This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world's books discoverable online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that 's often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the file s We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
any where in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google's mission is to organize the world's Information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world's books white helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web
at |http : //books . google . com/
über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google -Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen.
Ptiu Lehmann. Verlag in Stuttgart,
SlullüMI. Jwiuu !>»«•
Piiti Lehmann.
Fritz Lehmann, Verlag in Stuttgart.
Lehmann's VolkshiKliscIiule.
Klein 8^ Eleg. geb. mit Silbupressung.
Jedes Bändchen nur Ji 1. — .
I. Bdch. : Die Entwicklungsgeschichte der französischen
Literatur. Gemeinverständlich dargestellt von Dr.
Einst Dannheisser. Mit einer Zeittafel.
216 S. IQOl.
II. Bdch. : Kurze Geschichte der englischen Literatur in
den Grundzügen ihrer Entwicklung. Von Dr.
Rieh. Ackermann. Mit Zeittafel und Nimen-
register. 165 S. 1902.
IIL Bdch.: Geschichte des deutschen Schrifttums vc ^ den
ältesten Zeiten bis zur Gegenwart.
L Hälfte: Von der ältesten Zeit bis auf Martin Opitz.
Von Dr. Hermann Stoeckel. Mit Zeittafel,
Namen- und Sachweiser.
V. Bdch.: Geschichte der griechischen Philosophie. Von
Dr Fr. Börtzler.
VI. Bdch, : Die deutsche Sa^e und das deutsche Volks-
märchen. Ihre Entstehung und Erklärung von
Dr. O. Weddigen.
• Zu Joh. Phil. Paim's 100. Todestaq ! •
Deutschland in seiner tiefen Ernie-
driOUnQ IwOO* Mit einer geschichtlichen Einleitung
von Prof. Dr. Rieh. Graf Du Moulin Eckart, München.
Originalgetreuester Neudruck der berOhmten Schrift,
wegen deren Herausgabe Napoleon I. den Buchhändler Palm
erschiessen Hess. — Eleg. broch. J(i I.50. Eleg. geb. M 2.20.
Fritz Lehmann, Verlag in Stuttgart.
In letzter Zeit erschienen:
Attensperger, Alb., kgl. Reallehrer, Jak. Frohschg^mmers
Philosophisches System im Grundriss nebst einer Einführung
in die Philosophie. — Broch. M 1.50. /
— „ — Lehrbuch der mathematischen und physikalischen
Geographie für höhere Schulen. 8<'-Format, 8 Bogen Text
mit lo fein kolorierten Tafeln, — Geb. i. eleg. Leinenbd. Ji l .60.
Baer, Gg., kgl. Rektor, Hilfsbücher (Lehr- und Lesebuch)
fOr den Unterricht an kaufmännischen und gewerblichen Fach-
und Fortbildungsschulen.
I. Teil : Volkswirtschaftliche u. gesetzliche Belehrungen.
i|-och. Ms. — , eleg. geb. JL 3.60.
II. Teil : Geschäftsaufsatz, Geschäftskorrespondenz. —
Geh. M 2.60, geb. Ji, 3.20;
III. Teil : Buchführung und gewerbl. Kalkulation. —
Geh. Jü 2 — , geb. M 260.
IV. Teil : Wirtschaftsgeographie. Geh. M 2.50. geb. oH X—
NB. Als Geschenk för Lehrlinge und junge Kaufleute
vorzüglich geeignet und sehr beliebt!
— „ — Die Gesellen- und Meisterprüfung. Ein Unter-
weisungsbuch für Lehrlinge, Gesellen und Meister des deutschen
Handwerks. 8^, 389 Seiten. — Geh. J€ 3.50. elegant ge-
bunden M 4, — .
Braund, Dr. Reinh., ord. Prof., Das Mineralreich. Natur-
wissenschaftliches Pracht werk Ober die gesamte. Mineralogie.
Gross 4**, 55 Bogen Text mit 280 Textbildern, 73 feinsten
Chromotafeln, 15 Lichtdrucktafeln.
30 Lieferungen ^ Ji, I.50 oder 75 Lieferungen k M 0.60.
In feinstem Halbfranzband in 1 Band c# 50 — .
Text und Tafeln getrennt in 2 Bänden JL 52.—.
Die
Deutsche Sprache.
Kurzer Abriss
der
Geschichte unserer Muttersprache von den ältesten
Zeiten bis auf die Gegenwart
Dr. S. Feist.
Mit neun Tafeln, zwei Abbildungen im Text und einer Karte.
Stuttgart '
Verlag von Fritz Lehmann.
1906.
h
DENiCKf
G. Otto's Hof-Buchdraekerei, Darmstadu
w
Dem Andenken
meiner lieben Mutter
widme ich
dies Büchlein
über
unsere Muttersprache.
l -ui P''>
Vorwort.
Das vorliegende Werkchen gibt eine kurzge-
fasste Darstellung der Entwickelung unserer Mutter-
sprache. Abweichend von andern Büchern gleichen
Ziels ist die Anordnung des Stoffes nicht in syste-
matischer Weise, sondern nach dem geschichtlichen
Verlauf der Entwickelung erfolgt. Von den bei-
gegebenen Abbildungen sind manche erst an dieser
Stelle einem grösseren Leserkreis zugänglich gemacht,
so No. 1, No. VII, No. IX, wohl auch No. II. Das
Büchlein wird sich (den Lehrern der deutschen
Sprache, den Studenten der germ. Philologie, den
Schülern der höheren Klassen, überhaupt allen
Freunden unserer Muttersprache hoffentlich als
nützlich erweisen.
Berlin N., Weinbergsweg 13, im Mai 1906.
Der Verfasser.
Druckfehler.
S- rt, Z.. lO V. u. lies „dyäush" statt dy ush.
S. 51. Z. 11 u. 20 V. o. lies »Infinitiv« statt Infinitif.
S. f)K Z. 2 V. u. lies „döms" statt d nis.
S. 6a, Z. 10 V. u. lies „svgtas" statt sv tas.
S. 74. Z. 14 V. u. lies „Halbzeile" statt Hauptzeile!
S* 166. Z. 11 V. o. lies „sie** statt diese.
Sp 16S, Z. 3 V. o. lies „heisst" statt heis t.
Inhaltsverzeichnis.
1. Inhattsverzeichnis ^ . . . .
2. Verzeichnis der beigegebenen Tafeln .
3. Häufig gebrauchte Abkürzungen
4. Einleitung : Ueberblick über die Bildung
Sprachlaute . . . . .
der
Seite
VII— IX
IX
IX
XI— XVI
1— 24
1- 7
7— 15
16— 20
25- 77
25—
31—
31
36
Kap. 1.
Urgeschichte der deutschen Spfdche
§ 1. Die indogermanische Grundsprache .
I 2. Die urgermanische Sprache . .
§ 3. Die germanische Runenschrift .
§ 4. Die altgerm. Dialekte. — Die gotische
Sprache . . . . . . . 20— 24
Kap. II.
Der althochdeutsche Zeitraum (bis 11 00 n. Chr.)
§ 5. Vorliterarische Zeit und Ausdehnung des
Althochdeutschen . .
§ 6. Sprachquellen der althochdeutschen Zeit
§ 7. Der althochdeutsche Konsonanten- und
Vokalbestand
§ 8. Deklination und Konjugation im Althoch
deutschen . .
§ 9. Althochdeutsche Wortbildung .
, § IG. Wortton Und Kunstformen der poetischen
Sprache im Althochdeutschen .
Kap. m.
Der mittelhochdeutsche Zeitraum (1100—1500)
§ 11» üebergangszeit vom Althochdeutschen zum
Mittelhochdeutschen
§ 12. Ausdehnung und Gebrauch der hochdeutsch.
Sprache in mittelhochdeutscher Zeit
37— 45
45- 56
56— 68
68- 77
78—128
78— 81
81— '89
pr
!^"
;i,^'
§ 13.
§ u.
/
§ 15.
§ 17.
VIII
Seite
Ueberblick ober die Sprachquellen der
mittelhochdeutschen Zeit 90 — 96
Der mittelhochdeutsche Konsonantismus
und Vokalismus 96—107
Deklination und Konjugation im Mittel-
hochdeutschen 107 — 116
Wortton und Verskunst im Mittelhochd. 116 — 123
Französischer Einfluss auf das Mittelhochd. 123 — 128
Kap. IV.
Der neuhochdeutsche Zeitraum (von 1500 an) . 129—217
§ 18. Uebergangszeit vom Mittelhochdeutschen
zum Neuhochdeutschen .... 129—135
§ 19. Die Entstehung der neuhochdeutschen
Schriftsprache . . . . 135—144
§ 20. Die Ausbreitung der neuhochdeutschen
Schriftsprache im 16. und 17. Jahrhundert 144—152
§ 21. Der Einfluss des Humanismus und des
Französischen auf die neuhochdeutsche
Schriftsprache , . . . . .152—161
§ 22. Der Kampf gegen die Fremdwörter . 161 — 168
§ 23. Die neuhochdeutsche Schriftsprache im
18. und 19. Jahrhundert . . . . .168 — 178
§ 24. Der Vokalbestand der neuhochdeutschen
Schriftsprache . . . . . . 178— 185
§ 25. Der Konsonantismus der neuhochdeutschen
Schriftsprache . 185— 1^1
§ 26. Deklination und Konjugation im Neuhoch-
deutschen 191 — 199
§ 27. Die neuhochdeutsche Rechtschreibung . 199—206
§ 28. Die heutigen deutschen Mundarten und die
Schriftsprache 207^217
Anhang: Erklärungen und Textumschriften zu den
Tafeln 1— IX 218—228
Sach- und Namensverzeichnis .... 229 — 236
— IX —
Verzeichnis der beigegebenen Tafeln.
I (vor dem Titelblatt): Althochdeutsche Inschrift.
II (zwischen S. l8 und 19): Die Spange von Freilaubersheim.
III (zwischen S. 24 und 25) : Eine Seite aus dem sog. Codex
argenteus in gotischer Sprache und Schrift.
IV (zwischen S. 32 und 33): Der Anfang des Hildebrands-
liedes.
V (zwischen S. 86 und 87) : Deutsche Urkunde Rudolf von
Habsburgs'.
VI (zwischen S. 118 und 119): Einige Strophen aus der
Hohenems-Lassbergschen Handschrift des Nibelungen-
liedes.
VII (zwischen S. 132 und 133): Aeltester deutscher Druck:
Das Mainzer Fragment vom Weltgericht.
VIII (zwischen S. 142 und 143): Denkspruch Martin Luthers.
IX (zwischen S. 158 und 159): Nr. 38 der Wöchentlichen
Reichs Ord: Zeitung vom 11. Sept. 1683.
X (zwischen S. 206 und 207): Karte der heutigen deutschen
Mundarten.
Häufig gebrauchte Abkürzungen:
A(cc). = Accusativ.
Neutr. = Neutrum.
Ahd. = Althochdeutsch.
Nhd. = Neuhochdeutsch.
Altnord. = Altnordisch.
Ndd. = Niederdeutsch.
D(at). = Dativ.
N(om). = Nominativ.
Engl. =Jlnglisch.
Nord. = Nordisch.
Fem. = Femininum fweibl.).
Nordd. = Norddeutsch.
G(en). = Genitiv.
Part. = Partizip.
Germ. = Germanisch.
Perf. =- Perfekt.
Got. = Gotisch.
Praes. = Praesens.
Gr. = Griechisch.
Praet. = Praeteritum.
Hd. = Hochdeutsch.
Pl(ur). = Plural.
Idg., Indogerm. = Indogerma-
Run. — Runeninschriftlich
nisch.
Sing. = Singular.
Ind. = Indisch.
Södd. = Süddeutsch.
Lat. = Lateinisch.
Urgerm. = Urgermanisch.
Masc..= Masculinum (männl.).
Umord. = Urnordisch.
Mhd. = Mittelhochdeutsch.
Einleitung.
Ueberblick über die Bildung der Sprachlaute.
Der aus den Lungen kommende Luftstrom geht
durch die Luftröhre (s. Abbildung weiter unten),
in der sich der Kehlkopf befindet. An dessen
unterem Ende sitzen die Stimmbänder, die die
Stimmritze zwischen sich einschliessen. Von da
gelangt der Luftstrom am weichen und harten
Gaumen vorbei in den Mundraum und in die
Nasenhöhle., Gegen die Rachenhöhle ist die
Luftröhre durch den Kel^deckel abgeschlossen,
der sich beim Atmen imd Sprechen öffnet. I^m
Mundraum befindet sich noch die Zunge, die mit
der Zungeriwurzel am unteren Teil des Schlunds
befestigt ist. Den Abschluss des Mundraums bilden
die Zähne, denen die Lippen vorgelagert sind.
Dies sind die Organe, die bei der Bildung der
Sprachlaute in Betracht kommen.
Die folgende Abbildung stellt eine schema-
tische Wiedergai^e dieser Organe vor. Die ver-
schiedenen Laute sind an der Stelle eingetragen,
wo sie in der Regel gebildet zu werden pflegen.
Punktierte Linien zwischen zwei Stellen wollen be-
sagen , dass bei der Hervorbringung eines Lautes
beide vereint in Tätigkeit treten.
^ xn -
Schematische Darstellung der Lautbildungs^
Organe.
Oherxähnt^^ü^^^!:^
Anm. Durch ein Vergehen des Zeicimers isi an (ier Zungtn-
spilxe V statt rit:htigcui r (2uDgen-r) gcrinickt
Erklärungen.
I. Je nachdem bei der Hervorbringung eines
Lautes die Stimmbänder (die wir uns wie die
Lippen einer Pfeife vorzustellen haben) a) mitwirken,
d. h. in Schwingungen versetzt werden, oder b) schlaff
hängen und den Luftstrom ungehindert durch die
— XIII —
Stimmritze gehen lassen, unterscheiden wir a) tö-
nende (stimmhafte) und b) tonlose (stimmlose)
Laute.
a) Zu den tönenden Lauten gehören alle
Vokale (und Doppelvokale), die Liquiden r, 1,
die Nasale (oder Nasenlaute) m, n; endlich die
Reibelaute j, s, w und die sog. Medien g, d,
b in norddeutscher Aussprache.
b) Zu den tonlosen Lauten rechnet man
die sog. Tenues k, t, p, die Reibelaute ch, seh,
s, f, th (engl. Ausspr.); femer die Reibelaute j und
w sowie die Medien g, d, b in süddeutscher Aus-
sprache.
2. Nach den Attikulations- (d. h. Hervor-
bringungs) st eilen unterscheiden wir:
a) Lippenlaute (Labiale): p, b; m; südd.w.
b) Zahnlaute (Dentale): t, d; n; seh, s, z,
th (engl.); Zahnlippenlaute (Labio-
dentale) sind: f, nordd. 'W.
c) Gaumenlaute (Gutturale): k, g; eh, j.
3. Das wichtigste Sprachorgan ist die Zunge.
Unter ihrer Mitwirkung erst entstehen die Zahnlaute
und Gaumenlaute. Legt sie sich fest an die Zähne
bezw. den Gaumen, so entstehen durch Lösung
dieses „Verschlusses"
a) Die Verschlusslaute, t, d; k, g; p, b
sind dagegen Lippenverschlusslaute.
Bildet die Zunge nur eine Enge zwischen Zähnen
bezw. Zahnkiefer und Gaumen, so entstehen durch
„Reibung" des Luftstromes an dieser Enge
— XIV —
b) die Reibelaute (Spiranten): seh, s, z, th
ä^^ (engl.) ; ch, j ; w und f sind Lippen- bezw. Lippen-
zahn-Reibßlaute.
c) Reine Zungenlaute sind 1, wobei die Ränder,
und r, bei dem die Spitze der Zunge in Schwin-
gungen versetzt werden. In der städtischen Aus-
sprache tritt an Stelle des Zungen-r das Zäpfchen-r,
dessen rollender Laut durch die Schwingungen des
Zäpfchens erzeugt wird* Beide r verblassen leicht
zu kaum wahrnehmbaren Geräuschen.
4. Die Vokale werden erzeugt infolge der
verschiedenen Klangfarbe, die der Stimmton durch
die Stellung der Zunge im, Mundraum und die
Form der Lippen erhält. Mk gesenktem Zungen-
rücken und normaler Lippenöffnung wird der Vokal
a hervorgebracht; bei e nähert sich der vordere
Zungenrücken, bei i liegt er dicht am vorderen
harten Gaumen, wobei sich die Lippenöfihung ver-
breitert; bei o und u höhlt sich der vordere Teil
und hebt sich der hintere Teil der Zunge weniger
oder mehr; die Lippen werden ebenso jg^erundet
und vorgestülpt. Mannigfache Zwischenstufen er-
geben sich, auch findet Verbindung zweier Artiku-
lationsarten statt (s. Zeichnung weiter unten); so ent-
stehen z. B. offenes und geschlossenes e (vgl. § 7,
S. 43 und § 14, S. 104) sowie die Doppellaute
(Diphthonge),
5. Der Hauchlaut h entsteht, wenn der Luft-
strom (mit leichter Reibung) frei durch den Mund-
raum geht. Durch Verbindung des Lautes h mit
den tonlosen Verschlusslauten p, t, k entstehen die
tonlosen Hauchlaute (Aspiraten) ph, th, kh.
— XV —
Alle anlautenden p, t, k werden im Deutschen als
solche Aspiraten gesprochen, während das Praü-
zösische z. B. diese Aussprache nicht , kennt; man
vgl. deutsch Kaffee mit franz. cafi. Die indoger-
manische Ursprache kannte auch tönende Hauch-
laute bh, dh, gh (vgl. § 2, S. 8).
6. Die Nasenlaute (Nasale) m und n ent-
stehen durch Verschluss der Lippen bezw. der
Zunge und des vorderen harten Gaumens (Alveole),
wenn der Luiftstrom durch Senkung des weichen
Gaumens zugleich durch die Nasenhöhle und die
Nase entweicht.
Uebersicht der deutschen Sprachlaute.^
A. JfConsonanten.
Verschluss-
laute
Reibelaute
Nasale
Liqui-
den
Lippenlaute . .
P
b
f. V
s, z
seh
ch
w
(sOdd.)
w
(nordd.)
s
(nordd.)
m
—
Zahnlaute . . .
t
d
n
1
Gaumenlaute . .
k
g
j
n (vor
k.g)
r
Tonlos
Tönend
Tonlos
\
Tönend
— XVI —
B. Vokale.
n^-^L'^
Kapitel 1.
Urgeschichte der deutschen Sprache.
Die indogermanische Grundsprache.
Wie der Anfang der Sprache überhaupt, so ist
auch die Urzeit unserer Muttersprache in tiefes
Dunkel gehüllt. Die vergleichende Sprachforschung
führt uns zwar viele Jahrtausende zurück und lässt uns
einen Blick werfen in eine ferne Zeit, wo unser Volk
noch vereint mit sprach- und vielleicht auch stamm-
verwandten Völkern ein allen gemeinsames Idiom
redete, aber der Beginn dieser indogermanischen Indoger-
Grundsprache ist damit noch lange nicht erreicht.
Im Gegenteil ! Sie steht schon auf der Höhe einer
in Wortformen, Flexion und Betonung reich ausge-
bildeten Sprache; auch die Anfänge eines geglieder-
ten Satzbaus lassen sich in ihr nachweisen.
Zum indogermanischen (auch indoeuropäischen
oder arischen)Sprachstamm gehören in Asien die Inder,
Perser und Armenier; in Europa die slavischen
Völker (Russen, Polen, Tschechen, Bulgaren,
Serben, Litauer u. s. w.), die Griechen, die Alba-
nesen, die Italiener, Spanier, Portugiesen, Fran-
zosen und Rumänen (die Sprachen dieser Völker
als Tochtersprachen des Lateinischen), die Ueber-
F!el8t, Die deutsche Sprache. 1
manen.
— 2 ~
reste der Kelten in der Bretagne, in Wales, Schott-
land und auf einigen Inseln und endlich die Ger-
Germanen, manen. Diese zerfallen heute in die Nordgermanen
(Dänen, Norweger, Schweden) und die Süd-
germanen (Hoch- und Niederdeutsche, Friesen,
Holländer mit den Vlämen). Zu den Südgermanen
gehörten einst auch die nach dem heutigen Eng-
land ausgewanderten Angelsachsen, deren Sprache,
untermischt mit altfranzösischen Bestandteilen, als
Englisch eine der weitverbreitetsten Sprachen der
Erde geworden ist.
-Weit grösser aber war der deutsche Sprach-
stamm noch zu Beginn des Mittelalters: Ostgoten
und Westgoten, Longobarden und Burgunder,
Vandalen, Alanen, Rugier u. a. geliörten ihm an.
Als die von diesen germanischen Stämmen begrün-:
deten Reiche im Laufe der Geschichte untergingen
oder ihre Selbständigkeit verloren, da gingen auch
ihre Sprachen in den sie umgebenden romanischen
Volksdialekten bis auf geringe Reste auf. Auch die
Sprache der Westfranken, deren Reich bestehen
blieb, ist verschollen; nur eine kleine Zahl Wörter
ist ins Französische gedrungen. Allein vom West-
gotischen sind uns grössere Reste erhalten (s. § 4) ;
von den anderen Dialekten nur einzelne Wörter oder
Namen.
Wohnsitze In den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrech-
der Ger- ^m^g sassen die oben genannten germanischen Stäm-
manen. . . .-.,., . , 1. , ... 1
me m einem Qebiet, das sich westlich über den
Rhein und südlich bis zur Donau erstreckte. Im
Osten dehnte es sich bis zur Ostsee und ins heutige
Russland, im Norden bis tief nach Skandinavien
hinein aus. Dies waren aber schwerlich ihre ur-
sprünglichen Wohnsitze. Eine alte UeberHeferung
- 3 -
der Ostgoten besagt, dass sie aus Skandinavien ausge-
wandert seien ; in der Tat erinnern noch heute Namen
wie Gotland und Göteborg an sie, und deshalb sehen
manche Forscher überhaupt den Norden als die Ur-
heimat der Germanen an. Wahrscheinlich ist dies
nicht, eher kommt Osteuropa dafür in Betracht; in-
des lässt sich hierüber ebensowenig etwas mit Sicher-
heit behaupten wie von der Urheimat der grösseren
Stammesgenossenschaft, der Indo-Germanen.
Nach der früher herrschenden Ansicht suchte man Ursitze der
die Wohnsitze des indogermanischen Urvolks auf der "^°*
Hochebene Pamir im mittleren Asien. Von da seien
die verschiedenen Stämme teils südöstlich, teils süd-
westlich, teils nordwestlich in ihre späteren Wohnsitze
gewandert. Wenn nun auch manche Gründe für die
asiatische Herkunft der Indogermanen und somit
auch der Germanen sprechen, so stehen dieser An-
nahme doch schwerwiegende Bedenken entgegen,
die neuere Forscher veranlasst haben, den Ursitz
nach Europa in die weiten Steppen Russlands zu
verlegen, da die Beschaffenheit dieser Gegend am
meisten den Ergebnissen entspricht, die für die Kultur-
stufe der Indogermanen und ihre Naturkenntnis er-
mittelt worden sind. Eine sichere Beweisführung ist
aber zurzeit noch nicht gelungen.
Von diesem Urvolk, das auf verhältnismässig Wande-
kleinem Raum zusammengedrängt sass, lösten sich"*""^^" ^^*
nacheinander einzelne Stämme los, oft vielleicht «ermanen.
mehrere, die noch eine Zeitlang einen gewissen Zu-
sammenhang gewahrt zu haben scheinen. So sind
Inder und Perser durch gemeinsame sprachliche Merk-
male einerseits imd manche europäischen Völker
anderseits unter sich verbunden. Besonders die Italer
und Kelten, auch die Kelten und Germanen weisen
^iViele Uebereinstimmungen auf« Im grossen und
ganzen indes entwickelte sich jede Sprache, sobald
ihre Träger sich vom Urstamm losgelöst hatten, in
ihrer besonderen Art. Welche Gründe zu dieser
Sonderentwicklüng geführt haben, lässt sich schwer
sagen. Vermutlich bestanden schon in der Ursprache
die Keime zu verschiedenartiger, Entwicklung, viel-
^tV leicht infolge dialektischer Besonderheiten ; in ihren
^i^ * neuen Wohnsitzen fanden die Einwanderer neue kli-
^ r. : matische Verhältnisse vor, ferner eine eingesessene
4^ Urbevölkerung, wie die Dasjus in Indien, die Pelasger
<;V in Griechenland, die sog. Pfahlbauer in Mitteleuropa.
^ V Diese Urbevölkerungen wurden wohl nie gänzlich
:' ausgerottet, vielmehr scheinen die einwandernden
Indogermanen sich als die herrschende Rasse festge-
setzt, ihre Kultur und Sprache den Eingeborenen auf-
gedrungen und sich mitihnen, nach späterenVorgängen
zu schliessen, auch teilweise vermischt zu haben. •
So kam es, dass die oben genannten indogermanischen
Sprachen, als sie zum erstenmal schriftlich aufge-
zeichnet und der Nachwelt überliefert wurden, SjO
grosse Verschiedenheiten aufweisen, dass erst die
gelehrte Forschung ihren gemeinsamen Ursprung fest-
zustellen vermöchte.
Die Franz Bopp (geb. zu Mainz 1791, gest. zu
'"tischr^^^^^^ 1867), der Begründer der vergleichenden
Grund- Sprachwissenschaft, hat zuerst den wissenschaftlichen
spräche. Nachweis von der einstigen Zusammengehörigkeit der
indogermanischen Sprachen geführt. Durch seine
und seiner Nachfolger Forschungen ist es gelungen,
ein ungefähres Bild des lautHchen Zustands der ge-
meinsamen Ursprache zu gewinnen. Wie weit zurück-
liegend wir uns diese zu denken haben, lässt sich
daran ermessen, dass die ältesten Teile der heiligen
D —
Bücher der luder, der sog. Vedas, bis ins 3. Jahr-
tausend V. Chr. zurückreichen. Nun haben nach Aus-
weis dieser Lieder die Inder zu jener Zeit erst den
Indus Erreicht; ihr späterer heiliger Fluss, der Ganges,
ist ihnen damals noch unbekannt gewesen. Vorher
muss aber die Periode der Wanderschaft der Inder
angesetzt werden, über deren Dauer wir freilich nichts
Genaues wissen können; nur eines lässt sich sagen,
dass um 2000 v. Chr. die Sprache der Inder sich
in ihrer lautlichen Gestalt nicht unbedeutend von der
erschlossenen Ursprache entfernt hatte, also schon
eine längere selbständige Entwicklung hinter sich
haben musste. Das folgende Verzeichnis wird zu-
nächst die wiederhergestellte indogerm. Urform eines
Wortes und sodann die entsprechenden Wörter einiger
Hauptsprachen (Indisch, Griechisch, Latehr und
Deutsch) bringen.
Indogerm.: Indisch: Griechisch: Latein: Deutsch:
I.
nomn
näman
onoma
nomen
Name
2.
agros
ajras
agros
ager
Acker
3.
pate(r)
pTta
pater
pater
Vater
4.
mäte(r)
mätä
mäter
mäter
Mutter
5.
sv6kuros
sväsuras
hekyros
socer
Schwager
6.
Djeus
dy ush
Zeus
Jupiter
Ziu
7-
jugom
yugdm
zyg6n
jugum
Joch
8.
vlkos
vfkas
lykos
lupus
Wolf
9.
gous
gäush
bous
bös
Kuh
10.
udhar
üdhar
oüthar
über
Euter
1 1.
pöd(s)
pat
pous
pes
Fuss
12.
müs
müsh
mys
mus
Maus
T3.
m6dhu
midhu
m^thy
—
Met
14.
n6ktis
ndktis
nyx
nox
Nacht
15-
n^vos
ndvas
ne(v)os
noviis
neu
>
'
Indogerm.
: Indisch :
i6.
bh6rO
bhdrami
17-
tr6jes
trdyas
i8.
apo
dpa
19.
upo
üpa
20.
tod
tad
6 —
Griechisch: Latein: Deutsch:
ph6ro fero ge^däre
treis tres äret
ap6 ab ai^
(h)yp6 — o3
to (is-)tud äas
In der voranstehenden Liste sind fast alle Rede-
teile durch Beispiele vertreten: wir finden Haupt-
wörter (Eigenname No. 6, Gattungsnamen 8, 9, 12,
Verwandtschaftsbezeichnungen 3, 4, 5, u. a.), ein
Eigenschaftswort (No. 15), ein Zeitwort (No. 16), ein
Zahlwort (No. 17), zwei Verhältnis- bezw. Umstands-
Reichtum wörter (No. 18 und 19), ein Fürwort (No. 20). Wir
der indo- gi-geji^n daraus, dass die indogerm. Grundsprache
Grund- schon alle grammatischen Kategorien der heutigen
spräche. Sprachen aufweist. Im Reichtum an Lauten, Nominal-
und Verbalformen ist sie denselben sogar weit über-
legen und übertrifft darin auch die alten Sprachen
noch beträchtlich. Ebenso ist der Wortschatz der
Indogermanen für ihre einfachen Verhältnisse als sehr
reich zu bezeichnen; oft scheinen sogar mehrere
Ausdrücke für denselben Begriff vorhanden gewesen
zu sein, von denen die Einzelsprachen bald diesen,
bald jenen bewahrten. Während z. B. für „rot" ein
einheitliches Wort durch alle indogerm. Sprachen
hindurchgeht: ind. rudhiräs, griech. erythr6s, lat.
ruber, deutsch rot, gehen die Benennungen für „weiss"
auseinander : ind. rocas -= griech. Ieuk6s ; ind. svetas
Kultur der .=. deutsch weiss. Besonders reich vertreten waren
Indo- |j^ ^^^ Ursprache die Verwandschaftsnamen, was auf
ein vielgegliedertes Familienleben schliessen lässt.
Aber auch die Anfänge der Staatenbildung zeigen
sich bei dem Hirtenvolk, dem der Ackerbau sowie
die Verarbeitung der Metalle zu Geräten und Waffen
— 7 —
nicht mehr unbekannt war. Die Kenntnis des Haus-
baus und die Verwendung von Kleidern ist nach-
zuweisen, Fleisch- und Pflanzennahrung ist gleich-
massig vertreten. Schon wurde das Jahr in Monate
eingeteilt, und ein höchstes Wesen wohl als „Licht-
gott" (No. 6 in der Liste) verehrt. Als sich unsere
germanischen Urväter von dem indogerm. Stammvolk
trennten, nahmen sie daher einen grossen Vorrat an
sprachlichem Gut und eine nicht unbedeutende Kultur
aiif ihre Wanderung und ii> ihre neuen Wohnsitze mit.
§ 2.
Die urgermanische Sprache.
Nachdem sich die germanischen Stämme von
dem indogermanischen Urvolk losgelöst hatten^
bildeten sie noch lange Zeit eine sprachliche Ein-
heit, die man als die urgermanische Periode zu
bezeichnen pflegt. Diese Annahme rechtfertigt sich
durch den Umstand, dass sämtliche germanischen
Dialekte gemeinsame Aenderungen erlitten haben,
die sie scharf von der indogermanischen Grund-
sprache und ihren indogermanischen Schwester-
sprachen unterscheiden. Die augenfälligste dieser
Veränderungen ist die von dem berühmten Ger-
manisten Jakob Grimm (geb. 1786 in Hanau, gest.
1863 zu Berlin), dem Begründer der deutschen
Sprachwissenschaft, sogenannte (erste) Lautver- Lautver-
schiebung. Diese Erscheinung betrifft die indo- Schiebung,
germanischen Konsonanten und zwar:
1. die tonlosen Verschlusslaute p, t, k,
2. die tönenden Verschlusslaute b, d, g,
3. die tönenden Hauchlaute bh, dh, gh,
4. die tonlosen Hauchlaute ph, th, kh.
1. Die tonlosen Verschlusslaute p, t, k werden
zu tonlosen Reibelauten f, th (nach engl. Art aus-
zusprechen '), ch (in acb, doch), später h. So
entspricht griech.-Iat. pater unser Vater (v = f),
lat. piscis deutsch Fisch ; griech. treis, lat tres
= engl, three „drei**; griech. -lat. mater = engl,
mother „Mutter**; lat. celare = deutsch hehlen;
griech. deka, lat. decem = deutsch zefin.
2. Die tönenden Verschhisslaute b, d, g wer-
den zu tonlosen p, t, k : lat. labor „sinke** = engl,
sleep „schlafe**; gr. deka, lat. decem =r engl, ten
„zehn**; lat. sedeo = engl, sit „sitzen**; gr. agros,
lat. ager = deutsch Acker; gr. gonu = deutsch
Knie.
3. Die tönenden Hauchlaute bh, dh, gh wer-
den zu tönenden Reibelauten, sodann zu tönenden
Verschlusslauten b, d, g: gr. phegos, lat. fagus
= deutsch Jauche; lat. nebula = Nehel] gr. ery-
thros, ind. rudhiras = engl, red' „rot**; lat. veho
(für vegho) „fahre*.* = deutsch be-wegen.
4. Die tonlosen Hauchlaute ph, th, kh, die
nur noch im Indischen erhalten sind und deren
Vorhandensein für die Ursprache nicht sicher er-
wiesen ist, werden in allen anderen indogerm.
Sprachen wie die tonlosen Verschlusslaute (No. i)
behandelt: ind. khodas =:;: got. halts „lahm**.
Wohl sind im Laufe der Zeit in allen indo-
germ. Sprachen die von der Ursprache überkom-
menen Konsonanten nicht unverändert erhalten ge-
blieben, wie viele der vorstehenden Beispiele zeigen,
* Dem Hoch- und Niederdeutschen ist dieser Laut veiioi'en
gegangen, an seine Stelle tritt d; vergl. engl, three = drei-,
engl, brother -- hochdeutsch Bruder, s. § 7.
— 9 —
doch keine von ihnen hat eine so durchgreifende .
und so gesetzmässige Wandelung des ursprüng-
lichen Systems erlitten wie das Germanische. Wel-
ches mag wohl die Ursache dieser einschneidenden
Veränderung gewesen sein? Eine Vermutung, die
aber durch gleichartige Erscheinungen in verschie-
denen Gegenden gestützt wird, ist folgende : Man
nimmt an, dass das germ. Urvolk auf dem Zuge ,
in seine späteren Wohnsitze eine Zeitlang in einem
Hochgebirge (Karpaten?) ansässig gewesen sei, wo
durch die verstärkte Atmungstätigkeit auch eine
Verschärfung der Sprechvorgänge erfolgt sei. Die-
selbe Ursache mag vielleicht auch die Zurückzieh-
ung des Akzents auf die Stammsilbe bewirkt haben.
Der urgermanische Konsonantismus .umfasste
zum Schlüsse folgende Laute:
Stimmlose Verschlusslaute : p, t, k
Stimmlose Reibelaute: th, ch, s
Stimmhafte Reibelaute: b (b), d (d), g (g), z
Halbvokale: w, j, Liquida: r, 1,
Nasale: m, n.
Ausser dem Konsonantensystem erlitt das indo- Vokal-
germanische Vokalsystem im Urgermanischen einige ^y**^^™-
Veränderungen. So wird ö allgemein zu a : gr.
lat. octo =^ deutsch acht; oi und ou demgemäss
zu ai und au = neuhochdeutsch ei, au : altlat.
oinus, vspäter Onus = got. ains ,,eins**; ä wird zu
O : lat. fräter = engl, brother; ei wird x : gr. steicho
r^ ahd. stigan (got. steigan, ei == l) „steigen".
Daher stellt sich das urgerm. Vokalsytem folgender-
massen dar:
Kurze Vokale: a, e, i, u;
Lange X'okale: ä, e, T, ö, li ;
Diphthonge: ai, au, eu.
— lO —
Urgcrra, ?. hatte einen doppelten Lautwert, es
ist I. offenes se aus idg. e z.B. got. seths „Saat":
lat. se-men. 2. geschl. e in Fremdwörtern wie Greks
„Grieche**, auch sonst: her „hier'* u. a. Urgerm.
ä ist neuentstanden aus an vor h durch Wegfall
des Nasals : got. thahta ,, dachte** zu thagkjan.
Ablaut. Das Germanische übernahm aus der Ursprache
einen geregelten Wechsel der Vokale der Stammsilben,
den J. Grimm ., Ablaut" nannte. Auch in Ableitungs-
silben trat er im Indogerm. häufig ein, wovon das
Germ, freilich nur einzelne Spuren erhalten hat.
Hier betrachten wir die einschlägigen Erscheinungen
nur insoweit, als sie für die deutsche Sprache in
Betracht kommen und erläutern sie an Beispielen aus
der goti&chen Sprache (§ 4).
I. Aus dem indogerm. Ablaut e : o : e : e oder
Schwund des Vokals (vgl. griech. d^rkomai : d^-
dorka : edrakon (ra = r) „schaue, schaute**) wur-
den durch lautgesetzlichen Wandel des o zu a und
des vokalischen n, m, 1, r, zu un, um, ul, ur
Ablauts- (got. aür geschrieben) folgende Ablautsreihen :
reihen.
1 . giban : gaf ; gebum : gibans (i für gemein-
germ. e) „geben, gab, gaben, gegeben**,
2. niman : nam : nemum : numans „nehmen** ;
bairan (ai = e) : bar : börum : baürans
„trageu**,
3. bindan : band : bundum : bundans „bin-
den**; wairpan : warp : waürpum : waürpans
„werfen**.
II. Traten zu dem Wurzelvokal e die Vokale
i oder u hinzu, so ergaben sich die indogerm.
Reihen ei : oi : i und eu : ou : u [vgl. griech.
peftho : p6poitha : (^pithon „gehorchen** und eleü-
^.i^
somai : elfeloutha : feluthon „kommen"], denen im
Germanischen folgende Reihen entsprechen:
1. \ (got. ei) : ai : i
greipan : graip : gripum : gripans „greifen".
2. eu (got. iu) : au : u
biudan : bauth : budum : budans „bieten".
III. Ferner gab es einen indogerm. Ablaut
a : ä : ö (?), der im Germ, zu a : o werden musste
(vgl. gr. pham6n : phdmi : phonfe, zur Wurzel pha
„sprechen"): got. faran : för : f ">rum : farans „fahren".
Auch in Ableitungssilben ist der Ablaut im Germ. Ablaut in
noch nachweisbar; dem griech. ph6rOmen : ph6rete S"'"^^"-
entspricht got. bairam : bairith „wir tragen, ihr
traget"; man vergleiche ferner die Deklination:
sunus : sunaus (Nom. PL) : suniwe (Gen. PL) „Sohn,
Söhne" oder anstiin : anstais (Gen. Sing.) : ansteis
(Nom. PL) „Gunst".
Der indogerm. Vokalismus erlitt im Germ, weitere
Veränderungen durch Angleichung der Vokale der-
selben oder benachbarter Silben. So wird indogerm. I-Umlaut.
e zu iim Doppellaut ei germ. i (got. ei geschrieben,
s. oben und Ablautsreihe II, i), aber auch vor Nasal
mit folgendem Konsonant: lat. ventus Wind) ferner
vor einem ursprünglichen Suffix i oder j ; vgl. Neffe :
Nichte - lat, nepos, neptis. Anderseits werden i Brechung,
und u des Stammes durch ein a, e oder o der fol-
genden Ableitungssilbe zu e und o gebrochen (nach
J. Grimms Benenmmg) : idg. vires : lat. vir : deutsch
Wer- (in Wergeid) „Mann"; gr. thygater deutsch
Tochter\ altlat. jugom - deutsch Joch,
Während in der indogerm. Grundsprache der Akzent-
Akzent völlig frei war und auf jede Stamm- wie Vor- zurOck-
und Endsilbe fallen konnte (s. die Liste S. 5), worin ^*^ ^""f'
r
12 • —
die eigentliche Ursache des sog. Ablauts zu suchen
ist, indem die unbetonte Silbe auch die schwächere
Vokalstufe erhielt, ging das Germanische schon in
früher Zeit zu dem System der Stammbetonung oder,
was meist dasselbe besagen will, der Betonung der
ersten Silbe über (abgesehen von verbalen Partikeln,
S^ lo). Die Aenderung tritt aber erst nach dem In-
krafttreten der Lautverschiebung ein, wie der dänische
Verners Gelehrte K. Verner (1875) scharfsinnig nachge-
Gesetz. ^viesen hat. Er zeigte, dass inlautende tonlose Ver-
schlusslaute, die regelmässig zu tonlosen Reibelauten
werden (s. oben S. 8), sich zu tönenden (Reibe-
'und dann) Verschlusslauten wandeln, wenn der indo-
germ. Akzent nicht die unmittelbar vorhergehende
Silbe, sondern eine folgende oder vorangehende
Silbe traf. So ergibt indogerm. bhrat (r) regelmässig
got. bröthar „Bruder", aber indogerm. pat6(r) got.
fadar ,, Vater"; indogerm. sep(t)m, ind. saptd, griech.
hepta deutsch stehen. Im gleichen Falle wurde
indogerm. s zu tönendem ^ (franz. Ausprache) im
Gotischen, dann zu r in den übrigen germ. Dialekten :
ind. ayas, lat. aes got. aiz, althochd. er „Erz".
Auf den Wechsel zwischen Stamm- und Endbetonung
im Indogerm. gehen zahlreiche Doppelformen des-
selben Stammes im Germanischen zurück, z.B. ich wav
gegenüber gezvesen] der Hof^ aber hübsch (eig.
höfisch); das Zeichen, aber zeigen] engl, hare
deutsch Hase u. s. w. (Siehe darüber auch § 8 unter
„grammatischer Wechsel".)
Auslauts- Das Zurücktreten des Akzents auf die Stamm-
Gesetze. Silbe, eine Erscheinung, die um Christi Geburt schon
nachweisbar ist, hat für die germanischen Dialekte ihre
Wirkungen in dcw folgenden Jahrhunderten geltend
gemacht. Während im ältesten Germanisch, das uns
in vereinzelten Runeninschriften, ferner in germ. Lehn-
wörtern des finnisch - lappischen Sprachstamms (s.
weiter unten) entgegentritt, noch die vollen indogerm.
Endungen erhalten sind (run. dagaR = got. dags
„Tag", finn. kuningas = altnord. konungr ,, König' ^)
zeigt uns das Gotische aus der zweiten Hälfte des
vierten Jahrhunderts schon ihr Schwinden. Aus-
lautende m, n, d, t sind aufgegeben, ebenso a, e, o
in Endungen und i, a im Auslaut. Lange Vokale im
Auslaut werden gekürzt, nur Nasalvokale behalten
noch ihre Länge; unbetontes e wird zu i. Einige
Beispiele mögen diese Gesetze erläutern : idg. n6pot,
lat. nepos = ahd. nefo (t abgefallen) „Neffe**; idg.
jugom = got. juk (m und o verloren) „Joch**;
griech. ph6rousi -= got. bairand „sie tragen"; griech.
ph6ro-^got. baira „ich trage"; indogerm. bh^reti ~
got. bairif) usw. Das Bestreben, nicht akzentuierte
Silben zu schwächen und ihren Vokal ganz verlieren
zu lassen, herrscht in den germ. Sprachen bis auf
den heutigen Tag ; das Englische hat die äussersten
Folgen daraus gezogen, so dass es heute so gut wie
keine Endungen mehr kennt.
Schon in frühester Zeit also hatte das Germanische Nachbar-
seine charakteristischen Züge erhalten, die es von liehe Be-
den urverwandten Nachbarsprachen, dem Keltischen, Ziehungen
Lateinischen und Slavischen so sehr unterschieden, Urgerm.
dass die Römer trotz ihrer jahrhundertelangen Be-
rührungen mit den Germanen keine Ahnung von der
nahen Verwandschaft der beiderseitigen Sprachen
hatten. Aber die Sprachen selbst waren deshalb nicht
abgeschlossen; unablässig war ein Austausch von
Worten und Kulturbegriffen zwischen ihnen im Gang,
wobei das Lateinische und Keltische meist den ge-
bencjen, das Slavischo den empfangenden Tefl gegen-
'4
über dem Germanischen darstellten. Wie gross
der Einfluss des Lateinischen auf das Germanische
war, lässt sich daraus erkennen, dass die Zahl der
lat. Lehnwörter im Altgermanischen schon über 500
beträgt. Meist sind es Bezeichnungen für Kultur-
gegenstände, die den Germanen von den Römern
gebracht wurden : Tiere wie Esel (asinus), Matü-üei
(mulus); Obst und Gemüse: Frucht (Jx\xci\\%)t Kirsche
(ceresia), Pfirsich (persicum), Spelz (spelta), Kohl
(caulis) ; Gewürze : Senf (sinapis), Pfeffer (piper) ;
Koch- und Backkunst: Küche (coquina), Butter (bu-
tyrum), Käse (caseus), Essig (acetum) ; Steinbau:
Keller (cellarium), Mauer (murus), Söller (solarium),
Fenster (fenestra), Ziegel (tegula), vS'/r^t^^ef (stratea),
/Y^/2 (platea) ; Einrichtungsgegenstände: Pfühl (pul-
vinar), got. mes „Tisch** (mensa), Korb (corbis) ;
Handelsausdrücke: Kauf'Xn^coxi (caupo), Pfund (pon-
dus), Münze (moneta), Kiste (cista), Flasche (flasca);
Weinbau : Wein (vinum), Most (mustum >, Z^^6?/(lagena).
Niemand würde ferner heute in Wörtern wie: Kaiser,
PfalZy Anher, Arzt oder in Pfeil, Pfütze, schreiben,
dichten und besonders in vielen kirchlichen Aus-
drücken wie: Feier, Segen, Pein, Plage, Priester,
Münster, Orgel, Kreuz und zahllosen andern fremdes
Sprachgut suchen. Und doch sind sie mit der Sache
zugleich teils früher, teils später übernommen worden.
Auch das Keltische hat zum altgerm. Wortschatz
beigesteuert: Reich, Amt, Eid, Eisen, Ger, Pferd,
Karren stammen daher. Dem Griechischen hat das
Germanische manche kirchlichen Ausdrücke direkt
entlehnt, wie Kirche, Pfaffe, Pfingsten und Samstag.
Anderseits gab das Germanische unzählige Lehn-
worte an die slavischen Dialekte ab. Pope (Priester)
ist das got. papa, -gorod „Stadt" in ^oy/-gorod ^
^iWW^
- ' . — 15- —
Neustadt stammt von got. gards (vgl. Star^^^rö^),
c/i/Je6 „Br<^t" =- deutsch Laid (got. hlaifs) u. s. w.
Ebenso standen die finnisch-lappischen Nachbarn im
heutigen Finnland und Lappland jahrhundertelang
unter dem Einfluss der germanischen Kultur. Be-
merkenswert ist die Treue, mit der die germanischen
Lehnworte in d^n finnisch-lappischen Sprachen be-
wahrt worden sind; besonders wichtig sind für die
germanische Sprachforschung die Entlehnungen der
vorhistorischen Stufe, die eine jeder schriftlichen
Ueberlieferung vorausgehende Sprachgestaltimg, so-
gar altertümlicher als das Gotische, zeigen. Die
kurzen Endvokale (siehe S. 13) sind erhalten, der
Umlaut ist noch unbekannt (vgl. weiter unten § 7),
wenn auch manche Veränderung mit Rücksicht auf die
eigenartigen Lautverhältnisse der finnisch-lappischen
Sprachgruppe, die z. B. keine mehrfachen Konso-
nanten im Anlaut, keine tönenden Verschlusslaute
kennt, vorgenommen worden ist. Einige Beispiele
mögen das Gesagte veranschaulichen: kuningas -
Könige rikas Reiche rengas — Ring^ leipä -^ Laib
(Brot), saipo ^ Seife ^ rauma — vS/f^w, kemas gern^
patja - Betty lammas - Lamm u. a. m.
Wie weit anderseits das Germanische von
der Sprache der vorgeschichtlichen Urbewohner
Mitteleuropas — Pfahlbauer der Steinzeit u. a. —
beeinfiusst worden ist, entzieht sich bis jetzt der
sicheren Beurteilung. Wörter wie Krug, Hanf^ Sil-
ber u. a. sollen nach der Ansicht mancher Forscher
daher stammen.
i6
r3-
Die germanische Runenschrift.
Der römische Schriftsteller Tacitus, dem wir die
meisten Nachrichten über die Germanen aus dem
ersten christlichen Jahrhundert verdanken,- bezeugt
uns, dass die germanischen Stämme geheimnisvolle
Schriftzeichen besassen, die von den Priestern in
die abgetrennten Zweige eines Fruchtbaumes ein-
geschnitten wurden. Diese Holzstücke wurden dann
über ein weisses Gewand zerstreut und unter Ge-
beten drei davon aufgehoben, aus denen je nach
den darauf befindlichen Zeichen geweissagt wurde.
Doch dürfen wir bei diesen Schriftzeichen schwer-
lich an die sog. Runen denken, deren Entstehung
Alter der wohl später anzusetzen ist. Ausdrücklich erwähnt
Runen- ^jj^g^ gj.g|- gjj^ lateinischer Schriftsteller des aus-
zeicnen ^
gehenden sechsten Jahrhunderts, Venantius For-
tunatus, der in einem Gedichte einen Freund auf-
fordert, ihm entweder lateinisch oder in einer an-
deren Sprache zu schreiben ; er könne ja mit „bar-
barischen Runen" auf Holztafeln oder einem glatten
Holzstabe schreiben.
Aber unsere Zeugnisse für das Alter der Runen
gehen noch in ältere Zeit zurück. Die frühesten
Funde in gotischer Sprache (die Speerspitzen von
Kowel und Müncheberg und der Bukarester Ring)
sowie die ältesten nordischen Funde stammen aus
archäologischen Gründen sicher aus dem Ende des
vierten Jahrhunderts. Indes müssen die Goten die
Runen noch früher gekannt haben, da Ulfilas
(311—383, s. § 4) zwei Runenzeichen in sein neu
erfundenes gotisches Alphabet aufgenommen hat,
nämlich f] ^— u und X =^ o, und ausserdem die
— 17 —
Namen für die Buchstaben des gotischen Alphabets
mit den mehrfach überlieferten Namen für die ent-
sprechenden Runenzeichen übereinstimmen.
Wenn also die Goten um 300 n. Chr. Geburt
die Runen schon gekannt haben, so muss ihre Ent-
stehung vor diesem Zeitpunkt in den ersten christ-
lichen Jahrhunderten angesetzt werden.
Wo aber sind die Runen zum erstenmal ge- Knt-
braucht d. h. erfunden worden? Bei der fast voll- ^^^^"der
ständigen Uebereinstimmung der Runenzeichen auf R^nen.
gotischem, nordischem, angelsächsischem, deutschem
und burgundischem Gebiet ist es ausgeschlossen,
dass sie etwa an verschiedenen Orten unabhängig
von einander entstanden seien.
Alle germanischen Runeninschriften der ältesten
Zeit sind auf vorgeschichtlichen Altsachen ange-
bracht, die einem von der unteren Donau, von den
Wohnsitzen der Goten, ausgehenden Kulturstrom
angehören. Dieser Kulturstrom spaltet sich in eine
ältere, nach Nordwesten gerichtete, und eine jüngere,
dem Laufe der Donau folgende, südlichere Abzwei-
gung. Es ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit
anzunehmen, dass die Runen bei den Goten, dem
kulturell in jener Zeit weitaus am höchsten stehen-
den germanischen Stamm, als Erfindung eines
Mannes entstanden und in den angegebenen Rich-
tungen weiter gewandert sind. Ja, es sprechen so-
gar manche Gründe dafür, dass für die Wande-
rung derRui>en vielleicht nur der nördliche Kultur-
strom in Betracht kommt, und der vom Norden
nach Mitteleuropa ausstrahlende Einfluss sie weiter
nach Süden verbreitet hat.
Der Name ,,Rune'' bedeutet ursprünglich „Ge- f^er Name
heimnis" und hängt mit dem Zeitwort ,,raunen" zu- y*^^^^*'-
F«lit, Die deuttehe Sprache. 2
sammen. Es leuchtet ein, dass eine „geheime
Rede'* durch geschriebene Zeichen den alten Ger-
manen ebenso zauberhaft erscheinen musste, wie
noch heute die Schriftzeichen manchen kulturell
sehr niedrig stehenden Völkern. Haben doch die
Runen bis heutigen Tages etwas Geheimnisvolles
bewahrt, obwohl wir über ihre Lesung vollständig
im Klaren sind, da wir nicht weniger als drei Denk-
mäler aus sehr alter Zeit (einen Brakteat, d. h. eine
dünne, einseitig geprägte Goldscheibe aus Vad-
stena in Schweden, eine Spange aus Charnay in
der Bourgogne und ein kleines Schwert oder Messer
aus der Themse) mit vollständigen Runenalpha-
beten und ausserdem solche Alphabete in mehreren
Handschriften aus jüngerer Zeit, die teils in Eng-
land, teils auf dem Festland aufgefunden worden
sind, besitzen.
Das Das älteste Runenalphabet besass 24 Zeichen
Runen- ^nd wird nach den ersten 5 Runen als ,,Futhark**
Alphabet, bezeichnet. Es beginnt also:
^ z=Yy P\ = U, |> = Th (engl. Aussprache),
f. = A, |> =R, <=K.u. s. w.
Jede Rune hat ihren besonderen Namen :
^ heisst fehu „Vieh**, |<^ heisst reid „Reise**, |H heisst
hagl „Hagel** u. s. w.
Die Anordnung der Runen ist durchaus ger-
manischen Ursprungs. Die Richtung der Schriftzüge
war ursprünglich von links nach rechts, doch kom.-
men später in nordischen Inschriften auch von
rechts nach links zu lesende Zeilen und beide
Richtungen sogar vermischt vor.
Schreib- Das Material, auf das man die Runen einritzte,
niaterial. war Holz, Stein, Metall oder Hörn. Vorzugsweise
- t9 ~
verwendete man indes Stäbe oder Tafeln aus
Buchenholz dazu, weshalb man die Ausdrücke „Buch"
und „Buchstabe** mit dem Namen der „Buche" in
Verbindung zu bringen pflegt. Mit Rücksicht auf
das am meisten gebrauchte Schreibmaterial, das
Holz, das zwar von oben nach unten oder auch
schräg gerichtete Striche, aber keine der Holzfaser
gleichlaufenden Striche oder runde Linien duldete,
musste sich die Form der Runenzeichen ergeben.
Nach einer heute allgemein gebilligten Annahme Herkunft
ist die Grundjage für das Runenalphabet in dem ^^^^
lateinischen Alphabet zu suchen, dessen runde
Formen aber aus dem oben angegebenen Grunde
fast durchweg beseitigt und zu eckigen Formen
umgebildet wurden ; ebenso mussten die wagrechten
Striche wegfallen. Es wurde lat. F zu |^, D zu ]>,
A zu (^, R zu ^, C zu < , T zn ^ usw.
Alle germanischen Stämme haben einst das Ver-
Ruiienalphabet besessen ; wir kennen Funde aus go- ^''^itung
tischem, nordischem, angelsächsischem, burgun- f^^^^en.
dischem und deutschem Sprachgebiet. . Doch nur
im Norden, besonders im skandinavischen Gebiet,
lebte die Runenschrift länger fort; auf allen übrigen
Gebieten musste sie seit Beginn der eigentlichen
literarischen Tätigkeit dem lateinischen Alphabet
weichen.
Deshalb sind die Runenfunde auf deutschem
Gebiet auch bis jetzt noch sehr dürftig, im ganzen
kaum ein Dutzend Stücke umfassend. Von diesen
sind dazu nur bei einem ganz kleinen Teil die In-
schriften mit einiger Sicherheit zu deuten; die
grössere Menge spottet jeder glaubhaften Entziffe-
rung. Einer der besterhaltenen Funde befindet sich Eine
im Mainzer Museum, die sog. Freilaubersheiraer Runep;
20 —
Spange, gefunden bei dem gleichnamigen Dorfe in
Rheinhessen. Die Runeninschrift ist auf der Rück-
seite der Spange (s. Abbildung auf Tafel II) ange-
bracht, sehr flach eingeritzt und besonders in ihrem
untern Teile stark abgegriffen, da hier die Nadel
eingehakt wurde. Nach Prof. Hennings Lesung lautet
sie folgendermassen :
boso;\)araet runa
th(i)Kdalina:|odd[^
In heutiges Deutsch übersetzt : „Boso ritzte die
Runen; dich (d. h. die Spange?) schenkte (?) er
der Dalina" (wohl die Empfängerin).^ Die Wörter
sind z. T. durch Interpunktionszeichen (:) getrennt.
Die Sprachform ist jedenfalls sehr altertümlich, aber
vielleicht nicht hochdeutsch, was auf eine Wanderung
der Spange -mitsamt der schon angebrachten Inschrift
schliessen Hesse. Die Zeit der Abfassung mag wohl
um 600 n. Chr. liegen; für diese Zeit sprechen auch
die Form der Spange sowie andere Funde an der-
selben Stelle.
§ 4-
Die altgerm. Dialekte. — Die gotische Sprache.
Die altgermanischen Dialekte zerfielen in eine
ost- und eine westgermanische Gruppe. Zur ersteren
• '9f*
1 Durch ein Verseheu des Zeichners ist der Querstrich der
n-Rune >' beidemal zu tief gesetzt.
— 21 —
rechnet man von den uns noch bekannten Sprachen
das Nordische (heute Dänisch, Norwegisch und
Schwedisch) und das Gotische; zur letzteren das
Hochdeutsche, Niederdeutsche, Friesische und
Englische; bei dieser Einteilung sehen wir also
von den literarisch nicht mehr vertretenen germa-
nischen Dialekten ab (vgl. § i, S. 2). Charakteristische
Züge für das Nordisch-Gotische sind die Erhaltung Ostgern).
des Nominativ-s : got. dags, nord. dagr (r aus z) ß^sojider-
gegenüber althochd. tac, niederdeutsch dag. Ge-
meinsam ist femer dem Ostgermanischen der Ver-
lust der Verbalformen „bin*' und „tun" und viele
Einzelheiten der lautlichen Entwicklung. Aber ent-
sprechend den Verhältnissen in der indogerm.
Urzeit, wo näherer Zusammenhang zweier Sprachen
Beziehungen einer derselben zu einer dritten keines-
wegs ausschloss, bestehen auch Berührungen zwischen
dem Nordischen und Westgermanischen, wie die
gemeinsame Entwicklung des urgerm. z zu r gegen- Nord-west-
über got. s : hochd. m6r, nord. meirr = got. maiza ?^""- ^®"
,, grösser"; ferner wird indogerm. got. e im nord.
und westgerm. zu ä : got. slepan =^ nord. slapa —
deutsch schlafen y u. a. m. Doch ist nicht zu ver-
gessen, dass uns keiner von allen germ. Dialekten
in so früher Ueberlieferung wie das Gotische (aus der Gotiscli.
2. Hälfte des 4. Jahrhunderts) vorliegt, und dass wir
(abgesehen vom sog. Krimgotischen, s. S. 24) kaum
eine Nachricht über die Weiterentwicklung desselben
besitzen. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass es
sich im Laufe seiner Entwicklung auch dem West-
germanischen in manchem genähert hätte. Gerade
aber die frühe literarische Ueberlieferung und die
altertümliche Stufe des Gotischen machen es uns
unentbehrlich zum Verständnis der übrigen germ.
— 22 —
Dialekte. Wenn daher das Gotische auch in keiner
direkten Beziehung zur deutschen Sprache steht»
so wollen wir es doch aus dem angeführten Grunde
einer kurzen Betrachtung würdigen.
Die got. Bischof Ulfilas, ein Westgote, der von 31 1 — 383
de^kmSler ^' ^^^' ^®^^®' übersetzte für die auf der Balkan-
' halbinsel ansässig gewordenen Goten die Bibel in
die Volkssprache. Erhalten sind uns von dieser
Uebersetzung durch spätere Abschriften vornehm-
lich Teile des neuen Testaments, hauptsächlich aus
den Evangelien. Zur Niederschrift seiner Ueber-
Gotisches tragung schuf sich Ulfilas ein neues Alphabet, dessen
Alphabet. Grundlage das griech. Alphabet bildete; er fügte
ihm Zeichen aus dem lat. Alphabet und dem ein-
Vokalis- heimischen Runenalphabet hinzu. Der gotische Vokal-
mus des gtand weist gegenüber dem Gemeingermanischen
' einige Umbildungen auf; so sind e, o und eu zu
i, u und iu geworden; vgl. got. giban, juk, thiu-
disk mit deutsch geben^ Joch^ deutsch. Nur vor
r und h bleiben die alten e und o Laufe in der
Schreibung ai und au erhalten; vor r und h werden
auch urgerm. i und u zu ai und au „gebrochen": bairan
^= ahd. heran „tragen", saihwan ahd. sehan „sehen",
haürn = ahd. hörn „Hörn", aber auch saühts --
Konsonan- ahd. suht „Krankheit". Im wesentlichen unver-
tismus. ändert blieben die urgerm. Konsonanten, nur wur-
den tönende Laute am Wortende tonlos : giban
— gaf — g6bum ^= geben — gab — gaben; got.
