, 6). Das
Paar ist getrennt, er wie sie gedenken in Sehnsucht der heim-
lichen Liebesfreude.
In gleicher Anlage, aber lebendiger und breiter, mit
glllhender Leidenschaft, ist der Wechsel Heinrichs von Mp-
rungen, der einer folgenden Generation der Lyriker angehOrt
(M. Fr. 143, 22 — 144, 16). Ich suche es neuhochdeutsch wieder-
zugeben:
weh, o weh, o dass doch je
Mir noch mocht' leuchten durch die Nacht
Ihr siisser Leib so weiss wie Schnee,
Der Freud* und Leid mir hat gebracht.
Er trog die Augen mein:
Ich wahnt, es sollte sein
Des lichten Monden Schein.
Da tagt' es.
„0 weh, o weh, o dass doch je
Er noch den Tag bei mir erschau'
Und dass er dann nicht von mir geh',
Ob es auch hell im Osten grau\
Ich seh* das Morgenroth,
Bei dem er jiingst entbot
Mir bittern Scheidens Noth.
Da tagf es."
weh, o weh, wohl hundertmal
Hat sie beim wecken mich gekiisst,
Yon Thranen matt des Auges Strahl,
Weil ich aus ihrem Arm gemtisst.
Und dennoch Trost sie fand,
Dass still die Thrane stand,
Als sie mich fest umwand.
Da tagt' es.
„0 weh, o weh, wie oft er hat
An nieiner Seite sich erblickt!
Da ward er nie im Kosen satt,
Da war 0011' Ende er entziickt,
Wenn er die Decke rein
G-estreifb vom Arme mein;
Es mocht' ein Wunder sein !
Da tagt' es!«
GewOhnlich aber fuhrt das Tagelied unmittelbar in
dramatischer Lebendigkeit in die thatsachliche Lage ein: die
Frau erwacht, weckt den Geliebten und schmerzlich verliebt
wird geschieden. In dieser Art ist bereits das einfache, alter-
thttmliche Tagelied des Herrri Dietmar von Aist (M. Fr.
89, 18—29):
Schlafst du noch, G-eliebter mein?
Wir miissen leider wach jetzt sein.
Ein VOgelein gar wohl gethan
Stimmt auf der Lind' sein Taglied an.
„Ich war entschlummert sanft und lind,
Nun weckst du klagend mich, lieb Kind.
Die Liebe mag ohn' Leid nicht sein;
Ich bin gehorsam, Liebste mein."
Da ward voll Thranen wohl ihr Blick:
„Du reitest fort, lasst mich zuriick.
Ach meine Freude gent mit dir;
Warm kommst du wieder her zu mir?"
Mit aller Fulle und "Oppigkeit seiner Kunst hat Wolfram
von Eschenbach in dem Liede „Ez ist nu tac, daz ich wol
mac mit warheit jehen" (Lachmann 7, 41—9, 2) das Scheiden
der Verliebten beim morgenlichen schin geschildert, und
Walther von der Vogelweide in seinem einzigen Tageliede
(Lachmann 88, 9—90, 14), des grossen Kunstgenossen Bei-
spiel in der Ausfuhrung folgend, noch ein andres Moment
hinzugethan: nicht ein VOglein hat die Frau geweckt 1 ),
wie bei Dietmar von Aist, sondern sie haben das Morgenlied
*) Es erinnert das natiirlich an die Morgenscene in Shakespeares
Borneo und Julie (III, 5). Daran kniipft L. Frankel, Shakespeare
und das Tagelied, Hannover 1893, seine Ausfiihrungen.
240
des Burgwarts (des wahtaere) gehOrt 1 ). Dieses Morgenlied hat
Wolfram von Eschenbach in seinen andern Tageweisen zu
einem Warnungslied an die heimlich Liebenden (eine lere
Oder rat) gemacht, allerdings nicht ohne Widerspruch, da die
Stellung des Thurmwachters als Vertrauter der Liebes-
heimlichkeit seiner Herrin Anstoss erregen durfte. „Ein hOch-
geborea witzlich wip", sagt Ulrich von Lichtenstein (Frauend.
509, 18 ff.) daruber, „solde ungern eins geburen lip dekein
ir heimlich wizzen lan : und taet siz, ez waer missetan. Man
hat edeler wahter niht : d&von s6 waer ez gar enwiht, der
einem wahter iht des sagt daz im waer liep gar verdagt.
geburen art kan niht verdagen : des sol man in ungern sagen.
edeliu art kan swigen wol, d&von si heimlich wizzen sol".
So hat denn auch aus gleichem GefQhl der Provenzale
Guirautz de Borneill in seiner alba (Raynouard, Choix 3, 313)
einem Freunde des Ritters das Hilteramt ubertragen. Als die
MorgenrOthe schimmert, bittet er Gott und den Sohn der
heiligen Maria, dass sie seinen Gefahrten schtitzen, und stimmt
dann ein Lied an, wodurch er den Freund weckt und warnt.
Er hOre die VOgel im Gebiische singen, der Freund mOge an
das Fenster gehn und die Zeichen des Himmels ansehen,
denn es sei Zeit. Aber dieser antwortet, er sei so prachtig
beherbergt, dass er wdnsche, es werde nimmer Tag. Er halte
die anmuthigste im Arm, die je von einer Mutter geboren
sei und die Aufpasser achte er so wenig als die MorgenrOthe.
Aber der Wachter als vertrauter Warner der heimlich
Liebenden fand doch Eingang in das hOfische deutsche Tage-
lied durch . das Beispiel Wolframs von Eschenbach und den
Einfluss der provenzalischen albas, in denen vom 10. Jahr-
hundert ab (Zachers Zeitschr. f. deutsche Philologie 12, 335)
er eine conventionelle dritte Person ist 2 ). So tritt er auf in
den Tageliedern Ulrichs von Singenberg (MSH. 1, 293) %
Ulrichs von Winterstetten (ebd. 1, 157, 166), Bruns von
J ) Rubin (MSH. 1, 317) schliesst sich hier an Walther.
2 ) G. Schlager, Studien uber das Tagelied. Jena 1895, S. 39.
8 ) In dem andern Liede Singenbergs (1, 291) ist der Wachter
nicht da.
241
Hornberg (2, 66), Konrads von Wurzburg (2, 319), Heinrich
Teschlers (2, 128) und KOnig Wenzels von BOhmen (1, 9 f.).
Das provenzalische Morgenlied, die alba, hat hiernach
wohl auf das hOfische deutsche Tagelied eingewirkt (die alt-
franzOsische aubade steht ganz unter seinem Einfluss und
ist nicht recht gediehen), aber erzeugt ist dasselbe von ihr
nicht. Es wurzelt in der volksthumlichen Liebesdichtung und
hat seine litterarische Ausbildung durch den ritterlichen
Frauendienst erhalten. Den Weg, den es ging, glaube ich
deutlich gezeigt zu haben 1 ).
Die Tagelieder erhielten sich bei uns weit iiber die
Dauer der hofischen Lyrik hinaus 2 ) und waren noch im
16. Jahrhundert beliebt. Sie wurden damals auf fliegende
Blatter gedruckt, welche auf dem Titel in grobem Holz-
schnitte den Wachter mit dem Horn auf der Zinne zeigen.
Unsere Volkslieder haben noch viele Tagelieder unter sich ").
Seit dem 14. Jahrhunderte wurden auch die geistlichen Urn-
dichtungen von Tageliedern beliebt, Oder es wurden religiose
Gesange in die Einkleidung der Tageweisen gebracht.
Neben den Albas besitzt die provenzalische Lyrik eine
verwandte Gattung, das Abend- oder Nachtlied (serena), worin
sich das sehnende Verlangen des Marines nach der ver-
heissenen Liebesnacht ausspricht. Die deutsche mittelalter-
liche Poesie kann nichts ahnliches aufweisen, und auch die
Provenzalen haben jedenfalls nur wenig serenas gedichtet,
da nur eine einzige sich erhalten hat*).
Wenn die Liebesverhaltnisse der dienenden Ritter in
jene Wirklichkeit hintlbergingen, welche die eben erwahnten
*) tiber das Tagelied: K. Bartsch, /Ober die romanischen und
deutschen Tagelieder (Gesammelte Aufsatze und Yortrage 250—317).
W. Scherer, Deutsche Studien 2, 51—60. W. de Gruyter, Das deutsche
Tagelied, Leipzig 1887. G. Schlager, Studien tiber das Tagelied.
Jena 1895.
a ) L. Uhland, Alte hoch- und nie'derdeutsche Volkslieder I,
Nr. 76-89. Fr. M. Bflhme, Altdeutsches Liederbuch Nr. 101—124.
(Leipzig 1877).
3 ) Erk-B5hme ; Deutscher Liederhort II, Nr. 798-830. Leipz. 1893.
4 ) v. Guiraut Riquier bei Mahn, Werke der Troubadours 4, 97.
Wei nh old, Deutsche Frauen. I. 16
Thatsachen andeuteten, so musste es die angelegentlichste
Sorge des Paares sein, die grOsste Verschwiegenheit zu be-
wahren, denn die Gatten der Damen rachten die verletzte
Ehre ihres Bettes unerbittlich, und war es ein Madchen, so
gab es Vater und Brttder, welche die Ehre ihres Hauses
strenge httteten. Besonders schwierig war die Gehemihaltung
fur die ritterlichen Sanger, welche dem Liede ihr Werben
anvertrauten, und ihr Ungltlck Oder G-ltlck in der Liebe zu
einer Offentlichen Sache machten. Um das Geheimniss so
gut als mOglich zu retten, war es ihnen daher eine Ehren-
pflicht, den Namen der Dame entweder gar nicht oder nur
verhtillt zu nennen 1 ): deutlicher zu sein, gait auch bei den
Provenzalen far Thorheit und Kinderei (follia et enfanza,
Raynouard, Choix 5, 192).
Grosse Noth machten wie immer den Liebenden, so auch
den Frauenrittern die gehassigen Aufpasser, oder wie der
Kunstausdruck for die Feinde solcher Verhaltnisse war, die
Merker 2 ). Nicht wenige Minnesanger 8 ) klagen tlber diese
Neider und StOrer, welche die Freude bei Tag und bei Nacht
vernichten oder wenigstens verbittern. Um das tibel von
Grund aus zu heilen, eifern die verliebten Dichter auch gegen
jede zu strenge Beaufsichtigung der Frauen, gegen die huote,
die eine gefahrliche Bedrangniss (ein angeslichiu n6t M. Fr.
43, 37) der liebenden sei. Sie meinen, diese Bewachung sei
eine Euthe, mit der sich der Ehegatte selbst zuchtige 4 ); er
siede und braue sich dadurch, was ihn spater reue, und sie
ntitze ihm doch nichts 5 ). Das Sprichwort gait: es ist keine
x ) Ygl. z. B. Walthers v. d. Yogelweide ausweichende Ant-
worten auf die Frage nach dem Namen seiner froive 63, 34. 74, 19.
98, 26. Neithart v. Reuenthal XXXIX, 19.
2 ) Heinr. v. Morungen braucht huotaere M. Fr. 131, 27 nach
dem provenz. gardaire.
8 ) Bereits der sogen. Kiirnberger M. Fr. 7, 24 und Meinloh v.
Seflingen M. Fr. 12, 21. Das Motiv der Merker ist der nit, M. Fr. 7, 24.
43, 29. Ihr spehen ist kranc Frauend. 12, 4 oder arc ebd. 407, 28.
*) Yeldeke, M. Fr. 65, 21-27.
5) Eracl. 2490.
243
Hut* so gut, als die ein Weib ihm selber thut (Freidank
101, 7). In dem provenzalischen Romane Flamenga, der gegen
die fouote gedichtet ist, heisst der eiferstichtige, der sein Weib
durchaus behiiten will, ein Narr, denn wenn es ihm Gewalt
nicht raube, so nehme es ihm die List. „Wer die Frauen
vor andern verwahren will", singt Heinrich von Morungen
(M. Fr. 136, 37 ff.), „den thu' ich in den Bann. Den Mannern
zum anschauen hat Gott sie geschaffen, auf dass sie ihnen
ein Spiegel, der ganzen Welt eine Wonne seien. Was niitzt
vergrabenes Gold, von dem Niemand etwas hat? — Diese
misstrauische Beaufsichtigung (huote) verftthrt treue Frauen
erst zum wanken; drum lasse man die Frauen anschauen
und thu' ihnen keinen Zwang an. Einer Kranken verbot der
Arzt zu trinken, und sie trank eben darum".
Die provenzalischen Troubadours haben eine wahreLiebes-
kunst ausgesonnen und den Minnedienst didactisch geregelt.
Sie nehmen in ihm vier Stufen an, die der Liebende ersteigen
muss 1 ): auf der ersten steht der, welcher eine heimliche
Liebe im Herzen tragt und sie der Geliebten noch nicht zu
gestehen wagt (feignaire). Hat er ermuthigt durch die Frau
das Gestandniss gewagt, so tritt er auf die zweite Stufe, er
wird ein bittender (preiaire) ; nimmt sie ihn zum fOrmlichen
Liebesdienst an, so wird er ein erhOrter (ent endeire) ; ist
ihm die hOchste Gunst gewahrt, so heisst er der Liebhaber
(drute) der Frau. Man sieht schon hieraus, dass der ErhOrung
eine Prufungszeit voranging, welche theils die Treue, theils die
ritterliche Ttlchtigkeit des Verehrers betraf. Wie lange die-
selbe dauerte, scheint dem Gutdunken der Dame uberlassen,
die gern die sprOde spielte und vor der Aufnahme in den
Dienst den Eitter lange schmachten liess. Nach einigem zu
l ) Fauriel, Hist, de la poesie proven^. I, 502. Guiraut Riquier,
bei Mahn, Gedichte der Troubadours 4, 210 ff. Herrigs Archiv 34, 425.
Die entsprechende Stelle in den Erotica sive Amatoria des Andreas
Capellanus (B. 3 der Dortmund. Ausg.) lautet: Ab antiquo igitur
quatuor sunt in amore gradus distincti: primus in spei datione
consistit, s^cundus in osculi exhibitione, tertius in amplexus fructione
quartus in totius concessione personae finitur.
16*
214
schliessen, dehnte sich die Probe nicht selten auf ftinf Jahre
aus 1 ). Hatte der Ritter diese Zeit glucklich tiberwunden, so
ward er der Yasall seiner HerzenskOnigin, welche ihm mit
aller Ceremonie des Lehnrechtes ihren Dienst tibertrug. Wie
sich der Lehnsmann vor dem sitzenden Herrn auf das Knie
lasst und mit gefalteten Handen das Lehn begehrt und die
Treue verspricht; wie der Herr seine Hande zwischen die
des Mannes legt und ihm mit einem ausseren Zeichen das
Lehn ubergibt, mit einem Kusse das Verhaitniss besiegelt;
ganz eben so nahm auch die Frau den Mann zu ihrem Ritter
auf. Wenigstens in Sudfrankreich, dem Lande des ausgebil-
detsten Minnedienstes , herrschte solcher Brauch. Dasselbe
Knien und Handefalten, dieselbe Ceremonie durch die Frau,
wie durch den Lehnsherrn vollzogen, ebenso wie dort der
Kuss und gewOhnlich ein Ring als Zeichen der Verbindung.
Der Brauch, der hier und da bei der Aufnahme in den Bitter-
stand beobachtet ward, die Haare abzuschneiden, wurde auch
manchmal beim Eintritte in den Minnedienst getibt. Um die
vielgefeierte Grafln Guida von Rodes hatten sich mehr als
hundert Ritter die KOpfe scheren lassen (Raynouard, Choix
5, 172). Auch priesterliche Einsegnung des Verhaltnisses lasst
sich nachweisen, wodurch wiederum bei AuflOsung des Bundes
priesterlicher Beistand nOthig ward. Indem damals die kirch-
liche Trauung noch nicht durchgedrungen war, mOgen wir
dies ftir eine Nachbildung der kirchlichen Theilnahme am
Ritterschlage nehmen (Rayn. Ch. 3, 243).
Die Nachbildung des Lehnsverhaitnisses ftihrte zu einem
Brauche ganz eigenthumlicher Natur. Es war Sitte, dass der
Lehnsherr von den anwesenden Vasallen zu Bette begleitet
wurde, die sich erst entfernten, nachdem er sich niedergelegt
hatte. Die Frau war der Lehnsherr, der Ritter der Lehns-
trager ; warum hatte man den Dienst nicht auch hierauf aus-
dehnen sollen? Der begilnstigte Liebhaber begleitete also die
Frau in ihr Schlafgemach, half ihr beim Auskleiden und ent-
J ) Parz. 346, 3—15. 370, 16. Vgl. auch Diez, Altspan. Romanzen,
S. 84.
245
fernte sich, nachdem sie sich niedergelegt hatte 1 ). Hinzuzu-
ftigen ist nur, dass man in jenen Zeiten gewOhnlich ohne
alle Gewander schlief.
Wir kOnnen fur die deutsche ritterliche Gesellschaft die
stidfranzOsische Ubertragung der Lehnsformalitaten auf das
Dienstverhaltniss des werbenden Mannes nicht nachweisen
und milssen sie bezweifeln. Es ist nicht deutsche Art, f&r
Beziehungen, die trotz allem ausserem Scheinwesen dennoch
als innerliche aufgefasst wurden, einen strengen Formalismus
zu belieben, wie das von den Romanen geschehen ist. Ebenso
ist die Liebe mit den mannigfachen Erscheinungen, die sie
im Leben hervorzaubert, niemals in dem Grade, wie in Sild-
und Nordfrankreich Gegenstand dialectischer Untersuchung der
Dichter und der vornehmen Gesellschaft geworden. Unsere
Lyriker enthalten sich freilich seit Friedrich von Hausen der
Griibeleien uber die Minne nicht, aber sie verlassen ihre
deutsche Natur nicht, welche das Herz dem Verstande in
Liebessachen aberordnet. Fragen uber das Wesen der Minne,
wie sie in Eilharts Tristran und Veldekes Eneide 2 ) behandelt
werden, alle die spielende Dialectik, welche Gottfried von
Strassburg in seinem Tristan tiber die Liebe entfaltet (12187
bis 12361), sind aus franzOsischer Quelle abgeleitet. So ist
uns denn auch die Disputation und eine processartige Be-
handlung von Streitigkeiten tiber Liebesfragen fast ganz fremd
geblieben, wahrend die stld- und nordfranzOsischen Dichter in
ihren Tenzonen und Partimens (jeux partis) 8 ) sehr geneigt
dazu waren.
x ) Raynouard, Lexique roman. 1, 333. Fauriel, Hist, de la poesie
proven^. 2, 31.
2 ) Eilhart 2398-2598. Eneide 10064-10388, dazu 9822—9965.
3 ) In der Tenzone stellen die beiden Streitenden ihre Mei-
nungen gegen einander und vertheidigen sie. In dem partimen (jeu
parti) legt der eine Troubadour die Streitfrage vor und lasst dem
andern die Wahl unter den beiden Meinungen; er vertheidigt die
ihm gelassene. Vgl. P. Meyer, Les derniers troubadours de la Pro-
vence, Paris 1871, S. 66. G. Paris, La litterature fran$aise au moyen age
§. 126. L. Goldschmidt, Die Doctrin der Liebe bei den italienischen
Lyrikern des 13. Jahrh. Breslau 1889.
246
Dabei 'tritt nun die Neigung hervor, die Entscheidung
der Streitfrage einer gefeierten, durch SchOnheit und Klug-
heit beruhmten Dame zu ubertragen.
An dem Hofe der Vicomtesse Guilelma von Benagues
fanden sich die drei ihr dienenden Troubadours Savaric von
Mauleon, Elias Kudel von Bergerac und Jaufre Rudel von
Blaia zusammen. Guilelma blickt den letzteren freundlich an,
drtlckt dem Bergerac die Hand und tritt dem Savaric seuf-
zend auf den Fuss. In einer Tenzone ruhmt sich nun jeder,
vor dem andern bevorzugt zu sein und sie beschliessen, der
Herrin die Entscheidung anzuvertrauen *).
Von den sonst unbekannten Troubadours Girart und
Peironet ist ein Partimen erhalten 2 ), worin die Streitfrage
vorgelegt wird, ob Augen oder Herz eine treue Liebe besser
behaupten. Peironet ergreift die Partie der Augen, Girart die
des Herzens. Der erste sendet seine Behauptung zum Urtheil
nach Pierrefeu (Peirafuoc), wo eine schOne Frau uber Liebes-
fragen belehrt (la bella fai cort d'enseinhamen) ; Girart schickt
sein partimen nach dem Schlosse Signes (Sinha), wo die In-
haberin aller Jugendgaben (joven) wohnt, welche wohl zu
sagen wissen wird, welche Meinung die bessere sei.
Hohe Damen, die sich fur solche Fragen interessirten
und die nachweisbar GOnnerinnen der sad- und nordfranzO-
. sischen Dichter waren, kennen wir in der schOnen und sehr
galanten Grafin Alienor von Poitiers, Gemahlin KOnig Hein-
richs II. von Frankreich und England, und in ihrer Tochter,
der Grafin Marie von der Champagne. An dem Hofe AJte-
norens verkehrten die beruhmtesten Troubadours, wie Ber-
trand de Born und Bernard de Ventadour, an dem Hof Mariens
der SchOpfer des nordfranzOsischen Ritterromans, Chrestien
de Troies. An diesen glanzenden HOfen ward das Wesen und
Leben der ritterlichen Galanterie in eine Art System gebracht,
von dem wir durch die im Anfange des 13. Jahrhunderts
x ) Diez, Leben der Troubadours, S. 404 f. "Wie P. Meyer a. a. 0.
69. Note hervorhebt, ist am Schlusse einer Tenzone des Guilliem
de Murs und G. Riquier die gegebene Sentenz mitgetheilt.
2 ) P. Meyer a. a. O. 71 f.
247
lateinisch verfassten Erotica oder de arte honeste amandi
des Andreas Capellanus genaue Kenntniss haben. Hiernach
scheint besonders Maria, die comitissa Campaniae, bedeutend
fur das Gesetzbuch des Liebesdienstes gewesen zu sein; sie
wird von Andreas auch einmal als Vorsitzerin eines Gerichts
von sechzig Damen genannt (0. 3 b der Dortmunder Ausgabe).
Auch ein gascognischer Liebeshof (Dominarum curia in Vas-
conia congregata) wird von ihm erwahnt.
Eine Weiterbildung der franzOsischen Liebeskunst brachte
dann der Roman de la Rose, von Guillaume de Lorris gegen
1237 begonnen, der unter dem Einfluss des Andreas zwar
steht, aber das Minneleben des 13. Jahrhunderts vertritt und
in glanzender, verftihrerischer Weise in dasselbe einfuhrt 1 ).
Ohne weiter auf diese franzOsischen Verhaltnisse und
Werke einzugehn, milssen wir doch betonen, dass sich in
Sud- und Nordfrankreich im 12. und 13. Jahrhundert feste
Gesetze der vornehmen Liebeskunst, unter Zusammenwirken
von Dichtern, vornehmen Frauen und Herren gebildet hatten,
die oft den Gegenstand gesellschaftlicher Verhandlungen ab-
gabeji , die sich juristischen Processen allenfalls naherten, so
dass eine gewisse Berechtigung zugestanden werden kann,
von LiebeshOfen zu sprechen 2 ).
Filr Deutschland fehlt es aus dem 12. und 13. Jahr-
hundert durchaus an Spuren ahnlicher oder gleicher Erschei-
nungen. Erst aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, also aus
einer Zeit, als der ritterliche Frauendienst fast verschwunden
war, hat sich ein merkwurdiges Gedichtfragment 3 ) erhalten
tiber eine aus Frauen und Rittern zusammengesetzte Ver-
x ) Tiber den Roman de la Rose von Guillaume und seine Fort-
fuhrung durch Jean de Meun in Kurze: G. Paris, La litter. fran$ #
au moyen age, §. Ill if.
2 ) Uber die cours d'amour G. Paris, Romania XII, 523—534.
XIII, 403 ff. XVII, 591 ff. E. Trojel, Middelalderens Elskovshoffer.
Kjobenhavn 1888.
3 ) Herau>sgegeben von Massmann in Haupts Z. f. d. A. Ill,
7 f., abgedruckt in Massmanns Kaiserchronik II, 676 ff.
248
sammlung, welcher die Frage zur Entscheidung vorgelegt
wird, ob es genflgen kOnne, dass eine Dame in Rucksicht
auf das Leben des dienenden Ritters und auf ihre eigene
Ehre ihr Herz hingebe, aber nicht ihre ganze Person. Als
Mitglieder der Gesellschaft werden die Grafen Gerhard von
Jtilich und Johann von Spanheim genannt. Als Fursprecher
des Ritters tritt Graf Kraft von Greifenstein auf. Das Urtheil,
welches dahin gesprochen wird, dass die Frau zu grOsserem
Lohne verpflichtet sei, wird dem Boten schrifthch ubergeben,
welcher es der Dame zustellt. Wir haben es hier mit
geschichtlich bekannten Herren des Niederrheins zu thun,
welche in die letzten Schicksale KOnig Adolfs von Nassau
yerflochten sind; das Bruchstuck selbst gehOrt in ein grOsseres
Gedicht iiber den Ausgang des Krieges. Zwar werden wir
ablehnen mussen, einen stehnden Gerichtshof fur Liebes-
sachen aus diesem Fragment fur den Niederrhein zu . be-
haupten; allein das ist doch zuzugeben, dass sich die vor-
nehme Gesellschaft auch der rheinischen Lande mit dialecti-
scher Behandlung interessanter Themata aus dem Frauen-
dienst unterhielt, und dass sogar die Formen einer gericht-
lichen Yerhandlung davon nicht ausgeschlossen waren.
Ftir das Interesse an hofischem Minnedienst und den
Fragen, die fur das Verhaltniss von Mann und Frau daraus
entspringen konnten, in den hOheren Kreisen Deutschlands
selbst noch im 15. Jahrhundert, spricht die poetische deutsche
Bearbeitung des Tractatus amoris Andreas des Kapellans,
die der Canonicus Eberhard von Zersen in Minden im Jahre
1404 verfasste 1 ). Noch spater hat Joh. Hartlieb im Auftrage
Herzog Albrechts II. von Osterreich den Tractat des Andreas
in Prosa ubertragen 2 ). Die Yornehmen des 15. Jahrhunderts,
in dem das Mittelalter unterging, thun noch einmal einen
sehnstichtigen Rtickbhck in die Glanzzeit ihres Standes. —
2 ) Der Minne Regel von Eberhardus Cersne, herausgegeb.
von Fr. X. WOber. Wien 1861. — Er. Bachmann, Studien tiber Ever-
Uard v. Cersne. 1. Dresden 1891.
2 ) Godecke, Grundriss der deutschen Litteratur l 2 , 359.
249
Unsere Liebeslyrik hat keine Tenzonen und Partimens.
ausgebildet;'nur Ans&tze dazu lassen sich bemerken.
Dialectische Behandlungen von Fragen werden in unsrer
Lyrik erst beliebt, als die ritterlichen hOfischen Dichter hinter
die btirgerlichen handwerksztinftigen oder gelehrten zurtick-
treten. Ihr Gegenstand liegt aber, mit Ausnahme etwa des
Streites ttber den Vorzug der Worte frouwe und wip, den
Frauenlob mit Kegenbogen und Kaumsland fuhrte, von den
Wegen abseits, auf denen wir hier wandeln.
Es liegt in dem Wesen der Liebe, dass sie die Gefuhle
hin und her treibt, wie der Wind das Wasser. „Himmelhoch
jauchzend, zum Tode betrtibt, Glticklich allein ist die Seele,
die liebt", tOnt auch durch die Lieder der mittelalterlichen
Dichter. Mochte nun der Dienst des Eitters belohnt werden,
mochte die Dame ihm nur ab und zu ein kleines Zeichen
der Gnade geben und ihn auf spatere Zeiten vertrOsten,
Stunden und Tage dusterer Stimmung, des Zweifels und des
Verzagens waren ihm sicher. Aber in dem Wechsel der
Empfindung, in dem Kampfe der Gefuhle, in der Entwick-
lung der Leidenschaft durch den Zweifel lag auch ein
Genuss. Schon bei den altesten Minnesingern spielt das truren,
die swaere, die sorge in das Liebeslied, und je reicher sich
Minnedienst und Minnesang entfalten, um so erfinderischer
werden die Dichter, den Jcumber, die senede not auszukosten
und auch sprachlich auszudrucken 1 ). Die Dame versagt dem
Manne selbst einen freundlichen Gruss; sie beach tet ihn dann
lange gar nicht. Der Bote, der mit einem Liebesliede zu ihr
geeilt war, kommt ohne Gnadenzeichen zuruck; auf alle
Bitten erwidert sie nur mit versagen: Jahre hat ihr schon
der Mann gedient, im Turnier und mit Liedern zu ihrem
Preise; sein Haar wird bereits grau und damit schwindet
ihm alle Hoffnung, endlich erhoert zu werden. Er ist ver-
sehrten Herzens, und den Balsam, der die Wunde allein heilt,
l ) Eine Sammlung dieser Worte bei Erich Schmidt, Reinmar
v. Hagenau und Heinrich v. Rugge 102—106. Vgl. zur Sache auch
Konr. Burdach, Reinmar und Walther 24 f.
260
die Minne und die weibliche Gate, kann er nicht finden.
Im bitteren Humor singt da Keinmar von Hagenau:
man sol sorgen: sorge tit gitot,
due sorge tit niemen wert. (M. Fr. 198, 35.)
Und ein andermal sagt er von den Frauen im allgemeinen :
Lieb* ist ihnen, dass. man stets sie bitte,
Und gar wohl thut ihnen das Versagen.
Ach! der Launen wunderliche Sitte
In der Seele sie verborgen tragen!
Wer von ihnen Gnade will erlangen,
Sitze stets bei ihnen und verehre sie.
Ach ich that's — doch nichts wollt' es verfangen,
(M. Fr. 171, 11—16).
Die Blutenjahre des hOfischen Lebens waren reich an
Spiel der Weiberlaunen. Der ungliickliche Minner ward in
Aussicht entfernter Gunstbeweise oft genug auf jede Art ge-
qualt, mit Aufgaben beladen, die er nicht erfullen konnte,
und durch die hOchste Ungnade gestraft, die er, weil die
Mode es forderte, mit grOsster Selbstverleugnung und oft mit
wirklichem Schmerz ertrug. Nicht tibel zuchtigt der Tann-
hauser, der etwa 1240 — 1270 bltlhte und sich uberhaupt in
Satire auf den Frauendienst gefallt, diesen weiblichen tiber-
muth. Er sagt: „Treuer Dienst der ist gut, den man schOnen
Frauen thut, wie der meinen ich gethan. Bald soil ich ihr
den Salamander bringen, die Rhone bald in Niirnberg strOmen
lassen, die Donau dann den Rhein hiniiber zwingen und noch
auf meiner Bitt' ErhOrung passen! Ja Dank sei ihr, ihr Nam'
ist Gute; sprech' ich ein Ja, sie saget Nein, so stimmen stets
wir tiberein. Hei hei! es blieb zu fern ihr einst die scharfe
Rute. — Der Hoffnung eine ist mir noch geblieben: zergeht
der Mauseberg gleich wie der Schnee, so will sie lohnen mir
mit sussem Lieben. Wonach mein Herz begehrt, wird dann
von ihr gewahrt, bau' ich ein Haus von Elfenbein, wohin sie
will auf einen See und bring' ich ihr aus Galile den Berg,
auf dem Herr Adam sass. Hei, hei, welch prachtiger Dienst
war' das! — Ein Baum steht fern in India; schaff ich den
grossen Baum ihr nah, so wird mein Wille gleich gethan.
Sie will den heir gen Gral auch han, den Parzival gehutet
251
hat; des Apfels gert sie drauf zur Statt, den Paris Venus hat
gegeben ; den Zaubermantel auch daneben, der nur den treuen
Frauen passt. weh, ich bin ihr ganz verhasst, schafF ich
ihr nicht die Arche rasch zur Hand, daraus Herr Noah Tauben
hat entsandt" 1 ). Ein Epigone unsers mittelalterlichen Minne-
gesanges, Herr Steinmar (1276 — 1294 nach seinen Liedern
thatig), weiss sich mit eben so guterLaune tiber den Eigen-
sinn seiner Geliebten hinwegzusetzen. Es ist humoristischer
Spott tiber das ganze Minnetreiben. Er meint, es sei ein altes
Mahre, ein Minnerlein sei recht ein Marteraere ; er aber wolle
kein Martyrer werden und darum sich einemDienste zuwenden,
der besser lohne. Statt der harten Geliebten wolle er fortan
den Herbst preisen, und er ruft nun den Herbst an, sich seiner
anzunehmen, er wolle ihn daftir im Liede gegen den Mai er-
heben. Als Lohn bedingt er sich zehnerlei Fische, GSnse,
Htihner, Schweine, Wtirste, Pfauen und welschen Wein.
Schussel und Becher wolle er bis zum Grunde leeren und
seinen Liebesgram damit heilen (MSHag. 2, 154).
Nur wenige freilich wussten sich mit solcher Laune
tiber das Liebesleid zu erheben. Die meisten wurden lieber
Kitter von der traurigen Gestalt 2 ) und fanden ein Behagen
darin, sich von den Launen ihrer verwOhnten Herrin urn ihre
Jahre tauschen zu lassen und Spott und Qual aller Art zu
ertragen. Als Beispiel dieser Liebesthoren kOnnen wir aus
der deutschen Welt den vielbekannten steirischen Edelherrn
Ulrich von Lichtenstein (t 6. Jan. 1275 Oder 1276) vorstellen,
der ein langes Leben in dem Dienste einer ftirstlichen Frau
verbrachte, welche ihr Spiel mit ihm trieb. Eine Tollheit be-
ging er nach der andern, eine thOrichte Aufgabe nach der
andern erfiillte er, um fortwahrend von der Dame, ihrer Um-
gebung und seinen eigenen Leuten getauscht und verspottet
a ) Minnesinger von v. d. Hagnn II, 91 b -— 93 a * Ein ganz ver-
wandtes Gedicht des Tannhauser ebd. 92 a — 93- Vgl. auch das Gedicht
des Taler, ebd. II, 147 b -
2 ) Qui d'amor es ben feritz, mout deu esser escoloritz magres
e teinz e flacs e vans et en als sia fort ben sans, Kom. de Flamenca.
(Rayn. 1. rom. 1, 27.) Vgl. auch Chastiem. d. dam. 1039—1049.
zu werden. Schon als junger Knabe hatte er sich die Dame
seines Herzens in der edlen Frau erwahlt, deren Page er
damals war. Bald war er so tief in dem Liebeswahn verloren,
dass er mit Entzticken das Wasser trank, worin sich die Herrin
gewaschen hatte. Mit den Jahren wachst seine Tollheit; er
lasst sich seine allzubreite Oberlippe abschneiden, weil Sie es
verlangt; er mischt sich einmal in die ekelhafte Schaar der
Aussatzigen, um eine vorgespiegelte Zusammenkunft zu er-
harren. Er lasst sich einen Finger, der bei einem Stechen zu
ihrer Ehre besch&digt war, abhauen, weil sie die Wunde fur
nichts grosses erkiarte. Als er ihr den Finger geschmflckt
und in reichem Kastchen zusendet, bricht sie in Verwunde-
rung aus, dass ein verstandiger Mensch solche Narrheit thun
kOnne. Und dieser selbe Ulrich hat ein eheliches Weib auf
seiner Burg, mit dem er in bester Eintracht lebt, das ihn
liebend empfongt und ihn freundlich pflegt, wenn er einmal
von seinen Landfahrten heimkehrt und das er auch wieder
liebt. Aber zur Herrin tiber sich hat er, weil die Mode es
verlangte, jenes Idol seiner Jugend gesetzt 1 ).
Der in Offentlichen Dingen ttichtige und geachtete Mann
wird ein Phantast, wo es sich um Kitterthum und Frauen-
dienst handelt. Er zieht als Frau Venus verkleidet 2 ) turnirend
und verschwendend durch die Lander; die Artusromane ver-
wirren ihm sein Hirn und er merkt nicht, dass er eine gro-
teske Figur geworden ist. In seinen Phantastereien meint er
sich als echten, rechten Bitter zu bewahren; er ist ein ehr-
x ) Ulrichs von Lichtenstein Frauenbuch und Frauendienst
mit Anmerk. von Th. v. Karajan herausg. v. K. Lachmann. Berl.
1841. (Ygl. tiber Ulrichs Verhaltnis zu seiner Ehefrau namentlich
222, 1—27. 251, 22. 318, 25.) J. Falke, Geschichte des furstlichen
Hauses Liechtenstein I, 57—124, Wien 1868. — Ich kann der Meinung,
dass die Abenteuer Ulrichs ohne geschichtliche Wahrheit seien, nicht
beitreten. Verstandig hat sich G-. Roethe in seinem Reinmar v. Zweter
S. 36 Anm. hieruber ausgesprochen.
2 ) Im Carneval tunirten einmal in Reggio nach Salimbenes
Chronik maskirte Ritter in Frauenkleidern, die ihnen ihre Damen
geliehen hatten. (Zuerst hat A. Schultz, H6f. Leben I, 578 diese
Stelle angeftihrt.) . .
253
licher Narr, wenn er auch eine Caricatur seines Standes
wird.
Der Finger des deutschen Lichtenstein erinnert an eine '
ahnliche provenzalische Geschichte. Der Troubadour Guillem
de Balaun hatte ein Liebesverhaltniss mit Guilhelma, der
Frau des Herrn Peter von Javiac. In einer Laune fiel es ihm
ein zu erproben, ob die Freude der VersOhnung mit der
Geliebten das Gluck der ersten Liebesgewissheit iibertreffe,
und er stellte sich also gegen die Dame erzurnt. Sie ver-
suchte erst auf das zartlichste ihn zu besanftigen ; als es aber
misslang, beschloss sie , den Querkopf seiner Grille zu ttber-
lassen, und liess ihn schliesslich, als er selbst VersOhnung
suchte, aus ihrem Schlosse werfen. Der Kitter gerieth in
Verzweiflung , allein Guilhelma blieb standhaft und wollte
von ihm nichts sehen noch hOren. Dies dauerte ein Jahr.
Da erbarmte sich der beste Bitter der Gegend, Herr Bernart
von Anduza, des trauernden und le'gte bei der Dame von
Javiac eine Fiirsprache fur Balaun ein. Sie gab endlich nach
und verhiess ihn wieder anzunehmen, wenn der Troubadour
sich den Nagel seines kleinen Fingers ausziehen lasse und
ihr mit einem Gedichte Qberreiche, worin er sich selbst wegen
seiner Thorheit tadele. Dies geschah denn und Guillem von
Balaun ward wieder zu Gnaden aufgenommen 1 ).
Guillems verzweifeln und ganzliches sich fiigen lasst
sich allenfalls erklaren, denn er ftihlte sich gegen seine Ge-
liebte schuldig; allein der Beweis seiner Unterwerfung grenzt
an Verriicktheit. Ein anderer Troubadour zeigt uns den roman-
tischen Wahnsinn in noch strahlenderem Lichte. Peter Vidal,
der Sohn eines Kttrschners in Tolosa (Toulouse), hatte sich
trotz seiner btirgerlichen Herkunft sehr rasch in die adlichen
Passionen gefunden und rechnete sich ausserlich zum Adel,
seitdem er eine Griechin aus Cypern geheiratet hatte, welche
von einem ostrOmischen Kaiser abstammen sollte. Er masste
sich nunmehr kaiserlichen Titel an, meinte Anspruche auf
das byzantinische Reich zu haben, und trieb diesen Unsinn
x ) Die vida Guillems bei Raynouard, ChoixV, 180 ff.
254
langere Zeit fort. Der eigentliche Punkt seiner Tollheit war
die Liebe. Er glaubte, dass jede Frau in ihn vernarrt sein
mQsse, bat jede urn ihre Minne und jede sagte Ja, urn ihn
zu verspotten. Am verrttcktesten aber ward er, da er sich
in Loba von Carcasses verliebt hatte. Herr Peter wollte das
Wappen seiner Herrin recht sichtbar fuhren, und liess sich
also, da sie WOlfin (Loba) hiess, Wolf (Lop) nennen, zog einen
Wolfsbalg an und lief heulend auf alien Vieren in den Bergen
von Cabaretz herum. Leider verstunden sich die Hirten und
ihre Hunde auf den Minnedienst schlecht und nahmen die
Spielerei des armen Minnerleins sehr ernst. Sie hieben und
bissen ihn als einen wirklichen Wolf, und richteten ihn so
tlbel zu, dass er fur todt in das Schloss einer andern Dame
seines Herzens, der Loba von Puegnautier, getragen ward.
Dort wurden seine Wunden geheilt, sein Wahnwitz aber blieb
ihm bis an sein Ende 1 ).
Reinmar von Zweter, der ernste mannliche Spruch-
dichter, ein wurdiger Nachfolger Walthers von der Vogelweide
(t urn 1260), fasst seine Ansichten fiber das Verhalten der
Frauen gegen ihre Bewerber in folgende Form 2 ): „K0nnte
ich drei Wunsche thun, die sich erfullten, so wurde ich
unsterblich werden. Zum ersten wollte ich wunschen, dass
man von guten Frauen nicht zu viel sprache; zum zweiten,
dass sie in rechter Art zu versagen und zu gewahren wussten,
und dass sie thaten, was sie im Willen hatten, ehe man
ihnen gram wfirde. Der dritte Wunsch ware, dass sie den
guten Mann von dem falschen unterscheiden lernten. Welche
Frau alles gerne anhOrt, was ein falscher Mann in schlechter
Absicht von ihr wtinscht und die ihm darauf weder Ja noch
Nein sagt, die affet ihn und macht sich selbst zur N&rrin".
Zu einem Punkte in dem vorgefuhrten hoflschen Frauen-
dienst wollen wir noch kurz zurttckkehren. Der Dienst gait
iiberwiegend verheirateten Frauen, und er hatte in den
allermeisten Fallen bei dem Manne als Ziel den ganzen, wenn
J ) Mahn, Werke der Troubadours 1, 216 ff.
2 ) Spr. 54. MSH. 2, 187*.
255
auch vorflbergehenden Besitz der Verehrten. Es war also ein
unsittliches Verhaltniss. Leichtere Naturen halfen sich dariiber
ohne Skrupel hinweg: es war Mode, und in der guten, ele-
ganten Gesellschaft stunden alle, die etwas gelten wollten,
in solchem Dienst. Nur musste die Ehre der Dame gewahrt
werden, also Yerschwiegenheit und Vorsicht waren noth-
wendig. Um dieser Ehre willen haben sich die Frauen auch
gewOhnlich sprOde und abwehrend verhalten; tiefer angelegte,
wenn sie den Dienst auch annahmen, haben gleich anfangs
und wiederholt den Werbern erkiart, mehr als einen freund-
lichen Gruss und ein giitiges Wort zu gewinnen, sollten sie
niemals hoffen. Daftir geben die Lieder der Minnesinger Be-
weise genug. Ubrigens kam auch den Mannern das Bewusst-
sein der Stinde keineswegs ganz abhanden *) ; besonders wenn
sie die Kreuzfahrt gelobt hatten, brach der Zwiespalt zwischen
diesem Gottesdienst und dem Frauendienst, der eines Andern
Weib begehrte, in ihrem Gewissen scharf hervor. „Dem kriuze
zimt wol reiner muot und kiusche site*, dieser Satz, den
Hartmann von Aue (M. Fr. 209, 25) in einem seiner Kreuz-
lieder durchfilhrt, drangte sich auch in die Seele von andern
Frauenrittern, und wenn ihnen auch weniger das ganze
Bewusstsein der Stlnde kam, so erschien ihnen der Dienst
in der ernsteren Stimmung doch als eine Thorheit. Auch
das Versagen des Lohns durch die Herrin bringt sie zum
Entschluss, nur einem Herrn zu dienen, der zu lohnen weiss,
namlich Gott im Himmel (Hausen, M. Fr. 46, 19—38. Keinmar,
ebd. 154, 2).
Freilich wird die Weltentsagung auch nur gelobt auf
die Zeit der Kreuzfahrt. „Wenn ich die reine Gottesfahrt
beendet habe, dann sei mir wieder willkommen, Frau Minne!"
sang Albrecht von Johannsdorf (M. Fr. 94, 30).
Es konnte nicht fehlen, dass der ritterliche Frauendienst
auf den Liebesverkehr in den unritterlichen Kreisen Einfluss
gewann. In dem kleinen Liebesroman in Briefform, den die
J ) Hornoff, Germania 34, 92—105.
266
drei lateinischen Tegernseer Briefe (S. 136 f.) wenigstens be-
ginnen, hebt das schreibende Madchen dem Geliebten gegen-
(iber, der sie vor den Rittern als vor Ungeheuern (a por-
tentis) gewarnt hat, hervor, dass sie sich vor ihnen wahren
werde. Bei aller treuen Liebe zu ihm milsse sie aber doch
sagen, dass die Ritter die Gesetze des hoflschen Lebens gaben
und abten, und dass sie Quell und Ursprung aller Ehre und
Wiirde seien (ipsi enim sint per quos ut ita dicam reguntur jura
curialitatis. ipsi sunt fons et origo totius honestatis. M. Fr.
222, 46 f.). In reichen und freien Bauernlandschaften, wie in
Niederbayern und Osterreich, in denen es die Jugend den vor-
nehmen Leuten gerne nachthat und zwischen Rittern und
jungen Dirnen manche Liebschaft, zwischen reichen Bauern
und armen Fraulein manche Ehe geschlossen ward, wie die
Neithartschen Lieder, Strickersche Gedichte und Wernhers
Meier Helmbrecht bezeugen, hat der ritterliche Frauendienst
auch baurische Nachaffung gefunden. Da gab es natiirlich
Caricaturen der wunderlichsten Art, die von der hOfischen
Gesellschaft mit Behagen verspottet wurden. Wenn ein derber,
kraffciger Bauernbube den schmachtenden und von sehnender
Noth verzehrten spielte, musste er das hellste Gelachter er-
wecken. Ein niederOsterreichischer ritterlicher Dichter, Gteltar
mit Namen, dichtete folgende Verse (MSH. n, 173*):
Hatt' ich 'nen Knecht, der von der Herrin sange,
der musste ihren Namen deutlich nennen mir,
dass niemand glaubte, er umbuhl , mein Weib.
He Alram, Ruprecht, Friedrich, Mergersdorfer ihr!
was soil man zutraun euch, dass ihr die Herrn so afffc?
Grings nach Gerechtigkeit, so gings euch an den Leib.
Ihr seid zu fett fur eure Liebesklagen !
Wer also minnejammert, kann es, wenn's ihm Ernst,
kein ganzes Jahr lebend'gen Leibs ertragen.
Neithart von Reuenthal hat sich diese komischen Ge-
stagen ausersehen. Er „fuhrt uns 1 ) ganz und ohne fremde
Beimischung das baurische Leben vor, und je mehr wir uns
hier heimisch fOhlen, desto schlagender ist das komische,
wenn irgend ein hervorstechender Zug uns plOtzlich an den
!) R. v. Liliencron in Haupts Z. f. d. A. VI, 107.
257
verkappten wirklichen Gegenstand des Spottes mahnt, wenn
aus dem getreuen Bild des plumpen Bauers das ebenso getreue
des durch diese Ahnlichkeit doppelt witzig verspotteten Hof-
herren hervorblickt".
Im ganzen bewahrte die eingeborne gesunde Natur die
Landjugend vor nachgeahmten Minnethorheiten, wie die Neit-
hartschen Tanzlieder uns am sichersien beweisen. Der'unge-
zwungene Verkehr der ledigen jungen Leute im Sommer auf
dem Anger und den bltihenden Auen, im Winter in den Stuben
liess sentimentale Uberspannung nicht gedeihen. Es bedurfte
keines langen Dienstes, um der anerkannte Geliebte des be-
gehrten Madchens zu werden, keines solchen Aufwandes, wie
die Eitter fur ihre Ausrtistung mit elegantem Gewande (Minne-
lehre 477 flf.), fur ihre Abenteurerfahrten und auch fur Ge-
schenke a ) an die Damen machen mussten. Ein Giirtelriemen,
ein Handspiegel, ein Haarband, ein Ringlein gewannen leicht'
den Dank. Und wenn es heute eine Forderung der Land-
madchen ist, dass die Burschen zu bestimmten Tagen —
wie am Johannistag Oder zum weissen Sonntag, an dem
nach der ernsten Passionszeit und dem hohen Osterfest zum
ersten Male wieder in Bay era getanzt werden darf — sie
*) z. B. Herbort 11411—16. — Die Frage ;j quas res deceat coa-
mantes a coamantibus recipere" beantwortet Andreas Capellanus
Erotica 0. 4 b ff. (Dortmunder Ausg. v. 1614): amans quidem a coa-
mante licenter hoc accipere potest, scilicet ornata capillorum liga-
mina, auri argentique coronam, pectoris fibulam, speculum et cin-
gulum, marsupium laterisque cordulam, lavamenta, vascula, reposi-
toria, vexilla caussa memoriae et ut generali sermone loquamur,
quodlibet modicum datum, quod ad corporis potest valere culturam
vel aspectus amoenitatem, vel quod potest coamantis afferre memo-
riam, amatis poterit a suo percipere coamante, sed tamen dati
acceptio omni videtur avaritiae suspicione carere. In der franzosischen
Bearbeitung (auszuglich von F. Wolf in den Wiener Denkschriften
XIII, 189) werden unter den joiaux que se coviens as fames auch
. angefiihrt romanz, cobles, chancon por qu'eles parleront a lor amanz
et il a eles lisanz aus. — Unter den tredecim principalia amoris
praeceptis des Andreas Capellanus ist die erste: Avaritiam sicut
nocivam pestem effugias et ejus amplectens contrarium.
Weinhold, Deutsche Franen. I. *■
zum Meth ftthren und ihnen die SchOne und die Starke zahlen,
d. h. einen Trunk spenden, der ihnen SchOnheit und Gresund-
heit fiir das Jahr verburgt (Schmeller, Bayr. WOrterb. 3, 369),
so werden wir ahnlichen Brauch schon far die alte Zeit ohne
Kilhnheit annehmen durfen.
