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Full text of "Die Deutschen Frauen in Dem Mittelalter"

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DIE 



DEUTSCHEN FRAUEN 

IN DEM MITTELALTER. 



VON 



KARL ^EINHOLD. 



DRITTE AUFLAGE. 
ER8TER BAND. 




WIEN. 

DRUCK OND VERLA.G VON CARL GEROLD'8 SOHN. 
1897. 



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VOEWORT. 



Von meinem Buche fiber die deutschen Frauen im 
Mittelalter ist eine dritte Auflage nOtig geworden, die 
ich hiermit den alten Freunden des Werkes und denen, 
die es zu neuen Freunden gewinnen mOchte, ubergebe. 
Auch diesmal trat die Aufforderung der Verlagshandlung 
iiberraschend an mich heran. Ich habe keinen Umguss 
vornehmen ktanen, sondern nur eine bessernde tTber- 
arbeitung. Die Grenzen, inner deren sich der Inhalt dieses 
Buches bewegt, sind so weit, dass eine vollige Erneuerung 
eine Reihe von Jahren erfordern wiirde, auf die ich nicht 
mehr rechnen darf. 

Mein Buch hat mit der sogenannten Frauenfrage 
nichts zu thun, die heute so lebhaft, am lebhaftesten von 

4 den Frauen selbst, verhandelt wird. Ich gebe eine ruhige 

£ Darlegung des deutschen Frauenlebens in vergangenen 

J| Zeiten, wie ich meine, zu Ehren der deutschen Frauen und 

in dankbarer Empfindung fur das, was Mutter, Gattin 

I und Freundinnen mir waren und sind. 

^ Es werden bald funfzig Jahre, dass ich die Vor- 

arbeiten zu diesem Werke in Halle begann, im October 

^ 1847 v ; sechsundvierzig, dass es im Sommer 1851 zu Wien 

, erschien. Im deutschen Leben sah es damals anders aus 



^> 



als heute. Gewaltige Ereignisse haben die 'deutschen 
Staaten umgestaltet und auch das deutsche Haus nicht 
unberiihrt gelassen. Im Bauern- und kleinen Biirgerstand 
ist vieles umgeworfen , das noch von den Urvatern her 
bestund im Lebensbetrieb, in Sitte und Gedanken. 

Mein Buch wird beitragen, in diese friihere Zeit den 
Einblick offen zu halten. Die Formen mogen zerfallen, 
wenn nur der alte gute Geist unseres Volkes fortlebt, der 
unsterbliche Geist der Deutschen, den ich mir nicht anders 
denken kann, als den Geist edler Menschlichkeit. 

Berlin, Weihnachten 1896. 

Karl Weinhold. 



Inhalt des ersten Bandes. 



Seite 

Erster Abschnitt. Die Namen 1 

Die allgomeinen Benennungen des Weibos. Die Eigen- 
namen. 

Zweiter Abschnitt. Die Gottinnen 25 

Dritter Abschnitt. Die Priesterinnen, weisen Frauen 

und Hexen 50 

Vierter Abschnitt. Das Made hen 78 

Die Erziehung des Weibes. Die rechtlicho Stellimg 
der unverheirateten Frau. 

Fiinftor Abschnitt. Liebe und Frauendienst 195 

Das Schonheitsideal. Die Liebe vor der hofischen Zeit. 
Der rittorliclio Frauendienst. 

Sechster Abschnitt. Die Vermahlung 2(55-898 

Die Rechtsbestimmungen iiber die Ehe. Die Gebrauche 
bei Verlobung und Hochzeit. 



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Erster Abschnitt 



Die Namen. 

Die geschichtliche Betrachtung der Sprache ergibt far 
die Volkergeschichte nach alien Seiten die reichsten und oft 
die aberraschendsten Aufschlasse, denn wo die Chroniken 
und Urkunden noch schweigen, da redet das einzelne Wort. 
Weit aber die geschichtlichen festen Zustande hinaus leitet 
es uns in die ersten Zeiten der VOlker, als sie in Gegenden 
und in Gemeinschaften lebten, die ihnen nachher fern wurden; 
als sie nicht nur in politischer, sondern auch in geistiger 
Kindheit stunden und sich Worte, Begriffe und Zustande 
erst schaffen mussten. Jene ersten Zeiten sind far den 
Forscher so anziehend, wie far Eltern und Kinderfreunde die 
Jahre, in denen sich das Kind in die Menschheit hineinlebt. 
Die tagt&glich neu zustrOmenden Eindracke werden in dem 
jungen Geiste verarbeitet und mit eigenthOmlich schOpferischer 
Kraft durch Laute bezeichnet, welche zum Worte] geschlossen 
Sinnliches und Greistiges in sich vereinen. Diese Vorgange 
beobachten, dem Gange und den Granden dieser Entwicklung 
nachsparen, gehOrt zu den anziehendsten Aufgaben der 
Wissenschaft. Da fahlt man in einem jeden einzelnen Laut 
Leben und geistige Bedeutung, und hOrt in den verbundenen 
Lauten die Gedanken sich erzeugen und ordnen. Jedes Wort 
leitet auf einen Keim, aus dem eine mehr oder minder stark 
sinnliche Wahrnehmung spricht.. Jedes alte Wort spiegelte 
ursprttnglich einen sinnlichen Eindruck ab und die abstracte 
Bedeutung, die es sp&ter etwa erhielt, ist eine abgeleitete. 
Mag das Etymologisiren oft auch trocken und vielfach ab- 
schreckend sein, es ist doch eine ungemein bedeutende und 
lohnende Arbeit. 

Weinhold, Deutsche Franen. I. 



Was Jemand nennt, das kennt er auch irgendwie; der 
Wortvorrath eines Volkes bezeichnet also den Umfang seines 
geistigen und leiblichen Besitzes. 1st ein Wort in sehr alter 
Zeit entlehnt, so war auch der Gegenstand, den es ausdrttckt, 
dem Volke nicht ureigen. Diese einfachen Wahrheiten machen 
dem Geschichtsforscher die Sprachkunde unentbehrlich, denn 
durch sie gewinnt er Licht far die Urzustande der VOlker. 
So ist denn auch uns, die wir daran gehn, die Verhaitnisse 
zu entwickeln, in denen die Frauen bei den Germanen der 
alten Zeit stunden, eine Durchmusterung des Sprachschatzes 
wichtig. Die allgemeinen Benennungen des Weibes, so wie 
die Eigennamen germanischer Frauen sind in gleichem Maasse 
dabei zu beachten. 



Im Gotischen zun&chst treten uns zwei nahe verwandte 
Worte entgegen, quino als allgemeine Bezeichnung des Weibes, 
quens als Benennung der verheirateten Frau. Sie weisen beide 
in ihrer Grundbedeutung auf die mtltterliche Bestimmung 
hin und lassen sich durch Gebarerin tlbersetzen 1 ). Dabei be- 
wahrt sich Wilh. Wackernagels scharfsinnige Bemerkung 
tlber die Bedeutung der durch Laut verschiedenen, aber aus 
einer Wurzel gebildeten Worte. Quino, althochdeutsch qu'ena, 
das den Vocal des Prasensstammes zeigt, gibt die Bestimmung 
kund: es ist das zum gebaren bestimmte Wesen; quens im 
Vocal des Plurals der Vergangenheit, weist auf den Erfolg: 
es ist das durch gebaren vOllig zur Gattin gewordene Weib. 
Das Wort ist tlbrigens alien germanischen Sprachen bekannt, 
und findet sich im Altsachsischen (qu'ena : quan) , Angel- 
sachsischen (cvine : even) und Altnordischen (Jcona : quan) mit 
gleicher Zweitheilung durch Laut und Bedeutung wie im 
Gotischen 2 ). 



1 ) Als Stammverb ist guinan, quan, quenum aufzustellen, urver- 
wandt dem lat. gignere, griech. T^vvav. Zu quino stimmen gr. t UV1 ^? 
slav. skena zona, skr. jani. 

2 ) Mittelhochdeutsch ist nur hone (aus queue) erhalten, mit 
der Bedeutung der Ehefrau. tiber das Fortleben des Wortes Grimm, 
Deutsch. WOrterb. V, 1689 f. 



3 



Ausser diesen Worten finden wir zwei andere: wtp, 
Weib (s&chs. wif, altn. vif) und frouwa, Frau (altn. freyja). 
Das Wort Weib zu erkl&ren ist schwierig, und die mittel- 
alterliche Ableitung von einem sagenhaften KOnig Wippeo 
von Frankreich 1 ) frommt eben so wenig wie neuere Deutungen. 
Auffallend ist, dass das Wort sachlichen Geschlechtes ist; 
wir mOgen daraus auf einen allgemeineren ungeschlechtigen 
Begriff schliessen, der erst spater sich zu der persOnlichen 
Bezeichnung des Weibes einschrankte. Aus den verwandten 
Worten*) ergibt sich als Grundbegriff der der Bewegung. Weib 
bezeichnet also wohl ein bewegliches, gewandtes Wesen. 

Frau heisst zunachst die Herrin, ursprunglich aber die 
frohe, milde, gnadige 8 ). Das Verhaitniss des Germanen zu 
seinem Herrn, die Stellung des freien Mannes zu dem Ftthrer, 
der durch Tttchtigkeit ausgezeichnet, den treuen Gefahrten 
mit milder Hand und freundlichem Sinne fesselte, war ein 
schOnes und heiteres; darum hiess der Herr auch der er- 
freuende und gutige. Lange hat das Wort Frau den alten 
Sinn „Herrin ft bewahrt; es war noch im 13. Jahrhundert 
ausschliessliche Bezeichnung der vornehmen Weiber, ohne 
TJnterschied ob sie verheiratet waren oder nicht. Iwein, der 
Ritter mit dem LOwen, entgegnet auf den Antrag, der ihm 
gemacht wird, ein edles Madchen zu heiraten, bescheiden 
und in verstellter Niedrigkeit, er sei an Stand der Jungfrau 
nicht gleich, eine Frau mQsse einen Herren haben (Iw. 6626) 4 ). 



x ) Frauenlob, MS. Hag. 3, 115. Dieser Wippeo erinnert an den 
Admiral in Flore und Blanscheflur, 

*) ahd. weibjan bewegen, weibon in Bewegung sein, schwanken, 
fliessen. Ags. wdfjan schwanken; altnord. veifa schwingen; lat. 
vibrare. Kluge, Etymologisches W6rterbuch der deutschen Sprache, 
deutet Weib als das innerlich erregte, begeisterte Wesen. 

^ da% frdUwen an in ist bekant, des fint si frouwen genant, 
Strieker, Frauenehre 1801. diu frouwe frduwet unde unfrouwet 
maneger mooter hint, MSH. 3, 71. die mit tugenden fr&uwent dne we, 
die hei$e ieh vrouwen, MSH. 3, 106. Vgl. Freid. 106, 4. dazu W. Grimm 
uber Freidank, S. 70, und Grimm, DWb. IVil. 1, 221 f. 

4 ) Vgl. auch Frauend. 508. 28, man muozs eine frouwe nennen 
von ir hohen art; 546, 15. von gepurt ein frouwe ist si und von 

1* 



Auch im Norden hiessen nur die vornehmeren freyjur, wfthrend 
vif zu den Benennungen dex geringeren Frauen gehOrte, wie 
sich in den Rigsmal zeigt, wo eine der TOchter des Gemein- 
freien (Karl) Vif heisst. Neben dem allgemeinen Gteschlechts- 
begriffe bezeichnete demnach wip (vif) ein Rangverh&ltniss, 
ausserdem aber bedeutete es wie Jcone das Eheweib. Es 
steht also der Jungfrau (maget) gegenttber 1 ), wahrend sich 
frou und maget wohl vertragen {frou maget, Eneit 8978. 
Erec 804. 1530. MSH. 2, 172. Vgl. Nib. 303, 4. Parz. 550, 
15. 25). In fromoe lag im 13. Jahrhundert wenigstens noch 
nichts, was auf das Vermahltsein hinwies. Wo es gleich- 
bedeutend mit wip (Eheweib) erscheint, da ist dies eben nur 
Schein *), und es ist entweder der vornehme Stand der Frau, 
Oder das hOfisch untergeordnete Verhaltniss des Mannes zu 
dem Weibe stark hervorgehoben. Zuweilen wird, um an- 
zudeuten, dass eine SchOne vornehm und verheiratet sei, 
frou und wip verbunden 3 ). Welches Wort, FraU oder Weib 
vorzttglicher sei, darttber ward in der hofischen Minne-Poesie 
vielfach gestritten. Walther von der Vogelweide entschied 
sich fQr Weib 4 ), Reinmar von Zweter, der Meisner, Regenboge, 
Raumeslant sprachen ebenfalls dafar, und huben hervor, dass 



tugenden wip; 565, 1. von guete wirt ein arm wip wol frouwe und 
darzuo wiplich Up. Amis 461. M8 wart der phaffe gelobet von frouwen 
und von wiben. Hierzu stimmt durchaus, was in der Snorre Edda, 
Gylfaginning c. 24 bei Freyja gesagt wird: von ihrem Namen stamme 
der Ehrenname, dass vornehme Weiber (rikiskonur) frur genannt 
werden. 

J ) diu e hie? magt, diu was nu wip, Parz. 45, 24. fi was ein 
maget, niht ein wip, Parz. 60, 15. 84, 6. swd ze wibe wirt ein maget, 
Ulr. Trist 288. do wart diu maget vil gemeit ein also schoene wip, 
MSH. 2, 172. 

2 ) Vgl. Lachmann zu Iwein 4006. Haupt zu Engelh. 652. 

») edeU frouwe liebet; wip, Passion. 42, 1. Parz. 302, 7. Trist. 
9294. H. Trist. 1076. 

4 ) Wip tnuoz iemer sin der wibe hohste name, und tiuret baz 
dan frouwe als ichz erkenne 48, 38 (L.). In den Yersen so swuere ich 
wol daz hie diu wip bezzer sint danne ander frouwen (57, 5) sind 
sich wip und frouwen nicht entgegengesetzt, sondern sind synonym ; 
der G-egensatz liegt in hie und ander. 



5 



sich das weibliche, namlich die keusche Zucht und Scheu 
vor unziemlichen Dingen in diesem Namen ausspreche. 
Heinrich von Meissen trat dagegen iibermftthig far das Wort 
Prau in die Schranken und erhielt dadurch, wie es scheint, 
seinen Zunamen Frauenlob 1 ). In neuerer Zeit hat man sich 
auf seine Seite geschlagen. Weib wird jetzt fur die Ehefrau 
in den hoheren Standen nur selten gebraucht und Frau hat 
hiernach seine Bedeutung ausgedehnt. In den niederen Standen 
bezeichnet es nach wie vor die Verheiratete, und dient 
ausserdem allgemein, den geschlechtlichen Gegensatz zum 
Manne auszudrticken. 

Fttr das ihm abgehende Wort frou besitzt das Alt- 
sachsische *) ein anderes, namlich femea, zugleich gemeinsam 
mit dem Angelsachsischen ifaemne), dem Friesischen ifamne) 
und dem Altnordischen (feirna). Das Wort erinnert auffallend 
an das lat. femina; indessen ist Entlehnung Oder selbst 
Verwandtschaft abzuweisen. Auf das Altnordische gesttltzt, 
wo feima die schamige Jungfrau, feiminn schttchtern, schamhaft 
bedeuten, fassen wir auch dies Wort als ursprilngliches Beiwort 
und tlbersetzen es „die schamhafte, ziichtige". Im Friesischen 
hat auch famne wie das angelsachsische faemne tlberwiegend 
die Bedeutung Jungfrau und steht dem wif gegenttber 8 ). 

Ein anderes Wort fur Frau hat das Alts&chsische ausser 
mit dem Angelsachs. und Altnord. mit dem Althochdeutschen 
gemein, namlich idis (ags. ides, ahd. itis). Dies Wort dient 
im Althochdeutschen und dem Sachsischen, namentlich aber 



2 ) Herman der Damen bei Hagen, MS. 3, 168a. Allerdings kann 
man diese Stelle auch so verstehn, dass Heinrich den Namen 
Frauenlob als G-eschlechtsnamen fiihrte. Dass Frauenlob in dem 
Namen Frau die Ehefrau verherrlichte, also der Poesie der Liebe 
die Poesie der Ehe entgegen stellte, l&sst sich aus dem Sprach- 
gebrauche der Zeit nicht begriinden: Zacher in Ersch und G-rubers 
Encyklop. I. Sect. XLVIII, 378. 

2 ) Das Wort frua in der Essener Handschr. ist wie das alt- 
nord. fru ein hochdeutscher Eindringling. 

3 ) Jac. Grimm, Geschichte der deutschen Sprache (Leipz. 1848), 
652. 1001. Richthofen, Altfriesisches Worterbuch 726. Halbertsma lexic. 
frisic. 957 ff. Doornkaat, Ostfries. Worterb. 1, 535. 



6 



im Angelsachsischen allgemein far jede Frau jedes Alters, 
gleichviel, ob verheiratet oder nicht, hat aber daneben eine 
mythische Bedeutung und bezeichnet gOttliche Jungfrauen, 
namentlich GOttinnen des Geschickes. Im Altnord. 1 ) hat dis 
ausser dieser mythischen die Bedeutung ehrwfirdiges Weib 
und auch Schwester. Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich 
idis zu den altn. Worten id, idn, idja Arbeit, Verrichtung, 
idia, idna arbeiten, halte. Idis bedeutete also die schaffende, 
arbeitsame, gewandte, und ware filr das riihrige Weib wie 
fiir die Schicksalschafferin ein passender Ausdruck.*) 

Ein altes, allgemein germanisches Wort ist Braut (*brudis, 
got. hrups, altn. brudr, alts, brud, ags. bryd, altd. brut), das die 
Verlobte, auch die junge Frau bezeichnet, in lateinischen In- 
schriften des 3. und 4. Jahrhunderts die. Schwiegertochter, 
wie auch in romanischen Glossen des 9. Jahrhunderts. Das 
Wort bedeutet wahrscheinlich die heimgefilhrte, wobei dahin 
gestellt sei, ob dies nach Erfallung der rechtlichen Erwerbung 
des Madchens oder durch Raub geschehen ist. 8 ) 

Das Altsachsische und Angelsachsische haben fur Weib, 
Frau auch das Neutrum fri, freo, das holde, geliebte Wesen, 
ein Wort, das gleich einer Anzahl altnordischer Benennungen 
nicht weiter verbreitet ist. 

Die Ktinstelei und Begriffspalterei der altnordischen 
Dichter rief filr die verschiedenen Verhaltnisse und die ausseren 
und inneren Erscheinungen des Weibes eine grosse Menge 
Worte hervor. Dazu kam die Skaldenregel, dass. alle Benen- 



2 ) tiber das Verhaltniss von dis und idis, Noreen, Altnord, 
Grainmat. §. 137, 2. 

2 ) Meine bereits 1851 (Deutsche Frauen, S. 5) vorgetragene 
Deutung wird in der Zeitschr. f. deutsche Philol. 27, 242 als neuer 
Fund vorgebracht! 

8 ) Soph. Bugge in Paul-Braunes Beitragen 13, 184 f., der die 
auf gleicher Ableitung beruhende Erklarung von Bopp und Grimm 
corrigirte. — Das aus dem Gotischen aufgenomme brutus in latein. 
Inschriften des 3. u"nd 4. Jahrhunderts hat v. Domaszewski in den 
K Heidelberg. Jahrb. III. 2. nachgewiesen; die Glosse nurus bruta 
G. Lowe. 



nungen weiblicher Tracht und weiblichen Schmuckes als 
dichterischeBezeichnung derFrauen gebraucht werden kOnnten. 
Ich ttbergehe diese letzteren ohne weiteres 1 ) und hebe von 
den anderen altnordischen Benenmmgen nur einige heraus. 
Das vermahlte Weib hiess briidr, vif und fliod*) (neutr.), eine 
kluge Frau (hot, eine sanfte und ruhige dros, eine prahlerische 
und hochmttthige fvarri (m.) und fvcurhr (m.), eine mannliche 
riftill (m.), eine Strohwitwe faeta, die Witwe eines gewaltsam 
getodteten hadl (m.), die Witwe eines siechtodten eckja, die 
einen Mann gehabt hatten, hiessen djur, die alten Weiber 
JcerMngcvr, die Jungfrau heisst mar (Sn. E. 201 f.). Dem alt- 
nordischen mSr (Grenit. meyjwr) entspricht das gotische mavi 
(Genit. maujos), weibliche Bildungen zu got. magus (altn. mggr), 
der Knabe, Jiingling, Sohn. AUs selbem Stamm erwachsen 
ist got. magaps (alts, magafh, alth. magat), Maget, Magd, ur- 
spranglich das unverheiratete jungfrauliche Madchen. Die Be- 
deutung Dienerin kommt im Deutschen erst im 12. Jahrhundert 
neben der alten auf. Im Sachsenspiegel, S. 20, I, also im 
Niederdeutschen des 13. Jahrhunderts, wird sogar ein leib- 
eigenes Madchen mit maget bezeichnet. — Unser neuhochd. 
Madchen (mitteld. Verkleinerung aus Maet = Meit, Maid, der 
verschmolzenen Form von Maget), im 18. Jahrhundert noch 
Magdchen, Magdgen geschrieben, hat die verschiedenen Be- 
deutungen des alten Maget geerbt: weibliches Kind, unver- 
heiratete Tochter, Jungfrau und auch Dienerin. 

In dem Frauenbuche Ulrichs von Lichtenstein (618 ff.) 
zahlt die Dame, mit der sich der Hitter tlber die Zustande 
der Gesellschaft der Zeit unterhalt, ftlnf Arten von Frauen 
auf: die verheiratete, die Witwe, die maget, d. i. die im 
elterlichen Hause lebende Jungfrau, die ledigiu wip und die 
friundin. Unter den ledigen sind unverheiratete Madchen in 
unabhangiger Stellung verstanden, die sich, wie es im Frauen- 



J ) Vgl. auch J. Grimm, Deutsche Mythologie 839 f. 

2 ) fliod ist nur ein Wort der Poeten. Sophus Bugge (Studien 
tiber die Entstehung der nord. G-fltter- und Heldensagen, fibers, 
von Brenner, S. 6, Anm. 3) vermuthet, dass es aus dem ags. fled 
oder floed in Frauennamen (z. B. Eanfled, Adelfloed) entlehnt sei. 



8 



buch (626, 30) heisst, nach ihres Herzens Willen vermahlen 
kOnnen, wenn sie wollen. Die friundin (sonst auch cmie ge- 
nannt) ist die Geliebte ohne bindende gegenseitige Ver- 
pflichtung. 

In den Namen fttr das weibliche Geschlecht im allge- 
meinen treten schon bedeutende Grundvorstellungen der 
Germanen, ja selbst der Indogermanen, von den Frauen hervor : 
das rdhrige, fleissige, das heitere schtae, das zttchtige Wesen 
schmttckt das Geschlecht der Mtltter des Volkes. 

Aber reicher und vielseitiger erscheinen uns die Eigen- 
schaften der gennanischen Madchen und Frauen durch die 
persMichen Eigennamm, welche mit einer tlberreichen Ftille 
aus den altesten Rechts- • und Geschichtsaufzeichnungen 
•strOmen 1 ). Heute ist die Zahl der Vornamen verhaltnissmassig 
klein, und zieht man die fremden ab, sogar sehr gering; 
heute wissen die wenigsten, was der Name bedeutet, den sie 
in der Taufe empfingen. Noch in der merovingischen und 
karlingischen Zeit'zahlten dagegen diese Namen nach tausenden 
und man war sich des Inhalts bewusst, weil die Bestandtheile 
derselben noch in der Sprache lebten und die Vorstellungen, 
durch die sie gebildet waren, noch in dem geistigen Leben 
aufrecht stunden. 

Spiegelungen des altesten germanischen Lebens sind 
diese Personennamen, und da dieses ein Leben voll wandernder 
Eroberung und voll kriegerischer Unruhe gewesen ist, in 
welchem auch die Frauen oft genug genOthigt waren, Leben 
und Freiheit zu vertheidigen oder die wunden Manner zu 
pflegen und heilen 2 ), so ist ein sehr grosser Theil der alt- 
deutschen Frauennamen des kriegerischen Geistes voll. Das 
germanische Weib erscheint durch sie den Schildmadchen und 
Walktlren Wodans 8 ) verghchen. 



l ) E. FOrstemann, Altdeutsches Namenbuch. I. Personennamen. 
Nordhausen 1856. 

a ) Vgl. im 2. Capitel die Ausfuhrungen iiber die deutschen 
Walktiren. 

8 ) Miillenhof, Zur Runenlehre, S. 44, Halle 1852. 



Indem aber den Frauen auch die Gabe prophetischer 
Voraussicht und heiliger Weisheit zugetraut ward, so spricht 
sich in den poetisch gedachten und empfundenen Namen der^ 
selben ttberhaupt alles hOchste aus, das dem Weibe in seiner 
gOttergleichen Erhebung eigen war. 

Die Form der germanischen Namen ist in der Regel die 
des zusammengesetzten Wortes. Es sind also zwei Wort- 
stamme mit einander verbunden; der zweite tragt die gram- 
matische Flexion, die nach der attributiven Bedeutung dieser 
Namen adjectivisch sein und die ganze Namensbildung als die 
eines zusammengesetzten Adjectivs erweisen muss. Freilich 
wird dieses dadurch versteckt, dass die aiteste nominale 
Flexion der Adjectiva 1 ) bei diesen Eigennamen festgehalten 
ward, wodurch sie ausserlich den Substantiven gleichen. 

Die Namen, welche im zweiten Gliede die Benentiung 
eines lebenden menschlichenoder thierischen Wesens enthalten, 
scheinen allerdings von jener Hauptmasse gesondert zu 
stehn, indem sie substantivisch ausgehn. Unter den Frauen- 
namen gehOren nur die in -hern (oder birin = barn Kind), 
ihiu (Dienerin) und winja (Freuiidin) hierher. Die in wip 
(Weib) wird man gleich den mannlichen auf man als Kose- 
namen fassen mtissen. 

Der zweite Theil der zusammengesetzten Nomina enth&lt 
den allgemeinen Begriff, welcher durch den ersten Theil 
seine nahere Beziehung und Bestimmung empfangt, wenn 
nicht die Zusammensetzung eine bloss copulative Verbindung 
(dvcmdva) zweier synonymer Worte ist, wie dies in Berhtwiz 
(die glanzende und weisse), in Baudegunt, Hildigunt, G-undhilt, 
Baduhilt, Baghilt, Haduwic vorliegt. Die Zahl der in den 
Frauennamen erscheinenden zweiten Glieder ist gegen die 
Fttlle der ersten ungemein beschrankt. 

Am haufigsten kommen hier vor hire oder berga, burc, 
drut, flat (fledis), gunt, heit, hilt, lint, niu, rat, run, sint, 
swint; weniger zahlreich sind: bolt (bolda), berht, bern (birn), 



2 ) Leo Meyer, tJber die Flexion der Actfectiva im Deutschen, 
S. 5 ff. Miillenhoff, bei Haupt Zeitschr. 16, 154. 



10 



diu, fridu, gart, gilt, hadu, Jieri, hart, hrdban, loue, Hup, 
muot, war, widu, wie, wih, wini, wis; selten sindinFemininis: 
gis, grim, helm, leich, leis, mwrka, munt, snot, tac, wait, wvUf. 

Ganz ttberwiegend sehen wir hier die Beziehung der 
Frauen auf den Krieg ausgedrttckt: zun&chst in den Namen 
auf gunt und hilt, dann in den gleichbedeutenden auf hadu, 
wie, auf lauc als den Kriegsbrand, und auf den dichterischen 
Ausdruck far Kampfspiel, leich. Die Tragerinnen dieser Namen 
werden als walktlrengleiche Frauen bezeichnet. Und wie 
diese von Wodan den Befehl empfingen, seine Gunstlinge zu 
schutzen, so sprechen auch die Frauennamen in hire, burc 
und munt diese Aufgabe aus ; die Friedenstifterinnen erscheinen 
in den Namen in fridu. Die Ausrttstung zum Kampf schildern 
die Namen in gis und widu (Speer), in hdm und Unt (Schild) ; 
die Eigenschaften der Starke, des Muthes, des Kampfeszornes 
die in bait, drut, hart, swint, in muot und in grim. Auf die 
Theilnahme am Heereszug gehen die Namen in heri und sint; 
die begleitenden Thiere des Kriegsgoites und seiner Schaaren 
tauchen in den Namen in hraban und wolf auf. 

Die tibermenschlichen Eigenschaften der Voraussicht in 
die Zukunft und der zauberischen Einwirkung auf dieselbe 
werden den Tragerinnen der Namen in -run zugetheilt; 
Weisheit tiberhaupt und Vorsicht den in leis, rat, snot, wis 
und war benannten. 

Die Beziehung auf priesterliches Amt der Frauen geben 
die Namen in gelt (gilt) und wih. 

Glanzend in SchOnheit heissen die in berht und flat, 
erfreuend und freundlich die in Hub und wini. Die Aus- 
stattung mit einer vollen, durch das erste Wort dann naher 
bestimmten PersOnlichkeit geben die Namen in heit 

Den Besitz an Land und Hof deuten die Namen in 
mwrka und zum Theil in gart an; die Gewalt irgend worfiber 
die in wcilt; die Abkunft die in bern und niu, ein dienendes 
Verhaltniss die in diu. 

Die Grundeigenschaften nun, welche in diesen zweiten 
Gliedern der Frauennamen ausgedriickt sind, erhielten, wie 
gesagt, durch die Worte des ersten Gliedes der Zusammen- 



11 



setzung ihre nahere Beziehung. Das logische Verhaltniss 
der beiden Glieder kann wie in alien Wortcompositionen 
mannigfach sein. 

In der appositionellen Verbindung steht der erste Theil 
attributiv zum zweiten: so in den Namen, welche mit 
adverbialem al, filu, hoh, sdp, sini, wela oder mit fram 
beginnen, wohl auch in denen mit amal, ercan, irmin (erman, 
erm), ferner in den durch un eingeleiteten, in denen im nicht 
negative, sondern steigerndeBedeututighaben mOchte: Unberta, 
Unhardis, Unhilt, Unramna; endlich in den meisten, die einen 
Adjectivstamm als erstes Glied haben, wie halt, hart, richi, 
snd, stare, swint, wie alt, fruot, gamal, wis, oder wie berht, 
blidi, flat, fri, fro, geil, holt, Hub, sconi, mm und seis. 

Zuweilen ist die appositionelle Verbindung vergleichend, 
soinSneoburc, diedemSchnee gleiche (schneeweisse) schtitzende 
Frau; in Sunnihilt, die sonnengleiche, kriegerische Jungfrau ; 
in S61berta ; die wie die Sonne gl&nzende; in Blicdrut, die 
dem Blitz gleiche, starke Jungfrau; in Dagahilt, die wie der 
Tag strahlende Kampferin; Helidgunt, die heldengleiche 
Kriegerin. Auch die Namen, welche einen Thiernamen im 
ersten Gliede haben, fallen hierher: die Frau wird mit dem 
kriegerischen Thier (am, ebur, hraban, wisunt, wolf) ver- 
glichen oder dem Schwan (swan) oder auch dem schnellen 
Hirsch. 

Am reichsten entwickelt ist die casuelle Verbindung, 
in welcher der erste Theil zum zweiten im Verhaltniss eines 
Genitivs, Dativs, Locativs, Ablativs oder Accusativs steht. 
Genitivische Compositionen sind u. a. Adalbirc, die schtitzende 
Frau des Geschlechtes ; Reginbirin, das Kind der rathenden 
GOtter; Wihdiu, die Dienerin des Heiligthums; Marcadrut, 
die starke Jungfrau des Grenzlandes; Herigilt, die Priesterin 
des Heeres (oder accusativisch : die das Heer des Feindes 
opfernde) ; Gebahilt, die Schlachtjungfrau der Gabe, d. i. die 
freigebige Walkilre; Hildileis, die kriegskundige ; Siginiu, die 
Tochter des Sieges. 

Dativische: Alahgunt, die fur den Tempel kampfende 
Jungfrau; Uodalhilt, die fur das Stammgut streitende; 



18 



Christhildis, die far Christus kampfende; FridurOn, die mit 
runischer Kraft far den Frieden wirkende. 

Instrumentale : Madalberta, die durch Rede gianzende; 
GSrdrtid, die mit dem Ger starke ; Rantgunt, die mit dem Schild 
kampfende ; Mahthilt, die mit Kraft kriegende ; Bauglind, die 
Schildtragerin mit dem Ring; Muotswint, die durch geistige 
Erregung starke; Ratwina, die durch Rath sich freundlich 
erweisende. 

Locativische : Anganburg, die Schatzerin in derGefahr; 
Waledrto, die starke auf dem Walfeld; NOtharja, die Fahrerin 
in der Kampfesnoth; Ostar-Westar-Sunt-Northilt, die nach 
Osten, Westen, Silden, Norden ziehende Walkare. 

Ablativische : Wolkandrtit, die aus den Wolken stammende 
Jungfrau; Wachilt, die aus den Wogen entstammte Kriegs- 
frau; SSoburc, die meerentstiegene Schatzerin ; Himilrat, die 
vom Himmel gekommene Ratherin. 

Accusativische : Salabirc, die das Haus schQtzende; 
Otfrida, die den Besitz schirmende; Otgeba, die Reichthum 
gebende; Gundwara, die far den Kampf vorsichtig sorgende. 

Versuchen wir die ersten Worttheile nach ihrer Be- 
deutung an sich in Gruppen zu bringen, so ist die kriegerische 
die dichteste. Wir treffen zunachst die Worte far Kampf und 
Krieg: badu, baga, gund, hadu, hiltja, saka, wtc mit den 
dichterischen Ausdracken nit und not, wozu ich angan ziehe. 
Die kriegerischen Schaaren erscheinen in diot (fheoda), fara, 
folc, heri, Uut, truht, der Kriegszug in sint, der Tod in der 
Schlacht in wal. Waffen und Wehr sind bezeichnet durch 
scvro, isan (gekarzt is), durch asc, ger, geit (Spitze, Geschoss), 
gis und gisal, ort und widu, durch brant (Schwert) und ecki, 
durch rant (Schild) , hdm und grima , brunja (brimne). 
Kraft, Schnelligkeit und Muth werden theils substantivisch, 
theils adjectivisch als Eigenschaften der kriegerischen 
Frauen gegeben durch ellan, megin, maht, slwrc, drut, hart, 
fasti, mOglicherweise durch wing-; durch il-, snd, swind, 
(swid), wohl auch want-wendM; durch muot, and-; bait, heist, 
nand, wilt, helit. Die Aufgabe zu schutzen, retten, zu suhnen, 
beruhigen, und zum Frieden zu fuhren, erweisen berc, burc, 



13 



wohl auch gart, neri-, ritn- (got. rimis, Euhe), suon, stiUi, 
fridu. Der erkampfte Sieg erscheint in den Namen mit 
sigu, der schmttckende Ruhm in hrod ruot (fldd), lop, mari, 
ruom, wuldar. 

Die GOtter und gOttlichen Wesen, deren Wille und 
Wirken sich im Kriege den Menschen vor allem offenbart, geben 
sich in den Namen mit ans (ds, ds), got, goz (gaut), alb, hftn, 
thurs, Ing {Ingal,? angil), Mimi, itis, kund; ihre HeiligthOmer 
in cUdh und wih, ihre Opfer in gelt (gildi), die den kriegerischen 
Gottheiten geweihten Thiere in arn, hraban, swan, in ebwr 
und wolf. 

Auf den Ausgang des Kampfes und anderer wichtiger 
Uhternehmungen wird gewirkt durch unter sich verbundenen 
Zauber und Weissagung (run). Ferner weisen die Namen mit 
gand und sisu darauf, so wie auf heilbringende Vorbedeutung 
die mit heil beginnenden; auf Recht und Gesetz die Namen 
mit bil, ewa (eo), dine und torn im ersten Gliede. 

Die geistigen Gaben, welche zu allem diesen nOthig 
sind, deuten die im ersten Namenstheil auftretenden Sub- 
stantiva an: danc, hugu, modal, mahal, mwot, muni, ragin, 
rdt, wan, die Adjectiva fruot, war, wis, und nach der ger- 
manischen Ansicht, dass 4ie Weisheit auf einem Wissen ruhe, 
das ein langes erfahrungsreiches Leben gab, wohl auch alt 
und gamal. 

Aber nicht bloss in ernster Hoheit und ttbermenschlicher 
Kraft des Leibes und Geistes erscheint das dichterische Vor- 
bild der germanischen Frau. Die heiteren frohen Ztlge fehlen 
nicht, wie die Namen bezeugen, welche mit anst und gaman, 
mit wilja und winja, mit bltd-, fag-, frt, fro, geil, holt, Hub, 
triu, mm und zeiz anheben. Und die SchOnheit deutscher 
Frauen, welche die Sttdlander bewunderten, kommt in den 
Namen zum Ausdruck, deren erster Theil berht, fl&t (fled), 
glis, has, sconi, zier, tac und wunnja sind. 

Auf schmftckenden Zierrat weisen die Namen nur spar- 
lich: ein Name mit baug (Bauglint), wenige mit wid (ags. 
vela, viola), einige mit golt gehOren hierher. 



14 



Beziehung zu Reichthum im allgemeinen drttcken freilich 
die haufigen Namen mit aud oder 6d aus. Die mit erbi gehn 
auf das Erbgut des Geschlechtes oder Hauses, auf das auch 
die Namen mit odal, heim, hof, Ms und sal weisen. Das 
Volksland erscheint in lant maria und gam den weiblichen 
Namen verwebt. 

Maehtig und gewaltig erscheinen die Frauen in dem 
poetischen Namenspiegel durch die mit rtchi und wait haufig 
eingeleiteten Namen; freigebig, wie alle machtigen sein 
mussten, durch die mit mild und geba (giU). 

Die Familie endlich, des ganzens Lebens Grund und 
Sttttze, tritt in den zahlreichen Namen mit adal heraus; 
weniger oft wird Jcuni gefunden, einzeln sibbja. Die mit barn 
(bern), erl, goman und wtp beginnenden Namen drttcken 
ebenfalls Verhaltnisse der Frauen zu den nachsten Lebens- 
genossen aus. 

Es ist nicht immer leicht, die beiden Worte, welche die 
zusammengesetzten Eigennamen bilden, in ein logisches Ver- 
haltniss zu einander zu bringen. Wie in der Wortcomposition 
aberhaupt das zweite Glied . zuweilen zur Bedeutung eines 
Suffixes herabsinkt (man denke an die Substantiva in heit, 
schaft, tac und tuom), so ist auch in den Personennamen im 
Laufe der Zeit der eigentliche Sinn des zweiten Theiles oft 
verdunkelt und vergessen, und derselbe dem unbedeutenden 
oder bedeutungslosen grammatischen Suffix gleich geworden. 

Die Composition aber aberhaupt zu leugnen und die 
Worte, welche im zweiten Gliede stehen, z. B. bald, berht, 
brand, grim, gund, hart, man, mund, rat, sind, als sinnlose 
Conglomerate von zwei- bis vierfachen Suffixen hinzustellen, 
wie Franz Stark ^ versucht hat, muss als Irrthum abgewiesen 
werden. 

MOglicherweise kOnnen sich Namen, die einen Widersinn 
enthalten oder wertfgstens Schwierigkeiten der Deutung bieten, 



2 ) Vgl. den Auszug aus seinem Vortrag liber die Irrthumer 
in der heutigen Forschung liber deutsche und keltische Personen- 
namen im Anzeiger der Wiener Akad. d. Wissensch. 1870. Nn- 12. 



15 



daraus erkl&ren, dass sie durch Entlehnung je eines Namens- 
theils von Verwandten gebildet wurden, z. B. Gerlant von 
G6rn6t und Lantberga (vgl. K. G. Andresen, tiber die Namen 
und die Namengebung der alten Deutschen: Nord und Stid, 
Heft 123). 

Schon durch den Wortaccent erhielt der erste Theil uber 
den zweiten das tJbergewicht ; es kam ferner die Neigung 
dazu, in bequemer Eede und in kosender Stimmung die 
schwertOnenden zweist&mmigen, oft drei- oder mehrsilbigen 
Namen zu kttrzen. Diese Kttrzung geschah Qberwiegend zum 
Nachtheile des zweiten weniger betonten und im Begriffe 
allgemeineren Gliedes; das erste erschien als formaler Kern 
und ward es dadurch auch logisch. Weit seltener blieb der 
zweite Theil im Vortheil. Die einfachen zahlreichen Berta, 
Hilde, Trude kOnnen an sich nicht far eins oder zwei be- 
weisen, da sie ebenso gut den ersten als den zweiten Theil 
vertreten kOnnen. Als alte Belege aber ftir den zweiten 
Namentheil mttssen gelten Fara far Burgundofara, Bugga fQr 
Eadburga 1 ); als moderne kOnnen in Erinnerung gebracht 
werden Burgi von Walburg, Trude von Gertrud, Wicke von 
Hedewig. 

Durch die einfache Verktlrzung der zusammengesetzten • 
Namen, gewOhnlich mittelst Tilgung des zweiten Theiles, 
entstunden eine Menge scheinbar einfacher Namen, so Adela 
aus Adelheid, Berta aus Bertrgtda, Brilna aus Brilnhildis, 
Gunda aus Gundfrid, Hatha (neu Hede) aus Hathuwic, Hruada 
aus Hruadalaug, Ida aus Idaberga, Cuna (Ktine) aus Cunigunt, 
Lioba aus Liobgytha, Wendela aus Wendilburgis. 

Hier blieb der erste Theil ganz unverandert bis auf die 
grammatische Endung. 

Es trat aber auch in ihm zuweilen eine Veranderung 
ein durch consonantische Angleichung; so ward Hilda, gleich 
Hildberga, zu Hidda, oder Hilda, gleich Hildegard, zu Hille, 
Mehta fur Mechthild zu Mette. 



l ) Stark, Die Kosenamen der Gerinanen, Wien 1868, S. 15 f. 
In diesem Buche ist die Bildung der hyperkoristischen Namensformen 
systematisch untersucht. 



16 



Es konnte ferner vom Suffix des alten ersten Namen- 
theils ein Consonant abgeworfen werden : so ward aus Amal- 
hild Ama, aus Gisalberta ward Gisa, aus Eberhilt ward Ebe. 

Eine Fortbildung des unveranderten ersten Gliedes ward 
durch die verkleinernden Suffixe vollzogen. So entstunden aus 
Theodetrudis oder aus Thiathilt deminutive Theodila Thietila, 
aus Wieldrflt Wielicha, aus Ermingart Erminza, aus Chunigunt 
Chuniza. Mit assimilirender Veranderung des ersten Stammes 
gehOren hieher u. a. Bettana aus Belletrudis, Mettelina aus 
Mehthilt, Hilleke aus Hiltgunt; mit Verschmelzung Reinula 
aus Reginhilt. 

Durch Syncope geschah weitere Verkilrzung dieser 
Deminutivformen: Dietla far Dietila, Sicla far Sigila, Heilke 
filr Heilika (aus Heilwic), Richza fttr Richiza aus Richcart, 
Matza Metza aus Mettiza von Mechthild, Hiza aus Hittiza, 
von Hildburg, Geza 1 ) von Gerza aus GSrtrud. 

Weit seltener als diese mannigfachen Kdrzungen aus 
dem ersten Stamm sind bei den Namen aberhaupt, besonders 
aber bei den Frauennamen, Kurzungen durch Verschmelzung 
beider Sttaime. So ward Gterbirg zu Gepa, Th^dburg zu Tebe, 
Walburg zu Wabe, Wobbe, Wigburg zu Wibe. 

Deminution dieser Contractionen lasst sich nachweisen : 
z. B. Hibele Hibbeke, das auf Hildburg, Tebeke, Tibbeke, das 
auf Thedburg, Thiadburg zurftckgeht. 



Wortzusammensetzung ist also nach dem vorgetragenen 
die herrschende Form der alten Personennamen ; die scheinbar 
einfachen sind Ktirzungen der Zusammensetzung, meist auf 
Kosten des zweiten Wortes. 

Dennoch finden sich in dem alten Namenschatze einige 
wirklich einfache Namen. Gerade unter den aitesten von den 
Historikern tlberlieferten germanischen Frauennamen kommen 
Veleda und Ganna vor, denen sich sp&ter die langobardische 



2 ) Gewohnlicher Gesa, Gese, vgl. meine Abhandlung: Die Per- 
sonennamen des Kieler Stadtbuchs, S. 25 (Jahrbiicher f. d. Landes- 
kunde der Herzogth. Schleswig - Holstein und Lauenburg, IX. 
Kiel 1866). 



1? 



Gambara anreiht. Etwas jiinger sind Tupa (Verbriider. buch 
von St. Peter) und Hinta (Emmeran. Schenk.), ferner Gnanna 
und Swestar, Doltiga, die superlativen Liuposta (Kozroh, p. 159, 
a. 821) und Her6sta (Juvav. n. 61, 82. a. 930), die numeralen 
Niunta (Meichelb. n. 179) und Sipunta (St. Peter 77, 35), die 
participialen Traganta (Kausler I. n. 30), Puwenta, Wahsanta 
(St. Peter 98, 4. 5), Gerenta, mit den entsprechend gebildeten 
westfrankischen Elienta, Grivienta, Merigenta ; ferner die von 
Volksnamen genommenen: Peiarin, Franchin, Fresin, Ostro- 
Wulthrogotha, Sw&bin, Thuringin, Walhin. Wenn wir noch die 
persOnlich gewordenen Wunnja Wunne, Minne 1 ), Triuwe, 
FrOude, S&lde, die im 13. und 14. Jahrhundert Ofter begegnen, 
hinzunehmen, so werden wir die wirklich einstammigen alten 
Frauennamen vor uns haben. Es sind, wie Mullenhoff (Zur 
Runenlehre, S. 54 f.) zweifellos richtig aussprach, Beinamen, 
Kennzeichnungen gewisser PersOnlichkeiten nach Eigenschaft, 
Ursprung, allerlei Verhaitnissen und Beziehungen, die dann 
zu wirklichen Eigennamen geworden sind. Eine weit reichere 
Quelle als fur die Vornamen, nach heutigem Ausdrucke, sind 
diese Benennungen, welche nicht bloss einstammig waren, fiir 
die spateren Familiennamen geworden 2 ). 

Die Fiille der schOnen, bedeutungsvollen Namen war 
tlber alle germanischen VOlker gleich stark ergossen. Natiir- 
lich treten landschaftliche und zeitliche Unterschiede hervor. 
Manche Bildung ist bei den Franken oder bei den Oberdeutschen 
haufig, welche bei den Sachsen, den Friesen, den Nordger- 
manen selten ist oder ganz fehlt. Und wie Hunnen und Ro- 
manen zahlreiche deutsche Namen entlehnten, so drangten 
sich auch gallische und galloromanische in den deutschen 
Schatz ein und kamen namentlich bei den Westfranken theils 
rein, theils mit deutschen Stammen vermischt, in Umlauf- 



J ) Urkundliche Belege fiir Minne z. B. a. 1250 Hess. Urk. II. 
n. 114. a. 1304. Diplomat. Runense (handschriftl. im steir. Arch.) 
I. 2, 1122. Fur FrOude: Vreutla 14. saec. Lilienfeld. Necrol. 6. Marz. 

2 ) "Ober die Zunamen auf Island und in Skandinavien vgl. 
mein Altnordisches Leben. Berlin 1856, S. 277—282. 

Weinhold, Deutsche Frauen. I. 2 



18 



Als das Christenthum die Gewalt fiber das deutsche Volks- 
thum erhielt, mussten viele Namen wegen stark heidnischen 
Geruches anstOssig werden. An ihre Stellen traten allmahlich 
kirchlich geheiligte, und je fester der Christenglaube, je blasser 
die alte GOtter- und Heldenwelt im Volksgeiste ward, umso 
schneller schwand die Namenfttlle der Vergangenheit. Aber 
bis in das 14. und zum Theile in das 15. Jahrhundert haben 
noch uralte Frauennamen kraftig gelebt, von denen wir heute 
nichts mehr ahnen. 

Mehr fast als das Christenthum hat der modische Ge- 
schmack verandernd auf die Namen gewirkt. Seitdem die 
Deutschen in die Bewegung der Kreuzzdge gerissen und mit 
franzOsischem, griechischem und arabischem Kitterleben ver- 
traut wurden, seitdem die franzOsischen Romane im 12. Jahr- 
hundert den Geschmack an den nationalen Epen verdarben, 
traten auch die Manner- und Frauennamen der deutschen 
Lieder und Sagen hinter die der Modefiguren zurttck. Recht 
heimisch wurden dieselben aber doch nicht. Die Gewalt der 
Kirche zeigte sich auch hier fiber das eigentliche Leben 
starker als die litterarische Laune. 

Ich will hier eine keineswegs erschOpfende Sammlung 
von fremden Frauennamen aus verschiedenen Jahrhunderten 
auffuhren. 

Aus dem achten Jahrhundert merkte ich an: Adsonia, 
Alexandra Alexandria, Anastasia, Auscella, Beata, Benedicta, 
Christina Cristiana, Celsa, Clementia, Constabila, Diatheta, 
Disba, Dominica, Elegia, Elena, EUsabeth EUsaba Ilisabia, 
Eugenia, Hilaria, Johanna, Judith, Juliana, Maria, Osanna, 
Petronilla, Salvia, Sanctonia, Sigundina, Severiana, Sibilla, 
Stadia. 

Aus dem neunten: Agatha, Anna, Beata, Benedicta, 
Bona, Christina Cristana, Cecilia, Elena, Fonteja, Galilea, Gre- 
goria, Honoria, Judenta, Judith, Jutta Judta, Laurentia, Leonza, 
Lilia, Marcellina, Osanna, Passiva, Petronilla, Quintella, Re- 
gina, Salva, Secundina, Sulvana, Susanna, Ursilina, Vin- 
centia Zenza. 



19 



Aus dem zehnten: Agoneia, Amata, Beata, Christiana 
Christina, Eugenia Genia, Felia, Genovefa, Gregoria, Justina, 
Leonora, Lina, Maria, Onerina, Paulina, Petronilla, Regina, 
Solsepia, Susanna, Vincentia, Victoria, 

Aus dem elften: Beatrix, Cecilia, Elisabeth, Euphemia/ 
Judith, Justitia, Regina, Sophia, Theophanu. 

Aus dem zwOlften: Agatha, Agnes, Anastasia, Beatrix, 
Benedicta, Brigida, Clementia, Christina, Elena, Elisabeth, 
Euphemia, Plorie, Judith Judita, Johanna, Letitia, Margaretha, 
Maria, Osanna, Paulina, Petrissa, Regialis, Regula, Sibilia, 
Sophia, Sprinza, Tiberia. 

Aus dem dreizehnten : Abele (Apollonia), Agnes, Angela, 
Anna, Ave, Beata, Beatrix, Benedicta, Benigna, Brigitta, Ca- 
tharina, Cecilia, Christancia, Christina, Clara, Claricia, Cle- 
mentia, Constantia, Elide, Elisabeth Elisa, Eneit, Enzia, Eufe- 
mia Offemia, Facia, Fides, Florie, Gabrielis, Helena, Imagina, 
Isalda, Jacominia, Johanna, Juliana, Justina, Juditha, Juta, 
Letitia, Lora, Lucia, Mabilia, Margareta, Maria, Officia, Omenia, 
Pelagia, Petrissa, Petronilla, Philippa, Salome, Salvet, Sa- 
pientia, Sara, Sigune, Sophia Soffe Soffeke, Stephania, Ursula, 
Venia, Vita. 

Aus dem vierzehnten: Apellonia Abele, Agatha Aythe, 
Agnes Nese, Agnete Agnite Nithe, Amietta, Anna, Antonia, 
Ave Aveke, Barbara, Beate, Benedicta, Benigna, Brigitta 
Breide Preide, Catherina Kete Kacze, Cecilia Cilia Cille, Clara, 
Clementia Minte, Crescentia, Christina Christein Stine, Doro- 
thea, Elisabeth Elsebe Else Elseke Ilsebe Use Beta, Enide, 
Eufemia Ofemia Ofmia Ofmei Feme Femeke, Eveke, Formosa, 
Iliane, Imagina, Isabete Bete Beta, Isolde Isalde Eysald Eysal, 
Johanna Hanne Hanneke, Jolenta, Judith Jutta Jotte Gutte 
Juda Jeute, Lorette, Lucie Cige Zige Syke Tzie, Manilia, 
Margareta Margareth Greta Grete Grite Greteken, Maria Ma- 
rusch, Obeldine, Operatrix, Osanna, Petrissa Peterse, Petro- 
nella Nelle Nelleke, Philippa, Regine Reine, Sabina, Salome, 
Sapiencia, Scholastica Scholaste, Sigune, Sophia Saffla Zaffia 
Saffe Zaffe Saffeke Fia Fyga, Speronella, Sprinca, Sulika, 

2* 



20 



Susattne Sanne, Ursula Urs, Verena, Veronica Fronike, Za- 
charia, Zwenna. 

Aus dem filnfzehnten: Afra, Agatha, Agnes Agnete, 
Amaly Amalei, Anastasia, Anna, Apollonia Abel, Barbara, 
Benedicta, Benigna, Bia (mit Eusebia), Brigitte Preyd, Catha- 
rine Katrein, Cecilie Zile Szile Sile Cileke, Clara, Cornelia. 
Nelle Nelleke, Christine Christein, Dorothea, Elisabeth Ilsebe 
Use Else Lise, Eufemia Effemia Ofmei Offei, Eva, Helena, 
Hilaria, Johanne Hanneke, Jutte Jutteke, Lucie, Magdalene 
Lene, Margarete Grete Grede, Maria Mike, Osanna, Palmia, 
Petrissa, Polixena, Potentiana, Rebecca Beke, Regina, Sabine, 
Scholastica, Sibille Bille Belleke, Sigune Sigaun, Sophia Fyga, 
Speronella, Susanna, Ursula, Veronica Efranica. 

Um die zu gewissen Zeiten besonders (iblichen Frauen- 
namen lebendig vorzufuhren, hebe ich urkundlich oder dich- 
terisch bezeugte Gruppen heraus. 

In einem Nonnenkloster hiessen im J. 800 die Schwestern 
also *) : Emhilt, Leobwina, GlismOt, Trudhilt, Masa, Werinburc, 
Turnwiz, Immina, Williswind, Waltrat, Gotaswind, Leobhilt, 
Folcswind, Blidrat, Mechthilt, Deotrat, Eowic, J3ilihilt, Deot- 
burc, Engilwiz, Tota, Heilacwih, Reginwih, Elena. Im Kloster 
Essen sassen 1054 zusammen die Abtissin Theophanu, die 
Dekanin Swanaburg mit den Nonnen Adelheid, Swanehild, 
Hathewig, Emma, zwei Mazaka, einer Hizela, Sigeza, Wan- 
dela, FricOz, Berhta, Oda, Riklend, Wetzala und der Probstin 
Gepa 2 ). Auf der elsassischen Hohenburg lebten unter ihrer 
gelehrten und kunstsinnigen Abtissin Herrad von Lands- 
berg (t 1195) folgende meist adliche Nonnen zusammen: 
sieben Adelheid, vier Gerdrut, vier Hedewig, drei Mechthilt, 
zwei Agnes, zwei Edellint, zwei Heilwic, zwei Lutkart, zwei 
Richinza, je eine Anna, Bersint, Bertha, Clementia, Christina,' 
Cunigunt, Guota, Hazicha, Ita, Juta, Margaretha, Odilia, Rilint, 
Uoticha, Willebirc. Ausserdem die Conversen Aba, Bertha, 
Demuot, GSrtrud, Heilwic, Hemma, Hiltegunt, Junta, Mehtild 



x ) Schannat, Cod. tradit, Fuldens. N. 140. 

2 ) Lacomblet, Niederrhein. Urkundenb. 1, n. 190. 



21 



(zwei), Richinza, Sibilia. Herr&d hat diesen ganzen stattlichen 
Convent in ihrem Bilderwerke Hortus deliciarum abconterfeit \ 

In dem niederrheinischen Kloster Georesheim (Jerens- 
heim) lebten zwischen 1208 und 1216 als Nonnen ftinf Jutta, 
drei Clementia, drei G6rtrfld, je zwei Berthr&d, Frider&d und 
je eine Beata, Beatrix, Dtaitid, Fridelind, Frideswind, Geva, 
Gtida, Irmenthrfid, Ltogart, Mabilia, Sophia 2 ). 

In den Liedern Neitharts von Reuenthal treten die 
Bauerinnen Adelheit, Ave, Berhtel, Bride, Buoze, Diemuot, 
Elle, Ermelint, Friderun, Geppe, Gisel, GOtelint, Gundrat, 
Hedewic, Heilke, Helene, Hiltpurc, Hiltr&t, Hilde, Irmengart, 
Jiute Jiutel, Kunegunt Kunze, Liutgart, Matze, Richilt, Trute, 
Uodelhilt, Wendelmuot Wentel, Wicr&t auf. In unechten Neit- 
hartliedern kommen hinzu Bele, Diemel, Else, Elsemuot, Hs- 
muot, Gerdrfit, Hereburc, Hetze, Prisel, Werlint, Wilbirc 8 ). 

Das sind bayrische und Osterreichische Bauerndirnen aus 
den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts. Schwabische 
aus der zweiten Halfte ftlhrt Graf Konrad von Kilchberg 
in einem seiner Lieder 4 ) ein : Adelgunt, Anne, Beate, Berhte, 
Bride, Cl&re, CrSte, Diemuot, Edellint, Elide, Ellin, Else, 
Engel, Fide, FrOude, Gepe, Geri, Gisel, GOzze, Guote, Heil- 
wic, Hemme, Herburc, Hezze, Hiltegart, Hilte Hille, Igel, 
Irmelin, Ite, Juzze, Katrin, Kristin, Ktinegunt, Liebe, Ltigge, 
Mezze, Mije, Minne, Nese, R6se, Salme, Salvet, Sidrat, Suffle, 
Tilije, Uedelhilt, Uedelsint, Uote, Vite, Wille, Wunne. 

Aus dem Renner Hugs von Trimberg ergeben sich als 
Frauennamen, die um die Scheide des 13. und 14, Jahrhun- 
derts im Bambergischen haufig waren: Adelheit, Agnes, Berhta, 
Elle, Gisel, Hille, Jiute, Liutgart, Metze (6430, 10204, 11417. 
12751. 18232). 



*) Engelhardt Herrad von Landsberg und ihr Werk Hortus 
deliciarum. Stuttg. 1818. Taf. 11, 12, S. 60. 

2 ) Lacomblet, Urkundenb. 2, 29. 

8 ) Neidhart von Reuenthal, herausgeg. v. M. Haupt, S. 18, 21, 
29, 31 f., 37—39, 4L f., 46, 55 ff., 68, 74, 93, 102. — S. XVII, XLII, 
XLV, LIV. 

4 ) v. d. Hagen Minnes, I, 25. 



Far Norddeutschland bentttze ich zu dem hier verfolgten 
Ziel das Kieler Stadtbuch von 1264- 1288 *). In diesem flnden 
sich wahrend jener Prist folgende Frauen aus Kiel einge- 
tragen: Abele, Alburg, AlhSd, Anne, Ava, Berta, Boyke, Ce- 
cilia, Ebbe, Elburg, Elisabeth, Ermegard, Frethebern, Frethe- 
burg, G£rburg, Gertrud Gese, Gysla, Hebele, Heyleke, H61wig, 
Heine Henne, Hibeke, Hildegunt, Hilleke, Ida Ideke, Ymma, 
Ingburg, Jutte, Katherina, Ladburg, Ltidgard, Lyza, Margarete, 
Megthild, Menburg, MengsM, Modeke, Ocleke, Odilie, Reinburg, 
Rigburg, Royceke, Salome, Sokka, Sophia, Thebbe, Tebeke, 
Tette, Thetsed, Walburg, Wendele Wendelburg Wendelsed, 
Wigburg Wibe Wibeke, Wille. 

Die Lilbecker Frauennamen in dem BGrgerregister von 
1317 — 1355 zeigendamit vieleVerwandtschaft: Bela (far Abele), 
Adelheid, Christina, Elisabeth, Engelke, Ermgard, GSrburg, 
GSrtrud Gesa Geseke, Heilwig, Heine, Hildegund Hilde Hille 
Hilleke, Herburg, Ida, Jutta, Lutgard , Mechtild (Mette), 
Tale, Tele, Telse Telseke, Teybe Tibbe Tibbeke, Wendel 
Windela, Wiba, WilmOdis, Wilseke, Walburg Wobbe, Wulleke 2 ). 

Unter den zu Nordhausen in Tharingen 1312 aufgenom- 
menen Bttrgern flnden sich folgende Frauen 8 ) : vier Luckard, 
drei Adelheid, drei Bertrad, drei Jutte, drei Mechthild, zwei 
Hille, eine Cristina mit je einer Cyna Oder Tzina, eine Kone- 
gund mit zwei Kunne, zwei Itte, je eine Bertha, Elene, Ely- 
zabeth, Ermentrud, Hildegund, Johanna, Margaretha, Richlind, 
Ruthlind, Sophia, Thele, Wilborg. 



! ) Meine Abhandlung: die Personennamen des Kieler Stadt- 
buchs. Kiel, 1866 in den Jahrbuchern fur Landeskunde d. Herzogth. 
Schleswig-Holstein und Lauenburg. B. IX). 

2 ) Mantels uber die beiden altesten Lubecker Burgermatrikeln. 
Ltibecker Schulprogramm von 1854, S. 20. In dem Lubecker Toten- 
tanz von 1489 (Dodes danz, herausg. von B&thcke, S. 76) sind vom 
V. 1335—1351 eine grosse Zahl damals ublicher Frauennamen genannt. 

3 ) E. G. Forstermann, Die Bildung der Familiennamen in 
Nordhausen im 13. und 14. Jahrh. Nordhaus. Schulprogr. v. 1851, 
S. 9, 10. 



23 



In dem Stralsunder Stadtbuch von 1310—1342 ') sind 
folgende Frauennamen aus den besitzenden Kreisen der Stadt 
eingetragen: Abele, Alheydis Ale yd is, Ave Aveke, Beate, 
Berte Berteke, Katerina, Cecilia, Kine, Konegundis Kun- 
neke, Cristina, Ebbe, Eyleke, Elisabeth Elsebe Elzebe, 
Ermegart Ermegardis, Ertmoda, Evece, Gherborch Gerborgis 
Gherburgis, Germodis, Ghertrudis Ghese Gesa Gese Gheseke, 
Gisle Ghysle, Gobeke, Hebele, Heylewich, Hille Hilleke 
Helleke, Ida Ydeke, Yrame, Juda, Lyse, Lucia, Lutgart, Lut- 
mod, Margarete, Greta Grete Greteke, Mechthildis Mech- 
tilda Mette Metteke, Minte, Odborch, Reyborch, Reyneke, Ri- 
quart Ricke Rixe Rixa, Sophia, Tale Taleke, Tibbe Tybbe 
Theyba, Tilse Tilseke, Tobe, Walburga -is Wobbe, Wen- 
dele, Wiba Wibe Wibeke. 

In ' alien diesen Gruppen aus dem Siiden und dem Norden 
iiberwiegt noch das deutsche Element. Im 15. Jahrhundert 
andert sich das. Die altererbten heimischen werden zum 
grossen Theil vergessen, die kirchlichen Namen breiten sich 
aus, und auch unter 'ihnen findet kn Grunde nur eine be- 
schrankte Zahl besondere Gnade. Dabei werden Ortlich kirch- 
liche Verhaltnisse bestimmend, indem die Patrone der Pfarr- 
kirchen grossen Einfluss auf die Taufhamen bekamen. 

Filr die Namenverbreitung im 15. Jahrhundert will ich 
den Convent im Katharinenkloster in Ntlrnberg anfuhren. 
Hier befanden sich 1428 filnfunddreissig Schwestern, darunter 
sechs Elisabeth, je fiinf Annen und Margarethen, je drei 
Agnesen, Katherinen und Kunegunden, je zwei Barbara, 
Dorothea, Ursula, je eine Cristina und Magdalena. Zur Reform 
wurden aus dem Brigittenkloster von SchOnsteinbach im Elsass 
(Basler Bisthum) zehn Schwestern geholt. Darunter waren drei 
Margarethen, zwei Urseln, je eine Agnes, Anna, Elspet, 
Gertraut, Katherine mit einer Laienschwester Agnes 2 ). 



2 ) Das zweite Stralsundische Stadtbuch. I. Liber de Hereditatum 
obligatione. Herausgeg. von Chr. Reuter, P. Lietz und 0. Wehner. 
Stralsund 1896. 

2 ) 31. Jahresbericht des histor. Vereines far Mittelfranken 
(1863), S. 8. 



24 



In dem Dominikanerinnenkloster in Halberstadt waren 
1465 neunundzwanzig Schwestern, und zwar sechs Elsen, 
filnf Margariten nebst drei Greten, eine Gertrud mit drei Gesen, 
zwei Kunnen (Kunigunde), zwei Metten (Mechtilde), je eine 
Agnete, Anna, Barbara, Effemia, Katharine, Lucke (Lutgart), 
Magdalene (Urkundenbuch der Stadt Halberstadt II, 286). 



Es wird wohl nicht uninteressant sein, auch die Namen 
von Jiidinnen zu lesen, welche in deutschen Stadten lebten. 

Im Jahre 1270 wurden in K6ln urkundlich genannt 
Aleidis, Betulina, Gela, Guda (zwei), Gutheldis, Hanna, Ioia, 
Jutta, Micgelgud, Minna 1 ). 

Aus Wien kann ich aus dem 14. Jahrhundert anfQhren: 
Eferl, Hainsuezz, Hester (Istier), Febel (Phebel), Jufika, Lieb- 
lein, Perla, Ryssa, Sara, Schendel, Selde, Slaba, Slana, Smez- 
zel, Symcha 2 ). 

Besonders charakteristisch sind die Namen Breslauer 
Jiidinnen aus den Jahren 1345—1357, auch wegen der Ver 
mengung des deutschen, judischen und polnischen Elements : 
Baczawa, Bogumila, Chaima, Czeslawa, Czorna, Deslawa, 
Dobruska, Dragana, Duchawa, Yrowde und das gleichbedeu- 
tende hebraische Simcha, Golda, Kuna, Lybusch, Malkaym, 
Nassa, Pechna Pichna, Radachena Radochna, Rosa, Ruetta 
(Ruth), Salda, Sara, Schidczina, Schona, Schula, Stanka, Swet- 
licza, Zwza und die nach ihren Mannern benannten Danie- 
lissa, Lazarissa, Smogelissa 8 ). 



*) Ennen, Quellen III, 2 f. 

2 ) Schlager, Wiener Skizzen, 1. Reihe, S. 39 f. 2. R. 190 ff. 

s ) Archiv fiir Kunde Oesterreich. Geschichtsquellen XXXI, 
104 ff. Es sei hier auch auf die Abhandlung von Dr. Zunz, Namen 
der Juden, verwiesen in desselben Gesammelten Schriften II, 1, 82 
(Berlin 1876). 



Zweiter Absehnitt. 



Die Gottinnen. 

Wenn sich die altesten deutschen Frauennamen als 
Spiegelungen der hOchsten Vorstellungen von dem weiblichen 
Geschlechte ergeben haben, die in den gOttlichen Frauen- 
gestalten persOnliche Erscheinung gewonnen hatten, so wird 
es nun nothwendig, uns in den germanischen Himmel selbst 
aufzuschwingen. 

Die altesten Nachrichten fiber die germanische Religion 

und den germanischen Kultus verdanken wir den ROmern, 

vor alien Cornel. Tacitus. Neben den grossen drei GOttern 

Mercurius, Mars und Hercules oder auf deutsch Wodan, Tius 

und Thunar weiss er auch von einigen Gottinnen *), am 

meisten von Nerthus, wie er sie mit ihrem germanischen 

13 amen kennt, der grossen Erdmutter, Terra mater, wie er 

sie auf rOmisch erklart. Er berichtet, dass ihre Verehrung 

sieben VOlker verbinde, die nOrdlich der Langobarden, also 

n6r<Hich von der Unterelbe in einem wasser- und waldreichen 

Lande wohnen. Es ist eine GOttin, die sich mtltterlich um 

ihre Yerehrer kummert und sie besucht. Das geschieht be- 

sonders an ihrem grossen Feste, an dem sie von ihrem auf 

einer Insel des Meeres 2 ) in einem heiligen Walde gelegenen 

Heiligthum aus, auf einem mit Kuhen bespannten verhullten 



1 ) Meine Absicht ist durchaus nicht, eine vollstandige Mytho- 
logie der germanischen Gottheiten weiblichen Geschlechtes hier zu 
geben, sondern ich will nur das wichtige heraushehen. 

2 ) Welche Ostseeinsel gemeint ist, kann man nicht sagen, 
gewiss nicht das zu ostlich gelegene Rtigen, wo durch Gelehrte 
neuerer Zeit der Taciteische Bericht localisirt ward, mit der falschen 
Namensform Hertha. 



26 



Wagen, den nur der Priester berQhren darf, einen Umzug 
durch das Land halt, wahrend Friede und Ruhe in den VOlkern 
herrscht und alle Orte, die sie besucht, von festlicher Freude 
erfullt werden. Der Priester bestimmt das Ende des Umzuges 
und bringt den geheimnissvollen Wagen, nachdem er im Wasser 
gereinigt und entstlhnt ist, an den heiligen Ort zurtlck. Die 
Sklaven, welche die Reinigung vornahmen und das gOttliche 
Geheimniss schauten, starben als Opfer der GOttin. Es war 
ein Frilhlingsfest, der Ein- und Umzug der Segen und Ge- 
deihen bringenden ErdgOttin, die sich den Menschen wieder 
offenbart 1 ). 

Die VOlker des Nerthusbundes gehOren zu den Ingvaonen; 
Nerthus ist eine Wanin, ein Glied jenes GOttergeschlechts, 
das wir aus der nordischen Mythologie besser als aus der 
deutschen kennen. Von der kimbrischen Halbinsel verbreitete 
sich der Wanenkult tlber die danischen Inseln nach Schonen, 
Schweden und den anderen skandinavischen Landern; zu 
welcher Zeit wissen wir nicht, aber vor der Einfilhrung des 
Wodankults in Skandinavien. Nach dem hartnackigen Kampfe 
zwischen der Wodan- und der Wanenreligion, der mit einem 
Vertrage schloss 2 ), sassen die Anhanger der letzteren vor- 
nehmlich in Schweden fest, ohne indessen den Thunarkult 
(den Thorsdienst) unterdrilckt zu haben, den eigentlichen Kult 
der Nordgermanen. 

Den Namen der Nerthus linden wir hier allerdings nicht 
mehr 8 ), aber dafur den Namen derFreyja, die eine Tochter 
des Niprctr ist, d. i. des germanischen Nerthus, des Bruders 
und Gemahls der taciteischen Nerthus. So wie Niprclr durch 
seinen Sohn Freyr in den Hintergrund gedrangt ward, obgleich 
auch er noch grosse Verehrung genoss (Vafthrudnism. 38, 
Grimnism. 16), so war die weibliche Niprdr durch ihre Tochter 



J ) Ygl. Mannhardt, Wald- und Feldkulte I, 567-602. 

2 ) Ygl. meine Abhandlung iiber den Mythus vom Wanenkriege, 
in den Sitzungsberichten der Kgl. Preuss. Akademie der Wissen- 
schaften, Berlin 1890, S. 611—625. 

3 ) Morfir erhielt in Skandinavien die Skadi zur Gattin, ein 
Mannweib riesischer Abkunft. 



27 



Freyja vOllig ersetzt worden. Freyja, die Herrin (ahd. frouwa), 
Freyr der Herr (got. frauja), sind im Wesen Wiederholungen der 
Eltern und nur anders benannt, mit einem allgemeinen Namen, 
der demuthiger Verehrung entsprang, gleichwie die griechische 
Persephone die Herrin {dicitoiva) hiess und wir noch jetzt 
Gott Oder auch Christum den Herrn zu nennen pflegen. 

Was wir aus den altskandinavischen und islandischen 
Quellen uber das gOttliche Geschwisterpaar erfahren, zeigt sie 
als sonnige, Fruchtbarkeit der Erde und Liebesfreude den 
Menschen spendende, milde Gottheiten. Sie sind reich und 
verleihen Reichthum. Freyja heisst die goldige (gullveig) 1 ); 
sie freut sich am Schmuck und tr&gt ein strahlendes Brust- 
geschmeide, das brisingamen. Ihr Gatte heisst der Keiche, 6dr, 
und ihre Tochter Hnoss, das Geschmeide.*) Odr verliess Freyja 
und wanderte weit umher und die GOttin weinte ihm goldene 
Thranen nach. Das ist ktirzere Fassung einer aus europaischen 
Marchenmotiven gebildeten Erzahlung, die Saxo Grammaticus, 
der danische Geschichtschreiber (um 1200) in seinem Werke 
(VI, 330—34 Mailer) tiberliefert, und die von Paul Heyse in 
seiner poetischen Novelle Syritha erneut ist. Die KOnigstochter 
Sigrid (Syritha) will nur demjenigen Freier sich vermahlen, 
dem es gelingt, einen freundlichen Blick von ihr zu gewinnen. 
Othar, dem Sohne Ebbes, gluckt das so wenig als anderen 
und er verlasst sie. Als ein Riese sie raubte, befreit er Sigrid ; 
auch jetzt erhebt sie ihre Augen nicht zu ihm ; ebenso wenig 
dann, als er sie einer bOsen Waldhexe entreisst. Sie wandert 
in Armuth lange herum, bis sie in deaHof von Othars Vater 
kommt, wo sie trotz der Lumpen als Tochter edler Abkunft 
erkannt und demgemass behandelt wird. Othar, der sie er- 
kennt, bittet sie vergebens, den Schleier abzulegen. Da lasst 
er zur Hochzeit mit einer anderen rtlsten und Sigrid muss 
dem Brautpaare Abends beim Zuge in die Brautkammer die 
Kerze vortragen, Sie empfindet nicht wie der Lichtstumpf auf 



J) Meine Abhandl. uber den Wanenkrieg, S. 619. (S. 9.) 

2 ) In dem alten Lande des Wanenkult, der holstein-jiitischen 

Halbinsel, wie auf den danischen Inseln hat man reiche antiqua- 

rische Goldfunde gemacht. 



ihre Hand brennt, aber als Othar sie bittet, die Hand in acht 
zu nehmen, hebt sie den Kopf und blickt ihn zartlich an. 
Da ist das Geltibde gelOst und Sigrid wurde die Gattin 
Othars 1 ). 

Der Brustschmuck (men, germ, mani) Freyjas wird von 
den Mythologen verschieden ausgelegt, bald auf den Mond, 
die Milchstrasse, den Morgen- oder Abendstern, das Morgen- 
roth, ja selbst auf den Regenbogen. Darin, dass eine glanzende 
Himmelserscheinung darunter zu verstehen sei, stimmen 
demnach alle tiberein. Wenn nun (nach einer viel entstellten 
Mythe) Loki das Halsband stiehlt und Heimdall ihm dasselbe 
wieder abnimmt, so ist wohl kein Zweifel, dass das Brisingamen 
ein grosses Himmelslicht, die Sonne, bedeutet. Loki hat den 
Schmuck im Meere geborgen und Heimdall holt ihn nach dem 
Siege Qber Loki von dort heraus. Im Meere versinkt die Sonne, 
aus ihm taucht sie wieder auf. Gleich Loki trachten auch 
die Riesen, die hier als Feinde der Weltordnung erscheinen, 
nach Freyja mit ihrem Schmuck. Ohne die Sonne muss die 
Erde vergehen. So wird nach dem Bruchstuck in der Vnluspa 
(Str. 21) Gullweig (d. i. Freyja) durch den Hohen (d. i. Odin 
als Unterweltsgott) verfolgt und getodtet ; wieder geboren und 
wieder gestorben, lebt sie dennoch fort und fort. Auch dieser 
Mythus zeugt far Freyja als SonnengOttin. Sie besitzt ein 
Federkleid, durch dessen Anlegung nach naiver uralter Vor- 
stellung sie zu einem Falken wird: sie ist damit als WindgOttin 
bezeichnet. Und wenn ihr und ihrem Bruder, mit dem sie 
die meisten Ziige des Wesens gemein hat, der Eber heilig 
ist, so weist das wieder auf die Sonnengottheit hin, deren 
mythisches Bild haufig das Wildschwein ist, bei der Verhtlllung 
der Sonne in dunkeln Wolken'). 

Der Eber gait in unserer alten Poesie als Bild des Helden, 
und filr heldenhaft gelten alle GestirngOtter, denn sie stehen 



*) Eine Untersuchung iiber dieses Marchen gab Axel Olrik in 
der Zeitschrift des Vereins fur Volkskunde II, 252—258 (Berlin 1892). 

2 ) Gubernatis, Die Thiere in der indogermanischen Mythologie 
(Deutsche tfbersetzung). Leipzig 1874, S. 339. 



29 



in ewigem Kampfe mit den Wolken und der Nacht und gehen 
als Sieger daraus hervor. So wird denn auch Freyja mit Grund 
als kriegerische GOttin genannt Wenn ihr die Halfte der 
gefallenen, die andere dem Odin zugesprochen wird (Grim- 
nism. 14. Gylfaginning c. 24), so weist das deutlich auf den 
Yertrag zwischen Wanen und Asen (oben S. 26). Und wenn 
geglaubt ward, dass die Seelen der Jungfrauen nach dem Tode 
zu ihr fahren (es ergibt sich aus Egilssaga 78, 19) ! ), so er- 
weist sich die germanische Freyja, gleich der hellenischen 
Despoina, auf Grund ihrer Eigenschaft als ErdgOttin auch als 
Unterweltsgottheit. 

Die hohe Bedeutung der WanengOttin (Vanadis, Vana- 
brudr) tritt aus allem diesem heraus. Sie ist die grosse 
weibliche Gottheit der Ingvaonen, die bei den anderen Ger- 
manen mit denselben Grundzugen und nur mit anderem Namen 
erscheint, als Frija oder Frigg, die Geliebte oder die Gattin 2 ), 
namlich des grossen Volksgottes. Auch hier ist das Eigen- 
schaftswort zum Eigennamen geworden. 

Der uralte Germanengott war der leuchtende Himmels- 
gott, Tiuz (Hjevaz, Hevaz), dessen Verehrung ganz besonders 
von dem Swebenbunde treu bewahrt ward, der aber ursprttng- 
lich der hOchste Gott aller Germanen gewesen ist 8 ). Ihm wird 
die grosse GOttin in altester Zeit vermahlt gewesen sein, 
Frija also zu ihm geh6rt haben. Wenn wir kein ausdrilck- 
liches Zeugnis dafur besitzen, so erklart sich das aus der 
frtlh eingetretenen besonderen Beziehung von Tius auf den 
Krieg: den ROmern erschien er als Mars, den Germanen als 

1 ) Auch von Gefn, in der wir die gabenselige, milde Eigen- 
schaft Freyjas besonders ausgestaltet sehen, hiess es, dass sie, die 
jungfrauliche Gottin, alle Jungfrauen nach deren Tode zu sich nehme. 

2 ) Diese Deutungen des Namens aus dem St. pri, germ, fri, 
hat schon Pott Etymol. Forsch. 2, 425 gegeben. 

3 ) Auch noch die Tencterer nannten den Mars den pracipuus 
deorum (Tacit, hist. 4, 64), so wie er als regnator omnium deus, als 
das initium gentis bei den Semnonen und alien Sweben verehrt 
worden ist (German. 39). 



30 



wigans 1 ), Kriegsgott. Und wie auf den lateinischen Votiv- 
steinen, die von germanischen Gardereitern, den von Trajan 
errichteten equites singulares, herrtthren, dem Mars nach 
Zangemeisters Beobachtung 2 ) die Victoria beigesellt ist, so 
wird die Gattin des Tius dieselbe Einengung ihres Wesens 
erfahren haben und aberwiegend zur KriegsgOttin geworden 
sein. Da wir nun wissen, dass die Friesen den germanischen 
Mars besonders verehrten, werden wir die Baduenna, deren 
Hain im friesischen Lande lag und deren Name von badu, der 
Krieg, abgeleitet ist, far die Gefahrtin Oder Gattin des Tius- 
Mars halten diirfen. 

Durch eine Nachricht tlber die von einem Theil der 
Sweben verehrte Is is, die Tacitus (German. 9) gibt, erkennen 
wir, dass die Bedeutung der Gemahlin des grossen Sweben- 
gottes wenigstens landschaftlich noch die alte im 1. Jahr- 
hundert n. Chr. geblieben war. Was der rOmische Autor von 
dem fremden Kult der fremden GOttin sagt, ist rOmische 
Deutung der Nachricht, dass bei swebischen VOlkerschaften 
eine GOttin durch Opfer verehrt ward, deren Symbol das Schiff 
war. Das erinnerte ihn oder seine Gew&hrsmanner an das 
Fruhlingsfest der Isis, das am 5. Marz in Rom als navigium 
Isidis (Schiff der Isis) begangen ward. Schiff und Pflug sind 
nun Symbole der germanischen Frtthlings- und SommergOttin, 
die bei den Festen derselben in festlichen Aufztigen herum- 
geftihrt wurden, und so kamen die ROmer darauf, diese germa- 
nische Gottheit als Isis zu interpretiren. Diese GOttin kann 
keine andere als Frija gewesen sein, die einzige grosse deutsche 
GOttin, von der wir wissen. Da die Sweben aber Tiuverehrer 
waren, ist zugleich Frija als Gemahlin des Tius erwiesen 8 ). Auch 

2 ) In der Deutung der Inschrift auf der bei Tongern 1855 
gefundenen Bronzetafel nehme ich mit Cosijn den Dativ Vihansae 
als Dativ eines mannlichen Wiham, nach der i-Declination, zu der 
ans gehOrte, wie schon der N. PI. anseis, altn. asir beweist. 

2 ) In den neuen Heidelberger Jahrbuchern V. 51. 

8 ) Mit den Attributen der Isis erscheint auf rOmischen Votiv- 
steinen am Niederrhein, die von ROmern und Belgen gesetzt wurden, 
eine dea Nehalennia, die man endlich aus der Liste der germanischen 
GOttinnen streichen sollte! 



31 



die Dienerinnen Var und Syn der nordischen Frigg deuten auf 
ihre alte Verbindung mit Tius, dem Dinggott. Aber Tins, der 
mit dem Gott der Istv&onen, dem Wodan, sich in die religiose 
Herrschaft aber das binneniandische Germanien theilte, trat 
nach und nach in den Hintergrund. Die Wodanverehrung 
breitete sich aus und Wodan -Mercurius erhub sich zum 
Hauptgott zuerst in dem deutschen, dann auch. Vnx noiflt- 
germanischen Kult. So wird nun auch Frija- Frigg zur Grattin 
Wodan -Odins. 

Ihr Wesen ist dem der Freyja durchaus gleich: auch 
sie war eine HimmelsgOttin, die segnend und befruchtend auf 
das Erden- und Menschenleben wirkte. Der Mythus von dem 
Halsband, den wir bei Freyja kennen lernten, ist vielleicht 
auch von ihr erzahlt worden *), wenigstens ging in Banemark 
eine Sage, dass sie aus allzugrosser Freude am Golde die 
eheliche Treue verletzt habe (Saxo I, 42). Auch hier wird 
das Gold, wie bei Freyja, auf die Sonne zu deuten sein, und 
die Wohnung der Frigg im Wasser (den Fensalir) auf das 
Meer, worein die Sonne allabendlich zur Ruhe geht, wie der 
Wanderer abends in seinem Hause. In dem einen Merseburger 
Zauberliede ist die Wandrerin (Sinthgunt) die Schwester der 
Sunna, die hier neben der Frija auftritt, obgleich ursprunglich 
beide eins sind. 

Fttr das Wesen 2 ) und die Aeusserungen ihrer Macht sind 
die Personificationen bedeutsam, die der Frigg in der nordi- 
schen Mythologie als gOttliche Dienerinnen beigegeben sind: 
Full a, die GOttin der Fillle, des Reichthums, die in Deutsch- 
land ihr als Schwester beigegeben war (Merseburger Spruch 2); 
HI in, die schtltzende; , Gna, die rasche Botin; Saga, die viel- 
kundige Erzahlerin, die wie Frigg selbst, im Wasser wohnt 
und dem Odin taglich erzahlt, was sie weiss; Eir, die hilf- 
reiche; Snotra, diekluge; Siofn, die derLiebe waltet; Lofn, 

!) Miillenhof, Frija und der Halsbandmythus in Zeitschrift f. 
deutsch. Alterth. XXX, 217—260. 

2 ) Das alteste Zeugniss fur den Namen Frija gibt die tJber- 
setzung des lat. dies Veneris in Frijutac, woraus zugleich erhellt, dass 
die heidnischen Deutschen sie der Venus ahnlich hielten. 



83 



die uber die VerlObnisse gesetzt ist, wie WAr Qber Treue und 
Eid; Syn, die den Rechtsgang hiitet. 1 ) Es sind das alles nur 
personificirte Eigenschaften der Frigg. 

Ihre Verbindung mit Odin erscheint in der nordgerma- 
nischen Mythologie ganz fest; Tyr ist hier unbeweibt. Sie 
sitzt neben Odin auf der Hausbank und schaut auf die Welt 
lierab, gleich der Hausfrau, die das Treiben im Hofe beob- 
achtet. Auch die langobardische Sage schildert sie wie eine 
menschliche Hausfrau 2 ), an die man sich wendet, ura von 
dem Gemahl etwas zu erreichen: d£r kluge Rath und die 
entschlossene That Freas verschaffte den Winilen den Namen 
Langobarden und als Namensgeschenk den Sieg tiber die 
Wandalen (Prolog zum Edict K. Rotharis ; Paul. Diakon. 5, 8). 

In Deutschland ist Frija (wie der eine Merseburger 
Segen sie nennt) durch die Sage von der weissen Frau f ) in 
ihrer altesten Natur bis heute in der Erinnerung geblieben, 
wenn die Volkssagen auch den alten Mythus nur entstellt 
und modernisirt tiberliefern. Die Erl5sung der in einen Berg 
oder eine verfallene Burg gebannten Frau oder Jungfrau 
durch die unerschrockene That eines Mannes, der dafur einen 
Schatz gewinnt, geht zuruck auf die Mythe von der geraubten 
und gefangenen Sonnenfrau, die in den Winterwolken ver-' 
schlossen, durch einen Gott oder einen halbgOttlichen Helden 
'den Winterdamonen entrissen wird; der Schatz des Somraer- 
lebens ist zugleich dadurch gewonnen. 

Die Erinnerung an Frija lebt ferner bis in die Gegen- 
wart hinein in den Volksuberlieferungen von einem viel- 
namigen, geisterhaften weiblichen Wesen, das im Laufe der 
vielen Jahrhunderte und unter dem Einflusse der Kirche 



2 ) "War und Syn sind juristische Personificationen und zeugen 
auch dafur, dass Frija urspriinglich zu Tius, dem Dinggotte, gehorte. 

2 ) In echter Kyffhausersage ist die Konigin Holle die Wirth- 
schafterin des Kaisers Friedrich: Emil Sommer, Sagen, Marchen und 
Gebrauche aus Sachsen und Thiiringen, S. 6. 

3 ) A. Kuhn in der Zeitschrift fur deutsche Mythologie 3, 
368—392. E. H. Meyer, German. Mythologie 367. 



83 



nattirlich die alten heren gOttlichen Ztlge meist verloren hat 

und zu einem Schreckgespenst entartet, aber jedem freien 

und kundigen Auge hinter dem triiben Nebel noch erkennbar 

ist. Selbst der Name Frija oder Frigg ist landschaftlich noch 

erhalten, und die anderen Benennungen werden als Attribute 

durch das in einer Madrider Handschrift des Corrector des 

Burchard von Worms erhaltene Friga holda erwiesen. Aus 

den zahllosen Volkssagen ergibt sich diese geisterhafte Frau 

deren verbreitetste Namen Holle und Berchte sind, als eine 

gOttliche Erscheinung, die zu dem Seelen- und Erdenleben 

in enger, fursorglicher Beziehung steht. Sie schiittelt den 

Schnee herab aus den Wolken, sie hilft beim PflQgen und 

dem Flachsbau, sie wacht fiber dem Fleiss der Spinnerinnen. 

Eine merkwttrdige uralte Uberlieferung hat sich am 

Harz (Lauterberg) erhalten *), dass Frau Holle aus dem Flachs 

den sie in den ZwOlften auf dem Wocken finde, ein Netz 

spinne, mit dem sie die fange, welche im nachsten Jahr 

sterben sollen. Hier ist sie TodtengOttin, und zu solcher hat 

sie sich besonders als Gattin Wodan-Odins entwickelt, der 

ein Ftthrer der abgeschiedenen, in den Lttften wohnenden 

Seelen (neben seinen anderen Eigenschaften) war, und nach 

heute noch geltendem Volksglauben mit der Nachtjagd, dem 

wuthenden Heer (Wodans oder Wuotans Heer), der wilden 

Fahre (der wilden Schaar), durch die nachtlichen Lilfte, zu be- 

sonderen heiligen Zeiten namentlich, stQrmt. Gleich ihm jagt 

auch Frija mit den Geistern einher (so schon in dem bei 

Burchard v. Worms gebttssten Aberglauben), oder wenn sie 

milder auftritt, schreitet sie durch das Land, hinter sich die 

ungetauft verstorbenen Kinder. 



^ Mittheilung von Herrn GR. Wilh. Schwartz. Das Netz 
geisterhafter Wesen ist auch sonst bekannt: Der bflhmische Wasser- 
inann (Sage aus Moldautein) spannt ein unsichtbares Netz tiber den 
Fluss; wer hineinkommt, ist auf ewig verloren (Vernaleken, Mythen 
und Brauche in Osterreich, Wien 1859, S. 163). Auch in des Strickers 
Daniel (4128. 7459) ist ein solches Netz gespannt, Vgl. auch Rosen- 
hagen zu Daniel 4128. 

Weinhold, Deutsche Frauen. I. * 



8* 



Interessant ist die Fortfristung der alten Namen in 
landschaftlichem Wechsel, den wir von Nord nach Slid durch 
Deutschland verfolgen kOnnen 1 ). 

Den Namen Frie, Fr6e (man erinnere sich der lango- 
bardischen Frea), Fricke*) (altn. Frigg), Frecke finden wir 
noch auf Rtlgen, in Pommern, in der Ucker- und Neumark, 
auch im alten Ostfalen (Halberstadt) festgehalten. 

In Mecklenburg, in der Priegnitz und der nOrdlichen 
Altmark heisst sie Fru Wod, Fru Goden, Fru Gode, nach 
ihrem Gemahl, dem Wodan. 

In der sildlichen Altmark, im Havellande und in Ruppin, 
in den Jerichowern Kreisen, ferner in der Zauche, im Flaming, 
auch um Wittenberg und Torgau, ferner im Magdeburgischen 
und durch Anhalt bis zum Petersberge bei Halle ist die Fru 
Herke (Harke, Harfe) nicht vergessen. 

Weit ist das Gebiet der Frau Holde oder Hulde, ge- 
wOhnlich mit Angleichung von Id zu B, Ho lie genannt, die 
Herrin der Holden, der guten Holden, der' elbischen Geister 
und auch der Seelen der Ungeborenen oder Verstorbenen. 
Der Name ist bezeugt aus dem stidlichen Niedersachsen Ost- 
lich der Weser, einzeln auch aus Westfalen und dem Magde- 
burgischen, ferner bekanjit aus Hessen, vom Westerwald, 
aus der Wetterau, aus Thiiringen, dem Mansfeldischen, aus 
dem Vogtlande 8 ) und Schlesien. In Siebenbiirgen sind nur 
geringe Spuren von ihr geblieben. 

Aber auch in Tirol erscheint Holle : im Oberinnthal und 
Otzthal. Im Pusterthal klingt er an in den Hollenleuten 
(J. Zingerle, Sagen aus Tirol. 2. A. S. 706). 

Der Holde oder Holle ganz gleich ist die Berchte oder 
Perchte, die am nOrdlichsten in Theilen Westfalens und im 



a ) Wir verdanken die Feststellung derselben den hochver- 
dienten verschwagerten Forschern A. Kuhn und Wilh. Schwartz. 
Letzterer, der tiberlebende, wird tiber die sichere tJberlieferung der 
neuerdings angefochtenen Namen sehr bald sich &ussern. 

2 ) Das kk ist == altera gg (ggj), vgl. altn. Frigg, das auf 
urgerm. jj zuriickgeht. 

3 ) KOhler, Volksglaube im Voigtlande, S. 476. 



$5 



Thuringischen Orlagau erscheint *), fiber das altbayrische Land 
verbreitet ist, auch in Schwaben und im Elsass auftritt 
ebenso in Tirol, soweit hier nicht Holle der Name dieser 
altgOttlichen Erscheinung ist 2 ). Ihr Wesen deckt sich ganz 
mit dem der Holle. Wichtig ist, dass sie auch mit dem alten 
Symbol der Frija, dem Pfluge, auftritt (BOrner 113, 126, 133) 
und dabei von den Heimchen, „weinenden Kindern", d. i. 
den Kinderseelen, begleitet erscheint, wie sie auch in Tirol 
mit den Geistern der verstorbenen Kinder umzieht. Aus dem 
fortlebenden Volksglauben ergibt sich die heilige Zeit des 
Mittwinters als ihr besonders heilig ; der letzte Tag derselben 
war ihr geweiht; da kehrte sie (so dtlrfen wir das alte aus 
den Trfimmern herstellen) von ihren Umztlgen, auf denen 
sie von dem elbischen Gefolge begleitet war, in ihr Heilig- 
thum zuruck. Der Name Perchtentag 8 ) und das zu demselben 
stattfindende, jetzt fast erloschene Perchtenlaufen oder Perch- 
tenspringen 4 ), bewahrt die Erinnerung. Dass die segnenden, 
fursorgenden, mutterlichen Eigenschaften der Frau Berchta 
und Entstellungen in das Wilde, G-espenstische, Unheimliche 
in der Volkstlberlieferung durcheinandergehn, darf keinen 
wundern. Aus der Erhaltung des Gedachtnisses an die grosse 
heidnische GOttin durch weit tlber tausend Jahre bis zur 
Gegenwart lasst sich schliessen, wie verehrt und geliebt 
Frija von dem ganzen Volke der Germanen gewesen ist. Die 
hehre, holde, gianzende Frau des grossen Volksgottes lebte 
fort neben der durch die christliche Kirche vergOttlichten 
Heilandsmutter Maria. Das deutsche Yolk kennt sie bis in 
unsere Zeiten als eine WolkengOttin, die Schnee und Regen 



1 ) Gerade aus dem Orlagau hat BOrner in seinen Sagen die 
wichtigsten Perchtamythen geschopfb. 

2 ) Von dem stidlichen Eisackthal, wohin sie aus Bayern (Freising) 
gekommen war, drang sie nach Welschtirol hinab, wo man sie als 
Froberte, la d<mna Berta, la brava Berta kennt. 

8 ) Es war ein . unglucklicher Einfall Schmellers, die Perchta 
als Personification des Epiphanientages zu nehmen. 

*) Mannhardt, Wald- undFeldculte 1, 542 ff. Weinhold, Weih- 
nachtspiele 20 ff. . 



a* 



herabschickt; die als befreite SonnengOttin mit ihrem Pfluge 
und Wagen 1 ) umherzieht und die Felder segnet, den Flachs- 
bau und das Spinnen htltet ; die Qber den Seelen der Menschen 
waltet und sie aus ihren Brunnen in Kindesgestalt ins Leben 
schickt, und die Verstorbenen wieder an sich nimmt und an 
der Spitze der abgeschiedenen Geister durch die Ltlfte rauscht. 



Wenden wir uns wieder nach den skandinavischen 
L&ndern. Der eigentliche Landgott derselben war der Donner- 
gott, Thonarr Oder, wie er nordisch gewOhnlich hiess, Th6rr. 
Als seine Mutter wird Jprd, die Erde, genannt, oder auch 
Fiprgyn, die GOttin des Gebirges*). Als ein Name der Jprd 
findet sich nordisch auch HI 6 dy n, von dunkler Bedeutung, die 
man aber kaum der auf lateinischen am Niederrhein und in 
Friesland gefundenen Votivsteinen genannten dea Hluda (dat. 
Hludanae) vergleichen darf. Es waren rOmische Fischerei- 
p&chter, die diese Steine setzten. 

Vermahlt ist Th6rr mit Sif 8 ), der schOnhaarigen GOttin, 
deren Goldhaar Loki hinterlistig abschnitt. Th6rr zwang ihn, 
einen Ersatz durch die Kunst der Zwerge zu schaffen, die 
ein neues [Haar schmiedeten, das wie naturliches auf Sifs 
Kopf anwuchs. Das ist der einzige Mythus von dieser GOttin, 
der sie wohl als eine ErdgOttin darstellt, deren Schmuck zeit- 
weilig vernichtet wird, aber aus dem Erdinnern wieder heraus- 
wachst. Der Name Sif wird ein Attribut sein und kann die 
Erfreuende bedeuten 4 ). 



a ) Mit dem Wagen zieht Perchte nach Tiroler, Holle nach thiirin- 
gischer Sage um, gleich der Nerthus. 

2 ) got. fairguni, Berg; als Namen deutscher Bergztige sind 
aus fruhmittelalterlichen Quellen tiberliefert Virgunnia, Fergunna. 
Die Bedeutung Regen- oder Wetterwolke hat das Wort im Ger- 
manischen nicht gehabt. 

8 ) An einigen Stellen heisst Th6rs Gemalin Jarnsaxa, eine 
Riesin, nacfr dem dunkeln Felsgebirge genannt. 

4 ) 0. Wamatsch in den von F. Vogt herausgegebenen Bei- 
tragen zur Volkskunde (Breslau 1896), S. 243, leitet Sif (ein ,;o-stamm) 
von einem St. 'aeifan, von dem got. sifan, ags. sifjan, gaudere, ab- 



37 



Eine nordische GOttin ist dann Gefjon, von der (am 
fruhesten in einem Fragment Bragi des Alten) die Mythe 
ging, sie sei einst aus der Riesenwelt mit einem Pfluge ge- 
kommen, vor den sie vier Stiere gespannt hatte. Sie pflugte 
ein grosses Stuck Land ab, das sie Selundr nannte, es trieb 
westwarts. Ein Wasser aber entstund, wo sie es ausgepfltlgt 
hatte. Es ist die in einer Mythe bewahrte Erinnerung an 
eine gewaltige Sturmfluth und die Seenbildung des Malar in 
Uppland (Mttllenhoff, Deutsche Alterthumskunde 2, 361). Gefjon 
muss also eine MeeresgOttin gewesen sein; ihr Name, der 
mit dem altsachsischen geban, ags, geofon, die See, zusammen- 
hangt, best&tigt es. 

Von ihr zu trennen ist die jungfrauliche Gefn, die nur 
eine Abspaltung von Freyja ist und sie als die gebende, 
milde bezeichnet (vgl. S. 29). Auch I dun wird nur eine 
jiingere Gestaltung der Idee des wieder erwachenden Lebens 
der Natur sein, das durch die winterlichen Machte (Thiasi) 
nur voriiibergehend geraubt werden kann. Sie ist also aus 
Frija entstanden. 

Eine MeeresgOttin ist auch Ran, des alten Meergottes 
Aegir oder Gymir Weib, schon nach ihrem Namen die raube- 
rische, die VerkOrperung der wilden, grausamen, habgierigen 
Natur der See. Wahrscheinlich bezeichnet sie nur eine Eigen- 
schaft der GeQon, die, von dieser abgetrennt, eine besondere 
Personification erfuhr. Die neun TOchter, welche sie mit 
Aegir hatte, ergeben sich durch ihre Namen als VerkOrpe- 
rungen der Wogen. Ran fischt alle Ertrunkenen mit einem 
Netze auf und behalt sie bei sich. Wer ihr Geld mitbringt, 
dem ist sie freundlich, denn alle Wassergeister sind habgierig. 

Auch der Ran, so wie der GeQon stellt die deutsche 
Mythologie nichts gegentlber, und ebensowenig der nordischen 
Hel, der UnterweltsgOttin, die zu der bOsen Sippe Lokis ge- 
rechnet ward und in der finstern und kalten Nebelwelt (Nifl- 



geleitet sind. — Als Gemahlin des Donnerers kOnnte sie auch als 
Gewittergottin genommen werden (W. Schwartz, Ursprung der 
Mythologie, S. 144). Allein Thorr ist auch der Gott des Ackerbaues 
und so scheint die chthonische Natur der Sif vorzuziehen. 



heim) einen grossen Hof hatte, darin sie alle aufnahm, die 
an Krankheit und an Alter starben. Ste ist der Gegensatz 
zu Frija-Freyja. Keine Mythe geht von ihr, sie ist nur eine 
Personification des Grabes. 



Uber dem Leben der Menschen waltet das Ge Schick, 
das mit dem Tode des Einzelnen endet. Die Germanen nannten 
esWurth: in den alten deutschen Dialecten linden wir alt- 
hochdeutsch wwrt mit der Bedeutung von Schicksal (fatum, 
fortuna, eventus) ; im angelsachsischen wurfh als Verhangniss, 
Tod, im altsachsischen wyrd auch als Geschick, Verhangniss. 
Der Ubergang aus dem abstracten Begriff in ein persOnliches 
Wesen ist altsachsisch und angelsachsisch mehr oder minder 
vor sich gegangen; am entschiedensten im Altnorwegisch- 
isiandischen, wo aus dem abstracten turdr, yrdr die machtige 
Gestalt der NorneUrdr herausgewachsen ist, die unter einer 
der drei Wurzeln des Weltbaums ihren Brunnen hat, zu dem 
die GOtter kommen, Urtheil zu schOpfen. Aber Urctr selbst 
schafft (urtheilt), und auch im deutschen Glauben hiessen die 
den Nornen verwandten Schicksalsgeister die raschen SchOf- 
finnen, die gachschepfen (Yintler, Blume der Tugend 7865), 
denn das Schicksal schafft rasch. 

Aus den geisterhaften Wesen, die das Leben des ein- 
zelnen Menschen geleiteten, den Folgegeistern (fylgjur), wie 
sie im Norden hiessen, und die aus den Yorstellungen von 
<ier menschlichen Seele sich entwickelten, stammen die 
Schwestern Oder Genossinnen der Urdr, die Nornen inornir). 
Das Wort norn kommt nur im Altnorwegisch-islandischen 
vor und ist noch nicht sicher gedeutet. Von drei Kiesen- 
madchen, grossmachtigen, spricht die Vpluspa; an jftngerer 
Stelle werden die Namen Urdr, Verdandi, Skuld genannt 
und ihre Thatigkeit bezeichnet als Gesetze setzen, das Leben 
kiesen den Menschenkindern , und das Schicksal verkttnden. 
Sie wirken die Faden des Lebens, sie spinnen und weben. 
Und wie das Leben licht und dunkel ist, so sind auch die 
Nornen gtinstig und ungtinstig den Menschen und die eine 
namentlich (im Norden Skuld) gilt als grimm und bOse. 



Dass in Deutschland ein ganz ahnlicher Glaube an solche 
weibliche G-eister gebliiht hat, beweisen die noch heute in 
Silddeutschland lebenden Sagen von den drei Jungfrauen. 
Das fruheste Zeugniss gibt, freilich erst aus dem Anfang 
des 15. Jahrhunderts , der Tiroler Hans von Vintler in 
seiner Blume der Tugend (7863 ff.): „manche Leute haben 
den Wahn, dass unser Leben die G&chschepfen geben \m4 
dass sie uns hier regieren, und viele Diernen sprecheiv, sie 
richten tlber uns auf Erden". Das sind also ganz die Nornen. 
Auch der Name Heilratin erinnert an isl&ndische Ausdrilcke 
fiber die Thatigkeit der Nomen. 

Was sich ferner aus dem Volksglauben in den alt- 
bayrischen Landen Ober- und Mederbayern, Tirol, Oberpfalz 1 ) 
sowie aus Mittel- und Kheinfranken und Elsass, auch aus d ' 
Schweiz ergibt, bezeugt den Glauben an drei Frauen oder 
Jungfrauen, die in BerghOhlen und in der Nahe von Gewassern 
wohnen, spinnen und singen (es ist dabei an Zauberlieder 
zu denken), Faden und Seile spannen, auf Leben und Tod 
der Menschen Einfluss haben, und sich namentlich bei Ehe- 
schluss und Kindersegen theilnehmend zeigen v Sie sind die 
einen weiss, die dritte schwarz. 

Von dem festen Glauben an die drei Schicksalsfrauen 
in Silddeutschland zeugt ihre Aufnahme unter die kirchlichen 
Heiligen unter den Namen S. Einbet, S. Warbet (Walbet, 
Yorbet) und S. Wilbet 2 ). Sie wurden zu Gefahrtinnen der 
h. Ursula gemacht, hatten aber das Martyrium nicht getheilt, 
weil sie zur Pflege der h. Aurelia in Strassburg zurilckblieben, 
Dort starben sie auch nach der Legende und wurden in der 
Kirche Altsanctpeter bestattet. In Worms, wo sie auch eine 
alte Verehrung genossen, machte sie die Sage zu Tochtern 



!) Vgl. namentlich Fr. Panzer, Beitrag zur deutschen Mythol, 
I, 1-209. 

2 ) Fr. Panzer, Bayrische Sagen und Gebrauche I, 6. 23. 31. 69. 
J. Zingerle, Sagen von Tirol (2 A.) 29—31. 596, und in der Zeitschrift 
d. Vereins f. Volkskunde II, 323. — Rochholz, Die drei Gaugottinnen 
Walburg, Verena und Gertrud als deutsche Kirchenheilige. Leipzig 
1870. W. Hertz, Deutsche Sage im Elsass 51. 



des BurgunderkOnigs Gunther und liess sie von den Hunnen 
wegen der Treue gegen Christus zu Tode martern. Aus 
dem alten Bergkloster wurden ihre Steinbilder spater in den 
Hochchor des Doms tlbertragen. Grosse Verehrung geniessen 
sie noch heute in Ober- und Niederbayern, namentlich in 
Schildturn, sowie in Meransen in Tirol. Bei DOrre und in 
Pest- oder Seuchezeiten werden kirchliche Bittgange zu ihnen 
gehalten, sie gelten aber auch in Schildturn als hilfreich bei 
Unfruchtbarkeit und in Geburten. 

In Norddeutschland sind die Sagen von den drei Jungfern 
sehr verblasst und nicht haufig. 

Dass der Glaube an diese SchicksalsgOttinnen auch in 
England bestund, bezeugen die drei weirdsisters in Shakespeares 
Macbeth und in andern Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts, 
worin sie auch weirdelves heissen (J. Grimm, D. Mythol. 378). 

An die rOmischen Parzen, die griechischen Moiren (die 
im neugriechischen Volksglauben lebendig blieben) brauche 
ich nur zu erinnern, um damit anzudeuten, dass es nicht 
bloss im germanischen Wesen liegt, die Schicksalsgeister sich 
weiblich vorzustellen. Wie die Faden des Flachses gesponnen 
und daraus durch knupfen und schlingen das Gewebe wird, 
so spinnen sich die Tage einer nach dem andern fort und 
knapfen sich an einander, bis das Leben fertig ist. Oft bricht 
der Faden ab, wie das Leben jah abreisst. Aus solcher 
Vergleichung entstund das Bild der Schicksalsspinnerin „und 
Weberin" '), naturlich nicht die Idee des Schicksals selbst. 

Wir durfen fur die germanischen Schicksalsfrauen auch 
nicht auf die hohe Schatzung des ahnungsvollen und weisen 
Theils der Frauennatur besonderes Gewicht legen, da diese 
damonischen Wesen nicht bloss germanisch sind. Die be- 
deutendste, Wurd, ist eine Personification der aus der Er- 
fahrung erwachsenen Idee vom dem tragischem Menschenlose, 



3 ) In dem Corrector des Burchard von Worms XIX, c. 5, ist 
eine der Beichtfragen an Frauen, ob sie beim Weben Zauberlieder 
gebraucht, um Unheil anzurichten (Friedberg, Aus deutschen Buss- 
biichern, S. 85). 



41 



vom Entstehn und Vergehn. An sie schlossen sich. (damit 
kehren wir zum Ausgang zuriick) zu dieser Idee sich leicht 
fttgende geisterhafte Wesen an. 

Der erste Merseburger Zauberspruch *) schildert in seinein 
epischen Theil die Thatigkeit tlberirdischer Frauen, Idisi 
genannt, die auf einem Schlachtfeld sich hier und dorthin 
niederliessen (aus den Laften kommend) und in drei Scharen 
thatig sind: die einen legen Fesseln an, , die anderen werfen 
sich den Feinden entgegen, die dritten lOsen die Bande des 
Gefangenen, und der LOsungsspruch wird gesprochen: ent- 
. spring den Haftbanden, entflieh den Feinden! 

Die Idisi sind also Frauen des Walfeldes, und ihre 
Thatigkeit ist nur eine Ubertragung in die mythische Welt 
von dem, was die Griechen und ROmer von der Theilnahme 
der germanischen Weiber an den Kriegsfahrten der Manner 
erfahren hatten. 

Wahrend der Schlachten stunden Weiber, Mutter, 
Schwestern und Kinder hinter den Reihen der Kampfer 
(Germ. c. 7). Es geschah, um die Tapferkeit anzufeuern und 
die Feigheit zu beschamen (Tac. hist. IV, 18). Als die VOlker 
des Ariovist in der Schlacht gegen Casar vorruckten, flehten 
sie die Frauen von der Wagenburg herunter, weinend und 
mit ausgebreiteten Armen an, sie vor Gefangenschaft zu 
schtltzen (Casar, b. gall. I, 51). Als der Tag der Entscheidungs- 
schlacht filr die Wandalen kam, hess KOnig Gelimer die 
Frauen mit den Kindern und alien Schatzen in die Wagen- 
burg mitten in der Aufstellung des Heeres bringen, Um die 
Manner hierdurch zum aussersten Widerstande zu treiben 
(Procop. b. vandal. II, 2). 

In den Schlachtruf der Manner mischte sich das er- 
munternde Geschrei der Weiber (Tacit, hist. IV, 18). Wandte 
sich das Gefecht unglucklich, wichen die ihren, so warfen 
sich die Frauen den Mannern entgegen und beschworen 
dieselben, sie vor Gefangenschaft zu bewahren. Dadurch 



!) Aus dem 9. Jahrhundert iiberliefert durch Eintragung in 
eine Merseburger Handschrift. 



ist, wie Tacitus sagt, manche Schlacht den Germanen gerettet 
worden (Germ. 8). Ergreifendes erzahlt Plutarch im Leben 
des Marius von den Entscheidungssctilachten gegen die 
Ambronen und Kimbern. Als die Ambronen in der Schlacht 
bei Aquae Sextiae zurQckwichen, stttrzten sich ihre Weiber 
und Schwestern von der Wagenburg mit Schwertern und 
Beilen auf die fliehenden und trieben sie gegen die ROmer. 
Im wtithenden Handgemenge mit den Feinden fielen die 
Frauen (c. 19). Und ebenso warfen sich die Weiber der 
Kimbern auf die weichenden Manner, Brflder imd Vater, 
hieben auf sie ein, erdrosselten dann, als alles verloren war, 
ihre Kinder und mordeten sich selbst (c. 27). Unerschrocken 
zogen die Germaninnen den Tod der Gefangenschaft vor. In 
dem Kriege Caracallas waren viele chattische und alemannische 
Frauen gefangen worden. Sie durften zwischen Knechtschaft 
und Tod wahlen, viele wahlten den Tod. Als sie aber doch 
sammtlich zum Verkaufe als Sclavinnen abgefGhrt wurden, 
todteten sich manche selbst und ihre Kinder (Dio Cass. 77, 14). 

Da nimmt es nicht Wunder, wenn wir von Frauen 
lesen, die unter den Mannern mitstritten. In dem ersten Feld- 
zuge Marc Aurels gegen die Marcomannen fanden die ROmer 
auf dem Schlachtfelde die Leichen bewaffneler Weiber (Dio 
Cass. 71, 3). In Aurelians Triumphzug wurden zehn Gotinnen 
aufgefuhrt, die mit den Waffen in der Hand gefangen waren ; 
weit mehr waren in den Schlachten gefallen (Flav. Vopisc. 
vit. Aurel. c. 34). 

Die rOmischen und griechischen Historiker erzahlen 
also von den germanischen Frauen das, was die Mythen auf 
die Idisi, die Walkuren, die Helm- und Schildmadchen Wodans, 
tlbertragen hatten. Die Folge war, dass die Amazonen von 
den Geschichtschreibern der spateren Zeit und des Mittel- 
alters mit den tapferen Gotinnen in Verbindung gebracht 
wurden 1 ). Selbst der Langobarde Paul Warnefrids Sohn er- 
wahnt das Gertlcht, dass im innern Germanien ein Amazonen- 
volk lebe (Paul. Diac. hist. Langob. I, 15). 



*) Jordan. Getic. c. 7. 8. Procop. b. got. IV, 3. Eckehard. chron. 
bei Pertz, Monum. VIII, 120 f. 



43 



Die Idisi entsprechen den nordischen Walktiren, aber 
der Name dieser lasst sich aus Deutschland nicht nachweisen. 
Doch die Spur eines verwandten gibt das ostfriesiche Wort 
walrider fur den Nachtalp *), eigentlich der Todtenreiter, wie 
die Walktire die Todtenkieserin ist, und zwar eine reitende. 
Es liegt also sehr nahe, Walreiterin als deutschen engeren 
Namen neben den allgemeineren idis (oder itis, Frau, Jungfrau 
tlberirdischer Art) zu fugen. 

Die skandinavischen Walkuren (ValJcyrjur *) sind in ihrem 
Grundwesen mit den deutschen Idisi durchaus verwandt, sie 
haben sich aber mit dem Odinsdienst in der Wikingerzeit 
eigenthtimlich entwickelt 8 ). Sie wurden zum kriegerischen 
Gefolge Odins, zu seinen Schildmadchen (skjaldmeyjcur), Sieg- 
madchen (sigrmeyjar) ; und weil der Sieg der Manner Wunsch 
ist, seinen Wunschmadchen (oshmeyjar). Er sendet sie aus, 
seinen Willen in den Schlachten zu vollfuhren, den Gang des 
Kampfes zu leiten, den Sieg zu bestimmen, diejenigen mit 
der Waffe zu zeichnen, welche fallen sollen, und die dem 
Tode bestimmten nach Valhpll, der Halle der vornehmen 
Todten 4 ), zu geleiten. Auch eine Vorbereitung des Ausganges 
der Schlacht ist ihnen ttbertragen, wie aus der Erzahlung in 
der Ni&lssaga (c. 158) zu schliessen ist. Unmittelbar vor der 
blutigen Schlacht bei Clontarf (23. April 1014), die zwischen 
den Nordmannern und dem irischen OberkOnig Brian stattfand, 
beobachtete ein gewisser DOrrudr zu Catanes (Caithness) durch 
ein Fenster die Webearbeit von zwOlf Walktlren. Darme von 
Menschen waren Schuss und Einschlag, Pfeile bildeten den 



2 ) Kuhn-Schwartz, Norddeutsche Sagen, Nr. 338, 358, und Doom- 
kaat Koolman, Ostfries. W6rterb. Ill, 502 f. 

2 ) Von Danemark aus nach England tibertragen, walcyrigean. 

8 ) L. Frauer, Die Walkyrien der nordgermanischen G-otter- 
und Heldensage. Weimar 1846. W. Grolther, Studien zur germa- 
nischen Sagengeschichte. 1. Der Valkyrienmythus. Mimchen 1889. 
Hartland, The Science of Fayry Tales. Ch. X. XI. London 1891. 

4 ) Todtenwahlerin bedeutet valkyrja; voir (m.) Tod, die Menge 
der Todten, namentlich auf dem Schlachtfelde. Die Walktiren nehmen 
die dem Schlachtengotte gelobten und gebrachten Menschenopfer in 
Empfang. 



44 



Kamm, Schwerter das Blatt, MenschenkOpfe hingen als Ge- 
wichte am Webebaum. Die Frauen sangen dazu dttstere 
Weisen und bestimmten aus dem Gewebe den Lauf und 
Ausgang der Schlacht. 

Als Namen von Walkuren werden genannt Geirdriful, 
Geirplul, Geirskpgul, Geirahpd, Gpll, Gpndul, Gunnr, Herfiptr, 
Hildr, Hialmjjrimul, Hiprjjrimul, Hlpck, Hplk, Hrist, Hrund, 
Mist, Radgrid, Randgrid, Reginleif, Sigrdrifa, Sigrto, Skeggpld, 
Skuld, Skpgul, Sveid, Svipul, fygn, tryma, trudr: Namen, 
die sie als gottgeborene, kraftige und zauberreiche, waffen- 
geschmtickte, Fesselung und Lahmung bringende, das Geschick 
entscheidende Frauen des Krieges bezeichnen. Aus der Helden- 
sage kennen wir die Walkuren Brynhildr, Sigrdrifa, Grimhildr, 
Sigrlinn, Signin, Svanhvit, Sv£fa. 

In Valhpll 1 ) kredenzen die Walktlren den Helden den 
Metbecher, des Amtes als Dienerinnen des gOttlichen Wirtes 
waltend. Auch Liebschaften entspannen sich zwischen ihnen 
und den seligen Kampen 8 ). Manche ist auch, wenn sie an 
einem Waldsee zum Bade das Vogelgewand abgelegt hatte, 
in dem sie zu Schwanen oder Krahen wurde, in die Gewalt 
der Manner gekommen und darin geblieben, bis sie das Feder- 
kleid wieder erlangte und als Vogel entfloh. Die Grenzen 
zwischen dem gOttlichen und menschlichen verschwimmen 
hier, wie bei den unteren Gottheiten und den Heroen uber- 
haupt. Die Frauen der Wolsungen- und Helgisage: Signy, 
Brynhildr, Gudnin, Svafa, Kara verrathen durchaus ihren 
HbermenschlichenUrsprung. DerGlaube scheint auch geherrscht 
zu haben, dass mannergleiche Heldinnen, wie es deren genug 
in der Wikingerzeit gab, Walktlren werden konnten; ebenso 
dass Walktlren bleibend im Gefolge bertlhmter KOnige zogen. 
Sigrun, Hagens Tochter, ist ganz Walktlre, obschon sie in 

J ) Eigentlich die Todtenhalle, aber von den Odinsglaubigen 
und den Dichtern zur glanzenden KOnigshalle ausgestaltet, die nur 
vornehme Todte, die durch die Waffen fielen, aufnahm. 

2 ) Die vedischen Apsaras, die Gottermadchen, die gleich den 
Walkuren Schwangestalt annahmen, stehn selbst zu Indra in sehr 
vertrautem Verhaltniss. 




45 



menschlichen Verhaitnissen steht. Als Guetrun den At 
seinem ganzen Hofgesinde aus Rache in der Halle verbrennt, 
sterben auch Walktiren (skialdmeyjar) in der heissen Lohe 
(Atlaqu. 45). In der Bravallaschlacht k&mpfen die Schild- 
jungfrauen Wisma, Heidr und Vebiprg auf Seite des Danen- 
k6nigs Harald Hilditonn und sind die Puhrerinnen dreier 
Heerhaufen 1 ). Die romantischen Sagen von Hervpr Angantyrs 
Tochter und Hervpr Heidreks Tochter*), ihrer Enkelin, wurzeln 
in wirklichen Zustanden der Wikingerzeit, die mit dem Ende 
des 8. Jahrhunderts begann. Die Norweger nahmen ihre Frauen 
mit auf die kriegerisch-rauberischen Seefahrten und bewaffhete 
Madchen (skialdmeyjar) haben an den Kampfen wirklich theil- 
genommen (Joh. Steenstrup, Normannerne 2, 127). 

Die Walktiren werden als schOne Madchen geschildert; 
weiss, gianzend wie die Sonne, von strahlendem Antlitz, gold- 
geschmuckt heissen sie; dabei sind sie wissend und weise. 
Mit Helm und Schild, in fester Brttnne, von Blitzen umspielt, 
reiten sie durch die Ltlfte und uber die Wasser. Schtltteln 
sich die Rosse, so fallt von den Mahnen fruchtbarer Thau in 
die Thaler und Hagel auf die Waider. Sie erscheinen zu drei, 
sechs, neun, zwOlf und dreizehn. 

Hat auch der Krieg in der nordischen Vorstellung das 
Wesen der Walktiren ganz durchdrungen, so sind doch noch 
Andeutungen der alten elementaren Natur dieser damonischen 
Madchen in dem Thau und Hagel geblieben, den ihre Rosse ab- 
schtltteln. Denn sie sind ursprunglich Greister der Wolken 8 ), die 
vom Wind gejagt uber Land und See fliegen, Boten des Sturm- 
gottes, leuchtend in den Bhtzen, rasselnd in dem Donner. 

Es hat sich ein sehr altes angelsachsisches BeschwOrungs- 
lied gegen den Hexenschuss und Rheumatismus erhalten 4 ), 
das die Luft- und Wolkenfrauen bewafifnet vorftthrt und Pfeile 
und Speere sendend auf die Menschen ; das Spell soil die Eisen 



*) Sagabrot of fornkonungum, c. 8. 
2 ) Hervararsaga, c. 6. 7. 18. 
8 ) Eine Walktire heisst Mist, Nebel. 

4 ) J. Grimm, Deutsche Mythol. 1191. 2. A. Grein-Wulcker r 
Biblioth. d. angels. Poesie, S. 317. 



46 



wieder heraustreiben, bei Anwendung zugleich einer Salbe, die 
aus Butter und den Krautern Febrifugia, rothe Nessel und 
Wegebreite gesotten ist. 

„Laut waren sie, ha! laut, da sie ttber den Httgel ritten, 
waren einmttthig, da sie fiber Land ritten. Schirme du dich 
nun, der du von diesem Hass genesen willst : heraus, kleiner 
Speer, wenn er drinnen sei! — Ich stund unter Deckung, 
unterm hellen Schilde, da die machtigen Weiber ihre Schar 
ordneten und ihre gellenden Gere entsandten. Ich will ihnen 
einen andern wieder senden, den fliegenden Pfeil von vorn 
entgegen: heraus, kleiner Speer, wenn er drinnen sei! — Es 

sass ein Schmied, schlug das kleine Messer heraus, 

kleiner Speer, wenn er drinnen sei ! — Sechs Schmiede sassen, 
fertigten Todesspeere. Heraus Speer! nicht sei drinn, Speer! 
Wenn hierin sei des Eisens Theil, es soil schmelzen! — Wenn 
du warst in die Haut geschossen Oder in das Fleisch oder in 
das Blut, oder in die Glieder geschossen, nimmer sei dein 
Leben getroffen! Wenn es sei der Ansen Geschoss oder der 
Elben Geschoss oder sei der Hexen Geschoss: nun will ich 
dir helfen. Dies sei dir zur Heilung des Ansen Geschosses, 
dies fur das Elben Geschoss, dies fur das Hexen Geschoss: 
ich will dir helfen. Entweich ins Gebirge . . . helfe dir der 
Herr! a 

Wenn eine weisse Wolke am Horizont aufsteigt, fragt 
der Esthe: „Welcher weisser Schwan fliegt in die HOhe?" 1 ) 
Dieser bildliche Ausdruck erkl&rt aufs einfachste die elbischen 
Madchen, die Schwanengestalt annehmen, alsWolkengeister. 
Legen sie die Verwandlung wieder ab, so stehn sie, nach 
dem durchgehnden Gesetz der KOrperverwandlung, das bei 
alien VOlkern gegolten hat, in nackter menschlicher Gestalt 
da. Viele Sagen 2 ) erzahlen da von, wie sich ihrer dann Heroen 
oder menschliche Manner bemachtigen und sie einige Jahre 
besitzen, bis das Schwanmadchen, d. i. die Wolkenfrau, wieder 
in ihr Reich entflieht. Dieses Wolkenreich ist zugleich das 



*) Castreen, Finnische Mythol. 71. 

2 ) Grimm, Mythol. 398. fl. A. Kuhn, Westf&l. Sagen 1, 219. 



47 



Reich der vom Menschenleibe gelOsten Seelen. In der Schwan- 
rittersage 1 ) liegt dafilr ein bekanntes Beispiel vor: die ge- 
heimnissvolle Heimat Lohengrins ist die Todtenwelt. 

Die Verbindung der elbischen Geister mit den Menschen 
ist in dem Alp- oder Martenglauben noch heute fest- 
gehalten. Im Volke lebt jetzt noch die Meinung, diese oder 
jene Frau, dies oder das Madchen mtisse in der Nacht in 
irgend welcher Gestalt als Alp oder Mart umwandeln. Der 
Leib liege inzwischen steif, die Seele schliipfe aus ihm und 
suche andere Menschen auf und angstige sie. VermOge der 
be&ngstigte Mann den Alp zu fassen oder festzuhalten, so 
wandle sich dieser in ein nacktes Weib, werde also wieder 
was er war. Hier tritt ebenso wie im Hexenglauben die enge 
Beriihrung mit den Wolken- oder Schwanfrauen heraus. 

Die tiberg&nge zwischen den einzelnen Arten der 
Elbinnen sind tiberhaupt unmerkbar. Wie sich die Wolken 
auf den Bergen und den Waldern gern niederlassen und dann 
wieder in die HOhe schweben, so bertthren sich die Wolken- 
und die Waldfrauen und die Elbinnen der BerghOhen sehr 
nahe. Die Wolken sind die Vermittler zwischen Himmel 
und Erde, zwischen dem gOttlichen und menschlichen Reich. 
Die elbischen Madchen begehren nach Verkehr mit den 
Mannern der Menschen und bethOren sie leicht, denn sie 
verwirren die Sinne, und die Berilhrung mit der Geisterwelt 
bringt Unheil. Die lieblichsten von ihnen sind die s&ligen 
(saligen) Fraulein der deutschen Alpen, auch Wildfrauen 
genannt, weise giltige Madchen, die in den FelshOhlen 
wohnen, die Thiere des Gebirges schutzen, schOn singen und 
mit den Hirten gern verkehren. 

Die Baumgeister bilden wieder fur sich eine Schar ; die 
einen von ihnen sind riesige Weiber, oder wenigstens mit 
Flechten und Moos bewachsenen Baumen gleiche, rauhe und 
starke GesohOpfe; die andern ein zwerghaftes Volkchen, das 



i) W. Muller, Die Schwanrittersage, in Pfeiffers G-ermania 1, 
418-440. 



48 



von dem Sturm geruttelt und verfolgt wird: die Holz-, 
Busch-, Loh- Oder Moosweiblein '). 

Die allgemeinen Eigenschaften der Elben tragen auch die 
Wasserfrauen, die Nixen, denen in der Regel das Wilde 
und Grausame der m&nnlichen Wassergeister nach der Volks- 
sage nicht anhaftet. Es sind schOne, wohlgebildete Madchen 2 ), 
die wie alle Elbinnen Gesang und Tanz lieben, unter die 
Menschen kommen, gern Liebschaften ankntlpfen, die aber 
weder ihnen noch den Jtlnglingen Glilck bringen. Wie alien 
Wassergeistern war auch diesen Nixen die Gabe der Weis- 
sagung verliehen. 

Das Verlangen nach dem Verkehr mit den Menschen 
ftthrt die Waldelbinnen nach Tiroler Sage oft in die Hauser 
und HOfe der Menschen, wo sie allem Segen bringen und 
rustig schaffen, bis sie plOtzlich in ihre Welt zurackgerufen 
werden. 

Wenn in Stiddeutschland den Holz- und Waldfraulein 
ein Ahrenbiischel auf dem Felde stehn gelassen wird, so sehen 
wir den Ubergang der Wald- in die Feldgeister. Das 
Oberhaupt derselben ist die Kornmutter (Kornwif, Roggen- 
moeme), die in sehr verschiedenen Gestalten geschildert wird *), 
ihre echte gOttliche Erscheinung aber hat, wenn sie als hohe 
weisse Frau durch das wogende Getreide schreitet. Sie ist 
die segnende grosse ErdgOttin. Gute Ernte Oder Hungersnoth 
hangt von der Gunst der Feldgeister ab. In der Regel sind 
sie gute Geister, wie schon ihr alter Name Bilweisse (bilvite) 
bezeugt, der freilich spater auf sch&digende Wesen tlbertragen 
worden ist. 



a ) tJber die Waldgeister W. Mannhai'dt, Wald- und Feldculte 
1, 72—154. Berlin 1875. 

2 ) tJhQT die KOrpergestalt der Nixen s. meine Abhandlung 
in der Zeitschr. des Vereins fur Volkskunde V, 121 — 133: Beitrag 
zur Nixenkunde, S. 122. 

3 ) Mannhardt, Die Korndamonen. Berlin 1868. Roggenwolf und 
Roggenhund. Danzig 1866. 



49 



Unter den eigentlichen Hausgeistern, den Kobolden, 
tritt das weibliche Geschlecht merkwiirdigerweise ganz zurack. 
Sie sind Herdg6tter und damit Feuerelben. 

Nur in dem Schlangenpaar, das als Schutzgeist im 
Hause wohnt, ist das weibliche Geschlecht nicht zu leugnen. 
Es sind die Seelen des Ahnherrn und der Ahnfrau des Ge- 
schlechts, die in dem Hause der Familie blieben. 



Weinhold t Deutsche Frauen. I. 



Dritter Abschnitt. 



Die Priesterinnen, weisen Frauen und 
Hexen. 

Aus der Fiille der mythischen Bildungen unseres 
Alterthums haben wir nur die GOttinnen herausgehoben, um 
an ihnen die germanische VergOttlichung des weiblichen 
Wesens zu erkennen. Aber das Religiose darfen wir nicht 
bloss in der Apotheose des Menschlichen bertihren, sondern 
auch insoferne die Frauen im Dienste des GOttlichen thatig 
sind oder aus dem Menschlichen hinaus in das tTbersinnliche 
streben. Die Priesterinnen, dann die weisen Frauen heid- 
nischer und christlicher Zeit verlangen Betrachtung, und das 
Hexenwesen kntlpft sich an. 

Die Germanen hatten keinen besonderen Priesterstand 
wie die Gallier. Jeder Hausvater vollzog die Opferungen, 
Losungen und Gebete fur sein Haus, wie er die Rechte des- 
selben ttbte und die darauf ruhenden Pflichten erfullte. Die 
Heiligthumer der Dorfgemeinde, des Gaus, des Staates pflegten 
die gewahlten Vorsteher und leiteten die gottesdienstlichen 
Handlungen. Allerdings erwahnt Tacitus der sacerdotes: so 
Ijei der Losung in Offentlichen Angelegenheiten (Germ. 10), 
bei der Wahrnehmung der Strafgewalt tiber die unter Gottes- 
frieden stehende Volksversammlung und uber das zum Kriege 
ausziehende Yolk (Germ. 7. 11). Er nennt auch einen Priester 
bei dem Heiligthume der Nerthus und fur den Dienst der 
narvalischen Alcis (ebd. c. 40. 43). Wir haben darunter aber 
stets einen princeps im priesterlichen Amte zu verstehn. 
Wahrend im Kriege z. B. die meisten principes die mili- 
tarischenFiihrerstellen versehen, empfingen andere die wichtige 



51 



Aufgabe, den GOttern fur den Sieg zu opfern, die heiligen 
Feldzeichen zu haten und den Gottesfrieden, welcher aber 
dem Volke in Waffen lag, gegen jede Verletzung durch Hand- 
habung der Strafgewalt zu schatzen. Ein solcher princeps 
in priesterlichem Amt und wohl auch mit priesterlichen Ab- 
zeichen war jener Libes, „der Priester der Chatten", wie 
Strabo (VII, 1) ihn nennt, der ihn unter den vornehmsten 
Germanen im Triumphzuge des Germanicus auffuhrt. Er 
war augenscheinlich als Oberpriester des chattischen Heeres 
gefangen worden. 

