Skip to main content

Full text of "Die Entdeckung des Blutkreislaufs durch Michael Servet, 1511-1553"

See other formats


Google 



This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct 

to make the world's books discoverablc online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 

to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 

are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover. 

Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the 

publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying. 
We also ask that you: 

+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc 
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of 
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe. 

Äbout Google Book Search 

Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs 
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web 

at |http: //books. google .com/l 



Google 



IJber dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nu tzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter |http: //books . google .coiril durchsuchen. 



P/ö/H 



Vorwort. 

Bei der grossen Ausdehnung physiologischer Experimental- 
üntersuchungen sind nur wenige Physiologen in der Lage, die 
Geschichte ihrer Wissenschaft mit derselben Gründlichkeit wie 
diese selbst zu betreiben. Ja eine geschichtliche Entwicklung 
der Physiologie, als einer selbständigen, wenn auch von der Heil- 
kunde wie von der Anatomie und den exacten Wissenschaften 
abhängigen Disciplin zu geben, möchte wohl bisher noch nicht 
einmal versucht worden sein. Noch mehr, selbst die Geschichte 
der grössten physiologischen Entdeckung, die jemals gemacht wor- 
den ist, kann als abgeschlossen keineswegs gelten. Zur Klärung 
dieser Frage soll der vorliegende historsich - kritische Versuch 
dienen und so einige Handlangerdienste leisten beim Aufbau einer 
Geschichte der Physiologie. Namentlich erschien es mir ange- 
zeigt, dass dem in der Theologie noch immer viel gescholtenen 
genialen Michael Servet wenigstens in dieser Geschichte end- 
lich die ihm gebührende hervorragende Stellung eingeräumt werde. 
Wenn ich gegen des Spanischen Märtyrers systematische Ver- 
ächter bisweilen herb erscheine, so wolle man das dem Eifer 
für die so lange verkannte geschichtliche Wahrheit zu gut halten. 

In BetreflF der vielen Citate erlaube ich mir die Bemerkung, 
dass, wo nicht etwas anderes angegeben ist, mir die Originalien 
selber vorgelegen haben, dass jedoch einige (mit P. versehene) 
Anmerkungen unter dem Texte auf meine ausdrückliche Bitte von 
Herrn Professor Preyer gütigst hinzugefügt worden sind. 

Magdeburg, 24. Juni 1876. 

Der Verfasser. 




"5^ 



/ 



mm^mimn ^^~- .^^~ 



^ 



Inhalt. 



S«ite 

Erstes Capitel. Michael Servet: Vom Blutamiauf und vom Gehirn . 1 

Zweites Capitel. Michael Servet's Vorgänger und Nachfolger in der 
Entdeckung des Blutnmlaufs 21 

Drittes Capitel. Ceradini's historisch - kritische Untersuchungen über 
die Bntdeckung des Blutumlaufs 49 



l™^"^— •^-^^^■^^-« 



^ 



DIE 



ENTDECKUNG DE8 BLIJTKEE18LAUF8 



DURCH 



MICHAEL SERVET 

(1511—1553). 



Erstes Capitel. 

Michael Servet: Yom Blutiuulauf und vom Gehirn. 

Motto: Finis omnium est homo, et finis hominis 
Dens, Servet: Restitutio S. 245. 

Zur Ostermesse 1553 erschien ohne Namen und Druckort ein 
Lateinisches Buch von 734 Seiten in 8® unter dem Titel „Des 
Christenthum's Wiederherstellung". Es gab keinen Theil des 
christlichen Glaubens, der in diesem Buche nicht besprochen würde. 
Aber es brachte nicht bloss Theologie. Auch Jurisprudenz, Philo- 
sophie, Physik, Astronomie, Meteorologie wurde mit hineingefloch- 
ten, und ebenso auch Medicin. Alles musste dem Glauben dienen. 
Nur soweit es dem Glauben dient, kam es in Betracht. Der Mit- 
telpunct des Eirchenglaubens ist die Trinität. Das Geheimniss 
der heiligen Dreieinigkeit führt den Verfasser auf die Lehre vom 
heiligen Geist. 

Der heilige i&eist ist ihm Gott, sofern er sich dem Menschen- 
Geiste mittheilt, ihn zu heiligen. Um diese wesentliche Mitthei- 
lung Gottes an den Menschen zu verstehen, muss man das Gom- 
plement des göttlichen Geistes verstehen, den Menschengeist. Denn 
der Menschengeist ist das reale Complement des Gottesgeistes, wie 
der Gottesgeist das ideale, ewige Complement des Menschengeistes 
ist. Um nun aber den Menschengeist recht zu verstehen, muss 
man den Menschenleib studirt haben. 

„Damit Du also, mein lieber Leser", sagt der Verfasser im 
5. Buch von der Dreieinigkeit (Restifutio ckristianümi S. 169) 
„Dir Rechenschaft geben könnest, wie es überhaupt sich verhält 
mit Seele und Geist, so will ich eine dem Göttlichen dienende 
Philosophie beifügen, die man leicht verstehen kann, wenn man 

Übung hat in der Anatomie. 

„Die Rede geht, dass aus der Substanz der drei oberen Ele- 
mente (Erde, Feuer, Luft) in uns ein dreifacher Geist sei (triplex 
spiritus)y ein natürlicher, ein lebendiger und ein seelischer. Drei 



/ 



/ 



— 2 — 

Gdster sagt Aphrodisaeus ^). Streng genommen aber sind es nicht 
drei, sondern zwei^) unterschiedene Geister. Denn es ist ein 
Lebensgeist, der durch die Anastomosen von den Arterien 
mitgetheilt wird den Venen, wenn man ihn auch in den Venen 
natürlichen Geist nennt. Der erste Lebensgeist ist also das Blut, 
dessen Sitz in der Leber und in des Körpers Venen ist. 
Der zweite ist der Lebensgeiöt, dessen Sitz im Herzen und 
in des Körpers Arterien ist. Der dritte Geist ist ein seeli- 
scher, wie ein Lichtstrahl, dessen Sitz im Gehirn und in des Kör- 
p8rs Nerven ist^). In all' diesen Geistern ist thätig des einigen 
Gottesgeistes und einigen Gotteslichtes Energie. ^ 

„Dass vom Herzen aus mitgetheilt wird an die Leber jener 
sog. natürliche Geist, lehrt des Menschen Bildung vom Mutter- 
leibe her. Denn eine Arterie zieht sich verbunden mit 
einer Vene durch dieNabelschnur des Fötus seibat: und 
ebenso wird in uns nachher immer verbunden die Arterie 
mit der Vene. In's Herz ist früher als in die Leber eingehaucht 
worden von Gott die Seele Adam's und vom Herzen erst ist sie 
mitgetheilt worden an die Leber. Durch die Einhauchung in 
Mund und Nase ist wirklich eingeführt worden die Seele : die Ein- 
athmung aber zielt ab auf das Herz. Das Herz ist das erste, 
was lebt, die Quelle der Wärme mitten im Körper. Von 
der Leber nimmt die Seele ihren Lebenssaft, gleichsam ihre Ma- 
terie, und belebt sie wiederum ihrerseits: gerade wie des Wassers 
Flüssigkeit den oberen Elementen die Materie reicht, und von 
ihnen, in Verbindung mit dem Lichte, zur Erzeugung der Vege- 
tationswelt belebt wird. Aus der Leber Blut bildet sich der Seele 
Materie {animae materia) durch eine wunderbare Verarbeitung, die 

1) Alexander Aphrodisaeus, der de anima schrieb, problemata medica^ de 
febribus caet. lebte nicht, wie Flourens sagt (Uistoire de la circulaiion du sang, 
Paris 1867. S. 157) Anfang des 16. Jahrhunderts, sondern Ende des 2., An- 
fang des 3. Jahrhunderts als Professor der peripatetischen Philosophie. S. 
Jöcher, Gelehrten-Leiukon. 

2) Henry druckt denuo statt duo („Leben Calvin's" III, 58). 

3) Der natürliche Lebensgeist (oder das Princip) ist also Blut und der 1. 
Geist ist das Venenblut, der 2. das Arterienblut, der 8. die Nervenerregung. 
Vgl. übrigens V. Gaillard (De la mise en rttppßrt dan$ Pappareil resj^ir^t^ire 
de VÜement sanguin avec Vdäment atmospherique, Paris 1864. 4. S. 8 — 17 
wie Valentin in seinem Vers. e. physiol. Pathol. des Herzens 1866. S. 471 ci- 
tirt mit der Bemerkung, dass obige Ansichten gegen Flourens vertheidigt wer- 
den). 'P. 

« (Mi) 



— 3 — 

Du nun hören sollst. Dahef heisst es (in der Bibel), die Seele ist 
im Blut, und die Seele selbst ist Blut, oder auch ein blutartiger 
Geist {sangiäneus spiritus). Nicht wird gesagt, die Seele sei prin- 
cipiell in den Wänden des Herzens noch in dem Körper selber 
des Gehirns oder der Leber, sondern im Blute, wie Gott selber 
lehrt Genei. 9. (v.4und 6), Lemtll. (v. 11) und Deut. 12. (v. 23). 
„Um diesen Sachverhalt recht zu verstehen, muss man zuvor 
kennen die substantielle Erzeugung des Lebensgeistes selbst, der 
aus der eingeathmeten Luft {Genei. 2, 7) und dem allerfein- 
steu Blute zusammengeBetzt und genährt wird. Der Lebensgeist 
uimmt seinen Ursprung in ^er linken Herzkammer^ indem 
die Lungen ganz besonders mithelfen zu seiner Erzeugung. 
Er ist ein feiner Geisteshauch, durch der Wärme Gewalt hervor- 
gebracht, von heller (fiavo) Farbe, feuriger Macht, so dass es ge- 
wissermaassen ein aus reinerem Blute gebildeter lichtvoller 
Schaum ist, der in sich die Substanz enthält von Wasser , Luft 
und Feuer. Erzeugt wird er aus der in den Lungen gesche- 
henen Vermischung der eingeathmeten Luft mit dem her- 
ausgearbeiteten dttnnen Blute^ welches die rechte E.iunmer 
des Herzens der Unken mittheilt Es geschieht aber diese 
Mittheilung nicht durch die mittlere Herzwand , wie man 
gemeinhin glaubt ^)^ sondern auf höchst künstliche Weise 
von der rechten Herzkammer aus wird vermittelst einer 
langen Leitung durch die Lungen in Bewegung gesetzt das 
feingewebte Blut; von den Lungen wird es zubereitet, 
hell gemacht^) und von der arteriösen Vene in die venöse 
Arterie hinlibergegossen. Darauf wird es in der venösen 
Arterie selbst ^) vermischt mit der eingeathmeten Luft, durch 
Ausathmung wieder vom Russ {a fuHgine) gereinigt Und 
so wird zuletzt von der linken Herzkammer das ganze ' 
Gemisch durch die Diastole angezogen, nunmehr (dass ich 
so sage) ein geeignetes Hausgerätb, um als Lebensgeist zu dienen. 



4) ui vulgo creditur, 

5) Den Ruhm dieser Entdeckung von 1558 erntete 1669 Lower. 

6) Nämlich in ihren Ursprikngen in der Lunge, wie aus dem Folgenden 
hervorgeht. Dass übrigens Arteria venosa die Lungenvenen und Vena arteriosa 
die Lungenarterie bedeutet, bedarf keiner Erläuterung. P. 

im) 1* 



~ 4 — 

„Dass so durch die Lungen geschieht die Mittheilung und 
Zubereitung, lehrt die mannigfache Vereinigung und die Verbin- 
dung der arteriösen Vene mit der venösen Arterie in den 
Lungen. Es bestätigt dies die bedeutende Grösse der ar- 
teriösen Vene, die weder derartig noch so gross gemacht 
worden wäre, noch vom Herzen selber eine solche Gewalt 
des reinsten Blutes in die Lungen senden würde, wegen 
der blossen Ernährung derselben, noch auch würde das Herz 
in dieser Weise den Lungen dienen: ganz besonders da vor- 
her in dem Embryo die Lungen selber von anderswoher 
ernährt zu werdep pflegen, indem jene Üäutchen oder Klap- 
pen des Herzens {ob membranulas Was seu valvulas cordis) noch 
nicht geöffnet sind bis zur Stunde der Geburt, wie Galen lehrt. 
Daher wird zu einem anderen Gebrauch ausgegossen das 
Blut vom Herzen in die Lungen zur Stunde der Geburt, 
und so reichlich. Desgleichen wird von den Lungen zum 
Herzen nicht einfache Luft gesandt, sondern mit Blut ver- 
mischte, durch die venöse Arterie: also geschieht in den 
Lungen die Mischung. Jene helle Farbe wird dem luft- 
haltigen Blut (sanguini spirituoso) vou den Luugcn gegeben, 
nicht vom Herzen. In der linken Herzkammer ist kein 
Platz, der fähig wäre eine so grosse und so reichliche Ver- 
mischung zu fassen noch auch findet da statt eine genügende 
Durcharbeitung, um das Blut hellroth zu machen. End- 
lich jene Mittelwand, die ja doch der Gefässe und Hülfsmittel 
entbehrt, ist nicht geeignet zu jener Überleitung und Ver- 
arbeitung, obwohl ja etwas durchschwitzen könnte ^). Auf dieselbe 
complicirte Weise, wie in der Leber geschieht die Überleitung 
von der Pfortader zu der Hohlvene {a vena parta ad venam cavam) 
um des Blutes halber, geschieht auch in der Lunge die Über- 
leitung von der arteriösen Vene zur venösen Arterie um des 
Geistes halber*). Wenn jemand das vergleicht mit dem, 
was Galen schreibt im 6. und 7. Buch von dem Gebrauch 



7) Licet aliquid resudare possit: eine Höflichkeit g^gen Galen. P. 

8) „Geist" und „Lebensgeist" würde hier und öfters entsprechen dem 
„Sauerstoff", bez. „Sauerstoffhaltigen Bhite". P. 

C»6) 



iTiiftn 



— 5 — 

der Theile, so wird er die Wahrheit aus dem Grund ver- 
steheii; die G-alen selber freilich nicht bemerkt 

hat (ad ipso Galeno non animadvertam), 

„Jener Lebensgeist also wird von der linken Herz- 
kammer nach und nach in die Arterien des ganzen Kör- 
pers übergeleitet, so dass, je feiner er ist, er um so mehr nach 
oben strebt, wo er noch mehr verarbeitet wird, vomehmh'ch im 
netzförmigen Geflecht (tit plexu retiformi\ das unter der Basis des 
Gehirns liegt, in welchem er anfängt von blossem Lebensgeist 
seelischer Geist zu werden, indem er an den eigentlichen Sitz der 
vernünftigen Seele herantritt. Hinwiederum wird jener durch des 
Geistes feurige Kraft noch stärker verfeinert, ausgearbeitet und 
vervollkommnet in äusserst feinen Gefässen oder CapiUar- 
Arterien (capiUaribus arteriis)^ die in den Ader-Geflechten (in pte- 
xibm choToidibui) liegen, und den Verstand selber {ipmsimam 
mentem) enthalten. Diese Geflechte durchdringen alle inner- 
sten Theile des Gehirns und umkleiden innen die Himkammem, 
indem sie jene Gefässe mit sich verflochten und verwebt halten, 
bis zu den Ursprüngen der Nerven, damit in sie eingeführt 
werde die Fähigkeit zu fühlen und sich zu bewegen. 
Jene Gefösse, durch ein grosses Wunder äusserst fein ge- 
woben, obwohl sie Arterien genannt werden, sind doch 
eigentlich die Enden der Arterien, die nach dem Ursprung 
der Nerven verlaufen vermittelst der Gehirnhäute {minUterio 
meningum). Das ist eine neue Art von Gefässen. Denn wie bei 
der Überleitung von den Venen in die Arterien in. der 
Lunge sich eine neue Art Gefässe findet aus Vene und 
Arterie: geradeso findet sich bei der Überleitung von den Arte- 
rien in die Nerven*) eine neue Art Gefässe aus der Arterienhaut 
in »^) der Gehirnhaut: um so mehr, da die Gehirnhäute selbst bei 
den Nerven*') ihre Hüllen (tunicas), bewahren. 



9) & 11) Wenn hier statt tiervos und nervt« gelesen werden dflrfte venas 
und venis^ käme ein sehr guter Sinn in diese sonst sinnlose Stelle. Oben wird 
schon von den Anastomosen der Arterien und Venen gesprochen, und eben 
noch hiessen die neuen äusserst feinen Gefässe Gapillar-Arterien. P. 

10) Mosheim (Anderweitiger Versuch einer unparteiischen Ketzergeschichte 
S. &00) et meninge. 

(iw) 



— 6 — 

Die Empfindlichkeit der Nerven liegt nicht in ihrer weichen 
Materie, ebenso wenig wie beim Hirn (sicut nee in cerebro)^^). 
Alle Nerven laufen aus in die feinen Fäden der Membranen {in 
filamenla membranarum), welche die vorzüglichste Empfindlichkeit 
haben : darum wird an sie immer der Geist abgesandt. Von jenen 
Gefässchen der Gehirnhäute oder Adergeflechte aus wird, gleich 
als von der Quelle, der leuchtende seelische Geist wie ein Licht- 
strahl durch die Nerven ausgegossen in die Augen und in die 
anderen Sinneswerkzeuge. Auf demselben Wege kommen ihrer- 
seits von aussen der mit den Sinnen wahrgenommenen Dinge 
lichtvolle Bilder an und werden zu derselben Quelle hinaufge- 
sehickt, um gewissermaassen durch ein lichtvolles Medium nach 
innen hindurchzudringen'*). 

„Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, dass jene weiche 
Masse des Gehirn's nicht im eigentlichen Sinne der Sitz der ver- 
nünftigen Seele ist, da ja jene Masse kalt ist und der Empfind- 
lichkeit entbehrt. Sondern dass sie gewissermaassen das Polster 
ist für die besagten Gefässe, damit sie nicht zerbrochen werden: 
und die Wacht für den seelischen Geist, dass er nicht verweht 
werde, insofern er ja den Nerven mitgetheilt werden muss: und 
dass sie nur kalt ist, um die innerhalb der Gefässe enthaltene 
Wärme zu massigen. Daher geschieht es auch, class die den be- 
sagten Gefassen gemeinsame häutige Umhüllung {membranae tuni- 
cam) in der inneren Höhlung der Nerven bewahrt wird zum treu- 
lichen Schutz des Geistes: und wie sie eine nimhüllende Haut er- 
halten von der zarten Gehirnhaut (a tenui meninge), so erhalten 
sie einen anderen äusseren Überzug von der dicken. Auch jene 
leeren Räume der Gehirnkammern, über welche die Philosophen 
und Mediciner sich verwundem, enthalten nichts weniger als die 
Seele. Sondern die erste Bestimmung jener Gehirnkammern ist 
die, die Unreinigkeiten des Gehirns aufzunehmen, gleichsam als 
Kloaken, wie die dort aufgenommenen Auswürfe (excrementa) be^ 
weisen, und die Laufgänge nach Gaumen und Nase, aus denen die 
krankhaften Ausflüsse entspringen. Und wenn diese Kammern so 
angefüllt werden mit Schleim, dass die Arterien selber des Ader- 
Geflechts (choroidii) darin eingetaucht werden, dann plötzlich er- 
zeugt sich der Schlagfluss {apoplexia). Wenn nur einen Theil ver- 
stopft die schädliche Feuchtigkeit, deren Dampf den Verstand be- 



12) Henry 61 ohne nee, 

13) Hier, mit iniro penetrantes^ endet Mosheim's Citat. 