Das Liebesleben des Landvolkes steht vielfach mit den
uralten Jahresfesten, mit dem durch den Kultus gegliederten
Naturleben in Zusammenhang. Namentlich bei den Friihlings-
festen lasst sich das erkennen. Wie in der Poesie nicht bloss
bei uns, sondern tiberall Friihling und Liebesfreude, Winter
und Liebesleid sich verbinden, so sind die hohen Zeiten der
knospenden und aufbltihenden Natur auch die Feste der Liebe
zwischen Mann und Weib.
In dem alten Frankengebiete : in Hessen, an der Ahr,
auf der Eifel, im JQlichschen und Bergischen Lande, in der
Rheinpfalz, in der Wetterau herrscht die Sitte des Mailehens *).
Am Vorabende zum 1. Mai werden hier und da bei dem lodern-
den Maifeuer die Madchen des Dorfes von den versamraelten
Burschen als Mailehen ausgerufen und werden entweder be-
stimmten Burschen durch den Ausrufer zugetheilt oder an
den meistbietenden versteigert. Sie tanzen dann mit ihrem
Partner den ganzen Sommer fiber. Das Madchen schmiickt
den Hut des Burschen mit einem Strauss und er setzt ihr
einen Maien auf den Giebel des Hauses oder legt ihr den
nachsten Sonntag nach der Ersteigerung einen Blumenstrauss
auf ihren Kirchensitz. Die Madchen heissen Mailehen, Mai-
frauen, frtiher auch Maibuhlen. Dass aus der Mailehenschaft
nicht selten Verehelichung des Paares folgt, begreift sich
wohl. Im 15. Jahrhundert ist auch im schwabischen und
alemannischen Lande ein ahnliches Verhaltniss in vorrieh-
meren Kreisen Brauch gewesen: in den Badegesellschaften
!) Mannhardt, Wald- und Feldkulte 1, 450 ff. W. Menzel in
Pfeiffers Germ. I, 65. — Das Mailehen ist nach der rechtlichen Seite
hin eine spielende Nachbildung des Eechtes des Landesfursten, Ver-
heiratungen nach Gutdiinken zu verfiigen, vgl. Grimm, Rechts-
alterth. 436 ff.
259
waren Maienbuhlschaften ein geselliges Spiel 1 ). Andeutungen,
dass solche sommerliche Verbindungen schon friiher bestunden,
fehlen nicht (M. S. H. Ill, 21 7 a ).
Von diesen sommerlichen Parchen haben wir die Mai-
braut und den Maibrautigam zu scheiden, die im alten Sachsen
und in Thiiringen in Pflngst- und Maigebrauchen 2 ) als Erinne-
ruhgen an uralte heidnische Sommerfeste sich erhalten haben,
an denen der Einzug des heiteren Himmelsgottes mit der br&ut-
lichen ErdgOttin unter dem Jubel der Menschen begangen
ward.
Die Sitte, in der Walpurgis- oder in der Pfingstnacht
Maien zu Ehren geachteter Madchen des Dorfes oder als
Liebeszeichen vor das Fenster, die Thttr, auf den Hausgiebel
der Geliebten zu setzen, ist weit iiber das deutsche Land
verbreitet und auch in England, Frankreich, Italien bekannt.
Es ist eine junge Birke oder Linde oder auch eine Tanne,
die gleich den „Sommerb&umchen" mit Goldflittern, bunt en
Eiern, Bandera und gemachten Blumen geschmuckt ist 3 ).
Wenn das Mailehen hier und da beim lodernden Mai-
feuer gehalten wird, so erinnert das an andere Brauche, die
bei den alten heiligen Feuern der Frtthlings- und Sommer-
feste bestehn. In Ober- und Mederbayern, in der Oberpfalz,
im Erzherzogthume Osterreich springen die ledigen jungen
Leute paarweise (gewOhnlich sind es die erkiarten Liebes-
paare) durch das Johannisfeuer, um Gedeihen des Flachses
und bleibende Gesundheit damit zu erreichen. Im Egerlande
stellen sich die Burschen und Madchen um den brennenden
Johannisbaum reihenweise auf und schauen sich durch die
Kranze an, welche die Burschen von dem Baume zuvor
herabgeholt haben. Sie wollen damit erforschen, ob sie sich
1 ) Mannhardt a. a. 0. I, 454, wo sich auch iiber die iihnlichen
franzosischen und englischen Sitten (in England am Valentinstag)
Mittheilungen linden.
2 ) Mannhardt I, 431 ff.
3 ) Die Zusammenstellung bei Mannhardt, W. F. Kulte 1, 163 ff.
17*
2*0
einander treu bleiben und heiraten werden. Sie werfen sich
dann dreimal die Kr&nze durch das Feuer zu 1 ).
Bei dem Scheibenschlagen, das heute noch in Aleman-
nien, Schwaben, Elsass, Westtirol, Oberbayern und Karnten,
frtther (11. Jahrhundert) auch in Khein- und Ostfranken zu
verschiedenen Zeiten — sowohl in der Fastenzeit und zu
Ostera als zu Johannis — bei den brennenden Jahresfeuern
von den Burschen getrieben wird*), schlagen sie die bren-
nende Scheibe zu Gunsten ihrer Schatze. Das gltthende Sinn-
bild der aufsteigenden Sonne soil ihnen Gluck bringen.
In jenem Brauche aus dem Egerlande scheint der Kranz
Symbol des Sonnenrades; zugleich hat er aber als Schmuck
des Sommerbaumes , an dem ihn jedes Madchen ftir seinen
Geliebten aufgehangen hatte, die alte Bedeutung einer Ehren-
gabe. Von der Geliebten ein Kranzlein zu erhalten, war von
je die Bemuhung der werbenden Junglinge gewesen. Heinrich
Seuse, der poesiereiche Mystiker (t 25. Jan. 1366 in Ulm),
erzahlt, dass in seiner Heimat Schwaben an manchen Orten
zu Neujahr die Gewohnheit war, dass die Jiinglinge in der
Nacht vor den Hausern ihrer Liebsten Lieder sangen und
Spruche sprachen, um daftir ein Kranzlein von ihnen zu er-
halten 8 ). Von solchen Sprtlchen und Liedern um den Kranz
als Liebeszeichen ist manches aus dem 15. und 16. Jahr-
hundert auf uns gekommen 4 ).
In den heiligen Zeiten des Jahrs, vorzUglich zur Winter- '
sonnenwende, haben die Madchen den Wunsch, den kttnftigen
1 ) Mannhardt a. a. 0. 1, 464. 466. tTber einen russischen Brauch,
dass sich die Paare durch die kranzartig verflochtenen Zweige einer
Maienbirke kiissen, ebd. 434.
2 ) Mannhardt a. a. 0. 465. Lexer, K&rnt.W6rterbuch215. Fr.Vogt
in d. Z. d. Vereins f. Volkskunde 3, 349-369. 4, 195 f.
3 ) Seuses Exemplar 1, 1. c. 10 (Ausgabe der deutschen Schriften
Seuses v. Denifle I, 40). Acta SS. Jan. II, 658.
4 ) Kellers altdeutsche Erzahlungen, SL 475 f. (am Schluss im»
vollstandig und mit einem andern Gedicht vermischt). — Uhland,
Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder, Nr. 2. Fr. Bohme, Alt-
deutsches Liederbuch, Nr. 271. 281; eine geistliche Umdichtung,
Nr. 288.
261
Gatten wenigstens im Schattenbilde zu schauen, oder zu er*
lauschen, woher er kommen werde, von uralter Zeit zu be-
friedigen gesucht. Die heute noch ilbiichen Gebrauche des
Andreasaben.ds, der Thomas- und Kristnacht, des Sylvesters
stammen aus heidnischen Riten und Zauberwesen *). Sie
werden sich wohl erhalten, so lange ein Madchenherz schlagt.
Wenn wir bemerken, dass der Norden Deutschlands an
der hOfischen Lyrik und damit an der kunstmassigen Liebes-
poesie des 12. und 13. Jahrhunderts so gut wie nicht Theil
hat; wenn wir ferner sehen, dass der anglonormannische Adel
Britanniens trotz der Bekanntschaft mit sud- und nordfran-
zOsischer Lyrik keine Lust zur Nacheiferung zeigt, und dass
in England nur in dem Kreise der fahrenden Kleriker, die mit
der lateinischen Goliardenpoesie und franzOsischer Erotik ge-
tr&nkt waren, das Liebeslied frisch hervorbricht 2 ), so werden
wir um so weniger erwarten, in Skandinavien den Frauen-
dienst und seinen Liedern zu begegnen.
Das Ritterleben hat hier keinen Boden gewonnen und
ritterlicher Frauendienst ist demnach nicht gepflegt worden.
Freilich konnte die Liebe nicht ganzlich der Poesie fremd
bleiben, aber sie hat doch nur einen sehr geringen Rang
unter den dichterischen Motiven. Der Mann und sein Kampf
um Leben und Recht herrscht durchaus. Das Altnordische
hat indessen fur das Gedicht auf ein Madchen, filr das Liebes-
gedicht, ein besonderes Wort: manspngr. Wir lesen auch in
der Snorra-Edda von GOttin Freyja, dass der manspngr bei
ihr in grosser Gunst stund (Sn. E. Arn. Magn. 96, 20) ; aber
es war den Dichtern, welche auf eine bestimmte SchOne
Verse machten, sehr zu rathen, dass sie vor der VerOffent-
lichung sich die Erlaubniss der Familie des M&dchens ver-
schafften, denn sonst trafen sie sehr uble Folgen. Auf Island
1 ) Wuttke, Der deutsche Aberglaube der Gegenwart, §§. 348.
352. 358-365. Grimm, Mythol. 1071. Weinhold, Zur Geschichte des
heidnischen Ritus (Berlin 1896), S. 6 f.
2 ) Ten Brink, Geschichte d. englischen Litteratur 1, 204 f., 379 f.
262
stund Friedlosigkeit (sk6ggangr) darauf, wenn jemand ein.
Liebeslied auf ein Madchen machte (Grdgas vigsl. 106) ; dann
trat zuglei'ch einer der Faile ein, in denen das Madchen eine
gewisse bilrgerliche Selbstandigkeit genoss. War es namlich
zwanzig Jahre oder darflber, so lag die Klage in seiner eigeneii
Hand; waresjanger oder wollte es nicht klagen, so musste
der Vormund den. Process erheben. Die strenge Strafe konnte
durch Geld abgelOst werden, allein der Satz war sehr hoch.
Ich will ein paar Beispiele dieses Verbrechens erzahlen. —
Der Islander Ingolfr, Thorsteins Sohn, hatte ein Liebes-
verhaltniss mit Walgerdr, Ottars Tochter. Beide Vater sahen
den Verkehr ihrer Kinder nicht gerne und dem Ingolfr ward
der Besuch der Geliebten untersagt. Da machte er ein langes
Liebesgedicht auf Walgerdr, und obschon die Poesie in Ottars
Hause beliebt sein sollte, da sein Sohn Hallfredr vandraettar-
skald einer der bedeutendsten Skalden war, so wurde doch
dieser Liebesgruss sehr schlecht aufgenommen. Ottar ver-
klagte den *Dichter. Die Folge war, dass Thorstein eine be-
deutende Busse fur den Sohn zahlen musste; dagegen ver-
stund sich Ottar dazu, sein Gut zu verkaufen, in eine andere
Landschaft zu Ziehen und dadurch den Grund zu ferneren
Processen aufzuheben (Fornmannas. 2, 13. 14).
Auch in den andern skandinavischen Landern wurden
die verliebten Sanger verfolgt. Der Skald Ottar der schwarze
hatte ein Gedicht auf Astridr, die Tochter KOnig Olafs von
Schweden, gemacht. Er wurde deshalb eingesperrt und sollte
am dritten Tage hingerichtet werden. Aus dieser bedenk-
lichen Lage rettete ihn sein Freund Sighvatr, der ihm rieth,
ein Lobgedicht auf den KOnig zu machen. Als nun Ottar
zum Tode gefilhrt wird, singt er vor Olaf und Astridr noch
einmal als Schwanengesang jenes verderbliche Lied, kntipft
aber rasch das Lobgedicht auf den KOnig an, das seine Wir-
kung nicht verfehlt. Olaf schenkt ihm nicht nur das Leben,
sondern auch als hergebrachte Sangergabe einen King und
Astridr reicht ihm einen Fingerreif (Fornmannas. 5, 173—175).
Mit dem Willen des Madchens und seiner Verwandtschaft
war freilich ein manspngr gestattet. Der Skald Thormoclr
hatte einen halben Monat im Hofe der Witwe Katla in Arna-
dal im Bulungarwik auf Island verweilt. Als er scheiden
wollte, dichtete er ein Lobgedicht auf die schOne Tochter
des Hauses, Thorbiorg kolbrun, und trug die Strophen vor
grosser Gesellschaft vor. Katla zog darauf einen schweren
goldenen Eing vom Finger und ttberreichte ihn dem Dichter
als Dichterlohn und zugleich als Namensgeschenk, denn sie
gab ihm den Beinamen Kolbninarskald. Diesen Beinamen
fiihrte Thormoctr fortab. Als er in seine Heimat kam, be-
suchte er ein Madchen, das er fruher verehrt hatte, Thordis,
Tochter der Grima. Er fand kalte Aufnahme und spitze
Keden fur seine Kolbrunweisen. Er spielte da ein schlechtes
Spiel; sagte, das Gedicht habe er eigentlich auf Thordis ge-
macht und anderte nun die Strophen zu Lobversen auf die
alte Geliebte urn. Aber nach einiger Zeit tr&umte ihm, Kol-
brun trete zu ihm, schelte ihn ob seiner Falschheit und
drohe ihm mit Erblindung, wenn er nicht Offentlich ihr
Eigenthum zurQckgebe. Da er beim erwachen b6se Augen
hat, ger&th er in Angst, und auf Rath seines Vaters beruft
er eine Versammlung, gesteht hier seine Schuld und stellt
die Kolbrunweisen wieder her. Darauf heilen seine Augen
(Fostbroedras. A. c. 11. Landnamab. II, 25).
Mit dem Namen manspngr werden auch die lyrischen
Einleitungen zu den balladenartigen Dichtungen, den rimur,
bezeichnet, in welchen die Dichter des 14. Jahrhunderts ihre
persOnliche Stimmung und ihre Lebens- und Herzenserfah-
rungen aussprachen 1 ).
In der Weise aller dieser Dichtungen lag durchaus nichts
sittlich anstOssiges oder verletzendes ; sie haben keine Spur
von der weichen Sinnlichkeit der romanischen und deutschen
Minnelieder, sondern sind ganz aus dem nordischen Geiste,
mehr eine tJbung des Scharfsinns im Zusammenschichten
schwerer Bildungen und Vergleichungen als ein Erzeugniss
2 ) Ober den mansGngr Th. Mobius in dem Erganzungsband
der Zeitschr. f. deutsche Philologie 42 ff. K6lbing iiber den mans6ngr
in den island, rimur in seinen Beitragen zur vergleichenden Ge-
schichte der romant. Poesie 143 ff.
2M
der Leidenschaft. Es war aber dem altgennanischen Sinne
zuwider, dass ein zarteres Gefuhl an die Offentlichkeit gestellt
werde (Germ, c. 27. Adam gest. Hamab. eccl. pontif. IV, 9) ;
man empfand es wie eine Entweihung der inneren Friedstatte.
Ausserdem erschien das Offentliche Lob eines Madchens der
Familie desselben wie eine Verletzung des Hausrechtes, wie
eine rechtswidrige Anmassung, welche gebtlsst werden musste.
Das Verbaltniss zwischen Mann und Weib hielt sich im
Norden frei von romanischem Einflusse. Das Madchen ward
nicht Gegenstand einer weichlichen phantastischen Anbetung,
aber sehr oft das Ziel inniger Liebe. Die Geschichten der
nordischen Dichter imd Helden unterscheiden sieh also aufs
scharfste und zu ihrem Vortheile von den Erlebnissen der
Troubadours. Wer kOnnte die Geschichte des Skalden Gunn-
laug Schlangenzunge lesen 1 ), ohne innig ergriffen zu werden?
Dieser rauhe, harte Mann, der wie die Nordlander alle als
Feind blutig und grausam war, tragt eine heisse, feste Liebe
sein Leben lang im Herzen, die uns mit ihm versOhnt; sie
ist rein wie Islands Schnee, und weder auf ihn noch auf seine
geliebte Helga f&llt der matteste Schein unrechter Vertraulich-
keit. Wir haben auch noch von andern nordischen Dichtern
ausfiihrliche Lebensbeschreibungen ; aber uberall, wo ihre
Liebe beruhrt wird, tritt derselbe reine Glanz altgermanischer
Sittenstrenge hervor, der sich in Deutschland leider damals
schon verdunkelt hatte. Die Frauen stunden auf keiner ein-
gebildeten HOhe, aber auf einem festen und sichern Boden,
auf dem sie uberdies sich selbstandiger bewegten, als der
Buchstabe der Gesetzbucher aussagt.
*) Aus dem islandischen Urtext iibertragen von Eug. Kolbing.
Heilbronn 1878. — Eine poetische Erneuung ist: Schon Helga und
Gunnlaug, von A. Edzardi. Hannover 1875.
Seehster Absehnitt.
Die Vermahlung.
Unsere Aufgabe ist in diesem Absehnitt, tiber die Ein-
gehung der altdeutschen Ehe zu handeln. Verlobung und
Trauung nach heutigem. Ausdruck werden hauptsachlich
Gegenstande unserer Darstellung.
Die altesten rOmischen Berichterstatter tlber germa-
nische Zustande, Casar und Tacitus, stimmen darin uberein,
dass die Deutschen erst in reiferem Alter sich verheirateten.
Casar sagt (de bello gall: 6, 21), wie die ganze Erziehung
des Mannes bei den Germanen von frtih an auf Abhartung
und Kraftigung gehe, so sei es auch ein grosses Lob bei
ihnen, lange keusch zu bleiben, denn dadurch werde der
Leib gross und gestahlt. Vor dem zwanzigsten Jahre mit
eihem Weibe zu thun zu haben, gelte als hOchste Schande.
Und Tacitus sagt im Anschluss hieran (Germ. 20), dass die '
Junglinge den geschlechtlichen Genuss spat kennen lernten,
daher komme auch ihre unerschOpfte Jugendkraft. Auch die
Madchen eilten nicht zur Ehe. Gleich an Alter und KOrper
seien, die sich ehelichten, und die Kinder bezeugten dann die
Kernigkeit der Eltern. Die Germanen stehn also nach diesen
rOmischen Zeugen in Bezug auf das Alter der Eheschliessung
auf dem Stande der cultivirtesten VOlker ; auch die geogra-
phische Lage Germaniens hat wohl mitgewirkt '). — Die Sitte
spaten Heiratens hat sich noch lange in unserm Volke ge-
halten und ist erst, wie es scheint, gegen das 13. Jahrhundert
verkommen. Der Dichter der Dietrichsflucht sagt (v. 160 — 187),
J ) tfber das Heiratsalter bei den verschiedenen VOlkern: Ploss-
Bartels, Das Weib in der Natur- und Volk^rkunde I», 386 f.
260
dass vor seines Helden Dietwart Zeit weder Mann noch Weib
friiher als mit dreissig Jahren habe heiraten dilrfen. Leider
sei dies nun nicht mehr Sitte und die Folgen zeigten sich
an der Welt 1 ). Ganz ahnlich klagt fast drei Jahrhunderte
spater Johannes Murner in seinem Gedicht von Eelichs Stadts
nutz und beschwerden (d. vj. rw.).
etwan was es ubel gethou,
so ein junlcfrau nam ein man,
das nit zum minsten drissig jor
was alt, sag ich dir offeribar.
Jetz nemen zwei einauder geschwind,
die beid nit drissig jor alt sint,
das 8chendlich ist der geistlicheit
zu dulden on gross underscheit,
als oft geschicht deii fursten herren,
domit man mug die krieg erweren,
das schlechten liiten nit zustot,
und bringt in darzuo jammer und not.
Das reifere Alter der Frauen empfiehlt auch ein Spruch :
Ein Maidlein von 10 Jahren ist ein Weintraub,
von 20 Jahren ein Most,
von 30 Jahren ein Wein,
von 40 Jahren ein Essig 2 ).
In Italien war noch im 13. Jahrhundert das dreissigste
Jahr fur Manner und Frauen das Alter, in dem sie die Ehen
einzugehn pflegten 8 ).
Wenn nun auch die Volksmeinung sich hiernach fttr die
Eheschliessung im reifen Alter beider Theile von sehr alter
Zeit her bis tiber das Mittelalter hinaus erweist, so sind die
2 ) Die Annahme einer Erinnerung an Tacitus ist ganz aus*
geschlossen. Die dreissig Jahre galten als das Heiratsalter der guten
alten Zeit, wie sich auch aus Egberts v. Liittich Fecunda ratis 1161
ergibt, der mit Bezug auf friihe Heiraten ausruft: Olim ter denis,
nunc denis nubitur annis.
2 ) Hs. 342 der SchemTschen Bibl. im German. Museum in
Nurnberg. In den wenigen anderen Spriichen tiber das Lebensalter
der Frauen heisst es nur: XXX Jar im haus die Frau: Wackernagel,
Die Lebensalter, S. 33. 37.
3 ) Ricobald. Ferrar. bei Muratori IX, 138.
267
zusammengesetzteren Verhaltnisse hamentlich in den hoheren
Volksschichten und der Einfluss rOmischen Eechts so bedeu-
tend geworden, dass die Gesetze grosse Veranderungen in der
Feststellung des rechtlich zulassigen Alters der Madchen zur
Verheiratung .aufweisen. Das zwOlfjahrige Madchen kann wie
nach rOmischem Recht, so auch bei den Langobarden (1. Liutpr.
12. 112) verheiratet werden. Im Schwabenspiegel (Lassb. 55.
Landr.) und in dem friesischen Westerlawer Gesetz gilt das-
selbe Alter 1 ). Weistumer (Wt. 1, 311) setzen 14 Jahre bei
leibeigenen Madchen als zul&ssig an. In Norwegen scheint tnan
15 Jahre als gewOhnliches Heiratsalter anzunehmen (Frostath.
11, 18. Fornmannas. 2, 21).
Politische Riicksichten oder auch aus Besitzverh<nissen
entspringende Wtlnsche haben auch zu Ehen ungleichen
Alters -verleitet. Meist war, nach vorliegenden gesetzlichen
Verboten, die Braut erwachsen, der Brautigam ein Kind 2 ).
Das gab zu den grOssten Misstanden Anlass. Hauflg wurden
in Furstenhausern schon Kinder mit einander verlobt und
auch zusammengegeben. Die deutsche Geschichte kennt Bei-
spiele genug. Aus Skandinavien sei erwahnt, dass KOnig
Magnus der Barfiissige von Norwegen seinen neunjahrigen
Sohn Sigurd mit der fttnfjahrigen Biadmynja, Tochter eines
irischeh KOnigs, vermahlte (Fornmannas. 7, 50).
In den stadtischen Geschlechtern Deutschlands wurden
die Ehen nicht selten wie im hohen Adel sehr jung ge-
schlossen, so in Nilrnberg wahrend des 15. Jahrhunderts.
Anna Stromer heiratete im Alter von vierzehn Jahren, ward
mit sechzehn Mutter und gebar in den nachsten neun Jahren
acht Kinder 8 ). Wie sehr Verheiratungen in unreifem Alter in
Luzern Ende des 14. Jahrhunderts eingerissen waren, beweist
!) Markgraf Liuthar heiratete die zwolfjahrige Godila; Mark-
graf Siegfried, Geros Sohn, ein dreizehnjahriges Madchen, Thietmar.
Chron. IV, 39. VIII, 3. Andere Beispiele bei Wackernagel zum Armen
Heinrich v. 225. 2. A.
2 ) 1. Wisigot. Ill, 1. 4. 1. langbb. Karoli c. 145. Hludov. II. conv.
Ticin. 850.
3 ) Chroniken der deutschen Stadte 1, 68.
der strenge Rathsbeschluss, wonach Ehen mit BilrgerssOhnen
unter achtzehn und mit TOchtern unter fQnfzehn Jahren mit
funfjahriger Stadtverweisung des Paares und mit Einziehung
desVermOgens des unreifen und unmtadigen Theils bestraft
wurden. Alle, die darum gewusst hatten, mussten das Stadt-
gebiet zwei Jahre meiden. Fremde bassten mit ewiger Stadt-
verweisung 1 ).
In der schwabischen Reichsstadt Memmingen war noch
im 18. Jahrhundert durch Tit. VII der Zunftordnung das zu-
lassige Heiratsalter der BtirgersOhne auf mindestens zwanzig,
der TOchter auf achtzehn Jahre bestimmt*). Es weist dies
alles darauf hin, dass jene altgermanische Sitte, erst mit den
Jahren zu heiraten, in denen der Mann durchaus in voller
Blilte, das Madchen aber bereits fiber die Jugendfrische hinaus
ist, abgekommen war, nachdem die gesellschaftlichen Ver-
haltnisse sich mannigfacher gestaltet hatten. Das Sprichwort :
Jung gefreit hat niemand gereut, wurzelt in dieser Neigung
des spateren Mittelalters, fruh in den Ehestand zu treten.
Bevor ich uber die Ehe weiter handle, will ich dieselbe
durch Bruder Berthold von Regensburg, den berOhmten Fran-
ziskanerprediger (t 13. Dec. 1272), empfehlen lassen. Er hat
in einer Predigt uber die zehn Gebote von den Gefahren der
Ehelosigkeit gesprochen und fahrt also fort: „ Darum, du junge
Welt, geh schleunig in starker Busse in dich und zur Ehe
Oder mit der Ehelosigkeit auf den Grund der HOlle. „Bruder
Berthold, ich bin noch ein junger Knabe und die mich gem
nahme, die will ich nicht, und die ich gern nahme, die will
mich nicht." Nun, so nimm aus allerWelt eine zur Ehe, mit
der du recht und gesetzlich lebest. Willst du die eine nicht,
so nimm die andere ; willst du die kurze nicht, so nimm die
lange; willst du die lange nicht, so nimm die kurze; willst
du die weisse nicht, so nimm die schwarze; willst du die
schlanke nicht, so nimm die dicke. Nimm dir nur eine Ehe-
frau aus aller Welt. „ Bruder Berthold, ich bin noch arm und
!) Segesser 2, 434.
2 ) Walch, Beitr. z. deutsch. Recht 2, 301.
habe nichts." Es ist weit besser, dass du arm zum Himmel-
reich fahrest als reich zur HOlle. Du wirst noch schwerer
reich in der Ehelosigkeit als in der Ehe. „Bruder Berthold,
ich habe mein Brot noch nicht." Ich hOre wohl, du willst
die Ehe nicht. Da du nun die Unehe haben willst, so nimm
dir wenigstens nur eine einzige zur Unehe. Nimm dieselbe
an die. eine Hand und den Teufel an die andere, und nun
geht alle drei mit einander zur HOlle, wo euch nimmer ge-
holfen wird" (I, 278. Pfeiffers Ausgabe).
In dieser Eede des Minderbruders Berthold ist die Un-
ehe, die ungesetzliche Verbindung, der Ehe, der gesetzlichen
Vereinigung von Mann und Weib, entgegengestellt. Ehe
(ahd. ewa, ea, mhd. ewe, 6) heisst Gesetz, rechtliche Ein-
richtung, Recht : daraus ist erst die uns gel&ufige Verwendung
des Wortes abgeleitet, die eben dadurch schon sprachlich den
Rechtsboden bezeichnet, auf dem die Grundung des Haus-
wesens nach deutscher Anschauung beruht. Unser altester
Gewahrsmann uber die Eheschliessung der Germanen, Tacitus,
kennt denn auch nur eine Rechtsform der Heirat und hat
nichts von dem Frauenraub als einer anderen Form zu be-
richten.
Durch die vergleichende Rechtsgeschichte ist darauf hin-
gewiesen worden, dass die arischen VOlker vor der durch Ver-
trag zwischen den Sippen von Mann und Frau geschlossenen
Ehe (der Kaufehe) die Raubehe gehabt hatten 1 ), dass also die
gewaltsame Entfuhrung eines Madchens, mit Oder ohne dessen
Einwilligung, jedenfalls gegen den Willen ihrer Familie, die
gewOhnliche Weise, sich eine Frau zu verschaffen, gewesen
sei. Was die Inder, die Griechen, die Romer und auch die
Germanen betrifft, so sind hOchstens Erinnerungen an diese
rechtlose, rohe Form nachzuweisen ; bei slavischen St&mmen
freilich ist der Frauenraub bis in unser Jahrhundert hinein
2 ) Dargun, Mutterrecht und Raubehe, Breslau 1883. Kohler,
Krit Yiertelj. f. Ges. u. Rechtsw. XXIII. Z. f. vergl. Rechtsw. V.
Brunner, D. Rechtsgeschichte I, 72.
270
nachweisbar und bei den ostfinnischen VOlkein kommt er
noch heute zum Zweck der BegrQndung einer Ehe vor \ ganz
abgesehen von den NaturvOlkern.
Dass gewaltsame Entfilhrungen von dem Cherusker
Arminius an aus geschichtlichen Quellen und aus poetischen
Denkmalern fur Stid- und Nordgermanen reichlich nachge-
wiesen werden kOnnen, wird niemand in Frage stellen. Aber
es bleiben Gewalthandlungen , es sind Rechts- und Friedens-
brilche, welche die Strafe des Staates und die Rache der
Sippen trifift. Wir handeln dariiber spater. Festzuhalten ist,
dass die Germanen sich auch dadurch als Volk alter Kultur
erweisen, dass sie, als historisches Licht auf sie f&llt, nur
die Yertragsehe zu Recht bestehn haben.
Die Ehe ruht auf einem Vertrage zwischen den zwei
Sippen. Der Vertreter der weiblichen Sippe ist der Mundwalt
des Madchens, er verlobt und ubergibt dasselbe. Nach dem
friiher tiber die Vormundschaft mitgetheilten, hat zun&chst
der Vater uber die Hand der Tochter zu verfugen, der aller-
dings, wenn die Ehe eine innere, sittliche Gemeinschaft und
nicht eine tyrannische Alleinherrschaft war, seine Frau zu
Rathe Ziehen mochte 2 ). Nach- dem Tode des Vaters uber-
nahmen die nachsten Verwandten aus der vaterlichen Sippe,
je nach dem Grade der Verwandtschaft, das Recht der Ver-
lobung. Eine Ausnahme ist, dass laut des westgotischen und
einiger nordischer Gesetze 8 ) auf die Mutter dies Recht tiber-
geht; nach der islandischen Gragas tritt dieselbe nach dem
altesten Bruder der Braut ein. Bedingung war natiirlich, dass
sie noch unverheiratete Witwe war, denn in anderm Falle
war sie aus der Familiengemeinschaft mit ihren Kindern
geschieden. tibrigens war sie fast das einzige Weib, welches
auch in Skandinavien das Recht der Verlobung persOnlich
! ) In Ktirze L. v. Schroder, Die Hochzeitbrauche der Esten.
Berlin 1888, S. 17 ff. Dargun a. a. 0. 93 ff., 110.
2 ) Rechtlich ausgesprochen ist es nur Frostath. 11, 2. Hako-
narb. c. 50, die geradezu sagen: fadhir ok modhir skal radha giptin-
gum doetra sinna.
3) L. Wisigoth. Ill, 1. 2. Uplandsl. III. 1. Sjell. 1. 1, 47. 48.
271
ausuben durfte ; denn fur die ilbrigen berechtigten weiblichen
Verwandten traten mit einer einzigen Ausnahme ihre Gatten
ein. Waren jene unverheiratet, so wurden sie tibergangen,
indem, wie dies das uplandische Gesetz ausspricht, keine
Jungfrau eine Jungfrau verloben darf '). In den skandinavischen
Eechten werden die Yaters- und Mutterbruder zu den ent-
fernteren Geschlechtsgliedern gerechnet. Auf sie folgen die
Bruder- und SchwestersOhne und hiernach ihre Frauen, welche
mit der Mutter die einzigen zu persOnlicher Verlobung be-
rechtigten Weiber sind nach Gragas festathattr 1. Eine Aus-
nahme von der gemeinen germanischen Eechtsansicht zeigt
die Gragas auch darin, dass.die unehelich geborenen Ver-
wandten in die Reihe der Verlober eintreten.
* Bei Unfreien hatte begreiflicherweise der Herr das Ver-
lobungsrecht. Seine Einwilligung war an die Entrichtung eines
Zinses geknilpft 2 ), der bald in Geld, bald in andern Leistungen
(z. B. einem Hemd oder einem Bocks- oder Ziegenfell) bestund
Ganz besonderenVerpflichtungen war naturlich nachzukommen,
wenn ein eigener Mann die HOrige eines andern Herrn heiratete
Fiir solche Falle errichteten in spaterer Zeit mehrere Herr
schaften, z. B. einige Schweizer Stifte, eine Genossenschaft^
worin die gegenseitige Yerheiratung der Leute dieser Herr
schaften gestattet war. Heiratete aber ein eigener seine Un
genossin, d. h. eine unfreie, die nicht zur Genossenschaft
gehOrte, so musste er, falls er sich nicht mit seinem Herrn
verglich, einen jahrlichen Strafzins zahlen, und sein Weib und
seine Kinder erbten nichts von dem, was er als eigener Mann
erworben hatte (Weisthumer 1, 674. 823). Statt ihrer trat sein
n&chster, der Herrschaft horiger Yerwandter die Erbschaft an
(Weisth. 1, 669. 3, 130. 346), Stronger noch ward der be-
straft, welcher eine Yerwandte aus der Genossenschaft hin-
aus verheiratete, denn er selbst kam lebenslanglich in das
x ) Uplandsl. Ill, 1. aei ma mo mo giptae.
2 ) maritagium, marcheta, bumede. — Eichhorn, Bechtsgesch.
§. 339 (II, 556. 5. Aufl.). Walter, Deutsche Bechtsgesch. §. 364.
v. Maurer, Geschichte der Fronhofe 3, 169 (wo die verschiedenen
Namen des Ehegeldes stehn). 171. 4 T 498.
272
Gefangniss und sein ganzes fahrendes Gut verfiel der Herr-
schaft (Weisth. 1, 813). Grundbedingung fur die Giltigkeit
der Ehe HOriger verschiedener Herren war die Einwilligung
derselben. Nach der lex salica emend. 29, 6 verfiel der un-
freie, welcher die HOrige eines fremden Herrn ohne Erlaubniss
seiner Herrschaft heiratete, in die Busse von 120 Denar. Die
Ehe wurde nach salfrankischem und westgotischem ! ) Gesetze
getrennt und die daraus erzeugten Kinder unter die beiden
Herren getheilt.
Die strenge Gewalt, welche der Herr uber seine eigenen
Leute ursprtingUch besass, erhellt besonders aueh daraus,
dass er selbst eine Ehe derselben, die mit seiner Einwilligung
geschlossen war, nach Belieben wieder aufheben konnte.
Hier hat die Kirche bessernd eingegriffen, welche auch die
Ehen der Leibeigenen als unauflOsliehe in Anspruch nahm,
und nachdem sie zunachst die Wiederverheiratung der durch
den Herrn getrennten verboten, es durchsetzte, dass jenes
Scheidungsrecht uberhaupt aufhOrte 1 ).
Als Ausfluss des Herrenrechtes uber die Ehen der
HOrigen ist das sogenannte jus primae noctis, das Recht der
ersten Nacht ;< ), zu deuten, welches fur Deutschland nur durch
zwei Schweizer Weisthttmer (Grimm, Weisth. 1, 43. 4, 321)
des 16. Jahrhunderts belegt ist, die dasselbe ubrigens durch-
aus humoristisch behandeln. Man hat die Abgabe, die als
AblOsung des Rechtes nach jenen Weisthilmern, ebenso wie
in Frankreich, Schottland und sonst vorkommt, verschieden
gedeutet: gewOhnlich als Ersatz fur ein wirklich geubtes
Herrenrecht der Defloration leibeigener Braute;. dann auch,
namentlich bei geistlichen Grundherrschaften, als AblOsung
der kirchlich geforderten Enthaltsamkeit in der ersten oder
in den drei ersten Nachten 4 ). Manche sahen darin nur einen
») 1. Wisigot. IX, 1, 15. X, 1, 17. Ill, 2, 5.
2 ) Walter, Deutsche Rechtsgesch. §. 364.
8 ) K. Schmidt, Jus primae noctis. Eine geschichtliche Unter-
suchung. Freiburg i. B. 1881. — F. Liebrecht, Zur Volkskunde, Heil-
bronn 1879. S. 416—424.
4 ) Uber die sogen. Tobiasnachte weiterhin, vgl. unser Register.
273
aus Missverstandniss entsprungenen Scherz. Das richtige wird
wohl sein, mit Osenbruggen und Gierke 1 ) jene Bestimmung
als Ausdruck „einer symbolischen Anerkennung der Leib-
herrschaft durch die scherzhafte Voranstellung und Ausmalung
der aussersten Rechtsconsequenzen" aufzufassen.
Die Erlaubniss zur Heirat war nicht allein den eigenen
Leuten nOthig, sondern auch den Freien, welche im Lehns-
verhaitnisse stunden 2 ). Es entsprang hieraus das Recht der
Fursten und Herren, nach Gutdunken Ehen unter ihren Unter-
thanen zu stiften und ihnen ein Ehegebot oder den Zwang
binnen eines bestimmten Alters zu heiraten aufzulegen.
Zunachst ausserte sich dies Recht gegen die, welche zu dem
KOnigs- oder Herrenhofe in abhangigem Verhaltnisse stunden,
und diesen gegenilber tlbten es bereits die gotischen KOnige,
durch das Beispiel der Byzantiner vielleicht veranlasst. Ein
junger Gepide, Namens Wila, Spertrager des gotischen KOnigs
Hildibadus, hatte sich mit einem Madchen verlobt, das er
sehr liebte. Wahrend er im Kriege war, gab indessen der
Konig seine Braut einem andern zur Frau ; Wila aber, dariiber
aufs hOchste aufgebracht, todtete den Hildibadus 3 ). Geduldigere
Untergebene hatten die Merowinger, welche auch in dieser
Hinsicht nach dem Vorbilde der rOmischen Imperatoren mit
der aussersten Willktlr verfuhren 4 ). Nicht minder hegten die
Karolinger dieses sogenannte Recht, welches die starksten
Eingriffe in die persOnliche Freiheit machte. Selbst Beamte
der KOnige massten es sich an ; so erlaubte sich der Bischof
Liutward von Yercelli, Kanzler Kaiser Karls des Dicken, die
empOrendsten StOrungen des Familienrechtes, indem er die
TOchter der edelsten Geschlechter Deutschlands und Italiens
an seine Verwandten verheiratete 5 ).
J ) Osenbruggen, Studien 84—98. 0. Gierke, Der Humor im
deutschen Recht 27.
2 ) Fiirth, Ministerialen 315.
3 ) Procop. de bello got. 3, 1, vgl. 1, 11.
*) Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichto II. 1, 213. Grimm,
RA. 436.
5 ) Pertz, Monum. I, 404.
18
Wei nh old, Deutsche Frnuen. I.
274
Sobald in Norwegen ein starkes EinkOnigthum auf-
gerichtet war, sehen wir auch hier die FQrsten sich das Ver-
mahlungsrecht aneignen. Sie verheirateten nicht selten aus
Geschlechtern, denen sie eine SQhne zu leisten hatten, die
TOchter mit einem ihrer Gilnstlinge, zuweilen auch mit sich
selbst 1 ). Der reiche Bonde Th6rolfr Kveldulfr ist in Feind-
schaft mit KOnig Haraldr SchOnhaar gerathen und wird mit
dessen Erlaubniss von zweien, die er geschadigt, getodtet.
An Haralds Hofe leben Thorolfs Freunde und Mutterbrilder
Eyvindr Lambi und Olver Hmifa, welche, hierdurch verstimmt,
den KOnig urn Urlaub bitten, aus dem Gefolge zu scheiden.
Allein Haraldr verweigert dies und fuhrt eine Stihne herbei,
indem er dem Eyvindr das ganze Erbe Th6rolfs sammt dessen
Witwe Sigridr zuspricht. Sigridr, die schon in Thorolfs Hand
durch eine Schenkung ihres ersten Gatten gelangt war, halt
es fiir das gerathenste, dem Machtspruch des KOnigs sich
zu fugen (Egils s. c, 22).
In Deutschland war die Ehestiftung ein kaiserliches
Privilegium geworden, dem sich indessen bereits im 13. Jahr-
hundert einzelne Stadte durch Befreiungsurkunden zu ent-
ziehen wussten. Landesherrhche Ehestiftungen erhielten sich
jedoch noch bis in das 16. Jahrhundert 2 ). Bei ihrem Hof-
staate und der Dienerschaft spielten vornehme wie niedrige
Herren bis in die neueste Zeit die gnadigen Verlober. Der
Heiratsconsens , den die Beamten mancher Lander und die
Offlciere aller filrstlichen Heere noch heute bediirfen, ist ein
Rest des alten Einwilligungsrechtes des Herrn zu den Ehen
ihrer Ministerialen.
Diese Befugniss der Landesherren stutzte sich auch auf
ihr obervormundschaftliches Verhaltniss zu einem grossen
Theile der Unterthanen. Ausgehend von denen, welche des
Schutzes eines Geschlechtsverbandes entbehrten, dehnte sich
jenes Mundium auf alle wehrlosen aus 8 ), erfuhr aber auch
Erweiterung durch die lehnsherrliche Gewalt des Fursten.
!) Fornmannas5g. I. 183. 196. Ill, 35. VII, 50.
2 ) Grimm, Rechtsalterth. 438.
8 ) Kraut, Vormundschaft I, 63-99.
275
Das unumschrankteVerfugungsrecht des Vormundes tlber
die Hand des Weibes war altgermanisch ; er durfte es urspriing-
lich nach Einverstandniss der Sippe vermahlen, ohne dass die
Tochter, Schwester oder welche Verwandte sonst das Mtlndel
war, ihre Neigung und Einwilligung erkiart hatte; er besass
das Zwangsrecht *), Besonders durch den Einfluss der Kirche
milderte sich indessen die H&rte des Eechtes. Die langobar-
dischen Gesetze bestimmen, dass deijenige, welcher ein
Madchen gegen dessen Willen verlobe, die Mundschaft tiber
dasselbe verliere. Ausgeiiommen von dieser Strafe werden
allein der Vater und der Bruder des Madchens, weil von
diesen nur die beste Fttrsorge zu erwarten sei; und ebenso
wird in den ubrigen deutschen Yolksrechten die Einwilligung
des Madchens in die Heirat verlangt 2 ). Angelsachsische, nor-
wegische und oberschwedische 3 ) Eechtsbestimmungen fordern
die Zustimmung des Weibes zur Vollgiltigkeit der Verlobung.
Hatte ein westerlandischer Friese seine Tochter gegen ihren
Willen verheiratet und es war ihr dadurch ein Leid geschehen,
so hatte er sie zu biissen, gleich als habe er sie mit seiner
Hand erschlagen (Eichthofen, Eechtsquellen 474, 11). Zwang
zur Vermahlung war nach dem Eidsivathingsrecht (Christenr.
c. 23) Grund zur Scheidung, sobald die Klage in Jahresfrist
angebracht wurde.
Wenn nun auch dem Willen des Madchens Einfluss auf
die Verlobung zustund, so konnte es sich doch nicht ohne
den Willen seines Vormundes selbst verloben.
Wo wir die Frauen im Besitze eines mehr oder minder
unbeschrankten Selbstverlobungsrechtes finden, da ist ein
neuer Zeitgeist eingezogen. Mehrere der hier einschlagenden
Bestimmungen zeigen ilbrigens das alte rechtliche Verhaltniss
nicht ganz beseitigt. Das norwegische Frostathingsbuch (11,
18) gesteht einem Madchen, das in voiles Erbe getreten ist,
a ) Wilda, Strafrecht der Germanen 802*. E. Schroder, Gesch. des
ehel. Guterrechts I, 7.
2 ) Ed. Eoth. 195. 1. Liutpr. 12. 120. Pertz, leg. I, 2 (Chloth. const,
v. 560 c. 7). 1. Burgund. 100. 1. Wisigoth. III. 1, 4. 3, 4. 11.
s ) Cnut. dom. 2, 74. Frostath. Ill, 22. Vestgfltal. Zusatz II.
18*
276
mit funfzehn Jahren die Befugniss zu, sich zu verheiraten,
wem es wolle; es muss aber seinen nachsten Verwandten zu
Rathe Ziehen. Nach jutischem Rechte durfte die Frau, wenn
sie keinen nahen Verwandten hatte, das Verlobungsrecht tiber-
tragen, wem sie wollte (1, 33), eine Bestimmung, die im
schleswigschen Stadtrecht (§. 6, neueres Stadtr. §. 9) dahin
gestaltet ist, dass sich das Madchen selbst verloben kann,
im Falle es der gekorene Vormund nicht verheiraten will 1 ).
In der mittleren Zeit wurde in Deutschland volljahrigen
Weibern die Selbstverlobung gestattet*); doch mag sich das
Gefilhl desVolkes gegen dies Recht mehrfach gestraubt haben;
dasselbe forderte wenigstens die Einwilligung der Familie. So
sagt Ulrich von Lichtenstein in seinem Frauenbuche (626, 9
bis 12): „ein Madchen, das keine El tern hat, folge der Ver-
wandten Rath; will es sich selbst dem Manne geben, so
wird es wohl mit Schande leben". Auch hierin hat Martin
Luther seinen deutschen Sinn entschieden bewahrt, indem er
sagt: „Gott hat ein Mannlein und ein Fraulein geschaffen,
die sollen und miissen bei einander sein, wie er es verordnet
hat: das ist nach seinem Willen, den er den Eltern gegeben
hat, sollen sie zusammenkommen und sich verheiraten" (Tisch-
reden. Von der Ehe, n. 88).
Bei vornehmen Frauen, zumal wenn sie keine nahen
Verwandten hatten, lasst sich schon in alter Zeit, wenigstens
bei den Langobarden, die Selbstverlobung nachweisen : Theude-
lind, des langobardischen KOnigs Authari Witwe, vermahlte
sich, wie Paulus Diakonus erzahlt, dem Herzog Agilulf aus
eigener Macht. Allein solche Falle sind Ausnahmen, so wie
die spatere Durchfuhrung der Selbstverlobung der Braut Abfall
war von dem altgermanischen Familienrechte.
Zur rechtsgiltigen Ehe gehOrte durchaus, dass das Weib
von dem rechten Mundwalt dem Manne verlobt wurde. Sobald
*) Nach jutischem Rechte (I, 8) hatte der K6nig ein Madchen
auf die Klage, dass seine Verwandten eine passende Heirat abwiesen,
zu verheiraten; die Verwandten hatten indessen Beirath. Vgl. auch
Thords Degens art. B. 38.
2 ) Kraut, Vormundschaft 1, 326.
277
irgend jemand anderes als der berechtigte Geschlechtsvor-
mund die Verlobung vollzog, war dieselbe ungiltig und die
schuldigen traf die Strafe. Nach islandischem Rechte (Gragas
festathattr 6) hatte dann der rechte Vormund den Brautigam
vorzufordern und auf dessen Verbannung, sowie auf Geld-
entschadigung fQr den vorenthaltenen Brautkauf zu klagen.
Konnte derselbe durch Eideshelfer beweisen, dass er den,
welcher die Verlobung vollzogen hatte, fttr den berechtigten
gehalten, so wurde er zwar nicht verbannt, allein die Ent-
schadigung musste er dennoch zahlen; der widerrechtliche
Verlober aber wurde Landes verwiesen. Sobald indessen kein
vorgeblicher Vormund , sondern die Braut sich selbst verlobt
und dem Manne tibergeben hatte, so half kein Reinigungseid
und die Sache wurde als fleischliches Verbrechen (legord) be-
handelt.
In den dbrigen nordischen Rechtsbtichern *) ist die Rechts-
auffassung dieselbe ; nur die Strafen haben sich alle in Geld-
bussen verwandelt. Die Verletzung des Rechtes der Verlobung
(festningar&n) , sowie die Entziehung des Brautkaufs werden
jene an dem unrechten Verlober, diese am Brautigam gestraft.
Gab sich eine Frau ohne Verlobung dem Manne zum Weibe,
so trat sie hierdurch freiwillig aus der Geschlechtsverbindung,
verzichtete also stillschweigend auf alle Rechte als Mitglied
ihrer v&terlichen Familie und biisste demgemass alle Erb-
ansprilche auf das HausvermOgen ein. Erst wenn ihr die
Eltern verziehen und sie wieder zur Tochter des Hauses an-
nahmen, erhielt sie die Erbfahigkeit zurQck. Nach dem
jtitischen Rechte (1, 33) verlor die Frau zwar persOnlich
wegen ungesetzlicher Verlobung ihren Erbanspruch, allein
ihre Kinder konnten nach ihrem Tode in den Besitz des
Erbtheils gelangen. Eine fernere Milderung hat das Kopen-
hagener Stadtrecht von 1294 (n. 92) und auch das friesische
Westerwolder Landrecht (1, 1), wonach eine solche Frau nach
dem Ableben der Eltern das angeborene VermOgen erhait.
!) Uplandsl. Ill, 1. OstgOtal. giptab, 4. Vestgfltal. II. Zus. 8.
Gulath. 51. Gutal. 21.
278
Die unrechtmassige Eheschliessung berOhrt sich mehr
oder minder mit dem Frauenraub. Die gewaltsame Ent-
fQhrung eines Weibes bricht den gemeinen Frieden, verletzt
das Recht der Sippe und krankt die Ehre des Madchens oder
der Frau. Der Frauenraub ist daher eines der schwersten
Verbrechen '). Verbannung traf nach islandischem Rechte
nicht allein den EntfOhrer oder den, far welchen das Madchen
entfuhrt wurde, sondern auch alle, welche mitwissend naheren
oder ferneren Antheil an der That hatten. Gescharft wurde
die Strafe bis zur vollkommenen Friedlosigkeit, wenn die
Frau auf geschehene Aufforderung nicht ausgeliefert wurde
(Grag. festhat. 29. 38. 89. 42). Wer bei der EntfOhrung er-
schlagen wurde, lag nach uplandischem Rechte (II, 6) un-
gebusst; der Rauber war friedlos, so lange er nicht den recht-
massigenVerloberversOhnthatte. Wer eine Gotlanderin raubte,
wurde getodtet oder musste das Leben mit seinem Wergelde
erkaufen (Gutal. 24). Das westgotische Gesetz ist sehr streng.