Auffallen mag, dass bei den Burgunden im 4. Jahr- 
hundert neben dem KOnig, der bei Misswachs oder bei Kriegs- 
ungiack vom Volke abgesetzt wird, ein unabsetzbarer Ober- 
priester unter dem Titel der Alteste (sinistus-sinista) erscheint 
(Ammian. Marc. 28, 5). Das ist die selbstandige Abzweigung 
der sacralen Amtsbefugniss des KOnigs, die das Yolk nicht 
den Zufallen unterwerfen wollte. In Norwegen und Danemark 
sind nun auch in den letzten Zeiten des Heidenthums neben 
den Fttrsten und HeradskOnigen, die den Opferdienst far ihre 
Landschaft zu verrichten hatten und den Haupttempel der- 
selben besassen, angesehene Manner nachweisbar, die ihre 
eigenen Tempel hatten, und als sie nach Island auswanderten, 
die leicht abzubrechenden Bauten mitnahmen und druben 
wieder aufrichteten. Ein solcher Tempelbesitzer sammelte 
um den heiligen Hof als Priester (godi) desselben bald eine 
Tempelgemeine. Zu seinem Priesterthum fttgten sich bald 
die weltlichen Offentlichen Rechte und Pflichten aber den 
Bezirk, das godord, so dass auch in dieser nOrdlichen Colonie 
die uralte germanische Verbindung des priesterlichen und 
des obrigkeitlichen Amtes sich neu vollzieht 1 ). 

Die norwegisch-isl&ndischen Quellen wissen aber auch 
von Priesterinnen, Tempelpriesterinnen (gydjur, hofgydjur) 
neben den Priestern. Wenn wir von der Freyspriesterin im 



J ) K. Maurer, Bekehrung des norweg. Stammes zum Christen- 
thum 2, 209—220. — Zur Urgeschichte der Godemvurde, in Zeitschr. 
f. deutsche Philol. 4, 125—130. 

4* 



schwedischen grossen Freystenipel absehen, einem jungen 
Madchen, das des Gottes Weib (Freys kona) hiess und mit 
dem GOtterbilde zu den Opferschmausen an den Freysfesten 
zog (j. Olafs s. Tryggvas. c. 73), so werden diese priester- 
lichen Frauen wohl nur far gewisse Dienste befugt gewesen 
sein, besonders ftlr den Opferdienst in den Htifen der GOttin- 
nen 1 ). 

FQr Deutschland mftssen wir ttber die priesterlichen 
Frauen dasselbe sagen. Wo sie erscheinen, ist ihr Amt be- 
schrankt: sie nehmen die Weissagung vor durch Losung, 
durch Deuten der Erscheinungen im Opferblute und durch die 
anderen dazu ublichen Mittel, um so mehr als die Germanen 
dem ganzen weiblichen Geschlecht die Gabe der Prophetie 
zuerkannten (German. 8). 

Unter Kaiser Yespasian war den ROmern die Bructerin 
Veleda bekannt worden, die weithin hoch geehrt ward, 
nachdem sie die Vernichtung der rOmischen Legionen durch 
die Bataver vorausgesagt hatte. Sie wohnte in einem Thurme, 
und zeigte sich den Abgesandten der umwohnenden Stamme 
nicht selbst; einer ihrer Verwandten vermittelte Frage und 
Antwort. Man ehrte sie durch freiwillige Geschenke. Yornehme 
Gefangene, besondere Triumphstilcke der Beute, sandte man 
ihr zu. Die ROmer selbst verschmahten nicht, sich an sie zu 
wenden und sie aufzufordern, ihren Einfluss auf die Deutschen 
zur Beilegung des Krieges zu verwenden. Sie soil schliesslich 
von den ROmern gefangen worden sein 2 ). 

Als eine altere beriihmte Seherin nennt Tacitus (Germ. 8) 
die A lb run a, die wahrscheinlich in den Feldztigen unter 
Drusus und Tiberius ihr Ansehen erwarb 8 ). Unter Domitian 
stund Ganna bei den Semnonen in hohen Ehren (Dio 



a ) Finnur Jonsson in der mir gewidmeten Festschrift (Strass- 
burg 1896, S. 19. 

2 ) Tacit, hist. IV, 61. 65. V, 22. 24. Stat. sylv. I. 4. 90. Den 
Namen Veleda hat Miillenhoff, Zur Runenlehre, S. 55, als das Ap- 
pelativ vilida (altnord. vild) Wohlwollen, Gnade gedeutet. 

3) Miillenhoff a. a. 0. 51. 53. 



53 



Cass. 67, 5). Spater hat bei den Langobarden nach dem sagen- 
haften Bericht tiber den Ursprung des Volkes G am bar a 
durch Weisheit und Voraussicht grossen Einfluss getibt. 

Das sind beruhmte Namen einzelner. Aber dem ganzen 
weiblichenGeschlechte wotinte nach demGlauben derDeutschen 
prophetische Gabe bei (Germ. 8). Casar erz&hlt (b. gall. I. 50), 
dass die deutschen Hausmtitter durch Losung und prophetische 
Kunst erkunden mussten, ob ein Treffen zu liefern sei oder 
nicht. Strabo (VII. 2) entwirft ein lebendiges Bild von den 
kimbrischen priesterlichen Wahrsagerinnen, die das Heer 
begleiten. Es sind grauhaarige, barftissige Weiber in weissen 
Kleidern, die eherne Gtirtel umschliessen, mit M&nteln von 
feinem Linnen. Sie ftthren die Kriegsgefangenen zu einem 
grossen ehernen Kessel und durchschneiden ihnen tiber dem- 
selben die Kehle. Aus dem Blute, das in den Kessel strOmt, 
weissagen sie. Andere prophezeiten aus den Eingeweiden den 
ihren den Sieg. Wahrend der Schlacht schlugen sie auf die 
abgenommenen Deckfelle der grossen Wanderwagen und 
machten damit gewaltigen Larm, der die bOsen Machte ab- 
wehren sollte. 

Ein paar Jahrhunderte spater erzahlt Eunapius (Excerpt, 
ed. Bon. 82) von den Westgoten, die in das rOmische Reich 
einbrachen/ dass jeder Stamm (qpvAiJ) die Heiligthilmer aus der 
Heimat mit sich filhrte, sammt den Priestern und Priesterin- 
nen derselben. Diese gotischen Priesterinnen (Uqsuu) werden 
wir aus den kimbrischen Seherinnen (7tQO[idvzeig) erklaren 
dtirfen: es sind die Wahrsagerinnen, die tiber Wagen und 
Gewinnen im Kriege ihre Stimme gaben, wahrend die Priester 
jene Hauptlinge sind, denen der grosse Opferdienst oblag, 
die GOtterbilder, die heiligen Zeichen wahrend des Kriegs- 
zuges anvertraut wurden und die den Gottesfrieden zu wahren 
hatten. 

Mit dem Christenthum verschwanden die heidnischen 
Priester und Priesterinnen von Staatswegen. So wie nur 
allmahlich der neue Glaube sich der Herzen bemachtigte und 
die Kirchenlehre sehr langsam zum inneren Besitz selbst der 
Gebildeteren ward, so wurden auch die altererbten religiftsen 



54 



Riten lange noch festgehalten. Was die Kirche nicht ihren 
Ceremonien anglich, erhielt sich als verweltlichte Sitte Oder 
als abergiaubischer Gebrauch, bei dem die Frauen, in Fort- 
setzung priesterlichen Amtes und zu geheimem zauberischem 
Werk besonders geeignet und geschickt, stark betheiligt 
waren 1 ). DieVerbote der geistlichen und weltlichen Obrigkeit, 
die Beichtspiegel und Bussordnungen richten sich haufig gerade 
gegen die Weiber. 

Es gab viele in den germanischen Landern, die im Rufe 
der Kenntniss der Krafte von Worten und Dingen und der 
Kunst sie zu brauchen stunden. In Skandinavien hiess ein 
solches Weib, das mehr wusste und konnte als andre, vplva 8 ), 
spakona, galdrakona, seidkona, und dasichhier alles im volleren 
Zusammenhange erkennen lasst, als in den zerstreuten Be- 
merkungen der deutschen aiteren Quellen, so wollen wir von 
diesen skandinavischen weisen Frauen ausgehn, 

Zunachst ist festzuhalten, dass den bedeutenderen vplur, 
namentlich der aiteren Zeit, jenes sanctum et providum inne- 
wohnt, von dem Tacitus spricht: die Gabe der Voraussicht 
in den Gang des Naturlettens und in das Geschick der Menschen 
und VOlker. Sie schauen die Zukunft in Gesichten und 
Traumen ; da, wo ihre Verkundigung besonders gesucht wird, 
unter Gebeten zu der Gottheit. Ein uraltes germanisches Mittel 
zur Erforschung des in der Zeit Verhilllten war das Losen, 
d. h. das Werfen von geschnittenen Holzstabchen, die mit 
bedeutsamen Zeichen (Runen) beritzt waren. Entweder gab 
der Wurf an sich schon deutliche Entscheidung, oder die 
Zeichen bedurften noch besonderer Deutung. Die Gebete, die 
dabei an die GOtter gerichtet wurden, erbaten die Erfailimg. 
des durch die Losung Erforschten. So bekam das Wort Los 
(altnord. hlaut) neben der Bedeutung Losstabchen den des 



') Belege der Fortdauer uralter Gebrauche, bei denen die 
Weiber mit Losung, Segnung und Zauber beschaftigt sind, gibt 
meine akademische Abhandlung Zur Geschichte des heidnischen 
Ritus. Berlin 1896. 

2 ) toha {valva) die Stabtragerin, von valr, dem beim Seid ge- 
brauchten Zauberstabe: Mullenhoff, Deutsche Alterthumskunde 5, 42. 



55 



wunderbaren Zeichens, des iibernattirlichen Mittels. Das Zeit- 
wort losen bedeutete ausser das Los werfen und durch das 
Los erhalten: die Zukunft erforschen, zaubern 1 ). Denn die 
Erforschung der Zukunft war stets mit der Absieht verbunden, 
auf die Wendung der Dinge durch gOttliche Kraft einzuwirken, 
Alle jene Frauennamen, in denen das Wort, run erscheint, 
bezeichnen Weiber, welche Weissagung und ubernaturliche 
Krafte tiben. 

Es gab zwei Weisen, ttber menschliche Art hinaus auf 
lebendes oder todtes zu wirken 2 ). Das eine, mehr geistige 
Mittel, war der galdr, das Sprechen einer Formel in gebundener 
Rede, die ursprtlnglich ein Gebet um Gewahrung desWunsches 
war und spater zum BeschwOrungs- und Zauberspruche ward. 
Verbunden war damit die Einritzung einer oder mehrerer 
Kunen. Sie blieben als festigende Zeichen des galdr auf den 
zu schtttzenden oder zu kraftigenden Gegenstanden. Der galdr 
half gegen allerlei Gefahr, feite die Waffen, sprengte Fesseln, 
heilte Wunden und Krankheiten, wandelte Feindschaft in 
Freundschaft, erweckte Liebe, beschwichtigte die Elemente, 
lenkte die Winde, wohin man wollte , beschwor die Todten. 

Die zweite Art war der seidr (Zeitwort sida; efna, 
fremja, setja seid). Es ist der eigentliche Zauber; ilber seine 
Austtbungsweise ist aber wenig bekannt. Zu den Zauber- 
spruchen kamen mancherleiGebrauche und es scheinen mehrere 
Personen dabei nOthig gewesen zu sein. Wahrend der galdr 
tiberwiegend eine gute, schaffende Wirkung hat 7 zeigt sich der 
seidr haufig verderblich; er schafft Unwetter 7 schadigt Feld- 
frtichte, Wiesen und Vieh, bringt Schwache 7 Krankheit, Wahn- 
sinn und Tod tiber die Leute, gegen die er sich richtet 7 zwingt 



a ) Miillenhoff, Zur Runenlehre, 2a 42. Homeyer, tTber das ger- 
manische Losen. Berlin 1854. — Im bayrischen Dialect bedeutet 
loesseln noch aberglaubische Handlungen vornehmen, besonders zur 
Erforschung der Zukunft. Die Loesselnachte sind die Nachte, in denen 
das besonders geschieht, wie Thomas-, Christ- und Dreikonigsabend. 
Schmeller, Bayr. W6rterbuch 1, 1519. 

2 ) K. Maurer, Bekehrung 2, 122 — 14 f. Finnur Jonsson, um 
galdra, sei3, seidmenn og vOlur (Thrjar Ritgjorctir, Kaupmannahofn 
1892, S. 5-28). 



56 



sie eilig aus weiter Feme zur Stelle zu kommen, verwirrt 
durch plotzlichen Nebel und Staub, ftthrt trttgerisches Blend- 
werk vor, wandelt in Thiergestalt, wahrend der menschliche 
Leib wie todt liegt, ruft Todte und Unholde u. dgl. Auch die 
Kenntniss der Zukunft und verborgener Schatze kann der seidr 
geben. 

Wir sehen also den ganzen Inbegriff des Zaubers durch 
geheimnissvolle Sprttche und Mittel im heidnischen Norden 
geiibt, und erfahren, dass es nicht wenige Manner und Weiber 
gab, die als spamenn und spakonur, seidmenn und seidkonur, 
durch Wahrsagen also und Zaubern, ihr Leben fristeten. Einige 
der vplur wollen wir heraufbeschwOren. 

Thorbiorg 1 ) hiess die kleine vplva, sie war die letzte 
von neun Schwestern, die sammtlich wie sie weise Frauen ge- 
wesen waren. Im Winter fuhr sie im Lande umher, und die 
Leute luden sie zu ihren Festschmausen , wo sie weissagte. 
So ladet sie auch der reiche Bauer Thorkell ein, um zu er- 
fahren, ob das Hungerjahr aufhOren werde. Am Abend kommt 
sie an, von einem ihr entgegengeschickten Manne geleitet. Sie 
tragt einen dunkeln, mit Riemen gebundenen Mantel, der von 
oben bis unten mit Steinen. besetzt ist, am Halse Glasperlen, 
auf dem Kopfe eine Mutze von schwarzem Lammfelle und 
mit weissem Katzenpelz gefuttert ; in der Hand halt sie einen 
Stab mit steinbesetztem Messingknopf. Die Hande stecken in 
Katzenfellhandschuhen ; an den Ftlssen hat sie rauhe Kalb- 
fellschuhe mit langen Riemen und grossen ZinnknOpfen auf 
den Enden derselben. Ihren Leib umschliesst ein Korkgiirtel, 
an dem ein Lederbeutel mit den Zaubergerathen hangt. Da 
sie herein tritt, wird sie von alien ehrerbietig gegriisst, und 
der "Wirth fuhrt sie auf den Ehrenplatz, den Hochsitz, der fur 
dies Mai mit einem Polster aus Huhnerfedern bedeckt ist. 
Die Mahlzeit fur die Seherin besteht aus Ziegenmilchgrtttze 
und einer Speise von allerlei Thierherzen. Thorbiprg ist diesen 
Abend schweigsam und zum Weissagen nicht aufgelegt, in- 



a ) Thorfinns saga Karlsefnis. c. 3. in den Antiquit. americ. 
104—113. 



57 



dessen verheisst sie den andern Tag den Wunschen zu will- 
fahren. Als es da zum Abend ging, war alles bereit, was sie 
zum Zauber bedurfte; allein es fehlten Frauen, welche die 
Sprttche zur Schutzgeisterlockung (vardlokkur) verstunden, wie 
sie die Seherin will. Endlich flndet sich eine, Namens Gudridr, 
die auf Island solche Sprttche gelernt hatte; weil sie aber 
Christin ist ; entschliesst sie sich erst nach langem Bitten, 
behilflich zu sein. Da schliessen die Frauen um die Wahr- 
sagerin auf dem vierbeinigen Zauberschemel einen Kreis, und 
Gudridr beginnt mit schOner Stimme ein so herrliches Lied 
zu singen, dass alle entziickt sind, und die Wala sagt, es 
seieh viele Naturgeister dadurch herbeigelockt und willig ge- 
worden. Sie selbst gesteht auch, es sei ihr vieles dadurch 
deutlich gewOrden, was ihr zuvor verborgen war. Darauf 
weissagt sie das Ende des Hungerjahres und verkundet alien 
das, was sie zu wissen wiinschen, und zieht dann auf 
den nachsten Hof, von dem bereits ein Bote nach ihr ange- 
kommen war. 

Ebenso mag eine Geschichte von einer vplva und seifl- 
kona Heidr erzahlt werden (Orvarodds s. c. 2). Sie wusste 
durch ihre Kunst die noch nicht gewordenen Dinge und be- 
suchte die Gastgebote, um den Menschen tlber Witterung und 
ihr Schicksal Auskunft zu geben; im Gefolge ftthrte sie funf- 
zehn Knaben und funfzehn Madchen. Einmal hatte sie ein 
gewisser Ingialdr zu Beruriodr in der norwegischen Landschaft 
Vik zu sich geladen. Wie einem hohen Gaste geht er ihr mit 
vielem Gefolge entgegen, und bittet sie nochmals in aller 
FOrmlichkeit, in sein Haus zu treten. Als gegessen ist, lasst 
Heidr die andern schlafen gehn, sie selbst bleibt mit ihrem 
Gesinde wach, um in der Nacht den Zauber zu iiben. Am 
Morgen erklart sie sich im Stande zu weissagen und heisst 
die Manner ihre Sitze einnehmen, und einer nach dem andern 
tritt zu ihr, um zu hOren, wie sich sein Leben fugen werde. 
Dann verkundet sie noch, wie das Jahr verlaufen werde, und 
andres mehr. Ein unangenehmer Auftritt mit einem unglau- 
bigen ZuhOrer, Oddr genannt, beschliesst die Sitzung. Trotz 
seiner bestimmten Drohung jede Verkundigung, die ihn be- 



58 



treffe, zu strafen, sagt sie ihm doch in Versen sein Geschick 
voraus und der Trotzige wirft ihr dafdr einen Stock derb an 
den Kopf. Heitfr lasst sogleich ihre Sachen zusammenpacken 
und obschon sie Ingialdr durch reiche Geschenke zu versOhnen 
sucht, obschon sie dieselben annimmt, lasst sie sich nicht 
mehr halten, und zieht weiter. 

Noch manche nordische Geschichten erzahlen von den 
Wolven. Alle berichten, wie die weise Frau, gewOhnlich von 
einem Gefolge umgeben 1 ), im Lande herumwandert, bei den 
Herbstgastereien ein willkommener Gast ist, in der Nacht 
den Zauber tlbt und vom vierbeinigen Schemel herab ihre 
Weissagungen verkttndet. Der seidr, der zur Austibung lhrer 
Kunst unerlasslich scheint, mag zuweilen ein Sod aus allerlei 
zauberkraftigen Dingen gewesen sein, der unter hersagen von 
Spruch und Lied bereitet ward. Aus dem Wallen des Wassers, 
dem Krauseln der Zuthaten in der Hitze, vielleicht auch aus 
dem Bodensatze las die Frau die Zukunft. Der Zaubersessel 
ist von verschiedener HOhe gewesen 2 ). Es wird erzahlt, wie 
einmal Manner in ein Haus kamen, wo Zauberer ihr Wesen 
trieben. Sie sehen den Schemel; einer geht unter ihn und 
ritzt unter schadenden Spriichen Runen daran, die den Seid 
stOren. Als nun die Zauberer auf den Schemel sich stellen, 
brechen sie mit ihm zusammen und Wahnsinn erfasst sie 
so, dass sie im Walde in Sttmpfe und Abgrdnde sich stiirzen 
(Fornald. S. 3, 319). Sblcher Seidmanner wird haufig gedacht 
und sie spielen in den Kampfen der ersten christlichen KOnige 
Norwegens eine bedeutende Rolle. Die am Heidenthume und 
der alten freien Verfassung fest hielten, glaubten in dem 
Zauberwerke gegen die Bestrebungen der Bekehrer und Usur- 
patoren die Hilfe der alten StammgOtter zu finden. Als- 
Harald SchOnhaar Norwegen unter seine Alleinherrschaft zu 
bringen strebt und dabei die Bekehrung zum Christenthume 
als Hilfsmittel benutzt, verfolgt er die Seidmanner besonders 

!) Landnama b. III. c. 2. Eyrbyggja c. 15. Vatnsdoela c. 1Q 
Vigaglumss. c. 12. 

2 ) Laxdoela c. 35. Vgl. fiber den seidhjallr Finnur Jonsson a. a. 
0. 17. 



60 



heftig. Er lasst seinen eigenen Sohn ROgnvald Rettilbein von 
Hatfaland, der solche geheime heidnische Kttnste trieb, von 
Erich Blutaxt aberfallen und mit achtzig Seidmannern ver- 
brennen (Fornmanna, S. 1, 10. 2, 134). 

Die Stellung, welche die Weissagerinnen und Zauberinnen 
in der Offentlichen Meinung einnehmen, ist sehr verschieden. 
In der aiteren, rein heidnischen Zeit genossen die Seherinnen 
wenigstens und auch die, welche unmittelbar auf Leben und 
Schicksal wirkten, wie der Grlaube ging, hohe Verehrung. 
Spater wich die Hochachtung der Scheu und Furcht. Der 
gewerbsmassige Betrieb der Zauberei konnte namentlich den 
Seidmannern ihr moralisches Ansehen nicht erhohen. Die 
Annahme des Christenthums als Staatsreligion veranderte 
naturlich vieles auch in dieser Hinsicht. Der heidnische Glaube 
erlosch freilich nicht mit der Aufrichtung des Kreuzes. Indem 
die HeidengOtter far Damonen und Teufelsgeister von den 
christlichen Priestern erklart wurden, mussten sie sich unter 
das Zaubervolk mischen, wie denn Snorri Sturluson in seiner 
Ynglingasaga Odin und die Asen als Seidmanner darstellt. 
Die tFberzeugung von der wirklichen Macht der Wahrsager 
und Zauberer bluhte mit ihrer Existenz fort. Theils waren 
es heimliche Heiden, .theils offene Christen. Man hatte wohl 
Verachtung und Tadel far das dunkle Treiben, aber man 
ftirchtete es. Allerdings schritt die Kirche in alien ihren so- 
genanntenChristenrechten, ebenso die weltliche Gesetzgebung 
dagegen ein 1 ). Heimliches Heidenthum, weissagendes Spruch- 
sprechen (galdr) und Zauberkunst (fiplkyngi) galten fur eins. 
Strafen far den Zauber waren hohe Gteldbussen, bei Unver- 
mOgen Unfreiheit, karzere oder lebenslangliche Landesver- 
weisung, Recht- und Priedlosigkeit mit Einziehung des Ver- 
mOgens. 

Bei den Deutschen finden wir dieselben Zustande des 
Zauberwesens wie bei den Nordgermanen. Wenn in Norwegen 
und Schweden die finnische Zauberei als einflussreiche Nach- 
barin oft genannt wird 7 so darfen wir vielleicht auch far die 



i) K Maurer, Bekehrung II, 415-420. 



60 



Magie in Deutschland manche Einwirkung von aussen be- 
haupten, namentlich seit den Kreuzzugen, die enge Beriih- 
rungen mit den Romanen und den Orientalen brachten. 

Im Orient wie im Occident herrschte von aitester Zeit 
der Glaube, dass durch die Kraft gewisser Worte und stoff- 
licher Mittel in die geheime Werkstatt der hOheren Weltkrafte 
eingedrungen und dieselben dem Willen des Menschen nutzbar 
gemacht werden kOnnten. Schutz und Wahrung des eigenen 
Lebens und Besitzes, Schadigung des fremden, Gewalt tlber 
"Wetter und Feldsegen, Liebeszauber, Verwandlung in Thier* 
gestalt, Erzeugung und Abwehr von Ungeziefer aller Art, 
BeschwOrung der Todten und Damonen wurden bei den Orien* 
talen, Griechen und ROmern von den Wissenden und Kundigen 
getibt. Der Glaube an gespenstische weibliche Wesen, die 
empusae, lamiae, strigae blfthte in Italien stark. Und ganz 
denselben Glauben linden wir iiberall in alter und neuer Zeit, 
Der Hexenglaube war und ist iiberall vorhanden, und ein 
allgemein menschlicher Wahn gewesen. 

Das muss fur die Frage nach dem Ursprung desselben 
in Deutschland nicht vergessen werden. Der feste Glaube 
an die MOglichkeit iibernaturlicher Wirkungen, die auch den 
Menschen und vorzuglich den Weibern durch den Zauber 
mOglich sei 7 ist die Grundlage des Hexenglaubens. Dann tritt 
hinzu die trberzeugung von der MOglichkeit des Gestalten- 
wechsels ; der Glaube auch eines Uberganges von den Menschen 
zu den gOttlichen Wesen durch die abgeschiedenen Seelen. 
Aus diesen Elementen hat sich bei den Germanen wie bei 
den andern VOlkern der sogenannte Hexenglaube der alteren 
Zeit gestaltet; den der spateren Zeit haben die Inquisitoren 
und Hexenrichter gemacht. Suchen wir das kurz darzulegen. 
In den aberglaubischen Meinungen von Weissagung 
und Zauber , die sich durch die Jahrhunderte in gleichen 
Ztigen fortbewegen, treten die Frauen in Folge der Begabung, 
die ihnen von je dafur zugeschrieben wurde, in besonderer 
Thatigkeit und Ruhrigkeit hervor. Aber das Gesetz schiltzte 
sie zunachst gegen bOswilligen Verdacht und wies leicht- 
fertige Verfolgung ab. In der Lex salica (tit. 64) werden 



61 



uber denjenigen Strafen verhangt, welcher einen Mann Kessel- 
trager bei der Hexenwirthschaffc (hereburgius hoc est strio- 
porcio) gescholten hat oder ein Weib eine stria, ohne es 
beweisen zu kOnnen. In dem Edict des LangobardenkOnigs 
Rothari (197. 198. 376) wird verboten, eine freie oder unfreie 
striga oder masca zu schelten oder sie aus Verdacht, dass 
sie eine Hexe sei, zu todten. 

Darin liegt kein Schutz der Zauberei, sondern die gesunde 
Yeraunft leitete die Gesetzgeber, die Anklagen wegen Zauberei 
im allgemeinen fur Phantasiewerk zu erklaren und erst auf 
bewiesenen Schaden oder die b5se Absicht, Schaden zu 
stiften, Strafen zu setzen. Zauberei und Giftmischerei er- 
scheinen am haufigsten verbunden. ') In diesem Sinne be- 
statigte Karl d. Gr. die Satzungen der Paderborner Synode 
von 785, can. 6, dass der Glaube an menschenfressende Hexen 
heidnischer und teuflischer Aberglaube sei, und er setzte 
Todesstrafe auf die Verbrennung einer vermeintlichen Hexe. 
Ganz ebenso wird in dem sogenannten Ancyranum canon 
episcopi, das sich zuerst in der Visitationsordnung des Abt 
Regino von Prum Cf"915) findet, den BischOfen und-Pfarrern 
aufgetragen, mit allem Nachdruck gegen die teuflische Weis- 
sagung und Magie {sortilegam et magicam artem) zu ver- 
fahren und die solcher Kunste verdachtigen aus ihren 
Sprengeln zu verjagen. Aber es heisst weiter: manche 
nichtswurdige Weiber glaubten durch Verblendung des 
Teufels, dass sie in der Nacht mit Diana oder Herodias und 
vielen Frauen auf Thieren reitend uber weite Lander flOgen 
und in gewissen Nachten zum Dienst jener heidnischen 
Damonen berufen wurden; in dem Volke fande dieser Aber- 
glaube auch viel Anhang. Die Geistlichkeit aber habe zu 
predigen, dass solches Ltlgen seien. Wer jenes glaube, oder 



a ) H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 2, 674 ff. Leipz. 
1892. — Im 13. Jahrhundert sind luppe (Gift) und eouber formelhaft 
verbunden; lupperinne, luppelcerinne bedeutet ohne weiteres Zauberin; 
auch luppe an sich wird fur Zauber gebraucht, wie schon das goti- 
sche lubjaleisei (Gal. 5, 20) gleich dem gr. qmpnaiceia Giftmischerei 
und Zauberkunde. zugleich ist. 



02 



auch glaube, dass jemand seine Gestalt verwandeln kOnne, 
der habe den rechten Glauben verloren und sei schlimmer 
als ein Heide, er sei zu excommuniciren. 

Es ergibt sich schon hieraus, dass die Kirche die 
Bestrafung des Glaubens an Zauberei und der Falle erwiesener 
Hexerei an sich genommen hat. Die karlingische Gesetz- 
gebung 1 ) hatte den kirchlichen BehOrden die Verfolgung 
heidnischer Gebrauche, des Zaubers und der Wahrsagerei 
aberlassen, und in den BeichtstOhlen und von den Synoden 
ward demgem&ss verfahren. Kirchliche Bussen traten also 
an die Stelle der Leibes- und Lebenstrafen. Einen interessanten 
Einblick gewahren die Bussordnungen 2 ), und vor allem das 
19. Buch der Canonessammlung Bischofs Burchard von Worms 
(t 1025), welches fur den deutschen Aberglauben des mittleren 
Westdeutschlands jener Zeit ungemein lehrreich ist, und 
uberall kirchliche Busssatze, fur leichtes Vergehn Fasten 
bei Wasser und Brot, verhangt 8 ). 

Dann entwickelte sich der Teufelsglaube starker. Man 
glaubte fest daran, dass der Satan in allerlei Gestalten unter 
den Menschen wandle, urn sie zu verfahren und zum Abfall 
von Gott zu bringen, und dass er dazu namentlich bei Mannern 
die Gestalt eines schOnen Weibes, bei Frauen die eines 
stattlichen Mannes annehme. Im 11., 12. und 13. Jahrhundert 
verbreitet sich der schon fruher nachweisbare Glaube von 
Vertragen des Menschen mit dem Teufel. Der Doctor ecclesiae, 
Thomas von Aquino (Quodlib. XI, art. 10), erklarte die Teufel 
far wirkliche Wesen, die mit den Menschen fleischliche 
Gemeinschaft eingehn, ihnen auch schaden und Wetter 
machen kOnnten. 

Frah wurden die ketzerischen Secten, welche seit Anfang 
des 13. Jahrhunderts auch in Deutschland grausame Ver- 
folgung erfuhren, mit den Zauberern und Teufelsbundlern 



*) Brunner, D. Rechtsgesch. 2, 681. 

2) Wasserschleben, Die Bussordnungen der abendl&ndischen 
Kirche, Halle 1851. 

8 ) Vgl. die Auszage bei Grimm, Mythol. 4. A. 3, 404 ff. und 
E. Friedberg, Aus deutschen Bussbuchern 81—101. Halle 1868. 



63 



zusammengeworfen und so gebietet auch der Sachsenspiegel 
in einem Athem, die Ketzer,- Zauberer und Giftmischer, falls 
sie aberfuhrt warden, zu verbrennen '). Der Schwabenspiegel 
hat diese Bestimmung natttrlich beibehalten *). 

Der Inquisitionsprocess gegen die Ketzer erweiterte 
sich in Frankreich im 13. Jahrhundert trotz der Zurecht- 
weisungen des Papstes Alexander IV. zum Inquisitions- 
verfahren gegen die Wahrsager und Zauberer*). In Deutsch- 
land hatte die an dem Inquisitor Konrad von Marburg, dem 
Beichtvater der h. Elisabeth von Tharingen, geabte Volks- 
justiz die Ketzerrichter scheu gemacht, und trotz jener 
Bestimmungen im Sachsen- und Schwabenspiegel wirkten in 
der geistlichen Gesetzgebung die vernanftigen Bestimmungen 
des Canon episcopi fort. Alles Zauberwerk ward fur Aber- 
glauben erklart; die sich damit abgaben, verfielen den Kirchen- 
strafen. Die frtthesten nachweislichen Hinrichtungen von 
Hexen (mulieres divinatrices, incantatrices) fallen erst in das 
15. Jahrhundert: nach Hamburg 1444, Heidelberg 1446, 
Basel 1451, Bern 1454. Als die far Oberdeutschland und 
den Rhein nach 1475 bestellten Inquisitoren der Ketzerei, 
die Dominikaner Heinrich Kramer und Jac. Sprenger, zugleich 
Hexenverfolgungen anstellen wollten, stiessen sie auf den 
grOssten Widerstand. Sie wandten sich deshalb an den Papst 
Innocenz VIII. und dieser erliess nun am 5. December 1484 
die Bulle Summis desiderantes , welche die Hexenprocesse 
in Deutschland angeschart und zahllose Scheiterhaufen ent- 
zandet hat. Nach dieser Bulle ist die Hexerei in dem 
Bandniss mit dem Teufel begrandet; die AbschwOrung Gottes 
und des Christenthums geht voraus. Mit Hilfe der Teufel 
schadigen die Zauberer und Hexen Leib und Leben der 
Menschen, das Vieh, die Baum- und Feldfrachte und die 
Weidepiatze. Auf Grand dieser Bulle und um den noch 
immer fortdauernden Widerstand der verstandigeren Geist- 



J ) den sal men upper hort brennen Landr. II. 13, 7. 

2 ) Landr. 174. 368. J. Lassberg. 

3 ) Es ward dabei immer auf das alttestamentliche Gebot 
2. Moses 22, 18, 3. Moses 20, 27 Bezug genommen. 



64 



lichen, welche den Glauben an Hexen fur Trug erklarten, 
zu brechen, schrieb Jac. Sprenger mit Hilfe seines Gesellen 
Kramer und des Joh. Gremper von Konstanz die Dogmatik 
des Aberglaubens, den Hexenhammer : Malleus maleficarum 
(Colon. 1489 u. 0.), der von der KOlner theologischen Facultat 
approbirt und von den Criminalisten des 16. Jahrhunderts als 
das Gesetzbuch ttber Hexenglauben angenommen worden ist. 

Die Hexerei war nunmehr zum Teufelsbund und Teufels- 
diensi gemacht. Die Hexe schwor Gott und Christum ab, sie 
ergab sich dem Teufel mit Leib und Seele, betete ihn an als 
Herrn und Gott, und lebte mit ihm in buhlerischer Ver- 
bindung, aber ohne Freude und Frucht. Die Hexe muss 
Schaden und Unheil stiften, wie ihr der Teufel gebietet. Sie 
bedient sich allerlei Mittel hierzu: der Zauberformeln mit 
rituellen Gebrauchen, des bOsen Blickes, gebrauter Tranke, 
Pulver, Krauter, Salben, und fliegt entweder in eigener nackter 
Gestalt in die Lilfte Oder wandelt sich dazu in allerlei Vogel- 
form (namentlich in Gans, Ente, Elster, Eule) Oder in die 
eineg raschen Thieres (Pferd, Wolf, Hase, Katze, Geiss), das 
auch mit einem Stabe, Besen Oder einer Ofengabel wechseln 
kann *). 

Bei den grossen Versammlungen, die nicht bloss zu 
Walpurgis und auf dem Brocken (der nur fur Medersachsen 
Hexenberg war), sondern zu allerlei Zeiten auf Bergen und 
Wiesen statt hatten, geht es zu, wie den Ketzerversamm- 
lungen, ja wie den Liebesmahlen der ersten Christengemeinden 
nachgesagt ward : zuerst wird die Teufelsmesse gehalten, dann 
folgt ein Mahl, und darauf die wildeste Unzucht*). 



J ) Von dieser Verwandlungsfahigkeit hiessen die Zauberinnen 
altnorw. isl. hamhleypur. 

2 ) J. Grimm, D. Mythol. 991—1058. Soldans Geschichte der 
Hexenprocesse. Neu bearbeitet von H. Heppe. 2. Bde. Stuttgart 1880. 
In beiden Werken wird auch weitere Litteratur angefuhrt. Nur 
weniges will ich hier zufugen: L. Rapp, Die Hexenprocesse und ihre 
Gegner aus Tirol. Innsbruck 1874. J. Zingerle, Barbara Pachlerin, die 
Sarnthaler Hexe, und Mathias Perger, der Lauterfresser, Innsbruck 
1858. Fr. Muller, Beitr. zur Geschichte des Hexenglaubens und des 
Hexenprocesses in Siebenburgen. Braunschweig 1854. Fr. Ilwof 



65 



Wir Ziehen den Schleier iiber das unsagliche Elend der 
Hexenprocesse, ilber die haarstraubende Verworfenheit der 
Hexenrichter und Hexenspurer, uber die Roheit der Henker, 
und heben nur hervor, dass das gescholtene finstere Mittel- 
alter keinen Theil daran hat. Das 16. und 17. Jahrhundert 
sind die tollsten Zeiten der Hexenprocesse und es sind un- 
gezahlte Tausende jedes Alters, jedes .Standes und beider Ge- 
schlechter gemartert, geschandet und verbrannt worden in 
alien Landern Europas, nicht zum wenigsten in Deutschland, 
ohne Unterschied des kirchlichen Bekenntnisses. In dem aU- 
gemeinen Wahn wagten nur wenige, aber um so mehr zu 
riihmende Manner, als Gegner der Hexenverfolgungen aufzu- 
treten, Genannt milssen werden die drei Jesuiten Adam Tanner 
PaulLeymann undFriedrich vonSpee. GrosseWirkung machte 
etwas spater der Hollander Balthasar Bekker mit seinem rasch 
und weit verbreiteten Buche De betoverde Wereld (Leuwarden 
1691 — 93) und nicht minder Christian Thomasius in Halle 
mit seinen kurzen Lehrsatzen von dem Laster der Zauberey 
(1701). DieHirnseuche liess allmahlich nach unddieRegierungen 
begannen dagegen einzuschreiten. In Preussen schaffte Fried- 
rich Wilhelm L, in Osterreich Kaiserin Maria Theresia die 
Hexenprocesse ab. In den geistlichen Furstenthumern aber 
bluhten sie mit aller Mchtswiirdigkeit weiter. Am 21. Juni 
1749 ward die Nonne Maria Renata Sanger von Unterzell bei 
"Wurzburg als Hexe gerichtet. Der Filrstbischof hatte sie zur 
Enthauptung begnadigt, ihr Leichnam aber ward verbrannt. 
Die letzte gerichtete Hexe auf deutschem Reichsboden war 
eine arme Bauerndirne, Anna Maria Schw&gelin im Stifte 
Kempten. Sie ward nach dem v.om Ftirstabt von Kempten 
bestatigten Urtheil am 11. April 1775, enthauptet. 

Der Hexenglaube ist freilich nicht erloschen. Noch heute 
kommen hier und da merkwtlrdige AusbrQche dieses Volks- 
wahns zum Ausbruch, und mancher fanatische Orthodox 



Hexenwesen und Aberglauben in Steiermark (Zeitschr. des Vereins 
fur Volkskunde 1897). — tiber die orgiastische Natur der Hexenfeste 
= alter Opferfeste der Weiber, vgl; meine akadem. Abhandlung zur 
Geschichte des heidnischen Ritus. Berlin 1896, S. 15 f. 

Weinhold, Deutsche Frauen. I. 5 



60 



mOchte noch jetzt den Teufelsglauben sammt dem Hexen- 
wahn zum Kennzeichen echter Religiositat machen 1 ). 

Das alteste tlberlieferte germanische Wort far ein 
damonisches Wesen war unhul})6, womit Wulfiladasgriechische 
datgicavj dcupdviov ilbersetzte; weit seltener braucht er das 
Masculinum unhulf>a dafQr, das ihm sonst als tJbertragung 
von didfiolog dient. So verbreitet muss auch bei den Goten 
der Glaube an weibliche Damonen gewesen sein. Althoch- 
deutsch ist nur das Masculinum unholdo, d. i. der Teufel, 
belegt, und nur hOchst sparlich, Dass aber auch das Femini- 
num vorhanden war, beweist das vom 11./12. Jahrhundert 
ab hauflge diu unholde for teuflisches Weib, Nachtfahrerin, 
Zaubrerin, das bis ins 17. Jahrhundert brauchlich war und 
dann hinter das Wort Hechse, Hexe zurttcktritt. 

Das uns geiauflge Wort Hexe ist ein altes westgermani- 
sches Wort. Es lautet althochdeutsch hazus hazusa, voller haga- 
zussa, hegezisse, mittelniederlandisch hagetisse haghedisse, 
angelsachsisch hagtesse hagtis, im Mittelhochdeutschen hekse, 
hexse, hexe und ist entweder von dem Adjectivstamm haga 
(altnord: hagr geschickt, klug) abzuleiten: das kluge, ver- 
schmitzte Weib (Grimm, Mythol. 992), oder ist aus dem 
Substantiv hac Wald, Hain, zu erkiaren: das Waldweib 
(Weigand, Deutsches WOrterb. I, 804). Die alte Verbindung der 
elbischen Waldfrauen und der weisen Frauen erklart die Be- 
nennung. 

In Oberdeutschland, besonders im bajuvarischen Gebiete, 
ist Drud, Trud, bis heute tlblicher als Hexe. Die mittel- 
hochdeutsche Wortform ist trute, trutte; es scheint nicht zu 
altn. J)nidr, J>ruda, Jungfrau, und dem Walkurennamen \>mAv 



a ) tiber den heute noch nachweisbaren Hexenglauben gibt 
eine tTbersicht Ad. Wuttke, Der deutsche Volksglaube der Gegen- 
wart. 2. A. Berlin 1869, in vielen Paragraphen, vgl. S. 475 f. Auch 
U. Jahn, Hexenwesen und Zauberei in Pommern (Festschrift der 
Gesellschaffc fur Pommersche Geschichte. Stettin 1886). J. Zingerle, 
Sitten, Brauche und Meinungen des Tiroler Volkes, S. 31—35. Inns- 
bruck 1857. . 



67 



zu gehOren, da es im bayrischen nie zu Draud, Traud ward, 
sondern kurzes u behielt 1 ). 

Bilwiss, Bilweisse, das urspriinglich einen guten elbi- 
schen Geist, dann einen Feldzauberer bezeichnete (Grimm, 
Mythol. 441), findet sich im 15. — 17. Jahrhundert auch fur 
Hexe gebraucht*). 

Andere deutsche Benennungen der Hexen, die ihren ver- 
schiedenen Eigenschaften entsprangen, sind: 

Wettermacherin, -katze, -hexe. Wolkengilsse. Nebelhexe. 
Blitzhexe, Strahlhexe. Donnerkatze. Zessen- (Sturm)macherin. 

Nachtfahre (altnord. queldrida Abendreiterin ; myrkrida, 
Nachtreiterin). Mantelfahre. — Dechselrite (Rockenreiterin). 
Besen-, Gabelreiterin (altnorw.-isl. ttlnrida, gandreid). 

Feldspinnerin. Questenpinderin 8 ). 

Milchdiebin, -zauberin. Molkenstehlerin, -tOversche. 

Mausschlagerin. 

Teufelsbraut, -bule. 



Wenn die germanische heidnische Seherin in die Zukunft 
blickte, enthtillten sich ihr nicht bloss die Geschicke der 
Menschen und VOlker, sondern sie schaute auch, da wir dem 
eddischen Gedichte VOluspa vertrauen und es nicht filr eine 
blosse Nachbildung sibylliriischer Prophetie halten, in die Zu- 
kunft der GOtter und der von ihnen gegriindeten Ordnung. 

Die Unholden und Druden haben schwerlich ahnliche 
Gesichte gehabt und verktlndigt, wie die nordische Wala 
jenes Gedichts. Erst als das Teufelswesen sie umspann, 
glaubte wohl manche der Frauen, die s£ch selbst ubernatarliche 
Krafte zutrauten, an VerrQckungen in das Reich des Teufels 
und meinte den Fttrsten der HOlle in seiner infernalen Urn- 
gebung zu schauen. 



i) Grimm, D. WGrterb. 2, 1453 if. Schmeller, Bayr. WOrterb. 
I 2 , 648 f. 

2 ) Sleigertuchl. 244, 14. In schlesischen Schriften des 16. und 
17. Jahrhunderts (so auch bei Andr. Gryphius) haufig. 

8 ) Wird wohl Besenbinderin bedeuten; Quast, Queste ist ein 
Laub- oder Zweigbuschel. 

5* 



68 



In den Himmel aber strebten die christlichen 
Seherinnen. Sie stehn auf dem festen Grunde des 
Kirchenglaubens. Ihre Seele aber verlangt nach dem persOn- 
lichen Schmecken und Schauen des GOttlichen und die 
Phantasie tragt sie auf den Flflgeln der theologischen Bildung 
ihrer Beichtvater in die Kammer des himmlischen Brautigams. 

Himmel und HOlle beschaftigen die christliche Ein- 
bildungskraft friih, und dass gerade die rege Phantasie 
asketischer Weiber in diesen Bildern sich gerne bewegte, 
ist nattirlich. Bonifaz berichtet (ep. 147) von einer englischen 
Nonne, welche sich in Gesichten fiber die Freuden des 
Himmels und die Qualen der HOlle erging und magnetische 
Aussagen tlber ihr ganz unbekannte Personen und Verhaltnisse 
machte. Die eigentliche Heimat dieser Gesichte von dem 
Lande der Verheissung und von der Welt der Seligen war 
Irland, von wo sich eine Yisionenlitteratur in das ubrige 
Abendland verbreitete. 

Besonders beliebt ward im 12. und 13. Jahrhundert die 
Vision des irischen Bitters Tundalus. Drei Frauen des 
St. Paulsklosters in Regensburg, Otageba, Heilka und Gisel, 
liessen sich eine Abschrift des lateinischen Buches von 
Tundalus machen, die ein Regensburger Geistlicher Alber 
dann in deutsche Verse iibertrug 1 ). 

Die erste grosse geistliche Seherin Deutschlands war 
die heilige Hildegard von Beckelheim (geb. 1098, gest. 1179), 
Abtissin des von ihr 1148 gestifteten Klosters auf dem 
Ruprechtsberge bei Bingen, eine geistreiche, erweckte und 
sehr gelehrte Frau. ' Sie hat einige Heiligenleben verfasst, und 
iiber Sprachliches, Medicinisches und Naturwissenschaftliches 
geschrieben 2 ). Ihr bedeutendstes Werk nach dieser Richtung 



2 ) Gedruckt bei K. A. Hahn, Gedichte des 12. und 13. Jahr- 
hunderts. Quedlinb. 1840, S. 41—66. Visio Tungdali, lateinisch und 
deutsch, von A. Wagner. Erlangen 1882. 

2 ) Ein Verzeichniss ihrer Schriften gab v. d. Linde in den Hand- 
schriffcen der k. Landesbibliothek in Wiesbaden 1—96. Eine Ausgabe 
der meisten gibt der 197. Band der Patrol. Christ, von Migne, mit 



waren die neun Bucher Physica, eine Zoologie, Botanik und 
Mineralogie. Aber in hOherem Ansehen als. hierdurch stund 
sie durch ihre Klugheit und Weisheit. In ihren Offenbarungen 
wurden ihr nicht bloss die himmlischen Zustande, sondern 
auch die weltlichen erOffnet. Wie eine christliche Weleda 
wirkte sie weithin. Mit zwei KOnigen und Kaisern (Konrad III. 
und Friedrich I.), mit mehreren Papsten, vielen BischOfen, 
Abten und Abtissinnen, stund sie in einflussreichem Brief- 
wechsel. Papst Eugen III. schatzte und approbirte ihre 
Schriften. 

Der persOnliche Verkehr mit Gott Oder Cbristus ist ein 
wesentliches Element der Enthullungen Hildegards. Derselbe 
erhalt seine Richtung durch die Ausdeutungen des Hohenliedes. 
Wie diese den Klosterfrauen besonders durch die Beichtvater 
vermittelt wurden, kann unter andern ein hiibsehes, noch 
dem 12. Jahrhundert-angehOriges Lehrgedicht zeigen, das in 
einer Adelnhauser Handschrift enthalten ist 1 ). 

Eine jungere Zeitgenossin Hildegards war die gleich ihr 
heilig gesprochene Elisabeth von SchOnau (geb. um 1129, 
gest. als Meisterin im Kloster SchOnau bei Oberwesel 1164), 
. deren Offenbarungen, Mahnreden und Briefe ihr Bruder Egbert 
(t als Abt von SchOnau 1184) aufgezeichnet und geordnet 
hat ? ). In drei Buchern Offenbarungen erzahlte Elisabeth ihr 
geistiges Leben in den Jahren 1152—1161, auf Bitten ihres 
Bruders und auf Befehl ihrer Oberen, auch durch einen Engel 
von Gott selbst dazu geheissen. An die Welt wendet sich ihr 
spaterer Liber viarum Dei, eine Reihe Busspredigten und 
ernster, selbst drohender Mahnungen, vorziiglich an die 



Einleitungen von F. A. Reuss. — Analecta S. Hildegardis opera 
spicilegio Solesmensi parata edid. Pitra. 1882. — Schmelzeis, Leben 
und Wirken der h. Hildegard. Freiburg 1879. 

a ) Gedruckt in den altdeutschen Blattern 1, 343—347. Das 
Benedictinerinnenkloster Adelnhausen lag damals vor Freiburg i. Br.; 
das Geb&ude ist spater zur Stadt selbst gezogen. 

2 ) Die Visionen der h. Elisabeth und die Schriften der Abte 
Ekbert und Emecho von SchOnau. Herausg. vonF. W. E. Roth. Brunn, 
1884. 2. A. 1886. Dazu Ph. Strauch in dem Anzeiger fiir deutsches 
Alterthum und deutsche Litteratur. Berlin 1886. Bd. XII, S. 25 ff. 



70 



Geistlichkeit, reich an poetischen Anschauungen und schOnen 
Bildern, oft von heiligem Zorn getragen. Ihr letztes Werk 
gab Erithflllungen fiber die h. Ursula und die eilftausend 
Jungfrauen. Elisabeths Werke wurden in vielen Handschriften 
verbreitet, und hatten auch schon im 13. Jahrhundert Einfluss 
auf verwandte Kreise in Norwegen und auf Island. 

Es kam dann das 13. Jahrhundert mit seinem Drange, 
ein neues, auf den innersten Menschen gebautes religiOses 
Leben zu schaffen. Die Ketzersecten, die darin wurzeln, das 
eifrige Wirken der neuen Orden der Franziskaner und Domini- 
kaner, die philosophische Bewegung unter den Theologen 
brachte frischen Sauerteig in das abendl&ndische Christen- 
thum und nicht zum wenigsten in Deutschland. Es kam eine 
epidemische religiose Erweckung unter die Weiber im Lim- 
burger Land und in Brabant: Christine von S. Trond (t urn 
1224),Margarethe vonIpern(1216 — 1237), Ludgardvon Tongern 
(tl246) 1 ) sind die bedeutendsten dieser begnadigten Frauen. 
Im obern Deutschland folgten die bayrischen Weiber nach, 
wie der Kegensburger Franziskanerdichter Lamprecht in seiner 
Tochter Syon (v. 2838 ff.) bezeugt 2 ). Es waren nicht die vor- 
nehmen und gebildeten, sondern Weiber aus dem niederen 
Volke, meist im Leben vorgerilckte, welche von der Ekstase 
ergriffen wurden. Lamprecht ruft darum aus: herre got, wa% 
Jcunst ist da$, da$ sich ein alt tvip ba$ verstet dan witzige 
man! Wir haben auch kurze Berichte von einer Dorfmagd 
und einer Mtillerin, welche durch ihr inneres religiOses Leben 
bekannt wurden und die Aufmerksamkeit der PredigermOnche, 
zum Gluck fur sie ohne Ketzergeruch erregten 8 ). 

Die Dominikaner waren es ilberhaupt, welche die ekstati- 
sche Bewegung unter den deutschen Frauen, besonders den 
geistlichen, unter ihre Pflege nahmen. In den KlOstern der 



1 ) Preger, Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter, 
S. 44—69. 

2 ) Vgl. meine Anmerkung hierzu in meinem Lamprecht von 
Regensburg, Paderborn 1880, S. 523. 

3 ) German. XVIII, 196 f. 



71 



Dominikanerinnen 1 ) und Benedictinerinnen, dann unter den 
Beginen fasste mystische Religiosity tiefe Wurzeln. Es sind 
thuringische und magdeburgische Nonnen, die sich nataentlich 
begnadigt zeigen: Mechthild von Magdeburg, Gertrud und 
Mechthild von Hackeborn, Gertrud von Helfta. 

Die geistig bedeutendste ist dieMagdeburgerMech- 
thild, in der man Dantes Matelda sieht*). Geboren 1212, 
entwich sie ihren Eltern, von Verlangen nach religiOsem Leben 
getrieben, um 1235 nach Magdeburg und ward Begine; ihr 
jungerer Bruder Baldewin ward Dominikaner in Halle. Von 
grosser Bedeutung ist fttr sie die Bekanntschaft mit dem 
Lector des Neuruppiner Dominikanerklosters, Heinrich von 
Halle, um 1256 geworden. Schon seit 1250 hatte sie begonnen, 
ihre Erfahrungen und Offenbarungen aufzuzeichnen ; ffinfzehn 
Jahre setzte sie das fort. Heinrich ordnete das Ganze und 
versah es mit einer Vorrede. Ein anderer Lector Heinrich hat 
nach Mechthilds Tode eine freie lateinische Ubersetzung ge- 
macht und in dieser Gestalt mag Dante Mathildes Offen- 
barungen kennen gelernt haben. 1270 ging sie in das 
Benedicterinnenkloster Helfta bei Eisleben, das unter der 
Abtissin Gertrud von Hackeborn stund. Sie fQgte hier ihren 
sechs Bttchern Offenbarungen ein siebentes hinzu. In Helfta 
ist Mechthild von Magdeburg um 1282 gestorben. 

Ihre Aufzeichnungen nannte sie ein fliessendes Licht 
der Gottheit. Es ward von ihr in ihrer niederdeutschen 
Muttersprache verfasst. Erst Heinrich von NOrdlingen hat es 
um 1344 in das Alemannische tlbertragen 8 ), worin wir es 



x ) Greith, Die deutsche Mystik im Predigerorden, Freiburg 1861. 

2 ) Purgator. XXXIII, 119. Bohmer im Jahrbuch der deutschen 
Dantegesellschaft III, 103 ff. Preger, Dantes Matelda, Munchen 1873. 
Lubin, La Matelda di Dante Allighieri. Graz 1860, suchte Dantes 
Matelda in Mechtild von Hackeborn. 

3 ) Preger in den Sitzungsberichten der Munchener Akad. der 
Wissensch. 1869. II, 151 ff. Offenbarungen der Schwester Mechtild 
von Magdeburg, herausgeg. von G. Morel. Regensb. 1869. Die latei- 
nische Cbersetzung findet sich zusammen mit dem liber specialis 
gratiae im 2. Band der Revelationes Gertrudianae et Mechtildianae. 
Pictavii (1877). . 



72 



kennen. In sieben Biichern enthalt es bunt durch einander 
die mannigfachsten Ergusse der geistreichen , dichterischen, 
vom Feuer der Gottesliebe durchleuchteten Nonne. Das 
mystische Grundthema der Brautschaft der Seele mit Gott 
klingt ilberall durch , und wird in den verschiedensten 
Variationen vorgetragen. Betrachtungen ilber das rechte 
Leben, scharfe Ermahnungen an Geistliche und Laien, Visionen 
von Himmel und HOlle und den letzten Dingen, alles was in 
langen Jahren vor die Erfahrung und das innere Gesicht der 
erweckten geist- und kenntnissreichen Jungfrau trat, sind in 
kurzeren und langeren Ausftihrungen , oft in regelloser 
poetischer Form, gewOhnlich sinnig und dichterisch, zuweilen 
auch mit stark hervorsprudelnder Kraft, die tlber weibliches 
Maass geht, ausgesprochen. Es ist ein merkwurdiges schOnes 
Denkmal des deutschen geistlichen Frauenlebens in dem 
13. Jahrhundert 1 ). 

Das Kloster Helfta bei Eisleben, in das sich Mechthild 
von Magdeburg zuriickzog, war durch seine Abtissin Gertrud, 
aus dem edlen thuringischen Geschlecht vonHackeborn 2 ), 
zu einer Statte geistlichen Lebens und gelehrter Frauenbildung 
erhoben worden. Gertrud forderte von den Nonnen Lernen 
des Lateins, fortdauernde Beschaftigung mit der heiligen 
Schrift und Versenken in inneres religiOses Leben. Die Biblio- 
thek vermehrten fleissige klOsterliche Schreiberinnen. Die 
Meisterin Mechthild von Wippra stund der Abtissin treu zur 
Seite. Durch vierzig Jahre waltete Gertrud von Hackeborn 
segensreich ihres Amtes (t 1292). 

Ihre zehn Jahre jiingere Schwester Mechthild von 
Hackeborn war bereits mit sieben Jahren in das Kloster 
aufgenommen und von ihrer Schwester erzogen worden. Friih 
wurden ihr viel Offenbarungen zu Theil. Zur Aufzeichnung 
derselben kam es aber erst nach dem Tode der Abtissin Ger- 
trud wahrend langerer Krankheit Mechthilds durch zwei Mit- 



! ) Vgl. auch Preger, Geschichte der deutschen Mystik I, 91—112. 
Ph. Strauch, Allgem. deutsche Biographie 21, 154 f. und in der Zeit 
schrift fur deutsches Alterthum 27, 368 f. 

2 ) Preger in der Allgem. deutschen Biographie 9, 73. 



73 



schwestern, deren eine wahrscheinlich die jungere Gertrud 
gewesen ist. Nach Mechthilds Tode (19. November 1299) liess 
die Abtissin Sophia von Querfurt das anfangs ohne Mitwissen 
der Urheberin lateinisch niedergeschriebene und vor ihrem 
Scheiden noch durchgeseheneWerk, den Liber specialis gratiae, 
verOffentlichen. Er fand grosse Verbreitung. Noch im 16. Jahr- 
hundert ward er lateinisch und in deutscher Bearbeitung 
(Buch geistlicher Gnaden) Ofter gedruckt. Ihre prophetischen 
Gaben, ihre Klugheit und ihr liebreiches Wesen hatten Mechthild 
von Hackeborn schon bei Lebzeiten weithin Verehrung ver- 
schafft 1 ). 

Die Freundin Mechtilds von Hackeborn, die Nonne 
Gertrud von Helfta, auch die grosse Gertrud genannt 
(geb. 1256), war im Kloster Helfta von frilher Jugend an 
ganz in der gelehrten und frommen Zucht der Abtissin Gertrud 
von Hackeborn aufgewachsen. In ihrem funfundzwanzigsten 
Jahre ward sie zu innerem Leben erweckt. Sie ward ebenso 
eine begeisterte Lehrerin der heiligen Schrift als eine hoch- 
begabte Empfangerin und VerkQnderin vision^rer Erlebnisse, 
die in ihrem Legatus divinae pietatis (dem sogenannten Ger- 
trudenbuche) , den sie 1289 aufzuzeichnen begann und den 
eine Freundin fortsetzte, geschildert sind. SchOne Gebete ent- 
halten die Exercitia spiritualia 2 ). Sie scheint um 1301 ge- 
storben zu sein. Im 17. Jahrhundert ist sie heilig gesprochen 
worden. 

Was das 13. Jahrhundert begonnen, setzte das 14.' Jahr- 
hundert fort. . Wir kennen aus dieser Zeit eine Reihe ober- 
deutscher und schweizer NonnenklOster von ekstatischem 



1 ) Ph. Strauch, Allgem. deutsche Biographie 21, 156 f. und in 
der Zeitschr. f Or deutsches Alterth. 27, 376 f. — Der latein. Text des 
Liber spec. grat. zuletzt gedruckt in den Revelationes Gertrudianae 
et Mechbildianae. II. Pictavii 1877. 

2 ) S. Gertrudis Magnae Legatus divinae pietatis. Accedunt 
ejusdam Exercitia spiritualia. Opus nunc primum integre editum 
Solesmens. monachorum cura et opera (Bd. I der Revelationes Ger- 
trudianae ac Mechtildianae), Pictavii 1875. — Preger, Geschichte der 
deutschen Mystik I, 74 ff. Strauch in der Zeitschrift fur deutsches 
Alterth. 27, 373. 



7* 



Geiste erfttllt: Adelnhausen zu Freiburg i. Br., Unterlinden zu 
Kolmar, Katharinenthal im Thurgau, Toess bei Winterthur, 
Diessenhoven, Otenbach in der Schweiz, ferner Wiler bei 
Esslingen, Medingen bei Dillingen und Ebenthal in Franken. 

In Toess lebte als Dominikanerin Elsbeth Stagel aus 
Zflrich, die geistliche Tochter Heinrich Seuses, des tief- 
poetischen Epikers der Gottesminne. Ihrer Aufzeichnung nach 
seinen mflndlichen Mittheilungen und nach den Briefen, welche 
er ihr schickte, verdanken wir das erste Buch des sogenannten 
Exemplares Seuses 1 ), worin „die heilige, erleuchtete Person, 
die gar mtihselig und leidend war in dieser Welt", wie Seuse 
die Elsbeth nannte, das Anfangen und Zunehmen seines geist- 
lichen Lebens beschrieb. Seine Briefe sammelte sie besonders *), 
diese Zeugnisse der liebreichsten Wirksamkeit eines hochbe- 
gabten Seelsorgers. 

Dasselbe Verhaitnis wie zwischen Seuse und Elsbeth 
bestund zwischen Heinrich von NOrdlingen und Margarete 
Ebner. Heinrich warWeltpriester, Freund Seuses und Taulers 
und pflegte den Verkehr durch Wanderungen und Briefe unter 
den Erweckten. Er sah namentlich auch in der Einwirkung 
auf begnadigte Frauen seine Aufgabe. Um 1344 ubertrug er 
das Fliessende LichtMechthilds von Magdeburg aus dem Nieder- 
deutschen ins Oberdeutsche. — Margarete Ebner (geb. 1291, 
t 1351) war Nonne im Kloster Maria Medingen bei Dillingen 
inSchwaben und gehOrte vielleicht dem Nurnberger Geschlechte 
der Ebner an. Ihre Beziehungen zu Heinrich bezeugen die 



J ) Die deutschen Schriften Heinrich Seuses, herausgegeben 
von P. Denifle. I, S. XVII. 

2 ) Seuse vernichtete zwar seine Handschrifb der vollen Samm- 
lung, nachdem er fur das vierte Buch seines Exemplars (Denifles- 
Ausg. I. 573-623) einen Auszug gemacht hatte. Da aber mehr 
Handschriften vertheilt waren, ist jenes ursprungliche Briefbuch nicht 
untergegangen. Einige Handschriften sind aus dem vollstandigen 
und dem gektirzten Briefbuche gemischt, so die, welche Preger fur 
seine Ausgabe: Die Briefe H. Seuses (Leipz. 1867) benutzte. VgL 
Denifle in Haupts Zeitschr. fur deutsches Alterth. XIX, 346-371. 
XXI, 89—142. ftber Elsbeth Stagel auch Ph. Strauch in der Allgem. 
deutsch. Biographie, Artikel Suso. 



75 



Brief e desselben 1 ) an seine geistliche Tochter; ausserdem sind 
ihre Aufzeichnungen tlber ihr eigenes inneres Leben erhalten. 

Als Margareta starb, ging Heinrich, der Zeuge ihres 
Todes war, nach dem fr&nkischen Kloster Engelthal, wo die 
berOhmte Nonne Christine Ebner lebte*). Dieselbe (geb. 
1277) war als Kind in jenes Kloster gegangen, von innerster 
Sehnsucht getrieben, wie wir es bei Mechthild von Hackeborn 
und Gertrud von Helfta sahen. Sie hatte sich den strengsten 
asketischen Ubungen ergeben und hatte seit dem funfzehnten 
Jahre Gesichte gehabt, deren Mittelpunkt nattlrlich ihre Braut- 
schaft mit Jesu ist, die sie im Styl des Hohenliedes filhlt und 
schildert. Allm&hlich verbreitete sich der Ruf von ihr, sie 
ward eine berilhmte Begnadigte. Die Geisler kamen und sie 
musste zu ihnen von dem Herrn reden; 1350 kam KOnig 
Karl IV. mit vielen Grossen nach Engelthal und liess sich 
von ihr segnen. Ende 1351 suchte Heinrich von NOrdlingen 
sie auf und sie hatte in seiner Gegenwart viele Entztlckungen 
und Offenbarungen. Der ekstatische Zustand dauerte bis in ihr 
76. Jahr. Sie starb am 27. December 1355, dem Tage, der 
ihr schon in ihrer Jugend als Todestag verktindet worden war. 
Tagebuchartig hat sie ihr inneres Leben bis in ihr hohes Alter 
beschrieben "). 

Unter den nicht wenigen erweckten Dominikanerinnen 
von Engelthal, tlber welche das Btichlein von der Gnaden 
LTberlast chronikartig berichtet, zeichnete sich auch Adelheid 
aus dem Langemannschen Geschlecht von Nilrnberg aus. 
Sie war jtlnger als Christine Ebner und starb 1375. Ihr 
Bericht tlber die Wunder, die Gott an ihrem Leben gewirkt 



!) Heumann, Opuscula, S. 331 ff. 351—404. Ntirnberg 1747. Dazu: 
Preger in der Zeitschr. f. hist. Theol. XXXIX, 79 ff. 

2 ) Der tlberlieferung nach war Christine eine altere Schwester 
der Margarete. Die Verwandtschaft hat sich aber bis jetzt nicht 
erweisen lassen: Lochner, Leben und Gesichte der Christine Eb- 
nerin. Ntirnb. 1872, S. 7. 

8 ) Auszugsweise herausgegeben von Lochner, vgl. vorige An- 
merkung. Es wird ihr auch das Buchlein „der Nonne von Engel- 
thal Buchlein von der Gnaden ftberlast" (herausg. von C. Schroder, 
Tubingen 1871) von manchen zugeschrieben. 



76 



und iiber die Gesichte, die sie hatte '), bewegt sich ziemlich in 
gleicher Weise wie die Lebensbeschreibung ihrer Mitschwester. 
Ihr geistlicher Freund war Abt Ulrich von Kaisheim, des 
Cistercienserordens, ein Freund Heinrichs von NOrdlingen und 
Taulers. 

In verwandter Art werden sich die bis jetzt ungedruckten 
Visionen und Tagebflcher der Dominikanerinnen von Katha- 
rinenthal bei Diessenhofen, Otenbach in Zttrich, Wiler und 
der Clarissin Magdalena von Freiburg halten 2 ). Denn das Ver- 
langen des Gemtithes, sich in persOnlichen Verkehr mit Gott zu 
setzen, ist tlberall das gleiche. Die Wege, auf denen die Seele 
die Vereinigung mit dem himmlischen Brautigam sucht und 
findet, waren von S. Bernhard, von Hugo und Richard von 
S. Victor und von den anderen grossen mystischen Theologen 
des 13. und 14. Jahrhunderts gewiesen. Die Vermittelung 
dieser Kenntniss tibernahmen die geistlichen Berather jener 
Frauen 8 ) und es verbreitete sich jene entzuckte und aber- 
schwengliche Stimmung des inneren Menschen, in welcher 
die Gottesminne die ganze Natur tiberw&ltigte und das Uber- 
irdische mit alien Sinnen wahrgenommen ward. 

Angedeutet mag nur werden , dass die Frauen in den 
mannigfachen ketzerischen Secten des 13. und 14. Jahr- 
hunderts gewOhnlich stark vertreten waren. Auch die Be- 
ginen 4 ), jene niederdeutschen barmherzigen Schwestern ohne 
Ordensgeliibde, kamen in den Verdacht, viele unter sich 
zu haben, die vom rechten Glauben abgewichen seien. Der 



a ) Die Offenbarungen der Adelheid Langemann, herausgeg. von 
Ph. Strauch. Strassburg 1878. 

2 ) J. Baechtold, Geschichte der deutschen Litteratur in der 
Schweiz. Frauenfeld 1887, S. 213 ff. 

8 ) Predigten und Abhandlungen mystischen Inhalts sind nicht 
selten an geistliche Frauen gerichtet: W. Wackernagel, Altdeutsche 
Predigten und Gebete. Basel 1876, S. 381. 

4 ) Von Lambert Beghe (t 1187) in Liittich gestiftet. — Mos- 
heim, de Beghardis et Beguinabus, Lips. 1790. Hallmann, Gesch. des 
Ursprungs der belgischen Beghinen. 1842. Seibertz, Beghinen und 
Begharden in Westfalen (Anzeiger fur Kunde deutscher Vorzeit, 
Ntirnberg 1863, S. 313 ff). 



77 



Grund liegt in dem auch unter ihnen sich aussernden Ver- 

langen nach einem moglichst personlichen Verhaltniss zu Gott '). 

Die folgenden Jahrhunderte entbehren der Prophetinnen 

und der Begnadigten nicht.. Auch bei diesen spateren „gott- 

seeligen Jungfrauen" bricht die brautliche Stimmung hervor; 

tiefsinnige Spruche gehn den Weissagungen uber die Ereig- 

msse m Staat und Kirche und Qber die letzten Dinge gerade so 

zur Seite als bei den Mechthilden und Gertruden des 13. Jahr- 

hunderts. 

Das sanctum et providum ist in den deutschen Frauen 
^eriOschenden Mittelalter noch nicht erloschen. 

h.,nH H Der Erfilrter Satyriker Nicolaus von Bibra (Ende des 13. Jahr- 
auna erts) sagt von ihnen v. 1626: accidit hoc quod earum quedam 

vocafcKunf™ ^ TOl rapiuntur ut ^deant Christum: vulgus jubilum 



Vierter Abschnitt. 



Das Madehen. 

Von den GOttinnen und weisen Frauen treten wir 
hinein in den Hausraum der Wirklichkeit. Dort wandelten 
wir unter Gestalten religiOser Verehrung und begeisterter 
Erhebung ttber das Menschliche; von hier ab verkehren wir 
mit der Frau unter der Lust und Last des Lebens, mit dem 
Madehen, der Gattin, der Mutter. Wir begleiten sie von der 
Wiege durch die Jahre der Jugend und Liebe in die Zeiten 
der Sorge und des Verarmens, wir winden ihr den brautlichen 
Blumenkranz und reichen ihr den Witwenschleier. 

Die dunkle Seite der Stellung des Weibes, seine sachliche 
Bedeutung im Alterthum, bildet die Grundlage dieser Ver- 
haltnisse. KOnnten wir tiefer hinab in die Vorzeit unseres 
Volkes dringen, so wurden der Beweise noch mehr werden, 
dass auch bei den Germanen das Weib einmal jene tiefe 
Stellung einnahm, in der es bei alien VOlkern auf niedriger 
Bildungsstufe erscheint. 

In dem Alterthume trat der Einzelne hinter die Gesammt- 
heit zurflck. Wie selbst die Dichtkunst nicht als eine Gabe 
zu Lust und Nutz des Einzelnen gait, sondern der Dichter 
nur der Mund schien, durch welchen der Volksgeist seine 
Poesie ausstrOmen liess, so war auch in alien tibrigen Ver- 
haltnissen die Gesammtheit der lebendige Quell, aus dessen 
Fluth der Einzelne bald Leben bald Tod schOpfte. Das Leben 
des Einzelnen hat in solchen Zusttaden keine hohe Bedeutung, 
sondern wenn die Gesammtheit es zu vernichten beschliesst, 
so muss es erlOschen. Dem Staate, der auf der Manner 
Starke gebaut war, musste daran liegen, diese sich zu 
wahren; darum tritt ilberall im Alterthume das Streben 



79 



hervor, einen schwachlichen Nachwuchs zu unterdrucken 
und jedem freien Vater wird das Eecht ertheilt, schwache 
Knaben bald nach der Geburt auszusetzen. Das Leben der 
Madchen war vOllig dem Gutdiinken des Vaters tlberlassen. 
Diese allgemeinen Bemerkungen sind auch filr die 
Germanen als richtig anzunehmen. Wir raumen damit jener 
Mittheilung des Tacitus, dass die Zahl der Kinder irgend zu 
beschranken, unter ihnen filr verbrecherisch gelte (Germ. 19), 
nur eine bedingte Wahrheit ein 1 ). Auch bei den Germanen hat 
es einst als Eecht gegolten, die Kinder auszusetzen 2 ). Als 
gewOhnlicher Anlass erscheinen Theuerung und Hungersnoth. 
Namentlich die islandischen Zustande sind uns deutlich. Die 
Unfruchtbarkeit der Insel machte es zur strengsten Pflicht, 
die Entstehung eines Proletariates zu verhtlten. Die Mittel, 
die man ergriff, waren streng und hart wie die Natur und 
die Menschen der Insel. Bei einer Hungersnoth ward einraal 
beschlossen, alle Alten und Erwerbsunfahigen zu todten 
(Fornmannas. 2, 225) 8 ). Mit gutem Kechte waren aber die 
Ehen der Armen der gesetzlichen Ftirsorge unterworfen. 
Heiraten sich zwei, die nicht ein bestimmtes Maass des Ver- 
mOgens nachweisen kOnnen, und die Ehe ist fruchtbar, so 
mttssen sie sammt den Kindern aus dem Lande; ja sogar 
der gesetzliche Verlober der Frau und der, in dessen Haus 
der Brautkauf vor sich ging, werden verbannt, wenn nicht 



!) Kiinstliche Beseitigung der Frucht wird in den Volksrechten 
an denen, welche den Trank gaben, im Salischen Recht (19, 4. 
Cod. 5) mit hoher Geldbusse, im bayrischen Gesetz mit Verlust der 
Freiheit (VIII. 18), im westgotischen Recht mit dem Tode (VI. 3, 1) 
bestraft. 

a ) Grimm, Rechtsalterthumer 455—460. K. Maurer, die Wasser- 
weihe des germanischen Heidenthums, S. 10 fF., 71 f. Bekehrung 
des norwegischen Stammes 1, 433. 2, 181. f. 2, 273. 275. Weinhold, 
Altnord. Leben. Berlin 1856, S. 260 f. 

8 ) Dieser Beschluss hangt mit der Sitte zusammen, die sich 
aus dem Alterthum aller V61ker nachweisen lasst: vgl. u. a. P. Sar- 
tori, Alten- und Krankentodtung in Andrees Globus LXVEI. Nr. 7, 8. 
Rud. Steinmetz, Endokannibalismus in d. Mittheil. der Anthropolog. 
Gesellschaft in Wien XXVI, 1-60. (1896). 



80 



jener die Emahrung der Kinder ubernimmt. Das Paar darf 
erst zuruckkehren, wenn es das bestimmte VermOgen nach- 
weisen kann, und die MOglichkeit fernerer Vermehrung ver- 
schwunden ist (Grag&s Festath. 12). Uber die Erhaltung der 
erwerbsunfahigen Oder verarmten Glieder einer Familie fanden 
sich ebenfalls genaue Bestimmungen , die alle darauf aus- 
gingen, dem Staate die Last einer Armenernahrung zu er- 
sparen, und naturlieh jeden darauf denken liessen, sich keine 
Familienarme irgendwie heranzuziehen. 

Als im Jahre 1000 auf Island das - Christen thum durch 
Beschluss der allgemeinen Volksversammlung angenommen 
wurde, war die Annahme von der Minoritat an die zwei Be- 
dingungen gekntipft, nach wie vor Pferdefleisch essen zu 
dOrfen, und die Kinder wie im Heidenthum aussetzen zu 
kOnnen. Bald jedoch ward die letztere Forderung beschrankt 
und nur die TOdtung ganz verlassener und verwaister Kinder 
gestattet. In den skandinavischen Landern ward bald mit 
der staatlichen Einfuhrung des Christenthums das Kinder- 
aussetzen ohne alle Ausnahmen bei Friedens- und VermOgens- 
verlust oder Landesverweisung verboten 1 ). Die Sorge fur 
die mutterlosen und ganz armen Kinder wurde der Landschaft 
ubertragen (Frostath. 2, 2. Biarkeyjarr. c. 3.) Ubrigens ward 
auch auf Island schon in der letzten heidnischen Zeit das 
Gefuhl milder, und selbst den UnvermOgenden wurde es 
verargt, wenn sie die Kinder aussetzten (Gunnlaugs s. c. 
3. Fornmannas. 3, 111). 

Ausser der Armuth konnte noch anderes zu dem harten 
Verfahren bestimmen. Wie bei anderen VOlkern waren oft 
Traunie der Anlass, ein Kind, von dem sie Unheil verkundeten, 
auszusetzen. Der Islander Thorstein, Egils Sohn, ein reicher 
Mann, traumte, seine Frau solle ein Madchen gebaren, das 



2 ) Es ward dabei zwischen der Todtung ungetaufter und ge- 
taufter Kinder insofera unterschieden, als die Strafe fur die Beseiti- 
gung eines ungetauften Kindes durch das halbe Wergeld des Kindes 
und eine Geldbusse an den Bischof abgekaufb werden konnte. 
K. Magnus Erlingsson hub den Unterschied auf; K. Maurer, Wasser- 
weihe 71. 



81 



viel Ungluck bereiten werde. Als die Zeit der Niederkunft 
naht und er zur grossen Volksversammlung reisen muss, 
befiehlt er seiner Frau J6frid, wenn sie ein Madchen gebaren 
sollte, es auszusetzen. Sie entgegnet ihm aber, dass solches 
fur ihn eine Schande und Thorheit sei, da er selbst reich sei 
und auch reiche Verwandte habe. Da sie nun in seiner Ab- 
wesenheit eines schOnen Madchens genest, braucht sie eine 
List, indem sie dem bestimmtenWillen des Mannes nicht offen 
zu trotzen wagt. Sie lasst den Befehl nur scheinbar ausfuhren; 
Helga bleibt am Leben und durCh ihre SchOnheit erfullt sich 
des Vaters Traum. Davon erzahlt die anziehende Geschichte 
des Skalden Gunnlaug Schlangenzunge. — Sehr erklarlich ist 
die Ausfuhrung der alten Sitte, wenn von der Familie eine 
Schmach abgewendet werden sollte, die ihr durch die Geburt 
eines Kindes drohte. Nicht selten war auch das Kinder- 
aussetzen ein Mittel zur Rache, dessen sich leider selbst die 
Mfltter gegen die Vater des Kindes bedienten. Eine Islanderin 
beschloss aus Wuth daruber, dass ihr Mann AsbiOrn eine 
Tochter ohne ihr Mitwissen verlobt hatte, keine Kinder mehr 
aufzuziehen und liess ihr n&chstes Kind kussetzen. Sie erklarte • 
dem verzweifelten Vater nach der That, sie wolle keine Kinder 
erziehen, die gegen ihren Willen weggegeben wilrden (Finn- 
bogas. c. 2). 

Ohne weiteres durfen wir annehmen, dass das Aussetzen 
vorzuglich die Madchen traf, da es den Armen immer leichter 
ward, einen Knaben aufzuziehen. Auf den SOhnen ruht das 
Leben und die Hoffnung des Hauses, in ihnen winkt den Eltern 
die Aussicht auf vermehrte Ehre oder auf spatere Erleichterung 
ihrer Lage. Die Madchen, ttber deren Geburt sich in Volks- 
gebrauchen weit wenigerFreude bekundet als ilber die Knaben 1 ), 
konnte das harte Geschick schon dann treffen, wenn in der 
Familie keine oder nur wenige SOhne und viel TOchter ge- 
boren wurden. Einen Beleg dafttr gibt die Lebensbeschreibung 
des heiligen Liudger. Liafburh, Liudgers Mutter, war als neu- 



l ) J. Grimm, Deutsche Kechtsalterth. 403. Rochholz, Ale- 
mannisches Kinderlied und Kinderspiel 281. 

Weinhold, Deutsche Frauen. I. 6 



gebornes Kind in grOsster Lebensgefahr, denn ihre Grossmutter 
war in Zorn, dass sie lauter Enkelinnen und keinen Enkel 
erhielt. Sie gab also den Befehl, das Kind ins Wasser zu 
werfen *). Allein eine mitleidige Xachbarin zog es zeitig genug 
heraus und fltichtete es in ihr Haus, wo sie Zeit gewann. ihm 
etwas Honig auf die Lippen zu traufeln. Xun war das Kind 
gerettet ; denn sobald ein Kind Speise genossen, war es nach 
heidnischem Satz unerlaubt, dasselbe zu todten (Pertz Scr. 2, 
406). Im heidnischen Xorwegen und auf Island durfte kein 
Kind, das bereits niit Wasser benetzt war und einen Xamen 
erhalten hatte, ausgesetzt werden*). 

Trotz der Yerbote der weltlichen Gesetze und der Kirche 
erlosch ubrigens weder im Norden noch in Deutschland die 
Kinderaussetzung ganz. Es gab ja stets Yerhaltnisse. in denen 
die Geburt eines Kindes unbequem oder von Nachtheilen be- 
gleitet, geradezu auch verderblich erschien, und die Aussetzung 
blieb dann immer noch milder als der Mord. Man hoffte, dass 
die ausgelegten, ausgesetzten Kinder, die fun t kin t (fundelkint, 
fundelinc), wozu sie wurden, falls man sie fand. die Barni- 
herzigkeit erwecken wurden. In der Legende (Judas Ischariot, 
Gregor auf dem Steine, Albanus) und in dem Heldenepos 
(Wolfdietrich) begegnen wir solchenFindelkindei*n, denFruchten 
ungesetzlicher Yerbindungen 3 ). 

Einem glucklichen Zufall und der Milde der Finder blieb 
das Leben der armen Yerstossenen uberlassen. Zogen sie den 
Findling auf ; so gehOrte er ihnen durchaus zu eigen; wenn 
sie ihm kein andres Recht gaben, als HOriger. Im Schwaben- 
spiegel findet sich die Bestimmung: wer ein Kind aufhebt, 
das seine Eltern ausgeworfen haben, und es erzieht, bis es 
stark geworden, dass es dienen kann, dem muss es dienen, 
weil er ihm zu seinem Leben geholfen hat. Erhoben spater 
seine Eltern oder der Herr, dessen Eigenleute die Eltern waren, 



a ) Nach altfiies. Recht (1. Fris. Y, 1) war die Todtung eines 
Kindes durch seine Mutter unmittelbar nach der Geburt straflos. 

2 ) K. Maurer, AVasserweihe 71. Weinhold, Altnord. Leben 261. 

3 ) Cber Sagen von ausgesetzten Kindern Grimm, Rechts- 
alt. 455. 



8a 



Ansprtiche auf den Findling, so musste dem Findelvater 
mindestens das Kostgeld ersetzt werden 1 ). 

Erst in den aufbluhenden St&dten wurden Stiftungen 
fur die ausgesetzten Kinder gemacht, wie es scheint, zuerst 
im 14. Jahrhundert. Die Kinder wurden gewohnlich vor die 
Klrche oder vor das Rathhaus gelegt, vor die Hauser der 
Gteistlichen, auch vor ein Nonnenkloster, und wo Findelhauser 
waren, vor diese. Ihr Leben schien damit der aussetzenden 
Mutter gesichert. Aber es war auch sehr verlockend, nament- 
lich fur leichtfertige und gewissenlose arme Mutter geworden, 
sich eines Kindes zu entledigen, ohne es zu todten. Der Baseler 
Rath sah sich deshalb zu Anfang des 15. Jahrhunderts zu 
dem Beschluss genothigt: welch frow das hinnantfur tftt und 
sich das erfindet, das man die in den Ein werfen sol 2 ). 

Die Aussetzung blieb immer die Ausnahme, die Regel 
war, dass das Kind in das Leben hinein wuchs, in das es 
geboren war. 

Die Niederkunft der Mutter geschah in altester Zeit 
meist auf dem Fussboden des Hauses, das eben nur einen ein- 
zigen, von den Wanden und dem Dach umschlossenen Raum 
hatte, daher noch die spatere Rechtsbestimmung stammt, dass 
das Kind als lebend zurWelt gekommen gait, das die vier 
Wande und das Dach beschrieen (angeschrieen) hatte. Da lag das 
Neugeborene, bis der Yater es aufheben liess und damit in 
seinen Schutz und in die Sippe aufnahm. Der Xame Hebamme 3 ) 
stammt wohl von diesem Brauche und bezeichnet wahrschein- 
die Helferin, die das Auflieben und dann auch das sich an- 
schliessende Baden besorgte, woher sie auch (seit dem 15. Jahr- 
hundert) padmueter, Bademutter, Bademume hiess. Im Pinzgau 
im Lande Salzburg war es noch am Ende des 18. Jahrhunderts 
Sitte, dass nach dem starkenden Mahle (eine Eierspeise und 

J ) Schwabenspiegel, Landr. 298 (Wackernagel). Im Sachsen- 
spiegel ist nichts davon enthalten. 

2 ) Baseler Rechtsquellen 1, 111. 

8 ) ahd. hefianna, hevanna, mhd. hevamme, heueamme, hebemuoter, 
hevemuter, nl. hevemoeder. 

6* 



84 



ein Glas Branntwein), das die WOchnerin gleich nach der 
Geburt erhielt, das nackte Kind eine Viertelstunde, auch wohl 
langer, ilber ein ausgebreitetes Tuch auf den Fussboden ge- 
legt ward 1 ). Den Brauch, das neugeborene Kind sofort unter 
die Stubenbank zu legen, bezeugt Kochholz aus der Schweiz *). 

In aitester Zeit war das erste Bad des jungen Menschen 
nicht warm. Aristoteles hatte gehOrt, dass viele BarbarenvOlker 
die Kinder gleich nach der Geburt in kaltes Flus^wasser 
tauchten, und der Arzt Galenus (2. Jahrhundert n. Chr.) nennt 
ausdriicklich die Germanen als solche, welche diesen grausamen 
Brauch tlbten 8 ). Weil es eine Sitte war, muss sie auch einen 
festen Namen gehabt haben,' wahrscheinlich daupjan, tauchen, 
womit Wultila auch ohne Scheu die christliche Taufe, das 
(iaitzlZsiv ubersetzte. Auch die westlichen Deutschen behielten 
dOpjan, toufan dafur nach ihrer Bekehrung und liessen es 
durch kein kirchliches Wort, wie bei anderen Kulthandlungen, 
verdr&ngen. 

Die erste Nahrung erhielt das Kind naturgemass an der 
Mutterbrust. Auch Honig dem Neugeborenen auf die Lippen 
zu traufeln war uralte Sitte 4 ). Das Kind, das Nahrung ge- 
nossen, durfte nicht mehr getodtet werden. Den Abschluss 
der Aufnahme unter die Menschengemeinde machte dann die 
Namengebung; dadurch ward das Kind zur PersOnlichkeit 
und das halbe Wergeld (Mannbusse), das ihm das Gesetz 
zuerkannte, erhub sich nun zum ganzen. Nach den Angaben 
im salischen und ribuarischen Gesetz und auch nach dem 
alemannischen Recht 5 ) geschah die Namengebung innerhalb 
der ersten neun Nachte. . 



: ) L. Hiibner, Beschreibung des Erzstiftes und Reichsfiirsten- 
thums Salzburg 2, 694 (Salzburg 1796). 

2 ) Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel 279 f. 

3 ) MtillenhofF im Anzeiger f. deutsch. Alterth. 7, 408. 

4 ) Grimm RA. 457. A. Kuhn, Herabholung des Feuers 137. 

5 ) 1. Sal. 24, 4. 1. Ribuar. 36, 10. Pact. Alam. 2, 31. 1. Alam. 
Hloth. 79. — An den lange erhaltenen Scherz: Die Schwaben lagen 
die ersten neun Tage blind, an den rOmischen dies lustricus am 
neunten Lebenstage, sei nur erinnert. 



85 



Bei den Nordgermanen dagegen schloss sich diese Hand- 
lung unmittelbar dem Begiessen des Kindes mit Wasser 
(ausa barn vatni), also dem ersten Bade an 1 ). In Skandinavien 
trat sonach der Neugeborene sehr rasch nach dem Eintritt 
in das Leben auch in sein voiles Wergeld ein. 

In der Eegel wird der Vater als geborener Vormund 
dem Kinde den Namen gegeben haben. Es war immer nur 
ein einziger Name. Dass er sich dartlber zuweilen mit seiner 
Frau oder den Verwandten berieth, ist bei der Bedeutung, die 
unsere Vorzeit mehr als die Gegenwart den Namen beilegte, 
erklarlich. Auch ist, in Skandinavien wenigstens, die Namens- 
gebung mitunter einem andern anwesenden Manne als Ehren- 
bezeigung tiberlassen worden 5 ). 

Der gegebene Name ward nicht aufs Geratewohl oder 
nach irgend einer Liebhaberei gewahlt, sondern haupts&chlich 
mit der Rucksicht, die verwaridtschaftlichen Beziehungen 
anzudeuten. Da es in der langsten Zeit des Mittelalters noch 
keine erblich gefilhrten, den Einzelnamen stetig zugefugten 
Familiennamen gab, die erst seit dem 12. Jahrhundert sehr 
allmahlich und auch landschaftlich beschrankt Eingang fanden, 
so war jene Rucksichtnahme um so wicr\£iger. 

Man hatte verschiedene Weisen, die Verwandtschaft in 
den Namen zu bezeichnen 8 ). Eine sehr alte, in unseren altesten 
Namen bereits sparlich erscheinende, war die Abwandlung 
der Namen durch Ablaut: der Vocal des Namens erschien 
entweder gesteigert oder geschwacht. Die Mutter z. B. hiess 
Ada, die Tochter Oda (Uota), die Mutter Adalhilt, die Tochter 
Uodalhilt, die Mutter Baba, die Tochter Buoba. 

Ebenfalls alt war die Bindung der Namen der G-e- 
schlechtsgenossen durch den gleichen Anlaut, also den Stab- 



x ) K. Maurer, tTber die Wasserweihe des germanischen Heiden- 
thums. S. 5. ff. 

2) Weinhold, Altnord. Leben 262. Maurer, Wasserweihe 8. 

s ) Mone in seinem Anzeiger filr Kunde t. Yorzeit V, 104 — 107. 
Weinhold, Altnord. Leben 264—269. Stark, Kosenamen der G-er- 
manen 161 f. 



8(3 



reim- So ist Thusnelda mit dem Sohne Thumelicus gebunden, 
eine Mutter Atha mit der Tochter Abba (769. Cod. Lauresh. 
I. 110), eine Mutter Waltpurc mit dem Sohn Wolfcrim (861. 
Herrgott geneal. austr. dipl.). Es genttge nur noch, an die 
allitterirenden Namen der BurgundenkOnige Gibich, Gilnther, 
Gemot, Giselher, und an Hildebrand mit dem Sohn Hadu- 
brand zu erinnern. 

Auch ward voller vocalischer Reim gebraucht. In einer 
frankischen Urkunde von 635 (Pardessus n. 270) flnden sich 
die BrQder Ado Dado Rado, auf Island die Briider Gaukr 
und Haukr (Halfdans. Eysteinson. c. 27). 

Die Namen enthielten ferner im ersten Oder im zweiten 
Theil der Composition denselben Wortstamm: 

In dem mythischen Welsungengeschlecht ging das 
bedeutungsvolle sigu durch die Namen hindurch: von Sigi 
dem Odinssohn, nach skandinavischer Sagentlberlieferung, 
stammen die Urenkel Sigmund und Signy. Signy ist mit 
Siggeir vermahlt, Sigmunds Sohn ist Siegfried, Sigurdr. In 
den letzten Gliedern der ostgotischen Amalungen klingt 
theuda (diet, das Volk) (lberall durch : des grossen Theuderich 
Tochter war Theudagotho, sein Neffe Theudat, dessen Kinder 
Theudanantho und Theudagisil hiessen. Diese Art, die Bluts- 
verwandten durch einen Namen zu verbinden, war im SUden 
und Norden Germaniens verbreitet. Ich will nur wenige 
Belege aus Deutschland anfuhren : eine Mutter hiess Deotwich, 
die Tochter Deotswind; der Vater Isanhart, die Tochter 
Isanpirig; der Yatersbruder Wuldarrich, die Nichte Wuldarniu; 
der Vater Ilprant, die Tochter Ilpurg. Auf diesem Wege 
sind nicht wenig zusammengesetzte Namen entstanden, die 
an sich keinen rechten Sinn geben. 

Die Ubereinstimmung des zweiten Compositionstheiles 
ward fast noch haufiger zur Andeutung der Yerwandtschaft 
gebraucht. Yon einem frankischen Ehepaare Rainarius und 
Amalgardis entsprossen die SOhne Raganharius und Amal- 
harius, sowie die TOchter Raingardis, Angilgardis (Polypt. 
Irm. 255). Yon einem bayrischen Paare Deotniu und Hr6dni 



87 



der Sohn Nahniu, und die TOchter Chrimhilt und Kisalni 
(806. Meichelbeck hist. Frising. I, 203). In einer andem bayr. 
TJrkunde von ungefahr 783 stehn die Bruder Alprich und 
Ascrich mit den Schwestern Marchrat, Waltrat und Angilrat 
(ebd. 70). Ein elsassischer Vater Uodalrich hatte die SOhne 
Adalrich und Wisarich (799. SchOpflin Alsat. diplom.). 

Die Beispiele liessen sich ohne Ende haufen. Auch das* 
selbe Suffix ward beliebt: So hatte ein Vater Pirhtilo die 
SOhne Tuotilo, Fritilo, C6zzilo, Petilo (791. Meichelbeck I, 81), 
Wir finden die Briider Bernicho und Biricho, Gundolt und 
G§rolt u. s. w. 

Zuweilen wurden auch verwandtenLeuten Namen gleicher 
Bedeutung gegeben. So stehn die Namen des bekannten Hel- 
denpaars Hildibrant und Hadubrant zu einander. Aus Nord- 
gennanien sind die Bruder Hrafn und Kr&kr, KOtt und Kisi 
anzufiihren. 

Aber es begegnen auch dieselben Namen. Der Name des 
Grossvaters ward gern dem Enkel gegeben: wir finden in 
einer bayrischen TJrkunde den Grossvater Isanhart mit einem 
Enkel isanhart (836. Meichelbeck I, 309), in einer aleman- 
nischen die Grossvater Wolfkis und Horscwin mit gleich- 
namigen Enkeln (818. 826 Neugart I. 172. 186). Auch Vater 
und Sohn, Bruder und Schwester (nur mit verschiedener gram- 
matischer Endung, z. B. Odo, Oda), Vatersbruder und Neffe 
hiessen gleich. In Nordgermanien war derselbe Brauch, der 
sich bis in unsere Gegenwart oft genug nachweisen lasst. In 
manchen Geschlechtern (man denke an die Fiirsten Reuss) 
wird derselbe Vorname ununterbrochen fortgefilhrt, Oder es 
ist ublich, denselben Namen wenigstens als Nebennamen 
durchzufuhren. 

Der Name, sagte ich vorhin, macht das Kind zur Per- 
sOnlichkeit. Er ist kein Lautschall, sondern ein Wort mit 
Inhalt, er hat Bedeutung und Macht. Nenne ich den Namen, 
so denke ich an das Wesen, das ihn tragt und dieses Wesen 
wirkt auf mich. So hat sich Scheu und Ehrfurcht, Widerwille 
und Hass auf den Namen ilbertragen und in alien VOlkern 
eine Menge von Vorstellungen und Glauben oder Aberglauben 



88 



mit den Namen verbunden 1 ). Fur uns kann geniigen, auf 
einiges unmittelbar an diese Stelle gehOrige zu erinnern. 

In Norwegen ist noch jetzt die Meinung, wenn eine 
schwangere Frau von einem Verstorbenen traumt, dass dieser 
„nach dem Namen gehe", das heisst sich einen Namensvetter 
suche. Es wird das Kind dann nach ihm genannt, weil es 
Gliick bringt 2 ). Das hangt, wie Konr. Maurer nachgewiesen 8 ), 
mit dem altnorwegischislandischen Glauben zusammen, dass 
ein Sterbender oder auch ein Todter Vortheil davon habe, 
wenn ein zu erwartendes Kind nach ihm benannt werde, so 
wie auch das Kind Nutzen davon ziehe. Schon in alten wie 
in neueren islandischen Quellen wird von Traumerscheinungen 
Verstorbener zu diesem Zweck berichtet. 

Nach Frtihverstorbenen wurden auf Island nicht gern 
Kinder benannt. Das gait und gilt auch in Deutschland, wo 
man es fur unheilvoll halt, nach einem verstorbenen Ge- 
schwister ein spater geborenes zu nennen. Das verstorbene 
zieht das jungere nach. 

Aus Norwegen und Island wird die Sitte bezeugt, der 
Namengebung ein Geschenk, die Namenfestigung (nafnfestr), 
folgen zu lassen 4 ). Eeiche und Vornehme gaben ihren Knaben 
Landbesitz, Ringe, Waffen. Diirfen wir die Patengeschenke 
als Fortsetzung hievon nehmen, so hatte diese Namenfestung 
auch im deutschen -Yolke bestanden. Haufig sind diese Gaben 
in nordischen Quellen erwahnt, wenn einem Erwachsenen ein 
Beiname *) aus irgend welchem Anlass zugelegt ward. Dafur 
haben wir auch ein altes deutschheidnisches Beispiel in der 
langobardischen Sage, dass Wodan, als er dem Volke der 
Winilen den Namen der Langbarte gegeben , er auf Freas 



2 ) R. Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiche, Stuttg. 
1878, S. 165-184. Kr. Nyrop, Navns Magt. Kobenhavn 1887. 

2 ) Liebrecht, Zur Volkskunde. Heilbronn 1879. P. 311. 

3 ) Zeitschrift des Yereins fur Yolkskunde 1, 111. 5, 99. Maurer, 
Bekehrung 1, 234. 

4 ) Weinhold, Altnord. Leben 263. K. Maurer, Wasserweihe 8. 

5 ) Eine Saminlung dieser Beinamen (kenningarn9fn) in meinem 
Altn. Leben 277 ff. 



Forderung „so wie du ihnen einen Namen gegeben, so gieb 
ihnen den Sieg", als Namengeschenk ihnen den Sieg verlieh 1 ). 

Angeschlossen werde hier gleich, dass das Kind noch 
ein Geschenk erhielt, wenn der erste Zahn durchbrach, nordisch 
das Tannfe (Zahngeld) genannt 2 ). Dass noch heute dieses Er- 
eigniss von deutschen Muttern als sehr wichtig betrachtet wird, 
ist bekannt. Die Warterin Oder Amine erhalt gewOhnlich ein 
Geschenk dabei. 

Wieweit die vom Oberrhein, namentlich aus dem Aar- 
gau, nachgewiesene Sitte zuruckgeht , in der Geburtsstunde 
des Kindes einen Baum in den Garten zu pflanzen, als Lebens- 
und Schicksalsbaum, weiss ich nicht. Die von Geiler von Kaisers- 
berg in seiner Emeis (1508) erzahlte Geschichte von den drei 
Schusterkindern, die sich bei Beziehung eines neuen Hauses 
in dem Garten jedes einen bestimmten Baum als Schicksals- 
baum wahlten, zeugt nicht fur den Geburtsbaum, sondern for 
die weitverbreitete und alte Vergleichung des menschlichen 
Lebens mit dem der Pflanzen, namentlich der Baume, die zu 
manchen sinnreichen Gebrauchen gefuhrt hat 3 ). 



Sobald das Kind das erste Mai gebadet war, wurde es 
in Thierfelle, in spaterer Zeit in Tucher gehallt; bei den 
Armen blieb es wohl ganz nackt auf dem bereiteten Lager 
liegen. Das altnordische Gedicht Kigsthula, das von der 
Wanderung des Gottes Heimdallr (Rigr) auf der Erde erzahlt 
und wie er der Vater der drei Stande des Volkes wurde, 
berichtet von Thraels (des Unfreien) Geburt bloss, er sei mit 
Wasser begossen und Thraell genannt worden; Karl (der 



2 ) Prol. ed. Rothar., Paul. diac. 1, 8. 

2 ) Weinhold, Altnord. Leben 284. 

8 ) Rochholz, Aleraannisches Kinderlied 284. Mannhardt, Wald- 
und Feldkulte 1, 49. tiber Baumpflanzung zur Aussteuer der 
Tochter R. Andree in d. Mittheil. der anthropolog. Gesellscli. in 
Wien. 1884. 8. April. 




90 



freie Mann) dagegen wird nach der Namengebung in ein 
Tuch gehullt, Jarl (der Fftrst) in Seide 1 ). Die Umwindung 
mit Binden oder Bandera ist fiilh ttblich gewesen. Auf der 
Trajanssaule sind dakische Frauen abgebildet, welche ein 
Wickelkind in einer Art Mulde auf dem Kopfe tragen*). In 
den Gedichten des 12. und 13. Jahrhunderts werden die mit 
leinenen oder seidenen Binden gewickelten Kinder Ofter er- 
wahnt, und auf Bildern des 14. und 15. Jahrhunderts sieht 
man das Kind von Hals bis Fuss in ein weisses Tuch gehilllt, 
das kreuzweise mit rothen Bandern umwunden ist, in der 
Wiege liegen 8 ). Eine Art Wiege mag fruh in Gebrauch 
gewesen sein. So wie bei den Skridhflnnen 4 ) , wird auch 
bei den Germanen das Kind in Thierfellen oder in einem 
Tuche zwischen zwei Baumen oder Stangen aufgehangt 
worden sein. Im 9. Jahrhundert f ) waren Wiegen in unserer Art 
tlblich, schaukelbare, h&zerne Bettgestelle 6 ). £ur Sicherung 
des Kindes wurden Bander kreuzweise dartiber gezogen; 
wenigstens sieht man das auf Bildern vom Ende des 
13. Jahrhunderts 7 ). Zum Schmucke, aber auch wohl zum 
spielen fur das Kind streuten die Ammen Blumen auf das 
Wiegenbettchen (Grieshaber Pred. 2, 3). Frauen, die draussen 
auf dem Felde zu arbeiten hatten, nahmen das Kind sammt 



*) So heisst es auch von dem kleinen Wolfdietrich (B. I. 141) : 
also daz kindel kleine wart Hz dem bade erhaben, Man wantz in 
schoeniu (var. sidin) tiiecher, daz wil ich iu sagen, Ein palmdtsidin 
Jcu88iu man umb daz kindel want, Und ein giirtel sidin teas sin 
windelbant. 

2 ) Colonna Trajana, ed. Arosa-Frohner. Taf. 105. 

8 ) Engelhardt Staufenberg 90. 98. 

4 ) Procop. b. got. II, 15. 

6 ) ahd. waga wiga; mhd. wage wigfc wiege. 

6 ) In der Constanzer Biblia pauperum (Ende des 13. Jahrh., 
herausg. von Laib und Schwarz, Zurich 1867. Bl. 1) ist eine Wiege 
zu sehen, ein kleines Kinderbett mit Wiegebogen. 

7 ) Engelhardt Hitter v. Staufenberg, 98. Das Waglseil, "Wiegen- 
seil, Deiselseil ward der WSchnerin von Freundinnen geschenkt: 
Rochholz, Alemannisches Kinderlied 290. 



91 



der Wiege mit sich 1 ). Doch mochten manche es auch in 
ein Tuch legen, das zwischen zwei Baumen aufgehangt 
werden konnte, gleich einer Hangematte. Wenigstens kann 
man das noch jetzt in deutschen und slavischenGegenden sehen. 

Zum Schutze des Kindes gegen alles Unheil wird der 
Wiege in heidnischer Zeit ein Runenzeichen eingeritzt worden 
sein. Spater und noch jetzt wird der Drudenfuss gegen die 
Hexen daran gemalt 2 ). Auf einem Kupferstiche des Israel 
von Meckenem (A. Schultz, Deutsches Leben im 14. und 15. 
Jahrhundert, S. 181. Fig. 227) sieht man die mit Bandern 
kreuzweise tiberzogene Wiege mit dem Pentagramm am 
Fussende. 

Jede deutsche Mutter nahrte ihr Kind an ihrer Brust, 
wie Tacitus (Germ. 20) gegenilber den ROmerinnen ruhmt, 
welche ihre Kinder Ammen und Magden (iberliessen. In den 
vornehmeren Kreisen anderte sich aber das allmahlich, und 
gewisse kirchliche Bestimmungen scheinen darauf gewirkt 
zu haben, dass manche Frauen die Kinder entweder gar 
nicht saugten oder bald entwOhnten 8 ). Im allgemeinen ist 
es wie in der Gegenwart gehalten worden, dass die kraftigen 
und die armeren Mutter ihre Kinder selbst nahrten, schwachere 
und namentlich reichere sie einer Amme ubergaben 4 ). Die 



a ) J. Grimm, Reinhart Fuchs 351. Vgl. eine bildliche Darstellung 
von Adam und Eva aus dem 14. Jahrhundert, auf der Adam mit der 
Hacke arbeitet und Eva am Rocken spinnt, ein Wickelkind in nie- 
driger Wiege zu Fiissen: Anzeiger d. Germ. Museum. XXVII, 175. , 
2 ) Rochholz, Alem. Kindersp. 289. Zeitschr. d. V. f. Yolksk. 6, 253. 
s ) Augustin, der Apostel der AngeJsachsen, fragt bei Papst 
Gregor an: post quantum temporis mulieri enixae vir suuspossit in 
carnis copulatione conjungi? Der Papst antwortet: ad ejus concubitum 
vir suus accedere non debet, quoadusque qui gignitur ablactetur. 
Beda h. eccl. 1, 27. 

*) Pafur Belege aus den Gedichten des 12. u. 13. Jahrhunderts 
zu sammeln, ist tiberflussig. Bedeutungslos auch ist, dass in der 
dem Original naher stehenden Berliner Hs. von Werners Marienleben 
die Kinder bei den Ammen schlafen (Fundgruben II. 209, 147), wahrend 
die starkere Uberarbeitung der Wiener Hs. (4312. Feifalik) sie bei 
den Miittern liegen lasst. 



92 



Gedichte des hOflschen Kreises erwahnen aber auch, dass 
selbst KOniginnen ihre Kinder an die eigene Brust nahmen 
(Parz. 113, 9. Lanzel. 88). 

War es nicht mOglich dem Kinde Muttermilch zu geben, 
so ward es mit Thiermilch aufgezogen, die man ihm durch 
ein HOrnchen einflOsste 1 ). 

Ausser der Amme hatten in der hohen Gesellschaft 
noch andere Frauen das Kind in Pflege zu nehmen: erfahrene 
altere Weiber und schOne junge Madchen*). An Verzartelung 
und mancher tlblen Sitte fehlte es dabei nicht und Bruder 
Berthold von Regensburg fand Stoff genug, verkehrte Kinder- 
zucht im 13. Jahrhundert zu rugen (Predigten I, 33 — 36. 
II. 58). 

Eine solche Verzartelung und ebenso die Menge der 
bezahlten Pflegerinnen war nattirlich unserem Alterthum 
ganz fremd. Unter den Deutschen zu Tacitus Zeit, auch 
wohl noch spater und ebenso in Skandinavien waren die 
Kinder, Knaben wie Madchen, ausser der Obhut der Mutter 
gewOhnlich in Gesellschaft unfreier Kinder, mit denen sie 
gleich behandelt, in gleichem Spiel und gleicher Beschaftigung 
die Kindheit verlebten (Germ. c. 20). Dieselben wurden 
ihnen Ofters, wie nordische Quellen bekunden, bei der Namen- 
gebung zum Eigenthume geschenkt 8 ) und blieben das ganze 
Leben in ihrer nachsten Umgebung, folgten den Brauten als 
Theil der Mitgift und theilten mit den Witwen den Tod. 
Als sich Brunhild nach Siegfrieds Ermordung selbst ersticht, 
ordnet sie an, dass neben ihr eine Zahl ihrer Knechte und 
Magde, und auch die Eigene, welche mit ihr erzogen wurde 
(fostrman), verbrannt warden (Sigurdarqu. inskamma 70). Dieser 
Brauch, der sich auch bei anderen Volkern flndet und noch 
in der heutigen Prinzenerziehung etwas ahnliches hat, beweist 
tibrigens schon allein, wie mild in vieler Hinsicht das Alter- 



2 ) Ynglingasaga, c. 29. G-ute Frau 1671. Thomas Platter Selbst- 
biographie 4. Stellen aus franzos. Gedichten bei Alw. Schultz, Hof. 
Leb. I, 150. 2. A. 

2 ) Gudrun Str. 25. 198. Lanzel. 93. 

3 ) Weinhold, Altnord. Leben 285. 



thum die Unfreien behandelte. Wir wissen dies bekanntlich 

auch aus des R6mers Bericht (Germ. c. 25). Das freie 

oder edle Kind, das mit einem unfreien unter denselben 

Herden und auf demselben Boden aufwuchs, das mit ihm 

Speise und Trank, Lust und Sorge theilte, konnte die Genossen 

desselben nicht schmahlich behandeln. Zu einer Ausgleichung 

der ausseren Verhaltnisse und Unterschiede wirkte ferner die 

im Norden wenigstens allgemeine Sitte (Altnord. Leben 235), 

dass die Eltern ihre Kinder Verwandten oder Freunden zur 

Erziehung (f6str) ubergaben, und dazu gern geringere als sie 

waren wahlten. So ttbergibt KOnig Eirikr von HOrdaland 

seine Tochter Gyda einem reichen Bauer (Fornm. s. 1, 2). 

Dieser Erzieher (f6stri) iibernahm die leibliche Pflege und 

sonstige Ausbildung des Ziehkindes (f6str), suchte ihm alles, 

was er verstund, zu lehren, und seine Erfahrung und Ge- 

wandtheit ihm anzueignen. Lebensklugheit und der Anstand, 

die Zucht, waren hierbei gewiss Hauptsache; bei den Knaben 

kam natuTlicli die Ausbildung in kOrperlichen Fertigkeiten 

und in der ^Waffenfilhrung hinzu. Wie das oben angefuhrte 

Beispiel zeigt, wurden die Madchen auch Mannern anvertraut, 

ja KOnig Hergeir soil seine einzige Tochter Ingigerd einem 

unverheirateten Manne, dem Jarl Skuli, zur Erziehung (For- 

naldars. 3, 521) ilbergeben haben. 

Nach der Gemeinschaft, die sich in vielen Dingen zwi- 
schen Skandinavien und Deutschland nachweisen lasst, milssen 
wir auch bei den deutschen Stammen die Sitte, die Kinder 
in andern Hausern erziehen zu lassen, vermuthen. 1st sie 
nicht bezeugt, wenn wir im Gedicht von Gudrun lesen, dass 
diese junge Fttrstentochter zu ihren Verwandten in Danemark 
zur Erziehung (durh zuht) geschickt wird und dass man ihren 
Bruder Ortwin dem alten Wate von Sturmlant iibergibt 
(Gudr. 574)? Eine Spiegelung hoflschen Brauches *ist es doch, 
wenn in Pleiers Tandareis (618) die indische KOnigstochter 
Flordibel von den Eltern zur feinen Erziehung an Artus Hof 
geschickt wird. SOhne wurden in Skandinavien gern den 
Brildern ihrer Mutter anvertraut (Altnord. Leben 285). Das 
ist die enge Verbindung zwischen Oheim und Neffe , die Ta- 



94 



citus (Germ. 20) hervorhebt und die auf der uralten Schatzung 
der Verwandtschaft durch Mutterblut beruht. 

Sitte war es unter den Karolingern, den sachsischen 
und den frankischen KOnigen, dass die SOhne der Vornehmen 
mehrere Jahre am KOnigshofe erzogen wurden ; und Gleiches 
geschah wieder mit den SOhnen ihrer Vasallen an den HOfen 
der Landfttrsten. 



Nach der Bekehrung der deutschen und skandinavischen 
VOlker zum Christenthum erfolgte die Namengebung durch 
den Priester bei der Taufhandlung. Die Eltern bestimmten 
den Namen, zuweilen mit Rucksicht auf die Paten. Die Kirche 
forderte, dass die Taufe ohne Verzug geschehe ; meist ist sie 
am Tage nach der Geburt vollzogen, und das gilt als Eegel 
bis heute bei den katholischen Christen. 

In reichen und vornehmen Kreisen bot die Taufhand- 
lung Gelegenheit zu Festen; die stadtischen Obrigkeiten er* 
liessen bereits im 13. Jahrhunderte Verordnungen zur Ein- 
schrankung des dabei entwickelten Luxus. Man ubertrieb auch 
die Zahl der Taufzeugen. Nach kirchlicher Satzung genugte 
ein Pate 1 ). Bruder Berthold von Regensburg nannte daher 
schon zwei sehr viel, drei tiberviel und tadelte scharf, dass 
bis zwolf gebeten wurden (Bertholds Predigten I, 23. II, 57, 
15). In KOln ward bei zehn Mark Busse verboten, dass mehr 
als zehn Frauen zum Kintkirsten (Taufen) zu Kirche gingen 
(Ennen, Quellen I, 27). Wie noch heute veranlasste manche 
armere Eltern das Geschenk, welches die Paten dem Kinde 
gaben, wobei auch der Amme schon damals nicht vergessen 
ward, mOglichst viel zu laden. 

Brauch war, die WOchnerin imKindbettezu besuchen. 
Aber der Luxus machte sich auch hier im spateren Mittel- 
alter breit und kostbare Gastereien wurden in den Stadten 



J ) Ahd. toto adpater, tota admater; gota, admater mhd. gote 
gote, Pate, Patin und auch das Patenkind (lautlich dem got. gudja, 
altn. godi, Priester, entsprechend) ; mhd. (seit dem 12. Jahrhundert) 
bate Pate (aus pater entstellt). Zu Gote Gote vgl. Schmeller l 2 , 962. 
Lexer, Karntn. W5rterb. 119. 



95 



bei diesen Besuchen Sitte, den sogenannten KindbetthOfen, 
gegen welche Polizeiverordnungen erlassen wurden, ebensp 
gegen tlbertriebene Geschenke, die von den Gasten der Kind- 
betterin auf das Bett gelegt wurden 1 ). 

Nicht minder sahen sich am Ausgange des Mittelalters 
die stadtischen Obrigkeiten veranlasst, gegen das Geprange 
einzuschreiten, wenn die Mutter, das mOglichst geschmtickte 
Kind auf dem Arme, nach Ablauf der sechs Wochen zur Ein- 
segnung zu Kirchen ging. Auch in der hofischen Gesellschaft 
ward der Kirchgang festlich gehalten. Dabei ward in den 
vornetaien Hausern zuweilen erst die Taufe vorgenommen 
(Tristan 1953 ff., j. Titur. Str. 1079), obschon die Volks- 
prediger, wie Bruder Berthold, gegen die VerzOgerung der 
Taufe eiferten, weil die Seligkeit des Kindes dadurch & 
fahrdet werde (Pred. I, 31 f. ; II, 57). 

Das siebenteJahr war die Zeit, in der die tibergabe 
in fremde oder wenigstens in mannliche Htade geschah 2 ). i m 
westerlauwerschen Friesland war es spater gesetzlich gestattet 
dass der Sohn einer Witwe, sobald er sieben Jahre alt wurde 
und sich zur Selbstandigkeit vor dem Eichter befahigt erklarte, 
nicht bloss selbst ohne Vormund sein durfte, sondern auch 
die Mundschaft tiber seine Mutter .ubernehmen konnte. Er 
gab ihr dann den Schutzlohn, funf Schilling fur das Jahr 
(Westerlaw. ges. 420 a ; 25 Richthofen). Erklarte sich der Knabe 
mit sieben Jahren noch nicht fur miindig, so hatte er der 
Mutter bei seiner Yerheiratung den Schutzlohn filr die ersten 
zwOlf Jahre zu zahlen, dafur dass er behutet wurde vor dem 
Zahne des Schweines, dem Schnabel des Huhnes, dem Bisse 

!) Jager, Ulm, S. 520. Niirnberger Polizeiverordnungen, S. 70. 
Hiillmann, Stadtewesen IV, 161. Weist. 1, 489. Michelsen-Asmussen, 
Archiv I, 1, 9^. Grand et Roquefort vie privee 3 ? 192. A. Schultz, 
Deutsches Leben im 14. und 15. Jahrhundert 181—185. Eine alte 
symbolische Gabe an die WOchnerin scheinen Eier gewesen zu sein, 
in Thuringen Droheier = Gedeiheier genannt: Regel in Kuhns Zeit- 
schrift f. vergl. Sprachf. 10, 137. 

2 ) Grimm, Rechtsalterth. 410 f. Wackernagel, Lebensalter. 
Basel 1862, S. 48 ff. S. Palaye (Kluber) 1, 2. 177. 211. Gudr. 24. 
Biter. 2028. Trist, 2055. 



98 



des Hundes, dem Hufe des Hengstes, dem Home des Rindes ? 
vor Feuer, wallendem Wasser, Brunnen, Graben und scharfen 
Waffen (Richth. 389*). Nach einem der altschwedischen Ge- 
setze (Gutalag 18) war die Mutter nur die ersten drei Jahre 
fur des Kindes Pflege verantwortlich. Da muss sie es in die 
Wiege legen, auf dem Schosse oder im Bette haben, und bei 
ihm schlafen. Kommt es wegen nachlassiger Beaufsichtigung 
durch Jemand zu Schaden, so hat dieser keine Busse zu zahlen. 



Um die Wiege oder das Bettchen des Kindes stunden 
nach altem Glauben bald, nachdem es geboren, die Schicksal- 
frauen und spannten die Faden des Gewebes seines Lebens. 
Man lud wohl auch weise Frauen ein, um sein Geschick zu 
weissagen 1 ). Auch deutsche Sagen berichten von den drei 
Jungfrauen, die sich bei dem Neugeborenen einflnden und 
seinen Lebensgang bestimmen (oben S. 39). Aber das Beste 
war und wird sein das sorgende Auge und die pflegende 
Hand der Mutter. Das Mutterherz wacht iiber dem starken- 
den Schlaf des Kleinen und mit kosenden Worten und leisem 
Gesang lullt sie es in den Schlaf, murmelt wohl auch einen 
Spruch gegen die Unterirdischen oder die Wassergeister, die 
in den ersten Nachten (im Christenthum vor Taufe und Ein- 
segnung) darnach trachten, ihre hasslichen Kinder mit den 
kleinen Menschen zu vertauschen. 

Die Wiegenliedchen 2 ) sind noch heute uberall im 
Volke ein besonderer Theil der Kinderpoesie und manches 
reicht ziemlich weit hinauf. So liess es auch die Geistlichkeit 
zu, dass in der Christmette eine Wiege mit dem Jesuskind auf 
den Altar gestellt und von Maria und Joseph gewiegt ward, 



*) Weinhold, Altnord. Leben 283 f. 

2 ) In alien Sammlungen von Kinderliedem zu finden, so in 
Simrocks Deutschem Kinderbuch, in E. Meiers Kinderreimen aus 
Schwaben, bei Dunger, Kinderlieder aus dem Vogtlande, Fiedler, 
Volksreime aus Anhalt-Dessau, in den Kinder- und Ammenreimen 
(Bremen 1836), in Frischbiers Preuss. Volksreimen, bei Firmenich 
Germaniens Yolkerstimmen und sonst. 



97 



die dazu ein Susaninne (Schlafliedchen) sangen 1 ). Bis in neue 
Zeit hat sich in katholischen und lutherischen Kirchen dieser 
Christnachtbrauch mancher Orten erhalten ; Mutter und Kinder 
freuten sich daran. 

Durch das ganze Kinderleben gehn die Reime und 
Liedchen, mit welchen Mutter und Ammen die allmahlich 
„sich versinnenden" Kleinen spielend ergetzen. Und wenn 
wir sie auch nicht in Aufzeichnungen weit vergangener 
Zeiten verfolgen kOnnen , so beweist doch die Uberein- 
stimmung der deutschen aller Landschaften vom Elsass bis 
Siebenbtlrgen, von den Deutschen am Monte Rosa bis nach 
Schleswig, mit den Kinderreimen und Liedern in Dane- 
mark, Norwegen, Island, in England und Schottland, dass 
hier allgemein germanisches Erbe erkannt werden muss, das 
eben deshalb in seinem echtesten Bestande uralt ist. Von 
jenen gemachten, altklugen, lehrhaften und deshalb albernen 
Reimen neuer Erfindung scheidet die altererbten die Nai- 
vetat, kindisch scherzende Tumpheit und herzige Warme*). 
Die Schoss- und Knieliedchen, die Ammenscherze mit Hand 
und Fingern des Kindcs, mit dem ganzen kleinen KOrper, 
dann die Zahlreime, die Verschen, womit die Aufmerksamkeit 
des erwachenden Geistes auf die Natur gelenkt wird, machen 
einen kleinen Schatz aus 3 ). Dazu treten dann die mit Gesang 
und Handlung begleiteten Spiele, von dem Ringelreihen an, 
den selbst Drei- und Vierjahrige mittreten und -singen, bis 



J ) H. Hoffmann v. Fallersleben , Goschichte des deutschen 
Kirchenliedes. 2. A. Hannover 1854, S. 416 ff. Weinhold, Weihnacht- 
spiele und Lieder, Graz 1853, S. 48 ff. 

2 ) Sinnig hat W. Grimm Uber Kinderwesen und Kindersitten, 
in der Einleitung zu den Kinder- und Hausmarchen, 1819, Bd. II, 
gehandelt; wiedergedruckt in den kleinen Schriften von W. Grimm 
1, 358-405. 

3 ) Das Deutsche Kinderbuch von K. Simrock ist eine um- 

fassende Sammlung davon. Ein (zu vervollstandigendes) Verzeichniss 

der Litteratur gibt H. Dungor, Kinderlieder und Kinderspiele aus dem 

Vogtlande. 2. A. Plauen, 1894. S. IV— VII. Die romanischon und die 

slavischen VOlker sind nicht minder reich an dieser Kinderpoesie air; 

die germanischen. 

7 

Weinhold, Deutsche Frauen. I. 



96 



zu ausgefiihrteren und ftlr gr&ssere Kinder geeigneten 
Spielen, einer Erbschaft, die von den Grossen einer ver- 
schwundenen Welt auf die Gegenwart gekommen ist, in den 
Jahrhunderten abgeschliffen und oft entstellt, fur den Forscher 
von hohem Interesse. E. L. Rochholz hat in seinem Alemannischen 
Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz (Leipzig 1857) 
am ausftihrlichsten darilber gehandelt. Die vielen Sammlungen 
der Kinderreime geben reiches Material. Was sich aus unserm 
Mittelalter daftlr aufspiirenlasst, hat Ignaz Zingerle (Das deuteche 
Kinderspiel im Mittelalter. 2. A. Innsbruck 1873) sinnig dar- 
gestellt. Auch hier bieten sich aus England und Skandinavien, 
sowie von andern VOlkern aberall Vergleichungen *). 

Werfen wir nun einen Bhck auf das Spielzeug ohne 
Reim und Sang, mit besonderer Rticksicht auf die Madchen. 

Berthold von Regensburg spricht davon, wie die Madchen 
alle ihre Liebe auf eitle Sachen wtirfen wie kleine VOgel und 
Hiindchen, Puppen, Glasringe, Kranze u. dgl. *). Er deutet 
damit auf die verschiedenen Arten des kindhchen Spielzeuges. 

Sehn wir zunachst ab von der Unterhaltung, welche sich 
die Kinder von jeher mit Obst und Eiern 8 ), Ntlssen*) und 
Bohnen bereitet haben, dann von der Klapper, die sich aus 
Thon gebrannt in suddeutschen wie in Lausitzer Grabern 
heidnischer Zeit gefunden hat, so sind es lebendige Thiere, 
mit denen sie spielten oder an denen sie sich erfreuten. Der 
Hund ist der treue gute Geselle, der sorgsame Schtttzer der 
Kinder stets gewesen. In der hoflschen Zeit wurden aber auch 
Stuben- und Schosshundchen von den Damen viel gehalten 



1 ) Ich fiihre nur an: Al. Bertha Gomme, The traditional Gaines 
of England, Scotland and Ireland, with tunes, singing -rhymes and 
methods of playing. London 1894. Esquien, Les jeux populaires de 
Tenfance. Rennes 1890. Ein bibliograph. Verzeichniss der ital. Giuochi 
e Canzonette infantili bei Pitr6, Bibliografia delle tradizioni popolari 
d* Italia. Torino 1894, Cap. III. 

2 ) Latein. Predigt, citirt von M. Haupt, Neithart, S. 124. 

3 ) Zingerle, Kinderspiel 4. 49. 

4 ) Berliner, Aus dem Leben der deutschen Juden im Mittel- 
alter. Berlin 1871, S. 11. 



99 



und damit Luxus getrieben '), auch ttbertriebene Liebe an sie 
verschwendet. 

Neben den Htindchen waren Hermeline, ja selbst Wiesel, 
EichhOrnchen und Marder Spielzeug der M&dchen und Frauen 2 ). 
Dass die Katze in gleicher Weise als Stuben- und Lieblings- 
thier in dem Mittelalter gehalten ware, ist mir nicht bekannt. 
Als mausefangendes gezahmtes Thier wird sie erst seit dem 
11. Jahrhundert in Deutschland erwahnt'). 

Besonders beliebt waren die zahmen VOgel*). Unser 
weidlustiges Mittelalter hatte an der Vogelweide, dem Vogel- 
fange, seine besondere Freude. Das waldreiche Land bot den 
geflugelten Thierchen in Berg und Ebene iiberall Herberge. 
Die HOfe, welche den Namen Vogelweide filhren, von deren 
einem der herrliche Sanger Walther den Beinamen tragt, die 
vielen Orte, welche Vogelsang heissen lind nach Waldern be- 
nannt sind, die voll singender VOgel waren, bezeugen schon 
an sich die Aufmersamkeit, welche unsere Vorfahren den 
fliegenden Sangern schenkten. Und mOgen auch die Ortsnamen 
Vogelsang sich nur bis zum 13. Jahrhundert verfolgen lassen 6 ), 
mag auch in unserer poetischen Litteratur erst von Anfang 
des 12. Jahrhunderts ab (Annol. 47—50) der Vogelsang neben 
den Blumen gefeiert werden, so geschieht es doch gleich in 
so vollen TOnen, dass der griine Wald und das Lied der 
V6gel, die Wiese mit den Blumen und die SchOnheit und die 
Liebe eine unzerfcrennliche Kette bilden, die jeder Dichter 



*) Trist, 15873. Wigal. 11, 19. 60, 24. Frauend. 114, 23. gr. Wolfd. 
1374, 3. Virginal 130, 9. 138, 9. 662, 5. 671, 12. 

2 ) gr. Wolfd. 1374, 3. Virgin. 138, 11. 352, 7. 560, 11. 659, 9. 
848, 7. 

3 ) Diimmler iiber Otloh von S. Emmeram, Sitz.-Ber. d. Berliner 
Akad. d. W. 1895, S. 1097. 

4 ) spilvogel VOgel mit denen man spielen kann, Altsw. 161, 29. 
tibertragen auf Kinder, das Spielzeug der Mutter, Mart. 23, 8., auf die 
Geliebte, Hatzl. II, 85, 47. 

6 ) Ed. Jacobs in den Beitragen zur deutschen Philologie. Halle 
1880, S. 216 ff. 



100 



schmiedet. Das weist doch auf eine angeborene Empfindung 
hin , ). 

Im Kafig oder dem Yogelhaus hielt man SingvOgel im 
12. und 13. Jahrhundert 5 ); Walther von der Vogelweide 
fuhrte nach dem typischen Bilde der Liederhandschriften ein 
Vogelbauer im Schilde. Gleiche Freude hatte man an spre- 
chenden Staren, Raben, Elstern 8 ) und Sittichen (Papageien) 4 ). 

Dass VOgel auch Spielgesellen der Kinder waren, be- 
zeugt mehr als eine Stelle unsrer alten Gedichte (Zingerle 
a. a. 0. 6. 7.). Zur Vergleichung sei erwahnt, dass in einem 
altperuanischen Kindergrabe neben der kleinen Mumie in 
Tticher gehtillt ein Papagei lag, der mit Korallenhalsband und 
an den Fiissen mit Zieraten geschmtickt war (Berl. Mus. f. 
VOlkerkunde. Peruan. Abth. Nr. 7341). 

Dazu kamen die JagdvOgel: daz vederspil; voran der 
edle Falke, den vornehme Frauen pflegten und schmuckten 
und der zum Bilde des Geliebten in der lyrischen Poesie der 
hOfischen Zeit ward B ) ; dann auch der Sperber 6 ). 

Seltener mOgen abgerichtete Mause gewesen sein, welche 
Hug von Trimberg im Eenner (2750) als Kinderspiel erwahnt; 
sie wurden vor einen winzigen Wagen gespannt und mussten 
ihn Ziehen. 



a ) Dass man im 13. Jahrhundert Sommerspaziergange in den 
Wald machte, sich an den Blumen und dem Vogelsang zu erfreuen, 
beweist u. a. Warming 1875 flf., 2019 f., 2075 f., 2376 ff. Yom Futtern 
der freien Vogel spricht aus dem 10. Jahrhundert Thietmar v. Merse- 
burg I, 21. IV. 36. 

2 ) Zingerle, Kinderspiel 12. Ein Verzeichniss der namentlich von 
den Dichtern genannten VOgel ebd. 9. 

3 ) Egbert, Fecunda ratis 67. 1109. Rudlieb 8, 14. Morungen in 
Minnes. Fnihl. 127, 23. 132, 8. 35. Megenberg 219, 28. 

4 ) M. F. 127, 23. 132, 8. WigaL 68, 13. 74, 22. Megenberg 221, 31. 

5 ) M. F. 8, 33. 9, 5. 37, 8. Nibel. 13, 2. 14, 3. Rother 3854. Mtiglin 
M. L. 6, 1. Ursprunglich ist der Falke das Bild des scharfaugigen 
und scharf den Feind packenden Helden; so noch jetzt in der sud- 
slavischen Poesie. Die Montenegriner nennen sich mit Stolz die 
Falken der Crnogora. Der Falke (sokol) ist das Wappenthier Bosniens 
und der Herzegowina. 

6 ) Hagen, Ges. Abent. no. XXII. 



101 



Die Kinder der Vorzeit spielten auch mit Thierbildern, 
die aus Thon, Holz und Metall gemacht waren, Irdene er- 
wahnt die Legende von der Kindheit Jesu; durch uralte Funde 
und mittelalterliche Ausgrabungen werden sie bezeugt. HOl- 
zerne bemalte VOgel kennen wir wenigstens aus einem alt- 
franzOsischen Gedichte 1 ) und metallene Thierbilder lassen 
sich aus Island nachweisen 2 ). Derartige Nachbildungen, oft 
sehr einfacher und alterthumlicher Art und zum Kinderspiel 
bestimmt, haben sich bis in die Gegenwart forterhalten. Nicht 
minder die kleinen thOnernen oder glasernen Gefasse, mit 
denen die Madchen schon im Mittelalter 8 ) die Kiichenwirth- 
schaft der Mutter nachahmten. 

