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Full text of "Die Edda : die Lieder der sogenannten älteren Edda, nebst einem Anhang, Die mythischen und heroischen Erzählungen der Snorra Edda"

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150 Bänden. 





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Die Edda. 


Die Lieder der fogenannten älteren Edda, 
nebjt einem Anhang: 


+ 


Die mythiſchen und heroifchen Erzählungen 
der Bnoxxa Edda. 


Überfegt und erläutert 


bon 


Dune Gering, 





Leipzig und Wien. 
Bibliographiſches Inſtitut. 





Alle Rechte vom Verleger vorbehalten. 








— 





Einleitung des Überfehers. 


1. Die altnordiſche Litteratur (altnordiſch in hergebrachter 
Weiſe al3 Bezeichnung der alten Sprache des weſtſkandinaviſchen 
oder norwegischen Stammes gefaßt) iſt int wefentlichen eine islän— 
dDifhe. Die norwegischen Ariftofraten, die in der zweiten Hälfte des 
9. Jahrhunderts, um fich der Gewaltherrichaft des Königs Harald 
Schönhaar zu entziehen, die Inſel bejiedelten!, hatten in dieſem welt- 
entlegenen Lande während der langen, düjtern Winter Zeit und Muße 
genug, die ausder Heimat mit herübergebrachten Keime eines nationalen 
Schrifttums zu pflegen und zur Blüte zu entwideln. Die Götter- und 
Heldenfagen des Mutterlandes, die Berichte über die politifchen Unt- 
wälzungen, die es erjchüttert und die edeliten Familien zur Auswan— 
derung genötigt hatten, die alten Rechtsſatzungen und die Überliefe- 
rungen über Urſprung und Gejchichte der einzelnen Geschlechter erzählte 
der Bater den Sohne, der Sohn dem Enkel, und diefer ganze Schag ward 
von Gejchlecht zu Gefchlecht in treuen Gedächtnis aufbewahrt. Nicht 
minder war man bemüht, auch die denkwürdigen Ereignifje, die wäh— 
vend und nach der Kolonifation auf Island ftattfanden, und die Nach— 
richten, welche fremde Kaufleute umd die eignen Landeskinder aus 
Norwegen, Dänemark, Schweden und England mitbradhten, fejtzu- 
halten und den Nachkommen zu überliefern. 

tachdent dann die Isländer zu Anfang des 12. Jahrhunderts nach 
dem Beijpiel der Angelfachien die zu geläufigem Schreiben auf Perga- 
ment untauglichen Runen durch das lateinische Alphabet erſetzt hatten, be— 
gannen jte in einer durchaus idiomatiſchen Brofa, die jtch nicht wie die 





ı Bor ihnen hatten hier nur einige irifche Anachoreten gehauft, die bei der 
Ankunft der Heidnifchen Wilinger ſchnell das Weite ſuchten. 


Die Edda. 1 I 


Einleitung des überſetzers. 





älteſte deutſche an lateiniſche Texte ſklaviſch anſchloß, die reiche Fülle ge— 
ſchichtlicher Überlieferungen in ihren Sagas aufzuzeichnen, und wurden 
jo die Hijtoriographen des Nordens. Der Begründer des isländijchen 
Schrifttums, Ari Thorgilsjon der Wohlunterrichtete (gejtorben 1148), 
verfaßte ein Buch über die ältejte Gejchichte Islands, fortgeführt bis 
auf feine Tage, von dem ung leider nur ein kurzer, von ihm ſelbſt be— 
forgter Auszug erhalten iſt; und er it e8 auch ohne Zweifel geweſen, 
der den Grund zu einem in der Weltlitteratur einzig dajtehenden 
Werke gelegt hat, der Gefchichte der isländischen Kolonifation (Land- 
namabök). Ebenſo ficher ijt es, daß er bereit3 Forſchungen auf dem 
Gebiete der norwegischen Gefchichte, wenn auch wejentlich nur chrono— 
Logifche, angejtellt hat, auf denendie fpätern Schriftiteller fußen fonnten. 

Sein Beifpiel fand nämlich zahlveiche Nacheiferung. Wie nicht 
anders zu erwarten, war es befonders die Gejchichte Norwegens, die 
meijt in Einzelbiographien der Könige, feltener in zufammenhängender 
Erzählung behandelt wurde; aber auch die Gejchichte der norwegischen 
Schweiterfolonien (auf den Färder und den Orkneys) und die dänische 
Geihichte fanden auf Island Bearbeiter. Von den Ereignifjen des 
eignen Landes wurde die Einführung des Chrijtentums, die das All— 
thing nad) mancherlei Kämpfen im Jahre 1000 bejchlofjen hatte, zum 
Gegenjtand ausführlicher Darjtellung gemacht, und daran anfchliegend 
die Lebensgefhhichten der herborragendern Biſchöfe; ferner die furz 
vorher erfolgte Entdeckung Grönlands und Winlands (des nordameri- 
kaniſchen Kontinents). Die Sagas, welche von diefen Entdeckungen 
melden, gehören bereit3 zu der jtattlihen Reihe der fogenannten 
Isleadingasogur, d. h. Erzählungen, welche die Schiefjale eines her- 
vorragenden Isländers (öfter eines Dichters) oder eines angejehenen 
isländiſchen Gejchlechtes berichten, freilich nicht immer mit gefchicht- 
licher Treue, fondern mehrfach Wahrheit und Dichtung mifchend, fo 
daß manche von dieſen Erzeugnijjen geradezu als hiſtoriſche Romane 
bezeichnet werden fünnen — wodurch jie übrigens ihren Wert al3 wich- 
tigeQuellen für die Erfenntnis altnordifchen Lebens und altnordifcher 
Sitte feineswegs einbüßen. 

Fügen wir hinzu, daß außer der Gefchichtichreibung, die in der 
Heimskringla des Snorri Sturlufon (einer Sammlung von Bio— 
graphien norwegifcher Könige) ihren Höhepunkt erreichte, auch andre 
Wiſſenſchaften gepflegt wurden, vor allem die Rechtsfunde, für die ein 
äußerſt lebhaftes Intereſſe vorhanden war, aber auch) die Mathematik, 

2 


Altnordifche Profa und Poeſie. 





die Atronomie und die Grammatik!, daß neben den originalen 
Schöpfungen eine reiche Überjeßungslitteratur erblühte, durch welche 
die biblischen Schriften und die Legenden der fatholifchen Kirche, die 
Ritterromane des Weſtens und die Novellen des Orients auch den Un— 
gelehrten zugänglich wurden, jo wird Schon aus diejer kurzen Skizze 
erjichtlich fein, daß die altisländiſche Proſa den Vergleich mit den 
gleichzeitigen und gleichartigen Erzeugnifjen andrer Völker nicht zu 
ſcheuen braudt. 

2. Die altnordiihe Poeſie jteht an Umfang, nicht aber an Wert 
der Proſa nad. Auch auf diefem Gebiete Haben die Isländer den 
Norwegern die Palme abgerungen. Wohl hat ficherlich lange vor 
Bragi dem Alten (um 800) in Norwegen eine reihe Dichtkunſt geblüht, 
durch die die meiſten metriſchen Formen jchon ausgebildet waren, wohl 
lebten dort im 9. und 10. Jahrhundert bedeutende Skalden, wie Thjo- 
dolf von Hwin, Thorbjorn Hornklofi und Eywind Finnsſon, ſpäter 
aber jcheint die poetifche Kraft der Norweger gänzlich erlofchen zu fein. 
Die es meijtenteils Isländer waren, welche die Gejchichte des Nordens 
der Nachwelt überlieferten, jo waren es meijt auch isländiſche Dichter, 
welche die Thaten der Fürjten in ihren funjtvollen Zobgefängen (Dra- 
pas) feierten, So weit die ſtandinaviſche Zunge erflang, an den Höfen 
von Nidaros und Upſala, von Lejre und Dublin laufchte man ihrem 
Sange; ja jelbit zu London haben fie vor den angelſächſiſchen Königen 
ihre Stimme erhoben. Gern gejehene Gäjte waren ſie überall, da ſie 
in der Führung des Schwertes nicht minder geübt waren als in der 
Kunjt des Liedes. Wo immer auf grauer Heide oder auf blauer Flut 
ein nordiicher Heerfürit eine Schlacht jchlug, da jtand auch der islän— 
diſche Sänger unter den Gefolgsleuten in vorderjter Reihe. 

Nur die berühmtejten Namen mögen bier genannt fein: Egil 
Sfallagrimsfon (gejitorben 990), der ausgeprägteite Typus des 
wandernden, abenteuerlujtigen Sfalden, der auf der Winheide dem eng— 
liſchen König Üdeljtan den Sieg über die Schotten erringen half und 
aus den Händen des grimmigen Eirif Blutart fein verfallenes Haupt 
durch ein gereimtes Loblied löjte, das er während einer Nacht im 
Kerfer gedichtet hatte; Einar Skalaglamm, der in feiner Vellekla 
die jiegreiche Schlacht im Hiorungawag (986) verherrlichte, im der er 





1 Die Isländer waren die einzigen Germanen, die ſchon während des Mittel- 
alters Laut» und Formenlehre der Mutterſprache zu erforſchen begannen. 


3 1* 


Einleitung des Überfegers. 





jelbjt an des Karls Hakon Seite gejtritten; Hallfved Dttarsjon, 
der „Schwierigfeitsdichter”, ein treuer Anhänger König Dlaf Trygg— 
waſons, deſſen Tod (1000) er im einem ergreifenden Gedichte be- 
klagte; Gunnlaug Schlangenzunge, bekannt durch feine treue 
Liebe zu der Schönen Helga, die ein andrer Dichter, Hrafn Onundar- 
fon, duch Hinterlijt ihm abgewann, worauf fich die beiden Neben- 
buhler im Zweikampf gegenjeitig töteten; Sighwat Thordarfon, 
der unter den Fahnen Olafs des Heiligen bei Nesjar kämpfte und dann 
den Sieg, durch welchen diefer die Krone von Norwegen gewann, im 
Liede feierte (1015), berühmter noch durch die „Weifen des Freimuts“, 
in denen er Olafs Sohn und Nachfolger Magnus, dem er einst felber 
den Namen gegeben, vor allzu großer Härte warnte; Thormod 
Berſaſon, welcher ebenfalls Dlaf dem Heiligen diente und bei Stiffa- 
itad, al3 der geliebte Herricher gefallen war, den ernicht überleben wollte, 
ſich ins dichteſte Kampfgetümmel jtürzte, wo der Heldentod ihn ward, 
den er gefucht (1030); Thjodolf Arnorsfon, ein äußerſt form— 
gewandter und fruchtbarer Poet, dejjen Dichtungen wegen der klaren 
und anfchaulichen Daritellung jelbiterlebter Ereigniſſe (er focht 3. B. 
[1066] in der Schlacht bei Standfordbridge, wo Harald der Strenge 
den Tod fand) eine Hauptquelle der Hiſtoriker wurden; endlich der ſchon 
oben erwähnte Gefchichtichreiber Snorri Sturlufon (1178—1241), 
durch den auch die Skaldendichtung, die ein Jahrhundert lang nichts 
von Bedeutung hervorgebracht hatte, noch einmal zu kurzer Blüte jich 
entfaltete. Er dichtete auf den König Hakon Hakonarſon und deijen 
Schwiegervater, den Jarl Skuli Bardarjon, das berühmte Hättatal, 
ein kunſtvolles Lobgedicht, von deſſen 102 Strophen jede in einem an— 
dern Versmaß abgefaßt it, damit das Ganze jüngern Sfalden ala 
Muſter- und Beijpielfammlung dienen fünne. 

Die Hoffnung auf ſolchen Nachwuchs war nicht vergeblich, Snorri 
machte wirklich Schule, befonders in jeiner eignen Familie, aus der 
nur noch) feine beiden Neffen, Dlaf Thordarfon Hwitaffald umd 
Sturla Thordarjon (gejtorben 1284), erwähnt fein mögen. Mit 
dem leßtgenannten, der den König Hafon und feinen Sohn Magnus 
in [hwungvollen Verſen pries und bei dieſem in hohen Ehren jtand, 
ichließt das Zeitalter der wandernden Hofjfalden. Das 14. Jahr- 
hundert hat nur noch auf dem Gebiete der geijtlichen Poeſie Bedeu- 
tendes geleitet. Es genügt hier, die Perle diefer Dichtung, Eyjtein As— 
grimsions „Lilja“, zu nennen, eine lyriſche Meſſiade in 100 Strophen, 

4 


Altnordifche Poeſie. Die Lieder der Edda. 





die wegen ihrer glänzenden Diktion und ſchwärmeriſchen Innigfeit dem 
Beiten, was die Weltlitteratur in diefer Gattung geleijtet Hat, an die 
Seite gejeßt werden darf. 

3. Auch die Lieder der Edda, die ſämtlich anonym überliefert 
find, gehören injofern der isländiſchen Litteratur an, als die Samm— 
fung derjelben auf Island jtattgefunden Hat und die Sprache der 
Handſchriften, die fie ung überliefern, die isländiſche tft, welche der 
altnorwegifchen zwar bis auf den heutigen Tag im wejentlichen gleich 
blieb, aber doch Schon früh einzelne dialektiſche Abweichungen zeigte, 
die den Kenner befähigen, iSländifch und norwegiſch genau zu unter- . 
jcheiden. Gedichtet find die Lieder jedoch nur zum Teil auf Island. 
Die ältejten unter ihnen, von denen aber feins über das 9. Jahr- 
Hundert zurüctreicht, find nod) in Norwegen entjtanden, fo die Pryms- 
kvipa, die Hövamoöl, die Grimnismöl (die jedoch in Island jtark inter- 
poliert wurden), die Harbarpsljöp, vielleicht auch Baldrs draumar und 
Skirnismol, von den Heldenliedern jicherlich die Völundarkvipa, die 
vier Fragmente, die der Sammler in der Helgakvipa Hjorvarpssonar 
vereinigt hat, die Helgakvipa Hundingsbana II, die Hampismöl und 
der in der profaifchen Edda erhaltene Grottasongr. Das übrige aber, 
wenn wir die Rigspula, die auf den fchottiichen Inſeln entitanden zu 
fein fcheint, und die Atlamöl, die in Grönland verfaßt find, gbrechnen, 
wird isländischen Urſprungs fein, gehört jedoch ſehr verſchiedenen Zei- 
ten an. Zu den ältern isländischen Gedichten dürfen wir die Voluspö 
- zählen, die wohl noch in3 10. Jahrhundert zu jeßen it, zu den jüngjten 
die Alvissmöl, die Gripisspö und den Oddrünargrätr, die wahrjchein- 
lich ſchon ins 12. Jahrhundert fallen. Ein uns unbefannter Islän— 
der hat dann zu Anfang des 13. Jahrhunderts die ihm zugänglichen 
Lieder zu einem Corpus vereinigt, das ung jedoch im Original nicht 
mehr erhalten ilt. Derjelbe Mann fügte zweifellos auch die proſaiſchen 
Einleitungen, Schlußworte und Zwiſchenſätze Hinzu, die ſich in den 
meilten Gedichten finden, ebenjo die beiden jelbjtändigen Proſaſtücke 
(Nr. 19 und 28 meiner Überjegung). 

Die ältejte und wertvollite Handichrift der eddiſchen Lieder iſt der 
Codex regius (Nr. 2365) auf der großen füniglichen Bibliothek in 
Kopenhagen, der gegen Ende des 13. Jahrhunderts auf Island ge- 
ſchrieben iſt. Es ijt eine Pergamenthandſchrift i in Großoktav, die uns 
den größten Teil der in meiner Überſetzung enthaltenen Gedichte und 
Proſaſtücke in folgender Anordnung überliefert: 1, 11, 8, 9, 7, 6, 4, 

| 5 


Ginleitung des überſetzers. 





5, 3, 15, 10, 17, 16, 18-—23 (von 23 fehlt jedoch der Schluß von Str. 
29°? an), 24-—35. Nah Nr. 23, Str. 29! fehlt in der Handichrift 
mindeſtens eine Tage von acht Blättern, durch die ein beträchtlicher Teil 
der Sigurdslieder ung verloren gegangen ift; doch wird diefer Berluft 
einigermaßen dadurch erjeßt, daß die in der zweiten Hälfte des 13. Jahr- 
hundert3 auf Island verfaßte Volsunga saga die Lieder noch gefannt 
und in proſaiſcher Auflöfung erhalten hat. 

Der Codex regius wurde erſt im 17. Jahrhundert von dem islän⸗ 
diſchen Biſchof Brynjolf Sweinsfon wieder aufgefunden, der eine Ab— 
ichrift von ihm nehmen ließ und auf diefe den Titel jeßte: „Die Edda 
Sämunds des Weijen‘ („EddaSsemundi multiscii*), einen Namen, den 
auch die meisten Herausgeber der Liederfammlung ihr gelaſſen haben, 
obwohl die neuere Forihung unumſtößlich bewiefen hat, daß Sämund 
Sigfusſon, ein gelehrter Isländer des 12. Jahrhunderts, der Samme 
ler (oder gar Berfaffer!) der Gedichte nicht geweſen ijt umd die Be- 
zeihnung Edda ebenfowenig ihnen zukommt. Brynjolf befand fich aber 
in dem Wahne, daß die profaiiche Edda des Snorri Sturlufon (f. unten 
©. 15), welcher nach alter Überlieferung diefer Name wirklich gebührt, 
nur ein Auszug aus einen ältern Werke jet, das er in der eben ent- 
deckten Liederhandfchrift in Händen zu haben glaubte. Sie mit Sämund 
in Verbindung zu jegen, war ein weiterer Srrtum, der fich dadurch er- 
Härt, daß der Ruhm von diefes Mannes geheimnisvoller Weisheit alle 
andern Namen überſtrahlte; auch hat ja von jeher in gelehrten Kreifen 
das Beitreben gewaltet, anonyme Schriften irgend einer hiſtoriſchen 
oder gar mythiſchen Perſon in die Schuhe zu fehieben, bei den Griechen 
dem Orpheus, im 17. Jahrhundert dem Sämund und im 19. dem 
Kürnberg oder Starfad. Von dent Codex regius bejigen wir jeßt 
eine vorzügliche phototypierte Faklimile- Ausgabe, bejorgt von Ludv. 
3. U. Wimmer und Finnur Jönsſon (Kopenhagen 1891). 

Eine zweite, ebenfall3 auf Island, und zwar etwas fpäter al3 
der Codex regius gejchriebene Bergamenthandichrift, der in der Arna— 
magnäiſchen Bibliothek zu Kopenhagen aufbewahrte Codex 748, in 
Quart, enthält vollftändig nur Nr. 2, 9 und 4 unfrer Sammlung 
ſowie Bruchitüce von 6, 7, 8 und 15. — Nr. 12 ijt nur in dem Codex 
Wormianus (Arnam. 442, in Folio, isländiſche Pergamenthandichrift 
aus der Mitte des 15. Jahrhunderts) ütberliefert, Nr. 13 nur in der 
Flateyjarbök (Nr. 1005, in Folio, der großen königlichen Bibliothek in 
Kopenhagen, isländiihe Pergamenthandichrift aus dem Ende des 

6 


Handihriften und Ausgaben der Lieder - Edda. 





14. Sahrhunderts). Nr. 1 findet jich auch (in einer von dem Codex 
regius etwa3 abweichenden Redaktion) in der Hauksbök (Arnam. 
544, in Duart, isländiſche, jedoch zum Teil von norwegischen Schrei- 
bern gefertigte PBergamenthandichrift des 14. Jahrhunderts). Nr. 14 
it nur in fpäten Bapierhandichriften erhalten, ebenfo der Schluß von 
Nr. 23 (von Str. 29° an). Außerdem find zahlreiche Strophen aus 
unfern Liedern in der Snorra Edda, der Volsunga saga, dem Nor- 
nagests pättr und anderwärts citiert; 

Nachdem Nr. 15—35 zuerit von Fr. 9. v. d. Hagen (Breslau 
1812) und Nr. 15— 26 von den Brüdern Grimm (Berlin 1815, mit 
trefflicher deutfcher Proſaüberſetzung) Herausgegeben waren, wurde die 
erſte volljtändige Ausgabe, die das Arnamagnäiſche Inſtitut zu Kopen- 
hagen in drei Quartanten erjcheinen Lie, deren erjter bereit3 1787 die 
Preſſe verlaſſen hatte, erſt 1828 vollendet. Ihr folgten die Ausgaben von 
R.Kr. Raſk (Stodholm 1818), P. A. Mund (Chrijtiania 1847), H. Lü— 
ning (Zürich 1859, mit erklärenden Anmerkungen und Gloſſar) und 
Th. Möbius (Leipzig 1860). Einen unbedingt zuverläſſigen Text, 
der auf neuer, ſorgfältiger Vergleichung aller Handſchriften beruhte, 
lieferte jedoch erſt die Ausgabe von Sophus Bugge (Chriſtiania 1867), 
auf der dann alle ſpätern fußen. Die Handausgabe von Svend Grundt— 
vig (Kopenhagen 1868 und 1874) ijt durch wertvolle Anmerkungen und 
zahlreiche fcharfiinnige Konjekturen ausgezeichnet, durch den jorgfäl- 
tigen Eritijchen Apparat die von Karl Hildebrand (Paderborn 1876; 
Sloffar dazu von H. Gering, daſ. 1887). Die Heine Tertausgabe 
von Finnur Jönsſon (Halle 1888 — 90) führte zuerſt die ſtrenge me— 
triihe Regelung der Verſe, wie jie Ed. Sievers gelehrt hatte, durch. 
Bon der groß angeleaten Ausgabe von B. Sijmons, die auch einen 
eingehenden Kommentar und ein ausführliches Wörterbuch enthalten 
ſoll, it erit der erite Halbband erjchienen (Halle 1888). 

4. Über den Wert der eddiihen Gedichte als einer unjchäß- 
baren Quelle der altgermanischen Mythologie und Heldenjage ein Wort 
zu verlieren, wiirde überflüfjig fein, wenn nicht neuerdings diefer Wert 
von jachkundiger Seite angegriffen worden wäre. Sophus Bugge hat 
in feinen [harfjinnigen und geledrten „Studien über die Entjtehung 
der nordiichen Götter- und Heldenjagen‘ (deutſch von D. Brenner, 
Münden 1889) den Beweis zu führen verfucht, daß zahlreiche nordifche 
Mythen nur Umformungen von hrijtlichen Legenden oder von Sagen 
de3 klaſſiſchen Altertums find, welche die Nordmänner während ihrer 

7 


Einleitung des überſetzers. 





Plünderungs- und Eroberungszüge nach den britischen Inſeln (Die erſt 
gegen Ende des 8. Jahrhunderts begannen) jollen kennen gelernt haben, 
und Elard Hugo Meyer, W. Golther u. a. find auf dem von ihn ein- 
gejchlagenen Wege weitergegangen.«, 

Mir ericheinen Bugges Hypotheſen, die namentlich durch die 
Aufdekung überrafchender Barallelen zu blenden im jtande find, je 
mehr ich mit der Frage mich befchäftige, inmter unglaublicher. Wein 
fie wahr wären, müßten die iriſchen Gewährsmänner der nordifchen 
Wikinger nicht nur in der lateinischen Litteratur, jondern jogar in 
einen Teile der griechiihen gründlich zu Haufe geweſen fein, jte 
müßten den Inhalt der Homerischen Gedichte und den Bergil aufs ge— 
nauejte gefannt haben, außerdem aber auch eine große Reihe von My— 
thographen, Scholiajten und Kommentatoren, den Hygin, den Dares 
und Dictys, den Apollodor und die jibyllinischen Orakel, dazu neben 
der Bibel des Alten und Neuen Tejtaments die ganze Flut der apo- 
kryphen Schriften ac. ıc., d. h. fie müßten ebenjo gelehrt geweſen fein 
wie Sophus Bugge jelbjt; ſie müßten auch ihre ganze Gelehrſamkeit 
bei ihren Gejprächen mit den Piraten des Nordens (die doch nicht Stu— 
dierens halber nach Britannien gekommen waren) fortwährend prä— 
jent gehabt haben. Es widerfpricht auch der Buggiſchen Theorie, daß 
jchon bei den ültejten norwegischen Skalden des 9. Jahrhunders die- 
jelbe ausgebildete Mythologie fich findet wie in den eddifchen Liedern, 
die unmöglich während weniger Dezennien entitanden fein kann; es 
widerjpricht jener Hypotheſe ferner der Umjtand, dat eine große An— 
zahl von Figuren, die bei der naturfymbolifchen Deutung ohne Schwie- 
vigfeit jich erklären (wie z. B. im Baldrmythus die Riefin Hyrrofin 
und der Zwerg Kit), vollkommen rätjelhaft bleiben, wenn wir Bugges 
Anſchauungen zu den unjrigen machen wollten. Es iſt zweifellos 
nicht3 mit dem „mächtigen Wellenjchlag der Wilingerzeit, der die ganze 
uns erhaltene mythiſch-⸗heroiſche Dichtung hat emportauchen laſſen“ — 
Sturmfluten pflegen nicht zu Schaffen, jondern zu zeritören. Man hat 
fich über den Reichtum der nordiſchen Götterwelt, iiber die gewaltige 
Menge der mythiſchen Erzählungen (die, wie zahlreiche ung dunfle 
Anspielungen beweijen, einjt noch weit größer war) gegenüber der 
Armut der deutfchen Überlieferungen gewundert, obwohl die Erklärung 
der Thatjache doch einfach genug tit: befanntlich Hatte bei den Germa- 
nen des Südens die Mifftonsthätigfeit der chrijtlichen Befehrer ſchon 
fange vor der Völkerwanderung angefangen, und jahrhundertelang 

8 


Die Edda al3 Duelle für Mythologie und Heldenjage. 





war der wütende Fanatismus der römiſchen Priejter aufs eifrigjte be- 
fliffen, alles Heidnifche mit Stumpf und Stil auszurotten, während 
man im Norden während des ganzen eriten Jahrtauſends der chrijt- 
lichen Zeitrechnung ungejtört den heimifchen Göttern opfern und von 
ihren Thaten und Schickſalen Sagen erzählen und Lieder fingen konnte, 
die auch nach der Befehrung feines furzjichtigen Pfaffen Haß verfolgt 
und vernichtet hat. 

Wunderbarer ift es, daß trotz alledem die Übereinſtimmung des 
deutichen und nordifchen Götterglaubens ficher erfennbar ijt. Nicht 
bloß die großen Göttergeitalten find im Süden und Norden der. 
Ditjee diefelben: Wuotan — Odin, Donar — Thor, Ziu — Tor, 
Frija — Frigg, jondern auch von den „dii minorum gentium“ laſſen 
fich mehrere hier wie dort nachweifen. Daß die Nerthus des Tacitus 
eine Schweiter des nordiſchen Njord geweſen fein muß, iſt unbejtreit- 
bar, und ebenfo ficher ijt e8, troß Bugges Widerſpruch, daß der Bal- 
der des zweiten Merjeburger Spruches, ein Gott, den man im jüd- 
lichen Deutjchland mit dem griechisch römischen Apollo zufammenwarf 
denn „Phol“ it Apollo, nicht Paulus), mit dem nordiihen Baldr 
identisch it. Die nordiſche Hlodyn iſt auf deutſchen Grabjteinen der 
Römerzeit als dea Hludana wiedergefunden worden, und nur eine 
fajt unbegreifliche Boreingenonmendeit konnte, ſtatt diefe Übereinjtim- 
mung einzuräumen, jenen Namen für eine volfsetymologiiche Umbil- 
dung von Latona erklären. Die Walfüren Hat die moderne Forſchung 
in den „Alaiſiagen“, Bede und Fimmilene, wiedererfannt, und felbjt 
eine jo untergeordnete Gejtalt wie Friggs „Kammermädchen“ Fulla 
ericheint in Deutjchland als „Frijas Schweiter“. 

Daß der Götterhimmel der Südgermanen einen Vergleich mit 
dem nordiichen einjt wohl gejtattete, beweifen auch andre Namen, die 
durch litterarifche oder epigraphiiche Zeugniſſe gewährleiitet find: die 
Zanfana, die Nehalennia, der Herkules Magufanus, der Requaliva- 
hanus u.a.m. Wenn wir auch zugeben, daß ein verhältnismäßig junges 
Gedicht wie die Voluspo chriſtliche Einflüffe erfahren hat, fo iſt doch die 
Grundlage auch hier durchaus heidnifch, und da eine Zeile in Strophe 3 
fait buchitäblich in dem Weſſobrunner Gebet des 8. Jahrhunderts ſich 
wiederfindet, jo darf vermutet werden, daß der Isländer, der im 
10. Jahrhundert das Lied niederichrieb, eine uralte Vorlage um— 
gearbeitet und erweitert hat. Umgejtaltungen und Neubildungen hat 
überhaupt die gemeingermaniſche Mythologie durch die Weſtſkandinavier 

N) 


Einleitung des Überſetzers. 





zweifellos mehrfach erfahren, da verjchiedene Mythen deutlich zeigen, 
daß fie nur in einem nördlichen, von Gebirgen und Gletſchern erfüllten, 
meerbejpülten Lande entitanden fein können; ja, die jchliegliche Aus— 
gejtaltung der Lokiſage kann erjt in Island erfolgt fein, da nur hier 
die Erjcheinungen des Bulfanismus, die unverkennbar auf die Mythen- 
bildung eingewirkt haben, beobachtet werden konnten. 

5. Die Schäßung des poetifhen Wertes unſrer Lieder iſt 
natürlich ganz unabhängig davon, wie man die Frage nach der Echt- 
heit oder Unechtheit der in ihnen behandelten Mythen beantwortet; nur 
würde die jchöpferiiche Kraft der nordiſchen Phantafie vielleicht noch 
großartiger erjcheinen, wenn man annehmen fünnte, daß fie die Er- 
zeugnijje einer fremden Kultur fich jo vollitändig angepaßt und mit 
ihrem eignen Geijte erfüllt habe. 

Da die in der Sammlung vereinigten Gedichte verjchiedenen 
Perjonen und Zeitaltern angehören, ijt natürlich auch die künſtleriſche 
Bewältigung des Stoffes nicht in allen diefelbe. Den modernen Ge- 
ſchmack werden die trocdnen Nomenklaturen in den Vafprüpnismöl, 
Grimnismöl und Alvismöl nicht zufagen, ebenſowenig das verjifizierte 
Snhaltsverzeichnis der Gripisspd. Dagegen wird der altertümtliche, 
fnappe und ſchmuckloſe Vortrag der Prymskvipa mit ihren für die 
ältere Epif aller Völker charakterijtifchen Wiederholungen bejtimmter 
Ausdrüde und Wendungen (die auch in der Völundarkvipa als Zeug- 
nifje jehr früher Entjtehung begegnen) und ihrem ungefuchten derben 
Humor oder der feierlich erhabene Ton der Voluspd die Wirkung auch 
heute nicht verfehlen. Die Hymiskvipa repräjentiert mit ihrer Vor— 
liebe für Umfchreibungen, in denen die enfomiaftiihe Dichtung der 
Skalden ihr volles Behagen fand, ſchon eine jüngere Geſchmacks— 
richtung, wie unter den Heldenliedern die erite Helgakvipa Hun- 
dingsbana und die Reginsmöl. Höchſt intereffante Beifpiele der nach 
hiſtoriſchen Zeugniſſen jchon im Altertum auch bei den Südgermanen 
beliebten Streit- und Spottlieder, wie fie heute noch die Hirten und 
Jäger der Alpen improvifieren, find die Lokasenna und die Här- 
barpsljöp jowie die in den Helgiliedern enthaltenen Zankgeſpräche; 
und die nicht minder beliebte Spruchdichtung iſt würdig vertreten durch 
die Hövamol, in denen neben einzelnen vecht Hausbadenen Lehren 
zahlreiche vollwichtige Goldförner tiefjinniger Lebensweisheit ſich finden. 

Am Höchiten erhebt ſich, wie überall, der dichteriſche Schwung 
diefer Lieder, wenn fie von Liebesluſt und Liebesleid zu berichten 

10 


Poetiſcher Wert der Edda. Altnordiſche Versfunft. 





haben: die Sehnjucht des Liebenden und die Seligfeit der nach langem 
Harren endlich Vereinigten find in Skirnismöl und Fjlsvinnsmöl 
unübertrefflich zum Ausdrud gelangt, und der Schmerz um verlornes 
Liebesglüd it nirgends ergreifender befungen worden al3 in den 
Fragmenten der zweiten Helgakvipa Hundingsbana, die den alten 
Glauben an die den Tod überwindende Liebe auf germanischen Boden 
zuerjt bezeugt, oder in Gudruns Klagen. Auch it ſchwerlich ein von 
rajender Eiferfucht geplagtes Weib von irgend einem Dichter, der dies 
unerſchöpfliche Motiv behandelte, in wenigen Zügen mit jo Fräftigem 
PBinjel gemalt worden, wie von dem Sänger der Sigurparkvipa 
skamma. 

6. Das volle Berjtändnis der altnordiihen Metrif it uns 
erjt durch die Unterfuchungen von Eduard Sievers eröffnet worden, 
auf die ich denjenigen, der genauere Auskunft wünſcht, verweifen muß 
(Pauls und Braunes „Beiträge“, Band 5, 6 und 8). Hier muß ich 
mich auf kurze Andeutungen bejchränfen. 

Es jind in den eddiichen Liedern (wenn man von den Härbarps- 
1j6p abjieht, die in einer regellojen Reimproſa abgefaßt find und 
jelbjt das in der altnordischen Poeſie jonjt ausnahmslos durchgeführte 
Geſetz der jtrophiichen Gliederung nicht Har zum Ausdruck bringen) 
nur drei Versmaße zur Berwendung gefommen, das Fornyröislag, 
der Mälahättr und der Ljödahättr. Die erjten beiden find in den er- 
zählenden Dichtungen gebraucht!, das dritte in den gnomiſchen und 
dialogiſchen. 

Allen drei Versmaßen gemeinſam iſt es, daß ſie zum Baue vier— 
zeiliger Strophen verwendet werden, eine Zeilenzahl, die jedoch zu— 
weilen iüberjchritten wird, und daß, wie alle Erzeugnijje der alt- 
nordiſchen Dihtung, die Allitteration oder der Stabreim fie 
ihmücdt Man verjteht unter Allitteration den gleichen Anlaut von 
zwei oder mehr hochbetonten Silben innerhalb eines Berjes oder Bers- 
paares; und zwar gelten alle Vofale und Diphthonge al3 Laute von 
gleicher Beichaffenheit, die daher untereinander allitterieren dürfen, 
während die Konjonanten nur mit jich jelbjt veimen, 3. B. 

Dftwärts ſaß die Alte | im Eiſenwalde (Vol. 40); 
Met trinft Mimir | am Morgen täglich (Vol. 29). 





ı Sn reinem Mälahättr find nur die Atlamöl gedichtet, mit Fornyrdislag 
gemifcht findet fih das Metrum in der Atlakvipa und den Hampismöl. 


11 


Einleitung des Überfegers. 





Hierzu ijt noch zu bemerken, daß die Konfonantenverbindungen ft, ſp 
und ff alS ein einziger Laut betrachtet werden, mithin nur mit fich 
jelbjt allitterieren fünnen, d. h. alfo jt nur mit ſt (nicht mit ſ, ſkoder 
ſp) ꝛc. Ich habe auch dieſes Geſetz in meiner Überſetzung beobachtet: 
an Stelle des in deutſchen Wörtern nicht vorkommenden ff trat natür— 
lich ſch, das ich nur mit fich felbjt reimen ließ, ohne auf den etymo— 
logifchen Urſprung des Lautes (der bekanntlich entweder aus altent ff 
oder aus alten | hervorgegangen ijt) Rickficht zu nehmen, 3. B.: 

Wie jeid ihr jo ſtumm, | ihr ftolzgen Götter (Lokas. 7). 

Er ſprüht dev Dampf | und der Spender des Lebens (Vol. 57); 

Es jehneidet nimmer ihr Schwert (Höv. 147). 

Im einzelnen ijt über die drei VBersmahe folgendes zu bemerken: 

a) Die Strophen des Fornyröislag (früher unrichtig Kviduhättr 
genannt) und des Mälahättr bejtehen aus vier Langzeilen, bon denen 
jede durch eine Cäfur in zwei Kurzzeilen geteilt wird; jede Kurzzeile 
enthält zwei hochbetonte Silben (Hebungen). Wahrjcheinlich find beide 
Bersmahe aus einem ältern Metrum entitanden, in dem die Silben- 
zahl der Kurzzeile noch nicht fejt normiert war, vielmehr zwijchen 
3—5 (oder noch mehr?) Silben ſchwankte?: in dem Fornyröislag 
und dem Mälahättr ift jedoch das Prinzip der Silbenzählung ftreng 
durchgeführt, und zwar muß die Kurzzeile des eriten Metrums vier, 
die des zweiten fünf Silben enthalten. Der Überfeger mußte freilich 
von der Beobachtung dieſes Prinzips abjehen. Da nämlich) die Wör- 
ter der altnordiſchen Sprache durchichnittlich filbenärmer find als die 
der unjrigen, auch betonte furze Silben im Neuhochdeutichen nicht 
erütieren, mithin eine Verjchleifung von Hebung und Senkung unmög- 
ih it, jo mußten Auftakte und mehrfilbige Senkungen in reichlichen 
Maße zur Verwendung gelangen. Um das längere Metrum von dent 
fürzern zu unterjcheiden, gab e8 dann fein andres Mittel, als jenen 
drei Hebungen für jede Kurzzeile zuzugejtehen. 

Bei der Berteilung der Reimjtäbe auf die beiden Hälften der Lang— 





1 Simrod war der Anficht, daß das aus altem j entjtandene ſch auch mit j 
veimen bürfe — aljo 3. B. ſchlief (niederdeutſch noch slep) mit ſaß —, das aus 
ft entjtandene ſch dagegen nur mit dem etymologifch gleihartigen Laute — 3. B. 
Schaft (althochdeutich skaft) mit Schaum (althochdeutſch sküm). Ich Halte dies 
für unridtig, da die lediglich auf das Ohr berechnete Allitteration nur auf den 
gegenwärtigen Lautwert, nicht auf den etymologifchen Urjprung Rüdficht zu nehmen 
hat; das ſch in ſchlief und in Schaft find aber in der Aussprache nicht verſchieden. 

2 Ein Beifpiel dieſes altertümlichen Metrums ift die Völundarkviba. 


12 


Altnordifche Verskunſt. 





zeile fallen in der Regel zivei gleiche Anlaute (die jogenannten Stollen‘) 
auf die erite Kurzzeile, einer („der Hauptitab‘) auf die zweite (aa | a), 
.8.: 

Sch heiſche Gehör | von den Heil’gen Gejchlechtern (Vol. 1); 

Die Ajen eilten | alle zum Thinge (Baldrs dr. 1); 

Seine Stüße ſtürzt' er um | und ftiftete ſelbſt jich Schaden (Atlam. 2); 
e3 genügt indefjen auch, wenn in jeder Kurzzeile nur ein Reimſtab jteht 
(ala), 3.8.: 

Bon Süden bejchien | die Sonne den Boden (Vol. 4); 
Auf Zdafeld famen | die Ajen zufammen (Vol. 7). 

Unbedingt unjtatthaft it es, daß die erite Kurzzeile nur einen 
Reimſtab enthält, die zweite dagegen zwei (a | aa); ebenjowenig dürfen 
vier gleiche Stäbe in der Langzeile jtehen (aa | aa); jollen alle vier 
Hebungen an der Allitteration teilnehmen, jo muß die erjte Hebung mit 
der dritten und die zweite mit der vierten, oder die erjte mit der vierten 
und die zweite mit der dritten reimen — es ijt aljo in dieſem Falle in 
der Langzeile doppelte Allitteration vorhanden (ab | ab oder ab | ba), 
— 

Ihm ſchrie zu Häupten | der ſchönrote Hahn (Vol. 42); 

Auf dem Hügel ſaß Thrym, | der Herricher der Thurſen (Prymskv. 5); 

Und ein Glüd genießen | daS nimmer vergeht (Vol. 64); 

Die funfelnde Natter | vom nächtigen Fels (Vol. 66). 

Da die Allitteration die Beſtimmung hat, die beiden Kurzzeilen zu einem 
Ganzen zu verbinden, iſt es natürlich auch unzuläſſig, daß jede Kurz- 
zeile nur in fich ſelbſt allitteriert (aa | bb). Eine Langzeile wie die 
folgende: 

Mit fladernden Flammen | fommt Surtur von Süden 
iſt alfo den Gejegen der alten Technik, denen auch der Überfeger fich zu 
fügen hat, durchaus zuwider. 

b) In dem Ljödahättr, der in freiern Rhythmen fich bewegt, it 
das Prinzip der Silbenzählung nicht durchgeführt. Die Strophe diefes 
Metrums jest ſich aus zwei Verszeilen mit Cäfur und zwei cäfurlofen 
zuſammen, die miteinander abwechieln. In den Cäfurzeilen werden 
die beiden Hälften, von denen jede zwei Hebungen hat, durch die Allit- 
teration verbunden; die cäfurlojen Zeilen, die drei! Hebungen ent- 





1 €3 ift neuerdings die Behauptung aufgeftellt worden, daß die cäfurlofe Zeile 
der Ljödahättr nur zwei Hebungen enthalte, eine Behauptung, die allein ſchon an 
Skirnismöl 37 zu ſchanden wird. Auch ſonſt haben unfre jungen Metrifer Proben 
davon abgelegt, daß fie noch nicht bis drei zählen fönnen. 


13 


Einleitung des Überfegers. 





halten, reinen nur im jich jelbit; für ſie gilt ferner das Geſetz, daß fie 
ſtumpfen Ausgang haben müſſen. Für die Verteilung der Reimſtäbe 
beiteht in den Cäſurzeilen diefelbe Regel wie int Fornyröislag und 
Mälahättr, von den drei Hebungen der cäfurlofen Zeile werden ge- 
wöhnlich nur zwei, ausnahmsweiſe aber auch alle drei durch den Stab- 
veim hervorgehoben, 3. B.: 


Nichts Großes braucht man | zu geben dem andern, 
duch Kleines erlangt man oft Lob; 

ein Biljen Brot | und des Bechers Neige 
warb mir werten Freund (Höv. 52). 

Dem Freunde jollit dur Freundſchaft bewahren, 
Gabe mit Gabe vergilt! 

Doch Hohn joll man | mit Hohn erividern 
und die Täuſchung mit Trug (Höv. 42). 

c) Endlich jei hier noch, obwohl es in den eddiichen Liedern nicht 
vorkommt, des ſkaldiſchen Versmaßes Dröttkvaett gedacht, weil in der 
Gylfaginning (}. unten ©.297) eine volljtändige Strophe und eine Halb- 
ſtrophe, die in diefem Metrum gedichtet find, eitiert werden. Die Strophe 
des Dröttkvaett beiteht aus acht jechsfilbigen Zeilen mit trochäifchent 
Ausgang, von denen je zwei durch die Allitteration verbunden find; es 
müſſen in den ungeraden Zeilen immer ziweiReimjtäbe vorhanden fein!, 
in den geraden darf dagegen nur einer jtehen, der ohne Ausnahme auf 
der erjten der drei Hebungen feinen Pla hat. Neben der Mllitteration 
it im Dröttkvett regelmäßig auch der Silbenreim (Hending) an- 
gewandt, und zwar in den ungeraden Zeilen al3 Halbreim oder Ajjonanz 
(Skothending), in den geraden dagegen als Vollreim (Adalhending;). 
Bon den beiden Hendingar der Zeile muß die ziweite immer auf der 
dritten Hebung, alſo auf der vorlegten Silbe ruhen. Da ich e3 ver- 
jucht habe, in der Strophe Bragis des Alten dies ſchwierige Metrum 
nachzuahmen, wird aus dieſem Beifpiele jelbit das Gejagte am beiten 
deutlich werden (die Reimjtäbe find durch fette deutſche, dieHendingar 
durch lateinische Buchjtaben kenntlich gemacht): 

Gylfi jchuf der Gefjon — 

Glut beſaß (ex) der Fluten — 
(de$) Däneureiches Dehnung; 
dampfend (die) Ochſen jtampften. 





! Ausnahmöweife fommen in der cäfurlofen Zeile auch drei Reimſtäbe vor. 
14 


Altnordifche Verskunſt. Überfegungen ber Lieber - Edda. Die Profa = Edda. 





(In den) Stirnen Hatten acht Sterne 
(die) Stiere und Köpfe viere, 
(als) fort zu fernen Furt jie 
(am) Pflug die Inſel trugen. 

7. Bon den metriſchen Überfegungen der eddifchen Lieder, diein 
Deutichland erfchienen find, iſt nur eine al3 wohlgelungen zu bezeichnen, 
die von Karl Simrod (Stuttgart und Tübingen 1851; 8. Aufl. 1882), 
und nur an ihr wünsche ich die meinige gemeijen zu jehen. Wenn ich, 
den Spuren des hochverdienten Mannes folgend, die Schwierige Aufgabe 
nod einmal zu löfen unternahm, fo fürchte ich nicht damit eine über— 
flüffige Arbeit gethan zu haben. Denn abgefehen davon, dag Simrocks 
Buch manche Unrichtigkeiten enthält, die jich [chon vor 40 Jahren Hätten 
vermeiden laſſen!, fo Hat in den lebten Jahrzenten die Sprach- und 
Sacherklärung jo bedeutende Fortichritte gemacht, daß e3 an der Zeit 
jchien, den gebildeten Streifen unfers Bolfes eine neue Verdeutſchung 
zu bieten, welche die Ergebnijje der modernen Forſchung berücjichtigt?. 

Die von mir unter dem Texte gegebenen Erläuterungen wollen 
nicht al3 ein erichöpfender Kommentar angejehen werden, jte follen 
nur demjenigen, der ohne Borfenntnijje in der germanischen Mytho- 
logie und Heldenjage an die Lektüre der Edda herantritt, das, was 
zum Verjtändnis unbedingt notwendig tt, an die Hand geben. Die 
Leſer, welche eine eingehendere Belehrung wünſchen, kann ich für 
die Mythologie jest auf Eugen Mogfs flare und überjichtliche Dar- 
jtellung in Bauls „Grundriß der germanifchen Philologie‘ (I, 982 ff.) 
verweijen, für die Heldenjage auf die in demfelben Buche (II, 1, 1ff.) 
enthaltene knappe, aber vortrefflihe Behandlung diefes —— 
von B. Sijmons. 

8. Im Anhange ſind, wie bei Simrock, die mythiſchen und heroi— 
ſchen Erzählungen der ſogenannten jüngern oder proſaiſchen 
Edda mitgeteilt, was ſicherlich allgemeine Billigung finden wird, da 
dieſe Stücke eine unentbehrliche Ergänzung zu den Liedern bilden. Das 
genannte Buch, für welches der Name Edda (d. h. „Urgroßmutter‘‘) 





ı Wie falfch er zuweilen überjegt hat, ergibt 3. B. die Vergleihung meiner 
Wiedergabe der Halbftrophe Thjodolfs von Hwin im 2. Kapitel der, Gylfaginning 
(S. 298) mit der Simrodjchen. 

2 Für einzelne Verbefferungen meiner Nahdichtung bin ich meinem Freunde 
B. Sijmons in Groningen zu Dank verpflichtet, und ich bedauere nur, daß es 
ihm jeine Zeit nicht geftattet hat, das gejamte Manuffript einer Durchficht zu 
unterziehen, 


15 


Einleitung de3 Überjegers. 





ſchon in den alten Handſchriften bezeugt it, ohne daß wir Grund oder 
Beranlajjung diefer Bezeichnung zu ermitteln vermögen, ijt in feinem 
urjprünglichen Bejtande ein Werk des fchon oben genannten Hijtorio- 
graphen und Dichter Snorri Sturlufon, daher es auch die Edda des 
Snorri, Snorra Edda, genannt wird. Seiner Beitimmung nad) 
war diejes Werk ein Handbuch für angehende Skalden, alſo eine Poetik. 
Es gliedert jich in drei Teile: 

a) Gylfaginning (d. h. „Gylfis Verblendung‘), ein Abriß der 
altnordiichen Götterlehre in dialogiſcher Form. Der Name erklärt ſich 
durch die von dem Verfaſſer gewählte Einkleidung, daß der Schwedische 
König Gylfi nach’ Asgard geivandert fei und dort durch die Aſen jelbit 
Belehrung über die Entitehung der Welt und die Geſchicke der Götter 
empfangen habe. Ein Anhang dazu jind die Bragaredur (d. h. 
„Bragis Erzählungen‘), in denen Bragi, der Gott der Dichtkunft, dem 
Meeresgott Ägir während eines Gelages verfchiedene Mythen von 
Odin und Thor berichtet. 

b) Skäldskaparmäl (d. h. „Sprache oder Ausdrucksweiſe der 
Dichtkunſt“), eine Sammlung der poetiihen Umfchreibungen (Ken- 
ningar) und Synonyma (ökend Heiti) mit zahlreichen Beifpielen 
aus der altnordiichen, befonders ſkaldiſchen Poeſie und (weil die an 
Metonymien und Antonomafien reiche Sprache diefer Litteratur ihren 
Formelvorrat wejentlich aus der Götter» und Heldenjage entlehnte) 
mit längern oder kürzern mythologiſchen und jagengeichichtlichen 
Exkurſen. 

c) Hättatal, das ſchon oben erwähnte Lobgedicht Snorris mit 
ausführlichen profaifchen Kommentar, der die Eigentümlichkeiten jeder 
Strophe erläutert, aber nicht von Snorri jelbit, jondern in feinem Auf- 
trage von einem unbefannten Autor verfaßt iſt. Die fertige Abhand- 
lung hat jedoch Snorri perjönlich durchgeſehen und durch einzelne 
Zufäße erweitert. 

Bon den Handichriften der Snorra Edda, die der Verfaſſer unvoll- 
endet hinterließ, infolgedejjen fie im Laufe der Zeit mehrfache Um— 
arbeitungen und Erweiterungen erfuhr, gilt der vielleicht noch im 
13. Jahrhundert gefchriebene Pergantentfoder von Upfala (Delagard. 
11, in Oktav) als diejenige, die die urjprüngliche Befchaffenheit des 
Werkes noch am deutlichiten erkennen läßt. Ich habe daher dieje bei 
der Überſetzung zu Grunde gelegt, muß aber gejtehen, daß mir während 
der Arbeit Zweifel aufgeitiegen find, ob ich recht daran gethan habe. 

16 


Die Proja = Edda. 5 





Es iſt ja befannt, daß der Schreiber des Kodex ſich zahlreiche Aus— 
lafjungen hat zu fchulden kommen lafjen, zu, deren Ergänzung man 
doc auf die andern beiden Bergamenthandichriften des 14. Jahrhun— 
dert3, den Wormianus (Arnam. 242, in Folio) und Regius (Gamle 
Samt. 2367, in Quart) zurücdgreifen muß. Aber es will mir jcheinen, 
daß man auch an manchen Stellen, wo man bisher das Plus von 
Wormianus und Regius durch Interpolation erklärt hat, vielmehr das 
Minus des Upsalensis ebenfall3 der Nachläfjigkeit des Schreiber zu— 
zufchreiben hat. — Kap. 8 der Skäldskaparmäl, das die Handſchrift 
von Upjala nur in einem dürftigen Entwurf bietet, mußte natikelich 
nach der längern Redaktion, die auch das Mühlenlied allein überliefert, - 
gegeben werden. 

Herausgegeben wurde die Snorra Edda zuerit von P. J. Reſenius 
(Kopenh. 1665), jpäter von J. Göransſon (Upfala 1746), Raſk (Stod- 
holm 1818), Sp. Egilsfon (Reykjavik 1848 — 49), Thorl. Jönsſon 
(Kopenhagen 1875) und vonder Arnamagnätjchen Kommiſſion (Kopen⸗ 
hagen 1848--87, 3 Bände). Eine neue fritiiche Ausgabe wird von 
E. Mogf vorbereitet. Die mythologiſch und fagengeichichtlich wichtigen 
Beitandteile find (mit Volsunga saga und Nornagests pättr) heraus- 
gegeben von E. Wilken (Paderborn 1877; Wörterbuch dazu ebenda 
1883), deutjch überjeßt von F. Rühs (Berlin 1812) und (wie bereits 
oben erwähnt) von K. Simrod. 


Kiel, im November 1892. 


Hugo Hering. 


Die Edda. 17 I 


—* 
en 





GErſtes Bu. | 
Götterlieder. 


Die Edda. 





1. Der Seherin Weisfagung. 
(Volusp?.) 


1. Sch heiſche Gehör von den heil’gen Gefichlechtern. 
von Heimdall3 Kindern!, den hohen und niedern; 
Walvater? wünjcht es, ſo will ich erzählen 
der Vorzeit Geichichten aus frühſter Erinn’rung. 


2. Zu der Riefen Ahnherrn reicht mein Gedächtnig, 
die vor Zeiten erzeugt mich haben; 
neun Welten fenn’ ih, neun Räume des Weltbaums?, 
der tief im Innern der Erde wurzelt. 


3. In der Urzeit war's, als Ymir* lebte: 
da war nicht Kies noch Meer noch kalte Woge; 
nicht Erde gab es noch Oberhimmeel, 
nur gähnende Kluft, doch Gras nirgende. 


4. Da lüpften Burs Söhne? Die Lande empor 
und erichufen den ſchönen Midgard®, 
von Süden beichtien die Sonne den Boden, 
da wuchs auf dem Grunde grünendes Kraut. 


5. "Die Sonne von Eüden, gejellt dem Monde, 
rührte mit der Rechten den Rand des Himmels; 





ı Heimball3 Kinder, die Menſchen. Die Rigsbula (Nr. 12) erzählt, daß der 
Gott Heimdall unter dem Namen Rig bie Stammpäter der drei menſchlichen Stände 
(Stlaven, Freie und Edle) erzeugte. 

2 Walvater = Dbin. 

3» Der Weltbaum, die Eie Yagdrafil; vgl zu Str. 19. 

4 Ymir, der Urrieje, aus dejjen Körper die Götter die Welt erjchufen; vgl. 
Vafpr. (Nr 8) 21, Grimn. (Nr. 9) 40-41, Gylfaginning (Anhang) €. 5—8. 

5 Burs Söhne, Ddin, Wili und We; vgl. Gylfag. ©. 6. 

s Midgard, ver in ber Mitte der Welt gelegene Wohnfig der Menſchen; vgl. 
Grimn. 41, Gylfag. €. 8. 

7 Daß dieje, wahrjcheinlich erjt jpäter eingefügte Strophe einen nordiſchen 
Hohfommerabend jchildert, an dem die Sonne am Rande des Himmels entlang 
gleitet, aber nicht untergeht, jondern nachts neben dem Monde aın Firmament 
verbleibt, hat J. Hoffory wahrſcheinlich gemacht: „Eddaſtudien“ (Berlin 1889), S 73 ff 

1 * 


Fr 


10. 


12, 


Erſtes Bud. Götterlieder. 


* 





nicht wußte die Sonne, wo ſie Wohnung hatte, 
der Mond wußte nicht, welche Macht er hatte, 
die Sterne wußten nicht, welche Stätte ſie hatten. 


. Da gingen zu Sitze die Götter alle, 


die heiligen Herricher, und hielten Rat: 

fie benannten die Nacht, Neumond und Vollmond, 
Morgen und Abend, Mittag und. VBeiper, 

die Zeiten all zur Zählung der Jahre. 


. Auf Jdafeld! famen die Ajen zujammen, 


Altäre zu ſchaffen und Tempel zu bauen; 
fie gründeten Eſſen, das Gold zu jchmieden, 
hämmerten Zangen und Handwerkszeug. 


. Im Hofe übten fie heiter dag Brettjpiel — 


an bligendem Golde gebrach’3 ihnen nicht — 
bis die mächtigen drei Mädchen? kamen, 
die Töchter der Niefen aus Thurfenheim. 


. [Da gingen zu Site Die Götter alle, 


die heiligen Herricher, und hielten Rat: 
wer die Schar der Zwerge exichaffen jollte 
aus Brimirs Blut und aus Blains Gliedern?, 


Als mächtigjter war Motſognir entjtanden 

von den Zivergen allen, als zweiter Durin; 

e3 machten manche Ptenjchenbilder 

in der Erde die Zwerge nach dem Auftrag Durins. 


Nyi und Nidi, Nordri und Sudri, 
Auftri und Weſtri, Althiof, Dwalin, 
Nar und Nain, Niping, Dain, 
Bifur, Bafur, Bombor, Nori, 

An und Onar, A, Mjodvitnir. 





ı Idafeld, „das Feld rajtlofer Thätigkeit‘, der Aufenthaltsort der Ajen 


während des goldenen Zeitalter, wo die den Weltbrand überlebenden Götter 
wieder wohnen werden; ſ. Gylfag. € 14 u. 58. 


2 Die mädhtigen drei Mädchen find die Nornen- Urd, Werdandi und 


Stuld (Str. 20), die. den Göttern und Menſchen das Ehidjal beftimmen Bat. 
Gylfag. € 15—16. 


3 Brimir und Blain find nur andre Namen für Ymir (4. Str. 3). — Der 


Abſchnitt, der von der Erſchaffung der Zwerge erzählt und daran einen weit- 
läufigen Zwergfatalog anſchließt (Str. 9-16), ift ——— eine ſpätere Kara 
polation 


1. Der Seherin Weisfagung (Volusp$). 


or 





12. Wigg und Gandalf, Windolf, Thorin, 
Thror und Thrain, Thek, Lit und Wit, 
Nyr und Regin, NYyrad und Radſvid — 
nun zählte ich richtig die Ziverge her. 


13. Fili und Kili, Fundin, Nali, 
Heptifili, Hanar, Swiur, 
Frar, Hornbori, Fräg und Loni, 
Aurwang, Jari, Eikinfkjaldi. 


14. Zeit iſt's, den Menſchen aus der Zwerge Volt 
Lofars Ahnen im Liede zu nennen; 
es 309 ihr Stamm aus der jtein’gen Heimat 
durch jumpfige Thäler zum Sandgefilde. 

15. Sie hießen Draupniv und Dolgthrafir, 
Har, Haugjpori, Hlewang, Gloin, 
Dori, Ori, Duf, Andwari, 
Skirfir, Wirfir, Skafid, Ai, 

16. Alf und Yngwi, Eifinjkjaldi, 
Yjalar und Froſti, Fid und Ginnar: 
willen wird man, ſolange die Welt bejteht, 
dieje lange Reihe von Lofars Ahnen.] 


17. Da kamen zum Meerjtrand mächtig und hold 
aus diefem Gejchleht drei der Alien; 
auf freiem Felde fanden fie Fraftlos 
Ask und Embla!, unfichern Loſes. 


. 18. Hauch) und Seele Hatten fie nicht, 
Gebärde noch Wärme noch blühende Farben; 
den Hauch gab Odin?, Hönir? die Seele, 
Lodur* die Wärme und leuchtende Farben. 





ı Ask und Embla, Eiche und Ulme (2), die beiden Bäume, aus denen die 
Aſen das erſte Menfchenpaar ſchufen. Vgl. Gylfag. €. 9. 

2 Ddin (db. ift der Stürmer), urfprünglih ein Sturmgott, der jedoch ſchon 
früb von den Germanen zum Himmelsgott und damit zum Beherrſcher der 
übrigen Götter erhoben warb. 

3 Hönir, ein Gott, der öfter in der Gejellihaft von Ddin und Loki er- 
ſcheint (vgl. die prof. Einleitung zu Reginsmöl [r. 21] und Skäldskaparmäl 
6.4, ferner Bragaredur ©. 2); Name und Wejen desjelben haben noch feine be- 
friedigende Erklärung gefunden. Bei dem Kriedensjchluß zwijchen Ajen und 
Banen (vgl. zu Str. 21 ff.) ward er den legtern al Geifel übergeben. Er gehört 
zu den Göttern, die auch in der erneuerten Welt herrjchen werden (unten Str. 63) 

* Lodur ift wahrſcheinlich der ältere Name des Gottes, der gewöhnlich 
Loki heißt (j. zu Str. 35). 


6 Erſtes Bud. Götterlieder. 





19. Eine Ejche kenn' ih, Yggdrafil! Heißt fie, 
den gewaltigen Baum nett weißes Naß; 
von dort kommt der Tau, der die Thäler befeuchtet; 
immergrün fteht ee an der Urd? Quelle. 


20. E83 jteht ein Saal am Stamme des Baumes, 
drei weile Jungfrau'n wohnen darin: 
[die eine heißt Urd, die andre Werdandi 
— fie ſchnitzten in Schindeln — Skuld ift die dritte;]? 
des Lebens Loje legten fie feit 
den Menjchenkindern, der Männer Schidfal. 


21. Sch weiß als erjten der Meltenfrieget, 
al3 Gullweig fie mit Geeren jtießen 
und fie in Hawis® Halle verbrannten, 
dreimal verbrannten die dreimal geborne, 
[oft und häufig, doch immer noch Lebt fie.) 


22. Heid® hieß man fie, wo ins Haus fie fam, 
die jinnvolle Zaub’rin mit dem Sehergeift; 
hirnverrüdende Hexenkunſt trieb fie, 
leidiger Weiber Luſt war fie ſtets. 





* 


ı Die Eſche Yggdraſil, das Symbol des einheitlichen und organiſch ge— 
gliederten Weltall$ Vgl Grimn. 29—35, 44 und Gylfag. €. 15—16 

2 Urd, s. zu Str 8. 

3 5. zu Str. 8 

4 Der erite Weltkrieg ijt der Krieg der Afen mit den Banen. Die 
legtern, urjprünglih wohl Gottheiten der atmoſphäriſchen und pelagiichen Ge— 
wäfjer, wurden als ſolche auch zu Göttern der Schiffahrt und des Handels. hr 
Kultus ward, wie es jcheint, zuerſt bei den Südgermanen ausgebildet und ge= 
langte erjt von diejen zu den Sfandinaviern; feine Einführung ftie jedoch) auf 
Widerftand bei den Anhängern des ANjenglaubens und wurde erſt nad hartnädigen 
Kämpfen durch einen Kompromiß beigelegt, infolgedefjen nun Ajen und Wanen ge- 
meınjchaftli verehrt wurden. Dieje Ereignifje jcheint der Mythus vom Wanen= 
kriege wibderzufpiegeln. — Zu ben Wanen gehören Njord und feine beiden Kinder 
Freyr und Freyja; eine Hypoftafe der legtern ijt nad Müllenhoff die Gullweig 
(3.2), in welder die Wacht des Goldes, namentlih nach ihrer verderblichen Seite, 
perfonifiziert it. Die Gullweig war nad der Darftellung unjers Gedichtes die 
erfte Wanin, die bei den Ajen eriien; die üble Behandlung, die fie bei diejen 
erfuhr (die durch Feuer bewirkte Xäuterung bed Goldes), wird als Urſache des 
Krieges zwifchen den Ajen und Wanen angegeben. Der Krieg wird auch erwähnt 
Gylfag. €. 23 und Bragaradur €. 3. 

s Hamwi, „ber Hohe” — Dbin. 

s Heid, ein Name, den häufig Weisfagerinnen und Zauberinnen führen. So 
nanıte man al’o auch die Gullweig 


1. Der Seherin Weisſagung (Volusp$). 


J 





28. Da gingen zu Sitze die Götter alle, 
die heiligen Herrſcher, und hielten Rat: 
ob Zins die Aſen zahlen ſollten 
oder alle Götter die Opfer genießen!. 


24. Den Schaft hatte Odin gejchleudert ind Heer 
— das auch geihahb im erjten Weltkrieg — 
da brach der Wall in der Burg der Wien, 
die jtreitbaren Wanen zerſtampften das Feld?. 


25. »Da gingen zu Sitze die Götter alle, 

die heiligen Herricher, und hielten Rat: 

wer die ganze Luft mit Gift erfüllte* 

und der Brut der Riefen die Braut des Od? gab? 
Nur Thor® jchlug zu, voll troß’gen Mutes 

— jelten fit er, wenn er jolches vernimmt —- 
da wanften die Eide, die Worte und Schwüre, 

die fejten Verträge, die man vordem jchlop.? 


27. Ich weiß Heimdalls? Horn verborgen 
unterm Himmelsluft trinfenden heiligen Baum; 
drauf ſeh' ich fallen die feuchten Ströme 
aus Walvaterz Pfandes — Könnt ihr weit’res verſtehen? 


W 
* 





I Die Götter verhandelten über die Bedingungen, unter denen ber Friebe abge: 
ſchloſſen werden jollte. Es wurde vorgefhlagen, entweder den fiegreihen Wanen 
einen Tribut au zahlen oder fie als gleichberechtigte und aljo au durch Opfer zu 
ehrende Weſen in den Kreis der Ajen aufzunehmen. Das zweite ward beichlofien 

2 Diefe Strophe greift noch einmal auf ein Ereignis des Krieges (die Zer- 
ftörung ber Aſenburg durch die Wanen) zurück, um einen Übergang zu dem fol- 
genden Mythus, der in Str. 25 u. 26 nur kurz angedeutet ift, zu gewinnen. 

3 Am die zerftörte Burg wieder herzuftellen, hatten die Götter einen riefifchen 
Baumeiiter angenommen, der fich verpflichtete, daS Werk im Berlauf eines Winters 
auszuführen, wenn man ihm Freyja zur Frau gebe und Sonne und Mond ab- 
trete, und dieje Bedingungen waren auf Lofis Rat angenommen worden. Hinter 
her bereuten jedoch die Götter das leichtfinnig gegebene Verſprechen und be- 
drohten Loki mit dem Tode, wenn er nicht Rat ſchaffe. Diejer wußte nun durch 
eine Lift die Arbeit jo aufzuhalten, daß fie nicht bis zu dem feftgejegten Termin 
fertig ward; der Rieſe aber, der in jeinem Zorn über den Verluſt des bedungenen 
Lohnes die Götter bedrohte, warb von Thor erjhlagen. ©. Gylfag. €. 42 

+ D. 5. wer dazu geraten habe, Sonne und Mond auszuliefern. 

5 Die Braut des Od ift Freyja. Bgl: Gylfag. €. 35. 

s Thor, der Donnergott, Sohn von Ddin und Jord. 

? Heimdall (d. i. „der über die Welt glänzende“), der Wächter der Götter, 
der einjt am Ende der Tage, wenn der Angriff der Riefen bevorfteht, mit dem 
Sjalarhorn die Götter zum Kampfe aufrufen wird So lange ruht diejes ge- 
borgen unter der Ejche Yggdrafil. Vgl. zu Prymskv. Nr 3) Str. 141. 

8 Walvaters(d.i.Dvins) Pfand ift das Auge des Himmeldgottes, die Sonne, 
das erden Waffergeifte Mimir oder Mim verpfändet, um von diefem Weisheit au 


8 Erjtes Bud. Götterlieder. 





28. "Cinfam jaß ich außen, als der alte Fürſt 
der Ajen fam und ins Aug’ mir jah: 
„Was jtrebit du zu wiffen? Warum ftellft du die Probe? 
Ddin, ich weiß, wo dein Auge du bargſt!“ 


29. Ich weiß Odind Auge verborgen 
im Waflerquell Mimird, dem weitberühmten; 
Niet trinkt Mimir am Morgen täglich 
aus Walvaterd Pfande — könnt ihr weit'res ver— 
ſtehen? 


30. Heervater ſchenkte Halsband und Ringe, 
weil ich ſinnvolle Rede und Sehergeiſt hatte. 
Viel Weisheit hab' ich, kann weiter ſchauen, 
alle Welten durcheilte mein Blick. 


31. Weit umher ſah ih die Walküren? kommen, 
gerüſtet zum Ritt in die Reihen der Helden; 
Skuld hielt den Schild, Skogul folgte, 

Gud, Hild, Gondul und Geirjfogul. 
Nun macht’ ich euch fund die Mädchen Herjans?, 
bereit, zur Erde den Ritt zu lenken. 


32. Des Schickſals Schluß entſchieden jah ich 
für Odin Sohn, den edlen Baldr‘; 
hoch überm Boden erhob fich ragend 
die jchön gewachſ'ne, ſchlanke Mijtel. 





empfangen, die in der geheimnisvollen Tiefe der Gemwäfler, dem Brunnen des 
Mimir, verborgen if. So ward der Untergang ber Sonne im Meere gedeutet. 
Die Sonne kann aber auch als die goldene Schale des Himmeldgottes aufgefaßt 
werden die Mimir mit dem heiligen Waſſer jeiner Duelle füllt, um den Weltbaum 
zu begiefen (db. 5. um durch weije Fürſorge bad Gedeihen der Weit zu fihern). 

1 Str. 28-30: Die Seherin jchiebt ein, daß fie von Odin jelbft auf ihre Weis- 
beit geprüft worden ift, und daß dieſe fih vor ihm bewährt hat. Nachdem fie jo 
die Wahrheit ihrer Ausjagen befräftigt hat, fährt fie in ihren Mitteilungen fort 

2 Die Walküren, Odins Schladtjungfrauen, die die Befehle des Gottes 
ausführen, jeinen Schüglingen im Kampfe den Sieg verleihen und die gefallenen 
Helden in den himmliſchen Saal Walholl geleiten. 

3 Herjan = Dbin 

4 Baldr (d.h. „Herr’), der Sohn Odins und ber Frigg, urſprünglich eine 
Lichtgottheit, defien Tötung durch feinen Bruder Hod den Sieg ber Finfternis über 
das Licht, ded Sommers über den Winter, fymbolifh darſtellte. Nachdem die 
alten Naturgötter auch zu Vertretern ethiſcher Prinzipien ausgeftaltet waren, 
ward Balor der Gott ber Gerechtigkeit, Reinheit und Unſchuld. Bgl. das folgende 
Lied und die ausführliche Erzählung in der Gylfag. €. 49. 


1. Der Seherin Weisfagung (Volusp$). 9 





33. Aus diefem Zweige, der dünn ausjah, 
ward ein Schmerzenzpfeil: ſeinen Schuß that Hod!; 
doch Baldı3 Bruder? war bald erzeugt, 
einnächtig kämpfte des Odin Sohn. 
34. Das Haupt nicht kämmt' ev noch die Hände wujch er, 
ehe Baldr3 Feind? auf dem Branditoß lag; 
doch Frigg* beweinte in Yenjalir 
Walholls? Unglüd — könnt ihr weit’res verjtehen? 
Gebunden jah ih im brucdhigen Hain 
die Unheilögejtalt, den argen Loki?. 
Dort fit Sigyn’, verſunken in Schmerz 
ob dem Weh des Gatten — könnt ihr weit'res verjtehen? 
86. 263 ergießt fich von Oſten durch giftige Thäler 
mit Schwertern und Dolchen die jhäumende Slidr?. 


©) 
ot 





ı Hob, der blinde Bruder des Baldr, erſchoß diefen mit dem Miftelzweige, 
nachdem Loki den Bogen gerichtet und das Geſchoß aufgelegt Hatte. Hod ift nad 
dem oben Gejagten geradezu als eine Perfonififation des Winters zn betradten; 
der Name, welder „Krieg“ bedeutet, kennzeichnet feinen Gegenjag zu dem fried- 
lien Baldr. 

2 Baldr3 Bruder: gemeint ift Wali, den Odin mit der Rind erzeugt, 
um einen Räder für Baldr zu fhaffen. Kaum geboren („eine Nacht alt“), vollzieht 
ber Knabe die Race, indem er den Hod erichlägt. 

3 Baldıra Feind = Hob. 

4 $rigg (db. i. „die Geliebte”, „die Gattin”), die Sonnengöttin, Odins Ge— 
mahlin. Cie wohnt in den $Fenfalir (den „Meerjälen‘‘), da die Sonne am Abend 
fih zur Ruhe in das Meer niederläßt. 

5 Walholl, eigentlih die Halle, in der die gefallenen Helden nad ihrem 
Tode Aufnahme finden, hier allgemein ald Wohnfig der Götter gefaßt. 

6 Loki, ber häufigfte, aber zweifellos jüngfte Name des Gottes, der jonit 
auch Lodur und Loptr genannt wird. Er bedeutet „Schließer”, „Beender”, da 
das Element, über welches Lofi gebietet, da3 Feuer, nad germaniſchem Glauben 
da8 Ende aller Dinge herbeiführt Wegen der verderblichen Eigenſchaften diejes 
Elementd (die wohlthärigen treten in den Lokimythen jeltener zu Tage) wird 
2. dann überhaupt als Dämon des Verderbens gefaßt, als derjenige, der alles 
Unheil über die Götter bringt. So trägt er auch die Schuld an dem Tode Baldrs; 
zur Strafe dafür wird er jedoch von den Ajen gefnebelt und fommt erft kurz 
vor dem Weltuntergang wieder los. ©. Gyliag. C. 50. 

? Sigyn, die Gemahlin Lokis. 

8 Dieje Strophen (36-39) ſchildern die Wohnftätten der Dämonen, die den Unter— 
gang der Welt und ber Götter herbeiführen: im Norden das Reich der Rieſen und 
der mit ihnen verbundenen Zwerge und in der Unterwelt das Reich der Hel. Die 
füdlihe Feuerwelt, die Heimat der Söhne Muspells, ift wahrſcheinlich in den beiden 
verlornen Schlußzeilen von Str. 36 (falls nicht noch miehr fehlt |) erwähnt worden. 

°» Slidr, „bie ſchädliche, ſchlimme“, ein Strom im Niefenlande. Daß der 
Flug Schwerter und Dolde mit fich führt, joll, wie es ſcheint, nur jeine ſchnei— 
dende Kälte bezeichnen. 


10 Erſtes Bud. Götterlieber. 





37. Im Norden erhob fih auf dem Nidagefilde 
ein Saal von Gold für Sindris Gejchledt'; 
auf Dfolnir? ſtand ein andrer 
Bierfaal des Rieſen, der Brimir? Heißt. 


38, Einen Saal jah ich jtehen, der Sonne fern, 
auf Naftrand*, die Thüren nach Norden gerichtet; 
durchs Rauchloch jtrömte ein Regen von Gift, 
denn die Wände de3 Saal? ind umwunden von 
Schlangen. 


89. Durchwaten dort jah ih wilde Ströme 
meineid’ge Männer und Mtordgejellen 
[und folche, die andrer Eh'frau'n verführten]; 
dort jog Nidhogg am entjeelten Leibern, 
der Wolf zerrig Menjchen — fünnt ihr weitres ver⸗ 
ſtehen? 
40. "Dftwärts ſaß die Alte im Eiſenwalde? 
und gebar allda die Brut des Fenrir?; 


von allen diefen wird einer einmal 
der Eriwürger der Sonne in Wolfsgeitalt. 





1 Das Geſchlecht des Sindri (ein Zwerg diejes Namens wird auch 
Skäldsk. €. 3 erwähnt), das auf dem Nidageiilde (d. 5. in „Finfterfelden“) 
wohnt, find die Zwerge, und zwar der den Göttern feindlihe Teil derjelben 
(die Schwarzelben). 

= DOfolnir, „ber nicht Falte”, ift ein jeltfamer Name für einen Berg in dem 
eifigen Niefenlande; man muß daher wohl annehmen, daß ein Ort gemeint jei, 
der durch vultaniiche Wärme vor dem Froft gefhügt ift. Dies würde (wie a 
andre) isländiſchen Urjprung des Gedichte wahrjcheinlich machen. 

3 Brimir, d. i. „Braujer”, ein Riefenname, mit dem Str. 9% auch der Ur- 
tiefe Ymir bezeichnet ward. 

*Naftrand, d. i. „Totenftrand” ; hier erhebt fich der Saal ber Todesgöttin 
Hel, zu der nad) dem ältern Glauben der Germanen alle Menſchen nach dem 
Tode gelangten. Die Böjen mußten dort Qualen erdulden (Str. 39). 

5 Mord und Meineid galten den Germanen als die ſchwerſten Berbreden. 
Bor den jhweren Strafen, die der Meineidige zu erwarten hat, warnt aud) Sigr- 
drifumgl (Nr. 23), Str. 23. 3.3. 4. 

6 Daß diefe beiden Zeilen auch noch von den Höllenftrafen Handeln, beweiſt das 
MWörthen dort (3. 4). Die Leiber der Geftorbenen werden von einem Draden 
(NidHogg, d. i. „ver grimmig beigende”) und einem Wolfe zerfleifcht. Helletrache 
und Hellewolf find in mittelhochdeutihen Dichtungen Bezeichnungen bes Teufels. 

? Diefe Strophe eröffnet die Schilderung des Weltendes, indem fie die Ge— 
burt der Unholde erzählt, die einft Sonne und Mond verſchlingen werben. 

8 Eijenwald, ein Wald von hohem Alter und unvergänglicher Dauer, ein 
Urwald. So hieß noch im 11. Jahrhundert ein Wald in Holjtein, und auch dıe 
Stadt Iſerlohn ift nad einem folden Walde benannt. 

® Fenrir, ein ungeheurer Wolf, der Sohn des Lofi und der Riefin Angr- 
boda, vgl. Hyndluljöoh (Nr. 13), Str. 40. Er wird beim Weltuntergang den 


1. Der Seherin Weisjagung (Volusp$) 11 





41. 


wur 


Er ernährt fich vom Fleiſche gefallener Männer! 
und bejudelt mit Blut den Sit der Götter; 

der Sonnenschein dunfelt, in den Sommern darauf 
fommt wüjtes Wetter — könnt ihr weit'res verſtehen? 


42. Auf dem Hügel jaß dort, die Harfe jchlagend, 
der Hüter der Riefin, der heit’re Eggther?; 

ihm jchrie zu Häupten der ſchönrote Hahn 

im Bogelwalde, Fjalar? geheißen. 

Ob den Göttern frähte  Gullinfambit, 

der in Heervaters Halle Die Helden meet; 

doch ein andrer fräht in der Erde Tiefen, 

mit rußbraunen Federn in den Räumen der Hel. 


44. Garm bellt laut vor Gnipabellir?: 
e3 reißt die Feſſel, es vennt der Wolf®l 
Biel Weisheit Hab’ ih, kann weiter ſchauen 
auf das grimme Schidjal, das den Göttern naht. 


45. *Es befehden fi) Brüder und fällen einander, 
die Bande des Blut3 brechen Schweiterjöhne; 
arg ijt’3 in der Welt, viel Unzucht gibt es — 
Beilzeit, Schwertzeit, es beriten die Schilde, 
Windzeit, Wolfzeit, eh’ die Welt verfinft — 
nicht einer der Menjchen wird den andern jchonen. 


"43 





= 


Odin verſchlingen, aber, von Widar getötet werden (unten Str. 53, 54, Gylfag. 
€. 51). Seine Kinder, die er mit einer ungenannten Riefin (der „Alten im Eijen- 
walde“) erzeugte, find die Wölfe Stoll und Hati, von denen der erjte die Sonne, 
ver zweite den- Mond verjchlingen wird. Diejen Mythus haben die Berfinfterungen 
der Himmelsförper hervoıgerufen. 

ı Miüllenhoff vermutet, daß man die Mahnung, die Gefallenen zu beftatten 
(vgl. Sigrdrifumgl, Str. 33), durch den Hinweis darauf, daß man jonj den Sonnen: 
wolf mäfte, eindringlider zu machen fuchte. 

2 Egather (d. i. „Schwertinecht“), der Hüter (Gemahl?) der Riefin, ver: 
ſieht augenscheinlich bei den Riefen das Amt des Wächters, wie Heimdall bei den 
Göttern und Surt bei den Bewohnern von Muspelldheim (Gyliag €. 4. 

3 kjalar, ver Hahn, der die Rıejen zum legten Kampfe wedt, wie Gullin- 
tambi (Str. 43!) die Götter und der rußbraune Hahn (Str. 43?) die Leute der Hel. 

* Gullintambi bedeutet „einen goldenen Kamm tragend”. ©. zu Str. 42%. 

5 Garm, der Hund, der am Eingange zu Hels Reich in der „Felshöhle“ 
Gnipahellir- lauert Es ift jedenfall derjelbe Hund, der nad Baldrs draumar 
(Nr. 2), Str..2.,dem Odin entgegenfommt Die Grimm. erwähnen ihn (Str. 44) 
als den beiten der Hunde. Nach Gylfag. (E. 51) werden beim Weltuntergang der 
Kriegsgott Tyr und Garm ſich gegenjeitig töten. "ER 

s Der Wolf, nämlich, Fenrir, den die Ajen gefefjelt hatten, der. aber, wenn 
das Weltende fommt,-fich losreifen wird (Gylfag. €. 34). ’ 

? Dem Weltuntergang geht der Verfall aller Zudt und Sitte voraus. 


12 Erſtes Buch. Götterlieder. 





46. Mims Söhne! haften, es meldet das Ende 
der gellende Ton des Gjallarhornes?; 
laut bläjt Heimdall?, in der Luft ift das Horn, 
Heervater jpriht mit dem Haupte Mims?. 


47. Yogdrafil* bebt, der Ejchen höchſte, 
es rauſcht der alte Baum, der Rieje? wird frei; 
in Angſt find alle in der Unterwelt, 
eh’ der Blutsfreund Surt3® ſeine Bahn betritt. 


48. Wie ſteht's bei den Aſen? Wie fteht’3 mit den Elben? 
Ganz Riejenheim raft, im Nat find die Aſen; 
es jtöhnen die Zwerge vor den jteinernen Thüren, 
der Waldberge Herricher — Könnt ihr weit'res ver- 
ſtehen? 


49. Garm bellt jetzt laut vor Gnipahellir, 
es reißt die Feſſel, es rennt der Wolf! 
Viel Weisheit hab' ich, kann weiter ſchauen 
auf das grimme Schickſal, das den Göttern naht. 


50. Bon Oſten fährt Hrym', im Arme den Schild, 
ducch die Wogen wälzt fi) die Weltichlange® 





ı Mims Söhne, die Gewäſſer, die in unruhige Bewegung geraten. 

2 über Heimdall und das Gjallarhorn ſ. zu Str. 271, 

3 Nach der Ynglingasaga (E. 4) taufchten die Ajen und Wanen nad) Be— 
endigung ihres Krieges Geifeln aus. Die Aſen entjfandten den Hönir und gaben 
ihm den weifen Mim zum Begleiter. Dieſem jedoch jchlugen die Wanen das 
Haupt ab, das fie den Ajen zurüdichidten. Odin baljamierte darauf das Haupt 
ein, jo daß e3 nicht verweſen fonnte, und ſprach Zauberſprüche darüber: dadurch 
gab er dem Haupte die Fähigkeit zu fprechen zurüd und erfuhr jpäter durch das— 
felbe viele verborgene Dinge. Diefen Mythus muß der Dichter unferd Liedes 
gefannt haben; er verwendet ihn bier, ohne zu bedenken, daß er fich mit dem, 
was in Str. 27—29 über Mim berichtet ift, ſchlechterdings nicht vereinigen läßt. 
Wer aber die Sonne in einer und berjelben Strophe (29) zuerit ald Auge und 
dann al3 Schale auffaßt, dem ift auch die Vermiſchung zweier ſich widerſprechen— 
der Mythen zuzutrauen. 

1988draſil, vgl. zu 191. 

5 Der Rieſe, Fenrir. 

6 Der Blutsfreund Surts ift diejelbe Perjon wie de „Rieje” in 3.2. 
Über Surt vgl. zu Str. 521, 

7 Hrym‘, der Anführer der Rieſen. Der Name bedeutet „erjhöpft, kraft— 
108”, jcheint alfo andeuten zu jollen, daß Hrym jelbft wie fein ganzes Geſchlecht 
dem Untergang verfallen ift. 

8 Die Weltjchlange, ber riefige Drade Midgardsorm, eın Sohn des Loki 
und der Angrboda, der im Meere verjenkt fih um die ganze Erde jchlingt, die 
Perjonififation de3 alle Länder umgürtenden Ozeans. Vgl. Hym. Nr 4), Str. 
22—24, Gylfag. C. 34, 47, 48, 51. 


1. Der Seherin Weisjagung (Volusp$). 13 





im Riejenzorne; rauh Frächzt der graue Nar!, 
Leichen zerreißend; los wird Naglfar?. 


51. 63 jegelt von Norden über die See ein Schiff 
mit den Leuten der Hel, und Loft jteuert; 
dem Wolfe? folgen die wilden Gejellen, 
mit ihnen ift Byleipt3 Bruder‘ im Zuge. 


52. Bom Mittag kommt Surt® mit dem Mörder der, Zweige, 
vom Schwerte leuchtet der Schlachtgötter Sonne®, 
die Steinberge ftürzen, es jtraucheln die Rieſinnen, 
Hel Ichlingt die Menjchen, der Himmel birft. 

53. Es naht der Hlin” ein neuer Harm, 
wenn Walvater auszieht, den Wolf? zu bejtehn, 
und den Surt der weiße Würger des Belt; 
der Frigg Vreude!! wird fallen alsdann. 

54. Widar!! fommt dann, Walvaters Sohn, 
der gewaltige Held, mit dem Wolf!? zu kämpfen: 
die Klinge jtößt er dem Kinde des KRiejen!? 
durch den Rachen ins Herz und rächt den Vater. 

55. Auch Hlodyns!? Sohn, der herrliche, fommt dann; 
die Erdumschlingerin!® öffnet gähnend 





1 Der graue Nar: gemeint ift der Rieſe Hräſwelg (db. 5. „Leichen: 
verſchlinger“), ber in Adlergeftalt am Rande des Himmels figt und mit feiner 
Fittihen den Wind hervorbringt; vgl Vafprühn. Str. 37, Gylfag. €. 18. 

2 Naglfar, das aus den Nägeln geftorbener Menſchen verfertigte Schiff, 
deſſen fi die Rieſen zu ihrer legten Heerfahrt gegen die Götter bedienen. Nad 
Gylfag. (€. 51) wird es von Hrym gefteuert. 

3 Der Wolf ift Fenrir 

4 Byleipts Bruder ift Loki, vgl. Hyndluljöp, Str. 42; Gylfag. €. 33. 

5 Surt, der riefifhe Beherricher der Feuerwelt Muspelldheim; vgl. Vafhr 
Str. 17, 18, 50, 51, Fäfnismgl (Nr. 22), Str. 14, 15, Gylfag. €. 4, 5, 13, 51. Der 
Mörder der Zweige, poetifhe Umschreibung des Feuers. 

6 Der Schlachtgötter Sonne, der von dem Schwerte ausftrahlende Glanz. 

" Hlin (nad Gylfag. €. 35 eine Dienerin der Frigg) ift hier — eine 
Bezeichnung der Frigg jelber. 

8 Den Wolf, Fenrir. 

9 Der weiße Würger des Beli ift Freyr, f. Gylfag € 37. Über $reyı 
j. die Bemerkungen zu Skirnismgl (Nr. 7) 

10 Der Frigg Freude, Odin; f. zu 343. 

nn Widar, der jhweigjame Aje, ein Sohn Odins und der Niefin Grid. Er 
rächt feinen Vater, indem er ben Fenrir tötet, und überlebt den Weltbrand. Vgl 
Vafpr. Str. 51, Grimn. Str. 17, Gylfag €. 29, 33, 48, 5l, Bragar. C. 1, 
Skaldsk. ©. 2. 

12 Der Wolf und das Kind des Rieſen (d. i. Lokis), Fenrir. 

13 Hlodyn ijt ein Beiname der Jord; ihr Sohn ift Thor. 

14 Die Erdumjdlingerin, 5 i die Weltjichlange (j. zu 50°). 


14 


56. 


58. 


61 


Erites Bud. Götterlieder 





den weiten Schlund Bis zur Wölbung des Himmels — 
doch Odin? Sohn geht dem Untier entgegen. 


Seiner Wut erliegt der Weltbeichüger; 

alle Leute müſſen verlafjen die Heimat; 

es Fährt neun Schritte Fjorgyns! Sohn 

vor der Schlange zurüd, die nicht ſcheut den Frevel. 


- Die Sonne wird ſchwarz, es ſinkt die Erde ins Meer, 


vom Himmel fallen die hellen Sterne; 
es jprüht der Dampf -und der Spender des Lebens ?, 
den Himmel beleckt die heiße Lohe. 


Garm bellt jet laut vor Gnipahellir, 

es reißt die Feſſel, es rennt der Wolf! 

Biel Weisheit hab’ ih, kann weiter jchauen 

auf das. grimme Schickſal, das den Göttern naht. — — 


. Aufiteigen jeh’ ih zum andern Male 


aus der Ylut die Erde in friichem Grün; 
über ſchäumenden Fällen ſchwebt der Adler, 
Fiſche fängt er an felfiger Wand. 


Auf Idafeld? kommen die Aſen zujammen 
und reden dom riefgen Umringer der Erde, 
an der großen Greigniffie Gang fich erinnernd 
und des oberjien Gotte® alte Runen. 


Dort werden auch wieder Die wunderbaren 
goldnen Tafeln? im Graſe ſich finden, 
die einjt in der Urzeit die Ajen bejaßen 


. Auf unbejätem Acker werden Ahren wachen, 


alles Böje jchwindet, denn Baldr ericheint: 
Hropts® Siegerburg beziehen Hod und Baldr, 

die Wohnung der Streitgötter — könnt ihr weit'res 
verjtehen ? 





I Kjorgyn, ebenfall$ ein Name der Sord. Bgl. Härbarbsijöp (Nr. 6) 
56. 


2 Der Spender des Lebens, poetifche Umschreibung des Feuers. 

3 Idafeld, ſ. zu 71. 

4 Der Umringer ber Erde, die Weltſchlange, f. zu 502. 

5 Die goldenen Tafeln, die Brettipiele, mit denen jich einft die Aſen er— 


gögten (Str. 81) 


s Hropt — Dbin 


2. Baldrs Träume (Baldrs draumar). 15 





63. Dann wählt jih Hönir! den Wahrjageziweig 


und e3 thronen die Söhne von Tweggis? Brüdern 

im weiten Windheim? — könnt ihr weit'res verjtehen? 
64. Einen Saal jeh’ ich jtehen-- dieSonn’ überftrahlt er — 

mit Gold gededt auf Gimles* Höhen: 

dort werden wohnen wadere Scharen 

und ein Glüd genießen, das nimmer vergeht. 


65. ?Bon oben fommt der -allgemwalt’ge 


hehre Herricher zum höchiten Gericht 


66. Bon unten her fliegt der arge Drache, 
die funfelnde Natter, dom nächtigen Yels: 
im Yittich trägt, überm Felde jchwebend, 
Nidhogg® die Xeichen, doch nun muß er finfen. 


———— 


2. Baldrs Träume. 


(Baldrs draumar.) 


1. Die Ajen eilten alle zum Thinge, 
die Ajinnen auch) kamen alle zum Rat: 
ermitteln wollten die mächtigen Götter, 
warum böje Träume den Baldr? plagten. 





ı Hönir macht ſich daran, durch das Losorakel die Zukunft zu erforſchen. 

»Tweggi, d. i der Zweifache (jo benannt wegen jeiner Doppelnatur, der 
phyfiihen und ethiſchen ), ift ein Beiname Odins. Die Söhne von Frei Bri- 
dern jind demnadh wohl Nahfommen von Wili und We, 

» Windheim, der Himmel. 

+ Simle wäre nad unjrer Stelle der Name des Berges, auf dem. fi der 
Saal erhebt, in welchem in der erneuerten Welt die Gerechten wohnen werden. 
Nach Gylfag. €. 78 heißt der Saal jelber Gimle, und dies paßt auch befier zu 
der Bedeutung des Wortes („Edelſteindach“). 

5 Die neue Welt verlangt einen neuen Oberherrn. Seinen- Ursprung und 
feinen Namen fennt die Seherin nit (vgl Hyndl. Str. 40). 

s Nidhogg, j. zu 39% Da es in der erneuerten Welt feine Verörechen und 
feinen Tod mehr gibt, jo ift auch Nidhoggd Amt zu Ende er erhebt ſich noch 
einmal mit den Leibern der legten Böjen und verſinkt dann für immer. 

? Baldr, f. zu Voluspo Str. 32°. 


16 Erſtes Bud. Götterlieder. 





2. Odin erhob fih, der alte Schöpfer, 
dem Sleipnir! legt’ er den Sattel auf; 
niederwärts ritt er in Niflhels? Tiefen, 
da fam aus der Höhle ein Hund? ihm entgegen. 


3. Die Brujt war dem mit Blut befledt, 
den Vater de Zauber verfolgt” ex bellend; 
Odin ritt weiter, Die Erde bebte; 
zum hohen Haufe der Hel* gelangt’ er. 
4. Odin lenkte zum öftlichen Thor, 
dort wußt' er den Hügel der Hexe zu finden; 
der lift’gen jang er den Leichenzauber, 
bis widerwillig das Weib fich erhob 
und Laute entjtrömten den Lippen der Toten: 
Die Seherin. 
5. Wer iſt der Mann, mir unbekannt, 
der beſchwerliche Wege zu jchreiten mich nötigt? 
Mich bejchneite der Schnee, mich jchlug der Regen, 
mich beträufelte Tau, tot war ich Lange. 
. Din, 
6. »Wegtam Heiß’ ih, bin Waltams Sohn; 
von der Unterwelt fünde (ich kanns von der obern): 
für wen find die Bänfe mit bligenden Ringen, 
die glänzenden Dielen mit Gold belegt? 
Die Seherin, 
7. Für Baldr jteht hier gebraut der Met, 
ein Schild bedeckt den jchimmernden Trank; 
es janf die Hoffnung den Söhnen der Allen; 
nicht gerne jprach ih, begehr' nun zu jchweigen. 





ı Sleipnir, ber achtfüßige Hengft Odins, von dem Hengite Swadilfari 
mit Loki, der fi in eine Stute verwandelt hatte, erzeugt. Vgl. Grimn. Str. 44, 
Hyndl. Etr. 42, Gylfag €. 15, 42, 49. 

2 Niflhel („Nebelgölle), die Wohnung der Todesgöttin Hel. 

s Ein Hund, nämlich der Höllenhund Garm, f. zu Vol. Str. 441. 

* Hel (vgl. zu Vol. Str. 38, 39), eine Tochter Lokis und der Riefin Angr- 
boba. Sie wurde von Odin in die unterirdifche Nebelwelt (Niflheim) geichleudert 
und beherrſcht hier die Scharen der Toten (nach jpäterm Glauben nur die dem 
Alter oder dem Siehtum erlegenen, während die im Kampfe Gefallenen von Ddin 
in Walholl aufgenommen werden). Vgl. Grimn. Str. 31, Gylfag. €. 3, 34, 49. 

5 Die Seherin ift eine Riefin (Str. 139%, aljo eine Feindin der Götter, da— 
her fürdtet Odin, daß fie ihm die Wahrheit nicht künden werde, wenn fie feinen 
wirfliden Namen wiſſe. Er nennt fi daher Wegtam („mweggewohnt‘‘), den 
Sohn von Waltam (‚„tampfgewohnt‘). 


2. Baldr3 Träume (Baldrs draumar). 17 





Odin, 

8. Schweige nicht, Seherin, jage mir mehr noch, 
gib Antwort dem Frager, 5i8 alles er weiß: 
Mer wird Baldrs Blut vergießen 
und Odins Sohne das Ende bereiten? 

Die Seherin, 

9. Den herrlichen Schößling! bringt Hod? herbei, 
er wird Baldrs Blut vergießen 
und Odin: Sohne das Ende bereiten; 
nicht gerne jprach ich, begehr' nun zu jchiweigen. 

Odin, 

10. Schweige nicht, Seherin, ſage mir mehr noch, 
gib Antwort dem Frager, bis alles er weiß: 
Mer wird rächen die ruchloje That, 
auf den Branditoß bringen Baldız Mörder? 

Die Seherin, 

11. Rind? gebiert Walit im wejtlichen Saal, 
einnächtig fämpfen wird Odins Sohn; 
das Haupt nicht kämmt er, noch die Hände wäſcht er, 
ehe Baldrs Feind auf dem Branditoß Liegt; 
nicht gerne ſprach ich, begehr' nun zu fchweigen. 

Odin. 

12. Schweige nicht, Seherin, ſage mir mehr noch, 
gib Antwort dem Frager, bis alles er weiß: 
Weſſen Töchter finds, die in Thränen zerfließen 
und der Hälfe Zipfel zum Himmel jchleudern ® 





1 Der herrliche Schößling ift die Miftelpflanze, mit der Baldr durch— 
bohrt wird. 

2 Hod (vgl. Vol. Str 322). Er wird, da er nur ein unfhuldiges Werkzeug 
in Lofis Händen war, dereinft von Hel zurüdfehren und mit Baldr vereint in 
der erneuerten Welt als Gott weiter leben. Bgl. Gyliag €. 28, 49, 53.. 

3 Die Rind wird Gylfag. €. 36 zu den Afınnen gerechnet. In einer Strophe 
des isländiſchen Sfalden Kormak heit es, daß Odin durch Zauberlieder ihre 
Gunſt erwarb. 

* Wali, vgl. zu Vol. Str. 333. Auch er gehört zu den Göttern, die den 
Weltbrand überdauern. Vgl Vafpr. Str. 51, Hyndl. Str.30, Gylfag. € 30, 36, 53, 

5 Die Antwort auf diefe dunfle Frage ift wahrſcheinlich (nach Bugge): des 
Meergottes Ägir Töchter, d.h. die Wellen. Die „Hälfe” find die Eden des Segels 
und die Zipfel (altn. skaut) die Taue oder Schotten, welde daran befejtigt 
find Alſo Ägirs Töchter zerfließen über Baldrs Tod in Thränen und jchleudern 
in ihrem Schmerz die Schiffe jo Hoch empor, daß die Segelzipfel den Himmel zu 
berühren jcheinen 

Die Edda. 2 


18 Erfted Bud. Götterlieber. 





Die Seherin, 
13. Nicht Wegtam bift du, wie ich wähnte vorhin, 
Ddin biſt du, der alte Schöpfer. 
Odin, 
Kein weiſes Weib, noch Wahrjagerin bijt du, 
der Thurjen! dreie trugſt du im Schoß. 
Die Seherin, 
14. Des Ruhmes froh reite du heimwärts! 
Nicht eher befucht mih ein anderer Mann, 
als Loki ſich löſt, ledig der Feſſeln?, 
und zum Sturz der Götter die Zerſtörer kommen! 


— — 


3. Dos Lied von Thrym. 
(Prymskviba.) 


1. Wild war Wingthor?, als er erwachte 
und Mijolnir* vermißte, den mächtigen Hammer; 
es jchüttelte den Bart, es jchivenkte das Haar 
der Erde Sohn, um ich greifend. 


. Das erſte Wort, dag er ausſprach, war dies: 
„Höre du, Kofi?, was hiermit ich melde — 
noch ahnt es feiner im Erdenreiche, 
noch oben im Himmel — der A)’ iſt des Hammers 
beraubt!“ 


3. Sie gingen zum herrlichen Hofe der Freyjaf; 
das erſte Wort, das er ausjprach, war dies: 


10 





1 Thurjen, der nordiſche Name. der Rieſen, ehemals auch im Deutſchen 
gebräuchlich (althochd. turs, mittelhochd. turse, türse). 

2 Bgl zu Vol. 852. 

3» Wıngthor, d.h. „Schwing=“ oder „Schleuder-Thor”, wie Wingnir, ein 
andrer Beiname des Donnergottes, den ‚„Schwinger‘ oder „Schleuderer‘ be— 
zeichnet. 

+ Mijolnir „der Zermalmer‘‘, Thors Hammer, von den Zwergen Brokk 
und Sindri gejchmiedet. Er verfehlt nie jein Ziel und fehrt nah dem Wurfe 
ſtets von felbit in Thors Hand zurüd. Nah Thor3 Tode erben den Hammer 
feine Söhne Modi und Magni, die den Weltbrand überleben. Vgl. Vafpr. Str. 51, 
Skäldsk. €. 3. 

5 2ofi, f. zu Vol. Str. 352. 

6 Freyja (d. 5. „die Herrin’), eine Wanengöttin, die Tochter des Njord 
und Schweiter des Freyr. Sie ift urfprünglih wohl die Spenderin des bejruch- 


3. Das Lied von Thrym (Prymskviba). 19 





„Willſt du mir, Treyja, dein Federkleid Leihen, 
den geraubten Sammer zurückzuholen?“ 


4. „Sch gäb’ es dir gern, wenn von Gold es auch wäre 
oder leuchtendem Silber, ich lieh’ es dir doch!“ 
Da flog Loki, das Federkleid raufchte, 
hinter fich ließ er die Gehöfte der Aſen 
und erreichte bald der Riefen Heimat. 
5. Auf dem Hügel jaß Thrym!, der Herrjcher der Thurfen, 
wand den Rüden Bänder aus rotem Golde 
und machte den Roſſen die Mähne glatt. 
Thrym. 
. Wie ſteht's bei den Aſen, Wie ſteht's bei den Elben? 
was reijtejt du einfam nach Riejenheim? 
Lofi, 
Schlimm jteht’3 bei den Ajen, ſchlimm ſteht's bei den 
Elben; 
Halt du Hlorridis? Hammer verborgen? 
Thrym. 
7. „Ich habe Hlorridis Hammer verborgen 
acht Meilen? tief im Erdenſchoße; 
keiner wird ihn wieder bekommen, 
führt man mir Freyja zur Frau nicht her.“ 


— 


tenden Sommerregens, daher ſie in einem Federgewand (der Wolke) über die 
Erde ſchwebt, daher ſie auch die Göttin, die durch Thränen verſchönt wird, heißt, 
deren Thränen ſich in Gold (die goldenen Getreidekörner) verwandeln. Ihr Ge— 
mahl iſt der Windgott Od (urſprünglich identiſch mit Odin?), der fie aber ver— 
läßt, worauf ſie durch alle Länder zieht, um ihn zu ſuchen. Später ſchrieb man 
der Freyja die Verleihung jeglicher Fruchtbarkeit und alles Segens zu und machte 
ſie daher insbeſondere auch zur Göttin der Liebe. Die Mythen von Freyja ſind 
übrigens vielfach mit denen von Frigg ve miſcht; fo iſt das Halsband Briſin— 
gamen, das allgemein und auch in unjerm Liede der Freyja zugeihrieben wird, 
wohl urfprüngli ein Attribut der Frigg gewejen (f. zu Str. 12). Vgl. die Be- 
merfungen zu Lokasenna Str. 32, Grimn. Str. 14 und Hyndl. Str. 1, jowie 
Gylfag. ©. 24, 35, 42, 49 und Bragar. ©. 2. 

1 Thrym (d.h. „ver Lärmer‘), ein Eisrieje, die PBerfjonififation des Win— 
terd. Daß im Winter die Thätigkeit des Donnergottes ruht, erklärt der Mythus 
dadurch, daß der Winterriefe den Blighammer geftohlen hat.- Thor erlangt ihn 
jedoh im Frühjahr wieder mit Hilfe Lokis (der hier als die. wärme Luft zu 
fafjen ift) und Freyjas (des von der Wolfe herbeigeführten Regens), die die 
Macht des Winterd brechen. 

2 Hlorribdi (d. h. „der brüllende Wetterer‘‘?) = Thor. 

3 Die aht Meilen deuten wahrjheinlih die acht (nordiihen) Winterz 
monate an. 

2* 


20 


10, 


11. 


13. 


14. 


Erjtes Buch. Götterlieder. 





. Da flog Loki, das Federkleid rauſchte, 


hinter fih ließ er Die Heimat der Riejen 
und eilte Heim zu der Ajen Gehöften. 

Es trat im Hof Ihon Thor ihm entgegen, 
das erite Wort, das er ausjprach, war Dies: 


. ‚Meldet Erfolg du, der die Mühe verlohnte? 


in der Luft verfünde den langen Bericht! 
Mer ſitzt, vergißt oft, was er zu jagen hat, 
und der Liegende fommt gern mit Lügen zu Tage.‘ 


Loki. 
„Ich melde Erfolg, der die Mühe verlohnte: 
Thrym hat den Hammer, der Thurſen Beherrſcher; 
keiner wird ihn wieder bekommen, 
führt man ihm Freyja zur Frau nicht hin.“ 


Sie gingen zum herrlichen Hofe der Freyja, 

das erſte Wort, das er ausſprach, war dies: 
„Schmücke dich, Freyja, mit dem Schleier der Braut, 
wir zwei müſſen reiſen ins Rieſenland.“ 


In ſchrecklichem Zorn ſchnaubte Freyja, 


die Burg der Aſen erbebte davor, 

zerbrochen fiel nieder das Brifingenhalsband?: 
„Die männertollifte müßte ich heißen, 

teilte ich mit dir ins Riejenland.“ 


Die Ajen alle eilten zum Thingplatz, 

die Afinnen auch kamen alle zum Rat; 
das berieten die ruhmvollen Götter, 

iwie man Hlorridi8 Hammer holen fünnte. 


Das Wort nahm Heimdall, der weißeite Aje? — 
er wußte die Zuiunft, den Wanen gleich: — 
„Schmüden wir Thor mit dem Schleier der Braut, 
er trage das breite Brifingenhalsband. 





1 Das Brifingenhalsband, ein herrlider Schmud, den Zunftreiche 


Zwerge (die Brifinge, d.h. „die Flechter‘‘) verfertigt hatten. Wahrjcheinlich war 
nach dem urjprünglichen Mythus nicht Freyja, fondern die Himmels- und Sonnen- 
göttin Frigg Befigerin des Gefchmeides, das Müllenhoff auf die Morgen- und 
Abendröte gedeutet hat. 


2 Die Bezeichnung „ver weißeſte Aje” deutet darauf, daß Heimdall eine 


Lichtgottheit war, und zwar wahrjcheinlich der Gott des erften Frühlichts. Daher 


3. Das Lied von Thrym (Prymskviba). 21 





15. „Reicht ihm den Ring mit den rafjelnden Schlüffeln, 
laßt Weiberröde ihm wallen ums Knie, 
die Bruft ziert ihm mit breiten Steinen 
und frönt den Kopf ihm mit Eunjtvollem Pub.“ 

16. Thor gab Antwort, der Aſen jtärkiter: 
„Weibiſch werden mich nennen die waltenden Götter, 
laß’ ich mich ſchmücken mit dem Schleier der Braut.“ 


17. Da jagte Lofi!, der Sohn der Laufey: 
„Schweige du, Thor, nicht jchwate jolches! 
Bald werden die Thurjen thronen in Asgard?, 
holſt du dir nicht deinen Hammer wieder.‘ 


18. Da ſchmückten fie Thor mit dem Schleier der Braut 
und mit dem breiten Brifingenhalsband. 


19. Sie reichten den Ring ihm mit denrafjelnden Schlüffeln, 
liegen Weiberröde ihm wallen ums Knie, 
zierten die Bruft ihm mit breiten Steinen 
und Frönten den Kopf ihm mit funftvollem Putz. 


20. Da jagte Loki, der Sohn der Laufey: 
„Als Magd verkleidet werde ich mitgehn, 
wir zwei müfjen reifen ins Rieſenland.“ 

21. Heim trieb man Hurtig Die gehörnten Böde? 
und ſchirrt' an die Deichjel die jchnellen Nenner; 





ift er von allen Wejen zuerft wach (es heißt von ihm, dag er weniger Schlaf be— 
durfte al3 ein Vogel) und eignet fi dadurch befonders zum Wächter des Himmels 
(j. zu Vol., Str. 271). Aus feiner Eigenfchaft als Gott der Morgendämmerung 
erklärt fi auch der bei dem isländifchen Dichter Ulf Uggafon erhaltene Mythus, 
daß Heimdall das von Loki am Abend geftohlene Halsband der Freyja (Frigg) am 
Morgen wieberbringt. Heimdall ift ein Sohn Odins und von neun Schweitern 
geboren: gemeint find die Wellen, aus denen fich der erjte Tagesſchimmer erhebt. 
Im legten Kampfe, dem das Weltende folgt, töten Heimdall und Loki ſich 
gegenjeitig. Vgl. Vol. 1?, Lokas. 48, Grimn. 13 und Rigspula, ſowie Gylfag. 
€. 27, 49, 51 N 

ı 2ofi, f. zu Vol. 352. Der Name feiner Mutter Laufey bedeutet „Zaub- 
injel”; anderwärts wird fie auch Nal, d. 5. „Nadel”, genannt (gemeint find die 
nabelfürmigen Blätter der Koniferen). Lokis Bater heißt Farbauti, „der ge— 
fährlich Schlagende“, d. 5. ber Sturmwind, da dieſer das Feuer in dem Holze 
entfadht. Vgl. über Loki ferner die Bemerkungen zu Hym. 37, Hyndl. 42, der 
Lokasenna und den Reginsmöl jowie Gylfag. C. 33—54, 42, 44, »45, 46, 49-51. 
— €. 2, Skäldsk. €. 2-4. ; 

2 ASgard, die hHimmlifhe Burg der Aſen. 

3 Thor reitet nie wie viele der andern Götter, fondern er gebt entweder zu 
Fuß oder fährt auf einem Wagen, den die beiden Böde Tanngnjoft und Tann— 
grisnir („Zahnknifterer‘ und „„Zahnkniricher‘) ziehen. 


2 Erſtes Buch. Götterlieder. 





die Berge bariten, es brannte die Exde, 
Thor, Odin Sohn, fuhr ins Thurjenland. 


22. Da jagte Thrym, der Thurjen Beherricher: 
„Steht auf, ihr Riefen, bereitet die Bänfe; 
nun führt man Freyja zur Frau mir ber, 
des Njord! Tochter aus Noatun. 


23. „Es gehn zum Hofe goldgehörnte Kühe, 
tiefichwarze Ochjen, dem Thurſen zur Luft; 
viel Kleinode Hab’.ih und föftlichen Schmuck, 
nur Freyja allein fehlte mir noch.“ 


24. Der Abend war zeitig angebrochen 
und Bier zum Trunfe den Thurjen gebracht; 
einen Ochjen aß Thor und acht Lachie, 
alles Würzwerk auch, das den Weibern bejtimmt war, 
dazu trank Sifs? Gatte der Tonnen dreie des Metz. 


25. Da jagte Thrym, der Thurfen Beherricher: 
„Wo fandejt du je To gefräßige Bräute? 
Nie jah ich Bräute ſolche Bilfen ſchlingen, 
noch mehr des Metes ein Mädchen trinken.” 


26. Bei Freyja ſaß Die findige Magd, 
die Erwid’rung wußte auf das Wort des Rieſen: 
„Nichts aß Treyja ſeit acht Nächten, 
jo heiß war ihr Sehnen nach der Heimat der Rieſen.“ 
27. Den Schleier hob er, ein Schmäbchen begehrend, 
doch entjeßt jprang er in den Saal zurüd: 
„Barum funkeln jo furchtbar Freyjas Augen? 
Mir deucht, e3 flamme Feuer darin!“ 





ı Njord, der Gott des jommerlichen, den Verkehr begünftigenden Meeres, 
wohnt pafiend zu Noatun, db. 5. „Schiffsftätte, Hafen“. Vgl. über Njord 
Lokas. Str. 34-36, Vafpr. 38, 39, Grimn. 16, jowie Gylfag. €. 23, 24, 
Bragar. €. 2. 

2 Sif, bie Gemahlin Thors. Sie ift die Perfonifitation des Ackers, den 
der Donnergott durch den Gemwitterregen befruchtet. Das goldene Ährenfeld ift 
ihr Haar. Ein in den Skäldskaparmäl (E. 3) enthaltener Mythus erzählt, daß 
Loki, der nad) Lokas. 54 (vgl. auch Härb. 48) mit Sif Buhlichaft trieb, fie dieſes 
goldenen Schmudes beraubte, aber von Thor gezwungen ward, ihr von ben 
Zwergen neues Haar anfertigen zu laſſen, das wie natürliches zu wachſen ver— 
mochte. Die Deutung ift, daß die Sommerhige das Getreide für den Tod durch 
die Sichel reif macht, daß aber, nachdem es gefallen ift, die Erbfräfte unter dem 
Einfluß der Wärme die neue Saat emportreiben. Bgl. über Sif Gylfag. € 31, 
Skäldsk. €. 1, 


4. Da3 Lied von Hymir (Hymiskviba). 23 





28. Bei Freyja ſaß die findige Magd, 
die Erwid’rung wußte auf das Wort des Riefen: 
„Kein Auge Schloß Freyja ſeit acht Nächten, 
jo heiß war ihr Sehnen nach der Heimat der. Rieſen.“ 

29. Hinein trat des Thurſen betagte Schweiter, ! 
die das Brautgejchent zu erbitten wagte: 

„Laß vom Arm dir die roten Ringe ftreifen, 
willjt gern du erwerben die Gunjt der Alten, 
die Gunst der Alten, ihre ganze Huld.“ 

30. Da jagte Thrym, der Thurſen Beherricher: 
„Bringt nun den Hammer?, die Braut zu weihen, 
den Mjolnir legt in des Mädchens Schof, 
in Ward? Namen weiht unſern Bund!” 


31. Dem Hlorridi lachte das Herz in der Bruft, 
als der hartgefinnte den Hammer erblidte; 
Thrym erichlug er zuerſt, den TIhurjengebieter, 
und zerichmetterte ganz das Gejchlecht der Riejen. 


32. Er erichlug auch des Thurſen betagte Schweiter, 
die das Brautgeſchenk erbeten hatte; 
Schläge befam fie an der Schillinge ftatt, 
und Hammerhiebe erhielt fie für Ringe. 
©o holte fih Odins Sohn feinen Hammer wieder. 


era 


4. Das Lied von Hymir, 
(Hymiskvipa.) 
1. Zuſammen einft jaßen die Siegesgötter 
bei Met und Wildbret, doch das Mahl war fnapp; 
fie jchüttelten Zweige‘,  bejchauten das Blut’: 
Bei Agic®, fand man, ſei Überfluf. 


1 Die nach Freyjad Gaben gierige Rieſenſchweſter deutet Uhland auf die 
Armut und Notdurft des Winters. 

2 Das mit Thord Hammer die Ehen eingefegnet wurden, ift font nicht be⸗ 
fannt, aber nicht unglaublih, da andre Hammerweihungen @. B die des erſten 
Bechers beim Opfergelage) bezeugt ſind. Auch trug man kleine Thorshammer 
von Knochen als Amulett und gab ſie den Toten ins Grab mit. 

3 War, die Göttin der Gelübde (Gylfag. €. 35). 

4 Sie hüttelten Zweige, d. h. die Stäbe, auf die zum Zwede des 
Loſens vorher Zeihen (Runen?) eingerigt waren. 

5 Da3 Blut, nämlich das Blut des Opfertieres, aus dem geweisfagt wurde. 

6 Ägir, der Bott des Meeres. 





4 Erſtes Buch. Götterlieder. 





2. Der Yelsbewohner! ſaß da, To froh wie ein Knabe, 
dem noch die Blide geblendet find; 
Ngg3? Sohn ſah ihm ins Auge troßig: 
„Ein rveichliches Mahl ſollſt du rüften den Ajen!“ 


3. Der Held ſchuf Mühſal dem Haderluft’gen, 
der Übles den Aſen anzuthun dachte; 
Sifs Gatten? erſucht' er, zu bejorgen den Keſſel: 
„Dann braue ich gerne das Bier euch allen“. 


4. Den ruhmreichen Göttern, den ratklugen Mächten 
gelang es nicht, zu Kiefern den Keflel, 
bi3 treuen Sinn? Tyr* dem Hlorridi? 
einen heilfamen Rat heimlich jagte: 


5. „E83 wohnt im Often der Eliwagar® 
Hymir? der weile am Himmelsrande, 
einen Keſſel beſitzt mein fühner Vater, 
ein mächt'ges Gefäß, eine Meile tief.“ 


6. „sit zu erwerben der Waſſerſieder?“ 
„&3 gelingt, mein Freund, wenn wir liftig find.” 


7. Sie fuhren ſcharf den vollen Tag 
von Asgard® aus Bis zu Egils? Wohnung; 
der hegte die Böde, die horngejchmüdten, 
fie jchritten zur Halle, die Hymir bejaß. 





ı Felsbewohner, poetifhe Bezeichnung der Niefen. Gemeint ift Ägir, 
ber a des Riejen Fornjot- 

2 Ygg = Ddin; Yggs Sohn ift Thor, der jofort, nachdem das Drafel bes 
fragt war, den bei dem Mahle der Ajen anmwejenden Ägir auffordert, nun feiner 
ſeits ein Gelage ausjuridten. 

3 Sif8 Gatte — Thor; S. zu Prymskv. 24. Der Keſſel, in dem Agir fein 
Bier braut, ift das Meer. Diejes ift während des Winters in ber Gewalt der 
Eisriejen, aus ber e3 erft die Gewitterftürme des Frühjahrs befreien. Das ijt 
nad) der ſchönen Deutung von Uhland der Inhalt unjers Liedes. 

* Tyr, ber Gott des Krieges; f. zu Lokas. 38. 

5 Hlorridbi = Thor; ſ. zu Prymkev. %. 

s Eliwagar (d.h. „ſtürmiſche Wogen“), nad Mogk die Milchſtraße (?). Vgl. 
Gylfag. €. 5. 

" Symir (db. h. „der Dunkle”), ein Eisriefe, die Perfonifitation des winter- 
lien Meeres. Nah 3. 3 ift er der Vater des Tyr (während diejer jonft zu den 
Ajen gerechnet und ein Sohn des Odin genannt wird). Da jedoch Tyr (urgerm. 
Tıwas — Zeus) urfprünglich der Gott des leuchtenden Himmeld war, jo mag 
fih in unferm Liede vielleicht noch eine Reminiszenz an feine alte Bedeutung 
bewahrt haben, da die Tageshelle aus dem Meere fich erhebt. 

s Asgard, die himmliſche Wohnung der Ajen. 

° Egil, vielleicht der Vater von Thors Diener Thjalfi, ſ. zu Str. 37. 


4. Das Lied von Symir (Hymiskvipa). 25 





8. Seine Ahne! fand Tyr, die ihm arg verhaßt war, 
fie hatte der Häupter hundertmal neun; 
doch glänzte die andre? in Gold und brachte, 
die brauenweiße, das Bier dem Sohne. 


9. „Verwandter der Rieſen, ich will euch beide 
unter die Keſſel, ihr kühnen, ſetzen; 
denn leider ift mein Liebjter dfter 
geizig gegen Gäjlte und grimmen Sinns.“ 


10. Spät fam der rauhe Rieſe vom Waidwerf, 
Der häßliche Hymir, nach Haufe zurüd. 
Er trat ein in den Saal, die Eiszapfen klirrten, 
dem Kerl, der fam, war der Kinnwald gefroren. 


11. „Heil dir Hymir, ſei holden Sinnes! 
Sn den Saal ijt heute der Sohn gekommen, 
den von weiten Wegen wir erwartet haben; 
es begleitet ihn der Gegner des Hrodr?, 
der Wohlthäter der Menſchen, Weor* Heißt er. 


12. „Sieh, wie fie fiten an des Saales Giebel, 
hinter dem Balfen bergen fie fich.‘ 
Es barjt der Balken vor dem Blide des Riejen,? 
und in Stüde brach) der jtarfe Pfeiler. 


13. Es follerten acht der Kefjel vom Brette, 
ein hartgehämmerter blieb heil allein; 
vor traten die Gäſte, der greife Rieſe 
faßte nun feit feinen Yeind ins Auge. 


14. Ihm ahnte nichts Gutes, da er gefommen, 
der die Thurjenweiber in Trauer verjeßt; 
aus dem Stalle zog man der Stiere drei, 
ihr Fleiſch zu fieden, befahl der Rieſe. 





ı Die Ahne Tyrs ift Hymird Mutter. 

2 Die andre, Tyrs Mutter, des Hymir Frau. Die Namen ber beiden 
weiblihen Perſonen erfahren wir nicht, doch ift wohl anzunehmen, daß die 
„brauenweiße“ Frau, die nur ungern bei Hymir weilt, — der Anſicht des Dich— 
ters eine Aſin war. 

3 Der Gegner des Hrodr = — Thor; Hrodr ift wohl ein Rieſe, doch ift es 
nicht befannt, daß Thor mit einem Manne dieſes Namens gekämpft habe. 

4“ Weor, der „Weiher“ (2), Beiname Thors, j. zu Prymskv. 30. 

5 Daß vor dem Blide des Rieſen Balten und Pfeiler berften, bezeichnet bie 
„zeriprengende Gewalt des Froftes“ (Uhland). 


26 Erſtes Buch. Götterlieder. 





15. Um einen Kopf wurden alle kürzer, 
ihr Tleifch ward dann zum Feuer gebracht; 
zwei der Ochſen verzehrte allein! 
der Gatte Sifs, eh’ er ging zur Ruhe. 


16. Nicht winzig ſchien dem meißgehaarten 
Bertrauten Hrungnirs? des Thor Mahlzeit: 
„Bir drei werden von des Weidwerks Beute 
am nächiten Abend uns nähren müſſen.“ 


17. Bereit war Weor, zu rudern ins Meer, 
wenn der fühne Riefe den Köder gäbe. 
„Zur Herde? geh’, wenn beberzt du bit, 
Befämpfer der Thurfen, Köder zu Holen. 


18. „Vom Ochjen, mein’ ih, wirſt ohne Mtühe 
Lockſpeiſe du erlangen können.“ 
In den Wald eilig wandelte Thor, 
dort ſchritt ihm entgegen ein ſchwarzer Stier. 


19. Dem Bullen brach . der Bänd'ger der Rieſen 
Die Hochburg ab, die hornbewehrte* 


„Schlimmer noch ſcheint mir, Schiffsgebieter?, 
deine Regſamkeit als die Raſt beim Mahle.“ 


20. Den Affenfohn® hieß der Eigner der Böcke 
das Walzenroß? noch weiter führen; 
doch gab der träge Thurſe die Antwort, 
jeine Luft jei gering, noch länger zu rudern. 


ı ®gl. Prymskv. 24. \ 

2 Der Bertraute Hrungnird — Hymir. Über den Kampf Thors mit 
Hrungnir f. zu Harb. 15 und Skäldsk. €. 1. 

3 Die Stierherde Hymirs deutet Uhland auf die ſchwimmenden Eisberge. 

4 Die bornbewehrte Hochburg, poetijche Umſchreibung des Stierfopfe2. 

5 Schiffdgebieter, Bezeihnung Thors, da diefer im Begriff ift, mit dem 
Rieſen ins Meer hinauszufahren. Nach 19 ift mindeſtens eine Strophe ausge— 
fallen, die den Beginn der Seefahrt erzählte. Zu Thors Fiſchzug vgl. die in ver— 
jchiedenen Punkten abweichende Darftellung in der Gylfag. &. 48. 

s Affenſohn, verächtlihe Bezeihnung des Rieſen. 

7" Walzenrof, poetifche Umschreibung für Schiff. Die Schiffe wurden nad 
beendeter Fahrt auf Walzen ans Ufer gezogen. 


4. Das Lied von Symir (Hymiskviba). 237 





21. Der gewaltige Hymir zog der Wale zivei 
auf einen Ruf an der Angel empor; 
doch im Achterſteven machte Odins Sohn, 
der jchlaue Weor, ſeine Schnur zurecht. 


22. An die Angel ſteckte des Ochien Haupt 
der Schüßer der Menjchen!, der Schlange Mörder ?; 
gierig jchnappte der Götter Feind? 
nach dem leckern Biffen, der Länderumgiürter.? 


233. Mit Fräftiger Hand zog der fühne Thor 
den böjen Giftwirm zum Bord hinauf; 
von oben bleut’ ev dem Bruder des Wolfes“ 
den häßlichen Haarberg®? mit des Hammer: Wucht. 


24. Es brüllten die Ungeheuer, die Berge dröhnten, 
die uralte Erde erbebte,® 


dann fant in Meer der ſeltſame Fiſch. 


25. Sie ruderten weiter, der Rieſe war mürriſch, 
ſaß am Riemen, redete nichts 
und lenkte da3 Boot dem Lande zu. 


26. „Mit mir teilen mußt du des Tagewerks Reit: 
befejt’ge am Strande den Ylutenbod” 
oder trage die Wale zur Wohnung heim, 
die Schlucht hindurch, beſchattet vom Walde.“ 


27. Da faßte Hlorridi den Borderiteven, 
das Boot hob er auf ſamt dem Bodenwailer 
und trug allein zu. des Thurſen Gehöft 
mit Schöpffaß und Rudern die Schweine der Brandung?. 


ı Der Schüger der Menſchen, Thor als Bekämpfer der dem Menjchen 
feindlichen Elemente. 

2 Der Schlange Mörder, Thor, der am Ende der Welt die Midgards— 
fchlange töten wird; f. zu Vol. 50. 

3 Der Götter Keind, ver Länderumgürter, poetifche Benennungen 
der Midgardsſchlange. 

4 Der Bruder des Wolfes (d. h. Fenrirs), die BERN Beide 
find Kinder Lokis und der Riefin Angrboda. 

5 Haarberg, poetiſche Umſchreibung für Kopf. 

6 Nach dieſer geile ift eine Lüde anzufegen. In den sßgefallenen Verſen 
iſt jedenfalls (wie in der Gylfag.) erzählt worden, daß Hymir die Angelſchnur 
zerſchnitt und dadurch die Midgardsſchlange den Angriffen Thors entzog. 

? Flutenbod, poetifhe Umjchreibung für Schiff. 

s Schwein der Brandung, poetiſche Umschreibung für Walfiſch. 





28 Erſtes Buch. Götterlieder. 





28. Doch immer noch wollte eigenjinnig 
der Thurs um die Stärte mit Thor jtreiten: 
wüßt' er auch rüftig die Ruder zu führen, 
kräftig jei der nur, der den Kelch zerbräche. 


29. Hlorridi nahm in die Hand den Becher 
und zerjtüct” mit dem Glaſe den jteinernen Pfeiler, 
ſitzend Ichlug er die Säulen entzwei — 
doch Heil fam der Kelch zu Hymir zurüd, 


80. Da gab des Rieſen reizende Buhle 
den weiſeſten Rat, den fie wußte, an: 
„Wirf nach des trägen Thurjen Schädel, 
feine Stirn ijt härter als das jtärkite Glas.“ 


31. Halb erhob fi) der Herr der Börde 
und ſetzte alle Aſenkraft ein, 
beil blieb dem Rieſen der Helmjtumpf? oben, 
doch der wohlgerundete Weinkelch zerbrach. 


32. „Nun hab’ ich ein köſtliches Kleinod verloren, 
Da zerihellt der Kelch aus dem Schoß mix fiel; 
froh fann ich nie wie früher jagen: 

Gebraut biſt du, mein Biertrunf, jebt!‘ 


33. „Dieſes nun jei der Bedingungen lebte: 
den Braufejjel bringt zum Gebäude hinaus!“ 
Zweimal faßte den Zuber Tyr, 
doch unverrüdt am Orte jtand er. 


34. Der Bater Modis? faßte die Kante 
und jtieg zum Saal die Stufen hinab; 
den Keſſel hob auf den Kopf Sifs Gatte, 
doch Hell an den Ferfen die Henkel Eliriten. 


35. Sie fuhren nicht lange, da lugte Tpähend 
Odins Sprößling noch einmal zurüd; 





ı Daß nichts härter ift als der Schädel der Riejen, wiffen noch die modernen 
nordiſchen Volksmärchen. Daher führt auch in der Orvar-Oddssaga ein Rieje 
den Namen Harbhaus („Hartſchädel“). Das Zerſchmettern von Hymirs Kelch be= 
zeichnet die Sprengung der winterlichen Eißdede des Meeres. 

2 Helmftumpf, poetifhe Umfchreibung für Kopf. 

3 Der Bater Modi, Thor. Modi und fein Bruder Magni überleben den 
Weltbrand und erben ihres Vaters Hammer (Vafbr. 51). 


5. Der Wortftreit Lokis (Lokasenna). 29 





mit Hymir ſah er aus den Höhlen der Berge 
die vielköpfige Volksſchar fommen!. 


36. Da bob er vom Naden den hoben Keilel, | 
den mordgierigen Mijolnir? jchwang er 
und erichlug die Wale der Wüſte? jämtlich. 


37. *Sie fuhren nicht lange, da fiel der eine 
von Hlorridis Böden halbtot zu Boden: 
chief war dag Dünnbein dem Deichjelxoffe — 
an dem Unheil trug Loki, der arge, die Schuld. 


38. *VBernommen habt ihr’3 — wer fann genauer 
vom Kreife der Götter Kunde geben? — 
was Thor ala Erſatz von dem Thurjen empfing, 
der als Buße gab ſeine beiden Kinder. 


39. Zum Thing der Götter Fam Thor, der geiwalt’ge, 
und hatte den Kefjel, den Hymir bejaß; 
nun fünnen die Ajen in Agirs Halle 
weidlich zechen bis zur Winterzzeit?. 


—>ii<—— 


5. Der Wortftreit Zokis, 
(Lokasenna.) 


Ügir, der mit anderm Namen Gymir hieß, hatte den Aſen Bier 
bereitet, nachdem er den großen Kefjel erhalten hatte, wie eben erzählt 
iſt. Zu dieſem Gelage kam Odin und Frigg, feine Gemahlin. Thor 





1Die Rieſen werden oft als mehrköpfig dargeſtellt. So hat Hymirs Mutter 
(oben Str. 8) neunhundert Häupter, ein dreiköpfiger Thurs wird Skirn. 31 er⸗ 
wähnt, ein jechstöpfiger Vafpr. 33. 

2 Mijolnir, Thor Hammer; f. zu Prymskr. 1. 

3 Die Wale der Wüſte, poetiſche Umfchreibung für Rieſen. 

+ Mit der Gefhichte von Thors Fahrt zu Hymir ift hier die Erzählung von 
ber Einkehr des Gottes bei dem Bater von Thjalfi und Roskwa verbunden, die 
von Snorri (Gylfag. €. 44) in anderm Zufammenhang mitgeteilt wird... Wahr— 
icheinlich ift daher der in Str. 7 genannte Egil der Vater der beiden Gefchwiiter, 
deſſen Namen die Gylfag. nit fennt. — Daß Loki an der. Lahmheit des Bodes 
ſchuld war (374), ftimmt nicht zu der Erzählung der Gyifag.; überhaupt ift, da 
nur Thor und Tyr gemeinjfam die Reife unternahmen, Lokis plögliges Auftreten 
bier jehr befremdlidh. 

5 Bis zur Winterszeit, d. 5. bis Ägirs Braufefiel (da8 Meer) wieder 
in die Gewalt der Eisriejen gerät. Ob übrigens die Überfegung diefer Zeile den 
Sinn richtig getroffen hat, muß EN bleiben, da der Urtert hier hoff- 
nungslos verderbt ijt. 


30 Erfted Bud. Götterlieder. 





fam nicht, denn er war auf einer Fahrt ins Oftland!. Sif aber war 
anmejend, Thors Gattin; auch Bragi mit feiner Frau Idun?. Tyr? war 
da, der hatte nur eine Hand, denn die andre hatte ihm der Fenrir: 
wolf abgebiffen, als er gebunden ward. Auch Njord war da mit feiner 
Frau Sfadit; Freyr und Freyja; jo auch Widar?, Odins Sohn. Loki war 
ebenfall3 zur Stelle und Freyrs Dienftleute Byggwir und Beyla®. 
Diele Ajen und Elben waren dort verjammelt. 

Ügir hatte zwei Diener, Fimafeng und Eldir?,. Statt des Feuers 
diente helles Gold zur Beleuchtung?; das Bier trug fich jelber auf; es 
war dort eine große Friedenzftätte. Die Gäfte rühmten fehr, wie 
tüchtig Agirs Diener wären; Loft mochte das nicht hören, darum er: 
ſchlug er den Fimafeng. Da jhüttelten die Ajen ihre Schilde und er: 
hoben ein Gejchrei wider Loki und trieben ihn hinaus in den Wald; 
dann festen fie fich wieder zum Trunfe. Loki fehrte zurüd und traf 
draußen den Eldir. Loft redete ihn an: 


Loki. 
1. Sage das, Eldir, ohne mit einem 
Fuße vorwärts zu gehn: 
was innen im Burgſaal beim Bierkrug redet 
der Schlachtgötter Schar? 
Eldir. 
2. Ihre Waffen preiſt und ihren wehrhaften Sinn 
der Schlachtgötter Schar; 
Von den Aſen und Elben, die hier innen ſind, 
wird kein gutes Wort dir gegönnt. 
Loki. 
3. Eintreten will ich in Agirs Halle, 
die verſammelten Trinker zu ſehn; 
Ärger und Unluſt bring' ich den Aſen 
und vergälle ihnen den goldenen Met. 





ıd. 5. Thor war auf einem ſeiner gewöhnlichen Züge gegen die im fernen 
Dften wohnenden Riefen. 

2 Bragi und Idun, ſ. zu Str. 8 und 16. 

3 Tyr, ſ. zu Str. 38. 

4 Nijord und Skadi, f. zu Str. 35 und 49. 

5 Widar, f. zu Vol. 54. 

6 Byggmwir und Beyla (d. 5. „Bieger” und „Budel”), zwei Windgottheiten, 
die nad Müllenhoff die gleihmäßige Senkung und Erhebung der Wellen bei 
ruhigem Wetter andeuten. 

” Fimafeng („ber behend Greifende”) und Eldir („Feuermann”, d. h. 
„Koch“), Namen ohne ſymboliſche Bedeutung. 

s Das Feuer, das Ägirs Halle erhellt, ift das Meeresleuchten. 


5. Der Wortftreit Lokis (Lokasenna). 51 





Eldir. 
4. Wenn du eintritt in Agirs Halle, 
die verſammelten Trinker zu jehn, 
und mit Hohn begeiferift die Holden Götter, 
den wilcht man ab an dir. 
Loki. 
5. Wiſſe, Eldir, wenn wir einander 
befehden mit feindlichem Wort: 
in Antworten dein Obermann werd' ich, 
wenn zu lange du lärmſt. 
Darauf ging Loki in die Halle hinein, aber als die Anweſenden 
ſahen, wer eingetreten war, verſtummten ſie alle. 
Loki. 
6. Durſtig kommt zu dieſer Halle 
Lopt! von langem Weg, 
die Aſen zu bitten, daß mir einer gebe 
den milden Trank des Metz. 
7. Wie jeid ihr jo jtumm, ihr jtolzen Götter? 
macht ihr den Mund nicht auf? 
Stätte und Sit verjtattet beim Trunk mir 
oder heißt mich von hinnen zu gehn. 
Bragi?, 
8. Stätte und Sitz verjtatten beim Trunk dir 
die Ajen in Ewigkeit nicht: _ 
denn es willen die Ajen, daß nicht allen Weſen 
der Zutritt zum Feſte ziemt. 
Loki. 
9. Gedenkſt du, Odin, daß in der Urzeit 
wir beide das Blut gemijcht?? 





ı 2opt (d.h. Luft), Beiname Lokis als Gott de3 warmen Taumindes. 

2 Bragi, ber. Gott der Dichtkunſt, eine der jüngften Figuren des nor= 
diſchen Götterhimmels, vielleiht identiſch mit dem ältejten hiſtoriſch bezeugten 
norwegifhen Stalden Bragi Boddafon (um 800), der aljo unter die Götter ver— 
jest worden wäre. Bon den ebdifchen Liedern erwähnen ihn nur nod) -Grimnis- 
mol (Str. 44) und Sigrdrifumgl (Str. 16). Die Snorra Edda -nennt ihn den 
langbärtigen Ajen und macht ihn zu einem Sohne Odins. Seine-Gemahlin ift 
Sun, die Göttin der ewigen Jugend, wodurd die Unjterblichfeit der Dichtung 
angedeutet werden joll. Ob der von Loki (Str. 13) ihm gemachte Vorwurf der 
Feigheit dur irgend einen Mythus begründet war, wifjen wir nit; erhalten 
ift nichts Entjprehendes. Vgl. ferner Gylfag. €. 26, Bragar. €. 1—4. 

3» Daß Odin und Lofi mit einander in der Urzeit Blutsbrüderſchaft ge: 
ihlojjen haben, wird fonft nirgends erwähnt, doc liegt fein Grund vor, bie 


32 Erfte3 Buch. Götterlieder. 





Nimmer des Bier zu genießen ſchwurſt du, 
man böte denn beiden es dar. 
Odin. 
10. Steh’ auf denn, Widar! des Wolfes Vater! 
gönne als Gaſte den Plab, 
daß nicht Loki Jäfternd ung Höhne 
innen in Agirs Saal. 
Da ſtand Widar auf und ſchenkte dem Loki ein; doch bevor dieſer 
trank, wandte er ſich mit einem Gruße an die Afen: 
11. Heil den Ajen! den Miinnen Heil, 
den hochheiligen Göttern all, 
nur dem einen der Wien nicht, 
Bragi, der auf der Bank dort fikt. 
Bragi, 
12. Roß und Ring aus meinem Reichtum geb’ ich 
und als Buße beut Bragi ein Schwert, 
damit du die Wien nicht ärgerit aus Mißgunſt; 
meide der Götter Grimm! 
Loki. 
13. An Roſſen und Ringen wirſt du nimmer reich ſein, 
beides iſt Bragi verſagt; 
von den Aſen und Elben, die hier innen ſind, 
fliehſt du am liebſten Gefecht, 
ſcheuſt du am meiſten den Schuß! 
Bragi. 
14. Wenn ich draußen wär' und drinnen nicht 
bei Agir ſäße im- Saal, 
dein Haupt trüg’ ich in der Hand gar bald: 
dag wär’ für die Lüge der Lohn. 
Loki. 
15. Im Seſſel biſt kühn du, doch ſäumig zur That, 
Bragi, du Zierde der Bank! 
Zum Zweikampf geh', wenn du zornig biſt! 
der Dreiſte bedenkt ſich nicht lang. 





