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Full text of "Die deutsche Sprache: Kurzer Abriss der Geschichte unserer Muttersprache von ..."

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Ptiu Lehmann. Verlag in Stuttgart, 




SlullüMI. Jwiuu !>»«• 



Piiti Lehmann. 



Fritz Lehmann, Verlag in Stuttgart. 



Lehmann's VolkshiKliscIiule. 

Klein 8^ Eleg. geb. mit Silbupressung. 
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Dr Fr. Börtzler. 

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märchen. Ihre Entstehung und Erklärung von 
Dr. O. Weddigen. 



• Zu Joh. Phil. Paim's 100. Todestaq ! • 
Deutschland in seiner tiefen Ernie- 

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Text und Tafeln getrennt in 2 Bänden JL 52.—. 



Die 

Deutsche Sprache. 



Kurzer Abriss 



der 



Geschichte unserer Muttersprache von den ältesten 
Zeiten bis auf die Gegenwart 



Dr. S. Feist. 



Mit neun Tafeln, zwei Abbildungen im Text und einer Karte. 



Stuttgart ' 

Verlag von Fritz Lehmann. 
1906. 



h 



DENiCKf 



G. Otto's Hof-Buchdraekerei, Darmstadu 



w 



Dem Andenken 

meiner lieben Mutter 



widme ich 



dies Büchlein 



über 



unsere Muttersprache. 



l -ui P''> 



Vorwort. 



Das vorliegende Werkchen gibt eine kurzge- 
fasste Darstellung der Entwickelung unserer Mutter- 
sprache. Abweichend von andern Büchern gleichen 
Ziels ist die Anordnung des Stoffes nicht in syste- 
matischer Weise, sondern nach dem geschichtlichen 
Verlauf der Entwickelung erfolgt. Von den bei- 
gegebenen Abbildungen sind manche erst an dieser 
Stelle einem grösseren Leserkreis zugänglich gemacht, 
so No. 1, No. VII, No. IX, wohl auch No. II. Das 
Büchlein wird sich (den Lehrern der deutschen 
Sprache, den Studenten der germ. Philologie, den 
Schülern der höheren Klassen, überhaupt allen 
Freunden unserer Muttersprache hoffentlich als 
nützlich erweisen. 

Berlin N., Weinbergsweg 13, im Mai 1906. 

Der Verfasser. 



Druckfehler. 



S- rt, Z.. lO V. u. lies „dyäush" statt dy ush. 

S. 51. Z. 11 u. 20 V. o. lies »Infinitiv« statt Infinitif. 

S. f)K Z. 2 V. u. lies „döms" statt d nis. 

S. 6a, Z. 10 V. u. lies „svgtas" statt sv tas. 

S. 74. Z. 14 V. u. lies „Halbzeile" statt Hauptzeile! 

S* 166. Z. 11 V. o. lies „sie** statt diese. 

Sp 16S, Z. 3 V. o. lies „heisst" statt heis t. 



Inhaltsverzeichnis. 



1. Inhattsverzeichnis ^ . . . . 

2. Verzeichnis der beigegebenen Tafeln . 

3. Häufig gebrauchte Abkürzungen 

4. Einleitung : Ueberblick über die Bildung 
Sprachlaute . . . . . 



der 



Seite 

VII— IX 
IX 
IX 

XI— XVI 



1— 24 

1- 7 

7— 15 

16— 20 



25- 77 



25— 
31— 



31 
36 



Kap. 1. 
Urgeschichte der deutschen Spfdche 
§ 1. Die indogermanische Grundsprache . 
I 2. Die urgermanische Sprache . . 

§ 3. Die germanische Runenschrift . 
§ 4. Die altgerm. Dialekte. — Die gotische 

Sprache . . . . . . . 20— 24 

Kap. II. 
Der althochdeutsche Zeitraum (bis 11 00 n. Chr.) 
§ 5. Vorliterarische Zeit und Ausdehnung des 

Althochdeutschen . . 
§ 6. Sprachquellen der althochdeutschen Zeit 
§ 7. Der althochdeutsche Konsonanten- und 

Vokalbestand 

§ 8. Deklination und Konjugation im Althoch 

deutschen . . 

§ 9. Althochdeutsche Wortbildung . 
, § IG. Wortton Und Kunstformen der poetischen 
Sprache im Althochdeutschen . 

Kap. m. 

Der mittelhochdeutsche Zeitraum (1100—1500) 
§ 11» üebergangszeit vom Althochdeutschen zum 

Mittelhochdeutschen 

§ 12. Ausdehnung und Gebrauch der hochdeutsch. 

Sprache in mittelhochdeutscher Zeit 



37— 45 

45- 56 
56— 68 

68- 77 



78—128 
78— 81 
81— '89 



pr 


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;i,^' 










§ 13. 

§ u. 




/ 


§ 15. 

§ 17. 



VIII 



Seite 



Ueberblick ober die Sprachquellen der 

mittelhochdeutschen Zeit 90 — 96 

Der mittelhochdeutsche Konsonantismus 

und Vokalismus 96—107 

Deklination und Konjugation im Mittel- 
hochdeutschen 107 — 116 

Wortton und Verskunst im Mittelhochd. 116 — 123 

Französischer Einfluss auf das Mittelhochd. 123 — 128 

Kap. IV. 

Der neuhochdeutsche Zeitraum (von 1500 an) . 129—217 
§ 18. Uebergangszeit vom Mittelhochdeutschen 

zum Neuhochdeutschen .... 129—135 
§ 19. Die Entstehung der neuhochdeutschen 

Schriftsprache . . . . 135—144 
§ 20. Die Ausbreitung der neuhochdeutschen 

Schriftsprache im 16. und 17. Jahrhundert 144—152 
§ 21. Der Einfluss des Humanismus und des 

Französischen auf die neuhochdeutsche 

Schriftsprache , . . . . .152—161 

§ 22. Der Kampf gegen die Fremdwörter . 161 — 168 
§ 23. Die neuhochdeutsche Schriftsprache im 

18. und 19. Jahrhundert . . . . .168 — 178 
§ 24. Der Vokalbestand der neuhochdeutschen 

Schriftsprache . . . . . . 178— 185 

§ 25. Der Konsonantismus der neuhochdeutschen 

Schriftsprache . 185— 1^1 

§ 26. Deklination und Konjugation im Neuhoch- 
deutschen 191 — 199 

§ 27. Die neuhochdeutsche Rechtschreibung . 199—206 
§ 28. Die heutigen deutschen Mundarten und die 

Schriftsprache 207^217 



Anhang: Erklärungen und Textumschriften zu den 

Tafeln 1— IX 218—228 

Sach- und Namensverzeichnis .... 229 — 236 



— IX — 



Verzeichnis der beigegebenen Tafeln. 

I (vor dem Titelblatt): Althochdeutsche Inschrift. 
II (zwischen S. l8 und 19): Die Spange von Freilaubersheim. 

III (zwischen S. 24 und 25) : Eine Seite aus dem sog. Codex 
argenteus in gotischer Sprache und Schrift. 

IV (zwischen S. 32 und 33): Der Anfang des Hildebrands- 
liedes. 

V (zwischen S. 86 und 87) : Deutsche Urkunde Rudolf von 
Habsburgs'. 

VI (zwischen S. 118 und 119): Einige Strophen aus der 
Hohenems-Lassbergschen Handschrift des Nibelungen- 
liedes. 

VII (zwischen S. 132 und 133): Aeltester deutscher Druck: 
Das Mainzer Fragment vom Weltgericht. 

VIII (zwischen S. 142 und 143): Denkspruch Martin Luthers. 
IX (zwischen S. 158 und 159): Nr. 38 der Wöchentlichen 
Reichs Ord: Zeitung vom 11. Sept. 1683. 
X (zwischen S. 206 und 207): Karte der heutigen deutschen 
Mundarten. 



Häufig gebrauchte Abkürzungen: 


A(cc). = Accusativ. 


Neutr. = Neutrum. 


Ahd. = Althochdeutsch. 


Nhd. = Neuhochdeutsch. 


Altnord. = Altnordisch. 


Ndd. = Niederdeutsch. 


D(at). = Dativ. 


N(om). = Nominativ. 


Engl. =Jlnglisch. 


Nord. = Nordisch. 


Fem. = Femininum fweibl.). 


Nordd. = Norddeutsch. 


G(en). = Genitiv. 


Part. = Partizip. 


Germ. = Germanisch. 


Perf. =- Perfekt. 


Got. = Gotisch. 


Praes. = Praesens. 


Gr. = Griechisch. 


Praet. = Praeteritum. 


Hd. = Hochdeutsch. 


Pl(ur). = Plural. 


Idg., Indogerm. = Indogerma- 


Run. — Runeninschriftlich 


nisch. 


Sing. = Singular. 


Ind. = Indisch. 


Södd. = Süddeutsch. 


Lat. = Lateinisch. 


Urgerm. = Urgermanisch. 


Masc..= Masculinum (männl.). 


Umord. = Urnordisch. 


Mhd. = Mittelhochdeutsch. 





Einleitung. 



Ueberblick über die Bildung der Sprachlaute. 

Der aus den Lungen kommende Luftstrom geht 
durch die Luftröhre (s. Abbildung weiter unten), 
in der sich der Kehlkopf befindet. An dessen 
unterem Ende sitzen die Stimmbänder, die die 
Stimmritze zwischen sich einschliessen. Von da 
gelangt der Luftstrom am weichen und harten 
Gaumen vorbei in den Mundraum und in die 
Nasenhöhle., Gegen die Rachenhöhle ist die 
Luftröhre durch den Kel^deckel abgeschlossen, 
der sich beim Atmen imd Sprechen öffnet. I^m 
Mundraum befindet sich noch die Zunge, die mit 
der Zungeriwurzel am unteren Teil des Schlunds 
befestigt ist. Den Abschluss des Mundraums bilden 
die Zähne, denen die Lippen vorgelagert sind. 
Dies sind die Organe, die bei der Bildung der 
Sprachlaute in Betracht kommen. 

Die folgende Abbildung stellt eine schema- 
tische Wiedergai^e dieser Organe vor. Die ver- 
schiedenen Laute sind an der Stelle eingetragen, 
wo sie in der Regel gebildet zu werden pflegen. 
Punktierte Linien zwischen zwei Stellen wollen be- 
sagen , dass bei der Hervorbringung eines Lautes 
beide vereint in Tätigkeit treten. 




^ xn - 

Schematische Darstellung der Lautbildungs^ 

Organe. 



Oherxähnt^^ü^^^!:^ 




Anm. Durch ein Vergehen des Zeicimers isi an (ier Zungtn- 
spilxe V statt rit:htigcui r (2uDgen-r) gcrinickt 

Erklärungen. 

I. Je nachdem bei der Hervorbringung eines 
Lautes die Stimmbänder (die wir uns wie die 
Lippen einer Pfeife vorzustellen haben) a) mitwirken, 
d. h. in Schwingungen versetzt werden, oder b) schlaff 
hängen und den Luftstrom ungehindert durch die 



— XIII — 

Stimmritze gehen lassen, unterscheiden wir a) tö- 
nende (stimmhafte) und b) tonlose (stimmlose) 
Laute. 

a) Zu den tönenden Lauten gehören alle 
Vokale (und Doppelvokale), die Liquiden r, 1, 
die Nasale (oder Nasenlaute) m, n; endlich die 
Reibelaute j, s, w und die sog. Medien g, d, 
b in norddeutscher Aussprache. 

b) Zu den tonlosen Lauten rechnet man 
die sog. Tenues k, t, p, die Reibelaute ch, seh, 
s, f, th (engl. Ausspr.); femer die Reibelaute j und 
w sowie die Medien g, d, b in süddeutscher Aus- 
sprache. 

2. Nach den Attikulations- (d. h. Hervor- 
bringungs) st eilen unterscheiden wir: 

a) Lippenlaute (Labiale): p, b; m; südd.w. 

b) Zahnlaute (Dentale): t, d; n; seh, s, z, 
th (engl.); Zahnlippenlaute (Labio- 
dentale) sind: f, nordd. 'W. 

c) Gaumenlaute (Gutturale): k, g; eh, j. 

3. Das wichtigste Sprachorgan ist die Zunge. 
Unter ihrer Mitwirkung erst entstehen die Zahnlaute 
und Gaumenlaute. Legt sie sich fest an die Zähne 
bezw. den Gaumen, so entstehen durch Lösung 
dieses „Verschlusses" 

a) Die Verschlusslaute, t, d; k, g; p, b 
sind dagegen Lippenverschlusslaute. 

Bildet die Zunge nur eine Enge zwischen Zähnen 
bezw. Zahnkiefer und Gaumen, so entstehen durch 
„Reibung" des Luftstromes an dieser Enge 




— XIV — 

b) die Reibelaute (Spiranten): seh, s, z, th 
ä^^ (engl.) ; ch, j ; w und f sind Lippen- bezw. Lippen- 

zahn-Reibßlaute. 

c) Reine Zungenlaute sind 1, wobei die Ränder, 
und r, bei dem die Spitze der Zunge in Schwin- 
gungen versetzt werden. In der städtischen Aus- 
sprache tritt an Stelle des Zungen-r das Zäpfchen-r, 
dessen rollender Laut durch die Schwingungen des 
Zäpfchens erzeugt wird* Beide r verblassen leicht 
zu kaum wahrnehmbaren Geräuschen. 

4. Die Vokale werden erzeugt infolge der 
verschiedenen Klangfarbe, die der Stimmton durch 
die Stellung der Zunge im, Mundraum und die 
Form der Lippen erhält. Mk gesenktem Zungen- 
rücken und normaler Lippenöffnung wird der Vokal 
a hervorgebracht; bei e nähert sich der vordere 
Zungenrücken, bei i liegt er dicht am vorderen 
harten Gaumen, wobei sich die Lippenöfihung ver- 
breitert; bei o und u höhlt sich der vordere Teil 
und hebt sich der hintere Teil der Zunge weniger 
oder mehr; die Lippen werden ebenso jg^erundet 
und vorgestülpt. Mannigfache Zwischenstufen er- 
geben sich, auch findet Verbindung zweier Artiku- 
lationsarten statt (s. Zeichnung weiter unten); so ent- 
stehen z. B. offenes und geschlossenes e (vgl. § 7, 
S. 43 und § 14, S. 104) sowie die Doppellaute 
(Diphthonge), 

5. Der Hauchlaut h entsteht, wenn der Luft- 
strom (mit leichter Reibung) frei durch den Mund- 
raum geht. Durch Verbindung des Lautes h mit 
den tonlosen Verschlusslauten p, t, k entstehen die 
tonlosen Hauchlaute (Aspiraten) ph, th, kh. 



— XV — 

Alle anlautenden p, t, k werden im Deutschen als 
solche Aspiraten gesprochen, während das Praü- 
zösische z. B. diese Aussprache nicht , kennt; man 
vgl. deutsch Kaffee mit franz. cafi. Die indoger- 
manische Ursprache kannte auch tönende Hauch- 
laute bh, dh, gh (vgl. § 2, S. 8). 

6. Die Nasenlaute (Nasale) m und n ent- 
stehen durch Verschluss der Lippen bezw. der 
Zunge und des vorderen harten Gaumens (Alveole), 
wenn der Luiftstrom durch Senkung des weichen 
Gaumens zugleich durch die Nasenhöhle und die 
Nase entweicht. 



Uebersicht der deutschen Sprachlaute.^ 
A. JfConsonanten. 





Verschluss- 
laute 


Reibelaute 


Nasale 


Liqui- 
den 


Lippenlaute . . 


P 


b 


f. V 
s, z 
seh 
ch 


w 

(sOdd.) 
w 
(nordd.) 

s 

(nordd.) 


m 


— 


Zahnlaute . . . 


t 


d 


n 


1 


Gaumenlaute . . 


k 


g 


j 


n (vor 
k.g) 


r 




Tonlos 


Tönend 


Tonlos 








\ 


Tönend 



— XVI — 
B. Vokale. 







n^-^L'^ 



Kapitel 1. 

Urgeschichte der deutschen Sprache. 



Die indogermanische Grundsprache. 

Wie der Anfang der Sprache überhaupt, so ist 
auch die Urzeit unserer Muttersprache in tiefes 
Dunkel gehüllt. Die vergleichende Sprachforschung 
führt uns zwar viele Jahrtausende zurück und lässt uns 
einen Blick werfen in eine ferne Zeit, wo unser Volk 
noch vereint mit sprach- und vielleicht auch stamm- 
verwandten Völkern ein allen gemeinsames Idiom 
redete, aber der Beginn dieser indogermanischen Indoger- 
Grundsprache ist damit noch lange nicht erreicht. 
Im Gegenteil ! Sie steht schon auf der Höhe einer 
in Wortformen, Flexion und Betonung reich ausge- 
bildeten Sprache; auch die Anfänge eines geglieder- 
ten Satzbaus lassen sich in ihr nachweisen. 

Zum indogermanischen (auch indoeuropäischen 
oder arischen)Sprachstamm gehören in Asien die Inder, 
Perser und Armenier; in Europa die slavischen 
Völker (Russen, Polen, Tschechen, Bulgaren, 
Serben, Litauer u. s. w.), die Griechen, die Alba- 
nesen, die Italiener, Spanier, Portugiesen, Fran- 
zosen und Rumänen (die Sprachen dieser Völker 
als Tochtersprachen des Lateinischen), die Ueber- 

F!el8t, Die deutsche Sprache. 1 



manen. 



— 2 ~ 

reste der Kelten in der Bretagne, in Wales, Schott- 
land und auf einigen Inseln und endlich die Ger- 

Germanen, manen. Diese zerfallen heute in die Nordgermanen 
(Dänen, Norweger, Schweden) und die Süd- 
germanen (Hoch- und Niederdeutsche, Friesen, 
Holländer mit den Vlämen). Zu den Südgermanen 
gehörten einst auch die nach dem heutigen Eng- 
land ausgewanderten Angelsachsen, deren Sprache, 
untermischt mit altfranzösischen Bestandteilen, als 
Englisch eine der weitverbreitetsten Sprachen der 
Erde geworden ist. 

-Weit grösser aber war der deutsche Sprach- 
stamm noch zu Beginn des Mittelalters: Ostgoten 
und Westgoten, Longobarden und Burgunder, 
Vandalen, Alanen, Rugier u. a. geliörten ihm an. 
Als die von diesen germanischen Stämmen begrün-: 
deten Reiche im Laufe der Geschichte untergingen 
oder ihre Selbständigkeit verloren, da gingen auch 
ihre Sprachen in den sie umgebenden romanischen 
Volksdialekten bis auf geringe Reste auf. Auch die 
Sprache der Westfranken, deren Reich bestehen 
blieb, ist verschollen; nur eine kleine Zahl Wörter 
ist ins Französische gedrungen. Allein vom West- 
gotischen sind uns grössere Reste erhalten (s. § 4) ; 
von den anderen Dialekten nur einzelne Wörter oder 
Namen. 

Wohnsitze In den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrech- 

der Ger- ^m^g sassen die oben genannten germanischen Stäm- 
manen. . . .-.,., . , 1. , ... 1 

me m einem Qebiet, das sich westlich über den 

Rhein und südlich bis zur Donau erstreckte. Im 
Osten dehnte es sich bis zur Ostsee und ins heutige 
Russland, im Norden bis tief nach Skandinavien 
hinein aus. Dies waren aber schwerlich ihre ur- 
sprünglichen Wohnsitze. Eine alte UeberHeferung 



- 3 - 

der Ostgoten besagt, dass sie aus Skandinavien ausge- 
wandert seien ; in der Tat erinnern noch heute Namen 
wie Gotland und Göteborg an sie, und deshalb sehen 
manche Forscher überhaupt den Norden als die Ur- 
heimat der Germanen an. Wahrscheinlich ist dies 
nicht, eher kommt Osteuropa dafür in Betracht; in- 
des lässt sich hierüber ebensowenig etwas mit Sicher- 
heit behaupten wie von der Urheimat der grösseren 
Stammesgenossenschaft, der Indo-Germanen. 

Nach der früher herrschenden Ansicht suchte man Ursitze der 
die Wohnsitze des indogermanischen Urvolks auf der "^°* 
Hochebene Pamir im mittleren Asien. Von da seien 
die verschiedenen Stämme teils südöstlich, teils süd- 
westlich, teils nordwestlich in ihre späteren Wohnsitze 
gewandert. Wenn nun auch manche Gründe für die 
asiatische Herkunft der Indogermanen und somit 
auch der Germanen sprechen, so stehen dieser An- 
nahme doch schwerwiegende Bedenken entgegen, 
die neuere Forscher veranlasst haben, den Ursitz 
nach Europa in die weiten Steppen Russlands zu 
verlegen, da die Beschaffenheit dieser Gegend am 
meisten den Ergebnissen entspricht, die für die Kultur- 
stufe der Indogermanen und ihre Naturkenntnis er- 
mittelt worden sind. Eine sichere Beweisführung ist 
aber zurzeit noch nicht gelungen. 

Von diesem Urvolk, das auf verhältnismässig Wande- 
kleinem Raum zusammengedrängt sass, lösten sich"*""^^" ^^* 
nacheinander einzelne Stämme los, oft vielleicht «ermanen. 
mehrere, die noch eine Zeitlang einen gewissen Zu- 
sammenhang gewahrt zu haben scheinen. So sind 
Inder und Perser durch gemeinsame sprachliche Merk- 
male einerseits imd manche europäischen Völker 
anderseits unter sich verbunden. Besonders die Italer 
und Kelten, auch die Kelten und Germanen weisen 




^iViele Uebereinstimmungen auf« Im grossen und 
ganzen indes entwickelte sich jede Sprache, sobald 
ihre Träger sich vom Urstamm losgelöst hatten, in 
ihrer besonderen Art. Welche Gründe zu dieser 
Sonderentwicklüng geführt haben, lässt sich schwer 
sagen. Vermutlich bestanden schon in der Ursprache 
die Keime zu verschiedenartiger, Entwicklung, viel- 
^tV leicht infolge dialektischer Besonderheiten ; in ihren 

^i^ * neuen Wohnsitzen fanden die Einwanderer neue kli- 
^ r. : matische Verhältnisse vor, ferner eine eingesessene 

4^ Urbevölkerung, wie die Dasjus in Indien, die Pelasger 

<;V in Griechenland, die sog. Pfahlbauer in Mitteleuropa. 

^ V Diese Urbevölkerungen wurden wohl nie gänzlich 

:' ausgerottet, vielmehr scheinen die einwandernden 

Indogermanen sich als die herrschende Rasse festge- 
setzt, ihre Kultur und Sprache den Eingeborenen auf- 
gedrungen und sich mitihnen, nach späterenVorgängen 
zu schliessen, auch teilweise vermischt zu haben. • 
So kam es, dass die oben genannten indogermanischen 
Sprachen, als sie zum erstenmal schriftlich aufge- 
zeichnet und der Nachwelt überliefert wurden, SjO 
grosse Verschiedenheiten aufweisen, dass erst die 
gelehrte Forschung ihren gemeinsamen Ursprung fest- 
zustellen vermöchte. 
Die Franz Bopp (geb. zu Mainz 1791, gest. zu 

'"tischr^^^^^^ 1867), der Begründer der vergleichenden 
Grund- Sprachwissenschaft, hat zuerst den wissenschaftlichen 
spräche. Nachweis von der einstigen Zusammengehörigkeit der 
indogermanischen Sprachen geführt. Durch seine 
und seiner Nachfolger Forschungen ist es gelungen, 
ein ungefähres Bild des lautHchen Zustands der ge- 
meinsamen Ursprache zu gewinnen. Wie weit zurück- 
liegend wir uns diese zu denken haben, lässt sich 
daran ermessen, dass die ältesten Teile der heiligen 



D — 



Bücher der luder, der sog. Vedas, bis ins 3. Jahr- 
tausend V. Chr. zurückreichen. Nun haben nach Aus- 
weis dieser Lieder die Inder zu jener Zeit erst den 
Indus Erreicht; ihr späterer heiliger Fluss, der Ganges, 
ist ihnen damals noch unbekannt gewesen. Vorher 
muss aber die Periode der Wanderschaft der Inder 
angesetzt werden, über deren Dauer wir freilich nichts 
Genaues wissen können; nur eines lässt sich sagen, 
dass um 2000 v. Chr. die Sprache der Inder sich 
in ihrer lautlichen Gestalt nicht unbedeutend von der 
erschlossenen Ursprache entfernt hatte, also schon 
eine längere selbständige Entwicklung hinter sich 
haben musste. Das folgende Verzeichnis wird zu- 
nächst die wiederhergestellte indogerm. Urform eines 
Wortes und sodann die entsprechenden Wörter einiger 
Hauptsprachen (Indisch, Griechisch, Latehr und 
Deutsch) bringen. 

Indogerm.: Indisch: Griechisch: Latein: Deutsch: 



I. 


nomn 


näman 


onoma 


nomen 


Name 


2. 


agros 


ajras 


agros 


ager 


Acker 


3. 


pate(r) 


pTta 


pater 


pater 


Vater 


4. 


mäte(r) 


mätä 


mäter 


mäter 


Mutter 


5. 


sv6kuros 


sväsuras 


hekyros 


socer 


Schwager 


6. 


Djeus 


dy ush 


Zeus 


Jupiter 


Ziu 


7- 


jugom 


yugdm 


zyg6n 


jugum 


Joch 


8. 


vlkos 


vfkas 


lykos 


lupus 


Wolf 


9. 


gous 


gäush 


bous 


bös 


Kuh 


10. 


udhar 


üdhar 


oüthar 


über 


Euter 


1 1. 


pöd(s) 


pat 


pous 


pes 


Fuss 


12. 


müs 


müsh 


mys 


mus 


Maus 


T3. 


m6dhu 


midhu 


m^thy 


— 


Met 


14. 


n6ktis 


ndktis 


nyx 


nox 


Nacht 


15- 


n^vos 


ndvas 


ne(v)os 


noviis 


neu 



> 







' 


Indogerm. 


: Indisch : 


i6. 


bh6rO 


bhdrami 


17- 


tr6jes 


trdyas 


i8. 


apo 


dpa 


19. 


upo 


üpa 


20. 


tod 


tad 



6 — 

Griechisch: Latein: Deutsch: 
ph6ro fero ge^däre 

treis tres äret 

ap6 ab ai^ 

(h)yp6 — o3 

to (is-)tud äas 

In der voranstehenden Liste sind fast alle Rede- 
teile durch Beispiele vertreten: wir finden Haupt- 
wörter (Eigenname No. 6, Gattungsnamen 8, 9, 12, 
Verwandtschaftsbezeichnungen 3, 4, 5, u. a.), ein 
Eigenschaftswort (No. 15), ein Zeitwort (No. 16), ein 
Zahlwort (No. 17), zwei Verhältnis- bezw. Umstands- 
Reichtum wörter (No. 18 und 19), ein Fürwort (No. 20). Wir 
der indo- gi-geji^n daraus, dass die indogerm. Grundsprache 
Grund- schon alle grammatischen Kategorien der heutigen 
spräche. Sprachen aufweist. Im Reichtum an Lauten, Nominal- 
und Verbalformen ist sie denselben sogar weit über- 
legen und übertrifft darin auch die alten Sprachen 
noch beträchtlich. Ebenso ist der Wortschatz der 
Indogermanen für ihre einfachen Verhältnisse als sehr 
reich zu bezeichnen; oft scheinen sogar mehrere 
Ausdrücke für denselben Begriff vorhanden gewesen 
zu sein, von denen die Einzelsprachen bald diesen, 
bald jenen bewahrten. Während z. B. für „rot" ein 
einheitliches Wort durch alle indogerm. Sprachen 
hindurchgeht: ind. rudhiräs, griech. erythr6s, lat. 
ruber, deutsch rot, gehen die Benennungen für „weiss" 
auseinander : ind. rocas -= griech. Ieuk6s ; ind. svetas 
Kultur der .=. deutsch weiss. Besonders reich vertreten waren 
Indo- |j^ ^^^ Ursprache die Verwandschaftsnamen, was auf 
ein vielgegliedertes Familienleben schliessen lässt. 
Aber auch die Anfänge der Staatenbildung zeigen 
sich bei dem Hirtenvolk, dem der Ackerbau sowie 
die Verarbeitung der Metalle zu Geräten und Waffen 



— 7 — 

nicht mehr unbekannt war. Die Kenntnis des Haus- 
baus und die Verwendung von Kleidern ist nach- 
zuweisen, Fleisch- und Pflanzennahrung ist gleich- 
massig vertreten. Schon wurde das Jahr in Monate 
eingeteilt, und ein höchstes Wesen wohl als „Licht- 
gott" (No. 6 in der Liste) verehrt. Als sich unsere 
germanischen Urväter von dem indogerm. Stammvolk 
trennten, nahmen sie daher einen grossen Vorrat an 
sprachlichem Gut und eine nicht unbedeutende Kultur 
aiif ihre Wanderung und ii> ihre neuen Wohnsitze mit. 

§ 2. 

Die urgermanische Sprache. 

Nachdem sich die germanischen Stämme von 
dem indogermanischen Urvolk losgelöst hatten^ 
bildeten sie noch lange Zeit eine sprachliche Ein- 
heit, die man als die urgermanische Periode zu 
bezeichnen pflegt. Diese Annahme rechtfertigt sich 
durch den Umstand, dass sämtliche germanischen 
Dialekte gemeinsame Aenderungen erlitten haben, 
die sie scharf von der indogermanischen Grund- 
sprache und ihren indogermanischen Schwester- 
sprachen unterscheiden. Die augenfälligste dieser 
Veränderungen ist die von dem berühmten Ger- 
manisten Jakob Grimm (geb. 1786 in Hanau, gest. 
1863 zu Berlin), dem Begründer der deutschen 
Sprachwissenschaft, sogenannte (erste) Lautver- Lautver- 
schiebung. Diese Erscheinung betrifft die indo- Schiebung, 
germanischen Konsonanten und zwar: 

1. die tonlosen Verschlusslaute p, t, k, 

2. die tönenden Verschlusslaute b, d, g, 

3. die tönenden Hauchlaute bh, dh, gh, 

4. die tonlosen Hauchlaute ph, th, kh. 



1. Die tonlosen Verschlusslaute p, t, k werden 
zu tonlosen Reibelauten f, th (nach engl. Art aus- 
zusprechen '), ch (in acb, doch), später h. So 
entspricht griech.-Iat. pater unser Vater (v = f), 
lat. piscis deutsch Fisch ; griech. treis, lat tres 
= engl, three „drei**; griech. -lat. mater = engl, 
mother „Mutter**; lat. celare = deutsch hehlen; 
griech. deka, lat. decem = deutsch zefin. 

2. Die tönenden Verschhisslaute b, d, g wer- 
den zu tonlosen p, t, k : lat. labor „sinke** = engl, 
sleep „schlafe**; gr. deka, lat. decem =r engl, ten 
„zehn**; lat. sedeo = engl, sit „sitzen**; gr. agros, 
lat. ager = deutsch Acker; gr. gonu = deutsch 
Knie. 

3. Die tönenden Hauchlaute bh, dh, gh wer- 
den zu tönenden Reibelauten, sodann zu tönenden 
Verschlusslauten b, d, g: gr. phegos, lat. fagus 
= deutsch Jauche; lat. nebula = Nehel] gr. ery- 
thros, ind. rudhiras = engl, red' „rot**; lat. veho 
(für vegho) „fahre*.* = deutsch be-wegen. 

4. Die tonlosen Hauchlaute ph, th, kh, die 
nur noch im Indischen erhalten sind und deren 
Vorhandensein für die Ursprache nicht sicher er- 
wiesen ist, werden in allen anderen indogerm. 
Sprachen wie die tonlosen Verschlusslaute (No. i) 
behandelt: ind. khodas =:;: got. halts „lahm**. 

Wohl sind im Laufe der Zeit in allen indo- 
germ. Sprachen die von der Ursprache überkom- 
menen Konsonanten nicht unverändert erhalten ge- 
blieben, wie viele der vorstehenden Beispiele zeigen, 

* Dem Hoch- und Niederdeutschen ist dieser Laut veiioi'en 
gegangen, an seine Stelle tritt d; vergl. engl, three = drei-, 
engl, brother -- hochdeutsch Bruder, s. § 7. 



— 9 — 

doch keine von ihnen hat eine so durchgreifende . 
und so gesetzmässige Wandelung des ursprüng- 
lichen Systems erlitten wie das Germanische. Wel- 
ches mag wohl die Ursache dieser einschneidenden 
Veränderung gewesen sein? Eine Vermutung, die 
aber durch gleichartige Erscheinungen in verschie- 
denen Gegenden gestützt wird, ist folgende : Man 
nimmt an, dass das germ. Urvolk auf dem Zuge , 

in seine späteren Wohnsitze eine Zeitlang in einem 
Hochgebirge (Karpaten?) ansässig gewesen sei, wo 
durch die verstärkte Atmungstätigkeit auch eine 
Verschärfung der Sprechvorgänge erfolgt sei. Die- 
selbe Ursache mag vielleicht auch die Zurückzieh- 
ung des Akzents auf die Stammsilbe bewirkt haben. 
Der urgermanische Konsonantismus .umfasste 
zum Schlüsse folgende Laute: 

Stimmlose Verschlusslaute : p, t, k 

Stimmlose Reibelaute: th, ch, s 

Stimmhafte Reibelaute: b (b), d (d), g (g), z 

Halbvokale: w, j, Liquida: r, 1, 

Nasale: m, n. 

Ausser dem Konsonantensystem erlitt das indo- Vokal- 
germanische Vokalsystem im Urgermanischen einige ^y**^^™- 
Veränderungen. So wird ö allgemein zu a : gr. 
lat. octo =^ deutsch acht; oi und ou demgemäss 
zu ai und au = neuhochdeutsch ei, au : altlat. 
oinus, vspäter Onus = got. ains ,,eins**; ä wird zu 
O : lat. fräter = engl, brother; ei wird x : gr. steicho 
r^ ahd. stigan (got. steigan, ei == l) „steigen". 
Daher stellt sich das urgerm. Vokalsytem folgender- 
massen dar: 

Kurze Vokale: a, e, i, u; 
Lange X'okale: ä, e, T, ö, li ; 
Diphthonge: ai, au, eu. 



— lO — 

Urgcrra, ?. hatte einen doppelten Lautwert, es 
ist I. offenes se aus idg. e z.B. got. seths „Saat": 
lat. se-men. 2. geschl. e in Fremdwörtern wie Greks 
„Grieche**, auch sonst: her „hier'* u. a. Urgerm. 
ä ist neuentstanden aus an vor h durch Wegfall 
des Nasals : got. thahta ,, dachte** zu thagkjan. 
Ablaut. Das Germanische übernahm aus der Ursprache 

einen geregelten Wechsel der Vokale der Stammsilben, 
den J. Grimm ., Ablaut" nannte. Auch in Ableitungs- 
silben trat er im Indogerm. häufig ein, wovon das 
Germ, freilich nur einzelne Spuren erhalten hat. 
Hier betrachten wir die einschlägigen Erscheinungen 
nur insoweit, als sie für die deutsche Sprache in 
Betracht kommen und erläutern sie an Beispielen aus 
der goti&chen Sprache (§ 4). 

I. Aus dem indogerm. Ablaut e : o : e : e oder 
Schwund des Vokals (vgl. griech. d^rkomai : d^- 
dorka : edrakon (ra = r) „schaue, schaute**) wur- 
den durch lautgesetzlichen Wandel des o zu a und 
des vokalischen n, m, 1, r, zu un, um, ul, ur 

Ablauts- (got. aür geschrieben) folgende Ablautsreihen : 
reihen. 

1 . giban : gaf ; gebum : gibans (i für gemein- 

germ. e) „geben, gab, gaben, gegeben**, 

2. niman : nam : nemum : numans „nehmen** ; 
bairan (ai = e) : bar : börum : baürans 
„trageu**, 

3. bindan : band : bundum : bundans „bin- 
den**; wairpan : warp : waürpum : waürpans 
„werfen**. 

II. Traten zu dem Wurzelvokal e die Vokale 
i oder u hinzu, so ergaben sich die indogerm. 
Reihen ei : oi : i und eu : ou : u [vgl. griech. 
peftho : p6poitha : (^pithon „gehorchen** und eleü- 



^.i^ 



somai : elfeloutha : feluthon „kommen"], denen im 
Germanischen folgende Reihen entsprechen: 

1. \ (got. ei) : ai : i 

greipan : graip : gripum : gripans „greifen". 

2. eu (got. iu) : au : u 

biudan : bauth : budum : budans „bieten". 

III. Ferner gab es einen indogerm. Ablaut 
a : ä : ö (?), der im Germ, zu a : o werden musste 
(vgl. gr. pham6n : phdmi : phonfe, zur Wurzel pha 
„sprechen"): got. faran : för : f ">rum : farans „fahren". 

Auch in Ableitungssilben ist der Ablaut im Germ. Ablaut in 
noch nachweisbar; dem griech. ph6rOmen : ph6rete S"'"^^"- 
entspricht got. bairam : bairith „wir tragen, ihr 
traget"; man vergleiche ferner die Deklination: 
sunus : sunaus (Nom. PL) : suniwe (Gen. PL) „Sohn, 
Söhne" oder anstiin : anstais (Gen. Sing.) : ansteis 
(Nom. PL) „Gunst". 

Der indogerm. Vokalismus erlitt im Germ, weitere 
Veränderungen durch Angleichung der Vokale der- 
selben oder benachbarter Silben. So wird indogerm. I-Umlaut. 
e zu iim Doppellaut ei germ. i (got. ei geschrieben, 
s. oben und Ablautsreihe II, i), aber auch vor Nasal 
mit folgendem Konsonant: lat. ventus Wind) ferner 
vor einem ursprünglichen Suffix i oder j ; vgl. Neffe : 
Nichte - lat, nepos, neptis. Anderseits werden i Brechung, 
und u des Stammes durch ein a, e oder o der fol- 
genden Ableitungssilbe zu e und o gebrochen (nach 
J. Grimms Benenmmg) : idg. vires : lat. vir : deutsch 
Wer- (in Wergeid) „Mann"; gr. thygater deutsch 
Tochter\ altlat. jugom - deutsch Joch, 

Während in der indogerm. Grundsprache der Akzent- 
Akzent völlig frei war und auf jede Stamm- wie Vor- zurOck- 
und Endsilbe fallen konnte (s. die Liste S. 5), worin ^*^ ^""f' 



r 



12 • — 



die eigentliche Ursache des sog. Ablauts zu suchen 
ist, indem die unbetonte Silbe auch die schwächere 
Vokalstufe erhielt, ging das Germanische schon in 
früher Zeit zu dem System der Stammbetonung oder, 
was meist dasselbe besagen will, der Betonung der 
ersten Silbe über (abgesehen von verbalen Partikeln, 
S^ lo). Die Aenderung tritt aber erst nach dem In- 
krafttreten der Lautverschiebung ein, wie der dänische 
Verners Gelehrte K. Verner (1875) scharfsinnig nachge- 
Gesetz. ^viesen hat. Er zeigte, dass inlautende tonlose Ver- 
schlusslaute, die regelmässig zu tonlosen Reibelauten 
werden (s. oben S. 8), sich zu tönenden (Reibe- 
'und dann) Verschlusslauten wandeln, wenn der indo- 
germ. Akzent nicht die unmittelbar vorhergehende 
Silbe, sondern eine folgende oder vorangehende 
Silbe traf. So ergibt indogerm. bhrat (r) regelmässig 
got. bröthar „Bruder", aber indogerm. pat6(r) got. 
fadar ,, Vater"; indogerm. sep(t)m, ind. saptd, griech. 
hepta deutsch stehen. Im gleichen Falle wurde 
indogerm. s zu tönendem ^ (franz. Ausprache) im 
Gotischen, dann zu r in den übrigen germ. Dialekten : 
ind. ayas, lat. aes got. aiz, althochd. er „Erz". 
Auf den Wechsel zwischen Stamm- und Endbetonung 
im Indogerm. gehen zahlreiche Doppelformen des- 
selben Stammes im Germanischen zurück, z.B. ich wav 
gegenüber gezvesen] der Hof^ aber hübsch (eig. 
höfisch); das Zeichen, aber zeigen] engl, hare 
deutsch Hase u. s. w. (Siehe darüber auch § 8 unter 
„grammatischer Wechsel".) 
Auslauts- Das Zurücktreten des Akzents auf die Stamm- 

Gesetze. Silbe, eine Erscheinung, die um Christi Geburt schon 
nachweisbar ist, hat für die germanischen Dialekte ihre 
Wirkungen in dcw folgenden Jahrhunderten geltend 
gemacht. Während im ältesten Germanisch, das uns 



in vereinzelten Runeninschriften, ferner in germ. Lehn- 
wörtern des finnisch - lappischen Sprachstamms (s. 
weiter unten) entgegentritt, noch die vollen indogerm. 
Endungen erhalten sind (run. dagaR = got. dags 
„Tag", finn. kuningas = altnord. konungr ,, König' ^) 
zeigt uns das Gotische aus der zweiten Hälfte des 
vierten Jahrhunderts schon ihr Schwinden. Aus- 
lautende m, n, d, t sind aufgegeben, ebenso a, e, o 
in Endungen und i, a im Auslaut. Lange Vokale im 
Auslaut werden gekürzt, nur Nasalvokale behalten 
noch ihre Länge; unbetontes e wird zu i. Einige 
Beispiele mögen diese Gesetze erläutern : idg. n6pot, 
lat. nepos = ahd. nefo (t abgefallen) „Neffe**; idg. 
jugom = got. juk (m und o verloren) „Joch**; 
griech. ph6rousi -= got. bairand „sie tragen"; griech. 
ph6ro-^got. baira „ich trage"; indogerm. bh^reti ~ 
got. bairif) usw. Das Bestreben, nicht akzentuierte 
Silben zu schwächen und ihren Vokal ganz verlieren 
zu lassen, herrscht in den germ. Sprachen bis auf 
den heutigen Tag ; das Englische hat die äussersten 
Folgen daraus gezogen, so dass es heute so gut wie 
keine Endungen mehr kennt. 

Schon in frühester Zeit also hatte das Germanische Nachbar- 
seine charakteristischen Züge erhalten, die es von liehe Be- 
den urverwandten Nachbarsprachen, dem Keltischen, Ziehungen 
Lateinischen und Slavischen so sehr unterschieden, Urgerm. 
dass die Römer trotz ihrer jahrhundertelangen Be- 
rührungen mit den Germanen keine Ahnung von der 
nahen Verwandschaft der beiderseitigen Sprachen 
hatten. Aber die Sprachen selbst waren deshalb nicht 
abgeschlossen; unablässig war ein Austausch von 
Worten und Kulturbegriffen zwischen ihnen im Gang, 
wobei das Lateinische und Keltische meist den ge- 
bencjen, das Slavischo den empfangenden Tefl gegen- 



'4 



über dem Germanischen darstellten. Wie gross 
der Einfluss des Lateinischen auf das Germanische 
war, lässt sich daraus erkennen, dass die Zahl der 
lat. Lehnwörter im Altgermanischen schon über 500 
beträgt. Meist sind es Bezeichnungen für Kultur- 
gegenstände, die den Germanen von den Römern 
gebracht wurden : Tiere wie Esel (asinus), Matü-üei 
(mulus); Obst und Gemüse: Frucht (Jx\xci\\%)t Kirsche 
(ceresia), Pfirsich (persicum), Spelz (spelta), Kohl 
(caulis) ; Gewürze : Senf (sinapis), Pfeffer (piper) ; 
Koch- und Backkunst: Küche (coquina), Butter (bu- 
tyrum), Käse (caseus), Essig (acetum) ; Steinbau: 
Keller (cellarium), Mauer (murus), Söller (solarium), 
Fenster (fenestra), Ziegel (tegula), vS'/r^t^^ef (stratea), 
/Y^/2 (platea) ; Einrichtungsgegenstände: Pfühl (pul- 
vinar), got. mes „Tisch** (mensa), Korb (corbis) ; 
Handelsausdrücke: Kauf'Xn^coxi (caupo), Pfund (pon- 
dus), Münze (moneta), Kiste (cista), Flasche (flasca); 
Weinbau : Wein (vinum), Most (mustum >, Z^^6?/(lagena). 
Niemand würde ferner heute in Wörtern wie: Kaiser, 
PfalZy Anher, Arzt oder in Pfeil, Pfütze, schreiben, 
dichten und besonders in vielen kirchlichen Aus- 
drücken wie: Feier, Segen, Pein, Plage, Priester, 
Münster, Orgel, Kreuz und zahllosen andern fremdes 
Sprachgut suchen. Und doch sind sie mit der Sache 
zugleich teils früher, teils später übernommen worden. 
Auch das Keltische hat zum altgerm. Wortschatz 
beigesteuert: Reich, Amt, Eid, Eisen, Ger, Pferd, 
Karren stammen daher. Dem Griechischen hat das 
Germanische manche kirchlichen Ausdrücke direkt 
entlehnt, wie Kirche, Pfaffe, Pfingsten und Samstag. 
Anderseits gab das Germanische unzählige Lehn- 
worte an die slavischen Dialekte ab. Pope (Priester) 
ist das got. papa, -gorod „Stadt" in ^oy/-gorod ^ 



^iWW^ 

- ' . — 15- — 

Neustadt stammt von got. gards (vgl. Star^^^rö^), 
c/i/Je6 „Br<^t" =- deutsch Laid (got. hlaifs) u. s. w. 
Ebenso standen die finnisch-lappischen Nachbarn im 
heutigen Finnland und Lappland jahrhundertelang 
unter dem Einfluss der germanischen Kultur. Be- 
merkenswert ist die Treue, mit der die germanischen 
Lehnworte in d^n finnisch-lappischen Sprachen be- 
wahrt worden sind; besonders wichtig sind für die 
germanische Sprachforschung die Entlehnungen der 
vorhistorischen Stufe, die eine jeder schriftlichen 
Ueberlieferung vorausgehende Sprachgestaltimg, so- 
gar altertümlicher als das Gotische, zeigen. Die 
kurzen Endvokale (siehe S. 13) sind erhalten, der 
Umlaut ist noch unbekannt (vgl. weiter unten § 7), 
wenn auch manche Veränderung mit Rücksicht auf die 
eigenartigen Lautverhältnisse der finnisch-lappischen 
Sprachgruppe, die z. B. keine mehrfachen Konso- 
nanten im Anlaut, keine tönenden Verschlusslaute 
kennt, vorgenommen worden ist. Einige Beispiele 
mögen das Gesagte veranschaulichen: kuningas - 
Könige rikas Reiche rengas — Ring^ leipä -^ Laib 
(Brot), saipo ^ Seife ^ rauma — vS/f^w, kemas gern^ 
patja - Betty lammas - Lamm u. a. m. 

Wie weit anderseits das Germanische von 
der Sprache der vorgeschichtlichen Urbewohner 
Mitteleuropas — Pfahlbauer der Steinzeit u. a. — 
beeinfiusst worden ist, entzieht sich bis jetzt der 
sicheren Beurteilung. Wörter wie Krug, Hanf^ Sil- 
ber u. a. sollen nach der Ansicht mancher Forscher 
daher stammen. 



i6 



r3- 



Die germanische Runenschrift. 

Der römische Schriftsteller Tacitus, dem wir die 
meisten Nachrichten über die Germanen aus dem 
ersten christlichen Jahrhundert verdanken,- bezeugt 
uns, dass die germanischen Stämme geheimnisvolle 
Schriftzeichen besassen, die von den Priestern in 
die abgetrennten Zweige eines Fruchtbaumes ein- 
geschnitten wurden. Diese Holzstücke wurden dann 
über ein weisses Gewand zerstreut und unter Ge- 
beten drei davon aufgehoben, aus denen je nach 
den darauf befindlichen Zeichen geweissagt wurde. 
Doch dürfen wir bei diesen Schriftzeichen schwer- 
lich an die sog. Runen denken, deren Entstehung 
Alter der wohl später anzusetzen ist. Ausdrücklich erwähnt 

Runen- ^jj^g^ gj.g|- gjj^ lateinischer Schriftsteller des aus- 
zeicnen ^ 

gehenden sechsten Jahrhunderts, Venantius For- 

tunatus, der in einem Gedichte einen Freund auf- 
fordert, ihm entweder lateinisch oder in einer an- 
deren Sprache zu schreiben ; er könne ja mit „bar- 
barischen Runen" auf Holztafeln oder einem glatten 
Holzstabe schreiben. 

Aber unsere Zeugnisse für das Alter der Runen 
gehen noch in ältere Zeit zurück. Die frühesten 
Funde in gotischer Sprache (die Speerspitzen von 
Kowel und Müncheberg und der Bukarester Ring) 
sowie die ältesten nordischen Funde stammen aus 
archäologischen Gründen sicher aus dem Ende des 
vierten Jahrhunderts. Indes müssen die Goten die 
Runen noch früher gekannt haben, da Ulfilas 
(311—383, s. § 4) zwei Runenzeichen in sein neu 
erfundenes gotisches Alphabet aufgenommen hat, 
nämlich f] ^— u und X =^ o, und ausserdem die 



— 17 — 

Namen für die Buchstaben des gotischen Alphabets 
mit den mehrfach überlieferten Namen für die ent- 
sprechenden Runenzeichen übereinstimmen. 

Wenn also die Goten um 300 n. Chr. Geburt 
die Runen schon gekannt haben, so muss ihre Ent- 
stehung vor diesem Zeitpunkt in den ersten christ- 
lichen Jahrhunderten angesetzt werden. 

Wo aber sind die Runen zum erstenmal ge- Knt- 
braucht d. h. erfunden worden? Bei der fast voll- ^^^^"der 
ständigen Uebereinstimmung der Runenzeichen auf R^nen. 
gotischem, nordischem, angelsächsischem, deutschem 
und burgundischem Gebiet ist es ausgeschlossen, 
dass sie etwa an verschiedenen Orten unabhängig 
von einander entstanden seien. 

Alle germanischen Runeninschriften der ältesten 
Zeit sind auf vorgeschichtlichen Altsachen ange- 
bracht, die einem von der unteren Donau, von den 
Wohnsitzen der Goten, ausgehenden Kulturstrom 
angehören. Dieser Kulturstrom spaltet sich in eine 
ältere, nach Nordwesten gerichtete, und eine jüngere, 
dem Laufe der Donau folgende, südlichere Abzwei- 
gung. Es ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit 
anzunehmen, dass die Runen bei den Goten, dem 
kulturell in jener Zeit weitaus am höchsten stehen- 
den germanischen Stamm, als Erfindung eines 
Mannes entstanden und in den angegebenen Rich- 
tungen weiter gewandert sind. Ja, es sprechen so- 
gar manche Gründe dafür, dass für die Wande- 
rung derRui>en vielleicht nur der nördliche Kultur- 
strom in Betracht kommt, und der vom Norden 
nach Mitteleuropa ausstrahlende Einfluss sie weiter 
nach Süden verbreitet hat. 

Der Name ,,Rune'' bedeutet ursprünglich „Ge- f^er Name 
heimnis" und hängt mit dem Zeitwort ,,raunen" zu- y*^^^^*'- 

F«lit, Die deuttehe Sprache. 2 



sammen. Es leuchtet ein, dass eine „geheime 
Rede'* durch geschriebene Zeichen den alten Ger- 
manen ebenso zauberhaft erscheinen musste, wie 
noch heute die Schriftzeichen manchen kulturell 
sehr niedrig stehenden Völkern. Haben doch die 
Runen bis heutigen Tages etwas Geheimnisvolles 
bewahrt, obwohl wir über ihre Lesung vollständig 
im Klaren sind, da wir nicht weniger als drei Denk- 
mäler aus sehr alter Zeit (einen Brakteat, d. h. eine 
dünne, einseitig geprägte Goldscheibe aus Vad- 
stena in Schweden, eine Spange aus Charnay in 
der Bourgogne und ein kleines Schwert oder Messer 
aus der Themse) mit vollständigen Runenalpha- 
beten und ausserdem solche Alphabete in mehreren 
Handschriften aus jüngerer Zeit, die teils in Eng- 
land, teils auf dem Festland aufgefunden worden 
sind, besitzen. 
Das Das älteste Runenalphabet besass 24 Zeichen 

Runen- ^nd wird nach den ersten 5 Runen als ,,Futhark** 
Alphabet, bezeichnet. Es beginnt also: 

^ z=Yy P\ = U, |> = Th (engl. Aussprache), 
f. = A, |> =R, <=K.u. s. w. 
Jede Rune hat ihren besonderen Namen : 
^ heisst fehu „Vieh**, |<^ heisst reid „Reise**, |H heisst 
hagl „Hagel** u. s. w. 

Die Anordnung der Runen ist durchaus ger- 
manischen Ursprungs. Die Richtung der Schriftzüge 
war ursprünglich von links nach rechts, doch kom.- 
men später in nordischen Inschriften auch von 
rechts nach links zu lesende Zeilen und beide 
Richtungen sogar vermischt vor. 
Schreib- Das Material, auf das man die Runen einritzte, 

niaterial. war Holz, Stein, Metall oder Hörn. Vorzugsweise 



- t9 ~ 



verwendete man indes Stäbe oder Tafeln aus 
Buchenholz dazu, weshalb man die Ausdrücke „Buch" 
und „Buchstabe** mit dem Namen der „Buche" in 
Verbindung zu bringen pflegt. Mit Rücksicht auf 
das am meisten gebrauchte Schreibmaterial, das 
Holz, das zwar von oben nach unten oder auch 
schräg gerichtete Striche, aber keine der Holzfaser 
gleichlaufenden Striche oder runde Linien duldete, 
musste sich die Form der Runenzeichen ergeben. 

Nach einer heute allgemein gebilligten Annahme Herkunft 
ist die Grundjage für das Runenalphabet in dem ^^^^ 
lateinischen Alphabet zu suchen, dessen runde 
Formen aber aus dem oben angegebenen Grunde 
fast durchweg beseitigt und zu eckigen Formen 
umgebildet wurden ; ebenso mussten die wagrechten 
Striche wegfallen. Es wurde lat. F zu |^, D zu ]>, 
A zu (^, R zu ^, C zu < , T zn ^ usw. 

Alle germanischen Stämme haben einst das Ver- 
Ruiienalphabet besessen ; wir kennen Funde aus go- ^''^itung 
tischem, nordischem, angelsächsischem, burgun- f^^^^en. 
dischem und deutschem Sprachgebiet. . Doch nur 
im Norden, besonders im skandinavischen Gebiet, 
lebte die Runenschrift länger fort; auf allen übrigen 
Gebieten musste sie seit Beginn der eigentlichen 
literarischen Tätigkeit dem lateinischen Alphabet 
weichen. 

Deshalb sind die Runenfunde auf deutschem 
Gebiet auch bis jetzt noch sehr dürftig, im ganzen 
kaum ein Dutzend Stücke umfassend. Von diesen 
sind dazu nur bei einem ganz kleinen Teil die In- 
schriften mit einiger Sicherheit zu deuten; die 
grössere Menge spottet jeder glaubhaften Entziffe- 
rung. Einer der besterhaltenen Funde befindet sich Eine 
im Mainzer Museum, die sog. Freilaubersheiraer Runep; 



20 — 



Spange, gefunden bei dem gleichnamigen Dorfe in 
Rheinhessen. Die Runeninschrift ist auf der Rück- 
seite der Spange (s. Abbildung auf Tafel II) ange- 
bracht, sehr flach eingeritzt und besonders in ihrem 
untern Teile stark abgegriffen, da hier die Nadel 
eingehakt wurde. Nach Prof. Hennings Lesung lautet 
sie folgendermassen : 

boso;\)araet runa 
th(i)Kdalina:|odd[^ 

In heutiges Deutsch übersetzt : „Boso ritzte die 
Runen; dich (d. h. die Spange?) schenkte (?) er 
der Dalina" (wohl die Empfängerin).^ Die Wörter 
sind z. T. durch Interpunktionszeichen (:) getrennt. 
Die Sprachform ist jedenfalls sehr altertümlich, aber 
vielleicht nicht hochdeutsch, was auf eine Wanderung 
der Spange -mitsamt der schon angebrachten Inschrift 
schliessen Hesse. Die Zeit der Abfassung mag wohl 
um 600 n. Chr. liegen; für diese Zeit sprechen auch 
die Form der Spange sowie andere Funde an der- 
selben Stelle. 

§ 4- 

Die altgerm. Dialekte. — Die gotische Sprache. 

Die altgermanischen Dialekte zerfielen in eine 
ost- und eine westgermanische Gruppe. Zur ersteren 



• '9f* 



1 Durch ein Verseheu des Zeichners ist der Querstrich der 
n-Rune >' beidemal zu tief gesetzt. 



— 21 — 

rechnet man von den uns noch bekannten Sprachen 
das Nordische (heute Dänisch, Norwegisch und 
Schwedisch) und das Gotische; zur letzteren das 
Hochdeutsche, Niederdeutsche, Friesische und 
Englische; bei dieser Einteilung sehen wir also 
von den literarisch nicht mehr vertretenen germa- 
nischen Dialekten ab (vgl. § i, S. 2). Charakteristische 
Züge für das Nordisch-Gotische sind die Erhaltung Ostgern). 
des Nominativ-s : got. dags, nord. dagr (r aus z) ß^sojider- 
gegenüber althochd. tac, niederdeutsch dag. Ge- 
meinsam ist femer dem Ostgermanischen der Ver- 
lust der Verbalformen „bin*' und „tun" und viele 
Einzelheiten der lautlichen Entwicklung. Aber ent- 
sprechend den Verhältnissen in der indogerm. 
Urzeit, wo näherer Zusammenhang zweier Sprachen 
Beziehungen einer derselben zu einer dritten keines- 
wegs ausschloss, bestehen auch Berührungen zwischen 
dem Nordischen und Westgermanischen, wie die 
gemeinsame Entwicklung des urgerm. z zu r gegen- Nord-west- 
über got. s : hochd. m6r, nord. meirr = got. maiza ?^""- ^®" 
,, grösser"; ferner wird indogerm. got. e im nord. 
und westgerm. zu ä : got. slepan =^ nord. slapa — 
deutsch schlafen y u. a. m. Doch ist nicht zu ver- 
gessen, dass uns keiner von allen germ. Dialekten 
in so früher Ueberlieferung wie das Gotische (aus der Gotiscli. 
2. Hälfte des 4. Jahrhunderts) vorliegt, und dass wir 
(abgesehen vom sog. Krimgotischen, s. S. 24) kaum 
eine Nachricht über die Weiterentwicklung desselben 
besitzen. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass es 
sich im Laufe seiner Entwicklung auch dem West- 
germanischen in manchem genähert hätte. Gerade 
aber die frühe literarische Ueberlieferung und die 
altertümliche Stufe des Gotischen machen es uns 
unentbehrlich zum Verständnis der übrigen germ. 



— 22 — 

Dialekte. Wenn daher das Gotische auch in keiner 
direkten Beziehung zur deutschen Sprache steht» 
so wollen wir es doch aus dem angeführten Grunde 
einer kurzen Betrachtung würdigen. 
Die got. Bischof Ulfilas, ein Westgote, der von 31 1 — 383 

de^kmSler ^' ^^^' ^®^^®' übersetzte für die auf der Balkan- 
' halbinsel ansässig gewordenen Goten die Bibel in 
die Volkssprache. Erhalten sind uns von dieser 
Uebersetzung durch spätere Abschriften vornehm- 
lich Teile des neuen Testaments, hauptsächlich aus 
den Evangelien. Zur Niederschrift seiner Ueber- 
Gotisches tragung schuf sich Ulfilas ein neues Alphabet, dessen 
Alphabet. Grundlage das griech. Alphabet bildete; er fügte 
ihm Zeichen aus dem lat. Alphabet und dem ein- 
Vokalis- heimischen Runenalphabet hinzu. Der gotische Vokal- 
mus des gtand weist gegenüber dem Gemeingermanischen 
' einige Umbildungen auf; so sind e, o und eu zu 
i, u und iu geworden; vgl. got. giban, juk, thiu- 
disk mit deutsch geben^ Joch^ deutsch. Nur vor 
r und h bleiben die alten e und o Laufe in der 
Schreibung ai und au erhalten; vor r und h werden 
auch urgerm. i und u zu ai und au „gebrochen": bairan 
^= ahd. heran „tragen", saihwan ahd. sehan „sehen", 
haürn = ahd. hörn „Hörn", aber auch saühts -- 
Konsonan- ahd. suht „Krankheit". Im wesentlichen unver- 
tismus. ändert blieben die urgerm. Konsonanten, nur wur- 
den tönende Laute am Wortende tonlos : giban 
— gaf — g6bum ^= geben — gab — gaben; got. 
Altertum- dags =^ urgerm. dagaz „Tag* u. s. w. Das Gotische 
hche Reste. }^.^^ manche uralte Flexionsformen aus der indogerm. 
Zeit allein von allen germ. Dialekten bewahrt: das 
Zeitwort kennt noch Reste einer besondern Passiv- 
form und eine Perfektreduplikation : got. haihalt (ai 
= e) „hielt" zu haltan „halten" wie lat. peperci 



— 23 — 

„schonte" zu parco. Auch die Deklination hat noch 
vollere Endungen als die älteste Stufe des Deutschen, 
das Althochdeutsche; man vergleiche mit den ahd. 
Formen in § 8 : got. Sing. Nom. dags „Tag'S Gen. 
dagis, Dat. daga, Acc. dag; Plur. Nom. dagos, Gen. 
dage, Dat. dagam, Acc. dagans. Der folgende Got. Text- 
Text möge den Lesern eine Probe der gotischen P^'^be. 
Sprache bieten; es ist der Anfang des Kap. 8 aus 
dem Matthäusevangelium: 

. Dalath than atgaggandin imma af fairgunja, 
laistidedun afar imma iumjons managos. Iah sai manna 
thrutsfiU habands durinnands invait ina qithands : 
frauja, jabai vileis, raagt mik gahrainjan. Iah ufrakjands 
handu attaitok imma qithands : viljau, wairth hrains. 
Iah suns hrain warth thata thrutsfiU is. 

In wortgetreuer deutscher Uebersetzung : Zu Tal 
dann (dem) hinabgehenden ihm vom Berge, folgten 
nach ihm Mengen viele. Und sieh! (ein) Mann Aus- 
satz habend hinzulaufend verehrte ihn sagend : Herr, 
wenn (du) willst, magst (du) mich reinigen Und 
aufhebend (die) Hand rührte (er) ihn (an) sagend : 
(Ich) will, werde rein. Und bald rein ward der Aus- 
satz sein. 