Altertum- dags =^ urgerm. dagaz „Tag* u. s. w. Das Gotische
hche Reste. }^.^^ manche uralte Flexionsformen aus der indogerm.
Zeit allein von allen germ. Dialekten bewahrt: das
Zeitwort kennt noch Reste einer besondern Passiv-
form und eine Perfektreduplikation : got. haihalt (ai
= e) „hielt" zu haltan „halten" wie lat. peperci
— 23 —
„schonte" zu parco. Auch die Deklination hat noch
vollere Endungen als die älteste Stufe des Deutschen,
das Althochdeutsche; man vergleiche mit den ahd.
Formen in § 8 : got. Sing. Nom. dags „Tag'S Gen.
dagis, Dat. daga, Acc. dag; Plur. Nom. dagos, Gen.
dage, Dat. dagam, Acc. dagans. Der folgende Got. Text-
Text möge den Lesern eine Probe der gotischen P^'^be.
Sprache bieten; es ist der Anfang des Kap. 8 aus
dem Matthäusevangelium:
. Dalath than atgaggandin imma af fairgunja,
laistidedun afar imma iumjons managos. Iah sai manna
thrutsfiU habands durinnands invait ina qithands :
frauja, jabai vileis, raagt mik gahrainjan. Iah ufrakjands
handu attaitok imma qithands : viljau, wairth hrains.
Iah suns hrain warth thata thrutsfiU is.
In wortgetreuer deutscher Uebersetzung : Zu Tal
dann (dem) hinabgehenden ihm vom Berge, folgten
nach ihm Mengen viele. Und sieh! (ein) Mann Aus-
satz habend hinzulaufend verehrte ihn sagend : Herr,
wenn (du) willst, magst (du) mich reinigen Und
aufhebend (die) Hand rührte (er) ihn (an) sagend :
(Ich) will, werde rein. Und bald rein ward der Aus-
satz sein.
Auf der beigegebenen Tafel III sehen wir die
verkleinerte Nachbildung einer Seite des sog. Codex
argenteus, einer Pracht handschrift, auf Purpurper-
gament mit silberner, vereinzelt auch goldner Schrift
in Italien um das Jahr 500 n. Chr. geschrieben. Sie
ist die Hauptquelle für unsere Kenntnis des Gotischen
und befindet sich jetzt auf der Universitätsbibliothek
zu Upsala in Schweden (seit 1669), vorher war sie
im Kloster Werden und in Prag.
Die obigen Zeilen sowie der Text auf Tafel 111
werden genügen, um die Klangfülle des Gotischen
— 24 —
mit seinen vollen Endungsvokalen gegenüber den
verblassten Nebensilben und vielfach umgestalteten
Vokalen der Stammsilben in den heutigen germ.
Sprachen hervortreten zu lassen. Es ist ein tragisches
Geschick, dass sowohl Ost- wie Westgoten so früh
vom Schauplatz der Geschichte verschwinden mussten,
und dass auch aus der Zeit ihrer politischen Blüte
(6. — 7. Jahrhundert) infolge der alles Fremde er-
drückenden, überlegenen römischen Sprache und
Kultur kein nennenswertes Denkmal ihrer Sprache
erhalten blieb. Nur dürftige Spuren, Eigennamen
in Urkunden und einige Worte aus der Sprache der
bis ins 16. Jahrhundert noch nachzuweisenden Goten-
reste (oder eher Herulerreste?) auf der Halbinsel
Krim (Südrussland), geben uns Kunde von dem
Weiterleben der gotischen Sprache nach der Zeit
des grossen Ulfilas.
ISO
j
Kapitel II.
Der althochdeutsche Zeitraum
Cbis iioo n. Chr.).
§ '5-
Vorliterarische Zeit und Ausdehnung des
Althochdeutschen.
In der Entwicklung unserer Muttersprache nimmt
man herkömmlicherweise drei Perioden an :
1. Althochdeutsch, vom Beginn der Ueber-
Ueferung bis iioo n. Chr. ungefähr;
2. Mittelhochdeutsch, von iioo bis zum Auf-
treten Luthers (15 17), dessen Bibelübersetzung
den Beginn des
3. Neuhochdeutschen ^ bezeichnet.
Diese Einteilung hat sich als die praktischste erwiesen,
und so folgen wir ihr gleichfalls. Wir beginnen da-
her mit der Betrachtung des althochdeutschen Zeit-
raums. '
Es wurde schon früher erwähnt, dass das Alt-
hochdeutsche mit den übrigen westgermanischen
Dialekten gemeinsame Züge der Entwicklung auf-
weist, die wohl meist als gleichgeartete Nachwirkungen
* Hochdeutsch steht hier im Gegensatz zu Niedeideutscii
(s. weiter unten u. § 7).
r- 26 --
der schon im ürgermanischen vorhandenen Keime
aufzufassen sind. Es werden:
Westgcnn. i. die auslautenden langen Vokale gekürzt,
System. ^' ^^ kurzen Vokale werden
a) nach langer Stammsilbe im Auslaut abge-
worfen,
b) in drei- und mehrsilbigen Wörtern auch nach
kurzer Stammsilbe,
3. auslautende Doppelvokale werden gekürzt,
4. in Mittelsilben tritt nach vorhergehender Länge
Vokalschwund ein.
Einige Beispiele hierfür:
I. got. tuggö = ahd. zunga „Zunge",
2 a. got. handus - ahd. hant, urnord. gastiR
ahd. gast „Gast**, aber wini (kurze Stamm-
silbe) „Freund** neben
b. Friduwin (i fällt im Auslaut mehrsilbiger
Wörter auch nach kurzer Stammsilbe) Eigen-
name,
3. got. ahtau ahd. ahto „acht**,
4. got. hausida ahd. hörta (lange Stamoa*,,. .- *
silbe) „hörte**, aber got. nasida -- ahd. nerita,
(kurze Stammsilbe) „rettete**.
So erhält das westgermanische Vokalsystem ein
ganz anderes Aussehen als das gotische; es erscheint
diesem gegenüber weit zerfallener, weniger klang-
Westgerm, voll, aber dafür mannigfaltiger. Auch imKonsonanten-
Konso- bestand tritt manche Veränderung ein ; es schwindet
das auslautende urgerm. z; die Halbvokale und Li-
quiden üben eine dehnende Wirkung auf vorangehende '
Konsonanten, d. h. verdoppeln sie; es tritt daher
rJjJkJK:^
— 27 —
dem Gotischen gegenüber eine gewisse Härte des
konsonantischen Gerippes der Wörter zutage durch
zahlreiche Doppelkonsonanten: pp, tt, kk, bb, dd,
gg; engl, copper aus lat. cuprum ,, Kupfer", ahd.
bittar - got. bitrs „bitter**, ahd. huggen =- got. hugjan
„denken", hella =got. halja „Hölle", ahd. accar— got.
akrs „Acker", ackus got. dqizi „Axt" (q -- kw),
recken = got. rakjan ,, rechnen". So entstanden
Doppelformen aus demselben Wortstamm, die bis ins
Nhd. fortdauern: Hag— Hecke ^ Knabe —Knappe yWachen
—wecken (got. — wakjan), schaffen— schöpf en u.v. a.
Diese ganze Entwicklung fallt noch vor den Be-
ginn der Völkerwanderung, durch die das germa-
nische Idiom eine, freilich nur kurzlebige, weite Ver-
breitung erhält : in Nord- und Südfrankreich, in
Spanien und Italien, in England ertönen jahrhunderte-
lang neben den einheimischen romanischen und kel-
tischen Sprachen germanische Laute. Da aber spä-
testens um 800 ungefähr diese vorgeschobenen Posten
der deutschen Sprache in Süd- und Westeuropa
verschwunden sind, so ist die letztere daselbst un-
mittelbare Nachbarin des Romanischen geworden
und bi? auf den heutigen Tag geblieben. In der
weitesten Auffassung (Niederländisch und Vlämisch Grenzen
einbegriffen) umfasste das Deutsche damals ein Ge- , ^^'.
t . , r^ .,.!., . r^ deutschen
biet, dessen Grenzen etwa durch die heutigen Orte Sprache.
Dünkirchen, Brüssel, Malmedy, Metz, weiter durch
die Vogesen, den Jura und die Alpen bezeichnet
wurden. Im Osten bildete die Elbe, die Saale, der
Böhmerwald und die Enns die Grenze; jenseits hatten
Slaven die von den Germanen verlassenen Gebiete
besetzt und sich vielfach noch westlich der Elbe
eingedrängt. Im Norden endlich lag die Grenze
zwischen Deutsch und Dänisch an der Eider»
28
Hoch- und
Nieder-
deutsch.
Hoch-
deutsche
Mundarten
Ober-
deutsch.
Aber nicht dieses ganze Gebiet fällt in den Kreis
unserer Betrachtungen. Die Niederfranken, d. h. die
Holländer und neuerdings auch die Vlämen^ haben
bekanntlich ihre deutsche Mundart zur selbstän-
digen Literatursprache entwickelt, die somit aus
einer Geschichte der deutschen Sprache ausscheidet.
Ohne wesentlichen Einfluss auf deren Entwicklung
sind ferner die niederdeutschen Mundarten, das Frie-
sische und Sächsische, geblieben, die daher auch
nicht in den Rahmen dieses Werkes fallen.
Die Grenze zwischen dem Nieder- und Hoch-
deutschen läuft heute etwa auf einer Linie, die west-
Uch von Aachen beginnt, dann ungefähr über Düssel-
dorf, Siegen, Kassel, Nordhausen, Dessau, Wittenberg,
Buckau, Frankfurt a. d. O. zur polnischen Sprach-
grenze mit Einbuchtungen nach Süden und Norden
verläuft. In alter Zeit ging das Niederdeutsche
weiter nach Süden, indes lassen sich die früheren
Grenzen nicht überall mit Sicherheit feststellen. Des-
halb sind hier die jetzigen angegeben.
Da das Niederdeutsche, wie gesagt, für die Ent-
wicklung der heutigen deutschen Sprache, abgesehen
von einigen Wortentlehnungen, ohne Bedeutung ist,
so hat sich unser Augenmerk also vornehmlich auf
die Mundarten zu richten, die als hochdeutsche
i)ezeichnet werden.
Denn auch innerhalb der angegebenen Grenzen,
den Vogesen im Osten, dem Böhmerwald im Westen
und den Alpen im Süden, bildete das Hochdeutsche
schon in frühester Zeit keinen einheitlichen Sprach-
stamm, sondern zerfiel in verschiedene Mundarten.
Es sind dies:
r . Die alemannische Mundart zu beiden Seiten
des Oberrheins und in der Schweiz; die nörd-
— 29 —
liehe Grenze bildet der Hagenauer Forst und
die Murg; dann geht die Grenze nördl. von
Stuttgart durch Württemberg und Mittelfranken
zur Altmühl und zum Lech.
2. Oestlich davon sitzen von den Alpen bis über
die Donau im Norden die Baiern ;
Diese beiden Mundarten werden als ober-
deutsche bezeichnet.
3. Nördlich von den Alemannen wohnen die
Südfranken bis zur elsässischen Grenze und
über den Neckar zum Main.
4. Oestlich von diesen die Ostfranken, im Main-
gebiet; ihre nördliche Grenze geht vom Spessart
über den Thüringer Wald zum Erzgebirge.
Diese zwei Mundarten bilden den Uebergang
vom Oberdeutschen zu dem von der mhd. Zeit
an sojf. Mitteldeutschen; mit dem Oberdeutscheu
haben sie charakteristische Merkmale gemeinsam,
wie die Verschiebung von anlautenden p und pp
zu pf (lat. pondus wird zu Pfund) und die Ver-
kleinerungssilbe lein (mundartl. le).
Anlautendes p und pp bleiben p bezw. pp und
die Verkleinerungssilbe ist chen bei
5. Den Rheinfranken, am Mittelrhein (ßay- ^^^^^^^^1;
rische Pfalz, Grossherzogtum Hessen, Hessen-
Nassau, Teil der Rheinprovinz), begrenzt von
der Lahn, dem Hunsrück, der Nahe und der
Saar und
6. den Mittelfranken, nördlich davon bis zur
Grenze des hochdeutschen Sprachgebiets.
Das Kennzeichen des mittelfränkischen Dia-
lekts sind Pronominalformen wie dat, wat,
allet u. s. w.
deutsch.
Diese beiden Gruppen bezeichnet man später
als die westlichen mitteldeutschen Mundarten;
die östlichen sind in ahd. Zeit noch nicht vorhanden
oder noch nicht literarisch bezeugt. Es sind dies :
7. das Schlesische und
8. das Obersächsische und Thüringische, die
anlautendes p zu f verschieben.
Näheres über die heutigen deutschen Mundarten
siehe in § 28.
A"5- Da die beiden letzten Gruppen für die älteste
^des"*^ Zeit noch nicht in Betracht kommen (s. § 12), so
Hoch- "^^^ <iJc räumliche Ausdehnung des Althochdeut-
deutschen, sehen geringer als die des späteren Hochdeutsch.
Zwar hat dieses Gebiet im Westen und Süden durch
das Vordringen der romanischen Sprachen im Laufe
der Geschichte kleine Einbussen erlitten, dafür aber
hat sich das Hochdeutsche seit dem 8. Jahrhun-
dert ununterbrochen nach Osten und Norden aus-
gedehnt zum Teil auf Kosten des Niederdeutschen,
das in beständigem Zurückweichen begriffen ist;
manche Orte zwischen Weser und Saale, die in
mittelhochdeutscher Zeit noch in niederdeutsches
Gebiet fielen, wenden sich durch den überwiegen-
den Einfiuss der hochdeutschen Schriftsprache zu
Anfang der neuhochdeutchen Zeit vom Niederdeut-
schen ab. Im Osten wurden weite, von den Slaven
besetzte Gebiete seit Karls des Grossen Zeit zurück-
erobert, ebenso das von den Avaren eingenommene
Land östlich der Enns, das von Baiern besiedelt
wurde, die alte Ostmark, das heutige Oesterreich.
Fränkische Ansiedler dringen nach Böhmen ein;
sächsische überschreiten die Elbe, verstärkt durch
mitteldeutsche Auswanderer. Auch im Norden drang
— 31 —
die deutsche Sprache über die Eider hinaus vor, in-
folge der Siege Karls des Grossen über die Dänen.
Die Ansiedlertätigkeit im Osten fällt grössten- Zeitliche
teils ausserhalb der Zeit, die wir zunächst zu be- ß^ßren-
trachten vorhaben, der althochdeutschen Periode un- Althoch-
serer Sprachgeschichte. Diese Periode beginnt mit deutschen,
dem ersten Auftauchen literarischer Denkmäler im
8. Jahrhundert und reicht bis zum Ende des ii.
Jahrhunderts. In dieser Zeit tritt uns auch zum
erstenmal das Wort „deutsch" als Benennung un- Das Wort
serer Muttersprache entgegen und zwar zuerst in «Deutsch«.
lat. Quellen als theotiscus = althochd. diutisc, ab-
geleitet von Diot „Volk"; „deutsch" bedeutet ur-
sprünglich also „Volkssprache" im Gegensatz zum
gelehrten Latein.
§ 6.
Sprachquellen der althochdeutschen Zeit.
Woher kennen wir die erwähnten Dialekte des
Althochdeutschen ? wird sich mancher Leser fragen.
Die Antwort lautet: Es stehen uns mehrere Quellen,
ausschliesslich Handschriften, zur Verfügung. Zu-
nächst die Ueberreste poetischer und prosaischer
Werke; ferner die sog. Glossarien, d. h. Wörter- und
Sätzesammlungen, die zum Gebrauch bei der Er-
lernung einer fremden, meist der lat. Sprache be-
stimmt waren und das betr. lat. Wort in ahd. Ueber-
setzung wiedergeben, oft in der Form sog. Interlinear-
versionen, d. h. unter oder über einer Zeile in lat.
Sprache steht die Uebersetzung in ahd. Sprache;
endlich die Eigennamen in lat. Schriftwerken, Ur-
kunden, Gesetzessammlungen u. s. w.
1
Geben wir zunächst eine kurze Uebersicht über
die leider nur dürftigen Ueberreste der althoch-
deutschen Dichtung. Nach den Zeugnissen römischer
und kirchlicher Schriftsteller stand sie einst in hoher
Helden- Blüte; alte Ueberlieferungen und junge Geschehnisse
heder. wurden gleichmässig im Gesang verherrlicht. Die
Taten des Arminius, des Befreiers der Deutschen
vom Römerjoch, wurden Jahrzehnte nach seinem
Tode noch in Heldenliedern besungen; an dem
Hofe des Hunnenkönigs Attila (Etzel) hallte gotischer
Heldensang wider; zahlreich waren die Gesellschafts-
und Liebeslieder, die zur Unterhaltung der Gäste
beim Mahle gesungen wurden. Aber frühzeitig musste
der germanische heidnische Sang dem Bekehrungs-
eifer und der Verfolgung der Geistlichkeit zum Opfer
fallen. Weltliche Lieder zu singen, wurde verpönt
und mit Strafen belegt; nur kirchliche Gesänge sollten
auch im Munde des Volkes ertönen. Schwerlich
wird es je gelungen sein, den Volksgesang zu
unterdrücken; er lebte trotz aller Kirchenstrafen
fort, aber eines haben die Verbote doch erreicht:
da die Mönche in jener Zeit die einzigen des
Schreibens Kundigen sind, so ist uns nichts von
dem alten Heldensang überliefert worden. Schon
Karl der Grosse sah das Törichte und Volksfeind-
liche eines solchen Unterdrückungseifers ein und
Hess eine Sammlung der noch vorhandenen Helden-
lieder veranstalten; es ist unbekannt, wann sie zu
Grunde ging; vermutlich vernichtete unter Karls
Nachfolgern kirchlicher Uebereifer die vorhandenen
Hilde- Abschriften. Durch Zufall ist uns aus der Zeit um
brandslied. goo ein kleiner Rest altdeutschen Heldengesangs
erhalten geblieben : ein oberdeutscher Mönch schrieb,
wohl in Fulda, aus der Erinnerung (nach Vorlage?)
— 35 -
ein ursprünglich niederdeutsches Original auf die
leeren Seiten des Umschlags einer Handschrift theo-
logischen Inhalts. Er mengt hochdeutsche Sprach-
formen in das nur bruchstückweise überlieferte Lied,
das vom Zweikampf des in sein Heimatland zurück-
kehrenden Hildebrand mit seinem ihm unbekannten
Sohn Hadubrand handelt, das sog. Hildebrandslied,
(vgl. die Nachbildung des Anfangs der ersten Seite der
Handschrift auf Tafel IV.) Ausser ihm sind nur lioch
einige Zaubersprüche volkstümlichen Ursprungs er- Zauber-
halten: die Merseburger Zaubersprüche und andere sp'*^<^"^-
Beschwörungsformeln. Ein Geistlicher dagegen ist
der Dichter des allerdings weltHchen Ludwigsliedes, Ludwigs-
einer Verherrlichung des Sieges Ludwigs III. über "^^•
die Normannen bei Saucourt (88 1) in rheinfränkischer
Mundart. Originaldichtungen in deutscher Sprache,
wenn auch geistlichen Inhalts und mit heidnischen
Erinnerungen untermischt, sind das sog. Wesso-
brunner Gebet und Muspilli. Ersteres wurde in einer Wesso-
lat. Handschrift des 9. Jahrhunderts im bairischen q ^".^^
Kloster Wessobrunn entdeckt und ist im bai-
rischen Dialekt abgefasst; letzteres, aus etwas spä- Muspilli.
terer Zeit stammend und ebenfalls in bairischer
Mundart, erzählt die Schicksale der Seele nach dem
Tode. Endlich ist noch der Strassburger Eid zu Strass-
erwähnen, den Karl der Kahle am 14. Febr. 842 ^^[f^^
den Kriegern Ludwigs des Deutschen in rhein-
fränkischer Mundart leistete, erhalten in Nithards
Fränkischer Geschichte. Hiermit sind die haupt-
sächlichsten Reste originaler althochdeutscher Dich-
tung erschöpft. Das umfangreichste Werk in alt-
hochdeutscher Sprache, Otfrieds Evangelienbuch, ist Otfried,
eine freie Bearbeitung der vier Evangelien, eine
sog. Evangelienharmonie, in südfränkischer Mund-
Feist, Die deotsohe Sprache. 3
34 —
art. Entstanden im Kloster Weissenburg in der
zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, ist es die erste
deutsche Dichtung, die den Endreim anwendet an
Stelle der altgermariischen Alliteration, des Gleich-
klangs der Anfangslaute (vergl. § 10). Einige,
kleinere Lieder geistlichen Inhalts, teilweise Ueber-
setzungen, führen uns zu den reichlichen Ueber-
resten geistlicher üeb ersetz ungstätigkeit, die in ver-
schiedenen Klöstern blühte, hinüber. In aleman-
nischer Mundart sind die Uebersetzungen, die im
St. Galler Kloster entstanden, abgefasst ; es sind ein
Vaterunser, ein Credo, die Benediktinerregel und
Notker. endlich Notkers Schriften (ungefähr 1000 n. Chr.):
Uebersetzungen der Psalmen, philosophischer Werke
und solcher über Redekunst und Musik. Die sog.
Murbacher Murbacher Hymnen aus dem Kloster Reichenau
Hymnen, weisen ebenfalls alemannischen Dialekt auf. Auch
aus bairischem Gebiet sind uns verschiedene klei-
nere Uebersetzungen erhalten. Grössere Werke in
rheinfränkischer Mundart sind die in Bruchstücken
Isidor- erhaltene Uebersetzung eines Briefes des spanischen
über- Bischofs Isidor über die Geburt des Heilands,
eine Uebersetzung des Matthäusevangeliums und
anderes. In Ostfranken, im Kloster Fulda, sind eine
Tatian. Uebertragung von Tatians EvangeUenharmonie und
einige kleinere Stücke zu Hause. Nicht in unsem
Kreis gehört das wichtige altniederdeutsche Denk-
Heliand. mal, der Heliand, eine mit germanischer Anschau-
ungsweise durchsetzte poetische Schilderung des
Lebens des Heilands. In die Grenze zwischen alt-
und mittelhochdeutsch, in die zweite Hälfte des
II. Jahrhunderts, fällt ein lebhafter Aufschwung
geistlicher Dichtung in deutscher Sprache, deren
bedeutendstes Erzeugnis Willirams Psalmenüber-
T»j-fWs;-?-TVy
— 35 —
Setzung ist (s. § 13). Doch können wir diese Tätig-
keit hier nicht näher verfolgen.
Wenn nun auch die Quellen althochdeutscher
Sprache in den Handschriften nicht allzu spärlich
sind, so wird doch dem Kenner des römisch-ger-
manischen Altertums eines auffallen: der gänz-
liche Mangel an Inschriften in althochdeutscher
Sprache. In der Tat existiert nur ein einziges Ahd. In-
Bruchstück einer althochdeutschen Inschrift, die in ''^"""•
Bingen a. Rh. aufgefunden wurde und im Mainzer
Museum aufbewahrt wird, ein Grabdenkmal, das
ein gewisser Diederih sich und seinen Eltern setzen
liess. Der erhaltene Teil der Inschrift lautet: Ge-
hugi Diederihes Go inde Drulinda
son ,, Gedenke Diederichs, (des)
Go . . . . [Vater] und (der) Drulinda [Mutter]
Sohn . . . ." (Vgl. die Abbildung auf Tafel I.)
Reichlich dagegen fliesst die an zweiter Stelle Glossen.
zu erwähnende Sprachquclle, die sog. Glossen. Sie
liegen aus den verschiedensten Mundarten . vor:
alemannische, bairische, ostfränkische usw. Klöster
steuern bei. Glossiert werden sowohl biblische
Schriften wie kirchliche und profane Schriftsteller,
unter den letzteren besonders Ovid und Vergil.
Daneben finden wir sachlich geordnete Glossen,
ganz in der Art unserer heutigen Gesprächsbüch-
lein, z. B. Wind- und Monatsnamen, Länder- und
Städtenamen, Nahrung, Kleidung, Wohnung, Waffen
und Geräte, Vögel, Kräuter u. s. w. So wird über-
setzt: lardus = spek, hordeum =^ gersta, avena
=^ habiro „Hafer**, farina = melo „Mehl", faba
--=^ bono, lentes = linsin „Linsen", salsitia =^
wurst; camisia =■■ hemidi „Hemd", calcei =^ scuohi
„Schuhe", inaures = orringa; valvae ^= ture „Tür",
8*
- 36 - ,
scuria = Stadel „Scheuer", palatium = phalinza
„Pfalz*'; spata = swert, thorax = prunna „Brünne"
u. dgl. m.
Interlinear- Die bekannteste Interlinearversion ist die der
Version. Benediktinerregel aus dem Kloster St. Gallen in
der Schweiz. Einige Zeilen daraus werden diese
Art veranschaulichen:
Selens scriptum: stultus verbis non cor-
wizzanti^ kescriban^:unfruater^ wortun nist^ ko-
regitur et . iterum : percute filium tuum virga
rihtit^; indi afur^ : slah chind dinaz kertu^
et liberabis animam eius a morte.
indi eriösis sela sina fona töde.
Eigen-
namen.
Zuletzt ist noch der Förderung zu gedenken,
die unsere Kenntnis der althochdeutschen Sprache,
besonders in der vorliterarischen ältesten Zeit, aber
auch noch später durch die bei lateinischen (und
griechischen) Schriftstellern, in Urkunden und Ge-
setzessammlungen überlieferten Eigennamen erfährt.
Für die althochdeutsche Sprache ist diese Quelle
weniger von Belang, weil wir von ihr zahlreiche
literarische Denkmäler besitzen, wohl aber kommt
sie für die verschollenen germanischen Mundarten,
wie Vandahsch, Ostgotisch, Burgundisch, Lango-
bardisch u. s. w. in Betracht, für die uns die sprach-
lichen Quellen ganz fehlen. Für die althochdeutsche
Zeit sind die Eigennamen von Personen, Ortschaften,
Flurgewannen u. s. w. mehr von kulturgeschicht-
lichem Wert; sie können also hier nicht näher be-
trachtet werden.
* Wissend * geschrieben ^ dumm *
gebessert ® aber-mals ' mit der Gerte
ne ist ist nicht
§7. '
Der althochdeutsche Konsonanten- und
Vokalbestand.
Wenn wir schon öfter von der Scheidung des
deutschen Sprachgebiets in Hoch- und Nieder-
deutsch gesprochen und deren Grenze bestimmt
haben, so haben wir nunmehr nach dem Grunde
dieser Trennung zu forschen und ihre Ursachen
klarzulegen. Als die deutschen Stämme nach den
Unruhen der Völkerwanderung angefangen hatten,
sich in ihren nunmehrigen Gebieten sesshaft zu
machen, da geriet bald der urgermanische Konso- Ahd. Laut-
nantenbestand in Oberdeutschland in Bewegung; ^f^^chie-
die Bewegung griff auch nach Mitteldeutschland
über, um nach der Grenze des Niederdeutschen
hin allmählich abflachend zu verschwinden. Zum
Unterschied aber von der ersten gemeingerma-
nischen Lautverschiebung, die vor dem geschicht-
lichen Auftreten der Germanen anzusetzen ist, ver-
läuft die zweite oder hochdeutsche Verschiebung
in der Hauptsache vor unsern Augen; wir verfolgen
sie in den, wenn auch dürftigen, aufeinander folgen-
den Sprachquellen, beginnend etwa um das Jahr
600. Vollendet ist sie im wesentlichen im 8. Jahr-
hundert, bevor die ersten literarischen Denkmäler
auftauchen. Nicht bloss der Wortschatz des er-
erbten germanischen Sprachguts ist daher von der
hochdeutschen Lautverschiebung betroffen worden,
sondern auch die bedeutende Schicht der latei-
nischen Lehnwörter ältester Zeit. Das Westger- Westgerm,
manische besass nach der ersten gemeingermanischen ^^^"so-
Lautverschiebung (s. § 2, S. 9) und einigen be-
-• 38 -
sonderen lautlichen Veränderungen (s. § 5, S. 26 f.)
folgenden Konsonantenbestand :
I. Verschlusslaute :
1. tonlose p, t, k
2. tönende b, d, g
Die Verschlusslaute kommen auch verdoppelt
vor: pp, tt, kk, — bb, dd, gg.
II. Reibelaute :
tonlose f, th, (c)h, s
III. Halbvokale: w, j;
IV. Liquida und Nasale: r, 1, tn, n, auch ver-
doppelt: rr, 11, mm, nn.
Tonlose Nur die unter I genannten Verschlusslaule werden
Verschluss- von der zweiten Lautverschiebung betroffen ^, ins-
^" *^* besondere die tonlosen, weniger die tönenden. So-
gar je nach der Stellung dieser Konsonanten im
Anfange, im Inlaut und im Auslaut eines Wortes
geht die Verschiebung mehr oder weniger durch-
greifend vor sich.
1. Im In- I. Am konsequentesten ist sie durchgeführt, wo
II. Auslaut, p^ t^ \^ ina Inlaut nach Vokalen oder im Auslaut
stehen; p, t, k werden zu tonlosen Doppelreibe-
lauten ff, zz (gesprochen ähnlich wie ss), hh (ch) (ge-
sprochen wie ch in machen^ doch), die im Auslaut
nur einfach geschrieben werden.
Beispiele :
engl, open = deutsch offen
,, eat =- ,, eHserij ahd. ezzan
,, make : ,, juacticn.
^ Wir sehen von dem Reibelaut Ih ab, der auf dem ganzen
deutschen Sprachgebiet wie auch im Nordischen später erst zu
d wurde.
- 39 —
2. Im Anlaut sowie im Inlaut nach Konsonanten '• I« An-
werden p, t, k (pp, tt, kk) zu sog. Affrikaten (<ä. i.
Verschlusslaut und Reibelaut) pf, tz, ch (zu sprechen
kchi s. o), indes konsequent nur im Oberdeutschen;
in den fränkischen Dialekten ist p nur teilweise, k
gar nicht verschoben. Dieser Zustand spiegelt sich
im heutigen Hochdeutsch wieder.
Beispiele :
engl, pound rrr deutsch Pfund
dagegen: „ help =■ „ keifen
„ ten = „ rehn
„ heart = „ Her»
„ corn -- „ Korn, allem.-
schweiz. Chorn
„ work = „ Werk*
Unverschoben bleiben die Verschlusslaute in den
Verbindungen sp, st, sk, ft und ht; man vergl. engl,
stone mit hochd. Stein, spin mit spinnen, scold mit
schelten (seh aus älterem sk, vergl. § 14), craft mit
Kraft* In dieser Verbindung waren die tonlosen
Verschlusslaute des Indogermanischen auch im Ur-
germanischen erhalten geblieben. - - Die Verbindung
tr erhält sich ebenfalls: engl, true = deutsch treu.
Das Hochdeutsche hat durch die eben geschil-
derten Vorgänge den grössten Teil der alten ton-
losen Verschlusslaute verloren, doch wird dieser
Verlust teilweise gedeckt durch eine neue Ver-
schiebung der tönenden Verschlusslaute b, d, g zu Tönende
p, t, k. Freilich ist diese Verschiebung nur im Verschluss-
Oberdeutschen ziemlich vollkommen, im Mitteldeut-
schen ist sie nicht durchgeführt worden, und daher
ist unsere heutige Schriftsprache, mit Ausnahme der
Verschiebung von d zu t, auf dem niederdeutsch-eng-
- 40 —
lischen Lautstand stehen geblieben. So finden wir:
engl, dag ■-=^ Tag, broad = breit, ebenso middle
^^ Mitfelj auch under = itnfer. Germ, nd wurde
im althochd. meist zu nt, kehrte aber bald zu nd
zurück; engl, bind -- ahd. bintan^ aber nhd. bin-
den; auch rd teilt zuweilen dies Schicksal, so dass
sich Formen wie Herde und Hirte heute neben-
einander finden gegenüber got. hairda, hairdeis,
ahd. herta, hirti. Auch im Anlaut bleibt zuweilen
gemeingerm. d unverschoben, vgl. engl, damp
„feucht" mit jyampf. Gemeingerm, b und g blei-
ben meist erhalten: engl, bid -- bitten; God =^
Gott; nur inlautendes bb wird zu pp: engl." rib
=^ Rippe, gelegentlich auch inlautendes ^g zu kk:
vgl. die Ortsnamen Brügge, Muggendorf mit hochd.
Brücke, Mücke (ck = kk). Nachdem die zweite
Lautverschiebung erfolgt ist, sind nunmehr folgende
Laute im Althochdeutschen vorhanden :
L Verschlusslaute : p, pp, b, bb, t. tt, d, k, ck
(=r kk), g, gg.
II. Reibelaute: f, ff, s, ss, z, zz, h, hh (ch).
III. Affrikaten : pf, kh (nur oberd.), z, zz.
IV. Sonore Konsonanten: w (uu), j, r, rr, 1, 11, m,
mm, n, nn.
Weitere Veränderungen des ahd. sind: germ.
th wird im Laufe der ahd. Zeit zu d: got. thridja:
ahd. dritto „dritte", got. thaürnus = ahd. dorn ;
h schwindet vor 1, n, r, w: got. hrains = ahd.
rein, got. hlahjan = ahd. lahhen „lachen".
So bietet der althochdeutsche Konsonantismus
gegenüber dem gemeingerm. -gotischen ein weit bun-
teresBild, das durch den verschiedenen Lautstand der
ober- und mitteldeutschen .Mundarten noch ver-
A
— ■ 41 -
wickelter wird. Als Beispiel und zur Veranschau-
lichung wollen wir das Vaterunser in ostfränkischer
Mundart (Fulda) aus der Uebersetzung der Evan-
gelienharmonie des Tatian hier mitteilen. Es lautet
dort:
Fater unser thu thar bist in himile, si giheiiagot Ostfränk.
thin namo, queme (komme) thin rihhi, si thin uuillo, Vaterunser.
so her [er) in himile ist, so si her in erdu . unsar
brot tagalihhaz gib uns hiutu, inti furlaz uns unsara
sculdi, so uuir furlazemes unsaren sculdigon, inti ni
gileitest unsih in costunga (Versuchung, Prüfung,
vgl. kosten =■ prüfen), uzouh (sondern) arlosi unsih
fon ubile.
Hiermit vergleiche man dasselbe Vaterunser in
südalemannischer Sprachform aus St. Gallen, das
folgend ermassen lautet:
Fater unsai- thü pist in himile, uuihi {weihe) St. Galler
namun dinan . qhueme pihhi din . uuerde uuillo diin, Vaterunser.
s6 in himile, sösa in erdu . prooth unsar emezich
(beständig, ™ nhd. emsig) kip uns hiutu, obläz uns
sculdi unsaro, s6 uuir obläzem uns sculdikem . enti ni
unsih firleiti in khorunka . üzzer 16si unsih fona ubile.
Es fallen uns die oberdeutschen Formen auf:
pist, prooth, kip, sculdikem, khorunka (gegenüber
mitteldeutschem bist, brot, gib, sculdigon, costun-
ga), wobei wir die tönenden Verschlusslaute des
Gemeingermanischen auch in der Schrift zu ton-
losen Lauten, ebenso gemeingerm. anlautendes k (in
khorunka) zu kh verschoben sehen (ch gespr. wie
in „doch** ; dieses anlautende ch für hochdeutsches
k ist bis auf 4en heutigen Tag ein Kennzeichen
der hochalemannischen und schweizerischen Mund-
arten). Zu gleicher Zeit aber sollen uns obige
- 42 -
Althochd. Stücke eine Probe des althochdeutschen Vokalismus
Vokalis- geben, der dem gotischen gegenüber (vgl. § 4,
S. 22) wohl weniger rein klingen mag, aber trotzdem,
verglichen mit unserer heutigen Sprache, sich noch
klangvoll genug darstellt. Freilich verliert er bald
an Klangfülle. Denn wie vom Süden her ein Be-
streben sich geltend macht, die Konsonanten zu.
verschärfen, beruhend auf stärkerer Atmungstätig-
keit beim Sprechen, wobei das gebirgige Land viel-
leicht mitbestimmend ist, so kommt von der nord-
deutschen Ebene her, da wo die Wirkungen der
Umlaut. Lautverschiebung sich verflüchtigen, die Neigung,
Vokale benachbarter Silben anzugleichen, eine Er-
scheinung, die wir auch schon im Gemeingerma-
nischen antreffen (vgl. § 2, S. 11). Es ist dies der
sogenannte Umlaut. Er wird bewirkt durch den
Vokal der folgenden Silbe, dem sich der Vokal der
vorhergehenden Silbe angleicht. Am verbreitetsten
und am frühsten aufgetreten ist der Umlaut im
Angelsächsischen; auch das Nordische kennt ihn
in weiter Ausdehnung. Auf festländischem Boden
erscheinen die ersten Belege für den Umlaut im
9. Jahrhundert im niederdeutschen Gebiet, später
treten sie in den hochdeutschen Mundarten hervor;
konsequent bezeichnet wird er überhaupt erst in
der mittelhochdeutschen Periode, obwohl er in dei
Hauptsache um 11 50 seinen Abschluss erreicht hat.
Auch beschränkt sich auf deutschem Gebiet der
Umlaut auf den Einfluss, den ein i oder j auf den,
Vokal der vorhergehenden Silbe ausübt. Ihm ver-
danken wir das Nebeneinander von Gast — Gäsfe (ahd.
gesti), koc/i — //ö/te (ahd. höhi), wir fuhren (Ind.
Imp.) — führen (Conj.), Braut — Bräutigam usw.
Der älteste Umlaut des a wurde in ahd. und mhd.
- 43 —
Zeit durch e bezeichnet; daher kommt es, dass
wir noch heute Wörter wie a// — TJ/tern, dass
(z. B. in /ürdass) — besser ^ Adel — edel usw.
nebeneinander finden. Man vergleiche auch ahd.
ende = got. andeis, erbe == got. arbi, denken
r=. got. thagkjan, bezziro = got. batiza; auch in
Fremdwörtern: kelih aus lat. calix, ketina aus catPna.
Gewisse Konsonantenverbindungen schränken die
Wirkung des Umlauts ein : giwalt — giwaltig „Ge-
walt — gewaltig", daneben ahd. giweltig; mäht —
pl. mahti „Macht — Mächte", mahtic „mächtig" usw.
Nach dem Eintreten des Umlauts und sonstiger
lautgesetzlichen Veränderungen ist der Vokalbe-
stand des Althochdeutschen der folgende : Einfache
Vokale: a, a, e (als Umlaut von a), e (als e be-
zeichnet, offen, =^ indogerm. e), e, i, i, a, ö, u,
ü; Doppellaute: ci (für älteres ai), ie (aus ge-
schlossenem e), iu (für älteres eo -^ germ. eu),
ou (für älteres au), uo (für älteres ö). Beispiele:
ä in fater, a in släfan (schlafen), e in gesti (Gäste),
ö in neman (nehmen), e in mero (mehr), i in bist,
i in rihhi (Reich), o in boto (Bote), o in höh (hoch),
u in sculdi (Schuld, ü in brüt (Braut), ei in stein, ie
in brief, iu in hiutu (heute), ou in houbit (Haupt).
Soweit diese Vokale und Diphthonge nicht den Neue Vo-
urgerm. Lauten entsprechen, wie i1, e, i, i, ö, u, ö, itj"^
ist folgendes über ihre Entstehung zu bemerken:
a hat doppelten Ursprung i. = urgerm. an in
dähta „dachte" zu denken (got. thankjan),
2. = urgerm. ae in läzen ,, lassen" -- got. lötan,
jär = got. jörs. e und ö entstanden aus urgerm.
ai vor h, r, w in mero = got. maiza und au vor
h, r, 1 und allen Dentalen: höh ~ got. hauhs, röt
- - got. rauths. Sonstige urgerm. ai und au werden
Kurze
Vokale.
— 44 -
ei und on: stein = got. stains, houbit = got.
haubith. Urgerm. e und ö werden diphthongiert:
got. hör = hier, got. mos (aus lat. mensa, vulgär-
lat. mesa) = mias, mies „Tisch"; ö wird uo: got.
fötus = fuoz, got. brothar = bruoder. Urgerm.
eu =^ got. iu wurde zu eo, io, vor a, e, o in der
folgenden Silbe : biudari =^ beotan, biotan ; sonst
zu iu: got. diups = tiuf „tief^
Zu beachten ist, dass jeder Vokal seiner Quan-
tität gemäss ausgesprochen wurde, ganz wie in den
klassischen Sprachen ; d. h. im Althochdeutschen ist
kurzer Vokal vor einfachem Konsonant (in offener
Silbe) auch wirklich kurz, nicht gedehnt wie im Neu-
hochdeutschen zu sprechen; also Fater (gespr.Vatter),
nämo (gespr. Nammo), bÖto, föna, gib, iibile u. s.w.
Lange Vokale werden in den ahd. Handschriften
durch Doppelschreibung, gelegentlich auch durch
einen Circumflex oder einen Akut bezeichnet (beide
Arten finden wir im St. Galler Vaterunser vertreten :
prooth =r Brot, rihhi = Reich). Lange und kurze
Vokale finden wir sowohl in Stammsilben wie in En-
dungen, doch iu letzteren ausser iu z. B. in beidiu,
Nom. Sing. Fem. und Nom. Plur. Neutr. „beide*'
(s. u. § 8, S. 48) keine Diphthonge.
Die vorstehenden Angaben beziehen sich
Vokale der hauptsächlich auf Stammsilben ; die Vokale der
Mittel- Mittelsilben sind nur dann gut erhalten, wenn sie
lang oder durch mehrere Konsonanten gedeckt
waren und daher einen Nebenakzent trugen: scri-
bäri „Schreiber", salböta „salbte**, liuböro, liubösto
, »lieber, liebste**, kostunga „Versuchung**, kunin-
ginne „Königin**. Sonst verfallen sie zu e oder
gleichen sich den Vokalen der Endsilben an : ahd.
menigi =:::= got. managei „Menge**. Neue Mittelvo-
Lange
Vokale,
Silben.
— 45 —
kale entstehen aus silbenbildendem r, I, m, n : got.
fugls = ahd. fogal „Vogel", got. akrs = ahd.
ackar „Acker", got. taikns = ahd. zeihhan „Zei-
chen", und bei schwersprechbaren Konsonantenver-
bindungen Ih, Ir, Iw, rw, sw, sm: brosma, später bro-
sama „Brosame", forhta und forahta „Furcht", durh
und duruh ,, durch". Die unbetonten Vokale der Vokale der
Vorsilben unterliegen gleichfalls der Schwächung: Vorsilben,
got. ga- wird ahd. gi-: got. ganisan = ahd. ginesan;
got. US- (aus uz) wird ir-: got. uslaubjan = ahd.
irlouben; got. and- wird int-: andhaitan = ahd.
intheizen „verheissen", dagegen Urlaub, Antwort,
wo die Vorsilbe den Hauptton trug (vgl. § q).
§ 8-
' Deklination und Konjugation im Althoch-
deutschen.
Wenn auch infolge des Verfalles der End-
silbenvokale (§ 5, S. 26) und mannigfacher, schon
vorliterarischer Angleichungen die aus dem Indo-
germanischen überlieferten Deklinationsklassen im
Althochdeutschen nur noch zum kleineren Teil
lebendig, grösstenteils aber zerfallen erscheinen, so
ist doch gegenüber unserer heutigen Sprache das
Althochdeutsche vor etwa tausend Jahren noch als
reich an Deklinationsformen zu bezeichnen. Er-
halten waren aus der Urzeit die drei Geschlechter:
Männlich, Weiblich und Sächlich; von den drei
Numeri allerdings nur Einzahl und Mehrzahl, die
Zweizahl (Dual) ist bis auf einen Rest^ verschwun-
den; die 7 Fälle des Hauptworts, die wir noch im
' Nämlicli unker „unsrer beider", bayr. enk(er), das noch
heute in der Mundart lebendig ist.
_ 46
DekH-
nations-
k lassen.
A-Dekli-
nation.
1-Dekli-
nation.
Konson.
Deklinal.
Indischen und Altslavischen antreflfen, sind auf 4
bis 5 zusammengeschmolzen: Nominativ, Genitiv,
Dativ, Accusativ und Reste eines Instrumentalis
(Fall des Mittels oder Werkzeugs).
Das Indogermanische besass vokalische und
konsonantische Deklinationsklassen, je nachdem der
Stanpim des Wortes auf einen Vokal oder einen
Konsonant ausging; von den letzteren ist im Ger-
manischen wenig mehr erhalten, produktiv nur noch
die Deklination der -n- Stämme, die Jak. Grimm
als „schwache** bezeichnete, während er die voka-
lische Deklination die „starke" nannte. Auch diese
hat in histoi,ischer Zeit noch mannigfache Ein-
busse erlitten: so verschwinden allmählich im Hoch-
deutschen die im Gotischen noch zahlreichen u-
Stämme, z. B. sunus „Sohn"; sie haben sich der
numerisch stärkeren i- Klasse angeschlossen. Ausser
dem Wegfall von Deklinationsklassen erlitt die De-
klination weitere Vereinfachung durch Anglei-
chungen der verschiedenen Klassen aneinander und
der Kasus innerhalb derselben Klasse.
Man unterscheidet daher im Althochdeutschen
nur noch folgende Deklinationsklassen
I. I. a-Stämme (mitihren Erweiterungen ja-undw^a-
Stämme), Maskulina und Neutra umfassend;
2. o-Stämme (j5-Stämme), sowie
3. i-Stämme, die abstrakten Feminina um-
fassend ; diese 3 Gruppen bezeichnet man
als die a-Deklination. Daneben ist
II. die i-Deklination noch lebendig, die aller-
dings nur Maskulina und Feminina umfasst.
III. Die konsonantischeDeklination der n-Stämme
dagegen enthält alle drei Geschlechter. Von
47
den anderen konsonantischen Deklinationen
sind nur vereinzelte Reste erhalten. Einige
Paradigmen werden das Gesagte veranschau-
lichen.
Vokalische Deklination.
I, I. a-Stamm:
Sing. N. tag „Tag"
G. tages
D. tage
A. tag
In Str. tagij
Plur. N. tagä
G. tago
D. tagum
A. tagä
1, I. ja-Stamm:
Sing. N. hirti „Hirt'^
G. hirtes
D. hirt(i)e
A. hirti
Instr. hirt i)u
Plur. N. hirtä
G. hirt(i)o
D. hirtim
A. hirtä
Die Neutra, z. B. wort, werden ebenso flektiert,
nur dass der Nom. Plur. keine Endung hat, also wort
„die Worte, Wörter**. Daneben tritt vereinzelt ein
Plural auf ir aut : lembir „Lämmer", der später eine
grosse Ausdehnung gewinnt. Diese Endung entstammt
den konsonantischen Neutra auf -es, vergl. lat. genera
aus *geneza, urdeiitsch *lambiza, *lambira, *lambir.
I, 2. ö-Stamm:
Sing. N. geba „Gabe"
G. geba
D. gebu
A. geba
Plur. N. gebä
G. geböno
D. geböm
A. gebä
IL i-Stamm:
Sing. N. gast „Gast**
G. gastes
D. gastes
A. gast
Instr. gast(i)u
Phir. N. gesti
G. gest(i)o
D. gestim
A. gesti
48
III. Konsonantische Deklination.
n-Stamm:
Sing. N. hano „Hahn** Plur. N. hanon (-un)
G. hanen (-in) G. hanöno
D. hanen (-in) D. hanöm
A. hanon (-un) A. hanon
Von sonstigen konsonantischen Stämmen sind
noch die fünf Verwandtsehaftsnamen fater, bruoder,
muoter, tohter und swester erhalten. Die vier letzteren
sind mit Ausnahme des Gen. Plur. auf -o und des
Dat. Plur. auf -um endungslos. Fater dagegen ist
schon im Gen. Dat. Sing, und Nom. Plur. in die a-Dekl.
übergegangen. Auch friunt „Freund**, fiant „Feind**,
man „Mann** weisen noch endungslose Formen im
Nom. Plur. auf, ebenso das Femininum naht.
Adjektiv- £)as Eigens chaftswo.rt, das im Indogermanischen
ganz wie das Hauptwort abgewandelt wurde, hat im
Germanischen diese Art der Deklination behalten,
jedoch wurde sie durch die Fürwortabwandlung
stark beeinflusst, der einige Endungen entlehnt sind
(diese entlehnten Endungen sind im Paradigma durch
den Druck hervorgehoben) :
Masc. Neutr.
Sing. N. guot(6r) * guot(az)
Dekli-
nation.
G. guotes
D. guotemo
A. guotan
Instr. guotu, -o
Plur. N. guot(e)
guotero
guotöm
guot(e)
guot(az)
guotiu
guotiu
Fem.
guot(iu)
guotera
guotero
guota
guot(o)
guotero
guotÄm
guoto
^ Die eingeklammerten Endungen können fehlen, vgl. nhd,
„Der Wein ist gut\ neben ,,ein guter Wein'*.
- 49 —
Eine Neuschöpfung des Germanischen ist die
sog. schwache Deklination des Eigenschaftsworts
nach dem Muster der konsonantischen n-Stämme
der Hauptwörter:
Sing. Masc. blinto 1 ... , ,. ^ blinto
xT ^ v.^' ^ i bhnten bhnten , ,. .
Neutr. blinta | bhnta
Fem. blinta blintün blintün blinta
Plur. Masc. ( blinton | \ blinton
Neutr. \ blintun J blintöno blintom / blintun
Fem. blintün j blintün
Die Steigerung geschieht mittels der Suffixe Steigerung
-ir, -6r iür den Komparativ, und -ist, -6st für den
Superlativ; also höh — höhiro — höhisto „hoch,
höher, höchst** oder salig, saligöro, saligösto ,, selig**
u. s. w. Dekliniert werden diese Formen wie die.
schwachen Adjektive. (Unregelm. Steigerung, s. § 15.;
Die von Adjektiven gebildeten Adverbien gehen Adverbial-
auf -o aus : scöni „schön**, Adv scöno „schon** ; ^>*'^""g
festi „fest**, Adv. fasto (ohne Umlaut) „fast**; ubil
,,übel*', Adv. ubilo.
Ausser ein kann im Ahd. auch zwei und ärei Zahl-
dekliniert werden: zw6ne, zwä, zwei; dri, drio, driu, Wörter,
für die drei Geschlechter. Ebenso können die Zahlen
von 4 — 12 flektiert werden und zwar nach der i-
Dekh, wenn sie nach ihrem Substantiv stehen.
Die Zehner von 20 60 werden mit einem alten
Substantiv -zug „Dekade** gebildet, daher 40 Wochen
im Ahd. feorzug wehhöno (Gen. PI.) heisst; die Zahlen
von, 70—100 sind in der ältesten Zeit mit -zo zu-
sammengesetzt, also sibunzo 70, später tritt auch
hier -zug ein, das sich endlich zu -zig, der heutigen
Form umbildet. 100 heisst im Ahd. zehanzug, nur
die mehrfachen Hunderter werden auch durch das
F«i0t, Die deuttohe Sprach«. 4
— 50 —
Substantiv ,,hunt** = lat. centum gebildet: zwei
hunt 200.
Ordnungs- Die Ordnungszahlen weisen im Ahd. eine dop-
zahlen, pelte Bildungsart auf (abgesehen von eristo oder
furisto :=: engl, first, iter, ander 2tei), nämlich auf-to:
dritto, zehanto oder auf -östo (Superlativendung)
von 20 an: zwanzugösto 20^*^1, zehanzugösto loo^^i.
Fürwörter. Die persönlichen Fürwörter haben noch einen
vom Dativ verschiedenen Acc. Plur., sie lauten :
1. Person: ih, min, mir, mih; wir, uns^r, uns, unsih;
2. Person: du, din, dir, dih; ir, iuwer, iu, iuh;
3. Person: Sing. Masc. er, Gen. fehlt, imu, inan,
Fem. siu, ira, iru, sia,
Neutr. iz, is (es), imu, iz;
Plur. sie, sio, siu - iro — im — Acc.
Nom.
Auch die besitzanzeigenden, hinweisenden, un-
bestimmten und fragenden Fürwörter weisen noch
manclie altertümliche Formen auf, deren Aufzählung
hier zu weit führen würde.
Zeitwftiter. Wie sich das Althochdeutsche bei der Dekli-
nation noch eine stattliche Anzahl charakteristischer
Endungen aus der Urzeit erhalten hat, so ist auch
die Konjugation bemerkenswert durch eine grosse
Reihe selbständiger Verbalklassen mit mannigfachen
Endungen. Das im Gotischen noch erhaltene Pas-
sivum ist zwar untergegangen, aber die Ablauts-
klassen, von denen oben (§ 2, S. 10 f.) schon die Rede
war, stellen sich uns im Althochdeutschen zum Teil
sogar in ursprünglicherer Gestalt als im Gotischen
Endungen, dar. In althochdeutscher Zeit freilich zerfallen die
anfangs noch vollen Endungen und am Schlüsse
51
dieser Periode sind sie grösstenteils zu e verblasst.
Zwei Beispiele werden dies erläutern :
Gegenwart Vergangenheit
älteste Form
Sing, nimu „ichnehme*' Sing, nam „ich nahm"
nimis närai
nimit nam
Plur. nemam^s Flur. nämuni(6s)
nemet nämut
nemant nämun
Infinitif neraan Mittelwort ginoman
Gegenwart Vergangenheit
Notkers Formen (ungef. looo)
Sing, räto Sing, riet
ratest riete
. ratet riet
Plur. rät^n Phir. rieten
rätent rietent
rätent rieten
Infinitif raten Mittelwort geraten
Die Ablaiitsklassen stellen sich in
folgender Ablauts-
Gestalt dar (vgl. ^^ 2, S. lof.):
klassen
T, f. geban „geben" : gab : gäbum : gigeban,
2. neman „nehmen" : nam : nämum
: ginoman,
3. hintan „binden" : bant : buntum
. gibuntan,
werfan „werfen" : warf : wurfum :
giworfan ;
11, I. grifan „greifen" : greif : grifum
: gigrifan,
2. liogan^ „lügen" : loug : lugum
: gilogan,
beotan' „bieten" : bot-' : butum
: gibotan ;
III. faran „fahren" : fuor : fuorum ;
gifaran.
' Für eo, io steht spftter iu. * 011 wird zu 6, s, § 7, S. 43.
4*
— 52 —
Den wenigen reduplizierenden Zeitwörtern des
Gotischen entsprechen im Althochdeutschen Zeit-
wörter mit dem Vokal e, später ea, ia, ie im Prä-
teritum.
IV. haltan „halten*' : hielt : hieltum : gihaltan.
Der Stammvokal des Präsens ist verschieden;
wir linden a, ä, ou, ö, uo; die drei letzteren er-
hielten ursprünglich im Präteritum den Diphthong
eo, io, zuletzt aber auch ie.
Schwache Im übrigen ist die Reduplikation, die auch zur
^^^' Bildung zahlreicher Präsensstämme im Indogerma-
nischen diente, im Germanischen bis auf wenige
erstarrte Ueberreste ausgestorben (wie ahd. bibem
,,bebe** = altind. redupl. Präsens bibhemi), ebenso
wie die vielen andern Präsensbildungen der Ur-
sprache. Nur eine ist im Germanischen lebendig
gebheben, nämlich die Ableitung mittels der Endung
-ja- vom Perfektstamm der starken Zeitwörter, z. B.
got. satjan „setzen" von sitan, Perf. sat „sitzen**.
Diese sog. schwachen Zeitwörter bilden das Perfekt
mit der Endung -ta und das Mittelwort auf -it. Das
j (i) der Ableitungssilbe hat überall Umlaut bewirkt;
nur im Präteritum der Stämme mit langem Wurzel-
vokal ist es durch Synkope früh ausgefallen; hier
fehlt also auch der Umlaut. Man vergleiche:
Gegenwart:
Sing, zellu ,,ich zähle** Sirlg. suochu „ich suche**
zelis suochis
zelit suochit
Plur. zellemes Plur. suochemes
zellet suochet
zellent suochent
- 53 —
Vergangenheit :
Sing. zelita(auchzalta)„ich Sing, suohta „ich suchte"
zelit6s(t) [zählte" suohtös(t)
zelita suohta
Plur. zelitum Plur. suohtum
zeiitut suohtut
zelitun suohtun
Mittelwort:
gizelit „gezählt" gisuochit „gesucht"
Neben den sehr zahlreichen Zeitwörtern der ja- ö- und i-
K lasse, gibt es noch zwei Klassen schwacher Ver- '^'**5*^-
ben, deren Bindevokal ö oder ö ist; auch deren
Zahl ist im Althochdeutschen nicht unbedeutend,
e und ö bleiben in allen Stammformen bis in die
spätalthochd. Zeit. Bemerkenswert ist bei diesen
Verben, dass sie noch die alte indogerm. P^ndung
der I. Person Sing. Praes. -m (aus -mi) erhalten
haben: salböm „ich salbe", hab^m „ich habe".
Das ist sonst nur noch bei vier Zeitwörtern der Unregelm.
Fall: bim „ich bin", töm, tuam „ich tue", gäm V^^ben.
„ich gehe", stäm ,,ich stehe", die im übrigen
,, unregelmässig", d. h. altertümlich abgewandelt wer-
den. So vermischen sich bei „sein" 3 Stämme
bi- ibin)^ wes- (war, gewesen), es- (sein). Tun re-
dupliziert noch im Präteritum: teta „tat", tätum
„taten" ; Gehen und stehen haben auch längere
Formen in der alten Sprache : gangan und stantan,
von denen die Perfektformen giang „ging" und
stuoni „stand" gebildet sind.
Eine besondere Erwähnung verdient eine Gruppe PrSteriio-
Zeitwörter, von denen aus alter Zeit nur i\\^ Form präsentin.
der Vergangenheit erhalten ist, während die Gegen-
wart verloren ging und ihre Bedeutung an jene ab-
- 54 -
Wechsel.
gab. Es sind weiz ,,ich weiss", wizzum „wir wis-
sen**; kan „ich kann**, kunnum „wir können**; darf,
durfun ; skal, „soir* skulum; mag, mugun; muoz
„ich muss**, muozun; gi-tar, -turrun, „ich wage**
und noch einige mehr, die im Neuhoclideutschen
verloren sind. Sie bilden ein schwaches Präte-
ritum als Neuschöpfung des Germanischen : wissa
„ich wusste**, konda „ich konnte**, dorfta „ich durfte**,
mohta „ich mochte**, muosa „ich musste**, gi-torsta
„ich wagte**. Ein ursprünglicher Optativ (got. wiljau)
war willa „ich will**, wellem^s „wir wollen** ; dazu
das neugebildete Präteritum wolta „ich wollte".
Gramina- Während sich bei der Deklination des Haupt-
Jischer^ Worts von dem ursprünglichen Wechsel des indo-
germanischen Akzents zwischen Stammsilbe und-
Endung infolge nachträglicher Ausgleichung der da-
durch bewirkten verschiedenen Gestaltung des
Stammauslauts kaum Spuren erhalten haben, ist der
irrtümlicherweise sog. grammatische Wechsel bei
der Beugung des Zeitworts im Althochdeutschen
noch lebendig. Hierin erweist es sfch sogar als
altertümlicher wie das Gotische, wo er fast gänz-
lich beseitigt ist. Es wechseln im Stammauslaut
der Zeitwörter d mit t, f mit b, h mit g (w) und
ng, s mit r. Die erstgenannten Konsonanten stehen
in den ursprünglich stammbetonten Formen (Prä-
sens und Singular des Präteritums), die letztge-
nannten in den ursprünglich endungsbetonten (im
Plural des Präteritums und im Mittelwort der Ver-
gangenheit). Beispiele: findu ,,ich finde** : fand :
funtum : funtan; helfen ,, heben** : huobum ,, hoben** :
ziuhu „ziehe** : zöh : zugum : gizogan; kiusu „kiese,
wähle** : kös „kor** : kurum : gikoran (vgl. auch oben
§ 2, S. 12).
Auch bei den Verbalnomina (Partizipien und Mittelwort.
Infinitiv) macht sich die Nachwirkung des indoger-
manischen Akzents fühlbar. Das Mittelwort der
Gegenwart, das im Indogermanischen konsonan-
tischer -nt-Stamm ist, erscheint im Germanischen
mit -nd- und tritt in die i-Deklination über: lat.
sequens, St. sequent- „folgend" ^^ got. saihwands,
ahd. sehenti. Die indogerra. Mittelworte der
Vergangenheit auf -to und -no finden im
Germ, ihre Fortsetzung ; jenes kommt den abgelei-
teten Verben, dieses den starken Verben zu: lat.
habitus : got. habaiths, gen. habaidis : ahd. giha-
bet; ferner got. saihwans — ahd. gisehan. In ahd.
Zeit, ist die Vorsilbe gi- bei diesem Mittelwort
schon ganz die Regel, während das Gotische sie
noch nicht kennt. Von den zahlreichen Infinitiv-
formen der Ursprache hat das Germ, nur eine be- InAnitiv.
wahrt, und zwar gerade die seltenste auf -ono-,
germ. -ana- : got. itan = ahd. ezzan.