Kann die Geraubte dem Entfuhrer ungeschandet entfliehen, so
basst dieser nur sein halbes VermOgen; hat er aber seinen
Willen gehabt, so wird er der Geraubten samt seinem Ver-
mOgen ubergeben, bekommt Offentlich zweihundert Hiebe und
ist ihr bestandiger Sklave, Erkiart sich die Frau bereit, den
Rauber zu heiraten, so sind beide des Todes schuldig; fliehen
sie zu einer Kirche oder zum Bischof, so wird ihnen aller-
dings das Leben geschenkt, allein ihre Ehe ist ungiltig imd
sie sind HOrige der Eltern der Frau. Strenge Strafe trifft die
Bnider des Madchens, wenn sie um die That wussten (1.
Wisig. III. 3, 1—4). Das Asylrecht, das hier der Frauenrauber
geniesst, ist anderwarts aufgehoben. So setzte es der fran-
kische KOnig Childebert II. filr sein Land ausser Kraft, Ohio-
thar n. stellte es indessen far alle Verbrechen wieder her
(Pertz, leg. I, 12). Bei den Friesen gait es nicht. Floh der
Rauber mit der Frau aus dem Hause in ein anderes, von
diesem zu einem dritten, von hier zur Kirche, so musste der
a ) Wilda, Strafrecht der Germanen 839—849. Brunner, D. Rechts-
geschichte II, 666 fif.
279
Richter die drei Hauser verbrennen, die Kirche erbrechen
und den Rauber herausnehmen 1 ). Karl der Grosse bestimmte
785 zu Paderborn den Tod fur den, welcher die Tochter
seines Herrn entfuhrte (Pertz, leg. I, 49); im ubrigen belegte
die Kirche die Frauenrauber mit dem Banne 2 ). Erwahnt werde
noch die Bestimmung des Hamburger Stadtrechtes von 1270
(X, 4. Lappenberg 1, 62), wonach derjenige straflos war,
welcher ein Madchen tiber sechzehn Jahre alt, unbekleidet
und mit seinem Willen entfuhrte, die Todesstrafe aber auf
den fiel, welcher ein jungeres, wenn auch mit dessen Willen
oder ein alteres gegen dessen Willen raubte.
AblOsung der Todesstrafe, die in altester Zeit bei nicht
ehrlosen Verbrechen dem freien Manne zustand, ist die Geld-
busse in HOhe des Wergelds, die im Ribuarischen, Anglo-
warnischen und angelsachsischen Recht auf den Frauenraub
gesetzt ist 8 ). Bei andern deutschen Stammen ist die Geld-
busse nach der HOhe des Brautkaufs bestimmt, so bei den
Salfranken (1. Sal. 13, 4), den Alemannen und Bay era (Pact.
Alam. 3, 23. 1. Alam. 53, 1. 1. Bajuv. VHL 6, 7). Das bur-
gundische Gesetz (12, 1) verneunfacht den Brautkauf, und
das Recht desLangobardenkOnigs Rothari (187) fordert die hohe
Busse von 900 Solidi fur Frauenraub.
In einer merowingischen Novelle zur Lex Salica (1. Sal. 71)
ist die AblOsung durch das Wergeld . beseitigt, und der Frauen-
rauber so wie theilnehmende Verwandte mit Tod und Yer-
mOgensverlust bestraft.
2 ) Siebente Fries. Ueberkiir, Richthofen 100.
2 ) Die kirchlichen Bestimniungen stiitzen sich auf concil. Ancyr.
c. 10. cone. Chalced. c. 38; sie wurden auf dem concil. Aquisgran.
von 816. c. 23. 24 wiederholt, vgl. Hartzheim, concil. Germ. I, 546.
Ansgisi capit. I, 98. 99 (Pertz, leg. I, 285). Der Kirchenbann entspricht
der weltlichen Friedlosigkeit.
3 ) 1. Ribuar. 34, 1. 2. 1. Angl. Warin. 46. Gesetz Knuts 2, 52.
Ist der Entfiihrer ein Knecht, so trifft ihn natiirlich die Todesstrafe,
die nach 1. Rib. 58, 18 die Entfuhrte selbst an ihm vollziehen rnuss.
Ebenso werden im salischen Recht ganz- und balbfreie Erauenrauber
am Leben gestraft, 1. Sal. 13, 7. 92, 3.
280
Das sachsische, von Karl d. Gr. festgestellte Recht unter-
scheidet die Busse, je nachdem die geraubte einverstanden
war Oder nicht. War sie unfreiwillig entfilhrt, so musste der
Rauber ihr Wergeld an sie und 300 Solidi an ihre Sippe zahlen.
War das Madchen einverstanden gewesen, so sind 600 Solidi
zu bttssen, halb als Kaufgeld, halb als Busse (1. Sax. 41).
Es ergibt sich daraus, dass die EntfQhrte dem Entftlhrer
dann als Frau verblieb und auch nach den Rechten, welche
den Brautkauf oder eine Vervielfachung desselben als Busse
fur Frauenraub setzen, wird das als zuiassig anzunehmen sein.
Schwerer noch als in den bisher behandelten Fallen war
nattlrlich die Rechtsverletzung, wenn die Entftihrte bereits
einem Manne verlobt war. Ausser den Blutsverwandten war
namlich der Brautigam zu sQhnen, welcber zu dem Madchen
durch die Verlobung bereits in rechtlicher (ehelicher) Bezie-
hung stund. Am vollstandigsten sind hieruber die Angaben
des langobardischen und sachsischen Rechtes. Nach der lex
Saxonum (49) hat der Brautrauber dem Vater und dem
Brautigam, jedem 300 Solidi zu zahlen und ausserdem noch
das Mundium der Frau mit 300 Solidi zu erwerben. Raubte
er sie von der Seite der Mutter weg, so erhielt auch diese
300 Solidi; er hatte also dreifachen, unter Umstanden vier-
fachen Brautkauf zu erlegen. Von einer Wiedergabe des Mad-
chens ist nicht die Rede ; das VerlObniss war durch die Ent-
filhrung thatsachlich gelOst.
Das Edictum Rothari (190 — 192) bestimmt, dass der
Brautigam die doppelte Meta (zweimal 300 Solidi) unmittelbar
von dem Brautrauber als Ersatz filr die Verlobte fordere.
Waren die Eltern der Braut mit der gewaltsamen Trennung
des VerlObnisses einverstanden gewesen, so hatten sie die-
selbe Briiche dem Brautigam zu leisten. Auch hier hat der
Raub die Verlobung aufgehoben. Bei den Alemannen (1. Alam.
Hloth. 52) hat derjenige, der die Verlobte eines atidern wider-
rechtlich an sich genommen, dieselbe mit funffachem Braut-
kauf (200 Solidi) dem rechtmassigen Brautigam zuriickzu-
geben; will er aber die widerrechtlich sich angeeignete be-
halten, so zahlt er dem Brautigam den zehnfachen Mund-
281
sehatz (400 Solidi). Nach dem bayrischen Rechte (1. Bajuv.
VIII, 16) muss der Entfuhrer die geraubte Braut ihrem Ver-
lobten samt einer Brttche von 80 Solidi zurttckerstatten.
In der Lex Salica (XIII, 6) wird nur die Busse von 63 Solidi
verzeichnet, welche der Rauber der Braut eines andern zu
leisten hat. Unter den Merowingern ward aber dieser altere
Grundsatz bereits aufgegeben und die Rttckgabe der Entfuhrten,
auch wenn sie dem Rauber ehelich verbunden war, gefordert,
was fortab als frankisches Recht gait 1 ). Die Meinung, dass
die Ehe unauflOslich sei, welche die Kirche vertrat, mag hier
eingewirkt haben.
EntfQhrung einer Ehefrau ist der gewaltsame Bruch des
ehelichen Verhaitnisses durch einen dritten mit persOnlicher
Trennung der Gatten. Eine sehr alte Behandlung dieses Ver-
brechens, die in einer Zeit wurzelt, in welcher die Frau noch
als ersetzbare Sache gait, taucht in einem angelsachsischen
Gesetz (Athelbirht c. 31) auf, welches far solchen Ehebruch
bestimmte, dass der Verbredier dasWergeld der Frau erlege
und dem verletzten Gatten ein anderes Weib kaufe. In unseren
VoJksrechten herrscht aber wie bei der Entfilhrung einer Ver-
lobten die frankische Forderung der Rilckgabe der entfuhrten
Frau neben der zu leistenden Geldbusse. Das alemannische
Recht (Hloth. 51, 1) bildet auch hier eine Vermittlung. Es wird
dem EntfQhrer noch tlberlassen, ob er die Frau zurttckgeben
will; freilich ist nach einem Zusatz auch die Zustimmung
des Ehemannes Bedingung. Er hat dann den zehnfachen
Brautkauf zu geben, w&hrend er bei Auslieferung der ge-
raubten nur den doppelten erlegen darf.
Spater ward auf Frauenraub Todesstrafe gesetzt. Schon
das Edictum Rothari 212 setzte Tod auf die EntfQhrung der
Gattin eines andern; hatte dieselbe in die Entfuhrung ge-
willigt, so bftsste sie ebenfalls mit dem Leben.
Die Rttcksicht, welche die Volksrechte und die skan-
dinavischen Gesetze auf den Frauenraub nehmen, beweist, wie
oft er vorkam. Sobald der Freier von den Eltern abgewiesen
] ) Sohm, Trauung und Verlobung, S. 24 ff.
282
wurde, oder wenn sich irgend andere Hindernisse der gesetz-
lichen Erwerbung des begehrten Weibes entgegenstellten, griff
er rasch entschlossen zur Selbsthilfe. Das aiteste und beruhm-
teste Beispiel gibt Arminius, der CheruskerfQrst, der Thus-
nelda, die Tochter des Segestes, die einem andern verlobt war,
raubte und als G-attin behielt (Tacit, ann. I, 55). Aus vielen
nordischen Geschichten will ich nur eine anftthren. Der Nor-
weger BiOrn Brynjulfsson hatte sich bei einem Feste in Thora,
die Schwester des Th6rir HrOaldsson, verliebt, war aber mit
einem Korbe vom Bruder heimgeschickt worden. Da raubte
er das Madchen und brachte es zu seinen Eltern, die indessen
ttbel damit zufrieden waren und den Sohn anhielten, es zuriick-
zugeben. Nun entschloss sich BiOrn zu neuem Raube, ent-
fuhrte Thora aus dem Frauenhause (dyngja) seiner Mutter
und fliichtete sie auf ein Schiff, das nach Island ging. Unter-
wegs vollzog er die Yerbindung mit ihr. Auf Island fand er
bei Skallagrimr, einem Freunde seines Geschlechtes, gast-
freundhche Aufnahme. Als aber dieser erfuhr, wie es eigentlich
um BiOrn stund, so hub er alien Verkehr mit dem Frauen-
rauber auf, besonders da Thoras Vater sein Pflegebruder
gewesen war. Er trieb ihn jedoch nicht aus dem Hause,
sondern uberliess die Sorge firr die Gaste seinem Sohne Th6rolf.
BiOrn war nun in schlimmer Lage : in Norwegen war er wegen
des Frauenraubes durch KOnig Haraldr SchOnhaar friedlos
gelegt, auf Island war er schlimm angesehen und nur ge-
duldet, weil ihm einmal Gastfreundschaft zugesagt war.
Er fand jedoch an ThOrolfr einen Retter; dieser wusste seinen
Vater zu bewegen, die Vermittlung zwischen BiOrn und ThOrir
zu ubernehmen und es gelang. Die Friedlosigkeit ward in
Folge dessen aufgehoben und der Frauenrauber durfte nach
Norwegen zuruckkehren (Egilss. c. 32 — 35).
Die Entftlhrungen mit und ohne Willen des Madchens
kamen in dem wirklichen und dem gedichteten Leben des
Mittelalters sehr haufig vor 1 ); sowohl in der vorritterlichen
Zeit als in der ritterlichen. Sie boten fur diese einen unend-
2 ) Mehrere Beispiele bei Dargun, Mutterrecht und Raubehe
116-127.
lichen Reiz. Der Trotz auf den eigenen WiUen, das kecke
Wagen trotz Grefahren und Tod, die Treue der Freunde und
Mannen, die sich dabei bewahren konnte, alles dies lockte
zugleich mit der stlssen Frucht verbotener oder verweigerter
Liebe und leuchtete dem suchenden Ritter als schOnstes
Abenteuer entgegen. Die KreuzzQge zeigten auch hier ihre
bewegende, aufregende Kraft. Da lernten die abendlandischen
Ritter schOne Griechinnen und reizende Sarazeninnen kennen,
und mit beiden war eine Liebesverbindung meist nur mOglich
durch Raub und Entftihrung. Es bildeten sich die Epen von
kiihnen, gefahrvollen Werbungen und Brautfahrten aus dem
Abendlande nach Byzanz und dem Morgenlande; hier und
da mischte sich gelehrte Erinnerung an die altesten Raube-
reien der Europ&er an asiatischen Frauen hinein. In der
Heimat selbst ward die Lust zu solchen kecken Fahrten
wieder neu, und alte Sagen von Normannenzttgen und dem
Gegenkampfe der beraubten Vater und Brautigame stunden
plOtzlich auf. Unser 12. und noch das 13. Jahrhundert er*
freuten sich demgemass an Epen, deren Gegenstand eine
Entfahrung ist. Einige sind in der naiven, spater roh ge-
wordenen Spielmannsweise ; das eine aber ist ein Gedicht
aus den Kreisen, denen die Nibelungen Noth und Walther
und Hildgund verdankt werden: das Gudrunlied. Es stellt
uns mitten hinein in die Seezuge, welche von den Danen
nach den friesischen und sachsischen KQsten gemacht wurden.
Es ist ein deutsches poetisches G-egenbild zu den zahlreichen
Erzahlungen ahnlicher Art, welche die Norweger und Islander
aufgezeichnet haben. Die unschatzbaren islandischen Familien-
und norwegischen KOnigsgeschichten ' bieten uns die scharfsten
und lehrreichsten Bilder der nordischen Wikingerzeit. An
Frauenraub und an Brautwerbungen, welche nicht besser als
Raubereien waren, sind sie reich. So hatte ein Berserker,
Lj6tr der bleiche, um die Tochter einer Witwe Gyda an-
gehalten, allein der wilde, rohe Mensch war abgewiesen
worden. Da forderte er den jungen Bruder des Madchens,
Fridgeir, auf den Holm, damit der Zweikampf entscheide,
ob er die Braut erhalte oder nicht. Aber der Skald Egill
284
Skalagrimsson, mit dem Schwerte so tilchtig wie mit dem
Worte, erbot sich far den Jtlngling einzutreten, und der Ber-
serker fiel im Zweikampf (Egilss. c. 64).
Zu den nordischen Bildern liessen sich sttdliche halten
aus dem Lande zwischen Rhone und Alpen und aus den
norditalischen Gauen. Da spielen die Farben der Schwarmerei
und flackernden Leidenschaft hinein, aber fiber sie gleichwie
uber die nordischen fallt der dustere Schatten des Unrechtes,
an den sich grell ein blutrother Streif kettet. Die Liebe will
errungen, nicht erzwungen sein, die Ehe will Segen, nicht
Fluch zu ihrem Grundbaue.
Die strenge Verurtheilung der Entfuhrung wirkte auf
die Kinder nach, die aus der erzwungenen Verbindung her-
vorgingen; sobald die Ehe uberhaupt nicht unter den gefor-
derten Formen geschlossen war, galten sie fQr nicht erbfahig.
Ein Beispiel wird in der Egilssage (c. 7. 9) erzahlt, BiOrgolfr
hatte halb mit Gewalt die Ehe mit Hildiridr, HOgnis Tochter,
geschlossen. Es war eine lose Hochzeit (lausabryllaupr) : den
gesetzlichen Forderungen war nur zum Theil gentigt, und
die aus der Verbindung entsprossenen SOhne wurden spater
in ihrer Erbfahigkeit angefochten.
Die germanische Eheschliessung zerfailt in zwei Haupt-
acte : der erste ist die Erwerbung der Braut durch einen Ver-
trag mit der Familie derselben; er schliesst mit der Ver-
lobung. Durch die Verlobung wird bereits ein Rechtsverhaltniss
zwischen dem Manne und der Braut geschaffen 1 ). Der zweite
Act ist die Ubergabe der Yerlobten an den Brautigam und
die Heimfuhrung in sein Haus.
Bei der grossen Bedeutung der Ehe fur den einzelnen
Menschen wie fiir seine Sippe und fur die Gemeinde, in die
a ) Sohm, Trauung und Verlobung 37, stellt daher den Satz
auf: die Verlobung ist die Eheschliessung und die Trauung nicht
Eheschliessung, sondern Vollzug der schon geschlossenen Ehe. Im
Gegensatz behauptet Friedberg, dass die deutsche Trauung Schlies-
sung der Ehe gewesen sei, nicht Vollziehung einer schon geschlos-
senen: Verlobung und Trauung, S. 23.
ein neues Hauswesen eintritt, begreift sich, (lass eine Menge
Sitten und Gebrauche an die Verheiratung sich frQh und
Hberall angeschlossen haben. Alle VOlker sind reich an Hoch-
zeitsgebrauchen, so auch das germanische; und bei der Ver-
gleichung derselben untereinander ergibt sich die Uberein-
stimmung in den Grundzugen der Sitte, sowie in vielen Einzel-
heiten. Wir mussen uns in der Mittheilung auf das haupt-
sachliche beschranken ').
Die Einleitung ftlr das ganze macht die Wer bung um
das M&dchen. Es muss bei der Familie desselben angefragt
werden, ob dieselbe geneigt ist, auf die Verhandlung iiber
eine Verlobang einzugehn. Und da die Ehe zwar am nachsten
das einzelne Paar angeht, aber doch auch sehr nahe die
beiden Sippen, so begreift sich, dass nicht der heiratlustige
Mann selbst die Werbung thut, sondern nahe Verwandte
von ihm, und dass er entweder gar nicht dabei erscheint,
oder nur in Begleitung jener das Wort ftihrenden Brautwerber.
Die Werbung findet sich fast bei alien VOlkern (v. Schroder,
S. 32. Winternitz 40. Krauss 355 ff.).
Hatte ein Jangling aus den Geschlechtern der stolzen,
freien nordischen Landbesitzer im Sinne, um die Tochter
eines andern Geschlechtes zu werben, so nahm er einen
Fursprecher in seinem Vater oder einem alteren Freunde
und Verwandten mit, und ritt, begleitet von einer Schaar
seiner Genossen, zu dem Hofe, worin das Madchen wohnte 2 ).
2 ) Einige Litteratur: E. Haas, Die Heiratsgebrauche der alten
Inder, in A. Webers Ind. Studien V, 267—412. M. Winternitz, Das
altindische Hochzeitrituell mit Vergleichung der Hochzeitgebrauche
bei den ubrigen indogermanischen Volkern (Denkschriften der Wiener
Akademie, Phil.-hist. 01. XL, Nr. 1, 1892). A. Rossbach, Unter-
suchungen uber die rOmische Ehe. Stuttgart 1853. A. de Guber-
natis, Storia comparata degli usi nuziali in Italia e presso gli alteri
popoli indoeuropei. Milano 1878. Fr. Krauss, Sitte und Brauch der
Sfidslaven. Wien 1885, S. 245—465. L. v. Schroder, Die Hochzeit-
brauche der Esten — in Vergleichung mit denen indogerm. V61ker.
Berlin 1888.
2 ) til qudnboena rida, auf die Freite reiten — bonordsfor,
Werbungsfahrt. — hefja upp ord sin ok bi&ja konu. — meyjar bidja
einumhverjum til handa.
286
Dort nimmt der Fiirsprecher das Wort und redet zu dem
Vater der gewtlnschten Braut ungefahr also: „Mein Sohn
(oder mein Freund) will urn deine Tochter bitten. Du kennst
sein Geschlecht, sein VermOgen und den Einfluss seiner Ver-
wandten und Freunde". Hierauf beginnt die Besprechung
uber Brautkauf, Mitgift und die andern nOthigen Dinge, und
ist alles nach dem Wunsche beider Theile, so erfolgt die
Verlobung.
Auf die Begleitung des Werbers ward viel gegeben.
Der junge Gkmnlaugr Ormstunga hatte ganz allein urn Helga
Thorsteins Tochter angehalten, und der Vater dies als Spott
angesehen und den Jiingling abgewiesen, Als abet Gunnlaugr
mit seinem Vater Illugi und elf andern Mannern zu Thor-
stein kommt, so sagt dieser nach einigem Verhandeln zu
Illugi: „wegen deiner Rede und unserer Freundschaft sei
Helga dem Gunnlaugr versprochen" (Gunnlaugs. c. 4). Nur
sehr angesehene Manner wagten ohne Ftirsprecher anzu-
halten; so warb. Thorolfr Skallagrims Sohn selbst, wenn auch
von guter Fahrtgenossenschaft 1 ) umgeben, um Asgerdr BiOrns-
tochter (Egilss. c.42). Der Fiirsprecher 2 ), derFtihrerundAlteste
der Werbeschaar, scheint bei alien germanischen Stammen
fur die ordnungsmassige Werbung nothwendig gewesen zu
sein ; selbst der Gott Freyr wirbt, nach dem eddischen Liede,
nicht selbst, sondern durch den Brautbitter Skirnir urn die
Geliebte.
Bei denSiidgermanen herrschte durchaus derselbe Brauch.
In dem alemannischen Gedicht „Die Hochzeit" aus dem.
12. Jahrhundert sendet der reiehe KOnig auf dem Gebirge
hinunter in das Thai, wo aus sehr edlem Geschlecht eine
schOne, herrliche Jungfrau erwachsen ist, seinen Boten und
begehrt ihrer zum Weibe (Karajan, Deutsche Sprachdenkmale
des 12. Jahrhunderts. Wien 1846, S. 24, 6). KOnig Rother
2 ) Foruneyti, ahd. truht, alts, druht, ags. dryht.
2 ) Ahd. brutbitil, brutiboto. himachari. truhtinc, truhtigomo.
alts, drohtinc. niederd. brutkneht, brjltfcerer. ags, dryhtealdor, dryht-
guma. brytyuma. hddsvdpa. altn. bid%ll x altschw. bryttughe. ger daman.
forv%8taman. fries, fuarman.
287
von Bari schickt den Graf en Liutpolt, seinen Mag, mit elf
andern Graf en und Gefolge nach Konstantinopel, die schOne
Tochter K. Konstantins ihm zu freien (Gedicht von KOnig
Ruother). Der KOnig Oswald von England sendet seinen kunst-
reichen Raben ins Morgenland, urn des KOnigs Aron Tochter
zu werben.
Was die Gedichte hier erzahlen, spiegelt den wirklichen
Brauch wieder. Dann verleitete wohl die Begier, die Braut
vor der gesetzten Zeit zu sehen, manchen jungen, heiss-
biatigen Ftirsten, sich verkleidet unter die G-esandtschaft zu
mischen, wie dies der Sage nach der langobardische KOnig
Authari that, als er um die bayrische Herzogstochter Theud-
lind werben liess. In den hOchsten Standen hat sich die
Brautwerbung durch Beauftragte bis heute erhalten, nicht
minder im Bauernstande, der neben dem hohen Adel alte
Sitten am treusten bewahrt hat. Wir gedenken hier zunachst
aus jiingerer Zeit des Berichtes des Neokorus in seiner dit-
marsischen Chronik 1 ). Der junge Ditmarse bat seine Eltern
oder zwei seiner Vettern oder guten Freunde, mit den Ver-
wandten des begehrten M&dchens zu sprechen, nachdem er
selbst vorher mit den seinen ilber die Wahl reiflich Rath
gepflogen hatte. Die Werbersleute wurden gut empfangen
und nach langer Unterredung ihnen eine Zeit bestimmt,
wann sie wieder anfragen kOnnten. Dabei ward wohl vor-
gesehen, dass bei ihrem fortgehn keine Schaufel oder der-
gleichen an der Thar stunde, denn das war ein altes Zeichen
der Abweisung. W&hrend der gegebenen Frist geschah unter
der Hand alles, um die Sache zu fOrdern, und am bestimmten
Tage kam es dahin, dass die Versprechung (Bekenntnisse)
angesetzt wurde. Zu dieser kam der Brautigam gewOhnlich
selbst; indessen liess er sich zuweilen auch dabei noch durch
einen Verwandten vertreten, dem an seiner Stelle die Braut
zur Ehe verlobt wurde.
In solcher Weise geht es noch heute unter den nieder-
und oberdeutschen Bauern her, mehr so, dass ttber Geld und.
x ) Ausgabe von Dahlmann I, 100—123.
Gut als dass Qber die Herzen verhandelt wurde 1 ). Nicht
selten ist das Heiratstiften zu einem Gewerbe geworden,
indem sich Manner und Frauen zu Heiratsvermittlern auf-
werfen und gegen ein Stuck Geld das Zusammenbringen der
Heiratslustigen ubernehmen *). Was Neokorus von den Dit-
marschen erzahlt, dass es bei ihnen fQr eine grosse Schande
gelte, wenn sich ein M&dchen antragen lasse, war zu seiner
Zeit bereits in andern Landschaften Qblich, und heute findet
es in alien Gegenden statt.
Aus einigen deutschen Landschaften will ich Beispiele
fur die noch bestehende (oder vor kurzem bestandene) Wer-
bung geben.
Bei den Siebenburger Sachsen geschieht das Freien ge-
wOhnlich am Abend, wie auch in Untersteiermark (Rosegger,
Volksleben in Steiermark 163), bei den Esten, in franzO-
sischen Gegenden und bei den alten Indern die Werbung in
der Nacht geschah (v. Schroder, S. 41 f.). Selten wagt es der
Bursche selbst. In der Regel tlbernimmt der Vater oder der
zum Brautknecht bestimmte als Wortmann die Werbung.
Es kommt auch vor, dass der „Knecht" (der heiratslustige
Bursche) die Anfrage thut und nach einer gewissen Bedenk-
zeit der Freimann die Antwort holt. Die dabei gehaltenen
Reden bewegen sich in feststehnden Formeln. Fallt die Ant-
wort gtlnstig aus, so werden von beiden Sippen die Frei-
manner gewahlt, die der beiderseitigen Freundschaft (Ver-
wandtschaft) die Einigung zu verkilnden haben. GewOhnlich
wird bald oder auch unmittelbar nach dem Jawort von jeder
J ) Ein alter siobenbiirgischer Sachse brauchte von den Bauern-
heiraten dieWorte: da heiratet nicht derKnecht die Magd, sondern
der Acker heiratet den Acker, der Weinberg den Weinberg, das
Vieh das liebe Vieh: J. Matz, Die siebenburgisch-s&chsische Bauern-
hochzeit, S. 26 (Kronstadt 1860).
2 ) Als diese Worte zuerst niedergeschrieben wurden, war die
Unsitte, durch Zeitungen und Heiratscomptoirs Frau oder Mann
(oft in schamloser Art) zu suchen, noch nicht so frech geworden,
wie jetzt.
Partei fur sich die Braut „vertrunken*. Die fOrmliche Ver-
lobung folgt erst spater. 1 )
In Oberschwaben wird die Brautwerbung so vorge-
nommen. Hat der junge Bauernsohn sein Auge auf eine Hof-
bauerntochter geworfen, so schickt er mit Eat der Eltern
und andrer Gefreundeter einen Werber, bald einen nahen
Vetter, bald einen guten Freund, zu dem Vater des Madchens.
Derselbe beginnt sein Gesprach, indem er nach dem Vieh-
stande, nach dem Fruchtboden, nach den Stuben und Kammern
fragt; alles wird ihm gezeigt, alle Kasten und Schranke ge-
Offnet und mit ihrem Inhalte gewiesen ; dann rtickt der Werber
allmahlich mit der Absicht seines Besuches heraus, zunachst
gegen den Vater, darauf gegen die andern. Die Tochter, der
es gilt, macht nun einen Kaffee und tragt ihn mit Brot,
Butter und Honig auf. Erst beim Abschied nennt der Werber
den Namen des Auftraggebers und deutet an, eine Antwort,
wenigstens eine Art Zusicherung, ware ihm lieb. Aber eine
Bedenkzeit von 8—10 Tagen wird verlangt. Hiernach er-
scheint derselbe Brautwerber wieder und die gegenseitigen
Haus- und VermOgensverhaitnisse werden verhandelt. Erklart
sich»nun der Hofbauer nicht abgeneigt, so kommt nach wenig
Tagen der junge Bauer selbst, und nach abermaliger Be-
sprechung der Verhaltnisse fahrt der „Hochzeiter" mit dem
Madchen nach seinem Oder seiner Eltern Hofe, unterwegs
von Kindern und Ehhalten (den Dienstboten) (iberall ange-
halten, wobei er tiichtig spenden muss. Aus alien Hofen
knallen BOllerschasse. In dem vaterlichen Hofe wird ein
Essen eingenommen 2 ) und die „Hochzeiterin besieht" darauf
alles in Haus und Hof. Dann wird die gegenseitige Einwilli-
gung gegeben und die Verlobungsfeier festgesetzt (Birlinger,
Volksthumliches aus Schwaben. Freiburg i. B. 1862. 2, 320 fif.).
Diese Verlobungsfeier , die Stuhlfeste, besteht in einem
Familienschmaus im Wirtshause, bei dem der „Festwein"
a ) Jos. Matz, Die siebenbiirgisch-sachsische Bauernhochzeit
(Schassburger Gymnasialprogr.). Kronstadt 1860, S. 26—34.
2 ) Auch in Oberdsterreich wird das Bidlmues gehalten, wenn
alles „ausgemacht" ist. Baumgarten, Aus der Heimat IX, 46.
Wei nh old, Deutsche Frauen. I. 19
290
getrunken wird. Der Wein bekraftigt den Vertrag (Grimm,
RA. 191).
Im Hildesheimischen und auch im Kreise Iserlohn (West-
falen) begleitete den Bauern, wenn er freien wollte, ein Frei-
werber, KOppeler (Kuppler) genannt. In andern Orten der
Grafschaft Mark (Westfalen) ritt der Bauer ohne Begleitung
auf den Hof der Ausersehenen und that, als ob er eine Sterke
(junge Kuh) kaufen wollte 1 ), weshalb denn auch fQr freien
(friggen) gesagt ward „oppen Ste&rkenhannel gaen". DieEltern
des Madchens, die Absicht ahnend, bewirteten ihn, die Tochter
kam wohl auch einmal in die Stube, aber man konnte sich
tiber den Preis der Sterke noch nicht einigen. Der Freier
ritt wieder ab; wenn aber beini Abschied auf seine Rede,
er wolle noch einmal wieder kommen, freundlich gesagt
ward, er mOge es thun, so ward bei der Wiederkunft der
Handel richtig und die Verlobung anberaumt. Wenn bei der
Werbung die Mutter des Madchens dem Freier ein Butterbrot
schmierte, so gait das fQr eine geringschatzige Abfertigung 2 ).
Bemdhten sich mehrere um das Madchen, so setzten sich
dieselben auf das Hofthor, „de Brfimer (Brautmanner) sittet
oppem Heck" hiess es, und warteten, wem das Madchen
einen Auftrag geben wttrde, der ihn in das Haus ftthrte. Die
andern waren damit abgewiesen (Woeste im Jahrbuch desVereins
ftlr niederdeutsche Sprachforschung 3, 130. Bremen 1878).
Wenn in ROsnitz in Schlesien (nach dem Hochzeitbuch
von Reinsberg-Dtlringsfeld, Leipzig 1871, S. 20) das umfreite
Madchen vor den Werbern, die sich auch hier zuerst mit
allerlei Vorwanden einftlhren, versteckt gehalten wird, so
lassen sich dazu Parallelen aus ruthenischem und estnischem
Brauche anftlhren (v. Schroder 40 f.) ; aber ich glaube, dass
diese alte Sitte von der Heimftthrung der Braut, dem Hoch-
zeitstage, hierher verschoben worden ist. Bei der Hochzeit-
beschreibung mehr davon!
*) Ebenso leitet der Freiwerber in Schlesien die Verhandlung
ein: Z. d. V. f. Volkskunde III, 146.
2 ) Tiber andere Vorzeichen der vergeblichen Werbung v. Schroder,
Hochzeitsbrauche 41—43.
291
Die Freiwerbung ist eine Willenserklarung seitens des
Mannes und seiner Verwandten, dass er wunsche, mit einem
bestimmten Madchen die Ehe zu schliessen, eine bittende
Anfrage zugleich, die vor den nachsten Verwandten desselben
abgegeben wird. Sie ist die Einleitung zu den weiteren Ver-
handlungen, die s&mmtlich privatrechtlicher Art sind und in
bestimmter Folge sich bewegen.
Die erste und nothwendigste gesetzliche Leistung fur
die Eheschliessung war der Brautkauf 1 ). Er bedeutet die
AblOsung der Braut von der angebornen Mundschaft und ist
die Bedingung ihres rechtm&ssigen Ubertrittes in das G-e-
schlecht und in den Schutz des Brautigams. In der altesten
Zeit ward damit die Person der Braut gekauft 2 ); in der histo-
rischen war der Mundschatz nur noch Zeichen der Erwerbung
aller Rechte, welche sich auch in Hinsicht des VermOgens
an die Ubernahme der Vormundschaft ilber die Braut knupften.
Ohne Mahlschatz gefreit gehOrte die Frau nur ihrem ange-
borenen Gteschlechte an; ihre etwaigen Kinder erbten daher
nur in ihrer Familie 8 ) und wurden als keine rechten Glieder
des Geschlechtes des Vaters betrachtet; sie mussten sich
im Norden SOhne einer Beischlaferin (frillusynir) schelten
lassen. Erst der Brautkauf machte die Ehe zur wirklichen
Ehe, das heisst zu einer gesetzmassigen Verbindung.
x ) mahalscaz, muntscaz, tirutmiete. langob. meta. burgund. wit-
temo. ags. veotuma, scat, cedp. fries, wet ma, mundsket. altn. mundr.
fastingafL mittellat. mundium, sponsalitium, arrha, pretium emtionis,
nuptiale pretium, dos. — eine frau kaufen. alts, magad ti brudi bug*
gean ags. mid cedpe cvene gebycgan. altn. keypa qudn. mlt. uxorem
emere. — Grimm, Rechtsalterth. 421. Deutsch. WOrterb. 5, 328. Kraut,
Vormundschaft, §§. 20. 35. R. Schroder, Gesch. des ehel. Guterrechts
I, 24-83.
2 ) Das beweist das Recht des Mannes, seine Frau wie eine
Sache zu verkaufen und verschenken. Er hat sie gekauft, darum
kann er tiber sie verfiigen. Vgl. daruber den siebenten Abschnitt.
8 ) Grag&s arfath. 3. Frostath. 3, 13. VestgOtal. I. arfdh. 7, • —
Der Sohn einer Frau, fur welche kein Mundschatz gezahlt war und
deren Hochzeit nicht Offentlich war, hiess nach Gulathingsb. 104
hornungr.
19*
292
So weit wir unser Alterthum durch Gesetzbttcher und
Geschichtsschreiber kennen, sehen wir uberall den Brautkauf
gezahlt. Er scheint ursprunglich nur in beweglichei 1 Habe
gegeben zu sein ; das ergibt sich schon aus Tacitus German,
c. 18. Allein schon zur Zeit der Aufzeichnung der Volksrechte
bestund er auch in Landbesitz. Die HOhe dieses Mundschatzes
war verschieden. Von der Verlobung der anglischen KOnigs-
tochter mit dem warnischen KOnigssolme Hermigisil berichtet
Procop ganz allgemein, dass grosse Schatze als Brautkauf
gegeben seien 1 ); ebenso erz&hlt Paul Warnefrieds Sohn (III,
27) nur, dass der LangobardenkOnig Authari mit grossen
Geschenken um die Schwester des FrankenkOnigs Childe-
bert II. warb. In den Eddaliedern 8 ) wird bald im allgemeinen
von Gold gesprochen, bald bestimmteres angegeben. Atli gab
fur Gudrun eine Menge Kostbarkeiten, viel Silber, dreissig
Knechte und sieben Magde.
Wir diirfen wohl annehmen, dass ursprunglich die HOhe
des Brautkaufes dem Ubereinkommen der beiden Sippen tlber-
lassen wurde, wie das in den langobardischen und westgoti-
schen Gesetzen geradezu ausgesprochen wird 8 ), und sodann,
dass er sich nach dem Geburtsrechte beider Theile 4 ) richtete.
Es bildeten sich aber allmahlich gewisse Satze fur die hOchste
und fiir die geringste Zahlung, um einerseits die Verschwen-
dung und unbillige Anspruche, andererseits die Kargheit zu
zugeln.
Auf Island ward eine Mark (VI. alna aurar) als ge-
.ringster Mundschatz angenommen imd Kinder einer Frau,
die um geringeren Preis erkauft war, galten nicht fur erb-
fahig (Grag. arf. 3). Fur eine edle Friesin waren acht Pfund
acht Unzen acht Schilling acht Pfennige die wetma (21. Fries.
Landrecht). Ein hOchster Satz scheint das s&chsische pretium
emptionis von 300 solidi (1. Sax. 40). Die hOchste meta,
J ) Proc. de b. got. 4, 20 xp^l^« TCt H€Y<iXa tC{» xf^<; |nvriOT€(a<;
2 ) Lokasenna 42. Skirnism. 21. Atlam. 92.
3 ) Ed. Roth. 190. 191. 215. 1. Liutprandi 89. 119. Wisigoth. III. 1, 2.
*) Brunner, Rechtsgeschichte I, 266 f. ' "
welche der ausser dem KOnig vornehmste Langobarde, der
judex, zahlen durfte, betrug 400 solidi, andere Edele zahlten
300 solidi 0. Liutpr. 6. 35). Die westgotische dos ') sollte den
zehnten Theil des VermOgens des Brautigams nicht tlber-
steigen; Vornehme durften ausserdem zehn Knechte, zehn
Magde und dreissig Pferde oder Schmuck bis 1000 solidi
geben (1. Wisig. in. 1, 5); auch hier kam ubrigens alles auf
das getroffene Ubereinkommen an (III. 1, 2). Bei den Bur-
gundern betrug der wittemo fur die ersten St&nde (optimates,
mediocres) 50 sol., filr den leudis 15 sol.; bei den Alemannen
werden 40 sol. angegeben 2 ). Wir mOgen alle diese Satze filr
hOchste annehmen; denn einige derselben, wie der sachsische,
sind in der That sehr bedeutend ; ausserdem neigt sich aber
die Entwickelung schon frtih dahin, den Brautkauf nur als
einen symbolischen Kauf zu behandeln, der als Leistung un-
bedeutend, bloss die Anerkennungsform einer zu erftlllenden
Kechtsforderung geworden ist. Dies muss bei den Salfranken
zeitig geschehen sein, wo schon zur Zeit Chlodowechs die
dem Vormund gezahlte arrha nur einen Solidus und einen
Denar betrug; mit dieser Summe wurde Chlothilde dem Chlod-
wig verlobt 8 ). Die Folge war, dass der Brautkauf allmahlich
verschwand. Schon im alemannischen und bayrischen Volks-
recht und in der lex Anglorum et Werinorum wird des
Mundschatzes nicht besonders gedacht. Aber der Ausdruck
puella empta im pactus Alemann. 3, 29 erinnert noch an
die uralte Rechtsitte. Ein anderer Beweis fur' den schwabi-
schen Mundschatz ist ferner die aus dem .12. Jahrhundert
als Sw&ben § (usus et consuetudo Alemanniae) bezeugte Aus-
setzung eines Widems fur die Braut 4 ). Der Brautkauf hat
a ) Ich wage diese dos hierher zu stellen, weil im westgot. Gesetz
durch die Ausdrticke pretium filiae und mercatio noch eine Erinne-
rung an den Brautkauf lebt; jene dos wird aber der Braut selbst
gegeben.
2 ) R. Schroder, Ehel. Gtiterrechtl, 26-54.
8 ) Gregor. Turon. epit. c. 18. form. Lindenbrog. 75. Bignon. 5,
vgl. 1. Sal. 47, 1, wo der Brautkauf der Witwe in derselben Summe
festgesetzt wird.
4 ) R. Schroder a. a. 0. II, 1, 71 ff. .
294
sich hier wie auch sonst in ein Leibgedinge verwandelt; die
Erinnerung an ihn hat sich, wenn auch abgeblasst, in der
lange noch dauernden Redensart „ein Weib kaufen" 1 ) fort
gefristet. Das Mundschafts- und Geschlechtsverhaltniss war
lockerer geworden, andere Leistungen seitens des Mannes
hatten sich ausgebildet und die Kirche stellte sich dem ver-
meintlichen Erkaufen einer Seele entgegen').
Der Brautkauf war eine Erkaufung von Leib und Recht
der Braut; in milderer Fassung eine AblOsung des Rechts,
das die Sippe an sie hatte. Daraus folgt, dass der Brautkauf
der Sippe oder dem Vertreter derselben, dem Mundwalt des
Madchens zu leisten war 8 ). In Gegenwart der n&chsten An-
verwandten wurde er dem rechtmassigen Yerlober tibergeben.
So war das ursprungliche Recht und dahin ist auch die be-
kannte Stelle des Tacitus (Germ. c. 18) zu deuten, obschon der-
ROmer die Wertsachen, welche der Mann gibt, als Geschenke
an die Braut aufgefasst hat. Trotz der schOnen Gedanken,
welche er daran knttpft, bringt es die Art der Gegenstande
schon mit sich, sie far Leistungen an die mannlichen Ver-
wandten der Braut zu erklaren. Es sind Rinder, ein gezaumtes
Ross, ferner ein Schild, Ger und Schwert, Dinge, welche noch
in spaterer Zeit als Bestandtheile des Brautkaufes vor-
kommen. So tlbersandte der ThtlringerkOnig Ermanfried dem
ostgotischen Theoderich weisse Rosse als Brautkauf for Amal-
berga (Cassiod. var. ep. 4, 1) ; so werden im westgotischen
Gesetz neben Sklaven 4 ) dreissig Pferde, in frankischen Formeln
Pferde, Rinder und anderes Vieh, in alemannischen Urkunden 5 )
Rosse, Rinder, Tttcher, im Norden sogar das Schwert (Loka-
2 ) Grimm, Rechtsalterth. 421. Kraut, Vormundschafb 1, 175.
R. Hildebrand im deutschen Worterb. V, 328.
2 ) Das concil. Trevir. von 1227 verbietet den Verwandten oder
Vormundern des Brautpaars quocunque colore quaesito aliquam pe-
cuniam pro matrimonio contrahendo vel contrahendo impediendo
zu nehmen, Hartzheim 3, 529. Das Yerstandniss des Brautkaufs ging
in Deutschland frtih verloren.
8 ) Grimm, Rechtsalterth. 423 ff.
4 ) Sklaven auch 1. Alam. 45, 2.
5 ) Neugart cod. dipl. Alem. I, 487 (a. 890).
295
senna 42) als Theile des Mundschatzes erwahnt. Von dieser
im Recht begrftndeten Zuwendung des Brautschatzes ent-
fernte man sich indessen allgemach und liess bald theilweise,
bald ganz die Braut in den Genuss desselben treten. Nach
der lex Saxonum (40) wird der Mundschatz noeh den Vor-
mundern des Weibes ausgezahlt. Bei den Langobarden kam
er bis gegen das 7. Jahrhundert eben denselben zu 1 ). Dann
aber wich man vom alten Rechte ab: unter KOnig Liut-
prand ist dem Vormund nnr noch ein geringer Antheil an
dem Brautschatz als mundium gelassen und die meta ist
als Brautgeschenk (sponsalitium) auf die Braut tibergegangen
0. Liutpr. 114. 117). Bei den Franken kam die arrha, wie
es scheint, stets dem Vormunde zu (Paul. Diac. Ill, 27) ; ihre
geringe HOhe erweist sie, wie wir schon sahen, als eine
bloss formale Leistung. Im burgundischen Gesetze wird der
wittemo nur dann der Frau zuerkannt, wenn sie die dritte
Ehe schliesst; bei der ersten Ehe fallen zwei Dritttheile des-
selben den nachsten Verwandten (Schwertmagen oder Mutter
und Schwestern) und nur ein Dritttheil der Braut zu; bei
der zweiten Ehe kommt der ganze wittemo an die Eltern
des verstorbenen Mannes. In dieser letzten Bestimmung zeigt
sich wieder klar die Bedeutung des Brautkaufes als einer
AblOsung der Frau von der bisherigen Bevormundung. Das
westgotische Gesetzbuch hat dies ganz vergessen und spricht
die dos nur der Frau zu. Ebenso fiel im Norden zur Zeit
der Abfassung der Qberkommenen Rechtsbtlcher der mundr
uberall der Braut anheim 2 ). •
Der Brautkauf erwarb die Braut zii recbtem Eigen-
thum; durch die tTbergabe der Braut in den Besitz des Brau-
tigams fand er seine voile Gegenleistung. Wenn Tacitus
(Germ. c. 18) ein Waffengeschenk, das die Verlobte dem Manne
*) Auch aus ed. Roth. 178. 199 ergibt sich nichts anderes;
R. Schroder, Guterr. 1, 35 f.
2) Gragas festath. 50. Gulath, b. 54. 64. Aus Grag. fest. 7 l&sst
sich schliessen, dass er wenigstens durch die Hand des Verlobers
ging. — K Lehmann, Verlobung und Trauung nach den nordgerm.
Rechten, S. 61.
macht, als Erwiderung des Mundschatzes angibt, so thut er
das in irriger Auffassung der Rechtsverhaltnisse bei der ger-
manischen Eheschliessung.
Die Braut ward in aitester Zeit wie noch heute von
ihren Eltern oder Verwandten fQr die Ehe ausgestattet und
diese Mi t gift 1 ) war zugleich eine Erbabfindung.
Aus dem alten Ausschluss der Weiber von dem Land-
besitz folgt, dass ursprttnglich den Brauten nur fahrende
Habe mitgegeben werden konnte. Der frankische KOnig Chil-
perich stattete seine Tochter bei ihrer Vermahlung mit dem
WestgotenkOnig mit viel Kostbarkeiten aus, ebenso ward sie
von der Mutter Fredegunde mit Gold und Silber und Ge-
wandern so reich ausgerttstet, dass dem Vater far seinen
Schatz bange ward. Die Grossen des Reiches so wie die Stadt-
bewohjier brachten ferner als anbefohlene Ausstattungsbei-
steuer Gold und Silber, die meisten aber Kleider 2 ). Brynhild,
Gudrun, Oddrun, Svanhild wurden nach den Eddaliedern mit
Gold und kostbaren Gewandern ausgestattet 3 ); ebenso er-
scheint Geld, verarbeitetes edles Metall und kostbares Pelz-
werk auch sonst im Norden als Mitgift. Bei FurstentOchtern
war ein mehr oder minder grosses Hofgesinde, aus Ministe-
rialen und TOchtern Dienstpflichtiger bestehend, nicht selten
ein Theil der Ausstattung. So liess KOnig Chilperich seiner
Tochter einen grossen Hofstaat folgen 4 ), und zu Sigeband
von Irland zog nach dem Gudrunepos die junge Furstin von
Norwegen von einer grossen Schaar Bitter und Jungfrauen
*) heim8tiur, histiur. nd. ittgedom (Grupen de uxore theot. 125).
fries, boldbreng, bruetscat, fletjeve. altn. heimgiof, heimanfylgja, Mm-
fylg&, heimanferd, hemfdrdh, medhfyigcth heimanmundr. omynd. mala.
mit. faderfium (longobard.), paraphernalia, illata, dos.
) Greg. Tur. VI, 45. Uber die Prinzessinnensteuer Grupen de
uxore theot. p. 29.
. 3 ) Sl 'gurdarqu. in skamma 2. Guftrunarqu. Il> L Gudrunarhvot 16.
Oddrunargr. U. D er teclmische alte Ausdruck v*** mey gMi 9oeda,
retfa. - gera mey heiman vid ft oh gum p orn ra annas - 3 > no - 10 > 75.
4 ) Chilperich verfulrr dabei mit der "crOssteU- Willka r und zwang
trotz ilires Widerstrebens alle Freien, d f fi er ausgewahlt hatte, mit
nach Spanien 2u z i e hen, Gregor. tur. yj 45
297
begleitet (Gudrun, Str. 9. 12) ] ). Bei der Erziehung der Mad-
chen ward bereits des Brauches gedacht (S. 92), dass die
Unfreie, welche mit der freien Tochter des Hauses aufge-
wachsen war, ihr gewOhnlich zu dem Gatten folgte. . Auch
der Schwabenspiegel (Landr. 73) filhrt eigene Leute als Aus-
steuer auf.
Mehr als bei dem Brautkauf kam bei der Mitgift, als
einer freiwilligen Leistung, alles auf die Meinung der Eltern
oder Verwandten und auf die VermOgenszustande der Familie
der Braut an. Die skandinavischen Gesetze enthalten Be-
stimmungen ilber die HOhe; so finden wir im ostgotlan-
dischen Gesetz (giptab. 2) einen festen Satz (lagha6mynd),
der vielleicht nur als die niedrigste Mitgift gelten soil. Fur
freie betragt sie namlich neun Ore 2 ), die sogar nach dem
Tode einer Frau, welche ohne Mitgift verheiratet worden war,
behufs der Erbtheilung aus dem YermOgen des Mannes heraus-
genommen wurde ; bei Ehen zwischen freien und unfreien
sechs Ore, bei unfreien nur zwei Ore (giptab. 29, 1. 2).
Im Gutalag (65) sind als hOchste Mitgift zwei Mark Goldes
angesetzt, die nicht flberschritten werden dtirfen ; ebenso sind
auch sonst Bestimmungen fiber die erlaubte HOhe gegeben.
Auf Island durfte, wie das sehr begreiflich war, die Mitgift
das Erbtheil der SOhne nicht dberragen (Gragas arfathattr 2) ;
auf Seeland, wo die TOchter nur halbes Sohnestheil erbten,
war die Aussteuer an diesen Satz gebunden (Sjel. lag. 1, 7).