Auf der beigegebenen Tafel III sehen wir die 
verkleinerte Nachbildung einer Seite des sog. Codex 
argenteus, einer Pracht handschrift, auf Purpurper- 
gament mit silberner, vereinzelt auch goldner Schrift 
in Italien um das Jahr 500 n. Chr. geschrieben. Sie 
ist die Hauptquelle für unsere Kenntnis des Gotischen 
und befindet sich jetzt auf der Universitätsbibliothek 
zu Upsala in Schweden (seit 1669), vorher war sie 
im Kloster Werden und in Prag. 

Die obigen Zeilen sowie der Text auf Tafel 111 
werden genügen, um die Klangfülle des Gotischen 



— 24 — 

mit seinen vollen Endungsvokalen gegenüber den 
verblassten Nebensilben und vielfach umgestalteten 
Vokalen der Stammsilben in den heutigen germ. 
Sprachen hervortreten zu lassen. Es ist ein tragisches 
Geschick, dass sowohl Ost- wie Westgoten so früh 
vom Schauplatz der Geschichte verschwinden mussten, 
und dass auch aus der Zeit ihrer politischen Blüte 
(6. — 7. Jahrhundert) infolge der alles Fremde er- 
drückenden, überlegenen römischen Sprache und 
Kultur kein nennenswertes Denkmal ihrer Sprache 
erhalten blieb. Nur dürftige Spuren, Eigennamen 
in Urkunden und einige Worte aus der Sprache der 
bis ins 16. Jahrhundert noch nachzuweisenden Goten- 
reste (oder eher Herulerreste?) auf der Halbinsel 
Krim (Südrussland), geben uns Kunde von dem 
Weiterleben der gotischen Sprache nach der Zeit 
des grossen Ulfilas. 



ISO 



j 



Kapitel II. 

Der althochdeutsche Zeitraum 

Cbis iioo n. Chr.). 

§ '5- 

Vorliterarische Zeit und Ausdehnung des 
Althochdeutschen. 

In der Entwicklung unserer Muttersprache nimmt 
man herkömmlicherweise drei Perioden an : 

1. Althochdeutsch, vom Beginn der Ueber- 
Ueferung bis iioo n. Chr. ungefähr; 

2. Mittelhochdeutsch, von iioo bis zum Auf- 
treten Luthers (15 17), dessen Bibelübersetzung 
den Beginn des 

3. Neuhochdeutschen ^ bezeichnet. 

Diese Einteilung hat sich als die praktischste erwiesen, 
und so folgen wir ihr gleichfalls. Wir beginnen da- 
her mit der Betrachtung des althochdeutschen Zeit- 
raums. ' 

Es wurde schon früher erwähnt, dass das Alt- 
hochdeutsche mit den übrigen westgermanischen 
Dialekten gemeinsame Züge der Entwicklung auf- 
weist, die wohl meist als gleichgeartete Nachwirkungen 

* Hochdeutsch steht hier im Gegensatz zu Niedeideutscii 
(s. weiter unten u. § 7). 



r- 26 -- 

der schon im ürgermanischen vorhandenen Keime 
aufzufassen sind. Es werden: 

Westgcnn. i. die auslautenden langen Vokale gekürzt, 

System. ^' ^^ kurzen Vokale werden 

a) nach langer Stammsilbe im Auslaut abge- 
worfen, 

b) in drei- und mehrsilbigen Wörtern auch nach 
kurzer Stammsilbe, 

3. auslautende Doppelvokale werden gekürzt, 

4. in Mittelsilben tritt nach vorhergehender Länge 
Vokalschwund ein. 

Einige Beispiele hierfür: 

I. got. tuggö = ahd. zunga „Zunge", 
2 a. got. handus - ahd. hant, urnord. gastiR 
ahd. gast „Gast**, aber wini (kurze Stamm- 
silbe) „Freund** neben 
b. Friduwin (i fällt im Auslaut mehrsilbiger 
Wörter auch nach kurzer Stammsilbe) Eigen- 
name, 

3. got. ahtau ahd. ahto „acht**, 

4. got. hausida ahd. hörta (lange Stamoa*,,. .- * 
silbe) „hörte**, aber got. nasida -- ahd. nerita, 
(kurze Stammsilbe) „rettete**. 

So erhält das westgermanische Vokalsystem ein 
ganz anderes Aussehen als das gotische; es erscheint 
diesem gegenüber weit zerfallener, weniger klang- 
Westgerm, voll, aber dafür mannigfaltiger. Auch imKonsonanten- 
Konso- bestand tritt manche Veränderung ein ; es schwindet 
das auslautende urgerm. z; die Halbvokale und Li- 
quiden üben eine dehnende Wirkung auf vorangehende ' 
Konsonanten, d. h. verdoppeln sie; es tritt daher 



rJjJkJK:^ 



— 27 — 

dem Gotischen gegenüber eine gewisse Härte des 
konsonantischen Gerippes der Wörter zutage durch 
zahlreiche Doppelkonsonanten: pp, tt, kk, bb, dd, 
gg; engl, copper aus lat. cuprum ,, Kupfer", ahd. 
bittar - got. bitrs „bitter**, ahd. huggen =- got. hugjan 
„denken", hella =got. halja „Hölle", ahd. accar— got. 
akrs „Acker", ackus got. dqizi „Axt" (q -- kw), 
recken = got. rakjan ,, rechnen". So entstanden 
Doppelformen aus demselben Wortstamm, die bis ins 
Nhd. fortdauern: Hag— Hecke ^ Knabe —Knappe yWachen 
—wecken (got. — wakjan), schaffen— schöpf en u.v. a. 

Diese ganze Entwicklung fallt noch vor den Be- 
ginn der Völkerwanderung, durch die das germa- 
nische Idiom eine, freilich nur kurzlebige, weite Ver- 
breitung erhält : in Nord- und Südfrankreich, in 
Spanien und Italien, in England ertönen jahrhunderte- 
lang neben den einheimischen romanischen und kel- 
tischen Sprachen germanische Laute. Da aber spä- 
testens um 800 ungefähr diese vorgeschobenen Posten 
der deutschen Sprache in Süd- und Westeuropa 
verschwunden sind, so ist die letztere daselbst un- 
mittelbare Nachbarin des Romanischen geworden 
und bi? auf den heutigen Tag geblieben. In der 
weitesten Auffassung (Niederländisch und Vlämisch Grenzen 

einbegriffen) umfasste das Deutsche damals ein Ge- , ^^'. 
t . , r^ .,.!., . r^ deutschen 

biet, dessen Grenzen etwa durch die heutigen Orte Sprache. 

Dünkirchen, Brüssel, Malmedy, Metz, weiter durch 

die Vogesen, den Jura und die Alpen bezeichnet 

wurden. Im Osten bildete die Elbe, die Saale, der 

Böhmerwald und die Enns die Grenze; jenseits hatten 

Slaven die von den Germanen verlassenen Gebiete 

besetzt und sich vielfach noch westlich der Elbe 

eingedrängt. Im Norden endlich lag die Grenze 

zwischen Deutsch und Dänisch an der Eider» 



28 



Hoch- und 
Nieder- 
deutsch. 



Hoch- 
deutsche 
Mundarten 



Ober- 
deutsch. 



Aber nicht dieses ganze Gebiet fällt in den Kreis 
unserer Betrachtungen. Die Niederfranken, d. h. die 
Holländer und neuerdings auch die Vlämen^ haben 
bekanntlich ihre deutsche Mundart zur selbstän- 
digen Literatursprache entwickelt, die somit aus 
einer Geschichte der deutschen Sprache ausscheidet. 
Ohne wesentlichen Einfluss auf deren Entwicklung 
sind ferner die niederdeutschen Mundarten, das Frie- 
sische und Sächsische, geblieben, die daher auch 
nicht in den Rahmen dieses Werkes fallen. 

Die Grenze zwischen dem Nieder- und Hoch- 
deutschen läuft heute etwa auf einer Linie, die west- 
Uch von Aachen beginnt, dann ungefähr über Düssel- 
dorf, Siegen, Kassel, Nordhausen, Dessau, Wittenberg, 
Buckau, Frankfurt a. d. O. zur polnischen Sprach- 
grenze mit Einbuchtungen nach Süden und Norden 
verläuft. In alter Zeit ging das Niederdeutsche 
weiter nach Süden, indes lassen sich die früheren 
Grenzen nicht überall mit Sicherheit feststellen. Des- 
halb sind hier die jetzigen angegeben. 

Da das Niederdeutsche, wie gesagt, für die Ent- 
wicklung der heutigen deutschen Sprache, abgesehen 
von einigen Wortentlehnungen, ohne Bedeutung ist, 
so hat sich unser Augenmerk also vornehmlich auf 
die Mundarten zu richten, die als hochdeutsche 
i)ezeichnet werden. 

Denn auch innerhalb der angegebenen Grenzen, 
den Vogesen im Osten, dem Böhmerwald im Westen 
und den Alpen im Süden, bildete das Hochdeutsche 
schon in frühester Zeit keinen einheitlichen Sprach- 
stamm, sondern zerfiel in verschiedene Mundarten. 
Es sind dies: 

r . Die alemannische Mundart zu beiden Seiten 
des Oberrheins und in der Schweiz; die nörd- 



— 29 — 

liehe Grenze bildet der Hagenauer Forst und 
die Murg; dann geht die Grenze nördl. von 
Stuttgart durch Württemberg und Mittelfranken 
zur Altmühl und zum Lech. 

2. Oestlich davon sitzen von den Alpen bis über 
die Donau im Norden die Baiern ; 

Diese beiden Mundarten werden als ober- 
deutsche bezeichnet. 

3. Nördlich von den Alemannen wohnen die 
Südfranken bis zur elsässischen Grenze und 
über den Neckar zum Main. 

4. Oestlich von diesen die Ostfranken, im Main- 
gebiet; ihre nördliche Grenze geht vom Spessart 
über den Thüringer Wald zum Erzgebirge. 

Diese zwei Mundarten bilden den Uebergang 
vom Oberdeutschen zu dem von der mhd. Zeit 
an sojf. Mitteldeutschen; mit dem Oberdeutscheu 
haben sie charakteristische Merkmale gemeinsam, 
wie die Verschiebung von anlautenden p und pp 
zu pf (lat. pondus wird zu Pfund) und die Ver- 
kleinerungssilbe lein (mundartl. le). 

Anlautendes p und pp bleiben p bezw. pp und 
die Verkleinerungssilbe ist chen bei 

5. Den Rheinfranken, am Mittelrhein (ßay- ^^^^^^^^1; 
rische Pfalz, Grossherzogtum Hessen, Hessen- 
Nassau, Teil der Rheinprovinz), begrenzt von 
der Lahn, dem Hunsrück, der Nahe und der 
Saar und 

6. den Mittelfranken, nördlich davon bis zur 
Grenze des hochdeutschen Sprachgebiets. 
Das Kennzeichen des mittelfränkischen Dia- 
lekts sind Pronominalformen wie dat, wat, 
allet u. s. w. 



deutsch. 



Diese beiden Gruppen bezeichnet man später 
als die westlichen mitteldeutschen Mundarten; 
die östlichen sind in ahd. Zeit noch nicht vorhanden 
oder noch nicht literarisch bezeugt. Es sind dies : 

7. das Schlesische und 

8. das Obersächsische und Thüringische, die 
anlautendes p zu f verschieben. 

Näheres über die heutigen deutschen Mundarten 
siehe in § 28. 

A"5- Da die beiden letzten Gruppen für die älteste 

^des"*^ Zeit noch nicht in Betracht kommen (s. § 12), so 
Hoch- "^^^ <iJc räumliche Ausdehnung des Althochdeut- 
deutschen, sehen geringer als die des späteren Hochdeutsch. 
Zwar hat dieses Gebiet im Westen und Süden durch 
das Vordringen der romanischen Sprachen im Laufe 
der Geschichte kleine Einbussen erlitten, dafür aber 
hat sich das Hochdeutsche seit dem 8. Jahrhun- 
dert ununterbrochen nach Osten und Norden aus- 
gedehnt zum Teil auf Kosten des Niederdeutschen, 
das in beständigem Zurückweichen begriffen ist; 
manche Orte zwischen Weser und Saale, die in 
mittelhochdeutscher Zeit noch in niederdeutsches 
Gebiet fielen, wenden sich durch den überwiegen- 
den Einfiuss der hochdeutschen Schriftsprache zu 
Anfang der neuhochdeutchen Zeit vom Niederdeut- 
schen ab. Im Osten wurden weite, von den Slaven 
besetzte Gebiete seit Karls des Grossen Zeit zurück- 
erobert, ebenso das von den Avaren eingenommene 
Land östlich der Enns, das von Baiern besiedelt 
wurde, die alte Ostmark, das heutige Oesterreich. 
Fränkische Ansiedler dringen nach Böhmen ein; 
sächsische überschreiten die Elbe, verstärkt durch 
mitteldeutsche Auswanderer. Auch im Norden drang 



— 31 — 

die deutsche Sprache über die Eider hinaus vor, in- 
folge der Siege Karls des Grossen über die Dänen. 

Die Ansiedlertätigkeit im Osten fällt grössten- Zeitliche 
teils ausserhalb der Zeit, die wir zunächst zu be- ß^ßren- 
trachten vorhaben, der althochdeutschen Periode un- Althoch- 
serer Sprachgeschichte. Diese Periode beginnt mit deutschen, 
dem ersten Auftauchen literarischer Denkmäler im 
8. Jahrhundert und reicht bis zum Ende des ii. 
Jahrhunderts. In dieser Zeit tritt uns auch zum 
erstenmal das Wort „deutsch" als Benennung un- Das Wort 
serer Muttersprache entgegen und zwar zuerst in «Deutsch«. 
lat. Quellen als theotiscus = althochd. diutisc, ab- 
geleitet von Diot „Volk"; „deutsch" bedeutet ur- 
sprünglich also „Volkssprache" im Gegensatz zum 
gelehrten Latein. 

§ 6. 
Sprachquellen der althochdeutschen Zeit. 

Woher kennen wir die erwähnten Dialekte des 
Althochdeutschen ? wird sich mancher Leser fragen. 
Die Antwort lautet: Es stehen uns mehrere Quellen, 
ausschliesslich Handschriften, zur Verfügung. Zu- 
nächst die Ueberreste poetischer und prosaischer 
Werke; ferner die sog. Glossarien, d. h. Wörter- und 
Sätzesammlungen, die zum Gebrauch bei der Er- 
lernung einer fremden, meist der lat. Sprache be- 
stimmt waren und das betr. lat. Wort in ahd. Ueber- 
setzung wiedergeben, oft in der Form sog. Interlinear- 
versionen, d. h. unter oder über einer Zeile in lat. 
Sprache steht die Uebersetzung in ahd. Sprache; 
endlich die Eigennamen in lat. Schriftwerken, Ur- 
kunden, Gesetzessammlungen u. s. w. 



1 



Geben wir zunächst eine kurze Uebersicht über 
die leider nur dürftigen Ueberreste der althoch- 
deutschen Dichtung. Nach den Zeugnissen römischer 
und kirchlicher Schriftsteller stand sie einst in hoher 
Helden- Blüte; alte Ueberlieferungen und junge Geschehnisse 
heder. wurden gleichmässig im Gesang verherrlicht. Die 
Taten des Arminius, des Befreiers der Deutschen 
vom Römerjoch, wurden Jahrzehnte nach seinem 
Tode noch in Heldenliedern besungen; an dem 
Hofe des Hunnenkönigs Attila (Etzel) hallte gotischer 
Heldensang wider; zahlreich waren die Gesellschafts- 
und Liebeslieder, die zur Unterhaltung der Gäste 
beim Mahle gesungen wurden. Aber frühzeitig musste 
der germanische heidnische Sang dem Bekehrungs- 
eifer und der Verfolgung der Geistlichkeit zum Opfer 
fallen. Weltliche Lieder zu singen, wurde verpönt 
und mit Strafen belegt; nur kirchliche Gesänge sollten 
auch im Munde des Volkes ertönen. Schwerlich 
wird es je gelungen sein, den Volksgesang zu 
unterdrücken; er lebte trotz aller Kirchenstrafen 
fort, aber eines haben die Verbote doch erreicht: 
da die Mönche in jener Zeit die einzigen des 
Schreibens Kundigen sind, so ist uns nichts von 
dem alten Heldensang überliefert worden. Schon 
Karl der Grosse sah das Törichte und Volksfeind- 
liche eines solchen Unterdrückungseifers ein und 
Hess eine Sammlung der noch vorhandenen Helden- 
lieder veranstalten; es ist unbekannt, wann sie zu 
Grunde ging; vermutlich vernichtete unter Karls 
Nachfolgern kirchlicher Uebereifer die vorhandenen 
Hilde- Abschriften. Durch Zufall ist uns aus der Zeit um 
brandslied. goo ein kleiner Rest altdeutschen Heldengesangs 
erhalten geblieben : ein oberdeutscher Mönch schrieb, 
wohl in Fulda, aus der Erinnerung (nach Vorlage?) 



— 35 - 

ein ursprünglich niederdeutsches Original auf die 
leeren Seiten des Umschlags einer Handschrift theo- 
logischen Inhalts. Er mengt hochdeutsche Sprach- 
formen in das nur bruchstückweise überlieferte Lied, 
das vom Zweikampf des in sein Heimatland zurück- 
kehrenden Hildebrand mit seinem ihm unbekannten 
Sohn Hadubrand handelt, das sog. Hildebrandslied, 
(vgl. die Nachbildung des Anfangs der ersten Seite der 
Handschrift auf Tafel IV.) Ausser ihm sind nur lioch 
einige Zaubersprüche volkstümlichen Ursprungs er- Zauber- 
halten: die Merseburger Zaubersprüche und andere sp'*^<^"^- 
Beschwörungsformeln. Ein Geistlicher dagegen ist 
der Dichter des allerdings weltHchen Ludwigsliedes, Ludwigs- 
einer Verherrlichung des Sieges Ludwigs III. über "^^• 
die Normannen bei Saucourt (88 1) in rheinfränkischer 
Mundart. Originaldichtungen in deutscher Sprache, 
wenn auch geistlichen Inhalts und mit heidnischen 
Erinnerungen untermischt, sind das sog. Wesso- 
brunner Gebet und Muspilli. Ersteres wurde in einer Wesso- 
lat. Handschrift des 9. Jahrhunderts im bairischen q ^".^^ 
Kloster Wessobrunn entdeckt und ist im bai- 
rischen Dialekt abgefasst; letzteres, aus etwas spä- Muspilli. 
terer Zeit stammend und ebenfalls in bairischer 
Mundart, erzählt die Schicksale der Seele nach dem 
Tode. Endlich ist noch der Strassburger Eid zu Strass- 
erwähnen, den Karl der Kahle am 14. Febr. 842 ^^[f^^ 
den Kriegern Ludwigs des Deutschen in rhein- 
fränkischer Mundart leistete, erhalten in Nithards 
Fränkischer Geschichte. Hiermit sind die haupt- 
sächlichsten Reste originaler althochdeutscher Dich- 
tung erschöpft. Das umfangreichste Werk in alt- 
hochdeutscher Sprache, Otfrieds Evangelienbuch, ist Otfried, 
eine freie Bearbeitung der vier Evangelien, eine 
sog. Evangelienharmonie, in südfränkischer Mund- 
Feist, Die deotsohe Sprache. 3 



34 — 



art. Entstanden im Kloster Weissenburg in der 
zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, ist es die erste 
deutsche Dichtung, die den Endreim anwendet an 
Stelle der altgermariischen Alliteration, des Gleich- 
klangs der Anfangslaute (vergl. § 10). Einige, 
kleinere Lieder geistlichen Inhalts, teilweise Ueber- 
setzungen, führen uns zu den reichlichen Ueber- 
resten geistlicher üeb ersetz ungstätigkeit, die in ver- 
schiedenen Klöstern blühte, hinüber. In aleman- 
nischer Mundart sind die Uebersetzungen, die im 
St. Galler Kloster entstanden, abgefasst ; es sind ein 
Vaterunser, ein Credo, die Benediktinerregel und 

Notker. endlich Notkers Schriften (ungefähr 1000 n. Chr.): 

Uebersetzungen der Psalmen, philosophischer Werke 

und solcher über Redekunst und Musik. Die sog. 

Murbacher Murbacher Hymnen aus dem Kloster Reichenau 

Hymnen, weisen ebenfalls alemannischen Dialekt auf. Auch 
aus bairischem Gebiet sind uns verschiedene klei- 
nere Uebersetzungen erhalten. Grössere Werke in 
rheinfränkischer Mundart sind die in Bruchstücken 
Isidor- erhaltene Uebersetzung eines Briefes des spanischen 
über- Bischofs Isidor über die Geburt des Heilands, 
eine Uebersetzung des Matthäusevangeliums und 
anderes. In Ostfranken, im Kloster Fulda, sind eine 

Tatian. Uebertragung von Tatians EvangeUenharmonie und 
einige kleinere Stücke zu Hause. Nicht in unsem 
Kreis gehört das wichtige altniederdeutsche Denk- 

Heliand. mal, der Heliand, eine mit germanischer Anschau- 
ungsweise durchsetzte poetische Schilderung des 
Lebens des Heilands. In die Grenze zwischen alt- 
und mittelhochdeutsch, in die zweite Hälfte des 
II. Jahrhunderts, fällt ein lebhafter Aufschwung 
geistlicher Dichtung in deutscher Sprache, deren 
bedeutendstes Erzeugnis Willirams Psalmenüber- 



T»j-fWs;-?-TVy 



— 35 — 

Setzung ist (s. § 13). Doch können wir diese Tätig- 
keit hier nicht näher verfolgen. 

Wenn nun auch die Quellen althochdeutscher 
Sprache in den Handschriften nicht allzu spärlich 
sind, so wird doch dem Kenner des römisch-ger- 
manischen Altertums eines auffallen: der gänz- 
liche Mangel an Inschriften in althochdeutscher 
Sprache. In der Tat existiert nur ein einziges Ahd. In- 
Bruchstück einer althochdeutschen Inschrift, die in ''^"""• 
Bingen a. Rh. aufgefunden wurde und im Mainzer 
Museum aufbewahrt wird, ein Grabdenkmal, das 
ein gewisser Diederih sich und seinen Eltern setzen 
liess. Der erhaltene Teil der Inschrift lautet: Ge- 

hugi Diederihes Go inde Drulinda 

son ,, Gedenke Diederichs, (des) 

Go . . . . [Vater] und (der) Drulinda [Mutter] 
Sohn . . . ." (Vgl. die Abbildung auf Tafel I.) 

Reichlich dagegen fliesst die an zweiter Stelle Glossen. 
zu erwähnende Sprachquclle, die sog. Glossen. Sie 
liegen aus den verschiedensten Mundarten . vor: 
alemannische, bairische, ostfränkische usw. Klöster 
steuern bei. Glossiert werden sowohl biblische 
Schriften wie kirchliche und profane Schriftsteller, 
unter den letzteren besonders Ovid und Vergil. 
Daneben finden wir sachlich geordnete Glossen, 
ganz in der Art unserer heutigen Gesprächsbüch- 
lein, z. B. Wind- und Monatsnamen, Länder- und 
Städtenamen, Nahrung, Kleidung, Wohnung, Waffen 
und Geräte, Vögel, Kräuter u. s. w. So wird über- 
setzt: lardus = spek, hordeum =^ gersta, avena 
=^ habiro „Hafer**, farina = melo „Mehl", faba 
--=^ bono, lentes = linsin „Linsen", salsitia =^ 
wurst; camisia =■■ hemidi „Hemd", calcei =^ scuohi 
„Schuhe", inaures = orringa; valvae ^= ture „Tür", 

8* 



- 36 - , 

scuria = Stadel „Scheuer", palatium = phalinza 
„Pfalz*'; spata = swert, thorax = prunna „Brünne" 
u. dgl. m. 
Interlinear- Die bekannteste Interlinearversion ist die der 

Version. Benediktinerregel aus dem Kloster St. Gallen in 
der Schweiz. Einige Zeilen daraus werden diese 
Art veranschaulichen: 

Selens scriptum: stultus verbis non cor- 
wizzanti^ kescriban^:unfruater^ wortun nist^ ko- 
regitur et . iterum : percute filium tuum virga 
rihtit^; indi afur^ : slah chind dinaz kertu^ 
et liberabis animam eius a morte. 
indi eriösis sela sina fona töde. 



Eigen- 
namen. 



Zuletzt ist noch der Förderung zu gedenken, 
die unsere Kenntnis der althochdeutschen Sprache, 
besonders in der vorliterarischen ältesten Zeit, aber 
auch noch später durch die bei lateinischen (und 
griechischen) Schriftstellern, in Urkunden und Ge- 
setzessammlungen überlieferten Eigennamen erfährt. 
Für die althochdeutsche Sprache ist diese Quelle 
weniger von Belang, weil wir von ihr zahlreiche 
literarische Denkmäler besitzen, wohl aber kommt 
sie für die verschollenen germanischen Mundarten, 
wie Vandahsch, Ostgotisch, Burgundisch, Lango- 
bardisch u. s. w. in Betracht, für die uns die sprach- 
lichen Quellen ganz fehlen. Für die althochdeutsche 
Zeit sind die Eigennamen von Personen, Ortschaften, 
Flurgewannen u. s. w. mehr von kulturgeschicht- 
lichem Wert; sie können also hier nicht näher be- 
trachtet werden. 



* Wissend * geschrieben ^ dumm * 
gebessert ® aber-mals ' mit der Gerte 



ne ist ist nicht 






§7. ' 

Der althochdeutsche Konsonanten- und 
Vokalbestand. 

Wenn wir schon öfter von der Scheidung des 
deutschen Sprachgebiets in Hoch- und Nieder- 
deutsch gesprochen und deren Grenze bestimmt 
haben, so haben wir nunmehr nach dem Grunde 
dieser Trennung zu forschen und ihre Ursachen 
klarzulegen. Als die deutschen Stämme nach den 
Unruhen der Völkerwanderung angefangen hatten, 
sich in ihren nunmehrigen Gebieten sesshaft zu 
machen, da geriet bald der urgermanische Konso- Ahd. Laut- 
nantenbestand in Oberdeutschland in Bewegung; ^f^^chie- 
die Bewegung griff auch nach Mitteldeutschland 
über, um nach der Grenze des Niederdeutschen 
hin allmählich abflachend zu verschwinden. Zum 
Unterschied aber von der ersten gemeingerma- 
nischen Lautverschiebung, die vor dem geschicht- 
lichen Auftreten der Germanen anzusetzen ist, ver- 
läuft die zweite oder hochdeutsche Verschiebung 
in der Hauptsache vor unsern Augen; wir verfolgen 
sie in den, wenn auch dürftigen, aufeinander folgen- 
den Sprachquellen, beginnend etwa um das Jahr 
600. Vollendet ist sie im wesentlichen im 8. Jahr- 
hundert, bevor die ersten literarischen Denkmäler 
auftauchen. Nicht bloss der Wortschatz des er- 
erbten germanischen Sprachguts ist daher von der 
hochdeutschen Lautverschiebung betroffen worden, 
sondern auch die bedeutende Schicht der latei- 
nischen Lehnwörter ältester Zeit. Das Westger- Westgerm, 
manische besass nach der ersten gemeingermanischen ^^^"so- 
Lautverschiebung (s. § 2, S. 9) und einigen be- 



-• 38 - 

sonderen lautlichen Veränderungen (s. § 5, S. 26 f.) 
folgenden Konsonantenbestand : 
I. Verschlusslaute : 

1. tonlose p, t, k 

2. tönende b, d, g 

Die Verschlusslaute kommen auch verdoppelt 
vor: pp, tt, kk, — bb, dd, gg. 
II. Reibelaute : 

tonlose f, th, (c)h, s 

III. Halbvokale: w, j; 

IV. Liquida und Nasale: r, 1, tn, n, auch ver- 

doppelt: rr, 11, mm, nn. 
Tonlose Nur die unter I genannten Verschlusslaule werden 

Verschluss- von der zweiten Lautverschiebung betroffen ^, ins- 
^" *^* besondere die tonlosen, weniger die tönenden. So- 
gar je nach der Stellung dieser Konsonanten im 
Anfange, im Inlaut und im Auslaut eines Wortes 
geht die Verschiebung mehr oder weniger durch- 
greifend vor sich. 
1. Im In- I. Am konsequentesten ist sie durchgeführt, wo 

II. Auslaut, p^ t^ \^ ina Inlaut nach Vokalen oder im Auslaut 
stehen; p, t, k werden zu tonlosen Doppelreibe- 
lauten ff, zz (gesprochen ähnlich wie ss), hh (ch) (ge- 
sprochen wie ch in machen^ doch), die im Auslaut 
nur einfach geschrieben werden. 
Beispiele : 

engl, open = deutsch offen 
,, eat =- ,, eHserij ahd. ezzan 
,, make : ,, juacticn. 

^ Wir sehen von dem Reibelaut Ih ab, der auf dem ganzen 
deutschen Sprachgebiet wie auch im Nordischen später erst zu 
d wurde. 



- 39 — 

2. Im Anlaut sowie im Inlaut nach Konsonanten '• I« An- 
werden p, t, k (pp, tt, kk) zu sog. Affrikaten (<ä. i. 
Verschlusslaut und Reibelaut) pf, tz, ch (zu sprechen 
kchi s. o), indes konsequent nur im Oberdeutschen; 
in den fränkischen Dialekten ist p nur teilweise, k 
gar nicht verschoben. Dieser Zustand spiegelt sich 
im heutigen Hochdeutsch wieder. 

Beispiele : 

engl, pound rrr deutsch Pfund 
dagegen: „ help =■ „ keifen 

„ ten = „ rehn 

„ heart = „ Her» 

„ corn -- „ Korn, allem.- 

schweiz. Chorn 

„ work = „ Werk* 
Unverschoben bleiben die Verschlusslaute in den 
Verbindungen sp, st, sk, ft und ht; man vergl. engl, 
stone mit hochd. Stein, spin mit spinnen, scold mit 
schelten (seh aus älterem sk, vergl. § 14), craft mit 
Kraft* In dieser Verbindung waren die tonlosen 
Verschlusslaute des Indogermanischen auch im Ur- 
germanischen erhalten geblieben. - - Die Verbindung 
tr erhält sich ebenfalls: engl, true = deutsch treu. 
Das Hochdeutsche hat durch die eben geschil- 
derten Vorgänge den grössten Teil der alten ton- 
losen Verschlusslaute verloren, doch wird dieser 
Verlust teilweise gedeckt durch eine neue Ver- 
schiebung der tönenden Verschlusslaute b, d, g zu Tönende 
p, t, k. Freilich ist diese Verschiebung nur im Verschluss- 
Oberdeutschen ziemlich vollkommen, im Mitteldeut- 
schen ist sie nicht durchgeführt worden, und daher 
ist unsere heutige Schriftsprache, mit Ausnahme der 
Verschiebung von d zu t, auf dem niederdeutsch-eng- 



- 40 — 

lischen Lautstand stehen geblieben. So finden wir: 
engl, dag ■-=^ Tag, broad = breit, ebenso middle 
^^ Mitfelj auch under = itnfer. Germ, nd wurde 
im althochd. meist zu nt, kehrte aber bald zu nd 
zurück; engl, bind -- ahd. bintan^ aber nhd. bin- 
den; auch rd teilt zuweilen dies Schicksal, so dass 
sich Formen wie Herde und Hirte heute neben- 
einander finden gegenüber got. hairda, hairdeis, 
ahd. herta, hirti. Auch im Anlaut bleibt zuweilen 
gemeingerm. d unverschoben, vgl. engl, damp 
„feucht" mit jyampf. Gemeingerm, b und g blei- 
ben meist erhalten: engl, bid -- bitten; God =^ 
Gott; nur inlautendes bb wird zu pp: engl." rib 
=^ Rippe, gelegentlich auch inlautendes ^g zu kk: 
vgl. die Ortsnamen Brügge, Muggendorf mit hochd. 
Brücke, Mücke (ck = kk). Nachdem die zweite 
Lautverschiebung erfolgt ist, sind nunmehr folgende 
Laute im Althochdeutschen vorhanden : 

L Verschlusslaute : p, pp, b, bb, t. tt, d, k, ck 

(=r kk), g, gg. 
II. Reibelaute: f, ff, s, ss, z, zz, h, hh (ch). 

III. Affrikaten : pf, kh (nur oberd.), z, zz. 

IV. Sonore Konsonanten: w (uu), j, r, rr, 1, 11, m, 
mm, n, nn. 

Weitere Veränderungen des ahd. sind: germ. 
th wird im Laufe der ahd. Zeit zu d: got. thridja: 
ahd. dritto „dritte", got. thaürnus = ahd. dorn ; 
h schwindet vor 1, n, r, w: got. hrains = ahd. 
rein, got. hlahjan = ahd. lahhen „lachen". 

So bietet der althochdeutsche Konsonantismus 
gegenüber dem gemeingerm. -gotischen ein weit bun- 
teresBild, das durch den verschiedenen Lautstand der 
ober- und mitteldeutschen .Mundarten noch ver- 

A 



— ■ 41 - 

wickelter wird. Als Beispiel und zur Veranschau- 
lichung wollen wir das Vaterunser in ostfränkischer 
Mundart (Fulda) aus der Uebersetzung der Evan- 
gelienharmonie des Tatian hier mitteilen. Es lautet 
dort: 

Fater unser thu thar bist in himile, si giheiiagot Ostfränk. 
thin namo, queme (komme) thin rihhi, si thin uuillo, Vaterunser. 
so her [er) in himile ist, so si her in erdu . unsar 
brot tagalihhaz gib uns hiutu, inti furlaz uns unsara 
sculdi, so uuir furlazemes unsaren sculdigon, inti ni 
gileitest unsih in costunga (Versuchung, Prüfung, 
vgl. kosten =■ prüfen), uzouh (sondern) arlosi unsih 
fon ubile. 

Hiermit vergleiche man dasselbe Vaterunser in 
südalemannischer Sprachform aus St. Gallen, das 
folgend ermassen lautet: 

Fater unsai- thü pist in himile, uuihi {weihe) St. Galler 
namun dinan . qhueme pihhi din . uuerde uuillo diin, Vaterunser. 
s6 in himile, sösa in erdu . prooth unsar emezich 
(beständig, ™ nhd. emsig) kip uns hiutu, obläz uns 
sculdi unsaro, s6 uuir obläzem uns sculdikem . enti ni 
unsih firleiti in khorunka . üzzer 16si unsih fona ubile. 

Es fallen uns die oberdeutschen Formen auf: 
pist, prooth, kip, sculdikem, khorunka (gegenüber 
mitteldeutschem bist, brot, gib, sculdigon, costun- 
ga), wobei wir die tönenden Verschlusslaute des 
Gemeingermanischen auch in der Schrift zu ton- 
losen Lauten, ebenso gemeingerm. anlautendes k (in 
khorunka) zu kh verschoben sehen (ch gespr. wie 
in „doch** ; dieses anlautende ch für hochdeutsches 
k ist bis auf 4en heutigen Tag ein Kennzeichen 
der hochalemannischen und schweizerischen Mund- 
arten). Zu gleicher Zeit aber sollen uns obige 



- 42 - 

Althochd. Stücke eine Probe des althochdeutschen Vokalismus 
Vokalis- geben, der dem gotischen gegenüber (vgl. § 4, 
S. 22) wohl weniger rein klingen mag, aber trotzdem, 
verglichen mit unserer heutigen Sprache, sich noch 
klangvoll genug darstellt. Freilich verliert er bald 
an Klangfülle. Denn wie vom Süden her ein Be- 
streben sich geltend macht, die Konsonanten zu. 
verschärfen, beruhend auf stärkerer Atmungstätig- 
keit beim Sprechen, wobei das gebirgige Land viel- 
leicht mitbestimmend ist, so kommt von der nord- 
deutschen Ebene her, da wo die Wirkungen der 
Umlaut. Lautverschiebung sich verflüchtigen, die Neigung, 
Vokale benachbarter Silben anzugleichen, eine Er- 
scheinung, die wir auch schon im Gemeingerma- 
nischen antreffen (vgl. § 2, S. 11). Es ist dies der 
sogenannte Umlaut. Er wird bewirkt durch den 
Vokal der folgenden Silbe, dem sich der Vokal der 
vorhergehenden Silbe angleicht. Am verbreitetsten 
und am frühsten aufgetreten ist der Umlaut im 
Angelsächsischen; auch das Nordische kennt ihn 
in weiter Ausdehnung. Auf festländischem Boden 
erscheinen die ersten Belege für den Umlaut im 
9. Jahrhundert im niederdeutschen Gebiet, später 
treten sie in den hochdeutschen Mundarten hervor; 
konsequent bezeichnet wird er überhaupt erst in 
der mittelhochdeutschen Periode, obwohl er in dei 
Hauptsache um 11 50 seinen Abschluss erreicht hat. 
Auch beschränkt sich auf deutschem Gebiet der 
Umlaut auf den Einfluss, den ein i oder j auf den, 
Vokal der vorhergehenden Silbe ausübt. Ihm ver- 
danken wir das Nebeneinander von Gast — Gäsfe (ahd. 
gesti), koc/i — //ö/te (ahd. höhi), wir fuhren (Ind. 
Imp.) — führen (Conj.), Braut — Bräutigam usw. 
Der älteste Umlaut des a wurde in ahd. und mhd. 



- 43 — 

Zeit durch e bezeichnet; daher kommt es, dass 
wir noch heute Wörter wie a// — TJ/tern, dass 
(z. B. in /ürdass) — besser ^ Adel — edel usw. 
nebeneinander finden. Man vergleiche auch ahd. 
ende = got. andeis, erbe == got. arbi, denken 
r=. got. thagkjan, bezziro = got. batiza; auch in 
Fremdwörtern: kelih aus lat. calix, ketina aus catPna. 
Gewisse Konsonantenverbindungen schränken die 
Wirkung des Umlauts ein : giwalt — giwaltig „Ge- 
walt — gewaltig", daneben ahd. giweltig; mäht — 
pl. mahti „Macht — Mächte", mahtic „mächtig" usw. 

Nach dem Eintreten des Umlauts und sonstiger 
lautgesetzlichen Veränderungen ist der Vokalbe- 
stand des Althochdeutschen der folgende : Einfache 
Vokale: a, a, e (als Umlaut von a), e (als e be- 
zeichnet, offen, =^ indogerm. e), e, i, i, a, ö, u, 
ü; Doppellaute: ci (für älteres ai), ie (aus ge- 
schlossenem e), iu (für älteres eo -^ germ. eu), 
ou (für älteres au), uo (für älteres ö). Beispiele: 
ä in fater, a in släfan (schlafen), e in gesti (Gäste), 
ö in neman (nehmen), e in mero (mehr), i in bist, 
i in rihhi (Reich), o in boto (Bote), o in höh (hoch), 
u in sculdi (Schuld, ü in brüt (Braut), ei in stein, ie 
in brief, iu in hiutu (heute), ou in houbit (Haupt). 

Soweit diese Vokale und Diphthonge nicht den Neue Vo- 
urgerm. Lauten entsprechen, wie i1, e, i, i, ö, u, ö, itj"^ 
ist folgendes über ihre Entstehung zu bemerken: 
a hat doppelten Ursprung i. = urgerm. an in 
dähta „dachte" zu denken (got. thankjan), 
2. = urgerm. ae in läzen ,, lassen" -- got. lötan, 
jär = got. jörs. e und ö entstanden aus urgerm. 
ai vor h, r, w in mero = got. maiza und au vor 
h, r, 1 und allen Dentalen: höh ~ got. hauhs, röt 
- - got. rauths. Sonstige urgerm. ai und au werden 



Kurze 

Vokale. 



— 44 - 

ei und on: stein = got. stains, houbit = got. 
haubith. Urgerm. e und ö werden diphthongiert: 
got. hör = hier, got. mos (aus lat. mensa, vulgär- 
lat. mesa) = mias, mies „Tisch"; ö wird uo: got. 
fötus = fuoz, got. brothar = bruoder. Urgerm. 
eu =^ got. iu wurde zu eo, io, vor a, e, o in der 
folgenden Silbe : biudari =^ beotan, biotan ; sonst 
zu iu: got. diups = tiuf „tief^ 

Zu beachten ist, dass jeder Vokal seiner Quan- 
tität gemäss ausgesprochen wurde, ganz wie in den 
klassischen Sprachen ; d. h. im Althochdeutschen ist 
kurzer Vokal vor einfachem Konsonant (in offener 
Silbe) auch wirklich kurz, nicht gedehnt wie im Neu- 
hochdeutschen zu sprechen; also Fater (gespr.Vatter), 
nämo (gespr. Nammo), bÖto, föna, gib, iibile u. s.w. 
Lange Vokale werden in den ahd. Handschriften 
durch Doppelschreibung, gelegentlich auch durch 
einen Circumflex oder einen Akut bezeichnet (beide 
Arten finden wir im St. Galler Vaterunser vertreten : 
prooth =r Brot, rihhi = Reich). Lange und kurze 
Vokale finden wir sowohl in Stammsilben wie in En- 
dungen, doch iu letzteren ausser iu z. B. in beidiu, 
Nom. Sing. Fem. und Nom. Plur. Neutr. „beide*' 
(s. u. § 8, S. 48) keine Diphthonge. 

Die vorstehenden Angaben beziehen sich 
Vokale der hauptsächlich auf Stammsilben ; die Vokale der 
Mittel- Mittelsilben sind nur dann gut erhalten, wenn sie 
lang oder durch mehrere Konsonanten gedeckt 
waren und daher einen Nebenakzent trugen: scri- 
bäri „Schreiber", salböta „salbte**, liuböro, liubösto 
, »lieber, liebste**, kostunga „Versuchung**, kunin- 
ginne „Königin**. Sonst verfallen sie zu e oder 
gleichen sich den Vokalen der Endsilben an : ahd. 
menigi =:::= got. managei „Menge**. Neue Mittelvo- 



Lange 
Vokale, 



Silben. 



— 45 — 

kale entstehen aus silbenbildendem r, I, m, n : got. 
fugls = ahd. fogal „Vogel", got. akrs = ahd. 
ackar „Acker", got. taikns = ahd. zeihhan „Zei- 
chen", und bei schwersprechbaren Konsonantenver- 
bindungen Ih, Ir, Iw, rw, sw, sm: brosma, später bro- 
sama „Brosame", forhta und forahta „Furcht", durh 
und duruh ,, durch". Die unbetonten Vokale der Vokale der 
Vorsilben unterliegen gleichfalls der Schwächung: Vorsilben, 
got. ga- wird ahd. gi-: got. ganisan = ahd. ginesan; 
got. US- (aus uz) wird ir-: got. uslaubjan = ahd. 
irlouben; got. and- wird int-: andhaitan = ahd. 
intheizen „verheissen", dagegen Urlaub, Antwort, 
wo die Vorsilbe den Hauptton trug (vgl. § q). 

§ 8- 
' Deklination und Konjugation im Althoch- 
deutschen. 

Wenn auch infolge des Verfalles der End- 
silbenvokale (§ 5, S. 26) und mannigfacher, schon 
vorliterarischer Angleichungen die aus dem Indo- 
germanischen überlieferten Deklinationsklassen im 
Althochdeutschen nur noch zum kleineren Teil 
lebendig, grösstenteils aber zerfallen erscheinen, so 
ist doch gegenüber unserer heutigen Sprache das 
Althochdeutsche vor etwa tausend Jahren noch als 
reich an Deklinationsformen zu bezeichnen. Er- 
halten waren aus der Urzeit die drei Geschlechter: 
Männlich, Weiblich und Sächlich; von den drei 
Numeri allerdings nur Einzahl und Mehrzahl, die 
Zweizahl (Dual) ist bis auf einen Rest^ verschwun- 
den; die 7 Fälle des Hauptworts, die wir noch im 

' Nämlicli unker „unsrer beider", bayr. enk(er), das noch 
heute in der Mundart lebendig ist. 



_ 46 



DekH- 
nations- 
k lassen. 



A-Dekli- 
nation. 



1-Dekli- 
nation. 

Konson. 
Deklinal. 



Indischen und Altslavischen antreflfen, sind auf 4 
bis 5 zusammengeschmolzen: Nominativ, Genitiv, 
Dativ, Accusativ und Reste eines Instrumentalis 
(Fall des Mittels oder Werkzeugs). 

Das Indogermanische besass vokalische und 
konsonantische Deklinationsklassen, je nachdem der 
Stanpim des Wortes auf einen Vokal oder einen 
Konsonant ausging; von den letzteren ist im Ger- 
manischen wenig mehr erhalten, produktiv nur noch 
die Deklination der -n- Stämme, die Jak. Grimm 
als „schwache** bezeichnete, während er die voka- 
lische Deklination die „starke" nannte. Auch diese 
hat in histoi,ischer Zeit noch mannigfache Ein- 
busse erlitten: so verschwinden allmählich im Hoch- 
deutschen die im Gotischen noch zahlreichen u- 
Stämme, z. B. sunus „Sohn"; sie haben sich der 
numerisch stärkeren i- Klasse angeschlossen. Ausser 
dem Wegfall von Deklinationsklassen erlitt die De- 
klination weitere Vereinfachung durch Anglei- 
chungen der verschiedenen Klassen aneinander und 
der Kasus innerhalb derselben Klasse. 

Man unterscheidet daher im Althochdeutschen 
nur noch folgende Deklinationsklassen 

I. I. a-Stämme (mitihren Erweiterungen ja-undw^a- 
Stämme), Maskulina und Neutra umfassend; 

2. o-Stämme (j5-Stämme), sowie 

3. i-Stämme, die abstrakten Feminina um- 
fassend ; diese 3 Gruppen bezeichnet man 
als die a-Deklination. Daneben ist 

II. die i-Deklination noch lebendig, die aller- 
dings nur Maskulina und Feminina umfasst. 
III. Die konsonantischeDeklination der n-Stämme 
dagegen enthält alle drei Geschlechter. Von 



47 



den anderen konsonantischen Deklinationen 
sind nur vereinzelte Reste erhalten. Einige 
Paradigmen werden das Gesagte veranschau- 
lichen. 

Vokalische Deklination. 



I, I. a-Stamm: 
Sing. N. tag „Tag" 

G. tages 

D. tage 

A. tag 
In Str. tagij 
Plur. N. tagä 

G. tago 

D. tagum 

A. tagä 



1, I. ja-Stamm: 
Sing. N. hirti „Hirt'^ 

G. hirtes 

D. hirt(i)e 

A. hirti 
Instr. hirt i)u 
Plur. N. hirtä 

G. hirt(i)o 

D. hirtim 

A. hirtä 



Die Neutra, z. B. wort, werden ebenso flektiert, 
nur dass der Nom. Plur. keine Endung hat, also wort 
„die Worte, Wörter**. Daneben tritt vereinzelt ein 
Plural auf ir aut : lembir „Lämmer", der später eine 
grosse Ausdehnung gewinnt. Diese Endung entstammt 
den konsonantischen Neutra auf -es, vergl. lat. genera 
aus *geneza, urdeiitsch *lambiza, *lambira, *lambir. 



I, 2. ö-Stamm: 
Sing. N. geba „Gabe" 
G. geba 
D. gebu 
A. geba 

Plur. N. gebä 
G. geböno 
D. geböm 
A. gebä 



IL i-Stamm: 

Sing. N. gast „Gast** 

G. gastes 

D. gastes 

A. gast 

Instr. gast(i)u 

Phir. N. gesti 

G. gest(i)o 

D. gestim 

A. gesti 



48 



III. Konsonantische Deklination. 
n-Stamm: 
Sing. N. hano „Hahn** Plur. N. hanon (-un) 

G. hanen (-in) G. hanöno 

D. hanen (-in) D. hanöm 

A. hanon (-un) A. hanon 

Von sonstigen konsonantischen Stämmen sind 
noch die fünf Verwandtsehaftsnamen fater, bruoder, 
muoter, tohter und swester erhalten. Die vier letzteren 
sind mit Ausnahme des Gen. Plur. auf -o und des 
Dat. Plur. auf -um endungslos. Fater dagegen ist 
schon im Gen. Dat. Sing, und Nom. Plur. in die a-Dekl. 
übergegangen. Auch friunt „Freund**, fiant „Feind**, 
man „Mann** weisen noch endungslose Formen im 
Nom. Plur. auf, ebenso das Femininum naht. 
Adjektiv- £)as Eigens chaftswo.rt, das im Indogermanischen 

ganz wie das Hauptwort abgewandelt wurde, hat im 
Germanischen diese Art der Deklination behalten, 
jedoch wurde sie durch die Fürwortabwandlung 
stark beeinflusst, der einige Endungen entlehnt sind 
(diese entlehnten Endungen sind im Paradigma durch 
den Druck hervorgehoben) : 

Masc. Neutr. 

Sing. N. guot(6r) * guot(az) 



Dekli- 
nation. 



G. guotes 
D. guotemo 
A. guotan 
Instr. guotu, -o 
Plur. N. guot(e) 
guotero 
guotöm 
guot(e) 



guot(az) 
guotiu 



guotiu 



Fem. 
guot(iu) 
guotera 
guotero 
guota 

guot(o) 
guotero 
guotÄm 
guoto 



^ Die eingeklammerten Endungen können fehlen, vgl. nhd, 
„Der Wein ist gut\ neben ,,ein guter Wein'*. 



- 49 — 

Eine Neuschöpfung des Germanischen ist die 
sog. schwache Deklination des Eigenschaftsworts 
nach dem Muster der konsonantischen n-Stämme 
der Hauptwörter: 

Sing. Masc. blinto 1 ... , ,. ^ blinto 

xT ^ v.^' ^ i bhnten bhnten , ,. . 

Neutr. blinta | bhnta 

Fem. blinta blintün blintün blinta 

Plur. Masc. ( blinton | \ blinton 

Neutr. \ blintun J blintöno blintom / blintun 

Fem. blintün j blintün 

Die Steigerung geschieht mittels der Suffixe Steigerung 
-ir, -6r iür den Komparativ, und -ist, -6st für den 
Superlativ; also höh — höhiro — höhisto „hoch, 
höher, höchst** oder salig, saligöro, saligösto ,, selig** 
u. s. w. Dekliniert werden diese Formen wie die. 
schwachen Adjektive. (Unregelm. Steigerung, s. § 15.; 

Die von Adjektiven gebildeten Adverbien gehen Adverbial- 
auf -o aus : scöni „schön**, Adv scöno „schon** ; ^>*'^""g 
festi „fest**, Adv. fasto (ohne Umlaut) „fast**; ubil 
,,übel*', Adv. ubilo. 

Ausser ein kann im Ahd. auch zwei und ärei Zahl- 
dekliniert werden: zw6ne, zwä, zwei; dri, drio, driu, Wörter, 
für die drei Geschlechter. Ebenso können die Zahlen 
von 4 — 12 flektiert werden und zwar nach der i- 
Dekh, wenn sie nach ihrem Substantiv stehen. 

Die Zehner von 20 60 werden mit einem alten 
Substantiv -zug „Dekade** gebildet, daher 40 Wochen 
im Ahd. feorzug wehhöno (Gen. PI.) heisst; die Zahlen 
von, 70—100 sind in der ältesten Zeit mit -zo zu- 
sammengesetzt, also sibunzo 70, später tritt auch 
hier -zug ein, das sich endlich zu -zig, der heutigen 
Form umbildet. 100 heisst im Ahd. zehanzug, nur 
die mehrfachen Hunderter werden auch durch das 

F«i0t, Die deuttohe Sprach«. 4 






— 50 — 

Substantiv ,,hunt** = lat. centum gebildet: zwei 
hunt 200. 

Ordnungs- Die Ordnungszahlen weisen im Ahd. eine dop- 

zahlen, pelte Bildungsart auf (abgesehen von eristo oder 
furisto :=: engl, first, iter, ander 2tei), nämlich auf-to: 
dritto, zehanto oder auf -östo (Superlativendung) 
von 20 an: zwanzugösto 20^*^1, zehanzugösto loo^^i. 

Fürwörter. Die persönlichen Fürwörter haben noch einen 

vom Dativ verschiedenen Acc. Plur., sie lauten : 

1. Person: ih, min, mir, mih; wir, uns^r, uns, unsih; 

2. Person: du, din, dir, dih; ir, iuwer, iu, iuh; 

3. Person: Sing. Masc. er, Gen. fehlt, imu, inan, 

Fem. siu, ira, iru, sia, 
Neutr. iz, is (es), imu, iz; 
Plur. sie, sio, siu - iro — im — Acc. 
Nom. 

Auch die besitzanzeigenden, hinweisenden, un- 
bestimmten und fragenden Fürwörter weisen noch 
manclie altertümliche Formen auf, deren Aufzählung 
hier zu weit führen würde. 

Zeitwftiter. Wie sich das Althochdeutsche bei der Dekli- 

nation noch eine stattliche Anzahl charakteristischer 
Endungen aus der Urzeit erhalten hat, so ist auch 
die Konjugation bemerkenswert durch eine grosse 
Reihe selbständiger Verbalklassen mit mannigfachen 
Endungen. Das im Gotischen noch erhaltene Pas- 
sivum ist zwar untergegangen, aber die Ablauts- 
klassen, von denen oben (§ 2, S. 10 f.) schon die Rede 
war, stellen sich uns im Althochdeutschen zum Teil 
sogar in ursprünglicherer Gestalt als im Gotischen 

Endungen, dar. In althochdeutscher Zeit freilich zerfallen die 
anfangs noch vollen Endungen und am Schlüsse 



51 



dieser Periode sind sie grösstenteils zu e verblasst. 
Zwei Beispiele werden dies erläutern : 

Gegenwart Vergangenheit 

älteste Form 
Sing, nimu „ichnehme*' Sing, nam „ich nahm" 



nimis närai 




nimit nam 




Plur. nemam^s Flur. nämuni(6s) 


nemet nämut 




nemant nämun 




Infinitif neraan Mittelwort ginoman 




Gegenwart Vergangenheit 


Notkers Formen (ungef. looo) 


Sing, räto Sing, riet 




ratest riete 




. ratet riet 




Plur. rät^n Phir. rieten 




rätent rietent 




rätent rieten 




Infinitif raten Mittelwort geraten 




Die Ablaiitsklassen stellen sich in 


folgender Ablauts- 


Gestalt dar (vgl. ^^ 2, S. lof.): 


klassen 


T, f. geban „geben" : gab : gäbum : gigeban, 


2. neman „nehmen" : nam : nämum 


: ginoman, 


3. hintan „binden" : bant : buntum 


. gibuntan, 


werfan „werfen" : warf : wurfum : 


giworfan ; 


11, I. grifan „greifen" : greif : grifum 


: gigrifan, 


2. liogan^ „lügen" : loug : lugum 


: gilogan, 


beotan' „bieten" : bot-' : butum 


: gibotan ; 


III. faran „fahren" : fuor : fuorum ; 


gifaran. 



' Für eo, io steht spftter iu. * 011 wird zu 6, s, § 7, S. 43. 

4* 



— 52 — 

Den wenigen reduplizierenden Zeitwörtern des 
Gotischen entsprechen im Althochdeutschen Zeit- 
wörter mit dem Vokal e, später ea, ia, ie im Prä- 
teritum. 

IV. haltan „halten*' : hielt : hieltum : gihaltan. 

Der Stammvokal des Präsens ist verschieden; 
wir linden a, ä, ou, ö, uo; die drei letzteren er- 
hielten ursprünglich im Präteritum den Diphthong 
eo, io, zuletzt aber auch ie. 
Schwache Im übrigen ist die Reduplikation, die auch zur 

^^^' Bildung zahlreicher Präsensstämme im Indogerma- 
nischen diente, im Germanischen bis auf wenige 
erstarrte Ueberreste ausgestorben (wie ahd. bibem 
,,bebe** = altind. redupl. Präsens bibhemi), ebenso 
wie die vielen andern Präsensbildungen der Ur- 
sprache. Nur eine ist im Germanischen lebendig 
gebheben, nämlich die Ableitung mittels der Endung 
-ja- vom Perfektstamm der starken Zeitwörter, z. B. 
got. satjan „setzen" von sitan, Perf. sat „sitzen**. 
Diese sog. schwachen Zeitwörter bilden das Perfekt 
mit der Endung -ta und das Mittelwort auf -it. Das 
j (i) der Ableitungssilbe hat überall Umlaut bewirkt; 
nur im Präteritum der Stämme mit langem Wurzel- 
vokal ist es durch Synkope früh ausgefallen; hier 
fehlt also auch der Umlaut. Man vergleiche: 

Gegenwart: 

Sing, zellu ,,ich zähle** Sirlg. suochu „ich suche** 
zelis suochis 

zelit suochit 

Plur. zellemes Plur. suochemes 
zellet suochet 

zellent suochent 



- 53 — 

Vergangenheit : 
Sing. zelita(auchzalta)„ich Sing, suohta „ich suchte" 
zelit6s(t) [zählte" suohtös(t) 

zelita suohta 

Plur. zelitum Plur. suohtum 

zeiitut suohtut 

zelitun suohtun 

Mittelwort: 
gizelit „gezählt" gisuochit „gesucht" 

Neben den sehr zahlreichen Zeitwörtern der ja- ö- und i- 
K lasse, gibt es noch zwei Klassen schwacher Ver- '^'**5*^- 
ben, deren Bindevokal ö oder ö ist; auch deren 
Zahl ist im Althochdeutschen nicht unbedeutend, 
e und ö bleiben in allen Stammformen bis in die 
spätalthochd. Zeit. Bemerkenswert ist bei diesen 
Verben, dass sie noch die alte indogerm. P^ndung 
der I. Person Sing. Praes. -m (aus -mi) erhalten 
haben: salböm „ich salbe", hab^m „ich habe". 
Das ist sonst nur noch bei vier Zeitwörtern der Unregelm. 
Fall: bim „ich bin", töm, tuam „ich tue", gäm V^^ben. 
„ich gehe", stäm ,,ich stehe", die im übrigen 
,, unregelmässig", d. h. altertümlich abgewandelt wer- 
den. So vermischen sich bei „sein" 3 Stämme 
bi- ibin)^ wes- (war, gewesen), es- (sein). Tun re- 
dupliziert noch im Präteritum: teta „tat", tätum 
„taten" ; Gehen und stehen haben auch längere 
Formen in der alten Sprache : gangan und stantan, 
von denen die Perfektformen giang „ging" und 
stuoni „stand" gebildet sind. 

Eine besondere Erwähnung verdient eine Gruppe PrSteriio- 
Zeitwörter, von denen aus alter Zeit nur i\\^ Form präsentin. 
der Vergangenheit erhalten ist, während die Gegen- 
wart verloren ging und ihre Bedeutung an jene ab- 



- 54 - 



Wechsel. 



gab. Es sind weiz ,,ich weiss", wizzum „wir wis- 
sen**; kan „ich kann**, kunnum „wir können**; darf, 
durfun ; skal, „soir* skulum; mag, mugun; muoz 
„ich muss**, muozun; gi-tar, -turrun, „ich wage** 
und noch einige mehr, die im Neuhoclideutschen 
verloren sind. Sie bilden ein schwaches Präte- 
ritum als Neuschöpfung des Germanischen : wissa 
„ich wusste**, konda „ich konnte**, dorfta „ich durfte**, 
mohta „ich mochte**, muosa „ich musste**, gi-torsta 
„ich wagte**. Ein ursprünglicher Optativ (got. wiljau) 
war willa „ich will**, wellem^s „wir wollen** ; dazu 
das neugebildete Präteritum wolta „ich wollte". 
Gramina- Während sich bei der Deklination des Haupt- 

Jischer^ Worts von dem ursprünglichen Wechsel des indo- 
germanischen Akzents zwischen Stammsilbe und- 
Endung infolge nachträglicher Ausgleichung der da- 
durch bewirkten verschiedenen Gestaltung des 
Stammauslauts kaum Spuren erhalten haben, ist der 
irrtümlicherweise sog. grammatische Wechsel bei 
der Beugung des Zeitworts im Althochdeutschen 
noch lebendig. Hierin erweist es sfch sogar als 
altertümlicher wie das Gotische, wo er fast gänz- 
lich beseitigt ist. Es wechseln im Stammauslaut 
der Zeitwörter d mit t, f mit b, h mit g (w) und 
ng, s mit r. Die erstgenannten Konsonanten stehen 
in den ursprünglich stammbetonten Formen (Prä- 
sens und Singular des Präteritums), die letztge- 
nannten in den ursprünglich endungsbetonten (im 
Plural des Präteritums und im Mittelwort der Ver- 
gangenheit). Beispiele: findu ,,ich finde** : fand : 
funtum : funtan; helfen ,, heben** : huobum ,, hoben** : 
ziuhu „ziehe** : zöh : zugum : gizogan; kiusu „kiese, 
wähle** : kös „kor** : kurum : gikoran (vgl. auch oben 

§ 2, S. 12). 



Auch bei den Verbalnomina (Partizipien und Mittelwort. 
Infinitiv) macht sich die Nachwirkung des indoger- 
manischen Akzents fühlbar. Das Mittelwort der 
Gegenwart, das im Indogermanischen konsonan- 
tischer -nt-Stamm ist, erscheint im Germanischen 
mit -nd- und tritt in die i-Deklination über: lat. 
sequens, St. sequent- „folgend" ^^ got. saihwands, 
ahd. sehenti. Die indogerra. Mittelworte der 
Vergangenheit auf -to und -no finden im 
Germ, ihre Fortsetzung ; jenes kommt den abgelei- 
teten Verben, dieses den starken Verben zu: lat. 
habitus : got. habaiths, gen. habaidis : ahd. giha- 
bet; ferner got. saihwans — ahd. gisehan. In ahd. 
Zeit, ist die Vorsilbe gi- bei diesem Mittelwort 
schon ganz die Regel, während das Gotische sie 
noch nicht kennt. Von den zahlreichen Infinitiv- 
formen der Ursprache hat das Germ, nur eine be- InAnitiv. 
wahrt, und zwar gerade die seltenste auf -ono-, 
germ. -ana- : got. itan = ahd. ezzan. 