Aber trotzdem das Germanische von dem fast
übermässigen Reichtum der Urzeit an Flexionsformen
nur wenige bewahrt und diese einem streng geord-
neten Systemzwang unterworfen hat, so sehen wir
im Kindesalter unserer Sprache doch beim Haupt-
wort wie beim Zeitwort noch buntgefärbtes Leben
aus alter Zeit hinübergerettet in das Licht der Ge-
schichte. Freilich ist das Erhaltene gering genug
im Verhältnis zur Mannigfaltigkeit der Formenbil-
dung in der indogerm. Grundsprache, aber doch
waren die ßeugungsformen des Hauptworts wie des
Zeitworts noch so charakteristisch und wurden als
solche von dem Sprachbewusstsein des Volks em-
pfunden, dass ihnea^!^5^J^!^mteB!^^es Geschlechts-
und Fürworts noüjf^firanzO'^näjehrlf^ sind. Indes
- .^6 -^
beginnt schon in spätalthochdeutscher Zeit, wie
wir gesehen haben, der Verfall der Endungen des
Zeitworts; die Endungen des Hauptworts halten
sich etwas länger, um aber freilich dem allgemein-
nen Schicksal aller unbetonten Silben, der Ver-
kümmerung zu e oder gänzlichem Wegfall, endlich
zu erliegen. Doch hiervon weiter zu sprechen,^
können wir uns für ein späteres Kapitel aufsparen,
wenn wir die Beugungsformen der mittelhochdeut-
schen Zeit betrachten. (§ ii und § 15.)
§ 9-
Althochdeutsche Wortbildung.
Wenn wir Wörter wie reden^ Redner^ beredeUy
überreden^ Ueberredung miteinander vergleichen, so
finden wir unschwer zwei verschiedenartige Bestand-
teile heraus : einen Bestandteil, der allen gemein-
sam ist, red^ der Stamm oder Wurzel genannt wird,
und ausserdem die Ableitungssilben 'en, -ner, -tmg
und die Vorsilben be-, über-. Mit solchen Ablei-
tungs- und Vorsilben bildete schon das Indoger-
manische aus den Wurzeln die meisten Redeteile:
Hauptwörter, Eigenschaftswörter, Fürwörter, Zeit-
wörter und andere. Aber es wurden auch Wörter
durch Nebeneinanderstellung zweier gleichartiger
oder verschiedenartiger Bestandteile gebildet:
Singsangs Wirrwarr , Grossvater finden schon in der
Urzeit ihre Vorbilder.
I<lg;^o;; i-' Von den kurzvokalischen Suffixen, mit denen das
Indogermanische Hauptwörter bildete, ist keines ini
Germanischen lebenskräftig geblieben und zwar infolge
der Auslautsgesetze, die im Gotischen die Endungen
a und i, im Althochdeutschen auch noch u unter-
u-Suffix.
57 -
Idg. a-
Suffix.
drückt hatten. Deshalb können wir im ähesten
Deutsch diese indogerm. Suffixe a, i, u nur noch
an ihren Nachwirkungen, der verschiedenen Beu-
gung der damit gebildeten Hauptwörter, erkennen.
Got. wigs „Weg" (a-Stamm) zu gawigan „bewe-
gen", deutsch Schlaf zu schlafen, Schlag (urspr.
i-Stämrae) zu schlagen, Hand (u-Stamm) erschei-
nen uns schon in ältester Zeit als endungslos
Besser hielten sich die langvokalischen Suffixe des
Indogermanischen, z. B. das femininische a ^=^ ur-
germ. o, got. und ahd. a; got. giba, ahd. geba
„Gabe" zu geben. Aber richtig lebenskräftig ist
dieses Suffix innerhalb des Deutschen ebensowenig
wie die alten n- und j-Stämme, die in der schwachen
und i-Deklination fortleben. Die ahd. Nom. boto
,,Bote", hirti „Hirte" lassen kein n- oder j-Suffix
mehr erkennen; n und i erscheinen uns lediglich
als Deklinationsendungen. Dagegen haben sich
andere konsonantische Suffixe, wenn auch nicht
nlehr produktiv, besser erhalten : t in Ableitungen o^ri^"'
wie Geburt von gebären, 1 in got. sitls, ahd. sezzal
„Sessel" zu utzen (got. sitan), r in got. akrs
„Acker" zur Worzel ag-(lat. agere) „treiben" (vgl.
Trift), m in got. blöma, ahd. bluomo „Blume" zu
blühen y n in got. ahd. barn ,,Kind" zu ge^diren ;
s in ahd. flahs „Flachs" zu flech-tQVi\ k in ahd. ri-
sach „Reisich" zu Beis, und noch andere. Neben Produktive
diesen erstarrten Suffixen, die gewöhnlich nur aus Suffixe.
einem Konsonanten bestehen, finden wir eine An-
zahl aus diesen einfachen Endungen weitergebil-
deter Suffixe, die infolge ihrer grösseren Klangfülle
und Deutlichkeit fruchtbar geblieben sind. So die
Endung -sl, z. B. in Achsel neben Achse zur idg. Suffix -sal,
Wurzel ag- „führen" (lat. agere); das Althoch-
Idg.
konson.
-sei.
- 58 -
deutsche entwickelt durch sekundäre Vokalentfal-
tung daraus das Suffix -sal, verlängert -isal in
dihsala „Deichsel", ähtesäl „Verfolgung**. Bis ins
Neuhochdeutsche hat die Neubildung mit dieser
Endung fortgedauert: Drangsal^ Schicksal; abge-
schwächt ist -sei : Rätsel^ Häcksel u. a. sind noch
Suffix -in. späte Bildungen. Aus dem uralten femininbilden-
den'iSuffix -f in got. frijöndi „Freundin" zu fri-
jönds „Freund" entwickelt sich eine neue Endung
ahd/-in (und -inne), die bis heute lebenskräftig ge-
blieben ist und ihren vollen Vokal erhalten hat.
Aber während im Ahd. das i der Endung umlau-
tend oder die Brechung hindernd gewirkt hat: bi-
rin zu bero „Bär", gutin zu got. ,,Gott", wülfinne
zu wolf, ist später durch den Einfiuss der männ-
lichen Form diese Wirkung aufgehoben worden:
Bärin zu Bär, Wölfin zu Wolf\ Göttin zu Gott (die
letzteren mit jüngerem Umlaut). Um männliche
Suffix -er. Hauptwörter zu bilden, dient das Suffix got. -areis,
ahd.J-ari, -eii, auch -äri, mhd. -aere, nhd. -er. Sei-
nem Ursprung nach nicht völlig aufgeklärt, wahr-
scheinlich dem Lateinischen entlehnt, hat es eine
weite Verbreitung gefunden und • sich eine unge-
schwächte Lebenskraft bewahrt: got. laisareis, ahd.
lerari, nhd. Lehrer zu ,Jehren" =■■ got. laisjan ist
ein uraltes Beispiel da.(nr; Autle r von auteln (Auto-
mobil fahren) wohl die jüngste Bildung.
Schon in frühster, vorhistorischer Zeit tritt das
innerhalb des Germanischen auf nicht ganz auf-
Suffix -nis. geklärte Weise entstandene Suffix -nis auf, um Ab-
strakte (d. h. sinnlich nicht wahrnehmbare Begriffe)
zu bilden. Es lautet im Got. -inassus z. B. thiudi-
nassus „Königreich", im ahd. -nissa und -nissi
(-nessi), daneben -nussi (mhd. -nüsse). Sowohl
- 59 —
von Substantiven wie Adjektiven und Verben wer-
den Hauptwörter .auf -nis gebildet: ahd. gotnissi
„Gottheit", finstarnissi „Finsternis", bihaltnissi „Vor-
haltung". Wenige Wörter dieser Bildungsart haben
sich vom Althochdeutschen bis auf unsere Zeit ge-
halten; fortwährend kamen neue hinzu und ver-
schwanden alte; ihrö Zahl indes ist im allgemeinen
kleiner geworden. Das ist nicht der Fall bei den
Endungen -ing und -ung, die wir nunmehr^'be-
sprechen wollen. Auch diese Suffixe sind dem Suffix -ing.
Germanischen eigentümlich und in sehr alter Zeit
entstanden. Im Hochdeutschen dient -ing für männ-
liche, ung für weibliche Hauptwörter; got. skilliggs
(gg ^= ng) , »Schilling", ahd. Tuning ,, König" sind
mit dem Suffix -ing gebildet, das in der Erweite-
rung -Hng ^ grosse Verbreitung fand : Jüngling zu
jtmgy und bis ins Neuhochdeutsche fruchtbar blieb :
Dichterling y Mischling, Sträfling usw. Während
aber die Maskulina fast durchaus sinnlich wahr-
nehmbare (konkrete) Gegenstände sind, erscheinen
die Feminina auf -unga von Anfang an als ab- Suffix -ung.
strakte (sinnlich nicht wahrnehmbare) Begriffe : ahd.
kostunga , »Prüfung" zu „kosten", ladunga „Ladung"
zu „laden". Im Neuhochdeutschen ist die Endung
durchaus lebendig, besonders in der Form -igung
an Zeitwörter auf -igen, und -ierung an solche auf
-ieren angeschlossen : Beerdigung, Regierung.
Gleichfalls vollständig lebenskräftig sind die ur-
alten Verkleinerungsendungen -lein und -chen ge-
blieben. Für -lein ist die ahd. Form: lin : tohter- Suffix -lein,
lin „Töchterlein" ohne Umlaut, wörtelin „Wörl-
* Das ableitende -ing trat an einen Stamm auf -1: Edelwg
von edel.
— 6o —
lein" mit Umlaut; daneben ist eine alte Nebenform
auf -It vorhanden, die im Neuhochdeutschen als
-el (in ober- und mitteldeutschen Mundarten als
-le) fortlebt: ahd. gi-buntili „Bündel", ahd. farheli
,, Ferkel", Aerntel von Arm, Verbreiteter als -lein ist
im Neuhochdeutschen, besonders in der Prosa, das
Suffix Suffix -chen, das aber in alter- Zeit in der Form
-chen. »ken wesentlich dem Niederdeutschen zukommt; in
der Form -eichen erscheinen beide Suffixe ver-
eint auf mitteldeutschem Boden : Büchelchetty Wägel-
chen u. a.
Urspröngl. Neben den altüberkommenen, aber wenig lebens-
selbstän- f^^gen Suffixen und den jüngeren, grösstenteils
Wolter als ^^^^ heute fruchtbaren Bildungssilbendes Germa-
Suffixe. nischen tritt in geschichtlicher Zeit eine neue Art
der Wortbildung auf, die von einer ursprünglichen
Nebeneinanderstellung zweier Hauptwörter im Laufe
der Zeit vollständig zur suffixalen Bildungsart her-
abgesunken ist. Es sind das die Hauptwörter auf
-heit, -Schaft, -tum (und die Eigenschaftswörter
auf -lieh, worüber weiter unten).
Suffix -heit. In allen alten germanischen Dialekten ist das
Wort got. haidus, ahd. mhd. heit „Art und Weise*'
(ursprünglich ,, Glanz") lebendig, während wir heute
nur noch das aus derselben Wurzel abgeleitete Eigen-
schaftswort heiter kennen. Früh schon ist es in den
westgermanischen Sprachen zur Bildung von Ab-
strakten verwendet worden, indem es entweder an
Substantive trat wie Gottheit (eig. Gott-Beschaffen-
heit), Kindheit y Torheit u. s. w., viel häufiger aber
zu Adjektiven wie Freiheit {= freie Beschaffenheit),
Schönheit^ besonders zu solchen auf -ag, -ig, wie
ahd. ^wig-heit, frumic-heit ,, Frömmigkeit" u. s. w.
Indem nun im mhd. das // der Endung schwand.
— 6i -
entstand ein neues Suffix -keit aus Wörtern der Suffix -keit.
letztgenannten Art, das lange Zeit mit dem älteren
Suffix -heit den Kampf um den „Platz an der Sonne**
führje, aus dem es heute siegreich hervorgegangen
dasteht; die Endung -keit ist viel häufiger als ihre
ältere Schwester -heit: ausser in Sicherheit finden
wir bei den Eigenschaftswörtern auf -er, -bar jetzt
ausschliesslich das Suffix -keit: Bitterkeit ^ Dankbar-
keit y ebenso bei denen auf -sam: Langsamkeit ^ auf
-lieh: Ehrlichkeit y auf -ig: Dürftigkeit.
P2in anderes Suffix, das gleichfalls aus Ursprung- Suffix
lieber Nebeneinanderstellung zweier Substantive ent- -scnaft,
sprang, ist ahd. -scaf, -scaft. Das Hauptwort ahd.
scaf „Art", mhd. scaft „Geschöpf, Form** verbindet
sich hauptsächlich mit Substantiven, selten mit Ad-
jektiven zu neuen Zusammensetzungen. Man sollte
nun glauben, dass die Suffixe -heit und -schaft oft
zusammenstossen müssten; doch ist dies nicht der
Fall. Während die Zusammensetzungen mit -heit
mehr Wesen und Eigenschaft bezeichnen, gehen die
auf -schaft mehr auf Tätigkeit, Zustand, woraus sich
dann der kollektive Sinn, der Sammelbegriff* ent-
wickelt; aber Kreuzungen zwischen den Suffixgat-
tungen sind nicht ausgeschlossen. Man vgl. Mann-
heit = Wesen des Mannes mit Mannschaft mhd r-^
Mannespflicht, heute -- Gesamtheit der Mannen;
anderseits Christenheit (Gesamtheit der Christen)
mit Heidenschafty Judenschaft, Deutlich aber tritt
der Ausdruck des Zustandes hervor in Wörtern wie
Feindschaft^ Knechtschaft^ Wanderschaft u. s. w.
Das letzte der noch lebenskräftigen Suffixe sub- Suffix
stantivischen Ursprungs ist ahd. -tuom, nhd. -tum. '*""^-
Die Herkunft ist durchsichtig: got. d ms „Urteil,
Sinn**, ahd. mhd. tuom „Sitte, Herrschaft**; die
-^ 62
Wurzel ist dieselbe wie in unserm Zeitwort tun. Die
Zusammensetzungen mit -tum linden sich in allen
germ. Sprachen, nur im Gotischen noch nicht; sie
bezeichnen Stand oder Gewohnheit; auch in ab-
strakter Bedeutung linden wir sie sehr früh. Neu-
bildungen erfolgen bis ins Neuhochdeutsche. Die
Zusammensetzung Rittertum (Wesen der Ritter) ver-
gleiche man mit Ritterschaft (Gesamtheit der Ritter) ;
Christentum und Christenheit stehen sich ähnlich
gegenüber. Noch andere zu Suffixen gewordene,
ursprünglich selbständige Wörter wie -tag in w^tag
„Leid", -bald, -bold (den zahlreichen Eigennamen
mit diesem zweiten Bestandteil entlehnt) in mhd.
Triinkettboldy nhd. Sauf hold, Witzbold sind im Nhd.
nur vereinzelt noch vertreten.
Adjektiv- ßjg gleichen Ableitungsarteh, die seit der indo-
ung- germanischen Urzeit zur Bildung von Substantiven
führten, haben auch die Adjektivschöpfung veran-
lasst. Man bildete Adjektive mit den Suffixen -o
(germ. -a) -i, -u, -jo (germ. -ja). Die urgerm. a-Ad-
jektive sind in historischer Zeit endungslos infolge
der Auslautsgesetze; aus der grossen Zahl derartiger
Adjektive führen wir einige an: got. qius, ahd. quec,
nhd. keck, queck = alat. vivos; got. hveits, ahd.
wiz, nhd. weiss =■ aind. sv tas; ferner siechy got.
siuks ,, krank", los^ got. laus, taub^ got. daufs, blind
U.S.W. Die i-, u-, ja-Adjektive haben im Althoch-
deutschen gleichmässig die Endung i: ahd. kuoni
, kühn" (i-Stamm), durri (got. thaursus) „dürr" (u-
Stamm), mitti (got. midjis, lat. medius) , mitten"
(ja-Stamm).
Konsonan- Konsonantische Suffixe erhalten sich, ohne lebens-
tische er-
starrte kräftig zu sein : -1 in ahd. fü-1 „/^«/" zu lat. pu-teo
Suffixe, „stinke", ahd. luzzil „klein" (nhd. /.///-s^Z-Koblenz),
- 63 -
ahd. nhd. /lei'I u.s.v/.; -r in bitter, sauer; -m in arm,
zvarm'y -n in bratm, eben] -t in alt, kalt, lamt) -ht in
töricht u. a. m. Lebendig bleiben manche Suffixe, Lebendig
die aus einem Vokal und einem oder mehreren Kon- ^'^l^lj^bene
sonanten bestehen : ahd. in zur Bildung von stoff-
bezeichnenden Adjektiven, z. B. eichin „eichen**,
kupfarin ,, kupfern"; -ag und -ig in listige ahd. bluo-
- tag „blutig", besonders beliebt in Zusammenbildungen,
z. B. zweijährig, dreitägig, gutwillig', -isch in ahd.
diutisc ,, deutsch**, heimisch, neidisch, fränkisch.
Gleichwie bei den Hauptwörtern finden sich
auch bei den Eigenschaftswörtern ursprünglich
selbständige Wörter als zweite Bestandteile einer
Zusammensetzung. Das häufigste dieser Suffixe ist
-lieh, ursprünglich ein Substantiv: got. leik, ahd. Suffix-lich.
mhd. lieh ,.Leib**, nhd. Z^/r//-nam. In alter Sprache
tritt -lieh häufig an Hauptwörter, Eigenschaftswör-
ter und Mittelwörter: ahd. brötlih „bräutlich**
eig. nach Art einer Braut, ^ mhd. arbeitlich , »müh-
selig**, ahd. armalih „ärmlich**, wesentlih (wesent
ist Part. Praes. zu sein, St. wes- in gewesen)
„wesentlich**, und zahlreiche andere. In späterer
Zeit tritt -lieh auch häufiger an Verbalstämme, wo-
gegen die Bildungen mit Substantiven zurücktreten;
nhd. gedeihlich, sterblich, undenklich usw. Ueber-
haupt ist die Verwendung des Suffixes -lieh schon
im Ahd. eine so mannigfaltige, dass wir hier nicht
auf alle Arten seines Gebrauchs eingehen können.
Nur eine wollen wir noch erwähnen, die Bildung Adverbia
von Umstandswörtern mit -lieh, ahd. -licho von *^"^ "'^^'^
Eigenschaftswörtern, eine Bildungsweise, die beson-
ders im Mhd. (und Englischen, auf -iy, z. B. truly
* Brautgestalt habend ; vgl. nhd. Rotrock, Blaujacke u.s. w
-. 64 -
von true „wahr") um sich greift, während das Nhd.
diesen Gebrauch bis auf einzelne Reste wieder hat
fallen lassen, vgl. freilich^ höchlichy klärlichy weislich
Adverbia u. a. Sonst bildete das Ahd. Adverbien von Ad-
auf-ü. jektiven auf -ö (s. § 8, S. 49) : harto (ohne Um-
laut) zu hertx „hart**, mhd. suoze zu süeze „süss**.
Heute ist auch dieser Unterschied ausgewischt ; das
Eigenschaftswort wird ohne Beugungsendung als
Umstandswort gebraucht.
Neben dem Suffix -lieh, das substantivischen
Ursprungs ist, linden wir zur Bildung von Eigen-
schaftswörtern auch Endungen adjektivischen Ur-
Suffix -sam. sprungs: 'SaiHy -bar, und -ha/t. Ersteres ist ein
Adjektivstamm, der in got. ahd. sama „selbe** steckt,
und verbindet sich mit Substantiven, Adjektiven
und Verben: ahd. arbeitsam {^ der Arbeit ent-
sprechend) „mühevoll**, liubsam „angenehm** (Adjek-
tivzusammensetzung), hörsam „gehorsam** (Verbal-
Suffix -bar. Zusammensetzung). -bar lautet im ahd. -bäri
und erscheint als selbständiges Wort in unbäri
„unfruchtbar** zur Wurzel ber- „tragen**; also be-
deutet dankbar eig. „Danktragend**, offenbar „sich
Suffix -haft. offen tragend** usw. Das dritte Suffix -haft ist
eigentlich ein Mittelwort der Vergangenheit und
entspricht buchstäblich dem lat. captus = ahd.
haft — gefesselt; die passive Bedeutung geht
dann in Zusammensetzungen häufig in die aktive
über. Also bedeutet ernsthaft eig. durch Ernst ge-
bunden (passivisch), aber sieghaft den Sieg hal-
tend (aktivisch). Alle drei letztgenannten Endungen
sind bis ins Neuhochdeutsche lebenskräftig geblieben.
Zusammen Unter den Vorsilben, die zur Bildung zusammen-
^^ mi"^^" gesetzter Hauptwörter und Adjektive dienen, spie-
Präfixen. l^n schon im Althochdeutschen die Verhältniswörter
~ 65 -
ab-, bei-, über-, wider-, vor-, nach-, durch-, in-,
an-, sonder- dieselbe Rolle wie heute noch; auch
bei Zeitwörtern treffen wir dieselben Präfixe.
Fremden Ursprungs ist die Vorsilbe erz- aus gr. Präfix erz-
lat. archi-, z. B. Erzbischof 2l\xs archi-episkopus. Un-
selbständige Partikeln sind ahd. ga-, später ^^-, womit Präfix ga-
ursprünglich Kollektive d. h. Sammelbegriffe gebildet
wurden, z. B. Gebirge (zu Berg) -^ Gruppe von Bergen,
aber auch Adjektive wie ge-recht zu rechty und
zahlreiche Verben wie gebieten zu bieten u. s. w.
Ahd. ur- finden wir noch in Urteil, Urlaub , Präfix ur-
Urkunäe, während beim Zeitwort diese Vorsilbe zu
er- verblasste infolge der Tonlosigkeit : erteilen,
erlauben, erkunden. Die Vorsilbe un- dient zur Präfix un-
Verneinung: Unlust von Ltist, unlieb von lieb, un-
wissend von wissend. Im Ahd. dienten zum glei-
chen Zwecke auch die Vorsilben ä- und ö- z. B. Partikeln
ästiure „ohne Leitung** zu stiure „fest"; 6met „zwei- ^* ""^^ ^"*
tes Mähen" zu mät „Mahd" (nhd. Ohnmacht ist
aus 6- macht unter Anlehnung an „ohne" umgedeu-
tet). Meist nur bei Verben findet sich die Vor- Präfix zer-
silbe zer-, um Trennung auszudrücken, in zer-rin-
nen u. a. Ausschliesslich auf Zeitwörter beschränkt
sind d\^ Partikeln: be- ursprünglich bi-, verkürzt Präfix be-
aus bi - nhd.^ bei, in ahd. bidecken „bedecken"
und zahllosen anderen Beispielen. Die Vorsilbe
ent- bezeichnet Trennung wie in entlassen zu lassen, Präfix ent-
entsenden zu senden usw. Die Partikel ver-, die Präfix ver-
verschiedenen Ursprungs sein kann (got. faür-,
fair- und fra-) vereinigt ganz entgegengesetzte Be-
griffe in ihrer Verwendung, man vergleiche ver-
decken (zudecken), verjagen (wegjagen), verblühen
(authören zu blühen), verschlafen (übermässig schla-
fen), verdienen (Abschluss des Dienens) u.s.w. Die
Peltt, Die deutsche Sprache. 5
66
Zusammensetzungen endlich mit den aus alten Ad-
Vorsilben jektiven entstandenen Vorsilben miss- und voll-
miss- und ^j^ missachten, vollenden^ von denen die erstere
die Bedeutung des Verfehlten, Verkehrten, die letz-
tere des ErfüUens hat, führen uns hinüber zur
letzten Gruppe von Zusammensetzungen, bei der
zwei selbständige Wörter durch Aneinanderreihung
Zusammen- ein neues Wort bilden, die ergiebigste Quelle der
^^se /. e Wortschöpfung beim Hauptwort und Eigenschafts-
wort. Im Althochdeutschen pflegen Hauptwörter
mit den lebendigen Suffixen -äri, -unga, -nissi nicht
als erste Kompositionsglieder aufzutreten, ebenso-
wenig Adjektive auf -ag, -ig; als zweite Glieder
einer Zusammensetzung sind Ableitungen jeder Art
verwendbar. Häufig wird das zweite Glied, wenn
es Substantiv ist, schwach flektiert oder erhält ein
-ja-Suffix : ahd. giburti-tago ,, Geburtstag" von tag,
unwitiri „Unwetter" zu wetar. In der ältesten Eorm
der Zusammensetzung treten beide Glieder einfach
nebeneinander : Stahlfeder, Grossvater, Brennholz
(Subst. ♦ Subst., Adj. -+- Subst., Verb + Subst).
Bald aber wird die syntaktische Beziehung des
ersten Gliedes zum zweiten zum Ausdruck gebracht,
indem das erste Substantiv z. B. in den Genitiv
tritt : ahd. sunnüntag „Sonntag" eig. Tag der Sonne ;
Frankonofurt „Frankfurt" ^\%, Furt der Franken,
windisbrüt „Windsbraut". In diesen eigentlichen
Genitivverbindungen ist der Ursprung des s in der
Kompositionsfuge zu suchen, das besonders im
Neuhochdeutschen weit über sein eigentliches Ge-
biet hinausgreift. So steht neben der älteren Form
Amtmann die jüngere Amtsgericht, neben Blut--
räche — Bluts freund (Luther sagt noch Blutfreund)
und zahllose andere. Sogar Feminina erhalten dies
^ 67 -
s in der Zusammensetzimg durch Uebertragung :
Liebeslust y Zeitungsnachricht , Wissenschaftsdrang ■ a|j
u. s. w. " ; ;'^'i|
Bei vielen Zusammensetzungen ist ein Bestand- Kom|)oi5^
teil als selbständiges Wort untergegangen : Brom- ™i^ i^^^j
hcej'e (mhd. bräme „Dornstrauch"), Friedhof, dia- «angen^'
lektisch Freithof aus ahd. vrithof zu friten „hegen**; Wörtern.
Lindwunn zu ahd. lind „Schlange" sind Beispiele
für die Verdunkelung des ersten Bestandteils. Der
zweite Bestandteil ist ausgestorben in: Allraun zu i^
rüna „Geheimnis" ; Bräutigam zu gomo „Mann", .
Vormund zu munt ,, Schutz". Auch beide Bestand-
teile sind zuweilen abgestorben: Marschall, ahd.
marah -scalk zu marah „Pferd" und scalk „Knecht";
TruchsesSy ahd. truhsäzzo von truht „Schar" und
sitzen, und noch andere. Indessen empfinden wir
die letztgenannten Gruppen doch noch dunkel als Verdun-
Zusammensetzungen; aber manche ursprüngHch zu- kelte Kom-
sammengesetzte Wörter werden überhaupt nicht P^^*^^-
mehr als solche empfunden, z. B. bange aus bi-ange,
zu Angst, eng; glauben aus ahd. gi-louben, vgl.
er-lauben ; fressen aus ver-essen) heute aus ahd.
hiu-tu = altniederd. hiu-diga = lat. ho-die aus
hoc die „an diesem Tage", und noch viele andere
dieser Art.
Ausser den im Vorstehenden behandelten ab-
geschlossenen Bildungsweisen, bei denen die ersten
oder zweiten Bestandteile nicht mehr als selbstän-
dige Wörter empfunden werden, gibt es aber eine
Reihe solcher Glieder in lockerer Zusammenset-
zung wie voll-, all-, aller- oder -fach, -haft,
-hand, «mal usw., deren unabhängiges Vorkommen
als Eigenschafts- oder Hauptwort noch kein enges
Zusammenwachsen gestattet hat. Die Behandlung
5*
— OcS -^
solcher Wortgruppen würde uns an dieser Stelle
zu weit führen; wir begnügen uns mit dem Hin-
weis auf ihr Vorhandensein. Ein tieferes Eingehen
auf alle Kompositionsmöglichkeiten der deutschen
Sprache ist überhaupt bei begrenztem Räume un-
möglich, da sie so ausserordentlich mannigfaltig sind,
wie in keiner anderen modernen Sprache ; Die Zahl
der Zusammensetzungen mit Liebe beträgt nach un-
gefährer Schätzung allein 900 Wörter, mit „Mensch**
fast 450! Wer wollte eine solche Mannigfaltigkeit,
einen solchen Reichtum darstellend erschöpfen ?
Und noch ist die Quelle keineswegs versiegt; nein!
sie sprudelt lebendig immer weiter, stets neu ge-
bärend, und anderseits wird Altes, Verbrauchtes
fallen gelassen. Ein ewiges Werden und Vergehen
auch ira Leben der Sprache.
Wortton und Kunstformen der poetischen
Sprache im Althochdeutschen.
Schon in der indogermanischen Ursprache trug
stets eine Silbe den Hochton des Wortes, den man
gewöhnlich schlechthin als den „Akzent** bezeichnet.
Wir haben schon früher (§ 2, S. 1 1 f.) erwähnt, dass
die Stelle des Hochtons im Indogermanischen wech-
selnd war; bald ist die Stammsilbe, bald eine En-
dung, zuweilen auch eine Vorsilbe Trägerin des
Akzents. Vgl. idg. voida = got. wait „ich weiss"
neben vidm6n = got. witum „wir wissen**, (der
Unterschied von weiss und wissen geht also auf ur-
alte Betonungsverhältnisse zurück) ; idg. 6-drkon =
69 -
altind. ddrsam = gr. 6drakon „ich sah" mit Be-
tonung der Vorsilbe e- (im Griechischen Augment
genannt), zur Wurzel derk „sehen". Das Indische,
Griechische und Slavische zeigen noch in historischer
Zeit, mehrere slavische Sprachen noch bis heute diese
Freiheit in der Lage des Haupttons; das Germa-
nische hat sie in früher Zeit, indes erst nach dem
Auftreten der sog. ersteh Lautverschiebung, aufge-
geben : in geschichtlicher Zeit ist in allen germani-
schen Sprachen in der Regel die Stammsilbe, d. h.
meist die erste Silbe des Wortes, Trägerin des Haupt-
tons. Auch der indogermanische Unterschied zwi-
schen gestossenem und schleifendem Akzent (Akut
und Circumflex), den das Griechische und das Li-
tauische bewahrt haben, ist im Germanischen früh-
zeitig verloren gegangen. Dieser Unterschied war
ein wesentlich musikalischer, d. h. die Höhe des
Tones war beim Akut gleichbleibend, beim Circum-
flex fallend und steigend; selbstverständlich fehlt
uns bei der bloss schriftlichen Ueberlieferung jede
Möglichkeit, Genaueres darüber zu ermitteln; ebenso-
wenig können wir Näheres über die Melodik, das
Steigen und Fallen des Tones, im Satzzusammen-
hang angeben. Nur über die wechselnde Stärke
der Satz- und Wortbetonung sind wir durch einen
glücklichen Zufall für das Althochdeutsche unter-
richtet, da Otfried in seiner Evangelienharmonie
(§ 6> S. ^^ f.) teilweise den Wortakzent angibt, nämlich
an den hochbetonten Stellen in seinen Versen, und
besonders weil Notker sich für seine Schriften ein
eignes Akzentuationssystem geschaffen hat, das den
Hauptton der selbständigen Wörter uns kennzeich-
net. Je eine Probe aus Otfried und Notker möge
das Gesagte veranschaulichen :
Otfrieds
und
Notkers
Akzent-
bezeich-
nung.
- 70 —
Das Vaterunser in Otfrieds Bearbeitung in Versen
(im Auszug) :
Fater unser güato, uuih ^ si nAmo thiner.
Biqu6me^ uns thinaz richi, thaz hoha himilrichi.
Si uuillo thin hiar nidare sos 6r ist ufin himile.
Thia ddgalichun zühti*^ gib hiut uns mit ginühti^,
Sciild bilaz^ uns allen, so uuir ouh duan" uuollen.
Aus Notkers Uebersetzung des Trostes der Philo-
sophie von Boethius:
Tannän geskAh pi des cheiseres ziten Zenonis,
täz zuene chuninga nordenän chomene einer itno den
stuol ze Romo ündergieng ünde alla Italiam, änderer
nahor imo Greciam begreif unde diu länt, liu dan-
nän ünz ze Tüonouuo sint. Ener hiez in unsera
uuis ötacher, tiser htez Thioterih.
Ins heutige Hochdeutsch übersetzt:
Damach geschah (es) bei des Kaisers Zeno
Zeiten, dass zwei Könige, von Norden gekommen,
einer ihm den l'hron zu Rom entriss und ganz
Italien, (der) andere, ihm näher, Griechenland an
(sich) riss und die Länder, die von da bis an die
Donau- sind. Jener hiess nach unserer Art Otaker,
dieser hiess Dietrich.
Die Akzentuation ist bei den mitgeteilten Texten
(und auch in anderen, z. B. Willirams Psalmenüber-
setzung) nicht konsequent durchgeführt, indes ge-
nügt das Vorhandene, wenn wir die ahd. Verskunst
zur Ergänzung heranziehen, um uns über das Wesen
der althochdeutschenWortbetonung Klarheit zu geben.
Hauptton. Wir ersehen daraus folgendes: Die Stammbetonung
* geweiht, * komme, ^ Unterhalt, * Genöge, ^ erlass, ® tun.
— 71 . —
ist die Regel, meist fällt Stammsilbe und erste Wort-
silbe zusammen: Fdter ,, Vater", chuninga „Könige",
chomene „gekommen", älla „all", nordenän „von
Norden" u. s. w. In Zusammensetzungen erhält der
wichtigere Bestandteil den Ton, meist ist es der
erste: ddgalich ,, täglich", himilrich „Himmelreich".
Präfixe sind teils unbetont: geskah „geschah", bi-
qu6me „komme", begreif „ergriff"; andere tragen
den Ton: ündergieng „entriss". Es sind die vom
Verb untrennbaren Partikeln er-, ent-, ob-, ver-, zer-,
bi- im Althochdeutschen stets unbetont; schwankend
ist der Brauch bei duruh-, hintar-, umbi-, ubar-,
untar-, widar*. Beides entspricht dem heutigen
Gebrauch : eriaiibeHy entlassen , w'ge'ssen, zerteilen ^
bereiten; /linterlegen^ ül)ersetze7i^ aber t'tbersetzen (über
einen Fluss); nmge/ten (ein Gesetz), aber ümgeJien
(von Geistern). Die Verteilung ist bei den letzt- Betonte
genannten Präfixen schon seit altdeutscher Zeit der- ""^
art, dass bei trennbarer Zusammensetzung das Prä- "p ^^^ ^
fix betont ist, bei untrennbarer Zusammensetzung
aber nicht. Immer unbetont ist bei Verb und No-
men das Präfix ga-: geskah ,,gescitait*% g'abirgi
y/rebirge^^. Die vom Zeitwort trennbaren Partikeln
ab-, an-, nach-, vor-, auf-, aus-, ob-, zu- und einige
andere sind, wie heute noch, stets betont: ablassen,
ansehen y nachsenden, vorrücken, anfbrecJien, obsiegen
u. s. w. Von den noch selbständigen Vorsilben ist
voll- unbetont: ahd. fulgängan, nhd. vollzieJien\ bei
all- schwankt der Gebrauch; beim Substantiv ist es
betont: Allmacht, beim Adjektiv unbetont: allmäcli^
tig. Wenn die Präfixe, über deren Verbindung mit
Verben wir gesprochen haben, mit Substantiven ver-
bunden sind, so tragen sie stets den Ton: ahd. änt-
wurti ,,Antworf% bispel ,, Beispiel'', urteil ,, Urteil'',
~ 72 -
ürkundt ..Urkunde^* nhd. Vorschlag und andere, bei
denen die Betonung den vollen Vokal der Vorsilbe
erhielt, ebenso wie in der Partikel un-, die meist
betont ist: Unlust^ unredlich. Doch ist hier schon
in ältester Zeit die Lage des Akzents schwankend ;
so finden wir bei Otfried ungiloübige y,Ungläubige'\
Auch die Lehnwörter des Althochdeutschen fügen
sich der germanischen Betonungsweise und ziehen
den Akzent auf die erste Silbe zurück: lat. mona-
st6rium wird Münstery paldtium Pfdlz^ canilis dial.
Kinnely favonius Schweiz. Föhn^ pulvinar Pfühl u. s. w.
Nebenton. Ausser dem Hauptton tragen mehrsilbige und
besonders zusammengesetzte Wörter feinen Neben-
ton (gewöhnlich mit einem Gravis ' bezeichnet).
Lange Ableitungssilben haben regelmässig einen sol-
chen; so z. B. die Ableitungssilben ahd. -äri, -inne,
•nissi, -unga: scribäri „Schreiber**, küninginne „Köni-
gin**, gehdltnissi ,, Erhaltung**, k6stünga „Prüfung**.
Der Nebenton kann also direkt auf den Hochton
folgen, kann aber auch durch eine unbetonte Silbe
von ihm getrennt sein. Ueberhaupt herrscht das
Bestreben vor, den Nebenton meistens auf die dritte
Wortsilbe fallen zu lassen, besonders wenn die hoch-
betonte Silbe kurz oder wenn nach langer Stamm-
silbe die dritte wieder lang ist (^ - ^ oder - - -, wo-
bei - == Kürze, - = Länge ist) : ahd. thdnanä „von
dannen**, fremid^r „Fremder** (^ - ^) ; kindilin „Kind-
lein**, wizagön „weissagen** (-i - i). Tritt dagegen
der Fall ein, dass nach langer Stammsilbe zwei
Längen oder zwei Kürzen folgen, so scheint die
Lage des nächstfolgenden Hochtons für die Stellung
des Nebentons massgebend gewesen zu sein, d. h.
es fand ein Abwiegen der rythmischen Satzbetonung
statt.
— 73 —
In zusammengesetzten Wörtern, deren zweiter Betonung
Bestandteil früher selbständig war oder noch als ^"^^™^^j^'
selbständiges Wort vorkommt, trägt dieser natürlich Wörter,
den höchsten Nebenton und zwar an der Stelle,
wo das unabhängige Wort den Hauptton gehabt
hätte. Es wird also betont ahd. ku6nhelt ,, Kühn-
heit**, bru6derscif „Brüderschaft**, ärzetuöm ,,Heil-
kunde**, brÄtlih „bräutlich**, bru6derlih „brüder-
lich**, ddncbäri „dankbar** usw. Von Nebeneinan-
derstellungen seien als Beispiele erwähnt : ahd. Frän-
konofürt „Frankfurt**, maganchräft „Majestät**, h6h-
s^dal „Thron, Hochsitz** u. s. w.
Das Verständnis für die althochdeutsche Vers-
kunst wird bedingt durch die Kenntnis der althoch-
deutschen Betonungsweise, der Verteilung von
Hoch- und Tiefton, was wir im Voranstehenden aus^
geführt haben.
Der althochdeutsche Vers besteht aus einer Althoch-
Abwechslung von hochbetonten Silben (Hebungen) deutscher
und nebentonigen oder tonlosen Silben (Senkungen), ^"'
die sich auf die zwei Hälften des Verses verteilen.
Die Verse sind in der Regel reimlos und folgen
in fortlaufender Reihe ohne strophische Gliederung
aufeinander. Die ältere Ansicht über die Zahl
der Hebungen in einem Verse ging dahin, jedem
vier Hebungen oder jedem Halbverse zwei Hebungen
zuzuschreiben. Neuerdings begnügt man sich da-
mit, besonders mit Rücksicht auf die übrigen ger-
manischen Dialekte, für jede Vershälfte nur eine He-
bung anzusetzen neben einer freigegebenen Zahl
schwachbetonter oder unbetonter Silben. Länge
oder Kürze der Silben kommt für den althoch-
deutschen Vers nicht in Betracht; einzig und allein
ration.
— 74 ~
die Tonstärke einer Silbe bestimmt ihre Verwen-
dung im Rhythmus des Verses. Daraus dürfen wir
den Schluss ziehen, dass der altgermanische Vers
nicht gesungen, sondern rezitiert wurde, dass also die
Poesie nur die feierliche, gehobene Form der Prosa-
rede darstellt. Als weiteren Schmuck der poe-
tischen Sprache und wohl auch zur stärkeren Her*
^^1^[V vorliebung der hochbetonten Silben dient das Kunst-
mittel der Alliteration oder des Gleichklangs. Je zwei
Halbzeilen werden durch den gleichen Anlaut von
wenigstens einer Hebung zum vollen Vers, zur Lang-
zeile gebunden. Wörter, die entweder mit dem
gleichen Konsonant (der gleichen Konsonantenver-
bindung) oder mit einem Vokal beginnen, sind in einem
Verse die Alliterationsträger. Zahlreiche Wendungen
in der heutigen Sprache weisen solche Alliterationen
auf: Mann und Maus, Kind und Kegel, Tod und
Teufel. Meistens verteilen sich die alliterierenden
Anlaute in einer Langzeile derart, dass auf die erste
Halbzeile ein oder zwei alliterierende Worte, Stäbe
oder Stollen genannt, auf die zweite Hauptzeile
der Hauptstab kommt. Träger der Alliteration ist
in der Regel das am stärksten betonte Wort ; dies
ist in der ersten Halbzeile meist das erste, das
schwächer betonte kann aber mitalliterieren; in der
zweiten Halbzeile ist es stets das erste Wort. Am
häufigsten alliterieren Haupt- oder Eigenschaftswör-
ter als die am stärksten betonten Satzglieder; in-
des kann in der ersten Halbzeile auch das Zeit-
wort alliterieren, seltner und nur des Nachdrucks
wegen in der zweiten Halbzeile. Um das Gesagte
zu veranschaulichen, mögen einige Verse des Hilde-
brandliedes (s. ^ 6, S. 32 f.) dienen. Es ist die
Klage Hildebrands über sein hartes Schicksal, das
— 75 -
ihn zwingt mit seinem eigenen Sohne zu kämpfen
(die Alliteration ist durch den Druck hervorgehoben):
Welaga nü, waltant got, wewurt skihit.
Weh nun, waltender Gott, Wehgeschick geschieht.
Ih wallöta sumaro enti wintro sehstic ur lante,
Ich wallte Sommer und Winter sechzig ausser
Landes,
Dar man mih eo scerita in folc sceotantero,
Wo man mich je scharte in (das) Volk (der)
Kämpfer,
so man mir at burc enigeru banun ni gifasta.
Doch man mir in irgend einer Stadt (den) Tod
nicht bereitete.
Nü scal mih suäsat chind swertu hauwan
Nun soll mich (das) eigne Kind (mit dem)
Schwerte hauen,
bretön mit sinu billiu eddo ih imo ti banin
werdan.
zerschmettern mit seiner Streitaxt oder ich ihm
zum Mörder werden.
Ausser der Abwechslung von Hebung und
Senkung und der beide Halbzeilen bindenden Al-
literation sind die Kunstmittel altgermanischer Dich-
tung nur gering: Formelhafte Wendungen, die sich
bei den verschiedenen Sprachstämmen wiederfinden,
sind sehr beliebt. Jede Halbzeile bildet eine syn-
taktische Einheit, indes ist eine gedankliche Ver-
bindung über den Verseinschnitt wie auch von zwei
aufeinanderfolgenden Versen nicht ausgeschlossen.
Es konnte nicht ausbleiben, dass ein so primi-
tives Kunstmittel, wie es die altgermanische Lang-
zeile ist, der flüssigeren lateinischen Verskunst mit
ihren voUklingeuden Reimen, deren sich z. B. die
- 76 -
kirchlichen Hymnen bedienten, mit der fortschrei-
tenden Bildung weichen musste. Daher sind die
Reste althochdeutscher alliterierender Dichtung sehr
spärlich. Ausser dem Hildebrandslied nur das
Muspilli, das Wessobninner Gebet und die zwei
Merseburger Zaubersprüche (s. § 6, S. 33), und auch
bei diesen finden wir die Kunstform der Allitera-
tion schon durchbrochen von prosaischen Zusätzen.
Im Altniederdeutschen sind im Heliand, im Alteng-
lischen im Beowulf grössere alliterierende Dichtungen
erhalten; das Althochdeutsche dagegen hat nur
Bruchstücke aus einem ursprünglich wohl reichen
Schatz an alliterierender Dichtung aufzuweisen.
Otfrieds Verdrängt wurde die alliterierende Dichtung
durch ihre Anpassung an die strophische Hymnen-
dichtung, die schon längere Zeit das Kunstmittel
des Reimes kannte. Der Urheber dieser neuen
Dichtungsform ist Otfried, der Verfasser der Evan-
gelienharmonie. Ganz konnte er die althochdeutsche
Sprache nicht in das Schema des lateinischen Ver-
ses zwängen, er musste vielmehr den Versakzent
in Einklang mit dem Akzent der natürlichen Rede
bringen, den er ja, wie oben gesagt, auch
noch ausdrücklich als solchen kennzeichnet. Ot-
frieds Vers hat wie die alliterierende Langzeile vier
Hebungen, zwei Haupthebungen und zwei Neben-
hebungen, von denen aber oft nur die ersteren
durch einen Akzent kenntlich gemacht werden.
Zwei Strophen mögen das Gesagte veranschaulichen :
Tho erstarp ther kuning Her6d
Da starb der König Herodes
joh hina füarta inan tod :
und hinnen fuhr in den Tod:
'^&
— 77 —
mit tode er däga fulta
mit Tod er (seine) Tage beschloss
ther io in abuh wolta.
der immer das Böse wollte.
Thar Joseph was in Idnte
dar Joseph war im Lande
hina in 61ilante,
hinweg im Elend (== Ausland)
quam imbot imo in droume,
kam (das) Gebot ihm im Traume,
er thes kindes wola goume ....
(dass) er des Kindes wohl achte ....
Ueber die Zeit nach Otfried lässt sich wenig
Sicheres sagen. Die Verskunst ist von der alten
Regelmässigkeit ganz abgekommen, so dass sich über-
haupt kaum irgend welche Regeln für sie aufstellen
lassen. Erst in mhd. Zeit taucht wieder eine ge-
ordnete Verskunst auf, über die im folgenden Ab-
schnitt zu sprechen ist (§ i6).
ÖD
Kap. III.
Der mittelhochdeutsche Zeitraum
(i 100—1500).
Uebergangszeit vom Althochdeutschen zum
Mittelhochdeutschen.
Die althochdeutschen Literaturerzeugnisse, die
uns erhalten geblieben sind, stellen fast ausschliess-
lich Werke von gelehrten Geistlichen vor, teils Ori-
ginalarbeiten wie Otfrieds Evangelienharmonie, teils
Uebersetzungen lateinischer Werke, wie Notkcrs Ar-
beiten. Von volkstümlicher Poesie — eine volks-
tümliche Prosa gab es kaum — sind uns nur wenige
Reste durch Zufall erhalten, wie das Bruchstück aus
dem Hildebrandslied oder das Ludwigslied. Wohl
hatte Karl der Grosse mit seinem weiten Blick vor-
gehabt, dem deutschen Heldengesang ein anderes
Schicksal zu bereiten, aber seine Nachfolger hatten
kein Verständnis für seine Bestrebungen, und so
gab es noch 300 Jahre nach seinem Tode keine
volkstümliche Literatur, wenigstens keine geschrie-
bene. Es war auch niemand da, der eine solche
hätte pflegen können : die Geistlichen, die allein zu
schreiben verstanden, pflegten das Lateinische und
nur nebenbei die deutsche Sprache für ihre kirch-
lichen Zwecke; Selbstzweck war die deutsche Dich-
— 79 —
tung ihnen nicht. Das Volk ruhte in dumpfer geistiger
Untätigkeit, gebeugt unter weltliche und geistliche
Herrschaft.
Erst die Kämpfe zwischen diesen beiden Ge- Auf-
walten in der zweiten Hälfte des 1 1 . Jahrhunderts, schwung
die lange Jahre des Bürgerkrieges, der Verwüstung Geistes-
und des Mordens für Deutschland zur Folge hatten, lebens in
weckten das Bürgertum, besonders in den Städten, Deutsch-
zu neuem Leben. Dann kamen die Kreuzzüge mit
ihrem Zufluss französischer Pilger und Streiter über
Deutschland hinweg; die Berührungen mit fernen
Landen auf den Heerfahrten erfüllten die empfang-
liche Volksseele mit neuen Ideen, gaben der poeti-
schen Schöpfung neuen Inhalt, dem die Form durch
Entlehnung aus der fortgeschritteneren französischen
Liteiatur gewonnen ward. Neben der Geistlichkeit,
die ihre Rolle in der Dichtung weiterspielte, tritt
nun das ritterliche Element auf den Plan ; beide
aber dichten nicht mehr für ihre besonderen Kreise,
wie die Geistlichen in althochdeutscher Zeit, son-
dern für das ganze Volk, das nun auch regeren
Anteil an den dichterischen Erzeugnissen nimmt.
Auch ist die literarische Produktion nicht mehr
landschaftlich beschränkt; eine gegenseitige Beein-
flussung der verschiedenen Stämme ist deutlich zu
merken. Diese konnte umso eher eintreten, als nun-
mehr die Sprachen der verschiedenen Stämme durch
gemeinsame Umwandlungen sich ähnlicher geworden
waren als im Althochdeutschen. Die vollen Vokale Verfall der
der Endsilben und Mittelsilben waren zumeist ver- E"<if»lf>^"-
blasst, eine weitere Wirkung des germ. Stammbe-
tonungsgesetzes : seitdem der uralte Wechsel der Be-
tonung zwischen Stamm und Endungen aufgegeben
worden, war die immer weitergehende Schwächung
__ 8o ' -
und Abschleifung der letzteren unvermeidlich ge-
worden. So ist beim ahd. Dativ Pluralis tagum,
tagom, tagun, tagon die Mannigfaltigkeit der Formen
verschwunden, einförmiges tagen entspricht ihnen.
Das Althochdeutsche unterschied die Nom. Plur.
tagä (a-Dekl.) und gesti (i-Dekl.); das Mittelhoch-
deutsche lässt sie zusammenfallen: tage — geste.
Ahd. lembir wird mhd. lember, ahd. geböno zu mhd.
geben, ahd. zungün zu mhd. zungen. Ebenso wer-
den die volltönenden Vokale bei der Adjektivdekli-
nation geschwächt, kurze Vokale am Schlüsse zwei-
silbiger Endungen abgestreift; nur die Endung -iu
im Nom. Sing. Fem. und Nom. Plur. Neutr. hält sich
im Mittelhochdeutschen. Aus dem Dativ Sing, blin-
temu wird blindem(e), aus dem Nom. Plur. Fem.
blinto wird blinde, Nom. Neutr. Sing, blintaz wird
blindez; allein blintiu bleibt als blindiu bestehen.
Auch dem Verbum ergeht es so ; nimu „ich nehme**
heisst jetzt nime, nämum „wir nahmen** wird nämen.
Im Mittelwort der Vergangenheit wird ginoman zu
genomen. Das Althochdeutsche erhielt durch die
Entwicklung mannigfacher Sekundärvokale in Stamm-
silben eine noch buntere Färbung; im Mittelhoch-
deutschen sind sie ebenfalls zu e geschwächt oder
wieder ganz untergegangen; man vergleiche ahd.
weralt, werolt mit mhd. werelt, werlt „Welt", ahd.
beraht mit mhd. berht „glänzend", ahd. garawo, ga-
rawer mit mhd. gare, garwer „gar**, ahd. falo, fala-
w^r mit mhd. val, valwer „fahl*'.
Umlaut. Der Umlaut dagegen, zu dem wir in althoch-
deutscher Zeit erst die Ansätze finden und der kaum
über die Verwandlung von a zu e vor i (j) der
folgenden Silbe, wenigstens in der schriftlichen Wie-
dergabe, fortschreitet, erfasst nun auch die dunk-
j
— 8i ~
leren Vokale o, u, ou, uo, 6, ü : mhd. möhte = ahd.
mohti; süne „Söhne*' = ahd. suni; Indikativ wir fuoren
(ahd. End. -um) ; Konjunktiv wir füeren (ahd. End.
-im) ; hoch — hoeher — hoehest, ahd. höhir — höhist;
hüs i,Haus", Plur. hiuser = ahd. hüsir u. s. w. Auch
langes ä wird jetzt umgelautet zu ae: mhd. mä^e
„Mass" — mae5ec „massig" = ahd. mä^lg.
Um das Jahr 1080 etwa sind die Verände-
rungen, die das Althochdeutsche vom Mittelhoch-
deutschen trennen, abgeschlossen; die literarischen
Werke aus dieser Zeit zeigen überall und überein-
stimmend dieselben Merkmale. Freilich sind sie
noch nicht streng durchgeführt; bis ins 13. Jahrhun-
dert treten gelegentlich in den Handschriften bei
Mittelsilben noch volle Vokale auf (die sich ja in
den Mundarten bis auf den heutigen Tag vereinzelt
erhalten haben), besonders auf süddeutschem Ge-
biet, im Alemannischen, wo die langen Vokale der
Endungen erhalten bleiben, die kurzen dagegen zu
e geschwächt werden. Aber auch bei diesen ist die
Schwächung nicht gleichmässig erfolgt; auch hier geht
der Norden dem Süden voraus. Der letztere stellt
überhaupt das schwerfalligere, konservativere Element
vor, eine Erscheinung, die wir bis auf den heutigen
Tag verfolgen können und die den süddeutschen
Mundarten ihr untJestreitbar altertümlicheres Gepräge
gegenüber den mitteldeutschen von jeher verliehen hat
und noch verleiht.
Ausdehnung und Gebrauch der hochdeutschen
Sprache in mittelhochdeutscher Zeit
Wenn wir gesehen haben, dass in althochdeut-
scher Zeit die Elbe, Saale und Enns etwa die öst-
FelBt, Die deutsche Sprache. 6
-'.=^^r;-^:^Tr^?-^ - -~j , ^1^^ ' ■
-- 82 —
Vordringen
der
deutschen
Sprache im
Südosten.
Sieben-
bürgen.
In Mittel-
deutsch-
Nnd.
liehe Grenze der deutschen Sprache bildeten, so
bemerken wir schon gegen Ende der ersten Sprach-
periode ein Uebergreifen des Deutschen in das
Nachbargebiet. Die Fortschritte der deutschen
Sprache hängen fast ausnahmslos zusammen mit
kriegerischen Erfolgen deutscher Könige oder Her-
zöge gegen die benachbarten slavischen Völker-
schaften, im Süden auch mit der Niederwerfung der
Avaren durch Karl den Grossen im Jahre 796 und
der endgültigen Besieguijg der Ungarn durch Otto I.
in d^r Schlacht auf dem Lechfelde (955). Karl
gründete bekanntlich gegen die Avaren die Ost-
mark jenseits der Enns, die von zahlreichen bai-
rischen Kolonisten bevölkert wurde und ihre Gren-
zen bald auch nördlich der Donau ins Land der
Mähren ausdehnte. Sicherer Besitz wird sie frei-
lich erst nach der Zurückdrängung der Ungarn, -
aber alsdann dehnt sie ihr Gebiet auch östlich wei-
ter aus, greift über die Leitha hinüber und sendet
bis tief ins eigentliche Ungarn versprengte Kolonien.
Die entlegenste und ausgedehnteste von ihnen, das
Land der sog. Siebenbürgischen Sachsen, ist erst eine
Gründung des 12. und 13. Jahrhunderts und auch
nicht von Sachsen bevölkert worden, sondern von
ripuarischen Franken aus der Moselgegend, wohin
die noch erkennbaren Uebereinstimmungen zwischen
der Sprache der Siebenbürger und Moselbewohner
weisen. Schon früher sind Steiermark und Kärnten
gründlich germanisiert, und die Sprachgrenze ist
bis zur Donau vorgeschoben worden, ehe an einer
anderen Stelle der deutschen Grenze die Wieder-
eroberung altverlorenen Gebiets gelang.
Denn in Mitteldeutschland am oberen Main
waren slavische Völkerschaften tief in Deutschland
- 83 -
eingedrungen. Erst der letzte Sachsenkaiser Hein-
rich II. gewann sie für deutsches Wesen und deut-
sche Sprache, , als er zur Bekehrung der noch heid-
nischen Bewohner dieser Gegend das Bistum Bam-
berg gründete (1007). Wenn er auch damit vor-
wiegend kirchliche Zwecke verfolgte, so hat doch
die' Gründung und Pflege dieses Bistums der deut-
schen Sprache mächtigen Vorschub geleistet. Von
Oberfranken aus schiebt sich alsdann mit deutschen
Ansiedlern auch die deutsche Sprache nach und
nach tiefer in Böhmen ein, dem Lauf der Eger Böhmen,
folgend; bald überschwemmen deutsche Einwan-
derer Böhmen, besonders gegen Ende des 13. Jahr-
hunderts, wo Rudolf von Habsburg seinen entschei-
denden Sieg über Ottokar von Böhmen (1278) er-
ficht. Im 14. Jahrhundert, als die Luxemburger
auf dem deutschen Kaiserthron sitzen und in Prag
residieren, hat Böhmen das Aussehen eines deut-
schen Landes angenommen; im Jahre 1348 wird
in Prag die erste deutsche Universität von Karl IV.
gegründet. Erst durch die Hussitenbewegung
(14 19 — 1434) im folgenden Jahrhundert gewann
das tschechische Element wieder die Vorhand, und
seitdem hat die deutsche Sprache immer weiter zu-
rückweichen müssen und behauptet heute nur mit
Mühe ihr spärliches Gebiet an der Nord- und West-
grenze Böhmens.
Andere Gebiete aber, deren Neuerwerbung in
dieselbe Zeit fallt, blieben dem Deutschtum dauernd
erhalten. Schon Karl der Grosse hat die Ansied- Schlesien,
lung deutscher Kolonisten im Osten des Reiches
auf dem Gebiet der besiegten Slavenstämme be-
gonnen; die Ottonen haben sie verstärkt, aber in
den Wirren des Investiturstreits im 1 1 . Jahrhundert
6*
- 84 -
war der Riickstoss der Slaven erfolgt; nur die süd-
lichsten Gebiete, Meissen und die Lausitz, konnten
von den Deutschen dauernd gehalten werden. Doch
war der Stillstand nur ein zeitweiliger: mit dem
Wiedererstarken der deutschen Kaisergewalt unter
den Hohenstaufen beginnt die Flut deutscher Ein-
wanderung sich bis nach Schlesien zu ergiessen,
um von dem einmal gewonnenen Gebiet nichts mehr
aufzugeben. Wie es im Donaulande wesentlich Baiem
und Oberfranken waren, die der deutschen Sprache
weiteres Gebiet gewannen, so bewirken in dem letzt-
genannten Gebiete Mitteldeutsche, die ihren Stütz-
punkt in Thüringen hatten, die Besiedlung. Auch
Nordmark, nach Nordosten hin über die Elbe und Saale er-
folgt schon frühzeitig der Vorstoss der deutschen
Ansiedlung. Karl der Grosse, Heinrich I. und Otto I.
dehnten in ihren Kriegen gegen die Wenden das
Gebiet der deutschen Sprache aus. Aber erst im
12. Jahrhundert wurden diese Gebiete dauernd für
das Deutschtum gewonnen, und durch die Kämpfe
des Deutschritterordens wird Preussen und die Ost-
seeküste bis zum finnischen Meerbusen hinzugefügt.
Wie es in der Natur der Sache lag, waren die Be-
siedler dieses Gebiets meistens die nächstwohnen-
den Niederdeutschen, besonders Sachsen, aber auch
viele Mitteldeutsche, so dass hier die mitteldeutsche
Sprache vorherrscht, die ein Bindeglied zwischen
den Niederdeutschen und den auch nicht wenigen
oberdeutschen Kolonisten bildete.
-^"s- Aber nicht nur nach Aussen hin gewinnt die
^de""^ deutsche Sprache im Laufe der mittelhochdeutschen
Deutschen Zeit an Ausdehnung, auch im Innern, in ihrer Ver-
im Innern. Wendung als Sprache der Dichtung, sowohl in Poesie
wie in Prosa, und zur Abfassung von Urkunden aller
^y^i^^^W^T
- 85 -
Art nimtnt sie einen gewaltigen Aufschwung. Ueber
die literarische Tätigkeit dieser Periode werden wir
im nächsten Abschnitt (§ 13) sprechen; deshalb
können wir uns hier darauf beschränken, die zu-
nehmende Verwendung der deutschen Sprache an
Stelle der lateinischen in öffentlichen und privaten
Urkunden zu betrachten.
Während der ganzen Dauer der althochdeut- t)^s
sehen Periode und auch zu Beginn der mittelhoch- P^"|^che
deutschen Zeit ist die Sprache der Urkunden aus- ^jrkunden.
schliesslich lateinisch, wie sie die Schreiber in den
Kanzleien der fränkischen und deutschen König« ""
aus römischer Zeit übernommen hatten. Als aber
die deutsche Sprache immer mehr zum Mittel des
schriftlichen Verkehrs ausgebildet wurde, als sie
die Sprache der nationalen Dichtung und Geschichts-
schreibung geworden war, da kam das , Deutsche
auch als Sprache der Gesetze und Urkunden zu
seinem Recht. Zwar sind uns schon aus altdeutscher
Zeit Bruchstücke einer deutschen Uebertragung der
Gesetze der salischen Franken erhalten, doch erst
aus unserer Periode stammt das erste vollständige
deutsche Gesetzbuch, der Sachsenspiegel des Eyke
von Repgow in niederdeutscher Sprache (etwa 1230),
der das Vorbild für die oberdeutschen Gesetzessamm-
lungen, den Schwaben- und Deutschenspiegel wurde.