Echtheit des Mythus zu bezweifeln, da Loki ſchon bei der Schöpfung der Menſchen 
beteiligt war (Vol. 18) und öfter als Helfer und Freund der Aſen erſcheint. In 
diefen Mythen ftellt er fi als die wohlthätige Macht des Feuers dar. — Über 
das Verfahren beim Schließen der Blutöbrüderfchaft j. zu Brot af Sigurparkvipu 
(Nr. 24), tr. 18. 

ı Des Wolfes Vater = Loki; f. zu Hym. 23. 


5. Der Wortftreit Lokis (Lokasenna). 33 





Idun. 
16. Ich bitte dich zu bedenken, Bragi,“ 
daß ihn Odin zum Wunſchſohn erwählt, 
drum jprich nicht zu Kofi mit Läftelnden Worten 
innen in Agirs Saal. 
Loki. 
17. Schweige du, Idun, die von allen Weibern 
am meiſten nach Männern jagt! 
Um ihn wandſt du die weißen Arme, 
der die Bruſt deines Bruders durchſtieß! 
Idun. 
18. Zu Loki nicht red' ih mit läſternden Worten 
innen in Agirs Saal; 
ich bejchwichtige Bragi, den bierberauſchten, 
daß Zorn nicht entzünde den Kampf. 
Gefjon.? 
19. Wie mögt ihr hier innen, ihr Aſen beide, 
euch befehden mit feindlichem Wort? 
Bekannt iſt Loki als Läjtermaul, 
er haßt alle Wejen der Welt. 
Loki. 
20. Schweige du, Gefjon, nimmer vergeß' ich's, 
wer zur Luſt dich verlockt; 
der blonde Burſche bot dir den Schmuck, 
da ſchlangſt du die Schenkel um ihn. 





ı Idun bittet Bragi zu bedenken, daß Loki, obgleich er nicht vom Aſen— 
geſchlecht iſt, doch von Odin gleichſam als Adoptivſohn in dasſelbe aufgenommen 
ward. — Idun (vgl. zu Str. 8) wird in den eddiſchen Liedern nur hier erwähnt. 
Nach der Gylfag. (E. 26) hat fie die goldenen Äpfel in Verwahrung, deren Genuß 
den Ajen fortdauernde Jugend verleiht. Ihr uriprüngliches Weſen läßt der in 
den Bragaredur (E. 2) erzählte Mythus am deutlichſten erkennen: fie .ift das 
üppige Grün der Vegetation, das dem Rieſen Thiazi (dem Dämon der Herbit- 
ftirme) als Beute anheimfällt, aber im Frühling von Loki (der warmen Luft) 
zurüdgebracdht wird. —— 

2 Der Mythus, auf den dieſe Strophe anſpielt, iſt uns verloren. 

3 Gefjon, in den eddiſchen Liedern nur hier erwähnt, iſt nach Gylfag. 
€. 35 eine jungfräuliche Göttin, zu der alle Mädchen gelangen, die unvermählt 
fterben. Sie ift wohl nur eine Hypoſtaſe der Frigg, denn der Vorwurf, der ihr 
von Loki (Str. 20 34) gemacht wird, erinnert an den Mythus von dem Brifingen= 
halsband (j. zu Prymskv. 12); aud würde der Ausſpruch Odins (Str. 2134 am 
beiten auf jeine eigne Gemahlin pajjen. — Die Rıefin Gefjon, von der die Yng- 
lingasaga beridtet (j. Gylfag. €. 1), iſt kaum mit der Afin Gefjon identiſch. 

Die Edda. 3 


34 Erſtes Bud. Götterlieder. 





Odin. 
21. Toll biſt du und thöricht, Loki, 
wenn du Gefjons Grimm erregſt, 
denn ſie weiß die Weltgeſchicke 
alle ebenſo gut wie ich. 


Loki. 
. Schweige du, Odin, ungerecht teilſt du 
unter Kriegern des Kampfes Glüd; 
du gabejt oft, dem du geben nicht jolltelt, 
dem Schlechteren Sieg in der Schlacht. 
Odin, 
23. Gab ich je, dem ich geben nicht jollte, 
dem Schlechteren Sieg in der Schlacht: 
im Innern der Erde warft du acht Winter! 
und melfteit Kühe in Magdgeitalt; 
fogar Kinder befamjt du dort, 
Meibern an Wejen gleich. 


Lofi, 
24. Du halt, wie man jagt, auf Samsey? gezaubert 
und Hexenhandwerk geübt; 
von Haus zu Haus ala Here zogjt du, 
Weibern an Wejen gleich. 


Frigg.? 
25. Bon eurem Treiben thätet ihr beſſer, 
den Männern nicht Meldung zu thun; 
was ihr Ajen zwei in der Urzeit verrichtet, 
laßt das Bergangne vergefjen jein! 


ID 
W 





1 Der Mythus, auf den dieſe Verſe anſpielen, iſt ung verloren. Jedenfalls 
iſt Loki hier als das im Innern der Erde thätige Feuer gedacht, das als Weib 
aufgefaßt wird, weil es die Vegetation hervorbringt. Die acht Winter ſind 
wieder die acht Wintermonate (vgl. zu Prymskv. 7), während welcher die Wärme, 
die auf der Erdoberfläche den Froftriefen hat weichen müfjen, fi unter die Erde 
zurüdgezogen hat und hier im Verborgenen wirft. Die von Loki gemelften Kühe 
find vermutlich die warmen Quellen, die auch im Winter durch Eis und Schnee 
hindurch ihr Wafjer emporjenden. Vgl. auch zu Str. 33 

2 Samsey, die dänifhe Inſel Samsö im Norden von Fünen. Odin ift der 
Gott der Weisjagefunft und Zauberei, die er den Menſchen lehrt. Er liebt die 
Verkleidungen; daß er aber in Geftalt einer Here umhergewandert jei, wird jonit 
nicht berichtet. 

3 Frigg, ſ. zu Vol. 34. 


26. 


27. 


28. 


29. 


30. 


31. 


5. Der Wortjtreit Lokis (Lokasenna). 35 





Loki. 
Schweige du, Frigg, Fjorgyns! Weib! 
Du, Metze, warſt immer männertoll: 
dem Wili und We? hat Widrirs? Gattin 
ihre Gunjt beiden gegönnt. 
Frigg. 
Hätte ich innen in Agirs Halle 
einen Sohn von Baldr3* Sinn, 
den Ausgang nicht fändft du von der Ajen Kindern, 
eh’ du zornig den Zweikampf erprobt. 
Loki. 
Du willſt es, Frigg, daß ich ferner noch rede 
von dem Unheil, das ich verübt: 
verſchuldet Hab’ ich's, daß du ſchaueſt nimmer 
Baldr reiten zur Burg. 
Freyja.? 
Toll bit du, Loki, don Thaten zu reden, 
die euch Schimpf und Schande gebracht; 
der fünftigen Dinge kundig iſt Frigg, 
wenn ſie's auch jelber nicht jagt. 
Loki. 
Schweige du, Freyja, dich kenne ich völlig, 
du biſt nicht von Fehlern frei: 
von den Aſen und Elben, die hier innen ſind, 
haſt du jeden gern beglückt. 
Freyja. 
Deine Zunge iſt falſch, doch in Zukunft, mein' ich, 
fingt fie dir Unheil an; 
dir zürnen die Aſen, dir zürnen die Ainnen, 
kummervoll fehrjt du einjt heim. 





ı Fjorgyn = Dbin. Fiorgyn ift ein altarifcher Name des Simmelögottes 


(altind. Parjanya, litauiſch Perkunas). 


2 Wili und We, die Brüder Odins, in den ebdifchen Liedern nur hier er— 


wähnt. Der Hide berührte Mythus wird durch ©. 2 der Ynglingasaga beftätigt, 
wojelbft erzählt wird, daß während einer längern Abwesenheit Ddins feine beiden 
Brüder die Frigg zur Frau nahmen. Indeſſen find Wili („Wille”) und We („Heis- 
ligteit”) wohl nur Hypoftajen Odins, die erft Ipät zu felbftändigen Göttern ge- 
macht wurden. 


3 Widrir, „Wetterer”, ein Beiname Ddins, 
4 Baldr, ſ. zu Vol. 322. 
5 über Freyja f. zu Prymskv. 3. 


3* 


36 Erſtes Bud. Götterlieder. 





Loki. 
32. Schweige du, Freyja, ſchlimme Hexe, 
und von Frevel arg befleckt: 
dich trafen im Bett deines Bruders! die Götter, 
wo dir, Freyja, ein Wind entwich. 
Njord. 
33. Der Schaden iſt klein, wenn ein ſchönes Weib 
| Friedel fich wählt oder Freund; 
doch wunderlich iſt's, daß der weibifche Aſe 
zu ung gefommen, der Kinder? gebar. 
Loki. 
34. Schweige du, Njord?, dich ſchickte man oſtwärts 
zu den Göttern als Geiſel fort, 
als Harntopf brauchten dich Hymirs“ Töchter 
und machten dir in den Mund. 
Njord. 
35. Erſatz erhielt ich, ob weit auch geſendet 
zu den Göttern als Geiſel fort; 
den Knaben gewann ich, den keiner haßt, 
der als erſter der Aſen gilt. 
Loki. 
36. Nicht allzu hoch erhebe dich, Njord! 
was ich hörte, verhehl' ich nicht mehr: 
du gewannſt aus dem Schoß deiner Schweſter den Sohn?, 
der ſich nach Erwartung bewährt. 
Tyr. 
37. Frey iſt der Erſte von allen Helden, 
die die Burg der Aſen birgt; 
keines Mannes Frau und fein Mädchen kränkt er 
und macht die Gefefjelten frei. 





1 Freyjas Bruder ift Freyr. Daß zwiſchen ihnen ein Verhältnis beftanden 
habe, meldet feine andre Duelle; beide entftammten aber einer Geſchwiſterehe; 
f. zu Str. 86. 

2 Wir wifjen nur von einem Kinde, das Lofi zur Welt brachte: es ift dies 
Odins Hengft Sleipnir, vgl. zu Baldrs draumar 2, aber aud oben Str. 2356, 

3 Njord, vgl. zu Prymskv. 22. 

4 Hymirs, des Eisrieſen Töchter, find die Gletſcherbäche, die fih ind Meer 
ergießen. 

5 Freyr und Freyja wurden von Njord mit feiner Schweiter erzeugt, ehe 
er zu den Ajen tam. Uber jeine jpätere Ehe mit Sfadi ſ. zu Str. 49. 


5. Der Wortitreit Lokis (Lokasenna). 37 





Lofi. 
38. Schweige du, Tyrt, du taugtejt niemals 
als Mittler von Mann zu Mann’: 
die rechte Hand entriß dir Yenrir?, 
defjen gedenk' ich gern. 
Tyr. 
39. Die Hand verlor ih, du den herrlichen Wolft, 
Entbehrung iſt unjer beider Leid; 
nicht beſſer hat's Fenrir, der in Banden harıt, 
bis die Nacht der Götter naht. 
Loki. 
40. Schweige du, Tyr, es geſchah deinem Weibe?, 
daß ſie von mir einen Knaben bekam; 
kein Schilling ward für den Schimpf dir gezahlt, 
feiner Elle Wert, du Wicht! - 
Freyr. 
41. Fenrir liegt vor des Fluſſes Mündung‘, 
bis die Götter vergehn; 
auch du kommſt ſchleunig, ſchweigſt du nicht bald, 
in Eiſen, Unheilſchmied'! 
Loki. 
42. Mit Gold erwarbſt du Gymirs Tochter? 
und verjchenktejt dein Schwert; 
doch wenn Muspells Söhne? durch Myrkwid reiten, 
haft du Ärmſter nicht Waffe noch Wehr. 





I Tyr, der altgermanifhe Himmelsgott, der aus diefer Stelle jedoch ſchon 
früh durch den Sturmgott Odin verdrängt ward. Die nordijhen Quellen fennen 
ihn nur noch ald Gott des Krieges (vgl. jedoch zu Hym. 5) und nennen ihn einen 
Sohn Odins. Am Ende der Tage kämpft er mit dem Höllenhunde Garm, und 
beide fallen (Gylfag. €. 51). 

2 Die Gylfag. (€. 25) jagt: „Man kann von Tyr nicht behaupten, daß er 
fih es angelegen jein läßt, Frieden zwiihen den Menjchen zu ſtiften.“ 

3 Wie Tyr durch den Wolf Fenrir feine rechte Hand verlor, erzählt aus⸗ 
führlich die Gylfag. €. 34. 

4 Den herrligen Wolf, d. i Fenrir. 

5 Bon einer Gemahlin Tyrs ift in feiner andern Duelle die Rebe. 

6 Gemeint ift der Fluß Wan, der aus dem Geifer entjtand, welder aus dem 
Maule des gefefjelten Fenrir ftrömte (Gylfag. €. 34). 

? Die Prophezeiung geht bald in Erfüllung, vgl. bie: Proſo am Schluſſe 
des Liedes. 

s Gymirs Tochter, das ſchöne Rieſenmädchen Gerd; vgl. die Anmerkungen 
zu Skirnismol. 

⸗Muspells Söhne, ſ. zu Vol. 52, Myrkwid (d.h. „der dunkle Wald“), 
der Forft, welcher die Grenze gegen Muspellsheim bildete. 


38 


43. 


45. 


46. 


47. 


48. 


Erſtes Buch. Götterlieder. 





Byggwir. 
Wär’ ich jo adlig wie Ingunar-Freyr! 
und hätte jo herrlichen Sit, 
ich quetichte zu Mark die Krähe des Unheils 
und fnidte die Knochen ihr all’. 
Loki. 


Wer iſt das Wichtlein, das ich wedeln ſehe, 


im Schnappen und Schlucken geſchickt? 
immer in Freyrs Ohren liegſt du, 
wenn du nicht an der Mühle murrſt?. 
Byggwir. 
Byggwir? heiß’ ich, als hurtig geprieſen 
von den Aſen und Irdiſchen all; 
hochgemut bin ich, weil Hropts* Kinder 
zufammen bier ſitzen beim Trunk. 
Loki. 
Schweige du, Byggwir, du ſchaffteſt nimmer 
an Speiſe den Männern ihr Maß; 
im Stroh des Eſtrichs verſteckt lagſt du, 
als die Krieger zogen zum Kampf. 
Heimdall. 
Zum Thoren machte der Trunk dich, Loki, 
warum folgſt du nicht redlichem Rat? 
Übermaß wirkt bei allen Männern, 
daß die Zunge dem Zaum nicht folgt. 
Loki. 
Schweige du Heimdall?, verhängt ward dir 
in der Urzeit ein leidiges Los: 
Stet3 mußt du ftehen mit fteifem Naden, 
wenn du als Hüter des Himmels wadhit. 





ı Ingunar-Freyr. Ingunar ift Genetiv eines Fem. Ingun. Iſt dies 


vielleiht der ſonſt nicht überlieferte Name von Freyrs Mutter, der erften Ge— 
mahlin des Njord? Anderwärts wird der Gott Yngwi-Freyr genannt, und 
es wäre auch denkbar, daß hier nur eine Entjtellung dieſes Namens vorliegt. 
Den Beinamen Ingw („der Gekommene“ oder „ber Verehrte“?) führte Freyr 
(Fr0) auch bei den Südgermanen; er war ber Heros eponymos des deutſchen 
Völkerbundes ber Ingwäonen, aus dem die jpätern Sachſen, Angelſachſen und 
Friefen hervorgingen. 


2 Das Mahlen des Kornes ift Sklavenarbeit; vgl. Helgakv. Hund. II, 2. 
3 Byggmwir, f. die Anm. zur einleitenden Proſa 8. 9. 

4 Hropt = Dbin. 

5 Heimdall, f. zu Vol. 27. 


5. Der Wortftreit LofiS (Lokasenna). 39 





x Sfadil, 
49. Luſtig bift du, Loki, Doch nicht lange mehr wirjt du 
loſe ſchwingen den Schweif; 
denn an den Felſen feſſeln dich die Aſen 
mit den Eingeweiden des eiskalten Sohns.? 
Loki. 
50. Wiſſe, wenn an den Felſen mich feſſeln die Aſen 
mit den Eingeweiden des eiskalten Sohns, 
der erſte und letzte beim Angriff war ich, 
als Thiazi den Tod erlitt. 
Skadi. 
51. Wiſſe, warſt du beim Angriff der erſte und letzte, 
als Thiazi den Tod erlitt, 
aus meinen Häuſern und Hainen wird dir 
allzeit fommen kalter Rat. 
Loki. 
52. Lieblicher ſprachſt du zu Laufeys Sohn?, 
als du mich auf dein Lager ludſt; 
da all' unſre Fehler zur Aufzählung kommen, 
werde auch deſſen gedacht. 
trat Sif* vor und bot dem Loki Met in kriſtallenem Kelch und 
prach: 
53. Heil dir, Loki, den Humpen nimm an 
voll von firnem Miet, 
daß ich allein von den Aijenfindern 
bleibe fehlerfrei. 


Er nahm das Horn und trank daraus. 





ı Sfadi, die Toter des Rieſen Thiazi, der von den Aſen getötet ward. 
Um fie zu bejänftigen, gaben ihr die Götter ven Njord zum Gemahl, und es ward 
bei der Bermählung ausgemadt, daß Skadi drei Monate bei Njord zu Noatun 
weilen jolle, er dagegen den übrigen Teil de3 Jahres in der rauhen Heimat 
feiner Gattin, auf dem Gebirge, fih aufhalten müſſe (Gylfag. €. 23; Bragar. 
€. 2). Der Mythus deutet an, daß das Meer drei Monate lang für die Schiffahrt 
offen iſt, in den andern neun in der Gewalt der winterlichen Stürme ſich befindet. 

2 Bol. die Proſa am Schluſſe des Liedes und Gylfag. C. 50. 

3 Laufeys Sohn, d.i Loki, ſ. zu Prymskv. 17. Bon einem ehebrecheriſchen 
Verhältnis Lokis zu Skadi iſt ſonſt nichts bekannt. 

* Sif, die Gemahlin Thors, die Perſonifikation der fruchtbringenden Erde. 
Ihr goldenes Haar (j. zu Prymskv. 24.) iſt das wogende AÄhrenfeld Dem Thor gebiert 
ſie die Thrud, in der eine Haupteigenſchaft des Vaters, die Kraft, ſich verkörpert 
darſtellt. Aus einer andern Ehe der Sif ſtammt der Bogenſchütze und Schnee— 
ſchuhläufer Ull: der Vater desſelben iſt nirgends genannt, war aber zweifellos 
ein winterliches Weſen, dem der Donnergott ſein Weib in jedem Jahre aufs neue 
abringen muß. Vgl. Gylfag. €. 31, Skäldsk. C. 3. 


40 Erſtes Bud. Götterlieder. 





54. Sch ſchonte dich eine, wenn du ſcheu und ſtreng 
die Männer gemieden ſtets; 
doch einen! weiß ih, der Ehebruch 
mit Thors Weibe auch Trieb: 
das hat Kofi der Arge verübt. 
Beyla. 
55. Es dröhnen die Berge, der Donnerer, mein’ ich, 
fährt von Haufe hierher; 
zum Schweigen bringt ev den Schändlichen bald, 
der die Ajen und Irdiſchen höhnt. 
Loki. 
56. Schweige du, Beylaz, du biſt Byggwirs? Weib 
und ſchlimm mit Trevel befledt; 
nie fam zu den Aſen ein ärgeresg Scheujal, 
mijtbejudelte Magd! 


Da trat Thor ein und ſprach: 
57. Schweig’, elender Wicht, ſonſt jchließt dir Mjolnir?, 
| der mächtige Hammer, den Mund; 
ich ichlag’ dir vom -Halfe den Schulterfeljen® 
und löſche das Leben dir aus. 
Loki. 
58. Der Erde Sohn iſt eingetreten; 
wie trotzig ſchnaubſt du, Thor? 
einſt wirſt du nicht wagen den Wolf? zu bekämpfen, 
der den Schlachtenvater verſchlingt. 
Thor. 
59. Schweig', elender Wicht, ſonſt ſchließt dir Mjolnir, 
der mächtige Hammer, den Mund; 
aufwärts werd’ ih gen Often® dich ſchleudern, 
wo feine Seele dich fieht. 





ı Auf die Buhlerei Lokis mit Sif jcheinen auch die Härbarbpsljob anzufpielen, 
ſ. das. zu Str. 48. 

2 Beyla und Byggmwir, f die Anm. zu der prof. Einleitung 8. 9. 

3 Mijolnir, f. zu Prymskv. 1. 

+ Shulterfeljen, poetiſche Umſchreibung für Kopf. 

5 Den Wolf, d. 5. Fenrir, der beim Weltuntergang den Odin verſchlin— 
gen wird. 

6 Gen Diten, aljo in die Heimat der Rieſen, denen Loki entſproſſen ift. 


60. 


61, 


63. 


64. 


69. 


5. Der Wortftreit Lokis (Lokasenna). 41 





Kofi, 


Den Männern jollteit du melden niemals, 
daß du einmal im Oſten warit; 
dort hodte der Held im Handſchuhdaumen 
und glaubte jelber nicht Thor mehr zu fein. 


Thor. 
Schweig’, elender Wicht, ſonſt jchließt dir Mjolnir, 
der mächtige Hammer, den Mund; 


meine Hand erichlägt di mit Hrungnirs Töter? 
und niet die Knochen dir al’. 


Kofi, 
Zange Jahre zu leben Hoff’ ich, 
| ob du auch dräuend den Kammer hebit; 
rauh fandſt du die Riemen am Ranzen Skrymirs, 
daß du nicht kamſt zur Koſt 
und vor Heißhunger vergingit. 
Thor, 
Schweig’, elender Wicht, ſonſt ſchließt dir Mijolnir, 
der mächtige Hammer, den Mund; 
zur Hölle jendet dich Hrungnirs Töter, 
tief hinab zur Totenwelt. 
Loki. | 
Ich jang vor den Aſen und Aſenſöhnen, 
wie mich lodte die Luft; 
dir allein gedenk' ich zu weichen, 
nnd ich weiß, daß du kämpfen fannft. 


Bier, Agir, brauteſt du heuer, 

doch nie wieder machjt du ein Mahl: 
all dein Eigen, das hier innen ift, 

freffe des Feuers Glut?, 

Teuer röjte den Rüden dir! 





ı 68 wird in biefen Zeilen und in Str. 62345 auf ben in der Gylfag. €. & 


erzählten Mythus angefpielt. Vgl. auch zu Härb. 26. 


2 Hrungnirs Töter, der Hammer Mijolnir. Den Kampf Thors mit dem 


Kiefen Hrungnir, in dem dieſer den Tod fand, erzählt Skäldsk. €. 1. 


3 Des Feuers Glut, nämlich das Zeuer des Weltbrandes. 


43 Erſtes Buch Götterlieder. 





ı Hierauf verſteckte ſich Loki, der die Geftalt eines Lachjes ange: 
nommen hatte, im Wafjerfalle Sranangr?; dort fingen ihn die Ajen. 
Er ward mit den Därmen feines Sohnes Walt? gefefjelt; Narfi? aber, 
fein andrer Sohn, wurde in einen Wolf verwandelt. Sfadi nahm 
eine giftige Schlange und befeftigte fie über Lokis Antlis, jo daß das 
Gift auf diejes hinabtropfte. Doch Sigyn*, Lokis Frau, jaß neben ihm 
und hielt eine Schale, um das Gift aufzufangen. Sobald die Schale 
voll war, trug fie das Gift hinaus; inzwiſchen aber troff das Gift 
auf Loki. Dann zerrte er jo heftig an feinen Feffeln, daß die ganze 
Erde davon erzitterte: das nennt man jet Erdbeben. 


er 


6. Das Lied von Harbard.’ 
(Härbarpsljöp.) 


Thor war auf dem Heimmwege von einer Dftfahrt und fam zu 
einem Sunde; auf der andern Seite des Sundes war der Ferge mit 
dem Boote. Thor rief: 


1. Was ijt das für ein Burjche, der im Boote jenjeits 
des Sundes fteht? 
Der Ferge antwortete: 


2. Was ift das für ein Bauer der über die Bucht her- 
über freijcht? 





I Bol. Hierzu Gylfag. €. 50. 

2 Franangr, „das glänzende Wafjer“. Zu der Meinung, daß das Feuer 
im Wafjer fi bergen könne, waren die Nordleute wahrſcheinlich durch die 
Beobachtung des Meerleuchtens gefommen. 

3 Wali und Narfi find wohl nicht phyſiſch zu deuten; das, was von ihnen 
erzählt wird, gibt nur dem Gedanken Ausdrud, daß das Böfe fich ſchließlich ſelbſt 
verrichtet. (Nach Gylfag. zerreißt Wali, in einen Wolf verwandelt, jeinen Bru— 
der Narfi.) 

+ Sigyn (in den ebdifhen Liedern nur bier und Vol. 35 genannt), nad 
Gylfag. 33 die Mutter des Narfi, wird in den in Snorra Edda erhaltenen Versus 
memoriales zu den Afinnen gerechnet. Ähnliche Mythen wie den von Loki und 
Sigyn Hat auch die Phantafie andrer Völker zur Erklärung der Erdbeben ge— 
Ichaffen. 

5 Die Perſonen des Geſprächs find Thor und Odin, der fih hier unter dem 
Namen Harbard (d.h. „Sraubart“) verbirgt. Das Gedicht bringt den Gegenjag 
zwifchen den beiden Göttern zum Ausdrud, von denen Thor als Schüger und 
Förderer des friedliebenden Bauernftandes erfheint, während Odin als Patron 
und Repräjentant des abenteuerluftigen und friegerifchen Adels auftritt. 


— 


6. Das Lied von Harbard (Härbarpsljöh). 43 





Thor, 
3. Yahre mich über den Sund ich füttre dafür dich 
morgen; 
ich trag’ einen Korb auf dem Rüden, drin ift Kojt, wie 
fie befjer nicht vorkommt. 
Ich aß’ in Ruhe, - eh’ ich aufbrach von Haufe 
Hafergrüße und Hering, drum ſpür' ich noch feinen 
Hunger wieder. 
Der Ferge. 
4. Du rühmſt dich des Trühmahls, als hättjt du ein . 
Rieſenwerk vollbracht; 
was Dir bevorjtand, erforjchteit du jchlecht: 
traurig fteht e3 bei dir daheim, tot, mein’ ich, iſt deine 
Mutter!. 
Thor, 
5. Was als Schlimmſtes jedem erſcheinen muß, 
dag meldejt du mir, daß die Mutter tot jei! 
Der Ferge, 
6. Danach fiehjt du nicht aus, als hättſt du drei gute 
Gehöfte: 
barfuß jtehjt du da im Bettlergewande 
und haft nicht einmal Hofen an?. 
Thor, 
7. Steure den Nachen hierher, ich weife die Stelle zum 
Zanden dir; 
er ift der Eigner des Bootes, das du drüben am 
Ufer haſt? 
Der Ferge, 

8. Hildolf? heißt ex, der mich zum Hüter des Boots gemacht, 
der befonnene Held, der am Sunde von Radsey* wohnt; 
er befahl mir, feine Räuber überzufegen, auch Roß— 

diebe nicht, —— 


I Tot ift beine Mutter, d. 5, die Erde ruht im Winterſchlafe. 

2 Harbard hat zuerſt (Str.2) den Thor einen Bauerm’genannt; er meint 
jegt, daß dieſe Bezeihnung für ihn noch zu ehrenvol jei, da er wie ein Land- 
ſtreicher ausfehe. 

3 Hildolf bedeutet: „Eriegeriiher Wolf”. Schon hierdurch wird angedeutet, 
daß Ddin das Wilingertum patronifiert. 

Radsey, die Injel, auf der Pläne (zu Kriegszügen) geſchmiedet werben. 


44 Erite Bud. Götterlieber. 





nur ehrliche Leute oder die, deren Art mir völlig be— 
fannt jei. 

Sag’ deinen Namen mir, wenn du den Sund über: 
Ichiffen willſt. 

Thor. 
9. Obwohl ich friedlos! Bin, ſag' ich ohne Furcht meinen 
amen 

und al mein Gejchlecht: ich bin Odins Sohn, 

Meilis? Bruder und Magnis? Vater, 

der thatfräftige Götterfürft; mit Thor fannjt du hier 


reden. 
Set darf ich wohl danach fragen, wie du genannt wirft? 
Der Ferge. 
10. Harbard Heiß’ ich, ich verhehle den Namen nicht. 
Thor, 


11. Warum jollteft du den Namen. verhehlen, wenn dir 
nicht Nachitellung droht? 
Harbard, 
12. Drohte auch Nachjtellung mir, vor deinesgleichen 
würde ich leicht mein Leben frijten, 
wär’ nicht vom Schickſal beichloffen mein Tod. 
Thor. 
13. Durch das Waller zu waten, erſcheint mir widrige 
Mühſal, 
und meine Scham zu benetzen, ſonſt würd' ich die 
ſchnöden Worte 
dir lohnen, du Lotterbube, gelangte ich über den Sund. 
Harbard. 
14. Hier werd' ich ſtehen, von hier dich erwarten; 
einen tapferern Mann fandeſt du nicht nach dem Tode 
Hrungnirs:. 





ı Thor iſt friedlos, da er noch in dem Gebiete ſeiner Feinde, ber Rieſen, ſich 
befindet. 

2 Meili, in den eddifchen Liedern nur hier erwähnt und auch ſonſt jelten 
genannt. Er ift wie Thor ein Sohn Odins; Name und Wejen bes Gottes find 
noch unerflärt. 

3 Magni, inihm wie in jeinem Bruder Modi find Eigenjhaften des Baters 
(Kraft und Mut) verförpert. Vgl. Vafpr. 51. 

4 Hrungnir, ein Rieje, den Thor tötete Vgl. Skäldsk. E.1. 


6. Das Lied von Harbard (Härbarpsljöp). 45 





Thor. 
15. Daran erinnerſt du mich, daß ich einſt mit Hrungnir 
kämpfte, 
dem ſtolzen Rieſen, der ein ſteinernes Haupt trug; 
zum Fall bracht' ich ihn dennoch, vor meinem Füßen 
lag er als Leiche. 
Was triebſt denn du unterdeſſen, Harbard? 
Harbard. 
16. Fünf volle Winter bei Fjolwar'! lebt' ich 
auf jener Inſel, die Mgrön? heißt; 
dort fonnten wir fümpfen und Krieger erichlagen?, 
manches verjuchen und den Mädchen nachgehn. 
Thor. 
17. Hattet ihr denn bei den Frauen Erfolg“? 
Harbard, 
18. Die willigen Weiber hatten wenig Berjtand, 
und die weilen erwieſen jich jpröde; 
aus Sand wollten diefe Seile winden 
und die Erde aus tiefem Thale graben. 
Mehr Wit hatt? ich einer als alle die Mädchen; 
ich jchlief bei den fieben Schwejtern allen, 
Wonne und Luft gewährten mir alle. 
Was triebjt denn du unterdeffen, Thor? 
Thor.‘ 
19. Den Thiazi? erichlug ich, den troßigen Riejen, 
und warf die Augen von Allwaldis® Sohne 
zum heitern Himmel hinauf; 





ı $jolwar, „ber ſehr Vorſichtige“, ein Name, der ſonſt nirgends begegnet 
Fiolwar ift vielleicht der Vater der fieben Schweitern (186), die Ddin (obgleich 
jener fie vorfichtig hütete?) ſämtlich jeinen Wünſchen geneigt machte. 

2 Alg rön, „die vollfommen grüne”; die in üppigem Laubſchmuck prangende 
Inſel ift ein pafjender Ort für bie heimlichen Liebjchaften. 

3 Odin leiftete aljo, wie es jcheint, dem Fjolwar Beiftand im Kriege und 
benugte dabei die Gelegenheit, jeine Töchter zu verführen. 

4 Der plumpe Bauerngott wird hellhörig, da Odin auf gelante Abenteuer zu 
ſprechen kommt, und will gern Näheres erfahren. 

5 D.5. fie unternahmen den ebenjo unmöglidhen wie urnuten Verſuch, dem 
Odin zu widerſtehen. 

s Den leichtfertigen Abenteuern Harbards gegenüber zügmt fih Thor feiner 
Kulturarbeit, der Bändigung der dem Menſchen feindlichen Elemente. 

? Thiazi, d. 5. „der Dide“ ; vgl. über ihn zu Lokas. 49 fg. 

8 Welches Sternbild auf Thiazis Augen gedeutet wurde, ift unbefannt. All— 
waldi, „ber jehr Mächtige”, Vater des Thiazi. 


46 Erſtes Buch. Götterlieber. 





von meinen Werfen find fie der Merkzeichen größtes, 
noch jehn’3 die Söhne der Menjchen all. 
Was triebjt denn du unterdeſſen, Harbard? 
Harbard, 
20. Mit den feinjten Künften verführt’ ich die Nachtreite- 
rinnen! 
und lockte fie liltig den Männern fort; 
ein Held erſchien mir Hlebard der Rieje?; 
er gab mir den Zauberziveig, 
und ich jtahl ihm den Berjtand. 
Thor, 
21. Da haft du mit faljchem Herzen die gute Gabe 
gelohnt.? 
Harbard, 
22. Was man einer Eiche abſchabt, kommt der andern 
zu gute®; 
ein jeder jorgt für fich jelbit. 
Was triebjt denn du unterdeflen, Thor? 
| Thor, 
23. Thurſenweiber? ſchlug ich tot im Djten, 
die böswillig auf die Berge jtiegen; 
groß wäre die Anzahl der Riefen, wenn alle lebten, 
nicht Menjchen gäb' es "in Midgard mehr. 
Mas triebjt denn du unterdejlen, Harbard? 
Harbard, 
24. In Walland® war ich, bewirkte Krieg, 
bracht’ Edle in Streit, ſchuf Ausgleich nimmer. 
Zu Odin fommen die Edlen, die das Eiſen wegrafft, 
und der Troß der Knechte? zu Thor. 





ı Nadhtreiterinnen, d.h. Zauberweiber, Heren. Zu ihnen hat natürlich 
Dbin, der Gott der Zauberei, die engften Beziehungen. 

2 Bon dieſem Abenteuer Odins ift jonft nichts befannt. Hlebard, „der 
Bartgeſchirmte“ (2). 

3 Thor befigt noch die einfältige Bauernmoral, die dem Odin bei jeinem 
unftetigen Piratenleben abhanden gefommen ift; er ift daher über Harbards 
Falſchheit fittlich entrüſtet. 

* Ein Sprichwort, das auch anderwärts, z. B. in der Grettissaga, begegnet. 

5 Mit den Thurſenweibern find vermutlich verheerende Sturmfluten ge— 
meint. 

s In Walland, db H. im Lande der Schlachtfelder, auf dem Kriegsſchauplatz. 

" Der Glaube, daß die Bauern (die Harbard hier verähtlih Knete nennt) 
nad dem Tode zu Thor gelangen , ift jonft nicht bezeugt, doch ift er eigentlich 





6. Das Lied von Harbar 





Thor. 
25. Ungleich würdeſt du teilen unter den Aſen die Leute, 
wär' allzuviel Macht dir eingeräumt. 
Harbard. 

26. Hinreichende Kraft hat Thor, doch ein Herz fehlt ihm: 

aus Furcht und Angſt haſt du feig dich im Hand— 

ſchuh verkrochen!, 
und ſchreckgeſchlagen ſcheuteſt du dich 
zu furzen und zu nieſen, daß es Fjalar? hörte. 


Thor. 
27. Hntbard, weibiicher Wicht, ich würd’ in die Hölle dich 
fenden, 
reichte nur zum andern Ufer mein Arm. 


Harbard, 
28. Warum iwollteft du deinen Arm zum Ufer herüber- 
jtreden, 
da doch zwiſchen ung fein Streit bejteht? 
Was triebit denn du unterdefen, Thor? 


Thor, 
29. Ich war ferne im Djten, den Yluß? verteidigte ich, 
al3 Swarangs Söhne verjuchten den Angriff; 
mit Felsblöden* warfen fie mich, doch wurden fie froh 
nicht des Sieges, 
denn bald mußten fie bitten um Frieden. 
Was triebjt denn du unterdeflen, Harbard ? 





eine notwendige KRonjequenz des Walhollglaubend „ES ift ein Gedanfe von hoher 
und jhöner Milde”, jagt R. von Liliencron, „daß, während bie jchon hier vom 
Glüd begünftigten, die ruhmgefrönten Söhne Odins, nad Walholl überſiedelnd, 
zu neuen, glänzendern Freuden eingehen, doch auch für den fleißig und mit 
ruhmlofer Treue fih abmühenden Diener des Thor nach feinen irdifhen Mühen 
eine freundliche Stätte bei jeinem hohen Schirmherrn bereitet ift.“ 

ı Harbard fpielt hier auf denjelben Mythus an, wie Xofi in Lokas. 60, 62. 

2 Kjalar, d.h. „ber Verhehler”, weil der eigentlihe Name des Rieſen, in 
deſſen Handſchuh Thor nächtigte, Utgarda-Loki ift. Nach ARE: und Gylfag. 
nannte er fih Skrymir (d. i. „Sroßprahler“). 

3 Den Fluß: es ift wohl der Strom gemeint, der Thots Gebiet (das zur 
Bebauung geeignete Land) von dem Reiche der Rieſen ſcheidet. Er iſt alſo im 
Grunde mit dem Meeresarm, über den Harbard dem Thor die Überfahrt ver— 
weigert, identiſch. 

Die Felsblöcke, welche Swarangs („des Ängſtigers“?) Söhne ſchleu— 
dern, deutet Uhland auf die den Saaten verderblichen Schloßen. 


48 Erſtes Bud. Götterlieder. 





Harbard, 
30. Ich war ferne im Oſten, mit einem Fräulein ſchwatzt' ich, 
ipielte mit der Linnenweißen, verlockte fie zu heimlichen 
Umgang; 
froh machte ich die Goldgeſchmückte, und fie gönnte mir 
Liebesgenuß.“ 
Thor. 
31. Da hatteſt du erfreulichen Frauenverkehr. 
Harbard. 
32. Deinen Beiſtand, Thor, konnt' ich brauchen damals, 
um mir zu wahren die weiße Maid. 
Thor. 
33. Gern ſtellt' ich mich dir als Helfer, wär ich im ſtande 
| dazu. 
Harbard. 
34. Trauen würde ich dir, wenn du die Treue nicht brächeft. 
Thor. 
35. Ich bin doch nicht jolch ein Ferſenbeißer wie im Früh— 
jahr ein alter Lederſchuh. 
Harbard, 
36. Was triebjt denn du unterdejlen, Thor? 
Thor, 
37. Weiber von Berjerkern? erwürgt' ich auf Hlesey?; 
die ärgjten Frevel hatten fie ausgeführt und alles Bolt 
betrogen. 
Harbard, 
38. Wenig rühmlich war’ dennoch, Thor, Weiber zu töten. 





1 Bon Liebesabenteuern Ddins berichten unjre Quellen mehrfach. So die 
Hö$vamöl, Str. 95 fg. von feiner mißglüdten Werbung um Billingd Tochter und 
Str. 103 fg. von jeinem Erfolge bei Gunnlod (vgl. Bragar., €. 4). Andre Geliebte 
Odins find Rind, die er durch Zauberlieder gefügig machte (ſ. zu Baldrs drau- 
mar 11), und Grid, die Mutter des Widar (Skäldsk. C.2). Welde von biejen 
Frauen (ſämtlich Riefinnen) hier gemeint ift, ift nicht erfichtlich. 

2 Berjerfer, d.h. Bärenfleid, Bezeichnung eines Menjchen, dem man bie 
Fähigkeit zutraute, fich in einen Bären zu verwandeln (wie die Werwölfe Men— 
ihen find, die zu Wölfen werden können). Später, als man an diefe Verwand— 
lung nit mehr glaubte, nannte man Berjerfer jolde Männer, die von Zeit zu 
Zeit in wilde Kampfluft gerieten und dann übernatürliche Kräfte entwidelten. 
Vielfah wurde diefer Parorysmus als eine wirkliche Krankheit angejehen. 

3 Hlesey, benannt nah dem Meergott Hler oder Ägir, die dänische Inſel 
Läſö im Kattegat, 


6. Das Lied von Harbarb (Härbarpsljöp). 49 





Thor. 
39. Wölfinnen waren jie eher als Weiber zu nennen; 
fie jtürzten mein Schiff um, das ich durch Stützen 
gefichert!, 
Ihwangen drohend die Eiſenkeulen? und verjcheuchten 
den Thjalft?. 
Was triebjt denn du unterdefen, Harbard? 
Harbard, 
40. In dem Heere war ich, das hierher zog, 
die Sturmfahne zu erheben, den Stahl zu röten. 
Thor. 
41. Deſſen gedenkjt du nun, daß du famjt, um ung Krän- 
fung anzuthun.* 
Harbard, 
42. Einen Handring jollit du dafür erhalten zur Buße, 
nach der Beitimmung der Schiedsrichter, die unjeren 
Streit jchlichten wollen.’ 
Thor, 
43. Woher nur holft du dieſe höhniſchen Worte, 
wie ich Höhnifcher nimmer gehört fie habe? 
Harbard, 
44. Ich Holte fie von den Menſchen, den hochbejahrten, 
die in den Hügeln der Heimat wohnen. ® 
Thor, 
45. Da gibjt du den Gräbern einen guten Namen, 
wenn du fie Hügel der Heimat nennt. 





ı Man fieht hieraus, daß die Berjerferweiber als Naturmädte zu fafjen 
find, und zwar als Springfluten. 

2 Eijenfeulen, die gewöhnliden Waffen der Rieſen; fie bezeichnen bier 
die gewaltige Kraft der an die Küfte fchlagenden Wogen. 

3 Thialfi, „der das Wachstum fördernde” (2), Thors Diener, indem der 
menſchliche Fleiß bei der Bebauung der Erde perfonifiziert ift, Seine Schweiter 
ift Rostwa, „die Rafche”, die unverdrofjene Rüftigkeit. Identiſch mit Thjalfi ift 
Thjelwar, der nad) der Gutasaga bie erfte Kultur nach der Inſel Sotland. brachte. 
Vgl. die Bemerkungen zu Hym. 37, 38 und Gylfag. €. 44. 

4 Harbard Hat Thor dadurch gefräntt, daß er durch feine Seerfaßrten die 
Arbeiten des Landmanns ftörte. 

5 Was dieje Zeilen bedeuten, und worin die Beleidigung Liegt, bie Thor darin 
findet, ift noch nicht ermittelt. 

s Odin verfteht e8, dur feinen Zauber die Toten zu erweden, um von 
ihnen Auskunft über geheimnisvolle und zufünftige Dinge zu erlangen (vgl Baldrs 
draumar); warum er aber hier darauf anjpielt, und weshalb Thor durch feine 
Worte fich verlegt fühlt, ift nicht erfichtlich. ; 

Die Edda. 4 


50 


46. 


49, 


50. 


54. 


Erſtes Buch. Götterlieder. 





Harbard, 
So denke ich über ſolche Sache. 
Thor, 


. Deine jchnelle Zunge wird fchlimmen Lohn dir bringen, 


wenn ich durchwate die Waflerflut; 
häßlicher al3 ein Wolf wirft du heulen, mein’ ich, 
wenn du die Diebe des Hammers fühlſt. 
Harbard, 
In der Kammer hat Sif einen Buhlen!, mit dem wirft 
du kämpfen wollen; 
diejes Werk zu verrichten, wäre dir dringendite Pflicht. 
Thor. 
Mich aufs jchwerfte zu kränken, ſchwatzeſt du, was 
in den Mund dir fommt, 
mutlojer Mann! ich meine, daß du nur Lügen jprichit. 
Harbard, 
Die Wahrheit mein’ ich zu jagen, doch du weilſt zu 
lange auf deiner Fahrt; 
jchneller wärejt du vorwärts gefommen, wenn du ins 
Schiff gegangen wärft.? 
Thor. 


. Harbard, weibiſcher Wicht! du hielteſt mich ſchon zu 


lange auf. 
Harbard, 


. Geahnt hätt’ ich nimmer, daß dem Miathor 


ein Yerge wehren könnte die Fahrt. 


Thor, 
53. Einen Rat will ich dir geben: rudere du hierher das 
Boot! 
Enden wir das Gezänt!  Seb’ über den Bater Magnig! 
Harbard, 
Entferne du dich vom Sund, die Fahrt muß ich dir 
verweigern. 





Sifs Buhle iſt wahrſcheinlich Loki, der ihr das goldene Haar doch nur im 


Schlafe abſchneiden konnte. Vgl. zu Lokas. 54. 


raſch 


2 Der Hohn erreicht hier den Gipfel, da ja Harbard das Schiff, das den Thor 


vorwärts bringen könnte, ihm vorenthält, 


56. 


57. 


58. 


59. 


60. 


6. Das Lieb von Harbard (Härbarpsljop). 51 





Thor, 


. Weije mir denn den Weg, da du nicht übers Waſſer 


mich führen willſt. 
Harbard. 
Die Weigerung ift kurz, dein Weg um jo länger: 
eine Stunde ijt’3 bis zum Stod, eine andere bis zum 
Steine; 
dann jchlage den Weg zur Linken ein, bis du nad) 
Werland? gelangit. 
Dort wird Thor, ihren Sohn, treffen Fjorgyn? 
und der Ahnheren Wege* zu Odins Lande ihm weijen. 
Thor. 
Gelingt’3 mir noch heute dorthin zu kommen? 
Harbard. 
Es gelingt mit Arbeit und Mühe, gegen Aufgang der 
Sonne vielleicht. 
Thor. 


Kurz war heute unſer Geſpräch, da du nur höhniſche 
Antwort kennſt; 

daß du mir abſchlugſt die Überfahrt, lohne ich dir ein 
andermal. 


Harbard. 
Fahre du hin mit Haut und Haar in der Unholde 
Macht! 


+ 





ı D 5. du mußt noch einen langen, mühſeligen Weg („über Stod und Stein“) 


zurüdlegen. 


2 Werland, „das Land der Männer“, die Menſchenwelt (während Thor 


fih noch im Gebiet der Riejen befindet). Dorthin führt der eg zur Linken, d. 5. 
weſtlich, da das Riefenland im Oſten liegend gedacht iſt. — 


3 Fjorgyn, Fem., ift die Gattin des männlichen — h Odins (f. zu 


Lokas. 261), alſo die Erdgättin Sord. Diefe ift vom Winterfhlaf erwacht, wenn 
Thor aus dem Reiche der Rieſen heimkehrt. 


4 Der Ahnherrn Wege, die von der Erde zum Himmel gefpannte Brüde 


Bifroft (der Regenbogen), die nur von den Göttern betreten werden kann. 


4* 


59 Erſtes Buch. Götterlieder. 





7. Das Lied von Skirnir. 
(Skirnismöl.) 


Freyr!, Njords? Sohn, hatte fich eines Tages auf Hlidjkjalf? ge: 
jegt und jah über alle Welt; er jah nach der Riefenwelt und erblickte 
dort eine ſchöne Jungfrau, als fie gerade vom Wohnhaufe ihres Vaters 
zum Frauengemade ging. Infolgedeſſen überfiel ihn eine große 
Schwermut. Sfirnir hieß Freys Diener; den bat Njord, Freyr zum 
Reben zu veranlaffen. Da ſprach Sfadi*: 


1. Steh’ auf, Skirnir! Antwort holen 
jolljt du von unjerem Sohn 
und das erfunden, gegen wen der Kluge Yüngling 
begt jo grimmigen Groll. 
Sfirnir. 
2. Feindlihe Worte befürcht’ ich von eurem Sohne, 
richt” ich die Rede an ihn, 
um das zu erfunden, gegen iven der Huge Jüngling 
hegt jo grimmigen Groll. 


3. Sag’ mir das, Treyr, Fürſt der Götter, 
was ich willen will: 
warum weiljt du einfam in den weiten Sälen 
tagelang, teurer Herr? 


Freyr, 
4. Wie kann ich, o Knabe, den Kummer dir jagen, 
der lajtend mein Leben bedrüct? 


ı $reyr (d.h. „Herr”), der Sohn des Njord, aljo dem Wanengeichlecdht ent— 
ſproſſen, ift urfprünglich der Gott des fruchtbaren Regens, dann der Frudtbar- 
feit überhaupt. Er fährt auf dem Schiffe Skidbladnir (der Wolfe), das er jedoch 
nach beendeter Fahrt zufammenlegen und in die Tafche fteden kann: ihm ift aljo 
die Macht gegeben, den Himmel zu bewölken und aufzuklären. Somit ift aud) 
der Sonnenſchein, der zum Gebeihen der Vegetation notwendig ift, feiner Herr— 
ſchaft unterftellt: ihn bezeichnet das leuchtende Schwert, das zu den Attributen 
des Gottes gehört. Das überläßt er jedoch jeinem Diener Skirnir (d. 5. „Reis 
niger”, „Putzer“), der ihm die jchöne Riefentochter Gerd (die noch im Banne bes 
Winters gefefjelte Pflanzenwelt) werben joll — und daher wird Freyr waffenlos 
jein, wenn bie Feinde der Götter fih zufammenfharen, um die Welt zu ver- 
nichten, und er erliegt dem Feuerdämon Gurt. Bgl. über Freyr Lokas., pro— 
jaifhe Einleitung und Str. 35—37, 42—44; Grimn., Str. 5,43; Hyndl., Str. 31; 
Sigurbarkv. skamma, Str. 24; Gylfag., €. 24, 34, 37, 43, 49, 51; Skäldsk., € 3. 

2 Nijord, ſ. zu Prymskv. 22, 

s Hlidjtjalf, Odins himmlifcher Sit, von dem er alle Welten überbliden 
fann; vgl. Grimn., projaifde Einleitung 3 19; Gylfag., €. 9, 17, 37, 50. 

4 Sfadi, ſ. zu Lokas. 49. 





a. - 
N 


10, 


7. Das Lied von Skirnir (Skirnismgl). 53 





Der Elbenftrahl! Teuchtet alle Tage 
und fieht nicht mein Sehnen geftillt. 
Sfirnir, 


. Deine Sehnjucht, den? ich, wird jo jehr dich nicht 


drücken, 
daß du ſie mir nicht melden kannſt: 
in der Kindheit ſchon verknüpfte uns Freundſchaft, 
drum könnte wohl einer dem andern traun. 


Freyr. 


.In Gymirs? Gehöft gehen ſah ich 


mir liebe Maid; 
vom Glanz ihrer Arme erglühte der Himmel 
und all das ewige Meer. 


.Inniger hat niemals ſeit der Urzeit Tagen 


ein Mann ein Mädchen geliebt, 
doch von Aſen und Elben fein einziger will es, 
daß wir beide beifammen fein. 


Sfirnir. 


. Laß mich zäumen dein Roß, das die zaubrifche Lohe, 


die düjterrote, durchdringt, 
und leih’ mir dein Schwert, das fich ſchwingt von jelber 
wider der Thurſen Troß. 


Freyr. 


. Zäum’ dir mein Roß, das die zaubriſche Lohe, 


die düſterrote, durchdringt, | 
und das Schwert nimm Hin, das fich jchwingt von 
felber, 
wenn ein furchtlofer Held es Führt. 
Sfirnir ſprach zu dem Pferde: 
Dunkel iſt's draußen, mich dünft, es ſei Zeit, - 
zu befahren das feuchte Geſtein, 
zu reiten ins Riejenland; 





ı Der Elbenftrapl, d.h. die Sonne, jo genannt, weil ihr Strahl für Zwerge 


und Elben tödlich ift; vgl. Alvissmöl 364. 


2 Gymir (d. 5. „der Winterliche” 2), nach Gylfag., €. 37 Gemahl der Örboba 


(d. 5. „ber Hingeftredten”?). Aus der Erde, die eben noch in den Armen des 
Winters lag, entjproßt im Frühjahr das friſche Grün, die Gerd (d.h. „die Ein- 
gehegte”, das eingehegte Saatfeld9). 


54 Erftes Buch Götterlieder. 





wir fehren beide zurüd, oder uns beide wird fangen 
der von Stärke ſtrotzende Thurs. 


Skirnir ritt ins Riefenland zu dem Gehöfte Gymirs; es waren 
da böje Hunde, die man vor der Thür des Zaunes, der Gerds Saal 
umbegte, angebunden hatte. Auf einem Hügel jah er einen Hirten 
fißen; er ritt hinzu und begrüßte ihn: 


11. Sage das, Hirt, der du fit auf dem Hügel 
und alle Wege bewacht: 
wie fomm’ ich, um Botſchaft zu bringen der Jungfraı, 
an des Rieſen Rüden! vorbei? 
| Der Hirt. 
12, Erjtrebjt du den Tod oder ftarbjt du jchon? 


zu Äprechen mit Gymirs guter Tochter, 
bleibt dir immer und ewig verjagt. 
Skirnir. 
13. Entſchloſſen ſei, nicht ſchwankenden Sinnes, 
wer zur Reiſe bereit ſich gezeigt; 
bis auf einen Tag ward mein Alter bemeſſen 
und des Lebens Länge beſtimmt. 
Gerd?. 
14. Welch ein Lärm iſt das, den ich laut ertönen 
höre in unſerem Haus? 
Der Boden zittert, und es bebt dadurch 
Gymirs ganzes Gehöft. 
Die Magd. 
15. Ein Mann ſtieg vom Rücken des Roſſes draußen, 
den Hengſt läßt er weiden im Hag. 
Gerd. 
16. Bitt' ihn einzutreten in unſeren Saal 
und zu trinken den trefflichen Met, 
obwohl ich fürchte, daß der Vorplatz draußen 
meines Bruders? Mörder birgt. 





ı Mit den Rüden find vielleicht die heulenden Agquinoktialftürme gemeint. 

2 Gerd, zu 61. 

3 Gerds Bruder ift wahrjcheinlich der Rieje Beli, der nad) Vol. 533 und 
Gylfag. €. 37 von Freyr erſchlagen ward. Der Name („Brüller”) deutet auf ein 
Sturmweſen. 


17. 


18. 


19. 


20. 


21. 


22. 


7. Das Lieb von Skirnir (Skirnismöl). 55 





Bilt ein Elbe du oder ein Aſenſohn 
oder vom weiſen Wanengejchlecht? 
Wie rittft du allein durch das rajende Teuer, 
unjere Säle zu jehn? 
Sfirnir, 
Kein Elbe bin ih noch ein Aſenſohn 
noch dom weiſen Wanengejchlecht; 
dennoch ritt ich allein Durch das raſende Feuer, 
eure Säle zu jehn. 


Elf Apfel! Hab’ ich aus eitel Gold, - 
die will ich dir geben, Gerd, 
das Bekenntnis zu kaufen, daß dir feiner von allen 
Lebenden Tieber als Freyr. 
‚Gerd, 
Ich nehme die elf Apfel niemals, 
‚einem Werber willig zu fein; 
folange wir atmen, werden ich und Freyr 
nimmer zur Ehe vereint. 
Sfirnir, 
So geb’ ich den Ring? dir, gerötet vom euer, 
in dem Odin? Sohn zu Aſche ward; 
von ihm tropfen acht ebenjo jchiwere 
jede neunte Nacht. 
Gerd, 
Den Ring nehm’ ich nicht, ſei auch rot er vom Teuer, 
in dem Odins Sohn zu Aſche ward; 
nicht fehlt mir’ an Gold in Gymirs Gehöft, 
nach Gefallen vergeud’ ich fein Gut. 





ı Apfel, das Symbol der Fruchtbarkeit, wie Freyr felber der Gott der 


Fruchtbarkeit ift. ; 


2 Auch dieſer Ring, der aus fich jeldft ftet3 neue Ringe erzeugt, iſt ein 


Symbol der Fruchtbarkeit. Es ift der Ring Draupnir (d-H. ;Tropfer”), den 
nad) Skäldsk. €. 3 die Zwerge (d.h. die geheimnisvollen Naturkräfte) dem Odin 
gejchmiedet hatten. Als Baldrs Leiche verbrannt werden jollte, Iegte Odin auch 
diejen Ring auf den Scheiterhaufen (Gylfag. €. 49), aber Baldr. jandte ihn aus 
dem Reiche der Hel an den Befiger zurüd — ald Wahrzeichen feiner einftigen Auf- 
erftehung. Daß der Ring hier als Eigentum des Freyr erſcheint, deutet darauf 
bin, daß diefer nur eine Funktion des allmädhtigen Himmelsgottes darftellt und 
im Grunde mit ihm identijch ift. 


96 


23. 


24. 


25. 


26, 


27. 


28. 


Erſtes Bud. Götterlieder. 





Skirnir. 
Siehſt das Schwert du, o Mädchen, das ſchmale, das 
bunte, 
das hier ich hab' in der Hand? 
Ich haue das Haupt dir vom Halſe herunter, 
wenn du, Jungfrau, das Jawort nicht ſagſt. 
Gerd. 
Nie werd' ich verzagt, dem Zwange gehorchend, 
einem Werber zu Willen ſein; 
doch findet dich Gymir, ſo fürcht' ich, daß bald 
es euch Kühne gelüſte nach Kampf. 
Skirnir. 
Siehſt das Schwert du, o Mädchen, das ſchmale, das 


bunte, 
das hier ich hab' in der Hand? 
dies Eiſen wird fällen den alten Rieſen, 
bald findet dein Vater den Tod. 


Der Zauberrute Schlag! wird dich zähmen, Jungfrau, 
daß du meinem Befehle dich fügſt; 

in der Ferne wandre dein Fuß, wo nimmer 
die Söhne der Menjchen dich jehn. 


Auf dem Adlerhügel? ſollſt du immer fißen, 
fchauen und jchielen zur Hel; 

jeder Mundvoll Speife ſei mehr dir verhaßt 
als die chillernde Schlange dem Menſchenvolk. 


Zum Wundertier werde, wagſt du den Ausgang, 
höhniſch gaffe dich Hrimnir? an, 
höhniſch mefje dich jeglicher Menſch; 

weiter werde befannt als der Wächter der Götter*! 
Aus dem Gitter gloße hervor?! 





ı Da die Drohungen ebenjowenig wie die angebotenen Geſchenke den Sinn 


der Jungfrau zu wandeln vermögen, beginnt Skirnir nun feine Zauberjprüche, 
die jchließlich den gewünſchten Erfolg herbeiführen. In ſämtlichen Sprüchen ver— 
wünſcht Skirnir die Gerd in die Niefenwelt, an die Seite eines unerträglidhen 
Gatten, falls fie Freyrs Werbung nicht annehme. 


2 Auf dem Adlerhügel: gemeint ift wohl der Hügel des Rieſen Hräjwelg, 


der in Adlergeftalt am Rande des Himmels figt und mit feinen Fittihen den 
Sturm erregt (Vafpr. 37). Hier, am Ende der Welt, ift auch der Eingang zur Hel. 


3» Hrimnir (d.h. „Reiferzeuger”), ein Froftriefe; vgl. Hyndl. 33. 
* Der Wächter der Götter, d. h. Heimdall, ſ. zu Vol. 27. 
5 Gerd foll alio von den Rieſen eingefchlofjen gehalten werden. 


e 


7. Das Lied von Skirnir (Skirnismgl). 57 





29. Verzehr’ dich im Haß! Im Zwange verjchmachte! 
| In Thränen betraure dein Log! 
Sehe dich nieder, To jage ich dir 
lajtendes Leid, 
der Drangjal gedoppelten Drud. 


30. Kobolde jollen dich quälen den ganzen Tag 
in der Rieſen Reich; 
weinen jollit du, ſtatt Wonne zu fühlen, 
und mit Thränen tragen den Schmerz. 


31. Mit dreiföpfigem Thurſen! ſollſt du dauernd leben 
oder gar feinen Gatten empfahn. 
Sn Sehnen verfinf! 
Bor Kummer jei frank! 
Verdorre wie die Diftel, die unter Dach oben 
in der Scheuer gejchoben ward. 


32. Jh ging zum Walde, zum grünenden Holz, 
einen Zauberziweig zu finden — ich fand einen Zauber- 
zweig. 


33. Es zürnt dir Odin, es zürnt die der Aſen beſter, 
auch Freyr wird dein Feind; 
ſchlimmes Mädchen, du ſchufſt dir ſelber 
der Götter grimmigen Haß. 


34. Hört es, ihr Rieſen, hört es, ihr Thurſen, 
ihr Abkommen Suttungs?, ihr Aſen auch, 
wie mein Bann verwünſcht, mein Gebot verwehrt 
Berfehr mit Männern der Maid, 
Freude an Männern der Maid. 


35. Hrimgrimnir? heißt der Thurs, der dich Haben Toll 
in den Tiefen der Totenwelt; 
zu des Thurſen Halle alltäglich jolljt du 
friechen ohne Koft, 
friechen bar der Koit. 





ı Mit dreiföpfigem Thurſen, ſ. zu Hym. 35%. 

2 Suttung, ein Rieje, dem Odin den Dichtermet abgewann. ©. zu Hov. 
103 fg. und Bragar. €. 4. 

3 Hrimgrimnir, d. 5. „ber mit Reif umhüllende“, ein Froftrieje. 


58 Erſtes Bud. Götterlieder. 





36, Erbärmliche Knechte unter des Baumes Wurzeln 
verzapfen dir dort den Ziegenharn. 
Beſſern Trunt biete dir niemand, 
dir zum Dank nicht, Maid, 
mir zum Dante, Maid! 


37. ch ri’ einen Thurs! dir und der Runen dreie: 
Wolluſt, Wahnfinn und Wut; 
doch jchneid’ ich auch ab, was ich eingejchnitten, 
wenn es nötig und nüglich mir jcheint. 
Gerd, 
38. Halt ein, o Jüngling! mit altem Met 
fu’ ich den Kelch des Willfommens dir! 
Doch ahnt’ ich nicht, daß einjt meine Liebe 
gewönne ein Wanenjproß. 
Sfirnir, 
39. Deine Antwort, Gerd, muß ich ganz erfahren, 
eh’ ich reite von binnen nach Haus: 
Wann willjt du dem Sohne des Njord dich gejellen, 
dem Starken, beim Stelldichein? 
Gerd, 
40. Barri? Heißt, uns beiden befannt, 
ein heimlich traulicher Hain; 
nach neun Nächten wird dort Njords Sohne 
Gerd gönnen den Liebesgenuß. 


Da ritt Skirnir heim. Freyr ftand draußen und begrüßte ihn 
und fragte, was er zu berichten habe: 


41. Sag’ mir das, Sfirnir, eh’ du den Sattel vom Roſſe 
wirfſt 
und ſchreiteſt einen Schritt: 
was richteteſt aus du im Rieſenlande 
dir oder mir zum Dank? 





1 DThurs, die Rune p (th). Die Runen, die Skirnir einätzt, ſollen bewirken, 
daß Gerd im Rieſenreich in ungeſtillter Sehnſucht ſich verzehren ſolle Zugleich 
aber erklärt er, daß er die Zauberzeichen wegſchneiden (alſo den Zauber löſen) 
wolle, wenn ſie ſich gefügig erweiſe 

2 Barri, d. h. „ver Knoſpende“. 


8. Das Lied von Wafthrudnir (Vafprüpnismöl). 59 





Skirnir. 
42. Barri heißt, uns beiden bekannt, 
ein heimlich traulicher Hain; 
nach neun Nächten wird dort Njords Sohne 
Gerd gönnen den Liebesgenuß. 
Freyr. 
48 Lang iſt eine Nacht, lang ſind zweie, 
wie geduld' ich mich drei? 
Ein Monat oft ſchien mir minder lang 
als des Harrens halbe Nacht. 


hr 


8. Das Lid von Wafthrudnir. 
(Vafprüpnismöl.) 


Odin. 
1. Rate mir, Frigg!, zu reifen verlangt mich, 
MWafthrudnir? wünjch’ ich zu jehn; 
ausforjchen möcht’ ih, ob an alter Kenntnis 
mir gewachjen der weiſeſte Thurs. 


Frigg. 
2. In den Höfen der Götter behielt’ ich gerne 
den Heervater daheim, 
weil feinen jtärfern im Stamme der Riejen 
als MWafthrudnir ich weiß. 
Odin. 
3. Viel fuhr ich umher, viel verſucht' ich, 
oft ſchon hab' ich die Aſen geprüft; 
nun will ich wiſſen, wie Wafthrudnir 
in ſeiner Heimſtätte hauſt. 
Frigg. 
4. Reiſe geſund, geſund komm wieder! 
geſund wandre den Weg! 





ı Srigg, ſ. zu Vol. 34. 

2 Wafthrudnir, d. 5. „ber im Verwideln ftarfe” ; per Name fpielt wohl 
darauf an, daß ber Riefe, der im Befit geheimnisvoller Weisheit ift, verwidelte 
Fragen zu ftellen weiß. Er wird nur hier und in den Versus memoriales ber 
Snorra Edda genannt. 


60 


9. 


10. 


Erſtes Buch Götterlieder. 





nicht fehle div Weisheit, Water der Menjchen, 
wenn mit dem Rieſen du reden mußt. 


. Die Redekunſt des Flügjten Rieſen 


zu prüfen, 309g Odin aus; 
den Ort fand er, wo Ims! Vater er 
in Die Halle ging Ygg? alsbald. 
| Odin, 
Heil, Wafthrudnir, dir! die Halle betrat ich, 
um dich jelber zu jehn; 
gib Kunde zuerit, ob du Elug bift, Rieſe, 
ob alles Willen dir eigen ift. 
Wafthrudnir. 
Wer iſt der Mann, der in meinem Saal 
die Rede vichtet an mich? 
immer lebend verläßt du die Halle, 
erweiſeſt du dich als der Weijere nicht. 
Odin, 


. Gagnvad? Heiß’ ih; dom Gehn ermüdet 


fomm’ ich durjtig in deinen Saal, 
der Ladung bedürftig, denn lange fuhr ich, 
und der Aufnahme, alter Thurs! 
Wafthrudnir, 
Was jprichjt du denn unten vom Eſtrich, Gagnrad? 
jege dich nieder im Saal! 
dann laß ung ermitteln, wer mehr weiß von beiden, 
der greife Redner oder der Galt. 
Odin, 
Beichreitet ein Armer die Schwelle des Reichen, 
jo red’ er verjtändig oder jet ſtumm!“ 
Schaden jchaftt Geſchwätzigkeit jedem, 
der zu Kaltgefinntem kommt. 





ı Am; über diefen Sohn des Wafthrudnir ift nicht3 befannt. 
2 Ngg (d. 5. „ver Furchtbare“) — Ddin. 
3 Sagnrad, der Name bezeichnet den Ddin als denjenigen, der erjprießliche 


Ratſchläge zu geben weiß. 


4 Bal. Hov. 192. 
5 ®gl. Hov. 29. 


8. Das Lied von Wafthrudnir (Vafpräpnismöl). 61 





Wafthrudnir. 
16. Antworte, Gagnrad, da vom Ejtrich aus 
du deine Weisheit bewähren willit: 
iwie heißt der Hengſt, der den hellen Tag 
an jedem Morgen den Menſchen bringt? 
Odin, 
12. Sfinfari! heißt er, der den jchimmernden Tag 
an jedem Morgen den Mtenjchen bringt: 
den Helden jcheint er der Hengſte beiter, 
jtet3 flammt dem Pferde das Mähnenhaar. 
Wafthrudnir. 
13. Antworte, Gagnrad, da vom Ejtrich aus 
du deine Weisheit bewähren willit: 
wie heißt der Hengſt, der den herrlichen Göttern 
von Oſten die Nacht herniederbringt? 
Odin, 
14. Der Hengjt heißt Hrimfari?, der den herrlichen Göttern 
täglich die Nacht herniederbringt; 
allmorgendlich träufeln ihm Tropfen vom Beißjtahl, 
davon fommt in die Thäler der Tau. 
Wafthrudnir, 
15. Antworte, Gagnrad, da vom Eſtrich aus 
du deine Weisheit bewähren willit: 
wie heißt der Fluß, der die Yluren der Götter 
von denen der Thurjen trennt? 
Odin. 
16. Der Fluß heißt Ifing?, der die Fluren der Götter 
von denen der Thurjen trennt; 
in Ewigkeit ſoll ev offen ftrömen, 
nimmer friert jeine Flut. 
Wafthrudnir, 
17. Antworte, Gagnrad, da vom Ejtrich aus 
du deine Weisheit bewähren willft: 





ı Sfinfari, d. 5. „leuchtende Mähne habend“; vgl. Gylfag. €. 10. Ein 
andrer Name des NRofjes, mit dem der Tag einherfährt, ift Glad, d.h. „ier 
Heitere”, e 

2 Srimfari, d. 5. „bereifte Mähne habend“; vgl. Gylfag. €. 10. 

3 Jfing; diejer Fluß wird fonft nirgends erwähnt. Er friert niemals zu 
damit die Riefen nicht hinüber können. 


18. 


19. 


20. 


21. 


22. 


23. 


Erfte Bud. Götterlieder. 





wie heißt das Feld, mo fich finden zum Kampfe 
die jeligen Götter und Surt!? 
Odin, 
Das Feld heißt Wigrid?, wo ſich finden zum Kampfe 
die jeligen Götter und Surt; 
der Meilen Hundert mißt's im Gevierte, 
die Stätte iſt ihnen bejtimmt. 
Wafthrudnir, 
Du bift Hug, o Tremder, drum komme zur Bank, 
laß uns reden zufammen im ©ib; 
in der Halle, Gaſt, ſei das Haupt zum Pfande 
beim Streit um die Weisheit geitellt. 
Odin, 
Sage zum erjten, wenn deine Ginficht genügt 
und du's, Wafthrudnir, weißt: 
woher fam Erde und Oberhimmel 
zuvörderſt, erfahrner Thurs? 
Wafthrudnir. 
Aus Ymirz? Fleiſch ward die Erde geſchaffen 
und die Berge aus jeinem Gebein, 
der Himmel aus des reiffalten Rieſen Schädel, 
aus dem Blute das braujende Meer. 
Odin, 
Sage zum andern, wenn deine Einſicht genügt, 
und du's, Wafthrudnir, weißt: 
woher fam der Mond, der über den Menjchen dahinzieht, 
und jo die Sonne auch? 
Wafthrudnir. 
Mundilförit Heißt des Mondes Vater 
und jo der Sonne auch; 
die Wölbung des Himmel® umwandeln fie täglich, 
danach meſſen die Menjchen die Zeit. 





ı Surt, ſ. zu Vol. 521, 
2 Wigrid, „das Feld des Kampfes”; ſ. Gylfag. €. 51. 
3 Ymir, (d. 5. „Raufcher”), der Urrieie, den die Ajen töteten, um aus ſei— 


nem Körper das Weltall zu ſchaffen; vgl. Vol. 3, Grimn. 40, Hyndl. 34, Gylfag. 
C. 5-8. 14. 


4 Bol. Gylfag. €. 11. 


24. 


26. 


27. 


28. 


29. 


8. Das Lied von Wafthrubnir (Vafpräpnismöl). 63 





Odin, 
Künde zum dritten, da du flug genannt wirft, 
wenn du's, Wafthrudnir, weißt: 
woher fam der lichte Tag, der über den Leuten da= 
hinzieht, 
und die Nacht mit dem ſtets ſich erneuernden 
Mond? 
Wafthrudnir. 
Der freundliche Delling! war Vater des Tages, 
und die Nacht ift gezeugt von Nor?; 
den Mechjel des Mondes ſchufen weile Götter 
den Menichen als Maß für die Zeit. 
Odin, 
Künde zum vierten, da du Flug genannt wirft, 
wenn du's, Wafthrudnir, weißt: 
woher fam der Winter und der warme Sommer 
zuerjt zu den Waltern der Welt? 
Wafthrudnir, 
Windjwal? heißt des Winters Vater, 
den Sommer hat Swajud* gezeugt; 


Odin, 

Künde zum fünften, da du Flug genannt wirft, 
wenn du's, Wafthrudnir, weißt: 

wer al3 ält’ster der NRiefen, von Ymirs Verwandten, 
in ferner Vorzeit erichaffen ward? 

Wafthrudnir. 

Ungezählte Winter vor der Erde Schöpfung 

geſchah Bergelmirsẽ Geburt; 





Delling, ein Aſe, der mit der Nacht den Tag erzeugte; vgl. Gylfag. €. 10. 
2 Der Vater der Naht wird in Gylfag. C. 10 Norwi oder Narfi "genannt 


und als Rieſe bezeichnet. Der Name bedeutet wahrſcheinlich „Bedränger“.. 


s Windſwal (d. 5. „ver Windfalte”), ein Rieſe, nad Gylfag. C. 19 Sohn 


des Waſad (d. 5. „des Kummerbringers“ 2). Ein zweiter Name- des Windjwal ift 
BWindljoni („Windmenſch“). 


Swaſud (d. 5. „ver Milde”), ſ. Gylfag. a. a. D. 
5 Bergelmir (d. 5. „der wie ein Bär brüllende“9), der einzige von den 


ältern Riejen, der ſich jamt feiner Frau rettete, während die übrigen in Ymirs 
Blut ertranten. Er ift daher ber Stammvater des jüngern Rieſengeſchlechtes. 
Vgl. Str. 35 und Gylfag. €. 7. 


Erfte3 Buch. Götterlieder. 





Thrudgelmir! hieß des Thurfen Vater 
und Örgelmir? fein Ahn. 
Odin, 
. Künde zum jechjten, da du Flug genannt wirft, 
wenn du's, Wafthrudnir, weißt: 
woher Orgelmir fam, der Ahnherr der Niefen, 
zuvörderſt, erfahrner Thurs? 
Wafthrudnir. 
. Aus den Eliwagar? troff ätzendes Gift, 
dag türmte fich, bis ein Thurs draus ward; 
das ijt der Urſprung unſers Gejchlechtes, 
drum ijt rauh der Riejen Sinn. 
Odin, 
. Künde zum fiebenten, da du Flug genannt wirft, 
wenn du's, Wafthrudnir, weißt: 
iwie der fühne Thurs Kinder erlangte, 
da er nie eine Rieſin berührt? 
Wafthrudnir, 
. Unterm Arme, jagt man, des Eißriejen 
wuchs Degenkind und Dirn’‘; 
Fuß mit Fuß erzeugte dem erfahrnen Riejen 
einen jechsföpfigen Sohn.? 
Odin, 
. Künde zum achten, da du Hug genannt wirft, 
wenn du's, Wafthrudnir, weißt: 
was das ältejte ift in deiner Erinn’rung 
und das frühlte, erfahrner Thurs? 
Wafthrudnir. 
. Ungezählte Winter vor der Erde Schöpfung 
geſchah Bergelmirs Geburt‘; 
als Frühjtes weiß ich, daß der erfahrne Rieſe 
im Boote geborgen ward. 





1 Thrudgelmir, d. 5. „ber kraftvolle Brüller”. 

2 Drgelmir, „der mächtige Brüller”, Beiname des Ymir (Gylfag. C. 5). 
3 Elimagar (. h. „itürmifhe Wogen”), vgl. zu Hym. 5 und Gylfag. C. 5. 
4 Bgl. hierzu Gylfag. €. 5. 

5 ®gl. zu Hym. 35%. 

66, zu Str. 29. 


36 


37. 


38. 


39. 


40. 


41. 


8. Das Lied von Wafthrudnir (Vafprübnismöl). 65 





Odin. 
Künde zum neunten, da du ug genannt wirft, 
wenn du's, Wafthrudnir, weißt: 
woher kommt dev Wind, der die Wogen bejtreicht, 
niemals fieht man ihn jelbit? 
Wafthrudnir. 
Der Rieſe Hräſwelg“ ſitzt am Rande des Himmels 
in des edlen Aars Geſtalt; 
regt er die Schwingen, ſo rauſcht, wie man ſagt, 
der Wind dahin durch die Welt. 
Odin. 
Gib Antwort zum zehnten, da du alle Geſchicke 
der Götter, Wafthrudnir, weißt: 
wie fam denn Njord? zu den Kindern der Ajen, 
[der ob taujend Altären und Tempelir waltet] 
und doch von Urſprung fein Aſe ift? 
Wafthrudnir. 
»In Wanaheim ward er von weiſen Mächten geſchaffen 
und als Geiſel den Göttern geſandt; 
doch dereinſt wird er kehren am Ende der Welt 
zu den weiſen Wanen zurüd. 
Odin. 
Gib Antwort zum elften, da du alle Gejchice, 
der Götter, Wafthrudnir, weißt: 
wo der Sterblichen Söhne (die im Streite fielen),* 
täglich fich treffen zum Kampf? 
Wafthrudnir, 
Die Einherier? alle in Odins Gehege 
treffen ſich täglich zum Kampf: 
fie fällen einander, dann fahren fie heimwärts 
und ſitzen Juſammen verſöhnt. 
Odin. 


. Gib Anttvort zum zwölften, woher du alle Seid: 


der Götter, Wafthrudnir, weiht? 





ı Sräjwelg ®.b. „geigenverfölinger"); ſ. Gylfag. €. =. 

2 Njord, f. zu Prymskv. 2, 

3 Bal. Gylfag. C. 23. 

4 Fehlt im Urtert; hier nach der Ergänzung von Hildebrand. 

5 Die Einherier (d. h. „auserlejene Krieger“, „Helden“), Name der im, 


Kampfe Gefallenen, die in Walholl bei Odin Aufnahme finden. 


Die Edda. 5 


66 Erſtes Buch. Götterlieder. 





die Runen fennft du . der Riefen und Götter, 
und Wahres nur meldet dein Mund, 
in Weisheit bewährter Thurs! 
Wafthrudnir, 
43. Ich fenne die Runen der Rieſen und Götter, 
und MWahres meldet mein Mund, 
denn die Welten alle Hab? ich durchwandert, 
die neun Welten! bis zu Niflheims Tiefe, 
die die Scharen der Toten verjchlingt. 
Odin, 
44. Biel fuhr ich umher, viel verſucht' ich, 
oft jchon Hab’ ich die Ajen geprüft: 
was lebt von den Menjchen, wenn der lange Winter?, 
der gefürchtete, naht dem Volk? 
Wafthrudnir. 
45. Lifthrafir? wird fih mit Lif verbergen 
in Hoddmimirst Gehölz! 
Morgentau wird ihre Mahlzeit fein, 
davon leben die Leute dann. 
Odin. 
46. Biel fuhr ich umber, viel verſucht' ich, 
oft ſchon hab’ ich die Ajen geprüft: 
fommt ein andre Gejtirn an den ebenen Himmel, 
wenn Yenrir? die Sonne fraß? 





1 Die neun Welten (vgl. Vol. 2) find: 1) die Welt der Ajen (Asgard), 2) die 
Belt der Wanen (Wanaheim), 3) die Welt der (Licht-) Elben (Alfheim), 4) die 
Menſchenwelt (Midgard), 5) die Riefenwelt (Jotunheim), 6) die Feuerwelt (Mus- 
pelläheim), 7) die Welt der Dunfelelben (Swartalfaheim), 8) die Totenwelt 
(Niflheim oder Niflgel). Die neunte Welt Hat man bisher dadurch fich zu Schaffen 
gewußt, daß man Niflheim und Niflhel voneinander trennte und als zwei ver— 
ihiedene Welten auffaßte, wozu fein zwingender Grund vorliegt; bedenft man, 
daß unter den genannten acht die Welt der Wafjer (Agisheim?) nicht vertreten 
ift, jo wird man diefe als die neunte aufftellen dürfen. 

2 Der lange Winter (Fimbulwetr), der dem Weltuntergang voraus- 
geht. Nah Gylfag. C. 51 befteht jener lange Winter aus drei aufeinander fol= 
genden Wintern, die durch feinen Sommer gejhieden find. 

3 Lifthrafir („ver Leben Berlangende”?) und Lif („Leben“), in den 
ebdijchen Liedern nur bier erwähnt, das einzige Menjchenpaar, das den Welt- 
untergang überlebt, jomit die Stammeltern des neuen Menjchengejchlechtd. Vgl. 
Gylfag. €. 53. 

* Hoddbmimirs (des „Bergemimird“) Gehölz, die Zweige der Weltejche 
Nagdrafil, die in Fjolsvinnsmöl (Nr. 14 B), Str. 14 und 18 Mimameid, db. h. 
Mimirs Baum, genannt wird, weil Mimir ihr Pfleger ift und fie mit dem Waſſer 
feiner Duelle begieft. 

5 genrir, j. zu Vol. 40. 


47. 


48. 


49. 


50. 


51. 


52. 


N 


8. Das Lied von Wafthrudnir (Vafprüpnismgl). 67 





Wafthrudnir. 
Eine Tochter gebiert Alfrodul!, 
ehe ſie Fenrir frißt; 
fahren wird nach dem Yall der Götter 
auf der Mutter Wegen die Maid. 
Odin, 
Biel fuhr ich umher, viel verjucht’ ich, 
oft ſchon Hab’ ich die Aſen geprüft; 
wer find die Mädchen, die über das Meer ziehen, 
waltend mit weiſem Sinn? 
Wafthrudnir, 
In dreien Scharen dringen fchiwebend 
die Mädchen in Mogthrafirg? Dorf; 
fie bejchirmen die Menjchen als ſchützende Geijter, 
obwohl fie Töchter von Thurſen jind.? 
Odin, 
Biel fuhr ich umher, viel verjucht’ ich, 
oft jchon Hab’ ich die Aſen geprüft: 
welche Ajen walten des Erbes der Götter, 
wenn die Lohe Surts! erliicht? 
Wafthrudnir. 
Widar und Walid? ſchalten im Wohnſitz der Götter, 
wenn die Lohe Surts erliſcht; 
Modi und Magni® werden den Mjolnir haben, 
wenn Wingnir? die Waffe entjank. 
Odin, 
Biel fuhr ich umher, viel verjucht’ ich, 
oft ſchon Hab’ ich die Ajen geprüft: 
was bringt Odin den Untergang, 
wenn die Götter vergehn? 





ı Alfrodul (d. 5. „Elbenftrahl”), die Sonne. ©. zu Skirm. 4. 


2 Mogthrajir bedeutet „Söhne verlangend“. Die Mädchen find Nörnen, 


die den Ehen der Menſchen Fruchtbarkeit verleihen und —— Frauen Hilfe 
leiſten. 


3 Die Nornen find vom Rieſengeſchlecht, ſ. Vol. 8. 
4 Surt, ſ. zu Vol. 521. 
5 BWidar, ſ. zu Vol. 541. Wali, f. zu Baldrs draumar 11. 
s Modi und Magni, f. zu Hym. 34! und Härb. 93, 
" Wingnir = Thor; j. zu Prymskr. 1. 
5* 


68 Erfted Bud. Götterlieder. 





Wafthrudnir, 
53. Fenrir verichlingt den Vater der Mtenfchen, 
doh Rache übt Widar am Wolf; 
zerreißen wird er den Rachen des Teindes, 
daß das Untier verenden muß. 
Odin. 
54. Biel fuhr ich umher, viel verſucht' ich, 
oft ſchon hab’ ich die Aſen geprüft: 
was jagte Odin ins Ohr dem Sohne?, 
ehe man ihn auf den Holzjtoß hob? 
Wafthrudnir. 
55. Nicht einer weiß es, was in der Urzeit Tagen 
du dem Sohne ſagteſt ins Ohr. 
Von den alten Geſchichten und dem Ende der Götter 
ſprach der Thurs mit todgeweihtem Mund. 
Mit Odin wagt' ich's mich an Einſicht zu meſſen; 
das weiſeſte Weſen bleibſt du! 


u 
mn 


9, Das Lied von Grimnir. 
(Grimnismöl.) 

König Hraudung? hatte zwei Söhne: der eine hieß Agnar, der 
andre Geirrod. Agnar war zehn Winter, Geirrod acht Winter alt. 
Einftmals geſchah es, daß fie mit ihrem Angelgerät in einem Boote 
hinausfuhren, um zu fiſchen; da trieb fie der Wind fort in das weite 
Meer. Im Dunkel der Nacht fcheiterten fie an einer Küfte, erreichten 
aber das Land und fanden einen Kleinbauern; bei dem blieben fie den 
Winter über. Die Hausfrau nahm fi Agnars an, der Bauer jelbjt 
forgte für Geirrod und belehrte ihn aus dem Schate feiner Weisheit. 
ALS das Frühjahr heranfam, gab ihnen der Mann ein Schiff; und als 
die beiden Gatten die Knaben zum Strande geleiteten, redete der Alte 





1:Bgl. Gylfag. €. 51. 

2 Der Sohn Odins ift Baldr. Diejelbe Frage richtet in der Hervarar- 
saga, ©. 263 (Bugge) Ddin, der in der Geftalt des blinden Geft fih birgt, an 
König Heidref, der infolgedejjen ebenfalls jeinen Gegner erfennt. 

3 Bon König Hraudung und feinem Gejchleht wiſſen andre nordijche 
Quellen nichts zu melden, doch lebt der Stoff, ven die Nahmenerzählung unjers 
Liedes behandelt, in norwegifchen und lappiihen Volksmärchen fort. 


9. Das Lied von Grimnir (Grimnismöl). 69 





heimlich mit Geirrod. Sie befamen günjtigen Fahrwind und gelang: 
ten glüdlich zu dem Anlegeplat des väterlichen Landes. Geirrod 
ftand vorn im Schiffe; er jprang an das Ufer hinauf, ftieß aber jo- 
gleich das Schiff in die Flut zurüd und rief: „Fahre du nun hin in 
der Unholde Gewalt!“ Das Schiff ward in die See hinausgetrieben; 
Geirrod aber ging hinauf zum Gehöfte und ward wohl aufgenommen. 
Da fein Bater vor furzem geftorben war, machte man nun Geirrod 
zum Könige, und er ward ein hochberühmter Mann. 

Ddin und Frigg ſaßen einmal auf Hlidjfjalf und fchauten über 
alle Welt. Odin ſprach: „Siehjt du, wie dein Pflegling Agnar in der 
Höhle mit einem Kiefenweibe Kinder zeugt? Aber Geirrod, mein 
Pflegeſohn, jigt nun als König in feinem Land.” Frigg antwortete: 
„Er ift jo farg mit der Koft, daß er feine Gäfte Hungern läßt, wenn er 
meint, daß deren zu viele gefommen ſeien.“ Odin fagte, das jei die 
größte Lüge; da wetteten beide, wer recht behielte. Frigg ſandte ihr 
Kammermädchen Fulla zu Geirrod und ließ dem Könige jagen, er 
möchte fich vor den Herenfünften eines Zauberers in acht nehmen, der 
in fein Land gefommen ſei; er wäre, fügte fie Hinzu, leicht daran zu 
erfennen, daß fein Hund, jo biſſig er auch fei, ihn anzufallen wage. 
Das war nun eine böje Verleumdung, daß König Geirrod nicht gerne 
feinen Gäſten Speije gebe; aber dennoch ließ er den Mann fejtnehmen, 
vor dem die Hunde zurüdwichen. Der Fremde hatte einen Mantel an 
und nannte fich Grimnir; weiter aber jagte er nicht von ſich, obwohl 
man ihn danad) fragte. Der König ließ ihn foltern, um ihn zum Re: 
den zu bringen, und zwifchen zwei Feuer fegen!, und dort jaß er acht 
Nächte. König Geirrod hatte damals einen zehnjährigen Sohn, der 
hieß Agnar nad) des Königs Bruder. Agnar ging zu Grimnir, reichte 
ihm zum Trunfe ein volles Horn und fagte, e3 ſei nicht wohl gethan 
von dem Könige, daß er einen Unſchuldigen quälen ließe. Grimnir 
trank aus dem dargebotenen Horne; da war ihm das Feuer jo nahe 
gefommen, daß der Mantel zu brennen anfing. Er ſprach: 


1. Heiß bift du, Zohel zu hungrig leckſt du! 
entferne dich, Flamme, von mir! 
der Wollitoff jengt, obwohl ich im — ihn kühle, 
und Feuer fängt der Pelz. 


2. Volle acht Tage ſaß ich zwiſchen den Feuern hier, 
und keiner bot mir Koſt 





ı Bwifhen zwei Feuer: auf ähnliche Weiſe wurde nad) Hälfssaga C. 8 
König Hjorleif gemartert. 


70 Erſtes Bud. Götterlieber. 





außer Agnar allein, und allein wird herrſchen 
Geirrods Sohn im Gotenland.! 


3. Heil dir, Agnar, denn Heil gewährt dir 
der mächtige Männerfürft; 
für einen Trunk wird fein andrer je 
dir bieten befjeren Lohn. 


4. Das Land iſt Heilig, das ich Liegen jehe 
den Ajen und Elben nah’; 
dort in Thrudheim? wird Thor weilen, 
big die Götter vergehn. 


5. Mdalir? Heißt ein Ort, dort hat UN fich vormals 
die hohe Halle gebaut; 
Alfheim* gaben die Ajen dem Freyr 
in ferner Vorzeit als Zahngeſchenk. 


6. [Einen dritten Bau fenn’ ich, dort deckten milde 
Götter mit Silber den Saal; 
MWalajtjalf? heißt er, den Wohnſitz hat 
in der Urzeit gegründet der Gott. 


7. Söftwabeff® heißt der vierte, den Saal umraufcht 
fühler Quellen Flut; 





ı Den Namen Goten führen in den eddiſchen Liedern ſonſt nur Angehörige 
füdgermanifcher Völker, und zwar nicht bloß Jormunrek (Ermanarich) und jeine 
Mannen, die thatfählid Goten waren (Guprünarhvgt 2, Hampismöl 3. 11. 23. 
29), jondern auch die burgundifchen Fürften (Grip. 35, Brot af Sigurparkv. 11, 
Gupr. II, 16, Atlakv. 21). Darf man daraus fchliefen, daß auch die Sage von 
König Hraudung nicht ſkandinaviſchen Urfprunges iſt? 

2 Thrudheim, „die Welt der Stärke”. Sonft wird Thors Wohnfig auch 
Thrudwang, „Feld der Stärke”, genannt (Gylfag. €. 21; Skäldsk. €. 1). Dort 
erhebt fi der Palaft Bilſkirnir, ſ. Str. 24. 

3 Ydalir bedeutet „Eibenthal”. Bon Eibenholz pflegten die Bogen gefer- 
tigt zu werden, und ſomit ift ein Drt, wo Eiben wachſen, ein pafjender Wohnfig 
für den trefflihen Bogenſchützen ULI (f. zu Lokas., Proja nad) Str. 52). 

4 Alfheim, die Elbenwelt. Da den Elben vorzugsweife die Förderung 
be3 vegetabilifhen Lebens zugejchrieben wird (die Stellen, wo fie auf dem Rajen 
getanzt haben, verrät fich durch üppigern Graswuchs u. ſ. w.), jo ift der Gott 
der Fruchtbarkeit, $reyr (ſ. zu Skirnismöl, prof. Einl.), naturgemäß ihr Oberherr. 

5 Walaftjalf ift nach Gylfag. €. 17 die Wohnftätte Odins, in der fich der 
Hochſitz Hlidfkjalf erhebt. Doch ift Walaſkjalf vermutlich nur ein andrer Name 
für Walholl, und da dieje in Str. 8 genannt wird, ift Str. 6 wohl als interpoliert 
zu betrachten. 

° Sökkwabekk bedeutet „Sinkebach“, d. 5. ben Drt, wo ein Bad ſich 
hinabſtürzt. 


ln. 
F bar 


Ba ac ea eh 


9. Das Lied von Grimnir (Grimnismöl). 7 





Ddin und Saga! trinken dort alle Tage 
vergnügt aus goldnem Gefäß.) 


8. Gladsheim? kenn' ich, wo die goldglänzende 
weite Walholl? Tiegt; 
Hropt? wählt dort die Helden täglich, 
die im Streite der Stahl gefällt. 


9. Leicht fenntlich it allen, die zu Odin kommen, 
des Herrichers hoher Saal; 
Speere bilden das Sparrengerüft, 
Schilde deden als Schindeln die Halle, 
auf die Bänke find Brünnen gelegt. 2 


10. Leicht fenntlich it allen, die zu Odin kommen, 
des Herrichers hoher Saal: : 
ein Wolf? hängt weſtlich vom Thore, 
drüber jchwebt oben ein Aar?. 


11. Thrymheim' Heißt der jechite, wo Thiazis wohnte, 
der von Stärke ftroßende Thurs, 
doch jchaltet Stadi?, die jchimmernde Götterbraut, 
in des Vaters Feſte jetzt. 


12. Breidablik!o iſt die ſiebente, dort Hat Baldr ſich 
die hohe Halle erbaut: 
kein anderes Land in aller Welt 
iſt ſo von Freveln frei. 





1 Saga (nad Müllenhoff die im Waſſer widerſcheinende Sonne) iſt ver— 
mutlih nur eine Hypoftaje der Frigg. Unkenntnis hat aus ihr die Göttin der 
Geſchichte gemacht. — Aud Str. 7 ift vermutlich erft jpäter hinzugefügt, doch 
Snorri fannte fie ſchon (Gylfag. €. 35). 

2 Gladsheim, „die Welt der Freude”; vgl. Gylfag. €. 14. 

3 Walholl, f. zu Vol. 34. 

4 Hropt = Dbin. 

5 Wolf und Adler, gleihfam die Wappentiere des kriegeriſchen Gottes. 
Die am Firft fi treuzenden Giebelbretter nordifcher Säufer liefen an ihren 
unteren Enden oft in geichnigte Tiergeftalten aus. 

6 Str. 11—20 find vermutlich ein jpäterer Einjchub, 

? Thrymbheim („die Welt des Getöjes”); vgl Gylfag. S. 23, Bragar. C. 2. 

8 Thiazi, f. zu Lokas. 49 fg. 

9 Sfadı, f. ebenda. 

10 Breidablif („Breitglanz”); vgl. Gylfag. €. 17.22. Baldr, ſ. zu Vol. 32. 


73 Erſtes Bud. Götterlieder. 





13. Himinbjorg! ift der achte, Heimdall, jagt man, 
walte der Wohnſtätte dort; 
in behaglichem Haufe trinkt dort der Hüter der Götter 
vergnügt den guten Met. 


14. Folkwang? it der neunte, Freyja entjcheidet, 
wer die Sitze dort Fülle im Saal: 
von den toten Helden wählt fie täglich die Hälfte, 
die andre fällt Odin zu. 


15. Glitnir? ift der zehnte, auf Goldfäulen ruht er, 
und das Dach ijt mit Silber gededt; 
Horjetit weilt in der Feſte die meilten Tage, 
wo er gütlich die Fehden begleicht. 


16. Noatun? heißt der elfte, dort hat Njord ſich 
die Hohe Halle erbaut, 
two der mafellofe Männerfürjt 
in hochgezimmertem Haufe thront. 


17. Unterholg und üppiges Gras 
füllt Widi®, Widars Land; 
dort jpringt der Rede vom Rüden des Pferdes, 
den Vater zu rächen bereit. 


18. Andhrimmir? fidet in Eldhrimmir 
des feiſten Sährimnirs Fleiſch, 





ı Himinbjorg („Himmelsburg”); vgl. Gylfag. €. 17.27. Heimdall, ſ. zu 
Vol. 27. 

2Folkwang (db. 5. „VBolfsgefilde”); dort erhebt fih nad Gylfag. €. 24 die 
Halle Segrymnir (db. h. „ver an Sigen reiche”). Daß Freyja die Hälfte der 
gefallenen Helden zu fih nimmt, ift nur aus der Verwechjelung dieſer Göttin 
mit Frigg zu erklären. 

3 Glitnir (d. i. „ver Glänzende”); vgl. Gylfag. € 17., °2. 

4 Korjeti (in den eddiſchen Liedern nur. hier erwähnt) ift ein Sohn des 
Baldr und der Nanna. Sein Name bedeutet „Borfiger”, weil er ber recht— 
ſprechende Gott, der Gott der Gerechtigkeit ift. Von den nordiſchen Quellen 
nennt ihn nur nod) die Gylfaginning; wir wiſſen jedod, daß er auch auf Helgo— 
land verehrt wurde, und in Norwegen ift ein Forjetalund (d. h. „Hain des For- 
ſeti“) nachgewiefen. 

5 Noatun und Njord, f. zu Prymskv. 22. 

6 Widi (d. h. „Waldwieje”?), nur hier erwähnt, Widar, ſ. zu Vol. 54. 

" Andhrimnir („der im Gefiht Berußte”), der Koch in Walholl, wo er 
für die Einherier den Eber Sährimnir („den Schwarzberußten ?) in dem Keſſel 
Eldhrimnir („den im Feuer Berußten“) fiedet. Nah dem Mahle ift der Eber 
(wie Thor Böde) wieder lebendig, um am nächſten Abend aufs neue als Speije 
zu dienen. Vgl. Gylfag. €. 38. 


9%. Das Lied von Grimnir (Grimnismol). 73 





den würzigſten Sped; doch nur wenige willen, 
welches Eſſen die Einherier nährt. 


19. Frei und Geri! füttert der fampfgewohnte 
Heervater, reich an Ruhm; 
doch von Wein allein Lebt der waffengeſchmückte 
Ddin alle Zeit. 


20. Über Midgard? müffen Munin und Hugin 
fliegen Tag aus, Tag ein; 
ich fürchte, daß Hugin Heim nicht fehre, 
doch jorg’ ih um Munin noch. mehr.] 
21. 3Thund raufcht, Thiodwitnirs Fiſch 
ſchwimmt noch fröhlich im Fluß; 
*ichiwierig jcheint es der Schar der Gefallnen, 
zu durchwaten den wogenden Strom. 


22. Walgrind? heißt die Pforte, die auf dem Yelde jteht, 
heilig vor heiligem Thor; 
alt it die Pforte, Doch nicht einer weiß eg, 
wie ihr Schloß fich ſchließt. 
23. Yünfhundert Thore und vierzig dazu 
find in Walholl3 weiten Bau; 
achthundert Einherier gehen aus einem Thore, 
wenn fie ausziehn, zu wehren dem Wolff. 


24, TFünfhundert Räume und vierzig dazu 
bat in allem Bilſkirnirss Bau; 
aller Häufer, Die ich gedeckt weiß, 
größtes befit mein Sohn.] 





ı Frefi („ber Gefräßige”) und Geri („der Gierige?’), die beiden Wölfe 
Odins; vgl. Gylfag. €. 38. 

2 Midgard („das Gehege der Mitte‘), die Menjchenwelt. Munin („Ges 
dächtnis“) und Hugin („Gedanke“), die beiden Raben Odins; vgl. Gylfag. 
€. 38. 


3 Thund (db. 5. „die Geſchwollene“), der Fluß, der Walholl umftrömt, alfo die 
Luft. In ihm Shwimmt Thiodmwitnirs (d h. „des gewaltigen Wolfes’”, Fenrirs) 
Fiſch, die Sonne nämlich, die Fenrir beim Weltuntergang verfhlingen wird. 

* Um nad Walholl zu gelangen, müſſen die Gefallenen durch das Luftmeer 
hindurch. 

s Walgrind („Totenpforte‘), das Gitterthor von Walholl. 

s Dem Wolf, natürl. Fenrir. 

? Diefe Strophe, welche die Schilderung von Walholl ungeſchickt unterbricht, 
ift fiher ein jpäterer Einjchub. 

8 Bilſkirnir, j. zu 43. 


74 Erſtes Buch. Götterlieder. 





25. Heidrun! heißt die Ziege, die auf Heervaters Saale jteht 
und die Zweige Lärads? verzehrt; 
die Krüge füllt fie mit klarem Met, 
nimmer verjiegt dies Naß. 


26. Eitthyrniv? heißt der Hirſch, der auf Heervaters Saale 
ſteht 
und die Zweige Lärads verzehrt; 
von ſeinen Hörnern trieft es in Hwergelmirs Quell, 
dorther ſtammen die Ströme all’: 


27. [SW und Wide, Säkin und Akin, 
Fjorm und Gunnthro, Fimbulthul und Swol, 
Ninnandi und Rin, 
Gipul und Gopul, Gomul und Geirwimul! — 
die Durchfließen der Götter Gau — 
Thyn und Win, Tholl und Hol, 
Gunnthorin und Grad. 


28. Wina heißt eine, die andere Wegiwinn, 
Thiodnuma nenn’ ich demnächit; 
Nyt und Not, Nonn und Hronn, 
Sid und Hrid, Sylg und Ylg, 
Wid und Wan, Mond und Strond, 
Gjoll und Leipt: die fließen den Göttern nahe 
und rinnen von hier zur Hel. 


29. Kormt und Ormt und Kerlaug beide, 
täglich durchwatet fie Thor, 
wenn an Yggdraſils Eiche Urteil zu ſprechen 
er wandert den weiten Weg, 


ı Heidrun. Der Name fheint darauf hinzudeuten, daß die Ziege „burd) 
den Met den Einheriern ihre Heit, d. h. ihre Art und ihr eigentümliches Wejen 
erhielt und nährte” (Müllenhoff). Vgl. Gylfag. €. 39. 

2 Lärad („Schugfpender‘), vermutlih nur ein andrer Name der Eſche 
Naggdrafil, die ihre Zweige bis in den Himmel ftredt. 

3 Eitthyrnir, der Hirfch, deſſen dorniges Geweih wie eine Eiche fi ver- 
öftet, ift das Bild der Wolfe, aus der die Ströme ihr Wafjer empfangen Bgl. 
Gylfag. €. 39. 

* Der Brunnen Hwergelmir befindet fich mitten in Niflheim, alfo in der 
Unterwelt (Gylfag. €. 4), unter einer von Yggdraſils Wurzeln (Gylfag. €. 15). 

5 Str. 27—35 find wahrjcheinlich interpoliert. 

6 Die Namen der mythiihen Flüffe (die übrigens noch nicht alle erklärt 
find) find zum Teil wenig harakteriftifch 

? Geirwimul bedeutet „die von Speeren Wimmelnde“; vgl. zu Vol. 86. 


— 


9. Das Lied von Grimnir (Grimnismgl) 75 





denn in brennender Glut ſteht die Brücke! der Wien, 
von den heiligen Waſſern jtrömt Hite aus. _ 


30. Glad und Gyllir, Gler und Sfeidbrimir,? 
Sinir und Silfrintopp,? 
Gisl und Falhofnir, Gulltopp und Lettfetit — 
die Pferde benußen zur Fahrt 
nach Ygadrafils? Eiche die Aſen täglich, 
wenn fie reiten, zu ſprechen das Recht. 


31. Drei Wurzeln jendet nach drei Seiten 
Yggdraſils Eiche aus: 
unter der einen wohnt Hel, unter der andern dieRiejen, 
die dritte das Menſchenvolk dedt. 
6 


32 Ratatojf” heißt das Eichhorn, das da rennen muß 
an Yggdraſil auf und ab; 
oben hört e8 des Adlers Worte, 
die es nieder zu Nidhogg bringt. 


33. Der Hiriche vier? nagen, die Hälje biegend, 
die oberjten Triebe ab: 





ı Die Himmelsbrüde Bifr oft (der Regenbogen) wird erjt fihtbar, wenn die 
Sonne nah dem Gewitter wieder hervorbricht. Während besjelben fteht der 
ganze Himmel, und fomit auch die Brüde, in Glut, kann daher von Thor nicht 
benugt werden. 

2 Glad („der Muntre‘‘) ift nad) einer Stelle der Skäldskaparmäl identiſch 
mit Skinfari, dem Rofje des Tages (Vafpr. 12). Gyllir („der Goldgelbe‘), 
Gler („der Glänzende”), Sfeidbrimir („der eilig Laufende‘). 

3 Sinir („der Sehnige‘), Silfrintopp („das Pferd mit filberglänzendem 
Stirnhaar”). 

* Gi8l („der Strahlende), Falbofnir („falbe Hufen habend‘), Gull=- 
topp („goldglänzendes Stirnhaar habend”), Lettfeti(,ber leiht Schreitende”). 
Nur von Gulltopp ift Heimdall als Befiger befannt (Gylfag. €. 27). 

5 Pggdrafil, ſ. zu Vol. 19 und Hövamöl 137 fowie Gylfag. €. 15 und 16, 

6 Zwifchen 31 und 32 iſt fiher eine Strophe ausgefallen, in der von dem 
Adler (323) die Rede war, der auf den Zweigen der Ejche figt und zwiſchen jeinen 
Augen den Habicht Wedrfolnir (‚ven vom Wetter Gebleichten?‘) trägt (Gylfag. 
€. 16). In diejen beiden Tieren ift die nimmer ruhende Wachſamkeit der Götter 
perjonifiziert. — 

Ratatoſk („Nagezahn“): dies Eichhörnchen bezeichnet den niemals er— 
löſchenden Haß zwiſchen den Erhaltern der Welt (den. Göttern) und den zer— 
ftörenden Elementen (den Rieſen), ald deren Hauptrepräjentant ber Drade 
Nidhogg gilt, der die Wurzeln des Weltbaumes benagt. Vgl. Gylfag. €. 16. 

8 Die vier Hiriche, die in diefer wahrjcheinlich jehr jungen Strophe genannt 
werden, find Sinnbilver der Vergänglichkeit. 


76 Erfte Buch. Götterlieder. 





Dain! heißt einer, Dwalin der zweite, 
die andern Duneyr? und Durathror. 


34. Mehr Würmer liegen an den Wurzeln der Eiche, 
| als ein unfluger Affe meint: 
Goin* und Moin (die find Grafwitnirs Söhne), 
Grafwolludẽ und Grabaf dazu, 
Ofnire und Swafnir jollen eiwig, mein’ ich, 
verzehren die Zweige des Baums. 


35. Yggdraſils Eſche muß Ungemach. leiden, 
mehr als ein Menjchenkind ahnt: 
oben frißt der Hirſch, es fault die eine Seite, 
während Nidhogg die Wurzeln benagt.] 


36. "Hrift und Mift? ſollen dag Horn mir bringen, 
Sfeggold und Sfogul dazu, 
10Hlokk und Herfjotur, Hild und Thrud, 
116eirolul und Golf, 
2 Nandgrid und Radgrid und Reginleif 
bringen den Einheriern Bier. 





1 Dain und Dwalin find urjprünglid Zwergnamen: fie bedeuten „ber 
Tote” und „ver Aufgehaltene” (vom Tageslicht Überrafhte?) Wegen ihrer Be: 
ziehung auf das Ende find dieſe Namen hier den allegorifhen Hirfchen beigelegt. 

2 Duneyr („Schallohr”?) und Durathror (2) find auch wohl Zwerg 
namen. gl. Gylfag. ©. 16. 

3 Str, 34 muß jünger fein als die folgende Strophe, da diefe nur eine 
Schlange (den Nidhogg) an Yggdraſils Wurzel kennt. 

4 Soin („Gaubewohner”?), Moin („Steppenbewohner”?), Grafwitnir 
(„ver nagende Wolf‘). 

5 Grafmwollud („das Gefilde zernagend“), Grabaf („Sraurüden‘). 

6 Dfnir („der Verflechter“, „der Schlingenmacher‘‘) und Swafnir („der 
Einſchläferer“) kommen auch ſonſt als Schlangennamen vor. Str. 545 finden wir 
die beiden Wörter ald Beinamen Odins wieder, der fih nad) Bragar. C. 4 eins 
mal in eine Schlange verwandelte. Vgl. Gylfag. €. 16. 

7 Bgl. Gylfag., €. 36. Faft alle hier zufammengeftellten Walkürennamen 
find auch ſonſt mehrfach bezeugt. 

8 Hrift („die Schüttlerin“, d.h. die Schüttlerin des Speers?), Mift („Nebel”, 
den phyfifalifhen Urfprung des Waltürenglaubend andeutend). 

9 Steggold („Beilzeit”, aljo Angehörige eines kriegeriſchen Zeitalters? vgl. 
Vol. 45%), Stogul („die Hochragende”). 

10 Hlotf („die Schreierin”?), Herfjotur („Heerfefjel”, Perjonifitation des 
lähmenden Schredens), Hild („Kampf“), Thrud („Kraft”). 

11 Geirolul („die Speerträgerin”), Goll („vie Schreierin”?). 

12 Randgrid („die Schildverlegerin”), Radgrid („vie Planzerjtörerin”?), 
Reginleif („die mächtige Genoifin“ 2). 


9. Das Lied von Grimnir (Grimnismöl). 77 





37. IArwakr und Alſwid? ziehn aufwärts die Sonne, 
ziehn matt fich und müde daran, 
doch inmitten der Buge brachten milde Ajen 
klüglich fühlende Eijen? an. 


38. Swalin* heißt er, der Sonnenjchild, 
der vor der glänzenden Göttin fteht, 
Felſen und Fluten, weiß ich, wird Teuer verzehren, 
tällt ex einſtmals ab. 


39. Das Untier heißt Sfoll?, das zum Eifenwalde 
der glänzenden Göttin folgt; 
Hati?, der andre Wolf, Hrodwitnirs Sohn, 
läuft vor der heitern Himmelsbraut. 


40. Aus Ymirs Fleiſch ward die Erde geichaffen, 
aus dem Blute das braufende Meer, 
die Berge aus dem Gebein, die Bäume aus den Haaren, 
aus dem Schädel das Ichimmernde Himmelsdach. 


41. Doch aus jeinen Wimpern ſchufen weiſe Götter 
Midgard dem Mtenjchengeichlecht; 
aus dem Hirne endlich Find alle die Hartgejinnten 
Wetterwolken gemacht. ] 


42. Ulls? Huld und aller Götter 
hat er, der zuerjt ins Feuer faßt; 
por den Ajenjöhnen liegt offen die Heimitatt, 
wenn man vom Hafen die Steilel hebt. 





ı Str. 37—41 find interpoliert. 

2Arwakr („Frühwah”) und Alſwid („der vollflommen Weiſe“), die Sonnen= 
rojje, au) Sigrdr. 15 erwähnt; vgl. Gylfag. €. 11. 

3 Nah Gylfag. a. a. O. find diefe „Lühlenden Eifen” zwei Blajebälge. 

* Swalin, d.h. „ver Abkühlende”. 

5 Sfoll (unficherer Bedeutung) und Hati („der Haſſer“), die beiden Wölfe, 
welde Sonne und Mond verfolgen. Nach Gylfag. C. 12 wird Sfoll die Sonne, 
Hati dagegen den Mond verjchlingen. Daher wird Hati auch Managarım („Mond- 
wolf“) genannt. Er heißt bier und in Gylfag. ein Sohn Hrodwitnirg („des 
berühmten Wolfes”), aljo Fenrirs: diefer ift nad andrer Darſtellung (Vafbr. 47) 
ſelber der Verſchlinger der Sonne. 

6 Bgl. zu Vafpr. 21. 2 

"ULLI, ſ. oben zu Str.5 und zu Lokas, Proſa nad) Str. 59. — Odin fommt 
wieder auf feine gegenwärtige Lage zu ſprechen und verſpricht dem aller Götter 
Huld, der ihn aus der Dual befreit. 

3 In den nordiſchen Häufern befand fih im Dache eine Öffnung, um das 
Licht hinein und den Rauch hinaus zu laffen. Unter diefer Öffnung wurde das 


78 Erſtes Buch. Götterlieder. 





43. 168 zimmerten den Skidbladnir? in der Zeiten Anfang 
Swaldis? Söhne einft, 
der Schiffe bejteg, dem jchimmernden Yreyr, 
dem feden Kinde des Njord. 


44. Yogdrafil ift der beſte unter allen Bäumen, 
Skidbladnir das jchnellite Schiff, 
von allen Ajen ijt Odin der beite 
und Sleipnir* das rajchejte Roß; 
der Brüden bejte iſt Bifroft?, Bragi? der Sfalden 


beiter, 
Habrof? der Habichte bejter, der Hunde bejter Garm.] 


45. Der Sieggötter Söhnen das Geſicht enthüllt’ ich, 
das bringt die erhoffte Hilfe mir, 
das führt alle die Aſen hierher, 
zu den Bänfen des Königs herbei, 
zum Bierfeſt des Königs herbei. 


46, Grim!? hieß ih, Gangleri hieß ich, 
1Herjan und Hjalmberi auch, 





Feuer entzündet, und in der Nähe derjelben waren auch im Dache bie Ketten be— 
feftigt, an denen man die Kefjel aufhing. Dieje fonnten jomit, namentlid wenn 
fie hoch emporgezogen waren, demjenigen, der vom Dache aus in das Haus hinein= 
jehen wollte, den Einblid unmöglid machen. Odin, der aus feiner übeln Lage 
erlöft fein will, wünjcht, daß die Kefiel herabgenommen werden, damit die Ajen 
vom Himmel herab ihn jehen und ihm zu Hilfe kommen können. 

ı Str. 43 und 44, die den Zuſammenhang ftörend unterbreden, find ſicher— 
lich interpoliert. 

2 Stidbladnir („hölzerne Ruder habend” 2), vgl. zu Skirnismgl, projaifche 
Einleitung. 

3» Jwaldis („des Großmächtigen“) Söhne waren nad) Gylfag. €. 43 funft- 
reihe Zwerge. 

4 Sleipnir, f. zu Baldrs draumar 2. 

5 Bifroft („der ſchwankende Weg“), die zwijchen Himmel und Erde von den 
Ajen erbaute Brüde (der Regenbogen). Bgl. oben zu Str.29 und Gylfag. €. 13, 
15, 51. 

6 Bragi, ſ. zu Lokas. 8. 

" Habrof („Hohbein“?); über diefen Habicht ift nichts näheres bekannt. 
Garm, ſ. zu Vol. 4. 

8 Iſt vielleiht vor diefer Strophe ein profaifcher Zwifchenjag ausgefallen, 
in dem mitgeteilt war, daß die Kefjel (auf Agnars Geheiß?) entfernt wurden? 

9 Die in ven Strophen 46-50 und in Str. 54 zufammengeftellten Beinamen 
Odins find faft alle auch anderwärts bezeugt. 

10 Grim („der Verlarvte“), Sangleri („der vom Wandern ermüdete“? — 
denfelben Namen legte fih auch nad Gylfag. €. 2 der ſchwediſche König Gylfi bei). 

1 Herjan („Derrier”), Hjalmberi („Helmträger”). 


— 


9. Das Lied von Grimnir (Grimnismgl). 79 





The! und Thridi, Thud und Ud, 
"Herblindi und Har, 


47. ?Sad und Swipall und Sanngetal, 
+Herteit und Hnikar dazu, 
[PBileyg, Baleyg, Bolwerk, Fjolnir, 
Grm und Grimnir, Glapſwid und Fjolſwid, 


48. Sidhott, Sidſkegg, Siegvater, Hnikud, 
Allvater, Walvater?, Atrid, Yarmatyr;] 
viele Namen führte ich immer, 

jeit ich fuhr im Volke umher. 


49. Grimnir hieß ih in Geirrods Halle, 
und bei Asmund Jalk?, 
Kjalar!? damals, als ich die Kufen 309, 
[dei den Thingverfammlungen Thror!!, 
MWidur!? im Wirbel des Streits, 
Hg und Omi, Jafnhar und Biflindi,] 
14Gondlir und Harbard im Götterfreis. 





ı Theff („ver Willlommene”), Thridi („der Dritte”, vgl. Gylfag. €. 2), 
Thud („ver Dünne”?), Ud (9). 

2 Herblindi („Heerverblender”), Har („der Erhabene”). 

3 Sad („der Wahrhaftige”), Smwipal („fähig, verjchiedene Geftalten ans 
zunehmen”), Sanngetal („daS Wahre erratend”). 

4 Herteit („ver Kampffrohe”), Hnikar („der Stoßer“). 

5 Bileyg („milde Augen Habend” 9), Baleyg („fammende Augen hHabend“ ?), 
Bolwerk („ver Übelthäter“, vgl. zu Hov. 1083, Bragar. €. 4), Fjolnir („der 
Vielgeitaltige“ ?). 

sGrimnir („ver Verlarvte“), Glapjwid („ver im Trug Erfahrne”), 
Fiolfwid („ber Vielerfahrne”). 

" Sidhott („einen breiten Hut tragend”), Sidſkegg („Langbart”), Hnifud 
(„Stoßer”). 

s Walvater („Vater der Gefallenen”), Atrid („zu Roß angreifend”), 
Farmatyr („Herr der Schiffsladungen”). 

9% Jalk (? über das Abenteuer, auf das dieje Zeile anfpielt, ist — 
etwas befannt, wie über das in Zeile 3 erwähnte). 

10 Kjalar („Wogenherr‘). 

1 Thror („Streitbeförderer” 2). 

12 Widur („Sieger”?). 

13 Oski („Herr des Wunfches”, d. 5. im ftande, Wünſche zu‘ —— Omi 
(„laut rufend“), Jafnhar („ver ebenſo Erhabene“, ſ. Gylfag. €. 2), Biflindi 
(„Schildſchwinger“). 

14 Gondlir („Träger des Zauberſtabs“), Harbard („Graubart“, ſ. zu Härb. 
am Anfang). 


80 Erſtes Buch. Götterlieder. 





50, Swidur und Swidrir! hieß ich bei Sokkmimir 
und täujchte den Thurjengreis; 
Midwitnird Sohne zum Mörder ward ich, 

dem trefflichen, ich allein. 


51. Trunfen bift du, Geirrod, du trankeſt zu viel; 
viel verlorjt du, Fürſt, 
da dir alle Einherier und Odin jelber 
verjagen Hilfe und Huld. 
52. Meine Worte all Haft du wenig beachtet, 
da ein Gönner mit Trug dich umgarnt; 
bald erblick' ih mit blutigem Nafje 
meines Freundes Schwert gefärbt. 
53. Dein Ende jeh’ ich! Ygg? wird befigen 
den Toten, getroffen vom. Stahl; 
Unheil weben dir Jungfrau'n?, Odin fannft du jeßt jehen, 
nun fomme heran, wenn du Fannit! 
54. Odin heiße ich jeßt, Ygg hieß ich vordem, 
auch Thund* ward mein Name genannt; 
Mar und Skilfing, Wafud und Hroptatyr, 
Gaut und Jalk im Götterfreig, 
Ofnir und Swafnir”, doch alle, mein’ ich, 
verdanken ihr Dajein mir. 


König Geirrod ſaß da und hatte ein Schwert auf den Knieen, das 
zur Hälfte aus der Scheide gezogen war. Als er nun hörte, daß Odin 
gefommen fei, ftand er auf und wollte den Gott vom Feuer fortführen. 
Dabei glitt ihm das Schwert aus der Hand, fo daß der Griff nad) unten 
gekehrt war. Der König ftrauchelte und fiel nach vorn über: das 
Schwert aber Durchbohrte ihn, und jo fand er den Tod. Da verſchwand 
Ddin, Agnar aber ward König und herrichte lange Zeit. 


N — 
IA 





ı Smwidur und Swidrir („der Weife‘‘); über die Tötung des Niefen Sokk— 
mimir, ber zweifellos mit dem Sohne Midwitnirs (Zeile 3) identifch ift, 
wird in den andern Quellen nicht berichtet. 

2 Ngg („der Furdtbare‘‘) — Dbin. 

3 Die Jungfrauen, d.h. die Schidjalsjungfrauen, die Nornen. 

+ Thund („der Anſchweller“ 2). ; 

5 Wakr („der Wachſame“), Stilfing („der Erſchrecker“), Wafud („ber 
Wanderer‘), Hroptatyr („Gott der Götter?) 

°s Saut (‚der Schöpfer”). 

° Dfinir und Swafnir, f. oben zu Str. 345, 


10. Das Lied von Alwis (Alvissmöl). 81 





10. Das Lied von Alwis, 
(Alvissmöl.) 
Alwist, 
1. Die Braut ſoll bei mir nun die Bänfe bededen?, 
jogleich mit mir gehen nach Haus; 
lang’ genug währte das leidige Wandern, 
daheim wird feiner mir rauben die Ruh’. 
Thor, 
2. Was für ein Burjche bit du? warum bift du jo bleich 
um die Naje? 
lagſt du bei Leichen heut? Nacht?? 
Kaum erreicht dich ein Rieſe an Größet, 
dir nicht gebührt die Braut. 
Alwis. 
3. Alwis heiß' ich, ich wohn' in der Erde Tiefen, 
dort ſteht unter Steinen mein Haus; 
den Wagenlenker? wollte ich finden; 
breche feiner ein bindendes Wort! 
Thor, 
4. Brechen werd’ ichs, denn die Braut zu vermählen 
fällt al3 Vater mir zu; 
daheim war ich nicht, als man dir fie verheißen, 
fein Gott vergibt fie als ich. 





ı Alwis, d. h. „der vollflommen Weife‘, ein Zwerg, dem in Thors Abweſen— 
beit defien und Sif3 Tochter (Thrud?) verlobt worden ift. Der zurüdfehrende 
Thor ift jedoch mit diefer Abmachung nicht zufrieden; er-verlangt, daß der Zwerg 
zuvor jeine Weisheit dadurch bewähre, daß er angebe, wie die Weltförper, Natur 
eriheinungen u.a. m. von den Göttern, Riejen, Zwergen, Menſchen und den Hel— 
bewohnern genannt werben Der Zwerg geht auf die Bedingung ein; Thor hält 
ihn jedoch durch jeine Fragen fo lange auf, bis die Sonne aufgegangen ift, 
die ihn in Stein verwandelt. — Nach Uhlands Deutung ift Thors Tochter das 
Saatkorn, das den Unterirdifhen überantwortet zu jein fcheint, aber durch den 
fruchtbaren Gemwitterregen zum Keimen gelangt und jomit dem Lichte zurückgegeben 
wird. — Dieſen Mythus benugt jedoch der Dichter nur als Anknüpfungspuntt für 
jeine ſynonymiſchen Zuſammenſtellungen, und ſomit iſt unſer gel nicht3 andres 
als ein verfifiziertes Kapitel aus der ſtaldiſchen Poetif. 

2 Die Bänke mit Polftern oder Deden zu belegen gehörte. zu. * Obliegen⸗ 
heiten der Hausfrau. 

3 Die im Innern der Erde lebenden Zwerge haben infolgedeſſen eine bleiche 
Gefichtsfarbe. 

* Iſt natürlich ironiſch gemeint, 

5 Den Wagenlenter, Bezeichnung Thors, da diefer gewöhnlich auf einem 
von zwei Böden gezogenen Wagen führt, 1. zu Prymskv. 21. 


Die Edda. 6 


82 Erfted Buch. Götterlieder. 





Alwis, 
5. Wer ift der Nede!, der das Recht beanjprucht, 
zu vergeben die glänzende Maid? 
Landftreicher wie du find den Leuten fremd; 
wer trug dich Tölpel im Schoß? 
Thor, 
6. Wingthor? heiß’ ich, weit fam ich umber, 
| ich bin Sidgranis? Sohn; 
mit meinem Willen befommit du das Mädchen nicht, 
ich billige nimmer den Bund. 


Alwis. 
7. Deine Billigung werde ich bald erlangen, 
heiter die Hochzeit begehn; 
elend wär' ich ohne die Jungfrau, 
deren Weiße den Schnee beſchämt. 
Thor. 
8. Nicht wehren will ich, weiſer Fremdling, 
dir der Holden Hand, 
wenn du Auskunft gibſt aus allen Welten 
über das, was ich wiſſen will. 
Alwis. 
9. [Prüfen mag Wingthor, wenn die Probe ihn lockt, 
ob die Weisheit des Zwergs ſich bewährt; 
die neun Welten durchwandert' ich alle 
und gab auf alles acht.] 
Thor. 
10. Gib Antwort, Alwis — über alle Weſen, 
jcheint mir, weißt du Beicheid: — 
welche Namen die Erde, die ausgedehnte, 
in den vielen Welten führt? 


Alwis, 
11. Exde Heißt fie den Menjchen, den Aſen Gelände, 
die Wanen nennen fie Weg; 





ı Alwis weiß nicht, daß Thor, den er aufſuchen wollte, bereit vor ihm jteht. 
Das bäueriiche Ausiehen des Gottes, der abgerifjen von der Ditfahrt heimfehrt 
(ogl. Härb. 6), läßt ihn vielmehr vermuten, daß er e3 mit einem Landftreicher 
zu thun babe, 

2 Wingthor, vgl. zu Prymskr. 1. 

3 Sidgrani („Langbart“) — Odin. 


10. Das Lied von Alwis (Alvissmol). 83 





Immergrün die Riefen, die Elben blühende Flur, 
die oberen Götter das Feuchte Feld. 
Thor, 
12. Gib Antwort, Alwis — über alle Wejen, 
icheint mir, weißt du Bejcheid: 
welche Namen der Himmel (den die Helden jehen), 
in den vielen Welten führt? 
Alwis, 
13. Himmel heißt er den Menjchen, Hochgewölbe den Göt- 
tern 
den Wanen Weber des Winds, 
Oberwelt den Rieſen, den Elben das ſchöne Dach, 
den Zwergen ſaftſpendender Saal. 
Thor. 
14. Gib Antwort, Alwis — über alle Weſen, 
ſcheint mir, weißt du Beſcheid: — 
welche Namen der Mond, den die Menſchen ſehen, 
in den vielen Welten führt? 
Alwis. 
15. Mond heißt er den Menſchen, das milde Feuer den 
Göttern, 
bei Hel das rollende Rad, 
Läufer den Rieſen, Licht den Zwergen, 
den Elben Zähler der Zeit. 
Thor. 
16. Gib Antwort, Alwis — über alle Weſen, 
ſcheint mir, weißt du Beſcheid: — 
welche Namen die Sonne, die da ſehen der Menſchen 
Kinder, 
in den vielen Welten führt? 
Alwis. 
17. Sonne heißt ſie den Menſchen, Senger den Göttern, 
den Däumlingen Dwalins! Verdruß, 
ewige Leuchte den Rieſen, den Elben das ſchöne Rad, 
lauieres Licht dem Aſenvolk. 





1Dwalin, ein Zwerg, der auch Vol. 112, Höv. 1407 und Fafn. 134 genannt 
wird; vgl. zu Grimn. 333. Die Sonne heißt der „Verdruß der Zwerge”, weil 
dieje, die unter der Erde wohnen, das Tageslicht nicht vertragen können, viel- 
mehr durch den Sonnenſchein in Stein verwandelt werden, ſ. zu Str. 36. 
6 * 


84 


18. 


19. 


20. 


21. 


23. 


Erfted Bud. Götterlieder. 





Thor. 

Gib Antwort, Alwis — über alle Wejen, 
jcheint mir, weißt du Bejcheid: — 
welche Namen die Wolfe, die wetterjchwangre, 

in den vielen Welten führt? 


Alwis, 
Wolfe heißt fie den Menjchen, Gewitterhoffnung den 
Göttern, 
den Wanen des Windes Spiel, 
Waflerbringer den Riefen, Wetterkraft den Elben, 
bei Hel des Verhüllten Helm. 
Thor, 
Gib Antwort, Alwis — über alle Wejen, 
jcheint mir, weißt du Beſcheid: — 
welche Namen der Wind, der am weitejten vordringt, 
in den vielen Welten führt? 
Alwis, 
Wind Heikt er den Menjchen, Wabrer den Göttern, 
MWieherer den Waltern des Alls, 
Brüfler den Riefen, Braujer den Elben, 
Sturm in den Stätten der Hel. 


Thor, 


. Gib Antwort, Alwis — über alle Wejen, 


icheint mix, weißt du Beſcheid: — 
welche Namen die Luft, die nicht bewegte, 
in den vielen Welten führt? 
Alwis. 
Menjchen nennen fie Zuftjtille, Meeresruhe die Götter, 
die Wanen des Windes Kalt, 
Schwüle die Thurfen, des Tages Seele die Elben, 
Zwerge die Zuflucht des Tage. . 
Thor, 


. Gib Antwort, Alwis — über alle Wejen, 


fcheint mir, weißt du Beicheid: — 
welche Namen das Meer, das die Menjchen durch- 
rudern, 
in den vielen Welten führt? 


26, 


27. 


28. 


29. 


30. 


31. 


10. Das Lied von Alwis (Alvissmogl). 85 





Alwis, 


. Den Menſchen Heißt’3 See, Meer den Göttern, 


Woge dem Wanengejchlecht, 
Aalheim den Rieſen, den Elben Trinkitoff, 
die Zwerge tauften es Tief. 
. Thor, 
Gib Antwort, Alwis — über alle Weſen, 
icheint mir, weißt du Beſcheid: — 
welche Namen das Teuer, das flammt den Menfchen, 
in den vielen Welten führt? 
Alwis, 
Teuer Heißt e3 den Menjchen, Flamme den Afen, 
den Wanen wallende Glut, 
Berzehrer den NRiefen, den Ziwergen Verbrenner, 
der Hurtige heißt es bei Hel. 
Thor. 
Gib Antwort, Alwis — über alle Wejen, 
jcheint mir, weißt du Bejcheid: — 
welche Namen dev Wald, der wächjt für dev Menjchen 


Söhne, 
in den vielen Welten führt? 
Alwis, 
Den Menjchen Heißt er Wald, Mähne des Feldes den 
Göttern, 


Tang der Halde im ZTotenveich, 
Teuerung den Riefen, der Reichgezweigte den Elben, 
Buſch in der Wanenivelt. 
Thor, 
Gib Antwort, Alwis — über alle Wejen, 
jcheint mir, weißt du Bejcheid: — 
welche Namen die Nacht, des Nor! Tochter, 
in den vielen Welten führt? 
Alwis. — 
Nacht heißt ſie den Menſchen, Nebel den Göttern, 
Hülle den Herrſchern der Welt, 





ı Nor, ſ. zu Vafbr. 252, 


86 


32. 


33, 


34. 


36. 


Erites Bud. Götterlieder. 





Lichtmangel den Riefen, Labe des Schlaf den Elben, 
Erzeug’rin der Träume dem Zwergenvolf. 


Thor. 
Gib Antwort, Alwis — über alle Wejen, 
icheint mir, weißt du Beicheid: — 
welche Namen die Saat, gejät von den Menjchen, 
in den vielen Welten führt? 


Alwis. 


Getreide heißt ſie den Menſchen, Trieb den Göttern, 
Wuchs dem Wanengeſchlecht, 

Atzung den Rieſen, den Elben Trinkſtoff, 
bei Hel das ſchwankende Schilf. 


Thor. 


Gib Antwort, Alwis — über alle Weſen, 
ſcheint mir, weißt du Beſcheid: — 

welche Namen der Trank, den da trinken die Menſchen, 
in den vielen Welten führt? 


Alwis. 


. Bier heißt er den Menſchen, Bräu den Aſen, 


würziges Naß dem Wanenvolf, 
Zautertranf den Thurjen, im Totenreich Miet, 
Suttungs! Söhnen Saft. 


Thor, 
Alter Weisheit in einer Bruft 
fand ich nimmer jo viel; 
dennoch gelang's, Dich durch Lift zu verderben: 
Tageslicht tötet den Ziverg?, 
jet jcheint die Sonne im Saal! 





ı Suttung, f. zu Skirn. 3. 
2 ®gl. Helgakv. Hjorv., Str. 30. 


11. Die Sprüde Hars (Hövamol). 87 





11. Die Sprüde Hars, 
(Hövamöl.') 
T 


1. Nach allen Ausgängen, ehe du eintrittit, 
fieh dich jorgjam um, 
erfunde jie Flug: 
denn nimmer fann man genau e3 woiffen, 
ob ein Feind nicht fit in der Flur. 


2. Den Gebern Heil! in Gaſt trat ein, 
jagt, wo ex fiten ſoll; 
nicht weilen darf lange, wer jeinen Gewinn 
auf Schneeſchuhen erjagen muß. 


3. Teuer bedarf der fernher Gekommne, 
dem dor Kälte das Knie erjtarıt; 
Koſt bedarf und Kleidung der Mann, 
deſſen Fuß über Teljen jchritt. 


4. Wafler bedarf und Willfommengruß 
der Gaft und zum Trocknen ein Tuch; 
jelber erring’ ex fih rühmlichen Leumund, 
will er wieder geladen jein. 


5. Wi bedarf, wer weit umberichweift, 
daheim Hilft man ich Leicht; 
e3 wird des Spottes Spielball der Dumme, 
wenn er bei Weiſen weilt. 


6. Nicht vätlich iſt's, ich zu rühmen dev Weisheit, 
man berge fie jtill in der Bruft; 
wer ſchweigſam und jchlau, wird vor Schaden bewahrt, 
geht er ala Gaſt in ein Haus; 
denn fejteren Freund findeſt du nimmer, 
al3 den eigenen Eugen Kopf... — 





ı Tie Hövamöol, d. h. Hars („des Erhabenen“ — Ddins) Sprüde hat ein 
Eammler aus ſechs verjchiedenen Gedichten zufammengeftellt, die hier durch rö— 
mifche Ziffern bezeichnet find. Spätere Interpolationen habe ich in edige Klam- 
mern eingeichlofjen, 


88 Erſtes Bud. Götterlieder. 





7. Der vorficht’ge Saft, der zum Feſtmahl kommt, 
Ichweigt und jchärft das Gehör; | | 
er ſpitzt die Ohren umd jpäht mit den u > 
jo hält ein Kluger die Hut. 


8. Selig iſt, wer fich jelbjt erwirbt, 
was Lob und Heil verleiht; 
trügerifch it es, zu trauen der Weisheit, 
| die der Buſen des andern barg. 


9. Selig ift, wer jelber befitt 
im Leben Löblichen Wit, 
denn übel war oft der Ratichlag, 
den der Buſen des andern barg. 


10. Nicht Befjeres führt als Bürde der Wandrer, 
als ein weidlich Maß von Witz; 
in der Fremde mehr frommt e8 als Gold, 
it dem Elenden Schirm und Schub. 


11, Nichts Befjeres führt als Bürde der Wandrer, 
als ein weidlih Maß von Witz; 
der Laſten ſchlimmſte lud für die Reife, 
wer mit Bier fich voll gefüllt. 


12. Minder gut, als mancher behauptet, 
iſt der Sterblichen Stamme das Bier; 
denn minder iſt, je mehr ex trinkt, 
feines Geiſtes Herr der Gaſt. 


13. Über Gaftungen ſchwebt der Vergeffenheit Reiher, 
der den Berjtand uns jtiehlt; 
dieſes Vogels Gefieder umfächelte mich, 
als in Gunnlods! Grotte ich jap. 


14. Trunken ward ich, ward tottrunfen 
in des finnreichen Fjalars? Saal; 
am bejten its, bringt man vom ZTrunfe 
einen klaren Kopf nach Haus. 








1Gunnlod („die zum Kampfe Ladende“?), Tochter des Riejen Suttung, dem 
Odin nad) Bragar. E. 4 den Dihtermet abgewann. Pal. unten Str. 103 fg. 
2 Fjalar („der Verhehler‘), wahrjheinlih ein Beiname des Suttung. 


16. 


17. 


18. 


19. 


21. 


RR 


11. Die Sprüde Hars (Hövamö!). 





5. Eines Königs Kind ſei Flug und ſchweigſam, 


dabei fühn im Kampf; 
männiglich lebe munter und froh, 
bis ihn dag Ende ereilt. 


Ewig zu leben achtet der Teige, 
wenn er Gefechte flieht, 

doh Schonung nicht ſchenkt ihm das Alter, 
wenn auch das Schwert ihn verjchont. 


Der Gimpel gafft, der zum Gajtmahl kommt, 
jtottert oder iſt ſtumm; 

trinkt er dann, zu Tage fommt es, 
wie jein Verſtand beitellt. 


Der allein weiß e8, der weit umherſchweift 
und viele Fahrten that, 4 
welches Witzes waltet ein jeder, 
der wirklich Sinn bejibt. 


Nicht meide den Met, doch maßvoll trinke, 
Eriprießliches jprich oder ſchweig'! 

Des Anjtands bar achtet dich niemand, 
wenn du bald zu Bette geht. 


Gierig ißt der unfluge Gajt 

und Ichlingt fih Schaden an; 
oft bringt Spott dem Unerzognen 

in der Klugen Kreis fein Bauch. 


Das Herdenvieh weiß, wann es heimfehren muß, 


und geht vom Graſe dann; 
doch fennt nimmer, wenn ihm Klugheit fehlt, 
feines Magens Maß der Menich. 


. Ein elender Menſch von arger Denfart 


übt an allem Spott; | 
das weiß er nicht, was er willen jollte, 


daß auch er von Fehlern nicht frei. i 


Ein unfluger Mann wacht alle Nächte, 
über alles jorgt er und finnt; 

müd it er dann, wenn der Morgen kommt, 
fein Elend ändert er nicht. 


8) 


90 Erſtes Buch. Götterlieber. 





24. Alle, die ihn anlachen, ſieht ein unfluger Menſch 
als echte Freunde an; 
er merkt nicht, was ihm Mißgunſt nachjagt, 
wenn im Kreiſe der Klugen er jibt. 


25. Alle, die ihn anlachen, ſieht ein unkluger Menſch 
als echte Freunde an; 

doch fährt er zum Thing!, jo findet er fchwerlich 
| viele Fürſprecher dort. 


%. Ein unkluger Menſch meint alles zu willen, 
wenn er behaglich im Winfel weilt, 
und weiß dennoch nichts zu exwidern, 
wenn ein andrer fein Urteil wünſcht. 


27. Ein unfluger Wann, der zu andern fommt, 
bleibt am beiten ftill; 
niemand merkt, daß er nichts verfteht, 
verrät fein Reden ihn nicht; 
niemand weiß, daß er nichtS veriteht, 
öffnet ex nicht zu oft den Mund. 


28. Für Hug gilt, wer fundig im Fragen 
und im Antworten auch; 
leugnen fünnen die Leute nimmer, 
was von Mund zu Munde geht. 


29, Nimmer redet, wer niemals jchweigt, 
wohlbedachtes Wort; 
die Zunge des Schwäßers, zügelt fie feiner, 
fingt oft fich Unheil an. 