Ein interessanter Fund von fiber hundert Thonfigtir- 
chen aus dem 14. Jahrhundert ward 1859 in Ntirnberg unter 
dem Strassenpflaster gemacht: es waren weibliche Gestalten, 
gepanzerte Reiter, nackte Kindlein, Wickelkinder, auch einige 
heilige Figuren, dann kleine TOpfe, Kannen, Schalen, HOrner 
und ahnliches irdenes Spielzeug far Kinder. Einige der Frauen- 
bilder hatten eine runde Vertiefung auf der Brust, in welche 
etwa ein Gulden passt. Die meisten hatten ein Loch, das zum 
einstecken eines Lichtes bestimmt scheint. Diese werden aller- 
dings fur Leuchter zu nehmen sein. Ganz ahnliche Frauen- 
bildchen aus gebranntem Thon, in der Tracht der zweiten 
Halfte des 14. Jahrhunderts, hatte man fruher auf der Burg 
Tannenberg in Franken 1 gefunden *). In Schlesien sind kleine, 
etwa 9 Centimeter hohe Frauenfigtirchen aus Kalkstein aus- 
gegraben, die nach der Tracht dem spateren 14. Jahrhunderte 
angehOrten 8 ). 

Das Kreisel- oder Topftreiben, Schnellkilgelchen und 
Holzsttlckchen (meize und zOlle) schieben war auch im Mittel- 



!) A. Schultz, Hof. Leben. 2. A. 1, 155. 

2 ) Weinhold, Altnord. Leben 293. 

3 ) Elisab. 3610 f. 

4 ) Anzeiger fiir Kunde deutscher Yorzeit. Nurnberg 1859. Sp.210. 

5 ) Schlesiens Yorzeit. Breslau. Ill, 497. 



102 



alter Unterhaltung der kleinen Welt 1 ). Frilhzeitig mag die 
To eke auch bei den deutschen Madchen beliebt gewesen sein, 
wie sie es bei den rOmischen war, die sie beim Heranreifen der 
Venus opferten 2 ),' und bei den hellenischen. SchOne und rtLh- 
rende Darstellungen geben Kindergrabsteine des 4. und 5. Jahr- 
hunderts v. Chr. aus dem Piraus, die Kinder mit Puppe oder 
Vogel in der Hand, einen Hund vor sich, abbilden. Die Puppen 
sind haufig ohne Anne und Beine, zuweilen aber auch schOne 
weibliche, kleine, nackte Figuren. Vielleicht war dieTocke durch 
dieROmer in Deutschland bekanntworden, vielleicht auch nicht; 
dieVersuche, GOtterbilder in Teig und Holz zu bilden, kOnnen 
auch die Erfindung dieses Spielzeugs veranlasst haben, das 
wir in alter und neuer Zeit und bei den verschiedensten VOl- 
kern finden 8 ). Genug, im 9. und 10. Jahrhundert war es in 
Deutschland allgemein bekannt und die Gedichte des 13. Jahr- 
hunderts schildern uns mehrmals die Freude der Madchen an 
vielen und schOnen Puppen. Sie behandelten gleich denheutigen 
Kindern die Tocke wie die Mutter ihr Kind, legten sie in die 
Wiege und iibten in leichtem Kindessinn sich zur schweren 
Mutterpflicht vor. Bis in die erwachsenen Jahre spielten sie 
gern damit 4 ). Dem Madchen in seiner stillen, sinnigen und 
lieblichen Art ist solches Vorspiel der mutterlichen Sorge an- 
geboren und es traumt sich auch gern voraus in die eigene 
Hauslichkeit. 

Die Kinder spielten im kleinen mit vollen Schreinen 
und Kasten, mit Hausgerathe und Putz, und der arme Heinrich 
von Aue weiss seinem Gemahl, dem freundlichen MeiertOch- 



x ) Zingerle a. a. 0. 28. 

2 ) Ahd. tocha, mhd. tocke, nhd. Tocke, Docke (wahrscheinlich 
urspriinglich ein HolzklOtzchen bedeutend) ist das alte deutsche Wort 
fur Puppe und noch in Oberdeutschland und Schlesien* ublich. Grimm, 
W6rterb. II. 1208—1213. Nachweise iiber mhd. tocke in den Worter- 
biichern von Benecke-Mtiller und Lexer; vgl. ferner Ign. Zingerle, 
Das deutsche Kinderspiel im Mittelalter. 2. A. Innsbr. 1873, S. 19—22. 
Das Wort Puppe stammt aus lat. pupa, mit. buppa. 

3 ) Vgl. u. a. Fewkes, Dolls of the Tusayan Indians. Leiden 1894. 
(Internationales Archiv f. Ethnogr. VII.) 

4 ) Neithart v. Reuenthal, her. von M. Haupt, 124, 18. 



103 



terlein, nichts lieberes als Lohn des Mitleids mit seinem Elend 
zu geben, denn Spiegel und Haarbander, Gtirtel und Ringelein } ). 

Zu dem Spielzeug der Kinder wie der erwachsenen 
Madchen gehOrten die Wtirfel, das Brettspiel und das Schach. 

So vortheilhaft Tacitus die Germanen auch schildert, 
das Laster des Spiels hebt er doch scharf heraus ; verwundert 
daruber, wie ein sonst so ttlchtiges und reines Volk das 
Wurfelspiel sogar im nuchternen Zustande bis zur Leiden- 
schaft treiben kOnne. Haben sie alles verspielt, so setzen sie 
auf den letzten Wurf Leib und Freiheit ; der verlierende wird 
sammt Weib und Kind Sklave und darauf von dem Gewinner 
m6glichst bald verkauft, der die Schmach eines solchen Ge- 
winnstes sich gern aus den Augen rilckt (Germ. 24). Das 
Wurfelspiel (wurfelspil, topelspil, hashart) 2 ) blieb das ganze 
Mittelalter hindurch bei den Deutschen beliebt, und auch die 
Frauen trieben es eifrig. Glossen, Concilienbeschlusse, Edicte 
der KOnige und Stellen verschiedener Gedichte beweisen es. 
Dass das Wurfelspiel beliebter Zeitvertreib junger megde war, er- 
sehen wir aus Konrads von Wurzburg Trojanerkrieg (15886 ff.). 
Es war auch ein gewOhnliches Mittel zur Unterhaltung der 
Gaste, wenn dieselbe den TOchtern des Hauses ubertragen 
war. So lesen wir im Gedichte von Rudlieb (IX, 62. XV, 24) 
wie Rudliebs Neffe mit der Tochter des Hauses, in dem er 
mit dem Ohm einkehrte, sich zum Wtlrfelspiele setzt und 
Ring und Herz verspielt. Auch den Mtachen und Nonnen war 
diese Unterhaltung sehr angenehm und dauerte trotz strenger 
Verbote unter ihnen fort. Um sie von solcher weltlicher Lust 
einigermassen abzuziehen oder dieselbe mOglichst geistlich zu 
machen, erfand der Bischof Wibold von Cambray (972) ein 
besonders kunstreiches und auf die christlichen Tugenden urn- 
gedeutetes Wtirfelspiel, eine Alea regularis, das viel verbreitet 
gewesen zu sein scheint (Pertz mon. 9, 433). Indessen wurde 



1 ) Hartmann v. Aue, Armer Heinr. 335. — Uber die Ringe a\s 
Spielzeug spater. 

2 ) Aus dem arab. jasara, wiirfeln, nach Diez. 



104 



der weltliche Wiirfel dadurch nicht verdrangt, und Concilien 
wie Synoden haben stets vergebens dagegen gekampft 1 ). 

Die Wiirfel waren von Bein oder von Elfenbein 2 ); in 
dem Morfund von Silderbrarup in Schleswig fand sich sogar 
ein Wiirfel aus Bernstein 8 ), der mehr oblong als viereckig 
war. Die Wiirfelaugen hiessen mit romanischen Namen essi, 
esse; dus, taus; tria, drie; quater; zingo, zinke; ses. Eeinmar 
von Zweter, der ehrenwerthe Spruchdichter des 13. Jahr- 
hunderts, hat die teuflische List des Erflnders der Wiirfel 
dargelegt, der durch scheinbar fromme Bedeutung der ein- 
zelnen Zahlen die Spieler um so sicherer beriicken wollte 
(MSH. n. 196 b , Nr. 109). Ein Strafgedicht aber das Wiirfel- 
spiel verfasste im 14. Jahrhundert Peter Suchenwirt (CI. H&tz- 
lerin, S. 203). 

Forderte das Wiirfelspiel 4 ) die Leidenschaft der Mensehen 
heraus und verfiihrte sie zu Trug und Zank und zu den bOse- 
sten Verirrungen 5 ), so war das beim Brettspiel (bickelspil, 
bretspil, zabelspil; in oder uf dem brete spiln oder zabeln) 
weit weniger zu befiirchten. Dasselbe ist sehr frtth zu den 
(rermanen gekommen; schon auf einem der beiden Tondern- 
schen GoldhOrner, die 300 — 350 n. Chr. gesetzt werden, waren 
zwei Manner mit einem Brett abgebildet, das an den vier Seiten 
mit Steinen belegt ist. Es entspricht im ganzen unserem 



- 1 ) Das stets auf Geldgewinn gerichtete zabeln ward nicht bloss 
in Privathausern, sondern auch in offentlichen Spielhausern, zabelhus 
Warnung 1308, getrieben, oder in der taberne, dem lithus, vgl. Haupt 
zu Parz. 82, 13 ff. in s. Zeitschr. XI, 53 ff. 

2 ) M. Boica VII, 502. Bisch. Wolfgers v. Passau Eeiserechn. 
S. 3. Konrads von Haslau Jungling 292. 

8 ) Engelhardt, Thorsbjergen Mosefunden 22. 

4 ) Von dem Fall der Wiirfel (cadentia, frz. chance, deutsch 
iibernommen als schanze) bildeten sich ubertragene Redensarten auf 
den Gliicks- und Zufall. 

6 ) tessera materies est omnis perditionis, tessera depomt ho- 
minem summae rationis. sunt comites ludi mendacia jurgia nudi, 
rara fides furta macies substantia curta. Carmina burana no. 183. 
prefice, scribe, lude, sed non cum tessera lude, predigt Nicolaus 
v. Bibera dem vagus scolaris, v. 1291. 



105 



Damspiel oder Damenziehen (jeu de des), und ward mit den 
bickel- oder zabelsteinen auf dem zabelbret gespielt. Die 
lunden Steine waren von Holz, von gewOhnlichem Bein oder 
Elfenbein und bei kostbarem Stoffe auch durch Schnitzerei 
verziert. Ein dem 11. Jahrhundert zugeschriebener Brettstein 
mit einer Scene aus dem Apolloniusroman liegt in der filrst- 
lichen Sammlung in Sigmaringen 3 ), ein andrer aus dem 12. 
Jahrhundert mit einem ritterlichen Kampf bilde in der mittel- 
alterlichen Sammlung zu Basel 2 ). Aus dem 13. Jahrhundert 
und aus spaterer Zeit sind mehrere erhalten 8 ). Die Madchen 
und Frauen spielten gern im Brett um kleine Werthsachen 
oder um Neckereien (Konrad, Trojan. Kr. 15897 ff.), und die 
bickelsteine werden unter ihren Besitzthtlmern genannt 4 ). 

Sobald auf dem, Brett mit Wtlrfeln gespielt ward, durch 
deren Wtlrfe die Steine herausgeworfen und wieder gewonnen 
wurden (wurfzabelspil; buf) ging es heftiger um Ofewinn. 
Streitscenen, die beim Brettspiel entstehn, sind morgen- und 
abendlandischen alten Eomanen wohl bekannt. 

Von dem Aufwand, der in der reicheren Gesellschaft 
mit Zabelbrett und Steinen getrieben ward, geben noch manche 
erhaltene Bretter Kunde. Besonders zu erwahnen ist eins, 
das in einem Altar zu Aschaffenburg als Reliquienbehalter 
gefunden ward, dessen Felder aus Jaspis und Bergkrystall 
bestehn, unter denen allerlei Figuren romanischen Styls auf 
Goldgrund liegen. Der Deckel ist von Krystall mit Silber- 
zierat r ). 

Eine besondere Art des Brettspiels war die mile oder 
das mil en 6 ). Ob es unserem Mtihle Ziehen entspricht, oder 



!) v. Hefner -Alteneck, Kunstwerke und Qerathe. Taf. 38 D. 
Die Deutung des Bildchens durch Messmer im Anzeig. f. K. d. Vorz. 
XXVI, 132 ff. 

2 ) Abgebildet im Fuhrer durch die ma. Samml. in Basel, S. 36. 

8 ):Schultz, HGfisches Leben I, 533. (2. A.) 

4 ) Haslein in Hagens Ges. Abent. XXI, 91. Dieffenbach, Gloss. 252. 

5 ) v. Hefner -Alteneck, Kunstwerke und Gerathe des Mittel- 
alters II, 62-65; ein ahnliches in der Ambraser Sammlung zu Wien, 
E. v. Sacken, Die Ambraser Sammlung II, 117. 

6 ) Eilhart Trist. 6365. Krone 641. 



106 



mit Wttrfeln gespielt ward, lasst sich schwer entscheiden; 
denn das Bild in der Heidelberger Handschrift des Eilhartschen 
Tristan, auf dem drei Karten und zwei Haufchen Brettsteine 
vor den spielenden liegen, kann nichts gelten, da es erst aus 
dem 15. Jahrhundert ist. 

Das von Hug von Trimberg im Renner 16733 genannte 
trtttscheln mit pretspil und mit krichelin scheint ein KnOchel- 
spiel zu sein 1 ). 

Alle diese Spiele ttbertraf an Ansehen das kOnigliche 
Schachspiel, egregius scachorum ludus (Carm. Burana no. 
185), ein herren spil (Virginal 514, 11) genannt, weil es recht 
eigentlich als Spiel der vornehmen Kreise gait 2 ). 

In Indien als Kriegsspiel im 6. Jahrhundert erfunden, 
war es von dort nach Persien und urn das 8. Jahrhundert 
nach Arabien gekommen, wo es seine rechte Pflege und 
Ausbildung erhielt : '). Durch die Araber ist es nach dem 
Abendlande gebracht worden. Das alteste Zeugniss fttr 
Italien gibt ein Brief des Peter Damiani von 1063 etwa, 
worm tlber das weltliche Leben des Clerus und dabei ttber 
die Leidenschaft des Wttrfel- und Schachspiels (alearum in- 
super furiae et schachorum) geklagt wird. Fttr Spanien zeugt 
eine bekannte, gegen Ende des 11. Jahrhunderts fallende Stelle 
in der Disciplina clericalis des Petrus Alfonsi VI, 8, worin den 
sieben freien Kttnsten der Gelehrten die sieben ritterlichen 
Kttnste (probitates) reiten, schwimmen, bogenschiessen, Faust- 
kampf, Vogelstellen, Schachspiel (scacis ludere) und Verse- 
machen gegenttber gestellt werden. Alter als jener Brief des 
Peter Damiani ist ein Zeugniss fttr das Schachspiel in Ober- 



1 ) Elsassisch Drusch, die Knochel, Frommann, Zeitschr. fiir d. 
Mundarten IV, 9. Renner 17531 wird trutscheln neben bozzen und 
scheiben als die rechte Lust der Scholaren geruhmt. 

2 ) W. Wackernagel, tlber das Schachspiel im Mittelalter: Kleine 
Schriften I, 107—127. 

8 ) A. v. d. Linde, Geschichte und Literatur des Schachspiels. 
Berlin 1874. I, 64 ff. tlber die Verbreitung nach Europa, ebd. 134 ff. 
A. v. d. Linde, Quellenstudien zur G-eschichte des Schachspiels. 
Berlin 1881. 



107 



deutschland, das in der lateinischen Novellendichtung Ruod- 
lieb (II, 185 ff.) sich findet, wonach der Held derselben auch 
ein ausgezeichneter Schachspieler war. Gegen die Mitte des 

11. Jahrhunderts 1 ) ist hiernach das edle Spiel in Stid- 
deutschland schon bekannt gewesen und viel fruher ist es 
nicht zu uns gekommen. In den althochdeutschen Sprach- 
denkmalern findet sich das Wort sc&ch noch nicht; in dem 

12. Jahrhundert begegnet es oft und eine Menge Redensarten, 
die aus dem Spiel stammen, werden in der Sprache auch der 
Dichter gebraucht 2 ). 

Die altesten erhaltenen Schachfiguren geh6ren dem 
12. Jahrhundert an 8 ); es sind schwere, faustgrosse Stttcke 
aus Elfenbein Oder Hirschhorn, die unter Umstanden recht 
gut als Wurfstticke dienen konnten, wie sie die schOne An- 
tikonie brauchte, als man sie mit Gawan in zartlicher Ein- 
samkeit tlberraschte (Parz. 408, 29 ff). Nach den Angaben 
franzflsischer Dichter wurden die Figuren auch aus Edelsteinen 
geschnitten. Am gewOhnlichsten aber waren sie aus Holz; 
Wirnt von Gravenberg in seinem Wigalois (10580; 270, 1) 
beklagt das freilich, da Elfenbein prachtiger sei. Das Schach- 
brett (scacarium, sch&chzabel, entsteljt zu sch&chzagel oder 
sch&fzabel) war den Figuren entsprechend einfach oder kostbar. 

Die mittellateinischen Namen der sch^chzabelgesteine 
waren rex, domina oder femina oder virgo oder regina, eques, 

2 ) Gegen die altere Datirung durch Schmeller hatte schon 
W.Grimm, Z. Geschichte des Reims 142 f. 7 Einwehdungen erhoben; 
vgl. auch MtiUenhoff-Scherer, Denkmaier, S. 363, 2. A. Seiler stellt 
den Ruodlieb um 1030. Von Seiten des Schachhistorikers ist liber 
das Alter des Ruodlieb gehandelt durch v. d. Linde a. a. 0. II, 
142-149. 

2 ) Die frtihste Erwahnung des schachzabels in einem deutschen 
Gedichte, Rolandl. 22, 17. Stellen aus Gedichten hat v. d. Linde 
gesammelt a. a. 0. II. 164—169, wozu W. Miillers und Lexers WOrter- 
biicher zu vergleichen sind. Eine schachspielende Dame sieht man 
auf dem Bilde des Markgrafen v. Brandenburg in der Manessisch- 
Heidelberger Liederhandschrift. 

3 ) v. d. Linde a. a. 0. II. 311—321. — Massmann, Geschichte des 
mittelalterlichen Schachspiels. Quedlinburg 1839. Taf. I— X. A. Schultz, 
Hofisches Leben I, 539 f. Weinhold, Altnordisches LGben 425. 



108 



alficus alphinus oder senex, roccus, pedites; die deutschen 
kiinec, kiineginne, ritter, alte, roch, venden (oder vuozgengen) ; 
die nordischen konungr, drottning oder fru, riddari, biskupr, 
hrokr, ped 1 ). 

In welchem Ansehn daa Schachspiel im 13. und in 
den folgenden Jahrhunderten als ernstes inhaltreiches Spiel 
stund, beweist am schlagendsten, dass ein Dominikaner, Ja- 
cobus deCessoles 2 ), tiber das Schachspiel eine Reihe von 
Predigten hielt, in denen er nach der symbolischen und alle- 
gorischen Auslegekunst jener Zeit die Figuren und die Regeln 
des Spiels auf die sittlichen und die gesellschaftlichen Pflichten 
und Lebenssatzungen der einzelnen Stande auslegte. Wenn 
diese von Jacobus um 1300 in Buchform gebrachten Predigten 
fQr die Geschichte der abendl&ndischen Spielart des Schach 
sehr wichtig sind, so zeigen sie andrerseits, wie tief ver- 
wachsen dasselbe mit dem ganzen Leben des Occidents ge- 
worden war. Das Solatium ludi Scacchorum scilicet regiminis 
ac morum hominum et offlcium virorum nobilium, oder wie 
der Titel auch heisst Liber de moribas hominum et de of- 
ficiis nobilium super ludo scaccorum des Jacob von Cessoles 
fand lateinisch und in Ubertragungen die weiteste Ver- 
breitung 8 ). 

Ausser prosaischen Ubersetzungen in das Deutsche sind 
vier poetische deutsche Bearbeitungen zu erwahnen. Die 
alteste scheint die von Heinrich von Beringen*), einem Ale- 
mannen aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts; dann folgte 
die von Konrad von Ammenhusen, Leutpriester zu Stein am 
Oberrhein (1337 vollendet), welche spater (1507) Jacob Mennel 



J ) Die altfranzosischen waren roy, roine oder fierge (= fers), 
chevalier, auphin, roch, peons. 

2 ) Nach v. d. Linde, Geschichte und Litteratur des Schachspiels. 
Berlin 1874. I. Beil. S. 31, war. Jacob ein Lombarde und fallt zwischen 
1250 und 1300. 

8 ) v. d. Linde a. a. 0. Beilage 2 zu Band I. 
4 ) Das Schachgedicht Heinrichs von Beringen, herausg. von 
P. Zimnierniann. Tubingen 1883. 



109 



ausbeutete 1 ). Im Ostlichen Mitteldeutschland hat ein unge- 
nannter Geistlicher, der Pfarrer zum Hechte, 1355 den Cessoles 
in deutsche Verse gebracht 2 ); eine niederdeutsche gereimte 
Bearbeitung hat ein Dorpater Schulmeister Stephan zwischen 
1357 und 1376 ausgefiihrt 8 ). 

In den polizeilichen Spielverordnungen stadtischer Obrig- 
keiten wurden Schachspiel und Brettspiel vom Verbot aus- 
genommen, freilich audi das Kartenspiel, wenn es zu 
keinem hohen Einsatz gespielt war. Die Spielkarten sind eine 
chinesische Erfindung vom Jahre 1120 n. Chr. Geb. und haben 
dann den Weg tiber Arabien nach Spanien und Italien ge- 
nommen, wie aus dem span. Namen naipes, dem italien. 
naibi fur Karten geschlossen wird. Vor der zweiten H&lfte 
des 14. Jahrhunderts scheinen die Spielkarten in keinem 
der Hauptiander des Occidents verbreitet gewesen zu sein 
bald aber das einschreiten der Obrigkeit nOthig gemacht tax 
haben. Aus Regensburg, Nilrnberg und Ulm stammen die 
altesten Verbote, also aus Stadten, die mit Italien in leb- 
hafter Handelsverbindung stunden 4 ). Nach Basel kam das 
Kartenspiel 1377 aus Frankreich. Ulm ward namentlich der 



J ) Das Schachzabelbuch Kunrats von Ammenhusen. Nebst den 
Schachbuchern des Jac. von Cessole und des Jac. Mennel, herausg. 
von Ferd. Vetter. Frauenfeld 1892. 

2 ) Her. von E. Sievers, Z. f. d. Alt. 17, 161-388. 

3 ) Nach dem Ltibecker Druck hersg. von Schliiter. Norden 1889. 
*) Regensburg 1378, 1393 nach G-meiners Chronik, citirt bei 

Schmeller, Bayr. W. 2, 286. 1, 284. St. Galler Rathssatzungen v. 1379. 
Im Nurnberger Pflichtbuch zu 1388. Ulm 1397. 1400. 1406. — Es 
geniige iiber die Karten zu verweisen auf v. Eitelberger, tTber Spiel- 
karten, in den Mittheilungen der k. k. Centralcommission Wien (1860) 
V, 93—102. 140—147. — Collectio Weigeliana, Die Anfange der Drucker- 
kunst von T. 0. Weigel und Zestermann. Leipz. 1866, II. 173—213. 
Jeux de cartes du XIV. au XVIII. Steele representes en 100 planches. 
Paris 1844. — (Merlin) Origine des cartes a jouer. Paris 1869. — 
Lehrs, Die altesten deutschen Spielkarten. Dresden 1885. — Bierdimpfl, 
Die Spielkarten des Bayr. Nationalmuseums. Miinchen 1884. — Katalog 
der im G-erm. Museum befindlichen Spielkarten und Kartonspiele- 
Niirnberg 1886. — Wilshire, A descriptive catalogue of playing and 
other cards in the British Museum. 1879. 



110 



Hauptort filr die fabriksmassige Anfertigung gemalter Karten 
(worunter freilich nicht bloss Spielkarten zu verstehn sind). 
Die Venetianer Maler litten unter Einfahrung dieser deutschen 
Erzeugnisse und ftthrten 1441 hierttber Klage. Aber Ulm be- 
herrschte den Kartenmarkt; in kleinen Fassern wurden diese 
Fabricate bis Sicilien und von dort weiter im 15. Jahr- 
hundert ausgefiihrt. 

Wir haben die Herstellung" der Karten, die zunachst 
durch Handmalerei, seit Mitte des 15. Jahrhunderts durch 
Patronendruck, spater auch durch Kupferstich geschah, hier 
nicht zu verfolgen. Uns geht nur an, dass auch das weib- 
liche Geschlecht in Deutschland gern Karten spielte. Im 15. 
und 16. Jahrhunderte hatten die reichsstadischen Damen 
Spielkranzchen, sogenannte KarthOfe; eine neuverheiratete 
musste sich bei ihren Freundinnen und Verwandten dadurch 
vorstellen. Auch die KarthOfe wurden unter die Luxusordnung 
gestellt 1 ). Wie leidenschaftlich durch diese Zeiten das Karten- 
spiel unter den Frauen gepflegt ward, kann Fischarts spGttische 
Bemerkung im Gargantua (c. 25) bezeugen: „dann er must 
gespilt haben. Kart war sein Morgengab, wie der Augsburgi- 
schen Weiber". 

Auch das Kartenspiel unterlag geisthcher Moralisation. 
Bald nachdem es in Basel bekannt worden, schrieb ein dor- 
tiger Dominikaner Johannes einen Ludus cartularum morali- 
satus, darin er das Spiel beschrieb und fur Vornehme und 
Geringe dann moralisch auslegte. Und ein spaterer Prediger- 
mOnch, der Elsasser In gold hat in seinem Goldenen Spiel 2 ) 
1432 ausser aber das Schach in Predigtweise tiber das Bret- 
spiel, das Kartenspiel, das Wurfelspiel, das „Dantzenspil" 



') Jager, Ulm 518. 539. t Y ber das Spielen unter den Juden 
deutscher Stadte: Berliner, Aus dem Leben der deutschen Juden 
S. 10 f. tTber moralisirende und symbolisirende Auslegungen des 
Kartenspiels: v. d. Linde, G-esehichte und Litteratur des Schachspiels. 
1. Beil. S. 147. tTber das Spiel vom Rechtsstaridpunkt: H. Schuster, 
Das Spiel, seine Entwicklung und Bedeutung im deutschen Recht. 
•Wien 1878. 

2 ) Neu herausgegeben von Edw. Schroder, Strassburg 1882. 



Ill 



(darin er laufen, springen, ringen begreift), zuletzt uber das 
„Schiessenspil a (kugeln, bolen, ballen, kegeln) moralisch-sym- 
bolisch. gehandelt. Eine Menge sprachlicher Wendungen sind 
aus dem Kartenspiel auf Verhaltnisse des Lebens iibertragen 
worden 1 ). 

Vom Spiel zum Ernst! Wir wollen jetzt die Weise 
der Erziehung des weiblichen Geschlechtes in unserem 
Mittelalter darzustellen suchen. Dabei werden wir freilich uber 
die unteren und armeren Schichten des Volkes so gut wie 
nichts aus den Quellen schOpfen kOnnen. In ihnen ging es 
her, wie etwa noch im vorigen Jahrhunderte unter der Land- 
bevOlkerung, als der Schulen auf den DOrfern wenige stunden 
und der Unterricht selbst in den Schulen der Kirchorte durftig 
und wenig regelmassig war. Die Madchen wurden auch damals 
noch zuerst zum Htlten der Ganse, zu kleinen Arbeiten im Hause 
undFeldeangeleitet, lerntennothdurftigdenKatechismus, kaum 
lesen, schreiben selten, und wurden dann bei wachsenden 
Kraften die Magde des elterlichen oder brtiderlichen Hauses 
und dadurch zur Stellung als Hausfrau vorbereitet. So ist es 
auch in dem Mittelalter gewesen. 

Anders freilich stund es um die Erziehung in der reichen 
und vornehmen Gesellschaft. 

Die TOchter der Vornehmen wuchsen entweder bei 
Pflegeeltern auf oder wurden der Obhut einer Erzieherin ttber- 
geben, Meisterin oder Zuchtmeisterin (meisterinne, zuht- 
meisterinne, zuhtmuoter ; magezoginne) genannt, die zugleich 
tlber die gesammte weibliche Umgebung des Frauleins gesetzt 
war. FtirstentOchterwaren namlichvon einer Schaar junger Mad- 
chen aus den bestenGeschlechtern desLandes umgeben, die ihre 
Gespielen und die Genossen der Lehre und Unterhaltung 
waren 2 ). Die Meisterin unterwies in weiblichen Arbeiten, in 
der Anstandslehre und zuweilen auch in Musik; ausserdem 
war sie die Ehrendame der Pfleglinge. Neben ihr stund ein 



x ) R. Hildebrand in Grimms D. Worterb. V, 235 ff. 
2 ) Epist. Alcuin. 199. Monach. Sangall. II, 12. Angilbert III, 
182 flf. (Pertz, Monum. II, 396 ff.). Gudr. 566. Lanzel. 4067. 



112 



hoher Hof beamter, der Kammerer, als Schutz und Hiiter der 
jungen FurstentOchter, dem es verstattet war, in die Erziehung 
einzugreifen und zu rilgen und bessern, wo es ihm nOthig 
schien (Gudr. 411. 1528. Erigelh. 1843). 

Einen Blick in die Erziehungsart der vornehmen Madchen 
gestattet Einhards Bericht ttber die Weise, wie Karl d. Gr. 
seine TOchter Rottrud, Berhta, Gisela, Rothaid, Theotrada 
unterrichten liess (Einhardi Vita Kar. M. c. 19). Selbst bestrebt, 
sich in Wissenschaften noch spat auszubilden, liess er das 
bei ihm fruher versaumte bei seinen Kindern wohl wahr- 
nehmen. SOhne wie TOchter wurden in alien Kenntnissen, 
die er selbst zu gewinnen suchte, unterrichtet. Die TOchter 
mussten ausserdem weben und spinnen lernen* damit sie die 
Mussestunden nutzlich verbrachten, und wurden zu dem, was 
zur Zucht und Sitte gehftrt, angeleitet. Aber schon vor Karl 
des Grossen Zeit ist in Neustrien ein gewisser wissenschaft- 
licher Unterricht der Madchen nachzuweisen. Als Chlothar 
das thuringische Reich zerstOrt hat (529), lasst er Radegund, 
des letzten KOnigs Ermanfried Nichte, zur feineren Erziehung 
nachFrancien bringen, wo sie im lesen und schreiben (in litteris) 
unterrichtet wird (Venant. Fortunat. vita Radeg. 2). Bei den 
Ostgoten hatte das Vorbild der rOmischen Bildung auf die Er- 
ziehung der Madchen Einfluss. Theoderich konnte dem thiirin- 
gischen KOnig Ermanfried die Bildung seiner Mchte, die er 
demselben vermahlte, nicht genug riihmen ^ ; und Amalasvinth, 
seine Tochter, gait filr eine Gelehrte. 

Den wissenschaftlichen Theil des Unterrichtes leitete 
immer ein Weltgeistlicher oder ein Monch, denn sie waren die 
einzigen Gelehrten der Zeit. An den HOfen tibernahm der 
Kapellan die Lehrstunden ; zuweilen auch wurden die Madchen 
gleich den Knaben in Klosterschulen gegeben. In England 
kam dies bald nach der Bekehrung des Landes in Brauch; 



x ) Cassiodor schrieb an Ermanfried: habebit felix Thoringia 
quod nutrivit Italia, Uteris doctam, moribus eruditam, decoram non 
solum genere quantum et feminea dignitate, ut non minus patria 
vestra istius splendeat moribus quam suis triumphis. Cassiodor. 
var. 4, 1. 



113 



da es aber anfangs an guten KlOstern fehlte, wurden die 

Kinder, die besonders sorgfaltig unterrichtet werden sollten^ 

in franzOsische Klosterschulen geschickt. Das dauerte, bis der 

ostanglische KOnig Sigebert mit Hilfe kentischer Priester 

Klosterschulen nach gallischem Muster in seinem Lande 

grttndete, die nach dem Antritte des Erzbischofs Theodorus 

(668) in Blute traten. In den englischen FrauenklOstern 

wurden auch klassische Studien getrieben, so weit diese eben 

gingen. Am ausgezeichnetesten scheint das Kloster Winbrunn 

gewesen zu sein. Dort machten die Nonnen sogar lateinische 

Verse und in diesem Kloster wurde auch Lioba (Leobgyd), 

eine Verwandte des heil. Bonifaz, gebildet, welche far die 

deutschen FrauenklOster wichtig ist. Sie folgte namlich dem 

Rufe von Bonifaz nach Deutschland und ward Vorsteherin 

des Klosters Bischofsheim an der Tauber, im Wurzburger 

Sprengel, das von dem grossen Missionar zur Musterbildungs- 

statte der deutschen Nonnen bestimmt war. Die litterarische 

Bildung scheint freilich auf das Lesen der heiligen Schrift 

beschrankt gewesen zu sein. 

Auf den Grundlagen, welche hier und anderwarts durch 
die englischen Nonnen gelegt waren, baute die Folgezeit 
weiter, und die FrauenklOster wurden die gewOhnlichen Er- 
ziehungsanstalten der reicheren Madchen. Kenntniss des Kate- 
chismus, der Gebetformeln, kirchlicher Gesange und einiger 
biblischer Geschichten und Legenden nebst weiblichen feineren 
Arbeiten haben von jeher diese Klosterbildung ausgemacht, 
welche nicht im mindesten unseren Anforderungen an die 
Frauenerziehung gemlgt, im Mittelalter aber ihren Werth be- 
anspruchen darf. Die Klausnerin Liutbirg, die in der Nahe 
von Halberstadt lebte und unter Ludwig dem Jiingeren (876 
bis 882) gestorben ist, unterrichtete junge Madchen im Psalmen- 
singen und in Handarbeiten. Erzbischof Ansgar von Hamburg 
schickte ihr Schulerinnen zu 1 ). Auch die h. Hildegard hatte 
ihren ersten Unterricht von einer Klausnerin erhalten. 



i) Vita, c. 35 (Pertz, Scr. IV, .164). 

Weinbold, Deutsche Frauen. I. 



114 



Der Unterricht begann wie heute ungefahr mit funf 
Jahren. Ansgar ward als fflnfjahriges Kind in die Schule ge- 
schickt (Pertz 2, 690), Bruno der heilige mit vier Jahren 
(929) dem Bischof Balderich von Utrecht tlbergeben (Pertz 
6, 255). Der jiinge Flore des Romans ist fQnf Jahre alt, 
da lasst ihn sein Yater „zu den Bttchern setzen", ein- 
gedenk dass den Kindern, sobald sie etwas verstandig 
werden, die Lehre am besten eingehe. Der Knabe kann 
sich aber von seiner Gespielin, der gleich alten Blan- 
scheflur, nicht trennen, und weiss es bei seinem Vater 
durchzusetzen, dass sie, die Tochter einer Sklavin, an dem 
Unterrichte theilnehmen darf. Um den Kindern mehr Lust 
und Eifer zu machen, lasst seine Mutter noch sechzig kleine 
Madchen mit in die Schule gehn (Konrads Flore 1395). Era- 
elius erhielt mit funf Jahren Unterricht im lesen, Gregor 
der ffuote sundaere mit sechs Jahren, Alexius mit sieben 1 ). 
Sieben Jahre waren das gewOhnliche Alter fQr den Eintritt 
der Knaben in die Schule. Auch in die Schulen der Nonnen- 
klOster wurden die Madchen mit sieben Jahren aufgenommen. 
Im Norden scheinen sieben Jahre, also der Zeitpunkt, wenn 
der Knabe der mutterlichen Erziehung ferner trat, ebenfalls 
den Anfang des Unterrichts gegeben zu haben. Der Jarl 
Hakon lasst seinen ZOgling, den KOnigssohn Hakon, als er 
sieben Jahre alt ist, zu den Btichern setzen (Fornmanna s. 
9, 241). War das Kind sieben Jahre geworden, so trat an 
seine Eltern oder an die Paten die Pflicht heran, dasselbe 
die Glaubensformel und das Vaterunser zu lehren (Berthold, 
Pred. I, 44). 

Die Unterweisung in den Elementen der Wissenschaft 
fand indessen bei den Germanen, wenigstens in Bezug auf die 
Knaben, nur schwer Eingang. Dem Manne gehOrten die Waflfen, 
sie fahren zu lernen, und die Glieder des Leibes und damit 
die Seele zu starken, war seine Erziehung 2 ); das Weib alien- 
falls mochte sich die geheimen Kilnste des Lesens und des 



!) Eracl. 396. Hartmanns Gregor 986. Alexius A. 168. 
2 ) Altnord. Leben 293—320. 



115 



Schreibens aneignen, so dachten und sprachen sie. Wir lernen 
diese Ansichten aus dem Streite kennen, in den Amalasvinth, 
die Tochter des grossen OstgotenkOnigs Theoderich, mit den 
Vornehmen ihres Volkes gerieth. Sie liess ihren Sohn, den 
jungen K6nig Athalarich, von einem rOmischen Grammatiker 
unterrichten und hatte ihm ausserdem drei alte Goten zu 
Erziehern gesetzt. Darttber ward das Volk unwillig und be- 
antragte durch Abgeordnete die Anderung der Erziehung. 
KOnig Theoderich habe keine Kinder der Goten in die Schule 
schicken lassen; Gelehrsamkeit entfremde dem Manne mann* 
lichen Sinn, denn er werde dadurch furchtsam und weibisch. 
Dem Knaben gehOre der Ger und das Schwert zur tJbung. 
Amalasvinth musste diesen Vorstellungen nachgeben und ge- 
sellte fortan statt der Greise ihrem Sohne gotische Knaben 
als Gef&hrten (Procop. b. goth. 1, 2). Seltsame Ironie ist es 
tlbrigens, dass demselben Athalarich in einem. Edicte durch 
seine rOmischen Rathe Filrsorge ftlr die Grammatiker und 
eine ilberschwangliche Lobrede auf die Grammatik eingegeben 
ward *). Zu beachten bleibt auch bei diesem Widerstreben 
der gotischen Patrioten gegen die rOmische Bildung, dass von 
Theodat, dem MitkOnige der Amalasvinth, berichtet wird, er 
sei in lateinischer und griechischer Litteratur und in theo- 
logischer Wissenschaft bewandert gewesen*). 

Karl d. Gr. verordnete, nachdem er schon 786 und 789 
unter Alcuins Beirath die Errichtung von Schulen fQr die 
Erziehung des Clerus befohlen, auf dem Aachener Reichstage 
von 802 (c. 12), dass jeder Laie seine SOhne in die Schule 
schicken solle, damit sie lesen lernten. In Mainz 813 (c. 45) 
wird die Forderung wiederholt, mit Betonung des lernens der 
nothwendigsten Katechismusstucke. Aber die Verordnungen 
halfen wenig, denn an wenig Orten im grossen Frankenreich 
gab es Schulen, selbst nur fiir die nOthigste Bildung der 
Cleriker. Und nun erst for die Laien ! Der Widerstand gegen 



2 ) Esheisst unter anderm in diesem Edicte: hac (grammatica) 
non utuntur barbari reges: apud legales dominos manere cognoscitur 
singularis. Cassiod. var. IX, 21. 

a ) Cassiod. var. X, 3. . 

8* 



116 



die elementarste Schulbildung blieb auch das ganze Mittelalter 
hindurch unter den deutschen Mannern; sie kam ihnen pf&f- 
fisch oder weibisch vor. Die Klage des Kapellans KOnig 
Konrads II., des gelehrten Wipo, dass die Deutschen jede 
Bildung nutzloa und schmahlich danke, wahrend sie in Italien 
gesucht und angesehen sei 1 ), kOnnen wir tlber unser ganzes 
Mittelalter erheben. Es gab auch unter den Laien stets ein- 
zelne Manner, die Bildung und Wissenschaft ehrten; die 
Menge des Adels aber glich jenen Vettern Ulrichs von Hutten, 
die uber den gelehrten Verwandten spOttisch die Achsel 
zuckten. Ganz im Geiste Wipos, aber ebenso vergebens rieth 
der unbekannte geistliche Dichter der Warming (v. 1495 ff.) 
im 13. Jahrhundert den Rittern, ihre Kinder lesen lehren 
zu lassen, damit sie aus den Buchern das Recht lernten 
und die Liebe zu Gott 2 ), ein Rath, den wir in einem fran- 
zOsischen Doctrinal des 13. Jahrhunderts fast mit denselben 
Worten den Junkern ertheilt sehen 8 ). 

Die Grundvoraussetzung der modernen Bildung ist lesen 
und schreiben. Schon aus dem Uber den Jugendunterricht 
im allgemeinen bemerkten ergab sich, dass diese Ktlnste 
mit der Grundung der NonnenklOster in Deutschland auch 
den M&dchen und Frauen zuganglich wurden. Lioba (Leobgyd), 
die Verwandte des h. Bonifaz, die Abtissin von Bischofsheim 



2 ) Tetralog. in honor. Heinric. III. (1041 verfasst). Wipofordert 
den Konig auf, ein Gesetz zu erlassen, dass die Yornehmen ihre 
SOhne in die Schule schicken mussen, gleich dem italienischen Adel. 
Heinrich III. selbst hatte auf Betrieb seiner Mutter Gisela eine 
gelehrte Erziehung genossen, unter ihm bliihten die Studien im Reich. 
Auch Heinrich IV. und Heinrich V. waren gebildet; von Heinrich IV. 
wird gertihmt, dass er die einlaufenden Briefe selbst habe lesen 
konnen. Am Hofe der fr&nkischen Kaiser wurden vornehme Knaben 
noch erzogen und unterrichtet: Wattenbach, Deutschlands Geschichts- 
quellen 2, 3 ff. (6. A.) 

2 ) Die Klagen tiber die Gleichgiltigkeit oder Feindseligkeit des 
deutschen Adels gegen die Wissenschaften dauern in der Folge fort. 
Vgl. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen 2, 5 (6. A.) 

3 ) F. Wolf in den Denkschriften der Wiener Akademie der 
Wissensch. XIII, 182. 



117 



an der Tauber, durfen wir. daher als eine der ersten Lese- 
und Schreibmeisterinnen deutscher Jungfrauen nennen. Wie 
diese neue Kunst von den Nonnen nicht bloss zu kirchlichein 
Dienst getlbt ward, sondern auch zur Aufzeichnung weltlicher 
Liedchen, welche sie sich unter einander zuserideten, beweist 
das kirchliche Verbot von 789 1 ). 

Wenn unter den Frauen sieh der Trieb nach Bildung 
aussert, so geht er zunachst auf die Aneignung von lesen 
und schreiben. KOnigin Mathilde, die Witwe K'Onig Heinrichs L, 
hatte sich nach des Gemahls Tode diese Kenntnisse erworben 
und hielt darauf, dass ihre ganze Dienerschaft, mannliche 
und weibliche, lesen und schreiben lernte 2 ). Auch einsichtige 
Mtltter liessen ihre TOchter in diesen Elementen unterweisen 8 ). 

Ein Hauptzweck filr die Lesekunst des weiblichen Ge- 
schlechts war, den Psalter mit eigenen Augen geniessen und 
auswendig lernen zu kOnnen. Albert von Stade berichtet, die 
h. Hildegard (t 1179) habe bis zu ihrer Erleuchtung nach der. 
Sitte der adlichen Madchen nur den Psalter gekannt und ge- 
konnt, den sie eine Klausnerin gelehrt hatte. Dann habe sie 
plotzlich durch ein Wunder sammtliche Bucher des alten und 
neuen Testaments auswendig gewusst. Wir haben friiher 
schon von ihrer Gelehrsamkeit und ihrer geistigen Bedeutung 
gesprochen (S. 68). Gisela, die Gemahlin Kaiser Konrads II., 
liess sich die notkersche Ubersetzung' der Psalmen und des 
Buches Hiob abschreiben 4 ). Der Psalter (Salter, salterbuoch) 
war das gewOhnliche Andachtsbuch der Frauen und zahlte zu 
den vorzugsweise weiblichen Erbstiicken; saltere unde alle 
buke, die to godes deneste horet, die vrowen pleget to lesene, 



x ) nullatenus ibi winileodes scribere vel mittere praesumant. 
Gapit. general, v. 789, c. 3. Dass winileot uberhaupt den Gegensatz 
zu den geistlichen Psalineri und Hymnen bezeichnet und die Gesange 
weltlichen Inhalts umfasst, nicht bloss Liebesliedchen, ergibt sich aus 
den lat. Glossirungen dieses Wortes. 

2 ) Widukind. Ill, 75 (Pertz Y, 466). 

3 ) Pertz V, 336. 

4 ) Pertz, Mon. II, 58. 



118 



waren Bestandtheil der Gerade 1 ). Otfried schon lasst die 
Jungfrau Maria bei der Verktodigung aus ihrem Psalter singen 
(L 6, 10) 2 ) und nach den Gedichten des 13. Jahrhunderts hofi- 
scher und volksthflmlicher Haltung ist der Psalter der stete 
Begleiter der Frauen, aus dem sie beten 8 ) und mit dessen 
verschiedenen Stdcken sie wohl auch nach Frauenart Segen 
und BeschwOrung treiben*). Diese t&glichen Gebetbtlcher, in 
kleinem Format, trugen die Frauen mittels eines Riemens am 
Gtirtel, oder auch in einem Beutel oder KOrbchen bei sich 6 ). 
Gerade die Psalmen wurden seit dem 9. Jahrhundert fort- 
wahrend in das Deutsche tibersetzt, sicher deshalb, weil 
sie das weibliche Erbauungsbuch waren und blieben. So 
konnten denn auch die Prediger, wie Bruder Berthold von 
Regensburg mehr als einmal that, in ihren Reden die Frauen 
auf die Bibelstellen verweisen, die sie in dem Psalter gelesen 
hatten. Einem unbegabten, dtlrftigen Scholaren wird in einem 
lateinischen Gedicht des 13. Jahrhunderts geraten, die Horen 
und den Psalter gut zu lernen und dann eine Madchenschule 
zu halten (Zeitschr. f. deutsche Philol. 5, 183). 

Weiteres fur die Lesekunde des weiblichen Geschlechts 
im 12., 13. und 14. Jahrhundert ergibt sich in Bezug auf die 
Klosterfrauen aus den zahlreichen lateinischen und deutschen 
Handschriften, die zum gottesdienstlichen Gebrauch derNonnen- 
klOster bestimmt waren. Fur die weltlichen vornehmen Frauen 
kann zunachst die Grafin von Cleve zeugen, welcher Heinrich 



*) Sachsensp. I. 24, 3, dazu Grimm, Rechtsalterthumer .577—583. 
Aufbewahrt wurden die Bucher in einem Schrein. Steinmar fragt 
das Madchen, dem er fur seine Gunst u. a. einen schrin verheissen, 
als es ihn mahnt: waz sol der schrin? wiltu eine salterfrouwe wesen? 
MSH. II, 158a. 

2 ) Das Auswendiglernen des Psalters gehOrte zu den Elementen 
des Unterrichts bei Geistlichen und Laien: Fr, A. Specht, Gtesch. des 
Unterrichtswesens in Deutschland bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts 
Stuttg. 1885, S. 60 f. 66. 

3 ) Parz. 438, 1. Flore 6223. Siegfried des Dorferers Frauentr. 68. 
Sperber 151. Roter Mund 176. Virginal 130, 9. Ortnit 523 (Mone). 

4 ) Wackernagel, Die mittelalterliche Sammlung in Basel, S. 9. 
6) Wattenbach, Schriftwesen. 3. Aufl. S. 401. 



119 



von Veldeke die Handschrift seiner noch nicht vollendeten 
Eneide 1 ) zum lesen und schauen (also eine mit Bildern gezierte 
Handschrift) lieh. Der Jungfrau aber, welcher das Buch zur 
Verwahrung anvertraut war, entwendete es Graf Heinrich 
Raspe und nahm es nach Thuringen mit sich. Ferner jene 
Frau Bele, welche sich die geistlichen Gedichte Wernhers 
vom Niederrhein und des Wilden Manns abschreiben Hess 2 ). 
Gewiss dttrfen wir annehmen, dass viele jener zierlichen, mit 
reichen Initialen Oder auch mit Miniaturen geschmtickten 
Handschriften, die von den Dichtungen beliebter Poeten ge- 
fertigt wurden, im Besitze reicher Frauen gewesen sind 8 )» 
Aus solchen Biichern lasen dann die TOchter ihren Eltern 
(Iwein 6455), Hoffraulein ihren Gebieterinnen vor (WigaL 
2710 ff. oder 73, 9) 4 ); und auch zum eigenen, stillen lesen 
waren sie bestimmt. Swelh sinnic wip diz maere geschriben 
siht, spricht Wolfram von Eschenbach (Parz. 337, 3); und 
Thomasin von Zirclaerfc empfiehlt in seinem Welschen Gast 
den Jungfrauen bestimmte Gedichte, um sie anzuhOren oder 
selbst zu lesen (1026 ff.) 5 ). Dass spaterhin wenigstens in 
jenen NonnenklOstern, in denen das erregte mystische Leben 
blilhte, von dem wir gesprochen haben, die Kunde des Lesens 
zu Hause war, bedarf kaum eines Wortes. 



*) Eneide, herausg. v. Behaghel 134, 45 ff. 

2 ) Wernher v. Niederrhein, herausg. v. W. Grimm, S. Y. 

8 ) Die KOlner Wigaloishandschrift, im ersten Yiertel des 
13. Jahrhunderts geschrieben, besass im 15. Jahrhundert eine Gr&fin 
von Castel, Pfeiffer Wigalois, S. IX. Eine spatere beruhmte Bucher- 
sammlerin war Mathilde, Tochter des Churfursten Ludwig IV. von 
der Pfalz, in erster Ehe mit Graf Ludwig von Wirtemberg (f 1450), 
in zweiter mit Herzog Albrecht dem Yerschwender von Osterreich 
(t 1463) vermahlt, an welche Puterich von Keicherzhausen seinen 
Ehrenbrief richtete, in dem er seinen Biicherschatz mit dem ihren 
verglich. tTber Mathilde Uhlands Schriften 2, 249 ff. E. Martin, Erz- 
herzogin Mechthild, Freiburg 1871. 

4 ) Entsprechende Stellen aus franzCsischen Gedichten bei 
A. Schultz, Hflf. Leben I, 160. (2. A.) 

5 ) Von Isot heisst es : die Utter (der geistliche Lehrer) do und 
allewege beide buoch und seitespil Trist. 7730. si kunde schriben unde 
lesen 8145. 



120 



Freilich fehlt es auch nicht an Andeutungen, dass die 
Frauen der vornehmen Gesellschaft des 13. Jahrhunderts der 
Buchstaben unkundig waren *) ; konnten doch selbst Wolfram 
von Eschenbach, der tiefsinnige, grosse poetische Stoflfe geistig 
durchdringende Dichter, ferner Ulrich von Liechtenstein, der 
reiche steirische Bitter (t 1275), und weit spater Graf Hugo VHL 
von Montfort (t 1423) nicht lesen, obgleich sie die gesellige 
Bildung ihrer Zeit besassen und als Dichter gefeiert waren. 
Lesen und Schreiben lernen hielt der deutsche Hitter fttr die 
Einleitung zum geistlichen Stande und liess es daher die 
SOhne, die nicht Geistliche werden sollten, nicht lehren. Fur 
die Frauen der niederen und armeren Schichten wird gewiss 
jedes Buch mit sieben Siegeln verschlossen gewesen sein 2 ). 

Die Schreibekunst setzt die Kenntniss des Lesens 
voraus, ist aber selbst eine hOhere Stufe der Bildung. Dass 
die deutschen Nonnen im 8. Jahrhundert recht gewandt zu 
schreiben verstunden, beweist jenes Verbot der Aufzeichnung 
und gegenseitigen Mittheilung weltlicher Gedichte (S. 117). 

Ausserdem wissen wir, dass die Nonnen von Maaseyk 
damals schreibkundig waren und dass neun Nonnen filr den 
gelehrten Erzkaplan Karls d. Gr v Hildebald von K61n, Hand- 
schriften fertigten 8 ). 

Aus dem 12. Jahrhundert kennen wir die Bene- 
dictinerinnen vom Nonnberge in Salzburg, von Admont in 
Obersteiermark und die Frauen des Medermunsters in Regens- 
burg als damit besch&ftigt, ftir ihr Kloster oder fur ihre geist- 
lichen Vater und Brtlder Werke lesbar und zuverlassig abzu^ 
schreiben 4 ). Besonders genannt als Schreiberinnen werden aus 

J ) Rosengarte C. 974. Ernst B. 349. 

2 ) Bruder Berthold von Regensburg konnte in einer seiner 
Predigten (II. 233, 6) geradezu sagen: wan ir leien niht lesen kunnet 
ah wir pfaffen, so hat iu got ouch zwei groziu buoch geben, da ir 
alle die saelde an lesen mohtet, der iu ze libe und ze sele nutze waere. 
daz eine ist der himel, daz ander diu erde. 

3 ) "Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter. 445 ff. (3. A.) 
*) Specht, Geschichte des Erziehungswesens 272 f. Auch die 

Nonnen Gertrud, Sibilia u. a., welche fur die Domini Monasterienses 
einen Codex abschrieben, Zarncke, Comment, de epistola presb, 
Johann. S. 5. 



121 



jener Zeit Diemuot von Wessobrunn, Gutta von Scfywarzen- 
tann und Liutkart von Mallersdorf in Bayern *). In einer Hand- 
schrift aus dem Stift S. Lamprecht in Obersteiermark hat 
die ungettbte Hand einer weiblichen Schreiberin auf die Rander 
ein Gedicht noch im 12. Jahrhundert geschrieben *). Wir haben 
f erner an die tagebuchartigen Aufzeichnungen der ekstatischen 
Nonnen des 13. und 14. Jahrhunderts iiber ihre Gesichte 
und mystischen Empflndungen zu erinnern. Von der Cister- 
Cienserin im Rotenmiinster Constanzer Sprengels Katherine 
?uBrugg (1366) hat sich ein Antiphonar erhalten 8 ). Als gute 
Schreiberinnen waren die Nonnen von Zinna (zum Magde- 
burger Erzbisthum gehOrig) im 15. Jahrhundert bekannt*). 
Auch mit Malereien nach dem Geschmack der Zeit ihre 
Handschriften zu schmticken, verstunden manche Kloster- 
frauen. Ein jetzt im Pester Museum bewahrtes prachtvolles 
und sehr grosses Missale ist das Werk der Regelnonne Mar- 
garethe von Merode im niederrheinischen Kloster Schillings- 
kapellen (Archiv ftir Osterreichische Gesch. 42, 514) aus der 
zweiten H&lfte des 15. Jahrhunderts. Daneben gab es im 
15. Jahrhundert auch weltliche Lohnschreiberinnen, die ftir 
Liebhaber Handschriften fertigten, z. B. die Augsburger 
Biirgerin Clara Hatzler 6 ), die fur J6rg Roggenburg allerlei 
Gedichte 1470/71 zusammen schrieb, und von der einSchwaben- 
spiegel im Kloster Lambach liegt. 

In der hOflschen Zeit gait die Schreibkunst auch fur 
eine feingebildete weltliche Frau sehr empfehlenswerth. La- 
vinia schrieb den Namen des geliebten Eneas mit goldenem 
Griffel auf die Wachstafel (Eneit 10621). Die ungluckliche 



2 ) Rockinger in den Abhandl. der bayr. Akademie d. W. XII, 2, 
173. Oberbayr. Archiv I, 355—373. Mon. Boica XV, 249. 260. Watten- 
bach 445. 

2 ) Schflnbach in Haupts Z. f. d. A. XX, 154. 

8 ) Wattenbach a. a. 0. 446. 

4 ) Jacobs und Ukerts Beitrage zur alteren Litteratur II, 24. 

6 ) Liederbuch der Clara Hatzlerin, herausg. von C. Haltaus, 
Quedlinburg 1840. — tiber Clara Hatzlerin Herberger in Baracks 
Katalog der Furstenbergschen Bibliothek zu Donaueschingen, Nr. 830. 



122 



Mutter Gregors des guten Stlnders verzeichnet auf die elfen- 
beinerne, mit Gold und Edelsteinen verzierte Tafel ihre und 
des Kindes unheilvolle Geschichte (Hartmanns Gregor 547 ff.) 
Isot, das Muster eines* fein erzogenen vornehmen Frauleins 
aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts, kann auch schreiben 
und lesen (Gotfr. Trist. 8141 ff.). Durch Ulrich von Lichten- 
stein wissen wir, dass nicht bloss jene Romanheldinnen, 
sondern auch lebendige deutsche Frauen die Schreibkunst 
Hbten : seine Dame schrieb ihm einmal einen Brief in Prosa, 
ein andermal ein Gedicht und sandte es ihm zu (Frauend. 
31, 30. 59, 20. 60, 25). 

Auf dem Bilde Reinmars von Zweter in der Manessischen 
Liederhandschrift ') sitzen zu Ftlssen des dictirenden Dichtera 
ein Madchen, das mit der Rohrfeder auf die lange Pergament- 
rolle schreibt, und ein Knabe, der mit dem Griffel in die 
Wachstafel grabt. 

In der heidnischen Zeit wurden die Runen in Holz, 
Bein, Stein und Metall geritzt oder geschnitten. Dass gar 
manche Frauen diese geheimnissreiche, mit tiefen Wirkungen 
verknupfte Kenntniss besassen, ist fnlher gesagt. Grosse Auf- 
zeichnungen waren es gewOhnlich nicht; oft gentlgte eine 
einzige Rune. Aber es gab sp&ter auch langere Inschriften 
in Runenstaben. So fordert nach der Egilssage (c. 78, 27) 
Thorgerd ihren Vater Egill auf, seinen Schmerz urn den er- 
trunkenen Sohn in einem Gedichte (dem Sonartorrek) zu 
lOsen. Sie wolle es dann in einen Stab ritzen. 

Mit der lateinischen Schrift kamen auch die Schreibstoffe 
der rOmischen Welt nach Deutschland: Pergament, dann 
Papier, mit Tinte und dem Schreibrohr oder der Feder'). Da- 
nebenblieben zu flttchtigerenAufzeichnungen und zu Ubungen 8 ) 
die mit Wachs tiberzogenen Tafeln in Brauch, auf welche 

2 ) v. d. Hagen, Bildersaal altdeutscher Dichter, Taf. 41. 

2 ) Wattenbach, Schriftwesen des Mittelalters 96 ff., 113. ff., 
222 ff., 233 ff. (3. A.) 

s ) Hug v. Trimberg im Renner 17394 nennt tavel und griffel 
als das, was in schuoler hende gehOrt; vgl. auch Specht, Gesch. des 
Unterrichtswesens, S. 70. 



123 



mit dem Griffel oder einem Stabchen geschrieben ward. Die 
Tafeln waren von Holz oder filr Reiche von Elfenbein mit 
Schnitzwerk und Goldverzierungen *) ; die Griffel in einfachster 
Art von Holz oder auch von Glas, die kostbaren von Elfen- 
bein mit und ohne Schnitzwerk oder von Gold oder Silber 2 ). 
Diese steckten in einem Griffelfutter; neben ihnen die Stab- 
chen zum tilgen der Schrift und glatten der Wachsfl&che. 
Wurden briefliche Aufzeichnungen far Entfernte auf Wachs- 
tafeln geschrieben, so kamen sie in ein verschliessbares Be^ 
h&ltniss 8 ). So schickte Elisabeth Staglin dem Heinrich Seuse 
ihre Lebensbeichte nach Constanz, geschrieben auf eine 
Wachstafel und verschlossen *). 

Die auf Pergament, und seit dem 14. Jahrhunderte 
mehr und mehr auf Papier geschriebenen Briefe wurden zu- 
sammengefaltet, beschnitten, auswendig mit der Adresse ver« 
sehen und gesiegelt. Bei den Pergamentbriefen zog man zu- 
weilen einen schmalen Pergamentstreifen durch den Brief 
und setzte das Siegel hierauf, so dass der Streifen zerschnitten 
werden musste, um den Brief zu Offnen. Das Briefformat war 
Querquart. Aufbewahrt wurden die Briefe in einer Lade (Vir- 
ginal 247, 1. 482, 12), wie das auch in den Archiven geschah. 
Die Boten trugen die ihnen anvertrauten Briefe in einer 
Tasche (Virgin. 454, 13) oder am Gttrtel in einer Buchse 
(pyxis, Virgin. 930, 1. Konr. Troj. Kr. 980), die auch briefvaz 
genannt wird (Ges. Abent. Nr, 6, 48. Enikel, Weltkr. 27026). 

Seitdem die Germanen mit anderen VOlkern in Oftere 
und genauere Bertihrungen kamen, erlangten sie auch die 
Kenntniss fremder Sprachen. Es kann natttrlich for die 



a ) Gregor 547. Flore 828. Abbildungen von diptychengleichen 
Tafeln in der Weingartener Liederh. (herausg. v. Fr. Pfeiffer, S. 89) 
und in der Manessischen (v. d. Hagens Bildersaal. Taf. 4, 41. 42). 

2 ) Eneide 10619. Flore 829. 2358. Neith. 48, 11. Wattenbach, 
Schriftwesen 219—222. (3. A.) Cher den hauftgen Gebrauch der 
Wachstafeln im Mittelalter und selbst bis in neuere Zeit: Wattenbach, 
ebd. 59-89. 

3 ) Eneide 10809. Eracl. 1680—1685. Virgin. 442, 1. 482, 11. 

4 ) Seuses ExemDlar I. 2. c. 36. 



124 



altesten Zeiten kein schulmassiger Unterricht darin voraus- 
gesetzt werden ; der Gebrauch und der gegenseitige Verkehr waren 
die Sprachmeister. Slaven und finnische St&mme sind uralte 
Nachbaren der Germanen im Norden und Osten gewesen, die 
Kelten im Westen und Silden; die Kenntniss ihrer Sprachen 
wird im Wechselverkehr oft erworben sein. Seit Ariovist ver- 
mittelte die gallische Sprache zunachstden Verkehr der Deutschen 
mit den ROmern, bis sie auch Latein lernten. Das Griechische 
und Lateinische gewannen dann weit grOssere Bedeutung als 
jsne; die sildlichen Ostgermanen erfuhren von Byzanz, die 
Westgermanen von Rom jene Einwirkung, welche uber- 
legene Geistes- und Lebensbildung stets austibt. Gotische 
Junglinge lernten in Konstantinopel griechisch, wie sehr viele 
junge Westdeutsche in Rom und in dem rOmischen Heere 
sich schori frtiher rOmische Rede und Sitte angeeignet hatten. 
Auch die Frauen mOgen nicht selten mit den Mannern in 
solcher Kenntniss gewetteifert haben. Wie lieblich plauderte 
in rOmischer Rede die Swebin Bissula mit ihrem Herrn und 
Freunde Dec. Magnus Ausonius (t 396)! Von Amalasvinth, 
des grossen Theoderichs Tochter, rtihmt Cassiodor, dass sie 
neben grosser Gewandtheit im Gotischen in attischer Zunge 
beredt gewesen sei und sich in rOmischer prachtig ausdrilckte 
(Var. 11, 1. 10, 4). Der spatere Anschluss der meisten Ger- 
manen an die rOmische Kirche und die Anlehnung des fran- 
kischen KOnigthumes an die rOmischen Staatsformen seit 
Chlodwig gaben der lateinischen Sprache eine grosse Macht 
in den deutschen VOlkern. Dass einer der merovingischen 
KOnige, Chilperich I. (t 584), der auch fur den Schulunterricht 
der Knaben im Latein Filrsorge trug (Greg. Tur. hist. Franc. 
5, 44), als lateinischer Dichter genannt wird, ist bekannt 1 ). 
Auch in NonnenklOstern ward schon damals lateinisch gelehrt; 
eine Nonne* Baudonivia verfasste in merovingischer Zeit eine 
Lebensbeschreibung der heiligen Radegund; im 8. Jahr- 
hunderte schrieb in dem Kloster Heidenheim im Eichstatter 



2 ) Unter den Wandalen versuchten aich einige als lateinische 
Dichter, Anthol. lat. ed. Meyer n. 545—557. 



125 



Sprengel eine englische gelehrte Nonne das Leben der ihr 
verwandten Bekehrer Willibald und Wynnebald l ). Unter Karl 
dem Grossen nahm das alles einen hOheren Aufschwung. In 
seiner Hofschule, die sich bald zu einer Akademie mit prak- 
tischen Zwecken entwickelte, war er selbst ein Schtller ; seine 
TOchter, seine Hofleute mussten seinem Beispiele folgen. Sein 
Sohn und Nachfolger Ludwig hatte in seiner Jugend Griechisch 
und Latein gelernt und auch lateinische weltliche Dichter ge- 
lesen; wollte aber spater nichts mehr von diesen wissen und 
wollte sie auch in den Schulen nicht mehr lesen lassen (Thegan. 
Vita Ludov. c. 19) 2 ). Paul Warnefrieds Sohn lehrte hier das 
Griechische, er, der fruher am langobardischen Hofe die KOnigs- 
tochter Adelperga unterrichtet hatte, fQr die er zur Erg&nzung 
von Eutrops Breviarium, das er mit ihr gelesen, seine rOmische 
Geschichte schrieb. Unter die Beschlttsse des Aachener 
Concils von 817 ward eine Bestimmung tlber die Erziehung 
der Nonnen aufgenommen (c. 22, de sanctimonialibus), die 
auf dem Briefe des h. Hieronymus an die Laeta fusste, und 
durch welche ausser Lesen und Schreiben auch Grammatik 
(natttrlich lateinische) und Kenntniss der h. Schrift, wenigstens 
einiger Bticher derselben, namentlich der Psalmen, fQr den 
Unterricht vorgeschrieben wurde. 

Die sachsischen Kaiser schritten in der Theilnahme far 
hOhere Bildung auf Karls Bahn fort. Kaiser Ottos zweite Ge- 
mahlin Adelheid, aus dem burgundischen Hause und Witwe 
KOnig Lothars von der Lombardei, war eine hochgebildete Frau, 
und nicht minder Otto des II. Gemahlin, die Griechin Theo- 
phano. Die Verbindungen mit Byzanz Offneten auch der grie- 
chischen Sprache das Thor. Die Tochter Herzog Heinrichs I. 
von Bayern, Hedwig, die Nichte KOnig Ottos I., war mit dem 
griechischen Kaiser Constantin als Kind verlobt und hatte 
von Kammerlingen, die deshalb nach Deutschland kamen, 
griechisch gelernt. Spater als junge Witwe des Herzogs Bur- 



*) Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands 2, 356 f. Watten- 
bach, Deutschlands Geschichtsquellen 1, 137. (6. A.) 

2 ) Vgl. Braune in den Beitr. zur Gesch. der deutschen Spr. u. 
Litt. XXI, 6. 



126 



kard von Schwaben lernte sie von dem Sangaller MOnche 
Eckehard auf ihrer Feste Hohentwiel lateinisch und las mit 
ihrem Lehrer Virgil und Horaz. Sie lehrte den jungen Kloster- 
schtiler Burkard etwas Griechisch *). J. V. Scheffel hat diese 
gelehrte und bedeutende Frau, sowie ihren Lehrer durch den 
Zauber der Dichtung fur die Gegenwart auferweckt. 

Hedwigs Schwester Gerbirg war Abtissin des sachsischen 
Stiftes Gandersheim (ungefahr von 957 bis 1001) und durch 
ihre Gelehrsamkeit und Weisheit wiirdig der kOniglichen Ab- 
kunft 2 ); ihre Schiilerin war Hrotsvith. Sie fdhrte dieselbe in 
die schwierigeren lateinischen Schriftsteller ein und durch sie 
erreichte Hrotsvith jene Herrschaft uber den lateinischen Aus- 
druck, die sie schmtickt. Das erste Zeugniss ihrer erworbenen 
Kenntnisse waren funf Legenden, denen sie noch drei folgen 
liess. Dann wagte sie sich an eine Folge von sechs KomOdien 
{962 — 967), die sie dazu bestimmte, den leichtfertigen Terenz 
aus den Schulen zu verdrangen. Gleich darauf dichtete sie 
nach der Aufforderung ihrer Abtissin Gerbirg das Lobgedicht 
auf deren grossen Oheim KOnig Otto I. (968) und sandte es 
dem Kaiser wie dessen Erbsohne zu. Den Beschluss ihrer 
schriftstellerischen Thatigkeit machte die Erzahlung der An- 
fange des Klosters Gandersheim. Den historischen Gedichten 
kann auch die nach mundlicher Uberlieferung von Hrotsvith 
verfasste Leidensgeschichte des h. Pelagius zugezahlt werden, 
die im tlbrigen unter die Legenden gehOrt. Legendarisch ist 
der Charakter sammtlicher Dichtungen der Hrotsvith. Wie sie 
die Geschichte, welche sie vortragt, als Wunderwerk fasst, 
das an dem sachsischen Hause gewirkt ward, so sind auch 
ihre KomOdien dramatischeDarstellungen legendarischen Stoffes, 
den sie der Gegenwart mOglichst nahe bringen will, indem 
sie Menschen und Leidenschaften nach dem Leben ihrer Zeit 
bildet. Ihre Stellung zur Frage der Moralitat vergleicht sich 
derjenigen der Verfasser der englischen Famihenromane des 



i) Eckehard, IV. cas. S. Galli (Pertz, Mon. II, 122—125). "Ober die 
geringe Kenntniss des Griechischen in jener Zeit bei den Deutschen 
SpQcht, Gesch. des Unterrichtswesens, S. 108 f. 

2 ) R. KOpke, Hrotsvith von Gandersheim. Berlin 1869, S. 35 f, 



127 



18. Jahrhunderts, die gleich Hrotsvith die bedenklichsten Cha- 
raktere und Situationen schilderten und die Eechtfertigung 
dafur in dem endlichen Siege der Tugend fanden. 

Es ist filr die Zeit der Ottonen bezeichnend, dass in den 
Frauenstiften ihres Hauses wegen der darin herrschenden 
Bildung' und des Sinnes fur Wissenschaft vornehme Knaben, 
die zum geistlichen Stande bestimmt waren, erzogen wurden *). 
Herford und Quedlinburg zeichneten sich im 10, Jahrhundert 
auch nach dieser Seite aus. 

In Quedlinburg verfasste (970—987) Hazecha, die Schatz- 
meisterin des Stiftes, eine Schrift zu Ehren des h. Christoph. 

Ebendort hatte Agnes von Weimar, Gattin des Pfalz- 
grafen Friedrich von Sachsen (t 1037), eine ausgezeichnete 
Erziehung genossen (MG. Scr. X, 142). 

Auch noch des letzten Sachsen, Kaiser Heinrichs II. 
Gemahlin Kunigunde, besass eine gute litterarische Bildung und 
war in kirchlichen und Profanschriftstellern bewandert. 

Unter den Kaiserinnen des fr&nkischen Hauses sind 
Gisela von Burgund, Konrads II. Gemahlin, und Agnes von 
Poitiers als gebildete, geistigem Leben geneigte, bedeutende 
Damen zu rtihmen. Ein Zeugniss far die Kunde des Latei- 
nischen bei stiddeutschen Nonnen des 11. Jahrhunderts ist 
das an befreundete Klosterfrauen gerichtete Lehrgedicht Her- 
manns des Lahmen von der Reichenau ttber die acht Haupt- 
stinden (1044—1046 gedichtet) *). Von der gelehrten und visio- 
naren Abtissin vom Ruprechtsberg bei Bingen, der h. Hilde- 
gard (1098 bis 1179), haben wir bereits frilher gesprochen. 

An wissenschaftlicher Bildung ihr verwandt war Rich- 
lint, die von dem Kloster Berg bei Neuburg a. d. Donau durch 
Herzog Friedrich von Schwaben, den spateren KOnig und Kaiser, 
urn 1140 zur Abtissin auf die Hohenburg (Odilienberg) in den 
Vogesen berufen ward, um das verfallene Stift zu bessern. 



*) Wattenbach, Geschichtsquellen 1, 321. 337. 356 (6. A.). Specht, 
Gesch. des Unterrichtswesens 282. 

2 ) Dummler in Haupts Z. f. d. A. XIII, 432. Die Bildung der 
Nonnen dieser Zeit ist eine Riickstrahlung des geistigen und gelehrten 
Lebens des Clerus unter Kaiser Heinrich III. 



128 



Unter Eichlint bildete sich Herrad von Landsberg, die 1167 
ihre Nachfolgerin ward 1 ). In ihrem anmutigen Garten, Hortus 
deliciarum zu Latein, stellte sie ihren Conventualinnen auf 
dem weit hiniiber zum Schwarzwald und sudwarts zu den 
Alpen schauenden Kloster eine Art von Conversationslexikon 
im Sinne des 12. Jahrhunderts zusammen, das durch Bilder* 
schmuck, Poesie und Musik noch grOsseren Reiz erhielt 2 ). 

Aus dem bayrischen Kloster Tegernsee stammen jene 
drei lateinischen Liebesbriefe mit eingesprengten deutschen 
Satzen und dem deutschen Volksliedchen ,Du bist min, ich bin 
din', die einem Madchen in die Feder gelegt sind (Minnesangs 
Friihling von Lachmann und Haupt, 221 — 224). Ich zweifle 
durchaus an dem weiblichen Ursprung; wenn sie aber auch 
ein MOnch als Specimen seiner stilistischen Gewandtheit und 
zur Vergnilgung seiner verliebten Seele verfasst hat, so kOnnen 
sie doch bezeugen, dass man Frauen damals Ubung im Latein- 
schreiben zutraute. 

Aus dem 13. Jahrhundert leuchtet das Benedictinerinnen- 
kloster Helfta bei Eisleben als eine Wiege lateinischer Sprach- 
kenntniss und biblischenStudiums, nicht bloss durch seine geist- 
reichen, erweckten Seherinnen hervor. Wir haben da von schon 
frtiher (S. 72 ff.) gesprochen. Solche FrauenklOster sind spater 
nicht mehr zu entdecken. 



Der lebendige Verkehr der Deutschen mit den benach- 
barten romanischen und slavischen Volkern in Krieg und 
Frieden hat unzweifelhaft seit der Zeit Karls des Grossen 
die Kenntniss dieser lebenden Sprachen vielen nOthig gemacht. 



*) Dass das sogenannte Hohenburger Hohelied (herausgeg. v. 
Jos. Haupt. Wien 1864) nicht von den Abtissinnen Richlint und 
Herrad verfasst ist, wie der Herausgeber behauptete, ist von Bech 
(Germania IX, 352 ff.) und Hayner (Paul und Braune, Beitrage III, 
491 ff.) erwiesen. 

2 ) Engelhardt, Herrad von Landsperg und ihr Hortus deliciarum.' 
Mit 12 Kupfertafeln. Stuttgart 1818. — Hortus deliciarum par Tabbesse 
Herrade de Landsperg. Reproduction heliographique, Strassb. 1879 ff. 
— Ch. Schmidt, Herrade de Landsberg. Strassb. 1896. 



129 



Von KOnig Otto L, der nicht lateinisch verstund und der nur 
sein sachsisches Deutsch redete 1 ), wissen wir, dass er 
franzOsisch und wendisch konnte, wenn auch nur selten 
sprach (Widukind. II, 36). 

Dann kamen die Kreuzztlge und steigerten das Bedtlrfniss 
der abendiandischen VOlker, namentlich der Deutschen und 
der Franzosen, sich zu verstehn. Im 12. Jahrhundert beginnt 
die grosse Einwirkung der franzOsischen Lyrik und Epik auf 
die deutsche ; schon aus litterarischen Interessen lernten nicht 
wenige aus den hOheren Kreisen franzOsisch und proven- 
zalisch. Die Kenntniss der provenzalischen Lyriker ist bei 
mehreren deutschen Dichtern des 12. Jahrhunderts sicher er- 
wiesen; die der franzOsischen Dichter steht fdr sehr viele 
fest. Frankreich war das Yorbild der modernen Cultur ge- 
worden, franzOsisch gait als die Sprache der vornehmen Welt. 
Im Laufe des 13. Jahrhunderts wurde es bei den norddeutschen 
Grossen Brauch, Franzosen an ihren HOfen zu halten und 
ihre Kinder franzOsisch lernen zu lassen 2 ). Die politischen 
Beziehungen Deutschlands zu Stldfrankreich, Italien und Eng- 
land mftssen auch auf die Kenntniss der Sprachen dieser 
Lander bei den Deutschen gewirkt haben, so wie wir auch 
das umgekehrte annehmen mtlssen. Im Romane Cteomades 



!) Flodoard. a. 948. Liudpr. hist. Otton. c. 11. Eckeh. cas. S. Galli, 
c. 16 (Mon. II, 139). Otto II. verstund Latein; seine Mutter Adelheid, 
Tochter Rudolfs von Burgund, las ihm die einlaufenden lateinischen 
Schreiben vor. 

2 ) Beweis ist eine Stelle in Aden&s Roman de Berte. Aden&s 
schildert natfirlich nicht die Zeit Karls des Grossen, sondern seine 
eigene ; 

Tout droit a celui temps que je ci vous devis 
Avoit une coustume ens el Tyois pals, 
Que tout li grant seignor li conte et li marchis 
Avoient entour aus gent fran^oise tous dis 
Pour aprendre frangois leur filles et lor fils. 
Einen Beweis, dass das nicht so allgemein war, gibt Herzog 
Rudolf von Osterreich, KOnig Rudolfs (v. Habsburg) Enkel, der, mit 
Blanca von Frankreich verlobt, als er nach Paris zur Hochzeit kommt, 
kein Wort mit der Braut sprechen kann, nach Ottokars Chron. 
75425. 75628. 

We i n h o 1 d , Deutsche Frauen. I 9 



130 



wird von dem jungen Herrn erzahlt, dass er mit grossem 
Gefolge nach Coin zog, um hier deutsch (tyois) zu lernen. 
Interessant, wenn auch nicht beweisend, sind die Zeugnisse 
der Dichter tlber die Sprachenkunde der vornehmen Gesellschaft. 
So wird der irischen KOnigstochter Isolde die Kenntniss der 
Sprache von Dublin, des FranzOsischen und des Lateinischen 
nachgerilhmt (Trist. 7988). Von Beaflor riihmt ihr Vater seinem 
Gaste, sie sei so wohl erzogen (kurtois), dass sie jedes fran- 
zOsische Gedicht ihmvorlesen und mit ihmBrettspielen(zabelen) 
kOnne (Mei 230, 30). Eine franzOsische Jungfrau, Dorame, 
soil nach dem Romane von Karl dem Kahlen franzOsisch, 
lateinisch, lombardisch, romanisch (rommion), bretonisch, 
limosinisch, in allem vierzehn Sprachen verstanden haben 3 ). 
Einem Provenzalen, Vileme de Nevers, einem Inbegriffe aller 
ritterlichen Vollkommenheiten, wird im Roman de Flamenca 
Fertigkeit im Burgundischen, FranzOsischen, Deutschen und 
Bretonischen beigelegt 2 ). Genug, wir sehen, dass der leben- 
dige Volksverkehr jener Zeit auch in dieser Hinsicht seine 
Friichte trug. Die Kriege, Reisen und langerer Aufenthalt in 
fremden Landern gaben den Mannern die Fertigkeit in andern 
Zungen; Knaben und Junglinge wurden zii diesem Zwecke 
auf Reisen geschickt 8 ). Als Tristan sieben Jahre alt ist, sendet 
ihn sein Vater mit einem verstandigen Manne aus, damit 
er die Sprachen der Fremde lerne (Gottfrieds Trist. 2061) 4 ). 
Uberhaupt gait das Reisen schon damals als ein treffliches 
Bildungsmittel, wenn es auch oft genug eine eitle Modesache 
blieb und sich an manchem jungen Herrn die Verse des 
Schulmeisters Hug von Trimberg (Ende des 13. Jahrhunderts) 
bew&hrten: manger hin ze Parts vert, der wenic lernt und 

2 ) Monmerque et Michel, Theatre fran<jais, S. 601. 

2 ) Raynouard lex. rom. 1, 22. 

3 ) Casar von Heisterbach erzahlt V, 42 von einem Ritter Mengoz, 
der als Jungling nach Frankreich gegangen war, um franzosisch zu 
lernen. 

4 ) In Eilharts Tristan 194 ff. will der junge Tristan nur vremde 
lant beschawen. Parz. 144, 20. heisst es mit Anspielung auf Tristans 
Bildungsweise von dem jungen Parzival: er kunde kurtosie niht, als 
ungevarnem man geschiht 



181 

■vil verzert; so hat er dock Paris gesehen (Renner 13390). Der 
Sangaller MOnch Tuotilo (9. Jahrhundert) machte zu ktlnst- 
lerischen und wissenschaftlichen Zwecken weite Reisen (multas 
propter artificia simul et doctrinas peragraverat terras (Eckeh. 
cas. S. Galli 39). Im skandinavischen Norden war das Reisen 
em wesentlicher Theil der Erziehung 1 ). 15 Jahre alt, bittet 
Gunnlaug Ormstunga seinen Vater, ihn auf Reisen zu schicken 
und drei Jahre spater macht es ihm der Vater seiner ge- 
liebten Helga zur ausdrucklichen Bedingung der Verlobung, 
vor der Heirat noch anderer Lande Sitten kennen zu lernen 
(Gunnl. s. Ormst. c. 4). Bei solchem Leben in der Weite 
konnten sich auch in dem abgeschlossenen Norden Sprach- 
kenntnisse mannigfacher Art verbreiten und ausser dem 
Finnischen, das manche schwedische Madchen in Finnland 
selbst lernten, mochten das Deutsche, das AngeMchsische 
so wie keltische und romanische Dialecte je nach Umstanden 
bekannt sein 2 ). 

Das Bildungsmittel des Reisens war freilich den Frauen 
meist verschlossen und sie waren auf den Unterricht im 
Hause oder im Kloster beschrankt, wenn sie nicht in ihrer 
Jugend ins Ausland zur Erziehung geschickt waren. Auch 
fQr die Sprachen wurden geistliche Lehrer bestellt 8 ). Neben 
denGeistlichen traten die Spielleute, namentlich.in der hOfischen 
Zeit, als Sprachmeister auf, diese leichten ZugvOgel, welche mit 
der bunten Waare, die zur Unterhaltung begehrt ward, von 
Volk zu Volk zogen. Die provenzalischen und franzOsischen 
schweiften von Spanien bis in die Lombardei und Deutsch- 
land, und auch die deutschen versuchten sich in der Fremde. 
Deutsche Spielleute waren in Italien, deutscheGeigernamentlich 



a ) Erici disquisitio de peregrinatione Islandorum. Lips. 1755 
Altnord. Leben 112. 360-363. 

*) Altnord. Leben 405—407. 

s ) Isot, die Mutter, war von einem Geistlichen unterrichtet 
worden, auch in seitspil und freniden Sprachen. Die junge Isot 
erhalt denselben Meister, Trist. 7700 ff. Auf dieser Grundlage baut 
der Unterricht des Spielmanns, in den sich Tristan- versteckt hat 
weiter: der bezzerte sie sere, ebd. 8004 ff. 

9* 



182 



in Frankreich im 13. Jahrhunderte sehr beliebt 1 ). Die Spiel- 
leute waren zugleich far ihre SchOlerinnen wie aberhaupt far 
Frauen und Manner die Vermittler der Poesie des Tages. Sie 
ersetzten mit dem lebendigen Wort und Sang die Bilcher 
und verringerten die Schwierigkeit, schriftlich die poetischen 
Erzeugnisse der Gegenwart kennen zu lernen. Indem sie zu- 
gleich mehr oder minder die alten volksmassigen Dichtungen 
im Besitze hatten, waren sie recht dazu angethan, allseitig den 
poetischen Schatz der Zeit aufzuschliessen oder wenigstens den 
Schiassel dazu in die Hand zu geben. 



Wie ein fruchtbarer Boden, den die Sonnenstrahlen be- 
scheinen und den darum Blumen bunter Farbe schmucken, 
liegt das Gemtith und der Geist unserer Frauen der Vorzeit 
vor unseren Augen. Dem hOchsten vertraut und mit Blicken 
in die Zukunft oder in die himmlischen Geheimnisse be- 
gnadigt, klug und lernbegierig, empf&nglich und feinsinnig, 
wie sie waren, konnte den Frauen das Keich der Poesie sich 
nicht verschliessen. Freilich, der Gott der Dichtkunst, wie die 
Nordgermanen ihn gestaltet hatten, war mannlichen Ge- 
schlechtes; aber Saga, die GOttin der Erzahlung, war ein 
Weib, und unsere alte Poesie war aberwiegend episch und 
berichtete weit mehr von dem, was geschehen war, als dass 
sie die gegenwartige Stimmung des Gemttthes in kunstreiche 
Rede gesetzt hatte. 

Doch treten -gerade in Skandinavien eine Reihe von 
Frauen auf, zwar nicht als skaldengleiche Dichterinnen, aber 
doch mit einzelnen Strophen, die sie rasch nach Umstanden 
und Gelegenheit erfinden, gleich den Dirnen unsrer Alpen, 
welche ihre Liedchen urn die Wette mit den Mannern zu 
reimen wissen. In den SOgur werden solche im Augenblicke 
gefundene Frauenstrophen Ofter erwahnt und mitgetheilt 2 ). 



!) Roman de Cleomadfcs: Michel, Theatre fran^ais 105. Poeti 
del priino secolo 2, 175. 

2 ) Egilss. c. 48. 74. Orvaroddss. c. 2. Hardar s. Grimkelss. 
c. 7. 11. Vigastyrss. c. 22. Fornmannas. IV. 12, 60. 



133 

In den sparlichen Trummern unsrer deutschen Poesie 

heidnischer Zeit, ebenso in den Anfangen unsrer mit der 

Feder geschriebenen poetischen Litteratur ist nichts, das auf 

Betheiligung des weiblichen Geschlechtes wiese. Hrotsvith, 

die lateinische geistliche Schriftstellerin der Ottonenzeit, haben 

wir dort erwahnt, wo ihr Name zu stehn hat ; als deutsche 

Dichterin findet sie keine Stelle. Die erste mit Namen ge- 

nannte Poetin in deutschen Versen ist eine fromme Frau des 

Osterreichischen Alpenlandes, Ava, welche in den Todten- 

und Zeitbtichern von Klosterneuburg, Melk, Zwettel, Garsten 

und St. Lamprecht eingetragen ist als im Jahre 1127 am 

8. Februar verstorben und die als Klausnerin bezeichnet 

wird 1 ). In der Vorauer Handschrift sind drei Gedichte von ihr 

iiberliefert 2 ) : eines von den sieben Gaben des heiligen Geistes 

und wie sich dieselben mit dem Leibe und der Seele des 

Menschen mischen. Das zweite handelt von den letzten Zeiten, 

in denen der Antichrist herrscht. Das dritte spricht von dem 

jungsten Tage: nach den funfzehn Vorzeichen und wenn 

Stein und Holz und Wasser und Berge in Feuer stehn, 

kommt plOtzlich der jangste Tag ; die Todten werden erweckt 

und Christus erscheint als gewaltiger Herrscher, er, der ehe- 

mals heimlich in die Welt gekommen war. Er halt Gericht 

und die guten empfangen die Krone. Der Teufel aber mit 

seinen Gesellen ftogt die Sander, die keine Busse gethan und 

fiihrt sie zu seinem Gesinde. Mit der lebendigen Schilderung 

der himmlischen Freuden schliesst das Gedicht, auf welches 

die Anmerkung folgt, dass Ava dieses Buch dichtete, die 

Mutter zweier SOhne, welche ihr die Gedanken zu der Dich- 

tung gaben. Der eine wird als schon todt beklagt. — Ohne 

diese Mittheilung wurde man eine Frau nicht als Verfasserin 

der drei Gedichte erkannt haben 8 ), deren erstes besonders auf 

2 ) Diemer, Deutsche Gedichte des 11. und 12. Jahrhunderts. 
Wien 1849, S. XIV f. 

2 ) a. a. 0. 276, 4-279, 29. 280, 1—282, 26. 283, 1—292, 23. 

8 ) Wenn Scherer, Geistliche Poeten 2, 75 sagt, die Keihenfolge 
der untreuen Paare, in denen Frau und Magd voranstehe, beweise, 
dass kein Mann der Dichter sei, so ist das ein schwacher Beweis. 



tw 



Bekanntschaft mit theologischer AVjssenschaft der Zeit deutet. 
Auch in dem Schlusse des dritten zeigen sich die gelehrten 
SOhne. Die Mutter Ava hat aber, was ihr diese gaben, in 
jenem eigentjitimlich anmuthenden Tone unsrer geistlichen 
Poeten des 11. und 12. Jahrhunderts vorgetragen, in dem 
sich glaubige Warme und innige FrOmmigkeit mit der Frische 
und Herbigkeit der Volksdichtung verschmolzen hat. 

Etwas jtlnger als die Gedichte der Osterreicherin ist 
der ohne Anfang und Schluss erhaltene Arnsteiner Marien- 
leich, eine lyrische Dichtung in sehr ungleichen Strophen, 
welche Preis und Anrufung der h. Jungfrau um Reue und 
Gnade enthalt und nur einmal kurz an Jesus den Herrn sich 
errinnert. Die Dichterin 1 ), fromm und gelehrt, also wohl 
eine Klosterfrau, hat ihrem Dialect nach im Lahngau ihre 
Heimat. 

Ein kleineres fragmentarisch ilberliefertes gereimtes Ge- 
dicht ist das Gebet einer bedrangten Frauenseele zu Gott um 
Trost und um Hilfe 2 ). Es wird von einer Frau verfasst sein, 
denn es tritt nicht wie etwas nachgemachtes, auf gegebene 
Formel geschriebenes auf, sondern ist tief empfunden. Im 
iibrigen mOgen die deutschen Gebete des 12. und 13. Jahr- 
hunderts 8 ), diefiirdenGebrauch vonklOsterlichen und weltlichen 
Jungfrauen und Weibem bestimmt sind, gleich den lateinischen 
zuweilen die Beichtvater zu Verfassern haben. Freilich wissen 
wir auch, zu welcher HOhe religiOser Poesie sich die deutschen 
Frauen des 13. und 14. Jahrhunderts erhuben, und wollen 



Der Reim auf getriwe veranlasste die Heranziehung von diuwe, sowie 
281, 24 durch den Reim auf crefte der Herr und der Knecht voran- 
tritt. Auch die Worte 286, 2 nusken unde bouge, daz gesmide der frowen 
treten aus der iibrigen Umgebung nicht so scharf hervor, dass sie 
nur eine Frau gebraucht haben konnte. Auf die weiblichen HOrerinnen 
oder Leserinnen sollen sie wirken. 

i) Miillenhoff-Scherer, Denkmaler, N. XyXVIII.Y. 123. 157 f. 219. 

2 ) Diemer, Deutsche Gedichte 375—378. 

8 ) z. B. Graff, Diut. II. 288 ff. Wackernagel, Altd. Predigten 
222 f., 379. Diemer a. a. 0. 379-383. Haupts Z. VIII, 298—302 (dazu * 
Bech, German. VI, 222. E. Schroder in Haupts Z. XXVIII, 20 f.). . 



135 



auch fQr die lateinischen Gebete an die Exercitia spiritualia 
der grossen Gertrud erinnern (S. 73). 

Von geistlichen Dichterinnen ware dann nur noch aus 
dem 14. Jahrhunderte die Verfasserin eines Alexius zu 
nennen 1 ), deren Name verborgen ist. 

Wie steht es aber urn die weltliche Poesie, die Epik 
und Lyrik des 12., 13. und 14. Jahrhunderts, und urn die 
thatige Betheiligung der deutschen Frauen? Haben sie nur 
durch Auge und Ohr empfangen, nur durch SchOnheit und 
Liebreiz die Sinne der Dichter erregt, haben sie nicht mit- 
gedichtet an Lied und Mare? 

Unter den zahlreichen epischen grOsseren und kleineren 
Dichtungen ist keine unter dem Namen einer Frau ttberliefert 
und schwerlich eine auf eine Dichterin mit tlberzeugendem 
Grunde zuruckzufuhren. 

Dagegen finden sich unter den altesten erhaltenen 
lyrischen Liedern des 12. Jahrhunderts eine Reihe von 
Strophen, zum Theile namenlos, zum Theile unter dem Namen 
altester Lyriker uberliefert, welche in den Mund und die 
Empfindung von Frauen gelegt sind. Von der Ansicht aus- 
gehend, dass in der alteren Zeit tieferes Liebesgefahl nur den 
Frauen zuzutrauen sei, hat W. Scherer 2 ) eine grOssere Zahl 
jener Liedchen far weibliche Erzeugnisse erkiart; Mullenhoff 
aber hat auf die Reigen und Gesange der Madchen hinge- 
wiesen, gegen welche die Geistlichkeit seit dem 9. Jahr- 
hundert zu eifern hatte; in ihnen seien die ungeschriebenen 
altesten Liebeslieder, welche augenblickliche Stimmung den 
Madchen und Frauen eingab, erklungen. Wenn nun aber von 
Milllenhoff selbst dafur Zeugnisse beigebracht wurden, dass 
auch der rauheren Heldenzeit alle Tonarten der Zartlichkeit 
zu Gebote stunden, so ergibt sich daraus, dass an und fur 
sich nicht jede tiefere Liebesempfindung als Zeichen weib- 



a ) S. Alexius Leben, herausgeg. v. Massmann 45—67. 
2 ) Sitz.-Ber.d. Wiener Akad., LXXVII, 440 ff., unter Zustimmung 
Miillenhoffs (Denkmaler deutscher Poesie und Prosa 2, 154. 3. A.). 



186 



lichen Ursprungs einer alten Strophe anzumerken ist, selbst 
wenn die Verse einer Frau in den Mund gelegt wurden. Es 
ist in dem altesten Geschlechte der mit Namen hervortretenden 
ritterlichen Lyriker des 12. Jahrhunderts ganz in tJberein- 
stimmung mit der Stellung, welche noch im grOssten Theile 
des 12. Jahrhunderts die Manner zu den Frauen behaupteten *), 
iiblich gewesen, „Frauenstrophen", wie gerade nicht gltlcklich 
gesagt wird, zu dichten. Meinloh von Seflingen, die Burg- 
grafen von Regensburg und Rietenburg bezeugen es ; Heinrich 
von Veldeke (Minnesangs Frilhling 57, 10. 67, 17) undFriedrich 
von Hausen (M. F. 54, 1) waren die letzten, die es thaten. 
Spater erhielt sich nur der Wechsel noch, der Dialog zwischen 
Mann und Frau. Es ist nach allem diesem zweifelhaft, ob 
auch nur eine jener Frauenstrophen wirklich einer Dichterin 
gehOrt. NurMOglichkeit, nicht Gewissheit lasst sich behaupten *). 

Die kttnstlerisch entwickelte ritterliche Lyrik des Mittel- 
alters kennt keine Frau als Dichterin. Der Frauendienst als 
Motiv der Liebeslieder schloss sie von selbst aus; auch der 
politische und gnomische Spruch gehOrt nicht in das Bereich 
des Weibes. Manches Madchen, wohl auch manche junge Frau, 
wird noch in alter Weise ein kleines Liedchen zum Reigen 
und bei geselliger Lust erfunden haben; doch fand sich kein 
Schreiber daftir, wie fur jenes in manchen Spielarten noch 
bis heute fortklingende 

Du hist mm, ich bin din, 

des solt du gewis sin. 

du U$t heslozzen 

in minem herzen: 

verlorn ist das sluzzelin: 

du muost immer drinne sin 
das dem ersten von drei lateinischen, einem Madchen in die 



!) Vgl. unsern 5. Abschnitt. 

2 ) Am ausfiihrlichsten hat Scherer a. a. 0. dariiber und dafur 
gesprochen. Dagegen H. Paul in Paul-Braunes Beitr. 2, 414. F. Brach- 
mann in der Germania 31, 443—461. Jeanroy, Les origines de la po6sie 
lyrique en France 284 f. Paris 1889. 




187 



Feder gegebenen Liebesbriefen in einer Tegernse&*^J3ani&. 
schrift des 12. Jahrhunderts angefugt ist 1 ). 

Als im 14. und 15. Jahrhundert das fromme Lied aus 
der lebendigen persOnlichen Religiositat deutscher Manner 
herausbluhte, sind die Frauen nicht stumm geblieben. Mehr 
als eines jener von lebhaftem Liebesverlangen nach Jesus 
durchgltlhten Lieder, die sich gern an weltliche Gesange als 
ihre Contrafactur anlehnen, ist sicher von einer klOsterlichen 
Jungfrau gedichtet. So die Lieder: Wer hilft mir, dass ich 
den begrife, Nach dem min herze sich versent etc. etc. — 
Weine herze, weinet ougen, Weinet blfites trehene r6t 
etc. etc. — Ich wil j&rlanc numme sunden, Sprach ein frou- 
welin gemeit etc. etc. — Aus gotes herzen ein wort ent- 
sprang, Es was und ist On anefang etc. etc. — Wol uf im 
geistg6n Baden, Ir zarten frowelin etc. etc. 

Als das Mittelalter zu Ende ging und die alten epischen 
Stoffe noch einmal in neuen Formen aufbltihten, sind es 
einige vornehme, dem Auslande entstammte Frauen gewesen, 
welche sich an der Ubersetzung fremder Romane in das 
Deutsche betheiligten. Elisabeth, dem Grafen Philipp von 
Nassau in erster Ehe vermahlt, eine Tochter des Grafen 
Friedrichs von Vaudemont, Bruders Karls I. von Lothringen, 
tibersetzte den Roman Lother und Mailer aus dem franzO- 
sischen Original, das ihr$ Mutter Margarete 1405 hatte ver- 
fassen lassen, und spater den Hugschapler, dessen franzO- 
sische Gestalt ihr Sohn ihr verschaffte. Eleonore, des KOnigs 
Jacob I. von Schottland Tochter, seit 1448 Gemahlin des Erz- 
herzogs Siegmund des Einfaltigen von Osterreich, verdeutschte 
den Roman Pontus und Sidonia. Sie und ihr Gatte waren 
GOnner des fleissigen tibersetzers Heinrich SteinhOwel. — Aus 
dem pfalzgraf lichen Hause in Heidelberg, in dem seit Mitte des 
14. Jahrhunderts Liebe zur Litteratur und Kunst hervortrat, 
ging die PfalzgrafinMechthild(1418— 1482), Tochter Ludwigs HI. 



3 ) Gedruckt mit den latein. Briefen in Minnesangs Friihling, 
S. 223. Zu der Fortdauer des fast formelhaften Liedchens R. M. 
Meyer in Zeitschr. f. d. Alterth. 29, 133. Bolte, ebd. 34, 161. Berger 
in Zeitschr. f. d. Philol. 19, 464. 



188 



und der Grafin Mechthild von Savoyen, hervor, die als Witwe 
des Erzherzogs Albrecht VI. von Osterreich in Rottenburg 
am Neckar einen glanzenden Hof hielt. Sie war eine GOnnerin 
des Dichters Hermann von Sachsenheim und des Btlcher- 
freundes Ptlterich von Reichertshausen 1 ). Auch ihre Schwa- 
gerin Margareta von Savoyen, von 1445 — 1449 mit Mech- 
thilds Bruder Ludwig IV. vermahlt, war eine Freundin 
deutscher Litteratur. Nicolaus von Wyle rahmt sie und Eli- 
sabeth von Brandenburg, Tochter des Markgrafen Albrecht 
Achilles, Gemahlin des Grafen Eberhards des Jttngeren von 
Wtirtemberg, als des hOchsten Lobes werth. Elisabeths Base 
Barbara, Tochter des gelehrten Markgrafen Johannes Alchy- 
mista von Brandenburg, seit 1433 mit dem Markgrafen Ludwig 
Gonzaga von Mantua vermahlt, hatte den Ruhm, eine der 
gebildetsten und ausgezeichnetsten Frauen Italiens zu.sein. 
Sie verstund griechisch, schrieb elegante lateinische Briefe in 
die deutsche Heimat, ward aber auch von den deutschen 
Schriftstellern Albrecht von Eyb und Nicolaus von Wyle hoch 
gepriesen*). 

Auch am MttnchenerHofe unter den HerzOgen Albrecht III. 
(t 1460) und seiner Gemahlin Anna von Braunschweig, sowie 
unter Albrecht IV. (t 1508) lebte Theilnahme und Freude an 
der Litteratur. Michael Beheim, Johann Hartlieb, zuletzt Ulrich 
Ftteterer fanden hier Aufnahme, An Ulrich Ftieterers Be- 
milhungen, die Gral- und Tafelrundabenteuer noch einmal der 
Gegenwart vorzufdhren, erfreute sich Albrecht IV., der Freund 
dieser alten Geschichten aus einer untergehenden Zeit. 



Zu den geschatzten Fertigkeiten einer wohlerzogenen 
Frau gehOrte im Mittelalter so gut wie heute die Kunst des 
Gesanges und des Spieles auf einem Instrumente. 



J ) Uber Mechthild, E. Martin, Erzherzogin Mechthild. Freiburg 
1871. — Ph. Strauch, Pfalzgr&fin Mechthild in . ihren litterarischen 
Beziehungen. Tubingen 1880. 

2 ) B. Hofmann, Barbara von Hohenzollern, Markgrafin von 
Mantua. Ansbach 1881. (Jahresbericht des historischen Vereines fur 
Mittelfranken.) 



139 



Singen ist eine Naturgabe, die nicht jeder menschlichen 
Kehle verliehen ist; die Ausbildung geschieht nach dem zeit- 
lichen Stande der Musik. 

Wie es urn die germanische Musik in altester Zeit, ehe 
die rOmische Kunst durch die Kirche einwirkte, bestellt war, 
hullt sich in Dunkel. Gesungen aber ward von den Deutschen, 
wie die ROmer uns berichten, bei festlichen Gelagen wie beim 
Vorrtlcken zum Gefechte, und auch die festlichen Umzttge 
der GOtterbilder so wie andere heilige Handlungen sind von 
Liedern begleitet worden. Gebildeten fremden Ohren klang 
freilich dieser Germanengesang wie das Krachzen wilder 
Vogel (Julian, misopogon n, 56). Es war einstimmiger Ge- 
sang der Menge, Chorgesang, an dem wohl auch die Weiber 
sich betheiligten, die selbst im kriegerischen Lager den 
Mannern nahe waren, wie wir im zweiten Abschnitte aus- 
gefahrt haben (S. 41 f.). Einer mochte vorsingen und die 
Menge wiederholte dann die Verse oder fiel mit einem Rund- 
gesange oder Kehrreim nach jeder Strophe ein. 

Es ware sehr falsch, unsere modernen Volksliederweisen 

als Nachfolgerinnen der altesten germanischen Gesange 

herbeizuziehen. Selbst die Melodien des 15. und 16. Jahr- 

hunderts sind Erzeugnisse einer spateren musikalischen Kunst, 

die durch Vermittlurig des Kirchengesanges ihre Wurzeln in 

der rOmischen und griechischen Musik hat. Sie starben aber 

im 17. Jahrhunderte ab und unsere heute noch gesungenen 

Weisen gehn hOchstens bis zum Beginne des achtzehnten 

zurack 1 ). Wir kOnnen jenen altesten vorhistorischen Gesangen 

etwa die eigenthttmlichen Lieder stidslavischer Stamme, z. B. 

der Kroaten und Slovenen, vergleichen, wie sie abendlich von 

den Weibern vor den hochgelegenen Hiltten in die Thaler 

hinaus gesungen oder gerufen werden, denn Gesang will 

unseren Ohren dieses GetOne so wenig erscheinen; als dem 

Kaiser Julian der Galm seiner deutschen Feinde. 

Auf eines muss hier nachdrucklich hingewiesen werden, 
dass namlich unsere alte Pichtung nicht gelesen, sondern 



') Fr. Bohme, Altdeutsches Liederbuch. Leipzig 1887, S. LXX. 



140 



gesagt und gesungen ward, d. h. sie war auf den getragenen, 
in melodischem Tonwechsel sich bewegenden Vortrag be- 
rechnet, der von selbst strophenm&ssige Abtheilungen forderte. 
Dieser Gesang konnte entweder ganz frei schweben Oder durch 
sehr einfache Instrumentalbegleitung gestiltzt werden. Erst 
aus dem singen und sagen hat sich das blosse sagen oder 
lesen, d. h. der recitirende Vortrag der unstrophischen erz&h- 
lenden Gedichte herausgebildet 1 ). 

Wenn wir also von lebendiger Betheiligung der Frauen 
an der weltlichen Poesie der vorhOfischen Zeit hOren, von 
ihrer Liebe zu den Liedchen, welche die Geistlichkeit von 
Amtswegen schelten musste, von ihrer Leidenschaft far Tanz 
und Reigen, die immer durch Gesang begleitet wurden, dann 
wissen wir von selbst, dass sie sangen. Gerade der Tanz, 
tiber den wir spater handeln werden, gab den Frauenkehlen 
die meiste Gelegenheit, sich hOren zu lassen, und das dauerte 
auch in der hOfischen Zeit fort. Die Lyrik tlberhaupt blieb in 
der alten Verbindung mit der Musik: Wort und Weise, d. h. 
Text und Melodie, waren untrennbar; ein nicht gesungenes, 
sondern bloss gelesenes Tanz- und Liebeslied ware undenkbar 
gewesen. 

An der Singkunst dieser spateren Zeit werden sich die 
Einfliisse des Kirchengesanges fruchtbar erwiesen haben, der 
zuerst durch Karl den Grossen, dann durch KOnig Otto I. 
mittels italienischer und aquitanischer Meister gebessert 
worden war. Die Kunst der Gregorianischen Sangerschule 
wurde in den Kirchen des frankischen Staates zum Muster 
erhoben. Liegt in dem Gregorianischen Gesange tlberhaupt 
das Streben nach Melodie, indem an Stelle des rhythmischen 
und metrischen Princips der Ambrosianischen Singschule der 
steigende und fallende Wechsel der Tone gesetzt ward, so 
erhub sich nun auch die Forderung eines guten Vortrages. 
Raban Maurus verlangte von dem Sanger Lieblichkeit; seine 
Stimme solle nicht rauh, krachzend, dissonirend klingen, 

*) Lachmann, ttber Singen und Sagen. 1833. (Kleinere Schrifben 
zur deutschen Philologie 461—479.) F. Wolf, tJber die Lais Sequenzen 
und Leiche 13 ff. 



141 



sondern hell, angenehm, deutlich und geiaufig (de institut. 

clericor. HI, 48). Weitere FOrderung brachte dann Guido von 

Arezzo (1,020—1040) durch Yerbesserung der Notenschrift und 

durch Bemahungen um die Ausbildung der Harmonie. Die 

Melodie hat sich erst ein paar Jahrhunderte spater im mehr- 

stimmigen Satze unseren Begriffen genahert, nachdem die 

Harmonie zuerst in Frankreich, dann in Italien und vor 

allem in den Niederlanden kunstreich ausgebaut worden war. 

Aus dieser Hinweisung auf die spatere, ausserhalb der 

Grenze des eigentlichen Mittelalters fallende Entstehung des 

melodischen Liedes ergibt sich von selbst, dass die einstim- 

migen Weisen, welche die lyrischen Dichter des 12. bis 14. 

Jahrhunderts ihren Worten unterlegten, uns sehr wenig ge- 

fallen haben wtirden. Inwieweit die einzelnen den damaligen 

musikalischen Kunstforderungen entsprachen, wird nicht leicht 

zu beurtheilen sein; dass sie aber nur Naturerzeugniss *) und 

keine Kunstproduction waren, muss geleugnet werden. Die 

in der Jenischen und der v. d. Hagenschen Handschrift 

uberiieferten Melodien der Minne- und Meistersinger, in denen 

wir doch wohl Wiedergaben alter Weisen sehen mtlssen, 

zeigen einen jiach Melodie ringenden Wechsel hOherer und 

tieferer Tone, ohne dass der Text den Rythmus bestimmte. 

Die Dichter mussten sich, da sie auch die wise (Melodie) zu 

dem t6ne (Metrum) erfanden, eine musikalische Bildung an- 

eignen, gleich der Technik der Wortdichtung: sie lernten 

singen unde sagen. GehOrte es doch in der hOfischen Zeit, auch 

zur feinen Erziehung der Knaben und Madchen, kunstmassig 

singen zu lernen 2 ), denn dieses wie das Saitenspiel diente 



J ) Forkel, Allgem. Gesch. der Musik. 2. Thl. S. V f. — Konr. 
Burdach in dem Excurs tiber die musikalische Bildung der deutschen 
Dichter im 13. Jahrhundert in seinem Reinmar und Walther (Leipz. 
1880, S. 174—182) will die Musik der Minnesinger in melodischer wie 
in rhythmischer Hinsicht von der geistlichen Kunstmusik unabhangig 
wissen. Der Gesang der Minnesanger sei naturalistisch gewesen. 
Erst bei dem Marner, noch mehr bei Frauenlob sei Einwirkung 
der musikalischen Kunst zuzugeben. 

2 ) Alexand. 212. Lanzel. 266. Gottfr. Trist. 3623, 8000. Wigam. 
344. Mullers Samml. 3, XXVIII. a. 



142 



zur Unterhaltung so gut wie heute. Was in einer franzOsischen 
Anstandslehre fur Damen (Chastoiement des dames 447 — 462) 
gesagt wird, gilt auch fiir die Deutschen: „der Gesang ist 
ein Trost in der Einsamkeit, in Gesellschaft macht er beliebt. 
Wird man gebeten zu singen, so lasse man sich nicht lange 
bitten, singe aber auch nicht zu lange, denn das nehme dem 
-schOnsten Gesange seinen Werth. Singe man zu einem In- 
strument, so miisse man laut singen". Es gab auch im 
13. Jahrhunderte Madchen und Frauen, die auf ihr wol singen 
eitel waren; Bruder Berthold von Eegensburg tadelt sie um 
diese Hochfart 1 ). Einen kunstreichen Gesang schildert eine 
S telle in dem um 1300 verfassten Reinfried von Braunschweig 
(23080—97): bei dem Empfange der Fttrstin ertOnt ein Ge- 
sang, bald laut bald leise, Quinte und Discant lassen sich 
angenehm vernehmen, dann zieht sich im Falset die Octave 
zur Quarte und steigt dann wieder zur vollen Octave auf, 
•d. h. die Begleitung der Melodie geht in der Quinte, dann in 
-der Octave, fallt zur Quarte und steigt wieder zur Octave. 
Die Melodie bewegt sich in B dur und in B moll; einen Todten 
hatten diese Noten erwecken kOnnen 8 ). 

Seit Ende des 12. Jahrhunderts war der mehrstimmige 
Satz gefunden. 

Aus der Mitte des 15. Jahrhunderts haben wir dann 
die altesten aufgezeichneten, .contrapunktisch bearbeiteten 
dreistimmigen Melodien von deutschen Liedern in dem Loch- 
heimer Liederbuche 8 ), zugleich mit einer Mischung der Stimm- 
gattungen, die auf den Inhalt der Texte sorgsam und ver- 
standig Rucksicht nimmt. Die Melodie ist von der Stimme 
zwischen Discant und Bass, von dem Tenor, geftthrt. Eine 



!) Predigten, herausg. v. Pfeiffer I. 83, 22. 192, 9. 527, 10. 

2 ) Alinliche Stellen enthait die um 1400 verfasste Minneregel 
des Eberhard yon Zersen, namentlich 420 ff. sind zu vergleichen. 
Vgl. dazu die Erlauterung von Ambros in WObers Ausgabe, S. 247 ff. 
und uber Be molle und discantus auch Jacobsthal, Uber die musikal. 
Bildung der Meistersanger in Haupts Zeitschr. f. d. A. XX, 69 ff. 

3 ) Herausg. v. Arnold und Bellermann in Chrysanders Jahr- 
buchern fiir musikal. Wissenschaft. Bd. II. Leipzig 1867. 



148 



schOne Bltithezeit begann damals fur das deutsche Lied, die 
durch das 15. Jahrhundert bis 1575 dauerte, und es zugleich 
zu einem edlen Mittel geselliger Unt6rhaltung machte *). Von 
1576 ab wird durch italienischen Einfluss das contrapunktische 
Lied zuruckgedr&ngt und die Accordenbegleitung der Melodie 
dringt durch. Das beliebteste begleitende Instrument war im 
16. Jahrhundert die Laute. 

Uber die musikalischen Instrumente mOge 
folgendes geniigen. 

Das alteste Tonwerkzeug, das mit kQnstlerischer Absicht 
zum Gesange gebraucht ward, war wohl die Harfe: Jordanes 
(Getic. c. 5) erzahlt, dass die Goten die Thaten ihrer Vor- 
fahren in Liedern zur Cither sangen : unter der cithara haben 
wir aber die Harfe zu verstehn, welche Venantius Fortunatus 
VII. 8. als deutsches Instrument der rOmischen Lyra gegen- 
tiberstellt 2 ), und die er als Begleiterin der barbarischen (fr&n- 
kischen) Lieder (leudi) nennt (carm. praef.). In den Beowulf- 
Jiedern und in anderen angelsachsischen Dichtungen, ebenso 
in den altnordischen Heldenliedern erscheint die Harfe (hearpe, 
harpa) als das Instrument, welches die Helden und Sanger 
schlagen und welches Freude und Wonne erweckt, wenn ein 
Lied dazu aufsteigt. Als der letzte WandalenkOnig Gelimer 
von den Byzantinern eng belagert war (533), erbat er sich 
von dem feindlichen Feldherrn Pharas als letzte Gabe ein 
Brot, einen Schwamm, eine Harfe; diese um dazu das Lied 
zu singen, das er auf sein Ungluck gedichtet hatte (Procop. 
b. vand. II. 6). KOnig Gunther aber, als der Schwager Etzel 
(Atli) ihn in den Wurmgarten hatte werfen lassen, schlug die 
Harfe (Atlamal 66), um die giftigen Schlangen zu beschwich- 
tigen. Die Harfe blieb das beliebteste Instrument zur Beglei- 
tung der Lieder bis in die hOfische Zeit, in der sie von der 



2 ) R. v. Liliencron, tJber das erste Auftreten selbst&n&igeT 
Musik als Gegenstand der Unterhaltung in Deutschland: Sitz.-Ber. 
der Miinchener Akademie. 1873, S. 660 flf. 

2 ) Romanus lyra plaudat tibi, Barbarus harpa. In den Glossen 
wird harpha harfe, durch chelys und cithara gegeben, harphaere ist 
citharoedus, citharista. 



144 



moderneren Rote verdrangt ward 1 ). Die niederen Spielleute, 
auch wohl die Kirche haben sie niemals aufgegeben. 

Die Harfe war mit Drahtsaiten verschiedener Lange be- 
zogen und hatte eine dreieckige deltaartige Gestalt von ver- 
schiedener GrOsse 2 ). Die Saiten, deren Zahl nach der Breite 
des Instrumentes verschieden war und die sich allmahlich, wie 
jene zunahm, vermehrt haben, wurden entweder nach antiker 
Art mit einem Stabchen (dem plectrum, Trist. 3556) oder mit 
den Fingern von beiden Seiten des Instrumentes gertthrt 8 ). 

Eine Harfenart war die salmharpha (psalterium), auch 
psalterie genannt, eine mit Resonanzboden versehene zehn- 
oder mehrsaitige, beim spielen horizontal gehaltene Harfe 4 ). 

Die Rote (rota, rote, rotte, hrotta, chrotta, crota, ags. 
crud, engl. crowd, gadhel. emit, kymr. crwth), welche in der 
hOfischen Zeit als modernes Instrument die deutsche Harfe 
zurttckdrangte, war ein ursprtinglich britisches Tonwerkzeug 5 ), 
das als eine mit gleich langen Saiten bezogene sechssaitige 
kleinere Harfe erscheint. Aber auch ein mit gewOlbtem Re- 
sonanzboden versehenes Instrument wird als Rote (crwth, 
cruit) bezeichnet, das auf vier Darmseiten mit dem Bogen, 
auf zweien, die niedriger lagen, mit dem Daumen gespielt 
ward. Die Rote ist also eine Vermittlung zwischen Harfe 
und Geige 6 ). Die dreisaitige, mit dem Bogen gespielte Rote hiess 



*) W. Wackernagel, Litteraturgesch. § 43, Anm. 21. — Bei 
Thomas spielt Tristrem die Harfe, bei Gottfried zuweilen statt der 
Harfe die Rote: Heinzel, Zeitschr. f. d. A. 14, 436. 

a ) Eine besondere Art war die cithara anglica, diu englische 
harpfe, kelt. clarseach genannt; im Parzival (623, 20. 663, 16) und 
j. Titur. (2946) heisst die englische Harfe swalwe. 

8 ) die harphen riieren unde slahen (Trist. 3551. 8068), ags. hear pan 
gretan, altn. horpu knia, sveigja. 

4 ) Vgl. Ambros in W6bers Ausgabe von Eberhards Minneregel, 
S. 245, der darauf hinweist, dass die Italiener das Hackbrett noch 
jetzt saltiero tedesco nennen. 

6 ) Romanus lyra plaudat tibi, Barbarus harpa, GraBCus Achilliaca, 
crotta Brittanus canat, Venant. Fort. VII. 8. 

•) F. Wolf Lais, Sequenzen und Leiche 242—248. Wewerten, 
tJber crwth und rotte, Monatsheffce fur Musikgeschichte XIII, Nr. 7 
bis 12 (1881). 



145 



Kebec (afr. rebec, rubebe, ital. ribeba, deutsch rebebe, rebebli, 
nl. rebebie), ein ursprQnglich arabisches geigenartiges Instru- 
ment, das in England und Prankreich gern zur Begleitung 
des Gesanges von den Spielleuten gebraucht ward, in Deutch- 
land aber nur selten und erst im 14. Jahrhunderte erwahnt 
wird. 1 ). 

Gerade nicht haufig erscheint die lira, lire, unter der 
bald die antike, mit den Fingern oder dem Plectrum geruhrte 
gleichschenklige kleine Harfe (Trist. 7995), bald ein fidel- 
artiges Instrument gemeint ist 2 ), wie es scheint, also der 
Rote sehr verwandt. 

Die Laute, ein arabisch-spanisches, der Guitarre ver- 
wandtes Instrument, wird vor dem 15. Jahrhunderte in Deutsch- 
land nicht erwahnt. Sie ward geschlagen (ltoenslahen: Netz, 
1733) oder „gezwickt a . Die fanfsaitige Laute hiess Quinterne. 

Das beliebteste, mit dem Bogen gestrichene Saiteninstru- 
ment war die Fie del (videle, ahd. fidula, mit. vidula, vitula, 
von den fides, den Saiten, benannt). Otfried schon nennt sie 
(V. 23, 198) neben lira, suegala, harpha, rotta unter den In- 
strumenten des himmlischen Concertes. Sie ward ebenso das 
beliebteste Tonwerkzeug der gewerbsmassigen Spielleute 
als der ritterlichen Dichter, mit welchen sie ihre Lieder be- 
gleiteten. Volker von Alzei verherrlicht in der Heldensage 
die ritterlichen videlaere, und bezeugt mit seinem Spiel, dass 
auch ohne Gesang dieses Instrument zur Geltung kam. Manche 
andere Stellen der Gedichte beweisen das ebenfalls. 

Von der Fiedel bald unterschieden, bald gleichbedeutend 
mit ihr erscheint die Geige, aber in Deutschland wird sie 
erst im 12. Jahrhunderte genannt (Diemer, Vorauer Ged. 
139, 11). Die Fiedel hat zwei durch Seitenwande verbundene 
Deckbretter. 



*) Seuses Exempl. I. 2. c. 38. Eberhard, Minneregel 415. 

2 ) Wolf Lais 246. Ambros a. a. 0. 242 f. — Verschieden davon 
ist die lyra mendicorum, das aitere organistrum, deren Saiten durch 
ein gedrehtes Had in Schwingung gebracht wurden, Sie hiess auch 
symphonic oder chifonie, Wolf 245, zuweilen auch vielle. 

W e i nh o 1 d , Deutsche Frauen. I. 10 



146 



Von den Blaseinstrumenten werden Horn (haurn) 
und Schwegelpfeife (svigl, ahd. swegala, mhd. swegele swegel) 
schon gotisch genannt. Sie wurden spater gleich der bustine, 
der floite, phife, schalmie, dem licion (mlt. licinia), dem 
tambtir (tabilr), der trumme, bunge, sumber, ptlke, zimbel, 
von den Spielleuten zur rauschenden Musik gebraucht 1 ). 

Die Spielweiber, d.. i. die weiblichen Gefahrtinnen der 
herumziehenden Musikanten, haben alle die genannten In- 
strumente spielen gelernt. Fur die gesellige Unterhaltung 
waren bei Mannern und Frauen nur die Saiteninstrumente 
beliebt und wurden auch nur von ihnen erlernt: in frttherer 
Zeit also die Harfe, auf der mehrere Helden der Dichtung 
als Meister gertthmt werden 2 ), dann die Rote, die Fiedel Oder 
Geige, zuweilen wird auch die Lire genannt. Die Unterweisung 
der Knaben und Madchen erstreckte sich hierauf 8 ). Die er- 
lernte Kunst ward theils zur Begleitung des Gesanges und 
Tanzes, theils zum selbstandigen Spiel verwerthet. Fur das 
letzte geben die Stellen aus RudUeb und aus Gottfrieds Tristan 
vollen Beweis. 

Den Unterricht in der Musik ertheilten den vornehmen 
Fraulein und edlen Knaben in der Kegel gebildetere Spielleute. 



*) Zusammenstellungen tiber die von den franzfls. und nieder- 
land. Spielleuten gebrauchten Instrumente im 12. bis 14. Jahrhundert 
gab Hoffmann von Fallersleben hor. belg. VI, 190—200. Ambros bei 
Wober, Eberhards Minnelehre 239—247. "Ober die irischen Musik- 
instrumente Sullivan in s. Introduction zu 0' Curry, Manners and 
customs of the ancient Irish, vol. I. p. CCCCLXXXVI— DCXXXIV 
und 0' Curry, ebd. vol. Ill, 212—409. Abbildungen bei A. Schultz, 
HSfisches Leben I, 552-562. Deutsches Leben im 14. und 15. Jahr- 
hundert, S. 518 if. 

2 ) Rudlieb 8, 30 ff. Trist. 3545 ff. 

») Alexand. 207 ff. Eilh. Trist. 132. Gottfr. Trist. 2094. Lanzel. 
262. Wigam. 342. — Trist. 7731. 7991. Konr. Welti. 26 ff. Heinr. Apollon. 
15158. Auch hier kann Isot als das Ideal der hofisch gebildeten Dame 
gelten, welche videln, die Ure* rueren, die harpken elahen und pasturUe, 
rotruwange, runddte, $chemewne 9 refloit und folate singen konnte, 
Trist. 7991 ff., 8062 ff. 



14* 



Spielmann Tristan, welcher die junge Isot in fremden 
Sprachen und in derMusik unterrichtete (Trist. 7991 ff.), suchte 
ihr noch andere Kenntnisse zu eigen zu machen, „die Mora- 
litat". Man verstund darunter die Kunst der schOnen Sitten 
oder des tadellosen Benehmens nach der gesellschaftlichen 
Yorschrift *). Solche M o r a 1 i t a t war natttrlich eine unerlass- 
liche Eigenschaft der feinen Prauenzimmer und auf sie war 
der Fleiss aller Zuchtmeister und -Meisterinnen gerichtet. 

Bass sich bei dem geselligen Yerkehre feste Satzungen 
ausbilden mtlssen, ist naturlich. Esmuss geltendeVorschriften 
geben tiber das Benehmen in den verschiedenen Lagen des 
Lebens, tlber das Betragen als Wirth und Gast, gegen Manner 
und Prauen, bei Tische und beim Tanze; die Sitte muss den 
Leidenschaften einen Zilgel tlberwerfen und wer den Anstand 
verletzt, muss eine Huge erfahren. So hohl und bedeutungslos 
zuweilen das gesellige Gesetz scheint, das Leben kann ohne 
dasselbe die feinere, ruhigere Haltung nicht bewahren. 

Wer das Mittelalter einigermassen kennt, weiss, wie 
streng geregelt in ihm das Benehmen war, wie die Haltung 
des KOrpers, das Tragen der Kleider, das Reden genauen 
Yorschriften unterlag, so dass etwasgleichmassigabgemessenes 
durch die Menschen ging, das uns freier gewOhnten nicht 
selten ein Lacheln abzwingt. Schon Jacob Grimm hat als an- 
schauliche Zeugnisse daftlr die Bilder der Handschriften an- 
geftthrt 2 ), und es ist in der That sehr anziehend, noch auf 
den Holzschnitten der fliegenden Blatter und Bogen des 
16. Jahrhunderts dieselben Haltungen und Stellungen wahr- 
zunehmen wie in den Miniaturen und an den Bildwerken .des 
10. und der folgenden Jahrhunderte :l ). Wenn sich auch erst 



1 ) mordliteit: diu kunst diu leret schoene site -mordliteit daz 
s&ezc lesen, daz ist salic unde reine — si leret uns in ir gebote gote 
und der welt gevaUen. Trist, 8008 ff. 

2 ) Wiener Jahrbucher 1825. Bd. 32, S. 232. 

3 ) Die Litteratur uber die Ajistandslehre des MA. ist nicht 
unbedeutend. Fur Deutschland wollen wir auf den welschen Gast 
des Thomasin von Zirkl&re, auf den Winsbecken und die Winsbeckin, 
auf den Jtingling Konrads von Haslau, auf das Gedicht von der Hof- 

10* 



148 



im 12. Jahrhundert in Deutschland eine im modernen Sinne 
feine Gesellschaft ausbildete, so weist doch genug darauf hin, 
dass frGh unter den germanischen VOlkern eine feste Meinung 
tlber das Wohlanstandige gebot. Zu der „Moralitat u der ho- 
flschen Zeit bedurften jedoch die deutschen Manner erst 
fremder Anleitung und es flel ihnen schwer genug, sich in 
die galanten Vorschriften der Welschen einzustudiren. Dass 
Italienern und Franzosen die deutsche Sprache roh wie Ge- 
kreisch der VOgel und Hundegebell vorkam, grade wie einst 
dem Kaiser Julianus Apostata, dartlber wollen wir uns nicht 
wundern. Eine fremde Sprache, die schwer zu lernen ist, be- 
urtheilt man selten gerecht. Aber auch die Sitten der Deutschen 
erschienen den westlichenNachbarn plump. In den lateinischen 
Bearbeitungen der Thiersage, Ecbasis, Isengrimus und Rei- 
nardus, reden und benennen sich die feineren Thiere fran- 
zOsisch, die plumperen, wilden und dummen, wie Wolf und 
Esel, werden als Deutsche geschildert. Solche Meinung von 
den Deutschen herrschte im franzOsischen Flandern wie in 
Sttd-Frankreich. Ein so hirnverbrannter Narr, wie der Trou- 
badour Peter Vidal, erlaubte sich zu sagen, er finde die 
Deutschen ungeschliffen und tolpelhaft (deschauzitz e vilas); 
wenn einer sich einbilde, hoflich zu sein, sei es zum sterben ; 
ihre Sprache gleiche dem Gebelle der Hunde ; er wolle lieber 
in der Lombardei als Sanger bei seiner blonden Dame bleiben 
denn iiber Friesland Herr sein (Raynouard 5, 339) 1 ). Die Aus- 
bildung des Ritterthums in Frankreich und der Provence, die 



zucht bei Keller, Altd. Gedichte, n. 5. ; fur die Niederlande auf das bouc 
van seden bei Kausler, Denkmaier altniederl. Sprache II, 561 flf. ver- 
weisen; die franzosischen einschiagigen Gedichte verzeichnete Gaston 
Paris, La litterature frangaise au moyenage, § 103. 

: ) Andere Stellen, in denen die Provenzalen sich feindlich 
gegen die Deutschen aussern, bei v. d. Hagen, Minnes. IV, 5—7. 
"Obrigens sagte ein deutscher Stamm dem andern auch gerne allerlei 
nach, das nicht fein war, vgL W. Wackernagel, Die Spottnamen der 
VOlker bei Haupt, Z. VI, 254—261. C. Fr. von Posern-Klett, Aus der 
Vergangenheit der deutschen Stamme. Leipz, 1861. R. Peiper im 
Anzeig. f. K. d. Vorzeit 1874. 101—106. 



149 



Annahme der ritterlichen Gesetze und Formen durch die 
deutschen Herren ward entscheidend seit dem 12. Jahrhundert. 

Wie die franzOsische Sprache und Litteratur im 13. Jahr- 
hundert in Deutschland hohe Geltung hatte, so ward auch 
die „Moralitat a wesentlich den Nachbarn abgeborgt; nur 
weniges in der Anstandslehre lasst sich als echt deutsch be- 
haupten. Doch dieses wenige gerade ist ein Zeugniss deutscher 
Zucht und beweist, wie keusch das Verhaltniss zwischen den 
beiden Geschlechtern lange geblieben war. 

Was die Hand eines fremden Mannes beruhrt hatte, 
durfte die Frau nicht anfassen (Parz. 512, 16). Noch strenger 
untersagte die Sitte den Frauen, Mannerkleider zu tragen. 
Die drei FQrstentOchter, die mit dem jungen Hagen von Irland 
auf der Greifeninsel gelebt hatten, sind, als sie erlOst wurden, 
ohne Kleider; und doch nehmen sie nur widerstrebend und 
durch die Noth gedrungen die Gewander an, welche ihnen 
die Schiffer bieten (Gudr. 114). Als Gudrun und Hildburg am 
Wintermorgen fur die bOse Gerlint am Meere waschen mttssen, 
nur von einem Hemde bedeckt, und ihnen Herwig und Ortwin 
nahen und Mantel anbieten, da schiagt Gudrun trotz Scham 
und Frost sie aus, denn niemand solle an ihrem Leibe Mannes- 
kleider sehen (Gudr. 1232. 33). Erlaubte sich eine Isianderin 
Hosen zu tragen, so konnte sich ihr Mann von ihr scheiden 
(LaxdOelas. c. 35). 

Die Cardinaltugend des mittelalterlichen Lebens, nament- 
lich der hoflschen Zeit, war die Ma^e, das richtige Masshalten 
im Geftthl und im Handeln, die sittliche Besonnenheit, welche 
alles anstOssige und tibermassige vermeidet. Auch die Kirche 
pries die Temperantia als eine moralische Haupttugend ') 
und unterstiitzte damit die Forderungen der weltlichen Ge- 
sellschaft. Muoter aller tugende wird die Ma$e in einem ihr 
gewidmeten Gedicht des 12. Jahrhunderts genannt (Germania 
Vin, 97 — 103). Aller werdekeit ein fttegerinne, daz sit ir 
zeware, frowe Maze, er saelic man, der iuwer ISre hat, ruft 



*) Meine Anmerkung zu Lamprechts v. Regensburg Syon, 
V. 2963. 