In den dreissig er Jahren des dreizehnten Jahrhunderts
beginnen auch vereinzelt die ersten deutschen Ur-
kunden aus der kaiserlichen Kanzlei zu erscheinen;
1235 wird der von Friedrich IL in Mainz verkündete
Landfriede ins Deutsche übersetzt, aus dem Jahre
T 238 stammt die erste uns erhaltene deutsche Ori-
ginal-Urkunde, ein Schiedsspruch zwischen Albrecht
IV. und Rudolf III. von Habsburg. Um die Mitte
— 86
^ Stadt-
^urkunde.
desselben Jahrhunderts treten schon ganz häufig
Städteurkunden in deutscher Sprache auf; früher im
Südwesten, später in Mitteldeutschland. In Strass-
burg z. B. war um 1260 die Anwendung der deut-
schen Sprache in den Urkunden ganz geläufig. Eine
Bekanntmachung des Strassburger Bischofs Walter
an seine aufrührerischen Bürger vom 25. Juni 1261
beginnt folgendermassen :
Wir bischof Walter zi Stra^burc von gots gnaden
tun kunt allen unseren lieben burgern von Stras-
burg, die uns arges hant irläsen (feindseliges Vor-
gehen erlassen), da^ wir virnommen hant (haben),
da; summeliche (etliche) unser bürgere von Stra;-
burc die vorderunge, die wir hant, uns virkerent
(verdrehen) anders denne (als) unser wille si (sei)
unde unser herz stA (steht), unde jehent (behaupten)
des wir wellen unsere burger triben (treiben) üjer
(ausser) irme (ihrem) rehte, alse si herkommen sin.
Den entscheidenden Schritt, die deutsche
Sprache für die Abfassung der Urkunden vorzu-
schreiben, soll Rudolf von Habsburg im Jahre 1274
auf dem Nürnberger Reichstage getan haben. In der
Tat finden wir seit dieser Zeit zahlreiche Urkunden
Rudolfs aus den verschiedensten Gegenden des Reichs
in deutscher Sprache abgefasst. Eine Urkunde vom
I. Febr. 1275, ausgestellt zu Nürnberg, beginnt:
Kaiser- Wir Rudolf von godis gcnadin ein roemisch
Urkunden, j^m^inc unde ze allin zidin ein merer [des riches]
dun (tun) kunt allin den, die diesen brief anese-
hent Die Sprache ist augenscheinlich mittel-
deutsch, wie diG i der Endungen, das d in dun be-
weisen. Weniger zeigt solche Merkmale die in Mainz
am 24. Oktober 1283 ausgestellte Sühne, die beginnt:
- 87 -
In gottes namen amen. Wir Rudolf von gottes
genaden rSmscher kunic und ein merer des riches
tim kunt allen den die disen brief sehent oder
horent lesen, da^ wir haben gescheiden (versöhnt)
unser lieben viirsten Wernheren der (!) erzebischof
von Megencze und Heinrichen den lantgraven von
Hessen mit ir beider gunst und willen .... Sie
schliesst: Dise süne (Sühne) wart gemachet und
dirre (dieser) brif geschriben' ze megencze (Mainz)
des sammestages (Samstags) vor sante Simonis
. . . . do von gottes geburte waren tusend iar,
zweihundert iar und driu und achtzek iar, in dem
zehenden iare unseres kunecriches.
Der bairische Landfriede, gegeben zu Regens-
burg und datiert vom 6. Juli 1281, verrät dagegen
deutlich den oberdeutschen Schreiber. Er lautet
zu Anfang und zu Schluss: Wir Rudolf von gotes Land-
gnaden Römischaer chunig und immer meraer des friede,
ryches tun allen den chunt di disen prief ansehent
und horent da; nach unserm gebot gesworn ha-
bent unser lieb fürsten Ludwich (!) und Hainrich
pfalzgraven von Ryn und herzogen ze Baiern ...
und welln und gebieten auch, da^ die bischof di
zu dem-lant ze Baiem gehorent .... sweren di-
sen lantzfrid bis ze den Winachten di nu chompt
von danne über driu iar ... . Dirre vrid ist ge-
staetiget und gesworn da ze Regenspurch von do
unsers herrn geburt was zwelf hundert iar und aines
und achtzk iar. (Die fettgedruckten Laute sind
oberdeutsch.) S. den Abdruck einer Urkunde auf
Tafel V.
Wir sehen also, dass gegen das Ende des 13.
Jahrhunderts die deutsche Urkunde nicht mehr sel-
ten ist, aber die Sprache ist noch weit von der
— 88 —
einheitlichen Gestaltung entfernt; jeder Schreiber
verwendet seine ihm geläufige Mundart. Seitdem
dringt die deutsche Sprache in den Urkunden im-
mer weiter vor, und um das Jahr 1330 spätestens
ist auch bei der kaiserlichen Kanzlei ihr Sieg über
die lateinische Sprache entschieden. Trotz man-
cher Rückschläge, wie der Verbote Karls IV. und
vieler geistlichen Fürsten, über die heilige Schrift
deutsche Bücher abzufassen, ist ihr Vordringen nicht
mehr aufzuhalten. Auch die Urkunden und Auf-
zeichnungen der Gerichte werden bald deutsch ab-
gefasst; selbst die Reichshofgerichtskanzlei nimmt
die deutsche Sprache für ihre Erkenntnisse an.
Zu Anfang schliesst sich naturgemäss die deutsche
Urkunde eng an ihr lateinisches Vorbild an; um
die Mitte des 14. Jahrhunderts indes beginnt in
einzelnen grösseren Kanzleien wie Mainz und Trier
sich ein regelmässiger Kanzleistil auszubilden, später
bei den kaiserlichen Kanzleien (unter Karl IV.).
Wenn auch die Kanzleisprache noch lange keine ein-
heitliche in Deutschland war, wie wir an obigen Bei-
spielen sahen, so muss doch immerhin eine gewisse
Beeinflussung von Seiten der kaiserlichen Kanzlei
schon gegen das Ende des Mittelalters stattgefun-
den haben, da die kaiserlichen Urkunden, die
Landfrieden z. B., auf weiteste Verbreitung berech-
net waren und stets in vielen Abschriften herge-
stellt wurden. Aber von einer einheitlichen Schrift-
sprache sind wir deshalb in der klassischen Zeit
der mittelhochdeutschen Literatur und auch nach-
Mhd. her noch weit entfernt. Sicher sind Anfänge einer
Schrift- Vereinheitlichung der Schriftsprache vorhanden,
spräche, ^vorauf ja die weite Verbreitung der poetischen
und prosaischen Erzeugnisse in jener Zeit drängte.
"T"T— -T^^
_ 89 -
Jeder Dichter wollte doch nicht bloss in seiner
Heimatgegend, sondern soweit die deutsche Zunge
reichte, gelesen und verstanden werden. Deshalb
vermeiden die grossen Dichter wie Gottfried von
Strassburg, Walter von der Vogelweide, Wolfram
von Eschenbach und andere (s. § 13) das grob
Mundartliche so sehr, dass wir bei Walter z. B.,
dessen Heimat nicht sicher feststeht, dieselbe aus
seiner Sprache nicht ermitteln können. Aber eine
einheitliche Gestaltung der Schriftsprache ergab
sich aus diesen Bestrebungen nicht, wenn auch die
kritischen Ausgaben mittelhochdeutscher Dichtungen
eine normalisierte Sprache zeigen, die nur auf
Rechnung der Herausgeber zu setzen ist; die Hand-
schriften zeigen ein weit bunteres Bild in ihrer
sprachlichen Form. Die Frage, ob eine einheit-
liche Schriftsprache in mittelhochdeutscher Zeit be-
stand, gehörte eine Zeitlang zu den heissumstritten-
sten Problemen der germanistischen Wissenschaft.
Heute darf es als entschieden gelten, dass wir
eine solche Schriftsprache nicht nachweisen können,
dass vielmehr jeder Schriftsteller sich seiner hei-
matlichen Mundart bediente, deren gröbste Eigen-
tümlichkeiten er durch seine Kenntnis anderer
Schriftwerke oder infolge seiner Wanderungen ab-
geschliffen hatte. Auch dürfen wir nicht vergessen,
dass die verschiedenen Dialekte sich noch viel
näher standen wie heute, besonders im Vokalismus,
so dass sich Ober- und Mitteldeutsche leicht ver-
stehen konnten, was bei den heutigen Mundarten
ausgeschlossen ist (vgl. auch § 28.). Daher war
zu mhd. Zeit eine einheitliche Schriftsprache kein
solches Bedürfnis wie beim Begimi der nhd. Periode.
- 90 —
U eberblick über die Spf achquellen der mittel-
hochdeutschen Zeit.
Ein bedeutungsvoller Faktor der literarischen j
Tätigkeit, der in althochdeutscher Zeit nur spärlich
vertreten ist, die volkstümliche Dichtung, erscheint
in mittelhochdeutscher Zeit als gleichwertig an Ein-
fluss und Ausdehnung mit der kunstmässigen Poesie.
Die letztere findet ihre Fortsetzung zunächst in der
geistlichen Poesie, die um die Mitte des 11. Jahr-
io')0-i löohunderts, gegen Ende der althochdeutschen Periode,
einen neuen Aufschwung erlebt; teils allgemeine
Betrachtungen, teils biblische, teils Legendenstoffe,
bilden ihren Inhalt. Daneben verschmähen die Geist-
lichen auch weltliche Stoffe nicht, wobei ihnen
vielfach französische Dichtungen als Muster dienen :
das Alexanderlied des Priesters Lambrecht^ das Ro-
landslied des Pfaffen ') Konrad gehören hierher.
Um die Mitte des 12. Jahrhunderts treten auch die
ersten Erzeugnisse volkstümlicher Dichtung her-
vor: König Rother y Herzog Ernst und das Bruch-
stück vom Grafen Rudolf. Ungefähr um dieselbe
Zeit beginnt im Südosten, auf volkstümlicher Ueber-
lieferung fussend, die von Rittern gepflegte lyrische
Dichtung, der sog. Minnesang, dessen Gegen-
stand die Liebe zwischen Mann und Weib ist; der
älteste Vertreter dieser poetischen Gattung ist der
Kürenberger.
Die Blütezeit der mittelhochdeutschen Dichtung,
ihre klassische Periode ist das Ende des 12. und
1 Im Mittelalter hat der Ausdruck noch nicht die bÖse Neben-
bedeutung wie heute.
— gi —
der Anfang des 13. Jahrhunderts. Das höfische Höfisches
Epos erreicht seine höchste Vollendung ; Heinrich ^P^^'
von Veldeke dichtet seine Eneide (Sage von Aeneas);
Hartmann von Aue seinen Erec und Iwein (aus der
Artussage), den Gregorius und armen Heinrich (le-
gendarische Stoffe); Ulrich von ^atzikhoven den •
Lanzelet (ebenfalls aus der Artussage). Der ernsteste
Vertreter des höfischen Epos ist Wolfram von Eschen-
bachj der Verfasser des Parzival und des Titurel
(aus der Gralsage) ; dem heiteren Lebensgenuss
widmet sich Gottfried von Strassburg in seiner Dich-
tung Tristan. Die Nachfolger der genannten grossen
Dichter halten sich nicht auf der gleichen Höhe,
wenn auch die literarische Produktion eine leb-
haftere wird: Wirnt von Gravenberg dichtet den
WigaloiSy Konrad Fleck verfasst Flore und Blansche-
flury Rudolf von Ems behandelt legendarische Stoffe
\xr\d Konrad von Würzburg unter anderem die Sagen
von Otto mit dem Bart und vom trojanischen Krieg.
Einer der fruchtbarsten Dichter der i. Hälfte des
13. Jahrhunderts ist der Stricker^ ein Oesterreicher,
der z. B. das Rolandslied neu bearbeitet. Neben
diesen höfischen Stoffen nach französischem Muster
läuft eine volksmässige Dichtung. Ihre hervor- Volksepos,
ragendsten Schöpfungen sind das Nibelungenlied y das
in verschiedenen Fassungen überliefert ist, während
das Lied von Gudrun nur in einer späten Hand-
schrift erhalten ist. Die Dietrichssage ist durch
verschiedene Dichtungen vertreten : Dietrichs Flucht,
die Rabenschlacht y Lauriuy Ortnity Wolfdietrich u. s. w.
Die lyrische Dichtung ist in diesem Zeitraum durch Lyrik.
]\\xlter von der Vogelweide vertreten; vor und nach
ihm sind Reinmar der Alte, Neidhart von Reuental,
Ulrich von Lichtenstcin, der Taunhäuscry Rcininar
l — 92 —
I
von Zweter, der Marner aus der grossen Zahl der
Didaktik. Lyriker hervorzuheben. Von Dichtungen lehrhaften
Inhalts sind in erster Linie zu nennen : Freidanks
{ Bescheidenheit und Hugo von Trimbergs Renner. Diese
l H. und 15. Richtung gewinnt im 14. und 15. Jahrhundert, dem
Jahrh. ;^eitalter der bürgerlichen Dichtkunst, weite Aus-
dehnung, daneben werden die alten ritterlichen
Ritterl. Stoffe aufgefrischt und oft erweitert, so z. B. Wolf-
Epos, yams Parzival durch zwei Strassburger Bürger Claus
Wisse und Philipp Colin ^ ebenso der Trojanische
Kriegy das Alexanderlied, die Sage von Karl dem
Grossen im Karlmeinet (= frz. Charlemagne) u. s. w.
Auch die geschichtlichen Stoffe werden in den
Rein)- Reimchroniken weit auseinandergezogen, wie in Niko-
chroniken. i^j^^ ^,^^^ Jeroschins Deutschordenschronik (1340^
oder in Erhart Ttcschs Burgttndischer Historie (1477 ^
Christian IVierstrats Geschichte der Belagerung von
Xeuss ' 1474); der fruchtbarste Dichter dieser Gattung
ist Michael Beheim mit mehreren Werken wie dem
Btich von den Wienern und der Geschichte Fried-
Volksepos, richs von der Pfalz. Im Volksepos werden keine
-neuen Stoffe in dieser Zeit behandelt, sondern die
altern neubearbeitet und zu grösseren Kreisen zu-
sammengefasst : so kommt Kaspar von der Roens
Heldenbuch zusammen. In grösserer Zahl treten
Volks- nunmehr auch die Volkslieder auf, die ihren Ein-
lieder. ß„j.g ^„f ^j^ letzten Erzeugnisse des Minnesangs
ausdehnen; Beispiele des letzteren besitzen wir von
Hugo von Montfort und Oszvald von Wolkenstein ;
aber die eigentlichen Pfleger der kunstmässigen
Meister- Lyrik sind nunmehr die sog. Meistersinger , deren
Singer, bekanntester der Mainzer Frauenlob ist; andere
Namen sind Meister Suchensinn, Heim ich T'on Mügehi
aus Meissen, Konrad Mnskatblut. Kürzere Reim-
— 93
diehtungen verfassen Hans Schnepperer genannt
Rosenplüt aus Nürnberg und Hans Folz aus Worms.
In die Gattung der Fabeln gehört Boners Edelstein.
Einen grossen Aufschwung nimmt gegen Ende des
Mittelalters die satyrische Dichtung, am glänzendsten
vertreten durch Sebastian Brant in seinem Narren-
schiff {i/^(^^). Endlich ist noch der dramatischen
Dichtung zu gedenken, die aus kirchlichen Auf-
führungen an den hohen Festtagen entsprungen,
im 14.' und 15. Jahrhundert ein wichtiger Kulturfaktor
geworden war; am bekanntesten ist das Drama von
den klugen und törichten Jungfrauen ^ im Jahre 1322
zu Eisenach zuerst vor dem Landgrafen Friedrich
aufgeführt. Sehr beliebt war auch das Spiel von
Frau Jutten, der Päpstin Johanna, von Theodorich
Schernberg aus Mülhausen verfasst. Zuletzt wollen
wir noch verschiedene Richtungen der prosaischen
Dichtung nicht unerwähnt lassen, so die Geschichts-
schreibung, vertreten durch y^^ö^ Twinger von Königs-
hof ens Chronik und zahlreiche andere Werke, die
geistliche Mystik in Meister Eckharts deutschen
Predigten und Traktaten und Johann Tatders Pre-
digten, endlich in Johann Geiler von Keiscrbergs
Werken, die aber zum Teil schon ins 16. Jahr-
hundert hinüberreichen.
Einige Sprachproben aus den verschiedenen
Jahrhunderten mögen die Weiterentwicklung der
Sprache veranschaulichen.
Aus der Uebergangszeit stammt die Ueber-
tragung und Auslegung des Hohenliedes von Willi-
ram (ungefähr 1160). Die Sprache mutet uns fast
noch wie althochdeutsch an, wie eine Probe zeigt:
Sino, daz bette des cüniges Salomonis, ddz
ümmegent d6s ndhtes s6szoch biderba gn^hta der
Satyrische
Dichtung.
Drama.
Prosa.
Williranis
Psalmen-
Ueber-
setzung.
allero biderbeston in Jsrael. Ir aller iegclih
hÄbet sin suert in hdnton, cünnon dlla mähtigen
vehtan, unte -ir nechein neläzzet sin su6rt vone si-
. nemo diehe durch die ndhtvorhta.
Siehe, das Bett des Königs Salomon, das um-
stehen Nachts sechzig tapfere Ritter der allertapfer-
sten in Israel. Ihrer aller jeglicher hat sein Schwert
in Händen, (sie) können alle mächtig fechten, und
ihrer keiner lässt sein Schwert von^ seinem Schenkel
wegen der nächtlichen Furcht.
Wir finden in diesem Denkmal noch die vollen
Endungen des Althochdeutschen erhalten und die
Akzentbezeichnungen weisen auf die Nachwirkung
von Notkers Brauch (s. § lO, S. ögf.). Aber etwa
siebzig Jahre später, um 1130, hat die Sprache
schon ein durchaus anderes Aussehen gewonnen,
Lam- yfiQ qI^ paar Verse aus Lambrechts Alexanderlied be-
weisen werden. Sie lauten:
brechts
Alexander-
lied.
Philippus nam im^ ein wip,'^
si trüc^ einen frumeclichen lip.^
Jch sage iu, ^ wi ir name was : ^
si hi^ diu scöne ^ Olimpias.
da^ was^ Alexanders müter. '^
diu frowe" hete^ einen brüder,^
der was* ouh Alexander genannt,
ze Perse heter^ da^ lant.
der was ^ ein vurste ^^ also getan,
er ne wolte neheinem^^ kunige wesen^^ undertän.
' sich • Weib ® mitteldeutsche Form für mittelhochdeutsch
truoc .,trug"; ebenso mftter ^ muoter, brüder = bruoder *trelT-
lichenLeib ^ euch 'war 'schöne ® Frau * hatte, halte er
«0 Fürst » keinem >2 sein.
- Q5 —
Die fortgeschrittene Entwicklung der Sprache
ist unverkennbar, die Abschwiächung der Endungen
zu e ist vollzogen, aber der Dichter ist noch in
seiner Mundart befangen; mitteldeutsch sind Formen
wie trüc, brüder, müter für hochdeutsches
truoc, bruoder, muoter, hete für häte = habete
,, hatte", hij für hie^. Diese Abhängigkeit von dem
angestammten Dialekt wird im Laufe des 12. Jahr-
hunderts von den Klassikern der Blüteperiode über-
wunden. Wiederum 70 Jahre später, um 1200,
sehen wir die mittelhochdeutsche Dichtersprache
auf ihrer Höhe, fast frei von mundartlichen Bei-
mischungen, wie eine Anzahl Verse aus dem armen Arme
Heinrich des Hartmann von Aue uns zeigen möge : ' Heinrich
_. . . ,^ von
Em ntter so geleret was Hartmann
da^ er an den buochen* las von Aue.
swa^^ er dar an geschriben vant.
der was Hartman genant.
dienstman was er ze Ouwe
Er las di^ selbe maere, '^
wie ein herre waere
ze Swäben gese55en;
an dem enwas^ verge;;en
deheine'^ der tugende
die ein ritter in siner jugende
ze vollem lobe haben sol.
Aufgebaut nach den Mustern der klassischen
Dichter hält sich die poetische Sprache in ihrer Voll-
kommenheit lange Zeit, wohl ein und ein halbes Jahr-
hundert, bei den guten Schriftstellern. Daneben hat
aber die prosaische Sprache ihre eigne Entwicklung,
* in den BQchern * alles was • Kunde, vgl. Märchen
* enwas — nicht war * keine.
- y6 --
und wie weit sie sich schon von jener im 13. Jahr-
hundert entfernt hat, dafür können die oben S. 86 f.
gegebenen Urkundenproben zum Vergleich dienen.
VerfaU der Der Verfall der poetischen Sprache beginnt mit dem
Sprache. Uebergang der Dichtung in die Hände der Bürger-
lichen, der sog. Meistersinger. Neben seinem eignen
Versmass und Stil, erlaubt sich jeder Dichter nunmehr
auch seine Mundart zu verwenden, so dass im 14. und
15. Jahrhundert von einer einheitlichen Kunstsprache
nicht mehr die Rede sein kann. Vielmehr zeigen
sich jetzt auch in der dichterischen Sprache die
Keime einer Entwicklung, die, gleichwie in der Prosa,
zur neuhochdeutschen Zeit hinüberführen, wovon
in § 18 die Rede sein wird.
Neben der reichfliessenden Quelle poetischer
und seit der Mitte des 13. Jahrhunderts auch pro-
saischer Literatur kommen in unserm Zeitraum
weitere Sprachquellen wie in althochdeutscher Zeit
für reinsprachliche Zwecke nicht mehr in Betracht.
Die uns erhaltenen Handschriften sind so mannig-
faltig nach Herkunft und Mundart und geben so reich-
lichen Aufschluss über das Leben und die Ent-
wicklung der Sprache in mittelhochdeutscher Zeit,
dass wir weitere Sprachquellen nur selten benötigen.
§ 14-
Der mittelhochdeutsche Konsonantismus und
Vokalismus.
Die Sprache der im vorhergehenden Abschnitt
genannten literarischen Denkmäler des Mittelhoch-
deutschen ist natürlich keine einheitliche; schon die
zeitliche Ausdehnung unserer Periode über 4 Jahr-
hunderte (iioo — 1500) spricht gegen eine gleich-
- 97 —
massige sprachliche Form; zudem gehören die Denk-
mäler den verscliiedensten Gegenden und Mund-
arten an und bewahren nicht selten deren Eigen-
tümlichkeiten. Was wir daher im Folgenden als
mittelhochdeutsche Sprache bezeichnen, ist eine Art
Normalform, der auch die Ausgaben der erhaltenen
Schriftwerke angepasst werden. Der Lautstand ist
der des Ostfränkischen ; zeitlich fällt diese Normal-
form des Mittelhochdeutschen mit der Blüteperiode
vor und nach 1200 zusammen; um diese Zeit sind
die. aus dem Althochdeutschen noch erhaltenen
Eigentümlichkeiten derUebergangszeit abgestreift und
die neuen Formen, die dem Neuhochdeutschen seine
charakteristische Gestalt verleihen, noch nicht hervor-
getreten, wie wir dies gegen Ende der mittelhoch-
deutschen Periode beobachten können. Der Kon- Mhd.
sonantenbestand des Mittelhochdeutschen unter-. *^?,"^".^""
scheidet sich von dem des Althochdeutschen weniger
durch das Auftreten neuer Laute (seh), als durch die
grössere Einheitlichkeit in der Bezeichnung der Laute:
das in ahd. Schriftdenkmälern alemannischer Herkunft
häutig zu treffende kh z. B. verschwindet, dafür tritt k
oder gelegentlich ch ein; für ahd. k, p steht g, b im An-
laut; das Gebiet von f und v, von k und c wird abge-
grenzt u . s. w. Folgende Konsonanten sind vorhanden :
Gutturale : Dentale : Labiale :
Tonlos k, c, q t p
Tönend g d b
Reibelaute ch, j s, seh, 5 w^ f, v
Nasale n m
Liquida 1, r
Hauchlaut h
Affrikaten z pf
Feist, Die deutscbo Spruche. 7
tismus.
-. - g8 -
An Doppellauten sind folgende vorhanden: ck
(= kk), tt, pp, gg, dd, bb, ss, ff, nn, mm, 11, rr.
Wenn nun auch das Schriftbild in unserer Pe-
riode nicht wesentlich gegen die frühere Zeit ver-
ändert ist, so stellen dieselben Zeichen doch viel-
fach nicht mehr dieselben Laute dar wie ehedem.
Der Laut Das Zeichen h, das xirsprünglich überall den im
^' Neuhochdeutschen mit ch in ac^, doch) wieder-
gegebenen Laut bezeichnete, wird schon im Laufe
der Entwicklung des Althochdeutschen im Anlaut
schwächer und sinkt zum blossen Hauchlaut herab ;
im späteren Althochdeutschen und besonders im
Mittelhochdeutschen wird auch inlautendes h vor
Vokalen lautschwächer, nur vor Konsonant und im
Auslaut hat h seine ursprüngliche Aussprache be-
wahrt. In letzterem Falle wird im Mhd. nunmehr
ch geschrieben, das ebenso wie h vor Konsonanten
stets als hartes ch (in Nacht) zu sprechen ist : sehen
— sach „sah** — siht „Sicht". Wo h ein schwacher
Hauchlaut geworden ist, fällt es häufig ganz aus.
Schon Notker kennt die Zusammenziehung zen —
zehen (lO), swer =^ sweher „Schwäher** u. a. ,* im
Mittelhochdeutschen folgen weitere Zusammenzie-
hungen wie s6n aus sehen, tr^ne aus trähene, vän
aus vähen „fahen, fangen" u. s. w. Vor Konsonant
sprechen wir noch heute h als ch : nichts Machte
ebenso wenn urgermanisch oder althochdeutsch hh
vorlag : lachen^ suchen u. s. w. Niemals ist h im
Mhd. wie im Nhd. blosses Dehnungszeichen.
Der Laut Einen durchgreifenden Wandel der Aussprache
sk. erleidet die Lautverbindung sk, indem der Verschluss-
laut k sich zum Reibelaut ch verändert. Im 12. Jahr-
hundert beginnt dieser Wandel, im 13. Jahrhundert
ist er im Alemannischen durchgeführt; neben der
— M«; —
Bezeichnung sch für die neue T.autgruppe finden
wir auch sh; ja sogar einfaches s zeigt sich für sie.
Diese Schreibungen beweisen uns, dass die Zeichen
sch, sh, s einen einheitlichen Laut darstellen, für
den indes bis heute noch kein besonderes Zeichen
durchgedrungen ist. Für das Hilfszeitwort ahd. scal,
scolan ist schon im Mhd. sal, solen eingetreten, das
im heutigen soll, sollen erhalten ist; hier ist k nach
s also ganz unterdrückt worden.
Das Mittelhochdeutsche konnte wohl aus dem Wandel
Grunde einfaches s für sch setzen, weil jenes in ^'^^ ^ ^^'
seiner Aussprache mehr nach dem hinteren Gaumen
lag als unser heutiges s, mit stärker gehobener
Zungenspitze gesprochen wurde und sich daher dem
am harten Gaumen artikulierten sch mehr näherte.
Wenn auf ein mhd. anlautendes, palatal gesprochenes
s ein Konsonant folgte, so ist es im Laufe des 14.
Jahrhunderts mit sch zusammengefallen. In den
oberdeutschen Dialekten verbreitet sich dieses sch
am schnellsten ; zunächst werden anlautendes sl,
sm, sn ergriffen, dann sw, am längsten widerstehen
sp und St. Deshalb sprechen wir heute den sch-
Laut in schlafen ^=^ mhd. släfen; Schmerz =i= mhd.
smerze ; schneiden = mhd. sniden; Schwan r= mhd.
swän; Spiel ^^^ mhd. spil; Stjihl = mhd. stuol.
In den Lautverbindungen sp und st, in denen die-
ser Wandel am spätesten eingetreten ist, hält die
Schrift noch heute am einfachen Zeichen fest. Im
Inlaut hat sich im Hochdeutschen in allen genannten
Verbindungen kein sch entwickelt, wohl aber in
Mundarten, wie z. B. im alemannisch-schwäbischen u. a.
Einen Wandel der Artikulation macht auch Auslau-
der auslautende Nasal m durch. Wie schon im tcndes m.
Urgermanischen auslautendes m zu n wird und
r
I Oü —
I
K dann schwindet, so setzt sich diese Entwicklung im
■ späteren Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen
il^ fort. Durch den Abfall der auslautenden Vokale (s.
W^' § 2, S. 13) war m aufs Neue in vielen Fällen in
den Wortauslaut gerückt, und die ältesten Denk-
mäler zeigen allgemein dieses m. Aber schon im
Laufe des 9. Jahrhunderts geht das m der Flexions-
endungen in n über : tagum wird tagun, habem
wird haben, bim, tuom werden bin, tuon; dagegen
behauptet sich zunächst m, wenn es zum Stamm
des Wortes gehört, da es durch die flektierten
Formen geschützt ist: nam zu neman „nehmen*'.
In unserer Periode wird auch dieses m angegriffen,
wenn es zu einer Ableitungssilbe gehört: mhd. be-
sem, buosem, vadem werden zu Besen, Busen, Fa-
\ den. Indes hält sich dialektisch das m noch bis
\ heute, wie es auch Luther oft aufweist.
\ Der Laut Das urgermanische w ist im Althochdeutschen
^ ^* als Halbvokal erhalten geblieben, es wurde wie das
heutige englische w gesprochen. Das Zeichen ^v
ist bekanntlich aus uu entstanden; oft wird im Alt-
hochdeutschen auch geradezu u dafür gesetzt,
und bis heute haben wir nach q diesen Gebrauch
beibehalten, entsprechend einer weitverbreiteten Aus-
sprache : Qualy Quelle u. s. w.
In mittelhochdeutscher Zeit erleidet dieses
iialbvokalische w einen Wandel in der Aussprache,
den wir um das Jahr 1300 anzusetzen haben. Es
wird zum labialen Reibelaut, der bis heute in ganz
Süd- und Mitteldeutschland herrschend geblieben
ist, während er in norddeutscher und hochdeutscher
Aussprache zum tönenden labio-dentalen Reibelaut
(-^ frz. engl, v) fortgeschritten ist. Im Silben-
auslaut fällt w fort: sne -- snewes ,, Schnee". Ein
— lOI —
Gesetz, dass auslautendes w zu o werden muss, galt
schon im Ahd. : garo, gen. gar(a')vves = mhd.
gar(e), mit der Endung -er : garwer = nhd. gar,
ebenso ahd. meld, melwes „Mehl** u. a. Im Nhd.
sind diese w auch in den flektierten Kasus verloren
gegangen, nur in Ableitungen bleiben Spuren zu-
rück : gerben = ahd. garwen C^ig. g^r, fertig
machen), Milhe ■= ahd. milwä (eig. das Mehl
machende Tier). Das halbvokalische i, j geschrie- Der Halb-
ben, das schon im Althochdeutschen nach Konso- vokal j.
nanten im Inlaut ein sehr schwacher Laut war,
ist im Mittelhochdeutschen nicht mehr anzutreffen :
ahd. minnia = mhd. minne, ahd. sippia = mhd.
sippe. Nur nach r hält es sich etwas länger ; in
zwei Wörtern ist es bis auf unsere Zeit geblieben,
nämlich nhd. Ferge aus ahd. ferjo „Fährmann'* und
Scherge = ähd. scarjo. Freilich hinterliess das ge-
schwundene j eine Spur seines Daseins, indem der
vorhergehende Konsonant gedehnt, in der Schrift
also verdoppelt wurde. Das war im Ahd. auch
stets der Fall. Später aber durchkreuzten Analogiewir-
kungen diese Regelraässigkeit, besonders beim Zeit-
wort, da hier Formen mit und ohne j nebeneinan-
der herliefen ; z. B. ahd. wellu = got. wiljau „ich
wiir*, ahd. welis = got. vileis „du willst*', ahd. wellen
— - got. wiljan „wollen", ahd. welita ^= got. wilda (ohne
Bindevokal) „ich wollte". Daher stehen im Mhd.
Formen wie biten : bitten, schüten : schütten neben-
einander. Stimmhafte Laute (g, b, l, m, n) werden
oft nicht verdoppelt: ligen =rr got. ligjan (daneben
licken)-; nhd. quälen =r ahd. quellan, grämen ;= ahd.
gremen, gremmen, u. s. w. Gedoppelter Konsonant
wird im Auslaut und nach langem Vokal nicht be-
zeichnet: mhd. stam — Stammes, treffen — träfen.
— 102 —
Media und Charakteristisch für die mhd. Rechtschreibnng ist
Tenuis im ihre Genauigkeit in der Bezeichnung der Entsprech-
wechsel. ^^^ stimmhafter Laute im Inlaut und stimmloser
Laute im Auslaut. Wir sprechen auch heute noch
alle S, d und teilweise auch g im Auslaut als /,
/ und k : Lob sprechen wir Lop^ Hund — Hunt,
Tag — T^k; im Inlaut (Lobes, Htmde, Tagen)
sprechen wir dagegen den ursprünglichen stimm-
haften Laut. Das Mhd. ist auch in der Schreibung
genau, wenn es unterscheidet : geben : gap (gab),
liden : leit {leiden : litt), bergen : bare (barg).
Auslau- Auslautendes r des Ahd. schwindet in wenig be-
tendes r. tonten Umstandswörtern im Mhd: neben dar, war,
er, hiar, mer finden wir da „da", wä „wo", e „ehe",
hie „hie**, m6 „mehr". Das Nhd. folgt in den
vier ersten Beispielen, erhält aber das r in hier und
mehr, ebenso in Zusammensetzungen vor Vokal bei
wo und da : worin, daran.
Auslau- Das t der 3. Person Plur. Praes. ist im älteren
tendes t. j^j^d. noch erhalten in -ent aus ahd. -ant : ne-
ment = ahd. nemant; im späteren Mhd. fällt das
t ab, wie es im Nhd. der Fall ist. Dem Abfall
eines t steht aber die häufige Hinzufügung eines t
gegenüber : mhd. wilent aus ahd. wilön (eig. Dat.
Plur. von wila „Weile") „weiland", mhd. nhd. allen-t-
halben, mhd. selbert neben selbes u. s. w.
Die Laute Doppelte Schreibung für einen Laut, findet sich
"" ^' bei f, das auch v geschrieben wird wie heute noch,
vor a, o, e, i im Wortanlaut und im Inlaut fast regel-
mässig, gelegentlich auch vor u, ü, r, 1 im An-
laut. Aber zum Unterschied vom Nhd. scheint mhd.
f einen schärferen Laut, etwa =: nhd. if, v einen
schwächeren Laut zu bezeichnen. Man schreibt
also: hof aber hoves, niftel ,, Nichte" aber neve
103
,, Neffe", vinden „finden", indes sowohl für wie vür
(vgl. nhd. /»'/• und 7wr), Ebenso pflegt der Laut Die Laute
k im Silbenanlaut als c im Silbenauslaut bezeichnet ^ "^ ^•
zu werden : kunst; dan-kes, aber danc, danc-te; in
der Verdoppelung daher ck : sackes, eine Bezeich-
nung, die heute noch üblich ist.
Umgekehrt ist nur ein Buchstabe für zwei Das
Laute bei mhd. z vorhanden. Es bezeichnet erstens deichen z.
denz-Laut des Nhd., zweitens einen scharfen, gelispel-
ten s-Laut, gewöhnlich als 5 in den Ausgaben ge-
druckt, der im Anlaut nicht vorkommt. Seit dem
Ende des 13. Jahrhunderts ist dieser ;-Laut ganz
mit dem alten, scharfen s zusammengefallen; er
wird nunmehr ss oder sz geschrieben: haz, ha^^es,
wird also hasz, hasses geschrieben; im Auslaut steht
oft einfaches s : da; wird das, alle; wird alles.
Im. (irossen und Ganzen macht der mhd. Kon-
sonantismus den Eindruck eines festgefügten phone-
tischen Systems, das in den Ausgaben, weniger aller-
dings in den Handschriften unserer nhd. Recht-
schreibung an Regelmässigkeit der LautbezeichuuK
weit überlegen ist. Das mhd. Vokalsystem zeich- Vokalis-
net sich durch dieselbe Eigenschaft aus. Es be- "i"*-
steht aus folgenden Lauten :
Kurze Vokale : a, e, i, o, n
Lange Vokale : i\, e, i, 6, ü.
Umlaute dazu: ö, ü |iu), le, ce
Diphthonge: ei, ou, ie, uo — iu {J^
Umlaute dazu : öu (eu), üe
Freilich sind die Handschriften, wie es bei
mechanischer Vervielfältigung durch oft ungebildete
oder ungeübte Schreiber nicht zu vermeiden war,
selten genau in der Bezeichnung der Vokallaute :
— I04 —
Länge und Kürze wird z. B. gewöhnlich nicht unter-
schieden oder das Längezeichen an falscher Stelle
gesetzt u. a. m. Zu den einzelnen Zeichen ist fol-
gendes zu bemerken:
e dient zur Bezeichnung zweier verschiedener
Laute wie schon im Ahd., es ist offenes e oder ge-
schlossenes ej z. B. geben aus ahd. geban oder
geste aus ahd. gesti, d. h. Umlaut des a zu e.
Gelegentlich dient es auch zur Bezeichnung des
noch offeneren ä. Der Diphthong iu ist entweder
als Umlaut von u --:= ü, oder, wo er altem iu ent-
spricht, vielleicht noch Diphthong; dagegen ist ie
stets Diphthong, z.B. in ßel^ VriXentwia von fallen.
Wie schon im Ahd. ist auch jetzt noch ein
Vokal in offener Silbe kurz, nicht lang wie im
Nhd. zu sprechen ; also väter, gebe „Gabe*S lYgen
,, liegen", bnte, bögen Plur. Praet. „bogen**.
Umlaut. Der Umlaut, der durch ein i oder j der fol-
genden unbetonten Silbe bewirkt wird, hatte im
Ahd. den Vokal a zu e gewandelt; nunmehr tritt
er auch bei anderen Vokalen hervor, obwohl das
umlautbewirkende j geschwunden und i zu e ge-
schwächt war (Beispiele s. o. § II, S. 8of.). Offen-
bar war der Umlaut schon früher vorhanden, aber
in der Schrift noch nicht bezeichnet worden. Neu
ist der Umlaut von a zu ä in solchen Wörtern,
wo im Ahd. a vom Umlaut verschont blieb, sei es,
dass i (j) nicht direkt auf die Stammsilbe folgte
oder dass umlauthindernde Konsonanten sie ab-
schlössen. Während der ältere Umlaut des a ein
geschlossenes e ist: gast — geste, ist der jüngere
Umlaut des a ein ganz offenes e, das als ä be-
zeichnet wird : mäht - mähtec ;,mächtig", maged
— mägcde (ahd. magad — magadi). So erklären
— .105 —
sich die nhd. Verschiedenheiten in der Schreibung
des Umlaut-a: Hand — Hände ^ wo der Umlaut von
a zu ä erkennbar ist; dagegen behende y bei dem die
Beziehung zu Hand vergessen ist; ähnlich Hahn
— Hähne, aber Henne (vgl. § 7, S. 43). Der alte
Wechsel zwischen e und i (s. § 2, S. 11) ist eben-
falls durch i der folgenden Silbe bewirkt und noch
in Kraft: helfen — du hilfest ~ er hilfet; wie schon
im Ahd. tritt i auch vor ursprünglichem u der i . Person
Sing. Praes. ein: ich hilfe ^=r. ahd. hilfu. Vergleiche
auch das Substantiv berc ~ gebirge =^ ahd. gibirgi,
das Adjektiv wert — wirdic und ähnl. Bildungen.
Wie e mit i, so wechselt auch o mit u. " Altes
u wurde schon im Urgermanischen zu o, wenn die
folgende Silbe a, e oder o enthielt (s. § 2, S. 11);
diese „Brechung" hat sich bis ins Mhd. erhalten:
bugen „bogen" (ahd. bugun), aber gebogen (ahd.
gibogan), wolf (urgerm. wulfaz), aber wülfinne
„Wölfin".
Die Ablautsklassen des Ahd. (s. \ 8, S. 5if.j, Ablaut.
sind im Mhd. unverändert erhalten, so dass wir
hier auf die an obiger Stelle gegebene Aufzählung
nur zu verweisen brauchen.
Wie schon früher erwähnt fs. .^ 11, S. 79 f) Vokalein
sind die vollen Vokale des Ahd. in ' den unbeton- JJJJ^'^^^^ln-
ten Endungen zu einförmigem e geworden ; nur wo tonieen
sie durch einen Nebenton geschützt waren, blieben Silben,
sie erhalten; so in den Endungen -unge, -nisse,
-aere, -inne, -m, -lin der Substantive, -ic (= ahd.
-ig und -ag, daneben -ec-), -isch (= ahd. isc),
daneben -esch bei Adjektiven. Vgl. scribaere
„Schreiber", küneginne, künegtn ,, Königin" — hei-
lic, heilec „heilig" (ahd. heilag), saelic, saelec
„selig" (ahd. sälig), irdisch (irdesch). Vereinzelt
io6
Schwund
des e.
erhalten sich vollere Vokale in einigen zu Haupt-
wörtern gewordenen Participien Praesentis: heilant,
wigant „Kämpfer"; -ist in den Superlativen ob-
rist, minnist „geringste", -6st in vorderöst „vor-
derste", und in einigen Substantiven, wo sie auch
das Nhd. noch kennt, wie liumunt „Leumund";
in anderen ist der volle Vokal jetzt nicht mehr er-
halten, wie in mhd. arzät neben arzet ,,Arzt".
Aber selbst das aus vollerem Vokal geschwächte
e ist seines Bestandes nicht sicher. In Präfixen wie
be-, ge-, ver- fällt es oft aus; z. B. beliben und
bliben „bleiben", gelouben und glouben „glauben",
Verliesen und vliesen „verlieren"; vgl. auch nhd.
fressen aus ver-essen. In Affixen verstummt ton-
loses e nach hochbetonter kurzer Stammsilbe oder
nach tieftoniger kurzer Nebensilbe, besonders gern
nach Liquida; z. B. heln für helen „hehlen", varn
,, fahren", michelm = michelem ,, grossem", nim
„nimm" u. s. w.
Anderseits kommen aber auch nicht selten
^kal^° Fälle vor, wo im Mhd. unter dem Einfluss des
Hochtones früher kurze Vokale gedehnt werden, so
in den Partikeln da, sä „so", wä „wo", ja, nü; be-
sonders in Fremdwörtern ; bäbest ,, Papst" aus laU
p pa, tävel aus lat. tibula „Tafel", schriben aus
lat. scnbere „schreiben", mile aus lat. milia „Meile",
barün aus frz. baron (mit Uebergang des ö in fi).
Die bunte Mannigfaltigkeit der ahd. Diphthonge
wird in mhd. Zeit, wenigstens in den modernen
Ausgaben, normalisiert und zu den oben (S. 103)
aufgezählten Typen vereinfacht. Daneben aber
tauchen neue Diphthonge auf, z. B. ei durch Zu-
sammenziehung aus age, ege : geseit — gesaget,
meid = maged (daher noch heute Maid neben
Dehnung
Neue
Diph-
thonge.
— 107 -
Magd ^ Deinhard aus Degenhard; oi aus oge in
mitteldeutsch voit „Vogt" (vgl. Voigtland) u. a.
Wir haben im Vorhergehenden das klassische
Mittelhochdeutsch im Auge gehabt; in den mittel-
hochdeutschen Mundarten gab es natürlich eine
grössere Abwechslung im Vokalsystem, als wir sie
hier zur Darstellung bringen, konnten. So zeichnet
sich das Mitteldeutsche z. B. durch seine Neigung
aus, Diphthonge zu einfachen Vokalen zusammen-
zuziehen, uo in ü, ie in t, iu zu ü, wofür oben in
§ 13, S. 94 einige Belege gegeben sind. Für ei
und ou schreibt es gern ai und au, gleichwie das
Bairische. Das Mitteldeutsche bildet im Konso-
nantismus wie auch im Vokalismus die hauptsäch-
lichste Grundlage für die neuhochdeutsche Laut-
gebung, während andere Eigenheiten des nhd. Vo-
kalismus ursprünglich den oberdeutschen Mundarten
zukommen, worüber § 19 das Nähere bringen wird.
§ 15-
Deklination und Konjugation im Mittel-
hochdeutschen.
Die Vereinfachung der zahlreichen indogerm.
Deklinationsklassen und Kasus, die schon in alt-
hochdeutscher Zeit zu einer wesentlichen Verminde-
rung der alten Fülle geführt hat, setzt sich in unserer
Periode weiter fort, vor allem unterstützt durch die
Schwächung der vollen Endungsvokale zu e, die
z. B. den Unterschied zwischen a- und i-Deklination
noch weiter verwischt. Die vollständige Unter-
drückung des Endungs-e nach Liquiden auf kurzen
Stammvokal lässt die Deklinationsendungen in be-
stimmten Fällen ganz schwinden. Der Instrumen-
"TTe'^?»^"-^^-
— io8'
klination.
talis (Kasus des ^Mittels oder Werkzeugs), der schon
im Althochdeutschen im Absterben begriffen ist,
geht nunmehr vollständig unter bis auf wenige er-
starrte Reste.
Starke De- i. Wir unterscheiden jetzt nur noch zwei Klassen
der starken Deklination. Ihre Merkmale für die
Masculina sind der Nichtumlaut (A-Klasse) oder
der Umlaut (I-Klasse) im Plural; für die Feminina
im Nom. Acc. Sing, die Endung e ohne Umlaut
(A-Klasse) oder Endungslosigkeit (I-Klasse); im
Gen. Dat. Sing., die mit Endungen versehen sind,
der Nichtumlaut (A-Klasse ) oder Umlaut (I-Klasse).
Die Neutra der A-Klasse sind im Nom. Acc. Plural
meist noch endungslos (doch s. weiter unten).
Die Maskulina und Neutra der ja-Deklination
haben im Mhd. als einzigen Rest derselben ein e im
Nom. Acc. Sing. Dies e bewahren auch einige ursprüng-
lich der u-Deklination angehörige Wörter wie vride
,, Friede**, site „Sitte", schate „Schatten", mete
„Met", sige „Sieg". Die Femininstämme auf -ja
sind ganz mit den ä-Stämmen zusammengefallen.
Für die bis jetzt erwähnten Deklinationsklassen
geben wir in Folgendem einige Paradigmen:
Para-
digmen.
1. Männliche Hauptwörter der A-Klasse:
Sing. N. tac kil (Liquidastamm) hirte (ja-Stamui)
G. tages kils „Kiel" hirtes
D. tage kil hirte
A. tac kil hirte
Flur. N. tage kil
G. tage kil
D. tagen kiln
A. tage kil
hirte
hirte
hirten
hirte
I09 —
Eine besondere Erwähnung ^ verdienen einige
Stämme auf -w, das im Nom. Acc. Sing. auyfalleEi
musste (s. § 14, S. loof.l und in den anderen Khsiis
wieder auftritt:
Sing, se „See", sewes, sewe, s^
Plur. s^we, sewe, sewen, s^we.
2. Die I-Klasse unterscheidet sich nur dnrüh
den Umlaut in der Mehrzahl :
Sing. \>a\g „Balg**, balges, balge, balg
Plur. beige, beige, beigen, beige.
3. Feminina der ä-» und ja-Klasse :
Sing. N. gebe ,,Gabe" zal ,,Zahl*' (Liquida- sündc
stamm) |(jä-St. ;i
G. gebe zal sündf
D. gebe zal siindL^
A. gebe zal Sünde
Plur. N. gebe zal sünde
sündc'
sürLclc^h
sünde
4. Feminina der alten i-Klasse (und u-Kla&st-) :
Sing. N. kraft
G. krefte | Neben der umgelauteten Form tritt tnrle*
D. krefte ( ^"^h die nicht umgelautete k^-aft aiii
A. kraft
Plur. N. krefte
G. krefte
1). krefte;i
A. krefte
G.
gebe
zal
D.
geben
zaln
A.
gebe
zal
5- Neutra der a-Klasse:
Sing. N. wort künne (ja-Stamm)
G. Wortes künnes
D. Worte künne
A. wort künne
Fhir- N. wort, worter künne
G. Worte, worter e) künne
D. Worten, wortern künnen
A. Worte, worter künne.
Das Suffix -er, über dessen iLntstehung wir in
^ 8, S. 47 gesprochen haben, war anfangs auf einen
kleinen Kreis von Wörtern beschränkt; es greift in
unserer Periode um sich und kann an viele starke
Nf-iitra Umlaut bewirkend antreten,
schwache H« Auch in der schwachen Deklination hat die
fjekli* Schwächung der Endungsvokale zu e das Paradigma
»dtiuij. ausserordentlich vereinfacht:
a) Mask. b) Fem.
Sing. N. mäne „Mond*' (Mask.) zunge
G. mänen zungen
D. mänen zungen
A. mänen zungen
Plur. N mänen zungen
G. mänen zungen
D. mänen ;5ungen
A. mänen zungen
i;i Neutr. Sing, herze, herzen, herzen, herzen
Plur. herzen, herzen, herzen, herzen
Spuren der konsonantischen Deklination sind
noch vereinzelt erhalten; so kommt endungsloser
llural bei vriunt ,, Freunde'S man „Männer'* (da-
Hüben schwach flektiert mannen, auch stark manne
uj^d sogar menner) und naht ,, Nächte*' vor.
Die Deklination der Eigenschaftswörter bewegt Artfektiv-
sich ganz im Rahmen der für das Althochdeutschu ^^^|^^*'
in § 8 dargelegten Verhältnisse; die Endungen sind
wie beim Hauptwort zu e verblasst, nur iu hält sitli
im Nom. Sing. Fem. und Nora. Acc. PI. Neutr, in
der ganzen mittelhochdeutschen Zeit.
Sing.
Starke Deklination des Adjektivs:
Mask. Neutr.
Fem.
, N, blinder, blint, blindez
blindiu, blint
G. blindes
D. blindeml e)
A. blinden blint, blindez
J blinder(e)
blinde
N. blinde blindiu
blinden
G. blinder e)
blinde r(e|
D. blinden
blinden
A. blinde blindiu
blinde
Plur.
Die eingeklammerten e finden sich nur im äl-
testen Mhd. ; die Stämme auf r, 1 und n lassen dam
das e der Endung ausfallen. Die ja-Stämme untei -
scheiden sich von den reinen a-Stämmen nur durch
die Endung e im Nominativ aus älterem i ) und den
durch alle Fälle durchgehenden Umlaut: maere (ahd.
märi) ,, berühmt'*, schoene ahd. scöni) ., schön" u. a. \\.
Die schwache Deklination hat im Nom. aller Ge-
schlechter die Endung -e, in allen andern Fällen -en.
Die ahd. Endungen des Komparativs auf *ir ^tf'ig'^t«"!^«
und -ör und des Superlativs auf -ist und -öst sind
beide zu -er und -est geschwächt; ihre Nacii-
wirkungen zeigen sich indes darin, dass die Kom-
parative oder Superlative teils den Umlaut annehmt- n
teils nicht; z. B. alt — alter und elter — altesL
und ehest, dagegen nur grö:; — groejer — groj -
;este (groeste).
— 112 —
Auch eine unregelmässige Steigerung findet sich,
d. h. die Steigerungsgrade werden von einem an-
deren Stamm gebildet wie der Positiv:
gut = guot — be^^er (got. batiza, St. bat-)
bej^est, beste
schlecht = ubil - wirse (engl, worse) — wirsest
(engl, worst)
gross = michel — m^rer (got. maiza) — meiste
(got. maists)
klein — Kitzel — minner (lat. minor) — minnest
(nhd. mindest),
Adverbia. Die ahd. Adverbialendung o ist zu e verblasst:
hoch — hohe. Die Adjektiva der alten ja-Klasse
enden schon auf e (s. oben); ihr Adverb unter-
scheidet sich aber durch das Fehlen des Umlauts
vom Adjektiv: schoene - schöne, süeze — suoze.
Die Bildung des Adverbs mittels des Suffixes
-liehe, zu der sich im Ahd. erst die Ansätze finden,
ist im Mhd. sehr verbreitet: saelec „selig" — sae-
lecliche. Im Nhd. ist sie bekanntlich wieder im
Verschwinden begriffen (s. § 9, S. 63 f.). Die Steige-
rungsgrade des Adverbs haben keinen Umlaut, sind
aber sonst denen des Adjektivs gleich: höhe —
• höher — höhest.
Körwöiter. Die persönlichen Fürwörter sind in der Haupt-
sache den ahd. Formen mit lautgesetzlicher Ent-
wicklung der Endungen gleich, nur beginnt bereits
der Acc. Plur. unsich zu schwinden, dafür tritt die
Dativform uns ein.
Zahl- Auch bei den Zahlwörtern kommen, ausser
Wörter, ^jgj^ lautlichen Veränderungen, keine bedeutenden
Neuerungen vor; für ahd. zehanzug tritt nunmehr
hundert auf.
rwfr^^'
— i'3 —
Beim Zeitwort ist die Abschleifung der En- Zeitwörter.
düngen, die schon bei Notker auftritt, noch weiter
fortgeschritten. Es wird nunmehr folgendermassen
abgewandelt :
Gegenwart Vergangenheit
Indik. Konj.
Sing, ich nime Sing, ich nam — naeme
du nimest du naeme — naemest
er nimet er nam — naeme
Plur. wir nemen Plur. wir nämen — naemen
ir nemet ir nämet — naemet
si nement si nämen -- naemen
- Befehlsform : nim — nemen (wir) — nemet
Nennform : nemen — Gen. nemennes — Dat.
nemenne
„ (Nehmen — des Nehmens — dem
Nehmen)
Mittelwort der Gegenwart: nemende
„ „ Vergangenheit: genomen.
Häufig wird das e der Endungen ausgelassen,
nicht nur regelmässig nach l und r, sondern auch
oft vor t, besonders in der 3. Pers. Einzahl; also:
ich var, du verst, er vfert, wir vam; aber auch er
siht = sihet, er wirt ^= er wirdet u. s. w.
Die Ablautsklassen entsprechen vollständig den Ablauts-
in 5^* 8, S. 51 f. dargestellten althochdeutschen, nur klassen.
mit Abschwächung der Endungen und den orthogra-
phischen Eigentümlichkeiten des Mhd. Sie lauten
nunmehr :
I. I. geben — gap — gäben — gegeben
2. nemen — nam — nämen — genomen
3. binden — bant — bunden — gebunden
4. werfen — warf — würfen — geworfen
Feist, Die deutsche Sprache. 8
114 —
IL
III.
IV.
Schwache
Verben.
I. g'nfen — greif — grifen — * gegrifen
2 a. liugen — loug — lugen — gelogen
2 b. bluten — bot — buten — geboten
faren — fuof ~ fuoren — gefaren
Der Reduplikationsvokal ist im Mhd. gleich-
massig ie (nur in wenigen Verben st^ht da-
neben iu) :
a halten — hielt — hielten — gehalten,
b) loufen — liuf und lief — geloufen.
Die drei Klassen der schwächen Verben auf
en I älter -Jen), -en und -6n des Ahd. sind nun nicht
mehr auseinanderzuhalten, da die Endungen gleich-
massig den geschwächten Vokal e aufweisen; nur
dialektisch und vereinzelt finden sich noch die alten
vollen Vokale. Da schon im Ahd. nach langem
Vokal der Stammsilbe bei den Verben der ja-Klasse
das i im Präteritum zwischen Stamm und Endung
ausfiel, so konnte kein Umlaut eintreten; J. Grimm
nannte die Erscheinung, dass die Gegenwart um-
gelauteten Vokal hat, das Präteritum aber ohne Um-
Rück- laut ist, RUckumlaut. Es heisst z. B. ahd.
Umlaut, nerjen „retten** fgot. nasjan) — nerita — ginerit ^r •
aber brennen (got. brannjan) — branta — gibren-
nit (gibranter). Daraus entwickelt sich der mhd.
Unterschied zwischen: denen (urgerm. thanjan) „deh-
nen** — denete — gedenet und hoeren urgerm.
hausjan) — hörte — gehoert. Freilich fällt auch
im Mhd. in den kurzsilbigen Verben nach r und
1 das bindevokalische e aus, aber der Umlaut zeigt
sein früheres Vorhandensein : nern ' urgerm. nas-
jan) — nerte — geßert. Gelegentlich fehlte der
Bindevokal x im Präteritum schon im Urgermanischen,
wie die Lautangleichung des Konsonanten am Stamm-
ende an das t der Endung zeigt: denken — däh-
- 115 — .
te — gedäht; dünken — dühte, diuhte „deuchte".
— gedüht ; bringen — brähte ~ gebräht u. a.
In urgermanische Zeit reicht auch die Bildung Präterito-
der Präteritopräsentia zurück, deren Formen die pi'Äsentia.
lautgesetzliche Weiterentwicklung der in § 8, S. 53 f.
angeführten ahd. Zeitwörter bilden: wei; „ich weiss"
wi^^en - Vergangenheit wisse und als Neubil-
dung des Mhd. wiste, ebenso das Mittelwort ge-
wist; muo^ „muss" - müe;en „müssen" Ver-
gangenheit muose und daneben ebenfalls muoste.
skal „soll" lautet jetzt meist sol sal ) — suln
solde. Als nicht zusammengesetztes Zeitwort erscheint
nunmehr tar, turren, torste „wagen", das sich noch
bis zu Luthers Zeit erhält, dann aber ausstirbt, wie
schon vorher einige hier nicht genannte Präterito-
präsentia. Die übrigen an erwähnter Stelle ge-
nannten Zeitwörter bieten keine neuen Formen in
mhd. Zeit, ebensowenig wellen „wollen". Auch
tuon „ich tue", tete „ich tat"; gän, gen „ich gehe",
gienc „ging'*; stän, sten „ich stehe", stuont ,, stand"
sind die Fortsetzungen der entsprechenden ahd.
Bildungen.
Wir ersehen aus dem Voranstehenden, dass im
Mittelhochdeutschen der schon in der vorhergehen-
den Periode sehr zusammengeschmolzene Formen-
reichtum des Verbums durch das Verblassen der
Endungen noch weitere Einbusse erlitten hat, sonst
aber im grossen und ganzen auf dem Standpunkt
der lautgesetzlichen Fortentwicklung der ahd. For-
men stehen geblieben ist. Die ausgleichende Tä-
tigkeit, die bei dem neuhochdeutschen Zeitwort die
meisten altertümlichen Reste verwischt hat, zeigt
sich kaum in ihren anfänglichen Spuren. Gegen-
über dem neuhochdeutschen Zeitwort zeigt die mhd-
8*
— ii6 -
Konjugation noch grössere Mannigfaltigkeit — man
denke z. B. nur an die vom Singular verschiedene
Pluralform bei dem Präteritum der starken Verben
— und dabei doch ein fest gefügtes, auf uralter
Grundlage beruhendes System, das später durch-
brochen wird und daher im Nhd. nicht mehr in
der früheren Regelmässigkeit erhalten ist. Vom
Standpunkt des Sprachforschers mag dies zu be-
dauern sein; vom praktischen Gesichtspunkte be-
trachtet, stellt die Verminderung der Formen eine
Vereinfachung und somit einen Fortschritt im Leben
der Sprache dar.
§ i6.
Wortton und Verskunst im Mittelhoch-
' deutschen.
Die Grundzüge der ahd. Betonungsweise, die
wir oben im j^ lo entwickelt haben, bleiben auch
im Mhd. fortbestehen ; indes bewirkte die fortschrei-
tende Verstärkung des Haupttons, mit dem die Ab-
schwächung der schwachbetonten oder unbetonten
Nebensilben Hand in Hand ging, dass der Neben-
ton zurücktritt und sich nur in bestimmten schwe-
reren Ableitungssilben noch in alter Kraft erhält.
Nebenton Solche Ableitungssilben sind : -aere in scriba^re
^^^ „Schreiber^S -ing : ftindeling „Findling", -unge :
Endungen warnünge „Warnung", -isse : gedäehtnisse „Gedächt-
nis", -sal : trüebesäl „Finsternis" ( daneben dihsel
„Deichsel" ohne Nebenton), -inne : vürstinne „Für-
stin", -lin : ffngerlin „Fingerlein". In den genannten
Endsilben ist infolge des starken Tieftons bis heute
der volle Vokal erhalten t>:eblieben.