Aber trotzdem das Germanische von dem fast 
übermässigen Reichtum der Urzeit an Flexionsformen 
nur wenige bewahrt und diese einem streng geord- 
neten Systemzwang unterworfen hat, so sehen wir 
im Kindesalter unserer Sprache doch beim Haupt- 
wort wie beim Zeitwort noch buntgefärbtes Leben 
aus alter Zeit hinübergerettet in das Licht der Ge- 
schichte. Freilich ist das Erhaltene gering genug 
im Verhältnis zur Mannigfaltigkeit der Formenbil- 
dung in der indogerm. Grundsprache, aber doch 
waren die ßeugungsformen des Hauptworts wie des 
Zeitworts noch so charakteristisch und wurden als 
solche von dem Sprachbewusstsein des Volks em- 
pfunden, dass ihnea^!^5^J^!^mteB!^^es Geschlechts- 
und Fürworts noüjf^firanzO'^näjehrlf^ sind. Indes 




- .^6 -^ 

beginnt schon in spätalthochdeutscher Zeit, wie 
wir gesehen haben, der Verfall der Endungen des 
Zeitworts; die Endungen des Hauptworts halten 
sich etwas länger, um aber freilich dem allgemein- 
nen Schicksal aller unbetonten Silben, der Ver- 
kümmerung zu e oder gänzlichem Wegfall, endlich 
zu erliegen. Doch hiervon weiter zu sprechen,^ 
können wir uns für ein späteres Kapitel aufsparen, 
wenn wir die Beugungsformen der mittelhochdeut- 
schen Zeit betrachten. (§ ii und § 15.) 

§ 9- 

Althochdeutsche Wortbildung. 

Wenn wir Wörter wie reden^ Redner^ beredeUy 
überreden^ Ueberredung miteinander vergleichen, so 
finden wir unschwer zwei verschiedenartige Bestand- 
teile heraus : einen Bestandteil, der allen gemein- 
sam ist, red^ der Stamm oder Wurzel genannt wird, 
und ausserdem die Ableitungssilben 'en, -ner, -tmg 
und die Vorsilben be-, über-. Mit solchen Ablei- 
tungs- und Vorsilben bildete schon das Indoger- 
manische aus den Wurzeln die meisten Redeteile: 
Hauptwörter, Eigenschaftswörter, Fürwörter, Zeit- 
wörter und andere. Aber es wurden auch Wörter 
durch Nebeneinanderstellung zweier gleichartiger 
oder verschiedenartiger Bestandteile gebildet: 
Singsangs Wirrwarr , Grossvater finden schon in der 
Urzeit ihre Vorbilder. 
I<lg;^o;; i-' Von den kurzvokalischen Suffixen, mit denen das 

Indogermanische Hauptwörter bildete, ist keines ini 
Germanischen lebenskräftig geblieben und zwar infolge 
der Auslautsgesetze, die im Gotischen die Endungen 
a und i, im Althochdeutschen auch noch u unter- 



u-Suffix. 



57 - 



Idg. a- 
Suffix. 



drückt hatten. Deshalb können wir im ähesten 
Deutsch diese indogerm. Suffixe a, i, u nur noch 
an ihren Nachwirkungen, der verschiedenen Beu- 
gung der damit gebildeten Hauptwörter, erkennen. 
Got. wigs „Weg" (a-Stamm) zu gawigan „bewe- 
gen", deutsch Schlaf zu schlafen, Schlag (urspr. 
i-Stämrae) zu schlagen, Hand (u-Stamm) erschei- 
nen uns schon in ältester Zeit als endungslos 
Besser hielten sich die langvokalischen Suffixe des 
Indogermanischen, z. B. das femininische a ^=^ ur- 
germ. o, got. und ahd. a; got. giba, ahd. geba 
„Gabe" zu geben. Aber richtig lebenskräftig ist 
dieses Suffix innerhalb des Deutschen ebensowenig 
wie die alten n- und j-Stämme, die in der schwachen 
und i-Deklination fortleben. Die ahd. Nom. boto 
,,Bote", hirti „Hirte" lassen kein n- oder j-Suffix 
mehr erkennen; n und i erscheinen uns lediglich 
als Deklinationsendungen. Dagegen haben sich 
andere konsonantische Suffixe, wenn auch nicht 
nlehr produktiv, besser erhalten : t in Ableitungen o^ri^"' 
wie Geburt von gebären, 1 in got. sitls, ahd. sezzal 
„Sessel" zu utzen (got. sitan), r in got. akrs 
„Acker" zur Worzel ag-(lat. agere) „treiben" (vgl. 
Trift), m in got. blöma, ahd. bluomo „Blume" zu 
blühen y n in got. ahd. barn ,,Kind" zu ge^diren ; 
s in ahd. flahs „Flachs" zu flech-tQVi\ k in ahd. ri- 
sach „Reisich" zu Beis, und noch andere. Neben Produktive 
diesen erstarrten Suffixen, die gewöhnlich nur aus Suffixe. 
einem Konsonanten bestehen, finden wir eine An- 
zahl aus diesen einfachen Endungen weitergebil- 
deter Suffixe, die infolge ihrer grösseren Klangfülle 
und Deutlichkeit fruchtbar geblieben sind. So die 
Endung -sl, z. B. in Achsel neben Achse zur idg. Suffix -sal, 
Wurzel ag- „führen" (lat. agere); das Althoch- 



Idg. 
konson. 



-sei. 



- 58 - 

deutsche entwickelt durch sekundäre Vokalentfal- 
tung daraus das Suffix -sal, verlängert -isal in 
dihsala „Deichsel", ähtesäl „Verfolgung**. Bis ins 
Neuhochdeutsche hat die Neubildung mit dieser 
Endung fortgedauert: Drangsal^ Schicksal; abge- 
schwächt ist -sei : Rätsel^ Häcksel u. a. sind noch 
Suffix -in. späte Bildungen. Aus dem uralten femininbilden- 
den'iSuffix -f in got. frijöndi „Freundin" zu fri- 
jönds „Freund" entwickelt sich eine neue Endung 
ahd/-in (und -inne), die bis heute lebenskräftig ge- 
blieben ist und ihren vollen Vokal erhalten hat. 
Aber während im Ahd. das i der Endung umlau- 
tend oder die Brechung hindernd gewirkt hat: bi- 
rin zu bero „Bär", gutin zu got. ,,Gott", wülfinne 
zu wolf, ist später durch den Einfiuss der männ- 
lichen Form diese Wirkung aufgehoben worden: 
Bärin zu Bär, Wölfin zu Wolf\ Göttin zu Gott (die 
letzteren mit jüngerem Umlaut). Um männliche 
Suffix -er. Hauptwörter zu bilden, dient das Suffix got. -areis, 
ahd.J-ari, -eii, auch -äri, mhd. -aere, nhd. -er. Sei- 
nem Ursprung nach nicht völlig aufgeklärt, wahr- 
scheinlich dem Lateinischen entlehnt, hat es eine 
weite Verbreitung gefunden und • sich eine unge- 
schwächte Lebenskraft bewahrt: got. laisareis, ahd. 
lerari, nhd. Lehrer zu ,Jehren" =■■ got. laisjan ist 
ein uraltes Beispiel da.(nr; Autle r von auteln (Auto- 
mobil fahren) wohl die jüngste Bildung. 

Schon in frühster, vorhistorischer Zeit tritt das 
innerhalb des Germanischen auf nicht ganz auf- 
Suffix -nis. geklärte Weise entstandene Suffix -nis auf, um Ab- 
strakte (d. h. sinnlich nicht wahrnehmbare Begriffe) 
zu bilden. Es lautet im Got. -inassus z. B. thiudi- 
nassus „Königreich", im ahd. -nissa und -nissi 
(-nessi), daneben -nussi (mhd. -nüsse). Sowohl 



- 59 — 

von Substantiven wie Adjektiven und Verben wer- 
den Hauptwörter .auf -nis gebildet: ahd. gotnissi 
„Gottheit", finstarnissi „Finsternis", bihaltnissi „Vor- 
haltung". Wenige Wörter dieser Bildungsart haben 
sich vom Althochdeutschen bis auf unsere Zeit ge- 
halten; fortwährend kamen neue hinzu und ver- 
schwanden alte; ihrö Zahl indes ist im allgemeinen 
kleiner geworden. Das ist nicht der Fall bei den 
Endungen -ing und -ung, die wir nunmehr^'be- 
sprechen wollen. Auch diese Suffixe sind dem Suffix -ing. 
Germanischen eigentümlich und in sehr alter Zeit 
entstanden. Im Hochdeutschen dient -ing für männ- 
liche, ung für weibliche Hauptwörter; got. skilliggs 
(gg ^= ng) , »Schilling", ahd. Tuning ,, König" sind 
mit dem Suffix -ing gebildet, das in der Erweite- 
rung -Hng ^ grosse Verbreitung fand : Jüngling zu 
jtmgy und bis ins Neuhochdeutsche fruchtbar blieb : 
Dichterling y Mischling, Sträfling usw. Während 
aber die Maskulina fast durchaus sinnlich wahr- 
nehmbare (konkrete) Gegenstände sind, erscheinen 
die Feminina auf -unga von Anfang an als ab- Suffix -ung. 
strakte (sinnlich nicht wahrnehmbare) Begriffe : ahd. 
kostunga , »Prüfung" zu „kosten", ladunga „Ladung" 
zu „laden". Im Neuhochdeutschen ist die Endung 
durchaus lebendig, besonders in der Form -igung 
an Zeitwörter auf -igen, und -ierung an solche auf 
-ieren angeschlossen : Beerdigung, Regierung. 
Gleichfalls vollständig lebenskräftig sind die ur- 
alten Verkleinerungsendungen -lein und -chen ge- 
blieben. Für -lein ist die ahd. Form: lin : tohter- Suffix -lein, 
lin „Töchterlein" ohne Umlaut, wörtelin „Wörl- 



* Das ableitende -ing trat an einen Stamm auf -1: Edelwg 
von edel. 



— 6o — 

lein" mit Umlaut; daneben ist eine alte Nebenform 
auf -It vorhanden, die im Neuhochdeutschen als 
-el (in ober- und mitteldeutschen Mundarten als 
-le) fortlebt: ahd. gi-buntili „Bündel", ahd. farheli 
,, Ferkel", Aerntel von Arm, Verbreiteter als -lein ist 
im Neuhochdeutschen, besonders in der Prosa, das 
Suffix Suffix -chen, das aber in alter- Zeit in der Form 
-chen. »ken wesentlich dem Niederdeutschen zukommt; in 
der Form -eichen erscheinen beide Suffixe ver- 
eint auf mitteldeutschem Boden : Büchelchetty Wägel- 
chen u. a. 

Urspröngl. Neben den altüberkommenen, aber wenig lebens- 

selbstän- f^^gen Suffixen und den jüngeren, grösstenteils 

Wolter als ^^^^ heute fruchtbaren Bildungssilbendes Germa- 
Suffixe. nischen tritt in geschichtlicher Zeit eine neue Art 
der Wortbildung auf, die von einer ursprünglichen 
Nebeneinanderstellung zweier Hauptwörter im Laufe 
der Zeit vollständig zur suffixalen Bildungsart her- 
abgesunken ist. Es sind das die Hauptwörter auf 
-heit, -Schaft, -tum (und die Eigenschaftswörter 
auf -lieh, worüber weiter unten). 

Suffix -heit. In allen alten germanischen Dialekten ist das 

Wort got. haidus, ahd. mhd. heit „Art und Weise*' 
(ursprünglich ,, Glanz") lebendig, während wir heute 
nur noch das aus derselben Wurzel abgeleitete Eigen- 
schaftswort heiter kennen. Früh schon ist es in den 
westgermanischen Sprachen zur Bildung von Ab- 
strakten verwendet worden, indem es entweder an 
Substantive trat wie Gottheit (eig. Gott-Beschaffen- 
heit), Kindheit y Torheit u. s. w., viel häufiger aber 
zu Adjektiven wie Freiheit {= freie Beschaffenheit), 
Schönheit^ besonders zu solchen auf -ag, -ig, wie 
ahd. ^wig-heit, frumic-heit ,, Frömmigkeit" u. s. w. 
Indem nun im mhd. das // der Endung schwand. 



— 6i - 

entstand ein neues Suffix -keit aus Wörtern der Suffix -keit. 
letztgenannten Art, das lange Zeit mit dem älteren 
Suffix -heit den Kampf um den „Platz an der Sonne** 
führje, aus dem es heute siegreich hervorgegangen 
dasteht; die Endung -keit ist viel häufiger als ihre 
ältere Schwester -heit: ausser in Sicherheit finden 
wir bei den Eigenschaftswörtern auf -er, -bar jetzt 
ausschliesslich das Suffix -keit: Bitterkeit ^ Dankbar- 
keit y ebenso bei denen auf -sam: Langsamkeit ^ auf 
-lieh: Ehrlichkeit y auf -ig: Dürftigkeit. 

P2in anderes Suffix, das gleichfalls aus Ursprung- Suffix 
lieber Nebeneinanderstellung zweier Substantive ent- -scnaft, 
sprang, ist ahd. -scaf, -scaft. Das Hauptwort ahd. 
scaf „Art", mhd. scaft „Geschöpf, Form** verbindet 
sich hauptsächlich mit Substantiven, selten mit Ad- 
jektiven zu neuen Zusammensetzungen. Man sollte 
nun glauben, dass die Suffixe -heit und -schaft oft 
zusammenstossen müssten; doch ist dies nicht der 
Fall. Während die Zusammensetzungen mit -heit 
mehr Wesen und Eigenschaft bezeichnen, gehen die 
auf -schaft mehr auf Tätigkeit, Zustand, woraus sich 
dann der kollektive Sinn, der Sammelbegriff* ent- 
wickelt; aber Kreuzungen zwischen den Suffixgat- 
tungen sind nicht ausgeschlossen. Man vgl. Mann- 
heit = Wesen des Mannes mit Mannschaft mhd r-^ 
Mannespflicht, heute -- Gesamtheit der Mannen; 
anderseits Christenheit (Gesamtheit der Christen) 
mit Heidenschafty Judenschaft, Deutlich aber tritt 
der Ausdruck des Zustandes hervor in Wörtern wie 
Feindschaft^ Knechtschaft^ Wanderschaft u. s. w. 

Das letzte der noch lebenskräftigen Suffixe sub- Suffix 
stantivischen Ursprungs ist ahd. -tuom, nhd. -tum. '*""^- 
Die Herkunft ist durchsichtig: got. d ms „Urteil, 
Sinn**, ahd. mhd. tuom „Sitte, Herrschaft**; die 



-^ 62 

Wurzel ist dieselbe wie in unserm Zeitwort tun. Die 
Zusammensetzungen mit -tum linden sich in allen 
germ. Sprachen, nur im Gotischen noch nicht; sie 
bezeichnen Stand oder Gewohnheit; auch in ab- 
strakter Bedeutung linden wir sie sehr früh. Neu- 
bildungen erfolgen bis ins Neuhochdeutsche. Die 
Zusammensetzung Rittertum (Wesen der Ritter) ver- 
gleiche man mit Ritterschaft (Gesamtheit der Ritter) ; 
Christentum und Christenheit stehen sich ähnlich 
gegenüber. Noch andere zu Suffixen gewordene, 
ursprünglich selbständige Wörter wie -tag in w^tag 
„Leid", -bald, -bold (den zahlreichen Eigennamen 
mit diesem zweiten Bestandteil entlehnt) in mhd. 
Triinkettboldy nhd. Sauf hold, Witzbold sind im Nhd. 
nur vereinzelt noch vertreten. 
Adjektiv- ßjg gleichen Ableitungsarteh, die seit der indo- 

ung- germanischen Urzeit zur Bildung von Substantiven 
führten, haben auch die Adjektivschöpfung veran- 
lasst. Man bildete Adjektive mit den Suffixen -o 
(germ. -a) -i, -u, -jo (germ. -ja). Die urgerm. a-Ad- 
jektive sind in historischer Zeit endungslos infolge 
der Auslautsgesetze; aus der grossen Zahl derartiger 
Adjektive führen wir einige an: got. qius, ahd. quec, 
nhd. keck, queck = alat. vivos; got. hveits, ahd. 
wiz, nhd. weiss =■ aind. sv tas; ferner siechy got. 
siuks ,, krank", los^ got. laus, taub^ got. daufs, blind 
U.S.W. Die i-, u-, ja-Adjektive haben im Althoch- 
deutschen gleichmässig die Endung i: ahd. kuoni 
, kühn" (i-Stamm), durri (got. thaursus) „dürr" (u- 
Stamm), mitti (got. midjis, lat. medius) , mitten" 
(ja-Stamm). 

Konsonan- Konsonantische Suffixe erhalten sich, ohne lebens- 

tische er- 
starrte kräftig zu sein : -1 in ahd. fü-1 „/^«/" zu lat. pu-teo 

Suffixe, „stinke", ahd. luzzil „klein" (nhd. /.///-s^Z-Koblenz), 



- 63 - 

ahd. nhd. /lei'I u.s.v/.; -r in bitter, sauer; -m in arm, 
zvarm'y -n in bratm, eben] -t in alt, kalt, lamt) -ht in 
töricht u. a. m. Lebendig bleiben manche Suffixe, Lebendig 
die aus einem Vokal und einem oder mehreren Kon- ^'^l^lj^bene 
sonanten bestehen : ahd. in zur Bildung von stoff- 
bezeichnenden Adjektiven, z. B. eichin „eichen**, 
kupfarin ,, kupfern"; -ag und -ig in listige ahd. bluo- 
- tag „blutig", besonders beliebt in Zusammenbildungen, 
z. B. zweijährig, dreitägig, gutwillig', -isch in ahd. 
diutisc ,, deutsch**, heimisch, neidisch, fränkisch. 

Gleichwie bei den Hauptwörtern finden sich 
auch bei den Eigenschaftswörtern ursprünglich 
selbständige Wörter als zweite Bestandteile einer 
Zusammensetzung. Das häufigste dieser Suffixe ist 
-lieh, ursprünglich ein Substantiv: got. leik, ahd. Suffix-lich. 
mhd. lieh ,.Leib**, nhd. Z^/r//-nam. In alter Sprache 
tritt -lieh häufig an Hauptwörter, Eigenschaftswör- 
ter und Mittelwörter: ahd. brötlih „bräutlich** 
eig. nach Art einer Braut, ^ mhd. arbeitlich , »müh- 
selig**, ahd. armalih „ärmlich**, wesentlih (wesent 
ist Part. Praes. zu sein, St. wes- in gewesen) 
„wesentlich**, und zahlreiche andere. In späterer 
Zeit tritt -lieh auch häufiger an Verbalstämme, wo- 
gegen die Bildungen mit Substantiven zurücktreten; 
nhd. gedeihlich, sterblich, undenklich usw. Ueber- 
haupt ist die Verwendung des Suffixes -lieh schon 
im Ahd. eine so mannigfaltige, dass wir hier nicht 
auf alle Arten seines Gebrauchs eingehen können. 
Nur eine wollen wir noch erwähnen, die Bildung Adverbia 
von Umstandswörtern mit -lieh, ahd. -licho von *^"^ "'^^'^ 
Eigenschaftswörtern, eine Bildungsweise, die beson- 
ders im Mhd. (und Englischen, auf -iy, z. B. truly 

* Brautgestalt habend ; vgl. nhd. Rotrock, Blaujacke u.s. w 



-. 64 - 

von true „wahr") um sich greift, während das Nhd. 
diesen Gebrauch bis auf einzelne Reste wieder hat 
fallen lassen, vgl. freilich^ höchlichy klärlichy weislich 
Adverbia u. a. Sonst bildete das Ahd. Adverbien von Ad- 
auf-ü. jektiven auf -ö (s. § 8, S. 49) : harto (ohne Um- 
laut) zu hertx „hart**, mhd. suoze zu süeze „süss**. 
Heute ist auch dieser Unterschied ausgewischt ; das 
Eigenschaftswort wird ohne Beugungsendung als 
Umstandswort gebraucht. 

Neben dem Suffix -lieh, das substantivischen 
Ursprungs ist, linden wir zur Bildung von Eigen- 
schaftswörtern auch Endungen adjektivischen Ur- 
Suffix -sam. sprungs: 'SaiHy -bar, und -ha/t. Ersteres ist ein 
Adjektivstamm, der in got. ahd. sama „selbe** steckt, 
und verbindet sich mit Substantiven, Adjektiven 
und Verben: ahd. arbeitsam {^ der Arbeit ent- 
sprechend) „mühevoll**, liubsam „angenehm** (Adjek- 
tivzusammensetzung), hörsam „gehorsam** (Verbal- 
Suffix -bar. Zusammensetzung). -bar lautet im ahd. -bäri 
und erscheint als selbständiges Wort in unbäri 
„unfruchtbar** zur Wurzel ber- „tragen**; also be- 
deutet dankbar eig. „Danktragend**, offenbar „sich 
Suffix -haft. offen tragend** usw. Das dritte Suffix -haft ist 
eigentlich ein Mittelwort der Vergangenheit und 
entspricht buchstäblich dem lat. captus = ahd. 
haft — gefesselt; die passive Bedeutung geht 
dann in Zusammensetzungen häufig in die aktive 
über. Also bedeutet ernsthaft eig. durch Ernst ge- 
bunden (passivisch), aber sieghaft den Sieg hal- 
tend (aktivisch). Alle drei letztgenannten Endungen 
sind bis ins Neuhochdeutsche lebenskräftig geblieben. 
Zusammen Unter den Vorsilben, die zur Bildung zusammen- 

^^ mi"^^" gesetzter Hauptwörter und Adjektive dienen, spie- 
Präfixen. l^n schon im Althochdeutschen die Verhältniswörter 




~ 65 - 

ab-, bei-, über-, wider-, vor-, nach-, durch-, in-, 
an-, sonder- dieselbe Rolle wie heute noch; auch 
bei Zeitwörtern treffen wir dieselben Präfixe. 

Fremden Ursprungs ist die Vorsilbe erz- aus gr. Präfix erz- 
lat. archi-, z. B. Erzbischof 2l\xs archi-episkopus. Un- 
selbständige Partikeln sind ahd. ga-, später ^^-, womit Präfix ga- 
ursprünglich Kollektive d. h. Sammelbegriffe gebildet 
wurden, z. B. Gebirge (zu Berg) -^ Gruppe von Bergen, 
aber auch Adjektive wie ge-recht zu rechty und 
zahlreiche Verben wie gebieten zu bieten u. s. w. 
Ahd. ur- finden wir noch in Urteil, Urlaub , Präfix ur- 
Urkunäe, während beim Zeitwort diese Vorsilbe zu 
er- verblasste infolge der Tonlosigkeit : erteilen, 
erlauben, erkunden. Die Vorsilbe un- dient zur Präfix un- 
Verneinung: Unlust von Ltist, unlieb von lieb, un- 
wissend von wissend. Im Ahd. dienten zum glei- 
chen Zwecke auch die Vorsilben ä- und ö- z. B. Partikeln 
ästiure „ohne Leitung** zu stiure „fest"; 6met „zwei- ^* ""^^ ^"* 
tes Mähen" zu mät „Mahd" (nhd. Ohnmacht ist 
aus 6- macht unter Anlehnung an „ohne" umgedeu- 
tet). Meist nur bei Verben findet sich die Vor- Präfix zer- 
silbe zer-, um Trennung auszudrücken, in zer-rin- 
nen u. a. Ausschliesslich auf Zeitwörter beschränkt 
sind d\^ Partikeln: be- ursprünglich bi-, verkürzt Präfix be- 
aus bi - nhd.^ bei, in ahd. bidecken „bedecken" 
und zahllosen anderen Beispielen. Die Vorsilbe 
ent- bezeichnet Trennung wie in entlassen zu lassen, Präfix ent- 
entsenden zu senden usw. Die Partikel ver-, die Präfix ver- 
verschiedenen Ursprungs sein kann (got. faür-, 
fair- und fra-) vereinigt ganz entgegengesetzte Be- 
griffe in ihrer Verwendung, man vergleiche ver- 
decken (zudecken), verjagen (wegjagen), verblühen 
(authören zu blühen), verschlafen (übermässig schla- 
fen), verdienen (Abschluss des Dienens) u.s.w. Die 

Peltt, Die deutsche Sprache. 5 



66 



Zusammensetzungen endlich mit den aus alten Ad- 
Vorsilben jektiven entstandenen Vorsilben miss- und voll- 
miss- und ^j^ missachten, vollenden^ von denen die erstere 
die Bedeutung des Verfehlten, Verkehrten, die letz- 
tere des ErfüUens hat, führen uns hinüber zur 
letzten Gruppe von Zusammensetzungen, bei der 
zwei selbständige Wörter durch Aneinanderreihung 
Zusammen- ein neues Wort bilden, die ergiebigste Quelle der 
^^se /. e Wortschöpfung beim Hauptwort und Eigenschafts- 
wort. Im Althochdeutschen pflegen Hauptwörter 
mit den lebendigen Suffixen -äri, -unga, -nissi nicht 
als erste Kompositionsglieder aufzutreten, ebenso- 
wenig Adjektive auf -ag, -ig; als zweite Glieder 
einer Zusammensetzung sind Ableitungen jeder Art 
verwendbar. Häufig wird das zweite Glied, wenn 
es Substantiv ist, schwach flektiert oder erhält ein 
-ja-Suffix : ahd. giburti-tago ,, Geburtstag" von tag, 
unwitiri „Unwetter" zu wetar. In der ältesten Eorm 
der Zusammensetzung treten beide Glieder einfach 
nebeneinander : Stahlfeder, Grossvater, Brennholz 
(Subst. ♦ Subst., Adj. -+- Subst., Verb + Subst). 
Bald aber wird die syntaktische Beziehung des 
ersten Gliedes zum zweiten zum Ausdruck gebracht, 
indem das erste Substantiv z. B. in den Genitiv 
tritt : ahd. sunnüntag „Sonntag" eig. Tag der Sonne ; 
Frankonofurt „Frankfurt" ^\%, Furt der Franken, 
windisbrüt „Windsbraut". In diesen eigentlichen 
Genitivverbindungen ist der Ursprung des s in der 
Kompositionsfuge zu suchen, das besonders im 
Neuhochdeutschen weit über sein eigentliches Ge- 
biet hinausgreift. So steht neben der älteren Form 
Amtmann die jüngere Amtsgericht, neben Blut-- 
räche — Bluts freund (Luther sagt noch Blutfreund) 
und zahllose andere. Sogar Feminina erhalten dies 



^ 67 - 

s in der Zusammensetzimg durch Uebertragung : 
Liebeslust y Zeitungsnachricht , Wissenschaftsdrang ■ a|j 
u. s. w. " ; ;'^'i| 

Bei vielen Zusammensetzungen ist ein Bestand- Kom|)oi5^ 
teil als selbständiges Wort untergegangen : Brom- ™i^ i^^^j 
hcej'e (mhd. bräme „Dornstrauch"), Friedhof, dia- «angen^' 
lektisch Freithof aus ahd. vrithof zu friten „hegen**; Wörtern. 
Lindwunn zu ahd. lind „Schlange" sind Beispiele 
für die Verdunkelung des ersten Bestandteils. Der 
zweite Bestandteil ist ausgestorben in: Allraun zu i^ 

rüna „Geheimnis" ; Bräutigam zu gomo „Mann", . 

Vormund zu munt ,, Schutz". Auch beide Bestand- 
teile sind zuweilen abgestorben: Marschall, ahd. 
marah -scalk zu marah „Pferd" und scalk „Knecht"; 
TruchsesSy ahd. truhsäzzo von truht „Schar" und 
sitzen, und noch andere. Indessen empfinden wir 
die letztgenannten Gruppen doch noch dunkel als Verdun- 
Zusammensetzungen; aber manche ursprüngHch zu- kelte Kom- 
sammengesetzte Wörter werden überhaupt nicht P^^*^^- 
mehr als solche empfunden, z. B. bange aus bi-ange, 
zu Angst, eng; glauben aus ahd. gi-louben, vgl. 
er-lauben ; fressen aus ver-essen) heute aus ahd. 
hiu-tu = altniederd. hiu-diga = lat. ho-die aus 
hoc die „an diesem Tage", und noch viele andere 
dieser Art. 

Ausser den im Vorstehenden behandelten ab- 
geschlossenen Bildungsweisen, bei denen die ersten 
oder zweiten Bestandteile nicht mehr als selbstän- 
dige Wörter empfunden werden, gibt es aber eine 
Reihe solcher Glieder in lockerer Zusammenset- 
zung wie voll-, all-, aller- oder -fach, -haft, 
-hand, «mal usw., deren unabhängiges Vorkommen 
als Eigenschafts- oder Hauptwort noch kein enges 
Zusammenwachsen gestattet hat. Die Behandlung 

5* 



— OcS -^ 

solcher Wortgruppen würde uns an dieser Stelle 
zu weit führen; wir begnügen uns mit dem Hin- 
weis auf ihr Vorhandensein. Ein tieferes Eingehen 
auf alle Kompositionsmöglichkeiten der deutschen 
Sprache ist überhaupt bei begrenztem Räume un- 
möglich, da sie so ausserordentlich mannigfaltig sind, 
wie in keiner anderen modernen Sprache ; Die Zahl 
der Zusammensetzungen mit Liebe beträgt nach un- 
gefährer Schätzung allein 900 Wörter, mit „Mensch** 
fast 450! Wer wollte eine solche Mannigfaltigkeit, 
einen solchen Reichtum darstellend erschöpfen ? 
Und noch ist die Quelle keineswegs versiegt; nein! 
sie sprudelt lebendig immer weiter, stets neu ge- 
bärend, und anderseits wird Altes, Verbrauchtes 
fallen gelassen. Ein ewiges Werden und Vergehen 
auch ira Leben der Sprache. 



Wortton und Kunstformen der poetischen 
Sprache im Althochdeutschen. 

Schon in der indogermanischen Ursprache trug 
stets eine Silbe den Hochton des Wortes, den man 
gewöhnlich schlechthin als den „Akzent** bezeichnet. 
Wir haben schon früher (§ 2, S. 1 1 f.) erwähnt, dass 
die Stelle des Hochtons im Indogermanischen wech- 
selnd war; bald ist die Stammsilbe, bald eine En- 
dung, zuweilen auch eine Vorsilbe Trägerin des 
Akzents. Vgl. idg. voida = got. wait „ich weiss" 
neben vidm6n = got. witum „wir wissen**, (der 
Unterschied von weiss und wissen geht also auf ur- 
alte Betonungsverhältnisse zurück) ; idg. 6-drkon = 



69 - 



altind. ddrsam = gr. 6drakon „ich sah" mit Be- 
tonung der Vorsilbe e- (im Griechischen Augment 
genannt), zur Wurzel derk „sehen". Das Indische, 
Griechische und Slavische zeigen noch in historischer 
Zeit, mehrere slavische Sprachen noch bis heute diese 
Freiheit in der Lage des Haupttons; das Germa- 
nische hat sie in früher Zeit, indes erst nach dem 
Auftreten der sog. ersteh Lautverschiebung, aufge- 
geben : in geschichtlicher Zeit ist in allen germani- 
schen Sprachen in der Regel die Stammsilbe, d. h. 
meist die erste Silbe des Wortes, Trägerin des Haupt- 
tons. Auch der indogermanische Unterschied zwi- 
schen gestossenem und schleifendem Akzent (Akut 
und Circumflex), den das Griechische und das Li- 
tauische bewahrt haben, ist im Germanischen früh- 
zeitig verloren gegangen. Dieser Unterschied war 
ein wesentlich musikalischer, d. h. die Höhe des 
Tones war beim Akut gleichbleibend, beim Circum- 
flex fallend und steigend; selbstverständlich fehlt 
uns bei der bloss schriftlichen Ueberlieferung jede 
Möglichkeit, Genaueres darüber zu ermitteln; ebenso- 
wenig können wir Näheres über die Melodik, das 
Steigen und Fallen des Tones, im Satzzusammen- 
hang angeben. Nur über die wechselnde Stärke 
der Satz- und Wortbetonung sind wir durch einen 
glücklichen Zufall für das Althochdeutsche unter- 
richtet, da Otfried in seiner Evangelienharmonie 
(§ 6> S. ^^ f.) teilweise den Wortakzent angibt, nämlich 
an den hochbetonten Stellen in seinen Versen, und 
besonders weil Notker sich für seine Schriften ein 
eignes Akzentuationssystem geschaffen hat, das den 
Hauptton der selbständigen Wörter uns kennzeich- 
net. Je eine Probe aus Otfried und Notker möge 
das Gesagte veranschaulichen : 



Otfrieds 

und 
Notkers 
Akzent- 
bezeich- 
nung. 



- 70 — 

Das Vaterunser in Otfrieds Bearbeitung in Versen 
(im Auszug) : 

Fater unser güato, uuih ^ si nAmo thiner. 
Biqu6me^ uns thinaz richi, thaz hoha himilrichi. 
Si uuillo thin hiar nidare sos 6r ist ufin himile. 
Thia ddgalichun zühti*^ gib hiut uns mit ginühti^, 
Sciild bilaz^ uns allen, so uuir ouh duan" uuollen. 

Aus Notkers Uebersetzung des Trostes der Philo- 
sophie von Boethius: 

Tannän geskAh pi des cheiseres ziten Zenonis, 
täz zuene chuninga nordenän chomene einer itno den 
stuol ze Romo ündergieng ünde alla Italiam, änderer 
nahor imo Greciam begreif unde diu länt, liu dan- 
nän ünz ze Tüonouuo sint. Ener hiez in unsera 
uuis ötacher, tiser htez Thioterih. 

Ins heutige Hochdeutsch übersetzt: 
Damach geschah (es) bei des Kaisers Zeno 
Zeiten, dass zwei Könige, von Norden gekommen, 
einer ihm den l'hron zu Rom entriss und ganz 
Italien, (der) andere, ihm näher, Griechenland an 
(sich) riss und die Länder, die von da bis an die 
Donau- sind. Jener hiess nach unserer Art Otaker, 
dieser hiess Dietrich. 

Die Akzentuation ist bei den mitgeteilten Texten 
(und auch in anderen, z. B. Willirams Psalmenüber- 
setzung) nicht konsequent durchgeführt, indes ge- 
nügt das Vorhandene, wenn wir die ahd. Verskunst 
zur Ergänzung heranziehen, um uns über das Wesen 
der althochdeutschenWortbetonung Klarheit zu geben. 
Hauptton. Wir ersehen daraus folgendes: Die Stammbetonung 

* geweiht, * komme, ^ Unterhalt, * Genöge, ^ erlass, ® tun. 



— 71 . — 

ist die Regel, meist fällt Stammsilbe und erste Wort- 
silbe zusammen: Fdter ,, Vater", chuninga „Könige", 
chomene „gekommen", älla „all", nordenän „von 
Norden" u. s. w. In Zusammensetzungen erhält der 
wichtigere Bestandteil den Ton, meist ist es der 
erste: ddgalich ,, täglich", himilrich „Himmelreich". 
Präfixe sind teils unbetont: geskah „geschah", bi- 
qu6me „komme", begreif „ergriff"; andere tragen 
den Ton: ündergieng „entriss". Es sind die vom 
Verb untrennbaren Partikeln er-, ent-, ob-, ver-, zer-, 
bi- im Althochdeutschen stets unbetont; schwankend 
ist der Brauch bei duruh-, hintar-, umbi-, ubar-, 
untar-, widar*. Beides entspricht dem heutigen 
Gebrauch : eriaiibeHy entlassen , w'ge'ssen, zerteilen ^ 
bereiten; /linterlegen^ ül)ersetze7i^ aber t'tbersetzen (über 
einen Fluss); nmge/ten (ein Gesetz), aber ümgeJien 
(von Geistern). Die Verteilung ist bei den letzt- Betonte 
genannten Präfixen schon seit altdeutscher Zeit der- ""^ 
art, dass bei trennbarer Zusammensetzung das Prä- "p ^^^ ^ 
fix betont ist, bei untrennbarer Zusammensetzung 
aber nicht. Immer unbetont ist bei Verb und No- 
men das Präfix ga-: geskah ,,gescitait*% g'abirgi 
y/rebirge^^. Die vom Zeitwort trennbaren Partikeln 
ab-, an-, nach-, vor-, auf-, aus-, ob-, zu- und einige 
andere sind, wie heute noch, stets betont: ablassen, 
ansehen y nachsenden, vorrücken, anfbrecJien, obsiegen 
u. s. w. Von den noch selbständigen Vorsilben ist 
voll- unbetont: ahd. fulgängan, nhd. vollzieJien\ bei 
all- schwankt der Gebrauch; beim Substantiv ist es 
betont: Allmacht, beim Adjektiv unbetont: allmäcli^ 
tig. Wenn die Präfixe, über deren Verbindung mit 
Verben wir gesprochen haben, mit Substantiven ver- 
bunden sind, so tragen sie stets den Ton: ahd. änt- 
wurti ,,Antworf% bispel ,, Beispiel'', urteil ,, Urteil'', 



~ 72 - 

ürkundt ..Urkunde^* nhd. Vorschlag und andere, bei 
denen die Betonung den vollen Vokal der Vorsilbe 
erhielt, ebenso wie in der Partikel un-, die meist 
betont ist: Unlust^ unredlich. Doch ist hier schon 
in ältester Zeit die Lage des Akzents schwankend ; 
so finden wir bei Otfried ungiloübige y,Ungläubige'\ 
Auch die Lehnwörter des Althochdeutschen fügen 
sich der germanischen Betonungsweise und ziehen 
den Akzent auf die erste Silbe zurück: lat. mona- 
st6rium wird Münstery paldtium Pfdlz^ canilis dial. 
Kinnely favonius Schweiz. Föhn^ pulvinar Pfühl u. s. w. 
Nebenton. Ausser dem Hauptton tragen mehrsilbige und 

besonders zusammengesetzte Wörter feinen Neben- 
ton (gewöhnlich mit einem Gravis ' bezeichnet). 
Lange Ableitungssilben haben regelmässig einen sol- 
chen; so z. B. die Ableitungssilben ahd. -äri, -inne, 
•nissi, -unga: scribäri „Schreiber**, küninginne „Köni- 
gin**, gehdltnissi ,, Erhaltung**, k6stünga „Prüfung**. 
Der Nebenton kann also direkt auf den Hochton 
folgen, kann aber auch durch eine unbetonte Silbe 
von ihm getrennt sein. Ueberhaupt herrscht das 
Bestreben vor, den Nebenton meistens auf die dritte 
Wortsilbe fallen zu lassen, besonders wenn die hoch- 
betonte Silbe kurz oder wenn nach langer Stamm- 
silbe die dritte wieder lang ist (^ - ^ oder - - -, wo- 
bei - == Kürze, - = Länge ist) : ahd. thdnanä „von 
dannen**, fremid^r „Fremder** (^ - ^) ; kindilin „Kind- 
lein**, wizagön „weissagen** (-i - i). Tritt dagegen 
der Fall ein, dass nach langer Stammsilbe zwei 
Längen oder zwei Kürzen folgen, so scheint die 
Lage des nächstfolgenden Hochtons für die Stellung 
des Nebentons massgebend gewesen zu sein, d. h. 
es fand ein Abwiegen der rythmischen Satzbetonung 
statt. 



— 73 — 

In zusammengesetzten Wörtern, deren zweiter Betonung 
Bestandteil früher selbständig war oder noch als ^"^^™^^j^' 
selbständiges Wort vorkommt, trägt dieser natürlich Wörter, 
den höchsten Nebenton und zwar an der Stelle, 
wo das unabhängige Wort den Hauptton gehabt 
hätte. Es wird also betont ahd. ku6nhelt ,, Kühn- 
heit**, bru6derscif „Brüderschaft**, ärzetuöm ,,Heil- 
kunde**, brÄtlih „bräutlich**, bru6derlih „brüder- 
lich**, ddncbäri „dankbar** usw. Von Nebeneinan- 
derstellungen seien als Beispiele erwähnt : ahd. Frän- 
konofürt „Frankfurt**, maganchräft „Majestät**, h6h- 
s^dal „Thron, Hochsitz** u. s. w. 

Das Verständnis für die althochdeutsche Vers- 
kunst wird bedingt durch die Kenntnis der althoch- 
deutschen Betonungsweise, der Verteilung von 
Hoch- und Tiefton, was wir im Voranstehenden aus^ 
geführt haben. 

Der althochdeutsche Vers besteht aus einer Althoch- 
Abwechslung von hochbetonten Silben (Hebungen) deutscher 
und nebentonigen oder tonlosen Silben (Senkungen), ^"' 
die sich auf die zwei Hälften des Verses verteilen. 
Die Verse sind in der Regel reimlos und folgen 
in fortlaufender Reihe ohne strophische Gliederung 
aufeinander. Die ältere Ansicht über die Zahl 
der Hebungen in einem Verse ging dahin, jedem 
vier Hebungen oder jedem Halbverse zwei Hebungen 
zuzuschreiben. Neuerdings begnügt man sich da- 
mit, besonders mit Rücksicht auf die übrigen ger- 
manischen Dialekte, für jede Vershälfte nur eine He- 
bung anzusetzen neben einer freigegebenen Zahl 
schwachbetonter oder unbetonter Silben. Länge 
oder Kürze der Silben kommt für den althoch- 
deutschen Vers nicht in Betracht; einzig und allein 



ration. 



— 74 ~ 

die Tonstärke einer Silbe bestimmt ihre Verwen- 
dung im Rhythmus des Verses. Daraus dürfen wir 
den Schluss ziehen, dass der altgermanische Vers 
nicht gesungen, sondern rezitiert wurde, dass also die 
Poesie nur die feierliche, gehobene Form der Prosa- 
rede darstellt. Als weiteren Schmuck der poe- 
tischen Sprache und wohl auch zur stärkeren Her* 
^^1^[V vorliebung der hochbetonten Silben dient das Kunst- 
mittel der Alliteration oder des Gleichklangs. Je zwei 
Halbzeilen werden durch den gleichen Anlaut von 
wenigstens einer Hebung zum vollen Vers, zur Lang- 
zeile gebunden. Wörter, die entweder mit dem 
gleichen Konsonant (der gleichen Konsonantenver- 
bindung) oder mit einem Vokal beginnen, sind in einem 
Verse die Alliterationsträger. Zahlreiche Wendungen 
in der heutigen Sprache weisen solche Alliterationen 
auf: Mann und Maus, Kind und Kegel, Tod und 
Teufel. Meistens verteilen sich die alliterierenden 
Anlaute in einer Langzeile derart, dass auf die erste 
Halbzeile ein oder zwei alliterierende Worte, Stäbe 
oder Stollen genannt, auf die zweite Hauptzeile 
der Hauptstab kommt. Träger der Alliteration ist 
in der Regel das am stärksten betonte Wort ; dies 
ist in der ersten Halbzeile meist das erste, das 
schwächer betonte kann aber mitalliterieren; in der 
zweiten Halbzeile ist es stets das erste Wort. Am 
häufigsten alliterieren Haupt- oder Eigenschaftswör- 
ter als die am stärksten betonten Satzglieder; in- 
des kann in der ersten Halbzeile auch das Zeit- 
wort alliterieren, seltner und nur des Nachdrucks 
wegen in der zweiten Halbzeile. Um das Gesagte 
zu veranschaulichen, mögen einige Verse des Hilde- 
brandliedes (s. ^ 6, S. 32 f.) dienen. Es ist die 
Klage Hildebrands über sein hartes Schicksal, das 



— 75 - 

ihn zwingt mit seinem eigenen Sohne zu kämpfen 
(die Alliteration ist durch den Druck hervorgehoben): 

Welaga nü, waltant got, wewurt skihit. 
Weh nun, waltender Gott, Wehgeschick geschieht. 
Ih wallöta sumaro enti wintro sehstic ur lante, 
Ich wallte Sommer und Winter sechzig ausser 

Landes, 
Dar man mih eo scerita in folc sceotantero, 
Wo man mich je scharte in (das) Volk (der) 

Kämpfer, 
so man mir at burc enigeru banun ni gifasta. 
Doch man mir in irgend einer Stadt (den) Tod 

nicht bereitete. 
Nü scal mih suäsat chind swertu hauwan 
Nun soll mich (das) eigne Kind (mit dem) 

Schwerte hauen, 
bretön mit sinu billiu eddo ih imo ti banin 

werdan. 
zerschmettern mit seiner Streitaxt oder ich ihm 

zum Mörder werden. 

Ausser der Abwechslung von Hebung und 
Senkung und der beide Halbzeilen bindenden Al- 
literation sind die Kunstmittel altgermanischer Dich- 
tung nur gering: Formelhafte Wendungen, die sich 
bei den verschiedenen Sprachstämmen wiederfinden, 
sind sehr beliebt. Jede Halbzeile bildet eine syn- 
taktische Einheit, indes ist eine gedankliche Ver- 
bindung über den Verseinschnitt wie auch von zwei 
aufeinanderfolgenden Versen nicht ausgeschlossen. 

Es konnte nicht ausbleiben, dass ein so primi- 
tives Kunstmittel, wie es die altgermanische Lang- 
zeile ist, der flüssigeren lateinischen Verskunst mit 
ihren voUklingeuden Reimen, deren sich z. B. die 



- 76 - 

kirchlichen Hymnen bedienten, mit der fortschrei- 
tenden Bildung weichen musste. Daher sind die 
Reste althochdeutscher alliterierender Dichtung sehr 
spärlich. Ausser dem Hildebrandslied nur das 
Muspilli, das Wessobninner Gebet und die zwei 
Merseburger Zaubersprüche (s. § 6, S. 33), und auch 
bei diesen finden wir die Kunstform der Allitera- 
tion schon durchbrochen von prosaischen Zusätzen. 
Im Altniederdeutschen sind im Heliand, im Alteng- 
lischen im Beowulf grössere alliterierende Dichtungen 
erhalten; das Althochdeutsche dagegen hat nur 
Bruchstücke aus einem ursprünglich wohl reichen 
Schatz an alliterierender Dichtung aufzuweisen. 
Otfrieds Verdrängt wurde die alliterierende Dichtung 

durch ihre Anpassung an die strophische Hymnen- 
dichtung, die schon längere Zeit das Kunstmittel 
des Reimes kannte. Der Urheber dieser neuen 
Dichtungsform ist Otfried, der Verfasser der Evan- 
gelienharmonie. Ganz konnte er die althochdeutsche 
Sprache nicht in das Schema des lateinischen Ver- 
ses zwängen, er musste vielmehr den Versakzent 
in Einklang mit dem Akzent der natürlichen Rede 
bringen, den er ja, wie oben gesagt, auch 
noch ausdrücklich als solchen kennzeichnet. Ot- 
frieds Vers hat wie die alliterierende Langzeile vier 
Hebungen, zwei Haupthebungen und zwei Neben- 
hebungen, von denen aber oft nur die ersteren 
durch einen Akzent kenntlich gemacht werden. 
Zwei Strophen mögen das Gesagte veranschaulichen : 

Tho erstarp ther kuning Her6d 
Da starb der König Herodes 
joh hina füarta inan tod : 
und hinnen fuhr in den Tod: 



'^& 



— 77 — 

mit tode er däga fulta 

mit Tod er (seine) Tage beschloss 

ther io in abuh wolta. 

der immer das Böse wollte. 
Thar Joseph was in Idnte 
dar Joseph war im Lande 

hina in 61ilante, 

hinweg im Elend (== Ausland) 
quam imbot imo in droume, 
kam (das) Gebot ihm im Traume, 

er thes kindes wola goume .... 

(dass) er des Kindes wohl achte .... 

Ueber die Zeit nach Otfried lässt sich wenig 
Sicheres sagen. Die Verskunst ist von der alten 
Regelmässigkeit ganz abgekommen, so dass sich über- 
haupt kaum irgend welche Regeln für sie aufstellen 
lassen. Erst in mhd. Zeit taucht wieder eine ge- 
ordnete Verskunst auf, über die im folgenden Ab- 
schnitt zu sprechen ist (§ i6). 



ÖD 



Kap. III. 

Der mittelhochdeutsche Zeitraum 

(i 100—1500). 

Uebergangszeit vom Althochdeutschen zum 
Mittelhochdeutschen. 

Die althochdeutschen Literaturerzeugnisse, die 
uns erhalten geblieben sind, stellen fast ausschliess- 
lich Werke von gelehrten Geistlichen vor, teils Ori- 
ginalarbeiten wie Otfrieds Evangelienharmonie, teils 
Uebersetzungen lateinischer Werke, wie Notkcrs Ar- 
beiten. Von volkstümlicher Poesie — eine volks- 
tümliche Prosa gab es kaum — sind uns nur wenige 
Reste durch Zufall erhalten, wie das Bruchstück aus 
dem Hildebrandslied oder das Ludwigslied. Wohl 
hatte Karl der Grosse mit seinem weiten Blick vor- 
gehabt, dem deutschen Heldengesang ein anderes 
Schicksal zu bereiten, aber seine Nachfolger hatten 
kein Verständnis für seine Bestrebungen, und so 
gab es noch 300 Jahre nach seinem Tode keine 
volkstümliche Literatur, wenigstens keine geschrie- 
bene. Es war auch niemand da, der eine solche 
hätte pflegen können : die Geistlichen, die allein zu 
schreiben verstanden, pflegten das Lateinische und 
nur nebenbei die deutsche Sprache für ihre kirch- 
lichen Zwecke; Selbstzweck war die deutsche Dich- 



— 79 — 

tung ihnen nicht. Das Volk ruhte in dumpfer geistiger 
Untätigkeit, gebeugt unter weltliche und geistliche 
Herrschaft. 

Erst die Kämpfe zwischen diesen beiden Ge- Auf- 
walten in der zweiten Hälfte des 1 1 . Jahrhunderts, schwung 
die lange Jahre des Bürgerkrieges, der Verwüstung Geistes- 
und des Mordens für Deutschland zur Folge hatten, lebens in 
weckten das Bürgertum, besonders in den Städten, Deutsch- 
zu neuem Leben. Dann kamen die Kreuzzüge mit 
ihrem Zufluss französischer Pilger und Streiter über 
Deutschland hinweg; die Berührungen mit fernen 
Landen auf den Heerfahrten erfüllten die empfang- 
liche Volksseele mit neuen Ideen, gaben der poeti- 
schen Schöpfung neuen Inhalt, dem die Form durch 
Entlehnung aus der fortgeschritteneren französischen 
Liteiatur gewonnen ward. Neben der Geistlichkeit, 
die ihre Rolle in der Dichtung weiterspielte, tritt 
nun das ritterliche Element auf den Plan ; beide 
aber dichten nicht mehr für ihre besonderen Kreise, 
wie die Geistlichen in althochdeutscher Zeit, son- 
dern für das ganze Volk, das nun auch regeren 
Anteil an den dichterischen Erzeugnissen nimmt. 
Auch ist die literarische Produktion nicht mehr 
landschaftlich beschränkt; eine gegenseitige Beein- 
flussung der verschiedenen Stämme ist deutlich zu 
merken. Diese konnte umso eher eintreten, als nun- 
mehr die Sprachen der verschiedenen Stämme durch 
gemeinsame Umwandlungen sich ähnlicher geworden 
waren als im Althochdeutschen. Die vollen Vokale Verfall der 
der Endsilben und Mittelsilben waren zumeist ver- E"<if»lf>^"- 
blasst, eine weitere Wirkung des germ. Stammbe- 
tonungsgesetzes : seitdem der uralte Wechsel der Be- 
tonung zwischen Stamm und Endungen aufgegeben 
worden, war die immer weitergehende Schwächung 



__ 8o ' - 

und Abschleifung der letzteren unvermeidlich ge- 
worden. So ist beim ahd. Dativ Pluralis tagum, 
tagom, tagun, tagon die Mannigfaltigkeit der Formen 
verschwunden, einförmiges tagen entspricht ihnen. 
Das Althochdeutsche unterschied die Nom. Plur. 
tagä (a-Dekl.) und gesti (i-Dekl.); das Mittelhoch- 
deutsche lässt sie zusammenfallen: tage — geste. 
Ahd. lembir wird mhd. lember, ahd. geböno zu mhd. 
geben, ahd. zungün zu mhd. zungen. Ebenso wer- 
den die volltönenden Vokale bei der Adjektivdekli- 
nation geschwächt, kurze Vokale am Schlüsse zwei- 
silbiger Endungen abgestreift; nur die Endung -iu 
im Nom. Sing. Fem. und Nom. Plur. Neutr. hält sich 
im Mittelhochdeutschen. Aus dem Dativ Sing, blin- 
temu wird blindem(e), aus dem Nom. Plur. Fem. 
blinto wird blinde, Nom. Neutr. Sing, blintaz wird 
blindez; allein blintiu bleibt als blindiu bestehen. 
Auch dem Verbum ergeht es so ; nimu „ich nehme** 
heisst jetzt nime, nämum „wir nahmen** wird nämen. 
Im Mittelwort der Vergangenheit wird ginoman zu 
genomen. Das Althochdeutsche erhielt durch die 
Entwicklung mannigfacher Sekundärvokale in Stamm- 
silben eine noch buntere Färbung; im Mittelhoch- 
deutschen sind sie ebenfalls zu e geschwächt oder 
wieder ganz untergegangen; man vergleiche ahd. 
weralt, werolt mit mhd. werelt, werlt „Welt", ahd. 
beraht mit mhd. berht „glänzend", ahd. garawo, ga- 
rawer mit mhd. gare, garwer „gar**, ahd. falo, fala- 
w^r mit mhd. val, valwer „fahl*'. 
Umlaut. Der Umlaut dagegen, zu dem wir in althoch- 

deutscher Zeit erst die Ansätze finden und der kaum 
über die Verwandlung von a zu e vor i (j) der 
folgenden Silbe, wenigstens in der schriftlichen Wie- 
dergabe, fortschreitet, erfasst nun auch die dunk- 



j 



— 8i ~ 

leren Vokale o, u, ou, uo, 6, ü : mhd. möhte = ahd. 
mohti; süne „Söhne*' = ahd. suni; Indikativ wir fuoren 
(ahd. End. -um) ; Konjunktiv wir füeren (ahd. End. 
-im) ; hoch — hoeher — hoehest, ahd. höhir — höhist; 
hüs i,Haus", Plur. hiuser = ahd. hüsir u. s. w. Auch 
langes ä wird jetzt umgelautet zu ae: mhd. mä^e 
„Mass" — mae5ec „massig" = ahd. mä^lg. 

Um das Jahr 1080 etwa sind die Verände- 
rungen, die das Althochdeutsche vom Mittelhoch- 
deutschen trennen, abgeschlossen; die literarischen 
Werke aus dieser Zeit zeigen überall und überein- 
stimmend dieselben Merkmale. Freilich sind sie 
noch nicht streng durchgeführt; bis ins 13. Jahrhun- 
dert treten gelegentlich in den Handschriften bei 
Mittelsilben noch volle Vokale auf (die sich ja in 
den Mundarten bis auf den heutigen Tag vereinzelt 
erhalten haben), besonders auf süddeutschem Ge- 
biet, im Alemannischen, wo die langen Vokale der 
Endungen erhalten bleiben, die kurzen dagegen zu 
e geschwächt werden. Aber auch bei diesen ist die 
Schwächung nicht gleichmässig erfolgt; auch hier geht 
der Norden dem Süden voraus. Der letztere stellt 
überhaupt das schwerfalligere, konservativere Element 
vor, eine Erscheinung, die wir bis auf den heutigen 
Tag verfolgen können und die den süddeutschen 
Mundarten ihr untJestreitbar altertümlicheres Gepräge 
gegenüber den mitteldeutschen von jeher verliehen hat 
und noch verleiht. 

Ausdehnung und Gebrauch der hochdeutschen 
Sprache in mittelhochdeutscher Zeit 

Wenn wir gesehen haben, dass in althochdeut- 
scher Zeit die Elbe, Saale und Enns etwa die öst- 

FelBt, Die deutsche Sprache. 6 



-'.=^^r;-^:^Tr^?-^ - -~j , ^1^^ ' ■ 



-- 82 — 



Vordringen 
der 

deutschen 
Sprache im 

Südosten. 



Sieben- 
bürgen. 



In Mittel- 

deutsch- 

Nnd. 



liehe Grenze der deutschen Sprache bildeten, so 
bemerken wir schon gegen Ende der ersten Sprach- 
periode ein Uebergreifen des Deutschen in das 
Nachbargebiet. Die Fortschritte der deutschen 
Sprache hängen fast ausnahmslos zusammen mit 
kriegerischen Erfolgen deutscher Könige oder Her- 
zöge gegen die benachbarten slavischen Völker- 
schaften, im Süden auch mit der Niederwerfung der 
Avaren durch Karl den Grossen im Jahre 796 und 
der endgültigen Besieguijg der Ungarn durch Otto I. 
in d^r Schlacht auf dem Lechfelde (955). Karl 
gründete bekanntlich gegen die Avaren die Ost- 
mark jenseits der Enns, die von zahlreichen bai- 
rischen Kolonisten bevölkert wurde und ihre Gren- 
zen bald auch nördlich der Donau ins Land der 
Mähren ausdehnte. Sicherer Besitz wird sie frei- 
lich erst nach der Zurückdrängung der Ungarn, - 
aber alsdann dehnt sie ihr Gebiet auch östlich wei- 
ter aus, greift über die Leitha hinüber und sendet 
bis tief ins eigentliche Ungarn versprengte Kolonien. 
Die entlegenste und ausgedehnteste von ihnen, das 
Land der sog. Siebenbürgischen Sachsen, ist erst eine 
Gründung des 12. und 13. Jahrhunderts und auch 
nicht von Sachsen bevölkert worden, sondern von 
ripuarischen Franken aus der Moselgegend, wohin 
die noch erkennbaren Uebereinstimmungen zwischen 
der Sprache der Siebenbürger und Moselbewohner 
weisen. Schon früher sind Steiermark und Kärnten 
gründlich germanisiert, und die Sprachgrenze ist 
bis zur Donau vorgeschoben worden, ehe an einer 
anderen Stelle der deutschen Grenze die Wieder- 
eroberung altverlorenen Gebiets gelang. 

Denn in Mitteldeutschland am oberen Main 
waren slavische Völkerschaften tief in Deutschland 



- 83 - 

eingedrungen. Erst der letzte Sachsenkaiser Hein- 
rich II. gewann sie für deutsches Wesen und deut- 
sche Sprache, , als er zur Bekehrung der noch heid- 
nischen Bewohner dieser Gegend das Bistum Bam- 
berg gründete (1007). Wenn er auch damit vor- 
wiegend kirchliche Zwecke verfolgte, so hat doch 
die' Gründung und Pflege dieses Bistums der deut- 
schen Sprache mächtigen Vorschub geleistet. Von 
Oberfranken aus schiebt sich alsdann mit deutschen 
Ansiedlern auch die deutsche Sprache nach und 
nach tiefer in Böhmen ein, dem Lauf der Eger Böhmen, 
folgend; bald überschwemmen deutsche Einwan- 
derer Böhmen, besonders gegen Ende des 13. Jahr- 
hunderts, wo Rudolf von Habsburg seinen entschei- 
denden Sieg über Ottokar von Böhmen (1278) er- 
ficht. Im 14. Jahrhundert, als die Luxemburger 
auf dem deutschen Kaiserthron sitzen und in Prag 
residieren, hat Böhmen das Aussehen eines deut- 
schen Landes angenommen; im Jahre 1348 wird 
in Prag die erste deutsche Universität von Karl IV. 
gegründet. Erst durch die Hussitenbewegung 
(14 19 — 1434) im folgenden Jahrhundert gewann 
das tschechische Element wieder die Vorhand, und 
seitdem hat die deutsche Sprache immer weiter zu- 
rückweichen müssen und behauptet heute nur mit 
Mühe ihr spärliches Gebiet an der Nord- und West- 
grenze Böhmens. 

Andere Gebiete aber, deren Neuerwerbung in 
dieselbe Zeit fallt, blieben dem Deutschtum dauernd 
erhalten. Schon Karl der Grosse hat die Ansied- Schlesien, 
lung deutscher Kolonisten im Osten des Reiches 
auf dem Gebiet der besiegten Slavenstämme be- 
gonnen; die Ottonen haben sie verstärkt, aber in 
den Wirren des Investiturstreits im 1 1 . Jahrhundert 

6* 



- 84 - 

war der Riickstoss der Slaven erfolgt; nur die süd- 
lichsten Gebiete, Meissen und die Lausitz, konnten 
von den Deutschen dauernd gehalten werden. Doch 
war der Stillstand nur ein zeitweiliger: mit dem 
Wiedererstarken der deutschen Kaisergewalt unter 
den Hohenstaufen beginnt die Flut deutscher Ein- 
wanderung sich bis nach Schlesien zu ergiessen, 
um von dem einmal gewonnenen Gebiet nichts mehr 
aufzugeben. Wie es im Donaulande wesentlich Baiem 
und Oberfranken waren, die der deutschen Sprache 
weiteres Gebiet gewannen, so bewirken in dem letzt- 
genannten Gebiete Mitteldeutsche, die ihren Stütz- 
punkt in Thüringen hatten, die Besiedlung. Auch 
Nordmark, nach Nordosten hin über die Elbe und Saale er- 
folgt schon frühzeitig der Vorstoss der deutschen 
Ansiedlung. Karl der Grosse, Heinrich I. und Otto I. 
dehnten in ihren Kriegen gegen die Wenden das 
Gebiet der deutschen Sprache aus. Aber erst im 
12. Jahrhundert wurden diese Gebiete dauernd für 
das Deutschtum gewonnen, und durch die Kämpfe 
des Deutschritterordens wird Preussen und die Ost- 
seeküste bis zum finnischen Meerbusen hinzugefügt. 
Wie es in der Natur der Sache lag, waren die Be- 
siedler dieses Gebiets meistens die nächstwohnen- 
den Niederdeutschen, besonders Sachsen, aber auch 
viele Mitteldeutsche, so dass hier die mitteldeutsche 
Sprache vorherrscht, die ein Bindeglied zwischen 
den Niederdeutschen und den auch nicht wenigen 
oberdeutschen Kolonisten bildete. 
-^"s- Aber nicht nur nach Aussen hin gewinnt die 

^de""^ deutsche Sprache im Laufe der mittelhochdeutschen 
Deutschen Zeit an Ausdehnung, auch im Innern, in ihrer Ver- 
im Innern. Wendung als Sprache der Dichtung, sowohl in Poesie 
wie in Prosa, und zur Abfassung von Urkunden aller 



^y^i^^^W^T 



- 85 - 



Art nimtnt sie einen gewaltigen Aufschwung. Ueber 
die literarische Tätigkeit dieser Periode werden wir 
im nächsten Abschnitt (§ 13) sprechen; deshalb 
können wir uns hier darauf beschränken, die zu- 
nehmende Verwendung der deutschen Sprache an 
Stelle der lateinischen in öffentlichen und privaten 
Urkunden zu betrachten. 