150 



Walther v. d. Vogelweide (46, 82) ; sie verleiht die FrOhlich- 
keit der Guten und schtttzt gegen HOlle und Teufel (Warming 
325—356). tTberall bei den Dichtern der Zeit zeigt sich, wie 
das ganze Leben unter dem Gebote dieser Tugend des An- 
stands und der Sitte stund. Vor allem den Frauen war die 
M&$e noth und darum betet Wolfram von Eschenbach zu 
Gott fQr die treuen, reinen Frauen, dass rehtiu rnd$e sie durchs 
Leben begleite 1 ); er kOnne um kein grosser Gltlck fair sie 
bitten (Parz. 3, 3— 6)*). 

Wer die Gesetze der modernen Gesellschaft kannte und 
beobachtete, alles, was denselben entsprach, hiess seit dem 
12. Jahrhundert hOvisch. womit das franzOsische curtois iiber- 
tragen ward. HOvescheit (frz. curtoisie, prov. cortezia) war 
die Eigenschaft des fein gebildeten, in der besten Gesellschaft 
sich gut darstellenden Menschen, der in Kleidung und Ma- 
nieren untadelhaft, alle geselligen Ktinste und Tugenden be- 
sass und in keiner Lage einen Paragraphen der Standesehre 
verletzte. Den Gegensatz bildet das rohe, unfeine Wesen der 
ausser der guten Gesellschaft stehnden, die dOrperheit, fran- 
zOsisch vilanie. 

FQr die Frauen der ritterlich-hOflschen Zeit galten we- 
sentlich folgende Regeln. Einen Mann lange und starr anzu- 
sehen, verbot die dem GefQhle entsprechende Sitte 8 ). Indessen 
durfte das keine Frau bestimmen, auf einen Gruss entweder 
gar nicht oder nur sehr herablassend zu danken. Gegen arme 
wie reiche, so lautete die Yorschrift, miisse man gleich artig 
und freundlich sich zeigen 4 ). In einem franzOsischen Doctrinal 
des 13. Jahrhunderts wird den Edelfrauen gelehrt, nur die 
Ritter mit Worten und Kopfneigen zu grtissen, alle Qbrigen 



') Vgl. hierzu Winsbekin 6, 1 scham wide md$e sint zwo tugent, 
die gebent uns frouwen hohen pris. 

2 ) Namentlich ist Welscher Gast 9686-9992 herbeizuziehen. 
Maze ist nicht bloss der aussere Anstand, sondern auch die Gesinnung, 
in der er wurzelt. 

8 ) Welscher Gast 400. Nibel. 382, 2. Chastoiem. d. dames 139-162. 

4 ) Lichtenst. Frauenb. 597, 28. Konr. Troj. Kr. 15002. Chastoiem. 
d. dames 76— 90. 



151 



dagegen bloss durch beugen des Hauptes. Fraulein (damoyseles) 
dttrfen nicht zuerst grQssen und haben nur den Kopf zu 
neigen 1 ). Aus einer sp&teren Lehre eines Vaters fQr seine 
TOchter von dem Ritter dela Tour 2 ) ergibt sich, dass damals 
die Damen beim Grusse ihre Haube abnahmen. 

Ptir das Ausgehn der Frauen gab es manche Regeln. 
Sie durften weder zu grosse noch zu kleine Schritte machen, 
mussten leise auftreten und sich nicht auffallend bewegen 8 ). 
Die Gedichte vergleichen die schmucke Erscheinung des sich 
Offentlich zeigenden ziichtigen Weibes den glatten, sauber 
gestrichenen Falken, Sperbern und Sittichen 4 ). Den Daumen 
der linken Hand in die Spange oder das Schntlrlein geschlagen, 
das den Mantel tiber dem Busen zusammenhielt, mit zwei 
Fingern der Rechten den Mantel emporziehend und ihn ge- 
schlossen unter der Brust haltend, so schritt eine hofische 
Frau einher (Trist. 10942) B ). Ohne Mantel auszugehn gait far 
unschicklich. Koketten trotzten indessen oft der Sitte, denn 
mit dem blossen Kleide konnten sie lockender spielen, indem 
sie es theils hOher als gewOhnlich hinaufzogen, so dass die 
Fttsse sich zeigten, theils indem sie den Schlitz des Kleides 



J ) F. Wolf, Denkschriften der Wiener Akademie XIII, 182. 

2 ) S. Palaye (Kluber), Ritterwesen 1, 188. tJber das Hutabnehmen 
in unserm Alterthum, J. Grimm, Mythol. 1, 29, Anm. 2. R. Hilde- 
brand in Pfeiffers Germ. XIV, 123. 

») Welscher Gast 417. Trist. 10993. Krone 29371. Frauend. 282, 
32. Troj. Kr. 7518. 27744. Walth. v. Rheinau 27, 33. Chastoiem. d. 
dames 65—70. 

4 ) Trist. 10998. Konr. Troj. Kr. 7536. 20297. Fragm. 19* Rom. 
de la Rose 13736-13778. Hoffartiger Gang ward mit den Kranichs- 
schritten verglichen: Walther 19, 31. Freidank 30, 18 (vorsichtig 
tastend Irregang 336); der schleichende Pfauentritt zeigt Trauer an 
(Walther 19, 32), aber auch Gleissnerei und Hinterlist (Wilmanns zu 
Walther 19, 32). 

• 6 ) Beim stehn ward die Brust vom Mantel frei gemacht und 
der rechte Fliigel desselben unter der linken Brust von dem linken 
Arm in Faltenwurf festgehalten: Weingartner Liederhandschrift, 
her. v. Fr. Pfeiffer, S. 122-128. 



152 



an Brust und Seiten zu zeigen strebten 1 ). Eine zftchtige 
deutsche Frau hielt es freilich far die grOsste Schande, wenn 
ein Mann ihre blossen Fasse sah *). Adalgisa, die Gattin des 
Langobarden-Farsten Sighart, begleitete einmal ihren Gemahl 
auf einem Kriegszuge und sass da eines Tages die Fdsse 
badend im Zelte. Da ging zufallig ein vornehmer Langobarde 
voruber und sah die Ftirstin. Ausser sich daruher, beflehlt 
Sighart der Frau des Yornehmen die Kleider bis an die Waden 
abzuschneiden und sie also durch das Lager zu ftlhren. Die 
Folge ist, dass sich jener mit einem andern des Volkes, 
dessen Weib Sighart schwer beschimpft hatte, verbindet und 
den Fursten ermordet 8 ). Ging eine Frau auf der Strasse Oder 
sonst Offentlich, so musste sie vor sich hinsehen und die 
Blicke nicht hin und her fliegen lassen, denn das verrieth 
unsteten, leichtfertigen Sinn. Sie durfte sich natQrlich auch 
nicht oft umsehen; allein ein wenig ruckwarts blicken ge- 
hOrte zu den unverbotenen Ktlnsten eines schOnen Weibes. 
Wie der Falke auf dem Aste weder starr hinblickt noch be- 
weglich den Kopf wendet, so sollte der Blick einer Frau sein 4 ). 
Beim ruhigen stehn hielt sie, wie das auch Manner- 
brauch war, die H&nde Obereinander in der HOhe der Weiche. 
Die Brust ward zuruckgezogen, der Unterleib mehr nach 
vorn getragen 6 ). Beim Sitzen gait es far Frauen unschick- 
lich, die Beine zu kreuzen (Welsch. Gast 411). Die Haltung 
des Mantels, dieses nothwendigen, im Sommer und Winter 



!) Welscher Gast 451. Konr. Troj. Kr. 15134. Rom. de la Rose 
9331. 13756. Chast. d. dam. 183. 

a) Rother 2084. 

s ) Chron. Salernit. c. 76 (Pertz 5, 505). Auch fur einen Mann 
war es eine Schande, barfuss gesehen zu werden: Chron. Salern. 
c. 83. Kaiserchron. 6694 f. 

*) Walth. 46, 14. Welscher Gast 459. Winsbekin 5, 9. 7, 1. 8, 
4. Konr. Troj. Kr. 15010. Fragm. 19*- Philipp Marienl. 800. Chast. d. 
dam. 75. 

6 ) Haupt z. Engelh. 3678. — Wigal. 1552. Rother 2799 und die 
Bilder vieler Handschriften, z. B. Manessische Liederhandschrift bei 
v. d. Hagen, Bildersaal, Taf. 13. 16. 18. 19. 46. Weingartner, Lieder- 
handschrift, S. 25. 47. 122. 128. 



168 



gleich getragenen Toilettenstttckes, war im Sitzen ziemlich 
der im Stehn gleich. Er wurde tiber dem Schoss zusammen- 
geschlagen, der linke Arm ruhte auf dein Knie, der rechte 
ward freier gehalten, so dass von dem Untergewand ziemlich 
viel hervorsah. 

Trat ein Mann grussend an die sitzende oder in das 
Zimmer, so erhub sich die Frau vom Sessel und ware sie 
die machtigste KOnigin gewesen 1 ). Sie verneigte sich vor 
dem Grttssenden und lud ihn ein, wenn er edlen oder ritter- 
lichen Standes war, sich neben sie zu setzen 5 ). 

Ob der Mann rechts oder links der Frau sass, scheint 
sich nach Umst&nden gerichtet zu haben. Krimhilt sitzt rechts 
von Etzel (Nib. 1298). An den christlichen nordischen HOfen 
war der Sitz der KOnigin auf der linken Seite des Hochsitzes, 
rechts vom KOnig sass der Bischof 8 ). Vor Einfiihrung des 
Christenthums mag ihr Sitz rechts gewesen sein. Ubrigens 
sehen wir auf Miniaturen des Festlandes eine ahnliche Rilck- 
sicht auf die Geistlichkeit, indem, falls ein vornehmer Priester 
in der Gesellschaft ist, dieser rechts und die Frau links sitzt 4 ). 

Besondere Sorgfalt ward dem Benehmen bei Tische zu- 
gewandt und dartlber eine umstandliche Lehre gebildet, die 
in besondern Gedichten vorgetragen wurde B ). Vorzdglich ward 



2 ) Nib. 343, 2. Gudr. 334. 1631. Mei u. Beafl. 217, 30. Bruder 
Berthold I. 330, 35 ff. Staufenberg 301. Vgl. Nib. 397. 1125. 1658. 
1718. 1719. 1724. MSHagen 2, 192 •■ Berthold I. 364, 39. 

2 ) Eneide 4953. Parz. 187, 5. Wilh. 291, 4. Wigal. 14, 11. Mei 
63, 11. 

3 ) Fornmannas. 5, 332. Nials s. c. 35. — Auf der zweiten Bank- 
reihe (nordri oder uacdri beckr) waren die Sitze der Frauen zur 
rechten des Hochsitzes. Vgl. Gunniaugss. Hafn. 1775, not. 93. 

4 ) Pertz, Monum. germ. hist. VIII, tab. I. 

6 ) Disciplina cleric. XXVIII, 7 ff. Tannhausers Hofzucht bei 
Haupt, Zeitschr. fur d. A. VI, 488, dazu VII, 174. Tischzucht im 
Bosenton Altd. Blatter 1, 281 if., eine andere ebendas. 111. Keller, 
Altd. Erzahl. S. 541 f. M. Geyer, Altdeutsche Tischzuchten, Alten- 
burg 1882. Siegburger Tischzucht in Z. f. d. Alt. 28, 64. Contenance 
de table, Altd. Bl. 1, 266. Jacob KObels Tischzucht ebd. 288. S. Brants 
Narrensch. c. 110*- Dedekindi Grobianus et Grobiana I, c. 2—10. II. 
III. c. 5. Grobianus, Tischzucht. 1538. Kurtze Tischzucht fOr die 



154 



den Frauen eingescharft, nicht zu viel bei Tische zu sprechen 
und im Essen und Trinken nicht unmassig zu sein 1 ). Der 
linke Arm mhte auf dem Tische. 

Geschwatzigkeit und vorlautes Wesen, zu starkes und 
rasches Sprechen, Rufen, Lachen oder Fluchen bezeichnete 
die Sitte, wie sich von selbst versteht, als unschicklich 2 ). 
Die Frau muss Maass halten, denn nur so vermag sie Anmuth 
und Wtirde zu bewahren, ohne die keineWeiblichkeit besteht. 

Den FttrstentOchtera ward tlber eine Tugend besondere 
Unterweisung gegeben, ttber die Freigebigkeit {milte). Man 
muss sich die Hofhaltung der germanischen Stammfarsten 
oder der KOnige vergegenwartigen, wie sich eine Schaar 
kampfttichtiger Manner um sie vereinigt, in ihrer Methhalle 
von Morgen bis Abend zecht und in allem auf den Schatz 
des Fursten angewiesen ist 8 ). Soil ein kriegerischer Zug, ein 
festliches Unternehmen angegriffen werden, so bedurfen die 
Gefahrten, die ihnen zu Sieg und Tod folgen, der Waffen, 
des Rosses, der Kleider, des Schmuckes; und kehren sie 
zuruck, glticklich und siegreich, so empfangen sie den Lohn. 
War der Herr mild oder konnte er freigebig sein, so war 
die Zahl der Gefahrten um ihn gross; daher strebten die 
Fursten oft auf eine uns stOrende Weise nach Reichthum; 
nur dieser war das Mittel, ihr Geschlecht und Volk gross 
und ruhmreich zu machen. Bei dem Einflusse, den sich die 
Frauen haufig auf die Offentlichen Unternehmungen des Gatten 
zu verschaffen wussten, war ihre Gesinnung, ob karg, ob 



ungehofelten Grobianusknechte. 1£94 (Heyses Bucherschatz no. 
1833-1835). Vgl. ferner Welsch. Gast 471-526. Clara HiLtzlerin 276*- 
Chast. d. dam. 491—532. Bonvesin de quinquaginta curialitatibus ad 
merisam (Berliner akadem. Monatsbr. Febr. 1851). 

!) Chast, d. dam. 297—336. Rom. de la Rose 1362§— 78. Letztere 
Stelle beruht zum Theil auf Ovid, de arte ainandi III. 765 fF. 

2 ) Nith. 69, 20. Welsch. Gast. 405. Gudr. 1474, 1. Konrad, Troj. 
Kr. 15016—22. 15052. Walth. v. Rheinau 27, 47. Chast. d. dam. 
14-20. 199. 249. 295. 

8 ) Tacit. Germ. 14 iiber die Leistungen der altgermanischen 
principes an ihre comites. 



165 



freigebig, von Bedeutung. Auch sie spendeten an das Gefolge 
und an die Heergenossen Gaben, und namentlich an den 
grossen Festen trat ihre Milde zur Schau, far welche sie 
nicht nur den Hofstaat neu zu kleiden und zu schmacken 
hatten, sondern auch den Gasten, den vornehmsten wie den 
geringsten, eine Gabe reichen mussten: bald ein kostbares 
Gewand, bald einen Armring, oder ein anderes Kleinod. Das 
Geschenk kauft in das Herz. ein; zog eine neuvermahlte 
Furstin in das Land des Gatten, so suchte sie durch reiche 
Gaben die grossen Herren des Landes und die Frauen des 
Hofes ftlr sich zu gewinnen, und es war darum der Vater 
Sorge, die TOchter mit dem nOthigen Schatze zu versehn. 
Allein sie mussten auch wissen, wie und wem sie geben 
sollten; darum ward in die Erziehung aufgenommen, wie 
man auf rechte Weise geben und wem man versagen solle 1 ). 
Wie Qbertrieben und wahnsinnig hier und da die Freigebig- 
keit geilbt ward, lasst sich kaum ahnen. Je mehr verschwendet 
und nutzlos far irgend jemand vergeudet wurde, um so hOher 
glaubten manche ihren Kuhm zu steigern 2 ). Die nimmersatten 
fahrenden Sanger, Spielleute und Gaukler trugen natiirlich 
dazu bei, im 12. und 13. Jahrhundert die Hoffeste zu wahren 
Weihnachtsbescherungen zu machen, denn nicht allein der 
Wirth und die Wirthin gaben, sondern auch die vornehmen 
Gaste, und nattirlich wem vornehmlich, als dem unersattlichen 
Volke der Fahrenden mit der spitzen Zunge, das alles hahm, 
was es bekommen konnte: getragene Kleider, Pferde, Waffen, 
Geld. Diese Leute machten die Tugend zu einer Nothwendig- 
keit, denn der karge, das heisst derjenige, welcher ihren 
Heisshunger nicht stillte und ihre BICsse nicht deekte, ward 
durch sie in alien Landen geschmaht und verspottet, und 
wenige Filrsten nur hatten Muth genug, wie Rudolf von Habs- 
burg, den in die Lande hinaus gesimgenen Vorwurf ruhig 
hinzunehmen. 



2 ) Vgl. u. a. Graf Rudolf y* Welscher Gast 13565—14626. 
Freidank, Cap. 33. Wernh. v. Elmend. 333—345. Reinmarv. Zweter, 
Spr. 118—121. 

2 ) F. Diez, Leben der Troubadours, S. 397. 



166 



Bei den KOnigen des deutschen Reiches waren es freilich 
nicht bloss die Leute der armen diet, die heischten. GrOssere 
Forderungen erhuben die Farsten und die anderen Grossen, 
und ein Gut, ein Recht urns andere musste ihnen aus poli- 
tischen GrQnden tiberlassen werden. Die Staufer verbluteten 
daran. Echte, rein menschliche Tugend des Gebens hat damit 
nichts zu thun, und sie zu tiben ist vor allem der Frauen 
Beruf. Die deutschen Frauen haben das niemals vergessen, 
nicht die armen, nicht die reichen. Der Schmuck der Milde 
und der Barmherzigkeit ist der schOnste Stern auf der weib- 
lichen Brust. 

Zu dem Wissen und KOnnen, das die germanische Frau 
unserer Vorzeit besitzen musste, wenn sie die besten An- 
forderungen an ihr Geschlecht befriedigen wollte, gehOrte 
auch die Heilkunst. Natttrlich ist darunter keine medicinische 
Wissenschaft zu verstehn, sondern jene Kenntnisse und 
Fertigkeiten, die wir heute etwa mit dem Namen Volks- und 
Hausmedicin belegen, und die theils in der Anwendung geheim* 
wirkender Worte und symbolischer Handlungen, theils in dem 
Gebrauche heilkraftiger Krauter, Steine und anderer Stoffe, 
theils in einfacher chirurgischer Hilfe besteht. 

Wie alle VOlker auf einer gewissen Bildungsstufe, hielten 
auch die Germanen die Krankheiten far die Wirkung bOser, 
iibermenschlicher Wesen oder erzttrnter GOtter. Diese mussten 
durch Gebet und Opfer versOhnt werden, sollte der Kranke 
genesen: Gebetformeln, BeschwOrungssprttche , Segen, sinn- 
bildliche Gebrauche, die Anwendung gottgeweihter Krauter 
und Steine (der Donnerkeile namentlich), sammtlich Mittel, die 
vom Heidenthum her bis in unsere Tage tlblich sind, ent- 
stammen jener Vorstellung *). 

Es ergibt sich zugleich, dass die Priester und jene 
weisen Frauen, die wir ja den Priesterinnen vergleichen 
kOnnen, in der heidnischen Zeit die arztliche Kunst tlbten. 



*) M. Bartels, Die Medicin der NaturvOlker. Leipzig 1893. 
J. Grimm, Deutsche Mythologie, Cap. 36. 37. 38. M. Bartels, tfber 
BeschwOrungsformeln, Z. d. Vereins f. Volkskunde 5, 1—40. 



157 



Das Sprechen der Gebete und Segen, dazu das Bitzen von 
Runen, die Anwendung sonst als kraftig gel tender Mittel 
war ihr Amt. Sie wandten sich mit den Gebeten an die Gotter 
in deren Bereich das betreffende Leiden gehOrte: bei Wunden 
wohl an den Kriegs- und Schwertgott, in den Nothen der 
Weiber an Frigg, im Xorden auch an Frevja und Menglod. 
Urn Hilfe gegen bOse Dfcmonen ward der Doiwergott Thdrr 
im Norden allgemein angerufen, dessen heiliges Zeichen, der 
Hammer, als Amulet haufig getragen oder zum Schutz ein- 
geritzt ward. 

Bei den Deutschen schrieb man den elbischen Wesen 
besonderen Einfluss auf die Gesundheit der Menschen und 
Thiere zu; plotzliche Lahmungen namentlich wurden ihnen 
zugemuthet. Sie konnten aber auch die Menschen heilen, und 
noch unsere Heldensage kennt die wilden wip, die Wald- und 
Wasserfrauen, als heilkundig. Von einem wilden wibe hatte 
der alte Wate der Gudrunlieder seine arztliche Kenntniss ge- 
lernt (Gudr. 529 — 531); ein Meerweib heilte den Held Abor 
(Haupt, Z. V, 6 ff.), und Dietrich von Bern genas durch ein 
wildez frOuwelin von seinen Wunden (Eckenl. Str. 172 if.). 
Die ausseren Mittel , welche diese wilden Weiber nach den 
genannten Gedichten dabei anwenden, sind Krauter in Ver- 
bindung mit Badern und TJmschlagen, ausserdem Pflaster;- 
und gleich den wilden kannten auch die hauslichen Frauen 
dieselben. Dazu kamen die durch lange Erfahrung erlernten 
Handgriffe bei Verrenkungen, Bruchen, Quetschungen. Man 
legte sich im 14., 15. Jahrhundert Sammlungen von Segen- 
formeln und Heilmittelrecepten handschriftlich an. Als Bei- 
spiel sei auf die Wolfsthurner Handschrift (Tirol, 15. Jahr- 
hundert) hingewiesen, deren hierher gehOriger Theil in der 
Zeitschrift des Vereins fur Volkskunde 1, 172 f. 315 f. ge- 
druckt ist. 

Bei dem kriegerischen Leben unsers Alterthums ver- 
steht es sich von selbst, dass die Behandlung der Wunden 
sich durch reichliche Erfahrung fruh entwickeln musste. Bei 
den Frauen, welche die Heere und V6lker begleiteten, fanden 
die Verwundeten die nachste und beste Hilfe (German, c. 7) 



138 



durch Verband und Waschung der verletzten Glieder, Auf- 
legung von'Krautern und Pflastern, Besprechung und Segen. 
So blieb es auch in der Folgezeit. Zogen auch die Weiber 
nicht mehr mit in das Feld, sie verstunden sich noch auf 
Heilung der Wunden. Nach dem blutigen Kampfe am "Wasgen- 
stein verbindet Hildgund die versttlmmelten Glieder der drei 
uberlebenden Helden (Walthar. 1405). Die nordischen Sagas 
erzahlen von mehr als einer Frau, welche die im Gefecht 
oder im Holmgang verletzten verband und chirurgisch be- 
handelte 1 ), und die ritterlichen Gedichte erwahnen sehr oft, 
dass die vornehmsten Frauen, verheiratete und unverheiratete, 
den wunden Bittern hilfreich waren durch Verband, Auflegen 
von Krautern und Pflastern, Anwendung der Arzneien und 
Wundsegen*). Daneben gab es gewerbsmassige Arztinnen 
(Trist. 1275. Eracl. 2974) 8 ) und nattlrlich auch Arzte (fiber die 
wir hier nicht zu handeln haben). Ausserdenr gehOrte es zu 
den Eigenschaften eines voUkommenen Bitters, sich auf die 
Behandlung der Wunden zu verstehn 4 ) durch Verband, Salben 
und Wundsegen. 

Dabei wurden auch edle Steine gebraucht, deren Be- 
rdhrung oder Bestreichung das Mittelalter heilende Kraft zu- 
schrieb 5 ). Im Norden kannte man einen Lebensstein, der Gift 
und Entzundung aus den Wunden zog und den man deshalb 



*) Weinhold, Altnord. Leben 389 f. 

2 ) Die h. Hildegard (f 1179) sammelte in ihren Physicis allerlei 
medicinischeKenntnisse. — Eilh.. Trist. 951. Gottfr. Trist. 7077. 9440. 
Erek 5147. 7206. Iw. 5609 ff. 7776. Wilh. 99, 19. Krone 6721. 9539. g. 
Frau 2681. Wigam. 5266. Roseng. C. 1996. — S. Palaye, Ritterwesen 
(tibers. v. Kluber) 1, 189. Weinhold, Altnord. Leben 386-392. 

8 ) Eine Augen&rztin zu Munchen, 1351 schon todt, Mon. boic. 
XXXV. 2, 94. 

*) Erek 4252 ff. Reinhart 1813 ff. Parz. 165, 5. 506, 5. 507, 2L 
Krone 6648 flf. — Walewein 10157 und dazu Joncbloet in s» Ausg. 
des Walew. II. 27 f. 

5 ) Iwein 2953. Lanzel. 8525. f. Flore 1660. 2891. 4763. 6722. 
Wigal. 796. Biter. 7047. Walew. 10157 flf. Volmers Steinbuch 133 ff. 
229 flf. 259 ff. 407 flf. Die medicinische Behandlung geschah sprichwOrt- 
Mch in verbis herbis et lapidibus. 



160 



bei sich trug, zuweilen in den Schwertgriff eingesetzt. Auch 
den Belemniten und Echiniten schrieb man Heilkraft zu und 
verstarkte dieselbe noch durch Runenritzung. 

Unter den Heilmitteln innerer Krankheiten gedenken 
wir des kalten Wassers. In der Translatio S. Alexandri wird 
zum Jahre 851 erz&hlt, dass eine Friesin, Fanburg mit 
Namen, welche an Krampf in alien Gliedern litt, von den 
Frauen, die sie heilen wollten, beinahe eine ganze Stunde 
in kaltes Wasser gesteckt ward. Die Folge war Verkrttm- 
mung und L&hmung der Arme und Beine (Pertz, Monum. 
2, 680). Die Wasserheilmethode muss aber durch das ganze 
Mittelalter, das die Bader ja liebte, gedauert haben. Im Jahre 
1344 nahm der Rath von Speier einen wazzerartzat als 
Schutzgenossen auf. 

Die heilkraftigen warmen und kalten Quellen scheinen 
fruh gebraucht, und bei den Waldbrunnen namentlich zugleich 
Einwirkung der Waldgeister geglaubt worden zu sein (Haupt, 
Z. V, 6 £). 

Die Behandlung einer wohlhabenden Fieberkranken im 
14. Jahrhundert leraen wir aus der 48. Fabel Boners: Die 
vom Riten (Schuttelfrost) heimgesuchte Abtissin wird fest 
zugedeckt; sie lasst sich dann einen heissen Ziegelstein auf- 
legen, die Ftisse mit Essig und Salz reiben, das Haupt mit 
Rosenwasser laben, und als sie zu schwitzen beginnt, sich noch 
mit einem Pelz ttbejrdecken. Sie geniesst dann ein Reismus 
mit Mandelmilch angemacht, nimmt Zuckervioiat zur besseren 
Verdauung und einen Granatapfel zur Anfrischung des Mundes. 
Solche mit Zucker und Krautern angemachte S&ftchen waren 
beliebt. Der Zuckerviolat, ebenso der Zuckerr6s&t ; den Megen- 
berg erwahnt (344, 34), waren angenehme, heilsame Wurzen, 
gleich anderen Syropeln. 

Die weibliche Krankenpflege ward von der Kirche 
wesentlich gefOrdert. Fromme Frauen erftillten eine christliche 
Pflicht im Besuch und in der Wartung der Kranken und 
Siechen. Die freie, regellose Vereinigung der Beginen, die von 
den Niederlanden im 13. Jahrhundert ausging, stellte sich 
ausser der Wollenweberei auch die Krankenpflege zur Auf- 



160 



gabe und erwarb sich dadurch viel Verdienste. Sie waren 
im Volke durch ihren Fleiss und den unmittelbaren Verkehr 
mit ihnen beliebt, der Kirche dagegen wegen ketzerischer 
Neigungen zuweilen verdachtig. Der wahrend des Kostnitzer 
Concils dichtende alemannische Verfasser von des Teufels 
Netz spendet ihnen das hOchste Lob ob ihrer treuen Sorge 
far Leib und Seele der Leidenden (5974 ff.) 1 ), wahrend er von 
den arz&tinnen, den Weibern, die gegen Lohn mit ihren 
Mittelchen und mit Segen und Beschwftrung heilen und bGssen, 
nur tlbles zu sagen weiss. So lange es geht, tuond si gem 
minnen, nachher verkuppeln sie Manner, Witwen, Jungfrauen 
und Weiber (10292 ff.). Neben den Beginen haben die Tertia- 
rerinnen, d. i. die Schwestera der dritten Kegel des heil. Franz 
von Assisi, unter fester Ordenszucht in der Krankenpflege 
seit dem 13. Jahrhundert gewirkt. 



Ein wichtiger Theil der Erziehung, die Anleitung zu 
den Haus- und Handarbeiten, war die natttrliche Sache 
der Mutter oder an ihrer Statt der Meisterin. Spinnen, weben, 
schneidern und sticken galten als nothwendige Fertigkeiten 
des deutschen Weibes, sollte es auch dereinst eine Krone 
tragen. Die vornehmsten Frauen stellten sich im Mittelalter 
nicht ausserhalb des Hauswesens; die Kuche und die Nah- 
stube waren ihnen wohlbekannte Raume, denn sie waren 
sich alle bewusst, dass sie nicht zum Vergnugen und zum 
Mussiggang da waren, sondern auch thatig sein und niitzen 
sollten. Was frommt das Malen und Musiciren und Welschen 
der modern erzogenen Madchen unserer Gesellschaft, wenn 
das Haus ihnen fremd bleibt und sie dem Leben rathlos gegen- 
tiberstehn, sobald es mit den gewOhnlichsten Forderungen 
an sie herantritt? 



J ) Bei ihrem offenen Verkehr mit den Einwohnern der Stadte 
und ihrer grossen Zahl gab es auch manche von schlechter Fuhrung 
unter ihnen. Nicolaus v. Bibra in seinem carmen satyr, v. 1605—1654 
schildert die Beginae bonae und malae. 



161 



Wie heute in kleineren Haushaltungen die Mutter ihre 
Tochter zu allem anlernt, was far das Leben nOthig ist und 
sie darum zur Bereitung der Speisen anleitet, so war 
es von jeher. In grOsseren Hausern, namentlich an den HOfen 
der KOnige und der Grossen des Reiches, stund der Ktiche 
ein Koch mit seinen Knechten und Buben als Ktichenmeister' 
vor. Eine KOchin wird selten und erst spat erwahnt 1 ). Die 
KOche erscheinen als komische Figuren in unseren Gedichten 
und Schauspielen 2 ) wegen ihres weibischen Geschaftes, ihrer 
Unsauberkeit und Zanksucht. Sammlungen von Recepten fur 
kiinstlichere Speisen, sogenannte buechlin von guoter spise, 
linden sich seit dem 14. Jahrhundert 8 ), werden aber erst 
spater haufiger. Sie entstammen zum guten Theil KlOstern. 
Wir werden spater bei Schilderung des geselligen Lebens 
Speisezettel des 13. und 14. Jahrhunderts mittheilen. 

Weit mehr Zeit als die Kiiche forderte die Bereitung 
der Kleidung, denn im altdeutschen Hause ward nicht 
bloss geschneidert und gestickt, sondern auch gesponnen und 
gewebt. 

Wir ktinnen freilich auch eine weit altere Zeit er- 
schliessen, in der das Spinnen und Weben noch nicht er- 
funden war, die Zeit, in welcher nur Thierfelle und allerlei, 
was die Pflanzenwelt geeignetes bot, zur Bekleidung diente. 
Die Menschen der alteren Steinzeit kannten, wie die Funde 
in den RenthierhOhlen beweisen, schon Kochgeschirr von 
Thon und rohe Knochennadeln, mit denen sie die Felle der 
wilden Thiere zu ihrer Bekleidung zusammennahten , und 

2 ) Vgl. die Nachweisungen bei Lexer, Mhd. Wb. I, 1659. 1661 
Ahd. kommt kochinne noch nicht vor. 

2 ) Meine Bemerkungen in dem Jahrb. fiir Litteraturgeschichte 
von Gosche I, 26 f. 

3 ) Das alteste bekannte findet sich in einer Wurzburger 
Handschr. des 14. Jahrh., herausgeg. als Buch von guter Speise, 
Stuttg. 1844, vgl. ferner das Tegernseer Kochbtichlein aus dem 
15. Jahrh. in Pfeiffers Germ. IX, 192 ff., ein alemannisches Buchlein 
von guter Speise herausgeg. von A. Birlinger in den Miinchener 
Sitzungsber. 1865. November, und die Nachweisungen ebd. S. 172 ff., 
ein wurtembergisches herausgeg. v. W. Wackernagel in Haupts 
Z. IX, 365 ff. 

Wei nb old, Deutsche Frauen. I. * 



162 



vielleicht auch Stttcke von Lindenbast, feste Baumschwamme, 
die weich geklopft wurden, auch wohl Birkenrinden, durch 
Thiersehnen und Pflanzenfasem mit der Nadel verbanden. 
In der jtingeren Steinzeit, mit der die jetzige Menschenperiode 
zusammenhangt, sind diese Fertigkeiten sicher schon gedbt 
worden. In ihr ist aber ausser dem durch die Finger bewirkten 
flechten von Faden auch bereits die Webekunst bekannt 
gewesen, wie die Funde der schweizerischen PfahldOrfer gelehrt 
haben, die mehrere tausend Jahre vor Christus zurttckreichen 
und wahrscheinlich von keltischen Stammen herrtlhren. Hier 
hat man schon gesponnen und gewoben. Es sind also Faden 
von den Fasern einer Flachsart mittelst Spindel und Wirtel 
gedreht und diese Faden auf einem Webstuhl mit Schiffchen 
und G-ewichtsteinen zum Gewebe verarbeitet worden. In der 
Bronzezeit ist man noch weiter gelangt. Auch die Schafwolle 
und die Haare von Hirschen und anderemWild wurden ver- 
sponnen und verwebt. Dabei wurden Thierhaare, die Wolle 
und die Pflanzenfasem auch miteinander gemischt versponnen 
und dieses Garn dann zum Gewebe verarbeitet. Sehr lehr- 
reich sind in dieser Hinsicht die Kleiderreste, die man in 
den schleswigschen und jutischen Baumsargen der . alteren 
Bronzezeit gefunden hat, und die blondhaarigen, stattlichen, 
unverbrannten Leichen, von jedenfalls germanischem Typus 
angehOrten. Sie fiihren bis in das dritte Jahrtausend vor 
Christus hinauf. Die Webekunst muss schon damals recht . 
weit gediehen sein. Im Kieler Museum ist an den Stoffresten 
beobachtet worden, dass die Faden der Kette nach anderer 
Richtung gedreht sind als die des Einschlags, wodurch. ein 
recht haltbares Zeug entstund. In der jttngeren Bronzezeit 
(letztes Jahrtausend vor Christus) wurde in das Wollgewebe 
auch feiner Bronzedraht eingewirkt oder aufgenaht; auch 
Goldfaden haben sich in den Grabern von BornhOved in Hol- 
stein im G-ewebe gefunden 1 ). 

2 ) Julie Mestorf in der Zeitschr. d. Gesellsch. f. Schlesw.- 
Holst. Lauenb. Gesch. V, 195—204. Mittheilungen des Anthropolog. 
Vereins f. Schlesw. Holstein IV, 11. VII, 10. Vierzigster Ber. des 
Kielei Museums, Kiel 1894, S. 6. 



163 



Diese antiquarischen Beobachtungen erg£nzen in sehr 
willkommener Weise die historischen Notizen, die uns die 
ROmer fiber die sudgermanischen Gewandstoffe geben. Pom- 
ponius Mela, der Geograph aus der ersten Haifte unseres 
1. Jahrhunderts, lasst die Germanen mit kurzen Wollen- 
m&nteln (sagis) oder einem Gewand aus Baumbast bekleidet 
sein. Valer. Flaccus 6, 97 lasst die Bastaraen sich mit Baum- 
bast bedecken. Strabo VII, 2, 3. berichtet von den Umhtagen 
der kimbrischen Priesterinnen aus feinem Linnen, und Plinius 
(h. n. 19, 2) sowie Tacitus (Genn. 17) wissen von der 
Weberei der Deutschen und ihrer Vorliebe fur Leinwand- 
bekleidung. Bei den Goten waren die Linnenkleider im 4. Jahr- 
hundert so allgemein, dass sie die Habsucht der Byzantiner 
reizten (Eunap. c. 6). Bei alien germanischen VOlkern finden 
wir in der n&chsten Zeit die Leinwand mit Vorliebe fttr die 
Bekleidung verwandt. 

Das Zeichen des deutschen Mannes war das Schwert, 
das Sinnbild der Frau die Kunkel 1 ); Schwertmagen hiessen 
die Verwandten vaterlicher Seite, Spindelmagen die der Mutter. 
Nornen wie Schwanjungfrauen und Riesinnen drehten nach 
der Mythe feine Faden aus kOstlichem Flachs. Die KOnigin 
Berta, Karls d. Gr. sagenhafte Mutter, ward als Spinnerin 
noch in spater Zeit gefeiert und Karl selbst hielt, wie uns 
sein Biograph Einhard (c. 19) erzahlt, darauf, dass seine TOchter 
ihre mtlssigen Stunden mit Wolleweben und bei Spindel und 
Rocken verbrachten. tlber dem Grabe der Herzogin Liutgart 
von Lothringen und Franken, einer Tochter K6nig Ottos I., 
das bei St. Alban in Mainz lag, ward eine silberne Spindel 
aufgehangt (Thietmar. chr. II. 42) 2 ). Spindel und Rocken 
blieben bis zum Anfange unsers Jahrhunderts das alte schOne 



2 ) J. Grimm, Rechtsalterthiimer 163. 171. Akerman, On the 
distaff and the spindle as the insignia of the female sexe in former 
times: Archaeologia 1857. 1, 83 ff. 

2 ) Die h. Elisabeth von Thtiringen spann mit ihren Frauen 
Wolle fur die Minoritenkutten und ernahrte sich sogar nach der 
Legende in ihrer freiwilligen Armuth von Wollespinnen. (Ged. von 
d. h. Elisabeth 2341. 6986.) 

11* 



164 



Zeichen der deutschen Frau. Sie haben sich auch in manchen 
Landschaften ebenso lange in wirklichem Brauche unter dem 
Landvolke erhalten und sich durch das Spinnrad, das 1520 von 
dem Braunschweiger Jttrgens erfunden sein soil, nicht ganz 
verdr&ngen lassen 1 ). In dem ganzen bauerlichen Leben nahm 
bis in die Gegenwart das abendliche Spinnen der Hausfrau 
mit dem Gesinde eine wichtige Stelle ein. Der Leinen- und 
Wollenzeugvorrath des Hauses und Hofes wurde hier be- 
schafft, bis die Fabriken durch billige Herstellung der Stoffe 
diese Hausweberei des Landmanns vernichteten. Die Rocken- 
stuben 2 ), deren Name zuerst in einem Fastnachtspiel des 
15. Jahrhunderts (Keller, Fastn. 386, 27) genannt wird, sind 
damit auch eingegangen, grade nicht zum Schaden fttr die 
Sittlichkeit der bauerlichen Jugend, aber zu bedauern, weit 
damit ein Schatz an alten Volksiiberlieferungen zu Grunde 
gegangen ist, uber die Fischart im Bienenkorb als ilber rocken- 
stubnerisch Evangelium spottete. 

In den Herren- und FrohnhOfen des Mittelalters finden 
wir diese Verhaltnisse im selben Grundzuge, aber erweitert. 
Den zu befriedigenden Anspriichen gemass ward hier die 
Zeugfertigung ins grosse getrieben; die vielen unfreien Magde 
und TOchter der Ministerialen und HOrigen, welche auf be- 
stimmte Zeit am Herrenhofe frohnen mussten 8 ), wurden in 
dem Frauenhause (screona, gynaeceum, genitium, genicium, 
genez) und dem Werkgadem 4 ) wesentlich mit Spinnen, 
"Weben und der Anfertigung der Kleider, Wasche und anderer 



2 ) Eine geschichtliche "Qbersicht der Spinngerathe gibt das 
Werk von H. v. Rettich, Spinnradtypen. Eine Samrnlung von Spinn- 
gerathen. Mit 144 Abbildungen. Herausgegeben vom k. k. Ackerbau- 
Ministerium. Wien 1895. 

2 ) K. A. Barack in der Zeitschr. fur deutsche Culturgesch. IV, 
36 f. (1859). 

3 ) G. L. v. Maurer, Geschichte der FrohnhOfe I, 115. 135. 241 f., 
394 f., II, 387 f., Ill, 325. 

4 ) Ein eigenthtimliches wercgadem, worin dreihundert Madchen 
arbeiten, ist Iwein 6186—6406 geschildert. Diese als Kriegszins hin- 
eingegebenen Frauen arbeiten auf den Verkauf und erhalten von 
dem Pftinde Gewinn 4 Pfennige zu ihrem dtirftigen Unterhalte. 



165 

Nahtereien ftir die Wirthschaft beschaftigt. Den Stoff aber 
gaben nicht bloss die Schafschuren und Flachsernten der 
eigenen Gater, spndern auch die Abgaben und Lieferungen, 
welche von den Unfreien und Zinsleuten an den Hof jahrlich 
gegeben werden mussten. Karl d. Gr. ordnete fur seine Meier- 
und MusterhOfe im Capitulare de villis regiis c. 43 an, dass 
zu bestimmten Zeiten an die Werkstatten (genitia) *) Flachs, 
Wolle, Waid, Scharlach, Wollkamme, Karden geliefert wurden, 
woraus und womit dann die Magde und Frohnarbeiterinnen 
Leinwand, Wollenzeug und Kleider zu machen hatten. An 
alien grossen und kleineren HOfen, ebe'nso bei den reicheren 
KlOstern war es so, und nur durch diese Menge dienstbereiter 
und gettbter Frauenhande erklart es sich, dass zu den grossen 
Festen des eigenen und der fremden Hauser oft sehr raseh 
die erforderlichen Kleider gefertigt werden konnten, welche 
fur den Anzug der fiirstlichen Personen und ihrer Umgebung 
sowohl, als far die Geschenke 2 ) an die Gaste und die Gehren- 
den gebraucht wurden.. Die Gewandkammern wurden dann 
stark in Anspruch genommen. Bei Stiftungen von grossen 
Kirchen oder KlOstern zeichneten sich vornehme Frauen 
nicht selten aus, indem sie die ganze Ausstattung an Linnen-, 
Wolle- und Seidenarbeiten tibernahmen und selbst mit den 
eigenen Madchen oder auch durch Dienstleistung der Frauen 
und TOchter der Ministerialen und Zinsleute herstellten. 

Die Tracht war bis in das 14. Jahrhundert bei Mannern 
und Frauen einfach genug, so dass weibliches Geschick leicht 
damit fertig werden konnte. Das zuschneiden (sriiden), wie 
das Zusammennahen (naejen) musste jedes tUchtige Weib 
verstehn. Die Chroniken selbst berichten von vornehmen 
Frauen, die durch ihre Schneiderkunst weitbertlhmt waren, 
so im 11. Jahrhundert von Mathilde, der Sch wester des Bi- 

J ) Die Frohnarbeiterinnen in diesen Frauenwerkstatten hiessen 
lateinisch feminae geneciae (genitiae), geneciariae, gadales (von gadem), 
ancillae pensiles, pensilariae. 

2 ) t)ber die mittelalterliche Sitte, fertige oder auch getrag^ne 
Kleider als Geschenke zu geben, Zappert in den Wiener Sitzungsber 
XIII, 127-130. 



166 



schofs Burkard von Worms (t 1025), und von Adela 1 ), der 
Gemahlin des Grafen Balderich von Geldern. Die Witwe KOnig 
Heinrichs III., Agnes von Poitiers, arbeitete, als sie sich in 
das Kloster zurtlckgezogen hatte, dort Tag und Nacht mit 
eigener Hand Kleider fur die Armen 2 ). Auch die Gedichte 
der hOfischen Zeit erw&hnen, dass Ftirstinnen die Gewander, 
welche von ihren Madchen genaht wurden, selbst zuschnitten 
und die Arbeit leiteten 8 ). Von Gutta, der Gemahlin KOnig 
Wenzels IV. von BOhmen, Tochter Rudolfs von Habsburg, 
berichtet die KOniginhofer Chronik, dass sie ihre Hoffraulein 
nicht mtlssig gehn liess, sondern sie im Weben, Spinnen und 
Nahen unterrichtete. 

Eine feine, saubere Naht gait natOrlich schon damals 
viel; besonderes Lob war, dass man sie gar nicht bemerkte 
(Herbort 8475). 

Was die Nadeln betrifft (n&dala, mhd. nadele, n&lde, 
got. n§|>16, die Naherin), so haben wir fruher der groben 
Knochennadeln der Steinzeit erwahnt. In dem Bronzealter 
sind die Nadeln von Erz und haben gewOhnlich das Ohr in 
der Mitte. Sie haben sich haufig in Frauengrabera jener 
Periode gefunden und staken stets in einer Hulse von Holz 
oder Bronze. Im alteren Eisenalter kommen neben den bron- 
zenen eiserne Nahnadeln auf ; das Ohr ist nun in den Kopf 
verlegt. Die Hulse bleibt zunachst noch von Erz. Spater kamen 
auch beinerne Nadelbuchsen (n^delbein MSH. H, 279 b ) in 
Brauch. Die Frauen tnigen sie gleich den SchlQsseln immer 
bei sich, und auch in das Grab nahmen sie sie mit, wie wir 
vorhin erwahnt haben. 

Manche Nahte, besonders die an den Saumen. und in 
denEcken der Kleider, wurden mit Borten besetzt 4 ), die zur 

J ) Vita Burchard. episc. bei Pertz, Monum. VI, 837. Alpert. de 
diversit. tempor. I, 2. (Pertz, Mon. VI.) 

2 ) Bernold. annal. ad a. 1077 bei Pertz VII, 303. 

3) z . b. Nibel. 353, 4. Parz. 127, 1, Wilh. 63, 4. Weinhold, 
Altnord. Leben 322. 

4 ) Borte, mit Bord, der Rand verwandt, bezeichnet an sich 
Rand, Einfassung (mhd. borte; ahd. borto), Saum, Besatz. — Ein 
porte ob iegelicher nat, Servat. 492. 



167 



Verzierung der Gewander, sowie der Kopfbedeckungen im 
Mittelalter viel verwendet wurden. 

Das Wirken dieserseidenen, mitGoldfaden durchzogenen *) 
Bander an der Rahme (g. Frau 1945. Mart. 22, 19) gehOrte 
zu den Kunstfertigkeiten der Frauen; in Skandinavien war 
borda skogul eine dichterische Bezeichnung des Madchens. 
Die Werkzeuge zum Bortenwirken (briden, slahen, dringen) 
waren die drihe und die spelte ; dann kam auch . die Nadel 
in Anwendung, besonders um die edeln Steine zu festigen, 
welche zur ErhOhung der Pracht noch auf die Borten gesetzt 
wurden 2 ), ebenso wie auf die Kleider von edlem Stoffe, von 
Seide oder Sammt. 

Mit der Nadel stickten ferner die Frauen; sie nahten 
also mit leinenen, seidenen und goldenen Faden allerlei Ver- 
zierungen und Bilder auf Gewandstticke und Tapeten. Die 
Rahme diente auch hier zum Aufspannen der Stoffe. Die 
kirchlichen Gewander 8 ) verpflanzten die rOmisch-byzantinische 
Stickkunst in das Mittelalter; in den KlOstern befanden sich 
die Stickschulen und geistliche Frauen waren die Lehrerinnen 
der weiblichen Jugend in ktinstlichen Handarbeiten, wie das 
bis in die Gegenwart in katholischen Landern noch haufig 
ist. Die Klausnerin Liutbirg (t um 870) hatte durch ihre 
Fertigkeiten weiten Ruf und gait nach den Worten ihres 
Biographen (Pertz, Mon. IV, 160. 163 f.) far eine Daedala. 
Ansgar schickte junge Madchen zu ihr, damit sie dieselben 
im Psalter und in ktinstlichen Arbeiten unterweise. In ahn- 
licher Schule war die KOnigin Gisela von Ungarn, Gemahlin 
des h. Stephans I. und Schwester Kaiser Heinrichs II., ge- 
wesen, die nach einer noch vorhandenen gemalten Casula 



*) weben, naegen, spinnen, siden mit golde zinnen, Walth. 
v. Rheinau 23, 16. 

2 ) Nib. 31. 32. 349. Gudr. 1379. Wilh. 60, 4. Gesammtabent. 
XX, 147. 281. — Ein besonders verzierter Borte war das Bracken- 
seil, das Titur. 137—143 beschrieben wird. 

3 ) Fr. Bock, Geschichte der liturgischen Gewander, I, 125 ff. 
E. Dummler bei Haupt, Z. XIV, 264 f. 



168 



von feinem Byssus ein prachtiges Messgewand stickte, das 
spater als ungarischer KrOnungsmantel gedient hat 1 ). 

Eine bayrische entsprungene Nonne, die sich von Lohn- 
stickerei n&hrte, hatte, so- sagt der Dichter, jene schOne 
Haube des Meiersohns Helmbrecht genaht, die uns in dem 
anziehenden Gedicht Wernhers des Gartners (Mitte des 13. 
Jahrhunderts) beschrieben wird 2 ). Sie erhielt daftir ein ganzes 
Rind und ausserdem Eier und Kase. In der Mitte zog sich 
ein Streif hin, der mit VOgeln bestickt war; auf der rechten 
Halfte sah man die Belagerung und ZerstOrung Trojas sammt 
Eneas Flucht; auf der linken die Thaten KOnig Karls und 
seiner Gesellen Ruland, Turpin und Oliver. Zwischen den 
Ohren stund die Rabenschlacht, in der Witege Helches beide 
SOhne erschlug; dazu war von einem Ohr zum andern mit 
glanzender Seide ein Tanz genaht: zwischen je zwei Frauen 
trat ein Ritter und die Fiedler spielten dazu. Alles das befand 
sich auf der Haube und man weiss nicht, soil man die Stickerei 
oder den grossen Schadel des jungen Helmbrecht mehr be- 
wundern, auf dem alte und neue Geschichte und VOgel und 
Tanze Platz hatten. 

Bilder aus der Heldensage, die ilberhaupt fur die Kiinste 
des Mittelalters Motive gab 8 ), stickten auch die nordischen 
Frauen auf Decken und Wandumhange. Eine solche Tapete 
arbeitete nach dem zweiten Gudrunliede Gudrun (Krimhilt), 
als sie nach Sigurds (Siegfrieds) Ermordung sieben Halbjahre 



3 ) Mittheil. der k. k. Central-Commission II, 146. — Der unter 
den deutschen Rronungskleinodien in der Wiener k. k. Schatzkammer 
verwahrte Mantel (pallium) ist 1163 in arabischer Werkstatt fur den 
KOnig Robert Guiskard verfertigt worden. Er hat reichste Gold- 
und Perlenstickerei und ist mit Filigran-, Emaille- und Niellostiicken 
verziert. 

2 ) Meier Helmbr. 33-103. 109 ff. Eine mit. VOgeln bestickte 
Haube eines Bauern Neith. 86, 7. Hirsche und Hunde auf der mit 
Borten besetzten Haube, Wolfdiet. B. 24. Die goldnen und silbernen 
Hauben waren Prachtstticke der vornehmeren Manner bis in das 
16. Jahrh.; die Luxusordnungen ergingen auch gegen sie. 

3 ) Siegfriedbilder beschrieben und erklart von C. Save, iiber- 
setzt und mit Nachtragen verseheu von Julie Mestorf, Hamburg 1870. 



109 



in Danemark bei Hakons Tochter Thora verweilte, zusammen 
mit dieser. Sie stellten die deutschen Sale und die danischen 
Manner dar, und bildeten die roten Schilde der frankischen 
Recken und das behelmte schwertgegilrtete Volk ab, das den 
Geliebten umgab. Sie griffen in die Geschichte der Vorfahren 
Siegfrieds und stickten Siegmunds Schiffe, wie sie vergoldet 
und mit Schnitzwerk geschmtlckt vom Strande fuhren und 
wie sich Siggeir und Sigar sadwarts in Fuhnen schlugen. 
Unter den Schatzen, die Grimhild ihr zur Suhne fur Sigurd 
bietet, sind auch hunische (frankische) Madchen, welche 
ktinstlich zu weben verstehn und mit Gold zu sticken (Gud- 
runarqu. H, 14—16. 26). Auch Brilnhild wird in der Vol- 
sungasaga c. 24 in Mitten ihrer Jungfrauen als kunstfertige 
Stickerin geschildert: sie naht mit Goldfaden am Rahmen, 
wie Sigurdr den Drachen schlug, darauf den Schatz erwarb 
und den Regin totete. 

Die deutschen und die englischen Frauen waren im Aus- 
and wegen ihrer Kunstfertigkeit berahmt und ihre Manner 
wurden wegen der kunstreich gestickten Kleider oft be- 
wundert. Ein bedeutender Rest solcher alten Stickereien nor- 
mannischer Frauen ist in einer leinenen Tapete erhalten, 
welche 63 Meter lang und 46 Centimeter breit in der Kathe- 
drale von Bayeux bis 1870 aufbewahrt ward und in 72 Bil- 
dern ; die 530 Figuren mit vielen Inschriften enthalten, den 
Sieg Wilhelms II. von der Normandie ilber den Grafen Harald 
von Kent in der Schlacht bei Hastings darstellt. Sie soil von 
der Gemahlin Wilhelms des Eroberers, Mathilde (t 1084), her- 
ruhren, nach andern von Mathilde, der Tochter Heinrichs I. 
von England, der Mutter Heinrichs II. '). Man sieht, wie gross- 
artig diese Arbeiten betrieben wurden und wie sie zugleich 

2 ) Die Abbildung eines Theiles der Stickerei gab Lancelot im 
6. Bande der Memoires de l'academie des in script, et bell, lettres 
(1724), das ganze im 8. Bande; dann bei Montfaucon, Hist, de la 
monarchie frang. par les monumens. I. II. 1730; eine Nachbildung 
im kleinen bei d'Agincourt, Hist, de Tart par les monum. Taf. 167. 
Ygl. A. Jubinal, Tapisserie de Bayeux. — Labarte, Arts industriels IV. 
349. — The Bayeux-Tapestry reproduced in autotype-plates with 
historic notes by Fr. Rede Fowke. London, Arundel Society 1875. 



170 



eine nicht geringe Bedeutung hatten. Sie dienten den Frauen 
zur Verherrlichung ihres Geschlechtes und Volkes oder stellten 
einen Gegenstand dar, welcher im Geiste der Zeit Anklang 
fand, wie die Erinnerungen an Karl und seine Paladine und 
an die antiken Sagenstoffe. Diese Arbeiten hatten also eine 
hOhere Bedeutung, die in den neueren Damenstickereien ver- 
gebens gesucht wird. 

Sehr lebendig tritt diese Frauenarbeit, die ebenso zum 
Schmuck der Wandbehange als der Tafeltucher und kleinerer 
TQcher und GewandstQcke diente, in dem Gedicht Wolf- 
dieterich vor Augen. Der junge Held Hugdieterich weiss nicht 
anders zu der in einem Thurme von ilirem Vater gegen die 
Bewerber verschlossenen schOnen Hildburg von Salnecke zu 
gelangen, als durch Verkleidung in ein kunstreiches vornehmes 
Weib. Deshalb lernt er nahen, spinnen und an der Rahme 
sticken, und lehrt dann wieder zum Beweis seiner weiblichen 
Art und Kunst zwei Jungfrauen der KOnigin Liebgart von 
Salnecke ein schOnes' breites Tischtuch sticken, worauf allerlei 
VOgel und mancherlei wilde jagdbare Thiere im Walde mit 
Gold gebildet waren. Fur den KOnig selbst stickt er mit 
gesponnenem Golde eine reiche Haube, die mit breiten und 
schmalen Borten eingefasst ist 1 ). 

Von solchen Stickereien hat sich manches erhalten und 
wird in den Sammlungen jetzt hoch geschatzt und zu Muster- 
stucken far die Gegenwart benutzt. Die mit Leinen- oder 
Wollfaden, mit Seide, mit Gold und Silber auf Linnenstoff 
eingestickten Darstellungen sind auf grOsseren Sttlcken, wie 
Tafellaken und Wandteppichen , mit Vorliebe beliebten Ro- 
manen und Novellen des Mittelalters entnommen 2 ), oder geben 

!) Wolfdieter, B. 22—24. 60—67. 

2 ) Vgl. u. a. den 'Wienhauser Wandteppich aus dem Anfange 
des 14. Jahrh. mit niederdeutschen Spriichen, bei Mithof, Archiv f. 
Niedersachsens Kunstgesch. II. Taf. 6, und das Erfurter Tafeltuch 
aus der 2. Halfte des 14. Jahrh., mit Wolle im Plattstich gestickt, 
mitteldeutsche Spruche, Anzeiger f. K. deutsch. Vorz. 1866. Sp. 15 ff.; 
beide mit einer Scenenreihe aus dem Tristanroman. Auf einem 
Regensburger Wandteppich des 14. Jahrh. sind 24 Medaillons mit 
Scenen aus Romanen gestiokt, German. XVIII, 276. 



171 



VOgel und Jagdthiere wieder mit dem siylisirten Laub- 
ornament, welches Baume und Blumen darstellen soil. Die 
Kirchenparamente sind mit symbolischen Figuren, mit bibli- 
schen und legendaren Gestalten und stylisirtem Laubwerk 
reich verziert. Auch hier zeichnen sich die Linnenstickereien 
durch die Wirkung der einfachen Mittel oft sehr aus. Ich 
will nur auf eine Pultdecke des 14. Jahrhunderts im Ger- 
manischen Museum in Nurnberg aufmerksam . machen (Mit- 
theilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum I, Taf. 17). 

Auch die Kleider wurden mit Stickereien verziert. 
In einem Grabhtigel, dem BierringhOi im Kirchspiel Mammen 
bei Wiborg in Jtttland, welcher der letzten heidnischen Zeit 
angeliOrt 1 ), fanden sich Reste eines Mantels Oder tTberkleides 
von ziemlich feinem wollenem Stoff, bestickt mit Blatt- 
ornamenten, mit MenschenkOpfen, die durch Hande verbunden 
werden, mit LOwen oder Leoparden, die durch einen kandelaber- 
ahnlichen Gegenstand getrennt werden, alles sehr geschickt 
mit Wollengarn ausgef&hrt. Auch ein paar Zieraten von 
Goldblech fanden sich, welche das Gewand geschmttckt haben 
mochten, ferner Wollen- und Seidenstiicke mit eingewebtem 
Golddraht; namentlich verdienen eine Art Manschette und 
zwei Stacke eines Seidengtirtels die hOchste Beachtung. 

Auch die ritterlichen WappenrOcke, sowie die Decken 
tlber die Streitrosse (covertiure) gaben zur Anbringung bild- 
licher Darstellungen durch Stickerei und Weberei viel Gelegen- 
heit. Ausser dem Wappenbilde, womit sie gerne bestreut 
waren, liebte man allerlei bildliche Darstellungen, namentlich 
Thiere und Blumen 2 ) darauf anzubringen. Zuweilen ward 



2 ) Der Fund ist von Worsaae beschrieben in den AarbOger 
for nordisk Oldkyndighed 1869, S. 203-218, dazu die Abbild. namentl. 
auf Taf. 4. 5. 6. 

2 ) Engelhart 2535 ff. — Die Bilder Hartmanns v. Aue in der 
"Weingartner und Manessischen Liederhs., Albrechts v. Heigerloh, 
"Walthers v. Klingen, Heinrichs v. Rugge, Hiltbolts v. Schwangau, 
Walthers v. Metz. — „undersniten waehe mit vil fremder spaehe" 
(Erek 10026) konnte man von Wappenrock, Covertiure und Banier 
oft sagen. 



172 



das Wappenschild von anderem Zeug ausgeschnitten und auf 
Rock und Decke genaht (Parz. 14, 17. Wigal. 3893). Seit dem 
13. Jahrhundert wurden auch Buchstaben, theils einzelne, 
theils zu SprQchen verbundene, auf die Kleider, den Gtlrtel 
und das Reitzeug gestickt oder gewoben 1 ). Ende des 15. und 
anfangs des 16. Jahrhunderts stickte man auch ganze Lieder 
samt der notierten Melodie schwarz auf weisse Linnen- 
tttcher. In der burgundischen Bibliothek zu Brussel liegen 
vier solche Tacher in dem Liederbuche, welches der Herzogin 
Margarethe von Parma, der Tante Kaiser Karls V., gehOrt 
hat; ein jedes enthalt eine Strophe des Liedes „Mag ich dem 
gluck nit danken vil af ). 

Wie heute gab es Vorzeichner (bildaere) fur die Sticke- 
rinnen, da nicht jede im Stande war, die Zeichnungen auf 
die Stoffe sich selbst zu entwerfen (Helbling 8, 208 f.). 

Die iiblichste Art des Stickens war der Kreuzstich; 
erst in der letzten Zeit unserer Periode kam der Plattstich 
auf. Die Goldfaden wurden mit Uberfangstichen festgenaht. 
Noch spater ist der Drellstich angewandt. 

Noch im 16. Jahrhunderte dauerte die alte Stickerei 
auf Leinen- oder auch auf Handgeweben mit verschieden- 
farbigen Faden von Leinen-, Woll- und Seidengarn, mit ge- 
sponnenem Gold und Silber fort 8 ) und auch die Stylisirung 
der Zeichnung erinnert meist noch an das Mittelalter. 



2 ) Engelh. 2553. Troj. Kr. 20126. anon. Leobiens. bei Pez scr. 
rer. austr. I. 947. Die Deutung einzelner Buchstaben, wie sie inn 
14. Jahrh. Sitte wurden, gibt das Gedicht n. 77 in Lassbergs Liedersal. 
Vgl. das Bild Herzog Heinrichs v. Breslau und des Schenken von 
Limpurg in der Manessischen Liederhandschr. 

2 ) Mone, Anzeiger VI, 422. 

8 ) Olafsen und Povelsen, Reise durch Island, S. 99 (Kopen- 
hagen 1774), wird erzahlt, dass die vornehmen Islanderinnen Tticher, 
die zu verschiedenen Zwecken verwandt wurden, mit Thieren, YOgeln, 
Blumen und allerlei Figuren in verschiedenen Farben ausnahten. 
Auch in Schleswig-Holstein und Jutland erhielt sich diese Stickerei 
lange. Beweise dafur enthalt u. a. das Thaulowmuseum in Kiel und 
das Hamburger Gewerbemuseum. 



173 



Neben dieser Handstickerei kamen die gewebten Urn- 
hange (Wandteppiche), Tisch- und Handtucher mit Ornamenten 
und Figuren mehr und mehr in Brauch, die spater in den 
flandrisch-burgundischen Gobelins, namentlich denen von Arras, 
zur hohen Kunstblute gediehen. Die Kirche war auch hier 
die Vermittlerin der rOmischen teppichartigen Tucher gewesen, 
die zum Abschlusse der einzelnen Hausraume dienten. Durch 
die Kreuzziige hatten die abendlandischen Krieger die morgen- 
landischen Teppiche kennen gelernt; auch die spanischen 
Araber mit ihren Webereien lieferten treffliche Muster. Das 
reicher sich ausstattende mittelalterliche Haus brauchte die 
grossen Gewebe, um bei festlichen G-elegenheiten die nicht 
immer bemalten W&nde der Sale bunt und anmuthig zu 
bekleiden. Unsere Gedichte des 12. und 13. Jahrhunderts 
erzahlen an vielen Stellen von den umbehengen und rucke- 
lachen, von Seide und Gold durchzogen, wenn sie besonders 
kostbar sein sollten, die durch Ringe an Stangen befestigt 
und verschiebbar von der HOhe des Saales oder der Palas- 
zimmer, zuweilen auch, wie es scheint, aussen am Palas 
lierabhingen 1 ). Bilder aus beliebten Erzahlungen wurden am 
liebsten darauf gesehen. So konnte ein rheinpfaizischer 
Dichter vom Ende des 12. Jahrhunderts, Blicker von Steinach, 
dessen Gottfried von Strassburg als eines noch lebenden 
ruhmend gedenkt, die Schilderung eines Umhanges zur Ein- 
kleidung seines Gedichtes nehmen, worin er eine Reihe Liebes- 
novellen des griechischen Alterthums vortrug*). In Frankreich 
sind aus dem zwolften und den folgenden Jahrhunderten eine 
Anzahl von Wandbehangen mit ahnlichen DarsteJlungen er- 



J ) Vgl. die Stellen in Benecke-Mullers Mittelhochd. Wb. I 
612 und in Lexers Mhd. Wb. II, 1731; namentl. die Beschreibung 
eines umbehanc Alexand. 5949 ff. 

2 ) Das Gedicht ist leider verloren. Frz. Pfeiffer, Zur deutschen 
Litteraturgeschichte 1—18, glaubte allerdings in einem Fragment 
(Mone, Anzeig. IV, 314—321) einen Rest des Umhangs zu erkennen, 
allein die Annahme ist durchaus nicht sicher, vgl. Joh. Schmidt in 
Paul und Braunes Beitr. Ill, 173—181. 



174 



halten '), und auch in Deutschland fehlte es ; wenigstens vom 
12. und 13. Jahrhundert ab, nicht an bilderreichen Urn- 
hangen, welche durch die eingewebten deutschen Inschriften 
ihren deutschen Ursprung bezeugen. Mit entschiedener Vor. 
liebe wurde weltliches Leben darauf dargestellt: Scenen der 
geselligen Unterhaltung, Bilder aus Romanen und aus volks- 
thtimlicher Sage. Einer der altesten erhaltenen, nach meinem 
Wissen, ist ein' jetzt auf der Wartburg befindlicher Wand- 
teppich, in horizontal liegender Kette gewebt, mit nach- 
helfendem Kettenstich, der die Belagerung einer von Wilden- 
mannern vertheidigten Burg durch ein anderes Wildmannlein- 
heer darstellt; die Lanzen und Pfeile gehn in Rosen oder 
Lilien aus, die Zeichnung ist lebendig und reich 2 ). Der Styl 
ist frtlhgotisch. 

Das germanische Museum in Nurnberg besitzt einen 
gewirkten Wandteppich aus dem Ende des 14. Jahrhunderts, 
welcher auf einem reichen Hintergrunde von Architektur und 
Landschaft ein sehr bewegtes Bild aus dem Gesellschafts- 
leben der hOheren Stande gibt 8 ). In dem 15. Jahrhundert 
blieben diese Darstellungen beliebt *). Der Gebrauch der Wand- 
teppiche hat sich in das 16. und 17. Jahrhundert fortgepflanzt. 

An der Teppichweberei oder -Wirkerei waren die 
Frauen in Deutschland auch betheiligt. In den Steuerregistern 
von Basel werden 1453 und 1454 gewerbsmassige heidensch 
werkerinnen aufgeftihrt. Auf einem Teppiche des 16. Jahr- 
hunderts im Milnchener Nationalmuseum, die Anbetung der 
h. drei KOnige darstellend, sieht man eine Nonne an einem 
Teppich weben. In Paris aber waren die Weiber im 13. und 
14. Jahrhundert von der Teppichwirkerei ausgeschlossen. Die 
Statuten der tappessiers de tapis sarazinois bestimmen, dass 



*) Fr. Michel, Recherches sur le commerce, la fabrication et 
l'usage des etoffes de soie, d'or et d'argent et autres tissus precieux. 
Paris 1852-1854. II. 383 ff. 397. 407 flf. 480 f . 

2 ) Anzeiger f. K. d. Vorzeit 1870, Sp. 92 flf. mit Abbildung. 

*) Anzeiger f. K. d. V. 1857, Sp. 325, mit Abbildung. 

*) Ebd. 1855, Sp. 316 f. 1869, Sp. 260 f. Heyne, Fuhrer durch 
die mittelalterliche Sammlung in Basel, S. 20 f. 



175 



wegen der Schwere und Gefahrlichkeit des Handwerks Frauen 
nicht darin arbeiten dttrfen 1 ); es wird dabei auf das her- 
richten und auseinandernehmen des Webstuhles Bezug ge- 
nommen. 

An dem geschlossenen Handwerke 2 ) tlberhaupt sind in 
Deutschland Madchen und Frauen seit dem 13. Jahrhundert 
mehr Oder minder betheiligt gewesen. Das Augsburger Stadt- 
recht von 1276 spricht von Lehrmadchen im Handwerk im 
allgemeinen mit Bezug auf Streitigkeiten fiber den Lohn, 
und diese Bestimmung kehrt fast formelhaffc noch in Stadt- 
rechten des 16. und 17. Jahrhunderts wieder 8 ). 

In den Ordnungen der einzelnen Handwerke und den 
Zunftbtlchern des 14. und 15. Jahrhunderts wird ferner haufig 
erwahnt, dass jeder Meister seine Frau und Tochter, zuweilen 
auch seine Magd zur Hilfe bei der Arbeit nehmen kOnne. 
Einzelne Gewerke schlossen diese Befugniss aber aus, so die 
Tuchscherer imd Hutmacher zu KOln im 14. Jahrhundert. 
Die Ltlbecker Schneiderrolle von 1370 verbot dem Schneider, 
seine Magd mit zum nahen zu setzen, wahrend er die Ehe- 
frau mitarbeiten lassen durfte. 

Bei einigen Handwerkern, so bei den Lein- und Woll- 
webern und bei den Schneidern, die als Zunft seit dem 
13. Jahrhunderte in Blfite kamen, ist die Betheiligung des 
weiblichen Geschlechts in grOsserem Umfange durch die 
Natur der Arbeit gegeben. Das Spinnen 4 ), Garnziehen, Wolle- 



2 ) Stahl, Das deutsche Handwerk, 1, 61 Giessen 1874 nach 
Boileau, KSglemens sur les arts et metiers de Paris 405 flf. 

2 ) Unzunftige Lohnnaherinnen, Stickerinnen u. s. w. hat es 
im ganzen spateren Mittelalter gegeben. tft>er jtidische Weberinnen, 
Stickerinnen und Putzmacherinnen, Berliner, Deutsche Juden im 
Mittelalter 7 f. 

8 ) Stahl a. a. 0. 46 f. — Von l§rdiernen Oder l&tOhtern wird 
ausdrtickhch gesprochen in der *Miinchener Weberordnung des 
14. Jahrh. und der Ordnung der Weber zu Speier von 1360. 

*) Das Spinnen ward freilich auch von Mannern betrieben. Die 
Ulmer Weber hielten eine Menge von Knechten und Magden zum 
spinnen, Jager, Ulm 634. Es warf diirftigen Lohn ab: Berthold 
Pred. 108, 4. 



176 



kammen, die Vorarbeiten fur die Gewandbereitung, lagen 
von je in weiblicher Hand. In Schlesien gab es im 14. Jahr- 
hundert eine besondere Zunft der Garnzieher, in der Manner 
und Frauen gleich berechtigt waren 1 ). In KOln war das Garn- 
machergewerk ausschliesslich weiblich 2 ), ebenso das der 
Goldspinnerinnen. 

Als grosse weibliche Genossenschaften entwickelten sich 
seit dem 13. Jahrhundert die Beginen den Rhein entlang 
von Nieder- bis Oberland und nach Mitteldeutschland hinein. 
Sie waren in manchen St&dten wie in KOln und in Basel 
viel hundert stark und ernahrten sich meist von Spinnen 
und Weben, aber auch von Sticken und Nahen. (In kurzem 
Uberblick Norrenberg, Frauenarbeit und Arbeiterinnenerziehung 
im deutschen Mittelalter. KOln 1880.) Auch die Tertiarerinnen 
des h. Franziskus trieben im 15. und 16. Jahrhunderte in 
ihren Conventen Linnen- und Wollenweberei. 

Entspannen sich zwischen den zunftigen Webern und 
den unztinftigen Weberinnen Streitigkeiten, so verfugte in 
Strassburg der Rath 1330 auf Klage der Weber, dass die 
Frauen, welche mit Hilfe von Knechten (Gesellen) wollene 
Zeuge und Stuhllaken fertigten, der Zunft beitrieten mussten. 
Im Jahre 1430 klagten die Weber ttber die Schleier- und 
Lein weberinnen beim Rath, der dahin entschied, dass die- 
selben nach der Zahl ihrer Stuhle einen Beitrag zur Zunft- 
btichse geben sollten 8 ). 

In den Statuten der deutschen Schneiderzunfte aus dem 
14. und 15. Jahrhundert gilt als Grundsatz, dass jede Nahterin, 
sobald sie ihr Gewebe handwerksmassig, d. i. mit Lehr- 
madchen und Magden betrieb, der Zunft beitreten und Burgerin 
werden musste 4 ). Beschrankungen kamen Ortlich vor. In den 
oberrheinischen Stadten musste jede Schneiderin bei der Zunft 
sich einkaufen ; von der HOhe des eingezahlten Geldes hingen 

1 ) Ordnungen von Striegau 1358, Breslau 1377, Liegnitz 1382, 
Schweidnitz 1396 im Cod. diplom. Siles. VIII. 

2 ) Ennen, Geschichte von KOln II, 629. 635. 

8 ) Schmoller, Die Tucher- und Weberzunft in Strassburg 41?. 
4 ) Stahl a. a. 0. 80 ff. 



17? 



ihre Befugnisse ab, so audi die, Lehrlinge zu halten. In 
KOln durften die Naherinnen im 14. Jahrhundert nur Frauen- 
kleider, gestickte WappenrOcke und Untergewander fertigen. 
Die Schneider trachteten im 15. Jahrhandert tiberhaupt dar- 
nach, die Nahterinnen in ihren Befugnissen zu beschranken 
und auf Leinwandnahterei zu verweisen. Es sind dies die 
Vorzeichen der mit dem Ende des 17. Jahrhunderts abge- 
schlossenen Bewegung, wonach das mannliche Gteschlecht 
Bedingiing zum Eintritte in ein Handwerk ward. Bis 1500 
aber erscheinen die Frauen nirgends von einer Zunft aus- 
geschlossen Oder den mannlichen Arbeitern im Rechte nach- 
stehend, sobald sie nur ihren vollen Beitrag zur Zunftkasse 
leisten wollen. 



Auch Handelsgeschafte sehen wir im Mittelalter von 
Frauen betrieben. Der Hausierhandel mit Gewtlrz und Klein- 
waaren, Messern, Ringlein, Hefteln, Tisch- und Handtachern, 
Kopfb&ndern u. dgl. nahrte gar manches koufwip 1 ). Ausser- 
dem handelten die kotiflerinnen in den sdddeutschen Stadten 
(z. B. Ulm, Augsburg, NUrnberg) mit alten Sachen. Weder 
sie, noch die Hausiererinnen erfreuten sich eines besonderen 
Rufes; theils war ihre Ehrlichkeit nicht zweifellos, theils 
spielten sie die Gelegenheitsmacherinnen und Kupplerinnen. 

Auch die Beginen beschaftigten sich, wenigstens im 
Ltittichschen, mit Handelsgeschaften. Auf der Luttichschen 
Synode von 1287 *) ward beschlossen, dass die Beginen, 
welche mehr als zehn Mark Handelscapital hatten, nicht die 
Steuerfreiheit ihrer Mitschwestern geniessen sollten. 



• Wir warden von den Verhaltnissen germanischer Madchen 
kein vollstandiges Bild erhalten, wenn wir nicht ihrerecht- 
liche Stellung uns deutlich zu machen versuchtem 



2 ) Strickers Erzahlung in Hagens Grermania VIII, 299. v. d. 
Hagen MS, II, 304 b - Lassberg, Lieders. n. 166, 300. Jager, Ulm 685 f. 
2 ) Cap. 29, 2. Hartzheim cone. Ill, 717. 

Weinhold, Deutsche Frauen. I. 12 



178 



Germanischer Grundsatz war, dass nur derjenige ein 
selbstandiges und vollberechtigtes Glied des Volkes sein 
konnte, der alle Pflichten, welche der Staat auferlegte, zu er- 
fullen vermochte. Damit ist die rechtliche Stellung der Weiber 
bezeichnet und zugleich bestimmt, dass sie ursprttnglich 
keinen Landbesitz haben konnten, weil auf diesem alle Offen- 
lichen Rechte und Pflichten ruhten. Die Germanen waren 
aber zu billig, als dass sie das Weib persOnlich rechtlos 
machen wollten ; es ward ihrn daher eine rechtliche Vertretung 
und Vertheidigung seiner Person gegeben, welches Verh&ltniss 
munt (lat. mundium), d. i. Schutz (Vormundschaft), hiess l ). Auch 
der Knabe stund so lange, bis er wehrhaft gemacht war und 
liegendes Eigen zu selbst&ndiger Verwaltung empfing, unter 
der Mundschaft; das "Weib aber entwuchs ihr in der alten 
Zeit nie 2 ) und nur ausnahmsweise trat es in ein freieres 
Verhaltniss. 

Wir haben zwei Stufen der Unmttndigkeit zu scheiden: 
auf der ersten befand sich das Weib, so lange es unerwachsen 
war; auf die zweite freiere trat es, sobald es zu seinen 
Jahren kam, sobald es mannbar (vollzeitig, fulltida) wurde *). 
Die nordgermanischen Rechtsbucher geben dafiir das fOnf- 
zehnte, die islandischen das sechzehnte Jahr an; bei den 
stidgermanischen Stammen scheint das zehnte, zwOlfte, vier- 
zehnte oder sechzehnte Jahr der Punkt, wo das Ejnd, na- 
mentlich der Knabe, einige Selbstandigkeit erlangte. Sie bezog 
sich theils auf eine gewisse rechtliche Handlungsfahigkeit, 
theils auf das VermOgen. 

Nach norwegischen Gesetzen konnte ein funfzehnjahriges 
Madchen sein Erbe tibernehmen 4 ) ; nach islandischen kam der 



J ) Die verschiedenen Worte fur das Schutzverhaltniss und den 
Schiitzer (Vormund) bei Kraut, Die Vormundschaft 1, g. 1. 

2 ) Edict. Roth 205 nulli mulieri liberae sub regni nostri ditione 
lege Longobardorum vivehti liceat in suae potestatis arbitrio i. e. selb- 
mundiae vivere, nisi semper sub potestate viri aut potestate curtis 
regiae debeat permanere. 

3 ) J. Grimm, Deutsche Rechtsalterthumer 411 ff. 

*) er komin til fidrhalds, Frostathings b. 9, 23. Gulath. 128. 



179 



unverheirateten Frau mit sechzehn Jahren der voile Niess- 
brauch ihres VermOgens zu, die freie Verftigung darilber jedoch 
erst mit zwanzig. Die Verheiratung, auch wenn sie vor sech- 
zehn Jahren erfolgte, gab ihr beides (Grag&s arfath, 4). In 
dem norwegischen Frostathingsgesetz ist der Satz aufgestellt, 
dass Weib wie Mann ihr VermOgen so lange selbst verwalten 
dtirfen, als sie die Kraft haben, auf dem Hochsitz des Hauses 
zu sitzen 1 ). Eine zu weite Auslegung der weiblichen Selbst- 
standigkeit mtlssen wir aber zurttckweisen; denn sobald es 
einen Kauf oder Verkauf oder sonst welche rechtliche Ver- 
fugung tlber das VermOgen gait, so war die Zustimmung und 
die Offentlich erkl&rte Erlaubniss des Vormundes, far die Ehe- 
frau also ihres Mannes, unumganglich erforderlich, Nur wenn 
sich die berufenen Vertreter nachlassig bewiesen, konnte die 
Frau, wenigstens nach dem Frostathingsgesetze (11, 17), ganz 
selbstandig handeln; Unzucht allein verwirkte ihr dies Eecht. 
Auch bei den stldgermanischen Stammen trat mehrfach 
eine Lockerung der alten strengen Bevormundung des Weibes 
frtlh ein. Bei Gtlterverkaufen, welche Frauen unter salischem, 
langobardischem, alemannischem oder auch rOmischem Eechte 
vornehmen, steht in Urkunden des 11. Jahrhunderts die Unter- 
schrift der Frau voran; die Bestatigung durch den Mann darf 
freilich nicht fehlen 2 ). Einen nicht geringen Grad von Selbst- 
standigkeit verrath sodann der stlddeutsche Brauch, dass die 
Freilassung eines Leibeigenen durch ein sechzehn- oder vier- 
zehnjahriges Madchen vollkommen giltig war 8 ). Gab ein 
Madchen unter vierzehn Jahren einen Unfreien los, so war 
die Handlung nicht rechtskraftig (Schwabenspiegel, Landrecht 
72, Lassberg). Nach ripuarischem Gesetz (LXXXT) konnten 
von fttnfzehn Jahren ab die Madchen gerichtlich klagen und 
ebenso verklagt werden. Nach westgotischem Eecht (II. 4, 11) 



a ) 8%dlfr shall hverr rdda fe sino me dan hann md sitja i ond- 
vegi sino svd kona sem karlmadr, Frostath. 9 ? 29. 

2 ) Muratori antiquit. dissert, 22 (II, 267)/ 

8 ) Vierzehn Jahre . waren. durch die Gewohnheit den gesetz- 
lichen sechzehn gleichgestellt worden.. 

12* 



180 



durften Madchen und Knaben mit vierzehn Jahren ein rechts- 
giltiges Zeugniss ablegen ] ). 

Mochte die Vormundschaft strenge oder locker sein, 
ohne dieselbe lebte kein altgermanisches Weib. Wem aber 
kam sie zu? — Ursprttnglich war es die ganze Sippe. Die 
Spuren davon zeigen sich noch im angelsachsischen Recht, 
auch im danischen und norwegischen *). 

Dann trat der nachste Schwertmag als Vormund ein, 
also der Vater, so lange er lebte; er hatte far SOhne und 
TOchter einzustehn, wo zu bGssen war, einzutreten, wenn 
sie an Leib und Ehre verletzt wurden, und seine Einwilligung 
zu allem zu geben, was ihre Person und ihr VermOgen be- 
traf. Nach seinem Tode folgte far die weiblichen Mitglieder 
des Hauses und die jangeren SOhne wieder der alteste Schwert- 
mag, also der alteste Sohn des verstorbenen Hauptes der 
Sippe. Nach einigen Rechten flel das Mundium der Mutter zu 8 ). 
Es bestund dies jedoch fast allein in dem Rechte, die Tochter 
zu verloben, denn die vaterlichen Verwandten hatten einen 
naheren oder ferneren Theil an der Vormundschaft und fahrten 
namentlich die Oberaufsicht aber das VermOgen (vgl. OstgOtaL 
giptab. 18); ebenso mussten sie in alien Fallen der Klage 
eintreten. War der alteste Sohn selbst noch nicht zu seinen 
Jahren gekommen, so abernahm der nachste Verwandte vater- 
licher Seite die Greschlechtsvormundschaft. Nach deutschem 
Rechte war dies der Bruder des Vaters, nach nordischem 
stund dieser Schwertmag ferner und die Grrossvater und die 
Grossmatter, zuweilen auch die Mutterbrader gingen ihm 



*) In gewissen Fallen war das Zeugniss der Frauen vor Gtericht 
ebenso giltig wie das der Manner; so in Sachen wegen Todtschlag 
und Unzucht (Frostath. 4, 39. Uplandslag VIII, 11. Borgarthings 
kristenr. II, 14). tJber Zauberei ist ihr Zeugniss entscheidend (G-ulathu 
c. 28). Sollte festgestellt werden, ob ein bald nach der G-eburt ge- 
storbenes Kind wirklich gelebt habe, so gait ein Frauenzeugniss gleich 
zwei Mannerzeugnissen (Uplandsl. Ill, 11). 

2) Brunner, Deutsche Rechtsgesch. 1, 89. 

3) L; Wisigoth. III. 1, 7. IV. 2, 13. L. Burgund. 59. 85, 1. 
Freiburg. Stadtr. 32. Uplandsl. III. 1, 7. Sjellands 1. 1, 47. 48. 



181 



voran 1 ). Die Vormunder traten . iiberhaupt nach dem Grade 
der Verwandtschaft ein 2 ), in dessen Bestimmung sich bei den 
verschiedenen Rechten grosse Abweichung kund thut. In den 
einen sehen wir n&mlich die Cognaten den Agnaten. ziemlich 
gleich stehn, so dass sie gemischt folgen; andere lassen die 
weiblichen Verwandten auf die mannlichen folgen; nach andern 
sind die Verwandten miitterlicher Seite ganz ausgeschiossen, 
und der Grundsatz, dass nur Schwertmage Vormfinder sein 
kOnnen, ist so weit ausgebildet, dass der Richter beim Aus- 
gehn der v&terlichen Verwandten mit "Qbergehung der Spille- 
mage einen Vormund kurt, wobei er jedoch jene beratheh 
muss 8 ). Indessen scheint hier und da der Familie miitterlicher 
Seite eine Mit&ufsicht zugestanden zu sein; so haben nach 
ostgotiandischem Gesetze (giptab. 20) die mtitterlichen Ver- 
wandten das Recht der Bander, wo sie es beeintrachtigt 
meinen, wahrzunehmen und sie gerichtlich zu vertreten, ob- 
schon im ubrigen die Vormundschaft bei den Agnaten steht. 

Die gebornen Mundwalte sind die altesten und natar- 
lichsten; die Wahl eines Vormundes durch den Vater ist 
eine junge Einrichtung (Schwabensp. 323, 2). Alter ist, dass 
das Staatsoberhaupt, wenn geborne Vormunder fehlen, die 
Mundschaft mit alien Rechten an Bussen und Erbe iibernahm. 
Es beruht dies auf der natiirlichen Verbindung von Ge- 
schlechtern und Staat. War namlich ein Geschlecht in seinen 
wehrhaften Gliedern ausgestorben, so musste der Vorsteher 
der Gemeine den Schutz der wehrlosen an sich nehmen, bis 
sie irgendwie zur Bildung eines vollstandigen Geschlechtes 
wieder gelangt waren. Hieraus entwickelte sich die Ober- 
vormundschaft des KOnigs ilber alle unmundigen und schutz- 
bedurftigen. 



!) L. Saxon. 7, 5. Nordfries. ges. 568% 9. L. Wisigoth. III. 1. 
7. Gragas festath. 1. Uplandsl. Ill, 1. Sjellands. 1. 1, 47. 48. Jydske 
lov 1, 33. 

2 ) Die Vormundschaftsordnung hangt mit der Erbenfolge zu- 
sammen. 

3 ) Magdeburger Sch6ffenurtheil bei Kraut, Vormundschaft 169. 



182 



Die Pflichten des Vormundes bestunden in der Ver- 
waltung des VermOgens seines MQndels Oder der Beaufsich* 
tigung der Verwaltung; sodann in der Wahraehmung der 
persGnlichen Interessen, namentlich bei der Verlobung; endlich 
in der rechtlichen Vertretung desselben: einmal also in der 
Pflicht, die Klage zu erheben, das andere Mal ; ihr zu ant- 
worten. In der nahen Yerwandtschaft des Vormunds lag zu- 
gleich die Entschadigung fdr seine Mahen, denn er trat nach 
dem etwaigen Tode des Milndels mit bedeutendem Erb- 
anspruche ein und hatte auch nach verschiedenen Rechten 
Theil an den Bussen, welche filr Verletzung der bevor- 
mundeten geleistet wurden. 

Es liesse sich allenfalls annehmen, dass die Germanen 
Verletzungen des Weibes nicht leichter beurtheilten als die 
des Mannes, dass also Wergeld und Busssatze far Mann und 
Frau gleich waren. So flnden wir es auch im friesischen, 
angelsachsischen, in den meisten nordischen und unter Um- 
standen selbst im westgotischen Rechte, ebenso noch spat 
in einem hessischen Weisthume '). Andere Stamme huben 
jedoch die Wehrlosigkeit des Weibes hervor und fassten 
deshalb seine Verletzung schwerer, setzten darum auch die 
Bussen hOher an: so unter den friesischen Landrechten die 
Westerg6er Gesetze (463, 23) um ein Viertel, die Brockemer 
(178 a ), die Emsiger (15. 28) und noch andere (Richthof. 281 b , 30. 
318 b , 14) um ein Drittel, das PivelgOer Landrecht (II, 12. 27), 
ferner das uplandische, alemannische, bayrische, burgundische 
Recht um die Halfte 2 ). Die lex Saxonum (XV) gibt der Jung- 
frau doppelte Compositio; jedes Weib, das schon geboren 
hat, setzt sie dem Manne gleich. Das bayrische Gesetz be- 



2 ) Add. sapient, in 1. Fris. V. Adelb. dom. 73. Grag. vigsl. 
c. 48. Ostgotal. drapab. 9. Gulath. c. 159. Weist. 3, 325. In der 
1. Wisig. IV. 4, 3 steht das Weib tiber 50 Jahren dem Manne gleich, 
im Alter von 15—20 Jahren gilt es 100 sol. mehr. Wilda, Strafr. 
572 bemerkte, dass die ausdrtickliche Erwahnung in der Gragas und 
im friesischen Volksrecht, das Geschlecht mache keinen Unterschied, 
auf eine friihere abweichende Meinung deute. 

2 ) L. Alemann. LXVIII, 3. LXIX. L. Bajuv. III. 13, 2. 3. L. 
Burg. LIL Uplandsl. IV, 11. 



183 



stimmt, dass ein Weib durch Waffentragen das ihm sonst 
gebiihrende doppelte Wergeld verliere, ebenso das lango- 
bardische (ed. Roth. 381). Ein dreifaches Wergeld geben dem 
Weibe die Langewolder Kiiren von 1282 (§. 34) und far das 
fruchtbare Alter auch das salische Gesetz (XXXIV, 2. LXXIV). 
Wie die Germanen in ihrer Auffassung des Weibes 
mehrfach von der Kirche abwichen, so auch hier. Die Geist- 
lichkeit, geneigt, die Frau als ein unreines und niedriges 
Wesen zu betrachten 1 ), wobei Evas Sandenfall als Hauptgrund 
dienen musste, konnte sich mit der germanischen hohen 
Schatzung nicht vereinen und wirkte darauf, dass das Weib 
rechtlich allmahlich an Werth verlor. So wird denn im 
Sachsenspiegel (III. 45, 2) und im Schwabenspiegel (Landr. 
310) den Frauen nur die halbe Busse und das halbe Wergeld 
eines Mannes ihres angeborenen Oder erheirateten Standes 
gegeben. 

Einige Volksrechte theilen die S&tze nach den Lebens- 
stufen des Weibes ein. Das thilringische und salische Gesetz 
(1. Angl. et Werin. X, 3. 4. 1. Sal. XXVHI. 7—9. LXXV) 
stellen das Wergeld far eine Frau, die keine Kinder be- 
kommen konnte, dreimal niedriger als fur eine mannbare 
und noch fruchtbare. Das westgotische Recht (VIII. 4, 16) 
machte mehrere Unterschiede : fur ein Madchen unter funf- 
zehn Jahren ward nur das halbe Wergeld des Mannes gezahlt, 
von 15—20 Jahren war es um 100 sol. hOher,. von 20 bis 
50 Jahren seltsamerweise 50 sol. niedriger, von 50—65 
stund es gleich ; uber diesem Alter erhielt die Frau die Halfte 
des nachst vorangehnden Satzes. Auch fur die verschiedenen 
Jahre der Manner sind verschiedene Satze genommen. Wie 
im sachsischen Gesetz die Jungfrauschaft auch im Wergeld 
berucksichtigt wurde, ist schon erwahnt. Von selbst versteht 
sich, dass, seitdem die Standesunterschiede stark hervortraten, 
auch die Bussen und Wergeldsatze nach dem Stande ver- 
schieden waren. 



l ) Vgl. Riezler, Gesch. der Hexenprocesse in Bayern, S. 185 f. 



184 



Die einzelnen Busss&tze anzufuhren, wird man mir gern 
erlassen. Ausser der Busse fttr die TOdtung (wergelt, ags, 
leodgilde, altn. manngipld, mannbot) bestunden feste Be- 
stimmungen, wie kOrperliche oder sittliche Verletzungen ge- 
biisst werden sollten. Der alteste Grundsatz : Leben um Leben, 
der durch den Brauch der Blutrache hindurchgeht, trat zurtick 
hinter den, dass der freie Mann Gewaltthaten; an den'en kein 
sittlicher Makel haftete, durch Bussleistung an den Verletzten 
oder seine Sippe, und durch eine Strafe fur den Friedensbruch, 
ablOsen kOnne. Unsere Volksrechte, deutsche wie nordische '), 
sind hierin sehr ausftihrlich und gewahren durch die Einzel- 
heiten manchen Schluss auf die sittlichen Zustande des be- 
treffenden Volksstammes. 

Waren Unmilndige an Leib, Ehre oder Gut geschadigt, 
so hatte der Vormund die Klage zu erheben, und ward sie 
bewiesen und der verklagte ilberfuhrt, so wurde die Busse 
geleistet. Dass dieselbe dem Vormund tibergeben ward, unter- 
liegt keinem Zweifel; welchen Theil er aber von ihr zog, 
ist nicht fest bestimmt. In den Fallen nattlrlich, wo eine 
Schadigung seines Eechtes geschehen war, wie bei unrecht- 
massiger Verlobung, Entfuhrung und unrechtmassigem Bei- 
liegen, kam ihm die voile Busse zu 2 ). Bei eigentlichen Ver- 
letzungen des Mttndels aber zog er nach nordischen Eechten 
entweder gar nichts (Sjell. 1. n, 20. Ill, 38) oder nur die 
Halfte oder gar nur ein Drittel 0. Fris. 9, 9. OstgOtal. 
vadham. 14. Grag. vigsl. 54). Lag Todtschlag vor, so theilte 
sich der Vormund als Verwandter mit den tlbrigen nachst- 
berechtigten Magen bald von der Schwertseite allein, bald 
auch von der Spilleseite in das Wergeld. War der Vormund 
selbst der Thater, wie dies bei Verletzungen der Frauen 



2 ) Grimm, Rechtsalterth. 404 ff. Wilda, Strafrecht der Germanen 
398-438. 

2) L. Fris. 9, 11. 13. 1. Sax. XL. 1. Liutpr. 121. Bajuv. VII. 
10. Sjelland. 1. Ill, 38. Gulath. c. 51. Uplandsl. III. 1. Zusatz zu 
VestgOtal. II. (Collin och Schlyter corp. jur. Sveogoth. ant. I, 239). 
Im longobard. Recht (ed. Roth. 139) wird die Busse zwischen die 
beiden MundschaftsbehOrden, den Konig und den Vormund, getheilt. 



186 



durch ihre Manner vorkommen konnte, so wurde nach nor- 
dischen Reehten die Klage und Busse von ihrem n&chsten 
Schwertmagen, der ihr Verlober gewesen war, erhoben und 
die Busse zu der Mitgift gelegt (OstgOtal. vadham. 10. Vest- 
gOtal. II. fridb. 8). 

Gewiss ist ferner, dass das Weib Theil am Wergelde 
eines Verwandten haben konnte. Die weiblichen Glieder der 
Familie waren nicht von der Pflicht zur Blutrache aus- 
geschlossen — man erinnere sich, wie Kriemhild diese Pflicht 
erfullte! — es musste ihnen also auch das Recht auf das 
Wergeld zugestanden werden. Als der Riese Thiasi von den 
GOttern erschlagen ist, macht sich seine Tochter Skadi nach 
Asgard auf und droht mit der Blutrache, wenn ihr nicht ge- 
nugende Sahne geboten werde. Als Dag den Helgi getodtet, 
bietet er seiner Schwester Sigrun Wergeld far den Gemahl 
(Helgaqu. Hundingsb. II, 28 ff.). Das islandische Recht theilt 
den Prauen ein Drittel des Wergeldes zu (Gr&g. fest. 20. 
vigsl. 54), wovon sie aber den dritten Theil dem Vormund 
' abgeberi mtissen. Eigenthilmlich sind die Verhaltnisse im 
norwegischen Gulathingsbuch (c. 221). Hier treten die Mutter, 
die Tochter, die Schwester und die Frau des erschlagenen 
in den Genuss einer Geldstthne (kvengiaver) ; allein dieselbe 
ist von dem Wergelde verschieden, denn dieses wird von 
ihren n&chsten Schwertmagen, also hier von dem Vater der 
Mutter des erschlagenen, vom Sohne der Tochter oder 
Schwester, in Empfang genommen (Gulath. b. c. 225 f.). 
Ebendort sind die Spillemage des MOrders zur Wergeldleistung 
verpflichtet (c. 227. 231. 232. 235. 245). Es bestund also nach 
diesem Recht wie nach dem angelsachsischen (Alfreds ges. 
c. 27) die Einrichtung einer Familienburgschaft 1 ), von der die 
Frauen nicht ausgeschlossen waren. In einem gewissen Falle 
sehen wir sogar im islandischen und norwegischen Rechte 
die Verpflichtung und das Anrecht der Frauen auf das Wer- 
geld ganz bestimmt heraustreten. Hinterlasst namlich der 
getOdtete nur eine Tochter und ist niemand naher als sie 



!) Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte I s , 74—78. 



18* 



zur Hauptbusse (hOfudbaugr) berechtigt, so nimmt sie dieselbe 
gleich einem Sohne. Ebenso ist die Tochter des MOrders, im 
Falle kein Sohn lebt, zur Erlegung des Wergeldes ver- 
pflichtet. Beides gilt indessen nur von den unverheirateten 
TOchtern, denn mit der Verm&hlung gehn Recht und Pflicht 
auf die n&chsten Schwertmage ttber (Gr&g. vigsl. 114). Im 
norwegischen Gulathingsbuch (c. 275) hat die Schwester das* 
selbe Eecht wie die Tochter 1 ). 

Aus skandinavischen Sagas ergibt sich feraer die An- 
sicht, dass der Tochter oder der Witwe eines erschlagenen 
voller Ersatz ftlr den Vater oder Gatten durch Verheiratung 
mit dem Todtschlager geleistet wtlrde; freilich zeigt sich 
dabei auch, dass die Frauen sittlichen Widerstand hiergegen 
bekunden*). Es war das ein altgermanischer Brauch, denn 
auch die Asen bieten der Tochter des von ihnen erschlagenen 
Riesen Thiasi Busse ftlr den Vater durch Verheiratung mit 
einem von ihnen: Skatti ward dadurch Gattin Niprds. Wir 
mtlssen auch die Ehe zwischen dem LangobardenkOnig Albwin 
und Rosimund, der Tochter des GepidenkOnigs Kunimund, " 
den Albwin in der Schlacht erschlug, auf dieselbe Sitte zuruck- 
ftlhren. Fast alles weist demnach darauf, dass die Weiber 
in sehr alter Zeit Theil am Wergeld hatten, und das thtlrin- 
gische und langobardische Recht haben sich also, indem sie 
das Wergeld den Schwertmagen allein zutheilen, von dieser 
ursprunglichen Auffassung bedeutend entfernt (1. Angl. et 
Wer. I, 3. 6. 1. Liutprandi 13) 8 ). 

Aus dem uralten Glauben, dass der Meineid eines Ge- 
schlechtsgenossen den Fluch der GOtter auf das ganze Ge- 



J ) Vgl. auch Frosthath. 6, 4. 

2 ) Magnusars. c. 46. Ans s. bogasveigis c. 7. Halfdanars. Eysteinss. 
c. 3. 

3 ) Nach 1. Angl. Wer. I, 9 wiirde die Tochter nach dem Aus- 
gange der fiinften vaterlichen generatio mit dem Eintritte in das 
liegende Erbe gem&ss I, 6 auch die ultio proximi et solutio leudis 
ubernehmen. In der 1. Liutpr. 13 wird ausdriicklich gesagt: filiae 
ejus eo quod femineo sexu esse provantur, non possunt faidam 
ipsam levare. 



187 



schlecht herabrufe, erklart sich auch eine Bestimmung der 
burgundischen Lex Gundobada 8, 1, wonach die Frau oder 
auch die Mutter des SchwOrenden zur Eideshilfe herangezogen 
wird 1 ). Erforderliche Eide mussten von den Frauen selbst 
geleistet werden 2 ). Ward die Entscheidung in gegen sie er- 
hobenen Klagen einem Gottesurtheil tiberlassen und dabei 
auf Zweikampf erkannt, so hatte ihr nachster Schwertmag 
fur sie einzutreten 8 ); nur in einzelnen Fallen und wahr- 
scheinlich erst in jtingerer Zeit ward den Weibern selbst 
der Kampf zugeschoben. Im eng anschliessenden Kleide 
kampften sie mit einem Steine, den sie in den Schleier. 
gebunden hatten, gegen den Mann, der sich halb in einer: 
Grube mit einem Stocke vertheidigte 4 ). Arten des Gottes- 
urtheils, die den Weibern haufig zuerkannt wurden, waren 
die Probe mit glilhendem Eisen, das sie in blossen Handen 
neun Schritte weit zu tragen hatten, oder mit neun gltthenden 
Pflugscharen, tiber die sie barfuss schreiten mussten; der 
Kesselfang, wobei sie einen Stein aus einem Kessel voll 
siedenden Wassers zu holen hatten, und die kalte Wasser- 
probe, die bei den Hexen im 16. und 17. Jahrhundert haufig 
angewandt wurde. Das Weib ward dabei an einem Seile ins 
Wasser geworfen und ftlr unschuldig erklart, wenn es unter- 
ging, fur schuldig aber, wenn es sich oben hielt; denn der 
Glaube war, dass das Wasser nichts unreines und daher auch 
keinen Misseth&ter in sich dulde 6 ). Auch die Kreuzesprobe. 

J ) Brunner, D. Rechtsgesch. 1, 89. 

2 ) Sachsensp. I. 47, 1. Schwabensp. Landr. 75. Eine Eides- 
formel fur Frauen Weisth. 3, 777. Uber den nastait s. unten. 

3 ) Vermochten . die Frauen keinen ihrer Schwertmage zu 
stellen, so pflegten sie Miethkampfer (campiones) anzunehmen oder 
mussten sich der Feuerprobe unterwerfen, 1. Angl. et Werinor. do 
veneficiis. Vgl. Gaupp, Gesetz der Thuringer 405—407. 

*) Majer, Gesch. der Ordalien 270—274. Philipps, Die Ordalien 
bei den Germanen, S. 10. Ukert in Jacobs und Ukert, Beitr. zur 
aiteren Litteratur III, 119—128. Vgl. uberhaupt J. Grimm, Rechts- 
alterth. 908—937. Wilda, Ordalien in Ersch und Grubers Encyklopadie 
III. 4, 452-490. 

5 ) Soldan-Heppe, Geschichte der Hexenprocesse I, 394 ff. 



188 



scheint nicht selten bei Weibera gebraucht zu sein. Beide 
Parteien stunden mit erhobenen Armen wahrend einer Messe 
an dem Kreuze; wer die Arme zuerst sinken liess, ward 
fQr uberfuhrt gehalten 1 ). 

War die angeklagte durch den Beweis aberfQhrt und 
ward auf Geldbusse gegen sie erkannt, so zahlte der Vormund 
die Busse aus dem VermOgen des MOndels. Reichte dasselbe 
nicht hin, so scheint er mit seinem eigenen Vermogen heran- 
gezogen worden zu sein; wenigstens liegt es im Wesen der 
Mundschaft, dass der Vormund nicht bloss schutzt, sondern 
auch bftrgt. Wo er nicht solidarisch verpflichtet ist, findet 
sich Abweichung von der ursprttnglichen Auffassung 2 ). 

Bei Kindern unter ihren Jahren und bei Wahnsinnigen 
durfte keine. andere als Geldstrafe vorkommen, erwachsene 
Weiber dagegen wurden auch peinlich gestraft. Die alt- 
germanischen Grundsatze zeigen jedoch auch hier eine milde 
Beurtheilung der Frau, wie sie spater in der goldenen Bulle 
(c. 24, §. 3) zwar ausgesprochen, aber nicht durchgeftthrt ist. 
Die nordischen Gesetze lassen wenigstens darauf schliessen; 
denn fur Verbrechen, bei denen den Mannern der Tod gewiss 
war, stund den Prauen Ausgleichung durch Geld mehrfach 
frei. Ihre Strafe war in den oberschwedischen Gesetzen schon 
dadurch milder, dass sie nicht friedlos werden konnten und 
ihr Landbesitz demgemass nicht eingezogen werden durfte 
(egh ma hanna bo skiptas). KOnigsfriedenbruch (edhsOre), 
KOnigsbusse (ensak) und Herrenstrafe (harrathocke) konnten 
sie nicht auf sich laden. Ward aber ein Weib fQr einen vef- 
tibten Mord von dem Blutracher auf frischer That erschlagen, 
so lag es ungebtisst (OstgOtal. drapab. 9. vadham. 15. 22. 35). 



x ) Vgl. Gengler, Deutsche Rechtsgeschichte 403. 

*) Vgl. hieruber Kraut, Vormundschaft I. §§. 37. 38. — Zahlte 
der Vormund keine Busse oder hatte die Frau keinen Vormund im 
Lande, so verlor sie nach ostgotiand. Rechte die Freiheit, Ostgotal. 
vadham. 35. 37. Die Weigerung des Vormunds, in der gesetzlichen 
Frist von funf Tagen die Busse zu erlegen, zog ihm Friedlosigkeit 
und VermOgenseinziehung zu, Ostgotal. drapab. 9. 



189 



Der Lebensstrafen, die an denWeibern vollzogen wurden, 
gab es verschiedene. Gegen das Hangen, die uralte Todesart, 
die als Opfer an die GOtter zu nehmen ist, straubte sich 
spater das Gefuhl 1 ). Wie das Uplandslag (IV, 29) bestimmt, 
dass kein Weib gehangt Oder geradert, sondern lebendig be- 
graben werden solle, so setzt auch das Eiber Stadtrecht von 
1294 (25) fest, wegen der weiblichen Ehre (for en quindeligh 
aeraes schyld) solle kein Weib gehangt, sondern lebendig be- 
graben werden 2 ). Das ostgotiandische Gesetz (vadham. 35) ge- 
stattete indessen fQr eine auf frischer That ergriffene Diebin 
den Strang, ebenso die Westerlawer Gesetze fur eine Ehe- 
brecherin (404 b , 11). Auch die Strafe des Rades ward in der 
Kegel nur gegen Manner in aiterer Zeit erkannt; Frauen 
wurden dafQr verbrannt, gesteinigt Oder ersauft (Grimm, 
R. A. 689). Erschlug ein Mann seine Frau ohne rechtlichen 
Grund, so ward er in mittlerer Zeit geradert; todtete die 
Frau ihren Mann, so verflel sie der Strafe durch die Sippe; 
nach Uplandsl. IV, 13 wurde sie gesteinigt. Ftlr eine Gift- 
mischerin, durch die jemand gestorben, bestimmte das up- 
landische Gesetz den Feuertod (IV, 19). KindesmOrderinnen 
wurden spater zuweilen in eine Grube gelegt und darauf ge- 
pfahlt (Grimm, R. A. 691). Nicht ungewOhnlich war ferner 
in aiterer Zeit, Frauen zur Lebensstrafe unter die Hufe der 
Rosse zu werfen oder sie tlberfahren und von Pferden zer- 
reissen zu lassen 8 ). Die schOne Schwanhild ward auf den 
Befehl des Gotenk6nigs Ermanrich der Sage nach von Pferden 
zertreten, als sie ihre Liebe dem Sohne des greisen Brauti- 
gams schenkte (GudrtinarhvOt 16). Die FrankenkOnigin Brun- 
hild wurde mit ihren Haaren und Armen an den Schweif 
eines wilden Rosses gebunden und zu Tode geschleift (Pertz 
I, 286). 

Eine besondere Rticksicht nahmen die Gesetze wie heute 
auf die Schwangeren. GewOhnlich wurden die Strafen erst 



i) Grimm, Rechtsalterth. 687. 

2 ) ttber das Lebendigbegraben der Frauen in den Niederlanden 
Hoffmann v. Fallersleben, Horae belg. VI, 226. 

3) Greg. Tur. Ill, 7. Chron. Fovalic. Ill, 14 (Pertz IX, 101). 



190 



nach erfolgter Entbindung vollzogen oder aberhaupt gemildert. 
Selbst im Hexenprocess kannte man hier Schonung bis zur 
Entbindung. 

Nachdem wir so eine Ubersicht fiber die Mundschafts- 
yerhaltnisse des Madchens und seine Stellung zum Offentlichen 
Kecht zu gewinnen suchten, liegt uns noch ob, sein Erbrecht 
kurz darzulegen. 

Altgermanischer Rechtssatz war, wie schon erwahnf 
wurde, dass nur der Mannesstamm den Landbesitz des Ge- 
schlechtes fflhrte und dass die weibliclien Familienglieder 
allein an der beweglichen Hinterlassenschaft Theil hatten. 
Er beruhte darauf, dass auf dem liegenden Eigen die privaten 
und Offentlichen Pflichten und Rechte hafteten, deren voile 
tTbernahme furdas Weib nach seiner ganzen natilrlichen Anlage 
unmOglich war. Bei den Salfranken wenigstens fiel bis auf 
KOnig Chilperich (t 584) Grund und Boden bei Abgang von 
SOhnen an die Gemeinde. 

Erst allm&hlich, nachdem in der Gemeine- xind Staats- 
yerfassung Anderungen eingetreten waren, erbten die Frauen 
auch Grund und Boden. Interessant ist die Vermittlung zwi- 
schen der.schroffen Ausschliessung und der Gleichberechtigung 
zu beobachten. 

War kein Sohn oder kein Sohn desselben vorhanden, 
so gestatteten das langobardische, alemannische, burgundische 
urid s&chsische Recht den tibergang alles Erbes auf die 
TOchter 1 ). Dasselbe geschah auf Island, wo sogar ein Godord 
(Hof mit Priester-, Verwaltungs- und Richterrecht) auf die 
TOchter erben konnte, die aber naturlich das darauf ruhende 
Amt durch einenMann desBezirkes verwalten lassen mussten 2 ). 
Bei den Franken traten die weiblichen Familienglieder in dem 
Erbe des Grundbesitzes des Hauses (der terra salica, avia- 
tica ; hereditas aviatica) gegen die mannlichen entschieden 
zuiUck; es gait dies besonders fur die Weiber der ent- 



!) leg. Liutpr f I t 1. 4 1. Alam. 57. Burgund. XIV, 1. Saxon. 
44. 46. 

a ) Grag. festath. 21. thingsk. 21. 



191 



fernteren Verwandtschaftskreise. Die TOchter aber und die 
Schwestern erhielten bei den Salfranken durch KOnig Chilperich 
das Erbrecht am Landbesitz 1 ). In merovingischer Zeit konnten 
aber bereits testamentarische VerfQgungen zu Gunsten der 
TOchter gemacht werden 2 ). Bei den Angeln und Werinern 
erbte der Sohn die ganze Hinterlassenschaft. War kein Sohn 
vorhanden, so trat im Landbesitze der nachste Verwandte 
von der Speerseite als Erbe ein, in der beweglichen Habe 
(pecunia et mancipia) aber die Tochter, Oder wenn sie fehlte, 
die Schwester, oder drittenfalls die Mutter. Von der Mutter 
erbte die Tochter nur die Gerade, d. i. Schmuck und Kleider. 
Erst im ftinften Grade geht die ganze Erbschaft vom Speer 
auf die Spindel aber (1. Angl. et Werinor. I, 1 — 9). 

Auf eine Zurttckstellung der Weiber hinter die Manner 
in der Erbfolge lasst sich auch bei den Priesen und den 
Angelsachsen fflr die alteste Zeit aus dem minderen Rechte 
derselben aberhaupt schliessen. Seit dem 9. Jahrhundert aber 
trat bei den Angelsachsen die Tochter in das ganze Erbe 
vom Vater vor alien entfernteren Verwandten ein 8 ). 

Nach dem Sachsenspiegel (I, 17) geht zwar im engeren 
Erbenkreise das mannliche Geschlecht dem weiblichen vor, 
also Sohn der Tochter, Vater der Mutter, Bruder der Schwester. 
In dem Erbenkreise fiber die Geschwister hinaus aber treten 
die gleich nahen ohne Rticksicht auf das Geschlecht zu glei* 
chen Theilen ein; diese Erben hiessen die Sachsen Ganerven. 
Nicht viel spatere Rechte und Statuten stellen SOhne und 
TOchter dem gesammten Erbe gleich. nah, wie das von den 
Volksrechten schon das westgotische Gesetz (1. Wisigot. IV, 
2, 1. '9) gethan hatte, und auch an das Lehngut erhalten 
die Weiber mehrfach denselben Anspruch wie die Manner*). 



2 ) Brunner, D. Rechtsgesch. 1, 195. 

2 ) Waitz, D. Verfassungsgesch, II, 191 f. v. Amira, Erbenfolge 
und Verwandtschaffcsgliederung nach den altniederdeutschen Rechten 
12 tt 

8 ) y. Amira, Erbenfolge 95. 

4 ) Kraut, Privatrecht 422 f. 3. A. . 



192 



In den Weisthtlmern erhielt sich indessen hier und da die 
alte Ausschliessung der TOchter. So bestimmt das Dorn- 
heimer Weisthum (Ostl. Schwarzwald, Grimm Weisth. 1, 378), 
dass die Knaben im liegenden, die TOchter im fahrenden 
Ghite das Erbe haben sollten. Nur wenn nicht so viel fahren- 
des vorhanden sei, um gleiche Theile zu bilden, sollten die 
Madchen durch liegendes entschadigt werden. 

Besonders behandelte Theile der Hinterlassenschaft sind 
die wesentlich mannlichen und die wesentlich weiblichen Dinge, 
also einerseits der Panzer (vestis bellica i. e. lorica, 1. Angl. 
Wer. I, 6) und das Schwert, anderseits Schmuck und Frauen- 
gewand 1 ). Das thtiringische (anglisch-werinische), das bur- 
gundische Gesetz und vor allem der Sachsenspiegel mit den 
an ihn sich anlehnenden Eechtsbestimmungen kennen diesen 
weiblichen Erbtheil mit dem Namen rhedo, rade Oder gerade. 
Der Sachsenspiegel (I. 24, 3) nennt als Bestandtheile der 
rade Schafe, Ganse, Kasten mit beweglichem Deckel, alles 
Gam, Betten, Pftthle, Kisten, Leilache, Tischlachen, Hand- 
tttcher, Badelachen, Becken, Leuchter, Flachs, alle Weiber- 
kleider, Ringe, Armspangen, Schapel, Psalter und alle gottes- 
dienstlichen Btlcher, Sessel, Laden oder Schreine, Teppiche, 
Wandbehange, Rftcklachen und alien Kopfputz (al gebende); 
ausserdem Bttrsten, Scheren 2 ), Spiegel. Alles unverschnittene 
Gewand und unverarbeitete Gold und Silber gehOrte nicht 
zur Gerade. In den norwegischen und ostgotlandischen Rechten 
erscheinen jene Geschlechtsvorausnahmen aus der Hinter- 
lassenschaft ebenfalls 8 ). 

Die Gerade erbte nach sachsischem Rechte auf die 
nachste weibliche Verwandte, auf die Tochter also oder auf die 



*) J. Grimm, Rechtsalterthtimer 566—586. Kraut, Grundriss 
uber das deutsche Privatrecht, §. 182, 29—58. 

2 ) In den Bildern zum Sachsenspiegel dient die Schere, ausser- 
dem zuweileu Bursten, Schafe und Ganse als Abbildung der Gerade. 

8 ) Frostath. IX, 9. Hakonarb. c. 75. Uplandsl. Ill, 70. Ostgotl. 
giptab. 15. Hans Privil. 42. 



nachste Nichte 1 ). Waren mehrere TOchter vorhanden und eine 
oder mehrere von ihnen schon ausgestattet (titgeradet), so 
erbte die nicht ausgestattete die Gerade (Sachsensp. I, 5, 2). 

Uberhaupt ward spater bei der Erbtheilung billige Buck- 
sicht darauf genommen, ob die TOchter schon ausgestattet 
waren oder nicht. Die unverheirateten nahmen daher nach 
norwegischem Eechte von dem Erbe einen Theil hinweg, 
welch er der Ausstattung der verheirateten entsprach (Frostath. 
11, 2). Ein Verlust alles Erbrechtes trat nach altestem Eecht 
fur die TOchter dann ein, wenn sie den Vorwurf der Un- 
keuschheit auf sich gezogen hatten. Die islandische Gragas 
(arfath. 23), ebeilso der Sachsenspiegel (I, 5, 2) huben diese 
Bestimmung auf; das ostgotlandische Eecht (arfdhab. 1) 
machte die Yerzeihung der Eltern zur Bedingung des Wieder- 
eintrittes der Erbfahigkeit ; der Schwabenspiegel (Landr. 15) 
sagt, ein Madchen unter fttnfundzwanzig Jahren verwirke in 
solchem Falle Vater- und Muttererbe; sei es alter, so kOnne 
es wohl seine Ehre, aber nicht sein Erbe verlieren. Letzterer 
Grundsatz gait im Sachsenspiegel uberhaupt (I. 5, 2). 

In dem Eddaliede Atlamai (75) wird erzahlt, dass Gudrun 
nach dem Falle ihrer Brttder Gunnar und HOgni das Erbmahl 
(erfl) fur sie anrichtete, so wie Atli eines fur seine gefallenen 
Treuen. Es ist ein Gedachtnissmahl der Todten, wobei der 
Erinnerungsbecher (minni) filr sie getrunken wird. 

Dieses Erbmahl war aber, wie der Name schon zeigt, 
nicht bloss zu Ehren der Todten bestimmt, sondern zum An- 

2 ) Nach Sachsensp. I. 7, 3. Weisth. 3, 103 nimmt die aiteste 
Tochter die Gerade, nach Weisth. 3, 189 (Engern) die jungste. Vgl. 
auch Weisth. 1, 283. 376. 3, 102. Bei hOrigen Leuten fiel sie, wenn 
keine unberathene Tochter da war, an den Herrn (Weisth. 1, 75. 
106. 270. 3, 33. 56. 185). Wax aber die Tochter unberathen und sie 
so lebenskr&ftig, dass sie die vier Wande ersieht (Weisth. 1, 290), 
dass man sie durch die Wand schreien h6rt (W. 3, 148), dass sie die 
vier Wande beschreit (W. 3, 103), eine brennende Ampel ausblasen 
(W. 3, 102), auf einer Bank stehn und der Mutter Kasten auf- 
schliessen kann (W. 3, 208), so fallt dieser die Gerade zu, vgl. Grimm, 
Eechtsalterth. 410. — Auch der Bruder, welcher Geistlicher ist, aber 
noch kein Amt (kerken oder provende) hat, erbt von der Gerade. 
Sie wird aber bei ihm zum Erbe, denn von seiner Hinterlassenschaft 
wird keine Gerade genommen, Sachsensp. I. 5, 3. 

Wei nh old, Deutsche Fratien. I. ** 



194 



tritt des Erbes und ward mit allerlei Gebrauchen festlich be- 
gangen. Die Frauen konnten also erst in jttngerer Zeit, 
nachdem sie die Befehigung zum Erbe erhalten, an der Sitte 
wirklichen Theil haben. Ein Todtenopfer; ein Trinkgelage 
das sich dem Gedachtnissbecher, der durch die Banke gekreist 
hatte, anschloss; Lieder, die zuerst zu Ehren des Verstor- 
benen gesungen wurden, aber dann auch ohne Bezug auf den 
Todesfall weiter ertOnten; das Lied begleitende Tanze, end- 
lich Spiele tlberhaupt lassen sich als Bestandtheile der all- 
mahlich ausartenden Feier durch die kirchlichen Verbote in 
Deutschland, wie durch die nordischen Sagas aufstellen. Nach- 
dem der Gedachtnisbecher auf den Abgeschiedenen von dem 
Erben geleert war und alle ihn nachgetrunken hatten, verliess 
im Norden der Erbe den Schemel, auf dem er bisher gesessen 
hatte, und bestieg denHochsitz desHauses, zum Zeichen, dass 
er nun an die Stelle des frttheren Herrn desselben trete 1 ). 
Wie die Kirche auch sonst volksthtimliche heidnische 
Gebrauche ihren eigenen Gesetzen und Sitten anzupassen ge- 
wiisst hat, so ist das auch mit dem Erbmahl geschehen. Die 
Zeit der tieferen Trauer, welche vom kirchlichen Todtendienst 
durchzogen war, fand mit dem dreissigsten Tage nach dem 
Tode ihren Abschluss. Auf diesen Dreissigsten wurden nun 
die volksthumlichen Gebrauche des Todten- und Erbmahls 
tibertragen. Seit dem 10. Jahrhundert ist diese Feier des 
Dreissigsten in Deutschland zu beweisen, und da im Sachsen- 
spiegel die juristische Bedeutung dieses Tages filr die Besitz- 
ergreifung der Erbschaft durch den nachsten Erben als altes, 
allgemeines Sachsenrecht erscheint, so werden wir, indem 
wir auch in den nordischen RechtsbUchern einen der kirch- 
lichen Seelamtstage far den Todten, d. i. den siebenten Oder 
den dreissigsten, als den Termin des rechtlichen Eintrittes in 
das Erbe finden, die Verschmelzung des kirchlichen Todten- 
amtes mit deutschem Oder germanischemuraltemErbgebrauche 
filr unser Mittelalter bewiesen erachten diirfen. 



2 ) Weinhold, Altnord. Leben 500 f. G. Homeyer der Dreissigste. 
Berlin 1864 (Abhandl. d. k. Preuss. Akaderuie d. Wissensch.) 101 ff. 
118 flf. 144. 



Funfter Abschnitt. 



Liebe und Frauendienst. 

Waz. toaere marines wunne, des frdiite sich sin lip, 
e$ entaeten schoene meide und herlichiu wip? 

Nibel. 273, 1. 2. 
Got hdt gehoehet und geheret reine frouwen, 
da$ man in wol sol sprechen unde dienen zaller zit. 

Walth. 27, 30. 
Swd du guotes wibes vingerlin Swer nie leit durh liep gewan, 

mugest erwerben und ir gruoz., dern weiz ouch niht, wie herze- 

das; nim: ez. tuot dir kunibers liebe lonen lean* 

buoz.. MS. Hag. I, 302*- 

du solt zir kusse gdhen 

und ir lip vast umbevdhen: Er gewan nie manlichen muot 

daz git gelucke und hohen muot der niht toerliche tuot 

op si kiusche ist unde guot. etswenne durh diu wip. 

Parziv. 127, 29 ff. Lanzel. 1017. 

In der Alexandersage flndet sich das Marchen von 
schOnen Blumen im Walde, aus deren festen rothen und ; 
weissen Bluthenknospen, wenn der Schnee zergangen ist, lieb- 
liche Madchen herausspringen, die den Sommer in reizender 
Jugend unter dem Waldesschatten und dem Vogelsang hin- 
leben. Wenn aber die Brunnen zu fliessen aufhOren, der Wald 
fahl wird und die V6gel verstummen, dann schwinden die 
Blumenkinder auch dahin und ihr kurzes Leben ist vergangen. 
Den wundersamen Blumen lassen sich die Menschenmadchen 
vergleichen. Ist der Vorfrtthling vorbei und dasjungeMenschen- 
kind aus den ersten Jahren herausgethaut, dann schiesst es 
auf wie jene Waldpflanzen ; und wenn die Zeit der Reife ge* 
naht ist und Ahnung" und Sehnen sich' um die junge Brust 
legt, dann tritt aus der springenden Hftlle des Kindes das 

13* 



196 



stlsseste Wesen der SchOpfung, die Jungfrau. Aber die Brunnen 
der Jugend rinnen nicht immer, die Blatter der SchOnheit 
rieseln eines nach dem andern auf die braune Erde und der 
Lebenston der Liebe verhallt. Da verhttllt das Weib sein Ant- 
litz, und Heil ihm, wenn es sterben kann wie jene Frauen 
des Marchens. 

Das jungfrauliche Weib birgt einen unnennbaren Reiz; 
Anmuth und hauchlose Reinheit flechten sich gleich Rosen 
und Myrthen zusammen und drucken dem einfachsten "Weibe 
eine glanzende Krone auf das Haupt. HOher angelegte Voiker 
haben vor der Jungfraulichkeit stets ehrfilrchtige Scheu ge- 
habt. Sie wussten die ersehnte Wiedergeburt der Gottheit 
nicht anders zu vermitteln, als dass sie den menschwerden- 
den Gott durch eine Jungfrau gebaren liessen. Sie verliehen 
der Jungfrau Krafte, welche das menschliche Mass ubersteigen; 
die Gabe der Weissagung ward ihr vertraut, und Zauber zu 
kntipfen und zu lOsen vermochte zumeist die Reinheit des 
Weibes. 

Wir Deutsche dtlrfen mit gerechtem Stolze auf unsre 
Yorfahren blicken, wie sie uns der ROmer schilderte. Es war 
ein reines, kraftiges, keusches Volk, ein Volk, das rauh und 
ungebildet in vielem, doch das richtige Gefuhl im Herzen 
trug. Auch ohne ausdrilckliche Zeugnisse mttssten wir auf 
eine besondere Achtung der Jungfrau bei den Germanen 
schliessen; denn unter den GOttinnen unseres Volkes beweist 
eine Reihe lieblicher Bilder, wie das Madchen verklart ward, 
und auch im Rechte flnden wir die Juiigfraulichkeit geachtet. 
Wir sehen jedoch hier einen eigenthilmlichen Streit zwischen 
Frau und Jungfrau eintreten. Wahrend in einigen Volks- 
rechten (1. Sax. II, 2. Hunsing6er Busst. 12. 13) Beleidigungen 
cler Jungfrauen hOher gebilsst werden als die verheirateter 
Frauen, zeigen andere (1. Alam. LVIII, 3. Bajuv. VII, 8. 
10 — 13) einen Vorzug dieser, indem sie die Verletzung 
der Rechte des Ehemannes hOher anschlagen als die Belei- 
digung der Jungfraulichkeit. Das friesische Recht stellt Jung- 
frauen und Witwen gleich ausgezeichnet vor die verheirateten 
Weiber. 



197 



Selbst im Kriege. haben die Germanen ihre Achtung des 
Weibes nicbt selten bewahrt, wenn die G-eschichte auch 
gerade aus den Kriegen von Deutschen gegen Deutsche Grau- 
samkeiten gegen Frauen und Kinder meldet. So brachten die 
bereits bekehrten, aber innerlich noch heidnischen Franken 
beim Ubergang ttber den Po dem Kriegsgotte ein grosses 
Opfer von gotischen Weibern und Kindern als Erstlingen des 
Krieges (Procop. b. got. II, 25), und die Thtlringer verubten 
in den Kampfen mit den Franken an frankischen Frauen 
und Kindern arge Rohheiten (Gregor. tur. HI, 7). Die Wi- 
kinger pflegten bei ihren Einfallen in das Frankenreich alles, 
Manner, Weiber, Kinder, niederzuhauen , wenn sie siegten. 
Aber auch das Gegentheil lasst sich bezeugen. Als der west- 
frankische KOnig Rudolf 925 die Stadt Auga (Eu) ersttirmt, 
in die sich die Normannen unter Rollo geworfen haben, werden 
alle Manner niedergemacht, die Frauen aber unberilhrt ge- 
lassen (Richer, hist. I, 50). Gleiche Schonung hatte fruher 
Totila den Neapolitanerinnen und ROmerinnen bewiesen, und 
als ein vornehmer Gote sich eine Ungebtthrlichkeit gegen ein 
neapolitanisches Madchen erlaubt hatte, liess er ihn trotz all- 
gemeiner Verwendung hinrichten und sein VermOgen jenem 
Madchen geben (Procop, b. got. Ill, 6. 8. 20). Die Skandi- 
navier hatten den Frauenfrieden (quenagrid) gesetzlich fest- 
gesetzt und hielten ihn in Kriegen und Familienfehden; 
-ebenso genossen nach deutschen Gesetzen des 13. Jahrhunderts 
Weiber und Jungfrauen alle Tage und alle Zeit an ihrem 
Leibe und Gute Friede 1 ). Auch darin zeigt sich eine bevor- 
zugte Stellung der Jungfrauen augenscheinlich, dass in frilher 
Zeit als festeste Burgschaft des Friedens zweier V51ker oder 
Staaten vornehme Jungfrauen als Geiseln gegeben wurden 2 ). 
Auf diese Weise kam der Sage nach die burgundische Ktaigs- 
tochter Hildgund an Attilas Hof. 



x ) Sachsensp. II, 66, 1. Henrici treuga 1 (1230). 

2 ) Germ. 8. hist. IV. 79. Sueton. Octav. 21. Dio Cass. 71, 12. 



196 



Lassen wir nun die Madchen und Frauen unserer Vorzeit 

vor unsere Augen treten, wie die Schilderungen der KOmer 

und Griechen, spater die Dichtungen und Bildwerke des 

tieferen Mittelalters sie uns vorzaubern. In den alteren Zeiten 

vor allem treten uns hohe, kraftige Gestalten mit hochblondem 

Haare und bl&ulichen Augen entgegen; Leiber, die von der 

ungeschwachten Kraft des Stammes zeugen . und die frische 

Farbe des Wald- und Feldlebens tragen. Die Frauen waren 

kernige Blondinen von jener stattlichen Erscheinung, die noch 

heute nicht ganz verschwunden ist. Wie sich in jedem Volke 

zu jeder Zeit die SchOnheit einzelne Stamme und Gegenden 

zu Lieblingen wahlt, so werden auch bei den Germanen die 

einen VOlkerschaften die andern an leiblicher Ausstattung 

iibertroffen haben. Die gotischen VOlker zeichneten sich na- 

mentlich durch hohen Wuchs, schOnes Gesicht, weisse Haut 

und blondes Haar aus (Procop. b. vand. 1, 2) und ihre 

Frauen waren allgemein so uberraschend schOn, dass selbst 

die verwOhnten OstrOmer ihr Erstaunen dartiber laut aus- 

serten (Procop. b. goth. 8, 1). Auch die Wandalinnen er- 

weckten die Bewunderung der Byzantiner (Procop. b. vand. 

n, 4). Im spateren Mittelalter waren in Frankreich die 

deutschen Manner und die flandrischen Frauen als die 

schOnsten ihres Geschlechtes beruhmt '). In Deutschland (auch 

in Italien und Frankreich) gingen allerlei ungereimte . und 

gereimte Sprftche urn, besonders im 15. — 17. Jahrhundert, 

in denen die Weiber verschiedener Lander gepriesen wurden, 

Oder welche aus den besonderen SchOnheiten einzelner Land- 

schaften das Bild eines vollkommenen Weibes mosaikartig 

zusammensetzten 2 ). 

Wenn ich nun nach unseren mittelalterlichen Gedichten 
die SchOnheit des Weibes im einzelnen zu schildern versuche, 



a ) Le Grand et Roquefort, Vie privee 3, 405. 

2 ) Sterzinger Miscellanhandschr. 332. Hatzlerin n. LXVIII. 
Lochheimer Liederbuch, Nr. 42. Bebel. facet, lib. III. Fischarts Gar- 
gantua 1590, S. 141 f. Fischarts Dichtungen, her. v. Kurz III, 436 ff. 
Rabelais Gargantua, tibersetzt von Regis 2, 203. Eine provenzalische 
Strophe bei Raynouard, Choix V, 154, eine italienische bei Reinsberg- 
Diiringsfeld, Internationale Titulaturen 1, 8. 