— 7 — 

täubt, so erzeugt sich die Fallsucht (epilepsia), oder eine andere 
Krankheit je nach dem Theile, auf welchen der fortgetriebene 
Dampf sich niederschlägt. Da also sagen wir wohne der Verstand 
(mentem), wo wir deutlich gewahren, dass er betroflfen wird. Aus 
der ungemässigten Wärme jener Gefasse oder aus der Entzündung 
der Gehirnhäute (meningum) entstehen offenbar die Delirien und 
Verrücktheit. Darum schliessen wir aus den plötzlich eintreten- 
den Krankheiten, aus der Art der Lage und der Substanz, aus 
der Wärme Gewalt und der kunstvollen Schönheit der sie ent- 
haltenden Gefasse und aus den darin erscheinenden Thätigkeiten 
der Seele immer wieder, dass diese kleinen Gefasse den Vor- 
zug haben müssen, sowohl deswegen, weil ihnen alles übrige 
Dienste leistet, als auch deswegen, weil die Nerven der Sin- 
neswerkzeuge an sie angeknüpft werden^ damit sie daher 
Kraft empfangen: endlich deswegen, weil wir wahrnehmen, dass 
die Einsicht dort ihre Werkstatt hat, indem jene Arterien bei 
starkem Nachdenken bis zu den Schläfen hin in schla- 
gender Bewegung sich befinden. Kaum wird es verstehen, 
der die Stelle nicht gesehen hat. 

,J)ie zweite Bestimmung jener Gehimkammern {ventriculi) 
ist die, dass ein Theil der eingeathmeten Luft zu jenen leeren 
Räumen durch das Siebbein ij^er o$sa ethmoide) hindurchdringend, 
und durch die eigenen Gefasse der Seele (aö ipsis animae 
vans) vermöge der Ausdehnung {per diastolen) angezogen, den 
darin enthaltenen seelischen Geist erfrische und die Seele in 
Schwingung versetze (animam ventilet). In jenen Gefässen ist 
Verstand, Seele und feuriger Muth, der einer starken Anfachung 
bedarf: sonst würde er, dem äusseren Feuer glefch, eingeschlossen 
erstickt werden. Der Anfachung und des Auseinanderblasens 
(difflatione) bedarf er, gleich dem Feuer, nicht nur um von der 
Luft Nahrung zu nehmen, sondern auch um seinen Russ dahin 
auszuspeien **). Wie dieses elementare äussere Feuer mit einem 
irdischen dichten Körper wegen der gemeinsamen Trockenheit und 
wegen der gemeinsamen Form des Lichtes verbunden wird und 
seine Nahrung nimmt von des Körpers Saft, und durch die Luft 
auseinander geweht wird und geschürt und genährt: so wird jener 
unser feuriger Geist und unsere Seele gleichermaassen mit dem 



14) Flourens bemerkt S. 271 bis hierher sei der Verfasser über die Bil- 
dung der Geister, die iU>Ue der Adergeflechte, den Sitz der Seele u. s. w. dem 
Galen gefolgt, von hier an überlasse er sich seiner eigenen Phantasie. 

(»9») 



_ 8 — 

Körper verbunden und macht mit ihm ein Ganzes aus und hat 
sein Blut zur Nahrung: und wird zugleich von einem luftigen 
Geisteshauch durch Einathmung und Ausathmung atiseinander- 
geweht, geschürt und genährt, so dass er eine doppelte Nah- 
rung hat, eine luftige und eine leibliche 

Von der Gefässe guten Bildung und guten Mischung 

hängt des Verstandes Schärfe und die Gttte des Gemttths ab? 
so dass die eine bessere Seele haben, bei denen jene Gefässe 
besser disponirt sind**). Indessen wie durch den guten Geist 
jenes eingegossene Licht mehr und mehr erleuchtet wird, so auch 
wird es durch den bösen **) verdunkelt. Wenn in jene Gefässe 
des Gehirn's zugleich mit unserem lichtvollen Geist ein finsterer 
und arger Geist sich eindrängt, dann wirst Du höllische Wuth- 
ausbrüche erblicken ^^), gerade wie vermöge des guten Geistes 
lichtvolle Offenbarungen. Doch greift jene Gefässe gar leicht an 
der böse Geist, der in der Nachbarschaft seinen Sitz aufschlägt, 
nämlich in jenen Abgründen der Wasser **) und in jenen Höhlen 
der Gehirnkammern. Jener böse Geist, dessen Macht ist in den 
Lüften, schreitet ein und aus zugleich mit der von uns ein- 
geathmeten Luft frei hindurch durch jene Höhlen, um von dort 
aus wie von einer Festung gegen den innerhalb jener Gefässe be- 
findlichen Menschengeist einen angestrengten Kampf zu führen. 
Ja von allen Seiten belagert er ihn da, so dass dieser kaum im 
Stande ist zu athmen, es sei denn, dass gerade das hinzukommende 
Licht des Gottes - Geistes den bösen Geist in die Flucht jagt **). 
Man sieht, wie sßhr für diesen Ort sich ziemt die Weise des Ge- 
müths, des Geistes, der Offenbarung und der Einsicht, sowohl die 
eingeborene als die (in der Wiedergeburt) hinzukommende, und 
der Streit der höheren Versuchungen,* um hier die anderen jetzt 
zu übergehen. Auf eine ähnliche Weise der Einhauchung wird 
die Liebe Gottes im Herzen durch den heiligen Geist angezündet 
Im Herzen nämlich ist nicht bloss des Lebens Anfang, sondern 



15) Hier knüpfte Descartes an. 

16) a malo, Henry fälschlich malo. 

17) videbis, Henry fälschlich ridebis. 

18) Eine in der Apokalypse beliebte Bezeichnung für des bösen Geistes 
Wohnung. Apoc. 20, 1. 3. 9, 11. 

19) Bei diesem „bösen Geist* ^ könnte die Kohlensäure die Hauptrolle 
spielen. P. 

(800) 



— 9 — 

auch das Reich des Willens, und nach den Versuchungen der Ein- 
sicht und den Anstachelungen des Fleisches der erste Ursprung 
der Sünde, womit Matthaeus übereinstimmt (15, v. 19)*"). 

„Indess wollen wir doch das, was das Gehirn enthält, erst zu 
Ende bringen, ehe wir zum Herzen fortschreiten. Verschieden 
sind je nach der Verschiedenheit der Hirngefasse die Thätigkeiten 
des inneren Sinnes (wen/ü), gleichermaassen wie auch verschieden 
sind die Werkzeuge in den verschiedenen Hirnkammern, wie ich 
jetzt darlegen will. 

„Jenem seelischen und feurigen Geiste, der in jenen kleinen 
Ge fassen {ehotoidU vasculis) des Adergeflechts enthalten ist, 
wird mitgetheilt die eingeathmete Luft zu kleinem Theile durch die 
Knochen, die man das Siebbein nennt , eben die Luft, die da auf- 
stretit zu den beiden früher beschriebenen Stirnhöhlen, welche im 
rechten und im linken Theil des Stirnbeins gelegen sind. Und dort 
schöpfen die Capillar-Arterien des Ader-Geflechts, indem sie 
sich ausdehnen, jene Luft, die da nöthig ist, die Seele anzufachen. 
Und auf dieselben übertragen auch die beiden Sehnerven, nachdem 
die Vereinigung stattgefunden hat, die Lichtbilder der Dinge, die 
man gesehen, sowie auch die Gehörnerven und der anderen Sinne 
Nerven, indem der gemeinsame Überzug der Membran immer be- 
wahrt wird, zum treulichsten^und sichersten Schutze aller. Denn 
wenn in jenen lehren Räumen so hin- und herlaufen wollten die 
Vorstellungen (species) und Geister mit der Seele, so müssten sie 
durch Ausschnauben insgesammt herausgeworfen werden, oder we- 
nigstens doch beim Messen^'). Wenn dort die Seele wäre, so 
wäre sie eben nicht im Blute, da Blut sich nicht findet aus- 
serhalb der Gefässe. So ruht denn der Verstand (men$) ganz 
sicher in des Adergeflechts Gefässen {in vasis choroidum). Ganz 
sicher ist die Bedeckung: und auf die besagten Gefässe münden 
aus, mit Einem Theil in den Stirnhöhlen (in pri&ribus ventriculis) 
gelegen, die hauptsächlichsten Gefühlsnerven (sensorii)^ so dass dort 
der Anfang ist für das Gemeingefühl, dort die von den äusseren 
Sinnen in's Gemein übertragene Wahrnehmung oder Vorstellung, 
indem dortselbst die wahrgenommenen Dinge anfangen mitein- 
ander verglichen und vermischt zu werden. 

„Nun aber wird jene in das Hirn eingeblasene Luft von den 
beiden Stirnhöhlen (ventriculis anteriaribus) in die Mittelkammer 

20) Hier endet Henry's Citat. 

21) Eine urkomisch-materialistische Phantasie. 

(tot) 



— 10 — 

gebracht oder vielmehr in einen gemeinsamen Laufgang (meatum), 
indem die Zusammenkunft unter der Leier (sub psalioide) statt- 
findet. Dort ist der lichtvollere und reinere Theil des Verstandes. 
Dieser streut die ihm von Gott her eingeborenen Ideenkeime aus*') 
und ist im Stande, aus den schon einmal wahrgenommeneu Bil- 
dern durch Ähnlichkeit neue Dinge auszudenken oder zusammen- 
zusetzen, das Erdachte zu vermischen, aus dem Einen Anderes zu 
schliessen, zwischen beiden zu unterscheiden und die reine Wahr- 
heit selber aufzufassen, unter der Erleuchtung Gottes. Kleiner ist 
dort die Kammer und feiner der Einsicht Weise: weil dort die 
Arterien des Adergeflechts reichlicher vorhanden sind; sie er- 
neuem ihren feurigen Geist durch die Ausdehnung (diastole) und 
ftlhren des Gemeingefühls Wahrnehmungen mehr und mehr zu 
einer lichtvollen Begründung, indem jenes geistige Licht inw^dig 
eindringt durch die Gefässe, und die Gottheit selber dort wie- 
derstrahlt Dort ist kein so grosser leerer Raum vorhanden wie 
in den anderen Kammern, so dass man ihn eher einen Laufgang 
(meatum) nennen kann, als eine Kammer oder einen langen und 
vielgekrümmten Weg der Untersuchung (sci^tinü). Und das ist 
mit Weisheit so gemacht, wegen der Schwierigkeit der Unter- 
suchung. Kleiner ist darum die Kammer, weil wo der Theil 
des inneren Sinnes reiner und lichtvoller ist, da dürfen nicht so 
viel Unreinigkeiten ausgesondert werden. Und die dort erzeugt 
werden, fallen ohne Mühe in den gerade darunter liegenden Trich- 
ter (choana)^ damit sie nicht die Leuchte des Verstandes aus- 
löschen noch ihr zur Hinderung gereichen. Zahlreich sind dort 
die Gefääse rings um die Zirbeldrüse (conarium) herum"), 
zahlreich die Schläge der Arterien^ ganz besonders mächtig dort 
des Verstandes und feurigen Muthes Bewegung. Auch wir haben 
beobachtet, wie dort neben den Schläfen von aussen und von 
innen stärker anschlägt die arbeitende Einsicht, so dass^wir schon 
durch diese Erfahrung allein auf den Sitz des Verstandes selber 
hingeleitet werden. Nimm hinzu, dass diesem Orte näher ist der 
Sinn des Gehörs, der da ist der Sinn der Unterweisung (semm 
disciplinae). 



21) Auch Flourens spürt etwas (S. 274) von der Erhabenheit dieser Stelle: 
Pei^säe ingenieuse, Vesprit ne decouvre le neuf que par une certaine ressem- 
blance quHl lui trouve avec Vinnä. 

22) In dieser Bestimmung des Sitzes der Seele folgt ihm Descartes. 
Man hat diese Abhängigkeit bisher übersehen, vgl. Schwegler, Geschichte der 
Philosophie 1848, S. 101. 

(«et) 



— 11 — 

„Das allergrösste Wunder ist diese Zusammensetzung des 
Menschen ^'). 

„Da sind viele und lange Umwege bis zum kleinen Gehirn 
(cerebeilum)^ SO dass in langer Untersuchung alle noch so gewun- 
denen Dinge erforscht werden können und die Finsternisse auf- 
gehellt, unter Beihülfe auch der Dinge, die vermöge der Erinne- 
rungs-Fähigkeit im Gedächtniss früher schon geborgen wurden. 
Dort auch wird von dem Pförtner dem Wurm (a janitofe scolü 
coide) 2*) und von dem windungsreichen Hinterhirn (sinuotis glutiu\ 
sobald ein Gedanke beabsichtigt wird, zurückgehalten auf gewisse 
/ Weise und vermehrt das Foment der eingehauchten Luft, bis dass 
durch sie angefacht und in mächtige Schlagbewegung versetzt wer- 
den alle Arterien des Verstandes {mentit arteriu)^^) und so die 
Untersuchung vollendet und alles lichtvoll aufgehellt wird. Mit dem 
Verstand also, der ja feuriger Natur und des Lichtes theilhaflig 
ist, hängt vor allem zusammen jener feurige Ort, und bleibt mit 
ihm noch in Verbindung, wenn der Begrift schon geboren ist 
Denn auch der Begriff ist von demXicht ein Strahl und ein licht- 
volles Bildniss. Auch die äusseren Gestalten der Dinge, die wir 
wahrnehmen können, sind, wenn sie das Auge treffen, lichtvoll und 
werden von einem lichtvollen Gegenstand oder doch von einem 
solchen der die Form des Lichtes hat durch ein lichtvolles Me- 
dium entsandt. Darum wird auch der innere Sinn selber mehr 
und mehr erleuchtet. 

„Doch nicht nur vom Gesicht aus, welches uns mehrere Unter- 
schiede der Dinge zeigt, wird die Einsicht geschmückt , sondern auch 
von den Gegenständen der anderen Sinne, welche alle mit unserem 
lichtvollen Geiste eine gewisse Verwandtschaft haben. Diese Ver- 
wandtschaft stammt von der wesentlichen Grundform aller Dinge, 
die das Licht ist, und bei den einzelnen Dingen aus der geist- 
hauch-artigen Weise, in der sie athmen und wirken. Der Schall 
und der Duft haben eilie gewisse Gleichartigkeit mit dem Geist- 
hauch; nach Art des Odems (spiritus) werden sie wahrgenommen, 
und nach Art des Odems wirken sie in uns. Der gehörten Dinge 
Wahrnehmung geschieht durch einen äusseren Hauch, der an das 



23) Flourens 275 bemerkt hierzu: Enthousiasme vrat, et de Vhom/me gui a 
fall le Premier pas dans i'elude de cette admirable structurey de Vhomme qui 
a decouvert la circulation pulmonaire. 

24) Unverständlich: Schon dass die Stirnhöhlen als Kammern des Gehirns 
gerechnet werden, zeigt wie fest noch die Galenische Tradition haftete. P. 

25) Eicpression hardie, sagt Flourens S. 276. 



— 12 — 

Trommelfell (memhrana) anschlägt und so den inwendigen Geist- 
hauch trifft, in dem das Licht der Seele seinen Sitz hat und der 
Zusammenklang der geistigen Harmonie, der durch Ausdehnung 
und Zusammenziehung {diasiole et Systole) geregelt wird. Mit den 
riechenden Dingen verhält es sich auf fast gleiche Weise. Was 
aber geschmeckt und berührt wird, obwohl es mehr körperlicher 
Art ist, so hat es doch Kräfte , und zwar solche Kräfte , die da 
geeignet sind die Seele umzuwandeln, jene durch die Feuchtigkeit, 
diese durch den Widerstand: beides stammt gleichfalls aus der 
gemeinsamen Grundform des Lichts, wie z. B. aus dem Umstand 
^u ersehen ist, dass es einwirkt auf den Geist. Durch ihre Licht- 
art wirkt diese ganze Substanz auf die Seele ein, indem sie ihr 
eindrückt die Idee des Ganzen. Die Substanzen selber sehen jetzt 
die Sophisten, welche früher lehrten, nichts könne man sehen, 
weder in Gott noch auch in uns, als Eigenschaften und ge- 
schminkte Masken (fucatas larvas). Wir aber, die wir in Christo 
schauen das wesentliche Licht, wir gehen auch in anderen Dingen 
der Anschauung des wahren Lichtes nach. 

„Nachdem er nun all' die angeführten Dinge in der Mittel- 
kammer beleuchtet hat, geht der Geist selbst, mit Erlaubniss des 
Pförtners (janitor)^ über in die vierte Kammer des Nebengehirns 
(parenkephalis) und es folgt ihm das zusammengewehte lichtvolle 
Bild, das in dem Lichte der Seele selber gelegen ist. Dort aber, 
gewissermaassen in der Tiefe des Gehirns (velut in cerebri fundo), 
bewahren jene GefUsse ihren GedächtnissschatÄ mit Hartnäckigkeit 
und verbergen dort alles, was sie vermöge sinnlicher Wahrnehmung 
oder Schlussfolgerung gefunden haben: nicht als ob sie es dort an 
den Wänden aufhingen, sondern sie vertrauen es der Substanz der 
Seele selber an wie einem gewissen Stoflf (ut in materia quadam). 
Dort besitzt die Seele für den zurückgehaltenen Geisthauch stär- 
kere Ge fasse, damit nicht das Gedächtniss leichthin auseinander- 
stiebt. Ich übergehe, dass durch diesen Weg (ea via) vermittelst 
der grossen Nerven des Rückenmarks die bewegende Fähigkeit 
des ganzen Körpers den Muskeln vermittelt wird, indem der see- 
lische G^ist gewissermaassen ausstrahlt (spiritu veluti radiante). 
Demnach sind im Gehirn vier Kammern und der inneren Sinne 
drei. Denn die beiden vorderen Stirnhöhlen enthalten nur den 
einen Gemeinsinn (sensum unum comwunem). Die mittlere Kammer 
enthält das Denkvermögen (cogitatio) und die hintere das Ge- 
dächtniss {memoria). So viel von dem Theil des Geisthauchs, der 

(IM) 



— 13 — 

in das Hirn hinaufgeführt wird, und von den Organen und Mäch- 
ten des Gehirns. .... 

„Dem grösseren Theile nach wird nun aber die ein- 
geathmete Luft durch die Luftröhre in die Lungen geftthrt, 
um von ihnen verarbeitet in die venöse Arterie überzu- 
gehen, und dort mit dem hellrothen und feinen Blute ver- 
mischt und immer weiter verarbeitet zu werden. Darauf wird 
das ganze Gemisch von der linken Herzkammer her durch 
Ausdehnung (diasiole) angezogen. Durch die dort enthaltene 
sehr starke und lebendige Feuerkraft wird es seiner Bestimmung 
gemäss (ad suam formam) vervollkommnet, und wird zum Lebens- 
geist, nachdem es in jener Bearbeitung vielen räuchriohen 
Unrath (fuHginom recrementis) ausgeathmet hat Dieses Ganze 
ist gleichsam der Stoflf {materia) für die Seele selbst. 

„Über dies ganze Gemisch hinaus giebt es in der Seele noch 
zweierlei: etwas Lebendiges, das durch die Athmung geschaffen 
oder in dem ihr eigenen Stoff erzeugt ist (in sua materia pro- 
ductum): und den Geist selber oder die Gottheit selber (tlivinitas 
ipsa\ die durch Hauchen eingepflanzt ist. Und das Alles ist ein 
Ganzes und Eine Seele. Das Mittlere, was hauptsächlich Seele 
genannt wird, ist Hauch und Geist, auf beiden Seiten mit Hauch 
und Geist wesentlich verbunden. Es ist eine ätherische Substanz, 
jener urbildlichen tiberelementaren, aber auch dieser niedrigeren 
ähnlich: eine einzige natürliche Seele, lebenbringend und seelisch 

(vitalis et animalis). 