Mit der Umanderung, dass die Frauen auch Land erben
konnten, war natttrlich die MOglichkeit gegeben, die Tpchter
mit liegendem Eigen auszustatten. Das alteste mir bekannte
Beispiel findet sich bei der Vermahlung der Schwester Theo-
derichs des Grossen, Amalafrid, mit dem WandalenkOnig
Trasamund, indem ihr der Bruder das sicilische Vorgebirge
*) Die tausend angesehenen Goten, denen wieder 5000 streit-
baror Manner als Gesinde folgten, welche Theodorich seine Schwester
Amalafried zu ihrem Gemahl, dem Wandalenkonig Trasamund, als
Leibwache begleiten liess (Procop. de b. vandal. I, 8), sind wohl keine
bleibende Umgebung dor Fiirstin gewesen.
2 ) Acht Ore gingen auf die Mark Silber..
298
Lilybaum zur Mitgift aussetzte (Procop. b. vand. 1, 8). In den
nordischen Geschichten erscheint Landbesitz nicht selten als
Mitgift der FttrstentOchter und der Madchen aus gi*ossen Bauern-
hOfen 1 ). Als der schwedische KOnig Ingi seine Tochter Marga-
rete dem norwegischen KOnige Magnus dem barfQssigen ver-
mahlte, bestimmte er die Guter in Gautland, um die sie zuvor
gestritten hatten, zur Aussteuer (Fornm. sOg. 7, 62). KOnig
Ingi Bardarson von Norwegen beseitigte seinen GegenkOnig
Philipp durch die Heirat mit seiner Nichte Kristina. Die
Birkibeiner, Ingis Anhanger, hatten aber ausdrucklich be-
dungen, dass mehrere norwegische Landschaften, UpplOnd und
ein Theil von Vik, Kristinas Aussteuer sein sollten (Fornrns.
9, 183) *). Die gotlandischen Rechtsbilcher lassen ebenso un^
bedenklich im allgemeinen liegendes Eigen zu Mitgift geben
und vererben 8 ). Im ostgotiandischen Heiraterecht wird aus-
fdhrliches aber die Aussteuer bestimmt. Zuerst solle man
der freien Frau ein Kopfpolster aussetzen, sodann liegendes
Eigen, wenn solches vorhanden, und zum dritten Gold und
Silber. 1st sie unvermOgend, so nehme man was da ist und
bilde die Mitgift nach jenen drei Haupttheilen (giptab. 1).
Auch im uplandischen Gesetz (III, 8) wird liegendes Eigen
neben fahrender Habe ausdrucklich als Mitgift erwahnt 4 ).
Wer die Mitgift festsetzte, ist deutlich ; es sind die recht-
massigen Verlober, also die Eltern Oder die Bruder oder die
sonst nachsten Verwandten. Die Mutter scheint sich namentlich
-1 ) Nach der Snorra-Edda (27) bringt Skafti dem Niprctr ihr vater-
liches Gut Thrymheim zu. Skadi tritt uberhaupt in jeder Art als
Erbin des Vaters auf. Vgl. auch Grimm, Kechtsalt. 430. .
2 ) Die reiche Isianderin Unnr gab ihrer Nichte Thorger^r das
ganze Lachsthal (Laxardal) zur Mitgift (Laxdoelas. c. 5).
3 ) VestgOtaL I. iOrdb. 1. OstgOtal. giptab. 16. 12, 1.
4 ) Yon der Mitgift wird haufig die Ausstattung (Aussteuer,
Kistenpfand,Brautwagen, ingedom, boldbreng) unterschieden; darunter
sind die Geschenke zur hauslichen Einrichtung und in die Wirtschaft
verstanden, welche die Eltern dem jungen Paare geben, vgl. Mitter-
maier, Deutsches Privatr. §. 392. (II, 338). Die Scheidung ist jedoch
schwer durchzufiihren.
299
bei der Aussteuer der Tochter betheiligt zu haben '), wie denn
auch ihre eigene Mitgift entweder ganz oder zum grOssten
Theile auf die TOchter vererbte (OstgOtal. giptab. 12, 28).
Sind die Eltern todt, so haben die BrQder die Schwestern
mit dem ihnen zukommenden Erbtheile auszustatten ; sitzen
Voll- und Halbbrtider zugleich im Gute, so sind nur jene zur
Beisteuer verpflichtet (OstgOtal. giptab. 28). Verheiratet sich
ein Witwer wieder, so muss er seinen SOhnen die Urg&f
geben, das heisst, ihnen sein halbes VermOgen abtreten; die
TOchter mtlssen sich mit ihrer Ausstattung begnugen (Ost-
gOtal. affdhab. 9). Waren einige TOchter ausgestattet und
verheiratet und die andern nicht, so hatten die verheirateten
nach dem Tode des Vaters ihre Mitgift zur Erbtheilung zuruck-
zubringen und die ganze Masse ward nun unter die Kinder
nach den bestehenden Vorschriften vertheilt 8 ). .Erhuben sich
nach der Vermahlung Streitigkeiten tlber die Aussteuer, so
hatte nach ostgotlandischem Recht (giptab. 11) der Verlober
seine Aussage tlber das, was er gegeben hatte, mit dem
Eide zweier Verwandten und zwOlf gekorener Zeugen (meth
tvem af nithinne" ok tolf valinkunnum) zu untersttitzen.
Nach dem norwegischen Hakonarbuche (c. 50) entschied das
Zeugniss zweier Zeugen der Verlobung.War man vor Bestel-
lung der Mitgift daruber uneinig, so hatte nach friesischem.
Bechte (Brockemer ges. 166*) der rMjeva (Richter) einen
Makler (mekere) zu ernennen und dieser mit zwei zuver-
lassigen Mannern oder Frauen die Mitgift festzusetzen. Nach
den Emsiger Satzungen (Pfennigsch. §. 16) bestimmte der
Pfarrer des Wohnortes der Braut mit dem Verlober und zwei
ehrenfesten Mannern die Mitgift.
Schon aus einigen der hier angefuhrten gesetzlichen
Bestimmungen erhellt, dass die Mitgift recht eigentlich weib-
liches Gut war, tlber das der Mann kein Verftigungsrecht
hatte und das mit der Familie der Frau im Zusammenhange
blieb. Am deutlichsten spricht dies das upl&ndisclae GeaeXa
3 ) Vgl. Gragas aifath. 2. OstgOtal. giptab. 12.
2 ) Uplandsl. Ill, 8.
800
(III, 8) aus, welches den Besitz der Mitgift far die Frau als
abhangig von dem Widerrufe der Eltern darsteUt, denn nie-
mand konne einen lebenden beerben. Anderwarts tritt ein
Aufsichtsrecht der Verwandten der Frau aber die Mitgift her-
vor, wieim friesischen Landrechte (4); Verkaufe oder Tausch
sind daher von der Einwffligung des Hauptes ihrer Famine
abhangig. Viel kam darauf an, ob die Ehe kinderlos war oder
nicht. Waren Kinder vorhanden, also Erben der Frau im
Geschlechte des Mannes, so war auch die Mitgift in festerer
Verbindung mit diesem; das ostgotlandische Gesetz gestattete
daher auch den Verkauf der Mitgift ohne.EinwilligUng des
fruheren Vormundes, sobald derselbe nur vortheilhaft war 1 )
Kinderlosigkeit bedingte aber den Backfall der Mitgift an die
Eltern und namentlich an die Mutter der Frau 2 ) nach dem
Tode derselben, sowie natarlich eine vollige Ausschliessung
dieses Vermogentheils von dem Verfttgungsrechte des Mannes s )
Glaubiger desselben hatten darum nicht den mindesten An
spruch auf die Mitgift 4 ). Nur in zwei Fallen durfte nach ost
gotlandischem Rechte (giptab. 14, 1) der Mann die Mitgift
semer Frau veraussern: erstens wenn er bei einer Hungers-
noth schon alles eigene Gut verkauft hatte, und zweitens
wenn ihm die Frau im Kriege geraubt war und er zu ihrer
Auslosung nichts besass. Im ersten Falle musste er die Mit
gift jedoch, sobald sich seine Vermogensumstande gebessert
hatten, zurackerstatten, ausgenommen, er habe an demNiess
brauche des Verkaufsgeldes keinen Theil genommen
Die deutschen Volksrechte enthalten fiber die Mit-ift
im ganzen wenig, da sie eine persOnliche Unterstatzuns der
Braut seitens der Ihren, aber keine rechtlich geforderS
Leistung an den Brautigam war. Aus der lex Alamannomm
und der l ex Bajuvariorum ergibt sich nur, dass emTZT
stattung de r TOchter ablich war'); aus der lex Saxonunf ist
*) Til baetra ok egh til saembra, OstgOtal. gi ptab u ,
J Grag arfath. 2. Gutal. 20, 18. Ostgotal. gfpLb 7 '
8 ) Brockem. ges. 136* 16. Weist. 1 147
*) Gulath. 115. Hakonarb. 73. '
5 ) L. Alam. Hloth. 55, 2. 1. Bajuv. VIII, U. XV, 8 . lo
301
sie nicht mit Bestimmtheit zu folgern. Bei den Angelsachsen
scheint die Aussteuer erst seit der normannischen Eroberung
in Brauch gekommen zu sein 1 ). Bei den Salfranken war eine
Mitgift tiblich, die in beweglichen Sachen gegeben (1. Sal. 102
Merkel) und nicht als Erbabfindung der Tochter behandelt ward.
Bei den Langobarden hat die Mitgift den Charakter
einer Erbabfindung auf das v&terliche VermOgen angenommen
und heisst daher das Vatergeld (faderfio) 2 ); lebt der Vater
bei der Verheiratung nicht mehr, so hat sie der Bruder der
Schwester zu geben. Bei den Westgoten ist die Mitgift durch
rOmischen Einfluss in ihrem Wesen noch mehr als bei den
Langobarden verandert. Sie ist ein Theil des Erbes der Tochter,
der eine Gegenleistung gegen den Brautkauf wird und kann
auch in Grundstiicken gegeben werden (1. Wisig. Ill, 1, 5.
IV, 5, 3).
In den Bechten des spateren Mittelalters erscheint die
Mitgift oft als Erbabfindung. Alles was der Tochter in die
Ehe mitgegeben ist, wird im alemannisch-schwabischen wie
im bayrischen Becht unter den Namen histiure (Heiratsunter-
sttltzung), heimstiure, estiure, spater auch Haussteuer be-
griffen. Sie besteht gewOhnlich in Geld oder auch in fahren-
der Habe; nur ausnahmsweise ward sie in hOrigen Leuten
(Schwabensp. 73), zuweilen in Grundeigenthum bestellt. Die
Heimsteuerist eine Beihilfe zum Ehestande, an der die Frau
wie der Mann den Genuss hat. Spaterhin ist die Heimsteuer
aber keine Erbabfindung mehr, sondern neben ihr erscheint
noch eine Erbbetheiligung an dem elterlichen VermOgen.
Im frankischen Recht kam die Heimsteuer in die Htade
des Mannes, der die Leibzucht an ihr hatte*).
Unter der Wandlung, die in den spateren Bechten mit
der Aussteuer eingetreten war, so dass sie in der That als
erheblicher Theil des VermOgens der Ehegatten erscheinen
konnte, und bei der Scheinbedeutung, welche der alte Braut-
*) R. Schroder, Ehel. Guterrecht I, 119 f
a ) ed. Rothar. 181. 182. 199. 200. 1. Liutpr. 3. 102.
3 ) R. Schroder, Guterrecht II. 1, 11—24. 2,- 234 ff.
802
kauf langst angenommen hatte, war es natarlich, dass seitens
des Mannes eine Leistung zu Gunsten der Frau sich bilden
musste, welche bestimmt war, eine Gtegen- oder Widerlegung
gegen das Eingebrachte der Frau herzustellen. Das ist denn
in den nordischen wie in den deutschen Ltadern geschehen.
Nach ostgotlandischem Rechte (giptab. 3, 15) musste
der Mann, wenn die Mitgift den sechsten Theil eines attung
von bebautem Lande (i bygdum by) oder drei Mark von ab-
gesondert liegendem Felde (i humpi aella hapi) betrug, zwei
Mark als Gegenbrautkauf (vidarmund) und zehn Ore als
Mantelkauf (mOttulkOp) dagegen legen. Beide Summen
werden zur Mitgift gethan und die Witwe nimmt sie samt
dieser von dem ungetheilten Erbe des Mannes voraus. In den
ubrigen schwedischen Gesetzen ist das Wesen dieser Wider-
lage nicht klar ausgebildet 1 ). Neben ihr findet sich hier noch
der laghathridhjung, das ist das gesetzmassige Dritttheil der
fahrenden Habe des Mannes, das die Witwe von seinem un-
getheilten Erbe vorausnahm *).
Der allgemeine Name jener Widerlegung, in Norwegen
wenigstens, wo das nordgermanische Becht sich am reichsten
entfaltete, tibrigens auch in einem Theile Schwedens, war
Zugabe, tilgiOf 8 ). Sie ward am Verlobungstage, sobald das
VerlObniss geschlossen war, tlbergeben und erscheint als Ver-
mehrung des Brautkaufs, nachdem dieser zum Eigenthume
der Braut geworden war. Zur Mitgift stimmt sie, insofern
sie ebenfalls zum Niessbrauche der Frau diente (besonders
war sie fur ihre Witwenschaft bestimmt), unterscheidet sich
aber von jener dadurch, dass die Verwandten der Frau keine
Ansprtiche an sie haben. Stirbt die Frau vor dem Manne,
so failt die Zugabe an den Mann zurttck 4 ); ebenso fiel Zu-
gabe und Brautkauf an diesen bei Ehebruch oder bOslicher
*) K. Lehmann, Verlobung und Hochzeit 59 ff.
2 ) VestgOtal. I. arfth. 18. giptab. 9, 2. Uplandsl. III. 3. 7.
8 ) Grimm, Rechtsalterth. 430. Lehmann, Verlobung und Hoch-
zeit 68.
*) Hakonarb. 51. Biarkeyjar r. 105. 123.
303
Verlassung seitens des Weibes (Frostath. 11, 14). Bei einer
Verausserung der Zugabe hatte der Mann naturlich ein gleiches
Einspruchsrecht wie die Frau bei der Mitgift. Ihre HOhe
musste sich ihrer ursprunglichen Bestimmung gemass nach
der Mitgift richten; Brauch ward, dass sie dem dritten Theile
dieser gleich kam und sie hiess darum auch Drittelsver-
mehrung, thridjungs auki.
tiber das Bestehn der Zugabe in Danemark lasst sich
nichts sagen. Auf Island war sie nicht nOthig, da hier der
Brautkauf in alter Weise fort bestund und der Frau zuflel.
In England verhielt es sich damit also. Der Brautkauf war,
wie es scheint, durch den Einfluss der G-eistlichkeit bald ab-
gekommen o'der wenigstens eigenthumlich als eine Erziehungs-
entschadigung (f6sterle&n) far die Verwandten der Braut be-
trachtet. Nach Edmunds Bestimmungen von 940 hat der
Brautigam dem Verlober (forspreca) zu versprechen und zu
bezeugen, dass er die Braut nach Kecht und Billigkeit halten
wolle; sodann gelobt und verwettet er den Erziehungslohn,
bestimmt die Morgengabe und das was sie nach seinem Tode
haben solle, also eine Summe, die wir der nordischen tilgiof
vergleichen darfen. Nachdem hierdurch der VermOgensanspruch
der Frau festgesetzt ist, wird die Verlobung mit Verbttrgung
der Verwandten far das Gelobte geschlossen.
In Deutschland hat sich dieWiderlegung oder Wider-
lage 1 ) seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts entwickelt.
Sie ist eine Leistung des Mannes zu Gunsten der Frau, die
far die Heimsteuer eine Erwiderung gibt und die sich ausbildet,
weil der alte Brautkauf verschwunden ist. Diese Widerlegung
l&sst sich in Schwaben seit jener Zeit deutlich erkennen und
hat dann auch auf das bayrisch-Osterreichische Recht gewirkt;
sie ist neben die Morgengabe getreten, die hier anfanglich
die Heimsteuer aufwog. Nicht minder hat die schwabische
2 ) Der ubliche Ausdruck Widerlage flndet sich, wie Schroder,
Ehel. Guterrecht IL 1, 76, 2, 136 schon bemerkt hat, nicht in den
alten Quellen. Andere Benennungen sind Widerbringung, dotalitium,
augmentum dotis, compensatio dotis, vgl. ebd. II. 1, 85.
804
Widerlegung in Ostfranken Eingang gefunden, sich aber in
andern frankischen Gegenden nicht eingebQrgert l ).
Hier war der Widum oder Wittum*) Rechtsgewohn-
heit; der Mann bestellte einen Theil seines VermOgens durch
Vertrag zum Unterhalt der ihn Qberlebenden Frau. Aber die
Frau ward auch schon bei Lebzeiten des Gatten in den Be-
sitz des Widums eingewiesen. Ihr Verh<niss zu dem Widum
war dieses, dass es zu ihrer Leibzucht bestimmt war, wes-
halb es auch Leibzucht, Leibgedinge genannt ward. Dieses
frankische Widum ist besonders im adlichen und ritterlichen
Stande ublich gewesen. •
Im thttringischen Recht finden wir das Leibgedinge,
vielleicht unter frankischem Einfluss, der Widerlegung ganz
entsprechend. Im ganzen sachsischen Rechtsgebiet war die
liftucht seit dem 13./14. Jahrhundert eine ganz allgemeine
Einrichtung, die wir als jungere Nachfolgerin des Mundschatzes
erklaren. Die Frau hatte bei Lebzeiten des Mannes ein gewisses
dingliches Recht an dieselbe, in den Genuss trat sie aber
erst nach AuflOsung der Ehe 8 ).
Neben der Zugabe (tilgiOf) sehen wir in den gotlandi-
schen Rechten eine gesetzlich geforderte Leistung, welche
sich auch erst aus den veranderten Rechtsverhaltnissen ge-
stattete, die Vingjaef (Verwandtengabe). Sie wurde an den
Verlober als an das Haupt der Familie der Braut gezahlt und
betrug nach westgotlandischem Recht (I. giptab. 2) gesetzlich
drei Mark. Am Verlobungstage beredet, ward sie erst nach
Beschreitung des Ehebettes entrichtet 4 ) ; sie ist im wesent-
i) R. Schroder II. 1, 76-93, 2, 236 ff.
2 ) ahd. widamo (— imo, — umo) wird durch dos glossirt, mhd,
wideme, widem bedeutet Dotation der Ehefrau und auch einer Ejrche.
In der Bedeutung Pfarrgut ist Widum in Oberdeutschland (namentl.
bajuvar. G-ebietes) ganz iiblich, im ostlichen Mitteldeutschland Wi-
demut. Mit Witwe hat das Wort keine Verwandtschaft, die Etymo-
logic ist noch nicht festgestellt. — Burgund. wittimo, ags. weotuma.
3) R> Schroder II. 3, 349 ff.
4 ) Aen tfuer komce bathi a en bulstcer ok undir ena bleo, Vest-
gotal. I. gipt. 2. Ostgotal. giptab. 10, 2. tfber die vingiaf K. Lehmann,
Yerlobung und Hochzeit 67.
lichen der Brautkauf, nur unter anderem Namen, also eine
Loskaufung der Braut aus der angebornen Mundschaft.
Etwas ahnliches, wenn auch nur als Geschenk und
nicht als pflichtmassige Leistung von rechtlicher Wirkung,
lasst sich in den Ehrungen nachweisen, welche im 14. und
15. Jahrhundert in Bayern der Brautigam an die Eltern und
Geschwister der Braut gab 1 ). Haufiger und in deutschen
Gegenden noch heute bei der Hochzeit Brauch sind Geschenke
der Braut an die Familie des Mannes. Sie mussen in Skan-
dinavien in sehr alter Zeit gesetzliches Herkommen gewesen
sein, denn das Eddalied von Thrymr erzahlt, wie die Schwester
des Riesen von der vermeintlichen Braut des Bruders die
Brautgabe (briidfg) verlangte. Dieselbe scheint in Geld- und
Schmucksachen bestanden zu haben (Thrymsqu. 29. 32). In
bayrischen Gegenden schenkt die Braut heute den Verwandten
des Mannes und dem Brautfahrer Schnupftucher und auch
wohl ein Hemde (Schmeller a. a. 0. I 2 , 583. 2 2 , 766). Ahn-
liche Gaben kommen in Schlesien dem Brautfahrer oder Hoch-
zeitbitter zu, der auch sonst ausserlich an die Stelle des
Verlobers des Madchens getreten ist.
Seit alter Zeit Qberreichte der Brautigam der Braut am
Verlobungstage Geschenke, die bei Reichen in kostbaren Ringen
und andern Schmucksachen bestunden 2 ). Einfachere Gaben
sind das Paar Schuhe, das in westfalischen Statutarrechten
des 14. Jahrhunderts der Brautigam der Braut bei der Ver-
lobung gibt, zum Symbol, dass er sie nun in seine Gewalt
nimmt. Dasselbe wird schon von Gregor v. Tours erwahnt
(Grimm, RA. 155). Eine westfalische Gegengabe der Braut
war ein Paar linnener Kleider (Jahrb. f. nd. Sprachf. 3, 127) s ).
Bereits im 13. Jahrhundert war es nOthig, Verordnungen
iiber diese Yerlobungsgaben zu erlassen, um die Verschwen-
dung einigermassen zu ziigeln. So bestimmte die Hamburger
2 ) Miinchener Magistratsverordnung von 1405 (Schmeller,
Bayerisches WOrterbuch l 2 , 126). Schr5der, Ehel. Gtiterrecht II. 1, 1.
2 ) Fornmannas. II, 128. Konrads Alexius 230.
3 ) Cher denSchuh in den Hochzeitgaben: P. Sartori, Z. d. V.
f. Volkskunde 4, 166 ff.
Weinhold, Deutsche Frauen. I. v
806
Hochzeitordnung von 1292 *), dass der Brautigam der Braut
nur ein Paar Schuhe schicken dQrfe, die Braut ihm dagegen
ein Paar.Linnenkleider, eine Haube, einen Gurtel und einen
Beutel. Anderwarts waren andere Gaben brauchlich und er-
laubt. In Lttbeck gab nach der lubischen Hochzeitordnung
von 1566*) ein Brautigam seiner Braut am Verlobungstage
einen Rosenkranz (vifftich), in spateren Zeiten drei oder vier
goldene Ringe, zwei goldene Ketten, drei Sammtkragen und
drei Paar Armel (mouwen); war er ein Patrizier, ausserdem
einen Patrizierkragen, den witten. Die Braut verehrte dem
Brautigam eine Badekappe und ein Hemd, in spaterer Zeit
kamen zu dem Hemde zwei Schnupfttlcher, ein Barett und
der Trauring. Zu dem ltlbischen stimmt im wesentlichen der
Brauch, der noch heute bei Hochzeiten in Schlesien gilt. Der
Brautigam gibt der Braut das Brautkleid, den Schmuck und
ein Gebetbuch, die Braut ihm das Brautigamshemd , ein
Schnupftuch und zuweilen die Weste, ausserdem bringt sie
fQr ihn gewOhnlich noch ein halb Dutzend Hemde und ein
Dutzend Taschentttcher mit.
Ebenso gibt in der Oberpfalz der Brautigam am Ver-
lobungstage (dort Heiratstag genannt) zur Bestatigung des
tibereinkommens der Braut Seidenstoff zu einem Mieder,
ein seidenes Halstuch, ein Fingerlein, Wachsstock, Gebetbuch
und als Hauptstuck den Eherosenkranz, einen oft kostbaren
silbernen Rosenkranz (Paternoster), der als Erbstiick in der
Familie bleibt (SchOnwerth, Aus der Oberpfalz I, 56).
Auch die Zeugen der Verlobung, so wie uberhaupt die
nachsten Verwandten scheinen in alterer Zeit die Neuver-
lobten beschenkt zu haben. In den unter dem Namen Rud-
lieb bekannten lateinischen Novellenfragmenten des 11. Jahr-
hunderts wird erzahlt, dass Rudlieb seinem Nefifen bei der
Verlobung ein langes Pelzkleid und ein gezaumtes Ross, der
Braut aber Spangen, Annringe, Fingerreife und einen kost-
baren Pelz gab. Ebenso ftberreichten die andern Zeugen Qe-
*) Lappenberg, Hamburger Rechtsalterthumer I, 160.
2 ) Michelsen und Asmussen, Archiv I. 1, 60 ff. Kiel 1833.
307
schenke (Rudl. XIV, 90—98). Jetzt sind diese Gaben auf den
Hochzeittag verlegt worden, da die Verlobung selbst von
ihrer alten Bedeutung das meiste verloren hat.
Wenn der Mundwalt des Madchens seine Einwilligung
zu der Verlobung gegeben und der Brautkauf, sowie nach
der spateren Entwicklung die andern Leistungen von beiden
Seiten beredet waren, erfolgte die Verlobung 1 ) des Paares.
Sie geschah natQrlich, wo nicht das Selbstverlobungsrecht
der Frauen aufgekommen war, durch den gesetzlich berech-
tigten Vormund (Vater, aitesten Bruder u. s. w.) des Mad-
chens: es war ein Vertragschluss daruber, dass der Vormund
sich verbiirgte, die Braut dem Brautigam zur Frau zu tlber-
geben, und der Brautigam sich verpflichtete, sie zur Gattin
anzunehmen. Es wurden sinnbildliche Pfander (Wetten) ge-
geben, und durch Handschlag oder durch Eid der Vertrag
befestigt.
Die Handlung musste Offentlich und vor den Verwandten
beider Theile erfolgen; Tacitus erwahnt (Germ. c. 18), dass die
Eltern und Verwandten bei der Eheberedung gegenwartig seien.
In den Hauptztigen wird uns der Vorgang im Nibelungenliede
2 ) Verlobung ist ein neueres Wort; verloben wird erst seit
dem 15. Jahrh. fur desponsare gebraucht, die alteren Ausdrucke sind
mahelschaft, gemahelschaft, mahelunge; Zeitwort ahd. mahaljan, gi-
mahalan, alts, gimahljan, inhd. mahelen, gemahelen, vermahlen
(altn. mala), das heisst bereden, im besonderen die Ehe bereden,
zur Ehe versprechen. Ahd. gimahalo, gimahala, sponsus, sponsa,
mhd. gemahele, gemahel (m. f.) ; mahelscaz Brautschatz, mahelvingerlin
Verlobungsring. Andere deutsche und nordische Worte fur verloben:
vestenen, bevestenen, altn. festa; handvesten, handfesta jungfru manni
til handa. Der Verlobungstag in den skandinavischen Gesetzen:
fdstingastemma, fastnadarstemma. Brautigam: fastimadr, Braut:
fdstikona. Verloben ags. veddian to wife and to reht life. Fur Ver-
lobung sind ferner jiingere deutsche Bezeichnungen Brautlauf
(Schmeller l 2 , 371) Gebtag, Stuelfeste, Heirat, Heiratstag (Schmeller
l 2 , 591. 866. 1024. 2 2 , 753). Brautigam: got. briipfads, ahd. pruti-
gomo, mhd. brutgome, ags. brydguma, altn. brudgumi. Braut: briips,
prut, bryd, brudr.
20*
806
(1617 — 1624) bei der Verlobung der Tochter RQdegers von Bech-
laren mit dem jungen KOnig Giselher geschildert. Nachdem
die BrQder Giselhers, GQnther und Gemot, urn die Jungfrau
geworben haben und ihr seitens des burgundischen Geschlechtes
das Wittum ausgesetzt ist, RQdeger aber, da er kein eigenes
Land besitzt, eine grosse Summe Goldes und Silbers zur
Heimsteuer versprochen hat, heisst man das junge Paar nach
der Sitte in einen Kreis (rinc) treten. Dann fragt man die
Jungfrau, ob sie den Recken zum Manne wolle, und auf Rath
ihres Vaters antwortet sie ja. Giselher gibt ihr darauf das
HandgelObniss 1 ) undRudeger gelobt, ihmdieBraut bei derHeim-
reise zu tlbergeben. Das HandgelObniss, der Handschlag*),
besiegelt nach germanischer Sitte den Vertrag. Derselbe kann
also ursprunglich nur zwischen dem Verlober xmd dem
Brautigam geschehen sein. Wenn wir nun sp&ter das junge
Paar sich die H&nde reichen sehen (und sich umarmen), so
ist das eine andere symbolische Handlung, das Zeichen der
Yereinigung, die dextrarum junctio des rOmischen Rechtes,
die in das Ritual der katholischen Kirche aufgenommen ist.
Bei den Iraniern schliesst das Zusammenfugen der Hande
des Brautpaares die Ehe, und auch bei den heutigen Indern
fugt der Yater der Braut die Hand derselben mit der des
Brautigams zusammen (Winternitz 49). Handschlag hat sich
als Benennung der feierlichen Yerlobung noch bis in die
Gegenwart in deutschen Landschaften erhalten: so bei den
Siebenburger Sachsen, im schwabischen Riess, in Franken,
in Oberhessen; Handstreich in der Eifel; Handfeste in Bayern,
namentlich in der Oberpfalz.
Bei der Yerlobung auf Bechlaren erscheint nur der Hand-
schlag als symbolische Handlung. Andere kennen wir aus
Jtechtsformeln, Urkunden und Gedichten. In einer lango-
2 ) Es ist abgekurzt 1623, 3 gesagt: vil schiere do was da mit
sinen wizen handen, der si umbesioz, Giselher.
*) Sohm, Das Recht der Eheschliessung 48. K. Lehmann, Yer-
lobung und Hochzeit 77. 130. 133. Cber den Unterschied von dem
landrechtlichen festa von dem handsaelja (kirchliche Yerlobung)
Lehmann 108.
bardischen Verlobungsformel (zu ed. Roth. 182 Verlobung
einer Witwe) 1 ) verlobt der Mundwalt der Frau dieselbe unter
LFberreichung von Schwert und Handschuh: d. h. er flber-
gibt mit dem Schwert das Recht fiber Leib und Leben und
aberreicht das Pfand fur die tJbergabe der Frau und ihres
VermOgens durch den Handschuh 2 ). Schwert, Mantel und
Handschuh sind die Pfander, welche in einer spateren Ver-
lobungsformel fur eine salische Witwe 8 ) vor langobardischem
Grafengericht der Verlober dem Brautigam far die spatere
Ubergabe der Frau samt ihrem VermOgen reicht: der Mantel
ist Symbol des Schutzverhaitnisses (Grimm, RA. 160 4 )). Hier-
nach leistet der Brautigam BQrgschaft, dass er die Frau zur
Gattin nehmen werde, unter Feststellung der Busse, die er
zu erlegen hat, wenn er sich der Verpflichtung entziehe, und
gibt ihr darauf den Mahlschatz durch den Ring.
In dem Gedichte von Rudlieb (11. Jahrhundert) wird
erzahlt, dass die Verlobung eines jungen Paares von den
Verwandten beredet und die vermOgensrechtlichenVerhaltnisse
geordnet sind. Darauf aberreicht der Brautigam demMadchen
auf dem Schwertgriff den Ring 6 ), indem er sagt: „Wie der
Ring deinen Finger fest umschliesst, so gelobe ich dir feste
und stete Treue; die gleiche sollst du mir bewahren oder
dein Leben btissen". Das Madchen nimmt den Ring von dem
Schwertgriff, das Paar kusst sich und die umstehende Menge
stimmt einen Brautgesang an (Rudlieb XIV, 59—89).
Noch in neuer Zeit hat auf dem Hunsruck der Brautigam
der Braut bei der Verlobung ein Handgeld und einen silbernen
Ring ttberreicht (Stuttgarter Morgenblatt 1852, S. 441 f.).
Pfennige (das Handgeld) sind auch aus der KOlner DiOcese
2 ) Walter, Corp. jur. germ. 1, 712.
2 ) tTber den Handschuh als Rechtssymbol Grimm, RA. 152 f.
3 ) Walter III, 556. Scbr5der, Giiterrecht 1, 180 f.
4 ) In allegorischer Doutung liest man in einer alemannischen
Predigt (Hs. des 14. Jahrhunderts): diu minne diu ist ein briitmantel
der selen, da mit si wirt got gefiieget zuo einer brut.
5 ) tTber das Darreichen des Ringes auf Schwert oder Sper
J. Grimm, Schenken und Geben 140 ff. (KL-Schriften II, 199 f.)
810
nachgewiesen, ebenso aus England und Frankreich *). Im west-
faiischen Kreise Iserlohn ist bis gegen die Mitte des 19. Jahr-
hunderts der Braut vom Br&utigam ein Geldsttlck op trdgge
(auf Treue) gegeben worden, ebenso im Hildesheimischen,
auch hier op trttgge, und da von wurde das Geld selbst die
Treue (trtte, trQgge) genannt*). In der Oberpfalz sind bei der
Verlobung die Ehethaler als Haftlgeld gegeben, meist drei
Frauenbildthaler, die nur in hOchster Noth ausgegeben wer-
den, so lange die Frau lebt (SchOnwerth 1, 56) 8 ). Die Thaler-
stilcke, die um die Mitte dieses Jahrhunderts in DOrfern zwi-
schen Leipzig und Borna bei der Trauung statt der Ringe
gewechselt wurden, gehn auch auf jene „Pfennige" zuriick.
Den Ring als Besiegelung des Vertrages finden wir auch
bei den Langobarden (1. Liutpr. 30) und Westgoten (1. Wisig.
III. 1, 3). Es ist daher kein Ringwechsel, sondern der
Br&utigam gibt ihn der Braut; der Ring ist die bekannte
alte Form von Gold und Silber als Werthzeichen statt ge-
munzten Geldes. Mit dem Ringe aus dem Nibelungenschatz
(Andvaranautr) verlobte sich Siegfried die Brunhild, und sie
schwuren sich darauf den Treueid (Volsungas. 24). In der
Wiener Genesis (Fundgruben II, 14, 13) heisst es noch: das
Fingerlein, womit der Mann sich pflegt sein Weib zu ver-
loben. Die englische Sitte, dass nur die Frau den Trauring
tragt, halt jene alte Bedeutung des Verlobungsringes fest.
Ringwechsel wird in Gedichten des 13. Jabrhunderts
erwahnt (Gudr. 1247. 1650. Heinr. Trist. 654); er ist unter
Einfluss der Kirche als gegenseitiges TreugelObniss eingeftthrt
worden 4 ).
*) Friedberg, Recht der Eheschliessung 42. 95 f. Sohm, Recht
der Eheschliessung 54.
2 ) Woeste im Jahrb. f. nd. Spr. forsch. 131.
8 ) In Oberosterreich inacht das „Drangeld" die Eheverabredung
ganz richtig. Freilich, dass der Brautigam dasselbe der Braut heimlich
zuschiebt, ist neuer Unverstand (Baumgarten, A. d. Heimat IX, 46).
4 ) F. Hoffmann, tiber den Verlobungs- u. den Trauungsring:
Wiener Sitz.-Ber. 65, 825—863. Sohm, Recht der Eheschliessung 54 ff.
311
Des Kusses mit Umarmung, dessen im Rudlieb gedacht
wird als Besiegelung der Verlobung, finden wir auch sonst
nicht vergessen (vgl. osculum bei Du Cange, Gloss, med.
lat. VI, 74. Niort.).
Ich will bier schliesslich einer Beringung und eines
Kusses gedenken, die zwar nicbt als Zeichen ehelicher Ver-
lobung gegeben wurden, aber den innersten Sinn beider Hand-
lungen, wie auch das hCfische Mittelalter ihn begriffen hatte,
ausdrucken. Als Tristan fur immer von Frau Isot scheidet,
spricht er: Nehmet hin dies Ringlein, Lasset das einZeugniss
sein Der Treue und der Minne. Auf dass, wenn ihr die Sinne
Jemals dazu gewinnet, Dass Ihr einen andern minnet, Bei
dem King' Ihr denket dran, Was ich fahlen muss alsdann. —
Und nun kommt her und kQsset mich! Tristan Isot, Ihr und
ich, Ewig mussen wir allbeid Eins nur sein ohn' Unterscheid.
Der Kuss, er soU das Siegel sein, Dass ich Euer und Ihr mein
Bleibt getreu bis in den Tod, Nur ein Tristan, ein Isot
(Gotfr. Trist. 18311 ff. 18355 ff.).
Die Verlobung begrilndet die Ehe rechtlich, sie ist der
erste Act der Eheschliessung.
SobaJd das Verltfbniss vor Zeugen geschlossen und die
Wetten dafQr gegeben waren, durfte es nicht mehr gebrochen
werden. In verabredeter Zeit folgte die Heimfuhrung der
Braut, die Hochzeit, wie wir sagen. Die isiandisch-norwegischen
Rechte geben. zwOlf Monate als langste Frist dafur; in den
deutschen scheint die Zeit etwas langer gesteckt und die
Verlobung wenigstens nach langobardischem und westgotischem
Gesetz zwei Jahre giltig gewesen zu sein 1 ). Die einfachste
Folge der Versaumniss dieser Frist war das Nichtigwerden
der Beredung (Grag. festath. 54). Meist ward aber absichtliche
VerzOgerung und bezweckte AuflOsung des Vertrages an-
genommen und darum besondere Strafe darauf gesetzt. Das
x ) ed. Roth. 178. 1. Wisig. Ill, 1, 4. Das VerlObniss des Franken-
konigs Theudebert mit der westgot. KOnigstochter Wisigart ist nach
sieben Jahren noch giltig, Gregor. tur. 3, 27.
812
langobardische Gesetz (ed. Roth. 178) legte neben der Auf-
hebung des VerlObnisses die Zahlung der bedungenen meta
auf, und ebenso setzte die islandische Graugans (festath. 6)
fest, dass der Br&utigam im Falle des Zurftcktretens zwar
sonst keine Strafen leiden solle, allein den bedungenen Braut-
kauf am Tage vor dem anberaumten Brautlauf erlegen masse.
Das upl&ndische Gesetz (LET, 1) bestimmte ausser dem Verlust
des schon gezahlten Mundschatzes eine Busse von drei Mark.
Das salfrankische Recht belegte das grundlose Zurftcktreten
von reehtm&ssiger Verlobung mit einer Strafe von 62 l / 2 Solidi
Q. Sal. 71). Besonders streng ist aber das Gulathingsbuch
(c. 51). "Will ein Mann seine Verlobte nicht nehmen, so ist
ihm ein Tag auf dem Thing anzusetzen, und er dafur zu
belangen, dass er seine Verlobte fliehe; ergibt sich die Klage
als richtig, so wird er Landes verwiesen. Entzieht sich eine
Braut dem bestimmten Vermahlungstage ! ), so ist sie eben-
falls auf das Thing zu fordern und des Landes zu verweisen.
Gesetzlich giltige VerzOgerungsgrttnde waren nach den
nordischen Gesetzen Krankheit 2 ), Verwundung und unfrei-
willig verlangerter Aufenthalt auf Reisen (Frostath. 3, 12);
ebenso. Verlust der Ausstattung durch Brand Oder Raub;
letzteres musste jedoch durch zwei Manner gerichtlich an-
gezeigt werden, und der Brautigam konnte den Beweis der
Wahrheit durch zwei Zeugen und zwOlf Eideshelfer verlangen
(WestgOtal. I. giptarb. 9, 5). tjber Krankheit als VerzOgerungs-
und AuflOsungsgrund des VerlObnisses schreibt die Graugans
(festath. 5. 6) ausftlhrliches vor. Der Brautigam hatte dem
Vormunde der Braut Anzeige von seiner Krankheit zu machen,
und der Brautlauf ward hiernach auf ein Jahr verschoben,
es sei denn, er genese eher und trage auf friihere Hochzeit an.
Er hatte dieselbe aber danh auf seine alleinigen Kosten aus-
zurichten. Ebenso ward es bei Krankheit der Braut gehalten.
Wurde das Kranke nicht binnen Jahresfrist besser, so war
x ) Ein abtriinniger Brautigam hiess fudflogi, eine treulose
Braut flannfluga.
2 ) Lehmann, Verlobung und Hochzeit 48. 52.
fti3
das VerlObniss, wenn es beide Theile nicht anders wollten,
aufgelOst. War die Braut, ohne dass es der Brautigam wusste,
mit einem Gebrechen Oder einer schweren Krankheit behaftet,
so ward der Verlober, wenn die Gebrechen offenkundig waren,
Landes verwiesen, der Brautigam aber konnte zurttcktreten,
denn er hatte die Verlobung in Voraussetzung, dass alles
richtig sei (heilt rad ok heimilt ok eigi ella) geschlossen.
Bewies jedoch der beklagte Verlober, dass er selbst von den
Fehlern nichts wusste, so wurde er nicht verwiesen, allein
er durfte den Brautkauf nicht fordern (festath. 7). Auflflsung
des VerlObnisses und Zuracknahme alles gegebenen setzt
auch das langobardische Eecht far den Fall fest, dass die
Braut aussatzig oder besessen oder auf beide Augen blind
wird (ed. Both. 180).
Auch das absichtliche Zuruckhalten der Braut durch
den Verlober war nach skandinavischen Rechten (Gulath. 51.
WestgCtal. 1. giptab. 9, 4. OstgOtal. giptab. 8) Strafen unter-
worfen, welche denen far vorsatzliche VerzOgerung durch die
Verlobten entsprechen. Der Verlober wurde yerbannt oder
er hatte dem Kiager Geldbusse zu leisten. Die Hochzeit
wurde hierauf bald gefeiert; nur abergab statt des Vormundes
die staatliche BehOrde, nach ostgotlandischem Rechte der
Herrads-Vorsteher, die Braut.
Die schwere Strafe der Landesverweisung traf den Ver-
lober, wenn er wissentlich ein schwangeres Madchen verlobt
hatte (Gr&g. festath. 51). Konnte er beweisen, dass er nicht
urn den Zustand wusste, so war er s.traflos (festath, 8).
Wird die Braut nach der Verlobung von einem andern
schwanger, so hat es der Vormund dem Brautigam sofort,.
wie er es erf&hrt, anzuzeigen. Will dieser nicht zurucktreten,
so wird er als Urheber der Schwangerschaft angeklagt und
hat dem Verlober die gesetzliche Busse fur Unzucht mit
dessen Mandel zu erlegen. Im entgegengesetzten Falle empfangt
der Brautigam die Busse (festath. 8).
Die Verlobung gab den Verlobten noch nicht das Recht,
als Eheleute zu leben. Geschah es, so ward der Brautigam
314
wie bei anderm ungesetzlichen Beilager bestraft; etwaige
Kinder waren unehelich 1 ).
Lagen aber Yerlobte zusammen, so ist der Brauch be-
zeugt, dass der Mann ein nacktes Schwert zwischen sich und
das Madchen legte: so that nach dem dritten Sigurdliede
(2. Brynhildl.) Str. 68. Sigurd, obschon ihr verlobt, als er
Brynhilds Lager theilte (vergl. auch Volsungas. c. 36 und
Skaidskaparm. 41); und auch andere nordische Quellen be-
zeugen die Sitte, die sehr weit verbreitet war, wenn es sich
urn ein keusches Beisammenliegen handelte. Das Schwert ist
das aussere Zeichen dafllr*). Aus deutschen Gedichten sei
an die Brautnacht von Orendel und Bride erinnert. Der Engel
erscheint und verbietet die Minne biz hiute ftber niun jar;
da legt Orendel „in ganzen trouwen" zwischen sich und
die Jungfrau sein Schwert; und als er Briden erklart, was
das bedeute, spricht sie: nun st6z din swert wider in, zehen
jar mac ich wol an ein man beliben (Orendel 1811 ff.).
Weniger zufrieden ist die Sarazenin, von der sich Wolf-
dietrich durch das Schwert scheidet (Wolfd. A. Dresd. Hs.
Str. 270).
In der Freundschafts- oder BrQdersage hat das Schwert,
das der eine der Freunde oder Brttder zwischen sich und die
Gattin des andern legt, eine bedeutende Stelle bei dem Be-
weise gegenseitiger Treue; so in Konrads von Wurzburg
Engelhart (5095). In unserm alten Volkslied vom Siideli
(Uhland, Volksl. Nr. 121) sagt der Herr, zu dem das Madchen
gelegt wird, indem er sein guldiges Schwert zieht: „das
schwert soil weder hauen noch schneiden, das Anneli soil
ein magetli bleiben". Auch in den Tristangedichten linden
wir, dass KOnig Marke Tristan und Isolde in der Minnen-
hOhle schlafend findet, aber von einander gekehrt und das
bare Schwert zwischen sich (Gotfr. Trist. 17510). Es sei hier
nur noch erwahnt, dass auch die alten Inder das „Schwert-
*) K. Lehmann, Verlobung und Hochzeit 99.
2 ) J. Grimm, KA. 169 f. hat schon eine Reihe Beispiele ge-
geben, mehr R. KOhler zu L. Gonzenbachs Sicilian. Marchen Nr. 40,
und in d. Z. d. V. f. Volkskunde VI, 76.
315
klingengelQbde" kannten; ein Commentar erklart es: wenn
Prau und Mann auf ein und demselben Lager in der Mitte
ein Schwert niederlegen und dann in Keuschheit ruhen 1 ).
Auch in Tausend und Einer Nacht im Marchen von Aladin
und seiner Zauberlampe kommt es (sowohl in der arabischen
wie in der bengalischen Gestalt) vor, dass ein Schwert zwi-
schen Mann und Madchen gelegt wird, und zwar mit dem
Satz, dass der Mann, wenn er das Weib geniesst, den Kopf
durch das Schwert verlieren soil.
Gegen die Rechtsbedeutung der Verlobung als der Ein-
leitung zur Ehe, auf welche noch die Heirat folgen muss, ehe
die Verlobten Gatten (nord. hj6n) werden durfen, lasst sich hier
und da WiderstandinderVolksmeinungund daher auch in der
Volkssitte nachweisen. Das altschwedische Recht erkennt dem
Brautigam nach Leistung der Brautgabe das Recht zur Bei-
wohnung zu (Lehmann a. a. 0. 85). Im alten Bardengau im
Luneburgischen wird nach der feierlichen Verlobung (loeft)
das Ehebett beschritten *) ; der Brautlauf (de brutlacht) wird
erst spater gehalten. Auch in Oberhessen gab der Hand-
schlag eheliche Rechte') In Bayern gilt als Satz: wenn der
Handschlag geschehen ist, darf man bei der Braut schlafen
(Schmeller 1«, 1124). Es sind das aber Abweichungen von
dem altgermanischen Recht 4 ).
tJbei offenbare Untreue der Braut waren die Gesetze
sehr streng. Wenn auch nur das langobardische und west-
gotische Gesetz B ), wahrscheinlich durch rOmischen Einfluss,
solches Vergehen als Ehebruch ansehen, so neigen doch fast
alle germanischen Gesetze dahin, die Verletzung der Rechte
schaft 40 A 52 J 3T Zler ^ i&T Zeltschr - der deutschen morgenl. Gesell-
2 ) v. Hammerstein, Der Bardengau. Hannover 1869, S. 613.
1Qoe ? °: Wa « ner ' Die Sittlichkeit auf dem Lande, S. 50. Leipzig
loaD. 4. A.
*) E. Friedberg, Eecht der Eheschliessung 301 f.
«) ed. Roth. 179. 1. Wisig. HI. 4, 2. — Wilda, Strafrecht849ff.
- Lehmann, Verlobung un d Hocnzeit 102.
816
des Brautigams sehr scharf hervorzuheben. Das burgundische
Gesetz legte der Braut Tod und Unfreiheit auf, wenn sie
nicht durch ihr Wergeld (300 sol.) ausgel&st wurde. Der
schuldige Mann wurde getodtet, wenn er nicht selbzwOlft be-
eiden konnte, dass er von dem VerlObnisse nichts wusste.
War ihm der Eid mOglich, so btlsste er nur sein Wergeld
(1. Burg. LVI). Bewies sich die Anklage als falsch, so musste
der Brautigam die Braut heiraten Oder die doppelte meta er-
legen (1. Burg. 179). tTber Untreue des Brautigams gehn die
Gesetze leichter weg 1 ). Die Graugans (festath. 6) sagt nur,
wenn der Brautigam wegen eines fleischlichen Vergehens
verklagt sei, worauf Tod Oder Verweisung stehe, so dilrfe
die Braut das Verhaitniss aufheben; von einer'Busse an die
Braut scheint nirgends die Rede zu sein. Das Hamburger
Stadtrecht von 1270 (in, 13)*) bestimmt, wenn der Brauti-
gam von einem Weibe wegen geschlechtlichen Verkehrs mit
ihm verklagt werde, so solle die Braut drei Monat auf die
Entscheidung warten; kOnne die Sache nur in Rom gefuhrt
werden, so warte sie ein Jahr; ist der Process auch dann
noch nicht zu Ende, so ist das VerlObniss aufgelOst und der
Braut gebahrt eine Entschadigung von 40 Mark Pfennig. Das-
selbe gilt aber auch fur eine Klage gegen die Braut.
Ehe wir zu dem zweiten Act der Eheschliessung mit
den mannigfachen Brauchen und den weiteren rechtlichen
Leistungen, die sich an sie knilpfen, tlbergehn, haben wir
noch einiges auszuftihren, das dem Ehebttndnisse uberhaupt
hinderlich sein oder fur dasselbe besondere Folgen haben
konnte. Ich beriihre zuerst die Ebenburtigkeit. In den
altesten Zeiten waren streng genommen nur zwei Theile im
Volke, die Freien und die Unfreien ; eine Vermittlung zwischen
diesen machten die Freigelassenen und die Liten, die wir
eher milder behandelte Unfreie als. beschrankte Freie nennen
diirfen. Pie Freien schieden sich in. Gemeinfreie und Edle.
Dieselben waren in der altesten geschichtlichen Zeit durch
i) Wilda a. a. 0. 812.
2 ) Vgl. dazu Hamb. Stadtr. von 1292. E. 12, von 1497. J. 4.
317
keinen Kechtsunterschied getrennt; der Adel, ja selbst die
Abkunft von den alten KOnigen des Volkes gab zwar gewisse
thatsachliche Auszeichnungen nnd Vorzdge, aber der Recht-
stand war fur den Edelgebornen wie far den Freien derselbe.