30. Mit höhnifchem Spott behandle man feinen, 
auch am Trinktiſche nicht; 
für Klug hält fich mancher, den feiner befragte, 
wenn er ſicher im Trocknen jißt. 
31. Weife dünkt ji, wer weichend entrann 
dem Gaft, den er höhnte als Gait; 


doch nimmer genau weiß der Neder beim Trunke, 
ob jein Schwaten ihm Feinde nicht Ichuf. 





ı Thing, eine öffentlihe VBerfammlung zur Berhandlung und Beſchluß— 
fafjung über Geſetzesvorſchläge und Nechtsfälle. 


33. 


34. 


36. 


37. 


38. 


39. 


40. 


11. Die Sprüde Hars (Hovamöo!). 9] 





. Diele Männer, die jich freundlich gefinnt find, 


bänjeln beim Humpen jich doch; 
ewig gibt da3 Anlaß zum Streite, 
mit dem Gaſte hadert der Galt. 


Am Morgen jpeife der Mann reichlich, 
nie darf er nüchtern zur Gaftung gehn; 
ſonſt jigt er und ftopft, als jollte er jtiden, 
und bringt feine Trage hervor. 
Ceitab liegt der Sit des Feindes, 
wenn er am Weg auch wohnt; 
zum Freunde aber Führt ein Richtiteig, 
30g er auch fernhin fort. 


. Geh? beizeiten, als Gajt nicht weile 


immer an einem Ott; . 
der Liebe wird läſtig, der allzu lang 
an fremden Feuer jich wärmt. 


Deines Haujes jei froh, und wär's eine Hütte, 
daheim ijt jeder Herr; 

ein geflicttes Dach und im Pferch zwei Ziegen — 
beſſer ala Betteln iſt's doch. 


Deines Hauſes jei froh, und wär’ eine Hütte, 
| daheim ijt jeder Herr; 
dem blutet das Herz, der betteln muß 
täglih um farge Koft. 
Bon jeinen Waffen weiche der Mann 
im Felde feinen Fuß, 
denn nimmer weiß er, wann auf den Wegen 
der Spitze des Speers er bedarf. 


Nicht jchene der Mann, die Schäße zu brauchen, 
die er im Leben erlangt: 
dem Berhaßten oft jpart man, was Holdem bejtimmt 
war, ä 
da Häufig die Hoffnung trügt. 
So gajtfrei ift feiner und zum Geben geneigt, 
daß er Geſchenke verichmäht, 
oder jo wenig auf Erwerb bedacht, 
daß er Gegengabe haft. 


42, 


44, 


45. 


46, 


47. 


48. 


49. 


Erites Buch Götterlieder. 





Mit Gewändern und Waffen, der Wonne des Auges, 
jollen Freunde einander erfreun; 

Empfänger und Geber jind Freunde am längiten, 
wenn's das Glück ihnen gönnt. 


Dem Freunde ſollſt du Freundſchaft bewahren, 
Gabe mit Gabe vergilt! 

Doch Hohn joll man mit Hohn eriwidern 
und die Täuſchung mit Trug. 


. Dem Freunde jollft du Freundichaft bewahren 


und auch des Freundes Freund; 
doch Freundjchaft nimmer pflegen jollft du 
mit des Feindes Freund. 


Ward dir ein Freund, dem du völlig vertrauit, 
und erhoffit du Holdes von ihm, 

jo erjchließ’ ihm dein Herz und Gejchenfe taujche, 
häufig bejuche jein Haus. 

Sit ein Mann dir befannt, der dein Mißtrauen weckt, 
und hoffit du doch Holdes von ihm, 

Iprich Freundlich zu ihm, doch Falſches jinne 
und vergilt die Täuſchung mit Trug. 


Noch mehr von dem Mann, der dein Mißtrauen wet, 
deſſen Denkart verdächtig dir fcheint: 

Iprich Lächelnd ihn an, verleugne den Argwohn, 
Gleiches mit Gleichen vergilt. 


Einjt war ich jung, ging einſame Lege, 
da verfehlt’ ich den Pfad; 

ich wähnte mich reih, als ein Wanderer fa, 
des Mannes Luft iſt der Mann. 


Glüdlich Tebt der Kühne, der gerne jpendet, 
jelten ficht Sorge ihn an; 

der Feige aber hat Furcht vor allem, 
und der Geizige wird der Gaben nicht froh. 


Zwei hölzernen Bildern auf der Heide draußen 
weihte ich mein Gewand; 

in den Lumpen glichen fie Teibhaften Menſchen, 
der Nadte gilt für nichts. 


50 


51. 


53, 


De | 
Ot 


56. 


58. 


11. Die Sprüche Hars (Hövamıö$!). 93 





Es dorrt die Föhre, die im Dorfe ſteht, 
ſie ſchirmt nicht Borke noch Baſt; 

dem Manne gleicht ſie, der gemieden von allen — 
wozu lebt er noch lang’? 

Zwiſchen falfchen Freunden brennt fünf Tage 
Freundſchaft heißer als Feu'r; 

am ſechſten aber ſinkt die Flamme, 
und alle Liebe erliſcht. 


.Nichts Großes braucht man zu geben dem andern, 


durch Kleines erlangt man oft Xob; 
ein Billen Brot und des Bechers Neige 
warb mir werten Freund. 


Wenig Sand Hat ein winziger See 
und wenig Weisheit der Menjch; 

auch find nicht ale an Einficht gleich: 
Unterſchied gibt’3 überall. 


. Dem Menjchen ziemt mäßige Weisheit, 


feiner ſei allzu klug; 
am jeligiten leben ſolche Mtenichen, 
die in vielem wohl erfahren find. 


. Dem Menjchen ziemt mäßige Weisheit, 


feiner jei allzu flug; 

beiter ijt jelten das Herz des Klugen, 
wenn ex zu viel Willen erwarb. 

Dem Menjchen ziemt mäßige Weisheit, 
feiner jei allzu Klug; 

feiner wiſſe ſein künftiges Schidjal, 
ſonſt drückt ihm Sorge den Sinn. 


. Bon einem Scheit wird das andre entzündet, 


vom Feuer wird euer erzeugt; 
durch den Mund macht der Mann Sich dem Manne 
befannt, ; 
und durch Schweigen, wer jchwachköpfig iſt. 
Früh aufitehen mußt du, wenn du dem andern 
nah Haupt oder Habe jtrebit; 
der ruhende Wolf erringt feine Beute 
noch der jäumige Schläfer den Sieg. 


94 


59. 


60. 


61. 


62. 


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67. 


Erfte3 Bud. Götterlieder. 





Früh aufjtehen muß, wem Arbeiter mangeln, 
jelbjt nach dem Werke zu jehn; 

wer am Morgen noch ſchläft, wird manches verjäumen: 
der Hurt’ge hob Halb jchon den Schab. 

Wie viel Schindeln zum Dah und dürre Scheite 
er verivenden muß, weiß der Mann, 


nicht minder auch, mas in Monden und Wochen 


er an Brennholz braucht. 


Gejättigt und jauber bejuche das Thing, 
jet auch minder gewählt dein Gewand; 
der Schuhe und Hoſen ſchäme ſich Feiner, 
auch des Reitroſſes nicht, 
jet es auch wenig wert. 


Den Kopf jenkt jchnappend, zur Küfte gelangt, 
der Aar am uralten Meer; 

jo geht’3 dem Mann in der Menge der andern, 
dem e3 an Fürſprechern fehlt. 


Der Trage und Antwort jet fähig der Kluge, 
der al3 weiſe zu gelten begehrt; 

einem vertraue dich, nicht auch dem andern, 
was drei willen, weiß die Welt. 

Maßvoll wird ſeine Macht gebrauchen, 
wem Überlegung verliehn; 


mancher erfährt, wenn er Mutige findet, 
daß er ſelbſt nicht der kühnſte in Kampf. 


. Behutfam und vorfichtig Handle ein jeder, 


nicht trau’ er dem Freunde zu feit; 
oft muß man bitter büßen die Worte, 
die dag Ohr eines andern vernahm. 
Zu früh richten ih an vielen Orten, 
an andern oft zu ſpät; 
dag Bier war getrunfen oder noch nicht gebraut — 
wer beliebt nicht, erlangt feinen Trunf. 
Dahin und dorthin wär’ ich doch geladen, 
hätt’ ich faften wollen beim Feſt 
oder zwei Schinken ing Zimmer des Freundes 
hängen, wo einen ich aß. 


68. 


69. 


74. 


11. Die Sprüde Hard (Hövamj!). 95 





Feuer it das Beſte dem Volke der Menjchen 
und die Gabe, die Sonne zu jehn; 

dazu, wenn es fein kann, Gejundheit des Leibes 
und ein Leben von Laſtern frei. 


Ganz elend iſt feiner trotz üblen Siechtums: 
den einen bejeligt ein Sohn, 

den zweiten Verwandtichaft, ſein Wohlſtand den dritten, 
den vierten ein würdiges Werk. 


. Leben ijt beſſer, als Leiche zu jein, 


wer lebt, der fommt noch zur Kuh; 
für den Reichen bejtimmt ſah ich rauchen die Scheite, 
er ſelbſt lag tot vor der Thür. 


. Wer handlos, wird Hirt, der Hinkende reitet, 


der Taube taugt noch zum Kampf; 
der Blinde iſt mehr wert als der Verbrannte, 
ein Toter iſt niemand zu Nutz. 


Ein Sprößling iſt beſſer, ob ſpät auch geboren 
nach des Vaters Fortgang erſt: 
Denkſteine ſieht man ſelten am Wege, 
wenn ſie die Sippe nicht ſetzt. 


Zwei gehören zum Streit; die Zung' iſt der Mörder 
der Haupts; 
eine Fauſt erwart' ich in jedem Flausrock; 
wer des Vorrats ſicher iſt, freut ſich der Nacht; 
die Querſtangen des Schiffs ſind kurz; 
die Nacht iſt wetterwendiſch im Herbſt; 
vielfach dreht ſich der Wind in fünf Tagen, 
aber im Monat noch mehr. 


Wer nichts weiß, der weiß auch nimmer, 
wie viel Gecken das Gold erzeugt; 

der eine iſt reich, der andere darbend, 
drob treffe ein Tadel ihn nicht! 


5. Bolle Hürden jah ich bei Fitjungg! Söhnen, 


nun. ejjen ſie Bettelbrot; 


Fitjung („Fettling”), Bezeichnung des wohlgenährten NReichen. 


96 Erſtes Bud. Götterlieber. 





im Augenblick kann Überfluß ſchwinden, 
er iſt der falſcheſte Freund. 


76. Es ſtirbt das Vieh, es ſtirbt die Verwandtſchaſt, 
auch dich trifft der Tod; 
doch nimmer kann der Nachruf ſterben, 
den löbliches Leben ſchuf. 


77. Es ſtirbt das Vieh, es ſtirbt die Verwandtſchaft, 
auch dich trifft der Tod; 
doch eins weiß ich, das ewig lebt: 
der Ruhm, den der Tote errang. 


78. Richtig iſt's, was die Runen ſagen, 
die von heiliger Herkunft ſind, 
von den Göttern gemacht, gemalt von Odin: 
nützer als Schweigen iſt nichts! 


79. Wenn ein unkluger Mann zu eigen erwirbt 
die Gunſt einer Frau oder Gold, 
jo wächſt ſein Stolz, doch die Weisheit nimmer, 
höher jtetS trägt er das Haupt. 


80. Am Abend lobe den Tag, wenn fie Aſche geworden, 
die Frau; 

den Degen, den du erprobt, die Dirne, wenn ſie vermählt; 

wenn dich's trug, das Eis, wenn du's trankit, das Bier. 


81. Im Wind fäll’ den Baum, wenn es weht, jtich in See; 
mit der Maid koſ' abend, manch Aug’ hat der Tag; 
das Schiff taugt zum Segeln, der Schild zur Deckung, 
die Klinge zum Hiebe, zum Küffen das Mädchen. 


82. Am Teuer trink Bier, bei Froft lauf Schlittſchuh', 
das Roß fauf mager und roſtig das Schwert, 
den Hengit zieh daheim, den Hund auf dem Abbau. 
IT. 
83. Nicht traue der Mann eines Mädchens Reden 
noch der Weiber Wort; 
ihr Herz ward auf rollendem Rade geſchaffen, 
drum wohnt der Wanfelmut drin. 





! Str. 83 und 95—101 beziehen fich auf ein fonft unbefanntes Abenteuer Odins 
mit „Billings Tochter”, deren Verführung ihm nicht gelang. Str. 95 bezieht ſich 
auf Str. 83, die dazwiſchen ftehenden Str. 84—94 find interpoliert. 


84. 


86. 


87. 


88. 


“89. 


90. 


91, 





11. Die Eprüde Hard (Hövamgl). 97 


[Zexrbrechlichem Bogen, brennender Lohe, 
Ichnappendem Wolfe, ſchreiender Kräbe, 

dem MWildjchivein, das grunzt, entwurzeltem Baume, 
wachjender Woge, wallendem Keſſel, 


. fliegendem Pfeile, fallender Welle, 


einnächt’gem Eis, der Otter Seringel, 
Bettreden der Braut, gebrochenem Schwerte, 
dem Spiel des Bären, dem Sproſſen des Königs, 


jiechem Kalbe, ſelbſtwilligem Knecht, 
ichmeicheluder Here, eben erichlagenem Yeind, 


dem ZTöter des Bruders, triffjt du ihn am Weg, 
balbverbrannten Haus, Hurtigem Rod — 
unbrauchbar ijt’3, wenn's einen Fuß bricht: — 
dem allem zu trauen, wär’ eitel Thorheit. 


Vorzeitig traue der FTrühlaat nicht, 
noch zu eilig dem eigenen Sohn; 

die Saat braucht gut Wetter, der Sohn Berjtand, 
nicht jelten wird beides verjagt. 


Vertrauen auf falſcher rauen Xiebe, 

der Eisfahrt gleicht’ 3 mit unbeichlag’nem Roß, 
zweijährigen, wilden, wenig gezähmtent, 

oder jteuerlofem Segeln im jtürmtjchen Meer, 
des Hinkenden Jagd, der zu hafchen verjucht 
das ſcheue Renntier auf jchlüpfrigen Fels. 


Nun rede ich Har als Kenner von beiden: 

auch der Mann hegt Wankelmut gegen das Weib: 
am ſchönſten jpricht, wer das Schlimmite denkt: 

fo füdert man Kluge mit Xiit. 


Schmeichelnd rede und Schäbe biete, 
wer die Gunjt einer Maid begehrt; 

er lobe die Schönheit der leuchtenden Sungfvan, 
dann trägt die Liebe ihm Xohn. - — 


. Der Liebe wegen verlache höhniſch 


einer den andern nie; 
den Weiſen berüct oft ein wonniger Xeib, 
der Reiz nicht dem Thoren erregt. 


Die Edda. 7 


98 


93. 


94. 


96. 


97. 


98. 


99. 


100. 


101. 


Erfte3 Bud. Götterlieder. | 





Nie Toll einer am andern tadeln, 
was manchen Mlenjchen trifft: 

weije Männer wandelt zu Thoren 
lodernder Liebe, Macht. 


Du ſelbſt nur kennſt deiner Seele Gedanten, 
dein Geijt nur ergründet dein Herz; 

ſchlimmſte Krankheit jcheint es dem Klugen, 
wenn ihn nichts mehr mit Freude erfülft.] 


. Selbjt hab’ ich’3 erprobt, als ich ſaß im Rohre 


und harrte auf’3 holde Lieb; 
mir war lieb wie mein Leben die liſtige Maid, 
doch blieb ihr Befi mir verfagt. 


Auf dem Bette fand ih Billings Tochter, 
ſchön wie die Sonne, im Schlaf; 

leidig erjchten mir das Los des Herrjchers, 
ſollt' ich miffen die Maid. 


„Am Abend jollit du, Odin, fommen, 
willit du gewinnen das Weib; 

unziemend iſt's, wenn außer ung zweien 
jemand den Fehltritt erfährt.“ 


Sch kehrte zurüd, der Klugheit bar, 
Vechzend nach Liebesgenuß; 

in der Holden Arm hofft' ich zu finden 
Weide und Wonne genug. 


Doch wachſam fand ich die wehrhaften Krieger, 
als ich mich nahte bei Nacht; 

Ichimmernde Kerzen, geichwungene Yadeln 
meldeten mir mein Mißgejchie. 


Noch einmal fam ih bei Anbruch des Tages, 
da lagen die Leute im Schlaf; 

eine Hündin fand ih an der Holden Stelle 
fejt gebunden im Bett! 


Manch prächtige Maid, prüfſt du fie näher, 
zeigt den Werbenden Wanfelmut; 


ul 2 a a ZZ 


103. 


104. 


105. 


106. 


11. Die Sprüche Hard (Hövamı$l). 99 





erfahren hab’ ich's, als verführen ich wollte 
die liſtige Jungfrau zur Luft; 

fränfenden Hohn that die Kluge mir an, 
und nichts genoß ich von ihr. 


III. 


. Daheim ſei froh und freundlich zum Gaſte, 


doch ſorge auch Klug für dich jelbit; 

ſuchſt Ruhm du als Weiſer, üb’ Red’ und Gedächtnig, 
des Guten gedenft man gern; 

ein Narr heißt der, der nichts kann jagen: 
das ijt des Unklugen Art. 


1Den Riejengreis juchte ich auf, zurück nun bin ich 
gefommen, 
. wenig erwarb ich durch Schweigen dort; 
meinen Vorteil zu finden, mußt’ ich viele Worte 
reden in Suttungs Saal. 


Bahn jchaffen Tieß ih des Bohrers? Spitze 
und zergnagen den Gneis; 

rings um mich vagten der rRie ſen Pfade, 
ſo wagt' ich Leben und Leib. 


Gunnlod gab mir auf goldenem Stuhle 
den Trank des trefflichen Mets; 
doch die Arme erntete üblen Lohn 
für den ſelbſtloſen Sinn, 
für ihres Herzens Harm. 


Mit Luſt trank ich, was Liſt mir erwarb, 
dem Klugen wird wenig verwehrt: 

jo iſt Odrerir? nun nach oben gekommen 
in die Wohnung des Weltenherrn. 





ı Str. 103 -109. Vgl zu 13%. 
2 Der Bohrer Rati, mit dem von Odin ber Fels Hnitbjorg durchbohrt 


ward. Ddin kroch darauf, in eine Schlange verwandelt, in Suttungs Höhle, ges 
wann die Liebe feiner Tochter Gunnlod und jegte fi) mit ihrer Erlaubnis in 
den Befit des Dichtermets. Vgl. Bragar. C. 4. 


3 Odrerir (nad) Bugge „der Trank, der das Altern verhindert‘) ijt hier 


der Name des Dichtermet3 jelbjt, während er unten, Str. 140, und in ben Bıagar. 
€. 3,4 den Kefjel bezeichnet, in dem diejer Met aufbewahrt ward. 


7* 


100 Erſtes Bud. Götterlieder. 





107. Sch hege Zweifel, ob heimwärts wieder 
aus dem Reiche der Rieſen ich kam, 
wenn Gunnlod nicht half, das gute Mädchen, 
die mit weißem Arm mich ummand. 


108. Am nächjten Tage nahten die Thurjen 
und fragten in Harz Haus: 
„St Bolwerk! daheim in der Burg der Götter, 
| oder ſank er durch Suttungs? Hand" 


109, Auf den Ring hat Odin den Eid geleijtet?, 
wer darf jeinen Treufchwüren traun? 

Beim Trunfe hat er betrogen den Suttung, 
und Gunnlod verſenkt' er in Gram. 


IV. 
110. 4Z3eit ift’3 zu reden vom Rednerjtuhle! 
An der fühlen Quelle der Nrd? 
Ichaute ich jchweigend, ſchaute ich finnend 
und hörte, was Har ſprach; 
von Runen ſprach er, um Rat nicht verlegen, 
dies hört' ich in Hars Haus: 


111. „Sch rate dir, Xoddfafnive, den Rat befolge! 
du Haft Vorteil, wenn du ihm folgit, 
du haft Nutzen, nimmſt du ihn an: 
bei Nacht jteh’ nur auf, wenn du nachipähjt dem Feinde 
oder außen dir ſuchſt einen Ort”. 





1 Bolwerf, jo nannte fih Odin, als er in Suttung3 Höhle kam; vgl. zu 
Grimn. 473. 

2 Suttung, ſ. zu 13%. 

3 Um den Met zu behalten, ſchwur Ddin den Rieſen einen falſchen Eid; 
wahrſcheinlich war der Inhalt der Schwurs, daß ein „Bolwerk“ fich nicht unter 
den Göttern befinde Die Erzählung der Bragaroedur weiß hiervon nichts. — 
Der Schwur auf den Ring war eine bejonders feierliche Art der Eidesleiftung ; 
auf Ssland hatte der Tempelbefiger den Ring, der jonjt feine Stelle auf dem 
Altar hatte, zu jedem Thing mitzunehmen; dort wurde er in Opferblut getaucht, 
und die Prozeffierenden mußten ihre Ausjagen bei diefem Ringe beſchwören 

4 Mit diefer Strophe beginnen die Loddfafnismöl („Die Sprüche des Lodd— 
fafnir”), die urſprünglich ein felbftändiges Gedicht geweſen find. 

5 Die Duelle ver Schidfalsgöttin Urd (am Fuße von Yggdraſils Eiche) ift 
die Stelle, wo fi) die Götter zur Beratung verjammeln (Gylfag. €. 15). 

6 Loddfafnir ift ein fahrender Sänger, der von dem ihm eingeräumten 
Sige (dem „Rednerſtuhle“) aus einer laufenden VBerfammlung verfündigt, was 
er am Urdsbrunnen aus Odins eignem Munde gehört haben will. 

" Einen Drt, nämlich zur Verrihtung der Notdurft. 


112. 


113. 


114. 


116. 


117. 


118. 


11. Die Eprüde Hars (Hövaml). 101 





„sc rate dir, Loddfafnir, den Nat befolge! 
du Haft Vorteil, wenn du ihm folgit, 
du Haft Nuten, nimmſt du ihn an: 

im Schoße der Zauberin jchlafe du nimmer, 
ihr Schenkel umfchlinge dich nicht. 


„Sie bethört dich jo, daß das Thing du vergißt, 
die Berfammlung des Volkes verfäumit; 

dur meidejt die Menſchen, dir mundet fein Eſſen, 
ſorgenvoll ſuchſt du den Schlaf. 


„Ich rate dir, Loddfafnir, den Rat befolge! 
du Haft Vorteil, wenn du ihm folgit, 
du Haft Nuben, nimmſt du ihn an: 

verlode niemal® zum Xiebesverfehr 
eine andern ehelich Weib. 


.„Ich rate dir, Loddfafnir, den Nat befolge! 


du haſt Vorteil, wenn du ihm folgit, 
du haft Nußen, nimmſt du ihn an: 

mußt über Feld oder Yöhrde du ziehen, 
nimm reichliche Reijefojt mit. 


„Ich rate dir, Loddfafnir, den Rat befolge! 
du haft Vorteil, wenn du ihm folgt, 
du haft Nuben, nimmst du ihn an: 
ſcheue dich jtet3, einem ſchlechten Menſchen 
dein Unheil anzuvertraun; 
denn ſchwerlich geſchieht's, daß ein jchlechter Menſch 
dir die gute Geſinnung vergilt. 


„Ich ſah einem Manne verſehrt das Haupt 
durch ſchlimmen Weibes Geſchwätz; 
ums Leben bracht' ihn die Läſterzunge, 
die unwahre Anklage ſprach. 


„Ich rate dir, Loddfafnir, den Rat befolge! 
du haſt Vorteil, wenn du ihm folgſt, 
du haſt Nutzen, nimmſt du ihn an— 

iſt dir ein Freund, dem du völlig vertrauft, 
jo ſuche ihn Häufig heim, 

denn Unkraut wuchert und üppiges Gras 
auf dem Meg, den fein Wandrer betritt. 


102 


119, 


123. 


124. 


Erſtes Buch. Götterlieder. 





„Ich rate dir, Loddfafnir, den Nat befolge! 
du haft Vorteil, wenn du ihm folgit, 
du halt Nuten, nimmſt du ihn an: 

den Tücht’gen gewinne zu traulichem Umgang 
und lerne, jolange du lebſt, 
wenn er helfende Heiliprüche fennt. 


„Ich vate dir, Loddfafniv, den Rat befolge! 


du haft Borteil, wenn du ihm folgit, 
du Haft Nuben, nimmſt du ihn an: 
haft du Lieben Freund, jo löſe nimmer 
als erjter das innige Band; 
der Harm verzehrt di, wenn du dein Herz nicht 
einem andern eröffnen kannſt. 


.„Ich rate dir, Loddfafniv, den Nat befolge! 


du haft Vorteil, wenn du ihm folgit, 

du Haft Nutzen, nimmjt du ihn an: 
lajfe mit wiglofem Wichte nimmer 

auf Wortiwechjel dich ein; 


. „penn jchwerlich geſchieht's, daß ein jchlechter Mann 


dir Gutes mit Gutem vergilt; 
dem Guten dagegen glückt es immer, 
dich beliebt zu machen durch Lob. 


„Innig iſt Sreundichaft, wenn dem andern du 
dein Denken ganz entdedit; 

nicht aufrichtig jein iſt von allem das Schlimmste — 
wer nur Liebes jagt, Frommt nicht zum Freund. 


„Ich rate dir, Loddfafnir, den Nat befolge! 
du haft Vorteil, wenn du ihm folgit, 
du haft Nutzen, nimmſt du ihn an: 

der Worte drei nicht wechsle im Streite 
mit minder gutem Mann: 

oft gebra dem Beſſern die Stärke, 
wenn der Schlechtere jchlug. 


.„Ich rate dir, Loddfafniv, den Rat befolge! 


du halt Borteil, wenn du ihm folgit, 
du Haft Nuben, nimmſt du ihn an: 


126, 


127. 


128. 


129. 


130, 


11. Die Sprüche Hard (Hövamgl). 103 





Schuhmacher ſollſt du und Schäftemacher! 
nur für dich jelber jein; 

ijt Schlecht der Schuh . und der Schaft nicht geraten, 
wünjcht man div Unheil an. 


„sch rate dir, Koddfafniv, den Nat befolge! 
du Haft Vorteil, wenn du ihm folgit, 
du Haft Nugen, nimmit du ihn an: 

wird Schaden dir fund, erklär' ihn für Schaden 
und gewähre nicht Frieden dem Feind! 


„Ich rate dir, Loddfafnir, den Rat befolge! 
du haft Borteil, wenn du ihm folgit, 
du Haft Nutzen, nimmt du ihn an: 

nimmer finde Gefallen am Böen, 
doch am Guten erfveue dich gern. 


„Ich rate dir, Loddfafnir, den Rat befolge! 
du haft Vorteil, wenn du ihm folgit, 
du haft Nutzen, nimmjt du ihn an: 

im Schlachtgewühl ſchaue nicht aufwärts, 

denn ſinnlos macht Schret die Söhne der Menjchen. 
die des Gegners Zauber umgarnt. 


„sch rate dir, Loddfafniv, den Rat befolge! 
du haft Vorteil, wenn du ihm folgit, 
du Haft Nußen, nimmſt du ihn an: 

willjt du loden die Holde zu heimlichem Koſen 
und Liebes erlangen von ihr, 

verheiße ihr Schönes und halte dein Wort: 
etwas Gutes nimmt jeder gern. 


„sch rate dir, Loddfafniv, den Rat befolge! 

du haft Borteil, wenn du ihn Folgit, 

du Haft Nußen, nimmjt du ihn an: 
vorjichtig jei, Doch furchtſam nicht, 
beim Weinfrug zumeift und beim Weibe des andern, 
als drittes nenn’ ich der Diebe Liſt. 





ı Schäftemader, d.h. VBerfertiger von Speerjihäften, 


104 


131. 


132. 


133. 


. 134. 


136. 


Erfted Bud. Götterlieder. 





„Ich rate dir, Loddfafniv, den Rat befolac! 
du haft Vorteil, wenn du ihm folgit, 
du haft Nutzen, nimmft du ihn an: 

Fremde ſollſt du und Yahrende niemals 
behandeln mit Hohn und Spott. 


„Selten erfaßt, wer da fit im Haufe, 
völlig des Fremden Art: 


jo gut ijt fein Mann, daß er ganz ohne Fehl ei, 


noch jo jchlecht, daß er nüße zu nichts, 


„Ich rate dir, Loddfafniv, den Rat befolge! 
du haft Vorteil, wenn du ihm folgit, 
du haft Nuben, nimmft du ihn an: 
nicht Höhne den Sänger, dem da3 Haar ergraut ift, 
oft redet ein Greifer gut; 
Rätliches fommt oft aus runzligem Balg!, 
der unter den Häuten hängt, 
zwiſchen Fellen flattert im Wind 
und bei Leder und Labmagen? jchwantt. 


„sch rate dir, Loddfafnir, den Rat befolge! 
du Halt Borteil, wenn du ihm folgit, 
du Haft Nuten, nimmft du ihn an: 

aus dem Thor nicht jcheltend treibe den Fremden, 
bedenfe den Dürftigen gern. 


. „Der Riegel muß ſtark fein, der raſtlos fich dreht 


und allen Einlaß gewährt; 
gewähr’ einen Ring ihm, oder er wünfchet 
alles Unheil dir an. 


„sc rate dir, Koddfafnir, den Nat befolge! 
du haft Borteil, wenn du ihm folgit, 
du Haft Nutzen, nimmſt du ihn an: 





ı Der von Falten umgebene Mund eines Greifes wird mit einer getrodneten 


Tierhaut verglichen. 


2 Die LZabmagen der Kälber werden in Island noch heute in der Küche 


aufgehängt, um, wenn fie getrodnet und durchräuchert find, zur Molfenbereitung 
verwendet zu werden. 


3 Dieje Strophe warnt vor allzu großer Freigebigfeit. Ein Riegel, der fich 


allzu oft den Dürftigen öffnet, geht entzwei, daher muß man dafür forgen, daß 
er auch durch einen Ring geſchloſſen werden fann (d.h. man muß auch eine Gabe 
verjagen können). 


rl 


11. Die Sprüde Hars (Hövamol). 105 





tranfjt du dir Bierraufch, To bann' ihn durch Exrdfraftt, 
[denn das Feld jaugt Naß und Feuer nimmt Siechtum, 
die Eiche heilt Stuhlzwang, die Ahre Bezaub’rung, 
Mutterforn den Bruch, der Mond die Tobjucht, 
Räude der Grasgang, die Runen Vergiftung] 

das Feld zieht Feuchtigkeit ein.“ 


137 Nun find Har Sprüche in der Halle gejprochen, 
nüßlich den Söhnen der Menjchen, unnüß den Söhnen 
der Riejen. 
Heil ihm, der fie jprach! Heil ihm, der fie fennt! 
Nütze ſie, wer fie vernahm! 
Den Hören allen Heil! 


V. 
138. »Ich weiß, daß ich Hing am windbewegten Baum 
neun Nächte hindurch, 
verwundet vom Speer, geweiht dem Odin, 
ich jelber mix jelbit, 
[an dem mächtigen Baum, don dem Menſchen nicht wiſſen, 
aus welchen Wurzeln ex wuchs.) 


139. Wan bot mir fein Horn noch Brot zur Labung, 
nach unten jpähte mein Aug’, 
ächzend hob ich, hob aufwärts die Runen, 
zu Boden fiel ich alsbald. 


140. [?Bejtlag Bruder, des Bolthorn* Sohn, 
lehrte mich wirkſamer Werfen neun, 





1 Das Mittel, den Rauſch dadurch zu bannen, daß man an Erde riecht, joll 
aud in Deutjchland befannt fein. geile 9 ſchließt fih unmittelbar an Zeile 4 an; 
3. 5—8, bie verjchiedene Mıttel aus dir volfstümlichen Heilkunde zuſammen— 
jtellen, find ein jpäterer Zuſatz. 

2 Um die Runen zu erfinden und durch fie geheimer Weisheit mächtig zu 
werden, opferte fi Ddin felbjt, indem er an der Welteſche fich aufhängte und 
mit dem Speer ſich verwundete. Daher heißt die Eihe Yggdrafil, d.h. „Yggs 
(Ogg, „der Schredlide” — Odin) Roß“, wie der Galgen in einer jtaldifchen 
Dihtung einmal „das Pferd des Geliebten der Signy“ genannt wird (da König 
Eigar den Hagbard, der ein Liebesverhältnis mit feiner Tochter Signy unterhielt, 
aufhängen ließ). — Die Art, wie Ddin fich jelbjt opferte, ift auch fonft bezeugt: 
nach der Gautrekssaga C. 7 opferte Starfad dem Odin den König Wikar, indem 
er ihn mit einem Speere durchſtieß und an einer — aufhängte. Zeile 5, 6 
ſind ein Zuſatz aus Fjolsvinnsmöl 14. 

3 Dieſe Strophe ijt eine Snterpolation, welche die Erzählung von Odins 
Gelbitopferung ftörend unterbricht: fie jtammt aus einem Liede, das von der 
Gewinnung des Dichtermets handelte (ſ zu Str. 103 fg.). 

4 Bolthorn (d.h. „der Dorn des Unheils“), Beſtlas Vater ift der Groß— 


106 Erfte Bud. Götterlieder. 





und den Trank erlangt’ ich des trefflichen Mteteg, 
aus Odrerirs! Inhalt gejchöpft.] 


141. Zu gedeihn begann ih und bedacht zu werden, 
ich wuchs und fühlte mich wohl; 
ein Wort fand mir das andere Wort, 
ein Werk das andere Werk. 


142. "Runen wirjt du finden, geratene Stäbe, 

Stäbe voll Stärke, Stäbe voll Heilkraft, 
von dem Fürſten der Sänger gefärbts, 
von mächtigen Göttern gemacht; 
es rigte jie Ragna=Hropt*, 

hei den Ajen Odin, bei den Elben Dain, 

im Reiche der Zwerge Dwalin, bei den Rieſen Alfwinns, 
einige ritzte auch ich. 





143. "Weißt du, wie man rigen muß? weißt du, wie man 

raten muß? 

weißt du, wie man färben muß? weißt du, wie man 
forichen muß? 

weißt du, wie man anrufen muß? weißt du, wie man 
opfern muß? 

weißt du, wie man Ichlachten muß? weißt du, wie man 
ſchwenden muß? 


144. Im Unmaß opfern iſt ärger als gar nicht beten, 
Gabe jchielt ſtets nach Entgelt; 





vater Ddind, vgl Gylfag. E.6 Einen Sohn des Bolthorn fennen die übrigen 
Duellen nicht, doch ijt die Bermutung ARybbergs, dag Mimir diefer Sohn gewejen 
fei, fehr ansprechend. Mimir wäre demnach der Oheim Odins, und die Zauber- 
lieder, die diefer von Mimir lernte, festen ihn nah unjerer Strophe ın den 
Stand, den Dichtermet zu erlangen. 

ı Ddrerir, ſ. oben zu Str. 106. 

2 Iſt ein Fragment, das aus einem andern Liede hierher geraten ift. 

3» Gefärbt. Es ijt bezeugt, daß die eingeristen Runen mit roter Farbe 
ausgefüllt wurden, bei zauberifcher Verwendung der Runen auch mit Blut (Grettis- 
saga C. 81). Bgl. Str. 1432, 1563 und Guprünarkvipa !I tr. 29) Str. 23. 

* Ragna-Hropt (d.h. „der Gott der Götter”) — Odin 

5 6—8 enthalten einen jüngern Zufag; über Dain und Dwalin f. zu 
Grimn. 33, 

s Alſwinn („der volllommen Weil”) fommt als Riefenname ſonſt nicht vor, 

" Str. 143 und 144 find wieder als ein befonderes Bruchftüd anzujehen. 


— 


11. Die Sprüche Hars (Hövamö!l). 107 





verſchwendet ijt jchlimmer als nicht geichlachtet 


©o ritzte Thundi in den Tagen der Vorzeit, 
dort, wo er heimkam, erhob er ſich wieder. 


VI. 
145. Sch weiß die Sprüche, die fein Weib des Königs 
und fein Menſchenkind kennt: 
der erſte heißt Hilfe, zu helfen vermag er 
wider Kummer und Kränkung und jegliche Not. 


146. Einen zweiten kenn’ ich, zuträglich den Menjchen, 
die üben des Arztes Amt 


147. Einen dritten kenn’ ich, iſt dringend der Anlaß, 
zu feileln dur Zauber den Yeind: 
ftumpf mach’ ih den Stahl meiner Gegner?, 
e3 jchneidet nimmer ihr Schwert. 


148. Einen vierten fenn’ ih, wenn der Yeind mir legt 
an die biegjamen Glieder ein Band: 
ich murmle den Zauber, vermag zu jchreiten, 
es jpringt mir die Feſſel vom Fuß, 
und von den Händen der Haft.? 


149. Einen fünften fenn’ ih, wenn vom Feind gejchoffen 
ein Pfeil in die Volksſchar fährt: 
mag hurtig er fliegen, ich hemm' ihn im Flug, 
fobald ihn mein Auge ereilt. 


150. Einen jechjten kenn' ich, verſehrt mich ein Krieger 
duch Wurzeln von weichem Holz *: 
diejen Helden, der den Haß mir erregt, 
trifft eher das Unglüd als mic). 





ı Thund = Odin; ſ. zu Grimn. 54. 

2 Daß zauberfundige Menſchen (bejonders Berjerfer) die Baffen drer Gegner 
ſtumpf zu machen verſtanden, wird oft in den Sagas erzählt. 

3 Der Zauber, durch den man Feſſeln löſte, war auch in Deutſchland bekannt: 
im erjten Merjeburger Spruche gejchieht jeiner Erwähnung. 

4 Dur eine Baummurzel, auf welche eine Here Runen gerigt hatte, kam 
der iSländifche Held Grettir ums Leben (Grettissaga E. 81 ff). 


108 - Erſtes Bud. Götterlieder. 





151. Einen jtebenten fenn’ich, wenn ich ſeh', daß der Hochjaal 
über den Bankgenoſſen brennt: 
wie breit er auch lohe, ich berge ihn dennoch, 
zu jprechen verjteh’ ich den Spruch. 


152. Einen achten fenn’ ich, der allen Mtenjchen, 
die ihn behalten, zum Heile dient: 
wenn Haß fich erhebt unter Heldenjöhnen, 
diejen jchlichte ich ſchnell. 


153. Einen neunten fenn’ ih, wenn Not mir dräut, 
im Meere zu jcehirmen mein Schiff: 
den Wind bejchwör ich auf wogender Flut 
und finge in Schlummer die See. 


154. Einen zehnten fenn’ ih, wenn BZauberweiber 
im Yluge durchfahren die Luft: 
bewirken fann ich’3, daß jte wenden den Pfad 
nach Haufe, der Hüllen beraubt, 
nad) Haufe, verjtörten Berjtande. 


155. Einen elften fenn’ ih, wenn zum Kampf ich gebe 
langjährigen Freunden Geleit: 
ich raun' in die Schilde!, dann reiten fie ftattlich, 
zum Treffen gefund, vom Treffen gejund, 
heil jtet3 fehren fie heim. 


156. Einen zwölften fenn’ ich, wenn am Zweige oben 
an der Schnur eine Leiche jchwebt: 
fo kann ich rigen und Runen färben ?, 
daß dom Stamm der Gejtorbene jteigt 
und Worte wechjelt mit mir. 


157. Einen dreizehnten fenn’ ih, wenn ein Degenkind 
mit Waſſer ich weihen joll?: 





ı Bekanntlich erzählt Tacitus im 3. Kapitel der „Germania”, daß von den 
Germanen bei dem Beginn der Schlacht der jogenannte Barditus („Schild“- oder 
„Bartgejang” ?) angeftimmt wurde, und daß man dabei, um den Ton zu verftärken, 
die Schilde an den Mund hielt. Es iſt jedoch zweifelhaft, ob man von diefem Ge— 
fange auch zauberische Wirkungen erwartete. — 

2Runen färben, vgl. zu Str. 1423. 

3 Schon in der Heidenzeit wurden die Kinder bei der Namengebung mit 
Waſſer begofjen. Vgl. Rigspula, Str. 7 und 21. 


159. 


160, 


161. 


163. 


11. Die Sprüche Hars (H$vamı!). 109 





ob er echte im Volksheer, gefällt wird er nie, 
es jtredt ihn fein Schwert in den Staub. 


. Einen vierzehnten kenn’ ih, wenn dem Volke Der 


Menfchen 
ich die Himmliſchen erzählen joll: 
Die Aſen alle und Elben kenn’ ich, 
nur ein Weiler weiß das jo gut. 


Einen fünfzehnten fenn’ ih — im Borhauje Dellings! 
fang Zwerg Thjodreriv? den Zauberipruch: — 

Kraft jang er den Aſen, den Elben Tüchtigkeit, 
hohe Weisheit dem Hroptatyrẽ. 


Einen jechszehnten fenn’ ih, wenn von Eluger Maid 
Liebesluſt ich erlangen will: ' 

ich wandle den Sinn weißarmiger Jungfrau 
und ändere all ihr Gemüt. 


Einen fiebzehnten kenn’ ich, den fing’ ich, daß nimmer 
mein Liebchen, das junge, mich läßt 


. Diejer Sprüde wirjt du, Loddfafnir, 


allezeit unwiſſend jein; 

doch hätteſt du Borteil, ſie zu erfahren, 
Nutzen, nähmſt du fie auf, 
Heil, behieltejt du fie. 


Einen achtzehnten kenn’ ich, den feine ich Lehre, 
weder Maid noch Mannes Frau — 

was einer allein weiß, ijt immer das Beite: 
dies jei der Denkiprüche Schluß — 

es jei denn die eine, Die im Arme mich hegt 
oder die mir zur Schweiter bejchert. 


— — 





ı Delling, S. zu Vafpr. 25. 


2 Der Zwerg Thjodrerir wird fonjt nirgends erwähnt. 
3 Sroptatyr, „der Gott der Götter” — Dpin. 


110 Erſtes Buch. Götterlieder. 





12. Das Lied von Rig. 
(Rigspula.) 

So wird in alten Gejchichten erzählt, daß einftmals einer von den 
Ajen, der Heimdall! hieß, feinen Weg längs des Meeresitrandes nahnı 
und zu einem Gehöfte gelangte, wo er fi) Rig? nannte. Bon diejer 
Geſchichte handelt das nachfolgende Lied. 


1. 63 ging, wie erzählt wird, auf grünen Wegen 
der wadere, alte, weiſe Aſe, 
Rig, der fühne, rüſtige Schreiter. 


2. Weiter ging er in Weges Mitte, 
fand eine Hütte, am Pfojten die Thür; 
trat ein und ſah auf dem Ejtrich Teuer; 
dort jaß ein altes Eh'paar am Herde, 
A und Edda? in Altvätertracht. 


3. Rig verjtand’s, ihnen Rat zu geben, 


er wählte den Platz in des Wohnraums Mitte, 
an den Seiten beiden ſaßen die Gatten. 


4. Da ſchaffte Edda ein Schrotbrot herbei, 
ein feſtes, dickes, voll von Hülſen; 
mehr noch trug fie zum Tiſche hin 
und jet’ auf die Tafel Die Suppenjchüffel. 


5. Nig verjtand’s, ihnen Nat zu geben, 
doch bald ſtand er auf, um zu Bett zu gehn; 
in des Lagers Mitte Legt’ ex fich nieder, 
zur Rechten und Linken ruhten die Gatten. 


6. Dort verharrt' er drei der Nächte, 
dann ging er weiter in Weges Mitte; 
allmählich vergingen der Monde neun. 


ı Heimdall, f. zu Vol. 12, 271 und Prymskv. 14. 

2 Rig (d. h. „König“) ift ein feltifches Wort. Wahrjcheinlich ift unfer Ge— 
dicht auf einer von den nordſchottiſchen Inſeln, die die Norweger im 9. Jahrz 
hundert eroberten, entjtanden. Daß es erzählt, wie ein norwegiſcher Häuptling 
in Dänemark die Königswürde gewann, fteht damit nicht in Widerſpruch. 

3» Ai unt Edda, d. 5. „Urgroßvater” und „Urgroßmutter”. 








en L 


12. Das Lied von Rig (Rigspula). 111 





7. Drauf brachte Edda ein Bübchen zur Welt, 
jeine Haut war gelb, jein Haar war jchwarz!; 
fie neßten’s mit Waller? und nannten es Thräl?. 


8. Yaltig war ihm das Tell an den Händen, 
Itolig DIE HB 0: 1% 
grob die Singer und garjtig das Antlitz, 
der Rüden Frumm, rieſig die Yerjen. 


9. Zu wachjen begann er und wohl zu gedeihn, 
zeitig fonnt” er die Kräfte zeigen, 
den Bajt binden und Bündel jchnüren; 
von früh bis ſpät trug er Fallholz heim. 


10. Da wankt' in den Hof die wandernde Magd, 
von der Sonne gebräunt, an den Sohlen narbig; 
die Naje war platt; fie nannte fih Thirt. 


11. Cie wählte den Pla in des Wohnraums Mitte, 
zur Seite jaß ihr der Sohn des Haufes; 
fie jchwaßten und jchäferten, ſchlugen das Bett auf, 
Thräl und Thir, und die Tage jchwanden. 


12. Ihrer Zelle froh zeugten jie Kinder; 
fie hießen, mein’ ih, Hreim und Fjosnirẽ, 
Klur und Kleggi, Kefſir, Fulnir?, 
Drumb, Leggjaldi, Drott und Hoswir”, 
Digraldi, Luts; ſie düngten die Acker, 
zogen Hecken, züchteten Schweine, 
Geiße hüteten fie und gruben Zorf?. 





ı Gelbe Hautfarbe und ſchwarzes Haar werden oft al3 Kennzeichen ber 
Sklaven genannt. Sie erweijen fi dadurch den blonden Germanen gegenüber 
als Angehörige fremder Völker, die im Kriege gefangen und gefnechtet wurden. 

2 Bgl. zu Höv. 157. 

3 Thräl,d. h Sklave. 

4 Thir,d i. „Magd”, „Sklavin. 

5 Die Namen bedeuten: Hreim, „Schreier”, Fjosnir, „der Mann bes 
Kuhſtalles“; 

s Klur, „der Derbe“, Kleggi, „die Viehbremſe“, Kefſir, „der Kebſer“ 
(. h. der mit einem Weibe gleichen Standes im Konkubinat lebt), Fulnir, 
„der Stinkende“; re 

’ Drumb, „Klotz“, Leggjaldi, „der mit (tüchtigen) Schienbeinen Ber: 
ſehene“, Drott, „Faullenzer”, Hoswir, „ver Duntelbraune”;' 

8 Digraldi, „der Wohlgenährte”, Lut, „ver Gebeugte”. 

? Das Stehen des Torfes lehrte nach der Orkneyingasaga E 7 zuerft ber 
Jarl Einar, der fi im 9. Jahrhundert die Orfneyinjeln unterwarf, da es dort 
an Brennholz mangelte. 


14. 


16. 


17. 


18. 


19. 


20. 


Erſtes Bud. Götterlieder. 





. Die Dirnen hießen Drumba und Kumba!, 


Dfkwinkalfa und Arinnefja?, 

Ysja und Ambatt, Eikintjasna?, 
Totrughypja und Tronubeina*; 

dorther entjtammt der Stand der Knechte. 


Meiter ging Rig gerades Weges, 
fand eine Halle, am Pfojten die Thür; 


‚trat ein und ſah auf dem Ejtrich Teuer; 


Afi und Amma? waren Eigner des Haufe. 


. Das Ehepaar jaß mit Arbeit beichäftigt: 


Holz zum Webebaum hieb der Gatte, 

mit gejträhltem Bart, vor der Stirn eine Locke; 
eng jaß das Hemd; im Ed jtand die Truhe. 

Das Weib jaß da, bewegte den Roden, 

rührte thätig die Arme, um Tuch zu bereiten; 

fie trug Bänder am Kopf, überm Bujen ein Läbchen, 
das Nadentuh war mit Nadeln befeitigt. 

Rig verjtand’s, ihnen Nat zu geben, 

er wählte den Pla in des MWohnraums Mitte, 

an den Seiten beiden ſaßen die Öatten. 


Da nahm Amma 


ferner brachte fie volle Schüffeln, 

doch gefochtes Kalbfleiih war der Küche Beſtes. 
Rig verjtand’3, ihnen Rat zu geben, 

doch bald ftand er auf, um zu Bett zu gehn; 
in des Lagers Mitte legt' er jich nieder, 

zur Rechten und Linken ruhten die Gatten. 
Dort verharrt’ er drei der Nächte, 

dann ging er weiter in Weges Mitte; 
allmählich vergingen der Monde neun. 





1 Die Namen bedeuten: Drumba, „die Klotzige“, Rumba, „die Stämmige” ; 
2 Difwinfalfa, „die Dickwadige“, Arinnefja, „Herdnaſe“ (d. h. die 


ihre Naje in den Herd ftedt); 


3 Ysja, „die Lärmende”, Ambatt, „Magd“, Eifintjasna, „die mit 


Eichenpflöden fih Beſchäftigende“; 


* Totrugbypja, „die mit Lumpen Bekleidete”, Tronubeina, „Kranide 


beine habend“. 


5 Afi und Amma,d h. „Großvater und „Großmutter 


12. Das Lied von Rig (Rigsbula). 113 





21. Drauf brachte Amma ein Bübchen zur Welt, 
fie negten’s3 mit Waller und nannten e8 Karl!; 
man band ihn in Windeln, ihm bligten die Augen, 
die Haut war vötlih, das Haar war blond. 


22. Zu wachjen begann ev und wohl zu gedeihn, 
er zähmte Ochjen und zimmerte Pflüge, 
jtellte Häuſer und Ställe her, 

Laſtkarren baut’ ev und lenkte den Hafen. 


23. Man brachte im Wagen die Braut ihm heim, 
am Kleid von Ziegenfell klirrten die Schlüffel, 
fie jaß unterm Schleier, Snor? war ihr Name. 
[Sie jchloffen die Ehe, verjchenkten Ringe, ] 

fie breiteten Deden und bauten den Hof. 


24. Ihrer Zelle froh zeugten fie Kinder: - 
fie hießen Hal und Dreng, Hold, Thegn und Smid?, 
Bondi und Breid, Bundinjfeggi, 
Bui und Boddi, Brattifegg und Lega?. 


. 63 führten die Töchter Folgende Namen: 
Snot, Brud, Swanni, Swarri, Opraffi®, 
Fljod, Sprund und Wif, Yeima, Rijtil’; 
dorther entjtammt der Stand der Bauern. — 
26. Weiter ging Rig gerades Weges, 
fand einen Saal, die Port’ in der Südwand 
ſtand auf, ein Ring ſaß am Rahmenholze; 
er trat ein und ſah den Eſtrich beſtreut. 
27. Es ſaßen die Gatten und ſahn ſich ins Auge, 
Fadir und Modirs, mit den Fingern ſpielend; 


22 
[st 





ı Karl, die urjprüngliche Bezeichnung der Gemeinfreien. 

2 Snor, d. h. „Schnur (Schwiegertodhter). 

3 Die Namen bedeuten: Hal, „Mann, Dreng, ‚„tühtiger Menſch“, Hold, 
„Freibauer“, Thegn (dasjelbe), Smid, „Handwerker“; 

4 Bondi, „Bauer”, Breid, „der Breite‘ (Breitichulterige?), Bun din= 
fleggi, „Garbenbart‘ (2); 

5 Bui, „Bauer“, Boddi (basfelbe?), Brattſkegg, — Legg, 
„Mann“. 

6 Die Namen bedeuten: Snot, „Frau“, Brud, „Braut“, Swannt, „die 
Stolge”, Swarri, „die Übermütige‘, Sprakti, „die Hochmütige“; 

” Sljod, „Frau“, Sprund, „die Stolze”, Wif, „Weib, Feima, „die 

Schamhafte“, Riftil, „die Energifche‘ 

s Fadirund Mopdir, d.h. „Vater“ und „Mutter“. E3 ergibt fich aus diefen 
Bezeichnungen der Elternpaare, daß dem Dichter mwunperlicherweije der Stand 


Die Edda. 8 


114 


28, 


29. 


80. 


31. 


33. 


34, 


35. 


Erſtes Buch. Götterlieder. 





e3 jaß der Hausherr, Die Sehne dreht’ er, 
Ichnißte am Bogen und jchäftete Pfeile. 


Die Ehefrau ſaß, ihre Arme betrachtend, 

jtrich das Gewand, zog jtraff die Armel, 

ihob an der Haube; eine Schaumünze trug fie; 
lang war die Schleppe des Lichtblauen Kleides; 
die Braue war glänzender, der Buſen Teuchtender, 
der Hals weißer als der helle Schnee. 


Rig verſtand's, ihnen Nat zu geben, 
er wählte den Pla in des Wohnraums Mitte, 
an den Seiten beiden ſaßen die Gatten. 


Modir nahm nun ein gemuftertes Tuch 

von hellem Leinen und Hüllte die Tafel; 
dann trug fie flahe laden herbei 

von Fichtem Weizen und legt’ fie aufs Tud). 


Ferner brachte fie volle Schüfjeln, 

mit Silber bezogen, und bejegte den Tiſch, 

auch braunen Speck und gebratene Vögel; 

in der Kanne war Wein, die Kelche verjilbert. 

Sie tranten und jchwaßten, der Tag ging zur Rüſte. 


. Rig verſtand's, ihnen Rat zu geben, 


doch bald jtand er auf, um das Bett zu bereiten; 
in des Lagers Mitte legt' ex fich nieder, 
zur Rechten und Linfen ruhten die Gatten. 


Dort verharrt' er drei der Nächte, 
dann ging er weiter in Weges Mitte; 
allmählich vergingen der Monden neun. 


Einen Sohn gebar Modir, den in Seide fie Hüllte; 
man nett’ ihn mit Wafler und nannte ihn Sarl!; 
weiß war jein Haar, die Wangen glänzend, 

die Schlangenaugen jchleuderten Blitze. 


Es wuchs dort Jarl in der Wohnung auf, 
bald lernt’ ev Schild und Lanze zu ſchwingen, 





ber Sklaven als der ältejte galt, als der zweitältefte der Stand der freien Bauern 
und als der jüngjte der Stand der Edlen. 


ı Jarl war in Norwegen die Bezeichnung der edelgebornen Männer. 


12. Das Lied von Rig (Rigspula). 75 





Bogen zu biegen, zu binden die Sehne, 
zu jchäften den Pfeil, zu jchleudern den Wurfſpeer, 
Hunde zu been und Hengjte zu veiten, 
zu jchwimmen im Strom und Schwerter zu führen. 


36. Aus dem Buſch fam der rüjtige Rig gejchritten, 
Rig gejchritten, ihn Runen zu Ichren; 
gab ihm jeinen Namen, als Sohn ihn erkennend, 
ſchenkt' ihm als Eigen die ererbten Güter, 
die ererbten Güter, den alten Stammfik. 


BF... TEIEE: — | 
vitt weiter von dort durch des Waldes Dunkel, 
auf: bereiftem Wels, und erreichte die Halle. 


38. Er ſchwang das Schwert, den Schild erhob er, 
den Speer wirbelnd, ſpornt' er den Hengit; 
Fehde erregt’ er und färbte die Wahlftatt, 
Krieger fällt ex, erkämpfte fich Land. 


39. Sein Eigen nannt’ er achtzehn Höfe, 
dann ſchenkt' er allen vom Schaße reichlich: 
Gejchmeide und Schmud, ſchlanke Roife; 
ipendete Gold und zerjpellte Ringe. 


40, Es fuhren die Boten auf feuchten Wegen, 
fie famen zur Halle, die Herjir! beivohnte; 
feine jchneeweiße Tochter mit jchlanfen Fingern, 
die einſichtsvolle, war Erna? geheißen. 


41. Die gewworbene ward in den Wagen gehoben, 
man gab fie dem Jarl, fie ging unterm Schleier; 
in behaglihem Heim hauſten fie beide, | 
waren fruchtbar und führten ein frohes Dafein. 


42. Bur war der ältefte, Barn? der zweite, 
Jod und Adal, Arfi und Mogt, 





Herjir; diefen Namen führte derjenige Jarl, der zum Beherricher eines 
Gaues erhoben war. Diejenigen Herfen, denen e3 gelang, ihre Würde in ihrem 
Geſchlecht erblich zu machen, pflegten dann den Königstitel anzunehmen. 

2 Erna, d.h. „die Tüchtige“. 
3 Die Namen bedeuten: Bur, „Sohn“, Barn, „Kind“; 
4 %0d, „Kind“, Adal, „Nachkomme“, Arfi, „Erbe, Mog, „Knabe; 


8* 


116 Erit:3 Bud. Götterlieder. 





Nid und Swein, Nidjung und Son,! 

Kund hieß einer, Kon war der jüngjter — 

bald erlernten fie Brettipiel und Schwinmen. 
43. Zu Jünglingen wırden des Jarl Söhne, 

fie ritten Roſſe ein, rundeten Schilde, 

jchmiedeten Schießzeug und jchwangen Speere. 
44. Doch Kon der junge war fundig der Runen, 

lange wirfender Lebensrunen; 

auch kannt' er die Kunft, Krieger zu jchügen, 

machte Schwerter ftumpf und bejchwichtigte Wogen.⸗ 
45. Die Stimmen der Vögel verjtand er zu deuten, 

jtillt? Meer und Feuer, minderte Schmerzen 


achtfache Männerkraft vereint' er in ſich. 

46. Mit Rig Jarl“ ſtritt ev in der Runenkunde, 
dem Lehrer an Liſt überlegen war er; 
da erreicht” und erwarb das Recht er ſelber, 
Rig zu heißen und Runen zu wiſſen. 

47. Durch Röhricht und Wald ritt Kon der junge, 
Pfeile entſandt' er, Vögel kirrt' er; 
da rief eine Krähed, raſtend im Baume: 
„Kon, du junger, was kirrſt du Vögel? 

48. — wär's, auf die Roſſe zu ſteigen 

und den Feind zu vernichten. 

49. ‚Herrlich find Dans und Danps? Hallen, 

ihr Erbgut ift reicher als euer Beſitz; 





ı Nid, „Abkömmling“, Swein, „Knabe, Nidjung, „Abkömmling“, 
Son, „Sohn“; 

2 Kund (dasjelbe), Kon, „Sprößling”. Der legte Name joll wahriheinlidh 
auch andeuten, daß es jeinem Träger beftimm. war, bie Königswürde zu erlangen. 

3 Bgl. Höv. 147 und 153. 

* Rig Sarl, der Vater des Kon, zuerjt Sarl geheigen, bi ihm ber alte 
Kig (Heimdall) feinen eignen Namen gab (Str. 363), damit bezeichnend, daß fein 
Sohn zu einem königlichen Geſchlecht gehöre. 

5 Den Bög.In wird oft Kenntnis der Zufunjt zugejchrieben ; vgl. Helgakv. 
Hund. I, 5 fg. und Fäfn. 32 fg. 

Dan und Danp find als Namen sänijher Könige zu fafjen. Der 
zweite Name ift nach dem Drtönimen Danparftadir gejhaffen, den man als 
„Stätte des Danp“ deutete, während er nichts andres bezeichne:, als einen „Ort 
am Dnjepr’. Die Danparftadir werden in einer in der Hervararsaga erhaltenen 
Didtung genannt, die den Kampf zwilchen den Goten und Hunnen jdilderte. 


a 
ir 2 


13. Das Lied von Hyndla (Hyndluljoh). 117 





fundig find fie, den Kiel zu reiten, 
Waffen zu prüfen und Wunden zu ſchlagen.“ 
* * 


13. Das Lied von Hyndla. 
(Hyndluljöp.) 


Freyja.? 

1. Erwache, Jungfrau! erwache, Freundin! 
Schweiter Hyndla, Höhlenſchläferin! 
Rabenſchwarz ift die Nacht, reiten laß uns 
nah Walholl3 Höh’, zum geweihten Tempel! 


2. Laß uns Heervater bitten, feine Huld zu gewähren, 
der gern dem Gefolge jein Gold jpendet; 
dent Hermod? gab ev Helm und Panzer, 
ein jchneidiges Schwert schenkt” er dem Sigmund. * 





Die Sfandinavier liegen jedoch den „„Danp” (infolge der Ähnlichkeit diefes Namens 
mit Dan) in Dänemark herrſchen und verlegten auch das Land der Goten, in 
welchem Danparftadir lag, nach Dänemart. 

I Der verlorne Schluß des GedichtS hat zweifellos berichtet, daß Kon auf 
feinem Heerzuge als Siegesbeute die Hand einer dänifchen Fürſtentochter erringt 
und in dem eroberten Lande der erjte König wird Nach der Ynglingasaga 
(E. 20) war Dan der Hohmütige, „nach welhem Dänemark benannt ijt”, ein 
Entel des Rig, de3 erften Königs im Norten. 

2 Die Göttin Freyja ift von Ottar, ein:m edlen Jüngling aus ber nor= 
wegiſchen Yandihaft Hordaland, um Beiitand angerufen worden, da er mit einem 
Altersgenofiin, dem Angantyr, eine hohe Wette eingegangen ift, bei der fein 
ganzes väterliches Erbe auf dem Sriele fteht. Gegenftand der Wette ift, wer 
von beiden einem vornehmeren Gejchlecht entſproſſen ſei. Freyja, durch reiche 
Opferſpenden Ottars günftig geftimmt, begibt ſich mıt ihrem Schügling, den fie 
in die Geftalt ihres Ebers Hildifwini verwandelt hat, in tie Höhle der Riefin 
Hyndla (d.h. „Hündin”), wedt diefe aus dem Schlafe und fordert fie auf, mit 
ihr zu Ddins Tempel nah Walholl zu reiten, damit fie dort, von dem allwifjen- 
den Gotte mit der Kenntnis der vergangenen und vergefjenen Dinge begabt, die 
Ahnen des Ditar aufzähle. Als ſolche werden nun im Verlaufe des Gedichtes 
nicht bloß hordaländiiche Edle, jondern auch zahlre.de andre Helden der germa= 
niijhen Sage genannt. — Die Strophen 30—45, die in ber einzigen Handſchrift 
in unfer Lied eingefchoben find, gehörten urfprünglich nicht dazu, jondern find 
einer andern Dichtung, der jogenannten „Leinen Voluspg“ entiehnt. 

3 Hermod, ein Sohn Ddind, der von dieſem nah Baldrs Tote zur Hel 
gefandt wurde, um den Geftorbenen zuridzuerbitten. Vgl Gylf. €. 49. 

+ Sigmund, der Vater Sigurd. Odin verlieh ihm ein trefflihes Schwert, 
das a'er in Sigmund? legter Schlacht an des Gottes Speer zerfplitterte. Aus 
den Stüden wurde dann Sigurds Schwert Gram geſchmiedet. Näheres in ber 
„Volsunga saga“ (überjegt von U, Edzardi, Stuttg 1830). 


118 Erfted Buch. Götterlieder. 





3. Dem einen gibt Gieg er, dem andern Schäße, 
Meisheit vielen und gewandte Rede; 
dem Seemann Fahrwind, dem Sänger Dichtlunft, 
männliche Thatkraft manchem Helden. 


4. Ich ehre auch Thor mit Opfern und bitt’ ihn, 
daß er dir Gnade und Gunjt erhalte, 
wenn auch widrig ihm find die Weiber der Riejen 


5. Deiner Wölfe! einen nun wähl aus dem Stalle, 
mit meinem Eber mög’ eilig ex rennen! 


Hyndla, 
Träg’ ijt dein Eber, zu treten den Götteriveg, 
auch belaſt' ich nicht gerne mein Löbliches Roß.“ 


6. Mit Taljchheit, Treyja, verführſt du zum Ritt mich; 
dein ruh'loſes Auge verrät es mir,? 
daß dein Trauter dir folgt auf dem Todeswege,“ 
Dttar der junge, des Innſtein Sohn. 


Freyja. 

7. Im Traum, ſcheint mir, ſprichſt du thörichte Worte, 
daß mein Trauter mir folge auf dem Todeswege; 
bier glänzt nur der Eber mit goldenen Borſten,“ 
Hildijwini,6 den behende Zwerge 
mir dienend fchufen, Dain und Nabbi?, — 


8. Die Sättel räumen wir?! ſitzen laß ung 
und die Ahnenreihe der Edlen beiprechen, 
die dom Blute der Götter geboren wurden 





ı Daß Niefinnen und Heren auf Wölfen reiten, wird öfter erwähnt; vgl. 
z. ®. Helgakv. Hjorv., Proja nad) Str. 30. 

2 Mein löbliches Roß, nämlid den Wolf. 

3 Hyndla erkennt, daß fih in der Eberhülle der Dttar birgt, den fie als 
den Geliebten der Freyja bezeichnet. 

* Auf dem Todeswege, weil auf demjelben Pfade die Gefallenen nad 
Walholl ziehen. 

5 Daß auch Freyja (wie ihr Bruder Freyr) einen Eher mit goldenen Borften 
befaß, ift ſonſt nirgends bezeugt. 
\ s Hildifwini, d. h. „Kampfjchwein”. 

" Dain fommt auch fonft als Zwergname vor (vgl. zu Grimn. 33), Nabbi 
(„ver Budlige“?) wird anderwärts richt genannt. 

8 Freyja und Hyndla find in Walholl angelangt und ſteigen ab. 








13. Das Lied von Hyndla (Hyndluljöh). 119 


9. Gewettet Haben um weljches Erz 
Dttar der junge und Angantyr; 
verhelfen muß ih dem Heldenjüngling 
zum Erbe der Bäter, das die Ahnen ihm Tießen. 


10. Er türmte aus Steinen den Altar mir auf — 
der Gneis ift nun zu Glas zerichmolzen! — 
gefärbt ward er mit friichem Stierblut — 
Dttar glaubte an die Afinnen jtet. 


11. Nun ſage die alten Ahnenreihen 
und melde mir der Menjchen Gejchlechter: 
wer gehört zu den Skjoldungen?, wer zu den Shilfingen?, 
wer zu den Ödlingene, wer zu den Alfingen?, 
wer zum Erbbauernitand, wer zum adligen Stamme, 
zur Männerauslefe in Midgard: Reich? 


Hyndla. 


12. Du biſt, Ottar, von Innſteins erzeugt, 
Alf der Alte war Innſteins Vater; 
Alfs Bater war Ulf, UNS Säfari, 
Säfaris Vater war Swan der Rote. 


13. Dein Bater, weiß ih, erwählte zur Frau 
die Priefterin Hledis, prangend im Goldſchmuck; 
ihr Vater war Frodi und Friund die Mutter; 
aus glorreihem Stamm war das ganze Gefchlecht. 





ı Das Geftein ift (infolge der zahlreiden DOpferbrände) gefhmolzen und zu 
Glas geworden. 

2 Die Stjoldunge find die Nachkommen de3 mythifchen Königs Skjold. Er 
war nad der Sage ein Sohn Odins und der Etammvater des dänifchen Königs— 
geſchlechts. 

3 Die Skilfinge find nad einer Stelle der Skäldskaparmäl (Arnam. Ausg. 
1,522) ein Fürftengeichlecht, das von dem Heerfönig Skelfir ſich ableıtete und „im 
Diten“, d. h. in den von Standinaviern eroberten Strichen von Rußland, Herrichte. 

4 Die Odlinge, ein Gefchlecht, zu dem die Skäldsk. a. a. Do einen Stamm: 
vater Audi fonftruiert haben. 

5 Ylfinge (d. 5. „Wolfsföhne”) ift der Name des Geſhlechts, dem Helgi, 
der Hundingstöter, entſtammte; vgl. zu Helgakv. Hund. I, 5. 

s Innftein, der Vater des Dttar, iſt aus der Hälfssaga bekannt. Er war 
ein Krieger des Königs Half von Hordaland (vgl. zu Str. 194). Die weitern 
Ahnen bis auf Swan den Roten werden aud) in einer mythifchen Erzählung von 
der erjten Befiedelung Norwegens (Hversu Noregr by gdist) Erg deren Ber: 
faffer die Hyndl. benugte. u. 


120 Erſtes Buch. Götterlieder. 





14. Alt war eh'mals der erſte der Helden, 
vor ihm war Halfdan? der höchite dev Skjoldunge; 
befannt find die Kämpfe, die der Kühne bejtand, 
fein Ruhm erfüllte die Keiche der Welt. 


15. Durh Eymund? verjtärft, den erften der Männer, 
fällt’ er den Sigtiygg mit froftfaltem Stahl; 
mit Almweig vermählt, der erjten der Frauen, 
hat er achtzehn Erben gezeugt. 


16. Dorther ftammen die Skjoldunge, dorther die Skilfinge, 
dorther die Odlinge, dorther die Ylfinge, 
der Erbbauernjtand und der adlige Stamm, 
die Männerauglefe in Midgards Neid; — 
fie all’ find verwandt dir, Ottar, du Schwachkopf!] 


17. Hildigunn®, mein’ ih, hieß ihre Mutter, 
die Tochter von Swawa und Säfonung; 
fie all’ find verwandt dir, Dttar, du Schwachkopf! 
es ijt wichtig zu wiffen — willſt weitres du hören? 


18. 5[Dags Frau war Thora, tüchtige Kämpen 
gebar die Herrliche Heldenmutter: 
Yradınar, Gyrd und die Yrefis beide, 
Am und Sojucmar, Alf den Alten —- 
e3 ijt wichtig zu willen — willſt weitres du hören?) 





ı Die Strophen 14—16 find eine Interpolation; das Gejchlechtäregifter des 
Ditar wird Str. 17 fortgefegt, wo Hildigunn, die Mutter der Friund (Str. 13°) 
genannt wird. 

2 Halfdan der Alte, ein mythiſcher Dänenkönig, und jein Kampf mit Sig- 
trygg wird aud in den Skäldskaparmäl der Snorra Edda (Arnam. Ausgabe I, 
516) und in der zu Str. 12 citierten Schrift erwähnt. Über den in 8. 1 ges 
nannten Ali ijt font nichts befannt: möglidhermweife ift Ali der Kühne gemeint, 
der in der Ynglingasaga € 29 vorfommende Bruderjohn eines jüngern Half- 
dan, der aljo dann in unferm Gedicht mit Halfdan dem Alten verwechjelt ſein 
müßte. 

3 Die Skäldskaparmäl (a. a. D.) und die Schrift von ber Befiedelung Nor 
wegens erzählen, dat Halfdan Eymunds Tochter Alwig oder Alfny (in unjerm 
Gedicht 153 Almmeig) heiratete. Eymund wird in jenen beiden Schriften als 
König von Holmgard (d. h. Nowgorod) bezeichnet. 

4 Hildigunn, Sf. oben zu Str. 14-16. 

5 Dieſe Strophe, die die Genealogie des Ottar wieder unterbricht, ift inters 
poliert. — Dag und Thora werven auch in der Echrift von der Beſiedelung 
Norwegens genannt, wo ihnen neun Söhne zugefchrieben werden. Die Namen 
derjelben jtimmen jedoch nur teilweife mit ven in unjrer Strophe aufgeführten 
überein. — Auch in der Erzählung von den Söhnen des Ragnar Xodbrof (Fornal- 
dar sögur I, 357) wird ein Sohn von Dag und Thora, Namens Ring, erwähnt, 


13. Das Lied von Hyndla (Hyndluljop). 121 





19. Ihr Gatter war Ketil, des Klypp Exbe, 
er war deiner Mutter Mluttervater; 
früher noch lebten Frodi und Kari 
und Half?, geboren aus Hildens Schoß. 


Auch Nanna? nenn’ ih, Nofkwis Tochter, 

e3 freite ihr Sohn deines Vaters Schweiter; 

mehr Ahnen noch fenn’ ich der alten Sippe — 
fie all’ jind verwandt dir, Dttar, du Schwachkopf! 


21. Iſolf und Aſolf, Olmods Söhne 
und Skurhildens, Skekkils Tochter, 
rechne auch fie zur Reihe der Ahnen —- 
fie all’ find verwandt dir, Dttar, du Schwachlopf! 


20 


22. +Herward, Hjorward, Hrani, Angantyr, 
Bui und Brami, die beiden Haddinge, 
Tind und Barri, Tyrfing und Reifnir — 
fie all’ find verwandt dir, Ottar, du Schwachtopf! 


23. Eyfura gebar, Arngrims Gattin, 
zu Bolm? im Often die Berjerker; 
brüllend rajten fie, Böſes verübend, 
wie ein Feuerbrand über Flur und See — 
fie all' ſind verwandt dir, Ottar, du Schwachkopf! 


— 





1Ihr Gatte, nämlich der Gatte der Hildigunn (Str. 171). Ketil war 
demnach der Urgroßvater des Dttar. — Die in 3. 1-3 und in Str, 21 vorfons 
menden, 3.2. jehr jeltenen Namen lafjen darauf fchliegen, dag wir ed mit einem 
alten norwegijchen, in Hordaland anfäffigen Gefhleht zu thun haben, dem u. a. 
Zhora Moftrarftong, die Mutter von König Hakon Adalfteinsfoftri (+ um 960), 
entjtammte. Einer der vornehmjten Häuptlinge dieſes Gejchlecht3 war Ketil, ges 
nannt Hordaskari, von bem auch angejehene isländifche Familien ihren Ursprung 
berleiteten; jo gehörten 3. B. zu jeinen Nachkommen SHjorleif, der Entdeder Is— 
lands, und Ulfljot, der Gefeggeber der Injel. — Bon Hordaskaris Söhnen hiefen 
zwei Ketil und Olmod (vgl. 211), einer feiner Enkel führte den Namen Klypp. 

2 Half; gemeint ift ohne Zweifel König Half von Hordaland, der Held der 
Hälfssaga (vgl. zu Str. 12), ein Sohn von Hiorleif und Hild der Schlanfen. 

3 Nanna hieß bekanntlich auch die Gemahlin des Baldr: Es fommt fonft 
fehr jelten vor, daß Menſchen die Namen von Göttern führen. 

* Str. 22, 23: Die zwölf Berierker, die Söhne von Arngrim und Eyfura, 
find aus der Hervarar saga und der Orvar-Odds saga bekannt. Von ihrem 
Kampfe mit Hjalmar und Orwar-Odd, in dem alle bis auf den legtgenannten fielen, 
erzählt auch Saro Grammaticus. 

5 Bolm, wahrjcheinlich die Inſel Bolmsö in dem See Bolmen (in der ſchwe— 
difhen Provinz Smäland). 


122 Erftes Bud. Götterlieder. 





24. Gunnar Scheidewand, Grim der Harte, 
der Eiſenſchild Thorir, Ulf der Gähner; 
Beide kannt' ih, Brodd und Horfi, 
die Hrolfs! des Alten Hausmannen waren. 


25. Alle wurden geopfert den Göttern, 
die jungen Söhne des Jormunrek?; 
der war Sigurds Eidam? — was ich jage, behalt’! — 
des gefürchteten Helden, der den Yafnir* jchlug. 


26. Der gewaltige Fürſt mar aus Wolfungs? Gejchlecht, 
von Hraudungs Stamme war Hjordig® geboren, 
von den Odlingen ſtammte Cylimi ab — 

‚fie all’ find verwandt dir, Ottar, du Schwachkopf! 


27. Gunnar und Hogni? waren Gjufis Kinder, 
und in gleichem Bett war auch Gudrun geboren; 
doch nicht war Gutthorm aus Gjukis Gejchlecht, 
obiwohl er Bruder der beiden war — 
fie all’ find verwandt dir, Dttar, du Schwachkopf! 





ı Hrolf der Alte; gemeint ift der mythiiche König Hrolf Gautreksſon von 
Sautland, von dem eine eigne Sage handelt (Fornaldar sögur III, 57 fgg.) In 
diejer werden unter den Kriegern des Königs Hrolf Thorir Eifenihild und Grim 
Thorfelsfon genannt, die fiherlich mit den in 3. 1 und 2 erwähnten gleichnamigen 
Rerjonen identiſch find. 

2 Sormunref ift der biftorifhe Gotenfönig Ermanarich (+ um 376). Die 
Sage ftellte diefen König ſchon früh als einen graufamen Tyrannen dar, der gegen 
fein eignes Geflecht mwütete. Die eddifhen Lieder Guprünarhvot und Hampis- 
möl (Nr. 34 und 35) berichten, daß Jormunref feinen Sohn Randwer hängen 
ließ, und andre Quellen (3. B. die Pidrekssaga) wiffen zu erzählen, daß mehrere 
jeiner Söhne durch die Schuld eines böfen Ratgebers den Tod fanden. Die Hän— 
gung eines Menfchen ward als ein dem Ddin bargebradtes Dpfer betrachtet. 
Vgl. zu Hôv. Str. 138, 

3 Kormunref vermählte fich nad) der Sage m t Sigurd Tochter Swanhild. 
Vol. die Bemerkungen zu Guprünarhvgt und Hampismgl. 

+ Die Tötung des Draden Fafnir durch Sigurd erzählt das eddiſche Lied 
Fäfnismgl (Nr. 22). 

5 Wolfung war der Bater de3 Sigmund, und Sigmunds Sohn Sigurd. 

s Hjordis, die Mutter Sigurds, war die Tochter des Eylimi. Nach den 
Skäldskaparmäl und der Erzählung von der Befiedelung Norwegens gehörte 
Eylimi zu dem Geſchlecht der Lofdunge. 

" Gunnar und Hogni, die Brüder von Sigurd3 Frau Gudrun. Alle drei 
waren Kinder des Burgundenkönigs Gjufi und der Grimhild. Daß der dritte 
Brupder, Gutthorm, ein Stieffohn Gjufis war, wird auch in den Skäldskaparmäl 
€. 6 berichtet; auch fcheint die Sigurparkvipa skamma dasſelbe Verhältnis vor= 
auszujegen, da fie (Str. 21) mitteilt, Gutthorm habe nicht (wie Gunnar und 
Hogni) mit Eigurd Blutsbrüderfchaft "geiölofien. — Nah der Pidrekssaga ijt 
Hogni ein Stiefjohn Gjulis: fein Vater war ein Elbe, der die Königin eınft im 
Schlafe überwältigt hatte. 





13. Das Lied von Hyndla (Hyndluljop). 123 





28. Bon Hwednas! Söhnen war Hafı der beite, 
— Dioward war Hwednas Bater; 


29. Harald ——— Hrörel3? Erbe, 
des Säers der Ringe, war ein Sohn der Aud; 
Aud die Weiſe war Iwars Tochter, 
doch Radbard war Randwers Vater; 
ſie all' ſind verwandt dir, Ottar, du Schwachkopf! 
(Bruchſtücke aus der „kleinen“ Voluspo.) 


80. Elf noch lebten vom Nijenjtamme,? 
als Baldrs Leihe auf den Branditoß ſank; 
raſch war Walit zur Rache entichloffen, 
zu Boden ftredt’ ev des Bruders Mörder. 


31. Baldrs Vater war Burs Erbe?; 
Gerd, Freyrs Gemahlin, war Gymirs Tochters 
Sxboda⸗ gebar ſie dem alten Rieſen); 
auch Thiazi war dom Thurſengeſchlecht, 
dem dag Schaden Luſt war, Skadis Bater.® 


32. Biel jagt’ ich dir, doch erfährft dur noch mehr; 
es ijt wichtig zu wiſſen — willſt weitres du hören? 





ı Hwedna war nad der Erzählung von Sorli (Flateyjarbök I, 277) die 


Gattin eines Dänenkönigs Namens Halfdan, der zu Roskilde ſaß. 


2 König Hröref von Dänemark war mit Aud, der Tochter des Schweden- 
fönigs Jwar, vermählt; aus diefer Ehe entiprang der jagenberühmte König Harald 
Kampfzahn. Nachdem Hrörek durch die Arglift feines Schwiegervaters Iwar um— 
gefommen war, floh Aud mit ihrem Sohne Harald nah Rußland und heiratete 
dort den König Nadbard; eine Frucht diejer zweiten Ehe war Randwer, der Vater 
de3 Sigurd Ning. Harald Kampfzahn unterwarf ſich der Sage nach auch Schmwe- 
den, überließ dieſes aber fpäter dem Sohne feines Halbbruders, Sigurd. Als 
Harald jo alt geworden war, daß ihm das Leben eine Laft jchien, Hatte er nur 
noch den einen Wunſch, ein rühmliches Ende zu finden, und erklärte daher feinem 
Neffen Sigurd Ring den Krieg. Die mörderiſche Entſcheidungsſchlacht wurde auf 
der Brawallaheide in Öftergötland ausgefochten, wo Harald den Tod fand. Die 
Quellen, die über diefe Sage Näheres berichten, find Saro Grammaticus (Bud) 
7 und 8) und das altnordiihe Fragment Sogubrot (Fornaldar sögur I, 363 fgg.). 

3 Bon der Zwölfzahl der Ajen ift öfter die Rede, doch werden die zwölf 
nirgends aufgezählt, und wenn man alle Götter, denen der Ajenname beigelegt 
wird, zufammenrechnet, jo fommt eine größere Zahl heraus; durch Fortlaſſung 
des einen oder andern die Zwölfzahl zu ſtande zu bringen, iſt eine Willkürlichkeit. 

4 Über Baldı und Wali ſ. die Bemerkungen zu Baldrs draumar. 

5 Burß Erbe, d h. Odin, f. Vol. 41. 

6 Über Gerd, Fr eyr und Gymir ſ. die Bemerkungen zu Skirnismgl. 

"Orboba, bie Mutter der Gerd, wird auch in Gylfag. C. 37 erwähnt. 

s Thiazi und Stabi, f. zu Lokas. Str. 491g. 


124 Erſtes Buch. Götterlieder. 





33. 


> 


— und Brobthjef waren don Hrimmirs Gejchlecht.! 


34. Yon Widolf — die Weisſagerinnen, 

die Wahrſager kommen von Wilmeid her, 

die Seher alle von Swarthofdi, 

von Ymirs? Geſchlecht ſind alle die Rieſen. 
35. Viel ſagt' ich dir, doch erfährſt du noch mehr; 

es iſt wichtig zu wiſſen — willſt weitres du hören? 
36. Einer wurde in der Urzeit geboren, 
ſtrotzend von Kraft, aus dem Stamm der Götter; 
es gebaren den Sproſſen, den ſpeerberühmten, 
neun Rieſentöchter?‘ am Rand der Erde. 
[Biel jagt’ ich dir, doch erfährft du noch mehr; 
e3 ijt wichtig zu wiſſen — willſt weitres du hören?] 
38. 5Gjalp gebar ihn, Greip gebar ihn, 

es gebar ihn Eiftla und Eyrgjafa, 

es gebar ihn Ulfrun und Angeyja, 

Imd und Atla und Zarnjara. 


Die Erdfraft war’, die den Edlen ernährte, 
eisfaltes Meer und des Ebers Blut®, 


37 


39 





ı Die hier genannte Rieſin Heid ift mit der Vol. 22 ! erwähnten Heib 
(= Gullweig) fiherlihd nicht identiſch Hroßthiof (d. h. „Pferdedieb”) wird 
auch in den Versus memoriales der Snorra Edda genannt; auch ein Berjerfer 
in ber Hrölfs saga Gautrekssonar führt denjelten Namen. Hrimnir ſ. zu 
Skirn. 28 2. 

2 Über Widolf („Wolf des Waldes"), Wilmeid („Wunihbaum”, d.h. Mann, 
der Wünſche zu gewäßren im ftande ift?) und Swarthofdi (Schwarzkopf“) ift 
forft nichts befannt. 

3 Ymir, ſ. zu Vol. 31. 

+ Der Sohn der neun Rieſentöchter ift Heimdall, j. zu Vol. 27 und 
Prymskv. 14. 

5 Tie Kamen von Heimdalld Müttern find nur durch dieſe Strophe bekannt, 
doch führen 3. T. auch andre Riefinnen diejelben Namen. Diefe jheinen ſämtlich 
auf Eigenichaiten der Meereswogen zu deuten: Gjalp „bie Braujende”, Greip 
„bie Umkrallende“, Eiftla „die rafh Dah nftürmende”, Eyrgjafa „vie Sand— 
fpenderin‘ (9) Ulfrun „die Wölfifge”, Angeyja „die Bedrängerin“ (?) Imd 
„die Dunſtige“, Atla „die Furchtbare”, Jarnjara „Weib mit dem Eiſenmeſſer“ 
(die jchneidende Kälte der Wellen bezeichnend, vgl. zu Vol. 36). 

s Heimdall ift der Gott der Dämmerung: er ift daher am Rande des Him— 
mel3 geboren, wo beim Grauen des Tages Meer und Land, aus denen das Früh— 
liht emporwädjit, noch ineinander zu verſchwimmen jcheinen. Tie rötliche Farbe 
der Kimmung bat man, wie es ſcheint, dem Genuß des dem Gotte geipenveten 
Dpferbluts zug jchrieben. 


9. Das Lied von Homdta (Hynainljöh), 125 





40. 63 ward einer geboren, beſſer als alle, 
die Erdfraft war's, die den Edlen ernährte; 
als Herricher, jagt man, ſei der hehrſte er, 
der allen Gejchlechtern vereint durch Berwandtichaft.' 


41. Biel jagt’ ich dir, doch erfährt du noch mehr; 
es ijt wichtig zu wiſſen — willſt weitres du hören? 


42. Den Wolf? zeugte Kofi mit der wilden Angrboda, 
und den Sleipnir? gebar ev dem Swadilfari; 
ein Scheuſal ſchien das ſchlimmſte von allen, 
das don Byleipts? Bruder ſtammte. 


43. 563 fraß Loki ein Frauenherz — 
er fand's halbverfohlt in der heißen Aſche — 
durch das Teidige Weib ward Lopt jchwanger: 
dort jtammen alle die Unholde her. 


44. 668 jteigt das Meer im Sturme zum Himmel, 
die Länder verichlingt es, die Luft wird eilig; 
Schneemafjen bringt der jchneidende Wind, 
doch den Regen hemmt der Kat des Schidjale. 


45. "Doch ein Gott wird fommen, noch größer an Nacht, 
nimmer wag’ ichs, ſeinen Namen zu melden: 
nur wenige fünnen noch weiter jehen, 
als Walvaters Kampf mit dem Wolf beginnt. 


Freyja. 
46. Meinem Eber bringe Erinnerungsbier, 
daß aller Worte, die du eben ſprachſt, 





1 Bgl. zu Vol. 12 und Rigspula. 

2 Den Wolf, nämlid Fenrir. Seine Mutter ijt die Rieſin Angrboda 
(‚die Elendbereiterin”). Bgl. Gylfag. €. 34. 

3 Cleipnir, das achtfüßige Roß Odins, gezeugt von dem Hengfte- Swa— 
dilfari mit dem in eine Stute verwandelten Loki; vgl. Gylfag. C. 42. 

+ ByleiptS Bruder, d.h. Loki, ſ. zu Vol. 514 Mit dem „ſchlimmſten 
Scheuſal“ ift wahrjcheinlich die Midgardsichlange gemeint. 

5 fiber den in diefer Strophe berührten Mythus ift ſonſt nichts befannt. 

6 Diefe Strophe behandelt, wie e3 fcheint, die tem Weltuntergang voraus 
gehenden Naturereignifie 

7 gl. Vol. Str. 65. 

8 Bgl die Demerkungen am Anfange des Liedes. 


126 


47. 


48. 


49. 


50. 


öl. 


Erftes Buch. Götterlieder. 





er am dritten Morgen gedenken möge, 
Wenn er und Angantyr ihre Ahnen zählen. 


Hyndla, 
Wende dich fort num, ich wünſche zu jchlafen; 
weitere Bitten gewähr' ich dir nimmer; 
du jchweifit draußen, mein Schaß, zur Nachtzeit, 
wie die brünftige Heidrun! den Böden nachrennt. 


Dem Od? Liefft du nach, ewig lüſtern, 
und andre auch jchlüpften div unter die Schürze? 


+ 5 . 


Freyja. 
Umringen werd’ ih die Riefin mit Feuer,“ 
daß du lebend nimmer gelangjt nach Hauje 


Hyndla, 
Teuer. jeh’ ich brennen, dag Gefilde dampfen; 
fein Leben wird jeder löſen wollen! 
Reiche den Becher mit Bier dem Ottar; 
wie äbendes Gift mög’ es Unheil wirken! 


Freyja. 
Dein jchlimmer Wunſch Toll Schaden nicht jtiften, 
ob Berderbliches auch drohe die Rieſin. 
Trefflih wird Ottar der Trank befommen, 
wenn die Götter alle um Gunjt ich bitte, 


Tea oe 





1 Heidrun (der Name der mythijchen Ziege, Grimn. 25) fteht hier für Siege 


üferhaupt. 


2 Od, der Geliebte der Freyja, f. zu Vol. 25 und Prymskv. 3. 
3 Bgl. Lokas. 3034, 
4 Bugge meint, das Feuer, mit welchem Freyja die Rieſin zu vernichten 


drohe, jei das Tageslicht, daS Zwerge und Niejen in Stein verwandelt. Vgl. zu 
Alyissmgl 36, 





14. A. Groas Zauberjang (Grögaldr). 127 





14, Das Lied von Swipdag. 
(Svipdagsmöl.') 
A. Groas Zauberjang (Grögaldr). 
Swipdag.? 
1. Erwache, Groa! erwache, du gute! 
ich xufe div durch des Todes Thor! 
Entfinne dih, daß dem Sohn du geftattet, 
am Hügel um Hilfe zu flehn. 
Groa. 
2. Was ängſtigt dich, mein einziger Sohn? 
welche Trübſal iſt's, die dich traf, 
da die Mutter du ruft, die vermählt den Staube, 
die der Lebenden Sibe verließ? 
Swipdag. 
3. Zu gefährlichem Spiel hat das falſche Weib mich geladen, 
das den Vater mit Armen umfing: 





ı Der Inhalt der beiden unter dem Namen Svipdagsmöl vereinigten Ge— 
dichte, Grögaldr (A) und Fjolsvinnsmöl (B), ift folgender: (A) Dem jungen 
Swipdag it die ſchöne Menglod, Swafrthorins Enkelin, ſchon in früher Jugend 
verlobt worden. Als er herangewachſen ift, fordert ihn jeine Stiefmutter auf, 
fi die Braut zu erringen, gibt ihm aber feine Anweifung, wie dies auszuführen 
fei. Er begibt fih daher zu dem Grabhügel jeiner Mutter Groa und beſchwört 
dieje, ihm behilflich zu fein. Die Tote erwacht und lehrt ihren Sohn eine Reihe 
von Zauberfprüden, die ihn in jeglider Not und Gefahr jhügen follen. [Darauf 
macht fi Swipdag auf den Weg, die Menglod aufzufuhen] und (B) gelangt 
glüdlih zu der Burg der Jungfrau, die auf der Spige eines Speeres ſich dreht 
und von lodernden Flammen umgeben ift. Smwipdag, der jeinen wahren Namen 
verbirgt und fi Windfald nennt, läßt fi mit Fjolfwid, dem Wächter der Men- 
glod, in ein Geſpräch ein, durch das er über die Einrichtung der Burg und ihre 
Bewohner unterrichtet wird. Er erführt, daß es für jeden [Unberufenen] un— 
möglich jei, Einlaß zu erlangen; vor ihm jelber aber, als er jchlieglich jeinen 
wahren Namen nennt, fpringt die Pforte des Saales auf; die Hunde, welche die 
Burg bewaden, umwedeln in, und Menglod, von der Ankunft des Fremden in 
Kenntnis gejegt, eilt herbei und erkennt freudig den Geliebten. 

Die Lieder enthalten einen alten, allerdings durch märdenhafte Züge ſtark 
verdunkelten Mythus, der dem von Freyr und Gerd ſowie dem von Sigurd und 
Brynhild nahe verwandt iſt. Es handelt ſich um die Vermählung des Tages— 
gottes mit der Jungfrau Sonne, die am Rande des Himmels auf einem Berge 
ſchläft, der von hellem Feuer (den Strahlen der Morgenröte) umlodert iſt. Dieſe 
muß der Gott durchdringen, um mit der Geliebten ſich vereinigen zu können. — 
Der Mythus von Swipdag war im Norden allgemein — däniſche und 
ſchwediſche Volkslieder behandeln ihn ebenfalls. 

2 Wenn Swipdag („der raſche Tag”) richtig gedeutet if, fo muß feine 
Mutter die Naht fein, welche fterben muß, indem fie dem Tage das Leben gibt 
Da fie hier als zauberfundig erjcheint, fo ift der für Zauberweiber typiſche Name 
Groa (Skäldsk. €. 1; Gongu-Hrölfs saga C 2) auf fie übertragen. 


128 Erites Buch. Götterlieder, 





den Pfad ſoll ich gehn, den gefunden noch feiner, 
um Menglod! zu juchen, die Maid. 
Groa. 
4. Lang iſt der Weg, lange mußt du wandern, 
länger dauert die Liebe noch! 
Gewährung wird deinem Wunjche lächeln, 
wenn das waltende Schidjal es will. 
Swipdng. 
5. So fünde mir, Mutter, Träftige Sprüche, 
ſchirme und ſchütze den Sohn! 
Fahr' ich die Wege, jo ſürcht' ich zu jterben, 
Kaum entwuchs ich der Knabenzeit. 
Groa, 
6. Sch fing’ dir den erjten, den oft bewährten — 
Rind? einjt jang ihn dem Ran: —- 
von der Schulter fchiebe, was jchlimm dir deucht, 
jelber jorg’ für dich ſelbſt! 
7. Sch fing’ dir den zweiten, jein Zauber ſchützt dich, 
wenn du traurig wanderjt den Weg: 
auf allen Seiten mögen Urds? Riegel dich jchirmen, 
wohin immer dein Pfad dich Führt. 
8. Ich fing’ div den dritten, der ficher dich rettet, 
falls Ströme Verderben dir drohn: 
Hronn und Hrid* mögen zur Hölle jich wenden, 
vertrodnen die tobende Alut. 
9. Ich fing’ dir den vierten, Falls Yeinde dir Iperren 
den Weg mit gewaffneter Hand: 
ihr Herz möge Hold dir werden 
und zur Sühne geneigt ihr Sinn. 
10. »Ich fing’ dir den fünften, Falls in feſſelnde Bande 
die ſchmiegſamen Glieder man jchließt: 





ı Menglod („die des Halsihmuds Frohe‘) gibt fih ſchon durch ihren Namen 
als eine Hypoſtaſe der Befigerin des Brifingamen, alfo der Frigg, zu erkennen. 

2 Rind ift die Mutter des Wali (vgl. zu Vol. 33° und Baldrs dr. 11): mit 
bin wird Ran wohl ein Beiname diejes Gottes jein. 

3 Urd, eine der Echidjalsgöttinnen (Nornen), ſ. zu Vol. 8. 

4 Hronn und Hrid fommen auch Grimn. 28 als Flußnamen vor. 

5 Vgl. Hév. 148. 


E34; 


12. 


13. 


14. 


15. 


16. 


14. A. Groas Zauberfang (Grögaldr). 129 





die Gelenke beiprech’ ih mit Löjendem Zauber, 
dann jpringt von den Schenfeln dag Schloß, 
dann fällt die Feſſel vom Fuß. 


iIch fing’ dir den fechjten, wenn die See wilder, 
ala Menjchen meinen, tobt: 

über Meer und Wind ſollſt du Macht gewinnen 
und glüdlich gelangen ans Land. 


Ich fing’ dir den fiebten, er fichert dein Leben, 
wenn dich Froſt auf dem Fels überraicht: 

nicht jchaden kann dir die jchneidende Kälte, 
gelenkig bleibt dir dein Leib. 


Sch fing’ dir den achten, Falls auf einſamem Pfade 
dich Nacht und Nebel umhüllt: - 

nimmer wird in Not dich bringen 
eines toten Weibes? Trug. 


Sch Iprech’ dir den neunten, falls mit ſpeerberühmtem 
Rieſen in Streit? du gerätit: 

reichlich jei dir Rede und Weisheit 
für Lippen und Herz verliehn. 


Nimmer nun fürchte gefährliche Wege! 
Nicht bringe die Liebe dir Leid! 

Auf den Stein* geſtützt ſtand ich am Thore, 
während die Sprüche ich ſprach. 


Den Sang der Mutter, Sohn, nimm mit dir, 
birg ihn treu in der Bruft! 

begleiten wird das Glück dich immer, 
wenn du diefer Worte gedenkſt! 





ı Vgl Hov. 158. 
2 Eines toten Weibe3, db. h. einer geftorbenen Here, die — als Ge⸗ 


ſpenſt umgeht. 


3 Einen Streit, wie ihn Odin mit Wafthrudnir ausfocht. 
* Gemeint ift einer der Steine, mit denen die Grabfammer ausgejegt war. 


Die Edda. 


130 


Erſtes Buch. Götterlieder. 





B. Das Lied von Fjolfwid (Fjolsvinnsmöl). 


. Den Berg! aufwärts zur Burg der Riejen 


der kecke Knabe klomm. 


Swipdng. 
Wer ift der Unhold außen im Vorhof, 
der das furchtbare Feuer umkreiſt? 


Fjolſwid. 


.Wen ſuchſt du hier? wen ſinnſt du zu finden? 


was willjt du wiſſen, Wicht? 
Auf feuchten Wegen fahre du heimwärts, 
Hier wird Fremden nicht Freiftatt gewährt. 


Swipdag. 


. Wer ijt der Unhold außen im Vorhof, 


der dem Wandrer den Willkomm verjagt? 
Fjolſwid. 


Ehrender Gruß blieb. dir immer verweigert, 


wandre nach Haufe den Weg! 


. Vjolfwid heiß’ ich, nicht fehlt mir's an Klugheit, 


doch Speiſe ſpend' ich nicht gern: 
zum Hofe nimmer exhältjt du Einlaß; 
geh’ zu den Wölfen im Wald! 


Swipdag. 


Wer Liebes erblickt, verläßt feiner Augen 


Wonne und Weide nicht gern; 
die Gitter erglänzen an den goldnen Sälen; 
bier wird’ ich der Heimſtätte froh! 


Fjolſwid. 


6. Melde mir, Burſch, welcher Mann dich erzeugte, 


welches Stammes und Standes du biſt? 





1 Da ber Berg, auf dem die Sonnengöttin ruht, am Rande des öſtlichen 
Himmels gelegen ift, jo befindet er fi im Bereiche der Riefen. Nach dem ur— 
fprüngliden Mythu3 befand fih die Jungfrau fiherlid aud in der Gewalt ber 
Kiefen und mußte dur den Gott befreit werden. In unferm Liede ift der 


Hüter dagegen zu einem Untergebenen der Menglod gemadt. 


2 Fjoljwid („ber Vielgewandte“) ift ſonſt au ein Beiname Ddins 


(Grimn. 47%). 


Bee ana IE a 


14. B. Das Lied von Fjoliwid (Fjolsvinnsmöl). 131 





Swipdng. 
Windkald Heiß’ ih, Warkald hieß mein Bater, 
defjen Vater war Fjolkald genannt. ! 


7. Ich frage, Fjolfwid, und fordre Antwort, 
fünde mir, was ich wiſſen will: 
wer herricht im Land, wem gehören die Säle, 
die hier glänzen von goldenem Schmud?_ 


Fjolfwid, 
8. Menglod Heißt fie, die Mutter empfing. fie 
von Swafrthorins? Sohn; 
fie herrſcht im Land, ihr gehören die Säle, 
die hier glänzen von goldenem Schmud. 


Swipdag. 
9. Ich Frage, Fjolſwvid, und fordre Antwort, 
künde mir, was ich wiſſen will: 
wie heißt die Pforte? gefährlicher Ding 
ſah man im Gau der Götter nie. 


Fjolſwid. 
10. Thrymgjoll? heißt fie, die Thür ward von dreien 
Söhnen Solblindis* gemacht; 
wie fejte Feſſel erfaßt fie den Wandrer, 
der aus den Haſpen ſie heben will. 


Swipdag. _ 
11. Ich frage, Fjolſwid, und fordre Antivort, 
fünde mir, was ich willen till: 
wie Heißt die Mauer? ein Menſch jah nimmer 
ſolche Fährde im Göttergau. 





1 Die Namen, die Swipdag fich beilegt (‚„‚Winterfalt”, Sohn des „Früh— 
jahrkalt“, Entel des „Bielfalt‘), jollen bei Fjoljwid die Meinung erweden, daß 
der Fremde ebenfalls ein Rieſe jei. Wahrjcheinlich Hofft er, dag der Wächter ihm 
nun al3 einem Stammverwandten das Thor öffnen werde. 

2 Swafrthorin (der Name ift noch unerflärt) ift aljo der ‚Großvater — 
Menglod. Die Namen ihrer Eltern nennt das Gedicht nicht. 

3 Thrymgjoll, „die laut Knarrende“; gemeint ift wohl eine Thür, die von 
jelbft zuſchlägt und den Eintretenden quetſcht, wie auch die Pforte der Hel ſich 
fo ſchnell wieder jchließt, dag die Ferjen derer, die fie benugen, in Gefahr fom= 
men (vgl. Sigurparkv. skamma 69). 

*.Solblindi, ‚der durd die Sonne Geblendete‘, ein Zwergname. Die 
Zwerge können bekanntlich das Tageslicht nicht vertragen (f. Alvissmöl 36). 

9 * 


132 Erſtes Bud. Götterlieder. 





Fjolſwid. 
Gatſtropnir! heißt fie, aus den Gliedern Leirbrimirs? 
hab’ ich die Mauer gemacht; 
geſtützt iſt ſie ſtark und ſtehen wird fie, 
bis in Scherben die Welt zerſchellt. 


Swipdag. 
13. Ich frage, Fjolſwid, und fordre Antwort, 
fünde mir, was ich willen will: 
wie heißt der Baum, der mit breiten Aften 
die weite Welt überwölbt? 


Fjolſwid. 
14. Mimameid? heißt er, fein Menſch weiß es, 
aus welchen Wurzeln er wuchs; 
niemand ahnt's, was ihn niederſtreckt: 
Feuer nicht Fällt ihn, noch Stahl. 
Swipdag. 
. Sch frage, Fjolſwid, und fordre Antwort, 
fünde mir, was ich willen will: 
was bringt den Tod dem trefflichen Baume, 
da nicht Feuer ihn Fällt, noch Stahl? 


1 


— 
—— 


Fjolſwid. 
16. *Seine Früchte ſoll man ins Feuer legen, 
wenn ein Weib in Wehen fich Frümmt: 
nad außen fommt dann, was innen war, 
ſolche Macht hat für Menſchen der Baum. 





ı Gatftropnir, „der die Lüden Verſchließende“. 

2 Leirbrimir, „Lehmrieſe“. Leirbrimirs Glieder find eine poetiſche Um— 
ſchreibung bes Lehmes. Bon einem aus Lehm geformten Riefen (Mokkurkalfi) er= 
zählen die Skäldskaparmäl, €. 1. 

3» Mimameib, „ber Baum bed Mimi“, Bezeichnung der Eiche Yggdraſill, die 
von Mimi (auch Mim oder Mimir genannt) begofjen wird. Da Yggdrafill die ganze 
Welt übermwölbt, ift natürlich auch die Burg der Menglod in jeinem Schatten belegen. 

4 Dieje Strophe enthält nicht die Antwort auf bie in Str. 15 geftellte Frage; 
wahrſcheinlich ift alſo zwifchen Str. 15 und 16 ein Strophenpaar ausgefallen. — Die 
Wirkung, bie hier den Früchten der Weltefche zugeichrieben wird, erwartet ber 
isländiſche Volksglaube noch von einer harten Hülfenfrudt, die der Golfjtrom 
an die Küjten der Inſel führt. Man nennt fie „Erlöfungsftein“, 


14. B. Das Lied von Fjolſwid (Fjolsvinnsmol). 133 





Swipdng. 
17. Sch frage, Tjolfwid, und fordre Antwort, 
fünde mir, was ich wijlen will: 
wie heißt dev Hahn, der da fißt in dem hohen Baume 
und ganz von Gold erglänzt? 
Fjolſwid. 
18. Widofnivt Heißt er, im Wetterglanz ſteht er 
auf Mimameids Geält; 
mit einer Sorge ängjtigt er furchtbar 
Sinmara? und St. 
Swipdag. 
19. Ich frage, Fjolſwid, und fordre Antwort, 
fünde mir, was ich willen will: - 
wie heißen die Hunde, die das Gehöft umkreiſen 
mit gierig gähnendem Schlund? 
Fjolſwid. 
20. Gifr heißt der eine und Geri der andre?, 
wenn du es wiſſen willſt; 


ſie ſind wild und ſtark, und es wachen die beiden, 
bis die Götter vergehn. 


Swipdag. 
21. Ich frage, Fjolſwid, und fordre Antwort, 
künde mir, was ich wiſſen will: 
kann irgend ein Menſch den Eintritt erlangen, 
wenn Schlaf die mut'gen umſchlingt? 





1 Der Hahn Widofnir (d. h. „Baumſchlange“?) war dem Dichter, wie es 
ſcheint, identiſch mit dem Hahn Gullinkambi (Vol. 43), der die Götter und Ein— 
herier zum legten Kampfe wedt. 

2 Sinmara („bie gewaltige Elbin”?), die „fahle Riefin‘ (Str. 29 4), welche 
die Waffe befigt, mit der Widofnir allein erlegt werben fann (Str. 25, 26). Sie 
ift wahrjheinlih die Gattin des Surt (f. zu Vol. 52). Die Sorge, bie beide 
ängftigt, ift die Furcht vor der Wachſamkeit des Hahnes, der das Nahen ber Riefen 
zu zeitig bemerken und ihren Angriff vereiteln könnte. — Der Dichter hat Ber 
ziehungen auf den Mythus vom Weltuntergang in jein Lied verwebt, die mit dem 
Stoffe desjelben gar nichts zu jchaffen haben, und dadurd dem Berftändnis un— 
nötige Schwierigkeiten bereitet. 

3 Gifr und Geri Beide Namen bedeuten: „der Gierige” Den zweiten 
führt auch der eine von Odins Wölfen (Grimn. 19). 


134 Erftes Bud. Götterlieder. - 





Fjolſwid. 
22. Beſchieden iſt's ihnen, im Schlafe zu wechſeln, 
ſeit das Wächteramt ihnen ward; 
der eine ſchläft nachtz, der andre am Tage, 
drum. fommt auch feiner hinein... 
Swipdag. 
23. Ich frage, Fjolſwid, und fordre Antivort, 
fünde mir, was ich wilfen will: 
Gibt's feine Speife, die fie firren Fünnte, 
daß während des Freſſens frei der Weg? 
Fjoljwid, 
24. Im Leib Widofnird liegen zwei Ylügelbraten, 
wenn du es wiſſen willit: 
feine Speife firrt fie als dieje, 
daß während des Treffens frei der Weg. 
Swipdng. 
25. ch frage, Tjolfwid, und fordre Antwort, 
fünde mir, was ich willen will: 
gibt’3 eine Waffe, Die den Widofnir 
in. Held Halle bringt? 
Fjolſwid. 
26. Läwatein! heißt fie, von Lopt? geſchmiedet 
durch Zauber im Todesthal; 
in der Lade von Eifen Liegt fie bei Sinmara, 
von neun Schlöffern geihüßt. 
Swipdag. 
27. Ich frage, Fjolſwvid, und fordre Antwort, 
fünde mir, was ich willen will: 
wird Nüdfehr dem, der die Reife wagt 
und die Waffe eriverben will? 


Fjolſwid. 
28. Rückkehr wird ihm, der die Reiſe wagt 
und die Waffe erwerben will, 





ı Lämatein, „Zweig des Verderbens“ 

2 Lopt — Xofi. Diejer, der Urheber alles Unheild, hat auch das Schwert 
geſchmiedet, mit dem ein Unberufener fich den Weg zu Menglods Halle erkäm— 
pfen Fönnte. 


14. B. Das Lied von Fjoljwid (Fjglsvinnsmöl). 135 





wenn ein gewiſſes Ding, das nur wenige haben, 
er der Göttin des Goldes! bringt. 


Swipdng. 
29. Ich Frage, Tjolfwid, und fordre Antwort, 
fünde mir, was ich wiſſen will: 
befigen Menjchen ein folches Kleinod, 
das die fahle Riefin erfreut? 


Fjolſwid. 
30. In der Hülſe birg die hellleuchtende Sichel?, 
die Widofnir im Wedel trägt; 
gib ſie der Sinmara, gern dann wird ſie 
dir gewähren die Waffe zum Streit. 


Swipdag. 
31. Ich frage, Fjolſwvid, und fordre Antwort, 
fünde mir, was ich wifjen will: 
wie heißt der Saal, um den helle Lohe, 


zauberifche entzündet ijt? 
Fjolſwid. 
32. Lyrs Heißt er und lange wird er 
auf Speeres Spibe ſich drehn; 
nur durch Hörenfagen erhielten die Menfchen 
von der reichen Halle Bericht. 


Swipdag: 
33. ch frage, Tjolfwid, und fordre Antivort, 
fünde mir, was ich willen will: 
wer von den Aſen Hat den Ejtrich geglättet, 
der hell im Hofe erglänzt? 





ı Göttin des Golde3, poetifche Umfchreibung für Frau. Gemeint ift na= 
türlih Sinmara. \ 

2 Die hbellleudtende Sigel, d.h. die Schwanzfeder. — Die Unmöglich— 
feit, daß ein Unberufener in Menglod8 Burg eindringen könne, wird bildlich da— 
dur ausgedrüdt, daß die Hunde, denen das Wächteramt anvertraut ift, nur 
durch das Fleifch des Hahnes Widofnir firre gemacht werden können, während bie 
einzige Waffe, die den Hahn töten kann, das Schwert Läwatein ift, das nur dem 
ausgeliefert wird, der eine Feder aus dem Schwanze des erjchlagenen Hahnes 
als Gegengabe bringt. 

3 £yr bedeutet „Wärme gewährend“. 


136 Erfte3 Bud. Götterlieber: 





Fjolſwid. 
34. 1Uni und Sri, Jari und Bari, 
MWegdrafil und War, 
Dori und Ori, Delling, dabei auch 
war Lofi, der liſtige Gott. 


Swipdag. 
35. Ich frage, Fjolſwid, und fordre Antivort, 
fünde mir, was ich wiſſen will: 
wie heißt der Berg, wo die holde Maid ich, 
die ruhmreiche, ruhen jeh’? 


Fjolſwid. 
36. Lyfjaberg? heißt er, der lange ſchon Heilung 
Wunden und Kranken gewährt: 
jede Frau wird geſund von gefährlichem Siechtum, 
die den hohen Hügel erklimmt. 


Swipdag. 
37. SH frage, Fjolfwid, und fordre Antwort, 
fünde mir, was ich willen will: 
twie heißen die Mädchen, die zu Menglods Füßen 
figen, in Eintracht gejellt? 


Fjolſwid. 
38. Hlif heißt eine, die andre Hlifthraſa, 
die nächſte wird Thjodwor genannt; 
Bjort und Bleik, Blid und Frid, 
Aurboda und Eirs. 





ı Die Antwort Fjolſwids lautet dahin, daß nur ein Aſe, nämlich Loki, an 
dem Werke beteiligt gewejen ift; feine Mitarbeiter find neun Zwerge. Drei von 
ben Zwergnamen (Jari, Dori, Dri) fommen auch in dem Katalog ber Vol. 
(Str. 13 und 15) vor; Delling noch Hév. 159 (denjelben Namen führt auch der 
Bater des Ajen Dag). Die Mehrzahl der Namen ift dunkel: Wegdrafil bedeutet 
„per rühmliche Träger”, War „der VBorfichtige”. 

2 Lyfjaberg, „Berg der Heilmittel”. Menglod erſcheint hier aljo auch als 
Göttin der Heilfunde, was die Vermutung, daß wir in ihr eine Hypoſtaſe der 
Frigg zu erkennen haben, beftätigt. Nach Gylf. €. 35 hieß die nordiſche Hygieia 
Eir, und dieje ericheint unten (Str. 38 4) ald Dienerin der Menglod. 

3 Die Namen bedeuten: Hlif, „Beſchützerin“, Hlifthraia, „die durch An— 
hauchen Schügende” (2), Thjodwor, „die Volkserretterin“, Bjort, „bie Glän- 
zende“, Bleif, „die Weiße‘, Blid, „die Freundliche”, Frid, „vie Schöne”, Nur: 
boda, „die Goldſpenderin“ (2), Eir (j. oben zu Str. 36), „die Friedliche“ (2). 


39. 


40, 


41. 


42. 


43, 


45. 


14. B. Das Lied von Fjolſwid (Fjolsvinnsmöl). 





Swipdag. 
Sch Frage, Toliwid, und fordre Antivort, 
fünde mir, was ich willen will: 
helfen fie allen, die Opfer ſpenden, 
wenn Hilfe die Not erheiicht? 


Fjolſwid. 
Allen helfen ſie, die Opfer ſpenden 
auf heiligem Hochaltar; 
naht höchſte Not auch den Heldenſöhnen, 
ſie befreien ſie ſtets aus Gefahr. 


Swipdag. 
Ih Frage, Fiolſwid, und fordre Antwort, 
fünde mir, was ich wiſſen will:. 


137 


iſt's vergönnt einem Manne, in Menglods weichen 


Armen auszuruhn? 
Fjolſwid. 


Keinem Mann iſt's vergönnt, in Menglods weichen 


Armen auszuruhn, 


außer Swipdag allein, dem die ſonnenhelle 


Maid zur Gemahlin beſtimmt. 


Swipdag. 
Das Thor ſtoß auf, die Thüren öffne, 
Swipdag kannſt du hier ſehn; 
zu Menglod eile, die Maid zu fragen, 
ob ſie mir Wonne gewähren will. 


Fjolſwid. 


. Höre, Menglod, ein Mann iſt gekommen, 


gehe, den Gaſt zu beſchaun! 


ihn umwedeln die Hunde, das Haus that ſich auf, 


ich vermute, daß Swipdag es jet. 


Menglod, 


Un hohem Galgen ſollen hungrige Raben 
dir zerhacken die Augen im Haupt, 

wenn du es logſt, daß der langerſehnte 
Held ſich der Halle genaht. 


138 


46. 


47. 


48. 


49. 


50. 


Erſtes Bud. Götterlieder. 





Don wannen kamſt du? welche Wege gingjt du? 
wie hieß man den Knaben daheim? 

nenne zum Wahrzeichen Namen und Abkunft, 
fall3 mir zum Gemahl du bejtimmt. 


Swipdag. 
Swipdag heiß’ ich, Solbjart! hieß mein Vater, 
dorther ging ich auf windigem Weg; 
den Ratſchluß der Urd zZerreißt Feiner, 
ward auch Unverdientes ihm auferlegt. 


Menglod, 
Heil dir, Wandrer! mein Wunjch ift erfüllt; 
fomm und empfange den Kup! 
Erſehnter Anblick beſeligt jeden, 
der heiße Liebe hegt. 


Lange ſaß ich auf Lyfjaberg, 
deiner harrend von Tag zu Tag; 

nun ward Gewährung dem Wunſche endlich, 
da du, Held, dich der Halle genaht. 


Lang’ hab’ ich Sehnfucht nach dem Liebjten erduldet, 
wie nach meiner Minne du; 

wahr jet wird es, daß wonnige Tage 
una beiden für immer blühn. 





ı Solbjart, d. h „der wie die Sonne Glänzende‘. 


ht 


Bweites Bud. 


Heldenlieder. 


* *. — 





15. Das Lied von Wölum. 
(V#lundarkvipa.) 


Nidhod! hie ein König in Schweden; der hatte zwei Söhne und 
eine Tochter, die Bodmwild? genannt war. Zu derjelben Zeit lebten drei 
Brüder, Söhne eines Finnenkönigs; der ältejte hieß Slagftd, der zweite 
Egil, der dritte Wölund?; fie pflegten auf Schneejchuhen zu laufen und 
wilde Tiere zu jagen. Einſtmals famen fie nach Ulfdalir und errichteten 
fich dort ein Haus; dicht dabei ift ein Gewäſſer, das Ulfſjar heißt. Eines 
Morgens früh trafen fie am Ufer des Sees drei Frauen, die Flachs 
ipannen; in der Nähe lagen ihre Schwanenhemden, denn fie waren 
Walküren. Zwei von ihnen waren Töchter des Königs Hlodmwer*: 
Hladgud?, die ſchwanenweiße, und Herwor®, die in jedem Wiſſen er: 
fahrene; die dritte aber war Dirun?, Kjars Tochter, aus Walland®. 
Sie nahmen die Frauen mit fi) in ihre Wohnung?. Egil nahm die 
Dirun zum Weibe, Slagfid die Hladgud und Wölund die Herwor. 





ı Nidhod, „der feindjelig Hafiende‘‘, wird hier ein König in Schweden, 
Str. 7, 14 und 30 ein Herrider der Njaren genannt, was man auf die Be— 
wohner der ſchwediſchen Landſchaft Nerike gedeutet hat. Die Sage, welche nieder— 
deutſchen Urſprungs iſt, iſt alſo im Norden lokaliſiert. 

2 Bodmwild bedeutet „die kriegeriſche Jungfrau“. 

3 Den Egil kennt auch die Pidrekssaga als Bruder des Wölund, Slag— 
fid wird ſonſt nirgends erwähnt. Der Name Wölund iſt die nordiſche Um— 
formung von niederd. Weland (hochd. Wieland); ſeine Bedeutung iſt un— 
ſicher. — Daß die drei Brüder Söhne eines Finnenkönigs genannt werden, iſt 
natürlich nordiſche Zuthat (und zwar eine Zuthat des Sammlers der Gedichte, 
da im Liede ſelbſt Wölund ein Elbe genannt wird): den Finnen (d. h. Lappen) 
ichrieb man im Norden allgemein die Kunde der Zauberei zu, daher wurde auch 
der berühmte Schmied, deſſen Geſchicklichkeit eine zauberifche erſchien, nebft feinen 
Brüdern zu Lappen gemacht. 

°« Hlodwer, die nordifche Umformung des deutſchen Namens Ludwig. Die 
Namen Hlodwer und Kjar (Z3. II) begegnen aud in den Liedern, die die Nif- 
lungenjage behandeln (Gupr. II, 26; Atlakv. 7). 

5 Hladgud, „die bandgefhmüdte Kriegerin”. 

6 Herwor, „die Schügerin des Heeres‘. 

? Dlrun, „die der Bierrunen Kundige‘ (vgl. Sigrär. 1. 19). 

8 Walland, ein mythiiher Name („Land der Schladtfelder”). 

9 Die drei BWalküren hatten ihre Schwanenhemden abgeworfen; diefe nahmen 
die drei Brüder fort und befamen jo die Mädchen in ihre Gewalt 


142 Zweites Bud. Heldenlieber. 





Sieben Winter hielten die rauen aus; dann aber flogen fie fort, um 
zu ſehen, ob es nicht irgendiwo Krieg gebe, und famen nimmer wieder. 
Da machte ſich Egil auf feinen Schneejchuhen auf, die Olrun zu fuchen; 
Slagfid ging und juchte die Hladgud; Wölund aber blieb in Ulfvalir 
zurüd. Er war der gejchieftejte von allen Männern, von denen die alten 
Sagen zu berichten wifjen. König Nidhod ließ ihn gefangen nehmen, 
wie das hier im Liede erzählt wird: 


1. Mädchen flogen von Süden durch Myrkwid! hindurch, 
behelmte Jungfrau’n, ihr Handwerk zu üben; 
fie jeßten zur Ruhe am Geeftrand fich nieder, 
weißes Linnen jpannen? die Weiber des Südens?. 


. Eine begann den Egil zu hegen, 

die Liebliche Maid, am leuchtenden Bufen; 
Ichneeweiß war die zweite im Schtwanengefieder; 
die dritte endlich, deren Schweiter, 

ummwand Wölunds weißen Naden. 


3. Sie jagen daheim ſieben der Winter, 
doch im achten ſchon war die Unruhe groß, 
im neunten fonnte fie nichts mehr halten: 
die Frauen trieb e8 zum finftern Walde, 
die behelmten Maide, ihr Handwerk zu üben. 


4. Bom Weidwerf fam der wetterficht’ge 
Wölund, der Schüße, ſein Weg war lang; 
die Säle leer fanden Slagfid und Egil, 
gingen aus und ein, um fich jchauend. 


5. Nach Oſten jchritt Egil, die Olrun zu juchen, 


Slagfid Juhte im Süden die Hladgud, 
während MWölund einfam im Wolfsthal ſaß 


N 





ı Myrfwid, „der dunkle Forft‘‘, eine in den eddiſchen Liedern typifche 
Bezeihnung ausgedehnter Wälder; f. zu Lokas. 42. 

2 Eie jpannen, d.h. fie wirkten dad Schidjaldgewebe; vgl. Helgakv. 
Hund.]I, 3. Bei derjelben Beihäftigung trifft die Walfüren auch Dorrud in ber 
Njalssaga (Cap. 157). 

3 Die Weiber de3 Südens: in diejer Bezeichnung fcheint fih eine Er- 
innerung daran erhalten zu haben, daß der Kultus Ddins und der Walküren zu— 
erit bei den Südgermanen ausgebildet war und von hier nach bem Norden vor: 
prang. Vgl Helgakv. Hund I], 17. 


15. Das Lied von Wölund (Völandarkviba). 143 





6. In Gold faßt' er glänzende Steine 
und reihte am Baſt die Ringe auf; 
fo harıt’ er feines hellgelockten 
Weibes und hoffte, daß fie wiederfäne. 


7. Das hörte Nidhod, der Njaren Herricher, 
daß Wölund einfam im MWolfsthal ſaß. 


8. In Schuppenpanzern ritten durch jchweigende Nacht 
die Krieger, 
es ſchimmerten ihre Schilde — der Mondes⸗ 
—— ſichel; 
an des Saales Giebel ſaßen ſie ab 
und ſchritten hinein in des Schützen Halle. 


9. Die Ringe ſahn ſie gereiht am Baſte, 
der Hunderte ſieben, die der Held beſaß; 
ſie zerrten ſie ab, ſie zogen ſie auf, 
nur ein einziger Ring blieb abgezogen!. 


10. Bom Weidwerk kam der wetterſicht'ge 
Wölund, der Schütze, ſein Weg war lang; 
Bärenfleiſch ging er zu braten am Feuer; 
bald flackerte luſtig die Flamme im Reiſig, 
das der Wind getrocknet, auf Wölunds Herd. 


11. Auf dem Bärenfell ruht' er, die blanken Ringe 
zählte der Elbenfürſt?, einen vermißt' er; 
er hofft’, es hätt’ ihn Hlodwers Tochter, 
die Holde Alwitr? wär’ heimgefehrt. 


12. Er jaß lange, dann jank er in Schlummer, 
doch bracht’ das Erwachen ihm bitteres Weh: 
an. den Händen jpürt’ er Harte Bande, 
an die Füße war ihm die Feſſel gejpannt. 





ı Um ihre Anweſenheit nicht zu verraten, ſtecken die Krieger die Ringe auf 
den Baſt zurück; nur einen (der ſich durch beſondere Schönheit auszeichnete ) be- 
halten ſie gleich Dieſen Ring gibt nachher Nidhod jeiner Ta, Bodwild (PBroja 
nad Str. 16). 

2 Der Elbenfürft: Wölund und feine Brüder gehörten alſo dem Elben= 
geihleht an, das fich wie die Zwerge durch beſondere Kunſtfertigkeit auszeichnet 

3 Der Beiname ber Herwor („die in jedem Wiſſen erfahrene‘) ift bier als 
Eigenname gebraudt. 


144, Zweites Buch. Heldenlieder. 





Wölund, 
13. Wer find die Reden, die in Riemen mich jchnürten 
und mit Bändern von Bajt gebunden haben? 


14. Nidhod! rief num, der Njaren Herricher: 
„Wie erwarbit du, Wölund, im MWolfsthale 
unjere Schäße, du Elbenfürjt? 
Das Gold nicht fandjt du auf Granis Wege?, 
und fern ift mein Land den Felſen des Rheins.“ 


Wölund. 
15. „Ich beſaß noch mehr ſeltene Schätze, 
als ich glücklich daheim bei der Gattin ſaß; 
°Hladgud und Herwor waren Hlodwers Kinder, 
befannt ift auch Olrun, des Kjar Tochter.” 


16. *Die Kluge Gattin des Königs jtand draußen, 
nun trat fie zur hohen Halle hinein; 
fie jtand auf dem Ejtrih, die Stimme dämpfend: 
„Richt heiter fieht aus, der vom Holze fommt?.“ 


König Nidhod gab feiner Tochter Bodwild den goldenen Ring, 
den er in Wölunds Haufe vom Baſte genommen hatte; er ſelbſt aber 
trug das Schwert, das einjt Wölund bejefjen. Da ſprach die Königin: 


17. „Ihm glänzen die Augen wie der gleißenden Schlange, 
die Zähne fleticht er, zeigt man das Schwert ihm 
und den blikenden Ring an Bodiwilds Arme; 
an den Yüßen fchneidet die Flechſen ihm durch 
und fien laßt ihn in Säwarjtad ®.“ 

Sp gejchah ed: man durchſchnitt ihm die Sehnen in den Knie- 
gelenfen und jegte ihn auf eine Inſel, die nicht weit vom Lande entfernt 





ı Nidhod war alfo felbjt mit feinen Kriegern ausgezogen, um den Wölund 
zu überfallen. 

2 Grani Weg. Grani ift dad Roß Sigurds, auf dem er zu dem Lager 
Fafnirs ritt, wo der Niflungenhort ruhte. Nidhod meint, Wölund Habe weder 
einen fhaghütenden Draden erjchlagen noch aus dem goldführenden Rhein feine 
Reichtümer geholt: daher müfje er fie ihm geftohlen haben. 

3 Wölund macht den König darauf aufmertfam, daß er ſowohl wie jeine 
Brüder mit Königstöchtern vermählt waren (bie reihe Mitgift mitbradten). 

4 Mit diefer Strophe wird der Drt der Handlung an ben Königsſitz des 
Nidhod verlegt; diefer Hat den gefefjelten Wölund mit fich fortgeführt. 

5 Der vom Holze fommt, d.h Wölund, der im Walde gewohnt hatte. 

s Säwarſtad, „im oder am Meere gelegener Ort“. 


— ⏑— 
3 


15. Das Lied von Wölund (Völundarkvipa). 145 


war und Sämwarftad hieß. Dort fcehmiedete er dem König allerhand 
Kleinode. Niemand wagte e3, jich zu ihm zu begeben, als der König 
allein. Wölund ſprach: 


18. „Nun glänzt dem Nidhod am Gürtel das Schwert, 
deſſen Schneide ich ſchärfte, To geſchickt ich konnte, 
dag ich jelber gehärtet mit ficherer Hand; 
num verlor ich für immer den leuchtenden Stahl, 
nie wird er in Wölunds Werkſtatt gebracht. 


19. „Bodwild trägt nun meines blonden Weibes 
rote Ringe — ic räch' es nimmer!“ 
Kein Schlaf befiel ihn, er jchwang den Hammer 
und jchmiedete Hurtig Gejchmeide für Nidhod. 


20. In die Thür zu jchauen, trabten die "beiden 
Söhne Nidhods nach Säwarſtad. 


21. Sie liefen zur Lade, verlangten die Schlüfjel 
und jchauten hinein — da entjchied fich ihr Lost; 
viel Kleinode gab’3 da, die Knaben meinten 
Ichimmerndes Gold und Gejchmeide zu jehn. 


Wölund. 

22. „Kommt heimlich morgen? zur Hütte wieder, 
dann geb' ich euch beiden vom goldenen Schatz; 
dem Saalgeſinde nicht ſagt's, noch den Mägden, 
verhehlt es jedem, daß hier ihr war't!“ 


28. Es kam der Morgen, die Knaben raunten: 
„Gehn wir nun hin, das Gold zu beſehn!“ 
Sie liefen zur Lade, verlangten die Schlüſſel — 
ihr Geſchick ſtand feſt, als ſie ſchauten hinein. 


1D. h. in dieſem Augenblicke faßte Wölund den Racheplan. 

2 Warum Wölund ſeine Rache auf den folgenden Tag verſchiebt, wird durch 
die Erzählung der Pidrekssaga (Cap. 73) klar. Hier jagt nämlich Wölund den 
beiden Knaben, daß fte nicht eher wieder zu ihm fommen jollten, als bis frifcher 
Schnee gefallen jei; dann aber jollten fie den Weg rüdwärts gehend zurüdlegen. 
Die Brüder folgen diefer VBorjchrift und werden darauf von Wölund getötet. Als 
bie beiden nun vermißt werden und bei Wölund nachgeforfcht wird, ob fie dort 
gewejen jeien, erwidert er, die Knaben hätten ihn allerdings bejucht, jeien aber 
wieder fortgegangen, und dieje Ausjage wird durch die von der Schmiede fort- 
führenden Fußſpuren beftätigt. 

Die Edda, 10 


146 Zweites Bud. Heldenlieber. 





24. Die Köpfe jchnitt ev den Knaben herunter 
und barg unterm Herde beider Füße; 
die Schädel jedoh, Die der Schopf bedeckte, 
faßt’ er in Silber und jandte fie Nidhod. 


25. Aus den Augen ſchuf er Edelſteine 
und jchiet’ fie der Fugen Königin zu; 
aus der zwei Brüder Zähnen macht’ er 
bligenden Bruſtſchmuck, den er Bodwild jandte. 


26. Des roten Ringes rühmte ſich Bodwild 


er brach ihr entzwei, ſie bracht’ ihn zu Wölund: 
„Nur Wölund allein wag' ich’3 zu jagen.‘ 
Wölund. 
27. „Ich beſſere ſo den Bruch im Goldring, 
daß dem Vater dein er noch feiner erſcheint 
und der weiſen Mutter bei weitem ſchöner, 
deinen eigenen Augen ebenſo gut.“ 


28. Überwältigt vom Bier, das der weiſere darbot, 
entſchlummerte bald die Schöne im Seſſel. 
„Nun hab' ich gerächt an den ruchloſen Leuten 
alle Ubelthaten, nur eine noch nicht. 


29. „Geſund nur wünſcht' ich die Sehnen“, ſprach Wölund, 
„die die Schergen Nidhods durchſchnitten haben.“ — 


Lachend erhob im die Luft ſich Wolund, 
weinend ging Bodwild vom Werder, bangend 
ob der Flucht des Buhlen und des Vaters Zorne. 


30. Die Kluge Gattin des Königs jtand draußen, 
nun trat fie zur hohen Halle Hinein 
und ſetzte erichöpft an der Saalwand fich nieder: 
„Wachſt du, Nidhod, der Njaren Beherrſcher?“ 


ı Bor diefer Zeile muß etwas aufgefallen fein, das wir nad dem Bericht 
ver Pidrekssaga (Cap. 77) ergänzen können. Dort wird nämlich erzählt, daß 
Wölund feinen Bruder Egil bat, ihm Bögel zu hießen, worauf er fich aus den 
Federn derfelben ein Flügelkleid machte, mit dem er fi in die Luft hinauf 
ſchwang. 


31. 


32. 


36. 


37. 


15. Das Lied von Wölund (Völundarkvipa). 147 





Nidhod. 
Ich wache immer, der Wonne beraubt, 
mich erquickt kein Schlaf ſeit der Knaben Tode; 
mir friert das Haupt — verflucht ſei dein Rat!! 
mein Wunſch nur iſt es, mit Wölund zu reden. 


Gib Antwort, Wölund, du Elbenfürſt: 
was geſchah mit den Söhnen, die gejund mich ver- 
ließen? 


Wölund. 


. Erjt ſollſt du mir alle Eide ſchwören 


bei des Schiffes Bord und des Schildes Rand, 

bei der Schneide des Schwert3 und dem Schenkel des 
Roſſes, 

daß du Wölunds Gattin? nicht Weh bereiteſt 

und meiner Geliebten das Leben nicht raubit, 

wenn mein Weib auch wäre verwandt dir jelber 

und ein Kind mir erwüchle im Königsjaale. 


. Zur Werkitatt geh, die du Wölund bauteft, 


dort wirft du die blutigen Bälge finden; 
die Köpfe jchnitt ich den Knaben herunter 
und barg unterm Herde beider Füße. 


. Die Schädel jedoh, die der Schopf bededte, 


faßt’ ich in Silber und jandte jie Nidhod; 
aus den Augen jchuf ih Edelſteine 
und ſchickt' fie der Fugen Königin zu. 


Aus der zwei Brüder Zähnen macht’ ich 
bligenden Bruſtſchmuck, den ich Bodwild jandte; 
und Bodiwild geht, euer beider einz’ge 

Tochter, belaltet mit Leibesfrucht. 


Nidhod. BEN 
Nie Hört’ ich ein Wort, das mich heftiger ſchmerzte 
das ich ſtrenger, Wölund, zu ſtrafen wünfchte: 





ı Dein Rat: der in Str. 17 von der Königin ausgeſprochene Ratſchlag 
2 Wölunds Gattin: natürlich ift Bodwild gemeint. 


10* 


148 Zweite Bud. Heldenlieder. 





doch. reicht zu dir fein Reiter hinauf, | 
To gejchieft ift fein Schüß, der dich jchieße herabt, 
da du weit entfernt zu den Wolfen jchwebit. 


38. Lachend hob im die Luft ſich Wölund, 
vernichtet vom Schmerz blieb Nidhod zurüd. 
! Nidhod. 

39. Erhebe dich, Thakfrad?, treuſter der Sklaven! 


die blondbewimperte Bodwild rufe, 
daß die reichgeſchmückte mir Rede jtehe. 


40. Iſt's Wahrheit, Bodwild, mas Wölund mir jagte: 
laßt auf der Inſel beifammen ihr beiden? 


Bodwild, 


41. Wahr iſt's, Nidhod, was MWölund dir jagte, 
auf der Inſel ſaßen allein wir beifammen 
zu Schlimmer Stunde — geſchehn durft' es nie! 
Ich wußte mich fein zu erwehren nicht, 
ich konnt' mich Wölunds erwehren nicht?! 


— 





1 Die Pidrekssaga (Cap. 78) erzählt, daß Nidhod ed wirklich verfucht, den 
Wölund aus der Luft herabſchießen zu lafjen, und zwar durch Egil, den er zu 
diefem Schufje zwingt. Wölund hatte dies jedoch vorausgejehen und eine mit Blut 
gefüllte Blaſe unter feinem linken Arm befeftigt. Egil zielte nun der Berabre- 
dung gemäß nach diefer Stelle, und als das Blut auf die Erde tropft, hält der 
König den Wölund für tödlich verwundet und ift zufriedengeitellt. 

2 Thaffrad (mittelhohdeutfh: Dancrät), „ver willfommene Ratſchläge 
erteilt‘. 

> Der Sohn Wölunds, den Bodwild gebiert, ift nad) der Pidrekssaga und 
dem mittelhochdeutſchen Gedichte Virginal Widga (Witege), einer der Helden 
Dietrih8 von Bern. 


16. Das Lieb von Helgi 2c. (Helgakvipa Hjorvarbssonar). 149 





16. Das Lied von Helgi, dem ohne Hjorwards. 
(Helgakvipa Hjorvarpssonar.) 


3. 


Hjorward! hieß ein König, der hatte vier Frauen?: die erſte hatte 
den Namen Alfhild?, und der Sohn, den fie dem Könige geboren, hieß 
Hedint; die zweite war Säreid? genannt und ihr Sohn Humlung; die 
dritte hieß Sinrjod? und ihr Sohn Hymling. König Hjorward hatte 
das Gelübde abgelegt, die Frau zur Ehe zu nehmen, die nach feinem - 
Wiſſen die jchönfte jei. Nun erfuhr er, daß König Swafnir® eine wun: 
derholde Tochter befite, die Sigrlinn? hieß. Idmund? hieß ein Jarl 
Hjorwards; defjen Sohn Atli? zog aus, um Sigrlinn für den König zu 
werben. Er hielt fich einen Winter hindurch bei König Smwafnir auf. 
Dort lebte auch ein Jarl, Namens Franmar!?, Sigrlinns Pflegevater; 
feine Tochter hieß Alof!!. Der Jarl gab den Rat, die Jungfrau zu ver: 
weigern, und Atli kehrte heim. Eines Tages ftand Atli, der Jarls— 
john, an einem Haine; in den Zweigen über ihm ſaß ein Bogel!?, der 





ı HSjiorwarbd, „der Schwerthüter”, ein in den eddiſchen Liedern öfter be— 
gegnender Name. Der hier genannte Hjorward ift nad der Proſa vor Str. 31 
ein norwegiſcher König. 

2 Polygamie wird aus dem nordiſchen Altertum nicht gerade häufig berichtet; 
doch erzählt 3 B. die Hälfssaga von König Alref von Hordaland, daß er zwei 
Frauen bejaß, und König Hjorleif, den wir durch diefelbe Sage kennen lernen, 
hatte drei Gemahlinnen, infolgedefjen er den Namen des Weiberfreundes erhielt 
Auch aus der hHiftorifhen Zeit haben wir ein paar Beifpiele, daß Fürften fich 
nit mit einer Frau begnügten: Harald Schönhaars zahlreiche Kinder ftammten 
aus mindeftens ſechs verjchiedenen Verbindungen, und ſogar der Kriftlide König 
Harald der Strenge von Norwegen hatte neben der ruififchen Königstochter Elija- 
beth noch eine vornehme Norwegerin zur Frau. 

3 Alfhild, „die elbifhe Kämpferin“. 

+ Hebdbin; über den Namen f. zu Skäldsk. €. 10. 