„Da siehst Du nun die ganze Art und Weise der Seele, und 
warum alles Fleisches Seele im Blute ist und die Seele selber 
Blut ist, wie Gott sagt. Denn unter dem göttlichen Anhauch ist 
eingeblasen durch Mund und Nase in Herz und Hirn Adams und 
seiher Nachgeborenen jene himmlische Geistesluft oder jener ideale 
Funke, der mit dem geistartigen blutigen Stoff innerlich wesen- 
haft verbunden, in seinen Eingeweiden zur Seele wurde'*) Gen. 2. 
(v.7); Jesaj. 57. (v. 16); Hesek. 37. (v. 14) und Sacharj. 12. (v. 10). 

„Dass aber an sich selbst verschiedene Substanzen fähig sind, 
auf gedachte Weise zusammenzugehen, lehren uns nach den Ghal- 
däern die Akademiker, welche behauptet haben, eine gewisse 
ätherische Luft werde von Gott verbunden mit der elementaren 
Luft, damit durch dieses Medium in einen dichten Körper der 



26) Hier Restitutio S. 178 schliesst Flourens' Citat (S. 279). 

(806) 



— 14 — 

göttliche Geist hineingesandt werden könnte. Es lehren das deut- 
lich die heiligen Schriften, indem sie bald die Seele einen Hauch 
von Gott nennen, bald den Geist einen Wind." 

Diese Wahrheit wird nun mit Schriftzeugnissen und anderen 
Autoritäten begründet, bis S. 181, wo es heisst: 

„Du darfst also dich nicht scheuen, zu sagen, dass unsere 
Seele und der heilige Geist Christi selbst mit sich wesentlich ver- 
bunden führen eine derartige elementare Substanz, wie auch das 
Wort mit sieh verbunden hat das Fleisch {Joh. 1, 14). Unzer- 
trennbar ist die nachbarliche Berührung mit jener Substanz für 
das Feuer unserer Seele und für das Feuer unseres Geistes, das 
dadurch geschürt und genährt wird: wie wir sehen, dass das 
äussere Feuer durch Fett und Luft geschürt und ge- 
nährt wird. Und wie nun, sobald diese aufhören, das 
Feuer erlischt, so auch erlischt in uns gewissermaas- 
sen die Seele, sobald sie der vitalen Wirksamkeit ent- 
behrt." Die berühmte Stelle ist zu Ende. 

Indess wie Hirn und Herz zueinander stehen , das wird oben 
nur angedeutet, näher erläutert aber S. 302 flf., wo es gilt, einen 
richtigen physiologischen Untergrund zu gewinnen für die Lehre 
vom Glauben und von der Gerechtigkeit des Reiches Christi. 
Denn davon handelt das Buch der „Wiederherstellung des Christen- 
thums" auf S. 287—313. Und auch hier wieder stellt sich der 
Verfasser mit seinen eigenen Beobachtungen in bewussten Ge- 
gensatz zu dem 1553 noch allein die Physiologie beherrschenden 
Galen. Hören wir den muthigen Mann: 

„Nach Galen scheint der Ursprung der Willensbewegung im 
Hirn zu liegen, als aus welchem ihren Ausgang nehmen die Ner- 
ven und die seelischen Geister. Und in diesen sei jene bewegende 
und freiwillige Fertigkeit der Muskeln enthalten. Dort auch sei 
der Muth und die Verstandeskraft. Ich antworte: Dem äusseren 
Dienst und Forschen steht das Gehirn vor. Abgewartet aber wird 
immer des Herzens Befehl und Einwilligung. Und wie einerseits 
das Herz seinen Willensentschluss durch den Dienst des Gehirns 
nach Berathschlagungen mit der Einsicht zum Abschluss bringt, 
so andererseits setzt sich des Herzens Wille erst durch den Dienst 
des Gehirns in äussere Wirksamkeit. Jene seelischen Geister ha- 
ben ihren Ursprung in den Lebensgeistern, die hervorgehen aus 
dem Herzen, in dem der erste Anfang des Lebens und der Seele 
sich vorfindet. In den aufregendsten Wahrnehmungen, Furcht und 
Schmerzen fohlt man am lebhaftesten den Affect im Herzen, als 

(806) 



— 15 — 

an dem vorzüglichsten Orte. Dort ist ein passenderer Wohnsitz 
für Seele und Geist als in den Gefässen des Gehirns. Dennoch 
ist es wahr, dass des Herzens Wille nicht in der Weise gebietet 
der Vernunft des Denkvermögens, dass er von ihr nicht auch 
könnte zurückgedrängt werden. 

„So ist denn Ein Hauptvermögen der Seele in dem Hirn zu 
finden, die Berathschlagung der Einsicht, für welche, weil sie 
schwierig ist, eine erhabene Warte angelegt worden ist und mit 
vieler Erfindungskraft (ingenio) verschiedenartige Werkzeuge ge- 
bildet sind. Das andere Hauptvermögen ist ein einfaches und liegt 
im Herzen, die Überlegung des Willens. Nicht kann das Herz 
wollen, ohne dass die Einsicht sie mit einem Gegenstande bedient, 
da ja der Wille nicht fortgerissen wird auf unbekannte Dinge. 
Der Einsicht Gründe zügeln den Willen des Herzens. Die Ein* 
sieht folgt dem was wahr ist oder es doch zu sein scheint: der 
Wille dem Guten. Der Wille strebt durch Einsicht und Sinn 
draussen nach den Dingen selber auf demselben Wege hin, auf 
welchem eben jene Dinge durch Sinn und Einsicht drinnen ihm 
nahe gebracht worden sind. Auch ist der Sinnes*£indruck eigent- 
lich nicht das Leiden des Organs selber, sondern nur der Finger- 
zeig '^) auf das Leiden , das in der Seele vor sich geht : und nur 
deswegen erinnert sich später seiner die Seele. Und nach der- 
selben Hinsicht ist das Wollen und Einsehen eigentlich in der 
Seele, nicht aber im Organ des Herzens oder des Hinis'^): son- 
dern in ihnen ist eine gewisse gemeinsame Bewegung: es sind die 
ersten Werkzeuge (in denen die Seele wirkt und) die so (gewisser* 
maassen) die handelnde Seele enthalten, und deswegen schreibt 
man ihnen die Handlung zu.^' . . . 

Um nun aber das Verhältniss von Herz und Hirn, und den 
Sitz der Seele gründlicher zu beobachten, hat der Verfasser des 
Buches von der „Wiederheistellung des Christenthums^S da nur 
menschliche Vivisectionen ihm eine annähernde Gewissheit bringen 
konnten, diese aber unthunlich sind, seine Studien über den Kreis- 
lauf des Fötus zur Ergänzung herangezogen. Ist der Gircubttions- 
Process im Fötus derselbe wie im Erwachsenen**^)? Und was ist 



27) Gedruckt ist dignitio. Ich lese digiUo»^ 

28) Die Initiative ist nie materieU. 

29) J. H. Knabbe (Disquisitiones fUstorico-criticae de circulatione sanguinis 
in foetu matwro. Diss. 4. Bonn 1834. Mit Tafehi. 109 Seiten) f^bt swar 
keine Geschichte der £ntdeckaiig des fötalen Kreislaufs, aber eine gute Kritik 

(aoT) 



— 16 — 

» 

der Lauf des Chylus ? Diese physiologischen Centralfragen sind hier 
in der „Wiederherstellung des Christenthums'' — daran muss man 
sich gewöhnen — nur theologische Corollarien. Das physiologische 
Experiment und die anatomische Beobachtung sollen zu nichts 
anderem dienen als zur Begründung der Bibel-Lehre. 

Wo der Verf. Christi jungfräuliche Geburt zu erforschen hat, 
bringt er seine Studien über die Anfänge des Menschen-Daseins 
im Zusammenhang (S. 250 ff.). 

„Der väterliche Same enthält substantiell in sich die elemen- 
tare Substanz von Wasser, Luft und Feuer." Doch ist die Mut- 
ter dem nicht fremd. „Die drei oberen Elemente stammen von 
beiden Eltern. Der Erden-Stoff hingegen stammt von der Mutter 
allein. Durch das mütterliche Blut, wie es von der for- 
menden Kraft des männlichen Samens umgebildet ist, 
wird des Embryo Fleisch in uns gestaltet (piasmatur). 
Wenn andererseits im väterlichen Samen dennoch etwas erdisches 
sein sollte, so wäre das nur der Wächter für den darin enthalte- 
nen Geist, und bemüht sich nur um die äussere Überrindung der 
die Frucht umschliessenden häutigen Hülle, die man Chorion 
(xo^*öv) nennt. Nicht aber dringt nach aussen noch auch ver- 
duftet in der äusseren Luft, nachdem die Pflanzung des Embryo 
vollzogen ist, jener Geist des Samens, wie einige behauptet haben, 
sondern er wird festgehalten von den Gefässen, wie Galen lehrt in 
den Büchern vom Samen. Damit hat es zu thun die zweite Um- 
hüllung (sectmdarum incvmtatio) und der Gebärmutter enge Ein- 
fassung (uteri arctus amplexm)^ SO dass jener eingeschlossene 
Feuerfunke inwendig wallt (ferveat) und arbeitet. Diese feurige 
Kraft des Samens, die ein Symbol der Idee, der Seele, der Form 
und des göttlichen Lichtes in sich trägt, ist eben jenes formende 
Vermögen, ist die die natürlichen Kräfte bewirkende Essenz, nach 
der mit Aristoteles und den anderen Philosophen oft geforscht 
hat Galen, bis er zuletzt eingesteht, dass er sie nicht kenne." 

In der üntersuc]hung über die Bewegung des „Chylus" fühlt 
sich der Verfasser auf einem ähnlichen Standpuncte und in einem 
ebenso bewussten Gegensatz zu Galen, wie bei seinen Unter- 
suchungen über den Lauf des Bluts. Man hat das bisher über- 
sehen. Der Verfasser fahrt fort: 

„Das bildende Vermögen in den seelischen Wesen bewirkt 



hervorragender Ansichten über denselben von Galen /bis Meckol, welche aber 
auf Vollständigkeit keinen Anspruch machen kann. P. 



— 17 — 

die erste Ausbildung gewisser hauptsächlicher Theile mit ihren 
Gefässen. Nach der das Naturell bestimmenden {naturale) Leber 
und nach dem das Leben gebenden {vitale) Herzen strecken 
sich zuerst vom Leib der Mutter her des Fötus Nabel- 
geßiÄse {umbilicaria foetus vasa), wie wir in der Anatomie 
wahrnehmen. Von der Leber selber aus geschieht die erste 
Umbildung des Nahrungssaftes {Ckyli) in Blut, und zwar durch 
die Macht des feurigen Lebensgeistes und des der Leber selber 
innewohnenden formenden Lichts. 

„Wenn nun aber durch die Leber lebt der Embryo in einem 
vegetativen Leben, bevor noch das Herz sich der Wirksamkeit der 
Ausdehnung und Zusammenziehung {dia»toli$ et syatoUs munere) 
bedient^®), so scheint das Herz nicht das erste Lebende zu sein? 
Allein es ist das doch nicht durchaus ein Leben der Leber aus 
sich. Von anderswoher wird es genährt. Und wenn jenes Leben 
gleich ein Leben wäre aus blosser Kraft des Samens, so ist das 
doch noch kein Seelenleben. Im Mutterleibe wird der Embryo er- 
nährt durch die Seele der Mutter, vom Herzen selber der Miü;ter. 
Denn von ihm nehmen ihren Ursprung die Arterien, die 
vermittelst der Nabelschnur in den Fötus selber hinein- 
gehen und den Lebensgeist in ihn einflössen. Dieses müt- 
terlichen Lebensgeistes Lebenswärme, zugleich mit dem dem Samen 
eingeborenen Vermögen, bewirkt, dass der Embryo lebt in 
einem vegetativen Leben, dann immer noch ohne eine 
andere Seele. Das Herz also, wenn es auch der Zeit nach nicht 
geradezu das zuerst Lebende genannt werden kann, ist doch das 
hauptsächlich Lebendige und das zuerst mit wirklicher Seele 
Lebende. 

„Was nun die Zeit anbetrifft, in welcher Gott dem Menschen 
eine wirkliche Seele einflösst, so ist es die, wo der Mensch an- 
fangt zu athmen, also die Stunde der Geburt. Im Mutter- 
leibe giebt es weder Einathmung noch Ausathmung: auch 
lebt der Fötus nicht durch die eigene Seele, sondern durch die 



SO) & 33) Dieser Irrthum beweist, dass die Beobachtungen über den Fötus 
nur an Leichen gemacht wurden. Zu jener Zeit wusste niemand, dass das 
Herz des Fötus pulsirt Erst Harvey sah das fötale Säugethierherz schlagen 
(Exercit de Generaiione Animalium. Auetore Guilielmo Harveo. Editio novis- 
Hma a mendis repurgata, Hagae Camitis 1680. S. 461. Die 1. Aufl. erschien 
1651). r P. 



— 18 — 

Seele der Mutter, gleichsam als ein Theil der Mutter, indem 
jener Lebensgeist, von dem wir gesprochen haben, durch die 
Nabel- Arterien eingeführt wird®*): und durch sie hört der 
Geist nicht auf, sich zu bethätigen, bis dass der Mensch geboren 
¥drd. Deshalb lebt durch seine Vermittlung immer im Mutter- 
leibe der Fötus. Wie ein Zweig ist er dann, der durch die 

Geburt erst übergepflanzt wird, dass er ein Baum sei." 
Die Autoritäten für diese Ansicht werden aus Gen. 2. (v. 21); 
P$. 1. (v. 3) und Jes. 57. (v. 16), sowie aus der Astrol<^e ent- 
nommen. 

„Demnach scheint des Embryo Seele und Leben, die ja den 
Pflanzen gleichen, unserem Leben nicht ähnlich zu sein. Und 
in der That gleicht es dem unseren nicht, da in ihm nicht eine 
eigene Seele vorhanden ist. Vom Embryo sagt man, dass er 
vegetatives Leben führe., bevor Gott ihm eine Seele einhaucht. 
Und doch auch in diesem Vorzustande unterscheidet sich seine 
Weise von der der Baumwurzeln ^*). Denn durch die Nabel- 
schnur zielt die Nahrung ab auf die Leber. Die Wurzeln 
des Baumes sind dann nicht Pfortadem (venae partae), sondern 
gewissermaassen die Haarfasern der Vielfüssler {p^lypodum capil- 
lamenta); nach dem Mutterschoosse hin Zotten (acetabula) oder 
Kotyledonen (xozvXi^öoveg)^ wie sie Hippokrates nennt. Von dort 
aus fügen sich viele Gefässe in die zweite Haut ein (muUa inde 

vascula in sectmdas sese inserunt) und laufen in ZVirei Doppelge- 

fä.ssen (dupUcata vasa) zusammen^ welche durch die Nabel- 
schnur des Fötus Eingang finden. Bei der Greburt v^erden 
die Kindes - Bänder der Kotyledonen (acetabulorum) gelöst, 
durch Abwaschung von der Besudelung der Nachgeburt {chorii) 
gereinigt, gleich wie ein neuer umgepflanzter Baum. Da also 
der Fötus im Mutterleibe weder der Einathmung noch der 
Ausathmung sich erfreut, so hat er auch keine eigene Seele. 
Denn wie will «ine Seele im Herzen sein, wenn das Herz weder 
Ausdehnung (diastole) noch Zusammenziehung (#y«t»fe) haf ). Die 
Klappen des Herzens (valmlae) oder jene Häutchen (membranae) 
an den Mündungen der Gefässe werden nicht ^er geöffnet, als 



31) D. h. dureh das jetzt Nabelvene genannte €tefil«8 emp&Bgt der Fdtns 
den Blutsaaerstoff <,Jenen Lebensgeist"). P. 

32) Der Vergleich mit den Baumwurzeln findet sich schon bei Galen. 

(MO) 



- 19 — 

bis der Mensch geboren wird. Ein Leben«geist wird bis dahin 
durchaus nicht im Herzen erzeugt, sondern nur von dem 
allein kann die Rede sein, der von der Mutter eingegos- 
sen wird. Auf welche Weise sollte denn da eine eigentbümlißbß 
Seele zu Stande kommen ? Es giebt keinen eigenthümlicben Geist, 
in dem sie gelegen sein könnte, bis der Mensch geboren wird. 
Dann erst geschieht auf höchst kunßtvoUe Weise die Einhauchung 
der göttlichen Seele und die Einführung des lufthaltigen (spiritalis) 
Blutes. 

„Da fragt sich nun, ob denn nicht, auch schon ^he die Seele 
eingehaucht wird, im Fötus eine bewegende Kraft ist, welche das 
Häutchen zerreisst? Ja warum denn nicht? Das junge Hühnchen 
zerbricht ja die Schale, ehe es noch athmet. Verschiedene Pflan- 
zen brechen durch ihre Bewegung Mauern und Felsen entzwei, 
um sich einen Weg zu bahnen." — Auch ohne Seele ist eine Kraft 
in dem Samen. „Ja die Kraft des Samens ist so gross, idass durch 
sie in der Seele des Sohnes wiederstrahlen die väterlichen Sitte». 
Und das ist nur dadurch möglich, dass die Seele etwas empfangt 
vom Samen" (S. 260). Und zwar nicht vom väterlichen allein. 

„Aristoteles freilich im 2. Buch „Von der Erzeugung der Thiere" 
stellt in Abrede, dass der weibliche Same etwas beitrage zur Er- 
zeugung. Aber den Aristoteles widerlegt mit vielen Gründen Ga- 
len im 2. Buch von dem Samen. Denn auch dem Weibe eignjen 
besondere Samengefässe, gerade wie dem Mann«: au^b siud sie 
ebenso kunstvoll construirt; ja die Saraen-Species ist beim Mann 
und beim Weibe ein und dieselbe. Aber auch darum muss der 
weibliche Same zur Zeugung von Belang sein, weil durch den 
blossen Erguss des männlichen Samens allein keine Zeugung geschieht. 
Auch sieht ja der Fötus , nach Seele und Leib , der Mutter wie 
dem Vater ähnlich, an Sitten, Temperament, Gestalt und anderen 
eigenthümlichen Kennzeichen." 

Nachdem er nun auch für diese Behauptungen, zur Erhärtung 
ihrer Richtigkeit, den Beweis durch Bibelstellen geführt hat, bringt 
der Verfasser der „Wiederherstellung des Christenthums" (S. 266) 
das Ergebniss : „Unser Same ist Fleisch geworden und mit Fleisch 
vermischt sowohl nach der Weise der Idee des Menschen (die 
Gott vorschwebt) als auch in Gemässheit der Substanz der Ele- 
mente: und die Kraft des idealen Lichtes ist darin vereint nach 
Leib und nach Seele." Aber auch (S. 269) „des Mannes und des 
Weibes Substanz wachsen zusammen zu dem Einen Fleisch des 
Embryo" 

#•19 2* 



— 20 — 

Es ist ein eigenthümlicher Mann, dieser Verfasser der „Wie- 
derherstellung des Christenthums". Nichts Physiologisches kann 
er beobachten oder behaupten, ohne seine Ergebnisse sofort aus 
der Bibel zu legitimiren. Aber auch nichts Theologisches kann er 
behaupten, ohne sich für seine Behauptungen nach einem soliden 
Untergrund umzusehen in der Anatomie und Physiologie. So geht 
es fort durch das ganze Buch. S. 411 — 469 redet er von der 
Beschneidung des Herzens. Er knüpft an die Beschneidung der 
Vorhaut bei den Juden an, und „die Beschneidung der Vorhaut", 
sagt er, „bedeutete nicht bloss das Abschi^eiden der Begehrlich- 
keit, sondern sie bewirkte es in der That, indem sie den Sta- 
chel der Begehrlichkeit abstumpfte. Denn das Glied wird ge- 
schwächt, indem es verwundet und seiner natürlichen Decke be- 
raubt wird. Einleuchtend ist das für die, welche den natürlichen 
Gebrauch und Nutzen jedes Theiles verstehen." Überall physio- 
logische Phantasien im Dienste der Bibel. Selbst in den theolo- 
gischen Briefen an den grossen Genfer Theologen, Johann Calvin, 
deren 30 der „Wiederherstellung" einverleibt sind, weist er gern 
auf seine physiologische Unterlage hin. So S. 586: „Im Samen 
nicht nur der seelischen Wesen, sondern jeglichen Stammes wohnt 
eine gewisse formende Kraft, welche fähig ist, das Ding auszuge- 
stalten, von dessen Art der Same ist: und zwar hat der Same 
nicht bloss die Kraft, die bestimmte gleichartige Species, sondern 
auch ein bestimmtes gleichartiges Individuum wiederzuerzeugen." 