199 



so gewahrt es sicher ein Interesse fur die historische 
Asthetik, in die Herzens- und Kunstkammer der Dichter des 
12. und 13. Jahrhunderts zu blicken 1 ). Entzilcken uber die 
weibliche SchOnheit spricht sich ganz natiirlich in sehr vielen 
Versen der epischen und lyrischen Dichter deutlich aus. Es 
genilge hier an Walthers von der Vogelweide Strophe (46, 
10. L.) zu erinnern, in der er die Erscheinung einer schOnen 
edlen Frau schildert, wie sie in gesellschaftlichem Anzuge 
(wol gekleidet unde wol gebunden), in heitrer Anmuth, vor 
ihrer Umgebung hervorleuchtend wie die Sonne vor den 
Sternen einherschreitet. „Der Mai bringe uns alle seine 
wunderbare SchOnheit, schOner ist doch ihr holdseliger Leib ! 
wir lassen alle Blumen stehn und schauen das herrliche 
Weib an." 

Mehr als einer 2 ) verweilt gern und lange bei dem Preise 
einer schOnen Frau und erkiart sich unfahig, solche Reize 



*) tTber die Ideale der SchOnheit bei den Griechen: E. Rhode, 
Der griechische Roman 150 ff., bei den Italienern des 14.— 16. Jahrh. 
J. Burckhardt, Cultur der Renaissance in Italien (1860) 342 ff. t)ber 
das deutsche SchOnheitsideal im 12. und 13. Jahrh. Alw. Schultz, 
Quid de perfecta corporis humani pulchritudine G-ermani saec. XII. 
XIII. senserint. Wratisl. 1866. Uber das franzosische Schonheits- 
ideal der ritterlichen Zeit: L. Gautier, La chevalerie, S. 374 ff. 

2 ) Zusammenh&ngende Schonheitsschilderungen finden sich bei 
Herbort, Wirnt, Konrad Flecke, bei Konrad v. Wtirzburg mehrfach, 
bei Ulrich v. Eschenbach, bei Jans Enikel, im Wigamur, Reinfried, 
bei Walther v. Rheinau (Maria), in Heinzelins Minnelehre, in vielen 
erotischen Geschichtchen.und.in Dichtungen des XIV. Jahrh. In den 
alteren epischen G-edichten des 12. Jahrh., so in Eilharts Tristan, 
begegnen sie mcht, einzelne formelhafte Ausdriicke abgerechnet. 
"Veldecke in der Eneide schildert (1687 ff.) zwar Didos Gewand, aber 
nicht ihre Gestalt; 5156 wird ein Anlauf zur Schilderung ihrer Reize 
genommen. Hartmann verhalt sich im Erek ahnlich; 323—341 findet 
sich eine kurze Schilderung, 1540. ff. wird die Kleidung beschrieben, 
aber die leibliche SchOnheit 1700 nur ganz fliichtig gestreift; charakte- 
ristisch ist 8926 ff. Im Iwein meidet Hartmann die SchOnheits- 
beschreibung absichtlich. Gotfried verhalt sich im Tristan in ver- 
wandter Art; 706 ff. wird mannliche, 922 weibliche Schonheit kurz 
beschrieben; 10890 schildert der Dichter Isotes Anzug etwas aus- 
fiihrlich, hat aber fur ihren KOrper nur wenig Worte. Wolfram geht 



200 



vOllig zu schildern. Ein Beispiel gewahre Konrad Fleckes 
Beschreibung der schOnen Blanscheflur. Goldgl&nzende Haare, 
sagt der Dichter, fielen um die Schlafe, die weisser als 
Schnee waren; feine, gerade Brauen zogen sich fiber die 
Augen, deren Gewalt sich keiner mit aller Kunst erwehren 
konnte; Wangen und Mund waren schOn roth und weiss, 
die Zahne ohne Tadel und elfenbeinen, Hals und Nacken wie 
vom Schwan, die Brust voll, die Seiten waren lang und der 
Leib in der Mitte zart und fein. Alles war so schOn, dass 
man zu keinem Ende des Lobes kame und lobte man auch 
noch so lange 1 ). 



an den weiblichen Reizen nicht stumm voriiber, aber beschreibt 
nicht das ganze Bild, wie das auch bei den Lyrikern der Fall ist. 
In formelhafter Art wird den Einzelheiten ihr Preis gegeben, bei 
Wolfram mit der ihm eigenen Colorirung. Das Volksepos liebt aus- 
gefiihrte Schilderungen uberhaupt nicht und hat daher auch keine 
breiten Beschreibungen weiblicher Schonheit. Es beharrt auf der 
alteren Enthaltsamkeit. (Vgl. tiber den gleichen Zug bei den Griechen : 
E. Rohde, Der griech. Roman 151.) 

*) Flore 6873 if., andere Stellen Eneide 5156 f., Herbort 2489 ff , 
Wigal. 867 ff., Krone 8177 ff., Engelh. 2966, Troj. Kr. 19902 ff, 
Wigamur 4905 ff, Reinfried 2107 ff, ttlr. Alex. 16978 ff 23799 ff 
23909 ff. Altdeutsche Blatter I, 242. II, 392. Lassberg Lieders. 193, 
115 ff. Hugo v. Montfort n. 21. Oswald v. Wolkenst. n. 50. Fast- 
nachtspiele von Keller 265 f. Liederbuch der Clara Hatzlerin 37 b - 
38*- H. Sachs, Fabeln und Schw&nke, her. von GOtze I. n. 1. Vgl. 
auch Raynouard, Choix III, 202. Meon, Fabliaux et contes 3, 424. 
Monmerqu6 et Michel, Theatre frang. 58. Vgl. auch Ci sont les divisions 
des soixante-douze biautes qui sont en dames, bei Meon, Recueil de 
fabl. I. Jubinal, Jongleurs et trouvSres 119. 182. Blasons anatomiques 
du cors feminin. Lyon 1537. Rabelais Gargantua (v. Regis) II, 203. 
Fischarts Gargantua (1590) 141. Hoffmannswaldau, Abbildung der 
vollkommenen SchOnheit (Neukirchs Sammlung. Leipzig 1697. 2, 
62). Z. d. V. f. Volkskunde 5, 358. Pitre, Archivio d. tradiz. popol. 
XIII, 258 und andere italienische von R. KShler, German. 11, 219 
beigebracht. In den verschiedenen Fassungen werden 7, 18, 30, 60, 
72 Schonheiten aufgezahlt. Zu erw&hnen ist auch Bertrands von 
Born Lied: Domna puois de mi no us cal (Rayn. Choix 3, 139), wo 
er sich aus den Reizen der damals beruhmten SchOnheiten das Bild 
einer Geliebten zusammensetzt. 



201 



Wir wenden uns zu den einzelnen SchOnheiten. Ein 
bedeutender Theil derselben war das Kennzeichen der Nord- 
vOlker 1 ), das lange blonde Haar. Wir wissen, wie bei den 
Griechen blondes Haar geschatzt war (in den neugriechischen 
Volksliedern ganz ebenso) und welchen Geschmack die RO* 
merinnen daran fanden und wie hochblond unter ihnen Mode- 
farbe wurde. Diese Vorliebe ging in das Mittelalter tlber und 
erhielt sich dasselbe hindurch in den romanischen Landern, 
wo nattirlich die dunkelhaarigen Damen zu allerlei Farbe- 
mitteln deshalb greifen mussten. Die germanischen Frauen 
•achteten, was die Fremde an ihnen sch&tzte, selbst sehr hoch 
und iiberall wird dieser Schmuck besonders hervorgehobem 
Helga Thorsteins Tochter gait fur das schOnste Madchen 
auf Island ; nicht wenig trug ihr Haar dazu bei , das wie 
Gold glanzte und so lang war, dass sie sich ganz darein 
htillen konnte (Gunnlaugs s. c. 4) 2 ). Wissen wir doch, dass 
auch die Manner, bei denen es zugleich das Zeichen der 
Freiheit war (Rechtsalterth. 283) auf das lange Haar viel 
.hielten und die gallische Ziegenpomade (inventum ruti- 
landis capillis) noch fleissiger brauchten als die Frauen (Plin. 
h. n. 28 ; 51). Ein rtlhrendes Beispiel filr die Liebe zu den 
Locken des Hauptes gibt eine bekannte Stelle der Joms- 
yikingasaga (c. 15). Als die ktthnen Seerauber der Jomsburg 
nach hartem Kampfe uberwunden und gefangen sind und in 
langer Reihe dasitzen, um einer nach dem andern enthauptet 
zu werden, und als der Tod an den jiingsten kommt, bittet 
er, man mOge ihm sein schOnes blondes Haar zuvor hinauf- 
binden, damit es nicht blutig werde. 

Bei den Frauen namentlich war krausgelocktes Haar 
im 12. und 13. Jahrhundert beliebt 8 ), Ausserdem schatzte 



2 ) Zeuss, Die Deutschen und ihre Nachbarstamme 5i f. 

2 ) Weinhold, Altnord. Leben. 182. 

8 ) reit reideloht Parz. 151, 23. 232, 20. 809, 2. Titur. 36, 2, 
Wigal. 27, 5. Krone 8196. g. Gerh. 1688. Wigam. 4600. Virgin. 967, 
13. Reinfr. 2110. 2140. krisp Wilh. 154, 11. krispel und krus 
Partonop. 8685. Tr. Kr. 19908. krushar krisp unde gel MSH. I, 



202 



man die Lange der Locken 1 ) oder der schOn geflochtenen 
ZOpfe 2 ). Die beliebteste Farbe blieb gelb wie gesponnenes 
Gold oder wie Seide. Aber auch weissgelb wird als schOn 
geschildert (Eneit 5156) und der Farbe falber Kramseide ver- 
glichen (Lieders. 205, 92. — val har lane MSH. 1, 22 b . lieht 
valbez har, Enikel Wkr. 13910. ir har als die siden lieht 
ebd. 19683). 

Braunes Haar wird seltener in den Gedichten an schOnen 
Frauen oder Mannern gertlhmt. In den nordischen Liedern 
und Sagas gilt braune Haarfarbe als Kennzeichen der Goten, 
Langobarden, Franken (Altnord. Leben 181). Jedenfalls er- 
schienen also in der Wikingerzeit die Sttdgermanen den nor- 
dischen Yettern dunkelhaariger als sie selbst. Schwarzes 
Haar gait fttr hasslich oder wenigstens filr fremd (ebd. 182). 

Die Wangen liebte man von gesunder Farbe, weiss und 
roth gemischt, wie gemalt 8 ). Die Rose dient zur Vergleichung 
der schOnen ROthe der Backen 4 ). Wolfram preist die Wangen 
der geliebten Frau als eine thauige rothe Rose, und Konrad 
von Wttrzburg vergleicht die frische ROthe einer Rosen- 
knospe, die sich im Morgenthau Offnet. Der Glanz der Wangen 
wird auch einem Spiegelglas verglichen (Enikel Wkr. 12496). 
Verirrung gegen den Geschmack der Zeit war, dass die Eng- 
landerinnen des 12. und 13. Jahrhunderts die bleiche Farbe 
fQr schOn hielten und durch weissschminken zu erreichen 



327. har als di goltdraet — lind sam di siden, Enikel, Wkr. 12505. 
(Von Enikel wird blondes Haar ofter dem zum nahen verwandten 
Golddraht verglichen, Strauch zu Enik. Wkr. 11419.) 

3 ) Wigal. 65, 31. Wildonie verk. wirt 329. EJrone 8196. 

2 ) Parz. 151, 24. Wigal 65, 31. 190, 28. Frauend. 166, 17. Walth. 
v. Rheinau 26, 56. Reinfr. 2140. Philipp Marienl. 836. 

8 ) Eneit 5170. Herbort 601. Erek 1701. Trist. 17568. Krone 8178. 
Partonop. 8656. Philipp Marienl. 856. Walther v. Rheinau 26, 40. 
Wigam. 4913. Enikel Wkr. 12499. 14320. 19682. MSH. I, 150 b - 348*- 
II, 23- 

*) Herbort 3280. Nib. 281, 2. Wolfr. Lied. 9, 36. MSH. I, 24*- 
II, 366 b - Wigal. 895. Partonop. 8679. Tr. Kr. 19956. Demant. 8697. 
Apollon. 2145. Aber auch die ganze Gestalt wird einer Rose verglichen: 
Strickers Daniel 527. 4281. 



203 



suchten l ). Gesimder war der FranzOsinnen Geschmack, welche 
sich, wenn sie blass waren, durch gutes Friihstilck lebhafter 
zu farben suchten (Chastoiem. de dames 367 — 372). 

. Both und durchscheinend wie eine Bltlthe Oder wie eine 
Rose im Thau, ja so roth, als streue er beim l&cheln Rosen, 
gltihend, als kOnne Feuer daraus springen (Parzival 257, 20), 
lockt der schOne Mund. Trotzig und iippig fragt er den lieben- 
den: ja trutz? wer wagt mich zu ktlssen? (MSH. 2, 25 b ). 
Klein, festgeschlossen und schwellend verheisst er dem ent- 
ztlckten Manne die siisse Wonne des Kusses 2 ). 

Wie Hermelin aus Scharlach, blicken aus den siiss- 
athmenden Lippen die feinen, kleinen, geraden Zahne, deren 
Weisse dem Elfenbein, der Lilie, dem Schnee verglichen 
wird 8 ). 

Mund bringen aber zu Munde die freundlichen Blicke, 
die wie Sonnenschein aus den klaren Feueraugen in das Herz 
spielend blinken 4 ) und deren Glanz den Sternen, dem Kerzen- 
licht, dem Glas oder dem Spiegel verglichen wird 5 ). 



J ) Anselmi Cantuar. opera II. B.** p. 197. Lutet. 1675. Daraus 
Alex. Neckam (Th. Wright essays 1, 193). 

2 ) Die Vergleichungen des Mundes mit der Rose sind sehr 
haufig; auch dem Rubin wird er verglichen, z. B. MSH. I, 336*- 
Gesammtabent. XV, 60. Tr. Kr. 14692. Wigam. 4909. Roter munt war 
Kosename der Geliebten (German. 9, 402), aber auch Umschreibung 
fur schone Frau. 

8 ) Herb. 2994. MSH. I, 120 b - 308" II, 71 b - 218*- Partonop. 8672. 
Walth. v. Rheinau 26, 26. Reinfr. 2210. Enikel Weltkr. 12515. — 
Wigal. 918. Flore 6900. — Parz. 130, 11. Krone 8192. Tr. Kr. 19973. 

*) spilndiu ougen Walth. 27, 56. 109, 19. 118, 32. MSH. I, 86 b - 
351 b - 359 b - II, 366 b - Frauend. 507, 29. 521, 14. Flore 6891. Ernst B. 
5191. Wolfdiet. B. 243. Pantal. 1954. Tr. Kr. 29236. Heinr. Trist. 3520. 
Hadam. 649. Meier. 2919. Virgin. 116, 13. Lohengr. 6107. von Uehten 
ougen spilnde blicke Frauend. 400, 12. Suchenw. 26, 40. der frouden- 
rtche ostertac, der lachende in ir ougen lac Trist 925. lachende ougen 
Wigal. 880. Mantel 12, 19. Frauend. 520, 2. 521, 13. ougm lose Enikel, 
Wkr. 9777. 

6 ) Gesammtabent. XIII, 80. XXIV, 25. Reinfr. 2159. — Phil. 
;Marienl. 840. — Tr. Kr. 19935. — Neifen 12, 16. MSH. I. Ill*- 153" 
Trist. 11977. 



201 



Die Farbe der Augen wird nicht besonders hervor- 
gehoben; auch in Deutschland scheint, wie in Frankreich, 
wo das vair die beliebteste Tinctur der Augen war, die un- 
bestimmte Buntheit des Augapfels beliebt gewesen : ir ougen 
klar gemischet waren ane var (Liedersaal XLV, 58). In der 
Schilderung der Jungfrau Maria (bei Philipp 840 ff.) wird der 
saphirne Oder jachatne Stern im milchfarbenen Weiss ge- 
schildert, bei Walther von Rheinau (25, 47) der gianzend 
schwarze Augapfel in hyacinthenem oder saphirnem Kreise 
geruhmt. Graue Augen werden als schOn beschrieben von 
Heinrich vom Ttirlein (Krone 8182. Mantel 12, 19. 17, 15). 

Die Augenbrauen liebte man geschwungen, schmal und 
scharf, wie mit dem Pinsel gezogen. Ftir besonders schOn 
galten die braunen, worunter uberhaupt die dunkleren gemeint 
sein mOgen 1 ); die Augenlider liljenweiss (Enikel Wkr. 12482). 

Der Raum zwischen den Brauen musste breit sein, 
zusammenstossende galten fur hasslich 2 ). 

Die Stirne liebte man gewOlbt und weiss 8 ); die Nase 
massig lang, nicht breit, nicht hOckericht, sondern gerade, 
hOchstens ein wehig gebogen 4 ); das Kinn rund, weiss wie 
Elfenbein, Schnee oder Lilien und mit einem Gnibchen ge- 
schmtlckt 5 ) ; den Hals rund, nicht zu lang und nicht zu voll, 
von so feiner Weisse, dass man den rothen Wein, den die 



?) Eneit 5159. Wigal. 875. Flore 6889. MSH. I, 167 b - II, 65 b - 
264*- III, 468 b - Mantel 12, 20. Engelh. 2882. Tr. Kr. 19924. Phil. 
Marienl. 837. Wigam. 4922. Ulrich v. Eschenb. Wilh. 1506. Enikel, 
Wkr. 12480. Reinfr. 2119. Gesammtabent. XIII, 79. XV, 57. Lieders. 
XLV, 58. 

2 ) Walth. v. Rheinau 26, 9. Rom. de la Rose 530. Meon, Fabl. 
IV, 409. 

3) Carm. bur. XLII, 4. Wigal. 871. Flore 6888. 

*) Carm. bur. XL, 4. Wigal. 890. Flore 6832. Krone 8183. 
Engelh. 2976. Tr. Kr. 19936. Phil. Marienl. 848. Enikel, Wkr. 12513. 
Walth. v. Rheinau 26, 32. Gesammtabent. XX, 43. Suchenw. XXV, 200. 

*) MSH. I, 15 b - 22 b - 61 b - 210 ■• II, 23 "• Krone 8197. Tr. Kr. 
19984. Phil. Marienl. 862. Walth. v. Rheinau 26, 27. Gesammtab. XX, 
47. Fragm. 43 c - Suchenw. XXV, 193. Hatzl. 188"- 



205 



SchOne trank, durch die Haut scheinen sah (Enikel Wkr. 
12525. 14340. Ges. Abent. 20, 48). Das ward noch an der 
schOnen, ungltlcklichen Agnes Bernauer gertthmt (Arapeck bei 
Freyberg, Sammlungl, 174), derGeliebtenHerzogAlbrechtsIH. 
von Bayern. 

Schultern und Nacken mussten nicht minder weiss 
glanzen und glatt und wohlgebildet sich herabsenken *). Die 
Arme verlangte das SchOnheitsbild linde, weiss, rund und 
massig lang 2 ); die Hande schOn geformt, weich und von 
einer Weisse, die dem Hermelin oder dem Schnee verglichen 
wird 8 ); die Finger lang, fein und schmal, dieNagel glanzend*). 

Die SchOnheit des runden, weissen, jungfraulich kleinen 
und doch vollen Busens wird gebtihrend gepriesen 5 ). 

Den Wuchs des schOnen Weibes beschreibt ein spaterer, 
der aber ganz in der Anschauung des Mittelalters steht, 
Suchenwirt, ze rna%en lane, enmitten klein (fein), sinwel mit 
swanc(XXV, 181) 6 ). Die schmale, feine Taille bei voller Brust 



2 ) Flore 6902. Tr. Kr. 7506. 19988. Wigam. 4936. Enikel, Wkr. 
12704. Reinfr. 2142. Montfort XXI, 19. 

2 ) Alex. 5277. Herbort 2496. Parz. 130, 24. Krone 8203. MSH. 

11, 84 b - Partonop. 8697. Tr. Kr. 19994. Eracl. 1820. Heinzel. Minnel. 
660. Lassb. Lieders. CCL, 46. Hatzl. 185 a 

8 ) Eneit 5175. arme blame, schune hande, vinger lane, glander 
negel, Herbort 2496. — Eilh. Trist. 967. Erek 355. Parz. 279, 13. Trist. 
8070. 9420. Wigal. 4883. Krone 8204.-, MSH. II, 21 b - Tr. Kr. 15778. 
Heinzel. Minnel. 661. Wigam. 4935. 

*) Flore 6910. Krone 8208. Philipp Marienl. 878. Tr. Kr. 15830. 
Demant. 2207. Walth. v. Rheinau 27, 25. Gesamrntab. XL, 23. Lohengr. 
787. Reinfr. 2256. 

5 ) Carm. bur. LVI, 3. Parz. 258, 26. Wilh. 155, 7. Titur. 36, 2. 
j. Tit. 1249, 3. Lohengr. 3125. MSH. II, 93- III, 468 b - Partonop. 
8731. Gesammtab. XL, 22. Fragm. 26 "• — der minne rosenbollen 
fragm. 43 c - — ateam zwei kugellin Tr. Kr. 20215. — zwene epfel 
j. Tit. 1247, 3. Tr. Kr. 20218. Gesammtab. LVIII, 20. Lieders. CLXXXIII, 
127. Reinfr. 2267. — zwo Urn Wigam. 4931. Suchenw. XXV, 184. 
Keller Erz. 179, 2. Wolkenst. Nr. XXXVII. 2, 1. Fastnachtsp. 399, 

12. 653, 16. 749, 34. 

6 ) Dazu Montfort XXI, 22 ff. Kittel 25, 22 if. 



206 



und Httfte priesen die Dichter oft 1 ). Wolfram v. Eschenbach 
vergleicht solchen Wuchs humoristisch dem der Ameise (Parz. 
410, 2. 806, 24). Die schlank aufgeschossenen MMchen werden 
auch einem Baumreise verglichen 2 ), oder einer Kerze (Wolfd. 
B. 338, 2). An den runden Beinen schliesst dann ein schmaler, 
kleiner Fuss 8 ), der so gewOlbt ist, dass sich ein VOglein 
darunter verstecken kann, die ganze liebliche Gestalt des 
Weibes ab. 

Die Vergleichung des herrlichen Frauenbildes mit Sonne 
und Mond ist auch der deutschen alten Poesie gel&ufig 4 ). 
Sonnenweiss (solhvit H&vam. 97), sonnenglanzend (solbiprt 
Helgaqu. 2, 45) sind Beiworte in Liedern derEdda; diu sunnen- 
brehende liehte heisst Isot bei Heinrich von Freiberg (Trist, 
4495. 4526) und Gottfried von Strassburg vergleicht die beiden 
Isolden (Tochter und Mutter) der Sonne und dem Morgenroth 
und Brangaene dem Vollmonde (Trist. 9460 f.). Sie leuchtet 
wie die Sonne, sangen Heinrich von Morungen (M. Fruhl. 
129, 20) und der hundert Jahre jungere Markgraf Otto IV. von 
Brandenburg (MSH. 1, 12 b ); ein juncfrou sam diu sunne, sagt 
Jans Enikel Wkr. 9754. Es ist der voile, die Welt durch- 
leuchtende SchOnheitsglanz. Yon den schOnen Armen Gerds, 
der Tochter des Riesen Gymir, war die Luft und das Meer 
durchstrahlt (Skirnismal 6). 

Aber auch dem milden, reinen Schimmer des Mondes 
vergleichen, wie Griechen und ROmer gethan 5 ), unsere mittel- 
alterlichen Dichter die Geliebte, namentlich gern dem Vollmonde 
(Morungen, M. 'Fruhl. 136, 7. 143, 25. ff. Neithart 58, 24), 



!) Bother 75. Alex. 5896. En. 5158. Herb. 610. Parz. 413, 
18. Trist. 10898. MSH. I, 22 b - II, 78 *• 84 b - III, 468 c - Tr. Kr. 20000. 
— hiiffe MSH. II, 86 b - 93*- Wigam. 4908. Lohengr. 3130. fragm. 26 c - 

2 ) swankel als ein ris Parz. 806, 18. Wilh. 154, 13. alsam ein 
widegerte MSH. 1, 301 b - 

3 ) MSH. II, 84 b - 93 s - Tr. Kr. 20012. Fragm. 18 6 Wigam. 4941. 
Suchenw. XXV, 167. 172. Montfort XXI, 29. Altswert 25, 27. 

4 ) Stan. Prato, Sonne, Mond und Sterne als Schonheifcssymbole 
in Volksmarchen und Liedern, in d. Zeitschr. d. Vereines f. Volks- 
kunde. 5, 363-383. 6, 24-52. 

6 ) E. Rohde, Der griechische Roman 153. 



207 



und beliebt ist das Bild, wie der Mond die Sterne tiberstrahle, 
so die gepriesene Frau alle tibrigen 1 ). 

Durch das armliche, zerrissene Gewand der edelarmen 
Enite leuchtet ihre weisse Haut wie ein Schwan, Oder wie 
eine Lilie unter schwarzem Dornstrauch (so heisst es in 
Hartmans Erek 330. 337). Schwanweiss, Svanhvitr, ist ein 
alter Frauenname, und auch Beiname von Frauen (EQadgudr 
svanhvit), und auf die Vergleichung weiblicher schOner Weisse 
mit dem Schnee 2 ) grilnden sich die Frauennamen Snsefridr, 
Sn6oburc und Schneewitchen des Kindermarchens. 

In den Marchen vieler VOlker wird erzahlt, dass schOnen 
und guten Madchen, wenn sie sprechen oder lachen, Kosen, 
Weizen, Goldmunzen, Ringe, Perlen aus dem Munde fallen 8 ). 
Auch in deutschen Marchen findet sich, freilich selten, dies 
erwahnt, haufiger in skandinavischen. — 

Man hat wohl gesagt, die Liebe sei unter den Deutschen 
in ihrer rechten Heimat; andre VOlker hatten sie auch, allein 
sie sei bei ihnen ein sinnliches, verrauschendes Gefuhl; nur 
bei den Deutschen bluhe die innige, durch Geist, Gemuth und 
Leib dringende, zwei Seelen verschmelzende ewige Kraft, 
die wir mit einem alten schOnen Worte Minne heissen. Wer 
mOchte den andern YOlkern Unrecht thun? Wer wollte aus 
ubertriebenem Patriotismus unwahr sein? Das aber ist gewiss, 
dass das echte deutsche Wesen in seiner Beschaulichkeit, 
seiner sinnigen Selbstversenkung, seinem Gemtithsreichthum 
und seiner bescheidenen Selbstsucht alle Stoffe enthait, um 
eine rechte Liebe oder Minne mOglich zu machen. Langsam 
wie dieMuschelerschliesst sich das Herz der deutschen Jungfrau, 
um dem geliebten Manne die Perle treuer, unendlich be- 



!) Kaiserkron. 11754. Nibel. 282. 760, 3. Erek 1767. MSH. 1, 
112 b - Luarin 751. 

2 ) lieplich priune, rote rosen roete, snebes wize hat ir lip, 
Lichtenst. Frauend. 508, 30. noch wizer danne ein sn^ ir lip vil wol 
gestalt, Morungen, M. F. 143, 24. 

8 ) R. KOhler zu L. Gonzenbachs Sicil. Marchen 2, 225 mit 
Nachtrag in der Zeitschrift des Vereins fur Yolkskunde 6, 71 f. 
Uhlands Schriften 3, 420 ff. 512. 5, 130. 



208 



gliickender Weiblichkeit zu spenden. Das echte deutsche 
Madchen sieht in ihm nicht das mannliche Wesen, nicht den 
Yergniiger und Ernahrer, sondern den Freund, den Vertrauten, 
den treuen Gef&hrten in Freud und Leid diesseits und jenseits 
des Grabes. Die deutsche Liebe ist unverganglich und hofift 
die Unsterblichkeit; die undeutsche entsteht und vergeht mit 
der Stunde des Eausches, und ihr graut vor langerem Leben 
als in einer Spanne Zeit. Die deutsche Liebe ist fromm und 
kindlich wie Gretchen, die undeutsche ist wie die Semiramis 
der Sage. 

Das Wort Minne ist ein Edelstein unserer Sprache. Es 
bedeutet ursprunglich das Denken und Sinnen, dann das 
gtltige, liebende Meinen ; die althochdeutschen tTbersetzer geben 
caritas durch minna wieder; auch die liebende Hingabe an 
Gott und Christum wird Minne genannt. So erklart sich, dass 
Minne die hohere wahre, innere Neigung zwischen Mann und 
Weib bezeichnet, im 12. und 13. Jahrhundert auch die durch 
den Frauendienst eigenthumlich gestaltete. Durch das ganze 
18. Jahrhundert herrscht in diesem Worte die edle Be- 
deutung vor. Was Wolfram v. Eschenbach in den Titurel- 
bruchstticken 51, 2 sagte, Minne wohne auf der Erde, ftthre 
in ihrer Eeinheit zum Himmel, sie sei allenthalben, nur nicht 
in der HOlle, das tOnt durch die Dichter der Zeit hindurch. 
Eins der besten Worte, spricht Eeinmar von Zweter (Spr. 32), 
ist Minne: Minne ist die Ubergoldung, der vollste Schatz der 
Tugenden, Minne schliesst die guten Werke fest in sich. Sie' 
ist die Lehrerin reiner Gesinnung, Keuschheit und Treue 
sind ihre Gefahrten. Mchts kann der edlen Minne sich ver- 
gleichen als eine Frau, die Ehre 7 Treue und Ziichtigkeit 
starkt, den Weisen vertraut, den Thoren fremd ist. 

Aber der pessimistische Zug, der durch die Geschichte 
gar manches Wortes geht und es oft ganz tOtet, bricht -auch 
in Minne durch. Neben der schOnen ursprunglichen reinen 
Bedeutung liegt fruh die einer leidenschaftlichen Empfindung 
darin : schon althochdeutsche Glossen ubersetzen ardor (Hitze) 
und ignis (Feuer) durch minna, und in den folgenden Jahr- 
hunderten wird das Wort hier und da fur die geschlechtliche 



209 



Liebe gebraucht 1 ). Dies wird im 14. Jahrhundert haufiger 
und so wird das Wort allmahlich in guter Gesellschaft ge^ 
mieden. Urn 1500 gilt Minne ftir ein unanstandiges Wort 
(Haupt zu Engelh. 977) und damit ist sein Tod in den Schrift- 
werken besiegelt. Es lebt erst im 18. Jahrhundert durch die 
erwachende Beschaftigung mit den Minnesangern des Mittel* 
alters wieder bei den Dichtern auf. 

Das Wort Minne wich dem Worte Liebe, das zuerst 
Anmuth, Wohlgefallen , Freude, Lust bezeichnete und dann 
allmahlich den Begriff freundliche Gesinnung, Zuneigung, 
Liebe kraftiger entwickelte. Am Ende des 12. Jahrhunderts 
hat das Wort diese Bedeutung bereits so sicher, dass es mit 
Minne den Wettstreit beginnt 2 ), in welchem dieses schliess- 
lich unterliegt. Indem Minne die Liebesempfindung uberhaupt 
und damit auch das Sinnliche darin bezeichnet, Liebe aber 
die freudige, gehobene Stimmung, die aus der Minne in 
edleren Naturen hervorspriesst, so erscheint Liebe allmahlich 
als etwas reineres, hOheres. In einer Anrede an Frou Minne 3 ), 
die Wolfram von Eschenbach in seinem Parzival halt, sagt 
er ihr geradezu, ihre Ehre hange von der Verbindung mit 
frou Liebe ab (291, 15 — 18). Darunter ist aber nicht der 
Liebreiz, die Anmuth zu verstehn, sondern die edlere, be- 
gltickte Seelenstimmung der in Liebe vereinten. 



a ) Althochdeutsche Glossen von Steinmeyer 2, 527. Z. 37. 41. 
42. - Milst. Genes. 56, 19. 57, 12. Nibel. 588, 3. 601, 3. 783, 3. 797, 
4. Erek 9105. Tristan 1313. 1325 Welsch. Gast. 853. MSH. 1, 187 a - III, 
159 * Heinzel. Minnel. 1307. 

2 ) Auf diese Nebenbuhlerschaft der beiden Worte bezieht sich 
Ulrich von Lichtenstein, der sich dagegen und beide fur eins be- 
deutend erkl&rt: sttetiu liebe hei^et minne: liebe, minne ist al ein. 
die kan ich in minem sinne niht gemachen wol zuo zwein. liebe muo$ 
mir minne 8tn immer in dem herzen min Frauendienst 430, 1—6. liebe 
unde minne als synonyma verbunden, Trist. 16426. 17602. 

• 8 ) Die Personification der Minne, der provenzal. Amors (fern.) 
entsprechend, findet sich zuerst bei Fr. v. Hausen (M. Fr. 53, 23), 
kommt auch bei Wolfram und bei Gottfr. v. Strassburg vor, ist aber 
von Walther v. d. Vogelweide besonders oft benutzt. 

Weinhold, Deutsche Frauen. I. 14 



210 



In gleichem Sinne nennt Graf Konrad von Kilchberg 
ware liebe der minne tlbergulde (MSH. I. 24'), d. h. etwas 
hoheres, kOstlicheres als die Minne; und der Zusammenhang 
seiner Verse ergibt , dass er unter minne die durch die leib- 
liche SchOnheit der Geliebten entzttndete Neigung, unter liebe 
aber die auf ihre giiete und tugent gebaute tiefere Liebe ver- 
steht. Diess sind die Wege, auf denen die beiden Worte 
weitergingen; das eine stieg hinauf zur Herrschaft, das andera 
stieg abwarts und musste sich schliesslich verstecken, bis es 
durch die jungen GOttinger Dichter in den ersten siebziger 
Jahren des 18. Jahrhunderts wieder belebt und zu neuen 
Ehren gefahrt ward. 

Minne, trute minne, siie$e minne, mines herzen minne 
waren auch kosende Worte der Liebenden unter einander. Die 
Zahl derselben zu erschOpfen, wtlrde schwer sein, denn Liebe 
ist zu alien Zeiten auch in Schmeichelnamen hOchst erfin- 
derisch gewesen. Im Oswaldgedicht 2 ) begrilsst der braut- 
werbende Kabe die schOne Frau Spange als Liljen- und Rosen- 
thau, als lichten Morgenstern, als Maienreis und bluhendes 
Paradies. In einem geistlichen Liebesgesprach in Hug von 
Langensteins Martina (77, 84 ff.) begegnen die weltlichen 
Koseworte: friedel und tnlt, Taube, Herbsttraube, bluhendes 
Paradies, weisse Lilie, rothe Rose, Wurzgarten, Freudenwarte, 
Sommerwonne, Gltickesbronnen, blumenreicher Wald, des 
Herzen Minnenest, Wonnenthal, Preudensaal, der Liebe Ge- 
sundbrunnen (heilwac), Maienthau, Freudenschau, Nachti- 
gallensang, der Seele Harfenklang, Osterblume, Honigschmack, 
der Freuden Gespiel, endloser Trost. In einem spateren Ge- 
dicht (Hatzler. 148') nennt der Liebende die Geliebte unter 
andern seinen bltihenden Anger, seinen strahlenden Sonnen- 
glast, seiner Seligkeit Biirde, seinen glanzenden Morgenstern, 
seine Rose, seinen Mandelkern, seinen stlssen Balsamduft, 
seinen Trost bei Nacht und Tag, sein lustiges Maienspiel, 
aller seiner Sorgen Ziel, seiner Freude Anfang, der Minne 
lustig Band und seiner Augen Himmelreich, dem auf Erden 
nichts ist gleich. 

2 ) Wiener Hs. in Z. f. d. Alt. 4, 203. 



211 



Endlich fuhre ich noch aus dem trefflichfen Btichlein 
„Der Ackermann aus BOheim" , das im Jahre 1399 ein ge* 
wisser Johann zu Saaz in BOhmen verfasste, die Liebes- 
namen an, welche der verstorbenen Gattin gegeben werden 1 ): 
meiner Wonne lichte Sommerblume, meiner Seligkeit Haft, 
meine auserwahlte Turteltaube, meine frOhliche Augenweide, 
mein Friedeschild vor Ungemach, meine wahrsagende Wttn- 
schelruthe, mein Morgenstern, meines Heiles Sonne, mein 
ehrenreicher Falke. 

Einzeln kommen solche Koseworte fGr die Geliebte ftberall 
in Dichtungen und selbst in Prosaschriften der mittelhoch- 
deutschen Periode vor. Allgemein sind die Worte liep, trtlt 
oder herzetrtit und sundertrtit 2 ), mit weiblicher Bildung triut- 
inne; friunt 8 ) und friundin, herzefriundin, in franzOsischer, 
von den hofischen Dichtern ohne Scheu gebrauchter Form 
amis und amie;. geselle, trtogeselle, buole (fur beide Ge- 
schlechter), saBlic wip, sselic frouwe, saeldenriche^ wip. Dann 
finden wir: min siie^iu (Erek 8840), min stie$el (MSH. H, 93*), 
stle^er lip (MSH. 2, 24 a . Krone 26505), vil lieber lip (MSH, 
2, 167 b ), minneclicher lip; rOter munt, mttndel r6t 4 ); herze 
unde sele min (Krone 26607), mines herzen verh (Parz. 
710, 29), mines herzen ingesinde (Neith. 56, 13), mines herzen 
kie (MSH. HI, 445 a . Grimm, Ged. auf Friedrich den Staufer, 
£. 76), mines herzen Osterspil- (MSH. H, 72 a ), mines herzen 
Ostertac (ebd. H, 366 b , HI, 442*), mines herzen bltlender 6ster» 
tac (Neith. 237, 10), min froelicher Cstertac (Seuse, ExempL 

1, 1, 10); mines herzen summerwunne, mines herzen minne 
{Seuse, ebd.) ; si sunnenblic, si meienschin, si vogelsanc (MSH. 

2, 336 a ) , mein lustig meienspil (Hatzler. S. 148), mines herzen 
paradis (Heinzel. Minnel. 1783), mines herzen frOudenschin 



1 ) Ausgabe von Knieschek, Prag 1877, S. 4. 6. 10. 

2) des Wunsches trut Heinzel. ML. 1539. herzentriitkin MSH. 
II, 25* 

s ) friunt auch fur die Geliebte gebraucht, Sommer zu Flore 2114, 
4 ) Zingerle in Pfeiffers Germ. IX, 402 f. Wilmanns Walther 
v. d. Vogelw. S. 158 Anm. Crane 3551. 4399. Die Dichtung vom 
rothen Munde, her. v. Keller; Ambraser Liederb. 208, 1. 

14* 



212 



(Krone 26654), mines herzen trdst und ouch min ktineginne 
(MSH. I, 108V), mines herzen ktineginne (MSH. I. 116 ft - 
174*, vgl. Trist. 872), m. h. keiserinne (MSH. II, 27 b ); mines 
herzen spiegelglas (Meier. 2937), miner ougen spiegelglas 
(MSH. H, 126 b ), miner ougen spil (ebd. II, 66 b ), miner ougen 
wunne (Neith. 65, 12), liebiu schouwe (MSH. H, 263*); vil 
stte^iu troesterin (MSH. I, 153 b ), miner frOuden trOst (ebd. 
H, 168 ft ), min hfthster trOst in stie^er ougenweide (ebd. 
II, 336 b ), al mines tr6stes wunsch und miner saelden tac 
(ebd. I, 9'); froelicher sunnentac (ebd. II, 159'), min liebiu 
stunt (Seuse, Exempl. I, 1, 10); liehtiu spilndiu sunne (MSH. 
I, 131 b )*), rain liehter morgensterne (MSH. I, 125') 8 ), mein 
glestig morgenstern (Hatzlerin, S. 148) ; min golt min hort min 
edelgesteine (MSH. I, 156*), liebes zarte? gold (Fastnachtsp. 
402, 5); sue^iu r6se (Eracl. 3316), min bldende rOse, gewahsen 
sunder dorn (MSH. H, 336 a ); meienblttete (Ring 13, 12), lin- 
dentolde (ebd. 12, 33), min zuckerkrutkin (MSH. II, 25 8 ), bal- 
sam tror, ach du siie^es zuckerrGr (ebd. HI, 420 b ) — Es ist 
nur eine Auslese, die aber genQgen wird. 

Fur das schiichtern und verzagt sein, wie fur die heftige 
leidenschaftliche Liebe bietet unsere alte Sprache und Poesie 
eine Anzahl Ausdrttcke, die zum Theil uralt sind und auch 
bei andern VOlkern sich finden. Dem Schiichternen wird 
zugerufen, die Frau beisse nicht, sie sei kein wildes Thier 4 ) ; 
von dem, der an der Geliebten Mund fortw&hrend hangt, 
.wird spOttisch gesagt, er esse sie fttrBrot 6 ). Das „vor Liebe 

x ) Sommer zu Flore 777. ktineginne MSH. I, 135** frouwe 
Icuneginne tibtr lip und aber guot MSH. I, 133 a - min kOnegin 
MSH. II, 158 a - min ktineginne Neifen 20, 35. herskunegtn Trist. 18259. 
Neith. 66, 26. herzenkiineginne Neith. 71, 35. 

2 ) min se svetesta sunnan scima Cod. Exon. 252, 20. 

3 ) min morgensternlin MSH. Ill, 307 b - Ring 12 d , 35. Grimm, Ged. 
auf Friedr. d. Staufer, S. 73. In einem schwed. Tanzliede (Dybek 
Runa 1842, IV. 74) heisst es: und seh ich meine Liebste in dem 
Tanze gleich dem Morgensterne gehn. 

4 ) min frouwe bizet iuwer niht, Iwein 2269. jo enwas ich niht 
ein eber wilde MSH. 1, 97 a - Vgl. Haupt Z. 2, 192. 6, 462. 

6 ) disen sumer hat er si gekouwen gar fur br6t, MSH. 2, lll b - 
Wackernagel bei Haupt 6, 294. 



213 



fressen" kntipft sich zugleich an den alten Aberglauben, dass 
Frauen lebenden Mannern das Herz aus der Brust stehlen 
und essen kOnnten, damit diese in sie verliebt wilrden (Grimm, 
Mythol. 1034). Erscheint doch die Liebe als zauberhaft und 
wunderbar in Entstehung und Wirkung, so dass einer Zeit, 
die an Zaubereinfluss auf Leib und Seele glaubte, die An- 
nahme eines Liebeszaubers sehr nahe liegen musste. Auch 
hierbei finden wir im skandinavischen Norden die Runen 
verwandt. Der islandische Skald Egil Skalagrimsson kommt 
auf seiner Reise nach Wermland zu dem Bauer Thorfinnr 
und findet dessen Tochter Helga schwer krank. Er ahnt 
Zauber, und man entdeckt auch beim Nachsuchen einen 
Runenstab im Bette des Madchens. Der ihn schnitt, hatte 
die Kunst nicht verstanden und statt Liebesrunen (man- 
riinar), die er ritzen wollte, Siechrunen geschnitten. Egil 
schabte die Runen ab, warf den Kienstab ins Feuer und 
liess die Kleider des Madchens in die Luft hangen (Egils s. 
c. 72). — Als Freys Diener Skirnir fur den Gott die Liebes- 
werbung bei der Riesin Gerdr anbringt und sie weder Bitten, 
noch Versprechungen, noch Drohungen nachgeben will, droht 
er zuletzt, Runen gegen sie zu ritzen. Hierauf ftigt sich 
Gerdr (Skirnismal 36). Auch aus den nordischen Liedern von 
Siegfried werden uns heimliche Liebesmittel bekannt. Durch 
Zauberkixnste macht Griihhild (Uote) den Sigurd seiner Liebe 
und seines VerlObnisses mit Brynhild vergessen und flOsst 
ihm Neigung ftir Gudrun (Krimhilt) ein (Gudriinarqu. 2, 21. 
Gripissp. 33. Yplsung. saga c. 25. 26). In dem ersten Bryn- 
hildliede (Sigrdrifumai 7) werden Runen gegen BethOrung 
durch fremde Weiber mitgetheilt. Die Rune Naud (N6t) auf 
den Nagel, Olrunen auf den Rilcken der Hand und auf das 
Horn geritzt, worin der Liebestrank (minnisveig) geboten wird, 
waren zu solchem Zwecke wirksam. Als besonders kraftig 
gait ein Trunk, durch Zaubersprfiche und Lieder und Runen 
reich gesegnet (Sigurdrifum. 5). Mit solchen Kansten ver- 
suchte sich das ganze Mittelalter, und die kirchlichen Buss- 
bestimmungen geben auch in dieser Beziehung manchen 
interessanten Beitrag zur Sittengeschichte. Liebeszauber, 



214 



durch Spruch und Zaubermittel gettbt, gehOrt noch jetzt zu 
dem durch alle VOlker verbreiteten Aberglauben 1 ). tFber diesen 
Aberglauben spricht Bruder Berthold treffende Worte. Das 
eine Mai sagt er: „Pfui, glaubst du, dass du einem Manne 
sein Herz aus dem Leibe nehmen und ihm Stroh daftlr hinein- 
stossen kOnnest?" und ein andermal: „Es gehn manche 
mit bOsem Zauberwerk urn, dass sie wahnen, eines Bauern 
Sohn oder einen Knecht zu bezaubern. Pfui, du rechte ThOrin! 
warum bezauberst du nicht einen Grafen oder einen KOnig? 
dann wiirdest du ja eine Ktaigin werden" (Predigten I, 265. 
II, 70). Als die Hexenverfolgungen bluhten, brachte nicht 
selten vermeintlicher Liebeszauber ein Weib auf den Scheiter- 
haufen, und manches M&dchen musste fur seinen Liebreiz 
mit dem Tode bussen. 

Aber lassen wir die aberglaubischen Zaubermittel und 
wenden wir uns zu dem Verhaltniss zwischen den beiden 
Geschlechtern. I n der Stellung, welche der Mann zu dem 
Madch.en_.oder 3er Prau in der Liebe einnimmt, offenbart 
sich nicht allein die sittliche Keife, sondern auch die gesell- 
schaftliche Cultur eines Volkes und einer Zeit. . Wie ver- 
schieden ist die letzte nicht in den vielen Jahrhunderten 
gewesen, welche wir unser Mittelalter nennen! Welcher Ab- 
stand zwischen der Zeit der ersten Germanenkriege gegen 
die KOmer und dem Jahrhundert der luxemburgischen KOnige f 

Die Hochstellung der Frauen durch die Germanen, die 
wir frtther zu beriihren Gelegenheit hatten, war eine mehr 
religiose als weltliche, mehr eine passive als active. Sie be- 
trachteten das Weib im ganzen als ein kOrperlich schwacheres^ 
aber geistig begabtes Wesen, das Anspruch auf Schutz und 
Schonung, sowie auf Ehrerbietung und Werthhaltung zu 



2 ) Vgl. Theodor, poenit. 1, 14. §. 16. confess. Pseudo Egberti 
c. 29. poenit. Pseudo Egberti IV. c. 18. poenit. Valicell. II, c. 29 
correct. Burchardi c. 64. 154. 160. 161. 164. — Ploss-Bartels, Das Weib 
in der Natur- und VOlkerkunde, I s , 352—364. E. S. Hartland, The 
Legend of Perseus 2, 117—131. A. Wuttke, Deutscher Aberglaub'e, 
§§. 548-555. 



215 



fordern hatte. Wir wtirden sehr irren, wenn wir die Frauen 
als die bestimmenden Mittelpunkte des hauslichen und des 
geselligen Lebens ansetzen wollten. Das Weib war Weib, zu 
deutsch ein Wesen im Rechte hinter dem Manne, und Frauen 
wie jene Albruna, Weleda, Ganna, die auf das G-eschick des 
Volkes Einfluss tibten, stunden nicht mehr auf weiblichem, 
sondern auf halbgOttlichem Boden. Rechtlich war die Lage 
der Frau untergeordnet, sie ist in altester historischer Zeit 
der der Kinder im vaterlichen Hause gleich. Und dennoch 
war die deutsche Frau sittlich ausgezeichnet. Der keusche 
Sinn des Volkes war die Grundrechturkunde des Weibes, 
weibliche Zucht und Ehre stunden in hOchstem Werth. Rauh 
konntie es behandelt werden, aber nicht roh; es konnte 
kOrperliche Misshandlungen in der leidenschaftlichen Aufregung 
erfahren, aber keine sittlichen. Ein leuchtendes Beispiel hierfar 
ist die gefangene KOnigstochter Gudrun unsers Epos, die 
Hartmut von Normannenland ihrem Vater, dem Hegelingen- 
kOnig Hetel, und dem Brautigam entfuhrte. Sie lebte viele 
Jahre unter den Feinden gefangen, Hartmut liebte sie mit 
aller Kraft, aber seine Bitten so wenig wie seiner .Mutter 
Misshandlungen vermochten sie, die Verlobte eines andern, ihre 
Einwilligung zur Ehe zu geben und Hartmut dachte tiichtig 
genug, um nicht mit Gewalt zu rauben, was ihm von der 
Gefangeneii versagt ward. Das ist gute germanische Art. 

Was wir romantische Liebesverhaltnisse nennen, setzt 
eine Verfeinerung des gesellschaftlichen Lebens voraus, die 
unseren altesten historisch erkennbaren Zeiten vOllig fremd 
war. Ich will dem folgenden Abschnitt nicht vorgreifen, worin 
ich von der Verlobung handeln werde. Allein das muss hier 
bemerkt werden, dass uber die Hand des Madchens von ihrer 
Familie verftigt wurde und dass dem Madchen in alter Zeit 
kein Einspruchsrecht zustund. Wer sich um eine Frau bewarb, 
hatte also nicht zuerst bei dem Herzen derselben anzuklopfen, 
sondern in feierlicher, gemessener Weise unter Betheiligung 
seiner Sippe ging er den gesetzlichen Verlober um die Ab- 
tretung des Familiengliedes an und erwarb dasselbe durch 
feststehende Leistungen. 



216 



ThOricht ware die Behauptung, dass darum alle Ehen 
ohne Liebe geschlossen worden seien. Die uralte zeugende 
Weltkraft war auch in der altesten Zeit in den germanischen 
Manner- und Madchenherzen heimisch; nur in ihrem Ver- 
haltnisse zur Ehe mag einige Verschiedenheit von der spateren 
Zeit geherrscht haben. Der Mann fuhlte sich damals in seiner 
vollen Bedeutung, in ungekranktem Rechte. Die Verwirrungen 
moderner Verhaltnisse waren unbekannt. Es war die Zeit, 
da der Speer und die Leibesstarke geboten, die Zeit, da jeder 
freie Mann allein unter dem Gesammtwillen gleichfreier stund. 
Und auch nachher noch, als der frankische Staat gebildet 
war, stund das ganze Leben so auf die Waffen gebaut, dass 
Mannestttchtigkeit tiber allem gebot. Da konnte die Unter- 
wiirflgkeit gegen ein Madchen, das Aufopfern des Mannes- 
willen, am wenigsten schmachtendes Dienen und Werben in 
kein Mannerherz kommen. Die Liebe entsprang in dem Busen 
des Weibes und der Mann empfing sie als eine Anerkennung 
seiner Tuchtigkeit, die er verdient hatte, und die er mit 
treuer Zuneigung vergalt. 

Wenn nach Zeugnissen filr das eben gesagte gefragt 
wird, so- liegen sie theils in der Natur der Verhaltnisse selbst, 
theils sind sie aus der Poesie des vorhofischen Mittelalters nach- 
zuweisen. Unter den norwegisch-islandischen Gedichten, die 
in dem Liederbuche der Edda gesammelt sind, zeichnen sich 
die Helgilieder durch SchOnheit und poetische Kraft aus. 
Namentlich ragen aber die zwei Lieder von Helgi, dem Hun- 
dingstodter, dem Sohne Siegmunds, dem Stief bruder Siegfrieds 
hervor 1 ), die uns schOne Zeugnisse fur jene Liebe bieten. 

Helgi ist ein echter Welsung. Den Freunden eine Wonne 
schiesst der Knabe wie eine Ulme auf; er spart das Gold 
nicht, wo es den Gefahrten, das Schwert nicht, wo es den. 
Feinden gilt; und als er filnfzehn Jahre alt ist, racht er seinen 
Vater Siegmund an dem KOnig Hunding, der ihm Leben und 
Land genommen hatte. Hundings SOhne erbieten sich er- 



J ) tibersetzt von Hugo Gering: Die Edda. Die Lieder der so- 
genannten alteren Edda. S. 160—182. Leipzig, bibliogr. Institut (1892). 
Die Geringsche Eddaiibersetzung ist die einzig zuverlassige bis jetzt. 



217 



schreckt zur Busse far Siegmund, obschon sie den eigenen 
Vater mit Blut zu siihnen hatten; allein der Jtlngling weist 
das Gold zurtick, er freut sich auf Odins Grimm und der 
Gere Unwetter. Gierig heulen die Wolfe des Schlachtengottes 
um das Wahlfeld; eine reiche Leichensaat wird gesaet und 
der junge Held erschiagt das ganze Geschlecht der Feinde. 
Da blitzt es uber den Bergen und unter Helm und in blutiger 
Brttnne, Strahlen um die Gere, reiten Schlachtjungfrauen am 
Himmelsfelde herauf. Helgi ruft sie an und ladet sie ein, mit 
ihm heim zu reiten und des Gelages in der Halle zu geniessen. 
Aber vom Rosse herab entgegnet Sigrun, Hagens Tochter: 
„Anderes als zechen liegt uns am Herzen. Einem ungeliebten 
Manne, dem grimmen HOdbroddr, bin ich vom Vater verlobt 
und in wenig Nachten ftlhrt er mich heim, wenn du mich 
nicht rettest und den KOnig zum Holmgang ladest". Und 
Helgi sagt zu, dem Feinde zu trotzen, wenn der Tod es ihm 
nicht wehre. 

Helgi hat den HOdbroddr zur Schlacht gefordert und 
beide segeln mit ihren Schaaren zu dem bestimmten Wahl- 
platz. Die Schiffe rauschen durch das Meer und der Sturm 
kommt und die Wogen werfen sich Helgis Kielen trotzig 
entgegen. Die Felsen mOchten in der wilthenden Flut zer- 
brechen, aber Sigrun schtttzt den geliebten und rettet ihn 
aus der Meerfrauen rauberischen Armen. Eine unzahlbare 
Menge von Schiffen und VOlkern hat HOdbroddr gesammelt; 
auch Sigruns Vater und Bruder stehn bei ihm, denn sie 
zurnen dem kecken Brautrauber. Die Erde bebt, da die fahlen 
Gere zusammenfahren, aber Helgi ist unerschrocken voran 
im Gewuhl und behelmte Jungfrauen beschirmen ihn. Die 
Feinde fallen und Rabe und Wolf halten ein reiches Mahl. 
Als nun der Kampf schweigt, wandelt Sigrun ilber das 
Schlachtfeld ; in den Jubel ilber des Geliebten Sieg mischt 
sich bittere Klage um den gefallenen Vater und die Bruder, 
deren einer nur vor Helgis Schwerte Gnade fand. Niemand 
ist nun, der das Paar zu trennen wagte. 

Aber das Gltick ihrer Liebe wahrte nicht lange, denn 
es ging aus Blut hervor. Dag, Sigruns Bruder, hat dem 



218 



Schwager zwar Friede geschworen, aber machtiger denn der 
Eid ist die Pflicht der Blutrache. Er opfert dem Odin, und 
der Grott leiht ihm den eigenen Ger und Helgi f&llt durch 
die Waffe, gegen die nichts schtttzt. Als sein eigener An^ 
klager tritt darauf Dag vor die Schwester: er habe denbesten 
Fttrsten der Welt erschlagen. Umsonst bietet er das reichste 
Wergeld, vergebens waizt er die Schuld auf Odin; Sigrun 
verflucht den Binder: ein Wolf soil er sein draussen im 
Walde, alle Freude soil ihn fliehen, das Ross, das Schiff 
wurzele unter ihm fest, wenn ihm auch der Feind im Nacken 
sasse. 

tiber Helgis Leiche wird der Todtenhilgel aufgeworfen. 
Am Abend geht eine Magd zum Grabe, und sieh, da kommt 
der todte Herr geritten mit grossem Gefolge und heisst die 
Dienerin der Frau sagen, er sei gekommen und bitte sie, das 
Blut der Wunde ihm zu stillen. Da steigt Sigrun hinunter 
in den Htlgel zum Gemahl und ehe er die blutige Brunne 
abstreifen konnte, umhalst und ktlsst sie ihn und klagt, wie 
kalt seine Hande und wie benetzt vom Schlachtenthau er sei. 
Helgi entgegnet: „Du allein hast Schuld daran; denn jede 
bittere Thr&ne, die du weinst, failt als Blutstropfen auf meine 
Brust kalt und schwer. Aber wohlauf ! lass uns den kOstlichen 
Met trinken, keiner klage tiber die Wunde auf meiner Brust, 
denn die Gattin ist doch bei mir dem Todten". Und Sigrun 
bereitet das Lager, das friedliche; an seiner Brust will sie 
schlummern, wie sie that, als er noch lebte, und Helgi, er- 
griffen von solcher Liebe, die auch den Tod nicht scheut, 
ruft aus: „Geschehen ist, was niemand wahnte weder spat 
noch frtih: die weisse Hagentochter, die lebendige, schiaft 
dem Todten im Arm". So schlummern sie bis zum Morgen- 
grauen; da muss Helgi auf, denn ehe der Hahn kraht, soil 
er tiber den rOthlichen Wegen im Westen der Himmelsbrtlcke 
sein. Sie scheiden; Helgi reitet nach Walhalla, Sigrun geht 
zum einsamen Gemache. Am Abend harrt sie auf die Wieder- 
kunft des Geliebten, aber sie harrt vergebens; und nicht 
lange sitzt sie sehnend und verlassen am Todtenhilgel, denn 
ihr Herz bricht an der Trennung von dem Geliebten. Die 



219 



Sage aber erweckte das Paar von den Todten und Sigrun 
lebte als Kara, Helgi als Helgi Haddingenheld zu neuer Liebe 
auf. Im Liede aber leben sie ewig 1 ). 

Ich wasste kaum eine ergreifendere Verherrlichung der 
Frauenliebe aufzuweisen als diese Helgilieder, aber die Liebe, 
die sie schildern, ist doch anders in ihrer Entstehung, als die 
heutigen Liebesgeschichten wollen. Die Neigung entspringt 
in dem Madchen und dieses gesteht sie dem Manne, dessen 
Trefflichkeit sie in ihm unbewusst erzeugte. Es ordnet sich von 
Anfang an unter, es sieht zu dem herrlichen auf,. und doch 
ist das Verhaltniss so zart, so innig, so poetisch, wie es nur 
das beste sein kann, das sich in umgekehrter Folge ent- 
spinnt. Das M&dchen ist rein und der Mann ist edel; da ist 
es gleich, wer das erste Wort spricht; es wird die festeste 
Liebe bis Qber den Tod hinaus. 

Auch das Gedicht von Walther von Aquitanien kOnnen 
wir zum Zeugniss auffordern fiber die Liebesverhaltnisse in 
der vorhofischen Zeit 2 ). Es gehOrt dem 10. Jahrhundert an. 

Der HunnenkOnig Attila hat von den Franken, Bur- 
gundern und Aquitanern G-eiseln genommen: aus Burgund 
die KOnigstochter Hildgund, aus Aquitanien den KOnigssohn 
Walthari, aus Franken Hagano von Troja. Durch Anmuth 
der Sitten und kunstreiche Arbeit wird Hildgund der Ge- 
mahlin Attilas, Ospirin, bald lieb und diese macht sie zur 
Verwalterin ihres Schatzes. Hagen und Walther ttberragen 
die Hunnen rasch an Tapferkeit und Starke, und der KOnig 
stellt sie an die Spitze des Heeres. Als Hagen aber von seines 
KOnigs Gibich Tode hOrt, entflieht er, denn er meint sich 
jetzt nicht mehr als Geisel verpflichtet. Walther aber, den 



l ) An die Verwandtschafb der Lenore von Burger mit dieser 

Sage hat schon W. Wackernagel erinnert: Haupt und Hoffmann, 
Altdeutsche Blatter 1, 177. 

a ) Waltharius manu fortis, herausgegeben von J. Grimm in 

seinen und Schmellers latein. Gedichten des 10. und 11. Jahrh. 
S. 1 — 126. Waltharius, Latein. Gedicht des 10. Jahrh. Mit deutscher 

"Dbertragung und Erlauterungen von J. V. Scheffel und A. Holder. 
Stuttgart 1874. 



220 



Attila fester an sich ketten will, weist unter scheinbar trif- 
tigem Vorwande den Vorschlag einer Vermahlung mit einem 
hunnischen Madchen zurtick. In dem nachsten Kriege zeichnet 
er sich abermals aus und mit Ruhm geschmuckt kehrt er 
an den Hof zuriick. Da tritt er mtlde und durstig in ein 
Gemach des Palastes und findet dort Hildgund allein. Er 
umarmt und ktisst sie und bittet um einen Labetrunk, und 
wahrend er trinkt, halt er ihre Hand fest. Freundlich spricht 
er dann weiter zu ihr und erinnert sie daran, dass sie beide 
als Kinder von den Eltern verlobt worden seien; was wollten 
sie da von unter einander schweigen? Hildgund nimmt die 
Rede des beriihmten gefeierten Helden ftlr Spott und nach 
einiger Stille erwidert sie: „Warum lasst du die Zunge reden, 
was das Herz verschmaht? ein Madchen wie mich kannst du 
nicht zur Braut haben wollen". Er aber tlberzeugt sie, dass 
er aus dem Herzen spreche, er redet von gemeinsamer Flucht, 
theilt ihr den Plan mit, den er langst entworfen, und in 
demuthigem Vertrauen erklart nun Hildgund, sie folge, wohin 
er sie ftihre. — Die Siegesfeier wird zur Flucht benutzt: als 
die Hunnen zur Nacht alle trunken sind, brechen Walther 
und Hildgund auf , die Rosse mit Kostbarkeiten des ktaig- 
lichen Schatzes reich beladen. Am Tage verbergen sie sich 
im Dickicht, in der Nacht fltichten sie auf ungebahnten Pfaden 
weiter. So erreichen sie endlich den Rhein, setzen bei Worms 
tiber und gelangen im Wasgenwalde zu einer sicheren Statte, 
um die erste Nachtruhe seit dem Aufbruche aus Hunnenland 
zu halten. Walther vertraut sich Hildgunds Wachsamkeit und 
bei ihren Liedern schlummert er ein. Allein er soil keiner 
langen Ruhe geniessen. Gtlnther, der FrankenkOnig, hat durch 
den Fergen, der sie iibersetzte, von der Uberfahrt der Fremden 
bei Worms erfahren; er ist nach den Schatzen Itlstern, welche 
der Held mit sich fuhrt, und hat sich aufgemacht mit Hagen 
und elf anderen Degen, den Flttchtling einzuholen. Sie nahen 
im Walde dem Wasgenstein 1 ); Hildgund gewahrt von dem 



J ) L. Uhland hat im September 1857 die im lateinischen Epos 
genau geschilderte Felsenburg aufgefunden und J. Scheffel, der sie 
1873 besuchte, sie in seinem und Holders Waltharius S. 160 f. be- 



Felsgipfel aus unten im Thale die gewaffneten, die sie fur 
Hunnen halt, weckt Walther und fleht ihn an, sie zu todten, 
auf dass keiner sie bertihre, nachdem sie nicht die seine 
werden solle. Walther aber erkennt die Franken und auch 
den alten Freund Hagen, riistet sich aber doch zum Kampfe, 
und es thut Noth. Denn Gttnther trotz Hagens Abmahnung 
verlangt die Schatze als LOsegeld und Walther vertheidigt 
sie. Einer der Franken nach dem andern tritt hervor und 
einer nach dem andern fallt vor dem gewaltigen Walther. 
Der Kampf ruht nicht eher, als bis Hagen, Gunther und auch 
Walther schwer verwundet sind und die kecke Kampfeslust 
gebiisst ist. Die sich vorher das Leben bedrohten, sitzen nun 
friedlich beisammen; Hildgund verbindet dieWunden, mischt 
den Wein, und Scherze und freundliche Rede gehn im Kreise 
herum. Dann kehren die beiden Franken nach Worms heim, 
Walther aber zieht mit Hildgund weiter nach Aquitanien, wo 
sie von den Eltern frOhlich empfangen das Fest der Vermah- 
lung begehn. 

In diesem Gedichte geht allerdings die Liebeserklarung 
von dem Manne aus, allein das behauptete Verhaltniss wird 
dadurch nicht geandert. Hildgund, die burgundische KOnigs- 
tochter, nimmt das Gestandniss des ihr ebenbtirtigen, aber 
gleich ihr vergeiselten, als Btirge verpfandeten Westgoten nicht 
wie ein Madchen der hofischen Zeit als eineteehr erkiarliche 
Huldigung ihrer Reize auf, sondern sie erblickt in Walther 
den ruhmreichen, hochgefeierten Helden, fur den wohl sie 
Neigung und Verehrung aussern kOnne, dessen Liebeserkla- 
rung dem verdienstlosen Madchen aber wie Spott erscheint. 
Als sie der Wahrheit gewiss ist , zeigt sie sich fortwahrend 
demuthig und seinem Willen zu folgen bemtiht. SchOn ist das 
Bild im Wasgenwald, wie sie trotz der eigenen Mudigkeit 
liber dem mtiden Walther wacht und den Tod von ihm be- 
gehrt, als sie durch die Verfolger sein Verderben und ihre 



schrieben. Es ist der Wasgenstein, jetzt Wasenstein, eine halbe 
Stunde nOrdlich von dem an der grossen Strasse von Weisse nburg 
nach Bitsch gelegenen Dorfe Niedersteinbach. ^^es^TT^ 



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Schmach vor Augen sieht. Rein und jungfraulich zieht sie 
mit dem Brautigam in seine Heimat ein und ein langes, 
gltlckliches Leben belohnt sie. 

Bis in das 12. Jahrhundert hinein tritt in unserer Poesie 
dieser ernste Charakter des Lebens in Liebe und Ehe hervor. 
In der G-eschichte von Lucretia, wie sie die deutsche Kaiser- 
chronik eines Regensburger Geistlichen aufgenommen hat, 
wird erzahlt, dass die ROmer den Collatinus, der aus Trier 
zu ihnen geflohen war, veranlassen, um eine ROmerin zu 
werben. „Da ward ihm das Weib lieb wie sein eigener Leib 
und auch ihn minnte die Frau mit aller Treue, mit Ztichtig- 
keit und Freundlichkeit, in aller Demuth liebte sie den ktlhnen 
Helden und grosse Wonne ward ihnen eigen" (V. 4339 der 
Ausgabe E. SchrOders). Als dann die rOmischen Herren vor 
Biternum lagen, da erging sich ihr behagliches Gesprach tiber 
allerlei, aber berilhmte Helden, aber Geschichten von Feig- 
heit, tlber Rosse und Hunde, uber die JagdvOgel und sonstige 
Kurzweil, und dann redeten sie von den Frauen. Einige 
sagten, wtlrde ihnen ihr Weib genommen, sie wollten es 
nimmer klagen und weinen. „Bei Gott dem machtigen", 
sprach dagegen mancher, „ich habe ein frommes Weib, ich 
liebe sie wie mein Leben. Bieder ist sie und voll Gtlte, sie 
erfreut gar oft mein Geimithe." Der vertriebene Mann aus 
Trier aber riefr „bei meinem Leben! ich habe das trefflichste 
Weib, das jemals ein Mann auf rOmischer Erde gewann!" 1 ) 
Und als nun Tarquinius die Wette bietet, sein Weib sei edler 
und schOner, reiten die beiden Herren nach Rom, wo sie 
um Mitternacht ankommen. Lucretia eilt, als Collatinus an 



J ) Man denkt liier und bei anderen verwandten Stellen unserer 
alten Gedichte an Yalentins Worte im Faust (3267 ff.): Wenn ich 
■so sass beim Gtelag, Wo mancher sich beriihmen mag Und die 
Gesellen mir den Flor Der Madchen laut gepriesen vor, Mit vollem 
Glas das Lob verschwemmt; Den Ellenbogen aufgestemmt, Sass 
ich in meiner Run, Hort' air dem Schwadroniren zu. Und streiche 
lachelnd meinen Bart Und kriege das voile Glas zur Hand Und sage: 
alles- nach seiner Art ! Aber ist eine im ganzen Land, Die meiner 
trauten Gretel gleicht? — 



das Thor gepocht, tlber den Hof ihm entgegen und ruft: 
„Willkommen seist du, lieber Herr! ich fttrchtete fur dich 
gar sehr. Bei dem machtigen Gott! du hast gut gethan, 
dass du zu mir gekommen bist. All meine Angst ist nun 
von mir gewichen!" Der Gatte aber erwidert kurz: „Was 
lasst du aus mir werden? ich habe heute noch nichts ge- 
gessen". Und sie heisst das Mahl rtisten und bedient die 
zwei, schenkt den Wein in die Goldbecher und bittet den 
Gast, frOhlich zu sein. Ihr Gatte aber nimmt das Trinkgefass 
und schttttet es ihr ins Gesicht. Sie jedoch verneigt sich 
ztlchtig und eilt, ihr Kleid, das begossen war, zu wechseln 
und kredenzt dann wieder den Wein. Der Kfrnig aber sprach 
zu ihr, als sie sich von ihm vor der Nachtruhe verabschiedete: 
„Lohne dir Gott, Frauel dir sind alle Ehren eigen. Sittig bist 
du und reich an alien Tugenden", Und in dem Lager rfihmte 
er sie nach der RQckkehr als das beste Weib, das er je 
geschaut habe, Sie ware werth, die rOmische Krone zu tragen. 
Gtite und Demuth neben der SchOnheit sind die Gaben, 
wegen derer nach dem allegorischen Gedichte von der Hoch- 
zeit der Herr auf dem Gebirge die Jungfrau im Thale zur 
Gattin wirbt 1 ). Und die kirchlichen, aus der h. Schrift ge- 
zogenen Lehren iiber die Ehe, wie sie in dem gleichzeitigen 
Gedichte vom Recht vorgetragen werden 2 ), entsprechen durch- 
aus der deutschen volksthtimlichen Auffassung von dem Ver- 
haitniss zwischen Mann und Weib. „DasWeib ist vom Manne 
gekommen, darum soil sie ihm gehorsam sein, und weil sie 
von seinem Leibe ist, geht er ihr. nach und sucht sie in 
seine Gewalt zu bringen. Das soil nur nach dem Recht ge- 
schehen. In rechter Vermahlung soil sie seine Gattin (chone) 
sein, wie er ihr Mann (charl) ist. Das dritte dazu ist das 
Kind, die Frucht der Ehe. Altes Recht ist, dass der Laie ein 
Weib habe und andere meide. Das junge Weib schmticke 
sich und sie lebe mit dem Manne, den ihre Sippe ihr gibt 



J ) Deutsche Sprachdenkmale des 12. Jahrhunderts, herausg. 
von Th. G. v. Karajan 23, 23. 
2 ) Ebend. 12, 6 ff. 



und enthalte sich der andern", Und schon vorher sagt der 
Dichter: „Nach den Worten Gottes, dass er der dritte wolle 
sein, wo zwei im Rechte zusammen sein, so mOge wohl 
Gott, wo Mann und Weib wie ein Leib zusammen sind, als 
dritter Geselle bei ihnen weilen. Jedes von ihnen sei der 
Seelenkammerer des andern, auf dass es far ihn Rede stehn 
kOnne bei der Auferstehung" (ebd. 11, 9 — 21). Auf das deutsche 
Familienrecht und das Gesetz der Zucht ist also nach der 
alt tlberlieferten Meinung die Liebe und die Ehe gegrundet 
von altester Zeit bis in das 12. Jahrhundert, und wir wollen 
es gleich hier bestimmt aussprechen, auch in dem ubrigen 
Mittelalter, trotz hofischem Frauendienst und ritterlicher 
Abenteuersucht. Das feste Geruste des hauslichen Lebens 
blieb im Grunde auch in der vornehmen Gesellschaft der 
stauflschen Periode unerschilttert, mochten sich auch leichtes 
Rankenwerk und fluchtige Bltithentriebe darum schlingen 1 ). 
Im Burger- und Bauernstande lebte ohnehin die alte Weise fort. 
Der Mann filhlte sich als der herrschende Theil in alien 
Verhaltnissen und darum auch dem Weibe gegentiber im 
Vortheile: in seinem Stolze meinte er die Liebe fordern zu 
kOnnen. Ein kurzes Gedicht des 12. Jahrhunderts, welches 
Lebensregeln fur ritterliche Frauen gibt 2 ), rath denselben, ihre 
Liebe nur dorthin zu wenden, wo man sie zu lieben verstehe. 
„Ich habe manchen Mann gesehen, der von keiner anderen 
Minne weiss, als dass er wahnt, die Frauen seien in seinen 
kraftigen Leib verliebt. Da kommt aber ein anderer, der ist 
noch etwas langer als jener, und meint, er solle darum die 
Liebe haben. Einer glaubt, die Frauen miissen sich in seine 
SchOnheit verlieben, ein anderer in seine Ktthnheit, ein dritter 
in sein htibsches Haar; einer, er musse wegen seiner Starke 



2 ) Ulrich von Lichtenstein spricht in seinem Frauendienst 
trotz des verriickten Dienstes, den er der frouwe leistet, der er sich 
gewidmet, mit Zartlichkeit von seiner herzeiilieben konen (Ehefrau) : diu 
kund mir niht lieber gesin Frauend. 222, 4 ff. ferner 251, 22. 318, 25. 

*) Docen, Miscellaneen II, 306; daran schliesst sich ein zweites 
mit Regeln fur ritterliche Manner, vgl. dazu Steinmeyer im Anzeiger 
fur deutsches Alterthum und deutsche Litteratur II, 238 f. 



225 



geliebt werden, einer wegen seiner ritterlichen Thaten — 
sie tauschen sich alle furwahr!" 

Aus dieser Meinung der Manner von ihrer unwider* 
stehlichen Liebenswiirdigkeit gingen nicht bloss jene Gesprache 
beim Wein hervor, worin sie von ihren Erfolgen bei den 
Weibern theils logen, theils schamlos schwatzten; es wurzeln 
auch darin jene sogenannten Frauenstrophen der fc alteren 
Lyriker des 12. Jahrhunderts, in denen die Frau als die ver- 
liebte und werbende dargestellt wird (oben S. 135 f.). Ein 
freches sich anbieten der Weiber, wie es die Kreuzfahrer- 
geschichten von den Sarazeninnen und den Griechinnen (mit 
einiger Massigung wird es im Grafen Rudolf vorgeftihrt) und 
die bretonisch-franzOsischen Romane von den Damen der 
ritterlichen Gesellschaft zu erz&hlen liebten, ist durch nichts, 
am wenigsten durch unsere Poesie bezeugt, wenn man sie 
richtig und einfach auffasst. Verse wie jene unter des Ktirn- 
bergers Namen gestellten: wip unde vederspil die werdent 
lihte zam; swer si ze rehte lucket, so suochent sie den man, 
gehOren einem Don Juan des 12. Jahrhunderts. Man wird 
sie heute noch in wustem Mannermunde finden, sollte sie 
aber nicht zur sittlichen Signatur der deutschen Frauen jener 
Zeit verwenden. 

In edeln und tiefer angelegten Mannern ist dem Weibe 
gegentiber nicht Stolz und behagliches Empfangen (geschweige 
elende Prahlerei) auch in jener alteren Zeit das herrschende 
gewesen, sondern die Liebe ward von ihnen ebenso tief ge- 
fuhlt, als von den Madchen und Frauen. Walther von Aqui- 
tanien kann dies schon bezeugen, ebenso jener Collatinus der 
Kaiserchronik. Wieland, der halbgOttliche Held, sitzt in tiefem 
Liebesgram an seinem Ambos, als ihm Alvitr entflohen ist, 
und harrt seiner schOnen Gehebten, ob sie wiederkommen 
wolle (YOlundarqu. 5). Erschatternd spricht sich die dankbare 
Liebe des Mannes tiber die Treue des Weibes bis in den Tod 
in denVersen aus, welche Helgi sang, als Sigrun in seinen 
Grabhiigel gekommen war (Helgaqu. Hundingsb. II, 46. 48). 

Das gesellige Leben der vornehmeren deutschen Kreise 
ward im 12. Jahrhundert seit dem zweiten Kreuzzuge, auf 

Weinhold, Deutsche Frauen. I. 15 



welchem die deutsche Ritterschaft mit der franzOsischen in 
enge Verbindung gekommen war, weiter und freier. Es erhub 
sich eine grOssere Lebenslust, das Bedtirfniss nach gl&nzen- 
derem Verkehr untereinander, nach reicherem Schmuck der 
kleinen und grossen Festlichkeiten, und damit traten auch 
die Frauen aus ihren Gemachern Ofters heraus. Sie waren 
nicht mehr bloss beim Kirchgang zu schauen und bei sel- 
tenen Hoffesten, sondern auch bei den ritterlichen Kampf- 
spielen. Wenn der junge Siegfried ein ganzes Jahr an dem 
burgundischen KOnigshofe zu Worms verweilt, ohne Kriem- 
hild gesehen zu haben (Nibel. 137), so ist dies in der alten 
strengen Abgeschlossenheit der Frauen von dem Verkehr mit 
den Mannern des Hofes begrundet und eine Spur alterer Zeit 
als der, in welcher die Nibelunge Not ihre abschliessende 
G-estalt erh^lten hat. 

Das Ritterthum 1 ) hat den hoflschen Frauendienst ge- 
schaffen. Die Lebensweise und die dartiber waltenden Ord- 
nungen des Ritterstandes sind eine neue, die alten Standes- 
rechte wesentlich abandernde Einrichtung, welche sich im 
11. Jahrhundert zun&chst in Frankreich ausbildete und von 
dort nach Deutschland kam. Die Befahigung zum berittenen 
Kriegsdienst gait nun hOher als die freie und edle Geburt; 
die erhaltene Umgurtung mit dem Reiterschwert (diu swert- 
leite) 2 ) konnte selbst dem KOnig eine ErhOhung der persOn- 
lichen Ehre geben. Leute, die nach ihrem Greburtsstande leib- 
eigene Dienstmanner waren, stiegen durch das ritterliche 
Leben und das Zeichen desselben, den weissen Schwertgurt. 
um die Hiiften (la ceinture blanche, cingulum militare), in 
die hOchsten Kreise der Gesellschaft auf. Das war eine 



2 ) Das Hauptwerk ist z. Z.: La chevalerie par L6on Gautier. 
Paris 1884. Der Verfasser geht davon aus, dass die Chevalerie 
weniger eine Institution als ein Ideal sei, das die Kirche aus einem 
usage germain schuf. „La chevalerie c'est la forme chr^tienne de la 
condition militaire; le chevalier c'est le soldat chr^tien", S. 2. 

2 ) Schilderung des Ritterschlages bei A. Schultz, HOfisches 
Leben 2. A. 1, 181 ff., und ausfiihrlicher K. Treis, Die Formalitaten 
des Ritterschlages in der altfranzosischen Epik. Berlin 1887. 



227 



solche Umwalzung alter rechtlicher Zustande, dass man sich 
fiber weitereVerwirrungen und Verirrungen nicht wundern darf. 

Fur den Ritterstand bildeten sich feste Satzungen des 
Lebens aus: eine besondere Standesehre und Standessitte. 
Das Streben, Starke, Mannheit und kriegerische tibung durch 
ruhmreiche Thaten bewiesen zu haben, ftlhrte zu der Sucht 
nach Abenteuern, und hiermit und mit dem Gebote, den 
Frauen, wie alien Schwachen und Bedrangten besonderen 
Schutz zu erweisen, verband sich allmahlich ein ausgezeich- 
neterDienst, den der Ritter einerDame vor alien widmete, 
der aber in Gedanken alien Frauen gait. Frankreich ging 
auch hierin voran. „Kein Land versteht sich besser auf 
freudvolles Leben als Kerlingen. Deshalb ist seine Ritterschaft 
gut; sie ist dort angesehen und beriihmt, manch anderes 
Land hat an ritterlichem Leben durch dieses Yorbild zuge- 
nommen. Gar schOn dienen die Franzosen den Frauen um 
Lohn, denn man lohnet dort den Rittern mehr als irgendwo 
sonst", heisst es in dem Gedicht Moriz von Craon (251 ff.). 
Also ein anregendes Vorbild ist Frankreich den andern Lan- 
dern in Ritterschaft und Frauendienst gewesen. Die Bedin- 
gungen aber dafur und selbstandige Anfange dazu waren in 
ihnen und natiirlich auch in Deutschland vorhanden. 

Leider kOnnen wir die Entwickelung dieser gesellschaft- 
lichen Veranderung nicht in den einzelnen Stufen verfolgen, 
da wir unsere poetische Litteratur des 12. Jahrhunderts nur 
unvollstandig besitzen. In der Kaiserchronik, deren alteste 
Gestalt um 1150 fertig war, erkennen wir bereits die Anfange 
eines hOflschen ritterlichen Lebens, von Frauendienst aber 
flndet sich noch keine Spur. Der Osterreichische Dichter 
Heinrich, der in seinen Gedichten „Erinnerung an den Tod" 
und „vom Priesterleben" an Laien und Pfaffen Strafrede und 
Mahnung richtete und zwischen 1153 und 1163 schrieb, 
schildert den Ton der ritterlichen Gesellschaften aus eigenen 
Erinnerungen als roh. Den Hauptgegenstand ihrer Unter- 
haltung bilden die Weiber; wer sich rtlhmt, die meisten ver- 
ftihrt zu haben, gelte am hOchsten. Den Ruhm eines tilch- 
tigen Kerls habe, der recht viele im Kampfe erschlug (von 

15* 



des tddes gehttgde 342 — 372). Mag hier auch der dtistere, 
bittere Sinn des Dichters, der der Welt in tiefer Erschtttterung 
entsagt hatte, die Worte scharfen, feine, hofische Bildung des 
Osterreichischen Ritterstandes in der Mitte des 12. Jahrhun- 
derts wird man hiernach nicht behaupten wollen; es ist 
Reiterunterhaltung grober Art, von der wir hOren. Doch fallt 
auf das Leben zwischen Mann und Weib in der vornehmeren 
Gesellschaft Osterreichs durch Heinrich spater noch ein Licht- 
Strahl. Er schildert eine Frau, die ihren Mann bewundert, 
von seiner SchOnheit, seiner eleganten Kleidung, seinen feinen 
Manieren, seinen tandelnden Worten, seiner Kunst, verliebte 
Lieder zu singen, entzttckt ist (ebd. 597 — 629). Hier ist also 
galantes Leben bezeugt, und die trouiliet, die der Ritter ge- 
fallig (behagelichen) vorzutragen verstund, ebenso wie die 
troutspd (die Liebesgeschichten), die Heinrich an andrer Stelle 
(vom Pfaffenleben, v. 671) erwahnt, verbOrgen uns eine lyrische 
und epische, von Liebe handelnde Poesie um 1160 filr das 
Donauland, die ohne einausgebildetes geselliges Leben zwischen 
den beiden Geschlechtern, ohne einen gewissen Frauendienst, 
nicht denkbar ist. 

In Osterreich gerade hat die kunstm&ssig sich ent- 
wickelnde Lyrik fruchtbaren Boden gehabt: der von Ktlrn- 
berg und Dietmar von Aist gehOren dorthin; andre Oster- 
reichische Lyriker sind verschollen, welche mit dazu bei- 
trugen, dort die Schule der Lyrik zu grtlnden. Die Burg- 
grafen von Regensburg und Rietenberg sind aus dem benach- 
barten Bayern, Meinloh von Seflingen leitet zu den Schwaben 
tlber. Bei dem Rietenburger, bei dem Seflinger, ebenso wie 
in den jttngeren Liedchen, die unter Aists Namen gehn, ist 
der Frauendienst voll entwickelt. Der Ritter dient um den 
Liebeslohn seiner Dame in heimlichem Verhaltniss, das von 
Aufpassern (den merhern) gefahrdet ist 1 ). Das letzte Ziel der 
WQnsche wird offen als der beste Lohn bezeichnet 2 ); und 



i) Minnesangs Friihling 11. 12, 1. 13, 3. 14, 5. 18, 12. 23. 19, 
5. 38, 31. 40, 21. - 7, 24. 12, 21. 13, 14. 14, 17. 16, 19. 

2) M. Friihl. 13, 22. 14, 34. 15, 8. 17, 2. 35, 21. 40, 2. 7. 



229 



nicht bloss mit Madchen, sondern tiberwiegend mit verhei* 
rateten Frauen werden die geheimen Liebschaften gepflegt. 
Als das beste Mittel, den Merkern das Spiel zu verderben, 
bezeichnet Meinloh von Seflingen, nicht lange zu schmachten, 
sondern sich rasch die Frucht zu brechen 1 ). Aber diese 
altesten Liebessanger kennen auch den Liebesgram, und wo 
die Frau schmachten lasst und den Dienst nicht bald belohnt, 
kommt das zweifelnde bangen und langen, das truren ilber 
sie (M. Fr. 11, 26. 12, 29. 35, 22). Alle Motive also des ritter- 
lichen Liebens und Leidens tOnen schon hier zu uns heniber. 

Die Zeit, in welcher diese altesten ritterlichen Dichter 
ihre Lieder dichteten, wird um 1170—1180 angesetzt. Die 
Verhaltnisse, aus denen sie heraussangen, sind wahrscheinlich 
ein bis zwei Jahrzehnte alter. Zwischen 1180 — 1190 ist der 
Frauendienst und mit ihm die Liebeslyrik schon in voller 
Bltlthe: der Pfalzer Friedrich von Hausen (t 6. Mai 1190), 
der Limburger Heinrich von Veldeke, der Thiiringer Heinrich 
von Morungen beweisen es. Die Liebe wird bei ihnen bereits 
Gegenstand dialectischer Grubelei, der Dienst ist durchgebildete 
Mode. Hierauf wie auf manches in der poetischen Technik 2 ) 
hat die franzOsische Sitte und sud- und nordfranzOsische Lyrik 
eingewirkt. 

Aber auch die franzOsische Epik, welche durch "Uber- 
setzungen und Bearbeitungen ungefahr seit 1170 auf die 
deutsche epische Dichtung sehr entscheidenden Einfluss nahm, 
trug dazu bei, dem gesellschaftlichen Leben der ritterlichen 
Kreise neue ideale Vorbilder zu stellen. Um* 1170 etwa ward 
die Geschichte der verliebten Kinder Floris und Blantseflure 
von einem niederfrankischen Poeten in deutsche Verse ge- 
bracht; nicht viel sp&ter bearbeitete ein Miniateriale Heinrichs 
des LOwen, Eilhart von Oberge, nach franzOsischer Vorlage die 
Tristrangeschichte, diese Schilderung der alles bezwingenden, 



2 ) man sol ze liebe gdhen: deist fur die merkaere guot. M. Fr. 12, 20. 

2 ) W. Wackernagel, AltfranzOsische Lieder und Leiche 207 ff. 
— t)ber das YerMltniss der franzOsischen zur deutschen Lyrik des 
12. Jahrh.: Jeanroy, Les origines de la poesie lyrique en France. 
Paris 1889. Chap. IV. 



verzehrenden Gewalt der Liebe ; ihm nach folgte Heinrich von 
Veldeke mit der Verdeutschung eines Roman d'Eneas, die 
er nach zehnjahriger Unterbrechung urn 1185 vollendete, 
also in der Hauptsache 1170 — 1175 ausgeftlhrt hatte. Das 
bezeugt alles, dass die Liebe als gesellschaftliches Thema 
um 1170 in ganzer Geltung war. Wahrend in den unhOfischen 
Schichten des Volkes die Liebe zwischen Mann und Madchen 
in alter Weise nach dem einfachen Schlage des Herzens 
weiter ging, mit Verheben und Gegenliebe entweder oder mit 
Versagen der Neigung, in Freud und in Leid, heimlich und 
offen, auch durch herkOmmlichen Liebessang geschmtickt, 
gestaltete sich der ritterliche, den Frauen gewidmete Dienst 
zu einer besonderen conventionellen Sitte, die oft genug von 
wirklicher Leidenschaft frei war, und nur als aussere, das 
ganze Leben freilich stark beruhrende modische Gewohnheit 
sich ergibt. 

Der ritterliche Frauendienst gait vorzugsweise ver- 
heirateten Frauen *) , da diese im Vordergrunde der hofischen 
Gesellschaft stunden, und das Ziel des Verhaitnisses nicht 
die Ehe war. Der Dienst war eine Galanterie, eine Erregung 
der Phantasie, ein Hazardspiel, das die Nerven reizte, zumal 
es nicht immer ohne Gefahr war. Die Liebe ward unter dem 
Einfluss der Ovidschen Ars amandi von den provenzalischen 
Dichtern als eine Kunst behandelt, die auf das Sittengesetz 
keine Rucksicht zu nehmen hat. Der Ritter erkor sich eine 
Dame (frouwe) und bot ihr seinen Dienst an. Eine Dame zu 
haben, ein frouwenritter zu sein, verlangte die Mode. Nahm 
sie seinen Dienst an, so that er alles in ihrem Namen, wah- 
rend sie keinen andern in ihren Dienst nehmen durfte: 
ein boesiu lat ir manegen dienen, des tuot ein reiniu niht 
(Reinmar von Zweter, MSH. II, 187"). War die Frau dem Ritter 
gewogen, so gab sie ihm, wie das unter einem aufrichtigen, 
ehrlichen Liebespaar von je geschah, ein Kleinod : einen Ring, 



*) Unter den dreissig regulae amoris, welche Andreas Capel- 

lanus zusammenstellt (p. 3 b - der Dortm. Ausg.) ist die erste: causa 

conjugii non est ab amore excusatio recta. Ygl. auch G. Paris, 
Romania XII, 520. 



231 



ein Band, einen Schleier, einen Ermel Oder ein Kranzlein, 
das er fortab auf seinem Speer, Schild oder seinem Helm 
trug und das ihn bei seinen ritterlichen Thaten durch das 
stete Andenken an die Frau ermuthigte und starkte 1 ). Fran- 
zOsischer Brauch unter einem durch. wirkliche Liebe ver- 
bundenen ritterlichen Paare war zuweilen auch, dass eines 
das Hemd des andern trug. Der Burggraf von Coucy hatte 
derDame von Fayel seine chemise, die er getragen, geschickt; 
sie legte sie in der Nacht an 2 ). Wolfram von Eschenbach 
erzahlt, jedenfalls nach franzOsischer Quelle, dass Gahmuret 
ein Hemd seiner Herzeloyde tiber seinem Panzer in der 
Schlacht zu tragen pflegte. Achtzehn Stuck wurden von 
Speeren durchstochen und von Schwertern zerhauen, ehe er 
von ihr schied (Parz. 101, 9 ff. Ill, 14 ff.). 

Nachdem sich die Wappenfarben fur die einzelnen 
Familien festgestellt hatten, trug der Ritter auch die Farben 
seiner Dame. Ich kann aber erst aus dem 15. Jahrhundert 
fur Deutschland diesen Brauch aus einem in der Sammlung 
der Klara H&tzler (iberlieferten Gedichte (1, 109) bezeugen. 

"Was auch der Ritter that, mochte es die Fahrt zu einem 
Scherzturnier oder ein Kreuzzug sein, er that es im Andenken 
seiner frouwe oder auf ihr Gebot. Viele der Damen verlangten 
geradezu den Kreuzzug als Beweis der Liebe; manche be- 
wogen mittelbar die Ritter zur Gottesfahrt, wenn sie 'sprOde 



!) Schon in Veldekes Eneide (12222 ff.) und in Herborts Liet 
von Troie (8188 ff., 9509 ff.) wird das erwahnt; vgl. ferner Parz. 
370, 22. 375, 23. 390, 26. Wilh. 19, 25. 55, 12. 357, 6. 364, 20. 408, 18. 
Frauend. 186, 25. Mei und Beafl. 82, 14. Wigam. 2067. In dem Maere 
von Thomas v. Kandelberg (G-. Ab. Nr. 87) wird von zwolf Studenten 
(schuolaeren) erzahlt, die verabredeten, jeder solle am Schlusse der 
Woche zeigen, welch Kleinod ihm seine Geliebte in dieser Frist 
geschenkt habe: da kommen ein Goldring, zwei Seidenkleider, ein 
gesticktes Badelachen, ein goldgewirkter Gewurzbeutel, eine seidene 
Haube, eine goldene Brosche zum Vorschein. (v. 233 ff.) 

2 ) Sa chemise qu'ot vestue m'envoia por embracier. la nuit 
quant s'amor m'argue, la met delez moi couchier, toute nuit a ma 
char nue por mes malz rassoagier. Fr. Michel, Chansons duch atelain 
de Coucy, S. 98. 



232 



waren oder die Liebe aus irgend einem Grunde nicht 
erwidera konnten. Zuweilen wirkte auch ein frommer 
Grund, denn die Dame hatte den halben Anspruch auf das 
gute Werk, wenn sie aus reiner Gesinnung den Kitter zum 
Kreuzzuge bestimmte 1 ). Die fast allgemeine Stimmung der 
Herren, wenn sie durch den Minnedienst zu der Fahrt ins 
heilige Land verpflichtet wurden, spricht Hartmann von Aue 
aus eigener Erfahrung aus. „Ich fahre mit eurem Urlaub 
dahin", singt er, „ihr Herren und Vettern, und segne beim 
. Abschied Leute und Land. Memand darf mich um meiner 
Keise Grund erst fragen: ich sage es off en, die Liebe, die 
mich fing, liess mich die Fahrt geloben, und jetzt befahl sie 
tair, die Fahrt zu thun. Es ist nicht mehr zu andern, Gelubde 
und Schwur darf ich nicht brechen. — Mancher ruhmt sich 
dessen, was er aus Liebe gethan, aber wo sind die Werke? 
ich h6re nur Worte. Ich sahe gerne, dass von vielen solcher 
Dienst verlangt wurde, wie ich jetzt leisten muss. Das heisst 
wohl Liebe, wenn man fur die Liebe in die Fremde zieht. 
Seht nur, wie sie mich aus der Heimat tlber das Meer treibt! 
Wahrlich, lebte Saladin noch und all sein Heer, die brachten 
mich keinen Fuss weit aus Franken". (M. Fr. 218, 5 ff.) 

Die Ansicht von dem Kreuzzuge als einem schweren 
und bitteren Opfer des Glaubens spricht sich in den meisten 
provenzalischen, franzOsischen und deutschen Kreuzliedern 
aus. Nur selten gewahren wir die Glut der frommen Begei- 
sterung; die Lieder zeigen ein verstandiges tJberlegen der 
Vortheile und Nachtheile der schweren Unternehmung, eine 
etwas trockene Erinnerung an die Leiden Christi und das 
jangste Gericht. Der Gedankenkreis der Kreuzpredigten ist r 
abgesehen von den perstalichen Verhaltnissen der Dichter, 
auch der der Kreuzlieder: Wir mtlssen das Leiden Christi 
ihm vergelten. Ausserdem mtlssen wir Gott wegen unsrer 
Stinden versOhnen und durch die Bussfahrt zugleich den An- 



i) Hartmann, M. Fr. 211, 20. vgl. 210, 33. Johannsdorf, M. Fr. 
94, 34. 



233 



spruch auf den Himmel erwerben 1 ). Fast nur wenn die Liebe 
hineingezogen wird, werden die Kreuzlieder lebendig. Da wird 
der Abschied von der Geliebten geschildert, es wird aus- 
gefuhrt, wie nur der Leib tiber See fahrt, das Herz daheim 
bleibt, wie die Eitterehre und die Minne miteinander streiten. 
Aber umsomehr empfindet man, wie schwer es fast alle traf, 
die lange, gefahrliche und in jeder Hinsicht opferreiche Gottes- 
fahrt zu thun, die den Aufwand eines grossen VermOgens 
verlangte. An sich konnte auch die lange Entfernung ihres 
Bitters nicht in den Wiinschen der Dame liegen 2 ). Dieselbe 
entbehrte, wenn sie ihn liebte, des Freundes; wenn sie nur 
ausseren Dienst annahm, der Auszeichnung, welche der Minne- 
dienst der Frau stets gewahrte, und der fortwahrenden Be- 
friedigung ihrer Eitelkeit zu lange, als dass sie sich leicht 
zu einer solchen Forderung entschlossen hatte. Das aben- 
teuernde Herumreiten des Herzenvasallen in der Heimat Oder 
in benachbarten Landern brachte ihr einen weit stetigeren 
Genuss; denn jeder Sieg, den er im Turnier gewann, ward 
zu ihrem Kuhme erfochten, ein jeder Gegner, den er im 
Stechen ilberwand und in Pflicht nahm, ward fur sie (iber- 
wunden; der Eitter schickte ihn ihr als Gefangenen zu 8 ), 
den sie nach Gutdunken freilassen konnte. Die untiberwind- 
lichen Helden der Tafelrunde sammeln auf solche Weise 
ganze Schaaren besiegter Gegner um ihre Damen. 

Das Ziel des Frauendienstes war die Gewahrung der 
Gunst, der Lohn, wie es gewOhnlich heisst. Der Frau, die 
den Dienst annimmt, ziemt es, zu belohnen (M. Fr. 104, 19). 



1 ) G. Wolfram, Kreuzpredigt und Kreuzlied, in der Z. f. deutsch. 
Alterth. 30, 89-132. 

2 ) In dem Gedichte von der alten und neuen Minne (Lass- 
berg, Lieders. n. 182) rath die neue Minne: setz niht ze vast dins 
herzen gir nach den witvamden knaben. du solt einen liep haben, 
der si schoene unde glanz und hoch springe an dem tanz und hie 
heime blib bi dir: des rates soltu volgen mir. ob einer sluegen solddn, 
was; muotes mahtu ddvon hdn? (251 ff.). 

3 ) Es war eine Ehrengabe, die er ihr machte. Auch Kosse 
wurden der Dame als ein Preis, den ihr Eitter gewonnen, von ihm 
geschickt. Vgl. Herbort 8950 ff. 



234 



Freilich konnte das sehr verschieden geschehen, und was die 
Dame als hohen Lohn ansah, des Hitters Wunsche nicht 
gentlgen. Albrecht von Johannsdorf (1185—1209 in Passauer 
Urkunden erwahnt) hat ein lebendiges Zwiegesprach mit seiner 
Angebeteten gedichtet. Er klagt, dass sie ihn schmachten 
lasse. „Wer hat Euch denn zu dieser Not gezwungen?" 
fragt sie. „Eure SchOnheit, minnegliches Weib!" — „Und 
Eure Lieder wollten mich inUnehre bringen." — „Das wolle 
Gott nicht \ u — „Gewahrte ichEuch, so hattet Ihr den Kuhm, 
mein ware der Spott. Folgt meinem Rate, lasst das bitten 
urn das was nie geschehen kann." — „Soll das mein Lohn 
sein?" — »M0g' anderswo Euch das gewahrt werden, das 
Ihr von mir begehrt!" — „Sollen meine Lieder und mein 
Dienst urn Euch mir nichts verfangen?" — „Wol werdet Ihr 
Gltlck haben, ohne Lohn yon mir sollt Ihr nicht bleiben!" — 
„Wie meintlhr das, vortrefflich Weib?" — „Viel geschatzter 
(we r der) werdet Ihr und voll reiner Freude." (M. Fr. 93, 12 
bis 94, 14.) 

Wirde und frotlde sind nach Walther v. d. Vogelweide 
(96, 15 f.) und alien edleren Mtonern der Zeit der Lohn des 
Dienstes. Die wirde ist das aussere Ansehen, das durch innere 
Tuchtigkeit erworben wird. In der Erzahlung Moriz von Craon, 
der Dichtung eines pfaizischen Dichters aus dem Anfange des 
13. Jahrhunderts, heisstes: „GeringenLohn geben schlechte 
Weiber : Sele und Leib machen sie den Mannern gar oft zuwider 
und freudenleer. Die guten erheben das Geinftt zur Freude, ihr 
Lohn fur das, was man im Dienst erwarte, ist Ehre" (409 ff.). 
„Nachdem die reinen, silssen Frauen so hohe Ehre geben 
kOnnen uns den Mannern, so will ich allezeit den Frauen 
dienen, wie's auch komme", dachte Ulrich von Lichtenstein 
(Frauend. 3, 25—28), und die Lehre ward ihm gegeben: 
„wer im Ansehn leben wolle, milsse einer reinen, edlen Frau 
sich zu eigen geben, davon kam' er zu hoher Freude (wtird 
er hOchgemuot)." „Nie kam ein Mann zu Ansehen, der nicht 
den Frauen diente" (ebd. 9, 7 ff.). Alle Freude kommt von 
den Frauen, drum muss man die Frauen ehren, singen Reinmar 
von Hagenau und Walther v. d. Vogelweide ilbereinstimmend 



(M.Fr. 183, 31. Walth. 99, 8), und viele andre wiederholen es 1 ). 
Der Minnedienst zahmt die wilden Gedanken und lehrt sie 
Statigkeit (Wolfr. Titur. 116, 4. Strickers Frauenehre 1521 ff.). 
Also Treue, veredelte Gesinnung, daraus erwachsendes An- 
sehen und das Gemut verkl£rende, freudige, heitre Stimmung 
(hCchgemtlete) sind der Lohn der reinen Minne. Der Minne- 
dienst wirkt demnach auf den Mann erziehend und reinigend. 
Frauenlob (Spr. 246, 14. 438, 4) preist die Minne als Erzie- 
herin (meizoginne), und Reinmar von Zweter, der ihm darin 
voranging, spricht gar von der hohen Schule der Minne, der 
kttnstereichsten, die es gebe (Spr. 32 2 ). 

Aber die Welt ist materiell und der Lohn, den sehr 
viele dienende Eitter begehrten und erwarteten, ward in der 
Sinnlichkeit gesucht. Mit einerNaivet&t, die uns heute uber- 
rascht, sprechen die Lieder jener Zeit den letzten Wunsch 
aus und bezeichnen unverhohlen den Preis des Dienstes. Auch 
diese Frauenritter wurden durchaus nicht immer befriedigt; 
manchem ward selbst nach langjahrigem Dienste erwidert, 
was Obie dem jungen KOnig Meljanz sagte, als er sie nach 
stme dienste urn die Minne bat: al ze fruo ich iuch gewerte 
(Parz. 346, 14). Aber manchem auch ward die Dame will- 
fahrig und vergOnnte ihm eine Nacht in ihren Armen. Nicht 
selten jedoch machte sie dabei die Bedingung, dass er sich 
ausser Kuss und Umarmung nichts weiter gestatte und sich 
eidlich hierauf verpflichte. Diese Probenachte der Enthaltsam- 
keit scheinen im Mittelalter tlber das ganze cultivirte Europa 
verbreitet gewesen zu sein. So berichtet ein Chronist, dass 
unter' Kaiser Friedrich II. die Italienerinnen ihren Geliebten 
solche Vergiinstigung einraumten und dass die Zeit darin 
etwas unverf&ngliches sah 8 ). 



*) Burdach, Reinmar und Walther, S. 102. Leipzig 1880. 

2 ) In franzOsischen Epen ist der Ritterschlag zuweilen der 
Lohn, zu dem die Dame dem jungen ihr dienenden Marine verhilft, 
und den sie ihm sogar selbst ertheilt: Treis, Die Formalit&ten des 
Ritterschlags, Berlin 1887, S. 30 f. 

3 ) Fr. v. Raumer, Gesch. d. Hohenstaufen 6, 449. 



Als Zeugniss, dass solche enthaltsame Liebesnachte in 
der Provence versucht wurden, mag eine Tenzone der Trou- 
badoure Aimeric von Peguilain und Elias von Uisel dienen. 
Herrn Aimeric hatte seine Dame eine Nacht verheissen, wenn 
er ihr schwOre, sich am Kusse zu begntlgen und wenigstens 
gegen ihren Willen nicht weiter zu gehn. Er fragte nun den 
Freund urn Kath, ob er die Marter ertragen oder meineidig 
Werden solle, und Elias erwiderte: er wisse sehr wohl, wie 
er sich in solchem Falle zu halten habe, seine Dame solle 
ihn meineidig sehen. Aimeric blieb aber bedenklich, denn er 
meinte, durch den Eidbruch verliere er Gott und die Geliebte 
zugleich, er wolle sich also lieber am Kusse genugen lassen. 
Doch Elias schalt ihn ob seiner btlrgerlichen Beschranktheit 
(vilania) aus; die Dame kOnne durch Thranen, Gott aber 
durch eine Fahrt nach Syrien versOhnt werden (Eaynouard 
±, 22). 

Far den gleichen Brauch in Nordfrankreich zeugt eben- 
falls ein Streitgedicht (jeu parti) 1 ), das folgende Frage be- 
handelt: wenn einem Manne, der ehrbar liebt, seine Dame 
fiir treuen Dienst eine Nacht in ihrem Bette, tout nu a nu, 
bewilligt hat, indem sie ihm nur Kuss und Umarmung frei- 
gibt, welches der beiden thut mehr fQr den andern bei be- 
wahrter Enthaltsamkeit, der Mann oder die Frau? 

Dass in Deutschland in ritterlichen Kreisen des 11. und 
12. Jahrhunderts die Sitte solchen Beilagers bestund, beweisen 
Verse in Liedern Dietmars von Aist und Eeinmars von Hagen- 
au 2 ). Freilich spricht Dietmar vom toerschen Wligen, d. i. ein 
narrisches Beilager halten; aber Hartmann von Aue aussert 
sich aus seinem ernsten Sinne in seinem Iwein 6574 ff. also : 
„wenn einer das fiir ein Wunder erkiart, dass Iwein bei einem 
fremden M&dchen so nahe lag, ohne der Liebe zu pflegen, 
der weiss nicht, dass ein ttlchtiger Mann sich alles des ent- 
halten kahn, dessen er sich enthalten will". 



1 ) Matzner, AltfranzSsische Lieder, Nr. 44. Guilliaums li Yiniers 
a frere. 

2) M. Fr. 40, 34. 41, 6. 167, 7: ■ 



287 



Von dem Fortleben dieses „auf Treu und Glauben Bei- 
liegen" in den hOheren Standen auch noch im 16. Jahrhun- 
dert sind manche Belege vorhanden 1 ). Es war kein Raffine- 
ment, sondern eine sehr alte und durch viele VOlker ver- 
breitete Sitte 2 ), die sich in gewisser Regelung bis heute fort- 
gepflanzt hat. Sie entstammt schwerlich den hofischen Kreisen^ 

Fast in alien deutschen Landern ist den Liebhabern der 
Landmadchen eine Nacht im Jahre Oder meist in der Woche 
zum Besuche ihrer Schatze gestattet, und es soil dies in 
manchen Gegenden stets in alien Ehren ablaufen. In andern 
wird der Brauch dadurch gerechtfertigt, dass das Paar fortab 
fQr verlobt gilt und ihm also nur die kirchliche Trauung fehlt, 
welche sich im Volke uberhaupt schwer einbtlrgerte. Der Mann, 
der nach solcher Vergunstigung treulos wird, ist in der Mei- 
nung des Volkes gebrandmarkt. 

Die Namen des Brauchs sind verschieden: in der Schweiz; 
zu Bolt gehn, kilten 8 ), Gassel gehn; schwabisch fugen; in den 
Vogesen schwammeln; im Bayrischen gasseln und fenstern; 
steirisch und tirolisch fensterln und gasseln; k&rntisch brenteln 
und gasseln; frankisch schnurren, afnFreigehn; in der Had- 
stedter Marsch thilren ; englisch bundle 4 ). 

Aus jenen heimlichen Zusammenkanften ritterlicher 
Paare, deren Entdeckung nattlrlich mit der hOchsten Gefahr 
verbunden war, ist eine besondere Gattung lyrischer Lieder 
wenn nicht hervorgegangeri, so doch zur ktinstlerischen Ent- 
wicklung gekommen, die T age lie der, die albas der Pro- 

J ) Bolte zum Diideschen SchlOmer von J. Strieker (1584), S. 64. 

2 ) Belege aus verschiedenen VOlkern gab F. Liebrecht, Zur 
Volkskunde (Heilbronn 1879), S. 378. — tTber das Schwertklingen- 
geltibde unten bei der Vermahlung. 

3 ) R. Hildebrand, D. W6rterb. V, 704. L. Tobler, Schweizer 
Yolkslieder 1, S. CXXYI. Rochholz, Deutscher Glaubo und Sitte 
1, 59. Birlinger, Alemannia IV, 1—10. 

*) Fischer, tJber die Probenachte der teutschen Bauernmadchen, 
Berlin 1780. Weddigen, Westphai. Magazin 3, 115. Hallmann, Briefe 
iiber die Grafschaft Glaz (1823), S. 73. Kuhn-Schwartz, Norddeutsche 
Sagen und Gebr&uche, S. 405. P. Rosegger, Aus meinem Handwerker- 
leben 326 ff. Cber die estnischen Verhaltnisse: v. SchrOder, Hoch- 
zeitsbrauche der Esten, S. 196—199. 



venzalen, die aubes der Franzosen. Schon vor der Zeit des 
ritterlichen Frauendienstes hat sich ein liebendes Paar nachtlich 
gefunden und hat ihm der Morgen die verbotenen Freuden 
gestOrt; schon frOh wird die Poesie auch in Deutschland 
dieses dankbare Thema benutzt haben. Aber erst mit dem 
Eintritte der Lyrik in die Litteratur beginnen auch die nach- 
weisbaren Lieder jenes Inhaltes. 

Die altesten Strophen, die wir unter den G-esichtspunkt 
des Tagesliedes stellen kOnnen, sind ein sogenannter Wechsel 
des Burggrafen von Kegensburg (M. Fr. 16, 15 — 17, 6). Das 
Paar ist getrennt, er wie sie gedenken in Sehnsucht der heim- 
lichen Liebesfreude. 

In gleicher Anlage, aber lebendiger und breiter, mit 
glllhender Leidenschaft, ist der Wechsel Heinrichs von Mp- 
rungen, der einer folgenden Generation der Lyriker angehOrt 
(M. Fr. 143, 22 — 144, 16). Ich suche es neuhochdeutsch wieder- 

zugeben: 

weh, o weh, o dass doch je 

Mir noch mocht' leuchten durch die Nacht 

Ihr siisser Leib so weiss wie Schnee, 

Der Freud* und Leid mir hat gebracht. 

Er trog die Augen mein: 

Ich wahnt, es sollte sein 

Des lichten Monden Schein. 

Da tagt' es. 

„0 weh, o weh, o dass doch je 
Er noch den Tag bei mir erschau' 
Und dass er dann nicht von mir geh', 
Ob es auch hell im Osten grau\ 
Ich seh* das Morgenroth, 
Bei dem er jiingst entbot 
Mir bittern Scheidens Noth. 
Da tagf es." 

weh, o weh, wohl hundertmal 
Hat sie beim wecken mich gekiisst, 
Yon Thranen matt des Auges Strahl, 
Weil ich aus ihrem Arm gemtisst. 
Und dennoch Trost sie fand, 
Dass still die Thrane stand, 
Als sie mich fest umwand. 
Da tagt' es. 



„0 weh, o weh, wie oft er hat 
An nieiner Seite sich erblickt! 
Da ward er nie im Kosen satt, 
Da war 0011' Ende er entziickt, 
Wenn er die Decke rein 
G-estreifb vom Arme mein; 
Es mocht' ein Wunder sein ! 
Da tagt' es!« 

GewOhnlich aber fuhrt das Tagelied unmittelbar in 
dramatischer Lebendigkeit in die thatsachliche Lage ein: die 
Frau erwacht, weckt den Geliebten und schmerzlich verliebt 
wird geschieden. In dieser Art ist bereits das einfache, alter- 
thttmliche Tagelied des Herrri Dietmar von Aist (M. Fr. 
89, 18—29): 

Schlafst du noch, G-eliebter mein? 
Wir miissen leider wach jetzt sein. 
Ein VOgelein gar wohl gethan 
Stimmt auf der Lind' sein Taglied an. 

„Ich war entschlummert sanft und lind, 
Nun weckst du klagend mich, lieb Kind. 
Die Liebe mag ohn' Leid nicht sein; 
Ich bin gehorsam, Liebste mein." 

Da ward voll Thranen wohl ihr Blick: 
„Du reitest fort, lasst mich zuriick. 
Ach meine Freude gent mit dir; 
Warm kommst du wieder her zu mir?" 

Mit aller Fulle und "Oppigkeit seiner Kunst hat Wolfram 
von Eschenbach in dem Liede „Ez ist nu tac, daz ich wol 
mac mit warheit jehen" (Lachmann 7, 41—9, 2) das Scheiden 
der Verliebten beim morgenlichen schin geschildert, und 
Walther von der Vogelweide in seinem einzigen Tageliede 
(Lachmann 88, 9—90, 14), des grossen Kunstgenossen Bei- 
spiel in der Ausfuhrung folgend, noch ein andres Moment 
hinzugethan: nicht ein VOglein hat die Frau geweckt 1 ), 
wie bei Dietmar von Aist, sondern sie haben das Morgenlied 

*) Es erinnert das natiirlich an die Morgenscene in Shakespeares 
Borneo und Julie (III, 5). Daran kniipft L. Frankel, Shakespeare 
und das Tagelied, Hannover 1893, seine Ausfiihrungen. 



240 



des Burgwarts (des wahtaere) gehOrt 1 ). Dieses Morgenlied hat 
Wolfram von Eschenbach in seinen andern Tageweisen zu 
einem Warnungslied an die heimlich Liebenden (eine lere 
Oder rat) gemacht, allerdings nicht ohne Widerspruch, da die 
Stellung des Thurmwachters als Vertrauter der Liebes- 
heimlichkeit seiner Herrin Anstoss erregen durfte. „Ein hOch- 
geborea witzlich wip", sagt Ulrich von Lichtenstein (Frauend. 
509, 18 ff.) daruber, „solde ungern eins geburen lip dekein 
ir heimlich wizzen lan : und taet siz, ez waer missetan. Man 
hat edeler wahter niht : d&von s6 waer ez gar enwiht, der 
einem wahter iht des sagt daz im waer liep gar verdagt. 
geburen art kan niht verdagen : des sol man in ungern sagen. 
edeliu art kan swigen wol, d&von si heimlich wizzen sol". 

So hat denn auch aus gleichem GefQhl der Provenzale 
Guirautz de Borneill in seiner alba (Raynouard, Choix 3, 313) 
einem Freunde des Ritters das Hilteramt ubertragen. Als die 
MorgenrOthe schimmert, bittet er Gott und den Sohn der 
heiligen Maria, dass sie seinen Gefahrten schtitzen, und stimmt 
dann ein Lied an, wodurch er den Freund weckt und warnt. 
Er hOre die VOgel im Gebiische singen, der Freund mOge an 
das Fenster gehn und die Zeichen des Himmels ansehen, 
denn es sei Zeit. Aber dieser antwortet, er sei so prachtig 
beherbergt, dass er wdnsche, es werde nimmer Tag. Er halte 
die anmuthigste im Arm, die je von einer Mutter geboren 
sei und die Aufpasser achte er so wenig als die MorgenrOthe. 

Aber der Wachter als vertrauter Warner der heimlich 
Liebenden fand doch Eingang in das hOfische deutsche Tage- 
lied durch . das Beispiel Wolframs von Eschenbach und den 
Einfluss der provenzalischen albas, in denen vom 10. Jahr- 
hundert ab (Zachers Zeitschr. f. deutsche Philologie 12, 335) 
er eine conventionelle dritte Person ist 2 ). So tritt er auf in 
den Tageliedern Ulrichs von Singenberg (MSH. 1, 293) % 
Ulrichs von Winterstetten (ebd. 1, 157, 166), Bruns von 



J ) Rubin (MSH. 1, 317) schliesst sich hier an Walther. 
2 ) G. Schlager, Studien uber das Tagelied. Jena 1895, S. 39. 
8 ) In dem andern Liede Singenbergs (1, 291) ist der Wachter 
nicht da. 



241 



Hornberg (2, 66), Konrads von Wurzburg (2, 319), Heinrich 
Teschlers (2, 128) und KOnig Wenzels von BOhmen (1, 9 f.). 

Das provenzalische Morgenlied, die alba, hat hiernach 
wohl auf das hOfische deutsche Tagelied eingewirkt (die alt- 
franzOsische aubade steht ganz unter seinem Einfluss und 
ist nicht recht gediehen), aber erzeugt ist dasselbe von ihr 
nicht. Es wurzelt in der volksthumlichen Liebesdichtung und 
hat seine litterarische Ausbildung durch den ritterlichen 
Frauendienst erhalten. Den Weg, den es ging, glaube ich 
deutlich gezeigt zu haben 1 ). 

Die Tagelieder erhielten sich bei uns weit iiber die 
Dauer der hofischen Lyrik hinaus 2 ) und waren noch im 
16. Jahrhundert beliebt. Sie wurden damals auf fliegende 
Blatter gedruckt, welche auf dem Titel in grobem Holz- 
schnitte den Wachter mit dem Horn auf der Zinne zeigen. 
Unsere Volkslieder haben noch viele Tagelieder unter sich "). 
Seit dem 14. Jahrhunderte wurden auch die geistlichen Urn- 
dichtungen von Tageliedern beliebt, Oder es wurden religiose 
Gesange in die Einkleidung der Tageweisen gebracht. 

Neben den Albas besitzt die provenzalische Lyrik eine 
verwandte Gattung, das Abend- oder Nachtlied (serena), worin 
sich das sehnende Verlangen des Marines nach der ver- 
heissenen Liebesnacht ausspricht. Die deutsche mittelalter- 
liche Poesie kann nichts ahnliches aufweisen, und auch die 
Provenzalen haben jedenfalls nur wenig serenas gedichtet, 
da nur eine einzige sich erhalten hat*). 

Wenn die Liebesverhaltnisse der dienenden Ritter in 
jene Wirklichkeit hintlbergingen, welche die eben erwahnten 



*) tiber das Tagelied: K. Bartsch, /Ober die romanischen und 
deutschen Tagelieder (Gesammelte Aufsatze und Yortrage 250—317). 
W. Scherer, Deutsche Studien 2, 51—60. W. de Gruyter, Das deutsche 
Tagelied, Leipzig 1887. G. Schlager, Studien tiber das Tagelied. 
Jena 1895. 

a ) L. Uhland, Alte hoch- und nie'derdeutsche Volkslieder I, 
Nr. 76-89. Fr. M. Bflhme, Altdeutsches Liederbuch Nr. 101—124. 
(Leipzig 1877). 

3 ) Erk-B5hme ; Deutscher Liederhort II, Nr. 798-830. Leipz. 1893. 

4 ) v. Guiraut Riquier bei Mahn, Werke der Troubadours 4, 97. 

Wei nh old, Deutsche Frauen. I. 16 



Thatsachen andeuteten, so musste es die angelegentlichste 
Sorge des Paares sein, die grOsste Verschwiegenheit zu be- 
wahren, denn die Gatten der Damen rachten die verletzte 
Ehre ihres Bettes unerbittlich, und war es ein Madchen, so 
gab es Vater und Brttder, welche die Ehre ihres Hauses 
strenge httteten. Besonders schwierig war die Gehemihaltung 
fur die ritterlichen Sanger, welche dem Liede ihr Werben 
anvertrauten, und ihr Ungltlck Oder G-ltlck in der Liebe zu 
einer Offentlichen Sache machten. Um das Geheimniss so 
gut als mOglich zu retten, war es ihnen daher eine Ehren- 
pflicht, den Namen der Dame entweder gar nicht oder nur 
verhtillt zu nennen 1 ): deutlicher zu sein, gait auch bei den 
Provenzalen far Thorheit und Kinderei (follia et enfanza, 
Raynouard, Choix 5, 192). 

Grosse Noth machten wie immer den Liebenden, so auch 
den Frauenrittern die gehassigen Aufpasser, oder wie der 
Kunstausdruck for die Feinde solcher Verhaltnisse war, die 
Merker 2 ). Nicht wenige Minnesanger 8 ) klagen tlber diese 
Neider und StOrer, welche die Freude bei Tag und bei Nacht 
vernichten oder wenigstens verbittern. Um das tibel von 
Grund aus zu heilen, eifern die verliebten Dichter auch gegen 
jede zu strenge Beaufsichtigung der Frauen, gegen die huote, 
die eine gefahrliche Bedrangniss (ein angeslichiu n6t M. Fr. 
43, 37) der liebenden sei. Sie meinen, diese Bewachung sei 
eine Euthe, mit der sich der Ehegatte selbst zuchtige 4 ); er 
siede und braue sich dadurch, was ihn spater reue, und sie 
ntitze ihm doch nichts 5 ). Das Sprichwort gait: es ist keine 



x ) Ygl. z. B. Walthers v. d. Yogelweide ausweichende Ant- 
worten auf die Frage nach dem Namen seiner froive 63, 34. 74, 19. 
98, 26. Neithart v. Reuenthal XXXIX, 19. 

2 ) Heinr. v. Morungen braucht huotaere M. Fr. 131, 27 nach 
dem provenz. gardaire. 

8 ) Bereits der sogen. Kiirnberger M. Fr. 7, 24 und Meinloh v. 
Seflingen M. Fr. 12, 21. Das Motiv der Merker ist der nit, M. Fr. 7, 24. 
43, 29. Ihr spehen ist kranc Frauend. 12, 4 oder arc ebd. 407, 28. 

*) Yeldeke, M. Fr. 65, 21-27. 

5) Eracl. 2490. 



243 



Hut* so gut, als die ein Weib ihm selber thut (Freidank 
101, 7). In dem provenzalischen Romane Flamenga, der gegen 
die fouote gedichtet ist, heisst der eiferstichtige, der sein Weib 
durchaus behiiten will, ein Narr, denn wenn es ihm Gewalt 
nicht raube, so nehme es ihm die List. „Wer die Frauen 
vor andern verwahren will", singt Heinrich von Morungen 
(M. Fr. 136, 37 ff.), „den thu' ich in den Bann. Den Mannern 
zum anschauen hat Gott sie geschaffen, auf dass sie ihnen 
ein Spiegel, der ganzen Welt eine Wonne seien. Was niitzt 
vergrabenes Gold, von dem Niemand etwas hat? — Diese 
misstrauische Beaufsichtigung (huote) verftthrt treue Frauen 
erst zum wanken; drum lasse man die Frauen anschauen 
und thu' ihnen keinen Zwang an. Einer Kranken verbot der 
Arzt zu trinken, und sie trank eben darum". 

Die provenzalischen Troubadours haben eine wahreLiebes- 
kunst ausgesonnen und den Minnedienst didactisch geregelt. 
Sie nehmen in ihm vier Stufen an, die der Liebende ersteigen 
muss 1 ): auf der ersten steht der, welcher eine heimliche 
Liebe im Herzen tragt und sie der Geliebten noch nicht zu 
gestehen wagt (feignaire). Hat er ermuthigt durch die Frau 
das Gestandniss gewagt, so tritt er auf die zweite Stufe, er 
wird ein bittender (preiaire) ; nimmt sie ihn zum fOrmlichen 
Liebesdienst an, so wird er ein erhOrter (ent endeire) ; ist 
ihm die hOchste Gunst gewahrt, so heisst er der Liebhaber 
(drute) der Frau. Man sieht schon hieraus, dass der ErhOrung 
eine Prufungszeit voranging, welche theils die Treue, theils die 
ritterliche Ttlchtigkeit des Verehrers betraf. Wie lange die- 
selbe dauerte, scheint dem Gutdunken der Dame uberlassen, 
die gern die sprOde spielte und vor der Aufnahme in den 
Dienst den Eitter lange schmachten liess. Nach einigem zu 



l ) Fauriel, Hist, de la poesie proven^. I, 502. Guiraut Riquier, 
bei Mahn, Gedichte der Troubadours 4, 210 ff. Herrigs Archiv 34, 425. 
Die entsprechende Stelle in den Erotica sive Amatoria des Andreas 
Capellanus (B. 3 der Dortmund. Ausg.) lautet: Ab antiquo igitur 
quatuor sunt in amore gradus distincti: primus in spei datione 
consistit, s^cundus in osculi exhibitione, tertius in amplexus fructione 
quartus in totius concessione personae finitur. 

16* 



214 



schliessen, dehnte sich die Probe nicht selten auf ftinf Jahre 
aus 1 ). Hatte der Ritter diese Zeit glucklich tiberwunden, so 
ward er der Yasall seiner HerzenskOnigin, welche ihm mit 
aller Ceremonie des Lehnrechtes ihren Dienst tibertrug. Wie 
sich der Lehnsmann vor dem sitzenden Herrn auf das Knie 
lasst und mit gefalteten Handen das Lehn begehrt und die 
Treue verspricht; wie der Herr seine Hande zwischen die 
des Mannes legt und ihm mit einem ausseren Zeichen das 
Lehn ubergibt, mit einem Kusse das Verhaitniss besiegelt; 
ganz eben so nahm auch die Frau den Mann zu ihrem Ritter 
auf. Wenigstens in Sudfrankreich, dem Lande des ausgebil- 
detsten Minnedienstes , herrschte solcher Brauch. Dasselbe 
Knien und Handefalten, dieselbe Ceremonie durch die Frau, 
wie durch den Lehnsherrn vollzogen, ebenso wie dort der 
Kuss und gewOhnlich ein Ring als Zeichen der Verbindung. 
Der Brauch, der hier und da bei der Aufnahme in den Bitter- 
stand beobachtet ward, die Haare abzuschneiden, wurde auch 
manchmal beim Eintritte in den Minnedienst getibt. Um die 
vielgefeierte Grafln Guida von Rodes hatten sich mehr als 
hundert Ritter die KOpfe scheren lassen (Raynouard, Choix 
5, 172). Auch priesterliche Einsegnung des Verhaltnisses lasst 
sich nachweisen, wodurch wiederum bei AuflOsung des Bundes 
priesterlicher Beistand nOthig ward. Indem damals die kirch- 
liche Trauung noch nicht durchgedrungen war, mOgen wir 
dies ftir eine Nachbildung der kirchlichen Theilnahme am 
Ritterschlage nehmen (Rayn. Ch. 3, 243). 

Die Nachbildung des Lehnsverhaitnisses ftihrte zu einem 
Brauche ganz eigenthumlicher Natur. Es war Sitte, dass der 
Lehnsherr von den anwesenden Vasallen zu Bette begleitet 
wurde, die sich erst entfernten, nachdem er sich niedergelegt 
hatte. Die Frau war der Lehnsherr, der Ritter der Lehns- 
trager ; warum hatte man den Dienst nicht auch hierauf aus- 
dehnen sollen? Der begilnstigte Liebhaber begleitete also die 
Frau in ihr Schlafgemach, half ihr beim Auskleiden und ent- 



J ) Parz. 346, 3—15. 370, 16. Vgl. auch Diez, Altspan. Romanzen, 
S. 84. 



245 



fernte sich, nachdem sie sich niedergelegt hatte 1 ). Hinzuzu- 
ftigen ist nur, dass man in jenen Zeiten gewOhnlich ohne 
alle Gewander schlief. 

Wir kOnnen fur die deutsche ritterliche Gesellschaft die 
stidfranzOsische Ubertragung der Lehnsformalitaten auf das 
Dienstverhaltniss des werbenden Mannes nicht nachweisen 
und milssen sie bezweifeln. Es ist nicht deutsche Art, f&r 
Beziehungen, die trotz allem ausserem Scheinwesen dennoch 
als innerliche aufgefasst wurden, einen strengen Formalismus 
zu belieben, wie das von den Romanen geschehen ist. Ebenso 
ist die Liebe mit den mannigfachen Erscheinungen, die sie 
im Leben hervorzaubert, niemals in dem Grade, wie in Sild- 
und Nordfrankreich Gegenstand dialectischer Untersuchung der 
Dichter und der vornehmen Gesellschaft geworden. Unsere 
Lyriker enthalten sich freilich seit Friedrich von Hausen der 
Griibeleien uber die Minne nicht, aber sie verlassen ihre 
deutsche Natur nicht, welche das Herz dem Verstande in 
Liebessachen aberordnet. Fragen uber das Wesen der Minne, 
wie sie in Eilharts Tristran und Veldekes Eneide 2 ) behandelt 
werden, alle die spielende Dialectik, welche Gottfried von 
Strassburg in seinem Tristan tiber die Liebe entfaltet (12187 
bis 12361), sind aus franzOsischer Quelle abgeleitet. So ist 
uns denn auch die Disputation und eine processartige Be- 
handlung von Streitigkeiten tiber Liebesfragen fast ganz fremd 
geblieben, wahrend die stld- und nordfranzOsischen Dichter in 
ihren Tenzonen und Partimens (jeux partis) 8 ) sehr geneigt 
dazu waren. 



x ) Raynouard, Lexique roman. 1, 333. Fauriel, Hist, de la poesie 
proven^. 2, 31. 

2 ) Eilhart 2398-2598. Eneide 10064-10388, dazu 9822—9965. 

3 ) In der Tenzone stellen die beiden Streitenden ihre Mei- 
nungen gegen einander und vertheidigen sie. In dem partimen (jeu 
parti) legt der eine Troubadour die Streitfrage vor und lasst dem 
andern die Wahl unter den beiden Meinungen; er vertheidigt die 
ihm gelassene. Vgl. P. Meyer, Les derniers troubadours de la Pro- 
vence, Paris 1871, S. 66. G. Paris, La litterature fran$aise au moyen age 
§. 126. L. Goldschmidt, Die Doctrin der Liebe bei den italienischen 
Lyrikern des 13. Jahrh. Breslau 1889. 



246 



Dabei 'tritt nun die Neigung hervor, die Entscheidung 
der Streitfrage einer gefeierten, durch SchOnheit und Klug- 
heit beruhmten Dame zu ubertragen. 

An dem Hofe der Vicomtesse Guilelma von Benagues 
fanden sich die drei ihr dienenden Troubadours Savaric von 
Mauleon, Elias Kudel von Bergerac und Jaufre Rudel von 
Blaia zusammen. Guilelma blickt den letzteren freundlich an, 
drtlckt dem Bergerac die Hand und tritt dem Savaric seuf- 
zend auf den Fuss. In einer Tenzone ruhmt sich nun jeder, 
vor dem andern bevorzugt zu sein und sie beschliessen, der 
Herrin die Entscheidung anzuvertrauen *). 

Von den sonst unbekannten Troubadours Girart und 
Peironet ist ein Partimen erhalten 2 ), worin die Streitfrage 
vorgelegt wird, ob Augen oder Herz eine treue Liebe besser 
behaupten. Peironet ergreift die Partie der Augen, Girart die 
des Herzens. Der erste sendet seine Behauptung zum Urtheil 
nach Pierrefeu (Peirafuoc), wo eine schOne Frau uber Liebes- 
fragen belehrt (la bella fai cort d'enseinhamen) ; Girart schickt 
sein partimen nach dem Schlosse Signes (Sinha), wo die In- 
haberin aller Jugendgaben (joven) wohnt, welche wohl zu 
sagen wissen wird, welche Meinung die bessere sei. 