5 Säreibd („die Meerreiterin?“) und Sinrjod („die immer Rote”) werden 
nad der Sage Schweitern gewejen fein, da die Namen ihrer Söhne durch patro— 
nymifhe Endung von demjelben Namen (Humli), den wahrſcheinlich ein mütter- 
liher Berwandter (der Vater der beiden Schweitern?) trug, abgeleitet find. 

s Smwafnir, nad der Proſa hinter Str.5 ein König von „Swawaland“, 
da3 nad der Meinung des Liederfammlerd auch auf der ſtandinaviſchen Halb⸗ 
inſel gelegen haben muß, da man ſowohl auf dem Land- wie auf dem Seewege 
von Norwegen aus dorthin gelangen konnte. — 

Sigrlinn, „die ſieghafte Schlange”. 

s Idmund, „geſchäftige Hände habend“. 

Atli = gotiſch Attila, „Väterchen“, hochdeutfch Etzel; im Nordiſchen aber 
durch Volksetymologie an das Adj. atall „ſchlimm“ angelehnt, aljo* „ver Schlimme“. 

1 Sranmar, „ver Ruhmglänzende”. 

11 Alof (weiblihe Form zu Dlaf), „Sprößling der Ahnen“. 

12 Aus den Forderungen, bie der Vogel in Str. 2 und 4 ftellt, ſcheint her— 
vorzugehen, daß irgend ein göttliches Weſen in diefer Hülle fich barg. 


150 Zweites Buch. Heldenlieder. 





hatte gehört, das Atlis Leute König Hjorwards Frauen als die ſchön— 
ften gepriejen hatten. Der Bogel zwitjcherte, Atli aber hörte, was er 
ſprach. Der Vogel jagte: 


1. Sahjt du Sigrlinn, Swafnirs Tochter, 
die Holdejte Maid ihres Heimatlandes, 
ob hübſch auch jcheinen Hforwards Frauen 
den Helden allen im Haine Glafir!? 


Atli. 


2. Willft du mit Ali, Idmunds Sohne, 
weijer Vogel, noch Weiteres reden? 


Der Vogel. 
Ich will’s, wenn der Edling mir Opfer jpendet 
und jchentt, was ich wünſche vom Schaße des Königs. 


Atli, 
3. Nur wähle nicht Hjorward noch des Helden Söhne, 
auch nicht des Herrſchers Holde Weiber, 
die Frauen nicht, die der Yürft beſitzt; 
laß ung ehrlich verhandeln nach Art der Freunde. 
Der Bogel, 
4. Einen Tempel wähl ih, Altäre viele, 
goldhornige Kühe? vom Gute des Königs, 
wenn Sigrlinn ihm zur Seite jchläft 
und gutwillig als Gattin ihm folgt. 


Dies war gejchehen, ehe Atli jeine Reije antrat. Als er nun heim 
fam und der König ihn fragte, was er ausgerichtet habe, ſprach er: 


5. Bejchwerde nur ward ung, Doch jchlechter Erfolg: 
die Hengjte erlahmten im Hochgebirge, 
dann mußten wir waten durch die Wellen der Sämorn?; 
verjagt auch ward uns Swafnirs Tochter, 
nach der wir ritten, die ringgeſchmückte. 





ı Glafir, „ver Glänzende”; denjelben Namen führt der Hain, der nad) einer 
Mitteilung der Skäldskaparmäl (Snorra Edda, Arnam. Ausg. I, 340) vor Wal- 
holls Thoren fi ausbreitet 

2 Kühe mit vergoldeten Hörnern werden auch in der Prymskviba, Str. 23 
erwähnt. In der Gautrekssaga (Cap.6) wird erzählt, daß der Bauer Rennir 
einem Stiere die Hörner mit Gold und Silber überzog und zwifchen denjelben 
eine Kette anbradte, an der drei goldene Ringe hingen. 

3 Sämorn, der Name diejes Flufjes kommt jonft nirgends vor. 


16. Das Lied von Helgi 2c. (Helgakvipa Hjorvarbssonar). 151 








Der König befahl, noch einmal die Fahrt zu thun, und ritt jelber 
mit. Als fie nun hinauf auf das Gebirge famen, jahen fie, daß Swawa— 
land durch Feuer verheert werde und reifige Scharen große Staub: 
wolfen aufwirbelten. Der König ritt vom Gebirge hinab in das Land 
hinein und nahm fein Nachtquartier an einem Fluffe. Atli hielt Wache 
und fuhr über den Strom; da fand er ein Haus, auf dem ein Vogel 
aß, der e8 bewachen ſollte; er war aber eingefchlafen. Atli ſchleuderte 
jeinen Spieß nach dem Bogel und tötete ihn; im Haufe aber fand er 
Sigrlinn, die Königstochter, und Alof, die JZarlstochter, und führte 
beide mit fich fort. Der Jarl Franmar war es gemwejen, der fich in 
Aolergeftalt verwandelt und die Frauen vor dem feindlichen Heere 
durch feine Zaubermacht geſchützt hatte!. Es hatte nämlich noch ein 
anterer König, Namens Hrodmar?, um Sigrlinn geworben: dieſer hatte 
den König von Swawaland getötet und das Land verheert und ver: 
brannt. König Hjorward nahm nun die Sigrlinn zur Frau, und Atli 
die Alof. 

II. 

Hjorward und Sigrlinn befamen einen Sohn, der ward groß und 
ftattlich, fonnte-aber nicht reden, und fein Name blieb an ihm haften?. 
Als er einmal auf einem Hügel jaß, jah er neun Walfüren reiten. Eine 
von ihnen war weit anjehnlicher als die andern, und dieſe redete ihnan: 


6. Spät wirft du, Helgi*, des Horte walten, 
reicher Kampfbaum?! und Rodulswolls 
— der Yar jchreit früh — wenn du ewig jchweigit, 
mag fühn dein Herz, o König, auch fchlagen. 


Helgi. 
7. Du jhufft mir den Namen, was jchenkjt du dazu ®, 
glänzende Maid, da die Gabe dir freijteht? 
Erwäge du alle Ausiprüche wohl! 
ich verfage den Dank, wenn du jelbjt nicht mein wirft! 





ı Der Glaube, daß zauberfundige Menſchen fi in Tiere verwandeln konn— 
ten, war im Norden weit verbreitet. Vgl. die Anm. zu Härb. 37. 

2 Hrodmar, „der Hochberühmte“. 

3 Soll das bedeuten, daß der Knabe nicht bloß ſtumm, fondern auch taub 
war (jomit auf feinen Namen hören fonnte), und daß er erjt dur die Walfüre 
den Gebraud feiner Sinne erhielt? 

4 Helgi, d.h. „ber Geweihte“, „der Heilige”. * 

5 Kampfbaum, poetiſche Umſchreibung für Krieger. — NRodulswoll 
„glänzendes Gefilde” 

6 Derjenige, der dem Kinde den Namen oder auch einem Erwacjenen einen 
Beinamen gab, pflegte zugleich ein Gefchenf zu entrichten; vgl. Helgakv. Hund. I,8 


152 Zweites Buch. Heldenlieder. 





Die Walfüre, 

8. Werſenkt find Schwerter auf Sigarsholn, 
e3 jehlen am halben Hundert nur vier: 
befjer ala alle iſt eins von diejen, 
ein Berderber der Klingen, bedeckt mit Gold. 


9. Der Knauf birgt Ruhm, Kühnheit der Griff, 
Angſt die Spite?, dem Eigner zum Heil; 
es jchillert wie Blut am der Schneide ein Wurm, 
es ringelt den Schweif am Rüden ein Drache. 


Eylimi? hieß ein König, deſſen Tochter war Swawa; fie war eine 
Walküre und ritt durch Luft und Meer. Sie gab dem Helgi den Namen 
und jchirmte ihn ſeitdem oft in Schlachten. Helgi ſprach: 


10. Nicht Heil bringt ung, Hjorward, dein Rat, 
wenn hoch auch dein Ruhm ift, Beherrſcher der Rede; 
mit euer verheerit du der Fürſten Gehöfte, 
die dir jchiwerlich jemal® Schaden gethan — 


11. Doch Hrodmars läßt du des Hortes walten, 
den unjre Sippe zu eigen bejaß; 
e3 freut fich jorglo8 der Fürſt des Raubes, 
die Erben, meint er, ſei'n alle tot. 


Hjorward ermwiderte, daß er dem Helgi Kriegsvolf geben wolle, 
falls es feine Abficht jei, den Bater feiner Mutter zu rächen. Darauf 
holte fich Helgi das Schwert, da3 Swawa ihm angewiefen hatte, und 
zog mit Atli aus. Sie fällten den Hrodmar und führten mande Hel— 
denthat aus. 





und Skäldsp. €, 9. Die Sitte ift mehrfach bezeugt. Als König Dlaf Tryggwajon 
den isländiſchen Skalden Hallfred den „Schwierigfeitsdichter‘‘ nannte, forderte 
biejer da3 zur Namengebung (nafnfestr) gehörige Geſchenk, und Dlaf reichte ihm 
ein prächtige Schwert; ſ. Olafs saga Tryggv. (Heimskr.), Cap. 90. Andre Bei- 
fpiele in Fritzners Ordbog II, 781. 

+ ALS Namengabe weift die Walfüre dem Helgi ein ausgezeichneteg Schwert 
nad, das er auf Sigarsholm („der Jnjel des Sigar“) finden werde. 

2 In Knauf, Griff und Spige des Schwerte waren aljo, wie es jcheint, 
zauberfräftige Runen eingegraben. 

3 Auf Rüden und Schneide waren alſo Figuren eingeägt. 

4 Denjelben Namen („der Stark- oder Schöngliederige‘‘ ?) führte auch der 
Vater von Sigurd Mutter. 

5 Hrodmar, der König, der Helgis Großvater Swafnir erjchlagen hatte 
(j. Proja nad) Str. 5). 


16. Das Lied von Helgi 2c. (Helgakviba Hjorvarbssonar). 153 





II. 


Helgi tötete den Riejen Hati!, den er auf einem Berge fitend fand. 
Nicht lange darauf lagen Helgi und Atli mit ihren Schiffen im Hata— 
fiord. Atli hielt während des erjten Teiles der Nacht die Wache. Da 
redete Hrimgerd?, die Tochter des Hati, ihn an: 


12. Wer find die Helden im Hatafjord, 
deren Schiffe mit Schilden behängt?? 
nicht Furcht verrät euer freches Benehmen; 
fündet mir, wie der König heißt! 
Ali. 
13. Helgi heißt er, doch dem Herrſcher wirft du 
chwerlich Schaden thun; 
des Edlings Flotte jchügt eiferne Wehrt, 
drum Haben uns Hexen nichts an. 


Hrimgerd. 


14. Wie Heißt denn du, exrhabener Recke, 
wie bit du mit Namen genannt? 
der Fürft verrät viel Vertrauen, 
der im Schiffsjteven dich jchalten läßt. 


Atli, 
15. Mein Name ift Atli, der Unheil dir fündet?, 
am meiſten find mir Heren verhaßt; 
ichon vielmals ftand ih im feuchten Steven 
und ſchlug ſchädliche Druden tot. 


ı Hati, „ver Gehäffige”. 

2 Hrimgerd, „die mit Reif Umhüllte“ (2). 

3 Die Schilde pflegte man an den Borden de3 Schiffes, und zwar an ber 
Außenfeite, aufzuhängen, wie es jcheint, um die Ruderer vor den Geſchoſſen des 
Feindes zu ſchützen. Bezeugt wird diefe Sitte durch die Darftellungen normannijcher 
Schiffe auf der Tapete von Bayeur und das bei Gofftad in Norwegen 1880 aus— 
gegrabene Fahrzeug, an defien Reling noch die freißrunden, abwechſelnd ſchwarz 
und gelb gemalten Schilde hingen. 

Die nordiſchen Kriegsſchiffe waren zuweilen an den beiden Steven mit 
Eiſen beſchlagen. Das bekannteſte Beiſpiel eines ſolchen Schiffes iſt der Jarn—⸗ 
bardi, auf welchem der Jarl Eirik in der Schlacht bei Swoldr (1000 n. Chr.) gegen 
König Olaf Tryggwaſon kämpfte (Flateyjarbök I, 481). Vgl. Orvar-Oddssaga, 
Cap. 16, 5 und 40, 15. 

5 Das Wortfpiel deö Urtextes: „Atli (dev Schlimme) heiß’ ih, atall 
(chlimm) werde ich für dich werden“ ließ fich in der Überfegung nicht wieber- 
geben. 


154 Zweites Buch. Heldenlieder. 





16. Wie heißt du, Niefin, hungrig nach Leichen? 
den Erzeuger nenne, du Zauberweib! 
neun Meilen tief mögjt du niederjinken, 
auf dem Buſen wachje ein Baum! 
Hrimgerd. 
17. Hrimgerd heiß’ ih, Hati war mein Bater, 
der thatkräftigite Thurs; 
der Weiber viele hat er aus den Weilern geraubt?, 
bis Helgi ihn hieb den Todesſtreich. 
Ali, 
18. Du lagjt, Here, dor des Herrihers Schiffen 
und hatteſt des Meerbuſens Mündung gejperrt; 
zu Ran? hätteft du die Reden des Fürſten gefendet, 
wenn dich die Stange? nicht ſtieß. 
Hrimgerd. 
19. Du täufcheit dich, Atli, zu träumen jcheinjt du, 
du jchließt Schon die Augen zum Schlaf; 
meine Mutter lag vor den Maſten des Königs, 
ich habe die Söhne Hlodwards* erjäuft. 


20. PWiehern würdet du, Atli, wärejt du nicht zum Wallach 
gemacht, 
da ich willig den Wedel erheb’®; 
hinten, mein’ ich, wird das Herz dir fiten”, 
wenn auch heller du jchreilt als ein Hengit. 
Atli. 
21. Die Kraft des Hengſtes wirſt du kennen lernen, 
wenn ich jteige vom Meer auf den Strand; 
dich lahm zu Schlagen wär Luft fin mich, 
Ichnell dann jänfe dein Schweif. 





1 Daß Riejen nah den Weibern der Menſchen lüftern find und fie mit Ge— 
walt fortſchleppen, wird öfter erzählt, 3. B. von Storwirf und Starfad (Gautreks- 
saga Cap. 3). 

2 Ran, die Gattin des Meergottes Agir, die mit ihrem Net die Ertrinken— 
den in bie Tiefe zieht (Snorra Edda, Arnam Ausg. I, 338). 

3 Die Ruderftange oder der Speerjchaft? 

+ Hlodwards Söhne, vermutlich Verbündete des Helgi; fie werden Er 
nicht genannt. 

5 Aus diefer Strophe geht hervor, daß die Niefin in Tiergeftalt war. 

s Wie eine brünftige Stute, die den Hengft erwartet. 

? Dein Herz figt nicht am richtigen Flede (da du mir jonft zu Willen fein 
mwürbdeft). Vgl. zu biefer Strophe Helgakv. Hund. I, 41. 


16. Das Lied von Helgi 2c. (Helgakvipa Hjorvarbssonar). 155 





Hrimgerd. 
22. Betritt das Land, wenn du traut deiner Stärke, 
treffen wir ung in Warinswift! 
die Rippen werd’ ich gerade dir machen, 
wenn du mir in die Krallen fommit. 
Atli. 
23. Ich komme nicht eher, als die Krieger erwacht find 
und den Herricher nehmen in Hut; 
nicht wundern würd’ ich mich, widriges Scheufal 
kämſt du unter dem Kiel empor. 
Hrimgerd, 
24. Erwache, Helgi! gib Hrimgerd Buße, 
daß du Hati zur Hel geichidt; 
darf fie eine Nacht bei dem Edling jchlafen, 
icheint ihr der Schaden gebüßt. 
Helgi. 
>25. Vermähl' dich mit Lodin?, da dich Menfchen verabicheun, 
dem Thurjen, der Tholley bewohnt; 
diejer jchlaue Rieſe, der jchlimmite im Bergwald, 
paßt beſſer als Buhle für dich. 
Hrimgerd, 
26. Lieber ijt jene? dir, Helgi, Die die Häfen durchipähte 
mit dem Volk in der vorigen Nacht; 
die Maid mit dem Goldihmuf war mächt’ger als ich; 
bier jtieg fie vom Meer auf den Strand 
und hat eure Schiffe beſchirmt; 
nur fie verjchuldet’3, daß des Seekönigs Mannen 
ic) nimmer vernichten kann. 
Helgi. 
27. Höre du, Hrimgerd, ſoll den Harm ich dir büßen, 
jo fünde dem König genau: 
war’ ein Wejen, die des Edlings Flotte ſchuhte, 
oder folgten noch mehrere BR: 





ı Der Eigenname Warin („der Gejhügte“?) begegnet RR in Orts⸗ 
namen (Warinsfjord Helgakv. Hund. I, 27; Warindey ebenda 38). Von einem 
mythiſchen König Warin, der zu Sforuftrond im norwegifchen NRogaland wohnte, 
erzählt Ddin dem Dlaf Tryggwaſon (Fornmanna sögur II, 138; X, 302). 

2 Der Rieſe Lodin („ver Zottige”) und fein Wohnort, die Inſel Tholley 
(„Sichteninjel”), werden jonft nirgends erwähnt. 

3» Jene, nämlid Swawa. 


156 \ Zweites Buch. Helbenlieder. 





Hrimgerd. 
28. Ich zählte dreimal neun!, doch zog eine Jungfrau 
mit glänzenden Goldhelm voraus; 
ihre Roſſe ſchüttelten ſich, es rann aus den Mähnen 
in tiefe Thäler der Tau, 
der Hagel in hohes Gehöß >; 
den Yeldern bringt das Frucht, 
doch Unluft brachte der Anblie mir. 


- Helgi. 
29. Nach Dften? jchau, Hrimgerd! mir ahnt, daß Helgi 
dich mit tödlichen Runen traf; 
im Hafen geborgen iſt des Herrichers Flotte 
und am Lande des Fürſten Volk. 
Ali, 
30. Tag iſt's, Hrimgerd, der den Tod dir bringt, 
ſo lange hielt Alt dich auf; 
ala Hafenzeichen, verhöhnt von den Schiffern, 
jtehjt du, verwandelt in Stein! 


IV. 

König Helgi war ein gewaltiger Krieggmann; er fam zu König 
Eylimi und warb um deſſen Tochter Swawa. Helgi und Swawa 
leifteten fich Eide, und ihre gegenjeitige Liebe war überaus groß. 
Smwawa war daheim bei ihrem Vater, Helgi aber begab fich auf deer 
fahrten; doch war Swawa nach wie vor Walküre. 

Hedin war zu Haufe bei ſeinem Vater, König Hjorward, in Nor: 
wegen. Am Julabend fam Hedin allein aus dem Walde und traf 
ein BZauberweib, die ritt auf einem Wolfe und hatte Schlangen an 
Stelle des Zaumzeugest; fie bot dem Hedin ihre Begleitung an. Er 
jagte nein dazu. Sie ermwiderte: „Dafür ſollſt du büßen, wenn du den 
geweihten Becher? leerſt!“ Am Abend wurden feierliche Gelübde ab: 





ı Swawas Walfüren find aljo in drei Abteilungen gefondert, wie auch im 
erjten Merjeburger Sprude die „Idiſe“ in drei Scharen auftreten. 

2 Dieje Zeilen bewahren noch eine Erinnerung daran, daß die Walfüren 
urfprünglid Wolkenweſen waren. 

3 Nah Dften, wo eben die Sonne aufgeht, deren Schein Zwerge und 
Riejen in Stein verwandelt. Vgl. Alvissmöl, Str. 36. 

* ®gl. zu Hyndl. 5. 

5 Der jogenannte „Becher des Fürſten“, d. 5. ber dem Andenken des geftorbenen 
Königs beim Erbmahl vom Nachfolger gemweihte Becher, bei deſſen Leerung diejer 
ein feierliche Gelübde abzulegen pflegte; dann überhaupt Bezeichnung des beim 
Ausſprechen eines Gelübdes benugten Bechers. 


16 Das Lied von Helgi 2c. (Helgakviba Hjorvarbssonar). 157 





gelegt! ; der Eber ward hineingeführt, auf den legten die Männer ihre 
Hände und leifteten ihre Schwüre bei dem heiligen Becher. Hedin 
gelobte, er wolle Swawa, Eylimis Tochter, gewinnen, die Geliebte 
jeines Bruders Helgi; doch gleich darauf erfaßte ihn jo große Reue, 
daß er auf wilden Pfaden gen Süden eilte und feinen Bruder Helgi 
aufſuchte. Helgi ſprach: 


31. Willkommen, Hedin! was für Kunde bringſt du 
von Neuigkeiten aus Norwegs Gauen? 
Weshalb verließt du das Land, o Fürſt, 
und eilteſt allein, mich aufzuſuchen? 


Hedin. 
32. Schuldig bin ich ſchlimmeren Frevels 


beim Becher ſchwur ich, des Bruders” Geliebte 
mir zu erfämpfen, die Königstochter. 


Helgi. 
33. Klag’ dich nicht an! Es kommt zur Erfüllung, 
was wir beide, Hedin, beim Biere gelobt: 
zum Holme hat mih ein Held entboten?, 
nach dreien Nächten? muß ich dort mich jtellen; 
nicht wag’ ich zu hoffen auf Wiederkehr; 
jo mag nah Wunſch ſich wenden da3 Schidjal. 
Hedin, 
34. Einjt Hielteft du, Helgi, den Hedin für würdig, 
ihm große Gaben und Gut zu verleihn; 


und fehieklicher, dent ich, wird dir's erjcheinen, 
zu färben das Schwert, als den Feind zu jchonen. 





ı Am Yulfeft, das zur Zeit der Winterfonnenwende gefeiert wurde, führte 
man einen dem Freyr gemweihten Eber in die Halle. Auf diefen legten die Män— 
ner ihre Hände und leifteten jo ihre Gelübde. Vgl. Hervararsaga, Cap. 10 (Bugges 
Ausg., ©. 233). 

2 Die Zweitämpfe wurden gern auf Injeln (Holmen) ausgefochten ; daher 
nannte man den Zweilampf Holmgang, und jemand herausfordern hieß: „ihn 
auf den Holm laden“. 

3 Daß die Germanen nicht nach Tagen, ſondern nad Nächten rechneten, 
war jhon dem Tacitus aufgefallen (Germ., Cap. 11). Dem entſprechend zählte man 
auch nicht die Sommer, fondern die Winter. — Der Zweilampf ward gewöhnlich 
drei Tage nad der Forderung ausgefohten, vgl. 3. B. Gunnlaugssaga, Cap. 6 
und 11. 


158 Bweites Buch. Heldenlieber. 





Helgi hatte jo gejprochen, weil er jein nahes Ende voraus ahnte, 
da jeine Folgegeifter! dem Hedin begegnet waren, als er jene Frau auf 
dem Wolfe reiten jah. 

Alf? hieß ein König, Hrodmars Sohn, der den Helgi nad) Siaars: 
woll? zum Kampfe geladen hatte nach dreier Nächte Frift. Dort wurde 
eine gewaltige Schlacht gejchlagen, und Helgi empfing die Todeswunde. 
Da ſprach Helgi: 


35. Auf dem Wolfe ritt ein Weib zur Nachtzeit 
und forderte Hedin zur Folge auf, 
fie jchaute voraus, daß erjchlagen würde 
Sigrlinng Sohn bei Sigarswoll. 


36. Es jandte Helgi den Sigar“ aus, 
er ritt zu Eylimis einziger Tochter: 
raſch möge fie ſich rüjten zum Aufbruch, 
wolle jie lebend den Liebſten finden. 


Sigar. 
37. Mich hat Helgi hierher gejendet, 
“ um jelber mit dir, - Swawa, zu reden; 
es jehnt fich der Fürft, Dich zu jehn noch einmal, 
eh’ der Edelgeborne den Atem verhaucht. 


Swawa. 
38. Was geſchah mit Helgi, Hjorwards Sohne? 
von herbſtem Harm bin ich heimgeſucht! 
Wenn ihn ſchlang das Meer, wenn das Schwert ihn fällte, 
an des Reden Mörder räch' ich den Tod! 





ı Die Seele des Menſchen konnte fih nad dem Glauben der heidnijchen 
Skandinavier von dem Körper löjen und eine bejondere Geftalt (bejonders eine 
Tiergeftalt) annehmen. Diejes zweite Sch des Menden iſt jeine „fylgja“, fein 
Folge- oder Schuggeift, der beſonders dann fich jehen läßt, wenn der Tod des 
Schüglings nahe bevorfteht. Auffallend iſt e8, daß Hier dem Helgi mehrere 
„Schuggeifter” zugejchrieben werden. — Unmöglich ift e8 Übrigens, das in ber 
Proſa vor Str. 31 und in Str. 35 erwähnte Zauberweib, wie einige Erklärer 
gethan haben, mit dem Schutzgeiſt Helgis zu identifizieren. 

2 Alf, „Elbe“, ein jehr häufiger nordiſcher Name. 

3 Sigarswoll, „das Gefilde des Sigar“: diefelbe Lokalität wird auch 
Helgakv. Hund. I, 8 erwähnt. 

4 Sigar, „ber Herr des Sieges”, ein Name, der in den eddifchen Liedern 
mehrfach begegnet. In weldem Berhältnis der hier genannte Sigar zu Helgi 
steht, iſt nicht erfihtlih. Jedenfalls ift er nicht identifh mit dem befannten 
däniſchen Könige, j. zu Helgakv, Hund. I, 82, 


16, Das Lied von Helgi ꝛe (Helgakvipa Hjorvarbssonar). 159 





| Sigar. 
39. Es fiel am Morgen bei Frefaftein! 
der herrlichjte Held unterm Himmelsdache; 
des vollen Siegs erfreut ſich Alf, 
den er diesmal nimmer verdienet hat. 


Helgi. 
49. Heil dir, Swawa! beherrſche den Kummer, 
im Leben iſt dies unſre legte Begegnung; 
e3 wallt das Blut aus den Wunden des Fürſten, 
dicht am Herzen der Degen mich traf. 


41. Höre mich, Swawa, Hemme die Thränen! 
erfülle des Liebſten letzte Bitte! 
Dem Bruder ſollſt du das Bett bereiten, 
am Herzen hegen den Heldenjüngling. 

Swawa. 

42. Gelobt hab' ich's in der lieben Heimat, 
als Helgi die roten Ringe mir ſchenkte, 
daß ich freiwillig nie nach des Fürſten Tode 
einen Unberühmten umarmen würde. 


Hedin. 
43. Küſſe mich, Swawa, ich kehre nicht wieder, 
Rogheim zu ſehen und Rodulsfjallz 


eh' ich blutig gerächt des Brudes Tod, 
des herrlichſten Manns unterm Himmelsdache. 


Bon Helgi und Swawma heißt es, daß fie wiedergeboren ſeien“. 


— — 





1Frekaſtein, „Wolfsfels“; in den Helgiliedern ein typiſcher Name für 
ben Ort, wo eine Schlacht geliefert wird (Helgakv. Hund. I, 45, 54; II, Proſa 
rad Str. 16; Str. 18, 24). ana 

2 Die Antwort der Swamwa ift nit unbedingt ablehnend; fie erklärt nur, 
daß fie die legte Bitte Helgis erft dann erfüllen werde, wenn Hedin fich als Held 
erprobt habe. Daß er diefe Probe dadurch abzulegen hat, daf er die heilige 
Pflicht erfüllt, feines Bruders Tod zu rächen, ergibt die folgende Strophe. 

3» Rogheim, „Kampfheim”, und Rodulsfjall, „Sonnengebirge“, nur hier 
erwähnte Ortlichkeiten. 

* Der wiedergeborne Helgi war Helgi, der Hundingstöter, und die wieder: 
geborne Swawa defjen Geliebte Sigrun. 


160 Zweites Bud. Heldenlieder. 





17, Das erfte Lied von Helgi, dem Hundingstöter. 
(Helgakvipa Hundingsbana I.)' 


1. In alter Zeit war's, als Aare kreiſchten, 
heilige Waſſer vom Himmelsberg rannen?, 
da hatte den Helgi, den heldenmüt'gen, 
Borghild? geboren in Bralunds? Reich. 


1 Bon den beiden Liedern von Helgi, dem Hundingstöter, erzählt das erite, 
ein zufammenhängendes Ganze, da nur durd den Ausfall weniger Berje Ein- 
buße erlitten hat, zuerjt von der Geburt und Benennung des Helden (Str. 1— 
8), dann von feinem Kampfe mit Hunding und deſſen Söhnen, die jümtlich er- 
ichlagen werden (Str. 9—14). Hierauf folgt Helgis Zufammentreffen mit der 
Walküre Sigrun, die ihm ihre Liebe erklärt und jeine Hilfe erbittet, da ihr 
Bater Hogni fie mit Hobbrodd, dem Sohne Granmars, vermählen will, den fie 
verabjcheut; Helgi jagt feinen Beiftand zu (Str. 15—21). Er jammelt ein Heer 
und fticht mit der Flotte in See (Str. 2-32). Gubmund, ein Bruder Hod— 
brodds, der am Strande Wade hält, fieht die Schiffe heranfommen und fragt, 
wer ber Befehlähaber jei; Sinfjotli, Helgis Bruder, antwortet höhniſch und ge— 
rät dadurd in einen Wortftreit mit Gudmund (Str. 33—47). Nachdem die Gran 
marsjöhne ebenfalld ihre Streitkräfte gefammelt haben (Str. 48—53), fommt es 
zur Schlacht bei Frekaftein, in welder Hodbrodd fällt und Helgi mit dem Siege 
zugleih Sigrung Hand erringt, die ihn freudig beglüdwünjht (Str. 54-57). 

Das jogenannte zweite Lied befteht aus Bruchftüden verjchiedenen Urs 
ſprungs, die der Sammler durch feine Proſa, in der ihm mehrfache Irrtümer 
begegnet find, nur notdürftig zufammengeflidt hat. Die erften Strophen (1—4) 
erzählen, daß Helgi unter falſchem Namen an dem Hofe Hundings kundſchaftet 
und vor den nachjegenden Feinden, denen er voreilig fich verraten hat, nur durch 
eine Verkleidung fich rettet. (Daß er bald darauf den Hunding tötet, erfahren 
wir nur durch die Proja.) Hierauf folgen zwei Begegnungen des Helden mit 
Sigrun (Str. 5-12 und 13-16); erft bei der zweiten bittet fie Helgi um Hilfe 
gegen Hodbrodd (ſ. oben). In der Schlacht bei Frefaftein (Str. 17—21) fällt nicht 
nur biejer, jondern aud Sigruns Bater Hogni und ihr Bruder Bragi werden durch 
Hogni erſchlagen. Dann erſt, aljo an ganz ungehörigem Orte, wird der Streit 
zwiſchen Gudmund und Sinfjotli (f. oben) eingejhoben, der hier jedoch kürzer und 
mit andern Worten dargeftellt ift (Str. 22-27). In der Proſa wird fodann mit 
geteilt, daß Dag, Sigruns Bruder, dem Helgi das Leben geſchenkt hatte, zu Odin 
opfert, um Rache für jeinen Vater zu erlangen, und den Helgi erichlägt. Er meldet 
die That der Sigrun, die den Bruder verwünjcht und ihrer Trauer um den ge— 
töteten Geliebten in ergreifenden Worten Ausdrud gibt (Str. 28-37). Nach einer 
weitern Strophe (38), die der Sammler (wahrſcheinlich irrtümlich; f. z. Stelle) 
auf Helgis Ankunft in Walholl bezogen hat, erzählt der Schluß des Liedes (Str. 39— 
50), daß der tote Held noch einmal von Walholl zu dem Grabhügel zurüdfehrt 
und bier mit der Geliebten zum legten Stelldihein zufammentrifft. 

2 Aufruhr der Elemente (Regen und Sturm, vgl. 32) und das Gejchrei der 
die Zukunft fennenden Vögel (vgl. 5. 6) künden es an, baf ein außergewöhnlicher 
Held geboren ift. 

3 Borghild, („die in der Burg waltende Kriegerin‘), nad Str. 6! und 
andern Stellen die Gemahlin des Königs Sigmund. Danach ift alſo Helgi ein 
älterer Halbbruder des Sigurd. Es kann jedoch nicht zweifelhaft jein, daß die 
Anknüpfung der dänifchen Helgifage an die deutihe Wolfungenjage jehr jungen 
Datums ijt; beide hatten urjprünglich nicht8 miteinander zu thun. 

* Bralund, nad der einleitenden Proſa zu Helg. Hund. II das Reid) der 
Borghild. 





17. Das erfte Lied von Helgi 2c (Helgakvipa Hundingsbana 1). 161 





2. Nacht ward's im Hofe, Nornen famen 
und jchufen dem Kinde des Königs jein Schidjal: 
die Fülle des Ruhm: dem Fürjten verliehn fie, 
den Herrlichiten Namen im SHeldenkreife. 


3. Sie jchlangen gewaltig das Schickſalsgewebe!, 
während Sturm die Burgen in Bralund jtürzte, 
fie entwirrten flint die Fäden aus Gold 
und fnüpften fie mitten im Mondjaal? feit. 


4. Sie bargen die Enden im Djten und Weſten, 
das Land des Königs lag in der Mitte; 
Neris Tochter? ſchwang gen Norden die Schlinge, 
diefer einen verhieß jiee ewige Dauert. 


5. Eins ſchuf Sorge dem Ylfingenjproß 
und der lodigen Frau, die den Liebling gebar: 
ein Rabe zum andern ſprach auf vagendem Baum, 
der Atung entbehrend: „Etwas weiß ich. 


6. „Bald jteht Sigmunds® Sohn im Harnifch, 
der zur Nacht geborne, nun naht der Tag uns! 
Den Helden fünden die hellen Augen”, 
den Yreund der Wölfe — froh jein laßt ung!“ 


7. Die Krieger auch ahnten den künftigen Helden, 
den mächtige Götter den Menſchen gejendet; 





ı Vgl. zu Völund. 1%. 

Mondſaal, poetifche Bezeichnung des Himmel?. 

5 Neris Tohter muß eine der webenden Nornen fein. Der Eigennante 
Neri begegnet fonft nur noch in Gautrekssaga und Hrölfs saga Gautrekssonar. 

+ ES joll vermutlih durch diefe Worte angedeutet werden, daß der Name 
de3 Helden im Norden unvergefjen bleiben werde. 

5 Dem Ylfingenfproß, d. 5 dem Sigmund Dem Geſchlecht der Ylfinge 
gehörte Helgi wahrſcheinlich nad) der urfprünglichen Sage an, ehe er durch fpätere 
Kontamination zu einen Woljung gemacht wurde. Der Sammler hat die wider- 
ſprechenden Angaben dadurch zu vereinigen gejucht, daß er die beiden Gejchlechter 
der Wolfunge und Ylfinge für identifch erklärte (projaifche ————— zu Helg. 
Hund. II, 8. 9). > 

6 Sigmund, j. die Anm. zu Nr. XIX. 

? Scharfer und durchdringender Blick wird den Angehörigen berühmter Ge⸗ 
ſchlechter öfter zugeſchrieben. Die ganze Familie der Wolſungen zeichnete ſich da— 
durch aus. Nach der Volsungasaga (Cap. 30) wagte Gutthorm nicht den Sigurd 
anzufallen, denn „ſeine Augen waren fo durchdringend, daß feiner wagte, hinein— 
zubliden‘; er wartete alfo, b18 Sigurd eingejchlafen war. Auch Sigurd Tochter 
Swanhild hatte jo funtelnde Augen, daß die Pferde fie nicht zu treten wagen, 
bis ihr das Haupt vergüllt wird (Volsungasaga Cap. 40). 

Die Edda. 11 


162 Zweites Buch. Heldenlieder. 





der König jelbit, der vom Kampflärın heimkam, 
bejchenfte den Erben mit edlem Lauch!. 


8. 2Er nannt ihn Helgi, verlieh ihm Hringjtad?, 
Solfjoll, Snäfjol und Sigarswellir“, 
Hringitod, Hatun und Himinwangar?, 
auch ein bligendes Schwert dem Bruder Einfjotliss, 


9. Herrlich gedieh in der Hut der Freunde 
der ſtolze Ulmbaum im GStrahle des Glüds; 
gerne gab er Gold dem Gefolge, 
nicht jchonte der König erkämpfte Schäße. 


10. In Kürze war er zum Kriege entjchlofjen, 
als fünfzehn Winter” der Fürjt vollendet: 
den heldenmüt’gen Hunding® jchlug er, 
der Land und Leute lange beherrichte. 


11. Als Erjat verlangten von Sigmunds Erben 
Hort und Ringe des Hunding Söhne; 
denn Buße hatten die Brüder zu fordern 
für viele Beute und des Vater Tod. 





ı Mit edlem Lauch, d. 5. mit Kräutern, die auf den Ländereien, die ber 
König feinem Sohn ſchenkte, gewachſen waren. Dadurch wurde ſymboliſch die 
Übertragung des Grundes und Bodens auf einen andern angedeutet; vgl. Jak. 
Grimm, „Rechtsaltertümer“, ©. 110 ff. 

2 Die Be fisungen, die Sigmund dem Helgi gibt, find das NamengeihenK 
(nafnfestr), j. 3u Helg. Hjorv. 7. 

3 Hringftad bedeutet wahrjcheinlich einen Drt, an dem ein (freißrunder) 
Thingplat fich befand. Gemeint ift wohl das heutige Ringſted in Seeland, das nach 
König Waldemars „Jordebog“ zu den dänischen Krongütern gehörte, und in deſſen 
Kirche mehrere dänische Könige (3. B. Waldemar der Große und Waldemar der 
Siegreiche) beigejegt find. 

* Solfjoll, „Sonnengebirge”, und Snäfjoll, „Schneegebirge”, find erdich- 
tete Namen. — Sigarsmwellir, ‚die Gefilde des Sigar’’: der Name des däni— 
ſchen Königs Sigar ift au8 dem Saro Grammaticus befannt; er war ber Bater 
jener Signy, die ihrem Geliebten Hagbard, den Sigar aufhängen ließ, freiwillig 
in den Tod folgte. 

5 Hringftod, ‚„Thingplag am Meere’ (9); Hatun, „bochgelegener Ort‘; 
ınan hat hierbei an das jeeländifche Kirchdorf Tune (zwiſchen Roesfilde und Kjöge) 
gedadt. Himinwangar, „Himmelsfeld“, ein erdichteter Name. 

s Sinfjotli, ein älterer Halbbruder des Helgi, j. zu Str. 37 und die Anmm. 
zu Nr. XIX. 

7 Mit dem erreichten 15. Jahr wurde nad norwegiihem Rechte der Knabe 
mündig. 

8 Wo der Dichter fich das Reich diefes Königs Hunding gedacht hat, ift nicht 
erfihtlid. Nah Saro Grammaticus (Buch 2) war Hunding ein fähfifher König, 
der in Jütland herrſchte. 


13. 


14. 


16. 


17, 


17. Daß erfte Lied von Helgi 2c. (Helgakvipa Hundingsbana T). 





. Doch barſch verfagte die Buße Helgi 


und gab den Verwandten das MWergeld nicht; 
e3 jtände, ſprach er, ein Sturm bevor 
von grauen Speeren, der Grimm Oding!, 


Zur Kampfitätte kamen die Yürjten, 

die nach Zogafjoll? ſich geladen hatten; 
Frodis Yriede? brach, die Gefallenen witternd, 
durchirrten das Eiland Odins Hunde. 


Unterm Narjtein jaß der edle König, 

der Hjorward und Herward?® zur Hel gefendet, 
Alf und Eyjolf®, die Erben Hundings; 

des Schwertichwinger® Gejchlecht war dahin”. 


. Da ftrahlte Licht vom Logafjoll, 


und aus dem Lichte Teuchteten Blitzes. 


behelmte Jungfraun zum Himmelsdache; 
ihre Rüſtung war gerötet von Blut, 
den Speerſpitzen entſprühten Funken. 


In der Frühe fragte im finſtern Wald 
der ſiegreiche Held des Südens Tochter?, 
ob heimwärts ſie mit dem Herrſcher wollte 
reiten zur Nacht — da raſſelten Speere. 





ſchreibungen für Kampf. 


2Logafjolhl, „Flammengebirge“, ein mythiſcher Name. 
Frodis Friede: Der däniſche König Frodi (d. h. „der Weiſe“) war in 


163 


ı Ein Sturm von grauen Speeren und Odins Grimm, poetifche Um— 


der Sage durch feine friedlide und gerechte Regierung berühmt; imfolgedefjen 
ward die Bezeihnung „Frodis Frieden’ jprihmwörtlid für eine lange Waffenruhe 
Bol. Skäldsk. C. 8. 


* Ddbins Hunde, d.h. die Wölfe; vgl. Grimn. 19. 

5 Hjorward, „Schwerthüter”, Herward, „Hüter des Heeres”. 
6 Eyjolf, „Inſelwolf“. — 
Daß Helgi alle Söhne Hundings erſchlagen habe, widerſpricht den Angaben 


der Sigurdslieder, nach denen König Sigmund und Eylimi, der Vater von Sigurds 
Mutter Hjordis, durch Söhne von Hunding fallen, an denen dann Sigurd Rache 
übt (Frä dauda Sinfjotla, 3. 31; Gripisspg 9; Reginsmöl 15. 26 und Proſa nad 


Str. 35). 


283) werden von Wetterleuchten umjtrahlt. 


° Des Südens Tochter, f. zu Vol. 1%. 


11° 


Bol. auch Volsunga saga C. 9—17 und Nornagestspättr €. 4. 5. 
s Die Walfüren (als urfprünglide Wolkenweſen; vgl. zu Helgakv. Hjorv. 


164 Zweites Bud. Heldenlieder. 





18. Bom Hengite herab ſprach Hognis Tochter! 
— der Schildlärm jchwieg — zum Schlachtenlenfer: 
„sh achte, wir Haben andres zu thun, 
als Bier zu trinfen beim Brecher der Ringe?. 


19. „Sein leiblich Kind verlobte mein Vater 
mit Granmars Sohn?, dem grimmigen Mann; 
doch hab’ ich, Helgi, von Hodbrodd gejagt, 
daß er wie ein Kater zum König tauge. 


20. „Doch der Wiking fommt nach wenigen Nächten 


wenn Helgi ihn nicht zum Holmgang fordert 
und dem Ringſpender entreißt die Jungfrau.‘ 
Helgi. 
21. „Die Angjt laß fahren vor Iſungs⸗ Mörder: 
ich troße dem Feind, wenn der Tod mir's nicht wehrt.” 


22, Man jendete Boten über See und Land: 
der Herricher rief den Heerbann auf; 
er bot die Fülle des Alutenglanzes ® 
den bejahrten Kriegern, dem jungen Nachwuchs 


23. „Schleunig heißt fie die Schiffe bemannen, 
auf der Reede von Brandey?” bereit fich halten!‘ 
Dort harrte der Herrjcher, bis da3 Heer fich gefammelt, 
viele Hundert Helden von Hedinseys. 


24. Es glitten dahin, mit Gold geziert, 
am Strand von Stafnsnes? die Steuerrofie; 





ı Hognis Toter, die Walküre Sigrun. Ihr Name wird erjt Str. 31 
genannt. 

2 Breder der Ringe, d.h. freigebiger Fürft. Das Gold wurde gewöhn— 
li in der Form von Ringen aufbewahrt, die dann von dem Fürften in Stüde 
gebroden und an die Krieger verteilt wurden. 

3 über König Granmar (den „Bartberühmten”?) und feine Söhne vgl. die 
Proſa nad) Helgakv. Hund. II, 12. 

4 Solmgang, vgl zu Helgakv. Hjorv. 33. 

5 Der von Hodbrodd getötete Jfung wird fonft nirgends erwähnt. 

6 Slutenglanz, poetiſche Umfchreibung für Gold. 

7 Brandey („Stodinjel”?:, nur hier erwähnt. 

8 Hedinsey (d.h „Inſel des Hedin“), in der Knytlinga saga Name ber 
pommerjchen Inſel Hiddensee, öftlich von Rügen, die aber hier ſchwerlich gemeint ift. 

oStafnsnes, „Stevenvorgebirge’ (d.h. Kap, das einem Schiffsfteven ähn- 
lich fieht?). Die Namen find, wie es jcheint, willfürlich gemwäh:t, ohne daß dem 
Dichter eine beftimmte Lofalität vorgeſchwebt hat. 


17. Das erſte Lied von Helgi 2c. (Helgakvipa Hundingsbana TI). 165 





da ſprach Helgi den Hjorleif! an: 
„Haft du erkundet die fühnen Reden?“ 


25. Dem Frager jagte der Fürſtenſproß, 
zu träge jei er, von Tronueyr? 
die Ichlankhalfigen Schiffe zu zählen, 
die außen ſchwömmen im Orvaſunde?. 


26. „sch zähl' der Getreuen zwölfmal Hundert, 
doch in Hatun iſt das Heer des Königs 
doppelt jo ſtark; uns dräut der Streit.“ 


27. Der Gebieter brah ab am Bord die Zelte* 
und wedte die Menge der Mannen auf; 
die Reden jahen das Rot des Morgens 
und zogen munter am Majt empor 
die weißen Segel im Warinsfjord?. 


28. Es ächzten die Riemen, das Eıfen klirrte, 
Schild ſchlug an Schild bei der Schiffer Rudern, 
als raſchen Fluges, mit Reden bemannt, 
des Königs Flotte die Küſte verlieh. 


29. So hörte fich’3 an, als zujammen jtießen 
der Schiffe Bord und die Schweiter Kolgas®, 
al3 ob Berg oder Brandung brechen jollte. 


30. Ziehen hieß Helgi noch höher die Segel”; 
nicht jcheute ‚das Schiffsvolt die jchäumenden Wogen, 
wenn auch Agirs? | unholde Tochter 
die Seeroſſe verſenken wollte, 





ı Hjorleif, „Schwertiproß”, fonft nirgends erwähnt. 

2 Tronueyr, „Kranidftrand”. 

3 Orvaſund, fonft befanntlic der Name des Sundes, der Seeland von 
Schonen trennt (dänifch Drejund). 

* Über dem Verded waren zum Schuß gegen Wind und Wetter Zelte auf- 
geſpannt, die natürlid vor dem Beginn der Schlaht entfernt werben mußten. 
Unter dieſen Zelten jchlief die Mannſchaft. i 

5 Warindfjord, f. zu Helgakv. Hjorv. 22. * 

s Die Schweſter Kolgas, d. h. die Woge. Kolga (d. 5. „die Kalte‘, ift 
nad Skäldskaparmäl (Snorra Edda I, 324) eine ber Töchter Ägirs, 

7 Die Segel im Sturme einzuziehen galt für feige; vgl. Hälfs saga €. 10 
(benugt in Tegner® Frithjofs saga, Vikingabalk Str. 4). 

» Hgirs unholde Tochter, die Woge, ſ. zu 292. 


166 Zweites Bud. Heldenlieder. 





31. Doch Heldenmütig dom Himmel jcehwebend, 
Ihüßte das Volt und ihr Fahrzeug Sigrun!; 
kräftig riß fih aus Rans? Krallen 
das Giſchtroß Helgis bei Gnipalund?, 


32. Am Abend jchwammen in den Unawagar* 
die Schiffe ſämtlich, die ſchön gemalten; 
mit Sorge jahen von Swarin3?® Hügel 
der Feinde Führer die Flotte nahn. 


33. Da fragte Gudmund®, der Fürftenfproß: 
„Wer ift der Herrfcher, der dem Heer gebeut, 
der Streiter Menge zum Strande Führt?“ 


34. Da rief Sinfjotli — zur Raa empor 
jtieg ein xoter Schild”, ſein Rand war golden — 
ein Meerfürft war er, mächtig im Reden, 
Edlingen wußt' er Antwort zu geben: 


35. „Sag’3 heut’ abend, wenn du Säue fütterjt 
und zum Trank die Hunde des Hofes lockſt: 
die YlfingeS ſeien von Oſten gefommen, 
begierig nach Kampf, gen Gnipalumd. 


36. „Dort wird Hodbrodd? den Helgi finden, 
den furchtlofen Helden. in der Flotte Mitte; 
oft ſchon hat er die Nare gejättigt, 
während du in der Mühle die Mägde kußteſt — 


Gudmund. 
37. Erinn're dich, Fürſt, der alten Vorſchrift, 
wirf Edelgebornen nicht Unwahres vor! 





1Sigrun, „bie ber ſiegverleihenden Runen Kundige“. 
2 tan, ſ. zu Helgakv. Hjorv. 18. 
3 Snipalund, „Felfenwald” (Wald, der auf Felsgrund fteht). 
4 Unawagar, „friedlihe Wogen“ (2). 
s Swarins Hügel, dort war nad) der Profa hinter Helgakv. Hund. II, 
12 die Refidenz des Granmar belegen. Da jedoch die Angabe der Proſa höchſt 
wahrſcheinlich nur auf unfrer Strophe beruht, jo ift darauf nichtS zu geben. 
sGudmund, („ber im Streit Schügende‘), ein Sohn des Granmar. 
”.Durh den roten Schild fündigen fih Helgi und feine Genofjen als 
Feinde an; dagegen bedeutete ein weißer Schild friedliche Abfichten oder den 
Wunſch nad Bergleih und Waffenftillitand; vgl. 3. B. Eiriks saga rauda C. 10. 11. 
8 Die Ylfinge, ſ. zu Str. 51 
2 Hodbrodd, „ver im Kampfe an der Spige Stehende” (2). 


ee ee tt Be) ee ee ee 


17 Das erfte Lied von Helgi 2c. (Helgakviba Hundingsbana 1). 167 





Du wählteſt zur Koft der Wölfe Speije! 
und. haft de Bruderd Blut vergofjen?; 
fogit oft an Wunden mit eif’gem Munde, 
durchirrtejt Klüfte, von allen gehaßt. 
Sinfjotli. 

38. ?Eine Here warſt du, behend im Truge, 
auf Waringeyt webteſt du Lügen; 
feinen andern Mann von allen Kriegern 
bejigen mwollt’jt du ala Sinfjotli. 


39. Eine Walfüre warjt du, widriges Scheufal, 
efel und boshaft, in Altvaters Haufe; 
die Einherjer mußten alle fich jchlagen, 
verderbliches Weib, um deinetwillen. 


40. 5 Wir zeugten zufammen auf Sagunes® 
neun der Wölfe, ich nenn’ mich den Bater. 


Gudmund, 
41. Nicht warjt du der Bater der Yenriswölfe”, 
obwohl du älter als alle bilt; 
denn dich verjchnitten im jchattigen Haine 
die Thurjentöchter auf Thorsnes ſchons. 





ı Sigmund und Sinfjotli hatten nad) der Volsunga saga (C. 8) eine Zeit- 
lang als Wermwölfe im Walde gelebt. 

2 Nach der Vols. saga (a. a. D.) tötete Sinfjotli zwei Söhne jeiner Mutter 
Signy aus deren Ehe mit König Siggeir. Vgl. die Anmm. zu Nr. XIX. 

3 Ob die Vorwürfe, die Sinfjotli dem Gudmund macht, dur die Erzäh- 
lungen der alten Sage beftätigt wurden, wifjen wir nicht, da unsre Quellen über 
Gudmund nichts Näheres berichten. Nur die Vols. saga (E. 9) paraphrafiert die 
Strophen unſers Liedes. 

4 Warindey („Inſel des Warin”“), }. zu Helgakv. Hjorv. 22. 

5 Den Vorwurf, in ein Weib verwandelt Kinder geboren zu haben, machen 
aud Odin und Njord dem Loki (Lokas. Str. 23. 33), und ähnliche Bejhuldigungen 
finden fih auch ſonſt in der altnordijfchen Litteratur, Auf den deutſchen Bifchof 
Friedrih, der gegen Ende des 10. Jahrhunderts auf Island das Chriftentum 
predigte, und feinen Bejhüger Thorwald Kodransſon madte ein heidnifcher Dichter 
den Spottvers: 

Es gebar neun Kinder Biſchof Friedrich, 

fie alle zeugte der eine Thorwald. 
(Kristnisaga €. 4). Über feinen Feind Thorftein Halsjon. ließ der Isländer 
Thorhadd das Gerücht ausfprengen, daß er jede neunte Nacht ein Weib werde 
und mit Männern Umgang pflege (Porsteins pättr Siduhallssonar € 3). 

6 Sagune3, „das Vorgebirge der Saga“, j. zu Grimn. 7. 

? Fenriswölfe, Wölfe, die jo wild find wie der mythiſche Wolf Fenrir, 
f. zu Vol. 40. 

8 Den ihimpflihen Borwurf, entmannt worden zu fein, macht auch die Riefin 
Hrimgerd dem Atli (Helgakv. Hjgrv. 20). 

2 





168 Zweites Buch. Heldenlieder. 


42. Als Stiefjohn Siggeirs! im Strohe lagſt dır, 
gewöhnt im Wald an der Wölfe Geheul, 
des Unheils Fülle ereilte dich damals, 
als des Bruders Bruft mit Blut du befledtejt 
und anrüchig wurdeft Durch Ubelthaten. 


43. Die Braut Grani3? zu Bramwoll? warjt du, 
mit goldnem Gebiß, gegürtet zum Lauf; 
ich ritt dich müde auf mancher Strede, 
du Ihlichjt zu Thal, beſchwert vom Sattel. 
Sinfjotli, 
44. Ein jchlimmer Burſche ſchienſt du mir damals, 
al3 du die Geiße bei Gullniv+ melkteit; 
ein andre Mal als Imds Tochter 
gingjt du in Zumpen — willſt du länger zanfen? 
Gudmund, 
45. Mir gefiele beſſer, zu Frekaſtein? 
mit deinem Fleiſch zu füttern die Naben, 
als zum Trank eures Hofes Hunde zu loden 
und zur Atzung die Schweine — mit Unholden zank' du! 
Helgi. 
46. „Dienlicher wär's für dich, Sinfjotli, 
Gefechte zu liefern zur Freude der Adler, 
als Worte zu wechſeln, die wenig nützen, 
wenn oft auch Ringbrechere arg fich ſtreiten. 
47. Nicht gut jcheinen mir Granmars Söhne, 
doch Wilingen ziemt es, die Wahrheit zu reden: 
die Männer bewiefen bei Moinsheimar”, 
daß fie fchneidige Schwerter zu jchwingen wagen.“ 

ı Sinfjotli war ein Stiefjohn Siggeird, da feine Mutter Signy mit dieſem 
Könige vermählt war; ſ. oben zu Str. 37. Gubmund wiederholt die bereits in 
Str. 37 vorgebradte Anjchuldigung. 

2 Grani ift ein Pferdename (der Hengjt des Sigurd war bekanntlich jo be— 
nannt): Gudmund bejhuldigt alfo den Sinfjotli, fig in eine Stute verwandelt 
zu haben. Derjelbe Vorwurf begegnet im Qlkofra pättr (S. 20 meiner Ausgabe). 

3 Bramoll, in den eddiſchen Liedern nur hier erwähnt. An einen Ort des— 
felben Namens verlegt die Eage die berühmte Schlacht zwiſchen Sigurd Ring und 
Harald Kampfzahn. 2 

* Gullnir, nad) Vols. saga €. 9 ein Niefe. Über ihn ift ebenfowenig etwas 
befannt wie über den in 3. 3 genannten Imd. 

5 $refaftein, f. zu Helgakv. Hjorv. 39. 

s Kingbreder, ſ. oben zu 18. 


’ Moinsheimar: über diefen Ort und die dort gelieferte Schlacht iſt ſonſt 
nicht$ befannt. Moin begegnet als Schlangenname Grimn. 34. 





17. Das erfte Lieb von Helgi zc. (Helgakvipa Hundingsbana I). 169 





48. Sie jpornten die Nenner zu raſchem Laufe, 
Swipud und Sweggjud!, nach Solheims Ylur, 
durch tauige Thäler und tiefe Schluchten; 
Milts Roß? bebte, wo die Männer ritten. 


49. Sie trafen den Herrſcher? im Thor des Hofes 
und jagten dem Fürften der Feinde Anmarjch. 
Draußen ftand Hodbrodd, mit dem Helm bedeckt, 
und jah den rafhen Ritt feiner Sippe: 

„acht nagende Sorge die Niflunge* bleich?“ 
: Gudmund, 

50. Es ſchwimmen jchnelle Schiffe zum Strande, 
Maftenhiriche? mit mächtigen Raaen, 
glänzenden Schildern und glatten Rudern: 
der ſtolzen Ylfinge®  jtattliches Heer. 


51. Sie führten fünfzehn Fähnlein ans Land, 
doch in Sogn? draußen find ftebentaujend; 
e3 gingen vor Anker in Gnipalund 
viel graue Dradhen?, von Golde jchimmernd; 
fie bergen die meiſte Menge der Teinde; 
verichieben wird Helgi die Schlacht nicht Lange. 
Hodbrodd, 


52. „Laßt rennen die Roſſe gen Reginthing?, 
Melnir und Mylnir!“ nach Myrkwid Laufen 





ı Emwipud, „ser Schnelle” ‚und Sweggjubd, „ber Geſchmeidige“, find Pferde- 
namen. Solheim (d.h. „Sonttenheim”), nur hier erwähnt. 

2 Miſts Rof: der Walfürenname Mift bedeutet Nebel”, ihr Roß ift die 
Erde (auf welder der Nebel lagert). 

3 Den Herriher, nämlih Granmar. 

+ Sranmar und feine Söhne find feine Niflunge, der Name ift alfo hier 
wohl nur als ehrenvolle Bezeichnung auserlefener Helden gemeint. 

5 Maſtenhirſche, poetijhe Umſchreibung für Schiffe. 

6 Ylfinge, f. oben zu Str. 5, 

" Sogn heißt die Landjhaft um den Sognefjord im weftliden Norwegen; 
doch hat der Dichter ſchwerlich die norwegiſche Küfte ald Schauplag der Handlung 
fih gedacht, da die übrigen Ortsnamen dazu nicht ftimmen. 

8 Draden nannte man bie nordijchen Kriegsschiffe, weil ihre Schnäbel ge— 
wöhnli in einen Dracdentopf ausliefen. 

» Reginthing bezeichnet, wie es fcheint, einen Ort, wo das Hauptthing des 
ganzen Landes abgehalten wurde, alſo wohl identiſch mit Volksthing (fylkisping), 
entgegengejegt den Thingverfammlungen der einzelnen Gaue (heradsping). 

0 Melnir, „dverGebißträger”, Mylnir, „der durd) fein Maul Kenntliche‘‘ (?), 
and Sporwitnir, „ber Spornwolf”, find Pferdenamen. 


170 Zweites Bud. Heldenlieder. 





und Sportwitnivr nach Sparins Heide!! 

Daheim bleibe vom Heerbann feiner, 

der die Flamme dev Wunden? zu führen verfteht. 
53. „Den Hogni? ladet und Hrings Söhne, 

Ali und Angwi, auch Alf den greifen; 

die tummeln fich gern im Toſen des Kampfes. 

Den Wolfungen? laßt uns Widerſtand leiſten.“ 
54. Dem Sturme glich’, als die Streiter fich trafen 

mit funfelnden Klingen bei Frekaſtein; 

immer war Helgi, der Hundingstöter, 

den Reihen voran, “two die Reden fochten, 

im Treffen der beſte und träge zur Flucht; 

ein hartes Herz war dem Herricher eigen. 


55. Da famen vom Himmel behelmte Jungfrau'n 

— der Schlachtlärm wuchs — ſie ſchirmten den König; 

doch Sigrun rief im Saufen der Speere 

— vom Rabenbaum? fraß der Riefin Pferd: — 
56. „Heil dir, Fürſt! deiner Helden froh 

genieße dein Leben, Nachfahr Yngwig ?! 

Den fluchtträgen Fürſten erſchlugſt du, 

der manchen Feind im der Mordichlacht Fällte! 


57. „Du erwarbit dir ein Recht, gewaltiger Rede, 
auf die funfelnden Ringe und die fürjtliche Maid; 
Hognis Tochter und Hringjtads Burg 
fielen dir zu®, erfreu' dich an beiden! 

Das Reich ift errungen, es ruht der Streit!‘ 


ne 


ı Der Drt Sparin3 Heide wird jonft nirgends erwähnt Sparin be 
deutet „ven zum Sparen Geneigten‘. 

2 Slamme der Wunden, poetiihe Umjchreibung für Schwert. 

3 Hogni, ber Bater der Sigrun. Hogni ift die nordiihe Form des hoch— 
deuten Namens Hagen (althochdeutſch Haguno), d.h „ber Geſchickte“. Hring 
und feine drei Söhne, Atli, Yngwi und Alf, werden nur bier und in der Vels. 
saga erwähnt (für die unfer Gedicht die Duelle war). 

4 Den Wolfjungen, db. 5. dem Helgi und feinen Brüdern, den Söhnen des 
Königs Sigmund Wolſungsſon. 

5 Rabenbaum, poetiſche Umſchreibung für Leiche. 

6 Der Rieſin Pferd, d.h. der Wolf; vgl. zu Hyndl. 5. 

"Yngmwi, db. h. Freyr. Der Ahnherr des Wolſungengeſchlechts war jedoch 
nicht Freyr, ſondern Odin: auch dies deutet darauf hin, daß in der ältern Ge— 
ftalt ver Sage Helgi noch nicht ald Wolfung galt. 

8 Der Dichter jcheint vergefjen zu haben, dat Hringftad nah Str. 8 dem 
Helgi bereits bei feiner Geburt von Sigmund verliehen war. 





a 


18. Das zweite Lied von Helgi 2c. (Helgakvipa Hundingsbana II). 171 





18. Das zweite Lied von Helgi, dem Hundingstöter, 
(Helgakvipa Hundingsbana IL)! 


König Sigmund, der Sohn Wolfungs, hatte Borghild von Bra- 
fund zur Frau; fie nannten ihren Sohn Helgi, und zwar nad) Helgi, 
dem Sohne Hjorwards. Helgi ward von Hagal aufgezogen?. Damals 
lebte ein mächtiger König, Namens Hunding, nach ihm ift Hundland ® 
benannt. Er war ein gewaltiger Krieggmann und hatte viele Söhne, 
die fich auf Heerfahrten herumtummelten. Zwijchen König Hunding 
und König Sigmund herrſchte Feindjchaft und Unfriede; fie er: 
ſchlugen fich gegenfeitig ihre Verwandten. König Sigmund und feine 
Sippe führten den Namen Woljunge oder Ylfinge?. 

Helgi zog aus und hielt fich verkleidet an König Hundings Hof 
auf, um zu kundſchaften; Heming®, der Sohn Hundings, war damals 
zu Haufe. Als nun Helgi ſich ih den Heimweg begab, traf er einen 
Hirtenjungen und ſprach: 


1. Melde dem Heming, daB Helgi es weiß, 
wen im Harniſch die Helden bargen’”; 
ein grauer Wolf? war al3 Gaft im Haufe, 
den Hunding, der König, Für Hamal? anjah. 





1 Bgl. hierzu die einleitenden Bemerkungen zum vorigen Liebe. 

2 Es wird in den altnordijhen Sagas oft erzählt, dag Kinder (beſonders 
Söhne) außerhalb des elterlichen Haufes erzogen wurden. In der Regel war der 
Erzieher dem Vater des Kindes an Rang untergeordnet, doch kam es auch vor, 
daß fi jemand einem Standesgenofjen,, dem er jeine Freundichaft beweiſen wollte, 
zur Erziehung eines Kindes anbot. Hagal (db. 5. „ver Gejhidte”) wird nur in 
unjerm Liede erwähnt. 

3 Hundland: diefer Name ift wahrjheinlih erjt von dem Sammler der 
Lieder nah dem Namen des Königs Hunding gebildet (wie Swawaland in der 
Helgakv. Hjorv. nad) dem Namen de3 Königs Swafnir). 

* Sigmund, j. die Anmm. zu Nr. XIX. 

5 Wolfunge und Ylfinge, vgl. dazu die Anmerfung zu Helg. Hund. 1,5. 

s Heming, nur bier und in Str. 1 erwähnt. Der Name ſcheint einen 
Menſchen zu bezeichnen, der eine andre Geftalt (eine Tiergeftalt) anzunehmen 
vermag, aljo einen Werwolf oder Berſerker. 

7 Der Sinn diefer Zeile ift dunfel; auch die Hrömundar saga Greipssonar 
(Fornaldar sögur II, 365 ff.), die eine ähnliche Epifode erzählt und das Lied, dem 
tr. 1-4 entftammen, wohl noch in vollftändigerer Geftalt gefannt hat, bietet 
nichts zur Erklärung. War Helgi, den man für Hamal anjah, an Hundings Hof 
mit einem Panzer bejchenft worden? 

8 Ein grauer Wolf, Anjpielung auf das Gejchlecht der Ylfinge, dem Helgi 
angehörte. Die Ylfinge find Nachkommen eines Ulf, d.h. „Wolf“. 

9° Hamal, der Bedeutung nach mit Heming identijch. 


172 * Zweites Buch. Heldenlieder. 





Hamal hieß der Sohn des Hagal. König Hunding ſandte nun 
Männer zu Hagal, die den Helgi ſuchen ſollten. Dieſer wußte ſich nicht 
anders zu retten, als daß er die Kleider einer Magd anzog und in der 
Mühle zu mahlen begann. Jene ſuchten nach Helgi, fanden ihn aber nicht. 


2 Da ſagte Blind, der bösgeſinnte!: 
„Bar Helle Augen? Hat Hagals Magpd; 
feine Dirne vom Bauernjtand dreht die Mtühle, 
es beriten die Steine, die Bretter plagen. 


3. „Ein hartes 208 fiel dem Helden zu: 
der Königsſohn muß Korn jet mahlen; 
mich dünft, es zieme für diefe Hand 
fih das Etreitfchwert mehr als die Mühlenjtange.“ 
Hagal antwortete und ſprach: 
4. Nicht ſtaun' ich drob, daß die Stäbe Frachen, 
da ein Königsfind die Kurbel bewegt; 
fie ſchwebte einſt in jchwarzem Gewölk 
und übte den Kampf nach Kriegerart, 
bis Helgi fie auf der Heerfahrt fing; 
die Heldin ift Schweiter von Hogni und Sigar?, 
drum hat Augen wie Blite der Ylfinge Magd. 
Helgi entfam und begab fich auf ein Heerihiff. Er fällte den 
König Hunding und ward feitdem Helgi, der Hundingstöter, genannt. 


Er lag einft mit feinem Heer in der Bucht Brunawag *, wo fie am 
Strande Vieh geſchlachtet hatten? und nun rohes Fleiich aßen®. Ein 





ı Blind, der bösgefinnte (alt. enn bolvisi): eine ähnliche Rolle fpielt 
ein Mann desjelben Namens (Blind, der böfe) aud in der eben angejogenen Epi— 
fode der Hrömundar saga. Doch jtammt die Figur, wie es jcheint, urfprünglich 
aus der Siklingenfage (der Gejhichte von Hagbard und Signy), in der ein Bol- 
visus luminibus captus (alfo der umgedrehte Blindr enn bolvisi) als böjer Rat= 
geber auftritt Daß die Helgifage mehrfach von der Siklingenſage beeinflußt ift, 
hat Sijmons wahrjcheinlih gemadt; vgl die ſchöne Abhandlung in Pauls und 
Braune „Beiträgen“ IV, 166 ff. 

2 Helle Augen, vgl. zu Helg. Hund. I, 6. 

3 Wer die Brüder Sigar und Hogni find, ift nicht befannt; jedenfalls ift 
der zweite mit dem Bater der Sigrun nicht identifc. 

4 Brunamwag, nur bier und Str.5.6 erwähnt. Den Eigennamen Bruni 
(d. 5. „ver Feurige”?, führt ein Zwerg in einer unehten Strophe der Voluspg; 
auch als Beiname Ddins begegnet er in den Versus memoriales der Snorra Edda. 

5 Das fogenannte strandhogg, db. h. das Schlachten von geraubten Vieh am 
Meeresufer. 

6 Sie afen rohe Fleiſch: dieje in der Heidenzeit von wilden Kriegern 
geübte Sitte galt fpäter für unfchidlih: vgl. Orvar Odds saga C. 18, 8. 


18. Das zweite Lied von Helgi 2c. (Helgakvipa Hundingsbana II). 179 





. König hieß Hogni; feine Tochter war Sigrun. Dieſe war eine Wal: 
küre und fonnte durch Luft und Meer reiten; fie war die wieder: 
geborene Swawa. Sigrun ritt zu den Schiffen Helgis und ſprach: 


5. Wer jteuert die Ylotte zum jteilen Ufer? 
wo habt ihr Helden den Heimatsjiß? 
Warum weilen die Boote im Brunawag? 
wohin gedenft ihr die Drachen zu lenken? 


Helgi. 
6 Es jtenert Hamal! zum fteilen Ufer, 
auf Hlegey? liegt unſer Heimatsſitz; 
im Brunawag warten auf Wind die Boote, 
wir gedenken gen Oſten die Drachen zu lenken. 


Sigrun. 


7. Wo haft du, König, den Kampf erweckt 
und die Geier gejättigt von Gunns? Schweitern? 
Wovon ijt die Brünne mit Blut benekt, 
warum eßt ihr gerüftet das rohe Fleiſch? 


Helgi. 
8. Das übte vor kurzem der Nlfingenfproß 
im Welten des Meerd, wenn's zu willen dich lüſtet, 
daß er Bären fing‘ in Bragalund>, 
mit dem Schwerte Atzung den Adlern jchuf; 
num jagt’ ich dir offen die Urjache, Maid, 
warım an Bord es an Braten mangelt. 


Sigrun. 


9. Du verfündelt Streit: der König Hunding 
fiel durch Helgi8 Hand im Telde; 
es rate der Kampf, ihr rächtet den Sippen?, 
die funfelnden Klingen färbte das Blut. 





ı Warum Helgi jeinen wahren Namen verjchweigt, ift nicht erfichtlich. Will 
er die Weisheit der Walküre auf die Probe ſtellen? 

2Hlesey, ſ. zu Härb. 37. 

> Gunn (d.h. „Rampf“), ein Walkürenname. 

4 Daß er Bären fing, d.h. wilde Krieger (Berferter?) zu Gefangenen 
machte. 

5 Bragalund, d. h „Bragis Hain“; über Bragi ſ. zu Lokas. 8. 

6 Wer der Verwandte war, defien Tod Helgi rächte, erfahren wir nicht. 


174 Zweites Bud. Heldenlieder. 


Helgi. 

10. Wie wußteſt du, daß wir den Gippen, 
verjtändige Jungfrau, im Streite rächten? 
Nicht mangelt’3 an fühnen Königsföhnen, 
die fich meſſen können mit meinem Gejchlecht. 

Sigrun. 
11. Nicht fern war ich, Volksgebieter, 
‘als heute morgen der Herricher fiel; 
doch klug ift Sigmund Sohn zu nennen, 
der in Kampfrunen vom Krieg berichtet. 


12. Auch jah ich den Helden im Heerſchiff jtehen, 
mit Blut befleftt war des Yahrzeugs Bug, 
und den Kiel umjpielten die falten Wogen; 
nun möchte der Herrſcher dor mir fich verhehlen, 
doh Hognis Kinde iſt Helgi befannt. 





Granmar! bie ein mächtiger König, der zu Swarinshaug? 
wohnte. Er hatte viele Söhne: einer von ihnen hieß Hodbrodd, ein 
zweiter Gudmund, ein dritter Starfad?. Hodbrodd war bei einer Kö- 
nigsverfammlung*, dort verlobte er fih Sigrun, Hognis Tochter. 
Doc als diefe davon Kunde erhielt, ritt fie mit ihren Walfüren durch 
Luft und Meer, um Helgi aufzujuchen. Helgi war damals zu Loga— 
fjol® und hatte eben mit den Söhnen Hundings eine Schlacht ge: 
Ihlagen: Alf und Eyjolf, Hjorward und Herward? waren von feiner 
Hand gefallen. Nun war Helgi jehr müde infolge des Kampfes und 
ſaß unter dem Aarſtein. Dort traf ihn Sigrun, fiel ihm um den Hals 
und küßte ihn und erzählte ihm alles, was fie betroffen hatte, wie es 
in dem alten Wolfungenliede ® heißt: 





ı Granmar, ſ. zu Helg. Hund. I, 19. 

2b b. Swarin3 Hügel, ſ. zu Helg. Hund. I, 32. 

3 Daß Hodbrodd und Gudmund Granmars Söhne waren, ergibt fich 
aus Helg. Hund. I, 19 und 47; daß jedoch Starfad ein Bruder der beiden geweſen 
fei, ijt ein Jrrtum des Sammlers; vgl. unten zu Str. 19. 

* Bon folden VBerfammlungen, auf denen die Könige benachbarter Länder 
fih zufammenfanden, ift öfter die Rede; vgl. 3. B. Skäldskaparmäl ©. 10. 

5 Er verlobte fih Sigrun, natürlich mit Einwilligung Hognis. Dem 
Vater ftand das Recht zu, feine Tochter auch gegen ihren Willen zu verloben. 

6 2ogafjoll, f. zu Helg. Hund. I, 13. 

7 Diejelben Namen werden auch Helg. Hund. I, 14, der Quelle des Samm— 
lers, genannt. 

8 Das alte Woljungenlied: diefem Gedicht find nit nur Str. 13—16, 
fondern wohl der ganze Schluß des Gedichte (mit Ausnahme jedod) von Str. 21 
und 38), wahrſcheinlich auch Str. 5—12 entlehnt. 


18. Da3 zweite Lieb von Helgi 2c. (Helgakviba Hundingsbana IT). 175 





13. Es fand Sigrun den frohen Helden 
und eilte, Helgis Hand zu fallen, 
den König im Helm mit Küffen begrüßend — 
da wandte jein Herz dem MWeibe fich zu. 


14. Nicht hehlte die Wünſche Hognis Tochter: 
„Helgi“, iprach fie, „muß hold mir werden; 
Ichon lange trug ich im liebendem Herzen 
Sigmunds Erben, eh’ ich ſelbſt ihn jchaute. 


15. „Dem Hodbrodd ward ih verheißen beim Ihinge, 
doch Herrlichern Gatten begehrte mein Herz; 
doch jorg’ ich, Fürft, ob der Sippe Zorn, 
weil ich Widerftand bot den Wünſchen des Vaters.“ 


Helgi, i 
16. Nicht fürchte dich, Holde, vor Hognis Zorn, 
noch vor der Verwandten wilden Gemüt! 

Bei mir, Liebjte, eben jolljt du; 
meine nicht, Gute, daß Mut mir fehlt! 


Helgi jammelte darauf eine gewaltige Kriegsflotte und jegelte 
nach Frefaftein!. Auf dem Meere überfiel fie ein gefährliches Un— 
wetter; es leuchtete in den Wolfen, und Blisftrahlen fuhren in die 
Schiffe. Da jahen fie in der Luft neun Walfüren reiten und erfannten 
Sigrun. Der Sturm legte fi), und fie famen mwohlbehalten ans 
Land. Granmars Söhne befanden fich auf einem Berge, als die 
Schiffe jich dem Lande näherten. Gudmund fprang auf ein Roß und 
ritt auf eine Anhöhe in der Nähe des Hafens, um zu fundfchaften; 
die Wolfungen ließen gerade die Segel herab. Da fragte Gudmund, 
wie es vorn in dem Helgiliede? gejchrieben fteht: 

Wer ift der Fürft, der der Flotte gebietet, 
der Streiter Menge zum Strande führt? 

Sinfjotli, Sigmunds Sohn, gab Antwort, wie das auch nieder: 
geichrieben ift. | | | 

Gudmund ritt mit der Kriegsbotjichaft heim, und -Öranmars 
Söhne jammelten nun ein Heer. Bei diefem stellten fich zahlreiche 
Könige ein: Hogni, der Vater Sigruns, war aud darunter nebit 





ı $refaftein, f. zu Helg. Hjorv. 39. 
2 m Helgiliede, d. 5. in Helgakr. Hund. I, deren Str. 33 der Sammler 
(ungenau) citiert. 


176 Zweites Bud. Heldenlieder. 





feinen Söhnen Bragi und Dag!. Eine furchtbare Schlacht ward ge: 
ſchlagen, und es fielen alle Söhne Granmars, ebenjo die befreundeten 
Fürften; nur Dag, Hognis Sohn, ließ man am Leben, doch mußte er 
den Wolfungen Treue ſchwören. Sigrun ging auf den Walplag und 
fand Hodbrodd in den legten Zügen liegend. Sie ſprach: 
17. Nicht wird dir Sigrun von Sewafjoll?, 

edler Hodbrodd, im Arme ruhen; 

die Söhne Granmars ſanken dahin, Ä 

den Rofjen der Rieſin? ward reichliche Koft. 


Darauf ſuchte fie Hogni auf und freute fich jehr, als fie ihn traf. 
Er aber jagte: 
18. „Nicht, Heldin, in allem war hold dir das Glüd, 
dran find die neidiſchen Nornen jchuldig: 
e3 fielen Heut’ morgen bei Frefaftein 
durch Helgis Hand Hogni und Bragi. 


19. „Auf Hlebjorg* janfen Hrollaugs Söhne, 
bei Styrfleifar® Starkad der König; 
jo Jchneidigen Reden ſchaut' ich noch nie: 
fort kämpfte der Rumpf, als der Kopf gefallen. 


20. „Am Boden liegt jetzt als Beute des Todes 
der Degen Mehrzahl von deinem Gejchlecht; 
du gewannjt durch die Schlacht nichts: das Schickſal 
wollte, 
daß Kön’ge um did in Kampf gerieten.‘ 





ı Bragi wird Er. 18 genannt, doc ift dort nicht angegeben, daß er ein 
Sohn Hognis war; wenn ihn die Proja dazu macht, jo kann dies möglidherweije 
eine willtürlihe Annahme des Sammlers fein. Dag wird ın ben Strophen nirs 
gends genannt, ob der Name auf alter Überlieferung beruht, ift fraglich. 

2 Sewafjoll („das feuhte, quellige Gebirge” ?), nur in unferm Liede und 
ftet3 als Aufenthaltsort der Sigrun erwähnt. 

3 Den Rojjen der Rieſin, d.h. den Wölfen, ſ. zu Hyndl.>. 

4 Hlebjorg („am Meere gelegene Berge”?), in den eddiſchen Liedern nu 
hier erwähnt. Hrollaugs Söhne find ſonſt nicht befannt. 

5 Styrfleifar, „Rampfkluft“. Starfad, „der mit Stärke begabte”, ift 
eine zuerſt von der ſchwediſchen Sage ausgebildete Figur, die allmählich zu dent 
idealen Repräfentanten des Wikingertums geftaltet wurde. Mit der Helgifage hat 
ihn wohl erjt der Dichter unſers Liedes verknüpft, der ihn jedoch fiherlich nicht 
als einen Sohn des Granmar angejehen hat. Nach Saro Grammaticus (S. 305 f.) 
fiel Starfad, der Cohn des Etorwerk („des Vollbringers großer Werte”), durch 
die Hand des Hatherus, defjen Vater Lennus er einft erichlagen hatte. Der Bes 
richt des Saro über Starfads Tod ift injofern dem in unjrer Strophe erzählten 
ähnlich, als dort erwähnt wird, das vom Rumpfe getrennte Haupt de3 Helden 
habe noch grimmig in die Erde gebifien. 


18. Das zweite Lied von Helgi 2c. (Helgakviba Hundingsbana II) 177 





Da weinte Sigrun, Helgi aber ſprach: 
21. !, Laß, Braut, den Kummer, mir brachtejt du Sieg; 
nicht hemmt das Schickſal ein Held; 
gern möcht’ ich ins Leben die Leichen rufen, 
dürft’ ich dann auch ruhen in deinem Arm!“ 
So jprad) Gudmund, der Sohn Granmars: 
22. 2, Wer iſt der Fürſt, der der Flotte gebietet, 
der Sturmfahne God am Steven entfaltet 3? 
nicht friedlich fündet die Yahrt fih an, 
da rotes Nordliht die Reden umjtrahlt*.‘ 
Sinfjotli, 
. Hier mag Hodbrodd den Helgi erkennen, 
den furchtlojen Mann, in der Flotte Witte; 
er hat im Streit deines Stammes Sitze, 
der Fjorſunge Erbteil, fechtend erobert?. 


Gudmund, 
24. Die Fehde laßt uns bei Frefajtein 
ſchleunigſt jchlichten mit Schwerterflingen; 
— Zeit iſt's für Hodbrodd, den Harm zu rächen, 
N daß im Kampf wir öfter den fürzern zogen. 
Sinfjotli, 
25. Geh lieber, Gudmund, die Geiße zu hüten, 
und Elettre umher in den Klüften dev Berge, 
in den Händen halte die Hajelgerte — 
zuträglicher iſt's als das Züden der Schwerter. 


u 
— 
& 





1 Dieje in einem andern Versmaß (Ljödahättr) gedichtete Strophe ſtammt 
höchſt wahrjcheinlich nicht aus demjelben Liede wie die vorhergehenden. 

2 Str.22— 27. Dieſe Strophen enthalten eine Variation des Zankgeſprächs 
zwiſchen Sinfjotli und Gubmund, das im erften Liede von Helgi dem Hundings- 
töter (Str. 33—47) fich findet Nachdem der Sammler (in der Proſa nad) Str. 16) 
auf jene Strophen des erjten Liedes ausdrüdlich verwiejen und es abgelehnt 
hatte, fie zu wiederholen, ift es auffallend, daß das Zankgeſpräch dennoch, wenn 
aud in andrer Rezenfion und an ungehörigem Orte, nachträglich mitgeteilt wird. 
Einen anfpredenden Erklärungsverjuh gibt Sijmons (a. a. O. S,170F.), der mit 
ae die im zweiten Lied erhaltene Rezenfion für urfprünglicher anfieht als die 

28 erjten. 

3 Das Entfalten der Fahne hatte wohl diejelbe Bedeutung wie da3 Auf 
ziehen des roten Schilde (Helg. Hund. I, 34). 

4 Das Aufflammen des Nordlichtes wurde, wie es jheint, als Vorzeichen einer 
nahe bevorſtehenden Schlacht angejehen. 

5 Die Anjpielung ift unverftändlih, ta von den „Fjorſungen“ ſonſt nir— 
gends etwas berichtet wird. 


Die Edda. 12 


178 Zweites Bud. Helbenlieder. 


Helgi. 

26. Dienlicher wär's für dich, Sinfjotli, 
Gefechte zu liefern zur Freude der Adler, 
als Worte zu wechjeln, Die wenig nüßen, 
wenn oft auch Helden arg fich ftreiten. 


27. Nicht gut jcheinen mir Granmars Söhne, 
doch Wilingen ziemt es, die Wahrheit zu reden: 
die Männer beiviefen bei Moinsheimar, 
daß fie jchneidige Schwerter zu jchwingen wagen; 
gar hoher Mut iſt den Helden eigen. 

Helgi nahm Sigrun zur Frau, und fie zeugten Söhne mit: 
einander; doch Helgi ward nicht alt. Dag, der Sohn Hognis, opferte 
dem Ddin, um Rache für feinen Bater zu erlangen; da lieh Odin dent 
Dag feinen Speer!. Dag traf Helgi, feinen Schwager, in dem Walde, 
der Fjoturlund? heißt; Dort Durchbohrte er den Helgi mit dem Speere. 
Helgi fiel, Dag aber ritt nad) Sewafjoll und meldete der Sigrun das 
Ge:chehene: 

28. „Betrübt bin ich, Sigrun, dir Trauer zu melden, 
da ich ungern, Schweiter, den Schmerz dir machte: 
es fiel heut’ morgen bei Fjoturlund 
der herrlichite Held unterm Himmelsdache, 
der den Fuß auf den Naden der Fürſten ſetzte.“ 

Sigrum, 
29. So mögen dich alle die Eide verderben, 
die mein Liebjter und du gelobt einander 
beim lichten Waſſer des Leiptrfluffes? 
und auch bei Unns* eiſigem Steine. 
Dein Fahrzeug bleibe wie feitgebannt, 
ob jaujender Seewind die Segel auch blähe; 
nicht renne das Roß, deſſen Reiter du biſt, 
wenn DBerfolger auch auf den Yerjen dir find. 





30 





ı Odin verlieh feinen Günftlingen fiegbringende Waffen. Bekannt ift es, 
daß das trefflihe Schwert, welches Sigmund führte, eine Gabe Odins war. 

2 Fioturlund bedeutet „Fefjelhain”: war dies ein den Göttern gehei— 
ligter Wald, den man nur gefefjelt betreten durfte, wie der Wald der fuebiichen 
Semnonen, von dem Tacitus (Germ. €. 39) berichtet? 

3 Die Zeiptr gehört zu den Grimn. Str. 28 aufgezählten Höllenflüffen. Der 
Schwur bei dem Wafjer der Leiptr vergleicht fich alfo dem Eide, den die Home— 
riihen Götter bei der Styr leifteten. 

“Ann (d.h. „Welle”), eine Tochter Ägird. Über einen ihr geheiligten Stein 
ift fonft nichts befannt. 





18. Das zweite Lieb von Helgi 2c. (Helgakviba Hundingsbana II). 179 





31. Nicht jchneide das Schwert, das du ſchwingſt im Streite, 
e3 finge denn, Mörder! dir felber ums Haupt! 


32. Das hieß’ ich Rache für Helgis Tod, 
wenn zum Molfe du würdeſt im Walde draußen, 
arm und elend und ohne Nahrung, 
bis aufgefchwollen am Aas du platzteſt! 
Dag. 
33. Toll jetzt biſt du und thöricht, Schweſter, 
daß du Unheil wünſcheſt dem eignen Bruder: 
an allem Unglück iſt Odin ſchuld, 
der durch Zwiſtrunen entzweite die Sippel. 


34. Ich biete dir rote Ringe zur Buße, 
ganz Wandilswe und Wigdalir?; - 
nimm des Neiches Hälfte, du Ringgeſchmückte, 
für dich und die Söhne, als Erjaß für den Harm. 
Sigrun. 
35. Nie ſitz' ich mehr froh zu Sewafjoll, 
weder früh noch jpät, mich zu freuen des Lebens — 
e3 jei denn, ich jäh” in der Seinen Mitte 
den Reden wieder auf Wigblärs? Rüden, 
des goldgezäumten; wie grüßt’ ich ihn froh! 


36. So waren in Furcht Die Teinde alle 
vor des Gatten Grimm und der Gegner Sippen, 
wie vorm grauen Wolfe die Geiße rennen 
in bangem Schreden den Berg hinab. 


37. So Hoch jtand Helgi ob den Helden allen, 
iwie die jtolze Eiche ob ftruppigem Dorn, 
wie die Tiere des Waldes der taubeiprengte 
Hirich überragt, der Hochgewachl’ne, 
deſſen Horngeweid zum Himmel leuchtet. 





ı Odin ftiftet gern Streit, um durch die gefallenen Helden die Schar feiner 
Einherier zu mehren; vgl. Härb. 24. 

2 Wandilsmwe, d.h. „das Heiligtum des Wandil”. Wandil bedeutet „bes 
weglich“, „herumſchweifend“; wir finden in der Snorra Edda Rieſen und See— 
fönige, die diefen Namen führen. Hier dürfte Wandil als Beiname eines Gottes 
(Ddins?) zu faffen fein. Das Wort ift auch identifch mit dem Namen des deut— 
ſchen Volksſtammes der Wandilier oder Wandalen. — Wigdalir, d.h. „Kampfthal“. 

s Wigblär, d.h. „der im Kampfe jchnaubende” (2), ein Pferdename. 

12* 


180 Zweites Buch. Heldenlieder. 





Zum Andenfen an Helgi ward ein Hügel aufgeworfen; als er 
nun nach Walholl fam, da bot Odin ihm an, mit ihm über alles zu 
walten. Helgi ſprach: 

38. 1,Du ſollſt, Hunding, den Helden allen 
die Füße waſchen, das Feuer zünden, 
die Hengſte hüten, die Hunde binden, 
die Schweine füttern vorm Schlafengehn.“ 


Eine Magd der Sigrun wandelte eines Abends an Helgis Hügel 
und ſah, daß Helgi, von zahlreichen Männern begleitet, zum Hügel 
ritt?. Die Magd ſprach: 

39. „Iſt's Blendwerk nur, was mein Blick erſpäht? 
Kommt der Tage letzter, da die Toten reiten, 
zum raſchen Laufe die Roſſe ſpornend, 
oder iſt den Helden die Heimkehr gewährt?“ 

Helgi. 

40. Nicht Blendwerk iſts, was dein Blick erſpäht, 
noch das Ende der Welt, wenn du uns auch ſiehſt 
zu raſchem Laufe die Roſſe ſpornen; 
noch iſt den Helden die Heimkehr gewährt?. 

Die Magd ging heim und erzählte das der Sigrun: 

41. „Hinaus geh, Sigrun, von Sewafjoll, 
wenn den Führer des Heers Du zu finden wünſcheſt; 
dev/ Hügel iſt offen, und Helgi kam 
mit blutenden Wunden; dich bittet der Herricher, 
daß die jtrömenden Bäche du ftillen mögeſt.“ 


Sigrun ging zu Helgi in den Hügel und ſprach: 
42. „So froh bin ich, den Fürſten zu treffen, 
wie Odin Walken, die aasgier’gen, 





ı Diefe Strophe ijt wahrjcheinlich der Reſt eines Zankgeſpräches zwijchen 
Helgi und Hunding, das dem Kampfe der beiden vorausging und ein Seiten 
ftüd zu dem GStreite zwiſchen Sinfjotli und Gudmund war. Der Sammler faßte, 
wie die vorausgehende Proja zeigt, die Strophe anders auf, aber fiherli mit 
Unredt, denn Helgi hätte fih der Ehre, die ihm Ddin erwies, jehr unwürdig 
gezeigt, wenn er den in ehrenvollem Kampfe gefallenen Gegner zur Verrichtung 
von Sklavendienften gezwungen hätte. 

2 Der in Str. 35 von Sigrun ausgejprodene Wunſch geht in Erfüllung, 
denn Helgi kehrt noch einmal von Walholl zurück, um ſich mit der Geliebten im 
Grabhügel zu vereinigen. Dieſe Schlußſtrophen enthalten das älteſte littera— 
riſche Zeugnis der Lenorenſage. 

3» Nicht Heimkehr iſt dem Helgi gewährt (d. h. er iſt nicht für immer aus 
Walholl entlaſſen), ſondern er hat nur die Erlaubnis zu einem letzten, kurzen 
Beſuche auf Erden erhalten. 


14 5 Be u u) Du 1 —— 





—ï EEE EEE N 


43. 


44 


46. 


47. 





18. Das zweite Lied von Helgi 2c (Helgakvipa Hundingsbana II). 181 


wenn fie Zeichen wittern, laumwarmes Fleisch, 
oder feucht vom Tau das Frührot Schauen. 


„Sieb trauten Kuß mir, toter König, 

eh’ du die blutige Brünne abwirfit; 

nit Reif ift, Helgi, dein Haar bededt, 

dein Leib triefend vom Leichentaue; 

Hände wie Eis hat Hognis Eidam — 

wie kann ich Hilfe, o Held, dir ſchaffen?“ 
Helgi. 

Du jelber, Sigrun von Sewafjoll, 

du glänzende Sonne im goldnen Schmud, 

bijt jchuld, daß Helgi von Harmtau trieft; 

täglich weinjt du, Tochter des Südens, 

eh’ ing Bette du gehſt, bitt're Thränen; 

als Blut fällt jede auf des Fürjten Bruft, 

falt und eifig und fummerjchwer!. 


. Noch einmal freu’ ich mich edlen Weines ?, 


wenn mein Land mir auch fehlt und die Lebenswonne; 

feiner finge ein Klagelied, 

weil blutige Wunden die Bruft mir bededen; 

denn es weilt im Hügel das Holde Weib, 

des Tapfern Troft, bei dem toten Gatten. 

Sigrun ſchlug in dem Hügel ein Bett auf: 

„Bereit it, o Fürſt, ein friedliches Lager 

dem Nlfingenfohne im Innern des Hügels; 

am Herzen hegen den Helden will ich, 

wie ich lag dereinft bei dem lebenden König.“ 
Helgi. 

Kun ſag' ich, daß alles in Sewafjoll 

dereinft oder jet ſich ereignen könne, 

da Hognis Tochter dem toten Helden, 


ı Der Glaube, daß die Thränen der Überlebenden den Toten benegen und 


dadburd feine Ruhe ftören, fommt öfter in nordifchen und deutſchen Sagen zum 
Ausdrud. Vgl. das Märchen vom Totenhemdchen (Grimm, „Kinder- und Haus: 
märden‘, Nr.109, und Wackernagels Auffag „Zur Erklärung und Beurteilung 
von Bürgers Lenore“ (Kl. Schriften IT, 399 ff.). 


2 Der Tote labt fih nur am Getränf, wie auch die Braut von Korinth in 


Goethes Ballade die Speijen verfhmäht, aber „gierig mit blafjem Munde den 
dunfel blutgefärbten Wein fchlürft”. 


182 2 Zweites Buch. Heldenlieder. 





die weiße, im Hügel am Herzen ruht 
und dennoch atmet, die Edelgeborne. 


48. Zeit iſt's, zu reiten gexvötete Wege, 
zum Flug zu jpornen den falben Renner; 
im Weit muß ich fein von Windhelms! Brüde, 
eh” Salgofniv? das Siegervolk weckt. 


Helgi ritt mit jeinen Genofjen davon, die Frauen aber begaben 
fi) heim zum Gehöft. Am nächſten Abend ließ Sigrun die Magd 
am Hügel Wade halten; als der Tag zu Ende ging, fam fie felbft 
zum Hügel und ſprach: 


49. „Gekommen wär’ nun, wenn er kommen wollte, 
der Sohn des Sigmund vom Saale Odinz; 
auf des Helden Heimkehr nicht Hoff’ ich Länger, 
da die Adler jchon im den Ejchen fiten 
und Schlummer allen die Augen jchliegt.‘ 


Die Magd, 
50. Nicht aberwitzig wandle einjam, 
Tochter Hognis, zum ZTotenhügel; 
denn gefährlicher find in der finjtern Nacht, 
als bei Tageshelle die Truggejpeniter. 


Bor Kummer und Schmerz ftarb Sigrun früh. Das war in 
alter Zeit Glaube, daß Menjchen wiedergeboren werden könnten, jebt 
aber heißt das alter Weiber Wahn. Von Helgi und Sigrun erzählt 
man, daß fie wiedergeboren feien: er hieß da Helgi, der Haddingen- 
held, und fie Kara, Halfdans Tochter, wie davon in den Karaliedern ? 
gefungen iſt; und auch da war fie Walfüre. 


— 





ı Windhelm, poetifche Bezeichnung des Himmels. Windhelms Brücke iſt 
bie Himmelsbrücke Bifroſt (ſ. zu Grimn. 44). 

2 Salgofnir (d. h. „der geduckt im Saal ſitzende“ 2), der Hahn in Walholl, 
ber Vol. 43 Gullinfambi genannt wird. 

3 Die verlornen Karalieder haben dem Berfafjer der Hrömundar saga 
Greipssonar noch vorgelegen. Wir erfahren aus diejer Sage, daß Helgi, der 
Haddingenheld, von der Walfüre Kara, die als Schwan über ihm ſchwebte, ge— 
jhügt wurde. In der Schladt wider Hromund fchwingt er jedoch das Schwert 
zu hoch und fügt der Geliebten eine tödliche Wunde zu. Da erfennt er, daß das 
Glück von ihm gewichen ift, und Hromund fpaltet ihn das Haupt. 





TEN 


19. Einfjotli8 Tod (Frä dauda Sinfjotla). 183 





19, Hinfjetlis Tod. 
(Frä& dauda Sinfjotla.) 


Sigmund!, Wolfungs Sohn, war König in Franfenland?; Sin: 
fjotli war der ältefte feiner Söhne; der zweite hieß Helgi?, der dritte 
Hamund® Borahild, Sigmunds Frau, hatte einen Bruder, der... .° 
hieß. Sinfjotli, ihr Stiefiohn, und jener... . warben um dasfelbe 
Weib, und deswegen erichlug ihn Sinfjotli. Als er nun heimfam, 
wollte Borghild ihn forttreiben; Sigmund aber bot ihr Geldbuße, und 
darauf mußte fie eingehen. Beim Erbmahl® reichte Borghild Bier 





ı Sigmund war von den zehn Söhnen König Wolfungs der ältejte. Odin 
verlieh ihm ein trefflihes Schwert; dieſes Geſchenk erregte den Neid König 
Siggeirs, der Siamunds Zwillingsfchweiter Signy zur Gemahlin hatte. Da Sig- 
mund ihm das Schwert nicht abtreten wollte, beſchloß Siggeir, um fich der Waffe 
zu bemächtigen, den Woljung und jein ganzes Gejchlecht zu vernichten. Er lud 
feinen Schwiegervater und die zehn Brüder zu einem Gaftmahl ein; fie famen 
und fanden ſämtlich bis auf Sigmund, der mit Signys Hilfe in den Wald ent- 
floh, den Tod. Beide Gejchwifter fannen nun auf Rache. Um ihrem Bruder einen 
tauglihen Gehilfen bei dem Rachewerk zu jchaffen, taufhte Signy mit einem 
Zauberweibe die Geftalt, ging zu Sigmund und empfing, von ihm unerfannt, 
den Sinfjotli (d.h. „ven Gelbgefledten‘ oder den „Gelbſchenkeligen“ [2], der Name 
bezeichnet vermutlich den Wolf, der an ven Schenfeln gelbhaarig iſt: Sigmund 
und Sinfjotli wurden nad) der Volsunga saga, während fie im Walde hauften, 
zeitweilig ın Wölfe verwandelt). Nachdem diefer erwachjen war, bejchlofjen Vater 
und Sohn, den Siggeir zu töten. Sie ſchlichen fi in des Königs Halle, wurden 
jedoch von den zwei Knaben, die Signy dem Siggeir geboren hatte, bemerft und 
verraten, worauf GSinfjotli auf Signys Geheiß die beiden Brüder erjchlug. 
Eiggeir ließ nun Sigmund und Sinfjotli ergreifen und lebendig in einer Erd- 
höhle begraben; zwiſchen beiden ward eine große Steinplatte aufgerichtet. Signy 
hatte jedoch heimlich dem Sinfjotli Sigmunds Schwert zugeftedt; mit diefem zer= 
jägten Bater und Sohn den Feld und arbeiteten fih aus der Grube Heraus. In 
der folgenden Nacht legten fie Feuer an Siggeirs Gehöft, der in feiner Halle ver— 
brannte. Signy hatte Sigmunds Bitte, das brennende Gebäude zu verlafjen und 
fich zu retten, abgelehnt und folgte dem Gatten, obwohl fie ihn nie geliebt und 
feinen Untergang mit herbeigeführt hatte, in den Tod. Sigmund jegte fi darauf 
in den Befig des väterlichen Reiches und verheiratete fich mit Borghild. (Vol- 
sunga saga 6. 2—8.) 

2 Die Wolfungenjage ift fränfifhen Urjprungs, wurde jedoch ſchon früh 
wahrjcheinlih im 6. Jahrh.) nad dem Norden verpflanzt. Sie erkennt aber, 
nah dem ſchönen Ausſpruch Wild. Grimms, in der Fremde die Heimat noch an. 

3 Helgi der Hundingstöter. Die Ehe Sigmunds mit Borghild, aus der 
Helgi entjproß, Fennt die deutihe Sage nicht. Die Helgifage ift eine dänifche 
und erft im Norden mit der Wolfungenjage verbunden. 

+ Hamund (jedenfalls aud ein Sohn der Borghild) wird im den eddijchen 
Liedern jonft nicht erwähnt. Doc kennen ihn auch die Volsunga saga (C. 8) und 
das Reimgedicht von Wolfung (Str. 277); in dem legtern heißt er Hromund. 

5 Für den Namen von Borghilds Bruder hat der .Schreiber des Codex 
regius zweimal eine Lüde freigelafjen, die wir nicht auszufüllen vermögen. Auch 
die Volsunga saga (E. 10) nennt den Namen nidt. 

6 Der Erbe eines Verftorbenen hatte die Pflicht, zum Andenken desfelben 
einen feierlihen Leichenſchmaus auszurichten; vgl. Atlamgl 72, Guprünarhvgt 8. 


184 Zweites Bud. Heldenlieder. 





herum; fie nahm Gift, ein großes Horn voll, und bot es dem Sin- 
fiotli; alS diefer jedoch in das Horn jah, merkte er, daß Gift darin 
war, und ſprach zu Sigmund: „Trübe ift der Trank, Vater!” Sig- 
mund nahm das Horn und trank daraus. Es heißt nämlich, daß 
Sigmund jo feft gegen Gift war, daß es ihm weder äußerlich noch 
innerlich Schaden fonnte, aber alle jeine Söhne fonnten Gift nur 
auf der äußern Haut vertragen. Borghild brachte dem Sinfjotli ein 
zweites Horn und forderte ihn auf, zu trinken; er ſchlug es aber ab, 
wie das erjte Mal. Und endlich bot fie ihm ein drittes Horn an und 
drohte ihm mit Schmähmworten, wenn er nicht tränfe. Er ſagte zu 
Sigmund diejelben Worte wie vorher, jener aber ermwiderte: „Laß 
es durch die Lippen feihen, Sohn!“ GSinfjotli trank nun und war 
ſofort tot. 


Sigmund trug ihn eine weite Strede in feinen Armen und 
fam zu einem fchmalen und langen Meerbufen; am Ufer lag ein 
fleine3 Schiff, und darin war ein Mann? Dieſer erbot fi), den 
Sigmund über den Meerbujen zu fahren, aber als Sigmund die 
Leiche in das Boot getragen hatte, war fein Pla mehr darin. Da 
fagte der Mann, Sigmund möge zu Fuß um den Meerbufen herum: 
gehen. Darauf jtieß der Mann mit dem Boote ab und war fogleich 
verſchwunden. 


König Sigmund hielt ſich lange in Dänemark? auf in dem Reiche 
der Borghild, nachdem er fie geheiratet hatte. Nachher aber begab 
fih Sigmund gen Süden ins Franfenland, da er auch dort ein Reich 





1 Daß Sigmund diefe Worte in der Trunfenheit gejproden habe, wie der 
Berfaffer der Volsunga saga (EC. 10) Hinzufügt, ift wohl eine irrtümlihe Auf- 
fafjung. Sigmund hatte gehofft, daß der Trank feine giftigen Bejtandteile im 
Barte SinfjotliS abjegen und ihm dann nicht mehr jchaden werde. 

2 Diefer Mann ift Odin, der die Leiche auf feinem Schiffe ind Totenreich 
führt. Von der alten Sitte, die Geftorbenen auf einem Schiffe (daS zuweilen 
vorher angezündet wurde) dem Meere zu übergeben, find in den altgermanijchen 
Sagen mehrfache Zeugnifje erhalten. Das betanntefte ift die Beftattung Baldrs 
(Gylfag. €. 49); vgl. ferner Beöwulf ®. 27 ff., Atlamgl Str. 100, Ynglinga saga 
E. 27. Später wurde häufig dad Schiff ſamt der Leiche in einem Hügel beigejegt, 
vgl. 4. B. Häkonar saga göda C. 27 und Äns saga bogsveigis E. 6 (Fornaldar 
sögur II, 354). Bei Gofftad in Norwegen wurde 18380 ein wohlerhaltenes 
Wilingerfhiff, in dem eine Leiche lag, aus einem Hügel ausgegraben. Vielfach 
begrügte man fih auch damit, die Geftalt des Schiffes durch Steinjegungen an— 
zubeuten; derartige Gräber find namentlih in Schweden gefunden worden. Bgl. 
K. Weinhold, ‚„Altnordijches Leben” ©. 483 ff. 

3 Daß die Helgijage dänifhen Urfprungs ift, wird hierdurch beftätigt. Die 
Volsunga saga teilt übrigens mit, daß Sigmund bie Borghild wegen der Er- 
mordung des Ginfjotli verftoßen habe. 


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bad ol Ed 1 zu ta 3 





SEIEN ih 


20. Die Weisſagung de3 Gripir (Gripissp$). 185 





bejaß. Hier nahm er Hjordis!, König Eylimis? Tochter, zum Weibe; 
ihr Sohn war Sigurd. König Sigmund fiel in einer Schlacht gegen die 
Söhne Hundings?; darauf vermählte fi) Hjordis mit Alf, dem Sohne 
des Königs Hjalpref!. Dort wuchs der Knabe Sigurd auf. Sigmund 
und alle jeine Söhne übertrafen weit alle andern Männer an Kraft 
und Wuchs und Mut und jeglicher Tüchtigfeit. Sigurd war jedoch 
ihnen allen überlegen, und von ihm melden die alten Sagen ein- 
jftimmig, daß er der herrlichfte Mann und der gewaltigfte Heerfünig 
gewejen jei. 


—E — 


20. Die MWeisfagung des Gripir, 
(Gripisspd.) 


Ein Mann hieß Gripir?, er war Eylimis Sohn und der Hjordis 
Bruder. Er herrjchte über ein Land und übertraf alle Menfchen an 
Weisheit, auch war er der Zukunft kundig. Sigurd ritt einft allein aus 
und fam zu Gripirs Halle. Sigurd war leicht erfennbar. Bor der 





ı Hjordis, d. 5 „die Schwertjungfrau”. Wie Sigurds Mutter, die nad) 
der deutjchen Sage bekanntlich Sigelint hieß, im Norden zu diefem Namen ge- 
fommen iſt, ift noch nicht fiher ermittelt; wahrjcheinlich ift er einer ung nicht 
mehr bekannten Figur des Helgicyflus entlehnt. 

2 Eylimi, nicht identifh mit dem in Helgakv. Hjorv. erwähnten Bater 
der Swawa. 

3 Nach der Volsunga saga wurde ber Krieg dadurch veranlaft, dag Lyngwi, 
ein Sohn Hundings, ebenfall3 um Hjordis geworben, diefe aber den bejahrten 
Helden Sigmund feinem jugendliden Nebenbuhler vorgezogen hatte. Das Nibe- 
lungenlied, das nur eine Ehe Sigmunds fennt und von feinen Händeln mit den 
Hundingen nichts weiß (die aus der Helgifage in die Wolfungenfage eingedrungen 
find), läßt befanntli den Sigmund jeinen Sohn Siegfried überleben. Indeſſen 
ift dies doch wohl eine Umgeftaltung der urjprüngliden Sage: noch in dem 
deutſchen Siegfriedsliede ift die Erinnerung daran bewahrt, daß Siegfried in der 
Fremde aufwächſt, ohne feine Herkunft zu fennen. 

* Die Volsunga saga (EC. 12) berichtet, daß Alf, der Sohn des Königs Hial- 
pref von Dänemarf, der furz nad) der Schlacht zufällig in der Nähe der Waljtatt 
gelandet war, im Walde die Hjordis nebjt einer Magd fand und mit fich fort— 
führte. Nach der Geburt Sigurds vermählte er fi dann mit Hjordis. 

5 Gripir. Die Figur diefes prophetifchen Königs ift höchſt wahricheinlich 
erft von dem Dichter des offenbar jehr jungen Liedes erfunden. Es gibt in der 
Form einer Weisfagung einen furzen Überblid über Sigurds Leben, ijt alfo ge- 
wifjermaßen ein verfifiziertes InhaltSverzeihnis zu den folgenden Gedichten, von 
denen feins den Gripir nennt. Der Berfafler der Volsunga saga hat dagegen 
unjer Lied bereit gefannt, da er im 16. Cap. den Befuch des Sigurd bei Gripir 
kurz erwähnt; auch in Norwegen ift es verbreitet gewejen: das thelemarkfifche 
Volkslied Sigurd Svein berichtet, dak Sigurd zu feinem Mutterbruder „Greipir“ 
gefommen fei, um den Namen jeined Vaters zu erfahren. 


186 Zweites Bud. Heldenlieder. 





Halle traf er einen Mann, den er anzureden bejchloß; dieſer nannte 
fich Geitir!. Sigurd verlangte von ihm Auskunft und fragte: 


1. „Wer hauſt allhier in den Hallen der Burg, 
wie heißen die Degen den Herricher des Volkes?“ 
Geitir. 
Gripir nennt ſich der gütige Fürſt, 
der des feſten Lands und des Volkes waltet. 
Sigurd. 
2. Weilt er daheim, der weiſe König? 
Wird der Recke bereit ſein, zu reden mit mir? 
Ein Fremder bedarf ſeines freundlichen Rats, 
gern möcht' ich bald den Gripir treffen. 
Geitir. | 
3. Der frohe König wird fragen den Geitir, 
twie der Held fich nennt, der Gehör begehrt. 
Sigurd?, 
Sigurd Heiß’ ih, des Sigmund Erbe, 
und Hjordis it des Heerwart3 Mutter. 


4. Da ging Geitir, dem Gripir zu melden: 
„Hier außen jteht ein Unbekannter; 
gar herrlich ſchaut der Held fich an, 
der den Fürſten ſelbſt zu jehen fordert.“ 


5. Aus der Halle jchritt der Herricher des Volks 
und begrüßte freundlich den fremden Gaft: 
„Willkommen, Sigurd, warum famft du nicht früher? 
Du, Geitir, nimm den Grani? ihm ab!“ 
6. Sie fingen an über vieles zu veden, 
als die ratklugen Reden fich trafen. 
Sigurd, 
Wenn du's weißt, jo melde mir, Mutterbruder, 
wie das Leben Sigurds verlaufen wird. 





ı Geitir, diejer Dienftmann des Königs Gripir wird nur in unjerm Liede 
erwähnt. } 

2 Sigurd (Sigurpr), entftanden aus Sig-vorpr, „der fiegreiche Hüter’, eine 
volfsetymologifhe Umdeutung des deutſchen Namens Siegfried (ahd. Sigifrid), 
d. h. „ver durch Sieg den Frieden bringt‘. 

» Grani, dad Roß Sigurd, das nach der Vols. saga (C. 13) von Sleipnir 
abjtammte und von Dbin jelbft dem jungen Helden gejchenft ward. Nach der 
projaifchen Einleitung zu Reginsmol wählte ſich Sigurd dagegen den Hengft aus 
dem Gejtüt Hjalpreks. 


LEER, 


20. Die Weisſagung des Gripir (Gripisspg). 187 





Gripir. 

7. Du wirſt unterm Himmel der herrlichſte Mann 
und an Anſehn reicher als alle Fürſten, 
freigebig mit Gold, doch zum Fliehen träge, 
eine Wonne der Augen, weiſe im Reden. 


Sigurd. 
8. Vertraue mehr noch, trefflicher König, 
dem Sigurd an, was zu jehn du meinft: 
Welch Glück wird als erſtes begegnen mir, 
wenn ich heut? deinen Hof, o Herricher, verlafje? 
Gripir, 
9. Zuerſt wirjt du, Fürſt, Vater und Ahn! 
blutig rächen zur Buße des Kummerz; 
im Gefechte wirft du fällen die fühnen 
Söhne des Hunding und Sieg erringen. 


Sigurd, 

10. Dem Verwandten ſage, weiſer König, 
die eitle Wahrheit, da wir offen reden: 
Sind Teuchtende Thaten im Loſe Sigurds, 
die fich hoch erheben zum Himmelszelt? 

Gripir. 

11. Du fällſt allein den funfelnden Wurm?, 
der gierig liegt auf dev Gnitaheide?; 
du wirjt die beiden Brüder töten, 

Kegin* und Fafniv; ich rede Wahrheit. 
Sigurd, 

12. Gold genug gibt's, wenn ich glücdlich ſolche 
Kämpfe bejtehe, wie du's mir fündelt; 
ſpähe weiter und jprich noch mehr: 
was fiehjt du ferner in Sigurds Leben? 





1 BaterundsAhn,d.h. Sigmund und Eylimi; vgl Reginsmöl Str 15 u. 26. 
2 Den funfelnden Wurm, d. 5. Fafnir, dejien Tötung die Fafnismgl 


berichten. 


»Die Gnitaheide lag nad der niederdeutſchen Sage in der Nähe von 
Stadtberge, jüdlih von Paderborn (W. Grimm, Heldenfage Nr. 27). 
* Regin, der Erzieher Sigurds; ſ. das folgende Lied. 


188 Zweites Buch. Heldenlieder. . 





Gripir. 
13. Finden wirft du Fafnirs Höhle 
und dort den jchimmernden Schaf erheben, 
mit Gold beladen Granis Rüden 
und reiten zu Gjufitl, rüſtiger Held. 
Sigurd. 
14. Noch jollit du dem König in Eluger Rede, 
mutiger Fürſt, mehr berichten: 
Sch ward Gjufis Gaft -- wenn ich gehe von dort, 
wie wird fich weiter wenden mein Leben? 
Gripir. 
15. 2Auf dem Felfen ſchläft des Fürſten Tochter, 
im Harniſch leuchtend, nach Helgis? Tod; 
mit jcharfem Schwerte zerſchneiden wirt du 
mit Fafnirs Töter den funkelnden Panzer. 
Sigurd. 
16. Die Brünne zerbrach, die Braut wird jprechen, 
dag wonnige Weib, erwacht vom Schlafe; 
was redet mit Sigurd die Ringgejchmücdkte, 
das dem Herricher nachher zum Heile werde? 
Gripir. 
17. Sie wird dich Recken Runen lehren, 
die ſämtliche Menſchen beſitzen möchten, 
dazu auch fremder Völker Sprachen 
und die Gabe der Heilkunſt — ſei glücklich, Herrſcher! 
Sigurd. 
18. Gelungen iſt das, die Lehren empfing ich, 
ich wappne mich, um hinweg zu reiten; 





1Gjuki, der Vater von Gunnar, Hogni und Gudrun. Gjuki ift die nor— 
difhe Umformung des hochdeutichen Namens Gibeche (d. h. „ver Freigebige‘‘). — 
Daß Sigurd fofort nad der Erwerbung des Hortes zu Gjufi reitet, ſtimmt zu 
ber Darftellung der Sage, die wir in den Fäfnismöl (Str. 40 ff.) und der Helreip 
Brynhildar leſen. Dem erjten Lied ift unfer Tichter hier gefolgt, ohne zu be— 
merfen, daß feine weitere Erzählung zu diefer Sagenform nicht ftimmt. 

2 Quellen für Etr. 15—17 waren Fäfnismgl und Sigrdrifumgl. Der Dichter 
unjers Liedes hat die in diefen beiden Gedichten auftretende Walfüre, welche 
mit Brynhild identiich ift, für eine von diefer verfchiedene Figur angeſehen und 
dadurd) eine Verwirrung angerichtet, die bis auf den heutigen Tag eine Anzahl 
von Forſchern irre geführt hat. Vgl. zu Sigrdr. 44%. 

» Helgi: ift dies diejelbe Figur, die in Helreip 8 und der Proſa zu Sigrdr. 
Hjalmgunnar genannt wird? Bugge hält die Halbzeile für verderbt. 


19, 


20. 


21. 


23. 


24, 


20. Die Weisfagung des Gripir (Gripissp$). 189 





jpähe weiter und fprich noch mehr: 
Was jiehjt du ferner in Sigurds Leben? 
Gripir, 
1Du wirjt fommen, o Held, zu Heimirs? Wohnung 
und ein froher Gaſt des Fürſten werden; 
nichts MWeitreg, Sigurd, zu jagen weiß ich, 
und mehr nicht frage den Mutterbruder. 
Sigurd, 
Nun wert mir Kummer das Wort, das du Ipradjit, 
denn vorwärts jiehlt du, o Fürſt, noch weiter 
Viel Leid erblidjt du im Loje Sigurds, 
und dies, o König, nicht fünden magjt du. 
Gripir. 
Es lag deine Jugend in leuchtender Helle 
offen dem Blick, und mein Auge war klar; 
doch nicht mit Recht bin ich ratklug genannt 
und im Wahrſagen mächtig: mein Witz iſt zu Ende. 
Sigurd. 


. Auf der weiten Erde weiß ich feinen, 


der klarer ala Gripir das Künftige jchaut; 

verbirg mir nichts, ob auch böje es jei 

und ich jchlimmer Thaten mich jchuldig mache. 
Gripir, 

Mit Laſtern ift nicht dein Leben bezeichnet, 

das ſoll dir, Sigurd, als ficher gelten; 

ummwoben von Ruhm, bis die Welt vergeht, 

wird nimmer, o Held, dein Name jchwinden. 
Sigurd. 

Schlecht gefällt mir’, doch jcheiden muß nun 

Sigurd vom König, da es jo beitellt; 

mag das Künftige ruhn, das da fommt, wie eg muß — 

doch weile den Weg mir, waderer Oheim! 





ı Was in diefer Strophe und nad der längern Verhandlung zwijchen Sigurd 


und Gripir, durch welche fich diejer jchlieglich bewegen läßt, in feiner Prophe— 
zeiung fortzufahren (20—26), in Str. 27—45 erzählt wird, beruht auf verlornen 
Liedern, die jedoch die Volsunga saga (E. 23—29) in profaifcher Auflöjfung uns 
erhalten hat. 


2 Heimir (d. 5. „der Häusliche”) war nad) Vols. saga E. 23 der Gemahl 


von Brynhilds Schweiter Bekkhild. Wahrſcheinlich ift der Helr. 11 erwähnte 
„Pflegevater“ Brynhildg eben diefer Heimir; vgl. unten Str. 27. 


27. 


28. 


29. 


30. 


31. 


Zweites Buch. Heldenlieder. 





Gripir. 


. Sagen jetzt muß ich dem Sigurd alles, 


da der rühmliche Fürſt mich zum Reden nötigt; 
bewußt ijt dir's, daß ich Wahrheit Tpreche: 
Sch fenne den Tag, der den Tod dir bringt. 


Sigurd, 


. Nicht möcht’ ich erzürnen den mächtigen König, 


nur guten Rat don Gripir hören; 
erfahren will ich, erfreut's auch nicht, 
was ficher feſtſteht im Sigurds Loſe. 

Gripir, 
Bei Heimir lebt eine herrliche Maid, 
man heißt fie Brünhild? im Seldenkreife, 
die Tochter Budlis!; der treffliche Fürſt 
Heimir erzieht die Hartgefinnte, 

Sigurd, 
Was fümmert’3 mich, daß die Königstochter 
mit holdem Antlitz bei Heimir aufwächſt? 
Künde genau mir das, o König, 
da du alle Gejchide voraus erjchauft. 

Gripir, 
Berlieren wirft du die Lebensfreude 
durch die holde Jungfrau, die Heimiv aufzieht; 
nicht ſchlafen kannſt du, noch fchlichtejt du Streit, 
meidejt die Menjchen, die Maid nur fiehjt du. 


Sigurd, 
Gibt's Lind’rung nicht für den Liebesfummer? 
Sag’, Gripir, mir, was du glaubjt zu jehn! 
Werd’ ih um Mahlihag das Mädchen Kaufen, 
des erhab’nen Herrſchers herrliche Tochter? 
Gripir. 
Ihr werdet euch alle Eide leiſten, 
doch jchlecht die Heiligen Schwüre halten: 





1 Daß Brynpild (d. h. „die Kämpferin im Panzer”) eine Tochter Buplis, 
mithin eine Schweiter Atlis geweſen ift, ift eine Erfindung der nordiſchen Cage; 


die deutfhen Duellen wijjen davon nichts. 


nu 


Re 
* 


00—00— 





— 


* 


20. Die Weisſagung des Gripir (Gripisspg). 191 





tweiljt eine Nacht du im Erbſitz Gjukis, 
jo vergißt du die Holde, die Heimir aufzog!. 
Sigurd, 
32. Wie fommt das, Gripir? Fünde mir diejegs! 
Sit Wanfelmut in des Wilings Sinn? 
Mein Wort ſoll id dem Meibe brechen, 
das ich glaubte zu lieben von ganzem Herzen? 


Gripir, 
33. Ein Opfer wirft du don anderer Trug, 
Grimhilds Ränke? entgelten mußt du; 


fie bietet dir an die blondgelockte 
eigne Tochter mit arger Lit. 


Sigurd, 

34. Dem Gejchlechte Gunnars? verjchwägert werd’ ich, 
und Gudrun® wird mir als Gattin zu teil; 
beglüdt wär ih mit gutem MWeibe, 
wär’ des alten Unrechts Grinn’rung nicht wach. 

Gripir. 

35. Grimhild? wird did gänzlich bethören, 
fie wird dich bitten, um Brynhilds Hand 
für Gunnar zu werben, den Gotenfünig®; 
die Fahrt gelobjt du des Fürſten Mutter. 





1 Daß Sigurd, ehe er Gudrun kennen lernt, fi mit Brynhild verlobt, be— 
richten die Sigrdrifumgl, deren Darftellung durch die Vols. saga (EC. 20, 21) er- 
gänzt wird. Nach andrer Überlieferung, die durd) Fofnismgl, Sigurbarkvipa 
skamma und Helreip repräfentiert wird, kennt jedoch Sigurd die Brynhild vor 
ſeiner Vermählung mit Gudrun nicht, ſondern ſieht jene zum erſten Male, als 
er in Gunnars Geſtalt die Waberlohe durchreitet und die ſchlafende erweckt. Daß 
dieſe Überlieferung die ältere iſt, hat neuerdings Sijmons wahrſcheinlich gemacht 
geitiär. f. deutfhe Phil.” 24, 1ff.). Vgl. die Anmm. zu Sigrdr. 

2 Grimhilds Ränke: nad) der Vols. saga (C. 25,26) reiht Grimhild, die 
Mutter der Gudrun, dem Sigurd einen Zaubertranf, infolgebeffen er bie Bryn⸗ 
bild vergißt und mit Gudrun fich verlobt. 

> Gunnar (hoddeutih Gunther), „ver Kämpfer im Streit”. 

* Gudrun (hochdeutſch Guntrun), „die der Kampfrunen Kundige”. 

5 Grimhild, „die verlarute Kämpferin“. Daß fie es war, die Gunnars 
Gedanken zuerft auf Brynhild richtete, erzählt die Vols. saga C. 26. 

6 Der geſchichtliche Gunther gehörte nicht dem Volke der Goten, fondern 
dem der Burgunden an (die in den eddifchen Liedern nur einmal, Atlakv. 21, 
genannt werden). Der Name der Goten jcheint jedoch als allgemeine Bezeihnung 
füdgermanifcher Völker gebraucht zu fein; vgl. zu Grimn. 2. 


192 


36. 


37. 


38, 


39. 


41. 


Zweites Bud. Heldenlieder. 





Sigurd, 
Schlimmes gejchieht; ich jchaue es deutlich, 
daß Sigurd ganz die Belinnung verliert, 
da fremden Manne er freien will 
die Herrliche Maid, die jo heiß ex liebte, 
Gripir, 


Ihr werdet euch alle Eide leiſten, 


Hogni und Gunnar, du, Held, als dritter; 
auf dem Weg die Gejtalt wechjeln müßt ihr, 
Gunnar und du; Gripir lügt nicht?. 
Sigurd, 
Wie hängt das zufammen? weshalb auf dem Wege 
wechjeln wir beide Gebärd’ und Gejtalt? 
Da folgt wohl fernere Falſchheit noch, 
jehr verderbliche, ſag' mir’s, Gripir! 
Gripir. 
Du borgjt von Gunnar Gebärd’ und Geftalt, 
doch bleibt Verſtand und Stimme dein eigen; 
du verlobjt dir dann die erlauchte Maid, 
die Heimir aufzog — verhüten fann’3 niemand! 
Sigurd, 


. Das jcheint mir ſchlimm, denn ein jchlechter Mann 


werd’ ich heißen drum in der Helden Kreiſe; 
nicht gern’ betrüg’ ich die Tochter des Herricherz, 
die mir aller Frauen edelſte jcheint. 
Gripir, 
Du teiljt das Lager, trefflicher Heerfürft, 
mit der Maid, als wenn fie die Mutter div wäre?; 
ummoben von Ruhm, bis die Welt vergeht, 
wird nimmer drum dein Name jchtwinden. 





1 Eigurd, Gunnar und Hogni hatten, ehe fie die Fahrt zu Brynhild 


unternahmen, Blutsbrüderſchaft gejchlofien; vgl. Brot af Sigurparkvipu Str. 18; 
Sigurparkv. skamma 1, Vols. saga €. 18. 


2 Sigurd mußte mit Gunnar die Gestalt wechjeln, weil dieſer weder auf 


feinem eignen Roſſe, noch auf Grani im ftande war, die um Brynhilds Burg 
lodernde Flamme zu durdreiten; vgl. Vols. saga E. 27 und Skäldsk. €. 6. 


3 Sigurd legte, als er in Gunnars Geftalt mit Brynhild das Bett beftieg, 


fein Schwert Gram zwiſchen fih und die Jungfrau; vgl. Brot af Sig. Str. 20, 
Sigurparkv. skamma ©tr. 4.68 und Skäldsk. C. 6. Diefelbe Situation in der 


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ENTE ZEN 


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20. Die Beisfagung des Gripir (Gripisspö). 193 
Sigurd, 
42. Wird Gunnar befiten ein gutes Weib, 
der allgeehrtte — gib Antwort, Gripir! — 


obwohl drei der Nächte des Degen? Braut 
geichlafen bei mir?! Nie gejchehn ijt jolches! 
Gripir, 

43. Ihr feiert zugleich das Veit der Hochzeit?, 
Gunnar und Sigurd, in Gjufis Sälen; 
wieder das Außere wechſelt daheim ihr, 
doch das innere Wejen blieb unverändert. 


Sigurd, 

44. Wird zum Seile dann uns Helden beiden 
die Magichaft werden? Melde mir’s, Gripir! 
Wird Gutes jpäterr für Gunnar draus 
und auch für Sigurd Selber erwachjen? 


Gripir. 
45. Der Schwüre gedenkend wirſt dur dennoch ſchweigen? 
und in glücklicher Ehe mit Gudrun leben; 
doch achtet Brünhild ſich übel vermählt 
und trachtet danach, den Trug zu rächen“. 
Sigurd. 
46. Beſänftigt Buße den Sinn der Frau, 
die durch täuſchende Liſt wir betrogen haben? 





Gongu-Hrölfs saga €. 24 (Fornaldar sögur III, 303), wo Hrolf, der dem Jarl 
Thorgnyr die Königstochter Angigerd zuführt, während der Reife im Nachtquartier 
ein bloßes Schwert zwifchen fih und die Jungfrau legt. Vgl. auch zu Brot 20. 

1 Daß Sigurd drei Nächte bei Brynhild vermweilte, erzählt auch die Vols. 
saga ©. 27. 

2 Daß zu gleicher Zeit Sigurds und Gunnars Hochzeit gefeiert wurde, meldet 
befanntlih das Nibelungenlied. Nach der Vols. saga (C. 26) und den Skäldsk, 
(€. 6) hatte jedodh Sigurds Vermählung bereits ftattgefunden, ehe er mit feinen 
Schwägern die Fahrt zu Brynhild antrat. In den uns verlornen Liedern, die 
Vols. saga, Gripisspg und Skäldsk. benugten, müjjen demnach über dieſen Punkt 
verjchiedene Angaben enthalten geweſen fein. 

3 Vgl. Vols. saga E. 27 am Ende. 

4 Nach der Vols saga (E. 28) kamen die Königinnen bald nach der Hochzeit 
bei einem gemeinfamen Bade miteinander in Streit, und hierbei erfuhr Brynhild 
durh Gudrun, daß nit Gunnar, jondern Sigurd in defjen Geftalt die Waber: 
lohe durdritten habe. Ergrimmt über diejen Betrug, durch den fie eidbrüchig 
geworden war (fie hatte nämlich gefhworen, nur dem Manne fich zu eigen zu 
geben, der dur das Feuer zu dringen vermöge), befchließt fie Sigurds Tod. 

Die Edda, 13 


194 


47. 


48, 


49. 


50. 


51. 


Zweites Bud. Heldenlieder. 





Sie empfing meinen Schwur, den ich jchlecht erfüllten, 
und wenig Glück war dem Weibe gegönnt. 
Gripir, 
Dem Gunnar wird die Gattin jagen, 
daß übel du ihm die Eide hielteft?, 
da volles Vertrauen der treffliche Fürſt, 
der Sohn Gjufis, dem Sigurd jchenkte. 


Sigurd, 
Wie verhält fich das, Gripir? Verhehle mir nichts! 
Bin ich ſchuldig wirklich der jchändlichen That, 
oder klagt mich Fälihli die Königin an 
und fich jelbjt dazu? Sage mir’s, Gripir! 
Gripir, 
Aus gefränktem Stolz, in Kummer und Zorn, 
wird übel an dir Die Edle handeln; 
du thatejt nicht Schmach der Schönen an, 
wenn ihr wiſſend auch täufchtet das Weib des Könige. 


Sigurd, 

Werden Gunnar, der weife, auch Guthorm und Hogni 

ihren Rache heifchenden Reden gehorchen ? 

Merden Gjufis Söhne die Gere röten 

im Herzen des Schwager? Verhehl's nicht, Gripir! 
Gripir. 

Voll grimmiger Trauer iſt Gudruns Herz, 

wenn die treulojen Brüder den Tod dir bringen?; 

dem weiſen Weihe wird MWonne nimmer 

im Leben mehr blühn — dies Leid jchuf Grimhild. 
Sigurd, 


. Uns jcheidenden Heil! dem Geſchick troßt feiner. 


Sreundlich hat Gripiv erfüllt meine Wünjche. 





ı Dies bezieht ſich auf die jüngere Faflung der Sage (Sigrdrifumgl, Vols. 


saga €. 21), nad) der Sigurd fih auf Brynhilds Burg durch heilige Eide mit ihr 
verlobt hatte. 


2 D. 5. daß Sigurd gegen jein VBerjpreden das Beilager mit Brynhild wirk— 


lich vollzogen habe. Vgl. Vols. saga C. 29 am Ende. Daß dieſe Beihuldigung 
unwahr gewejen jei, befennt Brynhild jelbft Brot af Sigurparkv. Str. 19. 20. 


3 Nach der nordiihen Sage ward Sigurd von Gutthorm, dem Stiefbruder 


Gunnars und Hognis, getötet. ©. Brot 4, Sigurparkv. skamma 21. 22, Gupr. IL, 7, 
Vols. €. 30 und Skäldsk. ©. 6. 


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21. Das Lied von Regin (Reginsmg)). 195 





Froheres gern von den fernen Tagen 
meldetejt du, wenn dein Mund es könnte, 
Gripir. 
53 Zum Trojt gedenfe, tapfrer Heerfürſt, 
daß doch ein leuchtendes Los dir fiel: 
kein edlerer Held wird auf Erden je 
im Sonnenlicht wandeln, als, Sigurd, du! 


—2 
— —— 


21. Das Lied von Regin. 
(Reginsmöl.) 


Sigurd begab ſich zu dem Gejtüt Hjalpreks! und wählte fi) 
daraus einen Hengft, der jpäter Grani? genannt ward. Damals war 
Regin?, der Sohn Hreidmarst, zu Hjalprek gefommen; er war ge: 
ſchickter als alle Menjchen und jeinem Wuchje nach ein Zwerg. Er 
war Flug, grimmig und zauberfundig. Negin ward mit Sigurds 
Pflege und Unterweifung betraut und liebte ihn jehr. Er erzählte 
ihm von feinen Borvätern und auch von der Begebenheit, daß Odin, 
Hönir und Loki? einmal zum Andwarafors [dem Wafferfall des And» 
wari] gefommen jeien; in diefem Wafjerfall gab e8 eine Menge Fiſche. 
Ein Zwerg, Namens Andwari®, hielt fich jeit langer Zeit in Geftalt 
eines Hechtes in dem Wafjerfall auf und fing ſich dort, was er zur 
Nahrung bedurfte. „Ein Bruder von uns“, erzählte Negin, „hieß 
Dir, der ebenfalls oft in Gejtalt eines Otters den Wafferfall auf: 
ſuchte; einmal hatte er einen Lachs gefangen und verzehrte ihn, auf 
dem Uferrand figend, mit gejchloffenen Augen’. Loki warf ihn mit 





ı Hjalpret (d.5 „der Hilfreiche‘), der Vater von Sigurd3 Stiefvater Alf; 
vgl. Frä dauda Sinfjotla 3.33 

2 Grani, ſ. 3. Grip. 5%. 

3 Regin, d.h. „der Ratgeber’ ; diefe Figur iſt identifch mit dem Schmiede 
be3 deutjchen Liedes vom Hürnen Seyfrid und dem Mimir der Pidrekssaga; der 
Name Regin ift in der legtern Duelle auf den Drachen übertragen, der in den 
ebdifchen Liedern Fafnir heißt. 

4 Hreidbmar, d.h. „der Kampfberühmte‘ (?). 

5 Ddin, Hönir. und Loki, diefelben drei Götter, die a: Al): 17fg. ge= 
meinjam die eriten Menjchen ſchufen 

s Andwari, der Name läßt verſchiedene Deutungen zu, von denen jedoch 
feine ſicher ift. Ganz dunkel ift der Name des Vaters Din (Str. 2). 

" Barum Dtr den Lach8 mit geichlofjenen Augen verzehrte, erklärt die Vols. 
saga (€. 14), welche erzählt, daß Dtr jo geizig war, daß er den Anblid der ſich 
mindernden Speife nicht vertragen fonnte. Dasjelbe berichtet die Gautreks 
saga C. 1 (Fornaldar sögur IIf, 7) von dem Bauern Sfafnortung. 


18* 


196 Zweites Bud. Heldenlieder. 





einem Steine tot; da meinten die Ajen einen guten Fang gethan zu 
haben und zogen dem Dtter das Fell ad. An demjelben Abend famen 
fie zu Hreidmar und verlangten Nachtquartier und zeigten ihre Beute; 
da ergriffen wir fie und legten ihnen die Verpflichtung auf, den 
Diterbalg mit Gold zu füllen und auch von außen mit rotem Golde 
zu bededen: dadurch jollten fie ihr Leben löjen!. Hierauf jandten fie 
ven Loft aus, das Gold zu bejchaffen: er ging zu Ran?, borgte fich 
deren Net und begab fi dann zum Andwaraford. Er warf das 
Ne vor dem Hechte ind Wafjer und diefer ging hinein. Da ſagte 
Loki: 
1. „Was iſt's für ein Fiſch, der im Fluſſe ſchwimmt 
und ſich unklug vor Schaden nicht ſchützt? 
Aus Hels Händen dein Haupt nun löſe, 
ſchaffe mir Feuer der Flut?!“ 
Der Hecht. 
. Andwari heiß’ ih, Din hieß mein Vater, 
viele Fälle durcheilt’ ich ſchon; 
in der Urzeit entjchied die Unglücksnorne, 
daß im Waſſer mein Wohnfiß jet. 
Loli. 


3. Sag' mir, Andwari, wenn im Erdbezirke 
du noch Länger leben willit: - 
was ijt bejtimmt als Strafe dem Menjchen, 
der den andern aus Arglijt belügt? 


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Andwari. 
4. Harte Strafe harret ſeiner, 
der in Wadgelmir* waten muß; 
wer mit unwahren Worten den andern belügt, 
hat lange zu leiden dafür. 





1 Diefe Art der Buße ift auch jonft bezeugt; vgl. J. Grimm, „Deutſche Rechts— 
altertümer“ ©. 668 ff. 

2 Ran, vgl. zu Helgakv. Hjorv. 18. 

3 Feuer der Flut, poetifhe Umſchreibung für Gold, in der Snorra Edda 
Arnam. Ausg. I, 336) dadurd erklärt, daß der Meergott Hgir bei jeinem Gaſt— 
mahl die Halle durch Gold rieudten ließ; vgl. die proſaiſche Einleitung zu 
Lokas. 

Wadgelmir, „der beim Waten rauſchende“, Name eines ſonſt nirgends 
erwähnten Höllenflufjes. Diejelbe Strafe wird nach Vgl. 39 Meineidigen und Mör- 
dern zu teil. 


al 


21. Das Lied von Regin (Reginsmöl). 197 





Loki jchaute fich alles Gold an, das Andwari bejaß; als er nun 
feinen Schat ausgeliefert hatte, wollte er einen Ring zurücfbehalten, 
aber Loft nahm ihm auch den fort!. Der Zwerg jchlüpfte in den Fels 
und ſprach: 

5. ?,Da3 Gold, das eh’mal8 Gujt? beſeſſen, 
wird einjt zwei Brüdern* Untergang bringen 
und acht Fürften® zum Unheil werden; 
vom Schafe wird niemand Nuten haben.“ 

Die Ajen fonnten nun dem Hreidmar das Löjegeld entrichten. 
Sie jtopften den Dtterbalg voll und ftellten ihn dann auf die Füße. 


- Nun follten fie auch von außen Gold aufichichten und das Fell damit 


bededen. ALS dies gejchehen war, ging Hreidmar Hinzu; er bemerkte, 
daß noch ein Barthaar hervorjah, und verlangte, daß auch diefes 
bedeckt werde. Da zog Ddin den Ring Andwaranaut® hervor und ver: 
hüllte mit ihm das Haar. Da Sprach Loft: 
6. „Das Gold iſt gezahlt, großes Kaufgeld 
erhieltejt du für mein Haupt; 
doch Segen bringt’3 deinem Sohne nicht, 
foften wird's euer beider Blut.‘ 
Hreidmar antwortete: 


7. „Saben gabjt du, doch gabjt du als Freund nicht, 
gabſt aus holdem Herzen nicht; 
ledig wärt ihr des Lebens jebt, 
hätt’ ich früher gekannt die Gefahr.“ 
Loki. 
8. Noch ſchlimmer iſt, was zu ſchauen ich glaube, 
der Verwandten Streit um ein Weib”; 
ungeboren noch acht’ ich die Fürften, 
die drob ſich erhitzen im Haß. 