Wer ist der Mann, der 1553 also schreibt? 



(m 



-^^ 



Zweites Capitel, 

Mehael Servef s Vorgänger und Ifachfolger lii der 

Entdeckung des Blutumlaufs. 

Motto : Haec aänotavimus^ ne s^^eculaüoni relinquerem^is 
sed ut experientia certa veritatem indagare pos- 
semus, Servet: Ptolemaeus. 

Der anonyme*) Verfasser jener Schrift von der Wiederher- 
stellung des Ghristenthums, dem die Physiologie die Entdeckung 
des Blutumlaufs verdankt, deutet seinen Namen amSchluss an 
durch die Buchstaben M. S. V. Im Werke selber ist ein Theil 
ein Zwiegespräch über die heilige Dreieinigkeit Da unterredet 
sich ein Michael und ein Petrus. Und als MichaeFs Stimme er- 
tönt, sagt Petrus: „Oh da ist er ja. Servet ist da, den ich 
suchte. Wehe , wehe! Was sprichst Du so laut mit Dir selber ?" 
An vielen anderen Stellen des Buches spielt der Michael's-Name 
eine grosse, prophetisch-apokalyptische Rolle. Und im Gerichts- 
verhör zu Genf, im Spätsommer 1553 hat Michael Servet ein- 
gestehen müssen, dass eben er der Anonymus sei, welcher das 
Buch von der „Wiederherstellung des Ghristenthums" verfasst hat. 
Das V. endlich neben dem M. S. deutet an, dass Servet identisch 
ist mit dem Michel de Villeneufve, unter welchem Namen 
der berühmte Arzt sich gegen die Verfolgungen seiner theologi- 
schen Widersacher in Frankreich zu verbergen und zu schützen 
gesucht hatte. Diese Identität brachte ihm den Tod. 

Um nun aber den grossen Entdecker physiologisch in das 
rechte geschichtliche Licht zu stellen, fragen wir hier zunächst 
nach seinen Vorgängern und Nachfolgern auf dem Gebiet der 
Physiologie. Servet ist durch und durch Theologe. Aber das 
Gebiet der Anatomie und Physiologie ist für ihn heiliges Land. 

1) Maittaire, AnnaL typogr, T. V. P. IL p. 243 sagt irrig: Cet oiwrage 
pamt saus le nom d§ Vauteur, 

(tit) 



— 22 - 

Denn „das grösste aller Wunder, sagt er, ist diese Zusammen- 
setzung des Menschen" (S. 176). Servet ist begeistert für des 
menschlichen Leibes Vollkommenheit. „Denn", sagt er, „des Men- 
schen Gebilde ist aller Ideale, Gestalten und Formen vollkom- 
menste. Sie hat Gott selbst sich erwählt und den Seinen" (S. 220). 
„Als Gott dem Erdkloss seinen eigenen Geist einhauchte", sagt 
Servet, „da ist der Erde gegeben worden jene Form, die schon 
vorher im Äther war, aller Formen schönste, welche auch von 
allen anderen Formen der Wölt verehrt wird, und die Gott auch 
ausgewählt für seinen eigenen Sohn" (S. 585). . . . 

Bei alP seinen anatomischen und physiologischen Beobachtun- 
gen geht Servet trotz seiner Selbständigkeit von zwei Voraus- 
setzungen aus : die eine ist die , dass die Bibel immer Recht hat 
und es bloss darauf ankommen kann, sie. richtig zu verstehen. 
Denn „alle Philosophie und Weisheit suche ich", sagt Servet^), 
„in der Bibel" '). Die andere Voraussetzung ist die : Der beste 
Leiter in allen physiologischen Dingen ist Galen. „Denn", sagt 
Servet, „die ganz erhabene Bestimmung des menschlichen Leibes 
und seiner einzelnen Theile ist nachzulesen bei Galen in den Bü- 
chern von den Theilen des menschlichen Körpers." 

Servet ist Galenist. Das hat er nie geleugnet. Mit Galen 
theilt er Freunde und Feinde. Von Galen entlehnt Servet die 
ganze physiologische Nomenclatur. Ich will deshalb hier nicht 
aburtheilen, ob man weiser thut, das Geheimniss des Lebens „gei- 
stige Kräfte" oder „kräftige Geister" zu nennen ? Wenn man sich 
über die Sache verständigt, so ist kein Grund, sich über Ausdrücke 
ängstlich herumzustreiten. Servet hätte Jedem zugegeben*), dass 
man das, was er als bestimmte Kräfte bezeichnet, ^(nämlich bald 
als Hauch, Wind, Odem ; bald als Funke, Feuer, Licht), auch eben- 
sogut allgemeiner fassen konnte, unter dem Ausdrucke „Kräfte 
überhaupt" oder auch „eigenthümliche Kräfte", oder noch allge- 
meiner „Ursachen". Den Ausdruck „seelische Hauche" oder „thie- 
rische Geister" (ipiritus animaies) verdankt er ja dem seit Galen 
allgemein gewordenen Sprachgebrauch. Und lag der Schwerpunct 
des ganzen Problems in der Auffindung der eigenthümlichen Kraft 
jedes eigenthümlichen Phänomens, in der bestimmten Localisation 

2) De Trinitatis errorilms Fol. 781>. 

3) Über Michael Servet's Stellung zur Bibel S. meinen Aufsatz in Hil- 
gent'eld's Zeitschrift 1875, I. 

4) De SyrupOTum ratione Fol. 27^ sagt öervet: €aeterum de vodbus non 
anxie contendam, . . . Res vero ipsa ita habet, 

(814) 



— 28 — 

jeder besonderen Lebensäusserong in jedem besonderen organischen 
Element, so will ich wahrlich Haller's Verdienst nicht bestreiten; 
aber Servet ist es, der auch auf dieses Princip hingewiesen hat, 
wie aus dem Ende des I. Capitel hervorgeht und aus anderen Stellen 
z. B. (S. 145 fg.): „Die Pflanzen und die Thiere, das ist alle 
die Dinge, die da wachsen, könnten unmöglich aus so kleinen 
Samen so specifisch (ita spedfice), d. h. zu einer so bestimmten 
Species und Grösse und äusseren Form sich herausbilden, wenn 
in ihnen nicht präexistirte ein gewisses göttliches ideales form- 
gebendes Grundprincip. Vereinigen, sagt Servet, muss sich immer 
in einem Object die ihm eigenthümHch innewohnende Kraft mit 
einer von aussen hinzukommenden Kraft (S. 252)^). Durch Be- 
rührung des Gleichartigen oder durch Zusammenfu&len geschieht 
erst die Handlung, durch Widerstand des Ungleichartigen das Lei- 
den*). In den eigenthümlichen Ideen (S. 216. 138 u. s.) sind aber 
nicht bloss der Dinge Musterbilder, sondern auch die wesentlichen 
Gestalten selbst vorhanden, da in dieser idealen Bestimmung der 
Dinge (in idei») der Grund sdbst liegt für ihren Nutzen und Be- 
stand, und eine natürliche Verwandtschaft stattfindet zwischen den 
wirklichen Dingen und ihrer wesOTÜichen Grundform (S. 145). 
„Die Grundform ist es, welche drai Dinge das Wesen giebt" (forma 
est, quae dat etie rei S. 77). Alles was in der W^elt ist, ist daher 
auch fassbar unter irgend einer Gestalt^). So nennen wir die 
Luft, die wir wahrnehmen, unsichtbar nur weil sie feiner ist, als 
die Schärfe unseres Gesichts ((fma ade nostri vi$m tenuior). Die 
himmlischen Geschöpfe nennen wir für uns unsichtbar unter der 
Gestalt der Geister ; an sich selber aber sind sie wirklich sichtbar^^ 
(vero tarnen in se vieibiles Su 583). 

Aus den beigebrachten Stellen erhellt dreierlei: 1) dass dem 
Servet die Annahme von die Dinge constituirenden eigenthümlichen 
Kräften nicht fern lag; 2) dass Servet sich unter Galen's „thieri- 
schen Geistern^', ähnlich wie sdn Nachfolger Descartes^), Körper 
denkt, die eine formgebende Kraft haben; 3) dass Servet dem 
Galen nicht folgt, um ihm nachzuspredien, sondern um sich mit 



5) Unio quaedam est tarn in corpora^bus quam in spiritualibus. Uniri 
semper oportet subjecto insitam et supervenientem virtuteniy ut unum quid inde 
prodeat (Restitutio). 

6) Per contactum fit actio et pasno a conPrariis (Syrup, rat Fol. 18<^). 

7) Quidquid est in mundo ^ est specie aliqua perceptibile (Restitutio). 

8) £. Saisset: Mälanges d'histoire etc. Paris 1859. S. 117—227.— Flourens 
165. 153—176. 

(816) 



— 24 — 

seinen Zeitgenossen über das Neue, das er gefunden, besser zu 
verständigen. 

Was ist nun dieses thatsächlich Neue, was Galen nicht kannte ? 
Und mit welchem Recht darf man Michael Servet als den Ent- 
decker des Blutumlaufs bezeichnen? Dass Servet der ist, welcher 
Harvey zu seinen Forschungen erst angeregt und ihm die rich- 
tigen Wege gewiesen hat, erscheint dem grossen Philosophen G. W. 
Leibnitz schon ausgemacht^). IndessKurt SprengeP^ nach- 
dem er den Zergliederern des 16. Jahrhunderts, und vorzüglich 
dem unsterblichen Faloppia, seinen Dank abgestattet, erklärt: 
„Die grösste und fruchtbarste Entdeckung aber, die in der Ana- 
tomie gemacht werden konnte, die Entdeckung des Kreislaufs des 
Bluts, war noch nicht gemacht. Sie war Harvey aufbehalten.^^ 
Und zweifelsohne ist es ricÜtig, dass man dem die Entdeckung 
des Blutumlaufs nicht zuschreiben kann, der noch gamicht wusste 
dass das, was den Umlauf hält, eben Blut ist. Eben aus diesem 
Grunde bestreitet Graesse**) die Ehre der Entdeckung nicht 
dem Servet allein, sondern gleich ihm dem Leonardo da Vinci, 
Gaesalpinus und Matthaeus Realdus Columbus. Sie alle 
hätten „die Hauptsache übergangen, nämlich das Erfülltsein der 
Arterien mit Blut und den Übergang dieses Blutes aus den Enden 
der Arterien in die Anfänge der Venen. Glaubten sie doch alle, 
die Arterien seien mit Spiritus mtalis gefüllt." Dem widerspricht, 
die Urkunde in der Hand, P. Flourens. Er zeigt, dass Servet 
der Entdecker ist. Aber nach Flourens hat diese erste Entdeckung 
nichts genützt, da sie all seinen Nachfolgern unbekannt geblieben 
wäre. Flourens' Gedankengang ist folgender: 

Servet, Leonardo da Vinci, Cäsalpin, Colombo, sie alle sind 
Galenisten. Auf Galen's Meinung kommt es daher vornehmlich 
an. Und da dürfen wir uns nicht verwirren lassen durch Galen's 
eigene Unsicherheit. Es ist wahr, dass Galen bald annimmt, die 
thierischen Geister oder seelischen Hauche werden bereitet im 
netzförmigen Geflecht des Gehirns; bald wieder, dass sie abge- 
sondert werden in den vorderen, dann in den mittleren, bald in 
den hinteren Kammern des Gehirns. Bald lässt er sie bereitet 



9) Dem Michael Servet schreibt Leibnitz die epochemftchende Entdeckung 
zu (im IHscowrs de la conformite de la foy avec la raison § XI S. 17 und lAt- 
terae Leibn. ad Moshemium 1717, 24. September). 

10) III, S. 176. 

11) Literärgeschichte III. 1025. . > . . 

im) 



— 25 — 

werden aus den Lebensgeistern, bald aas der eingeathmeten Luft, 
bald aus dem Blut. 

Aber zweierlei kann bei Galen nicht bestritten werden: und 
gerade das nicht, wodurch er die beiden ersten Schritte thut zur 
Entdeckung des Blutumlaufs. 

Noch der berühmte Zergliederer lebendiger Delinquenten, 
Erasistratus vonCea, theilte in Bezug auf den Blutumlauf die 
drei Irrthümer des Alterthums 1) dass die Arterien nur Luft ent- 
halten ; 2) dass die Scheidewand zwischen den beiden Herzkammern 
durchlöchert ist; 3) dass die Venen das Blut den Theilen zufüh- 
ren, statt es von den Theilen zurückzuführen. 

Anders Oalen. 

„Sobald man eine Arterie öfihet'^ sagt er, „strömt Blut her- 
aus: Also entweder — oder: Entweder es war darin enthalten, 
oder es ist von anderwärts hineingekommen. Kommt es aber von 
anderwärts hinein und enthält die Arterie nichts als Luft, so 
müsste die Luft ausströmen vor dem Blut. Das geschieht aber 
nicht: Blut strömt heraus und nicht Luft: also enthalten die Arte- 
rien nichts als Blut" (Fl. S. 15). Ich übergehe seinen anderen 
Experimentalbeweis durch Unterbindung der Arterie mit zwei Li- 
gaturen und Öffnung des Zwischenstücks (Fl. S. 16). 

Galen machte noch einen zweiten Fortschritt. Er unterschei- 
det das „geistartige" Blut in den Arterien und in der linken Herz- 
kammer von dem „eigentlichen" Blut, dem Blut der Venen und 
der rechten Herzkammer. Damit ermöglicht er den weiteren 
Schritt von der Unterscheidung des rothen und des schwarzen 
Uluts, des arteriellen und venösen Bluts zu der Unterscheidung 
des Bluts, das geathmet hat, von dem Blut , das noch nicht ge- 
athmet hat (Fl. S. 19). 

Allein diesen neuen Schritt thut er nidit. Bildet er sich doch 
ein, gesehen zu haben, dass die Scheidewand zwischen beiden 
Herzkammern durchlöchert ist, und dass das geistige Blut die 
feineren und zarteren Organe speist, wie die Lunge: das venöse 
Blut die dichten und groben Organe, wie die Leber. Der Geist 
oder Lebensodem ist für Galen eine gewisse Ausathmung des fein- 
sten Blutes {exhalatio sanguinis benigni). Er bildet sich in der 
linken Herzkammer. Da nun aber auch das venöse Blut, \\m zur 
Ernährung dienen zu können, in gewissem Maasse des Geistes oder 
Lebensodems bedarf, so muss die Herzkammer des Geistes mit 
der Herzkammer des Blutqs in Verbindung stehen , und das ge- 
schieht durch die vorausgesetzten Löcher ihrer Scheidewand (FL S. 20). 

(817) 



— 26 — 

Wer thnt den neuen Schritt? Nicht Mondini, Le Vasseur, 
Bßrenger de Carpi, sondern Vesal, antwortet Flourens, der grosse 
Vesat, der Vater der modernen Anatomie. Vesal allein wagt es 
zu sagen, dass jene Löcher in der Scheidewand der Herzkammer 
nicht existiren (S. 21 sq.). Nur noch ein Schritt, und der Blut- 
Umlauf der Lunge war entdeckt. Diesen vierten Schritt verdanken 
wir Servet" (S. 23). 

FloHrens geht hier zu schnell. Er liest Vesal's berühmte 
Stelle: „Nicht gering dürfen die Forscher achten die Scheidewand 
oder Schranke ($eptum) zwischen den Herzkammern, insbesondere 
der linken Herzkammer rechte Seite (sinistri ventriculi dexinum 
latu8\ welche geradeso fest, compact und dicht ist (aeque crassum^ 
campactumque ac äensum est) als der übrige Theil des Herzens, 
der die linke Herzkammer einnimmt; so dass ich nicht verstehen 
kann {ignwem\ wie durch die Substanz jener Scheidewand aus 
der rediten Kammer in die linke auch nur das geringste Blut- 
theilchen uufgenommen werden kann (ex dextro ventriculo in Hni- 
strum rel ndnimum quid sanguinis assumi possity. Die Stelle ist 

schön, klar und entschieden. Aber wo hat sie Flourens gefunden ? 
In dem Vesal vor Servet's Restitutio (15ö3) oder in dem Vesal 
nach Servet's Restitutio? Flourens fand sie in der Gesammt- Aus- 
gabe von Vesal's Werken, die Albin *^) 1725 zu Leiden heraus-' 
gegeben hat (Opera omma anatomicd). Hätte er der Mühe sich 
unterzogen, die früheren Ausgaben nachzuschlagen, Flouiens würde 
sich überzeugt haben, dass de humani corporis faMca L. VH 
Basil. 1543 L. VL cap, XV. 8.599 bei Vesal die Stelle fehlt, d.h. 
dass sie so lange fehlt, als der Druck der Restitutio. Erst, nach- 
dem Servet 1553 dem Galen in's Angesicht behauptet hat: Demum 
paries ille medius, cum sit vasorum et facultatum expers, non est 
aptus ad communicationem et elaborationem illam (cf. Flourens 268) : 
da erst in der Baseler Ausgabe vom Augustmonat 1555, Lib. 
VI. cap. XV. S. 747 hat auch Vesal den Muth, dem Galen zu 
trotzen. Und nach seinem Tode (f Oct. 1564) wird aus der Ed. 
von 1555 die berühmte Stelle wieder aufgenommen in die Vene- 
diger Ausgabe von 1568 S. 463 (Lib. VL cap. XV). Zum Denk- 
mal aber, wie Vesal dachte, so lange er, auf sich angewiesen, und 
des Spanischen Freundes Anleitung entbehrte, ist noch in seiner 
letzten Au^abe (Leiden 1725), dicht vor der charakteristischen 



12) Über die berühmte Mediciner-FaiUilieS. Mittheilungen des Hist. Statist. 
Vereins 2U Frankfürt a. d. O. 1873. H. IX S. 14 ff. 

(818) 



— 27 — 

Stelle ^^), stehen geblieben VesaFs Änsserang, dass das Blut zum 
grössten Theile {maxima portione) durch die Poren der Herz- 
kammerschranke {per ventvicuiorum cordis »epU porös) in die linke 
Kammer durchschwitzt (desudare). Die erkannte Wahrheit Ter* 
schweigen y um nur ja in der Nomenclatur sich „d^ Dogmen 
Galen's zu accommodiren^^ (S. 519), das wäre, nach Servet's An- 
griff auf Galen, wenn nicht eine Feigheit, so doch immer ein 
Zeichen, dass Vesal seines grossen Freundes Anweisung nicht ganz 
verstanden hat, wie er denn auch in dem wichtigsten ^Schritt gegen 
Galen, in der Entdeckung des Blutumlaufs, seinem Pariser Studien- 
Cameraden zu folgen unterlässt **). 