Diese grosse Gemeinschaft der Freien kann daher ursprttng-
lich auch kein Hinderniss gefunden haben, sich in ihren ver-
schiedenen Schichten untereinander zu verheiraten ; genossen
doch die Kinder des freien Landbauers an und fQr sich kein
geringeres Recht als die aus der nobilitas oder der regia
stirps, wenn auch ein niedrigeres Wergeld. Als aber die
Standesverh<nisse mannigfaltiger wurden, als sich die monar-
chische Gewalt in dem frankischen und in den andern ger-
manischen Staaten erhub, als die Ungleichheit im Besitz
grosser und einflussreicher ward und allerlei Kilrzungen der
Rechte der Gemeinfreien aus verschiedenen Griinden kamen,
da trat auch allmahlich die Ansicht hervor, dass Freie und
Edle untereinander unebenbQrtige Ehen schlOssen. Wir besitzen
indessen genug Beweise daftlr, dass noch tief ins Mittelalter
hinein nur Ehen zwischen Freien und Unfreien des verschie-
denen Grades fur straflich galten. Entsehiedene Bedenken
erweckt daher die bekannte Angabe Rudolfs von Fuld in der
translatio S. Alexandri c. I. 1 ), dass im 9. Jahrhundert bei
den Sachsen Todesstrafe auf unebenbtirtigen Ehen stund, d. h.
wenn der Edle nicht eine Edle, der Freie nicht eine Freie,
der Freigelassene nicht eine Freigelassene, der Unfreie nicht
eine Unfreie, sondern eine-Ungenossin, zumal eine hoher ge-.
borene heiratete. Ehen zwischen Edlen und Freien miissen
doch, wie uberall so auch bei den Sachsen als nichts gesetz-
widriges erschienen sein ; Ehen zwischen Freien und Unfreien
aber werden wie bei den Germanen so auch bei den Sachsen
mit dem Tode bestraft worden sein, so dass Rudolfs Angabe
in der Halfte richtig sein mag.
Aus Norwegen lassen sich genug Beweise holen, dass
dort Freie und Edle Ehen untereinander schlossen. Es gait
*) Pertz II, 675. Vgl. dariiber Leo rectitud. 90. Waitz, Deutsche
Verfassungsgeschichte I s , 194 f. Wilda bei Richter, Krit. Jahrb. 1,
350 und v. Sybel, Entstehung des deutschen KOnigthums 1. A. 94.
318
fQr keine Missheirat, wenn eine KOnigstochter einen freien
Landbauer heiratete, der durch bedeutenden und langvererbten
Landbesitz die hinreichenden Mittel zu einem reichlichen
Leben bot 1 ). KOnig Ingi vermahlte seine Schwester Sigridr
dem Th6rgrimr von Lianes (Fornmannas. 9, 21); Einar Prestr
heiratete die Tochter KOnig Sverris, die Schwester KOnig
H&kons (Fornm. 9, 8); Ingridr, Enkelin KOnigs Ingi Stein-
kelsson, Witwe des KOnigs Hdrald Grilli, vermahlte sich dem
Ottarr Birtingr, einem angesehenen Landsassen, und nach
dessen Tode einem andern Bauer, dem Arni von StOdreim
(Fornmannas. 7, 176. 229). — Aus dem Sttden mOchte ich
zunachst eine Stelle des westgotischen Gesetzbuches (IH. 1, 1),
obschon sie die Ehen zwischen EOmern und Goten im Auge
hat, far die Ansicht hervorheben, dass auch unter den freien
und den edlen Westgoten damals noch keine Missheiraten ge-
schlossen werden konnten. Sie bestimmt ausdrttcklich, dass
es jedem Freien des westgotischen Volkes erlaubt sei, eine
Freie, welche er wolle, zu heiraten, sobald die Verbindung
an und fur sich ehrbar sei und die Familie so wie der Graf
seine Zustimmung und Erlaubniss gegeben habe.
In Deutschland hat der Grundsatz der Ebenbartigkeit
der Ehen unter den allmahlich entstandenen Abtheilungen
des freien Standes bis in das 13. Jahrhundert voll ge-
golten. Die freien Landbauern schlossen nach dem Sachsen-
recht mit der hOheren Classe der schOflfenbar Freien, diese
mit den freien Herren (Sachsenspiegel III, 72) und diese wieder
mit den Filrsten ebenbiirtige Ehen, und die Kinder solcher
Yerbindungen waren durchaus erbberechtigt in den Geschlech-
tern ihrer Eltern. Aber der Ritterstand und die Forderung
der Ritterburtigkeit bis zum Grossvater schufen zunachst
StOrungen; denn nun brachten die Verheiratungen zwischen
rittermassigen und nicht rittermassigen schOffenbar Freien
und uberhaupt zwischen nicht rittermassigen Freien den
2 ) tJber den hpldr Wilda in Richters Krit. Jahrb. 1, 335 ff.
Konr. Maurer, Die norwegischen Holdar. Miinchen 1889.
319
Kindern Nachtheile, wenigstens im Lehnrecht 1 ). Die Folge
war, dass solche Ehen nicht mehr far ebenburtig galten. Und
mit der schrofferen Sonderung der Stande, die sich als Zug
der Zeit hier zeigt, wurden nun auch die Ehen zwischen
schOffenbar Freien und Semperfreien (freien Herren) fur nicht
ebenburtig erkiart. Die Kinder folgten dem geringeren Stande 2 ).
Auch durch die Ministerialen, diese nach ihrem G-eburts-
stande unfreien, aber durch den Hof- und Herrendienst und
seit dem 11. und 12. Jahrhundert auch durch das ritterliche
Leben in Ansehen und VermOgen ausgezeichneten Leute,
wurden die alten einfachen Verhaitnisse verschoben. Ehen
zwischen freien Bauern und Ministerialen galten im 13. Jahr-
hundert nicht fur ebenburtig, weil das bauerliche Leben dem
ritterlichen nachstund. Die schOffenbar Freien (mitelfrien)
gingen den Dienstleuten allerdings vor und Kinder aus Ehen
zwischen Ministerialen und diesen Freien wurden, selbst wenn
der Vater ein schOffenbar freier Mann war, durch das Gesetz
seit Ende des 12. Jahrhunders zum Ministerialenstande er-
niedrigt 8 ), bis endlich ein Jahrhundert spater die ritterburtigen
Ministerialen von den freien Eittern im Recht nicht mehr
unterschieden wurden, wenn auch der Name der Dienstmannen
langer fortlebte.
Die Ehen zwischen Semperfreien (freien Herren) und
Fftrsten blieben von der Bewegung der Standesunterschiede
allein unbertthrt und sind es bis heute geblieben. Die alten
reichsunmittelbaren Geschlechter des deutschen hohen Adels
*) Nach Richtst. Lehnr. 28, §. 3 ist der Sohn eines Bitters mit
einer Bauerin Sohn einer ebenbiirtigen Ehe; nach Sachs. Lehnr. 20
und der G-losse zu Sachsensp. L. 1, 5 ist er aber nur zum Landrecht
ebenburtig.
2 ) e% ist niemcn sempervri wan des vater und muoter und der
vater und der muoter sempervri wdren. die von den mitelvrien sint
geborn, die sint ouch mitelvrien. und ist joch diu muoter sempervri
und der vater mitelvri, diu hint werdent mitelvrien. und ist der vater
sempervri und diu muoter mitelvri, diu hint werdent aber mitelvrien.
Schwabensp. Landr. 70 b .
8 ) Heinrici VI. sent, von 1190. Otton. IV. cur. August, v. 1209.
Sachsensp. I. 16, 2 (mit der G-losse).
8?0
stehn noch jetzt ebenbttrtig neben den kOniglichen Familien,
und die Kinder solcher Ehen sind daher im Genusse der
vollen Erbfahigkeit.
Ganz anders als um die Ehen zwischen den verschie-
denen Stufen der Freien und Edeln stund es von je um die
Zulassigkeit der Verheiratung von Freien und Unfreien. Nach
burgundischem und langobardischem Gesetze war auf Heirat
oder fleischliche Vermischung einer Freien mit einem Unfreien
der Tod oder die Unfreiheit gesetzt. Das salische Gesetz be-
stimmte, dass ein freier Mann, der sich Offentlich mit einer
Unfreien verbindet, seine Freiheit busse (25, 2). Hat sich ein
freies Madchen von einem kOniglichen HOrigen oder einem
Laten entfuhren lassen, so wird sie unfrei und der Mann
basste das Leben (13, 4. 5). Verlust der Freiheit far den
freien Theil bestimmt auch das ribuarische Recht (LVIII, 18),
wenn die freie Frau nicht in der gebotenen Wahl zwischen
Schwert und Kunkel das Schwert wahlt und den unfreien
Gatten todtet. Dieselben Bestimmungen bieten das edictum
Theodorici, und fur die Ehe zwischen einer Freigelassenen
und einem HOrigen der Kirche das alemannische Recht
(XVIII, 1). Die Fortsetzung dieses Grundsatzes spricht noch
der Schwabenspiegel (Landr. 319) dadurch aus, dass nach
ihm die freie Frau, welche sich mit ihrem hOrigen Knechte
(ir eigenem man) einlasst, den Kopf verliert; der Mann wird
verbrannt und die etwa geborenen Kinder haben weder Frei-
heit noch Erbe. Verlust der Freiheit ftir den freien Theil
einer solchen Verbindung, die keine rechtsgiltige Ehe nach
deutscher Anschauung sein konnte, gait noch im 12. und
13. Jahrhundert als Folge. Wenn indessen der Tod die Ver-
bindung lOste, so ward die Frau wieder frei und die Kinder,
die sie dann mit einem freien Gatten zeugte, waren frei,
wahrend die der ersten Verbindung unfrei blieben (Schwaben-
sp.67 b ).
Der Grundsatz, dass die Kinder aus ungleichen Ehen
der argeren Hand folgen mussten, war im 12. und 13. Jahr-
hundert in Deutschland noch durchaus giltig. KOnig Rudolf I.
verktindete es 1282 als Spruch seines Hofgerichtes, dass die
321
Kinder aus Ehen freier Bauern mit Vogtleuten oder mit Leuten
aus anderen hoheren oder niederen Standen stets der argeren
Hand folgen mussten (Pertz, leg. II, 439). Erst spater kam
durch Einfluss des rOmischen Rechtes der Grundsatz zur
Geltung, dass die Kinder aus Ehen zwischen Freien und
Unfreien dem Stande der Mutter folgen, so wie ferner, dass
bei Ehen unter den verschiedenen Standen der Freien die
Frau den Stand des Mannes erhalte gleich den erzeugten
Kindern 1 ).
Neben der Ebenbiirtigkeit traten die Gleichheit des
Volkes und des Glaubens als wichtige Fragen fQr die
Giltigkeit der Ehe auf.
Von Anfang an lasst sich das Streben der deutschen
VOlkerschaften beobachten, eine abgeschlossene Selbstandig-
keit zu bewahren. Sie traten miteinander wohl zu Kultus-
gemeinschaften und voriibergehend auch zu politischen Ver-
bindungen zusammen, allein im tibrigen lebte jedes nach
seinem Rechte und seinen Sitten, und jeder Volksgenosse
trug das angeborne Recht als untilgbar mit sich, wohin er
auch Ziehen mochte. Darum sehen wir selbst verwandte
VOlker nebeneinander wohnen, ohne dass Heiraten zwischen
ihnen geschlossen wurden. In Italien sassen die Rugier neben
den Ostgoten und hielten streng darauf, dass sie mit diesen
ihr Blut nicht mischten 2 ). Die Ostgoten waren weniger ab-
schliessend. Wie sie fruher mit den Alanen, Hunen und Ost-
rOmern sich vermengt hatten, so in Italien mit den rOmischen
VOlkerschaften 8 ), schwerlich zum Nutzen ihrer Nationalitat.
Schon fruher hatten sich die Bastarnen durch sarmatische
Heiraten ihren Untergang vorbereitet (Germ. 46). Die Ver-
schiedenheit des Rechtes der VOlker musste bei Heiraten
eine Menge von Streitigkeiten begrtinden. Darum wurden sie
vermieden, wenn die Kirche spater auch hier zu vermitteln
und auszugleichen strebte. Die Synode von Tribur im Jahre
2 ) GOhrum, Geschichtliche Darstellung der Lehre von der Eben-
biirtigkeit 1, 382 f. 2, 164 f. 174 f.
2 ) Procop. de b. goth. II, 14. Ill, 2.
3 ) Sartorius, Uber die Regierung der Ostgoten in Italien 258.
Weinhold, Deutsche Franen. I. 21
895 (c. 39) eiferte ausdrttcklich dagegen, dass die Stamines-
verschiedenheit als Vorwand zu Ehescheidungen beniltzt
werde. Dieses Ehehinderniss ward beseitigt, als es zur all-
gemeinen Geltung kam, dass die Frau mit der Heirat auch
das Stammrecht des Gatten erhielt. Xur ausnahmsweise blieb
sie in ihrem angeborenen Rechte 1 ).
Aus politischen Rtlcksichten kamen in den germanischen
Furstenh&usern von je Verheiratungen mit fremden Familien
vor. Ariovist schon hatte sich neben seiner swebischen Frau
mit der Schwester des norischen KOnigs Voctio vermahlt,
die ihm derselbe zugeschickt hatte (C&sar, b. gall. I, 53). Der
grosse Ostgote Theoderich heiratete die Frankin Angofleda.
Seine TOchter gab er an den Westgoten und den Burgunder,
seine Schwestern an den Thtlringer und den Wandalen. Spater
hat nun Ludwig der Fromme bei der Theilung des Reiches
im Jahre 817 (c. 13) zur Vermeidung von Zwietracht und
gefahrlichen Verwickelungen bestimmt, dass keiner der jiin-
geren SOhne eine Gemahlin im Auslande werbe.
Wie die Ostgoten sich mit den Italienern verheirateten,
so auch die Langobarden. Die Wandalen und die Burgunder
gingen sehr leicht Ehen mit den Bewohnern der von ihnen
eroberten Lander ein und Langobarden und Burgunder roma-
nisirten sich dadurch. Dasselbe geschah mit den Westgoten,
seitdem KOnig Rekaswinth (t 672) das Verbot der Ehen
zwischen ihnen und den ROmern aufgehoben hatte. Nur bei
den ripuarischen Franken, allerdings auf flberwiegend deut-
schem Boden, galten die Ehen zwischen Franken und ROmern
fur nicht ebenburtig. Die Kinder mussten der argeren Hand
folgen (1. Ribuar. 58, 11).
Aus den blutigen Kriegen der Sachsen gegen die Obo-
triten und Lutizen war die Folge geblieben, dass die Ehe
eines Deutschen mit einer Slavin im 10. und 11. Jahrhundert
fur unehrlich gait. Spater schwand allerdings diese Ansicht;
aber die Wendin gilt noch im Sachsenspiegel als unfrei, weil
sie fur die Erlaubniss zur Heirat dem Herrn einen Zins
2 ) Gaupp, Die german. Ansiedlungen und Landtheilungen 246.
(burmede) entrichten musste und ebenso bei der Ehescheidung
die Fersenpfennige (Sachsensp. III. 73, 3).
Ehen zwischen norwegischen Hauptlingen und den TOch-
tern irischer und schottischer Fursten sind aus dem 9. Jahr-
hundert sicher bezeugt; auch vollgiltige Ehen .mit kriegs-
gefangenen, dann freigewordenen vornehmen Irinnen. Selbst
im letzten Falle erscheinen die Kinder als echt geboren, frei
und erbfahig 1 ).
Bei den Heiraten zwischen Germanen und ROmern kam
auch die Verschiedenheit des Glaubens in Betracht,
denn die christlichen Germanen, welche mit den ROmern
zuerst in Beruhrung kamen, waren Arianer, die ROmer Katho-
liken; es war dies eine Scheidewand, die nicht selten mehr
bedeutete als Stamm- und Volksverschiedenheit 2 ). Es ist dies
um so auffallender, als die christlichen Germanen keine Be-
denklichkeit bei Ehen mit ihren heidnischen Stammgenossen
zeigen. KOnig Ermanfried von Thuringen war allem An-
scheine nach ein Heide und doch vermahlte ihm der aria-
nische OstgotenkOnig Theoderich seine Schwester Amalaberga.
Der heidnische KOnig Ethelbert von Kent hatte die frankische
katholische KOnigstochter Berta geheiratet und von den Eltern
mit der Bedingung erhalten, dass er sie in der Austibung
ihres Glaubens nicht store. Gegen den Bischof Augustin, der
Berta als Beichtvater begleitete, zeigte er sich sehr duldsam
und sagte ihm, wenn er auch die schOnklingende, aber neue
und unsichere Botschaft nicht mit dem Glauben vertauschen
kOnne, an welchem er und sein Yolk so lange gehalten, so
wolle er ihn doch nicht stOren und werde ihn gastfreundlich
behandeln (Beda h. eccl. I, 25). Spater bekehrte sich Ethel-
*) E. Mogk, Kelten und Nordgermanen. Leipz. 1896, S. 17 ff.
2 ) Gaupp konnte darum wohl schliessen, dass bei dem fana-
tischen Arianismus der Wandalen an Ehen zwischen ihnen und den
ROmern nicht zu denken ware, a. a. 0. 212; allein politische Ruck-
sichten haben die dogmatischen Bedenken tiberwunden, vgl. Procop.
de b. vand. II, 14. — Der frankische Konig Childeberfc machte die
Yerlobung seiner Schwester mit dem arianischen LangobardenkOnig
ruekgangig, als der katholische Westgotenkonig um sie anhielt,
Paul. Diac. Ill, 27.
21*
bert und gab seine Tochter Ethelberga dem heidnischen KOnig
Edwin von Northumberland unter denselben Bedingungen,
unter denen er frilher Berta erhalten hatte (Beda n, 9).
Schwieriger war KOnig Osrich von Northumberland, der seine
Tochter Elfleda dem mittelenglischen KOnige Peada erst gab,
nachdem sich dieser samt seinem Volke hatte taufen lassen
(Beda HE, 21). Auch der heidnische FrankenkOnig Chlodwig
warb ohne Bedenken um die burgundische Chrothild, welche
katholische Christin war, und gab ihr sogar nach, dass der
erstgeborene Sohn IngomGr getauft werde. Als das Kind
starb, schob er das der Ohnmacht des Christengottes zu
(Greg. Tur. II, 29). Auch in Skandinavien wurden zwischen
Heiden und Christen Ehen geschlossen. Heidnische Norweger
und katholische Irinnen verheirateten sich im 9. Jahrhundert
ohne ein Bedenken (Mogk a. a. 0.). KOnig Olaf Tryggvason
von Norwegen ehelichte zur Stthne, dass er ihren Vater
todten liess, G-udrun, die Tochter Jarnskeggis, eines der
eifrigsten heidnischen Drontheimer (Fornmannas. 2, 49).
Spater war er allerdings peinlicher und verlangte von der
KOnigin Sigrid von Schweden, mit der er sich verm&hlen
wollte, dass sie sich taufen lasse. Als sie aber fest an dem
alten Glauben hielt, beleidigte er sie tief und Sigrid suchte
in der Vermahlung mit dem DanenkOnig Svein Tiuguskegg
die Macht zur Rache. Olafs Tod war ihr Werk (Fornm. s. 2,
130). Auch uber seinen Skald Hallfred war Olaf sehr erzurnt,
da er sich mit einer Heidin verheiratet hatte. Die Frau
musste sich taufen lassen, Hallfred Kirchenbusse thun und
zur Rettung seiner Seele ein religiOses Gedicht (die upprei-
stardr&pa) machen (Fornm. s. 2, 88.- 212). Im allgemeinen
werden wir annehmen durfen, dass dort, wo das Christen-
thum noch nicht die Obermacht in einem Volke hatte, die
Mischehen haufiger vorkamen, denn das Heidenthum war
duldsam, die Christen aber fanden es theils nicht gerathen,
heidnische Bewerbungen abzuweisen, theils glaubten sie da-
durch zur Bekehrung des andern Theiles wirken zu kOnnen,
oder politische Rtlcksichten veranlassten sie, den Glaubens-
unterschied zu ubersehen. Als die Kirche aber machtiger
geworden, wurden solche Verbindungen von der Kirche ver-
dammt und bestraft. Wenn nach den echten Strophen der
Nibelungen Noth, die von Kriemhilds und Etzels Vermahlung
handeln, Kriemhild vor dem Heidenthume des HunenkOnigS
keine Scheu zeigt, so ist das eine treue tTberlieferung aus
den alten Liedern.
Ein Hinderniss vieler Ehen in christlicher Zeit ward
die Lehre von den verbotenen Yerwandtschaftsgraden.
Die heidnischen Germanen waren in dieser Hinsicht sehr
naturlich und ausser den Heiraten zwischen Eltern und
Kindern scheinen alle Ehen erlaubt gewesen zu sein. Dass die
Geschwisterehe in sehr fruher Zeit bestund, beweist die Ver-
bindung Niprds und seiner Sch wester; denn wenn dieselbe
auch in dem Eddaliede Lokasenna (36) dem Niprdr zum Vor-
wurfe gemacht wird, so spricht sich in dem Tadel nur die
sittliche Ansicht anderer Zeit und eines verschiedenen Stammes
aus '). Bei den Warnen und bei den Angelsachsen war die.
Ehe mit der Stiefmutter gestattet 2 ); der warnische KOnig
Hermigisil befahl sogar auf dem Todtenbette seinem Sohne
Badger, die Stiefmutter zu heiraten. KOnig E&dbald von Kent,
der am Heidenthume fester als sein Vater Ethelbert hing,
ehelichte nach dessen Tode seine Stiefmutter und gab damit
fiir alle, die sich unter Ethelbert aus allerlei Rucksichten
hatten taufen lassen, das Zeichen zum Riickfall (Beda II, 5).
Noch im 9. Jahrhundert flnden wir diese Ehe englischer
KOnige mit ihren Stiefmilttern, die eine alte politische Ein-
richtung gewesen sein muss. Der westsachsische KOnig Ethel-
bald heiratete namlich zum grossen Argerniss der Kirche die
Witwe seines Vaters Ethelwulf, Judith, die vielberilchtigte
Tochter Karls des Kahlen 8 ).
Noch weit weniger Anstand nahm man naturlich an
Ehen mit der Bruderswitwe, mit der Schwester der friiheren
x ) Rosenvinge, Danske Rettshistorie, §. 85 a . — tTber die Ge-
schwisterehen Ploss-Bartels, Das Weib 1, 383 f.
2 ) Procop. de bello goth. 4, 20. Beda, Hist. eccl. I, 27.
s ) Prudent. Trecens. a. 858 (Pertz, Mon. I, 451). — Ygl. GfrOrer,
Geschichte der ost- und westfrankischen Karolinger 1, 325.
Frau und mit einein Geschwisterkinde. Chlothar, Chlodwigs
Sohn, heiratete bald nachdem sein Bnider Chlodomar gegen
die Burgunder gef alien war, dessen Witwe Gutheuka (Greg.
Tur. Ill, 6) ; ebenso lebte er in Bigamie rait zwei Schwestern
(Greg. IV, 3). Andere hatten die eine Schwester zur Frau,
die andere zur Kebse (Greg. Tur. IV, 26). Genug, nicht
bloss bei Skandinaviern, Angelsachsen, Warnen und Franken,
sondern ttberall bei den Germanen wusste man nichts von
der Lehre der verbotenen Verwandtschaftsgrade, welche die
Kirche anfangs vorsichtig und allmahlich, dann aber mit voller
Strenge und grosser Ausdehnung aufstellte und in die weltliche
Gesetzgebung einzufuhren wusste. Das Gesetz des langobardi-
schen KOnigs Rother (ed. Rother 185) zeigt noch am wenigsten
von dem kirchlichen Einflusse, denn es werden nur Ehen
mit der Stiefmutter, der Stieftochter und der Brudersfrau,
die also frtiher vorkamen, verboten und mit grosser Geldbusse
belegt; die etwa gesehlossenen Ehen wurden zugleich ge-
trennt. Bedeutend weiter geht schon das Gesetz KOnigs
Liutprand (22—24), welches audi die Gevattern und ihre
Kinder mit unter die verbotenen Verwandten rechnet, fefrier
das alemannische Gesetz (XXXIX) und das bayrische (IV, 1),
Milder als die letzten ist das salische Recht (Nov. 40),
welches die Ehen mit Schwester, Bruderstochter, Brudersfrau
und andern Verwandten zwar fur unrechtmassig erklart und
sie trennt, allein keine weitere Strafe, als dass die Kinder
nicht erbfahig sind, darauf legt. In den nordischen Rechten
ist die kirchliche Lehre mit aller Sorgfalt aufgenommen und
ins kleinliche ausgeftthrt worden *) ; hier galten auch die geist-
lichen Verwandtschaften (gudsifjar), welche zwischen Tauf-
und Firmelpathen und deren Kindern, sowie mit dem taufen-
den Priester und dessen AbkOmmlingen bestehn. Man muss
sich daher wundern, dass es bei der nicht allzu grossen
J ) Gragas festath. 2-6, 10, 11, 31, 32, 44, 55. Frostath. 3, 3. —
Grag. festath. 4. Gulath. b. c. 26. Frostath. 3, 8. Borgarth. Christenr.
c. 15. UplandsL I, 11. vgl. auch 1. Liutpr. XXXIV. Athelredhs. dom.
IV, 12. — Auch bei manchen heidnischen Volkern bildet selbst die ent-
fernteste Blutverwandtschaffc ein Ehehinderniss, Ploss-Bartels 1, 383.
BevOlkerung mancher Landschaften noch mflglich wurde,
jemanden heiratbaren aufzufinden, mit dem man nicht irgend
weltlich oder geistlich verwandt war. Urn die Ehe in ver-
botenem Grade zu verhindern, bestimmt das islandische
Gesetz (Gr&g&s festath. 9), dass derjenige, welcher sich ver-
heiraten will, auf dem Fruhlingsthing vor dem Goden seines
Bezirkes und vor vier Zeugen in mOglichst zahlreicher Ver-
sammlung einen Eid schwOre, dass zwischen ihm und seiner
Braut keine verbotene Verwandtschaft bestehe. Gesetzliche
Hindernisse der beabsichtigten Ehe zu entdecken, bezweckte
auch das kirchliche Aufgebot, das von dem lateranischen
Concil von 1215 allgemein fur die rOmische Kirche ange«
ordnet ward 1 ), aber sehr schwer Eingang fand.
Alles ist in der Richte; die Zeit ist vergangen, welche
bei der Verlobung far die Ubergabe der Braut und die Er-
ftillung der verabredeten Leistungen festgesetzt war; der
Tag der Heirat, der Heimfahrung, des Brautlaufs naht heran.
Es ist die Ho ch zeit, eine hOhe zit, wie unsere Vorzeit einen
Festtag nannte. Dass sich um diese frOuden hOhgezit des
Lebens eine Menge Gebrauche sammelten und jeder Volks*
stamm geschaftig war, sie mOglichst zu schmucken und
auszuzeichnen, ist wohl erklarlich; denn fur die meisten
Menschen, wenigstens fur die, welche die sehnende Liebe
empfanden und so glttcklich waren ; das geliebte Wesen zu
erringen, ist der Tag der Heimfahrung der Braut der schOnste
des Lebens 2 ). Lange ersehnt, oft mit Kummer und Kampf
errungen, ist er ein Tag erfttllter Wunsche und inhalt-
x ) In Deutschland angeordnet durch die Earchenversammlung
von Trier 1227. c. 5, auf der Wiirzburger DiOcesansynode von
1298. c. 18.
2 ) Unsere alten Gedichte bezeichnen die gltickliche, frohe
Stimmung: im wser sam er mit einer briut frcelichen heim rit,
Helbl. 15, 690. die liute die da sam die briute ritent undo ouch gtot
unt iriu hus mit freuden stent, Enikel, Wkr. 3074. 20314. 27534;
vgl. auch Nib. 1822.
schwerer Verheissung. An ihm sollen Freude und Ernst
gleichen Theil haben. Freilich wird der Ernst meistens von
dem Jubel Qbert&ubt, und die aussere Welt lasst der inneren
selten Augenblicke der Sammlung und des Nachdenkens, die
ernsterem Sinne unerlasslich sind. Auch in den Gebrauchen,
die sich seit sehr alter Zeit daran knflpfen, ist des uns sto-
renden und selbst des verletzenden viel; allein sie haben in
der alten Zeit, aus der sie stammen, einen guten Sinn ge-
habt und waren damals voll Bedeutung. Sie alle aufzufOhren,
zu erOrtern und dabei Vergleichungen mit den Heiratsitten
der urverwandten indogermanischen VOlker zu machen 1 ),
ist eine vielfach lohnende und fOrdernde Aufgabe, die aber
hier bei Seite bleiben muss. Wir werden uns begndgen, die
Hauptzilge der deutschen Hochzeit in ein Bild zu bringen.
In den Namen des Festes spricht sich der Zweck der
an ihm vorzunehmenden Handlung aus. Heirat (ahd. hirat)
bedeutet die Grilndung des Hauswesens, der Familie (auch
angels., mittelengl. hlr£d, hired, FamiUe); die Worte hileich,
gihileich weisen eben darauf *). Das angelsachsische und nor-
dische gift, gifting weist auf die Ubergabe der Braut an den
Brautigam; heimleiti, briltleiti (quenun leitan, hal6n) auf die
HeimfQhrung der Frau. Das Wort Brautlauf (ahd., mhd. brilt-
lauf, altn. brudhlaup [altdan. brudlup, altschwed. bryllOp],
angels, brydhleap, mnd. brutloft, mnd. bruloft, brulocht), das
den Lauf nach der Braut bedeutet, wird von manchen als
Erinnerung an den Frauenraub genommen 8 ) gleich dem nor-
dischen quanfang; von andern als Lauf Oder Fahrt der Braut
nach dem Hause des Brautigams, wie denn altschwed. brujv
lOp und bru})far|) gleichstehn. Es ist auch auf den Hochzeit-
brauch hingewiesen, den 'wir bald erwahnen werden, dass
nach der Trauung das Brautpaar einen Wettlauf halt und
der Brautigam die Braut sich fangen muss (Nyrop, Navns
x ) Litteraturnachweisungen oben S. 285.
2 ) Einfaches ahd. hiwi (n.) hiwa (f.) bedeutet schon nuptus,
matrimonium, dazu Zw. hfwjan, nubere.
3 ) Dargun, Mutterrecht und Raubehe, S. 130. Brunner, Rechts-
geschichte 1, 73.
829
Magt 4). Auch die Besitzergreifung der Braut wird heraus-
gedeutet 1 ), ohne den Beigeschmack des Raubes. Mir scheint
der noch bestehende Hochzeitlauf sehr bei der Deutung zu
beracksichtigen.
Die gewOhnliche Zeit der Heimf tthrung der Verlobten
scheint von Alters in den Spatherbst Oder Winteranfang ge-
legt worden zu sein 2 ). Die Scheuern und Keller sind voll
des Erntesegens, die Zeit der Ruhe ist fQr den Bauern, den
Krieger und den Seefahrer gekommen, es werden die Ernte-
feste gefeiert und die Hochzeiten schliessen sich da leicht an.
Wir sehen auf Island und in Skandinavien im Mittelalter
jene Zeit als die beliebteste far Heiraten 8 ) ; nebenher begegnet
freilich auf Island auch der Mitsommer 4 ).
In Schweden, bei den Nordfriesen 6 ) , in Deutschland ist
da, wo noch alte Sitte festgehalten wird, der Spatherbst oder
Wintersbeginn, d. h. die Zeit vor den Adventen (und hier
und da auch die Zeit zwischen Neujahr und der geschlossenen
Passionszeit) die eigentliche Heiratzeit: so in Westfalen
und in dem echten Bauernlande Ober- und Niederbayern 6 ).
Bei den Siebenbtirger Sachsen ist der Katharinentag (25. No-
vember) der altherkOmmliche Hochzeittag.
Die Vergleichung mit andern VOlkern zeigt, dass bei
den meisten der Spatherbst, die Zeit nach der Ernte, als die
geeignetste ftlr Hochzeiten gewahlt worden ist; so bei den
Indern, den Griechen, den Litauern und Slaven, den Esten
und Finnen (v. Schroder, Hochzeitbrauche der Esten 48.
*) K. Maurer in d. Z. d. Yer. f. Volkskunde 1, 111.
2 ) Fiirstliche Hochzeiten wurden mit Rticksicht auf die vielen
zu ladenden Gaste und deren Gefolge in die sommerliche Zeit, gerne
auf Pfingsten verlegt, wo die Festlichkeiten im Freien gehalten
werden konnten. So fanden die Vermahlungsfeste Herzogs Heinrich
des Stolzen von Bayern (1127) und Philipps von Schwaben (1197)
zu Pfingsten statt: Stalin, Gesch. von Wirtemberg 2, 134. 259.
8 ) Egilss. c. 9. 42. Gunnlaugss. c. 9. Fornmannas. X, 46. Vest-
gOtal. I, giptab. 8. OstgOtal. giptab. 8.
*) Nialss. c. 41. Fornmannas. IX, 372. X, 28.
6 ) Dybek, Runa IV, 60. Michelsen und Asmussen, Archiv 1, 413.
6 ) Zeitschr. f. nd. Sprachf. 3, 135. Bavaria 1, 395.
830
Haas in Webers Ind. Stud. 5, 297). Die wirthschaftlichen
Verhaltnisse sind dafar bestimmend gewesen.
Auffallen kann, dass der Monat Mai, der Liebesmonat,
als Unglttcksmonat far Heiraten, besonders in den romani-
schen Landern, namentlich in Frankreich und Italien (auch
in Stidtirol), aber auch in Irland und England gilt. Schon
Ovid sagt in den Fasten 5, 490: mense malas Majo nubere
vulgus ait. Im Berry heisst eine unter schlimmen Vorbedeu-
tungen geschlossene Ehe un mariage de Mai. Die Englande-
rinnen scheuen die May-mariages als unglttckbringend , ganz
wie es in Niederdeutschland heisst: twischen Paschen un
Pingsten frijen de unseligen, und in Bayern: Im Maien soil
man nicht freien 1 ).
Bei der Bestimmung d$s Tages achtete man auf
den Mond. Ehen im zunehmenden Mond oder bei Vollmond ge-
schlossen hatten die Bttrgschaft gedeihlichen Segens. Noch
heute halt man hierauf bei Deutschen und andern VOlkern
(v. Schroder a. a. 0. 50).
Unter den Wochentagen sind nach deutscher Sitte, die
in uraltem Glauben wurzelt, Dienstag und Donnerstag die
beliebtesten. Ehen am Dienstag vollzogen sind nach dem
Glauben von Ober- und Niederbayern gegen alle Hexentticke
und jede Zauberei gefeit (Bavaria 1, 395); man meinte sie
also jedenfalls unter dem Schutze eines hohen Gottes, wofur
sich bajuvarisch wohl der Schwertgott Eru (bei den ubrigen
Germanen Tius [Ziu], nach welchem der dies Martis in Tives-
dag [Ziwestac, Dienstag = Erutac, Erchtag] ilbertragen worden
war) ergibt.
In der Oberpfalz wird vom Dienstag nur abgewichen,
wenn der unschuldige Kindleintag auf einen Dienstag fallt.
Das wirkt auf alle Dienstage dieses Jahres verderblich, und
die Hochzeiten werden dann fur das laufende Jahr auf Montag
verlegt (Bavaria II, 279). Dienstag ist als beliebter Hochzeit-
tag mir bekannt ausser dem bajuvarischen Gebiet aus der
2 ) Liebrecht, Zur Volkskunde (German. XVI, 227). Gaidoz in
der M&usine VII, 105—111. Wuttke, §. 558.
931
Schweiz, Schwaben, Franken, aus der Rheinpfalz, aus Meissen,
Lausitz, Schlesien, Westpreussen, Brandenburg, vom Harz,
aus Niedersachsen und Westfalen T ). Wenn im Borgarthings
Christenrecht (c. 7) der Dienstag und Donnerstag fur Ehe-
schliessungen verpOnt werden, so lasst dies gerade auf die
heidnische Vorliebe fur diese Hochzeittage schliessen. Auf
Sylt fand am Dienstag das Brautigamsgelage (bridmanslag),
am Donnerstag die eigentliche Hochzeit statt.
Neben Dienstag steht fast in alien angeftthrten Land-
schaften der Donnerstag; jedoch meist in zweiter Reihe 2 ),
Bei den Friesen, ferner in Holland, in Ditmarschen, in Pom-
mern scheint er dem Dienstag vorzugehn. Im Liineburgischen
dagegen wird er gemieden unter der aberglaubischen Deu-
tung, dass es in Ehen, die am Donnerstag geschlossen wer-
den, leicht donnere 8 ). In D&nemark gait er fruher ftir den
besten Heiratstag.
Gegen den Sonntag erklarte sich, wenigstens in den
Zeiten, in denen die priesterliche Benediction nicht fiblich
war, die Kirche 4 ). Spater empfahlen manche praktische Rtick-
sichten gerade diesen Tag als gottesdienstlich und durch
gebotene Arbeitsruhe ausgezeichnet (Wuttke, §. 558). In Ltibeck
wurden im 15. und 16. Jahrhundert die Ehen vorzugsweise
2 ) Grimm, Mythol. II, 1092. Roehholz, Deutscher Q-laube und
Brauch II, 21. Bavaria I, 395. II, 279. Ill, 332. IV, 1, 246. Zingerle,
Sitten des Tirol. Volkes 10. Meier, Sagen aus Schwaben 483. Birlinger,
Aus Schwaben 2, 280. Logau, Sinnged. n. 131. Wolf, Zeitschr. fur
Mythol. I, 201. Morgenblatt 1853, S. 765. Kuhn, Mark. Sagen 354.
Sagen aus Westfalen I, 36. Chr. Jensen, Die nordfries. Inseln 300.
Hamburg 1891. Auch die Juden in Deutschland liebten und lieben
Dienstag als Hochzeittag: Berliner, Juden im Ma. 26.
2 ) Die angefuhrten Stellen, ausserdem Neokorus, herausg. von
Dahlmann I, 110. Michelsen-Asmussen, Archiv I, 413. W. Miiller,
Altdeutsche Religion 246. Wolf, Beitr. z. Mythol. I, 211.
3 ) Morgenblatt 1853, S. 765.
4 ) Tribur. Concil. v. 895: Hartzheim II, 411. Auch die Sieben-
burg. Sachs. Synodalai'tikel verpOnten die Sonntagshochzeiten als
hinderlich der Kirchenfeier (Matz 39).
Sonntags geschlossen 1 ). Ebenso kOnnen wir dies fdr Nor-
wegen aus alterer Zeit nachweisen : die norwegischen KOnige
Magnus und Hakon Hakonson hielten Sonntags ihren Braut-
lanf '). Auch die Hochzeit Herzog Rudolfs von Osterreich mit
Blanca von Frankreich fand zu Paris 1300 Sonntags statt
(Ottokars Chron. 75462).
Montag ist im AlgSu und im Tiroler Iselthale der Hoch-
zeittag, und kommt auch im Lechrain neben Dienstag gem
vor. Auch in Pommern ist er beliebt*), dagegen in Holstein
gemieden, nach der allgemeinen Abneigung irgend etwas,
das Dauer haben soil, an diesem Tage zu beginnen: Mdn-
ddg tvard nich Weken old, wozu der oberOsterreichische
Spruch stimmt, der auch auf Hochzeiten angewandt wird:
Montag hat Unbestand (Baumgarten, Aus d. Heimat 9, 61).
Auch sonst gilt er hier und da von schlechter Vorbedeutung
(Wuttke, §.'558).
Mittwoch halt man allgemein fiir ungeeignet zu Hei-
raten, es ist uberhaupt ein Unheilstag oder wenigstens kein
Ehrentag. In Memmingen wurden bis in das 18. Jahrhundert
die Paare, welche sich vorzeitig vergangen hatten, Mittwochs,
und zwar in der fur Hochzeiten sonst nicht br&uchlichen
Frauenkirche getraut. Erst die Zuchtordnung des 18. Jahr-
hunderts schaffte dies ab, und gestattete fQr sie den ge-
wOhnlichen Hochzeitmontag und die St. Martinskirche 4 ).
Indessen ist noch bis in die Gegenwart in manchen Land-
schaften (Schwaben, Oldenburg) Mittwoch nur Trauungstag
gefallener Madchen (Wuttke, §. 69). In einigen markischen
Orten, ebenso in oberOsterreichischen, werden die Hochzeiten
2 ) Michelsen-Asmussen I, 1, 66.
2 ) Fornmannas. IX, 372. X, 106.
3 ) Histor.-polit, Blatter YI, 424. Zingerle, Sitten des Tiroler
Volks 10. Leoprechting 241. Zelter an Goethe, Briefwechsel 3, 451.
4 ) Walch, Beitr. z. deutsch. Rechte II, 311. — In dem evang.
Kirchspiel Reichenbach in Schlesien, dessen Oberpfarrer mein Vater
fast funfzig Jahre lang war (t 1871), fanden die meisten Hochzeiten
Mittwoch statt. Das musste aber besondere ortliche Grunde haben,
denn in den benachbarten Parochien hen*schte der Dienstag.
eines Witwers oder einer Witwe auf Mittwoch gelegt *), denn
nach alter kirchlicher und volksthiimlicher Ansicht haftete
diesen zweiten Ehen ein Makel an. Im G-egensatz zu dem
alien gilt „die Mittwoche" bei den Siebenbtlrger Sachsen als
rechter Hochzeittag (Matz, siebenb. sachs. Bauernhochzeit 39).
Freitag kann ich aus Norwegen belegen: KOnig Ingi
Bardarson vermahlte . seine Schwester Sigrid dem Thorgrira
von Lianes an diesem Tage (Fornmannas. 9, 21). In Hol-
stein ist Freitag der gewOhnliche Hochzeittag, ebenso in
Waldeck, im Ltaeburgischen und in den ehemals wendischen
Gegenden der Mark. Beliebt ist er neben Donnerstag im
niedersachsischen Amte Diepenau 2 ), neben Dienstag in der
Altmark und im Hennebergischen. In Westfalen gilt er
dagegen ebenso wie Mittwoch fur ungttnstig zu Eheschlies-
sungen (Adalb. Kuhn, Sagen aus Westfalen 1, 36), und in
der Oberpfalz sagt man gar: am Freitag heiraten die lau-
sigen (Bavaria II, 279). — Am Sonnabend heiraten in West-
falen nur geringere Brautpaare (Jahrb. f. nd. Sprachf. 3, 135).
Er scheint auch sonst nicht oft gewahlt zu werden, worauf
der Sonntag wirkte.
Alle diese Wochentage hatten Geltung, so lange die
kirchliche Trauung die einzige Form der Eheschliessung ge-
wesen ist. Durch EinfQhrung der Civilehe werden wohl die
grOssten Anderungen eingetreten sein, da die kirchliche Ein-
segnung den Act auf dem Standesamt voraussetzt, und dieser
von dem Standesbeamten anberaumt wird.
Von verbotenen Heiratzeiten hat das deutsche
Heidenthum schwerlich etwas gewusst. In der chhstlichen
Kirche ward die Ansicht von der geschlossenen Zeit, in der
keine Offentliche zerstreuende Lustbarkeit zulassig sei und
daher keine Hochzeit, seit dem vierten Jahrhundert ent-
1 ) Kuhn, Markische Sagen 355. A. Baumgarten, A. d. Heimat 9, 61
(hier auch der Spruch: D'Miticha- und d'Montabraut habnt nie koan
rechto Freud').
2 ) Zeitschr. d. hist. Vereins f. Niedersachsen v. 1851 (Hannov.
1854), S. 104. Curtze, Geschichte u. Beschreibung des Fiirstenthums
Waldeck, S. 419.
384
wickelt, und die abendlandische Kirche wirkte auf die Be-
obachtung des Gebotes auch unter den Deutschen. Die Pas-
sionszeit und die Adventzeit wurden demnach aus dem Hoch-
zeitkalender gestrichen. Die kirchlichen Gebote wurden zum
Theil in die Landrechte aufgenommen. So legte das islan-
dische Recht (Gragas festath. 10) die Strafe der Verbanriung
darauf, wenn einer zwischen dem Sonnabend vor Weihnachten
und dem nachsten Sonntag nach Epiphanias oder in der Zeit
von neun Wochen vor Ostern bis zum weissen Sonntage
heirate. Die geistlichen Dispense brachten freilich auch hier
Erleichterungen. Nach Seb. Francks Weltbuch (136*, Schmeller
bayr. Wb. H 2 , 649) war eine schwarze Henne, die in dem
Aberglauben als Opfer an die bOsen M&chte gilt, eine ttbliche
Leistung for die kirchliche Erlaubniss, in verbotener Zeit
sein Weib heimzufuhren.
Der Tag der Hochzeit war bestimmt und die Vorberei-
tungen wurden in beiden Hausern getroffen. Dazu gehOrte die
Einladung der Gaste, die zunachst den Verwandten des
Paares und den Nachbaren galten, und je nach Stand und
YermOgen in engerer oder weiterer Ausdehnung sich hielten.
In alter Zeit scheinen Braut und Brautigam selbst die
Hochzeitbitter gewesen, darauf weisen Reste des Brauches
hin. Sehr alterthumlich ward es bis in neuerer Zeit in ober-
Osterreichischen Gegenden gehalten, indem der Brautigam
und ein Begleiter, der schOne Mann genannt, zu seiner Freund-
schaft (Sippe), die Braut und ein Begleiter, der Zubrauka'
(Nebenbrautigam), der sie auf dem Wege iiber die ersten
drei Stiegel (kleine Treppen zum ubersteigen der Grenzzaune)
heben musste *), zur Verwandtschaft ihrer Seite laden gingen
(Baumgarten, Aus der Heimat 9, 49). In andern oberOster-
reichischen Orten ging die Braut mit dem Bruder oder dem
GOd (Paten) oder auch einem Freunde des Brautigams die
Leut' laden (ebd. 52).
2 ) tiber das Heben der Braut bei der Hochzeit weiterhin.
In der Eifel geschehen die Ladungen je nach der Freund-
schaft durch Vertreter des Brautigams und der Braut (Schmitz,
Sitten und Brauche des Eifler Volkes. Trier 1856, S. 52).
Auf Sylt ging die Braut im Festgewande von Haus zu
Haus, klopfte an die Hausthttr und sagte draussen stehend
den Einladungsspruch, der auf das Bridmanslag (Vorhochzeit
am Dienstag) und auf das uetskenken (Auslieferung der Braut
am Donnerstag) lautete. Sie ward dann ins Haus genOthigt, be-
wirtet und mit einem Ausstattungsstiick (Glas, Napf, Topf
u. dgl.), mitunter auch einem Geldstiick beschenkt. Der Brau-
tigam ritt mit dem begleitenden „Fuarman" (eigentlich Vor-
mund) von Hauswirt zu Hauswirt und lud ihn ein, ihm
helfen die Braut zu holen. Er betrat das Haus nicht 1 ).
Die Einladung des Brautigams geht also auf den Ge-
winn einer grossen Begleitung zu dem Zuge, mit dem er
die Braut abholen will; die Braut sammelt bei ihrem Gange
Geschenke filr ihre Ausstattung. In der Oberpfalz heisst dieses
Laden durch die Braut daher das Haussteuersammeln. Sie
geht mit dem BrautkrOnlein geschmttckt im Ort von Haus
zu Haus, am Arm einen Zeker, der mit schOnem Bortentuch
iiberdeckt ist ; neben sich eine alte Magd mit dem Rtlcken-
korb. Diese spricht beim Eintritt: „Es kommt eine Braut,
lasst bitten um eine Haussteuer"; die Braut sagt, wie es
scheint, keine Ladung. Auch reiche Madchen unterlassen
nicht diesen Sammelgang, Ehren halber, weil es eine alte
Sitte ist und weil man meint, die demilthig bittende werde
eine sparsame Hausfrau sein (SchOnwerth, Aus der Oberpfalz
1, 62).
In Niederschwaben besorgten die Braut und ihr Gespiel
(die Brautfuhrerin) in ihrem Dorfe das Hochzeitladen selbst,
auswarts der Hochzeitlader. Die Hochzeiterin ist im Festrock,
grun oder gelblich mit braunen Spreckeln, darilber der aus
x ) Chr. Jensen, Die nordfriesischen Inseln. Hamburg 1891.
S. 300 f. Michelsen-Asmussen, Archiv I, 413 ff. Abbildung einer
Foringer hochzeitladenden Braut bei Westphalen, Monum. ined. I.
Tafel 19 (wiederholt bei Jensen a. a. 0., S. 312).
836
Messingschuppen und Messingschildchen gemachte GQrtel, an
dem ein Messer hangt, auf dem Kopf das Schappele (Bir-
linger, Volksthamliches aus Schwaben 2, 325). Von einem
Aussteuerbitten wird hier nichts berichtet; Geschenke aber
erhalt die Hochzeiterin wohin sie in den letzten drei Wochen
kommt, und gibt dafilr ein Nastuch, wovon sie immer einen
Vorrath in einem KOrbchen am Arm tragt (ebd. 326).
Im oberen MQhlviertel in OberOsterreich geht die Braut
und ihre Kranzeljungfrau in den letzten Wochen vor der
Hochzeit in ihrer und der Nachbarpfarre die Hochzeitsteuer
sammeln, die gem nach VennOgen in Leinwand oder Brot,
Eier, Schmalz, Fleisch oder auch in Geld gegeben wird. Braute,
die sich zu betteln schamen, sagt das Volk, mtissen zur
Strafe far ihren Stolz nach der Hochzeit betteln (Am. Baum-
garten, Aus der Heimat 9, 54).
Im siidkarntischen Lesachthal tragt die Braut vom ersten
kirchlichen Aufgebot bis zur Trauung den Brautgurtel, der
wie der schwabische aus Messingschuppen gebildet ist. Urn
ihren Hut ist ein rother Seidenfaden mehrfach geschlungen.
Ehemals trug sie ihn um die Stirn und ein rothes Band
war durch den langen Zopf geflochten. Sie ladet die Hoch-
zeitgaste ein und wird wohl auch eine Aussteuer erhalten.
(Mittheilung meines lieben Freundes M. Lexer, eines Lesach-
thalers).
Auch bei den Winden findet sich dieser Bitt- und Lade-
gang der Braut, nicht minder aber auch in Schweden, wo
die Braut um Hanf, Lein oder Wolle, und der Brautigam
abgesondert von ihr zu anderer Zeit um Hafer zur Aussaat
bittet. Auch die Finnen und Esten haben den ganz gleichen
Brauch (v. Schroder a. a. 0. 45 ff.).