— 117 —
Ein Tiefton ist überall da vorhanden, wo zwt^i Nelmiio-
nicht hochbetonte Silben aufeinander folgen, also i^ (^r^J-
stets in drei- und mehrsilbigen Wörtern. Auf die \y6 te*^
hochbetonte Silbe konnte zunächst eine unboivvTitc
und dann eine nebenbetonte folgen: hindenän ,,hin-
tendrein*' ; aber auch die nebentonige Silbe konnte
sofort nach der hochbetonten kommen: weinende,
heiliger. Man nimmt gewöhnlich an, dass der letz-
tere Fall nach langer Stammsilbe eintrat, wogegen
nach kurzer Stammsilbe der Nebenton auf die
zweitfolgende Silbe fiel: maneg^r, löbet^. Indes
hält diese Regel nicht in allen Fällen stand.
Zweisilbige Wörter erhalten nur dann einen Nebeuton
Nebenton, wenn im Zusammenhang der Rede wie- ^° ^wei-
der eine unbetonte Silbe folgt: daz wart d6 Gi'in- \Yör[^^JJ
th^r bekänt; aber gewöhnlich nur solche mit langer
Stammsilbe iklein^, bi^t^n) ; Wörter mit kurzer
Stammsilbe wie böte, sSgen, nSme können keinen
Nehenton erhalten.
Für die Zusammensetzungen gelten, im MlnL Nehepton
dieselben Regeln wie für das Ahd., sowohl für die ^^ ^^^*
zusammengesetzten Hauptwörter wie Zeitworter, jiPt^uuIt!j|
Wir verweisen daher auf das in § lo Gesagte als
für die mhd. Zeit (ebenso wie für das Nhd,) zu-
treffend.
Auch bei den Kunstformen der poetischen Poetisdie
Sprache ist das Band zwischen ahd. und mhd. Zeil Sprache
nicht zerrissen. Wesentlich auf der von Ol Fried
geschaffenen Grundlage beruht bei den alleren
Minnesängern, im Nibelungenlied u. s. w. die kuust-
mässige Dichtungsform des Mhd. Gewisse Ver-
schiebungen mussten sich natürlich durch die Ent-
wicklung der Sprache ergeben, indem die abH:L-
schwächten Endungen weniger befähigt sind, Hi>
- ii8 —
bungen zu tragen als im Ahd. ; aber dafür ist es
nunmehr infolge der Verkürzung der Wortformen
auch möglich, mehr Inhalt in den Vers zu bringen.
Anderseits schwindet wegen der grösseren Zahl
Wurzelsilben der Unterschied zwischen Haupt- und •
Die Nebenhebung immer mehr. Der Versfuss, d. h; die
Versform. Hebung und die darauffolgende Senkung ist in der
Regel zweisilbig ; daneben finden sich auch ein-
wie dreisilbige Versfüsse. Der Versausgang, der
im Ahd. stets einsilbig ist fs. die Probe aus Ot-
fried in § lO, S. 76 f.), kann nun auch zweisilbig sein,
mit langer betonter erster Silbe und schwachem e
in der folgenden. Der Vers selbst zerfällt durch
eine Cäsur in zwei Hälften mit je 4 bezw. 3 He-
bungen. Zwei aufeinander folgende Verse sind
durch den Reim gebunden ; zwei Verspaare bilden
eine^ Strophe, deren letzte Halbzeile 4 Hebungen
aufweist. Der Reim ist männlich, d. h. er ruht auf
hochtoniger Silbe, die letzte Hebung fällt auf die
Schlusssilbe. Für diese auf alter Ueberheferung
beruhende Verskunst bietet das Nibelungenlied ein
Beispiel, dem die folgenden Strophen entnommen
sind :
(Akut ' bezeichnet im Folgenden die Haupthebung,
Gravis ^ die Nebenhebung.)
1 . D6 wu6hs in NiderlAnd^n, | eines riehen küneges
kint,
des vater d^r hie^ Sigemünt, | stn muöter Sigelint,
in einer bürge riche | witen w61 bekdnt,
niden bt dem Rin^ ; \ diu wAs ze Sdnt^n genant.
2. Ich sage iu von dem ddgen^, | wie schodn6 der
wart.
.j^^
— 119 —
Sin lip vor allen schänden | was vil \v61 bewart,
stärk ünde noa^r^ | wart sit der küene man;
hei ! wds er größer ßr^n | ze diser w6rld6 gewän.
1. Da wuchs in Niederlanden eines reichen Königs
Kind,
des Vater der hiess Sigmund, seine Multer
j Sigelind,
in einer reichen Stadt weithin wohl bekannt,
unten an dem Rhein, die wurde Xanten ge-
nannt
2. Ich sage euch von dem Recken, wie schön
der wurde.
Sein Leib war vor allem Hässlichen durchaus
bewahrt.
Stark und berühmt ward später der kühne Mann ;
Ha ! wie grosse Ehre er auf dieser Welt gewann.
Diese auf althochdeutscher Grundlage beruhen- Jüngere
de Metrik wird seit dem Ende des 12. Jahrhunderts Metrik,
durch den Einfluss der romanischen Verskunst aus
der Kunstpoesie verdrängt. Die Dichter der klas-
sischen Periode der mhd. Zeit wurden von ihr
sämtlich mehr oder weniger beeinflusst, umsomehr
als sie ihre Stoffe grösstenteils aus Frankreich er-
hielten und daher naturgemäss auch durch die
Form ihrer Vorlagen bestimmt wurden. Die Verse
erhalten jetzt eine begrenzte Silbenzahl mit regel-
mässig abwechselnder Hebung und Senkung; man
vermeidet einsilbige Versfüsse, während die Ver-
wendung dreisilbiger, d. h. solcher mit einer Hebung
und zwei Senkungen nicht durchweg umgangen
wird. Neben männlichem Ausgang des Verses, d.
h. auf betonte Silbe^ findet sich nunmehr^ auch
weiblicher Ausgang auf unbetonte Silbe. Den Auf-
— I20 —
takt, d. h. eine (oder zwei) unbetonte Silben, die
der ersten Hebung des Verses vorausgehen, be-
strebt man sich wegfallen zu lassen. Die guten
Schriftsteller beginnen ihn einzuschränken. Man lese
folgende Verse, die den Anfang von Hartmann von
Aues Jwein bilden:
Sw6r an rechte guete ,
W6ndet sin gemüete,
Dem v61get sa61de und ^re.
Des git gewisse 16re
Künec Artus der güote.
Wer. immer zu rechter Güte
Wendet sein Gemüte,
Dem folgt Glück und Ehre.
Dafür gibt sichere Lehre
König Artus der Gute.
Die Fortsetzung der neuen Verstechnik bildet
die kunstmässige Lyrik des 14. und 15. Jahrhun-
derts. Die regelmässige Abwechslung von Hebung
und Senkung ist durchgeführt; einsilbige Füsse
kommen überhaupt nicht mehr vor ; dreisilbige wer-
den durch Elision eines e zu zweisilbigen umge-
staltet; der Auftakt aber wird regelmässig angewandt.
Meister Heinrich Frauenlobs Verse sind derart ge-
staltet, wie eine kleine Probe zeigt:
Ir 6delen sü^en ^ vr6uwen''^ gut,
tut nach der alten wirdikeit:*^
Swer nicht treif^ ritterlichen müt,
den lät'^ ü« immer w6sen^ leit.^
* süssen. * Frauen. » Wörde. * trägt. * lasst. « euch.
' sein. * verhasst.
— IZI —
E5 war ie^ guter vrouwen site,
swer^^' ritterliche vüge ^^ träge,
den grüjet '*- lieplich alle tige :
so volget ü 6 vrou S61de ^^ mite. ^^
Von dem allmähligen Zerfall der sprachlichen Verfall der
Form gegen Ende des Mittelalters bleibt auch die ^"^^'
äussere Gestaltung der Dichtungen nicht unbe- i^etrik
rührt. Man hielt zwar an den überlieferten Kunst-
forraen fest, aber man gebrauchte weniger Sorg-
falt bei ihrer Anwendung. Man konnte infolge der
Veränderung der Aussprache das Versschema der
klassischen Zeit nicht mehr richtig verwenden, und
geschah dies doch, so ergab sich dadurch oft ein
Widerstreit zwischen Wortton und Verstakt, wie z.
B. in folgenden Versen aus dem jüngeren Hilde-
brandslied (15. Jhd.):
Do nun der alt HilprAnde (st. Hildebrande)
durch den r6sen gärten ausreit (ausritt)
ind (= in die) mArk des P6rners lande,
kom 6r in gros arbeit:
wol von dem jungen mit gewalde
do würd er Angerdnt:
„nun^sdg du mir, du alder,
was suchst in disem länt?**
Wir ersehen aus dieser Probe deutlich, wie
Wollen und Können bei dem Dichter in Widerstreit
geraten; neben ganz regelmässig gebauten Versen
finden wir andere, die nach altertümlicher Weise
zweisilbigen Auftakt oder gar dreisilbige Senkung
haben; ausreit und arbeit sind dem Verstakt zu-
• immer. *<* wer immer. ^* Fug = Benehmen. ^* grösset.
»» GlQck. " mit.
— 122 —
liebe falsch betont. Allerdings nähert sich das
jüngere Hildebrandslied, wenn auch von einem
kunstmässigen Dichter aufgezeichnet, doch nach
Inhalt und Stil sehr der Volksdichtung, die im
Jüngere Gegensatz zur Kunstlyrik die alten Ueberliefe-
volks- rungen der echt deutschen Verskunst bewahrt: die
Dkhnlng ^^^^ ^^^ Hebungen bleibt massgebend, die Sen-
kungen sind beliebig; auch die Ausfüllung eines
ganzen Takts durch eine Silbe findet sich. Von
diesem Brauch bewahrt das Volkslied bis heute
noch viele Spuren. Man betrachte z. B. den An-
fang des mhd. Volkslieds auf den sächsischen Prin-
zenraub im Jahr 1455:
Wir wollen ein Liedel heben an,
Was sich hat angespunnen,
Wies in dem Pleissnerland gar schlecht war
bestallt,
Als sein jungen Fürsten geschach gross Ge-
walt
Durch den Kunzenjvon Kaufungen ....
Es dürfte äusserst schwer sein, diese für den
Gesang bestimmten Verse in ein regelmässiges
Schema zu bringen. Nicht einmal die Zahl [^der
Hebungen ist in den einzelnen Versen dieselbe ;
die Zahl der Senkungen ist ganz und gar willkür-
lich. Eine grössere Regelmässigkeit zeigt der Auf-
bau der Verse in dem etwas späteren Landsknechts-
lied auf die Schlacht bei Pavia (1525):
Was wöll wir aber h6ben an,
Ein neues Lied zu singen
Wohl von dem König aus Frankreich
Mailand das wollt er zwingen ....
— 123 —
Auch neuere Volkslieder zeigen noch die alt- Heutiges
ererbten Eigentümlichkeiten, die wir an den oben Volkslied,
gegebenen Proben bemerken. Auf eine. Hebung
kommen zwei oder gar drei Senkungen, und auch
eine nebentonige Silbe kann als Hebung verwendet
werden. So in dem wohlbekannten Volkslied :.
O Strdssbürg, o Strassbürg! du wunderschöne
Stddt! .
Darinnen liegt begraben so mannig^r Soldat.
So männig^r und schöner auch tapferer Sol-
dat,
Der Vater und lieb Mütter böslich verlassen
hat.
So hat sich neben der Kunstpoesie, die auf
fremden Vorbildern aufgebaut wurde, bis zum heu-
tigen Tage das alte deutsche Prinzip des Versbaus
im Volke lebendig erhalten und beginnt in der
neuesten Zeit wieder einen wohltätigen Einfiuss auf
die in Schablone erstarrte Kunstlyrik auszuüben
und sie mit neuen Formen zu bereichem.
§ ^7-
Französischer Einfluss auf das Mittelhoch-
deutsche.
In Frankreich hatte sich schon im elften Jahr-
hundert die ritterliche Gesellschaft als besonderer
Stand herausgebildet, der in seiner Lebensweise
von dem Bürger- und Bauernstand weit abstand,
sieh einen strenggeregelten Ehren- und Sitteiikodex
und eine eigenartige Sprache geschaffen hatte. Zur
Zeit der Kreuzzüge (erster Kreuzzug 1096 — 1099)
sehen wir das Rittertum in seiner edelsten und
124
Rittertum
in
Deutsch-
land.
Franz.
Fremd-
wörter.
höchsten Blüte, erfüllt von religiösen Idealen, ein
Streiter für Recht und Treue, ein Beschützer der
Schwachen und Bedrückten. Der Niederschlag die-
ser Lebensauffassung findet sich in den zahlreichen
französischen höfischen Epen der karolingischen,
bretonischen und antiken Sagenkreise, die als Chan-
sons de Geste bezeichnet werden. Vom Nieder-
rhein aus, wo auch Heinrich von Veldeke (s. § 13,
S. 91) zu Hause ist, verbreitet sich litterliches
Wesen und ritterliche Lebensauffassung in Deutsch-
land. Doch erst im 12. Jahrhundert bildet sich
hier ein eigentlicher Ritterstand heraus, dessen
glänzendste Zeit die Epoche der hohensiaufischen
Kaiser (1138 — 1254) ist. Das Rittertum übernahm
seine eigenartige Organisation von Frankreich her;
dort ist auch die Quelle der höfischen Dichtungs-
form zu sfuchen, von der in J^ 16, S. 119 f. die
Rede war.
Wie nun in der urgermaniSchen und althoch-
deutschen Zeit das kulturelle Uebergewicht Roms
einen gewaltigen Zufiuss lateinischen Sprachguts
in die deutsche Sprache zur Folge hatte {^ 2, S. 14),
so bewirkt nunmehr die Herübernahme ritterlicher
Sitte ein Einströmen französischer Benennungen für
die entlehnten Gegenstände und Anschauungen in
die mhd. Sprache. Man kann die Zahl der fran-
zösischen Fremdwörter in mhd. Zeit ebenso hoch
wie die lateinischen Lehnwörter in ahd. Zeit schät-
zen: auf über 5Ö0. In der Hauptsache sind es
Ausdrücke des Ritter- und Minnewesens, daneben
auch solche, die durch den Handel und Verkehr
mit den westlichen Nachbarn nach Deutschland ge-
kommen sind. Viele von ihnen sind längst wieder
abgestossen worden, andere dagegen gehören bis
— 125 —
auf den heutigen Tag zum festen Bestand unseres
Wortschatzes.
Mhd. Entlehnungen, die heilte nicht mehr in
der deutschen Sprache vorhanden sind : Substantive:
ämis = frz. ami „Freund", ämie = amie „Freupdin**,
auch mämie =r m'amie „meine Freundin**, ämür =
amour „Liebe**, batschelier r= frz. bacheliex „junger
Ritter**, bühurt = bouhourt „ritterliches Kampfspiel**
(in Scharen), dämois^le =-- demoiselle „Fräulein**,
garzün == gargon „Trossknecht**, joste = afrz. joste
„Tumierkampf** (Einzelkampr, puzele = pucelle
„Jungfrau**, reyne = reine „Königin**, schastel --
afrz. castel „Schloss**, tschoie = joie „Freude**,
villän villain „Bauer** und Viele andere. Adjek-
tive: beals == afrz. beau „schön", kurtois = cour- •
tois „höflich**, scher ^^ eher „lieb** u. s. w. Lehn- ^^^ ^^'^^
Wörter, die noch heute im Gebrauch sind : Sub- ^ E^t-^^
stantive-: flventiure =^ frz. aventure -^ nhd. Abeittciier^ lehnungen.
das volksetymologisch umgestaltet wurde mit An-
lehnung an Abend und teuer; baniere =^ banni^re
= Banner ; barün = baron ; cumpänte = conipagnie
= Kompanie ; cunstabel = constable = Konstabe/
(Polizist, vgl. Konstablerwaclie in Frankfurt a. M.);
capitäne = capitaine = Kapitän; palas = Palast \ ^
prince = Prinz ; sarjant =^ sergent ==:^ Sergeant; stan-
dart = 6tendart ^1=^ Standarte ; visier = visiere = / 7-
sier ; pris -=^ prix Preis y manier = mani^re und
zahlreiche weitere. Adjektive: fin = fin = fein;
blond, proper = propre = propper. Auch Zeit-
* Das lat. palatium wurde dreimal ins Deutsche entlehnt:
1. ins Ahd. als palinza = Pfalz) ins Mhd. als palas = nhd.
Palast, ins Nhd. als Palais, beide aus dem Frz. Ebenso wurde
das frz. banni^re zweimal entlehnt: mhd. als banner, nhd. Banner
und aufs Neue in der Form Panier.
— 126 —
Wörter wurden entlehnt, teils mit der deutschen In-
finitivendung, teils mit der aus dem Französischen
und Deutschen zusammengesetzten Endung -ieren :
vclen = faillir „fehlen"; birsen ^= afrz. bercer „mit
dem Pfeil jagen" ^^ birsckeity pürscken ; kosten = -
afrz. coster, coüter; pruoven ~ prouver == prüfen\
galoppieren; parelieren = frz. parier; tumieren;
visieren u. s. w. Auch unser Ade, Adieu ist schon
im Mhd. im Gebrauch.
Lautliche Das Mittelhochdeutsche nahm in der Regel die
^"' französischen Fremdwörter nicht sklavisch herüber,
^^p^gj^^. sondern passte sie der deutschen Redeweise an,
Wörter, wenn auch nicht in der weitgehenden Art, wie das
Ahd. und Urgermanische mit den lateinischen Lehn-
• Wörtern verfahren war. So wird der altfranzösische
Doppellaut ai, der äi mit stärker hervortretendem
a gesprochen wurde, zu a in palas = frz. palais ;
in gleicher Weise wird afrz. frangois zu mhd. frant-
z6is = Franzose (für älteres Frame y vgl. FranZ"
mann) ; das frz. e vor einem s ^ Konsonant lässt das
deutsche Lehnwort wegen seiner Tonlosigkeit ganz
fallen : standart aus afrz. estandart =r Standard =r
Standarte.
Franz. Ausser den Fremdwörtern hat das Mhd. dem
Endungen Französischen auch verschiedene Wortbildungsele-
Deutschen. ^^^^^^ entlehnt, die bis auf den heutigen Tag frucht-
bar geblieben sind. Die Infinitivendung -ieren, die
wohl auf einer Verschmelzung der französischen In-
finitivendung -ir mit der entsprechenden cieutschen
Endung -en beruht, war im Mhd. in ungefähr 160
Verben französischen Ursprungs vertreten, von den^n
die meisten längst wieder untergegangen sind. In-
des hängte man schon im Mhd. die fremdländische
Endung an deutsche Stämme wie halbieren, stolzieren,
— 127 —
hofieren ; im Nhd. sind diese Zwitterbildungen ausser-
ordentlich vermehrt worden : gastieren, buchstabieren^
liniieren, hausieren u. s. w., ganz abgesehen von
Zeitwörtern fremden Ursprungs wie photographieren ,
telegraphieren, telephonieren u. a. An Hauptwörter
tritt die Endung mhd. -ie, nhd. -ei : mhd. prophe-
zie -- frz. prophdtie = Prophezeih-ung y massente
= frz. maisnie „Hausgesinde'*, partie = frz. par-
tie = Partei u. s. w. Diese Endung wird schon
im Mhd. auf deutsche Stämme ausgedehnt, beson-
ders auf die Tätigkeitswörter auf -aere (§ 9, S. 58),
um eine Eigenschaft, Beschäftigung u. s.w. zu bezeich-
nen : mhd. zegerie ,, Zaghaftigkeit", nhd. Bäckern,
Fischerei, Schreinerei u. s. w. Dann wird das Suffix
-ei auch an Plurale gehängt: Kinderei, 'Länderei ^
u. a. Endlich wird aus diesen Wörtern ein neues
Suffix -erei abgezogen : Schelmerei, das auch an Zeit-
wörter tritt: mhd. vrezzerie ^^ Fresserei^ rouberii:^
r^ Räuberei, Singerei, Schreierei u. s. w. Das Suf*
fix -ei wird auch an Zeitwörter auf -ein angehängt :
Bettelei, Heuchelei von betteht, heucheln.
• Das Suffix -tat, mhd. teit ist ebenfalls franzö-
sischen Ursprungs : mhd. magesteit = Majesiai,
ist aber auch im Nhd. fast nur auf fremde Ent-
lehnungen beschränkt geblieben : Universität, Locait-
tät, Rarität u. s. w. Als scherzhafte deutsche Bil-
dung wäre Schwulität (von schwül?) zu nenneiu
Franz. Ursprungs mag auch das erst nhd. Suffix
-lei in mancherlei, vielerlei u. s. w. sein ivgl. afrz.
ley „Art und Weise"), das im Mhd. nur als selb-
ständiges leie in maneger leie u. s. w. vorkommt.
Es ist daher den im § 9, S. 63 f. besprochenen Sui-
fixen gleichzustellen.
Noch manche andere Suffixe waren in älterer
— 128 —
Zeit aus dem Französischen übernommen worden,
die heute nur noch vereinzelt vorkommen : Lap-
palie^ Schmieralie) Harfenist: Paukatit u. a.
Im allgemeinen kann man sagen, dass der
kulturelle Einfluss Frankreichs auf Deutschland im
Mittelalter unstreitig bedeutend war, dass aber die
sprachlichen Spuren dieses Einflusses heutzutage
bis auf wenige Reste wieder aus der Sprache aus-
gemerzt worden sind, ganz im Gegensatz zu den
lateinischen Lehnwörtern der ältesten Zeit, deren
grösster Teil dauernder Besitz unserer Sprache ge-
worden ist. Der Unterschied erklärt sich leicht,
wenn wir bedenken, dass der römische Einfluss
eine tiefgehende Umgestaltung der Lebensverhält-
nisse unseres Volkes bewirkte, der französische Ein-
fluss dagegen nur die höheren Schichten berührte
und mit dem Untergang der höfischen Gesellschaft
wieder aufhörte. Ausserdem machten die lat. Lehn-
worte der ältesten Zeit zwei umgestaltende Verän-
derungen der Sprache, die Akzentzurückziehung
und die Lautverschiebung mit, so dass ihr fremder
Lautcharakter so gut wie ganz verwischt wijrde.
In den mhd. Fremdwörtern aber wirkte meist das
Schriftbild bestimmend für die Lautgegtaltung, so
dass sie von der eigentlichen Volkssprache stets
als Fremdlinge empfunden und, als sie keine Da-
seinsberechtigung mehr hatten, ausgestossen wurden.
öü
r^^j^vv^-^-,^—^^- '.;-.;■. -. . "- - 7;-- ^ - r-'~r-;^3IF7Psr_a-^-a
Kap. IV.
Der neuhochdeutsche Zeitraum
(von 1500 bis heute).
§ 18.
Uebergangszeit vom Mittelhochdeutschen ^um
Neuhochdeutschen.
Die Einheitlichkeit der Sprache, die wir bei den
guten Schriftstellern des 12. und 13. Jahrhunderts
bemerken, hält im 14. und 15. Jahrhundert nicht
mehr vor. Dialektische Eigentümlichkeiten erlaubten
sich zwar auch manche Schriftsteller der klassischen
Zeit, aber nunmehr wird die Ausnahme zur Regel;
kein Dichter und kein Prosaiker tut sich mehr irgend-
welchen Zwang an, jeder bringt seine Mundart zur
Geltung. Zur Zeit der Blüte der mhd. Literatur war
in der Sprache Südostdeutschlands ein Mittelpunkt
vorhanden, dem sich die Dichter möglichst zu nähern
suchten, was ihnen um so eher gelang, als die Mund-
arten Oberdeutschlands und selbst Mitteldeutschlands
noch nicht so sehr weit auseinandergingen wie später.
Das ändert sich gegen das Ende der mhd. Periode.
Die oberdeutschen Mundarten, das Bairische und
Alemannische, werden nunmehr durch eine tiefe Kluft
geschieden, die sich durch die neue Entwicklung
F 6 i ■ t , Die deutsche Sprache. o
— I30 —
Neue der langen Vokale t, ü, iu (— ü) in ersterem Dialekt
Doppel- herausbildet. Deutliche Zeichen dieser Bewegung
ei au eu. bemerken wir bereits im 1 2. Jahrhundert; gegen Ende
desselben sind die neuen Doppellaute ei, ou, eu
nicht selten neben den alten Lauten in bairisch-
österreichischen Handschriften; ein Jahrhundertspäter
haben die neuen Zeichen die alten beinahe ganz ver-
drängt. Nun heisst es für wtp , fül , hiute — weib,
foul „faul", heute. Von Südosten aus treten die
neuen Laute ihren Siegeszug an : Böhmen, Schlesien,
Ostfranken, Obersachsen, Rheinfranken beugen sich
nach und nach der neuen Sitte; um 1500 hat sie
das letztgenannte Gebiet sich erobert. Die anderen
Dialekte, also besonders das Alemannische und Mittel-
fränkische, bewahren die alten Längen, abgesehen
von ihren Grenzgebieten gegen die benachbarten
Mundarten, die den Wechsel vorgenommen haben.
Das Mitteldeutsche hatte schon früh (§ 1 4, S. 107)
die Doppellaute uo, ie und iu zu ü, t, ü zusammen-
gezogen; nun kamen die neu entwickelten Doppel-
laute ei, ou (wofür es gern ai und au schreibt, gleich-
wie für die schon vorhandenen gleichen Laute) und
eu hinzu.
So hatten sich die beiden oberdeutschen Mund-
arten in ihrer lautlichen Gestaltung weiter von ein-
ander entfernt als zur Blütezeit der mhd. Literatur,
und das Mitteldeutsche gar war sowohl vom bairi-
schen wie besonders vom alemannischen Dialekt noch
mehr abgerückt als zu Anfang der mhd. Periode.
Die Schriftsteller, die aus diesen verschiedenen Ge-
genden stammten, hatten wohl noch den guten Willen,
aber nicht mehr die Kraft, sich von ihrer Mundart
freizumachen; ja, einzelne gehen so weit, sich sogar
das Recht zu wahren, ihren heimatlichen Dialekt zu
ogar
:t zu I
— 131 —
berücksichtigen, wie Hugo von Trimberg in seinem
Renner (s. § 13, S. 92) es um das Jahr 1300 un-
gefähr tut.
Der verlorene sprachliche Mittelpunkt, den itu
12. und 13. Jhd. die guten Schriftsteller abgaben,
sollte aber von anderer Seite aus wiedergewonnen
werden. Zwei Faktoren sind daran beteiligt: i. die
Kanzleien der Kaiser und der hohen wie niederen
Reichsstände, 2. die prosaische Sprache, die sicli
durch die geschichtlichen, belletristischen und Er-
bauungsschriften des isjhds., die natürlich für weitere
Kreise als die Heimat der Verfasser bestimmt waren,
herausgebildet hatte. , -
Wir haben schon früher gesehen § 1 2, S. 84 ff,)i Die
wie die deutsche Sprache allmählich die lateinische Kiiiidei-
Sprache in den Urkunden zuei st der südwestdeutschen ^^^^'^^ '^"
Städte, dann auch der kaiserlichen Kanzleien und^
in ihrem Siegeszug im Laufe des 14. Jahrhunderts
rasch weiterschreitend, auch in den Urkunden der
mitteldeutschen Städte und der Reichsfürsten ver-
drängt. Um das Jahr 1350 sind die lateinischen
Urkunden schon in der Minderheit: im Stadtreclit
herrscht die. deutsche Sprache unbedingt; ebenso
ist sie seit Ludwig dem Baiern (13 14 — 1347) die
offizielle Urkundensprache der kaiserlichen Kanzlei.
Unter Karl IV. (1346 1378) endlich beginnt infolge
der erhöhten gesetzgeberischen Tätigkeit die Aus-
bildung einer eignen deutschen Kanzleisprache.
Die vornehmste und einflussreichste aller Kanz-
leien war naturgemäss die kaiserliche Kanzlei, deren
Sitz im 14. Jahrhundert meistens Prag war, wo <iic
luxemburgischen Kaiser residierten. Die in Böhmen
eingewanderten deutschen Ansiedler sprachen aber
einen mitteldeutschen Dialekt; daher ist die Sprache
9*
— 132 —
der kaiserlichen Kanzlei in der Regel auch mittel-
deutsch. Bekanntlich aber wechselten die Kaiser
im Mittelalter häufig den Sitz ihrer Hofhaltung, und
die Folge davon ist, dass auch die Schreiber der
Kanzleien wechseln und ihre Mundart in den Urkun-
den oft zur Geltung bringen. Diese Wanderungen
des kaiserlichen Hofhalts hatten indes den Vorteil,
dass die Sprache der Kaiser und ihrer Erlasse weit-
hin in deutschen Landen bekannt wurde durch den
unbestreitbaren Einfluss, den die persönliche An-
wesenheit des Herrschers auf die Gemüter ausübt,
ganz abgesehen von der Verbreitung, die viele kaiser-
liche für das Reich bestimmte Erlasse, wie die Land-
frieden, ohnedies fanden. So kam es, dass aucü
die Kanzleien der hohen Reichsfürsten sich bestrebten,
ihre Sprache derjenigen der kaiserlichen Kanzlei
möglichst anzupassen. Infolge der Nachbarschaft
wurde die kursächsische Kanzlei am ersten beein-
flusst, aber auch räumlich weiter abliegende Kanz-
leien, wie die kurfürstli jhen von Mainz und Trier,
.nahmen sich die kaiserliche Urkundensprache zum
Muster. Selbst als die Kaiserwürde an die Habs-
burger übergegangen (1438) und die Hofhaltung
nach Oesterreich verlegt worden war, hielt man an
der mitteldeutschen Kanzleisprache fest, in die aller-
dings dialektische Eigenheiten der Gegend über-
gingen, unter denen das obenerwähnte ei (au), ou,
eu für bisheriges t, ü iu die wichtigste und ein-
schneidendste Neuerung ist.
Buch- Mit der Erfindung der Buchdruckerkunst um die
drucker- Mitte des 15. Jahrhunderts wird das Interesse an einer
allen Deutschen verständlichen Gemeinsprache be-
deutend erhöht, da man anfing, neben den lateinischen
auch deutsche Bücher zu drucken. Wenn auch der
kunst.
- ^33 -
älteste bis jetzt bekannte Druck, das Fragment vom
Weltgericht (vgl. Tafel VII), die rhein fränkische
Mundart aufweist — es wurde in Mainz aufgefunden
und diente als Rückblatt zum Einheften von Akten —
so wurden doch weitaus die meisten Drucke der
ersten Zeit aus lateinisch geschriebenen Werken
hergestellt, und wurde einmal ein Werk in deutscher
Sprache gedruckt, so verwandte man keine über den
Mundarten stehende Sprache, wie die klassischen
Dichter der ersten Blüteperiode unserer Literatur,
sondern die Drucker blieben im allgemeinen noch
an ihrer Mundart haften, obwohl sich Ansätze zu
einem „gemeinen Deutsch** schon um diese Zeit
finden. Die Kanzleisprache allein konnte dafür kaum
die Grundlage bieten, da der in ihr vertretene Ge-
dankenkreis beschränkt war und ihre Ausdrucks weise
durch viele festgelegte Formeln beengt wurde.
Daneben gab es noch eine andere Quelle, aus
der eine den deutschen Stämmen gemeinsame Schrift-
sprache gewonnen werden konnte. Das war der im
14. und besonders im 15. Jahrhundert reich ent-
wickelte Prosastil in den historischen Erzählungen
oder den geistlichen Erbauungsschriften und Pre-
digten. Auch deutsche Bibelübersetzungen gab es
schon im 15. Jahrhundert.
Demnach waren gegen Ende der mittelhoch-
deutschen Periode alle Grundlagen vorhanden, um
das Entstehen der von den Schriftstellern und
Druckern jener Zeit ersehnten allgemein verständ-
lichen deutschen Schriftsprache zu ermöglichen.
Der Boden, auf dem sie erwachsen sollte, konnte
nur das Mitteldeutsche sein , einmal weil es von Das
allen deutschen Mundarten geographisch die wei-
teste Ausdehnung hatte, von der französischen
Mittel-
deutsche.
— 134 —
Grenze über den Mittelrhein , die Weser und die
Elbe zur Oder und zur Ostsee; dann weil es die"
Mitte von Deutschland einnahm, zwischen den weit
voneinander abstehenden oberdeutschen und nie-
derdeutschen Mundarten, den ersteren sprachlich
nahe genug, um von den Oberdeutschen verstanden
zu werden, den letzteren räumlich benachbart und
als Sprache der höheren Kultur zur Verständigung
unentbehrlich. Dazu kam das Ansehen und das
Uebergewicht , das dem Mitteldeutschen als der
Sprache der kaiserlichen und der vornehmsten
übrigen Kanzleien zuteil werden musste, wogegen
die lokalen Bestrebungen der oberdeutschen Dia-
lekte, die sich noch lange geltend machten , auf
die Dauer nicht durchdringen konnten. So ge-
braucht z. B. Murner, ein elsässischer Schriftsteller
um 1500, neben altem i das neuere ei, obwohl in
seiner Mundart bis heute die alten i und u-Laute
(letztere zu ü umgelautet) herrschen. Einige Verse
ausMurners »andechtig geistliche Badenfart« (15 14)
mögen hierfür als Probe dienen; wir wählen die
Stelle am Schlüsse des Werkes, wo der Dichter
seine Heimatstadt Strassburg und ihr Münster preist:
Wer do kumpt^ gen Strassburg gan^
Und sehent das zierlich münster an.
Der spricht, das honf^ frum lüt* gethan
Die solch kosten und arbeit
Dir""' zuo lob hondt'^ angeleit,^
Dein schloss, dein huss, und dein palast,
Das suocht man weit in allem landt,
Wie schon ^ sie es dir erbuowen^ handt. '^
* kommt. * gegangen. ' haben. * fromme Leute.
* d. h. der Jungfrau Maria. « angelegt. ' schön (Adv.). « er-
baut.
Die neuen ei-Laute finden wir in dein und weif,
dagegen die alten u- und iu- Laute in hiss „Haus"
. und lüt „Leute". Doch ist Murner immerhin nur
ein vereinzeltes Beispiel zu seiner Zeit; damit der
mitteldeutsche Sprachgebrauch siegreich auf allen
Gebieten durchdringen konnte, musste eine überall
anerkannte Autorität mit einer entscheidenden Tat
kommen und die letzten hindernden Schranken
niederreissen.
§ 19-
Die Entstehung der neuhochdeutschen
Schriftsprache.
Im vorhergehenden Abschnitt haben wir ge-
sehen, dass zu Ende des. Mittelalters alle Vor-
bedingungen gegeben waren, um das Entstehen
einer einheitlichen Schriftsprache zu begünstigen,
und dass die ersten Anläufe zur Verwirklichung
dieses weitverbreiteten Bedürfnisses getan waren.
Hätte man der Bewegung ihren freien Lauf gelassen,
so wäre unzweifelhaft die deutsche Schriftsprache
auf ihrem Boden erwachsen. Schon hatte auch die
Druckerkunst begonnen deutsche Bücher herzu-
stellen: 1461 erscheint das erste deutsche Buch
in Bamberg; im Jahre 15 18 ist die Zahl der deut-
schen Bücher aber nur auf 150 gestiegen; also nach
mehr als einem halben Jahrhundert, gegenüber der
rasch anwachsenden Zahl der Druckereien und ihren
vielen lateinischen Druckwerken, eine verschwindende
Minderheit. Das kam daher, dass die katholische
Kirche hemmend in die deutschsprachliche Be-
wegung eingegriffen' hatte. Im Jahre i486 erliess
Erzbischof Berthold von Mainz, allerdings nicht aus
- 136 -
Feindschaft gegen die deutsche Sprache, ein Ver-
bot gegen den Druck deutscher Bibelübersetzungen;
aber wie wirksam es war, beweist der Umstand,
dass zwischen i486 und 1522 weniger deutsche
Bibelausgaben erschienen als in der weit kürzeren
Zeit von 1461 bis i486. So hatten geistliche Be-
denken und Vorurteile die stetige Entwicklung des
deutschen Schriftwesens unterbunden, und vielleicht
hätte diese Fessel unserer Sprache lange Jahrzehnte
angehaftet, wenn nicht auf kirchlichem Gebiete die
bedeutsame Neuerung, die wir die Reformation
nennen, auch diese Schranke beseitigt hätte.
Martin Sobald Martin Luther mit dem katholischen
Luther. Glauben gebrochen hatte, war ihm sein Weg un-
fehlbar vorgezeichnet: statt auf den Papst und die
römisch gesinnte Geistlichkeit musste er sich auf
das deutsche Volk und die deutschen Fürsten
stützen. Das deutsche Volk konnte er aber nur
dann für sich und den neuen Glauben gewinnen,
wenn er ihm verständlich war und den Gottesdienst
in seiner Sprache, statt wie bisher grossenteils in
lateinischer Sprache hielt. Zwar hatten die Geist-
lichen schon vor ihm und von jeher deutsch ge-
predigt, aber nun wird auch das Kirchenlied und
die Messe deutsch. Luthers grösste Tat indes war
Luthers seine Bibelübersetzung. Auch hierin hatte er ja,
Bibelübcr- wie schon erwähnt, Vorgänger, die freilich infolge
Setzung, ^gj. kirchlichen Verbote gegen deutsche Bibelüber-
setzungen zu keiner rechten Bedeutung gelangen
konnten. Nunmehr war das Hemmnis beseitigt, und
Luthers Bibelübersetzung, die er 152 1 auf der
Wartburg begonnen und erstmalig im Jahre 1534
vollendet hatte, trat ihren Siegeslauf in die deut-
schen Lande an. Darin unterschied sie sich von
— 137 —
ihren Vorgängerinnen, dass sie sich auf den he-
bräischen und griechischen Urtext stützte und nicht
deren lateinische Uebersetzung , die sog. Vulgata,
zur Vorlage nahm. Da die älteren Bibelüberset- '
Zungen ^veniger ins Volk gedrungen waren als die
Luthersche, so hat ihre Sprache auch keinen Ein-
fluss auf die Gestaltung der nhd. Schriftsprache
ausgeübt.
Wie ist nun Luthers Sprache geworden? Luther Vorbilder
selbst erkennt die Autorität der kaiserlichen Kanzlei för
unter Maximilian in sprachlichen Dingen an. Be- Luthers
kanntlich war dieser Kaiser, wie kein anderer seit ^^^
Karl dem Grossen und kein späterer, ein l^örderer
der deutschen Sprache und Dichtung, ja selbst
Schriftsteller. Er Hess eine Sammlung der alten
deutschen Heldenlieder veranstalten — die Gudrun-
sage ist allein auf diese Weise erhalten geblieben
— und schrieb zwei selbständige Werke, den Teuer-
dank und den Weiss-Kunig. Jenes ist ein allego-
rischer Roman aus seinem eignen Leben, dieses ein
Geschichtswerk über die Zeit seines Vaters und seine
. eigne Regierung. Ebenso Hess er zahlreiche
deutsche Uebersetzungen klassischer lateinischer
Schriftsteller veranstalten, von Cäsar, Livius, Vergil
u. s. w. Ja, er beauftragte sogar seine Hofbeamten
und Kanzlisten, sich die Regelung der deutschen
Sprache angelegen sein zu lassen und eine deutsche
Grammatik auszuarbeiten. Es leuchtet ein, dass
ein solcher Fürst grossen Einfluss auf die Gestal-
tung der deutschen Sprache ausüben musste; seine
Kanzlei war das Vorbild der sächsischen Kanzlei,
deren Sprache sich Luther zum Muster nahm. Um
eine Vorstellung von dem Aussehen der Kanzlei-
sprache zu Begfinn des i6. Jahrhunderts zu ermög-
_ ,38 -
liehen, folgt hier auszugsweise die Einladung zu
dem berühmten Reichstage zu ^orms (1521), wo-
hin auch Luther zur Verantwortung geladen wurde.
Sie lautet:
Wir Karl der fünft von gots gnaden erweiter
Romischer keisir, zu allen zeiten merer des reichs
etc., in Germanien, zu Hispani, beider Sicilien und
Jherusalem etc. kunig, ertzherzog zu Osterreich etc.
Ersamen lieben getreuen, uns zweifelt nit, ir
tragt in guter gedechtnuss ^ das wir auf den letzten
tag des monets octobris des vergangen neunzehen-
den jars allen unsern und des heiligen reichs chur-
fursten, JFursten und stenden'^ schriftlichen angezaigt,
das wir uns aus unsern Hispanischen kunigreichen
in das heilige reiche Deutscher nation zu unser
kuniglichen cronung furdern^ und ^Isdann weiter
in das heilige reiche ziehen, ainen reichstag halten
in unser und des heiligen Reichs stat Wurmbs
Solchs verkünden wir euch ernstlich bevelhenf*,
das ir auf solchen reichstag eur potschaft mit vol-
mechtigen gwalt^ .... sendet
Geben ^ in unser und des heiligen reichs stat
Coln, am ersten tag des monets novembris nach
Christi geburd im jar tausend fünfhundert und im
zwainzigsten.
Die neuen Vokale ei, au, eu sind durchgeführt:
reich (e) , aus, getreuen u. s.w.; daneben in ober-
deutscher Schreibung ai für ei: angezaigt, ainen.
Oberdeutsch ist auch anlautendes p in potschaft
= Botschaft, der Ausfall des e in gwalt = Gewalt
» Oberdeutsch = Gedächtnis. « Ständen. » (vgl. be-för-
dem) begeben. * befehlend. * bevollmächtigten Botschafter.
• Gegeben.
^H.lig'^"".
— '39
und die vielfach unterlassene Bezeichnung des Um-
lauts: kunig, fursten, cronung vc. s. w. Aber im all-
gemeinen ist der Lautbestand und der Wortschatz
derjenige der andern grossen Kanzleien.
Die Kanzleisprache also, von d6r uns die mit-
geteilte Urkunde eine Probe gibt, war das Muster,
nach dem Luther sich seine Sprache schuf. Seine
eigene Aeusserung darüber in seinen Tischreden
lautet: ,,/c/i habe keine gewisse sonderliche eigne
Sprache im Deutschen, sondern brauche der gemeinen
deutschen Sprache, das mich beide. Ober- und Nieder-
länder (d. h. Ober- und Niederdeutsche) verstehen
mögen. Ich rede nach der Sächsischen Cantzelei,
welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutsch-
land. Alle Reichstette (= Städte), Fürstenhöfe schrei-
ben nach der sächsischen und unser s Fürsten Cantzelei,
darumb ists auch die gemeinste deutsche Sprache.
Keiser Maximilian und Kurfürst Friedrich, Herzog zu
Sachsen, haben im römischen Reich die deutschen
Sprachen also in eine gewisse Sprache gezogen.'^
Demnach war Luther, auch nach seinem eignen Luthers
Geständnis, nicht der Schöpfer, wohl aber der Be- Sprach-
gründer der neuhochdeutschen Schriftsprache. Er herrschung
war wie kaum ein anderer dieser Aufgabe gewachsen.
Vielgewandert in Deutschlands Gauen, war er dem
Bann seiner eignen Mundart soweit entrückt, dass
er wusste, was ihr eigentümlich und was ihr mit
andern deutschen Mundarten gemeinsam war. Aus
dem Bauernstand hervorgegangen, aber zum Geist-
lichen erzogen, Prediger und Universitätsprofessor,
beherrschte er die Sprache des niederen Volks und
der höheren Kreise in gleichem Masse. Der reiche
Schatz der deutschen Sprache an treffenden Redens-
arten, Sprichwörtern und Liedern war ihm seit seiner
— 140 —
Kindheit vertraut. Daher hat Luther nicht gedan-
kenlos die Sprache der sächsischen Kanzlei einfach
für seine Zwecke übernommen — wofür sie auch
gar nicht ausgereicht hätte — , sondern er geht
zielbewusst bei der Schöpfung der Sprache vor.
Er selbst bemerkt Folgendes darüber: ,,Man mus
nicht die buchstaben in der lateinischen Sprache fragen ^
wie man sol deutsch reden y sondern man mus die
muter im Hause, die Kinder auff der Gassen , den
gemeinen Mann auff dem markt drumb fragen, und
dens eibigen auff das Maul sehen, wie sie reden/^
Auch als Luther eine feste Form für seine
Sprache gewonnen hatte, gibt er sich mit dem Er-
reichten nicht zufrieden ; immer und immer wieder
legt er die bessernde Hand an den sprachlichen .
Ausdruck an; oft fragt er des Hebräischen kundige
Freunde um Rat über die Uebersetzung einer be-
sonders schwierigen Stelle der Bibel und bemüht
sich lange, den richtigen deutschen Ausdruck da-
Luthers für zu finden. . Während er in der ersten Ausgabe
Recht- seiner Bibelübersetzung viele mitteldeutsche Eigen-
schreibung tümlichkeiten verwendet wie vorgeben für vergehen,
i in Endungen statt e: Gottls für GotteSy einis für
eines, abir für aber, gewest für gewesen, die umge-
lauteten Formen Heupt, gleuben für Haupt, glauben,
keufen für kaufen, hat er in den späteren Ausgaben
die heutenoch gebräuchlichenhochdeutschen Formen
dafür eingesetzt. Luther erlebte von seiner Bibel-
ausgabe zehn Originalauflagen. Ebenso bemühte
sich Luther auch, seine Schreibung fortwährend zu
verbessern und konsequenter zu gestalten. Zwar
haben die Drucker seine Orthographie wenig ge-
achtet, worüber er selbst öfter Klage führt, aber
es stehen uns genügend handschriftliche Originale
- i4r —
Luthers zur Verfügung, um den Fortschritt in seiner
Schreibweise zu erkennen. In jüngeren Jahren
schreibt er oft zc im Anlaut, cz im Auslaut für ein- ^
faches z bezw. tz (im Auslaut), wirft s und sz zu-
sammen; später trennt er altes s von dem aus mhd.
5 entstandenen sz, das er auch ss, ssz schreibt.
Er ist ein Feind jedes unnötgen Ballasts in der
Orthographie: das Dehnungs-e wird nur bei ie an-
gewandt, die Konsonantenverdopplung auf ck, ff
und etymologisch berechtigte Fälle beschränkt. Da-
durch unterschied sich Luthers Schreibweise vor-
teilhaft von derjenigen der Kanzleien und der
Drucker, in der die genannten Uebelstände noch
lange fortdauern (vergl. § 27). Neben der Bibel-
übersetzung übten auch Luthers kleine Prosa-
schriften, seine ßibelauslegungen und Vorreden,
Katechismen und Predigten, Sendschreiben und
Streitschriften mannigfaltiger Art wie auch seine
Kirchenlieder grossen Einfluss auf die Gestaltung
unserer neuhochdeutschen Schriftsprache. Natür-
lich darf man sich nicht vorstellen, dass Luthers
Sprache der heutigen ganz geglichen hätte; im
-Gegenteil. Vieles mutet uns bei ihm noch ganz
mittelhochdeutsch an, wenn auch, wie oben gesagt,
zwischen seiner ersten und letzten Bibelausgabe ein
wesentlicher Fortschritt zu bemerken ist. Zur Ver-
anschaulichung wollen wir eine Stelle aus der Berg-
predigt (Ev. Matth. Kap. VII) nach Luthers Bibel-
übersetzung, Wittenberg, 1543 hier wiedergeben.
Sie lautet:
Richtet nicht, auff das ir nicht gerichtet werdet. Sprach-
Denn mit welcherlei Gerichte ir richtet , werdet ir probe aus
gerichtet werden, 7ind mit welcherlei Mas ir messet, ^\\^^\
wird euch gemessen werden. Was sihestu aber den
— 142 —
Splitter in deines Bruders äuge und wirst nicht ge-
war desBalcken in deinem äuge } Oder wie thavstu ^
sagen zu deinem Bruder^ Halt, ich wil dir den
Splitter aus deinein Auge ziehen, und sihe, ein Balcke
ist in deinem Auge. du Heuchler, ^eiich^ am
ersten den Balcken aus deinem äuge, darnach besihcy
wie du den Splitter aus deines Bruders äuge ziehest.
Veraltete Eine Wittenberger Ausgabe vom Jahre 1582
Wörter bei zeigt schon neuere Formen: Gericht für obersäch-
Luther. gisches Gerichte, darffst du für tharstu ; natürlich
hat Luther selbst damit nichts mehr zu tun, da er
1546 gestorben ist. Seine Sprache enthält noch
zahlreiche Wörter oder Wortformen, die seitdem
ausser Gebrauch gekommen sind wie afterreden ^=-
nachreden, Anbiss = Frühstück, bloizling == plötz-
lich, brachtig = prächtig. Darb = Notdurft, durs-
tig = kühn, I^ahr = Gefahr, Kretzmem (slav. Ur-
sprungs) = Kramerei, rüchtig = namhaft, Schnur
= Schwiegertochter, Schoss = Steuer, verstorzt =
verirrt, urbittig = erbietig, JVat = Kleid, und
zahlreiche andere. Noch konjugiert Luther nach
mittelhochdeutscher Weise steig, treib, schrei, bleib
für gleichzeitiges oberdeutsches und neuhoch-
deutsches stieg, trieb, schrie, blieb ; im Plural wir
schwunden, funden, hülfen. Für nhd. Umlauts -ä
gebraucht er noch mhd. e in Hende, teglich, Veter\
für nhd. ö noch mhd. e in Helle, Leffel, zzvelf,
le sehen] ie steht für ü in liegen, tr legen u. a. Häufig
findet sich der Umlaut, wo die nhd. Schriftsprache
ihn nach oberdeutscher Weise meidet, besonders
* = mhd. tarst du „wagst du" vgl. § 15, S. I15. *
mhd. ziuh ^zieh".
- 143 - —
in früheren Schriften, so in Heupt, erleuben, gleuben f
für Haupiy ertauben^ glauben.
Auf der beigegebenen Tafel VIII finden wir eine
(allerdings stark verkleinerte) Probe von Luthers
Handschrift aus dem Jahre 1542. Was den Inhalt '?
dieses Gedenkblatts betrifft, so vergleiche man den .
Anhang am Schlüsse des Werkchens. '
Es kann keinerlei Zweifel obwalten, dass nur
Luthers Sprache und nicht die der katholischen ' \
Bibelübersetzer für die Gestaltung der nhd. Schrift-
sprache massgebend war. Ein Vergleich der oben
abgedruckten Stelle aus der Bergpredigt mit der
gleichen Stelle der Bibelübersetzung des bekannten
Gegners Luthers, Johannes Eck, gedruckt zu Ingol-
stadt 1537, wird dies zeigen:
Ir sollt fiit richten, so werdet ihr auch nit ge- Sprach-
richtet, Ihr sollt nit verdamen, so wer dt ihr auch ?^?^^^y^
Tlit verdamty dan mit welcherlai urtail ihr richtet, BibeKjber-
werl ihr gerichtet werden; und mit wasevlai mass setzung.
ir mässty würdt auch euch gemässen werden. Was
sihest du aifl agen (ahd. agana, got. ahana
„Spreu") in deins Bruders aug; oder wie thavst
du sagen zu deinem b rüder, Halt, ich will dir die
agen auss den äugen ziehen, und sihe aill balck
ist in deinem aug. du GleiSßneV^ ^euch am
ersten den balcken auss deinem aug, darnach besihe,
wie du die agen auss deines brüders aug bringest.
Wir finden die oberdeutschen Wortformen nit
für nicht, agen für Splitter, brüder für Bruder,
Gleissner für Heuchler) den Doppelvokal al für el ;
den Abfall des e in Endungen: werdt = werdet,
deins = deines u. s. w. Alle diese oberdeutschen
Eigentümlichkeiten sind nicht in die nhd. Schrift-
sprache übergegangen.
— . 144 —
Fremd- Auch nach einer anderen Seite hin ist Luthers
Wörter bei gii^gi^j^^j-g^^^ung der Eck'schen voraus, nämlich in
ihrer Stellung zu den Fremdwörtern, deren massen-
weises Eindringen in die deutsche Sprache um diese
Zeit beginnt (vgl. § 21). Während Eck. zahlreiche
Fremdwörter verwendet wie Fundament^ Orient y Gloriy
Ampely Regent, phrophetisiren u. s. w., setzt Luther
nach Möglichkeit deutsche Ausdrücke : Grund,
Morgen, Herrlichkeit, Fackel, Herr, weissagen dafür,
obwohl er sich im allgemeinen, dem Zuge der Zeit
folgend, nicht ablehnend gegen die fremden Ein-
dringlinge verhält. In den späteren Bibelausgaben
gebraucht, er benedeien für segnen, Firmame^tt für
Himmel, Majestät, Exempel, Artikel, Kapitel, dispu-
tiren, fantasiren u. a. ; gleichwohl ist sein Fremd-
wörterbestand nicht sehr umfänglich. Auch in dieser
Hinsicht hätte Luther vorbildlich für die weitere
Entwicklung der nhd. Schriftsprache sein können.
Leider aber geriet sie bald nach seinem Tode unter
den übermächtigen Einfluss der humanistischen Ge-
lehrsamkeit, wovon wir in § 2i noch sprechen
werden.
§ 20.
Die Ausbreitung der neuhochdeutschen Schrift-
sprache im 16. und 17. Jahrhundert.
Während im Mittelalter das Lateinische eine
beherrschende Stellung gegenüber der Volkssprache
einnahm, von der sich diese nach und nach zu be-
freien suchte, bezeichnet der Beginn der Neuzeit
ein mächtiges Emporblühen der deutschen Sprache.
Einen nicht geringen Anteil daran hatte die
Reformation, welche das Deutsche zur Kirchen-
^45
spräche erhob, und besonders Luther, der bei
vielen Gelegenheiten unsere Muttersprache — dieses
Wort begegnet zum erstenmal um die Mitte des
i6. Jahrhunderts — über das Lateinische erhob und
ihre Vorzüge pries. Die Folgen machten sich bald
bemerkbar. Im Jahre 1518 wurden etwa 150 deutsche
Bücher gedruckt, 15 19 aber schon 260, 1520 so-
gar 570 und so geht es in rascher Steigerung auf-
wärts bis zum Jahr 1524, wo fast 1000 deutsche
Bücher gedruckt wurdei\, von den Flugschriften, die
zu Hunderten im Lande umhergingen, gar nicht zu
reden. Allerdings sind erst gegen das Ende des
17. Jahrhunderts die deutschen Bücher in der Ueber-
zahl gegenüber den lateinischen. Noch Luthers
Zeitgenossen konnten die deutsche Sprache als
barbarisch bezeichnen; um die Mitte desselben
Jahrhunderts aber kommt die stolze Benennung der
deutschen „Haupt- und Heldensprache" auf, die ihr
zwei Jahrhunderte lang Verbleiben sollte. Damit
unsere Muttersprache diesen Rang einnehmen konnte,
musste sie glejcli dem Lateinischen ein festeres Ge-
füge, eine strengere Noym erhalten, als sie bisher
gehabt hatte. Luther hat mit der- Verwahrlosung
der sprachliehen Form des Deutschen aufgeräumt;
er gab dem deutschen Volke eine mustergültige
Sprache in . seiner Bibelübersetzung. Bei seiner
Leichenfeier hebt ein Redner als sein besonderes
Verdienst hervor : „Es haben auch die Kanzleien
zum Teil von ihm gelernt recht deutsch schreiben
und reden; denn er hat die deutsche Sprache wieder
recht herfür gebracht."
Luthers sprachlicher Einfluss macht sich natur-
geraäss zuerst in Mitteldeutschland geltend: Fabian
Frangkhatimjahre 1 53 1 ein Büchlein „Orthographia"
Feist, Die deutsche Sprache. lO
Zunehm^iSir
der Qe^^'
brauch der ;
deutschen
Sprache. ;
Luthers
Einfluss
auf die
Regelung
der
deutschen
Sprache.
Fabian
Frangk
- .46 -
herausgegeben, worin er Muster für diejenigen auf-
stellt, die „rechtförmig deutsch schreiben oder
reden" wollen ; unter diesen Mustern seien ihm „des
teuem, hochloblicher gedechtnis, Keiser Maximi-
lianus Cantzley, und dieser Zeit D. Martini Luthers
schreiben zuhanden komen". Auch hat er schon
eine ganz richtige Ansicht von der Schriftsprache:
sie fallt mit keiner Mundart zusammen, sondern sie
muss über allen Mundarten stehen. Am Ende des
i6. Jahrhunderts (1578) erscheint die deutsche
CUJUS. Grammatik des Clajus , die ebenfalls Luthers
Sprachgebrauch als Norm aufstellt. Sie beherrscht
den deutschen Sprachunterricht fast ein und ein
halbes Jahrhundert lang — die letzte, 11. Auflage
erschien 1720 — und tat sehr viel für die Aus-
breitung von Luthers Sprache während des 17.
Jahrhunderts.
Widerstand Freilich ging das Vordringen der neu ge-
gegen die gründeten Schriftsprache nicht überall so glatt vor
Schrift- si^^* I^ Süddeutschland und Besonders in der
spräche in politisch vom Reich getrennten Schweiz wird ihr
Süd- ernsthafter und langandauernder Widerstand ent-
deutsch- gegen gesetzt. Ja, als in Basel ein Abdruck des neuen
Testaments von Luther veranstaltet wird, sieht sich
der Drucker veranlasst, die „ausländischen" Wörter
Luthers in einem besonderen Verzeichnis ins Basler
Deutsch zu übersetzen. Ein anderes Verfahren, die
Nachdrucke Lutherscher Schriften den Angehörigen
der betreifenden Mundart verständlich zu machen,
bestand darin. Formen und Worte Luthers durch
die entsprechenden der Mundart einfach zu er-
setzen. So wenig Achtung hatte man in jener Zeit
vor dem sprachlichen Ausdruck des Schriftstellers!
Natürlich kamen solche Aenderungen oft auch un-
147 —
'mm
mh
beabsichtigt und gegen den Willen der Verleger
durch die Setzer in den Text hinein, da diese "
meist nur ihre Mundart beherrschten. Am störend-
sten macht sich dieser Umstand in der Schweiz be-
merkbar, deren Dialekte noch im i6. Jahrhundert
uralte Formen bewahrt hatten : zwanzigost ■=-. 20te, AlleJ?^?öir
einvaltigrost = einfaltigste, entledigoi = entledigt, ^on"% I
^ " A ^4. ^ 1- T ^ Schweit6r^
wurdy = wurde, gut = gut, liggen = hegen, deutsÄ,
seipfe = Seife, werchen = wirken und derartiges
mehr, ganz abgesehen davon, dass die Schweiz
die alten Längen T, 0, fi besass. Aus diesem
Grunde wird der Anschluss der Schweiz an die
neuhochdeutsche Schriftsprache erschwert; sie
musste ihren Bewohnern als etwas Fremdartiges er-
scheinen. Indes fehlte es auch in der Schweiz im
1 6. Jahrhundert nicht an Druckwerken, die sich der
hochdeutschen Lautgebung anschliessen, aber sie
fanden zunächst wehig Anklang. Schliesst man sich
auch seit dem Ende des 1 6. Jahrhunderts in Zürich
äusserlich dem neuen Sprachgebrauch an, so bleibt
doch der Wortschatz, die Stammbildung und die
Syntax ganz der alten Eigenart getreu. Ja, man
stützt die Erhaltung der Mundart noch durch die
Abfassung spezieller Grammatiken für dieselbe.
Erst um i6oo beginnen die Basler und Schaffhauser
Kanzleien die modernen ei, au, eu einzuführen; es
dauert bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts,
ehe sich die Züricher Kanzlei dazu entschliesst ;
im Jahre 1660 wird in Zürich beschlossen, die
Bibelausgabe in hochdeutscher Sprache zu ver-
anstalten.
Ganz anders wie die Schweiz verhält sich Nieder-
Niederdeutschland. Bis auf Luther herrschte hier ^^"^sch-
in den Drucken das Niederdeutsche j das freilich
10*
— 148 —
nie ganz rein von hochdeutschen Beimengungen
blieb. Auch Luthers neues Testament wird viel-
fach ins Niederdeutsche übersetzt, aber mit ver-
einzelten Ausnahmen nicht mehr im 17. Jahrhundert.
Das beweist, dass schon längst vorher das Hoch-
deutsche seinen Einzug als Sprache der Literatur
und der Gebildeten gehalten, haben muss. Es ist
dies leicht erklärlich. Luther , war selbst als
Niederdeutscher geboren und lebte in Wittenberg,
das damals noch durchaus niederdeutsch war.
Zudem hatte Luther seine meisten Freunde und
Anhänger in Niederdeutchland. So kommt es, dass
die neue Lehre hier am schnellsten Fuss fasst, und
mit ihr dringt die Sprache des Reformators vor.
Auch auf der Kanzel herrscht seit dem Beginn des
17. Jahrhunderts das Hochdeutsche. Die Kanzleien
gar konnten sich der Uebermacht der offiziellen Ur-
kundensprache des Kaisers und der hohen Reichs-
fürsten noch weniger erwehren, und so verschwindet
der heimatliche Dialekt um dieselbe Zeit vollständig
aus ihnen, nachdem die bedeutenderen schon seit
der Mitte des 16. Jahrhunderts mit ihm gebrochen
hatten. Allerdings fehlt es auf niederdeutschem
Boden auch nicht an vereinzeltem Widerspruch, aber
er verhallt ohne Erfolg.