Hohe Damen, die sich fur solche Fragen interessirten 
und die nachweisbar GOnnerinnen der sad- und nordfranzO- 
. sischen Dichter waren, kennen wir in der schOnen und sehr 
galanten Grafin Alienor von Poitiers, Gemahlin KOnig Hein- 
richs II. von Frankreich und England, und in ihrer Tochter, 
der Grafin Marie von der Champagne. An dem Hofe AJte- 
norens verkehrten die beruhmtesten Troubadours, wie Ber- 
trand de Born und Bernard de Ventadour, an dem Hof Mariens 
der SchOpfer des nordfranzOsischen Ritterromans, Chrestien 
de Troies. An diesen glanzenden HOfen ward das Wesen und 
Leben der ritterlichen Galanterie in eine Art System gebracht, 
von dem wir durch die im Anfange des 13. Jahrhunderts 

x ) Diez, Leben der Troubadours, S. 404 f. "Wie P. Meyer a. a. 0. 
69. Note hervorhebt, ist am Schlusse einer Tenzone des Guilliem 
de Murs und G. Riquier die gegebene Sentenz mitgetheilt. 

2 ) P. Meyer a. a. O. 71 f. 



247 



lateinisch verfassten Erotica oder de arte honeste amandi 
des Andreas Capellanus genaue Kenntniss haben. Hiernach 
scheint besonders Maria, die comitissa Campaniae, bedeutend 
fur das Gesetzbuch des Liebesdienstes gewesen zu sein; sie 
wird von Andreas auch einmal als Vorsitzerin eines Gerichts 
von sechzig Damen genannt (0. 3 b der Dortmunder Ausgabe). 
Auch ein gascognischer Liebeshof (Dominarum curia in Vas- 
conia congregata) wird von ihm erwahnt. 

Eine Weiterbildung der franzOsischen Liebeskunst brachte 
dann der Roman de la Rose, von Guillaume de Lorris gegen 
1237 begonnen, der unter dem Einfluss des Andreas zwar 
steht, aber das Minneleben des 13. Jahrhunderts vertritt und 
in glanzender, verftihrerischer Weise in dasselbe einfuhrt 1 ). 

Ohne weiter auf diese franzOsischen Verhaltnisse und 
Werke einzugehn, milssen wir doch betonen, dass sich in 
Sud- und Nordfrankreich im 12. und 13. Jahrhundert feste 
Gesetze der vornehmen Liebeskunst, unter Zusammenwirken 
von Dichtern, vornehmen Frauen und Herren gebildet hatten, 
die oft den Gegenstand gesellschaftlicher Verhandlungen ab- 
gabeji , die sich juristischen Processen allenfalls naherten, so 
dass eine gewisse Berechtigung zugestanden werden kann, 
von LiebeshOfen zu sprechen 2 ). 

Filr Deutschland fehlt es aus dem 12. und 13. Jahr- 
hundert durchaus an Spuren ahnlicher oder gleicher Erschei- 
nungen. Erst aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, also aus 
einer Zeit, als der ritterliche Frauendienst fast verschwunden 
war, hat sich ein merkwurdiges Gedichtfragment 3 ) erhalten 
tiber eine aus Frauen und Rittern zusammengesetzte Ver- 



x ) Tiber den Roman de la Rose von Guillaume und seine Fort- 
fuhrung durch Jean de Meun in Kurze: G. Paris, La litter. fran$ # 
au moyen age, §. Ill if. 

2 ) Uber die cours d'amour G. Paris, Romania XII, 523—534. 
XIII, 403 ff. XVII, 591 ff. E. Trojel, Middelalderens Elskovshoffer. 
Kjobenhavn 1888. 

3 ) Herau>sgegeben von Massmann in Haupts Z. f. d. A. Ill, 
7 f., abgedruckt in Massmanns Kaiserchronik II, 676 ff. 



248 



sammlung, welcher die Frage zur Entscheidung vorgelegt 
wird, ob es genflgen kOnne, dass eine Dame in Rucksicht 
auf das Leben des dienenden Ritters und auf ihre eigene 
Ehre ihr Herz hingebe, aber nicht ihre ganze Person. Als 
Mitglieder der Gesellschaft werden die Grafen Gerhard von 
Jtilich und Johann von Spanheim genannt. Als Fursprecher 
des Ritters tritt Graf Kraft von Greifenstein auf. Das Urtheil, 
welches dahin gesprochen wird, dass die Frau zu grOsserem 
Lohne verpflichtet sei, wird dem Boten schrifthch ubergeben, 
welcher es der Dame zustellt. Wir haben es hier mit 
geschichtlich bekannten Herren des Niederrheins zu thun, 
welche in die letzten Schicksale KOnig Adolfs von Nassau 
yerflochten sind; das Bruchstuck selbst gehOrt in ein grOsseres 
Gedicht iiber den Ausgang des Krieges. Zwar werden wir 
ablehnen mussen, einen stehnden Gerichtshof fur Liebes- 
sachen aus diesem Fragment fur den Niederrhein zu . be- 
haupten; allein das ist doch zuzugeben, dass sich die vor- 
nehme Gesellschaft auch der rheinischen Lande mit dialecti- 
scher Behandlung interessanter Themata aus dem Frauen- 
dienst unterhielt, und dass sogar die Formen einer gericht- 
lichen Yerhandlung davon nicht ausgeschlossen waren. 

Ftir das Interesse an hofischem Minnedienst und den 
Fragen, die fur das Verhaltniss von Mann und Frau daraus 
entspringen konnten, in den hOheren Kreisen Deutschlands 
selbst noch im 15. Jahrhundert, spricht die poetische deutsche 
Bearbeitung des Tractatus amoris Andreas des Kapellans, 
die der Canonicus Eberhard von Zersen in Minden im Jahre 
1404 verfasste 1 ). Noch spater hat Joh. Hartlieb im Auftrage 
Herzog Albrechts II. von Osterreich den Tractat des Andreas 
in Prosa ubertragen 2 ). Die Yornehmen des 15. Jahrhunderts, 
in dem das Mittelalter unterging, thun noch einmal einen 
sehnstichtigen Rtickbhck in die Glanzzeit ihres Standes. — 



2 ) Der Minne Regel von Eberhardus Cersne, herausgegeb. 
von Fr. X. WOber. Wien 1861. — Er. Bachmann, Studien tiber Ever- 
Uard v. Cersne. 1. Dresden 1891. 

2 ) Godecke, Grundriss der deutschen Litteratur l 2 , 359. 



249 



Unsere Liebeslyrik hat keine Tenzonen und Partimens. 
ausgebildet;'nur Ans&tze dazu lassen sich bemerken. 

Dialectische Behandlungen von Fragen werden in unsrer 
Lyrik erst beliebt, als die ritterlichen hOfischen Dichter hinter 
die btirgerlichen handwerksztinftigen oder gelehrten zurtick- 
treten. Ihr Gegenstand liegt aber, mit Ausnahme etwa des 
Streites ttber den Vorzug der Worte frouwe und wip, den 
Frauenlob mit Kegenbogen und Kaumsland fuhrte, von den 
Wegen abseits, auf denen wir hier wandeln. 

Es liegt in dem Wesen der Liebe, dass sie die Gefuhle 
hin und her treibt, wie der Wind das Wasser. „Himmelhoch 
jauchzend, zum Tode betrtibt, Glticklich allein ist die Seele, 
die liebt", tOnt auch durch die Lieder der mittelalterlichen 
Dichter. Mochte nun der Dienst des Eitters belohnt werden, 
mochte die Dame ihm nur ab und zu ein kleines Zeichen 
der Gnade geben und ihn auf spatere Zeiten vertrOsten, 
Stunden und Tage dusterer Stimmung, des Zweifels und des 
Verzagens waren ihm sicher. Aber in dem Wechsel der 
Empfindung, in dem Kampfe der Gefuhle, in der Entwick- 
lung der Leidenschaft durch den Zweifel lag auch ein 
Genuss. Schon bei den altesten Minnesingern spielt das truren, 
die swaere, die sorge in das Liebeslied, und je reicher sich 
Minnedienst und Minnesang entfalten, um so erfinderischer 
werden die Dichter, den Jcumber, die senede not auszukosten 
und auch sprachlich auszudrucken 1 ). Die Dame versagt dem 
Manne selbst einen freundlichen Gruss; sie beach tet ihn dann 
lange gar nicht. Der Bote, der mit einem Liebesliede zu ihr 
geeilt war, kommt ohne Gnadenzeichen zuruck; auf alle 
Bitten erwidert sie nur mit versagen: Jahre hat ihr schon 
der Mann gedient, im Turnier und mit Liedern zu ihrem 
Preise; sein Haar wird bereits grau und damit schwindet 
ihm alle Hoffnung, endlich erhoert zu werden. Er ist ver- 
sehrten Herzens, und den Balsam, der die Wunde allein heilt, 



l ) Eine Sammlung dieser Worte bei Erich Schmidt, Reinmar 
v. Hagenau und Heinrich v. Rugge 102—106. Vgl. zur Sache auch 
Konr. Burdach, Reinmar und Walther 24 f. 



260 



die Minne und die weibliche Gate, kann er nicht finden. 
Im bitteren Humor singt da Keinmar von Hagenau: 

man sol sorgen: sorge tit gitot, 

due sorge tit niemen wert. (M. Fr. 198, 35.) 

Und ein andermal sagt er von den Frauen im allgemeinen : 

Lieb* ist ihnen, dass. man stets sie bitte, 

Und gar wohl thut ihnen das Versagen. 

Ach! der Launen wunderliche Sitte 

In der Seele sie verborgen tragen! 

Wer von ihnen Gnade will erlangen, 

Sitze stets bei ihnen und verehre sie. 

Ach ich that's — doch nichts wollt' es verfangen, 

(M. Fr. 171, 11—16). 

Die Blutenjahre des hOfischen Lebens waren reich an 
Spiel der Weiberlaunen. Der ungliickliche Minner ward in 
Aussicht entfernter Gunstbeweise oft genug auf jede Art ge- 
qualt, mit Aufgaben beladen, die er nicht erfullen konnte, 
und durch die hOchste Ungnade gestraft, die er, weil die 
Mode es forderte, mit grOsster Selbstverleugnung und oft mit 
wirklichem Schmerz ertrug. Nicht tibel zuchtigt der Tann- 
hauser, der etwa 1240 — 1270 bltlhte und sich uberhaupt in 
Satire auf den Frauendienst gefallt, diesen weiblichen tiber- 
muth. Er sagt: „Treuer Dienst der ist gut, den man schOnen 
Frauen thut, wie der meinen ich gethan. Bald soil ich ihr 
den Salamander bringen, die Rhone bald in Niirnberg strOmen 
lassen, die Donau dann den Rhein hiniiber zwingen und noch 
auf meiner Bitt' ErhOrung passen! Ja Dank sei ihr, ihr Nam' 
ist Gute; sprech' ich ein Ja, sie saget Nein, so stimmen stets 
wir tiberein. Hei hei! es blieb zu fern ihr einst die scharfe 
Rute. — Der Hoffnung eine ist mir noch geblieben: zergeht 
der Mauseberg gleich wie der Schnee, so will sie lohnen mir 
mit sussem Lieben. Wonach mein Herz begehrt, wird dann 
von ihr gewahrt, bau' ich ein Haus von Elfenbein, wohin sie 
will auf einen See und bring' ich ihr aus Galile den Berg, 
auf dem Herr Adam sass. Hei, hei, welch prachtiger Dienst 
war' das! — Ein Baum steht fern in India; schaff ich den 
grossen Baum ihr nah, so wird mein Wille gleich gethan. 
Sie will den heir gen Gral auch han, den Parzival gehutet 



251 



hat; des Apfels gert sie drauf zur Statt, den Paris Venus hat 
gegeben ; den Zaubermantel auch daneben, der nur den treuen 
Frauen passt. weh, ich bin ihr ganz verhasst, schafF ich 
ihr nicht die Arche rasch zur Hand, daraus Herr Noah Tauben 
hat entsandt" 1 ). Ein Epigone unsers mittelalterlichen Minne- 
gesanges, Herr Steinmar (1276 — 1294 nach seinen Liedern 
thatig), weiss sich mit eben so guterLaune tiber den Eigen- 
sinn seiner Geliebten hinwegzusetzen. Es ist humoristischer 
Spott tiber das ganze Minnetreiben. Er meint, es sei ein altes 
Mahre, ein Minnerlein sei recht ein Marteraere ; er aber wolle 
kein Martyrer werden und darum sich einemDienste zuwenden, 
der besser lohne. Statt der harten Geliebten wolle er fortan 
den Herbst preisen, und er ruft nun den Herbst an, sich seiner 
anzunehmen, er wolle ihn daftir im Liede gegen den Mai er- 
heben. Als Lohn bedingt er sich zehnerlei Fische, GSnse, 
Htihner, Schweine, Wtirste, Pfauen und welschen Wein. 
Schussel und Becher wolle er bis zum Grunde leeren und 
seinen Liebesgram damit heilen (MSHag. 2, 154). 

Nur wenige freilich wussten sich mit solcher Laune 
tiber das Liebesleid zu erheben. Die meisten wurden lieber 
Kitter von der traurigen Gestalt 2 ) und fanden ein Behagen 
darin, sich von den Launen ihrer verwOhnten Herrin urn ihre 
Jahre tauschen zu lassen und Spott und Qual aller Art zu 
ertragen. Als Beispiel dieser Liebesthoren kOnnen wir aus 
der deutschen Welt den vielbekannten steirischen Edelherrn 
Ulrich von Lichtenstein (t 6. Jan. 1275 Oder 1276) vorstellen, 
der ein langes Leben in dem Dienste einer ftirstlichen Frau 
verbrachte, welche ihr Spiel mit ihm trieb. Eine Tollheit be- 
ging er nach der andern, eine thOrichte Aufgabe nach der 
andern erfiillte er, um fortwahrend von der Dame, ihrer Um- 
gebung und seinen eigenen Leuten getauscht und verspottet 



a ) Minnesinger von v. d. Hagnn II, 91 b -— 93 a * Ein ganz ver- 
wandtes Gedicht des Tannhauser ebd. 92 a — 93- Vgl. auch das Gedicht 
des Taler, ebd. II, 147 b - 

2 ) Qui d'amor es ben feritz, mout deu esser escoloritz magres 
e teinz e flacs e vans et en als sia fort ben sans, Kom. de Flamenca. 
(Rayn. 1. rom. 1, 27.) Vgl. auch Chastiem. d. dam. 1039—1049. 



zu werden. Schon als junger Knabe hatte er sich die Dame 
seines Herzens in der edlen Frau erwahlt, deren Page er 
damals war. Bald war er so tief in dem Liebeswahn verloren, 
dass er mit Entzticken das Wasser trank, worin sich die Herrin 
gewaschen hatte. Mit den Jahren wachst seine Tollheit; er 
lasst sich seine allzubreite Oberlippe abschneiden, weil Sie es 
verlangt; er mischt sich einmal in die ekelhafte Schaar der 
Aussatzigen, um eine vorgespiegelte Zusammenkunft zu er- 
harren. Er lasst sich einen Finger, der bei einem Stechen zu 
ihrer Ehre besch&digt war, abhauen, weil sie die Wunde fur 
nichts grosses erkiarte. Als er ihr den Finger geschmflckt 
und in reichem Kastchen zusendet, bricht sie in Verwunde- 
rung aus, dass ein verstandiger Mensch solche Narrheit thun 
kOnne. Und dieser selbe Ulrich hat ein eheliches Weib auf 
seiner Burg, mit dem er in bester Eintracht lebt, das ihn 
liebend empfongt und ihn freundlich pflegt, wenn er einmal 
von seinen Landfahrten heimkehrt und das er auch wieder 
liebt. Aber zur Herrin tiber sich hat er, weil die Mode es 
verlangte, jenes Idol seiner Jugend gesetzt 1 ). 

Der in Offentlichen Dingen ttichtige und geachtete Mann 
wird ein Phantast, wo es sich um Kitterthum und Frauen- 
dienst handelt. Er zieht als Frau Venus verkleidet 2 ) turnirend 
und verschwendend durch die Lander; die Artusromane ver- 
wirren ihm sein Hirn und er merkt nicht, dass er eine gro- 
teske Figur geworden ist. In seinen Phantastereien meint er 
sich als echten, rechten Bitter zu bewahren; er ist ein ehr- 



x ) Ulrichs von Lichtenstein Frauenbuch und Frauendienst 
mit Anmerk. von Th. v. Karajan herausg. v. K. Lachmann. Berl. 
1841. (Ygl. tiber Ulrichs Verhaltnis zu seiner Ehefrau namentlich 
222, 1—27. 251, 22. 318, 25.) J. Falke, Geschichte des furstlichen 
Hauses Liechtenstein I, 57—124, Wien 1868. — Ich kann der Meinung, 
dass die Abenteuer Ulrichs ohne geschichtliche Wahrheit seien, nicht 
beitreten. Verstandig hat sich G-. Roethe in seinem Reinmar v. Zweter 
S. 36 Anm. hieruber ausgesprochen. 

2 ) Im Carneval tunirten einmal in Reggio nach Salimbenes 
Chronik maskirte Ritter in Frauenkleidern, die ihnen ihre Damen 
geliehen hatten. (Zuerst hat A. Schultz, H6f. Leben I, 578 diese 
Stelle angeftihrt.) . . 



253 



licher Narr, wenn er auch eine Caricatur seines Standes 
wird. 

Der Finger des deutschen Lichtenstein erinnert an eine ' 

ahnliche provenzalische Geschichte. Der Troubadour Guillem 

de Balaun hatte ein Liebesverhaltniss mit Guilhelma, der 

Frau des Herrn Peter von Javiac. In einer Laune fiel es ihm 

ein zu erproben, ob die Freude der VersOhnung mit der 

Geliebten das Gluck der ersten Liebesgewissheit iibertreffe, 

und er stellte sich also gegen die Dame erzurnt. Sie ver- 

suchte erst auf das zartlichste ihn zu besanftigen ; als es aber 

misslang, beschloss sie , den Querkopf seiner Grille zu ttber- 

lassen, und liess ihn schliesslich, als er selbst VersOhnung 

suchte, aus ihrem Schlosse werfen. Der Kitter gerieth in 

Verzweiflung , allein Guilhelma blieb standhaft und wollte 

von ihm nichts sehen noch hOren. Dies dauerte ein Jahr. 

Da erbarmte sich der beste Bitter der Gegend, Herr Bernart 

von Anduza, des trauernden und le'gte bei der Dame von 

Javiac eine Fiirsprache fur Balaun ein. Sie gab endlich nach 

und verhiess ihn wieder anzunehmen, wenn der Troubadour 

sich den Nagel seines kleinen Fingers ausziehen lasse und 

ihr mit einem Gedichte Qberreiche, worin er sich selbst wegen 

seiner Thorheit tadele. Dies geschah denn und Guillem von 

Balaun ward wieder zu Gnaden aufgenommen 1 ). 

Guillems verzweifeln und ganzliches sich fiigen lasst 
sich allenfalls erklaren, denn er ftihlte sich gegen seine Ge- 
liebte schuldig; allein der Beweis seiner Unterwerfung grenzt 
an Verriicktheit. Ein anderer Troubadour zeigt uns den roman- 
tischen Wahnsinn in noch strahlenderem Lichte. Peter Vidal, 
der Sohn eines Kttrschners in Tolosa (Toulouse), hatte sich 
trotz seiner btirgerlichen Herkunft sehr rasch in die adlichen 
Passionen gefunden und rechnete sich ausserlich zum Adel, 
seitdem er eine Griechin aus Cypern geheiratet hatte, welche 
von einem ostrOmischen Kaiser abstammen sollte. Er masste 
sich nunmehr kaiserlichen Titel an, meinte Anspruche auf 
das byzantinische Reich zu haben, und trieb diesen Unsinn 



x ) Die vida Guillems bei Raynouard, ChoixV, 180 ff. 



254 



langere Zeit fort. Der eigentliche Punkt seiner Tollheit war 
die Liebe. Er glaubte, dass jede Frau in ihn vernarrt sein 
mQsse, bat jede urn ihre Minne und jede sagte Ja, urn ihn 
zu verspotten. Am verrttcktesten aber ward er, da er sich 
in Loba von Carcasses verliebt hatte. Herr Peter wollte das 
Wappen seiner Herrin recht sichtbar fuhren, und liess sich 
also, da sie WOlfin (Loba) hiess, Wolf (Lop) nennen, zog einen 
Wolfsbalg an und lief heulend auf alien Vieren in den Bergen 
von Cabaretz herum. Leider verstunden sich die Hirten und 
ihre Hunde auf den Minnedienst schlecht und nahmen die 
Spielerei des armen Minnerleins sehr ernst. Sie hieben und 
bissen ihn als einen wirklichen Wolf, und richteten ihn so 
tlbel zu, dass er fur todt in das Schloss einer andern Dame 
seines Herzens, der Loba von Puegnautier, getragen ward. 
Dort wurden seine Wunden geheilt, sein Wahnwitz aber blieb 
ihm bis an sein Ende 1 ). 

Reinmar von Zweter, der ernste mannliche Spruch- 
dichter, ein wurdiger Nachfolger Walthers von der Vogelweide 
(t urn 1260), fasst seine Ansichten fiber das Verhalten der 
Frauen gegen ihre Bewerber in folgende Form 2 ): „K0nnte 
ich drei Wunsche thun, die sich erfullten, so wurde ich 
unsterblich werden. Zum ersten wollte ich wunschen, dass 
man von guten Frauen nicht zu viel sprache; zum zweiten, 
dass sie in rechter Art zu versagen und zu gewahren wussten, 
und dass sie thaten, was sie im Willen hatten, ehe man 
ihnen gram wfirde. Der dritte Wunsch ware, dass sie den 
guten Mann von dem falschen unterscheiden lernten. Welche 
Frau alles gerne anhOrt, was ein falscher Mann in schlechter 
Absicht von ihr wtinscht und die ihm darauf weder Ja noch 
Nein sagt, die affet ihn und macht sich selbst zur N&rrin". 

Zu einem Punkte in dem vorgefuhrten hoflschen Frauen- 
dienst wollen wir noch kurz zurttckkehren. Der Dienst gait 
iiberwiegend verheirateten Frauen, und er hatte in den 
allermeisten Fallen bei dem Manne als Ziel den ganzen, wenn 



J ) Mahn, Werke der Troubadours 1, 216 ff. 
2 ) Spr. 54. MSH. 2, 187*. 



255 



auch vorflbergehenden Besitz der Verehrten. Es war also ein 
unsittliches Verhaltniss. Leichtere Naturen halfen sich dariiber 
ohne Skrupel hinweg: es war Mode, und in der guten, ele- 
ganten Gesellschaft stunden alle, die etwas gelten wollten, 
in solchem Dienst. Nur musste die Ehre der Dame gewahrt 
werden, also Yerschwiegenheit und Vorsicht waren noth- 
wendig. Um dieser Ehre willen haben sich die Frauen auch 
gewOhnlich sprOde und abwehrend verhalten; tiefer angelegte, 
wenn sie den Dienst auch annahmen, haben gleich anfangs 
und wiederholt den Werbern erkiart, mehr als einen freund- 
lichen Gruss und ein giitiges Wort zu gewinnen, sollten sie 
niemals hoffen. Daftir geben die Lieder der Minnesinger Be- 
weise genug. Ubrigens kam auch den Mannern das Bewusst- 
sein der Stinde keineswegs ganz abhanden *) ; besonders wenn 
sie die Kreuzfahrt gelobt hatten, brach der Zwiespalt zwischen 
diesem Gottesdienst und dem Frauendienst, der eines Andern 
Weib begehrte, in ihrem Gewissen scharf hervor. „Dem kriuze 
zimt wol reiner muot und kiusche site*, dieser Satz, den 
Hartmann von Aue (M. Fr. 209, 25) in einem seiner Kreuz- 
lieder durchfilhrt, drangte sich auch in die Seele von andern 
Frauenrittern, und wenn ihnen auch weniger das ganze 
Bewusstsein der Stlnde kam, so erschien ihnen der Dienst 
in der ernsteren Stimmung doch als eine Thorheit. Auch 
das Versagen des Lohns durch die Herrin bringt sie zum 
Entschluss, nur einem Herrn zu dienen, der zu lohnen weiss, 
namlich Gott im Himmel (Hausen, M. Fr. 46, 19—38. Keinmar, 
ebd. 154, 2). 

Freilich wird die Weltentsagung auch nur gelobt auf 
die Zeit der Kreuzfahrt. „Wenn ich die reine Gottesfahrt 
beendet habe, dann sei mir wieder willkommen, Frau Minne!" 
sang Albrecht von Johannsdorf (M. Fr. 94, 30). 



Es konnte nicht fehlen, dass der ritterliche Frauendienst 
auf den Liebesverkehr in den unritterlichen Kreisen Einfluss 
gewann. In dem kleinen Liebesroman in Briefform, den die 



J ) Hornoff, Germania 34, 92—105. 



266 



drei lateinischen Tegernseer Briefe (S. 136 f.) wenigstens be- 
ginnen, hebt das schreibende Madchen dem Geliebten gegen- 
(iber, der sie vor den Rittern als vor Ungeheuern (a por- 
tentis) gewarnt hat, hervor, dass sie sich vor ihnen wahren 
werde. Bei aller treuen Liebe zu ihm milsse sie aber doch 
sagen, dass die Ritter die Gesetze des hoflschen Lebens gaben 
und abten, und dass sie Quell und Ursprung aller Ehre und 
Wiirde seien (ipsi enim sint per quos ut ita dicam reguntur jura 
curialitatis. ipsi sunt fons et origo totius honestatis. M. Fr. 
222, 46 f.). In reichen und freien Bauernlandschaften, wie in 
Niederbayern und Osterreich, in denen es die Jugend den vor- 
nehmen Leuten gerne nachthat und zwischen Rittern und 
jungen Dirnen manche Liebschaft, zwischen reichen Bauern 
und armen Fraulein manche Ehe geschlossen ward, wie die 
Neithartschen Lieder, Strickersche Gedichte und Wernhers 
Meier Helmbrecht bezeugen, hat der ritterliche Frauendienst 
auch baurische Nachaffung gefunden. Da gab es natiirlich 
Caricaturen der wunderlichsten Art, die von der hOfischen 
Gesellschaft mit Behagen verspottet wurden. Wenn ein derber, 
kraffciger Bauernbube den schmachtenden und von sehnender 
Noth verzehrten spielte, musste er das hellste Gelachter er- 
wecken. Ein niederOsterreichischer ritterlicher Dichter, Gteltar 
mit Namen, dichtete folgende Verse (MSH. n, 173*): 

Hatt' ich 'nen Knecht, der von der Herrin sange, 

der musste ihren Namen deutlich nennen mir, 

dass niemand glaubte, er umbuhl , mein Weib. 

He Alram, Ruprecht, Friedrich, Mergersdorfer ihr! 

was soil man zutraun euch, dass ihr die Herrn so afffc? 

Grings nach Gerechtigkeit, so gings euch an den Leib. 

Ihr seid zu fett fur eure Liebesklagen ! 

Wer also minnejammert, kann es, wenn's ihm Ernst, 

kein ganzes Jahr lebend'gen Leibs ertragen. 
Neithart von Reuenthal hat sich diese komischen Ge- 
stagen ausersehen. Er „fuhrt uns 1 ) ganz und ohne fremde 
Beimischung das baurische Leben vor, und je mehr wir uns 
hier heimisch fOhlen, desto schlagender ist das komische, 
wenn irgend ein hervorstechender Zug uns plOtzlich an den 



!) R. v. Liliencron in Haupts Z. f. d. A. VI, 107. 



257 



verkappten wirklichen Gegenstand des Spottes mahnt, wenn 
aus dem getreuen Bild des plumpen Bauers das ebenso getreue 
des durch diese Ahnlichkeit doppelt witzig verspotteten Hof- 
herren hervorblickt". 

Im ganzen bewahrte die eingeborne gesunde Natur die 
Landjugend vor nachgeahmten Minnethorheiten, wie die Neit- 
hartschen Tanzlieder uns am sichersien beweisen. Der'unge- 
zwungene Verkehr der ledigen jungen Leute im Sommer auf 
dem Anger und den bltihenden Auen, im Winter in den Stuben 
liess sentimentale Uberspannung nicht gedeihen. Es bedurfte 
keines langen Dienstes, um der anerkannte Geliebte des be- 
gehrten Madchens zu werden, keines solchen Aufwandes, wie 
die Eitter fur ihre Ausrtistung mit elegantem Gewande (Minne- 
lehre 477 flf.), fur ihre Abenteurerfahrten und auch fur Ge- 
schenke a ) an die Damen machen mussten. Ein Giirtelriemen, 
ein Handspiegel, ein Haarband, ein Ringlein gewannen leicht' 
den Dank. Und wenn es heute eine Forderung der Land- 
madchen ist, dass die Burschen zu bestimmten Tagen — 
wie am Johannistag Oder zum weissen Sonntag, an dem 
nach der ernsten Passionszeit und dem hohen Osterfest zum 
ersten Male wieder in Bay era getanzt werden darf — sie 



*) z. B. Herbort 11411—16. — Die Frage ;j quas res deceat coa- 
mantes a coamantibus recipere" beantwortet Andreas Capellanus 
Erotica 0. 4 b ff. (Dortmunder Ausg. v. 1614): amans quidem a coa- 
mante licenter hoc accipere potest, scilicet ornata capillorum liga- 
mina, auri argentique coronam, pectoris fibulam, speculum et cin- 
gulum, marsupium laterisque cordulam, lavamenta, vascula, reposi- 
toria, vexilla caussa memoriae et ut generali sermone loquamur, 
quodlibet modicum datum, quod ad corporis potest valere culturam 
vel aspectus amoenitatem, vel quod potest coamantis afferre memo- 
riam, amatis poterit a suo percipere coamante, sed tamen dati 
acceptio omni videtur avaritiae suspicione carere. In der franzosischen 
Bearbeitung (auszuglich von F. Wolf in den Wiener Denkschriften 
XIII, 189) werden unter den joiaux que se coviens as fames auch 
. angefiihrt romanz, cobles, chancon por qu'eles parleront a lor amanz 
et il a eles lisanz aus. — Unter den tredecim principalia amoris 
praeceptis des Andreas Capellanus ist die erste: Avaritiam sicut 
nocivam pestem effugias et ejus amplectens contrarium. 

Weinhold, Deutsche Franen. I. *■ 



zum Meth ftthren und ihnen die SchOne und die Starke zahlen, 
d. h. einen Trunk spenden, der ihnen SchOnheit und Gresund- 
heit fiir das Jahr verburgt (Schmeller, Bayr. WOrterb. 3, 369), 
so werden wir ahnlichen Brauch schon far die alte Zeit ohne 
Kilhnheit annehmen durfen. 

Das Liebesleben des Landvolkes steht vielfach mit den 
uralten Jahresfesten, mit dem durch den Kultus gegliederten 
Naturleben in Zusammenhang. Namentlich bei den Friihlings- 
festen lasst sich das erkennen. Wie in der Poesie nicht bloss 
bei uns, sondern tiberall Friihling und Liebesfreude, Winter 
und Liebesleid sich verbinden, so sind die hohen Zeiten der 
knospenden und aufbltihenden Natur auch die Feste der Liebe 
zwischen Mann und Weib. 

In dem alten Frankengebiete : in Hessen, an der Ahr, 
auf der Eifel, im JQlichschen und Bergischen Lande, in der 
Rheinpfalz, in der Wetterau herrscht die Sitte des Mailehens *). 
Am Vorabende zum 1. Mai werden hier und da bei dem lodern- 
den Maifeuer die Madchen des Dorfes von den versamraelten 
Burschen als Mailehen ausgerufen und werden entweder be- 
stimmten Burschen durch den Ausrufer zugetheilt oder an 
den meistbietenden versteigert. Sie tanzen dann mit ihrem 
Partner den ganzen Sommer fiber. Das Madchen schmiickt 
den Hut des Burschen mit einem Strauss und er setzt ihr 
einen Maien auf den Giebel des Hauses oder legt ihr den 
nachsten Sonntag nach der Ersteigerung einen Blumenstrauss 
auf ihren Kirchensitz. Die Madchen heissen Mailehen, Mai- 
frauen, frtiher auch Maibuhlen. Dass aus der Mailehenschaft 
nicht selten Verehelichung des Paares folgt, begreift sich 
wohl. Im 15. Jahrhundert ist auch im schwabischen und 
alemannischen Lande ein ahnliches Verhaltniss in vorrieh- 
meren Kreisen Brauch gewesen: in den Badegesellschaften 



!) Mannhardt, Wald- und Feldkulte 1, 450 ff. W. Menzel in 
Pfeiffers Germ. I, 65. — Das Mailehen ist nach der rechtlichen Seite 
hin eine spielende Nachbildung des Eechtes des Landesfursten, Ver- 
heiratungen nach Gutdiinken zu verfiigen, vgl. Grimm, Rechts- 
alterth. 436 ff. 



259 



waren Maienbuhlschaften ein geselliges Spiel 1 ). Andeutungen, 
dass solche sommerliche Verbindungen schon friiher bestunden, 
fehlen nicht (M. S. H. Ill, 21 7 a ). 

Von diesen sommerlichen Parchen haben wir die Mai- 
braut und den Maibrautigam zu scheiden, die im alten Sachsen 
und in Thiiringen in Pflngst- und Maigebrauchen 2 ) als Erinne- 
ruhgen an uralte heidnische Sommerfeste sich erhalten haben, 
an denen der Einzug des heiteren Himmelsgottes mit der br&ut- 
lichen ErdgOttin unter dem Jubel der Menschen begangen 
ward. 

Die Sitte, in der Walpurgis- oder in der Pfingstnacht 
Maien zu Ehren geachteter Madchen des Dorfes oder als 
Liebeszeichen vor das Fenster, die Thttr, auf den Hausgiebel 
der Geliebten zu setzen, ist weit iiber das deutsche Land 
verbreitet und auch in England, Frankreich, Italien bekannt. 
Es ist eine junge Birke oder Linde oder auch eine Tanne, 
die gleich den „Sommerb&umchen" mit Goldflittern, bunt en 
Eiern, Bandera und gemachten Blumen geschmuckt ist 3 ). 

Wenn das Mailehen hier und da beim lodernden Mai- 
feuer gehalten wird, so erinnert das an andere Brauche, die 
bei den alten heiligen Feuern der Frtthlings- und Sommer- 
feste bestehn. In Ober- und Mederbayern, in der Oberpfalz, 
im Erzherzogthume Osterreich springen die ledigen jungen 
Leute paarweise (gewOhnlich sind es die erkiarten Liebes- 
paare) durch das Johannisfeuer, um Gedeihen des Flachses 
und bleibende Gesundheit damit zu erreichen. Im Egerlande 
stellen sich die Burschen und Madchen um den brennenden 
Johannisbaum reihenweise auf und schauen sich durch die 
Kranze an, welche die Burschen von dem Baume zuvor 
herabgeholt haben. Sie wollen damit erforschen, ob sie sich 

1 ) Mannhardt a. a. 0. I, 454, wo sich auch iiber die iihnlichen 
franzosischen und englischen Sitten (in England am Valentinstag) 
Mittheilungen linden. 

2 ) Mannhardt I, 431 ff. 

3 ) Die Zusammenstellung bei Mannhardt, W. F. Kulte 1, 163 ff. 

17* 



2*0 



einander treu bleiben und heiraten werden. Sie werfen sich 
dann dreimal die Kr&nze durch das Feuer zu 1 ). 

Bei dem Scheibenschlagen, das heute noch in Aleman- 
nien, Schwaben, Elsass, Westtirol, Oberbayern und Karnten, 
frtther (11. Jahrhundert) auch in Khein- und Ostfranken zu 
verschiedenen Zeiten — sowohl in der Fastenzeit und zu 
Ostera als zu Johannis — bei den brennenden Jahresfeuern 
von den Burschen getrieben wird*), schlagen sie die bren- 
nende Scheibe zu Gunsten ihrer Schatze. Das gltthende Sinn- 
bild der aufsteigenden Sonne soil ihnen Gluck bringen. 

In jenem Brauche aus dem Egerlande scheint der Kranz 
Symbol des Sonnenrades; zugleich hat er aber als Schmuck 
des Sommerbaumes , an dem ihn jedes Madchen ftir seinen 
Geliebten aufgehangen hatte, die alte Bedeutung einer Ehren- 
gabe. Von der Geliebten ein Kranzlein zu erhalten, war von 
je die Bemuhung der werbenden Junglinge gewesen. Heinrich 
Seuse, der poesiereiche Mystiker (t 25. Jan. 1366 in Ulm), 
erzahlt, dass in seiner Heimat Schwaben an manchen Orten 
zu Neujahr die Gewohnheit war, dass die Jiinglinge in der 
Nacht vor den Hausern ihrer Liebsten Lieder sangen und 
Spruche sprachen, um daftir ein Kranzlein von ihnen zu er- 
halten 8 ). Von solchen Sprtlchen und Liedern um den Kranz 
als Liebeszeichen ist manches aus dem 15. und 16. Jahr- 
hundert auf uns gekommen 4 ). 

In den heiligen Zeiten des Jahrs, vorzUglich zur Winter- ' 
sonnenwende, haben die Madchen den Wunsch, den kttnftigen 



1 ) Mannhardt a. a. 0. 1, 464. 466. tTber einen russischen Brauch, 
dass sich die Paare durch die kranzartig verflochtenen Zweige einer 
Maienbirke kiissen, ebd. 434. 

2 ) Mannhardt a. a. 0. 465. Lexer, K&rnt.W6rterbuch215. Fr.Vogt 
in d. Z. d. Vereins f. Volkskunde 3, 349-369. 4, 195 f. 

3 ) Seuses Exemplar 1, 1. c. 10 (Ausgabe der deutschen Schriften 
Seuses v. Denifle I, 40). Acta SS. Jan. II, 658. 

4 ) Kellers altdeutsche Erzahlungen, SL 475 f. (am Schluss im» 
vollstandig und mit einem andern Gedicht vermischt). — Uhland, 
Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder, Nr. 2. Fr. Bohme, Alt- 
deutsches Liederbuch, Nr. 271. 281; eine geistliche Umdichtung, 
Nr. 288. 



261 



Gatten wenigstens im Schattenbilde zu schauen, oder zu er* 
lauschen, woher er kommen werde, von uralter Zeit zu be- 
friedigen gesucht. Die heute noch ilbiichen Gebrauche des 
Andreasaben.ds, der Thomas- und Kristnacht, des Sylvesters 
stammen aus heidnischen Riten und Zauberwesen *). Sie 
werden sich wohl erhalten, so lange ein Madchenherz schlagt. 



Wenn wir bemerken, dass der Norden Deutschlands an 
der hOfischen Lyrik und damit an der kunstmassigen Liebes- 
poesie des 12. und 13. Jahrhunderts so gut wie nicht Theil 
hat; wenn wir ferner sehen, dass der anglonormannische Adel 
Britanniens trotz der Bekanntschaft mit sud- und nordfran- 
zOsischer Lyrik keine Lust zur Nacheiferung zeigt, und dass 
in England nur in dem Kreise der fahrenden Kleriker, die mit 
der lateinischen Goliardenpoesie und franzOsischer Erotik ge- 
tr&nkt waren, das Liebeslied frisch hervorbricht 2 ), so werden 
wir um so weniger erwarten, in Skandinavien den Frauen- 
dienst und seinen Liedern zu begegnen. 

Das Ritterleben hat hier keinen Boden gewonnen und 
ritterlicher Frauendienst ist demnach nicht gepflegt worden. 
Freilich konnte die Liebe nicht ganzlich der Poesie fremd 
bleiben, aber sie hat doch nur einen sehr geringen Rang 
unter den dichterischen Motiven. Der Mann und sein Kampf 
um Leben und Recht herrscht durchaus. Das Altnordische 
hat indessen fur das Gedicht auf ein Madchen, filr das Liebes- 
gedicht, ein besonderes Wort: manspngr. Wir lesen auch in 
der Snorra-Edda von GOttin Freyja, dass der manspngr bei 
ihr in grosser Gunst stund (Sn. E. Arn. Magn. 96, 20) ; aber 
es war den Dichtern, welche auf eine bestimmte SchOne 
Verse machten, sehr zu rathen, dass sie vor der VerOffent- 
lichung sich die Erlaubniss der Familie des M&dchens ver- 
schafften, denn sonst trafen sie sehr uble Folgen. Auf Island 



1 ) Wuttke, Der deutsche Aberglaube der Gegenwart, §§. 348. 
352. 358-365. Grimm, Mythol. 1071. Weinhold, Zur Geschichte des 
heidnischen Ritus (Berlin 1896), S. 6 f. 

2 ) Ten Brink, Geschichte d. englischen Litteratur 1, 204 f., 379 f. 



262 



stund Friedlosigkeit (sk6ggangr) darauf, wenn jemand ein. 
Liebeslied auf ein Madchen machte (Grdgas vigsl. 106) ; dann 
trat zuglei'ch einer der Faile ein, in denen das Madchen eine 
gewisse bilrgerliche Selbstandigkeit genoss. War es namlich 
zwanzig Jahre oder darflber, so lag die Klage in seiner eigeneii 
Hand; waresjanger oder wollte es nicht klagen, so musste 
der Vormund den. Process erheben. Die strenge Strafe konnte 
durch Geld abgelOst werden, allein der Satz war sehr hoch. 
Ich will ein paar Beispiele dieses Verbrechens erzahlen. — 
Der Islander Ingolfr, Thorsteins Sohn, hatte ein Liebes- 
verhaltniss mit Walgerdr, Ottars Tochter. Beide Vater sahen 
den Verkehr ihrer Kinder nicht gerne und dem Ingolfr ward 
der Besuch der Geliebten untersagt. Da machte er ein langes 
Liebesgedicht auf Walgerdr, und obschon die Poesie in Ottars 
Hause beliebt sein sollte, da sein Sohn Hallfredr vandraettar- 
skald einer der bedeutendsten Skalden war, so wurde doch 
dieser Liebesgruss sehr schlecht aufgenommen. Ottar ver- 
klagte den *Dichter. Die Folge war, dass Thorstein eine be- 
deutende Busse fur den Sohn zahlen musste; dagegen ver- 
stund sich Ottar dazu, sein Gut zu verkaufen, in eine andere 
Landschaft zu Ziehen und dadurch den Grund zu ferneren 
Processen aufzuheben (Fornmannas. 2, 13. 14). 

Auch in den andern skandinavischen Landern wurden 
die verliebten Sanger verfolgt. Der Skald Ottar der schwarze 
hatte ein Gedicht auf Astridr, die Tochter KOnig Olafs von 
Schweden, gemacht. Er wurde deshalb eingesperrt und sollte 
am dritten Tage hingerichtet werden. Aus dieser bedenk- 
lichen Lage rettete ihn sein Freund Sighvatr, der ihm rieth, 
ein Lobgedicht auf den KOnig zu machen. Als nun Ottar 
zum Tode gefilhrt wird, singt er vor Olaf und Astridr noch 
einmal als Schwanengesang jenes verderbliche Lied, kntipft 
aber rasch das Lobgedicht auf den KOnig an, das seine Wir- 
kung nicht verfehlt. Olaf schenkt ihm nicht nur das Leben, 
sondern auch als hergebrachte Sangergabe einen King und 
Astridr reicht ihm einen Fingerreif (Fornmannas. 5, 173—175). 

Mit dem Willen des Madchens und seiner Verwandtschaft 
war freilich ein manspngr gestattet. Der Skald Thormoclr 



hatte einen halben Monat im Hofe der Witwe Katla in Arna- 
dal im Bulungarwik auf Island verweilt. Als er scheiden 
wollte, dichtete er ein Lobgedicht auf die schOne Tochter 
des Hauses, Thorbiorg kolbrun, und trug die Strophen vor 
grosser Gesellschaft vor. Katla zog darauf einen schweren 
goldenen Eing vom Finger und ttberreichte ihn dem Dichter 
als Dichterlohn und zugleich als Namensgeschenk, denn sie 
gab ihm den Beinamen Kolbninarskald. Diesen Beinamen 
fiihrte Thormoctr fortab. Als er in seine Heimat kam, be- 
suchte er ein Madchen, das er fruher verehrt hatte, Thordis, 
Tochter der Grima. Er fand kalte Aufnahme und spitze 
Keden fur seine Kolbrunweisen. Er spielte da ein schlechtes 
Spiel; sagte, das Gedicht habe er eigentlich auf Thordis ge- 
macht und anderte nun die Strophen zu Lobversen auf die 
alte Geliebte urn. Aber nach einiger Zeit tr&umte ihm, Kol- 
brun trete zu ihm, schelte ihn ob seiner Falschheit und 
drohe ihm mit Erblindung, wenn er nicht Offentlich ihr 
Eigenthum zurQckgebe. Da er beim erwachen b6se Augen 
hat, ger&th er in Angst, und auf Rath seines Vaters beruft 
er eine Versammlung, gesteht hier seine Schuld und stellt 
die Kolbrunweisen wieder her. Darauf heilen seine Augen 
(Fostbroedras. A. c. 11. Landnamab. II, 25). 

Mit dem Namen manspngr werden auch die lyrischen 
Einleitungen zu den balladenartigen Dichtungen, den rimur, 
bezeichnet, in welchen die Dichter des 14. Jahrhunderts ihre 
persOnliche Stimmung und ihre Lebens- und Herzenserfah- 
rungen aussprachen 1 ). 

In der Weise aller dieser Dichtungen lag durchaus nichts 
sittlich anstOssiges oder verletzendes ; sie haben keine Spur 
von der weichen Sinnlichkeit der romanischen und deutschen 
Minnelieder, sondern sind ganz aus dem nordischen Geiste, 
mehr eine tJbung des Scharfsinns im Zusammenschichten 
schwerer Bildungen und Vergleichungen als ein Erzeugniss 



2 ) Ober den mansGngr Th. Mobius in dem Erganzungsband 
der Zeitschr. f. deutsche Philologie 42 ff. K6lbing iiber den mans6ngr 
in den island, rimur in seinen Beitragen zur vergleichenden Ge- 
schichte der romant. Poesie 143 ff. 



2M 



der Leidenschaft. Es war aber dem altgennanischen Sinne 
zuwider, dass ein zarteres Gefuhl an die Offentlichkeit gestellt 
werde (Germ, c. 27. Adam gest. Hamab. eccl. pontif. IV, 9) ; 
man empfand es wie eine Entweihung der inneren Friedstatte. 
Ausserdem erschien das Offentliche Lob eines Madchens der 
Familie desselben wie eine Verletzung des Hausrechtes, wie 
eine rechtswidrige Anmassung, welche gebtlsst werden musste. 
Das Verbaltniss zwischen Mann und Weib hielt sich im 
Norden frei von romanischem Einflusse. Das Madchen ward 
nicht Gegenstand einer weichlichen phantastischen Anbetung, 
aber sehr oft das Ziel inniger Liebe. Die Geschichten der 
nordischen Dichter imd Helden unterscheiden sieh also aufs 
scharfste und zu ihrem Vortheile von den Erlebnissen der 
Troubadours. Wer kOnnte die Geschichte des Skalden Gunn- 
laug Schlangenzunge lesen 1 ), ohne innig ergriffen zu werden? 
Dieser rauhe, harte Mann, der wie die Nordlander alle als 
Feind blutig und grausam war, tragt eine heisse, feste Liebe 
sein Leben lang im Herzen, die uns mit ihm versOhnt; sie 
ist rein wie Islands Schnee, und weder auf ihn noch auf seine 
geliebte Helga f&llt der matteste Schein unrechter Vertraulich- 
keit. Wir haben auch noch von andern nordischen Dichtern 
ausfiihrliche Lebensbeschreibungen ; aber uberall, wo ihre 
Liebe beruhrt wird, tritt derselbe reine Glanz altgermanischer 
Sittenstrenge hervor, der sich in Deutschland leider damals 
schon verdunkelt hatte. Die Frauen stunden auf keiner ein- 
gebildeten HOhe, aber auf einem festen und sichern Boden, 
auf dem sie uberdies sich selbstandiger bewegten, als der 
Buchstabe der Gesetzbucher aussagt. 



*) Aus dem islandischen Urtext iibertragen von Eug. Kolbing. 
Heilbronn 1878. — Eine poetische Erneuung ist: Schon Helga und 
Gunnlaug, von A. Edzardi. Hannover 1875. 



Seehster Absehnitt. 



Die Vermahlung. 

Unsere Aufgabe ist in diesem Absehnitt, tiber die Ein- 
gehung der altdeutschen Ehe zu handeln. Verlobung und 
Trauung nach heutigem. Ausdruck werden hauptsachlich 
Gegenstande unserer Darstellung. 

Die altesten rOmischen Berichterstatter tlber germa- 
nische Zustande, Casar und Tacitus, stimmen darin uberein, 
dass die Deutschen erst in reiferem Alter sich verheirateten. 
Casar sagt (de bello gall: 6, 21), wie die ganze Erziehung 
des Mannes bei den Germanen von frtih an auf Abhartung 
und Kraftigung gehe, so sei es auch ein grosses Lob bei 
ihnen, lange keusch zu bleiben, denn dadurch werde der 
Leib gross und gestahlt. Vor dem zwanzigsten Jahre mit 
eihem Weibe zu thun zu haben, gelte als hOchste Schande. 
Und Tacitus sagt im Anschluss hieran (Germ. 20), dass die ' 
Junglinge den geschlechtlichen Genuss spat kennen lernten, 
daher komme auch ihre unerschOpfte Jugendkraft. Auch die 
Madchen eilten nicht zur Ehe. Gleich an Alter und KOrper 
seien, die sich ehelichten, und die Kinder bezeugten dann die 
Kernigkeit der Eltern. Die Germanen stehn also nach diesen 
rOmischen Zeugen in Bezug auf das Alter der Eheschliessung 
auf dem Stande der cultivirtesten VOlker ; auch die geogra- 
phische Lage Germaniens hat wohl mitgewirkt '). — Die Sitte 
spaten Heiratens hat sich noch lange in unserm Volke ge- 
halten und ist erst, wie es scheint, gegen das 13. Jahrhundert 
verkommen. Der Dichter der Dietrichsflucht sagt (v. 160 — 187), 



J ) tfber das Heiratsalter bei den verschiedenen VOlkern: Ploss- 
Bartels, Das Weib in der Natur- und Volk^rkunde I», 386 f. 



260 



dass vor seines Helden Dietwart Zeit weder Mann noch Weib 
friiher als mit dreissig Jahren habe heiraten dilrfen. Leider 
sei dies nun nicht mehr Sitte und die Folgen zeigten sich 
an der Welt 1 ). Ganz ahnlich klagt fast drei Jahrhunderte 
spater Johannes Murner in seinem Gedicht von Eelichs Stadts 
nutz und beschwerden (d. vj. rw.). 

etwan was es ubel gethou, 

so ein junlcfrau nam ein man, 

das nit zum minsten drissig jor 

was alt, sag ich dir offeribar. 

Jetz nemen zwei einauder geschwind, 

die beid nit drissig jor alt sint, 

das 8chendlich ist der geistlicheit 

zu dulden on gross underscheit, 

als oft geschicht deii fursten herren, 

domit man mug die krieg erweren, 

das schlechten liiten nit zustot, 

und bringt in darzuo jammer und not. 

Das reifere Alter der Frauen empfiehlt auch ein Spruch : 
Ein Maidlein von 10 Jahren ist ein Weintraub, 
von 20 Jahren ein Most, 
von 30 Jahren ein Wein, 
von 40 Jahren ein Essig 2 ). 
In Italien war noch im 13. Jahrhundert das dreissigste 
Jahr fur Manner und Frauen das Alter, in dem sie die Ehen 
einzugehn pflegten 8 ). 

Wenn nun auch die Volksmeinung sich hiernach fttr die 
Eheschliessung im reifen Alter beider Theile von sehr alter 
Zeit her bis tiber das Mittelalter hinaus erweist, so sind die 



2 ) Die Annahme einer Erinnerung an Tacitus ist ganz aus* 
geschlossen. Die dreissig Jahre galten als das Heiratsalter der guten 
alten Zeit, wie sich auch aus Egberts v. Liittich Fecunda ratis 1161 
ergibt, der mit Bezug auf friihe Heiraten ausruft: Olim ter denis, 
nunc denis nubitur annis. 

2 ) Hs. 342 der SchemTschen Bibl. im German. Museum in 
Nurnberg. In den wenigen anderen Spriichen tiber das Lebensalter 
der Frauen heisst es nur: XXX Jar im haus die Frau: Wackernagel, 
Die Lebensalter, S. 33. 37. 

3 ) Ricobald. Ferrar. bei Muratori IX, 138. 



267 



zusammengesetzteren Verhaltnisse hamentlich in den hoheren 
Volksschichten und der Einfluss rOmischen Eechts so bedeu- 
tend geworden, dass die Gesetze grosse Veranderungen in der 
Feststellung des rechtlich zulassigen Alters der Madchen zur 
Verheiratung .aufweisen. Das zwOlfjahrige Madchen kann wie 
nach rOmischem Recht, so auch bei den Langobarden (1. Liutpr. 
12. 112) verheiratet werden. Im Schwabenspiegel (Lassb. 55. 
Landr.) und in dem friesischen Westerlawer Gesetz gilt das- 
selbe Alter 1 ). Weistumer (Wt. 1, 311) setzen 14 Jahre bei 
leibeigenen Madchen als zul&ssig an. In Norwegen scheint tnan 
15 Jahre als gewOhnliches Heiratsalter anzunehmen (Frostath. 
11, 18. Fornmannas. 2, 21). 

Politische Riicksichten oder auch aus Besitzverh&ltnissen 
entspringende Wtlnsche haben auch zu Ehen ungleichen 
Alters -verleitet. Meist war, nach vorliegenden gesetzlichen 
Verboten, die Braut erwachsen, der Brautigam ein Kind 2 ). 
Das gab zu den grOssten Misstanden Anlass. Hauflg wurden 
in Furstenhausern schon Kinder mit einander verlobt und 
auch zusammengegeben. Die deutsche Geschichte kennt Bei- 
spiele genug. Aus Skandinavien sei erwahnt, dass KOnig 
Magnus der Barfiissige von Norwegen seinen neunjahrigen 
Sohn Sigurd mit der fttnfjahrigen Biadmynja, Tochter eines 
irischeh KOnigs, vermahlte (Fornmannas. 7, 50). 

In den stadtischen Geschlechtern Deutschlands wurden 
die Ehen nicht selten wie im hohen Adel sehr jung ge- 
schlossen, so in Nilrnberg wahrend des 15. Jahrhunderts. 
Anna Stromer heiratete im Alter von vierzehn Jahren, ward 
mit sechzehn Mutter und gebar in den nachsten neun Jahren 
acht Kinder 8 ). Wie sehr Verheiratungen in unreifem Alter in 
Luzern Ende des 14. Jahrhunderts eingerissen waren, beweist 



!) Markgraf Liuthar heiratete die zwolfjahrige Godila; Mark- 
graf Siegfried, Geros Sohn, ein dreizehnjahriges Madchen, Thietmar. 
Chron. IV, 39. VIII, 3. Andere Beispiele bei Wackernagel zum Armen 
Heinrich v. 225. 2. A. 

2 ) 1. Wisigot. Ill, 1. 4. 1. langbb. Karoli c. 145. Hludov. II. conv. 
Ticin. 850. 

3 ) Chroniken der deutschen Stadte 1, 68. 



der strenge Rathsbeschluss, wonach Ehen mit BilrgerssOhnen 
unter achtzehn und mit TOchtern unter fQnfzehn Jahren mit 
funfjahriger Stadtverweisung des Paares und mit Einziehung 
desVermOgens des unreifen und unmtadigen Theils bestraft 
wurden. Alle, die darum gewusst hatten, mussten das Stadt- 
gebiet zwei Jahre meiden. Fremde bassten mit ewiger Stadt- 
verweisung 1 ). 

In der schwabischen Reichsstadt Memmingen war noch 
im 18. Jahrhundert durch Tit. VII der Zunftordnung das zu- 
lassige Heiratsalter der BtirgersOhne auf mindestens zwanzig, 
der TOchter auf achtzehn Jahre bestimmt*). Es weist dies 
alles darauf hin, dass jene altgermanische Sitte, erst mit den 
Jahren zu heiraten, in denen der Mann durchaus in voller 
Blilte, das Madchen aber bereits fiber die Jugendfrische hinaus 
ist, abgekommen war, nachdem die gesellschaftlichen Ver- 
haltnisse sich mannigfacher gestaltet hatten. Das Sprichwort : 
Jung gefreit hat niemand gereut, wurzelt in dieser Neigung 
des spateren Mittelalters, fruh in den Ehestand zu treten. 

Bevor ich uber die Ehe weiter handle, will ich dieselbe 
durch Bruder Berthold von Regensburg, den berOhmten Fran- 
ziskanerprediger (t 13. Dec. 1272), empfehlen lassen. Er hat 
in einer Predigt uber die zehn Gebote von den Gefahren der 
Ehelosigkeit gesprochen und fahrt also fort: „ Darum, du junge 
Welt, geh schleunig in starker Busse in dich und zur Ehe 
Oder mit der Ehelosigkeit auf den Grund der HOlle. „Bruder 
Berthold, ich bin noch ein junger Knabe und die mich gem 
nahme, die will ich nicht, und die ich gern nahme, die will 
mich nicht." Nun, so nimm aus allerWelt eine zur Ehe, mit 
der du recht und gesetzlich lebest. Willst du die eine nicht, 
so nimm die andere ; willst du die kurze nicht, so nimm die 
lange; willst du die lange nicht, so nimm die kurze; willst 
du die weisse nicht, so nimm die schwarze; willst du die 
schlanke nicht, so nimm die dicke. Nimm dir nur eine Ehe- 
frau aus aller Welt. „ Bruder Berthold, ich bin noch arm und 



!) Segesser 2, 434. 

2 ) Walch, Beitr. z. deutsch. Recht 2, 301. 



habe nichts." Es ist weit besser, dass du arm zum Himmel- 
reich fahrest als reich zur HOlle. Du wirst noch schwerer 
reich in der Ehelosigkeit als in der Ehe. „Bruder Berthold, 
ich habe mein Brot noch nicht." Ich hOre wohl, du willst 
die Ehe nicht. Da du nun die Unehe haben willst, so nimm 
dir wenigstens nur eine einzige zur Unehe. Nimm dieselbe 
an die. eine Hand und den Teufel an die andere, und nun 
geht alle drei mit einander zur HOlle, wo euch nimmer ge- 
holfen wird" (I, 278. Pfeiffers Ausgabe). 



In dieser Eede des Minderbruders Berthold ist die Un- 
ehe, die ungesetzliche Verbindung, der Ehe, der gesetzlichen 
Vereinigung von Mann und Weib, entgegengestellt. Ehe 
(ahd. ewa, ea, mhd. ewe, 6) heisst Gesetz, rechtliche Ein- 
richtung, Recht : daraus ist erst die uns gel&ufige Verwendung 
des Wortes abgeleitet, die eben dadurch schon sprachlich den 
Rechtsboden bezeichnet, auf dem die Grundung des Haus- 
wesens nach deutscher Anschauung beruht. Unser altester 
Gewahrsmann uber die Eheschliessung der Germanen, Tacitus, 
kennt denn auch nur eine Rechtsform der Heirat und hat 
nichts von dem Frauenraub als einer anderen Form zu be- 
richten. 

Durch die vergleichende Rechtsgeschichte ist darauf hin- 
gewiesen worden, dass die arischen VOlker vor der durch Ver- 
trag zwischen den Sippen von Mann und Frau geschlossenen 
Ehe (der Kaufehe) die Raubehe gehabt hatten 1 ), dass also die 
gewaltsame Entfuhrung eines Madchens, mit Oder ohne dessen 
Einwilligung, jedenfalls gegen den Willen ihrer Familie, die 
gewOhnliche Weise, sich eine Frau zu verschaffen, gewesen 
sei. Was die Inder, die Griechen, die Romer und auch die 
Germanen betrifft, so sind hOchstens Erinnerungen an diese 
rechtlose, rohe Form nachzuweisen ; bei slavischen St&mmen 
freilich ist der Frauenraub bis in unser Jahrhundert hinein 



2 ) Dargun, Mutterrecht und Raubehe, Breslau 1883. Kohler, 
Krit Yiertelj. f. Ges. u. Rechtsw. XXIII. Z. f. vergl. Rechtsw. V. 
Brunner, D. Rechtsgeschichte I, 72. 



270 



nachweisbar und bei den ostfinnischen VOlkein kommt er 
noch heute zum Zweck der BegrQndung einer Ehe vor \ ganz 
abgesehen von den NaturvOlkern. 

Dass gewaltsame Entfilhrungen von dem Cherusker 
Arminius an aus geschichtlichen Quellen und aus poetischen 
Denkmalern fur Stid- und Nordgermanen reichlich nachge- 
wiesen werden kOnnen, wird niemand in Frage stellen. Aber 
es bleiben Gewalthandlungen , es sind Rechts- und Friedens- 
brilche, welche die Strafe des Staates und die Rache der 
Sippen trifift. Wir handeln dariiber spater. Festzuhalten ist, 
dass die Germanen sich auch dadurch als Volk alter Kultur 
erweisen, dass sie, als historisches Licht auf sie f&llt, nur 
die Yertragsehe zu Recht bestehn haben. 

Die Ehe ruht auf einem Vertrage zwischen den zwei 
Sippen. Der Vertreter der weiblichen Sippe ist der Mundwalt 
des Madchens, er verlobt und ubergibt dasselbe. Nach dem 
friiher tiber die Vormundschaft mitgetheilten, hat zun&chst 
der Vater uber die Hand der Tochter zu verfugen, der aller- 
dings, wenn die Ehe eine innere, sittliche Gemeinschaft und 
nicht eine tyrannische Alleinherrschaft war, seine Frau zu 
Rathe Ziehen mochte 2 ). Nach- dem Tode des Vaters uber- 
nahmen die nachsten Verwandten aus der vaterlichen Sippe, 
je nach dem Grade der Verwandtschaft, das Recht der Ver- 
lobung. Eine Ausnahme ist, dass laut des westgotischen und 
einiger nordischer Gesetze 8 ) auf die Mutter dies Recht tiber- 
geht; nach der islandischen Gragas tritt dieselbe nach dem 
altesten Bruder der Braut ein. Bedingung war natiirlich, dass 
sie noch unverheiratete Witwe war, denn in anderm Falle 
war sie aus der Familiengemeinschaft mit ihren Kindern 
geschieden. tibrigens war sie fast das einzige Weib, welches 
auch in Skandinavien das Recht der Verlobung persOnlich 



! ) In Ktirze L. v. Schroder, Die Hochzeitbrauche der Esten. 
Berlin 1888, S. 17 ff. Dargun a. a. 0. 93 ff., 110. 

2 ) Rechtlich ausgesprochen ist es nur Frostath. 11, 2. Hako- 
narb. c. 50, die geradezu sagen: fadhir ok modhir skal radha giptin- 
gum doetra sinna. 

3) L. Wisigoth. Ill, 1. 2. Uplandsl. III. 1. Sjell. 1. 1, 47. 48. 



271 



ausuben durfte ; denn fur die ilbrigen berechtigten weiblichen 
Verwandten traten mit einer einzigen Ausnahme ihre Gatten 
ein. Waren jene unverheiratet, so wurden sie tibergangen, 
indem, wie dies das uplandische Gesetz ausspricht, keine 
Jungfrau eine Jungfrau verloben darf '). In den skandinavischen 
Eechten werden die Yaters- und Mutterbruder zu den ent- 
fernteren Geschlechtsgliedern gerechnet. Auf sie folgen die 
Bruder- und SchwestersOhne und hiernach ihre Frauen, welche 
mit der Mutter die einzigen zu persOnlicher Verlobung be- 
rechtigten Weiber sind nach Gragas festathattr 1. Eine Aus- 
nahme von der gemeinen germanischen Eechtsansicht zeigt 
die Gragas auch darin, dass.die unehelich geborenen Ver- 
wandten in die Reihe der Verlober eintreten. 

* Bei Unfreien hatte begreiflicherweise der Herr das Ver- 
lobungsrecht. Seine Einwilligung war an die Entrichtung eines 
Zinses geknilpft 2 ), der bald in Geld, bald in andern Leistungen 
(z. B. einem Hemd oder einem Bocks- oder Ziegenfell) bestund 
Ganz besonderenVerpflichtungen war naturlich nachzukommen, 
wenn ein eigener Mann die HOrige eines andern Herrn heiratete 
Fiir solche Falle errichteten in spaterer Zeit mehrere Herr 
schaften, z. B. einige Schweizer Stifte, eine Genossenschaft^ 
worin die gegenseitige Yerheiratung der Leute dieser Herr 
schaften gestattet war. Heiratete aber ein eigener seine Un 
genossin, d. h. eine unfreie, die nicht zur Genossenschaft 
gehOrte, so musste er, falls er sich nicht mit seinem Herrn 
verglich, einen jahrlichen Strafzins zahlen, und sein Weib und 
seine Kinder erbten nichts von dem, was er als eigener Mann 
erworben hatte (Weisthumer 1, 674. 823). Statt ihrer trat sein 
n&chster, der Herrschaft horiger Yerwandter die Erbschaft an 
(Weisth. 1, 669. 3, 130. 346), Stronger noch ward der be- 
straft, welcher eine Yerwandte aus der Genossenschaft hin- 
aus verheiratete, denn er selbst kam lebenslanglich in das 



x ) Uplandsl. Ill, 1. aei ma mo mo giptae. 

2 ) maritagium, marcheta, bumede. — Eichhorn, Bechtsgesch. 
§. 339 (II, 556. 5. Aufl.). Walter, Deutsche Bechtsgesch. §. 364. 
v. Maurer, Geschichte der Fronhofe 3, 169 (wo die verschiedenen 
Namen des Ehegeldes stehn). 171. 4 T 498. 



272 



Gefangniss und sein ganzes fahrendes Gut verfiel der Herr- 
schaft (Weisth. 1, 813). Grundbedingung fur die Giltigkeit 
der Ehe HOriger verschiedener Herren war die Einwilligung 
derselben. Nach der lex salica emend. 29, 6 verfiel der un- 
freie, welcher die HOrige eines fremden Herrn ohne Erlaubniss 
seiner Herrschaft heiratete, in die Busse von 120 Denar. Die 
Ehe wurde nach salfrankischem und westgotischem ! ) Gesetze 
getrennt und die daraus erzeugten Kinder unter die beiden 
Herren getheilt. 

Die strenge Gewalt, welche der Herr uber seine eigenen 
Leute ursprtingUch besass, erhellt besonders aueh daraus, 
dass er selbst eine Ehe derselben, die mit seiner Einwilligung 
geschlossen war, nach Belieben wieder aufheben konnte. 
Hier hat die Kirche bessernd eingegriffen, welche auch die 
Ehen der Leibeigenen als unauflOsliehe in Anspruch nahm, 
und nachdem sie zunachst die Wiederverheiratung der durch 
den Herrn getrennten verboten, es durchsetzte, dass jenes 
Scheidungsrecht uberhaupt aufhOrte 1 ). 

Als Ausfluss des Herrenrechtes uber die Ehen der 
HOrigen ist das sogenannte jus primae noctis, das Recht der 
ersten Nacht ;< ), zu deuten, welches fur Deutschland nur durch 
zwei Schweizer Weisthttmer (Grimm, Weisth. 1, 43. 4, 321) 
des 16. Jahrhunderts belegt ist, die dasselbe ubrigens durch- 
aus humoristisch behandeln. Man hat die Abgabe, die als 
AblOsung des Rechtes nach jenen Weisthilmern, ebenso wie 
in Frankreich, Schottland und sonst vorkommt, verschieden 
gedeutet: gewOhnlich als Ersatz fur ein wirklich geubtes 
Herrenrecht der Defloration leibeigener Braute;. dann auch, 
namentlich bei geistlichen Grundherrschaften, als AblOsung 
der kirchlich geforderten Enthaltsamkeit in der ersten oder 
in den drei ersten Nachten 4 ). Manche sahen darin nur einen 



») 1. Wisigot. IX, 1, 15. X, 1, 17. Ill, 2, 5. 

2 ) Walter, Deutsche Rechtsgesch. §. 364. 

8 ) K. Schmidt, Jus primae noctis. Eine geschichtliche Unter- 
suchung. Freiburg i. B. 1881. — F. Liebrecht, Zur Volkskunde, Heil- 
bronn 1879. S. 416—424. 

4 ) Uber die sogen. Tobiasnachte weiterhin, vgl. unser Register. 



273 



aus Missverstandniss entsprungenen Scherz. Das richtige wird 
wohl sein, mit Osenbruggen und Gierke 1 ) jene Bestimmung 
als Ausdruck „einer symbolischen Anerkennung der Leib- 
herrschaft durch die scherzhafte Voranstellung und Ausmalung 
der aussersten Rechtsconsequenzen" aufzufassen. 

Die Erlaubniss zur Heirat war nicht allein den eigenen 
Leuten nOthig, sondern auch den Freien, welche im Lehns- 
verhaitnisse stunden 2 ). Es entsprang hieraus das Recht der 
Fursten und Herren, nach Gutdunken Ehen unter ihren Unter- 
thanen zu stiften und ihnen ein Ehegebot oder den Zwang 
binnen eines bestimmten Alters zu heiraten aufzulegen. 
Zunachst ausserte sich dies Recht gegen die, welche zu dem 
KOnigs- oder Herrenhofe in abhangigem Verhaltnisse stunden, 
und diesen gegenilber tlbten es bereits die gotischen KOnige, 
durch das Beispiel der Byzantiner vielleicht veranlasst. Ein 
junger Gepide, Namens Wila, Spertrager des gotischen KOnigs 
Hildibadus, hatte sich mit einem Madchen verlobt, das er 
sehr liebte. Wahrend er im Kriege war, gab indessen der 
Konig seine Braut einem andern zur Frau ; Wila aber, dariiber 
aufs hOchste aufgebracht, todtete den Hildibadus 3 ). Geduldigere 
Untergebene hatten die Merowinger, welche auch in dieser 
Hinsicht nach dem Vorbilde der rOmischen Imperatoren mit 
der aussersten Willktlr verfuhren 4 ). Nicht minder hegten die 
Karolinger dieses sogenannte Recht, welches die starksten 
Eingriffe in die persOnliche Freiheit machte. Selbst Beamte 
der KOnige massten es sich an ; so erlaubte sich der Bischof 
Liutward von Yercelli, Kanzler Kaiser Karls des Dicken, die 
empOrendsten StOrungen des Familienrechtes, indem er die 
TOchter der edelsten Geschlechter Deutschlands und Italiens 
an seine Verwandten verheiratete 5 ). 



J ) Osenbruggen, Studien 84—98. 0. Gierke, Der Humor im 
deutschen Recht 27. 

2 ) Fiirth, Ministerialen 315. 

3 ) Procop. de bello got. 3, 1, vgl. 1, 11. 

*) Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichto II. 1, 213. Grimm, 
RA. 436. 

5 ) Pertz, Monum. I, 404. 

18 

Wei nh old, Deutsche Frnuen. I. 



274 



Sobald in Norwegen ein starkes EinkOnigthum auf- 
gerichtet war, sehen wir auch hier die FQrsten sich das Ver- 
mahlungsrecht aneignen. Sie verheirateten nicht selten aus 
Geschlechtern, denen sie eine SQhne zu leisten hatten, die 
TOchter mit einem ihrer Gilnstlinge, zuweilen auch mit sich 
selbst 1 ). Der reiche Bonde Th6rolfr Kveldulfr ist in Feind- 
schaft mit KOnig Haraldr SchOnhaar gerathen und wird mit 
dessen Erlaubniss von zweien, die er geschadigt, getodtet. 
An Haralds Hofe leben Thorolfs Freunde und Mutterbrilder 
Eyvindr Lambi und Olver Hmifa, welche, hierdurch verstimmt, 
den KOnig urn Urlaub bitten, aus dem Gefolge zu scheiden. 
Allein Haraldr verweigert dies und fuhrt eine Stihne herbei, 
indem er dem Eyvindr das ganze Erbe Th6rolfs sammt dessen 
Witwe Sigridr zuspricht. Sigridr, die schon in Thorolfs Hand 
durch eine Schenkung ihres ersten Gatten gelangt war, halt 
es fiir das gerathenste, dem Machtspruch des KOnigs sich 
zu fugen (Egils s. c, 22). 

In Deutschland war die Ehestiftung ein kaiserliches 
Privilegium geworden, dem sich indessen bereits im 13. Jahr- 
hundert einzelne Stadte durch Befreiungsurkunden zu ent- 
ziehen wussten. Landesherrhche Ehestiftungen erhielten sich 
jedoch noch bis in das 16. Jahrhundert 2 ). Bei ihrem Hof- 
staate und der Dienerschaft spielten vornehme wie niedrige 
Herren bis in die neueste Zeit die gnadigen Verlober. Der 
Heiratsconsens , den die Beamten mancher Lander und die 
Offlciere aller filrstlichen Heere noch heute bediirfen, ist ein 
Rest des alten Einwilligungsrechtes des Herrn zu den Ehen 
ihrer Ministerialen. 

Diese Befugniss der Landesherren stutzte sich auch auf 
ihr obervormundschaftliches Verhaltniss zu einem grossen 
Theile der Unterthanen. Ausgehend von denen, welche des 
Schutzes eines Geschlechtsverbandes entbehrten, dehnte sich 
jenes Mundium auf alle wehrlosen aus 8 ), erfuhr aber auch 
Erweiterung durch die lehnsherrliche Gewalt des Fursten. 



!) Fornmannas5g. I. 183. 196. Ill, 35. VII, 50. 

2 ) Grimm, Rechtsalterth. 438. 

8 ) Kraut, Vormundschaft I, 63-99. 



275 



Das unumschrankteVerfugungsrecht des Vormundes tlber 
die Hand des Weibes war altgermanisch ; er durfte es urspriing- 
lich nach Einverstandniss der Sippe vermahlen, ohne dass die 
Tochter, Schwester oder welche Verwandte sonst das Mtlndel 
war, ihre Neigung und Einwilligung erkiart hatte; er besass 
das Zwangsrecht *), Besonders durch den Einfluss der Kirche 
milderte sich indessen die H&rte des Eechtes. Die langobar- 
dischen Gesetze bestimmen, dass deijenige, welcher ein 
Madchen gegen dessen Willen verlobe, die Mundschaft tiber 
dasselbe verliere. Ausgeiiommen von dieser Strafe werden 
allein der Vater und der Bruder des Madchens, weil von 
diesen nur die beste Fttrsorge zu erwarten sei; und ebenso 
wird in den ubrigen deutschen Yolksrechten die Einwilligung 
des Madchens in die Heirat verlangt 2 ). Angelsachsische, nor- 
wegische und oberschwedische 3 ) Eechtsbestimmungen fordern 
die Zustimmung des Weibes zur Vollgiltigkeit der Verlobung. 
Hatte ein westerlandischer Friese seine Tochter gegen ihren 
Willen verheiratet und es war ihr dadurch ein Leid geschehen, 
so hatte er sie zu biissen, gleich als habe er sie mit seiner 
Hand erschlagen (Eichthofen, Eechtsquellen 474, 11). Zwang 
zur Vermahlung war nach dem Eidsivathingsrecht (Christenr. 
c. 23) Grund zur Scheidung, sobald die Klage in Jahresfrist 
angebracht wurde. 

Wenn nun auch dem Willen des Madchens Einfluss auf 
die Verlobung zustund, so konnte es sich doch nicht ohne 
den Willen seines Vormundes selbst verloben. 

Wo wir die Frauen im Besitze eines mehr oder minder 
unbeschrankten Selbstverlobungsrechtes finden, da ist ein 
neuer Zeitgeist eingezogen. Mehrere der hier einschlagenden 
Bestimmungen zeigen ilbrigens das alte rechtliche Verhaltniss 
nicht ganz beseitigt. Das norwegische Frostathingsbuch (11, 
18) gesteht einem Madchen, das in voiles Erbe getreten ist, 



a ) Wilda, Strafrecht der Germanen 802*. E. Schroder, Gesch. des 
ehel. Guterrechts I, 7. 

2 ) Ed. Eoth. 195. 1. Liutpr. 12. 120. Pertz, leg. I, 2 (Chloth. const, 
v. 560 c. 7). 1. Burgund. 100. 1. Wisigoth. III. 1, 4. 3, 4. 11. 

s ) Cnut. dom. 2, 74. Frostath. Ill, 22. Vestgfltal. Zusatz II. 

18* 



276 



mit funfzehn Jahren die Befugniss zu, sich zu verheiraten, 
wem es wolle; es muss aber seinen nachsten Verwandten zu 
Rathe Ziehen. Nach jutischem Rechte durfte die Frau, wenn 
sie keinen nahen Verwandten hatte, das Verlobungsrecht tiber- 
tragen, wem sie wollte (1, 33), eine Bestimmung, die im 
schleswigschen Stadtrecht (§. 6, neueres Stadtr. §. 9) dahin 
gestaltet ist, dass sich das Madchen selbst verloben kann, 
im Falle es der gekorene Vormund nicht verheiraten will 1 ). 

In der mittleren Zeit wurde in Deutschland volljahrigen 
Weibern die Selbstverlobung gestattet*); doch mag sich das 
Gefilhl desVolkes gegen dies Recht mehrfach gestraubt haben; 
dasselbe forderte wenigstens die Einwilligung der Familie. So 
sagt Ulrich von Lichtenstein in seinem Frauenbuche (626, 9 
bis 12): „ein Madchen, das keine El tern hat, folge der Ver- 
wandten Rath; will es sich selbst dem Manne geben, so 
wird es wohl mit Schande leben". Auch hierin hat Martin 
Luther seinen deutschen Sinn entschieden bewahrt, indem er 
sagt: „Gott hat ein Mannlein und ein Fraulein geschaffen, 
die sollen und miissen bei einander sein, wie er es verordnet 
hat: das ist nach seinem Willen, den er den Eltern gegeben 
hat, sollen sie zusammenkommen und sich verheiraten" (Tisch- 
reden. Von der Ehe, n. 88). 

Bei vornehmen Frauen, zumal wenn sie keine nahen 
Verwandten hatten, lasst sich schon in alter Zeit, wenigstens 
bei den Langobarden, die Selbstverlobung nachweisen : Theude- 
lind, des langobardischen KOnigs Authari Witwe, vermahlte 
sich, wie Paulus Diakonus erzahlt, dem Herzog Agilulf aus 
eigener Macht. Allein solche Falle sind Ausnahmen, so wie 
die spatere Durchfuhrung der Selbstverlobung der Braut Abfall 
war von dem altgermanischen Familienrechte. 

Zur rechtsgiltigen Ehe gehOrte durchaus, dass das Weib 
von dem rechten Mundwalt dem Manne verlobt wurde. Sobald 



*) Nach jutischem Rechte (I, 8) hatte der K6nig ein Madchen 
auf die Klage, dass seine Verwandten eine passende Heirat abwiesen, 
zu verheiraten; die Verwandten hatten indessen Beirath. Vgl. auch 
Thords Degens art. B. 38. 

2 ) Kraut, Vormundschaft 1, 326. 



277 



irgend jemand anderes als der berechtigte Geschlechtsvor- 
mund die Verlobung vollzog, war dieselbe ungiltig und die 
schuldigen traf die Strafe. Nach islandischem Rechte (Gragas 
festathattr 6) hatte dann der rechte Vormund den Brautigam 
vorzufordern und auf dessen Verbannung, sowie auf Geld- 
entschadigung fQr den vorenthaltenen Brautkauf zu klagen. 
Konnte derselbe durch Eideshelfer beweisen, dass er den, 
welcher die Verlobung vollzogen hatte, fttr den berechtigten 
gehalten, so wurde er zwar nicht verbannt, allein die Ent- 
schadigung musste er dennoch zahlen; der widerrechtliche 
Verlober aber wurde Landes verwiesen. Sobald indessen kein 
vorgeblicher Vormund , sondern die Braut sich selbst verlobt 
und dem Manne tibergeben hatte, so half kein Reinigungseid 
und die Sache wurde als fleischliches Verbrechen (legord) be- 
handelt. 

In den dbrigen nordischen Rechtsbtichern *) ist die Rechts- 
auffassung dieselbe ; nur die Strafen haben sich alle in Geld- 
bussen verwandelt. Die Verletzung des Rechtes der Verlobung 
(festningar&n) , sowie die Entziehung des Brautkaufs werden 
jene an dem unrechten Verlober, diese am Brautigam gestraft. 
Gab sich eine Frau ohne Verlobung dem Manne zum Weibe, 
so trat sie hierdurch freiwillig aus der Geschlechtsverbindung, 
verzichtete also stillschweigend auf alle Rechte als Mitglied 
ihrer v&terlichen Familie und biisste demgemass alle Erb- 
ansprilche auf das HausvermOgen ein. Erst wenn ihr die 
Eltern verziehen und sie wieder zur Tochter des Hauses an- 
nahmen, erhielt sie die Erbfahigkeit zurQck. Nach dem 
jtitischen Rechte (1, 33) verlor die Frau zwar persOnlich 
wegen ungesetzlicher Verlobung ihren Erbanspruch, allein 
ihre Kinder konnten nach ihrem Tode in den Besitz des 
Erbtheils gelangen. Eine fernere Milderung hat das Kopen- 
hagener Stadtrecht von 1294 (n. 92) und auch das friesische 
Westerwolder Landrecht (1, 1), wonach eine solche Frau nach 
dem Ableben der Eltern das angeborene VermOgen erhait. 



!) Uplandsl. Ill, 1. OstgOtal. giptab, 4. Vestgfltal. II. Zus. 8. 
Gulath. 51. Gutal. 21. 



278 



Die unrechtmassige Eheschliessung berOhrt sich mehr 
oder minder mit dem Frauenraub. Die gewaltsame Ent- 
fQhrung eines Weibes bricht den gemeinen Frieden, verletzt 
das Recht der Sippe und krankt die Ehre des Madchens oder 
der Frau. Der Frauenraub ist daher eines der schwersten 
Verbrechen '). Verbannung traf nach islandischem Rechte 
nicht allein den EntfOhrer oder den, far welchen das Madchen 
entfuhrt wurde, sondern auch alle, welche mitwissend naheren 
oder ferneren Antheil an der That hatten. Gescharft wurde 
die Strafe bis zur vollkommenen Friedlosigkeit, wenn die 
Frau auf geschehene Aufforderung nicht ausgeliefert wurde 
(Grag. festhat. 29. 38. 89. 42). Wer bei der EntfOhrung er- 
schlagen wurde, lag nach uplandischem Rechte (II, 6) un- 
gebusst; der Rauber war friedlos, so lange er nicht den recht- 
massigenVerloberversOhnthatte. Wer eine Gotlanderin raubte, 
wurde getodtet oder musste das Leben mit seinem Wergelde 
erkaufen (Gutal. 24). Das westgotische Gesetz ist sehr streng. 
Kann die Geraubte dem Entfuhrer ungeschandet entfliehen, so 
basst dieser nur sein halbes VermOgen; hat er aber seinen 
Willen gehabt, so wird er der Geraubten samt seinem Ver- 
mOgen ubergeben, bekommt Offentlich zweihundert Hiebe und 
ist ihr bestandiger Sklave, Erkiart sich die Frau bereit, den 
Rauber zu heiraten, so sind beide des Todes schuldig; fliehen 
sie zu einer Kirche oder zum Bischof, so wird ihnen aller- 
dings das Leben geschenkt, allein ihre Ehe ist ungiltig imd 
sie sind HOrige der Eltern der Frau. Strenge Strafe trifft die 
Bnider des Madchens, wenn sie um die That wussten (1. 
Wisig. III. 3, 1—4). Das Asylrecht, das hier der Frauenrauber 
geniesst, ist anderwarts aufgehoben. So setzte es der fran- 
kische KOnig Childebert II. filr sein Land ausser Kraft, Ohio- 
thar n. stellte es indessen far alle Verbrechen wieder her 
(Pertz, leg. I, 12). Bei den Friesen gait es nicht. Floh der 
Rauber mit der Frau aus dem Hause in ein anderes, von 
diesem zu einem dritten, von hier zur Kirche, so musste der 



a ) Wilda, Strafrecht der Germanen 839—849. Brunner, D. Rechts- 
geschichte II, 666 fif. 



279 



Richter die drei Hauser verbrennen, die Kirche erbrechen 
und den Rauber herausnehmen 1 ). Karl der Grosse bestimmte 
785 zu Paderborn den Tod fur den, welcher die Tochter 
seines Herrn entfuhrte (Pertz, leg. I, 49); im ubrigen belegte 
die Kirche die Frauenrauber mit dem Banne 2 ). Erwahnt werde 
noch die Bestimmung des Hamburger Stadtrechtes von 1270 
(X, 4. Lappenberg 1, 62), wonach derjenige straflos war, 
welcher ein Madchen tiber sechzehn Jahre alt, unbekleidet 
und mit seinem Willen entfuhrte, die Todesstrafe aber auf 
den fiel, welcher ein jungeres, wenn auch mit dessen Willen 
oder ein alteres gegen dessen Willen raubte. 

AblOsung der Todesstrafe, die in altester Zeit bei nicht 
ehrlosen Verbrechen dem freien Manne zustand, ist die Geld- 
busse in HOhe des Wergelds, die im Ribuarischen, Anglo- 
warnischen und angelsachsischen Recht auf den Frauenraub 
gesetzt ist 8 ). Bei andern deutschen Stammen ist die Geld- 
busse nach der HOhe des Brautkaufs bestimmt, so bei den 
Salfranken (1. Sal. 13, 4), den Alemannen und Bay era (Pact. 
Alam. 3, 23. 1. Alam. 53, 1. 1. Bajuv. VHL 6, 7). Das bur- 
gundische Gesetz (12, 1) verneunfacht den Brautkauf, und 
das Recht desLangobardenkOnigs Rothari (187) fordert die hohe 
Busse von 900 Solidi fur Frauenraub. 

In einer merowingischen Novelle zur Lex Salica (1. Sal. 71) 
ist die AblOsung durch das Wergeld . beseitigt, und der Frauen- 
rauber so wie theilnehmende Verwandte mit Tod und Yer- 
mOgensverlust bestraft. 



2 ) Siebente Fries. Ueberkiir, Richthofen 100. 

2 ) Die kirchlichen Bestimniungen stiitzen sich auf concil. Ancyr. 
c. 10. cone. Chalced. c. 38; sie wurden auf dem concil. Aquisgran. 
von 816. c. 23. 24 wiederholt, vgl. Hartzheim, concil. Germ. I, 546. 
Ansgisi capit. I, 98. 99 (Pertz, leg. I, 285). Der Kirchenbann entspricht 
der weltlichen Friedlosigkeit. 

3 ) 1. Ribuar. 34, 1. 2. 1. Angl. Warin. 46. Gesetz Knuts 2, 52. 
Ist der Entfiihrer ein Knecht, so trifft ihn natiirlich die Todesstrafe, 
die nach 1. Rib. 58, 18 die Entfuhrte selbst an ihm vollziehen rnuss. 
Ebenso werden im salischen Recht ganz- und balbfreie Erauenrauber 
am Leben gestraft, 1. Sal. 13, 7. 92, 3. 



280 



Das sachsische, von Karl d. Gr. festgestellte Recht unter- 
scheidet die Busse, je nachdem die geraubte einverstanden 
war Oder nicht. War sie unfreiwillig entfilhrt, so musste der 
Rauber ihr Wergeld an sie und 300 Solidi an ihre Sippe zahlen. 
War das Madchen einverstanden gewesen, so sind 600 Solidi 
zu bttssen, halb als Kaufgeld, halb als Busse (1. Sax. 41). 

Es ergibt sich daraus, dass die EntfQhrte dem Entftlhrer 
dann als Frau verblieb und auch nach den Rechten, welche 
den Brautkauf oder eine Vervielfachung desselben als Busse 
fur Frauenraub setzen, wird das als zuiassig anzunehmen sein. 

Schwerer noch als in den bisher behandelten Fallen war 
nattlrlich die Rechtsverletzung, wenn die Entftihrte bereits 
einem Manne verlobt war. Ausser den Blutsverwandten war 
namlich der Brautigam zu sQhnen, welcber zu dem Madchen 
durch die Verlobung bereits in rechtlicher (ehelicher) Bezie- 
hung stund. Am vollstandigsten sind hieruber die Angaben 
des langobardischen und sachsischen Rechtes. Nach der lex 
Saxonum (49) hat der Brautrauber dem Vater und dem 
Brautigam, jedem 300 Solidi zu zahlen und ausserdem noch 
das Mundium der Frau mit 300 Solidi zu erwerben. Raubte 
er sie von der Seite der Mutter weg, so erhielt auch diese 
300 Solidi; er hatte also dreifachen, unter Umstanden vier- 
fachen Brautkauf zu erlegen. Von einer Wiedergabe des Mad- 
chens ist nicht die Rede ; das VerlObniss war durch die Ent- 
filhrung thatsachlich gelOst. 

Das Edictum Rothari (190 — 192) bestimmt, dass der 
Brautigam die doppelte Meta (zweimal 300 Solidi) unmittelbar 
von dem Brautrauber als Ersatz filr die Verlobte fordere. 
Waren die Eltern der Braut mit der gewaltsamen Trennung 
des VerlObnisses einverstanden gewesen, so hatten sie die- 
selbe Briiche dem Brautigam zu leisten. Auch hier hat der 
Raub die Verlobung aufgehoben. Bei den Alemannen (1. Alam. 
Hloth. 52) hat derjenige, der die Verlobte eines atidern wider- 
rechtlich an sich genommen, dieselbe mit funffachem Braut- 
kauf (200 Solidi) dem rechtmassigen Brautigam zuriickzu- 
geben; will er aber die widerrechtlich sich angeeignete be- 
halten, so zahlt er dem Brautigam den zehnfachen Mund- 



281 



sehatz (400 Solidi). Nach dem bayrischen Rechte (1. Bajuv. 
VIII, 16) muss der Entfuhrer die geraubte Braut ihrem Ver- 
lobten samt einer Brttche von 80 Solidi zurttckerstatten. 
In der Lex Salica (XIII, 6) wird nur die Busse von 63 Solidi 
verzeichnet, welche der Rauber der Braut eines andern zu 
leisten hat. Unter den Merowingern ward aber dieser altere 
Grundsatz bereits aufgegeben und die Rttckgabe der Entfuhrten, 
auch wenn sie dem Rauber ehelich verbunden war, gefordert, 
was fortab als frankisches Recht gait 1 ). Die Meinung, dass 
die Ehe unauflOslich sei, welche die Kirche vertrat, mag hier 
eingewirkt haben. 

EntfQhrung einer Ehefrau ist der gewaltsame Bruch des 
ehelichen Verhaitnisses durch einen dritten mit persOnlicher 
Trennung der Gatten. Eine sehr alte Behandlung dieses Ver- 
brechens, die in einer Zeit wurzelt, in welcher die Frau noch 
als ersetzbare Sache gait, taucht in einem angelsachsischen 
Gesetz (Athelbirht c. 31) auf, welches far solchen Ehebruch 
bestimmte, dass der Verbredier dasWergeld der Frau erlege 
und dem verletzten Gatten ein anderes Weib kaufe. In unseren 
VoJksrechten herrscht aber wie bei der Entfilhrung einer Ver- 
lobten die frankische Forderung der Rilckgabe der entfuhrten 
Frau neben der zu leistenden Geldbusse. Das alemannische 
Recht (Hloth. 51, 1) bildet auch hier eine Vermittlung. Es wird 
dem EntfQhrer noch tlberlassen, ob er die Frau zurttckgeben 
will; freilich ist nach einem Zusatz auch die Zustimmung 
des Ehemannes Bedingung. Er hat dann den zehnfachen 
Brautkauf zu geben, w&hrend er bei Auslieferung der ge- 
raubten nur den doppelten erlegen darf. 

Spater ward auf Frauenraub Todesstrafe gesetzt. Schon 
das Edictum Rothari 212 setzte Tod auf die EntfQhrung der 
Gattin eines andern; hatte dieselbe in die Entfuhrung ge- 
willigt, so bftsste sie ebenfalls mit dem Leben. 

Die Rttcksicht, welche die Volksrechte und die skan- 
dinavischen Gesetze auf den Frauenraub nehmen, beweist, wie 
oft er vorkam. Sobald der Freier von den Eltern abgewiesen 



] ) Sohm, Trauung und Verlobung, S. 24 ff. 



282 



wurde, oder wenn sich irgend andere Hindernisse der gesetz- 
lichen Erwerbung des begehrten Weibes entgegenstellten, griff 
er rasch entschlossen zur Selbsthilfe. Das aiteste und beruhm- 
teste Beispiel gibt Arminius, der CheruskerfQrst, der Thus- 
nelda, die Tochter des Segestes, die einem andern verlobt war, 
raubte und als G-attin behielt (Tacit, ann. I, 55). Aus vielen 
nordischen Geschichten will ich nur eine anftthren. Der Nor- 
weger BiOrn Brynjulfsson hatte sich bei einem Feste in Thora, 
die Schwester des Th6rir HrOaldsson, verliebt, war aber mit 
einem Korbe vom Bruder heimgeschickt worden. Da raubte 
er das Madchen und brachte es zu seinen Eltern, die indessen 
ttbel damit zufrieden waren und den Sohn anhielten, es zuriick- 
zugeben. Nun entschloss sich BiOrn zu neuem Raube, ent- 
fuhrte Thora aus dem Frauenhause (dyngja) seiner Mutter 
und fliichtete sie auf ein Schiff, das nach Island ging. Unter- 
wegs vollzog er die Yerbindung mit ihr. Auf Island fand er 
bei Skallagrimr, einem Freunde seines Geschlechtes, gast- 
freundhche Aufnahme. Als aber dieser erfuhr, wie es eigentlich 
um BiOrn stund, so hub er alien Verkehr mit dem Frauen- 
rauber auf, besonders da Thoras Vater sein Pflegebruder 
gewesen war. Er trieb ihn jedoch nicht aus dem Hause, 
sondern uberliess die Sorge firr die Gaste seinem Sohne Th6rolf. 
BiOrn war nun in schlimmer Lage : in Norwegen war er wegen 
des Frauenraubes durch KOnig Haraldr SchOnhaar friedlos 
gelegt, auf Island war er schlimm angesehen und nur ge- 
duldet, weil ihm einmal Gastfreundschaft zugesagt war. 
Er fand jedoch an ThOrolfr einen Retter; dieser wusste seinen 
Vater zu bewegen, die Vermittlung zwischen BiOrn und ThOrir 
zu ubernehmen und es gelang. Die Friedlosigkeit ward in 
Folge dessen aufgehoben und der Frauenrauber durfte nach 
Norwegen zuruckkehren (Egilss. c. 32 — 35). 

Die Entftlhrungen mit und ohne Willen des Madchens 
kamen in dem wirklichen und dem gedichteten Leben des 
Mittelalters sehr haufig vor 1 ); sowohl in der vorritterlichen 
Zeit als in der ritterlichen. Sie boten fur diese einen unend- 



2 ) Mehrere Beispiele bei Dargun, Mutterrecht und Raubehe 
116-127. 



lichen Reiz. Der Trotz auf den eigenen WiUen, das kecke 
Wagen trotz Grefahren und Tod, die Treue der Freunde und 
Mannen, die sich dabei bewahren konnte, alles dies lockte 
zugleich mit der stlssen Frucht verbotener oder verweigerter 
Liebe und leuchtete dem suchenden Ritter als schOnstes 
Abenteuer entgegen. Die KreuzzQge zeigten auch hier ihre 
bewegende, aufregende Kraft. Da lernten die abendlandischen 
Ritter schOne Griechinnen und reizende Sarazeninnen kennen, 
und mit beiden war eine Liebesverbindung meist nur mOglich 
durch Raub und Entftihrung. Es bildeten sich die Epen von 
kiihnen, gefahrvollen Werbungen und Brautfahrten aus dem 
Abendlande nach Byzanz und dem Morgenlande; hier und 
da mischte sich gelehrte Erinnerung an die altesten Raube- 
reien der Europ&er an asiatischen Frauen hinein. In der 
Heimat selbst ward die Lust zu solchen kecken Fahrten 
wieder neu, und alte Sagen von Normannenzttgen und dem 
Gegenkampfe der beraubten Vater und Brautigame stunden 
plOtzlich auf. Unser 12. und noch das 13. Jahrhundert er* 
freuten sich demgemass an Epen, deren Gegenstand eine 
Entfahrung ist. Einige sind in der naiven, spater roh ge- 
wordenen Spielmannsweise ; das eine aber ist ein Gedicht 
aus den Kreisen, denen die Nibelungen Noth und Walther 
und Hildgund verdankt werden: das Gudrunlied. Es stellt 
uns mitten hinein in die Seezuge, welche von den Danen 
nach den friesischen und sachsischen KQsten gemacht wurden. 
Es ist ein deutsches poetisches G-egenbild zu den zahlreichen 
Erzahlungen ahnlicher Art, welche die Norweger und Islander 
aufgezeichnet haben. Die unschatzbaren islandischen Familien- 
und norwegischen KOnigsgeschichten ' bieten uns die scharfsten 
und lehrreichsten Bilder der nordischen Wikingerzeit. An 
Frauenraub und an Brautwerbungen, welche nicht besser als 
Raubereien waren, sind sie reich. So hatte ein Berserker, 
Lj6tr der bleiche, um die Tochter einer Witwe Gyda an- 
gehalten, allein der wilde, rohe Mensch war abgewiesen 
worden. Da forderte er den jungen Bruder des Madchens, 
Fridgeir, auf den Holm, damit der Zweikampf entscheide, 
ob er die Braut erhalte oder nicht. Aber der Skald Egill 



284 



Skalagrimsson, mit dem Schwerte so tilchtig wie mit dem 
Worte, erbot sich far den Jtlngling einzutreten, und der Ber- 
serker fiel im Zweikampf (Egilss. c. 64). 

Zu den nordischen Bildern liessen sich sttdliche halten 
aus dem Lande zwischen Rhone und Alpen und aus den 
norditalischen Gauen. Da spielen die Farben der Schwarmerei 
und flackernden Leidenschaft hinein, aber fiber sie gleichwie 
uber die nordischen fallt der dustere Schatten des Unrechtes, 
an den sich grell ein blutrother Streif kettet. Die Liebe will 
errungen, nicht erzwungen sein, die Ehe will Segen, nicht 
Fluch zu ihrem Grundbaue. 

Die strenge Verurtheilung der Entfuhrung wirkte auf 
die Kinder nach, die aus der erzwungenen Verbindung her- 
vorgingen; sobald die Ehe uberhaupt nicht unter den gefor- 
derten Formen geschlossen war, galten sie fQr nicht erbfahig. 
Ein Beispiel wird in der Egilssage (c. 7. 9) erzahlt, BiOrgolfr 
hatte halb mit Gewalt die Ehe mit Hildiridr, HOgnis Tochter, 
geschlossen. Es war eine lose Hochzeit (lausabryllaupr) : den 
gesetzlichen Forderungen war nur zum Theil gentigt, und 
die aus der Verbindung entsprossenen SOhne wurden spater 
in ihrer Erbfahigkeit angefochten. 



Die germanische Eheschliessung zerfailt in zwei Haupt- 
acte : der erste ist die Erwerbung der Braut durch einen Ver- 
trag mit der Familie derselben; er schliesst mit der Ver- 
lobung. Durch die Verlobung wird bereits ein Rechtsverhaltniss 
zwischen dem Manne und der Braut geschaffen 1 ). Der zweite 
Act ist die Ubergabe der Yerlobten an den Brautigam und 
die Heimfuhrung in sein Haus. 

Bei der grossen Bedeutung der Ehe fur den einzelnen 
Menschen wie fiir seine Sippe und fur die Gemeinde, in die 



a ) Sohm, Trauung und Verlobung 37, stellt daher den Satz 
auf: die Verlobung ist die Eheschliessung und die Trauung nicht 
Eheschliessung, sondern Vollzug der schon geschlossenen Ehe. Im 
Gegensatz behauptet Friedberg, dass die deutsche Trauung Schlies- 
sung der Ehe gewesen sei, nicht Vollziehung einer schon geschlos- 
senen: Verlobung und Trauung, S. 23. 



ein neues Hauswesen eintritt, begreift sich, (lass eine Menge 
Sitten und Gebrauche an die Verheiratung sich frQh und 
Hberall angeschlossen haben. Alle VOlker sind reich an Hoch- 
zeitsgebrauchen, so auch das germanische; und bei der Ver- 
gleichung derselben untereinander ergibt sich die Uberein- 
stimmung in den Grundzugen der Sitte, sowie in vielen Einzel- 
heiten. Wir mussen uns in der Mittheilung auf das haupt- 
sachliche beschranken '). 

Die Einleitung ftlr das ganze macht die Wer bung um 
das M&dchen. Es muss bei der Familie desselben angefragt 
werden, ob dieselbe geneigt ist, auf die Verhandlung iiber 
eine Verlobang einzugehn. Und da die Ehe zwar am nachsten 
das einzelne Paar angeht, aber doch auch sehr nahe die 
beiden Sippen, so begreift sich, dass nicht der heiratlustige 
Mann selbst die Werbung thut, sondern nahe Verwandte 
von ihm, und dass er entweder gar nicht dabei erscheint, 
oder nur in Begleitung jener das Wort ftihrenden Brautwerber. 
Die Werbung findet sich fast bei alien VOlkern (v. Schroder, 
S. 32. Winternitz 40. Krauss 355 ff.). 

Hatte ein Jangling aus den Geschlechtern der stolzen, 
freien nordischen Landbesitzer im Sinne, um die Tochter 
eines andern Geschlechtes zu werben, so nahm er einen 
Fursprecher in seinem Vater oder einem alteren Freunde 
und Verwandten mit, und ritt, begleitet von einer Schaar 
seiner Genossen, zu dem Hofe, worin das Madchen wohnte 2 ). 

2 ) Einige Litteratur: E. Haas, Die Heiratsgebrauche der alten 
Inder, in A. Webers Ind. Studien V, 267—412. M. Winternitz, Das 
altindische Hochzeitrituell mit Vergleichung der Hochzeitgebrauche 
bei den ubrigen indogermanischen Volkern (Denkschriften der Wiener 
Akademie, Phil.-hist. 01. XL, Nr. 1, 1892). A. Rossbach, Unter- 
suchungen uber die rOmische Ehe. Stuttgart 1853. A. de Guber- 
natis, Storia comparata degli usi nuziali in Italia e presso gli alteri 
popoli indoeuropei. Milano 1878. Fr. Krauss, Sitte und Brauch der 
Sfidslaven. Wien 1885, S. 245—465. L. v. Schroder, Die Hochzeit- 
brauche der Esten — in Vergleichung mit denen indogerm. V61ker. 
Berlin 1888. 

2 ) til qudnboena rida, auf die Freite reiten — bonordsfor, 
Werbungsfahrt. — hefja upp ord sin ok bi&ja konu. — meyjar bidja 
einumhverjum til handa. 



286 



Dort nimmt der Fiirsprecher das Wort und redet zu dem 
Vater der gewtlnschten Braut ungefahr also: „Mein Sohn 
(oder mein Freund) will urn deine Tochter bitten. Du kennst 
sein Geschlecht, sein VermOgen und den Einfluss seiner Ver- 
wandten und Freunde". Hierauf beginnt die Besprechung 
uber Brautkauf, Mitgift und die andern nOthigen Dinge, und 
ist alles nach dem Wunsche beider Theile, so erfolgt die 
Verlobung. 

Auf die Begleitung des Werbers ward viel gegeben. 
Der junge Gkmnlaugr Ormstunga hatte ganz allein urn Helga 
Thorsteins Tochter angehalten, und der Vater dies als Spott 
angesehen und den Jiingling abgewiesen, Als abet Gunnlaugr 
mit seinem Vater Illugi und elf andern Mannern zu Thor- 
stein kommt, so sagt dieser nach einigem Verhandeln zu 
Illugi: „wegen deiner Rede und unserer Freundschaft sei 
Helga dem Gunnlaugr versprochen" (Gunnlaugs. c. 4). Nur 
sehr angesehene Manner wagten ohne Ftirsprecher anzu- 
halten; so warb. Thorolfr Skallagrims Sohn selbst, wenn auch 
von guter Fahrtgenossenschaft 1 ) umgeben, um Asgerdr BiOrns- 
tochter (Egilss. c.42). Der Fiirsprecher 2 ), derFtihrerundAlteste 
der Werbeschaar, scheint bei alien germanischen Stammen 
fur die ordnungsmassige Werbung nothwendig gewesen zu 
sein ; selbst der Gott Freyr wirbt, nach dem eddischen Liede, 
nicht selbst, sondern durch den Brautbitter Skirnir urn die 
Geliebte. 

Bei denSiidgermanen herrschte durchaus derselbe Brauch. 
In dem alemannischen Gedicht „Die Hochzeit" aus dem. 
12. Jahrhundert sendet der reiehe KOnig auf dem Gebirge 
hinunter in das Thai, wo aus sehr edlem Geschlecht eine 
schOne, herrliche Jungfrau erwachsen ist, seinen Boten und 
begehrt ihrer zum Weibe (Karajan, Deutsche Sprachdenkmale 
des 12. Jahrhunderts. Wien 1846, S. 24, 6). KOnig Rother 



2 ) Foruneyti, ahd. truht, alts, druht, ags. dryht. 

2 ) Ahd. brutbitil, brutiboto. himachari. truhtinc, truhtigomo. 
alts, drohtinc. niederd. brutkneht, brjltfcerer. ags, dryhtealdor, dryht- 
guma. brytyuma. hddsvdpa. altn. bid%ll x altschw. bryttughe. ger daman. 
forv%8taman. fries, fuarman. 



287 



von Bari schickt den Graf en Liutpolt, seinen Mag, mit elf 
andern Graf en und Gefolge nach Konstantinopel, die schOne 
Tochter K. Konstantins ihm zu freien (Gedicht von KOnig 
Ruother). Der KOnig Oswald von England sendet seinen kunst- 
reichen Raben ins Morgenland, urn des KOnigs Aron Tochter 
zu werben. 

Was die Gedichte hier erzahlen, spiegelt den wirklichen 
Brauch wieder. Dann verleitete wohl die Begier, die Braut 
vor der gesetzten Zeit zu sehen, manchen jungen, heiss- 
biatigen Ftirsten, sich verkleidet unter die G-esandtschaft zu 
mischen, wie dies der Sage nach der langobardische KOnig 
Authari that, als er um die bayrische Herzogstochter Theud- 
lind werben liess. In den hOchsten Standen hat sich die 
Brautwerbung durch Beauftragte bis heute erhalten, nicht 
minder im Bauernstande, der neben dem hohen Adel alte 
Sitten am treusten bewahrt hat. Wir gedenken hier zunachst 
aus jiingerer Zeit des Berichtes des Neokorus in seiner dit- 
marsischen Chronik 1 ). Der junge Ditmarse bat seine Eltern 
oder zwei seiner Vettern oder guten Freunde, mit den Ver- 
wandten des begehrten M&dchens zu sprechen, nachdem er 
selbst vorher mit den seinen ilber die Wahl reiflich Rath 
gepflogen hatte. Die Werbersleute wurden gut empfangen 
und nach langer Unterredung ihnen eine Zeit bestimmt, 
wann sie wieder anfragen kOnnten. Dabei ward wohl vor- 
gesehen, dass bei ihrem fortgehn keine Schaufel oder der- 
gleichen an der Thar stunde, denn das war ein altes Zeichen 
der Abweisung. W&hrend der gegebenen Frist geschah unter 
der Hand alles, um die Sache zu fOrdern, und am bestimmten 
Tage kam es dahin, dass die Versprechung (Bekenntnisse) 
angesetzt wurde. Zu dieser kam der Brautigam gewOhnlich 
selbst; indessen liess er sich zuweilen auch dabei noch durch 
einen Verwandten vertreten, dem an seiner Stelle die Braut 
zur Ehe verlobt wurde. 

In solcher Weise geht es noch heute unter den nieder- 
und oberdeutschen Bauern her, mehr so, dass ttber Geld und. 



x ) Ausgabe von Dahlmann I, 100—123. 



Gut als dass Qber die Herzen verhandelt wurde 1 ). Nicht 
selten ist das Heiratstiften zu einem Gewerbe geworden, 
indem sich Manner und Frauen zu Heiratsvermittlern auf- 
werfen und gegen ein Stuck Geld das Zusammenbringen der 
Heiratslustigen ubernehmen *). Was Neokorus von den Dit- 
marschen erzahlt, dass es bei ihnen fQr eine grosse Schande 
gelte, wenn sich ein M&dchen antragen lasse, war zu seiner 
Zeit bereits in andern Landschaften Qblich, und heute findet 
es in alien Gegenden statt. 

Aus einigen deutschen Landschaften will ich Beispiele 
fur die noch bestehende (oder vor kurzem bestandene) Wer- 
bung geben. 

Bei den Siebenburger Sachsen geschieht das Freien ge- 
wOhnlich am Abend, wie auch in Untersteiermark (Rosegger, 
Volksleben in Steiermark 163), bei den Esten, in franzO- 
sischen Gegenden und bei den alten Indern die Werbung in 
der Nacht geschah (v. Schroder, S. 41 f.). Selten wagt es der 
Bursche selbst. In der Regel tlbernimmt der Vater oder der 
zum Brautknecht bestimmte als Wortmann die Werbung. 
Es kommt auch vor, dass der „Knecht" (der heiratslustige 
Bursche) die Anfrage thut und nach einer gewissen Bedenk- 
zeit der Freimann die Antwort holt. Die dabei gehaltenen 
Reden bewegen sich in feststehnden Formeln. Fallt die Ant- 
wort gtlnstig aus, so werden von beiden Sippen die Frei- 
manner gewahlt, die der beiderseitigen Freundschaft (Ver- 
wandtschaft) die Einigung zu verkilnden haben. GewOhnlich 
wird bald oder auch unmittelbar nach dem Jawort von jeder 



J ) Ein alter siobenbiirgischer Sachse brauchte von den Bauern- 
heiraten dieWorte: da heiratet nicht derKnecht die Magd, sondern 
der Acker heiratet den Acker, der Weinberg den Weinberg, das 
Vieh das liebe Vieh: J. Matz, Die siebenburgisch-s&chsische Bauern- 
hochzeit, S. 26 (Kronstadt 1860). 

2 ) Als diese Worte zuerst niedergeschrieben wurden, war die 
Unsitte, durch Zeitungen und Heiratscomptoirs Frau oder Mann 
(oft in schamloser Art) zu suchen, noch nicht so frech geworden, 
wie jetzt. 



Partei fur sich die Braut „vertrunken*. Die fOrmliche Ver- 
lobung folgt erst spater. 1 ) 

In Oberschwaben wird die Brautwerbung so vorge- 
nommen. Hat der junge Bauernsohn sein Auge auf eine Hof- 
bauerntochter geworfen, so schickt er mit Eat der Eltern 
und andrer Gefreundeter einen Werber, bald einen nahen 
Vetter, bald einen guten Freund, zu dem Vater des Madchens. 
Derselbe beginnt sein Gesprach, indem er nach dem Vieh- 
stande, nach dem Fruchtboden, nach den Stuben und Kammern 
fragt; alles wird ihm gezeigt, alle Kasten und Schranke ge- 
Offnet und mit ihrem Inhalte gewiesen ; dann rtickt der Werber 
allmahlich mit der Absicht seines Besuches heraus, zunachst 
gegen den Vater, darauf gegen die andern. Die Tochter, der 
es gilt, macht nun einen Kaffee und tragt ihn mit Brot, 
Butter und Honig auf. Erst beim Abschied nennt der Werber 
den Namen des Auftraggebers und deutet an, eine Antwort, 
wenigstens eine Art Zusicherung, ware ihm lieb. Aber eine 
Bedenkzeit von 8—10 Tagen wird verlangt. Hiernach er- 
scheint derselbe Brautwerber wieder und die gegenseitigen 
Haus- und VermOgensverhaitnisse werden verhandelt. Erklart 
sich»nun der Hofbauer nicht abgeneigt, so kommt nach wenig 
Tagen der junge Bauer selbst, und nach abermaliger Be- 
sprechung der Verhaltnisse fahrt der „Hochzeiter" mit dem 
Madchen nach seinem Oder seiner Eltern Hofe, unterwegs 
von Kindern und Ehhalten (den Dienstboten) (iberall ange- 
halten, wobei er tiichtig spenden muss. Aus alien Hofen 
knallen BOllerschasse. In dem vaterlichen Hofe wird ein 
Essen eingenommen 2 ) und die „Hochzeiterin besieht" darauf 
alles in Haus und Hof. Dann wird die gegenseitige Einwilli- 
gung gegeben und die Verlobungsfeier festgesetzt (Birlinger, 
Volksthumliches aus Schwaben. Freiburg i. B. 1862. 2, 320 fif.). 
Diese Verlobungsfeier , die Stuhlfeste, besteht in einem 
Familienschmaus im Wirtshause, bei dem der „Festwein" 



a ) Jos. Matz, Die siebenbiirgisch-sachsische Bauernhochzeit 
(Schassburger Gymnasialprogr.). Kronstadt 1860, S. 26—34. 

2 ) Auch in Oberdsterreich wird das Bidlmues gehalten, wenn 
alles „ausgemacht" ist. Baumgarten, Aus der Heimat IX, 46. 

Wei nh old, Deutsche Frauen. I. 19 



290 



getrunken wird. Der Wein bekraftigt den Vertrag (Grimm, 
RA. 191). 

Im Hildesheimischen und auch im Kreise Iserlohn (West- 
falen) begleitete den Bauern, wenn er freien wollte, ein Frei- 
werber, KOppeler (Kuppler) genannt. In andern Orten der 
Grafschaft Mark (Westfalen) ritt der Bauer ohne Begleitung 
auf den Hof der Ausersehenen und that, als ob er eine Sterke 
(junge Kuh) kaufen wollte 1 ), weshalb denn auch fQr freien 
(friggen) gesagt ward „oppen Ste&rkenhannel gaen". DieEltern 
des Madchens, die Absicht ahnend, bewirteten ihn, die Tochter 
kam wohl auch einmal in die Stube, aber man konnte sich 
tiber den Preis der Sterke noch nicht einigen. Der Freier 
ritt wieder ab; wenn aber beini Abschied auf seine Rede, 
er wolle noch einmal wieder kommen, freundlich gesagt 
ward, er mOge es thun, so ward bei der Wiederkunft der 
Handel richtig und die Verlobung anberaumt. Wenn bei der 
Werbung die Mutter des Madchens dem Freier ein Butterbrot 
schmierte, so gait das fQr eine geringschatzige Abfertigung 2 ). 
Bemdhten sich mehrere um das Madchen, so setzten sich 
dieselben auf das Hofthor, „de Brfimer (Brautmanner) sittet 
oppem Heck" hiess es, und warteten, wem das Madchen 
einen Auftrag geben wttrde, der ihn in das Haus ftthrte. Die 
andern waren damit abgewiesen (Woeste im Jahrbuch desVereins 
ftlr niederdeutsche Sprachforschung 3, 130. Bremen 1878). 

Wenn in ROsnitz in Schlesien (nach dem Hochzeitbuch 
von Reinsberg-Dtlringsfeld, Leipzig 1871, S. 20) das umfreite 
Madchen vor den Werbern, die sich auch hier zuerst mit 
allerlei Vorwanden einftlhren, versteckt gehalten wird, so 
lassen sich dazu Parallelen aus ruthenischem und estnischem 
Brauche anftlhren (v. Schroder 40 f.) ; aber ich glaube, dass 
diese alte Sitte von der Heimftthrung der Braut, dem Hoch- 
zeitstage, hierher verschoben worden ist. Bei der Hochzeit- 
beschreibung mehr davon! 



*) Ebenso leitet der Freiwerber in Schlesien die Verhandlung 
ein: Z. d. V. f. Volkskunde III, 146. 

2 ) Tiber andere Vorzeichen der vergeblichen Werbung v. Schroder, 
Hochzeitsbrauche 41—43. 



291 



Die Freiwerbung ist eine Willenserklarung seitens des 
Mannes und seiner Verwandten, dass er wunsche, mit einem 
bestimmten Madchen die Ehe zu schliessen, eine bittende 
Anfrage zugleich, die vor den nachsten Verwandten desselben 
abgegeben wird. Sie ist die Einleitung zu den weiteren Ver- 
handlungen, die s&mmtlich privatrechtlicher Art sind und in 
bestimmter Folge sich bewegen. 

Die erste und nothwendigste gesetzliche Leistung fur 
die Eheschliessung war der Brautkauf 1 ). Er bedeutet die 
AblOsung der Braut von der angebornen Mundschaft und ist 
die Bedingung ihres rechtm&ssigen Ubertrittes in das G-e- 
schlecht und in den Schutz des Brautigams. In der altesten 
Zeit ward damit die Person der Braut gekauft 2 ); in der histo- 
rischen war der Mundschatz nur noch Zeichen der Erwerbung 
aller Rechte, welche sich auch in Hinsicht des VermOgens 
an die Ubernahme der Vormundschaft ilber die Braut knupften. 
Ohne Mahlschatz gefreit gehOrte die Frau nur ihrem ange- 
borenen Gteschlechte an; ihre etwaigen Kinder erbten daher 
nur in ihrer Familie 8 ) und wurden als keine rechten Glieder 
des Geschlechtes des Vaters betrachtet; sie mussten sich 
im Norden SOhne einer Beischlaferin (frillusynir) schelten 
lassen. Erst der Brautkauf machte die Ehe zur wirklichen 
Ehe, das heisst zu einer gesetzmassigen Verbindung. 



x ) mahalscaz, muntscaz, tirutmiete. langob. meta. burgund. wit- 
temo. ags. veotuma, scat, cedp. fries, wet ma, mundsket. altn. mundr. 
fastingafL mittellat. mundium, sponsalitium, arrha, pretium emtionis, 
nuptiale pretium, dos. — eine frau kaufen. alts, magad ti brudi bug* 
gean ags. mid cedpe cvene gebycgan. altn. keypa qudn. mlt. uxorem 
emere. — Grimm, Rechtsalterth. 421. Deutsch. WOrterb. 5, 328. Kraut, 
Vormundschaft, §§. 20. 35. R. Schroder, Gesch. des ehel. Guterrechts 
I, 24-83. 

2 ) Das beweist das Recht des Mannes, seine Frau wie eine 
Sache zu verkaufen und verschenken. Er hat sie gekauft, darum 
kann er tiber sie verfiigen. Vgl. daruber den siebenten Abschnitt. 

8 ) Grag&s arfath. 3. Frostath. 3, 13. VestgOtal. I. arfdh. 7, • — 
Der Sohn einer Frau, fur welche kein Mundschatz gezahlt war und 
deren Hochzeit nicht Offentlich war, hiess nach Gulathingsb. 104 
hornungr. 

19* 



292 



So weit wir unser Alterthum durch Gesetzbttcher und 
Geschichtsschreiber kennen, sehen wir uberall den Brautkauf 
gezahlt. Er scheint ursprunglich nur in beweglichei 1 Habe 
gegeben zu sein ; das ergibt sich schon aus Tacitus German, 
c. 18. Allein schon zur Zeit der Aufzeichnung der Volksrechte 
bestund er auch in Landbesitz. Die HOhe dieses Mundschatzes 
war verschieden. Von der Verlobung der anglischen KOnigs- 
tochter mit dem warnischen KOnigssolme Hermigisil berichtet 
Procop ganz allgemein, dass grosse Schatze als Brautkauf 
gegeben seien 1 ); ebenso erz&hlt Paul Warnefrieds Sohn (III, 
27) nur, dass der LangobardenkOnig Authari mit grossen 
Geschenken um die Schwester des FrankenkOnigs Childe- 
bert II. warb. In den Eddaliedern 8 ) wird bald im allgemeinen 
von Gold gesprochen, bald bestimmteres angegeben. Atli gab 
fur Gudrun eine Menge Kostbarkeiten, viel Silber, dreissig 
Knechte und sieben Magde. 

Wir diirfen wohl annehmen, dass ursprunglich die HOhe 
des Brautkaufes dem Ubereinkommen der beiden Sippen tlber- 
lassen wurde, wie das in den langobardischen und westgoti- 
schen Gesetzen geradezu ausgesprochen wird 8 ), und sodann, 
dass er sich nach dem Geburtsrechte beider Theile 4 ) richtete. 
Es bildeten sich aber allmahlich gewisse Satze fur die hOchste 
und fiir die geringste Zahlung, um einerseits die Verschwen- 
dung und unbillige Anspruche, andererseits die Kargheit zu 
zugeln. 

Auf Island ward eine Mark (VI. alna aurar) als ge- 
.ringster Mundschatz angenommen imd Kinder einer Frau, 
die um geringeren Preis erkauft war, galten nicht fur erb- 
fahig (Grag. arf. 3). Fur eine edle Friesin waren acht Pfund 
acht Unzen acht Schilling acht Pfennige die wetma (21. Fries. 
Landrecht). Ein hOchster Satz scheint das s&chsische pretium 
emptionis von 300 solidi (1. Sax. 40). Die hOchste meta, 



J ) Proc. de b. got. 4, 20 xp^l^« TCt H€Y<iXa tC{» xf^<; |nvriOT€(a<; 

2 ) Lokasenna 42. Skirnism. 21. Atlam. 92. 

3 ) Ed. Roth. 190. 191. 215. 1. Liutprandi 89. 119. Wisigoth. III. 1, 2. 
*) Brunner, Rechtsgeschichte I, 266 f. ' " 



welche der ausser dem KOnig vornehmste Langobarde, der 
judex, zahlen durfte, betrug 400 solidi, andere Edele zahlten 
300 solidi 0. Liutpr. 6. 35). Die westgotische dos ') sollte den 
zehnten Theil des VermOgens des Brautigams nicht tlber- 
steigen; Vornehme durften ausserdem zehn Knechte, zehn 
Magde und dreissig Pferde oder Schmuck bis 1000 solidi 
geben (1. Wisig. in. 1, 5); auch hier kam ubrigens alles auf 
das getroffene Ubereinkommen an (III. 1, 2). Bei den Bur- 
gundern betrug der wittemo fur die ersten St&nde (optimates, 
mediocres) 50 sol., filr den leudis 15 sol.; bei den Alemannen 
werden 40 sol. angegeben 2 ). Wir mOgen alle diese Satze filr 
hOchste annehmen; denn einige derselben, wie der sachsische, 
sind in der That sehr bedeutend ; ausserdem neigt sich aber 
die Entwickelung schon frtih dahin, den Brautkauf nur als 
einen symbolischen Kauf zu behandeln, der als Leistung un- 
bedeutend, bloss die Anerkennungsform einer zu erftlllenden 
Kechtsforderung geworden ist. Dies muss bei den Salfranken 
zeitig geschehen sein, wo schon zur Zeit Chlodowechs die 
dem Vormund gezahlte arrha nur einen Solidus und einen 
Denar betrug; mit dieser Summe wurde Chlothilde dem Chlod- 
wig verlobt 8 ). Die Folge war, dass der Brautkauf allmahlich 
verschwand. Schon im alemannischen und bayrischen Volks- 
recht und in der lex Anglorum et Werinorum wird des 
Mundschatzes nicht besonders gedacht. Aber der Ausdruck 
puella empta im pactus Alemann. 3, 29 erinnert noch an 
die uralte Rechtsitte. Ein anderer Beweis fur' den schwabi- 
schen Mundschatz ist ferner die aus dem .12. Jahrhundert 
als Sw&ben § (usus et consuetudo Alemanniae) bezeugte Aus- 
setzung eines Widems fur die Braut 4 ). Der Brautkauf hat 



a ) Ich wage diese dos hierher zu stellen, weil im westgot. Gesetz 
durch die Ausdrticke pretium filiae und mercatio noch eine Erinne- 
rung an den Brautkauf lebt; jene dos wird aber der Braut selbst 
gegeben. 

2 ) R. Schroder, Ehel. Gtiterrechtl, 26-54. 

8 ) Gregor. Turon. epit. c. 18. form. Lindenbrog. 75. Bignon. 5, 
vgl. 1. Sal. 47, 1, wo der Brautkauf der Witwe in derselben Summe 
festgesetzt wird. 

4 ) R. Schroder a. a. 0. II, 1, 71 ff. . 



294 



sich hier wie auch sonst in ein Leibgedinge verwandelt; die 
Erinnerung an ihn hat sich, wenn auch abgeblasst, in der 
lange noch dauernden Redensart „ein Weib kaufen" 1 ) fort 
gefristet. Das Mundschafts- und Geschlechtsverhaltniss war 
lockerer geworden, andere Leistungen seitens des Mannes 
hatten sich ausgebildet und die Kirche stellte sich dem ver- 
meintlichen Erkaufen einer Seele entgegen'). 

Der Brautkauf war eine Erkaufung von Leib und Recht 
der Braut; in milderer Fassung eine AblOsung des Rechts, 
das die Sippe an sie hatte. Daraus folgt, dass der Brautkauf 
der Sippe oder dem Vertreter derselben, dem Mundwalt des 
Madchens zu leisten war 8 ). In Gegenwart der n&chsten An- 
verwandten wurde er dem rechtmassigen Yerlober tibergeben. 
So war das ursprungliche Recht und dahin ist auch die be- 
kannte Stelle des Tacitus (Germ. c. 18) zu deuten, obschon der- 
ROmer die Wertsachen, welche der Mann gibt, als Geschenke 
an die Braut aufgefasst hat. Trotz der schOnen Gedanken, 
welche er daran knttpft, bringt es die Art der Gegenstande 
schon mit sich, sie far Leistungen an die mannlichen Ver- 
wandten der Braut zu erklaren. Es sind Rinder, ein gezaumtes 
Ross, ferner ein Schild, Ger und Schwert, Dinge, welche noch 
in spaterer Zeit als Bestandtheile des Brautkaufes vor- 
kommen. So tlbersandte der ThtlringerkOnig Ermanfried dem 
ostgotischen Theoderich weisse Rosse als Brautkauf for Amal- 
berga (Cassiod. var. ep. 4, 1) ; so werden im westgotischen 
Gesetz neben Sklaven 4 ) dreissig Pferde, in frankischen Formeln 
Pferde, Rinder und anderes Vieh, in alemannischen Urkunden 5 ) 
Rosse, Rinder, Tttcher, im Norden sogar das Schwert (Loka- 



2 ) Grimm, Rechtsalterth. 421. Kraut, Vormundschafb 1, 175. 
R. Hildebrand im deutschen Worterb. V, 328. 

2 ) Das concil. Trevir. von 1227 verbietet den Verwandten oder 
Vormundern des Brautpaars quocunque colore quaesito aliquam pe- 
cuniam pro matrimonio contrahendo vel contrahendo impediendo 
zu nehmen, Hartzheim 3, 529. Das Yerstandniss des Brautkaufs ging 
in Deutschland frtih verloren. 

8 ) Grimm, Rechtsalterth. 423 ff. 

4 ) Sklaven auch 1. Alam. 45, 2. 

5 ) Neugart cod. dipl. Alem. I, 487 (a. 890). 



295 



senna 42) als Theile des Mundschatzes erwahnt. Von dieser 
im Recht begrftndeten Zuwendung des Brautschatzes ent- 
fernte man sich indessen allgemach und liess bald theilweise, 
bald ganz die Braut in den Genuss desselben treten. Nach 
der lex Saxonum (40) wird der Mundschatz noeh den Vor- 
mundern des Weibes ausgezahlt. Bei den Langobarden kam 
er bis gegen das 7. Jahrhundert eben denselben zu 1 ). Dann 
aber wich man vom alten Rechte ab: unter KOnig Liut- 
prand ist dem Vormund nnr noch ein geringer Antheil an 
dem Brautschatz als mundium gelassen und die meta ist 
als Brautgeschenk (sponsalitium) auf die Braut tibergegangen 
0. Liutpr. 114. 117). Bei den Franken kam die arrha, wie 
es scheint, stets dem Vormunde zu (Paul. Diac. Ill, 27) ; ihre 
geringe HOhe erweist sie, wie wir schon sahen, als eine 
bloss formale Leistung. Im burgundischen Gesetze wird der 
wittemo nur dann der Frau zuerkannt, wenn sie die dritte 
Ehe schliesst; bei der ersten Ehe fallen zwei Dritttheile des- 
selben den nachsten Verwandten (Schwertmagen oder Mutter 
und Schwestern) und nur ein Dritttheil der Braut zu; bei 
der zweiten Ehe kommt der ganze wittemo an die Eltern 
des verstorbenen Mannes. In dieser letzten Bestimmung zeigt 
sich wieder klar die Bedeutung des Brautkaufes als einer 
AblOsung der Frau von der bisherigen Bevormundung. Das 
westgotische Gesetzbuch hat dies ganz vergessen und spricht 
die dos nur der Frau zu. Ebenso fiel im Norden zur Zeit 
der Abfassung der Qberkommenen Rechtsbtlcher der mundr 
uberall der Braut anheim 2 ). • 

Der Brautkauf erwarb die Braut zii recbtem Eigen- 
thum; durch die tTbergabe der Braut in den Besitz des Brau- 
tigams fand er seine voile Gegenleistung. Wenn Tacitus 
(Germ. c. 18) ein Waffengeschenk, das die Verlobte dem Manne 



*) Auch aus ed. Roth. 178. 199 ergibt sich nichts anderes; 
R. Schroder, Guterr. 1, 35 f. 

2) Gragas festath. 50. Gulath, b. 54. 64. Aus Grag. fest. 7 l&sst 
sich schliessen, dass er wenigstens durch die Hand des Verlobers 
ging. — K Lehmann, Verlobung und Trauung nach den nordgerm. 
Rechten, S. 61. 



macht, als Erwiderung des Mundschatzes angibt, so thut er 
das in irriger Auffassung der Rechtsverhaltnisse bei der ger- 
manischen Eheschliessung. 

Die Braut ward in aitester Zeit wie noch heute von 
ihren Eltern oder Verwandten fQr die Ehe ausgestattet und 
diese Mi t gift 1 ) war zugleich eine Erbabfindung. 

Aus dem alten Ausschluss der Weiber von dem Land- 
besitz folgt, dass ursprttnglich den Brauten nur fahrende 
Habe mitgegeben werden konnte. Der frankische KOnig Chil- 
perich stattete seine Tochter bei ihrer Vermahlung mit dem 
WestgotenkOnig mit viel Kostbarkeiten aus, ebenso ward sie 
von der Mutter Fredegunde mit Gold und Silber und Ge- 
wandern so reich ausgerttstet, dass dem Vater far seinen 
Schatz bange ward. Die Grossen des Reiches so wie die Stadt- 
bewohjier brachten ferner als anbefohlene Ausstattungsbei- 
steuer Gold und Silber, die meisten aber Kleider 2 ). Brynhild, 
Gudrun, Oddrun, Svanhild wurden nach den Eddaliedern mit 
Gold und kostbaren Gewandern ausgestattet 3 ); ebenso er- 
scheint Geld, verarbeitetes edles Metall und kostbares Pelz- 
werk auch sonst im Norden als Mitgift. Bei FurstentOchtern 
war ein mehr oder minder grosses Hofgesinde, aus Ministe- 
rialen und TOchtern Dienstpflichtiger bestehend, nicht selten 
ein Theil der Ausstattung. So liess KOnig Chilperich seiner 
Tochter einen grossen Hofstaat folgen 4 ), und zu Sigeband 
von Irland zog nach dem Gudrunepos die junge Furstin von 
Norwegen von einer grossen Schaar Bitter und Jungfrauen 

*) heim8tiur, histiur. nd. ittgedom (Grupen de uxore theot. 125). 
fries, boldbreng, bruetscat, fletjeve. altn. heimgiof, heimanfylgja, Mm- 
fylg&, heimanferd, hemfdrdh, medhfyigcth heimanmundr. omynd. mala. 
mit. faderfium (longobard.), paraphernalia, illata, dos. 