In der Kegel geschehen aber die Einladungen zur Hoch-
zeit durch einen Boten, den Hochzeitbitter oder Leutlader,
der gegen Bezahlung sie ttbernimmt. Sein altes Zeichen ist der
Botenstab, meist von dem im Volksglauben geweihten Hasel-
strauch geschnitten. Der Hochzeitbitter ist festlich angekleidet,
am Hut und auch am Stabe mit Bandern und Schleifen ge-
schmtlckt; in Schwaben tragt er im Knopf loch eine um-
337
banderte Rose, anderwarts (so in Thuringen) einen Bosmarin-
stengel, wieder anderswo einen Blumenstrauss auf dem Hut.
Einen oberbayrischen Hochzeitlader hat Hugo Kauffmann
trefflich abconterfeit in Karl Stielers Hochzeit in die Berg
(Stuttgart 1882). Eigenthumlich ist der siebenburgisch-sach-
sische Brauch, die Ladung des „Bitterknechts" zuerst zu be-
zweifeln, ihn dann mit einer "Wide (Gerte) an den Herd an-
zubinden und ihn den Spruch wiederholen zu lassen (Matz,
S. 42 f.).
Nach dem Gruss wird die eigentliche Ladung vorge-
tragen, die je nach Witz und Mundstuck des Leutladers mit-
Schilderung der zu erwartenden Gentisse und auch in manchen
Gegenden, so in Bayern und Osterreich, mit den Preisen,
die von den Gasten ftlr die Mahlzeit der Wirt fordern wird,
ausgestattet sind. Seine Spasse verspart der Hochzeitlader
gewohnlich auf den Trauungstag selbst, an dem er den
Sprecher und Ceremonienmeister zu machen hat 1 ).
Der Hochzeittag ist gekommen. Die Braut muss fur
denselben gertistet werden. Und gleich hier zeigt sich die
TJnzulanglichkeit des Quellenmaterials fur unsere alteste Zeit,
das wir aus sparlichen Resten und nicht mehr verstandenen
Gebrauchen der Gegenwart erganzen mussen.
Die Braut soil gegen Unheil und den Hass der gOtt-
lichen Machte geschatzt in die Ehe treten: sie muss durch
ein Bad entsilhnt werden. Dieses Brautbad, von dem das
Gedicht von der Hochzeit (12. Jahrhundert) das alteste deutsche
Zeugniss gibt (Karajan, Sprachdenkm. 25, 15), das aber das
indische und das griechisch-rOmische Hochzeitritual 2 ) kennen,
ist keine blosse leibliche Abwaschung, sondern eine Lustration,
2 ) Ladspriiche u. a. bei Am. Baumgarten, A., d. Heiinat 9, 49 ff.
G. Sztachovics, Brautsprtiche und Brautlieder aus dem Heideboden
in Ungarn, Wien 1867. Matz, Siebenburg.-sachs. Bauernhochzeit 43.
Jahrb. f. nd. Sprachforsch. 3, 133. Bartsch, Mecklenb. Sagen 2, 71—81.
2 ) H. Diels, Sibyllinische Blatter 48, hat darauf hingewiesen,
dass die antiken Hochzeitgebrauche wesentlich Lustrationsriten sind.
— tiber das altindische Brautbad: Haas bei Weber, Ind. Stud. 5, 304.
Weinhold, Deutsche Franen. I.
388
eine entstthnende Weihung. Xoch heute ist deutscher Brauch,
dass die Braut kurz vor dem Trauungstage ein Bad nimmt ;
das grundet sich in jenem alten Ritus. In dem 14. Jahr-
hundert war in reichen Btlrgerkreisen daraus eine Uppige
Einleitungsfeier geworden. Die Regensburger Statuten von
1320 verboten dem Brautigam, wenn er mit der Braut ins
Bad (in eine der Offentlichen Badstuben) ging, mehr als
24 Genossen und der Braut mehr als acht Frauen zur Be-
gleitung zu nehmen. In den Nurnberger Polizeiverordnungen
des 14. Jahrhunderts werden die Badeladungen (padlat), bei
denen getanzt und geschmaust ward, untersagt. Es soil nur
die Braut mit vier Frauen zu Bad gehen (Ntirnb. Pol. Ordn.,
herausg, von J. Baader, S. 62). Der dabei getriebene Auf-
wand zwang die Stadtr&the sogar zu Verboten des ganzen
Brauches. So untersagte der Mtinchener Rath 1402 jedwedem
das Hochzeitbad (Schmeller, Bayr. WOrterb. I 2 , 209).
Nur aus BOhmen und der Oberpfalz vermag ich sodann
einen andern uralten Brauch zu belegen (SchOnwerth, Aus der
Oberpfalz I, 77), namlich dass der Braut von der Mutter oder
sonst nahe Gefreundeten einige Kopfhaare und die Nagel an
Handen und Fiissen abgeschnitten und sofort verbrannt werden.
In BOhmen muss die junge Frau bei dem Eintritt in ihre neue
Heimat drei ihrer Haare in den Kamin werfen (Wuttke, §. 566).
Es sind das Opfer ; das abgeschnittene Haupthaar ist eine aus
dem griechischen Kultus und von andern Volkern her wohl-
bekannte Opfergabe an die Unterirdischen *) ; und ebenso die
Nagel, mit denen allerlei Zauber getrieben werden kann; die
MOglichkeit, der Braut damit zu schaden, soil durch das
Yerbrennen gehindert werden 2 ). Es ist aber zugleich ein Opfer:
etwas von dem Leibe wird statt des ganzen den GOttern
dargebracht. Im vedischen Heiratritus flndet sich auch das
Abschneiden zweier Haarlocken der Braut und deren Ersatz
durch zwei Wollenflocken (Haas in d. Ind. Stud. V, 278).
*) Rohde, Psyche 16. Tylor, Primitive Cult 2, 364.
2) Hartland, The Legend of Perseus 2, 138—143. Kohler, Melu-
sinensage 65.
Aus der Oberpfalz (SchOnwerth I, 98) stammt auch der
Nachweis eines Thieropfers. Im bayrischen Walde gehOrt
Bockfleisch auf den Hochzeitstisch. Das Thier wird von dem
Dach eines Hauses herabgesturzt und von dem Metzger so-
fort abgestochen. In altester Zeit ist wahrscheinlich die Braut
mit dem Blute des Bocks besprengt worden. Die Erinnerung
daran sind die das Blut vertretenden rothen Faden um Stirn
oder Hals der Braut : im Havellande tragt oder trug sie einen
rothen Seidenfaden um den Hals (Kuhn-Schwartz, Nordd.
Sagen 433, 282). Im sudwestlichen Karnten tragt sie ihn
um den Hut, friiher um die Stirn und ein rothes Band durch
den Zopf geflochten (oben S. 336). In Westfalen hatte ehemals
die Braut ein rothseidenes Band um den Kopfputz (dat stik,
Kuhn, Westfal. Sagen 2, 41). In der Oberpfalz und auch in
andern bayrischen Gegenden hat die Braut ein schwarz und
rothes, oder ein weiss und rothes Halstuch mit langen Zipfeln,
die den Rttcken hinabfallen (SchOnwerth I, 82). Auch an dem
Brautigam, seinen Gesellen und selbst am Hochzeitbitter ist
roth zu sehen: der erstere tragt ein rothes Band um den
Hut, gleichwie rothseidene Bander von den Htiten seiner
Freunde flattern (SchOnwerth I, 85 1 )). Das Halstuch ist schwarz-
seiden mit rothen Streifen. Der altindischen Braut binden die
Bruder der Mutter ein halb roth, halb schwarzes Halsband
von Schafwolle oder Linnen um (Haas a. . a. 0. 308), und die
rOmische Braut hatte ein flammeum sanguineum, ein blut-
rothes Tuch, tiber dem Kopf; alles Hinweisungen auf ein
Siihnopfer 2 ). Die Seide an den deutschen Bandern ist moderner
Ersatz der alten Wolle.
Zu den altesten Hochzeitriten gehOrt die Verhilllung
der Braut. Bekannt ist, dass die rOmische nupta, die Braut,
eigentlich die verhiillte bedeutet, und dass auch die alt-
x ) IJber Roth in der Badischen Hochzeittracht E. H. Meyer im
Freiburger Universit. Festprogr. z. 70. Q-eburtst. des Grossherzogs
1896, S. 52.
2 ) In altdanischen Liedern binden die Helden, um sich unver-
wundbar zu niachen, rothe Seidenfaden um den Helm (Grimm, RA.
183): Rest eines mit Opfer verbundenen Zauberritus,
22*
840
griechische Braut einen tiefen Schleier an dem Vermahlungs-
tage bis in das Brautgemach trug. Bei den Germanen war
es ebenso 1 ). Als Thorr dem Riesen Thrymr in weiblichem
Gewande als Braut zugefuhrt wird, ist er mit dem, seinen
Kopf weit und tief bedeckenden Brautlinnen (briicllin) verhullt
(Thrymsqu. 19. 27); unter dem Leintuch gehn (ganga und
lini, Rigsthula 40) hiess Braut sein. Die Ditmarsische Braut
hatte den Kopf ganz verhullt. Auf Sylt war Kopf und Ober-
leib der Hochzeiterin mit einem tiberhang bedeckt, in welches
spater ein Viereck zum heraussehen (wohlwollend, aber ohne
Verstandniss der alten Sitte) geschnitten war 2 ).
Diese Bedeckung des Kopfes ist auch bei Neugriechen,
Rumanen und slavischen VOlkern, nicht minder bei Esten und
Finnen Brauch gewesen Oder ist es noch 8 ). Wenn sie durch die
Entftihrung aus dem Vaterhause erklart wird, so trifft das
schwerlich das richtige. Denn diese Verhullung des Antlitzes
geh6rt zu dem Opferdienst der Unterirdischen, die auch bei
der Eheschliessung verehrt wurden.
tiber die Kleidung des Madchens zu der Hochzeit
ihres Lebens lasst sich Folgendes sagen:
Althergebrachter Hauptschmuck der jungfraulichen Braut
war das lange, lose Haar; es gait als Zeichen bewahrter
Reinheit bei den niederdeutschen Br&uteh und auch in der
Eifel noch im vorigen Jahrhundert 4 ). Indessen wurde es nicht
allgemein am Hochzeittage frei getragen ; im Norden hatten
in alter Zeit die Braute ihr Haar hoch aufgebunden und mit
Bandern umwickelt 6 ), ganz wie es noch im 17. Jahrhundert in
schwedischen Gegenden gebrauchlich war. Der Braut kranz
fehlte wie es scheint dabei ganzlich; er war ersetzt durch
2 ) Das got. liugan (Pit. — aida) und das fries, logia, heiraten,
scheinen auch ursprunglich verhulien zu bedeuten, J. Grimm, Voir,
zu Schulzes Got. Glossar, S. XIII.
2 ) Abbildung in Westphalens Monum. I, Tafel 21.
^ v. Schroder a. a. 0. 72 ff.
4 ) Grupen de uxore theot. 204. Schmitz , Sitten des Eifler
-Volkes 53. Vgl. auch 01. Rudbeck, Atlantica III, 617. Herrad von
.Landsberg Hortus delicarum, herausg. von Engelhardt, Taf. 2.
6 ) hagliga urn hofud typpa Thrymsqu. 16.
341
das freifliegende Haar oder es ward nicht fttr nOthig erachtet, die
Jungfraulichkeit der Braut besonders anzudeuten. Germanisch
ist er nicht, sondern rOmisch und durch die Vermittlung der
Kirche 1 ) ublich geworden. Im 10. Jahrhundert war der braut-
liche Rosenkranz in Deutschland bereits im Brauch 2 ). Auch
in Frankreich war er ttblich und der Brautigam trug dort
im 13. Jahrhundert ein Kranzchen von grunen Zweigen.
Das Schapel oder Schapellin, d. h. das Kranzlein aus
frischen Blumen, ist denn auch in der hofischen Zeit das Zeichen
der Jungfraulichkeit geblieben *) und der Schmuck jungfrftulicher
Braute. In der Gestalt des ktinstlichen Sehapels, d. h. des
aus verzierten Bandern geflochtenen Stirn- und Kopfschmuckes,
hat es sich landschaftlich, so in Schweizer Landschaften, im
Bregenzer Wald, im Schwarzwald, im Hennebergischen, im
Salzburger Lande, bis jetzt oder vor kurzem noch als Brautzier
erhalten. An dem „BOrdl" fehlt dabei nicht der Rosmarin,
der auch die Brust der Braut schmiickt. Diese Mittelmeer-
pflanze, die schoh in Karls d. Gr. Garten gepflanzt ward, hat
sich wohl durch den wiirzigen Geruch zu einem Lieblings-
kraut des deutschen Volkes erhoben. Es ist Zeichen der Liebe,
schmiickt die Hochzeiter und nicht minder die Todten. Uberall,
im Stiden und Norden, im Westen und Osten wird der Ros-
marin als Burge der Liebe und der Treue an Haupt und
Brust getragen. Rosmarinkranze dienen sogar als Brautkr&nze
in Vorarlberg, in Schaff hausen, in OberOsterreich (Baumgarten,
Aus d. Heimat IX, 64), im Waldeckschen (Curtze, Geschichte
419). In England und in Frankreich, auch bei slavischen
. VOlkern, hat der Rosmarin dieselbe Bedeutung wie bei uns 4 ).
Verbreitet im Suden undNorden des deutschen Landes war auch
2 ) Tertullian de coron. mil. 13. Chrysostom. homil. 9. in Timoth. I.
2 ) Notkers Marc. Capella, S. 62 (Graff).
s ) Winsbekin 16, 10. 33, 5. Heinr. v. Neustadt, Apollon. ed.
Strobl, S. 249. Reinfried 11040. Fragm. 23, 327.
4 ) Ltitolf, Sagen und Brauche aus den fanf Orten. Luzern 1862,
S. 378. Birlinger, Volksth. aus Schwaben 2, 345. Bavaria' I. 1, 438.
Scmneller 2 2 , 153. Bockel, Volkslieder aus Oberhessen XIX f. Kuhn,
Westfal. Sagen II. 38. 49. Mark. Sagen 357.
die heute noch vielfach getragene Brautkrone, ein kronen-
artiger Aufsatz von glanzendem Draht, Flittern und Perlen,
an dessen Stelle auch das niedrigere KrOnel oder Bandel ge-
. treten ist, oder in neuerer Zeit ein Kranz von kanstlichen
Blumen 1 ). Immer gilt dieser Schmuck als jungfrauliches
Zeichen. In dem Gedicht von Mei und Beaflore (13. Jahr-
hundert) heisst es: si truoc noch die krdne uf blOzem h&r
alsam e (91, 4). Die jungfrauliche Schwester des Anfortas
tragt „die kr6ne tlfbl6zem har" (Parziv. 812, 3). Und wenn
Heinrich von Morungen (M.Fr. 129, 28) von der schOnen, die
er liebt, sagt: „diu mit ir kr6nen gie von hinnen", so ergibt
sich, dass er nicht einer verheirateten Frau diente, sondern
einef Maget.
Sinnig ist der nur aus neuer Zeit bezeugte Brauch, den
Brautkranz mit Getreideahren zu schmucken (Mecklenburg)
oder ihn ganz aus Ahren zu flechten (Mederbayern ; Dresdener
Gegend) 2 ). Es hangt mit der sehr alten Sitte zusammen, die
Braut mit FruchtkOrnern zu beschutten.
Zur alten Brauttracht gehOrt der Gurtel, der aller-
dings ein nothwendiger Theil des weiblichen Anzugs aber-
haupt war, am Hochzeittage aber noch eine besondere Be-
deutung hatte. Mit dem entgurten nahm der junge Mann die
Braut am Abend ganz in Besitz. Nach altindischem Hochzeit-
ritual lOste der Brautigam auf dem Brautbett unter Spruchen
den GQrtel der Neuvermahlten, nicht minder der ROmer der
jungen Gattin den mit dem Herkulesknoten gegen Zauber
geschutzten Gurt (Haas in d. Ind. Studien V, 389).
In manchen bayrisch-Osterreichischen Gemeinden hat %
sich seit Jahrhunderten ein in der Kirche oder in der Dorf-
lade verwahrter Brautgartel erhalten, der an jungfrauliche
Braute verliehen wird. Es ist ein Prachtstiick aus versilberten
Messinggliedern und vergoldeten Spangen mit blauen oder
!) K. Hildebrand im Deutsch. Warterb. V, 2356. Bavaria I, 437.
II, 191. 848. Ill, 383. IV, 250. Schohwerth 1, 82, f. Schmitz, Sitten
des Eifler Volkes 53. Matz, Siebenburg.-sachs. Hochzeit 65. Immer-
rnanns Miinchhausen III, 2.
2 ) Mannhardt, Mythologische Forschungen, S. 358 f.
343
rothen Glassteinen bestehend, die auf Sammt aufgenaht sind
(Bavaria I, 437). In der Oberpfalz ist er einfacher, eine Mes-
singkette mit vier rothen Maschen (SchOnwerth I, 83); in
Schwaben und in Karnten besteht er aus kleinen, verbundenen
Messingschuppen und Schildern.
Die ubrige Brauttracht scheint nichts besonderes gehabt
zu haben. Wo es anging, waren die Gewander naturlich neu
und mOglichst gut an Stoff 1 ). Aus dem Gedicht von der
Hochzeit (Karajan, Sprachdenkmale des 12. Jahrhunderts 25,
15. 36, 18) l&sst sich weisse Farbe des Brautkleides folgern:
in das weisse mit kOstlichen Bandern (borten) besetzte Ge-
wand wird die hohe Braut gehullt und mit goldenen Spangen
und anderem Schmuck geziert. In dem Osterreichischen Haus-
ruckviertel tragen unbescholtene Braute den ganzen Hoch-
zeittag weisse Schilrzen (Baumgarten, Aus d. Heimat, 9, 65).
"Weisse Schilrzen und Halstiicher sind auch unerlasslich bei
jungfraulichen Br&uten und Ehrenmagden in Tuttlingen in
Schwaben (Birlinger, Volksthiiml. 2, 383). Bemerkenswerth
ist jedenfalls, dass heute in Altbayern und in Oberschwaben,
in Landern, die an alter Volkssitte noch festhalten, ein helles
Brautkleid fur anstOssig gehalten wird und die Braut nur
schwarz oder violett tragt (Bavaria I, 436 f. SchOnwerth,
Aus d. Oberpfalz I, 82 ff. Birlinger, Volksthumliches aus
Oberschwaben 2, 345. 383).
Yon dem Brautigam sagt ein deutsches Gedicht des
12. Jahrhunderts, als der Tag erschienen ist, an dem er eine
vil liebe gemahelen gewinnen soil: „er samenit sich vil witen
durch willen siner britte mit vrtinden joch mit magen, er
enl&t sichs niht betr&gen, mit menigen kumet er vur daz
hfis, die vrowen ladet er daruz, er halset und kusset sin
trflt, dan vuoret er die brfit. die mit im ritent, niht langer
sie enbitent, si vrowent sich und singent, unz si sie heim-
bringent. die hiwen bitent ir d6 vore under dem burgtore"
x ) do vlizzet sich diu maget baz ir wsete danne si & "haete
Karajan Sprachd. 25, 1—4.
814
(Karajan, Sprachdenkm. 112, 15 ff.) *). In diesen Yersen sind
die Hauptscenen . des Hochzeittages alter Sitte gezeichnet:
der Zug des Brautigams zum Brauthause ; die Forderung, sie
ihm zu tlbergeben ; Umarmung und Kuss des Paares und die
frOhliche Heimftihrung ins eigene Haus mit dem Empfang
der jungen Frau.
Mit seinen Freunden und Verwandten reitet der Brau-
tigam in stattlichem Zuge nach dem Hofe der ihm vorher
Verlobten. So war es in Deutschland und im Norden Sitte;
nur nach besonderem Abkommen (mein Altnord. Leben 246)
mit dem Vormund kam der Brautigam nicht selbst, sondern
liess die Verlobte durch seine Freundschaft in grossem Auf-
zuge abholen und empfing sie dann vor seinem Hause, wo
die Hochzeit gehalten ward.
In beiden Fallen war die abholende Schaar in alter Zeit
hewaffnet 2 ); nicht als Erinnerung an die wilde Raubehe,
sondern zur Vertheidigung der Braut, die unter sicherem Ge-
leite in ihr neues Heim gebracht werden musste. Uberfalle
von Hochzeitziigen sind oft genug geschehen 8 ). Bis in neue
Zeit kam der vom Brautigam zur Abholung der Braut ge-
sandte Brautfilhrer mit seiner Begleitung bewaffnet auf den
Diirrenberg fiber Hallein im Salzburger Lande (Aug. Hart-
mann, Volksschauspiele in Bayern und Osterreich 1 20 ff.).
Auf dem Dfirrenberge werden dem Abgesandten des
Brautigams- von dem Brautvater erst eine Zahl Rathselfragen
vorgelegt, die er beantworten muss, ehe ihm die Braut aus-
geliefert wird. Auf Sylt fand bis in die Mitte des 18. Jahr-
hunderts der Fuarman (Vormund), neben dem der Brautigam
tlbrigens an der Spitze der Fahrtgenossenschaft war, das
*) Ausfiihrlicher ist die Schilderung in dem Gedicht von der
Hochzeit, Karajan ebd. 25, 4 ff. Wenn auch diese Stellen mit latei-
nischen theologischen Schriften sich beriihren, so ist kein Grund,
sie hier nicht zu benutzen, da keine fremde, sondern deutsche Sitte
aus ihnen sich aussert.
2 ) Dargun, Mutterrecht und Raubehe 128.
3 ) Scheinbare tTberfalle des Ausstattungs- (Kammer-) Wagens
der Braut durch die Leute des Brautigams sind in landschaftliche
Hochzeitscherze aufgenommen, Dargun 129.
345
Brauthaus verschlossen. Nach einigem Klopfen erschien ein
altes Weib und fragte, was sie wollten? Der Fuarman ant-
wortete: „Wir haben hier eine Braut abzuholen". Die Alte
schlug die Thtir zu und rief: „Hier ist keine Braut". Erst
auf das zweite Klopfen ward der Brautigamschaar geOffnet
(Michelsen-Asmussen, Archiv I, 413 ff.).
In siebenbiirgischen SachsendOrfern findet der Br&utigam
den Brauthof verrammelt oder wenigstens mit Seilen oder
Ketten versperrt, ebenso an der Saar und in niederl&ndischen
Orten (Matz 54. 68). Auch zur Vertheidigung schickt man
sich in Siebenbtirgen an, nicht minder bei den Kleinrussen.
Denn das ist ein weitverbreiteter Brauch, bei slavischen
VOlkern, bei Esten und Finnen ebenfalls nachweisbar 1 ), der
aus den Zeiten stammt, in denen gewaltsame Entfiihrungen
haufig waren.
Weist dies auf Ernst, so ist ein anderer Brauch aus Schimpf
und Scherz entsprungen. Statt der Braut wird eine unechte
zuerst vorgeftthrt, gewOhnlich ein altes Weib, seltener ein
anderes Madchen oder gar ein verkleideter Mann (Bayern, Gott-
schee, Hessen, imWetterauerVogelsberg, auf denSchwedischen
Inseln). Auch das ist weitverbreitet : Komanen, Slaven und
Esten kennen diesen Scherz 2 ). Wiederholen will ich nur wegen
der lebendigen Ausfiihrung den vor 50 Jahren von mir mit-
getheilten oberschlesisch-polnischen Brauch. Dem Brautigam
wird zuerst ein altes lahmes "Weib zugefilhrt, das in weissem
Leintuch verhtlllt ist. Der Hochzeitfuhrer des Brautigams ruft,
das sei nicht die Braut, sondern ein Thier. Hiernach kommt
eine der Brautjungfern : sie dreht sich vor den Starosten (den
Hochzeitfilhrern) um und entwischt in dieKammer: das sei
ein scheues Thierchen, die Braut kOnne es nicht sein. Dann
erst kommt, nachdem eine Art Brautkauf gegeben ist, die
Braut selbst (Haupt, Z. f. d. Alterth. 6, 462).
a ) v. Schroder, Hochzeitbrauche der Esten 57 ff.
2 ) v. Schroder 68 ff., wo auch auf Useners Aufsatz im Rhein.
Museum XXX, 189 ff. Italienische Mythen verwiesen wird und
namentlich auf 224—229 (zu Ovid. Fast. 3, 677 ff.)
346
Der Brautigam ist nun in dem Brauthause, umgeben
von seiner Begleitung; der Kechtsvormund der ihm frtther
schon Verlobten mit dieser und ihren Verwandten steht ihm
gegenuber, und die tTbergabe, die vorher versichert war,
erfolgt nun, oft wahrscheinlich kurz, zuweilen ausgefiihrter.
"Wir kOnnen hier das sogenannte Schwabische VerlObniss 1 )
verwerthen, das zuerst eine Kechtshandlung und darauf die
Formel der Ubergabe der Braut enth<. Mit sieben Hand-
schuhen verpfandet der freie Schwabe der freien Schwabin
nach schwabischein Recht, dass er den rechten, den gewahrten,
den gewaltigen Schutz (munt), ihm zu seinem, ihr zu
ihrem Rechte mit seinem Vollwerth gegen ihren Vollwerth
tibernehme. Dann verpfandet er ihr, was er an Eigen besitzt
in schwabischer Herrschaft und in des KOnigs Reich nach
Schwaben Gesetz und Schwabenrecht, dann den Herdenbesitz,
dann Zaun und Gezimmer mit Aus- und Einfahrt; dann die
Weiden fur Rosse, Kiihe, Schafe und Geflugel; dann Gold
und Geschmeide und Gewaffen; dann die Eintragung in das
Widembuch. Die sieben Pfander nimmt die Frau und ihr
Yogt, und dann nimmt der geborene Vogt der Frau die
Pfander und die Frau und ein Schwert und ein golden
Ringlein, einen Pfennig und einen Mantel, thut einen Hut
auf das Schwert, das Ringlein an den Schwertgriff und uber-
antwortet die Frau dem Manne und spricht: „Womit ich
Euch mein Mundel ubergebe in Eure Treue und Eure Genade,
und ich bitte Euch um der Treue willen, indem ich sie Euch
anbefehle, dass Ihr ihr seiet ein gerechter Vogt und ein
genadiger Vogt und dass Ihr nicht ein schlechter Vormund
werdet!" Damit empfangt er sie und er behalte sie ihm.
Schwert, Ring, Pfennige, Mantel haben wir schon als
Rechtssymbole bei der Verlobung (S. 309 f .) gefunden ; sie er-
scheinen bei der Ubergabe oder Trauung noch einmal.
Der Hut ist auch ein Zeichen der tibertragung oder Ubergabe
x ) Den Text der oftgedruckten Formel u. a. in W. Wackernagels
Altd. Lesebuch 5 365. Mullenhoff-Scherer, Denkmaler Nr. XCIX. Als
Trauungsformel bezeichnet von R. Sohm, Recht der Eheschliessung
66. 319.
847
des Besitzes (Grimm. KA. 148) wie Eing und Pfennig (ebd.
178 ' Andres werden andre Formeln und Brauche ergeben. In
einem kolnischen Trauungsformular') aus dem 14. Jahrhundert
•wi dPmienieen der zwei zur Ehe zusammen geben soil,
^^0^^. Zuerst seller den Mann fragen: „Bist
t>„ hier auf dass Du Sibllychen (Beilgen oder wxe sie nun
heisst)' zu einem Eheweibe und zu einer Bettgenossin haben
wfflst?" So soil der Brautigam sagen: „Ja«. Dann soil er die
Braut'bei ihrem Namen fragen: „Btot Du hier auf dass Du
Hetoich (Oder wie er sich nennt) zu einem Vormund und
BeXnossen haben willst?" So soil sie sagen: ,Ja\ Dann
sou der Brautigam den King nehmen und inn der Braut an
den Finger nachst dem kleinen Finger stecken. Darauf soil
dSenige der sie zusammengibt, ein seidenes Tuch nehmen,
in das zwolf Torneschen') gebunden sind und sprechen:
Trh sebe Euch zusammen auf frankischer Erde mit Gold
"L Gestein, mit Silber und Gold, sowohl nach Frankenweise
X nach Sachsenrecht, dass Euer keiner den andern lassen
111 urn Lieb' noch urn Leid noch urn irgend etwas, das Gott
atiftm geschaffen hat oder noch mag lassen geschaffen werden .
C soil, der sie zusammengibt, das Tuch mit den Munzen
end uberreichen, der es der Braut aufbewahre, und chese
111 das Geld um GotteswiUen arrnen Leuten geben. Der
Brautigam aber soil der Braut aus einem Becher zutrinken
und der Braut darnach einschenken.
Es erfolgt hier zunachst die Verlobung, die noch einmal
rwie in dem schwabischen Formular) aufgenommen ist samt
den Verlobungszeichen des Ringes und des ubergebenenBraut-
kaufes, welcher, als im Besitz desVerlobers schon befindlich
nunmehr von ihm der Braut geschenkt wird 8 ). Der Wemtrunk
V^allraf, Beitr&ge zur Gescbichte der Stadt Koln I, 159 f.
; wdiua, e . n B53f goimi, Recht der Ehe-
Wackernagel bei Haupt, Z. I. d. a. ii, «» ou ,
SCmieS fSi f mit Geprage der Stadt Tours.
3) Dass sie ihn als Almosen vertheilt, ist nebensachliche Ver-
W endung.
848
bestatigt den geschlossenen Vertrag. Die fOrmliche Ubergabe
der Braut wird nicht erwahnt, ist aber zu erg&nzen; denn
die Verlobung ist frtlher geschlossen, wie der Brautkauf be-
weist, der sich schon in der Hand des Verlobers befindet.
Die Vereinigung von Verlobung und tTbergabe der Braut
erfolgte namentlich bei rasch geschlossenen Ehen; dann
wurden die FOrmlichkeiten verschmolzen. In dem Koman des
Pleiers, Tandareis, wird nicht bloss der Held mit seiner Flor-
dibel nach langen Abenteuern, sondern auch die fiinf andern
Paare durch Artus kurz zusammengegeben und halten das
Beilager. Am nachsten Morgen hOren sie die Messe (Tandar.
16315—16674). Sehr abgekurzt ist die Verlobung und Trauung
Siegfrieds mit Kriemhild im Nibelungenliede (Str. 566—570)
geschildert. Kasch geschieht auch die Zusammengebung der
jungen Bauerntochter Gotelind mit dem Strauchritter Lember-
slint nach dem Gedicht Wernher des Gartners von dem Maier-
sohn Helmbrecht (1503 ff.) 1 ). Ein alter Mann, der sich auf
solche Sachen versteht (die Ehe wird gegen den Willen der
Eltern der Braut durch den jungen Bruder gestiftet, 1431 ff.),
stent das Paar in den Kreis der Zeugen und spricht dreimal
zu Lemberslint: Wollt Ihr Gotelind zum Eheweibe nehmen,
so sprechet Ja! „Gerne", sagte der jQngling dreimal, „bei
Seele und Leib, ich nehme dies Weib gerne". Dann fragt
derAlte dreimal Gotelind, ob sie den Lemberslint zumManne
nehmen wolle, und sie antwortet dreimal ebenfalls: „Gerne!
gebt mir ihn!" Darauf tibergibt er Gotelind zum Weibe dem
Lemberslint und Lemberslint zum Manne der Gotelind. Alle
singen dann ein Lied und der Brautigam tritt der Braut auf
den Fuss.
Dieser Tritt auf den Fuss ist Zeichen des Antritts der
Herrschaft. Noch heute ist es in deutschen Gegenden (und
*) Das Thema einer Bauernhochzeit ward mit derbem Witz
behandelt im Gedichte von Metzen Hochzeit (Lassberg, Liedersaal
n. 226, in ktirzerer Fassung Diutiska II, 78—91. Hatzlerin 259 ff.),
verwerthet in Wittenweilers Ring. Die Fastnachtspiele n. 58 u. 65
sind bauerliche Heiratsberedungen, n. 66 ist auch eine solche, die
aber mit Zusammengebung des Paares schliesst.
auch bei Slaven und Esten) Glaube, dass die Braut das Regi-
ment in der Ehe haben werde, wenn sie vor dem Altar
gleich nach der Einsegnung durch den Geistlichen ihren Fuss
auf den des Brautigams setzt. Der Schuh, welcher in man-
chen mittelalterlichen Heiratsgebrauchen (vergl. oben S. 305)
als Geschenk des Brautigams an die Braut erscheint, ist auch
als Symbol der Herrschaft zu deuten (Grimm, RA. 142. 156).
Wer den Pantoffel fuhrt, herrscht in der Ehe, ist noch
heute bekannte Redensart.
DafQr, dass der Brautigam die junge Frau auf seinen
Schoss setzte, zum Zeichen, dass er sie (wie ein Kind) an-
nehme 1 ), lassen sich Stellen aus schwedischen Volksliedern
anfilhren.
Einsehraltes Rechtssymbol der Besitzergreifung, namlich
durch einen grttnen Zweig (viridi ramo, ramis, Grimm,
RA. 130 f.) erwahnen die alten Quellen bei der Vermahlung
nicht, wohl aber eine altfranzOsische chanson de geste, Gui
de Nanteuil (ed. P. Meyer 26) : Karl d. Gr. verlobt dem Her-
viau die Braut mit einem bluhenden Olbaumzweige (le roy
tint une verge florie d'olivier et a dit a Herviau: tenez
cheste moillier). Es lasst sich ferner, freilich nicht filr das
rechtliche VerlObniss, aber bei freier Liebesvereinigung aus
deutschen Volksliedern nachweisen. In einem aus dem
16. Jahrhundert iiberlieferten Liede (Uhland, Alte hoch- und
niederdeutsche Volkslieder 1, 186) heisstes: „Er (ires herzen
ein trost) nam sie bei ir schneeweissen hand, Er fArt sie
durch den grunen wald, Da brach er ir ein zweig, Sie kiisset
in auf seinen roten mund Das wacker megdelein". Und in
einem heute noch in deutschen Landen gesungenen Liede
vom Reiter und dem Schafermadchen heisst es (nach der
schlesischen Fassung): „Komm, komm, wir wolln unter
die Eiche gehn, Er brach ihr ab einen grttnen Zweig Und
i) J. Grimm, Rechtsalterth. 453. Die von ihm !(K1. Schriften
V, 319) angefuhrten angelsachsischen und spateren deutschen Zeug-
nisse sind zweifelhaffc.
350
machte das Madel zu einem Weib, Da lachte das Madel so
sehre" 1 ).
In dem KOlner Formular heisst es von dem, der das
Paar ehelich zusammengibt, ganz allgemein „der gene der
sy zo hoeff gaift", und in dem ungef&hr gleichzeitigen Land-
recht von Berg (14. Jahrhundert) lesen wir: „wan ein man
van ridderschaft ein wyf nemen wil, mach sie zosamen geven
ein leye vur den luyden offenbairlich" 2 ). Hier ist also der
geborene Vogt oder Vormund der Braut nicht mehr der ge-
setzliche Eheschliesser, sondern er ist durch eine andere
Person ersetzt, welche den Act der Zusammengebung nach
dem Willen der Brautleute vollzieht.
Schon in Gedichten des 13. Jahrhunderts von hofischem
Charakter sehen wir die Paare durch ihnen unverwandte
Manner zusammengeben. Wenn es der KOnig oder iiberhaupt
der Landesherr ist, wie im Wigalois (956. 9420), im Flore
(7484), Eraclius (4160), Wigamur (4616), Lohengrin (2309),
so kann die obervormundschaftliche Stellung desselben in
Kechnung kommen. Aber auch ein Freund gibt den Freund mit
der Frau zusammen, wie Gawein den Gasozein mit Schoidamur
(Krone 13833 ff.). Es ist also im Zusammenhang mit der
Abschwachung oder auch vOlligen Auf hebung der Geschlechts-
vormundschaft und dem mehr oder minder unbedingten Selbst-
verlobungsrecht der Frauen auch mit der Person desjenigen,
welcher die Braut dem Brautigam ehelich traut, in dieser
Zeit eine Wandelung im Vollzuge. Es kann irgend ein dazu
berufener den Act vornehmen: die vor Zeugen gegebene
Willenserklarung der Brautleute ist die Hauptsache geworden.
Wir kommen damit zu der Mitwirkung der Geistlichkeit,
die sich in derselben Zeit grade auch in hofischen Gedichten
bemerkbar macht, ilberhaupt zu dem gottesdienstlichen
Theil der deutschen Hochzeitfeier.
!) Hoffmann-Richter, Schles. Volksl., S. 153 f. Bockel, Deutsche
Volkslieder aus Oberhessen, S. 56. E. Meier, Schwab. Volksl., S. 344.
Simrock, Deutsche Volksl., S. 197. Erk-BOhme, Liederhort I, 441.
2 ) Lacomblet, Archiv f. d. Niederrhein I, 95.
351
Aus unserem Heidenthume kOnnen wir viel lernen far
eine tiefe Auffassung der Natur und des menschlichen Lebens ;
denn es hatte offene Augen und warme Empfindung. Spitz-
flndigkeiten so wenig als dogmatischer Fanatismus und platter
Atheismus unterbanden ihm noch nicht die Herzader. Der
heidnische Germane fasste die Ehe als eine bedeutende und
heilige Einrichtung, tlber deren Beginn die Gottheit zu be-
fragen, far welche ihr zu opfern, die durch sie zu weihen
sei. Daher bestunden neben den rechtlichen Verhandlungen
gottesdienstliche Gebrauche, und so muss es auch bei uns
gehalten werden.
Wie vor jedem wichtigen Unternehmen ist es auch
vor den Heiraten wahrend unserer heidnischen Zeit Sitte ge-
wesen, die Stimme der GOtter durch das Loss zu erforschen.
Wenigstens noch am Ende des 13. Jahrhunderts war Loss-
werfen bei Hochzeiten so ablich, dass es die Kirche bei
Strafe der Excommunication verbot (z. B. auf der "Warzburger
Synode v. 1298. c. 18. Hartzheim, Cone. germ. IV, 30). Wir
haben fraher schon (S. 338. 340) auf die Spuren uralter Opfer
und Lustrationsgebrauche bei der Eheschliessung hingewiesen,
die vornehmlich die Braut betrafen. Sie bezweckten, den Zorn
der G-OttJichen abzuwenden und ihre Gunst der jungen Frau
zu sichern.
Unter den grossen Gottheiten muss nach der Bedeutung
des Dienstags far die Heiraten der alte germanische Himmels-
gott Tius (Ziu) als Schatzer und Gtaner der Ehen verehrt
worden sein. Bestimmt bezeugt dafur sind Donar-Th6rr, der
segnende Gott des Wetters und der Erde, der eigentliche
Hausgott der Nordgermanen ; ferner in Schweden Freyr, der
Gebieter uber Regen und Sonnenschein und uber Frieden,
Ehesegen und jeglichen Reichthum. Von Freyr (Fricco) er-
zahlt Adam von Bremen ausdracklich 1 ), dass ihm die Schweden
bei den Hochzeiten opferten. Wir wissen aus *norwegisch-
islandischen Liedern, dass bei der Eheschliessung Thors
Hammer auf den Schoss der Braut gelegt und dieselbe damit
x ) Gest. Hamab. eccles. pontif. IV, 27 (Pertz 9,
352
geweiht ward 1 ). Die Waffe des Donnergottes war das Symbol
des Blitzes in seiner segnenden und befruchtenden Wirkung,
und noch heute wird den Donnerkeilen schQtzende und heilende
Wirkung zugeschrieben ; namentlich sollen sie die Geburten
erleichtern *). Der Gewittergott ist wohl auch als deutscher
Herdgott und Schutzherr des Hauses zu betrachten, und darum
in doppelter Beziehung bei der Grundung eines Hausstandes
anzurufen und zu verehren. Noch heute ist es in norddeutschen
Gegenden Sitte, die junge Frau dreimal um den Herd zu
fQhren, auf dem ein frisches Feuer brennt, wenn sie ihr
neues Haus betritt. Wir gedenken dabei urverwandter, na-
mentlich indischer und rOmischer Hochzeitsitten , in denen
das Feuer und seine Gottheit eine gleiche Bedeutung hatte 8 ).
Aus heutigen Gebr&uchen der Germanen, Romanen und
Slaven ergibt sich ferner eine Verbindung zwischen den Fruh-
lings- und Hochzeitgebrauchen. Der Maibaum erscheint auch
als Liebes- und Ehebaum. Und selbst der Tannenwipfel, mit
Kerzen- und allerlei Behang geschmuckt, der an unsern
Weihnachts- oder Kristbaum erinnert, lasst sich als bedeut-
samer Hochzeitbaum nachweisen. Im untern Ritscheinboden
in Untersteiermark wird, bevor der Hochzeitschmaus anhebt,
der Hochzeitbaum aufgetragen. Es ist ein Fichtenwipfel, der
in einem Laib Brot steckt. Auf die Aste sind Wachskerzen
angepickt; Lebzelten, anderes Naschwerk und kleine Sachen
sind darangehenkt. Er kommt auf den Brauttisch (Firmenich,
Germaniens VOlkerstimmen H, 759").
Wir finden den Brauch auch bei den Rumanen. Ein
kleiner, mit vergoldeten Apfeln und Goldpapierstreifen ver-
zierter Tannenbaum darf dort bei keiner Hochzeit fehlen.
*) berid inn hamar brudi at vigja, leggid Miollni i meyjar Jcne,
vigid okkr saman Vdrar hendi Thrymsqu. 30.
2 ) Bei den Deutschen des Bohmerwaldes muss die junge Frau,
wenn es wahrend des Brautzuges donnert, rasch einen schweren
Gegenstand zu heben suchen; sie erhalt dadurch Gesundheit und
Starke.
8 ) Haas in Webers Indische Studien Y, 318. Rossbach, Rom.
Ehe 231 f. 314.
353
Beim Einzug der jungen Prinzessin Elisabeth von Wied als
Gemahlin des damaligen Farsten Karl von Rumanien in
Bukurest ritten Bauern mit solchen Baumchen um den fQrst-
lichen Wagen (v. Stackelberg, Aus Carmen Sylvas Leben,
S. 118). Es sind diese immergrunen Baumchen Sinnbilder des
immer grttnenden Naturlebens und daher von Vorbedeutung
fur die Ehen.
Auf einen Brauch moge noch besonders hingewiesen
werden. Es erschienen in brandenburgischen Gegenden (Grafsch.
Ruppin, Templin, Eberswalde) am Abend des ersten Oder
zweiten Hochzeittages, auch wahrend des Zuges in die Kirche
maskirte Gestalten, die Maschkers, auch die Feien genannt,
die allerlei Possen trieben (Kuhn, Markische Sagen 362.
Kuhn-Schwartz, Nordd. Sagen 433).
Das Auftreten von Masken (larvati) bei Rostocker Hoch-
zeiten wird aus dem Jahre 1536 berichtet. Im westfalischen
Kreise Iserlohn drftngen sich spassmachende Drollgaste zu
den Hochzeiten (Woeste im Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3, 138.
WOrterb. d. westfai. Mundart, S. 59), deren eigentliche Be-
deutung die der gespenstischen Gaste gewesen sein mag, wie
denn der Niederlander Kilian draelgast durch umbra (Schatten),
Gerard v. d. Schuereii drollen durch Satiri, Incubi erkiart. Die
Rolle als Possenreisser, welche diese Leute spielen, ist eine
Entstellung; sie sind Nachbildungen elbischer Geister 1 ), die
man als heimliche Gaste bei den menschlichen Hochzeiten sich
dachte. Von der alten hennebergischen Burg Botenlaube bei
Kissingen geht die Sage, dass in uralter Zeit drei Schwestern,
zwei weisse und eine schwarze, dort wohnten, die bei Kind-
taufen, Hochzeiten und Begr&bnissen der Menschen erschienen
(Panzer, Bayr. Sagen I, 180). Und von den drei wilden Frauen
im Reichenhaller Staufen wird erz&hlt, dass sie einst zu der
Hochzeit einer schOnen Frau in Hausmaining kamen, und
J ) Der Name Feien, den diese als Weiber verkleideten Leute,
die auch in der Weihnachtszeit auftreten, in der Mark fiihren, weist
schon auf einen ursprtinglich mythischen Untergrund. tiber die
thtiringischen Pfingstfiguren, die den. Feien entsprechen und tiber
Mittelalterliches: W. Mannhardt, W. u. F. K. 1, 440 f.
Weinbold, Deutsche Frauen. I. 23
864
dass sie bei Br&uten, die sie auszeichnen wollten, ihren Ge-
"sang hOren liessen, wenn jene aus dem Elterahause schritten
(Panzer I, 11). Auch sonst erz&hlen Sagen, dass sich die
elbischen Ha'usgeister gern bei Hochzeiten betheiligen, und
mit Recht hat E. H. Meyer (Indogerm. Mythen I, 219 f.)
dabei auf die Stellung aufmerksam gemacht, welche die
Ahnengeister und die ihnen verwandten Winddamonen im
Hochzeitritus hatten. Die Pitris (Ahnengeister) eilten herbei,
.die junge Frau bei der Fahrt in die neue Heimat zu sehen
und zu ihnen betete man fur die Neuvermahlte und opferte.
ihnen. So ward auch bei der rOmischen Hochzeit den Laren
und Manen geopfert und bei der athenischen den Urvatern
(TpiTOTrdTopai) wegen kflnftigen Kindersegens. MOglicherweise
ist das Haar- und Nagelopfer der oberpfalzischen Braut (oben
S. 338) den Hausgeistern, den Ahnen, ursprunglich bestimmt
gewesen.
Wir wenden uns jetzt zu den Forderungen, welche die
christliche Kirche bei der Eheschliessung allmahlich erhub
und allgemach durchsetzte.
Die hohe Ansicht Christi von der Ehe, welche nament-
lich von Paulus weiter gebildet wurde, musste fur die Stel-
lung derselben in der Kirchenlehre bestimmend sein und
sie als eine gOttliche Einrichtung erfassen lassen, deren Ein-
gehung der priesterlichen Segnung nicht zu entziehen seil
Der Presbyter und der Bischof wurden demnach von dem
Vorhaben der Brautleute unterrichtet und um ihren Rath
gefragt x ) ; die neuen Eheleute feierten gemeinsam das heilige
Abendmahl, empfingen auch den priesterlichen Segen, aber
zunachst nur im gewOhnlichen Gottesdienst, bis sich spater
unter den Papsten Leo, Gelasius und Gregor ein besonderer
Brautgottesdienst ausbildete 2 ). Aber Bedingung ftlr die Giltig-
keit der Ehe war es durchaus nicht, die damals ganz form-
los allein von dem Consens der Brautleute abhing. In der
a ) Ignat. epist. ad Polycarp. 5. Tertull. de monogam. 11. de pudi-
cit. 4. cf. uber die religiose . Hochzeitfeier Tertull. ad uxorem 2, 8.
2 ) Friedberg, Recht der Eheschliessung 8 ff., 16 f.
morgeniandischen Kirche ist erst durch Kaiser LeQ den
Weisen 893 in seiner 89. Novelle die kirchliche Einsegnung
zur gesetzlichen Nothwendigkeit fur die Eheschliessung ge-
macht worden. In der abendlandischen Kirche *) dauerte aller-
dings das Streben fort, den Eheschluss nrit einer kirchlichen
Handlung zu verbinden, aber die staatliche Gesetzgebung
kam nicht zu Hilfe. Karl der Grosse verordnete freilich in
dem Capitulare von 802 (c. 35), dass die Ehe nur nach einer
Prufung des Verwandtschaftsgrades durch die Geistlichkeit
und die weltliche Obrigkeit und unter kirchlicher Einsegnung
geschlossen werden solle, aber die Verordnung drang nicht
durch. Erst durch die Rituale des 10. bis 12. Jahrhunderts
erkennen wir, dass die Kirche mit ihren Forderungen all-
m&hlich sicherer auftritt. Sie lasst zunachst die Verlobung
als einen Act des weltlichen Yormundschaftsrechtes ausser
ihrem Bereich, verlangt aber, dass die Offentliche Hochzeit
(publicae nuptiae) in der Kirche durch den priesterlichen
Segen nach AnhOrung der Brautmesse. gefeiert werde. Der
nachste Schritt war, dass die Kirche die weltliche Ubergabe
der Braut an den Brautigam mit dem kirchlichen Act zu
verbinden suchte 2 ). Sie forderte daher die Verlegung der ge-
meinrechtlichen Eheschliessung vor die Kirchthtlr 8 ) in Gegen-
wart des Priesters. Gleich darauf solle in die Kirche gegangen
und die Brautmesse gehalten werden.
Ihre voile Forderung stellte etwas spater die Kirche
dadurch auf, dass sie die Laientrauungen verbot, d. h. die
Ubergabe der Braut an den Brautigam durch einen andern
als den Priester, sei es nun in oder ausser der Kirche, unter-
sagte 4 ). Sie konnte es umso leichter thun, aJs, wie wir oben
T ) tiber die romischen Grundsatze von der Ehe und uber die
des canonischen Rechtes im Verhaltnisse zu den germanischen vgl.
die treff liche Darlegung Wildas in Reyschers und seiner Zeitschrift
fiir deutsches Recht 4, 171—232.
2 ) Sohm, Recht der Eheschliessung 159 ff.
3 ) Noch heute heisst die Hauptthur auf der Nordseite alter
Kirchen vieler Orte die Brautthtir, weil unter ihr die Eheschliessung
geschah, z. B. in Braunschweig, Nurnberg, Rothenburg a. d. T.
4 ) Sohm a. a. 0. 70. 164. Friedberg, Eheschliessung 78 ff.
23*
866
sahen, die Zusamniengebung der Ehepaare seit Ende des
12. Jahrhunderts durch den gebornen Vonnund der Frau ab-
kam, sie also mit jenem Verlangen in kein weltliches Recht
mehr eingriff. In Deutschland sind die Synoden von Trier
1227 c. 5, KOln 1281 c. 10, Lattich 1287 c. 9, Utrecht 1294,
Wttrzburg 1298, Mainz 1310, Eichstadt 1354, Prag 1355,
Magdeburg 1370 c. 32, Salzburg 1420 nach dieser Richtung
wirksam gewesen; allein gerade die Wiederholungen des
kirchlichen Gebotes beweisen, dass die Durchsetzung des-
selben sich nicht glatt erreichen liess. Einige Mittel, den Vor-
gang zu beobachten, geben Stellen unserer mittelalterlichen
Gedichte.
Am leichtesten ward die Einsegnung des jungen Ehe-
paares am Morgen nach dem Beilager angenommen ; es war
die kirchliche Bestatigung und Weihung der vollzogenen Ehe.