ı Nach den Skäldsk. E. 4 wollte Andwari den Ring deswegen zurücdbehal- 
ten, weil das Kleinod, wie Ddins Ring Draupnir, die Kraft bejaß, neues Gold 
zu erzeugen. 

2 Der Zwerg legt den Fluch auf den Ning, daß er jedem feiner Fünftigen 
Befiser den Untergang bringen jolle. 

3 Guft (d.h. „ver Haucher”); es ift nicht Klar, ob Andwari damit ſich ſelbſt 
oder einen ſeiner Vorfahren bezeichnet. 

4 Die zwei Brüder find Fafnir und Regin. 

5 Acht Fürften, nämlich Sigurd, Gutthorm, Gunnar, Sogni, Atli, Erp, 
Sorli und Hambir. 

s Andwaranaut, d.h. „Kleinod des Andwari‘. 

? Gemeint ift der durch Bronhild veranlafte Streit zwifchen Sigurd und 
den Gjufungen. 





198 Zweites Bud. SHeldenlieder. 





Hreidmar, 
9. Froh den?’ ich zu walten des funfelnden Goldes, 
lolange mein Leben währt; 
deine Drohung ift feinen Deut mir wert; 
fehrt num nach Haufe von hier. 


Fafnir und Negin verlangten von Hreidmar einen Anteil von 
dem Bußgelde, das für ihren Bruder Dir gezahlt war; er aber ſagte 
nein dazu. Deswegen durchbohrte Fafnir feinen Vater Hreidmar, 
während er jchlief, mit dem Schwerte. Hreidmar rief feinen Töch— 
tern zu: 

10. „Lyngheid und Lofnheid'! mein Leben ift aus! 
Vieles fordert die Not.“ 


Lyngheid erwiderte: 


„Ein Mädchen wird jelten den Mord des Vaters 
rächen mit Bruderblut.“ 
Hreidmar, 
11. Ein Weib zieh” auf, wolfherzige Jungfrau, 
wenn du feinen Knaben dem Kriegsherrn fchentit; 
gib der Maid einen Mann, da mächtig die Not ift, 
jo wird deren Sohn für dich ein Rächer. 


Hierauf ſtarb Hreidmar, Fafnir aber feste jich in den Befit des 
ganzen Goldes. Regin verlangte nun das ihm zufommende Bater: 
erbe, doch Fafnir weigerte fih, e3 auszuzahlen. Da fragte Regin 
jeine Schwefter Lynaheid um Nat, wie er zu feinem väterlichen Erbe 
fommen fünne, Sie fprad): 

12. „Sreundlich ſollſt du Fordern vom Bruder 
das Erbe und edleren Sinn; 
nicht ſchicklich iſt's, mit ſcharfem Stable 
von Fafnir zu fordern das Gut.‘ 


Dieſe Begebenheiten erzählte Negin dem Sigurd. 





1 Lyngheid, „die Heideichöne”, und Lofnheid, „die Preisſchöne“, werden 
fonft nirgends genannt. 

2 Hreidmar erwartet aljo von feinem Urenfel Rache. Da Fafnir durd 
Sigurd getötet wird, jo müßte aljo diefer Hreidmars Urenfel jein. Davon weiß 
jedoch Feine unjrer Quellen etwas, und ſomit ift Grundtvigs Bermutung, daß 
Eylimi, der Vater der Hjordis, mit einer Tochter der Lyngheid vermählt geweſen 
ſei, unbeweisbar. 





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91. Das Lied von Regin (Reginsm$l). 199 


Eines Tages kam er zu Regina Haus und ward freundlich auf: 
genommen. Regin ſprach: 
13. „Gekommen iſt jeßt der kühne Held, 

Sigmunds Erbe, zum Saale Regins; 

er hat größeren Mut als ein Graubehaarter, 

und Kampf erwart' ich vom kühnen Wolfe!. 


14. „Aufziehn will ich den unerſchrocknen 
Enkel des Yngwi?, der uns beſuchte; 
er wird unterm Himmel der herrlichſte Fürſt; 
jeineg Schiejal3 Fäden umſchlingen den Erdfreis.’ - 
Sigurd hielt ſich nun dauernd bei Regin auf. Diejer erzählte 
ihm, daß Fafnir in der Geftalt eines Drachen auf der Gnitaheide 
liege und den Schrerfenshelm* bejite, vor dem fich alle lebenden Wejen 
fürchteten. Negin verfertigte dem Sigurd ein Schwert, das Gram’ 
hieß; e8 war außerordentlich Tcharf, denn als Sigurd e3 in den Nhein 
fteefte und eine Wollflode den Strom hinabtreiben ließ, durchſchnitt es 
die Flocke ebenfo leicht wie das Waſſer. Mit diefem Schwerte jpaltete 
Sigurd auch den Amboß Regins. Hierauf reizte Negin den Sigurd, 
ven Fafnir zu erichlagen, er aber ſprach: 
15. „Hell auflachen würden Hundings Söhne, 
die Eylimis® Ende verfchuldet, 
wenn heißerer Wunſch den Helden bejeelte 
nach funfelndem God als nach Vaterrache.“ 


König Hjalpref gab dem Sigurd eine Flotte und Mannſchaft, 
damit er feinen Vater räche. Ein gewaltiger Sturm überfiel fie, als 
fie gerade in der Nähe eines Vorgebirges waren. Auf dem Berge 
ftand ein Mann? und ſprach: 





1 Dasjelbe Sprichwort findet fi auch anderwärt3, 3. B. Laxdala €. 19 
(Kälund 57!2). 

2 Yngwi, f. zu Helg. Hund. I, 56. 

3 ®gl. Helg. Hund. I, 3.4. 

* Der „Shredenshelm” wird auch Fäfnismöl 16. 17 erwähnt. Wahr- 
fcheinlich ift ein Helm gemeint, auf dem ein ungeheuerliche3, furdhterregendes Ges 
fiht angebradt war. 

5 Den Gram (d.h. „Unhold”) fchmiedete Regin nach der Vols. saga (EC. 15) 
aus den Stüden des Schwertes, das dem Sigmund von Odin verliehen, in der 
legten Schlacht aber an des Gottes Speer zerfplittert war. 

s Eylimi, Sigurds Großvater (der Vater feiner Mutter Hjordiß), war in 
derjelben Schlacht gefallen, in der auch Sigmund den Tod fand (Vols. saga C. 11], 
Nornagests pättr €. 4). Es iſt auffallend, daß der Dichter hier den Eylimi ftatt 
de3 Sigmund nennen läßt, obwohl in 3.4 von „Vaterrache“ die Rede it. 

7 Der Mann ift Ddin, der dem legten Sprofjen des von ihm begünftigten 
Wolfungengejwlechts feine Hilfe angedeihen läßt. 


200 Zweite Buch. Heldenlieder. 





16. „Wer reitet dort auf Räwils Hengjten! 
über berghohe Wogen und braujendes Meer? 
Bon den Segelroſſen trieft jalziger Schweiß, 
dem Winde erliegen die Wellenpferde.‘ 
Regin antwortete: 
17. „Auf dem Seebaume fiten Sigurd und ich, 
uns ward trefflicher Wind zur Todesreiſe; 
den Schnabel des Schiffs überjchäumen die Wogen; 
das Walzenroß? finft — wer wünſchte Beſcheid?“ 
Der Unbekannte, 
18. Man hieß mich Hnifar?, als Hungrige Raben 
; Wolſung* der junge auf der Walftatt erfreute; 
nun magjt du mich nennen den Mann vom Berge, 
Feng oder Fjolnir“; laßt mich fahren mit euch! 
Sie jegelten ans Land, da ging der Mann an Bord, und das 
Unwetter legte fih. Sigurd ſprach: 
19. „Sch frage dich, Hnikar, der die Vorzeichen alle 
für Aſen und Irdiſche Fennt: 
welche Vorzeichen find, wenn man fechten joll, 
am beiten beim Schwingen des Schwerts?“ 
Hnilar ſprach: 
20. „Biele Borzeichen find, wenn das Volk fie wüßte, 
günftig beim Schwingen des Schwerts! 
Heilbringender Angang® Für Helden ift es, 
wenn ein jchiwarzer Rab’ fie umſchwebt. 
21. „Ein anderer ij’, wenn zum Ausgang fertig 
zur Thüre hinaus du trittjt 
und dann auf der Straße ſtehend findejt 
ruhmgieriger Reden zwei. 





ı Rämwils Hengfte, poetifhe Umschreibung für Schiffe. Räwil war nad 
der Hervararsaga 6.16 (Bugge, S.293 fg.) ein Sohn des ſchwediſchen Königs 
Bjorn Jarnfida, eines Sohnes von Ragnar Lodbrok. 

2 Walzenroß, j.; Hym. 202. 

3» Hnifar, j.zu Grimn. 47. 

+ Woljung, der Vater des Sigmund, alſo Sigurds Großvater. 

5 Feng, d.h. „der Beutemacher“. Fijolnir, f. zu Grimn. 47. 

6 Angang, das Borzeihen, das jemand beim Antritt eines Weges begegnet. 
„zier, Menih, Sache, auf die man frühmorgens, wenn der Tag noch jriich ift, 
beim erften Ausgang oder Unternehmen einer Reife unerwartet ftieß, bezeichneten 
Heil oder Unheil und mahnten das Begonnene fortzujegen oder wieder aufzuge— 
Ben’ ($. Grimm, „Myth “ 1072). 


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21. Das Lied von Regin (Reginsmog)). 201 





22. „Günſtig auch it’, wenn den grauen Wolf 
unter Eichen du heulen Hörft, 
und Glück verſpricht's, erſpähſt du den Gegner, 
eher als er dich ſieht. 


23. „Es fehre feiner im Kampfe jich zu 
der Schweiter des Mondst, wenn fie jcheint im Weiten; 
den Sieg erringt, wer zu jehen verfteht 
und feilfürmig die Krieger ordnet?. 
24. „Fürchte Gefahr, wenn dein Fuß gejtrauchelt 
auf dem Weg, den du wanderſt zum Streit; 
böje Dijen? jtehn div zu beiden Geiten 
und- wünjchen div Wunden an. 
* ‚Der Krieger joll früh fich kämmen und wajchen, 
am Morgen jchon nehm’ ex fein Mahl, 
denn ungewiß its, wo er abends fein wird — 
es iſt jchlimm, zu verjcherzen das Glück.“ 
Sigurd hatte eine gewaltige Schlacht mit Lyngwi?, dem Sohne 
Hundings, und deſſen Brüdern. Dort fiel Lyngwi nebſt feinen beiden 
Brüdern. Nach der Schlacht ſprach Regin: 
26. „Nun it der Blutaar® mit beißendem Schwerte 
Sigmund: Mörder? gejägt in den Rüden; 
fein Fürſt war fo fühn, der das Feld gerötet 
und die Adler erfreut, wie der Erbe des Königs se.‘ 
Sigurd z0g heim zu Hjalpref; darauf reiste Regin den Sigurd, 
Fafnir zu töten. 


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— —— 





1Der Schweſter des Mondes, d.h. der Sonne, ſ. Gylfag. €. 11. 

2 Die feilförmige Shladtordnung (svinfylkıng) war von Dbdin jelbit 
erfunden. Er lehrte fie nur feine befondern Lieblinge, vgl. Sögubrot €. 8 (For- 
naldar sögur I, 380). 

3 Dijfen, Schikjalsjungfrauen. 

4 Bol. Hyv. 61. 

5 Lyngmwi (d. h. „der Heidebewohner”?). Bon den Hundingsjöhnen, die 
durch Sigurd fielen, nennt die Vols. saga (C. 17) noch den Hjorward, der nad) 
Helgakv. Hund.I, 14 bereit3 von Helgi erichlagen war. Wir bemerften bereits, 
daf die Sage von Helgi und den Hundingsjöhnen mit der og“ urſprüng⸗ 
lich nichts zu ſchaffen hatte. 

s Das Ritzen des Blutaars war eine grauſame Tötung gefangener 
Feinde, die in der Weife geihah, dag man vom Rüden aus die Rippen losjchnitt 
und dann die Lunge herausriß, vgl. 4.8. Haralds saga härfagra €. 31. 

" Sigmunds Mörder, d.h. Lyngwi. 

8 Der Erbe de3 Königs (nämlich Sigmunds), d.h. Sigurd, 


209 Zweites Bud. Heldenlieder. 





22. Das Lied von Fafnir. 
(Fäfnismöl.) 


Sigurd und Regin begaben fich nach der Gnitaheide und fanden 
dort die Spur, die Fafnir! hinterließ, wenn er zum Waſſer kroch. 
Auf diefem Wege machte Sigurd eine tiefe Grube und ſetzte fich hinein?. 
Als nun Fafnir von feinem Golde“kroch, jchnaubte er Gift, das von 
oben herab dem Sigurd auf den Kopf fiel; aber als er gerade über 
der Grube war, ftieß ihm Sigurd das Schwert in Herz. Fafnir 
ſchüttelte fich und zudte mächtig mit Kopf und Schweif. Nun jprang 
Sigurd aus der Grube, und es erblicdte einer den andern. Fafnir 
ſprach: 

1. „Geſell, Gejell! weſſen Samen entſtammſt du? 
nenne die Namen der Eltern mir! 
Mer fürbte die Klinge in Fafnirs Blute 
und jtieß mir den Stahl ins Herz? 


Sigurd wollte feinen Namen verheimlichen, weil es in alter Zeit 
Glaube war, daß eines Sterbenden Worte große Wirkung hätten, 
wenn er feinen Gegner mit Nennung ded Namens verfluchte. Er 
Iprad) 

2. „Der ſtolze Hirſch Heiß? ih; ich ſtreifte umher 
al3 mutterlojer Mann; 

mir mangelt der Bater, den Menjchen ſonſt haben, 

drum wandre ich immer allein.‘ 


Fafnir. 
3. Wenn dir mangelt der Vater, den Menſchen ſonſt 


haben, 
fo kamſt du wohl durch ein Wunder zur Welt?’ 
3 





ı Fafnir (d.h. „der Niefige‘), Regins Bruder, der in einen Drachen ver— 
wandelt ben Schag Andwarig, den er nach der Ermordung jeines Vaters Hreid- 
mar allein an fich gerifien, bewachte. Vgl. die Profa nad) Reginsmögi 14, Vels. 
saga C.14 und Skäldsk. €. 5 

2 Nach der Vols. saga (C. 18) machte Sigurd auf Odins Geheif mehrere Gru— 
ben, damit in dieſe da3 Blut Fafnirs abfließen könnte. 

3 Sn der verlornen Halbitrophe zieh, wie aus der Paraphraſe der Vols 
saga erfichtlih, Fafnir den Sigurd der Lüge, was diejen veranlaßte, Namen und 
Geſchlecht zu nennen. 





FE RATES EEE EEE 


22. Das Lied von Fafnir (Fäfnismögl). 203 





Sigurd, 
4. Schwerlich wird mein Gejchlecht dir bekannt fein, 
auch kennſt du kaum mich felbit: 
Sigurd Heißt ev, des Sigmund Erbe, 
der dich mit dem Schwerte erichlug. 
Fafnir. 

5. Wer reizte dich an? der Reizung folgend, 
warum thatſt du den Todesſtreich? 
Helläugiger Burſche! ein Held war dein Vater, 

drum biſt du als Knabe ſchon keck!. 
Sigurd. 
6. Mich reizte mein Mut, die raſchen Hände 
vollführten's mit ſcharfem Schwert; 
beherzt wird nie, wenn das Haar ergraut, 
wer als Knabe Gefahren floh. 
Fafnir. 
7. Wenn erwachſen du könnteſt im Kreis der Verwandten, 
jäh’ einjt man wohl kämpfen dich fühn; 
doch ein Knecht bift du, im Kriege gefangen ?, 
immer find Unfreie eig. 
Sigurd, 
8. Das wirfit du mir dor, daß ich weit, o Yafnir, 
vom Batererbe entfernt; 
man fing mich im Krieg, doch ein Knecht bin ich nicht: 
daß ich frei bin, erfuhrſt du ſelbſt. 
Fafnir. 
9. Du findejt in jeglihem Wort einen Vorwurf, 
doch Wahres nur meldet mein Mund: 
dag glänzende Gold und die glutroten Ringe 
bringen dir einjt den Untergang. 
Sigurd, 
10. Schalten will mit dem Schaß ein jeder 
immer bis zu dem einen Tag; 
denn einmal müſſen alle Menjchen 
fahren von hier zur Hel. 





ı Die Überfegung diefer im Urtext ſchwer verderbten Zeile beruht auf einer 
Konjeftur, welche die Vergleihung mit Zeile 64 ergab. 

2 Diefer Borwurf beruht darauf, daß Hjordis, als fie mit Sigurd ſchwanger 
ging, von Alf, Hjalpreks Sohne, gefangen fortgeführt wurde (vgl. S. 185, Anm. 4). 


904 7 Zweites Buch. Heldenlieber. 





Fafnir. 
11. Am Vorberg ſchon!“ wird dich Fällen die Norne, 
du teiljt der Thoren 203; 
im Waſſer ertrinft, wer im Winde rudert?: 
den tötet alles, der todgeweiht?. 
Sigurd, 
12. [Sage mir, Fafnir — für erfahren giltft du 
und durch reiches Willen berühmt: — 
welche Nornen bringen in Nöten Hilfe 
und erlöjen Mütter von Leibesfrucht? 
Fafnir. 
. 13. Bon verſchiedner Herkunft ſchätz' ich die Nornen, 
nicht alle find eines Gejchlechts 5: 
vom Aſenſtamm diefe, dom Elbenjtamm jene, 
die dritten aus Dwalins Stamms. 
Sigurd, 
14. Sage mir, Fafnir — für erfahren giltjt du 
und durch reiches Wiſſen berühmt: — 
iwie dev Werder heißt, wo den Waffentau? mijchen 
die jeligen Götter und Surts? 
Fafnir. 
15. Djfopnir? Heißt er, Die Aſen jämtlich 
ſchwingen die Schwerter einjt dort; 





ı Am Vorberg ſchon, d.h. wenn bu eben erft in See gegangen bift, alio 
in früher Jugend. 
2 Entjpridt unferm Spridwort: „Wer fih in Gefahr begibt, fommt 


- darin um’, 


3 In ähnlichen Sprichwörtern hat fich der fataliftiihe Glaube der Nord 
männer oft auögejproden, vgl. 3.8. Alexanders saga 105%, 

4 Str. 12—15 find vermutlich aus einer ältern Redaktion der Vafprübnismsl 
bier eingefhoben. Der Berfaffer der Vols. saga fand jedoch die Snterpolation 
bereit3 vor. 

5 Neben den drei Hauptuornen (ſ. 3. Vel. 8) nahm der Volksglaube aljo noch 
eine größere Zahl untergeordneter Nornen an, denen er verſchiedenen Urfprung 
zujchrieb. 

s Aus Dwalins Stamm, aljo bem Gejchlecht der Zwerge entjprofjen; vgl. 
zu Grimn. 33 und Alvissmöl 17. 

7 Waffentau, poetifche Umschreibung für Blut;den Waffentau miſchen, 
ſ. v. w. „kämpfen“. 

8 Surt, ſ. zu Vol. 52. 

9 DOffopnir, d. 5. „der Nichtgeſchaffene“ (2), vermutlich ein Beiname des 
Feldes Wigrid (Vafpr. 18), auf dem vor dem Weltuntergang der legte Kampf 
zwifhen den Göttern und den zerjtörenden Dämonen ausgefohten wird. 


22. Das Lied von Fafnir (Fäfnismgl). 205 





Bifroft! bricht, wenn über die Brüde fie reiten, 
und die Pferde ſchwimmen im Fluß ?.] 


16. Den Schredenshelm? trug ih zum Schuß wider 
Menſchen, 
dieweil ich auf lichtem Golde lag, 
überlegen mich wähnend den Lebenden allen, 
da ich niemals auf ſtärkere ſtieß. 
Sigurd. 
17. Der Schreckenshelm ſchützet keinen, 
dem ein furchtloſer Feind ſich ſtellt; 
mancher erfährt, wenn er Mutige findet, 
daß ex ſelbſt nicht der kühnſte im Kampft. 


Fafnir. 
18. Ich ſchnaubte Gift, auf dem Schatze liegend, 
den ich einſt vom Vater ererbt; 


‚5 


Sigurd, 
19. Du ſchnaubteſt gewaltig, ſchillernder Wurm, 
und hatteft ein hartes Herz; 
um jo größer wird der Grimm den Menjchen, 
befigen fie ſolchen Helm. 
Fafnir. 
20. Ich rate dir, Sigurd, den Rat nimm an 
und reite nach Hauſe von hier! 
Das glänzende Gold und die glutroten Ringe 
bringen dir einjt den Untergang. 
Sigurd, 
21. Der Nat ift erteilt, doch reiten will ich 
zu dem Hort, der im Heidefraut ruht; 





ı Bifroft, f. zu Grimn. 44. 

2 Mit dem Fluffe ift das Luftmeer gemeint. 

3 Den Shredenshelm, ſ. zu Reginsmöl, Proja nad Str. 14. 

4 Bgl. Höv. 643. 4. 

5 In der verlornen zweiten Halbjtrophe hat Fafnir, wie die Paraphraſe der 
Vols. saga (C. 18) ergibt, e3 ausgefproden, dag niemand ihm zu nahen wagte 
und daß er feine Waffe fürchtete. 

s Statt diefer Halbitrophe, die aus Str. 9 hierher geraten ift, las der Ver— 
fafjer der Vols. saga eine andre: „oft gejchieht e8, daß jemand, ber die Todes- 
wunde empfangen hat, fich noch felber rächt“ (vgl. Hov. 862) 


206 Zweites Buch. Heldenlieder. 





in den letzten Zudungen liege, Fafnir, 
bis Hel von hinnen dich führt! 
Fafnir. 
22. Es verriet mich Regin, auch dich verrät er, 
uns beiden bringt er den Tod; 
ſein Leben, fühl' ich, muß Fafnir laſſen: 
der Stärk're im Streite warſt du! 


Regin war beiſeite gegangen, während Sigurd den Fafnir er— 
ſchlug, und kehrte zurück, als Sigurd das Blut vom Schwerte wiſchte. 
Regin ſprach: 


28. „Heil dir, Sigurd! den Sieg errangſt du 
und Fafnir haſt du gefällt; 
von allen Männern, die auf Erden wandeln, 
biſt der kühnſte Kämpe du.“ 
Sigurd. 
24. Ungewiß iſt's, kommen alle zuſammen, 
die der Sieggötter Söhne ſind, 
wer der kühnſte Kämpe iſt; 
ein Held iſt mancher, der nie den Hieber 
färbte mit Feindesblut. 


Regin. 
25. Erfreut biſt du, Sigurd, und froh des Sieges 
reinigſt im Graſe du Gram; 
meinen Bruder erſchlugſt du mit blitzendem Stahle, 
doch auch ich habe Anteil am Mord. 


Sigurd. 
26. Du rieteſt dazu, daß ich reiten ſollte 
über kalte Klippen hierher; 
der glänzende Wurm hätte Gold noch und Leben, 
wenn du Frech mich nicht feige genannt!. 





ı Den Vorwurf der Feigheit macht in unfern Liedern Regin dem Eigurd 
nicht, wohl aber in der Vols. saga (€. 18). Sigurd fragt den Regin, wie es ihm 
ergehen werde, wenn das Blut des Draden ihn überjtröme, und erhält die Ant= 
wort: „Nicht kann ich dir Rat erteilen, da du vor allem und jedem dich fürchteft 
und deinen Blutsfreunden an Heldenmut nicht gleichfommit.” Es ergibt fich dar— 
aus, dag vor Str. 1 ein Geſpräch zwiſchen Regin und Sigurd ausgefallen ift. 


2. Das Lied von Fafnir (Fäfnismöl). 207 





Darauf ging Negin zu Fafnir und jchnitt ihm mit dem Schwerte, 
das Ridil! heit, das Herz aus und trank danach das Blut aus der 
Wunde. Regin ſprach: 

27. „Setze dich, Sigurd — ich ſehn' mich nach Schlaf, 
ans Feuer halt' Fafnirs Herz; 
verzehren will ich das zuckende Fleiſch 
nach dem tiefen Trunke des Bluts.“ 
Sigurd. 
28. Entfernt warſt du weit, als in Fafnirs Blute 
ich färbte das ſcharfe Schwert, 
meine Kraft ſpannt' ih an im Kampf mit dem Wurme, 
dieweil du dich im Kraute verkrochit 2. 
Negin, 
29. Noch Lange läge lebend im Kraute 
jener betagte Thurs, 
hätt’ das Schwert ich nicht geſchmiedet dir jelber, 
das jcharf im Streite ſchnitt. 
Sigurd, 
30. Kühnheit nüßt mehr als der Klinge beite, 
wenn Männer ich meſſen im Kampf; 
e3 erjtritt jchon oft mit jtumpfer Waffe 
ein beherzter Held den Sieg. 


31. Dem Furchtloſen mehr als dem Yeigen glücdt es, 
wenn er zum Streite ſich jtellen muß; 
der Frohe mehr als der finjtre Brüter 
iſt gewachjen dem Wechſel des Glüde. 


Sigurd nahm Fafnirs Herz und briet es an einem hölzernen 
Spieß. Als er nun meinte, dal es gar gebraten wäre, und das Blut 
an dem Herzen zu jhäumen anfing, faßte er mit dem Finger daran, 
um zu unterjuchen, ob es gar wäre. Er verbrannte jich und ſteckte 
den Finger in den Mund. ALS hierdurch Fafnirs Herzblut auf feine 
Zunge fam, verjtand er plöglich die Vogelſpraches; er hörte, daß 
Spechtmeijen i im Gebüiche zwitjcherten. Die eine Meije ſprach: 





ı Ridil, d. h. „der Bewegliche“. 

2 Da Regin nicht behilflich geweſen iſt, den Drachen zu erlegen, ſo hat er 
nach Sigurds Meinung eigentlich fein Anrecht auf das Herz. 

3 Nach isländiſchem Bolfsglauben muß man, um die Vogeliprade verjtehen 
zu können, einem lebenden Raben das Herz ausreißen und diejes unter die Zunge 


208 Zweites Bud. Heldenlieder. 





32. „Dort fit Sigurd, beſudelt mit Blut, 
am Yeuer brät’ er des Yafnir Herz; 
ichlau ſchiene mir der Schenker der Rings, 
äß’ er den leuchtenden Lebensmuskel.“ 
Die zweite ſprach: 
33. „Dort liegt Regin, Hält Rat mit fich, 
will betrügen den Jüngling, der treu ihn wähnt; 
er zeiht ihn fälſchlich aus Zorn der Schuld, 
der Ränkeſchmied will rächen den Bruder.“ 
Die dritte ſprach: 
34. „Um einen Kopf den alten Schwäßer er fürze 
und jend’ ihn von hinnen zur Hel! 
Dann iſt er der einzige Eigner des Horteg, 
des reichen, drauf Yafnir geruht.“ 
Wiederum Sprach die erite: 
35. „Der Fürſt wäre Hug, wenn dem Freundesrat 
er jchenkte Gehör, den wir Schweitern geben; 
jeines Vorteils bedacht erfreut” er die Raben; 
wenn ich Wolfsohren ſeh', iſt nicht weit der Graue!” 
Wiederum ſprach die zweite: 
36. „An Klugheit wird’ es dem Kampfbaum? fehlen, 
die ein Heerführer haben jollte, 
ließ’ ex unverleßt den einen Bruder, 
nachdem er dem andern das Ende bereitet?.‘ 


Wiederum jprad) die dritte: 


37. „Schlau wär’ er nicht, wenn er jchonen wollte 
den menjchenmordenden Yeind; 





legen. Diejelbe Wirkung wie das Rabenherz hat auch die Zunge des Steinfalfeı. 
Die Meinung, daß der Genuß von Schlangenfleifch zum Berftändnis der Vogel: 
ſprache verhelfe, wird u. a. durch ein tſchechiſches Märchen bezeugt (Germania 
XI, 395). 

ı Das Sprihwort: „„Dorther erwarte ich den Wolf, wo ich geine Ohren jehe”, 
ift auch jonft in der isländiſchen Litteratur bezeugt, 3.8. Finnboga Saga €. 10 
(meine Ausgabe ©. 2332). Vgl. auch Müllenhoff und Scherer, „Dentmäler”, 
zu XXVII, 2, 84. 

2 KRampfbaum, poetifche Umjchreibung für Held. 

3 In einer Zeit, wo die Blutradhe für eine heilige Pfliht gehalten wurde, 
war e3 ein Gebot der Klugheit, womöglich das ganze Gejchlecht des Gegners zu 
vernichten, um fih für die Zukunft ficher zu ftellen. Vgl. Höv. 87, Sigrdr. 35 
und Sigurparkv. skamma 12. 


N ARTE 


22. Das Lied von Fafnir (Fäfnismgl). 209 





Regin ruht dort, Rache brütend, - 
doch ſorgt nicht um. jolches der Held. 


38. „Um einen Kopf den eisfalten Riefen! er fürze, 
der Ringe beraube er ihn! 
Dann ift Sigurd der einzige Eigner des Schatzes, 
den früher Fafnir beſaß.“ 
Sigurd. _ 
39. „So rveih an Glück wird Regin nimmer, 
daß er meines Mordes ſich rühmt, 
da beide Brüder in Bälde jollen 
fahren von binnen zur Hel.“ 


Sigurd jhlug Regin das Haupt ab und aß Fafnirs Herz, auch 
tranf er daS Blut beider, Regins und Fafnire. DR hörte Sigurd, 
was die Spechtmeifen ſprachen: 


40. „Zuſammen binde, Sigurd, die Ringe — 
einem König bangt vor dem Kommenden nicht! — 
Ich weiß eine Maid?, eine wunderholde, 
ummunden mit Gold, ich wünſche jie dir! 

41. „Zu Gjufi führen grüne Pfade — 
dem Wandrer weit den Weg das Schickſal — 
eine Tochter erzog der teure König, 
die kannt du, Sigmd, mit Silber faufen. 

42. „Eine Halle ſteht auf Hindarfjall?, 
rings von leuchtender Lohe umgeben; 
geichiete Männer ſchufen den Saal 
aus dem funkfelnden Glanz, den die Jlüfje bergen‘. 





ı Den eiskalten Riejen: Diefe Bezeichnung ftimmt nicht zu den jonftigen 
Angaben, nach denen Regin ein Zwerg war (Proſaiſche Einleitung zu Reginsmgl 
3.4 und Nornagests pattr C. 3. 9. Es ift daher anzunehmen, daß hier die un— 
befugte Änderung eines Abjchreibers vorliegt und die Zeile urjprünglich ebenjo 
gelautet hat wie 341, 

2 Die Maid ift Gudrun. Nah unjerm Gedichte reitet alfo Sigurd nach der 
Erlegung des Draden fogleih an Gjukis Hof und vermählt fich dort mit Gudrun. 
Bon einem frühern Verlöbnis mit Brynhild weiß der Verfaſſer nichts, vielmehr 
hat die Sagenform, der er folgte, angenommen, daß Sigurd die Walfüre zum 
erjten Male erblidte, als er in Gunnars Geftalt ihre Burg betrat. Vgl. die 
Anm. zu Grip. 31. 

s Hindbarfjall, d. 5. „Berg der Hirſchkuh“. So wird der Felfen, auf dem 
Brynhilds Burg gelegen ift, aud in der Vols. saga (C. 20) und im Nornagests 
pättr (€.5) genannt. 

+ D.h. aus Gold. 


Die Edda. 14 


210 Zweites Bud. Heldenlieder. 





43. „Es ſchläft auf dem Velen die Schlachtjungfrau!, 
und lodernd umſpielt fie der Lindenverderber ?; 
mit dem Dorn ſtach Ygg? die dreijte Maid, 
da jie andre fällte, als er bejtimmt®. 


44. „Du wirſt Schauen, o Held, Die Helmgejchmüdte, 
die auf Wingfjlorniv® vom Walplatz ritt; 
nicht brechen, o Fürſt, kann die Bande des Schlummers 
die Spend’rin des Siegss nach dem Spruch der Nornen.“ 


Sigurd ritt der Spur Fafnirs nach bis zu feiner Wohnung und 
fand fie offen, doch die Thüren und Thürpfoften waren von Eijen; 
von Eifen war auch das ganze Gebälk im Haufe; dieſes ſelbſt jedoch 
lag unter der Erde. Dort fand Sigurd eine gewaltige Menge Gold 
und füllte zwei Kiften damit. Er nahm auch den Schreefenshelm und 
einen goldenen Harniſch und das Schwert Hrotti? und viele andre 
Kleinode und belud damit den Granit; das Pferd wollte jedoch nicht 
eher fich in Bewegung ſetzen, bis aud Sigurd jelbjt auf jeinen 
Rüden jtieg. 

— 


23. Das Lied von Sigrdrifa. 
(Sigrdrifumöl.)® 
Sigurd ritt hinauf nad Hindarfjall, und feine Abficht war es, 


gen Süden nad dem Franfenlande? zu ziehen. Auf dem Berge jah 
er ein helles Licht, als ob Feuer darauf brannte, und der Schein 





ı Die Shladtjungfrau, d.h. Brynhild. 

2 Der Lindenverderber, poetifhe Umſchreibung für Feuer. 

3 Ngg, db. 5. Ddin; f. zu Hym. 2 und Vafpr. 5. 

* Bol. die Proja nad Sigrdr. Str. 2. 

5 Wingjfornir, der Hengft der Brynhild, nur hier erwähnt. 

6 Die Spenderin des Siege (altnord. sigrdrifa): diefe Bezeichnung 
bat der Sammler der Lieder für einen Eigennamen angefehen und aus ber 
Trägerin desſelben eine von Brynhild verfchiedene Perfon gemacht. Die wider: 
finnige Meinung, daß Sigurd zu zwei Walfüren in Beziehungen getreten jei, 
wird jogar noch heute von einigen Gelehrten vertreten. Vgl. die Anmm. zu Grip. 15 
und zu Sigrdr., Profa nad Str. 2 

? Hrotti (db. 5. „der Stoßer⸗); diefer Name von Fafnirs Schwert wird aud 
in den Skäldsk. (€. 5) erwähnt. 

8 Ich habe dem Liede feinen herkömmlichen Titel gelafjen, obwohl er auf 
einem Mißverftändnis beruht, das jeboch bereit3 der Sammler unjrer Gedichte 
verjchuldet Hat; vgl. zu Fäfn. 444 und unten die Proja nad Str. 2. 

» Sranltenland, d.h. Süddeutſchland. 


23. Das Lied von Eigrdrifa (Sigrdrifumgl). >11 





lfeuchtete zum Himmel empor. Als er aber näher fam, ftand dort 
eine Schildburg', und über ihr wehte ein Banner. Sigurd ging in die 
Schildburg und erblidte darin einen Mann, der in voller Rüftung 
da lag und jchlief. Er nahm ihm zuerft den Helm vom Kopfe; da ſah 
er, dat es ein Weib war. Der Banzer fa fo feft, als wäre er ans 
Fleiſch gewachjen; daher fehnitt er mit Gram den Panzer durch: von 
der Kopföffnung bis nach unten und wieder zurüd nach den beiden 
Ärmeln. Als er nun die Brünne herunterzog, erwachte das Weib. 
Sie blickte Sigurd an und ſprach: 
1. „Was Schnitt mein Waffenfleid? wie wich der 
Schlummer? 
wer jtreifte die fahlen Feſſeln? mir ab?“ 
Er antwortete: 
„Sigmund Erbe mit Sigurds Schwert, 
das reichlich Speife den Raben Tchaffte.‘ 
Die Walfüre, 
2. Zange jchlief ih, lang war der Schlummer, 
lang -ift menschliches Mißgeſchick; 
entfernen nicht fonnt’ ich — jo fügte es Odin — 
der zaubrifchen Runen Zwang. 


Sigurd ſetzte fich nieder und fragte fie nach) ihrem Namen. Sie 
nannte ſich Sigrdrifa* und war Waifüre. Sie erzählte, daß zwei 
Könige miteinander gefämpft hätten: der eine hieß Hfjalmgunnar?; 
er war ein gewaltiger Krieger, obwohl er jchon recht bejahrt war, 
und Ddin hatte ihm den Sieg verjprocdhen; aber 

der andre hieß Agnar®, Audas Bruder, 
den niemand jchirmen und ſchützen wollte. 





ı Eine Shildburg, d. 5. ein Zaun aus zufammengejegten Schilden; vgl. 
Helreip 9. 

2 Die fahlen Fejieln, d.h. den Zauber, der fie in totenähnlihem Schlafe 
gefejlelt hielt. Der Vergleich‘ „fahl wie eine Leiche‘ begegnet öfter in der alt= 
nordijhen Litteratur. 

3 In den Dorn, mit dem Ddin die ungehorfame Walfüre ſtach (f. unten die 
Proja nah Str.2, 3.8), hatte er Runen gerigt, deren Macht fie in den zaube- 
riſchen Schlaf verfegte. 

* Sie nannte jih Sigrdrifa: diefer Name beruht auf dem Mipverftänd- 
nis von Fäfnismgl 44 # (vgl. die Anm. zu diefer Stelle). Thatjählich ift die Wal- 
türe feine andre ald Brynhild. 

5 Hjalmgunnar, d.h. „der Streiter im Helm”, war nad) Helreip 8 ein 
Gotenfürft. Vgl. Vols. saga €. 20. 

6 Agnar, d b. „ber jhredende Krieger’ (2), und Auda, d.h. „die Reiche‘, 
ebenfall3 in Vols. saga, die unfer Lied benugt hat, genannt. über die Sage von 
Hjalmgunnar und Agnar ift ſonſt nichts überliefert. 


14 


912 Zweites Bud. Heldenlieder. 





Sigrdrifa füllte den Hjalmgunnar, aber Ddin ſtach jie zur Strafe 
dafür mit dem Schlafdorn! und bejtimmte, daß fie niemals wieder 
in der Schlacht Sieg erfämpfen, jondern ſich vermählen folle. „Ich 
aber erwiderte ihn, daß auch ich meinerjeit3 ein Gelübde ablege, 
daß ich nämlich feinem Manne mich verloben werde, der fich fürchten 
fönne?.” Sigurd antwortete und bat fie, ihn Weisheit zu lehren, da 
fie in allen Welten Bejcheid wifje. Sigrdrifa ſprach: 


3. ?, Dem Tage Heil und des Tages Söhnent, 
der Nacht und der Tochter? demnächſt! 
Sehet auf ung mit jegnenden Augen 
und gebt ung jigenden Sieg! 


4. „Heil euch, Aſen! Euch, Ajinnen, Heil! 
Heil dir, fruchtbare Flur! 
Wit verleiht ung und weile Rede 
und den Händen heilende Kraft!“ 


Sie nahm darauf ein Horn voll Met und reichte es ihm als Er: 
innerungstranf”: 


5. „Sch bringe dir Bier, du Baum des Kanıpfes®, 
mit Ruhm gemiſcht und Redenjtärte; 
Heiliprüche enthält's und helfende Stäbe, 
wirkjamen Zauber und MWonnerunen?. 





ı An die Stelle des Schlafdornes (f. oben zu 24) ift in dem Märchen von 
Dornröschen, das denjelben Mythus enthält, die Spindel getreten. Sn der Gongu- 
Hrölfs saga €.24 (Fornaldar sögur IIT, 303) fticht der Verräter Wilhelm den 
Helden mit dem Schlafdorn, um die ihm anvertraute Königstochter zu entführen. 
Vgl. auch Hrölfs saga kraka €.7 (Fornaldar sögur I, 18). 

2 Seine Furchtloſigkeit jollte der vom Schidjal der Brynhild beftimmte Gatte 
dadurch erweijen, daß er die Flammen, mit denen Ddin das Lager der Jungfrau 
umgeben hatte, zu durchreiten wagte; vgl. Vols. saga €. 27. 

3 Str.3 und 4 find wahrjheinlih von dem Sammler an einen falihen Platz 
geftellt; urjprünglich ftanden fie wohl gleich hinter Str. 1. Vgl. Müllenhoff, 
„Deutſche Altertumsfunde‘” V, 160 ff. und Sijmons, „Zeitjchrift für deutjche 
Philologie“ 24, 18 ff. 

4 Des Tages Söhnen, d.h. den Lichtgottheiten. 

5 Die Tochter der Nacht ift die Erde (Jord); ſ. Gylf. €. 10. 

s Heilende Kraft, die der Bolfsglaube bejonders den Angehörigen fürfts 
licher Gefchlechter (3. B. den Königen von Frankreich) zufhrieb: P. Cajjel,„Leroi 
te touche“ (Berlin 1878). 

7 Der Erinnerungdtrantf (altnordiſch minnisveig) ſoll bewirken, daß Si— 
zurd das Gelübde, das Bıynhild von ihm erwartet, nicht vergißt. Die Kraft diefes 
Erinnerungstranfes wird jedoch durch den Bergefienheitätranf (öminnisveig), den 
Srimbild, Gudruns Mutter, jpäter dem Sigurd reicht, aufgehoben; f. zu Grip. 33?. 

8 Baum des Kampfes, vgl. Fäfn. 361. 

9 Auf die Stengel der Kräuter, durch die man da3 Bier würzte, wurden ver- 
mutlich Rımen gerist, deren Zauberfraft fih dann dem Getränf mitteilte, 


In Du mp u U u, 5 U > ud amade u 0 2 a Sn 


23. Das Lied von Sigrdrifa (Sigrdrifumgl). 913. 





6. %,,Siegrunen lerne, willſt du Steg erlangen ?, 
ige fie auf des Hiebers Heft, 
in die Blutrinne auh und die blanfe Spitze; 
wenn du's thuſt, Sprich zweimal: Tyr?. 


7. „Bterrunen lerne, daß dein blindes Bertrauen 
nicht täujche des Fremden Frau; 
riß’ fie ing Horn und den Rüden der Hand 
und bezeichne den Nagel mit Not?. 


8. „Den Becher fegne, zu bannen das Unheil, 
wirf in den Labetrunf Lauch $; 
dann fürchte ich nicht, daß gefährliche Dinge 
ein Feind in den Met dir mijcht. 


9. „Schußrunen lerne, wenn du ſchwangere Frauen 
von der Leibesfrucht Löjen willſt: 
auf Hände und Gliedbinden male die Heilzeichen 
und den Beiſtand der Dijen? erbitt'! 


10. „Kern? Brandungsrunen, wenn bergen du willjt 
die Segelroſſe auf Sees: 
den Nudern brenne Die Runen ein, 
Ichneid’ te in Steven und Steu'r; 
mag jchäumen die Brandung, ſchwarz dräuen die Woge, 
du kommſt gefund von der Cee. 


11. „Aſtrunen lerne, willſt Arzt du werden? 
und wiſſen, wie Wunden man heilt: 


1 Str.6-19 enthalten Fragmente aus mehreren alten Gedichten, die erſt ſpat 
mit unſerm Liede vereinigt find. Urſprünglich folgte Str. 20 unmittelbar auf Str. 5. 

2 Str. 6—132 ftammen aus einem Lehrgedicht über die Anwendung der Runen. 

3 Tyr, Name des Kriegsgottes (vgl. zu Lokas. 38) und der Rune 1 (kt). 

4 Die Frauen, denen es oblag, den Gäjten die Trinfhörner zu reichen, konn— 
ten durch ihr Gebräu den Unvorfihtigen verzaubern (Grimhild) oder gar vers 
giften (Borghild). 

5 Not (altnordifch naup), Name der Rune + (n), die hier vor Not und Ge— 
fahr ſchützen joll. 

s Dem Lauch hat man aljo wohl die Eigenjchaft augejärieben, Zauber⸗ 
tränke und Gift unwirkſam zu machen. 

7” Dijen, f. zu Reginsmol 24. 

3 Nach einem färdijchen Liede (Hammershaimb II, 10) wirft Utjtein, ein Krie- 
ger des Königs Half, bei einem Unwetter einen Runenftod über Bord, worauf 
der Sturm nahläßt. Vgl. au) Höv. 153. 

9 Lüning meint, daß durch das Einrigen der Runen die Krankheit von dem 
Menſchen auf den Baum übertragen werden follte. Der Glaube, daß dies möglich 
ſei, war weit verbreitet und ift auch heute noch nicht ausgeftorben (3. Grimm, 
„Mythologie“ 1119 fg.). 


214 Zweites Bud. Heltenlieder. 





in die Borfe jchneid’ fie dem Baum des Waldes, 
der die Ajte nach Oſten neigt. 
12. „Lern’ Rederunen!, daß ein rajches Wort nicht 
der Gegner vergelte mit Blut; 
die werden verflochten und fejt verwoben 
und alle zuſammengeſetzt 


‚auf der Stätte des Things, wenn die Stammgenofjen 


fich vereinen zu rechtem Gericht. 


13. „Denkrunen lern’, wenn die Degen alle 
du duch Wit überwinden willit; 
?fie hat Hropt? erdacht, ſie hat Hropt geritt 
und die Deutung den Leuten gelehrt, 
vom Tranke beraufcht, deſſen Tropfen rannen 
aus Heiddraupnirs* Hirn, 
aus Hoddrofnirs Horn. 


14. „Auf dem Berge jtand er? mit Brimirs? Schneide 
auf dem Haupte trug er den Helm; 
da murmelte weile Mims Haupt” zuerit, 
und wahre Worte jprach’2. 


15. „Die Runen‘, ſprach's, „geritzt weiß ich 
auf dem Schilde, der ſteht vor der ſchimmernden Göttin®, 
auf Arwakrs? Ohr und auf Miwids Huf, 
auf dem Rad, dag fich dreht unter Rognirs!? Wagen, 
dei Gebiſſe Sleipnivs!!, den Bändern des Schlittens!?; 





1 Dieſe „Rederunen” follen, wie es jcheint, bewirken, daß der Gegner, mit 
dem man am Thing einen Prozeß zu führen hat, fich nicht durch den Wortwechjel 
beleidigt fühle. 

2 Str. 133—14 und Str. 15—18 find zwei verfchiedenen Ddinsliedern entlehnt. 

3 Hropt = Dbün. 

4 Heidbdbraupnir, „ber Spender Elarer Tropfen”, und Hoddrofnir, „der 
Schatzbrecher“ (d. h. „der Berleiher des Reichtums”), find wahrſcheinlich Beinamen 
Mimird; vgl. zu Vol. 27 und 46. 

5Er,d.h. Odin. 

6 Brimir, jonft ein Riefenname (Vol. 9. 37), jcheint hier ein Schwert zu 
bezeichnen 

" Mims Haupt, ſ. zu Vol 46. 

8 Die Shimmernde Göttin, d. 5. die Sonne. Über den Schild Smwalin, 
der vor der Sonne fteht und ihre Hige dämpft, ſ. Grimn. 38. 

° Arwafr und Aljwid, f. zu Grimn. 37. 

10 Rognir,d 5. „der Beweger” (2), ift ſonſt ein Beiname Odins; doch iſt 
fonft nirgends davon die Rede, daß diejer Gott fich eines Wagens bediente. 

ıı Sleipnir, f. zu Baldrs draumar 22. 

12 Den Bändern des Schlittens, vielleicht eine Anfpielung auf dasjelbe 
(ſonſt unbefannte) Abenteuer Ddins, das Grimn. 493 erwähnt wird. 


— 


93. Das Lied von Sigrdrifa (Sigrdrifumgl). 915 





16. Auf des Bären Tabe und Bragis! Zunge, 
den Pfoten des Wolf und des Filchaars Schnabel, 
auf blutigen Schwingen, der Brüde Kopf, 
auf der helfenden Hand und heilender Fußipur; 


17. Auf Glas und auf Gold, glüdbringendem Kleinod, 
in Wein und Bier, auf des Wirtes Hochſitz, 
auf Gungnirs? Spife und Granis? Bruft, 
auf dem Nagel der Norne, der Nachteule Schnabel.‘ 


18. „Abgejchabt waren ale die eingefchnitt’nen * 
und vermifcht mit dem Mete des Heils 
und gejandt in die weite Welt; 

fie find bei den Aſen, ſie jind bei den Elben, 
bei den weiſen Wanen auch, 
und manche beim Menfchengejchlecht. 


19. »„Das find Buchenrunen und Bergerunen, 
brauchbare Bierrunen auch, 
Runen, an Zauberfraft reich, 
falls du unverfäliht und underdorben 
fie veriwendejt zu deinem Wohl: 
nüße, was du vernahmit, 
bi3 die Götter vergehn!] 


20. „Wählen nun ſollſt du, die Wahl jteht div frei, 
Baum des beißenden Stahls®! 
ſei's Schweigen, ſei's Sprechen — entjcheide du jelber ?! 
Alles Unheil iſt vorbejtimmt.‘ 





1 Bragi, f. zu Lokas. 8. 

2 Gungnir, der Spieß Odins; ſ. Gylfag. €. 5l und Skäldsk. €. 3. 

3 Grani, ſ. zu Vol. 14. 

4 Die Runen wurden (von Ddin?) von den Gegenständen, auf die fie ein- 
gerigt waren, abgejchabt und feinem heiligen Met (dem Met der Dichtkunft und 
Weisheit) beigemijcht, auf. den dadurch die zauberifche Kraft der.Zeichen über- 
ging. Bon diejem Met teilt Ddin den Himmlifchen Mächten und auch bevorzugten 
Menſchen mit. 

5 Str. 19 hat vielleicht erft der Snterpolator als Abſchluß der eingefhobenen 
Strophen und als Überleitung zu Str. 20 hinzugedichtet. 

6 Baum des beißenden Stahl3, poetijche Umfchreibung für Krieger. 

? „Sigurd foll fich entſcheiden, ob er der eben erlöften, ihm zur Braut 
beftimmten Jungfrau entjagen oder ob er ihr ewige Treue ſchwören will“ 
(Sijmons). 


216 Zweites Buch. Heldenlieder. 





Sigurd. 
21. Dräue mir Tod auch, ich denk' nicht an Flucht!, 
als Zager nicht ward ich erzeugt; 
mein Glück wird’ jein, Dich ganz zu befigen, 
folange das Leben mir währt?. 
Die Walfüre, 
22. [Zum erſten rat’ ih, daß du Unrecht nimmer 
an den eignen Verwandten übit; 
ob auch Böfes fie thun, laß ſie's büßen nie — 
du erlangjt nach dem Tode den Lohn. 


23. Zum andern dir rat’ ich, die Eide zu halten, 
die feſt deine Lippe gelobt; 
den Brecher des Schwurs trifft böjes Geſchick?, 
man weicht wie dem Wolfe ihn aus. 


24. Das rat’ ich zum dritten: rechthaberiſch nimmer 
‚reite mit Thoren am Thing; 
denn Argeres oft wird ein Unkluger jprechen, 
als er jelber wirklich weiß‘. 


25. Schlimm auch iſt's, wenn du ſchweigſt dazıı, | 
dann giltjt du als mutlofer Mann | 
und feige genannt mit Fug; 
leicht ift der Leumund verſcherzt, 
war nicht ganz jchon gegründet dein Ruf; — | 

am nächiten Tage  vernichte fein Leben: 
dag jei für die Lüge fein Lohn: 


26. Das rat’ ich zum dierten, wenn ein frevelhaftes | 
Bauberweib wohnt am Weg: 





1 ‚Aus der Antwort Sigurd3 darf man fchließen, daß Brynhild ihn (in ver— 
lornen Strophen) darauf gewiejen hat, daß aus ihrem Bunde Unheil entipriegen 
und Zerwürfniffe fid entwideln werden, die den Tod des Helden herbeiführen‘ 
(Sijmons). Trogdem entjcheidet er fi für ein furzes Glüd an Brynhilds Seite. 

2 Nach diejer Strophe folgten wahricheinlich noch zwei andre, die uns die Vols. 
saga (C. 21 am Schlufje) in profaifcher Auflöjung bewahrt hat: „Sigurd ſprach: 
‚Kein weijerer Menſch ift zu finden, als du bift; und das fchwöre ich, daß ich dich 
zur Frau haben will, und du bift nach meinem Sinn.‘ Sie erwiderte: ‚Dich will 
ich am liebjten haben, wenn mir auch die Wahl unter allen Männern frei jtände.‘ 
Und dies befräftigten fie mit Eiden unter fich.” Damit hat das Lied urfprüng- 
lich gejchlojjen; die Str. 22-37 find erjt jpäter hinzugefügt. 

3 Bgl. die Anm. zu Vol. 39. 

* Vgl. Hov. 121 124. 


a aa 0: ec rin 


23. Das Lied von Sigrdrifa (Sigrdrifumgl). 217 





gehn iſt beſſer als Gajt zu fein, 
jet auch nahe die Nacht. 


27. Augen voll Umficht brauchen Erdenjöhne, 
die zum Streite fich jtellen dem Feind; 
am Weg oft filen Meiber voll Arglift, 
die ftumpf machen Stahl und Wut. 


28. Das rat’ ich zum fünften, wenn du reizende Mädchen 
im Silberſchmuck fiehjt auf der Banf: 

laß nicht von den Schönen den Schlaf dir rauben, 

verführ' auch nicht Frauen zum Kuß! 


29. Das rat’ ich zum jechsten, wenn im Raufche die 
Männer? 
fich in wilden Worten ergehn: 
nicht thöricht jtreite mit trunknen Kriegern, 
manchem jtiehlt Wein den Wiß?. 


30. Hader und Bier Hat Helden jchon oftmals 
arges Unheil gebracht, 
dem einen Elend, dem andern Tod — 
der Menjch hat manches Leid. 


31. Das rat' ich zum fiebten, wenn Rache dir droht 
von beherzter Helden Hand: 
fechten iſt beſſer als im Feuer zu fterben 
innen im eigenen Haus*. 


32. Das rat’ ich zum achten: Unvecht meide, 
brauche nicht Buhlerkunſt; ; 
feines Mannes Frau und fein Mädchen verführe? 
und verlode fie nicht zur Luft. 





1 Bgl. Höv. 112. 

2 Mit diejer Zeile jchlieft das legte Blatt vor der großen Lüde im Cod. 
regius, dur) die uns mehrere Lieder verloren gegangen find, Der Neft des Ge- 
dichtes ift nur in Bapierhandichriften erhalten, doc) find diefe Etrophen, die auch 
die Vols. saga in profaifcher Paraphrafe überliefert, zweifellos nicht jüngern 
Urfprunges als die vorhergehenden. 

5 Bgl Hov. 132. 

* Bon Berichten iiber Mordbrände, die rahjüchtige Feinde anlegen, find die 
altnordifchen Sagas voll. In der Porsteins saga Sidu-Hallssonar (C. 3) jagt 
Helgi: „Ein ſchlimmer Tod ſcheint es mir, wenn wir im Haufe wie Füchſe ver: 
brennen follen, und lieber will ich hinausgehen und um Gnade bitten oder dem 
Eijen erliegen, wenn e3 nicht anders jein kann.“ 

5 Bgl das dem Freyr gefpendete Lob Lokas. 373. 


918 Zweites Buch. Heldenlieder. 





33. Das rat’ ich zum neunten: zur Ruheſtatt bringe!, 
wen tot du findet im Yeld, 
ob ihn Siechtum gefällt, vb die See ihn verjchlang, 
. ob Schwertes Schneide ihn traf. 


34. Ein laues Bad ſoll man Leichen bereiten, 
Hände wajchen und Haupt, 
fie trodinen und kämmen, eh’ die Truhe jie aufnimmt, 
und flehen um friedlichen Schlaf. 


35. Das rat' ich zum zehnten: fein Rede vertraue 
auf Eide vom Erben de Wolfs?, 
dem den Vater du ſchlugſt oder fällteft den Bruder: 
ein Wolf erwächſt dir im Sohn, 
wenn er willig auch Wergeld nahm. 


36. Zorn und Haß haben zähes Leben, 
ſchwer fommt Rache in Schlaf. 
Nicht Waffen allein, auch Weisheit braucht er, 
wer der Helden höchjter will fein. 


37. Da3 rat’ ich zum elften, daß durch Unbill nimmer 
du treue Freunde betrübit; 
lang wird, König, dein Leben nicht werden, 
da furchtbare Fehde droht.) 


—— 
24. Bruchſtück eines Sigurdliedes. 
(Brot af Sigurparkvipu.)* 

Hogni, 


hat so Böſes denn verbrochen Sigurd, 
daß du den mut'gen ermorden willſt? 





1Vgl. die Anm. zu Vol 411. 

2 Bom Erben des Wolf3, d. 5. von dem Verwandten eines erfchlagenen 
Feinded. Vgl. die Anm. zu Fäfn. 36. 

3 Der erjte Teil diejes Liedes, das wohl zu den umfangreichiten der ganzen 
Sammlung gehörte (fein Name war wahrjcheinlich „das lange Sigurdslied“ — 


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BEN 7 


24. Bruchſtück eines Eigurdliedes (Brot af Sigurparkvipu). 319 





Gunnar, | 
2. Der Schwager Hat mir Cchwüre geleijtet, 
Eide geleiftet und alle gebrochen!; 
er betrog mich da, wo am treujten er 
die heil’gen Gelübde halten mußte. 
Hogni. 
3. „Dich hat Brynhild zu böſer That, 
zu gräßlichem Werke im Grimm gereizt; 
ſie mißgönnt der Gudrun die gute Ehe, 
und dir ihres eigenen Umgangs Genuß.“ 


4. Ein Wolf ward gebraten, ein Wurm zerjtüdt, 
auch Geierfleiich gab man dem Gutthorm zur Speife?, 
eh's den mordgierign Männern gelang, 
an den herrlichen Helden die Hände zu legen. 


. Südlich vom Rheine war Sigurd gefallen ?, 
da rief vom Baume ein Rabe gellend *: 


Bi 





im Gegenſatze zu Nr. 26, „dem kurzen Sigurdslied“), iſt durch die große Lücke 
im Cod. regius (ſ. die Anm. zu Sigrdr. 291) untergegangen, doch hat die Vols. 
saga in C. 28 und 29 uns den Inhalt in proſaiſcher Auflöfung erhalten. Danach 
erzählte die verlorne größere Hälfte des Gedichtes zuerft den Zank der badenden 
Königinnen, durch den Brynhild den ihr gefpielten Betrug erfährt (ſ. die Anm. 
zu Grip. 45) und die Fortfegung des Streited am nächſten Morgen, jowie ein 
Geſpräch zwiſchen Brynhild und Gunnar und ein zweites zwiſchen Brynhild und 
Sigurd. Zwei vollftändige Strophen hat der Verfaſſer der Vols. saga in feiner 
Proja mitgeteilt: 
1. Brynhild (zu Gudrun): 

Den Draden ichlug Sigurd: gedenten wird man 

immer der That bis zum Ende der Welt 

doch furchtſam wagte dein feiger Bruder 

weder Ritt noch Sprung durch das rote Feuer. 
2. (Sigurd verläßt die Brynhild, nachdem er vergeblich verſucht hat, ſie zu be— 

ruhigen.) 

Hinaus ging Sigurd geſenkten Hauptes 

fort vom Geſpräche, der Freund der Helden; 

ſo ſchwoll ſein Herz, daß dem ſchlachtfrohen Fürſten 

ſein ſtahlgeflochtenes Streithemde barſt. 

1Die Schwüre, die Sigurd gebrochen haben ſoll, beſtanden in der Verpflich— 
tung, Brynhild, zu der er in Gunnars Geſtalt durch die Waberlohe reiten ſollte, 
nicht zu berühren. Vgl. unten Str. 19 und 20. 

2 Man glaubte, daß der Genuß des Fleiſches von Raubtieren und Schlangen die 
Menſchen wild und grimmig mache. Gudruns grauſamen Sinn ſchreibt die Vols. 
saga C. 26) dem Umſtande zu, daß Sigurd ihr von Fafnirs Herzen zu eſſen gab. 

3» Nach der Darftellung unſers Gedichtes ward alio Sigurd (wie im Nibe- 
Iungenlied) im Walde ermordet; vgl. die Proſa am Schluſſe. 

+ Daß man den Bögeln prophetifche Gabe zufchrieb, wird durch die eddiſchen 
Lieder mehrſach bezeugt; vgl. Helgakv. Hund. I, 5.6; Fäfn. 32 ff. Aus Str. 13 
ift zu entnehmen, daß nad) 5 eine Strophe ausgefallen ift, in der noch ein Adler 
jeine Stimme hören lief. 


220 Zweites Bud. Heldenlieder. 





„Suer Blut wird Atlis! Eiſen färben, 
des Mteineids Strafe die Mörder treffen.‘ 


6. Draußen jtand Gudrun, Gjukis Tochter, 
das erſte Wort, das jie ausſprach, war dies: 
„Wo ijt Sigurd heute, des Siegervolks Herricher, 
da die Sprofjen Gjufis an der Spibe reiten?“ 


7. Nur wenige Worte erwiderte Hogni: 
„Mit des Schwertes Schneide ſchlugen wir Sigurd, 
jein Haupt neigt das Grauroß auf des Helden Leiche.” 


8. Da lachte Brynhild — die Burg erdröhnte — 
ein einziges Mal aus innerjiem Herzen: 
„Uber Land und Bolt Könnt ihr lange nun herrjchen, 
da den fühnen König die Klinge traf.“ 


9. Da ſagte Gudrun, Gjukis Tochter: 
„Dein frecher Mund ſpricht frevelnde Worte; 
Verflucht jei Gunnar, des Gatten Mörder! 
Bitter gebüßt Toll die Blutgier werden!‘ 


10. Da ſagte Brynhild, Budlis? Tochter: 
„der Waffen jeid froh und der weiten Lande! 
Alles befüße Sigurd allein, 
wäre er länger am Leben geblieben. 


11. „Recht war’3 nimmer, daß der Rede walte 
über Gjufis Erbe und der Goten? Stamm, 
hätt’ auch fünf dev Söhne?, befähigt zur Herrichaft 
und fampfbegierig, der König gezeugt.‘ 


12. Es kam finfter die Nacht, viel war getrunfen 
und manches gefprochen, den Mut zu heben; 





ı Atli (mittelhochdeutſch Egel), der hiſtoriſche Attila (d. h. „Vaterchen“), 
ift nach der nordifchen Sage Brynhilds Bruder. Die Tötung der Gjufungen dur 
Ali und feinen eignen Untergang dur Gudrun erzählen die beiden Atli- 
lieder (Nr. 32 und 33) 

2 Budli, Atlis Bater. Nah dem Nibelungenliede, das den Vater Etzels 
Botelune (d. h. „Sohn des Budli“) nennt, wäre Bubli der Großvater des Hunnen= 
königs gewejen. Nach den hiftoriichen Quellen war Attila ein Sohn des Mundzuf. 

s Goten, ſ. zu Grip 553. 

+ Nach der Vols. saga (C. 26. 31) hinterließ Sigurd nur einen Sohn, der 
nach feinem Großvater Sigmund hieß und auf Brynhilds Geheif ebenfalls er- 
fchlagen ward. Vgl. Sigurparkvipa skamma 12.26; Gupr. II, 29, 


Aa ae u m aan 20 a Zn u due an, Mn Zn Zn iu aa 
‚ 





SEN ERTRE 


24. Bruchſtück eines Sigurdliedes (Brot af Sigurparkvibu). 221 





es ruhten im Schlummer die Reden jämtlich, 
von allen war Gunnar allein noch wach. 


13. Mit den Füßen zudt’ ex, ſprach viel mit fich jelbit, 
der Reden gedachte der Nedenverderber, 
die in Baumes Gipfel die beiden führten, 
Rabe und Nar!, als fie ritten nach Haus. 


14. Brynhild erwachte, Budlis Tochter, 
die edelgeborne, dor Anbruch des Tags: 
„Sei's euch lieb oder leid, ich muß laut beklagen 
die blutige That — ſonſt bräche mein Herz!“ 


15. Sie bejtaunten das Wort, ſie verjtummten alle, 
feiner begriff der Königin Sinn, 
die daS beweinte in wütendem Schmerz, 
was fie lachenden Munds verlangt von den Helden. 

Brynhild. 

16. Gräßliches träumte mir, Gunnar, heut' Nacht: 
der Saal war voll Leichen, mein Lager war kalt; 
du ſelber ritteſt, verſunken in Gram, 
in Feſſeln gezwängt, in der Feinde Schar?. 


17. Bernichtet joll werden der Niflunge?® Stamm, 
euer aller Leben, ihr eidvergefj’nen! 


18. Vergaßeſt du gänzlih, o Gunnar, dieleg, 
| daß ihr beide die Fußſpur mit Blut einjt fülltet*? 
Nun Haft du alles ihm übel gelohnt, 
der zum höchſten Herrſcher Dich heben wollte. 





ı Rabe und Aar, vgl. oben zu Str. 5. 

2 Nach Atlakv. 29 wurde der gefejjelte Gunnar nicht auf einem Roſſe, jondern 
auf einem Wagen zum Tode geführt. 

3» Niflunge, d. 5. „Kinder des Nebels“, ver Name des Dämonengeſchlechts, 
das den Hort urfprünglih bejaß. Ihm gehörten nad der ältejten Gejtalt der 
Sage auch Gunnar und Gudrun (Kriembhild) an. 

+ Die Männer, die Blutsbrüderſchaft miteinander jchliegen wollten, traten 
nad nordifcher Sitte unter einen von der Erde losgelöften, aber an beiden Enden 
noch mit dem Boden zufammenhängenden Rajenftreifen, der durch Speere geftügt 
ward, rigten fich hierauf die Haut und liefen das Blut in die Fußſpur rinnen. 
Dann wurde die eingegangene Verbrüderung mit heiligen Eiden, durch die jeder 
des andern Tod zu räden gelobte, befräftigt. Vol Lokas. 9; Porsteins saga 
Vikingssonar €. 21 (Fornaldar sögur II, 445); Föstbredra * C. 2; Gisla 
saga ©. 11. 93fg.; Saro Grammaticus (od. Müller) I, 40. Über dıe Bedeutung der 
Zeremonie |. M. Bappenheim in der „Zeitichr. f. deutſche Philologie“ 23, 157 fg 


222 Zweites Buch. SHeldenlieber. 





19. Bewährt hat er's damals, der wadere Held, 
al3 er wagte den Ritt, dir zu werben die Gattin, 
daß jeglichen Eid dem jungen König 
der Heerverderber zu halten wußte.! 


20. Die Gerte dev Wunden?, die goldgezierte, 
legte der Held in des Lagers Mitte?; 
in heißer Glut war gehärtet die Schneide 
und bunt mit Gift das Blatt geäbt, 


In diefem Liede iſt von dem Tode Sigurds erzählt, und es 
geht hier jo zu, als hätten fie ihn draußen erjchlagen. Andre aber 
jagen, daß fie ihn innerhalb des Haujes in jeinem Bette, während er 
fchlief, töteten?. Deutſche Männer berichten jedoch, daß fie ihn 
draußen im Walde fällten®, und jo heißt es in dem alten Gudrun: 
liede?, daß Sigurd und Gjufis Söhne zum Thing geritten jeien, und 
daß er dort ermordet fei. Darin ftinnmen jedoch alle Erzählungen 
überein, daß fie fein Vertrauen täufchten und ihn niedermachten, wäh: 
vend er lag und eines Angriffes fich nicht verjah. 


——— 


25. Das erſte Lied von Gudrun. 
(Guprünarkvipa I.) 


Gudrun ſaß an Sigurds Leiche; fie weinte nicht wie andre 
Frauen, aber ihr Herz wollte brechen vor Gram. Frauen und 
Männer gingen zu ihr, um fie zu tröjten, daS aber war nicht leicht. 
Das Bolf erzählt, Gudrun habe von Fafnird Herzen gegefjen und 





1 Bgl. oben zu Str. 2. 

2 Die Gerte der Wunden, poetiſche Umschreibung für Schwert. 

3 Das keuſche Beilager von Sigurd und Brynpild jcheint die Sturlaugs saga 
starfsama parodieren zu wollen, wenn fie im €. 9 (Fornaldar sögur III, 605) 
erzählt, daß die alte Here Wefreyja zwiſchen fih und Sturlaug, den fie in ihr 
Bett aufgenommen hatte, einen Stod legte. 

Durch die Benegung mit Gift oder Schlangenblut meinte man der Klinge 
eine bejondere Härte verleihen zu fönnen; vgl. Hervararsaga (ed. Bugae) ©. 307. 

5 Der Berfion, daß Sigurd an Gudruns Eeite im Bette erfchlagen ward, 
folgen die Sigurdarkvipa skamma (Str. 22 fg.), Guprünarhvgt (Str. 4) und 
Hampismgl (Str. 6. 7). 

6 Daß Sigurd nad) der deutſchen Sage im Walde erjchlagen ward (f. oben 
zu Str. 5), bejtätigen das Nibelungenlied und die Pidreks saga (CE. 347). 

" Da3 alte Gudrunlied, nämlich Guprünarkvipa II, 4. 


25. Das erfte Lied von Gudrun (Guprünarkvipa I). 23923 





dadurd die Sprache der Bögel zu verftehen gelernt!. Auf Gudrun 
ift ferner folgendes Lied gedichtet: 


1. Einjt meinte Gudrun vor Gram zu jterben?, 
al3 fie jorgenvoll ja an Sigurds Xeiche; 
fie rafte nicht, noch rang fie die Hände, 
auch weinte ſie nicht wie die Weiber jonjt. 


2. Zur Fürftin gingen erfahrne Jarle, | 
die den lähmenden Kummer lindern wollten; 
doch die Gunjt der Thränen war Gudrun verfagt, 
wollt’ auch vor Harm das Herz ihr brechen. 


3. Bei Gudrun faßen, mit Gold geſchmückt, 
der hochgebornen Helden Weiber; 
jede erzählte das Jammervollſte, 
das fie je im Leben erlitten hatte. 


4. Gjaflaug? ſagte, Gjukis Schweiter: 
„So elend wie ih iſt auf Exden feine, 
die der Gatten fünf begraben mußte 
und acht Töchter; nur ich blieb Leben.“ 


5. Do die Gunft der Thränen war Gudrun verjagt, 
jo tief war ihr Schmerz um den toten Gatten, 
jo furchtbar ihr Gram ob des Fürſten Berluft. 


6. Der Hunnen Königin, Herborg“, jagte: 
„Ich habe herberen Harm zu melden, 
da der Söhne ſieben im Südland mir, 
mein Gemahl als achter im Mordkampf fielen. 


7. „Vater und Mutter und vier Brüder 
hat wilder Sturm in den Wogen verſenkt, 
die des Schiffes Planken zerſchmettert Hatten. 





1 Daß Gudrun die Sprade der Vögel verftanden habe, wird ſonſt nicht 
berichtet. Die Vols. saga ſchreibt dem Genuſſe von Fafnirs Serzen eine-andre 
Wirkung zu; vgl. zu Brot 4 

2 ®gl. Gupr. II, 11. 12. 

3 Dieſe Gjaflaug, d.h. „die Badjpenderin‘ (2), fennen die übrigen Quellen 
ebenfowenig wie die Hunnenkönigin Herborg (6!) und die Gullrond (12.13. 
17.24). Dieje Figuren find wohl erft von dem Dichter unfers Liedes, das dem 
Verfaſſer der Vols. saga noch nicht befannt war und zu den jüngften unfrer 
Sammlung gehört, erfunden. ©. Müllenhoff, „Deutſche Altertumsfunde” V, 
370 ff. (der jedoch den poetifchen Wert des Gedichtes zu gering anfchlägt). 

* Herborg, db. 5. „die Heerſchützerin“, ſ. zu 41. 


994 Zweites Bud. Heldenlieder. 





9 


„Selbſt beſorgen mußt' ich, ſelber ſchmücken 
und ſelbſt beſtatten die entſeelten Leiber; 
das alles erlebt' ich in einem Halbjahr, 
und keiner hat mich im Kummer getröſtet. 


„Geknebelt ward ich als Kriegsgefang'ne — 

die Not erlebt' ich im nämlichen Halbjahr —; 
allmorgendlich mußt’ ich des Machthabers Frau _ 
den Schmuck anlegen, die Schuhe binden. 


10. „Die Arge ſchalt mid aus Eiferfucht 
und trieb mich mit harten - Hieben zur Arbeit; 
einen freundlichern Hausherın fand ich niemals, 
doch auch jo böſe Brotherrin nie.‘ 


11. Doch die Gunjt der Thränen war Gudrun verjagt, 
- jo tief war ihr Schmerz um den toten Gatten 
und jo furchtbar der Sram ob des Fürſten Berluft. 


12. Da ſprach Gulleond!, Gjukis Tochter: 
„Richt wohl veritehjt du, ob weile auch, Pfleg’rin, 
einem jungen Weibe den Sammer zu wenden.‘ — 
Verhüllt hielt Herborg des Helden Leiche. 


13. Doch Gullrond legte, das Grabtuch hebend, 
auf Gudrung Knie des Gatten Haupt: 
„Den Geliebten jchau’ an! feine Lippen Fülle, 
wie du Hold ihn geherzt, als der Held noch lebte!‘ 


14, Auf blickte Gudrun ein einziges Mal, 
jah das bärtige Haupt mit Blut beriefelt, 
erlojchen das Aug’, das geleuchtet jo hell, 
und die breite Bruft durchbohrt vom Schwerte. 


15. Dann jank fie kraftlos aufs Kiffen zurüd, 
dag Haar war gelöjt, heiß brannte die Wange, 
und ein Strom von Zähren ſtürzt' in den Schoß. 


16. Da weinte Gudrun, Gjukis Tochter, 
daß wie tojende Bäche die Thränen rannen 
und gellend im Hofe die Gänje aufichrien?, 
die weißen Vögel, die das Weib beſaß. 





ı Gullrond, d. bh. „die Trägerin des Goldfchildes‘, ſ. zu 41. 
2 ®gl. Sigurparkv. skamma 295, 


I Zn Ah hu m 2 22 au aa N 


25. Das erfte Lied von Gudrun (Guprünarkvipa T). 225 





17. Da ſprach Gullrond, Gjukis Tochter: 
„Noch niemal3 hat auf der nährenden Erde 
jo große Liebe zwei Gatten bejeelt! 
Dein Herz ward nicht froh daheim noch auswärts, 
füße Schweiter, wenn Sigurd fern war.” 
Gudrun, 

18. !,,So hoch jtand Sigurd ob den Söhnen Gjufis, 
wie die Dolde des Lauch® über dürftigem Gras, 
wie der glänzende Demant das Gold überjtrahlt, 
den falben Reif auf der Fürſten Scheitel. 


19. „Erhab’ner jchien ich den Helden des Königs 
als die hehren Jungfrau'n in Herjans? Saal; 
nun hängt jo tief mein Haupt hernieder, 
wie am Weidenbaume das welfe Laub. 


20. „sm Fürſtenſitz fehlt mir, es fehlt mir im Bette 
der gütige Treund durch der Gjufunge Schuld; 
durch der Gjufunge Schuld ward mein Glück zerjtört, 
die die leibliche Schweiter in Leid verjenkten. 


21. „Wie ihr frevelnd verlegtet Die feiten Eide, 
jo werdet ihr Land und Leute verderben; 
nicht wirjt du di, Gunnar, des Goldez freuen’ 
dir bereiten die roten Ringe den Tod, 
um die du dem Schwager die Schwüre bracheit?. 


22. „Um vieles war größer Die Freude im Hofe, 
als Sigurd auf Grani den Sattel legte 
und im Waffenſchmuck ausritt, zu werben um Bryn— 
bild, 
das arge Weib, zu übler Stunde.” 


23. Da jagte Brynhid, Budlis Tochter: 
„Nicht Gatte noch Kind ſei gegönnt der Here, 
die Gudrun entlodte die grimmigen Zähren 
und durch Rumenzauber zum Reden fie brachte.“ 





* ®gl. Gupr. II, 2 und Helg. Hund. II, 37. 

2 Herjan, db. h. Obin; f. zu Grimn. 46. 

3 Daß der Wunſch, den Schag Sigurds zu erlangen, bei dem Mordplan mit- 
wirfend war, wird auch in andern Quellen angenommen; vgl. Sigurbarkvipa 
skamma 17; Nibel. 717. 


Die Edda, 15 


926 Zweites Bud. Heldenlieder. 





24. Da ſprach Gullrond, Gjukis Tochter: 
„Richt öffne den Mund, du allverhaßte! 
Immer wart du das Unheil der Fürjten, 
die, vom Schickſal geichaffen, Schaden zu jtiften, 
der Könige fieben! in Kummer verjenfte 
und vielen Frauen die Freude nahm.‘ 


25. Da jagte Brynhid, Budlis Tochter: 
„Mali allein iſt an allem jchuld?, 
mein eigner Bruder, der Erbe Budlis. 


26. „Wir jahn in der Halle des hunniſchen Bolfes 
des Schlangenbett3 Feuer? am Yürjten* ſchimmern — 
verhängnisvoll war mir des Helden Bejuch, 
der Anblid des Fürſten — ich ahnt’ es ſtets.“ 


27. Am Pfeiler jtand fie, hielt feſt jich aufrecht; 
e8 brannten der Brynhild, Bupdlis Tochter, 
wie Glut die Augen, Gift ſchnob fie aus, 
als fie jah die Wunden an Sigurds Leiche. 


Gudrun ging darauf fort, juchte Wälder und Einöden auf und 
fam bis nad) Dänemark; dort war fie fieben Halbjahre bei Thora, 
Hakons Tochter?. Brynhild wollte Sigurd nicht überleben; fie lieh 
acht ihrer Sklaven und fünf Sktlavinnen töten und gab fich darauf 
jelbft mit dem Schwerte den Tod, wie das in dem kurzen Sigurds— 
liede erzählt ift. 


— ER 


1 Der Dichter Hat jchwerlih an fieben beftimmte Könige gedacht, ſondern 
die Zahl nur formelhaft gebraudt. 

2 Atliift an allem ſchuld, weil er Brynhild wider ihren Willen zu der 
Bermählung mit Gunnar gezwungen hatte, wie der Dichter unjers Liedes wohl 
nad Sigurparkv. skamma 37 ff. angenommen hat. 

3 Des Schlangenbett3 Feuer, poetifche Umfjchreibung für Gold, auf 
dem die Schlangen der Sage nad) zu ruhen lieben 

4 Der Fürft ift Sigurd. 

5 Thora,die Tochter Hakons, ſ. zu Gupr. I, 18. 


Suter ee se er 





— 


26. Das kurze Sigurdslied (Sigurbarkviba en skamma). 227 





26. Das kurze Sigurdslied, 


(Sigurparkvipa en skamma.)! 


1. Einſtmals fam Sigurd zum Saale Gjukis, 
der Wolſungenſproß nach wilden Kampfe?; 
er jchloß den Bund mit der Brüder zweien, 
die Helden jchwuren ſich heilige Eide?. 


2. Man bot ihm Gudrun, Gjukis Tochter, 
mit glänzender Mitgift zur Gattin an; 
fie tranfen nnd plauderten DQage hindurch, 
Sigurd der junge und die Söhne Gjufis. 


3. Dann brachen fie auf, um Brynhild zu werbent; 
auch Sigurd war gejellt dem Zuge, . 
der Woljungenfproß, der waffengeübte; 
ihm ſelbſt war das Weib verfagt vom Schiejal. 


4. PBejonnen legte des Südens Held® 
das bloße Schwert in des Bettes Mitte; 
nicht füßte die Holde der Hunnifche König”, 





ı Über den Titel des Liedes j. die erfte Anm. zu Brot. 

2 Nah wildem Kampfe; gemeint ift der Streit mit dem Draden Fafnir, 
nach deſſen Tötung Sigurd, wie der Dichter unfers Liedes annahm, fofort an 
den Hof Gjukis fich begab. 

3 Vgl. Brot 18. Tie beiden Brüder find Gunnar und Hogni; Gutthorm hatte 
mit Sigurd nicht Blutsbrüderſchaft geichlofjen, vgl. unten Str. 21 und Hyndl. 273. 

+ Auf diefem Zuge lernte Sigurd nad der Auffaffung unjers Liedes zuerft 
die Brynhild kennen (vgl. zu Grip. 31). Der Dichter übergeht, weil er e3 als be— 
fannt vorausjegt, daß Sigurd in Gunnars Geftalt die Flamme durchritt, und 
wendet fich in der folgenden Strophe gleich zur Schilderung des keuſchen Beilagers. 

5 Brynhild Hatte gelobt, fih nur dem Manne zu vermählen, der die Waber- 
lohe zu durchdringen wage, und erfüllte fofort ihr Gelübde, indem fie unmittel- 
bar nad der Ankunſt Sigurds für fih und den furdtlojen Helden das Lager 
bereiten ließ. Die furdtbare Jronie des Schickſals gibt ihr aber den Jüngling, 
der ihrer würdig fih erwies, nur zu einer kurzen Scheinehe und Fettet fie an 
den Mann, der die einzige Probe, die fie, um fiher zu gehen, von dem fünftigen 
Gemahl gefordert Hatte, zu bejtehen nicht im jtande war. Dieje Täuſchung, 
nicht der Zorn über Sigurds Eidbruch, war nach der ältern Gejtalt der Sage die 
Urſache von Brynhilds Grimm, dem Sigurd zum Opfer fiel. 

6 Des Südens Held; durd diefe Bezeihnung erkennt die Sage ihren 
deutſchen Urjprung an; vgl. auch die Erwähnung des Rheins, unten Str. 17, ferner 
Völ. 14, Reginsm. Proja nad) Str. 14, Brot 5, Atlakv. 19. 28. 

" Der hunniſche König; diefe Bezeichnung Sigurd findet fi nur in 
unjerm Liede und in den Atlamdl (Str. 97); wohl aber erzählt auch die Vols. 
saga (€. 1.2.11), daß feine Vorfahren über Hunaland geherrſcht hätten. Der 
ethnographiſche Unterfchied zwiihen Hunnen und Germanen war den alten Nord 
männern unbefaınt. 


15* 


228 


10. 


AR 


Zweites Bud. Heldenlieder. 





noch wagt’ er das wonnige Weib zu umarmen — 
er gab fie al3 Jungfrau Gjukis Sohne!. 


. Nicht Kränkung war ihr noch Kummer begegnet, 


fie fannte das Leid des Lebens noch nicht, 
nicht drückte fie Schuld, der Verdacht jelbit fehlte? — 
nun nahte die Not durch der Nornen Grimm. 


. Einfam jaß fie am Abend draußen, 


da rann ihr raſche Rede vom Munde: 
„Haben muß ih den Heldenjüngling 
und im Arm ihn hegen — ſonſt ende Sigurd! 


. „Geredet hab’ ih, mag Neue auch folgen?; 


fein Weib ift Gudrun — Gunnar ward mir! 
Die endloje Dual jchufen arge Nornen.‘ 


. Oftmals jchritt fie, Unheil brütend, 


auf die eifigen Gletihert am Abend hinaus, 
wenn dem Liebjten Gudrun zum Lager folgte 
und Sigurd fie Hüllte mit jeidner Dede. 


- „Behaglich ruht num der hunniſche König 


und genießt fein Glück in der Gattin Armen; 
mir fehlt der Freund und die Yreude am Leben, 
und fättigen muß ich die Seele mit Grimm.‘ 


Durch den rajenden Haß ward reif der Mordplan: 
„Bald bilt du Gunnar, des Glanzes beraubt, 

mein Land? und mich ſelbſt verlieren jollit du; 
froh werd’ ich nie an des Fürſten Seite. 


„Ich will fahren dorthin, wo ich vormals lebte, 
zum befreundeten reife der Baterfippen; 
träge dort werd’ ich verträumen mein Leben, 





ı Zur Str. vgl. Brot 20. 
2 Arglos hatte Brynhild an Gunnars Seite gelebt, bis fie (dur den Streit 


mit Gudrun, j. zu Grip. 45) den ihr gejpielten Betrug erfuhr. 


3 Brynhild weiß, daß fie Sigurds Tod, obwohl fie ihn fordert, beweinen 


wird (vgl. Brot 15). 


4 Der Dichter überträgt die Natur jeiner nordiſchen Heimat (die Erwähnung 


der Gletjcher ift aber noch fein Beweis’grönländifhen Urfprunges) auf den Schau— 
plag der Nibelungenjage. 


E Daß Brynhild aus dem Erbe ihres Vaters auch Land empfing, erwähnt 


auch Str, 372 und Oddr. 162, 


26. Das furze Sigurdslied (Sigurparkvipa en skamma). 229 





wenn du jterben nicht läßt den jtolgen Sigurd 
und höher dich hebſt als die Herricher alle. 


12. „Es fahre der Sohn! in des Vaters Geleit?! 
Nicht weiſe wärs, einen Wolf zu züchten! 
Den Helden ijt’3 leichter, zu hindern die Rache, 
wenn fein männlicher Sproß des Gemordeten Lebt.‘ 


13. Gunnar ſenkte vergrämt fein Haupt, 
er brütete finfter den vollen Tag. 


14. Der Rede wußte niht Nat zu finden, 
was in diefer Lage das dienlichjte wäre: 
er wußte durch Eid ſich dem MWoljung verpflichtet, 
und herbe ſchien ihm des Helden Verluſt. 


15. Alles erivog er in ernjtem Sinnen: 
wann war dag je in der Welt geichehn, 
daß ein Königsweib ihre Krone aufgab? 
Zu heimlichem Rate berief er den Hogni. 


16. „Alle die andern find der einen nicht gleich, 
dem Kinde Budlis, der Krone der Frauen; 
mein Leben lieber verlieren möcht’ ich, 
als Brynhilds ſchimmernden Schatz entbehren. 


17. „Biſt bereit du, für Geld den Reden zu töten? 
Gut wär's, zu befiten das Gold des Rheines?, 
froh zu walten des funkfelnden Hortes 
und ruhig zu leben in reicher Fülle.‘ 


18. Nur wenige Worte ermwiderte Hognt: 
„Für und wär’ Unrecht, das auszuführen, 
mit dem Schwert zu zerjchneiden geſchworne Eide, 
geleijtete Eide, gelobte Treue, 


19. „In der Welt nicht weiß ich To wadere Helden, 
noch edlere Sippe im Erdenfreife, 





1 Der Sohn, nämlich Sigurds Sohn Sigmund, f. zu Brot 113, 

2 Vgl zu Fäfn. 36. 

3 Das Gold des Rheines, Sigurd Schag (den Ntibelungenport). Der 
Rhein war dadurd berühmt, daß er goldhaltigen Sand führte, und dieje That 
ſache hat unzweifelhaft die Sage von dem Horte, den zuerjt die Zwerge des 
Stromes bejaßen, und der ſchließlich an fie zurüdfällt (Atlakv. 27. 28; Skaldsk. 
€. 7; Nibel. 1077) hervorgerufen. 


230 


21. 


23. 


24. 


Zweites Buch. Heldenlieder. 





wenn wir biere! des DVolfes walten 
und lebend der hunniſche Heerkönig bleibt. 


20. „Wenn wir fünfe? ſämtlich Söhne erzeugten, 


würde jtattlich und ſtolz unſer Stamm fich breiten; 
two der Wind her weht, ich weiß es genau: 


zu heftig, Bruder, iſt Brynhilds Haß.“ 


Gunnar, 
„Bir müſſen den Gutthorm? zum Morde reizen, 
er iſt jugendlich unklug und jach zur That; 
auch hemmen ihn nicht heilige Eide, 
geleijtete Schwüre, gelobte Treue.“ 


2. Zu reizen war leicht der rajch entichloffne: 


bald jteefte dem Sigurd der Stahl im Herzen; 
doch erhob fich noch einmal der herrliche Rede, 
und das rächende Schwert erreichte den Feind. 


Auf Gutthorm flog Grams leuchtende Klinge, 
von des Königs Hand mit Kraft entjendet; 

in der Mitte durchichnitt fie den Mordgefellen: 
e3 lagen Hände und Haupt zur Linken, 

es fielen zur Rechten die Füße nieder. 


Entihlummert war Gudrun auf jchiwellenden Kiffen, 

an Sigurds ©eite, don Sorgen frei, 

doch ſie erwachte, der MWonne beraubt, | 
denn fie floß im Blute von Freys Liebling *. | 


. Sie ſchlug die Hände ſo jchallend zuſammen, | 


daß der Heldenherz’ge ich hob im Bette: 





ı Wir viere; hat die Sagenform, welder der Dichter folgte, wie die 


Piöreks saga (und Gupr. II[?] vgl. dort zu 253), vier Söhne der Grimhild ge= 
fannt? Daß Gjufi der vierte Fürft ei, ift wegen 201 unmöglich. 


2 Wir fünf, die vier (?) Söhne der Grimhild und Sigurd. 
3 Gutthborm, der nad einer nordifchen Überlieferung (Hyndl. 273) nur 
ein Stiefbruder von Gunnar und Hogni war (Grimhilds, aber nit Gjufis Sohn). 


Gutthorm ift die nordifche Umformung des deutihen Namens Gundomar: ein 
Fürft diefe® Namens wird in der Lex Burgundionum neben Gislahari und 
Gundahari erwähnt und ift wahrjcheinlih als Bruder derjelben und als Sohn 
Gibicas aufzufafjen. (Im Nibelungenliede wird befanntlich neben Gunther und 


Gijelher a!3 dritter Bruder Gernot genannt.) E 
* Nah, der Meinung des Dichter war wohl Freyr der Stammvater bes = 
Wolſungengeſchlechts; vgl zu Helg. Hund. 1, 56. 


26 


27. 


28. 


29. 


30. 


31 


* 


%6. Das kurze Sigurdslied (Sigurbarkviba en skamma). 231 





„Richt weine, Öudrun, jo grimmige Zähren, 
biutjunges Weib, da die Brüder lebent. 


„Richt alt genug iſt mein Erbe leider?, 
daß er fliehen fünnte der Yeinde Hof; 

fie haben zu ſchnell den jchändlichen Plan, 
ven kaum erjonnenen, keck vollzogen. 


„Gebierſt du auch fieben, ein jolcher Neffe 

wird nie zum Thing mit den Niflungen reiten ?;, 
ich weiß genau, wer dag Werk geplant: 
Brynhild allein hat das Böfe verjchuldet. 


„Bor allen Männern war ich ihr teuer, 

doch täujchte ich nie dag Vertrauen Gunnarz; 
ich hielt die Schwüre, die heiligen Eide, 

nicht wollt’ ich für Brynhilds Buhlen gelten.“ 


Sigurd verſchied; dem entjeßten Weibe 
ichwanden die Sinne, doch ſchlug fie finfend 
jo heftig noch einmal die Hände zufammen, 
daß die Kelche laut erklirrten im Winkel 
und hell die Gänſe im Hofe aufichrien?. 


Da lachte Brynhild, Budlis Tochter, 
ein einzige® Mal aus innerjtem Herzen, 
als vom Lager fie exlaufchen konnte 
dag gellende Weinen von Gjukis Tochter. 


Da Iprach der Herrfcher der Helden, Gunnar: 
„Richt Heiterkeit fündet dein helles Gelächter, 
rachlüchtiges Weib! noch ein reines Gewiffen; 
warum wandelt ſich jo deine weiße Farbe, 

aller Trevel Mutter? Nicht fern ift dein Tod! 


. „Wohl hättejt du's, o Weib! verdient, 


wenn wir Atli erdolchten vor deinen Augen, 





ı Ein jeltfamer Troft, da die Brüder Gudrund den Tod des Sigurd ver— 


ſchuldet haben! 


2 Nach der Vols. saga (C. 31) war Sigmund, Sigurds Sohn, erſt 3 Jahre 


alt, als er auf Brynhilds Geheiß getötet wurde. 


3 Sigurd meint, wenn Gudrun aud in einer zweiten Che fieben Söhne zur 


Welt bringe, jo werde doch feiner derjelben jeinem eignen Sohne gleichfommen 


4 ©. 3u Brot 22. 
5 Vgl. Gupr. I, 163. 
6 Val. Brot 8. 


232 Zweites Bud. Heldenlieder. 





wenn den Bruder du ſäheſt durchbohrt vom Stahl 
und die blutigen Wunden verbinden müßteſt.“ 
Brynhild. 
38. „Du fochteſt zu oft, um als feige zu gelten, 
doch fürchtet nicht Atli dein feindliches Droh'n; 
er wird länger als ihr des Lebens ſich freuen 
und ſtets an Macht der ſtärkere ſein. 


34. „Sch Tag’ es dir, Gunnar — du ſelbſt auch weißt es — 
daß ihr jchiver euch alle mit Schuld beludet!, 
Einjt Lebt’ ich frei umd ledig des Zivanges 
in de3 Bruder3 Burg, mir gebrach’3 nicht an Gold?. 


35. „sch begehrte nie, einem Gatten zu folgen, 
bis ihr Gjufunge damal3 durchs Gitter rittet, 
drei Herricher des Boll? auf hohen Roſſen — 
bejfer war es, ihr bliebet daheim. 


86. „Dem erlauchten Herricher* verlobt’ ich mich da, 
der im Goldichmuds ſaß auf Granis Rüden; 
ihr glichet ihm niht an Glanz der Augen, 
[noch war euer Außeres ähnlich dem feinen, ] 
ob ihr ftolz auch prunktet im Strahl der Kronen. 


37. [",,Einfam jaß ih, da ſagte mir Ati, 
er gäbe mir niht8 an Gold noch an Land, 
wenn ich ehelos bliebe, vom Erbe des Vaters; 
er drohte jogar, mir das zu nehmen, 
was er einjt dem Kinde zu eigen gab, 
den fargen Schatz, den dem Kinde er jchenfte. 





1 Die Schuld, die Sigurd und die Gjufunge auf fih geladen haben, ift der 
der Brynhild gejpielte Betrug durch den Geftaltentaufh Sigurds und Gunnars. 

2 Daß Brynhild auf Atlis Burg, ftatt auf Hindarfjall, wohnend dargeftellt 
wird, und daß fie unvermählt bleiben will (351), ift eine jüngere Entftellung der 
urfprüngliden Sage. 

3 Drei Herrider, nämlid Gunnar, Hogni und Sigurd, den Brynhild 
ungenau mit zu den Gjufungen rechnet. 

4 Der erlaudte Herrſcher ift Sigurd in Gunnars Geftalt. 

5 An dem Goldſch muck (dem goldenen Panzer? Bgl. Vols. saga €. 19) glaubt 
Brynhild den ihr beftimmten furchtloſen Gatten, den Töter Fafnirz, zu erfennen. 

6 Die Augen konnten bei dem Geftaltentaufch nicht verändert werden, vgl. 
Vols. saga €. 29 (Edzardi S. 147fg.). 8. 4 ift dagegen wohl ein unbedachter 
Zuſatz eines Interpolators: wenn das ganze Hufere unverändert geblieben wäre, 
hätte ja Brynhild nicht getäuſcht werden können. 

? Str. 37-39 find eine Inteıpolation, die eine ganz andre Sagenform voraus- 
jegt, als die übrigen Teile des Liedes, Die Auffaffung diejer drei Strophen ijt 


FETTE A 


a un I u u Bm 5 an da 


26. Das kurze Sigurbslieb (Sigurbarkvipa en skamma). 233 





38. „In ſchwerem Zweifel ſchwankt' ich Lange, 
ob ich kämpfen jollte und Krieger fällen, 
in die Brünne gekleidet, dem Bruder zum Troß; 
das wäre weit in der Welt erjchollen, 
und Not hätt’ es manchem Manne gebracht!. 


39. „Doch gab ich mich ſchließlich und Schloß den Vergleich, 
denn es Locdte mich mehr, zu erlangen die Schäße, 
die junfelnden Ringe don Fafnirs Töter; 
das Gold von andern begehrt’ ich nicht. ] 


40. „Nur einen Yürften, nicht andere liebt’ ich, 
denn Wanfelmut war meinem Wejen fremd; 
dies alles wird Atli dereinſt erkennen, 
wenn das Ende Brynhilds zu Ohren ihm fommt. 


41. „Widerlich iſt's, wenn ein Weib aus Leichtfinn 
einer anderen Mann in die Arme jchliekt?. 
3 


So wird mein herber Harm dann gerächt.“ 


42. Da erhob ſich Gunnar, der Herrſcher des Volkes, 
um den Hals der Gattin die Hände ſchlang er; 
und alle verſuchten — von einigen wirklich 
war's redlich gemeint — ſie zurück zu halten. 


43. Doch heftig ſtieß fie den Helden von ſich, 
ihr den langen Weg zu verleiden, war fruchtlos; 
da berief er den Hogni zum heimlichen Rate, 
dem jein innerjtes Herz er eröffnen durfte. 





; die, daß die Gjufunge und Sigurd Atli in feiner Burg belagern, um die Hand 


der Jungfrau für Gunnar zu erzwingen. Atli fieht ein, daß er dem Angriffe 
nicht trogen fann, und ſucht daher die Schweiter für die Vermählung geneigt zu 
machen, indem er droht, falls fie nicht einwillige, ihr das Erbe zu entziehen. 
Dabei ſcheint Atli ihr vorgefpiegelt zu haben, daß nicht Gunnar, jondern Sigurd 
um ihre Hand werbe (392-3). Wie die Sage es motiviert hat, daß fie trogdem 
Gunnar heiratet, bleibt uns verborgen. — Diejelbe Sagenform finden wir aud) 
im Oddrünargrätr (Str.16 ff.). Vgl. Sijmons, „Zeitſchr für deutſche Phil.’ 24, 26 

ı Auch nad der Auffafjung des Interpolators war aljo Brynhild urſprüng— 
lich Walfüre. 

2 Nach Vols. saga C. 29 (Edzardi S.150fg.) erbietet ſich Sigurd bei feinem 
vergebliden Verſuche, Brynhild zu beruhigen (vgl. die einleitenden Bemerkungen 
zu Brot), mit ihr ein Bett zu befteigen, was fie aber ablehnt, ba fie nicht in 
einer Halle zwei Könige haben wolle. Hierauf ſcheint unfre Strophe anzufpielen. 

3 In der ausgefallenen Zeile wird Brynhild ihren Entſchluß zu fterben noch 
einmal ausgeſprochen haben. 


234 


44, 


45. 


Zweites Bud. Helbenlieber. 





„sm Saal will ich jehen die jämtlichen Mannen, 
deine wie meine, es drängt die Not! 

daß dem Weibe man wende die wilden Gedanken, 
bis Lindernd die Zeit ihr Leid bejiegt.‘ 


Nur wenige Worte erwiderte Hogni: 
„Srfüllen mög’ fih ihr finjtres Geſchick! 
Verleide ihr feiner den langen Weg, 


und verwehrt fei ihr ewig die Wiedergeburt!! 


46. 


47. 


48, 


49. 


51. 


„Verwünſcht ſchon kam ſie aus Weibesſchoß 


geboren ward fie, um Böfes zu ſtiften, 
manchem Manne zum Mißgejchie.” 


Erzürnt brach Gunnar die Zwieſprache ab, 
zu jchaun, iwie die Gattin ihr Gold verteilte; 
es jchweifte ihr Blid auf des Schabes Fülle 
und des Saalgefindes entſeelte Leiber?. 


In die Goldbrünne fuhr fie grimmigen Sinneg, 

eh’ die Brujt fie durchbohrte mit blikendem Stahl; 
dann lehnt’ fie ins Kiffen ich langſam zurüd, 

an Mord noch denfend, das Meſſer im Herzen. 


„Hervor nun mögen die Frauen? treten, 

die funkelndes Gold zu empfangen wünſchen; 
ich gebe jeder glänzenden Schmuck, 

Laken und Dede und lichte Gemwänder.“ 


. Sie jtanden in jtummem Staunen zuerit, 


dann gaben fie eine Antwort jämtlich: 
„Tot find genug, wir trachten zu leben; 
noch vieles fünnen wir Frauen wirken.‘ 


Die Königin jprah nach kurzem Befinnen, 

die linnengeſchmückte, die lenzesjunge: 

„Gezwungen foll feiner — das ziemte fich ſchlecht — 
mifien das Leben um meinetwillen. 





ı Die Wiedergeburt, vgl. die Schlußproja von Helg. Hund. IT. 
2 D. h. die Stlavinnen, die Brynhild hatte töten lafjen, damit fie mit ihr 


verbrannt würden. 


3 Die Frauen, nämlich die freigebornen, von denen Brynhild ebenfalls 


erwartet, daß fie bereit fein werden, ihr in den Tod zu folgen. 





26. Das kurze Sigurdslied (Sigurparkvipa en skamma). 235 





52. „Doch es brennen dereinft auf eurem Gebein 
Kleinode nicht noch die Körner Menjas!, 
wenn die Norne euch nötigt, mir nachzufolgen. 


53. „Sebe dich, Gunnar! die Gattin redet, 
die bald erbleicht, die blondgelodte: 
Noch Habt ihr das Boot nicht im Hafen geborgen, 
wenn auch ich des Lebens verluſtig bin. 


54. „Die Schweiter verſöhnſt du ſchneller ala glaublich, 
wenn das Kluge Weib in des Königs Halle 
auch trauernd noch denft an den toten Gatten. 


55. „Sie wird eines Mädchens Mutter werden; 
der Sonne Strahlen wird Swanhild? verdunfeln 
und leuchtender jein als der lichte Tag. 


56. „Einem mannhaften Gatten vermählit du Gudrun, 
doch der Degen viele verderben wird fie, 

die zufrieden nicht lebt an des Fürſten Seite; 
Atli wird fie zur Ehe erhalten, 

Budlis Erbe, mein eigner Bruder. 


57. „Biel den? ich dran, wie ihr da verfuhrt, 
als ihr jchnöde verrietet die Schmerzerfüllte; 
mein Los war Leib, ſolang' ich geatmet. 

58. „Oddrun? wirſt du zur Ehe begehren, 
doch verweigert dir Ali des Weibes Hand; 
im geheimen drum pflegt ihr holde Minne, 
denn innig liebt fie dich, mie ich es geſollt, 
wär’ jo im Schickſal beſchieden geweſen. 

59. „Ein üble Los wird dir Atli bereiten‘, 
der dich jchleudern läßt in die Schlangengrube. 





ı Die Körner Menjad, poetiſche Umfchreibung für Gold. In den 
Skäldskaparmäl (€. 8) wird erzählt, daß der däniſche König: Frodi von den 
Kiefenmägden Menja und Fenja auf der Mühle Grotti ſich Gold mahlen lief. 

2 Swanhild, d. 5. „die Kämpferin im Schwanengewand”, eigentlich ein 
Balkürenname, 

3 Dddrun, d.h. „die der Waffenrunen Kundige”, eine Schwefter Brynhilds. 
Dieje Figur ift erft von der nordifhen Sage erfunden; vgl. die Anmm. zu Odd- 
rünargrätr. 

* Bgl. Dräp Niflunga, 8. 18; Odar. 26fg.; Atlakvipa 32; Atlamgl 56. 63; 
GuPrünarhvot 17. 


236 Zweites Bud. Heldenlieder. 





60. „Doch ſchnell darauf geſchehen wird es, 
daß Atli jelber das Ende findet, 
betrogen ums Glüf durch den Tod der Söhne: 
denn grimmigen Sinn? wird ihn Gudrun ermorden 
mit des Eiſens Schärfe im eignen Bette!, 


61. „Hrößerer Ruhm für Gudrun wär’ es, 
fi) zu einen im Tode dem erſten Gatten, 
wenn auf heilfamen Rat fie hören wollte 
und den Mut bejäße, ; der mich bejeelt. 


62. „Die Stimme verjagt mir — nicht fterben wird Gudrun 
auf meine Mahnung mir zuliebe; 
von wogenden Fluten Hinweg geführt 
fommt jenjeit3 jie an in Jonakrs Lande”. 


63. „Von ihr wird Jonakr junge Söhne, 
aus ihrem Schoße Erben gewinnen ?; 
doh Swanhild wird fort in die Yerne gejendett, 
des Helden Sigurd Holde Tochter. 

64. „Ins Unheil bringt fie Bikkis Argliits —- 
denn zu jeglihem Böſen iſt Jormunrek fähig — 
tot ijt dann Sigurds gejamtes Gejchlecht, 
und größer geworden iſt Gudruns Trauer. 

65. „Der Wünſche lebten gewähre mir, Gunnar — 
nicht3 weitres wird Brynhild exbitten im Leben —: 
jo breit laß jchichten Die Buchenfcheite, 
daß für alle reichliher Raum fich finde, 
die wir treu dem Sigurd im Tode folgten. 


66. „Mit Schilden und Teppichen ſchmücke den Holzſtoß, 


gewebte Stoffe und welſche Sklaven! 
An der Seite des hunniſchen Helden verbrennt mich! 





ı Vgl. Atlakv. 37ff.; Atlamol 74 ff.; Guprünarhvgt 5; Hampismol8. 10. 

2 Vgl. Gubrünarhvot, proſaiſche Einleitung. 

3 Die Söhne von Jonakr und Gudrun waren Sorli und Hamdir; ſ. Guprü- 
narhvgt und Hampismöl, 

4 Swanhild wurde mit dem Gotenfönig Jormunref verheiratet. 

5 Bikki verleumdete die Swanhild bei Jormunref, indem er fie eines Ber- 
bältnifjes zu Randwer, Jormunreks Sohne, bezichtigte. Infolge diefer falfchen 
Anklage lieg Jormunrek die Swanhild von Pferden zertreten und den Randwer 
an den Galgen hängen. Bgl. Guprünarhvgt, Hampismgl und Vols saga C. 40. 








26. Das kurze Sigurdslied (Sigurparkvipa en skamma). 237 





67. „Berbrennt mit dem hunnifchen Helden ferner 
vier meiner Sklaven in fejtlichem Schmuck, 
zwei zu Häupten und zivei zu Füßen, 
der Hunde zwei und der Habichte zweit; 
würdig ift alles dann eingerichtet. 


68 „Es jcheide ung wieder der jchimmernde Stahl, 
der goldverzierte, in gleicher Weile, 
wie einft, al3 wir beide ein Bett bejtiegen 
und ung grüßte das Volt mit dem Gattennamen. . 


69. „Dann trifft jeine Ferſen die Pforte nicht ?, 
das glänzende Thor, das goldgefärbte, 
wenn dem fürjtlichen Herrn mein Gefolge fich an— 
ließt; 
nicht ärmlih wird unſer Einzug fein. 


70. „Denn fünf der Mägde folgen ihm nach 
und acht Leibeigne aus edlem Gejchlecht, 
die als Kind ich erhielt von König Budli 
und aufwachlen ſah in der Ahnen Burg. 


71. „Gar manches jprach ich, wird’ mehr noch Fünden, 
verichlöffe mir nicht das Schickſal den Mund. 
Das Wort verfagt mir, die Wunden jchwellen — 
ihr vernahmt nur Wahre — mun naht der Tod.‘ 








. 1 Daß Sklaven und die Lieblingstiere des Geftorbenen ihm ins Grab folgen 
mußten, war in ber Heidenzeit im Norden Brauch, vgl. 3. B. Olafs saga Trygg- 
vasonar €. 225 (Fornmanna sögur II, 224); Landnämabök II, 6; Egils saga 
€. 58; Egils saga ok Äsmundar €, 7 (Fornaldar sögur IH, 378). Als ſchwe⸗— 
diſche Sitte wird erwähnt, daß mit bem geftorbenen König die Königin begraben 
wurde: Flateyjarbök I, 88. 

2 Die Pforte im Reiche der Hel oder in Walhol? Vgl. Gylfag. €. 2 und 
34; Konr. Maurer, „Isländ. Volksſagen“ S. 121; Schullerug in Pauls und 
Braunes „Beiträgen“ 12,239. S. auch zu Fjglsv. 10, 


238 Zweites Bud. Heldenlieder. 





27. Brynhilds Todesfahrt. 
(Helreip Brynhildar.) 


Nach Brynhilds Tode wurden zwei Scheiterhaufen errichtet: 
einer für Sigurd — und der brannte zuerft — Brynhild aber ward 
auf dem andern verbrannt!, auf einem Wagen fitend, der mit Tep- 
pichen überjpannt war?. So wird erzählt, dat Brynhild auf dieſem 
Wagen zur Hel hinabfuhr und durch ein Gehöft Fam, wo ein Riejen: 
weib? wohnte. Die Riefin ſprach: 


1. „Wage es nicht, den Weg zu nehmen 
durch die Pforten der Riefin, die felsgejtüßten; 
von dir wär's weiſer, am Webſtuhl zu fien, 
als daß du dem Gatten Gudruns nachziehit. 


2. „Was kommſt dur verwegen von Walland* her, 
du Unbejtänd’ge! zu unjern Häuſern? 
Oft wufcheft du, Weib, wenn's zu wiſſen dich lüſtet, 
dir Menjchenblut von den Mörderhänden!‘ 
Brynhild. 
3. Nicht wirf mir's vor, du Weib der Berge! 
daß mit Helden ich aus zur Heerfahrt zog; 
für edler al3 du werd’ ich immer gelten, 
wo unjer Geihleht auf Erden man fennt. 


Die Riefin, 
4. Du bift, Brynhild, Budlis Tochter, 
nur um Weh zu bereiten, zur Welt gekommen: 
du Halt Gjufis Söhne zu Grunde gerichtet, 
in den Staub gejtürzt ihr ſtolzes Haus. 





1 Diefe Angabe widerfjpricht dem Berichte tes vorigen Liedes (Str. 65 fg.), 
nah welchem Sigurd und Brynhild zufammen auf einem Scheiterhaufen verbrannt 
wurden. Indeſſen hat der Berfafjer der Proja fiherlich die Meinung des Dich- 
ters getroffen, der nach Str. 1% die Brynhild dem Sigurd nacdziehen läßt. 

2 Diefe Art der Beftattung ift jeltener bezeugt, doch erzählt das Sögubrot 
€. 9 (Fornaldar sögurl, 387), daß Sigurd Ring dem in der Brawallaſchlacht ge— 
fallenen König Harald Kampfzahn Wagen und Roß in dad Grab mitgab, damit 
er nach Belieben gen Walholl fahren oder reiten fünne. 

3 Die Riefin faßt Müllenhoff (Deutſche Altertumskunde“ V, 388) als 
die „PBerjonifitation von Brynhilds Gemwifjen, ihrer eignen Vergangenheit, der 
fie Rede ftehen und beichten muß”. 

* Walland, f. zu Härb. 24 und die profaifche Einleitung zu Vol. 3. 11. 


27. Brynhilds Todesfahrt (Helreip Brynhildar). 239 





Brynhild, 


5. Als die Weijere künd' ih vom Wagen herab, 
Witzloſe, dir, wenn's zu wiſſen dich lüſtet, 
wie den einzig Geliebten die Erben Gjukis 
mit Argliſt mir raubten, mich eidbrüchig machten. 


6. Es hießen mich einſt in Hlymdalir! 
die behelmte Hild die Helden alle. 


7. Die Schwanhemden barg uns Schwejtern acht 
unter knorriger Eiche der kühne Herricher?; 
der Winter zwölf, wenn's zu willen dich lüſtet, 
war ich alt, al3 dem Jüngling die Eide ich ſchwur. 


8. Dann jandt’ ich den grauen Goten zur Hel, 
den Hjalmgunnar?, und half zum Giege 
dem blondgelodten Bruder Audas, 
jo zog ich mir zu den Zorn des Odin. 





£ 9. Er umſchloß mich mit Schilden im Sfatalundt, 

4 mit voten und weißen ward rings ich umgeben; 

1 mich zu jcheiden vom Schlaf beſchied er nur dem, 
den nimmer Gefahr in Furcht verjeke. 


10, Um de3 Saales Bau, der nach Süden ſich wandte, 
ließ Hoch er lodern des Holzes Yeind>; 
den jollte der Rede durchreiten allein, 
der das funfelnde Gold des Fafnir mir brächte. 


t 1 


ı Hlymdalir, d. 5. „die Schall- oder Lärmthäler”, ein fingierter Name, 
der (ebenjo wie Walland Str. 21) das Schlachtfeld als das ber Walküre zuge- 
wiejene Arbeitsfeld, al3 ihre eigentliche Heimftätte bezeichnet 

2 Der fühne Herrſcher ift Agnar, der „blondgelodte Bruder Audas“ 
(Str, 83; vgl. auch die Proja nad Sigrdr. Str. 2), der Brynhild und ıhren 
Schwestern (d. h. Genoffinnen) die Schwanenhemden geraubt und fie dadurd) in 
feinen Dienst gezwungen hatte, wie in gleiher Weife Wölund und feine Brüder 
die drei Walfüren in ihre Macht bringen. 

3 Hjalmgunnar, ſ. zu Sigrdr, Proſa nad Str. 2, 

* Bgl. die profaifche Einleitung zu Sigrär., 3 5. — Statalund, d.h. 
„Königshain“, nur hier genannt. Der Ort, an dem Ddin die in Schlaf verſenkte 
Sungfrau bannt, heißt Fäfn. 42 Hindarfjall. 

5 Des Holzes Feind, poetiſche Umjchreibung für Feuer, 


240 Zweites Bud. Heldenlieder. 





11. [!Dorthin trug Grani des Goldes Spender, 
wo mein Pflegevater? als Fürſt gebietet; 
dem Gefolge deuchte der Führer der Dänen? 
herrlicher weit als die Helden alle.] 


12. Wir ruhten in Unſchuld in einem Bette, 
als wär’ von Geburt er mein Bruder geivejen; 
nie in acht* Nächten hat einer von uns 
um des andern Hals die Arme gejchlungen. 


13. Da zieh mich Gudrun, Gjukis Tochter, 
daß im Schoß mir Sigurd geſchlafen hätte; 
jo hört’ ich, was beſſer verhehlt mir wäre, 
daß mich Arglift betrog um das Eheglück?. 


14. Aufs neue immer zu Not und Sorge 
werden Weiber und Männer zur Melt geboren; 
doch drüben blüht mir ein dauerndes Glüd 
an Sigurd Seite — verſinke, Riefin! 


re — 


28. Der Untergang der Niflunge. 
(Drap Niflunga.)® 
Gunnar und Helgi nahmen nun das ganze Gold, Fafnirs Erbe. 
Darauf entftand Feindihaft zwifchen den Gjufungen und Atli, denn 
er maß ihnen die Schuld an Brynhilds Tode zu; doch ließ er ſich 
dadurch zu einem Vergleiche bewegen, dat man ihm Gudrun zur 
Frau gab. Ihr gab man einen Bergefjenheitstranf zu trinken”, ehe 





ı Dieje Strophe jehe ich mit Müllenhoff ald eine Interpolation an, die einem 
Liede, das die jüngere Sagenform repräjentiert, entlehnt wurde. 

2 Der Pflegevater ift Heimir, den die jüngere Sage als Brynhilds 
Schwager und Pflegevater eingeführt hat (vgl. Vols. saga €. 23. 24. 27). 

3 Kein andre unjrer Lieber bezeichnet Sigurd als einen däniſchen Fürften. 

Nach Grip. 42 und Vols. saga E. 27 weilte Sigurd nur 3 Nächte bei 
Brynhild. 

5 Daß alſo nicht Gunnar, ſondern Sigurd in deſſen Geſtalt die Flamme 
durchritten und Fafnird Gold (den Ring Andwaranaut) ihr gebracht habe. 

6 Für diefes Projaftüd, das einen Überblid über die folgenden Lieder geben 
fol, hat der Sammler unfrer Gedichte die Guprünarkvipa II, den Oddrünargrätr 
und die beiden Atlilieder benugt. 

"Nah Vols. saga EC. 32 wird diefer Bergefjenheitstrant der Gudrun von 
Grimhild gereicht 














28. Der Untergang der Niflunge (Dräp Niflunga). 941 





fie einwilfigte, fi) mit Atli zu vermählen. Die Söhne von Atli (und 
Gudrun) waren Erp und Eitil!, Swanhild aber war die Tochter von 
Sigurd und Gudrun? — König Atli [ud Gunnar und Hogni zu ſich 
ein und fandte den Wingi oder Knefröd?.. Gudrun wußte, daß er 
Verrat im Schilde führe, und ſchickte ihnen eine Botjchaft in Runen: 
Schrift, daß fie nicht fommen möchten, und als Wahrzeichen ſandte fie 
dem Hogni den Ring Andwaranaut und fnüpfte ein Wolfshaar hinein‘. 
Gunnar hatte um Oddrun, die Schweiter Atlis, geworben, erhielt fie 
aber nicht?, Da nahm er die Glaumwor zur Ehe®, Hogni aber hatte 
die Koftbera zur Frau’; deren Söhne waren Solar und Snäwar® und. 
Gjufi. Als nun die Gjufunge zu Atli famen, forderte Gudrun ihre 
Söhne auf, um der Gjufunge Leben zu bitten, fie aber wollten nicht. 
Dem Hogni ward das Herz ausgefchnitten!? und Gunnarindie Schlan- 
gengrube geworfen; er ſchlug die Harfe und jchläferte dadurch die 
Schlangen ein, doch eine Natter'? ftach ihn in die Leber. 





I Bgl. Atlakv. 38 und Hampismgl 8 

2 Bgl. Sigurparkv. skamma 55. 63, Gubrünarhvot und Hampismdl. 

3 Der Bote, den Atli jandte, bie nad) Atlakvipa 1. 2 Knefröd; nad) 
Atlamöl 4 u. ö. und Vols. saga (CE. 33) wurden zwei Boten gefhidt, von denen 
wir jedoh nur den Namen de3 einen (Wingi) erfahren. Der Berfafjer macht 
alfo, wenn auch ungenau, auf die verjchiedene Überlieferung aufmerkſam. 

+ Nach der Atlakviba 8 jandte Gudrun den Brüdern, um fie zu warnen, 
einen Ring (nicht Andwaranaut), in den fie ein Wolfshaar gefnüpft hatte; nad 
Atlamöl 4. 9—12 wurde die Warnung in einem Runenbriefe ausgeſprochen, der 
jedoh von. Wingi verfäliht wurde, Der Verfaſſer unſers Stüdes kombiniert 
die beiden Berichte. 

5. Bgl. Sigurbarkv. skamma 58 und Oddrünargritr, 

6 Vgl. Atlamöl 6. 20. 25. 31. 

? Bgl. Atlamöl 6. 9-19. 

8 Solar und Snäwar werden Atlamöl 30 als Söhne Hognis ge annt; 
Gjuki ift wohl infolge eines Mifverftändnifjes als dritter hinzugefügt 

9 Dies wird jonft nirgends erwähnt; der Verfaſſer Hat wohl durch dieje 
Angabe die Tötung der Söhne durch die Mutter motivieren wollen. 

10 ®gl. Gupr. II, 32; Oddr. 26; Atlakv. 22 fg.; Atlam$l 56 fg ; Gubrünar- 
hvöt 18. 

11 Vgl. Sigurparkv. skamma 59; Oddr. 26; Atlakv. 32; Atlamgl 63. 

12 Dieje Natter war nach Oddr. 29 die Mutter Atlis. 


Die Edda, 16 


242 ; Zweites Bud. Heldenlieder. 





29, Das zweite Lied von Gudrun. 
(Guprünarkvipa onnur.) 


König Thjodref? hielt ſich bei Atli auf und hatte die meijten feiner 
Mannen verloren? Thjodref und Gudrun Flagten fich gegenfeitig ihr 
Leid; fie redete zu ihm und ſprach: 


1. „Der Mädchen hehrſte, gehegt von der Mutter, 
wuchs ich froh mit den Brüdern im Vaterhaus auf, 
bis Gjufi mid mit Gold bejchenfte, 
mit Gold bejchenfte, mich gab dem Sigurd. 


2. 2,So hoch jtand Sigurd vb den Söhnen Gjufis, 
wie der grüne Lauch? das Gras überragt, 
der hochbeinige Hirſch das Hurtige NReh?, 
und glänzender Gold ift als graues Silber. 


3. „Doch es gönnten mir nit den Gatten die Brüder, 
der herrlicher war als die Helden alle; 
fie konnten nicht ſchlafen noch Schiedsfprüche thun, 
bis am Schwager vollbracht war der jchnöde Mord. 


4. „Vom Thing? fam Grani, den Tritt erkannt’ ich, 
doch Sigurd ſelber ſucht' ich vergebens; 
es troffen vom Schweiß die Träger der Sättel, 
von den Helden gewöhnt an harte Mühjal. 


5. „Ich trat zu Grani, Thränen vergießend, 
und ſchaut' ihm forjchend ins feuchte Auge: 
da jenfte Granit ins Gras jein Haupt, 
der Hengjt wußte wohl, daß jein Herr gefallen. 


ı Thijodref, der hiſtoriſche Ditgotenfönig Theoderich (Dietrich von Bern). 
Die chronologiſch unmögliche Kombination der Dietrichjage mit der Sage von 
Etel und den Nibelungen (Attila + 453, Theoderih wurde um 455 geboren) haben 
befanntlich jchon die deutſchen Heldenlieder vollzogen 

2 Nämlih im Kampfe mit Jormunref (Ermanarid), den die Sage an die 
Stelle von Theoderichs Hiftorifhem Gegner Odowalar gejegt hatte 

3 ®gl. Helg. Hund. 11, 37 und Gupr. I, 18. 

* Der Schnittlaud) (Allium schoenoprasum) heißt noch in deutfhen Mund— 
arten Gruſerich, d.h. „der König der Gräjer”. ©. Aug. Schleier in „Kuhns 
Zeitſchr.“ 10, 79. 

5 Nach der Ragnars saga loöbrökar €. 1 (Fornaldar sögur I, 237) erhielt 
Thora, die Tochter des Jarls Herraud von Gautland, den Beinamen „Burg 
hirſch“, weil fie die übrigen Frauen jo an Schönheit übertraf, wie der Hirſch 
ſämtliche andern Tiere. 

s Vom Thing; vgl bie Schlußprofa von Brot. 





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10, 


11. 


13. 


29. Das zweite Lied von Gudrun (Guprünarkvipa onnur). 248 





„5% zögerte lange zaudernden Sinnes, 


eh’ ich fragt’ nach dem Helden den Bolfsgebieter. 


. „Sein Haupt jenfte Gunnar, doch Hogni fagte 


die traurige Mär vom Tode Sigurd: 
‚„Berendet liegt am anderen Ufer 
Gutthorms Mörder!, der Grauhunde? Beute. 


. „sm Süden dort kannſt du Sigurd ſchauen 


und den heiferen Ruf der Raben hören; 
die Adler jchreien, der Atzung froh, 
laut heult der Wolf an der Leiche des Gatten.‘ 


„Wie wagſt du es, Hogni, der wonneloſen 


ſo frech zu melden das furchtbare Leid? 
Die Raben mögen zevreißen dein Herz 
in der Yerne, die nimmer dein Yuß betreten. 


„Nur wenige Worte erwiderte Hogni 

in heftigem Unmut, Harmvollen Sinn®: 
‚Noch größer würde dein Gram, o Schweſter! 
wenn die Raben mein Herz zerreißen follten.‘ 


„sch erwiderte nichts, zum Walde ging ich, 

den Reit der Beute? zu rvauben den Wölfen; 
ich rajte nicht, noch rang ich die Hände*, 

auch meinte ich nicht wie die Weiber fonit, 

als gelähmt von Schmerz an der Leiche ich Jah. 


. „Schwärzer als je erſchien mir die Nacht, 


als ich jorgenvoll ja an Sigurds Leiche; 
begrüßt hätt’ ich's als glüdliche Schieung, 
wär ich im Wald von den Wölfen zerrifjen 
oder birf’nem Holz gleich verbrannt zu Aſche. 


„Fünf Tage jchritt ih dom Felſen abwärts, 
bis ih Halfs? Hohe Halle exblidte; 





ı Guttborm3 Mörder, d. 5. Sigurd, defjen rächendes Schwert den Gut- 
thorm, der ihn hinterrüds durchbohrt hatte, noch erreichte und tötete; vgl. Sigur- 
barkv. skamma 23. 

2 Der Grauhunde, d 5. der Wölfe. 

3 Den NReft der Beute, d. 5. Sigurds Leichnam, den die Wölfe jchon 
angejchnitten hatten. 

4 Bgl. Gupr. I, 1. 

5 Diefer Half ift vielleicht identifh mit Alf Hjalpreksſon, dem zweiten 
Gatten von Sigurds Mutter Hjordis; ſ zudem Proſaſtück Fra dauda Sinfjotla 3.34. 


16* 


944 | Zweites Bud. Heldenlieder. 





dann lebt? ich bei Thora! im Land der Dänen 
der Halbjahre fieben, bei Hakons Tochter. 


14. „Sie jtidte in God, meinen Gram zu mindern, 
deutſche Hallen und däniiche Schwäne; 
auf den Teppichen jah man die Thaten der Krieger, 
in Zunjtvoller Arbeit des Königs Degen, - 
rote Schilde, die Reden der Hunnen, 
mit Helmen und Schwertern des Königs Gefolge. 


15. „Es ſchwammen am Strande die Schiffe Sigmunds ? 
mit gejchnitten Steven, die Schnäbel vergoldet; 
man erblickt' auch kämpfend auf bunter Dede 
Sigar und Sigger? im Süden auf Fünen. 


16. „Da erfuhr Grimbild, das gotifche Weibt, 
wohin's mich getrieben, Troſt zu juchen; 


17. „Sie warf raſch das -Geivebe fort, rief ihre Söhne, 
den Fürſten mit Nachdrud die Trage zu jtellen, 
wer der Schweiter den Sohn . mit Schäßen büßen 
und des Gatten Tod ihr vergüten wolle?. 


18. „Bereit war Gunnar, Gold zu entrichten, 
den Harm zu büßen, SHogni desgleichen; 
dann fragte Grimhild, wer gehen wolle, 
die Roſſe zu jatteln, zu rüjten den Wagens, 


1 Thora, die Tochter Hakons, auch in Vols. saga E. 32 auf Grund unjers 
Liedes erwähnt, ift fonft unbefannt. Die Vermutung RR: daß fie die zweite 
Gattin des Alf gewejen fei, läßt ſich nicht beweifen. 

2 Sigmund, der Vater Sigurdg, erjcheint hier als Seetönig. 

3 Sigar und Siggeir; der le&tere ift der. Gemahl der Signy, Sigmunds 
Schwager (vgl. die Anmm. zu dem Profaftüd Fra danda Sinfjotla), erfterer 
Siggeird Vater (Fornaldar sögur II, 10). Da das Gejchlecht, dem fie angehören 
(die Sikflinge), ein dänifches ift, jo ift die Lesart „auf Fünen“ (a Fjoni) wahr- 
ſcheinlicher als die andre, welche das ſchottiſche Fifeſhire nennt (A. Fifi). 

4 Das gotiſche Weib, ſ. zu Grip. 353. 

5 Grimhild wünſcht Gudrun zu verjöhnen, weil fie fie bitten will, in die 
Vermählung mit Atli einzumilligen, der ihre Hand gefordert und im Falle der 
Weigerung mit Krieg gedroht hat; vgl. Dräp Niflunga 

6». h. die Zurüftungen zu der Reife nad) Dänemark, wo Gudrun fich auf- 
hielt, zu treffen, 





— nn 0 


29. Das zweite Lied von Gudrun (Gubrünarkviba onnur). 245 





[!zu reiten den Hengft, mit dem Habicht zu beizen, 
ai vom Tee Dar zu lafjen.] 


19. ,Auch Walder war dort, der Wiking aus Danmark, 
— Eymod und Sarizfar.] 


20. „Durch die Pforte traten, Fürſten vergleichbar, 
die Reden des Yangbart3?; rot waren die Mäntel, 
tiefjigend die Helme, die Harnifche Eurz, 
breit waren die Schwerter der Braungelodten. 


21. „Es wollte mir jeder durch wertvolle Gaben, 
durch wertvolle Gaben und Worte voll Troſt 
den herben Kummer des Herzens mir mildern — 
doch glaubt’ ich nicht am die gleißenden Reden. 


22, „Da brachte mir Grimhild - im Becher den Trank — 
er war gallicht und fühl — da vergaß ich die Kränkung, 
denn der Krug war gemifcht mit fräftiger Exde, 
eisfalter Meerflut und Eberblut. 


>23. „Im Innern des Horn? waren allerlei Stäbe 
rot eingerigt — ich erriet nicht den Sin; 
ein Janger Giftwurm vom. Lande Haddings t, 
ungejchnittene Ahrenhalme, 
das Gejchlinge auch von verjchtednem Goetier. 
24. „Biel Schädliches war gejchüttet ins Bier: 
vieler Bäume Laub, _verbrannte Edern, 


der Küche Ruf, gefochte Därme, 
des Hausſchweins Leber, die Haß beſchwichtigt 


25. „Sp vergaß ich ganz, durch das Gift betäubt, 
wie jchmählich mein Liebjter ſein Leben verlor. — 





1 Str. 185.6 find von einem Jnterpolator, dem der Zujammenhang unklar 
geblieben fein muß, aus einem gnomiſchen Gedichte eingejchoben. 

2 Auch diefe beiden Zeilen find vermutlich intervoliert, obwohl der Verfaſſer 
ber Vols. saga (C. 32) fie bereits fannte. Die Namen Jarizleif und Jarizjtar 
find ſlawiſch. 

3 Des Langbart3, d. h Atlis, deffen Boten aljo mit Grimhild und ihren 
Söhnen nah Dänemark gezogen waren 

4 Das Land Haddings, d. h. die Totenweli, in der das Kraut ber Ver— 
gefienheit wählt. Nach Caro Grammaticus (ed. Müller) S. 51 ftieg der däniſche 
König Hadingus einft in die Unterwelt hinab, daber diefe als fein „Land“ be= 
zeichnet wird. 


246 Zweites Bud. Heldenlieder. 





Kniefällig flehten der Könige dreit, 
eh’ die weile Mutter das Wort ergriff: 


26. „Ich gebe dir, Gudrun, goldene Schäße, 
die Fülle des Gut3 aus dem DWatererbe, 
beilfunfelnde Ringe, Hlodwers? Säle, 
die Teppiche all’, die der Tote beſaß. 


27. „Hunniſche Mädchen, behend im Weben, 
die das Gold zur Freude dir glänzend pußen; 
ichalte dann froh mit den Schäßen Budlis, 
als Gattin Atlis, mit Gold gejchmücdt.‘ 


28. „sch will einem Manne vermählen mich nimmer, 
noch wünjch’ ich Brynhilds Bruder zu nehmen; 
e3 lockt mich nicht, mich des Lebens zu freuen 
als Atlis Weib und ihm Erben zu jchenfen. 


29. „Den? nicht, an den Männern die Mordthat zu rächen, 
denn es tragen auch wir einen Teil der Schuld; 
jo jelig wirft du, wenn Söhne dir aufblühn, 
al3 Iebten Sigurd und Sigmund? noch.‘ 


30. „Nicht glüdlich kann ih, o Grimhild! werden, 
noch Hoffnungen je dem Helden machen, 
nachdem Wolf und Rabe in wilder Gier 
fih an Sigurd: Herzblut ſatt getrunken.“ 


31. „Bor allen ift Mtli ausgezeichnet 
und im Heldenkreiſe der höchjtgeborne; 
feiner Liebe jei froh, bis dein Leben ſchwindet: 
ichlägit ihn du aus, wirft du ehelos bleiben.‘ 


32, „Nicht dränge mir, Mutter, dieſes Geſchlecht, 
das unbeilvolle, jo eifrig auf! 





1 Der Könige drei, die Boten Atlis, dem ja viele Könige tributär waren, 
oder Gunnar, Hogni und der (unbefannte) vierte Bruder? Bgl. zu Sigurbarkv 
skamma 193, 

2 Hlodwer ift die nordifche Umformung des fränfifchen Namens Chlodowech 
(Ludwig); es find aljo mit den Eälen Hlodwers Befigungen in Franken oder 
Süddeutjchland gemeint. 2 

>» Sigmund, ſ. zu Brot 113 


El a Zu EU) Ei öx Sn 


a Aal 





EEE EITHER 


nr 2.7252 


29. Das zweite Lied von Gudrun (Gubrünarkviba onnur). 247 





Seinen Grimm wird Mli an Gunnar fühlen 

und das Herz reißen aus Hognis Bruft; 

nicht ruhn werd’ ich dann, Bis den Rüftigen ich, 
den Stifter de3 Streits, mit dem Stahl durchbohre!, 


33. „Weinend vernahm die Worte Grimhild, 
die das herbe Los enthüllten den Söhnen 
und arges Unheil dem eignen Gejchlecht. 
‚sch geb’ dir auch Land und Leute zu eigen, 
Winbjorg, Walbjorg?, wenn dein Wunfch danach jteht; 
behalt? e8 für immer, den Unmut laß fchwinden!‘ 


34. „Sp werd’ ich den König erkieſen müſſen, 

da die eignen Verwandten zur Ehe mich zwingen; 

doch Glüd bringt nimmer der Gatte mir, 

noh Schuß den Söhnen das Schidjal der Brüder‘. 
35. *,Raſch waren zu Roß Die Reden alle 

und die weljchen Weiber auf Wagen gejebt; 

durch eiſ'ge Flur ging’3 die erſte Woche, 

durch wilde Wogen die Woche darnach 

und drei der Tage Durch dürre Steppen. 


36. „Der hohen Bıng5d Hüter fchoben 
die Riegel zurüd, wir ritten ing Thor®, 

37. . 
„da weckte mich Atli — er wähnte ſchon lange, 
daß auf Böſes ich jänn’ nach der Brüder Tod: 


38. „Mich jchreekt die Norne vom Schlafe auf! — 
jo forſcht' er mich aus, das Furchtbare ahnend — 





1 Der Untergang von Gunnar, Hogni und Atli, den Gudrun hier weisjag*, 
wird in den Atliliedern erzählt. 

2 Winbjorg und Walbjorg, die „liebe” und bie „erwählte”“ Burg (9), 
find fingierte Namen. 

3 Das ift eine Anfpielung darauf, daß Gudrun, um ihre Brüder zu rächen, 
die beiden Söhne, die fie dem Atli jchenkt, ermorden wird _ 

Dieſe Strophe fchildert die Reife Gudruns ins Hunnenland. 

5 Der hoben Burg, nämlid der Burg Atlis. 

6 Hier find zweifellos eine Reihe von Strophen ausgefallen, in denen nicht 
bloß die Hochzeit Atli8 und Gudruns, fondern auch die Ermordung von Gunnar 
und Hogni erzählt worden ift 


248 


39. 


40. 


41. 


42. 


43. 


Zweites Bud). Heldenlieder. 





„du Gudrun, jo jchien mir's, Gjukis Tochter, 
gabjt mir den Tod mit vergiftetem Stahl.‘ 


„Zräumt man von Gijen, it Ausficht auf Feuer, 
und Yrauenzorn deutet auf Frohſinn und Stolz; 

ein Gebrechen dir werd’ ih durch Brennen heilen!, 
ob auch wenig div Hold, Dich warten und pflegen.“ 


2, Pflänzlinge jah ih gefällt im Garten, 
die wachjen zu laſſen mein Wille war; 

aus dem Boden gerifien, in Blut gerötet, 
bot man zur Speife die Bäumchen mir dar. 


„Bon der Hand mir jah ih Habichte fliegen, 
der Atzung entbehrend, zum Unheilshaufe; 
ihre Herzen glaubt’ ih mit Honig zu effen, 
traurigen Sinne, getränkt in Blut. 


„wei Hündlein jah ih der Hand mir entwunden, 
fläglich heulten vor Kummer beide; 

ihr Fleiſch dann ſah ich verfault zu Aas, 

und man zwang mich dazu, zu verzehren die Leichen.‘ 


„Es werden wohl Reden reden vom Seefang 

und von Heinen Fiſchen die Köpfe löſen; 

die fommen um nach kurzer Friſt 2 
und werden dem Volke zur, Yrühkojt dienen ?, 


44. . 


„ich lag im Bett ohne Luft zum Schlaf, 
voll Gigenfinn, Die Erinnerung blieb mir.“ 





1 Gudrun deutet den Traum AtliS darauf, daß fie ihm ein gefährliches Ge— 


ſchwür ausbrennen werde. 


2 Die Träume in Str. 40 — 42 weisiagten dem Atli den Tod feiner Söhne, 


deren Fleiih ihm Gudrun zur Speife vorjegte (Atlakv. 37, Atlamgl 80). 


3 Ob die Überjegung den Sinn diefer dunfeln Strophe getroffen hat, ift 


fraglid. 





30. Das dritte Lied von Gudrun (Gubrünarkvipa en pripja). 249 





30. Das dritte Lied von Gudrun. 
(Guprünarkvipa en pripja.) 


Herkja! hieß eine Magd Atlis; fie war vorher feine Beifchläferin 
gewejen. Sie fagte dem Atli, daß fie Thjodref und Gudrun bei 
einander gejehen habe, und Atli ward infolgedeifen ganz mißmutig. 
Da jprad Gudrun: 

1. „Was brütejt du, Ali, Budlis Erbe, 
in leidvollem Sinn? Warum lachjt du nicht mehr? 
Gefallen würd” es den Fürſten befjer. 
wenn mit Menjchen du ſprächſt und mich wieder an— 


ſähſt.“ 
Atli. 


2. Es betrübt mich, Gudrun, Gjukis Tochter, 
was Herkja mir in der Halle ſagte, 
daß bei Thjodref du unterm Tuch von Linnen, 
ihn Tiebreih umjchlingend, gelegen Hätteft. 

Gudrun, i 

3. „Erhärten will ich's mit heil’gen Eiden 
beim geweihten Steine, dem wmweißgefärbten?, 
daß ich nichts mit Thjodrek zu thun gehabt, 
das man Weib oder Mann vermehren könnte. 


4. „Umhalſt nur hab’ ich den SHeergebieter, 
den edlen Yürjten, ein einziges Mal; 
doch ander3? war die Umarmung bejchaffen, 
al3 wir wehmutsvol Worte taujchten. 