Sprachliche Man darf also behaupten, dass das 16.
^J^^^"^^^' Jahrhundert im grössten Teile Deutschlands sprach-
Schrift- ^^^^ ^^^ Luther abhängig war, um so mehr als ja
steller von fast dreiviertel der literarischen Produktion theolo-
Luther. gischen oder religiös-sittlichen Inhalts war. Einzelne
weltliche Schriftsteller von besonderer Eigenart,
wie der Strassburger Johann Fischart, der Verfasser
des satirischen Romans Gargantua, wahren sich
grössere Selbständigkeit im Gebrauch ihrer Mund-
— f49 —
art, die andere wieder vermeiden wollen, ol;ine es
ganz zu können, wie der bekannte Nürnberger
„Schuh-macher und Poet dazu", Hans Sachs. Aber
wo sich auch .Widerstand gegen die neu ent-
standene deutsche Schriftsprache zeigt, ist er ent-
weder nur vereinzelt oder, wenn er von einer grösseren
Gemeinsamkeit, wie in der Schweiz, gestützt wird,
muss er doch allmählich versiegen unter der
zwingenden Notwendigkeit des Anschlusses an das
sprachliche Vorbild des eigentlichen Deutschlands.
Allein die Niederlande haben sich nicht nur politisch
(1648), sondern auch sprachlich von Deutschland
losgerissen, was immerhin ein Verlust ist, wenn
wir ihn auch mit Rücksicht auf das sonst überall
siegreiche Vordringen der neuhochdeutschen Schrift-
sprache verwinden können. Schon 1493 erscheint
das Wort „Hochdeutsch", doch seit Luthers Auf-
treten erst ist dem Wort die Tat gefolgt: die er-
sehnte ,, hochdeutsche" Sprache, ein gemeinsames
Verständigungsmittel aller deutschen Stämme, ist
durch ihn eine Tatsache geworden.
Wenn aber auch das Werkzeug geschaffen war, Verwen-
so wurde es deshalb doch noch nicht allgemein da ^""S ^«'"
gebraucht, wo es hätte Verwendung finden können, gchrift-
Ganze Gebiete der Wissenschaft und Lehrtätigkeit spräche,
blieben der deutschen Spraclie zunächst nahe-
zu verschlossen. In demselben 1 6. Jahrhundert, in
dem die neuhochdeutsche Sprache ihre Ausbildung
erfuhr und sich rasch über weite Gebiete Deutsch-
land verbreitete, eriitt sie eine bedeutende Ein-
schränkung durch das Aufkommen des Humanis-
mus, d. h. des Studiums der klassischen Sprachen
(vgl. § 21). Die ganze wissenschaftliche litera-
rische Tätigkeit wird in lateinischer Sprache aus-
— ^5o —
geübt. Während zu Beginn der Reformation ein
rascher Aufschwung in der Zahl der gedruckten
deutschen Bücher stattfindet, tritt bald ein Still-
stand ein; noch 1570 sind jo^/Q.der in Deutsch-
land gedruckten Bücher in lateinischer Sprache ab-
gefasst. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts
sind die deutschen Bücher in der Ueberzahl, und
wieder braucht es ganze hundert Jahre, bis das
Lateinische am Ende des 18. Jahrhunderts auch
aus der gelehrten Schriftstellerei verschwindet, so-
weit sie für deutsche Leser bestimmt ist ; in Werken,
die dem internationalen Gebrauch dienen _ sollen,
wird es bekanntlich heute noch verwandt. Einer
der ersten Gelehrten, der für die Pflege der Mutter- Äj
Sprache an der Schule und Universität an Stelle^
des alleinherrschenden Lateins eintrat, war der
Pädagoge Raske zu Anfang des 17. Jahrhunderts.
Er verlangt, dass der Unterricht im Deutschen die
Grundlage alles Sprachunterrichts bilden und dass
auch Philosophen, Rechtsgelehrte und Aerzte sich
der deutschen Sprache in ihren Schriften bedienen
sollten. Noch andere Männer traten für den Ge-
brauch der Muttersprache an Stelle des Lateinischen
ein, aber es dauert doch bis 1687, ehe ein
Professor Thomasius in Leipzig es wagen durfte,
die erste Vorlesung in deutscher Sprache zu halten
und, von 1688 ab, auch eine literarische Zeitschrift
in deutscher Sprache herauszugeben. Dann hat
noch im 18. Jahrhundert das Deutsche einen harten
Kampf mit dem Französischen zu bestehen ; ein
Zehntel der literarischen Erzeugnisse in Deutsch-
land ist um die Mitte dieses Jahrhunderts in fran-
zösischer Sprache geschrieben. Doch auch aus
diesem Kampfe ging unsere Muttersprache siegreich
— 151 —
hervor, ja sie fand sogar Zeit, neben der Ausdehnung Ausbrei-
im Innern ihres Gebietes, ihre Grenzen nach Osten tung der
und Süden vorzuschieben. Das Polnische — ganz ^^^^schen
abgesehen von kleineren slavischen Dialekten wie
das Wendische — weicht in neuhochdeutscher Zeit
stetig vor dem Deutschen zurück. Auch im Süden
hat das Deutsche Eroberungen über das Rhäto-
romanische, wie im Norden gegen das Dänische
aufzuweisen. Aber diesem Gewinn stehen auch
Verluste gegenüber: an ihrer ganzen Westgrenze
hat die deutsche Sprache fortwährend Gebiet an
das Französische verloren; erst seit dem Jahre 1870
ist dieser Rückgang zum Stillstand gekommen. Auch
in Böhmen streitet das Deutsche mit \ dem
Tschechischen einen harten Kampf, bei dem wenig
Gewinn, aber mancher Verlust zu verzeichnen ist
trotz tapferster Gegenwehr. Der deutsche Schul-
verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, unsere
Muttersprache durch Gründung von Schulen in den
bedrohten Grenzgebieten zu schützen und womög-
lich weiter ausbreiten zu helfen; aber so löblich das
Unternehmen auch ist, so scheint es doch nicht
den Erfolg zu haben, den die aufgewendeten Mittel
und Kräfte zu versprechen schienen, da der Deutsche
im Allgemeinen zu lässig ist, wenn es gilt, seine
Muttersprache in feindlicher Umgebung zu erhalten.
In unserer Zeit ist an eine weitere Ausdehnung aber
nur dann zu denken, wenn den versprengten und
ausgewanderten Deutschen das Bewusstsein aufgeht,
dass es ihre heiligste Pflicht ist, die Muttersprache
zu erhalten und ihren Kindern zu vererben. Um
das zu erreichen, müsste aber der Deutsche erst
die übertriebene Hochachtung vor der fremden
Sprache, die sein altüberkommenes übles Erbteil
— 13 2
ist, überwinden und sich klar darüber werden, welch
kostbares Gut und welch herrlichen Schatz seine
Muttersprache birgt.
§ 21.
Der Einfluss des Humanismus
und des Französischen
auf die neuhochdeutsche Schriftsprache.
Während der unruhigen Zeiten der Völker-
wanderung war dem Abendlande die Kenntnis des
klassischen Altertums, der lateinischen und
griechischen Sprache wie Literatur verloren ge-
gangen. Kaum erhielt sich in den Klöstern und in
den Kanzleien der Fürsten ein fehlerhaftes und mit
barbarischen Bestandteilen durchsetztes Latein.
Zwar hatte schon Karl der Grosse (768 814) und
nach ihm die Ottonen (Otto L 736 — 773, Otto IL
973— 983, Otto IIL 983 — 1002) Versuche gemacht, die
gelehrte Bildung in Deutschland zu heben, aber
ohne nachhaltigen Erfolg. Die grosse Menge des
deutschen Volkes war viel zu sehr gedrückt in seiner
Lebenshaltung und seine Interessen waren zu sehr
auf die Befriedigung der notwendigsten Lebens-
bedürfnisse gerichtet, als dass es sich für Dinge hätte
erwärmen können, die soweit von seinem Gesichts-
kreis entfernt lagen wie die Beschäftigung mit ge-
lehrten Studien. Das Rittertum ging in Fehden
und kriegerischen Unternehmungen auf und be-
günstigte besten Falls die schöngeistige Literatur,
Romane und Liebeslieder; das Bürgertum in den
Städten war meist in politische Kämpfe verwickelt
- ^S3 -
und lebte hauptsächlich dem Erwerb. So war,
ausser im beschaulichen Lebßn der Mönche in den
Klöstern, für gelehrte Bestrebungen kein Boden
vorhanden, selbst wenn die Möglichkeit, Kenntnisse
zu erwerben, verbreiteter gewesen wäre.
Aber nicht in allen Ländern Europas lagen die Renais-
Verhältnisse so ungünstig für die Wissenschaft wie . ^^"^f
in Deutschland. In Italien hatte sich trotz der
vielen verheerenden Kriege und der fortwährend
wechselnden Herrschaften eine Ueberlieferung aus
dem Altertum erhalten. Neu befruchtet wurden die
dürftigen Keime durch die Berührung mit den
Arabern in Süditalien und Sizilien, den eigentlichen
Trägern der gelehrten Bildung im frühen Mittelalter.
Unter der Regierung des Hohenstaufen Friedrich
II (1215 — 1250), der für Deutschland wenig, für
sein Stammland Sizilien alles tat, beginnt eine
Blütezeit in Kunst und Wissenschaft für Italien, die
ihren Höhepunkt im folgenden, dem 1 4. Jahrhundert
erreicht.
Diese Wiedergeburt (Renaissance) des klassischen
Altertums bleibt indes zunächst auf Italien be-
schränkt. Ers.t im 15. Jahrhundert, als die Erobe- Ausbrei-
rung Konstantinopels durch die Türken (1453) und ^R^^ais^-
die Vernichtung des griechischen Kaisertums Italien sance.
und das übrige Europa mit einer Flut griechischer
Gelehrten überschwemmt, nimmt das Studium des
Lateinischen und Griechischen einen neuen Auf-
schwung in den westlichen Ländern. Verhältnis-
mässig spät erst dringt die neue gelehrte Bewegung
nach Deutschland vor, wo sie ihre höchste Blüte im
16. Jahrhundert erreicht. Mit der dem Deutschen
eignen Gründlichkeit wird nun auch die Ursprache
der Bibel, das Hebräische, in den Kreis der
— 154 —
Studien einbezogen und sollte bei der Uebersetzungr
der Bibel ins Deutsche durch Luther schon die
grosse Rolle spielen, die wir oben (§ 19, S. 137 ff.)
dargelegt haben.
Lateinische Doch die Beschäftigung mit den verschiedenen
F " ^^ fremden Sprachen sollte auch für unsere Mutter-
w<5rter im spräche nicht ohne Nachwirkung bleiben. Wie sich
Deutcshen. das Deutsche schon in den ersten christlichen
Jahrhunderten dem Einfluss der lateinischen Sprache
nicht entziehen konnte (s. § 2, S. 14), so stand es im
ganzen Mittelalter unter der Einwirkung des Lateins als
Kirchensprache. Indes sind die Lehnwörter kirch-
lichen Ursprungs — Kloster ^ Münster y Schule ; Pfaffe ^
Mönchy Nonne; Spende, Almosen^ Engel, Opfer,
Marter ; segnen, predigen, benedeien und viele andere
— doch beschränkt in ihrer Zahl; nunmehr aber,
im 16. Jahrhundert, wird die deutsche Sprache ge-
radezu überflutet von einer Unzahl lateinischer
Fremdwörter, die ihr durch die gelehrten Studien
neu zugeführt werden. Diese jüngste Schicht
lateinischen Sprachguts ist leicht erkennbar, da sie
bis auf den heutigen Tag ihre fremde Lautform
samt dem fremden Akzent bewahrt . hat und somit
nie recht eigentlich von dem deutschen Sprach-
körper aufgenommen worden ist. Dem Einfluss des
Lateinischen konnte sich auch Luther nicht entziehen;
doch sind die bei ihm anzutreffenden Fremdwörter
weit geringer an Zahl als bei seinen Zeitgenossen
(vgl. § 19, S. 144). Aber im allgemeinen sind die
Reformatoren dem Lateinischen nicht feindlich ge-
sinnt, wie sie ja auch die Mode mitmachen, ihren
Lateinische Namen zu latinisieren oder gräzisieren; so nennt
griechische ^^^^ Luthers Freund Melanchthon (noch dazu mit
Namen, falscher Deutung seines Namens), anstatt den gut
— »55 -
deutschen Namen Schwarzert beizubehalten; aus
Baumann wird ein Agricola^ aus Habermann macht
der Träger des Namens einen Avenarius. Viele
lateinische Namen wie Textor = Weber, Faber =
Schmidt, Sartorius = Schneider, Sutor = Schuster
u^ s. w. sind in dieser Zeit aufgekommen. ^ I^Sl
Aus den verschiedensten Kanälen brach im '^^Sä
1 6. Jahrhundert die Hochflut der lateinischen Fremd-
wörter über unsere Muttersprache herein. Da sind Wi^senr'x
zunächst die Männer der Wissenschaft, die uns zahl- ?* j^^*J*f -^
lose lateinische Ausdrücke zuführen : Aula, Auäz-
torium, Autor, Zensur ^ Katheder y Universität, Fakul-
tät, Professor, Doktor, Famulus (= Diener), Disziplin,
^Exempely Element^ Opus (= Werk), Edition (= Aus-
f gäbe), Fragment (-= Bruchstück), Kolloquium
(= Zwiegespäch), Disputation (wissenschaftlicher
Streit), Vokabular, Abiturient, Karzer y Geographie,
Botanik, Zoologie und andere ; auch Zeitwörter wie
disputieren, analysieren u. s. w. Die Kanzleisprache
beglückte uns mit Wörtern wie: Datum, ^//^//^ä. Ausdrücke
Audienz, Kontrakt, Kopie, Dekret, Edikt, Effekt, j.^^^^^j_
Fiskus, Formular, Interesse, Instrument, Justiz, In- spräche,
ventar, Mission, Motiv, Nation, Residenz, Skrupel, der Politik
Vidimus (= Gesehen) und zahllosen andern. Die und des
Politik führte uns auch Wörter zu: Aristokratie, R^^*^*^-
Demokratie, Monarch^ Tyrann, Konsul, Senat, Privileg,
Proletarier u. a. Das Eindringen des römischen
Rechts brachte neue Fremdwörter mit sich: Juris-
diktion, Fundament, appelieren, zitieren, restituieren
u. s. w. Die aus Italien stammende neue musi-
kalische Kunst brachte uns Komponist, Melodie,
Takt, Dissonanz, Modulation u. s. w.
Endlich ist die in der 2. Hälfte des i6. Jahr-
hunderts blühende Uebersetzungswut eine Quelle
- 156 - ' ■•:•■
für zahllose Fremdwörter gewesen. Nicht nur aus
dem Lateinischen und Griechischen, sondern auch
aus dem Italienischen und besonders aus dem
Französischen wurden Novellen, Schäfer-' und
Abenteuerromane und vieles andere ins Deutsche
unter Beimengung zahlreicher Fremdwörter über-
tragen.
War unsere Muttersprache also bereits in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durchsetzt mit
Bestandteilen fremden, besonders lateinischen Ur-
sprungs, so sollte es dabei nicht einmal sein Be-
wenden haben. In der zweiten Hälfte desselben
Jahrhunderts beginnt sich der Einfluss der fran-
zösischen Sprache bemerkbar zu machen. Freilich
war schon einmal ein nicht unbedeutender Zufluss
französischen Sprachguts im 11. und 1 2. Jahr-
hundert erfolgt (vgl. § 17, S. 123 ff.), aber er be-
schränkte sich auf bestimmte Gesellschaftsklassen,
in denen die höfischen Epen gelesen und ver-
standen werden konnten; der grossen Menge blieben
diese Literaturerzeugnisse fremd, und somit konnte
von einer tieferen Beeinflussung der Sprache durch
Einfluss sie auch keine Rede sein. Im 16. Jahrhundert aber
des Fran- waren die weitesten Kreise des Volks der Bildung
gewonnen worden, und die Buchdruckerkunst hatte
die Verbreitung der Literaturerzeugnisse ausser-
ordentlich gesteigert. Wenn sich nunmehr ein-
flussreiche Kreise dem französischen Wesen zu-
wandten, so musste dies von ungleich tieferer Wir-
kung sein als vierhundert Jahre vorher. Der mäch-
tigste Beschützer der französischen Sprache fand
sich in der PersonMes deutschen Kaisers Karl V.
und seiner Nachfolger, die keine Spur von deutscher
Art an sich hatten, ja nicht einmal richtig deutsch
-- 157 -
konnten. Karl V. war französisch erzogen worden,
unterhielt sich am besten in dieser Sprache und
fasste seine Briefe französisch ab. An zweiter
Stelle, gewissermassen im Gegensatz zu Karl V und
doch zu denselben Ergebnissen auf sprachlichem Ge-
biet führend, wäre der an Deutschlands Fürsten-
höfen weitverbreitete Kalvinismus, die Lehre des
französischen Reformators Kalvin zu nennen. Im
Qefolge der neuen Lehre französischen Ursprungs
stellten sich französische Sprache und Sitte in den
höheren Kreisen Deutschlands ein. Es wurde z. B.
üblich, , den Briefwechsel, selbst unter Deutschen,
nicht in der Muttersprache, sondern in französischer
Sprache zu führen. Die Folgen für unsere deutsche
Sprache sollten sich bald bemerkbar machen. Wenn
schon der Schweizer Tschudi im Jahre 1538 gegen
die Verwelschung der deutschen Sprache eifert, um
wieviel fester hatten sich am Ende desselben Jahr-
hunderts die fremden Gäste eingenistet ! Aus dieser
Zeit stammen Fremdwörter wie galant^ netty adrett^
honett, kokett y charmant y brillant y nobMy miserabel;
avisiereny arrivieren, akkordieren, tranchiereny dis-
kuriereny ruinieren; die einheimischen Familienbe-
zeichnungen Oheim (Ohm)y Muhme y Vetter und Base
weichen den französischen Onkel y Tante y Cousin und
Cousine; im gesellschaftlichen Leben herrscht Modey
Chikaney Kompliment y Kavalier y Kabdle^ Malice.
Endlich brachten die Kriege mit Frankreich ein
ganzes Heer von Ausdrücken militärischer Art:
Armee, Korps y Regiment y Bataillon, Kompagnie y
General y Major y Leutnant y Adjutant y Garnison y
Quartiery attackiereny avanciereny armieren, retirieren
u. s. w. Die letzte Gruppe weist uns deutlich auf
eine weitere Ursache des Einströmens fremden
Kalvinis-
mus.
Franzö-
sische
Fremd-
wörter,
- 158 -
Sprachguts in unsere Muttersprache hin; die Kriege
des 17. Jahrhunderts, die vor allem die Franzosen
nach Deutschland führten. Schon vorher wurde
unsere Sprache von ihnen beeinflusst und nun, nach
der grauenhaften Verwüstung des Landes durch
den 30 jährigen Krieg und der Zerrüttung der
alten Ordnung, fand der französische Einfluss erst
recht keinen Widerstand mehr in Deutschland. Das
17. Jahrhundert ist entschieden der traurigste Ab-,
schnitt der deutschen Sprachgeschichte wie der
deutschen Geschichte überhaupt. Wie Deutschland
politisch vom Ausland abhängig wurde durch den
unseligen westfälischen Frieden, so verlor es auch
sprachlich jede Selbständigkeit. Der satyrische
Schriftsteller Job. Mich. Moscherosch (1601 — 1669)
z. B. verspottet in seinem Roman: Wunderliche und
wahrhaftige Geschichte Philanders von Sittewald
die „ä la mode -Sucht** seiner Zeit; aber das Uebel
sass zu tief, als dass er oder andere Schriftsteller,
die gegen die Fremdwörter eiferten, mit ihren
, Warnungen hätten durchdringen können. Eine
mengerei. Probe, wie man die Sprache mit ausländischen Ein-
dringlingen zu vermengen pflegte, mögen folgende
Spottverse geben:
SBaitn etor mental-concept^ ftd^ fott realisiren
üJlit alamode-Sleb unb Reputation'^
@o fc^b il^r amoureux^ ber frembeu Nation.
aSir toerben niemanbt nid^t beSiocgcn mesprisiren'^
2)ann tote mir bie frembbe ©prad^ aud& j^öcblid^
aestimiren^.
®od^ abhorriren^ lüir bie 5Ü(I=confusion "^
* geistiges Vorhaben. * Ruf. • verliebt in. * verachten.
* achten. • verabscheuen. "^ Verwirrung.
— 159 —
Censiret^ maS j^r XOoUt, ^abt i^r discretion-,
©0 laft un§, tt)ie mir tuä), in biefem ©tüdf passiren^.
Man könnte die Sprachm engerei in diesen
Versen für übertrieben halten ; sie ist es aber nicht
sehr; alle prosaischen Werke des 17. Jahrhunderts
— mit wenigen rühmlichen Ausnahmen — , alle die
zahlreichen Flugschriften, alle kaiserlichen und
reichsfürstlichen Erlasse, gerichtlichen Urteile
u. s. w. wimmeln von Fremdwörtern französischer,
lateinischer und italienischer Herkunft (die letzteren
stammen zum grossen Teil aus dem kaufmännischen
Bankverkehr). Doch ist das Gefühl für ihre un-
deutsche Herkunft noch durchaus rege. Es zeigt
sich dies darin, dass die Fremdwörter im Gegen-
satz zu dem deutschen Text mit lateinischen Buch-
staben gedruckt werden, ein Brauch, der sich im
ganzen 17. Jahrhundert erhält.
Die hier beigegebene Tafel IX soll uns zeigen,
wie ein Druckwerk der damaligen Zeit mit den
zahlreich eingestreuten und meist schon durch den
lateinischen Druck kenntlichen Fremdwörten (in
französischer, italienischer und lateinischer Sprache)
aussah. Auch kulturhistorisch ist das hier abge-
bildete Blatt interessant : es ist eine Nummer der
Wöchentlichen Reichs-Ord(inari) Zeitung mit Nach-
richten aus der Zeit der Belagerung Wiens durch
die Türken (1683). Der Originaldruck ist natür-
lich grösser und wie alle Z'eitungen bis zum Ende
des 18. Jahrhunderts in Quartformat gehalten.
Im Jahre 1571 zählt Simon Rote in einem in Z,ahl der
Augsburg erschienen Fremdwörterbuch bereits über ^^^™^"
2500 Wörter auf, die sich in der deutschen Sprache
t denket. 2 Bescheidenheit. ' Recht behalten.
— i6o — ■
eingebürgert hatten. Ein anderes, in Basel ge-
drucktes Fremdwörterbuch von Bernhard Heupold
aus dem Jahre 1620 ist noch viel umfangreicher,
und doch ist erst das 17. Jahrhundert die eigent-
liche Zeit des Eindringens der Fremdwörter. Seit-
dem hat dieses Einströmen fremden Sprachguts in
unsere Muttersprache niemals aufgehört; sehr vieles
ist zwar wieder von der Sprache freiwillig abge-
stossen oder durch zielbewuste Bestrebungen (s. §
22) entfernt worden, aber im grossen und ganzen
hat die Zahl der Fremdwörter immer mehr zuge-
nommen. Besonders im 19. Jahrhundert war durch
den Aufschwung der Naturwissenschaften und der
Technik eine gewaltige Zunahme der Zahl der
Fremdwörter unausbleiblich. Diese Art Fremd-
wörter ist aber dem gegenseitigen Verkehr der
Völker dienlich und daher von Vorteil für alle
Sprachen, die sie ja meist gemeinsam besitzen.
Infolgedessen schwellen die heutigen Fremdwörter-
bücher für den allgemeinen Gebrauch - ganz ab-
gesehen von wissenschaftlichen oder technischen
Nachschlagebüchern — immer mehr an; eines der
verbreitetsten z. B., das Fremdwörterbuch von HeysCy
zählte in seiner 15. Auflage aus dem Jahre 1873
auf annähernd 1000 Seiten nach ungefährer Be-
rechnung 25000 Fremdwörter, wobei sich aller-
dings .Eigennamen und Lehnwörter, auch offen-
kundige deutsche Wörter befinden. Diese letzteren
3 Gruppen sind ganz ausgeschieden in Sanders'
Fremdwörterbuch, das trotzdem in seiner 2. Auf-
lage 1891 auf 1350 Seiten anschwillt. In den letzten
15 Jahren ist aber noch eine stattliche Anzahl
Fremdwörter hinzugekommen: man denke nur an
Sportsausdrücke wie Automobil^ Chauffeur^ Motorrad^
— i6i —
Tennis, Golf, Criket u. s. w. und wissenschaftliche
oder technische Wörter: Radium, Helium; An*
Hpyrin, Salicyl, Aspirin ; Pkasenstrom, Transformator,
Akkumulator u. s. w., die heute aus dem rein
wissenschaftlichen oder technischen in den täg-
lichen Gebrauch übergegangen sind. So kommt
es, dass die neuste Auflage des Heyse'schen Fremd-
wörterbuchs nach Angabe des Verlegers in seiner
Ankündigung des Werkes etwa loo ooo Artikel
umfasst. Die 2500 Fremdwörter im Jahre 1571
steigen in 3V4 Jahrhunderten auf diese ungeheure
Zahl! Und noch ist kein Ende abzusehen!
I 22.
Der Kampf gegen die Fremdwörter.
Im 17. Jahrhundert erhob sich eine allgemeine
Bewegung zu Gunsten der Reinigung der deutschen
Sprache von den Fremdwörtern. Je grösser das
äussere Elend des deutschen Volks um diese Zeit
war, um so mehr wandte es sich seinem innerlichen
Leben zu; je mehr das Reich von äusseren Feinden
zerrissen wurde, um so stärker klammerte man sich
an das gemeinsame, unzerreissbare Band, an die
Muttersprache. Ihre Pflege, ihre Reinhaltung von
entstellendem Beiwerk bildete das Lebensziel hoch-
gesinnter Männer, die gleichstrebende Geister um
sich zu scharen verstanden. Der Kampf gegen die
Fremdwörter war nicht etwa eine Neuerung des
17. Jahrhunderts; schon zur Zeit des Rittertums,
als französische Wörter in Menge in die mittel-
hochdeutsche Sprache eindrangen, erhoben sich
Stimmen gegen den Missbrauch; aus dem Ende
des 15. und dem 16. Jahrhundert hören wir eben-
F«ist, Di« dentcohe Sprech«. 11
— 162 — ^
falls Klagen über die Unterdrückung der deutschen
Sprache durch das Französische. Man nahm sogar
auf Reichstagen offiziell Stellung; so beschwor Kaiser
Rudolf IL auf dem Reichstag zu Regensburg (1575)
in einem Wahlkapitulationsrevers unter anderem:
in schrifften und Handlungen des Reichs Kein Andere
' Zungen^ noch sprach gebrauchen lasszen , dan die
Teutsche und Lateinische Zungen^ d. h. die franzö-
sische Sprache, die sich seit Karl V. im amtlichen
Gebrauch der deutschen Kanzleien breit gemacht
hatte, von der Verwendung in seiner Kanzlei aus-
zuschliessen.
Da aber weder ernste Ermahnungen noch bitterer
Spott dem Unfug der Sprachmengerei steuern konnten,
suchtön sprachkundige Männer durch ihr persön-
liches Beispiel Abhilfe zu schaffen. Der hervor-
ragendste durch seine Stellung und auch zeitlich
einer 'der ersten Sprachreiniger ist Fürst Ludwig
von Anhalt-Köthen , der im Jahre 161 7 — also
kurz vor Ausbruch des unseligen 30jährigen Krieges
Sprach- — die fruchtbringende Gesellschaft gründete.
gesell- Ihr Zweck war nach ihren Satzungen ^ydas man die
schatten. Hochdeutsche Sprache in ihrem rechten wesen und
Stande y ohne einmischung frembder ausländischer Wort ^
aufs möglichste und thunlichste enthalte, und sich so-
wol der besten ausspräche im reden als der reinsten
art im schreiben und Reimedichten befleissige. Jeder
der Gesellschafter erhielt nach dem Muster der
Accademia della Crusca in Florenz, deren Mitglied
Fürst Ludwig seit 1600 war, ein Gemälde (d. h.
ein Bild als Symbol seiner Tätigkeit), einen Namen
* Man beachte den noch erhaltenen alten Plural; vgl.
§ 15, S. 110.
und ein Reimgesetz. VSo hiess ihr Begründer „der
Nährende**, hatte als Büd ein wohlausgebackenes
Weizenbrod mit dem Wort „Nichts Besseres**. Der
erste Vorsteher der Gesellschaft Caspar von Teut-
leben, führte den Namen „der Mehlreiche'*, mit
dem Gemälde „Rein Weizenmehl , so durch den
Beutel beim Mahlen herausfallt** und das Wort
„Hierin find sichs*'. Trotz mancher Gegenströmungen
fand das Bestreben der Gesellschaft Beifall bei allen
Gebildeten jener Zeit, , wie die vielen Bewerbungen
um die Mitgliedschaft beweisen. Unter den Mit-
gliedern finden sich berühmte Namen, wie Martin Sprach-
Opitz (f 1639), der im VI. Kapitel seines Buches ^einiger,
von „der deutschen Poeterey** für die Reinheit der
deutschen Sprache eintritt; Georg Philipp Hars-
dörffer, zugleich Gründer des Blumenordens
der Pegnitzschäfer, der Verfasser der „Frauen-
zimmer Gesprechspiele** in 8 Teilen, einer Art Kon-
versationslexikon in Gesprächform, der „Schutz-
schrift für die Teutsche Spracharbeit und derselben
Beflissene** und des „Teutschen Secretarius**. Justus
Georg Schottel (1612 — 1676) verfasste die
„Teutsche Sprachkunst** (1641) und die „Ausführ-
lichen Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache**
(1663). Schon im vorigen Kapitel erwähnten wir
Johann Michael Moscherosch (-[-1669); Johann
Rist (1607 — 1667), zugleich Gründer des Elb-
schwanenordens, kämpft hauptsächlich in der
„Rettung der Edlen Teutschen Hauptsprache** gegen
die Fremdwörter und die k la mode-Sucht; end-
lich nennen wir Friedrich von Logau, der in
einem seiner Sinngedichte die Sprachmengerei be-
klagt:
11*
— 164 ^-
Deutsche Sprache.
Das Deutsche Land ist arm; die Sprache kan es
sagen.
Die ietzt so mager ist, dass man ihr zu muss tragen
Auss Franckreich was sie darff^, und her vom
Tiber-Strom,
Wo vor'^ Latein starb auch mit dir, Unrömisch
Rom !
Zum Theil schickt s der Iber^. Das andre wird
genumen.
So gut es wird gezeugt und auff die Welt ist
ktimen
Durch einen Gerne- Klug
Im Jahre 1649 wird das 527. und letzte Mit-
glied der fruchtbringenden Gesellschaft unter Ludwig
von Anhalt aufgenommen, der 1650 starb. Zwar
bestand sie noch nach seinem Tode fort und führte
nun nach ihrem Symbol, dem Palmbaum, den Namen
„Palmenorden", aber sie verlor beträchtlich an
Bedeutung.
Daneben gab es noch kleinere Sprachgesell-
schaften mit denselben Zielen: die aufrichtige
Gesellschaft von der Tannen gestiftet 1633;
die deutschgesinnte Genossenschaft oder der
Rosenorden, gegründet 1643 von Philipp von
Zesen (1619 — 1689), und andere.
Gegner der Selbstverständlich fehlte es der Bewegung gegen
Sprach- die Fremdwörter auch nicht an Widersachern. Schon
reinigung. ^jj^ige Wochen nach der Gründung der frucht-
bringenden Gesellschaft stiftete eine Verwandte
Ludwigs von Anhalt einen Gegenorden: L' ordre
* bedarf. * früher. • Ebro d. h. Spanien.
- i65 -
de la Palme d'or zur Ausbreitung der fran-
zösischen und anderer ausländischer Sprachen.
Einer der Hauptgegner der übertriebenen Sprach-
reinigung ist Christian Weise (-|- 1708), der
sich für einen vermittelnden Standpunkt erklärt und
meint, man solle das Fremdwort alinehmen, wenn
kein deutscher Ausdruck vorläge:
yyDock liebes Vaterlandy ich werde dir gefallen,
Dass ich im Schreiben nicht ein sprach-ty ranne bin.
Ich folge Deiner zier und richte mich in allen
Auff alte reinigkeit und neue kurtzweil hin.'*
Berechtigt war eine solche Gegnerschaft be-
sonders gegen Zesen, der in der Sprachreinigung
übertrieben vorging und der Lächerlichkeit verfiel.
Er verdeutschte z.B. Nase Vßii Löschhorn oder Ge- Neu-
sichtserker, Fieber mit Zitterweh , Kabinett mit Bei- schöpfung
Zimmer, Affekt mit Gemütstrift, für Theater schlug ^^^^^^|.^^^^
er Schauburg vor, für Natur sagte er Zeugemutter
u. s. w. Daneben aber hat er die deutsche Sprache
auch dauernd bereichert durch Wörter wie: Sinn-
gedicht, Staatsmann, Vollmacht, Vertrag, Rechtsbegriff,
Lehrbegriff , Heerschau, Wechselgesang, Augenblick,
Gesichtskreis y Verfasser u. a. Auch die frucht-
bringende Gesellschaft ist nicht ohne Nutzen für
die Bereicherung der deutschen Sprache gewesen;
grammatische Ausdrücke wie: Nennwort, Zahlwort,
Zeitwort, Mehrzahl , Sprachlehre, Selbstlaut, Hauch-
laut u. s. w. verdanken wir ihrem Mitglied Schottel.
Daneben sind aber auch verunglückte Bildungen
wie Unterlage für Subjekt, Gegenwurff für Objekt,
Reitpuffer für Pistole, Platz- Halter für Leutnant
u. s. w. vorhanden, die von der Sprache nicht auf-
genommen worden sind. Aber ein Verdienst muss
~ i66 —
der fruchtbringenden Gesellschaft verbleiben: sie
hat zuerst eine grössere Anzahl Männer, die alle
Gegner der Sprachmengerei sind, zusammengefasst
und versucht, durch gemeinschaftliche Bestrebungen
den Kampf gegen die Fremdwörter erfolgreich zu
gestalten. Auch auf die Besserung der zu ihrer
Zeit groben und ungefügen Art des Ausdrucks
richtete sie ihr Augenmerk. Sie gewann hoch-
gestellte Persönlichkeiten für deutsche Sprache und
Dichtung und befreite diese dadurch von der Ver-
achtung, unter der diese bisher gelitten hatten. Ihr
und der gleichgesinnten Verbindungen Verdienst
ist fes, dass unsere Muttersprache nach dem Jammer
des grossen Krieges verhältnismässig gut erhalten
und sogar von vielen fremden Zutaten gereinigt
dasteht. Es ist nicht ihre Schuld, dass manche
Sprachverbesserer in ihrem Uebereifer eine Menge
alter eingebürgerter Lehnwörter ausmerzen wollten
und dadurch dem Fluche der Lächerlichkeit an-
heimfielen. Bei den Mitgliedern der fruchtbringen-
den Gesellschaft galt als Gesetz, längst eingebürgerte
Fremdwörter schonend zu dulden.
Freilich vermochten alle diese Bestrebungen
auf die Dauer nicht zu hindern, dass immerzu
fremdes Sprachgut der deutschen Sprache zuge-
führt wurde, da die kulturellen und gesellschaft-
lichen Beziehungen zu unsern westlichen Nachbarn
18. Jahr- zu mächtig waren, besonders im 18. Jahrhundert.
hundert. Aber anderseits hat auch der Kampf gegen die
Eindringlinge nie ganz aufgehört. Im letztgenannten
Jahrhundert ist es z. B. Joachim Heinrich Campe,
dem wir zahlreiche Verdeutschungen verdanken;
altertümlich, Beweggrund, Eigenname, Flugschrift,
Gefallsucht , geeignet, Oeffentlichkeit ^ Umwälzung,
RfV. --fj^^-^^.
— 167 —
veirwirklichefiy Zartgefühl, Zerrbild u. s. w. stammen
von ihm. Es versteht sich von selbst, dass auch
unsere grossen Dichter sprachschöpferisch tätig
waren und manches Fremdwort verdrängen halfen;
so schuf Lessing das Wort empfindsam, Goethe
gab uns Kleinleben , Wahlverwandtschaft u. a.
In unserer Zeit hat das neu erwachte Volks- 19- Jahr-
gefühl mächtig dazu beigetragen, die weitesten h""^«rt-
Kreise dem Kampf gegen die entbehrlichen Fremd-
wörter günstig zu stimmen. Den Anstoss zu einer
weitgehenden Bewegung dieser Art gab die Grün-
dung des Allgemeinen deutschen Sprachvereins
durch Hermann Riegel zu Braunschweig im Jahre'
1885. Der Verein verfügt über eine eigene Zeit- ^
Schrift zur Verbreitung seiner Gedanken;, ausserdem
hat er eine Reihe von Verdeutschungswörterbüchern
herausgegeben. Wenn auch nur ein Teil seiner
Vorschläge bis jetzt in der Allgemeinheit durch-
gedrungen ist, so lässt sich doch nicht bestreiten,
dass das Bestreben, Fremdwörter, und nicht nur
entbehrliche, durch deutsche Ausdrücke zu ersetzen,
feste Wurzeln im deutschen Volke gefasst hat.
Schon spricht man nicht mehr vom Veloziped wie
anfangs, sondern yova Fahrrad oder kurz Rad^ das
Automobil wird zum Selbstfahrer (ICraftwagen^ auch
kurz Fahrzeug) y der Chauffeur wird zum Fahrer ,
die Garage zum Einstellraum, um nur die neusten
Verdeutschungen zu erwähnen. Auch die Be-
hörden haben sich diesem Einflüsse nicht mehr
entziehen können, und so sehen wir z. B. bei der
Eisenbahnverwaltung das Billet der Fahrkarte, das
Koupee dem Abteil, den Perron (der übrigens
frz. le quai heisst) dem Bahnsteig u. s. w. weichen.
Die Post bat zwar den Telegraph behalten, aber
-^ i68 —
aus dem Telephon überflüssigerweise einen Fern-
Sprecher gemacht, das Couvert (das frz. l'enveloppe
heis-»t) wird zum (Brief)umschlag u. a. m. Beson-
ders eifrig wird in neuester Zeit von der- Heeres-
verwaltunp" verdeutscht; Rekognoszirung wird Er-
kundung y Ävantageur heisst jetzt Fahnenjunker ^ Ordre
ist nunmehr Befehly Bajonnet ist Seitengewehr ^ Epau-
letts sind Achselstücke u. s. w. Sogar die Aerzte,
die am berüchtigtsten, aber auch am berechtigtsten
im Gebrauch von Fremdwörtern sind, haben heut-
zutage das löbliche Bestreben, selbst unter sich,
ein Organ oder eine Krankheit, die mit einem
"deutschen Namen genau bezeichnet werden kann,
nicht mehr lateinisch zu benennen. Ja, man darf
geradezu behaupten, dass es heutzutage als ein
Zeichen von Bildung gilt, die überflüssigen Fremd-
wörter zu vermeiden, während vor noch gai^ nicht
langer Zeit ein Mann oder ein Buch um so ge-
lehrter erschien, je mehr fremde Ausdrücke von
ihm verwandt wurden. Unser Volk wird hoffentlich
auf dieser Bahn zum Heile seiner Sprache fort-
schreiten und sich damit seine Eigenart erneuen
und festigen.
Die neuhochdeutsche Schriftsprache
im i8. und 19. Jahrhundert.
Das 17. Jahrhundert war nicht nur eine Zeit
des Kampfes gegen die fremden Eindringlinge in
unserer Muttersprache, sondern es brachte auch die
Regelung des deutschen Sprachgebrauchs. Der
— r6g —
schon früher erwähnte Martin Opitz stellt Gesetze
für die Form der deutschen Dichtung auf; er er-
hebt die regelmässige Abwechslung von Hebung
und Senkung zur strengen Vorschrift; aber auch
auf den grammatischen Ausbau der Sprachform
bleibt er nicht ohne Einfluss: während Luther Regelung
das Mittelwort der Vergangenheit noch vielfach ^^^^^^J"*^^^'
ohne die Vorsilbe ge- bildet, macht Opitz ihren ^^^^^ ^'
durchgehenden Gebrauch zur Regel. Die Partizipien
/unden, kommen, gangen u. a, (mit Ausnahme von
worden) werden jetzt auch mit ge- gebildet; er
wandelt nach unserer Weise die Zeitwörter deri-Reihe
treibe — trieb — getrieben oder schneide — schnitt —
geschnitten ab; auch schreibt er konsequent ich
gebe y werde neben finde, schwimme. Die Impe-
rative der starken Verben bildet er ohne Endung:
gib, nimm, zeuch u. s. w., aber auch fall, schneid,
halty ja sogar von schwachen Verben hör, führ^ lieby
worin ihm die spätere Sprache nicht gefolgt ist.
Er verhilft der Endung '•nis zum entschiedenen Sieg
über das noch bei Luther häufige oberdeutsche
-nuss, -nusse. Dagegen zieht er noch immer die
Verkleinerungssilbe -lein dem -chen seiner Heimat
vor. Auch zahlreiche andere Mitglieder der frucht-
bringenden Gesellschaft beteiligen sich am gramma-
tischen Ausbau des Deutschen: Christian Gueinz
schreibt eine „deutsche Sprachlehre" (1641);
Philipp von Zesen stellt (1651) als Vorbilder
für „die rechte Zierlichkeit der hochdeutschen Rede
.... des grossen Luthers Schriften, die Reichs-
abschiede .... die Schriften von Opitzen** u. s. w.
auf. Der grösste und berühmteste Grammatiker
des 17. Jahrhunderts ist Justus Georg Scholtel; Schottel,
sein Hauptwerk führt den Titel : Ausführliche Arbeit
von der teutschen^ Haubtsprache 1663. Sein
Hauptverdienst ist, dass er die deutsche Sprache
zum ersten Male in ihrer geschichtlichen Ent-
wicklung zu erfassen sucht; aber anderseits be-
geht er den Irrtum, die Mundarten als Entartungen
der Schriftsprache aufzufassen. Die Grammatik,
meint er ferner, sei nnerlässlich, um die hoch-
deutsche Sprache gründlich zu erlernen; ja man
müsse auch eine gleichmässige Aussprache der-
selben in ganz Deutschland, unabhängig von den
Mundarten, erstreben. Schotteis Einfluss reicht weit
über alle seine Vorgänger hinaus und bestimmt die
Richtung seiner Nachfolger mehr als ein und ein-
halbes Jahrhundert. Sein berühmter Zeitgenosse
Leibnitz. Leibnitz lehnt sich ganz an ihn an in seiner
Schrift: „Unvorgreifiiche Gedanken betreffend
die Ausübung und Verbesserung der deutschen
Sprache" (1682). Auch er erkennt die Schriften
von Luther, Opitz, aber auch ältere Werke, wie
den Theuerdank, Fischarts Gargantua u. s. w. als
mustergiltig an; daneben offizielle Schriften .mannig-
facher Art, insbesondere die Staats Schriften der
Reichstage zu Regensburg. Anderseits übersieht
er auch veraltete Ausdrücke bei Luther nicht.
Leibnitz verdanken wir ausserdem die Verwendung
des Deutschen als Spräche der Wissenschaft; von
ihm stammt die schon erwähnte Bezeichnung der
deutschen „Haupt- und Heldensprache*'. Sein
Schüler, der Philosoph Christian Wolf, lehrte zu-
erst seine Wissenschaft in deutscher Sprache an
der Universität Halle.
,* Die Schreibung „teutsch" taucht zuerst im 17. Jahr-
hundert auf und hat sich mit merkwürdiger Zähigkeit 200 Jahre
gehalten, obwohl sie ganz falsch ist (vgl. § 5, S. 31),
— 171 —
Wenn nun auch die genannten Grammatiker
und Gelehrten das Neuhochdeutsche auf den gegen ^
die Mundarten abgegrenzten und geregelten Stand-
punkt erhoben haben, so drangen sie doch zu ihrer
Zeit noch nicht allgemein mit ihren Ansichten
durch. Das siebzehnte Jahrhundert blieb im wesent-
lichen bei der Theorie stehen; sprachlich ist es
abhängig von Autoritäten, der freien Entwicklung
der Sprache wird noch wenig Rechnung getragen.
Das wird erst im 1 8. Jahrhundert anders. Nunmehr
wird als Richter für Sprachrichligkeit und Sprach-
reinheit der gute Gebrauch aufgestellt; die Gelehrten
haben die Sprache nicht zu machen, sondern »ur
festzustellen, was allgemein üblich und daher richtig
ist. Am Anfang dieser neuen Entwicklung stehen
Johann Bödikers „Grundsätze der deutschen Bödiker.
Sprache", denen wir verschiedene noch heute gültige
Festsetzungen verdanken : den Unterschied zwischen
vor und für, die Bevorzugung der Verkleinerungs-
silbe -chen, die Regeln für den Gebrauch der grossen
und kleinen Anfangsbuchstaben, die Anwendung des
h als Dehnungszeichen nach Vokal und nach t, die
Setzung von Doppelkonsonanten u. s. w. Imgrossen
und ganzen ist die von ihm herrührende Regelung
der Rechtschreibung bis auf unsere Tage gültig ge-
blieben. Er findet auch heraus, dass die Sprache
seit Luther sich weiter entwickelt hat und erklärt, ^
dass viele Wörter aus seiner Bibelübersetzung jetzt
veraltet seien ; locken = hüpfen („wider den Stachel
locken"), thüren = wagen, Kogel = spitze Mütze,
Thramen = Balken, glum -. trübe, Ferg = Fährmann
u. s. w. ; daneben nennt er aber auch Wörter, die wir
heute wieder unbedenklich gebrauchen : Laib^ rügen^
vergetidenf nac heifern , hehr u. a. Der Neubearbeiter
— 172 —
von Bödikers Buch Leonhard Frisch (1746) hat
das Verzeichnis veralteter Wörter oder nur in Teilen
Deutschlands verständlicher Ausdrücke schon auf
50 Seiten gebracht. So sehr hatte sich die Sprache
inzwischen verändert; man war sich in jener Zeit
schon ganz klar darüber, dass man nicht mehr so
rede und schreibe wie Luther, ja nicht nicht ein-
mal wie fünfzig Jahre zurück. •
Sehr förderlich war für die Weiterentwicklung
unserer Schriftsprache das Auftreten Joh. Christ.
Gottsched. Gottscheds (1700» 1766), dessen Sprachkunst zu-
erst 1748, zum 6. Male 1776 erschien und wie
der Titel besagt: „nach den Mustern der besten
Schriftsteller des vorigen und jetzigen Jahrhunderts
abgefasst'* ist. Mit ihm ist endgültig das sechzehnte
Jahrhundert als sprachliches Muster aufgegeben; die
Reihe der von Gottsched berücksichtigten Schrift-
steller beginnt mit Opitz. Auch die Kanzleisprache
gilt als abgetan. Zwar ist auch ihm das Meissnische
Hochdeutsch das beste und reinste, aber er weiss
doch, dass das Hochdeutsche y^eine ausgesuchte Art
zu reden sei, die in keiner Provinz völlig im Schwange
gehCy die man die Mundart der Gelehrten oder auch
wohl der Höfe zu nennen pflege*'. Er erklärt, warum
das mittelländische oder obersächsiche Deutsch die
beste hochdeutsche Mundart sei: ,yDer Sitz der
^ deutschen Gelehrsamkeit ist seit der Glauhensreinigung
nach Obersachsen gewandert. Sonderlich ist er durch
die neugestifteten hohen Schulen zu Wittenberg, Jena
und Halle gleichsam in Meissen befestigt worden.
Nicht wenig hat auch der aus Frankfurt am Main
grösstentheils nach Leipzig gegangene BiUherhandel
viel dazu beigetragen. Weil auch durch die Frucht-
bringende Gesellschaft in diesen Gegenden die meisten
— 173 —
und besten deutschen Bücher geschrieben und gedruckt
worden: so hat die hiesige Mundart unvermerkt in
ganz Deutschland die Oberhand bekommen.^* So viel
galt Gottsched als sprachliche Autorität, dass
selbst sein Gegner in der Auffassung von der
Dichtkunst, Bodmer, sich ihm in Fragen der sprach- Bodmer.
liehen Richtigkeit unterordnete. Er äussert sich
in der Vorrede zu Breitingers Kritischer Dicht-
kunst folgendermassen : yySoviel mir bekannt ist, hat
Meissen das beste Rechte von andern Provinzen
Deutschlands zu fordern^ dass sie ihre eigene Aus"
Sprache und Mundart für die seinige verlassen^
allermassen es darinnen wahre Vorzüge vor edlen
anderen aufweisen kann. Freilich gibt er deshalb
nicht alle Rechte der Mundarten auf, sondern meint,
dass in anderen Provinzen viele gute Wörter und
andere geschickte Redensarten von altem deutschem
Herkommen behalten worden ....
Die beiden vorstehenden Proben mögen zu-
gleich das Aussehen der deutschen Schriftsprache
um die Mitte des 1 8. Jahrhunderts veranschaulichen.
Es ist leicht daraus zu ersehen, wie sehr sie sich
schon dem Brauche unserer Klassiker genähert hat,
der ja auch für uns noch als Muster gilt. Wir
können also sagen, dass zur genannten Zeit die
neuhochdeutsche Schriftsprache fertig und seitdem
auf dem gleichen Standpunkt geblieben ist, abgesehen
von Einzelheiten im Wortschatz, wovon noch zu
sprechen sein wird. Es ist das Verdienst der
Grammatiker des i8. Jahrhunderts, die deutsche
Schriftsprache von dem Einfluss der veralteten
Lutherschen Sprachform befreit zu haben, aber sie
bleiben noch im Banne des Vorurteils, dass die
meissnische, d. h. sächsische Sprache sowohl in
— 174 —
Bezug auf Wortformen und Wortschatz als auch auf
die Aussprache die mustergültige Sprache für das
übrige Deutschland sein müsse. Es galt nunmehr,
auch diese Auffassung zu überwinden und zu Fall
zu bringen. Das haben unsere grossen Klassiker fertig
gebracht. Sie haben uns durch ihr Beispiel gelehrt,
dass das richtige Hochdeutsch an keine Mundart
und keine Gegend gebunden ist, vielmehr Gemein-
gut aller Gebildeten in den deutschen Gauen ist.
Zu ihrer Zeit aber drang diese Erkenntniss noch
keineswegs allgemein durch. Der bedeutendste
und zugleich letzte in der Reihe der Gramma^
Adelung, tiker des i8. Jahrhunderts, Joh. Christoph Adelung
(1734 — 1806), steht noch ganz auf dem Boden
seiner Vorgänger, indem er die meissnische Sprache
als die beste ansieht. In seinen deutschen Sprach-
lehren (1781 und 1782) und seinem deutschen
Wörterbuch (1774— 178Ö) vertritt er diese Ansicht.
Ihm ist die Zeit Gottscheds und Gellerts, um die
Mitte des 18. Jahrhunderts, die Blütezeit der
hochdeutschen Schriftsprache; sein Wörterbuch be-
schränkt sich auf den Sprachgebrauch dieser Zeit
und der sächsischen Mundart; andere Wörter, selbst
solche, die zu jener Zeit und bis heute unbedenk-
lich gebraucht werden, finden keine Stelle darin und
werden in Acht und Bann erklärt. Trotz dieses
engherzigen Standpunkts wurde Adelungs Autorität
in weiten Kreisen anerkannt und seine Zeitgenossen
standen vollständig unter seinem Bann. Erst Joachim
Campe. Heinrich Campe macht sich in seinen Schriften
und seinem Wörterbuch ( 1 807 — 1 8 1 1 ) von Adelungs
Einfluss los und nimmt eine Menge Wörter auf, denen
Adelung noch das Bürgerrecht versagt hatte. Doch
das vereinzelte Eintreten der Gelehrten hätte wohl
- 175 -
kaum . den Erfolg gehabt, das Monopol der meiss-
nischen Sprache zu beseitigen^ wenn nicht die über-
wältigende Bedeutung unserer klassischen Literatur,
die sich im Norden, Osten und Südwesten Deutsch-
lands zuerst entfaltete, es gebrochen hätte. Wie- ^^^
lands erste Romane, deren flüssige Sprache die ^'^ssiker.
durch den schwerfälligen Stil seiner Vorgänger äb-
gestossenen gebildeten Kreise für den deutschen
Roman gewann, entstanden in Württemberg; Lressings
prosaische Meisterwerke entstanden in Schlesien und
Hapiburg. Herder ist Ostpreüsse, Goethe aus
Frankfurt und Schiller aus Schwaben; sie alle sind
schon fertige Männer und hochberühmte Schrift-
steller, als sie, gleichwie Wieland, in Weimar ihre
dauernde Heimat finden. Besonders Wieland
stellt sich in einen scharfen Gegensatz zu Adelung,
Indem er den Grundsatz aufstellt, dass es „die
guten Schriftsteller sind, welche die wahre Schrift-
sprache eines Volkes bilden". Auch die Stellung
Schillers und Goethes zur neuhochdeutschen Schrift-
sprache ist keine andere: Grammatisch war diese
ja seit der Mitte des Jahrhunderts festgelegt; kein
Schriftsteller, selbst nicht der unbedeutendste, hätte
daran gedacht, sich seiner heimatlichen Mundart
zu bedienen, viel weniger ein Schiller oder Goethe.
Freilich standen sie in ihrer Jugend noch insofern
in dem Bann ihrer Mundart, als sie dieser ange-
hörige Wörter oder Wortformen unbewusst verwen-
den; aber je länger sie schriftstellerisch tätig sind,
um so mehr verlieren sich diese heimatlichen An-
klänge, um, auf der Höhe ihrer Tätigkeit ganz zu
verschwinden. Indes darf man nicht vergessen,
dass Goethe schon als Student in Leipzig weilte
und den grössten Teil seines Lebens in Weimar,
— 176 —
"f*""-Tk V
also auf sächsischem Sprachgebiet, zugebracht hat.
Schiller hatte bekanntlich den Dresdener Körner,
den Vater des Dichters der Freiheitskriege, zum
Berater. Das hinderte aber beide nicht, sich über
das beanspruchte sprachliche Vorrecht Sachsens
lustig zu machen und es als etwas Abgetanes zu
betrachten.
Wie die grossen Schriftsteller unserer klassi-
schen Zeit sich iin Gegensatz zu Gottsched und
Adelung in der Wertschätzung des sächsischen
Dialekts befinden,' so weichen sie auch darin von
deren starrem Standpunkt ab, dass sie aus den
Mundarten und aus der älteren Sprache Wörter
schöpfen, wo der Schriftsprache treffende Be-
zeichnungen fehlen. Neben Lessing, Wieland
und Goethe war es besonders Herder, der auf die
Mundarten als eine ergiebige Fundgrube zur Be-
reicherung der Schriftsprache hinwies. Auf diesem
Wege folgen ihnen die Romantiker, die Verherrlicher
des Mittelalters und seiner Poesie, und noch mehr
die Germanisten, die Wiedererwecker des deutschen
Altertums, seiner Sprache und Literatur. So sind
manche alte Wörter uns wieder gang und gäbe ge-
worden, die jahrhundertelang verschollen waren
wie Degen = Held, Recke = Krieger, Brünne
= Panzer, Minne = Liebe, Fehde, Hain, Gau u. a.
In übertriebener Weise und deshalb oft unverständ-
lich nimmt Richard Wa^er Ausdrücke der älteren
Sprache wieder auf: vreislich = schreckhaft. Eben-
so hat die heutige Schriftsprache zahlreiche Dialekt-
worte besonders aus dem Niederdeutschen aufge-
nommen : Laken (= Bettuch), Moor, Rasen (= ober-
deutsch Wasen), fett (= oberdeutsch y<?/5/), ruppige
und viele andere, meist seemännische Ausdrücke
— 177 —
wie Ebbey Flagge, Flotte, Tau, Wrack u. s. w. Aber
auch hochdeutsche Mundarten steuern bei : fesch,
(Wienerisch), Bräu (Münchener Ausdruck), Senne
(Schweiz), kraxeln (ob erb airisch) u. a. m.
Wenn sich daher auch das grammatische Ge- Acndc-
füge der neuhochdeutschen Schriftsprache seit der '^"ilf®" ^""
Mitte des 1 8. Jahrhunderts nicht geändert hat, so ist schätz.
^ doch ihr Wortschatz zum Teil ein anderer geworden.
Wir sehen hierbei ganz ab von der Bereicherung
desselben durch neue Kultur errungenschaften wie
Dampfschiff, Eisenbahn, Bahnhofe Bogenlicht, Kraft-
wagen u. s. w. und wollen nur den schon zu jener
Zeit vorhandenen Wortvorrat ins Auge fassen. Auch
bei diesem ist neben geringfügigem lautlichem
Wechsel wie jetzt für älteres itzt, Ihre (= Euer) für
Ihro (Majestät) u. a. mannigfacher Bedeutungswandel
zu verzeichnen. Niemand kann heute mehr Maul
ohne Nebenabsicht für Mund gebrauchen, ein
Fräulein mit Frauenzimmerchen anreden, wie es
Lessing tut, oder «statt die Damen die Frauen-
zimmer grüssen lassen wie Goethe in seinen Briefen
schreibt, der auch* e^6?r heute anstatt yj^'r heute sagt
(Brief vom 15. November 1796); IVttz ist nicht mehr
= „Verstand** (vergl. Mutterwitz), Post nicht mehr
= „Nachricht" ; gemein gebrauchen wir selten mehr
im Sinn von „allgemein'^ artig nicht mehr in dem
Sinne von „nett", verkennen nicht mehr =: nicht
wieder erkennen, wie es die klassische Zeit tat, u. s. w.
Doch im allgemeinen dürfen wir sagen, dass
die Schriftsprache so fest gefügt und durch die
schulmässige Ue herlief er ung so sehr vor grösseren
Aenderungen geschützt ist, dass selbst wirkliche
Verbesserungen und Erleichterungen, die von be-
rufenen Männern der Wissenschaft oder hervor-
Feiit, Die denttob« Sprache. 12
- 178 -
ragenden Schriftstellern ausgehen, nur schwer Ein-
gang finden. Wie viele Einsichtige arbeiten nicht
dem aus der Zeit des Humanismus (i6. Jahr-
hundert) stammenden Unfug entgegen,, das Zeit-
wort im abhängigen Satz immer ans Ende zu stellen!
Wie oft hat man sich nicht bemüht, den trennbaren
Partikeln bei zusammengesetzten Zeitwörtern eine
solche Stelle zu geben, dass sie nicht durch ganze
Zeilen von ihrem Verb getrennt sind ! Und wie
gering sind die Erfolge auf diesem Gebiet! Die
Schriftsprache, ist eben kein vom Ohr erfas^tes,
lebendiges Idiom, sondern sie ist ein far das Auge
bestimmtes Kunsterzeugnis geworden und in Starrheit
versunken, bis bessere Zeiten sie zu neuem, wirk-
lichem Leben erwecken werden.
§ 24-
Der Vokalbestand der neuhochdeutschen
Schriftsprache.
Wenn wir im Vorhergehenden die Entstehung,
Weiterbildung und Festlegung unserer Schriftsprache
verfolgt haben, so ist nunmehr der Augenblick ge-
kommen, ihre heutige lautliche Gestalt näher ins
Auge zu fassen. Da die lautlichen Veränderungen
seit der Zeit ihrer Entstehung nur geringfügiger
Natur sind, so können wir, ohne grosse Irrtümer
zu begehen, die dazwischen liegenden Jahrhunderte
überspringend die heutige Schriftsprache mit der
mittelhochdeutschen Sprache vergleichen, deren
äussere Gestalt wir in § 14 zu zeichnen versucht
haben.
Die grössten Veränderungen sind im Vokalis-.
mus zu verzeichnen, besonders bei den kurzen
— 179 --
Vokalen. Unter dem Einfluss des Hochtons wurden Dehnung *
diese in offener d. h. auf keinen Konsonanten aus- kurzer
gehender Silbe schon in spätmittelhochdeutscher Vokale.
Zeit gedehnt. Aus mittelhochdeutsch trä-gen ,
wurde also trä-gen^ aus ta^ea wurde Tä-gts, aus
lö-sen Ic'SeHy aus jü-gend Jü-gend^ aus bö-te Bö-te^
aus s -les Saa-les u. s. w. Aus den mit Endungen
versehenen Fällen (Genitiv, Dativ Sing, und dem
Plural) wurden dann die langen Vokale auf die nur
im Nominativ und Accusativ Singularis erhaltenen
kurzen Vokale der einsilbigen Hauptwörter wie täc
Tag, säl Saal u. s. w. übertragen und die Längung
allgemein durchgeführt. Doch nicht allein in
offener Silbe findet sich Dehnung des Stammvokals,
sondern auch vor manchen Doppelkonsonanten wie
rt: mhd. ärt wird Art^ b rt Bärt\ rd: mhd. grde
wird Erde; rz: hürz wird Harz u. a. Anderseits
unterbleibt auch zuweilen die Dehnung vor ein-
fachem Konsonant, z. B. m und besonders t: mhd.
vrum, fröm, fromm, hämer Hämmer, himel Himmel',
blten bitten, göt Gott, buter Butter, Auch vor
anderen Konsonanten fehlt zuweilen die Dehnung,
wenn die Ableitungssilbe -er darauf folgt: mhd.
doner Donner, wider Widder, solre Söller u. s. w.