) Greg. Tur. VI, 45. Uber die Prinzessinnensteuer Grupen de 
uxore theot. p. 29. 

. 3 ) Sl 'gurdarqu. in skamma 2. Guftrunarqu. Il> L Gudrunarhvot 16. 

Oddrunargr. U. D er teclmische alte Ausdruck v*** mey gMi 9oeda, 

retfa. - gera mey heiman vid ft oh gum p orn ra annas - 3 > no - 10 > 75. 

4 ) Chilperich verfulrr dabei mit der "crOssteU- Willka r und zwang 

trotz ilires Widerstrebens alle Freien, d f fi er ausgewahlt hatte, mit 

nach Spanien 2u z i e hen, Gregor. tur. yj 45 



297 



begleitet (Gudrun, Str. 9. 12) ] ). Bei der Erziehung der Mad- 
chen ward bereits des Brauches gedacht (S. 92), dass die 
Unfreie, welche mit der freien Tochter des Hauses aufge- 
wachsen war, ihr gewOhnlich zu dem Gatten folgte. . Auch 
der Schwabenspiegel (Landr. 73) filhrt eigene Leute als Aus- 
steuer auf. 

Mehr als bei dem Brautkauf kam bei der Mitgift, als 
einer freiwilligen Leistung, alles auf die Meinung der Eltern 
oder Verwandten und auf die VermOgenszustande der Familie 
der Braut an. Die skandinavischen Gesetze enthalten Be- 
stimmungen ilber die HOhe; so finden wir im ostgotlan- 
dischen Gesetz (giptab. 2) einen festen Satz (lagha6mynd), 
der vielleicht nur als die niedrigste Mitgift gelten soil. Fur 
freie betragt sie namlich neun Ore 2 ), die sogar nach dem 
Tode einer Frau, welche ohne Mitgift verheiratet worden war, 
behufs der Erbtheilung aus dem YermOgen des Mannes heraus- 
genommen wurde ; bei Ehen zwischen freien und unfreien 
sechs Ore, bei unfreien nur zwei Ore (giptab. 29, 1. 2). 
Im Gutalag (65) sind als hOchste Mitgift zwei Mark Goldes 
angesetzt, die nicht flberschritten werden dtirfen ; ebenso sind 
auch sonst Bestimmungen fiber die erlaubte HOhe gegeben. 
Auf Island durfte, wie das sehr begreiflich war, die Mitgift 
das Erbtheil der SOhne nicht dberragen (Gragas arfathattr 2) ; 
auf Seeland, wo die TOchter nur halbes Sohnestheil erbten, 
war die Aussteuer an diesen Satz gebunden (Sjel. lag. 1, 7). 
Mit der Umanderung, dass die Frauen auch Land erben 
konnten, war natttrlich die MOglichkeit gegeben, die Tpchter 
mit liegendem Eigen auszustatten. Das alteste mir bekannte 
Beispiel findet sich bei der Vermahlung der Schwester Theo- 
derichs des Grossen, Amalafrid, mit dem WandalenkOnig 
Trasamund, indem ihr der Bruder das sicilische Vorgebirge 

*) Die tausend angesehenen Goten, denen wieder 5000 streit- 
baror Manner als Gesinde folgten, welche Theodorich seine Schwester 
Amalafried zu ihrem Gemahl, dem Wandalenkonig Trasamund, als 
Leibwache begleiten liess (Procop. de b. vandal. I, 8), sind wohl keine 
bleibende Umgebung dor Fiirstin gewesen. 

2 ) Acht Ore gingen auf die Mark Silber.. 



298 



Lilybaum zur Mitgift aussetzte (Procop. b. vand. 1, 8). In den 
nordischen Geschichten erscheint Landbesitz nicht selten als 
Mitgift der FttrstentOchter und der Madchen aus gi*ossen Bauern- 
hOfen 1 ). Als der schwedische KOnig Ingi seine Tochter Marga- 
rete dem norwegischen KOnige Magnus dem barfQssigen ver- 
mahlte, bestimmte er die Guter in Gautland, um die sie zuvor 
gestritten hatten, zur Aussteuer (Fornm. sOg. 7, 62). KOnig 
Ingi Bardarson von Norwegen beseitigte seinen GegenkOnig 
Philipp durch die Heirat mit seiner Nichte Kristina. Die 
Birkibeiner, Ingis Anhanger, hatten aber ausdrucklich be- 
dungen, dass mehrere norwegische Landschaften, UpplOnd und 
ein Theil von Vik, Kristinas Aussteuer sein sollten (Fornrns. 
9, 183) *). Die gotlandischen Rechtsbilcher lassen ebenso un^ 
bedenklich im allgemeinen liegendes Eigen zu Mitgift geben 
und vererben 8 ). Im ostgotiandischen Heiraterecht wird aus- 
fdhrliches aber die Aussteuer bestimmt. Zuerst solle man 
der freien Frau ein Kopfpolster aussetzen, sodann liegendes 
Eigen, wenn solches vorhanden, und zum dritten Gold und 
Silber. 1st sie unvermOgend, so nehme man was da ist und 
bilde die Mitgift nach jenen drei Haupttheilen (giptab. 1). 
Auch im uplandischen Gesetz (III, 8) wird liegendes Eigen 
neben fahrender Habe ausdrucklich als Mitgift erwahnt 4 ). 

Wer die Mitgift festsetzte, ist deutlich ; es sind die recht- 
massigen Verlober, also die Eltern Oder die Bruder oder die 
sonst nachsten Verwandten. Die Mutter scheint sich namentlich 



-1 ) Nach der Snorra-Edda (27) bringt Skafti dem Niprctr ihr vater- 
liches Gut Thrymheim zu. Skadi tritt uberhaupt in jeder Art als 
Erbin des Vaters auf. Vgl. auch Grimm, Kechtsalt. 430. . 

2 ) Die reiche Isianderin Unnr gab ihrer Nichte Thorger^r das 
ganze Lachsthal (Laxardal) zur Mitgift (Laxdoelas. c. 5). 

3 ) VestgOtaL I. iOrdb. 1. OstgOtal. giptab. 16. 12, 1. 

4 ) Yon der Mitgift wird haufig die Ausstattung (Aussteuer, 
Kistenpfand,Brautwagen, ingedom, boldbreng) unterschieden; darunter 
sind die Geschenke zur hauslichen Einrichtung und in die Wirtschaft 
verstanden, welche die Eltern dem jungen Paare geben, vgl. Mitter- 
maier, Deutsches Privatr. §. 392. (II, 338). Die Scheidung ist jedoch 
schwer durchzufiihren. 



299 



bei der Aussteuer der Tochter betheiligt zu haben '), wie denn 
auch ihre eigene Mitgift entweder ganz oder zum grOssten 
Theile auf die TOchter vererbte (OstgOtal. giptab. 12, 28). 
Sind die Eltern todt, so haben die BrQder die Schwestern 
mit dem ihnen zukommenden Erbtheile auszustatten ; sitzen 
Voll- und Halbbrtider zugleich im Gute, so sind nur jene zur 
Beisteuer verpflichtet (OstgOtal. giptab. 28). Verheiratet sich 
ein Witwer wieder, so muss er seinen SOhnen die Urg&f 
geben, das heisst, ihnen sein halbes VermOgen abtreten; die 
TOchter mtlssen sich mit ihrer Ausstattung begnugen (Ost- 
gOtal. affdhab. 9). Waren einige TOchter ausgestattet und 
verheiratet und die andern nicht, so hatten die verheirateten 
nach dem Tode des Vaters ihre Mitgift zur Erbtheilung zuruck- 
zubringen und die ganze Masse ward nun unter die Kinder 
nach den bestehenden Vorschriften vertheilt 8 ). .Erhuben sich 
nach der Vermahlung Streitigkeiten tlber die Aussteuer, so 
hatte nach ostgotlandischem Recht (giptab. 11) der Verlober 
seine Aussage tlber das, was er gegeben hatte, mit dem 
Eide zweier Verwandten und zwOlf gekorener Zeugen (meth 
tvem af nithinne" ok tolf valinkunnum) zu untersttitzen. 
Nach dem norwegischen Hakonarbuche (c. 50) entschied das 
Zeugniss zweier Zeugen der Verlobung.War man vor Bestel- 
lung der Mitgift daruber uneinig, so hatte nach friesischem. 
Bechte (Brockemer ges. 166*) der rMjeva (Richter) einen 
Makler (mekere) zu ernennen und dieser mit zwei zuver- 
lassigen Mannern oder Frauen die Mitgift festzusetzen. Nach 
den Emsiger Satzungen (Pfennigsch. §. 16) bestimmte der 
Pfarrer des Wohnortes der Braut mit dem Verlober und zwei 
ehrenfesten Mannern die Mitgift. 

Schon aus einigen der hier angefuhrten gesetzlichen 
Bestimmungen erhellt, dass die Mitgift recht eigentlich weib- 
liches Gut war, tlber das der Mann kein Verftigungsrecht 
hatte und das mit der Familie der Frau im Zusammenhange 
blieb. Am deutlichsten spricht dies das upl&ndisclae GeaeXa 



3 ) Vgl. Gragas aifath. 2. OstgOtal. giptab. 12. 
2 ) Uplandsl. Ill, 8. 



800 



(III, 8) aus, welches den Besitz der Mitgift far die Frau als 
abhangig von dem Widerrufe der Eltern darsteUt, denn nie- 
mand konne einen lebenden beerben. Anderwarts tritt ein 
Aufsichtsrecht der Verwandten der Frau aber die Mitgift her- 
vor, wieim friesischen Landrechte (4); Verkaufe oder Tausch 
sind daher von der Einwffligung des Hauptes ihrer Famine 
abhangig. Viel kam darauf an, ob die Ehe kinderlos war oder 
nicht. Waren Kinder vorhanden, also Erben der Frau im 
Geschlechte des Mannes, so war auch die Mitgift in festerer 
Verbindung mit diesem; das ostgotlandische Gesetz gestattete 
daher auch den Verkauf der Mitgift ohne.EinwilligUng des 
fruheren Vormundes, sobald derselbe nur vortheilhaft war 1 ) 
Kinderlosigkeit bedingte aber den Backfall der Mitgift an die 
Eltern und namentlich an die Mutter der Frau 2 ) nach dem 
Tode derselben, sowie natarlich eine vollige Ausschliessung 
dieses Vermogentheils von dem Verfttgungsrechte des Mannes s ) 
Glaubiger desselben hatten darum nicht den mindesten An 
spruch auf die Mitgift 4 ). Nur in zwei Fallen durfte nach ost 
gotlandischem Rechte (giptab. 14, 1) der Mann die Mitgift 
semer Frau veraussern: erstens wenn er bei einer Hungers- 
noth schon alles eigene Gut verkauft hatte, und zweitens 
wenn ihm die Frau im Kriege geraubt war und er zu ihrer 
Auslosung nichts besass. Im ersten Falle musste er die Mit 
gift jedoch, sobald sich seine Vermogensumstande gebessert 
hatten, zurackerstatten, ausgenommen, er habe an demNiess 
brauche des Verkaufsgeldes keinen Theil genommen 

Die deutschen Volksrechte enthalten fiber die Mit-ift 
im ganzen wenig, da sie eine persOnliche Unterstatzuns der 
Braut seitens der Ihren, aber keine rechtlich geforderS 
Leistung an den Brautigam war. Aus der lex Alamannomm 
und der l ex Bajuvariorum ergibt sich nur, dass emTZT 
stattung de r TOchter ablich war'); aus der lex Saxonunf ist 



*) Til baetra ok egh til saembra, OstgOtal. gi ptab u , 

J Grag arfath. 2. Gutal. 20, 18. Ostgotal. gfpLb 7 ' 

8 ) Brockem. ges. 136* 16. Weist. 1 147 

*) Gulath. 115. Hakonarb. 73. ' 

5 ) L. Alam. Hloth. 55, 2. 1. Bajuv. VIII, U. XV, 8 . lo 



301 



sie nicht mit Bestimmtheit zu folgern. Bei den Angelsachsen 
scheint die Aussteuer erst seit der normannischen Eroberung 
in Brauch gekommen zu sein 1 ). Bei den Salfranken war eine 
Mitgift tiblich, die in beweglichen Sachen gegeben (1. Sal. 102 
Merkel) und nicht als Erbabfindung der Tochter behandelt ward. 

Bei den Langobarden hat die Mitgift den Charakter 
einer Erbabfindung auf das v&terliche VermOgen angenommen 
und heisst daher das Vatergeld (faderfio) 2 ); lebt der Vater 
bei der Verheiratung nicht mehr, so hat sie der Bruder der 
Schwester zu geben. Bei den Westgoten ist die Mitgift durch 
rOmischen Einfluss in ihrem Wesen noch mehr als bei den 
Langobarden verandert. Sie ist ein Theil des Erbes der Tochter, 
der eine Gegenleistung gegen den Brautkauf wird und kann 
auch in Grundstiicken gegeben werden (1. Wisig. Ill, 1, 5. 
IV, 5, 3). 

In den Bechten des spateren Mittelalters erscheint die 
Mitgift oft als Erbabfindung. Alles was der Tochter in die 
Ehe mitgegeben ist, wird im alemannisch-schwabischen wie 
im bayrischen Becht unter den Namen histiure (Heiratsunter- 
sttltzung), heimstiure, estiure, spater auch Haussteuer be- 
griffen. Sie besteht gewOhnlich in Geld oder auch in fahren- 
der Habe; nur ausnahmsweise ward sie in hOrigen Leuten 
(Schwabensp. 73), zuweilen in Grundeigenthum bestellt. Die 
Heimsteuerist eine Beihilfe zum Ehestande, an der die Frau 
wie der Mann den Genuss hat. Spaterhin ist die Heimsteuer 
aber keine Erbabfindung mehr, sondern neben ihr erscheint 
noch eine Erbbetheiligung an dem elterlichen VermOgen. 

Im frankischen Recht kam die Heimsteuer in die Htade 
des Mannes, der die Leibzucht an ihr hatte*). 

Unter der Wandlung, die in den spateren Bechten mit 
der Aussteuer eingetreten war, so dass sie in der That als 
erheblicher Theil des VermOgens der Ehegatten erscheinen 
konnte, und bei der Scheinbedeutung, welche der alte Braut- 



*) R. Schroder, Ehel. Guterrecht I, 119 f 

a ) ed. Rothar. 181. 182. 199. 200. 1. Liutpr. 3. 102. 

3 ) R. Schroder, Guterrecht II. 1, 11—24. 2,- 234 ff. 



802 



kauf langst angenommen hatte, war es natarlich, dass seitens 
des Mannes eine Leistung zu Gunsten der Frau sich bilden 
musste, welche bestimmt war, eine Gtegen- oder Widerlegung 
gegen das Eingebrachte der Frau herzustellen. Das ist denn 
in den nordischen wie in den deutschen Ltadern geschehen. 

Nach ostgotlandischem Rechte (giptab. 3, 15) musste 
der Mann, wenn die Mitgift den sechsten Theil eines attung 
von bebautem Lande (i bygdum by) oder drei Mark von ab- 
gesondert liegendem Felde (i humpi aella hapi) betrug, zwei 
Mark als Gegenbrautkauf (vidarmund) und zehn Ore als 
Mantelkauf (mOttulkOp) dagegen legen. Beide Summen 
werden zur Mitgift gethan und die Witwe nimmt sie samt 
dieser von dem ungetheilten Erbe des Mannes voraus. In den 
ubrigen schwedischen Gesetzen ist das Wesen dieser Wider- 
lage nicht klar ausgebildet 1 ). Neben ihr findet sich hier noch 
der laghathridhjung, das ist das gesetzmassige Dritttheil der 
fahrenden Habe des Mannes, das die Witwe von seinem un- 
getheilten Erbe vorausnahm *). 

Der allgemeine Name jener Widerlegung, in Norwegen 
wenigstens, wo das nordgermanische Becht sich am reichsten 
entfaltete, tibrigens auch in einem Theile Schwedens, war 
Zugabe, tilgiOf 8 ). Sie ward am Verlobungstage, sobald das 
VerlObniss geschlossen war, tlbergeben und erscheint als Ver- 
mehrung des Brautkaufs, nachdem dieser zum Eigenthume 
der Braut geworden war. Zur Mitgift stimmt sie, insofern 
sie ebenfalls zum Niessbrauche der Frau diente (besonders 
war sie fur ihre Witwenschaft bestimmt), unterscheidet sich 
aber von jener dadurch, dass die Verwandten der Frau keine 
Ansprtiche an sie haben. Stirbt die Frau vor dem Manne, 
so failt die Zugabe an den Mann zurttck 4 ); ebenso fiel Zu- 
gabe und Brautkauf an diesen bei Ehebruch oder bOslicher 



*) K. Lehmann, Verlobung und Hochzeit 59 ff. 
2 ) VestgOtal. I. arfth. 18. giptab. 9, 2. Uplandsl. III. 3. 7. 
8 ) Grimm, Rechtsalterth. 430. Lehmann, Verlobung und Hoch- 
zeit 68. 

*) Hakonarb. 51. Biarkeyjar r. 105. 123. 



303 



Verlassung seitens des Weibes (Frostath. 11, 14). Bei einer 
Verausserung der Zugabe hatte der Mann naturlich ein gleiches 
Einspruchsrecht wie die Frau bei der Mitgift. Ihre HOhe 
musste sich ihrer ursprunglichen Bestimmung gemass nach 
der Mitgift richten; Brauch ward, dass sie dem dritten Theile 
dieser gleich kam und sie hiess darum auch Drittelsver- 
mehrung, thridjungs auki. 

tiber das Bestehn der Zugabe in Danemark lasst sich 
nichts sagen. Auf Island war sie nicht nOthig, da hier der 
Brautkauf in alter Weise fort bestund und der Frau zuflel. 
In England verhielt es sich damit also. Der Brautkauf war, 
wie es scheint, durch den Einfluss der G-eistlichkeit bald ab- 
gekommen o'der wenigstens eigenthumlich als eine Erziehungs- 
entschadigung (f6sterle&n) far die Verwandten der Braut be- 
trachtet. Nach Edmunds Bestimmungen von 940 hat der 
Brautigam dem Verlober (forspreca) zu versprechen und zu 
bezeugen, dass er die Braut nach Kecht und Billigkeit halten 
wolle; sodann gelobt und verwettet er den Erziehungslohn, 
bestimmt die Morgengabe und das was sie nach seinem Tode 
haben solle, also eine Summe, die wir der nordischen tilgiof 
vergleichen darfen. Nachdem hierdurch der VermOgensanspruch 
der Frau festgesetzt ist, wird die Verlobung mit Verbttrgung 
der Verwandten far das Gelobte geschlossen. 

In Deutschland hat sich dieWiderlegung oder Wider- 
lage 1 ) seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts entwickelt. 
Sie ist eine Leistung des Mannes zu Gunsten der Frau, die 
far die Heimsteuer eine Erwiderung gibt und die sich ausbildet, 
weil der alte Brautkauf verschwunden ist. Diese Widerlegung 
l&sst sich in Schwaben seit jener Zeit deutlich erkennen und 
hat dann auch auf das bayrisch-Osterreichische Recht gewirkt; 
sie ist neben die Morgengabe getreten, die hier anfanglich 
die Heimsteuer aufwog. Nicht minder hat die schwabische 



2 ) Der ubliche Ausdruck Widerlage flndet sich, wie Schroder, 
Ehel. Guterrecht IL 1, 76, 2, 136 schon bemerkt hat, nicht in den 
alten Quellen. Andere Benennungen sind Widerbringung, dotalitium, 
augmentum dotis, compensatio dotis, vgl. ebd. II. 1, 85. 



804 



Widerlegung in Ostfranken Eingang gefunden, sich aber in 
andern frankischen Gegenden nicht eingebQrgert l ). 

Hier war der Widum oder Wittum*) Rechtsgewohn- 
heit; der Mann bestellte einen Theil seines VermOgens durch 
Vertrag zum Unterhalt der ihn Qberlebenden Frau. Aber die 
Frau ward auch schon bei Lebzeiten des Gatten in den Be- 
sitz des Widums eingewiesen. Ihr Verh&ltniss zu dem Widum 
war dieses, dass es zu ihrer Leibzucht bestimmt war, wes- 
halb es auch Leibzucht, Leibgedinge genannt ward. Dieses 
frankische Widum ist besonders im adlichen und ritterlichen 
Stande ublich gewesen. • 

Im thttringischen Recht finden wir das Leibgedinge, 
vielleicht unter frankischem Einfluss, der Widerlegung ganz 
entsprechend. Im ganzen sachsischen Rechtsgebiet war die 
liftucht seit dem 13./14. Jahrhundert eine ganz allgemeine 
Einrichtung, die wir als jungere Nachfolgerin des Mundschatzes 
erklaren. Die Frau hatte bei Lebzeiten des Mannes ein gewisses 
dingliches Recht an dieselbe, in den Genuss trat sie aber 
erst nach AuflOsung der Ehe 8 ). 

Neben der Zugabe (tilgiOf) sehen wir in den gotlandi- 
schen Rechten eine gesetzlich geforderte Leistung, welche 
sich auch erst aus den veranderten Rechtsverhaltnissen ge- 
stattete, die Vingjaef (Verwandtengabe). Sie wurde an den 
Verlober als an das Haupt der Familie der Braut gezahlt und 
betrug nach westgotlandischem Recht (I. giptab. 2) gesetzlich 
drei Mark. Am Verlobungstage beredet, ward sie erst nach 
Beschreitung des Ehebettes entrichtet 4 ) ; sie ist im wesent- 



i) R. Schroder II. 1, 76-93, 2, 236 ff. 

2 ) ahd. widamo (— imo, — umo) wird durch dos glossirt, mhd, 
wideme, widem bedeutet Dotation der Ehefrau und auch einer Ejrche. 
In der Bedeutung Pfarrgut ist Widum in Oberdeutschland (namentl. 
bajuvar. G-ebietes) ganz iiblich, im ostlichen Mitteldeutschland Wi- 
demut. Mit Witwe hat das Wort keine Verwandtschaft, die Etymo- 
logic ist noch nicht festgestellt. — Burgund. wittimo, ags. weotuma. 

3) R> Schroder II. 3, 349 ff. 

4 ) Aen tfuer komce bathi a en bulstcer ok undir ena bleo, Vest- 
gotal. I. gipt. 2. Ostgotal. giptab. 10, 2. tfber die vingiaf K. Lehmann, 
Yerlobung und Hochzeit 67. 



lichen der Brautkauf, nur unter anderem Namen, also eine 
Loskaufung der Braut aus der angebornen Mundschaft. 

Etwas ahnliches, wenn auch nur als Geschenk und 
nicht als pflichtmassige Leistung von rechtlicher Wirkung, 
lasst sich in den Ehrungen nachweisen, welche im 14. und 
15. Jahrhundert in Bayern der Brautigam an die Eltern und 
Geschwister der Braut gab 1 ). Haufiger und in deutschen 
Gegenden noch heute bei der Hochzeit Brauch sind Geschenke 
der Braut an die Familie des Mannes. Sie mussen in Skan- 
dinavien in sehr alter Zeit gesetzliches Herkommen gewesen 
sein, denn das Eddalied von Thrymr erzahlt, wie die Schwester 
des Riesen von der vermeintlichen Braut des Bruders die 
Brautgabe (briidfg) verlangte. Dieselbe scheint in Geld- und 
Schmucksachen bestanden zu haben (Thrymsqu. 29. 32). In 
bayrischen Gegenden schenkt die Braut heute den Verwandten 
des Mannes und dem Brautfahrer Schnupftucher und auch 
wohl ein Hemde (Schmeller a. a. 0. I 2 , 583. 2 2 , 766). Ahn- 
liche Gaben kommen in Schlesien dem Brautfahrer oder Hoch- 
zeitbitter zu, der auch sonst ausserlich an die Stelle des 
Verlobers des Madchens getreten ist. 

Seit alter Zeit Qberreichte der Brautigam der Braut am 
Verlobungstage Geschenke, die bei Reichen in kostbaren Ringen 
und andern Schmucksachen bestunden 2 ). Einfachere Gaben 
sind das Paar Schuhe, das in westfalischen Statutarrechten 
des 14. Jahrhunderts der Brautigam der Braut bei der Ver- 
lobung gibt, zum Symbol, dass er sie nun in seine Gewalt 
nimmt. Dasselbe wird schon von Gregor v. Tours erwahnt 
(Grimm, RA. 155). Eine westfalische Gegengabe der Braut 
war ein Paar linnener Kleider (Jahrb. f. nd. Sprachf. 3, 127) s ). 
Bereits im 13. Jahrhundert war es nOthig, Verordnungen 
iiber diese Yerlobungsgaben zu erlassen, um die Verschwen- 
dung einigermassen zu ziigeln. So bestimmte die Hamburger 



2 ) Miinchener Magistratsverordnung von 1405 (Schmeller, 
Bayerisches WOrterbuch l 2 , 126). Schr5der, Ehel. Gtiterrecht II. 1, 1. 

2 ) Fornmannas. II, 128. Konrads Alexius 230. 

3 ) Cher denSchuh in den Hochzeitgaben: P. Sartori, Z. d. V. 
f. Volkskunde 4, 166 ff. 

Weinhold, Deutsche Frauen. I. v 



806 



Hochzeitordnung von 1292 *), dass der Brautigam der Braut 
nur ein Paar Schuhe schicken dQrfe, die Braut ihm dagegen 
ein Paar.Linnenkleider, eine Haube, einen Gurtel und einen 
Beutel. Anderwarts waren andere Gaben brauchlich und er- 
laubt. In Lttbeck gab nach der lubischen Hochzeitordnung 
von 1566*) ein Brautigam seiner Braut am Verlobungstage 
einen Rosenkranz (vifftich), in spateren Zeiten drei oder vier 
goldene Ringe, zwei goldene Ketten, drei Sammtkragen und 
drei Paar Armel (mouwen); war er ein Patrizier, ausserdem 
einen Patrizierkragen, den witten. Die Braut verehrte dem 
Brautigam eine Badekappe und ein Hemd, in spaterer Zeit 
kamen zu dem Hemde zwei Schnupfttlcher, ein Barett und 
der Trauring. Zu dem ltlbischen stimmt im wesentlichen der 
Brauch, der noch heute bei Hochzeiten in Schlesien gilt. Der 
Brautigam gibt der Braut das Brautkleid, den Schmuck und 
ein Gebetbuch, die Braut ihm das Brautigamshemd , ein 
Schnupftuch und zuweilen die Weste, ausserdem bringt sie 
fQr ihn gewOhnlich noch ein halb Dutzend Hemde und ein 
Dutzend Taschentttcher mit. 

Ebenso gibt in der Oberpfalz der Brautigam am Ver- 
lobungstage (dort Heiratstag genannt) zur Bestatigung des 
tibereinkommens der Braut Seidenstoff zu einem Mieder, 
ein seidenes Halstuch, ein Fingerlein, Wachsstock, Gebetbuch 
und als Hauptstuck den Eherosenkranz, einen oft kostbaren 
silbernen Rosenkranz (Paternoster), der als Erbstiick in der 
Familie bleibt (SchOnwerth, Aus der Oberpfalz I, 56). 

Auch die Zeugen der Verlobung, so wie uberhaupt die 
nachsten Verwandten scheinen in alterer Zeit die Neuver- 
lobten beschenkt zu haben. In den unter dem Namen Rud- 
lieb bekannten lateinischen Novellenfragmenten des 11. Jahr- 
hunderts wird erzahlt, dass Rudlieb seinem Nefifen bei der 
Verlobung ein langes Pelzkleid und ein gezaumtes Ross, der 
Braut aber Spangen, Annringe, Fingerreife und einen kost- 
baren Pelz gab. Ebenso ftberreichten die andern Zeugen Qe- 

*) Lappenberg, Hamburger Rechtsalterthumer I, 160. 

2 ) Michelsen und Asmussen, Archiv I. 1, 60 ff. Kiel 1833. 



307 



schenke (Rudl. XIV, 90—98). Jetzt sind diese Gaben auf den 
Hochzeittag verlegt worden, da die Verlobung selbst von 
ihrer alten Bedeutung das meiste verloren hat. 



Wenn der Mundwalt des Madchens seine Einwilligung 
zu der Verlobung gegeben und der Brautkauf, sowie nach 
der spateren Entwicklung die andern Leistungen von beiden 
Seiten beredet waren, erfolgte die Verlobung 1 ) des Paares. 
Sie geschah natQrlich, wo nicht das Selbstverlobungsrecht 
der Frauen aufgekommen war, durch den gesetzlich berech- 
tigten Vormund (Vater, aitesten Bruder u. s. w.) des Mad- 
chens: es war ein Vertragschluss daruber, dass der Vormund 
sich verbiirgte, die Braut dem Brautigam zur Frau zu tlber- 
geben, und der Brautigam sich verpflichtete, sie zur Gattin 
anzunehmen. Es wurden sinnbildliche Pfander (Wetten) ge- 
geben, und durch Handschlag oder durch Eid der Vertrag 
befestigt. 

Die Handlung musste Offentlich und vor den Verwandten 
beider Theile erfolgen; Tacitus erwahnt (Germ. c. 18), dass die 
Eltern und Verwandten bei der Eheberedung gegenwartig seien. 
In den Hauptztigen wird uns der Vorgang im Nibelungenliede 



2 ) Verlobung ist ein neueres Wort; verloben wird erst seit 
dem 15. Jahrh. fur desponsare gebraucht, die alteren Ausdrucke sind 
mahelschaft, gemahelschaft, mahelunge; Zeitwort ahd. mahaljan, gi- 
mahalan, alts, gimahljan, inhd. mahelen, gemahelen, vermahlen 
(altn. mala), das heisst bereden, im besonderen die Ehe bereden, 
zur Ehe versprechen. Ahd. gimahalo, gimahala, sponsus, sponsa, 
mhd. gemahele, gemahel (m. f.) ; mahelscaz Brautschatz, mahelvingerlin 
Verlobungsring. Andere deutsche und nordische Worte fur verloben: 
vestenen, bevestenen, altn. festa; handvesten, handfesta jungfru manni 
til handa. Der Verlobungstag in den skandinavischen Gesetzen: 
fdstingastemma, fastnadarstemma. Brautigam: fastimadr, Braut: 
fdstikona. Verloben ags. veddian to wife and to reht life. Fur Ver- 
lobung sind ferner jiingere deutsche Bezeichnungen Brautlauf 
(Schmeller l 2 , 371) Gebtag, Stuelfeste, Heirat, Heiratstag (Schmeller 
l 2 , 591. 866. 1024. 2 2 , 753). Brautigam: got. briipfads, ahd. pruti- 
gomo, mhd. brutgome, ags. brydguma, altn. brudgumi. Braut: briips, 
prut, bryd, brudr. 

20* 



806 



(1617 — 1624) bei der Verlobung der Tochter RQdegers von Bech- 
laren mit dem jungen KOnig Giselher geschildert. Nachdem 
die BrQder Giselhers, GQnther und Gemot, urn die Jungfrau 
geworben haben und ihr seitens des burgundischen Geschlechtes 
das Wittum ausgesetzt ist, RQdeger aber, da er kein eigenes 
Land besitzt, eine grosse Summe Goldes und Silbers zur 
Heimsteuer versprochen hat, heisst man das junge Paar nach 
der Sitte in einen Kreis (rinc) treten. Dann fragt man die 
Jungfrau, ob sie den Recken zum Manne wolle, und auf Rath 
ihres Vaters antwortet sie ja. Giselher gibt ihr darauf das 
HandgelObniss 1 ) undRudeger gelobt, ihmdieBraut bei derHeim- 
reise zu tlbergeben. Das HandgelObniss, der Handschlag*), 
besiegelt nach germanischer Sitte den Vertrag. Derselbe kann 
also ursprunglich nur zwischen dem Verlober xmd dem 
Brautigam geschehen sein. Wenn wir nun sp&ter das junge 
Paar sich die H&nde reichen sehen (und sich umarmen), so 
ist das eine andere symbolische Handlung, das Zeichen der 
Yereinigung, die dextrarum junctio des rOmischen Rechtes, 
die in das Ritual der katholischen Kirche aufgenommen ist. 
Bei den Iraniern schliesst das Zusammenfugen der Hande 
des Brautpaares die Ehe, und auch bei den heutigen Indern 
fugt der Yater der Braut die Hand derselben mit der des 
Brautigams zusammen (Winternitz 49). Handschlag hat sich 
als Benennung der feierlichen Yerlobung noch bis in die 
Gegenwart in deutschen Landschaften erhalten: so bei den 
Siebenburger Sachsen, im schwabischen Riess, in Franken, 
in Oberhessen; Handstreich in der Eifel; Handfeste in Bayern, 
namentlich in der Oberpfalz. 

Bei der Yerlobung auf Bechlaren erscheint nur der Hand- 
schlag als symbolische Handlung. Andere kennen wir aus 
Jtechtsformeln, Urkunden und Gedichten. In einer lango- 



2 ) Es ist abgekurzt 1623, 3 gesagt: vil schiere do was da mit 
sinen wizen handen, der si umbesioz, Giselher. 

*) Sohm, Das Recht der Eheschliessung 48. K. Lehmann, Yer- 
lobung und Hochzeit 77. 130. 133. Cber den Unterschied von dem 
landrechtlichen festa von dem handsaelja (kirchliche Yerlobung) 
Lehmann 108. 



bardischen Verlobungsformel (zu ed. Roth. 182 Verlobung 
einer Witwe) 1 ) verlobt der Mundwalt der Frau dieselbe unter 
LFberreichung von Schwert und Handschuh: d. h. er flber- 
gibt mit dem Schwert das Recht fiber Leib und Leben und 
aberreicht das Pfand fur die tJbergabe der Frau und ihres 
VermOgens durch den Handschuh 2 ). Schwert, Mantel und 
Handschuh sind die Pfander, welche in einer spateren Ver- 
lobungsformel fur eine salische Witwe 8 ) vor langobardischem 
Grafengericht der Verlober dem Brautigam far die spatere 
Ubergabe der Frau samt ihrem VermOgen reicht: der Mantel 
ist Symbol des Schutzverhaitnisses (Grimm, RA. 160 4 )). Hier- 
nach leistet der Brautigam BQrgschaft, dass er die Frau zur 
Gattin nehmen werde, unter Feststellung der Busse, die er 
zu erlegen hat, wenn er sich der Verpflichtung entziehe, und 
gibt ihr darauf den Mahlschatz durch den Ring. 

In dem Gedichte von Rudlieb (11. Jahrhundert) wird 
erzahlt, dass die Verlobung eines jungen Paares von den 
Verwandten beredet und die vermOgensrechtlichenVerhaltnisse 
geordnet sind. Darauf aberreicht der Brautigam demMadchen 
auf dem Schwertgriff den Ring 6 ), indem er sagt: „Wie der 
Ring deinen Finger fest umschliesst, so gelobe ich dir feste 
und stete Treue; die gleiche sollst du mir bewahren oder 
dein Leben btissen". Das Madchen nimmt den Ring von dem 
Schwertgriff, das Paar kusst sich und die umstehende Menge 
stimmt einen Brautgesang an (Rudlieb XIV, 59—89). 

Noch in neuer Zeit hat auf dem Hunsruck der Brautigam 
der Braut bei der Verlobung ein Handgeld und einen silbernen 
Ring ttberreicht (Stuttgarter Morgenblatt 1852, S. 441 f.). 
Pfennige (das Handgeld) sind auch aus der KOlner DiOcese 



2 ) Walter, Corp. jur. germ. 1, 712. 

2 ) tTber den Handschuh als Rechtssymbol Grimm, RA. 152 f. 

3 ) Walter III, 556. Scbr5der, Giiterrecht 1, 180 f. 

4 ) In allegorischer Doutung liest man in einer alemannischen 
Predigt (Hs. des 14. Jahrhunderts): diu minne diu ist ein briitmantel 
der selen, da mit si wirt got gefiieget zuo einer brut. 

5 ) tTber das Darreichen des Ringes auf Schwert oder Sper 
J. Grimm, Schenken und Geben 140 ff. (KL-Schriften II, 199 f.) 



810 



nachgewiesen, ebenso aus England und Frankreich *). Im west- 
faiischen Kreise Iserlohn ist bis gegen die Mitte des 19. Jahr- 
hunderts der Braut vom Br&utigam ein Geldsttlck op trdgge 
(auf Treue) gegeben worden, ebenso im Hildesheimischen, 
auch hier op trttgge, und da von wurde das Geld selbst die 
Treue (trtte, trQgge) genannt*). In der Oberpfalz sind bei der 
Verlobung die Ehethaler als Haftlgeld gegeben, meist drei 
Frauenbildthaler, die nur in hOchster Noth ausgegeben wer- 
den, so lange die Frau lebt (SchOnwerth 1, 56) 8 ). Die Thaler- 
stilcke, die um die Mitte dieses Jahrhunderts in DOrfern zwi- 
schen Leipzig und Borna bei der Trauung statt der Ringe 
gewechselt wurden, gehn auch auf jene „Pfennige" zuriick. 

Den Ring als Besiegelung des Vertrages finden wir auch 
bei den Langobarden (1. Liutpr. 30) und Westgoten (1. Wisig. 
III. 1, 3). Es ist daher kein Ringwechsel, sondern der 
Br&utigam gibt ihn der Braut; der Ring ist die bekannte 
alte Form von Gold und Silber als Werthzeichen statt ge- 
munzten Geldes. Mit dem Ringe aus dem Nibelungenschatz 
(Andvaranautr) verlobte sich Siegfried die Brunhild, und sie 
schwuren sich darauf den Treueid (Volsungas. 24). In der 
Wiener Genesis (Fundgruben II, 14, 13) heisst es noch: das 
Fingerlein, womit der Mann sich pflegt sein Weib zu ver- 
loben. Die englische Sitte, dass nur die Frau den Trauring 
tragt, halt jene alte Bedeutung des Verlobungsringes fest. 

Ringwechsel wird in Gedichten des 13. Jabrhunderts 
erwahnt (Gudr. 1247. 1650. Heinr. Trist. 654); er ist unter 
Einfluss der Kirche als gegenseitiges TreugelObniss eingeftthrt 
worden 4 ). 



*) Friedberg, Recht der Eheschliessung 42. 95 f. Sohm, Recht 
der Eheschliessung 54. 

2 ) Woeste im Jahrb. f. nd. Spr. forsch. 131. 

8 ) In Oberosterreich inacht das „Drangeld" die Eheverabredung 
ganz richtig. Freilich, dass der Brautigam dasselbe der Braut heimlich 
zuschiebt, ist neuer Unverstand (Baumgarten, A. d. Heimat IX, 46). 

4 ) F. Hoffmann, tiber den Verlobungs- u. den Trauungsring: 
Wiener Sitz.-Ber. 65, 825—863. Sohm, Recht der Eheschliessung 54 ff. 



311 

Des Kusses mit Umarmung, dessen im Rudlieb gedacht 
wird als Besiegelung der Verlobung, finden wir auch sonst 
nicht vergessen (vgl. osculum bei Du Cange, Gloss, med. 
lat. VI, 74. Niort.). 

Ich will bier schliesslich einer Beringung und eines 
Kusses gedenken, die zwar nicbt als Zeichen ehelicher Ver- 
lobung gegeben wurden, aber den innersten Sinn beider Hand- 
lungen, wie auch das hCfische Mittelalter ihn begriffen hatte, 
ausdrucken. Als Tristan fur immer von Frau Isot scheidet, 
spricht er: Nehmet hin dies Ringlein, Lasset das einZeugniss 
sein Der Treue und der Minne. Auf dass, wenn ihr die Sinne 
Jemals dazu gewinnet, Dass Ihr einen andern minnet, Bei 
dem King' Ihr denket dran, Was ich fahlen muss alsdann. — 
Und nun kommt her und kQsset mich! Tristan Isot, Ihr und 
ich, Ewig mussen wir allbeid Eins nur sein ohn' Unterscheid. 
Der Kuss, er soU das Siegel sein, Dass ich Euer und Ihr mein 
Bleibt getreu bis in den Tod, Nur ein Tristan, ein Isot 
(Gotfr. Trist. 18311 ff. 18355 ff.). 



Die Verlobung begrilndet die Ehe rechtlich, sie ist der 
erste Act der Eheschliessung. 

SobaJd das Verltfbniss vor Zeugen geschlossen und die 
Wetten dafQr gegeben waren, durfte es nicht mehr gebrochen 
werden. In verabredeter Zeit folgte die Heimfuhrung der 
Braut, die Hochzeit, wie wir sagen. Die isiandisch-norwegischen 
Rechte geben. zwOlf Monate als langste Frist dafur; in den 
deutschen scheint die Zeit etwas langer gesteckt und die 
Verlobung wenigstens nach langobardischem und westgotischem 
Gesetz zwei Jahre giltig gewesen zu sein 1 ). Die einfachste 
Folge der Versaumniss dieser Frist war das Nichtigwerden 
der Beredung (Grag. festath. 54). Meist ward aber absichtliche 
VerzOgerung und bezweckte AuflOsung des Vertrages an- 
genommen und darum besondere Strafe darauf gesetzt. Das 



x ) ed. Roth. 178. 1. Wisig. Ill, 1, 4. Das VerlObniss des Franken- 
konigs Theudebert mit der westgot. KOnigstochter Wisigart ist nach 
sieben Jahren noch giltig, Gregor. tur. 3, 27. 



812 



langobardische Gesetz (ed. Roth. 178) legte neben der Auf- 
hebung des VerlObnisses die Zahlung der bedungenen meta 
auf, und ebenso setzte die islandische Graugans (festath. 6) 
fest, dass der Br&utigam im Falle des Zurftcktretens zwar 
sonst keine Strafen leiden solle, allein den bedungenen Braut- 
kauf am Tage vor dem anberaumten Brautlauf erlegen masse. 
Das upl&ndische Gesetz (LET, 1) bestimmte ausser dem Verlust 
des schon gezahlten Mundschatzes eine Busse von drei Mark. 
Das salfrankische Recht belegte das grundlose Zurftcktreten 
von reehtm&ssiger Verlobung mit einer Strafe von 62 l / 2 Solidi 
Q. Sal. 71). Besonders streng ist aber das Gulathingsbuch 
(c. 51). "Will ein Mann seine Verlobte nicht nehmen, so ist 
ihm ein Tag auf dem Thing anzusetzen, und er dafur zu 
belangen, dass er seine Verlobte fliehe; ergibt sich die Klage 
als richtig, so wird er Landes verwiesen. Entzieht sich eine 
Braut dem bestimmten Vermahlungstage ! ), so ist sie eben- 
falls auf das Thing zu fordern und des Landes zu verweisen. 

Gesetzlich giltige VerzOgerungsgrttnde waren nach den 
nordischen Gesetzen Krankheit 2 ), Verwundung und unfrei- 
willig verlangerter Aufenthalt auf Reisen (Frostath. 3, 12); 
ebenso. Verlust der Ausstattung durch Brand Oder Raub; 
letzteres musste jedoch durch zwei Manner gerichtlich an- 
gezeigt werden, und der Brautigam konnte den Beweis der 
Wahrheit durch zwei Zeugen und zwOlf Eideshelfer verlangen 
(WestgOtal. I. giptarb. 9, 5). tjber Krankheit als VerzOgerungs- 
und AuflOsungsgrund des VerlObnisses schreibt die Graugans 
(festath. 5. 6) ausftlhrliches vor. Der Brautigam hatte dem 
Vormunde der Braut Anzeige von seiner Krankheit zu machen, 
und der Brautlauf ward hiernach auf ein Jahr verschoben, 
es sei denn, er genese eher und trage auf friihere Hochzeit an. 
Er hatte dieselbe aber danh auf seine alleinigen Kosten aus- 
zurichten. Ebenso ward es bei Krankheit der Braut gehalten. 
Wurde das Kranke nicht binnen Jahresfrist besser, so war 



x ) Ein abtriinniger Brautigam hiess fudflogi, eine treulose 
Braut flannfluga. 

2 ) Lehmann, Verlobung und Hochzeit 48. 52. 



fti3 



das VerlObniss, wenn es beide Theile nicht anders wollten, 
aufgelOst. War die Braut, ohne dass es der Brautigam wusste, 
mit einem Gebrechen Oder einer schweren Krankheit behaftet, 
so ward der Verlober, wenn die Gebrechen offenkundig waren, 
Landes verwiesen, der Brautigam aber konnte zurttcktreten, 
denn er hatte die Verlobung in Voraussetzung, dass alles 
richtig sei (heilt rad ok heimilt ok eigi ella) geschlossen. 
Bewies jedoch der beklagte Verlober, dass er selbst von den 
Fehlern nichts wusste, so wurde er nicht verwiesen, allein 
er durfte den Brautkauf nicht fordern (festath. 7). Auflflsung 
des VerlObnisses und Zuracknahme alles gegebenen setzt 
auch das langobardische Eecht far den Fall fest, dass die 
Braut aussatzig oder besessen oder auf beide Augen blind 
wird (ed. Both. 180). 

Auch das absichtliche Zuruckhalten der Braut durch 
den Verlober war nach skandinavischen Rechten (Gulath. 51. 
WestgCtal. 1. giptab. 9, 4. OstgOtal. giptab. 8) Strafen unter- 
worfen, welche denen far vorsatzliche VerzOgerung durch die 
Verlobten entsprechen. Der Verlober wurde yerbannt oder 
er hatte dem Kiager Geldbusse zu leisten. Die Hochzeit 
wurde hierauf bald gefeiert; nur abergab statt des Vormundes 
die staatliche BehOrde, nach ostgotlandischem Rechte der 
Herrads-Vorsteher, die Braut. 

Die schwere Strafe der Landesverweisung traf den Ver- 
lober, wenn er wissentlich ein schwangeres Madchen verlobt 
hatte (Gr&g. festath. 51). Konnte er beweisen, dass er nicht 
urn den Zustand wusste, so war er s.traflos (festath, 8). 
Wird die Braut nach der Verlobung von einem andern 
schwanger, so hat es der Vormund dem Brautigam sofort,. 
wie er es erf&hrt, anzuzeigen. Will dieser nicht zurucktreten, 
so wird er als Urheber der Schwangerschaft angeklagt und 
hat dem Verlober die gesetzliche Busse fur Unzucht mit 
dessen Mandel zu erlegen. Im entgegengesetzten Falle empfangt 
der Brautigam die Busse (festath. 8). 

Die Verlobung gab den Verlobten noch nicht das Recht, 
als Eheleute zu leben. Geschah es, so ward der Brautigam 



314 



wie bei anderm ungesetzlichen Beilager bestraft; etwaige 
Kinder waren unehelich 1 ). 

Lagen aber Yerlobte zusammen, so ist der Brauch be- 
zeugt, dass der Mann ein nacktes Schwert zwischen sich und 
das Madchen legte: so that nach dem dritten Sigurdliede 
(2. Brynhildl.) Str. 68. Sigurd, obschon ihr verlobt, als er 
Brynhilds Lager theilte (vergl. auch Volsungas. c. 36 und 
Skaidskaparm. 41); und auch andere nordische Quellen be- 
zeugen die Sitte, die sehr weit verbreitet war, wenn es sich 
urn ein keusches Beisammenliegen handelte. Das Schwert ist 
das aussere Zeichen dafllr*). Aus deutschen Gedichten sei 
an die Brautnacht von Orendel und Bride erinnert. Der Engel 
erscheint und verbietet die Minne biz hiute ftber niun jar; 
da legt Orendel „in ganzen trouwen" zwischen sich und 
die Jungfrau sein Schwert; und als er Briden erklart, was 
das bedeute, spricht sie: nun st6z din swert wider in, zehen 
jar mac ich wol an ein man beliben (Orendel 1811 ff.). 
Weniger zufrieden ist die Sarazenin, von der sich Wolf- 
dietrich durch das Schwert scheidet (Wolfd. A. Dresd. Hs. 
Str. 270). 

In der Freundschafts- oder BrQdersage hat das Schwert, 
das der eine der Freunde oder Brttder zwischen sich und die 
Gattin des andern legt, eine bedeutende Stelle bei dem Be- 
weise gegenseitiger Treue; so in Konrads von Wurzburg 
Engelhart (5095). In unserm alten Volkslied vom Siideli 
(Uhland, Volksl. Nr. 121) sagt der Herr, zu dem das Madchen 
gelegt wird, indem er sein guldiges Schwert zieht: „das 
schwert soil weder hauen noch schneiden, das Anneli soil 
ein magetli bleiben". Auch in den Tristangedichten linden 
wir, dass KOnig Marke Tristan und Isolde in der Minnen- 
hOhle schlafend findet, aber von einander gekehrt und das 
bare Schwert zwischen sich (Gotfr. Trist. 17510). Es sei hier 
nur noch erwahnt, dass auch die alten Inder das „Schwert- 



*) K. Lehmann, Verlobung und Hochzeit 99. 

2 ) J. Grimm, KA. 169 f. hat schon eine Reihe Beispiele ge- 
geben, mehr R. KOhler zu L. Gonzenbachs Sicilian. Marchen Nr. 40, 
und in d. Z. d. V. f. Volkskunde VI, 76. 



315 



klingengelQbde" kannten; ein Commentar erklart es: wenn 
Prau und Mann auf ein und demselben Lager in der Mitte 
ein Schwert niederlegen und dann in Keuschheit ruhen 1 ). 
Auch in Tausend und Einer Nacht im Marchen von Aladin 
und seiner Zauberlampe kommt es (sowohl in der arabischen 
wie in der bengalischen Gestalt) vor, dass ein Schwert zwi- 
schen Mann und Madchen gelegt wird, und zwar mit dem 
Satz, dass der Mann, wenn er das Weib geniesst, den Kopf 
durch das Schwert verlieren soil. 

Gegen die Rechtsbedeutung der Verlobung als der Ein- 

leitung zur Ehe, auf welche noch die Heirat folgen muss, ehe 

die Verlobten Gatten (nord. hj6n) werden durfen, lasst sich hier 

und da WiderstandinderVolksmeinungund daher auch in der 

Volkssitte nachweisen. Das altschwedische Recht erkennt dem 

Brautigam nach Leistung der Brautgabe das Recht zur Bei- 

wohnung zu (Lehmann a. a. 0. 85). Im alten Bardengau im 

Luneburgischen wird nach der feierlichen Verlobung (loeft) 

das Ehebett beschritten *) ; der Brautlauf (de brutlacht) wird 

erst spater gehalten. Auch in Oberhessen gab der Hand- 

schlag eheliche Rechte') In Bayern gilt als Satz: wenn der 

Handschlag geschehen ist, darf man bei der Braut schlafen 

(Schmeller 1«, 1124). Es sind das aber Abweichungen von 

dem altgermanischen Recht 4 ). 

tJbei offenbare Untreue der Braut waren die Gesetze 
sehr streng. Wenn auch nur das langobardische und west- 
gotische Gesetz B ), wahrscheinlich durch rOmischen Einfluss, 
solches Vergehen als Ehebruch ansehen, so neigen doch fast 
alle germanischen Gesetze dahin, die Verletzung der Rechte 

schaft 40 A 52 J 3T Zler ^ i&T Zeltschr - der deutschen morgenl. Gesell- 
2 ) v. Hammerstein, Der Bardengau. Hannover 1869, S. 613. 

1Qoe ? °: Wa « ner ' Die Sittlichkeit auf dem Lande, S. 50. Leipzig 
loaD. 4. A. 

*) E. Friedberg, Eecht der Eheschliessung 301 f. 
«) ed. Roth. 179. 1. Wisig. HI. 4, 2. — Wilda, Strafrecht849ff. 
- Lehmann, Verlobung un d Hocnzeit 102. 



816 



des Brautigams sehr scharf hervorzuheben. Das burgundische 
Gesetz legte der Braut Tod und Unfreiheit auf, wenn sie 
nicht durch ihr Wergeld (300 sol.) ausgel&st wurde. Der 
schuldige Mann wurde getodtet, wenn er nicht selbzwOlft be- 
eiden konnte, dass er von dem VerlObnisse nichts wusste. 
War ihm der Eid mOglich, so btlsste er nur sein Wergeld 
(1. Burg. LVI). Bewies sich die Anklage als falsch, so musste 
der Brautigam die Braut heiraten Oder die doppelte meta er- 
legen (1. Burg. 179). tTber Untreue des Brautigams gehn die 
Gesetze leichter weg 1 ). Die Graugans (festath. 6) sagt nur, 
wenn der Brautigam wegen eines fleischlichen Vergehens 
verklagt sei, worauf Tod Oder Verweisung stehe, so dilrfe 
die Braut das Verhaitniss aufheben; von einer'Busse an die 
Braut scheint nirgends die Rede zu sein. Das Hamburger 
Stadtrecht von 1270 (in, 13)*) bestimmt, wenn der Brauti- 
gam von einem Weibe wegen geschlechtlichen Verkehrs mit 
ihm verklagt werde, so solle die Braut drei Monat auf die 
Entscheidung warten; kOnne die Sache nur in Rom gefuhrt 
werden, so warte sie ein Jahr; ist der Process auch dann 
noch nicht zu Ende, so ist das VerlObniss aufgelOst und der 
Braut gebahrt eine Entschadigung von 40 Mark Pfennig. Das- 
selbe gilt aber auch fur eine Klage gegen die Braut. 

Ehe wir zu dem zweiten Act der Eheschliessung mit 
den mannigfachen Brauchen und den weiteren rechtlichen 
Leistungen, die sich an sie knilpfen, tlbergehn, haben wir 
noch einiges auszuftihren, das dem Ehebttndnisse uberhaupt 
hinderlich sein oder fur dasselbe besondere Folgen haben 
konnte. Ich beriihre zuerst die Ebenburtigkeit. In den 
altesten Zeiten waren streng genommen nur zwei Theile im 
Volke, die Freien und die Unfreien ; eine Vermittlung zwischen 
diesen machten die Freigelassenen und die Liten, die wir 
eher milder behandelte Unfreie als. beschrankte Freie nennen 
diirfen. Pie Freien schieden sich in. Gemeinfreie und Edle. 
Dieselben waren in der altesten geschichtlichen Zeit durch 



i) Wilda a. a. 0. 812. 

2 ) Vgl. dazu Hamb. Stadtr. von 1292. E. 12, von 1497. J. 4. 



317 



keinen Kechtsunterschied getrennt; der Adel, ja selbst die 
Abkunft von den alten KOnigen des Volkes gab zwar gewisse 
thatsachliche Auszeichnungen nnd Vorzdge, aber der Recht- 
stand war fur den Edelgebornen wie far den Freien derselbe. 
Diese grosse Gemeinschaft der Freien kann daher ursprttng- 
lich auch kein Hinderniss gefunden haben, sich in ihren ver- 
schiedenen Schichten untereinander zu verheiraten ; genossen 
doch die Kinder des freien Landbauers an und fQr sich kein 
geringeres Recht als die aus der nobilitas oder der regia 
stirps, wenn auch ein niedrigeres Wergeld. Als aber die 
Standesverh&ltnisse mannigfaltiger wurden, als sich die monar- 
chische Gewalt in dem frankischen und in den andern ger- 
manischen Staaten erhub, als die Ungleichheit im Besitz 
grosser und einflussreicher ward und allerlei Kilrzungen der 
Rechte der Gemeinfreien aus verschiedenen Griinden kamen, 
da trat auch allmahlich die Ansicht hervor, dass Freie und 
Edle untereinander unebenbQrtige Ehen schlOssen. Wir besitzen 
indessen genug Beweise daftlr, dass noch tief ins Mittelalter 
hinein nur Ehen zwischen Freien und Unfreien des verschie- 
denen Grades fur straflich galten. Entsehiedene Bedenken 
erweckt daher die bekannte Angabe Rudolfs von Fuld in der 
translatio S. Alexandri c. I. 1 ), dass im 9. Jahrhundert bei 
den Sachsen Todesstrafe auf unebenbtirtigen Ehen stund, d. h. 
wenn der Edle nicht eine Edle, der Freie nicht eine Freie, 
der Freigelassene nicht eine Freigelassene, der Unfreie nicht 
eine Unfreie, sondern eine-Ungenossin, zumal eine hoher ge-. 
borene heiratete. Ehen zwischen Edlen und Freien miissen 
doch, wie uberall so auch bei den Sachsen als nichts gesetz- 
widriges erschienen sein ; Ehen zwischen Freien und Unfreien 
aber werden wie bei den Germanen so auch bei den Sachsen 
mit dem Tode bestraft worden sein, so dass Rudolfs Angabe 
in der Halfte richtig sein mag. 

Aus Norwegen lassen sich genug Beweise holen, dass 
dort Freie und Edle Ehen untereinander schlossen. Es gait 



*) Pertz II, 675. Vgl. dariiber Leo rectitud. 90. Waitz, Deutsche 
Verfassungsgeschichte I s , 194 f. Wilda bei Richter, Krit. Jahrb. 1, 
350 und v. Sybel, Entstehung des deutschen KOnigthums 1. A. 94. 



318 



fQr keine Missheirat, wenn eine KOnigstochter einen freien 
Landbauer heiratete, der durch bedeutenden und langvererbten 
Landbesitz die hinreichenden Mittel zu einem reichlichen 
Leben bot 1 ). KOnig Ingi vermahlte seine Schwester Sigridr 
dem Th6rgrimr von Lianes (Fornmannas. 9, 21); Einar Prestr 
heiratete die Tochter KOnig Sverris, die Schwester KOnig 
H&kons (Fornm. 9, 8); Ingridr, Enkelin KOnigs Ingi Stein- 
kelsson, Witwe des KOnigs Hdrald Grilli, vermahlte sich dem 
Ottarr Birtingr, einem angesehenen Landsassen, und nach 
dessen Tode einem andern Bauer, dem Arni von StOdreim 
(Fornmannas. 7, 176. 229). — Aus dem Sttden mOchte ich 
zunachst eine Stelle des westgotischen Gesetzbuches (IH. 1, 1), 
obschon sie die Ehen zwischen EOmern und Goten im Auge 
hat, far die Ansicht hervorheben, dass auch unter den freien 
und den edlen Westgoten damals noch keine Missheiraten ge- 
schlossen werden konnten. Sie bestimmt ausdrttcklich, dass 
es jedem Freien des westgotischen Volkes erlaubt sei, eine 
Freie, welche er wolle, zu heiraten, sobald die Verbindung 
an und fur sich ehrbar sei und die Familie so wie der Graf 
seine Zustimmung und Erlaubniss gegeben habe. 

In Deutschland hat der Grundsatz der Ebenbartigkeit 
der Ehen unter den allmahlich entstandenen Abtheilungen 
des freien Standes bis in das 13. Jahrhundert voll ge- 
golten. Die freien Landbauern schlossen nach dem Sachsen- 
recht mit der hOheren Classe der schOflfenbar Freien, diese 
mit den freien Herren (Sachsenspiegel III, 72) und diese wieder 
mit den Filrsten ebenbiirtige Ehen, und die Kinder solcher 
Yerbindungen waren durchaus erbberechtigt in den Geschlech- 
tern ihrer Eltern. Aber der Ritterstand und die Forderung 
der Ritterburtigkeit bis zum Grossvater schufen zunachst 
StOrungen; denn nun brachten die Verheiratungen zwischen 
rittermassigen und nicht rittermassigen schOffenbar Freien 
und uberhaupt zwischen nicht rittermassigen Freien den 



2 ) tJber den hpldr Wilda in Richters Krit. Jahrb. 1, 335 ff. 
Konr. Maurer, Die norwegischen Holdar. Miinchen 1889. 



319 



Kindern Nachtheile, wenigstens im Lehnrecht 1 ). Die Folge 
war, dass solche Ehen nicht mehr far ebenburtig galten. Und 
mit der schrofferen Sonderung der Stande, die sich als Zug 
der Zeit hier zeigt, wurden nun auch die Ehen zwischen 
schOffenbar Freien und Semperfreien (freien Herren) fur nicht 
ebenburtig erkiart. Die Kinder folgten dem geringeren Stande 2 ). 

Auch durch die Ministerialen, diese nach ihrem G-eburts- 
stande unfreien, aber durch den Hof- und Herrendienst und 
seit dem 11. und 12. Jahrhundert auch durch das ritterliche 
Leben in Ansehen und VermOgen ausgezeichneten Leute, 
wurden die alten einfachen Verhaitnisse verschoben. Ehen 
zwischen freien Bauern und Ministerialen galten im 13. Jahr- 
hundert nicht fur ebenburtig, weil das bauerliche Leben dem 
ritterlichen nachstund. Die schOffenbar Freien (mitelfrien) 
gingen den Dienstleuten allerdings vor und Kinder aus Ehen 
zwischen Ministerialen und diesen Freien wurden, selbst wenn 
der Vater ein schOffenbar freier Mann war, durch das Gesetz 
seit Ende des 12. Jahrhunders zum Ministerialenstande er- 
niedrigt 8 ), bis endlich ein Jahrhundert spater die ritterburtigen 
Ministerialen von den freien Eittern im Recht nicht mehr 
unterschieden wurden, wenn auch der Name der Dienstmannen 
langer fortlebte. 

Die Ehen zwischen Semperfreien (freien Herren) und 
Fftrsten blieben von der Bewegung der Standesunterschiede 
allein unbertthrt und sind es bis heute geblieben. Die alten 
reichsunmittelbaren Geschlechter des deutschen hohen Adels 



*) Nach Richtst. Lehnr. 28, §. 3 ist der Sohn eines Bitters mit 
einer Bauerin Sohn einer ebenbiirtigen Ehe; nach Sachs. Lehnr. 20 
und der G-losse zu Sachsensp. L. 1, 5 ist er aber nur zum Landrecht 
ebenburtig. 

2 ) e% ist niemcn sempervri wan des vater und muoter und der 
vater und der muoter sempervri wdren. die von den mitelvrien sint 
geborn, die sint ouch mitelvrien. und ist joch diu muoter sempervri 
und der vater mitelvri, diu hint werdent mitelvrien. und ist der vater 
sempervri und diu muoter mitelvri, diu hint werdent aber mitelvrien. 
Schwabensp. Landr. 70 b . 

8 ) Heinrici VI. sent, von 1190. Otton. IV. cur. August, v. 1209. 
Sachsensp. I. 16, 2 (mit der G-losse). 



8?0 



stehn noch jetzt ebenbttrtig neben den kOniglichen Familien, 
und die Kinder solcher Ehen sind daher im Genusse der 
vollen Erbfahigkeit. 

Ganz anders als um die Ehen zwischen den verschie- 
denen Stufen der Freien und Edeln stund es von je um die 
Zulassigkeit der Verheiratung von Freien und Unfreien. Nach 
burgundischem und langobardischem Gesetze war auf Heirat 
oder fleischliche Vermischung einer Freien mit einem Unfreien 
der Tod oder die Unfreiheit gesetzt. Das salische Gesetz be- 
stimmte, dass ein freier Mann, der sich Offentlich mit einer 
Unfreien verbindet, seine Freiheit busse (25, 2). Hat sich ein 
freies Madchen von einem kOniglichen HOrigen oder einem 
Laten entfuhren lassen, so wird sie unfrei und der Mann 
basste das Leben (13, 4. 5). Verlust der Freiheit far den 
freien Theil bestimmt auch das ribuarische Recht (LVIII, 18), 
wenn die freie Frau nicht in der gebotenen Wahl zwischen 
Schwert und Kunkel das Schwert wahlt und den unfreien 
Gatten todtet. Dieselben Bestimmungen bieten das edictum 
Theodorici, und fur die Ehe zwischen einer Freigelassenen 
und einem HOrigen der Kirche das alemannische Recht 
(XVIII, 1). Die Fortsetzung dieses Grundsatzes spricht noch 
der Schwabenspiegel (Landr. 319) dadurch aus, dass nach 
ihm die freie Frau, welche sich mit ihrem hOrigen Knechte 
(ir eigenem man) einlasst, den Kopf verliert; der Mann wird 
verbrannt und die etwa geborenen Kinder haben weder Frei- 
heit noch Erbe. Verlust der Freiheit ftir den freien Theil 
einer solchen Verbindung, die keine rechtsgiltige Ehe nach 
deutscher Anschauung sein konnte, gait noch im 12. und 
13. Jahrhundert als Folge. Wenn indessen der Tod die Ver- 
bindung lOste, so ward die Frau wieder frei und die Kinder, 
die sie dann mit einem freien Gatten zeugte, waren frei, 
wahrend die der ersten Verbindung unfrei blieben (Schwaben- 
sp.67 b ). 

Der Grundsatz, dass die Kinder aus ungleichen Ehen 
der argeren Hand folgen mussten, war im 12. und 13. Jahr- 
hundert in Deutschland noch durchaus giltig. KOnig Rudolf I. 
verktindete es 1282 als Spruch seines Hofgerichtes, dass die 



321 



Kinder aus Ehen freier Bauern mit Vogtleuten oder mit Leuten 
aus anderen hoheren oder niederen Standen stets der argeren 
Hand folgen mussten (Pertz, leg. II, 439). Erst spater kam 
durch Einfluss des rOmischen Rechtes der Grundsatz zur 
Geltung, dass die Kinder aus Ehen zwischen Freien und 
Unfreien dem Stande der Mutter folgen, so wie ferner, dass 
bei Ehen unter den verschiedenen Standen der Freien die 
Frau den Stand des Mannes erhalte gleich den erzeugten 
Kindern 1 ). 

Neben der Ebenbiirtigkeit traten die Gleichheit des 
Volkes und des Glaubens als wichtige Fragen fQr die 
Giltigkeit der Ehe auf. 

Von Anfang an lasst sich das Streben der deutschen 
VOlkerschaften beobachten, eine abgeschlossene Selbstandig- 
keit zu bewahren. Sie traten miteinander wohl zu Kultus- 
gemeinschaften und voriibergehend auch zu politischen Ver- 
bindungen zusammen, allein im tibrigen lebte jedes nach 
seinem Rechte und seinen Sitten, und jeder Volksgenosse 
trug das angeborne Recht als untilgbar mit sich, wohin er 
auch Ziehen mochte. Darum sehen wir selbst verwandte 
VOlker nebeneinander wohnen, ohne dass Heiraten zwischen 
ihnen geschlossen wurden. In Italien sassen die Rugier neben 
den Ostgoten und hielten streng darauf, dass sie mit diesen 
ihr Blut nicht mischten 2 ). Die Ostgoten waren weniger ab- 
schliessend. Wie sie fruher mit den Alanen, Hunen und Ost- 
rOmern sich vermengt hatten, so in Italien mit den rOmischen 
VOlkerschaften 8 ), schwerlich zum Nutzen ihrer Nationalitat. 
Schon fruher hatten sich die Bastarnen durch sarmatische 
Heiraten ihren Untergang vorbereitet (Germ. 46). Die Ver- 
schiedenheit des Rechtes der VOlker musste bei Heiraten 
eine Menge von Streitigkeiten begrtinden. Darum wurden sie 
vermieden, wenn die Kirche spater auch hier zu vermitteln 
und auszugleichen strebte. Die Synode von Tribur im Jahre 



2 ) GOhrum, Geschichtliche Darstellung der Lehre von der Eben- 
biirtigkeit 1, 382 f. 2, 164 f. 174 f. 

2 ) Procop. de b. goth. II, 14. Ill, 2. 

3 ) Sartorius, Uber die Regierung der Ostgoten in Italien 258. 

Weinhold, Deutsche Franen. I. 21 



895 (c. 39) eiferte ausdrttcklich dagegen, dass die Stamines- 
verschiedenheit als Vorwand zu Ehescheidungen beniltzt 
werde. Dieses Ehehinderniss ward beseitigt, als es zur all- 
gemeinen Geltung kam, dass die Frau mit der Heirat auch 
das Stammrecht des Gatten erhielt. Xur ausnahmsweise blieb 
sie in ihrem angeborenen Rechte 1 ). 

Aus politischen Rtlcksichten kamen in den germanischen 
Furstenh&usern von je Verheiratungen mit fremden Familien 
vor. Ariovist schon hatte sich neben seiner swebischen Frau 
mit der Schwester des norischen KOnigs Voctio vermahlt, 
die ihm derselbe zugeschickt hatte (C&sar, b. gall. I, 53). Der 
grosse Ostgote Theoderich heiratete die Frankin Angofleda. 
Seine TOchter gab er an den Westgoten und den Burgunder, 
seine Schwestern an den Thtlringer und den Wandalen. Spater 
hat nun Ludwig der Fromme bei der Theilung des Reiches 
im Jahre 817 (c. 13) zur Vermeidung von Zwietracht und 
gefahrlichen Verwickelungen bestimmt, dass keiner der jiin- 
geren SOhne eine Gemahlin im Auslande werbe. 

Wie die Ostgoten sich mit den Italienern verheirateten, 
so auch die Langobarden. Die Wandalen und die Burgunder 
gingen sehr leicht Ehen mit den Bewohnern der von ihnen 
eroberten Lander ein und Langobarden und Burgunder roma- 
nisirten sich dadurch. Dasselbe geschah mit den Westgoten, 
seitdem KOnig Rekaswinth (t 672) das Verbot der Ehen 
zwischen ihnen und den ROmern aufgehoben hatte. Nur bei 
den ripuarischen Franken, allerdings auf flberwiegend deut- 
schem Boden, galten die Ehen zwischen Franken und ROmern 
fur nicht ebenburtig. Die Kinder mussten der argeren Hand 
folgen (1. Ribuar. 58, 11). 

Aus den blutigen Kriegen der Sachsen gegen die Obo- 
triten und Lutizen war die Folge geblieben, dass die Ehe 
eines Deutschen mit einer Slavin im 10. und 11. Jahrhundert 
fur unehrlich gait. Spater schwand allerdings diese Ansicht; 
aber die Wendin gilt noch im Sachsenspiegel als unfrei, weil 
sie fur die Erlaubniss zur Heirat dem Herrn einen Zins 



2 ) Gaupp, Die german. Ansiedlungen und Landtheilungen 246. 



(burmede) entrichten musste und ebenso bei der Ehescheidung 
die Fersenpfennige (Sachsensp. III. 73, 3). 

Ehen zwischen norwegischen Hauptlingen und den TOch- 
tern irischer und schottischer Fursten sind aus dem 9. Jahr- 
hundert sicher bezeugt; auch vollgiltige Ehen .mit kriegs- 
gefangenen, dann freigewordenen vornehmen Irinnen. Selbst 
im letzten Falle erscheinen die Kinder als echt geboren, frei 
und erbfahig 1 ). 

Bei den Heiraten zwischen Germanen und ROmern kam 
auch die Verschiedenheit des Glaubens in Betracht, 
denn die christlichen Germanen, welche mit den ROmern 
zuerst in Beruhrung kamen, waren Arianer, die ROmer Katho- 
liken; es war dies eine Scheidewand, die nicht selten mehr 
bedeutete als Stamm- und Volksverschiedenheit 2 ). Es ist dies 
um so auffallender, als die christlichen Germanen keine Be- 
denklichkeit bei Ehen mit ihren heidnischen Stammgenossen 
zeigen. KOnig Ermanfried von Thuringen war allem An- 
scheine nach ein Heide und doch vermahlte ihm der aria- 
nische OstgotenkOnig Theoderich seine Schwester Amalaberga. 
Der heidnische KOnig Ethelbert von Kent hatte die frankische 
katholische KOnigstochter Berta geheiratet und von den Eltern 
mit der Bedingung erhalten, dass er sie in der Austibung 
ihres Glaubens nicht store. Gegen den Bischof Augustin, der 
Berta als Beichtvater begleitete, zeigte er sich sehr duldsam 
und sagte ihm, wenn er auch die schOnklingende, aber neue 
und unsichere Botschaft nicht mit dem Glauben vertauschen 
kOnne, an welchem er und sein Yolk so lange gehalten, so 
wolle er ihn doch nicht stOren und werde ihn gastfreundlich 
behandeln (Beda h. eccl. I, 25). Spater bekehrte sich Ethel- 



*) E. Mogk, Kelten und Nordgermanen. Leipz. 1896, S. 17 ff. 

2 ) Gaupp konnte darum wohl schliessen, dass bei dem fana- 
tischen Arianismus der Wandalen an Ehen zwischen ihnen und den 
ROmern nicht zu denken ware, a. a. 0. 212; allein politische Ruck- 
sichten haben die dogmatischen Bedenken tiberwunden, vgl. Procop. 
de b. vand. II, 14. — Der frankische Konig Childeberfc machte die 
Yerlobung seiner Schwester mit dem arianischen LangobardenkOnig 
ruekgangig, als der katholische Westgotenkonig um sie anhielt, 
Paul. Diac. Ill, 27. 

21* 



bert und gab seine Tochter Ethelberga dem heidnischen KOnig 
Edwin von Northumberland unter denselben Bedingungen, 
unter denen er frilher Berta erhalten hatte (Beda n, 9). 
Schwieriger war KOnig Osrich von Northumberland, der seine 
Tochter Elfleda dem mittelenglischen KOnige Peada erst gab, 
nachdem sich dieser samt seinem Volke hatte taufen lassen 
(Beda HE, 21). Auch der heidnische FrankenkOnig Chlodwig 
warb ohne Bedenken um die burgundische Chrothild, welche 
katholische Christin war, und gab ihr sogar nach, dass der 
erstgeborene Sohn IngomGr getauft werde. Als das Kind 
starb, schob er das der Ohnmacht des Christengottes zu 
(Greg. Tur. II, 29). Auch in Skandinavien wurden zwischen 
Heiden und Christen Ehen geschlossen. Heidnische Norweger 
und katholische Irinnen verheirateten sich im 9. Jahrhundert 
ohne ein Bedenken (Mogk a. a. 0.). KOnig Olaf Tryggvason 
von Norwegen ehelichte zur Stthne, dass er ihren Vater 
todten liess, G-udrun, die Tochter Jarnskeggis, eines der 
eifrigsten heidnischen Drontheimer (Fornmannas. 2, 49). 
Spater war er allerdings peinlicher und verlangte von der 
KOnigin Sigrid von Schweden, mit der er sich verm&hlen 
wollte, dass sie sich taufen lasse. Als sie aber fest an dem 
alten Glauben hielt, beleidigte er sie tief und Sigrid suchte 
in der Vermahlung mit dem DanenkOnig Svein Tiuguskegg 
die Macht zur Rache. Olafs Tod war ihr Werk (Fornm. s. 2, 
130). Auch uber seinen Skald Hallfred war Olaf sehr erzurnt, 
da er sich mit einer Heidin verheiratet hatte. Die Frau 
musste sich taufen lassen, Hallfred Kirchenbusse thun und 
zur Rettung seiner Seele ein religiOses Gedicht (die upprei- 
stardr&pa) machen (Fornm. s. 2, 88.- 212). Im allgemeinen 
werden wir annehmen durfen, dass dort, wo das Christen- 
thum noch nicht die Obermacht in einem Volke hatte, die 
Mischehen haufiger vorkamen, denn das Heidenthum war 
duldsam, die Christen aber fanden es theils nicht gerathen, 
heidnische Bewerbungen abzuweisen, theils glaubten sie da- 
durch zur Bekehrung des andern Theiles wirken zu kOnnen, 
oder politische Rtlcksichten veranlassten sie, den Glaubens- 
unterschied zu ubersehen. Als die Kirche aber machtiger 



geworden, wurden solche Verbindungen von der Kirche ver- 
dammt und bestraft. Wenn nach den echten Strophen der 
Nibelungen Noth, die von Kriemhilds und Etzels Vermahlung 
handeln, Kriemhild vor dem Heidenthume des HunenkOnigS 
keine Scheu zeigt, so ist das eine treue tTberlieferung aus 
den alten Liedern. 

Ein Hinderniss vieler Ehen in christlicher Zeit ward 
die Lehre von den verbotenen Yerwandtschaftsgraden. 
Die heidnischen Germanen waren in dieser Hinsicht sehr 
naturlich und ausser den Heiraten zwischen Eltern und 
Kindern scheinen alle Ehen erlaubt gewesen zu sein. Dass die 
Geschwisterehe in sehr fruher Zeit bestund, beweist die Ver- 
bindung Niprds und seiner Sch wester; denn wenn dieselbe 
auch in dem Eddaliede Lokasenna (36) dem Niprdr zum Vor- 
wurfe gemacht wird, so spricht sich in dem Tadel nur die 
sittliche Ansicht anderer Zeit und eines verschiedenen Stammes 
aus '). Bei den Warnen und bei den Angelsachsen war die. 
Ehe mit der Stiefmutter gestattet 2 ); der warnische KOnig 
Hermigisil befahl sogar auf dem Todtenbette seinem Sohne 
Badger, die Stiefmutter zu heiraten. KOnig E&dbald von Kent, 
der am Heidenthume fester als sein Vater Ethelbert hing, 
ehelichte nach dessen Tode seine Stiefmutter und gab damit 
fiir alle, die sich unter Ethelbert aus allerlei Rucksichten 
hatten taufen lassen, das Zeichen zum Riickfall (Beda II, 5). 
Noch im 9. Jahrhundert flnden wir diese Ehe englischer 
KOnige mit ihren Stiefmilttern, die eine alte politische Ein- 
richtung gewesen sein muss. Der westsachsische KOnig Ethel- 
bald heiratete namlich zum grossen Argerniss der Kirche die 
Witwe seines Vaters Ethelwulf, Judith, die vielberilchtigte 
Tochter Karls des Kahlen 8 ). 

Noch weit weniger Anstand nahm man naturlich an 
Ehen mit der Bruderswitwe, mit der Schwester der friiheren 



x ) Rosenvinge, Danske Rettshistorie, §. 85 a . — tTber die Ge- 
schwisterehen Ploss-Bartels, Das Weib 1, 383 f. 

2 ) Procop. de bello goth. 4, 20. Beda, Hist. eccl. I, 27. 

s ) Prudent. Trecens. a. 858 (Pertz, Mon. I, 451). — Ygl. GfrOrer, 
Geschichte der ost- und westfrankischen Karolinger 1, 325. 



Frau und mit einein Geschwisterkinde. Chlothar, Chlodwigs 
Sohn, heiratete bald nachdem sein Bnider Chlodomar gegen 
die Burgunder gef alien war, dessen Witwe Gutheuka (Greg. 
Tur. Ill, 6) ; ebenso lebte er in Bigamie rait zwei Schwestern 
(Greg. IV, 3). Andere hatten die eine Schwester zur Frau, 
die andere zur Kebse (Greg. Tur. IV, 26). Genug, nicht 
bloss bei Skandinaviern, Angelsachsen, Warnen und Franken, 
sondern ttberall bei den Germanen wusste man nichts von 
der Lehre der verbotenen Verwandtschaftsgrade, welche die 
Kirche anfangs vorsichtig und allmahlich, dann aber mit voller 
Strenge und grosser Ausdehnung aufstellte und in die weltliche 
Gesetzgebung einzufuhren wusste. Das Gesetz des langobardi- 
schen KOnigs Rother (ed. Rother 185) zeigt noch am wenigsten 
von dem kirchlichen Einflusse, denn es werden nur Ehen 
mit der Stiefmutter, der Stieftochter und der Brudersfrau, 
die also frtiher vorkamen, verboten und mit grosser Geldbusse 
belegt; die etwa gesehlossenen Ehen wurden zugleich ge- 
trennt. Bedeutend weiter geht schon das Gesetz KOnigs 
Liutprand (22—24), welches audi die Gevattern und ihre 
Kinder mit unter die verbotenen Verwandten rechnet, fefrier 
das alemannische Gesetz (XXXIX) und das bayrische (IV, 1), 
Milder als die letzten ist das salische Recht (Nov. 40), 
welches die Ehen mit Schwester, Bruderstochter, Brudersfrau 
und andern Verwandten zwar fur unrechtmassig erklart und 
sie trennt, allein keine weitere Strafe, als dass die Kinder 
nicht erbfahig sind, darauf legt. In den nordischen Rechten 
ist die kirchliche Lehre mit aller Sorgfalt aufgenommen und 
ins kleinliche ausgeftthrt worden *) ; hier galten auch die geist- 
lichen Verwandtschaften (gudsifjar), welche zwischen Tauf- 
und Firmelpathen und deren Kindern, sowie mit dem taufen- 
den Priester und dessen AbkOmmlingen bestehn. Man muss 
sich daher wundern, dass es bei der nicht allzu grossen 



J ) Gragas festath. 2-6, 10, 11, 31, 32, 44, 55. Frostath. 3, 3. — 
Grag. festath. 4. Gulath. b. c. 26. Frostath. 3, 8. Borgarth. Christenr. 
c. 15. UplandsL I, 11. vgl. auch 1. Liutpr. XXXIV. Athelredhs. dom. 
IV, 12. — Auch bei manchen heidnischen Volkern bildet selbst die ent- 
fernteste Blutverwandtschaffc ein Ehehinderniss, Ploss-Bartels 1, 383. 



BevOlkerung mancher Landschaften noch mflglich wurde, 
jemanden heiratbaren aufzufinden, mit dem man nicht irgend 
weltlich oder geistlich verwandt war. Urn die Ehe in ver- 
botenem Grade zu verhindern, bestimmt das islandische 
Gesetz (Gr&g&s festath. 9), dass derjenige, welcher sich ver- 
heiraten will, auf dem Fruhlingsthing vor dem Goden seines 
Bezirkes und vor vier Zeugen in mOglichst zahlreicher Ver- 
sammlung einen Eid schwOre, dass zwischen ihm und seiner 
Braut keine verbotene Verwandtschaft bestehe. Gesetzliche 
Hindernisse der beabsichtigten Ehe zu entdecken, bezweckte 
auch das kirchliche Aufgebot, das von dem lateranischen 
Concil von 1215 allgemein fur die rOmische Kirche ange« 
ordnet ward 1 ), aber sehr schwer Eingang fand. 



Alles ist in der Richte; die Zeit ist vergangen, welche 
bei der Verlobung far die Ubergabe der Braut und die Er- 
ftillung der verabredeten Leistungen festgesetzt war; der 
Tag der Heirat, der Heimfahrung, des Brautlaufs naht heran. 
Es ist die Ho ch zeit, eine hOhe zit, wie unsere Vorzeit einen 
Festtag nannte. Dass sich um diese frOuden hOhgezit des 
Lebens eine Menge Gebrauche sammelten und jeder Volks* 
stamm geschaftig war, sie mOglichst zu schmucken und 
auszuzeichnen, ist wohl erklarlich; denn fur die meisten 
Menschen, wenigstens fur die, welche die sehnende Liebe 
empfanden und so glttcklich waren ; das geliebte Wesen zu 
erringen, ist der Tag der Heimfahrung der Braut der schOnste 
des Lebens 2 ). Lange ersehnt, oft mit Kummer und Kampf 
errungen, ist er ein Tag erfttllter Wunsche und inhalt- 



x ) In Deutschland angeordnet durch die Earchenversammlung 
von Trier 1227. c. 5, auf der Wiirzburger DiOcesansynode von 
1298. c. 18. 

2 ) Unsere alten Gedichte bezeichnen die gltickliche, frohe 
Stimmung: im wser sam er mit einer briut frcelichen heim rit, 
Helbl. 15, 690. die liute die da sam die briute ritent undo ouch gtot 
unt iriu hus mit freuden stent, Enikel, Wkr. 3074. 20314. 27534; 
vgl. auch Nib. 1822. 



schwerer Verheissung. An ihm sollen Freude und Ernst 
gleichen Theil haben. Freilich wird der Ernst meistens von 
dem Jubel Qbert&ubt, und die aussere Welt lasst der inneren 
selten Augenblicke der Sammlung und des Nachdenkens, die 
ernsterem Sinne unerlasslich sind. Auch in den Gebrauchen, 
die sich seit sehr alter Zeit daran knflpfen, ist des uns sto- 
renden und selbst des verletzenden viel; allein sie haben in 
der alten Zeit, aus der sie stammen, einen guten Sinn ge- 
habt und waren damals voll Bedeutung. Sie alle aufzufOhren, 
zu erOrtern und dabei Vergleichungen mit den Heiratsitten 
der urverwandten indogermanischen VOlker zu machen 1 ), 
ist eine vielfach lohnende und fOrdernde Aufgabe, die aber 
hier bei Seite bleiben muss. Wir werden uns begndgen, die 
Hauptzilge der deutschen Hochzeit in ein Bild zu bringen. 
In den Namen des Festes spricht sich der Zweck der 
an ihm vorzunehmenden Handlung aus. Heirat (ahd. hirat) 
bedeutet die Grilndung des Hauswesens, der Familie (auch 
angels., mittelengl. hlr£d, hired, FamiUe); die Worte hileich, 
gihileich weisen eben darauf *). Das angelsachsische und nor- 
dische gift, gifting weist auf die Ubergabe der Braut an den 
Brautigam; heimleiti, briltleiti (quenun leitan, hal6n) auf die 
HeimfQhrung der Frau. Das Wort Brautlauf (ahd., mhd. brilt- 
lauf, altn. brudhlaup [altdan. brudlup, altschwed. bryllOp], 
angels, brydhleap, mnd. brutloft, mnd. bruloft, brulocht), das 
den Lauf nach der Braut bedeutet, wird von manchen als 
Erinnerung an den Frauenraub genommen 8 ) gleich dem nor- 
dischen quanfang; von andern als Lauf Oder Fahrt der Braut 
nach dem Hause des Brautigams, wie denn altschwed. brujv 
lOp und bru})far|) gleichstehn. Es ist auch auf den Hochzeit- 
brauch hingewiesen, den 'wir bald erwahnen werden, dass 
nach der Trauung das Brautpaar einen Wettlauf halt und 
der Brautigam die Braut sich fangen muss (Nyrop, Navns 



x ) Litteraturnachweisungen oben S. 285. 

2 ) Einfaches ahd. hiwi (n.) hiwa (f.) bedeutet schon nuptus, 
matrimonium, dazu Zw. hfwjan, nubere. 

3 ) Dargun, Mutterrecht und Raubehe, S. 130. Brunner, Rechts- 
geschichte 1, 73. 



829 




Magt 4). Auch die Besitzergreifung der Braut wird heraus- 
gedeutet 1 ), ohne den Beigeschmack des Raubes. Mir scheint 
der noch bestehende Hochzeitlauf sehr bei der Deutung zu 
beracksichtigen. 

Die gewOhnliche Zeit der Heimf tthrung der Verlobten 
scheint von Alters in den Spatherbst Oder Winteranfang ge- 
legt worden zu sein 2 ). Die Scheuern und Keller sind voll 
des Erntesegens, die Zeit der Ruhe ist fQr den Bauern, den 
Krieger und den Seefahrer gekommen, es werden die Ernte- 
feste gefeiert und die Hochzeiten schliessen sich da leicht an. 
Wir sehen auf Island und in Skandinavien im Mittelalter 
jene Zeit als die beliebteste far Heiraten 8 ) ; nebenher begegnet 
freilich auf Island auch der Mitsommer 4 ). 

In Schweden, bei den Nordfriesen 6 ) , in Deutschland ist 
da, wo noch alte Sitte festgehalten wird, der Spatherbst oder 
Wintersbeginn, d. h. die Zeit vor den Adventen (und hier 
und da auch die Zeit zwischen Neujahr und der geschlossenen 
Passionszeit) die eigentliche Heiratzeit: so in Westfalen 
und in dem echten Bauernlande Ober- und Niederbayern 6 ). 
Bei den Siebenbtirger Sachsen ist der Katharinentag (25. No- 
vember) der altherkOmmliche Hochzeittag. 

Die Vergleichung mit andern VOlkern zeigt, dass bei 
den meisten der Spatherbst, die Zeit nach der Ernte, als die 
geeignetste ftlr Hochzeiten gewahlt worden ist; so bei den 
Indern, den Griechen, den Litauern und Slaven, den Esten 
und Finnen (v. Schroder, Hochzeitbrauche der Esten 48. 



*) K. Maurer in d. Z. d. Yer. f. Volkskunde 1, 111. 

2 ) Fiirstliche Hochzeiten wurden mit Rticksicht auf die vielen 
zu ladenden Gaste und deren Gefolge in die sommerliche Zeit, gerne 
auf Pfingsten verlegt, wo die Festlichkeiten im Freien gehalten 
werden konnten. So fanden die Vermahlungsfeste Herzogs Heinrich 
des Stolzen von Bayern (1127) und Philipps von Schwaben (1197) 
zu Pfingsten statt: Stalin, Gesch. von Wirtemberg 2, 134. 259. 

8 ) Egilss. c. 9. 42. Gunnlaugss. c. 9. Fornmannas. X, 46. Vest- 
gOtal. I, giptab. 8. OstgOtal. giptab. 8. 

*) Nialss. c. 41. Fornmannas. IX, 372. X, 28. 

6 ) Dybek, Runa IV, 60. Michelsen und Asmussen, Archiv 1, 413. 

6 ) Zeitschr. f. nd. Sprachf. 3, 135. Bavaria 1, 395. 



830 



Haas in Webers Ind. Stud. 5, 297). Die wirthschaftlichen 
Verhaltnisse sind dafar bestimmend gewesen. 

Auffallen kann, dass der Monat Mai, der Liebesmonat, 
als Unglttcksmonat far Heiraten, besonders in den romani- 
schen Landern, namentlich in Frankreich und Italien (auch 
in Stidtirol), aber auch in Irland und England gilt. Schon 
Ovid sagt in den Fasten 5, 490: mense malas Majo nubere 
vulgus ait. Im Berry heisst eine unter schlimmen Vorbedeu- 
tungen geschlossene Ehe un mariage de Mai. Die Englande- 
rinnen scheuen die May-mariages als unglttckbringend , ganz 
wie es in Niederdeutschland heisst: twischen Paschen un 
Pingsten frijen de unseligen, und in Bayern: Im Maien soil 
man nicht freien 1 ). 

Bei der Bestimmung d$s Tages achtete man auf 
den Mond. Ehen im zunehmenden Mond oder bei Vollmond ge- 
schlossen hatten die Bttrgschaft gedeihlichen Segens. Noch 
heute halt man hierauf bei Deutschen und andern VOlkern 
(v. Schroder a. a. 0. 50). 

Unter den Wochentagen sind nach deutscher Sitte, die 
in uraltem Glauben wurzelt, Dienstag und Donnerstag die 
beliebtesten. Ehen am Dienstag vollzogen sind nach dem 
Glauben von Ober- und Niederbayern gegen alle Hexentticke 
und jede Zauberei gefeit (Bavaria 1, 395); man meinte sie 
also jedenfalls unter dem Schutze eines hohen Gottes, wofur 
sich bajuvarisch wohl der Schwertgott Eru (bei den ubrigen 
Germanen Tius [Ziu], nach welchem der dies Martis in Tives- 
dag [Ziwestac, Dienstag = Erutac, Erchtag] ilbertragen worden 
war) ergibt. 

In der Oberpfalz wird vom Dienstag nur abgewichen, 
wenn der unschuldige Kindleintag auf einen Dienstag fallt. 
Das wirkt auf alle Dienstage dieses Jahres verderblich, und 
die Hochzeiten werden dann fur das laufende Jahr auf Montag 
verlegt (Bavaria II, 279). Dienstag ist als beliebter Hochzeit- 
tag mir bekannt ausser dem bajuvarischen Gebiet aus der 



2 ) Liebrecht, Zur Volkskunde (German. XVI, 227). Gaidoz in 
der M&usine VII, 105—111. Wuttke, §. 558. 



931 



Schweiz, Schwaben, Franken, aus der Rheinpfalz, aus Meissen, 
Lausitz, Schlesien, Westpreussen, Brandenburg, vom Harz, 
aus Niedersachsen und Westfalen T ). Wenn im Borgarthings 
Christenrecht (c. 7) der Dienstag und Donnerstag fur Ehe- 
schliessungen verpOnt werden, so lasst dies gerade auf die 
heidnische Vorliebe fur diese Hochzeittage schliessen. Auf 
Sylt fand am Dienstag das Brautigamsgelage (bridmanslag), 
am Donnerstag die eigentliche Hochzeit statt. 

Neben Dienstag steht fast in alien angeftthrten Land- 
schaften der Donnerstag; jedoch meist in zweiter Reihe 2 ), 
Bei den Friesen, ferner in Holland, in Ditmarschen, in Pom- 
mern scheint er dem Dienstag vorzugehn. Im Liineburgischen 
dagegen wird er gemieden unter der aberglaubischen Deu- 
tung, dass es in Ehen, die am Donnerstag geschlossen wer- 
den, leicht donnere 8 ). In D&nemark gait er fruher ftir den 
besten Heiratstag. 

Gegen den Sonntag erklarte sich, wenigstens in den 
Zeiten, in denen die priesterliche Benediction nicht fiblich 
war, die Kirche 4 ). Spater empfahlen manche praktische Rtick- 
sichten gerade diesen Tag als gottesdienstlich und durch 
gebotene Arbeitsruhe ausgezeichnet (Wuttke, §. 558). In Ltibeck 
wurden im 15. und 16. Jahrhundert die Ehen vorzugsweise 



2 ) Grimm, Mythol. II, 1092. Roehholz, Deutscher Q-laube und 
Brauch II, 21. Bavaria I, 395. II, 279. Ill, 332. IV, 1, 246. Zingerle, 
Sitten des Tirol. Volkes 10. Meier, Sagen aus Schwaben 483. Birlinger, 
Aus Schwaben 2, 280. Logau, Sinnged. n. 131. Wolf, Zeitschr. fur 
Mythol. I, 201. Morgenblatt 1853, S. 765. Kuhn, Mark. Sagen 354. 
Sagen aus Westfalen I, 36. Chr. Jensen, Die nordfries. Inseln 300. 
Hamburg 1891. Auch die Juden in Deutschland liebten und lieben 
Dienstag als Hochzeittag: Berliner, Juden im Ma. 26. 

2 ) Die angefuhrten Stellen, ausserdem Neokorus, herausg. von 
Dahlmann I, 110. Michelsen-Asmussen, Archiv I, 413. W. Miiller, 
Altdeutsche Religion 246. Wolf, Beitr. z. Mythol. I, 211. 

3 ) Morgenblatt 1853, S. 765. 

4 ) Tribur. Concil. v. 895: Hartzheim II, 411. Auch die Sieben- 
burg. Sachs. Synodalai'tikel verpOnten die Sonntagshochzeiten als 
hinderlich der Kirchenfeier (Matz 39). 



Sonntags geschlossen 1 ). Ebenso kOnnen wir dies fdr Nor- 
wegen aus alterer Zeit nachweisen : die norwegischen KOnige 
Magnus und Hakon Hakonson hielten Sonntags ihren Braut- 
lanf '). Auch die Hochzeit Herzog Rudolfs von Osterreich mit 
Blanca von Frankreich fand zu Paris 1300 Sonntags statt 
(Ottokars Chron. 75462). 

Montag ist im AlgSu und im Tiroler Iselthale der Hoch- 
zeittag, und kommt auch im Lechrain neben Dienstag gem 
vor. Auch in Pommern ist er beliebt*), dagegen in Holstein 
gemieden, nach der allgemeinen Abneigung irgend etwas, 
das Dauer haben soil, an diesem Tage zu beginnen: Mdn- 
ddg tvard nich Weken old, wozu der oberOsterreichische 
Spruch stimmt, der auch auf Hochzeiten angewandt wird: 
Montag hat Unbestand (Baumgarten, Aus d. Heimat 9, 61). 
Auch sonst gilt er hier und da von schlechter Vorbedeutung 
(Wuttke, §.'558). 

Mittwoch halt man allgemein fiir ungeeignet zu Hei- 
raten, es ist uberhaupt ein Unheilstag oder wenigstens kein 
Ehrentag. In Memmingen wurden bis in das 18. Jahrhundert 
die Paare, welche sich vorzeitig vergangen hatten, Mittwochs, 
und zwar in der fur Hochzeiten sonst nicht br&uchlichen 
Frauenkirche getraut. Erst die Zuchtordnung des 18. Jahr- 
hunderts schaffte dies ab, und gestattete fQr sie den ge- 
wOhnlichen Hochzeitmontag und die St. Martinskirche 4 ). 
Indessen ist noch bis in die Gegenwart in manchen Land- 
schaften (Schwaben, Oldenburg) Mittwoch nur Trauungstag 
gefallener Madchen (Wuttke, §. 69). In einigen markischen 
Orten, ebenso in oberOsterreichischen, werden die Hochzeiten 



2 ) Michelsen-Asmussen I, 1, 66. 

2 ) Fornmannas. IX, 372. X, 106. 

3 ) Histor.-polit, Blatter YI, 424. Zingerle, Sitten des Tiroler 
Volks 10. Leoprechting 241. Zelter an Goethe, Briefwechsel 3, 451. 

4 ) Walch, Beitr. z. deutsch. Rechte II, 311. — In dem evang. 
Kirchspiel Reichenbach in Schlesien, dessen Oberpfarrer mein Vater 
fast funfzig Jahre lang war (t 1871), fanden die meisten Hochzeiten 
Mittwoch statt. Das musste aber besondere ortliche Grunde haben, 
denn in den benachbarten Parochien hen*schte der Dienstag. 



eines Witwers oder einer Witwe auf Mittwoch gelegt *), denn 
nach alter kirchlicher und volksthiimlicher Ansicht haftete 
diesen zweiten Ehen ein Makel an. Im G-egensatz zu dem 
alien gilt „die Mittwoche" bei den Siebenbtlrger Sachsen als 
rechter Hochzeittag (Matz, siebenb. sachs. Bauernhochzeit 39). 

Freitag kann ich aus Norwegen belegen: KOnig Ingi 
Bardarson vermahlte . seine Schwester Sigrid dem Thorgrira 
von Lianes an diesem Tage (Fornmannas. 9, 21). In Hol- 
stein ist Freitag der gewOhnliche Hochzeittag, ebenso in 
Waldeck, im Ltaeburgischen und in den ehemals wendischen 
Gegenden der Mark. Beliebt ist er neben Donnerstag im 
niedersachsischen Amte Diepenau 2 ), neben Dienstag in der 
Altmark und im Hennebergischen. In Westfalen gilt er 
dagegen ebenso wie Mittwoch fur ungttnstig zu Eheschlies- 
sungen (Adalb. Kuhn, Sagen aus Westfalen 1, 36), und in 
der Oberpfalz sagt man gar: am Freitag heiraten die lau- 
sigen (Bavaria II, 279). — Am Sonnabend heiraten in West- 
falen nur geringere Brautpaare (Jahrb. f. nd. Sprachf. 3, 135). 
Er scheint auch sonst nicht oft gewahlt zu werden, worauf 
der Sonntag wirkte. 

Alle diese Wochentage hatten Geltung, so lange die 
kirchliche Trauung die einzige Form der Eheschliessung ge- 
wesen ist. Durch EinfQhrung der Civilehe werden wohl die 
grOssten Anderungen eingetreten sein, da die kirchliche Ein- 
segnung den Act auf dem Standesamt voraussetzt, und dieser 
von dem Standesbeamten anberaumt wird. 

Von verbotenen Heiratzeiten hat das deutsche 
Heidenthum schwerlich etwas gewusst. In der chhstlichen 
Kirche ward die Ansicht von der geschlossenen Zeit, in der 
keine Offentliche zerstreuende Lustbarkeit zulassig sei und 
daher keine Hochzeit, seit dem vierten Jahrhundert ent- 



1 ) Kuhn, Markische Sagen 355. A. Baumgarten, A. d. Heimat 9, 61 
(hier auch der Spruch: D'Miticha- und d'Montabraut habnt nie koan 
rechto Freud'). 

2 ) Zeitschr. d. hist. Vereins f. Niedersachsen v. 1851 (Hannov. 
1854), S. 104. Curtze, Geschichte u. Beschreibung des Fiirstenthums 
Waldeck, S. 419. 



384 



wickelt, und die abendlandische Kirche wirkte auf die Be- 
obachtung des Gebotes auch unter den Deutschen. Die Pas- 
sionszeit und die Adventzeit wurden demnach aus dem Hoch- 
zeitkalender gestrichen. Die kirchlichen Gebote wurden zum 
Theil in die Landrechte aufgenommen. So legte das islan- 
dische Recht (Gragas festath. 10) die Strafe der Verbanriung 
darauf, wenn einer zwischen dem Sonnabend vor Weihnachten 
und dem nachsten Sonntag nach Epiphanias oder in der Zeit 
von neun Wochen vor Ostern bis zum weissen Sonntage 
heirate. Die geistlichen Dispense brachten freilich auch hier 
Erleichterungen. Nach Seb. Francks Weltbuch (136*, Schmeller 
bayr. Wb. H 2 , 649) war eine schwarze Henne, die in dem 
Aberglauben als Opfer an die bOsen M&chte gilt, eine ttbliche 
Leistung for die kirchliche Erlaubniss, in verbotener Zeit 
sein Weib heimzufuhren. 



Der Tag der Hochzeit war bestimmt und die Vorberei- 
tungen wurden in beiden Hausern getroffen. Dazu gehOrte die 
Einladung der Gaste, die zunachst den Verwandten des 
Paares und den Nachbaren galten, und je nach Stand und 
YermOgen in engerer oder weiterer Ausdehnung sich hielten. 

In alter Zeit scheinen Braut und Brautigam selbst die 
Hochzeitbitter gewesen, darauf weisen Reste des Brauches 
hin. Sehr alterthumlich ward es bis in neuerer Zeit in ober- 
Osterreichischen Gegenden gehalten, indem der Brautigam 
und ein Begleiter, der schOne Mann genannt, zu seiner Freund- 
schaft (Sippe), die Braut und ein Begleiter, der Zubrauka' 
(Nebenbrautigam), der sie auf dem Wege iiber die ersten 
drei Stiegel (kleine Treppen zum ubersteigen der Grenzzaune) 
heben musste *), zur Verwandtschaft ihrer Seite laden gingen 
(Baumgarten, Aus der Heimat 9, 49). In andern oberOster- 
reichischen Orten ging die Braut mit dem Bruder oder dem 
GOd (Paten) oder auch einem Freunde des Brautigams die 
Leut' laden (ebd. 52). 



2 ) tiber das Heben der Braut bei der Hochzeit weiterhin. 



In der Eifel geschehen die Ladungen je nach der Freund- 
schaft durch Vertreter des Brautigams und der Braut (Schmitz, 
Sitten und Brauche des Eifler Volkes. Trier 1856, S. 52). 
Auf Sylt ging die Braut im Festgewande von Haus zu 
Haus, klopfte an die Hausthttr und sagte draussen stehend 
den Einladungsspruch, der auf das Bridmanslag (Vorhochzeit 
am Dienstag) und auf das uetskenken (Auslieferung der Braut 
am Donnerstag) lautete. Sie ward dann ins Haus genOthigt, be- 
wirtet und mit einem Ausstattungsstiick (Glas, Napf, Topf 
u. dgl.), mitunter auch einem Geldstiick beschenkt. Der Brau- 
tigam ritt mit dem begleitenden „Fuarman" (eigentlich Vor- 
mund) von Hauswirt zu Hauswirt und lud ihn ein, ihm 
helfen die Braut zu holen. Er betrat das Haus nicht 1 ). 

Die Einladung des Brautigams geht also auf den Ge- 

winn einer grossen Begleitung zu dem Zuge, mit dem er 

die Braut abholen will; die Braut sammelt bei ihrem Gange 

Geschenke filr ihre Ausstattung. In der Oberpfalz heisst dieses 

Laden durch die Braut daher das Haussteuersammeln. Sie 

geht mit dem BrautkrOnlein geschmttckt im Ort von Haus 

zu Haus, am Arm einen Zeker, der mit schOnem Bortentuch 

iiberdeckt ist ; neben sich eine alte Magd mit dem Rtlcken- 

korb. Diese spricht beim Eintritt: „Es kommt eine Braut, 

lasst bitten um eine Haussteuer"; die Braut sagt, wie es 

scheint, keine Ladung. Auch reiche Madchen unterlassen 

nicht diesen Sammelgang, Ehren halber, weil es eine alte 

Sitte ist und weil man meint, die demilthig bittende werde 

eine sparsame Hausfrau sein (SchOnwerth, Aus der Oberpfalz 

1, 62). 

In Niederschwaben besorgten die Braut und ihr Gespiel 
(die Brautfuhrerin) in ihrem Dorfe das Hochzeitladen selbst, 
auswarts der Hochzeitlader. Die Hochzeiterin ist im Festrock, 
grun oder gelblich mit braunen Spreckeln, darilber der aus 



x ) Chr. Jensen, Die nordfriesischen Inseln. Hamburg 1891. 
S. 300 f. Michelsen-Asmussen, Archiv I, 413 ff. Abbildung einer 
Foringer hochzeitladenden Braut bei Westphalen, Monum. ined. I. 
Tafel 19 (wiederholt bei Jensen a. a. 0., S. 312). 



836 



Messingschuppen und Messingschildchen gemachte GQrtel, an 
dem ein Messer hangt, auf dem Kopf das Schappele (Bir- 
linger, Volksthamliches aus Schwaben 2, 325). Von einem 
Aussteuerbitten wird hier nichts berichtet; Geschenke aber 
erhalt die Hochzeiterin wohin sie in den letzten drei Wochen 
kommt, und gibt dafilr ein Nastuch, wovon sie immer einen 
Vorrath in einem KOrbchen am Arm tragt (ebd. 326). 

Im oberen MQhlviertel in OberOsterreich geht die Braut 
und ihre Kranzeljungfrau in den letzten Wochen vor der 
Hochzeit in ihrer und der Nachbarpfarre die Hochzeitsteuer 
sammeln, die gem nach VennOgen in Leinwand oder Brot, 
Eier, Schmalz, Fleisch oder auch in Geld gegeben wird. Braute, 
die sich zu betteln schamen, sagt das Volk, mtissen zur 
Strafe far ihren Stolz nach der Hochzeit betteln (Am. Baum- 
garten, Aus der Heimat 9, 54). 

Im siidkarntischen Lesachthal tragt die Braut vom ersten 
kirchlichen Aufgebot bis zur Trauung den Brautgurtel, der 
wie der schwabische aus Messingschuppen gebildet ist. Urn 
ihren Hut ist ein rother Seidenfaden mehrfach geschlungen. 
Ehemals trug sie ihn um die Stirn und ein rothes Band 
war durch den langen Zopf geflochten. Sie ladet die Hoch- 
zeitgaste ein und wird wohl auch eine Aussteuer erhalten. 
(Mittheilung meines lieben Freundes M. Lexer, eines Lesach- 
thalers). 

Auch bei den Winden findet sich dieser Bitt- und Lade- 
gang der Braut, nicht minder aber auch in Schweden, wo 
die Braut um Hanf, Lein oder Wolle, und der Brautigam 
abgesondert von ihr zu anderer Zeit um Hafer zur Aussaat 
bittet. Auch die Finnen und Esten haben den ganz gleichen 
Brauch (v. Schroder a. a. 0. 45 ff.). 

In der Kegel geschehen aber die Einladungen zur Hoch- 
zeit durch einen Boten, den Hochzeitbitter oder Leutlader, 
der gegen Bezahlung sie ttbernimmt. Sein altes Zeichen ist der 
Botenstab, meist von dem im Volksglauben geweihten Hasel- 
strauch geschnitten. Der Hochzeitbitter ist festlich angekleidet, 
am Hut und auch am Stabe mit Bandern und Schleifen ge- 
schmtlckt; in Schwaben tragt er im Knopf loch eine um- 



337 



banderte Rose, anderwarts (so in Thuringen) einen Bosmarin- 
stengel, wieder anderswo einen Blumenstrauss auf dem Hut. 
Einen oberbayrischen Hochzeitlader hat Hugo Kauffmann 
trefflich abconterfeit in Karl Stielers Hochzeit in die Berg 
(Stuttgart 1882). Eigenthumlich ist der siebenburgisch-sach- 
sische Brauch, die Ladung des „Bitterknechts" zuerst zu be- 
zweifeln, ihn dann mit einer "Wide (Gerte) an den Herd an- 
zubinden und ihn den Spruch wiederholen zu lassen (Matz, 
S. 42 f.). 

Nach dem Gruss wird die eigentliche Ladung vorge- 
tragen, die je nach Witz und Mundstuck des Leutladers mit- 
Schilderung der zu erwartenden Gentisse und auch in manchen 
Gegenden, so in Bayern und Osterreich, mit den Preisen, 
die von den Gasten ftlr die Mahlzeit der Wirt fordern wird, 
ausgestattet sind. Seine Spasse verspart der Hochzeitlader 
gewohnlich auf den Trauungstag selbst, an dem er den 
Sprecher und Ceremonienmeister zu machen hat 1 ). 



Der Hochzeittag ist gekommen. Die Braut muss fur 
denselben gertistet werden. Und gleich hier zeigt sich die 
TJnzulanglichkeit des Quellenmaterials fur unsere alteste Zeit, 
das wir aus sparlichen Resten und nicht mehr verstandenen 
Gebrauchen der Gegenwart erganzen mussen. 

Die Braut soil gegen Unheil und den Hass der gOtt- 
lichen Machte geschatzt in die Ehe treten: sie muss durch 
ein Bad entsilhnt werden. Dieses Brautbad, von dem das 
Gedicht von der Hochzeit (12. Jahrhundert) das alteste deutsche 
Zeugniss gibt (Karajan, Sprachdenkm. 25, 15), das aber das 
indische und das griechisch-rOmische Hochzeitritual 2 ) kennen, 
ist keine blosse leibliche Abwaschung, sondern eine Lustration, 



2 ) Ladspriiche u. a. bei Am. Baumgarten, A., d. Heiinat 9, 49 ff. 
G. Sztachovics, Brautsprtiche und Brautlieder aus dem Heideboden 
in Ungarn, Wien 1867. Matz, Siebenburg.-sachs. Bauernhochzeit 43. 
Jahrb. f. nd. Sprachforsch. 3, 133. Bartsch, Mecklenb. Sagen 2, 71—81. 

2 ) H. Diels, Sibyllinische Blatter 48, hat darauf hingewiesen, 
dass die antiken Hochzeitgebrauche wesentlich Lustrationsriten sind. 
— tiber das altindische Brautbad: Haas bei Weber, Ind. Stud. 5, 304. 

Weinhold, Deutsche Franen. I. 



388 



eine entstthnende Weihung. Xoch heute ist deutscher Brauch, 
dass die Braut kurz vor dem Trauungstage ein Bad nimmt ; 
das grundet sich in jenem alten Ritus. In dem 14. Jahr- 
hundert war in reichen Btlrgerkreisen daraus eine Uppige 
Einleitungsfeier geworden. Die Regensburger Statuten von 
1320 verboten dem Brautigam, wenn er mit der Braut ins 
Bad (in eine der Offentlichen Badstuben) ging, mehr als 
24 Genossen und der Braut mehr als acht Frauen zur Be- 
gleitung zu nehmen. In den Nurnberger Polizeiverordnungen 
des 14. Jahrhunderts werden die Badeladungen (padlat), bei 
denen getanzt und geschmaust ward, untersagt. Es soil nur 
die Braut mit vier Frauen zu Bad gehen (Ntirnb. Pol. Ordn., 
herausg, von J. Baader, S. 62). Der dabei getriebene Auf- 
wand zwang die Stadtr&the sogar zu Verboten des ganzen 
Brauches. So untersagte der Mtinchener Rath 1402 jedwedem 
das Hochzeitbad (Schmeller, Bayr. WOrterb. I 2 , 209). 

Nur aus BOhmen und der Oberpfalz vermag ich sodann 
einen andern uralten Brauch zu belegen (SchOnwerth, Aus der 
Oberpfalz I, 77), namlich dass der Braut von der Mutter oder 
sonst nahe Gefreundeten einige Kopfhaare und die Nagel an 
Handen und Fiissen abgeschnitten und sofort verbrannt werden. 
In BOhmen muss die junge Frau bei dem Eintritt in ihre neue 
Heimat drei ihrer Haare in den Kamin werfen (Wuttke, §. 566). 
Es sind das Opfer ; das abgeschnittene Haupthaar ist eine aus 
dem griechischen Kultus und von andern Volkern her wohl- 
bekannte Opfergabe an die Unterirdischen *) ; und ebenso die 
Nagel, mit denen allerlei Zauber getrieben werden kann; die 
MOglichkeit, der Braut damit zu schaden, soil durch das 
Yerbrennen gehindert werden 2 ). Es ist aber zugleich ein Opfer: 
etwas von dem Leibe wird statt des ganzen den GOttern 
dargebracht. Im vedischen Heiratritus flndet sich auch das 
Abschneiden zweier Haarlocken der Braut und deren Ersatz 
durch zwei Wollenflocken (Haas in d. Ind. Stud. V, 278). 



*) Rohde, Psyche 16. Tylor, Primitive Cult 2, 364. 
2) Hartland, The Legend of Perseus 2, 138—143. Kohler, Melu- 
sinensage 65. 



Aus der Oberpfalz (SchOnwerth I, 98) stammt auch der 
Nachweis eines Thieropfers. Im bayrischen Walde gehOrt 
Bockfleisch auf den Hochzeitstisch. Das Thier wird von dem 
Dach eines Hauses herabgesturzt und von dem Metzger so- 
fort abgestochen. In altester Zeit ist wahrscheinlich die Braut 
mit dem Blute des Bocks besprengt worden. Die Erinnerung 
daran sind die das Blut vertretenden rothen Faden um Stirn 
oder Hals der Braut : im Havellande tragt oder trug sie einen 
rothen Seidenfaden um den Hals (Kuhn-Schwartz, Nordd. 
Sagen 433, 282). Im sudwestlichen Karnten tragt sie ihn 
um den Hut, friiher um die Stirn und ein rothes Band durch 
den Zopf geflochten (oben S. 336). In Westfalen hatte ehemals 
die Braut ein rothseidenes Band um den Kopfputz (dat stik, 
Kuhn, Westfal. Sagen 2, 41). In der Oberpfalz und auch in 
andern bayrischen Gegenden hat die Braut ein schwarz und 
rothes, oder ein weiss und rothes Halstuch mit langen Zipfeln, 
die den Rttcken hinabfallen (SchOnwerth I, 82). Auch an dem 
Brautigam, seinen Gesellen und selbst am Hochzeitbitter ist 
roth zu sehen: der erstere tragt ein rothes Band um den 
Hut, gleichwie rothseidene Bander von den Htiten seiner 
Freunde flattern (SchOnwerth I, 85 1 )). Das Halstuch ist schwarz- 
seiden mit rothen Streifen. Der altindischen Braut binden die 
Bruder der Mutter ein halb roth, halb schwarzes Halsband 
von Schafwolle oder Linnen um (Haas a. . a. 0. 308), und die 
rOmische Braut hatte ein flammeum sanguineum, ein blut- 
rothes Tuch, tiber dem Kopf; alles Hinweisungen auf ein 
Siihnopfer 2 ). Die Seide an den deutschen Bandern ist moderner 
Ersatz der alten Wolle. 

Zu den altesten Hochzeitriten gehOrt die Verhilllung 
der Braut. Bekannt ist, dass die rOmische nupta, die Braut, 
eigentlich die verhiillte bedeutet, und dass auch die alt- 



x ) IJber Roth in der Badischen Hochzeittracht E. H. Meyer im 
Freiburger Universit. Festprogr. z. 70. Q-eburtst. des Grossherzogs 
1896, S. 52. 

2 ) In altdanischen Liedern binden die Helden, um sich unver- 
wundbar zu niachen, rothe Seidenfaden um den Helm (Grimm, RA. 
183): Rest eines mit Opfer verbundenen Zauberritus, 

22* 



840 



griechische Braut einen tiefen Schleier an dem Vermahlungs- 
tage bis in das Brautgemach trug. Bei den Germanen war 
es ebenso 1 ). Als Thorr dem Riesen Thrymr in weiblichem 
Gewande als Braut zugefuhrt wird, ist er mit dem, seinen 
Kopf weit und tief bedeckenden Brautlinnen (briicllin) verhullt 
(Thrymsqu. 19. 27); unter dem Leintuch gehn (ganga und 
lini, Rigsthula 40) hiess Braut sein. Die Ditmarsische Braut 
hatte den Kopf ganz verhullt. Auf Sylt war Kopf und Ober- 
leib der Hochzeiterin mit einem tiberhang bedeckt, in welches 
spater ein Viereck zum heraussehen (wohlwollend, aber ohne 
Verstandniss der alten Sitte) geschnitten war 2 ). 

Diese Bedeckung des Kopfes ist auch bei Neugriechen, 
Rumanen und slavischen VOlkern, nicht minder bei Esten und 
Finnen Brauch gewesen Oder ist es noch 8 ). Wenn sie durch die 
Entftihrung aus dem Vaterhause erklart wird, so trifft das 
schwerlich das richtige. Denn diese Verhullung des Antlitzes 
geh6rt zu dem Opferdienst der Unterirdischen, die auch bei 
der Eheschliessung verehrt wurden. 

tiber die Kleidung des Madchens zu der Hochzeit 
ihres Lebens lasst sich Folgendes sagen: 

Althergebrachter Hauptschmuck der jungfraulichen Braut 
war das lange, lose Haar; es gait als Zeichen bewahrter 
Reinheit bei den niederdeutschen Br&uteh und auch in der 
Eifel noch im vorigen Jahrhundert 4 ). Indessen wurde es nicht 
allgemein am Hochzeittage frei getragen ; im Norden hatten 
in alter Zeit die Braute ihr Haar hoch aufgebunden und mit 
Bandern umwickelt 6 ), ganz wie es noch im 17. Jahrhundert in 
schwedischen Gegenden gebrauchlich war. Der Braut kranz 
fehlte wie es scheint dabei ganzlich; er war ersetzt durch 



2 ) Das got. liugan (Pit. — aida) und das fries, logia, heiraten, 
scheinen auch ursprunglich verhulien zu bedeuten, J. Grimm, Voir, 
zu Schulzes Got. Glossar, S. XIII. 

2 ) Abbildung in Westphalens Monum. I, Tafel 21. 

^ v. Schroder a. a. 0. 72 ff. 

4 ) Grupen de uxore theot. 204. Schmitz , Sitten des Eifler 
-Volkes 53. Vgl. auch 01. Rudbeck, Atlantica III, 617. Herrad von 
.Landsberg Hortus delicarum, herausg. von Engelhardt, Taf. 2. 

6 ) hagliga urn hofud typpa Thrymsqu. 16. 



341 



das freifliegende Haar oder es ward nicht fttr nOthig erachtet, die 
Jungfraulichkeit der Braut besonders anzudeuten. Germanisch 
ist er nicht, sondern rOmisch und durch die Vermittlung der 
Kirche 1 ) ublich geworden. Im 10. Jahrhundert war der braut- 
liche Rosenkranz in Deutschland bereits im Brauch 2 ). Auch 
in Frankreich war er ttblich und der Brautigam trug dort 
im 13. Jahrhundert ein Kranzchen von grunen Zweigen. 

Das Schapel oder Schapellin, d. h. das Kranzlein aus 
frischen Blumen, ist denn auch in der hofischen Zeit das Zeichen 
der Jungfraulichkeit geblieben *) und der Schmuck jungfrftulicher 
Braute. In der Gestalt des ktinstlichen Sehapels, d. h. des 
aus verzierten Bandern geflochtenen Stirn- und Kopfschmuckes, 
hat es sich landschaftlich, so in Schweizer Landschaften, im 
Bregenzer Wald, im Schwarzwald, im Hennebergischen, im 
Salzburger Lande, bis jetzt oder vor kurzem noch als Brautzier 
erhalten. An dem „BOrdl" fehlt dabei nicht der Rosmarin, 
der auch die Brust der Braut schmiickt. Diese Mittelmeer- 
pflanze, die schoh in Karls d. Gr. Garten gepflanzt ward, hat 
sich wohl durch den wiirzigen Geruch zu einem Lieblings- 
kraut des deutschen Volkes erhoben. Es ist Zeichen der Liebe, 
schmiickt die Hochzeiter und nicht minder die Todten. Uberall, 
im Stiden und Norden, im Westen und Osten wird der Ros- 
marin als Burge der Liebe und der Treue an Haupt und 
Brust getragen. Rosmarinkranze dienen sogar als Brautkr&nze 
in Vorarlberg, in Schaff hausen, in OberOsterreich (Baumgarten, 
Aus d. Heimat IX, 64), im Waldeckschen (Curtze, Geschichte 
419). In England und in Frankreich, auch bei slavischen 
. VOlkern, hat der Rosmarin dieselbe Bedeutung wie bei uns 4 ). 
Verbreitet im Suden undNorden des deutschen Landes war auch 



2 ) Tertullian de coron. mil. 13. Chrysostom. homil. 9. in Timoth. I. 

2 ) Notkers Marc. Capella, S. 62 (Graff). 

s ) Winsbekin 16, 10. 33, 5. Heinr. v. Neustadt, Apollon. ed. 
Strobl, S. 249. Reinfried 11040. Fragm. 23, 327. 

4 ) Ltitolf, Sagen und Brauche aus den fanf Orten. Luzern 1862, 
S. 378. Birlinger, Volksth. aus Schwaben 2, 345. Bavaria' I. 1, 438. 
Scmneller 2 2 , 153. Bockel, Volkslieder aus Oberhessen XIX f. Kuhn, 
Westfal. Sagen II. 38. 49. Mark. Sagen 357. 



die heute noch vielfach getragene Brautkrone, ein kronen- 
artiger Aufsatz von glanzendem Draht, Flittern und Perlen, 
an dessen Stelle auch das niedrigere KrOnel oder Bandel ge- 
. treten ist, oder in neuerer Zeit ein Kranz von kanstlichen 
Blumen 1 ). Immer gilt dieser Schmuck als jungfrauliches 
Zeichen. In dem Gedicht von Mei und Beaflore (13. Jahr- 
hundert) heisst es: si truoc noch die krdne uf blOzem h&r 
alsam e (91, 4). Die jungfrauliche Schwester des Anfortas 
tragt „die kr6ne tlfbl6zem har" (Parziv. 812, 3). Und wenn 
Heinrich von Morungen (M.Fr. 129, 28) von der schOnen, die 
er liebt, sagt: „diu mit ir kr6nen gie von hinnen", so ergibt 
sich, dass er nicht einer verheirateten Frau diente, sondern 
einef Maget. 

Sinnig ist der nur aus neuer Zeit bezeugte Brauch, den 
Brautkranz mit Getreideahren zu schmucken (Mecklenburg) 
oder ihn ganz aus Ahren zu flechten (Mederbayern ; Dresdener 
Gegend) 2 ). Es hangt mit der sehr alten Sitte zusammen, die 
Braut mit FruchtkOrnern zu beschutten. 

Zur alten Brauttracht gehOrt der Gurtel, der aller- 
dings ein nothwendiger Theil des weiblichen Anzugs aber- 
haupt war, am Hochzeittage aber noch eine besondere Be- 
deutung hatte. Mit dem entgurten nahm der junge Mann die 
Braut am Abend ganz in Besitz. Nach altindischem Hochzeit- 
ritual lOste der Brautigam auf dem Brautbett unter Spruchen 
den GQrtel der Neuvermahlten, nicht minder der ROmer der 
jungen Gattin den mit dem Herkulesknoten gegen Zauber 
geschutzten Gurt (Haas in d. Ind. Studien V, 389). 

In manchen bayrisch-Osterreichischen Gemeinden hat % 
sich seit Jahrhunderten ein in der Kirche oder in der Dorf- 
lade verwahrter Brautgartel erhalten, der an jungfrauliche 
Braute verliehen wird. Es ist ein Prachtstiick aus versilberten 
Messinggliedern und vergoldeten Spangen mit blauen oder 



!) K. Hildebrand im Deutsch. Warterb. V, 2356. Bavaria I, 437. 
II, 191. 848. Ill, 383. IV, 250. Schohwerth 1, 82, f. Schmitz, Sitten 
des Eifler Volkes 53. Matz, Siebenburg.-sachs. Hochzeit 65. Immer- 
rnanns Miinchhausen III, 2. 

2 ) Mannhardt, Mythologische Forschungen, S. 358 f. 



343 



rothen Glassteinen bestehend, die auf Sammt aufgenaht sind 
(Bavaria I, 437). In der Oberpfalz ist er einfacher, eine Mes- 
singkette mit vier rothen Maschen (SchOnwerth I, 83); in 
Schwaben und in Karnten besteht er aus kleinen, verbundenen 
Messingschuppen und Schildern. 

Die ubrige Brauttracht scheint nichts besonderes gehabt 
zu haben. Wo es anging, waren die Gewander naturlich neu 
und mOglichst gut an Stoff 1 ). Aus dem Gedicht von der 
Hochzeit (Karajan, Sprachdenkmale des 12. Jahrhunderts 25, 
15. 36, 18) l&sst sich weisse Farbe des Brautkleides folgern: 
in das weisse mit kOstlichen Bandern (borten) besetzte Ge- 
wand wird die hohe Braut gehullt und mit goldenen Spangen 
und anderem Schmuck geziert. In dem Osterreichischen Haus- 
ruckviertel tragen unbescholtene Braute den ganzen Hoch- 
zeittag weisse Schilrzen (Baumgarten, Aus d. Heimat, 9, 65). 
"Weisse Schilrzen und Halstiicher sind auch unerlasslich bei 
jungfraulichen Br&uten und Ehrenmagden in Tuttlingen in 
Schwaben (Birlinger, Volksthiiml. 2, 383). Bemerkenswerth 
ist jedenfalls, dass heute in Altbayern und in Oberschwaben, 
in Landern, die an alter Volkssitte noch festhalten, ein helles 
Brautkleid fur anstOssig gehalten wird und die Braut nur 
schwarz oder violett tragt (Bavaria I, 436 f. SchOnwerth, 
Aus d. Oberpfalz I, 82 ff. Birlinger, Volksthumliches aus 
Oberschwaben 2, 345. 383). 



Yon dem Brautigam sagt ein deutsches Gedicht des 
12. Jahrhunderts, als der Tag erschienen ist, an dem er eine 
vil liebe gemahelen gewinnen soil: „er samenit sich vil witen 
durch willen siner britte mit vrtinden joch mit magen, er 
enl&t sichs niht betr&gen, mit menigen kumet er vur daz 
hfis, die vrowen ladet er daruz, er halset und kusset sin 
trflt, dan vuoret er die brfit. die mit im ritent, niht langer 
sie enbitent, si vrowent sich und singent, unz si sie heim- 
bringent. die hiwen bitent ir d6 vore under dem burgtore" 



x ) do vlizzet sich diu maget baz ir wsete danne si & "haete 
Karajan Sprachd. 25, 1—4. 



814 



(Karajan, Sprachdenkm. 112, 15 ff.) *). In diesen Yersen sind 
die Hauptscenen . des Hochzeittages alter Sitte gezeichnet: 
der Zug des Brautigams zum Brauthause ; die Forderung, sie 
ihm zu tlbergeben ; Umarmung und Kuss des Paares und die 
frOhliche Heimftihrung ins eigene Haus mit dem Empfang 
der jungen Frau. 

Mit seinen Freunden und Verwandten reitet der Brau- 
tigam in stattlichem Zuge nach dem Hofe der ihm vorher 
Verlobten. So war es in Deutschland und im Norden Sitte; 
nur nach besonderem Abkommen (mein Altnord. Leben 246) 
mit dem Vormund kam der Brautigam nicht selbst, sondern 
liess die Verlobte durch seine Freundschaft in grossem Auf- 
zuge abholen und empfing sie dann vor seinem Hause, wo 
die Hochzeit gehalten ward. 

In beiden Fallen war die abholende Schaar in alter Zeit 
hewaffnet 2 ); nicht als Erinnerung an die wilde Raubehe, 
sondern zur Vertheidigung der Braut, die unter sicherem Ge- 
leite in ihr neues Heim gebracht werden musste. Uberfalle 
von Hochzeitziigen sind oft genug geschehen 8 ). Bis in neue 
Zeit kam der vom Brautigam zur Abholung der Braut ge- 
sandte Brautfilhrer mit seiner Begleitung bewaffnet auf den 
Diirrenberg fiber Hallein im Salzburger Lande (Aug. Hart- 
mann, Volksschauspiele in Bayern und Osterreich 1 20 ff.). 

Auf dem Dfirrenberge werden dem Abgesandten des 
Brautigams- von dem Brautvater erst eine Zahl Rathselfragen 
vorgelegt, die er beantworten muss, ehe ihm die Braut aus- 
geliefert wird. Auf Sylt fand bis in die Mitte des 18. Jahr- 
hunderts der Fuarman (Vormund), neben dem der Brautigam 
tlbrigens an der Spitze der Fahrtgenossenschaft war, das 



*) Ausfiihrlicher ist die Schilderung in dem Gedicht von der 
Hochzeit, Karajan ebd. 25, 4 ff. Wenn auch diese Stellen mit latei- 
nischen theologischen Schriften sich beriihren, so ist kein Grund, 
sie hier nicht zu benutzen, da keine fremde, sondern deutsche Sitte 
aus ihnen sich aussert. 

2 ) Dargun, Mutterrecht und Raubehe 128. 

3 ) Scheinbare tTberfalle des Ausstattungs- (Kammer-) Wagens 
der Braut durch die Leute des Brautigams sind in landschaftliche 
Hochzeitscherze aufgenommen, Dargun 129. 






345 



Brauthaus verschlossen. Nach einigem Klopfen erschien ein 
altes Weib und fragte, was sie wollten? Der Fuarman ant- 
wortete: „Wir haben hier eine Braut abzuholen". Die Alte 
schlug die Thtir zu und rief: „Hier ist keine Braut". Erst 
auf das zweite Klopfen ward der Brautigamschaar geOffnet 
(Michelsen-Asmussen, Archiv I, 413 ff.). 

In siebenbiirgischen SachsendOrfern findet der Br&utigam 
den Brauthof verrammelt oder wenigstens mit Seilen oder 
Ketten versperrt, ebenso an der Saar und in niederl&ndischen 
Orten (Matz 54. 68). Auch zur Vertheidigung schickt man 
sich in Siebenbtirgen an, nicht minder bei den Kleinrussen. 
Denn das ist ein weitverbreiteter Brauch, bei slavischen 
VOlkern, bei Esten und Finnen ebenfalls nachweisbar 1 ), der 
aus den Zeiten stammt, in denen gewaltsame Entfiihrungen 
haufig waren. 

Weist dies auf Ernst, so ist ein anderer Brauch aus Schimpf 
und Scherz entsprungen. Statt der Braut wird eine unechte 
zuerst vorgeftthrt, gewOhnlich ein altes Weib, seltener ein 
anderes Madchen oder gar ein verkleideter Mann (Bayern, Gott- 
schee, Hessen, imWetterauerVogelsberg, auf denSchwedischen 
Inseln). Auch das ist weitverbreitet : Komanen, Slaven und 
Esten kennen diesen Scherz 2 ). Wiederholen will ich nur wegen 
der lebendigen Ausfiihrung den vor 50 Jahren von mir mit- 
getheilten oberschlesisch-polnischen Brauch. Dem Brautigam 
wird zuerst ein altes lahmes "Weib zugefilhrt, das in weissem 
Leintuch verhtlllt ist. Der Hochzeitfuhrer des Brautigams ruft, 
das sei nicht die Braut, sondern ein Thier. Hiernach kommt 
eine der Brautjungfern : sie dreht sich vor den Starosten (den 
Hochzeitfilhrern) um und entwischt in dieKammer: das sei 
ein scheues Thierchen, die Braut kOnne es nicht sein. Dann 
erst kommt, nachdem eine Art Brautkauf gegeben ist, die 
Braut selbst (Haupt, Z. f. d. Alterth. 6, 462). 



a ) v. Schroder, Hochzeitbrauche der Esten 57 ff. 