Die Entdeckung, dass das Blut durch die mittlere Herzwand 
nicht hindurch kann, weil sie nicht Löcher hat, wie Galen glaubte, 
diese Entdeckung gebührt nicht Vesal, sondern Servet 

Aber hat er nun, von diesem dritten Schritt aas, den wichtig- 
sten gethan, dea Schritt, mit welchem die Epoche der modernen 
Physiologie beginnt, zu zeigen, wie denn das Blut strömt, da es 
von der einen Herzkammer durchaus nicht hindurch kann in die 
andere wegen der undurchdringlichen Zwischenwand? Hat er den 
Blutumlauf durch die Lungen entdeckt? Wer jemals die bekannte 
Stelle in der Restitutio vollständig gelesen hat, der kann nicht 
sagen : Servet hat den Blut-Umlauf nicht entdeckt, denn er wusste 
nicht, dass in den Arterien Blut sei. Dass in den Arterien Blut 
sei, 'bezeugt schon Galen. Und Servet kennt seinen Galen gründ- 
lich, auch im Griechischen Original. Aber noch mehr, mit sokher 
Macht betont Servet, dass dieses sich vermittelst der Lungen aus 
der einen Herzkammer in die andere Ergtessende eben Blut sei, 
dass Flourens, welcher den Theologen Servet und seine Eigenart 
nicht kennt, vermuthet, darauf laufe Servet's ganze Absiebt hinaus, 
durch den Kreislauf einen Gommentar zu liefern zu dem Bibel- 
spruch: Des Menschen Seele ist im Blut 

Doch überlassen wir die Würdigung der grössten physiologi- 
schen Entdeckung dem Physiologen von Fach. 

Flourens sagt : „Galen wusste auch , dass das Blut von der 
rechten Herzkammer durch die Lungen - Arterie in die Lungen 
dringt. Auch Vesal wusste es. Aber das war nur die Hälfte 



13) Die Stelle selbst folgt S. 519. 

14) Mir haben die obigen vier Ausgaben des Vesal vorgelegen. Ich finde 
die fragliche Stelle nur in den drei letzten von 1555, von 1564 und 1725; in 
der ersten von 1543 fehlt sie. Sowohl Vesal als Servet waren Prosectoren 
des Günther von Andernach (S. unten). P. 



— M — 

der Idee, die Hälfte der Thatsache. Die voUständige Idee, die 
ganze Idee, welche uns den Umlauf durch die Lungen gegeben 
hat, ist die gewesen, dass man verstand, wie das Blut von der 
Lungen- Arterie in die Lungen- Vene '*) geht; dass das Blut, wel- 
ches aus der rechten Herzkammer kommt, vermittelst der Lungen- 
Arterie, zurückströmt zur linken Herzkammer durch die Lungen- 
Vene'^); dass das Blut, das vom Herzen ausgeht, zum Herzen 
zurückkehrt; dass es demgemäss einen Rundgang giebt, einen 
Kreislauf; und diese Idee, diese grosse Idee, diese neue Idee des 
Kreislaufs, Servet ist der erste Mensch, der sie gehabt hat" 
(S. 24 fg.). 

„Alle die Gründe, die Servet dafür vorbringt, sind voller 
Scharfsinn, Feinheit und Gründlichkeit: Die Verbindung, die Ver- 
einigung der Lungen-Arterie mit der Lungen- Vene in der Lunge 
durch unendliche Verzweigungen ; das Galiber der Lungen- Arterie, 
welche viel zu gross sein würde, wenn die Arterie zu nichts An- 
derem dienen sollte, als zur Ernährung der Lunge ; die Ernährung 
dieses Organs, die in dem Embryo geschieht ohne Hülfe des Bluts 
der Lungen- Arterie, welche in der That dann nicht das Blut auf- 
nimmt: alles das bildet ein Ganzes von entscheidenden, ausge- 
zeichneten Gründen, welche eben die Gründe sind, die wir heute 
bringen und welche die wahren sind" (S. 26 fg.). 

„Beachten wir noch den Farben Wechsel des Bluts, der sich 
nicht im Herzen vollzieht, sondern in der Lunge, und der der 
Einwirkung der Luft entstammt. Wir wissen heute, dass es nicht 
die ganze Luft ist, dass es nur der Sauerstoff der Luft ist, welcher 
diese Veränderung hervorbringt. Aber davon abgesehen, von der 
Luft- Analyse abgesehen, der Servet nicht vorauslaufen konnte, 
wie richtig war doch diese Ideel Servet hat nicht nur entdeckt 
den wirklichen Weg des Blutes aus einer Herzkammer in die an- 
dere durch die Lunge hindurch; er hat auch entdeckt den wirk- 
lichen Ort der Arterialisation des Blutes, der Umwandlung des 
Blutes, der Veränderung des Blutes aus schwarzem in rothes" 
(S. 27 fg.). 

Servet, nicht Harvey, ist der Entdecker des Blut- 
umlaufs durch die Lunge. Das leidet keinen Zweifel. 

Aber wie ist Servet zu dieser Entdeckung gekommen? Da- 
rauf giebt Flourens eine doppelte Antwort, eine negative und eine 



15) & 16) Flourens spricht im Anschluss an die früheren Anatomen von 
einer Lungenvene statt von vier. P. 

(380) 



^ 



— 29 — 

positive. Die negative lautet: „Nicht durch Nemesius von Emesa 
(S. 149 fg.). Nemesius sagt kein Wort vom Kreislauf durch die 
Lungen, den Servet so sauber dargelegt hat. Er spricht vom Puls, 
von der thierischen Wärme, vom Lebensgeist, er spricht von dem 
allen wie Galen. Er folgt ihm überall." So Flourens. Ich kenne 
von dem Bischof von Emesa nur die Stelle, die Flourens in der 
Anmerkung bringt. Sie ist allerdings eine hübsche Zusammen- 
fassung der aus Galen bekannten Resultate. Von dem Kreislauf 
enthält sie nichts. Bringt das Buch De natura hominis oder der 

Tractatiis de conjunctione animae et corporis nichts von grösserer 

Wichtigkeit, als die angezogene Stelle, so ist Nemesius in der 
Physiologie überhaupt kein Entdecker gewesen, geschweige ein so 
epochemachender. 

Betreffs des Bischofs, den ich nicht studirt, stimme ich Flou- 
rens auf Treu und Glauben bei. Nicht so betreffs des Spanischen 
Arztes, dessen sämmtliche Werke ich studirt habe. 

Flourens führt als positiven Grund, wie Servrf, „sonst ein 
so confuser Kopf (S. 153), in einem „so absurden Buche" wie 
die Restitutio (S. 149), wie der „arme Servet", der „nur" in jenen 
wenigen lichtvollen Zeilen „Genie" zeigt (S. 159), kurz ehe er ver* 
brannt wurde, eine „so schöne Entdeckung^^ hat machen können, 
nichts an als „Servet's einseitige theologische Verbohrtheit in den 
buchstäblichen Sinn" *^). „Weil", sagt Flourens, „die Seele, nach 
dem Buchstaben der Bibel, im Blute ist und die Seele selber Blut 
ist, so muss man, um zu wissen, wie. die Seele sich bildet, zuvor 
wissen, wie sich bildet das Blut ; um zu wissen, wie das Bhit sich 
bildet, muss man wissen, wie es sich bewegt ? und so wird er, bei 
Gelegenheit der Wiederherstellung des Christenthums geführt auf 
die Bildung der Seele, von der Bildung der Seele auf die Bildung 
des Bluts, von der Bildung des Bluts auf den Blutumlauf durch 
die Lungen" (S. 156). 

Bei dieser geistvollen Auseinandersetzung, wie der confuse 
Servet zu seiner nichts weniger als confusen Entdeckung kam, 
ist nur eins Schade, das nämlich, dass diese Auseinanderset;?ung 
eine Hypothese ist, eine Hypothese, die zu einem falschen Sehluss- 
resuUat kommt, weil sie aus lauter falschen Einzelschlüssen besteht 

Servet ein confuser Kopf? Ja wohl, so sagte Melanchthon. 
Und als er das gesagt, studirte er Servet (Servetum multum lego). 



17) ... 0» s*aper^oit Men vite du parti quHl a pHs eii thMogiey da s^at- 
tacher uniquement et ohstinäment au setis littäral (S. 155 fg.). 

(»1) 



— 30 — 

Und als er ihn stndirt hatte, war der Magister Germaniae von 
Grund aus ein anderer geworden'®). Servet ein confuser Kopf, 
da» haben alle gesagt, die ihn entweder garnicht gelesen, oder 
nur hier oder da einmal durchblättert haben. Servet ist nicht 
gemacht zum Durchblättern. Er ist ein Mann aus Einem Guss. 
Wer auch nur eins seiner Werke gründlich studirt hat, etwa seinen 
„Ptolemaeus" '•), der muss einem seiner neuesten Gegner beistim- 
men, dass an geistiger Begabung und Verstandesschärfe Michael 
Servet den grössten Geistern seines grossen Jahrhunderts zwei- 
felsohne ebenbürtig ist**). 

Die BesHiuHo ein absurdes Buch? Es giebt Mediciner die 
jedes theologische Bueh absurd nennen, weil ihnen die gesammte 
Theologie absurd erscheint. Indess für ein theologisches Buch müssen 
wir durchaus einen theologischen Maassstab anlegen. Und von 
der Reaiiiutio müssen selbst Servet's entschiedenste theologische 
Gegner, soweit sie das Buch gelesen, eingestehen, 1) dass es keine 
theologische Lehre giebt, welche in diesem Buche nicht erörtert 
wäre; 2) dass sie allesammt Ein geschlossenes System bilden, ge- 
tragen von Einem Geist; 3) dass er die ganze Welt des Wissens- 
werthen in den Dienst der Bibel stellt; 4) dass «s ihm bei sei- 
nem Arbeiten und Beten immer aufrichtig zu thun ist, um Wie- 
derherstellung des wahren Ghristenthums ; 5) dass selbst wo er 
irrt, allewege „sein Wahnsinn Methode hat*^ 

Nur in jenen wenigen Zeilen zeigt der arme Servet Genie? 
Wir möchten sagen, er beweist Genie überall, wo er auftritt Als 
neunzehnjähriger JüngUng schreibt er ein Buch, das die Schweiz, 
SüddeutseUand, Frankreich, Italien aufregt, die ganze christliche 
Welt in Bewegung bringt; nicht wegen seiner Angriffe — man war 
ivg^te von Leo X. und seinem Hof gewohnt — sondern weil es 
auf den wundesten Punct der ganzen Reformbewegung hinweist. 
Und alle sehen's. Aber Niemand, sage nicht einer, Katholik, Lu- 
theraner, Beformirter wagt es, Servet's 7 „Bücher von den Irrun- 
gen in der SehuUehre von de^ Dreieinigkeit^' durch eine gedruckte 
Gegenschrift zu widerlegen. Servet wird Corrector in eifier Buch- 
druckerei (Trechsel), und wo der Corrector hinzieht, da zieht ihm 
der Drucker nadi. Servet wird Geograph, und er wird der Grün- 
der einer ganz neuen Methode, die Lebensfolut der dürren altem- 



18) Näheres in meiner Schrift : Melanchthon und Servet. Berlin bei Meck- 
lenburg 1876. 

It) Vgl Kon^r, Zeitschrift f. Erilkunde. Berlin 1875 X. 182—222. 
20) S. Stäheln: Jobann GaMn I. 428. 

(IM) 



f 



— 31 - 

den Wissenschaft in die Adern giesst: Er wird der Stifter der 
vergleichenden Geographie. Servet wird Schüler eines Arztes 
(Champier), und das Jahr darauf begiebt sich sein Lehrer, eine 
ärztliche Gelebrität, in des jungen Fremdlings Schutz, und ftthlt 
sich überglücklich, des Michael Villanovanus Apologia pro 
Symphoriano Campegio selber herausgeben zu können. Servet wird 
Mathematiker, und der Primas von Frankreich sitzt zu seinen Füssen 
(Palmier). Seilet wird Astrologe, und nach seiner vierten Vor- 
lesung ist halb Paris gegen ihn in Aufruhr, und zwei Facultäten 
verklagen ihn, zugleich mit der Inquisition. Doch was soll ich 
hier sein aussermedicinisches Leben beschreiben? Jeder Medi- 
einer wird mir von vornherein zugeben, dass der Entdecker des 
Blutumlaufs so eclatante Erfolge nicht einem Hocuapocus danken 
kann, noch einer blossen Charlatanerie, sondern eben nur seiner 
wirklich ganz eminenten geistigen Begabung. 

„Die Verbohrtheit in den buchstäblichen Sinn'^ nehmen wir 
keinem Mediciner übel. Es ist das ein Vorwurf der nicht trifft* 
Allegorie ist für einen wissenschaftlichen Interpreten der Bancrott 
Es giebt bei allen Schriften, denen es nicht um Dichtu^ m thun 
ist, sondern um Wahrheit, nur Einen Sinn, das ist der buchstäb- 
liche. Und dieser buchstäbliche Sinn muss gefunden werden nach 
den Kegeln der Grammatik und nach dem geschichtliehen Zusaifi- 
menhang. Das steht für die gesunde Hermeneutik tßst Der 
Theologie den historisch-grammatisch-kritischen, deB buchstäblichen 
Sinn rauben wollen, hiesse, sie aus der Zahl der Wissenschaften 
verbannen. Nicht das macht der wissenschaftlidie Theologe dem 
Servet zum Vorwurf, dass er bei seiner Bibebuslegung den buchr 
stäblichen Sinn zu sehr betont, sondern dass er es zu wenig that 
in der Restitutioy während er es doch zu thun verstand in den 7 
Büchern „Von der Dreieinigkeit". 

Und wo in aller Welt hat Flourens bei Servet solche AuSr 
Sprüche gefunden, wie den: „Um zu wissen, wie das.Bluit sich bil- 
det, muss man wissen, wie es sich bewegt'^? Oder wo hat ihm 
Servet gesagt, dass er nichts will, als einen gelehrten Gommenttr 
liefern zu drei alttestamentlichen Spiücben Gev. 9, 4 und 6, LepiL 
17, 11 und Dmi. 12, 23. Diese drei SprMue spieieo inei der 
Wiederherstellung des Ghristenthums eine ka^m aoch seeundäM 
Rolle. 

Nein, worauf es dem Servet ankommt 1553 gerade «de l&SQ» 
31, 37 und durch sein ganzes Leben, das ist biblische Revision, 
volle, schonungslose, allseitige Revisioadar Grun4^ ujad S)em^Lehre 

(SS8) 



— 32 — 

des kirchlichen Ghristenthams , der Lehre von der Dreieinigkeit. 
Nach keiner Seite hin nun greift die Dreieinigkeit so tief in den 
Menschen ein als nach der Seite vom heiligen Geist. In gewissem 
Sinne ist des heiligen Geistes Person eben der Mensch. Wiefern 
nun dies geistleibliche Wesen qualificirt ist, Person des heiligen 
Geistes, und so gewissermaassen Werkzeug, Organ, Glied der 
Gottheit zu werden**)? darauf kommt es dem Spanier an. Um 
des heiligen Geistes willen studirt er dessen Werkstatt, den Men- 
schengeist Um die von Gott gewollte und gebaute Wohnung als 
ein von ürbeginn wohlgeeignetes Kunstwerk für die Wirksamkeit 
des Gottesgeistes, als eine in all' ihren Kammern und Gängen 
weise eingerichtete und sorgfältig verwahrte zu beschreiben, er- 
scheint er vor uns als Anatom, oder wie man zu seiner Zeit so 
schön sagte, hUtariae humanae interpreg, und hält uns eine Vor- 
lesung über das Thema: tota animae ratio. So verlockend es da- 
her auch sein mag, mit Flourens zu sagen : „Servet will beweisen, 
dass die Bibel Becht hat, die Seele sei im Blut, und darum ent- 
deckt er den Blutumlauf S so dürfen wir es nicht sagen, weil es 
nicht wahr ist. 

Servet hat den Blutumlauf nur entdeckt, weil er nirgend hin- 
treten kann^ ohne zu entdecken; weil es ihm gleich gilt, ob er 
eines Beichtvaters Page, eines Buchdruckers Corrector, eines Erz- 
bischofs Leibarzt oder eines Reformators eingekerkerter Bibel- 
gegner ist Nur will er das, was er ist, ganz sein; und darum 
übt er Auge, Hand, Scharfsinn auch als Anatom. Und tritt aus 
fast jedem neuen Gebiet, wenn auch leidend manchmal und schliess- 
lich sterbend, als Sieger hervor. Wem das nicht genügt, um 
Servers Entdeckung zu erklären, der frage bei den Entdeckern an, 
wie sie es machen, genial zu sein? 

Michael Servet, der Entdecker des Blutumlaufs hat keine 
Vorgänger gehabt Keiner hat auf ihn Einfluss geübt (Flourens 
150), auch nicht Vesal. Hat er nun aber auch seinerseits auf 
Niemand Einfluss geübt? Ist seine Entdeckung, bis sie Harvey 
überboten, unbekannt geblieben, eine nicht berührte Oase in der 
Wüste? Flourens behauptet das (S. 149). 

Flourens' Grundirrthum in dieser Frage ist, dass Servet's 
Restitutio fost ebenso schnell verbrannt worden sei, wie gedruckt 
brülS presque aussitdt qu' imprimi (S. 149). Dem ist nicht so. 
Und selbst wenn! 



21) Schon De TrinUatU erroHbus FoL 28l> (1531). 

(8M) 



— 33 — 

Servet's Restiiutio chrisiianismi ist in derselben Beihenfolge 
entstanden, wie sie vor uns liegt. Da folgen zuerst die fünf Bü- 
cher von der Dreieinigkeit, dann die beiden Zwiegespräche , nun 
die vom Glauben und von der Gerechtigkeit, jetzt von der Wieder- 
geburt und darauf erst die 30 Briefe an Calvin. Als Servet An- 
fang 1546 mit den Genfer Predigern corfespondirte, hatte er dem 
Calvin schon handschriftlich seine Restitutio zugeschickt**): eine 
Handschrift, die Calvin später brauchte um den anonymen Spanier 
in Vienne zu verrathen. Nach den Briefen an Calvin ordnet Ser- 
vet die Wahrzeichen des antichristlichen Beichs, zuletzt die Apo- 
logie an Melanchthon. Auch dem Melanchthon sandte er, vor 
dem Druck der Apologie, die Restitutio zu, soweit sie fertig war **). 
Servet hat bei seinen Lebzeiten viele hohe Freunde gehabt, und 
gelehrte Gönner. Unter anderen wissen wir, dass er 1551 fleissig 
correspondirt mit dem Arzte Jean de la Vau zu Poitiers. Ein 
Mediciner, der 1555 für Servet öffentlich eine Lanze bricht, ist Dr. 
J6rome Bolsec**). Ein dritter ist der Leibarzt der Königinnen 
von Polen und Ungarn, Giorgio Biandrata (1558 flf.)**). Sollte 
der scharfsinnige Spanier nur seinen erklärten Feinden das 
Vertrauen der handschriftlichen Übersendung seiner Restitutio 
zu ihrer Begutachtung erwiesen, seine Freunde aber ängstlich 
umgangen haben ? Das Wahrscheinliche bleibt doch dies, dass er 
auch seinen Freunden Abschriften mittheilte. Eine solche Ab- 
schrift habe ich in Paris gesehen {Bibliotheque La Valliere 162, 
Catalog 912). Sie ist nicht nach dem Druck gemacht, sondern 
nach einer späteren Handschrift. Doch ist du Fay's Vermuthung 
irrig, dies Eigenthum des Cael. Hör. Cur. rühre von Servet's eige- 
ner Hand her. Caelius Horatius Curio, Servet's Zeitgenosse, 
der Besitzer {hujm libri possessor steht auf dem alten Deckel 
in vergilbtem Papier) ist auch der Abschreiber gewesen. Sein 
Vater, der berühmte Caelius Secundus Curio*®) war zu Padua, 
wo er studirt hatte, ebenso bekannt wie zu Basel, wo er starb 
(1569). Sollte sein Sohn, Horatius Curio, der JBaseler Buchhänd- 
ler, es sich nicht haben angelegen sein lassen, wie er Servet's 
Restitutio abschrieb, so auch sie weiter zu verbreiten ? Und sollten 



22) Servet's Brief an Abel Poupin, z. B. bei Mosheim. A. V. 415. 