Infolge der Dehnung kurzer Vokale sind manche
noch mhd. verschieden lautende Wörter im Nhd.
zusammengefallen: wägen „Wagen" und wägen
,,zvagen'^, mh\n mahlen und malen ^,malen^\ kil
„Feder-^/>/" und kiel „Schiffs-i/>/", tor Tor (eines
Hauses) und töre Tor=Narr u. a.
Vor Doppelkonsonant bleibt nicht nur alte , -^^^"
Kürze bewahrt: stark, fest, bergen, halten, Karte, \^^otr
Kunst u. s. w., sondern es tritt auch Verkürzung Vokale
12*
— i8o —
eines, ursprünglich langen Vokals ein; brähte wird
brächte^ dähte dächte ^ kläfter Klafter, kräpfe Krapfen
(Pfannkuchen), lä^en lassen^ herre Herr^ h^rsen
herr sehen y slöj Schlöss u. s. w. Auch vor einfachem
Konsonant tritt gelegentlich Verkürzung ein: hat
häty häte hätte f näter Natter, wäpen Wappen, jämer
Jammer. Verkürzung finden \Vir auch Jn Zusammen-
setzungen, der^n erster Bestandteil nicht mehr als
selbständiges Wort empfunden wird: höchzit Hoch-
zeit, aber hoch hoch (vgl. Höffahrt aus höchvart) ;
G^rtrüt Gertrud aber g^r Ger, Umgekehrt bleibt
alte Kürze in Zusammensetzungen bewahrt, während
das einfache Wort Dehnung aufweist: Heer aber
Herberge, bär aber bärfuss, Bohle aber Bollwerk^
auch in Fremdwörtern Dame aber Dämbrett.
Die Dehnung ursprünglich kurzer Vokale und
in geringerem Umfang die Verkürzung einst langer
Vokale ist eines der charakteristischen Kennzeichen
des Nhd. gegenüber dem Mhd. Die neuhoch-
deutschen Mundarten stehen vielfach noch auf dem
mhd. Standpunkt; so lautet im Rheinfränkischen
hochd. Väter noch Vätter, (aber Mütter = mhd.
muoter, md. müter ist verkürzt wie im Hochdeutschen
wohl unter dem Einfluss des kurzen Stammvokals
in Vätter), Besen lautet Bessern (mhd. beseme),
Diphthon- Böden ist Böddem (mhd. bödem),' Jude Isiiitet Jtidd
gierung u. s. w. Eine andere charakteristische Eigenschaft
langer ^^g ^hd., von der schon öfter die Rede war, ist
die Diphthongierung der mhd. Längen i, ü, iu
(gespr. u) in ei (ai), au, eu. Im § i8, S. 130 haben
wir bereits das Auftauchen und die Ausbreitung
dieser neuen Erscheinung kennen gelernt. Noch
heute sind im Alemannischen und in einzelnen mittel-
deutschen Mundarten die alten einfachen Längen
— i8i —
erhalten, die meisten Mundarten ^ aber besitzen '
die jüngeren Diphthonge, unterscheiden sie indes
in der Aussprache von den alten gleichartigen
Diphthongen, während das Hochdeutsche keinen
Unterschied zwischen ihnen macht. Für das letztere
sind vollständig zusammengefallen: nhd. Stein aus
mhd. stein und mein aus mhd. min; nhd. Leib =
mhd. lip und Laib = mhd. leip werden gleich aus-
gesprochen; nhd. Haus = mhd. hüs und Baum
= mhd. boum haben denselben Diphthong; nhd.
heute = mhd. hiute (gespr. hüte) und Freude ==
mhd. vröude unterscheiden sich nicht in der Aus-
sprache des Stammvokals. Der Grund, weshalb die
Diphthongierung eintrat, ist vielleicht darin zu
suchen, dass bei den zweisilbigen Wörtern infolge
des Abfalls der Endung die Zeitdauer der Aus-
sprache derselben auf die Stammsilbe überging und
den Vokal überlang machte: aus ix\h wurde frf
mit zweigipfliger Betonung, die im Laufe der Zeit
zur Diphthongierung führte. Nach dem Muster der
ursprünglich zweisilbigen Wörter wurden dann auch
die einsilbigen diphthongiert.
Für zwei Diphthonge haben wir im Nhd. eine Doppel -
doppelte Schreibung: ei wird auch ai geschrieben, ^^^^^^""S
eu auch äu. Historische Unterschiede werden da- p-_
bei insofern berücksichtigt, als ai nur für altes phthonge.
ei, nicht für £ gesetzt wird, um gleichlautende
Wörter zu unterscheiden: nhd. Saite = mhd. seite,
Seite = mhd. site. äu schreiben wir für eu, wo
wir den Umlaut von au noch erkennen: Haus —
Häuser (mhd. hüs), Baum - Bäume (mhd. boum).
Neben der Diphthongierung ursprünglich langer Mono-
einfacher Vokale finden wir die Monophthongierung phthongie-
der mhd. Doppelvokale ie zu {(geschrieben ie), uo '""^
— l82
--^^r^nß-
Aenderung
der Aus-
sprache.
Ver-
einzelter
Laut-
wandel.
ZU ü, üe zu ü im Nhd. Schon in früh mhd. Zeit
ist sie ein Kennzeichen der mitteldeutschen Mund-
arten; der nhd- Zeit blieb es vorbehalten, diesen
Brauch in die Schriftsprache zu übertragen, während
noch heute die oberdeutschen Mundarten die alte
diphthongische Aussprache bewahrt haben. Mhd.
dienen (ie als Diphthong gesprochen) wird zu nhd.
dienen (ie ^= T), tier zu Tier] vuor (Praet. von
varan) zu fuhry bluot zu Blut\ rüemen zu rühmen y
müede zu müde. Zuweilen werden die so ent-
standenen Längen noch gekürzt: ging aus mhd.
gienc, wuchs aus wuohs, müssen aus müe^en.
Die Aussprache nur hat sich geändert bei mhd.
ou, das nhd. au geschrieben und gesprochen wird :
ouge Auge. Mhd. ei hat ebenfalls eine andere
Aussprache im Nhd., nämlich ai, diese Schreibung
ist indes nur vereinzelt durchgedrungen: mhd.
keiser = Kaiser^ meie = Mai u. a., obwohl sie
in oberdeutschen Handschriften und Drucken gang
und gäbe war. Mhd. öu wird nunmehr eu : vröude
== Freude, oder äu geschrieben, wo es als Umlaut
von au noch deutlich erkannt wird : böume rr= Bäume.
Soweit die regelmässigen lautgesetzlichen Ver-
änderungen im Nhd. gegenüber dem Mhd. Vielfach
findet sich auch vereinzelter Lautwechsel, dessen
bunte Mannigfaltigkeit zu verfolgen uns hier zu weit
führen würde. Wir können nur einige Fälle hier
anführen. So ist mhd. u oft nach dem Vorgang
des Mitteldeutschen im Nhd. zu o geworden, be-
sonders vor n (nn) und m (mm) : mhd. sun ^= Sohn,
sunne = Sonne, sumer = Sommer^ begunnen = be-
gonnen, geswummen = geschwommen) vor andern
Konsonanten wird mhd. u auch zu ö : mhd. burse
(vgl. Bursch) = Börse. Durch Formübertragung
- i83 -
erklären sich golden (neben gülden ■= mhd. guldin)
zu Gold, hölzern (mhd. hulztn) zu Holz u. a. Für
ü ist, entsprechend dem Wandel von u zu o, ö ein-
getreten : mhd. künec = Königy güxmen = gönnen usw.
Weit verbreitet ist in der nhd. Schriftsprache
auch der Uebergang von mhd. ä in ö, hauptsäch-
lich vor Nasalen : mhd. mäne = Mond, mänöt =;
Monat ^ äne = ohne, tähe = Ton (zu Töpfen); eine
Doppelform zeigt mhd. ätem in Afem und Odem.
Verkürzt ist dies lange ö vor Doppelkonsonanz in
Docht aus täht, Brombeere aus brämber (bräme =
Dornstrauch) Uebergang von mhd. e zu nhd. ö
ist nicht selten: mhd. helle = Hölle , leschen = ,
löschen, weihen = wölben, zw elf = zwölf, swern
= schwören, ergetzen (noch im i8. Jahrhundert
ergetzen) = ergötzen und viele andere. Ent-
sprechend wird i gelegentlich zu ü: mhd. finf :=
fünf, minze = ^Pfeffer-)w/lj«2^, wirdic = würdig,
wirde = Würde u. s. w; langes T ist fi geworden
in lügen aus liegen, trügen aus triegen u. a. Um-
gekehrt wird auch mhd. ü zu nhd. i in Kissen aus ^
küssen, spritzen aus älterem nhd. und mhd. sprützen
u. a. Nicht selten wird mhd. ae im Nhd. als e
wiedergegeben: laere = leer, swaere = schwer,
saelic = selig, waejen ^^ wehen u. a. Auch sonst
finden sich mannigfache Uebergänge, die kaum alle
zu übersehen sind; so wird eu zu ei in ereignen,
Ereignis aus mhd. eröugen (zu ouge Auge, vgl.
nhd. bezeugen), in Steiss, älter Steuss aus mhd.
ahd. stiuz; u wird zu au in Schaukel aus mhd.
schoc(kl), vgl. dial. schockein = schaukeln u. s. w.
Eine besondere Betrachtung verdient das e in ton- e in
losen Endungen. Schon am Ende des Mittel- ^"^""8^"-
alters und in dem ersten Stadium der nhd. Schrift-
— i84 —
spräche ist die Unterdrückung der tonlosen e in End-
silben erfolgt — vgl. mh'd. ambet Ami, arzet
Arztf houbet Haupt , maget Magd, bemede Hemdy
angest Angst, krebe^ Krebs, inünech Mönch u. s. w.
Wenn sich die Apokope des e nun nach dem
Vorgang der bairisch-österreichischen Mundart und
der von ihr beeinflussten Kanzleisprache anfangs
auch ziemlich häufig findet, so zeigt sich unter
dem Einfluss des Mitteldeutschen bald ein Rück-
schlag. Luther selbst entscheidet sich in den
spateren Bibelausgaben für die nicht apokopierten
Formen, und Opitz, Gottsched und Adelung folgen
seinem Vorgang. Besonders sucht man das für
die Flexion notwendige e zu schützen und geht
hierin sogar so weit, es an Stellen wiedereinzusetzen,
wo es schon im Mhd. abgestossen war. Abgefallen
ist im Nhd. das tonlose e in der Regel nach einem
andern Suffix: mhd. vischaere wird Fischer, hande-
lunge = Handlung, vinstemisse = Finsternis,
küniginne = Königin, edele = edel^ gebehde -^^
gebend u. s. w. Wo c unmittelbar auf die Stamm-
silbe folgte, bleibt es nach stimmhaften Verschluss-
und Reibelauten, damit diese nicht stimmlos werden :
mhd. oede = öde, truebe = trübe, wise = weise",
nach stimmlosen Lauten, Liquiden und Nasalen
fallt es ab: spaete = spät, kuele = kühl, niuwe
= neti^
Wegfallen kann im Nhd. das e des Gen. und
Dat. Sing, der starken Maskulina (s. § 26) nach
starkem Ton, wenn nicht Gründe der bequemen
Aussprache entgegenstehen; nach Nebenton fällt es
regelmässig aus. Demnach sagen wir: Königs,
Monats, aber Tags und Tages, Fasses, Geizes
u. ä. Selbst im Plural fallt aus dem gleichen Grunde
- i85 -
das sonst feste e weg nach den Endungen -el, -er, -en,
-ein, -lein, -chen : die Flügel^ Fenster ^ Mädchen u. s. w.
Anderseits fügt das Nhd. das I?lural-e auch wieder
an, wo esimMhd. fehlt, z.B. bei einsilbigen Liquida-
stämmen: mhd. die kil = nhd. die^ Kiele, die stil
= die Stiele, die koln = die Kohlen u. s. w.
Beim Zeitwort ist Synkope des e im Nhd. häufig
vor den Endungen st und t: du hilfst, er hilft] ,\
selbst der Stammauslaut auf d oder t hindert sie
nicht: du wirst, er wird] du trittst, er tritt u. s. w.
Dagegen hat das Nhd. ein im Mhd. synkopiertes e
wiederhergestellt in wem wehren, zeln zählen ul ä.
Auch das vor r im Silbenauslaut nach altem t. Neue e
ü, iu = nhd. ei, au, eu eintretende e ist nhd. ^^^ ^'
Entwicklung: mhd. gir = Geier, sür = sauer, viur
= Feuer u. s. w.
Neben rein lautlichen Entwicklungen machen
sich bei der Erhaltung oder Abstossung des
Endungs-e auch andere Einflüsse geltend: Wörter,
die als zusammengehörige Gruppen empfunden
werden, streben nach gleicher Form; so erhalten
die Feminina meist das e, weil es als Kennzeichen
des weiblichen Geschlechts aufgefasst wird : Mühle,
Kehle, Ware, Ruhe u. s. w., wohingegen die Neutra •
nieist das e aufgeben: Heer, Netz, Glück, Reich
u. s. w. Alle einzelnen- Möglichkeiten zu verfolgen,
liegt indes bei der Fülle der Erscheinungen ausser-
halb des Rahmens des vorliegenden Werks.
§ 25.
Der Konsonantismus der neuhochdeutschen
Schriftsprache.
Neben den einschneidenden Veränderungen, die
der nhd. Vokalismus gegenüber dem mhd. erlitten
- i86 —
hat, sind die Neuerungen bei dem Konsonanten-
system weniger bedeutend. Am durchgreifendsten
für 4as Schriftbild sind die zahlreichen Ver-
doppelungen von Konsonanten, die das Neuhoch-
deutsche nach älterem Muster vorgenommen hat.
Denn schon in früher Zeit kamen durch Angleichungen
und Einwirkung von 1, r, w, j (s. § 5, S. 26 f.) Ver-
Alte doppelungen zustande, die sich bis auf unsere Zeit
Doppel- gehalten haben, wenn der vorhergehende Vokal
konsonan- -^^^^ ^^j. . uj^d. bette ^= Bett, sippe, stimme, vüllen,
spannen u. s. w. Indes besteht doch ein wesent-
licher Unterschied zwischen der Aussprache der
Doppelkonsonanten in alter und neuer Zeit. In der
älteren Zeit wurden wirklich die Konsonanten
doppelt ausgesprochen, also bet-te, sip-pe u. s. w. mit
zweimaligem Ansatz; heute sprechen wir nur ein-
fachen Konsonanten, der aber sowohl zur ersten
wie zweiten Silbe gehört, d. h. lang gesprochen
wird. Die Zahl dieser so gesprochenen Doppel-
konsonanten ist im Nhd. dadurch beträchtlich ver-
mehrt worden, dass überall da, wo vor einfachem
Konsonant kurzer Vokal erhalten bleibt, der
Neue Konsonant verdoppelt wurde : mhd. götes = GoUes,
Verdoppe- hfmel = Himmel, doner = Donner, sVte = Sitte
lungen. jj^ g ^ ^^ häufigsten sind t und m auf diese
Art verdoppelt worden, seltner n, 1 und f, die wie
ck und SS meist schon im Mhd. verdoppelt waren.
Das Mhd. schrieb niemals Doppelkonsonanten
am Wortende : stam — Stammes, stoc — Stockes,
rinnen — ran u. s. w. Das Nhd. stellt infolge
des Formenausgleichs den Doppelkonsonanten auch
am Wortende her : Stamm^ Stock, rann u. s. w.
Woher kommt es nun, dass das Nhd. kurzen Vokal
durch Doppelkonsonanten kenntlich macht ? Um
- i87 -
dies zu verstehen, müssen wir auf die mhd, Recht-
schreibung zurückgreifen, die doppelten Konsonant
nach langem Vokal vereinfacht: Valien — viel =
fallen — fiely treffen — träfen, schaffen — schuofen
u. s. w. Diese Fälle gaben das Muster ab, wonach
im Nhd. ein doppelter Konsonant zum Zeichen für
die Kürze des vorhergehenden Konsonanten wurde.
Im Mhd. wird inlautende Media, die in den Mhd. Media
Auslaut tritt, zur Tenuis : geben — gap, liden -- im Auslaut
leit leiden ~_ litt, bergen — bare. Im Mittel- "" ^^^•
deutschen hielt man an der Media fest, und diesem
Gebrauch hat sich das Nhd. angeschlossen —
mit Ausnahme der Fälle, wo zugleich Vokalver-
kürzung eintrat, wie schneiden — schnitt — wenigstens
in der Schrift, denn in der Aussprache kennen wir
nur auslautende Tenues, . keine Medien im Nhd.;
wir schreiben zwar Leib, Hund, Tag^ sprechen aber
Laipy Hunty Tak.
Aufgegeben wurde die eigentümliche Aussprache Mhd. 5
des mhd. 5 schon seit dem Ende des 13. Jahr- im Nhd.
hunderts; es fiel seitdem mit s zusammen. Im Nhd.
wird es ss (nach kurzem Vokal) oder ß (nach langem
Vokal und im Auslaut) geschrieben: sträje Straße y
mej^en messen^ mäj maßy ha;, ha55es Haß, Hasses.
Wenn 5 im Auslaut der Wörter steht, bei denen es
nicht in den Inlaut treten kann, wird es durch
s ersetzt : di^j daSy alle; alles , bi; bis u. s. w.
Manchmal ist ; zu stimmhaftem s geworden, wie
Anieise — mhd. ämei^e, Los — 16;, emsig =^ emjig ;
die Nachbarschaft der stimmhaften Laute hat hier
offenbar angleichend gewirkt.
Im Nhd. wird das h zwischen Vokalen nicht Mhd. h im
mehr gesprochen und nur noch in der Schrift bei- Nhd
behalten: wir unterscheiden in der Aussprache seihen
— i88 —
nicht mehr von seien, sähen nicht von säen. Im
Mhd. ist das h in eher, mahel, tähele gesprochen
worden, im Nhd. ist es stumm in Aehre, Ge-mahl,
Dohle. Manchmal ist das stumme h auch in der
nhd. Schreibung ausgefallen: ^^// aus bihel ; zuweilen
ist nach Verstummen des h Zusammenziehung ein-
getreten: Träne aus trahen, pl. trähene, Zähre aus
zäher, pl. zähere, Fehde aus v6hede u. s. w.
Mhd. eh. Auch ch ist einigemale dem h folgend ge-
schwunden: allmählich aus mhd. almechlich zu ge-
mach, geruhen aus geruochen, Gleissner aus
geltchsenaere zu gelihsen „sich verstellen" u. a.
Mhd. w. Mhd. w fiel im Nhd. in den flektierten Kasus
weg, wo es im Mhd. schon in Nominativ geschwunden
war, vgl. § 14, S. 100 f. Wenn es erhalten blieb,
so wurde es zu b: falb neben fahl^ gelb neben
dial. gehl,
Mhd. s im Ueber das aus sl, sm, sn, sw entstandene schl,
Nhd. schm, sehn, schw, ebenso wie über die nhd. Aus-
sprache von sp und st, die bereits im späten Mhd.
auftritt, ist in § 14, S. 99 gesprochen worden.
Im Nhd. hat ebenso s nach r im Auslaut und auch
vielfach im Inlaut ebenfalls die Aussprache seh an-
genommen: mhd. ars =^ nhd. Arsch, birsen (s. §
17, S. 126) ^= birschen, (pürschen), burse =^ Bursche,
kirse = Kirsche, h^rsen - herrschen u. a. Ver-
einzelt ist nhd. Hirsch aus mhd. hirj ; Luther schreibt
noch Hirs, Hirß. Neu ist auch der Uebergang
des stimmlosen s zwischen stimmhaften Lauten in
stimmhaftes s im Nhd; wann dies geschah, lässt
sich nicht näher bestimmen, da die Lautbezeichnung
die gleiche blieb ; wir sprechen heute leise, Linse,
Amsel mit stimmhaftem s. Die norddeutsche Aus-
sprache verlangt dies stimmhafte s überhaupt im
Wandel.
— 189 —
Anlaut vor Vokalen: Saaty sehen, sicher , Sonne y
Stichen ; in Mittel- und Oberdeutschland ist noch die
alte stimmlose Aussprache erhalten.
Neben den erwähnten durchgreifenden Laut-
wandlungen sind noch zahlreiche vereinzelte Ver-
schiebungen vorgekommen, von denen wir hier nur
die wichtigsten hervorheben wollen.
Mhd. mb ist zu mm angeglichen: lamp, gen. Ver-
lambes = Lamm, Lammes, zimber = Zimmer, ^^f^^)^^
' * Laut-
umbe -— um,
Mhd. tw ist nhd. zu z^v verschoben (dialektisch
auch zu kw = qu): ge-twerc = Zwerg, twerch --=■
Zwerchfell, woneben ^uer u. a.
Mhd. w is ausgefallen nach ü, ou und iu
=^ nhd. au und eu: mhd. fronwe = Frau, schouwen
■=^ schauen, niuwe = neu, büwen ^= bauen. Zu u
ist es geworden nach ä : bräwe = Braue, blä, gen.
bläwes = blau u. s. w.
Mhd. auslautendes m ist zu n geworden:
bodem = Boden, buosem = Busen, vadem =
Faden, be^em(e) = Besen. Diese Entwicklung ent-
spricht der gleichen in vor- und urgermanischer Zeit.
Mhd. t wird nicht selten unter mitteldeutschem
Einfluss zu d im Anlaut : tumb = dumm, tam —-
Damm, tuft = Duft, tihten = dichten u. a. Um-
gekehrt wird mhd. d zu t in einzelnen Fällen,
drum, pl. drüm^r = Trümmer, draben = traben,
hinder = hinter und im Praeteritum der schwachen
Verben nach m und n : mhd. diende =^ diente, in-
folge des Systemzwangs.
Im Auslaut ist im Nhd. öfters ein t (d) an-
getreten; iergen =^ irgend, wilen == weiland, ackes
= Axt, palas = Palast, obej = Obst, ieze = jetzt
u. a. Anderseits ist das mhd. t der 3. Person
— igo —
Pluralis des Präsens : gebent ^= sie geben durch
Anlehnung an die übrigen Formen der 3. Personen:
gäben, gaeben und i. Person: wir geben verloren
gegangen.
Noch viele andere vereinzelte Lautwandlungen,
die sich hier nicht aufzählen lassen, zeigen ausser den
schon erwähnten, dass die nhd. Schriftspraclie ihren
Ursprung aus verschiedenartigen Mundarten nicht
verleugnen kann. Wenn der Vokalismus wesent-
lich mitteldeutsch ist, so beruht das Konsonanten-
system des Nhd. auf der oberdeutschen Lautgebung,
neben der sich indes mitteldeutscher Einfluss sehr
merklich macht. Man kann aber sagen, dass dieser
letztere seit Luthers Tagen eher ab- als zuge-
nommen hat. Heutzutage steht unsere Schrift-
sprache, entsprechend dem im Norden liegenden
politischen Schwerpunkt Deutschlands, zumeist unter
norddeutschem Einfluss in niederdeutscher Um-
gebung. Nicht nur dringt die norddeutsche Aus-
sprache immer weiter nach Süddeutschland vor,
sondern auch die niederdeutsche Lautgestaltung
macht ihre Einwirkung geltend : sachte (neben sanff)
eckt, Nichte, Schlucht weisen cht statt oberdeutschem
ft (vgl, Ni/tel, Schlu/t); kneipen, fett (ohexd. feist),
Wappen (oberd. Waffen), ruppig, Harke zeigen mit
unverschobenem p, t, k nach Niederdeutschland.
Der Schwerpunkt unserer sprachlichen Entwicklung,
der im Mittelalter im Süden, im 16., 17. und 18.
Jahrhundert in Mitteldeutschland lag, ist im 19.
Jahrhundert nach Norddeutschland gerückt, wo die
Reichshauptstadt Berlin nicht nur in der literarischen,
sondern auch in der sprachlichen Entwicklung ton-
angebend ist und es in der nächsten Zeit voraus-
sichtlich in noch stärkerem Masse als bisher sein
— 191 —
wird. Zum Unterschied von früheren Jahrhunderten
drängt die Entwicklung der Sprache nicht nur zur
Einheitlichkeit im schriftlichen, sondern auch im
mündlichen Gebrauch unter dem Einfluss des er-
heblich gesteigerten Verkehrs und Bevölkerungs-
austausches zwischen den verschiedenen. Teilen des
geeinten Reiches.
§ 26.
Deklination und Konjugation im Neuhoch-
deutschen.
Wenn schon im Mhd. die urgermanischen, im
Ahd. noch teilweise erhaltenen Deklinationsklassen
sehr zusammengeschmolzen sind, so ist im Nhd.
durch den Abfall vieler Nomimativ-e, durch die
Ausdehnung des Umlautes u. s. w. eine noch weiter-
gehende Vermischung und Zerstörung der alten Zerfall der
Deklinationstypen eingetreten. Wir unterscheiden Deklina-
heute nur noch zwei Deklinationsklassen : starke und u| "^'
schwache Deklination, und bei den weiblichen
Hauptwörtern gilt der Unterschied sogar nur für die
Mehrzahl, die Einzahl ist gänzlich endungslos. Die
schwache Deklination ist in der Einzahl überhaupt
nur noch bei männlichen Hauptwörtern erhalten;
die drei Neutra Auge, Ohr, Herz, die im Mhd. auch
im Singular schwach gebeugt wurden, sind jetzt in
der Einzahl in die starke Deklination übergetreten,
in der Mehrzahl flektieren sie schwach; so ent-
steht eine sog. gemischte Deklinationsklasse im Nhd.
Die männlichen Hauptwörter der starken Dekli- Plural-
nation haben den Umlaut in grösserem Umfang als ^j'^V"? -^'^^
• n/ri j -n.i :• j -Ä/r 1 11 Maskulina.
im Mhd. zur Bildung der Mehrzahl angenommen:
mhd. hove = Höfe, koche =r Köche, frosche =
— 19^ —
Frösche ^ wolve == Wölfe u. s. w. Selten ist der
Fall eingetreten, dass der mhd. Umlaut im Nhd,
aufgegeben wurde; mhd. lahs, pl. lehse = Lacks ^
Lachse. Die Pluralendung -er, die im Mhd. nur
den sächlichen Hauptwörtern zukommt,, greift im
Nhd. auch auf die Maskulina über: mhd. geiste =
Geister, libe =' Leiber y würme = Würmer^ gote =
Götter y man, manne = Männer y walde, weide = Wälder
Uebertritt u. a. Zahlreiche Maskulina, die im Mhd. im Nom.
von der Sing, auf -e endigten und schwach dekliniert wurden
schwachen (garte, garten u. s. w.), enden im Nhd. auf en und
Deklina- ^^^^ ^" ^*® Starke Deklination übergetreten. Den
tion Plural bilden sie vielfach mit Umlaut: lühd. garte,
garten = Garteny Gartens, Gärten^ ebenso grabe
= Graben, lade = Laden, bo^e == Bogen u. a. ;
ohne Umlaut balke = Balkeny balle = Ballen,
brunne = Brunnen u. s. w.
Unter Verlust des Nominativ -e sind im Nhd.
in die starke Deklination übergetreten; hane,
hanen = Hahny Hähne (daneben Hahnen)y herzöge,
herzogen = Herzogy Herzögey Sterne, Sternen =
Stern y Sterne y mäne, mänen = Mond, Monde u. a.
und Umgekehrt sind aber inanche mhd. starke Substan«»
unngekehrt. tive im Nhd. in die schwache Deklination überge-
treten : helt, gen. beides = Heldy Helden^ beiden,
gen. heidens = HeidCy Heiden, raben, gen. rabens
= Rabe, Raben u. a.
Verlust des Die alten ja-(w)Stämme (s. § 15, S. 108), die
W*t^"d ^^^"^ männlichen und sächlichen Geschlecht im
* Mhd. noch am -e des Nom. Sing, kenntlich sind,
haben im Nhd. das unbetonte -e nach nebentoniger
Silbe verloren, wie die zahlreichen Hauptwörter
auf -aere = nhd. -er: scribaere = Schreiber^
oder durch Anschluss an endungslose Substantive:
— 193 —
sige = Sieg, mete = Met, bette = Bett, kinne
= Kinn u. s. w., oder sie nehmen statt dessen die
Endung -en an: weize = Weizen, rücke = Rücken,
fride = Frieden, schate = Schatten] nur wenige
sind unverändert erhalten: kaese = KäsCj ende
= Ende u. a.
Bei den sächUchen Hauptwörtern hat im Nhd. Plural-
die Piuralendung -er, die schon im Mhd. weitere ^i><l«ng der
Ausdehnung gewonnen hatte, ihr Gebiet noch be- N^"*^*-
trächtlich vergrössert: diu kint = die Kinde r^ diu
kleit = die Kleider u. s. w. Unbekannt ist auch
dem Mhd. die nhd. Pluralbildung auf -e bei den
Neutra: diu wort = die Worte, diu schif = die
Schiffe, diu ding =: die Dinge u. s. w. Der
endungslose mhd. Plural ist im Nhd. noch ver-
einzelt erhalten; so „die Fass^^ = die Fässer in
der Böttchersprache, oder bei Massbezeichnungen:
3 Pfund, 5 Mass (Bier), lo Stück, während die
üblichen Plurale : Pfunde, Masse, Stücke sind.
Das Mhd. unterschied bei den weiblichen Haupt-
wörtern die starke ä-Dekl. von der i-Dekl., auch
noch in der Einzahl. Im Nhd. sind die Substantive
der ä-Deklination im Plural in die schwache
Deklination übergetreten ; der Singular ist, wie
schon gesagt, bei allen Femininen endungslos. Es
-entspricht sich mhd. diu 6re, plur. die 6re und nhd. Plural-
die Ehre, Ehren, diu rede, plur. die rede und die bildung der
Rede, Reden u. s. w. Bei vielen Femininen ist im ^«™i""^*-
Singular das auslautende e abgefallen: mhd. schiure
= Scheuer, huote =^ Hut^ schäme = Scham u. s. w.
Den Femininen der i-Deklination kam ursprüng-
lich der Umlaut im Plural zu : kraft, krefte = Kraft,
Kräfte, doch sind viele von ihnen im Nhd. in die
ä- Klasse übergetreten, bilden also ihren Plural
Feilt, Die deuttohe Sprache. 13
194 —
schwach: mhd. arbeit, arbeite = Arbeit, Arbeiten,
tat, täte = Taty Taten u. s. w. Alle Feminina
iauf -heit, -keit, -Schaft werden im Mhd. im Plural
stark, im Nhd. dagegen schwach abgewandelt:
eigenschaft, eigenschafte =r Eigenschaft, Eigen-
schaften. Manchmal sind auch die umgelauteten
Formen des Gen. und Dat. Sing, im Nhd. in den
Nominativ eingedrungen : mhd. ante, ente = nhd.
Ente, Enten i bluot, bluete = Blüte, Blüten u. s. w.
Die schwache Deklination der Feminina ist im
Nhd. durch die Endungslosigkeit des Singulars mit
der -Deklination zusammengefallen: bluome, bluomen
Blume, Blumen, sunne, sunnen = Sonne, Sonnen
u. V. a.
Wechsel Nicht immer entspricht das nhd. Geschlecht
des Ge- der Hauptwörter dem mhd, Geschlecht. Starke
schlechts. ]y[askulina sind ins Neutrum übergetreten : mhd.
der lop = nhd. das Lob, häufiger ins Femininum,
meist nach mitteldeutschem Gebrauch : mhd. der
list, luft, angest, lust, wäc = nhd. die List, Luft,
Angst, Lust, Woge u. v. a. Starke Neutra sind im
Nhd. ins Maskulinum übergegangen: mhd. daz gou
(göu), getwerc, honec, tranc = nhd. der Gau,
Zwerg, Honig, Trank, nicht selten auch ins Femininum :
daz maere, wäfen, äher, zit = die Mähre, Waff^e,
Aehre, Zeit u. s. w. Manche schwach deklinierten
Hauptwörter schwanken zwischen Mask. und Fem.'
im Mhd., sind aber im Nhd. Feminina geworden:
mhd. der, diu bluome = die Blume) andere, die
im Mhd. nur männlich gebraucht wurden, sind eben-
falls im Nhd. ins Femininum übergetreten : der
backe == die Backe (dial. der Backen'), der karre
= die Karre (dial. der Karren)^ der vane = die
Fahne u. s. w.
-195 —
wort.
Das
Adverb.
Die Entwicklung des Eigenschaftsworts weist Das Eigen
wenig Bemerkenswertes auf: im allgemeinen ist, schafts-
abgeseheh von lautlichen Veränderungen (blindej
r= ^/inäes, blindivi = blinde), der mhd. Zustand
erhalten geblieben; nur der Akk. Sing. Fem. endigt
nicht mehr auf -en beim schwach flektierten Eigen-
schaftswort, sondern auf e: die blinden vrouwe =
die blinde Frau.
Das ohne Umlaut vom Adjektiv gebildete
Adverb auf -e ist im Nhd. bis auf erstarrte Reste
ausgestorben : lange zu lang (mit erhaltener Endung)
schon = mhd. scöne, Adverb zu scoene = schön ^
fast = mhd. vaste, Adverb zu veste = fest; bald,
kaiinty sehr u. a. sind auch alte Adverbien, denen
in der heutigen Sprache kein Adjektiv mehr zur
Seite steht.
Selbst die erst im Mhd. zu grösserer Ver-
breitung gelangte Bildung auf -liehe = lieh ist im
Nhd. bei Adverbien nur noch in vereinzelten Fällen
erhalten : klärlich, weislich, freilich^ höchlich u. a.
Im allgemeinen ist das Adverb im Nhd. in der
Form nicht mehr vom Adjektiv unterschieden, auch
nicht mehr im Komparativ und Superlativ, wo es
im Mild, noch an dem fehlenden Umlaut kenntlich
war : höhe — höher höhest — hoch, höher, höchst.
Beim Fürwort kennt das Nhd. auch nur ver-
einzelt neue Formen. Die Genitive min, din, sin
des persönlichen Fürworts haben neben den laut-
gesetzlichen Entsprechungen mein, dein, sein auch
längere Formen meiner, deiner, seiner angenommen;
der Dat. Plur. der 2. Pers. iu ist zu Gunsten des
Acc. iuh = euch aufgegeben worden. Die mhd.
Nom. dirre (m.), ditz(e) (n), neben denen schon
dis6r, dij vorkommen, schwinden im Nhd.
13*
Das
Förwort.
f
— 196 —
Das Beim Zahlwort ist der Unterschied der Ge-
Zahlwort, «schlechter in mhd. zw6ne, zwo, -zwei = zwei, dri
(drie), driu ^^ drei im Nhd. geschwunden (in
Dialekten lebt er indes noch fort), einlif, eilf ist zu
elf verkürzt.
Aus dem Vorhergehenden ist ersichtlich, dass
die Veränderungen des Nhd. gegenüber dem Mhd.
beim Nomen (Substantiv^ Adjektiv, Fürwort) nicht
erheblich sind und zumeist nur die Weiterent-
wicklung der schon in der älteren Sprache nach-
weisbaren Tendenzen sind.
£)as Anders bei der Konjugation des Zeitworts.
Zeitwort. Hier ist das im Mhd. noch fest gefügte System der
altüberkommenen Konjugationsformen im Nhd. durch
Formenausgleich beim starken Zeitwort ganz wesent-
lich umgestaltet und vereinfacht worden.
Die Zunächst die Endungen. Schon das Mhd. kann
Endungen, keinen grossen Reichtum daran aufweisen; im Nhd.
ist ihr Bestand noch mehr zusammengeschmolzen.
Verloren ist die Endung -ent der 3. Plur. Praes.
sie nement = sie nehmetl' Die 2. Sing. Praet. der
starken Verben hatte die Endung -e (aus älterem i)
mhd. du naeme; das Nhd. setzt dafür die Endung
des Präsens = st: du nahmst» Doch diese Ver-
luste hätten das Gesamtbild der Konjugation weniger
beeinträchtigt als der Ausgleich, den das Nhd. im
Ausgleich Praeteritum der starken Zeitwörter vorgenommen
im Präteri- hat, indem die Form des Plurals auch in den
tum der Singular oder umgekehrt eindringt. Es hiess also
Verba. T^^^' ich stige — ich steic — wir stigen — ge-
stigen, nhd. dagegen ich steige — ich stieg (statt
lautgesetzlichem ich steig) — wir stiegen, — ge-
stiegen, mit Verlängerung des mhd. \; mhd. snide
— sneit — sniten — gesniten wird schneide — schnitt
J
— 197 —
— schnitten — geschnitten (mit Erhaltung des
kurzen i); oder mhd. biegen — ich biuge — ich
bouc — wir bugen — gebogen wird nhd. biegen
— ich biege — ich bog — (statt baug) — wir
bogen (o für u nach § 24, S. 182) — gebogen]
mit anderem Ausgleich: mhd. binden — bant —
bunden — gebunden = binden — band — banden
— gebunden u. s. w. Nur ein Zeitwort hat die
Form des Singulars neben der des Plurals erhalten,
und nur die letztere auf das ganze Praeteritum aus-
gedehnt: werden — ich ward, wurde, — wir
wurden — geworden. Im Präsensstamm ist bei den
Verben mit mhd. iu = nhd. ü der Brechungs-
vokal ie des Plurals mit Ausnahme von lügen, küren
und trügen auch im Singular durchgeführt Bei
den Verben mit dem Stammvokal e ist dieser auch
in die i. Pers. Einz. Praesentis gedrungen, also:
ich gebe = mhd. ich gibe, aber du gibst, er gibt.
Die Ablautsklassen stellen sich im Nhd. also
folgendermassen dar (vgl. für das Mhd. § 1 5, S. 1 1 3 f) :
I. I . geben — gab — gaben — gegeben
2. nehmen — nahm — nahmen — genommen
3. binden — band — banden — gebunden
4. werfen — warf — warfen — geworfen
II. la. greifen — griff — griffen - gegriffen
ib. bleiben — blieb — blieben — geblieben
2a. bieten — bot — boten — geboten
2b. lügen — log — logen — gelogen
III. fahren — fuhr — fuhren — gefahren
halten — hielt — hielten — gehalten
laufen — lief — liefen — gelaufen
Eine weitere Vereinfachung erlitt das Konjuga- ^^'^..^^u™"
tionsschema dadurch, dass der im Mhd. noch wechf*»'
IV.
— 198 —
lebendige sog. grammatische Wechsel {s. § 8, S. 54)
bis auf wenige Reste beseitigt und der auslautende
Konsonant entweder des Präsens- oder des Perfekt-
stammes durchgeführt worden ist.
So hiess es im Mhd. noch: dihe — d^ch —
digen — gedigen, im Nhd. %^^deihen, 'diehy
'diehen (daneben das isolierte Adjektiv gediegen)^
kiuse — kös — kum — gekorn --^ nhd. küre —
kor — gekoren) hähen — hienc — hiengen —
gehangen = nhd. hangen — hing — gehangen,
(der Konsonant im Stammauslaut des Praet. ist
ins Praes. gedrungen), Ueberreste des gram-
matischen Wechsels im Nhd. sind : ziehen — zog
- gezogen) leiden {schneiden) — //// (schnitt) —
gelitten {^schnitten)) sieden — sott — gesotten.
Die Das Nhd. kennt nur noch eine schwache Kon-
schwache jugation, während das Mhd. noch die Nach-
. ^"" Wirkungen der ahd. e und d -Konjugation in dem
sog. Rückumlaut aufweist (§ 15, S. 1 14), der im Nhd.
bis auf einige Reste getilgt ist. Dem mhd. hoeren —
hörte — gehoeret entspricht nhd. gleichförmiges
hören — hörte — gehört. Vier Zeitwörter: brennen,
kennen, nennen, rennen haben in den Formen
brannte, kannte, nannte, ranrtte den Rückumlaut
bis heute erhalten; ebenso die schon im Ur-
germanischen bindevokallosen Präterita : brachte von
bringen, dachte von denken und deuchte von dünken
nebst den entsprechenden Mittelwörtern gebracht,
gedacht, gedeucht (neben gedünkt).
Der Binde- Wenn das Mhd. zwischen lobete oder sagete
p^^r' > ^"" ^^^ Bindevokal) und hörte oder suochte (ohne
Bindevokal) unterschied, so hat das Nhd. verein-
heitlicht: lobte, sagte, hörte und suchte sind alle
bindevokallos. Dagegen setzt es den Bindevokal
. - 199 —
e der Deutlichkeit wegen nach d und t, wo ihn / ;
das Mhd. nicht kennt: redte, rette = redete.-
Die Grenzen zwischen starker und schwacher Ver-
Koniugation beginnen sich im Nhd. vielfach zu ™*schung
•'. , , f A . . . von starker
verwischen: mhd. nigen — neic — nigen — genigen u^^j
wird nhd. schwach: neigen, neigte, geneigt, bannen schwacher
- bien — ^ gebant = bannen, bannte, gebannt, ebenso ^ Kon-
spannen — spien — gespant -— spannen, spannte, J"6**^^"
gespannt u. a. m. Anderseits sind einige mhd. ,
schwache Verben im Nhd. stark geworden : preisen,
schweigen, weisen, Praeteritum : pries, schwieg, wies»
Die Keime zu dieser Entwicklung finden sich schon
im Mhd. und die nhd. Dialekte sind darin noch
viel weiter gegangen.
§ 27.
Die neuhochdeutsche Rechtschreibung.
Als man im 8. Jahrhundert anfing, althoch-
deutsche Wortformen schriftlich aufzuzeichnen, da
bediente man sich zu diesem Zwecke nicht mehr
des einheimischen Runenalphabets (s. § 3, S. 18),
sondern ausschliesslich des lateinischen Alphabets.
Das alte Wort für „schreiben" writan, engl, write
(vgl. reissen = zeichnen in Reisshx^XX, Grundr/j^)
wurde nun verdrängt durch das lat. Lehnwort
scribere = ahd. scriban = nhd. schreiben. Das
lateinische Alphabet hatte zwar für manche deutsche
Laute wie (engl.) th oder w, fem er für die ver-
schobenen Affrikaten pf, tz, kch, auch für die durch
Umlaut getrübten Vokale keine entsprechenden
Zeichen, aber es konnte doch mit leichten An-
passungen dem gewollten Zwecke dienstbar gemacht
werden. Natürlich wurden mit der Uebernahme
— 200 —
des lateinischen Alphabets auch dessen Un Voll-
kommenheiten übernommen : so dient e und o
ohne Unterschied zur Bezeichnung des offenen und
des geschlossenen Vokals ; ein und derselbe Buch-
stabe dient zur Wiedergabe verschiedener Laute :
wie lat. c bald k, bald ts gesprochen wurde, so
dient im Ahd. und Mhd. z fär zwei ganz ver-
schiedene Laute, für die Aifrikata in zaln = nhd.
zahlen und einen s-artigen Laut in e^jen = nhd.
essen.
Wenn also schon in alter Zeit die schriftliche
Wiedergabe des gesprochenen Worts eine unvoll-
kommene war — und es wie in allen Sprachen so-
gar sein musste, da es für die landläufige Schreib-
weise unmöglich ist, die zahllosen feinen Ab-
tönungen der Laute einer Rede wiederzugeben —
so hat sich diese Unvollkommenheit im Laufe der
Zeit noch gesteigert. Denn die Sprache ändert
sich von einem Geschlecht zum andern, aber das
geschriebene Zeichen bleibt und entspricht end-
lich nicht mehr dem gesprochenen Laut. So schrieb
Schrift und und sprach man in ahd. Zeit s-1, s-m, s-n, s-t, s-p;
^^\ in inhd. Zeit schon und heute noch spricht man
sprac e. ^^^ sohl, schm, schn, seht, schp ; teilweise hat
sich die Schreibung der Aussprache angepasst,
teilweise aber — bei st und sp — ist erstere auf
dem alten Standpunkt stehen geblieben. Es kann
auch der Fall eintreten, dass zwei ursprünglich
verschiedene Laute in einen zusammenfallen, die
Schreibung aber beide bewahrt, wie mhd. und nhd.
V und f in Vater und Faden oder nhd. ei und ai,
die beide ai (eig. ae) gesprochen werden in Heide
und Haide. Anderseits dient ein und dasselbe
Zeichen für verschiedene Laute : ch in Dach und
— 20I —
michy g in gross und wenig (nach der gewöhnlichen
Aussprache der Mitteldeutschen) sind nicht identisch,
ch in sechs lautet wie k, g in Tag je nach der
Aussprache wie k oder ch.
Endlich ist noch ein Umstand zu erwähnen,
der einer lautrichtigen Wiedergabe des gesprochenen
Worts schon in alter Zeit entgegenwirkte: das
Streben, etymologisch gleiche Wörter auch in gleicher
oder wenigstens möglichst ähnlicher Gestalt auf- Etymolo-
treten zu lassen ; so schreiben wir alt — (ilter^ P'^h^
weil wir den Zusammenhang fühlen und in der
Schrift deutlich machen wollen, sprechen aber die
altern genau so wie das ursprünglich identische die
Elterny bei dem wir an die Herkunft nicht mehr
denken. Wir schreiben er fährte weil wir wissen,
dass es zu fahren gehört, ^^x fertig y bei dem die
Zugehörigkeit zu diesem Zeitwort uns nicht mehr
zum Bewusstsein kommt.
Nur in einzelnen Fällen bringt die Schrift Länge Unvoll -
oder Kürze der Vokale zum Ausdruck; ganz un- kommen-
möglich ist es ihr, die wechselnde Tonhöhe der- gchrift-
selben wiederzugeben, die das Tempo der Rede bilds.
oder die Stimmung und Absicht des Sprechenden
so verschiedenartig gestalten. Die Rechtschreibung
ist also naturgemäss von vornherein unvollkommen;
sie wird es noch mehr dadurch, dass sie oft mit
der Weiterentwicklung der Sprache nicht Schritt
hält; endlich hat die Willkür der Schreiber und
die Mode nicht wenig zur Verunstaltung unserer
Orthographie beigetragen. Veralteter
Unsere heutige Rechtschreibung beruht im Lautstand
wesentlichen auf dem Lautstand zur Zeit der Ein- der
führung der Buchdruckerkunst, um die Wende des heutigen
Mittelalters und der Neuzeit. Damals aber wurde ^'^^^?"
grapnie.
ftoch vielfach anders gesprochen wie heute, auch
waren noch manche ältere Schreibungen beibehalten
Worden, die schon zu jener Zeit nicht mehr be-
rechtigt waren. 5o kommt es, dass unsere
Orthographie mit einer Menge heute überflüssiger
Zeichen wirtschaftet, von denen zwar manche durch
die Neugestaltungen der letzten Jahrzehnte abge-
stossen wurden, wie das ganz unnötige 1:^ nach t,
Ver- aber die Mehrzahl ist doch geblieben. In fü/,
stummen schlief wurde das e früher gesprochen; die
der V^"- Schreibung hält es noch heute fest, obwohl es nicht
bindungie. ^^^^ hörbar ist und das i genau so lautet^ wie in
mir^ iget u. a. Das h in Ohm =. Oheim lautet
V^^" nicht mehr, ebensowenig wie das h in Bühl ==::
des'h"^" mhd. bühel oder sehen = mhd. sehen, wo es
Inlaut, früher gesprochen wurde. Da aber in diesen
beiden Fällen infolge des Verstummens von e oder
h Längung des vorhergehenden Vokals erfolgt, so
haben die Zeichen e nach i und h nach Vokalen
den Charakter einer Längebezeichnung angenommen
und werden nunmehr in Wörtern geschrieben, wo
sie etmymologisch keine Berechtigung haben: viely
schrieb y sieh (mit doppelter Längebezeichnung!),
mahlen, fahren^ wählen, wohnen, ehren, Sühne u. s. w.
Daneben aber unterlassen wir die Bezeichnung der
Länge in Abend, lesen, dir; tot, Hut ü. a.
Kon- Eine weitere Quelle für die Verderbnis unserer
sonanten- Rechtschreibung ist die im 15. Jahrhundert auf-
^^?'" tretendeSucht, die Konsonanten durch Verdoppelung
Ppe ung. ^^^ häufen. Doppelte Konsonanten finden wir schon
im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen, wie
im § 25, S. 186 folg. ausgeführt wurde, wo auch
die Entstehung zahlreicher nhd. Doppelkonsonanten
zur Bezeichnung der Vokalkürze erläutert wurde:
Bann = mhd. bän(e), Donner = mhd. t)t\et^
Stimme =^ stime u. s. w. Hier hat also der doppelte
Konsonant einen Zweck; aber was soll er in .
Schreibungen des 15. Jahrhunderts wie Opffer^ Herta j
(tz = tts), Schandt^ geschenckt (ck = kk), Heltffers*' '
hellffery Czeytten (Zeiten) und vielen andern? So«
gar dreifache Schreibung finden wir in den Laut^
bezeichnungen gck, ssz, die sich noch in Kaiser
Maximilians Kanzlei finden, obwohl dessen Kanzler
Niclaus Ziegler das Bestreben hat, überflüssige
Konsonantenhäufungen zu vermeiden. Aber noch im
1 7 .Jahrhundert begegnen wir zahllosen Doppelungen :
unndy ctuffy Kopff, Graffy gantZy Brodty Volck u. s. w.,
bei denen wir die besondere Vorliebe für die Ver-
doppelung des n, f, k, t, z bemerken, von der wir
uns heute noch nicht ganz freigemacht haben. Tafel
IX (verkleinerte Wiedergabe eines Druckes des
'17. Jahrhunderts) bietet uns zahlreiche Beispiele
für die erwähnten Doppelsclireibungen von Kon-
sonanten. Wohl haben wir die meisten überflüssigen
Doppelkonsonanten wieder ausgemerzt, aber nicht
wenige sind doch erhalten geblieben, die weder
etymologisch noch phonetisch irgend welche Berech-
tigung haben; verwandt, bedeckt, Schatz, öffnen (mit
Anlehnung an offen) u. s. w.
Zur mittelhochdeutschen Zeit stand es weit
besser um die Rechtschreibung; damals war sie
phonetisch d. h. lautrichtig. Natürlich war sie nie
so einfach und konsequent, wie wir sie in unsern
normalisierten Klassikerausgaben sehen, aber das
Bestreben der Schreiber ging doch dahin, ihrer Aus-
sprache gemäss auch zu schreiben, und die Bunt-
heit der Schriftbilder in der spätmhd. Zeit ent-
spricht der Mannigfaltigkeit der dialektischen Aus-
204 —
Recht-
schreibung
und Buch-
drucker-
kunst.
Jakob
Grimms
Stand-
punkt.
Sprache. Die Freiheit der Schreiber hatte aber
auch ihre Nachteile, die Orthographie geriet dadurch
in Verwirrung; man erinnerte sich zwar der alt-
überlieferten Schreibung, versuchte sie indes mit
der veränderten Aussprache in Einklang zu bringen.
Diese Versuche dauerten noch fort, als die Buch-
druckerkunst und die Ausbildung der Schrift-
sprache die Rechtschreibung für lange Zeit fest-
legten, indem die neuentstandene Gemeinsprache
die halb historische, halb phonetische Schreibung
übernahm, die zur Zeit ihrer Ausbildung bestand.
Natürlich blieb diese Rechtschreibung die Jahr-
hunderte hindurch nicht ganz dieselbe; Schrift-
steller und Grammatiker besserten Einzelnes an
ihr; die gröbsten Unarten, wie die Häufung der
Doppelkonsonanten, verschwanden im Laufe der
Zeit. Dafür traten andere Entstellungen auf, z. B.
die Schreibung y für i in dem Diphthong ei (ai)',
die noch zu Anfang des 19. Jahrhundert sehr be-
liebt war. Damals schrieb man: seyn^ May u. s. w.
und noch heute erinnern viele Eigennamen an diese
Mode : Bayern neben Baierfty Rheydty Mayen (Städte
in der Rheinprovinz), Speyer , Heyne neben Heine
(Familiennamen). Alle Reformversuche, die man
an der Rechtschreibung vornahm, mussten so lange
im Dunklen tappen, bis der Aufschwung der
deutschen Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert
ihnen einen festen Boden gab. Aber selbst ihr
Begründer Jakob Grimm nahm noch einen ganz
eigentümlichen Standpunkt in der Frage der
deutschen Rechtschreibung ein. Da er, wie fast
alle Sprachforscher jener Zeit, die Ansicht vertrat,
die jüngere Entwicklung der Sprache stelle eine
Entartung dar, so musste er notgedrungen die
. — 205 —
älteren Formen und Schreibungen für besser und
richtiger halten. Er wollte geradezu zu dem mittel-
hochdeutschen Brauch zurückkehren und schuf sich
eine eigene Orthographie. Er schrieb vil, disery
Lzechi (für Licht), würkeriy LeffeU erleschen u. s. w.
Merkwürdigerweise ist dieser Standpunkt noch nicht
gänzlich überwunden; so schreibt z. B. die Zeit-
schrift für deutsches Altertum manche Wörter noch
in Grimms Weise.
Ebenso wie Grimm über das Ziel einer ver- Phone-
nünftigen Reform der Rechtschreibung hinausschoss, tische
tun es die Gelehrten, die eine streng phonetische ^^^^®^*^""6
Rechtschreibung einführen wollen. Es ist dies ein
Phantom, das nie zu erreichen ist. Denn die Aus-
sprache ist nichts Starres, sie verändert sich von Ge-
schlecht zu Geschlecht ; wie unsere Väter sprachen,
sprechen wir nicht mehr und unsere Kinder werden
wieder anders sprechen. Wenn also auch eine
phonetisch^ Schreibung möglich wäre, so müsste sie
sich im Laufe der Jahrhunderte doch wieder von
der lebendigen Aussprache entfernen und würde
damit wieder veraltet, historisch werden.
Darum ist auch bei der Rechtschreibung der
goldene Mittelweg der beste. Achtung vor dem
geschichtlich Gewordenen und Anpassung an die
Bedürfnisse unserer Zeit muss die Losung sein.
Die Neuregelung der Rechtschreibung für preussische ^ Neu-
Schulen durch Minister Puttkammer im Jahre 1880 '^gelung
und deren nochmalige Verbesserung für das deutsche schreibune
Reich, die Schweiz und Oesterreich im Jahre 1901 i88o und
bezeichnen Etappen auf diesem Wege, als eine 1901
abschliessende Regelung können sie indes nicht
betrachtet werden. Wenn wir uns auch den
Franzosen und Engländern gegenüber in weit
— 206 —
günstigerer Lage befinden, so steht doch unsere
Rechtschreibung an leichter Erlernbarkeit der
italienischen z. B. weit nach. Noch schleppen wir
zahllose Dehnungs-e und h mit; ja die ersteren
sind noch überflüssigerweise in den Zeitwörtern
auf -ieren dem historischen Prinzip zulieb wieder
eingeführt worden. Noch schreiben wir unnötiger-
weise die Hauptwörter mit grossen Anfangsbuch-
staben, wovon unsere germanischen Stammesbrüder,
die Dänen, Schweden und Holländer im vorigen
Jahrhundert wieder abgegangen sind. Noch ver-
Gotische wenden wir die sog. gotische Schrift, eine Schnörkel-
Schrift. Schrift des Mittelalters, anstatt der lateinischen
Schrift, die alle andern europäischen Völker längst
oder neuerdings wieder eingeführt haben. Denn
die sog. deutsche Schrift kam nicht den Deutschen
allein zu, sie war im Mittelalter allgemein ver-
breitet; sie ist nur ein Kennzeichen der deutschen
Sprache geworden durch unser hartnäckiges Ver-
harren auf einem veralteten und unzweckmässigen
Standpunkt.
Indes sind doch schon die Anfänge einer
Besserung zu spüren. Fast alle gelehrten Werke
werden heute in lateinischer Schrift gedruckt, die
sich auch in den Büchern mit kunstgeschichtlichem
oder künstlerischem Inhalt immer weiter ausbreitet,
überhaupt überall da, wo auf Verbreitung im Aus-
land gerechnet wird. So steht zu hoffen, dass in
nicht allzu ferner Zeit noch mancher Zopf in der
deutschen Rechtschreibung fallen wird, wozu ja
die neueste Regelung von 1901 mit ihrer freieren
Auffassung in zweifelhaften Fällen bereits einen ver-
heissungsvollen Anfang gemacht hat.
— 207 —
, § 28.
Die heutigen deutschen Mundarten
und die Schriftsprache.
Noch immer, wie schon in alter Zeit, zerfällt
das Gebiet der deutschen Sprache in zwei Haupt-
teile: hochdeutsches und niederdeutsches Ge-
biet. Ihre Grenzen und unterscheidenden Merk-
male haben wir schon im § 5, S. 28 erwähnt, wo
ebenfalls gesagt wurde, dass die niederdeutschen
Mundarten (Holländisch, Friesisch, Niedersächsisch)
ausserhalb des Kreises unserer Betrachtung fallen.
Demnach sprechen wir nur von den hochdeutschen Hoch-
Mundarten, die gleichfalls heute noch in die ober- deutsche
deutschen und mitteldeutschen zerfallen. Aller- ^^""^«»ten.
dings hat sich die Grenze des mitteldeutschen
Sprachgebiets nicht unwesentlich zu Ungunsten des
Niederdeutschen verschoben, und diese Vorwärts-
bewegung des Mitteldeutschen dauert immer noch
an. Städte wie Mansfeld, Eisleben, Merseburg,
Halle, Bernburg, Köthen, Dessau, Wittenberg fielen
früher ins niederdeutsche Gebiet; seitdem 14. bis i6.
Jahrhundert ging hier auch das Volk zur hoch-
deutschen Sprache über, die bei den Gebildeten
schon vorher im Gebrauch war.
Die Grenze zwischen Oberdeutsch und Mittel- Ober-
deutsch ist im § 5, S. 29 angegeben. In nhd. deutsch
Zeit ist ein unterscheidendes Kennzeichen des Ober- ""^ Mittel-
deutsch.
deutschen: die Bewahrung des diphthongischen
Charakters der mhd. Doppellaute ie, uo, üe : nhd.
tif (geschrieben tief) =~ alemannisch und bairisch
ti-ef, nhd. gut = alemannisch gu-et, bairisch gu-at,
nhd. Büblein = alemannisch ßü-eble, bairisch Bu-ab,
während das Mitteldeutsche die einfachen Vokale
208
i, u, ü des Schriftdeutschen schon seit mbd. Zeit
aufweist.
Im Konsonantismus lässt sich dagegen heutzu-
tage keine scharfe Scheidelinie zwischen Ober- und
Mitteldeutsch angeben, vielmehr finden fortlaufende
Uebergänge, meist Abstufungen in der mehr oder
minder weitgehenden Verschiebung der Konsonanten
statt. So verschiebt das Oberdeutsche anlautendes
germ. p konsequent zu pf wie das Schriftdeutsche:
engl, pipe = Pßif^y während das Mitteldeutsche
hier keinen einheitlichen Charakter aufweist: das
Ostmitteldeutsche und Ostfränkische machen die
Verschiebung mit, während der Westmitteldeutsche
(Rheinfränkische) den unverschobenen Konsonanten
besitzt: hochd. Pfeife = rheinfr. peif.
Ober- Das Oberdeutsche zerfiel in alter Zeit
deutsch, in die beiden Mundarten des Bairischen und
Alemannischen. Heute ist die Spaltung weiter
gegangen; vom Bairischen hat sich das Oester-
reichische, vom Alemannischen das Schwäbische
Bairisch- abgetrennt. Das Bairisch-Oesterreichische bildet
Oester- ein einheitlicheres Ganze als das Schwäbisch-
reichisch. Alemannische; in ihm treten zuerst die Diphthonge
ei(ai), au, eu für mhd. i, ü, iu (gespr. ü) auf, die
dann auch auf das Schwäbische übergreifen und
ihm das unterscheidende Merkmal gegenüber dera
Alemannischen aufdrücken. Die beiden Gruppen
des Bairisch-Oesterreichischen und Schwäbisch-
Alemannischen sind gekennzeichnet durch die
Bildung der Ortsnamen auf -ing (vgl. Straubing,
Freising) in ersterem Dialekt, auf -ingen (vgl.
Memmingeny Reutlingen^ Emmendingen) in letzterer
Mundart. Jene hat die Verkleinerungssilben -(e)l,
-erl: Leutl (= Leutchen), Fratzel (= Frätzchen),
2Ü9 —
Höserl (= Höschen), diese die Deminutivendiingen
-li, -le: Biiebli (Bübchen), Zweigte (Zweiglein).