2 ) v. Schroder 68 ff., wo auch auf Useners Aufsatz im Rhein. 
Museum XXX, 189 ff. Italienische Mythen verwiesen wird und 
namentlich auf 224—229 (zu Ovid. Fast. 3, 677 ff.) 



346 



Der Brautigam ist nun in dem Brauthause, umgeben 
von seiner Begleitung; der Kechtsvormund der ihm frtther 
schon Verlobten mit dieser und ihren Verwandten steht ihm 
gegenuber, und die tTbergabe, die vorher versichert war, 
erfolgt nun, oft wahrscheinlich kurz, zuweilen ausgefiihrter. 
"Wir kOnnen hier das sogenannte Schwabische VerlObniss 1 ) 
verwerthen, das zuerst eine Kechtshandlung und darauf die 
Formel der Ubergabe der Braut enth&lt. Mit sieben Hand- 
schuhen verpfandet der freie Schwabe der freien Schwabin 
nach schwabischein Recht, dass er den rechten, den gewahrten, 
den gewaltigen Schutz (munt), ihm zu seinem, ihr zu 
ihrem Rechte mit seinem Vollwerth gegen ihren Vollwerth 
tibernehme. Dann verpfandet er ihr, was er an Eigen besitzt 
in schwabischer Herrschaft und in des KOnigs Reich nach 
Schwaben Gesetz und Schwabenrecht, dann den Herdenbesitz, 
dann Zaun und Gezimmer mit Aus- und Einfahrt; dann die 
Weiden fur Rosse, Kiihe, Schafe und Geflugel; dann Gold 
und Geschmeide und Gewaffen; dann die Eintragung in das 
Widembuch. Die sieben Pfander nimmt die Frau und ihr 
Yogt, und dann nimmt der geborene Vogt der Frau die 
Pfander und die Frau und ein Schwert und ein golden 
Ringlein, einen Pfennig und einen Mantel, thut einen Hut 
auf das Schwert, das Ringlein an den Schwertgriff und uber- 
antwortet die Frau dem Manne und spricht: „Womit ich 
Euch mein Mundel ubergebe in Eure Treue und Eure Genade, 
und ich bitte Euch um der Treue willen, indem ich sie Euch 
anbefehle, dass Ihr ihr seiet ein gerechter Vogt und ein 
genadiger Vogt und dass Ihr nicht ein schlechter Vormund 
werdet!" Damit empfangt er sie und er behalte sie ihm. 

Schwert, Ring, Pfennige, Mantel haben wir schon als 
Rechtssymbole bei der Verlobung (S. 309 f .) gefunden ; sie er- 
scheinen bei der Ubergabe oder Trauung noch einmal. 
Der Hut ist auch ein Zeichen der tibertragung oder Ubergabe 



x ) Den Text der oftgedruckten Formel u. a. in W. Wackernagels 
Altd. Lesebuch 5 365. Mullenhoff-Scherer, Denkmaler Nr. XCIX. Als 
Trauungsformel bezeichnet von R. Sohm, Recht der Eheschliessung 
66. 319. 



847 



des Besitzes (Grimm. KA. 148) wie Eing und Pfennig (ebd. 

178 ' Andres werden andre Formeln und Brauche ergeben. In 
einem kolnischen Trauungsformular') aus dem 14. Jahrhundert 
•wi dPmienieen der zwei zur Ehe zusammen geben soil, 
^^0^^. Zuerst seller den Mann fragen: „Bist 
t>„ hier auf dass Du Sibllychen (Beilgen oder wxe sie nun 
heisst)' zu einem Eheweibe und zu einer Bettgenossin haben 
wfflst?" So soil der Brautigam sagen: „Ja«. Dann soil er die 
Braut'bei ihrem Namen fragen: „Btot Du hier auf dass Du 
Hetoich (Oder wie er sich nennt) zu einem Vormund und 
BeXnossen haben willst?" So soil sie sagen: ,Ja\ Dann 
sou der Brautigam den King nehmen und inn der Braut an 
den Finger nachst dem kleinen Finger stecken. Darauf soil 
dSenige der sie zusammengibt, ein seidenes Tuch nehmen, 
in das zwolf Torneschen') gebunden sind und sprechen: 
Trh sebe Euch zusammen auf frankischer Erde mit Gold 
"L Gestein, mit Silber und Gold, sowohl nach Frankenweise 
X nach Sachsenrecht, dass Euer keiner den andern lassen 
111 urn Lieb' noch urn Leid noch urn irgend etwas, das Gott 
atiftm geschaffen hat oder noch mag lassen geschaffen werden . 
C soil, der sie zusammengibt, das Tuch mit den Munzen 
end uberreichen, der es der Braut aufbewahre, und chese 
111 das Geld um GotteswiUen arrnen Leuten geben. Der 
Brautigam aber soil der Braut aus einem Becher zutrinken 
und der Braut darnach einschenken. 

Es erfolgt hier zunachst die Verlobung, die noch einmal 
rwie in dem schwabischen Formular) aufgenommen ist samt 
den Verlobungszeichen des Ringes und des ubergebenenBraut- 
kaufes, welcher, als im Besitz desVerlobers schon befindlich 
nunmehr von ihm der Braut geschenkt wird 8 ). Der Wemtrunk 

V^allraf, Beitr&ge zur Gescbichte der Stadt Koln I, 159 f. 
; wdiua, e . n B53f goimi, Recht der Ehe- 

Wackernagel bei Haupt, Z. I. d. a. ii, «» ou , 

SCmieS fSi f mit Geprage der Stadt Tours. 

3) Dass sie ihn als Almosen vertheilt, ist nebensachliche Ver- 

W endung. 



848 



bestatigt den geschlossenen Vertrag. Die fOrmliche Ubergabe 
der Braut wird nicht erwahnt, ist aber zu erg&nzen; denn 
die Verlobung ist frtlher geschlossen, wie der Brautkauf be- 
weist, der sich schon in der Hand des Verlobers befindet. 

Die Vereinigung von Verlobung und tTbergabe der Braut 
erfolgte namentlich bei rasch geschlossenen Ehen; dann 
wurden die FOrmlichkeiten verschmolzen. In dem Koman des 
Pleiers, Tandareis, wird nicht bloss der Held mit seiner Flor- 
dibel nach langen Abenteuern, sondern auch die fiinf andern 
Paare durch Artus kurz zusammengegeben und halten das 
Beilager. Am nachsten Morgen hOren sie die Messe (Tandar. 
16315—16674). Sehr abgekurzt ist die Verlobung und Trauung 
Siegfrieds mit Kriemhild im Nibelungenliede (Str. 566—570) 
geschildert. Kasch geschieht auch die Zusammengebung der 
jungen Bauerntochter Gotelind mit dem Strauchritter Lember- 
slint nach dem Gedicht Wernher des Gartners von dem Maier- 
sohn Helmbrecht (1503 ff.) 1 ). Ein alter Mann, der sich auf 
solche Sachen versteht (die Ehe wird gegen den Willen der 
Eltern der Braut durch den jungen Bruder gestiftet, 1431 ff.), 
stent das Paar in den Kreis der Zeugen und spricht dreimal 
zu Lemberslint: Wollt Ihr Gotelind zum Eheweibe nehmen, 
so sprechet Ja! „Gerne", sagte der jQngling dreimal, „bei 
Seele und Leib, ich nehme dies Weib gerne". Dann fragt 
derAlte dreimal Gotelind, ob sie den Lemberslint zumManne 
nehmen wolle, und sie antwortet dreimal ebenfalls: „Gerne! 
gebt mir ihn!" Darauf tibergibt er Gotelind zum Weibe dem 
Lemberslint und Lemberslint zum Manne der Gotelind. Alle 
singen dann ein Lied und der Brautigam tritt der Braut auf 
den Fuss. 

Dieser Tritt auf den Fuss ist Zeichen des Antritts der 
Herrschaft. Noch heute ist es in deutschen Gegenden (und 



*) Das Thema einer Bauernhochzeit ward mit derbem Witz 
behandelt im Gedichte von Metzen Hochzeit (Lassberg, Liedersaal 
n. 226, in ktirzerer Fassung Diutiska II, 78—91. Hatzlerin 259 ff.), 
verwerthet in Wittenweilers Ring. Die Fastnachtspiele n. 58 u. 65 
sind bauerliche Heiratsberedungen, n. 66 ist auch eine solche, die 
aber mit Zusammengebung des Paares schliesst. 



auch bei Slaven und Esten) Glaube, dass die Braut das Regi- 
ment in der Ehe haben werde, wenn sie vor dem Altar 
gleich nach der Einsegnung durch den Geistlichen ihren Fuss 
auf den des Brautigams setzt. Der Schuh, welcher in man- 
chen mittelalterlichen Heiratsgebrauchen (vergl. oben S. 305) 
als Geschenk des Brautigams an die Braut erscheint, ist auch 
als Symbol der Herrschaft zu deuten (Grimm, RA. 142. 156). 
Wer den Pantoffel fuhrt, herrscht in der Ehe, ist noch 
heute bekannte Redensart. 

DafQr, dass der Brautigam die junge Frau auf seinen 
Schoss setzte, zum Zeichen, dass er sie (wie ein Kind) an- 
nehme 1 ), lassen sich Stellen aus schwedischen Volksliedern 
anfilhren. 

Einsehraltes Rechtssymbol der Besitzergreifung, namlich 
durch einen grttnen Zweig (viridi ramo, ramis, Grimm, 
RA. 130 f.) erwahnen die alten Quellen bei der Vermahlung 
nicht, wohl aber eine altfranzOsische chanson de geste, Gui 
de Nanteuil (ed. P. Meyer 26) : Karl d. Gr. verlobt dem Her- 
viau die Braut mit einem bluhenden Olbaumzweige (le roy 
tint une verge florie d'olivier et a dit a Herviau: tenez 
cheste moillier). Es lasst sich ferner, freilich nicht filr das 
rechtliche VerlObniss, aber bei freier Liebesvereinigung aus 
deutschen Volksliedern nachweisen. In einem aus dem 
16. Jahrhundert iiberlieferten Liede (Uhland, Alte hoch- und 
niederdeutsche Volkslieder 1, 186) heisstes: „Er (ires herzen 
ein trost) nam sie bei ir schneeweissen hand, Er fArt sie 
durch den grunen wald, Da brach er ir ein zweig, Sie kiisset 
in auf seinen roten mund Das wacker megdelein". Und in 
einem heute noch in deutschen Landen gesungenen Liede 
vom Reiter und dem Schafermadchen heisst es (nach der 
schlesischen Fassung): „Komm, komm, wir wolln unter 
die Eiche gehn, Er brach ihr ab einen grttnen Zweig Und 



i) J. Grimm, Rechtsalterth. 453. Die von ihm !(K1. Schriften 
V, 319) angefuhrten angelsachsischen und spateren deutschen Zeug- 
nisse sind zweifelhaffc. 



350 



machte das Madel zu einem Weib, Da lachte das Madel so 
sehre" 1 ). 

In dem KOlner Formular heisst es von dem, der das 
Paar ehelich zusammengibt, ganz allgemein „der gene der 
sy zo hoeff gaift", und in dem ungef&hr gleichzeitigen Land- 
recht von Berg (14. Jahrhundert) lesen wir: „wan ein man 
van ridderschaft ein wyf nemen wil, mach sie zosamen geven 
ein leye vur den luyden offenbairlich" 2 ). Hier ist also der 
geborene Vogt oder Vormund der Braut nicht mehr der ge- 
setzliche Eheschliesser, sondern er ist durch eine andere 
Person ersetzt, welche den Act der Zusammengebung nach 
dem Willen der Brautleute vollzieht. 

Schon in Gedichten des 13. Jahrhunderts von hofischem 
Charakter sehen wir die Paare durch ihnen unverwandte 
Manner zusammengeben. Wenn es der KOnig oder iiberhaupt 
der Landesherr ist, wie im Wigalois (956. 9420), im Flore 
(7484), Eraclius (4160), Wigamur (4616), Lohengrin (2309), 
so kann die obervormundschaftliche Stellung desselben in 
Kechnung kommen. Aber auch ein Freund gibt den Freund mit 
der Frau zusammen, wie Gawein den Gasozein mit Schoidamur 
(Krone 13833 ff.). Es ist also im Zusammenhang mit der 
Abschwachung oder auch vOlligen Auf hebung der Geschlechts- 
vormundschaft und dem mehr oder minder unbedingten Selbst- 
verlobungsrecht der Frauen auch mit der Person desjenigen, 
welcher die Braut dem Brautigam ehelich traut, in dieser 
Zeit eine Wandelung im Vollzuge. Es kann irgend ein dazu 
berufener den Act vornehmen: die vor Zeugen gegebene 
Willenserklarung der Brautleute ist die Hauptsache geworden. 

Wir kommen damit zu der Mitwirkung der Geistlichkeit, 
die sich in derselben Zeit grade auch in hofischen Gedichten 
bemerkbar macht, ilberhaupt zu dem gottesdienstlichen 
Theil der deutschen Hochzeitfeier. 



!) Hoffmann-Richter, Schles. Volksl., S. 153 f. Bockel, Deutsche 
Volkslieder aus Oberhessen, S. 56. E. Meier, Schwab. Volksl., S. 344. 
Simrock, Deutsche Volksl., S. 197. Erk-BOhme, Liederhort I, 441. 

2 ) Lacomblet, Archiv f. d. Niederrhein I, 95. 



351 



Aus unserem Heidenthume kOnnen wir viel lernen far 
eine tiefe Auffassung der Natur und des menschlichen Lebens ; 
denn es hatte offene Augen und warme Empfindung. Spitz- 
flndigkeiten so wenig als dogmatischer Fanatismus und platter 
Atheismus unterbanden ihm noch nicht die Herzader. Der 
heidnische Germane fasste die Ehe als eine bedeutende und 
heilige Einrichtung, tlber deren Beginn die Gottheit zu be- 
fragen, far welche ihr zu opfern, die durch sie zu weihen 
sei. Daher bestunden neben den rechtlichen Verhandlungen 
gottesdienstliche Gebrauche, und so muss es auch bei uns 
gehalten werden. 

Wie vor jedem wichtigen Unternehmen ist es auch 
vor den Heiraten wahrend unserer heidnischen Zeit Sitte ge- 
wesen, die Stimme der GOtter durch das Loss zu erforschen. 
Wenigstens noch am Ende des 13. Jahrhunderts war Loss- 
werfen bei Hochzeiten so ablich, dass es die Kirche bei 
Strafe der Excommunication verbot (z. B. auf der "Warzburger 
Synode v. 1298. c. 18. Hartzheim, Cone. germ. IV, 30). Wir 
haben fraher schon (S. 338. 340) auf die Spuren uralter Opfer 
und Lustrationsgebrauche bei der Eheschliessung hingewiesen, 
die vornehmlich die Braut betrafen. Sie bezweckten, den Zorn 
der G-OttJichen abzuwenden und ihre Gunst der jungen Frau 
zu sichern. 

Unter den grossen Gottheiten muss nach der Bedeutung 
des Dienstags far die Heiraten der alte germanische Himmels- 
gott Tius (Ziu) als Schatzer und Gtaner der Ehen verehrt 
worden sein. Bestimmt bezeugt dafur sind Donar-Th6rr, der 
segnende Gott des Wetters und der Erde, der eigentliche 
Hausgott der Nordgermanen ; ferner in Schweden Freyr, der 
Gebieter uber Regen und Sonnenschein und uber Frieden, 
Ehesegen und jeglichen Reichthum. Von Freyr (Fricco) er- 
zahlt Adam von Bremen ausdracklich 1 ), dass ihm die Schweden 
bei den Hochzeiten opferten. Wir wissen aus *norwegisch- 
islandischen Liedern, dass bei der Eheschliessung Thors 
Hammer auf den Schoss der Braut gelegt und dieselbe damit 



x ) Gest. Hamab. eccles. pontif. IV, 27 (Pertz 9, 



352 



geweiht ward 1 ). Die Waffe des Donnergottes war das Symbol 
des Blitzes in seiner segnenden und befruchtenden Wirkung, 
und noch heute wird den Donnerkeilen schQtzende und heilende 
Wirkung zugeschrieben ; namentlich sollen sie die Geburten 
erleichtern *). Der Gewittergott ist wohl auch als deutscher 
Herdgott und Schutzherr des Hauses zu betrachten, und darum 
in doppelter Beziehung bei der Grundung eines Hausstandes 
anzurufen und zu verehren. Noch heute ist es in norddeutschen 
Gegenden Sitte, die junge Frau dreimal um den Herd zu 
fQhren, auf dem ein frisches Feuer brennt, wenn sie ihr 
neues Haus betritt. Wir gedenken dabei urverwandter, na- 
mentlich indischer und rOmischer Hochzeitsitten , in denen 
das Feuer und seine Gottheit eine gleiche Bedeutung hatte 8 ). 
Aus heutigen Gebr&uchen der Germanen, Romanen und 
Slaven ergibt sich ferner eine Verbindung zwischen den Fruh- 
lings- und Hochzeitgebrauchen. Der Maibaum erscheint auch 
als Liebes- und Ehebaum. Und selbst der Tannenwipfel, mit 
Kerzen- und allerlei Behang geschmuckt, der an unsern 
Weihnachts- oder Kristbaum erinnert, lasst sich als bedeut- 
samer Hochzeitbaum nachweisen. Im untern Ritscheinboden 
in Untersteiermark wird, bevor der Hochzeitschmaus anhebt, 
der Hochzeitbaum aufgetragen. Es ist ein Fichtenwipfel, der 
in einem Laib Brot steckt. Auf die Aste sind Wachskerzen 
angepickt; Lebzelten, anderes Naschwerk und kleine Sachen 
sind darangehenkt. Er kommt auf den Brauttisch (Firmenich, 
Germaniens VOlkerstimmen H, 759"). 

Wir finden den Brauch auch bei den Rumanen. Ein 
kleiner, mit vergoldeten Apfeln und Goldpapierstreifen ver- 
zierter Tannenbaum darf dort bei keiner Hochzeit fehlen. 



*) berid inn hamar brudi at vigja, leggid Miollni i meyjar Jcne, 
vigid okkr saman Vdrar hendi Thrymsqu. 30. 

2 ) Bei den Deutschen des Bohmerwaldes muss die junge Frau, 
wenn es wahrend des Brautzuges donnert, rasch einen schweren 
Gegenstand zu heben suchen; sie erhalt dadurch Gesundheit und 
Starke. 

8 ) Haas in Webers Indische Studien Y, 318. Rossbach, Rom. 
Ehe 231 f. 314. 



353 



Beim Einzug der jungen Prinzessin Elisabeth von Wied als 
Gemahlin des damaligen Farsten Karl von Rumanien in 
Bukurest ritten Bauern mit solchen Baumchen um den fQrst- 
lichen Wagen (v. Stackelberg, Aus Carmen Sylvas Leben, 
S. 118). Es sind diese immergrunen Baumchen Sinnbilder des 
immer grttnenden Naturlebens und daher von Vorbedeutung 
fur die Ehen. 

Auf einen Brauch moge noch besonders hingewiesen 
werden. Es erschienen in brandenburgischen Gegenden (Grafsch. 
Ruppin, Templin, Eberswalde) am Abend des ersten Oder 
zweiten Hochzeittages, auch wahrend des Zuges in die Kirche 
maskirte Gestalten, die Maschkers, auch die Feien genannt, 
die allerlei Possen trieben (Kuhn, Markische Sagen 362. 
Kuhn-Schwartz, Nordd. Sagen 433). 

Das Auftreten von Masken (larvati) bei Rostocker Hoch- 
zeiten wird aus dem Jahre 1536 berichtet. Im westfalischen 
Kreise Iserlohn drftngen sich spassmachende Drollgaste zu 
den Hochzeiten (Woeste im Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3, 138. 
WOrterb. d. westfai. Mundart, S. 59), deren eigentliche Be- 
deutung die der gespenstischen Gaste gewesen sein mag, wie 
denn der Niederlander Kilian draelgast durch umbra (Schatten), 
Gerard v. d. Schuereii drollen durch Satiri, Incubi erkiart. Die 
Rolle als Possenreisser, welche diese Leute spielen, ist eine 
Entstellung; sie sind Nachbildungen elbischer Geister 1 ), die 
man als heimliche Gaste bei den menschlichen Hochzeiten sich 
dachte. Von der alten hennebergischen Burg Botenlaube bei 
Kissingen geht die Sage, dass in uralter Zeit drei Schwestern, 
zwei weisse und eine schwarze, dort wohnten, die bei Kind- 
taufen, Hochzeiten und Begr&bnissen der Menschen erschienen 
(Panzer, Bayr. Sagen I, 180). Und von den drei wilden Frauen 
im Reichenhaller Staufen wird erz&hlt, dass sie einst zu der 
Hochzeit einer schOnen Frau in Hausmaining kamen, und 



J ) Der Name Feien, den diese als Weiber verkleideten Leute, 
die auch in der Weihnachtszeit auftreten, in der Mark fiihren, weist 
schon auf einen ursprtinglich mythischen Untergrund. tiber die 
thtiringischen Pfingstfiguren, die den. Feien entsprechen und tiber 
Mittelalterliches: W. Mannhardt, W. u. F. K. 1, 440 f. 

Weinbold, Deutsche Frauen. I. 23 



864 



dass sie bei Br&uten, die sie auszeichnen wollten, ihren Ge- 
"sang hOren liessen, wenn jene aus dem Elterahause schritten 
(Panzer I, 11). Auch sonst erz&hlen Sagen, dass sich die 
elbischen Ha'usgeister gern bei Hochzeiten betheiligen, und 
mit Recht hat E. H. Meyer (Indogerm. Mythen I, 219 f.) 
dabei auf die Stellung aufmerksam gemacht, welche die 
Ahnengeister und die ihnen verwandten Winddamonen im 
Hochzeitritus hatten. Die Pitris (Ahnengeister) eilten herbei, 
.die junge Frau bei der Fahrt in die neue Heimat zu sehen 
und zu ihnen betete man fur die Neuvermahlte und opferte. 
ihnen. So ward auch bei der rOmischen Hochzeit den Laren 
und Manen geopfert und bei der athenischen den Urvatern 
(TpiTOTrdTopai) wegen kflnftigen Kindersegens. MOglicherweise 
ist das Haar- und Nagelopfer der oberpfalzischen Braut (oben 
S. 338) den Hausgeistern, den Ahnen, ursprunglich bestimmt 
gewesen. 

Wir wenden uns jetzt zu den Forderungen, welche die 
christliche Kirche bei der Eheschliessung allmahlich erhub 
und allgemach durchsetzte. 

Die hohe Ansicht Christi von der Ehe, welche nament- 
lich von Paulus weiter gebildet wurde, musste fur die Stel- 
lung derselben in der Kirchenlehre bestimmend sein und 
sie als eine gOttliche Einrichtung erfassen lassen, deren Ein- 
gehung der priesterlichen Segnung nicht zu entziehen seil 
Der Presbyter und der Bischof wurden demnach von dem 
Vorhaben der Brautleute unterrichtet und um ihren Rath 
gefragt x ) ; die neuen Eheleute feierten gemeinsam das heilige 
Abendmahl, empfingen auch den priesterlichen Segen, aber 
zunachst nur im gewOhnlichen Gottesdienst, bis sich spater 
unter den Papsten Leo, Gelasius und Gregor ein besonderer 
Brautgottesdienst ausbildete 2 ). Aber Bedingung ftlr die Giltig- 
keit der Ehe war es durchaus nicht, die damals ganz form- 
los allein von dem Consens der Brautleute abhing. In der 



a ) Ignat. epist. ad Polycarp. 5. Tertull. de monogam. 11. de pudi- 
cit. 4. cf. uber die religiose . Hochzeitfeier Tertull. ad uxorem 2, 8. 
2 ) Friedberg, Recht der Eheschliessung 8 ff., 16 f. 



morgeniandischen Kirche ist erst durch Kaiser LeQ den 
Weisen 893 in seiner 89. Novelle die kirchliche Einsegnung 
zur gesetzlichen Nothwendigkeit fur die Eheschliessung ge- 
macht worden. In der abendlandischen Kirche *) dauerte aller- 
dings das Streben fort, den Eheschluss nrit einer kirchlichen 
Handlung zu verbinden, aber die staatliche Gesetzgebung 
kam nicht zu Hilfe. Karl der Grosse verordnete freilich in 
dem Capitulare von 802 (c. 35), dass die Ehe nur nach einer 
Prufung des Verwandtschaftsgrades durch die Geistlichkeit 
und die weltliche Obrigkeit und unter kirchlicher Einsegnung 
geschlossen werden solle, aber die Verordnung drang nicht 
durch. Erst durch die Rituale des 10. bis 12. Jahrhunderts 
erkennen wir, dass die Kirche mit ihren Forderungen all- 
m&hlich sicherer auftritt. Sie lasst zunachst die Verlobung 
als einen Act des weltlichen Yormundschaftsrechtes ausser 
ihrem Bereich, verlangt aber, dass die Offentliche Hochzeit 
(publicae nuptiae) in der Kirche durch den priesterlichen 
Segen nach AnhOrung der Brautmesse. gefeiert werde. Der 
nachste Schritt war, dass die Kirche die weltliche Ubergabe 
der Braut an den Brautigam mit dem kirchlichen Act zu 
verbinden suchte 2 ). Sie forderte daher die Verlegung der ge- 
meinrechtlichen Eheschliessung vor die Kirchthtlr 8 ) in Gegen- 
wart des Priesters. Gleich darauf solle in die Kirche gegangen 
und die Brautmesse gehalten werden. 

Ihre voile Forderung stellte etwas spater die Kirche 
dadurch auf, dass sie die Laientrauungen verbot, d. h. die 
Ubergabe der Braut an den Brautigam durch einen andern 
als den Priester, sei es nun in oder ausser der Kirche, unter- 
sagte 4 ). Sie konnte es umso leichter thun, aJs, wie wir oben 

T ) tiber die romischen Grundsatze von der Ehe und uber die 
des canonischen Rechtes im Verhaltnisse zu den germanischen vgl. 
die treff liche Darlegung Wildas in Reyschers und seiner Zeitschrift 
fiir deutsches Recht 4, 171—232. 

2 ) Sohm, Recht der Eheschliessung 159 ff. 

3 ) Noch heute heisst die Hauptthur auf der Nordseite alter 
Kirchen vieler Orte die Brautthtir, weil unter ihr die Eheschliessung 
geschah, z. B. in Braunschweig, Nurnberg, Rothenburg a. d. T. 

4 ) Sohm a. a. 0. 70. 164. Friedberg, Eheschliessung 78 ff. 

23* 



866 



sahen, die Zusamniengebung der Ehepaare seit Ende des 
12. Jahrhunderts durch den gebornen Vonnund der Frau ab- 
kam, sie also mit jenem Verlangen in kein weltliches Recht 
mehr eingriff. In Deutschland sind die Synoden von Trier 
1227 c. 5, KOln 1281 c. 10, Lattich 1287 c. 9, Utrecht 1294, 
Wttrzburg 1298, Mainz 1310, Eichstadt 1354, Prag 1355, 
Magdeburg 1370 c. 32, Salzburg 1420 nach dieser Richtung 
wirksam gewesen; allein gerade die Wiederholungen des 
kirchlichen Gebotes beweisen, dass die Durchsetzung des- 
selben sich nicht glatt erreichen liess. Einige Mittel, den Vor- 
gang zu beobachten, geben Stellen unserer mittelalterlichen 
Gedichte. 

Am leichtesten ward die Einsegnung des jungen Ehe- 
paares am Morgen nach dem Beilager angenommen ; es war 
die kirchliche Bestatigung und Weihung der vollzogenen Ehe. 
So gehn Gunther mit Brunhild, Siegfried mit Kriemhild nach 
der Brautnacht in die Messe (Nib. 594 f.) '), und denselben 
Brauch finden wir im Wigalois (9487), Crane (2036), in Ru- 
dolfs Wilhelm (14672), im Lohengrin (2403) berichtet. Im 
Athis (C* 102) ist vor und nach dem Beilager Einsegnung. 
Gotfried von Strassburg lasst dem Riwalin durch seinen 
treuen Rual anempfehlen, seine mit Blanscheflur bereits voll- 
zogene Ehe in der Kirche vor Pfaffen und Laien bestatigen 
zu lassen nach Jcristenlichem site, da saelget ir iuch selben 
mite unde wi%$et wcerlichen da$, iur dine sol immer deste ba% 
seren und ze guote ergdn (1624 ff.). 

Aber diese Ansicht drang zunachst nicht durch. Selbst 
in Gedichten hofischer Richtung bemerken wir bei Schilde- 
rung von Hochzeiten gar keine Mitwirkung der Geistlichkeit. 
So darf es nicht verwundern, dass Erzbischof Konrad von 
Salzburg 1291 fur seinen grossen Erzsprengel das Zugestand- 
niss machte, die Elrche wolle befriedigt sein, wenn nur dem 
Pfarrer die geschlossene Ehe binnen Monatsfrist zur Anzeige 

x ) Allerdings ist hier von der Kronenweihe der zwei jungen 
Paare die Rede und in Gudrun 1666. 1667 wird das nachgeahmt ; 
allein da dieser Act am Morgen nach dem Beilager geschieht, schliesst 
er zugleich die Einsegnung der jungen Ehe in sich. 



357 



gebracht werde (Hartzheim, Cone. IV, 3). Endlich ward es aber 
fast allgemeiner Brauch auch unter dem Landvolk 1 ), die Ehe 
nach dem Beilager kirchlich einsegnen zu lassen, und nun 
erhub die Salzburger Kirche wieder die Forderung, dass die 
Benediction vor dem Hochzeitfeste und der Ehevollziehung 
geschehe *). 

Nicht tlberall freilich fand die kirchliche Trauung den 
Widerstand, den wir hier vorfuhrten. Die Gegenwart zahl- 
reicher BischOfe wird bei der Verlobung Kaiser Heinrichs III. 
mit der Gr&fin Agnes von Poitou (1043) ausdrttcklich erwahnt, 
und bei der Vermahlung Kaiser Heinrichs V. mit Mathilde 
von England (1114) waren filnf ErzbischOfe, dreissig BischOfe 
und unz&hlige Abte und PrOpste zugegen. Aber es wird in 
beiden Fallen keiner geistlichen Handlung gedacht 8 ). Dagegen 
heben seit Ende des 12. Jahrhunderts eine Anzahl hOflscher 
Epen, welche Bearbeitungen oder Nachbildungen franzOsischer 
Gedichte sind, die Trauung durch Geistliche hervor 4 ). FreiUch 
geschah sie nicht immer in der Kirche, sondern auch in dem 
Raume der Hochzeitfeierlichkeit. So tritt im Tristan Hein- 
richs von Freiberg der Bischof mitten in die larmende und 
tanzende Hochzeitgesellschaft hinein und traut Tristan mit 
der weisshandigen Isot (633). Die Kirche gab also auch hier 
von ihrer Forderung, dass die Eheschliessung vor der Kirch- 
thttr (in facie ecclesiae), ehrbar, nicht unter Gelachter, Scherz 



x ) tJber die Fortdauer ven Laientrauungen noch im 16. Jahrh. 
Friedberg, Eheschliessung 282 f. Es war die biirgerliche Zusammen- 
gebung ohne folgende priesterliche Benediction. 

2} matrimonia quoque, quae benedicenda fuerint, non post ut 
moris exsistit, sed ante carnalem consummationem ac solemnitatis 
nuptiarum celebrationem pro benedictionis ipsius reverentia benedi- 
cantur, synod. Salisb. v. 1420 c. 13, Hartzheim V, 190. 

8) Pertz, Mon. IX, 70. VIII, 247. 

*) Athis C* 96. Erek 2117. 6341. Iwein 2418. Mei und Beaflor 
87, 1. Eracl. 2233. Konr. Alexius 174. Partonop. 17398. Meleranz 12253. 
Heinr. Trist. 633. 860. Im armen Heinrich 1512 ist auch nur von 
der Trauung durch Geistliche die Rede. In der Kolocsaer Handschrift 
desselben findet sich die Anderung fur die (pfaffen) gdbeii sime ze 
wibc: die gdben sim zu einer elichen kone. nach werltlicher wone wolden 
si beide niht. 



858 



und Schimpf (cum honore et reverentia — non enim risu 
et jocose nee contemnatu ecclesiae) gefeiert werde 1 ), unter 
Umstanden nach. Die Salzburger Verfflgung von 1420 c. 13 
drtlckt sich sehr mild aus: Wenn es bequem geschehen 
kOnne, solle die Training in der Kirche stattfinden, wo nicht, 
in einem anstandigen Raume ohne Larm und mit der ge- 
ziemenden Ehrbarkeit. 

Am Schlusse der Zeit, die wir hier behandeln, war in 
Deutschland fast allgemein die kirchliche Trauung Sitte ge- 
worden, weil das Geftlhl des Volkes die geistliche Weihung 
der geschlossenen Ehe wollte. Indem der Priester an die Stelle 
des zusammengebenden Vormundes getreten war, hatte die 
kirchliche Trauung eine rechtliche Bedeutung tlberkomipen, 
und wenn auch nicht allgemein, so ward doch haufig der 
Kirchgang des Ehepaares zur Voraussetzung der bttrgerlichen 
Giltigkeit der Verbindung gemacht*). 

In den skandinavischen Landern und auf Island war 
die weltliche Gesetzgebung sehr bereitwillig den Anspriichen 
der Kirche entgegen gekommen. Besonders weit geht das 
ostgotlandische Rechtsbuch, welches die kirchliche Einsegnung 
(vigaz) ttber die biirgerliche Ubergabe der Braut (giptaz) stellt, 
denn die Ehe soil nach der priesterlichen Weihe mit Be- 
steigung des . Ehebettes rechtskraftig werden, mOgen die 
bflrgerlichen Formalitaten erfullt sein Oder nicht. Indessen 
darf der Geistliche die Trauung nur mit Einwilligung des 
gesetzlichen Verlobers (giptarmadhrinn) und in seiner Gegen- 
wart vollziehen, bei Strafe der 40 Mark, die auf unrecht- 
massige Verlobung gesetzt sind. Der Priester vertritt hier 
also den Vormund bei der Zusammengebung des Paares, hat 
sich aber um die vermOgensrechtlichen Abmachungen nicht 
zu kummern. Der Zusammengebung folgte dann sofort die 
kirchliche Trauung. 

Die Verlegung der Trauung in die Kirche hatte noth- 
wendig die Folge, dass manche weltliche Gebrauche in den 



*) Concil. Trevir. v. 1227 c. 5. 

2 ) Friedberg, Eheschliessung 91 f. Sohm, Eheschliessung 185 f. 



869 



Kirchenraum tlbertragen wurden, die nicht so leicht von der 
heiteren Hochzeitfeier sich abtrennen liessen. Wir haben 
vorhin Erlasse der Geistlichkeit erwahnt, welche die Ehr- 
barkeit und anstandige Ruhe bei der Training wiederholt 
forderten. Nicht jeder dieser Gebrauche liess sich gleich dem 
Weintrunk, der zur Bestatigung des abgeschlossenen Vertrages 
nach alter Rechtssitte diente, kirchlichem Ceremoniell an- 
schmiegen. Wir finden diesen dem Brautpaar nach der Ein- 
segnung vom Priester credenzten Trunk in Deutschland, 
England und Frankreich. In den beiden letztgenannten Lan- 
dern ward die Segnung dieses Trunkes in das Trauungs- 
ritual aufgenommen, dabei auf die Hochzeit von Kana Bezug 
genommen und der Trjank zur Bilrgschaft irdischen und 
himmlischen Gliickes genossen 1 ). 

In Deutschland ist derVerlobungstrunk (das Lobel- 
bier, de lOvedebeker) nicht allein bis in die neuere Zeit in 
weltlichen Heiratsgebr&uchen , sowohl beim Abschluss des- 
VerlObnisses als bei der Hochzeit tlblich gewesen, sondern 
auch bei der kirchlichen Trauung als ein geweihter Trank 
gespendet. Georg Spalatin erzahlt von der Trauung des Chur- 
filrsten Johann von Sachsen, dass der Bischof von Meissen 
dem furstlichen Paare nach der Benediction vor dem Altare 
„nach gewOhnlicher loblicher Weise St. Johannis Liebe ziim 
Zeichen wahrer Liebe u zu trinken gab ! ). Nach der Reformation 
blieb der Brauch in den katholischen Landschaften bestehn. 
Seb. Franck im Weltbuch (Bl. 128 a - Ausg. von 1534) erzahlt, 
dass nach Beendigung der Brautmesse die ganze Hochzeit- 
gesellschaft zu dem Altar tritt, wo jedem der Priester einen 
Trunk aus dem Kelch reicht. „ Diesen gesegneten Trunk 
heissen sie Sanct Johanns Segen." Noch heute ist der Jo- 
hannissegen nach der Trauung im katholischen Suddeutsch- 



*) Nachweise bei Friedberg, Eheschliessung 43 f. 64. Wenn die 
Synode von Anjou v. 1277 c. 3 sich gegen dieses nomine matrimonii 
potare erklarte, so geschah es nicht des potus wegen, sondern weil 
diese weltliche Rechtsceremonie vom Volke als hinreichend fiir den 
Abschluss einer giltigen Ehe betrachtet ward. 

2 ) Frisch, Teutsch-lateinisches WOrterb. 1, 490\ 



land Brauch. Im Lechrain wird noch jetzt die Johannislieb 
fast ganz so, wie Franck erzahlte, aus einem dazu besonders 
bestimmten Kelche gereicht (v. Leoprechting, Aus dem Lech- 
rain 243). In der Oberpfalz reicht der Priester bei recht 
feierlichen Hochzeiten dem Paare nach der Trauung den 
Johannissegen zur Erinnerung an die Hochzeit in Kana 
(SchOnwerth I, 87). In Steiermark wird der Johannissegen 
oft aus einer gewOhnlichen Flasche von dem Priester dem 
Brautpaare geschenkt und dieses bringt ihn sich gegenseitig 
sowie den Trauzeugen zu; er bringt der Ehe Glilck. Mit dem 
Namen Sanct Johannis Segen, auch St. Johannis Liebe Oder 
Minne benannte das Mittelalter iiberhaupt einen dem An- 
denken Johannis des Evangelisten geweihten heilbringenden 
Trunk, der beim Antritt wichtiger Unternehmungen, nament- 
lich auch vor Eeisen getrunken ward '). Die Priester segneten 
am Tage des Apostels (27. Dec.) einen Kelch, welcher Attribut 
Johannis ist; der Trunk daraus sollte den Mannern Starke, 
den Frauen SchOnheit verleihen. 

Vor dem Altar wahrend der Trauung dr&ngen sich fast 
allgemein Brautigam und Braut eng aneinander, damit, wie 
es in der Oberpfalz, im Altenburgischen, im Vogelsberg 
(Wetterau) heisst, sich der bose Feind nicht dazwischen 
drangen kOnne, oder, wie es in West- und Ostpreussen 
lautet, damit niemand zwischen sie mit bOsem Blick sehen 
und sie behexen kOnne. Auch bei den Esten herrscht diese 
Meiriung (L. v. Schroder 80). In Mecklenburg meint man auch, 
dass, wenn sie nicht dicht aneinander stehn, jemand durch 
Zuschliessen eines Schlosses, das dann weggeworfen wird, den 
Gatten die Fruchtbarkeit hehmen kOnne (Bartsch, Meckl. Sag. 2, 
64). Wir haben schon friiher erwahnt, dass der Brautigam 
seinen Fuss auf den der Braut setzt (S. 348) zum Zeichen 
seiner Herrschaft. Meist sucht die Braut wahrend der Trauung 
ihm zuvorzukommen oder auch bei dem Zusammengeben 



i) Grimm, D. Myth. 54. W. Menzel, Christl. Symbolik 1, 450 f. 
Ign. Zingerle, Johannissegen und G-ertrudenminne. Wiener Sitz.-Ber. 
Bd. XL, S. 177-^-229. Th. Unger in meiner Zeitschr. f. Volksk. 6, 184 f. 



atti 



der Hande die ihre oben zu halten 1 ), damit ihr das Regiment 
in der Ehe zufalle. Bei Deutschen, Slaven und Letten ist 
dieser Brauch gleich bekannt (v. Schroder, S. 79). 

Die Einsegnung des Brautpaares durch den G-eistlichen 
soil nach verstandlichem Wunsch nicht bloss ihnen, sondern 
auch ihrem Hauswesen zu Gute kommen. Im Kalbeschen 
Werder in der Altmark hat der Brautigam in seinen Schuhen 
KOrner von alien gebauten Fruchtarten; der Segen darilber 
sichert reiche Ernten. Die Braut hat Haare von alien Vieh- 
arten des Hofes in den Schuhen, ausserdem in der Tasche 
Dill und Salz, die gegen die Hexen schtttzen, und einen alten 
Gulden, damit sie immerGeld habe (Kuhn, Markische Sagen, 
S. 357). In der Oberpfalz steckt die Mutter dem Brautigam 
lieimlich einen Btischel aus alien vom Bauer gezogenen Ge- 
wachsen in die rechte Rocktasche, damit sie bei der Trauung 
mit gesegnet werden und der Segen ihm, so lange er lebe, 
bei den Feldfrttchten verbleibe (SchOnwerth I, 76). 

In manchen deutschen Gegenden war es Sitte, dass . 
der Brautigam unmittelbar nach der priesterlichen Segnung 
von den anwesenden Mannern gerauft und geprftgelt ward; 
auch in Frankreich (Poitou) waren diese coups de poings des 
ftan<jailles tiblich 2 ). Die Geistlichkeit suchte nattirlich den 
rohen Gebrauch aus den Kirchenraumen zu vertreiben, aber 
mit wenig Erfolg. Bei der Hochzeit in Immermanns prachtiger 
Geschichte von dem Oberhofe kommt solche Prttgelweihe des 
Brautigams noch vor 8 ). 

Um Roding in der Oberpfalz treibt der Hochzeitlader 
die Braut mit einer weissen, geschabten Birkenruthe unter 
bestandigem Schlagen von der Kirchthtir bis in den Kirchen- 
stuhl. In andern oberpfalzischeh Orten schiagt sie der Hoch- 



2 ) "Wessen Daumen oben liegt bei der Trauung, wird die Herr- 
schaft haben (Westfalen, Jahrb. f. nd. Sprachf. 3, 136). 

2 ) Metzenhochzeit bei der Hatzler. 260\ Wittenweilers Ring, 
S. 142, Seb. Frank, Weltb. 128. Binterim, Denkwurdigkeiten II. 2, 81." 
Rabelais, Gargantua von Regis II, 592. 

8 ) Namentlich in der Soester Borde ist das Prilgeln des Brauti- 
■ gams nach der Trauung tiblich: Kuhn, Westfal. Sagen 2, 42. 



zeitlader mit einem Degen tlber den Rtlcken, wenn sie in 
den Kirchenstuhl tritt und wenn sie vbn dem Altar in den- 
selben zurilckkehrt; hier und da wird dieser Schlag von dem 
Brautftlhrer vor Beginn des Hochzeitmahles wiederholt 
(SchOnwerth I, 86 f. 94). In Litauen ist es Brauch, die Braut 
vor Besteigung des Bettes ttichtig zu prttgeln (Tettau-Temme, 
Volkssagen Ostpreussens, S. 257). Wahrscheinlich haben diese 
Brauche denselben Sinn gehabt, wie das Schlagen mit der 
Ruthe oder mit Riemen zu gewissen Zeiten, das Leften und 
Fruchtbarkeit wecken soil 1 ). 

In der nordOstlichen Steiermark (POllau bei Vorau) ist 
es Brauch, dass die Braut gleich nach Empfang des priester- 
lichen Segens rasch aus der Kirche lauft und sich versteckt. 
Der Brautigam muss sie suchen. Derselbe Brauch flndet sich 
in Schwaben (E. Meier, Sagen aus Schwaben 487) und im 
Elsass. Bei den Siebenbftrger Sachsen wird haufig nach der 
Trauung vor der Kirche getanzt; der Brautigam tanzt mit 
der Braut und sie entlauft ihm dann (Matz 66). Der Braut- 
knecht muss sie einzuholen suchen, ehe sie sich in ein Haus 
Mchtet. 

In der Altmark findet ein Wettlauf zwischen Braut 
und Brautigam statt (Kuhn, Markische Sagen 358), ebenso in 
der Grafschaft Ruppin, in der Priegnitz und den angrenzenden 
Theilen Mecklenburgs. Nicht minder halten die Hochzeitgaste 
wahrend des Festes in Nord- und Saddeutschland Wettlaufe 
unter sich 2 ). Der Wettlauf, der in so vielen Volksfesten einen 
Theil der Belustigungen bildet, gehOrt gleich dem Tanz, mit 
dem er sich in unserm Fall nahe verbunden zeigt, zu dem 
Bestand sehr alter religiOser Feste, und so werden wir wohl 
nicht irren, ihn als ein Bruchstttck der altgermanischen Hoch- 
zeitfeier in Anspruch zu nehmen. 

Die Flucht der Braut gleich nach der Trauung und ihr 
damit verbundenes Verstecken kommt auch bei den Esten 



J ) Mannhardt, W. u. F. K. 1, 251 ff. 

2 ) Meine Abhandlung iiber den Wettlauf im deutschen Volks- 
leben, Z. d. Vereins f. Volkskunde III, 14 f. 



und den flnnisch-ugrischen VOlkern vor (v. Schroder 141 f.). 
Es kann darin ein alter Hochzeitscherz stecken, dass die 
Braut, die der Br&utigam nun ganz sicher zu haben glaubt, 
sich ihm noch zu entziehen sucht. 

Das gesellige Fest, durch welches nach Beendigung 
aller FOrmlichkeiten der Verlobung und Trauung die Hoch- 
zeit begangen ward, bewegte sich in alter Zeit in der Weise 
aller Festlicheiten des Mittelalters und nach dem VermOgen 
und Stande des Brautpaares. 

Dieses selbst sass auf dem Ehrensitz des Tages, in dem 
Brautstuhl (brutstuol) 1 ). Ausser Essen und Trinken boten bei 
ritterlichen und adelichen Hochzeiten der hOfischen Zeit 
mancherlei Kampfspiele Unterhaltung in dem oft lang sich 
ausdehnenden Feste. Immer aber und flberall durchzog der 
Tanz die Hochzeit 2 ). Die Festlichkeit begann mit einem 
Reigen und darauf folgte das Zusammengeben des Braut- 
paares, mochte es auf biirgerliehe oder kirchliche Weise ge- 
schehen 8 ). Ward dabei ein Zug in die Kirche gehalten, 
so wurde er unter Tanz, Gesang und Ballspiel, also mit 
einem Brautleich vorgenommen 4 ), wie dies, auch in sehr alter 
Zeit im Morgenlande gebr&uchlich gewesen ist (Concil. Laodic* 
a. 363. can. 53). 



x ) Nachweisungen bei Graff Vl, 663 f. Benecke-Muller, Mhd. 
Wb. II. 2, 714. Lexer, Mhd. Wb. I, 375. Schmeller, Bayr. Wb. IP, 
752. Nordhaus. Weist. B. §.11. —Von dem Ausdrucke im brutstuole 
sitzen, den briutestuol besitzen kommt das Wort Stuelfeste fur spon- 
salia, das Versprechen vor dem Priester, Schmeller, B. W. I 2 , 776. 

2 ) tlber die verschiedenen und langen Tanze, welche in Ober- 
und Niederbayern den ausgedehnten Hochzeitschmaus unterbrechen : 
Bavaria I, 403 ff. Vgl. auch Sch6nwerth, Aus d. Oberpfalz 1, 106 f. 
Birlinger, Yolksthiimliches a. Schwaben 2, 370 ff. Baumgarten, Aus 
d. Heimat 9, 74. Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3, 140. Bartsch, Mecklenb. 
Sagen 2, 67 ff. 

8 ) Athis C: 96. Crane 4424 ff. Heinr. Trist. 633. 

4 ) 8U8 giengin die jungin hupfinde wide spriwginde, von den 
brutin singinde, einander werfinde den bal Ath. C* 96. — ftber den 
Brautball: Kuhn und Schwarz, Norddeutsche Sagen, S. 372. Ygl. ttber 
den Earchgang auch A. Schultz, HOfisches Leben I, 629 f. S. Franck, 
Weltbuch CXXVIII (Ausg. von 1534). 



864 



In heidnische Zeit, die freilich in der betreffenden Saga 
romantisch gefarbt wird (FornaldarSOg. 3, 222), versetzt die 
Schilderung einer nordischen Hochzeit. Als die Manner alle 
Platz genommen haben, wird die Braut mit ihrem Gefolge 
hereingefuhrt; der Brautigam setzt sich aber nicht zu ihr, 
sondern sitzt auf dem Hochsitz neben dem KOnig. Einer der 
Gaste greift nach der Harfe und beginnt zu spielen; als das 
Trinken gebracht wird, soil er aufhOren, der KOnig jedoch 
erlaubt ihm fortzuspielen. Da wird der erste Gedachtnisstrunk 
(minni) dem Th6rr gebracht und Sigurd beginnt eine Weise, 
dass alles tanzt was beweglich ist: Messer, Tische und Men* 
schen. Demnachst kommt der Becher filr alle Gutter (ollum 
&sum) und eine zweite wundersame Weise ertOnt, die alle 
bis auf das Brautpaar und den KOnig von ihren Sitzen bringt. 
Darauf spielt Sigurd den Gygjarslag und Drambuslag und das 
Hiarrandalied (Horantes liet). Der Odinsbecher kommt und 
der Harfner schlagt mit einem weissen, goldgesaumten Hand- 
schuh den Faldafeykir, bei dem die Kopftucher den Frauen 
herunterfliegen und alles tanzt. Nach dem Freyjatrunk ist das 
Zechen zu Ende. 

Trinken, Gesang und Saitenspiel und Tanz, als hervor- 
stechende Punkte die Opfertranke, die den GOttern gebracht 
werden und die mit dem der Freyja, der GOttin der Liebe 
und Ehe schliessen, sind als echte Zuge in dieser Schilder 
rung zu bezeichnen. Ein paar Beschreibungen neuskandina* 
vischer Hochzeiten mCgen sich anreihen 1 ). 

In Skogboland in Upland wird der Brautlauf wie ander- 
warts gewOhnlich im Herbst gehalten. Vor dem Brauthause 
stehn junge Tannen (bruriskor), an denen bis auf den Wipfel 
alle Aste abgeschnitten sind. Der Brautzug geht von den 
Hofrittern (hofriddare) geleitet . zur Kirche, wo vier junge 
Madchen wahrend der Einsegnung einen Himrael iiber das 
Brautpaar halten. Auf dem Heimgange reiten die Ritter zwi- 
schen dem Zuge und dem Hause bin und her; man setzt 



! ) R. Dybeck, Runa. En skrift f5r faderneslandets foravanner. 
Stockh. 1842. 2, 62 ff. 4, 60 ff. 



865 



sich dann zu Tisch, und am Schlusse des Essens fordert 
der Geistliche, der wie in Deutschland stets dabei ist, zu 
einer Sammlung far die Wiege auf 1 ). Darauf beginnt der 
Tanz, den der Geistliche mit der Braut er5ffnet. Nach einer 
Weile geht die Braut, von der Brautfrau (frammor) begleitet, 
fort, um sich umzukleiden, und theilt dann kleine Geschenke, 
der Willkommen (vaifagnad) genannt, an die Gaste aus. 
Nun heisst sie Jungefrau (ungmor) und der Wegtanz (bort- 
dansingen) beginnt, bei dem die Manner den Madchen und 
die Madchen den Frauen die Braut streitig zu machen suchen. 
Den Beschluss macht am ersten Tage der allgemeine Tanz, 
der bis tief in die Nacht dauert. Am andern Morgen werden 
die Reste des Mahles verzehrt und ein Klotz in die Stube 
gestellt, auf dem far die Spielleute und die Aufwascherin 
(auch wie in Deutschland) gesammelt wird, wahrend alle 
Festgenossen darum tanzen. Gegen Mittag trennt sich die 
Gesellschaft, indem die Manner einen scherzhaften Raubzug auf 
die umliegenden HOfe unternehmen. Die Tanze sind meistens 
von Gesang begleitet und haben besondere Namen ; jetzt sind 
Weisen und Worte schon sehr ins Vergessen gekommen. 
Der Tanz, den die Braut mit dem Geistlichen tanzt, heisst 
im Kirchspiel Ving&kr HOglorf und ist von einem Liede be- 
gleitet, das an die Braut gerichtet ist und nicht ganz feine 
Scherze enthait. 

Die alte Sitte, dass das Brautpaar bei der Vermahlung 
einen Becher zusammen leerte 2 ), hat sich in einem norwe- 
gischen Hochzeitbrauche erhalten. Im nOrdlichen Guldbrands- 
thal heisst der dritte Tag des Festes Klotztag (stubbedagen). 
Da wird namlich ein gewaltiger Fichtenklotz in die Braut- 



1 ) l&tom 088 nu, gode winner, sartila nhgot &t bruden til vagga. 
Solche Sammlungen iibernimmt in Schlesien die Zuchtfrau, ander- 
warts der Brautbitter. 

2 ) Alterthumlich erscheint der Brauch in Gottschee, der deut- 
schen Sprachinsel in Krain, wo sich ehemals die Braut nach der 
Trauung zum Brautigam aufs Pferd schwang und mit ihm einen 
Krug Wein trank, den sie, nachdem er geleert, iiber den Kopf zu 
Boden warf: Hauffen, Die deutsche Sprachinsel Gottschee, Graz 
1895, S. 81. 



366 



stube gewalzt. Zuerst steigen Brautigam und Braut hinauf 
und trinken sich einen Becher zu; dann folgt die ganze Ge- 
sellschaft paarweise nach, indem zugleich jedes Paar, nach- 
dem es von dem Klotze gestiegen ist, dreimal um ihn herum- 
tanzt. Zuletzt wird der Klotz unter Scherzen in den nachsten 
Bach gewalzt. Auch in schwedischen Landschaften ist das 
Zutrinken auf dem Klotze Sitte, wahrend die Gesellschaft 
singend und schreiend darum tanzt. Der Tanz heisst stubb- 
dansen (Klotztanz). In Westmannland hiess der hochzeitliche 
Lustigmacher Klotzmann (stubbgubbe) ; er wurde bei dem 
Klotztanze am dritten Tag auf den Klotz gesetzt und hier- 
nach neben diesem unter allgemeinem Jauchzen aber Berg 
und Thai in das nachste Wasser gerollt 1 ). 

Der Tanz war, wie wir fruher schon zu erwahnen hatten, 
entweder bloss von Gesang begleitet oder von Gesang und 
Instrumentalmusik oder von letzterer allein. Die Spielleute 
sammelten sich daher von Alters her bei den Hochzeiten, 
wenn sie nur irgend Aussicht auf einen Gewinii hatten. Auch 
ausser dem Tanze suchten sie zur Unterhaltung beizutragen: 
sie trugen auf Harfen, Fiedeln und FlOten ihre Weisen vor, 
erzahlten beliebte Dichtungen und ergOtzten durch allerlei 
Kunststilcke. Ein alemannischer Prediger des 13. Jahrhunderts 
schildert die Hocheit von Kana und sagt von ihr lobend : da 
waren nicht Pfeifer noch Geiger noch Tanzer noch Singer 
noch Spielleute wie heute bei den Brautlauften (Grieshaber, 
Pred. 2/20); und Heinrich von Veldeke erzahlt von Aeneas 
Hochzeit: da war Spiel und Gesang und Turnier und Gedrang, 
Pfeifen und Singen, Tanzen und Springen, Trommeln und 
Saitenspiel, mancherlei Freuden viel (Eneide 18161 ff.). Solche 
Unterhaltung kam ilbrigens dem Brautpaare wie den Gasten 
nicht selten theuer zu stehn, denn die Spielleute 2 ) hatten 



!) Weise und Worte des westmaniandischen stubbdans theilte 
Dybeck a. a. 0. mit. Ringtanze, welche sich auf die Verlobung 
beziehen und manches beachtenswerthe bieten, bei Dybeck 4, 70. 75. 

2) Pertz, Mon. 8, 248. Eneide 13106. 13181. Erek 2166 ff. Nibel. 
1309. Gudr. 1673 ff. Helmbr. 1609. Enikel, Wkr. 12920. Die Ham- 
burger Hochzeitordnung von 1292 erlaubte nur vier Spielleute und 



807 



weite und lOchrige Taschen und gegen den sparsamen Wirt 
spitze Zungen ; ttbrigens waren sie nicht wahlerisch, sondern 
nahmen alles, weil sie alles brauchen konnten. Bei vornehmen 
Hochzeiten fanden sie sich in grossen Haufen ein, Heu- 
schreckenschaaren gleich, die tlber grunes Land herfallen. 

GewOhnlich ftihrten diese fahrenden Leute bei den Hoch- 
zeiten allerhand mimische Darstellungen auf. Dieselben mOgen, 
wie das bei diesen Festen • noch heute leider gar zu leicht 
geschieht, etwas derb gewesen sein, allein unsere frommen 
Vater vertrugen davon ziemlich viel. Weniger deshalb, als 
weil das Yolk der Fahrenden Qberhaupt verachtet war und 
ausser der Kirche stund, war den Geistlichen geboten, die 
Hochzeiten alsbald zu verlassen, wenn die Spielleute eintraten ; 
sie sollten ihnen nicht einmal eine Gabe reichen 1 ). Aus dem 
16. und 17. Jahrhundert ist uns die Aufftihrung wirklicher 
dramatischer Scenen bei den Hochzeiten bekannt 2 ). So viele 
mir deren vorlagen, sie athmen alle den Geist der Hochzeit- 
gedichte jener Zeit und sagen der Braut mit frechster Zunge 



jedem 4 solidi als Lohn ; sind ihrer mehr, so haben sie nur das Essen 
zu fordern. Die Ltibeckischen Hochzeitordnungen des 15. u. 16. Jahrh. 
setzten fiir die Spielleute mit dem Spielgreven von Seiten des Brauti- 
gams Kleider, seitens der Braut ein Hemd aus. Vgl. auch die Ypernsche 
Hochzeitkeure von 1294 bei Hoffmann v. F. Horae belg. VI, 193. 

2 ) Zu Grunde liegt allerdings das 54. cap. des Concils von 
Laodicea (363), allein die Oftere Wiederholung des Inhaltes dieser 
Bestimmung mit bald grOsserer bald geringerer Ausfuhrung beweist, 
dass jenes Verbot in Deutschland n6thig war. Chrodgangi reg. can. 
(762) c. 68. Regin can. 325. cone. Aquisgr. (826) tit. 83. Hludov. conv. 
Mogunt. 851. — Kirchliche Verbote, das Volk der Fahrenden zu be- 
schenken: synod. Olmuc. 1342. c. 7. Frising. syn. 1480. Salisburg. 1490 
(Hartzh. 4, 338. 5, 512. 574). 

2 ) Gottsched, Nothiger Vorrath 1, 121. Neukirchs Sammlung v. 
Hoffmannswaldaus und anderer Gedichte 1, 100. 3, 151. Kahlert, 
Schlesiens Antheil an der deutschen Poesie 30. Ein Verzeichniss von 
Einzeldrucken deutscher Hochzeitgedichte und Hochzeitscherze in 
Prosa vom 16.— 19. Jahrhundert gibt die Bibliotheca Germanorum 
nuptialis von H. Hayn, Koln. In Spanien waren bei vornehmen 
Hochzeiten dramatische Spiele und lebende Bilder ublich, v. Schack, 
Gesch. d. dramat. Dichtung in Spanien I, 174. 202. 214. 2, 101. 



unverschamte Dinge. Dergleichen Unflatherei war aber Tages- 
brauch, und schOne Talente, wie Hoffmannswaldau und 
Gtather, besudelten sich leider damit. Es sind aber auch 
von heutigen Bauernhochzeiten noch Beweise zur Hand, dass 
Lieder und dramatische Auffiihrungen bei denselben be- 
liebt sind. 

Im oberOsterreichischen Traunviertel, im Hausruck- und 
Innkreise war es Brauch, gegen Mitternacht den Tanz ruhen 
zu lassen und Hochzeitlieder, bald ernsten, bald heitern In- 
halts zu singen, die sich auf den Ehestand bezogen. Im 
Milhlviertel sollen solche Lieder nach dem Zusammengeben 
in der Kirche gesungen worden sein (Baumgarten 9, 70). 
Eine sehr reiche Sammlung von Brautliedern aus dem deut- 
schen Heideboden im westlichen Ungarn gab der Benedictiner 
Remigius Sztachovics (Wien 1867, Braumiiller) heraus (S. 23 
bis 322 seines Buches), der dabei in der Vorrede zu den 
Bauern jener Gegend sagen konnte: „Auch bedurfte ich bei 
der Sammlung keines Schanddeckels, denn in Eurer seligen 
Vater Handschriften aus den Jahren 1647 bis 1850 habe ich 
kein einziges Schandlied gefunden." 

Bei den deutschen Gottscheern in Krain werden bei 
dem Hochzeitmahl weltliche Volkslieder angestimmt (Hauffen, 
Gottschee 83). In Steiennark sind nach dem Hochzeitessen 
geistliche Volksdramen, namentlich das Paradeisspiel (Sunden- 
fall und ErlOsung), aufgefuhrt worden (Rosegger, Volksleben 
in Steiermark 182). Im grOssten Theil des Siebenburger 
Sachsenlandes wird bei Hochzeiten das auch sonst beliebte 
KOnigslied gespielt, ein dramatischer Gesang zwischen Engel, 
KOnig und Tod, mitten im hOchsten Lebensfest eine ernste 
Mahnung an das sterbliche Loss der Menschen (Matz, Bauern- 
hochzeit 87 ff.), sowie auch in der Oberpfalz nach dem Ab- 
danken (der Danksagung an die Hochzeitgaste) ein Gebet 
ftir die armen Seelen der Yerwandten aller Anwesenden ge- 
sprochen wird (SchOnwerth I, 102). 

Aus demselben ernsten Geiste entsprang der Gebrauch 
im Iserlohnschen in Westfalen, wonach der Brautigam und 



die Braut (lurch einen Nothnachbar 1 ) und eine Nothnachbarin 
in die Brautkammer gefahrt wurde. Der Nachbar nahm dem 
Brautigam Mtttze und Jacke ab und sprach: „Ich bin der 
Mann, der, wenn du stirbst, die Pflicht hat, dich zu entkleiden, 
wie ich dich jetzt auskleide. Gedenke in der Freude deines 
Hochzeittages deiner Sterblichkeit." Ebenso sprach die Nach- 
barin zur Braut (Jahrb. f. niederd. Sprachforsch. 3, 142). 

Eine lustige dramatische Hochzeitauffuhrung ist der 
siebenbttrgisch-sachsische ROsschentanz (Fronius, Bilder aus 
dem sachsischen Bauernleben in Siebenbttrgen, 86 — 90, und 
Fr. W. Schuster in dem Muhlbacher Gymnas.-Programm von 
1863). — 

In der Zeit des bltihenden Ritterwesens machten bei den 
vornehmen Hochzeiten ritterliche • Spiele einen bedeutenden 
Theil der Unterhaltung aus. Unsere mittelalterlichen Gedichte 
so wie die Chroniken geben genug Zeugniss da von. Bei furst- 
lichen Vermahlungen trat gewOhnlich der feierliche Ritter- 
schlag einer Anzahi Knappen hinzu 2 ), der zuweilen am ersten 
Tage, Ofter aber am Morgen nach dem Beilager vorgenommen 
wurde. 

Die Ubergabe der Hochzeitgeschenke nahm gewOhnlich 
auch einen Theil des Festes in Anspruch. Die Sitte dieser 
Gaben ist uralt und aus dem natttrlichen Wunsche nahe- 
stehender und Verwandter entsprungen, dem jungen Paare 
eine Beisteuer zur Einrichtung zu geben. Bei Fftrsten und 
Bauern waren sie gleichgebrauchlich ; in dem Hof- und Lehns- 
wesen wurden sie eine geforderte Steuer, wie schon frtiher 
bei der Mitgift erwahnt ward. Offentlich im Kreise der Hoch- 
zeitgaste ilbergeben 8 ), wurden sie der Gegenstand wett- 



! ) In Westfalen, am Niederrhein und sonst noch besteht der 
Verband der nachsten Nachbarn, die in den Nothfallen des Lebens 
einander bestimmte Dienste leisten, so u. a. das Begrabniss besorgen. 

2 ) Nib. 596. Gudr. 549. Frauendienst 11, 13—28. Lohengr. 2405. 
Philipp von Schwaben verband seine Vermahlung mit Irene, der 
griechischen Kaisertochter, Pfingsten 1197 auf dem Gunzenle mit 
dem Feste seiner Schwertleite: Stalin, Gesch. Wirtemb. 2, 134. 

3 ) Kl. Hatzler. 262. Wittenweilers Ring, S. 146. Fastnachtsp., 
S. 573 f. 

Weinhold, Deutsche Frauen. I. 24 



370 



eifernden Aufwandes, so dass die stadtischen Obrigkeiten 
und auch manche bauerliche sich genOthigt sahen, sie in den 
Bereich der Luxuspolizei zu Ziehen und entweder Regelungen 
dariiber Oder Verbote dagegen zu erlassen 1 ). Noch heute 
bildet das weisen, ehren, schenken oder geben einen wich- 
tigen Act bei den bauerlichen Hochzeiten*), die davon hier 
und da Gebehochzeiten genannt werden. 

Der Aufwand, welcher sich bei den Hochzeiten im Mittel- 
alter in Kleidern, Schmuck, Verzierungen der Wande, in Ge- 
schenken der Gaste und namentlich bei dem Gastmahle ein- 
fand, war so bedeutend und tibermassig, dass die Polizei 
dadurch bald zum Einschreiten aufgefordert wurde. Die zahl- 
reichen Hochzeitordnungen , welche im 13. und 14. Jahr- 
hundert begannen, am haufigsten aber im 16. Jahrhundert 
erschienen, bezweckten die Einfachheit zurfickzufuhren. Fur 
die verschiedenen Stande wurden nunmehr hOchste Satze des 
erlaubten festgestellt, ganz wie bei den Kleiderordnungen ; 
allein ihre stete Wiederholurig beweist, wie v^rgeblich das 
Streben der Obrigkeiten blieb. Wir gehn nicht *iaher darauf 
ein 8 ) ; iibergehn auch das Essen und Trinken und die Zahl 
der Festtage, deren bald drei, "bald funf, bald acht und noch 
mehr waren, und erwahnen nur, dass die Gaste hier und 



2 ) Nurnberger Polizeiordnungen, herausg. von Baader 59 ff. 
75 ff. Jager, L T lm 519. Appingadamer Bauernbr. v. 1327 bei Richthofen, 
Altfries. Rechtsqu. 297 b . Schmeller, Bayr. Wb. II 2 , 1027. 

2 ) Vgl. z. B. Bavar. I, 406 f. 993. II, 286. Ill, 335. Baumgarten, 
Aus d. Heimat 9, 83. Schonwerth 1, 99. Witzschel, Sagen und Sitten 
aus TMringen 2, 239. Matz, Siebenb. - sachs. Bauernhochzeit 71. 78. 
Morgenblatt 1853, S. 768. Jahrb. f. nd. Sprachforsch. 3, 141 f. 

8 ) Vgl. im allgemeinen Htillmann, Stadtewesen" 2, 449. 4, 156. 
Jager, Ulm, 516. Schultz, Deutsches Leben im 14. u. 15. Jahrh. 262 ff. ; 
im besoncjeren: Niirnberger Polizeiordnungen von Baader 59 f. 71. 86. 
Hamburger IJpQhzeitordnungv. 1292 (Lappenberg, Hamburger Rechts- 
alterth/l,: 160). « Kopenhagener Stadtr. von 1294, n. 73 (Kolderup- 
Rosenymge. I,V). Appingadamer Bauernbr. v. 1327 (Richthofen 297). 
Gutalag.. 24, M^ Son.. Hans privil. n. 36. 37. Kristian II. Geistl. 
Recht 129. ; .Kri.stianJl 1 I. recess. 1539. 1558. Kristian IV. rec. v. 1615. 
Weistumer 1, 384:489. 2, 22. 3, 78. Michelsen-Asmussen, Archiv I, 1. 69. 



371 



da nach den Geschlechtern getrennt wurden. Als Ktoig Hakon 
Hakonsson von Norwegen seine Vermahlung mit Margarete, 
Tochter des Herzogs Skuli, hielt, bewirtete er die Manner 
in der Julhalle, die Frauen mit der KOnigin in der Sommer- 
halle 1 ); die Klosterleute sassen wieder abgesondert. Etwas 
ahnliches war in Ltibeck im Anfang des 16. Jahrhunderts 
Brauch. Das Brautpaar speiste namlich von den G&sten ab- 
gesondert in der Brautkammer. Wenn aber der Braten kam, 
ging der Brautigam zu den Mannern und die Frauen kamen 
zu der Braut 2 ). Bei den oberschwabischen Hochzeiten sitzen 
Brautigam und Braut nicht bei einander. Die Braut sitzt an 
der Ecke des Haupttisches, im Winkel (Birlinger, Volksthuml. 
2, 330). 

Die Braut war das ganze Fest ilber fast allenthalben 
in die Obhut der Brautfrau 8 ) gegeben, einer nahen Verwandten 
Oder eine Pathe, welche die Stelle der Mutter an diesem 
Tage vertritt und far die Braut uberhaupt das ist, was far 
den Brautigam der Brautfahrer oder Vormann. Sie ist die 
Ehrenmutter nach bayrischem Ausdruek oder, wie sie die 
deutschen Schlesier noch heute nennen, die Zachtfrau 4 ). Auf 
Sylt waren zwei Aalerwaffen gewOhnlich, zu denen noch die 
zwei Brautjungfern traten, welche in keiner deutschen Gegend 
fehlen und in den Brautgesellen (Brautknechten) ihre mann- 
lichen Genossen finden. Ob diese nachsten Begleiter des 
Brautpaares sich schon in der altesten Zeit fanden, wird 



*) % sumarhollinni; die Hochzeit war am Trinitatistage. Forn- 
mannas. 9, 372. 

2 ) In Eleinrussland essen die vom Brautigam geladenen bei 
ihm, die G&ste der Braut bei dieser. 

8 ) Ahd. Mmachdra, mhd. br&thiieterinne, altschwed. bruthframma, 
toutumo, frammor. — Die gridkona des Biarkeyjarrett (c. 132) scheint 
dasselbe, so wie der gridmadr dem truhtigomo entspricht. Ausser 
ihnen fordert dies Rechtsbuch noch zwei Brautm£nner und Braut- 
frauen als Zeugen der Vermahlung. 

4 ) Einer zuchten hiess und heisst in Hessen, Franken und 
anderwarts einer Ehre erweisen, einer zu Ehren bei der Hochzeit 
oder der Taufe folgen. Die Brautjungfern hiessen -hessisch Zucht- 
magde: Vilmar, Hess. Idiotikon 472. Schmeller, Bayr. Wb. II 2 , 1108. 

24* 



372 



schwer zu beantworten sein. Der Brautfuhrer zwar ist als 
altgermanischer Brautwerber nachzuweisen ; schwerer halt es 
aber mit der Brautfrau Oder Ehrmutter, wenn wir nicht in 
dem Eddaliede von Thryms Hammerraub den Loki, welcher 
als Magd verkleidet den brautlichen Th6r begleitet, als eine 
Ehrfrau ansehen wollen, da er ganz ihr Amt versieht, fur die 
Braut antwortet und sie entschuldigt, wenn es nOthig ist. 
Man kann hierauf so wie im allgemeinen auf die altgermanische 
Sitte der Zeugenschaft von Eltern und Verwandten gesttitzt 
den kirchlichen Einfluss 1 ) auf die Gestalten jener Hochzeit- 
ftihrer abweisen. Ebenso haben die Brautgesellen in dem 
herkOmmlichen Geleite des Brautigams, so wie die Braut- 
jungfern in dem wohl ebenso altiiblichen Gefolge der Freun- 
dinnen der Braut ihre volksthumliche Vorfahrenschaft. Uber- 
dies ist auf die paranympha und die trohtingi in dem Gesetz 
des LangobardenkOnigs Aistulf v. 755 zu verweisen, also auf 
die Brautfrau oder Brautjungfer und die Brautigamsbegleiter. 
Auffallen kann, dass in Oberdeutschland die Mutter der 
Braut an dem Hochzeitfest nicht theilnimmt. In Ober- 
schwaben darf sie sich den ganzen Tag nicht sehen lassen 
(Birlinger, Volksthuml. a. Schw. 2, 330). An der unteren 
Salzach schaut sie nur im Werkeltagsgewand allem zu (Ba- 
varia I, 405). In der Oberpfalz darf sie nicht mit in die 
Kirche gehn, am Mahle nimmt sie theil (SchOnwerth I, 79. 
95). AuCh der Brautvater hat eine bescheidene Stellung bei 
der Hochzeit bekommen, allein er ist durch die sogenannten 
Ehrenpersonen nicht so zuruckgeschoben als die Mutter 2 ). 



2 ) Concil. Carthag. IY. c. 13: sponsus et sponsa cum benedi- 
cendi sunt a sacerdote, a parentibus suis vel a paranymphis offerantur. 
— Benedicti capit. Ill, 463 (Pertz, leg. II, 432): a sacerdote benedi- 
catur et a paranymphis ut consuetudo decet custodita et sociata a 
proximis. 

2 ) Durch Vergleichung mit den Sitten der sammtlichen In- 
dianer, der Mongolen, Kalmticken, Osseten und australischer und afri- 
kanischer Volker, in denen Feindschafb und das Verbot des Verkehrs 
des Mannes mit den Schwiegereltern sich auspricht, ist oben be- 
ruhrter Brauch als Rest aus der Raubehe erklart worden: Dargun, 
Mutterrecht und Raubehe 91. 



373 



Die Hauptrollen haben der oder die Brautfuhrer und der 
Hochzeitiader bei den deutschen Bauernhochzeiten,' in denen 
sich ganz anders als bei den stadtischen Trauungen alte 
Sitte erhalten hat. Der Hochzeitbitter ist der Sprecher und 
Cermonienmeister. Die dabei von ihm gesprochenen Sprtiche 
haben theils einen ehrbar-altfrankischen Gehalt, theils. streifen 
sie in das burleske und derbe fiber. Auch Predigtparodien 
kommen vor 1 ). 

Yon einzelnen Gebrauchen sei noch ein weitverbreiteter 
erwahnt, das Zerbrechen einesGlases, Kruges oder vori 
Essgerath und Geschirr. Bei der Heimkehr von der Trauung 
trinkt das Brautpaar aus einem Glase, das dann weiter ge- 
reicht wird, der letzte wirft es weg, so dass es zerbricht (Ober- 
pfalz). GewOhnlicher wirft es die Braut tlber ihren Kopf fort 
(Yoigtland, Waldeck, Oldenburg: Wuttke, §. 338. 565. E. K5hler, 
Volksbrauch im Yoigtlande 241). In Gottschee in Krain wirft 
die Braut den Weinkrug, aus dem sie nach der Trauung 
auf dem Pferde neben dem Brautigam getrunken hat, fiber 
ihren Kopf zu Boden (Hauffen, Gottschee 81). Wenn das 
Trinkgeschirr zerbricht, bedeutet es GlQck fur die Ehe. In 
Velburg in der Oberpfalz gibt die erste Prangerin (Braut- 
jungfer) der Braut mit einem hOlzernen LOffel die Suppe zu 
essen und zerbricht ihn dann (SchOnwerth I, 96). Das Zer- 
trflmmern von allerlei Topfgeschirr am Vorabend der Hoch- 
zeit, dem da von genannten Polterabend, ist derselbe Ge- 
brauch; je mehr TOpfe zerworfen werden, umsomehr Glfick. 
In der Oberpfalz wird in der Nacht vor der Hochzeit ein 
Fenster des Brauthauses eingeschlagen ; je mehr Scherben, 
je mehr Reichthum (SchOnwerth I, 74). Es ist ein zwar aus 
aiteren Quellen nicht bezeugter, aber gewiss uralter Brauch. 
Auch bei den jfldischen Hochzeiten wird nach der Trauung 
ein Glas auf den Boden geworfen und dadurch zerbrochen. 
Bei den Esten findet sich auch das Zerbrechen des LOffels 
und des Tellers, auf dem die Braut das letzte Brot im Eltern- 



!) Z. B. in Siebenburgen, Matz 86; in Schwaben, Birlinger, Aus 
Schwaben 2, 252—258. 265—270. 



374 



hause isst. In Italien gilt es glttckverheissend, wenn bei der 
Hochzeit etwas zerbrochen wird (v. Schroder 84 ff). Es mag 
ein Opferritus darin zu suchen sein, der gegen bOse M&chte 
schtltzen sollte. Mexikanischen GOtzen wurden TOpfe geopfert, 
die man einen Berg hinabwarf (Berliner Zeitschr. f. Ethnologie 
1895, S. 777). 



Nach dem Mahle im Hause des Brautvaters kommt der 
Abschied der Braut von ihren Eltern. Auch hier kann 
ich mich nur auf Gebrauche neuer Zeit beziehen. Echt 
bauerlich ist, dass die Neuvermahlte, ehe sie das letzte Mai 
tlber die Schwelle ihres Heimathauses schreitet, in der Ober- 
pfalz von ihren Freundinnen tlber die Dungerstatte des Hofes 
geftthrt wird, diesen wichtigen Platz der Bauernwirthschaft. 
Man schiebt ihr etwas Mist in die Schuhe und singt: 

Woin Moidl woin! Mia flrn di nimma hoim, 
Mia flrn di uba deins Vodarns Mist, 
Es gaid di nimma wies da ganga-r-is. *) 
Ausserdem bekommt sie etwas Salz in die Tasche als 
Schutz gegen Zauber und ein Stuck Brot, damit sie nicht 
verarme (SchOnwerth I, 76 f.). 

Dann nimmt die Braut Abschied von den Eltern und 
bedankt sich fur alle Liebe und Treue; auch hier tritt der 
Hochzeitlader in Oberbayern fur sie als Sprecher ein (Bavaria 
I, 395). Fromme Eltern segnen nun ihr Kind und dieses 
weint, nicht bloss aus naturlichem Geftihl, sondern auch, 
weil es geforderte Sitte ist. Wie bei den Indern der Brautigam 
seine Neuvermahlte mit drei Sprttchen auf den Abschied von 
den Ihren hinweist und in einem vierten zum Weinen auf- 
fordert (Haas, in d. Ind. Studien V, 327), wie die rOmische 
nupta zOgernd unter Thrtaen sich verabschiedete (Rossbach, 
ROm. Ehe 329), so auch nach Bauerncermoniell die deutsche 



*) Poetischer ist das litauische Abschiedlied der Braut bei 
Schleicher, Litauische M&rchen etc., S. 229. Siidslavische Abschied- 
lieder der Freundinnen der Braut bei Krauss, Sitte und Brauch der 
Sudslaven 441. 445. Estmsche bei v. Schroder, S. 186 f, Ein Gottscheer 
Abschiedlied der Braut bei J, Schroer, Ausflug nach Gottschee, S. 114. 



375 



junge Frau (SchOnwerth I, 75. Birlinger, Volksthuml. 2, 360). 
Es ist das ganz falsch auf slavischen Einfluss zuriickgefiihrt 
worden. Allerdings fordert das Abschiedweinen der Braut 
auch bei den Slaven sein G-ewohnheitsrecht, aber es ist bei 
alien, so auch bei den estnischen und finnischen Volkern her- 
k5mmlicher, allgemein menschlicher Brauch (v. Schroder 86 f.). 



Wie der Brautigam in stattlichem, meist berittenem 
Zuge am Morgen zum Brauthause kam, so zieht er ebenso 
nach seinem Hofe mit der ihm abergebenen Frau 1 ). In dem 
sch5nen altdeutschen Gedicht von der Hochzeit heisst es von 
dieser Fahrt: Als die Maget da aus dem Hause ging und er 
sie stattlich empfing, strahlend und leuchtend war sie, nie 
sah man so herrliches. Vor allem Volke stund sie makellos 
wie eine rechte Braut. Die Hand bot er ihr furwahr, zu- 
vorderst ritt er an der Schaar mit seiner sch5nen Braut vor 
allem Yolk. Sie leuchtete fiber die Menge als der lichte 
Morgenstern. Da geleiteten alle sie in Freude. Da ritten bei 
der Braut junge Leute, stolze Bitter mit herrlicher Rustung. 
Hei, wie sie da sungen, als sie sie heimfuhrten (Karajan, 
Sprachdenkm. 25, 17—26, 4). 

Diese Brautlieder der heimgeleitenden Hochzeit- 
schaar, die Brautleiche, Brautgesange *) waren alte, all- 
gemeine Sitte, so dass hileich, ags. brydiac, fttr Hochzeit selbst, 
briltleichen, denBrautgesang anstimmen, ftlrheiraten gebraucht 
worden ist. Auch die Spielleute liessen ihre Instrumente 
schallen. „S6 man eine brM heinleitet", heisst es in dem 
Seelenspiegel, einer erbaulichen Schrift des 14. Jahrhunderts, 
„s6 sleht man den sumer (Tamburin) vor ir und gigot und 
sweglot (flOtet) und vidlot engegin ir, und mit mangirhande 
seitenspil enphahet man si" (vor dem Hause des Brautigams. 



a ) Uber den stattlichen Reiterzug bei schwabischen Bauern- 
hochzeiten: Birlinger, Volksthiimliches 2, 360. 

2 ) Ahd. leichod, hileich, brutisanc, mhd. brutleich, brutliet, ags. 
brydlac, brydleod, brydsang, giftleo^. — Sidon. Apollin. c. 5, 218—220. 
Athis C* 96. Lampr. Syon. 3212. Reinbot Oeorg 1007. Mullenhoff, De 
poesi chorica, S. 23 ff. 



876 



Mone, Anzeiger 8, 612). Dieses sprichwOrtlich gewordene 
heimgeigen und heimblasen war tiberall Brauch. Wie die 
ditmarsische Braut am Ende des 16. Jahrhunderts mit Reitern 
und Spielleuten zur neuen Heimat zog (Neocorus 1, 116. 
119. 176), so noch heute, z. B. in Schwaben. Die Reiter 
schiessen ihre Buffer los, die Pferde wiehern vor Ungeduld 
und stampfen; die Buben fangen an zu singen, die Musi- 
kanten spielen Eins auf; der Abschied ist da (Birlinger, 
VolksthGmliches 2, 360). Das oberbayrische Brautpaar wird 
am Abend des Tages von den Musikanten heimgegeigt und 
heimgeblasen. 

Die Brautfahrt ging nicht immer ungehemmt und 
unangefochten vor sich. 

Weitverbreitet ist in Deutschland der Brauch noch heute, 
Seile oder Ketten fiber den Weg zu spannen und das Braut- 
paar oder die Braut und ihren Ausstattungswagen zu pfanden. 
Oft sind es nur Kinder oder Frauen, die es thun, doch auch 
Manner in gr5sserer Zahl. Meist ist es heute nur auf eine 
Bettelei abgesehen. Diese Wegsperre wird sowohl geiibt, wenn 
die Braut im Dorfe bleibt, als wenn sie in einen andern Ort 
zieht 1 ). 

In Ober- und Mittelitalien flndet man dasselbe fare il 
serraglio (far la serra, la barricata, il laccio), und auch bei 
den Esten ist es nachgewiesen 2 ). 

So nahe es liegt, in diesem hemmen des Zuges einen 
scherzhaften Wegzoll zu sehen, so scheint das doch nicht 
richtig. Die fiber die Strasse gezogenen Seile, Ketten, zu-- 
weilen auch Balken stehn mit den oft genug ausgefuhrten 
tJberf&llen, Entfuhrungen der Braut und Pltlnderungen des 
ganzen Zuges in Verbindung, ilber die wir frQher schon ge- 
sprochen haben (S. 282). Die Bewaffnung der Brautgesellen, 



') Eine ausfiihrliche Schilderung einer solchen Klause aus Tirol 
bei J. Zingerle, Sitten und Meinungen, S. 8 f. tTber den badischen 
Hochzeitbrauch des Vorspannens E. H. Meyer im Freiburg. Fest- 
progr. z. Geburtst. d. Grossherz. 1896. 

2 ) v. Schroder, Hochzeitbrauche der Esten 110 f. Dargun, Mutter- 
recht und Raubehe 136 ff. 



877 



der truhtinge nach altdeutscher Bezeichnung, namentlich des 
Brautfdhrers und des Brautigams, die heute noch mancherorten 
tlblich ist, entspricht der Nothwendigkeit in alterer Zeit 1 ), 

In neuerer Zeit ist det Raub in ein scherzhaftes, necken- 
des Stehlen der Braut umgewandelt. Bei schwabischen 
Hochzeiten ist der Br&utigam den ganzen Tag nicht sicher, 
dass sie ihm listig entftlhrt werde. In Wildbad ist geschehen, 
dass sie vom Altar weggestohlen ward, nachdem die Trauung 
vorttber war (Birlinger, Volksthttmliches 2, 393). Im Pinzgau 
und im Lungau (Salzburg) suchte man die Braut aus dem 
feierlichen Zuge zur Kirche oder auch wenn der Zug aus 
der Kirche kam, zu stehlen (v. Kiirsinger, Ober-Pinzgau, Salz- 
burg 1841, S. 169. Vierthalers Wanderungen durch Salzburg 
[1816] 1, 165). Die zwei Brautftihrer haben das Amt, die 
Braut zu bewachen, und es ist ein Hauptspass der Burschen, 
dieselben zu tauschen; sie mttssen sie von den EntfOhrern 
dann auslOsen (Birlinger 377). In gleicher oder ahnlicher Art 
geht es in Altbayern, in Salzburg (namentlich im Lungau), 
Steiermark, im Pusterthal, in der deutschen und franzOsischen 
Schweiz her*); diese EntfQhrung ist ein besonderer Scherz 
des Hochzeittages. Hier und da werden statt der Braut nur 
ihre Schuhe gestohlen, so in der Eifel, im Odenwald, Schwaben, 
Hessen^ Pommern (P. Sartori in meiner Zeitschr. f. Volksk. 
4, 169. 

Endlich ist die Brautfahrt an Hof und Haus des Brau- 
tigams angelangt, wo der festliche Empfang mit manchen sehr 
alten und ursprfinglich bedeutungsvollen Gebrauchen statt- 
flndet. Es ist schon gesagt worden, dass der Brautigam nicht 
immer selbst die Braut sich holte, sondern durch den bevoll- 
machtigten Braut- und Zugftlhrer holen liess; es kam auch 
vor, dass der junge Mann nach der Trauung in seinen Hof 



2 ) Ygl. auch Dargun a. a. 0. 129. 133, E. Meier, Sagen aus 
Schwaben 479 f. 

2 ) Dargun 134 f. Bavaria 1, 402. Baumgarten, A. d. Heimat 9, 86. 
Schflnwerth 1. 106. L. Hubner, Beschreibung des Erzstiftes Salzburg 
2, 544. 



378 



zurttckkehrte und einige Tage spater die junge Frau durch 
seine nachsten Verwandten und Freunde in festlicher Art ab- 
holen und sich zufQhren liess, so im 17. Jahrhundert bei den 
Ditmarschen nach Neocorus Schilderung. Das gewOhnliche 
freilich war, dass er die Braut selbst nach Trauung und 
Hochzeitsmahl in sein Haus fuhrte. 

Neocorus beschrieb die gegen Ende des 16. Jahrhunderts 
in Ditmarschen gehaltene Heimftthrung der Braut also 1 ). 

Donnerstag nach der kirchlichen Trauung sendet der 
Brautigam sechs, acht, zehn oder mehr seiner nachsten Ver- 
wandten und Freunde stattlich beritten nach der Braut. Mit 
ihnen fahren vier Wagen, auf deren erstem die Kleiderfrauen 
sitzen, welche gewOhnlich die Weiber der Brautknechte sind 
und die Kleider der Braut zu besichtigen, zu ubernehmen 
und heimzubringen haben. Der zweite ist fQr die Braut mit 
ihren Spriddeldocken oder Beisitzerinnen und ftlr die Spiel- 
leute bestimmt. Wenn die Reiter und Wagen im Brauthause 
angelangt sind, so werden sie herrlich aufgenommen und der 
aiteste Brautknecht bringt blossen Hauptes die Bitte vor, 
dass man ihnen den Brautwagen folgen lasse. Die Kleider- 
frauen schaffen hierauf die Kleider und Betten samt dem 
mannslangen Brautbrote und dem Brautkase auf den "Wagen, 
und die Brautknechte ' laden die Kisten der Braut auf. Nach- 
dem die Wagen mit den Sachen fort sind, stattet der aiteste 
Brautknecht im Namen des Brautigams und seiner Mitgesellen 
den Dank ab, und die Gesellschaft wird zum sitzen genOthigt. 
Sie werden nun bewirtet, wobei ein guter Trunk die Haupt- 
sache ist, „auf dass solche Gaste wissen, wo sie gewesen 
sind". Nachdem das Essen wieder abgetragen ist und die 
Brautknechte der Reihe nach den Vortanz gehalten haben, 
tritt der WortfQhrer wieder auf und begehrt Geh5r. Wenn 
ihm dies nach einigem Weigern gewahrt ist, dankt er zuerst, 
dass ihm der Wagen verabfolgt ward und dass ihnen Ehre 
undGutes erwiesen wurde, und'bittet darauf, dass nunmehr 



*) Joh. Adolphi genannt Neocorus Chronik des Landes Dit- 
marschen, herausg. von Dahlmann 1, 110 ff. 



379 



die Braut in das Zimmer komme, dieweil sie darum abgesandt 
seien und den Brautigam aufs hOchste nach ihr verlange. 
Ohne Zweifel verlange auch die Braut nach ihm, und wenn 
nicht nach ihm, so doch nach ihrem Wagen und Kleinodien. 
Nachdem das Begehren mehrmals abgeschlagen ist, so dass 
oft der andere Tag herankommt, wird die Braut, die bis da 
mit ihren Frauen und Jungfrauen in einem besonderen Ge- 
mach blieb, mit ihren zwei Spriddeldocken hereingefiihrt, 
in jungfr&ulichem Schmucke, das Haupt ganz verhtillt. Wenn 
alles zur Abreise fertig ist, wird sie dem Brautknechte von 
ihrem nachsten Verwandten ilbergeben und ihr des Br&utigams 
Hut aufgesetzt '), worauf unter Glttck- und Segenswunsch der 
ihren abgefahren wird, die hierauf noch eine Zeit lang in FrOh- 
lichkeit beisammen bleiben. Unterdessen sind die Wagen mit 
der Ausstattung im Hause des Brautigams angekommen und 
abgeladen worden. Die Braut selbst nahert sich mit den 
Reitern und Spielleuten, und stellt sich, nachdem die Pferde 
bei Seite geschafft sind, mit ihren Geleitfrauen vor der Thiir 
des Hauses auf. Jetzt erst erscheint der Brautigam, tritt 
barhauptig vor die Braut und fragt dreimal: „Kann ich wohl 
mit Ehren meine Braut einftthren?" — Dreimal wird geant- 
wortet: „Fiihret sie in Gottes Namen ein!" Darauf nimmt er 
sie bei der Hand, lasst sie dreimal herumdrehen und schwingt 
sie in das Haus hinein, indem er spricht: „Mit Ehren fuhre 
ich meine Braut ein". Vor der Stubenthtlr wiederholt sich 
das herumdrehen und hineinschwingen ; dann verlasst er sie 
und geht in sein Gemach. Eiri Gastmahl und Tanz reihen 
sich an und die Ceremonie in der Brautkammer beschliesst 
den Tag. 

Der junge Mann schwang nach dieser Erzahlung die Braut 
in das Haus hinein, d. h. er trug sie ilber die Schwelle. 
Das gehOrt zu dem alten Ceremoniell. Nach vedischem Ritus 
ward die Braut noch im Hause ihrer Eltern vor der Abfahrt 



*) Zeichen, dass sie in die Mundschaft des Mannes nun em- 
getreten ist. Ganz entsprechender Gebrauch bei den Esten, v. Schroder 
93 f. — Grimm, RA. 148 f. 



380 



von einem starken Manne zu einem auf dem Boden liegenden 
Fell getragen, und der Brautigam hiess sie, sich darauf nieder- 
setzen, mit dem Wunsche, dass, wie sie sich hier niederlasse, 
KMe, Rosse und aller Reichthum sich auf sie niederlassen 
mOgen. Nach andern Anweisungen geschieht diese Handlung 
im Hause des Brautigams, nachdem ihr Brahmanenfrauen 
vom Wagen geholfen (Haas in den Ind. Studien 5, 91). 

Das rOmische, sehr ausgebildete Hochzeitritual ver- 
langte, dass die nova nupta von dem Brautftthrer sorgsam, 
so dass sie nicht an die Schwelle stosse, m dartiber gehoben 
werden musse, ganz wie heute noch bei den Neugriechen 
und bei Slaven und namentlich den Esten (v. Schroder 88—93). 
Bei den Russen hat sich sogar noch das Schaffell erhalten, 
auf das sich die Braut setzen muss. 

Auf der Insel Sylt war fiiiher ein besonderer Brautheber 
(bridlefstr), jedenfalls einer der Brautfuhrer, bestimmt, die 
Braut auf den Hochzeitswagen und wohl auch von ihm herab 
zu heben (Michelsen und Asmussen, Archiv I, 413 ff.). Bei 
den Siebenburger Sachsen musste der Brautigam selbst die 
Braut aus dem Elternhause auf den sechsspannigen Wagen 
tragen, der sie in die „neue Genahrung" ftthrte (Matz 68 f.). 
Auch in der Mark Brandenburg war Oder ist es Sitte, dass 
der Brautigam die Braut, wenn sie auf seinem Hofe an- 
kommt, indem sie sich ttber die Wagenleiter schwingt, auf- 
fangen muss, ohne zu fallen. Er muss sie dann in das Haus 
auf die grosse Diele tragen und mit ihr dreimal den Kessel- 
haken (den Herd) umwandeln (Kuhn, Mark. Sagen 356, 361). 
In OberOsterreich wird, wie wir frQher mittheilten (S. 334), 
die Braut, wenn sie zur Hochzeit laden geht, von dem Zu- 
brautigam begleitet, der sie iiber die ersten drei Zaune heben 
muss. 

Das dreimalige Umwandeln des Herdes ist uralter 
indogermanischer Ritus. In Deutschland hat er sich ausser 
in brandenburgischen DOrfern noch in Westfalen erhalten ? 
wo die Schwiegereltern die Braut an der oberen Thiir (boven- 
dOr) des Hauses empfangen und zu dem Herde ftthren, wo 
sich dieselbe auf einen Stuhl setzt und Zange und Feuerbrand 



381 



in die Hand bekommt; dann geht es zur Trauung (Kuhn, 
Westfal. Sagen 2, SI) 1 ). In Brackel bei Dortmund ward bei 
dem Umfilhren um den Herd (de brud tlmt hal [Kesselhaken] 
laien) das Feuer entztindet und der Haken vorwarts darttber 
gezogen. Im Kirchspiel Weitmar sprach man vergessene 
Sprtlche dabei (Jahrb. f. niederd. Sprachforsch. 3, 139). In 
BOhmen muss sich die junge Frau zuerst vor dem Herde 
verneigen und drei ihrer Haare in den Kamin werfen (Wuttke, 
§. 566). Der Herd mit dem Feuer ist der uralte Mittelpunkt 
des Hauses, zu dem die Neuvermahlte zuerst gefuhrt werden 
muss und auf dem sie den Hausgeistern (den Ahnen der 
Sippe) ein Opfer bringt: das ist der Sinn der bei uns ver- 
kttmmerten Sitte. Nach altindischem Ritus ftihrt der Brauti- 
gam die Braut in ihrem Elternhause um den Herd, dann 
streut der Vater Oder Bruder ihr in die mit Opferschmalz 
besprengten Hande GetreidekOrner, die sie untermischt mit 
Mimosenblumen in das Feuer wirft. Das alles geschieht drei- 
mal (Haas a. a. 0. 5, 318 f.) und wiederholt sich im Hause 
des Brautigams. Auch Besprengung der Braut und des Brau- 
tigams mit Wasser gehOrt zum indischen Ritual (ebd. 373). 
Das rOmische entspricht in den Hauptzagen: die Braut wird 
aqua et igni im Hause des Gatten aufgenommen : ein Spelt- 
brot ward im Feuer des Herdes geopfert (Rossbach, ROm. 
Ehe 108—110. 314 f.). Die Umwandlung des Herdes und das 
Opfer lasst sich als Hochzeitbrauch auch bei den alten 
Preussen und den Esten erweisen (v. Schroder 128 ff.). 

Von jener Aufnahme mit Wasser hat sich bei den Sieben- 
bvirger Sachsen eine Spur erhalten, indem das Paar vor .dem 
Thor des Brautigamshauses tiber ein mit Wasser gefailtes 
Gefass springen muss (Matz 70). Ein an andere Stelle des 
Ceremoniells gekommener Rest ist in hannOverschen Orten, 
dass die Madchen hinter der von den Frauen ihnen geraubten 



2 ) Die Braut muss dann das Feuer schiiren und andere Proben 
geben, dass sie Hausarbeiten versteht, wie auch der Brautigam gleiche 
Proben ablegen muss. Das sind moderne, aus Missverstandniss alter 
Sitte entstandene Dinge. 



382 



Braut Wasser hergiessen (Kuhn-Schwartz, Nordd. Sagen 433), 
und dass in der Oberpfalz der Braut, wenn sie den Braut- 
sprung von dem Tisch zum Tanz mit den Brautfuhrern 
macht, ein Krug Bier nachgegossen wird (SchOnwerth I, 110). 

Es sind ursprttngliche, aber entstellte und missver- 
standene Reste einer Reinigungs- und Stthnceremonie. Bei 
Slaven, Esten und Finnen hat sich dieselbe weit besser er- 
halten als bei uns (v. Schroder 133 ff.). 

Statt der Umftthrung um den Herd kommt auch, 
obschon vereinzelt, die um den Dtingerhaufen vor (Wei- 
denhausen in Westfalen: Kuhn, Westf. Sagen 2, 371). Dass 
auch darin ein alter, nicht bloss deutsch-bauerlicher Brauch 
sich erhielt, beweist die in altindischen Quellen vorkommende 
Anweisung, die junge Frau bei ihrer Ankunft auf dem Hofe 
zu dem Misthaufen zu ftthren (A. Weber, Ind. Studien 5, 371 
Anm.). Sie wird auf die Statte, die fur Viehstand und Feld- 
bau wichtig ist, aufmerksam gemacht 1 ). (Vgl. I, 374.) 

Eine uralte Hochzeitceremonie ist die B esc hilt tun g 
oder Bewerfung der Braut mit GetreidekOrnern, als Sym- 
bolen der Fruchtbarkeit, welche auf sie tibertragen werden soil. 

Wenn die sachsische Braut in Siebenburgen aus der 
Kirche von der Trauung in das Hochzeithaus zuruckkehrt, 
schtittet die Schwiegermutter beim Eintritt in das Vorhaus 
GetreidekOrner uber ihr Haupt und spricht: „Gesegnet seist 
du, meine Tochter! gesegnet seid ihr, meine Kinder!" "Weit 
verbreitet ist in Deutschland und auch in Schweden, in die 
Schuhe der Braut (zuweilen auch des Brautigams) Getreide- 
kOrner vor der Trauung zu legen, auch Erbsen. In Schlesien 
und BOhmen wird die Braut beim Hochzeitessen mit Graupen, 
Erbsen, auch mit kleinen Pfeffernussen beworfen; so viel 
KOrner auf ihrem Kleide liegen bleiben, so viel Kinder wird 
sie bekommen. In Mecklenburg schtittet man der Braut Lein- 
samen in den Kranz. Den Brautkranz aus Getreideahren er- 



2 ) In Westfalen fiihrte man ehemals das Brautpaar zur 
Bienenhutte, stellte Braut und Brautigam den Bienen vor und bat 
diese, dieselben nicht zu verlassen (Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3," 139). 



wahnten wir schon frtlher (1, 342). Bei den Grossrussen wird 
das Brautlager aus 40 Garben Koggen aufgebaut und ringsum 
werden Tonnen mit Weizen und Gerste gestellt, in welche man 
die Hochzeitfackeln steckt. Bei den Slaven und Litauern, den 
romanischen VOlkern, bei den Esten und Finnen, bei Griechen, 
ROmern und den alten Indern begegnen wir ganz gleichem 
Brauch, der aus demselben Gedanken entsprungen ist (Haas 
in d. Ind. Studien 5, 298 f. Winternitz 75 ff.. 113. v. Schroder 
112—122. Krauss, Sitte und Brauch der Sttdslaven 448). 

In deutschen Landschaften ist Brauch, dass die Braut, 
wenn sie ihr neues Heim betritt, Brot und Salz, einen 
LOffel und eine kleine MQnze auf dem Tisch findet (so in 
Schlesien, meine Zeitschr. 3, 149), damit es ihr nie an diesen 
nOthigsten Dingen des Haushalts mangele. 

Aus einer Culturperiode, in der man jeden Fremden als 
Feind betrachtete Oder ihn wenigstens misstrauisch behan- 
delte, stammt eine oberpfalzische , aus Waldmtinchen berich- 
tete Unsitte (SchOnwerth I, 89). Wenn ein Madchen in ein 
fremdes Dorf heiratet, fttrchtet man, sie kOnne spater Hexen- 
werk treiben. Daher dringen die Nachbarn wahrend der 
Trauung in das Haus des Brautigams durch Fenster oder 
durch das Dach. Sie tragen dieses ab und schlagen den Ofen 
ein, und meinen damit das Dorf vor dem bOsen "Wesen der 
Hochzeiterin zu schutzen. 



Wenn am ersten Hochzeittage die Nacht herankam, 
ward die Braut von den Eltern und dem Brautfilhrer samt 
der Brautfrau, zuweilen auch von der ganzen Hochzeitgesell- 
schaft in die Brautkammer geleitet und dem Brautigam 
tibergeben. Da es dunkel geworden war, wurden viel Kerzen 
dazu angezftndet 1 ) und aus der Verbindung hiervon mit den 
rf &nzen, die bis zu diesem Kammergeleit die Gesellschaft 
u nterhielten, scheint sich der Fackeltanz gebildet zu haben, 



2 ) Hoinrichs Trist. 657. Adelh. Langemanns Offenbanmgen 10, 6. 



384 



welcher sich bei fttrstlichen Beilagern seit dem 16. Jahr- 
hundert nachweisen lasst 1 ). 

Das Beschreiten desEhebettes vorZeugen war 
altgennanische *) uncj durch das ganze Mittelalter festgehaltene 
Sitte; die Ehe war erst vOllig rechtsgiltig in alien Folgen, 
sobald bezeugt werden konnte, dass eine Decke das Paar 
beschlagen hatte. Deshalb flnden wir auch diesen Brauch in 
alien Standen und am langsten in farstlichen Geschlechtern 
festgehalten 8 ). Milderungen traten spater dadurch ein, dass 
sich das Paar vOllig angekleidet niederlegte und wieder auf- 
stand, nachdem die Decke fiber es gelegt war. In pommer- 
schen Stadten geschah im 16. Jahrhundert „dat beddewerpent" 
gleich nach der Training vor dem Hochzeitmahl „sittsam und 
ehrbar" (A. HOfer in Pfeiffers Germania 18, 4). Darauf ent- 
fernten sich die Zeugen. In den Liibecker Geschlechtern ward 
dies aber erst seit 1612 eingefuhrt. 

Fromme Sitte war, dass die Mutter der Braut das Paar 
segnete (Heinrichs Tristan 672); gewOhnlicher war die 
priesterliche Benediction des Ehebettes, die nach Ebernands 
Gedicht von Heinrich und Kunigunde (879) bei der Ver- 
mahlung Kaiser Heinrichs II. von BischOfen geschah. Diese 
priesterliche Einsegnung ist heute noch in der Oberpfalz und 
in katholischen Gegenden Schwabens fester Brauch, und wird 
den Tag vorher, wenn das Brautbett aufgebaut ist, vorge- 
nommen 4 ). 



2 ) J. Voigt in Raumers histor. Taschenbuch VI, 223. 

2 ) Auch bei den Indern und RSmern bestund sie und sie wird 
daher uralt sein, Haas in Ind. Stud. V, 279. Rossbach, Rom. Ehe 370 f. 
Sie ist auch bei Slaven, Esten und Finnen altublich, v. Schroder, 
S. 166—178. 

8 ) Athis D. 1-61. Mei und Beaflore 91, 15. Titurel 1795 f. 
Crane 4450. Lohengrin 2354. Ulrichs Wilh., S. 148. Ebernand Heinr. 
877. Hatzl. 260 b . Neocorus 1, 116. Michelsen-Asmussen, Archiv I. 1, 
69. — Friedberg, Eheschliessung, S. 22 f. — tiber einen eigenthiim- 
lichen Rest dieses Rechtsbrauches in Neustadt in der Oberpfalz, 
Bavaria II, 278. 

4 ) Friedberg, Eheschliessung 46. 64. — Bavaria 2, 279. Ale- 
mannia XV, 116. Birlinger, Volksthumliches 2, 334. 344. 401. 



>Ehe die Braut in die Kammer geht, wird ihr der Kranz 
oder die Krone, das Zeichen ihres bisherigen jungfraulichen 
Standee, oft w&hrend eines Tanzes, von den Frauen abge- 
nommen und ihr dafur die Haube aufgesetzt. Im Mittel- 
alter wurden ihr die Frauenbinden urn Stirn und Wangen, 
„daz gebende", umgelegt. Sie durfte fortab nicht wie die Jung- 
frauen das Haar frei und lose tragen, wie auch bei Indern 
und EOmern sich die Haartracht mit der Hochzeit anderte 
und entsprechende Gebr&uche noch jetzt bei Slaven, Esten 
und Finnen bestehn (Haas in den Ind. Studien 5, 405. Ross- 
bach 280. v. Schroder 144 ff. Tettau-Temme , Volkssagen 
Preussens u. Litthauens 257). Die Mutter „band" ihr nach 
der briute site (Heinrichs Trist. 853), oder sie legte sich selbst 
am n&chsten Morgen das Gebende an (si bant ir houbet, 
Parziv. 202, 23. Ulr. Trist. 312). Der scherzhafte Streit, der 
heute bei dem Abnehmen des Kranzes und dem Hauben 
zwischen Madchen und Frauen mancher Orten vorfallt, scheint 
auch im Mittelalter ttblich gewesen, wie aus einem Spruche 
Walthers v. d. Vogelweide (106, 26 ff.) sich schliessen lasst. 

In fftrstlichen und adlichen Familien ist bei oder nach 
Betretung desBrautgemaches noch jetzt Sitte, das zerschnittene 
Strumpfband der Braut unter die Hochzeitgaste zu ver- 
theilen. Le don de la jarettiere ist auch in Frankreich und bei 
den Wallonen bekannt. Aber auch bei bauerlichen Hochzeiten in 
der Oberpfalz, im Elsass und in der niedersachsischen Graf- 
schaft Hoya kommt diese Zerschneidung und Vertheilung des 
Strumpfbandes vor (SchOnwerth I, 109. Jahrb. fttr Gesch. 
Sprache und Litterat. Elsass-Lothringens 2, 190. Ztschr. d. 
histor. Vereins f. Niedersachsen. 1851, S. 108), so dass wir 
auch in diesem Brauche ein altes Hochzeitritual zu sehen 
haben, das sich dem rOmischen vergleicht, wonach derBrautigam 
nach Besteigung des Torus den Gttrtel lost und denselben 
den Sklaven preisgibt, die darum streiten. Es ist ebenfalls 
ein Symbol, dass die Ehe thatsachlich vollzogen ward. 

Der Zug zur Brautkammer ward von den Spielleuten 
begleitet, die vor dem Gemach stehn blieben und denen sich 
die Hochzeitgaste zugesellten, Yor der geschlossenen Kammer- 

W ein hold, Deutsche Frauen. I, 25 



886 



thtlr wurden Lieder gesungen, manchmal frommer Art. 
Dieses „Niedersingen* der Braut hat sich bis in die neueste 
Zeit in manchen Gegenden erhalten *). Es ist eine uralte Sitte, 
zu der die Parallelen von der altrOmischen Hochzeit nicht 
fehlen, wo diese Gesange freilich sehr derb und nichts weniger 
als zuchtig lauteten ; bei den hellenischen Hochzeiten stimmte 
ein Madchenchor den epithalamischen Hymnus an. Auch bei 
den Stldslaven wird vor der Brautkammer von den Hochzeit- 
gasten ein Tanz mit Liedern aufgefuhrt (Krauss, Sitte und 
Brauch 457). 

Auf Grund von Tobias 6, 19 ff., wonach der junge Tobias 
bei seiner Hochzeit mit Sara durch seine Enthaltsamkeit vom 
Tode errettet ward, hatte die Kirche seit dem 5. Jahr- 
hundert Keuschheit in den ersten drei Nachten der Ehe em- 
pfohlen, wenn auch nicht gefordert. Im Allgau, in katholischen 
DOrfern Schwabens und in der Oberpfalz werden unter dem 
Landvolk diese Tobiasnachte noch beobachtet: als Grunde 
werden angefuhrt, der Teufel habe dann keine Macht uber 
das Paar, Oder es verbtlrge Glilck in der Ehe, Oder auch man 
erlOse dadurch eine arme Seele (Birlinger, Volksthtlml. 2, 
334. 354. SchOnwerth I, 112). Bei den Wallonen herrscht die- 
selbe Sitte. Im Dorfe Cerexhe-Heuseux, im Canton Fleron, 
wird ihre Beobachtung dem jungen Manne fur die erste Nacht 
zur Pflicht gemacht; wer es langer thut, beweist seiner Neu- 
vermahlten besondere Hochachtung. In Charleroi wurde das 
junge Paar in den ersten Nachten durch ein Brett getrennt, 
das langs zwischen ihnen lag. Wer uber das Brett ging, 
zahlte Busse. Am Ende der Woche sollen beide Parteien vOllig 
gleich in ihrer Bussensumme gewesen sein (Wallonia II, 9. 
S. 158 — 160. Liege 1894). Auch in andern franzOsischen Gegen- 
den, ferner in Italien, bei den Stidslaven, bei Esten und Finnen 
kommt das trinoctium castitatis vor (v. Schroder 194 ff. 



l ) Fr. B6hme, Altdeutsches Liederbuch, Nr. 239. 240. Altd. Bl. 
2, 276. Seb. Franck, Weltb. 128 (1534). v. d. Hagen, Narrenbuch 174. 
432. Uhland in Pfeiffers Germ. 1, 335. Frommann, Mundarten 4, 95. 
112. Kuhn, Mark. Sagen 358. L. Tobler, Schweizer. Volksl. 1, 154. 
Bavaria II, 289. Birlinger, Volksthumliches 2, 385. 



887 



Krauss 456). Merkwtirdigerweise wird nun auch im alt- 
indischen Hochzeitritus die Keuschheit von dem jungen Ehe- 
paar in den ersten drei Nachten, ja auch langer, bis zu einem 
Jahre, gefordert (Haas, Ind. Studien 5, 325 f. 346. 368. 377. 
Winternitz 86. 88). Bei dem ins einzelne entwickelten, mit 
allerlei Reinigungs- und Siihnceremonien durchzogenen in- 
dischen Ritual kann man sich tiber dieses Gebot der Ent- 
haltung nicht wundern. Die europaische Erscheinung des 
Brauchs wird schwerlich damit als unverwandt zu behaupten 
sein, sondern dem Einfluss der katholischen Kirche entspringen, 
wonach sie als ein gutes Werk aufgefasst ward. Etwas ur- 
sprungliches, gesundes urid kraftiges liegt nicht darin, des- 
halb halte ich diese Tobiasnaehte fur ungermanisch. 

Nachdem das junge Paar eine Zeit lang sich selbst 
tlberlassen geblieben war, gingen die riachsten Verwandten, 
zuweilen auch die ganze Hochzeitgesellschaft in die Kammer 
und brachten den neuen Eheleuten einen Trunk 1 ). Am nachsten 
Morgen war Brauch, ihnen ein gebratenes Huhn, das briutel- 
huon, Brauthuhn, an das Bett zu bringen 2 ). Aus diesem 
Bringen des Brauthuhns und Biautweins war allmahlich auch 
etwas geworden, das entweder zu Luxus oder zu einer Un- 
gebahrlichkeit fuhrte, die gramlichen Rathsherren nicht gefiel. 
So enthalten die Statuten der westfalischen Stadte Alen 
und Coesfeld von 1380, 1389, 1403 Verbote, dem Brautpaar 
tor brutlacht oder wanneer si byslopen, hanen zu bringen 
und gevelwyn (Gebewein); ebenso verbieten . die Wismarer 
Statuten v. 1339 den Bruthan (Geschenk von Hahn und 
Henne). Aus Westfalen und der Altmark ist der Brauch 
bei stadtischen Hochzeiten noch aus dem 16./17. Jahrhundert 
bezeugt (Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3, 128. Kuhn, Mark. Sagen 
363. Germania 18, 4). Verschoben ist dieses Essen heute in 
der Oberpfalz auf die Trauung. In manchen Orten bekommt 
das Brautpaar vor der Trauung ganz far sich die Gaglhenne 



!) Trist. 12642. Krone 8642. Wittenweilers Ring 188. 
2 ) Parz. 273, 26. Heinr. Trist. 842. Lohengr. 2398 f. Jeroschin 
18754. Lassberg, Lieders. Nr. 226, 293. 

26* 



888 



zu essen, d. i. ein gebratenes Huhn oder eine Suppe mit 
alter Henne, an andern Orten eine Taube zwischen der Trauung 
und dem Hochzeitsmahl (SchOnwerth 1, 75. 94). In Deilingen 
in Westfalen war es im vorigen Jahrhundert noch Brauch, 
dass das junge Volk „den Brauthahn" aufzufinden suchte, 
mit ihm in die Brautkammer drang und ihn vor dem Bette 
kr&hen liess. (Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3, 142. 144). Das ist 
Entstellung des alten Brauchs. 

Auch neue Kleider wurden den Neuverm&hlten hingelegt 
und manche Geschenke gebracht *). Als Osterreichische Landes- 
sitte erzahlt Ottokar in seiner Osterreichischen Reimchronik 
75635 ff., dass an das Brautbett viel kommen von Mannern 
und Frauen und das Paar segnen und ihnen wilnschen das 
gute lieben, das able leiden und vollkommene Treue pflegen. 
Die Mutter der Braut im besbndern und auch die des Brauti- 
gams sprachen den Kindern Morgengruss und Gluckwdnsche 
far Zeit und Ewigkeit 2 ). 

Auch Scherzworte, feinere und grObere, fielen; formel- 
haft scheint die Frage an die junge Frau, ob sie noch ohne 
Stab gehn kOnne? (Ulrichs Wilh. 132, dazu Helmbr. 1418. 
Sperber 334. Liedersaal Nr. 31, 322). 

Nun gab auch der junge Ehemann seiner Neuvermahlten 
die Mo r gen gab e. Es war urspranglich ein Geschenk der 
Liebe (in signum amoris), das seinen Namen von der Zeit 
des Gebens trug, dem Morgen nach der Hochzeitnacht 8 ), 

a ) Nibel. 593. Lohengr. 2387. Frische Kleider auch nach indi- 
schem Ritual: Haas, Ind. Studien 5, 213. 

2 ) Ein solcher Segen findet sich im Gedicht von der tiuvels 
aohte 91 f.: got griiez iuch kinder! ros unde rinder, korn unde win 
bescher iu unser trehtin, saelde unde heil, guotes ein michel teil 
immer ewicliche, und ouch sin himelriche teil er mit iu beiden 
(v. d. Hagen, GA. 2, 132). 

8 ) morgangeba, morgingabe; ags. morgengyfe; altschwed. morghon- 
gaf; altn. linfe, beckjargiof, hindrudagsgaf. — matutinale donum, 
donatio nuptialis, dos (]. saxon. und sachs. und agl. Rechte). — tiber 
die Morgengabe in rechtlichor Beziehung vgl. R. Schroder, Ehel. 
Guterrecht I, 84—112. II. 1, 24—71. 2, 242 ff. 3, 332 ff v worauf ich 
hier verweise. 



und in fahrender Habe oder in Geld, zuweilen in Grundsttlcken 
gegeben oder ausgesetzt ward. Als solches freies Geschenk 
zeigt sie sich im alemannischen, westgotischen, altsachsischen 
(ostfalischen) und im altesten langobardischen Recht. Sie ward 
aber in spateren langobardischen Gesetzen zu einer vorher be- 
dungenen Leistung des Mannes, die zur Sicberung der Witwe 
bestimmt wurde, und dieselbe Bedeutung hat sie im salischen 
und ripuarischen Recht, wie im angels&chsischen und alt- 
westfaiischen erhalten. Wir finden sie auch Witwen gegeben, 
was zum Beweise dienen darf, dass die Morgengabe als kein 
pretium virginitatis gait. 

Die Frau hatte schon bei Lebzeiten ihres Mannes Eigen- 
thumsrecht an der Morgengabe, tlber die von dem Gatten 
nicht einseitig verfQgt werden durfte. Nach schwabischem 
und bayrischem Gesetz des spateren Mittelalters geht die 
Morgengabe nach dem Tode des Mannes und nachdem die 
Witwe ihr Recht daran geltend gemacht hat, in ihren vollen 
Besitz tlber. Sie kann sie veraussern, daruber vOllig verfttgen 
und sie daher auch in eine zweite Ehe hiniibernehmen. Wird 
ihr Recht angefochten, so darf sie es nach alemannischem 
und bayrischem Gesetz durch den Nesteid (nastait) beweisen, 
den sie schwOrt, indem sie mit der linken Hand ihre linke 
Brust und den rechten Zopf anfasst 1 ). In dem bayrischen und 
Osterreichischen Recht hat sich die Morgengabe mit dem 
alten Mundschatz zum Wittum verschmolzen. Sie ilbernimmt 
also die Stellung der Widerlegung im bayrischen Recht und 
tritt in dem Osterreichischen als Heimsteuer auf 2 ). 

In den frankischen Rechten des spateren Mittelalters 
erscheint die Morgengabe als standesmassige Pflicht des 
Adels, kommt aber auch im Burger- und Bauernstande vor. 
Sie war voiles Eigenthum der Frau, und vererbte, wenn die- 
selbe vor dem Gatten starb, auf ihre geborenen Verwandten. 
Im sachsischen Rechtsgebiete scheiden sich die west- 
faiischen Bestimmungen tlber die Morgengabe von den ost- 



1 ) 1. Alam. LVI, 2. Schwabensp. Landr. 20. bayr. Landr. 126. 
134. Weist. 1, 14. 

2 ) Schroder a. a. 0. II. 1, 88. 92. 



890 



falischen und engrischen '). Nach letzteren ward die Morgen- 
gabe durch die Geburt eines Kindes voiles Eigenthum der 
Frau, das auf ihre Kinder Oder bei deren frtiherem Tode auf 
ihre Verwandten durch Erbschaft tlberging. Nach westfali- 
schem Recht verschmolz die Morgengabe durch Geburt eines 
Kindes mit der Errungenschaft. Sie blieb also nur in kinder- 
loser Ehe bestehn und fiel nach dem Tode der Frau an den 
Mann oder seine Erben zuruck. Der Sachsenspiegel bestimmt, 
dass die Morgengabe Eigenthum der Frau ist, mag sie Kinder 
haben oder nicht; sie ist aber von dem gemeinsam verwal- 
teten VermOgen nicht ausgesondert und fallt an den Mann 
zurttck bei Tod oder Scheidung. Ritterbiirtige konnten nach 
dem Sachsenspiegel einen leibeigenen Knecht oder eine Magd 
geben, ein gezimmertes Haus mit Umzaunung und Weide- 
vieh. Alle, die nicht von ritterlichem Geschlecht waren, durften 
nur ihr bestes Pferd oder Rind tiberweisen (I, §. 20, 1, 8). 
In den St&dten des sachsischen Rechtes kam die gelobte 
Morgengabe auf, gewOhnlich eine Geldsumme, welche von 
dem Manne far den Fall seines Todes der Qberlebenden Witwe 
versprochen ward. 

Die Hochzeit endete, wie friiher erwahnt, gewOhnlich 
nicht mit der Nacht des ersten Tages, sondern wurde bei 
den reicheren Leuten aller Stande durch mehrere Tage fort- 
gesetzt 2 ). Die ErgOtzlichkeiten blieben sich ziemlich gleich; 
in den ritterlichen Kreisen scheint der zweite Tag vorzilglich 
den Turnieren und zuweilen dem Feste des Ritterschlages 
gewidmet gewesen zu sein. War die Hochzeit in dem Hause 
der Braut gehalten worden, so gab die Heimfuhrung eine 



a ) Schroder a. a. 0. II. 3, 332 ff. 

2 ) Die Gedichte tibertreiben nattirlich, wenn sie dem grossen 
Alexander einen Brautlauf von mehr als dreissig Tagen geben (Ale- 
xanderl. 4020) und dem elenden Erek einen vierzehntagigen (Erek 
2194). Aus den Hochzeitordnungen, die im 13. und 14. Jahrhundert 
beginnen und den Stadtrathen namentlich im 16. Jahrhundert noth- 
wendig schienen, ergibt sich, dass drei, fiinf, acht und mehr Tage bei 
den stadtischen Hochzeiten die Lustbarkeiten dauerten. (Cber die 
Dauer der Hochzeit bei andern VOlkern: v. Schroder 190 f.) 



bedeutsame Nachfeier, Oder der Brautigam lud die Verwandten 
der neu Vermahlten mit mOglichst grosser Gesellschaft in 
fester Frist zu einem Feste in sein Haus. 

In den bltlhenden Zeiten des alten Stadtewesens be- 
durften auch die Nachhochzeiten polizeilicher Beschran- 
kung. So durften in Lttbeck die jungen Eheleute am Tage 
nach der Trauung nur ihre nachsten Verwandten zu sich 
einladen. Mit dem Jahre 1566 trat hier grOssere Freiheit ein. 
Der junge Ehemann versammelte seine Freunde um zehn Uhr 
Morgens in der Marienkirche und ftthrte sie in sein Haus zu 
einem Mahle, begleitete sie um zwei Uhr wieder in die 
Kirche, verabschiedete sie und versammelte sie gegen Abend 
zu einem neuen Essen, das von sechs bis neun Uhr dauerte. 
In unserem Landvolke haben sich solche Nachhochzeiten 
unter verschiedenen Benennungen noch vielfach erhalten 1 ). 

Die Sitte einer Vorfeier am Vorabende der Hochzeit 
habe ich im frilheren Mittelaiter nicht «rwahnt gefunden. 
Die Liibecker Kore van der brutlacht (angeblich aus dem 
14. Jahrhundert) bringt aber bereits Beschrankungen der Vor- 
hochzeit. Die Braut soil nur sechzehn Jungfrauen bei sich 
haben und der Tanz soil bis zum Nachtsang, also nur bis zwei 
Uhr Nachmittags dauern. Die Feier war demnach mehr eine 
Morgengesellschaft als ein Abendvergnttgen. Eine Leipziger 
Polizeiordnung von 1454 verbietet, dass die Braut, wie vor- 
mals ttblich, den Tag vor der Hochzeit Jungfrauen zu sich 
lade und ttber Nacht bei sich behaJte, das man Ay RammeU 
piacht genannt hat, bei Busse von 20 Groschen fur jede ge- 
ladene Person 2 ). 

Abgesehen von den Polterabenden bei burgerlichen Hoch- 
zeiten, hat sich im Landvolk vielfach eine Vorfeier der 
Hochzeit erhalten, indem sich dieFreundinnen der Braut 
bei ihr versammeln und den Brautkranz binden (SchOnwerth 
1, 74) oder auch Kranze und Strausse far den nachsten Tag 



*) Schmeller, Bayr. Wb. I 2 , 877. 1208. 1695. 2, 297. Bavaria I, 
408. II, 290. Schonworth 1, 112 f. Matz, Siebenb.-sachs. Bauernhoch- 
zeit 80 ff. Zeitschr. clos hist. Vereins f. Niedersachsen 1851, S. 108. 

2 ) Cod. diplom. Saxon, reg. II, 8. n. 317. 



zur Vertheilung an die G&ste, wobei die Kranzetfungfrau be- 
sonders hervortritt. Es ist der Kranzelabend, Kranzelpint- 
abend, auch bloss der Kranzelpint genannt. Tanz und Musik 
sind dabei Brauch (Lexer, KSrntisches WOrterbuch, S. 1). In 
Vorarlberg (Thai Montavon) herrscht dieselbe Sitte ; der Abend 
heisst von den Maien (Blumenstr&ussen), die gebunden werden, 
die Maineta (Frommann, Mundarten 4, 321). 

Bei unsern Bauernhochzeiten ist der Braut- oder 
Kammerwagen, welcher die Ausstattung der jungen Frau 
in den Hof des Brautigams bringt, ein bedeutsames Stuck 
in der Brautfahrt. Zuweilen wird er ein oder zwei Tage 
vorausgeschickt; hier und da kommt er an einem bestimmten 
Wochentage, so im Hohenloheschen am Freitag vor dem 
Hochzeittage , der stets auf Dienstag fallt (Birlinger, Volks- 
thtoiliches 2, 388). Oft schreitet die beste Kuh aus dem 
vaterlichen Stalle dem Wagen voran. In Westfalen war 
ein Hahn darauf (Jahrb. f. nd. Sprachf. 3, 134), der Rufer 
zur Arbeit des Tages. Ein nothwendiger Theil und Schmuck 
des Brautwagens ist bis in neueste Zeit der Spinnrocken 
oder das Spinnrad gewesen. 

In der Mark sitzt bei dem Brautzuge die dritte Braut* 

jungfer auf dem ersten Wagen zur Linken der Braut mit 

dem aufgemachten, dick bewickelten Wocken (Kuhn, Mark. 

Sagen 355). Im Lechrain halt die Braut bei ihrer Fahrt auf 

dem Kuchelwagen die verzierte Kunkel selbst (v. Leoprech- 

ting, Aus dem Lechrain 241). In manchen oberbayrischen 

Gegenden schreitet die Hochzeiterin, die reichgeschmttckte 

Kunkel im Arm, neben ihrem Prunkwagen einher (Bavaria 

I, 393). In der Altmark ist es Aufgabe der unverheirateten 

Burschen, am zweiten Hochzeittage das alte Spinnrad, das 

von der Braiitjungfer vom Hause der Braut in ihr neues 

Heirn getragen ward, gegen die Angriffe der verheirateten 

Manner zu schtitzen, inclem sie die Jungfer in festem Kreise 

umtanzen. Die Manner sturmen derb an und suchen das 

Spinnrad zu zerbrechen ; es ist eine Schande, wenn es ihnen 

nicht gelingt. Dann wird ein neues, gescbmucktes Spinnrad 



393 



dem Brautpaar unter Reimen von der Brautjungfer ttbergeben 
(Kuhn a. a. 0. 359 f.). Bei den Siebenbttrger Sachsen kommen 
hier und da die Gespielinnen der Braut am dritten Hochzeit- 
tage mit einem geschmftckten Spinnrocken und schenken ihr 
denselben (Matz 93). In Tirol war frdher ein Brauch, der 
Ende des 17. Jahrhunderts aber schon abgekommen war, 
wie der Kapuziner Heribert von Salurn in seinem Festivale 
concionum pastoralium, d. i. Fest- und Feyrtag-Predigen (Salz- 
burg 1693) 1, 280 erzahlt, „wann die Braut oder neue Haus- 
halterin das erstemahl in des Brautigams Haus ist gefiihrt 
worden, so hat man die Hausthilr mit einem Kranz von 
Flachs gekrOnet; dardurch wurde bedeutet, dass die neue 
Haushalterin ihren Fleiss solle anwenden mit der Gespunst, 
damit das Hauswesen mit Lein- und Betgewandt gebuhrend 
eingerichtet und der Mann, die Kinder und sie selbst mit 
Leingewandt sauber versehen werden". In Pergine, einem 
friiher deutschen, jetzt verwelschten Dorfe in Stidtirol, trugen 
die beiden Brautftthrer (brumoli) der eine eine lebende Henne 
(Sinnbild der Vorsicht und Fruchtbarkeit), der andere einen 
Rocken mit Flachs und Spindel (Schneller, Marchen und Sagen 
aus Walsch- Tirol 241). Im Lechrain bringt die starkste 
Kranzeljungfer den zierlich geflochtenen und lang bebanderten 
Rocken, in dem die Spindel steckt, auf die Tenne oder den Vor- 
platz des Brauthauses. Die Bander werden von andern Madchen 
gefasst und auseinander gehalten, und das Brautpaar voran, 
tanzt die ganze Gesellschaft zwischen den Bandern hindurch. 
Das ist der Kunkeltanz (Bavaria I, 404). 

Lassen wir unter diesem alten Zeichen deutscher Weib- 
lichkeit die junge Frau in ihr neues Leben eintreten! 



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W ein b o I d , Deutsche Frauen. I. 26 



Berichtigungen und Zusatze zu Band I. 



S. 7, Z. 20 v. u. Sachsenspiegel, S. 20, I lies I. 20, § 1. 

S. 22, Z. 3 v. u. Fflrstermann 1. Forstemann. 

S. 25, Z. 4 v. u. heraushehen 1. herausheben. 

S. 31, Z. 5 v. u. Mullenhof 1. Mullenhoff. 

S. 38, Z. 9 u. 10 v. o. sind im Druck angelsachsisch und alt- 
sachsisch versetzt worden: wurth ist altsachs., wyr<! angelsachs. 

S. 64, Anm. 2. Der Litteratur ist das inzwischen erschienene 
wichtige Buch von Sigm. Riezler, Geschichte der Hexenprocesse 
in Bayern, Stuttgart 1896, anzufugen. Nach den Darlegungen von 
Riezler a. a. 0., S. 260 f., ist der Jesuit Paul Laymann durchaus 
nicht zu den iiberzeugten Bekampfern der Hexeninquisition zu 
rechnen, wenn er auch in der 3. Auflage seiner Moraltheologie 
(1630. Miinchen) sich Tanners Bedenken und Milderungsvorschlage 
mehrfach angeeignet hat. 

S. 109, Z. 3 v. u. Kartonspiele 1. Kartenspiele. 

S. 119, Z. 17 v. u. 134, 46 1. 13445. 

S. 176, Z. 17 v. u. beitrieten 1. beitreten. 

S. 381. Die Ehemutter oder Ziichtfrau heisst im sudlichen 
Baden und in der Nordschweiz die Geelfrau: E. H. Meyer, Der 
badische Hochzeitbrauch des Yorspannens, S. 53 f. Er deutet diese 
Benennung Grelbe Frau aus der Bedeutung von Gelb als alte Liebes- 
und Heiratsfarbe. Leider konnte ich diese inhaltreiche Abhandlung, 
die wahrend des Satzes dieses I. Bandes erschien, nur ganz nach- 
traglich benutzen. 




26* 




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