23) S. meine Schrift: Melanchthon und Servet. Berlin, bei Mecklenburg 
1876. 150. 

24) Trechsel I. 263, 2. 

25) Trechsel U. 53. 303 ff. 

26) 27. August 1553 in Opp. Calvini ed, Amstd. IX. 71». 

(886) 3 



— 34 — 

nicht dasselbe gethan haben de la Vau und Biandrata und wem 
er sonst etwa seine Handschriften mitgetheilt hat? Gesetzt also 
den Fall, dass Flourens Recht hätte, Servers Restitutio wäre eben 
so schnell verbrannt, wie gedruckt, so konnte sie doch, selbst in 
Padua, verbreitet genug sein, um für alle späteren Entdecker 
des Blutumlaufs, der ja schon im ersten Theil der Restitutio 
(also 1546) beschrieben war, dort als Same zu dienen. 

Allein wir brauchen auf Hypothesen nicht zu recurriren : Ser- 
vers Restitutio ist am S.Januar 1553 im Druck vollendet worden. 
Hingerichtet wurde Servet in Genf erst den 27. October 1553. 
Nur zwei Exemplare seiner Restitutio wurden in Genf mitver- 
brannt: ein handschriftliches und ein gedrucktes*^). Erst am 23. 
December 1553 wurden durch Vienner Gerichtsurtheil diejenigen 
Exemplare der Restitutio verbrannt, deren man jetzt, elf Monate 
nach der Vollendung des Drucks, in Vienne noch habhaft werden 
konnte. Durch den erschreckten Buchdruckerburschen Thomas 
de Straten^ der das Feuer schon auf den Nägeln brennen fühlte, 
war dem Vienner Gericht verrathen worden, dass die Restitutio 
zu Vienne von Michaelis 1552 bis 3. Januar 1553 gedruckt, am 
13. Januar 1553 aber 5 Ballen als „weiss Papier" zur Aufbewah- 
rung an Pierre Merrin in Lyon geschickt worden seien. Dort fand 
man diese 5 Ballen vor, und sie sind es, die in Vienne verbrannt 
wurden. Anderer Exemplare konnte man nicht habhaft werden ***). 
Ohne jeden Zweifel hat Servet nicht alle Exemplare an den Schrift- 
giesser Merrin geschickt. Man druckt nicht Bücher auf eigene 
Kosten, um sie als weiss Papier in irgend einem Winkel lagern 
zu lassen. Servet selber gesteht in Genf, 17. August 1553, dass 
sein Drucker etwas von der Restitutio nach Frankfurt a. M. gesandt 
hat zur Ostermesse ; und dass tausend Exemplare gedruckt worden 
seien. Es ist undenkbar, bei den reichen internationalen Beziehun- 
gen des Spaniers, dass auf der Messe nicht ein Exemplar ver- 
kauft wordea sei. Freilich schreibt Calvin — der Brief ist wohl 
vom selben Tage^^) — sofort an den Prediger der Frankfurter 
Kirche, wegen Verbrennung des Werkes {Uifrarius nisi fallor exuari 
patietur). Und in der Historia de morie ttuoulenia Setveti (1554), 
deren Verf. dem Servet befreundet ist, wird geradezu berichtet, 
Thomas, der Diener des berühmten Buchdruckers Robert Stepha- 



27) Henry: Calvin lU. S. 200. 

28) Artigny: Mimoires IL 115 sq. 

29) Vgl. Trechiel I. Na. 3 S. 263 al. 

(8») 



— Bo- 
nus, sei nach Frankfurt geschickt worden, und habe die dort 2ur 
Messe feilgehaltenen Bücher Servet's verbrannt, damit sie nicht 
verbreitet w&rden (combu8§isse ^ ne distraherentwt). Allein sicher 
waren Frankfurt a. M. und Lyon nicht die einzigen Städte, wohin 
Servet seine Restitutio senden liess. Er hatte zahlreiche Freunde 
in Basel, Bern, Strassburg, Hagenau, Augsburg, Ulm, Speier, Er- 
furt. In Genf selber hat schon am 26. Februar 1553 Guillaume 
de Trie ein vollständig gedrucktes Exemplar in Händen. Und 
sollte Servet nach Venedig und Padua keines geschickt haben? 
da doch Calvin es für nöthig hielt, ihn ausdrücklich fragen zu 
lassen , sHl ria pas ete ä Venise et ä Padoue (gu. 37 des 28. 
August 1553). 

Nun würden wir uns ja dabei beruhigen können, dass der 
Beweis erbracht ist, Servet's Werk ist hier ein halb Jahr, dort 
elf Monat später verbrannt worden, als es im Druck vollendet 
wurde; wenn nicht von Flaurens ein weiterer Umstand übersehen 
wäre, der wichtige Schlaglichter auf die ganze Reihe der Ent- 
decker wirft. 

Der erste Zeitgenosse, den wir sich Servet's Restitutio song* 
fältig abschreiben sahen, war ein Italiener, aus Turinischem Adel^ 
in Padua wohl bekannt, Horacio Caelip Gurione. Der erste 
Arzt, den wir Servet's Lehre öffentlich vertreten hören, ist ein 
Italiener, der sich in der Gegend von Padua und Pavia Umger 
aufgehalten hatte, Giorgio Biandrata. Und die Städte, nach 
denen allein Servet in Genf namentlich gefragt wird, siad Venedig 
und wieder Padua. Was Wunder nun, dass &st alle, die nach 
1553 bis auf Harvey vom Blutumlaufe sprechen, Italiener mid, u&d 
mit Padua in Beziehung stehen, Colombo, Ceaalpin, Buini, Budio, 
Sarpi, Fabrice d'Acquapendente ? Was Wunder, daaa Harvey, 
des grossen Blutumlaufs Beschreiber, erst vier Jahre In Pa^dua 
Studiren musste (1598'--1602) und in Padua zum Dootor der Me- 
dicin promoviren (25. April 1*602)? 

Kein Land der Welt hat so viel Herolde der Servetaniftohen 
Lehre gestellt als Italien. Ich erinnere an die Biajidrata, Gribaldo, 
Gamillo Benato, Occhino, Gentile, Paok) Alciati, an die Serveta- 
nischen Seotenstifter Lelio und FauBto Socino, a& di/e P<etrucci, 
Camillo Socini, Darius Socini, Francisco Negri, Jacobe de Chiari, 
Francisco de Ruego, Nicoiao Paruta, Giulio Trevisana, Turriano, 
Camulio, Sadoleti, Ludovico Fieri, Gianandrea de Paravicini, Graf 
Celso Massimiliano Martinengo. Als Servet 1531 in Basel wegen 
seiner Irrlehre verfolgt wird, sind es Italiener, die ihm zur Seite 

(981) 3* 



— 36 — 

stehen. Als er den Widerruf herausgeben muss (1532), lässt er 
ihn erscheinen als Gespräch zwischen ihm und einem Italiener. 
Als Dr. Martin Luther 1532 zu Buggenhagen's Ausgabe von 
Athanasius' Schrift über die Dreieinigkeit eine Vorrede veröffent- 
licht, warnt er vor jenen Italienischen Grammatikern, Rhetoren, 
Skeptikern und Epikuräern, welche den Artikel von der heiligen 
Dreifaltigkeit in höchst zuversichtlicher Weise (valde confidenter) 
verspotten. Zwei Jahre später (1534) muss Melanchthon über 
Tisch zu Luther klagen, dass „des Serveti Irrthum in Italien gros- 
ses Zufall hätte" ***). Und wieder fünf Jahre später (1539) sieht 
sich Melanchthon genöthigt, an den Senat von Venedig einen 
sehr ausführlichen Warnbrief zu richten, dass man ja nicht etwa 
möchte von Staatswegen die gefährlichen Irrlehren Servet's prote- 
giren, oder gar adoptiren. Und ebenso klagt Calvin 1554"). Die 
Venetianische Republik war Sammelpunct für Radical-Reform. 

Durch die Servetanische Gesinnung der maassgebenden Per- 
sönlichkeiten Venedig's wurde aber keine der seiner Herrschaft 
unterworfenen Städte so stark beeinflusst, als die Universität 
Padua. Dank der zeitgemässen Reform, welche 1530 der freisinnige 
Contarini mit dieser für Recht und Arzneikunde altberühmten 
Hochschule vorgenommen hatte ■"), hatte sich das Leben der kleinen 
Stadt ausserordentlich gehoben. Gross war die Zahl von Deut- 
schen, Schweizern, Franzosen; von Freidenkern aus allen Ländern, 
die in Padua zusammenströmten. In Padua machte man Front 
gegen Papst und Luther zugleich. Und Männer dieser Gesinnung 
wurden schon 1540 zum Decanat erhoben, wie z. B. der Verf. 
des Memoriale wncrosynodi Norimbergenaia „wider das Lutherisch 
Antichristenthumb und geistlich Münchthumb" '^). An den von 
allen Altkirchlichen so sehr gefürchteten Vicentiner Conferenzen 
nahmen immer Venetianer und Paduaner Theil. Seit der heim- 
lich tödtenden Römisch-Bologneser Reaction von 1546 galten Ve- 
nedig und Padua, selbst in der freien Schweiz, für die Vororte des 
Servetanismus, so dass Calvin den Spanier auskundschaften lässt, 
wie lange und zu welcher Zeit er sich dort aufgehalten habe. 

Servet schwört, dass er nie in Venedig war. Padua verschweigt 
er. Doch wissen wir aus seiner Italienischen Reiseroute, die uns 



30) S. Luther und Servet. Berlin 1875 bei Mecklenburg. S. 29. 51. 

31) Opp. ed. Baum VIII. 459. 479. 

32) Relazioni Veneti VII. 257. 

33) 0. Hedio an M. Erbius (Var, MiUq, eecles. Basil II. 54). 

(888) 



— 37 — 

heute Station für Station vorliegt, dass er auch in Padua niemals 
gewesen ist. Aber seine Gegenwart war auch für seinen Venetia- 
nisch-Paduaner Einfluss nicht nöthig. Statt seiner Person wirkten 
seine Schriften. Waren schon die sieben Bücher von den Irrun- 
gen in der Schullehre über die Dreieinigkeit in Italien verschlun- 
gen worden : was musste erst Servet's grosses Werk, die Restitutio 
christianismi, wirken I Es war Servet 'nicht zu verdenken, dass er 
den Italienern, die er von Natur nicht gerade liebte, immer ge- 
wogener wurde. Hatte er zu Paris im CoUeg der Lombarden ge- 
wohnt, und waren es auch dort die Italiener, die öffentlich in 
seinem Streit mit der medicinischen Facultät für den Spanier 
Partei nahmen, so zeigte sich auch Servet, als er aus Vienne fliehen 
musste, entschlossen, in Italien seine letzte Zuflucht zu suchen'*). 
Welch' ein Weheruf ging daher durch Italien, als man des 
geistigen Heerführers Hinrichtung vernahm! Vor allem ist es 
Padua, von wo aus ein förmlicher Ansturm gegen das Savoyische 
Korn unternommen wird. Matteo Gribaldo, seit 1548 Padua's ge- 
feiertster Rechtslehrer, hatte im Herbst 1553 in Genf der öflfent- 
lichen Verbrennung seines Freundes beigewohnt. Laut vor Cal- 
vin's Ohren missbilligte er das peinliche Verfahren. Sein Votum 
machte Aufsehen rings in der Bunde. Als er nach Padua heim- 
kehrte, votirte ihm der Senat von Venedig auf die drei nächsten 
Jahre eine Gehaltszulage von 200 Thalem. Gleich den Tag nach 
Servet's Hinrichtung langte (nach der Schrift contra liöellum Cal- 
vini) aus England Bemardino Occhino an und sagte dem Calvin 
in's Gesicht, wie er Servet's Hinrichtung missbillige. Camillo Be- 
nato, ein anderer Italiener, veröffentlichte ein Schmähgedicht auf 
den Genfer Inquisitor (1554). Die Seele aber der Servetanischen 
Bewegung bleibt immer noch der Paduaner Professor Matteo 
Gribaldo. In steter Verbindung mit den Freunden Servet?s: 
dem Paduaner Gollegen, Bechtslehrer und späteren Bischof Pier- 
paolo Vergerio, dem in Padua bekannten Arzte Giorgio Biandrata, 
mit Occhino und Valentin Gentile, der später in Bern wegen Ser- 
vetanismus hingerichtet wird, kauft er sich das Landgut La Farge, 
vor den Thoren Genfs, um von dort aus Servet's Todfeind besser 
beobachten zu können; reist selber zwischen Genf und Padua häu- 
fig hin und her und bereitet in Padua neue Kräfte vor, um sie 
gegen das Galvinische Genf zu werfen. So begab sich Lelio 
Socini, der grosse trinitarische Sectenstifter, gleich nach Servet's 

84) 28. August 1558 zu Genf im Verhör qu. 28. 

im) 



— 38 — 

Hinrichtung auf mehrere Monate zu Gribaldo nach Padua, aber 
nur um im Frühjahr 1554 zum Italienischen Stelldichein in Genf 
sich einzufinden, und dortselbst, mit seiner Missbilligung des Justiz- 
mordes zugleich, seine Zustimmung zu Servet's Lehre von der Drei- 
einigkeit kundzugeben. So wird Padua dank Matteo Gribaldo eine 
Pflanzschule des Servetanismus. 

Freilich keine öffentliche. Calvin hatte durchaus im Geiste 
seiner Zeit gehandelt, als er den Entdecker des Blutumlaufs hin- 
richten liess. Nicht durch Bologna, nicht durch den Reichstag 
zu Augsburg noch durch die anderen Siege von Kaiser, Ferdinand 
und Papst hat die Reaction solche Fortschritte gemacht, als durch 
das Pium et memorabile in omnem poMieritatem exemplum^ wie Ser- 
vers Hinrichtung von Melanchthon gepriesen wird. Der durch 
die protestantische Überbietung im Feuereifer mächtig gestärkte 
Jesuitenpapst flösste jetzt selbst der Republik Venedig Schrecken 
ein. Der Papstfreundschaft opferte sie ihren berühmten Rechts- 
lehrer* Jener Augenzeuge von Servet's Tod und geschickte Ver- 
breiter von Servet's Schriften, Matteo Gribaldo, er musste Padua 
räumen (22. April 15ö5). 

Aus den Flourens' unbekannt gebliebenen Thatsachen fanden 
wir es oben erklärlich, warum alle Nachfolger Servet's in der 
Entdeckung des Blutumlaufs zu Padua debütiren. Jetzt wo wir 
die überall umschleichende jesuitische Inquisition gewahren, wer- 
den wir es auch verstehen, warum alle Paduanische Blutumlaufs- 
Entdecker so geheim thun, jede Hinweisung darauf vermeidend, als 
hätten sie Servet's Buch gelesen. Galt Servet doch bald bei den 
Gewalthabern und Jesuiten als aller Ketzer verruchtester. 

Hören wir nun die Erklärungen ab. 22. April 1555, andert- 
halb Jahr nach der Hinrichtung Michael Servet's, zog Gribaldo 
fort von Padua. Mehr als zwanzig Anatomen entdecken den Blut- 
umlauf (Flourens S. 126) , oder vielmehr, wie wir sagen würden, 
sie lesen Servet's Restitutio^ prüfen, billigen und stimmen ihm bei, 
ohne sagen zu dürfen, dass sie Servet kennen. 

Der erste nach Servet ist Realdo Colombo. 1559 schreibt 
er: „Zwischen beiden Herzkammern ist die Scheidewand, durch 
welche fast alle glauben, dass dem Blut ein Zugang von der rech- 
ten Kammer in die linke offen stehe: doch irrt man sehr: denn 
das Blut geht durch die arteriöse Vene in die Lunge, von wo es 
mit der Luft zugleich durch die venöse Arterie in die linke Herz- 
kammer geht, was Niemand bislang weder beobachtet noch in 
Schrift hinterlassen hat^ ob es gleich gerade von allen beobachtet 

(aaw 



— 89 *- 

werden sollte"'*). Golombo rühmt sich gerne, dennoch ist er der 
Entdecker nicht. Vom Entdecker darf er nicht reden. Sonst 
öffnet sich der Boden, und Dampf wallt auf. Colombo wittert 
den Schwefel. Niemand hat es beobachtet, ausser dem Verbrann- 
ten von Genf, der eben nicht mehr ist, in seiner Schrift, die nicht 
mehr sein soll, Servet in seiner Restitutio, Die Intoleranz erzieht 
zur Lüge und zur jesuitischen Sophistik^*). Wer Ketzer-Prozesse 
studirt hat, wird das oft gewahr werden *^). 



35) De re ana tomica 1590 S. 325 (wie in der 1. Ausg. 1559). Diese Stelle 
zusammen mit mehreren anderen (De re anatom. 1590 S. 327. 411. 351. 352. 
354 u. a.) lässt keinem Zweifel Kaum, dass Colombo d^ Servet Restitutio vor 
sich hatte wegen der öfters fast wörtlichen Übereinstimmung und auch der 
Identität beider in ihren Angaben über das Gehirn. Man vergleiche z.B. nur 
folgende Stellen: 

Servet 1546 und 1553. i Colombo 1559 und 1590. 

Longo per pulmones ductu agitatur Sanguis ob assiduum ptdmonum motum 



sanguis. 
flavus efficitur . . inspirato aere misce- 

twr. 
iia tan dem a sinistro cordis veutri- 

culo totum mixtum per diastolen 

attrahitur. 



agitatur, 
tenuis redditur et una cum aere misce- 

tur. 
tandemque ad sinistrum cordis ven- 

triculum deferuntur {mixti sanguis 

et aer). 



Magnitudo insignis venae arterio- Vena arteriosa magna est satis. . . . 
sae, quae nee talis, nee tanta esset nee 
tantam a corde ipso vim purissimi 



Vas est satis insigne. 
Vena enim haec arterialis praeterquam 



sangutnts tn pulmones emttteret ob . . i. ^ 

, ^ 1 j n Quod sangutnem pro sut altmento 

solum eorum nutrimentum» . . Ergo ^ ^ ^ j , ^ ^ i . 

' deferty adeo ampla est ut altus 

usus gratia deferre possit. 



ad alium usum effundiiwr sanguis 
a corde. 
Cum sanguis non sit extra vasa. 



non adest . . sanguis extra propria vasa. 



Die dem Servet eigenthümlichen Ansichten über die Bedeutung der Hirntheile, 
namentlich über das Eintreten von Luft durch das Siebbein , Über den Sitz 
des Gedächtnisses, über die Entstehung der Lebensgeister im Gehirn, ferner 
über den Fötus und den m&nnlichen und weiblichen Samen gibt Colombo zum 
grossen Theil für seine Erfindungen, Entdeckungen, Meinungen mit wenig ver- 
änderten Worten aus, wie aus lib. VIII, XI, XII zu ersehen, wo sogar die 
Ausrufe des Erstaunens über die göttliche Weisheit, wie bei Servet, nicht feh- 
len. Man vergleiche nur die Originale: Servet 1553 (das erste Capitel dieser 
Abhandlung) und Colombo 1559 oder 1572 oder 1590 (mir steht im Original 
nur die letzte Ausgabe zur Verfügung), so ergibt sich, daas in der That Co- 
lombo, der ruhmredige, ein anmaassender Plagiator ist. P. 

36) Zechinelli und Mich^a nennen deshalb den Healdo Colombo ohne weiteres 
einen Plagiator Michael Servet's. 