5. „Es folgten dreißig Degen dem Thjodref, 
nicht einer von allen iſt übrig jebt+; 





1Herkja (die hiſtoriſche Arefa des Priscus) ift, wie der Name beweiit, 
diejelbe Figur wie die Helche des Nibelungenliedes, die aber dort als Etzels erite 
Gattin erjheint, nach deren Tode er die Kriemhild (die Gudrun der nordiſchen 
Cage) heiratet 

2 Ein Eid bei dem „eifigen Steine der Unn“ wird Helgakv. Hund. II, 29% 
erwähnt. 

3 Anders, nämlich al3 die Verleumdung der Herkja fie dargeſtellt hat. 

* MWodurch Thjodref feine dreißig Degen verloren hat, ift nicht erfichtlich; 
jedenfall fielen fie nicht ın dem Kampfe gegen die Gjufunge, da Thjodrefs Be— 
teiligung an diejem der nordiſchen Sage fremd tft. 


250 Zweites Bud. Heldenlieder 





mir ſchlugſt du die Brüder und Schildknappen tot!, 
die nächſten Verwandten nahmſt du mir alle. 


6. „Nicht Gunnar kommt mehr, noch grüß' ich den Hogni, 
nicht wieder jeh’ ich die werten Brüder; 
mit Blut hätte Hogni den Harın geräht — 
num muß eigne That meine Unfchuld erweiſen. 


7. „Laß Sari holen, der Südmänner König, 
der den wallenden Keſſel zu weihen verſteht?.“ — 
Zum Saal jehritten Degen ſiebenhundert, 
eh’ des Königs Weib in den Keffel faßte. 


8. Sie griff bi8 zum Boden mit glänzender Hand 
und holte die jtrahlenden Steine heraus; 
„Run jchaut, ihr Männer! von Schuld bin ich frei 
durch die heilige Probe des heißen Waſſers.“ 


9. Da lachte dem Atli im Leibe das Herz, 
als er heil exrblidte die Hände Gudrung: 
„Run faſſe Herkja ins heiße Waller, 
die Gudrun aus Neid vernichten wollte.“ 


10, So Klägliches Hat noch feiner gejchaut 
als dies, wie Herkjas Hände verbrannten. 
Man führte die Maid zum fauligen Moor?. 
So ward für die Schmach entſchädigt Gudrun. 


— Lg — 





1 Die Handlung unſers Liedes fällt alſo in die Zeit zwiſchen der Ermor— 
dung Gunnars und Hognis und Gudruns Rache. 

2 Das Drdal des Kefjelfanges wurde erft durch Dlaf den Heiligen (+ 1030) 
in Norwegen eingeführt, und da unſre Strophe ſich des fremdländiichen Ur— 
ſprungs diejes SGottesurteils noch volllommen bewußt ift, jo wird das Lied auch 
noch in der erften Hälfte des 11. Jahrhunderts entjtanden fein. Vgl. Konr. Maurer 
in der „Zeitfchrift für deutſche Philologie“ II, 443 fg. 

3 Die altgermanifche Todesftrafe der Verjenfung im Moor (Tacitus’ „Ger— 
mania” €. 12) wurde im Norden befonders an Frauen volljogen. Nach der 
Jömsvikingasaga €. 7 (Fornmanna sögur XI, 25fg.) ließ der Dänenkönig Harald 
Blauzahn die norwegische Königin Gunhild in einem jütifchen Moor ertränfen; 
vgl. ferner Hälfssaga €. 8 (Fornaldar sögur II, 35) und Orvar-Odds saga €. 42 
(„Altnordiihe Sagabibliothek“ IT, 88). 


— — — 


— 


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31. Oddruns Klage (Oddrünargrätr). 951 





3l. Oddruns Klage. 
(Oddrünargrätr.) 


Heidref war ein König genannt, deſſen Tochter hie Borgny. 
Diefe hatte einen Geliebten, Namens Wilmund!. Sie fonnte ihr Kind 
nicht zur Welt bringen, ehe Oddrun?, die Schweiter Atlis, hinzufanı, 
die einjt Die Geliebte vor Gunnar, dem Sohne Gjufis, gemejen war. 
Bon diefer Gefchichte handelt das folgende Lied: 


1. &3 melden aus ferner DBorzeit die Sagen, 
wie ein Mädchen fam nach Morgenland?; 
nicht einer vermochte im Exdenrunde 
Heidref3 Tochter Hilfe zu bringen. 


. Oddrun erfuhr es, Atlis Schweiter, 
daß die Maid an quälender Krankheit Yitte; 
fie 30g aus dem Stall den gezäumten Rappen 
und legt’ auf des Roſſes Rüden den Sattel. 


3. Den eb’nen Weg - durcheilte der Hengjt, 
bi3 zur hochragenden Halle jie fam; 
da bob fie vom triefenden Tiere den Sattel. 
Geſchwind betrat fie die Schwelle des Saales 
und das erſte Wort, das fie ausſprach, war dies: 


4. „Was ift ruchbar geworden im Reiche der Exde, 
was begab jich als Neuſtes im Gau der Hunnen?“ 
Die Magd. 
Hier windet fih Borgny in bittern Schmerzen; 
es hofft die Freundin Hilfe von dir, 
Oddrun. 
5. Wer brachte der Borgny die böſe Qual; 
wie fam ihr jo plögßlih die Krankheit an? 


189) 





ı über Heidrek (d. 5. „ber ftrahlende Herrſcher“), Borgny (db. 5. „die 
Burgjungfrau”) und Wilmund (db. 5. „ver willig Schügende”) ift ſonſt nichts 
befannt. 

2 Dddrun (d. 5. „die der Waffenrunen Kundige”) wird auch in Sigurbarkv. 
skamma 58 und im Dräp Niflunga erwähnt. Dieje Figur ift eine Neujhöpfung 
der nordiihen Sage. 

3 Das Morgenland muß identifch fein mit dem Str. 4? genannten „Gau 
ber Hunnen“. Woher Oddrun fommt, die boch als Schweiter Atlis ſelbſt eine 
Hunnin fein muß, wird nicht gejagt. 


952 3Zweites Buch. Helvenlieder 





Die Magd, 
„Wilmund heißt er, die Wonne der Helden, 
er hüllte dag Weib in warme Deren 
fünf Winter hindurch, nicht wußt' e8 der Vater.” 


6. Es ward nicht mehr, wie ich meine, gevedet; 
fie ließ vor den Snieen der Kranken fich nieder; 
"Sprüche voll Heilkraft! - ſprach nun Oddrun, 
der leidenden Borgny -erlöjenden Zauber. 


7. Bald kamen ans Licht ein Knab’ und ein Mädchen, 
die Holden Kinder von Hognis Töter?. 
Nun that den Mund die Todfranfe auf; 
das erite Wort, das fie ausfprach, war dies: 


8. „Sp mögen dir helfen Die Holden Weſen, 
Freyja? und Frigg* und noch viele Götter, 
wie du mich befreitet aus Fährde und Not.” 


| Oddrun. 
9. Nicht deshalb half ich im Drangſal dir, 
weil du jemals dich würdig erwieſen der Hilfe; 
ich führte nur. aus, . was ich früher gelobt, 
daß ich Feine des Beiltands entbehren ließe. 


Borg 
10. Zoll jeßt bift du und thöricht, Oddrun! 
wie Führt du zu mir To feindliche Worte? 
Sch folgte dir treu- auf Tritt und Schritt, 
als ob Bruderfinder wir beide wären. 


Oddrun. 


11. Deſſen gedenk' ich, "was damals du ſprachſt, 
als ich einſt dem Gunnar den Abendtranf? miſchte: 
‚Splches wiirde‘, To ſagteſt du, 
‚eein Mädchen thun . außer mir allein.‘ 





ı Sprüde voll Heilfraft, d. 5. Zauberfprücde, die rajche und glüdliche 
irre. bewirfen. Vgl. Fäfn. I2 und Sigrdr. 9. 
2 Hognis Töter fann niemand anders fein als Wilmund, doch wird nir= 
gends erzählt, daß Hogni durch ihn feinen Untergang jan”. 
> $reyja, j. zu Prymskv. 3. 
4 $rigg, j. zu Vol. 34. 
5 Den Abendtranf, nämlich bei einem heimlichen Slellbichein. 


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31. Oddruns Klage (Oddrünargrätr). 253 





12. (63 dachte des traurigen Tages die Maid,!) 
da man der Edlinge Erbe teilte2, 
fie jeßte dann jorgenden Sinnes ſich nieder, 
zu Klagen ihr Leid, von Kummer gedrüdt: 


13 „Ich wuchs in der Halle des Herriher33 auf, 
wie die Helden es wünjchten, denn hold war mir jeder; 
doch glücklich Lebt’ ich, durch Gaben erfreut, 
die der Vater mir darbot, nur fünf der Winter. 


14. ‚Noch einmal da, eh’ die Augen er jchloß, 
‚ergriff dad Wort der greife König: 
nich möge man, riet ex, mit reicher Mitgift 
im Süden vermählen dem Sohne Grimhildst. 


15. „Doch Brynhild, ſprach er, gebühre der Helm, 
ein Wunjchmädchen® müſſe jie werden; 
denn es werde nicht Leicht, wenn fie leben bliebe, 
ein herrlicher Weib unterm Himmel erwachjen. 


16. „Im Saal wob Brynhild bunte Deden, 
fie durft? über Land und Leute jchalten ®; 
Erde Möhnte und Oberhimmel, 
als Fafnirs Töter? die Felsburg ſah. 


17. „Da gewannen den Sieg die welichen Schwerter, 
da brach man die Burg, die Brynhild bejeffen; 
doch währt’ e3 nicht lange, da wußte fie ſchon 
die Ränke all, die die Reden gejponnen. 





1 Diefe Zeile fehlt im Urtext; die Überfegung gibt die Ergänzung von Svend 
Grundtvig. 

2 Gemeint ift wahrjcheinlih der Nachlaß Gunnar: und Hognis, den Atli 
unter feine Krieger verteilte. 

3 Des Herrſchers, d.h. Budlis. 

4 Die Sagenform, der unſer Lied folgt, nahm alſo an, daß Budli die Oddrun, 
als fie noch ein Kind war, bereits dem Gunnar zugedacht habe. 

5 Ein Wunſchmädchen, d. h. eine Walfüre 

6 Bgl. zu Sigurparkv. skamma 10 Auch die Brunhild des Nibelungen= 
— iſt bekanntlich eine ſelbſtändige Königin. 

Fafnirs Töter, d. h. Sigurd. 

"3 An bie Stelle des Slammenvittes ift alfo in der —— unſers Liedes 
ein Kampf getreten, durch den Brynhild zur Vermählung gezwungen wird. Ihr 
Befieger it natürlih Sigurd; durch die „Ränke der Reden“ (d. 5. der Gjufungen) 
wird ihr aber nicht diejer, jondern Gunnar zu teil. Bgl. zu Sigurparky. 
skamma 37 fg. 


254 


18. 


19. 


22. 


23. 


24, 


Zweites Buch. Heldenlieder. 





„Das hat fie gerochen in rajendem Grimm, 
wie zu eignem Schaden wir alle erfuhren; 
ing fernjte Land wird fliegen die Kunde, 
wie an Sigurds Ceite fie jelbjt fich erſtach. 


„Su Gunnar faßt’ ih glühende Lieber, 

dem Brecher der Ringe, wie Brynhild gejollt; 
man bot dem Atli blitzende Ringe, 

dem rüjtigen Bruder reiche Buße?. 


. „Der Gehöfte fünfzehn verhieß man ihm, 


auch Granis Bürde?, wenn Gold ihm lieb jei — 
doch Atli ſprach, von den Erben Gjufis 
möchte er nimmer den Mahliha nehmen. 


. „Die Minne jedoch war mächt’ger ala wir, 


und ich lehnte mein Haupt an des Helden Schulter; 
von den Sippen mein ſagten es viele, 
jie hätten beifammen gejehn ung beide. 


„Da eriwiderte Atli, ich werde nimmer 

auf Schande finnen und Schimpfliches thun; 

doch jollte Feiner ſolches beim andern 

für unmöglich erklären, wenn Minne im Spiel ift. 


„Durch den jehattigen Wald* ſchickte Atli 
feine Leute, die mich belauſchen jollten; 

fie famen, wohin fie kommen nicht durften, 
wo leicht ung beide ein Laken hüllte. 


„Wir boten den Degen blitzende Ringe, 
daß fie nichts dem Könige künden möchten, 
doch eilig ritten Die argen nach Haufe, 
den Atli eifrig alles zu melden. 





ı Dana hat fich aljo Oddrun bei ihrem Schwager Gunnar aufgehalten, und 


dort jpielen auch die Str. 21-24 erzählten Vorgänge. 


2 Reihe Buße, nämlich für den Tod der Brynhild. 


3 Grani3 Bürde, der von Sigurd erbeutete Hort; vgl. die Schlußproſa 


von Fäfnismgl. 


* Durch den jhattigen Wald; aud nad Atlakv. 3 ift dad Land Atlis 


von den Befigungen der Gjufunge nur durd den Forft Myrkwid (den „dunkeln 
Wald”) getrennt, 


— 


- 31. Oddruns Klage (Oddrünargrätr). 255 





25. „Doch gänzlich ward es der Gudrun! verheintlicht, 
was eher fie wiſſen als andre follte. 
Gellend erklangen vergoldete Hufe, 
als Gjufis Erben durchs Gitter ritten?. 


26. „Sie jchnitten dem Hogni das Herz aus der Bruft, 
in die Schlangengrube ward Gunnar gejchleudert; 
die Harfe begann der Held zu jchlagen, 
denn es hoffte dev König, der hochgeborne, 
daß ich ihm Beiftand bringen würde. 


27. „Segangen war ich zu Geirmund® damals, 
das Bier noch einmal zu brauen dem Helden; 
da hörte mein Ohr, wie von Hlesey* her 
hell erlangen der Harfe Saiten. 


28. „Da rief ich die Frauen, zur Fahrt fich zu rüjten, 
denn retten wollt’ ih des Reden Leben; 
e8 flog durch den Sund das Fahrzeug jchnell 
und bald erblickt’ ih Die Burg des Atli. 


29. „Da ſchlich Heraus das fchändliche Weib 
— fie vermodre lebend! — die Mutter Atlis; 
fie grub die Zähne in Gunnars Herz?, 
daher ich dem Helden nicht helfen konnte. 


30. „Mich wundert’3 oft, daß ich weiter lebe 
nach jo grimmem Weh, du Goldgejchmücdte! 
da ich innig geliebt wie mein eignes Leben 
den wadern Helden, den Waffenjpender. 





I Der Gudrun, die damals aljo jhon Atlis Weib war. 

2 Db die Gjufunge infolge einer Einladung (wie in den Atliliedern) oder 
aus eignem Antriebe (um noch einmal die Werbung um Dddrun zu verfuchen ?) 
an Atlis Hof famen, ift nicht erfichtlid. Jedenfalls befindet fich Oddrun bereits 
wieder zu Haufe, alg Gunnar und Hogni dort anfommen. 

3» Geirmund (d. 5 „ber mit dem Speer Schlügende“) wird. jonft nirgends 
erwähnt; wir wifjen alfo nit, in welchem Verhältnis er zu Oddrun geftanden 
hat. War er ihr Bruder? 

+ Dem Dichter ſchwebt hier die heimische Inſelwelt vor (vgl. zu Härb. 37): 
die Burg Atlis und die Schlangengrube, in der Gunnar liegt, befinden ſich auf einem 
Eiland, das von dem Drte, wo Oddrun das Bier braut, durch einen Sund ge— 
trennt ift (Str. 28). 

5 Atlis Mutter hatte fich, um died Rachewerk auszuüben, in eine Natter vers 
wandelt; vgl. Dräp Niflunga 3. 20. 





256 Zweites Bud. Heldenlieber. 


31. „Du ſaßeſt und lauſchteſt: ich jagte Dir. alles, 
was die Lieben und ich am Xeid erduldet; 
des Herzens Triebe beherrſcht fein Menſch!“ 
Zu Ende ift nun Oddruns Klage. 


—— 


32. Das Lid von Atli, 
(Atlakvipa.) 


Gudrun, Gjufis Tochter, rächte ihre Brüder, wie das allgemein 
befannt geworden iſt. Sie tötete zuerft die Söhne Atlis und dann 
Atli jelbft und verbrannte die Halle mit der ganzen Gefolgſchaft. 
Darauf ift das nachfolgende Lied gedichtet: 


1. Es ritt zu Gunnar ein Rede Atliz, 
der kluge Bote war Knefröd! geheißen; 5 
zu Gjufis Hof fam er und zu Gunnars Halle, 
zu den Sitzen des Herdes, zum ſüßen Biere. 


2. &3 tranfen die Männer, die Tücke der Hunnen 
heimlich fürchtend, die hehlten den Trug; 
und frech jprach Knefröd falſche Worte, 
der Held des Südens, von hoher Bank: 


3. „Auf ſchäumendem Roſſe ſchickte mich Atli 
durch die fremden Wege des finjtern Myrkwid?: 
er hieß mich bitten, Gunnar, daß helmgeziert ihr 
kämet 
zum Heimatlande Atlis, des Hunnenkönigs Bänken. 


4. „Schilde dort wählt euch und Schäfte von Eſchen, 
Helme von Gold und hunniiche Sklaven, 
weißglänzendes Zaumzeug, welſche Röcke, 
des Machthaber Lanzen und mutige Hengjte. 





ı Anefröd, d. h. „Schoffind” (9). In den Atlamdl (Str. 4 u. 5) und in 
der Vols. saga (EC. 33) erjcheinen zwei Boten bei Gunnar, von denen jedoch nur 
einer (Wingi) mit Namen genannt wird. ©. Dräp Nifl. 3. 9. 

2Myrkwid, f. zu Oddr. 23, 


32. Das Lied von Atli (Atlakviba). 357 





5. „Er gewährt euch auch die Gefilde der weiten Gnita= 
heide!, 
den dröhnenden Speer und Drachen mit goldenen 
Schnäbeln, 
herrliche Schäße, die Heimjtätten Danps?, 
auch den mächtigen Fort, der Myrkwid genannt wird.” 


6. Sein Haupt wandte Gunnar, zu Hogni ſprach er: 
„Die Rede vernahmſt du, was rätjt du ung, Jüngling? 
Der Gnitaheide Gold, jo mein’ ich, 
it nicht befjer als das, das wir Brüder beiten. 


7. „Anjer find fieben Säle voll Schwertern, 

die Griffe find ſämtlich aus Gold gefügt; 

die Ichärfite Klinge ift mein und mein das jchnellite Roß; 

ein Zierde der Wand ijt mein Bogen; es blißen die 
Panzer von Gold; 

glänzend find Helm und Schild, die die Halle des 
Kjars einjt ſchmückten; 

herrlicher ſind meine Schätze als der Hunnen ganze 

Pracht. 


8. „Was wollte die Kraut uns künden, die den funkelnden 
Ring uns jandte, 
mit Wolfshaaren durchflochten? Eine Warnung, mein’ 
ich, bezwedte fie! 
Sch Fand des Heidebewohners? | Haar in den Goldring 
geknüpft: 
wagen wir dieje Reife, jo wird uns der Wölfe Los.“ 





ı Auf der Gnitaheide befand fih nad Grip. 11 und der Proſa in den 
Reginsmgl und Fäfnismgl die Höhle des Fafnir. Daß die Heide zu dem Reiche 
des Atli gehörte, wird jonft nirgend3 berichtet. 

2 Ob die Heimftätten Danps nod eine Erinnerung an die Gegenden am 
Schwarzen Meere enthalten, in denen Hunnen und Germanen zuerft zuſammen— 
jtiegen, ift zweifelhaft; vgl. zu Rigspula 49. 

3 Diefer Kjar iſt vielleiht identifh mit dem in der Völundarkvipa ge— 
nannten Vater der Olrun, da nad den Gejchlechtsregiftern der Flateyjarbök 
(I, 25; vgl. aud) Snorra Edda, Arnam. Ausgabe, I, 522) Audi, der Stammes 
vater der Ödlunge, Kjars Großvater, mit Budli, dem Stammvater der Budlunge 
(einem Urahnen von Atlis Vater), gemeinfame Kriegszüge zur Eee (!) unternahm, 
Indeſſen ift e8 doch jehr zweifelhaft, ob die citierte Genealogie auf echter Sage 
berubt. 

* Dieyrau, nämlich Gudrun, die, um ihre Brüder vor dem Verrate Atlis 
zu warnen, einen Ring geiandt hatte, in den Wolfshaare geknüpft waren. 

5 Heidbebemwohner, poetijche Umjchreibung für Wolf. 

Die Edda. 17 


258 


Zweite Bud. Heldenlieder. 





9. Bon den Schwertmagen redete feiner, von den Schwä— 


10. 


11, 


12. 


13. 


—14. 
es ſtanden Budlis Krieger auf den Burgmauern oben — 


hern keiner zu, 
von den Räten und Ratgebern keiner, auch keiner der 
| Neden des Hofs; 
doch mit fühnem Mute, nach Königs Weile, 
nahm der mächtige Herrfcher im Metjaal das Wort: 


„Erhebe dich, Fjornir!! Zur Halle hinein 


laß die Humpen von Gold den Helden bringen! 


„Kehrt Gunnar nicht zur Heimat, To mögen die grau— 
gehaarten 
alten Wölfe fich freuen des Erbes der Niflungen; 
und jchwarzzottige Bären mit jchneidenden Zähnen 
zerreißen 
die Glieder meiner Mannen, kehrt Gunnar nicht 
zurück?.“ 


Des Landes kühnen Herrſcher geleiteten wackre Recken, 
der Heldenjünglinge Blüte, zum Hofe weinend hinaus; 
und Hognis junger Erbe? rief nun mit heller Stimme: 
„sn Öejundheit reift und mit Vorjiht, wohin euer 
Sinn euch treibt!‘ 


Die fühnen Reden ließen Die Kauer des Beißſtahls“ 
rennen 

auf wüſten Yeljenpfaden durch den wilden Forjt von 
Myrkwid?; 

der Hunnen Land erbebte, wo die Hartgeſinnten ritten; 

durch grüne Felder trabten, die Gerte fürchtend, di 
Roſſe. 


Die Halle Atlis ſahn ſie und hochragende Türme — 





-ı Fjornir, d. h. „der Lebhafte“ (2), wird auch in der Vols. saga C. 35 als 


Mundſchenk Gunnars genannt. 


2 Die Ahnung Gunnars, daß er von ber Reife nicht zurüdfehren werde, 


fommt in diefer Strophe zum Ausdrud. Was nach jeinem Tode mit feinen Helden 
und feinem Schage gejchieht, ıft ihm gleichgültig. 


3 Sn den Atlamol werden zwei Söhne Hognis, Snämwar und Solar, genannt, 


die beide die Reife mitmaden und im Hunnenlande fallen (Str. 30 und 50). 


4 Die Kauer des Beißſtahls, poetiihe Umſchreibung für Pferde. 
5 Die Reife wird alſo nad unjerm Gedichte zu Lande zurüdgelegt, während 


fie nad) den Atlamgl (Str. 30—86) zur See geichieht. 


yo 
Su 


16. 


17, 


18. 


19. 


32. Das Lied von Atli (Atlakviba). 259 





längs des Südvolfes Saal waren ©ibe errichtet, 
und ſchimmernde Schilde ſchmückten die Wände. 


In der Ahnen Halle trank Atli Wein; 

die Speerträger draußen jpähten nach Gunnar!, 

ob er wirklich käme . —— 

dem kühnen Fürſten Kampf mit Elingendem Speer zu 
bieten. 


Die Schweiter ſah's zuerst, daß die Schwelle des. 
Saals betraten 

die beiden teuren Brüder, vom Bier war fie wenig? 
trunfen: 

„Berraten biſt du, Gunnar, nichts richteft du aus, 
o König! 

wider der Hunnen Arglift! Die Halle verlaffe jchleunig! 


„Beſſer wär’ e8, Bruder, die Brünne div anzulegen 

und helmbedeckten Hauptes zur Heimjtatt Atlis zu 
fommen, 

im Sattel gerüftet zu fiten den jommerheißen Tag 


„Dann müßten die hunniſchen Weiber die herbe Not 


beweinen, 

die Schildjungfrau'n das ſchlimme Geſchick des Kriegs 
erfahren; 

dann ſchickteſt du Atli jelber hinab zur Schlangen- 
grube — 

jeßt Harrt die Schlangengrube, ihr Helden! nur auf 
euch.‘ 


Sp redete Gunnar, der Reden Gebieter: 
„Zu jpät iſt's, Schweiter, die Scharen zu jammeln, 





1 Die Krieger Atlis find aljo auf den Kampf, den ihr Herr provozieren 


wollte, vorbereitet. 


2 Wenig, d. 5. gar nit; fie hatte alfo ihre volle Befinnung. 
3 Shildjungfrauen; daß in den Zeiten der Völferwanderung germaniiche 


Weiber gerüftet um Kampfe fich beteiligten, wird von den hiftorifhen Quellen 
mehrfach erzählt. Auch in den heroiſchen Sagas des Nordens werden derartige 
friegerifche Jungfrauen oft erwähnt; jo nahmen nad dem Sögubrot €. 8 (Forn- 
aldar sögur I, 379) mehrere „Schildmädchen“ an der Brawallaſchlacht teil. 


zer 


360 Zweites Bud. Heldenlieder. 





der beherzten Niflunge Hilfe zu fordern, 
denn fern jet find wir den Felſen des Rheins!“ 


20. Der Hunnen fieben traf Hognis Stahl, 
in des Teuer? Glut flog der achte: 
jo ficht ein Held, wenn Feinde ihm dräuen, 
wie Hogni für Gunnar die Hände regte. 


21. Doch gefangen ward Gunnar, in Feilen geſchloſſen 
und die Burgunden? alle in Bande gelegt; 
fie fragten den fühnen König der Goten, 
ob jein Zeben mit God? er löſen tolle. 


Gunnar, 

22. „Exit joll Hognis Herz in der Hand mir liegen, 
aus der blutenden Bruft des Bruders gejchnitten, 
des jchneidigen Reiters, mit ſcharfem Meſſer.“ 

Sie jchnitten dem Hjallid das Herz aus der Brujt 
und brachten e8 Gunnar auf blutiger Schüffel. 


23. So redete Gunnar, der Reden Gebieter: 
„Hier halt’ ich das Herz Hjallis, des Feigen, 
das dem Herzen des Helden Hogni nicht gleicht: 
auf der Schüffel noch ſchmählich bebt es, 
als die Bruft es barg, exbebt’ es noch mehr.” 


24. Es lachte Hogni, als das Herz man ihm ausjchnitt, 
nicht kannte das Klagen der kühne Helmbaum *, 
Sie brachten e8 Gunnar auf blutiger Schüſſel. 


⸗ 





1 ®gl. zu Sigurparkvipa skamma 41. 

2 Es ift dies die einzige Stelle, an welcher der Name des Volkes, dem der 
biftoriide Gunnar angehörte, in den eddiſchen Liedern genannt wird. Gleich 
nachher (3. 3) heißt Gunnar wieder „König der Goten” (j. zu. Grimn. 2). 

3» Mit Gold, gemeint ift der Niflungenhort, den Atli in feine Gewalt be= 
fommen wollte. 

4 Gunnar und Hogni fennen allein den Ort, wo der Schaf im Rhein ver- 
fenft ift (Str. 27). Gunnar, der feſt entjchlofjen ift, das Geheimnis nicht zu ver— 
raten, will zu feiner Beruhigung davon überzeugt werden, daß der einzige Mit- 
wifjer getötet ift. Natürlich hat er nicht verlangt, daß dem Hogni das Her; bei 
lebendigem Leibe ausgejchnitten werde. Nach dem Nibelungenliede (Str. 2306 fg.) 
wird zuerft Gunther getötet und deſſen Kopf dem Hagen überbradt. 

5 Hjalli, der Koch Atlis, der zuerft getötet wird, um Gunnar zu täufchen. 
Nach den Atlamöl (Str. 61) behält er auf Hognis Bitte das Leben. 

s Helmbaum, poetiſche Umſchreibung für Krieger, Held. 


32 Das Lied von Atli (Atlakvipr). 26] 





25. So jpradh jet Gunnar, der Speerniflung: 

Hier halt’ ich das Herz Hognis, des fühnen, 
da3 dem Herzen nicht gleicht Hjallis, des feigen: 
es bebt nicht jeher auf dem Boden der Schüffel, 
als die Bruft e8 barg, erbebt' es noch minder. 


26. „Nicht ſchauen wirt du die Schäße jemals, 
wie dich ſelbſt, o Atli, Fein Auge bald fieht. 


27. „Nun weiß ich allein, two die Wogenglut liegt, 
der Hort der Niflunge — Hogni ift tot; — 
als wir zwei noch gelebt, war mein Zweifel! Schwach, 
nun als letter ich Ieb’, bin ich ledig des Zweifels. 


28. „Der reißende Rhein num Hüte, was Reden zum Streit 
; entflammte, 
das einjt die Aſen bejeffen?, das alte Niflungenerbe! 
Im rinnenden Wafler beſſer find die Ringe des Un— 
heils verborgen, 
al3 wenn an Hunnifchen Händen das helle Gold er- 
glänzte! 


. „Sefeijelt ift der Feind, nun führt herzu die Wagen!“ 
Zum Tode jchleppte der Träger des Zaums 
den Helden Gunnar, den Hüter der Schäße. 


30. Auf dem Hengſte Glaum* ſaß der Herricher Atli, 
von ſchimmernden Schiden und Schwertern umgeben; 
doch kaum vermochte Gudrun, die den Göttergejchlecht 

entjtamınte, 
den Lauf der Thränen zu hemmen in lärinerfüllter 
Halle. 
Gudrun, 

31. „So jchlecht jei im Leben dein Los, o Atli! 

wie dur jchlecht dem Gunnar die Schwüre hielteft, 


184) 
Ne} 





. 1 Der Zweifel, daß das Geheimnis des Hortes verraten werden fönne. 
2 Nach den Reginsmöl waren ja Ddin, Hönir und Loki, wenn aud nur auf 
furze Zeit, im Befise des Schatzes. 
3 Auf einem Wagen ward Gunnar zu der Schlangengrube geführt. Wozu 
es noch andrer Gefährte bedurfte, ift nicht erſichtlich. 
Glaum (d. h. „der Muntere“) wird auch in der Kälfsvisa (Snorra Edda 
Arnam. Ausg. I, 482) als Ro AtliS erwähnt. 


‘ 


262 Zweites Buch. Heldenlieder. 





bei der Sonne gelobt, bei Sigtyrs! Berge, 
bei des Ehebetts Pfoſten, bei Ulls? Ringe!” 


32. Die Krieger fließen den König lebend 
in die finjtre Grube, gefüllt mit Schlangen, 
mit giftigen Nattern, doch Gunnar jchlug 
mit den Händen erbittert das Harfenfpiel?; 
e3 Hangen die Saiten: ein fühner Fürſt 
ſoll jo vor den Gegnern ſein Gold behüten. 


33. Bom Mordplat lenkte der mächtige Atli 
zu den Gtätten der Heimat das jtampfende Roß; 
der Hof erſcholl vom Hufichlag der Pferde, 
von den Waffen des Volks, das vom Walde heimfanı. 


34 Mit goldnem Kelche trat Gudrun Heraus, 
daß Gebührendes glei) der Gebieter empfange: 
„Froh nun ſpeiſe, o Fürſt, im Saale, 
was don eignem Aufwuchs eben geſchlachtet“.“ 


35. Da klangen Atlis Humpen, mit klarem Wein gefüllt, 
als in der Halle munter der Hunnen Söhne ſchwatzten; 
auch die kühnen, knebelbärt'gen Krieger ſchritten zum 

Saale, 
die in Myrkheims? dunklen Schluchten den Mord an 
Gunnar vollbracht. 


36. Die weißwangige Fraus fam . . 

. den Männern den Trumt zu bringen; 
und widerwillig reichte das Weib die Koſt dem Fürſten; 
dann ſprach die hartgeſinnte mit Hohn zum erbleichen— 

den Atli: 





ı Sigtyr (d. h. „der ſiegreiche Gott“) — Odin. Zahlreiche Berge in Deutich- 
land, Skandinavien und England ſind nach dem Gotte benannt, 1 Grimm „My— 
thologie“, ©. 139 fg. 

2 UIL, ſ. zu Lokas., Broja nad Str. 52, und Grimn. 5. Bon einem Ringe 
des Gottes ft fonft nichts überliefert. 

3 Nach der Vols. saga E. 37 war ed Gudrun, die dem Gunnar die Harfe 
fendete. Er fohläferte durch fein Spiel alle Schlangen ein, nur eine Natter (Atlis 
Mutter) ließ ſich nicht betäuben und ftad ihn ins Herz; vgl. zu Odär. 29. 

* Gudrun drüdt ſich abfihtlih dunfel aus: Atli muß bei dem „eignen 
Aufwuchs“ natürlih an junge Tiere denfen, während Gudrun die gemordeten 
Knaben meint. 

5 Myrkheim, wohl identiſch mit Myrkwid, T zu Odär. 23. 

6 Die weißwangige Frau, d. h. Gudrun. 


32. Da3 Lied von Atli (Atlakviba). 263 





37. „Du haft, Beutejpender, die blutgetränfkten 
Herzen der Söhne mit Honig gegeflen; 
Menjchenfleifceh Haft du zur Mahlzeit gehabt 
und freigebig auch deinen Fürſten gejpendet. 


38. „Nicht jchaufelit du Erp und Eitilt wieder 
auf den Knieen beide, wenn Bier jte erheitert; 
auch fiehit du nicht mehr im Sitz die jungen 
Spender de3 Goldes Speere jchäften, 
oder Stirnhaare? fürzen und Streitroffe tummeln.“ 


39. Lärm entitand auf den Bänfen, lautes Rufen der 

Männer, 

der Waffenfleider Klivven, es weinten die Kinder der 
Hunnen; 

doch troden blieb Gudruns Auge, die Thränen nimmer 
vergoß 

um der bärenfühnen Brüder, um der blühenden Kinder 
Tod, 

der unverjtändigen, jungen, die jie dem Atli gebar. 


40. Sie verſchenkte Gold?, die ſchwanenweiße, 
und begabte die Knechte mit glänzenden Ringen; 
zu erfüllen das finjtre Schidjal, ließ das funfelnde 
Erz fie wandern; 
daß die Kammer von Schäßen leer ward, bekümmerte 


nicht ihr Herz. 


41. Der Borficht vergaß Atli, da er voll und toll jich 
getrunfen; 
auch Waffen nahın er nicht mit fih, ex wahrte fich 
nicht dor Gudrun; 
oft war beſſer das Spiel, wenn beide Ehegatten 
fich freundlichen Sinns umfingen in der fürftlichen 
Helden Kreis. 





1 Erp (d. 5. „der Braune”) und Eitil(d 5 „Knorren“, „Knaſt“), die beiden 
Knaben Atlis und Gudruns. 

2 Stirnhaare (im Urtert „Mähnen”); das Befchneiden und Kämmen ber 
Mähnen wird in den Sagas oft als Lieblingsbefhäftigung der Männer erwähnt. 
Vgl. Prymskv. 5. 

3 Gudrun verteilt das Gold, um den Zorn der Mannen wegen ber Ermor— 
dung der Königsjöhne zu bejchwichtigen, vielleicht au, um die Aufmerkjamteit 
von den Vorbereitungen zu ihrem Rachewerke abzulenfen. 


264 Zweites Buch. Heldenlieder. 





42. Die Hand war bereit zum Morde, fie hob die bliende 
Klinge!, 
tränfte das Lager mit Blut und löfte die Ketten der 
Hunde?; 
jie weckte vom Schlaf die Knechte, dann warf fie hinein 
in den Saal 
den brennenden Feuerſcheit: jo wurden die Brüder 
| gerächt. 


43. Sie weihte dem Teuertod alle, Die innen im Wohn- 

haus jchliefen; 

da3 Gebälf, das uralte, barjt, es brannten die Tempel 
zu Aſche, 

der Budlunge ganzes Gehöft; eine Beute der Flammen 
wurden 

die Schildjungfrauen jämtlich, fie verichlang die heiße 
Glut. 


44. Zu Ende geſungen iſt dies; kaum wird auf Erden 
jemals | 
in die Brünne gekleidet ein Weib der Brüder Tod 
fo rächen. 
Volkskönige drei? Hat die fürjtliche Heldin 
geſendet zur Hel, eh’ fie jelber jtarb. 


Genauer noch ift hierüber berichtet in dem grönländifchen Liede 
von Alt. 





ı Nach unjerm Gedichte tötet aljo Gudrun den Atli allein, während fie fich 
nach den Atlamöl (Str. 85 fg.) der Mithilfe des Niflung, eines Sohnes von 
Hogni, bediente. 

2 Die Hunde werden gelöft und die Knechte gewedt, damit fie nicht bei bem 
Brande des Palaſtes umkommen. Die Krieger dagegen, die den Mord an Gunnar 
und Hogni vollbradt haben, und die Schildjungfrauen weiht Gudrun dem Tode 
(Str. 43). 

s Die drei Volkskönige find Atli und feine beiden Söhne. 


— 


33. Tas grönländiſche Lied von Atli (Atlamgl en gronlenzku). 265 





35. Das grönländiſche Lied von Atli. 
(Atlamöl en greenlenzku.)! 


1. Nicht wenigen ijt e3 befannt, wie weiland zum Rate 
zuſammen 
kühne Männer? kamen, doch keinem war's zum Nutzen; 
ſie faßten heimliche Pläne, die Harm ihnen ſpäter 
brachten, 
nicht minder den Erben Gjukis, die Argliſt ums Leben 
betrog. 


2. Es ſchufen ſich ſelber den Tod, den das Schickſal nicht 
wollte, die Fürſten; 

übel war Atli beraten, obwohl ihm Einſicht nicht fehlte; 

ſeine Stütze ſtürzt' er um und ſtiftete ſelbſt ſich Schadens. 

Er ſchickte Boten aus, daß bald die Schwäger kämen. 


3. Des Königs Frau war weiſe, ſie dachte die Klugheit 
zu nutzen; 

ſie hatte alles gehört, was heimlich die Männer 
ſprachen; 

doch ſchwierig ſchien es ihr, zu ſchützen ihre Brüder: 

über See fuhren die Männer*, ſie ſelber blieb zu Haus. 


4. Die Frau ſchnitt warnende Runen?, doch dieje fälſchte 
Wingis, 
der tückiſche Unheilsſchmied, eh' er die Tafel abgab; 








ı Hiernad wäre alſo unſer Lied in Grönland, das bekanntlich gegen Ende 
des 10. Jahrhunderts von Island aus entdedt und befiedelt wurde, entjtanden, 
und es liegt fein Grund vor, diefe Angabe zu bezweifeln; vgl zu Str. 17. 

2 Kühne Männer, nämlich Atli und jeine Ratgeber, die den Plan faßten, 
die Gjufunge zu verderben, um fich des Niflungenhort3 zu bemächtigen. 

3 D. 5. er tötete feine Schwäger, die feine Macht hätten ftügen fünnen, und 
bereitete fih dadurch fjelbft den Untergang, indem er die Rade der Gudrun 
herausforderte. 

4 Der Dichter unſers Liedes denkt fich alfo die Länder Atlis und Gunnars 
durch das Meer getrennt, während der Verfaſſer der Atlakvipa fie nur durch 
einen großen Fort (Myrkwid) gejchieden jein läßt. 

5 Gudrun warnt hier die Brüder auf andre Weife als in Atlakviha (Str. 8): 
fie jendet ihnen nämlich ein mit Runen bejchriebenes Täfeldhen. 

s Wingi, d. 5. „ver Schleuderer” (2), einer der beiden (Str. 61) Boten 
Atlis. Der Name des zweiten wird nicht genannt. Nach Atlakvipa ſandte Atli 
nur einen Boten, der dort Knefröd heißt. 


966 Zweites Bud. Heldenlieder. 





mit blähenden Segeln fuhren die Boten, entjandt 


von Atli, 
zum fernen Limafjord!, wo die fürjtlichen Helden 
wohnten. 
5. Sie entzündeten fejtliche Feuer und ſaßen fröhlich beim 
Biere, 


nicht Falſchheit trauten fie den fremden Gäjften zu; 
fie nahmen die Gaben entgegen, die der gute Schwager 


landte, 
und hängten jie an die Säule; nicht hegte Argwohn 
ihr Sinn. 
6. Koftbera? trat nun herein, die gekommenen zwei zu 
begrüßen, 
fie war die Ehefrau Hogni3 und emjig als Wirtin 
thätig; 
auch Glaummwor? fam in den Saal, Gunnar heitre 
Gemahlin, 


fie wußte mit würdigem Anjtand für das Wohl der 
Gäſte zu forgen“, 


7. Sie luden auch Hogni ein, daß leichter ſich Gunnar 
entjchließe; 

die Argliit lag am Tage, doch Einficht fehlte den 
Brüdern; 

Gunnar verhieß zu kommen, falls Hogni ihn be- 

; gleite, 
jein Ja gab Hogni auch, wenn jener zur Fahrt be- 
reit jei. 





ı Limafjord, entitanden aus Eylimafjord, d. h. „Meerbufen des Eylimi”. 
Dachte fich der Dichter Gunnar Reich in Jütland gelegen oder ward die Nennung 
dieje8 Meerarmd nur dur die dunkle Erinnerung an einen nordiſchen König 
veranlaft, der dort, ebenfall3 durch Verrat, unterging: Harald Graupelz; von 
Norwegen (geftorben 975)? 

2 Koftbera, d. 5. „die Speifejpenderin”, „die Wirtin‘ (2); fie ift wohl 
ebenjo wie Glaummwor eine von dem Dichter unjers Liedes frei erfundene Figur, 
da fie nur bier und in den abgeleiteten Quellen (Dräp Niflunga und Vols. saga) 
vorfommt. 

» Glaummor, b. h. „die heitere Frau‘. 

Nach Str. 6 ift eine Strophe ausgefallen, in der erzählt war, daß zuerst 
Gunnar eingeladen wurde. 


10. 


11. 


13. 


33. Tas grönländifche Lied von Atli (Atlamgl cn grenlenzku). 967 





. Die Reden brachten Met, reich war die Bewirtung; 


im Saale freiften die Hörner, bis die Helden fich jatt _ 
getrunken. 


es rüfteten die Gatten zur Ruhe die Zageritatt. 


. Klug war Kojtbera, die Kunde der Runen bejaß fie, 


fie wollte beim Schein des Feuers die Schriftzeichen 
lejen; 

doch jtockte ihr im Munde die Stimme, da nicht es 
glückte, 

deutlich zu erfaſſen der dunklen Worte Sinn. 


Mit feiner Gattin drauf begab zu Bett fich Hogni; 
die Frau Hatte jchivere Träume, die fie nicht verichloß 


im Innern; 

die Weiſe jprach zum Fürften, ſobald fie erwacht vom 

Ä Schlafe: 

„Zur Fahrt bereit bit du, doch folge klugem Rate 

und reife ein andermal — die Runen fennt niemand 
ganz. 

„Die Runen verjucht’ ich zu leſen, gerigt von Gudruns 
Hand: 


nicht hat die leuchtende Frau He geladen für dieſes 
Mal 


am meiften wundert mich eins, i6 vermag e3 nicht 
zu fallen: 
warum das weile Weib jo verworrene Stäbe fchnitt. 


. „Doch das jcheint angedeutet, als dräute Untergang 


euch beiden Brüdern dort, wenn alsbald die Fahrt 
ihr machtet; 

nur vergaß das Weib eine Rune, wenn ſie wiſſentlich 
andre nicht tilgten.‘ 


Hogni. 
Die Frauen ſind voll Argwohn, fern iſt das meiner Art; 
Verrat kümmert mich nicht, bevor ich ihn rächen muß. 
Das glutrote Gold wird als Gabe uns Atli bieten; 
Furcht iſt fremd meinem Herzen, erfuhr' ich auch 
nahende Schrecknis. 


268 


14. 


15. 


16. 


17. 


18. 





Zweites Bud. Heldenlieder. 
Kojtbera. 
Sucht ihr den Schwager auf, wird ſchlimm für euch 


e3 enden; 
einen liebevollen Empfang erlangt ihr diesmal nicht; 
hör’ meine Träume, Hogni, ich verhehle dir nichts 
davon: 
iſt meine Angjt begründet, jo naht ein Unglüd euch. 


Dein Betttuch meint’ ich zu jehn vom brennenden 
Feuer verzehrtt, 

meines Haufe Wände jah ih durchbrochen von heißer 
Glut. 


Hogni. 
Hier liegt Gewebe von Hanf, um das ihr wenig ſorgt: 
dies wird bald verbrennen, da im Traum du Bett— 
zeug ſahſt. 
Koſtbera. 
Einen Bären ſah ich kommen, er zerbrach die Hoch— 
ſitzpfeiler, 
ſchüttelte ſo die Pranken, daß erſchreckt wir alle wurden; 
ſein Rachen verſchlang unſer viele, zu entrinnen ver— 
mochten wir nicht; 
mächtig war das Getümmel, das ſich mitten im Saale 
erhob. 
Hogni, 
Ein Gewitter jteht bevor, wüten wird e3 entjeßlich; 
ericheint ein Eisbär? im Traum, iſt von Dften ein 
Sturm zu erwarten. 
Kojtbera, 
Einen Adler jah ich fliegen in die offene Halle hinein: 
das deutet auf arges Unheil; ung alle beiprigt’ er 
mit Blut; 
am gefährlichen Dräuen glaub’ ih zu erkennen den 
Folgegeiſt Atliss. 





ı Bgl. die Traumdeutungen in Gubr. II, 38 ff. “ 
2 Die Erwähnung bes Eisbären jcheint die Angabe der Überſchrift, daß 


das Gedicht grönländifhen Urjprungs ift, zu beftätigen. Nach Island wird das 
Tier nur jelten durch das Treibeis verjchlagen, und in Norwegen ift e8 ganz 
unbefannt. 


3 Den Folgegeift Atlis, ſ. zu Helgakv. Hjorv., Proſa nad) Str. 34. 


19, 


20. 


21. 


22. 


23. 


24. 





33 Das grönländifche Lied von Atli (Atlam$l en gronlenzku). 969 





Hogni. 
„sn Bälde ijt Schlachtezeit, drum ſahſt du Blut im 
Zraume; 
der Ochſen Tod zeigt’3 an, wenn man von Adlern 
träumt; 
doch was du auch träumen mögeſt, getreu ift Atlis 
Herz." 


Keine Antwort folgte mehr, zu Ende war das Geſpräch. 


Die Hochgebornen erwachten, es erhob fich ähnliche 
ede, 
da gramverkfündende Träume auch Glaumtmor Sorge 
machten; 


Zweifelhaft iſt es, Gunnar, ob der Zug glücklich endet.‘ 


Glaumwor. 
Einen hohen Galgen erblickt' ich, an dem du hängen 
ſollteſt; 
du wurdeſt gefreſſen von Schlangen, doch fand ich dich 
noch lebend; 


die Sonne verlor ihren Schein — ſage, was das 
bedeutet? 
Gunnar. 
* *1 
* 
Glaumwor. 
Eine Waffe ſah ich blutig aus deinem Gewand ge— 
zogen — 
traurig iſt's, ſolche Träume dem vertrauten Freunde 
zu jagen — 
mitten durch deinen Leib ſchien ein mörd’riicher Speer 
geitoßen, 
ich hörte die Wölfe heiſer Heulen zu beiden Seiten. 
? Gunnar. 


So hören wir alsbald der hurtigen Meute Gebell: 
oft künden fliegende Speere Gekläff von Hunden an. 


ı Hier und nach Str. 25 iſt die Antwort Gunnars ausgefallen. 


270 


25. 


26. 


27. 


28. 


29. 


30. 


Zweites Buch. Helvenlieder. 





Glaumwor. 
Mir ſchien's, als ſtürze ins Haus eines Stromes 
wilde Flut, 
deſſen brauſende Wogen brandend ſich über die Bänke 
ergöſſen; 
euer beider Brüder Füße zerbrach das ſchonungsloſe, 
tobende, tolle Waſſer: der Traum bedeutet etwas. 


Gunnar. 


* * 
* 


Glaumwor. 
Mir ſchien's, als träten bei Nacht tote Frauen! 
hier ein, 
in dürftige Kleider gehüllt, die dich entführen wollten; 
es luden zu ihren Bänken die leidigen Weiber dich ein; 
die Schickſalszjungfrau'n, glaub’ ih, haben den Schuß 
dir aufgejagt. 
Gunnar, 
„Die Warnung kommt zu jpät, nicht wandl’ ich den 
| Entſchluß; 
auch fürcht' ich nicht die Fahrt, nachdem ich mich feſt 
entſchieden, 
obwohl ich's kaum bezweifle, daß kurz unſer Leben 
ſein wird.“ 


Der Morgen brach herein, die Männer alle ſagten, 

ſie ſeien zur Fahrt bereit; nichts frommte der andern 
Einſpruch! 

Von den Fürſten reiſten fünf, als Gefolge ging nur mit 

ein kleines Häuflein Knechte; das war nicht klug 
überlegt. 


Snäwar und Solar? reiſten, ſie waren die Söhne 
Hognis; 
Orkning nannte man den, der den andern Helden folgte 





1 Tote Frauen, wahrſcheinlich Verwandte Gunnars, die ankündigen ſollen, 


daß er bald in Hels Reiche mit ihnen vereinigt ſein wird. 


2 Snäwar, Solar und Orkning (die Deutung der Namen iſt unſicher) 


werden ebenfall3 nur in unjerm Liede und in den aus ihm geflofjenen Quellen 
(Dräp und Vols. saga) erwähnt. 


33. Das grönländifche Lied von Atli (Atlamgl en gronlenzku). 971 





(der Herrliche Schilöbaum! war von Hognis Weib der 
: Bruder). 
Die Frauen gaben Geleit, bis der Föhrde Strom? fie 
ſchied; 
Wieviel die holden auch warnten, nicht hörten die 
Recken darauf. 


31. Glaumwor nahm das Wort, Gunnars kluge Hausfrau; 
fie wandte ſich an Wingi, wie der weile Sinn ihr's 
eingab: 
„Sch weiß nicht, ob ihr nach Bunte) die wirtliche 
Aufnahme lohnt; 
führt Faljchheit ihr im Schilde, war Trevel euer 
Beſuch.“ 


32. Einen Schwur leiſtete Wingi — EM fannte er 
nicht: 
„Belog ich euch, jo mög’ ich der feidigen Thurſen Beute, 
de3 Galgens Opfer werden, wenn im Geijt ich Treu- 
bruch plante.‘ 


33. Die janftgefinnte Bera® ſprach Segenswünjche aus: 
„Sei eure Seefahrt glüdlih, und Sieg jei euch ge- 
währt! 
Erfüllung werde den Worten, fein feindlicher Unjtern 
walte!‘ 


34. Holdgejinnt den jeinen, gab Hogni das zur Antwort: 
„Seid frohes Muts, ihr weifen, wie auch fich fügt 
das Schickſal! 
Trotz guter Wünſche wird oft das Glück dem Menſchen 
verſagt; 
von Hauſe geht mancher geſegnet, der nimmer die 
Heimkehr erlebt.“ 





ı Shildbaum, poetiſche Umſchreibung für „Krieger“, „Held“. 

2 Der Föhrde Strom, d. h. der Limfjord, ſ. zu Str. 44. 

3 Bera, Abkürzung von Koſtbera. Das erſte Kompoſitionsglied in weib— 
lien Eigennamen wurde oft weggelafien (Hild ftatt Brynhild 2c.). 

+ Obwohl die Helden nicht zum Kampfe ausziehen, wünfcht ihnen Koftbera 
Sieg. Diefer Wunfh durfte aber wohl in feinem Reifejegen fehlen; vgl Nr. 
IV,8+in Müllenhoffs und Scherer „Dentmälern“, wo ebenfall$ der Wunſch glüd- 
liher Seefahrt und der Wunich des Sieges in einer Langzeile vereinigt find. 


272 


36. 


37. 


38. 


39. 


Zweites Bud. Heldenlieder. 





Sie taujchten freundliche Blide, dann mußte die Tren- 
nung geſchehn. 
Es jchieden fich nach dem Schluß des Schickſals ihre 


Wege. 

Die Helden ruderten mächtig, Bis das halbe Schiff 
zerbrach!; 

fie regten zornigen Mutes die Riemen mit voller 
Kraft; 


die Ruderpflöde platten, es riſſen die Ledergurte. — — 
Die Fürſten verließen das Yahrzeug, befejtigt ward 
es nicht?. 


Das Ziel der Fahrt war nah” — erzählen muß ich 
den Ausgang — 
fie jahen bald die Burg, die Budli einjt bejaß; 
es Elopft’ an die Pforte Hogni, und narrend that fie 
ſich auf. 
Da redete Wingis Mund — das Wort war befjer 
vermieden: 


„Bleibt fern dem Haufe, ihr Männer (gefährlich ift 
der Eintritt: 

verbrennen werd’ ich euch bald, wenn das blikende 
Schwert euch fällte; 

freundlich (ud ich euch ein, doch Falſchheit ſteckte da- 
hinter); 

harret draußen lieber, bis ich hieb den Galgen zurecht.“ 


Gar Schnell gab Hogni Antwort, der Scheu vor nichts 
empfand 

und Gefahren, die unabwendbar, furchtlos ing Auge 
lab: 

„Vermeinſt du uns zu jchreden, die Mühe jpare dir! 

Wenn du ein Wort Hinzufügjt, jo wächjt dein Un- 
heil noch.“ 





ı Auch im Nibelungenliede (Str. 1504) zerbricht dem Hagen auf der Donau 


das Ruder, jo daß er es mit dem Schildricmen zufammenbinden muß. 


2 Sie liefen alſo das Schiff forttreiben, da die Ahnung ihnen jagte, daß fie 


e3 nicht wieder benugen würden. Im Nibelungenliede (Str. 1521) jhlägt Hagen 
das Fahrzeug in Stüde. 


40. 


41. 


42. 


43. 


33. Das grönländifhe Lied von Atli (Atlam$l en groenlenzku). 973 





Sie jehmetterten Wingi zu Boden und jchieten ihn 
zur Helt, 

unter den Hieben der Beile verhauchte er röchelnd den 
Geiſt. 


Seine Helden ſammelte Atli, Harniſche legten ſie an; 

gerüſtet ſtanden die Scharen im Raum des inneren 
Hofs?. 

Ergrimmt riefen einander die Gegner Worte zu: 

„Schon längſt war es beſchloſſen, das Leben euch zu 


rauben.“ 
Hogni, 
„au merken iſt es nicht, daß den Mordplan längſt 
ihr faßtet: 


übel wart ihr gerüjtet, und einer der Reden ift Hin; 
ihn fällten unſre Waffen, der vom Volk der Euren 
war.‘ 


In heftigen Zorn gerieten die Hunnen bei diejem 
Worte, 

die Finger regten fie flint und faßten die Bogenjehnen; 

zu ſchießen begannen fie eifrig, mit den Schilden flug 
ſich dedend. 


Nach innen fam die Nachricht, was außen vor fich ging, 
man hörte, was ein Knecht vor der Halle laut erzählte; 
in Grimm geriet Gudrun, als das Gräßliche fie ver— 


nahm: . 
das Halsband riß fie herunter, aus hellem Silber 
gerügt, 
zu Boden warf ſie's heftig, es brachen in Stüde die 
Ringe. 
. Sie jtieß die Thüren auf und ftürzte hinaus ins Freie 
— fie fannte feine Zucht — die gekommenen Freunde 
zu grüßen; 





ı Im Nibelungenliede (1900) jhlägt Hagen einem von Ekel Boten, dem 


Spielmann Wärbelin, der jedoch an dem Verrat unſchuldig ift, die rechte Hand ab. 


2 Hier find vielleiht mehrere Zeilen ausgefallen, in denen erzählt ward, 


daß Atlı die Auslieferung des Hortes verlangte und Gunnar diefe Forderung 
ablehnte; vgl. Vols. saga E 36 (Edzardi S. 190) und Nibel. 1679 (wo Kriemhild 
den Schag von Hagen fordert). 


Die Edda. 18 


274 


46. 


47, 


48, 


49, 





Zweites Buch. Heldenlieder. 
fie lief zu den Niflungen Hin — Dies war die lebte 
Begegnung — 
den Teuren die Lage der Dinge getreuen Sinnes zu 
melden: 
„Um euch zu retten, jucht’ ich von der Reife euch ab- 
zubalten, 


doch feiner entgeht dem Schickſal, kommen mußtet ihr 
doch.” 


Noch einmal fragte die Kluge, ob Ausgleich möglich 
wäre — 
doch nein Tprachen alle, es nüßte fein guter Rat. 


Die Hochgeborne jah, daß ein hitziges Kampfſpiel drohte; 
den Mantel warf fie ab, zu mutiger That entjchloffen. 
Sie entblößte das blanke Schwert, der Brüder Leben 


u ſchützen; 
im Streit verfuhr ſie nicht ſanft, ſie verſtand die 
Hände zu regen. 


Zwei der Krieger fällte die zornige Tochter Gjukis: 

der erſte war Atlis Bruder!, den man eilig dom 
Kampfplatz trug 

(fie hatte jo kräftig geichlagen, daß dom Körper den 
Fuß fie trennte); 

der andere, den fie hieb, gedachte ans Aufjtehn nimmer; 

zur Hel fchiete fie den — ihre Hände zitterten nicht. 


Den Streit, der hier gejchah, wird jtets im Lied man 

| preijen: 

wie Gjukis Söhne fochten, nichts Gleiches jah man je: 

[Man jagt, die Niflunge, ſolange jte jelbjt geatmet?] 

fie jchlugen mit Schwertern drein, daß die jchimmern- 
den Panzer brachen 

und Helme in Stüde ſprangen — ihr Heldenmut 
wanfte nie. 





nicht 


1 Bon den Brüdern Atlis (j. Str. 52) ift in den übrigen eddiſchen Liedern 
die Rede. Im Nibelungenliede tritt nur ein Bruder Etzels, Blödel (der 


hiftorifche Bleda), auf, welder in dem Kampfe der Burgunden gegen die Hunnen 
durch Dancwart fällt. 


2 Da Gunnar und Hogni nicht im Kampfe fallen, jondern gefangen ges 


nommen werden, jo muß dieſe Zeile interpoliert fein. 


33. Das grönländifche Lieb von Atli (Atlamöl en groenlenzku), 975 








50. Sie kämpften den Morgen Hindurch, bis im Mittag 
ſtand die Sonne, 
fie kämpften raſtlos weiter, bis zur Rüſte ging der Tag. 
Zu viel war das des Streitens! Das Feld war blut- 
getränkt, 
achtzehn lagen am Boden — Atli behielt den Sieg — 
auch Beras beide Söhne und ihr Bruder! waren tot. 


51. Budlis fühner Sohn begann exrbittert zu reden: 
„Ein ſchlimmer Anblid ift das, Die Schuld daran 
tragt ihr! 
Wir waren dreißig Degen, die derbe Streiter ſchienen, 
am Leben find’ jegt nur elf — die Lüde ift allzu groß. 


52. „Der Brüder waren wir fünf”, als Budli wir verloren; 
bei Hel jind längſt jchon zwei, zerhauen find jetzt 
zwei andre. 
Sch erlangt’ eine mächtige Sippe nicht leugnen kann 
dag, 
und ein Weib, das zum Fluch mir war und wenig 
Freude mir brachte. 


53. „Gemach Hatten wir ſelten, ſeit du vermählt mix 
wurdeſt; 
mein Geſchlecht iſt durch euch verwüſtet, mein Schaf? 
von euch geraubt; 
ihr ſchicktet die Schwejter* zur Hel, was am ſchwerſten 
ich verwinde.“ 
Gudrun. 
54. Das, Atli, wirfſt du mir vor, der zuerſt die Greuel 
mich lehrte? 
Meiner Mutter Gold zu erlangen, ermordeteſt du ſie 
im Zwinger?; 





ı Beras beide Söhne und ihr Bruder: die in Str. 30 genannten 
Helden. 

2 Nach ber Vols. saga (EC. 36) hatte Budli nur vier Söhne, von denen jedoch 
feiner mit Namen genannt wird. 

s Mein Schag, gemeint ift wohl die Mitgift Brynhilds, der, weil fie kin—⸗ 
derlos geſtorben war, an Atli hätte zurückfallen müſſen. 

4 Die Schwefter, natürlich Brynpild. 

5 Davon, dag Atli Gudruns Mutter (Grimhild) und eine Schweftertochter 
Gudrung ermorden ließ, wifjen die übrigen Quellen unfrer Sage nichts. Die 
Vols. saga (€. 36) jpricht nur von einer „Verwandten“ Gudrung, die Atli ver- 
hungern ließ. 


18* 


276 


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Qt 


Zweites Bud. Heldenlieder. 





in der Höhle ließejt du dann verhungern die fluge Baje. 
Lächerlich dünft es mich, daß du dein Leid mir flagit; 
danfend ehr’ ich die Götter, weil auch dich das Un— 
heil traf! 
Atli. 


. Ich fordre euch auf, ihr Fürſten, der Frau den 


| Jammer zu mehren; 
in Harm verſunken möcht' ich das hehre Weib erblicken; 


macht, daß gräßliche Klagen von Gudruns Lippen 


56. 


57. 


58. 


.. tönen: 
Wonne wär’ e3 für mich, wenn ich fie weinen jähe. 


Schafft jchnell herbei den Hogni und jchlikt den 
Leib ihm auf, 

jchneidet ihm aus der Bruſt mit jcharfem Meſſer das 
Herz! 

An den Galgen hängt mir dann Gumnar, den 
troßigen Reden, 

oder werft ihn vor den Schlangen — der Weifung 
folget raſch. 

Hogni, 

„Thue, was dir beliebt, den Tod erivart’ ich heiter, 

furchtlos wirft du mich finden, da ich früher jchon 
Arges litt. 

Die Haut wehrten wir tapfer, ſolang' wir heil noch 
waren, 

jet find wir geſchwächt durch Wunden, drum ſchalte 
wie du willſt!“ 


Da nahın Beiti! das Wort, der der Budlunge Truch— 
ſeß war: 

„Den Halli laßt ung nehmen und Hognis Leben 
Ichonen ! 


Der träge Taugenichts jterbe, der zum Tode längjt 
ſchon reif; 

zur Laſt nur iſt ex ung lebend, der lange ein Faul— 
pelz hieß.“ 





ı Beiti, d. h. „ver Antreiber” (2) Diefer Name wird in dem Rarallel- 


berit der Atlakviha (Str. 22 ff.) nicht genannt. Vgl. die Anm. zu jener Stelle. 


59. 


60. 


61. 


63. 


33. Das grönländifche Lied von Atli (Atlamg$l en greenlenzku). 977 





Der Topfguder ward erjchredt, ſeinen trauten Sitz 
verließ er, 

von Furcht und Angit ergriffen, verkroch ex fich feig 
2 im Winkel: 

„Bas nur verbrach ich Armſter, daß ich büßen joll 

eure Händel? 

Zu ſchwer it das Geſchick, meine Schweine zu ver- 

laſſen 

und die fette Koſt dazu, die ich friedlich lange genoß.“ 


Sie griffen Budlis Koch und zückten das blanke Meſſer, 

es ſchrie der elende Sklave, noch eh' er die Schneide 
fühlte; 

er ſei gewillt, ſo rief er, die Weideplätze zu düngen, 

die ſchmutzigſte Arbeit zu thun, wenn man Schonung 
ihm gewähre; 

behielt’ er nur fein Leben, ſei Hjalli reich beglückt. 


Da ward e8 Hognis Wille — e8 handeln wenige jo — 

von den Kriegern zu exbitten, daß fie des Knechtes 
ſchonten: 

„Dies Meſſerſpiel, ſo mein' ich, iſt mir ein leichter 


1 


Werk!; 
wer möchte hier wohl lange hören auf ſolch Gewinſel?“ 


. Den Helden packten nun der Hunnen tapfre Krieger, 


ihr Wille war es nicht, das Werk noch aufzufchieben; 
Hogni lachte Hell, es hörten’3 die Männer alle; 
Qualen mutig zu dulden, verſtand der Kühne gut. — — 


Da faßte die Harfe Gunnar, mit den Füßen? jchlug 
fie der Held?; 

er wußte jo jchön zu jpielen, daß die Weiber in 
Thränen ſchwammen; 





1 D. 5. ih werde es ftandhafter dulden, wenn man mir mit dem Mefjer das 


Herz ausfchneidet 


2 Mit den Füßen, da ihm die Hände gebunden waren; ſ. Vols. saga 


C. 37 (Edzardi ©. 199). 


3 Vgl. zu Atlakv. 32. Daß Gunnar durch den Biß einer Schlange getötet 


wird, erzählt unſer Lied nicht ausdrücklich; doch ergibt fich aus Str. 56*, daß der 
Dichter dieſes Ende des Helden ebenfalls kannte, 


278 


64. 


66. 


67. 


68, 


Zweites Bud. Heldenlieder. 





es klagten ſogar die Männer, die den Klang der 
Saiten hörten. 

So gab er der Herrlichen Kunde, big die Harfe ihm 
zerbrach. 


Tot waren die Helden, als der Tag zu grauen anfing; 
lang’ hat fie überlebt der leuchtende Glanz des Ruhms. 


. Stolz war Budlis Sohn, der beide niedergetredt; 


jeiner Frau jagt’ er die Unthat, und Vorwürfe jchloß 
er an: 

„Es tagt der Morgen, Gudrun, die teuren büßtejt 
du ein, 

doch trägſt du jelbjt die Schuld zum Teil, daß jo 
e3 kam.“ 


Gudrun. 


Munter bift du, Atli, weil du Mord verfünden fannit, 
folgen wird die Reue, erfuhrſt du alles recht; 
eine Erbichaft wirst du empfangen, die ich dir Fünden 
will: 
dich trifft noch manches Unglüd, wenn nicht mich 
der Tod entrafft. 


Atli, 
Dem Unheil beug’ ich vor, ich weiß einen andern Rat 
— verfehlt’ ich auch oft das Gute — der um vieles 


beſſer ift: 

ich Schenke dir Sklaven zum Troft und jchimmernder 
Kleinode viel, 

Eilber, weiß wie Schnee, To wie du jelbit es wünſcheſt. 

Gudrun, 

„Wiege dich nicht in Hoffnung, ich weile die Gaben 
zurüd; 

ob leichteren Verſehens lehnt' oft ich Sühne ab!. 

Man hieß mich troßig früher, noch höher wuchs 
mein Trotz; 

wär’ Hogni noch am Leben, ri, ich eher mein herbes 

03. 





1 Daß diefe Worte auf die Tötung der Grimhild anfpielen jollen, ift Schwer 


glaublidh. 


69. 


71. 


72. 


73. 


33. Das grönländifche Lied von Atli (Atlam$l en groenlenzku), 979 





„Zuſammen erzog man una in demjelben Haufe beide, 
wir jpielten im laujchigen Hatine und wuchſen lang- 
| ſam heran; 

Grimhild jchenkte ung gen Gold und jchimmernden 

Halsſchmuck. 
Büßen kannſt du mir, Atli, der Brüder Ermordung 
nimmer, 
noch weniger das erreichen, daß ſein Weh mein Herz 
vergißt. 


„Das ſchwache Weib muß leiden von der ſchweren 
Fauſt des Mannes!; 
wie die Eſche welkt ſie hin, der man die Aſte weghieb, 
wie der Waldbaum neigt ſie das Haupt, dem die 
Wurzelfaſern durchſchnitten. 
Du kannſt nun, Atli, frei mit allem nach Willkür 
ſchalten.“ 


Der Recke war harmlos genug, den Reden des Weibes 
traut’ ex; 

die Arglift lag am Tag, doch Einficht fehlte ihn. 

Gewandt erwies ſich Gudrun, ihre wahre Meinung 
verbarg fie; 

fie zeigte ein heitres Antlitz und jpielte mit zweien 
Schilden ?. 


Für der Brüder Erbmahl ließ fie Bier in Fülle be- 
reiten ?, 
auch Atli wollte zugleich feine eignen Toten feiern. 


Sie taujchten nicht länger Worte, der Trank wurde 
gebraut; 

bei dem Gelage erhob fi) des Lärmes übergenug. 

Nun brütete Schlimmes die Wilde, ergrimmt auf 
Budlis Gejchlecht; 

fie wollte gräßliche Rache an ihrem Gatten vollziehn. 





I Diefe Worte ſpricht Gudrun, um Atlis Argwohn einzujchläfern und ihn 


fider zu machen. 


2 D. 5. fie zeigte ftatt des roten Schildes, der Feindichaft ankündigt (j. zu 


Helgakv. Hund. I, 34), den weißen Schild des Friedens (fie verbarg ihre feind- 
lihen Abfichten und heuchelte Nachgiebigfeit). 


3 Bgl. zu dem Profaftüde: Frä dauda Sinfjotla 8. 6. 


280 


74. Sie lodte herbei die Kleinen!, 


76. 


77. 


78. 


79. 


Zweites Bud. Heldenlieder. 





die luſtig am Hochſitz 
ipielten. 


die Troßigen wurden augſlüch doch Thranen vergoſſen 
| fie nicht; 
figend im Schoß der Mutter, was fie jollten, fragten fie. 


Gudrun, 


. Spart daS müßige Tragen! morden will ich euch 


beide; 
lange jchon hatte ich Luft, das Leben euch zu vauben. 


Die Knaben, 
„Wenn du's willit, jo töte die Kinder: wehren wird's 
dir feiner; 
doch des Bater Zorn weckſt du, führſt du zu Ende 
das Wert.“ 


Der Knaben blühendes Leben zerknickte ſie rückſichtslos, 
ohne Erbarmen ſchnitt ſie beiden die Köpfe ab. — 
Jetzt noch fragte Atli, wohin die jungen Burſchen 
gelaufen wären zum Spiel, da er lange ſie nicht 
geſehn. 
Gudrun, 
Magen will ich eg, Atli, die Wahrheit dir zu jagen, 
da Grimhilds Tochter nichts dem Gatten verhehlen 


mag; | 
froh fein wirft du nimmer, erfährſt du alles genau; 
doch ſchufſt du, die Brüder mir tötend, dir jelbjt dein 
böſes Geſchick. 


Schlaf nur ſelten fand ich, ſeit jene erſchlagen wurden; 
ich drohte mit argen Thaten: deſſen erinn're dich jetzt! 
Des Morgens noch gedenk' ich, an dem du den 

Mord mir fund gabſt?: 
ein Abend brach herein, an dem ich dir Botjchaft jage. 


Die lieben Söhne beide verlorſt du ; 
.. was du nimmer durftejt thun; 





ı Die Kleinen, ihre und Atlis Söhne, Erp und Eitil. 
2 Gudrun jpielt auf Atlis Worte in Str. 653 an. 


33. Das grönländifche Lied von Atli (Atlamgöl en groenlenzku. 981 





die Schädel der Knaben haft du als Schalen beim 
Trunk benußt!, 
auch jogjt du das Blut der Brüder, das ich ing Bier 


gemischt. 


80. Die beiden Herzen nahm ih und briet am Spieß 
fie gar, 
als Kalbfleifch trug ich dann dem König die Speife auf; 
jelber aßejt du alles und übrig ließeſt du nichts, 
beim Beißen haſt du Fräftig die Badenzähne gerührt. 


81. Nun weißt du der Kinder Schickſal — To Schlimmes 
hat feiner erlebt — 
bereitet Hab’ ich das Unheil, doch rühmen will ich 


mich nicht. 
| Atli, 
82. Wie fonntejt du, graufame Gudrun, fo gräßliche That 
vollführen, 
das Blut der eignen Kinder in den Becher mir zu 
miſchen? 


Du haſt die nächſten Verwandten, was du nimmer 
durfteſt, gefällt; 
Schaden auf Schaden fügſt du, ſchlimmes Weib, mir zu. 


Gudrun, 


83. Mein jehnlichiter Wunſch ift das, dich jelber auch 
zu töten, 
fatt wird meine Rache an ſolchem Manne nie; 
wie im Wahnfinn Haft du, Fürft, mas die Welt noch 
nie gejehn, 
das Beijpielloje getan, Verbrechen auf dich geladen; 
am Ende begingjt du noch, was gleichfall3 uner- 
| hört ift, 
bei deinem eignen Erbmahl der Übelthaten jchlimmite?. 





1 Dieje Zeile ift nah Grundtvig aus einem Liede, das die Wölundfage be— 
handelte, bier eingedrungen, da Gudrun die Schädel der eben gemordeten Knaben 
nicht glei zu Trinkſchalen verarbeiten lafjen fonnte. Eher ift aber wohl mit 
Bugge anzunehmen, daß der Dichter das befannte Motiv einfach entlehnt hat. 

2 Die Worte find doppelfinnig: das „eigne Erbmahl” fann \owohl das von 
Atli feinen Brüdern geweihte Erinnerungsfeft, ald das Mahl beveuten, das aus 
Anlaß feines eignen Todes veranftaltet wird. 


282 


84. 


85. 


86. 


87. 


88, 


— 


Zweites Buch. Heldenlieder. 





Atli. 


Geſteinigt ſollſt du werden, auf Stößen von Holz 


verbrennen; 
erlangt haſt du es dann, wonach du längſt geſtrebt. 


Gudrun. 
„Morgen magſt du dir ſelbſt melden ein ſolches 
| | Schickſal; 
durch edleren Tod will ich in ein andres Leben wandern.“ 


Sie ſaßen im ſelben Raume und ſannen auf Arges beide, 

wechſelten feindliche Reden, froh war feiner geſtimmt; 

dem Niflung! wuchs der Haß, ex nährte große 
Pläne; 

Gudrun that er es fund, wie ergrimmt er auf Atli fei. 


Vor Augen trat e3 ihr wieder, wie man einjt mit 

Hogni verfuhr; 
ehrenvoll, ſprach fie, jet eg, den edlen Vater zu rächen. 
Sie jchoben’3 nicht lange auf,  erichlagen wurde Atlı; 
ihn tötete Hognis Sohn, Hilfe leitete Gudrun. 


Der Rede begann zu reden, aus der Ruhe des 
Schlummers gejchredt: 
„Die brennenden Wunden fühl’ ih, Verbandes bedarf 


es nicht; 

nun meldet mir die Wahrheit: wer mordete Budlis 
Sohn? 

Heilung iſt nicht zu hoffen, die Hiebe find gut geführt.’ 


Gudrun. 
Nimmer wird Grimhilds Tochter dem Gatten die 
Wahrheit verhehlen: 
mit Hilfe von Hognis Sohne Hab’ ich den Helden 
gefällt; 
durch tiefe Wunden entkräftet, entrinnjt du dem Tode 
nicht. 





ı Niflung ift nad Vols. saga €. 38 ein Sohn Hognis. Die Einführung 


diefer Figur bemweift eine Einwirkung der jüngern deutfhen Sage. Nach der 
Pidreks saga (€. 393. 423 ff.) zeugt nämlich Hogni in der Nacht vor feinem Tode 
einen Sohn, Namens Aldrian, der, nahdem er herangewachſen ift, den Attila in 
eine Berghöhle lockt und dort verhungern läßt. Nach der Atlakviba wird der 
Mord von Gudrun ohne Beihilfe eines andern verübt. 


33 Das grönländifche Lied von Atli (Atlamgl en groenlenzku). 9283 





Atli. 
89. Schändlih war es, Gudrun, ſo jchnöden Mord zu 
üben; 
du täujchtejt arg den Freund, der fejt auf dich ver- 
traute. 
90. Boll Sehnjucht zog ich aus, zu freien um Sigurds 
Witwe, 


denn hochgepriejen warjt du, ob auch herrijch dein 
Sinn genannt ward 

(feine Züge war das Wort, wie ich's längjt erfahren 
habe); 

bald führt’ ich Heim die Braut, von vielen Helden 
geleitet. 


91. Gar herrlich war das Leben an unjerm Hof zunächit, 
e3 frönte ung mit Ehren der edlen Reden Kreis; 
der Rinderherden Fülle gab reichen Unterhalt, 
und viele Mannen konnt' ih erfreu'n mit meinem 

Go. 


92. Ich ſchenkte dir, Hehre, als Mahlſchatz Geſchmeide 
und Kleinode viel, 
dazu der Knechte dreißig und kräftiger Mägde ſieben; 
an Silber und an Ehren hat's ſelten dir gefehlt. 


9. Die Geſchenke nahmſt du entgegen, als ſchienen fie 

dir ein Nichts, 

nach dem Gebiete begehrend, das Budli Hinterlich!; 

doch heimlich warſt du thätig, daß dom Horte? ich 
nicht3 befam. 

Oft haft du jchmerzliche Thränen der Schwiegermutter? 
entpreßt; 

in gutem Einvernehmen waren wir Gatten nie. 





ı Atli, ſcheint es, wirft der Gudrun vor, daß fie ihn zu dem Kriege mit 
feinen Brüdern angeftachelt habe, ba fie das ganze Reich Budlis (dad nad dem 
Tode diejed Königs unter die fünf Brüder verteilt worden war) zu beherrichen 
wünſchte. In der folgenden Strophe weiſt Gudrun die Bejchuldigung zurüd und 
behauptet, dag Atli jhon längſt mit feinen Brüdern verfeindet gemejen jei. 

2 Bom Horte, nämlich von Sigurd Schag, den nad defien Tode Gun= 
nar und Hogni an fich gerifien hatten. 

3 Bon der Schwiegermutter Gudrungs wiſſen die übrigen Quellen nichts 
zu berichten (mit Ausnahme von Vols. saga €. 38, die nur die Worte unjers 
Liedes paraphrafiert). 


254 


94. 


9. 


96. 


97. 


Zweites Bud. Heldenlieder. 





Gudrun. 
Der Lüge zeih' ich dich, Atli, obwohl ich's leicht 
verſchmerze; 
daß ſelten ich ſanft mich zeigte, ſchreibe dir ſelber zu. 
Ihr Brüder kamt jung in Streit, weil ihr böſen Ver— 
leumdungen glaubtet!; 
drob fuhr zur Hel hinunter die Hälfte deines Ge— 
| ſchlechts?; 
frevelnd wurde zerſtört, was Vorteil bringen mußte. 


Geſchwiſter waren wir drei?, wir ſchienen trotzigen 
Sinnes; 

vom Lande jegelten wir, um Sigurd zu geleiten*; 

Ichnell famen wir vorwärts,  jein Schiff jteuerte jeder; 

jo folgten wir dem Schidjal, bis wir fern im Djten 


waren. 
Den König töteten wir, gewannen im Kampf das 
Reich, 
von Furcht ergriffen, mußten die Fürſten uns Dienſte 
thun; 


Frieden gewährten wir manchem, der verfehmt das 
Land verließ, 

mit Schätzen ward überhäuft, wer einſt feinen Schilling 
bejaß. 


Da ſtarb der hunniſche Held?, die herrliche Zeit war 
um; 

jebt jaß befümmert ala Witwe da3 jugendliche Weib. 

Noch ärger ſchien mir das Los, in Atlis Haus zu 
fommen; 

den Helden, den ich verlor, konnt' nie mein Herz ver— 


geilen. 





ı Gefhichtlih ift es, dag Attila feinen Bruder Bleda töten ließ, um die 


Alleinherrihaft zu erlangen. 


zwei 


2 Die Hälfte deines Geſchlechts, d. h. zwei Brüder, während die andern 


in dem Kampfe gegen die Gjukunge fielen (ſ. oben Str. 52). 


3 Die drei Geſchwiſter find Gunnar, Hogni und Gudrun; Gutthborm, 


der Grimhilds, aber nicht Gjukis Eohn war (f. zu Hyndl. 27), wird nicht mit— 
gezählt. 


4 Bon diefem Heerzuge, den die drei Kinder Gjufiß mit Sigurd unternahmen, 


wiffen die übrigen Duellen (mit Ausnahme von Vols. saga) nichts zu berichten. 


5 Der hunniſche Held, d. h Sigurd, f. zu Sigurparkv. skamma. 4°. 


33. Das grönländifhe Lied von Atli (Atlamg$l en greenlenzku). 985 





98. Kehrteft du heim vom Feldzug, To hörten wir nie= 
mals das, 
daß das Gefecht du gefuht und der Feinde Schar 
vernichtet; 
weichen wolltejt du immer, Widerjtand niemals Leiften, 
alles geduldig tragen — 
Atli. 
99. Der Lüge zeih' ich dich, Gudrun, doch wird die Lage 
dadurch 
beſſer für keinen von uns; beide übten wir Schlimmes! 
Doch einmal, Gudrun, noch ſei gütig mir geſinnt 
und laß, zur Ehre uns beiden, den Atli würdig be— 


ſtatten. 
Gudrun. 
100. „Ein Fahrzeug will ich kaufen und einen gefärbten 
Sarg!, 


auch gut das Laken wächſen, in das deinen Leib ich hülle, 
ſo trefflich alles beſorgen, als wenn wir uns teuer 
geweſen.“ 


101. Den Geiſt gab Atli auf, ſeinen Erben mehrt' er den 
Kummer. — 
Was ſie verhieß, das hielt alles die Hochgeborne; 
dann dachte die ſinnige Gudrun, ſich ſelbſt das Leben 
zu nehmen — 
anders fügt’ es das Schickſal, ihr Ende fand fie jpät?. 


102. Selig preis’ ich jeden, dem jolche Kinder erwachſen, 
die der Glanz des Ruhms umftrahlt, wie Gjufi fie 
gezeugt. 
Es wird für eiwige Zeiten, ſoweit der Exdfreis reicht, 
ihr Mut, den nicht? gebeugt, im Munde des Volkes 
leben. 


—— 





ı Gudrun will alfo den Atli in einem Schiffe beifegen, vgl. die Anm. zu 
dem Profaftüf Frä dauda Sinfjotla 3 8. 

2 Dies ift wohl nur eine allgemeine Phraſe, da die Sage von Erben, bie 
Atli Hinterließ, nichts weiß. 

3 Bgl. die profaifche Einleitung zu dem folgenden Liede. 


286 Zweites Bud. Heldenlieber. 





34. Gudruns Aufreizung. 
(Guprünarhvot.) 


Gudrun begab fih and Meer, nachdem fie den Atli getötet 
hatte. Sie jchritt in die See hinaus und wollte ſich ertränfen, aber 
fie fonnte nicht unterjinfen!, und die Woge führte fie über die Bucht 
in das Land des Königs Jonakr?. Er nahm fie zur Ehe: ihre Söhne 
waren Sorli, Erp und Hamdir?, Dort wurde auch Swanhild*, die 
Tochter Sigurdg, aufgezogen; fie ward mit Jormunrekẽ dem Mächtigen 
vermählt. Bei diefem war Bikfi®: der gab den Rat, da Randwer”, 
des Königs Sohn, fie heiraten jolle....... Das erzählte Bikki dem 
Könige?. Der König ließ den Randwer aufhängen und die Swanhild 
von Pferden zertreten. ALS Gudrun dies erfuhr, ver fie ihre Söhne 
zur Rache auf?. 


1. Bon wehbringendem Wortſtreit Hört’ ich, 
von Fränfenden Reden, durch Kummer veranlaßt, 
iwie harten Herzen? mit herben Worten 
ihre Knaben Gudrun zum Sampfe reizte: 


2. „Was lungert ihr bier, euer Leben verträumend? 
wird zum Ekel euch nicht euer albern Gejchwäß? 





1 Die Vols. saga (EC. 39) fügt hinzu, dag fie Steine in ihren Bufen gefüllt 
babe, aber trogdem nicht untergehen fonnte. 

2 Diefe dritte Ehe der Gudrun ift ein nordiſcher Auswuchs der Sage. 
Sonafr ift wahrjcheinlich ein ſlawiſcher Name. 

3 Dieje Angabe, die auch in der Vols. saga und in den Skäldskaparmäl (E. 7) 
fih findet, widerjpriht dem Berichte der Hampismgl (Str. 14. 15), nach welchem 
nur Hambdir und Sorli Gudruns Söhne waren, während Erp dem Jonakr von 
einem andern Weibe geboren war. 

* Swanhild, ſ. zu Sigurbarkv. skamma 552. Dieſe Figur ift alt, aber 
erſt die nordiſche Sage machte fie zu einer Tochter Sigurds, um jo die Ver— 
fnüpfung der Ermenrihjage mit der Niflungenjage zu ermöglichen. 

5 Sormuntef, j. zu Hyndl. 25. 

6 Bikki, d.h. „Köter“ (9, f. zu Sigurparkv skamma 64. 

"Randmwer, d. h. „ver Schildgeweihte” (2), Jormunref3 Sohn aus einer 
frühern Ehe. Nad der Vols. saga (E. 40) wurden er und Bikki von Sormunref 
zu Gudrun gefendet, um für diefen um Swanhilds Hand zu werben. Die Jung: 
frau ward ihnen übergeben, aber auf der Heimfahrt jagte Bikki zu Randwer: 
„Recht wäre e3, daß Ihr eine jo ſchöne Frau hättet, und nit ein jo alter Mann.” 
Dem Yüngling leuchtete das ein; er ſprach freundlich mit Swanhild, und beide 
fanden Gefallen aneinander ; vgl. auch Skäldsk. C. 7. Nach diefer Erzählung ift 
die Lüde in 3. 8 zu ergänzen. 

8 Nach ber Vols. saga jagt der verleumderiſche Bikki ausdrüdlih, daf ein 
fträflihes Verhältnis zwiſchen Randwer und Swanhild beitehe. 

° Vgl. die ausführlihere Darftellung in den Skäldsk. €. 7 und Vols. 
saga €. 40. 


34. Gudruns Aufreizung (Guprünarhvot). 287 





Jormunrek ließ eure junge Schweſter 

auf dem Heerwege von Hengſten zertreten, 

von ſchwarzen und weißen ſchnellen Pferden 

und Grauſchimmeln auch, die die Goten gezähmt. 


3. „Nicht gleich jeid ihr Gunnars Geſchlechte, 
beherzt nicht jo, wie Hogni es war; 
ihr juchtet Rache Für Swanhilds Tod, 
wär” meiner Brüder Mut euch eigen 
oder Hunnijcher: Könige Heldenkühnheit.“ 


4. Da ſprach Hamdir2, der hochgejinnte: 
„Du lobteſt minder den Mut Hognis, 
als die Schwäger Sigud vom Schlummer wedten?; 
dein Betttuch Schwamm im Blute des Gatten, 
vom Wundentau rot tar das weiße Linnen. 


5 „Daß du blutig rächteft der Brüder Tod, 
war dir ſelbſt zum Unheil: die Söhne* erichlugit du; 
lebten die fühnen, jo könnten wir leicht 
vereint an Jormunrek üben die Rache. 


6. „Das Heergewand Hole der Hunnenfüriten, 
zum Mordfampf Haft du den Mut ung entflammt. 


7. Zur Lade ging Gudrun lachenden Herzens 
und holte der Helden Helme heraus, 
auch weite Brünnen, zur Wehr den Söhnen; 
bald jaßen die fühnen Kämpen im Cattel. 


8. Da ſprach Hamdir, der hochgefinnte: 
„ur Mutter kehrt nie der mutige Speergott, 
fein Leben läßt ev im Lande der Goten; 
dann kannſt du ung allen das Erbmahl rüjten, 
für Swanhild und auch Für die Söhne dein.‘ 





ı Hunnijd, d. 5. ſüdgermaniſch: j. zu Sigurparkv. skamma 43. 

2 Samdir, d.h. „der Mann im (Waffen-) Kleide”. 

3 Vgl. die Anm. zur Schlußproja von Brot und unten Str. 17. 

4 Die Söhne, nämlich Atlis und Gudruns Söhne Erp und Eitil; f. unten 
Str. 12 jowie Atlakv. 37 fg. und Atlamgl 74fg. 

5 Speergott, poetifche Umschreibung Em: „Krieger“, „Held“. Hamdir be= 
zeichnet fich mit diefem Worte jelbit. 


288 


9 


10. 


34. 


13. 


14. 


pi 
Ot 


16. 


17. 


Zweites Buch. Heldenlieder. 





Weinend ging Gudrun, Gjukis Tochter, 
vorm Thore ließ fie traurig fich nieder; 
von Zähren benett, erzählte die Fürjtin 
die Leiden all, die das Leben ihr brachte: 


„Drei Feuer jah ich, drei flammende Herde, 
drei Herrjchern ward ih ins Haus geführt; 


doch Sigurd allein bejaß mein Herz, 


dejjen Leben mir raubten die leiblichen Brüder. 


„Der Leiden ſchwerſtes erlitt ich da, 
doch noch mehr der Drangjal erdulden mußt’ ich, 
da die Edlinge mih mit Atli vermählten. 


„sch rief heimlich die vajchen Knaben; 


nur dadurch Löjcht” ich den Durſt nach Rache 
daß den Kindern ih die Köpfe abjchnitt. 


„Ich ging zum Strande, ergrimmt auf die Nornen, 
ihrem Zorne mic) zu entziehen dacht’ ich; 

jtatt mich zu ertränfen, trug mich die Woge, 

ich watet’ ans Land, mußt' weiter leben. 


„Das Bett eine Königg — Beſſres erhofft! ih — 
bejtieg ich duldend zum dritten Male; 

Kinder gebar ich, künftige Exben, 

künftige Erben dem fühnen Jonakr. 


. „&3 jaßen die Mägde zu Swanhilds Füßen, 


die ich inniger liebte als alle Kinder; 
jo hat mir Swanhild den Saal erhellt 
wie der Sonne Strahl, die den Segen fpendet. 


„Ich Ichenkte ihr Gold und jchimmernde Stoffe, 
eh’ ich jie fortgab ins Volk der Goten; 

das ijt mir der herbſte Harm gewejen, 

daß das blonde Haar des blühenden MWeibes 
die knirſchenden Roſſe im Kot zertraten. 


„Doch der bitterjte der, als im Bett die Mörder, 
des Sieges beraubt, den Sigurd erjchlugen; 


34 Gudruns Aufreizung (Guprünarhvot). 289 





der grimmigjte der, als Gunnar damals 
den bunten Schlangen zur Beute ward!, 


18. „Und der heftigjte der, als das Herz man ausjchnitt 
bei lebenden Leib dem exlauchten Helden ?; 
des Unheil gdenf ih . . . . 


19. „Aufs ſchwarze Streitroß ſchwinge dich, Sigurd, 
hierher lenke den Hurtigen Renner; 
ich bejite nicht Tochter, noch Sohnes Gattin, 
die Gudrung Herz durch Gaben erfreue. 


20. „Erinn're dich, Sigurd, mas einjt wir Tprachen, 
al3 wir beide beifanımen im Bette ſaßen: 
von Hel verhießeft du heimzukehren, 
ich, Fürſt, verſprach, dir zu folgen im Tod. 


21. „Nun jchichtet, ihr Jarle, den Scheiterhaufen?, 
laßt Hoch ihn ragen zum Himmel empor; 
Feuer verzehre das Fluchbeladne, 
geängjtigte Herz und ende mein Leid.“ 


22. +Heitrer werde der Helden Sinn, 
leichter den Frauen die lajtende Sorge, 
die laujchend hörten das Lied der Klage. 


BC Zn sur 3 





1 Bgl. zu Sigurparkv. skamma 59. 

2 ®gl. zu Dräp Niflunga 2. 18. 

3 Hiernach läßt fih Gudrun fchlieglich aljo doch noch verbrennen, um mit 
Sigurd vereinigt zu werden. Der Entſchluß dazu fommt freilich etwas jpät. 

4 Dieje Strophe enthält nicht Worte der Gudrun, jondern des Dichters. 


Die Edda. 19 


290 


Zweites Buch. Heldenlieder. 





35. Das Lied von Hamdir. 
(Hampismöl.) 


. P’Harmvolle Thaten erhoben fich früh, 


als der arge Betrüber der Elben? nahte; 
der Morgen erwedt den Menjchen die Sorgen, 


die lajtend ein ſchweres Schickſal bedrückt.] 
.Das ging nicht heute, noch gejtern vor fich, 


ſchon lange Zeit verlief jeitdem, 
les it doppelt jo alt als die ältejten Dinge]? 
da reiste Gudrun, Gjukis Tochter, 


ihre Söhne auf, die Swanhild zu rächen: 


. „Sure Schweiter hieß man die ſchöne Swanhild, 


die Jormunrek im Heerweg jüngjt zertreten ließ 
von jchwarzen und weißen jchnellen Pferden 
und Graufchimmeln auch, die die Goten gezähmt. 


. „Euch fehlt der Mut eurer fürftlichen Ahnen, 


der Nachkommen lebte vom Niflungenjtamm. 


. „Ich bin einfam jebt wie die Eſpe im Wald, 


der Verwandten beraubt wie die Weide des Laubes, 
an Freuden leer iwie die Führe an Ziveigen, 
die die Schädigerin der Aſtet jengte am ſchwülen Tag.“ 


. Da ſprach Hamdir, der hochgefinnte: 


„Du lobteft minder den Mut Hognis, 
al3 die Schwäger Sigurd vom Schlummer wedten; 
du ſaß'ſt auf dem Lager, es lachten die Mörder. 


. „Dein Betttuch Ihwamm im Blute de3 Gatten, 


vom Wundentau rot mar das weiße Linnen; 
Sigurds Augen erlojchen, du ſaßeſt an der Leiche, 
zergangen war deine Freude: das that dir Gunnar an. 





ı Diefe Strophe ift von einem Interpolator Hinzugefügt; urjprünglich begann 


das Gedicht mit Str. 2. 


2 DerargeBetrüberderE&lben, db h. ber Tag, ſ. zu Alvissmöl Str. 36. 
3 Dieſe Zeile ift ein jpäterer Zuſatz. 
4 Die Shädigerin der Äſte, poetifhe Umschreibung für Sonne. 


35. Das Lieb von Hambir (Hampism$!). 291 





8. „Du dachteft durch Erps! Ermordung ſowie durch 
Eitils Tod 
Atlis Herz zu treffen, Doch ärger war deine Qual; 
das Schwert gebrauche man, das jchmerzenbringende 
nur, 
den andern zu verderben, doch nicht zum eignen 
Schaden.“ 


9. Das Wort nahm Sorli? drauf, dem weifer Sinn ver— 

liehn war: 

„Richt möcht’ ich mit der Mutter müßige Reden 
tauchen ; 

nur eines iſt von euch bis jetzt nicht ausgejprochen: 

du bitteft um das, Gudrun, was du bitter beweinen 


wirft. 
10. „Du klagſt um deiner Brüder, um der blühenden Kin— 
der Tod, 
um engverwandte Sippen, die Opfer des Streits ge— 
worden; 


auch ung beweinen wirft du, die hier, geweiht dem Tode, 
auf den Pferden fien und beide in der Ferne jterben 
| müſſen.“ 


11. Nun ſchaute vom Söller das ſchlankfingrige, 
ruhmreiche Weib die Gerüſteten an, 
und alſo ſprach ſie zum älteren Sohne: 
„Gefahr droht nimmer, fechtet ihr ſchweigend?. 


—— 
es können dann zivei Männer zehnhundert Goten 
in der Burg, der hochgewölbten, binden oder töten.‘ 


13. Sie gingen vom Hofe, dor Grimm jchnaubend; 
dann ritten die Helden auf hunniſchen Roſſen 
durch bereiftes Gebirge, zu rächen den Mord. 





ı Erp und Eitil, ſ. zu Atlakv. 38. 

2 Sorli, d. 5. „ver Waffenträger”, „der Gewaffnete“ (2). 

3 Gudrun hatte nad) der Vols. saga (E. 42) ihren Söhnen Rüftungen gegeben, 
die fein Eifen verlegen fonnte. Nach unfrer Strophe erteilt fie ihnen dazu den 
Rat, während bed Kampfes nicht zu ſprechen: dies Gebot wird aber von Hambdir 
verlegt, und die beiden Brüder finden infolgedefien den Tod (ſ. unten Str. 24 fg.). 


19 * 


292 Zweites Bud. Heldenlieder. 





14. Sie fanden am Wege den Bielgewandten!: 
„Wie fönnte ung beiftehn der Braungelodte!‘ 


15. Antwort gab er drauf, der andrer Mutter entjtammt 
war?: 
„Die die Hand der Hand, To Helf’ ich den Brüdern, 
iwie der eine Fuß dem andern Fuße?.“ 


Hamdir, 


16. „Wie könnte dev Fuß dem Fuße helfen, 
die feſtgewachſene Fauſt der andern?‘ 


17. Nur wenige Worte exrwiderte Exp, 
der jtolz auf dem Rüden des Rofjes fich wiegte: 
„Nicht Frommt’3, den Weg dem eigen zu weiſen.“ 
Einen Bajtard jchalten die Brüder den Helden. 


18. Aus der Scheide flogen die Schwerter alsbald, 
die funfelnden Klingen, zur Freude der Riefint; 
fie minderten jo ihre Macht um ein Drittel, 
indem fie den fühnen Knaben fällten. 


19. Sie jhüttelten die Mäntel, machten die Schwerter feit, 
die hochgebornen Helden, und hüllten ſich in ihr 
Gewand. 


20. Sie verfolgten ihren Pfad, fanden den Unheilsweg>, 
jahen der Schweiter Stieffohn® durchbohrt am Stamme 
ſchweben, 





1 Den Vielgewandten, nämlich ihren Stiefbruder Erp. 

2 Vgl. zu Guprünarhvgt, proſaiſche Einleitung 8. 5. 

3 Wie die Vols. saga a. a. D. (und ähnlich Skäldsk. E. 7) erzählt, ſtrau— 
chelte Hamdir, als die Brüder nah Erp Ermordung ihren Weg fortfegten, und 
ftredte die Hand vor fi, indem er jprad: „Erp wird wahr gejagt haben; ich 
würde nun fallen, wenn ih mich nit auf die Hand ftüßte.” Bald darauf 
ftraudelte Sorli, ftüßte fi aber auf einen Fuß und fonnte fi aufrecht erhalten, 
und ſprach: „Fallen würde ich, wenn ich mich nicht auf beide Füße fügte.’ Sie 
jagten fih nun, daß fie übel gethan hätten an Erp, ihrem Bruder. — Diejen 
fiherlih alten Zug der Sage konnte der Dichter unſers Liedes nicht gebrauchen, 
ba er Sorli und Hambir zu Roß ihren Weg zurüdlegen läßt. 

* Die Riefin, d. 5 die Todesgöttin Hel. 

5 Den Unheildmweg, d. 5. den Heerweg, auf dem Swanhild von den 
Roſſen zertreten war (Guprünarhvogt 23 und oben 32). 

s Der Schweiter Stiefjohn, d. 5. Randwer. 


35. Das Lied von Hamdir (Hampismgl). 293 





am windgepeitichten Wolfsbaum!: im Welten des Ge— 
höfteg, 

von des Kranich® Speife? umfrochen — feiner weilte 
dort gern. 


21. In der Halle war Lärm, die Helden im Bierraufch 
hörten das Stampfen der Hengjte nicht. 
Da jtieß ins Horn der beherzte Wächter. 


22, Die Jarle jagten dem Jormunrek, 
daß behelmte Männer dem Hofe nahten: 
„Auf Rat jeid bedacht, die Reden find nah; 
ihr Habt tapfern Männern getötet die Schweiter.“ 


23. Da ſchmunzelte Jormunrek, den Schnurrbart’ dreht’ 
er höhniſch 
und jtrich den Wangenwald?, der Wein machte ihn 


mutig; 

er bejah jeinen bligenden Schild, Schüktetnb da3 braune 
Gelock, 

und ſchwenkte in den Händen die Schale von lauterm 
Gold. 


24. „I ichäßte mich glüdlich, ſchaut' ich allhier 


in der Halle mein Hamdir und Sorli; 
ich bände die Burfhen mit Bogenjehnen 
und hängt’ an den Galgen Gjukis Enkel.“ 


25. Im Haufe erhob fich Getümmel, die Humpen ftürzten 
herab, 
im Blut lagen die Männer, das mit dem Bier fich 
mijchte. 


265 Da ſprach Hamdir, der hochgeſinnte: 
„Du wünſchteſt, Jormunrek, die Zünglinge zu jehen, 
geboren don einer Mutter, im Innern deiner Burg; 
du fiehjt deine Füße jebt, du ſiehſt deine Hände auch, 
Jormunrek, in des Feuers flammende Glut geworfen.“ 





ı Wolfsbaum, poetifhe Umschreibung für Galgen: Wolf (vargr) war 
eine Bezeihnung für Verbrecher, die für vogelfrei erklärt worden waren, und 
denen, fall3 fie ergriffen wurden, der Tod durch den Strang ſicher war 

2 Des Kranichs Speise, poetifhe Umſchreibung für Schlange. 

3 Wangenmwald, vgl. Hym. 10%. 


294 


27. 


28. 


29, 


30, 


31. 


32. 


Zweites Bud. Heldenlieder. 





Da brüllte Yaut mit Bärenjtimme 
der König im Harnifch!, kundig des Zaubers: 
„Iſt Jonakrs Brut gegen jeden Speer 
und Stahl gefeit, To fteinigt die Männer!‘ 
Sorli, | 
Shlimm wars, Bruder, den Schlau? zu öffnen, 
aus dem jchon oft ſich Unheil ergoß; 
fühn ijt dein Herz, doch Klugheit fehlt dir; 
viel mangelt dem, dem Vorſicht abgeht. 
Hamdir. 
„Ab wäre das Haupt, wenn Erp noch lebte?, 
der ſtreitkühne Bruder, den auf der Straße wir fällten, 
der ruhmgekrönte Held — uns reizten dazu die Nornen — 
die leidigen hießen mich ſein heiliges Leben rauben. 


„Brüdern nicht ziemt es, wie biſſige Wölfe 
zu befehden als Feinde ſich ſelbſt, 

wie die hungrigen, grauen Hunde der Nornen, 
die die wilde Wüſte gebar. 


„Gefochten haben wir brav, auf gefallenen Goten 
ſtehn wir, 
die des Eiſens Schneide traf, wie Adler auf hohem 
Zweig; 
herrlicher Ruhm iſt unſer, ob heut' oder morgen wir 
ſterben; 
niemand erlebt den Abend, wenn der Nornen Spruch 
erging.“ 


Da ſank Soli an des Saales Giebel, 
und Hamdir fill an des Haujes Rüdwand. 


Dieſes Gedicht nennt man. das alte Lied von Hambir. 





1 Der König im Harniſch, aljo Jormunret. Nach der Vols. saga (E. 42) 


gibt nicht er, jondern Odin, der in der Geftalt eines alten, einäugigen Mannes 
erjcheint, den Rat, die Brüder zu fteinigen 


2 Den Shlaud, d. h. den Mund. 
3 Dem Erp war es alſo zugedadht gemwejen, dem König dad Haupt abzu= 


ihlagen, während Sorli und Hamdir ihm Hände und Füße abbauen jollten. 





a ——— 


Anhang. 


Die mythifchen und heroiſchen Erzählungen 
der Snorra Edda. 





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I. Gylfis Verblendung. 
(Gylfaginning.) 


[1!. König Gyifi herrſchte über das Land, das jet Schwe— 
den heißt. Bon ihm wird erzählt, daß er einem fahrenden Weibe 
zum Dank für das Vergnügen, dag fie ihm durch ihre Künſte be- 
reitet hatte, jo viel Aderland in feinem Reiche zugeitand, als vier 
Ochſen in einem Tage und einer Nacht umpflügen könnten. Das 
Weib aber war vom Gejchlechte der Ajen und hieß Gefjon?; fie 
nahm vier Ochjen, ihre eignen Söhne, die fie fern im Norden in 
Sotunheim einem Rieſen geboren Hatte, und jpannte fie vor den 
Pflug. Der Pflug ging fo ſcharf und tief, daß er das Land heraus— 
riß, und die Ochjen jchleppten e8 gen Weiten in das Meer hinaus, 
bis fie in einem Sunde ftehen blieben. Hier fejtigte Gefjon das 
Land und gab ihm den Namen Selund®. Dort aber, wo das 
Land herausgerifjen war, entjtand ein See, der jet in Schweden 
2og * genannt wird; und es liegen jo die Buchten im Log, wie die 
Vorgebirge in Selund. So jagt der Dichter Bragi der Alted: 

„Sylfi ſchuf der Gefjon — Glut bejaß er der Fluten® — 

des Dänenreiches Dehnung”; dampfend die Dchjen ftampften. 
In den Stirnen hatten acht Sterne die Stiere und Köpfe viere, 
als fort zur fernen Furt fie am Pflug die Inſel trugen“.] 





ı Diejes Eapitel, welches in der Handſchrift von Upfala fehlt, gehörte ur— 
jprüngli nicht zur Gylfaginning, jondern ift au der Heimskringla (Ynglinga 
saga ©. 5) entlehnt. 

2 Diefe Gefjon ift fiherlih nicht die jungfräuliche Göttin, von der unten im 
€. 35 erzählt wird, und die Angabe, daß fie eine Aſin war (was die Heimskringla 
nicht berichtet), dürfte Zufag eines Schreibers jein, der die beiden gleichnamigen 
Perſonen identifizierte. 

> Selund, b. 5. „Seehundsinfel”, ber urjprünglicde Name von Seeland. 

4 209g, der Mälarjee. 

5 ©. zu Lokas. 8. 

6 Glut der Fluten, poetifhe Umschreibung für Gold. 

’ Die Dehnung (d. h. der Zuwachs) Dänemarks ift die Inſel Seeland. 


298 Anhang. 


2. König Gylfi war ein weifer Mann und zauberfundig. Er 
wunderte fich jehr darüber, daß das Volk der Aſen es jo einzu= 
richten verjtand, daß alle Dinge nach ihrem Willen gingen, und 
war im Zweifel, ob dies ihre eigne Befähigung beivirke oder die 
Macht der göttlichen Wejen, denen fie Verehrung zollten. Er 
machte fich daher auf den Weg nach Asgard, wünfchte aber nicht, 
daß feine Reife offenbar werde; jo nahm er die Gejtalt eines alten 
Mannes an und machte fich dadurch unkenntlich. Die Aſen je 
doch waren weiſer al3 er, da fie die Kenntnis der zukünftigen 
Dinge bejaßen; daher wußten fie voraus, daß er kommen werde, 
und bereiteten ein Blendwerf vor, um ihn zu täufchen. Als er 
num in die Burg gelangte, erblickte er eine Halle; die war jo Hoch, 
daß er faum Hinaufjehen konnte. Ihr Dach war mit goldenen 
Schilden belegt, nach Art eines Schindeldaches, wie Thjodolf von 
Hwin! e3 bezeugt, daß Walholl mit Schilden gededt war: 


„Swafnirs Saalichindeln ? ließen bejonnen die Männer, 
Dem Regen der Steine zu wehren, auf ihrem Rüden erglänzen.“ 


Gylfi jah in der Thür der Halle einen Mann, der jo gejchict 
mit Meſſern jpielte, daß immer fieben zu gleicher Zeit in der Luft 
waren? Der fragte ihn gleich nach jeinem Namen. Gylfi er— 
widerte, er heiße Gangleri* und habe fich auf feinem Wege ver- 
irrt; dann fragte er, wen die Halle gehöre? Jener Mann ant- 
wortete, jie gehöre ihrem Könige: „und ich will dich dort Hin- 
bringen, wo du ihn jehen kannſt“. Gylfi jah num viele Säle und 
viele Zimmer und viel Bolfs darin. Einige tranfen, andre jpiel- 
ten. Da ſprach Gangleri, da ihm vieles hier unzuverläſſig er- 


ichien [Hov. 1]: 





ı Thjodolf von Hmwin (heute Kvinesdal nm Lifterfjord), ein norwegischer 
Dichter (um 900). Die hier citierte Halbftrophe, welche in andern Quellen dem 
Thorbjorn Hornklofi, einem Landsmann und Altersgenofjen Thjodolfs, zugefchrieben 
wird, ftammt aus einem Gedichte auf die Schlacht im Hafrsfjord (872), die dem 
Könige Harald Schönhaar die Alleinherrfhaft in Norwegen fiherte. 

2 Swafnir = Ddin; Swafnird Saalſchindeln, poetifche Umſchreibung 
für Schilde. 

3 In diefem Sport joll König Dlaf Tryggwaſon ein Meifter gewefen feın 
(Flateyjarbök I, 368. 463 ff). 

4 ©. zu Grimn. 46. 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 2. 3. 299 





„Beim Eintritt jollten alle Männer, 
forgjam um fich jehn: 

denn nimmer fann man genau es wiſſen, 
ob ein Feind nicht ſitzt in der Flur.“ 


Er erblickte nun drei Hochſitze, einen über dem andern, und in 
jedem ſaß ein Mann. Da fragte er, wie dieſe Häuptlinge hießen? 
Der Mann, der ihn hineingeführt hatte, ſprach: „Derjenige, der 
auf dem unterſten Stuhle fit, ift ein König und heißt Har, der 
auf dem mittelften Stuhle heißt Jafnhar und der auf dem ober=- 
jten heißt Thridi!.“ Dann fragte er den Gangleri, ob er 
jonjt noch ein Anliegen habe: „an Speije und Trant fol es 
nicht fehlen“. Gangleri erwiderte, zunächjt wolle er erkunden, ob 
etwa ein weiſer Mann in der Burg fich befinde. Da fprach Har, 
er werde nicht lebend wieder hinauskommen, wenn ex fich nicht 
als der Klügere erweiſe; „und 


Stehend, Fremder, ftelle die Fragen; 
der Ermwidernde weile im Sitz?.“ 


3. Nun hob Gangleri folgendermaßen zu fragen an: „Wer 
ijt der höchſte oder ältejte unter den Göttern?” Har eriwiderte: 
„Der heißt in unfrer Sprache Allvater, in Asgard aber hatte er 
zwölf Namen: Allvater, Herjan, Hnikad, Hnikud, Fjolniv, Ogfi, 
Omi, Biflindi, Swidur, Swidrir, Widrir und Jalf?.” Gangleri 
forjchte weiter: „Wo befindet jich diejer Gott und was vermag er 
auszuführen? Hat er jchon durch eine That ſich Ruhm erworben?“ 
Har antwortete: „Er lebt ewig und waltet über alles in jeinem 
Reiche, Großes und Kleines.’ Jafnhar fügte Hinzu: „Er jchuf 
Himmel, Erde und Luft!” Thridi ſprach: „Rühmlicher ala daß 
er Himmel und Erde machte, iſt das, daß ex den Menſchen jchuf 
und ihm Leben und Seele gab. Der Leib zwar verweſt, doch alle 
die (Seelen der) Rechtichaffenen werden bei ihm weilen an dem 
Orte, der Gimle heißt; die Böjen dagegen fonımen zur Hel und 





1 Die Namen bedeuten: der Erhabene, der Gleiherhabene, der Dritte. 

2 Dieje Halbftrophe ftammt möglicherweife aus einer uns unbefannten Re= 
zenfion der Vafprüpnismgl. 

3 Vgl. über diefe Namen zu Lokas. 26 und Grimn. 46 ff. 


300 Anhang. 


von dort nad) Niflheim!, unten in der neunten Welt.” Gang 
leri fragte: „Was trieb er denn, ehe Himmel und Erde gejchaffen 
waren? Har erwiderte: „Damals war er bei den Reifriejen ?.’ 
4. Gangleri fragte: „Was war der Anfang und wie ijt er 

entſtanden?“ Har antwortete: „So heißt es in der Wolufpa 
[Vol. 3:] 

‚Sn der Urzeit Tagen war eitel nichts*: 

da war nicht Kies noch Meer, noch falte Woge; 

nicht Erde gab es, noch Oberhimmel, 

nur gähnende Kluft, doch Gras nirgends.‘ 


Jafnhar jegte Hinzu: „Viele Jahre vor der Erjchaffung der 
Erde war Niflheim entjtanden; mitten darin liegt der Brunnen, 
der Hwergelmir“ heißt, und aus ihm -ergießen ſich Folgende 
Flüſſe: Swol, Gunnthro, Fjorm, Fimbulthul, Slid, Hrid, Sylg, 
Ylg, Wid und Leiptr, endlich Gjoll, die zunächſt dem Höllenthor 
fließt. Darauf jagte Thridi: „Zuerſt beſtand jedoch die Ge— 
gend, welche Muspellsheim heißt; dieje ijt heil und heiß, und 
fie fann von niemand, der dort nicht zu Haufe tft, betreten werden. 
Surt® hat dort die Herrichaft, der an der Grenze feines Reiches 
figt; in der Hand Hält er ein glühendes Schwert, und am Ende 
der Welt wird er fommen und alle Götter bejtegen und die Welt 
mit Teuer verbrennen. So heißt e& in der Wolujpa [Vol. 52]: 


‚Vom Mittag fommt Surtt mit dem Mörder der Zweige, 
vom Schwerte leuchtet der Schlacdhtgötter Sonne; 

die Steinberge jtürzen, es jtraucheln die Götter, 

Hel jchlingt die Menfchen, der Himmel birſt.“ 


5. Gangleri fragte: „Was ging nun vor fich, ehe die Ge— 
ichlechter (der Menfchen) entjtanden und das Menſchenvolk fich 


ı Dies ift wohl eine irrtümlihe Angabe; Niflheim ift mit dem Reiche der 
Hel identiſch; vgl. zu Vafpr. 43. 

2 Das Eis war die Urmaterie, aus ber alles hervorging, und in ber Eis— 
welt muß fich daher der Schöpfer der Welt urjprünglich aufgehalten haben. 

3 Diefe Zeile lautet in den Handſchriften der Xieder-Edda anders; der Ber- 
fafier ver Gylfaginning hat geändert, um die heidnijche Überlieferung mit der 
Genefis in Übereinftimmung zu bringen. 

+ Hwergelmir, d. 5. „der in keſſelförmiger Vertiefung raufchende”; f. zu 
Grimn. 26. 

6 Bgl. Grimn. 27. 28. 

6 ©, zu Vol. 52 und Lokas. 42. 





I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 4. 5. 301 





vermehrte?” Har eriwiderte: „Die Flüſſe, welche Eliwagar! 
heißen, waren jo weit von ihrem Urfprunge fortgelommen, daß 
die giftige Flüſſigkeit, die fie fortwälzten, erſtarrte wie die Schlade 
in der Ejje. Nun befand fich dort auch (das aus Niflheim ge- 
fommene) Eis, welches ftehen blieb und nicht weiter vorrückte. 
Das Eis, das big an den Giftjtrom gelangt war, begann fich in 
Reif aufzulöfen; andererjeit3 gefror das dem Giftjtromentfließende 
Naß, und fo jchob fich eine Reifjchicht über der andern nach Gin- 
nungagap? hinein.” Jafnhar bemerkte: „Der Teil von Gin— 
nungagap, der gegen Norden gelegen war, füllte fich mit ſchweren 
und gewichtigen Mafjen, mit Reif und Ei3, die Sprühregen und 
Winde hervorbrachten; die ſüdliche Hälfte von Ginnungagap da— 
gegen wurde lauer durch die Teuerteilchen und Funken, die aus 
Muspellsheim flogen.” Thridi ſprach: „So wie das Rauhe und 
Kalte aus Niflheim fam, jo war alles das, was in der Nähe 
Muspellsheims lag, heiß und licht; Ginnungagap aber war jo 
lau wie windlofe Luft. Als nun die heiße Luft dem Reif be- 
gegnete, jo daß diefer zu jchmelzen und zu tropfen anfing, da ent- 
ſtand durch die Macht des (MWelt-) Herrichers ein Wejen, das wie 
ein Mann gejtaltet war. Sein Name war Ymir?, die Reifriejen 
aber nennen ihn Orgelmirt, und er ift der Stammvater ihres 
Gejchlecht3, wie es im Liede heißt [Hyndl. 34]: 


‚Von Widolf ftammen die Weisjagerinnen, 
die Wahrjager fommen von Wilmeid her, 
die Seher alle von Swarthofdi, 

von Ymirs Gejchlecht find alfe die Riefen.‘ 


„And anderwärts jteht gejchrieben [Vafpr. 31]: 


‚Aus den Elimagar troff ätzendes Gift, 
das thürmte fich, biß ein Thurs draus ward; 
das ift der Urjprung unjeres Gejchlechtes, 
drum ift rauh der Rieſen Sinn. 





1 ©. zu Hym. 5 und Vafbpr. 31. 

2 Ginnungagap, d. 5. „gähnende Kluft“ (Vol. 3). 

3 Ymir, f. zu Vol. 3, Vafpr. 21, Grimn. 40 fg. und Hyndl. 34. 
* Örgelmir, ſ. zu Vafpr. 29. 


302 Anhang 


Da fragte Gangleri: „Wie vermehrten fich nun weiter die 
Gejchlechter, und meint ihr, daß er ein Gott ſei?“ Har erwiderte: 
„Nicht halten wir ihn für einen Gott, denn er war böje wie jeine 
Nachkommen, die Reifriefen. Aber als er jchlief, geriet ex in 
Schweiß, da wuchs ihm unter dem linken Arme Mann und Weib, 
und fein einer Fuß zeugte mit dem andern einen Sohn, und fo 
erwuchſen ihm Nachkommen.“ 

6. Da fragte Gangleri: „Wo wohnte Pmir, und wovon lebte 
er” Har antwortete: „Es gejchah bald darauf, ala der Reif 
ſchmolz, daß die Kuh Audumla! daraus entjtand. Vier Milch: 
jtröme rannen ans ihren Zigen, und damit nährte fie den Ynir; 
die Kuh aber friftete dadurch ihr Leben, daß ſie die Reifſteine be- 
(eekte, welche jalzig waren. Am erjten Tage nun, als ſie leckte, 
fam eines Mannes Haar zum Borjchein, am zweiten Tage der 
Kopf und am dritten der ganze Mann. Sein Name war Buri?; 
er war der Vater des Bur?, der Beitlat, die Tochter des Riefen 
Bolthornd, zur Frau nahın. Dies Paar Hatte drei Söhne: 
Ddin, Wili und Wes, und das glauben wir”, jagte Har, 
„daß diefer Odin und feine Brüder die Welt und die Erde regie- 
ren. Und danach wird der benannt”, den wir für den mächtigjten 
halten. 

7. „Die Söhne Burs töteten den Ymir, und es lief aus jenem 
Körper jo viel Blut, daß fie darin das ganze Gejchlecht der Neif- 
riefen ertränkten. Nur einer entkam mit jeinen Angehörigen: ihn 
nennen die Riefen Bergelmir®. Er begab fich nämlich in fein 
Boot und rettete fi darin, und von ihm ftammen die (jüngern) 
Gejchlechter der Reifriefen, wie eg im Liede heißt [Vafpr. 35]: 





ı Audumla, d. h. „die Saftreiche” (2), wahrſcheinlich die Naß und Fruchtbar— 
feit jpendende Wolfe, wie au in den Wedas die Wolfen oft ald Kühe dargeftellt 
werben. 

2 Buri bedeutet wie Bur „ber Geborene”. 

3 Vgl. Vol. 4. 

4 Der Name könnte „bie Baftbinderin“ oder „Baſtflechterin“ bedeuten; ber 
Grund, warum fie jo genannt wurde, ift uns verborgen 

5 ©. zu Höv. 140. 

6 ©. zu Vol. 18 und Lokas. 26. 

” d. 5. infolge defjen werden auf ihn Umfchreibungen angewandt, wie „ber 
Lenker der Welt” u. a. 

8 ©. zu Vafpr. 29. 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 6—8. 303 





‚Ungezählte Winter vor der Erde Schöpfung 
gejchah Bergelmirs Geburt; 

ALS frühſtes wei ich, daß der erfahrne Rieje 
im Boote geborgen ward.‘ 

8. Gangleri ſprach: „Was fingen denn nun Burs Söhne 
an, da du glaubit, daß fie Götter ſeien?“ Har eriwiderte: „Nicht 
unerheblich iſt das: fie jchleppten den Ymir in die Mitte von 
Ginnungagap und jchufen aus jeinem Leibe die Erde, aus feinem 
Blute das Meer und die Gewäſſer, die Berge aus den Knochen, 
das Geftein aus den Zähnen und den Gebeinen, die zerbrochen 
waren.” Safnhar jagte: „Aus dem Blute, das aus jeinen 
Wunden floß, machten fie das Meer, in dem fie die Exde feit- 
legten.” Thridi ſprach: „Darauf nahmen fie den Schädel und 
fertigten daran den Himmel und jeßten ihn über die Erde auf 
vier vorstehenden Spiten, und unter jede Spibe ſetzten ſie einen 
Zwerg, den Auftri, Wejtri, Nordri und Sudri. Dann nahmen 
fie die Funken aus Muspellsheim und jegten fie mitten in Gin- 
nungagap oben und unten an den Himmel, um die Erde zu er= 
leuchten. Allen Lichtern gaben fie ihre Stellen; danach werden 
Tage und Jahre gezählt. So heißt e8 im Liede [Vol. 5]: 

‚Nicht wußte Die Sonne, wo fie Wohnung hatte, 
der Mond wußte nicht, welche Macht er hatte, 
die Sterne wußten nicht, welche Stätte fie hatten.‘ 


(Sp war e3, ehe die Götter Ordnung jchufen.‘!) 


Gangleri ſprach: „Das find jehr merkwürdige Dinge, und 
gewaltig ijt das Werk.” Har fuhr fort: „Die Erde iſt freisrund, 
und um fie herum liegt das tiefe Meer, an deſſen Küften die Götter 
den Riejen Wohnpläße anwieſen. Weiter rückwärts auf der Erde 
aber errichteten fie wegen der feindlichen Gefinnung der Riejen 
einen Burgwall rund um die Erde und benußten dazu die Wim— 
pern MMirs und nannten den Burgwall Midgard? Das Ge- 
hirn endlich warfen fie in die Luft und jchufen daraus die Wolfen, 
wie es im Liede heißt [Grimn. 40. 41]: 





1 Diejer Sa fehlt in der Handſchrift von Upſala. 
2 ©, zu Vol. 4 und Grimn. 20. 41. 


304 Anhang. 


‚Aus Ymirs Fleisch ward die Erde gejchaffen, 
aus dem Blute das braufende Meer, 

die Berge aus dem Gebein, die Bäume aus den Haaren, 
aus dem Schädel das jchimmernde Himmelsdach. 

Dod aus feinen Wimpern ſchufen weije Götter 
Midgard dem Menjchengejchlecht; 

aus dem Hirne endlich find alle die hartgefinnten 
Wetterwolken gemacht.‘ 


9. „Als nun Burs Söhne! am Meeresitrande wandelten, 
fanden fie zwei Bäume und jchufen aus ihnen Menſchen: der 
erſte gab ihnen die Seele, der ziweite das Leben, der dritte Gehör 
und Geficht, und e3 hieß der Mann Ask und die Frau Embla. 
Bon ihnen entjtammt das Menjchengefchlecht, dem unter Mid— 
gard die Wohnftätte eingeräumt ward. Darauf ſchufen die Götter 
in der Mitte der Welt A3gard: dort wohnten Odin und jeine 
Brüder und die Gefchlechter, denen unſer Nachwuchs entjprofjen 
iſt.“ Ferner ſprach Har: „Dort befindet fich ein Ort, der Hlid— 
jfjalf? heißt; und wenn Allvater fich dort in den Hochſitz jet, 
kann er die ganze Welt überjehen und jegliches Menjchen Thun 
wahrnehmen. Seine Gattin ijt Frigg?, die Tochter des Fjor— 
gyn“, und von ihnen ſtammt das Ajengejchlecht, dag den alten 
Asgard bervohnte, und es iſt dies ein göttliches Gejchlecht. Jord 
war jeine Tochter (und feine Frau’), und ein Sohn von beiden 
war Ajathor. 

[610. „Der Riefe Norwi oder Narfi? wohnte zuerjt in 
Sotunheim. Seine Tochter, die ſchwarze Nott, ward mit 
einem Manne, Namens Naglfarid, vermählt; ihr Sohn hieß 


- 





ı Alfo Odin, Witi und We; nad Vol. 17. 18 waren dagegen Ddin, Hönir 
und Lodur (d. 5. Loki) die Schöpfer des erjten Menjchenpaares. 

2 Vgl. Skirnismgl, prof. Einleitung 3.1 und Grimn., prof. Einleitung 8. 19. 

3 ©. zu Vol. 34. 

* Diefe Angabe ift vermutlih auf eine falfhe Aufſaſſung von Lokas. 261 
zurüdzuführen. Fjorgyn (— Odin) ift Friggs Gemahl, nicht aber ihr Bater. 

5 Diejer Zuſatz fehlt in der Handſchriſt von Upfala. 

6 €. 10—13, die den Zufammenhang ftörend unterbreden, find mit Recht 
fhon von Raſk und neuerdings au von Mogk für eine Interpolation erflärt. 

7 Bgl. zu Vafpr. 25. 

8 Diejer erfte Gatte der Nacht, der jeltfjamerweije denjelben Namen führt 
wie das aus den Nägeln der Toten gezimmerte Schiff des Hrym (f. unten €. 31), 
wird ſonſt nirgends erwähnt. 


I. Gylfis Berblendung (Gylfaginning). 9—11. 305 





Aud!. Später ward fie mit Onar? verheiratet, und diefem gebar 
fie die Jordẽ. Zulegtnahm fie Delling + zur Frau; beiderSohn 
war Dag?, der ſchön war wie fein Vater. Da nahm Allvater 
Nott und Dag und jeßte fie an den Himmel; er gab ihnen zwei 
Pferde und zwei Wagen, auf denen fie um die Erde fahren. Nott 
fährt mit Hrimfari®, der die Erde mit jeinen Gebißtropfen be- 
taut; Dag hat den Sfinfari?; von jeiner Mähne erglänzt Luft 
und Erde. | 

11, „Mundilföris hatte zwei Kinder: Mani hieß der. 
Sohn und Sol die Tochter. Diefe wurde mit Glen? vermählt. 
Die Götter zürnten wegen des Hochmuts, daß fie jolche Namen 
führten, und jeßten fie an den Himmel. Sol ließen fie die Pferde 
lenfen, die den Wagen der Sonne zogen, welche die Götter aus 
einem Funken gejchaffen hatten, der aus Muspellsheim flog. 
(Dieje Pferde heißen Arwakr und Aljwid!; unter dem Bug 
der Pferde befejtigten die Götter, um fie abzufühlen, zwei Blafe- 
bälge; dieſe werden in einigen Liedern Iſarnkol genannt. tt) 
Mani lenkt den Lauf des Mondes und waltet über Neumond und 
Vollmond. Er hob von der Erde die beiden Kinder Bil und 
Hjukit? zu fich empor, al3 fie von dem Brunnen famen, der 





ı Aud, d. h. „der Verlafjene” (9), diefen Sohn der Naht eıwähnt auch der 
isländiſche Dichter Halfred Dttarsjon (geb. um 968) in einer in der Snorra Edda 
(Arnam. Ausg. I, 322) erhaltenen Halbſtrophe. 

2 Onar, b. 5. „ver Feurige“ (2), wird in einer Halbitrophe desjelben Hallfred 
Ottarsſon (Snorra Edda I, 320) ald Vater der Jord genannt. 

3 Diefe Angabe fteht im Widerspruch zu dem Schlufje des vorigen Capitels, 
nah weldem Jord (die Erde) eine Tochter Odins war. 

4 So lautet der Name in den Vatprübnismgl, Str. 25, jowie im Cod. 
Wormianus und Cod. regius der Snorra Edda. Möglicherweife ift jedoch die 
Namensform, welde die Handſchrift von Upfala bietet, richtiger, nämlich Dog⸗ 
ling, d. 5. „der dem Morgentau Entſproſſene“, der Gott der Morgendämmerung. 
S. Mogk in Pauls und Braunes „Beiträgen‘ 6, 526. 

5 Bgl. Vafpr. 25. 

6 Bl. Vafpr. 14. 

” ®gl. Vafpr. 12. 

8 ®gl. Vafpr. 23. 

° Glen, d. 5. „ver Glänzende”, wird auch von dem isländiſchen Dichter Skuli 
Thorfteinsjon (geb. um 980) in einer in der Snorra Edda (I, 330) erhaltenen Halb⸗ 
ftrophe als Gatte der Sol erwähnt. 

10.®gl. Grimn. 37. 

11 Diejer Sag fehlt in der Handſchrift von Upfala. 

12 Bil (d.h. „die Abnehmende”) und Hjufi (d. 5. „der zu Kräften kommende“?) 
find wahrſcheinlich Perfonififationen der beiden Mondphajen. Zu der ganzen Er— 
zählung haben natürlich die Mondflecken Veranlaffung gegeben. 


Die Edda. 20 


306 Anhang. 


Byrgirt heißt; ihr Waſſergefäß hieß Sägr und die Stange (an 
der fie es auf den Achjeln trugen?) Simul?. Widfinnt hieß 
der Vater diejer Kinder, die den Mond begleiten, wie man das 
von der Erde aus jehen kann.“ 

123. Gangleri ſprach: „Schnell Fährt die Sonne, als wenn 
ſie in Zurcht ſei.“ Harerwiderte: „Nahe find ihr diejenigen, die 
jie verfolgen. Es find dies die beiden Wölfe Skoll und Hati, 
der Sohn Hrodwitnirgd.“ Gangleri fragte: „Bon wen 
ſtammen dieje Wölfe her?“ Har antwortete: „Ein Riejentweib 
wohnt im Often von Midgard in dem Walde, der Jarnwid® 
heißt, und nach ihm find auch die Zauberweiber benannt”, die 
dort haufen. Die alte Zauberin iſt die Mutter vieler Riefen, die 
jämtlich Wolfsgeftalt haben. Zu ihnen gehört auch Mana- 
garms, der fich von dem Tleifche gejtorbener Menjchen nährt 
und einjt den Mond verichlingen und den Himmel mit Blut be- 
iprißen wird. Dann wird die Sonne ihren Schein verlieren. So 
heißt es im Liede [Vol. 40. 41]: 

Oſtwärts jaß die Alte im Eifenwalde 
und gebar allda die Brut des Fenrir; 
von allen dieſen wird einer einmal 
des Geſtirns Erwürgerr in Wolfsgeftalt. 
‚Er ernährt fi vom Fleiſche  gefallener Männer 
und bejudelt mit Blut den Sit der Götter; 
der Sonnenschein dunfelt, in den Sommern darauf 
fommt mwüjtes Wetter — könnt ihr weit’res verjtehen ?'” 
13. Da fragte Gangleri: „Welcher Weg führt von der 
Erde zum Himmel? Har lachte und jprach: „Nun Haft du nicht 
flug gefragt. Iſt es dir nicht berichtet, daß die Götter zwischen 
Erde und Himmel eine Brüde jchlugen, die Bifroft? heißt? Du 
1 Byrgir, d. h. „der Einſchließer“ (der Erhalter der Feuchtigfeit?). 
2 Das Eingeflammerte fehlt in der Handſchrift von Upfala 
3 Die Deutung dieſer Namen ijt unſicher. 
s Widfinn, d. 5. „Waldbewohner“ (2). 
5 ®gl. Grimn. 39. 
s Jarnwid, d.h. „Eifenwald” ; vgl zu Vol. 40. 
? Sie heißen nämlich jarnvidjur, d. 5. „Bewohnerinnen des Eifenwaldes“ 
(Snorra Edda I, 58. 552). 


8 Managarm, d.h. „Mondhund“. 
9 ®gl. zu Grimn. 44 und Fäfn. 15. 





I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 12—14. 307 





wirjt fie gejehen haben, und möglich ift eg, daß du fie den Regen- 
bogen nennjt. Sie erglänzt in drei Farben und tft außerordent- 
lich fejt und mit größerer Kunſt verfertigt ala andre Bauwerke; 
aber jo ſtark jie ift, wird fie doch brechen, wern Muspells Söhne 
fommen und hinüberreiten. Ihre Pferde müſſen dann über breite 
Ströme ſchwimmen, und jo beenden fie ihren Ritt.” Gangleri 
ſprach: „Es jcheint mix doch nicht, daß die Götter diefe Brücke 
mit bejonderer Sorgfalt angelegt haben, da fie einjt zerbrechen 
wird, und doch jollen fie alles nach ihrem Willen einrichten. 
können,“ Har eriwiderte: „Nicht find die Götter tadelnswert 
wegen diejes Werkes; eine gute Brücke it Bifroft, aber nichts in 
der Welt ijt jo feit, daß es bejtehen fünne, wenn die Söhne 
Muspells verheerend hereinbrechen.‘] 

14. Ganglexi fragte: „Was that nun Allvater, nachdem 
Asgard erbaut war? Har erwiderte: „Zuerſt beitellte er Sitze 
für jeine Verwalter und wies fie an, über die Angelegenheiten der 
Menjchen zu entjcheiden; und es war die Gerichtsſtätte inmitten 
der Burg, an jener Stelle, die $dafeld! heißt. Ihr erſtes Werf 
war es, die Tempel zu errichten, in denen ihre zwölf Site ſtanden 
und außerdem der Sit, den Allvater jelbjt einnahm. Diejes Haus 
iſt das größte auf Erden und am trefflichiten gebaut; von außen 
und innen iſt es jo anzufchauen, als wäre es aus eitel Gold. 
Diejen Saal nennen die Menjchen Gladsheim?. Dann bauten 
fie einen zweiten Saal: dies war dag Heiligtum, das die Göttin- 
nen bejaßen, und auch dies war ein treffliches und jchönes Haus, 
und die Menjchen nennen es Wingolf?. Demnächit errichteten 
ſie Häufer, in denen fie ihre Werkftätten anlegten, und für dieje 
verfertigten fie Hammer, Zange und Amboß unddanach das übrige 
Handwerkszeug. Hierauf verarbeiteten fie Erz, Stein und Holz 
und bejonders in reichlicher Menge das Metall, welches Gold 
heißt, jo daß fie alles Tifchgerät und Sattelgerät aus Gold be— 
faßen; und es wird dieje Zeit das Goldalter genannt, bis es zu 





1 gl. zu Vol. 7. 

2 ®gl. Grimn. 8. 

3» Wingolf, d. 5. „die angenehme oder gemütliche Halle” (Finnur Jönsſon 
im „Arkiv för nord. filol.“ 6, 280 ff.). 


20° 


308 Anhang. 


Ende ging durch die Ankunft der Frauen, die aus Jotunheim 
famen.t Demnächſt jeßten ich die Götter in ihre Site und be- 
gannen ihres Amtes zu walten. Sie erinnerten ſich daran, wie 
die Zwerge im Erdboden tief unter der Oberfläche entitanden 
waren wie Maden im Fleiſch. Sie hatten nämlich zuerft fich ge- 
bildet und Leben gewonnen in Mirs Fleisch und waren bis da— 
hin Maden. Nach der Beitimmung der Götter erhielten fie aber 
jet menschlichen Verſtand und menschliche Gejtalt; doch Yeben 
fie wie vorher in der Erde und im Geftein. Motjognir war 
der vornehmſte unter ihnen, nach ihm Durin? So heißt e8 in 
der Wolufpa [Vol. 9. 10]: 

‚Da gingen zu Site die Götter alle, 

die heiligen Herrjcher, und hielten Rat: 

wer die Schar der Zwerge erichaffen jollte 

aus blutigem Na und aus Blains Gliedern. 

E3 machten manche Menjchenbilder 

in der Erde die Zwerge nad) dem Auftrag During.‘ 


„Dort jind auch die Namen derjelben genannt [Vol. 11. 12]: 


Nyi und Nidi Nordri und Sudri, 
Auftri und Weftri, Althiof, Dwalin, 
Kar und Nain, Niping, Dain, 
Bifur, Bafur, Bombor, Nori, 

An und Onar, Ai, Mjodmwitnir; 


‚Wigg und Gandalf, Windolf, Thorin, 
Fili und Kili, Fundin, Nali, 

Thror und Thrain, Thek, Lit und Wit, 
Nyr und Nyrad, Regin und Radjwid.‘ 


„Die eben genannten Zwerge wohnen in der Exde, die nach⸗ 
folgenden aber im Geſtein [Vol. 15]: 
‚Draupnir zunähft und Dolgthrafir, 
Har, Haugipori, Hlewang, Öloin, 
Dori, Dri, Duf, Andwari, 
Hanar, Swiur, Heptifili.“ 





1 Bol. zu Vol. 8, 
2 Bgl. Vol. 10, 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning) 14. 15. _ 309 





Har jprach ferner: „Die folgenden zogen von Swarins 
Hügel! durch jumpfige Thäler zum Sandgefilde?; von ihnen ift 
Lofar entjtammt, und dies find ihre Namen [Vol. 15. 16]: 


‚Skirfir, Wirfir, Skafid, Ai, 
Alf und Ingmwi, Eikinſkjaldi, 
Fjalar und Froſti, Fid und Ginnar.“ 


15. Da fragte Gangleri: „Wo iſt die Hauptſtätte oder heilige 
Stätte der Götter?“ Har erwiderte: „Sie befindet ſich an der 
Eſche Yggdrajil?, wo die Götter alle Tage ihr Gericht Halten 
ſollen.“ Gangleri ſprach: „Was tft von diefem Orte zu jagen?" 
Jafnhar antwortete: „Die Ejche ift der größte und bejte aller 
Bäume. Ihre Zweige erſtrecken fich über alle Welt und ragen 
über den Himmel empor. Drei Wurzeln halten den Baum auf: 
recht und verbreiten fich jehr weit: die eine ift bei den Ajen, die 
zweite bei den Reifriejen, two ehemals Ginnungagap war, und 
die dritte ijt über Niflheim. Unter diefer Wurzel liegt Hwergel- 
mir, und Nidhogg“ benagt fie von unten. Unter dev Wurzel 
aber, die zu den Reifriejen fich veräftet, ift der Brunnen Mimirs, 
in dem Weisheit und Einficht geborgen Tiegt, und der Bejiter 
dieſes Brunnens heißt Mimird. Er ift überaus weife, weil er 
das Waſſer der Quelle aus dem Gjallarhorn® trinkt. Dorthin 
fam Allvater und verlangte einen Trunk aus dem Brunnen, 
mußte aber jein Auge dafür als Pfand geben, wie es in der Wo— 


luſpa heißt [Vol. 29]: 


‚Odin, ich weiß, wo dein Auge du bargſt: 

Im Wafjerquell Mimirs, dem weitberühmten. 