Während der ganzen Dauer der althochdeut- t)^s 
sehen Periode und auch zu Beginn der mittelhoch- P^"|^che 
deutschen Zeit ist die Sprache der Urkunden aus- ^jrkunden. 
schliesslich lateinisch, wie sie die Schreiber in den 
Kanzleien der fränkischen und deutschen König« "" 
aus römischer Zeit übernommen hatten. Als aber 
die deutsche Sprache immer mehr zum Mittel des 
schriftlichen Verkehrs ausgebildet wurde, als sie 
die Sprache der nationalen Dichtung und Geschichts- 
schreibung geworden war, da kam das , Deutsche 
auch als Sprache der Gesetze und Urkunden zu 
seinem Recht. Zwar sind uns schon aus altdeutscher 
Zeit Bruchstücke einer deutschen Uebertragung der 
Gesetze der salischen Franken erhalten, doch erst 
aus unserer Periode stammt das erste vollständige 
deutsche Gesetzbuch, der Sachsenspiegel des Eyke 
von Repgow in niederdeutscher Sprache (etwa 1230), 
der das Vorbild für die oberdeutschen Gesetzessamm- 
lungen, den Schwaben- und Deutschenspiegel wurde. 
In den dreissig er Jahren des dreizehnten Jahrhunderts 
beginnen auch vereinzelt die ersten deutschen Ur- 
kunden aus der kaiserlichen Kanzlei zu erscheinen; 
1235 wird der von Friedrich IL in Mainz verkündete 
Landfriede ins Deutsche übersetzt, aus dem Jahre 
T 238 stammt die erste uns erhaltene deutsche Ori- 
ginal-Urkunde, ein Schiedsspruch zwischen Albrecht 
IV. und Rudolf III. von Habsburg. Um die Mitte 



— 86 



^ Stadt- 
^urkunde. 



desselben Jahrhunderts treten schon ganz häufig 
Städteurkunden in deutscher Sprache auf; früher im 
Südwesten, später in Mitteldeutschland. In Strass- 
burg z. B. war um 1260 die Anwendung der deut- 
schen Sprache in den Urkunden ganz geläufig. Eine 
Bekanntmachung des Strassburger Bischofs Walter 
an seine aufrührerischen Bürger vom 25. Juni 1261 
beginnt folgendermassen : 

Wir bischof Walter zi Stra^burc von gots gnaden 
tun kunt allen unseren lieben burgern von Stras- 
burg, die uns arges hant irläsen (feindseliges Vor- 
gehen erlassen), da^ wir virnommen hant (haben), 
da; summeliche (etliche) unser bürgere von Stra;- 
burc die vorderunge, die wir hant, uns virkerent 
(verdrehen) anders denne (als) unser wille si (sei) 
unde unser herz stA (steht), unde jehent (behaupten) 
des wir wellen unsere burger triben (treiben) üjer 
(ausser) irme (ihrem) rehte, alse si herkommen sin. 

Den entscheidenden Schritt, die deutsche 
Sprache für die Abfassung der Urkunden vorzu- 
schreiben, soll Rudolf von Habsburg im Jahre 1274 
auf dem Nürnberger Reichstage getan haben. In der 
Tat finden wir seit dieser Zeit zahlreiche Urkunden 
Rudolfs aus den verschiedensten Gegenden des Reichs 
in deutscher Sprache abgefasst. Eine Urkunde vom 
I. Febr. 1275, ausgestellt zu Nürnberg, beginnt: 

Kaiser- Wir Rudolf von godis gcnadin ein roemisch 
Urkunden, j^m^inc unde ze allin zidin ein merer [des riches] 
dun (tun) kunt allin den, die diesen brief anese- 
hent Die Sprache ist augenscheinlich mittel- 
deutsch, wie diG i der Endungen, das d in dun be- 
weisen. Weniger zeigt solche Merkmale die in Mainz 
am 24. Oktober 1283 ausgestellte Sühne, die beginnt: 



- 87 - 

In gottes namen amen. Wir Rudolf von gottes 
genaden rSmscher kunic und ein merer des riches 
tim kunt allen den die disen brief sehent oder 
horent lesen, da^ wir haben gescheiden (versöhnt) 
unser lieben viirsten Wernheren der (!) erzebischof 
von Megencze und Heinrichen den lantgraven von 
Hessen mit ir beider gunst und willen .... Sie 
schliesst: Dise süne (Sühne) wart gemachet und 
dirre (dieser) brif geschriben' ze megencze (Mainz) 
des sammestages (Samstags) vor sante Simonis 
. . . . do von gottes geburte waren tusend iar, 
zweihundert iar und driu und achtzek iar, in dem 
zehenden iare unseres kunecriches. 

Der bairische Landfriede, gegeben zu Regens- 
burg und datiert vom 6. Juli 1281, verrät dagegen 
deutlich den oberdeutschen Schreiber. Er lautet 
zu Anfang und zu Schluss: Wir Rudolf von gotes Land- 
gnaden Römischaer chunig und immer meraer des friede, 
ryches tun allen den chunt di disen prief ansehent 
und horent da; nach unserm gebot gesworn ha- 
bent unser lieb fürsten Ludwich (!) und Hainrich 
pfalzgraven von Ryn und herzogen ze Baiern ... 
und welln und gebieten auch, da^ die bischof di 
zu dem-lant ze Baiem gehorent .... sweren di- 
sen lantzfrid bis ze den Winachten di nu chompt 
von danne über driu iar ... . Dirre vrid ist ge- 
staetiget und gesworn da ze Regenspurch von do 
unsers herrn geburt was zwelf hundert iar und aines 
und achtzk iar. (Die fettgedruckten Laute sind 
oberdeutsch.) S. den Abdruck einer Urkunde auf 
Tafel V. 

Wir sehen also, dass gegen das Ende des 13. 
Jahrhunderts die deutsche Urkunde nicht mehr sel- 
ten ist, aber die Sprache ist noch weit von der 



— 88 — 

einheitlichen Gestaltung entfernt; jeder Schreiber 
verwendet seine ihm geläufige Mundart. Seitdem 
dringt die deutsche Sprache in den Urkunden im- 
mer weiter vor, und um das Jahr 1330 spätestens 
ist auch bei der kaiserlichen Kanzlei ihr Sieg über 
die lateinische Sprache entschieden. Trotz man- 
cher Rückschläge, wie der Verbote Karls IV. und 
vieler geistlichen Fürsten, über die heilige Schrift 
deutsche Bücher abzufassen, ist ihr Vordringen nicht 
mehr aufzuhalten. Auch die Urkunden und Auf- 
zeichnungen der Gerichte werden bald deutsch ab- 
gefasst; selbst die Reichshofgerichtskanzlei nimmt 
die deutsche Sprache für ihre Erkenntnisse an. 
Zu Anfang schliesst sich naturgemäss die deutsche 
Urkunde eng an ihr lateinisches Vorbild an; um 
die Mitte des 14. Jahrhunderts indes beginnt in 
einzelnen grösseren Kanzleien wie Mainz und Trier 
sich ein regelmässiger Kanzleistil auszubilden, später 
bei den kaiserlichen Kanzleien (unter Karl IV.). 
Wenn auch die Kanzleisprache noch lange keine ein- 
heitliche in Deutschland war, wie wir an obigen Bei- 
spielen sahen, so muss doch immerhin eine gewisse 
Beeinflussung von Seiten der kaiserlichen Kanzlei 
schon gegen das Ende des Mittelalters stattgefun- 
den haben, da die kaiserlichen Urkunden, die 
Landfrieden z. B., auf weiteste Verbreitung berech- 
net waren und stets in vielen Abschriften herge- 
stellt wurden. Aber von einer einheitlichen Schrift- 
sprache sind wir deshalb in der klassischen Zeit 
der mittelhochdeutschen Literatur und auch nach- 
Mhd. her noch weit entfernt. Sicher sind Anfänge einer 
Schrift- Vereinheitlichung der Schriftsprache vorhanden, 
spräche, ^vorauf ja die weite Verbreitung der poetischen 
und prosaischen Erzeugnisse in jener Zeit drängte. 



"T"T— -T^^ 



_ 89 - 

Jeder Dichter wollte doch nicht bloss in seiner 
Heimatgegend, sondern soweit die deutsche Zunge 
reichte, gelesen und verstanden werden. Deshalb 
vermeiden die grossen Dichter wie Gottfried von 
Strassburg, Walter von der Vogelweide, Wolfram 
von Eschenbach und andere (s. § 13) das grob 
Mundartliche so sehr, dass wir bei Walter z. B., 
dessen Heimat nicht sicher feststeht, dieselbe aus 
seiner Sprache nicht ermitteln können. Aber eine 
einheitliche Gestaltung der Schriftsprache ergab 
sich aus diesen Bestrebungen nicht, wenn auch die 
kritischen Ausgaben mittelhochdeutscher Dichtungen 
eine normalisierte Sprache zeigen, die nur auf 
Rechnung der Herausgeber zu setzen ist; die Hand- 
schriften zeigen ein weit bunteres Bild in ihrer 
sprachlichen Form. Die Frage, ob eine einheit- 
liche Schriftsprache in mittelhochdeutscher Zeit be- 
stand, gehörte eine Zeitlang zu den heissumstritten- 
sten Problemen der germanistischen Wissenschaft. 
Heute darf es als entschieden gelten, dass wir 
eine solche Schriftsprache nicht nachweisen können, 
dass vielmehr jeder Schriftsteller sich seiner hei- 
matlichen Mundart bediente, deren gröbste Eigen- 
tümlichkeiten er durch seine Kenntnis anderer 
Schriftwerke oder infolge seiner Wanderungen ab- 
geschliffen hatte. Auch dürfen wir nicht vergessen, 
dass die verschiedenen Dialekte sich noch viel 
näher standen wie heute, besonders im Vokalismus, 
so dass sich Ober- und Mitteldeutsche leicht ver- 
stehen konnten, was bei den heutigen Mundarten 
ausgeschlossen ist (vgl. auch § 28.). Daher war 
zu mhd. Zeit eine einheitliche Schriftsprache kein 
solches Bedürfnis wie beim Begimi der nhd. Periode. 



- 90 — 

U eberblick über die Spf achquellen der mittel- 
hochdeutschen Zeit. 

Ein bedeutungsvoller Faktor der literarischen j 

Tätigkeit, der in althochdeutscher Zeit nur spärlich 
vertreten ist, die volkstümliche Dichtung, erscheint 
in mittelhochdeutscher Zeit als gleichwertig an Ein- 
fluss und Ausdehnung mit der kunstmässigen Poesie. 
Die letztere findet ihre Fortsetzung zunächst in der 
geistlichen Poesie, die um die Mitte des 11. Jahr- 
io')0-i löohunderts, gegen Ende der althochdeutschen Periode, 
einen neuen Aufschwung erlebt; teils allgemeine 
Betrachtungen, teils biblische, teils Legendenstoffe, 
bilden ihren Inhalt. Daneben verschmähen die Geist- 
lichen auch weltliche Stoffe nicht, wobei ihnen 
vielfach französische Dichtungen als Muster dienen : 
das Alexanderlied des Priesters Lambrecht^ das Ro- 
landslied des Pfaffen ') Konrad gehören hierher. 
Um die Mitte des 12. Jahrhunderts treten auch die 
ersten Erzeugnisse volkstümlicher Dichtung her- 
vor: König Rother y Herzog Ernst und das Bruch- 
stück vom Grafen Rudolf. Ungefähr um dieselbe 
Zeit beginnt im Südosten, auf volkstümlicher Ueber- 
lieferung fussend, die von Rittern gepflegte lyrische 
Dichtung, der sog. Minnesang, dessen Gegen- 
stand die Liebe zwischen Mann und Weib ist; der 
älteste Vertreter dieser poetischen Gattung ist der 
Kürenberger. 

Die Blütezeit der mittelhochdeutschen Dichtung, 
ihre klassische Periode ist das Ende des 12. und 

1 Im Mittelalter hat der Ausdruck noch nicht die bÖse Neben- 
bedeutung wie heute. 



— gi — 

der Anfang des 13. Jahrhunderts. Das höfische Höfisches 
Epos erreicht seine höchste Vollendung ; Heinrich ^P^^' 
von Veldeke dichtet seine Eneide (Sage von Aeneas); 
Hartmann von Aue seinen Erec und Iwein (aus der 
Artussage), den Gregorius und armen Heinrich (le- 
gendarische Stoffe); Ulrich von ^atzikhoven den • 
Lanzelet (ebenfalls aus der Artussage). Der ernsteste 
Vertreter des höfischen Epos ist Wolfram von Eschen- 
bachj der Verfasser des Parzival und des Titurel 
(aus der Gralsage) ; dem heiteren Lebensgenuss 
widmet sich Gottfried von Strassburg in seiner Dich- 
tung Tristan. Die Nachfolger der genannten grossen 
Dichter halten sich nicht auf der gleichen Höhe, 
wenn auch die literarische Produktion eine leb- 
haftere wird: Wirnt von Gravenberg dichtet den 
WigaloiSy Konrad Fleck verfasst Flore und Blansche- 
flury Rudolf von Ems behandelt legendarische Stoffe 
\xr\d Konrad von Würzburg unter anderem die Sagen 
von Otto mit dem Bart und vom trojanischen Krieg. 
Einer der fruchtbarsten Dichter der i. Hälfte des 
13. Jahrhunderts ist der Stricker^ ein Oesterreicher, 
der z. B. das Rolandslied neu bearbeitet. Neben 
diesen höfischen Stoffen nach französischem Muster 
läuft eine volksmässige Dichtung. Ihre hervor- Volksepos, 
ragendsten Schöpfungen sind das Nibelungenlied y das 
in verschiedenen Fassungen überliefert ist, während 
das Lied von Gudrun nur in einer späten Hand- 
schrift erhalten ist. Die Dietrichssage ist durch 
verschiedene Dichtungen vertreten : Dietrichs Flucht, 
die Rabenschlacht y Lauriuy Ortnity Wolfdietrich u. s. w. 
Die lyrische Dichtung ist in diesem Zeitraum durch Lyrik. 
]\\xlter von der Vogelweide vertreten; vor und nach 
ihm sind Reinmar der Alte, Neidhart von Reuental, 
Ulrich von Lichtenstcin, der Taunhäuscry Rcininar 



l — 92 — 

I 

von Zweter, der Marner aus der grossen Zahl der 

Didaktik. Lyriker hervorzuheben. Von Dichtungen lehrhaften 
Inhalts sind in erster Linie zu nennen : Freidanks 
{ Bescheidenheit und Hugo von Trimbergs Renner. Diese 

l H. und 15. Richtung gewinnt im 14. und 15. Jahrhundert, dem 
Jahrh. ;^eitalter der bürgerlichen Dichtkunst, weite Aus- 
dehnung, daneben werden die alten ritterlichen 
Ritterl. Stoffe aufgefrischt und oft erweitert, so z. B. Wolf- 
Epos, yams Parzival durch zwei Strassburger Bürger Claus 
Wisse und Philipp Colin ^ ebenso der Trojanische 
Kriegy das Alexanderlied, die Sage von Karl dem 
Grossen im Karlmeinet (= frz. Charlemagne) u. s. w. 
Auch die geschichtlichen Stoffe werden in den 
Rein)- Reimchroniken weit auseinandergezogen, wie in Niko- 
chroniken. i^j^^ ^,^^^ Jeroschins Deutschordenschronik (1340^ 
oder in Erhart Ttcschs Burgttndischer Historie (1477 ^ 
Christian IVierstrats Geschichte der Belagerung von 
Xeuss ' 1474); der fruchtbarste Dichter dieser Gattung 
ist Michael Beheim mit mehreren Werken wie dem 
Btich von den Wienern und der Geschichte Fried- 
Volksepos, richs von der Pfalz. Im Volksepos werden keine 
-neuen Stoffe in dieser Zeit behandelt, sondern die 
altern neubearbeitet und zu grösseren Kreisen zu- 
sammengefasst : so kommt Kaspar von der Roens 
Heldenbuch zusammen. In grösserer Zahl treten 
Volks- nunmehr auch die Volkslieder auf, die ihren Ein- 
lieder. ß„j.g ^„f ^j^ letzten Erzeugnisse des Minnesangs 
ausdehnen; Beispiele des letzteren besitzen wir von 
Hugo von Montfort und Oszvald von Wolkenstein ; 
aber die eigentlichen Pfleger der kunstmässigen 
Meister- Lyrik sind nunmehr die sog. Meistersinger , deren 
Singer, bekanntester der Mainzer Frauenlob ist; andere 
Namen sind Meister Suchensinn, Heim ich T'on Mügehi 
aus Meissen, Konrad Mnskatblut. Kürzere Reim- 



— 93 



diehtungen verfassen Hans Schnepperer genannt 
Rosenplüt aus Nürnberg und Hans Folz aus Worms. 
In die Gattung der Fabeln gehört Boners Edelstein. 
Einen grossen Aufschwung nimmt gegen Ende des 
Mittelalters die satyrische Dichtung, am glänzendsten 
vertreten durch Sebastian Brant in seinem Narren- 
schiff {i/^(^^). Endlich ist noch der dramatischen 
Dichtung zu gedenken, die aus kirchlichen Auf- 
führungen an den hohen Festtagen entsprungen, 
im 14.' und 15. Jahrhundert ein wichtiger Kulturfaktor 
geworden war; am bekanntesten ist das Drama von 
den klugen und törichten Jungfrauen ^ im Jahre 1322 
zu Eisenach zuerst vor dem Landgrafen Friedrich 
aufgeführt. Sehr beliebt war auch das Spiel von 
Frau Jutten, der Päpstin Johanna, von Theodorich 
Schernberg aus Mülhausen verfasst. Zuletzt wollen 
wir noch verschiedene Richtungen der prosaischen 
Dichtung nicht unerwähnt lassen, so die Geschichts- 
schreibung, vertreten durch y^^ö^ Twinger von Königs- 
hof ens Chronik und zahlreiche andere Werke, die 
geistliche Mystik in Meister Eckharts deutschen 
Predigten und Traktaten und Johann Tatders Pre- 
digten, endlich in Johann Geiler von Keiscrbergs 
Werken, die aber zum Teil schon ins 16. Jahr- 
hundert hinüberreichen. 

Einige Sprachproben aus den verschiedenen 
Jahrhunderten mögen die Weiterentwicklung der 
Sprache veranschaulichen. 

Aus der Uebergangszeit stammt die Ueber- 
tragung und Auslegung des Hohenliedes von Willi- 
ram (ungefähr 1160). Die Sprache mutet uns fast 
noch wie althochdeutsch an, wie eine Probe zeigt: 

Sino, daz bette des cüniges Salomonis, ddz 
ümmegent d6s ndhtes s6szoch biderba gn^hta der 



Satyrische 
Dichtung. 



Drama. 



Prosa. 



Williranis 

Psalmen- 

Ueber- 

setzung. 



allero biderbeston in Jsrael. Ir aller iegclih 

hÄbet sin suert in hdnton, cünnon dlla mähtigen 

vehtan, unte -ir nechein neläzzet sin su6rt vone si- 
. nemo diehe durch die ndhtvorhta. 

Siehe, das Bett des Königs Salomon, das um- 
stehen Nachts sechzig tapfere Ritter der allertapfer- 
sten in Israel. Ihrer aller jeglicher hat sein Schwert 
in Händen, (sie) können alle mächtig fechten, und 
ihrer keiner lässt sein Schwert von^ seinem Schenkel 
wegen der nächtlichen Furcht. 

Wir finden in diesem Denkmal noch die vollen 
Endungen des Althochdeutschen erhalten und die 
Akzentbezeichnungen weisen auf die Nachwirkung 
von Notkers Brauch (s. § lO, S. ögf.). Aber etwa 
siebzig Jahre später, um 1130, hat die Sprache 
schon ein durchaus anderes Aussehen gewonnen, 
Lam- yfiQ qI^ paar Verse aus Lambrechts Alexanderlied be- 
weisen werden. Sie lauten: 



brechts 

Alexander- 

lied. 



Philippus nam im^ ein wip,'^ 

si trüc^ einen frumeclichen lip.^ 

Jch sage iu, ^ wi ir name was : ^ 

si hi^ diu scöne ^ Olimpias. 

da^ was^ Alexanders müter. '^ 

diu frowe" hete^ einen brüder,^ 

der was* ouh Alexander genannt, 

ze Perse heter^ da^ lant. 

der was ^ ein vurste ^^ also getan, 

er ne wolte neheinem^^ kunige wesen^^ undertän. 



' sich • Weib ® mitteldeutsche Form für mittelhochdeutsch 
truoc .,trug"; ebenso mftter ^ muoter, brüder = bruoder *trelT- 
lichenLeib ^ euch 'war 'schöne ® Frau * hatte, halte er 
«0 Fürst » keinem >2 sein. 



- Q5 — 

Die fortgeschrittene Entwicklung der Sprache 
ist unverkennbar, die Abschwiächung der Endungen 
zu e ist vollzogen, aber der Dichter ist noch in 
seiner Mundart befangen; mitteldeutsch sind Formen 
wie trüc, brüder, müter für hochdeutsches 
truoc, bruoder, muoter, hete für häte = habete 
,, hatte", hij für hie^. Diese Abhängigkeit von dem 
angestammten Dialekt wird im Laufe des 12. Jahr- 
hunderts von den Klassikern der Blüteperiode über- 
wunden. Wiederum 70 Jahre später, um 1200, 
sehen wir die mittelhochdeutsche Dichtersprache 
auf ihrer Höhe, fast frei von mundartlichen Bei- 
mischungen, wie eine Anzahl Verse aus dem armen Arme 

Heinrich des Hartmann von Aue uns zeigen möge : ' Heinrich 
_. . . ,^ von 

Em ntter so geleret was Hartmann 

da^ er an den buochen* las von Aue. 

swa^^ er dar an geschriben vant. 

der was Hartman genant. 

dienstman was er ze Ouwe 

Er las di^ selbe maere, '^ 

wie ein herre waere 

ze Swäben gese55en; 

an dem enwas^ verge;;en 

deheine'^ der tugende 

die ein ritter in siner jugende 

ze vollem lobe haben sol. 
Aufgebaut nach den Mustern der klassischen 
Dichter hält sich die poetische Sprache in ihrer Voll- 
kommenheit lange Zeit, wohl ein und ein halbes Jahr- 
hundert, bei den guten Schriftstellern. Daneben hat 
aber die prosaische Sprache ihre eigne Entwicklung, 



* in den BQchern * alles was • Kunde, vgl. Märchen 
* enwas — nicht war * keine. 



- y6 -- 

und wie weit sie sich schon von jener im 13. Jahr- 
hundert entfernt hat, dafür können die oben S. 86 f. 
gegebenen Urkundenproben zum Vergleich dienen. 
VerfaU der Der Verfall der poetischen Sprache beginnt mit dem 
Sprache. Uebergang der Dichtung in die Hände der Bürger- 
lichen, der sog. Meistersinger. Neben seinem eignen 
Versmass und Stil, erlaubt sich jeder Dichter nunmehr 
auch seine Mundart zu verwenden, so dass im 14. und 
15. Jahrhundert von einer einheitlichen Kunstsprache 
nicht mehr die Rede sein kann. Vielmehr zeigen 
sich jetzt auch in der dichterischen Sprache die 
Keime einer Entwicklung, die, gleichwie in der Prosa, 
zur neuhochdeutschen Zeit hinüberführen, wovon 
in § 18 die Rede sein wird. 

Neben der reichfliessenden Quelle poetischer 
und seit der Mitte des 13. Jahrhunderts auch pro- 
saischer Literatur kommen in unserm Zeitraum 
weitere Sprachquellen wie in althochdeutscher Zeit 
für reinsprachliche Zwecke nicht mehr in Betracht. 
Die uns erhaltenen Handschriften sind so mannig- 
faltig nach Herkunft und Mundart und geben so reich- 
lichen Aufschluss über das Leben und die Ent- 
wicklung der Sprache in mittelhochdeutscher Zeit, 
dass wir weitere Sprachquellen nur selten benötigen. 

§ 14- 

Der mittelhochdeutsche Konsonantismus und 
Vokalismus. 

Die Sprache der im vorhergehenden Abschnitt 
genannten literarischen Denkmäler des Mittelhoch- 
deutschen ist natürlich keine einheitliche; schon die 
zeitliche Ausdehnung unserer Periode über 4 Jahr- 
hunderte (iioo — 1500) spricht gegen eine gleich- 



- 97 — 

massige sprachliche Form; zudem gehören die Denk- 
mäler den verscliiedensten Gegenden und Mund- 
arten an und bewahren nicht selten deren Eigen- 
tümlichkeiten. Was wir daher im Folgenden als 
mittelhochdeutsche Sprache bezeichnen, ist eine Art 
Normalform, der auch die Ausgaben der erhaltenen 
Schriftwerke angepasst werden. Der Lautstand ist 
der des Ostfränkischen ; zeitlich fällt diese Normal- 
form des Mittelhochdeutschen mit der Blüteperiode 
vor und nach 1200 zusammen; um diese Zeit sind 
die. aus dem Althochdeutschen noch erhaltenen 
Eigentümlichkeiten derUebergangszeit abgestreift und 
die neuen Formen, die dem Neuhochdeutschen seine 
charakteristische Gestalt verleihen, noch nicht hervor- 
getreten, wie wir dies gegen Ende der mittelhoch- 
deutschen Periode beobachten können. Der Kon- Mhd. 
sonantenbestand des Mittelhochdeutschen unter-. *^?,"^".^"" 
scheidet sich von dem des Althochdeutschen weniger 
durch das Auftreten neuer Laute (seh), als durch die 
grössere Einheitlichkeit in der Bezeichnung der Laute: 
das in ahd. Schriftdenkmälern alemannischer Herkunft 
häutig zu treffende kh z. B. verschwindet, dafür tritt k 
oder gelegentlich ch ein; für ahd. k, p steht g, b im An- 
laut; das Gebiet von f und v, von k und c wird abge- 
grenzt u . s. w. Folgende Konsonanten sind vorhanden : 

Gutturale : Dentale : Labiale : 

Tonlos k, c, q t p 

Tönend g d b 

Reibelaute ch, j s, seh, 5 w^ f, v 

Nasale n m 

Liquida 1, r 

Hauchlaut h 

Affrikaten z pf 

Feist, Die deutscbo Spruche. 7 



tismus. 



-. - g8 - 

An Doppellauten sind folgende vorhanden: ck 
(= kk), tt, pp, gg, dd, bb, ss, ff, nn, mm, 11, rr. 
Wenn nun auch das Schriftbild in unserer Pe- 
riode nicht wesentlich gegen die frühere Zeit ver- 
ändert ist, so stellen dieselben Zeichen doch viel- 
fach nicht mehr dieselben Laute dar wie ehedem. 

Der Laut Das Zeichen h, das xirsprünglich überall den im 
^' Neuhochdeutschen mit ch in ac^, doch) wieder- 
gegebenen Laut bezeichnete, wird schon im Laufe 
der Entwicklung des Althochdeutschen im Anlaut 
schwächer und sinkt zum blossen Hauchlaut herab ; 
im späteren Althochdeutschen und besonders im 
Mittelhochdeutschen wird auch inlautendes h vor 
Vokalen lautschwächer, nur vor Konsonant und im 
Auslaut hat h seine ursprüngliche Aussprache be- 
wahrt. In letzterem Falle wird im Mhd. nunmehr 
ch geschrieben, das ebenso wie h vor Konsonanten 
stets als hartes ch (in Nacht) zu sprechen ist : sehen 
— sach „sah** — siht „Sicht". Wo h ein schwacher 
Hauchlaut geworden ist, fällt es häufig ganz aus. 
Schon Notker kennt die Zusammenziehung zen — 
zehen (lO), swer =^ sweher „Schwäher** u. a. ,* im 
Mittelhochdeutschen folgen weitere Zusammenzie- 
hungen wie s6n aus sehen, tr^ne aus trähene, vän 
aus vähen „fahen, fangen" u. s. w. Vor Konsonant 
sprechen wir noch heute h als ch : nichts Machte 
ebenso wenn urgermanisch oder althochdeutsch hh 
vorlag : lachen^ suchen u. s. w. Niemals ist h im 
Mhd. wie im Nhd. blosses Dehnungszeichen. 

Der Laut Einen durchgreifenden Wandel der Aussprache 

sk. erleidet die Lautverbindung sk, indem der Verschluss- 
laut k sich zum Reibelaut ch verändert. Im 12. Jahr- 
hundert beginnt dieser Wandel, im 13. Jahrhundert 
ist er im Alemannischen durchgeführt; neben der 



— M«; — 

Bezeichnung sch für die neue T.autgruppe finden 
wir auch sh; ja sogar einfaches s zeigt sich für sie. 
Diese Schreibungen beweisen uns, dass die Zeichen 
sch, sh, s einen einheitlichen Laut darstellen, für 
den indes bis heute noch kein besonderes Zeichen 
durchgedrungen ist. Für das Hilfszeitwort ahd. scal, 
scolan ist schon im Mhd. sal, solen eingetreten, das 
im heutigen soll, sollen erhalten ist; hier ist k nach 
s also ganz unterdrückt worden. 

Das Mittelhochdeutsche konnte wohl aus dem Wandel 
Grunde einfaches s für sch setzen, weil jenes in ^'^^ ^ ^^' 
seiner Aussprache mehr nach dem hinteren Gaumen 
lag als unser heutiges s, mit stärker gehobener 
Zungenspitze gesprochen wurde und sich daher dem 
am harten Gaumen artikulierten sch mehr näherte. 
Wenn auf ein mhd. anlautendes, palatal gesprochenes 
s ein Konsonant folgte, so ist es im Laufe des 14. 
Jahrhunderts mit sch zusammengefallen. In den 
oberdeutschen Dialekten verbreitet sich dieses sch 
am schnellsten ; zunächst werden anlautendes sl, 
sm, sn ergriffen, dann sw, am längsten widerstehen 
sp und St. Deshalb sprechen wir heute den sch- 
Laut in schlafen ^=^ mhd. släfen; Schmerz =i= mhd. 
smerze ; schneiden = mhd. sniden; Schwan r= mhd. 
swän; Spiel ^^^ mhd. spil; Stjihl = mhd. stuol. 
In den Lautverbindungen sp und st, in denen die- 
ser Wandel am spätesten eingetreten ist, hält die 
Schrift noch heute am einfachen Zeichen fest. Im 
Inlaut hat sich im Hochdeutschen in allen genannten 
Verbindungen kein sch entwickelt, wohl aber in 
Mundarten, wie z. B. im alemannisch-schwäbischen u. a. 

Einen Wandel der Artikulation macht auch Auslau- 
der auslautende Nasal m durch. Wie schon im tcndes m. 
Urgermanischen auslautendes m zu n wird und 

r 



I Oü — 

I 

K dann schwindet, so setzt sich diese Entwicklung im 

■ späteren Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen 

il^ fort. Durch den Abfall der auslautenden Vokale (s. 

W^' § 2, S. 13) war m aufs Neue in vielen Fällen in 

den Wortauslaut gerückt, und die ältesten Denk- 
mäler zeigen allgemein dieses m. Aber schon im 
Laufe des 9. Jahrhunderts geht das m der Flexions- 
endungen in n über : tagum wird tagun, habem 
wird haben, bim, tuom werden bin, tuon; dagegen 
behauptet sich zunächst m, wenn es zum Stamm 
des Wortes gehört, da es durch die flektierten 
Formen geschützt ist: nam zu neman „nehmen*'. 
In unserer Periode wird auch dieses m angegriffen, 
wenn es zu einer Ableitungssilbe gehört: mhd. be- 
sem, buosem, vadem werden zu Besen, Busen, Fa- 
\ den. Indes hält sich dialektisch das m noch bis 

\ heute, wie es auch Luther oft aufweist. 

\ Der Laut Das urgermanische w ist im Althochdeutschen 

^ ^* als Halbvokal erhalten geblieben, es wurde wie das 

heutige englische w gesprochen. Das Zeichen ^v 
ist bekanntlich aus uu entstanden; oft wird im Alt- 
hochdeutschen auch geradezu u dafür gesetzt, 
und bis heute haben wir nach q diesen Gebrauch 
beibehalten, entsprechend einer weitverbreiteten Aus- 
sprache : Qualy Quelle u. s. w. 

In mittelhochdeutscher Zeit erleidet dieses 
iialbvokalische w einen Wandel in der Aussprache, 
den wir um das Jahr 1300 anzusetzen haben. Es 
wird zum labialen Reibelaut, der bis heute in ganz 
Süd- und Mitteldeutschland herrschend geblieben 
ist, während er in norddeutscher und hochdeutscher 
Aussprache zum tönenden labio-dentalen Reibelaut 
(-^ frz. engl, v) fortgeschritten ist. Im Silben- 
auslaut fällt w fort: sne -- snewes ,, Schnee". Ein 



— lOI — 

Gesetz, dass auslautendes w zu o werden muss, galt 
schon im Ahd. : garo, gen. gar(a')vves = mhd. 
gar(e), mit der Endung -er : garwer = nhd. gar, 
ebenso ahd. meld, melwes „Mehl** u. a. Im Nhd. 
sind diese w auch in den flektierten Kasus verloren 
gegangen, nur in Ableitungen bleiben Spuren zu- 
rück : gerben = ahd. garwen C^ig. g^r, fertig 
machen), Milhe ■= ahd. milwä (eig. das Mehl 
machende Tier). Das halbvokalische i, j geschrie- Der Halb- 
ben, das schon im Althochdeutschen nach Konso- vokal j. 
nanten im Inlaut ein sehr schwacher Laut war, 
ist im Mittelhochdeutschen nicht mehr anzutreffen : 
ahd. minnia = mhd. minne, ahd. sippia = mhd. 
sippe. Nur nach r hält es sich etwas länger ; in 
zwei Wörtern ist es bis auf unsere Zeit geblieben, 
nämlich nhd. Ferge aus ahd. ferjo „Fährmann'* und 
Scherge = ähd. scarjo. Freilich hinterliess das ge- 
schwundene j eine Spur seines Daseins, indem der 
vorhergehende Konsonant gedehnt, in der Schrift 
also verdoppelt wurde. Das war im Ahd. auch 
stets der Fall. Später aber durchkreuzten Analogiewir- 
kungen diese Regelraässigkeit, besonders beim Zeit- 
wort, da hier Formen mit und ohne j nebeneinan- 
der herliefen ; z. B. ahd. wellu = got. wiljau „ich 
wiir*, ahd. welis = got. vileis „du willst*', ahd. wellen 
— - got. wiljan „wollen", ahd. welita ^= got. wilda (ohne 
Bindevokal) „ich wollte". Daher stehen im Mhd. 
Formen wie biten : bitten, schüten : schütten neben- 
einander. Stimmhafte Laute (g, b, l, m, n) werden 
oft nicht verdoppelt: ligen =rr got. ligjan (daneben 
licken)-; nhd. quälen =r ahd. quellan, grämen ;= ahd. 
gremen, gremmen, u. s. w. Gedoppelter Konsonant 
wird im Auslaut und nach langem Vokal nicht be- 
zeichnet: mhd. stam — Stammes, treffen — träfen. 



— 102 — 

Media und Charakteristisch für die mhd. Rechtschreibnng ist 

Tenuis im ihre Genauigkeit in der Bezeichnung der Entsprech- 
wechsel. ^^^ stimmhafter Laute im Inlaut und stimmloser 
Laute im Auslaut. Wir sprechen auch heute noch 
alle S, d und teilweise auch g im Auslaut als /, 
/ und k : Lob sprechen wir Lop^ Hund — Hunt, 
Tag — T^k; im Inlaut (Lobes, Htmde, Tagen) 
sprechen wir dagegen den ursprünglichen stimm- 
haften Laut. Das Mhd. ist auch in der Schreibung 
genau, wenn es unterscheidet : geben : gap (gab), 
liden : leit {leiden : litt), bergen : bare (barg). 
Auslau- Auslautendes r des Ahd. schwindet in wenig be- 

tendes r. tonten Umstandswörtern im Mhd: neben dar, war, 
er, hiar, mer finden wir da „da", wä „wo", e „ehe", 
hie „hie**, m6 „mehr". Das Nhd. folgt in den 
vier ersten Beispielen, erhält aber das r in hier und 
mehr, ebenso in Zusammensetzungen vor Vokal bei 
wo und da : worin, daran. 
Auslau- Das t der 3. Person Plur. Praes. ist im älteren 

tendes t. j^j^d. noch erhalten in -ent aus ahd. -ant : ne- 
ment = ahd. nemant; im späteren Mhd. fällt das 
t ab, wie es im Nhd. der Fall ist. Dem Abfall 
eines t steht aber die häufige Hinzufügung eines t 
gegenüber : mhd. wilent aus ahd. wilön (eig. Dat. 
Plur. von wila „Weile") „weiland", mhd. nhd. allen-t- 
halben, mhd. selbert neben selbes u. s. w. 
Die Laute Doppelte Schreibung für einen Laut, findet sich 

"" ^' bei f, das auch v geschrieben wird wie heute noch, 
vor a, o, e, i im Wortanlaut und im Inlaut fast regel- 
mässig, gelegentlich auch vor u, ü, r, 1 im An- 
laut. Aber zum Unterschied vom Nhd. scheint mhd. 
f einen schärferen Laut, etwa =: nhd. if, v einen 
schwächeren Laut zu bezeichnen. Man schreibt 
also: hof aber hoves, niftel ,, Nichte" aber neve 



103 

,, Neffe", vinden „finden", indes sowohl für wie vür 
(vgl. nhd. /»'/• und 7wr), Ebenso pflegt der Laut Die Laute 
k im Silbenanlaut als c im Silbenauslaut bezeichnet ^ "^ ^• 
zu werden : kunst; dan-kes, aber danc, danc-te; in 
der Verdoppelung daher ck : sackes, eine Bezeich- 
nung, die heute noch üblich ist. 

Umgekehrt ist nur ein Buchstabe für zwei Das 
Laute bei mhd. z vorhanden. Es bezeichnet erstens deichen z. 
denz-Laut des Nhd., zweitens einen scharfen, gelispel- 
ten s-Laut, gewöhnlich als 5 in den Ausgaben ge- 
druckt, der im Anlaut nicht vorkommt. Seit dem 
Ende des 13. Jahrhunderts ist dieser ;-Laut ganz 
mit dem alten, scharfen s zusammengefallen; er 
wird nunmehr ss oder sz geschrieben: haz, ha^^es, 
wird also hasz, hasses geschrieben; im Auslaut steht 
oft einfaches s : da; wird das, alle; wird alles. 

Im. (irossen und Ganzen macht der mhd. Kon- 
sonantismus den Eindruck eines festgefügten phone- 
tischen Systems, das in den Ausgaben, weniger aller- 
dings in den Handschriften unserer nhd. Recht- 
schreibung an Regelmässigkeit der LautbezeichuuK 
weit überlegen ist. Das mhd. Vokalsystem zeich- Vokalis- 
net sich durch dieselbe Eigenschaft aus. Es be- "i"*- 
steht aus folgenden Lauten : 

Kurze Vokale : a, e, i, o, n 
Lange Vokale : i\, e, i, 6, ü. 
Umlaute dazu: ö, ü |iu), le, ce 
Diphthonge: ei, ou, ie, uo — iu {J^ 
Umlaute dazu : öu (eu), üe 

Freilich sind die Handschriften, wie es bei 
mechanischer Vervielfältigung durch oft ungebildete 
oder ungeübte Schreiber nicht zu vermeiden war, 
selten genau in der Bezeichnung der Vokallaute : 



— I04 — 

Länge und Kürze wird z. B. gewöhnlich nicht unter- 
schieden oder das Längezeichen an falscher Stelle 
gesetzt u. a. m. Zu den einzelnen Zeichen ist fol- 
gendes zu bemerken: 

e dient zur Bezeichnung zweier verschiedener 
Laute wie schon im Ahd., es ist offenes e oder ge- 
schlossenes ej z. B. geben aus ahd. geban oder 
geste aus ahd. gesti, d. h. Umlaut des a zu e. 
Gelegentlich dient es auch zur Bezeichnung des 
noch offeneren ä. Der Diphthong iu ist entweder 
als Umlaut von u --:= ü, oder, wo er altem iu ent- 
spricht, vielleicht noch Diphthong; dagegen ist ie 
stets Diphthong, z.B. in ßel^ VriXentwia von fallen. 

Wie schon im Ahd. ist auch jetzt noch ein 
Vokal in offener Silbe kurz, nicht lang wie im 
Nhd. zu sprechen ; also väter, gebe „Gabe*S lYgen 
,, liegen", bnte, bögen Plur. Praet. „bogen**. 
Umlaut. Der Umlaut, der durch ein i oder j der fol- 

genden unbetonten Silbe bewirkt wird, hatte im 
Ahd. den Vokal a zu e gewandelt; nunmehr tritt 
er auch bei anderen Vokalen hervor, obwohl das 
umlautbewirkende j geschwunden und i zu e ge- 
schwächt war (Beispiele s. o. § II, S. 8of.). Offen- 
bar war der Umlaut schon früher vorhanden, aber 
in der Schrift noch nicht bezeichnet worden. Neu 
ist der Umlaut von a zu ä in solchen Wörtern, 
wo im Ahd. a vom Umlaut verschont blieb, sei es, 
dass i (j) nicht direkt auf die Stammsilbe folgte 
oder dass umlauthindernde Konsonanten sie ab- 
schlössen. Während der ältere Umlaut des a ein 
geschlossenes e ist: gast — geste, ist der jüngere 
Umlaut des a ein ganz offenes e, das als ä be- 
zeichnet wird : mäht - mähtec ;,mächtig", maged 
— mägcde (ahd. magad — magadi). So erklären 



— .105 — 

sich die nhd. Verschiedenheiten in der Schreibung 
des Umlaut-a: Hand — Hände ^ wo der Umlaut von 
a zu ä erkennbar ist; dagegen behende y bei dem die 
Beziehung zu Hand vergessen ist; ähnlich Hahn 
— Hähne, aber Henne (vgl. § 7, S. 43). Der alte 
Wechsel zwischen e und i (s. § 2, S. 11) ist eben- 
falls durch i der folgenden Silbe bewirkt und noch 
in Kraft: helfen — du hilfest ~ er hilfet; wie schon 
im Ahd. tritt i auch vor ursprünglichem u der i . Person 
Sing. Praes. ein: ich hilfe ^=r. ahd. hilfu. Vergleiche 
auch das Substantiv berc ~ gebirge =^ ahd. gibirgi, 
das Adjektiv wert — wirdic und ähnl. Bildungen. 

Wie e mit i, so wechselt auch o mit u. " Altes 
u wurde schon im Urgermanischen zu o, wenn die 
folgende Silbe a, e oder o enthielt (s. § 2, S. 11); 
diese „Brechung" hat sich bis ins Mhd. erhalten: 
bugen „bogen" (ahd. bugun), aber gebogen (ahd. 
gibogan), wolf (urgerm. wulfaz), aber wülfinne 
„Wölfin". 

Die Ablautsklassen des Ahd. (s. \ 8, S. 5if.j, Ablaut. 
sind im Mhd. unverändert erhalten, so dass wir 
hier auf die an obiger Stelle gegebene Aufzählung 
nur zu verweisen brauchen. 

Wie schon früher erwähnt fs. .^ 11, S. 79 f) Vokalein 
sind die vollen Vokale des Ahd. in ' den unbeton- JJJJ^'^^^^ln- 
ten Endungen zu einförmigem e geworden ; nur wo tonieen 
sie durch einen Nebenton geschützt waren, blieben Silben, 
sie erhalten; so in den Endungen -unge, -nisse, 
-aere, -inne, -m, -lin der Substantive, -ic (= ahd. 
-ig und -ag, daneben -ec-), -isch (= ahd. isc), 
daneben -esch bei Adjektiven. Vgl. scribaere 
„Schreiber", küneginne, künegtn ,, Königin" — hei- 
lic, heilec „heilig" (ahd. heilag), saelic, saelec 
„selig" (ahd. sälig), irdisch (irdesch). Vereinzelt 



io6 



Schwund 
des e. 



erhalten sich vollere Vokale in einigen zu Haupt- 
wörtern gewordenen Participien Praesentis: heilant, 
wigant „Kämpfer"; -ist in den Superlativen ob- 
rist, minnist „geringste", -6st in vorderöst „vor- 
derste", und in einigen Substantiven, wo sie auch 
das Nhd. noch kennt, wie liumunt „Leumund"; 
in anderen ist der volle Vokal jetzt nicht mehr er- 
halten, wie in mhd. arzät neben arzet ,,Arzt". 

Aber selbst das aus vollerem Vokal geschwächte 
e ist seines Bestandes nicht sicher. In Präfixen wie 
be-, ge-, ver- fällt es oft aus; z. B. beliben und 
bliben „bleiben", gelouben und glouben „glauben", 
Verliesen und vliesen „verlieren"; vgl. auch nhd. 
fressen aus ver-essen. In Affixen verstummt ton- 
loses e nach hochbetonter kurzer Stammsilbe oder 
nach tieftoniger kurzer Nebensilbe, besonders gern 
nach Liquida; z. B. heln für helen „hehlen", varn 
,, fahren", michelm = michelem ,, grossem", nim 
„nimm" u. s. w. 

Anderseits kommen aber auch nicht selten 
^kal^° Fälle vor, wo im Mhd. unter dem Einfluss des 
Hochtones früher kurze Vokale gedehnt werden, so 
in den Partikeln da, sä „so", wä „wo", ja, nü; be- 
sonders in Fremdwörtern ; bäbest ,, Papst" aus laU 
p pa, tävel aus lat. tibula „Tafel", schriben aus 
lat. scnbere „schreiben", mile aus lat. milia „Meile", 
barün aus frz. baron (mit Uebergang des ö in fi). 

Die bunte Mannigfaltigkeit der ahd. Diphthonge 
wird in mhd. Zeit, wenigstens in den modernen 
Ausgaben, normalisiert und zu den oben (S. 103) 
aufgezählten Typen vereinfacht. Daneben aber 
tauchen neue Diphthonge auf, z. B. ei durch Zu- 
sammenziehung aus age, ege : geseit — gesaget, 
meid = maged (daher noch heute Maid neben 



Dehnung 



Neue 
Diph- 
thonge. 



— 107 - 

Magd ^ Deinhard aus Degenhard; oi aus oge in 
mitteldeutsch voit „Vogt" (vgl. Voigtland) u. a. 

Wir haben im Vorhergehenden das klassische 
Mittelhochdeutsch im Auge gehabt; in den mittel- 
hochdeutschen Mundarten gab es natürlich eine 
grössere Abwechslung im Vokalsystem, als wir sie 
hier zur Darstellung bringen, konnten. So zeichnet 
sich das Mitteldeutsche z. B. durch seine Neigung 
aus, Diphthonge zu einfachen Vokalen zusammen- 
zuziehen, uo in ü, ie in t, iu zu ü, wofür oben in 
§ 13, S. 94 einige Belege gegeben sind. Für ei 
und ou schreibt es gern ai und au, gleichwie das 
Bairische. Das Mitteldeutsche bildet im Konso- 
nantismus wie auch im Vokalismus die hauptsäch- 
lichste Grundlage für die neuhochdeutsche Laut- 
gebung, während andere Eigenheiten des nhd. Vo- 
kalismus ursprünglich den oberdeutschen Mundarten 
zukommen, worüber § 19 das Nähere bringen wird. 

§ 15- 

Deklination und Konjugation im Mittel- 
hochdeutschen. 

Die Vereinfachung der zahlreichen indogerm. 
Deklinationsklassen und Kasus, die schon in alt- 
hochdeutscher Zeit zu einer wesentlichen Verminde- 
rung der alten Fülle geführt hat, setzt sich in unserer 
Periode weiter fort, vor allem unterstützt durch die 
Schwächung der vollen Endungsvokale zu e, die 
z. B. den Unterschied zwischen a- und i-Deklination 
noch weiter verwischt. Die vollständige Unter- 
drückung des Endungs-e nach Liquiden auf kurzen 
Stammvokal lässt die Deklinationsendungen in be- 
stimmten Fällen ganz schwinden. Der Instrumen- 



"TTe'^?»^"-^^- 



— io8' 



klination. 



talis (Kasus des ^Mittels oder Werkzeugs), der schon 
im Althochdeutschen im Absterben begriffen ist, 
geht nunmehr vollständig unter bis auf wenige er- 
starrte Reste. 
Starke De- i. Wir unterscheiden jetzt nur noch zwei Klassen 

der starken Deklination. Ihre Merkmale für die 
Masculina sind der Nichtumlaut (A-Klasse) oder 
der Umlaut (I-Klasse) im Plural; für die Feminina 
im Nom. Acc. Sing, die Endung e ohne Umlaut 
(A-Klasse) oder Endungslosigkeit (I-Klasse); im 
Gen. Dat. Sing., die mit Endungen versehen sind, 
der Nichtumlaut (A-Klasse ) oder Umlaut (I-Klasse). 
Die Neutra der A-Klasse sind im Nom. Acc. Plural 
meist noch endungslos (doch s. weiter unten). 

Die Maskulina und Neutra der ja-Deklination 
haben im Mhd. als einzigen Rest derselben ein e im 
Nom. Acc. Sing. Dies e bewahren auch einige ursprüng- 
lich der u-Deklination angehörige Wörter wie vride 
,, Friede**, site „Sitte", schate „Schatten", mete 
„Met", sige „Sieg". Die Femininstämme auf -ja 
sind ganz mit den ä-Stämmen zusammengefallen. 
Für die bis jetzt erwähnten Deklinationsklassen 
geben wir in Folgendem einige Paradigmen: 



Para- 
digmen. 



1. Männliche Hauptwörter der A-Klasse: 

Sing. N. tac kil (Liquidastamm) hirte (ja-Stamui) 

G. tages kils „Kiel" hirtes 

D. tage kil hirte 

A. tac kil hirte 



Flur. N. tage kil 
G. tage kil 
D. tagen kiln 
A. tage kil 



hirte 
hirte 
hirten 
hirte 



I09 — 

Eine besondere Erwähnung ^ verdienen einige 
Stämme auf -w, das im Nom. Acc. Sing. auyfalleEi 
musste (s. § 14, S. loof.l und in den anderen Khsiis 
wieder auftritt: 

Sing, se „See", sewes, sewe, s^ 
Plur. s^we, sewe, sewen, s^we. 

2. Die I-Klasse unterscheidet sich nur dnrüh 
den Umlaut in der Mehrzahl : 

Sing. \>a\g „Balg**, balges, balge, balg 
Plur. beige, beige, beigen, beige. 

3. Feminina der ä-» und ja-Klasse : 

Sing. N. gebe ,,Gabe" zal ,,Zahl*' (Liquida- sündc 

stamm) |(jä-St. ;i 
G. gebe zal sündf 

D. gebe zal siindL^ 

A. gebe zal Sünde 

Plur. N. gebe zal sünde 

sündc' 
sürLclc^h 
sünde 

4. Feminina der alten i-Klasse (und u-Kla&st-) : 

Sing. N. kraft 

G. krefte | Neben der umgelauteten Form tritt tnrle* 

D. krefte ( ^"^h die nicht umgelautete k^-aft aiii 

A. kraft 

Plur. N. krefte 
G. krefte 
1). krefte;i 
A. krefte 



G. 


gebe 


zal 


D. 


geben 


zaln 


A. 


gebe 


zal 



5- Neutra der a-Klasse: 
Sing. N. wort künne (ja-Stamm) 

G. Wortes künnes 

D. Worte künne 

A. wort künne 

Fhir- N. wort, worter künne 

G. Worte, worter e) künne 

D. Worten, wortern künnen 

A. Worte, worter künne. 

Das Suffix -er, über dessen iLntstehung wir in 
^ 8, S. 47 gesprochen haben, war anfangs auf einen 
kleinen Kreis von Wörtern beschränkt; es greift in 
unserer Periode um sich und kann an viele starke 
Nf-iitra Umlaut bewirkend antreten, 
schwache H« Auch in der schwachen Deklination hat die 

fjekli* Schwächung der Endungsvokale zu e das Paradigma 
»dtiuij. ausserordentlich vereinfacht: 

a) Mask. b) Fem. 

Sing. N. mäne „Mond*' (Mask.) zunge 

G. mänen zungen 

D. mänen zungen 

A. mänen zungen 

Plur. N mänen zungen 

G. mänen zungen 

D. mänen ;5ungen 

A. mänen zungen 

i;i Neutr. Sing, herze, herzen, herzen, herzen 
Plur. herzen, herzen, herzen, herzen 
Spuren der konsonantischen Deklination sind 
noch vereinzelt erhalten; so kommt endungsloser 
llural bei vriunt ,, Freunde'S man „Männer'* (da- 
Hüben schwach flektiert mannen, auch stark manne 
uj^d sogar menner) und naht ,, Nächte*' vor. 



Die Deklination der Eigenschaftswörter bewegt Artfektiv- 
sich ganz im Rahmen der für das Althochdeutschu ^^^|^^*' 
in § 8 dargelegten Verhältnisse; die Endungen sind 
wie beim Hauptwort zu e verblasst, nur iu hält sitli 
im Nom. Sing. Fem. und Nora. Acc. PI. Neutr, in 
der ganzen mittelhochdeutschen Zeit. 



Sing. 



Starke Deklination des Adjektivs: 


Mask. Neutr. 


Fem. 


, N, blinder, blint, blindez 


blindiu, blint 


G. blindes 

D. blindeml e) 

A. blinden blint, blindez 


J blinder(e) 
blinde 


N. blinde blindiu 


blinden 


G. blinder e) 


blinde r(e| 


D. blinden 


blinden 


A. blinde blindiu 


blinde 



Plur. 



Die eingeklammerten e finden sich nur im äl- 
testen Mhd. ; die Stämme auf r, 1 und n lassen dam 
das e der Endung ausfallen. Die ja-Stämme untei - 
scheiden sich von den reinen a-Stämmen nur durch 
die Endung e im Nominativ aus älterem i ) und den 
durch alle Fälle durchgehenden Umlaut: maere (ahd. 
märi) ,, berühmt'*, schoene ahd. scöni) ., schön" u. a. \\. 
Die schwache Deklination hat im Nom. aller Ge- 
schlechter die Endung -e, in allen andern Fällen -en. 

Die ahd. Endungen des Komparativs auf *ir ^tf'ig'^t«"!^« 
und -ör und des Superlativs auf -ist und -öst sind 
beide zu -er und -est geschwächt; ihre Nacii- 
wirkungen zeigen sich indes darin, dass die Kom- 
parative oder Superlative teils den Umlaut annehmt- n 
teils nicht; z. B. alt — alter und elter — altesL 
und ehest, dagegen nur grö:; — groejer — groj - 
;este (groeste). 



— 112 — 

Auch eine unregelmässige Steigerung findet sich, 
d. h. die Steigerungsgrade werden von einem an- 
deren Stamm gebildet wie der Positiv: 

gut = guot — be^^er (got. batiza, St. bat-) 

bej^est, beste 
schlecht = ubil - wirse (engl, worse) — wirsest 

(engl, worst) 
gross = michel — m^rer (got. maiza) — meiste 

(got. maists) 
klein — Kitzel — minner (lat. minor) — minnest 

(nhd. mindest), 

Adverbia. Die ahd. Adverbialendung o ist zu e verblasst: 

hoch — hohe. Die Adjektiva der alten ja-Klasse 
enden schon auf e (s. oben); ihr Adverb unter- 
scheidet sich aber durch das Fehlen des Umlauts 
vom Adjektiv: schoene - schöne, süeze — suoze. 
Die Bildung des Adverbs mittels des Suffixes 
-liehe, zu der sich im Ahd. erst die Ansätze finden, 
ist im Mhd. sehr verbreitet: saelec „selig" — sae- 
lecliche. Im Nhd. ist sie bekanntlich wieder im 
Verschwinden begriffen (s. § 9, S. 63 f.). Die Steige- 
rungsgrade des Adverbs haben keinen Umlaut, sind 
aber sonst denen des Adjektivs gleich: höhe — 
• höher — höhest. 

Körwöiter. Die persönlichen Fürwörter sind in der Haupt- 

sache den ahd. Formen mit lautgesetzlicher Ent- 
wicklung der Endungen gleich, nur beginnt bereits 
der Acc. Plur. unsich zu schwinden, dafür tritt die 
Dativform uns ein. 
Zahl- Auch bei den Zahlwörtern kommen, ausser 

Wörter, ^jgj^ lautlichen Veränderungen, keine bedeutenden 
Neuerungen vor; für ahd. zehanzug tritt nunmehr 
hundert auf. 



rwfr^^' 

— i'3 — 

Beim Zeitwort ist die Abschleifung der En- Zeitwörter. 
düngen, die schon bei Notker auftritt, noch weiter 
fortgeschritten. Es wird nunmehr folgendermassen 
abgewandelt : 

Gegenwart Vergangenheit 

Indik. Konj. 

Sing, ich nime Sing, ich nam — naeme 
du nimest du naeme — naemest 

er nimet er nam — naeme 

Plur. wir nemen Plur. wir nämen — naemen 
ir nemet ir nämet — naemet 

si nement si nämen -- naemen 

- Befehlsform : nim — nemen (wir) — nemet 
Nennform : nemen — Gen. nemennes — Dat. 
nemenne 
„ (Nehmen — des Nehmens — dem 

Nehmen) 
Mittelwort der Gegenwart: nemende 

„ „ Vergangenheit: genomen. 

Häufig wird das e der Endungen ausgelassen, 
nicht nur regelmässig nach l und r, sondern auch 
oft vor t, besonders in der 3. Pers. Einzahl; also: 
ich var, du verst, er vfert, wir vam; aber auch er 
siht = sihet, er wirt ^= er wirdet u. s. w. 

Die Ablautsklassen entsprechen vollständig den Ablauts- 
in 5^* 8, S. 51 f. dargestellten althochdeutschen, nur klassen. 
mit Abschwächung der Endungen und den orthogra- 
phischen Eigentümlichkeiten des Mhd. Sie lauten 
nunmehr : 

I. I. geben — gap — gäben — gegeben 

2. nemen — nam — nämen — genomen 

3. binden — bant — bunden — gebunden 

4. werfen — warf — würfen — geworfen 

Feist, Die deutsche Sprache. 8 



114 — 



IL 



III. 
IV. 



Schwache 
Verben. 



I. g'nfen — greif — grifen — * gegrifen 
2 a. liugen — loug — lugen — gelogen 
2 b. bluten — bot — buten — geboten 
faren — fuof ~ fuoren — gefaren 
Der Reduplikationsvokal ist im Mhd. gleich- 
massig ie (nur in wenigen Verben st^ht da- 
neben iu) : 

a halten — hielt — hielten — gehalten, 
b) loufen — liuf und lief — geloufen. 
Die drei Klassen der schwächen Verben auf 
en I älter -Jen), -en und -6n des Ahd. sind nun nicht 
mehr auseinanderzuhalten, da die Endungen gleich- 
massig den geschwächten Vokal e aufweisen; nur 
dialektisch und vereinzelt finden sich noch die alten 
vollen Vokale. Da schon im Ahd. nach langem 
Vokal der Stammsilbe bei den Verben der ja-Klasse 
das i im Präteritum zwischen Stamm und Endung 
ausfiel, so konnte kein Umlaut eintreten; J. Grimm 
nannte die Erscheinung, dass die Gegenwart um- 
gelauteten Vokal hat, das Präteritum aber ohne Um- 
Rück- laut ist, RUckumlaut. Es heisst z. B. ahd. 
Umlaut, nerjen „retten** fgot. nasjan) — nerita — ginerit ^r • 
aber brennen (got. brannjan) — branta — gibren- 
nit (gibranter). Daraus entwickelt sich der mhd. 
Unterschied zwischen: denen (urgerm. thanjan) „deh- 
nen** — denete — gedenet und hoeren urgerm. 
hausjan) — hörte — gehoert. Freilich fällt auch 
im Mhd. in den kurzsilbigen Verben nach r und 
1 das bindevokalische e aus, aber der Umlaut zeigt 
sein früheres Vorhandensein : nern ' urgerm. nas- 
jan) — nerte — geßert. Gelegentlich fehlte der 
Bindevokal x im Präteritum schon im Urgermanischen, 
wie die Lautangleichung des Konsonanten am Stamm- 
ende an das t der Endung zeigt: denken — däh- 



- 115 — . 

te — gedäht; dünken — dühte, diuhte „deuchte". 
— gedüht ; bringen — brähte ~ gebräht u. a. 

In urgermanische Zeit reicht auch die Bildung Präterito- 
der Präteritopräsentia zurück, deren Formen die pi'Äsentia. 
lautgesetzliche Weiterentwicklung der in § 8, S. 53 f. 
angeführten ahd. Zeitwörter bilden: wei; „ich weiss" 
wi^^en - Vergangenheit wisse und als Neubil- 
dung des Mhd. wiste, ebenso das Mittelwort ge- 
wist; muo^ „muss" - müe;en „müssen" Ver- 
gangenheit muose und daneben ebenfalls muoste. 
skal „soll" lautet jetzt meist sol sal ) — suln 
solde. Als nicht zusammengesetztes Zeitwort erscheint 
nunmehr tar, turren, torste „wagen", das sich noch 
bis zu Luthers Zeit erhält, dann aber ausstirbt, wie 
schon vorher einige hier nicht genannte Präterito- 
präsentia. Die übrigen an erwähnter Stelle ge- 
nannten Zeitwörter bieten keine neuen Formen in 
mhd. Zeit, ebensowenig wellen „wollen". Auch 
tuon „ich tue", tete „ich tat"; gän, gen „ich gehe", 
gienc „ging'*; stän, sten „ich stehe", stuont ,, stand" 
sind die Fortsetzungen der entsprechenden ahd. 
Bildungen. 