37) Haller (Bibliotheca anatomica 1774 T. I. S. 204) nennt zwar den „in 
der Anatomie sehr erfahrenen** Servet „acrt« ingenii vir, quem J» Guintherus 
secundo a Vesalio loco inter eos discipulos numerat, qui sibi adjumento fuerint^^ 

im) 



1 



i 

w 

t 



— 40 — 

Nach Colombo kam G es alpin. Auch Gesalpin verschweigt 
Colombo, verschweigt Servet. Flourens (S. 30) schliesst daraus, 
Gesalpin habe beide nicht gekannt. Padua ist von Pisa nicht so 
weit. Und bald wird auch Flourens überzeugt, Gesalpin müsse 
des Paduaner Golombo seit fast 40 Jahren, als Gesalpin schrieb, 
classisches Buch kennen (S. 247 cf. S. 126). Aber, wenn er Go- 
lombo kannte, warum citirt er ihn nicht? Ganz anders, wenn 
Gesalpin unmittelbar aus Servet geschöpft hat, d. h. wenn er seine 
physiologische Anregung, wie es die damalige Zeit auffasste, dem 
Teufel dankt. Jedenfalls wäre es ein mindestens ebenso grosser 
Schritt von Golombo zu Gesalpin, wie von Servet zu Gesalpin. 

Gesalpin, dem schon Jöcher „sehr freie und beinahe gottlose 
Meinungen" zuschreibt, „auch solche Lehren, wie sie hernach 
Spinoza ausgebreitet" — beides wurde oft dem Spanier nach- 
gesagt, der nur acht Jahr älter war, als Gesalpin — sagt nicht, 
dass er der Entdecker sei. Und gerade deswegen schätzen wir 
seine Ehrlichkeit. „Diesem Blutumlauf', sagt er — hier zuerst 
das Wort, Circulatio sanguinis — „welcher von der rechten 
Herzkammer durch die Lunge in die linke Herzkammer führt, 
entspricht durchaus die Disposition der Theile, die man bei der 
Section wahrnimmt. Denn zwei Gefässe giebt es, welche in die 
rechte Herzkammer, zwei hinwiederum, welche in die linke aus- 
laufen {desinentia). Je eines von den Gefässen führt das Blut 
herein, je ein anderes lässt es heraus, indem die Klappen für die- 
sen Zweck eingerichtet sind. Das Gefäss, das das Blut einführt, 
ist die grosse Vene in der rechten Herzkammer, Hohl- Vene ge- 
nannt; die kleine aber führt aus der Lunge in die linke Herz- 
kammer. Das Gefäss hingegen, das das Blut herauslässt, ist die 
grosse Arterie in der linken Herzkammer, Aorta genannt; die 
kleine aber in der rechten lässt es zu den Lungen hinaus." Flou- 
rens' Übersetzung dieser Stelle (S. 31) ist klarer, als die Ausein- 
andersetzung im Original Gesalpin's. Indess Gesalpin geht weiter: 

und hebt hervor er setze ^^manifesio^^ den kleinen Kreislauf auseinander, aber 
völlig unmotivirt fügt er hinzu, adparet verum vidisse . . . guod paulo prius 
Realdo Columbo videlur innotuisse^ quod ne quidem Galenus ignoraverai, 
etsi serius magnum invenium a Realdo editum est, nämlich i. J. 1559, während 
Servet's Beschreibung des kleinen Kreislaufs 1546 beendigt war (S. oben S. 34) 
und einigen bekannt wurde und 1553 erschien. Colombo war Vesal's Schüler, 
Freund , Nachfolger und 15 Jahre lang Prosector (Incisor)» in Padua , wo er 
1544—46 lehrte, dann in Pisa und Rom. Vgl. Haller 1. c. S. 213—215, wo es 
sonderbarer Weise heisst, er habe den kleinen Kreislauf „genauer als Servet 
beschrieben'*. Er beschrieb ihn jedenfalls erheblich später. P. 

(88S) 



— 41 — 

von dem kleinen Umlauf durch die Lungen zum grossen Umlauf 
durch den ganzen Körper. 

Bisher glaubte man, auch noch Vesal, das Blut gehe durch 
die Venen zu den Theilen. Cesalpin zeigte, dass es durch die 
Venen von den Theilen zum Herzen geht Und das beweist er 
durch eine höchst einfache Beobachtung. „Es ist wohl werth da- 
rauf zu achten", sagt Cesalpin, „warum bei Aderlässen die Venen 
immer anschwellen jenseits und nicht diesseits des Verbandes. 
Denn wer zur Ader lässt, legt den Verband immer diesseits des 
Orts an, wo die Ader springen soll und niemals jenseits. Es 
müsste aber gerade umgekehrt sein, falls die Bewegung des Blutes 
und des Lufthauchs von den Eingeweiden aus (a visceribus) in den 
ganzen Körper vor sich ginge" (Fl. S. 34 fg.). Und anderswo 
sagt Cesalpin: „Das Blut, das durch die Venen dem Herzen zu- 
geführt wird, erhält dort seine letzte Vollendung; und sobald es 
die erreicht hat, wird es durch die Arterien in den gesammten 
Körper vertheilt, der aus derselben Nahrung im Herzen erzeugt 
wird" (S. 35). 

Eben der Mann, der in der Botanik die Methode aufgebracht 
hat zur Classificirung der Pflanzen je nach den Befruchtungswerk- 
zeugen, den Blüthen, Früchten, Körnern, der hat uns auch, sagt 
Flourens, zuerst die Idee gegeben von der doppelten Circulation. 
Wir fügen hinzu, dass Cesalpin auch für den grossen Umlauf min- 
destens ebensoviel Halt finden musste im äervet,'als im Bealdo 
Colombo. 

1553 war Servet gestorben. 1563 erhielt der Paduaner Stu- 
dent Geronimo Fabricio de Acquapendente zu Padua die 
medicinische Doctorwürde, 1565 zu Padua die Professur der Ana- 
tomie, die er über fünfzig Jahre mit Ehren verwaltet hat (f 1619). 
Im Jahre 1574 entdeckte er die Venenklappen und bemerkte 
sehr wohl, dass sie dem Herzen zugewendet sind'*). Daher stehen 
sie dem entgegen, dass das Blut yqu dem Herzen zu den Theilen 
dringe in den Venen: es geht also in den Venen den Weg von 
den Theilen zum Herzen hin: im Gegensatz zu dem Vorgang in 
den Arterien, in welchen es keine Klappen giebt. 

Die Venenklappen sind der anatomische Beweis für den Blut- 
umlauf. Fabricio machte die Beobachtung, aber er zog daraus 
nicht die wichtige Schlussfolge, die sein Schüler, der grosse Har- 
V e y daraus zu ziehen verstanden hat. 



38) De venarum ostiolis (p. 160 ed. AUnni), 

(888) 



— 42 — 

Realdo Colombo schreibt den Servet aus und bestätigt ihn. 
Colombo ist nicht der Entdecker des kleinen Kreislaufs. Cesalpin 
beschreibt den Blutumlauf, ohne sich die Entdeckung zuzuschreiben. 
Fabricio schweigt von dem Blutumlauf ganz, selbst wo er die 
Venenklappen erörtert. 

Wie steht es nun mit Sarpi? Ist Fabricio von ihm abhän- 
gig? Dankt er Sarpi die Entdeckung der Venenklappen und hat 
Sarpi den Blutumlauf gekannt? Sarpi's Freunde bejahen beides. 
Flourens (S. 37 fg. 127 fg.) leugnet beides. Ich meine, das eine 
ist wahr, das "andere falsch. Es ist wahr, dass Fabricio der Ent- 
decker der Venenklappen ist. Es ist falsch, dass Sarpi vom Blut- 
umlauf nichts gewusst. Der gelehrte Fabricio d'Acquapendente 
kennt den Sarpi wohl. Auch citirt er ihn gern (z. B. bei Flourens 
die Stelle S. 38). Bei den Venenklappen citirt er ihn nicht. Und 
nicht Sarpi, Fabricio spricht die Sprache des Entdeckers. Die 

Stelle lautet wörtlich: De his itaque in praesentia locuttiris, subit 
primum mirari, quomodo ostiola haec ad hanc usque aetatem tarn 
priscos quam recentiores anatomicos adeo latuerint , ut non solum 
nulla prorsus metitio de ipsis facta sit, sed neque aliquis prius haec 
videvil quam anno 1574, quo a me summa cum laetitia inter disse- 
candum observata fitere. So Acquapendente. Servet wusste nichts 
von den Venenklappen, nichts Colombo, nichts Cesalpin. Fabri- 
cio kennt sie und er führt über die Venenklappen die stolze 
Sprache, die wir bei dem Spanier hörten , wo er , er selber, den 
Blutumlauf entdeckt. Und dass Fabricio d'Acquapendente (f 1619), 
ihr berühmter anatomischer Lehrer, venerabilis senex, der Ent- 
decker der Venenklappen ist, das bezeugt ihm der unsterbliche 
Gaspard Bauhin und Harvöy selbst. Bauhin sagt, 1592, vor 
18 Jahren im Amphitheater zu Padua, habe Hieronymus Fabricius 
von Acquapendente ihnen, seinen Schülern, die Venenklappen de- 
monstrirt (bei Flourens 135). Harvey sagt: Der berühmte Hiero- 
nymus Fabricius von Acquapendente habe zuerst in den Venen 
die häutigen Klappen (membraneas mlmlas) gezeichnet, jene von 
Gestalt sigmoidischen oder halbmondförmigen Theile der inneren 
„Tunica" der Venen, die hervorragen, wenn sie gleich äusserst 
dünn sind {eminentes et tenuissimas). Doch von des Fabricio 
Kenntniss des Blutumlaufs schweigen beide. Soll man daraus 
schliessen, er habe ihn nicht gekannt? Ich meine nein. Er ver- 
schwieg ihn aus demselben Grunde, aus dem Fra Paolo Sarpi, 
der berühmte Geschichtsschreiber des Tridentinischen Concils, seine 
Kenntniss vom Blutumlauf so ängstlich geheim hielt 

<IM) 



— 43 — 

Sarpi nämlich hat Servet gelesen, und das ist seine Angst, dass 
dieses Verbrechen entdeckt wird. Sehen wir uns Fra Paolo, den 
geistvollen Serviten-Mönch, näher an. In der Stadt geboren, die 
schon 1539 dem Servetanismus zu verfallen schien und in welcher 
die zahlreich cursirenden Exemplare von Servet's Restitutio nicht 
so bald verfolgt und verbrannt wurden, wie anderwärts, war Paolo 
unter seinen Zeitgenossen bekannt als frühreifer Kopf. 1565, 
dreizehnjährig, studirt er Philosophie, Mathematik, Griechische und 
Hebräische Sprache. 1566 tritt er in den Orden der Serviten. Im 
Jahre 1572 wird er zum Hof-Theologen des Herzogs von Mantua 
und zum Lector der dogmatischen und casuistischen Theologie, 
auch an seiner Stiftskirche zum Lehrer des Kirchenrechts durch 
den Bischof ernannt. Der Erzbischof von Mailand zieht ihn in die 
Geheimnisse seines Raths. Jetzt schon wird er verdächtig. Die 
Inquisition wirft ihm vor, dass er „Servetaner" sei. Auch habe 
Sarpi behauptet, das Geheimniss der Dreieinigkeit könne nicht 
aus dem ersten Hauptstück des ersten Buchs Moses erwiesen wer- 
den. Sarpi appellirt nach Rom. Dem Inquisitor wird seine Un- 
wissenheit verwiesen. Sarpi, jetzt Dr. theol,^ wird an die Univer- 
sität Padua berufen, nach demselben Padua, in dem, dank Matteo 
Gribaldo, Servet's Geist so lange geherrscht und Servet's Schriften 
so fleissig verbreitet wurden. Sarpi (1578) wird Provinzial seines 
Ordens für die Provinz Venedig, sechsundzwanzigjährig. Wenige 
Jahre nachher als General-Procurator der Serviten ansässig zu 
Rom, wird er wiederum des verdächtigen Umgangs mit den Ket- 
zern beschuldigt. Das versperrte ihm den Weg zum Bischofsstuhl, 
so oft man ihn dazu vorschlug. In dem Streit zwischen Paul V. 
und der Republik Venedig, stellt Sarpi seine Feder in Venedig's 
Dienst und verfällt in den Bann (1606). Als sich seine Vaterstadt 
mit der Curie aussöhnt, wird er auf der Strasse zu Rom „mit 
fünfzehn Dolchstichen" durchbohrt, wie es hiess nicht ohne Vor- 
wissen der Curie (5. Oct. 1607). Er genas langsam. Und nach- 
dem er die Welt mit seinen Werken gefüllt, starb der schwäch- 
liche, bescheidene Mann , gleich berühmt als Historiker, Theologe, 
Chemiker, Mathematiker und Anatom, den 14. Januar 1623. 

Angesichts eines solchen vollen Lebens, dessen frische Früh- 
reife nicht der unfruchtbarste Theil war, wie will da Floorens 
aus einem völlig undatirten Briefe schliessen, der Brief könne 
nicht vor 1574 datiren: denn vor 1574 könne Sarpi nicht nach- 
gedacht haben über eine der geheimsten Constractionen des 
menschlichen Organismus: sei er doch 1574 erst 22 Jahr alt ge- 



— 44 — 

wesen. Als Sarpi 22 Jahr alt war, ist er eben schon eine Cele- 
brität. Ja mehr noch. Er ist schon verdächtig des Servetanismus. 
Wem der Servetanismus so die Carriere verdorben, wie dem Sarpi ; 
wem die Venetianisch - Paduanische Freisinnigkeit fünf Dolche in 
die Brust gebohrt hat, dem verdenken wir es nicht, besonders 
bei schwächlichem Leibe und bescheidenem Geiste, wenn er alles, 
was er aus Servet gelernt hat, geheim hält, gar geheim, und doch 
es tradirt, aus Liebe zur Wissenschaft. 

Aus dieser Kenntniss seines Lebens und seines dogmatischen 
Standpuncts fällt ein neues Licht auf Sarpi's berühmte anatomische 
Äusserungen. 

„Was Eure Ermahnungen betrifft", schreibt Sarpi, „so muss ich 
Euch bekennen, dass ich nicht mehr in einer Stellung mich be- 
finde, in der ich meine Mussestunden vergnügt hinbringen konnte 
mit anatomischen Beobachtungen von Lämmern, Ziegen, Kühen 
und anderen Thieren. Könnt' ich es, so würde ich in diesem Au- 
genblick begieriger sein als jemals, einige jener Beobachtungen 
zu wiederholen, wegen des edlen Geschenks, das Ihr mir gemacht 
habt mit dem grossen und schönen Werke des berühmten Vesal. 
In der That giebt es eine grosse Ähnlichkeit zwischen den Dingen, 
die ich schon bemerkt und aufgeschrieben habe über die Bewegung 
des Bluts in dem thierischen Körper und über den Gebrauch der 
Klappen, und dem , was ich mit Vergnügen bemerkt sehe , wenn 
auch weniger klar, im Buch VII Hauptstück XIX, dieses Werks. 
Man kann daraus schliessen", fährt der scharfsinnige Venetianer 
fort, „dass durch Einhauchung neuer Luft in die Luftröhre ster- 
bender Menschen oder solcher, deren Lebensfunctionen aufgehört 
zu haben scheinen, wir im Stande sein würden, ihrem Blute die 
verlorene Bewegung wiederzugeben und ihr Leben einige Zeit zu 
verlängern. Wenn dem so ist, und man kann nicht mehr daran 
zweifeln nach den Erfahrungen dieses grossen Anatomen, so werde 
ich mehr als jemals bestärkt in der Meinung, dass die Luft, die 
wir einathmen, ein Princip oder Agens enthält, das fähig ist, die 
blutige Flüssigkeit neu zu beleben" — heute nennen wir es Sauer- 
stoff, — „und ihre Bewegung herzustellen, in denjenigen, die in 
tödtlichen Starrkrampf oder in Scheintod verfallen vermöge schäd- 
licher aus Grüften aufsteigender Dämpfe, ... ein Agens, mit einem 
Wort, so wie es die heilige Schrift angezeigt hat in dem Spruche : 
anima omnis camis in sanguine est, wovon auch einige alte Philo- 
sophen sprachen und, näher an unsere Zeit, Marsilius Ficin, Picus 
von Mirandola etc. etc." (FWurens S. 139). 

(886) 



— 45 — 

Anima est in sanguine, anima ipsa est aanguis, das war, nach 
Flourens (S. 156), dasPrincip, aus dem beiServet die Entdeckung 
des Blutumlaufs geboren ist. Hier, wo Sarpi, der wegen Anti- 
trinitarismus vor die Inquisition gestellte, von Blutbewegung, von 
der Luftröhre, von den Klappen, von dem Starrkrampf spricht, 
galt für Kenner der Restitutio dies Schrift-Citat mit einem etc. etc. 
gleich als ein Hinweis auf die berühmte Stelle von dem Blutumlauf. 
Sarpi's antitrinitarische Freunde, die Verehrer des Spanischen 
Physiologen, sie verstanden, was Sarpi meinte. Sarpi dachte an 
keine andere Blutbewegung als an den Umlauf; und die Klappen 
von denen er redet, sind nicht Fabricio's Venenklappen — Sarpi 
sagt nie valvulae venarum — , sondern die Herzklappen , valtmlae 
cordis. Den Blutumlauf hat der Antitrinitarier Sarpi aus Servet 
gekannt : die Venenklappen, die Servet nicht kannte, kannte auch 
Sarpi nicht. Sarpi beschreibt nicht den Blutumlauf, weil bei der 
Verbreitung der Restitutio im Venetianischen, Inquisitoren zurück- 
kehren und Erdolcher ihre Schritte beschleunigen könnten. 

Nun werden wir auch verstehen, warum Thomas Bartholin 
aus Padua nach Leiden schreibt an den Professor Johann Wa- 
laeus: „Von Vesling erhielt ich endlich das Geheimniss von der 
Entdeckung des Blutumlaufs, ein Geheimniss, das Niemand mit- 
getheilt werden darf: nulH revelandum! nämlich, dass es eine Er- 
findung des padre Paolo ist, des Venetianers, von dem Acquapen- 
dente auch die Entdeckung der Venenklappen hat, wie ich es 
gesehen habe in einer Handschrift des padre Paolo ^ welche in 
Venedig aufbewahrt sein Schüler und Nachfolger, der Padre Ful- 
gencio.^^ Flourens (S. 131) fragt „warum soll man das Niemand 
mittheilen? Warumwar das ein Geheimniss ? War es doch kein 
Verbrechen, den Blutumlauf entdeckt zu haben." Flourens weiss 
keine Antwort zu geben. Er vergisst, dass in Italien und in der 
ganzen katholisch - protestantischen damaligen Welt der für ein 
todeswürdiger Verbrecher galt, der das verruchteste aller Bücher 
gelesen, Michael Servers Restitutio ckriatianismi. 

So haben wir denn von Servet bis zu Harvey nur zwei wirk- 
liche Entdecker gefunden, Gesalpin und Acquapendente. Bealdo 
Colombo, Sarpi, Peiresc, Pater Fulgentius, Bartholin, Walaeus, le 
Vasseur, Eustachio Budio, Buini, sie alle stehen in mittelbarer 
oder unmittelbarer Abhängigkeit von Servet Servet hat den 
kleinen Blutumlauf entdeckt, Gesalpin ist der Entdeckung des 
grossen sehr nahe, Acquapendente entdeckte die Venenklappen. 

Harvey, des an grossen Anatomen so reichen Padua berühm- 



- 46 - 

tester Zögling, bringt die Frage zum Austrag. Acquapendente, 
der Entdecker der Venenklappen, sagt nichts von dem Blutumlauf. 
Le Vasseur, der den Umlauf kennt, sagt nichts vom Blute '^). 
Cesalpin, der den doppelten Umlauf beschreibt, lässt doch das 
Blut tbeilweise durch die mittlere Herzwand dringen (partim per 
medium septum, partim per medios pulmones). Servet spricht nicht 
deutlich genug von dem grossen Kreislauf. 