Met trinft Mimiv am Morgen täglich 

Aus Walvaters Pfande — könnt ihr weit'res verftehen?‘ 





ı Eine Lokalität diefes Namens wird auch Helgakv. Hund. I, 32 und II, 12 
(Profa) erwähnt. — Der ganze Mythus von diefen Zwergen, der durch andre 
Quellen nicht erläutert wird, bleibt uns dunfel. 

2 ®gl. Vol. 14. 

3 Vgl. Vol. 19 fg. und Grimn. 29 — 35. 44. 

4 Vgl. zu Grimn. 32, 

5 Bgl. zu Vol. 27 fg. 46 und Sigrdr. 14. 

6 Dies ift ein Irrtum des Verfaſſers: das Gefäß, aus dem Mimir trinkt, 
ift mit dem Giallarhorn, dem Horne Heimdalls, nicht identisch. 


310 Anhang. 


Die dritte Wurzel der Ejche ift am Himmel belegen, und unter 
diefer Wurzel befindet jich der Brunnen der Urd. Dort haben 
die Götter ihre Gerichtzjtätte, und an jedem Tage reiten fie dort- 
hin über Bifroft, die auch Ajenbrüce genannt wird. Dieſes find 
die Namen der Ajenhengite: Sleipnir! ift der bejte, ex hat acht 
Füße, und jein Befiter ift Odin; der zweite Heißt Glad, der dritte 
Gyllir, der vierte Sfeidbrimir, der fünfte Silfrintopp, der jechite 
©inir, der fiebente Gisl, der achte Falhofnir, der neunte Gulltopp 
und der zehnte Xettfeti?. Baldrs Roß ward mit ihm verbrannt; 
Thor aber geht zum Gericht und muß die Flüſſe durchwaten, 
welche diefe Namen führen [Grimn. 29]: 


‚Kormt und Drmt und Kerlaug beide, 
täglich durchwatet fie Thor, 

wenn an Yggdraſils Eiche, Urteil zu ſprechen, 
er. wandert den weiten Weg, 

denn in brennender Glut ſteht die Brüde der Ajen, 
von den heiligen Wafjern ftrömt Hitze aus.“ 


Da fragte Gangleri: „Brennt denn Feuer auf Bifroſt?“ Har 
lagte: „Das Rote, was du im Regenbogen fiehjt, iſt brennendes 
Teuer. Zum Himmel hinauf würden die Bergriejen über Bifrojt 
gehen, wenn alle, die es wollten, fie betreten fünnten. Viele herr- 
liche Orte gibt es am Himmel, und jeder wird durch göttlichen 
Schuß behütet. Unter der Eiche an dem Brunnen jteht ein Saal, 
und aus diefem fommen drei Jungfrauen; fie heißen Urd, 
MWerdandi und Sfuld?. Dieje Jungfrauen bejtimmen den 
Menjchen ihr 208, und wir nennen fie Nornen. Übrigens gibt 
es noch mehr Nornen, die zu jedem neugebornen Kinde kommen 
und ihm jein Schiefal jchaffen; die einen find von göttlichen 
Gejchlecht, andre vom Elbengejchlecht und noch andre vom Ge— 
ichlechte dev Ziverge. So heißt es im Liede [Fafn. 13]: 


‚Bon verjchiedner Herkunft ſchätz' ich die Nornen, 
nicht find fie desſelben Geſchlechts: 





1 Vgl. zu Baldrs draumar 2 und unten €. 42. 

2 ®gl. Grimn. 30. 

3 Die Namen bedeuten: „Vergangenheit“, „Gegenwart“ und „Zukunft“. Vgl. 
Vol. 8. 19. 20. 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 15. 16. 311 





vom Aſenſtamm dieſe, vom Elbenſtamm jene, 
die dritten aus Dwalins Stamm.“ 


Da ſprach Gangleri: „Wenn die Nornen über das Geſchick der 
Menſchen entſcheiden, ſo verteilen ſie die Loſe höchſt ungleich: 
den einen verleihen ſie ein Leben voll Glück und Anſehen, andern 
dagegen wenig Freude und Ruhm; den einen ein langes Leben, 
andern ein kurzes.” Har eriwiderte: „Die guten Nornen, die von 
edler Abkunft find, ſchaffen ein glückliches 203; wenn aber Men— 
ichen ins Unglüd geraten, jo find böje Nornen daran ſchuld.“ 


16. Gangleri jprach: „Was ift noch mehr von der Ejche zu 
Tagen?‘ Har antwortete: „Vieles ijt davon zu melden.t In den 
Zweigen der Ejche fitt ein Adler, dem großes Willen verliehen 
it; zwiſchen feinen Augen fit der Habicht, dev Wedrfolnir 
heißt. Ein Eichhörnchen, mit Namen Ratatosf, läuft an der 
Eiche auf und ab und trägt dem Nidhogg und dem Adler die ge- 
häſſigen Worte zu, die beide übereinander äußern. Bier Hirfche - 
laufen in den Zweigen der Ejche und beißen die Triebe ab: fie 
heißen Dain, Dwalin, Duneyr und Durathror. So viele 
Schlangen aber find im Hiwergelmir bei Nidhogg, daß feine 
Zunge fie aufzuzählen vermag. ©o heißt es im Liede [Grimn.35]: 

‚Yagdrafils Eiche muß Ungemach leiden, 
mehr als ein Menjchenfind ahnt: 

oben frißt der Hirſch, e3 fault die eine Seite, 
während Nidhogg die Wurzeln benagt.‘ 


„Und ferner heißt e8 dort [Grimn. 34]: 


‚Mehr Würmer liegen an den Wurzeln der Ejche, 
als ein unfluger Affe meint: 

Goin und Moin (die find Grafwitnirs Söhne), 
Grafwollud und Grabaf dazu, 

Dfnir und Swafnir jollen ewig, mein’ ich, 
verzehren die Zweige des Baumes.‘ 


‚‚Beiter wird berichtet, daß die Ntornen, die am Brunnen der 
Urd wohnen, jeden Tag Wafjer aus dem Brunnen jchöpfen und 





1 Bgl. zu dem Nachfolgenden die Anmm. zu Grimn. 31 ff. 


312 Anhang. 


den Schlamm nehmen, der um den Brunnen liegt, und damit die 
Eiche beiprengen, damit ihre Zweige nicht faulen oder hart wer— 
den. Jenes Waſſer aber iſt jo heilig, daß alle Dinge, die hinein- 
gelangen, jo weiß werden wie das Häutchen, das man Skjall 
nennt, welches innen unter der Eierjchale liegt. Sp heißt e8 im 
Liede [Vol. 19]: 

Eine Eſche kenn' ich, Yggdraſil heißt fie, 

den gewaltigen Baum netzt weißes Naß, 

von dort kommt der Tau, der die Thäler befeuchtet, 

immergrün ſteht er an der Urd Quelle.‘ 


„Den Tau, der von dort herabtrieft, nennen die Menjchen 
Honigtau, und von ihm nähren fich dieBienen. Zwei Vögel finden 
auch in dem Brunnen der Urd ihre Nahrung: fie heißen Schwäne, 
und von ihnen jtammt die Bogelart ab, die jeitdem diejen Na— 
men führt.‘ 

17. Gangleri jprach: „Merkiwürdige Dinge weißt du von 
dem Himmel zu erzählen. Gibt e3 denn dort noch mehr be= 
merkenswerte Orte, ala den am Brunnen der Mrd?“ Har er- 
twiderte; „Viele anjehnliche Orte gibt es dort. Einer von den— 
ſelben ift Altheim? genannt; dort wohnt das Volk, welches den 
Namen der Lichtelben Führt; die Schwarzelben aber wohnen tief 
unter der Erde und find jenen an Ausſehen ungleich, und noch 
ungleicher in ihrem Wejen. Die Lichtelben find äußerlich weißer 
al3 die Sonne, die Schtwarzelben dagegen dunkler ala Pech. Dort 
ift auch die Stätte, welche Breidablif? heißt, und feinen 
jchönern Ort gibt es da als diejen. Ferner ift da der Ort, der 
Glitnir* heißt: dieſes Haufes Wände und Säulen find alle von 
rotem Gold, und ebenfo iſt auch das Dach golden. Dort ift weiter 
der Ort, welcher Himinbjorg? heißt: diefer Saal jteht am 
Rande de3 Himmel? am Brüdenkopfe, wo Bifroft den Himmel 
erreicht. Dann iſt dort noch) ein großer Ort, der Walajtjalf® 

ı Nach andrer Überlieferung ift Mimir der Pfleger Yggdraſils; vgl. zu Vol. 27 

2 Vgl. zu Grimn. 5. 

” ®gl. zu Grimn. 12. 

4 Bgl. zu Grimn. 15. 


5 Vgl. zu Grimn. 13. 
6 Vgl. zu Grimn. 6. 





I. Gylfi3 Verblendung (Gylfaginning). 17—19. 313 





beißt: diejen Saal erbauten die Götter und deckten ihn mit lau— 
term Silber. In dem Saale befindet fich auch der Hochſitz, der 
Hlidjkjalf! genannt wird; wenn Allvater in diefem Hochſitze 
fit, fieht ex über die ganze Welt. Am jüdlichen Ende des Him- 
mel? ijt endlich der Ort, der von allen der jchönfte ift und glänzen 
der al3 die Sonne: er heißt Gimle? und wird bejtehen, wenn 
auch Himmel und Erde untergehen, und die rechtichaffenen Men— 
ichen werden dort in Ewigkeit wohnen. So heit e8 in der Wo— 
luſpa [Vol. 64]: | 

‚Einen Saal jeh’ ich ftehen — die Sonn’ überftrahlt er — 

mit Gold gedeckt, auf Gimles Höhen: 

dort werden wohnen wadere Scharen 

und ein Glüd genießen, das nimmer vergeht.‘ 


Gangleri fragte: „Wer hütet diefen Ort, wenn Surts Lohe Him— 
mel und Exde verbrennt?” Har antivortete: „So jagt man, daß 
im Süden über unjerm Himmel ein andrer jich erhebt, der 
MWidblain? heißt, und über diefem ein dritter, der Andlang* 
genannt wird: an dieſem (lebtgenannten) Himmel meinen wir, 
daß jener Ort fich befinde. Seht aber, glauben wir, bewohnen 
nur die Kichtelben jene Gegenden.“ 


18. Gangleri fragte: „Woher fommt dev Wind, der jo ſtark 
it, daß er große Meere bewegt und das Teuer anfacht? Niemand 
fann ihn jehen, daher iſt er wunderlich beſchaffen.“ Har ant- 
twortete: „Am nördlichen Ende der Welt ſitzt der Riefe Hräimwelg 
in Adlersgeſtalt, und wenn ex zum Fluge fich anjchiet, entjteht 
der Wind unter feinen Flügeln. So heißt e8 im Liede [Vafpr. 37]: 

‚Der Rieje Hräfmwelg fißt am Rande des Himmels 
in des edlen Aars Geſtalt; 

regt er die Schwingen, jo raufcht, wie man jagt, 
der Wind dahin durch die Welt.“ 

19. Gangleri jprach: „Woher kommt der große Unterjchied, 
daß der Sommer jo heiß jein muß und der Winter jo kalt?“ 





ı Bgl. zu Skirnismöl, prof. Einleitung. 

2 Bgl. zu Vol. 61. 

s Widblain, d. 5. „ber weithin blaue“. 

* Andlang, db. 5. „ber entgegengerichtete, vor den Bliden liegende”. 


314 Anhang. 


Har jagte: „So follte ein kluger Mann nicht fragen, denn dar— 
auf wiſſen alle zu antworten; wenn du jedoch jo unwiſſend biſt, 
daß dur nichts davon gehört Haft, jo will ich doch Lieber milder 
e3 beurteilen, daß du einmal thöricht fragſt, als dich noch länger 
über Dinge im Dunkel lafjen, die man wiſſen muß. Swajud 
heißt der Mann, der des Sommers Vater tft, und er führt ein jo 
angenehmes Leben, daß nach jeinem Namen alles das benannt 
wird, was angenehm ijt. Der Vater des Winters führt aber 
verjchiedene Namen: Windljoni oder Windjwal; er ijt der 
Sohn des Wajad!; diefe Sippe war rauh und Faltherzig, und 
der Winter hat ihre Natur geerbt.“ 


20. Gangleri jprach: „Welches find die Ajen, an die die 
Menschen glauben müſſen?“ Har antwortete: „Es find zwölf? 
Aſen von göttlichem Urjprung.” Jafnhar fügte Hinzu: „Die 
Afinnen find nicht minder heilig, auch ift ihre Macht nicht ge= 
ringer.“ Thridi ſprach: „Odin? ift der höchjte und älteſte der 
Aſen. Er waltet über allen Dingen, und wie auch die andern 
Götter mächtig find, fo dienen fie ihm doch alle wie Kinder dem 
Vater. Triggt, feine Gemahlin, weiß wie er die Schidfjale der 
Menjchen, obwohl fie feine Weisſagungen ausfpricht, wie es im 
Liede heißt, daß Odin jelber zu dem Ajen, der Loki genannt wird, 
darüber fich außließ [Lokas. 29]: 


Toll bit du und thöricht, Loki! 
warum folgit du nicht redlicheın Rat? 

es ſchaut im Geiſt das Schickſal der Menſchen 
Frigg, doch jagt ſie's nicht ſelbſt. 


Odin heißt Allvater, weil er der Vater aller Götter iſt. Er heißt 
auch Walvater, weil alle, die auf der Walſtatt fallen, feine 
Wunſchſöhne find. Diefe nimmt er auf in Walholl und Win- 
golf, und fie heißen dann Einherier.d Er heißt auch der Gott der 





1 Bol. zu diefen Namen die Anm. zu Vafpr. 27. 
2 Vgl. zu Hyndl. 30. 

3 Bgl. zu Vol. 18. 

4 Vgl. zu Vol. 34. 

5 ©, zu Vafpr. 41. 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 20. 21. 315 





Gehenkten! und der Gott der Götter und der Gott der Lajten?, 
und außerdem hat er noch viele andre Namen. Als er zu König 
Geirröd gekommen war, ſprach er jo [Grimn. 46 fg.]: 
‚Srim hieß ich, Gangleri hieß ich, 
Herjan und Hjalmberi auch, 
Theft und Thridi, Thud und Ud, 
Herblindi und Har; 
Sad und Smwipal und Sanngetal, 
Herteit und Hnikar dazu, 
Bileyg, Baleyg, Bolmwerf, Fjolnir, 
Grimnir und Glapſwid, Grim und Fjolſwid; 
Sidhott, Sidjtegg, Siegvater, Hnifad, 
Allvater, Walvater, Atrid, Farmatyr, 
Oski und Dmi, Jafnhar, Biflindi, 
Gondlir und Harbard im Götterfreis, 
Smidur und Jalk, Smidrir und Kjalar, 
Widur und Thror, Weratyr und Gaut.“ 


Gangleri ſprach: „Gewaltig viele Namen habt ihr ihm gegeben, 
und, bei meiner Treue! große Klugheit muß der befiten, der 
fichern Beſcheid darüber zu geben verjteht, welche Ereignifje jede 
diefer Benennungen veranlaßt haben.” Har eriwiderte: „Biel 
Weisheit gehört allerdings dazu, dies genau zu erklären; doch um 
es kurz zu jagen, fo hat er jehr viele Namen dadurch befommen, 
daß es in der Welt jo viele Sprachen gibt. Alle Völker meinen 
nämlich, daß fie feinen Namen nad ihrer Sprache umwandeln 
müſſen, um jelber zu ihm beten zu können; manche Veranlaffung 
zu diefen Namen haben aber auch jeine Fahrten gegeben, von 
denen in den Sagen berichtet wird, und du wirft nicht ein kluger 
Mann heißen können, wenn du von diefen großen Begebenheiten 
nicht3 zu jagen weißt.‘ 

21. Gangleri fragte: „Welches find die Namen der andern 
Götter oder Ajen, und was haben fie Rühmliches ausgerichtet?“ 
Har antwortete: „Thor? jleht unter ihnen an erſter Stelle, der 





1 Diefen Namen führt Dbin, weil die ihm geopferten Menſchen an Bäumen 
aufgehängt wurden; vgl. zu Hoöv. 138. 

2 Wie Odin zu diefem Namen fam, ift unbefannt. 

3 Thor (althochdeutſch Donar), d. 5. „Donner“. 


316 Anhang. 


auch Afathor und Wagenthor! genannt wird. Er iſt der 
jtärkjte der Ajen und jtärker al3 alle Götter und Menjchen. Ex 
bejitt daS Reich, welches Thrud wang? heißt, feine Halle aber 
hat den Namen Biljktirnir?, In diefem Gebäude find 540 Ge- 
mächer, und es iſt dag größte Haus, von dem Menfchen willen. 
So heißt es in dem Liede von Grimnir [Grimn. 24]: 
Fünfhundert Räume und vierzig dazu 
bat in allem Bilffirnirs Bau; 
aller Häufer, die ich gedeckt weiß, 
größtes befigt mein Sohn.‘ 


Thor hat auch zwei Böde und einen Wagen; die Börde heißen 
Tanngnioſt und Tanngrisnirt Thor benußt diefen Wagen, 
wenn er nach Jotunheim fährt, und die Böcke ziehen den Wagen. 
Deshalb Heißt er eben Wagenthor. Er bejitt ferner drei fojtbare 
Kleinode: das eine ift der Hammer Mjolnir?, den die Reif- 
riefen und Bergriefen kennen, jobald er in die Luft fich erhebt, 
und nicht wunderbar ift das, denn Thor hat mit diefer Waffe jchon 
manchen Schädel ihrer Borfahren und Verwandten zerjchmettert. 
Das zweite ausgezeichnete Kleinod iſt der Kraftgürtel: wenn er 
diejen anlegt, wächſt ihm die Ajenkraft um das doppelte. Das 
dritte Kleinod, das überaus wertvoll ift, find die eifernen Hand- 
ichuhe; diefe kann er nicht entbehren, wenn ex den Schaft des 
Hammers erfaßt. Niemand ift jedoch jo weife, daß er alle jeine 
großen Thaten aufführen könne, wenn ich auch jo viel davon zu 
berichten weiß, daß der Abend hereinbrechen würde, ehe ich alles, 
wovon ich Kunde befite, zu Ende erzählt habe.‘ 

22. Da jprach Gangleri: „Tragen möchte ich nun nach den 
übrigen Aſen.“ Har erividerte: „Ein zweiter Sohn Odinz tjt 
Baldr®, der gute, und von ihm iſt nur Gutes zu berichten. Er 
ijt der bejte Gott, und alle loben ihn. Auch ift ex jo jchön von 
Anjehen und jo weiß, daß ein hefler Glanz von ihm ausgeht. 





1So heißt er, weil er auf einem Wagen zu fahren pflegt; f. unten. 
2 ©, zu Grimn. 4. 

3 Bilſkirnir, d. 5. „ber Unerjchütterliche” (2); vgl. Grimn. 24 

4 ©. zu Prymskv. 21. 

5 &. zu Prymskv. } 

6 Bol. zu Vol. 832. 


I. Gylfi8 Verblendung (Gylfaginning). 22. 23. 317 





Darum hat man auch ein Kraut, das weißer ijt als alle übrigen, 
mit Baldrs Wimper verglichen! Danach magjt du dir vor— 
jtellen, wie jchön fein Haar und jein Körper bejchaffen find. Er 
iſt der weiſeſte der Ajen, verjteht am ſchönſten zu reden und übt 
am liebſten Barmherzigkeit; doch ift das Eigentümliche dabei, 
daß feiner feiner Urteilsfprüche in Kraft bleibt. Er wohnt an 
dem Orte, der Breidablif heißt und vorher jchon genannt tft; er 


it am Himmel belegen, und an jener Stätte darf nichts Unreines 


lich finden. So heißt es im Liede [Grimn. 12]: 
‚Breidablif nenn’ ich, dort hat Baldr ſich 
die hohe Halle erbaut: 
fein anderes Land in aller Welt 
ift jo von Freveln frei.‘ 


23. „Der dritte Aſe führt den Namen Njord?. Er wohnt 
an dem Orte, der Noatun heißt, und lenkt dort des Windes Lauf 
und beruhigt Meer, Sturm und Feuer. Ihn ſoll man bei See- 
fahrt und Jagd anrufen. So reich und begütert ijt er, daß er 
jedem Land und fahrende Habe geben kann, wenn er will, und 
darum joll man ihn deswegen anrufen. Njord ſtammt nicht aus 
dem Ajengejchlecht, vielmehr wuchs ex in Wanaheim auf. Die 
MWanen aber jandten ihn als Geijel zu den Göttern und empfin= 
gen dafür den Ajen, der Hönir heißt. Dadurch wurde der Friede 
zwijchen den Göttern und den Waren befejtigt.? Njord hatte die 
Skadit, die Tochter des Riefen Thjazi, zur Frau. Sie wollte 
die Wohnjtätte behalten, welche ihr Vater gehabt hatte, die auf 
dem Gebirge, das Thrymheim? heikt, belegen iſt; Njord aber 
wollte in der Nähe der See jeinen Aufenthalt nehmen. Sie ver- 
glichen fi dahin, daß fie neun Nächte in Thrymheim mweilen 
wollten und dann Drei Nächte zu Noatun. MS Njord aber vom 
Gebirge nach Noatun zurückkam, da jprach er alfo: 





1 Baldersbraa, d.h. „Baldı3 Wimper“, ift ein im Norden allgemein verbrei- 
teter Blumenname. Bejonder3 werden Anthemis cotula und Matricaria ine- 
dora jo genannt. 

2 Bgl. zu Prymskv. 22. 

3 Vgl. zu Vol. 21 und 46. 

4 ©. zu Lokas. 49. 

5 ©. zu Grimn. li, 


818 Anhang. 


‚Nicht Lieb’ ich Die Berge, nicht lange dort weilt’ ich, 
neun Nächte nur; 
ſüßer jchien mic der Sang des Schwanes 
als der wilden Wölfe Geheul ‘ 


Sfadi aber erwiderte: 


‚Mir ftört den Schlaf am Strande des Meeres 
| der Frächzenden Vögel Gefreifch; 
am Morgen wect mich die Möwe täglich, 
die wiederfehrt vom Wald!.‘ 


Darauf begab ſich Sfadi hinauf auf das Gebirge und wohnte in 
Thrymheim; fie läuft viel auf Schneejchuhen und ſchießt Wild 
mit ihrem Bogen. Daher heißt fie auch die Göttin oder Dife des 
Schneejchuhs. So heißt es im Liede [Grimn. 11]: 


Thrymheim nenn’ ich, wo Thiazi wohnte, 
der von Stärke ſtrotzende Thurs, 

doch ſchaltet Skadi, die jhimmernde Götterbraut, 
in des Vaters Feite jest.‘ 


24. „Njord in Noatun zeugte jpäter? zwei Kinder. Das eine 
heißt Freyr?, der einer der trefflichiten unter den Göttern ijt. 
Er waltet überffegen und Sonnenschein ſowie über dem Pflanzen- 
wuchs der Erde. Gut ijt es, ihn um Fruchtbarkeit und Frieden 
anzuflehen, denn er vermag den Menjchen Frieden und Wohl- 
ſtand zu gewähren. Njords zweites Kind ift Freyjat, die aus— 
gezeichnetjte der Afinnen. Sie hat den Wohnfig im Himmel, der 
Folkwang? heißt, und wenn fie zum Kampfe jich begibt, jo 
empfängt jie die Hälfte der Gefallenen und Odin die andre Hälfte. 
So heißt es im Liede [Grimn. 14]: 





1 Bon dem Gedichte, dem dieje beiden Strophen entlehnt find, ift ſonſt nichts 
erhalten. 

2 Dieje Angabe ift unrichtig, vielmehr hatte Njord Freyr und Freyja bereits 
erzeugt, ehe er zu den Aſen fam, und zwar mit feiner Schwefter. Vgl. Lokas. 
36 und Ynglingasaga ©. 4. 

3 Bol. zu Skirnismol, prof. Einleitung. 

4 Vgl. zu Prymskv. 3. 

5 ©. zu Grimn. 14. 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 24. 25. 319 





Folkwang nenn’ id,  Freyja entjcheidet, 
wer die Site dort fülle im Saal; 
von den toten Helden wählt fie täglich die Hälfte, 
die andre fällt Ddin zu.‘ 
Ihr Saal Heißt Sejsrymnir!. Wenn fie eine Reife unter- 
nehmen will, jo fährt fie mit ihren Katzen und fit in einen 
Magen. Sie ijt gern zur Hilfe bereit, wenn Menſchen fie an- 
rufen; nach ihrem Namen haben vornehme Weiber den Ehren- 
namen Frauen erhalten. Nützlich ijt es auch, fie in Liebesange- 
legenheiten anzuflehen.‘‘ 

25. Gangleri jprach: „Große Macht fcheinen mir diefe Aſen 
zu befigen, und fein Wunder tft es, daß ihr jelber auch jo mächtig 
jeid, da ihr jo genau mit den Göttern Beſcheid wißt und euch 
es befannt ijt, um welche Dinge und mit welchen Gebeten man 
jeden von ihnen anzurufen hat. Gibt es nun noch mehr Götter? 
Har antwortete: „Da ift ferner der Aje, der Tyr? heikt; ex ift 
überaus fühn und mutig und hat die Hauptenticheidung über den 
Sieg in den Schlachten. Daher ijt e8 gut, wenn tapfere Männer 
ihn anrufen. Eine gebräuchliche Redensart ift es, von jemand, 
der andre an Mut übertrifft, zu jagen, ex jet fühn wie Tyr. Da- 
mal3 hat er einen Beweis jeiner Unerjchrodenheit und Tapfer- 
feit gegeben, als die Ajen den Fenriswolf? dazu bringen wollten, 
ſich die Feſſel Gleipnir anlegen zu lafjen.* Der Wolf wollte 
ihnen nicht glauben, daß fie ihn wieder löjen würden, und fo 
mußten fie ihm als Pfand die Hand Tyrs in den Rachen legen. 
Als nun die Ajen ihn wirklich nicht befreien wollten, biß ex dem 
Tyr die Hand ab an jener Stelle, die jeitdem Wolfsglied> heißt, 
und der Gott befigt nun nur eine Hand. Er tft auch jo weiſe, 
dat man von einem bejonders klugen Manne zu jagen pflegt, ex 
jei weije wie Tyr. Nicht aber kann man von ihm behaupten, daß 
ex fich e8 angelegen jein läßt, Frieden zwijchen den Menjchen zu 
jtiften. 





. 34 Grimn. 14. 
zu Lokas. 38, 
. zu Vol. 40. 

gl. unten €. 34. 


3.8 
26 
6 
«8 
5 d. h. das Handgelent. 


320 Anhang. 


26. „Bragi! ijt auch einer der Ajen. Er ijt ausgezeichnet 
durch Weisheit, bejonders aber durch Redeflugheit und Sprach— 
gewandtheit. Am meijten ift er jedoch in der Dichtfunft erfahren, 
und daher wird dieje nach ihm bragr‘ genannt, wie auch Männer 
oder Frauen, die fich vor andern durch dichterifche Begabung her- 
vortdun, den Namen ‚bragarmenn‘ führen. Die Gemahlin Bragis 
heißt Idun?. Sie bewahrt in ihrer Truhe die Apfel, welche die 
Götter genießen müfjen, wenn fie anfangen zu altern: davon 
werden fie wieder jung, und jo wird es bleiben big zum Unter- 
gang der Götter.” Gangleri ſprach: „Sehr viel jcheinen mir die 
Götter der Hut und Sorgfalt Iduns anvertraut zu haben.“ Har 
lachte und antwortete: „Einmal wäre e3 doch beinahe übel ab- 
gelaufen, wie ich dir erzählen fönnte.® Doch jolljt du — 
noch die Namen der übrigen Götter erfahren. 


27. „Heimdall heißt einer; er wird der weiße Aſe genannt 
und ift groß und heilig. Er wurde von neun Jungfrauen ge- 
boren, die alle Schweitern waren.?° Er führt auch die Namen 
Hallinffidie und Gullintanni?. Seine Zähne find von 
Gold; jein Roß heißt Gulltopp®. Er wohnt bei der Brücke 
Bifroft? an dem Orte, der Himinbjorg!? Heißt. Da er der 
Wächter der Götter ift, To fit er dort am Rande des Himmels, 
um die Brüde gegen die Bergriefen zu hüten. Er bedarf weniger 
Schlaf al3 ein Vogel und fieht bei Nacht ebenjogut wie bei 
Tage Hundert Meilen weit. Er fann auch hören, daß dag Gras 
auf der Erde und die Wolle auf den Schafen wächlt, ſowie über- 
haupt alles, was einen Laut von fich gibt. Er befit das Horn, 
welches Gjallarhorn!! heißt, und feinen Ton Tann man in 
allen Welten hören. So heißt e8 im Liede [Grimn. 13]; 

1 ©. zu Lokas. 8. - 

2 ®gl. zu Lokas. 8. 16. 

3 Der Mythus, aufden hier angejpielt wird, iftin denBragaredur(. 2 mitgeteilt. 

4 Vgl. zu Vol. 1. 27 und Prymskv. 14. 

5 Vgl. Hyndl. 36 — 40. 

6 Hallinſkidi, d. 5. „gebogene Schneeſchuhe habend”. 

" Gullintanni, d. 5. „goldene Zähne habend“. 

8 ©. zu Grimn. 30. 

? ©. zu Grimn. 44. 


10 S. zu Grimn. 13. 
u Gjallarhorn, d, h „das laut tönende Horn“; vgl. Vol. 27. 46. 





T. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 26—32. 321 





‚Himinbjorg nenn’ ich, Heimdall, jagt man, 
walte der Wohnjtätte dort; 

in behaglichem Haufe trinkt dort der Hüter der Götter 
vergnügt den guten Met.‘ 


Und alſo jteht in einem ihm jelbjt geweihten Zauberliede [| Heim- 
dallargaldr!] gejchrieben: 


‚Mädchen neun waren Mütter mir, 
ich Tag neun Schweitern im Schoß.‘ 


28. „Hod? heißt einer, der ebenfalls zu den Ajen gehört. 
Er ijt blind, aber außerordentlich ſtark. Doch würden Götter 
und Menjchen wünschen, daß man ihn nicht zu nennen brauchte, 
denn was feine Hände verübten, defjen wird man lange gedenten. 

29. „Widar? nennt man den jchweigjamen Ajen. Er be= 
figt einen diden Schuh und ijt beinahe jo jtark wie Thor. In 
allen Gefahren jegen die Götter großes Vertrauen auf ihn. 

30. „Ali oder Walit heißt ein Sohn des Odin und der 
Rind. Er it fühn in den Schlachten und fann vortrefflich 
ſchießen. 

31. „ALLS heißt ein Sohn der Sif, Thors Stieffohn. Er 
it im Bogenschießen und im Schneejchuhlaufen jo tüchtig, daß 
niemand darin mit ihm wetteifern kann. Schön ift er von An— 
jehn und befigt alle Vorzüge eines Kriegsmannes; darum ijt es 
auch gut, ihn in Zweikämpfen anzurufen. 

32. „Sorjetis heißt ein Sohn des Baldr und der Nanna”, 
der Tochter Neps. Er bejitt im Himmel den Saal, welcher 
Glitnir heißt, und alle, die mit jchwierigen Händeln zu ihm 
fommen, gehen verjöhnt fort. Dort ift die bejte Gerichtsjtätte, 
von der Götter und Menjchen wiſſen [Grimn. 15]: 





1 Bon diefem Liede, dad auch in den Skäldskaparmäl (Snorra Edda I, 264) 
erwähnt wird, find nur die hier mitgeteilten beiden Zeilen erhalten 

2 Bgl. zu Vol. 33 und unten €. 49. 

3 Vgl. zu Vol. 54 und unten C. 51. 

4 Bgl. zu Baldrs draumar 11. 

5 ®gl. zu Lokas., Proja nad Str. 52, und Grimn. 5. 

6 ©. zu Grimn. 15. 

? Über Nanna f. unten zu €. 49. 


Die Edda. 21 


322 Anhang. 





Glitnir nenn’ ich, auf Soldfäulen ruht er, 
und das Dach ift mit Silber gededt; 

Forſeti weilt in der Feite die meiſten Tage, 
wo er gütlich die Fehden begleicht.‘ 


33. „Yu den Ajen wird auch der gerechnet, den manche den 
Verleumder der Ajen oder den Urheber des Trug und die 
Schande aller Götter und Menfchen nennen. Sein Name ift 
Loki oder Lopt!; er it der Sohn des Niefen Farbauti?. 
Seine Mutter Heißt Laufey oder Nal?, feine Brüder Byleipt 
und Helblindi?. Loki it Schön und anmutig von Ausjehen, 
aber böje von Gemütsart und höchſt unbeftändigen Weſens. Ex 
brachte die Ajen oft arg in Verlegenheit, Hat fie aber auch oft 
durch jeine Lift aus jchlimmer Lage befreit. Seine Gattin heißt 
Sigynt, und beider Sohn iſt Nari oder Narfit. 

34. „Außerdem hatte Loki noch andre Kinder. Angrboda? 
heißt eine Riefin in Jotunheim, mit ihr erzeugte Loki drei Kin- 
der: das eine ijt der Jenrismwolf®, das zweite Jormungand”? 
— da3 ift die Midgardsichlange — und das dritte Hel®. Dieje 
drei Gejchwilter, die Kinder Lokis, wurden in Sotunheim auf: 
gezogen. Die Götter erfuhren durch die Orakel, daß ihnen durch 
diefe Kinder großes Unheil bevorftehe, und meinten, daß fie 
Schlimmes wegen ihrer mütterlichen Abſtammung, noch Schlim= 
meres aber wegen der väterlichen von ihnen zu erwarten hätten. 
Darum jandte Allvater die Götter zu den Kindern und ließ fie 
zu fich holen, und als ſie bei ihm angelangt waren, warf ex die 
Schlange in das tiefe Meer, das alle Länder umgibt, und darin 
wuchs die Schlange jo gewaltig, daß fie nun ebenfalls um alle 
Länder fich jchlingt mitten im Meere und fich jelbjt in den 
Schwanz beißt. Die Hel chleuderte er nach Niflheim Hinab und 





1 Bgl. zu Vol. 35 und Lokas. 6. 9. 

2 ©. zu Prymskv. 17. 

3 Bon Byleipt (unficherer Bedeutung) und Helblindi (d. 5. „ver Höllen= 
blinde”) ift außer den Namen nicht befannt. 

4 Vgl. die Bemerkungen zur Schlußproja der Lokasenna und unten €. 5). 

5 &, zu Hyndl. 22. 

6 ©. zu Vol. 40. 

7 ©. zu Vel. 50. 

8 ©. zu Baldrs draumar 3. 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 33. 34. 323 





gab ihr Macht über neun Welten!, damit fie denen, die zu ihr 
gelangen, ihren Aufenthaltsort anweiſe; es find dies aber die 
Leute, die an Krankheiten oder Altersichiwäche jterben. Sie hat 
dort eine große Wohnjtätte, und die Wälle find überaus hoch und 
die Thore weit. Eljudnir? heißt ihr Saal, Hungr? ihre 
Schüſſel und Sult? ihr Mefler, ihr Knecht Sanglatit, ihre 
Magd Ganglot*, fallendes Unheil das Thor, die Schwelle, 
die hineinführt, ITholmodnird, Kors ihr Bett, bleicheg Un- 
glück das Betttuch oder der Vorhang. Sie ift zur Hälfte Schwarz. 
und zur Hälfte fleifchfarben, jo daß fie leicht zu erkennen ift, und 
fieht mit ihrem hevabhängenden Kopfe recht grimmig aus. Den 
Wolf zogen die Aſen bei fich auf, und Tyr allein Hatte jo viel Mut, 
ihm feine Speife zu reichen. Da nun die Götter jahen, wie jehr ex 
täglich wuchs, und alle Weisjagungen meldeten, daß er ihnen 
großes Unheil bringen würde, jo jchien es ihnen rätlich, eine jehr 
ſtarke Feſſel zu verfertigen, die fie Leding nannten. Mit diejer 
gingen fie zu dem Wolfe und forderten ihn auf, jeine Stärke 
daran zu verjuchen. Der Wolf meinte, daß das jeine Kräfte 
nicht überjteigen werde, und jo ließ ex die Götter nach ihrem 
Willen mit fich verfahren. MS ex nun zum erjten Male feine 
Gliedmaßen regte, da brach die Feſſel, und jo wurde er von Leding 
08. Darauf machten die Ajen eine zweite Feſſel, die doppelt jo 
jtarf war und Dromi genannt ward; dann verlangten fie von 
dem Wolfe, er möge auch dieje Feljel verjuchen, und ſagten, daß 
er wegen jeiner Kraft berühmt werden würde, wenn ein jo feſtes 
Band ihn nicht halten fünne. Dem Wolfe ſchien e&8 nun, daß 
dieſe Feſſel jehr jtark jei, doch meinte er, daß auch feine Stärke 
iwieder zugenommen babe, jeit er Zeding zerbrach, und daß er, 
wenn er berühmt werden wolle, auch einige Gefahr nicht achten 
dürfe; jo ließ er denn die Feſſel fich anlegen. Als nun die Aſen 





1 Diefe Angabe beruht wohl auf einem Migverftändnis: das ganze Weltall 
bejteht aus neun Welten (j- zu Vafpr. 43), und Held Reich ift eine der,elben. 

2 Eljudnir, d. 5. „ber Blagebereiter”“ (2). 

3 Beide Wörter bedeuten „Hunger“. 

4 d. h. „der (die) zum Gehen träge”. 

5 Tholmodnir, d. h. „Geduldermüder”. 

s Kor, d. h. „Krantenbett”. 


21* 


324 Anhang. 


fagten, ſie jeien fertig, da jchüttelte fich der Wolf und jtieß die 
Feſſel gegen die Erde und drückte gewaltig dagegen und regte die 
Glieder, und nun brach die Feſſel, jo daß die Stücke weit umher— 
flogen. ©o befreite er fic) aus Dromi, und ſeitdem iſt dag eine 
allgemeine Redeweife geworden, von jemand, der gewaltige An— 
jtrengungen macht, zu jagen, er löſe fich aus Leding oder befreie 
fi) aus Dromi. Infolgedeſſen gerieten die Götter in Furcht, 
daß fie den Wolf nicht würden binden fünnen. Da jandte All- 
vater den Mann, der Skirnir heißt (und Frey Sendbote wart), 
nach Swartalfaheim zu einigen Zwergen und ließ von diejen die 
Feſſel anfertigen, welche Gleipnir heißt. Sie war aus ſechs 
Dingen gemacht: aus dem Geräufch der Kate und dem Barte des 
Weibes, aus den Wurzeln des Berges und den Sehnen des Bären, 
dem Hauche des Fiiches und dem Speichel des Vogels. Wenn 
du num auch zuvor diefe Dinge nicht gefannt haft, jo wirſt du 
doch ſchnell durch fichere Beweiſe dich überzeugen fünnen, daß es 
nicht gelogen ift. Denn obwohl dur nicht gefehen haben wirft, daß 
eine Frau einen Bart hat, und obwohl die Kate beim Laufen 
fein Geräufch macht, und obwohl der Berg feine Wurzeln befikt, 
jo ijt, bei meiner Treue! doch alles wahr, was ich dir erzählt habe, 
wenn auch einige Dinge dabei erwähnt find, die du nicht ala 
wirklich erweiſen kannſt.“ Gangleri Sprach: „Das kann ich frei- 
lich mit Sicherheit erkennen aus dem, was du ſagſt, und aus den 
Beweijen, die dur anführjt. Wie ward aber dieje Feſſel angefer- 
tigt?’ Har erwiderte: „Das kann ich dir genau mitteilen. Die 
Feſſel war glatt und weich wie ein jeidenes Band, aber jo zuver- 
läffig und jtarf, wie du gleich hören wirft. Als fie den Aſen ge- 
bracht wurde, dankten fie dem Sendboten jehr für ihre Mühe 
und begaben ſich dann nach dem Landfee, der Amjwartnir heißt, 
und dann zu der in diefem liegenden Infel, die Lyngmwi? genannt 
wird, und hießen den Wolf ihnen folgen. Darauf zeigten fie ihm 
das Seidenband und forderten ihn auf, e8 zu zerreißen. Siejagten, 
e3 jei etwas ſtärker, als es feiner Dicke nach den Anjchein habe, 
und einer gab e8 dem andern, und jeder verjuchte die Kraft feiner 





ı Das Eingeflammerte fehlt in der Handſchrift von Upfala. 
2 Eyngmwi, d. 5. „der mit Heidefraut bewachjene”. 


1. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 34. (325) 





Hände daran, doch es riß nicht. Der Wolf aber‘, jagten fie, ‚werde 
e3 doch zerreißen können.‘ Da erwiderte der Wolf: ‚So jcheint 
mir diejes Band bejchaffen zu fein, daß ich feinen Ruhm dadurch 
erlangen werde, wenn ich eine jo schwache Schnur zerreiße; wenn 
e3 aber mit Lift und Zauberei hergejtellt ift, obwohl es dünn 
jcheint, jo wird das Band nicht an meine Füße fommen.‘ Da 
antivorteten die Ajen, er werde ein jo ſchwaches Seidenband leicht 
zerreißen fünnen, da er mit geringer Mühe ſtarke Eiſenfeſſeln 
zerbrochen habe: ‚jollte es dir aber nicht gelingen, e3 jchnell zu. 
zerreißen, jo braucht du dich vor den Göttern nicht zu fürchten, 
denn wir werden dich alsbald losbinden‘. Der Wolf entgegnete: 
‚Wenn ihr mich jo bindet, daß ich mich nicht durch eigne Kraft 
löſen Tann, jo werde ich klärlich von euch nicht in Freiheit geſetzt 
werden; darum bin ich durchaus nicht willig, das Band an meine 
Glieder legen zu lafjen. Damit ihr mix aber nicht den Vorwurf 
der Teigheit machet, möge einer von euch feine Hand in mein 
Maul legen, zum Pfande, daß feine Hinterlift im Spiele ijt.‘ 
Da jah einer der Ajen den andern an, und es ward ihnen Klar, 
daß fie zwiſchen zwei Ubeln zu wählen Hatten; doch wollte nie= 
mand jeine Hand hergeben, bis endlich Tyr feine Rechte vor— 
jtreefte und fie dem Wolf in den Rachen legte. Da nahmen die 
Ajen das eine Ende der Schnur, welches Gelgja heißt, und zogen 
e3 durch einen großen Yelzitein, der Gjoll genannt wird, und 
legten diejen tief in der Exde feit. Dann nahmen fie noch einen 
großen Stein, mitNamen Thwiti, und verjenkten den noch tiefer 
und benußten ihn als Taupfahl. Als nun die Ajen jahen, daß 
der Wolf volljtändig gefeijelt und daß das Band immer fejter 
wurde, je mehr ex mit den Füßen arbeitete, und ſtärker fich zu= 
jammenzog, je wilder er zerrte, da lachten fie alle — nur Tyr 
nicht, denn er mußte feine Hand laſſen. Der Wolf riß furchtbar 
jeinen Rachen auf und wollte jie beißen und jchnappte gewaltig 
um fih. Da jchoben fie ihm ein Schwert in das Maul, jo daß 
der Griff im Unterfiefer jeine Stüße fand, die Spike aber im 
oberen Gaumen jtedte; das iſt die Gaumenſperre des Wolfes. Er 
heult entjeßlich, und Geifer rinnt aus feinem Maule, das ift der 
Fluß, welcher Wan Heißt. Dort liegt er num bis zum Unter- 


326 Anhang. 


gange der Götter.” Gangleri jprach: „Sehr übel beichaffen ift 
der Kinderjegen, den Loki befam, und gewaltig groß ift die Kraft 
diejer Geſchwiſter. Weshalb aber töteten die Ajen nicht den Wolf, 
da fie jo Übles von ihm zu erwarten hatten?” Har erwiderte: 
„So hoch achteten die Götter ihre Heiligtümer und Friedens- 
jtätten, daß fie te nicht mit dem Blute des Wolfes befleden 
wollten, wenn auch die Weisfagungen es verfündeten, daß er 
Odins Mörder werden würde.“ 

35. Gangleri fragte: „Welches find die Aſinnen?“ Har ant- 
wortete: „Frigg! iſt die höchſte; fie bejitt den Saal, der 
Fenſalir: heißt und überaus jtattlich ift. Die zweite iſt Saga’, 
fe wohnt zu Sökkwabekk?. Eir? ift die Arztin unter den Afen. 
Serner heißt eine Gefjont, ihr dienen diejenigen, die als Jung— 
frauen jterben. Fullas ijt ebenfalls Jungfrau; fie geht mit 
ausgeichlagenem Haar und hat ein goldenesBand um das Haupt; 
fie trägt Friggs Truhe und bewahrt ihr Schuhzeug; auch iſt fie 
in ihre heimlichen Pläne eingeweiht. Treyja® ijt nad) Frigg 
die. angejehenjte. Sie vermählte fich dem Manne, der Od® Heißt. 
Die Tochter der beiden ift Hnoß”; fie war jo jehön, daß nad) 
ihrem Namen koſtbare Gegenjtände ‚hnossir‘ genannt werden. 
Od zog fort in ferne Lande; Freyja aber blieb weinend zurüd, 
und ihre Thränen find rotes Gold. Freyja hat viele Namen; 
das fommt daher, daß fie fich ſelbſt verjchieden benannte, als 
fie zu fremden Bölfern fam, um den Od zu juchen. Sie heißt 
Mardoll, Horn, Gefn, Syrs. Freyja befaß auch das 
Brifingenhalsband?; fie wird auch Wanadis!? genannt. 





1 ©. zu Vol. 34. 

2 ©. zu Grimn. 7. 

3 Eir,d. h. „Schonung“, „Pflege“; dieje Göttin, die wohl jehr jungen Ur- 
fprungs ift, wird in den ebdifchen Liedern nie genannt. 

4 ©, zu Lokas. 19. 

5 zulla, d. 5. „Fülle”; fie wird aud in der prof. Einleitung zu Grimnis- 
mol genannt und erjcheint im zweiten Merjeburger Sprude als Bolla. 

6 ©. zu Prymskv. 3. 

7 Hnoß, d. h. „Kleinod“, in den eddiſchen Liedern nirgends genannt. 

8 Mardoll bedeutet „die Meeresfrohe”, Gefn „die Spenderin”; die andern 
beiden Namen nr unerflärt. 

9 Bgl. zu Prymskv. 3. 

0 Wanadis, od. h. „vie Wanengöttin”. 


1. Gylfis VBerblendung (Gylfaginning). 35. 327 





Sjofntift eifrig bemüht, die Menſchen zur Liebe zu entflammen, 
Männer ſowohl wie Frauen, daher wird nach ihrem Namen die 
Liebe ‚sjofni‘ genannt. Lofn! erhört gern die Gebete und iſt 
mild; fie hat von Mllvater und Frigg die Erlaubnis erhalten, 
Ehen zwiſchen den Menjchen zu jtande zu bringen, denen vorher 
ein Hinderniz im Wege ftand: nach ihrem Namen Heißt die Erlaub— 
nis ‚lof‘. War! hört auf die Eide und heimlichen Abmachungen 
der Menjchen, der Männer wie der Frauen; darum heißen jolche 
Verpflichtungen ‚värar‘ (Gelübde). War ift auch weije und wiß— 
begierig,, jo daß ihr nichts verborgen bleiben kann. Daher die 
Redeweiſe, daß eine Frau etwas gewahr wird. Syn? hütet die 
Thüren in der Halle und jchließt fie vor denen, die nicht hinein— 
gehen jollen. Auch ift fie bei den Thingverfammlungen in jolchen 
Streitjachen zur Schüßerin beitellt, wo Männer etwas zu leugnen 
haben. Daher jtammt die Redenzart: Syn tft vorgejchoben, wenn 
jemand etwas leugnet. Hlin? iſt angeiviejen, die Menjchen zu 
ichügen, die Frigg dor irgend einer Gefahr behüten will; daher 
kommt die Nedeweife, daß derjenige ſich anlehnt (hleinir), der jich 
in acht nimmt. Snotra? ijt weife und von feinem Anjtand; 
nach ihrem Namen werden kluge Männer oder Frauen ‚snotr‘ 
genannt. Gna? wird von Frigg in ihren Angelegenheiten nach 
verjchiedenen Orten entjendet; fie hat ein Roß, dag durch Luft 
und Meer zu jchreiten vermag und Hofwarpnir? heikt. Es 
gejchah einmal, daß ein Wane fie erblickte, als ſie durch die Luft 
ritt; ex ſprach: 
‚Wer fliegt dort, wer führt dort, 
wer läuft durch die Luft? 
Sie antwortete: 
‚Nicht flieg’ ich, doch fahr’ ich, 
durchlaufe die Luft 





1 Sjofn, die nordifche Venu?, wie Lofn, die Juno pronuba, find ebenfo wie 
War nur Hypoftajen der Frigg. Nur War wird aud in den eddiſchen Liedern 
genannt (Prymskv. 30). 

2 Syn (d.h. „Ableugnung”), Hlin (d.h. „Stüge”, „Shuß”), Snotra (b. h. 
„die Kluge”) und Gna (d.h. „die Erhabene” [?]) find ebenfalls als Hypoſtaſen der 
Frigg aufzufaffen. Vol. 53 fteht Hlin geradezu für Frigg; die übrigen Namen 
fommen in den Liedern nicht vor. 

s» Hofwarpnir, d. h. „der Hufwerfer“ (2). 


328 Anhang. 


auf dem Rüden Hofwarpnirs, den die rajche Gardrofa ! 
vom Hengite Hamjferpir? empfing?.‘ 
Nach dem Namen der Gna heißt e8, daß dasjenige fich Hoch erhebt 
(en&fir), was in der Höhe dahinfährt. Yerner werden auch Sol* 
und Bild zu den Ainnen gerechnet. 

36. „Noch find andre weibliche Wejen, die in Walholl Dienite 
thun. Sie reichen den Trank herum und haben das Tijchgerät 
und die Bierfrüge in ihrer Obhut. So werden fie in den Grim— 
nismal genannt [Grimn. 36]: 

Hriſt und Mift jollen das Horn mir bringen, 
Sfeggold und Skogul dazu, 

Hlokk und Herfjotur, Hild und Thrud, 
Geirolul und Gol, 

Randgrid und Radgrid und Reginleif 
bringen den Einheriern Bier.‘ 


Diefe Jungfrauen heißen Walfüren. Odin fendet fie in die 
Schlacht, und dort wählen fie die Männer aus, die dem Tode er- 
liegen jollen, und verleihen den Sieg. Gud® und Rojta” und 
die jüngjte Norne, welche Skulds heißt, reiten immer, um die- 
tenigen, die fallen jollen, auszuwählen und über den Sieg zu ent= 
Icheiden. — Auch Jord?, die Mutter des Thor, und Rind!?, 
die Mutter des Walt, werden zu den Aſinnen gerechnet. 

37. „Symir!! hieß ein Mann und feine Frau Örboda!!; 
er war von dem Gejchlechte der Bergriejen. Ihre Tochter hieß 
Gerd!!, aller Frauen ſchönſte. Eines Tages geſchah es, daß 
Freyr auf Hliditjalf"? Hinaufitieg und über die ganze Welt Hin- 
ausſchaute. Und als er nach Norden blickte, jah er in einem Ge— 





ı Gardrofa, d.h. „die Zaundurchbrecherin“. 

2 Samjferpir, d. h. „runzeliges Fell habend“. 
3 Das Gedicht, au dem diefes Fragment ftammt, ift unbekannt. 
4 Sol, die Sonne; f. oben C. 11. 

5 Bil, f. oben C. 11. 

s Gud, d.h. „Kampf“. 

" Rojta, d. 5. „Getümmel“. 

8 Vgl. oben C. 15. 

9 Bgl. oben €. 9. 10. 

10 Bgl. zu Baldrs draumar 11. 

11 Vgl. zu Skirn. 6. 

12 Vgl. zu Skirnismgl, prof. Einleitung. 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 36—38, 329 





höfte ein großes Haus, aus dem eine Frau heraustrat, und von 
ihren Haaren erglängte Luft und Meer. So aber rächte ſich an 
ihm der große Übermut, daß er auf den heiligen Sit fich gef ſetzt 
hatte, daß er harmvoil hinwegging. Er konnte auch nicht 
ſchlafen, als er nach Hauſe kam. Da ſuchte er den Skirnir auf, 

und dieſer machte ſich auf den Weg, die Gerd zu finden, und es 
gelang ihm auch, den Liebesbund zwiſchen beiden zu ſtande zu 
bringen. Zu dieſer Fahrt gab Freyr dem Skirnir ſein Schwert, 

und infolgedeſſen hatte er feine Waffe, als er mit Beli! zu— 
Jammentraf; daher mußte ex den Belt mit der Fauſt erichlagen. 
Schlimmer aber wird der Mangel des Schwertes ſich dann er- 
weijen, wenn Muspells Söhne verheerend hereinbrechen und er 
wider fie kämpfen muß.‘ 

38. Ta ſprach Gangleri: „Was Hat denn Odin jo vielem 
Volke zur Speije zu bieten, wenn alle die Männer zu ihm fom- 
men, die durch Waffen gefällt find?” Har erwiderte: „Eine 
große Schar iſt allerdings dort verfammelt, doch wird fie nicht 
zu zahlreich jcheinen, wenn der Wolf naht. Co viele aber auch 
da find, jo wird dennoch das Tleijch des Eber3, der Sährimnir 
heißt, nicht aufgezehrt. Er wird täglich gejotten und ijt doch am 
Abend wieder heil; wenige aber werden dir jagen fünnen, wie 
das zugeht. Andhrimmir heißt der Koch und Eldhrimnir der 
Keſſel. So heikt es im Xiede [Grimn. 18]: 

‚Andhrimnir fiedet in Eldhrimnir 
des feilten Sährimnirs Fleiich, 

den würzigiten Speck, doch nur wenige wiſſen, 
welches Ejjen die Einherier nährt.“ 


Gangleri fragte: „Hat Odin diejelbe Tiſchkoſt wie die Ein- 
herier?“ Har erividerte: „Die Speife, die auf feiner Tafel jteht, 
gibt er jeinen beiden Wölfen Geri und Frefi, ex ſelbſt aber be— 
darf feiner Nahrung. Wein ift für ihn zugleich Speife und Trant, 
wie e8 im Xiede heißt [Grimn. 19]: 
Freki und Geri füttert der kampfgewohnte 
Heervater, reich an Ruhm; 





1 Bgl. zu Skirn. 16, 


330 Anhang. 


doch von Wein allein Lebt der waffengeſchmückte 
Ddin alle Zeit.‘ 

Auf jeinen Schultern figen zwei Raben, die ihm alle Begeben- 
heiten, die fie jehen oder hören, ins Ohr jagen; fie heißen Hugin 
und Munin. Dieje jendet Odin früh am Morgen aus, um 
durch alle Welten zu fliegen, und um die Frühſtückszeit ehren 
fie zurüd. Darım heißt er auch der Nabengott. So fteht im 
Liede [Grimn. 20]: 


‚Über Midgard müffen . Munin und Hugin 
fliegen Tag aus, Tag ein; 

ich fürchte, dag Hugin heim nicht fehre, 
doch jorg’ ich um Munin noch mehr.“ 

39. Da jragte Gangleri: „Was haben denn die Einherier 
als Tranf, der doch ebenjo weit reichen muß wie die Speife? Wird 
dort etwa Waſſer getrunken?“ Har antwortete: „Wunderlich 
fragjt du, daß Allvater Könige und Jarle zu fich einladen und 
ihnen dann Waller als Trank vorjegen follte. Mancher kommt 
nach Walholl, dem der Waſſertrank zu teuer erfauft dünfen würde, 
wenn dort nicht beſſere Bewirtung zu finden wäre, nachdem er 
vorher bis an jeinen Tod Wunden und Schmerzen exrduldet hat. 
Eine Ziege, die Heidrunt heißt, jteht auf Walholl® Dach und 
verzehrt die Triebe von den Zweigen des Baumes, der Lärad! 
genannt wird, aus ihren Zigen aber rinnt Milch, mit der fie den 
Zuber füllt. Diefe Milchjtröme find jo mächtig, daß alle Ein- 
herier jich einen tüchtigen Rauſch daraus trinken fünnen. Da 
ſprach Gangleri: „Eine vorzügliche Ziege iſt das, und trefflich 
muß der Baum fein, an dem fie äſt.“ Har jagte: „Wunder- 
bareres noch iſt von dem Hirſche Eikthyrnir? zu berichten, der 
ebenfalls auf Walholls Dache fteht und von den Zweigen des— 
jelben Baumes fich nährt. Bon feinem Geweih trieft nämlich jo 
viel Naß, daß es in den Brunnen Hwergelmir hinabrinnt, aus 
dem die Flüſſe ſich ergießen, die folgende Namen führen: Sid, 
id, Säkin, Akin, Swol, Gunnthro, Form, Fimbulthul, Gipul, 





1 Bgl. zu Grimn. 25. 
2 Vgl. zu Grimn. 26. 


I. Gylfis Berblendung (Gylfaginning). 39-42. 331 





Gopul, Gomul, Geirwimul — dieje fließen um die Wohnitätten 
der Aſen; ferner Thyn, Win, Tholl, Hol, Grad, Gunnthorin, 
Not, Nyt, Nonn, Hronn, Wina, Wegfwinn, Thiodnumat.‘ 

40. Da ſprach Gangleri: „Ein großes Haus muß Walholl 
jein, und ein großes Gedränge mag in ihren Thüren entjtehen.‘ 
Har erividerte [Grimn. 23]: 

‚zünfhundert Thore und vierzig dazu 
find in Walholl3 weiten Bau; 


achthundert Einherier gehen aus einem Thore, 
wenn fie ausziehn, zu wehren dem Wolf.“ 


41. Gangleri jagte: „Eine gewaltige Menge ift in Walholl 
(und ein gewaltiger Häuptling muß Odin fein, da er über ein 
jo großes Heer gebietet?). Was haben denn num die Einherier als 
Kurzweil, wenn fie nicht trinken? Har antwortete: „Wenn ſie 
fich angefleidet haben, jo gehen fie hinaus in den Hof und käm— 
pfen, und einer fällt den andern. Das ift ihre Unterhaltung. 
Zur Frühftüdszeit aber reiten fie nach Walholl zum Trinfgelage, 
wie e8 im Liede heißt [Vafbr. 41]: 

‚Die Einherier alle in Ddins Gehege 
treffen jich täglich zum Kampf: 

fie fällen einander, dann fahren jte heimwärts 
und figen zufanımen verjöhnt.‘ 


(Wahr ift auch, was du jagtejt, daß Odin ein mächtiger Fürſt 
it, und durch viele Zeugnifje ijt das zu erhärten. So heißt es 
in den eignen Worten der Ajen [Grimn. 44]?): 
‚Yogdrafil ift der beſte unter allen Bäumen, 
Skidbladnir das jchnellite Schiff, 
von allen Aſen iſt Odin der beite 
und Sleipnir das rajcheite Roß; 
der Brüden beſte iſt Bifroft, Bragi der Sfalden beiter, 
Habrof der Habichte befter, der Hund beiter Garm.“ 


42. Sangleri ſprach: „Welchen Urſprung Hat der Hengit 
Sleipnir?“ Har erwiderte: „Es fam einmal ein Werfmeiiter 





ı Vgl. Grimn. 27. 38. 
2 Das Eingeflammerte fehlt in der Handſchrift von Upfala. 


332 Anhang. 


zu den Ajen und erbot fich, ihnen in drei Halbjahren eine Burg 
zu bauen, die den Bergriefen Troß bieten könne. Er verlangte 
aber als Lohn, Freyja zu erhalten, dazu Sonne und Mond. Die 
Aſen aber jprachen, er jolle diejes Lohnes verluftig jein, wenn 
am erjten Sommertage irgend ein Zeil der Burg nicht vollkom— 
men fertig wäre; auch dürfe ihm niemand bei der Arbeit behilf- 
lich fein. Er verlangte jedoch, daß ihm der Beijtand feines Roſſes 
Swadilfari! gejtattet werde, und auf Lokis Vorſchlag wurde 
dies bewilligt. Er begann nun die Burg zu bauen und führte 
bei Nacht auf feinem Rofje Steine herbei, jo daß es den Aſen ein 
Wunder jchien, welche Bergmaffen ex herbeiichaffte. Das Roß 
that doppelt jo viel Arbeit wie der Werkmeiſter. Der Vertrag 
war vor zahlreichen Zeugen abgejchlofjen, denn der Rieſe meinte, 
er würde jonft bei den Ajen nicht genügend gelichert fein, wenn 
Thor heimkäme und einen Thurjen vorfände; Thor war nämlich 
gen Diten gezogen, um Unholde zu erſchlagen. Die Burg war 
jtarf und bereit jo hoch, daß man kaum hinaufjehen fonnte, und 
drei Tage waren nur noch übrig bis zu dem Zeitpunfte, an dem 
das Bauwerk fertig fein jollte. Da ſetzten fich die Götter in ihre 
Sitze, und einer fragte den andern, wer den Rat erteilt habe, 
Freyja nach Jotunheim zu verheiraten und die Luft zu verderben, 
da der Himmel dunkel werden würde, wenn Sonne und Mond 
fortgenommen und den Rieſen ausgeliefert wären. Sie wurden 
darüber einig, daß Loki es gewejen fei, der dazu geraten habe, 
und fie jagten ihm nun, er werde eines ſchlimmen Todes jterben, 
wenn er nicht Rat dafür jchaffe, daß dem Werkmeiſter jein Lohn 
vorenthalten werde. Sie drangen heftig auf ihn ein, und da er 
in Furcht geriet, ſchwur er einen Eid, daß er es dahin bringen 
wolle, daß der Rieſe leer ausginge, es fojte, was es wolle. Als 
nun der Werkmeijter mit feinem Roſſe Swadilfari nach neuen 
Steinen auszog, da lief aus dem Walde eine Stute; die ließ ihre 
Stimme ertönen und erhob eines lautes Gewieher. Der Hengjt 
aber, jobald er bemerkte, welcher Art jenes Pferd war, geriet in 
Brunft und riß die Sielen entzwei und lief zu der Stute; diefe 





1 Der Name bedeutet: „eine unheilvolle Fahrt machend“. 


I. Gylfis Berblendung (Gylfaginning). 42. 48. 333 





jedoch entwich in den Wald, und hinterher rannte der Wert- 
meijter, der jein Roß wieder einfangen wollte. Die Pferde liefen 
aber die ganze Nacht durch. In diefer Nacht ruhte die Arbeit, 
und am Tage darauf ward auch nicht jo viel gejchafft wie jonit. 
Als nun der Werfmeifter jah, daß er den Bau nicht werde zu 
Ende führen fünnen, geriet er in Riefenzorn, und als die Aſen 
das jahen, wurden die Eide nicht länger beachtet, vielmehr riefen 
fie Thors Namen, und alsbald erjchien er, ſchwang den Hammer. 
in die Luft empor und zahlte jo den Lohn für die Arbeit, daß er. 
den Riejen tot ſchlug und nach Niflheim hinabjandte. Loki aber 
hatte mit Swadilfari jo genaue Befanntjchaft gemacht, daß er ein 
Füllen zur Welt brachte; dieſes war grau von Farbe und hatte 
acht Füße, und es ift das befte Noß, von dem Götter und Menjchen 
willen. So heißt e8 in der Wolujpa [Vol. 25. 26]: 

‚Da gingen zu Site die Götter alle, 

die heiligen Herrjcher, und hielten Rat, 

wer die ganze Luft mit Gift erfüllte 

und dem wüſten Riejen die Wunſchmaid veriprad). 

‚Es wanften die ide, die Worte und Schwüre, 

die fejten Verträge, die man vordem jchloß; 

nur Thor jchlug zu, voll trogigen Mutes — 

ſelten jißt er, wenn er ſolches vernimmt.“ 


43. Da fragte Gangleri: „Was ijt von Skidbladnir! 
gejagt? Iſt ex das beſte der Schiffe?" Har antivortete: „Das 
beſte und fünftlichite iſt er, Naglfar aber iſt das größte, welches 
Muspells Söhne befiten. Den Skidbladnir verfertigten Zwerge 
(die Söhne des Iwaldi?) und jchenkten es dem Freyr. Das Schiff 
iſt jo groß, daß alle Ajen mit ihrer gefamten Kriegsrüjtung 
darin Pla haben, und Fahrwind hat es, wohin man fahren 
will, jobald da3 Segel aufgezogen it’. Wenn man aber nicht 





1 ©. zu Skirnismöl, proſ. Einleitung, und Grimn. 43. 

2 Diefer Zufag fehlt in der Handichrift von Upfala, vgl. aber Grimn. 43, 

3 Die Gabe, Fahrwind zu erlangen, jobald das Segel aufgezogen war, jchreibt 
die Grims saga lodinkinna C. 2 (Fornaldar sögur IT, 152) dem Ketil Häng und 
feinem Sohne Grim zu, von dem fie fich weiter auf Orvar-Odd vererbte, f. Orvar- 
Odäs saga €. 4 (Altnord. Sagabibl. If, 11). Auch von König Dlaf Tryggwaion 
wird basjelbe erzählt (Fornmanna sögur X, 314). 


334 Anhang. 


mit ihm in die See fahren will, jo fann man es zufammenfalten 
und in der Taſche tragen: jo fünftlich ift es aus allerlei Dingen 
zujammengejeßt.‘ 

44. Gangleri ſprach: „Ein gutes Schiff ift Skidbladnir, aber 
Zauberei muß dabei im Spiele geweſen jein, daß es jolche Eigen 
ichaften beſitzt.“ Dann fragte ex weiter: „Sit denn Thor niemals 
an einen Ort gelommen, an dem er infolge von Zauberfünjten 
den fürzern gezogen hat?“ Har antivortete: „Wenige werden 
davon erzählen können, aber manches tit ihm als jchwer ausführ— 
bar erjchienen. Doch wenn auch irgend eine Aufgabe für ihn fo 
ſchwierig geweſen tjt, daß er fie nicht Hat überwinden können, jo 
darf man davon doch nicht viel Weſens machen, denn er hat Be- 
weiſe genug geliefert, daß wir troßdem glauben können, daß er 
von allen der jtärkite ſei.“ Gangleri ſprach: „Es jcheint mir fo, 
daß ich jet nach etwas gefragt habe, worauf mir feiner Antwort 
geben kann.” Jafnhar erwiderte: „Wir haben von Dingen ge— 
hört, die ung unglaublich jcheinen; doch hier fit einer, der davon 
Kunde hat, und du kannſt dich darauf verlafjen, daß er nicht zum 
erſten Male lügen wird, da er früher noch nie eine Unmwahrheit 
gejagt hat.“ Gangleri jagte: „Sch bin bereit, zu hören, was auf 
meine Frage geantwortet werden wird.” Har ſprach: „Das ijt 
der Anfang diefer Geihichte, daR Wagenthor mit jeinen Böden 
ausfuhr, in Lokis Gejellichaft. Am Abend kamen ſie zu einem 
Bauern!, Da nahm Thor feine Böce und jchlachtete fie; dann 
wurden fie abgehäutet und in den Keifel gethan. Als das Fleiſch 
gejotten war, ſetzte ſich Thor zu Tiſche und lud auch den Bauern 
und jeine Kinder, den Knaben Thialfi und dag Mädchen 
Rostwa?, zur Abendmahlzeit ein. Thor rücte die Bockfelle vom 
Feuer fort und ſagte, die Kinder jollten die Knochen auf diefe 
elle werfen. Aber Thialfi, der Sohn des Bauern, zerichlug mit 
jeinem Meffer das Schenfelbein des einen Bodes und jpaltete es, 
um das Mark zu erlangen. Thor blieb die Nacht über dort. 
Früh am Morgen ſtand er auf und kleidete fich an; dann ergriff 
er den Mjolnir, ſchwang ihn empor und weihte die Bockfelle. Da 





1 Diefer Bauer bie wahrſcheinlich Egil; f. zu Hym. 7. 37. 
2 ©. zu Härb. 39. 


I. Gylfi3 Verblendung (Gylfaginning). 44. 45. 335 





ftanden die Böce auf, doch der eine von ihnen war an einem 
Hinterfuße lahın. Thor bemerkte das und fagte, der Bauer oder 
jeine Angehörigen jeien mit den Knochen nicht vorfichtig um— 
gegangen, da der Schenkel des einen Bockes gebrochen ſei. Der 
Bauer geriet in Furcht, al3 Thor die Brauen über feinen Augen 
hinabfinfen ließ, denn obwohl er nur wenig von den Augen jah, 
meinte er allein vor ihrem Blicke niederfinfen zu müſſen. Thor 
preßte auch die Hände jo fräftig um den Schaft des Hammers, 
daß die Knöchel weiß wurden. Da baten der Bauer und feine. 
Angehörigen um Gnade und erklärten fich bereit, jede Buße zu 
leijten, die ex verlangen würde; und als er jah, wie jehr fie in 
Furcht waren, verging ihm der große Zorn, und er nahnı von 
dem Bauern die beiden Kinder Thialfi und Roskwa mit fich, die 
fortan getreulich ihm dienten. | 

45. „Er ließ nun dort jeine Börde zurück und begab fich auf 
den Weg nach Jotunheim. Er kam an die Seefüfte und ſchwamm 
über das tiefe Meer, und als er an das jenfeitige Ufer gelangte, 
ging er hinauf, und mit ihm Thialfi und Roskwa und Loki. Als 
fie nun eine fleine Weile weiter gezogen waren, famen fie an 
einen großen Wald und gingen darin fort big zum Abend. Thialfi 
zeichnete fich vor allen Männern durch Schnelligkeit aus; er trug 
den Speiſeſack Thors, denn an Lebensmitteln war in diejer 
Gegend nicht viel zu finden. Als es num dunkel wurde, juchten 
jie einen Ort, wo fie die Nacht zubringen könnten. Ste fanden 
im Walde ein großes Haus; die Thür befand fich an dem einen 
Ende, und fie war ebenjo breit wie das ganze Gebäude. Dort 
weilten fie während der Nacht. Um Mitternacht aber entjtand 
ein gewaltiges Erdbeben, und der Boden geriet in Beiwegung wie 
ein Schiff, das von den Wellen gejchaufelt wird, und das Haus 
erzitterte. Da ſtand Thor auf und rief feine Genoſſen. Sie 
tajteten umher und fanden an der rechten Seite des großen Ge— 
bäudes ein Fleineres Nebenhaus. Dort traten fie ein, und Thor 
jegte fich in die Thür; feine Begleiter aber hielten fi) im Innern 
auf und waren in großer Angſt. Thor hatte die Hand am 
Hammerjchaft und war entjchloffen, fich zu wehren. Sie hörten 
nun ein mächtiges Braufen und Schnauben. Als der Tag an— 


336 Anhang. 


brach, kam Thor heraus. Er jah im Walde nicht weit von fich 
entfernt einen Mann liegen, der war nicht Klein und jchnarchte 
gewaltig. Nun glaubte Thor zu wiffen, wodurch der nächtliche 
Lärm entitanden war; er that den Stärfegürtel an, und die Aſen— 
fraft wuchs ihm — in diefem Augenblide erwachte aber der 
Mann. Er ſtand jchnell auf, und Thor hatte nicht mehr den Mut, 
mit dem Hammer zuzujchlagen. Er fragte num jenen Mann nach 
jeinem Namen. ‚Sch heiße Sfrymir“, erwiderte er, ‚dich aber 
brauche ich nicht zu fragen, du biſt Ajathor; haft du übrigens 
meinen Handſchuh fortgenommen?‘ Da bückte ſich Skrymir und 
nahm jeinen Handſchuh auf: Thor Jah nun, das diefer das Ge— 
bäude gewejen war, in dem er die Nacht verbracht hatte, das 
Nebenhaus aber war der Däumling des Handſchuhs. Skrymir 
fragte, ob Thor damit einverjtanden jet, daß fie alle gemeinjam 
die Reife fortjegten, und Thor erklärte jeine Bereitwilligfeit. Da 
nahm Skrymir feinen Speiſeſack, löfte die Bänder und begann 
zu effen; Thor und feine Begleiter jegten fich in der Nähe nieder 
und thaten das Gleiche. Skrymir ſchlug nun vor, fie jollten die 
Speijejäde in ein Bündel zuſammenſchnüren, das er auf dem 
Rücken tragen wolle, und das gejchah. Er warf das Bündel auf 
den Naden und begann nun gewaltig auszujchreiten. Am Abend 
wählte er fich unter einer Eiche das Nachtlager aus. Er jagte zu 
Thor, er wolle fich unter dem Baume niederlegen, um zu jchlafen; 
fie aber jollten den Speifejad nehmen und ihre Mahlzeit her— 
richten. Skrymir jchlief jofort ein und begann laut zu jchnarchen. 
Thor nahm nun den Sad und wollte ihn öffnen, aber, jo un— 
glaublich das auch Klingen mag, ex brachte es nicht zu ftande, auch 
nur einen Knoten zu löſen. Als er deſſen inne ward, ergriff er 
den Hammer und jchlug damit den Skrymir auf den Kopf. Der 
erwachte und fragte, ob ein Zaubblatt ihm auf das Haupt gefallen 
jet und ob fie mit dem Eſſen jchon fertig wären? Thor erwiderte, 
daß ſie unter einer andern Eiche jchlafen wollten. Um Mitter- 
nacht hörte Thor, daß Skrymir jchnarchte. Er nahm den Ham— 
mer und führte von neuem einen Hieb nach feinem Kopfe, mitten 





1 Strymir, d. 5. „der Großſprecher“. 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 45. 46. 337 





auf den Scheitel, und tief drang der Hammer ein. Da erwachte 
Sfrymir und fragte: Iſt mir eine Eichel auf den Kopf gefallen? 
MWachit du, Thor?‘ Diejer gab Antivort und jagte, daß er eben 
erwacht jei. Thor gedachte nun zum dritten Male zu jchlagen, 
er ſchwang den Hammer mit aller Macht und traf die nach oben 
gefehrte Schläfe des Niejen. Der Hammer jank ein bis an den 
Schaft, Skrymir aber jegte fich auf, ftrich fich über Wange 
und Stirn und jagte: ‚ES müſſen wohl in den Baume über mir 
Vögel jiben, denn es war mir jo, al3 wenn mir von oben herab. 
eine Feder auf den Kopf fiele‘ Dann fragte er: ‚Wachlt du, 
Thor? Es wird Zeit fein, aufzuftehen und fich anzufleiden. Ihr 
habt e8 nun nicht mehr weit bis zu der Burg, die Utgard! 
heißt; und wohl habe ich durch euer Geflüfter vernommen, daß 
ihr mich für einen ziemlich großen Mann haltet, dort aber werdet 
ihr größere Leute ſchauen können. So will ich euch denn einen 
guten Rat geben: macht euch dort nicht allzu maufig, denn das 
würde man fich von ſolchen Kleinen Burfchen nicht gefallen-Laffen, 
oder fehrt um, und das würde wohl das bejte jein. Sonft jchreitet 
nur nach Often zu, wenn ihr wirklich zu der Burg wollt; ich 
werde mich aber gen Norden wenden.‘ Gr nahm num das Bündel, 
legte es fich auf den Rüden und jchlug fich in den Wald; doch 
wird nicht? davon gejagt, daß die Ajen ihm eine glückliche Reife 
gewünscht hätten. 

46. „Sie begaben fich num nach Utgard und jahen auf dem 
Gefilde eine Burg jtehen; doch mußten fie ihre Köpfe weit zurück 
biegen, ehe fie biS zu den Zinnen hinaufjehen konnten. Der Ein- 
gang zur der Burg war durch eine Gitterthür verjchloifen, und 
da es Thor nicht gelang, fie zu Öffnen, mußten fie zwiſchen den 
Stäben durchjchlüpfen. Sie jahen eine große Halle, gingen hinein 
und erblidten nun gewaltig große Leute. Als fie vor den Hochfik 
famen, begrüßten fie den Utgarda-Lofi?. Der jchaute fie kaum 





1Utgard, d. 5. „das außerhalb (nämlich außerhalb der von Menſchen be— 
wohnten Gegenden) belegene Gebiet”. 

2Utgarda-Loki ift niemand andres als Loki jelbft, und wenn diejer ihm 
neben Thor al3 Gegner gegenübergeftellt wird, jo ift darin nur eine Verdun— 
felung und Berfennung des alten Mythus zu erbliden. Der alte Feuergott gibt 
fih ſchon dadurch zu erkennen, daß Logi (das Wild» oder Flugfeuer) als jein Die: 


Die Edda. 22 


338 Anhang. 


an, verzog höhniſch den Mund, daß die Zähne fichtbar wurden, 
und jprach: ‚Es ijt doch jchwer, von fernen Gegenden wahre Be: 
richte zu erlangen, da diejes Wichtlein hier der Wagenthor fein 
joll! Übrigens magjt du vielleicht jtärfer jein, ala du mir aus— 
fiehft. Sagt mir nun, in welchen Fertigkeiten ihr Genojjen geübt 
jeid, denn wir nehmen niemand auf, der nicht durch irgend eine 
Kunſt oder Begabung fich auszeichnet.‘ Loki erwiderte: Es 
wird niemand hier in der Halle fich finden, der jchneller zu eſſen 
vermag als ich.‘ — ‚Das ift freilich eine Kunjt‘, jagte Utgarda— 
Lofi, wenn du deine Worte bewahrheiten fannft, und wir wollen 
gleich eine Probe anjtellen.‘ Da rief er von der Bank einen Mann 
herbei, der Logi! hieß, und forderte ihn auf, mit Loki ſich zu 
meſſen. Ein großer Trog, mit Fleiſch gefüllt, ward herbeigebracht 
und auf dem Fußboden der Halle niedergejeßt; Kofi ſetzte fich an 
das eine Ende und Logi an das andre. Jeder von beiden aß nun. 
jo rajch er fonnte, und in der Mitte des Troges kamen fie zu— 
jammen: da hatte Loki alles Fleiſch verzehrt bis auf die Knochen, 
Logi aber hatte außer dem Fleiſche auch die Knochen verjchlungen 
und den Trog dazu, und jomit hatte ex die Wette gewonnen. Da 
fragte Utgarda-Loki, was denn der junge Mann für eine Fertig— 
feit beſitze? Thjalfi erwiderte, ex jei bereit, im Wettlaufe gegen 
einen der Gefolgsleute fich zu verjuchen. Jener ſprach: ‚Das iſt 
eine treffliche Kunſt, aber jehr groß müßte deine Schnelligfeit 
jein, wenn du in diefem Wettkampfe den Sieg gewinnen jollteit. 
Wir wollen auch hier die Probe machen.‘ Er ging auf einen 
lat hinaus, der zum Wettlaufe jehr geeignet war, rief einen 





ner erjcheint. Als Beherrfcher der Feuerwelt gebietet aber Loki auch über bie 
Sige des vulfanifhen Feuers, die unwirtliden Gebirgszüge, die Thor vergeblich 
für den Aderbau nugbar zu machen ſucht. So ift nämlich mit Uhland die Er— 
zählung, daß die Hammerſchläge des Gottes an Skrymirs Schädel erfolglos ab— 
prallten, zu deuten. Daß Utgarda-Lofi mit Lofi identiſch ift, beweift ferner der 
Umftand, daß die Midgardsichlange (Lofi3 Kind!) auch in Utgarda-Lokis Haus 
wejen fich findet. Der alte Mythus hat übrigens viele märdenhafte Züge in fi) 
aufgenommen, 3. B. Thjalfi3 Wettlauf mit Hugi und Thors Kampf mit Elli: 
Hugi und Elli haben mit dem Lofi-Mythus nichts zu ſchaffen. Die Epifode im 
8. Buche des Saro Grammaticus, nad welder der Isländer Thorhall im Auf— 
trage des däniſchen Königs Gorm den „Ugarthilocus” aufſucht, ift augenſchein— 
lich ſtark entftellt und aus ihr nichts zur Aufhelung unfrer Erzählung zu ge— 
mwinnen. 
1Logi, d. h. „Lohe“. 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 46. 339 





Knaben herbei, der Hugi! hieß, und befahl diefem, den exjten 
Kauf mit Thjalfi zu beginnen. Hugi erwies ſich um jo viel 
jchnefler al3 fein Gegner, daß er das Ende der Bahn weit früher 
erreichte und nıım dem andern entgegenlief. Da jprach Utgarda- 
Kofi: ‚Du wirst dich doch mehr anjtrengen müſſen, obgleich 
ich zugeben will, daß flinfere Leute al3 du bisher nicht zu ung 
gefommen find.‘ Da machten ſie jich an den zweiten Lauf, und 
al3 Hugi ans Ende der Bahn gelangte, kehrte ex wieder um, 
Thjalfi aber war noch einen weiten Pfeilſchuß vom Ziele entfernt. 
Utgarda-Loki jagte: ‚Sch finde, daß Thjalfi gut zu laufen ver— 
mag, doch faum glaube ich, daß er den Preis gewinnen wird; 
wir wollen e8 aber noch auf den dritten Kauf ankommen laſſen.“ 
AS Hugi nun am Ende der Bahn angefommen war, hatte Thjalfi 
noch nicht die Hälfte des Weges zurücfgelegt. So war denn auch 
dieſes verſucht. Da fragte Utgarda-Loki: ‚Welche Fertigkeit 
haft du denn, Thor? Du wirft doch ficherlich im jtande fein, 
mehr zu leijten al3 deine Genofjen, da die Menjchen von deinen 
großen Thaten ſoviel Weſens gemacht haben.‘ Thor erwiderte, 
am liebſten wolle er e8 im Trinfen mit einem feiner Hausgenofjen 
aufnehmen. ‚Das kann gejchehen‘, jprach Utgarda-Loki. Er 
ging in die Halle zurück und befahl, das Strafhorn? herbeizu= 
holen, aus dem die GefolgSleute öfter trinfen mußten. Das zeigte 
er dem Thor und fagte, daß man den Trinfer lobe, der es in 
einem Zuge leeren fünne; ‚manche aber brauchen zivei Züge 
dazu; doch jo jchwächlich ift feiner, der e3 nicht in drei Zügen 
austrinft. Dem Thor jehien das Horn nicht bejonders groß, 
wenn es auch ziemlich lang war. Er war jehr durjtig, ſetzte es 
an den Mund und jchlucte mächtig, auch meinte ex nicht nötig 
zu haben, zum zweiten Male ins Horn zu ſchauen. Als ex aber 
abjegen mußte und in das Horn jah, da bemerkte er, daß fich der 
Inhalt nur um ein Geringes vermindert hatte, Utgarda-Loki 
ſprach: ‚Das war ein tüchtiger Trunf, wenn auch nicht allzu 
groß; ich hätte es nicht geglaubt, wenn jemand mir gejagt hätte, 
daß Aſathor nicht mehr zu trinken vermöge. Du wirft noch einen 





ı Hugi, d. h. „Gedanke“. 
2 d. h. das Horn, aus dem die Riefen „pro poena“ trinfen mußten. 
22* 


340 | Anhang. 


zweiten Zug thun müfjen.‘ Ihor antwortete nicht, ex jekte das 
Horn an den Mund und war feſt entſchloſſen, es nun auszu— 
trinken; er 30g aus allen Kräften den Trank ein, jolange er e3 
aushalten fonnte; aber doch bemerkte er, daß die Spite des 
Hornes nicht Hoch kommen wollte, und al3 er hineinblicte, 
ſchien e3 noch weniger abgenommen zu haben als das erjte Mal; 
doch war die Flüffigkeit wenigſtens jo tief gefunten, daß man dag 
Horn tragen konnte, ohne etwas zu verjchütten. Da jprach Ut- 
garda-Loki: ‚Wie jteht es nun, Thor? Du ſparſt wohl deine 
Kräfte für den legten Trunk, der vielleicht größer fein wird, als 
es für dich dienlich 1ft? Wenn du auch den dritten Zug noch thun 
willſt, jo wird diejer, wie ich meine, als der größte gelten müſſen. 
Du ſcheinſt mir übrigens nicht jo ſtark, wie die Ajen dich rühmen, 
wenn du nicht etwa in andern Dingen mehr Kraft an den Tag 
legſt.‘ Da geriet Thor in gewaltigen Zorn; er jegte nochmals 
dag Horn an den Mund und jtrengte alle jeine Kräfte an. Als 
er nun in das Horn jah, war e8 doch um ein Bedeutendes leerer 
geworden; und als er das bemerkte, gab er die Sache auf und 
wollte nicht mehr trinken. Da fprach Utgarda-Loki: ‚Leicht kann 
man nun jehen, daß deine Stärke nicht befonders groß ilt; willjt 
dur noch weitere Proben ablegen?‘ Thor erwiderte: ‚Bereit bin 
ich, noch anderes zu leijten, aber twunderlich würde es mir er— 
jcheinen, wenn ich daheim bei den Ajen wäre und jolche Trünfe 
für fein angejehen werden jollten. Was für fernere Proben hajt 
du mir denn noch anzubieten?‘ Utgarda-Loki antwortete: ‚Das 
ilt eine Übung für die kleinen Knaben, meine Kate vom Boden 
emporzubeben, und nicht würde ich das von Aſathor fordern, 
wenn ich nicht gejehen hätte, daß er ſchwächer ift, als mir erzählt 
wurde.‘ Da lief über den Ejtrich der Halle eine graue Kate, die 
ziemlich groß war. Thor faßte ihr mit der Hand unter den Bauch 
und hob fie in die Höhe, die Kate aber machte ſich krumm, und 
obwohl Thor fich anftrengte, fie Höher emporzubringen, hob die 
Kate dennoch nur einen Fuß in die Luft. Da ſprach Utgarda— 
Kofi: ‚E3 Tief ab, wie ich vermutete: die Kate it ziemlich groß, 
du aber bijt Klein und kurz.‘ Thor erwiderte: ‚So klein wie ich 
auch fein mag, trete nur einer von euch hervor und ringe mit 


I. Gylfi8 Verblendung (Gylfaginning). 46. 47. 341 





mir, denn nun bin ich zornig.‘ Utgarda-Loki fchaute fich um 
und ſprach: „Sch jehe hier unter den Anweſenden niemand, für 
den dag nicht eine Kleinigkeit wäre, mit dir zu ringen, man rufe 
dag alte Weib Elli! herbei, die meine Pflegemutter war, mit der 
magjt du ringen; fie hat jchon größere Burfchen zu Boden ge- 
worfen, die mir nicht ſchwächer zu fein fchienen, ala du e3 bift.‘ 
Nichts anderes iſt nun davon zu erzählen, als dies: je mehr Thor 
jeine Kräfte anjtrengte, um jo fejter jtand die Alte. Schließlich 
aber legte fie jich auf Kniffe, und nun vermochte fich Thor bei 
dem heftigen Ringen nicht mehr auf den Füßen zu halten und fiel 
auf das eine Knie. Da jagte Utgarda=Lofi, fie jollten nur auf- 
hören, und meinte, es jei nicht von nöten, daß er noch andre 
zum Ringen auffordere. Sie blieben nım dort die Nacht über. 


47. „Am nächjiten Morgen rüfteten fich die Ajen zum Auf- 
bruch. Utgarda-Loki geleitete fie auf den Weg hinaus und fragte, 
wie Thor mit dem Ausfall feiner Reiſe zufrieden jei? Thor er- 
twiderte, fie würden ihn wohl für einen unbedeutenden Mann 
halten. Da erwiderte Utgarda-Lofi: Nun werde ich dir die 
Wahrheit jagen, nachdem du aus der Burg herauskommen bijt, 
in die du niemals gefommen wäreſt, wenn ich gewußt hätte, daß 
du jo große Stärke befitejt, wie du fie bei uns bewährt halt. 
Aber mit Blendiverfen haben wir dich getäufcht: zuerjt im Walde, 
al3 ich zum erjten Male mit euch zuſammentraf und du den 
Speiſeſack öffnen wolltejt. Der war nämlich mit Eijendraht zu— 
jammengejchnürt und du fandeft die Stelle nicht, wo er zu öffnen 
war? Demnächit ſchlugſt du mich dreimal mit deinem Hammer, 
und zwar war der erjte Hieb der ſchwächſte, doch hätte es eines 
weitern Schlages nicht bedurft, wenn du mich wirklich getroffen 
hätteft. Du haft aber wohl neben meiner Halle einen Gebirgs— 
ſtock geſehen und drei vieredige Thäler darin, von denen eins 
tiefer ift al3 die übrigen: das find die Spuren deiner Hammer: 
ichläge. Dieſes Gebirge jchob ich vor mich, al3 du die Schläge 
führteit. Loki ferner hat mit dem Teuer im Eſſen gewetteifert, 





ı Elli, d. h. „das Alter“. 
2 Der Sinn diejed Mythus ift der, dat Thor dem wüſten Feljengebirge ver— 
geblih Frucht abzugewinnen fucht. 


342 Anhang. 


und Thjalfi iſt mit meinem Gedanken um die Wette gelaufen, 
mit dem weder er noch ein andrer es an Schnelligkeit aufnehmen 
konnte. Das Erſtaunlichſte aber war, was du beim Trunk aus 
dem Horne geleiſtet haſt, deſſen Spitze im Meere lag, denn da— 
durch iſt die Ebbe entſtanden. Die Katze, die du aufhobſt, war 
die Midgardsſchlange, und alle faßte Entſetzen, die das ſahen, daß 
du einen Fuß der Katze vom Boden fortbrachteſt. Mit dem Alter 
endlich kämpfteſt du, während du glaubteſt, ein altes Weib vor 
dir zu haben: dieſes hat aber noch niemand zu beugen vermocht. 
Ihr werdet aber nicht zum zweiten Male kommen, um mich zu 
beſuchen.“ Da hob Thor ſeinen Hammer, aber Utgarda-Loki 
war verſchwunden, und auch von der Burg war nichts mehr zu 
ſehen. 

481. ‚Nach dieſem Vorfalle begab ſich Thor auf den Heim— 
weg und gedachte nun, die Midgardsſchlange aufzuſuchen. Er 
kam zu einem Rieſen, der Hymir hieß. Dieſer ſchickte ſich am 
Morgen an, zum Fiſchfang auszufahren. Thor verlangte, ihn zu 
begleiten, der Rieſe aber meinte, daß er von einem ſo kleinen 
Burſchen feinen Vorteil Haben werde: ‚Du wirft frieren, wenn 
ich lange draußen mitten im Meere verweile, wie ich es gewohnt 
bin.‘ Thor wurde zornig und jagte, das jei noch nicht aus— 
gemacht; darauf fragte er, was fie al3 Köder mitnehmen jollten. 
Hymir erwiderte, er möge fich jelbjt Köder verjchaffen. Da packte 
Thor einen Stier Hymirs, der Himinbrjot? hieß, und riß ihm 
den Kopf ab; dann jeßte er fich im Boden des Fahrzeuges nieder, 
und Hymir bemerkte, daß er gewaltig zu rudern verjtand. Bald 
jagte der Riefe, daß fie num zu den Fiichgründen gekommen feien, 
wo er zu bleiben pflege, und forderte ihn auf, das Rudern einzu— 
jtellen. Thor aber jprach, daß er viel weiter hinaus zu rudern 
gedenfe, worauf Hymir erwiderte, dies ſei gefährlich wegen der 
Midgardsichlange. Thor wollte nun durchaus weiter rudern, 
und Hymir ward jehr mißvergnügt. Thor machte die Angel- 
ſchnur zurecht und ftecte den Stierfopf an den Hafen, der fofort 





1 Bol. zu dieſem Capitel die Darftellung in der Hymiskvipa. 
2 Himinbrjot, d. 5. „Himmelbrecher” (der jpig zum Himmel aufragende 
Eisberg [2]; vgl. zu Hym. 17). 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 48. 49. 343 





zu Boden ſank. Die Midgardsjchlange fchnappte nach der Angel, 
und der Hafen blieb ihr im Gaumen jteden; da zerrte fie jo 
mächtig an der Leine, daß Thors beide Fäuſte auf den Bord des 
Bootes aufjchlugen. Thor aber rüjtete ich mit feiner ganzen 
Ajenjtärke; jo gewaltig jtemmte er fich entgegen, daß er mit bei— 
den Füßen den Boden des Fahrzeugs durchbrach und auf den 
Meergrund zur jtehen fam. Nun z30g er die Schlange zu ſich 
herauf an den Bord des Schiffes. Der hat das Furchtbarfte noch 
nicht gejchaut, der das nicht gejehen hat, wie Thor feine bligen= 
den Augen auf das Ungetüm richtete und diejes ihm von unten 
herauf entgegenjtarrte und Gift jchnaubte. Der Rieje wechjelte 
die Farbe, als er die Schlange erblickte und die See in das Schiff 
ſtürzte; aber als Thor nach dem Hammer griff, da tajtete der 
Rieſe nach dem Ködermeſſer und jchnitt am Bord die Angelfchnur 
Thors entziwei, daß die Schlange ins Meer zurückſank. Thor 
aber warf mit dem Hammer und traf den Riejen am Ohre, daß 
er über Bord ftürztet.... Thor jedoch watete ans Land.“ 


49. Da ſprach Gangleri: ‚Eine gewaltige That war das.“ 
Har antwortete: „Folgenſchwerer war es, daß Baldr, der 
Gute, durch gefahrdrohende Träume geängjtigt wurde und den 
Aſen dies meldete. Frigg forderte darauf von allen Dingen 
die eidliche VBerficherung, daß fie Baldr nicht ſchaden würden, 
von Feuer, Eifen und Waller, vom Erze und den Steinen, von 
Bäumen und Krankheiten und Tieren, Vögeln und giftigen 
Schlangen. Als nun diejes geichehen war, ward zur Erheiterung 
Baldrs ein Spiel begonnen: er jtellte fich auf den Thingplaß, 
und num jollten die einen nach ihm jchießen, die andern nach ihn 
ichlagen und die dritten ihn mit Steinen werfen. Nichts von 
dem allen that ihm Schaden; als aber Kofi dies jah, gefiel eg ihm 
übel. Er nahm die Gejtalt eines Weibes an, begab fich zu Frigg 
nach Fenſalir und fragte fie, ob fie nicht wilfe, was die Götter 
auf dem Thingplaße vornähmen? Sie erwiderte, daß alle nach 
Baldr ſchöſſen, daß er aber nicht dadurch verlegt werden könne. 
‚Weder Waffen noch Bäume fünnen Baldr den Tod bringen‘, 





1 Die hierauf in der Handſchrift folgenden Worte find unverftändlich. 


344 Anbang 


jagte Frigg, ‚denn von allen habe ich Eide empfangen.‘ Die 
Frau fragte: ‚Haben alle Dinge Eide geleitet, den Baldr zu 
ichonen?‘ Frigg antwortete: ‚Ein Pflanzenſchößling wächjt im 
Weiten von Walholl, der Mijtiltein heißt; diejer jchien mir zu 
jung, um ihn in Eid zu nehmen.‘ Da entfernte jich die Frau, 
Loft aber ging hin und faßte den Miftiltein und riß ihn mit den 
Wurzeln heraus. Dann begab er fich nach dem Thingplaße. Hod! 
jtand ganz hinten im reife dev Männer, denn er war blind. Da 
ſprach Loki zu ihm: ‚Weshalb ſchießt denn du nicht nach Baldr?* 
Jener eriwiderte: ‚Werl ich ihn nicht jehen kann und überdies 
feine Waffe habe.‘ Loki ſprach: ‚Thue wie die andern Männer 
auch und gib einen Schuß auf ihn ab; ich werde dir die Richtung 
anweiſen. Schieße auf ihn mit diefer Gerte!! Hod nahm den 
Mijtiltein (und jhoB?) und durchbohrte den Baldr, und es war 
dies der unglücjeligite Schuß, von dem Götter und Menſchen 
willen. Einer jchaute den andern an, und es erfaßte fie Grimm 
wider den, der das veranlaßt hatte, doch konnten fie an der Frie- 
densſtätte nicht Rache üben. Alle waren von heftigem Schmerz 
ergriffen, am meiften Odin; gefprochen wurde nicht, deito mehr 
geweint. Da fragte Frigg, wer von den Ajen fich dadurch ihre 
Huld erwerben wolle, daß er nach Hel3 Reich hinunterritte, um 
Baldı durch Köjegeld wieder zu erlangen? Hermod®, Odins 
Sohn, machte fich auf den Weg und ritt auf Sleipnir hinab. 
Baldrs Leiche ward inzwijchen auf dag Schiff Hringhornit ge- 
legt, denn diejes gedachten die Götter mit dem aufgerichteten 
Scheiterhaufen dem Mteere zu übergeben’; dies glückte jedoch nicht 
eher, al3 bis Hyrrofin® Hinzufam. Dieje ritt auf einem Wolfe”, 
und Schlangen dienten ihr zu Zäumen; das Tier vermochten 
(die von Odin herbeigerufenen vier?) Berjerker nicht vermittelft 

1S. zu Vol. 33. 

2 Diefe Worte fehlen in der Handſchrift von Upjala. 

3 Sermod, d. 5. „ber im Streit Mutige”; j. zu Hyndl. 2. 

* Hringhorni, d. h. „abgerundete Steven habend“ (2). 

5 Über Schiffsbeſtattungen vgl. zu Atlamöl 100. 

s Syrrofin, d.h. „vie am oder durch Feuer runzelig Gewordene” (wie eine 
am Feuer getrodnete Tierhaut); vgl. zu Höv. 133. Nah Uhland ift in bdiefer 
Riefin der nad der Sommerfonnenwende eintretende verjengende Sonnenbrand 


fymbolifch dargeftellt. 
7 ®gl. zu Hyndl. 5. 





I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning) 49. 345 





der Zäume zu halten (biß fie es niederwarfen!). Hyrrofin zog 
das Schiff hinaus, und jchon beim erſten Anjtemmen fuhr e8 von 
den Rollen herunter. Da wollte Thor fie jchlagen, aber die Götter 
verhinderten e8?, Nun ward Baldız Leiche auf den Scheiter- 
haufen gebracht, und als Nanna, Neps Tochter?, diejes jah, 
brach ihr vor Kummer das Herz. Thor weihte den Scheiter- 
haufen mit dem Hammer Mijolnir und jtieß den Ziverg Lit! mit 
dem Fuße ins Teuerd. Alle Götter waren dort anweſend: (Odin 
erichien mit feiner Gemahlin Frigg; auch begleiteten ihn die 
Walküren und jeine beidenRabent). Freyr ſaß auf einem Wagen, 
dem der Eber Gullinburjti oder Slidrugtanni® vorgejpannt 
war; Heimdallritt auf Gulltopp herbei, und Freyja fam mit 
ihren Raten angefahren. Auch Reifriejen waren zugegen. Odin 
ließ auch den Ring Draupnir? und Baldrs Roß mit dem ge= 
famten Sattelzeug auf den Holzjtoß legen. Hermod ritt neun 
Nächte, bis er zu dem Fluſſe Gjoll® fam, über den eine gold- 
belegte Brüde führte. Modgud? bewachte die Brüde: ſie ſprach: 
‚SejternrittBaldrmitfünfhundert Begleitern!? hierhinüber, aber 
nicht weniger kracht die Brüde, da du allein fie betrittjt.‘ Darauf 
ritt er zu dem Höllenthor und erblickte dort jeinen Bruder. Er 
brachte nun jein Anliegen vor, doc ward ihm erwidert, daß nur 





ı Dieje Worte fehlen in der Handſchrift von Upfala. 

2 Nah einer Strophe de3 Dichters Thorbjorn Difarjfald (Snorra Edda I, 
260) tötete Thor die Hyrrofin wirklich. 

3 Nanna, d. h. „die Kühne“, ift nad Uhland die Blumenmwelt, die mit ber 
Abnahme des Lichtes ebenfall3 zu Grunde ging. Der Name ihres Vaters Nep 
wird auf die Knoſpe gedeutet. 

4 Lit, d.h „Farbe“: „der reiche, frifche Schmelz des Frühlommers muß mit 
hinab, wenn Baldr und Nanna zu Aſche werden” (Uhland). 

5 Baldr3 Tod und feine Beftattung bejang der isländiſche Dichter Ulf Ug— 
gafon (in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts) in einem Abjchnitt jeiner 
Hüsdräpa, aus dem uns 5 Halbftrophen erhalten find. (Wıjen, „Carmina nor- 
roena“, ©. 30.) 

s Gullinburfti, d. 5. »goldene Borften habend“; Slidrugtanni, d.h. 
„gefährliche Zähne habend“. 

S. zu Skirn. 21. 

8 Gjoll, d. 5. „die raufchende”; diefer Höllenfluß wird auch Grimn. 28 
genannt. 

9 Modgud, d. 5. „die mutige Kriegerin”; diefe Wächterin der Höllenbrüde 
wird jonft nirgends erwähnt. 

10 Der Verfaffer nahm aljo wohl an, daß Baldrs Dienerſchaft ihm im Tode 
folgen mußte; vgl. Sigurparkv. skamma 66 fg. 


346 KERN Anhang. 


unter einer Bedingung auf Baldrs Rückkehr zu hoffen fei, wenn 
nämlich mit den Ajen alle Dinge, lebende und tote, ihn beweinen 
würden, two nicht, müfje ex bei Hel bleiben. Baldr gab ihm den 
Ring Draupnir (den er dem Odin als Erinnerungszeichen über- 
bringen follte!), Nanna ſandte der Frigg ein Kopftuch und der 
Fulla einen goldenen Tingerreif. Darauf ritt Hermod nad) 
Asgard zurück und meldete, was er ausgerichtet hatte. Die Ajen 
forderten nun alle Dinge auf, den Baldr aus Hels Reiche loszu— 
weinen. Menfchen und Tiere, Erde und Geftein, das Holz und 
alles Metall beweinten Baldr, wie du es jelbjt gejehen haben 
wirſt, daß dieſe Dinge alle weinen, wenn ſie aus der Kälte in die 
Wärme fommen. Doch nun wird erzählt, daß die Götter in einer 
Berghöhle eine Riefin fanden, die ſich Thokk? nannte. Auch dieje 
forderten fie auf, wie alle andern Weſen, Baldr aus Hel loszu—⸗ 
weinen. Sie aber ſprach: 
‚Mit trodnen Thränen wird Thoff beweinen, 
daß Baldr den Branditoß beftieg; 
im Leben nicht bracht’ er noch als Leiche mir Nutzen: 
behalte Hel, was fie hat?!‘ 

Dieſes Weib war aber thatfächlich Loki. 

50. „Als nun die Götter dies erfuhren, ergrimmten fie wider 
Kofi; er aber rettete fich auf einen Feljen. In feinem Haufe dort 
hatte er vier Thüren, damit er nach allen Himmelsgegenden aus— 
Ichauen könne; am Tage aber hielt ex jich in Lachsgeſtalt in dem 
Waſſerfall Sranangrsforst auf. Ihm kam es in den Sinn, 
daß die Ajen mit Lift ihm nachjtellen könnten, und jo nahm ex 
Garn aus Flachs und machte daraus ein Mafchengewebe, in der 
Art, wie man jpäter Nebe fertigte. Da jah er die Ajen heran 
fommen, denn Odin hatte ihn von Hlidjtjalf aus bemerkt. Schnell 
warf nun Loki das Neb ins Feuer und fprang in den Fluß. 
Kwaſir? kam zuerjt Hinzu, der überaus weiſe war; ex jah jofort, 





1 Dieje Worte fehlen in der Handfchrift von Upfala. 
2 Thoff, d. h. „Dank“; gemeint ift natürlih der Danf, der allezeit der 
Welt Lohn geweſen ift. 
3 Das Gedicht, aus dem dieſe Strophe entlehnt ift, fennen wir nicht. 
* ©. zu Lokas., Schlußproja. 
5 Vgl. zu Bragaradur ©. 3. 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 49. 50. 347 





daß die Arbeit, die Kofi gemacht hatte, zum Fiſchfang ſehr brauch- 
bar war, und nach der Aiche, zu der das Netz verbrannt war, 
fertigte man nım ein neues an. Die Ajen gingen nun zu dem 
Waſſerfall; Thor hielt den einen Zipfel des Netzes, die übrigen 
Götter den andern. Loki aber legte fich zwijchen zwei Steine, und 
jo zogen fie das Net über ihn Hiniweg. Darauf verjuchten fie eg 
zum ziveiten Male und banden ein jo ſchweres Gewicht in das 
Ne, das nicht? darunter wegichlüpfen konnte. Loki ſchwamm 
nun dor dem Nebe dahin, und als e8 nicht mehr weit war bis 
zum Meere, jprang er über die Netleine und ſchoß in den Waſſer— 
fall zurüd. Die Ajen aber Hatten bemerkt, wohin er ſchwamm, 
und teilten nun ihre Schar, fo daß ein Haufe an jedem der beiden 
Ufer hinabzog; Thor aber watete mitten im Fluffe. So jchritten 
fie nun auf das Meer zu. Loki jah ein, daß es lebensgefährlich 
für ihn fein würde, wenn er ins Meer hinausſchwimme, er jprang 
alfo wieder über das Ne. Thor aber ergriff ihn mit den Hän- 
den, und obwohl er durch dieſe hindurch zu gleiten verjuchte, blieb 
ex doch mit dem Schwanze hängen. Infolgedefjen ift der Lachs 
hinten fo jchmal. Loki war nun gefangen und durfte auf Scho= 
nung nicht rechnen. Die Ajen führten ihn nun in eine Höhle. 
Sie nahmen drei große Steine, richteten fie in die Höhe und 
ſchlugen in jeden eine Vertiefung. Darauf fingen fie Lokis Söhne 
Wali und Narfit und verwandelten den Walt in einen Wolf. 
Als folcher zerriß er den Narfi, die Ajen aber nahmen die Därme 
desjelben und banden damit den Loki auf den ſcharfen Kanten der 
drei Steine feſt. Der eine jtand unter feinen Schultern, der zweite 
unter den Lenden und der dritte unter den Kniegelenken; die 
Feſſeln aber wurden zu Eifen. Sfadi befejtigte über feinen Ge- 
ficht eine giftige Schlange, Sigyn aber hält eine Schale darunter, 
um die Gifttropfen aufzufangen. Wenn aber die Schale gefüllt 
it und Sigyn fie ausgiegen muß, tropft unterdefjen das Gift in 
Lokis Antlitz; dann windet er fich jo gewaltiam, daß die Erde 
davon erbebt. Dort liegt ev nun bis zum Untergang der 
Götter.‘ 





ı Bgl. zu Lokas., Schlußprofa. 


348 Anhang. 





51. „Was kannt du denn vom Fimbulmwinter! berich- 
ten? fragte Gangleri. Har erividerte: „Dann tritt Schnee- 
gejtöber aus allen Himmelsrichtungen ein, es gibt jcharfen Froft 
und Stürme, und von der Sonne hat man feinen Nuten. Es 
fommen drei Winter hintereinander und fein Sommer dazivi- 
jchen; vorher aber gehen jchon drei andre Winter, in denen in der 
ganzen Welt Krieg jich erhebt. Brüder töten einander aus Hab- 
jucht, und bei dem Gemeßel fchont feiner weder Bater noch Sohn 
noch jonjtige Verwandtichaft. So heißt es im Liede [Vol. 45]: 

Es befehden fich Brüder und fällen einander, 

die Bande des Blut3 brechen Schweſterſöhne; 

arg iſt's in der Welt, viel Unzucht gibt es — 
Beilzeit, Schwertzeit, e8 beriten die Schilde, 
MWindzeit, MWolfzeit, eh’ die Welt verſinkt — 

nicht einer der Menfhen wird den andern fchonen.‘ 


„Der Wolf verjchlingt die Sonne, jo daß die Menſchen kaum 
noch etwas zu jehen vermögen, und der andre Wolf den Mond?; 
die Sterne fallen herab, die Erde erbebt, Berge und Bäume löſen 
fich aus dem Boden, die Feſſeln fallen nieder und die Bande zer: 
brechen. Dann wird der Fenriswolf frei, und das Meer brauft 
an die Küften, da die Midgardsichlange im Riefenzorne ich 
twindet. Auch das Schiff Naglfar* fommt los, das aus den 
Nägeln geitorbener Menſchen verfertigt ift — und deshalb joll 


man niemand mit unbejchnittenen Nägeln fterben lafjen, denn 


jeder, der das thut, fürdert dadurch jehr die Vollendung des 
Schiffes Naglfar, von dem Götter und Menjchen wünjchen, daß 
es jpät fertig werde. Sn dieſem Mogenjchwall wird nun das 
Schiff Naglfar flott, und Hrymẽ ftellt fi) an das Steuer. Der 
Fenriswolf rennt mit geöffnetem Rachen einher; jein Unterkiefer 
berührt die Erde und der Oberkiefer den Himmel, und noch weiter 
würde er das Maul auffperren, wenn Raum dazu vorhanden 





ı Simbulmwinter, db. 5. „ber große oder gewaltige Winter”. 

2 Vgl. oben C. 12. 

3 Gemeint find die Fefjeln, mit denen die Ungeheuer (Fenrir und Garm) 
gebunden waren. 

4 Bgl. Vol. 50. 

5 Vgl. zu Vol. 50. 


I. Gylfi3 Berblendung (Gylfaginning). 51. 349 





wäre. Die Midgardsichlange ſchnaubt Gift und jtürmt an der 
Seite des Wolfe dahin. Über ihr birft der Himmel, und wäh- 
rend diejes Aufruhrs kommen auch Muspells Söhne herbei- 
geritten. An ihrer Spike reitet Surt!, und vor ihm und Hinter 
ihm ijt brennendes Feuer. Sein Schwert iſt jo glänzend wie die 
Sonne. Wenn num diefe Schar über Bifroft reitet, zerbricht die 
Brüde. Muspell3 Söhne reiten auf die Ebene Wigrid?, und 
dorthin kommen auch der Fenriswolf und die Midgardsſchlange, 
Kofi und Hrym. Dem Loki folgen auch die Leute der Hel. Mu3=. 
pells Söhne haben ihre Schlachtordnung für fich, und dieje ift 
glänzend. Die Ebene Wigrid mißt Hundert Meilen im Geviert. 
Heimdall bläft in das Gjallarhorn und ruft dadurch alle Götter 
zur Berfammlung. Odin reitet zum Brunnen Mimi und Holt 
fi, Rat von Mimir. Da erzittert die Eſche Yggdraſil, und alles 
iſt in Zurcht, im Himmel und auf Erden. Die Ajen waffnen fich, 
und alle Einherier ziehen auf die Ebene hinaus. Odin reitet vor— 
aus in goldenem Helm; er Hält den Speer Gungnir? in der 
Hand und ſtürmt gerades Weges auf den Fenriswolf los. Thor 
kämpft mit der Midgardsichlange und Freyr gegen Surt: Freyr 
muß fallen, da ex jein treffliches Schwert nicht hat‘. Auch der 
Hund Garm> iſt von Gnipahellix losgefommen und kämpft mit 
Tyr, und beide erleiden den Tod. Thor erjchlägt die Midgards= - 
ichlange, weicht aber neun Schritte vor dem Gifte des Untiers 

zurück (und fällt tot zu Boden®). Der Wolf verjchlingt den Odin, 
und das iſt des Gottes Tod. Dann aber eilt Widar” herbei und 
tritt mit einem Fuße dem Wolfe in den Unterkiefer. Er befikt 
nämlich den Schub, zu dem das Leder alle Zeit zuvor gefammelt 
iſt, und zwar aus den Flicken, die die Menjchen vor den Zehen 
und an der Yerje aus ihren Schuhen jchneiden 8; und darum ſoll 





©. zu Vol. 52. 
© zu Vafpr. 18. 
©. zu Sigrdrifumöl 17. 
©. zu Skirnismgl, proj. Einleitung. 
5 ©. zu Vol. 44. 
6 Diefer Zufag fehlt in der Handſchrift von Upfala. 
7 ©. zu Vol. 54. 
8 Die Schuhe wurden aus einem einzigen Stücd Leder angefertigt: Wein- 
hold, „Altnordifches Leben‘, S. 164. 


1 
2 
3 
4 


350 Anhang. 


ein jeder, der gewillt ift, den Ajen zu Hilfe zu fommen, dieje 
lien jortwerfen. Mit der einen Hand faßt nun Widar den 
Dberkiefer des Wolfes und reißt ihm den Rachen entzwet, und 
dadurch findet dev Wolf feinen Tod. Loki kämpft mit Heimdall, 
und beide töten fich gegenfeitig. Darauf jchleudert Surt Feuer 
über die Erde und verbrennt die ganze Welt, wie e3 im Liede heißt 
[Vol. 46—48. 57]: 

‚Laut bläft Heimdall, in der Luft ift das Horn, 

Heervater jpricht mit dem Haupte Mims; 

Yggdraſil bebt, der Eſchen höchſte, 

es rauſcht der alte Baum, der Rieſe wird frei. 

‚Wie fteht’3 bei den Ajen, wie ſteht's mit den Elben? 

Ganz Riefenheim raft, im Rat find die Ajen; 

es ftöhnen die Zwerge vor den fteinernen Thüren, 

der Waldberge Herricher — fönnt ihr weit'res verjtehen ? 


‚Die Sonne wird ſchwarz, es jinft die Erde ind Meer, 
vom Himmel fallen die hellen Sterne; 

e3 jprüht der Dampf und der Spender de3 Lebens, 
den Himmel belecdt die heiße Lohe.“ 


52. Gangleri fragte: „Was geſchieht dann, wenn die Welt 
verbrannt iſt und alle Götter und Menſchen tot ſind? Wird denn 
dann noch jemand in irgend einer Welt leben?“ Thridi ant— 
wortete: „Es gibt manche guten Wohnſtätten und manche ſchlim— 
men. Am beſten iſt es, an der Stätte des Himmels zu ſein, die 
Gimle! heißt, und einen guten Trunk gibt es im Brimir oder 
an dem Orte, der Sindri genannt wird?. Dort weilen die guten 
Menjchen. Auf Naftrand? aber it ein großer und ſchlimmer 
Saal, deſſen Thüren nach Norden gerichtet find. Er ijt mit 
Schlangenleibern durchflochten, und die Köpfe diefer Schlangen 
hängen zu den Dachöffnungen hinein und jchnauben Gift aus, jo 
daß tiefe Ströme daraus entjtehen, in denen die Eidbrüchigen und 
die Mordwölfe waten müſſen, wie es im Liede heißt [Vol. 38. 39]: 





1 ©, zu Vol. 64. 

2 Dieje Angabe beruht auf einem Mifverftändniß von V91. 37. Brimir ift 
ein Riefen- und Sindri ein Zwergenname, 

3 ©, zu Vol. 38. 


I. Gylfis Verblendung (Gylfaginning). 52. 53. 351 





‚Einen Saal ſah ich Stehen, der Sonne fern, 

auf Naftrand, die Thüren nad) Norden gerichtet; 

durchs Rauchloch ftrömte ein Regen von Gift, 

denn die Wände des Saals ſind umwunden von Schlangen. 


Durchwaten dort ſah ich wilde Ströme 
meineid'ge Männer und Mordgejellen.‘ 


„Am ſchlimmſten aber ift eg im Hwergelmir [Vol. 39]: 
‚dort quält Nidhogg die Körper der Toten! 


53. Da fragte Gangleri: „Leben dann noch einige von den 
Göttern, und gibt e8 dann noch eine Erde und einen Himmel?“ 
Har eriwiderte: „Die Erde erhebt fich wieder aus dem Meer mit 
grünen Fluren und Ahrenfeldern, die niemand bejäct hat. Wi- 
dar? und Wali? leben, da Surt3 Lohe ihnen nicht gejchadet 
hat, und wohnen auf Apafeldt, wo ehemals Asgard lag. 
Dorthin fommen auch Thor? Söhne Modi und Magnid, die 
den Mjolnir in ihrem Befit haben. Ebenfo fehren Baldı und 
Hod aus Hels Reiche zurüd. Sie jprechen miteinander und 
reden von ihren Runen und von den alten Begebnifjen, von der 
Midgardsichlange und dem Fenriswolf. Dann finden fich auch 
im Graſe die goldenen Tafeln wieder, die die Ajen einjt beſeſſen 
haben [Vafpr. 51]: 

Widar und Wali ichalten im Mohnfig der Götter, 
wenn die Lohe Surts erlilcht; 

Modi und Magni werden den Mjolnir haben, 
wenn Wingnir die Waffe entjanf.‘ 


„In Hoddmimirs Gehölz bergen fich zwei Menfchen vor der 
Lohe Surt3 [Vafpr 45]: 


Lifthraſir wird ſich mit Lif verbergen 
in Hoddmimirs Gehölz; 





1 Die Erwähnung der Höllenſtrafen iſt bier nicht am Plate, da nad) 
der Erneuerung der Welt die Straforte nicht mehr vorhanden fein werden; 
f. zu V91.66 

2 ©. zu Vol. 54. 

3 ©. zu Baldıs draumar 11. 

4 ©. zu Vol. 7. 

5 ©. zu Hym. 34 und Härb. 9. 


359 Anhang. 


Morgentau wird ihre Mahlzeit fein, 
davon leben die Leute dann.‘ 


„Die Sonne aber hat eine Tochter geboren, die nicht minder 
ſchön iſt als fie jelbjt, und diefe fährt dann auf ihrem Wege 
[Vafpr. 47]: 

‚Eine Tochter gebiert Alfrodul, 
ehe jie Fenrir frißt; 

fahren wird nach dem Fall der Götter 
auf der Mutter Wegen die Maid.‘ 


54. Als nun Gangleri dieſes gehört hatte, entſtand ein ge= 
waltiges Geräufch, und er befand fich plößlich auf einem ebenen 
Velde. (Er ſah feine Halle und feine Burg mehr, und jo machte 
er fich auf den Weg und fehrte in jein Reich zurück und erzählte, 
was er gejehen und gehört hatte, und nach ihm erzählte einer dent 
andern diefe Gejchichten !.) 


en 


II. Die Erzählungen Bragis. 
(Bragaredur.) 


1. Odin hatte einft den Agir? aus Hlesey? zu einem Gajt- 
mahl eingeladen. Am Abend ließ Odin Schwerter in die Halle 
bringen, und dieje gaben jo hellen Schein wieleuchtende Flammen. 
Anweſend waren dort Thor, Njord, Freyr, Tyr, Heimdall, Rragi, 
MWidar, Walt, UN, Hönir, Forjeti, Loki; ebenfo die innen: 
Frigg, Freyja, Gefjon, Idun, Gerd, Sigyn, Fulla und Nanna. 
Bragit erzählte dem Agir von verjchiedenen Begebenheiten: 

2. „Odin, Loki und Hönir? zogen einmal über das Ge- 
birge. Sie ſtießen auf eine Rinderherde, nahmen ein Tier davon 
und brachten es auf Kochjeuer. Zweimal löjchten fie das Feuer, 





ı Diefer Sat fehlt in der Handſchrift von Upfala. 

2 Hgir wird ſchon durch jeinen Namen, der von & („Waſſer“, got. ahwa) ab» 
geleitet ijt, al3 Gott des Meeres bezeichnet. Vgl. die Anmm. zur Hymiskvipa. 

3 ©. zu Härb. 37. 

4 ©. zu Lokas. 8. 

>56. zu Vol. 18, 


II. Die Erzählungen Bragi (Bragaredur). 1. 2. 353 





fanden aber dann, daß das Fleiſch noch nicht gar gejotten war. 
Da fahen fie einen Adler über ich, und diejer jagte, daß er daran 
ichuld ſei, daß das Fleifch nicht gar werden wolle!: ‚Gebt mir 
einen reichlichen Teil davon, jo wird es gleich gejotten jein.‘ Sie 
gewährten ihm das, da jenfte er fich zu dem Kochjeuer hinab und 
nahm die eine Lende des Ochjen ſowie die beiden Borderblätter. 
Da ergriff Loki eine Stange und ftieß fie dem Adler hinten in den 
Leib, dieſer aber erhob fich infolge des Stoßes und flog auf. Die 
Stange ſaß feit in dem Hinterteil des Adlers, und das andre, 
Ende der Stange hatte Loki mit feinen Händen umklanımert. So 
niedrig flog nun der Adler, daß Lokis Füße auf der Erde und den 
Steinen jchleiften, die Arme aber, meinte er, müßten aus den 
Achjeln reißen, und jo bat er um Gnade. Der Adler jagte, ex 
werde ihn nicht loslaſſen, wenn ex nicht Idunẽ mit ihren Apfeln 
dorthin brächte. Loki veriprach das und führte in der That die 
Idun hinaus. Er lodte fie nämlich unter dem Vorwande fort, 
daß er ihr Apfel zeigen wolle (die ihr überaus koſtbar erjcheinen 
würden), und bat fie, ihre eignen Apfel mitzunehmen (damit fie 
einen Bergleich anftellen fönne?); und fo ging fie mitihm. Da kam 
der Riefe Thiazi* inAdlergeftalt und flog mit ihr nach Thrym— 
heim. Die Wien aber wurden jehr zornig und fragten, wo Idun 
wäre, und als fie e3 erfuhren, drohten fie dem Loki den Tod, wenn 
er jie nicht in Freyjas Falkenfleid wiederhole. Er kam zu der 
Wohnung des Rieſen Thiazi, al3 diefer gerade auf die See hinaus 
gerudert war, verwandelte die Idun in eine Nuß und flog mit 
ihr davon. Thiazi aber jchlüpfte in fein Adlergewand und flog 
ihnen nach; al3 aber die Ajen den Falken herankommen jahen, 
nahmen fie einen Haufen Hobeljpäne und zündeten fie an. Der 
Adler vermochte feinen Flug nicht Schnell genug zu hemmen, fein 





1 Der in der Hülle des Adlers fich bergende Rieje Thiazi ift die Perfoni- 
fifation de8 Sturmwindes, der natürlih die Macht Hat, das Kochfeuer zu ver— 
wehen. 

2 ©. zu Lokas. 16, wo der in unſerm Capitel behandelte Mythus kurz er— 
klärt ift. Ausführlicheres bei Uhland, „Schriften“ VI, 66ff. Der Name Jdun 
bedeutet ‚„‚Wiederfehr”, „Erneuerung“. 

3 Dieje Sätze fehlen in der Handſchrift von Upfala 

4 ©. zu Lokas. 49 und Härb. 19. 

5 ©. zu Grimn. 11, 


Die Edda. 23 


354 Anhang. 


Gefieder fing Feuer, und nun töteten fie den Rieſen innerhalb des 
Gitter von Asgard!. Sfadi?, jeine Tochter, rüſtete fich nun 
mit dem ganzen Heergewande und bejchloß, ihn zu rächen. Die 
Ajen aber boten ihr als Sühne einen aus ihrer Schar zum Ge— 
mahl an, den fie jelbjt wählen dürfe; doch jollte fie nur die Füße 
der Auszumwählenden jehen. Sie bemerkte nun, daß einer der 
Männer jehr jchöne Füße hatte, und ſprach: Dieſen wähle ich; 
an Baldı? wird nichts häßlich jein.‘ Der Gewählte war jedoch 
Nijordt. Außerdem hatte fie als Sühne verlangt, daß die Aſen 
fie zum Lachen bringen jollten; das aber, meinte fie, werde feinem 
möglich jein. Lofi nahm nun eine Schnur, band das eine Ende an 
dem Bart einer Ziege fejt und befejtigte das andre Ende an jeiner 
Scham. Jedes von beiden zog nun an der Schnur, und beide 
mußten vor Schmerz laut auffchreien. Darauf ließ Loki ſich in 
Skadis Schoß fallen, und nun lachte fie, und damit war die 
Säühne vollendet. Um ihr den Vater zu büßen, nahm nun Odin 
die Augen Thiazis, warf fie an den Himmel und jchuf Sterne 
daraus. Allmwaldis hieß der Bater des Thiazi, und ala All- 
waldis Göhne das Erbe teilen wollten, nahm jeder von ihnen 
einen Mund voll Goldes ’; daher wird in den dichterifchen 
Umfchreibungen das Gold die Rede oder Sprache der Riejen 
genannt.‘ 

3. Agir fragte: „Welches ift der Urſprung der Dichtkunft 
Bragi antwortete: „Die Götter hatten eine Fehdemitden Wanen ®, 
famen aber jchließlich zufammen, um Frieden zu jchliegen. Sie 
gingen zu einem Gefäß und jpieen ihren Speichel hinein und 





ı Nach Härb. 19 war es Thor, der den Thiazi erfchlug, und Lokas. 50 rühmt 
fih auch Loki, bei feiner Tötung behilflich gewejen zu jein. — Bis hierher ift ver 
Mythus auch in einem Gedichte bed Thjodolf von Hwin, der fog. Haustlong, be— 
handelt (Wijen, „Carmina norroena“, ©. 9 fg). 

2 ©. zu Lokas. 49. 

3 ©. zu Vol. 32. 

4 ©. zu Prymsky. 22. 

5 Nach Härb. 19 that dies nicht Odin, fondern Thor. 

6 ©. zu Härb. 19. 

? Der von dem Sturmbämon aufgehäufte Schag find nad Uhlands Deutung 
die Wolfen, die von den Söhnen, die natürlich ebenfalls Winde find, mit dem 
Munde geteilt, d. 5. aufgehaudt und zerblafen werden. 

8 Val. zu Vol. 21. 


II. Die Erzählungen Bragis (Bragarcedur). — 355 





ſchufen aus dieſem einen Mann, derKwaſir! heißt. Dieſer wußte 
für alle Dinge Rat. Als er aber einmal zu den Zwergen Fjalar 
und Galar? fam, lockten ihn dieſe zu einer heimlichen Unter— 
redung und töteten ihn. Darauf ließen fie jein Blut in zwei 
Krüge und einen Keſſel rinnen: der Keifel heißt Odrerir? und 
die beiden Krüge Son und Bodn*. Dann michten fie das Blut 
mit Honig, und dieſe Flüſſigkeit heißt ſeitdem Met, und jeder, der 
davon trinkt, wird ein Dichter und ein Weiſer. Über Kwaſir aber 
verbreiteten die Zwerge das Gerücht, daß er an ſeiner eignen 
Weisheit erſtickt ſei (da niemand ſo klug geweſen ſei, daß er ſie 
ihm habe abfragen können >). — Einmal luden die Zwerge einen 
Rieſen zu fich ein, der Gilling® hieß, und forderten ihn auf, 
mit ihnen ing Meer zu vudern. Dort aber jtürzten fie das Schiff 
um (und er ertrankd). Als jein Sohn Suttung dies erfuhr, 
ergriff er die Ziverge und brachte fie nach einer Klippe, die zur 
Flutzeit vom Waſſer überjpült wird 7; da boten fie ihm den Met 
als Vaterbuße an. Suttung bewahrte ihn in dem Gebirge Hnit- 
bjorg® und vertraute ihn der Hut feiner Tochter Gunnlod® 
an. Darum heißt die Dichtung Kwaſirs Blut (oder die Flüffig- 





ı Kwajfir, d.h. „ber Flüfterer‘ (2), in den ebdifchen Liedern nirgends ge- 
nannt. Infolge jeines Urjprunges vereinigt er in fich die trefflichen Eigenfchaften 
der beiden Göttergejchlehter, nämlich (nad Uhland) den „rauſchenden Wohllaut‘ 
der Wanen und die Weisheit der Ajen, alfo das formale und das geijtige Element 
der Dichtkunft. 

2 Fjalar (au als Hahn, Zwergen- und Riefenname vorfommend: Vol. 
16. 42; Härb. 26; Höv. 14) fann ſowohl „Verhehler“ als „Späher“ bedeuten; 
Galar bedeutet „Sänger. Die beiden Namen würden aljo wiederum die beiden 
zur Dichtkunſt notwendigen Eigenihaften bezeichnen fünnen. 

3 ©. zu Hov. 106. 

+ Dieje Namen bedeuten nach Uhland „Sühne‘ und „Angebot, weil, wie 
weiter unten erzählt wird, der Dichtermet als Mordbuße gegeben ward. Die 
weitere Deutung des Mythus, die Uhland vorträgt („Schriften“ VI, 211 ff.) ift, jo 
geiftreich fie ift, doch zu Fünftlih, um als glaubhaft gelten zu fönnen. 

5 Die eingeflammerten Worte fehlen in der Handſchrift von Upfala. 

6 Gilling, d. h. „der Gellende’ oder „Schallende“, wird durch jeinen Namen 
ebenfalls ald Sänger bezeichnet. Uhland erinnert daran, daß im angelſächſiſchen 
Widfidliede ein Sänger den ähnlich gebildeten Namen Skilling (d.h. „der Tönende‘‘) 
führt. 

" Die Strafe der Ausfegung auf einer Flutflippe ließ König Dlaf Trygg— 
wafon einmal an verftodten Heiden, die die Annahme der Taufe verweigerten, 
vollziehen (Fornmanna sögur II, 142). 

8 Hnitbjorg, d. h. „die zufammenftoßenden Berge’ (Symplegaben). 

9 ©. zu Hov. 18. 


23* 


356 Anhang. 


feit Odrerirs oder Song!) oder Bodns oder der Ziverge Fahrzeug, 
da der Met jie von der Klippe fortbrachte und ihr Leben rettete, 
oder Suttungs Met oder das Naß von Hnitbjorg.‘ 


4. Agir fragte: „Wie gelangte Odin zu dem Met?" Bragi 
erwiderte: „Er fam einmal an einen Ort, wo er neun Knechte 
fand, welche Gras mähten. Er erbot fich, ihre Senſen zu jchärfen, 
und 30g einen Wetzſtein aus der Tajche, den fie alle mit ihren 
Köpfen bezahlen mußten: denn im Streite um den Stein ſchnitten 
fie fich gegenfeitig mit den Senfen die Hälfe durch?. Darauf 
fam Odin zu Baugi? dem Bruder Suttung3?) und nanntejich 
Bolwerk“*. Baugi erzählte ihn, daß er auf ſchlimme Art um 
alle ſeine Knechte gekommen jei. Da erbot fih Odin, an Stelle 
jener neun allein die Arbeit zu verrichten, wenn er dafür einen 
Trank von Suttungs Met erhielte. Baugi eriwiderte, daß er über 
den Met nicht verfügen fünne, da Suttung ihn für jich allein be— 
halten wolle; (doch wolle er mit Bolwerk ausziehen und ver- 
juchen, ob fie den Met erlangen fönnten!). Bolwerk verrichtete 
num während de3 Sommer die Arbeit der neun Männer; im 
Winter aber verlangte er feinen Lohn. Darauf begaben ſich beide 
zu Suttung und verlangten von ihm den Met; diejer jedoch ver- 
weigerte ihn. Sie machten ſich aber dennoch auf den Weg, und 
Bolwerk zog den Bohrer Rati? heraus und durchbohrte damit 
den Felſen Hnitbjorg, verwandelte ſich dann in eineSchlange und 
froch durch das Bohrloch. Er jchlief drei Nächte bei Gunnlod 
und trank drei Züge von dem Met, mit denen er alle drei Gefäße 
leerte. Dann nahm er Adlergejtalt an und flog fort; Suttung 
aber legte ebenfalls ein Adlergewand an und flog ihm nach. Die 
Aſen hatten ihre Gefäße in den Hof hinausgejeßt; in dieje jpie 





ı Die eingeflammerten Worte fehlen in der Handſchrift von Upſala. 

2 Nach der ausführlihern Rezenfion warf Ddin den Wesftein, den jeder der 
neun Knete für ſich Haben wollte, in die Luft, und im Eifer, ihn aufzufangen, 
töteten fie fich gegenjeitig. Es ift dies ein alte8 Märchenmotiv ; vgl. Uhland a a. O. 
©. 216 und das Märchen vom tapfern Schneiderlein (Grimm, „Kinder- und Haus- 
märden’, Nr. 20). 

3 Baugi,d. 5. „ver Gebogene‘ (vom Alter Gebeugte?). 

4 ©. zu Grimn. 47. 

s Rati,d. h „der Nager”, 


III. Auszüge aus Snorris Poetif (Skäldskaparmäl). 1. 357 





Ddin den Met; einiges aber Hatte er hinten von fich gegeben, als 
ihm der Berfolger nahe war, und dies iſt der Dichterlinge Anteil 
und man heißt eg Adlerkot. Der Met Suttungs aber ijt für die 
bejtimmt, welche gut zu dichten verſtehen 1.“ 


— 


II. Auszüge aus Snorris Poetik. 
(Skäldskaparmäl.) 


1. Bragi erzählte: „Thor war gen Often gezogen, um Un— 
holde zu erſchlagen, Odin aber jegte jich auf fein Roß Sleipnir? 
und ritt nach Jotunheim. Er fam zu einem Niejen, dev Hrung— 
nir? hieß. Diefer fragte, was dag für ein Mann fei, der mit gol— 
denem Helm durch Luft und Meer reite, und meinte, daß ex ein 
außerordentlich gutes Pferd habe. Odin erwiderte, er wolle um 
jeinen Kopf wetten, daß bei den Riefen nicht ein ebenfo treffliches 
Roß zu finden ſei. Hrungnir jagte, das Roß fet freilich gut, doch 
meinte er, daß fein eigner Hengſt, der Gullfari* genannt werde, 
noch um vieles jtärfer jei. Hrungnir war zornig geworden; ex 
ſprang auf fein Pferd und gedachte den Odin zu fangen und ihn 
für feine hochmütigen Worte zu ftrafen. Odin ſprengte aber jo 
geſchwind voraus, daß er immer vor dem Rieſen die Spiben der 
Hügel erreichte; Hrungnir jedoch war in jo heftigem Zorn, daß 
er nicht eher merkte, wohin er geritten war, bis ex innerhalb des 
Gitters von Asgard jich befand. Als er nun an die Thür der 
Halle kam, luden ihn die Ajen zum Trinkgelage ein. Er ging auch 





ı Den Mythus von dem Dichtermet in allen feinen Einzelheiten zu deuten, 
dürfte vergeblich fein, der Grundgedanfe aber fheint zu fein, dat Stimme und 
Klang, von vornherein göttlichen Urfprungs, auch der unorganifchen Natur (den 
Riefen und Zwergen) verliehen find, daß aber der rohe Naturlaut erjt im Munde 
des Menſchen, dem von Ddin ſelbſt die rhythmiſche und mufifalifche Begabung ges 
ichentt find, zum Gefange fich wandelt. Da aber alles, was von den Göttern aus— 
geht, vollfommen fein muß, wird der Berlauf fo dargeftellt, daß der vollendete 
Gefang (Kwafir) im Befige der Rieſen und Zwerge vermwilderte und von dem 
Gotte der Weisheit erft wieder geläutert und geregelt werben mußte. 

2 S zu Baldrs draumar 2. 

3 Hrungnir, d. 5. „der Träger der Keule”; in ihm ift die dem Aderbau 
wiberftrebende Steinwelt perfonifiziert. 

+ Gullfari, d. 5. „Goldhaar”. 


358 Anhang. 


in den Saal hinein und forderte zu trinken, und es wurden ihm 
die Schalen gereicht, aus denen Thor feinen Durft zu jtillen 
pflegte. Hrungnir jchlürfte abwechjelnd aus beiden und wurde 
betrunten; da ließ ex es denn nicht an großen Worten fehlen. Er 
jagte, daß er Walholl emporheben und nach Zotunheim jchaffen 
wolle, Aagard aber wolle ex verjenfen und alle Götter töten, 
Hreyjat und Sif? ausgenommen; die gedenfe er mit fich fort- 
zuführen. Freyja allein wagte es, ihm einzufchenfen; ex aber 
ſagte, daß er alles Bier der Ajen austrinfen werde. Als nun den 
Aſen feine Prahlerei läftig ward, da nannten fie den Namen 
Thors, und alsbald trat auch) Thor in die Halle und ſchwang den 
Hammer in der Luft. Er war jehr zornig und fragte, wer das 
zugelaljen habe, daß einer von den überklugen Riefen dort trinfen 
dürfe, und wer Hrungnir hier in Walholl eine Freiftatt gewährt 
habe, und warum Freyja ihm einschenfe, wie bei den Feſten der 
Aen? Hrungnir ſah Thor nicht mit freundlichen Augen an und 
erwiderte, daß Odin jelbjt ihn eingeladen habe, und daß er unter 
deſſen Schuß ſich befinde. Thor ſprach, für diefe Einladung folle 
er büßen, ehe er hinauskomme. Hrungnir antwortete, das jei 
für Aſathor ein geringer Ruhm, wenn er ihn, den waffenlofen, 
töte; ‚größer ift das Wageſtück, wenn er den Mut hat, mit mir 
auf der Yänderjcheide bei Grjotunagard? fich zu jchlagen; auch 
war e3 eine große Thorheit, daß ich meinen Schild und meine 
Steinkeule zu Haufe ließ, denn hätte ich fie bei mir, jo fönnte 
man jet gleich den Holmgang* verſuchen — jo aber müßte ich dich 
für einen Schurken erklären, wenn du mich, den wehrlojen, töten 
wolltejt‘. Thor wollte um feinen Preis verſäumen, zu dem Zwei— 
fampfe fich einzuftellen, zu dem ex gefordert war, denn das hatte 
vordem noch niemand ihm geboten. Hrungnir machte fich auf 
den Weg und ritt mächtig zu, jo daß er noch in der Nacht nach 
Haufe kam; und feine Reife ward bei den Rieſen weit berühmt. 
Als nun der Tag heranfam, an dem er mit Thor fümpfen follte, 





1 ©. zu Prymskv. 3. 