Wir ersehen aus dem Voranstehenden, dass im 
Mittelhochdeutschen der schon in der vorhergehen- 
den Periode sehr zusammengeschmolzene Formen- 
reichtum des Verbums durch das Verblassen der 
Endungen noch weitere Einbusse erlitten hat, sonst 
aber im grossen und ganzen auf dem Standpunkt 
der lautgesetzlichen Fortentwicklung der ahd. For- 
men stehen geblieben ist. Die ausgleichende Tä- 
tigkeit, die bei dem neuhochdeutschen Zeitwort die 
meisten altertümlichen Reste verwischt hat, zeigt 
sich kaum in ihren anfänglichen Spuren. Gegen- 
über dem neuhochdeutschen Zeitwort zeigt die mhd- 

8* 



— ii6 - 

Konjugation noch grössere Mannigfaltigkeit — man 
denke z. B. nur an die vom Singular verschiedene 
Pluralform bei dem Präteritum der starken Verben 
— und dabei doch ein fest gefügtes, auf uralter 
Grundlage beruhendes System, das später durch- 
brochen wird und daher im Nhd. nicht mehr in 
der früheren Regelmässigkeit erhalten ist. Vom 
Standpunkt des Sprachforschers mag dies zu be- 
dauern sein; vom praktischen Gesichtspunkte be- 
trachtet, stellt die Verminderung der Formen eine 
Vereinfachung und somit einen Fortschritt im Leben 
der Sprache dar. 



§ i6. 

Wortton und Verskunst im Mittelhoch- 
' deutschen. 

Die Grundzüge der ahd. Betonungsweise, die 
wir oben im j^ lo entwickelt haben, bleiben auch 
im Mhd. fortbestehen ; indes bewirkte die fortschrei- 
tende Verstärkung des Haupttons, mit dem die Ab- 
schwächung der schwachbetonten oder unbetonten 
Nebensilben Hand in Hand ging, dass der Neben- 
ton zurücktritt und sich nur in bestimmten schwe- 
reren Ableitungssilben noch in alter Kraft erhält. 

Nebenton Solche Ableitungssilben sind : -aere in scriba^re 
^^^ „Schreiber^S -ing : ftindeling „Findling", -unge : 

Endungen warnünge „Warnung", -isse : gedäehtnisse „Gedächt- 
nis", -sal : trüebesäl „Finsternis" ( daneben dihsel 
„Deichsel" ohne Nebenton), -inne : vürstinne „Für- 
stin", -lin : ffngerlin „Fingerlein". In den genannten 
Endsilben ist infolge des starken Tieftons bis heute 
der volle Vokal erhalten t>:eblieben. 



— 117 — 

Ein Tiefton ist überall da vorhanden, wo zwt^i Nelmiio- 
nicht hochbetonte Silben aufeinander folgen, also i^ (^r^J- 
stets in drei- und mehrsilbigen Wörtern. Auf die \y6 te*^ 
hochbetonte Silbe konnte zunächst eine unboivvTitc 
und dann eine nebenbetonte folgen: hindenän ,,hin- 
tendrein*' ; aber auch die nebentonige Silbe konnte 
sofort nach der hochbetonten kommen: weinende, 
heiliger. Man nimmt gewöhnlich an, dass der letz- 
tere Fall nach langer Stammsilbe eintrat, wogegen 
nach kurzer Stammsilbe der Nebenton auf die 
zweitfolgende Silbe fiel: maneg^r, löbet^. Indes 
hält diese Regel nicht in allen Fällen stand. 

Zweisilbige Wörter erhalten nur dann einen Nebeuton 
Nebenton, wenn im Zusammenhang der Rede wie- ^° ^wei- 
der eine unbetonte Silbe folgt: daz wart d6 Gi'in- \Yör[^^JJ 
th^r bekänt; aber gewöhnlich nur solche mit langer 
Stammsilbe iklein^, bi^t^n) ; Wörter mit kurzer 
Stammsilbe wie böte, sSgen, nSme können keinen 
Nehenton erhalten. 

Für die Zusammensetzungen gelten, im MlnL Nehepton 
dieselben Regeln wie für das Ahd., sowohl für die ^^ ^^^* 
zusammengesetzten Hauptwörter wie Zeitworter, jiPt^uuIt!j| 
Wir verweisen daher auf das in § lo Gesagte als 
für die mhd. Zeit (ebenso wie für das Nhd,) zu- 
treffend. 

Auch bei den Kunstformen der poetischen Poetisdie 
Sprache ist das Band zwischen ahd. und mhd. Zeil Sprache 
nicht zerrissen. Wesentlich auf der von Ol Fried 
geschaffenen Grundlage beruht bei den alleren 
Minnesängern, im Nibelungenlied u. s. w. die kuust- 
mässige Dichtungsform des Mhd. Gewisse Ver- 
schiebungen mussten sich natürlich durch die Ent- 
wicklung der Sprache ergeben, indem die abH:L- 
schwächten Endungen weniger befähigt sind, Hi> 



- ii8 — 

bungen zu tragen als im Ahd. ; aber dafür ist es 
nunmehr infolge der Verkürzung der Wortformen 
auch möglich, mehr Inhalt in den Vers zu bringen. 
Anderseits schwindet wegen der grösseren Zahl 
Wurzelsilben der Unterschied zwischen Haupt- und • 
Die Nebenhebung immer mehr. Der Versfuss, d. h; die 
Versform. Hebung und die darauffolgende Senkung ist in der 
Regel zweisilbig ; daneben finden sich auch ein- 
wie dreisilbige Versfüsse. Der Versausgang, der 
im Ahd. stets einsilbig ist fs. die Probe aus Ot- 
fried in § lO, S. 76 f.), kann nun auch zweisilbig sein, 
mit langer betonter erster Silbe und schwachem e 
in der folgenden. Der Vers selbst zerfällt durch 
eine Cäsur in zwei Hälften mit je 4 bezw. 3 He- 
bungen. Zwei aufeinander folgende Verse sind 
durch den Reim gebunden ; zwei Verspaare bilden 
eine^ Strophe, deren letzte Halbzeile 4 Hebungen 
aufweist. Der Reim ist männlich, d. h. er ruht auf 
hochtoniger Silbe, die letzte Hebung fällt auf die 
Schlusssilbe. Für diese auf alter Ueberheferung 
beruhende Verskunst bietet das Nibelungenlied ein 
Beispiel, dem die folgenden Strophen entnommen 
sind : 

(Akut ' bezeichnet im Folgenden die Haupthebung, 
Gravis ^ die Nebenhebung.) 

1 . D6 wu6hs in NiderlAnd^n, | eines riehen küneges 

kint, 
des vater d^r hie^ Sigemünt, | stn muöter Sigelint, 
in einer bürge riche | witen w61 bekdnt, 
niden bt dem Rin^ ; \ diu wAs ze Sdnt^n genant. 

2. Ich sage iu von dem ddgen^, | wie schodn6 der 

wart. 



.j^^ 



— 119 — 

Sin lip vor allen schänden | was vil \v61 bewart, 
stärk ünde noa^r^ | wart sit der küene man; 
hei ! wds er größer ßr^n | ze diser w6rld6 gewän. 

1. Da wuchs in Niederlanden eines reichen Königs 

Kind, 
des Vater der hiess Sigmund, seine Multer 

j Sigelind, 

in einer reichen Stadt weithin wohl bekannt, 
unten an dem Rhein, die wurde Xanten ge- 
nannt 

2. Ich sage euch von dem Recken, wie schön 

der wurde. 

Sein Leib war vor allem Hässlichen durchaus 

bewahrt. 

Stark und berühmt ward später der kühne Mann ; 

Ha ! wie grosse Ehre er auf dieser Welt gewann. 

Diese auf althochdeutscher Grundlage beruhen- Jüngere 
de Metrik wird seit dem Ende des 12. Jahrhunderts Metrik, 
durch den Einfluss der romanischen Verskunst aus 
der Kunstpoesie verdrängt. Die Dichter der klas- 
sischen Periode der mhd. Zeit wurden von ihr 
sämtlich mehr oder weniger beeinflusst, umsomehr 
als sie ihre Stoffe grösstenteils aus Frankreich er- 
hielten und daher naturgemäss auch durch die 
Form ihrer Vorlagen bestimmt wurden. Die Verse 
erhalten jetzt eine begrenzte Silbenzahl mit regel- 
mässig abwechselnder Hebung und Senkung; man 
vermeidet einsilbige Versfüsse, während die Ver- 
wendung dreisilbiger, d. h. solcher mit einer Hebung 
und zwei Senkungen nicht durchweg umgangen 
wird. Neben männlichem Ausgang des Verses, d. 
h. auf betonte Silbe^ findet sich nunmehr^ auch 
weiblicher Ausgang auf unbetonte Silbe. Den Auf- 



— I20 — 

takt, d. h. eine (oder zwei) unbetonte Silben, die 
der ersten Hebung des Verses vorausgehen, be- 
strebt man sich wegfallen zu lassen. Die guten 
Schriftsteller beginnen ihn einzuschränken. Man lese 
folgende Verse, die den Anfang von Hartmann von 
Aues Jwein bilden: 

Sw6r an rechte guete , 

W6ndet sin gemüete, 

Dem v61get sa61de und ^re. 

Des git gewisse 16re 

Künec Artus der güote. 

Wer. immer zu rechter Güte 

Wendet sein Gemüte, 

Dem folgt Glück und Ehre. 

Dafür gibt sichere Lehre 

König Artus der Gute. 

Die Fortsetzung der neuen Verstechnik bildet 
die kunstmässige Lyrik des 14. und 15. Jahrhun- 
derts. Die regelmässige Abwechslung von Hebung 
und Senkung ist durchgeführt; einsilbige Füsse 
kommen überhaupt nicht mehr vor ; dreisilbige wer- 
den durch Elision eines e zu zweisilbigen umge- 
staltet; der Auftakt aber wird regelmässig angewandt. 
Meister Heinrich Frauenlobs Verse sind derart ge- 
staltet, wie eine kleine Probe zeigt: 

Ir 6delen sü^en ^ vr6uwen''^ gut, 
tut nach der alten wirdikeit:*^ 
Swer nicht treif^ ritterlichen müt, 
den lät'^ ü« immer w6sen^ leit.^ 



* süssen. * Frauen. » Wörde. * trägt. * lasst. « euch. 
' sein. * verhasst. 



— IZI — 

E5 war ie^ guter vrouwen site, 
swer^^' ritterliche vüge ^^ träge, 
den grüjet '*- lieplich alle tige : 
so volget ü 6 vrou S61de ^^ mite. ^^ 

Von dem allmähligen Zerfall der sprachlichen Verfall der 
Form gegen Ende des Mittelalters bleibt auch die ^"^^' 
äussere Gestaltung der Dichtungen nicht unbe- i^etrik 
rührt. Man hielt zwar an den überlieferten Kunst- 
forraen fest, aber man gebrauchte weniger Sorg- 
falt bei ihrer Anwendung. Man konnte infolge der 
Veränderung der Aussprache das Versschema der 
klassischen Zeit nicht mehr richtig verwenden, und 
geschah dies doch, so ergab sich dadurch oft ein 
Widerstreit zwischen Wortton und Verstakt, wie z. 
B. in folgenden Versen aus dem jüngeren Hilde- 
brandslied (15. Jhd.): 

Do nun der alt HilprAnde (st. Hildebrande) 

durch den r6sen gärten ausreit (ausritt) 

ind (= in die) mArk des P6rners lande, 

kom 6r in gros arbeit: 

wol von dem jungen mit gewalde 

do würd er Angerdnt: 

„nun^sdg du mir, du alder, 

was suchst in disem länt?** 

Wir ersehen aus dieser Probe deutlich, wie 
Wollen und Können bei dem Dichter in Widerstreit 
geraten; neben ganz regelmässig gebauten Versen 
finden wir andere, die nach altertümlicher Weise 
zweisilbigen Auftakt oder gar dreisilbige Senkung 
haben; ausreit und arbeit sind dem Verstakt zu- 

• immer. *<* wer immer. ^* Fug = Benehmen. ^* grösset. 
»» GlQck. " mit. 



— 122 — 

liebe falsch betont. Allerdings nähert sich das 
jüngere Hildebrandslied, wenn auch von einem 
kunstmässigen Dichter aufgezeichnet, doch nach 
Inhalt und Stil sehr der Volksdichtung, die im 
Jüngere Gegensatz zur Kunstlyrik die alten Ueberliefe- 
volks- rungen der echt deutschen Verskunst bewahrt: die 
Dkhnlng ^^^^ ^^^ Hebungen bleibt massgebend, die Sen- 
kungen sind beliebig; auch die Ausfüllung eines 
ganzen Takts durch eine Silbe findet sich. Von 
diesem Brauch bewahrt das Volkslied bis heute 
noch viele Spuren. Man betrachte z. B. den An- 
fang des mhd. Volkslieds auf den sächsischen Prin- 
zenraub im Jahr 1455: 

Wir wollen ein Liedel heben an, 

Was sich hat angespunnen, 

Wies in dem Pleissnerland gar schlecht war 

bestallt, 
Als sein jungen Fürsten geschach gross Ge- 
walt 
Durch den Kunzenjvon Kaufungen .... 

Es dürfte äusserst schwer sein, diese für den 
Gesang bestimmten Verse in ein regelmässiges 
Schema zu bringen. Nicht einmal die Zahl [^der 
Hebungen ist in den einzelnen Versen dieselbe ; 
die Zahl der Senkungen ist ganz und gar willkür- 
lich. Eine grössere Regelmässigkeit zeigt der Auf- 
bau der Verse in dem etwas späteren Landsknechts- 
lied auf die Schlacht bei Pavia (1525): 

Was wöll wir aber h6ben an, 

Ein neues Lied zu singen 

Wohl von dem König aus Frankreich 

Mailand das wollt er zwingen .... 



— 123 — 

Auch neuere Volkslieder zeigen noch die alt- Heutiges 
ererbten Eigentümlichkeiten, die wir an den oben Volkslied, 
gegebenen Proben bemerken. Auf eine. Hebung 
kommen zwei oder gar drei Senkungen, und auch 
eine nebentonige Silbe kann als Hebung verwendet 
werden. So in dem wohlbekannten Volkslied :. 

O Strdssbürg, o Strassbürg! du wunderschöne 

Stddt! . 

Darinnen liegt begraben so mannig^r Soldat. 

So männig^r und schöner auch tapferer Sol- 
dat, 

Der Vater und lieb Mütter böslich verlassen 

hat. 

So hat sich neben der Kunstpoesie, die auf 
fremden Vorbildern aufgebaut wurde, bis zum heu- 
tigen Tage das alte deutsche Prinzip des Versbaus 
im Volke lebendig erhalten und beginnt in der 
neuesten Zeit wieder einen wohltätigen Einfiuss auf 
die in Schablone erstarrte Kunstlyrik auszuüben 
und sie mit neuen Formen zu bereichem. 

§ ^7- 
Französischer Einfluss auf das Mittelhoch- 
deutsche. 

In Frankreich hatte sich schon im elften Jahr- 
hundert die ritterliche Gesellschaft als besonderer 
Stand herausgebildet, der in seiner Lebensweise 
von dem Bürger- und Bauernstand weit abstand, 
sieh einen strenggeregelten Ehren- und Sitteiikodex 
und eine eigenartige Sprache geschaffen hatte. Zur 
Zeit der Kreuzzüge (erster Kreuzzug 1096 — 1099) 
sehen wir das Rittertum in seiner edelsten und 



124 



Rittertum 

in 
Deutsch- 
land. 



Franz. 
Fremd- 
wörter. 



höchsten Blüte, erfüllt von religiösen Idealen, ein 
Streiter für Recht und Treue, ein Beschützer der 
Schwachen und Bedrückten. Der Niederschlag die- 
ser Lebensauffassung findet sich in den zahlreichen 
französischen höfischen Epen der karolingischen, 
bretonischen und antiken Sagenkreise, die als Chan- 
sons de Geste bezeichnet werden. Vom Nieder- 
rhein aus, wo auch Heinrich von Veldeke (s. § 13, 
S. 91) zu Hause ist, verbreitet sich litterliches 
Wesen und ritterliche Lebensauffassung in Deutsch- 
land. Doch erst im 12. Jahrhundert bildet sich 
hier ein eigentlicher Ritterstand heraus, dessen 
glänzendste Zeit die Epoche der hohensiaufischen 
Kaiser (1138 — 1254) ist. Das Rittertum übernahm 
seine eigenartige Organisation von Frankreich her; 
dort ist auch die Quelle der höfischen Dichtungs- 
form zu sfuchen, von der in J^ 16, S. 119 f. die 
Rede war. 

Wie nun in der urgermaniSchen und althoch- 
deutschen Zeit das kulturelle Uebergewicht Roms 
einen gewaltigen Zufiuss lateinischen Sprachguts 
in die deutsche Sprache zur Folge hatte {^ 2, S. 14), 
so bewirkt nunmehr die Herübernahme ritterlicher 
Sitte ein Einströmen französischer Benennungen für 
die entlehnten Gegenstände und Anschauungen in 
die mhd. Sprache. Man kann die Zahl der fran- 
zösischen Fremdwörter in mhd. Zeit ebenso hoch 
wie die lateinischen Lehnwörter in ahd. Zeit schät- 
zen: auf über 5Ö0. In der Hauptsache sind es 
Ausdrücke des Ritter- und Minnewesens, daneben 
auch solche, die durch den Handel und Verkehr 
mit den westlichen Nachbarn nach Deutschland ge- 
kommen sind. Viele von ihnen sind längst wieder 
abgestossen worden, andere dagegen gehören bis 



— 125 — 

auf den heutigen Tag zum festen Bestand unseres 
Wortschatzes. 

Mhd. Entlehnungen, die heilte nicht mehr in 
der deutschen Sprache vorhanden sind : Substantive: 
ämis = frz. ami „Freund", ämie = amie „Freupdin**, 
auch mämie =r m'amie „meine Freundin**, ämür = 
amour „Liebe**, batschelier r= frz. bacheliex „junger 
Ritter**, bühurt = bouhourt „ritterliches Kampfspiel** 
(in Scharen), dämois^le =-- demoiselle „Fräulein**, 
garzün == gargon „Trossknecht**, joste = afrz. joste 
„Tumierkampf** (Einzelkampr, puzele = pucelle 
„Jungfrau**, reyne = reine „Königin**, schastel -- 
afrz. castel „Schloss**, tschoie = joie „Freude**, 
villän villain „Bauer** und Viele andere. Adjek- 
tive: beals == afrz. beau „schön", kurtois = cour- • 
tois „höflich**, scher ^^ eher „lieb** u. s. w. Lehn- ^^^ ^^'^^ 
Wörter, die noch heute im Gebrauch sind : Sub- ^ E^t-^^ 
stantive-: flventiure =^ frz. aventure -^ nhd. Abeittciier^ lehnungen. 
das volksetymologisch umgestaltet wurde mit An- 
lehnung an Abend und teuer; baniere =^ banni^re 
= Banner ; barün = baron ; cumpänte = conipagnie 
= Kompanie ; cunstabel = constable = Konstabe/ 
(Polizist, vgl. Konstablerwaclie in Frankfurt a. M.); 
capitäne = capitaine = Kapitän; palas = Palast \ ^ 
prince = Prinz ; sarjant =^ sergent ==:^ Sergeant; stan- 
dart = 6tendart ^1=^ Standarte ; visier = visiere = / 7- 
sier ; pris -=^ prix Preis y manier = mani^re und 
zahlreiche weitere. Adjektive: fin = fin = fein; 
blond, proper = propre = propper. Auch Zeit- 



* Das lat. palatium wurde dreimal ins Deutsche entlehnt: 
1. ins Ahd. als palinza = Pfalz) ins Mhd. als palas = nhd. 
Palast, ins Nhd. als Palais, beide aus dem Frz. Ebenso wurde 
das frz. banni^re zweimal entlehnt: mhd. als banner, nhd. Banner 
und aufs Neue in der Form Panier. 



— 126 — 

Wörter wurden entlehnt, teils mit der deutschen In- 
finitivendung, teils mit der aus dem Französischen 
und Deutschen zusammengesetzten Endung -ieren : 
vclen = faillir „fehlen"; birsen ^= afrz. bercer „mit 
dem Pfeil jagen" ^^ birsckeity pürscken ; kosten = - 
afrz. coster, coüter; pruoven ~ prouver == prüfen\ 
galoppieren; parelieren = frz. parier; tumieren; 
visieren u. s. w. Auch unser Ade, Adieu ist schon 
im Mhd. im Gebrauch. 

Lautliche Das Mittelhochdeutsche nahm in der Regel die 

^"' französischen Fremdwörter nicht sklavisch herüber, 

^^p^gj^^. sondern passte sie der deutschen Redeweise an, 

Wörter, wenn auch nicht in der weitgehenden Art, wie das 

Ahd. und Urgermanische mit den lateinischen Lehn- 

• Wörtern verfahren war. So wird der altfranzösische 

Doppellaut ai, der äi mit stärker hervortretendem 
a gesprochen wurde, zu a in palas = frz. palais ; 
in gleicher Weise wird afrz. frangois zu mhd. frant- 
z6is = Franzose (für älteres Frame y vgl. FranZ" 
mann) ; das frz. e vor einem s ^ Konsonant lässt das 
deutsche Lehnwort wegen seiner Tonlosigkeit ganz 
fallen : standart aus afrz. estandart =r Standard =r 
Standarte. 
Franz. Ausser den Fremdwörtern hat das Mhd. dem 

Endungen Französischen auch verschiedene Wortbildungsele- 

Deutschen. ^^^^^^ entlehnt, die bis auf den heutigen Tag frucht- 
bar geblieben sind. Die Infinitivendung -ieren, die 
wohl auf einer Verschmelzung der französischen In- 
finitivendung -ir mit der entsprechenden cieutschen 
Endung -en beruht, war im Mhd. in ungefähr 160 
Verben französischen Ursprungs vertreten, von den^n 
die meisten längst wieder untergegangen sind. In- 
des hängte man schon im Mhd. die fremdländische 
Endung an deutsche Stämme wie halbieren, stolzieren, 



— 127 — 

hofieren ; im Nhd. sind diese Zwitterbildungen ausser- 
ordentlich vermehrt worden : gastieren, buchstabieren^ 
liniieren, hausieren u. s. w., ganz abgesehen von 
Zeitwörtern fremden Ursprungs wie photographieren , 
telegraphieren, telephonieren u. a. An Hauptwörter 
tritt die Endung mhd. -ie, nhd. -ei : mhd. prophe- 
zie -- frz. prophdtie = Prophezeih-ung y massente 
= frz. maisnie „Hausgesinde'*, partie = frz. par- 
tie = Partei u. s. w. Diese Endung wird schon 
im Mhd. auf deutsche Stämme ausgedehnt, beson- 
ders auf die Tätigkeitswörter auf -aere (§ 9, S. 58), 
um eine Eigenschaft, Beschäftigung u. s.w. zu bezeich- 
nen : mhd. zegerie ,, Zaghaftigkeit", nhd. Bäckern, 
Fischerei, Schreinerei u. s. w. Dann wird das Suffix 
-ei auch an Plurale gehängt: Kinderei, 'Länderei ^ 
u. a. Endlich wird aus diesen Wörtern ein neues 
Suffix -erei abgezogen : Schelmerei, das auch an Zeit- 
wörter tritt: mhd. vrezzerie ^^ Fresserei^ rouberii:^ 
r^ Räuberei, Singerei, Schreierei u. s. w. Das Suf* 
fix -ei wird auch an Zeitwörter auf -ein angehängt : 
Bettelei, Heuchelei von betteht, heucheln. 

• Das Suffix -tat, mhd. teit ist ebenfalls franzö- 
sischen Ursprungs : mhd. magesteit = Majesiai, 
ist aber auch im Nhd. fast nur auf fremde Ent- 
lehnungen beschränkt geblieben : Universität, Locait- 
tät, Rarität u. s. w. Als scherzhafte deutsche Bil- 
dung wäre Schwulität (von schwül?) zu nenneiu 
Franz. Ursprungs mag auch das erst nhd. Suffix 
-lei in mancherlei, vielerlei u. s. w. sein ivgl. afrz. 
ley „Art und Weise"), das im Mhd. nur als selb- 
ständiges leie in maneger leie u. s. w. vorkommt. 
Es ist daher den im § 9, S. 63 f. besprochenen Sui- 
fixen gleichzustellen. 

Noch manche andere Suffixe waren in älterer 



— 128 — 

Zeit aus dem Französischen übernommen worden, 
die heute nur noch vereinzelt vorkommen : Lap- 
palie^ Schmieralie) Harfenist: Paukatit u. a. 
Im allgemeinen kann man sagen, dass der 
kulturelle Einfluss Frankreichs auf Deutschland im 
Mittelalter unstreitig bedeutend war, dass aber die 
sprachlichen Spuren dieses Einflusses heutzutage 
bis auf wenige Reste wieder aus der Sprache aus- 
gemerzt worden sind, ganz im Gegensatz zu den 
lateinischen Lehnwörtern der ältesten Zeit, deren 
grösster Teil dauernder Besitz unserer Sprache ge- 
worden ist. Der Unterschied erklärt sich leicht, 
wenn wir bedenken, dass der römische Einfluss 
eine tiefgehende Umgestaltung der Lebensverhält- 
nisse unseres Volkes bewirkte, der französische Ein- 
fluss dagegen nur die höheren Schichten berührte 
und mit dem Untergang der höfischen Gesellschaft 
wieder aufhörte. Ausserdem machten die lat. Lehn- 
worte der ältesten Zeit zwei umgestaltende Verän- 
derungen der Sprache, die Akzentzurückziehung 
und die Lautverschiebung mit, so dass ihr fremder 
Lautcharakter so gut wie ganz verwischt wijrde. 
In den mhd. Fremdwörtern aber wirkte meist das 
Schriftbild bestimmend für die Lautgegtaltung, so 
dass sie von der eigentlichen Volkssprache stets 
als Fremdlinge empfunden und, als sie keine Da- 
seinsberechtigung mehr hatten, ausgestossen wurden. 



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Kap. IV. 

Der neuhochdeutsche Zeitraum 

(von 1500 bis heute). 



§ 18. 

Uebergangszeit vom Mittelhochdeutschen ^um 
Neuhochdeutschen. 

Die Einheitlichkeit der Sprache, die wir bei den 
guten Schriftstellern des 12. und 13. Jahrhunderts 
bemerken, hält im 14. und 15. Jahrhundert nicht 
mehr vor. Dialektische Eigentümlichkeiten erlaubten 
sich zwar auch manche Schriftsteller der klassischen 
Zeit, aber nunmehr wird die Ausnahme zur Regel; 
kein Dichter und kein Prosaiker tut sich mehr irgend- 
welchen Zwang an, jeder bringt seine Mundart zur 
Geltung. Zur Zeit der Blüte der mhd. Literatur war 
in der Sprache Südostdeutschlands ein Mittelpunkt 
vorhanden, dem sich die Dichter möglichst zu nähern 
suchten, was ihnen um so eher gelang, als die Mund- 
arten Oberdeutschlands und selbst Mitteldeutschlands 
noch nicht so sehr weit auseinandergingen wie später. 
Das ändert sich gegen das Ende der mhd. Periode. 
Die oberdeutschen Mundarten, das Bairische und 
Alemannische, werden nunmehr durch eine tiefe Kluft 
geschieden, die sich durch die neue Entwicklung 

F 6 i ■ t , Die deutsche Sprache. o 



— I30 — 

Neue der langen Vokale t, ü, iu (— ü) in ersterem Dialekt 
Doppel- herausbildet. Deutliche Zeichen dieser Bewegung 
ei au eu. bemerken wir bereits im 1 2. Jahrhundert; gegen Ende 
desselben sind die neuen Doppellaute ei, ou, eu 
nicht selten neben den alten Lauten in bairisch- 
österreichischen Handschriften; ein Jahrhundertspäter 
haben die neuen Zeichen die alten beinahe ganz ver- 
drängt. Nun heisst es für wtp , fül , hiute — weib, 
foul „faul", heute. Von Südosten aus treten die 
neuen Laute ihren Siegeszug an : Böhmen, Schlesien, 
Ostfranken, Obersachsen, Rheinfranken beugen sich 
nach und nach der neuen Sitte; um 1500 hat sie 
das letztgenannte Gebiet sich erobert. Die anderen 
Dialekte, also besonders das Alemannische und Mittel- 
fränkische, bewahren die alten Längen, abgesehen 
von ihren Grenzgebieten gegen die benachbarten 
Mundarten, die den Wechsel vorgenommen haben. 
Das Mitteldeutsche hatte schon früh (§ 1 4, S. 107) 
die Doppellaute uo, ie und iu zu ü, t, ü zusammen- 
gezogen; nun kamen die neu entwickelten Doppel- 
laute ei, ou (wofür es gern ai und au schreibt, gleich- 
wie für die schon vorhandenen gleichen Laute) und 
eu hinzu. 

So hatten sich die beiden oberdeutschen Mund- 
arten in ihrer lautlichen Gestaltung weiter von ein- 
ander entfernt als zur Blütezeit der mhd. Literatur, 
und das Mitteldeutsche gar war sowohl vom bairi- 
schen wie besonders vom alemannischen Dialekt noch 
mehr abgerückt als zu Anfang der mhd. Periode. 
Die Schriftsteller, die aus diesen verschiedenen Ge- 
genden stammten, hatten wohl noch den guten Willen, 
aber nicht mehr die Kraft, sich von ihrer Mundart 
freizumachen; ja, einzelne gehen so weit, sich sogar 
das Recht zu wahren, ihren heimatlichen Dialekt zu 



ogar 
:t zu I 




— 131 — 

berücksichtigen, wie Hugo von Trimberg in seinem 
Renner (s. § 13, S. 92) es um das Jahr 1300 un- 
gefähr tut. 

Der verlorene sprachliche Mittelpunkt, den itu 
12. und 13. Jhd. die guten Schriftsteller abgaben, 
sollte aber von anderer Seite aus wiedergewonnen 
werden. Zwei Faktoren sind daran beteiligt: i. die 
Kanzleien der Kaiser und der hohen wie niederen 
Reichsstände, 2. die prosaische Sprache, die sicli 
durch die geschichtlichen, belletristischen und Er- 
bauungsschriften des isjhds., die natürlich für weitere 
Kreise als die Heimat der Verfasser bestimmt waren, 
herausgebildet hatte. , - 

Wir haben schon früher gesehen § 1 2, S. 84 ff,)i Die 
wie die deutsche Sprache allmählich die lateinische Kiiiidei- 
Sprache in den Urkunden zuei st der südwestdeutschen ^^^^'^^ '^" 
Städte, dann auch der kaiserlichen Kanzleien und^ 
in ihrem Siegeszug im Laufe des 14. Jahrhunderts 
rasch weiterschreitend, auch in den Urkunden der 
mitteldeutschen Städte und der Reichsfürsten ver- 
drängt. Um das Jahr 1350 sind die lateinischen 
Urkunden schon in der Minderheit: im Stadtreclit 
herrscht die. deutsche Sprache unbedingt; ebenso 
ist sie seit Ludwig dem Baiern (13 14 — 1347) die 
offizielle Urkundensprache der kaiserlichen Kanzlei. 
Unter Karl IV. (1346 1378) endlich beginnt infolge 
der erhöhten gesetzgeberischen Tätigkeit die Aus- 
bildung einer eignen deutschen Kanzleisprache. 

Die vornehmste und einflussreichste aller Kanz- 
leien war naturgemäss die kaiserliche Kanzlei, deren 
Sitz im 14. Jahrhundert meistens Prag war, wo <iic 
luxemburgischen Kaiser residierten. Die in Böhmen 
eingewanderten deutschen Ansiedler sprachen aber 
einen mitteldeutschen Dialekt; daher ist die Sprache 

9* 



— 132 — 

der kaiserlichen Kanzlei in der Regel auch mittel- 
deutsch. Bekanntlich aber wechselten die Kaiser 
im Mittelalter häufig den Sitz ihrer Hofhaltung, und 
die Folge davon ist, dass auch die Schreiber der 
Kanzleien wechseln und ihre Mundart in den Urkun- 
den oft zur Geltung bringen. Diese Wanderungen 
des kaiserlichen Hofhalts hatten indes den Vorteil, 
dass die Sprache der Kaiser und ihrer Erlasse weit- 
hin in deutschen Landen bekannt wurde durch den 
unbestreitbaren Einfluss, den die persönliche An- 
wesenheit des Herrschers auf die Gemüter ausübt, 
ganz abgesehen von der Verbreitung, die viele kaiser- 
liche für das Reich bestimmte Erlasse, wie die Land- 
frieden, ohnedies fanden. So kam es, dass aucü 
die Kanzleien der hohen Reichsfürsten sich bestrebten, 
ihre Sprache derjenigen der kaiserlichen Kanzlei 
möglichst anzupassen. Infolge der Nachbarschaft 
wurde die kursächsische Kanzlei am ersten beein- 
flusst, aber auch räumlich weiter abliegende Kanz- 
leien, wie die kurfürstli jhen von Mainz und Trier, 
.nahmen sich die kaiserliche Urkundensprache zum 
Muster. Selbst als die Kaiserwürde an die Habs- 
burger übergegangen (1438) und die Hofhaltung 
nach Oesterreich verlegt worden war, hielt man an 
der mitteldeutschen Kanzleisprache fest, in die aller- 
dings dialektische Eigenheiten der Gegend über- 
gingen, unter denen das obenerwähnte ei (au), ou, 
eu für bisheriges t, ü iu die wichtigste und ein- 
schneidendste Neuerung ist. 
Buch- Mit der Erfindung der Buchdruckerkunst um die 

drucker- Mitte des 15. Jahrhunderts wird das Interesse an einer 
allen Deutschen verständlichen Gemeinsprache be- 
deutend erhöht, da man anfing, neben den lateinischen 
auch deutsche Bücher zu drucken. Wenn auch der 



kunst. 



- ^33 - 

älteste bis jetzt bekannte Druck, das Fragment vom 
Weltgericht (vgl. Tafel VII), die rhein fränkische 
Mundart aufweist — es wurde in Mainz aufgefunden 
und diente als Rückblatt zum Einheften von Akten — 
so wurden doch weitaus die meisten Drucke der 
ersten Zeit aus lateinisch geschriebenen Werken 
hergestellt, und wurde einmal ein Werk in deutscher 
Sprache gedruckt, so verwandte man keine über den 
Mundarten stehende Sprache, wie die klassischen 
Dichter der ersten Blüteperiode unserer Literatur, 
sondern die Drucker blieben im allgemeinen noch 
an ihrer Mundart haften, obwohl sich Ansätze zu 
einem „gemeinen Deutsch** schon um diese Zeit 
finden. Die Kanzleisprache allein konnte dafür kaum 
die Grundlage bieten, da der in ihr vertretene Ge- 
dankenkreis beschränkt war und ihre Ausdrucks weise 
durch viele festgelegte Formeln beengt wurde. 

Daneben gab es noch eine andere Quelle, aus 
der eine den deutschen Stämmen gemeinsame Schrift- 
sprache gewonnen werden konnte. Das war der im 
14. und besonders im 15. Jahrhundert reich ent- 
wickelte Prosastil in den historischen Erzählungen 
oder den geistlichen Erbauungsschriften und Pre- 
digten. Auch deutsche Bibelübersetzungen gab es 
schon im 15. Jahrhundert. 

Demnach waren gegen Ende der mittelhoch- 
deutschen Periode alle Grundlagen vorhanden, um 
das Entstehen der von den Schriftstellern und 
Druckern jener Zeit ersehnten allgemein verständ- 
lichen deutschen Schriftsprache zu ermöglichen. 
Der Boden, auf dem sie erwachsen sollte, konnte 
nur das Mitteldeutsche sein , einmal weil es von Das 
allen deutschen Mundarten geographisch die wei- 
teste Ausdehnung hatte, von der französischen 



Mittel- 
deutsche. 



— 134 — 

Grenze über den Mittelrhein , die Weser und die 
Elbe zur Oder und zur Ostsee; dann weil es die" 
Mitte von Deutschland einnahm, zwischen den weit 
voneinander abstehenden oberdeutschen und nie- 
derdeutschen Mundarten, den ersteren sprachlich 
nahe genug, um von den Oberdeutschen verstanden 
zu werden, den letzteren räumlich benachbart und 
als Sprache der höheren Kultur zur Verständigung 
unentbehrlich. Dazu kam das Ansehen und das 
Uebergewicht , das dem Mitteldeutschen als der 
Sprache der kaiserlichen und der vornehmsten 
übrigen Kanzleien zuteil werden musste, wogegen 
die lokalen Bestrebungen der oberdeutschen Dia- 
lekte, die sich noch lange geltend machten , auf 
die Dauer nicht durchdringen konnten. So ge- 
braucht z. B. Murner, ein elsässischer Schriftsteller 
um 1500, neben altem i das neuere ei, obwohl in 
seiner Mundart bis heute die alten i und u-Laute 
(letztere zu ü umgelautet) herrschen. Einige Verse 
ausMurners »andechtig geistliche Badenfart« (15 14) 
mögen hierfür als Probe dienen; wir wählen die 
Stelle am Schlüsse des Werkes, wo der Dichter 
seine Heimatstadt Strassburg und ihr Münster preist: 
Wer do kumpt^ gen Strassburg gan^ 
Und sehent das zierlich münster an. 
Der spricht, das honf^ frum lüt* gethan 
Die solch kosten und arbeit 
Dir""' zuo lob hondt'^ angeleit,^ 
Dein schloss, dein huss, und dein palast, 
Das suocht man weit in allem landt, 
Wie schon ^ sie es dir erbuowen^ handt. '^ 



* kommt. * gegangen. ' haben. * fromme Leute. 
* d. h. der Jungfrau Maria. « angelegt. ' schön (Adv.). « er- 
baut. 



Die neuen ei-Laute finden wir in dein und weif, 
dagegen die alten u- und iu- Laute in hiss „Haus" 
. und lüt „Leute". Doch ist Murner immerhin nur 
ein vereinzeltes Beispiel zu seiner Zeit; damit der 
mitteldeutsche Sprachgebrauch siegreich auf allen 
Gebieten durchdringen konnte, musste eine überall 
anerkannte Autorität mit einer entscheidenden Tat 
kommen und die letzten hindernden Schranken 
niederreissen. 

§ 19- 

Die Entstehung der neuhochdeutschen 

Schriftsprache. 

Im vorhergehenden Abschnitt haben wir ge- 
sehen, dass zu Ende des. Mittelalters alle Vor- 
bedingungen gegeben waren, um das Entstehen 
einer einheitlichen Schriftsprache zu begünstigen, 
und dass die ersten Anläufe zur Verwirklichung 
dieses weitverbreiteten Bedürfnisses getan waren. 
Hätte man der Bewegung ihren freien Lauf gelassen, 
so wäre unzweifelhaft die deutsche Schriftsprache 
auf ihrem Boden erwachsen. Schon hatte auch die 
Druckerkunst begonnen deutsche Bücher herzu- 
stellen: 1461 erscheint das erste deutsche Buch 
in Bamberg; im Jahre 15 18 ist die Zahl der deut- 
schen Bücher aber nur auf 150 gestiegen; also nach 
mehr als einem halben Jahrhundert, gegenüber der 
rasch anwachsenden Zahl der Druckereien und ihren 
vielen lateinischen Druckwerken, eine verschwindende 
Minderheit. Das kam daher, dass die katholische 
Kirche hemmend in die deutschsprachliche Be- 
wegung eingegriffen' hatte. Im Jahre i486 erliess 
Erzbischof Berthold von Mainz, allerdings nicht aus 



- 136 - 

Feindschaft gegen die deutsche Sprache, ein Ver- 
bot gegen den Druck deutscher Bibelübersetzungen; 
aber wie wirksam es war, beweist der Umstand, 
dass zwischen i486 und 1522 weniger deutsche 
Bibelausgaben erschienen als in der weit kürzeren 
Zeit von 1461 bis i486. So hatten geistliche Be- 
denken und Vorurteile die stetige Entwicklung des 
deutschen Schriftwesens unterbunden, und vielleicht 
hätte diese Fessel unserer Sprache lange Jahrzehnte 
angehaftet, wenn nicht auf kirchlichem Gebiete die 
bedeutsame Neuerung, die wir die Reformation 
nennen, auch diese Schranke beseitigt hätte. 

Martin Sobald Martin Luther mit dem katholischen 

Luther. Glauben gebrochen hatte, war ihm sein Weg un- 
fehlbar vorgezeichnet: statt auf den Papst und die 
römisch gesinnte Geistlichkeit musste er sich auf 
das deutsche Volk und die deutschen Fürsten 
stützen. Das deutsche Volk konnte er aber nur 
dann für sich und den neuen Glauben gewinnen, 
wenn er ihm verständlich war und den Gottesdienst 
in seiner Sprache, statt wie bisher grossenteils in 
lateinischer Sprache hielt. Zwar hatten die Geist- 
lichen schon vor ihm und von jeher deutsch ge- 
predigt, aber nun wird auch das Kirchenlied und 
die Messe deutsch. Luthers grösste Tat indes war 

Luthers seine Bibelübersetzung. Auch hierin hatte er ja, 
Bibelübcr- wie schon erwähnt, Vorgänger, die freilich infolge 

Setzung, ^gj. kirchlichen Verbote gegen deutsche Bibelüber- 
setzungen zu keiner rechten Bedeutung gelangen 
konnten. Nunmehr war das Hemmnis beseitigt, und 
Luthers Bibelübersetzung, die er 152 1 auf der 
Wartburg begonnen und erstmalig im Jahre 1534 
vollendet hatte, trat ihren Siegeslauf in die deut- 
schen Lande an. Darin unterschied sie sich von 



— 137 — 

ihren Vorgängerinnen, dass sie sich auf den he- 
bräischen und griechischen Urtext stützte und nicht 
deren lateinische Uebersetzung , die sog. Vulgata, 
zur Vorlage nahm. Da die älteren Bibelüberset- ' 

Zungen ^veniger ins Volk gedrungen waren als die 
Luthersche, so hat ihre Sprache auch keinen Ein- 
fluss auf die Gestaltung der nhd. Schriftsprache 
ausgeübt. 

Wie ist nun Luthers Sprache geworden? Luther Vorbilder 
selbst erkennt die Autorität der kaiserlichen Kanzlei för 
unter Maximilian in sprachlichen Dingen an. Be- Luthers 
kanntlich war dieser Kaiser, wie kein anderer seit ^^^ 
Karl dem Grossen und kein späterer, ein l^örderer 
der deutschen Sprache und Dichtung, ja selbst 
Schriftsteller. Er Hess eine Sammlung der alten 
deutschen Heldenlieder veranstalten — die Gudrun- 
sage ist allein auf diese Weise erhalten geblieben 
— und schrieb zwei selbständige Werke, den Teuer- 
dank und den Weiss-Kunig. Jenes ist ein allego- 
rischer Roman aus seinem eignen Leben, dieses ein 
Geschichtswerk über die Zeit seines Vaters und seine 
. eigne Regierung. Ebenso Hess er zahlreiche 
deutsche Uebersetzungen klassischer lateinischer 
Schriftsteller veranstalten, von Cäsar, Livius, Vergil 
u. s. w. Ja, er beauftragte sogar seine Hofbeamten 
und Kanzlisten, sich die Regelung der deutschen 
Sprache angelegen sein zu lassen und eine deutsche 
Grammatik auszuarbeiten. Es leuchtet ein, dass 
ein solcher Fürst grossen Einfluss auf die Gestal- 
tung der deutschen Sprache ausüben musste; seine 
Kanzlei war das Vorbild der sächsischen Kanzlei, 
deren Sprache sich Luther zum Muster nahm. Um 
eine Vorstellung von dem Aussehen der Kanzlei- 
sprache zu Begfinn des i6. Jahrhunderts zu ermög- 



_ ,38 - 

liehen, folgt hier auszugsweise die Einladung zu 
dem berühmten Reichstage zu ^orms (1521), wo- 
hin auch Luther zur Verantwortung geladen wurde. 
Sie lautet: 

Wir Karl der fünft von gots gnaden erweiter 
Romischer keisir, zu allen zeiten merer des reichs 
etc., in Germanien, zu Hispani, beider Sicilien und 
Jherusalem etc. kunig, ertzherzog zu Osterreich etc. 

Ersamen lieben getreuen, uns zweifelt nit, ir 
tragt in guter gedechtnuss ^ das wir auf den letzten 
tag des monets octobris des vergangen neunzehen- 
den jars allen unsern und des heiligen reichs chur- 
fursten, JFursten und stenden'^ schriftlichen angezaigt, 
das wir uns aus unsern Hispanischen kunigreichen 
in das heilige reiche Deutscher nation zu unser 
kuniglichen cronung furdern^ und ^Isdann weiter 
in das heilige reiche ziehen, ainen reichstag halten 
in unser und des heiligen Reichs stat Wurmbs 



Solchs verkünden wir euch ernstlich bevelhenf*, 
das ir auf solchen reichstag eur potschaft mit vol- 
mechtigen gwalt^ .... sendet 

Geben ^ in unser und des heiligen reichs stat 
Coln, am ersten tag des monets novembris nach 
Christi geburd im jar tausend fünfhundert und im 
zwainzigsten. 

Die neuen Vokale ei, au, eu sind durchgeführt: 
reich (e) , aus, getreuen u. s.w.; daneben in ober- 
deutscher Schreibung ai für ei: angezaigt, ainen. 
Oberdeutsch ist auch anlautendes p in potschaft 
= Botschaft, der Ausfall des e in gwalt = Gewalt 

» Oberdeutsch = Gedächtnis. « Ständen. » (vgl. be-för- 
dem) begeben. * befehlend. * bevollmächtigten Botschafter. 
• Gegeben. 



^H.lig'^"". 



— '39 



und die vielfach unterlassene Bezeichnung des Um- 
lauts: kunig, fursten, cronung vc. s. w. Aber im all- 
gemeinen ist der Lautbestand und der Wortschatz 
derjenige der andern grossen Kanzleien. 

Die Kanzleisprache also, von d6r uns die mit- 
geteilte Urkunde eine Probe gibt, war das Muster, 
nach dem Luther sich seine Sprache schuf. Seine 
eigene Aeusserung darüber in seinen Tischreden 
lautet: ,,/c/i habe keine gewisse sonderliche eigne 
Sprache im Deutschen, sondern brauche der gemeinen 
deutschen Sprache, das mich beide. Ober- und Nieder- 
länder (d. h. Ober- und Niederdeutsche) verstehen 
mögen. Ich rede nach der Sächsischen Cantzelei, 
welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutsch- 
land. Alle Reichstette (= Städte), Fürstenhöfe schrei- 
ben nach der sächsischen und unser s Fürsten Cantzelei, 
darumb ists auch die gemeinste deutsche Sprache. 
Keiser Maximilian und Kurfürst Friedrich, Herzog zu 
Sachsen, haben im römischen Reich die deutschen 
Sprachen also in eine gewisse Sprache gezogen.'^ 

Demnach war Luther, auch nach seinem eignen Luthers 
Geständnis, nicht der Schöpfer, wohl aber der Be- Sprach- 
gründer der neuhochdeutschen Schriftsprache. Er herrschung 
war wie kaum ein anderer dieser Aufgabe gewachsen. 
Vielgewandert in Deutschlands Gauen, war er dem 
Bann seiner eignen Mundart soweit entrückt, dass 
er wusste, was ihr eigentümlich und was ihr mit 
andern deutschen Mundarten gemeinsam war. Aus 
dem Bauernstand hervorgegangen, aber zum Geist- 
lichen erzogen, Prediger und Universitätsprofessor, 
beherrschte er die Sprache des niederen Volks und 
der höheren Kreise in gleichem Masse. Der reiche 
Schatz der deutschen Sprache an treffenden Redens- 
arten, Sprichwörtern und Liedern war ihm seit seiner 



— 140 — 

Kindheit vertraut. Daher hat Luther nicht gedan- 
kenlos die Sprache der sächsischen Kanzlei einfach 
für seine Zwecke übernommen — wofür sie auch 
gar nicht ausgereicht hätte — , sondern er geht 
zielbewusst bei der Schöpfung der Sprache vor. 
Er selbst bemerkt Folgendes darüber: ,,Man mus 
nicht die buchstaben in der lateinischen Sprache fragen ^ 
wie man sol deutsch reden y sondern man mus die 
muter im Hause, die Kinder auff der Gassen , den 
gemeinen Mann auff dem markt drumb fragen, und 
dens eibigen auff das Maul sehen, wie sie reden/^ 

Auch als Luther eine feste Form für seine 
Sprache gewonnen hatte, gibt er sich mit dem Er- 
reichten nicht zufrieden ; immer und immer wieder 
legt er die bessernde Hand an den sprachlichen . 
Ausdruck an; oft fragt er des Hebräischen kundige 
Freunde um Rat über die Uebersetzung einer be- 
sonders schwierigen Stelle der Bibel und bemüht 
sich lange, den richtigen deutschen Ausdruck da- 
Luthers für zu finden. . Während er in der ersten Ausgabe 
Recht- seiner Bibelübersetzung viele mitteldeutsche Eigen- 
schreibung tümlichkeiten verwendet wie vorgeben für vergehen, 
i in Endungen statt e: Gottls für GotteSy einis für 
eines, abir für aber, gewest für gewesen, die umge- 
lauteten Formen Heupt, gleuben für Haupt, glauben, 
keufen für kaufen, hat er in den späteren Ausgaben 
die heutenoch gebräuchlichenhochdeutschen Formen 
dafür eingesetzt. Luther erlebte von seiner Bibel- 
ausgabe zehn Originalauflagen. Ebenso bemühte 
sich Luther auch, seine Schreibung fortwährend zu 
verbessern und konsequenter zu gestalten. Zwar 
haben die Drucker seine Orthographie wenig ge- 
achtet, worüber er selbst öfter Klage führt, aber 
es stehen uns genügend handschriftliche Originale 



- i4r — 

Luthers zur Verfügung, um den Fortschritt in seiner 
Schreibweise zu erkennen. In jüngeren Jahren 
schreibt er oft zc im Anlaut, cz im Auslaut für ein- ^ 
faches z bezw. tz (im Auslaut), wirft s und sz zu- 
sammen; später trennt er altes s von dem aus mhd. 
5 entstandenen sz, das er auch ss, ssz schreibt. 
Er ist ein Feind jedes unnötgen Ballasts in der 
Orthographie: das Dehnungs-e wird nur bei ie an- 
gewandt, die Konsonantenverdopplung auf ck, ff 
und etymologisch berechtigte Fälle beschränkt. Da- 
durch unterschied sich Luthers Schreibweise vor- 
teilhaft von derjenigen der Kanzleien und der 
Drucker, in der die genannten Uebelstände noch 
lange fortdauern (vergl. § 27). Neben der Bibel- 
übersetzung übten auch Luthers kleine Prosa- 
schriften, seine ßibelauslegungen und Vorreden, 
Katechismen und Predigten, Sendschreiben und 
Streitschriften mannigfaltiger Art wie auch seine 
Kirchenlieder grossen Einfluss auf die Gestaltung 
unserer neuhochdeutschen Schriftsprache. Natür- 
lich darf man sich nicht vorstellen, dass Luthers 
Sprache der heutigen ganz geglichen hätte; im 
-Gegenteil. Vieles mutet uns bei ihm noch ganz 
mittelhochdeutsch an, wenn auch, wie oben gesagt, 
zwischen seiner ersten und letzten Bibelausgabe ein 
wesentlicher Fortschritt zu bemerken ist. Zur Ver- 
anschaulichung wollen wir eine Stelle aus der Berg- 
predigt (Ev. Matth. Kap. VII) nach Luthers Bibel- 
übersetzung, Wittenberg, 1543 hier wiedergeben. 
Sie lautet: 

Richtet nicht, auff das ir nicht gerichtet werdet. Sprach- 
Denn mit welcherlei Gerichte ir richtet , werdet ir probe aus 
gerichtet werden, 7ind mit welcherlei Mas ir messet, ^\\^^\ 
wird euch gemessen werden. Was sihestu aber den 



— 142 — 

Splitter in deines Bruders äuge und wirst nicht ge- 
war desBalcken in deinem äuge } Oder wie thavstu ^ 
sagen zu deinem Bruder^ Halt, ich wil dir den 
Splitter aus deinein Auge ziehen, und sihe, ein Balcke 
ist in deinem Auge. du Heuchler, ^eiich^ am 
ersten den Balcken aus deinem äuge, darnach besihcy 
wie du den Splitter aus deines Bruders äuge ziehest. 

Veraltete Eine Wittenberger Ausgabe vom Jahre 1582 

Wörter bei zeigt schon neuere Formen: Gericht für obersäch- 
Luther. gisches Gerichte, darffst du für tharstu ; natürlich 
hat Luther selbst damit nichts mehr zu tun, da er 
1546 gestorben ist. Seine Sprache enthält noch 
zahlreiche Wörter oder Wortformen, die seitdem 
ausser Gebrauch gekommen sind wie afterreden ^=- 
nachreden, Anbiss = Frühstück, bloizling == plötz- 
lich, brachtig = prächtig. Darb = Notdurft, durs- 
tig = kühn, I^ahr = Gefahr, Kretzmem (slav. Ur- 
sprungs) = Kramerei, rüchtig = namhaft, Schnur 
= Schwiegertochter, Schoss = Steuer, verstorzt = 
verirrt, urbittig = erbietig, JVat = Kleid, und 
zahlreiche andere. Noch konjugiert Luther nach 
mittelhochdeutscher Weise steig, treib, schrei, bleib 
für gleichzeitiges oberdeutsches und neuhoch- 
deutsches stieg, trieb, schrie, blieb ; im Plural wir 
schwunden, funden, hülfen. Für nhd. Umlauts -ä 
gebraucht er noch mhd. e in Hende, teglich, Veter\ 
für nhd. ö noch mhd. e in Helle, Leffel, zzvelf, 
le sehen] ie steht für ü in liegen, tr legen u. a. Häufig 
findet sich der Umlaut, wo die nhd. Schriftsprache 
ihn nach oberdeutscher Weise meidet, besonders 



* = mhd. tarst du „wagst du" vgl. § 15, S. I15. * 
mhd. ziuh ^zieh". 




- 143 - — 

in früheren Schriften, so in Heupt, erleuben, gleuben f 
für Haupiy ertauben^ glauben. 

Auf der beigegebenen Tafel VIII finden wir eine 
(allerdings stark verkleinerte) Probe von Luthers 
Handschrift aus dem Jahre 1542. Was den Inhalt '? 

dieses Gedenkblatts betrifft, so vergleiche man den . 

Anhang am Schlüsse des Werkchens. ' 

Es kann keinerlei Zweifel obwalten, dass nur 
Luthers Sprache und nicht die der katholischen ' \ 

Bibelübersetzer für die Gestaltung der nhd. Schrift- 
sprache massgebend war. Ein Vergleich der oben 
abgedruckten Stelle aus der Bergpredigt mit der 
gleichen Stelle der Bibelübersetzung des bekannten 
Gegners Luthers, Johannes Eck, gedruckt zu Ingol- 
stadt 1537, wird dies zeigen: 

Ir sollt fiit richten, so werdet ihr auch nit ge- Sprach- 
richtet, Ihr sollt nit verdamen, so wer dt ihr auch ?^?^^^y^ 
Tlit verdamty dan mit welcherlai urtail ihr richtet, BibeKjber- 
werl ihr gerichtet werden; und mit wasevlai mass setzung. 
ir mässty würdt auch euch gemässen werden. Was 
sihest du aifl agen (ahd. agana, got. ahana 
„Spreu") in deins Bruders aug; oder wie thavst 
du sagen zu deinem b rüder, Halt, ich will dir die 
agen auss den äugen ziehen, und sihe aill balck 
ist in deinem aug. du GleiSßneV^ ^euch am 
ersten den balcken auss deinem aug, darnach besihe, 
wie du die agen auss deines brüders aug bringest. 

Wir finden die oberdeutschen Wortformen nit 
für nicht, agen für Splitter, brüder für Bruder, 
Gleissner für Heuchler) den Doppelvokal al für el ; 
den Abfall des e in Endungen: werdt = werdet, 
deins = deines u. s. w. Alle diese oberdeutschen 
Eigentümlichkeiten sind nicht in die nhd. Schrift- 
sprache übergegangen. 



— . 144 — 

Fremd- Auch nach einer anderen Seite hin ist Luthers 

Wörter bei gii^gi^j^^j-g^^^ung der Eck'schen voraus, nämlich in 
ihrer Stellung zu den Fremdwörtern, deren massen- 
weises Eindringen in die deutsche Sprache um diese 
Zeit beginnt (vgl. § 21). Während Eck. zahlreiche 
Fremdwörter verwendet wie Fundament^ Orient y Gloriy 
Ampely Regent, phrophetisiren u. s. w., setzt Luther 
nach Möglichkeit deutsche Ausdrücke : Grund, 
Morgen, Herrlichkeit, Fackel, Herr, weissagen dafür, 
obwohl er sich im allgemeinen, dem Zuge der Zeit 
folgend, nicht ablehnend gegen die fremden Ein- 
dringlinge verhält. In den späteren Bibelausgaben 
gebraucht, er benedeien für segnen, Firmame^tt für 
Himmel, Majestät, Exempel, Artikel, Kapitel, dispu- 
tiren, fantasiren u. a. ; gleichwohl ist sein Fremd- 
wörterbestand nicht sehr umfänglich. Auch in dieser 
Hinsicht hätte Luther vorbildlich für die weitere 
Entwicklung der nhd. Schriftsprache sein können. 
Leider aber geriet sie bald nach seinem Tode unter 
den übermächtigen Einfluss der humanistischen Ge- 
lehrsamkeit, wovon wir in § 2i noch sprechen 
werden. 

§ 20. 
Die Ausbreitung der neuhochdeutschen Schrift- 
sprache im 16. und 17. Jahrhundert. 

Während im Mittelalter das Lateinische eine 
beherrschende Stellung gegenüber der Volkssprache 
einnahm, von der sich diese nach und nach zu be- 
freien suchte, bezeichnet der Beginn der Neuzeit 
ein mächtiges Emporblühen der deutschen Sprache. 
Einen nicht geringen Anteil daran hatte die 
Reformation, welche das Deutsche zur Kirchen- 



^45 



spräche erhob, und besonders Luther, der bei 
vielen Gelegenheiten unsere Muttersprache — dieses 
Wort begegnet zum erstenmal um die Mitte des 
i6. Jahrhunderts — über das Lateinische erhob und 
ihre Vorzüge pries. Die Folgen machten sich bald 
bemerkbar. Im Jahre 1518 wurden etwa 150 deutsche 
Bücher gedruckt, 15 19 aber schon 260, 1520 so- 
gar 570 und so geht es in rascher Steigerung auf- 
wärts bis zum Jahr 1524, wo fast 1000 deutsche 
Bücher gedruckt wurdei\, von den Flugschriften, die 
zu Hunderten im Lande umhergingen, gar nicht zu 
reden. Allerdings sind erst gegen das Ende des 
17. Jahrhunderts die deutschen Bücher in der Ueber- 
zahl gegenüber den lateinischen. Noch Luthers 
Zeitgenossen konnten die deutsche Sprache als 
barbarisch bezeichnen; um die Mitte desselben 
Jahrhunderts aber kommt die stolze Benennung der 
deutschen „Haupt- und Heldensprache" auf, die ihr 
zwei Jahrhunderte lang Verbleiben sollte. Damit 
unsere Muttersprache diesen Rang einnehmen konnte, 
musste sie glejcli dem Lateinischen ein festeres Ge- 
füge, eine strengere Noym erhalten, als sie bisher 
gehabt hatte. Luther hat mit der- Verwahrlosung 
der sprachliehen Form des Deutschen aufgeräumt; 
er gab dem deutschen Volke eine mustergültige 
Sprache in . seiner Bibelübersetzung. Bei seiner 
Leichenfeier hebt ein Redner als sein besonderes 
Verdienst hervor : „Es haben auch die Kanzleien 
zum Teil von ihm gelernt recht deutsch schreiben 
und reden; denn er hat die deutsche Sprache wieder 
recht herfür gebracht." 

Luthers sprachlicher Einfluss macht sich natur- 
geraäss zuerst in Mitteldeutschland geltend: Fabian 
Frangkhatimjahre 1 53 1 ein Büchlein „Orthographia" 

Feist, Die deutsche Sprache. lO 




Zunehm^iSir 

der Qe^^' 
brauch der ; 
deutschen 

Sprache. ; 



Luthers 

Einfluss 

auf die 

Regelung 

der 
deutschen 
Sprache. 



Fabian 
Frangk 



- .46 - 

herausgegeben, worin er Muster für diejenigen auf- 
stellt, die „rechtförmig deutsch schreiben oder 
reden" wollen ; unter diesen Mustern seien ihm „des 
teuem, hochloblicher gedechtnis, Keiser Maximi- 
lianus Cantzley, und dieser Zeit D. Martini Luthers 
schreiben zuhanden komen". Auch hat er schon 
eine ganz richtige Ansicht von der Schriftsprache: 
sie fallt mit keiner Mundart zusammen, sondern sie 
muss über allen Mundarten stehen. Am Ende des 
i6. Jahrhunderts (1578) erscheint die deutsche 
CUJUS. Grammatik des Clajus , die ebenfalls Luthers 
Sprachgebrauch als Norm aufstellt. Sie beherrscht 
den deutschen Sprachunterricht fast ein und ein 
halbes Jahrhundert lang — die letzte, 11. Auflage 
erschien 1720 — und tat sehr viel für die Aus- 
breitung von Luthers Sprache während des 17. 
Jahrhunderts. 
Widerstand Freilich ging das Vordringen der neu ge- 

gegen die gründeten Schriftsprache nicht überall so glatt vor 
Schrift- si^^* I^ Süddeutschland und Besonders in der 
spräche in politisch vom Reich getrennten Schweiz wird ihr 
Süd- ernsthafter und langandauernder Widerstand ent- 
deutsch- gegen gesetzt. Ja, als in Basel ein Abdruck des neuen 
Testaments von Luther veranstaltet wird, sieht sich 
der Drucker veranlasst, die „ausländischen" Wörter 
Luthers in einem besonderen Verzeichnis ins Basler 
Deutsch zu übersetzen. Ein anderes Verfahren, die 
Nachdrucke Lutherscher Schriften den Angehörigen 
der betreifenden Mundart verständlich zu machen, 
bestand darin. Formen und Worte Luthers durch 
die entsprechenden der Mundart einfach zu er- 
setzen. So wenig Achtung hatte man in jener Zeit 
vor dem sprachlichen Ausdruck des Schriftstellers! 
Natürlich kamen solche Aenderungen oft auch un- 



147 — 



'mm 



mh 



beabsichtigt und gegen den Willen der Verleger 
durch die Setzer in den Text hinein, da diese " 
meist nur ihre Mundart beherrschten. Am störend- 
sten macht sich dieser Umstand in der Schweiz be- 
merkbar, deren Dialekte noch im i6. Jahrhundert 
uralte Formen bewahrt hatten : zwanzigost ■=-. 20te, AlleJ?^?öir 

einvaltigrost = einfaltigste, entledigoi = entledigt, ^on"% I 
^ " A ^4. ^ 1- T ^ Schweit6r^ 

wurdy = wurde, gut = gut, liggen = hegen, deutsÄ, 

seipfe = Seife, werchen = wirken und derartiges 
mehr, ganz abgesehen davon, dass die Schweiz 
die alten Längen T, 0, fi besass. Aus diesem 
Grunde wird der Anschluss der Schweiz an die 
neuhochdeutsche Schriftsprache erschwert; sie 
musste ihren Bewohnern als etwas Fremdartiges er- 
scheinen. Indes fehlte es auch in der Schweiz im 
1 6. Jahrhundert nicht an Druckwerken, die sich der 
hochdeutschen Lautgebung anschliessen, aber sie 
fanden zunächst wehig Anklang. Schliesst man sich 
auch seit dem Ende des 1 6. Jahrhunderts in Zürich 
äusserlich dem neuen Sprachgebrauch an, so bleibt 
doch der Wortschatz, die Stammbildung und die 
Syntax ganz der alten Eigenart getreu. Ja, man 
stützt die Erhaltung der Mundart noch durch die 
Abfassung spezieller Grammatiken für dieselbe. 
Erst um i6oo beginnen die Basler und Schaffhauser 
Kanzleien die modernen ei, au, eu einzuführen; es 
dauert bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts, 
ehe sich die Züricher Kanzlei dazu entschliesst ; 
im Jahre 1660 wird in Zürich beschlossen, die 
Bibelausgabe in hochdeutscher Sprache zu ver- 
anstalten. 