So gehn Gunther mit Brunhild, Siegfried mit Kriemhild nach
der Brautnacht in die Messe (Nib. 594 f.) '), und denselben
Brauch finden wir im Wigalois (9487), Crane (2036), in Ru-
dolfs Wilhelm (14672), im Lohengrin (2403) berichtet. Im
Athis (C* 102) ist vor und nach dem Beilager Einsegnung.
Gotfried von Strassburg lasst dem Riwalin durch seinen
treuen Rual anempfehlen, seine mit Blanscheflur bereits voll-
zogene Ehe in der Kirche vor Pfaffen und Laien bestatigen
zu lassen nach Jcristenlichem site, da saelget ir iuch selben
mite unde wi%$et wcerlichen da$, iur dine sol immer deste ba%
seren und ze guote ergdn (1624 ff.).
Aber diese Ansicht drang zunachst nicht durch. Selbst
in Gedichten hofischer Richtung bemerken wir bei Schilde-
rung von Hochzeiten gar keine Mitwirkung der Geistlichkeit.
So darf es nicht verwundern, dass Erzbischof Konrad von
Salzburg 1291 fur seinen grossen Erzsprengel das Zugestand-
niss machte, die Elrche wolle befriedigt sein, wenn nur dem
Pfarrer die geschlossene Ehe binnen Monatsfrist zur Anzeige
x ) Allerdings ist hier von der Kronenweihe der zwei jungen
Paare die Rede und in Gudrun 1666. 1667 wird das nachgeahmt ;
allein da dieser Act am Morgen nach dem Beilager geschieht, schliesst
er zugleich die Einsegnung der jungen Ehe in sich.
357
gebracht werde (Hartzheim, Cone. IV, 3). Endlich ward es aber
fast allgemeiner Brauch auch unter dem Landvolk 1 ), die Ehe
nach dem Beilager kirchlich einsegnen zu lassen, und nun
erhub die Salzburger Kirche wieder die Forderung, dass die
Benediction vor dem Hochzeitfeste und der Ehevollziehung
geschehe *).
Nicht tlberall freilich fand die kirchliche Trauung den
Widerstand, den wir hier vorfuhrten. Die Gegenwart zahl-
reicher BischOfe wird bei der Verlobung Kaiser Heinrichs III.
mit der Gr&fin Agnes von Poitou (1043) ausdrttcklich erwahnt,
und bei der Vermahlung Kaiser Heinrichs V. mit Mathilde
von England (1114) waren filnf ErzbischOfe, dreissig BischOfe
und unz&hlige Abte und PrOpste zugegen. Aber es wird in
beiden Fallen keiner geistlichen Handlung gedacht 8 ). Dagegen
heben seit Ende des 12. Jahrhunderts eine Anzahl hOflscher
Epen, welche Bearbeitungen oder Nachbildungen franzOsischer
Gedichte sind, die Trauung durch Geistliche hervor 4 ). FreiUch
geschah sie nicht immer in der Kirche, sondern auch in dem
Raume der Hochzeitfeierlichkeit. So tritt im Tristan Hein-
richs von Freiberg der Bischof mitten in die larmende und
tanzende Hochzeitgesellschaft hinein und traut Tristan mit
der weisshandigen Isot (633). Die Kirche gab also auch hier
von ihrer Forderung, dass die Eheschliessung vor der Kirch-
thttr (in facie ecclesiae), ehrbar, nicht unter Gelachter, Scherz
x ) tJber die Fortdauer ven Laientrauungen noch im 16. Jahrh.
Friedberg, Eheschliessung 282 f. Es war die biirgerliche Zusammen-
gebung ohne folgende priesterliche Benediction.
2} matrimonia quoque, quae benedicenda fuerint, non post ut
moris exsistit, sed ante carnalem consummationem ac solemnitatis
nuptiarum celebrationem pro benedictionis ipsius reverentia benedi-
cantur, synod. Salisb. v. 1420 c. 13, Hartzheim V, 190.
8) Pertz, Mon. IX, 70. VIII, 247.
*) Athis C* 96. Erek 2117. 6341. Iwein 2418. Mei und Beaflor
87, 1. Eracl. 2233. Konr. Alexius 174. Partonop. 17398. Meleranz 12253.
Heinr. Trist. 633. 860. Im armen Heinrich 1512 ist auch nur von
der Trauung durch Geistliche die Rede. In der Kolocsaer Handschrift
desselben findet sich die Anderung fur die (pfaffen) gdbeii sime ze
wibc: die gdben sim zu einer elichen kone. nach werltlicher wone wolden
si beide niht.
858
und Schimpf (cum honore et reverentia — non enim risu
et jocose nee contemnatu ecclesiae) gefeiert werde 1 ), unter
Umstanden nach. Die Salzburger Verfflgung von 1420 c. 13
drtlckt sich sehr mild aus: Wenn es bequem geschehen
kOnne, solle die Training in der Kirche stattfinden, wo nicht,
in einem anstandigen Raume ohne Larm und mit der ge-
ziemenden Ehrbarkeit.
Am Schlusse der Zeit, die wir hier behandeln, war in
Deutschland fast allgemein die kirchliche Trauung Sitte ge-
worden, weil das Geftlhl des Volkes die geistliche Weihung
der geschlossenen Ehe wollte. Indem der Priester an die Stelle
des zusammengebenden Vormundes getreten war, hatte die
kirchliche Trauung eine rechtliche Bedeutung tlberkomipen,
und wenn auch nicht allgemein, so ward doch haufig der
Kirchgang des Ehepaares zur Voraussetzung der bttrgerlichen
Giltigkeit der Verbindung gemacht*).
In den skandinavischen Landern und auf Island war
die weltliche Gesetzgebung sehr bereitwillig den Anspriichen
der Kirche entgegen gekommen. Besonders weit geht das
ostgotlandische Rechtsbuch, welches die kirchliche Einsegnung
(vigaz) ttber die biirgerliche Ubergabe der Braut (giptaz) stellt,
denn die Ehe soil nach der priesterlichen Weihe mit Be-
steigung des . Ehebettes rechtskraftig werden, mOgen die
bflrgerlichen Formalitaten erfullt sein Oder nicht. Indessen
darf der Geistliche die Trauung nur mit Einwilligung des
gesetzlichen Verlobers (giptarmadhrinn) und in seiner Gegen-
wart vollziehen, bei Strafe der 40 Mark, die auf unrecht-
massige Verlobung gesetzt sind. Der Priester vertritt hier
also den Vormund bei der Zusammengebung des Paares, hat
sich aber um die vermOgensrechtlichen Abmachungen nicht
zu kummern. Der Zusammengebung folgte dann sofort die
kirchliche Trauung.
Die Verlegung der Trauung in die Kirche hatte noth-
wendig die Folge, dass manche weltliche Gebrauche in den
*) Concil. Trevir. v. 1227 c. 5.
2 ) Friedberg, Eheschliessung 91 f. Sohm, Eheschliessung 185 f.
869
Kirchenraum tlbertragen wurden, die nicht so leicht von der
heiteren Hochzeitfeier sich abtrennen liessen. Wir haben
vorhin Erlasse der Geistlichkeit erwahnt, welche die Ehr-
barkeit und anstandige Ruhe bei der Training wiederholt
forderten. Nicht jeder dieser Gebrauche liess sich gleich dem
Weintrunk, der zur Bestatigung des abgeschlossenen Vertrages
nach alter Rechtssitte diente, kirchlichem Ceremoniell an-
schmiegen. Wir finden diesen dem Brautpaar nach der Ein-
segnung vom Priester credenzten Trunk in Deutschland,
England und Frankreich. In den beiden letztgenannten Lan-
dern ward die Segnung dieses Trunkes in das Trauungs-
ritual aufgenommen, dabei auf die Hochzeit von Kana Bezug
genommen und der Trjank zur Bilrgschaft irdischen und
himmlischen Gliickes genossen 1 ).
In Deutschland ist derVerlobungstrunk (das Lobel-
bier, de lOvedebeker) nicht allein bis in die neuere Zeit in
weltlichen Heiratsgebr&uchen , sowohl beim Abschluss des-
VerlObnisses als bei der Hochzeit tlblich gewesen, sondern
auch bei der kirchlichen Trauung als ein geweihter Trank
gespendet. Georg Spalatin erzahlt von der Trauung des Chur-
filrsten Johann von Sachsen, dass der Bischof von Meissen
dem furstlichen Paare nach der Benediction vor dem Altare
„nach gewOhnlicher loblicher Weise St. Johannis Liebe ziim
Zeichen wahrer Liebe u zu trinken gab ! ). Nach der Reformation
blieb der Brauch in den katholischen Landschaften bestehn.
Seb. Franck im Weltbuch (Bl. 128 a - Ausg. von 1534) erzahlt,
dass nach Beendigung der Brautmesse die ganze Hochzeit-
gesellschaft zu dem Altar tritt, wo jedem der Priester einen
Trunk aus dem Kelch reicht. „ Diesen gesegneten Trunk
heissen sie Sanct Johanns Segen." Noch heute ist der Jo-
hannissegen nach der Trauung im katholischen Suddeutsch-
*) Nachweise bei Friedberg, Eheschliessung 43 f. 64. Wenn die
Synode von Anjou v. 1277 c. 3 sich gegen dieses nomine matrimonii
potare erklarte, so geschah es nicht des potus wegen, sondern weil
diese weltliche Rechtsceremonie vom Volke als hinreichend fiir den
Abschluss einer giltigen Ehe betrachtet ward.
2 ) Frisch, Teutsch-lateinisches WOrterb. 1, 490\
land Brauch. Im Lechrain wird noch jetzt die Johannislieb
fast ganz so, wie Franck erzahlte, aus einem dazu besonders
bestimmten Kelche gereicht (v. Leoprechting, Aus dem Lech-
rain 243). In der Oberpfalz reicht der Priester bei recht
feierlichen Hochzeiten dem Paare nach der Trauung den
Johannissegen zur Erinnerung an die Hochzeit in Kana
(SchOnwerth I, 87). In Steiermark wird der Johannissegen
oft aus einer gewOhnlichen Flasche von dem Priester dem
Brautpaare geschenkt und dieses bringt ihn sich gegenseitig
sowie den Trauzeugen zu; er bringt der Ehe Glilck. Mit dem
Namen Sanct Johannis Segen, auch St. Johannis Liebe Oder
Minne benannte das Mittelalter iiberhaupt einen dem An-
denken Johannis des Evangelisten geweihten heilbringenden
Trunk, der beim Antritt wichtiger Unternehmungen, nament-
lich auch vor Eeisen getrunken ward '). Die Priester segneten
am Tage des Apostels (27. Dec.) einen Kelch, welcher Attribut
Johannis ist; der Trunk daraus sollte den Mannern Starke,
den Frauen SchOnheit verleihen.
Vor dem Altar wahrend der Trauung dr&ngen sich fast
allgemein Brautigam und Braut eng aneinander, damit, wie
es in der Oberpfalz, im Altenburgischen, im Vogelsberg
(Wetterau) heisst, sich der bose Feind nicht dazwischen
drangen kOnne, oder, wie es in West- und Ostpreussen
lautet, damit niemand zwischen sie mit bOsem Blick sehen
und sie behexen kOnne. Auch bei den Esten herrscht diese
Meiriung (L. v. Schroder 80). In Mecklenburg meint man auch,
dass, wenn sie nicht dicht aneinander stehn, jemand durch
Zuschliessen eines Schlosses, das dann weggeworfen wird, den
Gatten die Fruchtbarkeit hehmen kOnne (Bartsch, Meckl. Sag. 2,
64). Wir haben schon friiher erwahnt, dass der Brautigam
seinen Fuss auf den der Braut setzt (S. 348) zum Zeichen
seiner Herrschaft. Meist sucht die Braut wahrend der Trauung
ihm zuvorzukommen oder auch bei dem Zusammengeben
i) Grimm, D. Myth. 54. W. Menzel, Christl. Symbolik 1, 450 f.
Ign. Zingerle, Johannissegen und G-ertrudenminne. Wiener Sitz.-Ber.
Bd. XL, S. 177-^-229. Th. Unger in meiner Zeitschr. f. Volksk. 6, 184 f.
atti
der Hande die ihre oben zu halten 1 ), damit ihr das Regiment
in der Ehe zufalle. Bei Deutschen, Slaven und Letten ist
dieser Brauch gleich bekannt (v. Schroder, S. 79).
Die Einsegnung des Brautpaares durch den G-eistlichen
soil nach verstandlichem Wunsch nicht bloss ihnen, sondern
auch ihrem Hauswesen zu Gute kommen. Im Kalbeschen
Werder in der Altmark hat der Brautigam in seinen Schuhen
KOrner von alien gebauten Fruchtarten; der Segen darilber
sichert reiche Ernten. Die Braut hat Haare von alien Vieh-
arten des Hofes in den Schuhen, ausserdem in der Tasche
Dill und Salz, die gegen die Hexen schtttzen, und einen alten
Gulden, damit sie immerGeld habe (Kuhn, Markische Sagen,
S. 357). In der Oberpfalz steckt die Mutter dem Brautigam
lieimlich einen Btischel aus alien vom Bauer gezogenen Ge-
wachsen in die rechte Rocktasche, damit sie bei der Trauung
mit gesegnet werden und der Segen ihm, so lange er lebe,
bei den Feldfrttchten verbleibe (SchOnwerth I, 76).
In manchen deutschen Gegenden war es Sitte, dass .
der Brautigam unmittelbar nach der priesterlichen Segnung
von den anwesenden Mannern gerauft und geprftgelt ward;
auch in Frankreich (Poitou) waren diese coups de poings des
ftan<jailles tiblich 2 ). Die Geistlichkeit suchte nattirlich den
rohen Gebrauch aus den Kirchenraumen zu vertreiben, aber
mit wenig Erfolg. Bei der Hochzeit in Immermanns prachtiger
Geschichte von dem Oberhofe kommt solche Prttgelweihe des
Brautigams noch vor 8 ).
Um Roding in der Oberpfalz treibt der Hochzeitlader
die Braut mit einer weissen, geschabten Birkenruthe unter
bestandigem Schlagen von der Kirchthtir bis in den Kirchen-
stuhl. In andern oberpfalzischeh Orten schiagt sie der Hoch-
2 ) "Wessen Daumen oben liegt bei der Trauung, wird die Herr-
schaft haben (Westfalen, Jahrb. f. nd. Sprachf. 3, 136).
2 ) Metzenhochzeit bei der Hatzler. 260\ Wittenweilers Ring,
S. 142, Seb. Frank, Weltb. 128. Binterim, Denkwurdigkeiten II. 2, 81."
Rabelais, Gargantua von Regis II, 592.
8 ) Namentlich in der Soester Borde ist das Prilgeln des Brauti-
■ gams nach der Trauung tiblich: Kuhn, Westfal. Sagen 2, 42.
zeitlader mit einem Degen tlber den Rtlcken, wenn sie in
den Kirchenstuhl tritt und wenn sie vbn dem Altar in den-
selben zurilckkehrt; hier und da wird dieser Schlag von dem
Brautftlhrer vor Beginn des Hochzeitmahles wiederholt
(SchOnwerth I, 86 f. 94). In Litauen ist es Brauch, die Braut
vor Besteigung des Bettes ttichtig zu prttgeln (Tettau-Temme,
Volkssagen Ostpreussens, S. 257). Wahrscheinlich haben diese
Brauche denselben Sinn gehabt, wie das Schlagen mit der
Ruthe oder mit Riemen zu gewissen Zeiten, das Leften und
Fruchtbarkeit wecken soil 1 ).
In der nordOstlichen Steiermark (POllau bei Vorau) ist
es Brauch, dass die Braut gleich nach Empfang des priester-
lichen Segens rasch aus der Kirche lauft und sich versteckt.
Der Brautigam muss sie suchen. Derselbe Brauch flndet sich
in Schwaben (E. Meier, Sagen aus Schwaben 487) und im
Elsass. Bei den Siebenbftrger Sachsen wird haufig nach der
Trauung vor der Kirche getanzt; der Brautigam tanzt mit
der Braut und sie entlauft ihm dann (Matz 66). Der Braut-
knecht muss sie einzuholen suchen, ehe sie sich in ein Haus
Mchtet.
In der Altmark findet ein Wettlauf zwischen Braut
und Brautigam statt (Kuhn, Markische Sagen 358), ebenso in
der Grafschaft Ruppin, in der Priegnitz und den angrenzenden
Theilen Mecklenburgs. Nicht minder halten die Hochzeitgaste
wahrend des Festes in Nord- und Saddeutschland Wettlaufe
unter sich 2 ). Der Wettlauf, der in so vielen Volksfesten einen
Theil der Belustigungen bildet, gehOrt gleich dem Tanz, mit
dem er sich in unserm Fall nahe verbunden zeigt, zu dem
Bestand sehr alter religiOser Feste, und so werden wir wohl
nicht irren, ihn als ein Bruchstttck der altgermanischen Hoch-
zeitfeier in Anspruch zu nehmen.
Die Flucht der Braut gleich nach der Trauung und ihr
damit verbundenes Verstecken kommt auch bei den Esten
J ) Mannhardt, W. u. F. K. 1, 251 ff.
2 ) Meine Abhandlung iiber den Wettlauf im deutschen Volks-
leben, Z. d. Vereins f. Volkskunde III, 14 f.
und den flnnisch-ugrischen VOlkern vor (v. Schroder 141 f.).
Es kann darin ein alter Hochzeitscherz stecken, dass die
Braut, die der Br&utigam nun ganz sicher zu haben glaubt,
sich ihm noch zu entziehen sucht.
Das gesellige Fest, durch welches nach Beendigung
aller FOrmlichkeiten der Verlobung und Trauung die Hoch-
zeit begangen ward, bewegte sich in alter Zeit in der Weise
aller Festlicheiten des Mittelalters und nach dem VermOgen
und Stande des Brautpaares.
Dieses selbst sass auf dem Ehrensitz des Tages, in dem
Brautstuhl (brutstuol) 1 ). Ausser Essen und Trinken boten bei
ritterlichen und adelichen Hochzeiten der hOfischen Zeit
mancherlei Kampfspiele Unterhaltung in dem oft lang sich
ausdehnenden Feste. Immer aber und flberall durchzog der
Tanz die Hochzeit 2 ). Die Festlichkeit begann mit einem
Reigen und darauf folgte das Zusammengeben des Braut-
paares, mochte es auf biirgerliehe oder kirchliche Weise ge-
schehen 8 ). Ward dabei ein Zug in die Kirche gehalten,
so wurde er unter Tanz, Gesang und Ballspiel, also mit
einem Brautleich vorgenommen 4 ), wie dies, auch in sehr alter
Zeit im Morgenlande gebr&uchlich gewesen ist (Concil. Laodic*
a. 363. can. 53).
x ) Nachweisungen bei Graff Vl, 663 f. Benecke-Muller, Mhd.
Wb. II. 2, 714. Lexer, Mhd. Wb. I, 375. Schmeller, Bayr. Wb. IP,
752. Nordhaus. Weist. B. §.11. —Von dem Ausdrucke im brutstuole
sitzen, den briutestuol besitzen kommt das Wort Stuelfeste fur spon-
salia, das Versprechen vor dem Priester, Schmeller, B. W. I 2 , 776.
2 ) tlber die verschiedenen und langen Tanze, welche in Ober-
und Niederbayern den ausgedehnten Hochzeitschmaus unterbrechen :
Bavaria I, 403 ff. Vgl. auch Sch6nwerth, Aus d. Oberpfalz 1, 106 f.
Birlinger, Yolksthiimliches a. Schwaben 2, 370 ff. Baumgarten, Aus
d. Heimat 9, 74. Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3, 140. Bartsch, Mecklenb.
Sagen 2, 67 ff.
8 ) Athis C: 96. Crane 4424 ff. Heinr. Trist. 633.
4 ) 8U8 giengin die jungin hupfinde wide spriwginde, von den
brutin singinde, einander werfinde den bal Ath. C* 96. — ftber den
Brautball: Kuhn und Schwarz, Norddeutsche Sagen, S. 372. Ygl. ttber
den Earchgang auch A. Schultz, HOfisches Leben I, 629 f. S. Franck,
Weltbuch CXXVIII (Ausg. von 1534).
864
In heidnische Zeit, die freilich in der betreffenden Saga
romantisch gefarbt wird (FornaldarSOg. 3, 222), versetzt die
Schilderung einer nordischen Hochzeit. Als die Manner alle
Platz genommen haben, wird die Braut mit ihrem Gefolge
hereingefuhrt; der Brautigam setzt sich aber nicht zu ihr,
sondern sitzt auf dem Hochsitz neben dem KOnig. Einer der
Gaste greift nach der Harfe und beginnt zu spielen; als das
Trinken gebracht wird, soil er aufhOren, der KOnig jedoch
erlaubt ihm fortzuspielen. Da wird der erste Gedachtnisstrunk
(minni) dem Th6rr gebracht und Sigurd beginnt eine Weise,
dass alles tanzt was beweglich ist: Messer, Tische und Men*
schen. Demnachst kommt der Becher filr alle Gutter (ollum
&sum) und eine zweite wundersame Weise ertOnt, die alle
bis auf das Brautpaar und den KOnig von ihren Sitzen bringt.
Darauf spielt Sigurd den Gygjarslag und Drambuslag und das
Hiarrandalied (Horantes liet). Der Odinsbecher kommt und
der Harfner schlagt mit einem weissen, goldgesaumten Hand-
schuh den Faldafeykir, bei dem die Kopftucher den Frauen
herunterfliegen und alles tanzt. Nach dem Freyjatrunk ist das
Zechen zu Ende.
Trinken, Gesang und Saitenspiel und Tanz, als hervor-
stechende Punkte die Opfertranke, die den GOttern gebracht
werden und die mit dem der Freyja, der GOttin der Liebe
und Ehe schliessen, sind als echte Zuge in dieser Schilder
rung zu bezeichnen. Ein paar Beschreibungen neuskandina*
vischer Hochzeiten mCgen sich anreihen 1 ).
In Skogboland in Upland wird der Brautlauf wie ander-
warts gewOhnlich im Herbst gehalten. Vor dem Brauthause
stehn junge Tannen (bruriskor), an denen bis auf den Wipfel
alle Aste abgeschnitten sind. Der Brautzug geht von den
Hofrittern (hofriddare) geleitet . zur Kirche, wo vier junge
Madchen wahrend der Einsegnung einen Himrael iiber das
Brautpaar halten. Auf dem Heimgange reiten die Ritter zwi-
schen dem Zuge und dem Hause bin und her; man setzt
! ) R. Dybeck, Runa. En skrift f5r faderneslandets foravanner.
Stockh. 1842. 2, 62 ff. 4, 60 ff.
865
sich dann zu Tisch, und am Schlusse des Essens fordert
der Geistliche, der wie in Deutschland stets dabei ist, zu
einer Sammlung far die Wiege auf 1 ). Darauf beginnt der
Tanz, den der Geistliche mit der Braut er5ffnet. Nach einer
Weile geht die Braut, von der Brautfrau (frammor) begleitet,
fort, um sich umzukleiden, und theilt dann kleine Geschenke,
der Willkommen (vaifagnad) genannt, an die Gaste aus.
Nun heisst sie Jungefrau (ungmor) und der Wegtanz (bort-
dansingen) beginnt, bei dem die Manner den Madchen und
die Madchen den Frauen die Braut streitig zu machen suchen.
Den Beschluss macht am ersten Tage der allgemeine Tanz,
der bis tief in die Nacht dauert. Am andern Morgen werden
die Reste des Mahles verzehrt und ein Klotz in die Stube
gestellt, auf dem far die Spielleute und die Aufwascherin
(auch wie in Deutschland) gesammelt wird, wahrend alle
Festgenossen darum tanzen. Gegen Mittag trennt sich die
Gesellschaft, indem die Manner einen scherzhaften Raubzug auf
die umliegenden HOfe unternehmen. Die Tanze sind meistens
von Gesang begleitet und haben besondere Namen ; jetzt sind
Weisen und Worte schon sehr ins Vergessen gekommen.
Der Tanz, den die Braut mit dem Geistlichen tanzt, heisst
im Kirchspiel Ving&kr HOglorf und ist von einem Liede be-
gleitet, das an die Braut gerichtet ist und nicht ganz feine
Scherze enthait.
Die alte Sitte, dass das Brautpaar bei der Vermahlung
einen Becher zusammen leerte 2 ), hat sich in einem norwe-
gischen Hochzeitbrauche erhalten. Im nOrdlichen Guldbrands-
thal heisst der dritte Tag des Festes Klotztag (stubbedagen).
Da wird namlich ein gewaltiger Fichtenklotz in die Braut-
1 ) l&tom 088 nu, gode winner, sartila nhgot &t bruden til vagga.
Solche Sammlungen iibernimmt in Schlesien die Zuchtfrau, ander-
warts der Brautbitter.
2 ) Alterthumlich erscheint der Brauch in Gottschee, der deut-
schen Sprachinsel in Krain, wo sich ehemals die Braut nach der
Trauung zum Brautigam aufs Pferd schwang und mit ihm einen
Krug Wein trank, den sie, nachdem er geleert, iiber den Kopf zu
Boden warf: Hauffen, Die deutsche Sprachinsel Gottschee, Graz
1895, S. 81.
366
stube gewalzt. Zuerst steigen Brautigam und Braut hinauf
und trinken sich einen Becher zu; dann folgt die ganze Ge-
sellschaft paarweise nach, indem zugleich jedes Paar, nach-
dem es von dem Klotze gestiegen ist, dreimal um ihn herum-
tanzt. Zuletzt wird der Klotz unter Scherzen in den nachsten
Bach gewalzt. Auch in schwedischen Landschaften ist das
Zutrinken auf dem Klotze Sitte, wahrend die Gesellschaft
singend und schreiend darum tanzt. Der Tanz heisst stubb-
dansen (Klotztanz). In Westmannland hiess der hochzeitliche
Lustigmacher Klotzmann (stubbgubbe) ; er wurde bei dem
Klotztanze am dritten Tag auf den Klotz gesetzt und hier-
nach neben diesem unter allgemeinem Jauchzen aber Berg
und Thai in das nachste Wasser gerollt 1 ).
Der Tanz war, wie wir fruher schon zu erwahnen hatten,
entweder bloss von Gesang begleitet oder von Gesang und
Instrumentalmusik oder von letzterer allein. Die Spielleute
sammelten sich daher von Alters her bei den Hochzeiten,
wenn sie nur irgend Aussicht auf einen Gewinii hatten. Auch
ausser dem Tanze suchten sie zur Unterhaltung beizutragen:
sie trugen auf Harfen, Fiedeln und FlOten ihre Weisen vor,
erzahlten beliebte Dichtungen und ergOtzten durch allerlei
Kunststilcke. Ein alemannischer Prediger des 13. Jahrhunderts
schildert die Hocheit von Kana und sagt von ihr lobend : da
waren nicht Pfeifer noch Geiger noch Tanzer noch Singer
noch Spielleute wie heute bei den Brautlauften (Grieshaber,
Pred. 2/20); und Heinrich von Veldeke erzahlt von Aeneas
Hochzeit: da war Spiel und Gesang und Turnier und Gedrang,
Pfeifen und Singen, Tanzen und Springen, Trommeln und
Saitenspiel, mancherlei Freuden viel (Eneide 18161 ff.). Solche
Unterhaltung kam ilbrigens dem Brautpaare wie den Gasten
nicht selten theuer zu stehn, denn die Spielleute 2 ) hatten
!) Weise und Worte des westmaniandischen stubbdans theilte
Dybeck a. a. 0. mit. Ringtanze, welche sich auf die Verlobung
beziehen und manches beachtenswerthe bieten, bei Dybeck 4, 70. 75.
2) Pertz, Mon. 8, 248. Eneide 13106. 13181. Erek 2166 ff. Nibel.
1309. Gudr. 1673 ff. Helmbr. 1609. Enikel, Wkr. 12920. Die Ham-
burger Hochzeitordnung von 1292 erlaubte nur vier Spielleute und
807
weite und lOchrige Taschen und gegen den sparsamen Wirt
spitze Zungen ; ttbrigens waren sie nicht wahlerisch, sondern
nahmen alles, weil sie alles brauchen konnten. Bei vornehmen
Hochzeiten fanden sie sich in grossen Haufen ein, Heu-
schreckenschaaren gleich, die tlber grunes Land herfallen.
GewOhnlich ftihrten diese fahrenden Leute bei den Hoch-
zeiten allerhand mimische Darstellungen auf. Dieselben mOgen,
wie das bei diesen Festen • noch heute leider gar zu leicht
geschieht, etwas derb gewesen sein, allein unsere frommen
Vater vertrugen davon ziemlich viel. Weniger deshalb, als
weil das Yolk der Fahrenden Qberhaupt verachtet war und
ausser der Kirche stund, war den Geistlichen geboten, die
Hochzeiten alsbald zu verlassen, wenn die Spielleute eintraten ;
sie sollten ihnen nicht einmal eine Gabe reichen 1 ). Aus dem
16. und 17. Jahrhundert ist uns die Aufftihrung wirklicher
dramatischer Scenen bei den Hochzeiten bekannt 2 ). So viele
mir deren vorlagen, sie athmen alle den Geist der Hochzeit-
gedichte jener Zeit und sagen der Braut mit frechster Zunge
jedem 4 solidi als Lohn ; sind ihrer mehr, so haben sie nur das Essen
zu fordern. Die Ltibeckischen Hochzeitordnungen des 15. u. 16. Jahrh.
setzten fiir die Spielleute mit dem Spielgreven von Seiten des Brauti-
gams Kleider, seitens der Braut ein Hemd aus. Vgl. auch die Ypernsche
Hochzeitkeure von 1294 bei Hoffmann v. F. Horae belg. VI, 193.
2 ) Zu Grunde liegt allerdings das 54. cap. des Concils von
Laodicea (363), allein die Oftere Wiederholung des Inhaltes dieser
Bestimmung mit bald grOsserer bald geringerer Ausfuhrung beweist,
dass jenes Verbot in Deutschland n6thig war. Chrodgangi reg. can.
(762) c. 68. Regin can. 325. cone. Aquisgr. (826) tit. 83. Hludov. conv.
Mogunt. 851. — Kirchliche Verbote, das Volk der Fahrenden zu be-
schenken: synod. Olmuc. 1342. c. 7. Frising. syn. 1480. Salisburg. 1490
(Hartzh. 4, 338. 5, 512. 574).
2 ) Gottsched, Nothiger Vorrath 1, 121. Neukirchs Sammlung v.
Hoffmannswaldaus und anderer Gedichte 1, 100. 3, 151. Kahlert,
Schlesiens Antheil an der deutschen Poesie 30. Ein Verzeichniss von
Einzeldrucken deutscher Hochzeitgedichte und Hochzeitscherze in
Prosa vom 16.— 19. Jahrhundert gibt die Bibliotheca Germanorum
nuptialis von H. Hayn, Koln. In Spanien waren bei vornehmen
Hochzeiten dramatische Spiele und lebende Bilder ublich, v. Schack,
Gesch. d. dramat. Dichtung in Spanien I, 174. 202. 214. 2, 101.
unverschamte Dinge. Dergleichen Unflatherei war aber Tages-
brauch, und schOne Talente, wie Hoffmannswaldau und
Gtather, besudelten sich leider damit. Es sind aber auch
von heutigen Bauernhochzeiten noch Beweise zur Hand, dass
Lieder und dramatische Auffiihrungen bei denselben be-
liebt sind.
Im oberOsterreichischen Traunviertel, im Hausruck- und
Innkreise war es Brauch, gegen Mitternacht den Tanz ruhen
zu lassen und Hochzeitlieder, bald ernsten, bald heitern In-
halts zu singen, die sich auf den Ehestand bezogen. Im
Milhlviertel sollen solche Lieder nach dem Zusammengeben
in der Kirche gesungen worden sein (Baumgarten 9, 70).
Eine sehr reiche Sammlung von Brautliedern aus dem deut-
schen Heideboden im westlichen Ungarn gab der Benedictiner
Remigius Sztachovics (Wien 1867, Braumiiller) heraus (S. 23
bis 322 seines Buches), der dabei in der Vorrede zu den
Bauern jener Gegend sagen konnte: „Auch bedurfte ich bei
der Sammlung keines Schanddeckels, denn in Eurer seligen
Vater Handschriften aus den Jahren 1647 bis 1850 habe ich
kein einziges Schandlied gefunden."
Bei den deutschen Gottscheern in Krain werden bei
dem Hochzeitmahl weltliche Volkslieder angestimmt (Hauffen,
Gottschee 83). In Steiennark sind nach dem Hochzeitessen
geistliche Volksdramen, namentlich das Paradeisspiel (Sunden-
fall und ErlOsung), aufgefuhrt worden (Rosegger, Volksleben
in Steiermark 182). Im grOssten Theil des Siebenburger
Sachsenlandes wird bei Hochzeiten das auch sonst beliebte
KOnigslied gespielt, ein dramatischer Gesang zwischen Engel,
KOnig und Tod, mitten im hOchsten Lebensfest eine ernste
Mahnung an das sterbliche Loss der Menschen (Matz, Bauern-
hochzeit 87 ff.), sowie auch in der Oberpfalz nach dem Ab-
danken (der Danksagung an die Hochzeitgaste) ein Gebet
ftir die armen Seelen der Yerwandten aller Anwesenden ge-
sprochen wird (SchOnwerth I, 102).
Aus demselben ernsten Geiste entsprang der Gebrauch
im Iserlohnschen in Westfalen, wonach der Brautigam und
die Braut (lurch einen Nothnachbar 1 ) und eine Nothnachbarin
in die Brautkammer gefahrt wurde. Der Nachbar nahm dem
Brautigam Mtttze und Jacke ab und sprach: „Ich bin der
Mann, der, wenn du stirbst, die Pflicht hat, dich zu entkleiden,
wie ich dich jetzt auskleide. Gedenke in der Freude deines
Hochzeittages deiner Sterblichkeit." Ebenso sprach die Nach-
barin zur Braut (Jahrb. f. niederd. Sprachforsch. 3, 142).
Eine lustige dramatische Hochzeitauffuhrung ist der
siebenbttrgisch-sachsische ROsschentanz (Fronius, Bilder aus
dem sachsischen Bauernleben in Siebenbttrgen, 86 — 90, und
Fr. W. Schuster in dem Muhlbacher Gymnas.-Programm von
1863). —
In der Zeit des bltihenden Ritterwesens machten bei den
vornehmen Hochzeiten ritterliche • Spiele einen bedeutenden
Theil der Unterhaltung aus. Unsere mittelalterlichen Gedichte
so wie die Chroniken geben genug Zeugniss da von. Bei furst-
lichen Vermahlungen trat gewOhnlich der feierliche Ritter-
schlag einer Anzahi Knappen hinzu 2 ), der zuweilen am ersten
Tage, Ofter aber am Morgen nach dem Beilager vorgenommen
wurde.
Die Ubergabe der Hochzeitgeschenke nahm gewOhnlich
auch einen Theil des Festes in Anspruch. Die Sitte dieser
Gaben ist uralt und aus dem natttrlichen Wunsche nahe-
stehender und Verwandter entsprungen, dem jungen Paare
eine Beisteuer zur Einrichtung zu geben. Bei Fftrsten und
Bauern waren sie gleichgebrauchlich ; in dem Hof- und Lehns-
wesen wurden sie eine geforderte Steuer, wie schon frtiher
bei der Mitgift erwahnt ward. Offentlich im Kreise der Hoch-
zeitgaste ilbergeben 8 ), wurden sie der Gegenstand wett-
! ) In Westfalen, am Niederrhein und sonst noch besteht der
Verband der nachsten Nachbarn, die in den Nothfallen des Lebens
einander bestimmte Dienste leisten, so u. a. das Begrabniss besorgen.
2 ) Nib. 596. Gudr. 549. Frauendienst 11, 13—28. Lohengr. 2405.
Philipp von Schwaben verband seine Vermahlung mit Irene, der
griechischen Kaisertochter, Pfingsten 1197 auf dem Gunzenle mit
dem Feste seiner Schwertleite: Stalin, Gesch. Wirtemb. 2, 134.
3 ) Kl. Hatzler. 262. Wittenweilers Ring, S. 146. Fastnachtsp.,
S. 573 f.
Weinhold, Deutsche Frauen. I. 24
370
eifernden Aufwandes, so dass die stadtischen Obrigkeiten
und auch manche bauerliche sich genOthigt sahen, sie in den
Bereich der Luxuspolizei zu Ziehen und entweder Regelungen
dariiber Oder Verbote dagegen zu erlassen 1 ). Noch heute
bildet das weisen, ehren, schenken oder geben einen wich-
tigen Act bei den bauerlichen Hochzeiten*), die davon hier
und da Gebehochzeiten genannt werden.
Der Aufwand, welcher sich bei den Hochzeiten im Mittel-
alter in Kleidern, Schmuck, Verzierungen der Wande, in Ge-
schenken der Gaste und namentlich bei dem Gastmahle ein-
fand, war so bedeutend und tibermassig, dass die Polizei
dadurch bald zum Einschreiten aufgefordert wurde. Die zahl-
reichen Hochzeitordnungen , welche im 13. und 14. Jahr-
hundert begannen, am haufigsten aber im 16. Jahrhundert
erschienen, bezweckten die Einfachheit zurfickzufuhren. Fur
die verschiedenen Stande wurden nunmehr hOchste Satze des
erlaubten festgestellt, ganz wie bei den Kleiderordnungen ;
allein ihre stete Wiederholurig beweist, wie v^rgeblich das
Streben der Obrigkeiten blieb. Wir gehn nicht *iaher darauf
ein 8 ) ; iibergehn auch das Essen und Trinken und die Zahl
der Festtage, deren bald drei, "bald funf, bald acht und noch
mehr waren, und erwahnen nur, dass die Gaste hier und
2 ) Nurnberger Polizeiordnungen, herausg. von Baader 59 ff.
75 ff. Jager, L T lm 519. Appingadamer Bauernbr. v. 1327 bei Richthofen,
Altfries. Rechtsqu. 297 b . Schmeller, Bayr. Wb. II 2 , 1027.
2 ) Vgl. z. B. Bavar. I, 406 f. 993. II, 286. Ill, 335. Baumgarten,
Aus d. Heimat 9, 83. Schonwerth 1, 99. Witzschel, Sagen und Sitten
aus TMringen 2, 239. Matz, Siebenb. - sachs. Bauernhochzeit 71. 78.
Morgenblatt 1853, S. 768. Jahrb. f. nd. Sprachforsch. 3, 141 f.
8 ) Vgl. im allgemeinen Htillmann, Stadtewesen" 2, 449. 4, 156.
Jager, Ulm, 516. Schultz, Deutsches Leben im 14. u. 15. Jahrh. 262 ff. ;
im besoncjeren: Niirnberger Polizeiordnungen von Baader 59 f. 71. 86.
Hamburger IJpQhzeitordnungv. 1292 (Lappenberg, Hamburger Rechts-
alterth/l,: 160). « Kopenhagener Stadtr. von 1294, n. 73 (Kolderup-
Rosenymge. I,V). Appingadamer Bauernbr. v. 1327 (Richthofen 297).
Gutalag.. 24, M^ Son.. Hans privil. n. 36. 37. Kristian II. Geistl.
Recht 129. ; .Kri.stianJl 1 I. recess. 1539. 1558. Kristian IV. rec. v. 1615.
Weistumer 1, 384:489. 2, 22. 3, 78. Michelsen-Asmussen, Archiv I, 1. 69.
371
da nach den Geschlechtern getrennt wurden. Als Ktoig Hakon
Hakonsson von Norwegen seine Vermahlung mit Margarete,
Tochter des Herzogs Skuli, hielt, bewirtete er die Manner
in der Julhalle, die Frauen mit der KOnigin in der Sommer-
halle 1 ); die Klosterleute sassen wieder abgesondert. Etwas
ahnliches war in Ltibeck im Anfang des 16. Jahrhunderts
Brauch. Das Brautpaar speiste namlich von den G&sten ab-
gesondert in der Brautkammer. Wenn aber der Braten kam,
ging der Brautigam zu den Mannern und die Frauen kamen
zu der Braut 2 ). Bei den oberschwabischen Hochzeiten sitzen
Brautigam und Braut nicht bei einander. Die Braut sitzt an
der Ecke des Haupttisches, im Winkel (Birlinger, Volksthuml.
2, 330).
Die Braut war das ganze Fest ilber fast allenthalben
in die Obhut der Brautfrau 8 ) gegeben, einer nahen Verwandten
Oder eine Pathe, welche die Stelle der Mutter an diesem
Tage vertritt und far die Braut uberhaupt das ist, was far
den Brautigam der Brautfahrer oder Vormann. Sie ist die
Ehrenmutter nach bayrischem Ausdruek oder, wie sie die
deutschen Schlesier noch heute nennen, die Zachtfrau 4 ). Auf
Sylt waren zwei Aalerwaffen gewOhnlich, zu denen noch die
zwei Brautjungfern traten, welche in keiner deutschen Gegend
fehlen und in den Brautgesellen (Brautknechten) ihre mann-
lichen Genossen finden. Ob diese nachsten Begleiter des
Brautpaares sich schon in der altesten Zeit fanden, wird
*) % sumarhollinni; die Hochzeit war am Trinitatistage. Forn-
mannas. 9, 372.
2 ) In Eleinrussland essen die vom Brautigam geladenen bei
ihm, die G&ste der Braut bei dieser.
8 ) Ahd. Mmachdra, mhd. br&thiieterinne, altschwed. bruthframma,
toutumo, frammor. — Die gridkona des Biarkeyjarrett (c. 132) scheint
dasselbe, so wie der gridmadr dem truhtigomo entspricht. Ausser
ihnen fordert dies Rechtsbuch noch zwei Brautm£nner und Braut-
frauen als Zeugen der Vermahlung.
4 ) Einer zuchten hiess und heisst in Hessen, Franken und
anderwarts einer Ehre erweisen, einer zu Ehren bei der Hochzeit
oder der Taufe folgen. Die Brautjungfern hiessen -hessisch Zucht-
magde: Vilmar, Hess. Idiotikon 472. Schmeller, Bayr. Wb. II 2 , 1108.
24*
372
schwer zu beantworten sein. Der Brautfuhrer zwar ist als
altgermanischer Brautwerber nachzuweisen ; schwerer halt es
aber mit der Brautfrau Oder Ehrmutter, wenn wir nicht in
dem Eddaliede von Thryms Hammerraub den Loki, welcher
als Magd verkleidet den brautlichen Th6r begleitet, als eine
Ehrfrau ansehen wollen, da er ganz ihr Amt versieht, fur die
Braut antwortet und sie entschuldigt, wenn es nOthig ist.
Man kann hierauf so wie im allgemeinen auf die altgermanische
Sitte der Zeugenschaft von Eltern und Verwandten gesttitzt
den kirchlichen Einfluss 1 ) auf die Gestalten jener Hochzeit-
ftihrer abweisen. Ebenso haben die Brautgesellen in dem
herkOmmlichen Geleite des Brautigams, so wie die Braut-
jungfern in dem wohl ebenso altiiblichen Gefolge der Freun-
dinnen der Braut ihre volksthumliche Vorfahrenschaft. Uber-
dies ist auf die paranympha und die trohtingi in dem Gesetz
des LangobardenkOnigs Aistulf v. 755 zu verweisen, also auf
die Brautfrau oder Brautjungfer und die Brautigamsbegleiter.
Auffallen kann, dass in Oberdeutschland die Mutter der
Braut an dem Hochzeitfest nicht theilnimmt. In Ober-
schwaben darf sie sich den ganzen Tag nicht sehen lassen
(Birlinger, Volksthuml. a. Schw. 2, 330). An der unteren
Salzach schaut sie nur im Werkeltagsgewand allem zu (Ba-
varia I, 405). In der Oberpfalz darf sie nicht mit in die
Kirche gehn, am Mahle nimmt sie theil (SchOnwerth I, 79.
95). AuCh der Brautvater hat eine bescheidene Stellung bei
der Hochzeit bekommen, allein er ist durch die sogenannten
Ehrenpersonen nicht so zuruckgeschoben als die Mutter 2 ).
2 ) Concil. Carthag. IY. c. 13: sponsus et sponsa cum benedi-
cendi sunt a sacerdote, a parentibus suis vel a paranymphis offerantur.
— Benedicti capit. Ill, 463 (Pertz, leg. II, 432): a sacerdote benedi-
catur et a paranymphis ut consuetudo decet custodita et sociata a
proximis.
2 ) Durch Vergleichung mit den Sitten der sammtlichen In-
dianer, der Mongolen, Kalmticken, Osseten und australischer und afri-
kanischer Volker, in denen Feindschafb und das Verbot des Verkehrs
des Mannes mit den Schwiegereltern sich auspricht, ist oben be-
ruhrter Brauch als Rest aus der Raubehe erklart worden: Dargun,
Mutterrecht und Raubehe 91.
373
Die Hauptrollen haben der oder die Brautfuhrer und der
Hochzeitiader bei den deutschen Bauernhochzeiten,' in denen
sich ganz anders als bei den stadtischen Trauungen alte
Sitte erhalten hat. Der Hochzeitbitter ist der Sprecher und
Cermonienmeister. Die dabei von ihm gesprochenen Sprtiche
haben theils einen ehrbar-altfrankischen Gehalt, theils. streifen
sie in das burleske und derbe fiber. Auch Predigtparodien
kommen vor 1 ).
Yon einzelnen Gebrauchen sei noch ein weitverbreiteter
erwahnt, das Zerbrechen einesGlases, Kruges oder vori
Essgerath und Geschirr. Bei der Heimkehr von der Trauung
trinkt das Brautpaar aus einem Glase, das dann weiter ge-
reicht wird, der letzte wirft es weg, so dass es zerbricht (Ober-
pfalz). GewOhnlicher wirft es die Braut tlber ihren Kopf fort
(Yoigtland, Waldeck, Oldenburg: Wuttke, §. 338. 565. E. K5hler,
Volksbrauch im Yoigtlande 241). In Gottschee in Krain wirft
die Braut den Weinkrug, aus dem sie nach der Trauung
auf dem Pferde neben dem Brautigam getrunken hat, fiber
ihren Kopf zu Boden (Hauffen, Gottschee 81). Wenn das
Trinkgeschirr zerbricht, bedeutet es GlQck fur die Ehe. In
Velburg in der Oberpfalz gibt die erste Prangerin (Braut-
jungfer) der Braut mit einem hOlzernen LOffel die Suppe zu
essen und zerbricht ihn dann (SchOnwerth I, 96). Das Zer-
trflmmern von allerlei Topfgeschirr am Vorabend der Hoch-
zeit, dem da von genannten Polterabend, ist derselbe Ge-
brauch; je mehr TOpfe zerworfen werden, umsomehr Glfick.
In der Oberpfalz wird in der Nacht vor der Hochzeit ein
Fenster des Brauthauses eingeschlagen ; je mehr Scherben,
je mehr Reichthum (SchOnwerth I, 74). Es ist ein zwar aus
aiteren Quellen nicht bezeugter, aber gewiss uralter Brauch.
Auch bei den jfldischen Hochzeiten wird nach der Trauung
ein Glas auf den Boden geworfen und dadurch zerbrochen.
Bei den Esten findet sich auch das Zerbrechen des LOffels
und des Tellers, auf dem die Braut das letzte Brot im Eltern-
!) Z. B. in Siebenburgen, Matz 86; in Schwaben, Birlinger, Aus
Schwaben 2, 252—258. 265—270.
374
hause isst. In Italien gilt es glttckverheissend, wenn bei der
Hochzeit etwas zerbrochen wird (v. Schroder 84 ff). Es mag
ein Opferritus darin zu suchen sein, der gegen bOse M&chte
schtltzen sollte. Mexikanischen GOtzen wurden TOpfe geopfert,
die man einen Berg hinabwarf (Berliner Zeitschr. f. Ethnologie
1895, S. 777).
Nach dem Mahle im Hause des Brautvaters kommt der
Abschied der Braut von ihren Eltern. Auch hier kann
ich mich nur auf Gebrauche neuer Zeit beziehen. Echt
bauerlich ist, dass die Neuvermahlte, ehe sie das letzte Mai
tlber die Schwelle ihres Heimathauses schreitet, in der Ober-
pfalz von ihren Freundinnen tlber die Dungerstatte des Hofes
geftthrt wird, diesen wichtigen Platz der Bauernwirthschaft.
Man schiebt ihr etwas Mist in die Schuhe und singt:
Woin Moidl woin! Mia flrn di nimma hoim,
Mia flrn di uba deins Vodarns Mist,
Es gaid di nimma wies da ganga-r-is. *)
Ausserdem bekommt sie etwas Salz in die Tasche als
Schutz gegen Zauber und ein Stuck Brot, damit sie nicht
verarme (SchOnwerth I, 76 f.).
Dann nimmt die Braut Abschied von den Eltern und
bedankt sich fur alle Liebe und Treue; auch hier tritt der
Hochzeitlader in Oberbayern fur sie als Sprecher ein (Bavaria
I, 395). Fromme Eltern segnen nun ihr Kind und dieses
weint, nicht bloss aus naturlichem Geftihl, sondern auch,
weil es geforderte Sitte ist. Wie bei den Indern der Brautigam
seine Neuvermahlte mit drei Sprttchen auf den Abschied von
den Ihren hinweist und in einem vierten zum Weinen auf-
fordert (Haas, in d. Ind. Studien V, 327), wie die rOmische
nupta zOgernd unter Thrtaen sich verabschiedete (Rossbach,
ROm. Ehe 329), so auch nach Bauerncermoniell die deutsche
*) Poetischer ist das litauische Abschiedlied der Braut bei
Schleicher, Litauische M&rchen etc., S. 229. Siidslavische Abschied-
lieder der Freundinnen der Braut bei Krauss, Sitte und Brauch der
Sudslaven 441. 445. Estmsche bei v. Schroder, S. 186 f, Ein Gottscheer
Abschiedlied der Braut bei J, Schroer, Ausflug nach Gottschee, S. 114.
375
junge Frau (SchOnwerth I, 75. Birlinger, Volksthuml. 2, 360).
Es ist das ganz falsch auf slavischen Einfluss zuriickgefiihrt
worden. Allerdings fordert das Abschiedweinen der Braut
auch bei den Slaven sein G-ewohnheitsrecht, aber es ist bei
alien, so auch bei den estnischen und finnischen Volkern her-
k5mmlicher, allgemein menschlicher Brauch (v. Schroder 86 f.).