Charakteristisch ist- ferner für das Bairische die
Bewahrung der alten Dualform der zweiten Person
des persönlichen Fürworts in pluralischem Gebrauch,
Nom. es, ös „ihr" (im Got. nicht belegt), Acc. enk
= got. igqis „euch", die dem Alemannischen fehlen ;
davon abgeleitet ist das besitzanzeigende Fürwort
enker = hochd. euer. Die Grenze zwischen den
beiden Mundarten des Bairischen und Schwäbisch-
Alemannischen läuft heute von der Quelle des
Inn zur Ammer und über den Ammersee zum Lech,
diesen - abwärts zur Donau und dann die Wömitz
aufwärts zur Grenze des Ober- und Mitteldeutschen.
Das Schwäbische trennt sich vom übrigen
Alemannischen dadurch, dass es die Diphthongierung
des mhd. i, ä und iu zu eiy au, eu mitgemacht hat,
während dieses auf dem mhd. Standpunkt beharrt;
also Schwab, bleibe = alem. blibe u. s. w. gleich
dem Hochdeutschen. In der Aussprache unter-
scheiden sich aber die heuen ei von den alten
wie in allen Dialekten, die nicht vom Schrift-
deutschen beeinflusst sind: Schwab. z£/ÄW^ = mhd.
wei^, aber Zweig (gespr. e-i) = mhd. Zwig. Das
Schwäbische wird gegen das Alemannische hin ab-
getrennt durch eine Linie, die von der Homis-
grinde an südlich zunächst der württembergisch-
badischen Grenze folgt, dann etwas nach Osten
davon abweichend ihr parallel läuft, bei Tuttlingen
nach Osten umbiegt und auf den Lech zu läuft.
Westlich und südlich von dieser Grenzlinie
erstreckt sich das eigentliche Alemannische, das
wieder in Niederalemannisch und Hochalemannisch
zerfallt. Das Niederalemannische erstreckt^, sich
Fei 8 , Die deutsche Sprache. I4
Schwä-
bisch.
Aleman-
nisch.
\
-^ 2IO —
Über den südlichen Teil der oberrheinischen Tief-
ebene und umfasst den grössten Teil des Elsasses,
Basel, auf der badischen Seite die Ortenau und den
nördlichen Teil des Breisgaus; das Hoch-
alemannische besteht aus . den Mundarten des süd-
lichen Breisgaus, des Hegaus, Vorarlbergs und
den verschiedenen Schweizer Mundarten. Das Merk-
mal des Hochalemannischen gegenüber dem
Niederalemannischen ist die Verschiebung des an-
lautenden germ. k zur Spirans ' eh (gesprochen
wie ch in ack): Schweiz. CkeiS = elsässisch KetS
(ein Schimpfwort, soviel etwa als Kerl), Chorn =
Mittel- Korn, Die mitteldeutschen Mundarten zerfallen
deutsch, in die alten westlichen und die neuen östlichen
Mundarten des Kolonisationsgebietes (vgL § 12,
S. 83 f.) ; die letzteren fasst man auch als Ostmittel-
Ostmittel- deutsch zusammen. Ihre Grenze gegen jene bildet
deutsch. ^|g obere Zwickauer Mulde, gegen das Nieder-
deutsche läuft sie über Kottbus, Grünberg zur
Oder oberhalb Züllichau ; im Süden bildet die
Reichsgrenze gegen Oesterreichisch-Schlesien auch
die Sprachgrenze, da in diesem nunmehr das öster-
reichische Oberdeutsch herrscht. Ausser den
Schlesisch- Schlesisch^Lausitzischen Mundarten umfasst das
Lausitzisch Ostmitteldeutsche noch die Erzgebirgisch-Nord-
^^^.' böhmischen Dialekte sowie mitteldeutsche Sprach-
^ * inseln in Posen und in Ostpreussen. Charakteristisch
für die ostmitteldeutschen Mundarten ist die Ver-
kleinerungssilbe -1, -le, -la : Mützl (erzgebirgisch),
Mtitterle (gemeinschlesisch \ Gartla (Gäxtchen),
Töchterla u. s. w. (schlesisch); ferner wird für an-
lautendes pf nur f gesetzt: Floster =r Pflaster.
Durch Gerhard Hauptmanns Dramen ist der
schlesische Dialekt auch weiteren Kreisen bekannt
211 —
geworden. Im Westen schliesst sich das oft er-
wähnte Obersächsische, auch Meissnische ge-
nannt, an, dem sich das Thüringische weiter
nach Westen angliedert. Die Verkleinerungs-
silbe ist hier überwiegend -chen. Die hochdeut-
schen Tenues und Medien (stimmlose und stimm-
hafte Verschlusslaute) fallen im Obersächsischen
zusammen und werden als schwach artikulirte
stimmlose Verschlusslaute gesprochen: Gind = Kindy
Droom =- Traum u. s. w. Für anlautendes pf steht
auch hier f : Fährd =^ Pferd. Die Grenze gegen das
Ost- und Rheinfränkische bildet der Thüringer-
wald; nach Osten greift das Obersächisch-Thü-
ringische über Gera nach Zwickau hin tief ins
Ostmitteldeutsche ein.
Das Ostfränkische dehnt sich zwischen dem
Thüringer Wald im Osten, der Rhön und dem
Spessart im Westen aus und sendet im Süden seine
Ausläufer bis in die Nähe des Neckars. Die Ver-
kleinerungssilbe ist hier -li: Liadli = Liedchen;
germ. p im Anlaut und pp ist durchweg zu pf ver-
schoben : Kotipf ^ Kopfy Öpfel = Äpfel,
An das Ostfränkische schliesst sich das weit
ausgedehnte Rheinfränkische an, das sich von dem
östlichen Lothringen an über die Rheinpfalz, das
nördliche Baden und Württemberg, die Nahegegend,
Hessen-Nassau und Oberhessen erstreckt. Von
manchen Forschem wird im Süden dieses Gebiets,
im nördlichen Elsass um Weissenburg und jenseits
des Rheins über den Neckar zum Main hin die
Mundart des Südfränkischen noch davon ab-
getrennt, die den Ueb ergang zum Alemannischen
büdet und an vielen Eigentümlichkeiten desselben
teilnimmt; die Verkleinerungssilbe -le, die Ver-
Ober-
sächsisch,
Thü-
ringisch.
Ost-
fränkisch.
Rheiu-
frankisch.
Süd-
fränkisch.
__ 212 —
Schiebung von pp tu pf im Inlaut u. a. Das Rhein-
fränkische selbst kennt nur die Verkleinerungssilbe
-chen: Kinner che = Kinderchen; p bleibt im An-
laut, pp im Inlaut unverschoben : Pund = Pfund^
Kopp -- Kopfy Appel = Apfel u. s. w; p im In-
und Auslaut ist dagegen zu f geworden: engl, up
= rheinfränk. uff = hochd. auf. Mit dein Ober-
deutschen teilt das Rheinfränkische die Eigentüm-
lichkeit, dass st und sp auch im Wortinnern zu
seht und schp werden abgesehen von den städti-
schen Mundarten) : bischt = bist, Dorscht = Durst,
Knoschpe = Knospe.
Im Norden des Rheinfränkischen bis zum Nieder-
fränkischen, das zum plattdeutschen Sprachgebiet
Mittel- gehört, erstreckt sich das Mittelfränkische (Mosel-
fränkisch, fränkische), für das als bezeichnendstes Merkmal das
unverschobene t in den Pronominalformen et = es,
dat =^ daSy wat ^^ was, alle t --=^ alles auffallt. In-
und auslautendes p bleibt unverschoben: up^ op
= hochdeutsch auf; das anlautende g wird in
einem grossen Teile dieses Gebietes als tönende
Spirans j gesprochen : Jon aus gön =^ mhd. gän.
„gehen". Die Pronominalform hä =^ hochd. er ist
identisch mit dem niederd. hei, engl. he. So leitet
der mittelfränkische Dialekt, von dem man noch
zuweilen als Untermundart das Ripuarische tim
Cöln abtrennt, in mannigfachen Abstufungen zum
Niederfränkischen hin, das ganz auf niederdeutschem
Standpunkt steht. Von den deutschen Sprach-
Sieben- i^seln ist die in Siebenbürgen die bedeutendste.
Obwohl die Bewohner sich als „Sachsen" be-
zeichnen, sind sie doch nach Ausweis ihrer Mund-
art moselfränkischen Ursprungs und bewahren die
lautlichen Eigentümlichkeiten dieses Dialekts.
— 213 ^
über allen diesen mannigfachen Mundarten
steht als gemeinsames Bindeglied die hochdeutsche
Schriftsprache. Nicht als ob sie überall ein un-
veränderliches, starres Wesen aufwiese, nein, von
Gegend zu Gegend zeigt sie sich von der Mund-
art in mehr oder minder hohem Grade beeinflusst.
Am wenigsten im schriftlichen Gebrauch, obwohl
hier selbst unsere grössten Dichter und Schrift-
steller nicht ganz unbeeinflusst von ihrer heimat-
lichen Mundart geblieben sind. Die Umgangs-
sprache aber, soweit sie hochdeutsch ist, wird in
hervorragendem Masse von der Mundart beeinflusst.
Vielfach abgestuft ist vom Hochgebirg bis zur See
der Tonfall beim Sprechen, vom rauhen Kehllaut
des Gebirgsbewohners. bis zur weichen Sprechweise
des Niederdeutschen. Auch im Wortschatz macht
sich die Einwirkung der Mundart geltend, am ge-
ringsten wohl da, wo der Abstand zwischen ihr
und der Schriftsprache am grössten ist, also etwa
im Hochalemannischen und im* ausgesprochen
niederdeutschen Gebiet; hier muss die Schrift-
sprache als etwas ganz Fremdes schulmässig er-
lernt werden und wird gewissermassen als neue
Sprache empfunden. Aber auf mitteldeutschem
Boden ist der Unterschied zwischen Mundart und
Schriftsprache zumeist nicht allzu gross, so dass
diese nur als eine bessere, feinere Art zu sprechen,
nicht als etwas Fernstehendes empfunden wird.
Daher ist hier die Einwirkung -des Dialekts auf die
Schriftsprache am meisten zu spüren; mundartliche
Wörter und Redensarten, Flexionsformen und syn-
taktische Eigentümlichkeiten dringen in die Um-
gangssprache ein. Die Redeweise der niederen
und der höheren Stände unterscheidet sich durch
Schrift-
sprache
und
Mundart.
— 214 —
den grösseren oder geringeren Grad der Beein-
flussung von Seiten der Mundart. Ein reines Hoch-
deutsch wird auch in der Umgangssprache der
besten Kreise kaum erreicht. Aber anderseits
übt infolge des geringen Abstandes die Schrift-
sprache auch auf die Mundart einen bedeutenden
Einfluss aus, besonders in den Städten, so dass
man die städtischen Dialekte schon an ihrer
grösseren Annähenjng an die Schriftsprache im
Verhältnis zur Mundart der umgebenden Land-
bezirke erkennt. Dieser Einfluss macht sich immer
mehr auch auf dem Lande geltend infolge des
allgemeinen Volksschulunterrichts, der Zeitungs-
lektüre und des erheblichen gesteigerten Verkehrs
zwischen Stadt und Land. So drohen viele alt-
überlieferte Eigenheiten der Mundart in Wortschatz
Altertum- und Flexion allmählich unterzugehen. Die Mund-
liche Reste arten selbst werden freilich nicht untergehen, —
Mundarten, ^^von sind wir ^ noch weit entfernt — und be-
wusste Tätigkeit von Gelehrten jind Schriftstellern
sucht sie sogar zu grösserem Leben zu erwecken
und zur literarischen Verwendung heranzuziehen.
Ehe sie dem unabwendbaren Untergang verfallen,
werden in unseren Tagen die altertümlichen Reste
in den Mundarten gesammelt. Das schweizerische
und das elsässische Idiotikon, das bairische Wörter-
buch von Schmeller, das kurhessische Idiotikon von
Vilmar u. a. bergen unendliche Schätze, die in
nicht allzu femer Zeit unwiederbringlich verloren
sein würden. Wir können hier nur wenige Beispiele
anführen, um zu zeigen, wieviel uraltes Sprachgut
in unseren Mundarten fortlebt, das in der Schrift-
sprache untergegangen ist: das alemannische Wort
anke (geschmolzene Butter), mhd. anke, ahd. anco
i
— 215 —
ist identisch mit lateinisch unguen-(tum) „Salbe",
indisch äjya „Opferbutter", altirisch imb „Butter",
und gehprt mit ihnen zur indogermanischen Wurzel
ang- „salben"; rbeinfränkisch döl „Kanal" ist ahd.
'dola, rhein fränkisch ebch ist mhd. ebech, ahd. abuh
„abgewendet, verkehrt**; mittelfränkisch deck ist
mhd. dicke, ahd. dicchi „häufig, oft" u. s. w.
Auch lateinische Lehnworte der ältesten Schicht
(s. § 2, S. 14), die in der Schriftsprache ausgestor-
ben sind, haben die Mundarten bewahrt: rhein-
fränkisch a dau „Kanal" = hessisch aduch
= schweizerisch akt aus lat. aquaeductus; rhein-
fränkisch kennel „Dachrinne" ■-- mhd. kenil, kenel
aus lat. canalis u. a. m. Im Rheinfränkischen ist
noch der Unterschied der drei Geschlechter bei
dem Zahlworte „zwei" bewahrt: zw^, zwo, zwA, der
in die indogermanische Zeit zurückgeht. |
Sind die Mundarten einerseits konservativ in
der Bewahrung alten Sprachguts, so sind sie an-
derenteils weniger ängstlich als die Schriftsprache
in der Aufnahme fremder Wörter, besonders in
den Grenzgebieten. Das Elsässische ist über-
schwemmt von französischen Ausdrücken, aber
auch das benachbarte Pfalzische bewahrt zahlreiche,
hier allerdings lautlich und oft volksetymologisch
umgestaltete französische Worte: Ko"schri = frz.
consent „Rekrut", salf6t = frz. serviette, hissje =
frz. huissier ,, Gerichtsvollzieher, gr6fije = frz. gref-
fier „Gerichtsschreiber", gruschele = frz. groseilles
„Stachelbeeren", e ko"drer = au contraire „im
Gegenteil" und viele andere.
In den ostdeutschen Mundarten finden wir
zahlreiche slavische Lehnworte : Robott = „Frohn-
V - 2l6 —
arbeit", Kretscham = „Schenke", doivre = „gut"
u. a. m.
Auch in der Wortbeugung gehen di^ Mund-
arten ihre eignen Wege. So sind in allen hoch-
deutschen Mundarten die Deklinationsformen des
Hauptwortes, ferner das Praeteritum des Indikativs
fast ganz geschwunden ; der Konjunktiv des Prae-
teritums hält sich etwas besser. Der Umlaut im
Indikativ des Praesens ist beseitigt: iclji fahre —
du fahrst — er fahrt u. s. w. Anderseits hat
der Umlaut sein Gebiet in der Pluraibildung des
Hauptworts noch weiter ausgedehnt: die Artn
(= Armejf die Krage (■= Kragen), die Däg {^
Tage) u. a. m.
Dagegen sind die Mundarten in der Erhaltung
des ursprünglichen Geschlechts vieler Hauptwörter-
konservativer als die Schriftspr-ache : alem. der
Butter^ der Backen^ der Karren u. s. w.
Das bunte, abwechslungsreiche Bild, das die
deutschen Mundarten uns bieten, ist für den Freund
der Volksart wie für den Sprachkenner zwar unter-
haltend und belehrend, und selbst die Sprach-
forschung schöpft reichen Gewinn aus der Er-
schliessung der in ihnen ruhenden sprachlichen
Schätze : aber das alles darf uns nicht über die Tat-
sache hinwegtäuschen, dass die so verschiedenen
und den nicht Einheimischen meist schwerverständ-
lichen Mundarten in unserer Zeit noch mehr wie
früher als störendes Hindernis der Annäherung
empfunden werden. Der Einheitssprache, der
Schriftsprache gehört eben im Zeitalter des riesig
anwachsenden Verkehrs, der Menschen aus allen
deutschen Sprachgebieten in fortwährende Berührung
bringt, unbestreitbar die Zukunft. Wie Deutschland,
— 217 —
Österreich und die Schweiz im Interesse des Ver-
kehrs die Ortszeit zu Gunsten der allgemeinen
mitteleuropäischen Zeit aufgegeben haben, so ^müssen
sie aus demselben Grunde von ihren örtlichen Be-
sonderheiten der Sprache absehen und sich der
allgemeinen Verkehrssprache, dem Hochdeutschen,
auch im mündlichen Gebrauch unterwerfen. Damit
ist nun nicht gesagt, dass ein Süddeutscher seine
angestammte Mundart verleugnen und sich zur
Nachäfferei der als mustergültig anerkannten nord-
deutschen Aussprache des Hochdeutschen her-
geben soll. Nein, die heimatlichQ Aussprache, der
Tonfall, selbst der Wortschatz sollen ihr Recht be-
halten, soweit sie nicht der allgemeinen Verständ-
lichkeit hindernd im Wege stehen. Auf diese
Weise wird die Bodenständigkeit des Menschen
in seiner angeborenen Mundart gewahrt und dem
Hochdeutschen sein gebührendes Recht zuerkannt
zu beider Wohlfahrt und Gedeihen und zum Segen
des deutschen Volkes — - in weitester Ausdehnung.
iSO
\
Anhang.
Erklärungen und Textumschriften
zu den Tafeln I — IX.
Tafel I (vor dem Titelblatt).
Althochdeutsche Inschrift, gefunden im Januar-.
1900 zu Bingen beim Abbruch der Grundmauern
der dortigen Domkellerei. Nur drei Bruchstücke
wurden entdeckt. Sie bestehen aus grauem Sand-
stein und gehörten zu einer Platte, die ursprünglich
64 cm hoch und 11 cm dick war; die Breite lässt
sich auf mindestens 93 cm berechnen. Der obere
Teil war in fünf nebeneinander liegende, mit flach
eingehauenen Bogen überspannte Felder eingeteilt^
von denen nur das mittlere noch ganz erhalten ist.
Hier ist ein bärtiger Mann dargestellt, der beide
Hände betend emporhebt. Gekleidet ist er in einen
langen, um die Lenden gegürteten Rock aus schwerem
Stoff; die Unterschenkel sind mit langen Schuh-
bändern umwunden. Ueber seinem Kopf steht im
Bogen die Inschrift: Die. de. rieh (die Silben sind
durch Punkte getrennt). Dass hier das Bildnis der
Hauptperson erhalten ist, ergibt sich schon aus der
Stellung in der Mitte des Ganzen. Von den be-
nachbarten Feldern sind nur die Ansätze der er-
wähnten Bogen erhalten. Die äussersten Felder
— 219 —
rechts und links waren mit Figuren, links der Mutter^
rechts des Vaters, ausgefüllt; nur von ersterer sind
die Füsse und ein Teil des langen Gewands er-
halten. Von der am unteren Teile angebrachten
Inschrift sind nur die S. 35 abgedruckten Worte
erhalten. Die figürlichen Darstellungen weisen eben-
so wie die vorkommenden Wor^fformen auf das Ende
des 10. Jahrhunderts.
(Auszug nach: Neue Inschriften des Mainzer
Museums von Prof. Dr. Körber. Mainz, Verlag des
Altertumsvereins 1905.)
Tafel 11 (zwischen S. i8 und S. 19).
Die Spange von Freilaubersheim wurde im
Winter 1872/73 in einem Frauengrab zusammen
mit einer andern inschriftlosen Spange gleicher Art,
weiterem Schmuck und zwei Gefässen gefunden.
Sie besteht aus Silber, das auf der Vorderseite zum
Teil stark vergoldet war oder ist. Die Inschrift
befindet sich, auf zwei Reihen verteilt, auf der
Rückseite. Sie ist eine der längsten und best er-
haltenen Runeninschriften, die bisher in Deutsch-
land zu Tage gekommen sind. Die Inschrift ist
auf S. 20 abgebildet, umschrieben und übersetzt.
— Original im Mainzer Museum.
Tafel III (zwischen S. 24 und S. 25).
Verkleinerte Abbildung einer Seite des Codex
argenteus der Universitätsbibliothek zu Upsala
(vgl. S. 2^), die Verse 3 — 7 aus dem Evangelium
des Marcus, Kapitel VII enthaltend.
220
Umschrift des gotischen Textes:
[Aivaggeljo] thairh [Marku]
iudaieis niba ufta thwahand handuns ni nißtjänd.
habandans anafilh thize sinistane. jah af mafhla niba
daupjand ni matjand. jah anthar ist manag thatei
andnemun du haban daupeinins stikk jah aurkje jah
katile jah ligre: ihathroh than frehun ina thai
fareisaieis jah thai bokarjos. duhwe thai siponjos
theinai ni gaggand bi thammei anafulhun thai
sinistans. ak unthwahanaim, handum matjand hlaif,
ith is andhafjands qath du im. thatei waila praufetida
esaias bi izwis thans liutans swe gamelith ist. so
managei wairilom mik sweraith. ith hairto ize fairra
habaith sik mis. ith sware mik blotand. laisjandans
mk
mth
rnd
ioh
luk
Zu deutsch:
[Evangelium] durch [Markus]
[Die] Juden, wenn [sie die] Hände nicht oft
waschen, essen nicht, haltend die Gebote [der]
Aeltestenc Und vom Markt [kommend], wenn [sie
sich] nicht waschen, essen [sie] nicht. Und anderes
ist viel, das [sie] überkamen zu halten: Waschungen
[der] Becher und Krüge und Kessel und Lager.
Darnach dann fragten ihn die Pharisäer und die
Schriftgelehrten: „Warum gehen die Schüler dein
nicht nach dem, [was] die Aeltesten geboten, son-
dern essen [mit] ungewaschenen Händen Brot?"
221
Aber er antwortend sprach zu ihnen: „(dass) gut
prophezeite Jesaias von euch den Heuchlern, wie
geschrieben ist: diese Menge verehrt mich [mit den]
Lippen, aber ihr Herz hält sich fern [von] mir.
Aber vergebens beten [sie] mich an, lehrend —
Marc.
Matth.
154
Joh.
Luk.
Tafel IV (zwischen S. 32 und S. 33)-
Die ersten zwölf Zeilen des Hildebrandsliedes
nach dem Original auf der K. Landesbibliothek zu
Kassel.
Ik gihorta dat seggen dat sih urhettun aenon muo-
iin . hiltibraht (sie !) enti hadubrant . untar heriun tuem,
sunufatarungo. Iro saro rihiun garutun U iro
gudhamun • gurtun - sih * iro • sueri ana • helidos
ubar ringa do sie to dero hiltiu rifun * hiltibraht
gimahalta heribrantes sunu • her uuas heroro
man ferahcs frotoro • her fragen gistuoni fohem
utwrtum • wer sin fater wari fireo In folche eddo
welihhes cnuosles du sis ' ibu du mi §nan sages * ik
mi de odre uuet chind In chunincriche chud ist
min al irmin deot , hadubraht gimahalta hilti*
brantes sunu dat sagetun mi usere liuti alte anti
(Diplomatisch genaue Wiedergabe des Textes
auf Tafel IV; nur die Trennung der einzelneu
Wörter ist durchgeführt.)
— 222 —
In deutscher Uebersetzung:
Ich hörte das sagen, dass sich herausforderten
[zum] Einzelkampf Hildebrand und Hadubrand
zwischen beiden Heeren [der] Sohnes [und] Vaters
Mannen. Ihre Rüstung richteten [sie] , bereiteten
sie ihr Kampfgewand, gürteten sich ihre Schwerter
an, [die] Helden über [die Panzer] Ringe , da sie
zu dem Kampf ritten. Hildebrand sprach, Heri-
brands Sohn , er war der hehrere Mann , [des]
Lebens weiser. Er [zu] fragen begann [mit] wenigen
Worten, wer sein Vater wäre im Volke der Men-
schen .... oder welches Geschlechts du seist?
Wenn du mir^ einen^ sagst, weiss ich mir die anderen,
Kind, im Königreiche; bekannt ist mir all [das]
grosse Volk. Hadubrand sprach, Hildebrands Sohn:
„Das sagten mir unsere Löute, alte und ......
Tafel V (zwischen S. 86 und, S. 87).
Deutsche Urkunde Rudolf von Habsburgs,
ausgestellt zu Basel am, 12. April 1288. Original
im k. k. Archiv zu Wien. Der Inhalt ist folgender :
Wier Rudolf von goies gnaden Römischer chuntch
alwege^ merer des \ reiches verjehen'^ und ^n chunt
allen den, di disen Brief sehent oder horent \ lesen, dai^
vor uns ze Oster eich in dem Lande, da wier ze ge-
richte sa-i^en \ ein urtail von des reichs vursten^, von
graven, von vreien und von \ dienstmann , und von
lanilouten ze Oster eich und ze Steyer ervolgt \ und
gesteticht^ wart also, daT^ wier oder der den wier den
selben landen \ ze herren geben uns underwinden^ seiden
* aller Zeit. * bekennen. » Fürsten. * bestätigt. * ao-
nehmen.
— 22S —.
alles des gutes, des hertzog vride \ rieh von Oster eich
und von Steyer b^i seinem leben in sein gewalt utid \
in seiner gewer ^ unz^- an sinen tot hett bracht ^ ^5
weren bürge oder \ dorfer oder swi^ ^5 wer genant,
und sollen davon zeitleich reht tün^ swer'^ ouf da'2^
selbe güet icht ze sprechen ^ het. Über dise urtail ze \
oAnem urchunde han ^ wir tun henchen ^ unsir Insigel
an disen brief. \ Der wart gegeben ze Basele an dem
montage vor Tiburcii et Valeriani^, do man zalte von
gotes gebuerd zwei/ hundert und aht und ahzich Jar,
an dem vumfiendem Jare unser s ReUhs^*
Die vorstehende Urkunde ist in sprachlicher
Beziehung höchst lehrreich. Obwohl sie zu Basel,
also auf hochalemannischem Boden ausgestellt ist,
zeigt sie vornehmlich österreichisch-bairische Sprach-
eigentümlichkeiten. Nach Oberdeutschland im all-
gemeinen weisen Formen wie: chunich, chunt, ur-
chunde; speziell nach Oesterreich die Wiedergabe
des mhd. ei durch ai in ainem urtail; femer lant-
loute für mhd. lantliute. Eben daher stammt die
Diphthongierung von mhd. i zu iei, die in unserer
Urkunde fast überall durchgeführt ist: reich, Oste-
reich, vreien, bei, sein, zeitleich (= mhd. zitlih,
nhd. zeitlich)] in r^ichs (Zeile 4) ist e nachträglich
eingefügt; nur in sinen ist altes i einmal stehen
geblieben. Das beweist uns, dass die Diphthon-
gierung von mhd. 1 zu ei gegen Ende des 13. Jahr-
hunderts in der Österreichischen Mundart beinahe
vollendet ist (vgl. §. 18, S. 130).
* Besitz. ' bis. • wie, wer immer. * zeitig entscheiden.
^ irgend welche Ansprüche. ® haben. "^ hängen. * d. h.
12. April. 9 d. h. Regierung.
— 224 —
Tafel VI (zwischen S. 118 und S. 119).
Nachbildung des Anfangs einer Seite aus der
Hohenems-Lassbergschen Handschrift des Nibe-
lungenliedes, jetzt in der Bibliothek des Fürsten
von Fürstenberg zu Donaueschingen. Sie stammt
aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts. Die Initiale
N ist farbig (rot und blau) gemalt. Der Text
lautet:
1. Nu daht ouch alle ciie^ da-x, Günthers wip:
„Wie ireit^ et also hohe Chriemhilt den lip?
Nu ist doch unser eigen Sivrit ir man^
£>a:^ er uns niht endienet des wolde ich gerne ein
ende han"
2. Dii^ trüch^ si in ir hercen^ und wart doch wol
verdeit^j
Da^ si ir so vremde warn, da'^ was der frowen leit;
DaT^ si niht zinses hete von des fürsten lant.
Wa von da^ chomen waere, daT, hetsi gerne dechant^.
3. Si versuchteT^'^ manigen ende, ob ckunde^ daj^ ge^
schehen,
DaT^ si Chriemhilte tnohte noch gesehn,
Si reiteT^^ heimliche des si da hete müt,
Do ne duht den chunic riche der frowen bete niht
ze gut,
4. ftJVie chunden^ wir si bringen**, sprach der lobes
rieh,
„Her zu disen landenf DaT^ waere unmugeüch.
Si sint uns gar ze verre, ich getar sis niht gebiten.**
Des antwurt im Prunhilte in vil listigen siten.
* zite. • = traget, s. § 14, S. 106 f. » truoc. * herzen.
* = verdaget s. § 14, S. 106 f. • bekant. ' versuchte e^.
® kunde(n). ® redete ez.
„Swie hohe riche waere deheines kuniges man;
Swaz im gebyte sin herre, ivie torst er dai^ Verlan f
Des ersmielte Günther, do si daT^ gesprach
In neuhochdeutscher Uebersetzung:
Nun dachte auch allezeit des Günthers Weib:
„Wie trägt doch so hoch Kriemhild die Gestalt?
Nun ist doch unser eigen Siegfried ihr Mann,
Dass er uns nicht dienet, des wollte ich gern
ein Ende haben."
Das trug sie in ihrem Herzen und war doch
wohl verschwiegen,
Dass sie ihr so fremd waren, das war der
Frau leid;
Dass sie nicht Zins erhielt von des Fürsten
Land,
Wo von das gekommen wäre, das hätte sie
gerne erfahren.
Sie versuchte es in mancher Art, ob das könnte
geschehen,
Dass sie Kriemhilde könnte noch sehen.
Sie sagte es heimlich, wes sie da Verlangen
hätte ;
Da dünkte dem König reich'^* der Frauen Bitte
nicht allzu gut.
„Wie könnten wir sie bringen", sprach der
Lobes Reiche,
Her in diesje Lande? Das wäre unmöglich.
Sie sind uns gar zu ferne, ich wage es ihnen
nicht zu gebieten".
Darauf antwortete ihm Brunhilde in sehr
schlauer Art.
, „Wie sehr mächtig auch wäre irgend eines
Königs Mann;
Feist, Die deutsehe Sprache. ^5
— 226 —
Was immer ihm sein Herr geböte, wie wagte
er das zu unterlassen?
Darüber begann Günther zu lächeln, als sie das
sprach
Tafel VII (zwischen S. 132 und S. 133).
Aeltester bis jetzt bekannter deutscher Druck,
aufgefunden in Mainz und *nun im Besitz des Guten-
berg-Museums daselbst. Das Papierstück hat zum
Einheften von Akten gedient; die Vorderseite war
nach aussen, die Rückseite nach innen geheftet.
Letztere ist daher gut erhalten, besser als die
Vorderseite, und deshalb allein hier wiedergegeben.
Der erhaltene Teil des Gedichtes handelt vom
Weltgericht, vom Schicksal der Gottlosen und der
Frommen am jüngsten Tag. Es ist nach Professor
Schroeders Ansicht um 1.400 im mittelrheinischen
Dialektgebiet, wohl nicht in Mainz selbst, entstan-
den. Der Versbau ist, wie um jene Zeit nicht
anders zu erwarten (vgl. § 16, S. 121), ganz regel-
los, die Reime mangelhaft und der gedankliche
Inhalt dürftig. Der Text lautet, in Versen abge-
setzt, folgendermassen :
l-Da"^] er werde von pine ^ erlast,
wer in dem hymmelrich ist
Der hat freude mit ihesu crist
Der I von aem hymmel her nidd' ist kommen
Und I mentschlich natuer hat er an sich gnommen \
Und an tf mentscheit ist erstorben
Und mi[t] dem dode hat erworben
» Pein.
— 227 —
DoT^ wer do giauö[en] hat an en
Mynne ^ und zuuer siecht £ saV^ zu \ ym,
wir sollen ganizen glauben haben
Da[7^] wir von ihesu crist hören sagen
Und sollen \ alle unse werck und synne
L\u cristo keren yn \ liehe und yn mynne
Und zu ym haben zuv*-\[siecht].
Der Druck ist mit der ältesten sog. Donat-
Kalender-Type Gutenbergs hergestellt und muss
in die Jahre 1444 — 1447 fallen.
Tafel VIII (zwischen S. 142 und S. 143).
Verkleinertes Faksimile des Denkspruchs von
Martin Luther auf der ersten Seite des Refor-
matoren-Gedenkbuchs von 1542. Original auf der
Gräflich Stolbergschen Bibliothek zu Wernigerode.
Der Inhalt ist folgender:
Psalmo primo '^
Die gerechten haben Lust zum Wort
Gottes. Und reden gern davon tag
und nacht
Darümb
können sie auch alles, Thun alles,
und bleiben ewiglich grün und frucht
bar wie ein Palmbaum am Wasser.
Die Gottlosen haben Lust
an yhrem Gotty Bauch und Mammon,
Darümb können sie auch
nichts, Thun nichts. Bleiben nicht. Sondern
Minne = Liebe. * soll. » Im ersten Psalm
— 22^ —
vergehen, wie eine schatte, mit alle
yhrem gut ehre, thün, macht Bauch '
unda Mmmon Quia
Verbum domini manet in aeternum^
Und alle die dran bleiben mit
tust und Liebe
Amen
Marl Luther D,
1542
die Circumcisionis dominicae'^
Tafel IX (zwischen S. 158 und S. 159).
Verkleinerte Wiedergabe der Nummer 38 der
Wöchentlichen Ordpnari] (d. h. regelmässigen)
Zeitung vom 11. September 1683. Das Original
ist in dem damals für Zeitungen üblichen Quart-
format. Der Inhalt, der sich auf die Belagerung
Wiens durch die Türken bezieht, ist ohne Weiteres
verständlich.
^ Weil das Wort des Herrn bleibet ewiglich. • am Tage
der Beschneidung des Herrn d. h. 1. Januar.
Sach- und Namensverzeichnis.
(Die Zahlen bedeuten die Seite.)
A \y\
Ablaut, ahd. 51 f/mhd. 105,
1 13 f.. nhd. IQ^rgerm. lO f.
Accademia della Crusca 162.
Adelung 174.
Adjektiva, ahd. 48 f.. 62 flF.,
mhd. 111 f., nhd. 195.
Adverbia, ahd. 49, 63 f., mhd.
112, nhd. 195.
Affrikaten 39, 40.
Akut 69. ^
Akzent, ahd. 69 flF., idg. 11,
68 f.
AkzentzurOckziehung 11 f.
Alanen 2.
Albanesen 1.
Alemannisch 28 f., 130, 207 flF.
Alexandcrlied 90, 92, 94 f.
Alliteration 34, 74.
Alphabet, gotisches, 16, 22.
— Runen ~ 18 f.
Althochdeutsch 25, 30.
— Deklination 45 flF.
— Konjugation 50 flF.
Angelsachsen 2.
Angelsächsisch 42.
Anhalt, Ludwig von, 162.
Araber 153-
Armenier 1.
Arminius 32.
Attila 32.
Auftakt (im mhd. Vers) 120 f.
Auslautsgesetze, urgerm. 12 f.
Feilt, Die deutiche Sprache.
Au.ssprache und Schrift im
Nhd, 200 f.
Avaren 30, 82.
B
Baiern 29. 30.
Bairisch 208 f.
Bamberg 83.
Basel 146 f., 210.
Benediktinerregel, ahd. 34.
Bibelübersetzungen i. Deutsche
133» 136 flF.
Blumenorden 163.
Bödiker, Johann 171.
Bodmer 173-
Böhmen 30, 83, 130, 131 f..
151.
Bopp, Franz 4.
Brechung, urgerm. 11.
Breisgau 210.
Breitinger 173.
Buch 19.
Buchdruckerkunst 132 f., 135 f..
204, Anhang 226 f.
Buchstabe 19.
Bulgaren 1.
Burgunder 2.
Caesur (im mhd. Vers) 118.
Campe, Joachim Heinrich 166,
174.
Chansons de Geste 124.
16
— 230 -
Circumflex 69.
Clajus 146.
Codex argenteus 23.
Cöln 212.
Credo, ahd., 34.
D
Dänen 2, 31.
Dänisch 21. 27.
Dasjus 4.
Dehnung von Vokalen i. Mhd.
106.
— — im Nhd. 179.
Deklination, ahd. 46 ff.
— got. 23.
— mhd. 107 ff.
— nhd. IQI ff.
— Uebertritt von der starken
zur schwachen Dekl. i. Nhd.
und umgekehrt, 192 f.
Deutsph 31.
— Grenzen des, 27.
Deutschenspiegel 85.
Deutschritterorden 84.
Didaktik, mhd. 92.
Dietrichssage 91.
Diphthongierung langer Vokale
im Nhd. 130, 180 f.
Donau 2, 209. ^
Doppelformen e. Wortstamms
12, 27.
Doppelkonsonanten, ahd. 26 f.
nhd. 186 f.
Doppel vokale, nhd. 130.
Drama, mhd. 93.
E schwindet im Mhd. 106.
im Nhd. ig2 f.
— in Endungen im Nhd. 183 ff.
— Verstummen des e im Nhd.
2Ü2.
Eigennamen, ahd. 36.
Elbe 134.
Elbschwanenorden 163,
Elsass 210.
Endbetonung, indogerm. 12.
Endsilben, ahd. 79- f.
Endungen, frz. 126 ff.
— des Mhd. im Nhd, 196.
Endvokale, indogerm. 13, 15.
Englisch 2, 13, 21.
Epos, höfisches (ritterliches)
91, 92.
Erzgebirgisch 2 10.
Eyke von Repgow 85.
F und V im Mhd. 102 f.
Finnisch - lappische Sprachen
13. 15.
Fischart 148, 170.
Flexion, gotische 22 f.
Franken, ripuarische 82.
Frangk, Fabian, 145 f. \
Franzosen 1.
Französisch 2, 151.
Frauenlob 92, 120 f.
Freilaubersheimer Spange 19 f.
Anhang S. 219.
Fremdwörter, frz. 124 ff., 157.
— - griech 155.
— ital. 155.
— lat. 155.
— Kampf gegen dieselbea,
161 ff.
— bei Luther 144.
— in den Mundarten 215 f.
Fremdwörterbücher 159 ff.
Friedrich II. 153.
Friesen 2.
Friesisch 21, 28. 207.
Frisch, Leonhard, 172.
Fruchtbringende Gesellschaft
162 ff., 172.
23^ —
Fürwörter, ahd; 50.
— mhd. 112.
— nhd. 195.
Futhark 18.
(langes 5.
Geistliche Poesie .90.
Gemeines Deutsch 133.
Germanen 2, 16.
— Wohnsitze derselben 2 f.
Germanisch 13-
Geschlecht, Wechsel des —
im Nhd. 194.
Glossarien 31.
Glossen 35 f.
Goten 17, 22 f.
Gotisch 12, 13 ,
Göthe 167, 175-
Gottfried von Strassburg89,9l.
Gottsched 172 f.
Grammatischer Wechsel im
Ahd 54.
im Nhd. 197 f.
Grenzen des Deutschen 27.
— des Hochdeutschen 28.
Griechen 1.
Griechisch 5. 69. 152 ff.
Grimm, Jakob, 7, 10, 204 f.
Gudrun Qi, 137.
Gueinz 169.
H
H im Mhd. 98.
— Nhd. 187 f.. 202.
Habsburger 132.
Halbzeile 74 t
Harsdörffer 163.
Hartmann von Aue 91, 95, 12o.
Hauchlaute, indogerm. 8.
Haupt- und Heldensprache 145.
Hauptmann, Gerhard 21o.
Hauptton, ahd. 90 f.
Hebräisch 137, HO, 153.
Hebung 73 i
Hegau 210.
Heinrich von Veldeke 91. 124.
Heldenlieder 32.
Heliand 34.
Herder 175- 176.
Hildebrandslied 32 f., 74 f ,
Anhang S. 221 f.
— jüngeres 121 f.
Hochalemannisch 210.
Hochdeutsch 21, 28, 149. 2o7ff.
— Grenzen des — 28, 30. ^
— Mundarten des — 28 ff.
Hochdeutsche 2.
Holländer 2, 28.
Holländisch 207,
Humanismus 149, 152 ff.
Hussitenbewegung 83.
Hymnen, lat. 76.
Inder 1, 3, 5.
Indisch 5, 69.
Indogermanen l ff.
— Kultur derselben 5.
~ Ursitze derselben 3.
— Wanderungen derselben 3.
— Wortschatz derselben 5-
Indogermanische Grundsprache
4 f.
Indus 5. ,
Infinitiv, ahd. 55.
Inn 209.
Inschrift, ahd. 35, Anh. 218 f.
Interlinearversion 31, 36.
IsidorObersetzung 34.
Italer 3-
Italien 153.
Italiener 1.
J im Mhd. loi.
16*
232
K und C im Mhd. 103.
Kaiserurkunden 86 f., Anhang
S. 222 f.
Kalvin 157.
Kanzlei, kaiserliche, 88, 131 ff..
137 ff.
— kursächsische, 132, 137 ff.
Kanzleisprache 88, 131 ff.,
139. 155.
Karl der Grosse 32, 78. 83,
, 92, 137, 152.
Karl IV. 83, §8, 13 1.
Karl V, 156 f.. 162.
Kärnten 82.
Karpaten 9-
Kelten 2. 3
Keltisch 13. 27.
Konjugation, starke u. schwache
im Mhd. 198 f.
Konrad Fleck 91.
Konrad von Würzburg 91.
Konsonantenverdoppelung im
Mhd. 186, 202 f.
Konsonantismus, got. 22, mhd.
97 ff., nhd. 185 ff., urgerm.9,
westgerm. 26 f., 37 f.
Konstantinopel 153.
Kreuzzöge 79.
Krimgoten 24.
Krimgotisch 21.
Körenberger 90.
Landfrieden 87, 88. 132.
Langzeile 74 f.
Lateinisch 1, 5, 13, 85 ff.,
131, 150. 152 ff.
Lausitz 84.
Lausitzisch 210.
Lautverschiebung, ahd. 37 ff.,
urgerm. 7 ff-
Lech 209.
Lehnwörter, germ. im Slav. u.
Finnischen 14 f, frz. 125 f.,
griech. 14, keil. 14, lat. 14.
128, 154.
Leibnitz 170.
Lessing 167, 175.
Litauer l.
Litauisch 69.
Logau 163.
Longobarden 2.
Ludwig der Baier 131.
Ludwigslied 33.
Luther 136 ff., 145, 154, 169.
Luthers Bibelübersetzung 136 ff.
— Rechtschreibung 140 f.
— Sprache 137 ff., 171.
Lyrik, mhd. 91 f.
M
M im Mhd. 99 f.
Mähren 82.
Mainz 132. 133.
Maximilian 137, 146.
Media und Tenuis im Mhd. 102,
im Nhd. 187.
Meissen 84.
Meissnisch. Hochdeutsch 172 ff.,
211.
Meistersinger 92. 96.
Merseburger Zaubersprüche 33.
Minnesang 90 f.
Minnesänger 117.
Mitteldeutsch 29 f., 84, 130,
133 f., 140, 207. 210 ff.
Mittelfranken 29.
Mittelfränkisch 130. 212.
Mittelhochdeutsch 25.
Mittelhochdeutsche Periode
78 ff.
— 233 —
Mittelrhein 134.
Mittelsilben 81.
Mittelwort, ahd. 55.
Monophthongierung v. Doppel-
vokalen im Nhd. 181 f. .
Moscherosch 158. 163.
Moselfränkisch 212.
Murbacher Hymnen 34.
Mumer 134 f-
Muspilli 33.
Muttersprache 145.
Mystik, mhd. 93.
N
Namen, lat. u. griech. 154 f.
Nebenton, ahd. 72, mhd. 11 6 f.
Neuhochdeutsch 25.
Neuhochdeutsche Periode I29ff.
— Schriftsprache 135 flF.,
144 ff.. 168 ff.
Neuschöpfung deutsch. Wörter
165 ff.
Nibelungenlied 91, 117 f.
Niederalemannisch 209 f.
Niederdeutsch 21, 28. 134,
176 f., 207.
— Grenze des — 28, 30.
— Einfluss des Ndd. aufs Hd.
190.
Niederdeutsche 2.
Niederdeutschland 147 f.
Niederfranken 28.
Niederlande 149.
Niederländisch 27.
Niedersächsisch 207.
Nordgermanen 2.
Nordäch 21, 42.
Nordmark 84.
Norweger 2.
Norwegisch 21.
Notker 34, 69 f.
Oberdeutsch 28 f., 184.
Oberfranken 83.
Obersachsen 130.
Obersächsisch 30, 211.
Oder 134, 210.
Opitz 163, 169, 172.
Ordnungszahlen, ahd. 50
Ordre de la Palme d'Or 164 f.
Ortenau 210.
Ortsnamen auf -ing. -ingen
208.
Oesterreich 30.
Oesterreichisch 208.
Ostfranken 29, 13O.
Ostfränkisch 208, 21 1.
Ostgermanisch 20 f.
Ostgoten 2.
Ostmark 30, 82.
Ostmitteldeutsch 208, 210 f.
Ostpreussen 210.
Ostsee 2, 134.
Otfrieds Akzentbezeichnung
69 f.
— Evangelienbuch 33 f.
-^ Verskunst 76 f., 117.
Ottonen 152.
Ottokar von Böhmen 83.
Ovid 35-
Palmenorden 164.
Pamir 3.
Pegnitzschäfer 163.
Pelasger 4.
Perser 1, 3.
Pfahlbauer 4, 15.
Pluralbildung der Fem. im
Nhd. 193 f.
— der Mask. im Nhd. 191 f.
— der Neutr. im Nhd. 193.
Polen 1.
234
Polnisch 151.
Portugiesen 1.
Posen 210.
Praefixe, ahd. 64 f.
— betonte, 71 f.
Praeteritopräsentia 53 f., 115.
Praeteritum, Ausgleich im nhd.
— 196 f.
Preussen 84.
Prosa, mhd. 93.
R
R im Auslaut im Mhd. 102.
Raske 150.
Rechtschreibung, nhd. 171,
199 ff.
— Neuregelung der, 205 f.
Reduplikation 52.
Reformation 144 f«. 150.
Reibelaute, germ. 8, 12, ahd.
38, 40..
Reichenau 34.
Reimchroniken 92.
Renaissance 153 f.
Renner Hugo von Trimbergs
92. 131.
Reste, altertOmliche — in den
Mundarten 214 f.
Rheinfranken 29, 130.
Rheinfränkisch 211.
Riegel, Hermann 169.
Ripuarisch 212.
Rist 163.
Rittertum 123 f., 152. 161.
Rolandslied 90, 91.
Romanisch 27, 30.
Romantiker 176.
Rosenorden 164.
ROckumlaut 114 f.
Rudolf von Ems 91.
Rudolf von Habsburg 83, 86 f.
Rudolf II. 162.
Rugier 2.
Rumänen 1.
Runen 16 ff.
Runenalphabet 28 f.
Runeninschriften 13, 19 f.
Runenschrift 16 ff.
Russen 1.
Russland 2.
s
S wird zu Seh im Mhd. 99.
S im Nhd. 188 f.
Sachs, Hans 149.
Sachsen 84.
Sachsenspiegel 85.
Sächsiscii 28.
Satyrische Dichtung 93-
Schaffhausen 147.
Schiller 175.
Schlesien 83 f., 130.
Schlesisch 30, 210.
Schottel 163, 165, 169 f.
Schreibung, etymologische —
im Nhd. 201.
— phonetische 205.
Schrift, gotische 22, 206.
Schriftsprache, mhd. 88 f., nhd.
135 ff., 146. 213 ff.
Schulverein, deutscher 151.
Schwabenspiegel 85.
Schwäbisch 208 f.
Schweden 2.
Schwedisch 2l.
Schweiz 146 f.
Sekundärvokale, ahd. 45, 80.
Senkung 73 f.
Serben 1.
Siebenbürgen 82, 212.
Sizilien 153-
Sk wird zu Seh im Mhd. 98 f.
Skandinavien 2 f.
Slaven 1, 27. 30, 82 f.
- 235 —
Slavisch 13, 14, 69.
Spanier l.
Sprachgegellschaften 162 ff.
Sprachmengerei 158 f.
Sprachprobe, ahd. 36, 41, 70,
75, 76 f., 221.
— got. 23. 220.
— Joh. Ecks 143., •
— mhd. 86 f., 93 ff.. 118 ff.,
134. 222, 224.
— der Kanzleisprache 138.
-- Luthers 139 ff.
— 17. Jahrhundert 158 f.
Sprachreiniger ,163 ff.
Sprachverein, deutscher 167.
Stadtrecht 131.
Stadturkunde 86.
Stammbetonung 12.
Steiermark 82.
Steigerung, ahd. 49. mhd. 1 1 1 f.
Strassburg 134.
Strassburger Eid 33.
Stricker 91.
Südfranken 29.
Südfränkisch 211.
Südgermanen 2.
Suffixe, ahd. 57 ff.
T im. Auslaut im Mhd. 102.
Tacitus 16.
1 atian 34-
Teuerdank 137, 170.
Teutleben, Caspar von — 163,
Textprobe, ahd. 41, 70, 75,
76 f., 221.
— got. 23, Anhang 220.
— mhd. 93 ff., 118 ff., 222 ff.
— nhd. 138, 139 ff., 158,
172 f.
Thomasius 150.
Thüringisch 30, 21 1.
Trier 132.
Tschechen l.
Tschechisch 15 1.
Tschudi 157.
Türken 153, 159.
ülfilas 16. 22.
Ulrich von Zatzikhoven 91.
Umlaut, ahd. 42, mhd. 80 f.,
104 f., urgerm. 11.
Ungarn 82.
Un Vollkommenheit d. Schrift-
bilds 201.
Urgermanisch 7.
Urkunden, deutsche 85 ff., 131,
222 f.
Vandalen 2.
Vaterunser, St. Galler 34, 41.
— Ostfränk. 41-
— Otfrieds 70.
Vedas 5.
Venantius Fortunatus 16.
Veraltete Wörter bei Luther
142 f.
Verdunkelte Komposita 67.
Vergil 35.
Verners Gesetz 12.
Verkleinerungssilben 59 f.,
208 f., 21D. 211. 212
Verkürzung von Vokalen im
Nhd. 179 f.
Verschlusslaute, ahd. 40.
— germ. 8, 12, 15.
— indogerm. 8, 12.
— westgerm. 38, 39.
Verskunst, ahd. 73 ff.
— mhd. 117 ff.
— romanische II9.
Vlämen 2, 28.
— 236
Vlämisch 27.
Wien 159.
Vokalsystem, ahd. 42 ff.
Williram 34. 70. 93 f.
— goi. 22.
Wirnt von Gravenberg 91.
— mhd. 103 ff.
Wittenberg 648.
— nhd. 178 ff.
Wolf, Christian 170.
— urgerm. 9^
Wolfram von Eschenbach 89,9 1 .
— westgenn. 26.
Worms, Reichstag zu — 138.
Völkerwanderung 27.
Wortbildung, ahd. 56 ff.
Volksepos 91, 92.
Wortschatz des Nhd. 177-
Volksgesang 32.
Volkslied 92, 5 22 f.
z
Z im Mhd. lo3.
W
W im Mhd. 100 f., im
Nhd.
— im Nhd. 187.
188.
Zahlwörter, ahd. 49 f.
Wagner, Richard 176.
— mhd. 112.
Walther von der Vogelweide
— . nhd. 196.
89. 91.
Zeitung des 17. Jahrhunderts
Weise. Christian 165.
159 und Anhang, 228.
Weisskunig 139.
Zeitwort, ahd., starkes 50 ff.
Weltgericht , Fragment
138,
schwaches 52 f.
226 f.
— mhd. 113 ff.
Wenden 84.
— nhd. 196 ff.
Wendisch 151.
— unregelmässiges 53. 115.
Weser 134.
Zerfall der Dekl. -Klassen im
Wessobrunner Gebet 33.
Nhd. 191.
Westfranken 2.
Zesen, Philipp von — 164 f..
Westgermanisch 20 f.
169.
Westgoten 2.
Zürich 147.
Westmitteldeutsch 208.
Zusammengesetzte Nomina 66 f.
Wieland 175-
— Betonung derselben 73.
Tafel I.
Althochdeutsche Inschrift, gefunden in Bingen a. Rh.
Eigentum des Mainzer Altertumsvereins (s. Anhang S. 21 8).
Tafel IL
Die Spange von Freilaubersheim.
Original im Mainzer Museum. Nach Wimmer, De tyske
Runemindesmaerker (s. Anhang S. 219).
Tafel III.
YnsMeiSNiiSMi|:T*t|*YKhKNihkN
Kt:H MpAikNI IS)k&Mlllc;[lNSN inNT
m^Ni. C;Kh>NlJ^Mt.tSTHKN|k,rM>K
Tel^Na.NeH^N:Klll1^K^N^MUlBl
N 1 NSKTl KMJc:Kh MiKKqeqKhuK
TiAemihMrKGt t^^KxhiCKN^Re
(b«i N KI N 1 ^^^T^N:^Rl^i^^ln6l^^l^
tn^hnN l^iMSIN ISTKNS. KKHH
ib Y Ml ^N M H h KN \n MH ^T^,^N :>
AuiM. ^»^TBlY^lA^n^t^nt:GTl^^
sYerfcHeJtuV'i^T*. s}tHjlN^TBl
YMH.ifc»MHiKSYe|tKi»|»- If^V^MK
Txixet:M |t|CKh(ifcMq*siuH is.VMi
sY^K^H1KbMr^^N&• AMstiVM^js;
Verkleinertes Faksimile einer Seite aus dem sog. Codex argenteus
Universitätsbibliothek zu Upsala (s. Anhang S. 219).
>.
V
ä si 5 3 5 Ij^.. i^'StS'
i i * g I l»l*|i fei "1 ?
^ : .1 ? I 1 tt f ? -1 »5
« s 5 i » p i ^ « i I**
^ 2*^ 1 1 1 "^ fe s « 1-"^
r ^ i "^ I "s b * »8 fe. fc I
» M 6 I -1 1 1- £ f I Iß
^ ^ 1 I « 1» 1^^
M I I I s 1 1 4 |v M
1*1 ti ^
1 1 1 i 1 1
s <^
,2 *^
'S
'S ^
^ G
S|
ö e
ß ^
C 03
o
CO w
u
i> fr.
*S »^
« c
J4
(■■
Tafel VIII.
not fyrn^
Ott fGKvtr^ry ^^it-n /n/l /^*^ l^Jirrt
^*^>w*^ <vrr>vr*» /vir a*<<^
hvi^.T/>;, >.:fi^, ^^'v^^ i>>^ iO^A'r/t
;'^/*^ ^>v^ c^f ><»^ ;^n.^ >^*-*Tf
/ r 4- »
Verkleinertes Faksimile des Denkspruchs Martin Luthers im
Reformatoren-Gedenkbuch von 1542. Original auf der Gräflich
Stolbere'schen Bibliothek zu Wemiperode /'s. Anhnna S 997^
i
^-S"' iFO;,-^\i:
Tafel IX.
OSittii^ ÄU ^iiUAAiwifiiHn, ^k^ffli^e OJoAt im 6ct Gen.
Ä^«u iPonl^r ArmecsuMöÄtfu ^X}unrtkm oiiUmmcn / wl^3ö«f
fi<fü}i/üttfrtpfn*4niif?i <^ui?Uiifri itt ^rr St«tf / >a«tctSutcurstew
lauert / tijfjS#ftittg<}etKbtny nn» nnUcit^ lüör«»/ a(« <jfti«n w tcf fruf
jjcf<^ni/t6ci(^ pf*rMmmcri; t<j|j4Jr S*^fl^ ^iwf r ^^trfl> k^«w
It?<t^tf/utnb36menu« f m:rter<jnl>cnTTSort( jukncfttncn/f ie mHmc
|il)rQ3v>ufcr / ülö ijc foldit ijctrfjen / nxtqn^i^ tJcntunDfni ftvirr
twn/tmfrjicMqr ftdfetn /Pap f0td)efuifi<:icm iPvWf tt/D^rmrt^dr Cwi- ■
rer Armt€f rttt 2tbftaii.<!/mii(T^rn tie ^^adp ^Btin p.S. f r* um» ttrJMr
j iDO*b fiörrt fcf)(f (l>rt ^e&öt t (üor Df «/ ob c^ aber tJiJn ttfif n üu& tcnÖf otr
!«wifl>aü Smbbel"(J)«:fK(iyboltcman annoi^mt imifcntcmtni Oiörr-^
WtffercruMivtrt man imvtsft^cnür^^&Ottg^btvotht^ äöiWinalüdV
Verkleinerte Wiedergabe der No. 38 der Wöchentlichen Reichs
Ordfinari] : Zeitung: vom 1 1. September 1683.
Fritz Lehmann, Verlag in Stuttgart.
In letzter Zeit erschienen:
Dröber, Dr. Wolfg., Die Polargebiete und deren Er-
forschung. Kl. 80. 228 Seiten Text. Mit 2 Karten eleg.
gbd. tM i. — . Vollständige und gemeinverständliche Darstellung
der Geschichte und Ziele der Polarforschungen. Nebst Anhäng:
Zweck und Wert der Polarforschung.
Mächtig %VLt See. Streiflichter und Tatsachen von der
deutschen Flotte. Von *^*. Gross 8^ In elegantestem
Farbendr uckumschlag mit 2 feinen Aquarelldrucken, 3 Bogen
Text mit 24 Textbildern und technischen Zeichnungen und
1 fein kolorierten Schiffsskizzentafel. Preis nur 40 5^^.
Nie88 & DÜll, Lehrbuch der Mineralogie und Geologie
für Mittelschulen. 322 Seiten mit 400 Textbildern, sowie mit
20 prachtvollen Farbentafeln. — Kart. </Ä 3. — , in
elegantem Geschenkband M> b—-
Dieses mit elnzigrartlger Pracht ausgestattete Lehrbach, toü dem bereits
4 Monate nach Erseheinen eine 2. ^ Auflag nötig war, ist bereits an einer
fressen Zahl von Lehranstalten, Bergschulen etc. eingeführt!
Schneidawind, Wilh., kgl. Subrektor, Uebersetzung nebst Er-
läuterungen zu Sophokles, Antigone. — I. Bändchen 50 <$^
II. BSndchen 40 <^
Venator, F., Aus den Tiefen der Reflexion „Etwas für
den einzelnen" aus Soeren Kierkegaards Tagebüchern
j 838 — 1855. Aus dem Dänischen übersetzt, klein 8«, 159 S.,
eleg. kart. mit Silberpressung und Silberschnitt, M l 50.
Wagner, Cas., Oberlandgerichtsrat, Die Strafinseln. Um-
fassendes Quellenwerk über die Frage der deutschen Depor-
tation als Strafvollzug. — Broch. :/Ä 3.20, eleg. Lnbd. JLa. — -
Wimmer, Dr. K., kgl. Reallehrer, Spracheigentümlich-
keiten des modernen Französisch, erwiesen an Erckmann-
Chatrian. 80-Format, 82 Seiten. Eleg. broch. Ml.-.
— „ — Lehrgang der französischen Sprache. Nach den
neuesten Verordnungen und dem Erlasse des franz. Ministeriums.
1. Teil: Die vollst. Formenlehre. — Ganzleinenbd. M 3
11. Teil: Syntax. — Ganzleinenbd. tH 3-—.
— „ — Sammlung von Uebungsstücken zum Uebersetzen
ins Französische. — Geh. Jis l. — , kart. M I.30.
UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY
THI9 EOOK IB Wm OK THE LAST DATE
STAMPED BITLOW
^V
:.A
\^
Mti
des
poJit
2U g
der.
Alate
Vor
dar tu
hat 1
Uns
gehl Öl
im ^
ieit>e-i
eso- J^
:etx:»
.an ^ *
APff ;ed 192J^
JUN 15 1948
l20cf49Bf*
r^^^
0iC4
-52VW
1963 l-^^
-Jrti'^ 6 1954LU
«
,^
^
Fritz Lehmann, Verlag- i^^tufEl^guS '7
Ein Gegenstück zu Berge, Schme; -rlingsbu^h
Calwcr, Käfeibuch.
Holfmann, Pflanz wra" -
, Die Wunder des Mineralreiches werden für Unterricht
und Anschauung in ebenso hervorragender wie einzig
dastehender Weise erschlossen durch das soeber schien cne
Prachtwerk: , ^^
Das Mineralr,
von Dr. Reinh. Brai^
ord. Professor an der Univer^
55 Bogen Text in Gross 4® mit 280 x^
Chromotafeln und 15 '■
Nebst Anhang : Anleitung zum
Anlegung voil/
Zu beziehen in 30 Lieferungen
geb. in eleg. Halbfrzbd. Myf
Neue, billigere Subs^
Feri/züir^
Ausi
Das Werk wurj
allerersten Aut
vorragendste Erzi
von bisher unerrei«
.tarkem Pappdeckel-
Abteilungen Ji Jt 4.50.
^n je M 0.60.
robehefte gratis und franko
sse und von
te und her-
Glucktet linik,
t.