Ganz anders wie die Schweiz verhält sich Nieder- 
Niederdeutschland. Bis auf Luther herrschte hier ^^"^sch- 
in den Drucken das Niederdeutsche j das freilich 

10* 



— 148 — 

nie ganz rein von hochdeutschen Beimengungen 
blieb. Auch Luthers neues Testament wird viel- 
fach ins Niederdeutsche übersetzt, aber mit ver- 
einzelten Ausnahmen nicht mehr im 17. Jahrhundert. 
Das beweist, dass schon längst vorher das Hoch- 
deutsche seinen Einzug als Sprache der Literatur 
und der Gebildeten gehalten, haben muss. Es ist 
dies leicht erklärlich. Luther , war selbst als 
Niederdeutscher geboren und lebte in Wittenberg, 
das damals noch durchaus niederdeutsch war. 
Zudem hatte Luther seine meisten Freunde und 
Anhänger in Niederdeutchland. So kommt es, dass 
die neue Lehre hier am schnellsten Fuss fasst, und 
mit ihr dringt die Sprache des Reformators vor. 
Auch auf der Kanzel herrscht seit dem Beginn des 
17. Jahrhunderts das Hochdeutsche. Die Kanzleien 
gar konnten sich der Uebermacht der offiziellen Ur- 
kundensprache des Kaisers und der hohen Reichs- 
fürsten noch weniger erwehren, und so verschwindet 
der heimatliche Dialekt um dieselbe Zeit vollständig 
aus ihnen, nachdem die bedeutenderen schon seit 
der Mitte des 16. Jahrhunderts mit ihm gebrochen 
hatten. Allerdings fehlt es auf niederdeutschem 
Boden auch nicht an vereinzeltem Widerspruch, aber 
er verhallt ohne Erfolg. 

Sprachliche Man darf also behaupten, dass das 16. 

^J^^^"^^^' Jahrhundert im grössten Teile Deutschlands sprach- 
Schrift- ^^^^ ^^^ Luther abhängig war, um so mehr als ja 

steller von fast dreiviertel der literarischen Produktion theolo- 
Luther. gischen oder religiös-sittlichen Inhalts war. Einzelne 
weltliche Schriftsteller von besonderer Eigenart, 
wie der Strassburger Johann Fischart, der Verfasser 
des satirischen Romans Gargantua, wahren sich 
grössere Selbständigkeit im Gebrauch ihrer Mund- 



— f49 — 

art, die andere wieder vermeiden wollen, ol;ine es 
ganz zu können, wie der bekannte Nürnberger 
„Schuh-macher und Poet dazu", Hans Sachs. Aber 
wo sich auch .Widerstand gegen die neu ent- 
standene deutsche Schriftsprache zeigt, ist er ent- 
weder nur vereinzelt oder, wenn er von einer grösseren 
Gemeinsamkeit, wie in der Schweiz, gestützt wird, 
muss er doch allmählich versiegen unter der 
zwingenden Notwendigkeit des Anschlusses an das 
sprachliche Vorbild des eigentlichen Deutschlands. 
Allein die Niederlande haben sich nicht nur politisch 
(1648), sondern auch sprachlich von Deutschland 
losgerissen, was immerhin ein Verlust ist, wenn 
wir ihn auch mit Rücksicht auf das sonst überall 
siegreiche Vordringen der neuhochdeutschen Schrift- 
sprache verwinden können. Schon 1493 erscheint 
das Wort „Hochdeutsch", doch seit Luthers Auf- 
treten erst ist dem Wort die Tat gefolgt: die er- 
sehnte ,, hochdeutsche" Sprache, ein gemeinsames 
Verständigungsmittel aller deutschen Stämme, ist 
durch ihn eine Tatsache geworden. 

Wenn aber auch das Werkzeug geschaffen war, Verwen- 
so wurde es deshalb doch noch nicht allgemein da ^""S ^«'" 
gebraucht, wo es hätte Verwendung finden können, gchrift- 
Ganze Gebiete der Wissenschaft und Lehrtätigkeit spräche, 
blieben der deutschen Spraclie zunächst nahe- 
zu verschlossen. In demselben 1 6. Jahrhundert, in 
dem die neuhochdeutsche Sprache ihre Ausbildung 
erfuhr und sich rasch über weite Gebiete Deutsch- 
land verbreitete, eriitt sie eine bedeutende Ein- 
schränkung durch das Aufkommen des Humanis- 
mus, d. h. des Studiums der klassischen Sprachen 
(vgl. § 21). Die ganze wissenschaftliche litera- 
rische Tätigkeit wird in lateinischer Sprache aus- 



— ^5o — 

geübt. Während zu Beginn der Reformation ein 
rascher Aufschwung in der Zahl der gedruckten 
deutschen Bücher stattfindet, tritt bald ein Still- 
stand ein; noch 1570 sind jo^/Q.der in Deutsch- 
land gedruckten Bücher in lateinischer Sprache ab- 
gefasst. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts 
sind die deutschen Bücher in der Ueberzahl, und 
wieder braucht es ganze hundert Jahre, bis das 
Lateinische am Ende des 18. Jahrhunderts auch 
aus der gelehrten Schriftstellerei verschwindet, so- 
weit sie für deutsche Leser bestimmt ist ; in Werken, 
die dem internationalen Gebrauch dienen _ sollen, 
wird es bekanntlich heute noch verwandt. Einer 
der ersten Gelehrten, der für die Pflege der Mutter- Äj 
Sprache an der Schule und Universität an Stelle^ 
des alleinherrschenden Lateins eintrat, war der 
Pädagoge Raske zu Anfang des 17. Jahrhunderts. 
Er verlangt, dass der Unterricht im Deutschen die 
Grundlage alles Sprachunterrichts bilden und dass 
auch Philosophen, Rechtsgelehrte und Aerzte sich 
der deutschen Sprache in ihren Schriften bedienen 
sollten. Noch andere Männer traten für den Ge- 
brauch der Muttersprache an Stelle des Lateinischen 
ein, aber es dauert doch bis 1687, ehe ein 
Professor Thomasius in Leipzig es wagen durfte, 
die erste Vorlesung in deutscher Sprache zu halten 
und, von 1688 ab, auch eine literarische Zeitschrift 
in deutscher Sprache herauszugeben. Dann hat 
noch im 18. Jahrhundert das Deutsche einen harten 
Kampf mit dem Französischen zu bestehen ; ein 
Zehntel der literarischen Erzeugnisse in Deutsch- 
land ist um die Mitte dieses Jahrhunderts in fran- 
zösischer Sprache geschrieben. Doch auch aus 
diesem Kampfe ging unsere Muttersprache siegreich 



— 151 — 

hervor, ja sie fand sogar Zeit, neben der Ausdehnung Ausbrei- 
im Innern ihres Gebietes, ihre Grenzen nach Osten tung der 
und Süden vorzuschieben. Das Polnische — ganz ^^^^schen 
abgesehen von kleineren slavischen Dialekten wie 
das Wendische — weicht in neuhochdeutscher Zeit 
stetig vor dem Deutschen zurück. Auch im Süden 
hat das Deutsche Eroberungen über das Rhäto- 
romanische, wie im Norden gegen das Dänische 
aufzuweisen. Aber diesem Gewinn stehen auch 
Verluste gegenüber: an ihrer ganzen Westgrenze 
hat die deutsche Sprache fortwährend Gebiet an 
das Französische verloren; erst seit dem Jahre 1870 
ist dieser Rückgang zum Stillstand gekommen. Auch 
in Böhmen streitet das Deutsche mit \ dem 
Tschechischen einen harten Kampf, bei dem wenig 
Gewinn, aber mancher Verlust zu verzeichnen ist 
trotz tapferster Gegenwehr. Der deutsche Schul- 
verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, unsere 
Muttersprache durch Gründung von Schulen in den 
bedrohten Grenzgebieten zu schützen und womög- 
lich weiter ausbreiten zu helfen; aber so löblich das 
Unternehmen auch ist, so scheint es doch nicht 
den Erfolg zu haben, den die aufgewendeten Mittel 
und Kräfte zu versprechen schienen, da der Deutsche 
im Allgemeinen zu lässig ist, wenn es gilt, seine 
Muttersprache in feindlicher Umgebung zu erhalten. 
In unserer Zeit ist an eine weitere Ausdehnung aber 
nur dann zu denken, wenn den versprengten und 
ausgewanderten Deutschen das Bewusstsein aufgeht, 
dass es ihre heiligste Pflicht ist, die Muttersprache 
zu erhalten und ihren Kindern zu vererben. Um 
das zu erreichen, müsste aber der Deutsche erst 
die übertriebene Hochachtung vor der fremden 
Sprache, die sein altüberkommenes übles Erbteil 



— 13 2 



ist, überwinden und sich klar darüber werden, welch 
kostbares Gut und welch herrlichen Schatz seine 
Muttersprache birgt. 



§ 21. 

Der Einfluss des Humanismus 

und des Französischen 

auf die neuhochdeutsche Schriftsprache. 

Während der unruhigen Zeiten der Völker- 
wanderung war dem Abendlande die Kenntnis des 
klassischen Altertums, der lateinischen und 
griechischen Sprache wie Literatur verloren ge- 
gangen. Kaum erhielt sich in den Klöstern und in 
den Kanzleien der Fürsten ein fehlerhaftes und mit 
barbarischen Bestandteilen durchsetztes Latein. 
Zwar hatte schon Karl der Grosse (768 814) und 
nach ihm die Ottonen (Otto L 736 — 773, Otto IL 
973— 983, Otto IIL 983 — 1002) Versuche gemacht, die 
gelehrte Bildung in Deutschland zu heben, aber 
ohne nachhaltigen Erfolg. Die grosse Menge des 
deutschen Volkes war viel zu sehr gedrückt in seiner 
Lebenshaltung und seine Interessen waren zu sehr 
auf die Befriedigung der notwendigsten Lebens- 
bedürfnisse gerichtet, als dass es sich für Dinge hätte 
erwärmen können, die soweit von seinem Gesichts- 
kreis entfernt lagen wie die Beschäftigung mit ge- 
lehrten Studien. Das Rittertum ging in Fehden 
und kriegerischen Unternehmungen auf und be- 
günstigte besten Falls die schöngeistige Literatur, 
Romane und Liebeslieder; das Bürgertum in den 
Städten war meist in politische Kämpfe verwickelt 



- ^S3 - 

und lebte hauptsächlich dem Erwerb. So war, 
ausser im beschaulichen Lebßn der Mönche in den 
Klöstern, für gelehrte Bestrebungen kein Boden 
vorhanden, selbst wenn die Möglichkeit, Kenntnisse 
zu erwerben, verbreiteter gewesen wäre. 

Aber nicht in allen Ländern Europas lagen die Renais- 
Verhältnisse so ungünstig für die Wissenschaft wie . ^^"^f 
in Deutschland. In Italien hatte sich trotz der 
vielen verheerenden Kriege und der fortwährend 
wechselnden Herrschaften eine Ueberlieferung aus 
dem Altertum erhalten. Neu befruchtet wurden die 
dürftigen Keime durch die Berührung mit den 
Arabern in Süditalien und Sizilien, den eigentlichen 
Trägern der gelehrten Bildung im frühen Mittelalter. 
Unter der Regierung des Hohenstaufen Friedrich 
II (1215 — 1250), der für Deutschland wenig, für 
sein Stammland Sizilien alles tat, beginnt eine 
Blütezeit in Kunst und Wissenschaft für Italien, die 
ihren Höhepunkt im folgenden, dem 1 4. Jahrhundert 
erreicht. 

Diese Wiedergeburt (Renaissance) des klassischen 
Altertums bleibt indes zunächst auf Italien be- 
schränkt. Ers.t im 15. Jahrhundert, als die Erobe- Ausbrei- 
rung Konstantinopels durch die Türken (1453) und ^R^^ais^- 
die Vernichtung des griechischen Kaisertums Italien sance. 
und das übrige Europa mit einer Flut griechischer 
Gelehrten überschwemmt, nimmt das Studium des 
Lateinischen und Griechischen einen neuen Auf- 
schwung in den westlichen Ländern. Verhältnis- 
mässig spät erst dringt die neue gelehrte Bewegung 
nach Deutschland vor, wo sie ihre höchste Blüte im 
16. Jahrhundert erreicht. Mit der dem Deutschen 
eignen Gründlichkeit wird nun auch die Ursprache 
der Bibel, das Hebräische, in den Kreis der 



— 154 — 

Studien einbezogen und sollte bei der Uebersetzungr 
der Bibel ins Deutsche durch Luther schon die 
grosse Rolle spielen, die wir oben (§ 19, S. 137 ff.) 
dargelegt haben. 
Lateinische Doch die Beschäftigung mit den verschiedenen 

F " ^^ fremden Sprachen sollte auch für unsere Mutter- 
w<5rter im spräche nicht ohne Nachwirkung bleiben. Wie sich 
Deutcshen. das Deutsche schon in den ersten christlichen 
Jahrhunderten dem Einfluss der lateinischen Sprache 
nicht entziehen konnte (s. § 2, S. 14), so stand es im 
ganzen Mittelalter unter der Einwirkung des Lateins als 
Kirchensprache. Indes sind die Lehnwörter kirch- 
lichen Ursprungs — Kloster ^ Münster y Schule ; Pfaffe ^ 
Mönchy Nonne; Spende, Almosen^ Engel, Opfer, 
Marter ; segnen, predigen, benedeien und viele andere 
— doch beschränkt in ihrer Zahl; nunmehr aber, 
im 16. Jahrhundert, wird die deutsche Sprache ge- 
radezu überflutet von einer Unzahl lateinischer 
Fremdwörter, die ihr durch die gelehrten Studien 
neu zugeführt werden. Diese jüngste Schicht 
lateinischen Sprachguts ist leicht erkennbar, da sie 
bis auf den heutigen Tag ihre fremde Lautform 
samt dem fremden Akzent bewahrt . hat und somit 
nie recht eigentlich von dem deutschen Sprach- 
körper aufgenommen worden ist. Dem Einfluss des 
Lateinischen konnte sich auch Luther nicht entziehen; 
doch sind die bei ihm anzutreffenden Fremdwörter 
weit geringer an Zahl als bei seinen Zeitgenossen 
(vgl. § 19, S. 144). Aber im allgemeinen sind die 
Reformatoren dem Lateinischen nicht feindlich ge- 
sinnt, wie sie ja auch die Mode mitmachen, ihren 
Lateinische Namen zu latinisieren oder gräzisieren; so nennt 
griechische ^^^^ Luthers Freund Melanchthon (noch dazu mit 
Namen, falscher Deutung seines Namens), anstatt den gut 



— »55 - 

deutschen Namen Schwarzert beizubehalten; aus 
Baumann wird ein Agricola^ aus Habermann macht 
der Träger des Namens einen Avenarius. Viele 
lateinische Namen wie Textor = Weber, Faber = 
Schmidt, Sartorius = Schneider, Sutor = Schuster 
u^ s. w. sind in dieser Zeit aufgekommen. ^ I^Sl 

Aus den verschiedensten Kanälen brach im '^^Sä 

1 6. Jahrhundert die Hochflut der lateinischen Fremd- 
wörter über unsere Muttersprache herein. Da sind Wi^senr'x 
zunächst die Männer der Wissenschaft, die uns zahl- ?* j^^*J*f -^ 
lose lateinische Ausdrücke zuführen : Aula, Auäz- 
torium, Autor, Zensur ^ Katheder y Universität, Fakul- 
tät, Professor, Doktor, Famulus (= Diener), Disziplin, 
^Exempely Element^ Opus (= Werk), Edition (= Aus- 
f gäbe), Fragment (-= Bruchstück), Kolloquium 
(= Zwiegespäch), Disputation (wissenschaftlicher 
Streit), Vokabular, Abiturient, Karzer y Geographie, 
Botanik, Zoologie und andere ; auch Zeitwörter wie 
disputieren, analysieren u. s. w. Die Kanzleisprache 
beglückte uns mit Wörtern wie: Datum, ^//^//^ä. Ausdrücke 
Audienz, Kontrakt, Kopie, Dekret, Edikt, Effekt, j.^^^^^j_ 
Fiskus, Formular, Interesse, Instrument, Justiz, In- spräche, 
ventar, Mission, Motiv, Nation, Residenz, Skrupel, der Politik 
Vidimus (= Gesehen) und zahllosen andern. Die und des 
Politik führte uns auch Wörter zu: Aristokratie, R^^*^*^- 
Demokratie, Monarch^ Tyrann, Konsul, Senat, Privileg, 
Proletarier u. a. Das Eindringen des römischen 
Rechts brachte neue Fremdwörter mit sich: Juris- 
diktion, Fundament, appelieren, zitieren, restituieren 
u. s. w. Die aus Italien stammende neue musi- 
kalische Kunst brachte uns Komponist, Melodie, 
Takt, Dissonanz, Modulation u. s. w. 

Endlich ist die in der 2. Hälfte des i6. Jahr- 
hunderts blühende Uebersetzungswut eine Quelle 



- 156 - ' ■•:•■ 

für zahllose Fremdwörter gewesen. Nicht nur aus 
dem Lateinischen und Griechischen, sondern auch 
aus dem Italienischen und besonders aus dem 
Französischen wurden Novellen, Schäfer-' und 
Abenteuerromane und vieles andere ins Deutsche 
unter Beimengung zahlreicher Fremdwörter über- 
tragen. 

War unsere Muttersprache also bereits in der 
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durchsetzt mit 
Bestandteilen fremden, besonders lateinischen Ur- 
sprungs, so sollte es dabei nicht einmal sein Be- 
wenden haben. In der zweiten Hälfte desselben 
Jahrhunderts beginnt sich der Einfluss der fran- 
zösischen Sprache bemerkbar zu machen. Freilich 
war schon einmal ein nicht unbedeutender Zufluss 
französischen Sprachguts im 11. und 1 2. Jahr- 
hundert erfolgt (vgl. § 17, S. 123 ff.), aber er be- 
schränkte sich auf bestimmte Gesellschaftsklassen, 
in denen die höfischen Epen gelesen und ver- 
standen werden konnten; der grossen Menge blieben 
diese Literaturerzeugnisse fremd, und somit konnte 
von einer tieferen Beeinflussung der Sprache durch 
Einfluss sie auch keine Rede sein. Im 16. Jahrhundert aber 
des Fran- waren die weitesten Kreise des Volks der Bildung 
gewonnen worden, und die Buchdruckerkunst hatte 
die Verbreitung der Literaturerzeugnisse ausser- 
ordentlich gesteigert. Wenn sich nunmehr ein- 
flussreiche Kreise dem französischen Wesen zu- 
wandten, so musste dies von ungleich tieferer Wir- 
kung sein als vierhundert Jahre vorher. Der mäch- 
tigste Beschützer der französischen Sprache fand 
sich in der PersonMes deutschen Kaisers Karl V. 
und seiner Nachfolger, die keine Spur von deutscher 
Art an sich hatten, ja nicht einmal richtig deutsch 



-- 157 - 



konnten. Karl V. war französisch erzogen worden, 
unterhielt sich am besten in dieser Sprache und 
fasste seine Briefe französisch ab. An zweiter 
Stelle, gewissermassen im Gegensatz zu Karl V und 
doch zu denselben Ergebnissen auf sprachlichem Ge- 
biet führend, wäre der an Deutschlands Fürsten- 
höfen weitverbreitete Kalvinismus, die Lehre des 
französischen Reformators Kalvin zu nennen. Im 
Qefolge der neuen Lehre französischen Ursprungs 
stellten sich französische Sprache und Sitte in den 
höheren Kreisen Deutschlands ein. Es wurde z. B. 
üblich, , den Briefwechsel, selbst unter Deutschen, 
nicht in der Muttersprache, sondern in französischer 
Sprache zu führen. Die Folgen für unsere deutsche 
Sprache sollten sich bald bemerkbar machen. Wenn 
schon der Schweizer Tschudi im Jahre 1538 gegen 
die Verwelschung der deutschen Sprache eifert, um 
wieviel fester hatten sich am Ende desselben Jahr- 
hunderts die fremden Gäste eingenistet ! Aus dieser 
Zeit stammen Fremdwörter wie galant^ netty adrett^ 
honett, kokett y charmant y brillant y nobMy miserabel; 
avisiereny arrivieren, akkordieren, tranchiereny dis- 
kuriereny ruinieren; die einheimischen Familienbe- 
zeichnungen Oheim (Ohm)y Muhme y Vetter und Base 
weichen den französischen Onkel y Tante y Cousin und 
Cousine; im gesellschaftlichen Leben herrscht Modey 
Chikaney Kompliment y Kavalier y Kabdle^ Malice. 
Endlich brachten die Kriege mit Frankreich ein 
ganzes Heer von Ausdrücken militärischer Art: 
Armee, Korps y Regiment y Bataillon, Kompagnie y 
General y Major y Leutnant y Adjutant y Garnison y 
Quartiery attackiereny avanciereny armieren, retirieren 
u. s. w. Die letzte Gruppe weist uns deutlich auf 
eine weitere Ursache des Einströmens fremden 



Kalvinis- 
mus. 



Franzö- 
sische 
Fremd- 
wörter, 



- 158 - 

Sprachguts in unsere Muttersprache hin; die Kriege 
des 17. Jahrhunderts, die vor allem die Franzosen 
nach Deutschland führten. Schon vorher wurde 
unsere Sprache von ihnen beeinflusst und nun, nach 
der grauenhaften Verwüstung des Landes durch 
den 30 jährigen Krieg und der Zerrüttung der 
alten Ordnung, fand der französische Einfluss erst 
recht keinen Widerstand mehr in Deutschland. Das 
17. Jahrhundert ist entschieden der traurigste Ab-, 
schnitt der deutschen Sprachgeschichte wie der 
deutschen Geschichte überhaupt. Wie Deutschland 
politisch vom Ausland abhängig wurde durch den 
unseligen westfälischen Frieden, so verlor es auch 
sprachlich jede Selbständigkeit. Der satyrische 
Schriftsteller Job. Mich. Moscherosch (1601 — 1669) 
z. B. verspottet in seinem Roman: Wunderliche und 
wahrhaftige Geschichte Philanders von Sittewald 
die „ä la mode -Sucht** seiner Zeit; aber das Uebel 
sass zu tief, als dass er oder andere Schriftsteller, 
die gegen die Fremdwörter eiferten, mit ihren 
, Warnungen hätten durchdringen können. Eine 
mengerei. Probe, wie man die Sprache mit ausländischen Ein- 
dringlingen zu vermengen pflegte, mögen folgende 
Spottverse geben: 

SBaitn etor mental-concept^ ftd^ fott realisiren 
üJlit alamode-Sleb unb Reputation'^ 
@o fc^b il^r amoureux^ ber frembeu Nation. 
aSir toerben niemanbt nid^t beSiocgcn mesprisiren'^ 
2)ann tote mir bie frembbe ©prad^ aud& j^öcblid^ 

aestimiren^. 
®od^ abhorriren^ lüir bie 5Ü(I=confusion "^ 



* geistiges Vorhaben. * Ruf. • verliebt in. * verachten. 
* achten. • verabscheuen. "^ Verwirrung. 



— 159 — 

Censiret^ maS j^r XOoUt, ^abt i^r discretion-, 
©0 laft un§, tt)ie mir tuä), in biefem ©tüdf passiren^. 
Man könnte die Sprachm engerei in diesen 
Versen für übertrieben halten ; sie ist es aber nicht 
sehr; alle prosaischen Werke des 17. Jahrhunderts 
— mit wenigen rühmlichen Ausnahmen — , alle die 
zahlreichen Flugschriften, alle kaiserlichen und 
reichsfürstlichen Erlasse, gerichtlichen Urteile 
u. s. w. wimmeln von Fremdwörtern französischer, 
lateinischer und italienischer Herkunft (die letzteren 
stammen zum grossen Teil aus dem kaufmännischen 
Bankverkehr). Doch ist das Gefühl für ihre un- 
deutsche Herkunft noch durchaus rege. Es zeigt 
sich dies darin, dass die Fremdwörter im Gegen- 
satz zu dem deutschen Text mit lateinischen Buch- 
staben gedruckt werden, ein Brauch, der sich im 
ganzen 17. Jahrhundert erhält. 

Die hier beigegebene Tafel IX soll uns zeigen, 
wie ein Druckwerk der damaligen Zeit mit den 
zahlreich eingestreuten und meist schon durch den 
lateinischen Druck kenntlichen Fremdwörten (in 
französischer, italienischer und lateinischer Sprache) 
aussah. Auch kulturhistorisch ist das hier abge- 
bildete Blatt interessant : es ist eine Nummer der 
Wöchentlichen Reichs-Ord(inari) Zeitung mit Nach- 
richten aus der Zeit der Belagerung Wiens durch 
die Türken (1683). Der Originaldruck ist natür- 
lich grösser und wie alle Z'eitungen bis zum Ende 
des 18. Jahrhunderts in Quartformat gehalten. 

Im Jahre 1571 zählt Simon Rote in einem in Z,ahl der 
Augsburg erschienen Fremdwörterbuch bereits über ^^^™^" 
2500 Wörter auf, die sich in der deutschen Sprache 



t denket. 2 Bescheidenheit. ' Recht behalten. 



— i6o — ■ 

eingebürgert hatten. Ein anderes, in Basel ge- 
drucktes Fremdwörterbuch von Bernhard Heupold 
aus dem Jahre 1620 ist noch viel umfangreicher, 
und doch ist erst das 17. Jahrhundert die eigent- 
liche Zeit des Eindringens der Fremdwörter. Seit- 
dem hat dieses Einströmen fremden Sprachguts in 
unsere Muttersprache niemals aufgehört; sehr vieles 
ist zwar wieder von der Sprache freiwillig abge- 
stossen oder durch zielbewuste Bestrebungen (s. § 
22) entfernt worden, aber im grossen und ganzen 
hat die Zahl der Fremdwörter immer mehr zuge- 
nommen. Besonders im 19. Jahrhundert war durch 
den Aufschwung der Naturwissenschaften und der 
Technik eine gewaltige Zunahme der Zahl der 
Fremdwörter unausbleiblich. Diese Art Fremd- 
wörter ist aber dem gegenseitigen Verkehr der 
Völker dienlich und daher von Vorteil für alle 
Sprachen, die sie ja meist gemeinsam besitzen. 
Infolgedessen schwellen die heutigen Fremdwörter- 
bücher für den allgemeinen Gebrauch - ganz ab- 
gesehen von wissenschaftlichen oder technischen 
Nachschlagebüchern — immer mehr an; eines der 
verbreitetsten z. B., das Fremdwörterbuch von HeysCy 
zählte in seiner 15. Auflage aus dem Jahre 1873 
auf annähernd 1000 Seiten nach ungefährer Be- 
rechnung 25000 Fremdwörter, wobei sich aller- 
dings .Eigennamen und Lehnwörter, auch offen- 
kundige deutsche Wörter befinden. Diese letzteren 
3 Gruppen sind ganz ausgeschieden in Sanders' 
Fremdwörterbuch, das trotzdem in seiner 2. Auf- 
lage 1891 auf 1350 Seiten anschwillt. In den letzten 
15 Jahren ist aber noch eine stattliche Anzahl 
Fremdwörter hinzugekommen: man denke nur an 
Sportsausdrücke wie Automobil^ Chauffeur^ Motorrad^ 



— i6i — 

Tennis, Golf, Criket u. s. w. und wissenschaftliche 
oder technische Wörter: Radium, Helium; An* 
Hpyrin, Salicyl, Aspirin ; Pkasenstrom, Transformator, 
Akkumulator u. s. w., die heute aus dem rein 
wissenschaftlichen oder technischen in den täg- 
lichen Gebrauch übergegangen sind. So kommt 
es, dass die neuste Auflage des Heyse'schen Fremd- 
wörterbuchs nach Angabe des Verlegers in seiner 
Ankündigung des Werkes etwa loo ooo Artikel 
umfasst. Die 2500 Fremdwörter im Jahre 1571 
steigen in 3V4 Jahrhunderten auf diese ungeheure 
Zahl! Und noch ist kein Ende abzusehen! 

I 22. 
Der Kampf gegen die Fremdwörter. 

Im 17. Jahrhundert erhob sich eine allgemeine 
Bewegung zu Gunsten der Reinigung der deutschen 
Sprache von den Fremdwörtern. Je grösser das 
äussere Elend des deutschen Volks um diese Zeit 
war, um so mehr wandte es sich seinem innerlichen 
Leben zu; je mehr das Reich von äusseren Feinden 
zerrissen wurde, um so stärker klammerte man sich 
an das gemeinsame, unzerreissbare Band, an die 
Muttersprache. Ihre Pflege, ihre Reinhaltung von 
entstellendem Beiwerk bildete das Lebensziel hoch- 
gesinnter Männer, die gleichstrebende Geister um 
sich zu scharen verstanden. Der Kampf gegen die 
Fremdwörter war nicht etwa eine Neuerung des 
17. Jahrhunderts; schon zur Zeit des Rittertums, 
als französische Wörter in Menge in die mittel- 
hochdeutsche Sprache eindrangen, erhoben sich 
Stimmen gegen den Missbrauch; aus dem Ende 
des 15. und dem 16. Jahrhundert hören wir eben- 

F«ist, Di« dentcohe Sprech«. 11 



— 162 — ^ 

falls Klagen über die Unterdrückung der deutschen 
Sprache durch das Französische. Man nahm sogar 
auf Reichstagen offiziell Stellung; so beschwor Kaiser 
Rudolf IL auf dem Reichstag zu Regensburg (1575) 
in einem Wahlkapitulationsrevers unter anderem: 
in schrifften und Handlungen des Reichs Kein Andere 
' Zungen^ noch sprach gebrauchen lasszen , dan die 
Teutsche und Lateinische Zungen^ d. h. die franzö- 
sische Sprache, die sich seit Karl V. im amtlichen 
Gebrauch der deutschen Kanzleien breit gemacht 
hatte, von der Verwendung in seiner Kanzlei aus- 
zuschliessen. 

Da aber weder ernste Ermahnungen noch bitterer 
Spott dem Unfug der Sprachmengerei steuern konnten, 
suchtön sprachkundige Männer durch ihr persön- 
liches Beispiel Abhilfe zu schaffen. Der hervor- 
ragendste durch seine Stellung und auch zeitlich 
einer 'der ersten Sprachreiniger ist Fürst Ludwig 
von Anhalt-Köthen , der im Jahre 161 7 — also 
kurz vor Ausbruch des unseligen 30jährigen Krieges 
Sprach- — die fruchtbringende Gesellschaft gründete. 
gesell- Ihr Zweck war nach ihren Satzungen ^ydas man die 
schatten. Hochdeutsche Sprache in ihrem rechten wesen und 
Stande y ohne einmischung frembder ausländischer Wort ^ 
aufs möglichste und thunlichste enthalte, und sich so- 
wol der besten ausspräche im reden als der reinsten 
art im schreiben und Reimedichten befleissige. Jeder 
der Gesellschafter erhielt nach dem Muster der 
Accademia della Crusca in Florenz, deren Mitglied 
Fürst Ludwig seit 1600 war, ein Gemälde (d. h. 
ein Bild als Symbol seiner Tätigkeit), einen Namen 



* Man beachte den noch erhaltenen alten Plural; vgl. 
§ 15, S. 110. 



und ein Reimgesetz. VSo hiess ihr Begründer „der 
Nährende**, hatte als Büd ein wohlausgebackenes 
Weizenbrod mit dem Wort „Nichts Besseres**. Der 
erste Vorsteher der Gesellschaft Caspar von Teut- 
leben, führte den Namen „der Mehlreiche'*, mit 
dem Gemälde „Rein Weizenmehl , so durch den 
Beutel beim Mahlen herausfallt** und das Wort 
„Hierin find sichs*'. Trotz mancher Gegenströmungen 
fand das Bestreben der Gesellschaft Beifall bei allen 
Gebildeten jener Zeit, , wie die vielen Bewerbungen 
um die Mitgliedschaft beweisen. Unter den Mit- 
gliedern finden sich berühmte Namen, wie Martin Sprach- 
Opitz (f 1639), der im VI. Kapitel seines Buches ^einiger, 
von „der deutschen Poeterey** für die Reinheit der 
deutschen Sprache eintritt; Georg Philipp Hars- 
dörffer, zugleich Gründer des Blumenordens 
der Pegnitzschäfer, der Verfasser der „Frauen- 
zimmer Gesprechspiele** in 8 Teilen, einer Art Kon- 
versationslexikon in Gesprächform, der „Schutz- 
schrift für die Teutsche Spracharbeit und derselben 
Beflissene** und des „Teutschen Secretarius**. Justus 
Georg Schottel (1612 — 1676) verfasste die 
„Teutsche Sprachkunst** (1641) und die „Ausführ- 
lichen Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache** 
(1663). Schon im vorigen Kapitel erwähnten wir 
Johann Michael Moscherosch (-[-1669); Johann 
Rist (1607 — 1667), zugleich Gründer des Elb- 
schwanenordens, kämpft hauptsächlich in der 
„Rettung der Edlen Teutschen Hauptsprache** gegen 
die Fremdwörter und die k la mode-Sucht; end- 
lich nennen wir Friedrich von Logau, der in 
einem seiner Sinngedichte die Sprachmengerei be- 
klagt: 



11* 



— 164 ^- 

Deutsche Sprache. 

Das Deutsche Land ist arm; die Sprache kan es 

sagen. 
Die ietzt so mager ist, dass man ihr zu muss tragen 
Auss Franckreich was sie darff^, und her vom 

Tiber-Strom, 
Wo vor'^ Latein starb auch mit dir, Unrömisch 

Rom ! 
Zum Theil schickt s der Iber^. Das andre wird 

genumen. 
So gut es wird gezeugt und auff die Welt ist 

ktimen 
Durch einen Gerne- Klug 

Im Jahre 1649 wird das 527. und letzte Mit- 
glied der fruchtbringenden Gesellschaft unter Ludwig 
von Anhalt aufgenommen, der 1650 starb. Zwar 
bestand sie noch nach seinem Tode fort und führte 
nun nach ihrem Symbol, dem Palmbaum, den Namen 
„Palmenorden", aber sie verlor beträchtlich an 
Bedeutung. 

Daneben gab es noch kleinere Sprachgesell- 
schaften mit denselben Zielen: die aufrichtige 
Gesellschaft von der Tannen gestiftet 1633; 
die deutschgesinnte Genossenschaft oder der 
Rosenorden, gegründet 1643 von Philipp von 
Zesen (1619 — 1689), und andere. 
Gegner der Selbstverständlich fehlte es der Bewegung gegen 

Sprach- die Fremdwörter auch nicht an Widersachern. Schon 
reinigung. ^jj^ige Wochen nach der Gründung der frucht- 
bringenden Gesellschaft stiftete eine Verwandte 
Ludwigs von Anhalt einen Gegenorden: L' ordre 



* bedarf. * früher. • Ebro d. h. Spanien. 



- i65 - 

de la Palme d'or zur Ausbreitung der fran- 
zösischen und anderer ausländischer Sprachen. 
Einer der Hauptgegner der übertriebenen Sprach- 
reinigung ist Christian Weise (-|- 1708), der 
sich für einen vermittelnden Standpunkt erklärt und 
meint, man solle das Fremdwort alinehmen, wenn 
kein deutscher Ausdruck vorläge: 

yyDock liebes Vaterlandy ich werde dir gefallen, 
Dass ich im Schreiben nicht ein sprach-ty ranne bin. 
Ich folge Deiner zier und richte mich in allen 
Auff alte reinigkeit und neue kurtzweil hin.'* 

Berechtigt war eine solche Gegnerschaft be- 
sonders gegen Zesen, der in der Sprachreinigung 
übertrieben vorging und der Lächerlichkeit verfiel. 
Er verdeutschte z.B. Nase Vßii Löschhorn oder Ge- Neu- 
sichtserker, Fieber mit Zitterweh , Kabinett mit Bei- schöpfung 
Zimmer, Affekt mit Gemütstrift, für Theater schlug ^^^^^^|.^^^^ 
er Schauburg vor, für Natur sagte er Zeugemutter 
u. s. w. Daneben aber hat er die deutsche Sprache 
auch dauernd bereichert durch Wörter wie: Sinn- 
gedicht, Staatsmann, Vollmacht, Vertrag, Rechtsbegriff, 
Lehrbegriff , Heerschau, Wechselgesang, Augenblick, 
Gesichtskreis y Verfasser u. a. Auch die frucht- 
bringende Gesellschaft ist nicht ohne Nutzen für 
die Bereicherung der deutschen Sprache gewesen; 
grammatische Ausdrücke wie: Nennwort, Zahlwort, 
Zeitwort, Mehrzahl , Sprachlehre, Selbstlaut, Hauch- 
laut u. s. w. verdanken wir ihrem Mitglied Schottel. 
Daneben sind aber auch verunglückte Bildungen 
wie Unterlage für Subjekt, Gegenwurff für Objekt, 
Reitpuffer für Pistole, Platz- Halter für Leutnant 
u. s. w. vorhanden, die von der Sprache nicht auf- 
genommen worden sind. Aber ein Verdienst muss 



~ i66 — 

der fruchtbringenden Gesellschaft verbleiben: sie 
hat zuerst eine grössere Anzahl Männer, die alle 
Gegner der Sprachmengerei sind, zusammengefasst 
und versucht, durch gemeinschaftliche Bestrebungen 
den Kampf gegen die Fremdwörter erfolgreich zu 
gestalten. Auch auf die Besserung der zu ihrer 
Zeit groben und ungefügen Art des Ausdrucks 
richtete sie ihr Augenmerk. Sie gewann hoch- 
gestellte Persönlichkeiten für deutsche Sprache und 
Dichtung und befreite diese dadurch von der Ver- 
achtung, unter der diese bisher gelitten hatten. Ihr 
und der gleichgesinnten Verbindungen Verdienst 
ist fes, dass unsere Muttersprache nach dem Jammer 
des grossen Krieges verhältnismässig gut erhalten 
und sogar von vielen fremden Zutaten gereinigt 
dasteht. Es ist nicht ihre Schuld, dass manche 
Sprachverbesserer in ihrem Uebereifer eine Menge 
alter eingebürgerter Lehnwörter ausmerzen wollten 
und dadurch dem Fluche der Lächerlichkeit an- 
heimfielen. Bei den Mitgliedern der fruchtbringen- 
den Gesellschaft galt als Gesetz, längst eingebürgerte 
Fremdwörter schonend zu dulden. 

Freilich vermochten alle diese Bestrebungen 
auf die Dauer nicht zu hindern, dass immerzu 
fremdes Sprachgut der deutschen Sprache zuge- 
führt wurde, da die kulturellen und gesellschaft- 
lichen Beziehungen zu unsern westlichen Nachbarn 

18. Jahr- zu mächtig waren, besonders im 18. Jahrhundert. 

hundert. Aber anderseits hat auch der Kampf gegen die 
Eindringlinge nie ganz aufgehört. Im letztgenannten 
Jahrhundert ist es z. B. Joachim Heinrich Campe, 
dem wir zahlreiche Verdeutschungen verdanken; 
altertümlich, Beweggrund, Eigenname, Flugschrift, 
Gefallsucht , geeignet, Oeffentlichkeit ^ Umwälzung, 



RfV. --fj^^-^^. 



— 167 — 

veirwirklichefiy Zartgefühl, Zerrbild u. s. w. stammen 
von ihm. Es versteht sich von selbst, dass auch 
unsere grossen Dichter sprachschöpferisch tätig 
waren und manches Fremdwort verdrängen halfen; 
so schuf Lessing das Wort empfindsam, Goethe 
gab uns Kleinleben , Wahlverwandtschaft u. a. 

In unserer Zeit hat das neu erwachte Volks- 19- Jahr- 
gefühl mächtig dazu beigetragen, die weitesten h""^«rt- 
Kreise dem Kampf gegen die entbehrlichen Fremd- 
wörter günstig zu stimmen. Den Anstoss zu einer 
weitgehenden Bewegung dieser Art gab die Grün- 
dung des Allgemeinen deutschen Sprachvereins 
durch Hermann Riegel zu Braunschweig im Jahre' 
1885. Der Verein verfügt über eine eigene Zeit- ^ 
Schrift zur Verbreitung seiner Gedanken;, ausserdem 
hat er eine Reihe von Verdeutschungswörterbüchern 
herausgegeben. Wenn auch nur ein Teil seiner 
Vorschläge bis jetzt in der Allgemeinheit durch- 
gedrungen ist, so lässt sich doch nicht bestreiten, 
dass das Bestreben, Fremdwörter, und nicht nur 
entbehrliche, durch deutsche Ausdrücke zu ersetzen, 
feste Wurzeln im deutschen Volke gefasst hat. 
Schon spricht man nicht mehr vom Veloziped wie 
anfangs, sondern yova Fahrrad oder kurz Rad^ das 
Automobil wird zum Selbstfahrer (ICraftwagen^ auch 
kurz Fahrzeug) y der Chauffeur wird zum Fahrer , 
die Garage zum Einstellraum, um nur die neusten 
Verdeutschungen zu erwähnen. Auch die Be- 
hörden haben sich diesem Einflüsse nicht mehr 
entziehen können, und so sehen wir z. B. bei der 
Eisenbahnverwaltung das Billet der Fahrkarte, das 
Koupee dem Abteil, den Perron (der übrigens 
frz. le quai heisst) dem Bahnsteig u. s. w. weichen. 
Die Post bat zwar den Telegraph behalten, aber 



-^ i68 — 

aus dem Telephon überflüssigerweise einen Fern- 
Sprecher gemacht, das Couvert (das frz. l'enveloppe 
heis-»t) wird zum (Brief)umschlag u. a. m. Beson- 
ders eifrig wird in neuester Zeit von der- Heeres- 
verwaltunp" verdeutscht; Rekognoszirung wird Er- 
kundung y Ävantageur heisst jetzt Fahnenjunker ^ Ordre 
ist nunmehr Befehly Bajonnet ist Seitengewehr ^ Epau- 
letts sind Achselstücke u. s. w. Sogar die Aerzte, 
die am berüchtigtsten, aber auch am berechtigtsten 
im Gebrauch von Fremdwörtern sind, haben heut- 
zutage das löbliche Bestreben, selbst unter sich, 
ein Organ oder eine Krankheit, die mit einem 
"deutschen Namen genau bezeichnet werden kann, 
nicht mehr lateinisch zu benennen. Ja, man darf 
geradezu behaupten, dass es heutzutage als ein 
Zeichen von Bildung gilt, die überflüssigen Fremd- 
wörter zu vermeiden, während vor noch gai^ nicht 
langer Zeit ein Mann oder ein Buch um so ge- 
lehrter erschien, je mehr fremde Ausdrücke von 
ihm verwandt wurden. Unser Volk wird hoffentlich 
auf dieser Bahn zum Heile seiner Sprache fort- 
schreiten und sich damit seine Eigenart erneuen 
und festigen. 



Die neuhochdeutsche Schriftsprache 
im i8. und 19. Jahrhundert. 

Das 17. Jahrhundert war nicht nur eine Zeit 
des Kampfes gegen die fremden Eindringlinge in 
unserer Muttersprache, sondern es brachte auch die 
Regelung des deutschen Sprachgebrauchs. Der 



— r6g — 

schon früher erwähnte Martin Opitz stellt Gesetze 
für die Form der deutschen Dichtung auf; er er- 
hebt die regelmässige Abwechslung von Hebung 
und Senkung zur strengen Vorschrift; aber auch 
auf den grammatischen Ausbau der Sprachform 
bleibt er nicht ohne Einfluss: während Luther Regelung 
das Mittelwort der Vergangenheit noch vielfach ^^^^^^J"*^^^' 
ohne die Vorsilbe ge- bildet, macht Opitz ihren ^^^^^ ^' 
durchgehenden Gebrauch zur Regel. Die Partizipien 
/unden, kommen, gangen u. a, (mit Ausnahme von 
worden) werden jetzt auch mit ge- gebildet; er 
wandelt nach unserer Weise die Zeitwörter deri-Reihe 
treibe — trieb — getrieben oder schneide — schnitt — 
geschnitten ab; auch schreibt er konsequent ich 
gebe y werde neben finde, schwimme. Die Impe- 
rative der starken Verben bildet er ohne Endung: 
gib, nimm, zeuch u. s. w., aber auch fall, schneid, 
halty ja sogar von schwachen Verben hör, führ^ lieby 
worin ihm die spätere Sprache nicht gefolgt ist. 
Er verhilft der Endung '•nis zum entschiedenen Sieg 
über das noch bei Luther häufige oberdeutsche 
-nuss, -nusse. Dagegen zieht er noch immer die 
Verkleinerungssilbe -lein dem -chen seiner Heimat 
vor. Auch zahlreiche andere Mitglieder der frucht- 
bringenden Gesellschaft beteiligen sich am gramma- 
tischen Ausbau des Deutschen: Christian Gueinz 
schreibt eine „deutsche Sprachlehre" (1641); 
Philipp von Zesen stellt (1651) als Vorbilder 
für „die rechte Zierlichkeit der hochdeutschen Rede 
.... des grossen Luthers Schriften, die Reichs- 
abschiede .... die Schriften von Opitzen** u. s. w. 
auf. Der grösste und berühmteste Grammatiker 
des 17. Jahrhunderts ist Justus Georg Scholtel; Schottel, 
sein Hauptwerk führt den Titel : Ausführliche Arbeit 



von der teutschen^ Haubtsprache 1663. Sein 
Hauptverdienst ist, dass er die deutsche Sprache 
zum ersten Male in ihrer geschichtlichen Ent- 
wicklung zu erfassen sucht; aber anderseits be- 
geht er den Irrtum, die Mundarten als Entartungen 
der Schriftsprache aufzufassen. Die Grammatik, 
meint er ferner, sei nnerlässlich, um die hoch- 
deutsche Sprache gründlich zu erlernen; ja man 
müsse auch eine gleichmässige Aussprache der- 
selben in ganz Deutschland, unabhängig von den 
Mundarten, erstreben. Schotteis Einfluss reicht weit 
über alle seine Vorgänger hinaus und bestimmt die 
Richtung seiner Nachfolger mehr als ein und ein- 
halbes Jahrhundert. Sein berühmter Zeitgenosse 
Leibnitz. Leibnitz lehnt sich ganz an ihn an in seiner 
Schrift: „Unvorgreifiiche Gedanken betreffend 
die Ausübung und Verbesserung der deutschen 
Sprache" (1682). Auch er erkennt die Schriften 
von Luther, Opitz, aber auch ältere Werke, wie 
den Theuerdank, Fischarts Gargantua u. s. w. als 
mustergiltig an; daneben offizielle Schriften .mannig- 
facher Art, insbesondere die Staats Schriften der 
Reichstage zu Regensburg. Anderseits übersieht 
er auch veraltete Ausdrücke bei Luther nicht. 
Leibnitz verdanken wir ausserdem die Verwendung 
des Deutschen als Spräche der Wissenschaft; von 
ihm stammt die schon erwähnte Bezeichnung der 
deutschen „Haupt- und Heldensprache*'. Sein 
Schüler, der Philosoph Christian Wolf, lehrte zu- 
erst seine Wissenschaft in deutscher Sprache an 
der Universität Halle. 



,* Die Schreibung „teutsch" taucht zuerst im 17. Jahr- 
hundert auf und hat sich mit merkwürdiger Zähigkeit 200 Jahre 
gehalten, obwohl sie ganz falsch ist (vgl. § 5, S. 31), 



— 171 — 

Wenn nun auch die genannten Grammatiker 
und Gelehrten das Neuhochdeutsche auf den gegen ^ 
die Mundarten abgegrenzten und geregelten Stand- 
punkt erhoben haben, so drangen sie doch zu ihrer 
Zeit noch nicht allgemein mit ihren Ansichten 
durch. Das siebzehnte Jahrhundert blieb im wesent- 
lichen bei der Theorie stehen; sprachlich ist es 
abhängig von Autoritäten, der freien Entwicklung 
der Sprache wird noch wenig Rechnung getragen. 
Das wird erst im 1 8. Jahrhundert anders. Nunmehr 
wird als Richter für Sprachrichligkeit und Sprach- 
reinheit der gute Gebrauch aufgestellt; die Gelehrten 
haben die Sprache nicht zu machen, sondern »ur 
festzustellen, was allgemein üblich und daher richtig 
ist. Am Anfang dieser neuen Entwicklung stehen 
Johann Bödikers „Grundsätze der deutschen Bödiker. 
Sprache", denen wir verschiedene noch heute gültige 
Festsetzungen verdanken : den Unterschied zwischen 
vor und für, die Bevorzugung der Verkleinerungs- 
silbe -chen, die Regeln für den Gebrauch der grossen 
und kleinen Anfangsbuchstaben, die Anwendung des 
h als Dehnungszeichen nach Vokal und nach t, die 
Setzung von Doppelkonsonanten u. s. w. Imgrossen 
und ganzen ist die von ihm herrührende Regelung 
der Rechtschreibung bis auf unsere Tage gültig ge- 
blieben. Er findet auch heraus, dass die Sprache 
seit Luther sich weiter entwickelt hat und erklärt, ^ 
dass viele Wörter aus seiner Bibelübersetzung jetzt 
veraltet seien ; locken = hüpfen („wider den Stachel 
locken"), thüren = wagen, Kogel = spitze Mütze, 
Thramen = Balken, glum -. trübe, Ferg = Fährmann 
u. s. w. ; daneben nennt er aber auch Wörter, die wir 
heute wieder unbedenklich gebrauchen : Laib^ rügen^ 
vergetidenf nac heifern , hehr u. a. Der Neubearbeiter 



— 172 — 

von Bödikers Buch Leonhard Frisch (1746) hat 
das Verzeichnis veralteter Wörter oder nur in Teilen 
Deutschlands verständlicher Ausdrücke schon auf 
50 Seiten gebracht. So sehr hatte sich die Sprache 
inzwischen verändert; man war sich in jener Zeit 
schon ganz klar darüber, dass man nicht mehr so 
rede und schreibe wie Luther, ja nicht nicht ein- 
mal wie fünfzig Jahre zurück. • 

Sehr förderlich war für die Weiterentwicklung 
unserer Schriftsprache das Auftreten Joh. Christ. 
Gottsched. Gottscheds (1700» 1766), dessen Sprachkunst zu- 
erst 1748, zum 6. Male 1776 erschien und wie 
der Titel besagt: „nach den Mustern der besten 
Schriftsteller des vorigen und jetzigen Jahrhunderts 
abgefasst'* ist. Mit ihm ist endgültig das sechzehnte 
Jahrhundert als sprachliches Muster aufgegeben; die 
Reihe der von Gottsched berücksichtigten Schrift- 
steller beginnt mit Opitz. Auch die Kanzleisprache 
gilt als abgetan. Zwar ist auch ihm das Meissnische 
Hochdeutsch das beste und reinste, aber er weiss 
doch, dass das Hochdeutsche y^eine ausgesuchte Art 
zu reden sei, die in keiner Provinz völlig im Schwange 
gehCy die man die Mundart der Gelehrten oder auch 
wohl der Höfe zu nennen pflege*'. Er erklärt, warum 
das mittelländische oder obersächsiche Deutsch die 
beste hochdeutsche Mundart sei: ,yDer Sitz der 
^ deutschen Gelehrsamkeit ist seit der Glauhensreinigung 
nach Obersachsen gewandert. Sonderlich ist er durch 
die neugestifteten hohen Schulen zu Wittenberg, Jena 
und Halle gleichsam in Meissen befestigt worden. 
Nicht wenig hat auch der aus Frankfurt am Main 
grösstentheils nach Leipzig gegangene BiUherhandel 
viel dazu beigetragen. Weil auch durch die Frucht- 
bringende Gesellschaft in diesen Gegenden die meisten 



— 173 — 

und besten deutschen Bücher geschrieben und gedruckt 
worden: so hat die hiesige Mundart unvermerkt in 
ganz Deutschland die Oberhand bekommen.^* So viel 
galt Gottsched als sprachliche Autorität, dass 
selbst sein Gegner in der Auffassung von der 
Dichtkunst, Bodmer, sich ihm in Fragen der sprach- Bodmer. 
liehen Richtigkeit unterordnete. Er äussert sich 
in der Vorrede zu Breitingers Kritischer Dicht- 
kunst folgendermassen : yySoviel mir bekannt ist, hat 
Meissen das beste Rechte von andern Provinzen 
Deutschlands zu fordern^ dass sie ihre eigene Aus" 
Sprache und Mundart für die seinige verlassen^ 
allermassen es darinnen wahre Vorzüge vor edlen 
anderen aufweisen kann. Freilich gibt er deshalb 
nicht alle Rechte der Mundarten auf, sondern meint, 
dass in anderen Provinzen viele gute Wörter und 
andere geschickte Redensarten von altem deutschem 
Herkommen behalten worden .... 

Die beiden vorstehenden Proben mögen zu- 
gleich das Aussehen der deutschen Schriftsprache 
um die Mitte des 1 8. Jahrhunderts veranschaulichen. 
Es ist leicht daraus zu ersehen, wie sehr sie sich 
schon dem Brauche unserer Klassiker genähert hat, 
der ja auch für uns noch als Muster gilt. Wir 
können also sagen, dass zur genannten Zeit die 
neuhochdeutsche Schriftsprache fertig und seitdem 
auf dem gleichen Standpunkt geblieben ist, abgesehen 
von Einzelheiten im Wortschatz, wovon noch zu 
sprechen sein wird. Es ist das Verdienst der 
Grammatiker des i8. Jahrhunderts, die deutsche 
Schriftsprache von dem Einfluss der veralteten 
Lutherschen Sprachform befreit zu haben, aber sie 
bleiben noch im Banne des Vorurteils, dass die 
meissnische, d. h. sächsische Sprache sowohl in 



— 174 — 

Bezug auf Wortformen und Wortschatz als auch auf 
die Aussprache die mustergültige Sprache für das 
übrige Deutschland sein müsse. Es galt nunmehr, 
auch diese Auffassung zu überwinden und zu Fall 
zu bringen. Das haben unsere grossen Klassiker fertig 
gebracht. Sie haben uns durch ihr Beispiel gelehrt, 
dass das richtige Hochdeutsch an keine Mundart 
und keine Gegend gebunden ist, vielmehr Gemein- 
gut aller Gebildeten in den deutschen Gauen ist. 
Zu ihrer Zeit aber drang diese Erkenntniss noch 
keineswegs allgemein durch. Der bedeutendste 
und zugleich letzte in der Reihe der Gramma^ 

Adelung, tiker des i8. Jahrhunderts, Joh. Christoph Adelung 
(1734 — 1806), steht noch ganz auf dem Boden 
seiner Vorgänger, indem er die meissnische Sprache 
als die beste ansieht. In seinen deutschen Sprach- 
lehren (1781 und 1782) und seinem deutschen 
Wörterbuch (1774— 178Ö) vertritt er diese Ansicht. 
Ihm ist die Zeit Gottscheds und Gellerts, um die 
Mitte des 18. Jahrhunderts, die Blütezeit der 
hochdeutschen Schriftsprache; sein Wörterbuch be- 
schränkt sich auf den Sprachgebrauch dieser Zeit 
und der sächsischen Mundart; andere Wörter, selbst 
solche, die zu jener Zeit und bis heute unbedenk- 
lich gebraucht werden, finden keine Stelle darin und 
werden in Acht und Bann erklärt. Trotz dieses 
engherzigen Standpunkts wurde Adelungs Autorität 
in weiten Kreisen anerkannt und seine Zeitgenossen 
standen vollständig unter seinem Bann. Erst Joachim 

Campe. Heinrich Campe macht sich in seinen Schriften 
und seinem Wörterbuch ( 1 807 — 1 8 1 1 ) von Adelungs 
Einfluss los und nimmt eine Menge Wörter auf, denen 
Adelung noch das Bürgerrecht versagt hatte. Doch 
das vereinzelte Eintreten der Gelehrten hätte wohl 



- 175 - 

kaum . den Erfolg gehabt, das Monopol der meiss- 
nischen Sprache zu beseitigen^ wenn nicht die über- 
wältigende Bedeutung unserer klassischen Literatur, 
die sich im Norden, Osten und Südwesten Deutsch- 
lands zuerst entfaltete, es gebrochen hätte. Wie- ^^^ 
lands erste Romane, deren flüssige Sprache die ^'^ssiker. 
durch den schwerfälligen Stil seiner Vorgänger äb- 
gestossenen gebildeten Kreise für den deutschen 
Roman gewann, entstanden in Württemberg; Lressings 
prosaische Meisterwerke entstanden in Schlesien und 
Hapiburg. Herder ist Ostpreüsse, Goethe aus 
Frankfurt und Schiller aus Schwaben; sie alle sind 
schon fertige Männer und hochberühmte Schrift- 
steller, als sie, gleichwie Wieland, in Weimar ihre 
dauernde Heimat finden. Besonders Wieland 
stellt sich in einen scharfen Gegensatz zu Adelung, 
Indem er den Grundsatz aufstellt, dass es „die 
guten Schriftsteller sind, welche die wahre Schrift- 
sprache eines Volkes bilden". Auch die Stellung 
Schillers und Goethes zur neuhochdeutschen Schrift- 
sprache ist keine andere: Grammatisch war diese 
ja seit der Mitte des Jahrhunderts festgelegt; kein 
Schriftsteller, selbst nicht der unbedeutendste, hätte 
daran gedacht, sich seiner heimatlichen Mundart 
zu bedienen, viel weniger ein Schiller oder Goethe. 
Freilich standen sie in ihrer Jugend noch insofern 
in dem Bann ihrer Mundart, als sie dieser ange- 
hörige Wörter oder Wortformen unbewusst verwen- 
den; aber je länger sie schriftstellerisch tätig sind, 
um so mehr verlieren sich diese heimatlichen An- 
klänge, um, auf der Höhe ihrer Tätigkeit ganz zu 
verschwinden. Indes darf man nicht vergessen, 
dass Goethe schon als Student in Leipzig weilte 
und den grössten Teil seines Lebens in Weimar, 



— 176 — 



"f*""-Tk V 



also auf sächsischem Sprachgebiet, zugebracht hat. 
Schiller hatte bekanntlich den Dresdener Körner, 
den Vater des Dichters der Freiheitskriege, zum 
Berater. Das hinderte aber beide nicht, sich über 
das beanspruchte sprachliche Vorrecht Sachsens 
lustig zu machen und es als etwas Abgetanes zu 
betrachten. 

Wie die grossen Schriftsteller unserer klassi- 
schen Zeit sich iin Gegensatz zu Gottsched und 
Adelung in der Wertschätzung des sächsischen 
Dialekts befinden,' so weichen sie auch darin von 
deren starrem Standpunkt ab, dass sie aus den 
Mundarten und aus der älteren Sprache Wörter 
schöpfen, wo der Schriftsprache treffende Be- 
zeichnungen fehlen. Neben Lessing, Wieland 
und Goethe war es besonders Herder, der auf die 
Mundarten als eine ergiebige Fundgrube zur Be- 
reicherung der Schriftsprache hinwies. Auf diesem 
Wege folgen ihnen die Romantiker, die Verherrlicher 
des Mittelalters und seiner Poesie, und noch mehr 
die Germanisten, die Wiedererwecker des deutschen 
Altertums, seiner Sprache und Literatur. So sind 
manche alte Wörter uns wieder gang und gäbe ge- 
worden, die jahrhundertelang verschollen waren 
wie Degen = Held, Recke = Krieger, Brünne 
= Panzer, Minne = Liebe, Fehde, Hain, Gau u. a. 
In übertriebener Weise und deshalb oft unverständ- 
lich nimmt Richard Wa^er Ausdrücke der älteren 
Sprache wieder auf: vreislich = schreckhaft. Eben- 
so hat die heutige Schriftsprache zahlreiche Dialekt- 
worte besonders aus dem Niederdeutschen aufge- 
nommen : Laken (= Bettuch), Moor, Rasen (= ober- 
deutsch Wasen), fett (= oberdeutsch y<?/5/), ruppige 
und viele andere, meist seemännische Ausdrücke 



— 177 — 

wie Ebbey Flagge, Flotte, Tau, Wrack u. s. w. Aber 
auch hochdeutsche Mundarten steuern bei : fesch, 
(Wienerisch), Bräu (Münchener Ausdruck), Senne 
(Schweiz), kraxeln (ob erb airisch) u. a. m. 