Wie der Brautigam in stattlichem, meist berittenem
Zuge am Morgen zum Brauthause kam, so zieht er ebenso
nach seinem Hofe mit der ihm abergebenen Frau 1 ). In dem
sch5nen altdeutschen Gedicht von der Hochzeit heisst es von
dieser Fahrt: Als die Maget da aus dem Hause ging und er
sie stattlich empfing, strahlend und leuchtend war sie, nie
sah man so herrliches. Vor allem Volke stund sie makellos
wie eine rechte Braut. Die Hand bot er ihr furwahr, zu-
vorderst ritt er an der Schaar mit seiner sch5nen Braut vor
allem Yolk. Sie leuchtete fiber die Menge als der lichte
Morgenstern. Da geleiteten alle sie in Freude. Da ritten bei
der Braut junge Leute, stolze Bitter mit herrlicher Rustung.
Hei, wie sie da sungen, als sie sie heimfuhrten (Karajan,
Sprachdenkm. 25, 17—26, 4).
Diese Brautlieder der heimgeleitenden Hochzeit-
schaar, die Brautleiche, Brautgesange *) waren alte, all-
gemeine Sitte, so dass hileich, ags. brydiac, fttr Hochzeit selbst,
briltleichen, denBrautgesang anstimmen, ftlrheiraten gebraucht
worden ist. Auch die Spielleute liessen ihre Instrumente
schallen. „S6 man eine brM heinleitet", heisst es in dem
Seelenspiegel, einer erbaulichen Schrift des 14. Jahrhunderts,
„s6 sleht man den sumer (Tamburin) vor ir und gigot und
sweglot (flOtet) und vidlot engegin ir, und mit mangirhande
seitenspil enphahet man si" (vor dem Hause des Brautigams.
a ) Uber den stattlichen Reiterzug bei schwabischen Bauern-
hochzeiten: Birlinger, Volksthiimliches 2, 360.
2 ) Ahd. leichod, hileich, brutisanc, mhd. brutleich, brutliet, ags.
brydlac, brydleod, brydsang, giftleo^. — Sidon. Apollin. c. 5, 218—220.
Athis C* 96. Lampr. Syon. 3212. Reinbot Oeorg 1007. Mullenhoff, De
poesi chorica, S. 23 ff.
876
Mone, Anzeiger 8, 612). Dieses sprichwOrtlich gewordene
heimgeigen und heimblasen war tiberall Brauch. Wie die
ditmarsische Braut am Ende des 16. Jahrhunderts mit Reitern
und Spielleuten zur neuen Heimat zog (Neocorus 1, 116.
119. 176), so noch heute, z. B. in Schwaben. Die Reiter
schiessen ihre Buffer los, die Pferde wiehern vor Ungeduld
und stampfen; die Buben fangen an zu singen, die Musi-
kanten spielen Eins auf; der Abschied ist da (Birlinger,
VolksthGmliches 2, 360). Das oberbayrische Brautpaar wird
am Abend des Tages von den Musikanten heimgegeigt und
heimgeblasen.
Die Brautfahrt ging nicht immer ungehemmt und
unangefochten vor sich.
Weitverbreitet ist in Deutschland der Brauch noch heute,
Seile oder Ketten fiber den Weg zu spannen und das Braut-
paar oder die Braut und ihren Ausstattungswagen zu pfanden.
Oft sind es nur Kinder oder Frauen, die es thun, doch auch
Manner in gr5sserer Zahl. Meist ist es heute nur auf eine
Bettelei abgesehen. Diese Wegsperre wird sowohl geiibt, wenn
die Braut im Dorfe bleibt, als wenn sie in einen andern Ort
zieht 1 ).
In Ober- und Mittelitalien flndet man dasselbe fare il
serraglio (far la serra, la barricata, il laccio), und auch bei
den Esten ist es nachgewiesen 2 ).
So nahe es liegt, in diesem hemmen des Zuges einen
scherzhaften Wegzoll zu sehen, so scheint das doch nicht
richtig. Die fiber die Strasse gezogenen Seile, Ketten, zu--
weilen auch Balken stehn mit den oft genug ausgefuhrten
tJberf&llen, Entfuhrungen der Braut und Pltlnderungen des
ganzen Zuges in Verbindung, ilber die wir frQher schon ge-
sprochen haben (S. 282). Die Bewaffnung der Brautgesellen,
') Eine ausfiihrliche Schilderung einer solchen Klause aus Tirol
bei J. Zingerle, Sitten und Meinungen, S. 8 f. tTber den badischen
Hochzeitbrauch des Vorspannens E. H. Meyer im Freiburg. Fest-
progr. z. Geburtst. d. Grossherz. 1896.
2 ) v. Schroder, Hochzeitbrauche der Esten 110 f. Dargun, Mutter-
recht und Raubehe 136 ff.
877
der truhtinge nach altdeutscher Bezeichnung, namentlich des
Brautfdhrers und des Brautigams, die heute noch mancherorten
tlblich ist, entspricht der Nothwendigkeit in alterer Zeit 1 ),
In neuerer Zeit ist det Raub in ein scherzhaftes, necken-
des Stehlen der Braut umgewandelt. Bei schwabischen
Hochzeiten ist der Br&utigam den ganzen Tag nicht sicher,
dass sie ihm listig entftlhrt werde. In Wildbad ist geschehen,
dass sie vom Altar weggestohlen ward, nachdem die Trauung
vorttber war (Birlinger, Volksthttmliches 2, 393). Im Pinzgau
und im Lungau (Salzburg) suchte man die Braut aus dem
feierlichen Zuge zur Kirche oder auch wenn der Zug aus
der Kirche kam, zu stehlen (v. Kiirsinger, Ober-Pinzgau, Salz-
burg 1841, S. 169. Vierthalers Wanderungen durch Salzburg
[1816] 1, 165). Die zwei Brautftihrer haben das Amt, die
Braut zu bewachen, und es ist ein Hauptspass der Burschen,
dieselben zu tauschen; sie mttssen sie von den EntfOhrern
dann auslOsen (Birlinger 377). In gleicher oder ahnlicher Art
geht es in Altbayern, in Salzburg (namentlich im Lungau),
Steiermark, im Pusterthal, in der deutschen und franzOsischen
Schweiz her*); diese EntfQhrung ist ein besonderer Scherz
des Hochzeittages. Hier und da werden statt der Braut nur
ihre Schuhe gestohlen, so in der Eifel, im Odenwald, Schwaben,
Hessen^ Pommern (P. Sartori in meiner Zeitschr. f. Volksk.
4, 169.
Endlich ist die Brautfahrt an Hof und Haus des Brau-
tigams angelangt, wo der festliche Empfang mit manchen sehr
alten und ursprfinglich bedeutungsvollen Gebrauchen statt-
flndet. Es ist schon gesagt worden, dass der Brautigam nicht
immer selbst die Braut sich holte, sondern durch den bevoll-
machtigten Braut- und Zugftlhrer holen liess; es kam auch
vor, dass der junge Mann nach der Trauung in seinen Hof
2 ) Ygl. auch Dargun a. a. 0. 129. 133, E. Meier, Sagen aus
Schwaben 479 f.
2 ) Dargun 134 f. Bavaria 1, 402. Baumgarten, A. d. Heimat 9, 86.
Schflnwerth 1. 106. L. Hubner, Beschreibung des Erzstiftes Salzburg
2, 544.
378
zurttckkehrte und einige Tage spater die junge Frau durch
seine nachsten Verwandten und Freunde in festlicher Art ab-
holen und sich zufQhren liess, so im 17. Jahrhundert bei den
Ditmarschen nach Neocorus Schilderung. Das gewOhnliche
freilich war, dass er die Braut selbst nach Trauung und
Hochzeitsmahl in sein Haus fuhrte.
Neocorus beschrieb die gegen Ende des 16. Jahrhunderts
in Ditmarschen gehaltene Heimftthrung der Braut also 1 ).
Donnerstag nach der kirchlichen Trauung sendet der
Brautigam sechs, acht, zehn oder mehr seiner nachsten Ver-
wandten und Freunde stattlich beritten nach der Braut. Mit
ihnen fahren vier Wagen, auf deren erstem die Kleiderfrauen
sitzen, welche gewOhnlich die Weiber der Brautknechte sind
und die Kleider der Braut zu besichtigen, zu ubernehmen
und heimzubringen haben. Der zweite ist fQr die Braut mit
ihren Spriddeldocken oder Beisitzerinnen und ftlr die Spiel-
leute bestimmt. Wenn die Reiter und Wagen im Brauthause
angelangt sind, so werden sie herrlich aufgenommen und der
aiteste Brautknecht bringt blossen Hauptes die Bitte vor,
dass man ihnen den Brautwagen folgen lasse. Die Kleider-
frauen schaffen hierauf die Kleider und Betten samt dem
mannslangen Brautbrote und dem Brautkase auf den "Wagen,
und die Brautknechte ' laden die Kisten der Braut auf. Nach-
dem die Wagen mit den Sachen fort sind, stattet der aiteste
Brautknecht im Namen des Brautigams und seiner Mitgesellen
den Dank ab, und die Gesellschaft wird zum sitzen genOthigt.
Sie werden nun bewirtet, wobei ein guter Trunk die Haupt-
sache ist, „auf dass solche Gaste wissen, wo sie gewesen
sind". Nachdem das Essen wieder abgetragen ist und die
Brautknechte der Reihe nach den Vortanz gehalten haben,
tritt der WortfQhrer wieder auf und begehrt Geh5r. Wenn
ihm dies nach einigem Weigern gewahrt ist, dankt er zuerst,
dass ihm der Wagen verabfolgt ward und dass ihnen Ehre
undGutes erwiesen wurde, und'bittet darauf, dass nunmehr
*) Joh. Adolphi genannt Neocorus Chronik des Landes Dit-
marschen, herausg. von Dahlmann 1, 110 ff.
379
die Braut in das Zimmer komme, dieweil sie darum abgesandt
seien und den Brautigam aufs hOchste nach ihr verlange.
Ohne Zweifel verlange auch die Braut nach ihm, und wenn
nicht nach ihm, so doch nach ihrem Wagen und Kleinodien.
Nachdem das Begehren mehrmals abgeschlagen ist, so dass
oft der andere Tag herankommt, wird die Braut, die bis da
mit ihren Frauen und Jungfrauen in einem besonderen Ge-
mach blieb, mit ihren zwei Spriddeldocken hereingefiihrt,
in jungfr&ulichem Schmucke, das Haupt ganz verhtillt. Wenn
alles zur Abreise fertig ist, wird sie dem Brautknechte von
ihrem nachsten Verwandten ilbergeben und ihr des Br&utigams
Hut aufgesetzt '), worauf unter Glttck- und Segenswunsch der
ihren abgefahren wird, die hierauf noch eine Zeit lang in FrOh-
lichkeit beisammen bleiben. Unterdessen sind die Wagen mit
der Ausstattung im Hause des Brautigams angekommen und
abgeladen worden. Die Braut selbst nahert sich mit den
Reitern und Spielleuten, und stellt sich, nachdem die Pferde
bei Seite geschafft sind, mit ihren Geleitfrauen vor der Thiir
des Hauses auf. Jetzt erst erscheint der Brautigam, tritt
barhauptig vor die Braut und fragt dreimal: „Kann ich wohl
mit Ehren meine Braut einftthren?" — Dreimal wird geant-
wortet: „Fiihret sie in Gottes Namen ein!" Darauf nimmt er
sie bei der Hand, lasst sie dreimal herumdrehen und schwingt
sie in das Haus hinein, indem er spricht: „Mit Ehren fuhre
ich meine Braut ein". Vor der Stubenthtlr wiederholt sich
das herumdrehen und hineinschwingen ; dann verlasst er sie
und geht in sein Gemach. Eiri Gastmahl und Tanz reihen
sich an und die Ceremonie in der Brautkammer beschliesst
den Tag.
Der junge Mann schwang nach dieser Erzahlung die Braut
in das Haus hinein, d. h. er trug sie ilber die Schwelle.
Das gehOrt zu dem alten Ceremoniell. Nach vedischem Ritus
ward die Braut noch im Hause ihrer Eltern vor der Abfahrt
*) Zeichen, dass sie in die Mundschaft des Mannes nun em-
getreten ist. Ganz entsprechender Gebrauch bei den Esten, v. Schroder
93 f. — Grimm, RA. 148 f.
380
von einem starken Manne zu einem auf dem Boden liegenden
Fell getragen, und der Brautigam hiess sie, sich darauf nieder-
setzen, mit dem Wunsche, dass, wie sie sich hier niederlasse,
KMe, Rosse und aller Reichthum sich auf sie niederlassen
mOgen. Nach andern Anweisungen geschieht diese Handlung
im Hause des Brautigams, nachdem ihr Brahmanenfrauen
vom Wagen geholfen (Haas in den Ind. Studien 5, 91).
Das rOmische, sehr ausgebildete Hochzeitritual ver-
langte, dass die nova nupta von dem Brautftthrer sorgsam,
so dass sie nicht an die Schwelle stosse, m dartiber gehoben
werden musse, ganz wie heute noch bei den Neugriechen
und bei Slaven und namentlich den Esten (v. Schroder 88—93).
Bei den Russen hat sich sogar noch das Schaffell erhalten,
auf das sich die Braut setzen muss.
Auf der Insel Sylt war fiiiher ein besonderer Brautheber
(bridlefstr), jedenfalls einer der Brautfuhrer, bestimmt, die
Braut auf den Hochzeitswagen und wohl auch von ihm herab
zu heben (Michelsen und Asmussen, Archiv I, 413 ff.). Bei
den Siebenburger Sachsen musste der Brautigam selbst die
Braut aus dem Elternhause auf den sechsspannigen Wagen
tragen, der sie in die „neue Genahrung" ftthrte (Matz 68 f.).
Auch in der Mark Brandenburg war Oder ist es Sitte, dass
der Brautigam die Braut, wenn sie auf seinem Hofe an-
kommt, indem sie sich ttber die Wagenleiter schwingt, auf-
fangen muss, ohne zu fallen. Er muss sie dann in das Haus
auf die grosse Diele tragen und mit ihr dreimal den Kessel-
haken (den Herd) umwandeln (Kuhn, Mark. Sagen 356, 361).
In OberOsterreich wird, wie wir frQher mittheilten (S. 334),
die Braut, wenn sie zur Hochzeit laden geht, von dem Zu-
brautigam begleitet, der sie iiber die ersten drei Zaune heben
muss.
Das dreimalige Umwandeln des Herdes ist uralter
indogermanischer Ritus. In Deutschland hat er sich ausser
in brandenburgischen DOrfern noch in Westfalen erhalten ?
wo die Schwiegereltern die Braut an der oberen Thiir (boven-
dOr) des Hauses empfangen und zu dem Herde ftthren, wo
sich dieselbe auf einen Stuhl setzt und Zange und Feuerbrand
381
in die Hand bekommt; dann geht es zur Trauung (Kuhn,
Westfal. Sagen 2, SI) 1 ). In Brackel bei Dortmund ward bei
dem Umfilhren um den Herd (de brud tlmt hal [Kesselhaken]
laien) das Feuer entztindet und der Haken vorwarts darttber
gezogen. Im Kirchspiel Weitmar sprach man vergessene
Sprtlche dabei (Jahrb. f. niederd. Sprachforsch. 3, 139). In
BOhmen muss sich die junge Frau zuerst vor dem Herde
verneigen und drei ihrer Haare in den Kamin werfen (Wuttke,
§. 566). Der Herd mit dem Feuer ist der uralte Mittelpunkt
des Hauses, zu dem die Neuvermahlte zuerst gefuhrt werden
muss und auf dem sie den Hausgeistern (den Ahnen der
Sippe) ein Opfer bringt: das ist der Sinn der bei uns ver-
kttmmerten Sitte. Nach altindischem Ritus ftihrt der Brauti-
gam die Braut in ihrem Elternhause um den Herd, dann
streut der Vater Oder Bruder ihr in die mit Opferschmalz
besprengten Hande GetreidekOrner, die sie untermischt mit
Mimosenblumen in das Feuer wirft. Das alles geschieht drei-
mal (Haas a. a. 0. 5, 318 f.) und wiederholt sich im Hause
des Brautigams. Auch Besprengung der Braut und des Brau-
tigams mit Wasser gehOrt zum indischen Ritual (ebd. 373).
Das rOmische entspricht in den Hauptzagen: die Braut wird
aqua et igni im Hause des Gatten aufgenommen : ein Spelt-
brot ward im Feuer des Herdes geopfert (Rossbach, ROm.
Ehe 108—110. 314 f.). Die Umwandlung des Herdes und das
Opfer lasst sich als Hochzeitbrauch auch bei den alten
Preussen und den Esten erweisen (v. Schroder 128 ff.).
Von jener Aufnahme mit Wasser hat sich bei den Sieben-
bvirger Sachsen eine Spur erhalten, indem das Paar vor .dem
Thor des Brautigamshauses tiber ein mit Wasser gefailtes
Gefass springen muss (Matz 70). Ein an andere Stelle des
Ceremoniells gekommener Rest ist in hannOverschen Orten,
dass die Madchen hinter der von den Frauen ihnen geraubten
2 ) Die Braut muss dann das Feuer schiiren und andere Proben
geben, dass sie Hausarbeiten versteht, wie auch der Brautigam gleiche
Proben ablegen muss. Das sind moderne, aus Missverstandniss alter
Sitte entstandene Dinge.
382
Braut Wasser hergiessen (Kuhn-Schwartz, Nordd. Sagen 433),
und dass in der Oberpfalz der Braut, wenn sie den Braut-
sprung von dem Tisch zum Tanz mit den Brautfuhrern
macht, ein Krug Bier nachgegossen wird (SchOnwerth I, 110).
Es sind ursprttngliche, aber entstellte und missver-
standene Reste einer Reinigungs- und Stthnceremonie. Bei
Slaven, Esten und Finnen hat sich dieselbe weit besser er-
halten als bei uns (v. Schroder 133 ff.).
Statt der Umftthrung um den Herd kommt auch,
obschon vereinzelt, die um den Dtingerhaufen vor (Wei-
denhausen in Westfalen: Kuhn, Westf. Sagen 2, 371). Dass
auch darin ein alter, nicht bloss deutsch-bauerlicher Brauch
sich erhielt, beweist die in altindischen Quellen vorkommende
Anweisung, die junge Frau bei ihrer Ankunft auf dem Hofe
zu dem Misthaufen zu ftthren (A. Weber, Ind. Studien 5, 371
Anm.). Sie wird auf die Statte, die fur Viehstand und Feld-
bau wichtig ist, aufmerksam gemacht 1 ). (Vgl. I, 374.)
Eine uralte Hochzeitceremonie ist die B esc hilt tun g
oder Bewerfung der Braut mit GetreidekOrnern, als Sym-
bolen der Fruchtbarkeit, welche auf sie tibertragen werden soil.
Wenn die sachsische Braut in Siebenburgen aus der
Kirche von der Trauung in das Hochzeithaus zuruckkehrt,
schtittet die Schwiegermutter beim Eintritt in das Vorhaus
GetreidekOrner uber ihr Haupt und spricht: „Gesegnet seist
du, meine Tochter! gesegnet seid ihr, meine Kinder!" "Weit
verbreitet ist in Deutschland und auch in Schweden, in die
Schuhe der Braut (zuweilen auch des Brautigams) Getreide-
kOrner vor der Trauung zu legen, auch Erbsen. In Schlesien
und BOhmen wird die Braut beim Hochzeitessen mit Graupen,
Erbsen, auch mit kleinen Pfeffernussen beworfen; so viel
KOrner auf ihrem Kleide liegen bleiben, so viel Kinder wird
sie bekommen. In Mecklenburg schtittet man der Braut Lein-
samen in den Kranz. Den Brautkranz aus Getreideahren er-
2 ) In Westfalen fiihrte man ehemals das Brautpaar zur
Bienenhutte, stellte Braut und Brautigam den Bienen vor und bat
diese, dieselben nicht zu verlassen (Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3," 139).
wahnten wir schon frtlher (1, 342). Bei den Grossrussen wird
das Brautlager aus 40 Garben Koggen aufgebaut und ringsum
werden Tonnen mit Weizen und Gerste gestellt, in welche man
die Hochzeitfackeln steckt. Bei den Slaven und Litauern, den
romanischen VOlkern, bei den Esten und Finnen, bei Griechen,
ROmern und den alten Indern begegnen wir ganz gleichem
Brauch, der aus demselben Gedanken entsprungen ist (Haas
in d. Ind. Studien 5, 298 f. Winternitz 75 ff.. 113. v. Schroder
112—122. Krauss, Sitte und Brauch der Sttdslaven 448).
In deutschen Landschaften ist Brauch, dass die Braut,
wenn sie ihr neues Heim betritt, Brot und Salz, einen
LOffel und eine kleine MQnze auf dem Tisch findet (so in
Schlesien, meine Zeitschr. 3, 149), damit es ihr nie an diesen
nOthigsten Dingen des Haushalts mangele.
Aus einer Culturperiode, in der man jeden Fremden als
Feind betrachtete Oder ihn wenigstens misstrauisch behan-
delte, stammt eine oberpfalzische , aus Waldmtinchen berich-
tete Unsitte (SchOnwerth I, 89). Wenn ein Madchen in ein
fremdes Dorf heiratet, fttrchtet man, sie kOnne spater Hexen-
werk treiben. Daher dringen die Nachbarn wahrend der
Trauung in das Haus des Brautigams durch Fenster oder
durch das Dach. Sie tragen dieses ab und schlagen den Ofen
ein, und meinen damit das Dorf vor dem bOsen "Wesen der
Hochzeiterin zu schutzen.
Wenn am ersten Hochzeittage die Nacht herankam,
ward die Braut von den Eltern und dem Brautfilhrer samt
der Brautfrau, zuweilen auch von der ganzen Hochzeitgesell-
schaft in die Brautkammer geleitet und dem Brautigam
tibergeben. Da es dunkel geworden war, wurden viel Kerzen
dazu angezftndet 1 ) und aus der Verbindung hiervon mit den
rf &nzen, die bis zu diesem Kammergeleit die Gesellschaft
u nterhielten, scheint sich der Fackeltanz gebildet zu haben,
2 ) Hoinrichs Trist. 657. Adelh. Langemanns Offenbanmgen 10, 6.
384
welcher sich bei fttrstlichen Beilagern seit dem 16. Jahr-
hundert nachweisen lasst 1 ).
Das Beschreiten desEhebettes vorZeugen war
altgennanische *) uncj durch das ganze Mittelalter festgehaltene
Sitte; die Ehe war erst vOllig rechtsgiltig in alien Folgen,
sobald bezeugt werden konnte, dass eine Decke das Paar
beschlagen hatte. Deshalb flnden wir auch diesen Brauch in
alien Standen und am langsten in farstlichen Geschlechtern
festgehalten 8 ). Milderungen traten spater dadurch ein, dass
sich das Paar vOllig angekleidet niederlegte und wieder auf-
stand, nachdem die Decke fiber es gelegt war. In pommer-
schen Stadten geschah im 16. Jahrhundert „dat beddewerpent"
gleich nach der Training vor dem Hochzeitmahl „sittsam und
ehrbar" (A. HOfer in Pfeiffers Germania 18, 4). Darauf ent-
fernten sich die Zeugen. In den Liibecker Geschlechtern ward
dies aber erst seit 1612 eingefuhrt.
Fromme Sitte war, dass die Mutter der Braut das Paar
segnete (Heinrichs Tristan 672); gewOhnlicher war die
priesterliche Benediction des Ehebettes, die nach Ebernands
Gedicht von Heinrich und Kunigunde (879) bei der Ver-
mahlung Kaiser Heinrichs II. von BischOfen geschah. Diese
priesterliche Einsegnung ist heute noch in der Oberpfalz und
in katholischen Gegenden Schwabens fester Brauch, und wird
den Tag vorher, wenn das Brautbett aufgebaut ist, vorge-
nommen 4 ).
2 ) J. Voigt in Raumers histor. Taschenbuch VI, 223.
2 ) Auch bei den Indern und RSmern bestund sie und sie wird
daher uralt sein, Haas in Ind. Stud. V, 279. Rossbach, Rom. Ehe 370 f.
Sie ist auch bei Slaven, Esten und Finnen altublich, v. Schroder,
S. 166—178.
8 ) Athis D. 1-61. Mei und Beaflore 91, 15. Titurel 1795 f.
Crane 4450. Lohengrin 2354. Ulrichs Wilh., S. 148. Ebernand Heinr.
877. Hatzl. 260 b . Neocorus 1, 116. Michelsen-Asmussen, Archiv I. 1,
69. — Friedberg, Eheschliessung, S. 22 f. — tiber einen eigenthiim-
lichen Rest dieses Rechtsbrauches in Neustadt in der Oberpfalz,
Bavaria II, 278.
4 ) Friedberg, Eheschliessung 46. 64. — Bavaria 2, 279. Ale-
mannia XV, 116. Birlinger, Volksthumliches 2, 334. 344. 401.
>Ehe die Braut in die Kammer geht, wird ihr der Kranz
oder die Krone, das Zeichen ihres bisherigen jungfraulichen
Standee, oft w&hrend eines Tanzes, von den Frauen abge-
nommen und ihr dafur die Haube aufgesetzt. Im Mittel-
alter wurden ihr die Frauenbinden urn Stirn und Wangen,
„daz gebende", umgelegt. Sie durfte fortab nicht wie die Jung-
frauen das Haar frei und lose tragen, wie auch bei Indern
und EOmern sich die Haartracht mit der Hochzeit anderte
und entsprechende Gebr&uche noch jetzt bei Slaven, Esten
und Finnen bestehn (Haas in den Ind. Studien 5, 405. Ross-
bach 280. v. Schroder 144 ff. Tettau-Temme , Volkssagen
Preussens u. Litthauens 257). Die Mutter „band" ihr nach
der briute site (Heinrichs Trist. 853), oder sie legte sich selbst
am n&chsten Morgen das Gebende an (si bant ir houbet,
Parziv. 202, 23. Ulr. Trist. 312). Der scherzhafte Streit, der
heute bei dem Abnehmen des Kranzes und dem Hauben
zwischen Madchen und Frauen mancher Orten vorfallt, scheint
auch im Mittelalter ttblich gewesen, wie aus einem Spruche
Walthers v. d. Vogelweide (106, 26 ff.) sich schliessen lasst.
In fftrstlichen und adlichen Familien ist bei oder nach
Betretung desBrautgemaches noch jetzt Sitte, das zerschnittene
Strumpfband der Braut unter die Hochzeitgaste zu ver-
theilen. Le don de la jarettiere ist auch in Frankreich und bei
den Wallonen bekannt. Aber auch bei bauerlichen Hochzeiten in
der Oberpfalz, im Elsass und in der niedersachsischen Graf-
schaft Hoya kommt diese Zerschneidung und Vertheilung des
Strumpfbandes vor (SchOnwerth I, 109. Jahrb. fttr Gesch.
Sprache und Litterat. Elsass-Lothringens 2, 190. Ztschr. d.
histor. Vereins f. Niedersachsen. 1851, S. 108), so dass wir
auch in diesem Brauche ein altes Hochzeitritual zu sehen
haben, das sich dem rOmischen vergleicht, wonach derBrautigam
nach Besteigung des Torus den Gttrtel lost und denselben
den Sklaven preisgibt, die darum streiten. Es ist ebenfalls
ein Symbol, dass die Ehe thatsachlich vollzogen ward.
Der Zug zur Brautkammer ward von den Spielleuten
begleitet, die vor dem Gemach stehn blieben und denen sich
die Hochzeitgaste zugesellten, Yor der geschlossenen Kammer-
W ein hold, Deutsche Frauen. I, 25
886
thtlr wurden Lieder gesungen, manchmal frommer Art.
Dieses „Niedersingen* der Braut hat sich bis in die neueste
Zeit in manchen Gegenden erhalten *). Es ist eine uralte Sitte,
zu der die Parallelen von der altrOmischen Hochzeit nicht
fehlen, wo diese Gesange freilich sehr derb und nichts weniger
als zuchtig lauteten ; bei den hellenischen Hochzeiten stimmte
ein Madchenchor den epithalamischen Hymnus an. Auch bei
den Stldslaven wird vor der Brautkammer von den Hochzeit-
gasten ein Tanz mit Liedern aufgefuhrt (Krauss, Sitte und
Brauch 457).
Auf Grund von Tobias 6, 19 ff., wonach der junge Tobias
bei seiner Hochzeit mit Sara durch seine Enthaltsamkeit vom
Tode errettet ward, hatte die Kirche seit dem 5. Jahr-
hundert Keuschheit in den ersten drei Nachten der Ehe em-
pfohlen, wenn auch nicht gefordert. Im Allgau, in katholischen
DOrfern Schwabens und in der Oberpfalz werden unter dem
Landvolk diese Tobiasnachte noch beobachtet: als Grunde
werden angefuhrt, der Teufel habe dann keine Macht uber
das Paar, Oder es verbtlrge Glilck in der Ehe, Oder auch man
erlOse dadurch eine arme Seele (Birlinger, Volksthtlml. 2,
334. 354. SchOnwerth I, 112). Bei den Wallonen herrscht die-
selbe Sitte. Im Dorfe Cerexhe-Heuseux, im Canton Fleron,
wird ihre Beobachtung dem jungen Manne fur die erste Nacht
zur Pflicht gemacht; wer es langer thut, beweist seiner Neu-
vermahlten besondere Hochachtung. In Charleroi wurde das
junge Paar in den ersten Nachten durch ein Brett getrennt,
das langs zwischen ihnen lag. Wer uber das Brett ging,
zahlte Busse. Am Ende der Woche sollen beide Parteien vOllig
gleich in ihrer Bussensumme gewesen sein (Wallonia II, 9.
S. 158 — 160. Liege 1894). Auch in andern franzOsischen Gegen-
den, ferner in Italien, bei den Stidslaven, bei Esten und Finnen
kommt das trinoctium castitatis vor (v. Schroder 194 ff.
l ) Fr. B6hme, Altdeutsches Liederbuch, Nr. 239. 240. Altd. Bl.
2, 276. Seb. Franck, Weltb. 128 (1534). v. d. Hagen, Narrenbuch 174.
432. Uhland in Pfeiffers Germ. 1, 335. Frommann, Mundarten 4, 95.
112. Kuhn, Mark. Sagen 358. L. Tobler, Schweizer. Volksl. 1, 154.
Bavaria II, 289. Birlinger, Volksthumliches 2, 385.
887
Krauss 456). Merkwtirdigerweise wird nun auch im alt-
indischen Hochzeitritus die Keuschheit von dem jungen Ehe-
paar in den ersten drei Nachten, ja auch langer, bis zu einem
Jahre, gefordert (Haas, Ind. Studien 5, 325 f. 346. 368. 377.
Winternitz 86. 88). Bei dem ins einzelne entwickelten, mit
allerlei Reinigungs- und Siihnceremonien durchzogenen in-
dischen Ritual kann man sich tiber dieses Gebot der Ent-
haltung nicht wundern. Die europaische Erscheinung des
Brauchs wird schwerlich damit als unverwandt zu behaupten
sein, sondern dem Einfluss der katholischen Kirche entspringen,
wonach sie als ein gutes Werk aufgefasst ward. Etwas ur-
sprungliches, gesundes urid kraftiges liegt nicht darin, des-
halb halte ich diese Tobiasnaehte fur ungermanisch.
Nachdem das junge Paar eine Zeit lang sich selbst
tlberlassen geblieben war, gingen die riachsten Verwandten,
zuweilen auch die ganze Hochzeitgesellschaft in die Kammer
und brachten den neuen Eheleuten einen Trunk 1 ). Am nachsten
Morgen war Brauch, ihnen ein gebratenes Huhn, das briutel-
huon, Brauthuhn, an das Bett zu bringen 2 ). Aus diesem
Bringen des Brauthuhns und Biautweins war allmahlich auch
etwas geworden, das entweder zu Luxus oder zu einer Un-
gebahrlichkeit fuhrte, die gramlichen Rathsherren nicht gefiel.
So enthalten die Statuten der westfalischen Stadte Alen
und Coesfeld von 1380, 1389, 1403 Verbote, dem Brautpaar
tor brutlacht oder wanneer si byslopen, hanen zu bringen
und gevelwyn (Gebewein); ebenso verbieten . die Wismarer
Statuten v. 1339 den Bruthan (Geschenk von Hahn und
Henne). Aus Westfalen und der Altmark ist der Brauch
bei stadtischen Hochzeiten noch aus dem 16./17. Jahrhundert
bezeugt (Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3, 128. Kuhn, Mark. Sagen
363. Germania 18, 4). Verschoben ist dieses Essen heute in
der Oberpfalz auf die Trauung. In manchen Orten bekommt
das Brautpaar vor der Trauung ganz far sich die Gaglhenne
!) Trist. 12642. Krone 8642. Wittenweilers Ring 188.
2 ) Parz. 273, 26. Heinr. Trist. 842. Lohengr. 2398 f. Jeroschin
18754. Lassberg, Lieders. Nr. 226, 293.
26*
888
zu essen, d. i. ein gebratenes Huhn oder eine Suppe mit
alter Henne, an andern Orten eine Taube zwischen der Trauung
und dem Hochzeitsmahl (SchOnwerth 1, 75. 94). In Deilingen
in Westfalen war es im vorigen Jahrhundert noch Brauch,
dass das junge Volk „den Brauthahn" aufzufinden suchte,
mit ihm in die Brautkammer drang und ihn vor dem Bette
kr&hen liess. (Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3, 142. 144). Das ist
Entstellung des alten Brauchs.
Auch neue Kleider wurden den Neuverm&hlten hingelegt
und manche Geschenke gebracht *). Als Osterreichische Landes-
sitte erzahlt Ottokar in seiner Osterreichischen Reimchronik
75635 ff., dass an das Brautbett viel kommen von Mannern
und Frauen und das Paar segnen und ihnen wilnschen das
gute lieben, das able leiden und vollkommene Treue pflegen.
Die Mutter der Braut im besbndern und auch die des Brauti-
gams sprachen den Kindern Morgengruss und Gluckwdnsche
far Zeit und Ewigkeit 2 ).
Auch Scherzworte, feinere und grObere, fielen; formel-
haft scheint die Frage an die junge Frau, ob sie noch ohne
Stab gehn kOnne? (Ulrichs Wilh. 132, dazu Helmbr. 1418.
Sperber 334. Liedersaal Nr. 31, 322).
Nun gab auch der junge Ehemann seiner Neuvermahlten
die Mo r gen gab e. Es war urspranglich ein Geschenk der
Liebe (in signum amoris), das seinen Namen von der Zeit
des Gebens trug, dem Morgen nach der Hochzeitnacht 8 ),
a ) Nibel. 593. Lohengr. 2387. Frische Kleider auch nach indi-
schem Ritual: Haas, Ind. Studien 5, 213.
2 ) Ein solcher Segen findet sich im Gedicht von der tiuvels
aohte 91 f.: got griiez iuch kinder! ros unde rinder, korn unde win
bescher iu unser trehtin, saelde unde heil, guotes ein michel teil
immer ewicliche, und ouch sin himelriche teil er mit iu beiden
(v. d. Hagen, GA. 2, 132).
8 ) morgangeba, morgingabe; ags. morgengyfe; altschwed. morghon-
gaf; altn. linfe, beckjargiof, hindrudagsgaf. — matutinale donum,
donatio nuptialis, dos (]. saxon. und sachs. und agl. Rechte). — tiber
die Morgengabe in rechtlichor Beziehung vgl. R. Schroder, Ehel.
Guterrecht I, 84—112. II. 1, 24—71. 2, 242 ff. 3, 332 ff v worauf ich
hier verweise.
und in fahrender Habe oder in Geld, zuweilen in Grundsttlcken
gegeben oder ausgesetzt ward. Als solches freies Geschenk
zeigt sie sich im alemannischen, westgotischen, altsachsischen
(ostfalischen) und im altesten langobardischen Recht. Sie ward
aber in spateren langobardischen Gesetzen zu einer vorher be-
dungenen Leistung des Mannes, die zur Sicberung der Witwe
bestimmt wurde, und dieselbe Bedeutung hat sie im salischen
und ripuarischen Recht, wie im angels&chsischen und alt-
westfaiischen erhalten. Wir finden sie auch Witwen gegeben,
was zum Beweise dienen darf, dass die Morgengabe als kein
pretium virginitatis gait.
Die Frau hatte schon bei Lebzeiten ihres Mannes Eigen-
thumsrecht an der Morgengabe, tlber die von dem Gatten
nicht einseitig verfQgt werden durfte. Nach schwabischem
und bayrischem Gesetz des spateren Mittelalters geht die
Morgengabe nach dem Tode des Mannes und nachdem die
Witwe ihr Recht daran geltend gemacht hat, in ihren vollen
Besitz tlber. Sie kann sie veraussern, daruber vOllig verfttgen
und sie daher auch in eine zweite Ehe hiniibernehmen. Wird
ihr Recht angefochten, so darf sie es nach alemannischem
und bayrischem Gesetz durch den Nesteid (nastait) beweisen,
den sie schwOrt, indem sie mit der linken Hand ihre linke
Brust und den rechten Zopf anfasst 1 ). In dem bayrischen und
Osterreichischen Recht hat sich die Morgengabe mit dem
alten Mundschatz zum Wittum verschmolzen. Sie ilbernimmt
also die Stellung der Widerlegung im bayrischen Recht und
tritt in dem Osterreichischen als Heimsteuer auf 2 ).
In den frankischen Rechten des spateren Mittelalters
erscheint die Morgengabe als standesmassige Pflicht des
Adels, kommt aber auch im Burger- und Bauernstande vor.
Sie war voiles Eigenthum der Frau, und vererbte, wenn die-
selbe vor dem Gatten starb, auf ihre geborenen Verwandten.
Im sachsischen Rechtsgebiete scheiden sich die west-
faiischen Bestimmungen tlber die Morgengabe von den ost-
1 ) 1. Alam. LVI, 2. Schwabensp. Landr. 20. bayr. Landr. 126.
134. Weist. 1, 14.
2 ) Schroder a. a. 0. II. 1, 88. 92.
890
falischen und engrischen '). Nach letzteren ward die Morgen-
gabe durch die Geburt eines Kindes voiles Eigenthum der
Frau, das auf ihre Kinder Oder bei deren frtiherem Tode auf
ihre Verwandten durch Erbschaft tlberging. Nach westfali-
schem Recht verschmolz die Morgengabe durch Geburt eines
Kindes mit der Errungenschaft. Sie blieb also nur in kinder-
loser Ehe bestehn und fiel nach dem Tode der Frau an den
Mann oder seine Erben zuruck. Der Sachsenspiegel bestimmt,
dass die Morgengabe Eigenthum der Frau ist, mag sie Kinder
haben oder nicht; sie ist aber von dem gemeinsam verwal-
teten VermOgen nicht ausgesondert und fallt an den Mann
zurttck bei Tod oder Scheidung. Ritterbiirtige konnten nach
dem Sachsenspiegel einen leibeigenen Knecht oder eine Magd
geben, ein gezimmertes Haus mit Umzaunung und Weide-
vieh. Alle, die nicht von ritterlichem Geschlecht waren, durften
nur ihr bestes Pferd oder Rind tiberweisen (I, §. 20, 1, 8).
In den St&dten des sachsischen Rechtes kam die gelobte
Morgengabe auf, gewOhnlich eine Geldsumme, welche von
dem Manne far den Fall seines Todes der Qberlebenden Witwe
versprochen ward.
Die Hochzeit endete, wie friiher erwahnt, gewOhnlich
nicht mit der Nacht des ersten Tages, sondern wurde bei
den reicheren Leuten aller Stande durch mehrere Tage fort-
gesetzt 2 ). Die ErgOtzlichkeiten blieben sich ziemlich gleich;
in den ritterlichen Kreisen scheint der zweite Tag vorzilglich
den Turnieren und zuweilen dem Feste des Ritterschlages
gewidmet gewesen zu sein. War die Hochzeit in dem Hause
der Braut gehalten worden, so gab die Heimfuhrung eine
a ) Schroder a. a. 0. II. 3, 332 ff.
2 ) Die Gedichte tibertreiben nattirlich, wenn sie dem grossen
Alexander einen Brautlauf von mehr als dreissig Tagen geben (Ale-
xanderl. 4020) und dem elenden Erek einen vierzehntagigen (Erek
2194). Aus den Hochzeitordnungen, die im 13. und 14. Jahrhundert
beginnen und den Stadtrathen namentlich im 16. Jahrhundert noth-
wendig schienen, ergibt sich, dass drei, fiinf, acht und mehr Tage bei
den stadtischen Hochzeiten die Lustbarkeiten dauerten. (Cber die
Dauer der Hochzeit bei andern VOlkern: v. Schroder 190 f.)
bedeutsame Nachfeier, Oder der Brautigam lud die Verwandten
der neu Vermahlten mit mOglichst grosser Gesellschaft in
fester Frist zu einem Feste in sein Haus.
In den bltlhenden Zeiten des alten Stadtewesens be-
durften auch die Nachhochzeiten polizeilicher Beschran-
kung. So durften in Lttbeck die jungen Eheleute am Tage
nach der Trauung nur ihre nachsten Verwandten zu sich
einladen. Mit dem Jahre 1566 trat hier grOssere Freiheit ein.
Der junge Ehemann versammelte seine Freunde um zehn Uhr
Morgens in der Marienkirche und ftthrte sie in sein Haus zu
einem Mahle, begleitete sie um zwei Uhr wieder in die
Kirche, verabschiedete sie und versammelte sie gegen Abend
zu einem neuen Essen, das von sechs bis neun Uhr dauerte.
In unserem Landvolke haben sich solche Nachhochzeiten
unter verschiedenen Benennungen noch vielfach erhalten 1 ).
Die Sitte einer Vorfeier am Vorabende der Hochzeit
habe ich im frilheren Mittelaiter nicht «rwahnt gefunden.
Die Liibecker Kore van der brutlacht (angeblich aus dem
14. Jahrhundert) bringt aber bereits Beschrankungen der Vor-
hochzeit. Die Braut soil nur sechzehn Jungfrauen bei sich
haben und der Tanz soil bis zum Nachtsang, also nur bis zwei
Uhr Nachmittags dauern. Die Feier war demnach mehr eine
Morgengesellschaft als ein Abendvergnttgen. Eine Leipziger
Polizeiordnung von 1454 verbietet, dass die Braut, wie vor-
mals ttblich, den Tag vor der Hochzeit Jungfrauen zu sich
lade und ttber Nacht bei sich behaJte, das man Ay RammeU
piacht genannt hat, bei Busse von 20 Groschen fur jede ge-
ladene Person 2 ).
Abgesehen von den Polterabenden bei burgerlichen Hoch-
zeiten, hat sich im Landvolk vielfach eine Vorfeier der
Hochzeit erhalten, indem sich dieFreundinnen der Braut
bei ihr versammeln und den Brautkranz binden (SchOnwerth
1, 74) oder auch Kranze und Strausse far den nachsten Tag
*) Schmeller, Bayr. Wb. I 2 , 877. 1208. 1695. 2, 297. Bavaria I,
408. II, 290. Schonworth 1, 112 f. Matz, Siebenb.-sachs. Bauernhoch-
zeit 80 ff. Zeitschr. clos hist. Vereins f. Niedersachsen 1851, S. 108.
2 ) Cod. diplom. Saxon, reg. II, 8. n. 317.
zur Vertheilung an die G&ste, wobei die Kranzetfungfrau be-
sonders hervortritt. Es ist der Kranzelabend, Kranzelpint-
abend, auch bloss der Kranzelpint genannt. Tanz und Musik
sind dabei Brauch (Lexer, KSrntisches WOrterbuch, S. 1). In
Vorarlberg (Thai Montavon) herrscht dieselbe Sitte ; der Abend
heisst von den Maien (Blumenstr&ussen), die gebunden werden,
die Maineta (Frommann, Mundarten 4, 321).
Bei unsern Bauernhochzeiten ist der Braut- oder
Kammerwagen, welcher die Ausstattung der jungen Frau
in den Hof des Brautigams bringt, ein bedeutsames Stuck
in der Brautfahrt. Zuweilen wird er ein oder zwei Tage
vorausgeschickt; hier und da kommt er an einem bestimmten
Wochentage, so im Hohenloheschen am Freitag vor dem
Hochzeittage , der stets auf Dienstag fallt (Birlinger, Volks-
thtoiliches 2, 388). Oft schreitet die beste Kuh aus dem
vaterlichen Stalle dem Wagen voran. In Westfalen war
ein Hahn darauf (Jahrb. f. nd. Sprachf. 3, 134), der Rufer
zur Arbeit des Tages. Ein nothwendiger Theil und Schmuck
des Brautwagens ist bis in neueste Zeit der Spinnrocken
oder das Spinnrad gewesen.
In der Mark sitzt bei dem Brautzuge die dritte Braut*
jungfer auf dem ersten Wagen zur Linken der Braut mit
dem aufgemachten, dick bewickelten Wocken (Kuhn, Mark.
Sagen 355). Im Lechrain halt die Braut bei ihrer Fahrt auf
dem Kuchelwagen die verzierte Kunkel selbst (v. Leoprech-
ting, Aus dem Lechrain 241). In manchen oberbayrischen
Gegenden schreitet die Hochzeiterin, die reichgeschmttckte
Kunkel im Arm, neben ihrem Prunkwagen einher (Bavaria
I, 393). In der Altmark ist es Aufgabe der unverheirateten
Burschen, am zweiten Hochzeittage das alte Spinnrad, das
von der Braiitjungfer vom Hause der Braut in ihr neues
Heirn getragen ward, gegen die Angriffe der verheirateten
Manner zu schtitzen, inclem sie die Jungfer in festem Kreise
umtanzen. Die Manner sturmen derb an und suchen das
Spinnrad zu zerbrechen ; es ist eine Schande, wenn es ihnen
nicht gelingt. Dann wird ein neues, gescbmucktes Spinnrad
393
dem Brautpaar unter Reimen von der Brautjungfer ttbergeben
(Kuhn a. a. 0. 359 f.). Bei den Siebenbttrger Sachsen kommen
hier und da die Gespielinnen der Braut am dritten Hochzeit-
tage mit einem geschmftckten Spinnrocken und schenken ihr
denselben (Matz 93). In Tirol war frdher ein Brauch, der
Ende des 17. Jahrhunderts aber schon abgekommen war,
wie der Kapuziner Heribert von Salurn in seinem Festivale
concionum pastoralium, d. i. Fest- und Feyrtag-Predigen (Salz-
burg 1693) 1, 280 erzahlt, „wann die Braut oder neue Haus-
halterin das erstemahl in des Brautigams Haus ist gefiihrt
worden, so hat man die Hausthilr mit einem Kranz von
Flachs gekrOnet; dardurch wurde bedeutet, dass die neue
Haushalterin ihren Fleiss solle anwenden mit der Gespunst,
damit das Hauswesen mit Lein- und Betgewandt gebuhrend
eingerichtet und der Mann, die Kinder und sie selbst mit
Leingewandt sauber versehen werden". In Pergine, einem
friiher deutschen, jetzt verwelschten Dorfe in Stidtirol, trugen
die beiden Brautftthrer (brumoli) der eine eine lebende Henne
(Sinnbild der Vorsicht und Fruchtbarkeit), der andere einen
Rocken mit Flachs und Spindel (Schneller, Marchen und Sagen
aus Walsch- Tirol 241). Im Lechrain bringt die starkste
Kranzeljungfer den zierlich geflochtenen und lang bebanderten
Rocken, in dem die Spindel steckt, auf die Tenne oder den Vor-
platz des Brauthauses. Die Bander werden von andern Madchen
gefasst und auseinander gehalten, und das Brautpaar voran,
tanzt die ganze Gesellschaft zwischen den Bandern hindurch.
Das ist der Kunkeltanz (Bavaria I, 404).
Lassen wir unter diesem alten Zeichen deutscher Weib-
lichkeit die junge Frau in ihr neues Leben eintreten!
-<5\5jjg/fc-
' ^ OF TJ,,. • V s
UNIVERSITY j
W ein b o I d , Deutsche Frauen. I. 26
Berichtigungen und Zusatze zu Band I.
S. 7, Z. 20 v. u. Sachsenspiegel, S. 20, I lies I. 20, § 1.
S. 22, Z. 3 v. u. Fflrstermann 1. Forstemann.
S. 25, Z. 4 v. u. heraushehen 1. herausheben.
S. 31, Z. 5 v. u. Mullenhof 1. Mullenhoff.
S. 38, Z. 9 u. 10 v. o. sind im Druck angelsachsisch und alt-
sachsisch versetzt worden: wurth ist altsachs., wyr<! angelsachs.
S. 64, Anm. 2. Der Litteratur ist das inzwischen erschienene
wichtige Buch von Sigm. Riezler, Geschichte der Hexenprocesse
in Bayern, Stuttgart 1896, anzufugen. Nach den Darlegungen von
Riezler a. a. 0., S. 260 f., ist der Jesuit Paul Laymann durchaus
nicht zu den iiberzeugten Bekampfern der Hexeninquisition zu
rechnen, wenn er auch in der 3. Auflage seiner Moraltheologie
(1630. Miinchen) sich Tanners Bedenken und Milderungsvorschlage
mehrfach angeeignet hat.
S. 109, Z. 3 v. u. Kartonspiele 1. Kartenspiele.
S. 119, Z. 17 v. u. 134, 46 1. 13445.
S. 176, Z. 17 v. u. beitrieten 1. beitreten.
S. 381. Die Ehemutter oder Ziichtfrau heisst im sudlichen
Baden und in der Nordschweiz die Geelfrau: E. H. Meyer, Der
badische Hochzeitbrauch des Yorspannens, S. 53 f. Er deutet diese
Benennung Grelbe Frau aus der Bedeutung von Gelb als alte Liebes-
und Heiratsfarbe. Leider konnte ich diese inhaltreiche Abhandlung,
die wahrend des Satzes dieses I. Bandes erschien, nur ganz nach-
traglich benutzen.
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4 RETURN HUMANITIES GRADUATE SERVICE f ,
^TO^» 150 Main Library 642-4481 ft
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7 DAYS!
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,.«/£;£ 2 HOUR books may not be renewed by telephone. Return only to HGS.
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