2 ©. zu Prymskv. 24. 

3» Grjotunagard, d. h. „ber Bezirk der Steingehege”. 
* ©, zu Helgakv. Hjyrv. 33. 


III. Auszüge aus Snorris Poetik (Skäldskaparmäl). 1. 359 





meinten die Riejen, daß jehr viel davon abhinge, wer von beiden 
den Sieg erlangte: denn fie befürchteten von Thor großes Unheil, 
wenn Hrungnir unterliege, der von ihnen allen der jtärkite war. 
So machten num die Riefen auf Grjotunagard einen Mann aus 
Lehm, der neun Meilen hoch und unter den Armen drei Meilen 
breit war; doch konnten fie nicht ein Herz auftreiben, das groß 
genug war und für ihn paßte, bi fie ein Stutenherz dazu nah— 
men; dies aber erwies fich al3 wenig jtandhaft, ala Thor herbei- 
fam. Hrungnir aber hatte ein Herz aus hartem Stein mit ſchar— 
fen Kanten und drei ſpitzen Eden, wie jeitdem die Figur gezeichnet 
wird, die Hrungnirs Herz heißt!. Bon Stein war auch Hrung- 
nirs Kopf. Sein Schild war aus Stein und Holz angefertigt 
und hatte eine beträchtliche Die. Diejfen Schild hielt er vor fich, 
und jo jtand er auf Grjotunagard und erwartete Thor; als Waffe 
aber hatte er einen Weßjtein, den er über den Achjeln ſchwenkte, 
und nicht jah er aus, als wenn er mit fich ſpaßen laſſe. Neben 
ihm jtand der Lehmrieſe, der Mokkurkalfi? hieß und ſehr furcht- 
Jam war; erzählt wird nämlich, daß er Waſſer ließ, als er Thor 
erblickte. Thor begab fich in Begleitung des Thjalfi? zur 
Kampfjtätte. Diefer lief voraus nach der Stelle, wo Hrungnir 
ftand, und jprach zu ihm: ‚Du ftehjt nicht wohl gededt, Rieſe, 
da du den Schild vor dich hältſt, denn Thor hat dich geſehen und 
ijt in die Erde hinabgefahren und wird dich von untenher an— 
greifen.‘ Da jchob Hrungnir den Schild unter die Füße und 
jtellte fich darauf, den Webjtein aber packte er mit beiden Händen. 
Demnächſt jah er Blitze und hörte den Donner rollen, und nun 
bemerkte er auch, daß Thor im Ajenzorn eilig herleikam und den 
Hammer ſchwang. Er jchleuderte ihn, als er noch weit von 
Hrungnir entfernt war; diefer aber hob mit beiden Händen den 
Wetzſtein und warf ihn dem Hammer entgegen. Beide Waffen 
trafen fich im Fluge und der Webjtein brach entzwei: die eine 
Hälfte fiel auf die Erde, und von ihr ftammen alle Wetzſteinfelſen 


ı Über das Ausjehen diefer Figur (ein gleichjeitiges Dreied?) ift uns in 
ven alten Quellen nichts überliefert 

2 Motturfalfi, d. 5. „Nebelwade“ (2); ihn kann die menſchliche Arbeit 
(Thjalfi) auch ohne die Hilfe des Donnergottes bezwingen. 

3 ©. zu Härb. 39. 





360 Anhang. 


her, die andre aber flog gegen Thors Kopf, jo daß er zur Exde fiel. 
Der Hammer Niolnir traf den Hrungnir mitten auf den Kopf, 
und jein Schädel wurde in Stüde zerjchmettert; ex jtürzte in— 
folgedefjen nach vorn über und fiel auf Thor, jo daß fein einer 
Fuß auf Thors Halle lag. Thjalfi Hatte inzwijchen mit Mokkur— 
kalfi gefämpft, und diefer war mit geringem Ruhme gefallen. 
Darauf ging Thjalfi zu Thor und wollte den Fuß Hrungnirz 
von Thor? Halje heben, vermochte es aber nicht. Da gingen 
jämtliche Ajen Hinzu, und ihnen gelang es ebenjowenig. Endlic) 
fam Magnit, der Sohn Thors und der Jarnjara?, der damals 
exit drei Nächte alt war. Er warf den Fuß Hrungnirs von Thor 
Hals herunter und jprach: ‚Jammerſchade iſt eg, Vater, daß ich 
jo ſpät herzufam; ich meine, daß ich diefen Rieſen mit der Fauſt 
würde erichlagen haben, wenn ich ihn vorher getroffen Hätte.‘ 
Da ftand Thor auf und begrüßte feinen Sohn mit großer Freude, 
und jagte, daß er einjt ein tüchtiger Mann werden würde: ‚Und 
ich will dir auch dag Roß Gullfari geben, das Hrungnir beſeſſen 
hat.‘ Odin aber nahm das Wort und fprach, daß Thor unrecht 
thäte, wenn er das gute Pferd dem Sohn eines Riejenweibes 
gäbe. Thor begab fich nun heim nach Thrudwang?; das abge— 
brochene Stüd des Wetzſteins ſteckte aber noch immer in feinem 
Kopfet. Da kam die Seherin herbei, die Groa hieß, die Frau 
Aurwandilg®, des unverzagten. Sie jang ihre Zauberlieder 





16©. zu Hym. 34 und Härb. 9. 

2 Diefe Jarnjara ift natürlich mit ber gleichnamigen Riefin, die nach Hyndl. 
38 eine der neun Mütter Heimdalls war, nicht identifch. 

3 ©. zu Grimn. 4. 

4 Der Wesfteinfplitter, der in Thor Kopfe fteden geblieben ift, bezeichnet 
die im Aderlande fich findenden Steine, die den Anbau erjchweren. 

s Groa, d. h. „Wachstum“, ftellt den jommerliden Shmud der Erde, das 
Pflanzengrün dar, das zwar die Steine des Bodens zu verdeden, nicht aber zu 
entfernen vermag. 

s Aurwandil, hochd. Drendel, d. h. „der auf dem Meere Wandelnde“, der 
Held einer uralten Schifferfage, die noch gegen Ende bes 12. Jahrhunderts ein 
niederrheinifcher Spielmann in einem epifchen Gedichte, das dur willtürliche 
Zuthaten allerdings ftarf entjtellt ift, behandelt hat. Aurwanbil ijt ein jommer- 
licher Gott, der während des Winters in der Gewalt des Eisriejen fich befindet, beim 
Eintritt der guten Jahreszeit (mit dem erſten Gewitter) jedoch wieder heimfehrt 
und mit der jehnfüchtig feiner harrenden Gattin fich vereinigt. Bgl.Müllenhoff, 
„Deutſche Altertumskunde“ I?, 32 ff. — Bei Saro Grammaticus ift die Drendel- 
jage mit der Hamletjage, die fremden Urſprungs zu fein jcheint, verjchmolzen. 


II. Auszüge aus Snorris Poetit (Skäldskaparmäl). 1.2 61 





über ihm, bis der Wetzſtein loſe wurde, und als Thor nun merkte, 
daß Ausficht vorhanden ſei, von dem Steine befreit zu werden, 
wollte er der Groa die Heilung lohnen und fie erfreuen. Er er— 
zählte ihr nun die Neuigfeit, daß er von Norden her über die 
Eliwagar gewatet jei und den Aurwandil in einem Korbe auf 
dem Rüden aus Sotunheim vom hohen Norden herübergetvagen 
habe, und als Wahrzeichen gab er an, daß eine Zehe unten aus 
dem Korbe herausgelugt habe und erfroren jei. Dieje habe ex 
abgebrochen und an den Himmel geworfen und das Sternbild. 
daraus gejchaffen, dag jet Aurwandils Zehe heikt!. Ihor fügte 
hinzu, e8 werde nicht mehr lange dauern, bis Aurwandil aus dem 
Norden heimkomme. Groa ward hierüber jo erfreut, daß ſie ihre 
Hauberlieder vergaß, und jo ward der Wetzſtein nicht los, viel- 
mehr jteckt ex immer noch in Thor Haupt?.“ Da ſprach Agir: 
„Ein gewaltiger Rede jcheint mir Hrungnir geweſen zu jein. Hat 
denn aber Thor noch mehr fühne Thaten vollführt, wern ev mit 
Unholden es zu thun bekam?“ Bragi ſprach: 

2. „Ausführlicher Erzählung iſt das wert, wie Thor einmal 
zu Geirröds? Wohnſitz fich begab, dern damals hatte er weder 
den Hammer Mijolnir, noch den Kraftgürtel, noch die eijernen 
Handichuhe, und daran war Loki ſchuld, der Thor begleitete. 
Loki nämlich war es einjt begegnet, al3 er zu feinem Vergnügen 
in Freyjas Falkenhemd ausgeflogen war, daß er zu Geirröds 
Gehöft fam. Er jah dort eine große Halle, fette ſich auf das Dach 
und blickte zum Rauchloche* hinein. Getrröd jah zu ihn hinauf 
und befahl, man jolle den Bogel fangen und zu ihm bringen. 
Dem Boten machte e8 viele Mühe, auf das Dach der Halle hin 
aufzufommen, Loki aber hatte jeinen Spaß daran, daß jener ſoviel 
Not Hatte, zu ihm zu gelangen, und jo bejchloß er, nicht eher fort- 





ı Welches Sternbild jo benannt wurde, ift unbefannt; jedenfall war es ein 
ſolches, das beim Eintritt der guten Jahreszeit fihtbar wird. 

2 Der erfte Teil diefes Mythus (Thord Kampf mit Hrungnir) wurde auch 
von Thjodolf von Hwin in feiner Haustlong befungen (Wijen, „Carm. norreena” 
©. 10). 

3 Geirröd (d. h. „Speerfried“) ift das riefiihe Gegenbild des Thor: wie 
diejer die wohlthätigen Eigenfchaften des Gemwitters darftellt, jo jener die ver- 
derblichen. Vgl. Uhland, „Schriften“ VI, 77 ff 

4 Vgl. zu Grimn. 42. 


362 Anhang. 


zufliegen, bi der Mann jeinen ganzen Weg vergebens zurüd- 
gelegt hätte. Als diejer num die Hand nach ihm ausſtreckte, wollte 
Loki auffliegen und jtieß Fräftig mit den Füßen; dieje aber waren 
fejtgeflebt, und jo wurde Loki gefangen und dem Geirröd gebracht. 
ALS der jeine Augen! jah, argwöhnte er, daß ein Mann in dent 
Federgewand ſtecke und verlangte Antwort. Loki aber ſchwieg, 
und Geirröd verſchloß ihn darauf in jeiner Kiſte und ließ ihn drei 
Monate Hungern. Dann nahm er ihn heraus und forderte ihn 
aufs neue zum Reden auf und fragte, wer er wäre. Nun gab 
Loki Antivort, und um jein Leben zu löſen, mußte er dem Geirröd 
Eide ſchwören, daß er den Thor nach Geirröds Gehöft bringen 
wolle, ohne daß er jeinen Hammer, feine eifernen Handſchuhe und 
feinen Kraftgürtel bei fich hätte. Thor aber war zuvor bei dem 
Riejenweib Grid eingefehrt, der Mutter Widars des Schweig- 
jamen?, und fie hatte ihm über Geirröd wahren Bejcheid gegeben, 
daß er ein gewaltiger Unhold und ein äußert Eluger Riefe jei und 
nicht mit ſich ſpaßen lafje. Deswegen Hatte fie dem Thor auch 
ihren eignen Kraftgürtel geliehen und ihre eifernen Handſchuhe 
und dazu ihren Stab, der Gridarwol? hieß. Darauf kam Thor 
zu dem Fluffe, der Wimur* heißt und aller Ströme mächtigjter 
it; er umgürtete fi) nun mit dem Kraftgürtel und jtüßte fich, 
indem er den Fluß durchichritt, thalwärts auf Gridarwol, Loki 
aber hielt ji an dem Kraftgürtel feit. Als Thor nun in die 
Mitte des Stromes fam, wuchs das Waller jo, daß es ihm um 
die Schultern raujchte. Da jprach Thor: 


‚Wache nicht, Wimur! waten muß ic 
- Durch Dich in der Riejen Reich; 

wächſt du, jo wiſſe, es wächſt auch mir dann 
hoch wie der Himmel die Ajenkraft?.‘ 





ı Dieje bleiben nad dem Glauben der Nordleute bei allen VBerwandlungen 
unverändert: vgl. Sigurparkv. skamma 363 und Volsunga saga €. 29 (Edzardi 
©. 147 fg). ©. aud ebenda ©. 236, Anm. ***, 

2 ®gl. zu Härb. 30. Der Name Grid bedeutet „Heftigfeit”, „Ungeftüm”. 

3 Gridarmwol, d. h. „der Stab der Grid’. 

* Wimur, d. h. „die Wirbelnde”, 

5 Das Gedicht, aus dem dieſe und die folgende Strophe entlehnt find, ift 
fonft unbefannt. 


III. Auszüge aus Snorris Poetif (Skäldskaparmäl). 2 363 





„Da jah Thor, daß Gjalp!, Geirröds Tochter, oben in den 
Bergklippen mit gefpreizten Beinen über dem Fluſſe jtand und 
fein Anfchwellen verurfachte?:. Da hob Thor einen gewaltigen 
Stein aus dem Fluffe empor, jchleuderte ihn nach der Riefin und 
ſprach: ‚An der Quelle muß man den Strom hemmen.‘ Nicht 
verfehlte der Wurf fein Ziel, und nun glüdte es ihn, das Ufer 
zu erreichen. Er befam einen Bogelbeerjtrauch? zu faſſen und 
jtieg jo aus dem Waſſer; daher fommt das Sprichwort: ‚Der 
Bogelbeerbaum iſt Thor3 Rettung.‘ Als nun Thor zu Geirrdd . 
fam, wurde ihm gleich das Gaſthaus zur Herberge angewiesen. 
Zum Sitzen war dort fein andrer Plab als ein einziger Stuhl, 
und auf diejen ſetzte fi) Thor. Da ward er gewahr, daß der 
Stuhl unter ihm fich zum Dache emporhob. Thor ſtemmte daher 
den Stab Gridariwol gegen da3 Dach) und drüdte mit feinem 
ganzen Körpergewicht den Stuhl nieder. Da entjtand ein heftiges 
Gejchrei, und kurz darauf hörte man ein Knaden. &3 hatten näm— 
lich Geirröds Töchter Gjalp und Greip unter dem Stuhle ge= 
jejfen und ex hatte beiden das Rückgrat zerbrochen?. Da jprach 
Thor: 

9 ‚Einmal hab’ ich all’ meine Kraft 
im Riejenreiche gebraucht, 
al3 Gjalp und Greip, Geirröds Töchter, 
mich hoben zum Himmel empor.‘ 


Daranf ließ Geirröd den Thor in die Halle rufen, um fich im 
KRampfipiele mit ihm zu meſſen. Es waren dort die ganze Halle 
entlang große Feuer entzündet, und als Thor vor Geirrdd trat, 
faßte diejer mit einer Zange ein glühendes Gijenjtücd® und warf 
es nach Thor. Thor aber fing das glühende Eiſen mit feinen 





ı An Geirröds Töchtern Gjalp (db. 5. „die Brandende‘) und Greip (d. 5. 
„pie Räuberifche”) haben wir die verheerenden, die Thäler überſchwemmenden 
Gemitterregen zu erkennen. 

2 Diejelbe, etwas cyniſche Auffafjung, die und auch Lokas. 34 begegnet. 

3 Die Ebereſche ift der einzige Baum, der auf Island eine relativ bedeutende 
Höhe erreicht. Dem Thor war fie vermutlich wegen ihrer roten Beeren geheiligt. 

* Den Stuhl deutet Uhland auf die über den wilden Bergftrom geichlagene 
Brüde, an der die ftürmifchen Fluten machtlos zerſchellen. Ich halte dieſe Deus 
tung für zweifelhaft, da Brüden bis auf ben heutigen Tag auf Island jo gut 
wie unbefannt find. 

5 Dies glühende Eifenftüd ift ber Blig. 


364 Anhang. 


Eiſenhandſchuhen auf und hob es in die Luft empor. Da jprang 
Geirröd Hinter eine Säule, um fich zu ſchützen, Thor jedoch 
ſchwang das Eiſenſtück hoch in die Luft und jchmetterte es durch 
die Säule. Es durchſchlug auch den Geirröd und die Wand der 
Halle und fuhr außerhalb derjelben tief in die Erde hinein !.“ 

3. Warum wird das Gold Sifs Haar? genannt? Diefe 
Bezeichnung erklärt fich durch die folgende Geſchichte: Loki, der 
Sohn der Laufey, hatte einjt aus Bosheit der Sif alles Haar ab- 
gejchnitten. Als Thor dies erfuhr, faßte er Loki mit feinen Hän— 
den und würde ihm alle Knochen zerichlagen haben, wenn er ihm 
nicht den Eid geleiftet hätte, daß ex die Schiwarzelben dazu be— 
wegen wolle, der Sif aus Gold neues Haar anzufertigen, welches 
wachjen jolle wie natürliches Haar. Hierauf begab jich Loft zu 
den Zivergen, die Jwaldis Söhne? hießen, und dieje machten das 
Haar ſowie auch dag Schiff Skidbladnir* und den Speer Gung- 
nird, den Odin befitt. Darauf wettete Lofi um feinen Kopf mit 
einem Zwerge Namens Brof£®), daß deſſen Bruder (Sindri®) 
nicht drei Gegenjtände herjtellen fünne, die den eben genannten 
an Wert gleichfämen. Als ſie nun in die Schmiede famen, legte 
der Zwerg (Sindri) eine Schweinshaut in die Eife und befahl 
(dem Brokk), zu blajen und mit dem Blaſen nicht eher aufzuhören, 
al3 big er das, was in die Eſſe gelegt war, herausgenommen 
hätte. Als er nun herausgegangen var und fein Bruder blieg, 
da jeßte fich eine Fliege” auf diefen und jtach ihn; er aber fuhr 





i Diefer Mythus wurde auch von dem isländiſchen Dichter Eilif Gudrunarjon 
(11. Jahrh.) in feiner Porsdräpa befungen (Wiſen, „Carm. norreena“, ©. 30 fg.), 
Auch Saro Grammaticus bat die Sage gekannt (ſ. P. E. Miller Ausgabe, S. 
425 fg.); ferner wird im Porsteins pättr beejarmagns (Fornmannasögur IL, 
182 ff.) von einem Beſuch erzählt, den der Held der Erzählung bei Geirröd 
machte, in defien Halle man mit einem glühenden Goldflumpen Ball fpielte. Endlich 
findet fi noch eine Anjpielung auf den Mythus in ber Haralds saga hardrada 
€. 101 (Fornmannasögur VI, 361). 

2 Vgl. zu Prymskv. 24 und Härb. 48, 

3 ©. zu Grimn. 43. 

4 ©. zu Skirnismgl, prof. Einleitung und Grimn. 43. 

5 ©. zu Sigrär. 17. 

6 Die Namen Broff und Sindri (welde die Handihrift von Upfala aus— 
läßt) bedeuten „Dachs“ (wegen des unterirdifchen Aufenthalts der Zwerge) und 
„Schlackenmann“ (d.h. „Schmied‘). 

7 Diefe Fliege ift natürlich Loki, der nad) einem andern Mythus auch eins 
mal in einen Floh fi verwandelte (Flateyjarbok I, 276). 


III. Auszüge aus Snorris Poetif (Skäldskaparmäl). 3. 365 





mit dem Blafen fort, bis der Schmied herbeikam und feine Arbeit 
aus der Eſſe nahm: das war aber ein Eber, und die Borjten des 
Tiereg waren von Gold. Darauf legte er Gold in die Efje und 
befahl dem andern wiederum, zu blajen, und nicht eher abzulaſſen, 
bi3 er zurüdgefommen wäre. Da fan die Fliege wieder und jeßte 
fich ihm auf den Hals und ftach doppelt jo jtarf als das erſte 
Mal; er aber fuhr dennoch fort zu blajen, bis der Schmied kam 
und den goldenen King aus der Eſſe 30g, der Draupnir! heißt. 
Dann legte er Eijen in die Eſſe und befahl, aufs neue, zu blajen - 
und jagte, daß die ganze Arbeit verderben müſſe, wenn das Blaſen 
unterbrochen würde. Da jeßte fich die Fliege dem Bläfer zwijchen 
die Augen und jtach ihn fo heftig, daß (das Blut ihm in die Augen 
lief und?) ex nicht mehr jehen konnte. Da griff er ſchnell mit der 
Hand zu und jcheuchte die Fliege fort, und während diefer Zeit 
unterblieb das Blajen. Der Schmied fam nun zurüd und jagte, 
daß beinahe die ganze Arbeit in der Eſſe untauglich gemacht wäre, 
zog einen Hammer aus ihr heraus und übergab die drei Kleinode 
jeinem Bruder. Dann hieß er ihn damit nach Asgard zu gehen 
und feine Wette einzulöjen. M3 nun Loft und ex die Kleinode 
verglichen, da ſetzten fich die Ajen in ihre Richterjtühle, und es 
jollte die Entjceheidung Gültigkeit haben, die Odin, Thor und 
Freyr abgaben. Loft gab num dem Odin den Speer Gungnir 
und dem Thor das Haar, das Sif haben jollte, und dem Freyr 
den Skidbladnir, und erklärte zugleich, wie alle diefe Dinge be- 
Ichaffen wären: der Speer würde niemals im Stoße innehalten, 
und das Haar würde jogleich im Fleiſche feitwachjen, wenn e3 
auf Sifs Kopf käme, und Skidbladnir Habe jtet3 günftigen Fahr— 
wind nach der Richtung, in der man reifen wolle, jobald das 
©egel aufgezogen jei; man fünnte aber auch, wenn man wolle, 
das Schiff zufammenfalten und in der Tafche tragen. Darauf 
brachte nun der Zwerg feine Kleinode hervor: er gab dem Odin 
den Ring Draupnir und jagte, daß von ihm in jeder neunten 
Nacht acht ebenso ſchwere Ringe herabtropfen würden; dem Freyr 





1 ©. zu Skirn. 21. 
2 Die eingeflammerten Worte fehlen in der Handfchrift von Upfala. 


366 Anpang 


aber gab er den Ebert und jagte, daß er bei Tag und bei Nacht 
ichneller als ein Pferd durch Luft und Waffer zu laufen vermöge, 
und niemal3 werde die Nacht jo finjter jein, daß nicht dort, wo 
der Eber fich befinde, genügende Helle fich verbreite — fo leuchte 
es nämlich von jeinen Borjten; dem Thor gab er den Hammer 
Mijolnir und jagte, daß er damit jo weit er wolle und wonach 
er wolle werfen könne und jein Ziel niemals verfehlen würde, 
und nie würde der Hammer jo weit fortfliegen, daß er nicht von 
jelbit in jeine Hand zurüdfehre, und wenn er wolle, könne der 
Hammer auch jo Klein werden, daß er ihn unter feinem Rode 
tragen könne — (freilich habe er einen Fehler?:) der Handgriff 
jei etwas furz. Der Urteilsſpruch der Schiedsrichter lautete nun 
dahin, daß der Hammer dag bejte der Kleinode und der wirkſamſte 
Schuß wider die Reifriejen jet; und jomit entjchieden jet, daß der 
Zwerg die Wette gewonnen habe. Loki erbot ſich num, jein Haupt 
zu löjen, der Ziverg aber jagte, daß er fich darauf feine Hoffnung 
machen ſolle. „So greife mich denn‘, ſprach Loki; aber als er ihn 
faſſen wollte, war er jchon weit entfernt: Loki hatte nämlich 
Schuhe, die ihn durch Luft und Meer trugen. Nun batder Zwerg 
den Thor, daß er den Loki greifen möge, und Thor that das. Nun 
wollte der Ziverg ihm den Kopf abichlagen, Kofi jedoch jagte, er 
habe wohl einen Kopf, aber feinen Hals. Da nahm der Zwerg 
Mefjer und Faden und wollte dem Loft die Lippen zufammen- 
nähen und zunächjt Köcher in die Lippen jtechen, aber das Meſſer 
ichnitt nicht. Der Ziverg meinte, daß der Pfriemen feines Bru- 
der3 tauglicher jein würde, und jobald er diejen genannt hatte, 
war er auch zur Stelle, und der Pfriemen durchſchnitt die Lippen. 
Er nähte nun Lokis Lippen zufammen, Loki aber riß den Faden 
aus dem Saume heraus. Diejer Faden, mit dem Lokis Mund 
zugenäht war, heißt Wartari?. 

4*, Es wird erzählt, daß die drei Aſen Loki, Odin und 
Hönir einmal auszogen, um die Welt zu befichtigen. Sie famen 





ı Diefer Eber wird Gylfag. C 49 Gullinburfti oder Slidrugtanni genannt. 

2 Die eingeflammerten Worte fehlen in der Handſchrift von Upſala. 

3 Wartari, d.h. „Tau“. 

* Vgl. zu diejem Cap. das eddiſche Lied Reginsmögl (profaifhe Einleitung 
u. Str. 1-9) und Volsunga saga €. 14. 


III. Auszüge aus Snorris Poetik (Skäldskaparmäl). 3. 4. 367 





zu einem Fluſſe und gelangten auch an einen Waflerfall. In 
diefem war ein Otter, der im Waſſerfall einen Lach3 gefangen 
hatte. Da hob Loki einen Stein auf und warf ihn nach dem Otter; 
er traf den Kopf, und das Tier war jofort tot. Loft rühmte fich 
jeiner Jagdbeute, da er mit einem Wurfe Otter und Lachs er- 
langt habe. Sie nahmen num den Otter und den Lachs und führten 
beide mit fich fort. Bald darauf famen fie zu einem Gehöft und 
gingen hinein; e8 wohnte dort Hreidmar, ein anjehnlicher 
Bauer, dem auch die Kunde der Zauberei verliehen war. Die- 
Aſen baten ihn, ihnen für die Zeit der Abendmahlzeit und die 
darauffolgende Nacht Aufnahme zu gewähren; ihre Koft, fügten 
fiebhinzu, hätten ſie jelber mitgebracht, und zeigten ihm ihre Jagd- 
beute. Als Hreidmar diefe erblickte, rief er jeine Söhne Regin 
und Fafnir herbei und jagte ihnen, daß ihr Bruder Otr er- 
ichlagen jei, und wer die That begangen habe. Nun gingen der 
Bater und die Söhne auf die Aſen los, nahmen fie feſt und ban- 
den jie, denn der Otter war, wie fie fagten, Hreidmars Sohn ge— 
wejen. Die Ajen erboten fich, für ihrXeben jo viel Buße zuzahlen, 
al3 Hreidmar verlange; daraufhin ward ein Vergleich abge- 
ichlofjen und durch Eide bekräftigt. Der Otter ward darauf ab- 
gehäutet; Hreidmar nahm den Otterbalg und jagte den Ajen, 
daß fie ihn mit rotem Golde füllen und auch von außen ganz 
damit bedecken jollten: damit wäre danndie Sühnegeleiftet. Odin 
ordnete nun an, daß Loki fich in das Gebiet der Schwarzelben be- 
geben jolle. Er fam zu einem Zwerge, der Andwari hieß und 
jo zauberfundig war, daß er zuzeiten als Fiſch im Waſſer lebte. 
Loft fing ihn mit den Händen! und verlangte, daß er, um fein 
Leben zu löjen, alles Gold außliefere, das er in feinem Steine 
habe. (Der Zwerg gab all jein Gold her?), doch barg er in jeiner 
Hand einen Eleinen Goldring. Diejes ſah Loki und verlangte, 
daß er auch dieſen Ning ihm überantworte. Der Zwerg bat, ihm 
diefen Ring nicht fortzunehmen, da er durch ihn feinen Befik 
wieder mehren fönne; Kofi aber jagte, er dürfe nicht einen Pfennig 





1 Nah ber Profa vor Reginsmgl und der Vols. saga fing Lofi den And— 
wari in dem Nee, das er von Ran geliehen hatte. 
2 Die eingellammerten Worte fehlen in der Handſchrift von Upfala. 


368 Anhang. 


zurücbehalten, nahm ihm den Ring fort und wandte fich zum 
Gehen. Da jprach der Ziverg, daß der Ring jedem, der ihn be- 
fie, den Tod bringen werde. Loki erividerte, das jchiene ihm jehr 
gut, und er fügte Hinzu, daß der Fluch fich dann erfüllen folle, 
wenn er jelbjt den Ring demjenigen übergebe, der ihn haben ſolle, 
und diefer ihn annehme. Er ging nun fort und fam zu Hreid- 
mars Gehöft zurück und zeigte dem Odin das Gold. Als diejer 
den Ring erblicdte, däuchte er ihm wunderbar ſchön, und er nahm 
ihn von dem übrigen Golde fort. Hreidmar füllte nun den Otter- 
balg und jtopfte hinein, joviel er konnte, und als er gefüllt war, 
jtellte er ihn aufrecht. Darauf trat Odin Hinzu, der das Fell von 
außen mit Gold bededen jollte. Dann rief er den Hreidmar und 
jagte, er möge herankommen und nachjehen, ob der Balg nicht 
gänzlich verhüflt ſei. Der Bauer jah jehr genau nach; er erblicte 
noch ein Haar von dem Schnurrbarte und verlangte, daß auch 
dieſes bedeckt werde: . andernfalls jei eg mit dem Bergleiche zu 
Ende. Da zog Odin den Ring hervor und bedeckte damit das 
Barthaar; damit, jagte er, habe er nun feine Verpflichtung er— 
füllt. Als nun Odin feinen Speer ergriffen hatte und Loft jeine 
Schuhe und fie nichts mehr zu fürchten brauchten, dajprach Loki !, 
daß das in Erfüllung gehen jolle, was Andwari gejprochen habe, 
daß nämlich der Ring jedem, der ihn befite, den Tod bringe; und 
diefer Fluch hat jeitdem feine Kraft bewährt. Nun ift es erzählt, 
warum das Gold Otterbuße heißt oder die erzwungene Gabe der 
Aſen oder dag jtreitbringende Erz. 

5°. Nun nahm Hreidmar das ganze Gold ala Sohnesbuße 
an fich, Fafnir und Regin verlangten aber auch etwas davon, als 
Buße für ihren Bruder. (Hreidmar gönnte ihnen jedoch feinen 
Pfennig von dem Schabe, und deshalb?) töteten fie ihren Vater‘. 
— Darauf verlangte Regin, daß Fafnir das Gold zu zwei gleich 





ı Statt Loki jehreibt die Handſchrift von Upfala unrichtig Odin. 

2 Bgl. zu diefem Cap. Reginsmgl, Proſa vor Str. 10 bi zu Ende, und 
Fäfnismgl; Vols. saga €. 17—19. 

3 Die eingeflammerten Worte fehlen in der Handſchrift von Upfala. 

* Hierauf hat die Handihrift von Upfala nur noch den Sag: „Fafnir legte 
fih auf den Schag und ward zu einem Draden, Regin aber begab fih hinweg.’ 
Alles übrige 518 zum Schluß von €. 7 fehlt. Unfre Überfegung folgt daher 
von hier an dem Texte des Codex regius, 


III. Auszüge aus Snorris Poetif (Skäldskaparmäl). 4. 5. 369 





großen Hälften mit ihm teilen jolle. Fafnir erwiderte, es ſei nicht 
von ihm zu erwarten, daß er dem Bruder von dem Golde etwas 
abgebe, nachdem ex den Vater deswegen getötet habe; er hieß 
Regin, eilig fich davon zu machen, jonjt werde e3 ihm ebenjo er- 
gehen wie Hreidmar. Fafnir hatte den Helm, den Hreidmar be= 
jejfen hatte, an fich genommen und ihn ſich aufs Haupt gejegt — 
er ward der Schredenshelm genannt, weil er alle lebenden Wejen, 
die ihn jahen, in Furcht verjegte — und ebenfo auch das Schwert, 
welches Hrotti heißt. Regin hatte das Schwert, dag Refil ge: . 
nannt wird, und flüchtete num fort; Fafnir aber begab fich nach 
der Gnitaheide und richtete fich dort eine Wohnitätte ein. Dann 
verivandelte er ſich in einen Drachen und legte ſich auf das Gold. 

Regin begab fich num zu König Hjalprek nach Thjod und 
wurde deſſen Schmied. Er nahm dort auch den Sigurd in 
Pflege, den Sohn von Sigmund, dem Sohne Woljungs, und 
der Hjordis, Eylimis Tochter. Sigurd war der ausgezeichnetite 
aller Heerkönige, was Gejchlecht, Kraft und Mut angeht. Regin 
teilte ihm mit, wo Fafnir auf dem Golde ruhte, und reizte ihn, 
jich des Schaßes zu bemächtigen. Regin ſchmiedete ihm auch das 
Schwert, das Gram heißt; diejes war jo jcharf, daß es einmal, 
als Sigurd eg in fließendes Wafjer? ſteckte, eine Wollflode mitten 
durchichnitt, die der Strom gegen die Klinge getrieben hatte. 
Darauf jpaltete Sigurd mit dem Schwerte den Amboß Regins 
von oben herab bis in den Holzblod hinein. Nun begaben fich 
Sigurd und Regin nach der Gnitaheide; dann grub Sigurd auf 
dem Wege Fafnirs ein Loch und jegte fich hinein. Als dann 
Fafnir zum Waller roch, durchbohrte ihn Sigurd mit dem 
Schwerte, und jo fand er den Tod. Regin kam herbei; er jagte, 
Sigurd habe jeinen Bruder getötet, und verlangte das als Buße, 
daß er Fafnirs Herz nehme und am Feuer brate; darauf beugte 
ſich Regin nieder und trank Fafnirs Blut und jtredite fich dann 
hin, um zu fchlafen. Als nun Sigurd das Herz briet und meinte, 





ı Die Skäldskaparmäl lofalifieren aljfo die Sage in Dänemark, denn Thjod 
(heute Thy) ift eine Landſchaft im nordweftlihen Zütland (zwiichen dem Lim— 
fiord und der Nordſee). 

2 Die Reginsmöl (Proja nah Str. 14) nennen hier noch den Strom, an 
befien Ufern die Sage zuerft entjtand, den Rhein 

Die Edda, a 24 


370 Anhang. 


daß es gar jei, und mit dem Finger fühlte, ob es noch hart wäre, 
da fam der Saft aus dem Herzen an feinen Finger und verbrannte 
ihn; ex führte daher den Finger zum Munde, und als das Herz- 
blut auf jeine Zunge gelangte, da verjtand er die Vogeliprache 
und vernahm, was die Spechtmeijen jagten, die im Baume jagen. 
Die eine jprad) [Fäfn. 32. 33]: 


„Dort fit Sigurd, beſudelt mit Blut, 

am Feuer brät er des Fafnir Herz; 

fchlau ſchiene mir der Schenfer der Ringe, 

äß’ er den leuchtenden Lebensmuskel. 

„Dort liegt Regin, hält Rat mit fich, i 
will betrügen den Süngling, der treu ihn wähnt; 
er zeiht ihn fälſchlich aus Born der Schuld, 

der Ränfejchmied will rächen den Bruder.‘ 

Da ging Sigurd zu Regin und erichlug ihn. Dann fchritt er 
zu feinem Roſſe, dag Grani heißt, und ritt weiter, bis er zu der 
Mohnung Fafnirs fam. Dort nahm er alles Gold und band e3 
in Bündel und legte dieje auf Granis Rüden. Dann jtieg er 
jelber auf und jeßte feinen Weg fort. Nun ift erzählt, warum 
das Gold Fafnirz Lager oder Wohnftätte heit, oder das Erz der 
Gnitaheide, oder Granis Bürde. 


61, Nun ritt Sigurd weiter, bis er auf einem Berge ein 
Haus fand. Darin jchlief eine Frau in Helm und Panzer. Er 
zog jein Schwert und jchnitt ihr den Panzer ab; da eriwachte fie 
und nannte fich Hild; fie wird auch Brynhild genannt und war 
MWalküre?. Von dort ritt Sigurd zu dem Könige, der Gjufi 
hieß; jeine Frau führte den Namen Grimhild, und die Kinder 
der beiden waren Gunnar, Hogni, Gudrun und Gudny?; 
Gutthorm war ein Stieffohn Gjukis“‘. Dort weilte Sigurd 
lange Zeit und heiratete Gudrun, die Tochter Gjukis; Gunnar 





1 Bol. zu diefem Cap. bie eddiſchen Lieder Sigrdrifumgl, Brot af Sigur- 
parkvipa, Guprünarkvipa I und Sigurparkvipa skamma, jowie Volsunga saga 
€. 20-31. 

2 Diejer erfte Beſuch Sigurd8 bei Brynhild, mit der er nach Sigrdrifumdl 
bamals fich verlobte, ift der urjprüngliden Sage fremd; vgl. zu Grip. 31. 

3 Diefe Gudny wird in feiner der übrigen Quellen genannt. 

4 Bol. zu Hyndl. 27. 


III. Auszüge aus Snorris Poetif (Skäldskaparmäl). 5. 6. 371 





aberund Hognischloffen mit Sigurd Blutsbrüderichaft. Demnächit 
begaben fich Sigurd und die Söhne Gjufis zu Atli, dem Sohne 
Budlis, um für Gunnar um die Hand jeiner Schweiter Bryn— 
hild zu werben; dieje jaß auf Hindarfjall, und ihren Saal ums 
zingelte die Waberlohe; fie hatte aber den Eid abgelegt, nur den 
zum Wanne zu nehmen, der durch diefe Flamme zu reiten wage. 
Sigurd und die Gjukunge — die auch Niflunge heißen — ritten 
nun zu dem Berge hinauf, und Gunnar jolltedie Waberlohe durch: 
reiten. Er hatte das Pferd, das Goti hieß; dieſes jedoch ſcheute 
fich, in dag Feuer zu laufen, Da wechjelten Sigind und Gunnar 
die Gejtalt und ebenjo ihre Namen, denn Grant wollte unter 
feinem andern gehen als unter Sigurd. So jprang alſo Sigurd 
auf Granis Rüden und ritt durch die Waberlohe. An demjelben 
Abend hielt er jeine Hochzeit mit Brynhild; als fie aber ins Bett 
famen, 30g er jein Schwert Gram aus der Scheide und legte es 
zwischen fich und die Jungfrau. Am Morgen darauf, als er auf- 
gejtanden war und fich angefleidet hatte, gab er der Brynhild als 
Zinnengabe! den goldenen Ring, den Loft dem Andivart fort- 
genommen hatte, und nahm ihr als Erinnerungszeichen einen 
andern Ring. Dann fprang Sigurd auf fein Roß und ritt zu 
feinen Genofjen; ex wechjelte mit Gunnar wiederum die Gejtalt, 
und num zogen fie mit Brynhild Heim zu Gjuki. Sigurd zeugte 
mit Gudrun zwei Kinder: Sigmund und Swanhild. 

Es gejchah einmal, daß Brynhild und Gudrun zum Wafjer 
gingen, um ihre Haare zu bleichen; als fie nun an den Fluß 
famen, watete Brynhild tiefer vom Ufer in den Strom hinein und 
ſagte, daß fie auf ihrem Kopfe nicht das Waſſer dulden wolle, das 
aus Gudruns Haaren fließe, da fie einen weit beherzteren Gatten 
habe. Gudrun aber jchritt ihr nach in den Strom und jagte, daß 
fie deswegen wohl oberhalb von Brynhild ihr Haar im Flufje 
wajchen fünne, weil jie den Mann befie, dem weder Gunnar noch 
irgend ein andrer Mann in der Welt an Kühnheit zu vergleichen 
jet: „denn er erſchlug Fafnir und Negin und nahm beider Erbe‘. 
Da antwortete Brynhild: „Eine größere Heldenthat war e8, daß 





1 Linnen- oder Banfgabe nannte man das Gejchenf, das der Bräutigam 
der Braut am Hochzeitstage zu geben pflegte. 


24* 


372 Anhang. 


Gunnar durch die Waberlohe ritt, was Sigurd nicht zu thun 
wagte. Gudrun lachte und ſprach: „Meint du, daß Gunnar 
durch die Waberlohe geritten ſei? Der, meine ich, iſt zu dir ins 
Bett gejtiegen, der mir diefen goldenen Ring gab; der Goldring 
aber, den du an der Hand haft und als Linnengabe empfingit, 
heißt Andwaranaut, und nicht glaube ich, daß Gunnar ihn auf 
der Gnitaheide geholt hat.’ Da ſchwieg Brynhild undging heim. 
Darauf reizte fie Gunnar und Hogni, den Sigurd zu töten, aber 
da ſie Blutsbrüder Sigurds waren, veranlaßten fie den Gutthorm, 
ihren Bruder Sigurd zu erichlagen. Er durchbohrte ihn mit dem 
Schwerte, während er jchlief?; aber als er die Wunde empfing, 
warf er jein Schwert Sram nah Gutthorm, das den Mann mitten 
durchſchnitt. So fiel Sigurd und auch fein dreijähriger Sohn 
Sigmund, den fie ebenfalls töteten?. Dann durchſtach ich Bryn— 
bild jelbjt mit dem Schwerte, und fie wurde mit Sigurd verbrannt. 
Gunnar und Hogni aber nahmen Fafnirs Erbe und den And— 
waranaut in Bei und errichten über die Lande. 

7°. König Atli, Budlis Sohn, der Bruder Brynhilds, hei— 
ratete darauf Gudrun, die vorher mit Sigurd vermählt war, und 
beide hatten Kinder miteinander. Atli lud Gunnar und Hogni 
zu fich ein, und dieje folgten jeiner Einladung. Ehe fie aber von 
Haufe aufbrachen, ſenkten fie da3 Gold, das Fafnir beſeſſen hatte, 
in den Rhein, und e3 ift jeitdem niemals wiedergefunden. König 
Atli Hatte zuvor Kriegsvolk zufammengezogen; er griff Gunnar 
und Hogni an, und beide wurden gefangen genommen. Darauf 
ließ er dem Hogni bei lebendigen Leibe das Herz ausfchneiden, 
und jo erlitt er den Tod; den Gunnar ließ er in die Schlangen 
grube werfen, doch ward ihm heimlich eine Harfe zugeftect >, die 
er mit den Zehen jchlug, da ihm die Hände gebunden waren, jo 





1 Das edbifhe Lied, das diejen Streit der Königinnen im Bade erzählte, 
ift verloren; doch hat e8 auch noch ver Verfafler der Volsunga saga gefannt; j. 
dort €. 28. 

2 Bıl. zur Schlußprofa von Brot. 

3 Vgl. zu Sigurparkv. skamma 12. 

4 Bol. zu biefem Cap. dad Dräp Nifiunga, Guprunarkvipa II, Atlakvipa, 
Atlam$l, Guprünarhvgt und Hampismpl, ſowie Volsunga saga C 32-42, 

5 Nach der Vols. saga €. 37 jandte ihm Gudrun bie Harfe. z 


III. Auszüge aus Snorris Poetif (Skäldskaparmäl). 6.7. 373 





daß alle Schlangen einjchliefen; nur eine Natter! froch an ihm 
herauf und ſtach ihn unterhalb der Bruft, ſteckte den Kopf in die 
Höhlung und hängte fich ihm an dieXeber, bis ertotwar. Gunnar 
und Hogni werden Niflunge oder Gjukunge genannt; darum heißt 
das Gold auch der Niflunge Hort oder Erbe. Bald danad tötete 
Gudrun ihre beiden Söhne und ließ aus ihren Schädeln, die mit 
Gold und Silber überzogen wurden, Trinkgefäße machen?. Als 
nun das Erbmahl der Niflunge veranjtaltet ward, ließ Gudrun 
bei dem Gelage in diefen Schalen dem Könige Atli Met reichen, 
der mit dem Blute der Knaben vermijcht war; die Herzen der- 
jelben ließ fie braten und gab fie dem Könige zu efjen. Als dies 
gejchehen war, jagte fie ihm jelber mit vielen fchnöden Worten, 
was ſie gethan hatte. Es fehlte nicht an beraufchendem Met, jo 
daß die meisten Leute dort, two fie gerade jagen, in Schlaf janfen. 
In derjelben Nacht ging fie zu dem Könige hinein, während ex 
ichlief, und mit ihr Hognis Sohn?; fie brauchten ihre Waffen 
wider ihn, und jo fand er den Tod. Darauf warfen fie Feuer in 
die Halle, und alles Volk, das darin war, verbrannte. Danach 
ging jie zum Meere und ſprang in die Flut und wollte fich töten, 
aber die Wogen trugen fie über den Meerbujen in das Land, das 
König Jonakr beherrichte. Als diejer jie jah, nahm er fie zu 
fich und heiratete fie; fie hatten drei Söhne, mit Namen Sorli, 
Hamdir und Erpt; dieje hatten alle rabenſchwarzes Haar wie 
Gunnar und Hogni und die übrigen Niflunge. 

5Dort wurde auch Swanhild, die Tochter des Helden 
Sigurd, aufgezogen; fie war aller Frauen ſchönſte. Davon hörte 
König Jormunrek der Mächtige und jandte jeinen Sohn 
Randwer, der die Swanhild für ihn werben jollte. Als diejer 





1 Bgl. zu Oddr. 29. 

2 Dies erzählt auch die Vols. saga (E. 38), doch ift diefer Zug, den die ur— 
fprünglide Sage nicht fannte, wahrjheinlih aus der Gejhichte von Wölund 
entlehnt. 

3 Bgl. zu Atlamgl 85. 

+ Dies jtimmt zu dem Berichte der Vols. saga (C. 39) und ber prof. Ein 
leitung zu Guprünarhvot. Nach den Hampismöl (Str. 15. 17), bie hier ſicher 
da3 Urjprüngliche bewahrt haben, war Erp dagegen ein Stieffohn der Gudrun. 

5 Mit dem folgenden vgl. auch die Darftellung bei Saro Grammaticus 
(Müllers Ausg., S. 413 ff.), die in einigen Punkten abweidt. 


374 Anhang. 


nun zu Jonakr kam, ward ihm die Jungfrau überantwortet, 
damit er fie dem Jormunrek zuführe. Da jagte Bikki, eg wäre 
pafjender, wenn Randwer die Swanhild nähme, da er jung jei 
wie fie, Jormunrek dagegen hochbetagt. Diejer Rat gefiel den 
beiden jungen Leuten wohl. Bikki aber verriet das dem Könige. 
Da lie; König Jormunrek feinen Sohn feftnehmen und zum 
Galgen führen. Der Jüngling nahm jeinen Habicht und rupfte 
ihm die Federn aus und hieß ihn fo jeinem Vater bringen!; 
darauf ward er gehängt. M3 nun König Jormunrek den Habicht 
jah, da ward er defjen inne, daß, wie der Habicht unfähig zum 
Fliegen und federlog war, jo wäre fein Reich in trauriger Lage, 
da er jelber alt und finderlos war. Al3 nun König Jormunrek 
von der Jagd aus dem Walde heimkam und die Königin Swan— 
hild da ſaß umd ihr Haar bleichte, da ritten fie über fie hinweg 
und traten fie unter den Hufen der Roffe zu Tode. Als Gudrun 
dieſes erfuhr, da reizte je ihre Söhne, die Swanhild zu rächen. 
Sie machten fich zu der Fahrt bereit, und Gudrun gab ihnen fo 
feſte Helme und Panzer, daß eiferne Waffen fie nicht verlegen 
fonnten. Sie gab ihnen auch den Rat, daß fie, wenn fie zu König 
Jormunrek fümen, bei Nacht, wenn er jchliefe, ihn überfallen 
jollten; Sorli und Hamdir jollten ihm dann Hände und Füße 
abjchlagen und Erp das Haupt. Als fie aber auf dem Wege 
waren, da fragten fie Exp, welche Hilfe fie von ihm zu erwarten 
hätten, wenn fie König Jormunrek angriffen? Er antwortete, 
daß er ihnen jo helfen wolle wie die Hand dem Fuße. Sie fagten, 
die Unterjtügung, die die Hand dem Fuße gewähren könne, fei 
von gar feinem Werte, und da fie auf ihre Mutter jehr ergrimmt 
waren, die fie mit harten Worten fortgejendet hatte, und ihr gerne 
das anthun wollten, was fie am meiften jehmerzen würde, fo 
töteten fie den Erp, denn diejen liebte fie am meijten?. Ein wenig 
jpäter, während Sorli dahinjchritt, ftrauchelte er mit dem einen 
Fuße und jtüßte fich mit der Hand; da ſprach er: , Set half die 

ı Nach Saxo rupfte fi der Habicht aus Gram felber die Federn auf, und 
Sormunref, der dadurch zum Mitleid bewegt wurde, ließ feinen Sohn (der bei 
Saro Broderus heißt) noch rechtzeitig vom Galgen herabnehmen. Swanhild 


(Swawilda) wurde jedoch getötet. 
2 Dieje Motivierung der That fennen die andern Quellen nicht. 





III. Auszüge aus Snorris Poetif (Skäldskaparmäl). 7. 8. 375 





Hand dem Fuße: beſſer wäre e8 doch, wenn Exp noch lebte.” Als 
fie nun zu König Jormunvek famen, war es Nacht, und er lag im 
Schlafe; da hieben fie ihm Hände und Füße ab; er aber fuhr aus 
dem Schlafe empor und rief feinen Leuten zu, daß fie aufwachen 
möchten. Da ſprach Hamdir: „Auch der Kopf wäre jet herunter, 
wenn Exp noch lebte.“ Die Leute vom Gefolge waren ſchnell auf- 
gejtanden und griffen die Brüder an, fonnten ihnen aber mit 
Waffen nichts anhaben. Da rief Jormunrek, man jolle fie mit 
Steinen erichlagen, und fo geichah es. So fielen Sorli und Ham— 
dir, und nun war das ganze Gefchlecht Gjukis und alles, was von 
ihm abſtammte, tot. 

Es lebte aber noch eine Tochter Sigurds, die Aslaug! hieß. 
Sie ward bei Heimir? in Hlymdalir erzogen, und von ihr 
jtammen mächtige Gejchlechter ab. So heißt es, daß Sigmund, 
der Sohn Woljungs, jo Fräftig war, daß er Gift trinken konnte, 
ohne Schaden zu nehmen; aber Sinfjotli, jein Sohn, und Sigurd 
waren jo hart von Haut, daß ihnen Gift nicht jchädlich war, wenn 
es ihnen von außen auf den bloßen Körper fam?®. 

st, Warum heißt das Gold Frodis Mehl? Das erklärt 
die folgende Sage. Stjold5 hieß ein Sohn Odins, von dem die 





1 Diefe Aslaug, nad Vol: saga E. 27 eine Tochter Siaurd3 und Bryn- 
hilds, kennt die urſprüngliche Sage, die ftet3 auf das entichiedenfte betont, daß 
das Verhältnis zwijchen beiden ein reines und keuſches geblieben fei, nicht. Die 
Figur der Aslaug ift (von dem Berfafjer der Vols. saga?) in tendenziöjer Ab— 
fiht erfunden, nämlih um das Geſchlecht des Königs Kagnar Lodbrof und mit 
ihm das norwegiiche Königshaus mit dem berühmtesten Helven der germanijchen 
Sage in genealogiihe Berbindung zu bringen. Denn Aslaug wurde nad) der 
Ragnars saga loöbrökar, die den Schluß ber Vols. saga bildet, die zweite Ges 
mahlin des Ragnar, und ihr Sohn Sigurd Schlangenauge zeugte die Ragnhild, 
die Mutter Haralds des Schönhaarigen, des erften Alleinherrjhers von Norwegen. 

2 Heimir hatte nad Grip. 27 fg. und Vols. saga €. 23 fg. bereits die 
Brynhild aufgezogen. Er war nad Vols. saga der Gemahl von Brynhilds 
Schweiter Betkpild. 

3 Bol. das Projaftüd Fra dauda Sinfjotla. 

4 Für diejes Capitel ift die ausführlichere Rezenfion des Codex regius, der 
aud den in der Handjchrift von Upjala ausgelafjenen Grottasengr überliefert, der 
Überfegung zu Grunde gelegt. 

5 Stjold, d. h. „Schild“, alfo „Schüger”, „Hüter“, der mythiſche Ahnherr 
des däniſchen Königsgejchlechts. Der hier gegebene Stammbaum, wonach Frid- 
leif (d. 5. „der Erbe des Friedens’) Skjolds Sohn und Frodi (d. 5. „der Weiſe“) 
Stjolds Enfel war, ftimmt mit andern nordifhen Überlieferungen überein; vgl. 
Müllenhoff, „Beovulf“ (Berl. 1889) ©. 32 ff. 


376 | Anhang. 


Sfjoldunge abjtammen; er wohnte und herrjchte in dem Lande, 
das jegt Dänemark heißt, damals aber Gotland? genannt ward. 
Stjold Hatte einen Sohn, der Fridleif hieß und nach) ihm die 
Lande beherrjchte. Ein Sohn diejeg Fridleif war Frodi, der das 
Königreich nach ihm in Beſitz nahm, zu der Zeit, al3 der Kaifer 
Augustus in der ganzen Welt Frieden jchaffte und Chriſtus ge— 
boren ward?. Weil aber Frodi von allen Königen im Norden 
der mächtigjte war, ward nach ihm, jo weit die dänische Zunge? 
erklingt, der Friede benannt, und jo nennen ihn auch die Nor- 
tveger den Frieden Frodis. Damals that fein Menjch dem andern 
ein Seid an, mochte er auch den Mörder feines Vaters oder Bru- 
der3 ledig oder gebunden finden; damals gab es auch feine Diebe 
und Räuber, jo daß ein goldener Ring lange auf der Jalangrs— 
heide* liegen konnte, ehe ihn einer aufnahm. König Frodi zog 
einjt zu einem Gajtgelage nach Schweden zu dem Könige, der 
Sjolnir® hieß; dort faufte er zwei Mägde, die Yenja und 
Menjas hießen; fie waren beide groß und jtark. In jener Zeit 
wurden in Dänemark zwei Mühlfteine gefunden, die jo groß 
waren, daß feiner jtark genug war, um fie zu drehen; und die 
Eigenjchaft Hatten dieje Steine, daß man mit ihnen alles das auf 
der Mühle mahlen konnte, das derjenige, der mahlte, bejtimmte. 
Dieje Mühle hieß Grotti?. Hengitjopt® war der Name des 





ı Gotland ift wohl nur eine irrige Schreibung für Istland (d. h. Jütland); 
f. Zeuß, „die Deutſchen und die Nachbarſtämme“, ©. 500, Anm. 

2 Das ift ein unbefugter Zufag des gelehrten Verfafierd, der den jagenbe- 
rühmten „Frieden Frodis“ mit der hiftorifhen Thatjache, daß Auguftus nach der 
Schlacht bei Actium den Janustempel ſchließen ließ, Fombinierte. 

3 Unter „dänifher Zunge” verftand man im Mittelalter die Spracde der 
ſtkandinaviſchen Völker überhaupt. 

Die Jellinge-Heide bei Vejle in Jütland. 

5 Fjolnir war nad) der Ynglinga saga C. 12 ein Sohn des Freyr und der 
Gerd. Er ertranf nad derjelben Quelle (E. 14), als er einft bei Frodi zum Be- 
fude war, in einer Metfufe. 

s Fenja (d. h. „die Wafjerbewohnerin‘) und Menja (d. 5. „die Haldband- 
trägerin“) erweifen fih jhon durch dieſe Namen ald Hüterinnen oder Spen— 
derinnen des Golded. Daß der Mythus von diejen beiden Riejenjungfrauen auch 
in Deutfchland befannt gewejen jei, Ichlieft Jakob Grimm („Myth.“, S.498) aus 
den altveutihen Eigennamen Manegolt und Fenegolt. 

7 Grotte heißt noch heute im Norwegifchen der Achjenblod, d. h. das runde 
Holzftüd, das das Loch im Mühljtein ausfült. In ihm ift der Achjenzapfen be— 
feſtigt. 

s Hengikjopt, d. 5. „Mann mit herabhängendem (Unter-) Kiefer“. 


III. Auszüge aus Snorris Poetif (Skäldskaparmäl). 8. 977 





Mannes, der dem Frodi die Mühle gab. König Frodi ließ die 
Mägde zu der Mühle führen und befahl ihnen, für Frodi Gold, 
Hrieden und Glück zu mahlen, und verjtattete ihnen nur jo lange 
zu ruhen oder zu jchlafen, als der Kuckuck ſchwieg oder ein Lied 
gefungen werden konnte. Es Heißt nun, daß fie das Lied fangen, 
welches der Grottafang Heißt, und ehe das Lied zu Ende war, 
hatten fie für Frodi Unfrieden gemahlen!, jo daß in derjelben 
Nacht der Seekönig landete, der Myfing? hieß. Diejer tötete 
den Frodi und machte gewaltige Beute; da war Frodis Friede - 
dahin. Myfing nahm den Grotti und auch Fenja und Menja 
mit fich und befahl ihnen, Salz zu mahlen. Um Mitternacht 
fragten fie, ob er nicht des Salzes überdrüffig jet; er aber hie 
jie weiter mahlen. So mahlten fie denn noch) eine Weile länger; 
da aber janten die Schiffe, und dort iſt jeitdem ein Strudel im 
Meere, wo die See durch dag Loch des Mühlſteins fällt. Seitden 
iſt auch das Meer jalzig. 


Das Lied von Groffi. 


1. Zum Könige famen, das Künftige wifjend, 
der Frauen zwei, Fenja und Menja; 
ed wurden von Frodi, Fridleifs Sohne, 
die mächtigen Jungfrau’n als Mägde behandelt. 


2. Zur Mühle wurden die Mädchen geführt, 
die grauen Steine in Gang zu halten; 
nicht Ruhe ließ er noch Raſt den beiden, 
bi3 muntern Sang der Mägde er hörte, 
3. Sie ließen erfnirfchen die fnarrende Mühle: 
„Laß uns richten die Kaſten? und regen die Steine, 
denn noch mehr zu mahlen den Mädchen befahl er.” 


4. Sie drehten rüftig die rollenden Steine 
und jangen in Schlaf das Gefinde Frodis; 
da nahm beim Mahlen Menja das Wort: 





ı Waß hierauf folgt, ftimmt nicht zu der Angabe des Grottasongr (Str. 22), 
nach welcher Frodi durch Halfdan getötet wird. Der Berfafjer der Proſa hat, 
wie e3 jcheint, zwei ganz verjchiedene Sagen miteinander vermengt. 

2 Myfing, d. 5. „Mäufejohn‘ (2); der Name diejes Seefönigd wird nur 
noch in den Versus memoriales der Snorra Edda genannt. 

3 d. 5. das Bohlengerüft, auf dem der untere Mühlftein ruht. 


378 Anhang. 


5. „Wir mahlen Gold; die Mühle des Glücks 
macht Frodi reich an funkelnden Schäßen; 
im Reichtum fiß! er, ruhe auf Daunen, 
erwache vergnügt! dann ift wohl gemahlen. 


6. „Keiner darf hier fränfen den andern, 
Böfes ihm anthun, auf Blutthat finnen, 
jelbjt dann das jcharfe Schwert nicht brauchen, 
trifft er gebunden des Bruders Mörder. 


7. „Das war der erſte Ausspruch des Königs: 
‚Euer Schlaf fei fur; wie des Kududs Schweigen!, 
jo lange nur ruht, bis ein Lied gefungen‘, 


8. „Nicht warft du, Frodi, bei vollem Verſtand, 
du Männerfreund, bei der Mägde Kauf: 
du erkorſt jie dir, weil fie Fräftig ausſahn, 
und fragtejt nicht nach der Frauen Geſchlecht. 


9. „Hrungnir? war fühn, ein Held fein Vater, 
doch Thiazi? war jtärker an Thurjenfraft; 
auch Idi und Drnir* ſind unſers Geichlechts, 
da wir beide entjprangen dem Bergriejenftamın. 


10. ‚Noch läge Grotti im grauen Fels, 
der harte Stein in der Höhlung der Erde, 
und mahlen nicht würde die Maid der Riejen, 
wenn irgend einer die Abfunft wüßte. 


11. „Wir gewaltigen wuchſen der Winter neun 
als Gejpielen im Innern der Erde auf; 
wir Mädchen vollführten mächtige Thaten, 
verrücdten Berge mit Riejenfraft. 





1 Dieje Zeile ift im Urtert verberbt; die vorgefchlagene Beſſerung: „ſchlaft 
nicht länger als der Kudud des Saales (vd. h. der Hahn)” ift abzulehnen, da dies 
feine übertriebene Zumutung wäre. Die Überjegung ſchließt fih an den Wort- 
laut der Proſa an. 

2 Bgl. oben zu Skäldsk. €. 1. 

3 Vgl zu Lokas. 49, Gylfag. €. 23 und Bragar. €. 2 

1Idi (d. h. „der Gejhäftige”) war nach der ausführlihern Rezenfion der 
Bragaredur (Snorra Edda, Arnam. Ausgabe I, 214) ein Bruder des Thiazi und 
wird öfter in ſkaldiſchen Dichtungen genannt; über Ornir (d. h. „der Er- 
mwärmer’?), dejjen Name in den Versus memoriales und bei den Sfalden eben— 
fall3 begegnet, ift nicht8 Näheres befannt. 


II. Auszüge aus Snorris Poetif (Skäldskaparmäl). 8. 379 





12. „Wir wälzten Steine zum Wall der Thurfen, 
daß bebend ringsum der Boden ſchwankte; 
fo warfen wir bewegliche Steine, 
mächtige Blöde den Männern zu. 


13. „Des Künftigen fundig, zum Kampfe darauf 
lenften den Schritt wir zum Lande der Schweden; 
Brünnen zerſchlugen wir, brachen Schilde, 
der Öraugepanzerten Glieder durchſchreitend!. 


14. „Gejtürzt ward ein Fürft, unterjtüßt der andre, 
wir brachten dem guten Gutthorm? Hilfe; 
nicht ruhte der Krieg, bis Knui? erlag. 


15. „Das jegten wir fort in den Sommern darauf 
und errangen in Kämpfen die Krone des Ruhms; 
wir ſchlugen Wunden mit jcharfen Speeren, 
das Eijen rötend mit edlem Blut. 


16. „Run famen wir zu des Königs Haufe, 
der uns mitleidslos zu Mägden erniedrigt‘ 
Kälte zehrt oben, Kot an den Sohlen — 
's iſt traurig, bei Frodi Frieden zu mahlen. 


17. „Ruht aus, ihr Hände, mach’ Halt jest, Stein, 
für meinen Teil mahlt’ ich genug; 
raſtlos müßt’ ich regen die Hände, 
bis Frodis Habjucht befriedigt wäre. 

18. „Mehr ziemt euch Händen der harte Speer, 
die Waffe, triefend vom Wundentau; 
erwache, Frodi! wenn willens du biſt, 

Sagen der Vorzeit uns ſingen zu hören. 

19. „Mein Aug' ſchaut Feuer im Oſten der Halle, 
das Kampf uns meldet und Mord verkündet; 
die Schar der Feinde iſt Schnell zur Stelle, 
die das Brandjcheit wirft in die Burg des Königs. 

20. „Zu Hleidr? länger nicht herrſchen wirft du, 
durch Gold erfreut und glänzendes Erz; 





ı Die Jungfrauen übten aljo das Handwerk der Walküren. 

2 über Gutthorm und Knui ift nichts befannt. 

3 Hleidr, der uralte Herrjherfig der däniſchen Könige, heute das Dorf 
Rejre, weitlih von Roeskilde. 


380 Anhang. 


laß ung hurtiger, Fenja, den Holzitoc drehen, 
da Wundenblut nicht uns wärmt die Hände. 


21. „Die Maid meines Vaters mahlte kräftig, 
da fie mancher Männer Mord vorausſah; 
ſchon jprangen am Kajten die fräftigen Stügen, 
bewehrt mit Eijen; laß weiter ung drehn. 


22, „Laß friſch und mahlen! An Frodi rächt bald 
den Untergang Halfdans! Yrfas Sohn; 
die Welt einft nennt iin — wir wiſſen's beide — 
Yrſas Bruder und Yrſas Sohn?’ — 


23, Die Mädchen mahlten mit mächtiger Kraft, 
die rüftigen Jungfrau'n, im Riejenzorn; 
die Stangen bebten, es ftürzte der Kajten, 
der jchwere Stein zerjchellte in Stücke. 


24. Da rief die Tochter des Thurjenftammes: 
„Dir mahlten, Frodi! die Mühjal endet, 
die wir Mägde lang’ in der Mühle litten.’ 


9. König Hrolf Kraki von Dänemark war wegen jeiner 
Treigebigteit und Kühnheit berühmt. Ein Beijpiel feiner Frei— 
gebigfeit gibt die folgende Gejchichte: Es kam einmal ein Bauern 





ı Halfdan war nad) der Hrölfs saga kraka €. 1 (Fornaldar sögur I, 3 fg.) 
ein Bruder des Frodi, den diefer, um die Alleinherrihaft zu erlangen, töten 
ließ. Nach derjelben Duelle wurde diejer Mord durh Halfdans Söhne Hroar 
und Helgi gerächt (E. 5; Fornald. sögur I, 14 fg.); doch wird unjer Lied (nad) 
Müllenhoff eind der älteften altnordiihen Lieder überhaupt), das die Rache erſt 
durch Helgis Sohn Hrolf Kraki vollziehen läßt, die urjprünglihe Sagenform be— 
wahrt haben. — Saxo Grammaticus (BP. E. Müllers Ausg., ©. 80) fennt ben 
Brudermord ebenfalls; doch ift bei ihm Halfdan, Frodis Sohn, der Großvater 
Hrolfs, der jchuldige, und von einer Rache, die ven Halfdan getroffen habe, be— 
richtet er nichts. 

2 Helgi, der Sohn Halfvans, zeugte nach der Hrölfs saga kraka €. 8 
(Fornald. sögur I, 21 fg.) mit der ſächſiſchen Königin Dlof die Yrſa. Dieje feine 
Tochter nahm er jpäter, ohne fie zu fennen‘, zur Ehe (a. a. D. €. 9; Fornald. 
sögur I, 22 fg.); der Sohn beider war Hrolf Krafi. Nachdem Yrja jedoch er— 
fahren hatte, daß fie Helgis Tochter ſei, verließ fie ihn und heiratete den ſchwe— 
diihen König Adild (a. a. D. €. 13. 14; Fornald. sögur I, 38 fg). ühnlich ift 
die Darjtellung bei Saro Grammaticus (Müllers Ausg., ©. 80), der den Vater 
des Hrolf mit Helgi dem Hundingstöter identifiziert und die Mutter der Yrja 
Thora nennt. Nah der Ynglinga saga €. 32. 33 war Yrſa zuerft mit Adils 
verheiratet; Helgi entführte fie ihm, ohne zu wiſſen, daß fie jeine Tochter ſei, 
und erzeugte mit ihr den Hrolf, nad dejjen Geburt fie dann zu Adils zurüd- 
kehrte. 


. 


III. Auszüge aus Snorrid Poetif (Skäldskaparmäl). 8. 9. 381 





john, Wogg! mit Namen, in die Halle König Hrolfs. Der König 
war damal3 noch jung und von Schmächtigem Körper. Woggging 
vor den Hochjig und jah ihn an. Da ſprach der König: „Was 
willft du von mir, Burjche, daß du mich jo anſchauſt?“ Wogg 
antwortete: „Als ich daheim war, ward mir erzählt, König Hrolf 
jei der größte Mann im Norden, nun aber fit hier ein Kleiner 
Knirps? im Hochfig und läßt fich König nennen.” Da entgegnete 
der König: „Du haft mir jet einen Namen gegeben, Burſche, daß 
ich fortan Hrolf Kraki heißen werde; aber das iſt Brauch, daß . 
jede Namengebung auch ein Gejchenf begleite?. Nun jehe ich 
wohl, daß du nichts haft, was du mir als geziemende Gabe bieten 
fönnteft; drum joll der geben, der beſſer in der Lage ijt, etwas zu 
ſchenken.“ So 309 er denn einen Goldring vom Arme und gab 
ihn dem Burjchen. Da ſprach Wogg: „Mögeſt dur gefegnet fein 
jür deine Gabe vor allen Königen! Den Eid lege ich ab, daß ich 
des Mannes Mörder werde, der dich erjchlägt. König Hrolf 
aber jagte: „Über Heine Gabe wird Wogg froh.“ 

Die andre Erzählung it ein Zeugnis von Hrolfs Kühnheit. 
Es herrichte zu jener Zeit zu Upjala ein König, der Adils hieß; 
der hatte Yrja, die Mutter von König Hrolf Kraft, zur Frau. Er 
lag in Fehde mit einem König von Uppland, der Ali genannt 
ward, und es fam zwijchen ihnen zu einer Schlacht auf dem Eije 
des Sees, der Wänir heißte. König Adils hatte nun dem Hrolf 





1 Wogg,d. h. „Wiegenfind”. 

2 Altnord kraki, d. 5 eigentl. „eine dünne Stange‘. 

3 ®gl. zu Helgakv. Hjorv. 7. 

4 Ahnlich ift die Darftellung bei Saro Grammaticus (Müllers Ausgabe, 
©. 88 fg.), während die Hrölfs saga kraka €. 42 (Fornald. sögur I, 86) die Ge— 
Ihichte in anderm Zufammenhange erzählt. Beide Duellen berichten ferner, daß Wogg 
feinen Schwur hielt; als nämlich Hrolf im Kampfe gegen jeine Schweſter Skuld 
und deren Gatten Hjorward gefallen war, rächte Wogg feinen Tod, nach Hrölfs 
saga kraka €. 52 (a. a.D. ©. 109), an Stuld, die nach Hjorwards Tode ſich des 
dänifhen Thrones bemächtigt hatte, nad) Saro (S. 108) an Hjorwarbd jelbft. 

5 ®gl. Hrölfs saga kraka C. 33 ff. (Fornaldar sögur I, 76 ff.) und Saro 
Grammaticu3 S. 83—88. Beide Daritellungen weichen in wejentlihen Punkten 
von der unfrigen ab. Nach der Hrölfs saga zog Hrolf nah Schweden, um das 
Erbe jeined Vaters Helgi, der im Kampfe gegen Adils gefallen war, zu fordern; 
nah Saro folgte er der Einladung feiner Mutter Yrja, die den geizigen Adils 
nicht leiden fonnte und beſchloſſen hatte, mit ihrem Sohne nad Dänemark zurüd- 
zufehren. 

6 Dieſe Schlacht auf dem Eife des Wenerjees wird auch in der Ynglinga saga 
C. 33 erwähnt, 


382 Anhang. 


jagen laſſen, ex möge ihm zu Hilfe fommen, und dabei verjprochen, 
daß er dem ganzen Heere, das er mitbrächte, Sold geben wolle; 
Hrolf jelber aber dürfe fich nach eigner Wahl drei fojtbare Klein- 
ode in Schweden aneignen. König Hrolf aber fonnte nicht jelbft 
fommen, da er Krieg mit den Sachjen hatte, doch jandte er dem 
Adil3 feine zwölf Helden. In jener Schlacht fiel König Mlı. 
Darauf nahm Adils des Erjchlagenen Helm Htldijwin! und 
jein Roß Hrafn? in Beſitz. Die Berſerker* Hrolfs verlangten nun 
auch ihren Sold, drei Pfund Goldes für jeden; außerdem forderten 
jie, dem Hrolf die drei Kleinode überbringen zu dürfen, die ſie 
ausgefucht Hätten: e8 waren dies nämlich der Helm Hildigolt* 
und der Panzer Finnsleif?, die fein Eijen zu verlegen im jtande 
war, und der Goldreif Swiagris® — Gegenjtände, die ehemals 
die Ahnen des Adils beſeſſen hatten. Der König weigerte fich 
jedoch, ihnen dieje drei Kleinode zu geben, und zahlte ihnen auch 
nicht den Sold. Da zogen die Berſerker fort und waren wenig 
zufrieden mit dem Ausfall der Sache. Sie erzählten alles dem 
König Hrolf; der rüftete fich jofort zu einem Zuge nach Upjala 
und gelangte mit feinen Schiffen in den Fluß Fyri’. Von dort 
ritt er gen Upſala und mit ihm die zwölf Berſerker, denen Schuß 
und Geleit nicht zugefichert war. Yrſa, Hrolfs Mutter, nahm 
ihn freundlich auf und geleitete ihn in die Herberge, nicht aber 
in des Königs Halle. Es wurden dort große Feuer für fie ange- 
zündet, auch gab man ihnen Bier zu trinken. Da famen Männer 
des Adils hinein, brachten Holz zum Feuer und jchürten diejes 





ı Hildifwin, d. 5 „Kamofſchwein“; vermutlid war aljo auf dem Helme 
ein Eberbild angebracht, wie dies bei den Angeljahien Brauch war (vgl. 3. B. 
Beomwulf 303. 1113) 

2 Hrafn, d.h. „Rabe. 

3 Vgl. zu Härb. 37. 

*# Hildigolt, d. h. „Kampfeber“. ©. oben Anm. 1. 

5 $innsleif, d.h. ein Gegenjtand, den ehemals ein Mann, Namens Finn, 
bejefjen hatte. 

6 Swiagris, d. 5. „das ſchwediſche Ferkel”; es war alſo wohl ein Ring, 
deſſen beide Enden in einen Schweinsfopf und einen Schweinsſchwanz außliefen. 
Dieje Eberbilder deuten auf den Kultus des Freyr, von dem das jchwedijche 
Königsgejhleht der Ynglinge jeinen Urfprung herleitete, denn der Eber war 
dem Freyr geheiligt. 

7 Der Fluß Fyrisä, an dem das heutige Upfala liegt. Das alte Upfala 
(da3 heutige Dorf Gamla Upfala) Liegt eine Kleine Strede von dem Flufje entfernt. 


III. Auszüge aus Snorriß Poetif (Skäldskaparmäl). 9. 383 





jo mächtig, daß die Kleider von König Hrolfs Mannen ihnen am 
Leibe zu brennen anfingen. Dann fragten jie, ob e8 wahr wäre, 
daß König Hrolf und feine Helden fich deſſen gerühmt hätten, fie 
würden weder vor Teuer fliehen, noch vor Eiſen. Da jtand Hrolf 
auf und jprach: 

„Bergrößern die Glut wir im Gaſtſaal des Adils !” 


Er nahm darauf jenen Schild, warf ihn in die Flamme und 
iprang durch das Teuer, während der Schild verbrannte. Der 
König rief: 

„Richt fürchtet das Feuer, wer Flammen durchichreitet.” 


Darauf ſprang jeder von jeinen Männern dem andern nach; 
die aber, die Die Teuer entzündet hatten, wurden von Hrolfs Leuten - 
ergriffen und in die Flammen geworfen. Da kam Königin Yrja, 
Hrolf3 Mutter, herbei und gab ihn ein Tierhorn, mit Gold ge= 
füllt, und dazu den Ring Swiagris und riet ihnen, fich zu ihrem 
Heere zu begeben. Sie ritten nun hinab auf die Fyrisebene. Da 
jahen fie, daß König Adils mit einer Schar volljtändig gewaff— 
neter Männer ihnen nachjegte, um fie zu töten. König Hrolf 
faßte mit der Hand ind Horn und ftreute Gold auf den Wegt; 
als num die Schweden das ſahen, ſprangen fie aus den Sätteln, 
um das Gold aufzulejen; Adils aber befahl ihnen, den Ritt fort- 
zuſetzen, und jprengte jelbjt allen voraus. Wie nun König Hrolf 
jah, daß Adils ihm ſchon ganz nahe war, nahm er den Ring 
Swiagris, warf ihn dem Adils zu und jagte, ex möge den als ein 
Geſchenk von ihm annehmen. Adils bückte fich und hob den Ring 
mit der Speerjpie auf. König Hrolf ſchaute ſich um und jah, 
wie Adilz ich niederbeugte; da ſprach er: „Nun beugte ich den 
wie ein Schwein, der unter den Schweden der höchjte war?.“ 
Darauf jchieden fich ihre Wege. Deswegen heißt nun das Gold 
da3 Saatkorn Krafis oder der Fyrigebene. 





ı Nah Saro gab die mit Hrolf entfliehende Yrja den Rat, die Verfolger 
durch das Ausftreuen des Golde3 aufzuhalten. 

2 Die Hrölfs saga kraka erzählt ferner, daß Hrolf dem Adils, während 
diefer fi) büdte, den ſchimpflichen Hieb in den Hintern verjegte, jo daß er mit 
Schande umtehren mußte. 


384 Anhang. 


10. Die Schlacht nennt man das Unwetter oder den Sturm 
der Hjadninget, und die Waffen heißen der Hjadninge Flammen 
oder Gerten. Das wird durch die folgende Gejchichte: erklärt: 
Ein König, der Hogni? genannt war, bejaß eine Tochter, die 
Hild* hieß. Dieje führte Hedin?, der Sohn des Hjarrandi®, ala 
Kriegsgefangene” fort, während Hogni fich zur Königsverfamme 
fung begeben hatte. Als er nun erfuhr, daß fein Land verheert 
und jeine Tochter Hild geraubt war, zog er mit jeinem Heere aus, 
um Hedin zu verfolgen, und erhielt die Kunde, daß er gen Norden 
fich gewandt habe. Hogni fam nach Norwegen und vernahm hier, 
daß Hedin über das Weſtmeer nach den Orkneys gefegelt jei; und 
al3 er nun dorthin zu der Inſel Haeys gelangte, fand er dajelbjt 
den Hedin mit jeinem Volk. Hild begab jich nun zu ihrem Bater 
und bot ihm im Namen Hedins Vergleich an: „Willſt du das aber 
nicht“, jagte fie, „jo iſt Hedin zum Kampfe bereit, und feine 
Schonung darfit du von ihm erwarten. Hogni gab feiner Toch- 
ter eine kurze? Antivort, und als fie zu Hedin zurüdfam, jagte 
fie ihm, daß ihr Vater ſich auf feinen Vergleich einlaffen wolle; 
er möge ſich alſo zum Streite rüjten. Das thaten nun beide Teile; 
dann gingen fie ang Land und jtellten ihre Scharen in Schlacht- 
ordnung. Da rief Hedin jeinen Schwiegervater Hogni an und 
bot ihm Vergleich und vieles Gold ala Buße; Hogni aber ant- 





« 1 Hjabdninge, db. h. „die Nachkommen bed Hedin”. Ein Borfahr des in 
unfrer Sage auftretenden Hedin muß alſo bereits benjelben Namen geführt 
haben. 

2 Dieje Gejhichte ift eine ältere Fafjung der Hildenjage, die aus dem mit— 
telhochdeutihen Gedicht „Gudrun“ befannt ift. Vgl. B. Sijmons in feiner Ausgabe 
dieſes Gedichtes ©. 5 ff. 

3 Zum Namen vgl. zu Helgakv Hund.I,53. Hogni ift der Hagen ber „Gudrun’’ 

* Hild, d. h. „die Kämpferin”. 

5 Hedin, db. 5. „Belzrod”. Der Name bezeichnet vermutlich dasjelbe wie 
Berjerfer (f. zu Härb. 37). Diefelbe Figur ift der Hetel der „Gudrun; nur ift 
diefer Name mit einem andern Suffix gebilvet. 

s Hjarrandi bezeichnet einen Menſchen mit ſchnarrender Sprade (Frigner, 
‚Ordbog“ I, 8295) Inder „Gudrun“ wird der Name von Hetels Vater nicht ge= 
nannt, und ben Hjarrandi der Namensähnlichkeit wegen mit Horant dem Sänger 
zu identifizieren, iſt höchſt bedenklich. 

? Dies ift faum der echten Sage entſprechend, ba Hild (ebenio wie in ber 
„Gudrun“) dem Entführer, der fie aus der Gewalt eines harten Vaters befreite, 
fiherlich freiwillig folgte. 

8 Haey,d.h „die hohe Inſel“, heute Hoy 

9 d. h. eine fcharfe, unfreundliche, 


III. Auszüge aus Snorris Noetit (Skäldskaparmäl). 10. 385 





wortete: „Zu jpät botejt dur mir das, denn nun habe ich mein 
Schwert Dainsleif! aus der Scheide gezogen, da3 von Zwer— 
gen gejchmiedet ijt und jedesmal einem Manne den Tod bringt, 
wenn e3 entblößt ward; nie wird ein Dieb vergeblich mit ihm ge= 
führt, und nimmer heilt die Wunde, die e8 geſchlagen.“ Hedin 
antwortete: „Du rühmſt dich des Schwertes, doch och nicht des 
Sieges; ich nenne jedes Schwert gut, das feinem Herrn treu iſt.“ 
Darauf begannen fie die Schlacht, die der Hjadninge Unwetter 
genannt wird, und kämpften den ganzen Tag; am Abend aber - 
begaben jie fich zu ihren Schiffen. In der Nacht ging Hild hin 
und erweckte durch Zauberei alle die Männer, die am Tage zuvor 
gefallen waren. Am nächiten Morgen gingen die Könige wieder 
ans Land und ftritten, und mit ihnen alle, die am vorigen Tage 
gefällt waren. Sp ward die Schlacht fortgejeßt, einen Tag nach 
dem andern, und alle Männer fielen, und die Waffen, die auf 
den Schlachtfelde lagen, wurden zu Steinen, nicht minder auc) 
die Rüftungen. Sobald es aber tagte, jtanden alle die Toten 
wieder auf und fämpften, und jo wird es fortgehen bis zum Unter- 
gange der Götter?. 





ı Dainzleif, d. 5. eine Waffe, die ehemals im Befize de3 Zwerges Dain 
gewejen (aljo aud wohl von diefem gejchmiedet) ift. Vgl. zu Grimn. 33. 

2 Der Mythus ftellt vermutlich den täglich fid erneuernden Kampf zwijchen 
Licht und Finfternis jymboliih dar. Der Himmeldgott (Ddin) muß feine Gattin 
(die Sonne) immer aufs neue dem Dunkel abringen; dabei unterftügen ihn feine 
Einherier, die allabendlich fallen, aber durch die belebenden Strahlen der Sonne 
am Morgen wieder erwedt werden. — Diejelbe Sage ijt bereit3 von dem nor— 
wegiſchen Skalden Bragi Boddafon (f. zu Lokas. 8) in einem leider nur frag 
mentarifh berlieferten Gedichte (Wifen, „Carm. norroena“, © 2 fg.) behandelt 
worden; auch Saro Grammaticus hat fie gefannt (ſ. Müller Ausg., S. 238 ff), 
und zahlreiche Anspielungen in altnordijchen — beweiſen ihre allgemeine 
Verbreitung. 


m — 


Die Edda. 25 


Regiſter. 


Adal 116. 

Adils 381-383, 

Afi 112. 

Agir 28. 29-33. 35. 41. 165. 352. 354.361. 
Agnar, Bruder der Auda 211. 

— Geirröds Sohn 69. 70. 80. 

— Hraudungs Sohn 68. 69. 

Ui, ein Zwerg 4. 5. 308. 309. 

— Gemahl der Edda 110. 

Akin, ein Fluß 74. 330. 

Alf, der Alte 119. 120. 

— der Greije 170. 

— Hijalprefs Sohn 185. 

— Hrodmars Sohn 158. 159. 

— Hundings Sohn 163. 174. 

— ein Zwerg 5. 309. 
Alfheim 70. 312. 
Alfhild 149. 
Alfrodul ie Sonne) 67. 351. 
Algrön, eine Infel 45. 

Alt, ein Held 120. 

— König von Uppland 381. 382. 

— (= Bali) 321. 

Allvater Gdin) 79. 167. 299. 304. 305. 

307.309. 313-315. 322. 324. 327. 330. 

Allwaldi, Vater des Thjazi 45. 354. 
Almweig 120. 

Alof 149. 151. 

Alſwid (Alſwinn), ein Pferd 77. 106. 214. 

305. 

Althjof, ein Zwerg 4. 308. 

Alwis, ein Zwerg 81 ff. 

Alwitr (. 5. Herwor) 143, 

Am 120. 

Ambatt 112. 

Amma 112. 113. 

Amſwartnir, ein Landjee 324. 





An, ein Zwerg 4. 308. 
Andhrüunnir, ein Koch 72. 329. 
Andlang 313. 
Andivarafors 195. 196. 
Andwaranaut, ein Ring 197. 241. 372, 
Andwari, ein Zwerg 5. 195-197. 308. 
367. 368. 371. 
Angantyr 119. 121. 126. 
Angeyja 1%. 
Angrboda, die Mutter des Fenrir 125. 
322, 
Arft 115. 
Arinnefja 112. 
Arngrim 121. 
Arwakr, ein Hengft 77. 214. 305. 
Ajathor 50. 304. 316. 336. 339. 
Asgard 21. 24. 298. 299. 304. 307. 346. 
351. 354. 357. 358. 365. 
Aſk 5. 304. 
Aslaug 375. 
Asmund 79. 
Wolf 121. 
Atla 124. 
Atli, ver Hunnenfönig 220. 226. 231-233, 
235. 236. 240-242. 246. 247. 249- 
251. 254-256. 258. 259. 261-265. 
268. 269. 273-276. 278-286. 288. 
291. 371-373. 
— Hrings Sohn 170. 
— Idmunds Sohn 149-156. 
Atrid (Odin) 79. 315. 
Aud, Iwars Tochter 123, 
— Gohn der Nott 305. 
Auda 211. 239. 
Audumla, eine Kub 302, 
Auguſtus 376. 
Yurboda 136. 


Regifter. 


Aurwang, ein Zwerg 5. 
Aurwandil 360. 361. 
Aujtri, ein Zwerg 4. 303. 308. 


Bafur, ein Zwerg 4. 308. 


Baldr 8. 9. 14-16. 35. 71. 123. 310. 316. 


317. 321. 343-346. 351. 354. 
Baleyg Odin) 79. 315. 
Bari, ein Zwerg 136. 

Barn 115. 

Barri, Arngrims Sohn 121. 
— ein Wald 58. 59. 
Baugi, ein Rieſe 356. 

Beiti 276. 

Belt 13. 329. 

Bera (d. 5. Koftbera) 271. 275. 
Bergelmir 63. 64. 302. 303. 
Beitla 105. 302. 

Beyla 30. 40. 

Biflindi (Odin) 79. 299. 315. 


Bifrojt 78. 205. 306. 307. 310. 312. 320, 


331. 349. 
Bifur, ein Zwerg 4. 308. 
Bikki 236. 286. 374. 
Bil 305. 328. 
Bileyg Odin) 79. 315. 
Billing 98. 
Bilſkirnir 73. 316, 
Bjort 136. 
Blain (Ymir) 4. 308, 
Bleik 136. 
Blid 136. 
Blind 17. 
Boddi 118. 
Bodn, ein Krug 355. 356. 
Bodiwild 141. 144-148. 

Bolthorn 105. 302. 

Bolwerf (Opin) 79. 100. 315. 356. 
Bombor, ein Zwerg 4. 308. 
Bondi 113, 

Borghild 160. 171. 183. 184. 
Borgny) 251. 252. 

Bolın, eine Inſel 121. 
Bragalımd, ein Wald 173, 
Bragi, der Alte, Boddis Sohn 297. 
— ein Gott 30-33. 78. 215. 320. 331. 

352. 354. 356. 357. 361. 
— Hognis Sohn 176, 





387 


Bralund 160. 161. 171. 

Brami 121. 

Brandey, eine Infel 164. 

Brattjfegg 118. 

Brawoll 168. 

Breid 118. 

Breidablif 71. 312. 317. 

Brimir Ymir) 4. 10. 214. 

— ein Dirt (9) 350. 

Brifingenhalsband 326. 

Brodd 122. 

Broff, ein Zwerg 364. 

Brud 118. 

Brunawag 172. 173. 

Brynhild 190. 191. 193. 219-221. 225- 
227. 229-233. 238-240. 246. 253. 254. 
370-372. 

Budli 190. 220. 221. 225. 226. 229. 231. 
235. 237. 238. 246. 249. 258. 272. 275. 
277. 279. 282. 283. 371. 372. 

Budlunge 264. 

But, Arngrims Sohn 121. 

— Karla Sohn 113. 

Bundinffeggi 118. 

Bur, Jarls Sohn 115. 

— Dping Bater 3. 123. 302- 304. 

Buri 302. 

Burgunden 260. 

Byggwir 30. 38. 40. 

Byleipt 13. 125. 322. 

Borgir, ein Brunnen 306. 


Chriſtus 376. 


Dag, ein Gott 120. 305. 

— Hognis Sohn 176. 178. 179. 
Dain, ein Elbe 106. 

— ein Hirſch 76. 311. 

— ein Zwerg 4. 118. 308. 
Dainsleif, ein Schwert 385. 
Dan 116. 

Dänentarf 184. 226. 245. 297. 376. 380. 
Dänen 240. 244. 

Danp 116. 257. 

Delling, ver Vater des Tages 63. 109.305 
— ein Zwerg 136. 
Digraldi 111. 

Dolgthrafir, ein Zwerg 5. 308. 
Dort, ein Zwerg 5. 136. 308. 
25* 


388 


Draupnir, ein Ring 345. 346. 365. 
— ein Zwerg 5. 308. 

Dreng 118. 

Dronti, eine Feffel 323. 324. 
Drott 111. 

Drumb 111. 

Drumba 112. 

Duf, ein Zwerg 5. 308. 
Duneyr, zin Hirf 76. 311. 

Durathror, ein Hiri 76. 311. 

Durin, ein Zwerg 4. 308. 
Dwalin, ein Hirſch 96. 311. 


— ein Zwerg 4. 83. 106. 204. 308. 311. 


Edda 110. 111. 
Eggther 11. 

Egil, ver Vater des Thjalfi 2) 24. 
— Wölunds Bruder 141. 142. 
Eifinjfjaldi, ein Zwerg 5. 309. 

Eifintjasna 112. 

Eifthyrnir, ein Hirſch 74. 330. 
Eir, Dienerin Menglods 136. 
— eine Göttin 326. 

Eijtla 124. 

Eitil 241. 263. 

Eldhrimmir, ein Keffel 72. 329. 
Eldir 30. 31. 

Eliwagar 24. 64. 301. 361. 
Eljudnir 323. 

Elli 341. 

Embla 5. 304. 

Erna 115. 

Erp, Atlis Cohn 241. 263. 291. 


— gonakrs Sohn 286. 292. 294. 373-375. 


Eyfura 121. 
Eyjolf 163. 174. 


Eylimi, der Vater der Hjordis 122. 185. 


199. 369. 


— ber Bater der Swawa 152. 156-158. 


Eymod 245. 
Eymund 120. 
Eyrgjafa 124. 


Fadir 118. 


Fafnir 122. 187. 188. 198. 199. 201-210. 


222. 233. 239. 240. 253. 367-372. 
Falhofnir, ein Pferd 310. 
Farbauti 322, 

Farmatyr (Opin) 79. 815. 





Regiſter. 


Feima 118. 

Feng (Odin) 200. 

Fenja, eine Riefin 376. 377. 380. 

Fenrir 10. 30. 37. 66. 67. 306. 319. 322, 
348. 349. 351. 352. 

Fenſalir 9. 326. 343. 

Fid, ein Zwerg 5. 309. 

Fili, ein Zwerg 5. 308. 

Fimafeng 30. 

Fimbulthul, ein Fluß 74. 300. 330, 

Fimbulwinter 348. 

Finnen 141. 

Finnsleif, ein Panzer 382. 

Fitjung 9. 

Fjalar, ein Hahn 11. 

— ein Rieſe 47. 

— ein Zwerg 5. 309. 355. 

— (Suttung) 88. 

Fjolkald 131. 

Fjolnir, ein Schwedenkönig 376. 

— (Odin) 79. 200. 299. 315. 

Fjolſwid, ein Riefe 130-137. 

— (Odin) 79. 315. 

Fjolwar 45. 

Fjorgyn (Sord) 14. 51. 

— (Odin) 35. 304. 

orm, ein Fluß 74. 300. 330. 

jornir 258. 

Fjorſunge 177. 

Fjoturlund, ein Wald 178. 

Fljod 113. 

Folkwang 72. 318. 319. 

Forſeti 72. 321. 322. 352. 

Fradmar 120. 

Fräg, ein Zwerg 5. 

Franangr, ein Wafferfall 42. 346. 

Sranfenland 183. 184. 210, 

Franmar 149. 151. 

rar, ein Zwerg 5. 

Frekaſtein 159. 168. 170. 175-177. 

Freki, Name von zwei Söhnen des Dag 

und der Thora 120. 
— ein Wolf 73. 329. 

Freyja 18-20. 22. 23. 30. 35. 36. 72. 
117. 118. 125. 126. 252. 318. 319. 326. 
332. 345. 352. 353. 358. 361. 

Freyr 30. 36. 37. 38. 52. 59. 55. 57-59. 
70. 78. 123. 230. 318. 324. 328. 329, 
333, 345. 349, 352. 365, 


HR 





Regifter. 


Frid 136. 
Fridleif 376. 377. 


Frigg 9. 13. 29. 34. 35. 59. 69. 252, 


304. 314. 326. 327. 343-346. 352, 
Friund 119. 
Frodi 121. 


— König von Dänemark 163. 375-380. 


— Vater der Hledis 119. 
Froſti, ein Zwerg 5. 309. 
Fulla 69. 326. 346. 352. 
Aulnir 111. 

Fundin, ein Zwerg 5. 308. 
Fünen 244. 

Fyri, ein Fluß 382. 
Fyrisebene 383. 


Gagnrad (Odin) 60. 61. 
Galar, ein Zwerg 355. 
Gandalf, ein Zwerg 5. 308. 
Ganglati 323. 


Gangleri (Eylf) 298-300. 302. 308. 
306. 307. 309-316. 319. 320. 324. 
326. 329-331. 333. 334. 343. 348. 


350-352. 
— (Odin) 78. 
Ganglot 323. 
Gardrofa, eine Stute 328. 


Garm, ein Hund 11. 12. 14. 78. 331. 349. 


Gatitropnir, eine Mauer 132. 
Gaut (Odin) 80. 315. 

Gefjon, eine Göttin 33. 34. 326. 352. 
— eine Riefin 297. 

Gefn (Freyja) 326. 

Geirmund 255. 

Geirolul, eine Walküre 76. 328. 


Geirröd, ein König 68-70. 79. 80. 315. 


— ein Rieje 361-364. 
Geirſkogul 8. 

Geirwimul, ein Fluß 74. 331. 
Geitir 186. 

Gelgja, eine Schnur 325. 


Gerd 54-56. 58. 59. 123. 328. 329. 352. 


Geri, ein Hund 133, 

— ein Wolf 73. 329. 

Gifr, ein Hund 133. 
Gilling, ein Rieſe 355. 
Gimle 15. 299. 313. 350. 
Ginnar, ein Zwerg 5. 309. 
Ginnungagap 301. 303. 309. 





389 


Gipul, ein Fluß 74. 331. 

Gil, ein Pferd 75. 310. 

Gjaflaug 223. 

Gjallarhorn 12. 309. 320. 349. 

Gjalp, eine ver Mütter des Heimdall 124. 

— Geirröds Tochter 363. 

Gjoll, ein Felſen 325. 

— ein Fluß 74. 300. 345. 

Gjuki, der Burgundentönig 122, 188. 191. 
193. 194. 209. 220. 222-228. 231. 
238-240. 242. 248. 249. 251. 254- 
256. 265. 274. 285. 288. 290. 299. 
370. 371. 375. 

— Hognis Sohn 241. 

Gjukunge 232. 240. 241. 371. 373. 

Glad, ein Pferd 75. 310. 

Gladsheim 71. 307. 

Glapſwid (Odin) 79. 315. 

Slafir, ein Wald 150. 

Glaum, ein Pferd 261. 

Glaumwor 241. 266. 269-271. 

Sleipnir, eine Feſſel 319. 324. 

Glen 305. 

Gler, ein Pferd 75. 

Glitnir 72. 312. 321. 322. 

Sloin, ein Zwerg 5. 308, 

Gna 327. 328. 

Gnipahellir 11. 12. 14. 349. 

Snipalund, ein Wald 166. 169. 

Snitaheide 187. 199. 202. 257. 36%. 

370. 372. 

Goin, eine Schlange 76. 311. 

Soll, eine Walfüre 76. 328. 

Gomul, ein Fluß 74. 331. 

Gondlir (Spin) 79. 315. 

Gondul, eine Waltüre 8. 

Gopul, ein Fluß 74. 

Goten 70. 191. 220. 239. 260. 287. 288. 

290. 291. 294. 

Goti, ein Pferd 371. 

Sotland 376. 

Grabak, eine Schlange 76. 311. 

Grad, ein Fluß 74. 331. 

Grafwitnir, eine Schlange 76. 311. 

Srafwollud, eine Schlange 76. 311. 

Gram, ein Schwert 199. 206. 211. 230. 

369. 371. 372. 
Grani, ein Pferd 144. 168. 186. 188 


390 


195. 210. 215. 225. 232. 240. 242. 254. 
370. 371. . 
Granmar 164. 168. 174-178. 
Greip, eine der Mütter des Heimdall 124. 
— eine Niefin 363. 
Grid, eine Riefin 362. 
Gridarwol, ein Stab 362. 3683. 
Grim der Harte 122. 
— (Obin) 78. 79. 315. 
Grimhild 191. 194. 244-247. 253. 279. 
280. 282. 370. 
Grimnir Odin) 69. 79. 315. 316. 
Gripir 185-195. 
Grjotunagard 358. 359. 
Groa, Gattin Aurwandils 360. 361. 
— Mutter des Swipdag 127. 128. 
Grotti, eine Mühle 376-378. 
Sud, ſ. Gımn. 
Gudmund 166-169. 174. 175. 177. 
Gudny 370. 
Gudrun 122. 191. 193. 194. 219. 220. 
222-228. 230. 235. 236. 240-243. 246. 
248-250. 255. 256. 261-263. 273. 275. 
276. 278-291. 370-374. 
Gullfari, ein Pferd 357. 360. 
Gullinburſti, ein Eher 345. 
Gullinfambi, ein Hahn 11. 
Gullintanni (Heimda 320. 
Gullnir 168. 
Gullrond 224-226. 
Gulltopp, ein Pferd 75. 310. 320. 345. 
Gullweig 6. 
Gungnir, ein Speer 215. 349. 364. 
Gunn oder Gud, eine Walfüre 8. 173. 
328. 

Gunnar, der Burgundentönig 122. 191- 
194. 219-221. 225. 228-233. 235. 
240. 241. 243. 244. 247. 250-252. 
254-262. 266. 269-271. 276. 277. 
287. 289. 290. 370-373. 

— Scheidewand 122. 

Gunnlod 88. 99. 100. 355. 356. 

Sunnthorin, ein Fluß 74. 331. 

Gunnthro, ein Fluß 74. 300. 330. 

Guſt, ein Zwerg 197. 

Gutthorm, ein Schwedenfürft 379. 

— Grimhild8 Sohn 122. 194. 219. 230. 
243. 370. 372. 
Gylfi 297. 298. 





Regifter. 


Gyllir, ein Pferd 75. 310. 

Gymir, ein Niefe 37. 53-56. 123. 328, 
— (Ägyr) 29. 

Gyrd 120. 


Habrok, ein Habicht 78. 331. 
Hadding, Dänenkönig 245. 
Haddinge 182. 
Haddingi, Name von zwei Söhnen Arn- 
grims 121. 
Haey, eine Inſel 384. 
Hagal 171. 172. 
Haki 133. 
Hafon 226. 244. 
Hal 113. 
Half, König von Hordaland 121. 
— Cohn Hjalpref3 (= Alf M 243. 
Halfdan, Dänenkönig, durch Frodi ges 
tötet 380. 
— Bater der Kara 182. 
— ein Sfoldung 120. 
Hallinſkidi (Geimdalh 320. 
Hamal 171-173. 
Hamdir 286. 287. 290.292-294. 373-375. 
Hamijferpir, ein Pferd 328. 
Hamund 188. 
Hanar, ein Zwerg 5. 308. 
Har, ein Zwerg 5. 308. 
— oder Hawi (Odin) 6. 79. 100. 105. 
299. 301-304. 306. 307. 309-316. 
319. 320. 324. 326. 329-331. 333. 
334. 343. 348. 351. 
Harald, Kampfzahn 128. 
Harbard (Odin) 44-51. 79. 315. 
Hatafjord 158. 
Hati, ein Riefe 153-155. 
— ein Wolf 77. 306. 
Haugfpori, ein Zwerg 5. 308. 
Hawi, ſ. Har 
Hedin, Hjarrandis Sohn 384. 385. 
— Hjorwards Sohn 149. 156-159. 
Hedinsey, eine Inſel 164. 
Heervater (Odin) 8. 11. 59. 73. 74. 117. 
329. 350, 
Heid, eine Rieſin 124. 
— (Gullmeig) 6. 
Heiddraupnir Mimir 9) 214. 
Heidref 251. 
Heidrun, eine Ziege 74. 126. 330. 


Regiſter. 


Heimdall 3. 7. 12. 20. 38. 72. 110. 320. 
321. 345. 349. 350. 352. 

Heimir 189-192. 375. 

Hel 11. 16. 74. 75. 134. 206. 275. 299. 
300. 322. 344. 346. 349. 351. 

Helblindi 322, 

Helgi, ver Haddingenheld 182. 

— (Hjalmgunnar ?) 188. 

— Hjorward3 Sohn 151-159. 171. 

— Sigmunds Sohn, der Hundingstöter 

160. 162-166. 168-183. 
Heming ı71. 
Hengitjopt 376. 
Heptifili, ein Zwerg 5. 308. 
Herbjorg 223. 
Herblindi (Odin) 79. 315. 
Herfjotur, ein: Walküre 76. 328. 
Herjan (Opin) 8. 78. 225. 299. 315. 
Herkja 249. 250. 
Hermod 117. 344-346. 
Herſir 115. 
Herteit (Odin) 79. 315. 
Herward, Arngrims Sohn 121. 

— Hundingd Sohn 163. 174, 
Herwor 141. 144. 

Hild, Hognis Tochter 384. 385. 

— eine Walfüre 8. 76. 328. 

— Grynhild) 239. 370. 
Hildigolt, ein Helm 382. 
Hildigunn 120. 

Hildiſwin, ein Helm 382, 

Hildifwini, ein Eber 118. 

Hildolf 43. 

Himinbjorg 72. 312. 320. 321. 

Himinbrjot, ein Stier 342, 

Himinwangar 162. 

Hindarfjall 209. 210. 371. 

Hjadninge 384. 385. 

jalli 260. 261. 276. 277. 

almberi (Odin) 78. 315. 

almgunnar 211. 212. 239. 

alpref 185. 195. 199. 201. 369. 

arrandt 384. 

ordis 122. 185. 186. 369. 

orleif 165. 

Yjorward, Arngrims Sohn 121. 

— Vater de3 Helgi 149-152. 156. 158. 
171. 

— Hundings Cohn 163. 174. 











ey 





391 


Hjoriward, Vater der Hwedna 128. 
Hjuki 305. 
Hladgud 141. 144. 
Hlebard, ein Rieje 46. 
Hlebjorg 176. 
Hledis 119. 
Hleidr 379. 
Hlesey, eine Inſel 48. 173. 255. 352, 
Hlewang, ein Zwerg 5. 308, 
Hlivffjalf 52. 69. 304. 313. 328. 346. 
Hlif 136. 
Hlifthraia 136. 
Hlin, eine Aſin 327, 
— (Zrigg) 13. 
Hlodward 154. 
Hlodwer, Frantentönig 246. 


— Vater der Hladgud und Herwor 141. 
144. 


Hlodyn 13. 
Hloff, eine Walküre 76. 328. 
Hlorridi Chor) 19. 20. 23. 24. 27-29. 
Hlymdalir 239. 375. 
Hnifad (Odin) 299. 315. 
Hnikar (Odin) 79. 200. 315: 
Hnikud (Odin) 79. 299. 
Hnitbjorg 355. 356. 
Hnoß 326. 
Ho» 9. 14. 17. 321. 344. 351. 
Hodbrodd 164. 166. 169. 174-177. 
Hoddmimir Mimir) 66. 351. 
Hoddrofnir Mimir) 214. 
Hofwarpnir, ein Pferd 327. 328. 
Hogni, Gjufis Sohn 122. 192. 194. 218- 
220. 229. 233. 234. 240. 241. 243. 
244. 247. 250. 252. 255. 257. 258. 
260. 261. 266-272. 273. 276-278. 
282. 287. 290. 370-373. 
— Bater der Hild 384. 
— Bruder des Sigar 172. 
— Bater der Sigrun 164. 170. 173-176. 
178. 181. 
Hol 113. 
Hol, ein Fluß 74. 331. 
Hönir 5. 15. 195. 317. 352. 366. 
Horfir 122. 
Horn (Freyja) 326. 
Hornbori, ein Zwerg 5. 
Hoswir 111. 
Hrafır, ein Pferd 382. 


3923 Regiſter. 


Hrani 121. 

Hräſwelg, ein Rieſe 65. 313. 

Hraudung, Vater des Agnar und Geir- 
röd 68. 

— Ahnherr der Hjordis 122. 
Hreidmar 195-198. 367-369. 
Hreim 111. 
Hrid, ein Fluß 74. 128. 300. 
Hrimfari, ein Pferd 61. 305. ” 
Hrimgerd, eine Niefin 153-156. 
Hrimgrimnir, ein Riefe 57. 
Hrimnir, ein Rieſe 56. 124. 
Hring 170. 
Hringhorni, ein Schiff 344. 
Hringitad 162. 170. 
Hringjtod 162. 
Hrüt, eine Walküre 76. 328. 
Hrodmar 151. 152. 158, 
Hrodr, ein Riefe 25. 
Hrodwitnir (Fentiv) 77. 306. 
Hrolf der Alte 122. 

— Kraki 380-383. 
Hrollaug 176. 
Hronn, ein Fluß 74. 128. 331. 
Hropt (Opin) 14. 38. 71. 214, 
Hroptatyr (Odin) 80. 109. 
Hröref 123. 
Hroßthjof, ein Riefe 124. 
Hrotti, ein Schwert 210. 369. 


Hrungnir, ein Rieſe 26. 41. 44. 45. 


357-361. 378. 
Hrym 12. 348. 349, 
Hugi 339. 

Hugin, ein Rabe 73. 330. 
Humlung 14. 


Hunding 162. 163, 171-174. 180, 185. 


187. 199. 201. 

Hundland 171. 

Hungr, eine Schüffel 323. 

Hunnen 214. 223. 251. 256. 257-259. 
261-263. 287, 

Hwedna 123. 

Hwergelmir, ein Duell 74. 300. 309. 
311. 330. 351. 

Hymir, ein Rieſe 24. 25. 27-29. 342. 

Hymling 149. 

Hyndla, eine Riefin 117-119. 126. 

Hyrrofin, eine Riefin 344. 345. 





Idafeld 4. 14. 307. 351." 

Idi, ein Rieſe 378. 

Idmund 149. 150. 

Idun 30. 33. 320. 352. 353. 

fing, ein Fluß 61. 

Im, ein Riefe 60. 

Imd, eine von Heimdalls Müttern 124. 
— ein Kiefe (9) 168. 
Ingunar-⸗Freyr 38. 

Innſtein 118. 119. 

Sri, ein Zwerg 136. 

Iſarnkol, ein Blaſebalg 305. . 

Siolf 121. 

fung 164. 

Swaldi, ein Zwerg 78. 333. 364. 

Iwar 123. 


Jafnhar Spin) 79. 299. 300. 303. 309. 
314. 315. 334. 

Jalangrsheide 376. 

Jalk Odin) 79. 80. 299. 315. 

Jari, ein Zwerg 5. 136. 

Jarizleif 245. 

Jarizſkar 245. 

Sarl 114-116. 

Sarnfara, eine der Mütter des Heimdall 

— Mutter de3 Magni 360, [124. 

Jarnwid, ein Wald 306, 

Jod 115. 

Jonakr 236. 286. 288. 294. 373. 

Sord 304. 305. 328. 

Jormungand 322. 

Jormunrek 122. 236. 286. 287.290.293. 

Joſurmar 120. 

Jotunheim 297. 304. 308. 316.322.332, 
335. 357. 358. 361. 


Kara 182. 

Kari 121. 

Karl 113. 

Keffir 111. 
Kerlaug, Name zweier Flüſſe 74. 310. 
Ketil 121. 

Kili, ein Zwerg 5. 308. 

Kjalar (Odin) 79. 315. 

Kjar 141. 144. 257. 

Kleggi 111. 

Klur 111. 


Regifter. 


Knefröd 241. 256. 

Knui 379. 

Kolga 165. 

Kon 116. 

Kor, ein Bett 323. 
Kormt, ein Fluß 74. 310. 
Koftbera 241. 266-268. 
Rumba 112. 

Kund 116. 

Kwaſir 346. 355. 


Lärad Yagdrafil) 74. 330. 
Laufe) 21. 39. 322. 364. 
Läwatein, ein Schwert 134. 
Leding, eine Feffel 323. 324. 
Leggjaldi 111. 

Leiptr, ein Fluß 74. 178. 300. 

Leirbrimir 132. 

Lettfeti, ein Pferd 75. 310. 

Lif 66. 351. 

Lifthraſir 66. 351. 

Timafjord 266. 

Lit, ein Ziverg 5. 308. 345. 

Loddfafnir 100-105. 109. 

Lodin, ein Riefe 155. 

Lodur (Lofi) 5. 

Lofar, ein Zwerg 5. 309. 

Lofn 327. 

Lofnheid 198. 

Log, ein Landfee 297. 

Logafjoll 163. 174. 

Logi 338. 

Kofi 9. 13. 18-21. 29-42. 125. 136. 195- 
197. 314. 322. 326. 332-335. 338. 341. 
343. 344. 346. 347. 349. 350. 352-354. 
361. 362. 364-368. 371. 

Toni, ein Zwerg 5. 

Lopt (2ofi) 31. 125. 134. 322, 

Lut 111. 

Lyfjaberg 136. 138, 

Lyngheid 198 

Lyngwi, eine Infel 324. 

— Hundings Sohn 324. 

Lyr 185. 


Magni 44. 50. 67. 351. 360. 
Managarın, ein Wolf 306, 
Mani 305. 





393 


Mardoll Greyja) 326. 

Meili 44. 

Melnir, ein Pferd 169. 

Menglod 128. 131. 136-138. 

Menja, eine Riefin 235. 376. 377. 

Midgardsichlange 322. 342. 343. 348. 
349. 351. 

Midwitnir, ein Rieſe 80. 

Mim, au Mimi und Mimir 8. 12. 
214. 309. 349. 350. 

Mimameid Yagdrafil) 132. 133. 

Mit, eine Walküre 76. 169. 328, 

Mijtiltein 344. 

Mijodwitnir, ein Zwerg 4. 308. 

Mjolnir, Thors Hammer 23. 29. 40. 41. 
67. 316. 334. 345. 351. 360. 361. 366. 

Modgud 345. 

Modi 28. 67. 351. 

Modir 113. 114. 

Mog 115. 

Mogthrafir 67. 

Moin, eine Schlange 76. 311. 

Moinsheimar 168. 178. 

Mokkurkalfi, ein Rieſe 359. 360. 

Morgenland 251. 

Motjognir, ein Zwerg 4. 308. 

Mundilföri 62. 305. 

Munin, ein Rabe 73. 330. 

Muspell 37. 307. 329. 333. 349. 

Muspellsheim 300. 301.. 303. 305. 

Mylnir, ein Pferd 169. 

Myrkheim 262. 

Myrkwid, ein Wald 37. 142. 169. 25 

258. 


Myfing 377. 


Nabbi, ein Zwerg 118. 
Naglfar, ein Schiff 13. 333. 348. 

Naglfari, Gemahl der Nott 304. 
Main, ein Zwerg 4. 308. 

Nal (Laufey) 322. 

Nali, ein Zwerg 5. 308. 
anna, Neps Tochter 321. 345. 346. 352, 
— Nokkwis Tochter 121. 

Nar, ein Zwerg 4. 308. 

Narfi, Lokis Sohn 42. 322. 347. 
— Bater der Nott 304. 

Hari  Narfi) 322. 


394 


Naſtrand 10. 350. 351. 

Nep 321. 345. 

Neri 161. 

Nid 118. 

Nidagefild 10. 

Nidhod 141. 142. 143-148. 

Nidhogg, ein Drache 10. 15. 75. 76. 309. 
311. 351. 

Nidi, ein Zwerg 4. 308. 

Nidjung 116. 

Niflheim 66. 300. 301. 309. 322. 333. 

Niflhel 16. 

Niflung, Hognis Sohn 282. 

Niflunge 169. 221. 258. 260. 261. 274. 
371. 373. 

Niping, ein Zwerg 4. 308. 

Njaren 143. 144. 146. 

Njord 22. 30. 36. 52. 58. 59. 65. 72. 78, 
317. 318. 352. 354. 

Noatun 22. 72. 317. 318, 

Nokkwi 121. 

Nonn, ein Fluß 74. 281. 

Kor 63. &5. 

Nordri, ein Zwerg 4. 303. 308. 

Nori, ein Zwerg 4. 308. 

Norivegen 156. 157. 384. 

Norwi (= Narfi) ein Niefe 304. 

Not, ein Fluß 74. 331. 

Nott 304. 305. 

Nyi, ein Zwerg 4 208. 

Nyr, ein Zwerg 5. 308. 

Nyrad, ein Zwerg 5. 308. 

Nyt, ein Fluß 74. 331. 


Od 7. 126. 326. 

Oddrun 235. 241. 251. 252. 256. 

Odin 5. 7-9. 14. 16-18. 22. 23. 27-92, 
34. 44. 46. 51. 55. 57. 59-69. 71-73. 
78. 80. 98. 100. 105. 106. 163. 178- 
180. 182. 195. 197. 211. ©12. 239. 302. 
309. 310. 314. 316. 318. 319. 321. 326. 
328-331. 344-346. 349. 352. 354. 356- 

„8358. 360. 364-368. 375. 

Odlinge 119. 120. 122. 

Ddrerir 99. 106. 355. 356. 

Ofnir (Odin) 80. 

— eine Schlange 76. 311. 

Din, ein Zwerg 196. 

Okkwinkalfa 112. 








Kegifter. 


Okolnir 10. 

Olmod 121. 

Olrun 141. 142. 144. 

Omi (Opin) 79. 299. 315. 
Onar, Gemahl der Nott 305. 
— ein Zwerg 4. 308. 
Orboda 123. 328. 
Orgelmir (Ymir) 64. 301. 
Ori, ein Zwerg 5. 136. 308. 
Orkneys 384. 

Orfning 270. 

Ormt, ein Fluß 74. 310. 
Ornir, ein Rieſe 378. 
Orwaſund 165. 

Oski (Obin) 79. 299. 315. 
Oſkopnir 204. $ 
Otr 195. 198. 367. 

Ottar 118-123. 126. 


Radbard 133. 
Nadarid, eine Walküre 76. 328. 
Radsey, eine Infel 43. 
Radſwid, ein Zwerg 5. 308, 
Ragna-Hropt (Odin) 106. 
Kan, die Meeresgöttin 154. 166. 196, 
— (Bali 9) 128. 
Nandgrid, eine Walfüre 76. 328, 
Randwer, Jormunreks Sohn 286. 373, 
374. 
— Radbards Sohn 123. 
Ratatoſk, ein Eichhörnchen 75. 311. 
Kati, ein Bohrer 356. 
Räwil 200, 
Refil, ein Schwert 369. 
Regin, Hreidmars Sohn 187. 195. 198- 
202 206-209. 367-371. 
— ein Zwerg 5. 308. 
Reginleif, eine Walküre 76. 328, 
Reifnir 121. 
Rennandi, ein Fluß 74. 
Rhein 144. 199. 219. 229. 260. 261. 372. 
Ridil, ein Schwert 207. 
Rig (Heimdall) 110. 112-115. 
— Jarl 116. 
Jin, ein Fluß 74. 
Kind 17. 128. 321. 328. 
Riſtil 113. 
Kodulsfjall 159. 





Register 


Rodulswoll 151. 
Rogheim 159. 

Rognir Odin 9) 214. 
Roſkwa 334. 335. 
Noita, eine Walküre 328. 


Sachſen 382. 

Sad (Obin) 79. 315. 
Säfari 119. 

Saga 71. 326. 

Sägr, ein Waffergefäß 306. 
Sagunes 167. 
Sährimnir, ein Eher 72. 329 
Säkin, ein Fluß 74. 330. 
Salgofnir, ein Hahn 182. 
Säkonung 120. 
Sämorn, ein Fluß 150. 
Samsey, eine Injel 34. 
Sanngetal (Odin) 79. 315. 
Säreid 149. 

Säwarſtad 144. 145. 
Saxi 250. 

Schweden 141. 297. 376. 379. 383, 
Segg 118. 

Selund 297. 

Seßrymnir 319. 
Sewafjoll 176. 178-181. 
Sid, ein Fluß 74. 330. 
Sidgrani (Odin) 82. 
Sidhott Odin) 79. 315. 
Sidſkegg Osin) 79. 315. 
Siegvater (Odin) 79. 315. 


Sif 22. 24. 26. 28. 30. 39. 50. 321. 358. 


364. 365. 
Sigar, Bote des Helgi 158. 159, 
— Bruder des Hogni 172. 
— Vater des Siggeir 244. 
Sigarsholnt 152. 


Sigarswellir oder Sigarswoll 158. 


162. 
Siggeir 168. 244. 


Sigmund, Sigurds Sohn 246. 371. 372. 
— Wolſungs Sohn 117. 161. 162. 171. 
174. 175. 182-186. 199. 201. 203. 


211. 244. 369. 375. 
Sigrdrifa Grynhild) 211. 212, 
Sigrlinn 149-151. 158. 
Sigrun 166. 170. 173-182, 





Sigtrygg 120. 

Sigtyr (Odin) 262. 

Sigurd, Sigmunds Sohn 122. 185-195. 
198-212. 216. 218-220. 222. 223. 225- 
231. 236. 238. 240-243. 246. 254. 284. 
286-290. 369-373. 375. 

Sigyn 9. 42. 322. 347. 352. 

Silfrintopp, ein Pferd 75. 310. 

Simul, eine Stange 306. 

Sindri, ein Ort () 350. 

— ein Zwerg 10. 364. 

Sinfjotli 162. 166-168. 175. 177. 178. 
183-184. 375. 

Sinir, ein Pferd 75. 310. 

Sinmara 133. 135, 

Sinrjod 149. 

Sjofn 326. 

Sfadi 30. 39. 42. 52. 71. 123, 817. 318. 
347. 354. 

Sfafid, ein Zwerg 5. 309. 

Sfatalund, ein Wald 239. 

Sfeggold, eine Walfüre 76. 328. 

Skeidbrimir, ein Pferd 75. 310, 

Skekkil 121. 

Sfidbladnir, ein Schiff 78. 331. 333. 
364. 365. * 

Skilfing Odin) 80. 

Skilfinge 119. 120. 

Sfinfari, ein Pferd 61. 305. 

Skirfir, ein Zwerg 5. 309. 

Skirnir 52-56. 58. 59. 324. 329. 

Skjall, die weiße Haut unter der Eierfchale 
312. 

Skjold 375. 376. 

Skjoldunge 119.120. 376. 

Skogul, eine Walküre 8. 76. 328. 

Skoll, ein Wolf 77. 306. 

Skrymir (Ntgarda-2ofi) 41. 336. 337. 

Sfuld, die eine der drei Nornen 6.310.328, 

Sfuld, eine Walfüre 8. 

Skurhild 121. 

Slagfid 141. 142. 

Sleipnir, ein Pferd 16. 78. 125. 214. 
310. 331. 344. 357. 

Slidr, ein Fluß 9. 74. 300. 

Slidrugtanni, ein Eher 345. 

Smid 113, 

Snäfjoll 162. 


396 


Snäwar 241. 270. 
Snor 113. 

Snot 113. 

Snotra 327. 

Sogn 169. 

Soffmimir, ein Riefe 80. 
Sökkwabekk 70. 326. 
Sol 305. 328. 

Solar 241. 270. 
Solbjart 138. 
Solblindi, ein Zwerg 131. 
Solfjoll 182. 

Solheim 169. 

Son, Jarls Sohn 116. 

— ein Krug 355. 356. 
Sorli 286. 291. 293. 294. 373-375. 
Sparins Heide 170. 
Sporwitnir, ein Pferd 170. 
Sprafft 113. 

Sprund 113. 

Stafnsnes 164. 

Starfad 174. 176. 

Stromd, ein Fluß 74. 
Styrfleifar 176. 

Sudri, ein Zwerg 4. 303. 308. 
Sult, ein Meffer 323. 


Gurt 12. 13. 62. 67. 133. 204. 300. 313. 


349-351. 


Suttung, ein Riefe 57. 86. 99. 100. 


355-357. 
Swadilfari, ein Pferd 125. 332. 333, 
Swafnir, ein König 149. 150. 

— eine Schlange 76. 311. 

— (Odin) 80. 298. 

Swafrthorin 131. 

Swalin, ein Schild 77. 


Swanhild 235. 236. 241. 286-288. 290. 


371. 373. 374. 
Swan 119. 
Swanni 113. 
Swarang 47. 
Swarins Hügel 166. 174. 309. 
Swartalfaheint 324. 
Swarthofdi 124. 301. 
Swaſud 63. 314. 


Swawa, Eylimis Tochter 152. 156-159, 


173. 
— Gemahlin des Säfonung 120. 





Regifter. 


Swaivaland 151. 
Sweggiud, ein Pferd 169. 
Swein 116. 
Swiagris, ein Ring 382. 383, 
Swidrir (Odin) 80. 299. 315. 
Swidur 80. 299. 315. 
Swipal (Odin) 79. 315. 
Swipdag 127. 128. 130-138. 
Swipud, ein Pferd 169. 
Swiur, ein Zwerg 5. 308. 
Swol, ein Fluß 74. 300. 330, 
Solg, ein Fluß 74. 300. 
Syn 8327. 
Syr Greyja) 326. 


Tanngnjoſt, ein Bock 316. 
Tanngrisnir, ein Bod 316. 
Thakkrad 148. 

Thegn 113. 

Thekk (Odin) 79. 315. 

— ein Zwerg 5. 308. 

Thir 111. 

Thjalfi 49. 334. 335. 338. 339. 342. 
359. 360. 

Thjazi, ein Rieſe 39. 45. TI. 138. 317, 
318. 353. 354. 378, 

Thjod 369. 

Thjodnuma, ein Fluß 74. 331. 

Thjodolf von Hwin 298. 

Thjodrek 242. 249. 

Thjodrerir, ein Zwerg 109. 

Thjodwitnir (Fenrir) 73. 

Thjodwor 136. 

Thokk (2ofi) 346, 

Sr ein Fluß 74. 331. 

Tholley, eine Infel 155. 

Iholmodnir 323. 

Thor 7. 20. 21. 27-30. 40-51. 70. 74. 
81-86. 118. 310. 315. 316. 321. 328. 
8332-337. 339-343. 345. 347. 349. 351. 
352. 357-366. 

Thora, Dags Gemahlin 120. 

— Hafons Tochter 226. 244. 

Ihorin, ein Zwerg 5. 308. 

Thorir 122. 

Thorsnes 167. 

Thrain, ein Zwerg 5. 308. 

Thräl ı11. 





Regifter. 


Thridi (Odin) 79. 299-301. 303. 314. 


315. 350. 

Thror, ein Zwerg 5. 308. 

— (Odin) 79. 315. 

Thrud, eine Walküre 76. 328. 
Thrudgelmir, ein Riefe 64. 
Thrudheim 70. 
Thrudwang 316. 360. 
Thrym, ein Rieſe 19. 20. 22. 28. 
Thrymgjyoll, eine Pforte 131. 
Thrymheim 71. 317. 318. 353. 
Thud (Spin) 79. 315. 

Thund, ein Fluß 73. 

— (Odin) 80. 107. 
Thwiti, ein Stein 325. 

Thyn, ein Fluß 74. 331. 

Tind 121. 

Totrughypja 112. 
Tronubeina 112. 

Tronueyr 165. 


Tor 24. 28. 30. 36. 37. 213. 319. 323. 


325. 349. 352. 
Tyrfing 121. 


Ud (Sin) 79. 315. 
Ulf, ver Gähner 122. 

— Säfaris Sohn 119. 
Ulfdalir 141. 142. 
Ulfrun 124. 

Ulffjar, ein Landſee 141. 

UU 70. 77. 262. 321. 352. 
Unawagar, ein Meerbufen 166. 
Uni, ein Zwerg 136. 

"Uum 178. 

Uppland 381. 

Upſala 381. 382. 


Urd, eine der drei Nornen 6. 100. 128. 


138. 310-312. 
Utgard 337. 
Utgarda-Loki 337-342. 


Wadgelmir, ein Fluß 196. 
Wafthrudnir, ein Rieſe 59-68. 
Wafud (Odin) 80. 
Wagenthor 316. 334. 338. 
Wakr (Opin) 80, 

Walajkjalf 70. 312. 
Walbjorg 247. 





Waldar 245. 
Walgrind, eine Pforte 73. 
Walholl 9. 71.,73. 117. 180. 298. 314. 
328. 330. 331. 344. 358. 
Walt, Lofis Sohn 42. 347. 
— Odins Sohn. 17. 67. 123. 321. 328. 
351. 352. 
Walland 46. 141. 238. 
Waltam 16. 
Walvater (Odin) 3. 7. 8.13. 79.309.315 
Wan, ein Fluß 74. 325. 
Wanadis (Freyja) 326. 
Wanaheint 65. 317. 
Wandilswe 179. 
Wänir, ein Landſee 381. 
War, eine Afın 23. 327. 
— ein Zwerg 136. 
Warinsey, eine Inſel 167. 
Warinzfjord, ein Meerbufen 165. 
Warinswik, ein Meerbufen 155. 
Warfald 131. 
Wartari, ein Faden 366. 
Waſad 314. 
We 35. 302. 
Wedrfolnir, ein Habicht 311. 
Wegdrafil, ein Zwerg 136. 
Wegſwinn, ein Fluß 74. 331. 
Wegtam (Odin) 16. 18. 
Welſchen 119. 236. 
Weor (Thor) 25-27. 
Weratyr (Opin) 315. 
Werdandi, eine der drei Nornen 6. 310. 
Werland 51. 
Weſtri, ein Zwerg 4. 303. 308. 
Wid, ein Fluß 74. 300. 
Widar 13. 30. 32. 67. 68. 72. 321. 349- 
352. 362. 
Widblain 313. 
Widfinn 306. 
Widi 72, 


1 Widofnir, ein Hahn 133-135. 


Widolf 124. 301. 
Widrir (Opin) 35. 299. 
Widur (Odin) 79. 315. 
Wif 113. 

Wigblär, ein Pferd 179. 
Wigdalir 179. 

Wigg, ein Zwerg 5. 308, 


398 


Wigrid 62. 349. 

Wili 35. 302. 

Wilmeid 124. 301. 
Wilmund 251. 252. 
Wimur, ein Fluß 362. 
Win, ein Fluß 74. 331. 
Wina, ein Fluß 74. 331. 
Winbjorg 247. 
Windkald (Smwipdag) 131. 
Windljoni 314. 


Windolf, ein Zwerg 5. 308. 


Windſwal 63. 314. 
Wingi 241. 265. 271-273. 
Wingnir (Thor) 67. 351. 
Wingolf 307. 314. 
Wingthor (Thor) 18. 82. 
Wirfir, ein Zwerg 5. 309. 
Wit, ein Zwerg 5. 308. 





Regifter. 


Wogg, 381. ; 

Wolfung 122. 171. 183. 200. 369. 375. 
Woljunge 170. 171. 175. 176. 227. 229. 
Wölund 141-148. 

Wond, ein Fluß 74. 


Malir 70. 

Ygg (Din) 24. 60. 80. 210. 

Yagdrafil 6. 12. 74-76. 78. 309-312. 
331. 349. 350. 

Ülfinge 119. 120. 161. 166. 169. 171- 
173. 181. 

Ag, ein Fluß 300. 

Mir 3. 62. 63. 77. 124. 301-304. 308. 

Yngwi, ein Zwerg 5. 309 

— Hrings Sohn 170. 

— (Freyr) 170. 199. 

Yrja 380-383. 

Y3ja 112, 





Grklärung der Abkürzungen. 


Atlakv.: Atlakvipa. 

Baldrs dr.: Baldrs draumar. 

Bragar.: Bragarodur. 

Brot: Brot af Sigurparkvipu. 

Dräp (Nifl.).: Drap Niflunga. 

Fäfn.: Fäfnismöl. 

Fjolsv.: Fjolsvinnsmöl. 

Grimn.: Grimnismöl. 

Grip.: Gripisspo. 

Gupr.: Guprünarkvipa (I—IIH). 

Gylfag.: Gylfaginning. 

Härb.: Härbarpsljöp. 

Helgakv. Hjgrv.; Helg. Hjorv.: 
Helgakvipa Hjorvar)ssonar. 

Helgakv. Hund.; Helg. Hund.: 
Helgakvipa Hundingsbana 
FE 

Helr.: Helreip Brynhildar. 





Höv.: Hövamöl. 

Hym.: Hymiskvipa. 

Hyndl.: Hyndluljsp. 

Lokas.: Lokasenna. 

Nibel.: Nibelungenlied (eitiert 
nad Lachmann). 

Oddr.: Oddrünargrätr. 

Reginsm.: Reginsmöl. 

Sigrdr.: Sigrdrifumöl. 

Sigurparkv. skamma: Sigurpar- 
kvipa en skamma. 

Skäldsk.: Skäldskaparmäl. 

Skirn.: Skirmismöl, 

Prymskr.: Prymskvipa. 

Vafpr.: Vafprüpnismöl. 

Vol.: Volusph. 

Vols. saga: Vylsunga saga. 

Velund., Vel.: Velundarkvipa. 


NB. Der Buchſtabe p ift zu Sprechen wie englijch th. 


Inhalt. 


Einleitung des Überjegers . 


SONS PON m 


15. 
16. 


17. 


18. 


Grites Bud. Götterlieder. 


. Der Seherin Weisjagung (Voluspö) . 
. Baldr8 Träume (Baldrs draumar) 


Das Lied von Thrym (Prymskvipa) . 


. Das Lied von Hymir (Hymiskvipa) . 

. Der Wortjtreit Lokis (Lokasenna) 

. Das Lied von Harbard (Härbarpsljöp) . 

. Das Lied von Skirnir (Skirnismöl) . — 
. Das Lied von Wafthrudnir (Vafprüpnismöl 

. Das Lied von Grimnir (Grimnismöl) 

. Das Lied von Alwis (Alvissmöl) 

. Die Sprüche Hard (Hövamöl 

. Das Lied von Nig (Rigspula) . ; 

. Das Lied von Hyndla (Hyndluljöp) . 

. Das Lied von Smwipdag (Svipdagsmöl) 


A. Groas Zauberjang (Grögaldr) : 
B. Das Lied von Fjoljwid (Fjolsvinnsmöl) 


Zweites Buch. SHeldenlieder. 
Das Lied von Wölund (Völundarkvipa) 


Das Lied von Helgi, dem Sohne Hjorwards — 7 — 


Hjorvarpssonar) 


Das erſte Lied von Helgi — Yunbingstöter (Helgakviba 


Hundinesbana I) 


Das zweite Lied von Helgi — Sundingetäe (Helgakvipa 


Hundingsbana II) . 


Inhalt. 401 


Seite 


19. Sinfjotlis Ende (Fr& dauda Sinfjotla) . . . 133 
20. Die Weisjagung des Gripir (Gripissp6). - - » 2. 18 
21. Das Lied von Regin (Reginsmöl). -. » 6 
22. Das Lied von Fafnir (Fafnismöl). . - » 2 2.2.2... 202 
23. Das Lied von Sigrdrifa (Sigrdrifumöl). . . . 210 
24. Bruchſtück eines Sigurdliedes (Brot af Sodrierkvibe). . 218 
25. Das erjte Lied von Gudrun (Guprünarkvipa I) . . . . 222 
26. Das furze Sigurdslied (Sigurparkvipa en skamma) . . 2297 
27. Brynhilds Todesfahrt (Helreip Brynhildar) . . . . . 338. 
28. Der Untergang der Niflunge (Drap Niflunga) . . . . 240 
29. Das zweite Lied von Gudrun (Guprünarkvipa I) . . . 242 
30. Das dritte Lied von Gudrun RO, 0°. °3.72::249 
31. Oddruns Klage (Oddrünargrätr) . . . . EZ CSDE 
32. Das Lied von Atli (Atlakvipa) . . - 256 
33. Das grönländifche Lied von Atli (Atlamjl eı en grenlenzku) 265 
34. Gudrung Aufreizung (Guprünarhvöt) . . . . - 286 
35. Das Lied von Hamdir (Hampismöl) . : . . 2 ..2..2...290 


Anhang. Die mythiſchen und heroiſchen Erzählungen 
der Snorra Edda. 





I. Gylfis Verblendung (Gylfagimning) . . » . ......297 
II. Die Erzählungen Bragis (Bragaradur) . . 2 A 
II. er aus Snorris PVoetif (Skäldskaparmal) . Hera) 
Hegifter a ee Re ru 
Erflärung der Abfürzungen ee N 5 





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Die Edda. 26 


Berichtigungen und Harhträge. 





I. Zur Einleitung. 


©. 10, 3.18 lies Alvissmöl. 
: 11, 8. 2 lie Fjolsvinnsmöl. 
= 13, 3- 9 lieg Sonne. 


©. 14, 3.1». u. tilge-die Worte; 
in — geile. 


II. Zum Zert. 


Härb. 15° (©. 45) lieg meinen 
ftatt meinem. 

Rigspula 24* (S.113) lieg Segg 
ftatt Lego. 

Helgakvipa Hundingsbana £ 
39? (©. 167) lies Allvaters 
ftatt Altvaters. 





Ebenda 50° (S. 169) lieg Schil⸗ 
den statt Schildern. 

Fäfn. 30! (©. wi lieg Klingen 
ftatt Klin 

Sigrdr. 257 (© 216) lieg Lohn. 
ftatt Lohn:. 

Gupr. II, 14° (©. 244) ließ Herr: 
ſchers ftatt Königs. 


1II. Zu den Anmerkungen. 


‚3.16 lie 2o pt ftattXoptr. 

es v. u. lieg 42 ſtatt 40. 
a tilge die Zahlen 
4 


1 
.d 
nd 
.8v. u. lies 17 ftatt 78; 
v. u. lieg 45 ftatt 40; 8. 3 
. je ehe ein Semifolon nad 


„Ende“. 
7, 3. 3 lies 33? ftatt 32°, 
1, Fi 1v.u. lies Feuer ftatt 


e — * 3 lies 12 ftatt 11 und 
tilge 23; 3.4 lies 31 ftatt 29. 


“ w [0 
- 





©. 75, 3.13 lie3 138 ftatt 137. 

: 113, 3.7 lie8 Segg ſtatt Lego. 

: 152, 3.1 lies Skäldsk. ftatt 
Skäldsp. 

: 188, 3.3 v.u. ließ Fäfn. ftatt 
Sigrdr. 

: 285, 3. 2 lie3 23 jtatt 8. 

: 286, 3.6 lies 15. 17 ftatt 14.15. 
304, 3.2 v. u. lies 51 ftatt 31. 
348, 3.1». u. und ©. 350, 3 

2 lieg Vol. ftatt VOl. 
: 364, 3. 2 lie Pörsdräpa ftatt 
orsdräpa. 


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Die Noten zu Vol. 40 (©. 10, Anm. 9) und zu Grimn. 39 (©. 77, 


Anm. 5) geben die Auffaffung der ausführlicheren Rezenfion der Gyl- 

faginning wieder, nicht die des Codex Upsalensis, welche hier zweifel: 

los den Borzug verdient. Nach der Handichrift von Upjala verfolgen 

nämlich die beiden Wölfe Sfoll und Hati die Sonne, und Mana: 

um (der nicht mit Hati identifiziert werden darf) den Mond. Ball. 
E. Mogk in Bauls und Braunes „Beiträgen”, 6, 526 ff. 


Ein paar Inkonjequenzen in der Drthographie der Namen (Geirrod 
neben Geirröd, Brünbild neben Brynhild, Thiazi und Thialfi neben 
Thjazi und Thjalfi) wolle der geneigte Lefer entſchuldigen. 


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Drud vom Bibliographiihen Injtitut in Leipzig. 























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Rlalliker -Ausgaben 


verdanken neben der schönen Ausstattung 
bei billigem Preis den ihnen zugesproche- 
nen eignen Wert vor allem ihrer Korrekt- 
heit, welche ihnen durch die Sorgfalt kri- 
£ischer Arbeit zu teil geworden ist. 
Im Äußern schon übereinstimmend, las- 
sen dieselben erkennen, daß sie sich einem 
einheitlichen Plan einfügen und einem ge- 
meinsamen Gesichtspunkt unterordnen, 
Es versammeln sich in diesen Ausgaben 
die hervorragendsten Schriftsteller aus den 
Blüte-Epochen der Litteraturen, der deut- 
schen wie der ausländischen. In beiden 
sind die wertvollsten Resultate sprach- 
licher wie historischer Forschung, in letz- 
tern aber die größtmögliche Meiszer- 
schaft der Übersetzungskunst zur 
Geltung zu bringen gesucht. 








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