Wenn sich daher auch das grammatische Ge- Acndc- 
füge der neuhochdeutschen Schriftsprache seit der '^"ilf®" ^"" 
Mitte des 1 8. Jahrhunderts nicht geändert hat, so ist schätz. 
^ doch ihr Wortschatz zum Teil ein anderer geworden. 
Wir sehen hierbei ganz ab von der Bereicherung 
desselben durch neue Kultur errungenschaften wie 
Dampfschiff, Eisenbahn, Bahnhofe Bogenlicht, Kraft- 
wagen u. s. w. und wollen nur den schon zu jener 
Zeit vorhandenen Wortvorrat ins Auge fassen. Auch 
bei diesem ist neben geringfügigem lautlichem 
Wechsel wie jetzt für älteres itzt, Ihre (= Euer) für 
Ihro (Majestät) u. a. mannigfacher Bedeutungswandel 
zu verzeichnen. Niemand kann heute mehr Maul 
ohne Nebenabsicht für Mund gebrauchen, ein 
Fräulein mit Frauenzimmerchen anreden, wie es 
Lessing tut, oder «statt die Damen die Frauen- 
zimmer grüssen lassen wie Goethe in seinen Briefen 
schreibt, der auch* e^6?r heute anstatt yj^'r heute sagt 
(Brief vom 15. November 1796); IVttz ist nicht mehr 
= „Verstand** (vergl. Mutterwitz), Post nicht mehr 
= „Nachricht" ; gemein gebrauchen wir selten mehr 
im Sinn von „allgemein'^ artig nicht mehr in dem 
Sinne von „nett", verkennen nicht mehr =: nicht 
wieder erkennen, wie es die klassische Zeit tat, u. s. w. 

Doch im allgemeinen dürfen wir sagen, dass 
die Schriftsprache so fest gefügt und durch die 
schulmässige Ue herlief er ung so sehr vor grösseren 
Aenderungen geschützt ist, dass selbst wirkliche 
Verbesserungen und Erleichterungen, die von be- 
rufenen Männern der Wissenschaft oder hervor- 

Feiit, Die denttob« Sprache. 12 



- 178 - 

ragenden Schriftstellern ausgehen, nur schwer Ein- 
gang finden. Wie viele Einsichtige arbeiten nicht 
dem aus der Zeit des Humanismus (i6. Jahr- 
hundert) stammenden Unfug entgegen,, das Zeit- 
wort im abhängigen Satz immer ans Ende zu stellen! 
Wie oft hat man sich nicht bemüht, den trennbaren 
Partikeln bei zusammengesetzten Zeitwörtern eine 
solche Stelle zu geben, dass sie nicht durch ganze 
Zeilen von ihrem Verb getrennt sind ! Und wie 
gering sind die Erfolge auf diesem Gebiet! Die 
Schriftsprache, ist eben kein vom Ohr erfas^tes, 
lebendiges Idiom, sondern sie ist ein far das Auge 
bestimmtes Kunsterzeugnis geworden und in Starrheit 
versunken, bis bessere Zeiten sie zu neuem, wirk- 
lichem Leben erwecken werden. 

§ 24- 

Der Vokalbestand der neuhochdeutschen 
Schriftsprache. 

Wenn wir im Vorhergehenden die Entstehung, 
Weiterbildung und Festlegung unserer Schriftsprache 
verfolgt haben, so ist nunmehr der Augenblick ge- 
kommen, ihre heutige lautliche Gestalt näher ins 
Auge zu fassen. Da die lautlichen Veränderungen 
seit der Zeit ihrer Entstehung nur geringfügiger 
Natur sind, so können wir, ohne grosse Irrtümer 
zu begehen, die dazwischen liegenden Jahrhunderte 
überspringend die heutige Schriftsprache mit der 
mittelhochdeutschen Sprache vergleichen, deren 
äussere Gestalt wir in § 14 zu zeichnen versucht 
haben. 

Die grössten Veränderungen sind im Vokalis-. 
mus zu verzeichnen, besonders bei den kurzen 



— 179 -- 

Vokalen. Unter dem Einfluss des Hochtons wurden Dehnung * 
diese in offener d. h. auf keinen Konsonanten aus- kurzer 
gehender Silbe schon in spätmittelhochdeutscher Vokale. 
Zeit gedehnt. Aus mittelhochdeutsch trä-gen , 

wurde also trä-gen^ aus ta^ea wurde Tä-gts, aus 
lö-sen Ic'SeHy aus jü-gend Jü-gend^ aus bö-te Bö-te^ 
aus s -les Saa-les u. s. w. Aus den mit Endungen 
versehenen Fällen (Genitiv, Dativ Sing, und dem 
Plural) wurden dann die langen Vokale auf die nur 
im Nominativ und Accusativ Singularis erhaltenen 
kurzen Vokale der einsilbigen Hauptwörter wie täc 
Tag, säl Saal u. s. w. übertragen und die Längung 
allgemein durchgeführt. Doch nicht allein in 
offener Silbe findet sich Dehnung des Stammvokals, 
sondern auch vor manchen Doppelkonsonanten wie 
rt: mhd. ärt wird Art^ b rt Bärt\ rd: mhd. grde 
wird Erde; rz: hürz wird Harz u. a. Anderseits 
unterbleibt auch zuweilen die Dehnung vor ein- 
fachem Konsonant, z. B. m und besonders t: mhd. 
vrum, fröm, fromm, hämer Hämmer, himel Himmel', 
blten bitten, göt Gott, buter Butter, Auch vor 
anderen Konsonanten fehlt zuweilen die Dehnung, 
wenn die Ableitungssilbe -er darauf folgt: mhd. 
doner Donner, wider Widder, solre Söller u. s. w. 
Infolge der Dehnung kurzer Vokale sind manche 
noch mhd. verschieden lautende Wörter im Nhd. 
zusammengefallen: wägen „Wagen" und wägen 
,,zvagen'^, mh\n mahlen und malen ^,malen^\ kil 
„Feder-^/>/" und kiel „Schiffs-i/>/", tor Tor (eines 
Hauses) und töre Tor=Narr u. a. 

Vor Doppelkonsonant bleibt nicht nur alte , -^^^" 
Kürze bewahrt: stark, fest, bergen, halten, Karte, \^^otr 
Kunst u. s. w., sondern es tritt auch Verkürzung Vokale 

12* 



— i8o — 

eines, ursprünglich langen Vokals ein; brähte wird 
brächte^ dähte dächte ^ kläfter Klafter, kräpfe Krapfen 
(Pfannkuchen), lä^en lassen^ herre Herr^ h^rsen 
herr sehen y slöj Schlöss u. s. w. Auch vor einfachem 
Konsonant tritt gelegentlich Verkürzung ein: hat 
häty häte hätte f näter Natter, wäpen Wappen, jämer 
Jammer. Verkürzung finden \Vir auch Jn Zusammen- 
setzungen, der^n erster Bestandteil nicht mehr als 
selbständiges Wort empfunden wird: höchzit Hoch- 
zeit, aber hoch hoch (vgl. Höffahrt aus höchvart) ; 
G^rtrüt Gertrud aber g^r Ger, Umgekehrt bleibt 
alte Kürze in Zusammensetzungen bewahrt, während 
das einfache Wort Dehnung aufweist: Heer aber 
Herberge, bär aber bärfuss, Bohle aber Bollwerk^ 
auch in Fremdwörtern Dame aber Dämbrett. 

Die Dehnung ursprünglich kurzer Vokale und 
in geringerem Umfang die Verkürzung einst langer 
Vokale ist eines der charakteristischen Kennzeichen 
des Nhd. gegenüber dem Mhd. Die neuhoch- 
deutschen Mundarten stehen vielfach noch auf dem 
mhd. Standpunkt; so lautet im Rheinfränkischen 
hochd. Väter noch Vätter, (aber Mütter = mhd. 
muoter, md. müter ist verkürzt wie im Hochdeutschen 
wohl unter dem Einfluss des kurzen Stammvokals 
in Vätter), Besen lautet Bessern (mhd. beseme), 
Diphthon- Böden ist Böddem (mhd. bödem),' Jude Isiiitet Jtidd 
gierung u. s. w. Eine andere charakteristische Eigenschaft 
langer ^^g ^hd., von der schon öfter die Rede war, ist 
die Diphthongierung der mhd. Längen i, ü, iu 
(gespr. u) in ei (ai), au, eu. Im § i8, S. 130 haben 
wir bereits das Auftauchen und die Ausbreitung 
dieser neuen Erscheinung kennen gelernt. Noch 
heute sind im Alemannischen und in einzelnen mittel- 
deutschen Mundarten die alten einfachen Längen 



— i8i — 

erhalten, die meisten Mundarten ^ aber besitzen ' 
die jüngeren Diphthonge, unterscheiden sie indes 
in der Aussprache von den alten gleichartigen 
Diphthongen, während das Hochdeutsche keinen 
Unterschied zwischen ihnen macht. Für das letztere 
sind vollständig zusammengefallen: nhd. Stein aus 
mhd. stein und mein aus mhd. min; nhd. Leib = 
mhd. lip und Laib = mhd. leip werden gleich aus- 
gesprochen; nhd. Haus = mhd. hüs und Baum 
= mhd. boum haben denselben Diphthong; nhd. 
heute = mhd. hiute (gespr. hüte) und Freude == 
mhd. vröude unterscheiden sich nicht in der Aus- 
sprache des Stammvokals. Der Grund, weshalb die 
Diphthongierung eintrat, ist vielleicht darin zu 
suchen, dass bei den zweisilbigen Wörtern infolge 
des Abfalls der Endung die Zeitdauer der Aus- 
sprache derselben auf die Stammsilbe überging und 
den Vokal überlang machte: aus ix\h wurde frf 
mit zweigipfliger Betonung, die im Laufe der Zeit 
zur Diphthongierung führte. Nach dem Muster der 
ursprünglich zweisilbigen Wörter wurden dann auch 
die einsilbigen diphthongiert. 

Für zwei Diphthonge haben wir im Nhd. eine Doppel - 
doppelte Schreibung: ei wird auch ai geschrieben, ^^^^^^""S 
eu auch äu. Historische Unterschiede werden da- p-_ 
bei insofern berücksichtigt, als ai nur für altes phthonge. 
ei, nicht für £ gesetzt wird, um gleichlautende 
Wörter zu unterscheiden: nhd. Saite = mhd. seite, 
Seite = mhd. site. äu schreiben wir für eu, wo 
wir den Umlaut von au noch erkennen: Haus — 
Häuser (mhd. hüs), Baum - Bäume (mhd. boum). 

Neben der Diphthongierung ursprünglich langer Mono- 
einfacher Vokale finden wir die Monophthongierung phthongie- 
der mhd. Doppelvokale ie zu {(geschrieben ie), uo '""^ 



— l82 



--^^r^nß- 



Aenderung 
der Aus- 
sprache. 



Ver- 
einzelter 

Laut- 
wandel. 



ZU ü, üe zu ü im Nhd. Schon in früh mhd. Zeit 
ist sie ein Kennzeichen der mitteldeutschen Mund- 
arten; der nhd- Zeit blieb es vorbehalten, diesen 
Brauch in die Schriftsprache zu übertragen, während 
noch heute die oberdeutschen Mundarten die alte 
diphthongische Aussprache bewahrt haben. Mhd. 
dienen (ie als Diphthong gesprochen) wird zu nhd. 
dienen (ie ^= T), tier zu Tier] vuor (Praet. von 
varan) zu fuhry bluot zu Blut\ rüemen zu rühmen y 
müede zu müde. Zuweilen werden die so ent- 
standenen Längen noch gekürzt: ging aus mhd. 
gienc, wuchs aus wuohs, müssen aus müe^en. 

Die Aussprache nur hat sich geändert bei mhd. 
ou, das nhd. au geschrieben und gesprochen wird : 
ouge Auge. Mhd. ei hat ebenfalls eine andere 
Aussprache im Nhd., nämlich ai, diese Schreibung 
ist indes nur vereinzelt durchgedrungen: mhd. 
keiser = Kaiser^ meie = Mai u. a., obwohl sie 
in oberdeutschen Handschriften und Drucken gang 
und gäbe war. Mhd. öu wird nunmehr eu : vröude 
== Freude, oder äu geschrieben, wo es als Umlaut 
von au noch deutlich erkannt wird : böume rr= Bäume. 

Soweit die regelmässigen lautgesetzlichen Ver- 
änderungen im Nhd. gegenüber dem Mhd. Vielfach 
findet sich auch vereinzelter Lautwechsel, dessen 
bunte Mannigfaltigkeit zu verfolgen uns hier zu weit 
führen würde. Wir können nur einige Fälle hier 
anführen. So ist mhd. u oft nach dem Vorgang 
des Mitteldeutschen im Nhd. zu o geworden, be- 
sonders vor n (nn) und m (mm) : mhd. sun ^= Sohn, 
sunne = Sonne, sumer = Sommer^ begunnen = be- 
gonnen, geswummen = geschwommen) vor andern 
Konsonanten wird mhd. u auch zu ö : mhd. burse 
(vgl. Bursch) = Börse. Durch Formübertragung 



- i83 - 

erklären sich golden (neben gülden ■= mhd. guldin) 
zu Gold, hölzern (mhd. hulztn) zu Holz u. a. Für 
ü ist, entsprechend dem Wandel von u zu o, ö ein- 
getreten : mhd. künec = Königy güxmen = gönnen usw. 
Weit verbreitet ist in der nhd. Schriftsprache 
auch der Uebergang von mhd. ä in ö, hauptsäch- 
lich vor Nasalen : mhd. mäne = Mond, mänöt =; 
Monat ^ äne = ohne, tähe = Ton (zu Töpfen); eine 
Doppelform zeigt mhd. ätem in Afem und Odem. 
Verkürzt ist dies lange ö vor Doppelkonsonanz in 
Docht aus täht, Brombeere aus brämber (bräme = 
Dornstrauch) Uebergang von mhd. e zu nhd. ö 
ist nicht selten: mhd. helle = Hölle , leschen = , 
löschen, weihen = wölben, zw elf = zwölf, swern 
= schwören, ergetzen (noch im i8. Jahrhundert 
ergetzen) = ergötzen und viele andere. Ent- 
sprechend wird i gelegentlich zu ü: mhd. finf := 
fünf, minze = ^Pfeffer-)w/lj«2^, wirdic = würdig, 
wirde = Würde u. s. w; langes T ist fi geworden 
in lügen aus liegen, trügen aus triegen u. a. Um- 
gekehrt wird auch mhd. ü zu nhd. i in Kissen aus ^ 
küssen, spritzen aus älterem nhd. und mhd. sprützen 
u. a. Nicht selten wird mhd. ae im Nhd. als e 
wiedergegeben: laere = leer, swaere = schwer, 
saelic = selig, waejen ^^ wehen u. a. Auch sonst 
finden sich mannigfache Uebergänge, die kaum alle 
zu übersehen sind; so wird eu zu ei in ereignen, 
Ereignis aus mhd. eröugen (zu ouge Auge, vgl. 
nhd. bezeugen), in Steiss, älter Steuss aus mhd. 
ahd. stiuz; u wird zu au in Schaukel aus mhd. 
schoc(kl), vgl. dial. schockein = schaukeln u. s. w. 
Eine besondere Betrachtung verdient das e in ton- e in 
losen Endungen. Schon am Ende des Mittel- ^"^""8^"- 
alters und in dem ersten Stadium der nhd. Schrift- 



— i84 — 

spräche ist die Unterdrückung der tonlosen e in End- 
silben erfolgt — vgl. mh'd. ambet Ami, arzet 
Arztf houbet Haupt , maget Magd, bemede Hemdy 
angest Angst, krebe^ Krebs, inünech Mönch u. s. w. 
Wenn sich die Apokope des e nun nach dem 
Vorgang der bairisch-österreichischen Mundart und 
der von ihr beeinflussten Kanzleisprache anfangs 
auch ziemlich häufig findet, so zeigt sich unter 
dem Einfluss des Mitteldeutschen bald ein Rück- 
schlag. Luther selbst entscheidet sich in den 
spateren Bibelausgaben für die nicht apokopierten 
Formen, und Opitz, Gottsched und Adelung folgen 
seinem Vorgang. Besonders sucht man das für 
die Flexion notwendige e zu schützen und geht 
hierin sogar so weit, es an Stellen wiedereinzusetzen, 
wo es schon im Mhd. abgestossen war. Abgefallen 
ist im Nhd. das tonlose e in der Regel nach einem 
andern Suffix: mhd. vischaere wird Fischer, hande- 
lunge = Handlung, vinstemisse = Finsternis, 
küniginne = Königin, edele = edel^ gebehde -^^ 
gebend u. s. w. Wo c unmittelbar auf die Stamm- 
silbe folgte, bleibt es nach stimmhaften Verschluss- 
und Reibelauten, damit diese nicht stimmlos werden : 
mhd. oede = öde, truebe = trübe, wise = weise", 
nach stimmlosen Lauten, Liquiden und Nasalen 
fallt es ab: spaete = spät, kuele = kühl, niuwe 
= neti^ 

Wegfallen kann im Nhd. das e des Gen. und 
Dat. Sing, der starken Maskulina (s. § 26) nach 
starkem Ton, wenn nicht Gründe der bequemen 
Aussprache entgegenstehen; nach Nebenton fällt es 
regelmässig aus. Demnach sagen wir: Königs, 
Monats, aber Tags und Tages, Fasses, Geizes 
u. ä. Selbst im Plural fallt aus dem gleichen Grunde 



- i85 - 

das sonst feste e weg nach den Endungen -el, -er, -en, 
-ein, -lein, -chen : die Flügel^ Fenster ^ Mädchen u. s. w. 
Anderseits fügt das Nhd. das I?lural-e auch wieder 
an, wo esimMhd. fehlt, z.B. bei einsilbigen Liquida- 
stämmen: mhd. die kil = nhd. die^ Kiele, die stil 
= die Stiele, die koln = die Kohlen u. s. w. 

Beim Zeitwort ist Synkope des e im Nhd. häufig 
vor den Endungen st und t: du hilfst, er hilft] ,\ 
selbst der Stammauslaut auf d oder t hindert sie 
nicht: du wirst, er wird] du trittst, er tritt u. s. w. 
Dagegen hat das Nhd. ein im Mhd. synkopiertes e 
wiederhergestellt in wem wehren, zeln zählen ul ä. 

Auch das vor r im Silbenauslaut nach altem t. Neue e 
ü, iu = nhd. ei, au, eu eintretende e ist nhd. ^^^ ^' 
Entwicklung: mhd. gir = Geier, sür = sauer, viur 
= Feuer u. s. w. 

Neben rein lautlichen Entwicklungen machen 
sich bei der Erhaltung oder Abstossung des 
Endungs-e auch andere Einflüsse geltend: Wörter, 
die als zusammengehörige Gruppen empfunden 
werden, streben nach gleicher Form; so erhalten 
die Feminina meist das e, weil es als Kennzeichen 
des weiblichen Geschlechts aufgefasst wird : Mühle, 
Kehle, Ware, Ruhe u. s. w., wohingegen die Neutra • 
nieist das e aufgeben: Heer, Netz, Glück, Reich 
u. s. w. Alle einzelnen- Möglichkeiten zu verfolgen, 
liegt indes bei der Fülle der Erscheinungen ausser- 
halb des Rahmens des vorliegenden Werks. 

§ 25. 

Der Konsonantismus der neuhochdeutschen 

Schriftsprache. 

Neben den einschneidenden Veränderungen, die 
der nhd. Vokalismus gegenüber dem mhd. erlitten 



- i86 — 

hat, sind die Neuerungen bei dem Konsonanten- 
system weniger bedeutend. Am durchgreifendsten 
für 4as Schriftbild sind die zahlreichen Ver- 
doppelungen von Konsonanten, die das Neuhoch- 
deutsche nach älterem Muster vorgenommen hat. 
Denn schon in früher Zeit kamen durch Angleichungen 
und Einwirkung von 1, r, w, j (s. § 5, S. 26 f.) Ver- 
Alte doppelungen zustande, die sich bis auf unsere Zeit 
Doppel- gehalten haben, wenn der vorhergehende Vokal 

konsonan- -^^^^ ^^j. . uj^d. bette ^= Bett, sippe, stimme, vüllen, 
spannen u. s. w. Indes besteht doch ein wesent- 
licher Unterschied zwischen der Aussprache der 
Doppelkonsonanten in alter und neuer Zeit. In der 
älteren Zeit wurden wirklich die Konsonanten 
doppelt ausgesprochen, also bet-te, sip-pe u. s. w. mit 
zweimaligem Ansatz; heute sprechen wir nur ein- 
fachen Konsonanten, der aber sowohl zur ersten 
wie zweiten Silbe gehört, d. h. lang gesprochen 
wird. Die Zahl dieser so gesprochenen Doppel- 
konsonanten ist im Nhd. dadurch beträchtlich ver- 
mehrt worden, dass überall da, wo vor einfachem 
Konsonant kurzer Vokal erhalten bleibt, der 
Neue Konsonant verdoppelt wurde : mhd. götes = GoUes, 

Verdoppe- hfmel = Himmel, doner = Donner, sVte = Sitte 
lungen. jj^ g ^ ^^ häufigsten sind t und m auf diese 
Art verdoppelt worden, seltner n, 1 und f, die wie 
ck und SS meist schon im Mhd. verdoppelt waren. 
Das Mhd. schrieb niemals Doppelkonsonanten 
am Wortende : stam — Stammes, stoc — Stockes, 
rinnen — ran u. s. w. Das Nhd. stellt infolge 
des Formenausgleichs den Doppelkonsonanten auch 
am Wortende her : Stamm^ Stock, rann u. s. w. 
Woher kommt es nun, dass das Nhd. kurzen Vokal 
durch Doppelkonsonanten kenntlich macht ? Um 



- i87 - 

dies zu verstehen, müssen wir auf die mhd, Recht- 
schreibung zurückgreifen, die doppelten Konsonant 
nach langem Vokal vereinfacht: Valien — viel = 
fallen — fiely treffen — träfen, schaffen — schuofen 
u. s. w. Diese Fälle gaben das Muster ab, wonach 
im Nhd. ein doppelter Konsonant zum Zeichen für 
die Kürze des vorhergehenden Konsonanten wurde. 

Im Mhd. wird inlautende Media, die in den Mhd. Media 
Auslaut tritt, zur Tenuis : geben — gap, liden -- im Auslaut 
leit leiden ~_ litt, bergen — bare. Im Mittel- "" ^^^• 
deutschen hielt man an der Media fest, und diesem 
Gebrauch hat sich das Nhd. angeschlossen — 
mit Ausnahme der Fälle, wo zugleich Vokalver- 
kürzung eintrat, wie schneiden — schnitt — wenigstens 
in der Schrift, denn in der Aussprache kennen wir 
nur auslautende Tenues, . keine Medien im Nhd.; 
wir schreiben zwar Leib, Hund, Tag^ sprechen aber 
Laipy Hunty Tak. 

Aufgegeben wurde die eigentümliche Aussprache Mhd. 5 
des mhd. 5 schon seit dem Ende des 13. Jahr- im Nhd. 
hunderts; es fiel seitdem mit s zusammen. Im Nhd. 
wird es ss (nach kurzem Vokal) oder ß (nach langem 
Vokal und im Auslaut) geschrieben: sträje Straße y 
mej^en messen^ mäj maßy ha;, ha55es Haß, Hasses. 
Wenn 5 im Auslaut der Wörter steht, bei denen es 
nicht in den Inlaut treten kann, wird es durch 
s ersetzt : di^j daSy alle; alles , bi; bis u. s. w. 
Manchmal ist ; zu stimmhaftem s geworden, wie 
Anieise — mhd. ämei^e, Los — 16;, emsig =^ emjig ; 
die Nachbarschaft der stimmhaften Laute hat hier 
offenbar angleichend gewirkt. 

Im Nhd. wird das h zwischen Vokalen nicht Mhd. h im 
mehr gesprochen und nur noch in der Schrift bei- Nhd 
behalten: wir unterscheiden in der Aussprache seihen 



— i88 — 

nicht mehr von seien, sähen nicht von säen. Im 
Mhd. ist das h in eher, mahel, tähele gesprochen 
worden, im Nhd. ist es stumm in Aehre, Ge-mahl, 
Dohle. Manchmal ist das stumme h auch in der 
nhd. Schreibung ausgefallen: ^^// aus bihel ; zuweilen 
ist nach Verstummen des h Zusammenziehung ein- 
getreten: Träne aus trahen, pl. trähene, Zähre aus 
zäher, pl. zähere, Fehde aus v6hede u. s. w. 

Mhd. eh. Auch ch ist einigemale dem h folgend ge- 

schwunden: allmählich aus mhd. almechlich zu ge- 
mach, geruhen aus geruochen, Gleissner aus 
geltchsenaere zu gelihsen „sich verstellen" u. a. 

Mhd. w. Mhd. w fiel im Nhd. in den flektierten Kasus 

weg, wo es im Mhd. schon in Nominativ geschwunden 
war, vgl. § 14, S. 100 f. Wenn es erhalten blieb, 
so wurde es zu b: falb neben fahl^ gelb neben 
dial. gehl, 
Mhd. s im Ueber das aus sl, sm, sn, sw entstandene schl, 

Nhd. schm, sehn, schw, ebenso wie über die nhd. Aus- 
sprache von sp und st, die bereits im späten Mhd. 
auftritt, ist in § 14, S. 99 gesprochen worden. 
Im Nhd. hat ebenso s nach r im Auslaut und auch 
vielfach im Inlaut ebenfalls die Aussprache seh an- 
genommen: mhd. ars =^ nhd. Arsch, birsen (s. § 
17, S. 126) ^= birschen, (pürschen), burse =^ Bursche, 
kirse = Kirsche, h^rsen - herrschen u. a. Ver- 
einzelt ist nhd. Hirsch aus mhd. hirj ; Luther schreibt 
noch Hirs, Hirß. Neu ist auch der Uebergang 
des stimmlosen s zwischen stimmhaften Lauten in 
stimmhaftes s im Nhd; wann dies geschah, lässt 
sich nicht näher bestimmen, da die Lautbezeichnung 
die gleiche blieb ; wir sprechen heute leise, Linse, 
Amsel mit stimmhaftem s. Die norddeutsche Aus- 
sprache verlangt dies stimmhafte s überhaupt im 



Wandel. 



— 189 — 

Anlaut vor Vokalen: Saaty sehen, sicher , Sonne y 
Stichen ; in Mittel- und Oberdeutschland ist noch die 
alte stimmlose Aussprache erhalten. 

Neben den erwähnten durchgreifenden Laut- 
wandlungen sind noch zahlreiche vereinzelte Ver- 
schiebungen vorgekommen, von denen wir hier nur 
die wichtigsten hervorheben wollen. 

Mhd. mb ist zu mm angeglichen: lamp, gen. Ver- 

lambes = Lamm, Lammes, zimber = Zimmer, ^^f^^)^^ 

' * Laut- 

umbe -— um, 

Mhd. tw ist nhd. zu z^v verschoben (dialektisch 
auch zu kw = qu): ge-twerc = Zwerg, twerch --=■ 
Zwerchfell, woneben ^uer u. a. 

Mhd. w is ausgefallen nach ü, ou und iu 
=^ nhd. au und eu: mhd. fronwe = Frau, schouwen 
■=^ schauen, niuwe = neu, büwen ^= bauen. Zu u 
ist es geworden nach ä : bräwe = Braue, blä, gen. 
bläwes = blau u. s. w. 

Mhd. auslautendes m ist zu n geworden: 
bodem = Boden, buosem = Busen, vadem = 
Faden, be^em(e) = Besen. Diese Entwicklung ent- 
spricht der gleichen in vor- und urgermanischer Zeit. 

Mhd. t wird nicht selten unter mitteldeutschem 
Einfluss zu d im Anlaut : tumb = dumm, tam —- 
Damm, tuft = Duft, tihten = dichten u. a. Um- 
gekehrt wird mhd. d zu t in einzelnen Fällen, 
drum, pl. drüm^r = Trümmer, draben = traben, 
hinder = hinter und im Praeteritum der schwachen 
Verben nach m und n : mhd. diende =^ diente, in- 
folge des Systemzwangs. 

Im Auslaut ist im Nhd. öfters ein t (d) an- 
getreten; iergen =^ irgend, wilen == weiland, ackes 
= Axt, palas = Palast, obej = Obst, ieze = jetzt 
u. a. Anderseits ist das mhd. t der 3. Person 



— igo — 

Pluralis des Präsens : gebent ^= sie geben durch 
Anlehnung an die übrigen Formen der 3. Personen: 
gäben, gaeben und i. Person: wir geben verloren 
gegangen. 

Noch viele andere vereinzelte Lautwandlungen, 
die sich hier nicht aufzählen lassen, zeigen ausser den 
schon erwähnten, dass die nhd. Schriftspraclie ihren 
Ursprung aus verschiedenartigen Mundarten nicht 
verleugnen kann. Wenn der Vokalismus wesent- 
lich mitteldeutsch ist, so beruht das Konsonanten- 
system des Nhd. auf der oberdeutschen Lautgebung, 
neben der sich indes mitteldeutscher Einfluss sehr 
merklich macht. Man kann aber sagen, dass dieser 
letztere seit Luthers Tagen eher ab- als zuge- 
nommen hat. Heutzutage steht unsere Schrift- 
sprache, entsprechend dem im Norden liegenden 
politischen Schwerpunkt Deutschlands, zumeist unter 
norddeutschem Einfluss in niederdeutscher Um- 
gebung. Nicht nur dringt die norddeutsche Aus- 
sprache immer weiter nach Süddeutschland vor, 
sondern auch die niederdeutsche Lautgestaltung 
macht ihre Einwirkung geltend : sachte (neben sanff) 
eckt, Nichte, Schlucht weisen cht statt oberdeutschem 
ft (vgl, Ni/tel, Schlu/t); kneipen, fett (ohexd. feist), 
Wappen (oberd. Waffen), ruppig, Harke zeigen mit 
unverschobenem p, t, k nach Niederdeutschland. 
Der Schwerpunkt unserer sprachlichen Entwicklung, 
der im Mittelalter im Süden, im 16., 17. und 18. 
Jahrhundert in Mitteldeutschland lag, ist im 19. 
Jahrhundert nach Norddeutschland gerückt, wo die 
Reichshauptstadt Berlin nicht nur in der literarischen, 
sondern auch in der sprachlichen Entwicklung ton- 
angebend ist und es in der nächsten Zeit voraus- 
sichtlich in noch stärkerem Masse als bisher sein 



— 191 — 

wird. Zum Unterschied von früheren Jahrhunderten 
drängt die Entwicklung der Sprache nicht nur zur 
Einheitlichkeit im schriftlichen, sondern auch im 
mündlichen Gebrauch unter dem Einfluss des er- 
heblich gesteigerten Verkehrs und Bevölkerungs- 
austausches zwischen den verschiedenen. Teilen des 
geeinten Reiches. 

§ 26. 
Deklination und Konjugation im Neuhoch- 
deutschen. 

Wenn schon im Mhd. die urgermanischen, im 
Ahd. noch teilweise erhaltenen Deklinationsklassen 
sehr zusammengeschmolzen sind, so ist im Nhd. 
durch den Abfall vieler Nomimativ-e, durch die 
Ausdehnung des Umlautes u. s. w. eine noch weiter- 
gehende Vermischung und Zerstörung der alten Zerfall der 
Deklinationstypen eingetreten. Wir unterscheiden Deklina- 
heute nur noch zwei Deklinationsklassen : starke und u| "^' 
schwache Deklination, und bei den weiblichen 
Hauptwörtern gilt der Unterschied sogar nur für die 
Mehrzahl, die Einzahl ist gänzlich endungslos. Die 
schwache Deklination ist in der Einzahl überhaupt 
nur noch bei männlichen Hauptwörtern erhalten; 
die drei Neutra Auge, Ohr, Herz, die im Mhd. auch 
im Singular schwach gebeugt wurden, sind jetzt in 
der Einzahl in die starke Deklination übergetreten, 
in der Mehrzahl flektieren sie schwach; so ent- 
steht eine sog. gemischte Deklinationsklasse im Nhd. 

Die männlichen Hauptwörter der starken Dekli- Plural- 
nation haben den Umlaut in grösserem Umfang als ^j'^V"? -^'^^ 
• n/ri j -n.i :• j -Ä/r 1 11 Maskulina. 

im Mhd. zur Bildung der Mehrzahl angenommen: 

mhd. hove = Höfe, koche =r Köche, frosche = 



— 19^ — 

Frösche ^ wolve == Wölfe u. s. w. Selten ist der 
Fall eingetreten, dass der mhd. Umlaut im Nhd, 
aufgegeben wurde; mhd. lahs, pl. lehse = Lacks ^ 
Lachse. Die Pluralendung -er, die im Mhd. nur 
den sächlichen Hauptwörtern zukommt,, greift im 
Nhd. auch auf die Maskulina über: mhd. geiste = 
Geister, libe =' Leiber y würme = Würmer^ gote = 
Götter y man, manne = Männer y walde, weide = Wälder 

Uebertritt u. a. Zahlreiche Maskulina, die im Mhd. im Nom. 
von der Sing, auf -e endigten und schwach dekliniert wurden 

schwachen (garte, garten u. s. w.), enden im Nhd. auf en und 
Deklina- ^^^^ ^" ^*® Starke Deklination übergetreten. Den 
tion Plural bilden sie vielfach mit Umlaut: lühd. garte, 
garten = Garteny Gartens, Gärten^ ebenso grabe 
= Graben, lade = Laden, bo^e == Bogen u. a. ; 
ohne Umlaut balke = Balkeny balle = Ballen, 
brunne = Brunnen u. s. w. 

Unter Verlust des Nominativ -e sind im Nhd. 
in die starke Deklination übergetreten; hane, 
hanen = Hahny Hähne (daneben Hahnen)y herzöge, 
herzogen = Herzogy Herzögey Sterne, Sternen = 
Stern y Sterne y mäne, mänen = Mond, Monde u. a. 
und Umgekehrt sind aber inanche mhd. starke Substan«» 

unngekehrt. tive im Nhd. in die schwache Deklination überge- 
treten : helt, gen. beides = Heldy Helden^ beiden, 
gen. heidens = HeidCy Heiden, raben, gen. rabens 
= Rabe, Raben u. a. 

Verlust des Die alten ja-(w)Stämme (s. § 15, S. 108), die 

W*t^"d ^^^"^ männlichen und sächlichen Geschlecht im 
* Mhd. noch am -e des Nom. Sing, kenntlich sind, 
haben im Nhd. das unbetonte -e nach nebentoniger 
Silbe verloren, wie die zahlreichen Hauptwörter 
auf -aere = nhd. -er: scribaere = Schreiber^ 
oder durch Anschluss an endungslose Substantive: 



— 193 — 

sige = Sieg, mete = Met, bette = Bett, kinne 
= Kinn u. s. w., oder sie nehmen statt dessen die 
Endung -en an: weize = Weizen, rücke = Rücken, 
fride = Frieden, schate = Schatten] nur wenige 
sind unverändert erhalten: kaese = KäsCj ende 
= Ende u. a. 

Bei den sächUchen Hauptwörtern hat im Nhd. Plural- 
die Piuralendung -er, die schon im Mhd. weitere ^i><l«ng der 
Ausdehnung gewonnen hatte, ihr Gebiet noch be- N^"*^*- 
trächtlich vergrössert: diu kint = die Kinde r^ diu 
kleit = die Kleider u. s. w. Unbekannt ist auch 
dem Mhd. die nhd. Pluralbildung auf -e bei den 
Neutra: diu wort = die Worte, diu schif = die 
Schiffe, diu ding =: die Dinge u. s. w. Der 
endungslose mhd. Plural ist im Nhd. noch ver- 
einzelt erhalten; so „die Fass^^ = die Fässer in 
der Böttchersprache, oder bei Massbezeichnungen: 
3 Pfund, 5 Mass (Bier), lo Stück, während die 
üblichen Plurale : Pfunde, Masse, Stücke sind. 

Das Mhd. unterschied bei den weiblichen Haupt- 
wörtern die starke ä-Dekl. von der i-Dekl., auch 
noch in der Einzahl. Im Nhd. sind die Substantive 
der ä-Deklination im Plural in die schwache 
Deklination übergetreten ; der Singular ist, wie 
schon gesagt, bei allen Femininen endungslos. Es 
-entspricht sich mhd. diu 6re, plur. die 6re und nhd. Plural- 
die Ehre, Ehren, diu rede, plur. die rede und die bildung der 
Rede, Reden u. s. w. Bei vielen Femininen ist im ^«™i""^*- 
Singular das auslautende e abgefallen: mhd. schiure 
= Scheuer, huote =^ Hut^ schäme = Scham u. s. w. 

Den Femininen der i-Deklination kam ursprüng- 
lich der Umlaut im Plural zu : kraft, krefte = Kraft, 
Kräfte, doch sind viele von ihnen im Nhd. in die 
ä- Klasse übergetreten, bilden also ihren Plural 

Feilt, Die deuttohe Sprache. 13 



194 — 



schwach: mhd. arbeit, arbeite = Arbeit, Arbeiten, 
tat, täte = Taty Taten u. s. w. Alle Feminina 
iauf -heit, -keit, -Schaft werden im Mhd. im Plural 
stark, im Nhd. dagegen schwach abgewandelt: 
eigenschaft, eigenschafte =r Eigenschaft, Eigen- 
schaften. Manchmal sind auch die umgelauteten 
Formen des Gen. und Dat. Sing, im Nhd. in den 
Nominativ eingedrungen : mhd. ante, ente = nhd. 
Ente, Enten i bluot, bluete = Blüte, Blüten u. s. w. 
Die schwache Deklination der Feminina ist im 
Nhd. durch die Endungslosigkeit des Singulars mit 
der -Deklination zusammengefallen: bluome, bluomen 
Blume, Blumen, sunne, sunnen = Sonne, Sonnen 
u. V. a. 
Wechsel Nicht immer entspricht das nhd. Geschlecht 

des Ge- der Hauptwörter dem mhd, Geschlecht. Starke 
schlechts. ]y[askulina sind ins Neutrum übergetreten : mhd. 
der lop = nhd. das Lob, häufiger ins Femininum, 
meist nach mitteldeutschem Gebrauch : mhd. der 
list, luft, angest, lust, wäc = nhd. die List, Luft, 
Angst, Lust, Woge u. v. a. Starke Neutra sind im 
Nhd. ins Maskulinum übergegangen: mhd. daz gou 
(göu), getwerc, honec, tranc = nhd. der Gau, 
Zwerg, Honig, Trank, nicht selten auch ins Femininum : 
daz maere, wäfen, äher, zit = die Mähre, Waff^e, 
Aehre, Zeit u. s. w. Manche schwach deklinierten 
Hauptwörter schwanken zwischen Mask. und Fem.' 
im Mhd., sind aber im Nhd. Feminina geworden: 
mhd. der, diu bluome = die Blume) andere, die 
im Mhd. nur männlich gebraucht wurden, sind eben- 
falls im Nhd. ins Femininum übergetreten : der 
backe == die Backe (dial. der Backen'), der karre 
= die Karre (dial. der Karren)^ der vane = die 
Fahne u. s. w. 



-195 — 



wort. 



Das 
Adverb. 



Die Entwicklung des Eigenschaftsworts weist Das Eigen 
wenig Bemerkenswertes auf: im allgemeinen ist, schafts- 
abgeseheh von lautlichen Veränderungen (blindej 
r= ^/inäes, blindivi = blinde), der mhd. Zustand 
erhalten geblieben; nur der Akk. Sing. Fem. endigt 
nicht mehr auf -en beim schwach flektierten Eigen- 
schaftswort, sondern auf e: die blinden vrouwe = 
die blinde Frau. 

Das ohne Umlaut vom Adjektiv gebildete 
Adverb auf -e ist im Nhd. bis auf erstarrte Reste 
ausgestorben : lange zu lang (mit erhaltener Endung) 
schon = mhd. scöne, Adverb zu scoene = schön ^ 
fast = mhd. vaste, Adverb zu veste = fest; bald, 
kaiinty sehr u. a. sind auch alte Adverbien, denen 
in der heutigen Sprache kein Adjektiv mehr zur 
Seite steht. 

Selbst die erst im Mhd. zu grösserer Ver- 
breitung gelangte Bildung auf -liehe = lieh ist im 
Nhd. bei Adverbien nur noch in vereinzelten Fällen 
erhalten : klärlich, weislich, freilich^ höchlich u. a. 
Im allgemeinen ist das Adverb im Nhd. in der 
Form nicht mehr vom Adjektiv unterschieden, auch 
nicht mehr im Komparativ und Superlativ, wo es 
im Mild, noch an dem fehlenden Umlaut kenntlich 
war : höhe — höher höhest — hoch, höher, höchst. 

Beim Fürwort kennt das Nhd. auch nur ver- 
einzelt neue Formen. Die Genitive min, din, sin 
des persönlichen Fürworts haben neben den laut- 
gesetzlichen Entsprechungen mein, dein, sein auch 
längere Formen meiner, deiner, seiner angenommen; 
der Dat. Plur. der 2. Pers. iu ist zu Gunsten des 
Acc. iuh = euch aufgegeben worden. Die mhd. 
Nom. dirre (m.), ditz(e) (n), neben denen schon 
dis6r, dij vorkommen, schwinden im Nhd. 

13* 



Das 
Förwort. 



f 



— 196 — 

Das Beim Zahlwort ist der Unterschied der Ge- 

Zahlwort, «schlechter in mhd. zw6ne, zwo, -zwei = zwei, dri 
(drie), driu ^^ drei im Nhd. geschwunden (in 
Dialekten lebt er indes noch fort), einlif, eilf ist zu 
elf verkürzt. 

Aus dem Vorhergehenden ist ersichtlich, dass 
die Veränderungen des Nhd. gegenüber dem Mhd. 
beim Nomen (Substantiv^ Adjektiv, Fürwort) nicht 
erheblich sind und zumeist nur die Weiterent- 
wicklung der schon in der älteren Sprache nach- 
weisbaren Tendenzen sind. 
£)as Anders bei der Konjugation des Zeitworts. 

Zeitwort. Hier ist das im Mhd. noch fest gefügte System der 
altüberkommenen Konjugationsformen im Nhd. durch 
Formenausgleich beim starken Zeitwort ganz wesent- 
lich umgestaltet und vereinfacht worden. 
Die Zunächst die Endungen. Schon das Mhd. kann 

Endungen, keinen grossen Reichtum daran aufweisen; im Nhd. 
ist ihr Bestand noch mehr zusammengeschmolzen. 
Verloren ist die Endung -ent der 3. Plur. Praes. 
sie nement = sie nehmetl' Die 2. Sing. Praet. der 
starken Verben hatte die Endung -e (aus älterem i) 
mhd. du naeme; das Nhd. setzt dafür die Endung 
des Präsens = st: du nahmst» Doch diese Ver- 
luste hätten das Gesamtbild der Konjugation weniger 
beeinträchtigt als der Ausgleich, den das Nhd. im 
Ausgleich Praeteritum der starken Zeitwörter vorgenommen 
im Präteri- hat, indem die Form des Plurals auch in den 
tum der Singular oder umgekehrt eindringt. Es hiess also 
Verba. T^^^' ich stige — ich steic — wir stigen — ge- 
stigen, nhd. dagegen ich steige — ich stieg (statt 
lautgesetzlichem ich steig) — wir stiegen, — ge- 
stiegen, mit Verlängerung des mhd. \; mhd. snide 
— sneit — sniten — gesniten wird schneide — schnitt 



J 



— 197 — 

— schnitten — geschnitten (mit Erhaltung des 
kurzen i); oder mhd. biegen — ich biuge — ich 
bouc — wir bugen — gebogen wird nhd. biegen 

— ich biege — ich bog — (statt baug) — wir 
bogen (o für u nach § 24, S. 182) — gebogen] 
mit anderem Ausgleich: mhd. binden — bant — 
bunden — gebunden = binden — band — banden 

— gebunden u. s. w. Nur ein Zeitwort hat die 
Form des Singulars neben der des Plurals erhalten, 
und nur die letztere auf das ganze Praeteritum aus- 
gedehnt: werden — ich ward, wurde, — wir 
wurden — geworden. Im Präsensstamm ist bei den 
Verben mit mhd. iu = nhd. ü der Brechungs- 
vokal ie des Plurals mit Ausnahme von lügen, küren 
und trügen auch im Singular durchgeführt Bei 
den Verben mit dem Stammvokal e ist dieser auch 
in die i. Pers. Einz. Praesentis gedrungen, also: 
ich gebe = mhd. ich gibe, aber du gibst, er gibt. 

Die Ablautsklassen stellen sich im Nhd. also 
folgendermassen dar (vgl. für das Mhd. § 1 5, S. 1 1 3 f) : 

I. I . geben — gab — gaben — gegeben 

2. nehmen — nahm — nahmen — genommen 

3. binden — band — banden — gebunden 

4. werfen — warf — warfen — geworfen 
II. la. greifen — griff — griffen - gegriffen 

ib. bleiben — blieb — blieben — geblieben 

2a. bieten — bot — boten — geboten 

2b. lügen — log — logen — gelogen 

III. fahren — fuhr — fuhren — gefahren 

halten — hielt — hielten — gehalten 

laufen — lief — liefen — gelaufen 

Eine weitere Vereinfachung erlitt das Konjuga- ^^'^..^^u™" 
tionsschema dadurch, dass der im Mhd. noch wechf*»' 



IV. 



— 198 — 

lebendige sog. grammatische Wechsel {s. § 8, S. 54) 
bis auf wenige Reste beseitigt und der auslautende 
Konsonant entweder des Präsens- oder des Perfekt- 
stammes durchgeführt worden ist. 

So hiess es im Mhd. noch: dihe — d^ch — 
digen — gedigen, im Nhd. %^^deihen, 'diehy 
'diehen (daneben das isolierte Adjektiv gediegen)^ 
kiuse — kös — kum — gekorn --^ nhd. küre — 
kor — gekoren) hähen — hienc — hiengen — 
gehangen = nhd. hangen — hing — gehangen, 
(der Konsonant im Stammauslaut des Praet. ist 
ins Praes. gedrungen), Ueberreste des gram- 
matischen Wechsels im Nhd. sind : ziehen — zog 
- gezogen) leiden {schneiden) — //// (schnitt) — 
gelitten {^schnitten)) sieden — sott — gesotten. 
Die Das Nhd. kennt nur noch eine schwache Kon- 

schwache jugation, während das Mhd. noch die Nach- 
. ^"" Wirkungen der ahd. e und d -Konjugation in dem 
sog. Rückumlaut aufweist (§ 15, S. 1 14), der im Nhd. 
bis auf einige Reste getilgt ist. Dem mhd. hoeren — 
hörte — gehoeret entspricht nhd. gleichförmiges 
hören — hörte — gehört. Vier Zeitwörter: brennen, 
kennen, nennen, rennen haben in den Formen 
brannte, kannte, nannte, ranrtte den Rückumlaut 
bis heute erhalten; ebenso die schon im Ur- 
germanischen bindevokallosen Präterita : brachte von 
bringen, dachte von denken und deuchte von dünken 
nebst den entsprechenden Mittelwörtern gebracht, 
gedacht, gedeucht (neben gedünkt). 
Der Binde- Wenn das Mhd. zwischen lobete oder sagete 

p^^r' > ^"" ^^^ Bindevokal) und hörte oder suochte (ohne 
Bindevokal) unterschied, so hat das Nhd. verein- 
heitlicht: lobte, sagte, hörte und suchte sind alle 
bindevokallos. Dagegen setzt es den Bindevokal 



. - 199 — 

e der Deutlichkeit wegen nach d und t, wo ihn / ; 

das Mhd. nicht kennt: redte, rette = redete.- 

Die Grenzen zwischen starker und schwacher Ver- 

Koniugation beginnen sich im Nhd. vielfach zu ™*schung 
•'. , , f A . . . von starker 

verwischen: mhd. nigen — neic — nigen — genigen u^^j 

wird nhd. schwach: neigen, neigte, geneigt, bannen schwacher 
- bien — ^ gebant = bannen, bannte, gebannt, ebenso ^ Kon- 
spannen — spien — gespant -— spannen, spannte, J"6**^^" 
gespannt u. a. m. Anderseits sind einige mhd. , 

schwache Verben im Nhd. stark geworden : preisen, 
schweigen, weisen, Praeteritum : pries, schwieg, wies» 
Die Keime zu dieser Entwicklung finden sich schon 
im Mhd. und die nhd. Dialekte sind darin noch 
viel weiter gegangen. 

§ 27. 
Die neuhochdeutsche Rechtschreibung. 

Als man im 8. Jahrhundert anfing, althoch- 
deutsche Wortformen schriftlich aufzuzeichnen, da 
bediente man sich zu diesem Zwecke nicht mehr 
des einheimischen Runenalphabets (s. § 3, S. 18), 
sondern ausschliesslich des lateinischen Alphabets. 
Das alte Wort für „schreiben" writan, engl, write 
(vgl. reissen = zeichnen in Reisshx^XX, Grundr/j^) 
wurde nun verdrängt durch das lat. Lehnwort 
scribere = ahd. scriban = nhd. schreiben. Das 
lateinische Alphabet hatte zwar für manche deutsche 
Laute wie (engl.) th oder w, fem er für die ver- 
schobenen Affrikaten pf, tz, kch, auch für die durch 
Umlaut getrübten Vokale keine entsprechenden 
Zeichen, aber es konnte doch mit leichten An- 
passungen dem gewollten Zwecke dienstbar gemacht 
werden. Natürlich wurden mit der Uebernahme 



— 200 — 

des lateinischen Alphabets auch dessen Un Voll- 
kommenheiten übernommen : so dient e und o 
ohne Unterschied zur Bezeichnung des offenen und 
des geschlossenen Vokals ; ein und derselbe Buch- 
stabe dient zur Wiedergabe verschiedener Laute : 
wie lat. c bald k, bald ts gesprochen wurde, so 
dient im Ahd. und Mhd. z fär zwei ganz ver- 
schiedene Laute, für die Aifrikata in zaln = nhd. 
zahlen und einen s-artigen Laut in e^jen = nhd. 
essen. 

Wenn also schon in alter Zeit die schriftliche 
Wiedergabe des gesprochenen Worts eine unvoll- 
kommene war — und es wie in allen Sprachen so- 
gar sein musste, da es für die landläufige Schreib- 
weise unmöglich ist, die zahllosen feinen Ab- 
tönungen der Laute einer Rede wiederzugeben — 
so hat sich diese Unvollkommenheit im Laufe der 
Zeit noch gesteigert. Denn die Sprache ändert 
sich von einem Geschlecht zum andern, aber das 
geschriebene Zeichen bleibt und entspricht end- 
lich nicht mehr dem gesprochenen Laut. So schrieb 
Schrift und und sprach man in ahd. Zeit s-1, s-m, s-n, s-t, s-p; 
^^\ in inhd. Zeit schon und heute noch spricht man 
sprac e. ^^^ sohl, schm, schn, seht, schp ; teilweise hat 
sich die Schreibung der Aussprache angepasst, 
teilweise aber — bei st und sp — ist erstere auf 
dem alten Standpunkt stehen geblieben. Es kann 
auch der Fall eintreten, dass zwei ursprünglich 
verschiedene Laute in einen zusammenfallen, die 
Schreibung aber beide bewahrt, wie mhd. und nhd. 
V und f in Vater und Faden oder nhd. ei und ai, 
die beide ai (eig. ae) gesprochen werden in Heide 
und Haide. Anderseits dient ein und dasselbe 
Zeichen für verschiedene Laute : ch in Dach und 



— 20I — 

michy g in gross und wenig (nach der gewöhnlichen 
Aussprache der Mitteldeutschen) sind nicht identisch, 
ch in sechs lautet wie k, g in Tag je nach der 
Aussprache wie k oder ch. 

Endlich ist noch ein Umstand zu erwähnen, 
der einer lautrichtigen Wiedergabe des gesprochenen 
Worts schon in alter Zeit entgegenwirkte: das 
Streben, etymologisch gleiche Wörter auch in gleicher 
oder wenigstens möglichst ähnlicher Gestalt auf- Etymolo- 
treten zu lassen ; so schreiben wir alt — (ilter^ P'^h^ 
weil wir den Zusammenhang fühlen und in der 
Schrift deutlich machen wollen, sprechen aber die 
altern genau so wie das ursprünglich identische die 
Elterny bei dem wir an die Herkunft nicht mehr 
denken. Wir schreiben er fährte weil wir wissen, 
dass es zu fahren gehört, ^^x fertig y bei dem die 
Zugehörigkeit zu diesem Zeitwort uns nicht mehr 
zum Bewusstsein kommt. 

Nur in einzelnen Fällen bringt die Schrift Länge Unvoll - 
oder Kürze der Vokale zum Ausdruck; ganz un- kommen- 
möglich ist es ihr, die wechselnde Tonhöhe der- gchrift- 
selben wiederzugeben, die das Tempo der Rede bilds. 
oder die Stimmung und Absicht des Sprechenden 
so verschiedenartig gestalten. Die Rechtschreibung 
ist also naturgemäss von vornherein unvollkommen; 
sie wird es noch mehr dadurch, dass sie oft mit 
der Weiterentwicklung der Sprache nicht Schritt 
hält; endlich hat die Willkür der Schreiber und 
die Mode nicht wenig zur Verunstaltung unserer 
Orthographie beigetragen. Veralteter 

Unsere heutige Rechtschreibung beruht im Lautstand 

wesentlichen auf dem Lautstand zur Zeit der Ein- der 

führung der Buchdruckerkunst, um die Wende des heutigen 

Mittelalters und der Neuzeit. Damals aber wurde ^'^^^?" 

grapnie. 



ftoch vielfach anders gesprochen wie heute, auch 
waren noch manche ältere Schreibungen beibehalten 
Worden, die schon zu jener Zeit nicht mehr be- 
rechtigt waren. 5o kommt es, dass unsere 
Orthographie mit einer Menge heute überflüssiger 
Zeichen wirtschaftet, von denen zwar manche durch 
die Neugestaltungen der letzten Jahrzehnte abge- 
stossen wurden, wie das ganz unnötige 1:^ nach t, 
Ver- aber die Mehrzahl ist doch geblieben. In fü/, 
stummen schlief wurde das e früher gesprochen; die 
der V^"- Schreibung hält es noch heute fest, obwohl es nicht 
bindungie. ^^^^ hörbar ist und das i genau so lautet^ wie in 
mir^ iget u. a. Das h in Ohm =. Oheim lautet 
V^^" nicht mehr, ebensowenig wie das h in Bühl ==:: 
des'h"^" mhd. bühel oder sehen = mhd. sehen, wo es 
Inlaut, früher gesprochen wurde. Da aber in diesen 
beiden Fällen infolge des Verstummens von e oder 
h Längung des vorhergehenden Vokals erfolgt, so 
haben die Zeichen e nach i und h nach Vokalen 
den Charakter einer Längebezeichnung angenommen 
und werden nunmehr in Wörtern geschrieben, wo 
sie etmymologisch keine Berechtigung haben: viely 
schrieb y sieh (mit doppelter Längebezeichnung!), 
mahlen, fahren^ wählen, wohnen, ehren, Sühne u. s. w. 
Daneben aber unterlassen wir die Bezeichnung der 
Länge in Abend, lesen, dir; tot, Hut ü. a. 
Kon- Eine weitere Quelle für die Verderbnis unserer 

sonanten- Rechtschreibung ist die im 15. Jahrhundert auf- 
^^?'" tretendeSucht, die Konsonanten durch Verdoppelung 
Ppe ung. ^^^ häufen. Doppelte Konsonanten finden wir schon 
im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen, wie 
im § 25, S. 186 folg. ausgeführt wurde, wo auch 
die Entstehung zahlreicher nhd. Doppelkonsonanten 
zur Bezeichnung der Vokalkürze erläutert wurde: 



Bann = mhd. bän(e), Donner = mhd. t)t\et^ 
Stimme =^ stime u. s. w. Hier hat also der doppelte 
Konsonant einen Zweck; aber was soll er in . 
Schreibungen des 15. Jahrhunderts wie Opffer^ Herta j 
(tz = tts), Schandt^ geschenckt (ck = kk), Heltffers*' ' 
hellffery Czeytten (Zeiten) und vielen andern? So« 
gar dreifache Schreibung finden wir in den Laut^ 
bezeichnungen gck, ssz, die sich noch in Kaiser 
Maximilians Kanzlei finden, obwohl dessen Kanzler 
Niclaus Ziegler das Bestreben hat, überflüssige 
Konsonantenhäufungen zu vermeiden. Aber noch im 
1 7 .Jahrhundert begegnen wir zahllosen Doppelungen : 
unndy ctuffy Kopff, Graffy gantZy Brodty Volck u. s. w., 
bei denen wir die besondere Vorliebe für die Ver- 
doppelung des n, f, k, t, z bemerken, von der wir 
uns heute noch nicht ganz freigemacht haben. Tafel 
IX (verkleinerte Wiedergabe eines Druckes des 
'17. Jahrhunderts) bietet uns zahlreiche Beispiele 
für die erwähnten Doppelsclireibungen von Kon- 
sonanten. Wohl haben wir die meisten überflüssigen 
Doppelkonsonanten wieder ausgemerzt, aber nicht 
wenige sind doch erhalten geblieben, die weder 
etymologisch noch phonetisch irgend welche Berech- 
tigung haben; verwandt, bedeckt, Schatz, öffnen (mit 
Anlehnung an offen) u. s. w. 

Zur mittelhochdeutschen Zeit stand es weit 
besser um die Rechtschreibung; damals war sie 
phonetisch d. h. lautrichtig. Natürlich war sie nie 
so einfach und konsequent, wie wir sie in unsern 
normalisierten Klassikerausgaben sehen, aber das 
Bestreben der Schreiber ging doch dahin, ihrer Aus- 
sprache gemäss auch zu schreiben, und die Bunt- 
heit der Schriftbilder in der spätmhd. Zeit ent- 
spricht der Mannigfaltigkeit der dialektischen Aus- 



204 — 



Recht- 
schreibung 
und Buch- 
drucker- 
kunst. 



Jakob 
Grimms 
Stand- 
punkt. 



Sprache. Die Freiheit der Schreiber hatte aber 
auch ihre Nachteile, die Orthographie geriet dadurch 
in Verwirrung; man erinnerte sich zwar der alt- 
überlieferten Schreibung, versuchte sie indes mit 
der veränderten Aussprache in Einklang zu bringen. 
Diese Versuche dauerten noch fort, als die Buch- 
druckerkunst und die Ausbildung der Schrift- 
sprache die Rechtschreibung für lange Zeit fest- 
legten, indem die neuentstandene Gemeinsprache 
die halb historische, halb phonetische Schreibung 
übernahm, die zur Zeit ihrer Ausbildung bestand. 
Natürlich blieb diese Rechtschreibung die Jahr- 
hunderte hindurch nicht ganz dieselbe; Schrift- 
steller und Grammatiker besserten Einzelnes an 
ihr; die gröbsten Unarten, wie die Häufung der 
Doppelkonsonanten, verschwanden im Laufe der 
Zeit. Dafür traten andere Entstellungen auf, z. B. 
die Schreibung y für i in dem Diphthong ei (ai)', 
die noch zu Anfang des 19. Jahrhundert sehr be- 
liebt war. Damals schrieb man: seyn^ May u. s. w. 
und noch heute erinnern viele Eigennamen an diese 
Mode : Bayern neben Baierfty Rheydty Mayen (Städte 
in der Rheinprovinz), Speyer , Heyne neben Heine 
(Familiennamen). Alle Reformversuche, die man 
an der Rechtschreibung vornahm, mussten so lange 
im Dunklen tappen, bis der Aufschwung der 
deutschen Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert 
ihnen einen festen Boden gab. Aber selbst ihr 
Begründer Jakob Grimm nahm noch einen ganz 
eigentümlichen Standpunkt in der Frage der 
deutschen Rechtschreibung ein. Da er, wie fast 
alle Sprachforscher jener Zeit, die Ansicht vertrat, 
die jüngere Entwicklung der Sprache stelle eine 
Entartung dar, so musste er notgedrungen die 



. — 205 — 

älteren Formen und Schreibungen für besser und 
richtiger halten. Er wollte geradezu zu dem mittel- 
hochdeutschen Brauch zurückkehren und schuf sich 
eine eigene Orthographie. Er schrieb vil, disery 
Lzechi (für Licht), würkeriy LeffeU erleschen u. s. w. 
Merkwürdigerweise ist dieser Standpunkt noch nicht 
gänzlich überwunden; so schreibt z. B. die Zeit- 
schrift für deutsches Altertum manche Wörter noch 
in Grimms Weise. 

Ebenso wie Grimm über das Ziel einer ver- Phone- 
nünftigen Reform der Rechtschreibung hinausschoss, tische 
tun es die Gelehrten, die eine streng phonetische ^^^^®^*^""6 
Rechtschreibung einführen wollen. Es ist dies ein 
Phantom, das nie zu erreichen ist. Denn die Aus- 
sprache ist nichts Starres, sie verändert sich von Ge- 
schlecht zu Geschlecht ; wie unsere Väter sprachen, 
sprechen wir nicht mehr und unsere Kinder werden 
wieder anders sprechen. Wenn also auch eine 
phonetisch^ Schreibung möglich wäre, so müsste sie 
sich im Laufe der Jahrhunderte doch wieder von 
der lebendigen Aussprache entfernen und würde 
damit wieder veraltet, historisch werden. 

Darum ist auch bei der Rechtschreibung der 
goldene Mittelweg der beste. Achtung vor dem 
geschichtlich Gewordenen und Anpassung an die 
Bedürfnisse unserer Zeit muss die Losung sein. 
Die Neuregelung der Rechtschreibung für preussische ^ Neu- 
Schulen durch Minister Puttkammer im Jahre 1880 '^gelung 
und deren nochmalige Verbesserung für das deutsche schreibune 
Reich, die Schweiz und Oesterreich im Jahre 1901 i88o und 
bezeichnen Etappen auf diesem Wege, als eine 1901 
abschliessende Regelung können sie indes nicht 
betrachtet werden. Wenn wir uns auch den 
Franzosen und Engländern gegenüber in weit 



— 206 — 

günstigerer Lage befinden, so steht doch unsere 
Rechtschreibung an leichter Erlernbarkeit der 
italienischen z. B. weit nach. Noch schleppen wir 
zahllose Dehnungs-e und h mit; ja die ersteren 
sind noch überflüssigerweise in den Zeitwörtern 
auf -ieren dem historischen Prinzip zulieb wieder 
eingeführt worden. Noch schreiben wir unnötiger- 
weise die Hauptwörter mit grossen Anfangsbuch- 
staben, wovon unsere germanischen Stammesbrüder, 
die Dänen, Schweden und Holländer im vorigen 
Jahrhundert wieder abgegangen sind. Noch ver- 
Gotische wenden wir die sog. gotische Schrift, eine Schnörkel- 
Schrift. Schrift des Mittelalters, anstatt der lateinischen 
Schrift, die alle andern europäischen Völker längst 
oder neuerdings wieder eingeführt haben. Denn 
die sog. deutsche Schrift kam nicht den Deutschen 
allein zu, sie war im Mittelalter allgemein ver- 
breitet; sie ist nur ein Kennzeichen der deutschen 
Sprache geworden durch unser hartnäckiges Ver- 
harren auf einem veralteten und unzweckmässigen 
Standpunkt. 

Indes sind doch schon die Anfänge einer 
Besserung zu spüren. Fast alle gelehrten Werke 
werden heute in lateinischer Schrift gedruckt, die 
sich auch in den Büchern mit kunstgeschichtlichem 
oder künstlerischem Inhalt immer weiter ausbreitet, 
überhaupt überall da, wo auf Verbreitung im Aus- 
land gerechnet wird. So steht zu hoffen, dass in 
nicht allzu ferner Zeit noch mancher Zopf in der 
deutschen Rechtschreibung fallen wird, wozu ja 
die neueste Regelung von 1901 mit ihrer freieren 
Auffassung in zweifelhaften Fällen bereits einen ver- 
heissungsvollen Anfang gemacht hat. 



— 207 — 

, § 28. 

Die heutigen deutschen Mundarten 
und die Schriftsprache. 

Noch immer, wie schon in alter Zeit, zerfällt 
das Gebiet der deutschen Sprache in zwei Haupt- 
teile: hochdeutsches und niederdeutsches Ge- 
biet. Ihre Grenzen und unterscheidenden Merk- 
male haben wir schon im § 5, S. 28 erwähnt, wo 
ebenfalls gesagt wurde, dass die niederdeutschen 
Mundarten (Holländisch, Friesisch, Niedersächsisch) 
ausserhalb des Kreises unserer Betrachtung fallen. 
Demnach sprechen wir nur von den hochdeutschen Hoch- 
Mundarten, die gleichfalls heute noch in die ober- deutsche 
deutschen und mitteldeutschen zerfallen. Aller- ^^""^«»ten. 
dings hat sich die Grenze des mitteldeutschen 
Sprachgebiets nicht unwesentlich zu Ungunsten des 
Niederdeutschen verschoben, und diese Vorwärts- 
bewegung des Mitteldeutschen dauert immer noch 
an. Städte wie Mansfeld, Eisleben, Merseburg, 
Halle, Bernburg, Köthen, Dessau, Wittenberg fielen 
früher ins niederdeutsche Gebiet; seitdem 14. bis i6. 
Jahrhundert ging hier auch das Volk zur hoch- 
deutschen Sprache über, die bei den Gebildeten 
schon vorher im Gebrauch war. 

Die Grenze zwischen Oberdeutsch und Mittel- Ober- 
deutsch ist im § 5, S. 29 angegeben. In nhd. deutsch 

Zeit ist ein unterscheidendes Kennzeichen des Ober- ""^ Mittel- 

deutsch. 
deutschen: die Bewahrung des diphthongischen 

Charakters der mhd. Doppellaute ie, uo, üe : nhd. 

tif (geschrieben tief) =~ alemannisch und bairisch 

ti-ef, nhd. gut = alemannisch gu-et, bairisch gu-at, 

nhd. Büblein = alemannisch ßü-eble, bairisch Bu-ab, 

während das Mitteldeutsche die einfachen Vokale 



208 



i, u, ü des Schriftdeutschen schon seit mbd. Zeit 
aufweist. 

Im Konsonantismus lässt sich dagegen heutzu- 
tage keine scharfe Scheidelinie zwischen Ober- und 
Mitteldeutsch angeben, vielmehr finden fortlaufende 
Uebergänge, meist Abstufungen in der mehr oder 
minder weitgehenden Verschiebung der Konsonanten 
statt. So verschiebt das Oberdeutsche anlautendes 
germ. p konsequent zu pf wie das Schriftdeutsche: 
engl, pipe = Pßif^y während das Mitteldeutsche 
hier keinen einheitlichen Charakter aufweist: das 
Ostmitteldeutsche und Ostfränkische machen die 
Verschiebung mit, während der Westmitteldeutsche 
(Rheinfränkische) den unverschobenen Konsonanten 
besitzt: hochd. Pfeife = rheinfr. peif. 
Ober- Das Oberdeutsche zerfiel in alter Zeit 

deutsch, in die beiden Mundarten des Bairischen und 
Alemannischen. Heute ist die Spaltung weiter 
gegangen; vom Bairischen hat sich das Oester- 
reichische, vom Alemannischen das Schwäbische 
Bairisch- abgetrennt. Das Bairisch-Oesterreichische bildet 
Oester- ein einheitlicheres Ganze als das Schwäbisch- 
reichisch. Alemannische; in ihm treten zuerst die Diphthonge 
ei(ai), au, eu für mhd. i, ü, iu (gespr. ü) auf, die 
dann auch auf das Schwäbische übergreifen und 
ihm das unterscheidende Merkmal gegenüber dera 
Alemannischen aufdrücken. Die beiden Gruppen 
des Bairisch-Oesterreichischen und Schwäbisch- 
Alemannischen sind gekennzeichnet durch die 
Bildung der Ortsnamen auf -ing (vgl. Straubing, 
Freising) in ersterem Dialekt, auf -ingen (vgl. 
Memmingeny Reutlingen^ Emmendingen) in letzterer 
Mundart. Jene hat die Verkleinerungssilben -(e)l, 
-erl: Leutl (= Leutchen), Fratzel (= Frätzchen), 



2Ü9 — 



Höserl (= Höschen), diese die Deminutivendiingen 
-li, -le: Biiebli (Bübchen), Zweigte (Zweiglein). 
Charakteristisch ist- ferner für das Bairische die 
Bewahrung der alten Dualform der zweiten Person 
des persönlichen Fürworts in pluralischem Gebrauch, 
Nom. es, ös „ihr" (im Got. nicht belegt), Acc. enk 
= got. igqis „euch", die dem Alemannischen fehlen ; 
davon abgeleitet ist das besitzanzeigende Fürwort 
enker = hochd. euer. Die Grenze zwischen den 
beiden Mundarten des Bairischen und Schwäbisch- 
Alemannischen läuft heute von der Quelle des 
Inn zur Ammer und über den Ammersee zum Lech, 
diesen - abwärts zur Donau und dann die Wömitz 
aufwärts zur Grenze des Ober- und Mitteldeutschen. 

Das Schwäbische trennt sich vom übrigen 
Alemannischen dadurch, dass es die Diphthongierung 
des mhd. i, ä und iu zu eiy au, eu mitgemacht hat, 
während dieses auf dem mhd. Standpunkt beharrt; 
also Schwab, bleibe = alem. blibe u. s. w. gleich 
dem Hochdeutschen. In der Aussprache unter- 
scheiden sich aber die heuen ei von den alten 
wie in allen Dialekten, die nicht vom Schrift- 
deutschen beeinflusst sind: Schwab. z£/ÄW^ = mhd. 
wei^, aber Zweig (gespr. e-i) = mhd. Zwig. Das 
Schwäbische wird gegen das Alemannische hin ab- 
getrennt durch eine Linie, die von der Homis- 
grinde an südlich zunächst der württembergisch- 
badischen Grenze folgt, dann etwas nach Osten 
davon abweichend ihr parallel läuft, bei Tuttlingen 
nach Osten umbiegt und auf den Lech zu läuft. 

Westlich und südlich von dieser Grenzlinie 
erstreckt sich das eigentliche Alemannische, das 
wieder in Niederalemannisch und Hochalemannisch 
zerfallt. Das Niederalemannische erstreckt^, sich 

Fei 8 , Die deutsche Sprache. I4 



Schwä- 
bisch. 



Aleman- 
nisch. 



\ 



-^ 2IO — 

Über den südlichen Teil der oberrheinischen Tief- 
ebene und umfasst den grössten Teil des Elsasses, 
Basel, auf der badischen Seite die Ortenau und den 
nördlichen Teil des Breisgaus; das Hoch- 
alemannische besteht aus . den Mundarten des süd- 
lichen Breisgaus, des Hegaus, Vorarlbergs und 
den verschiedenen Schweizer Mundarten. Das Merk- 
mal des Hochalemannischen gegenüber dem 
Niederalemannischen ist die Verschiebung des an- 
lautenden germ. k zur Spirans ' eh (gesprochen 
wie ch in ack): Schweiz. CkeiS = elsässisch KetS 
(ein Schimpfwort, soviel etwa als Kerl), Chorn = 
Mittel- Korn, Die mitteldeutschen Mundarten zerfallen 
deutsch, in die alten westlichen und die neuen östlichen 
Mundarten des Kolonisationsgebietes (vgL § 12, 
S. 83 f.) ; die letzteren fasst man auch als Ostmittel- 
Ostmittel- deutsch zusammen. Ihre Grenze gegen jene bildet 
deutsch. ^|g obere Zwickauer Mulde, gegen das Nieder- 
deutsche läuft sie über Kottbus, Grünberg zur 
Oder oberhalb Züllichau ; im Süden bildet die 
Reichsgrenze gegen Oesterreichisch-Schlesien auch 
die Sprachgrenze, da in diesem nunmehr das öster- 
reichische Oberdeutsch herrscht. Ausser den 
Schlesisch- Schlesisch^Lausitzischen Mundarten umfasst das 
Lausitzisch Ostmitteldeutsche noch die Erzgebirgisch-Nord- 
^^^.' böhmischen Dialekte sowie mitteldeutsche Sprach- 
^ * inseln in Posen und in Ostpreussen. Charakteristisch 
für die ostmitteldeutschen Mundarten ist die Ver- 
kleinerungssilbe -1, -le, -la : Mützl (erzgebirgisch), 
Mtitterle (gemeinschlesisch \ Gartla (Gäxtchen), 
Töchterla u. s. w. (schlesisch); ferner wird für an- 
lautendes pf nur f gesetzt: Floster =r Pflaster. 
Durch Gerhard Hauptmanns Dramen ist der 
schlesische Dialekt auch weiteren Kreisen bekannt 



211 — 



geworden. Im Westen schliesst sich das oft er- 
wähnte Obersächsische, auch Meissnische ge- 
nannt, an, dem sich das Thüringische weiter 
nach Westen angliedert. Die Verkleinerungs- 
silbe ist hier überwiegend -chen. Die hochdeut- 
schen Tenues und Medien (stimmlose und stimm- 
hafte Verschlusslaute) fallen im Obersächsischen 
zusammen und werden als schwach artikulirte 
stimmlose Verschlusslaute gesprochen: Gind = Kindy 
Droom =- Traum u. s. w. Für anlautendes pf steht 
auch hier f : Fährd =^ Pferd. Die Grenze gegen das 
Ost- und Rheinfränkische bildet der Thüringer- 
wald; nach Osten greift das Obersächisch-Thü- 
ringische über Gera nach Zwickau hin tief ins 
Ostmitteldeutsche ein. 

Das Ostfränkische dehnt sich zwischen dem 
Thüringer Wald im Osten, der Rhön und dem 
Spessart im Westen aus und sendet im Süden seine 
Ausläufer bis in die Nähe des Neckars. Die Ver- 
kleinerungssilbe ist hier -li: Liadli = Liedchen; 
germ. p im Anlaut und pp ist durchweg zu pf ver- 
schoben : Kotipf ^ Kopfy Öpfel = Äpfel, 

An das Ostfränkische schliesst sich das weit 
ausgedehnte Rheinfränkische an, das sich von dem 
östlichen Lothringen an über die Rheinpfalz, das 
nördliche Baden und Württemberg, die Nahegegend, 
Hessen-Nassau und Oberhessen erstreckt. Von 
manchen Forschem wird im Süden dieses Gebiets, 
im nördlichen Elsass um Weissenburg und jenseits 
des Rheins über den Neckar zum Main hin die 
Mundart des Südfränkischen noch davon ab- 
getrennt, die den Ueb ergang zum Alemannischen 
büdet und an vielen Eigentümlichkeiten desselben 
teilnimmt; die Verkleinerungssilbe -le, die Ver- 



Ober- 
sächsisch, 

Thü- 
ringisch. 



Ost- 
fränkisch. 



Rheiu- 
frankisch. 



Süd- 
fränkisch. 



__ 212 — 

Schiebung von pp tu pf im Inlaut u. a. Das Rhein- 
fränkische selbst kennt nur die Verkleinerungssilbe 
-chen: Kinner che = Kinderchen; p bleibt im An- 
laut, pp im Inlaut unverschoben : Pund = Pfund^ 
Kopp -- Kopfy Appel = Apfel u. s. w; p im In- 
und Auslaut ist dagegen zu f geworden: engl, up 
= rheinfränk. uff = hochd. auf. Mit dein Ober- 
deutschen teilt das Rheinfränkische die Eigentüm- 
lichkeit, dass st und sp auch im Wortinnern zu 
seht und schp werden abgesehen von den städti- 
schen Mundarten) : bischt = bist, Dorscht = Durst, 
Knoschpe = Knospe. 

Im Norden des Rheinfränkischen bis zum Nieder- 
fränkischen, das zum plattdeutschen Sprachgebiet 

Mittel- gehört, erstreckt sich das Mittelfränkische (Mosel- 
fränkisch, fränkische), für das als bezeichnendstes Merkmal das 
unverschobene t in den Pronominalformen et = es, 
dat =^ daSy wat ^^ was, alle t --=^ alles auffallt. In- 
und auslautendes p bleibt unverschoben: up^ op 
= hochdeutsch auf; das anlautende g wird in 
einem grossen Teile dieses Gebietes als tönende 
Spirans j gesprochen : Jon aus gön =^ mhd. gän. 
„gehen". Die Pronominalform hä =^ hochd. er ist 
identisch mit dem niederd. hei, engl. he. So leitet 
der mittelfränkische Dialekt, von dem man noch 
zuweilen als Untermundart das Ripuarische tim 
Cöln abtrennt, in mannigfachen Abstufungen zum 
Niederfränkischen hin, das ganz auf niederdeutschem 
Standpunkt steht. Von den deutschen Sprach- 

Sieben- i^seln ist die in Siebenbürgen die bedeutendste. 
Obwohl die Bewohner sich als „Sachsen" be- 
zeichnen, sind sie doch nach Ausweis ihrer Mund- 
art moselfränkischen Ursprungs und bewahren die 
lautlichen Eigentümlichkeiten dieses Dialekts. 



— 213 ^ 



über allen diesen mannigfachen Mundarten 
steht als gemeinsames Bindeglied die hochdeutsche 
Schriftsprache. Nicht als ob sie überall ein un- 
veränderliches, starres Wesen aufwiese, nein, von 
Gegend zu Gegend zeigt sie sich von der Mund- 
art in mehr oder minder hohem Grade beeinflusst. 
Am wenigsten im schriftlichen Gebrauch, obwohl 
hier selbst unsere grössten Dichter und Schrift- 
steller nicht ganz unbeeinflusst von ihrer heimat- 
lichen Mundart geblieben sind. Die Umgangs- 
sprache aber, soweit sie hochdeutsch ist, wird in 
hervorragendem Masse von der Mundart beeinflusst. 
Vielfach abgestuft ist vom Hochgebirg bis zur See 
der Tonfall beim Sprechen, vom rauhen Kehllaut 
des Gebirgsbewohners. bis zur weichen Sprechweise 
des Niederdeutschen. Auch im Wortschatz macht 
sich die Einwirkung der Mundart geltend, am ge- 
ringsten wohl da, wo der Abstand zwischen ihr 
und der Schriftsprache am grössten ist, also etwa 
im Hochalemannischen und im* ausgesprochen 
niederdeutschen Gebiet; hier muss die Schrift- 
sprache als etwas ganz Fremdes schulmässig er- 
lernt werden und wird gewissermassen als neue 
Sprache empfunden. Aber auf mitteldeutschem 
Boden ist der Unterschied zwischen Mundart und 
Schriftsprache zumeist nicht allzu gross, so dass 
diese nur als eine bessere, feinere Art zu sprechen, 
nicht als etwas Fernstehendes empfunden wird. 
Daher ist hier die Einwirkung -des Dialekts auf die 
Schriftsprache am meisten zu spüren; mundartliche 
Wörter und Redensarten, Flexionsformen und syn- 
taktische Eigentümlichkeiten dringen in die Um- 
gangssprache ein. Die Redeweise der niederen 
und der höheren Stände unterscheidet sich durch 



Schrift- 
sprache 

und 
Mundart. 



— 214 — 

den grösseren oder geringeren Grad der Beein- 
flussung von Seiten der Mundart. Ein reines Hoch- 
deutsch wird auch in der Umgangssprache der 
besten Kreise kaum erreicht. Aber anderseits 
übt infolge des geringen Abstandes die Schrift- 
sprache auch auf die Mundart einen bedeutenden 
Einfluss aus, besonders in den Städten, so dass 
man die städtischen Dialekte schon an ihrer 
grösseren Annähenjng an die Schriftsprache im 
Verhältnis zur Mundart der umgebenden Land- 
bezirke erkennt. Dieser Einfluss macht sich immer 
mehr auch auf dem Lande geltend infolge des 
allgemeinen Volksschulunterrichts, der Zeitungs- 
lektüre und des erheblichen gesteigerten Verkehrs 
zwischen Stadt und Land. So drohen viele alt- 
überlieferte Eigenheiten der Mundart in Wortschatz 
Altertum- und Flexion allmählich unterzugehen. Die Mund- 
liche Reste arten selbst werden freilich nicht untergehen, — 
Mundarten, ^^von sind wir ^ noch weit entfernt — und be- 
wusste Tätigkeit von Gelehrten jind Schriftstellern 
sucht sie sogar zu grösserem Leben zu erwecken 
und zur literarischen Verwendung heranzuziehen. 
Ehe sie dem unabwendbaren Untergang verfallen, 
werden in unseren Tagen die altertümlichen Reste 
in den Mundarten gesammelt. Das schweizerische 
und das elsässische Idiotikon, das bairische Wörter- 
buch von Schmeller, das kurhessische Idiotikon von 
Vilmar u. a. bergen unendliche Schätze, die in 
nicht allzu femer Zeit unwiederbringlich verloren 
sein würden. Wir können hier nur wenige Beispiele 
anführen, um zu zeigen, wieviel uraltes Sprachgut 
in unseren Mundarten fortlebt, das in der Schrift- 
sprache untergegangen ist: das alemannische Wort 
anke (geschmolzene Butter), mhd. anke, ahd. anco 



i 



— 215 — 

ist identisch mit lateinisch unguen-(tum) „Salbe", 
indisch äjya „Opferbutter", altirisch imb „Butter", 
und gehprt mit ihnen zur indogermanischen Wurzel 
ang- „salben"; rbeinfränkisch döl „Kanal" ist ahd. 
'dola, rhein fränkisch ebch ist mhd. ebech, ahd. abuh 
„abgewendet, verkehrt**; mittelfränkisch deck ist 
mhd. dicke, ahd. dicchi „häufig, oft" u. s. w. 
Auch lateinische Lehnworte der ältesten Schicht 
(s. § 2, S. 14), die in der Schriftsprache ausgestor- 
ben sind, haben die Mundarten bewahrt: rhein- 
fränkisch a dau „Kanal" = hessisch aduch 
= schweizerisch akt aus lat. aquaeductus; rhein- 
fränkisch kennel „Dachrinne" ■-- mhd. kenil, kenel 
aus lat. canalis u. a. m. Im Rheinfränkischen ist 
noch der Unterschied der drei Geschlechter bei 
dem Zahlworte „zwei" bewahrt: zw^, zwo, zwA, der 
in die indogermanische Zeit zurückgeht. | 

Sind die Mundarten einerseits konservativ in 
der Bewahrung alten Sprachguts, so sind sie an- 
derenteils weniger ängstlich als die Schriftsprache 
in der Aufnahme fremder Wörter, besonders in 
den Grenzgebieten. Das Elsässische ist über- 
schwemmt von französischen Ausdrücken, aber 
auch das benachbarte Pfalzische bewahrt zahlreiche, 
hier allerdings lautlich und oft volksetymologisch 
umgestaltete französische Worte: Ko"schri = frz. 
consent „Rekrut", salf6t = frz. serviette, hissje = 
frz. huissier ,, Gerichtsvollzieher, gr6fije = frz. gref- 
fier „Gerichtsschreiber", gruschele = frz. groseilles 
„Stachelbeeren", e ko"drer = au contraire „im 
Gegenteil" und viele andere. 

In den ostdeutschen Mundarten finden wir 
zahlreiche slavische Lehnworte : Robott = „Frohn- 



V - 2l6 — 

arbeit", Kretscham = „Schenke", doivre = „gut" 
u. a. m. 

Auch in der Wortbeugung gehen di^ Mund- 
arten ihre eignen Wege. So sind in allen hoch- 
deutschen Mundarten die Deklinationsformen des 
Hauptwortes, ferner das Praeteritum des Indikativs 
fast ganz geschwunden ; der Konjunktiv des Prae- 
teritums hält sich etwas besser. Der Umlaut im 
Indikativ des Praesens ist beseitigt: iclji fahre — 
du fahrst — er fahrt u. s. w. Anderseits hat 
der Umlaut sein Gebiet in der Pluraibildung des 
Hauptworts noch weiter ausgedehnt: die Artn 
(= Armejf die Krage (■= Kragen), die Däg {^ 
Tage) u. a. m. 

Dagegen sind die Mundarten in der Erhaltung 
des ursprünglichen Geschlechts vieler Hauptwörter- 
konservativer als die Schriftspr-ache : alem. der 
Butter^ der Backen^ der Karren u. s. w. 

Das bunte, abwechslungsreiche Bild, das die 
deutschen Mundarten uns bieten, ist für den Freund 
der Volksart wie für den Sprachkenner zwar unter- 
haltend und belehrend, und selbst die Sprach- 
forschung schöpft reichen Gewinn aus der Er- 
schliessung der in ihnen ruhenden sprachlichen 
Schätze : aber das alles darf uns nicht über die Tat- 
sache hinwegtäuschen, dass die so verschiedenen 
und den nicht Einheimischen meist schwerverständ- 
lichen Mundarten in unserer Zeit noch mehr wie 
früher als störendes Hindernis der Annäherung 
empfunden werden. Der Einheitssprache, der 
Schriftsprache gehört eben im Zeitalter des riesig 
anwachsenden Verkehrs, der Menschen aus allen 
deutschen Sprachgebieten in fortwährende Berührung 
bringt, unbestreitbar die Zukunft. Wie Deutschland, 



— 217 — 

Österreich und die Schweiz im Interesse des Ver- 
kehrs die Ortszeit zu Gunsten der allgemeinen 
mitteleuropäischen Zeit aufgegeben haben, so ^müssen 
sie aus demselben Grunde von ihren örtlichen Be- 
sonderheiten der Sprache absehen und sich der 
allgemeinen Verkehrssprache, dem Hochdeutschen, 
auch im mündlichen Gebrauch unterwerfen. Damit 
ist nun nicht gesagt, dass ein Süddeutscher seine 
angestammte Mundart verleugnen und sich zur 
Nachäfferei der als mustergültig anerkannten nord- 
deutschen Aussprache des Hochdeutschen her- 
geben soll. Nein, die heimatlichQ Aussprache, der 
Tonfall, selbst der Wortschatz sollen ihr Recht be- 
halten, soweit sie nicht der allgemeinen Verständ- 
lichkeit hindernd im Wege stehen. Auf diese 
Weise wird die Bodenständigkeit des Menschen 
in seiner angeborenen Mundart gewahrt und dem 
Hochdeutschen sein gebührendes Recht zuerkannt 
zu beider Wohlfahrt und Gedeihen und zum Segen 
des deutschen Volkes — - in weitester Ausdehnung. 



iSO 



\ 



Anhang. 
Erklärungen und Textumschriften 

zu den Tafeln I — IX. 

Tafel I (vor dem Titelblatt). 

Althochdeutsche Inschrift, gefunden im Januar-. 
1900 zu Bingen beim Abbruch der Grundmauern 
der dortigen Domkellerei. Nur drei Bruchstücke 
wurden entdeckt. Sie bestehen aus grauem Sand- 
stein und gehörten zu einer Platte, die ursprünglich 
64 cm hoch und 11 cm dick war; die Breite lässt 
sich auf mindestens 93 cm berechnen. Der obere 
Teil war in fünf nebeneinander liegende, mit flach 
eingehauenen Bogen überspannte Felder eingeteilt^ 
von denen nur das mittlere noch ganz erhalten ist. 
Hier ist ein bärtiger Mann dargestellt, der beide 
Hände betend emporhebt. Gekleidet ist er in einen 
langen, um die Lenden gegürteten Rock aus schwerem 
Stoff; die Unterschenkel sind mit langen Schuh- 
bändern umwunden. Ueber seinem Kopf steht im 
Bogen die Inschrift: Die. de. rieh (die Silben sind 
durch Punkte getrennt). Dass hier das Bildnis der 
Hauptperson erhalten ist, ergibt sich schon aus der 
Stellung in der Mitte des Ganzen. Von den be- 
nachbarten Feldern sind nur die Ansätze der er- 
wähnten Bogen erhalten. Die äussersten Felder 



— 219 — 

rechts und links waren mit Figuren, links der Mutter^ 
rechts des Vaters, ausgefüllt; nur von ersterer sind 
die Füsse und ein Teil des langen Gewands er- 
halten. Von der am unteren Teile angebrachten 
Inschrift sind nur die S. 35 abgedruckten Worte 
erhalten. Die figürlichen Darstellungen weisen eben- 
so wie die vorkommenden Wor^fformen auf das Ende 
des 10. Jahrhunderts. 

(Auszug nach: Neue Inschriften des Mainzer 
Museums von Prof. Dr. Körber. Mainz, Verlag des 
Altertumsvereins 1905.) 



Tafel 11 (zwischen S. i8 und S. 19). 

Die Spange von Freilaubersheim wurde im 
Winter 1872/73 in einem Frauengrab zusammen 
mit einer andern inschriftlosen Spange gleicher Art, 
weiterem Schmuck und zwei Gefässen gefunden. 
Sie besteht aus Silber, das auf der Vorderseite zum 
Teil stark vergoldet war oder ist. Die Inschrift 
befindet sich, auf zwei Reihen verteilt, auf der 
Rückseite. Sie ist eine der längsten und best er- 
haltenen Runeninschriften, die bisher in Deutsch- 
land zu Tage gekommen sind. Die Inschrift ist 
auf S. 20 abgebildet, umschrieben und übersetzt. 
— Original im Mainzer Museum. 



Tafel III (zwischen S. 24 und S. 25). 

Verkleinerte Abbildung einer Seite des Codex 
argenteus der Universitätsbibliothek zu Upsala 
(vgl. S. 2^), die Verse 3 — 7 aus dem Evangelium 
des Marcus, Kapitel VII enthaltend. 



220 



Umschrift des gotischen Textes: 

[Aivaggeljo] thairh [Marku] 
iudaieis niba ufta thwahand handuns ni nißtjänd. 
habandans anafilh thize sinistane. jah af mafhla niba 
daupjand ni matjand. jah anthar ist manag thatei 
andnemun du haban daupeinins stikk jah aurkje jah 
katile jah ligre: ihathroh than frehun ina thai 
fareisaieis jah thai bokarjos. duhwe thai siponjos 
theinai ni gaggand bi thammei anafulhun thai 
sinistans. ak unthwahanaim, handum matjand hlaif, 
ith is andhafjands qath du im. thatei waila praufetida 
esaias bi izwis thans liutans swe gamelith ist. so 
managei wairilom mik sweraith. ith hairto ize fairra 
habaith sik mis. ith sware mik blotand. laisjandans 



mk 



mth 
rnd 



ioh 



luk 



Zu deutsch: 

[Evangelium] durch [Markus] 

[Die] Juden, wenn [sie die] Hände nicht oft 
waschen, essen nicht, haltend die Gebote [der] 
Aeltestenc Und vom Markt [kommend], wenn [sie 
sich] nicht waschen, essen [sie] nicht. Und anderes 
ist viel, das [sie] überkamen zu halten: Waschungen 
[der] Becher und Krüge und Kessel und Lager. 
Darnach dann fragten ihn die Pharisäer und die 
Schriftgelehrten: „Warum gehen die Schüler dein 
nicht nach dem, [was] die Aeltesten geboten, son- 
dern essen [mit] ungewaschenen Händen Brot?" 



221 



Aber er antwortend sprach zu ihnen: „(dass) gut 
prophezeite Jesaias von euch den Heuchlern, wie 
geschrieben ist: diese Menge verehrt mich [mit den] 
Lippen, aber ihr Herz hält sich fern [von] mir. 
Aber vergebens beten [sie] mich an, lehrend — 



Marc. 



Matth. 
154 



Joh. 



Luk. 



Tafel IV (zwischen S. 32 und S. 33)- 

Die ersten zwölf Zeilen des Hildebrandsliedes 
nach dem Original auf der K. Landesbibliothek zu 
Kassel. 

Ik gihorta dat seggen dat sih urhettun aenon muo- 
iin . hiltibraht (sie !) enti hadubrant . untar heriun tuem, 
sunufatarungo. Iro saro rihiun garutun U iro 
gudhamun • gurtun - sih * iro • sueri ana • helidos 
ubar ringa do sie to dero hiltiu rifun * hiltibraht 
gimahalta heribrantes sunu • her uuas heroro 
man ferahcs frotoro • her fragen gistuoni fohem 
utwrtum • wer sin fater wari fireo In folche eddo 
welihhes cnuosles du sis ' ibu du mi §nan sages * ik 
mi de odre uuet chind In chunincriche chud ist 
min al irmin deot , hadubraht gimahalta hilti* 
brantes sunu dat sagetun mi usere liuti alte anti 

(Diplomatisch genaue Wiedergabe des Textes 
auf Tafel IV; nur die Trennung der einzelneu 
Wörter ist durchgeführt.) 



— 222 — 

In deutscher Uebersetzung: 

Ich hörte das sagen, dass sich herausforderten 
[zum] Einzelkampf Hildebrand und Hadubrand 
zwischen beiden Heeren [der] Sohnes [und] Vaters 
Mannen. Ihre Rüstung richteten [sie] , bereiteten 
sie ihr Kampfgewand, gürteten sich ihre Schwerter 
an, [die] Helden über [die Panzer] Ringe , da sie 
zu dem Kampf ritten. Hildebrand sprach, Heri- 
brands Sohn , er war der hehrere Mann , [des] 
Lebens weiser. Er [zu] fragen begann [mit] wenigen 
Worten, wer sein Vater wäre im Volke der Men- 
schen .... oder welches Geschlechts du seist? 
Wenn du mir^ einen^ sagst, weiss ich mir die anderen, 
Kind, im Königreiche; bekannt ist mir all [das] 
grosse Volk. Hadubrand sprach, Hildebrands Sohn: 
„Das sagten mir unsere Löute, alte und ...... 



Tafel V (zwischen S. 86 und, S. 87). 

Deutsche Urkunde Rudolf von Habsburgs, 
ausgestellt zu Basel am, 12. April 1288. Original 
im k. k. Archiv zu Wien. Der Inhalt ist folgender : 

Wier Rudolf von goies gnaden Römischer chuntch 
alwege^ merer des \ reiches verjehen'^ und ^n chunt 
allen den, di disen Brief sehent oder horent \ lesen, dai^ 
vor uns ze Oster eich in dem Lande, da wier ze ge- 
richte sa-i^en \ ein urtail von des reichs vursten^, von 
graven, von vreien und von \ dienstmann , und von 
lanilouten ze Oster eich und ze Steyer ervolgt \ und 
gesteticht^ wart also, daT^ wier oder der den wier den 
selben landen \ ze herren geben uns underwinden^ seiden 

* aller Zeit. * bekennen. » Fürsten. * bestätigt. * ao- 
nehmen. 



— 22S —. 

alles des gutes, des hertzog vride \ rieh von Oster eich 
und von Steyer b^i seinem leben in sein gewalt utid \ 
in seiner gewer ^ unz^- an sinen tot hett bracht ^ ^5 
weren bürge oder \ dorfer oder swi^ ^5 wer genant, 
und sollen davon zeitleich reht tün^ swer'^ ouf da'2^ 
selbe güet icht ze sprechen ^ het. Über dise urtail ze \ 
oAnem urchunde han ^ wir tun henchen ^ unsir Insigel 
an disen brief. \ Der wart gegeben ze Basele an dem 
montage vor Tiburcii et Valeriani^, do man zalte von 
gotes gebuerd zwei/ hundert und aht und ahzich Jar, 
an dem vumfiendem Jare unser s ReUhs^* 

Die vorstehende Urkunde ist in sprachlicher 
Beziehung höchst lehrreich. Obwohl sie zu Basel, 
also auf hochalemannischem Boden ausgestellt ist, 
zeigt sie vornehmlich österreichisch-bairische Sprach- 
eigentümlichkeiten. Nach Oberdeutschland im all- 
gemeinen weisen Formen wie: chunich, chunt, ur- 
chunde; speziell nach Oesterreich die Wiedergabe 
des mhd. ei durch ai in ainem urtail; femer lant- 
loute für mhd. lantliute. Eben daher stammt die 
Diphthongierung von mhd. i zu iei, die in unserer 
Urkunde fast überall durchgeführt ist: reich, Oste- 
reich, vreien, bei, sein, zeitleich (= mhd. zitlih, 
nhd. zeitlich)] in r^ichs (Zeile 4) ist e nachträglich 
eingefügt; nur in sinen ist altes i einmal stehen 
geblieben. Das beweist uns, dass die Diphthon- 
gierung von mhd. 1 zu ei gegen Ende des 13. Jahr- 
hunderts in der Österreichischen Mundart beinahe 
vollendet ist (vgl. §. 18, S. 130). 

* Besitz. ' bis. • wie, wer immer. * zeitig entscheiden. 
^ irgend welche Ansprüche. ® haben. "^ hängen. * d. h. 
12. April. 9 d. h. Regierung. 



— 224 — 

Tafel VI (zwischen S. 118 und S. 119). 

Nachbildung des Anfangs einer Seite aus der 
Hohenems-Lassbergschen Handschrift des Nibe- 
lungenliedes, jetzt in der Bibliothek des Fürsten 
von Fürstenberg zu Donaueschingen. Sie stammt 
aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts. Die Initiale 
N ist farbig (rot und blau) gemalt. Der Text 
lautet: 

1. Nu daht ouch alle ciie^ da-x, Günthers wip: 
„Wie ireit^ et also hohe Chriemhilt den lip? 
Nu ist doch unser eigen Sivrit ir man^ 

£>a:^ er uns niht endienet des wolde ich gerne ein 

ende han" 

2. Dii^ trüch^ si in ir hercen^ und wart doch wol 

verdeit^j 
Da^ si ir so vremde warn, da'^ was der frowen leit; 
DaT^ si niht zinses hete von des fürsten lant. 
Wa von da^ chomen waere, daT, hetsi gerne dechant^. 

3. Si versuchteT^'^ manigen ende, ob ckunde^ daj^ ge^ 

schehen, 
DaT^ si Chriemhilte tnohte noch gesehn, 
Si reiteT^^ heimliche des si da hete müt, 
Do ne duht den chunic riche der frowen bete niht 

ze gut, 

4. ftJVie chunden^ wir si bringen**, sprach der lobes 

rieh, 
„Her zu disen landenf DaT^ waere unmugeüch. 
Si sint uns gar ze verre, ich getar sis niht gebiten.** 
Des antwurt im Prunhilte in vil listigen siten. 



* zite. • = traget, s. § 14, S. 106 f. » truoc. * herzen. 
* = verdaget s. § 14, S. 106 f. • bekant. ' versuchte e^. 
® kunde(n). ® redete ez. 



„Swie hohe riche waere deheines kuniges man; 
Swaz im gebyte sin herre, ivie torst er dai^ Verlan f 
Des ersmielte Günther, do si daT^ gesprach 

In neuhochdeutscher Uebersetzung: 

Nun dachte auch allezeit des Günthers Weib: 
„Wie trägt doch so hoch Kriemhild die Gestalt? 
Nun ist doch unser eigen Siegfried ihr Mann, 
Dass er uns nicht dienet, des wollte ich gern 

ein Ende haben." 
Das trug sie in ihrem Herzen und war doch 

wohl verschwiegen, 
Dass sie ihr so fremd waren, das war der 

Frau leid; 
Dass sie nicht Zins erhielt von des Fürsten 

Land, 
Wo von das gekommen wäre, das hätte sie 

gerne erfahren. 
Sie versuchte es in mancher Art, ob das könnte 

geschehen, 
Dass sie Kriemhilde könnte noch sehen. 
Sie sagte es heimlich, wes sie da Verlangen 

hätte ; 
Da dünkte dem König reich'^* der Frauen Bitte 

nicht allzu gut. 
„Wie könnten wir sie bringen", sprach der 

Lobes Reiche, 
Her in diesje Lande? Das wäre unmöglich. 
Sie sind uns gar zu ferne, ich wage es ihnen 

nicht zu gebieten". 
Darauf antwortete ihm Brunhilde in sehr 

schlauer Art. 
, „Wie sehr mächtig auch wäre irgend eines 

Königs Mann; 

Feist, Die deutsehe Sprache. ^5 



— 226 — 

Was immer ihm sein Herr geböte, wie wagte 

er das zu unterlassen? 
Darüber begann Günther zu lächeln, als sie das 

sprach 



Tafel VII (zwischen S. 132 und S. 133). 

Aeltester bis jetzt bekannter deutscher Druck, 
aufgefunden in Mainz und *nun im Besitz des Guten- 
berg-Museums daselbst. Das Papierstück hat zum 
Einheften von Akten gedient; die Vorderseite war 
nach aussen, die Rückseite nach innen geheftet. 
Letztere ist daher gut erhalten, besser als die 
Vorderseite, und deshalb allein hier wiedergegeben. 
Der erhaltene Teil des Gedichtes handelt vom 
Weltgericht, vom Schicksal der Gottlosen und der 
Frommen am jüngsten Tag. Es ist nach Professor 
Schroeders Ansicht um 1.400 im mittelrheinischen 
Dialektgebiet, wohl nicht in Mainz selbst, entstan- 
den. Der Versbau ist, wie um jene Zeit nicht 
anders zu erwarten (vgl. § 16, S. 121), ganz regel- 
los, die Reime mangelhaft und der gedankliche 
Inhalt dürftig. Der Text lautet, in Versen abge- 
setzt, folgendermassen : 

l-Da"^] er werde von pine ^ erlast, 

wer in dem hymmelrich ist 

Der hat freude mit ihesu crist 

Der I von aem hymmel her nidd' ist kommen 

Und I mentschlich natuer hat er an sich gnommen \ 

Und an tf mentscheit ist erstorben 

Und mi[t] dem dode hat erworben 

» Pein. 



— 227 — 

DoT^ wer do giauö[en] hat an en 
Mynne ^ und zuuer siecht £ saV^ zu \ ym, 
wir sollen ganizen glauben haben 
Da[7^] wir von ihesu crist hören sagen 
Und sollen \ alle unse werck und synne 
L\u cristo keren yn \ liehe und yn mynne 
Und zu ym haben zuv*-\[siecht]. 

Der Druck ist mit der ältesten sog. Donat- 
Kalender-Type Gutenbergs hergestellt und muss 
in die Jahre 1444 — 1447 fallen. 



Tafel VIII (zwischen S. 142 und S. 143). 

Verkleinertes Faksimile des Denkspruchs von 
Martin Luther auf der ersten Seite des Refor- 
matoren-Gedenkbuchs von 1542. Original auf der 
Gräflich Stolbergschen Bibliothek zu Wernigerode. 
Der Inhalt ist folgender: 

Psalmo primo '^ 
Die gerechten haben Lust zum Wort 
Gottes. Und reden gern davon tag 
und nacht 

Darümb 
können sie auch alles, Thun alles, 
und bleiben ewiglich grün und frucht 
bar wie ein Palmbaum am Wasser. 

Die Gottlosen haben Lust 
an yhrem Gotty Bauch und Mammon, 

Darümb können sie auch 
nichts, Thun nichts. Bleiben nicht. Sondern 



Minne = Liebe. * soll. » Im ersten Psalm 



— 22^ — 

vergehen, wie eine schatte, mit alle 
yhrem gut ehre, thün, macht Bauch ' 
unda Mmmon Quia 

Verbum domini manet in aeternum^ 

Und alle die dran bleiben mit 

tust und Liebe 

Amen 

Marl Luther D, 
1542 
die Circumcisionis dominicae'^ 



Tafel IX (zwischen S. 158 und S. 159). 

Verkleinerte Wiedergabe der Nummer 38 der 
Wöchentlichen Ordpnari] (d. h. regelmässigen) 
Zeitung vom 11. September 1683. Das Original 
ist in dem damals für Zeitungen üblichen Quart- 
format. Der Inhalt, der sich auf die Belagerung 
Wiens durch die Türken bezieht, ist ohne Weiteres 
verständlich. 



^ Weil das Wort des Herrn bleibet ewiglich. • am Tage 
der Beschneidung des Herrn d. h. 1. Januar. 



Sach- und Namensverzeichnis. 

(Die Zahlen bedeuten die Seite.) 



A \y\ 

Ablaut, ahd. 51 f/mhd. 105, 

1 13 f.. nhd. IQ^rgerm. lO f. 
Accademia della Crusca 162. 
Adelung 174. 
Adjektiva, ahd. 48 f.. 62 flF., 

mhd. 111 f., nhd. 195. 
Adverbia, ahd. 49, 63 f., mhd. 

112, nhd. 195. 
Affrikaten 39, 40. 
Akut 69. ^ 
Akzent, ahd. 69 flF., idg. 11, 

68 f. 
AkzentzurOckziehung 11 f. 
Alanen 2. 
Albanesen 1. 

Alemannisch 28 f., 130, 207 flF. 
Alexandcrlied 90, 92, 94 f. 
Alliteration 34, 74. 
Alphabet, gotisches, 16, 22. 

— Runen ~ 18 f. 
Althochdeutsch 25, 30. 

— Deklination 45 flF. 

— Konjugation 50 flF. 
Angelsachsen 2. 
Angelsächsisch 42. 
Anhalt, Ludwig von, 162. 
Araber 153- 

Armenier 1. 
Arminius 32. 
Attila 32. 

Auftakt (im mhd. Vers) 120 f. 

Auslautsgesetze, urgerm. 12 f. 

Feilt, Die deutiche Sprache. 



Au.ssprache und Schrift im 

Nhd, 200 f. 
Avaren 30, 82. 

B 

Baiern 29. 30. 
Bairisch 208 f. 
Bamberg 83. 
Basel 146 f., 210. 
Benediktinerregel, ahd. 34. 
Bibelübersetzungen i. Deutsche 

133» 136 flF. 
Blumenorden 163. 
Bödiker, Johann 171. 
Bodmer 173- 
Böhmen 30, 83, 130, 131 f.. 

151. 
Bopp, Franz 4. 
Brechung, urgerm. 11. 
Breisgau 210. 
Breitinger 173. 
Buch 19. 
Buchdruckerkunst 132 f., 135 f.. 

204, Anhang 226 f. 
Buchstabe 19. 
Bulgaren 1. 
Burgunder 2. 



Caesur (im mhd. Vers) 118. 
Campe, Joachim Heinrich 166, 

174. 
Chansons de Geste 124. 

16 



— 230 - 



Circumflex 69. 
Clajus 146. 
Codex argenteus 23. 
Cöln 212. 
Credo, ahd., 34. 

D 

Dänen 2, 31. 
Dänisch 21. 27. 
Dasjus 4. 

Dehnung von Vokalen i. Mhd. 
106. 

— — im Nhd. 179. 
Deklination, ahd. 46 ff. 

— got. 23. 

— mhd. 107 ff. 

— nhd. IQI ff. 

— Uebertritt von der starken 
zur schwachen Dekl. i. Nhd. 
und umgekehrt, 192 f. 

Deutsph 31. 

— Grenzen des, 27. 
Deutschenspiegel 85. 
Deutschritterorden 84. 
Didaktik, mhd. 92. 
Dietrichssage 91. 
Diphthongierung langer Vokale 

im Nhd. 130, 180 f. 
Donau 2, 209. ^ 

Doppelformen e. Wortstamms 

12, 27. 
Doppelkonsonanten, ahd. 26 f. 

nhd. 186 f. 
Doppel vokale, nhd. 130. 
Drama, mhd. 93. 

E schwindet im Mhd. 106. 
im Nhd. ig2 f. 

— in Endungen im Nhd. 183 ff. 

— Verstummen des e im Nhd. 
2Ü2. 

Eigennamen, ahd. 36. 



Elbe 134. 

Elbschwanenorden 163, 

Elsass 210. 

Endbetonung, indogerm. 12. 

Endsilben, ahd. 79- f. 

Endungen, frz. 126 ff. 

— des Mhd. im Nhd, 196. 

Endvokale, indogerm. 13, 15. 

Englisch 2, 13, 21. 

Epos, höfisches (ritterliches) 

91, 92. 
Erzgebirgisch 2 10. 
Eyke von Repgow 85. 



F und V im Mhd. 102 f. 
Finnisch - lappische Sprachen 

13. 15. 
Fischart 148, 170. 
Flexion, gotische 22 f. 
Franken, ripuarische 82. 
Frangk, Fabian, 145 f. \ 

Franzosen 1. 
Französisch 2, 151. 
Frauenlob 92, 120 f. 
Freilaubersheimer Spange 19 f. 

Anhang S. 219. 
Fremdwörter, frz. 124 ff., 157. 
— - griech 155. 

— ital. 155. 

— lat. 155. 

— Kampf gegen dieselbea, 

161 ff. 

— bei Luther 144. 

— in den Mundarten 215 f. 
Fremdwörterbücher 159 ff. 
Friedrich II. 153. 
Friesen 2. 

Friesisch 21, 28. 207. 
Frisch, Leonhard, 172. 
Fruchtbringende Gesellschaft 

162 ff., 172. 



23^ — 



Fürwörter, ahd; 50. 

— mhd. 112. 

— nhd. 195. 
Futhark 18. 



(langes 5. 

Geistliche Poesie .90. 
Gemeines Deutsch 133. 
Germanen 2, 16. 
— Wohnsitze derselben 2 f. 
Germanisch 13- 
Geschlecht, Wechsel des — 

im Nhd. 194. 
Glossarien 31. 
Glossen 35 f. 
Goten 17, 22 f. 
Gotisch 12, 13 , 
Göthe 167, 175- 
Gottfried von Strassburg89,9l. 
Gottsched 172 f. 
Grammatischer Wechsel im 

Ahd 54. 

im Nhd. 197 f. 

Grenzen des Deutschen 27. 

— des Hochdeutschen 28. 
Griechen 1. 

Griechisch 5. 69. 152 ff. 
Grimm, Jakob, 7, 10, 204 f. 
Gudrun Qi, 137. 

Gueinz 169. 

H 

H im Mhd. 98. 

— Nhd. 187 f.. 202. 
Habsburger 132. 
Halbzeile 74 t 
Harsdörffer 163. 

Hartmann von Aue 91, 95, 12o. 
Hauchlaute, indogerm. 8. 
Haupt- und Heldensprache 145. 
Hauptmann, Gerhard 21o. 
Hauptton, ahd. 90 f. 



Hebräisch 137, HO, 153. 
Hebung 73 i 
Hegau 210. 

Heinrich von Veldeke 91. 124. 
Heldenlieder 32. 
Heliand 34. 
Herder 175- 176. 
Hildebrandslied 32 f., 74 f , 
Anhang S. 221 f. 

— jüngeres 121 f. 
Hochalemannisch 210. 
Hochdeutsch 21, 28, 149. 2o7ff. 

— Grenzen des — 28, 30. ^ 

— Mundarten des — 28 ff. 
Hochdeutsche 2. 
Holländer 2, 28. 
Holländisch 207, 
Humanismus 149, 152 ff. 
Hussitenbewegung 83. 
Hymnen, lat. 76. 



Inder 1, 3, 5. 
Indisch 5, 69. 
Indogermanen l ff. 

— Kultur derselben 5. 
~ Ursitze derselben 3. 

— Wanderungen derselben 3. 

— Wortschatz derselben 5- 
Indogermanische Grundsprache 

4 f. 
Indus 5. , 
Infinitiv, ahd. 55. 
Inn 209. 

Inschrift, ahd. 35, Anh. 218 f. 
Interlinearversion 31, 36. 
IsidorObersetzung 34. 
Italer 3- 
Italien 153. 
Italiener 1. 



J im Mhd. loi. 



16* 



232 



K und C im Mhd. 103. 
Kaiserurkunden 86 f., Anhang 

S. 222 f. 
Kalvin 157. 
Kanzlei, kaiserliche, 88, 131 ff.. 

137 ff. 
— kursächsische, 132, 137 ff. 
Kanzleisprache 88, 131 ff., 

139. 155. 
Karl der Grosse 32, 78. 83, 
, 92, 137, 152. 
Karl IV. 83, §8, 13 1. 
Karl V, 156 f.. 162. 
Kärnten 82. 
Karpaten 9- 
Kelten 2. 3 
Keltisch 13. 27. 
Konjugation, starke u. schwache 

im Mhd. 198 f. 
Konrad Fleck 91. 
Konrad von Würzburg 91. 
Konsonantenverdoppelung im 

Mhd. 186, 202 f. 
Konsonantismus, got. 22, mhd. 

97 ff., nhd. 185 ff., urgerm.9, 

westgerm. 26 f., 37 f. 
Konstantinopel 153. 
Kreuzzöge 79. 
Krimgoten 24. 
Krimgotisch 21. 
Körenberger 90. 



Landfrieden 87, 88. 132. 

Langzeile 74 f. 

Lateinisch 1, 5, 13, 85 ff., 

131, 150. 152 ff. 
Lausitz 84. 
Lausitzisch 210. 



Lautverschiebung, ahd. 37 ff., 

urgerm. 7 ff- 
Lech 209. 
Lehnwörter, germ. im Slav. u. 

Finnischen 14 f, frz. 125 f., 

griech. 14, keil. 14, lat. 14. 

128, 154. 
Leibnitz 170. 
Lessing 167, 175. 
Litauer l. 
Litauisch 69. 
Logau 163. 
Longobarden 2. 
Ludwig der Baier 131. 
Ludwigslied 33. 
Luther 136 ff., 145, 154, 169. 
Luthers Bibelübersetzung 136 ff. 

— Rechtschreibung 140 f. 

— Sprache 137 ff., 171. 
Lyrik, mhd. 91 f. 

M 

M im Mhd. 99 f. 

Mähren 82. 

Mainz 132. 133. 

Maximilian 137, 146. 

Media und Tenuis im Mhd. 102, 

im Nhd. 187. 
Meissen 84. 
Meissnisch. Hochdeutsch 172 ff., 

211. 
Meistersinger 92. 96. 
Merseburger Zaubersprüche 33. 
Minnesang 90 f. 
Minnesänger 117. 
Mitteldeutsch 29 f., 84, 130, 

133 f., 140, 207. 210 ff. 
Mittelfranken 29. 
Mittelfränkisch 130. 212. 
Mittelhochdeutsch 25. 
Mittelhochdeutsche Periode 

78 ff. 



— 233 — 



Mittelrhein 134. 
Mittelsilben 81. 
Mittelwort, ahd. 55. 
Monophthongierung v. Doppel- 
vokalen im Nhd. 181 f. . 
Moscherosch 158. 163. 
Moselfränkisch 212. 
Murbacher Hymnen 34. 
Mumer 134 f- 
Muspilli 33. 
Muttersprache 145. 
Mystik, mhd. 93. 



N 
Namen, lat. u. griech. 154 f. 
Nebenton, ahd. 72, mhd. 11 6 f. 
Neuhochdeutsch 25. 
Neuhochdeutsche Periode I29ff. 

— Schriftsprache 135 flF., 
144 ff.. 168 ff. 

Neuschöpfung deutsch. Wörter 

165 ff. 
Nibelungenlied 91, 117 f. 
Niederalemannisch 209 f. 
Niederdeutsch 21, 28. 134, 

176 f., 207. 

— Grenze des — 28, 30. 

— Einfluss des Ndd. aufs Hd. 
190. 

Niederdeutsche 2. 
Niederdeutschland 147 f. 
Niederfranken 28. 
Niederlande 149. 
Niederländisch 27. 
Niedersächsisch 207. 
Nordgermanen 2. 
Nordäch 21, 42. 
Nordmark 84. 
Norweger 2. 
Norwegisch 21. 
Notker 34, 69 f. 



Oberdeutsch 28 f., 184. 
Oberfranken 83. 
Obersachsen 130. 
Obersächsisch 30, 211. 
Oder 134, 210. 
Opitz 163, 169, 172. 
Ordnungszahlen, ahd. 50 
Ordre de la Palme d'Or 164 f. 
Ortenau 210. 
Ortsnamen auf -ing. -ingen 

208. 
Oesterreich 30. 
Oesterreichisch 208. 
Ostfranken 29, 13O. 
Ostfränkisch 208, 21 1. 
Ostgermanisch 20 f. 
Ostgoten 2. 
Ostmark 30, 82. 
Ostmitteldeutsch 208, 210 f. 
Ostpreussen 210. 
Ostsee 2, 134. 
Otfrieds Akzentbezeichnung 

69 f. 
— Evangelienbuch 33 f. 
-^ Verskunst 76 f., 117. 
Ottonen 152. 
Ottokar von Böhmen 83. 
Ovid 35- 



Palmenorden 164. 
Pamir 3. 

Pegnitzschäfer 163. 
Pelasger 4. 
Perser 1, 3. 
Pfahlbauer 4, 15. 
Pluralbildung der Fem. im 
Nhd. 193 f. 

— der Mask. im Nhd. 191 f. 

— der Neutr. im Nhd. 193. 
Polen 1. 



234 



Polnisch 151. 
Portugiesen 1. 
Posen 210. 
Praefixe, ahd. 64 f. 

— betonte, 71 f. 
Praeteritopräsentia 53 f., 115. 
Praeteritum, Ausgleich im nhd. 

— 196 f. 
Preussen 84. 
Prosa, mhd. 93. 

R 

R im Auslaut im Mhd. 102. 
Raske 150. 

Rechtschreibung, nhd. 171, 
199 ff. 

— Neuregelung der, 205 f. 
Reduplikation 52. 
Reformation 144 f«. 150. 
Reibelaute, germ. 8, 12, ahd. 

38, 40.. 
Reichenau 34. 
Reimchroniken 92. 
Renaissance 153 f. 
Renner Hugo von Trimbergs 

92. 131. 
Reste, altertOmliche — in den 

Mundarten 214 f. 
Rheinfranken 29, 130. 
Rheinfränkisch 211. 
Riegel, Hermann 169. 
Ripuarisch 212. 
Rist 163. 

Rittertum 123 f., 152. 161. 
Rolandslied 90, 91. 
Romanisch 27, 30. 
Romantiker 176. 
Rosenorden 164. 
ROckumlaut 114 f. 
Rudolf von Ems 91. 
Rudolf von Habsburg 83, 86 f. 
Rudolf II. 162. 



Rugier 2. 
Rumänen 1. 
Runen 16 ff. 
Runenalphabet 28 f. 
Runeninschriften 13, 19 f. 
Runenschrift 16 ff. 
Russen 1. 
Russland 2. 

s 

S wird zu Seh im Mhd. 99. 
S im Nhd. 188 f. 
Sachs, Hans 149. 
Sachsen 84. 
Sachsenspiegel 85. 
Sächsiscii 28. 
Satyrische Dichtung 93- 
Schaffhausen 147. 
Schiller 175. 
Schlesien 83 f., 130. 
Schlesisch 30, 210. 
Schottel 163, 165, 169 f. 
Schreibung, etymologische — 

im Nhd. 201. 
— phonetische 205. 
Schrift, gotische 22, 206. 
Schriftsprache, mhd. 88 f., nhd. 

135 ff., 146. 213 ff. 
Schulverein, deutscher 151. 
Schwabenspiegel 85. 
Schwäbisch 208 f. 
Schweden 2. 
Schwedisch 2l. 
Schweiz 146 f. 
Sekundärvokale, ahd. 45, 80. 
Senkung 73 f. 
Serben 1. 

Siebenbürgen 82, 212. 
Sizilien 153- 

Sk wird zu Seh im Mhd. 98 f. 
Skandinavien 2 f. 
Slaven 1, 27. 30, 82 f. 



- 235 — 



Slavisch 13, 14, 69. 
Spanier l. 

Sprachgegellschaften 162 ff. 
Sprachmengerei 158 f. 
Sprachprobe, ahd. 36, 41, 70, 
75, 76 f., 221. 

— got. 23. 220. 

— Joh. Ecks 143., • 

— mhd. 86 f., 93 ff.. 118 ff., 
134. 222, 224. 

— der Kanzleisprache 138. 
-- Luthers 139 ff. 

— 17. Jahrhundert 158 f. 
Sprachreiniger ,163 ff. 
Sprachverein, deutscher 167. 
Stadtrecht 131. 
Stadturkunde 86. 
Stammbetonung 12. 
Steiermark 82. 

Steigerung, ahd. 49. mhd. 1 1 1 f. 
Strassburg 134. 
Strassburger Eid 33. 
Stricker 91. 

Südfranken 29. 
Südfränkisch 211. 
Südgermanen 2. 
Suffixe, ahd. 57 ff. 



T im. Auslaut im Mhd. 102. 
Tacitus 16. 
1 atian 34- 

Teuerdank 137, 170. 
Teutleben, Caspar von — 163, 
Textprobe, ahd. 41, 70, 75, 
76 f., 221. 

— got. 23, Anhang 220. 

— mhd. 93 ff., 118 ff., 222 ff. 

— nhd. 138, 139 ff., 158, 
172 f. 

Thomasius 150. 
Thüringisch 30, 21 1. 



Trier 132. 
Tschechen l. 
Tschechisch 15 1. 
Tschudi 157. 
Türken 153, 159. 



ülfilas 16. 22. 

Ulrich von Zatzikhoven 91. 

Umlaut, ahd. 42, mhd. 80 f., 
104 f., urgerm. 11. 

Ungarn 82. 

Un Vollkommenheit d. Schrift- 
bilds 201. 

Urgermanisch 7. 

Urkunden, deutsche 85 ff., 131, 
222 f. 



Vandalen 2. 

Vaterunser, St. Galler 34, 41. 

— Ostfränk. 41- 

— Otfrieds 70. 
Vedas 5. 

Venantius Fortunatus 16. 
Veraltete Wörter bei Luther 

142 f. 
Verdunkelte Komposita 67. 
Vergil 35. 
Verners Gesetz 12. 
Verkleinerungssilben 59 f., 

208 f., 21D. 211. 212 
Verkürzung von Vokalen im 

Nhd. 179 f. 
Verschlusslaute, ahd. 40. 

— germ. 8, 12, 15. 

— indogerm. 8, 12. 

— westgerm. 38, 39. 
Verskunst, ahd. 73 ff. 

— mhd. 117 ff. 

— romanische II9. 
Vlämen 2, 28. 



— 236 



Vlämisch 27. 




Wien 159. 


Vokalsystem, ahd. 42 ff. 




Williram 34. 70. 93 f. 


— goi. 22. 




Wirnt von Gravenberg 91. 


— mhd. 103 ff. 




Wittenberg 648. 


— nhd. 178 ff. 




Wolf, Christian 170. 


— urgerm. 9^ 




Wolfram von Eschenbach 89,9 1 . 


— westgenn. 26. 




Worms, Reichstag zu — 138. 


Völkerwanderung 27. 




Wortbildung, ahd. 56 ff. 


Volksepos 91, 92. 




Wortschatz des Nhd. 177- 


Volksgesang 32. 






Volkslied 92, 5 22 f. 




z 

Z im Mhd. lo3. 


W 




W im Mhd. 100 f., im 


Nhd. 


— im Nhd. 187. 


188. 




Zahlwörter, ahd. 49 f. 


Wagner, Richard 176. 




— mhd. 112. 


Walther von der Vogelweide 


— . nhd. 196. 


89. 91. 




Zeitung des 17. Jahrhunderts 


Weise. Christian 165. 




159 und Anhang, 228. 


Weisskunig 139. 




Zeitwort, ahd., starkes 50 ff. 


Weltgericht , Fragment 


138, 


schwaches 52 f. 


226 f. 




— mhd. 113 ff. 


Wenden 84. 




— nhd. 196 ff. 


Wendisch 151. 




— unregelmässiges 53. 115. 


Weser 134. 




Zerfall der Dekl. -Klassen im 


Wessobrunner Gebet 33. 




Nhd. 191. 


Westfranken 2. 




Zesen, Philipp von — 164 f.. 


Westgermanisch 20 f. 




169. 


Westgoten 2. 




Zürich 147. 


Westmitteldeutsch 208. 




Zusammengesetzte Nomina 66 f. 


Wieland 175- 




— Betonung derselben 73. 









Tafel I. 




Althochdeutsche Inschrift, gefunden in Bingen a. Rh. 

Eigentum des Mainzer Altertumsvereins (s. Anhang S. 21 8). 



Tafel IL 




Die Spange von Freilaubersheim. 

Original im Mainzer Museum. Nach Wimmer, De tyske 

Runemindesmaerker (s. Anhang S. 219). 



Tafel III. 



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Verkleinertes Faksimile einer Seite aus dem sog. Codex argenteus 

Universitätsbibliothek zu Upsala (s. Anhang S. 219). 



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Tafel VIII. 

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Verkleinertes Faksimile des Denkspruchs Martin Luthers im 

Reformatoren-Gedenkbuch von 1542. Original auf der Gräflich 

Stolbere'schen Bibliothek zu Wemiperode /'s. Anhnna S 997^ 






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Tafel IX. 



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Ä^«u iPonl^r ArmecsuMöÄtfu ^X}unrtkm oiiUmmcn / wl^3ö«f 

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Verkleinerte Wiedergabe der No. 38 der Wöchentlichen Reichs 
Ordfinari] : Zeitung: vom 1 1. September 1683. 



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