Harvey's Buch ist ein Meisterstück. Flourens nennt dies 
kleine Buch von hundert Seiten das schönste Buch in der Physio- 
logie (S. 43). 

Harvey beginnt***) mit den Bewegungen des Herzens, und 
bemerkt, dass der Vorhof und die Kammer jedes Herzens sich 
nacheinander zusammenziehen. Wenn der rechte Vorhof sich zu- 
sammenzieht, so geht das Blut in die rechte Herzkammer; wenn 
die rechte Herzkammer sich zusammenzieht, geht das Blut in die 
Lungen-Arterie; v.on der Lungen-Arterie geht es in die Lungen- 
Vene, von der Lungen- Vene in den linken Vorhof, der sich zu- 
sammenzieht und es in die linke Herzkammer drängt. Diese zieht 
sich zusammen und stösst es in die Aorta, von da geht es über 
in die Arterien: von diesen geht es in die Venen und durch die 
Venen kehrt es zum Herzen zurück, eben zu dem rechten Vorhof, 
von dem es ausgegangen war. Und bei jedem Übergang aus einer 
Höhlung in die andere giebt es Klappen, Membranen, Thürchen 
(ostiola nennt sie Fabrice), die sich öffnen, um es nach der einen 
Bichtung hindurchzulassen, und die^ sich schliessen, um es zu ver- 
hindern, nach der entgegengesetzten Richtung zu strömen. Die 
Klappen der rechten Vorkammer lassen das Blut in die rechte 
Herzkammer hindurchdringen und hindern es, in den Vorhof zu- 
rückzukehren ; die Klappen der rechten Herzkammer lassen es in 
die Lungen-Arterie hindurchdringen und hindern es in die Kam- 
mer zurückzukehren; die Klappen des linken Vorhofs lassen es 
in die linke Herzkammer hindurchdringen und hindern es, in den 
Vorhof zurückzukehren; die Klappen der linken Herzkammer 
lassen es in die Aorta dringen und hindern es in die Herzkammer 
zurückzukehren; die Klappen der Venen lassen es in die Venen 
hindurchdringen und hindern es, in die Arterien zurückzukehren. 



89) Le Vasseur nimmt in den Arterien Luft an. S. die Stelle bei Plourens 
S. 39. 

40) Exercitatio analomica de motu cordis ei sangtiinis. leb folge hier der 
Ü%c^setztmg voB FloarenB (S. 48 fg.). 

im) 



— 47 — 

Nach dem Herzen kommen die Arterien. „Wenn man eine 
Arterie öffnet", sagt Harvey, „so dringt das Blut heraus in un- 
gleichem Sturze ; abwechselnd spritzt es bald schwächer, bald stär- 
ker; das stärkste Spritzen entspricht immer nicht der Systole, 
sondern der Diastole der Arterie. Demnach ist es der Andrang, 
das Anstürmen des Blutes durch welches die Arterie sich aus- 
dehnt, durch welches die Arterie schlägt. Wenn die Arterie sich 
von selber ausdehnte, so würde es nicht gerade der Augenblick 
der Ausdehnung sein, in dem sie das Blut herauswirft mit grös- 
serer Kraft." 

Und da er gerade einen Fall der Verknöcherung (oBsificatio) 
der Schenkel-Arterie beobachtet hat, so weist er darauf hin, dass 
die Arterie schlägt unter der Verknöcherung; die Verknöcherung 
unterbricht also nicht die von Galen behauptete Schlagkraft (virn 
pulsificam) : vielmehr haben die Arterien keine eigene Schlagkraft, 
sondern das Schlagen der Arterien kommt allein her von der Be- 
wegung des Bluts, von dem Blutandrang gegen die Wände der 
Arterien. 

Von den Arterien geht Harvey über zu den Venen : und zeigt, 
dass die Klappen für die Bewegung nur eine Richtung frd lassen, 
die Richtung nach den Klappen hin, also die Bewegung, welche 
das Blut von den Theilen zum Herzen führt. Dann kommt er zu 
den Experimenten. Harvey führt wenige Experimente an, die er 
gemacht hat. Aber sie sind entscheidend. C'est lä le genie, be- 
merkt Flourens (49). 

„Wenn man ein Glied", sagt Harvey, „leicht verbindet, so 
steht das Blut nur in den Venen still, weil die Venen allein auf 
der Oberfläche sich befinden. Verbindet man es stärker, so steht 
das Blut auch in den Arterien still, die tief liegen. 

Wenn man eine Vene unterbindet, so tritt die Anschwellung 
über der Ligatur ein; wenn eine Arterie, so tritt sie ein unter 
der Ligatur. Das Blut bewegt sich demnach in umgekehrter Rich- 
tung in den Venen und in den Arterien : es geht von den Theilen 
zum Herzen in den Venen; es geht vom Herzen nach den Thei- 
len in den Arterien. 

Wenn man irgend eine Arterie öffnet und das Blut fliessen 
lässt, so fliesst alles Blut heraus durch diese Öfhung: demnach 
stehen alle Theile des Umlaufs-Apparats unter einander in Ver- 
bindung, das Herz, die Arterien, die Venen. 

Und in der That, wenn man die wunderbare Geschwindigkeit 
des Blutlaufs bedenkt, so wird man bald einsehen, dass dem so 



— 48 — 

sein muss: denn kaum ist das Blut in das Herz gedrungen, so 
tritt es schon wieder heraus , um überzugehen in die Arterien ; 
kaum ist es in den Arterien, so tritt es heraus, um überzugehen 
in die Venen; kaum ist es in den Venen, so geht es über in das 
Herz; es geht also fortwährend aus dem Herzen in die Arterien, 
aus den Arterien in die Venen, aus den Venen in's Herz: und 
diese fortwährende Rückkehr: das ist der Kreislauf (drculatioy^ 

So ist denn William Harvey, der grosse Physiologe aus 
Kent (1577 — 1657) nicht bloss der erste, der, wie Jöcher sagt, 
ein besonderes Buch von dem Blutumlauf geschrieben hat, sondern 
er ist der erste, der das ganze System des Blutumlaufs durch- 
schaut, begriffen und in seinen Consequenzen der Welt dargelegt 
hat. Harvey ist ein Meister in der Vivisection und hat viele neue 
Versuche angestellt. Harvey ist um so grösser, je mehr ihn die 
neidische Mitwelt zu isoliren, zu verkleinern und zu entstellen ge- 
sucht hat. Aber der eigentliche Entdecker des Blutumlaufs ist er 
nicht Nicht des grossen, den erschloss Gesalpin; nicht des klei- 
nen, den entdeckte Servet ; nicht der Venenklappen, die sah zuerst 
Fabrice von Acquapendente. Harvey's, des genialen Mannes gröss- 
tes Glück war, dass er in Padua studirte, wo ihm Fabrice die 
Venen-Klappen demonstrirte und die Entwicklung des Ei's und die 
Bildung des Fötus (Flourens 227), in Padua, wo Eustachio Rudio 
ihm den kleinen Blutumlauf darlegte und die Klappen des Her- 
zens, in Padua, wo Faloppius gelehrt hatte und Colombo und 
Vesal: in Padua, der letzten Festung des Servetanismus. 



KMO) 



Drittes Capitel. 

Ceradini's historisch-kritische Untersuchungen über 
die Entdeckung des Blutumlaufs. 

. . . nisi Studium juvandi rem medicam, 
Galenici dogmatis justa defensio ipseque 
inprimis veriiatis amor vel nolentem com- 
pulisset Servet: Syruporum ratio. 

Die Reihe der Entdecker des Blutumlaufs beginnt mit Servet. 
Den Servet haben Vesal, Colombo, Faloppius, Fabrice d'Acquapen- 
dente, Cesalpin, Ruini, Sarpi, Le Vasseur, Eustachio Rudio, Harvey 
gekannt, studirt, mittelbar unmittelbar benutzt und ausgeschrieben : 
das war das Ergebniss unserer Untersuchung an der Hand der 
geschichtlichen Daten. Da kommt der Spanier Casas di Men- 
doza') und behauptet, nicht Servet, ein anderer Spanier sei der 
erste Entdecker, der Spanische Thierarzt De la Reyna. Denn 
schon 1532, also 20 Jahre vor Servet's Restitutio , habe Reyna 
hingewiesen auf die Thatsache, dass wenn man Venen der Glied- 
maassen (alcune vene degli arti) eines Pferdes unterbinde, das Blut 
aus dem Schnitt unterhalb der Ligatur herausfliesse, nicht ober- 
halb u. s. f. Aber, die Thatsache vorausgesetzt, die erste Ausgabe 
„5ti/ cflua/Zo" datire von 1532 und bringe schon jene Beobachtung 
— was ich so lange nicht glaube, als Reyna's Vertheidiger sich 
nur auf die Ausgabe von 1647 berufen — so hat doch Reyna nie 
den Schluss auf den Blutumlauf gemacht, ja er weiss auch vom 
kleinen Blutumlauf noch nichts, sondern lässt die Venen aus der 
Leber entstehen. Reyna ist ungefährlich für Servet, geradeso wie 
sein Patron Mendoza. Denn es kommt über beide Ercolani, 
der Bologneser Professor, und verlangt von den drei Spaniern den 
Löwenantheil für seinen Landsmann Carlo Ruini ^). Seit 7 Jah- 



1) BoUetin de Veterinaria, Madrid 1850 nach £. Hering : Repertorium der 
Thierheilkunde. 1850. S. 257—59. 

2) Carlo Ruini, CurioHtä storiche. Bologna 1878. 

(841) 4 



— 50 — 

ren liest man die marmorne Inschrift an der neuen chirurgischen 
Veterinär-Klinik zu Bologna: A Carlo Ruini, setMtore Bologvese^ 
che primo Varte veterinaria scientificö e primo riveld la circolazione 
del sangue questa scuola murata Fanno MDCCCLXIX. GiambaUi- 
sta Ercolani dedicava intitolava. Aber was helfen steinerne In- 
schriften in unserem Jahrhundert der Kritik und der Entdeckun- 
gen? Zwei Jahre nach Ercolani kommt Ceradini'), der Profes- 
sor der Physiologie an der Universität Genua, und beweist, dass 
Carlo Ruini kein Entdecker^ sondern ein elender Compilator 
und Plagiator sei, ein Compilator aus Galen, Colombo und Vi- 
dio, und ein Plagiator dee Spaniers Juai de Valverde, des Val- 
verde, der seinen Tractat Anatome corpwis kumani zuerst Spanisch 
1556, dann 1560 Italienisch zu Born drucken liess, bis Michael 
Colombo 1589 davon zu Venedig eine Lateinische (ibersetzung her- 
ausgab *). Da könnten sich nun die drei Spanier streiten um die 
Priorität der Entdeckung, wenn nicht Ceradini allen dreien den 
Lorbeer entrisse, dem Beyna (S. 61), dem Valverde (S. 12. 17) 
und dem Servet (S. 74 fg.). Aber auch der Engländer soll 
ihn nicht haben. Ceradini theilt den Preis zwischen dem Philo- 
sophen von Pergamos und dem Pisaner. Die Entdeckung des 
kleinen Blutumlaufs wird dem Galen zugeschrieben, die des gros- 
sen dem Ces alpin. Schon rüsten sich die Türken, in Pergamos 
dem Entdecker des kleinen Blutumlaufs im Namen Griechenlands 



3) Qualche appu/nto storico - critico intorno aüa scoperta della circokaione 
del sangue, Genova 1875, (223 Seiten.) S. 12. 15—18. (Auch in Ann, del 
Mus, Civ, di St. Nat, di Genova. Vol. VU. 1875). 

4) Anatome corporis humani auctore Joanne Valverdo. Nunc primum a 
Michaele Columho latine redditu et additis novis aliquot tabuUs exornata, Ve- 
neüis 1589, Valverde spricht S. 289, auf Grund seiner mit Kealdo Colombo 
zusammen an lebenden Thieren angestellten Zergliederungen, die Hypothese, 
dass Blut durch die Lungen vom rechten zum linken Herzen geht, so aus, 
dass man zweifeln könnte, ob er sie (1556 oder 1560) selbständig aufgestellt 
habe. Da aber der junge Valverde allein von Colombo erfuhr, dass die Lun- 
genvenen nicht Luft, sondern Blut zum Herzen führen, so kann ihm nicht zu- 
gestanden werden, dass er selbständig den Lungenkreislauf beschrieben habe. 
In welchem Jahre die ei:steii gemeinschaftlichen, den Servet bestätigenden Be- 
obachtungen und VivisQctionen von B.ealdo Colombo und Valverde angestellt 
wurden, ob nicht nur vor 1559, sondern auch vor 1556? ist irrelevant, da sie 
— wegen Valverde's Jugend — sicher nach 1546 und höchstwahrscheinlich 
nach Servet's Tod angestellt wurden. Die Stelle findet sich aus der Italieni- 
schen Ausgabe (1560) bei Ceradini S. 100—101. ^ b^^eiigi übiig^na, dass 
Valverde zweifelte (S. unten S. 54), ob Blut nicht auch direct von der rechten 
in die linke Kammer gehq (j^^sa) ? P* 

im) 






•• I • • • 

• • •» • •• • 

• ••• ••! • 

•• •• •••• 



• • • • « < • 

• •••••• 

« ••••■•• 

• ••••••• 

•• •••• •• 



-^ 51 -= 

ein Denkmal m errichten. Da erfahren siö rechtzeitig to* Cera- 
dini (S. 21), Galeims r= yaXp^og^ seremis, tranqttillua »ei gar kdn 
bestimmter Arzt gewesen, sondern unter den Werken Galen's habe 
man jene kritische Bibliothek des mediciiiisch Wissetiswertben ver-« 
standen, die untcfr Leitung eine» Gelehrte», der „vielleicht" (siö!) 
Galen gebeissen*habe, im Äweite» Jabrhirnderl unserer Zeitrech- 
nung «US Aristoteles, Erasistratos, Hefophilos, Hippokrates ttÄd 
anderen im Alterthun» berühmten Naturforschern Ättsamtoöng^leses 
worden sei. Statt des grossen Cempitators von Pergaöioi^ — so 
müsste man nach Ceradini den Galen nennen — wird nun dettii 
Mann von Arezzo ein aer» perennius in Aussicht gestellt Im Athe* 
neum in Pisa soll 2um ewigen Gedäc&ti^, allen Völkerft lest^oi'y 
die stolze Inschrift prangen : Andreas Caesalpimti AreHnta^ Pisana in 
acaäemia mtdieinae lector, Galeni ärtariöus ds jtcotU venafunf^fke 
officio emendatis^ sanguinis detexit per uni9^sum cotpm circuktiiönSM, 
quam eliam venarum vmculii adki&iti^ tivisettionikiM patefeciU suis 
vero in petipateticis ac medicis quOeUionibui mmo MDLXtX tel 
MDXCißi editis ipsissima circuUstionis voce usut plane desefipsif. 
Male siöi eonstUuit Harveti» Uli Anglns htmc qui sibi maatimi f^eri* 
iatefm momenti ausus anno MDCXXVIIi est deüertierä (S. 21d)L 
Ich den^e mir, dass, eh' die Subscription zu Stande kolnmt, die 
Lateiner unter den Medieinem in dem mommmium noch diei^ oder 
jenes anders wünschen werden; das» sie das etiam streichen, das 
teto, das tel; dass sie die Betonung der f>ox rügen und den Höh» 
auf Harvey, dass sie. . . . Doch ich könnte mlüg abwarten, ob 
nicht die Apotheose des Cesalpin ebenso sehneil durch einen Ita- 
liener abgethan sein wird, wie Ercolani's Verherrlichung des Ruini 
zwei Jahre später abgethan wurde d«rch den Physi^tegen von 
Genua? Indessen da Ceradini auch in Deutschland als eingründ*' 
lieber Kenner der Physiologie dös Bhitumlaufo gilt (er hat bei 
Ludwig im Leipziger Laboratorium über die Herzthitigkeit ge- 
arbeitet), so kommt es darauf ai^, die Bedeutung des gsrnkke ap^ 
fmnto recht zu würdigen und dadurch jene besonnene Darstellung 
der Geschichte der Blutumlaufsentdeckungen, von der sich auch 
Ceradini so viel verspricht, zu fördern. „Die Liebe zur Förderung 
der medicinischen Wissenschaft, der Wunsch, den» Galen gerecht 
zu werden und die Freude an der Erforschung der Wahrheit'"*) 
sollen mich zu dem Versuch antreiben, die Ceradini'schen For- 
schungen für Deutschland zu verwerthen. 



5) Servet in : Syrupisfrvm tmiwrsm foUwf Ptueftk 

(mm 4* 



— 52 — 

Sehen wir uns zunächst des Professor Ceradini Resultat an, 
„Schon Galen'^ so schliesst er seine Abhandlung (S. 217—219), 
„hatte behauptet, dass das Blut von der rechten Herzkammer zur 
linken übergehe mitten durch die Lunge (attraverso U polmone) ®) 
und hatte überdies bewiesen, dass die Arterien und die Venen 
sich finden unter ihren Anastomosen (fra loro anastomizate) in allen 
Organen des Körpers. Realdo Colombo aus Cremona erkannte 
zuerst die Bedeutung des Vorhofs (la fumione del atrio) und leug- 
nete überdies, dass das Blut von der rechten zur linken Herz- 
kammer auch durch die Zwischenwand des Herzens dringe, wie die 
Alten vermuthet hatten, eine Vermuthung, deren Absurdität zuerst 
Julius Caesar Aranzio aus Bologna dargelegt hatte. Endlich ent- 
deckte Andreas Cesalpino aus Arezzo im Jahre 1569 den physio- 
logischen und ununterbrochenen Durchgang des Blutes von den 
Arterien in die Venen durch die Capillar - Anastomosen in allen 
Theilen des Körpers und benannte mit dem Worte Circulation die 
fortwährende Bewegung des Blutes von den Venen zur rechten 
Herzkammer, von dieser zur Lunge, von der Lunge zur linken 
Herzkammer und von dieser zu den Arterien; und hernach im 
Jahre 1593 lieferte er den Experimental-Beweis der Circulation 
aus der Thatsache, dass die in irgend einem Theile des Körpers 
unterbundenen Venen anschwellen zwischen ihren Capillar-Ürsprün- 
gen und der Ligatur, und dass sie beim Einschnitt zuerst das 
schwarze venöse Blut ausfliessen lassen und nachher das hellrothe 
arterielle. Cesalpiii überdies erkannte, dass das Blut in den Ar- 
terien zusammengehalten wird mit höherem Druck, als in den Ve- 
nen, und dass bei seinem Übergang aus jenen in diese die Capil- 
lar-Anastomosen ein grösseres oder geringeres Hinderniss bieten 
je nach dem Grade ihrer Erweiterung; und er lehrte alle diese 
Dinge von dem Katheder zuerst in Pisa , darauf in Rom , wo er 
starb im Jahre 1603. Harvey vermochte im Jahre 1628 nur 
Einen neuen Beweis für den Blutumlauf beizubringen aus den 
Venenklappen, welche Gerolamo Fabricio d'Acquapendente entdeckt 



6) Aus dem mitgetheilten Citat (S. 29) aus Galen, Ve mu partium L VI c. 
17 folgt dieses nicht. Überhaupt wird es schwer halten im ganzen Galen auch 
nur ^ine Stelle zu finden, wo geschrieben stände, dass das Blut vom rechten 
Herzen durch die Lunge zum linken geht. Gerade über diesen fundamentalen 
Punct spricht Colombo (De re anat 1590. S. 413), dessen Werk zeigt, wie ge- 
nau er den Galen kannte, bei aller Verehrung für den grossen Mann sich 
gegen ihn in seiner pompösen Weise mit der grössten Entschiedenheit aus 
unter dem Titel: Galeno licet ob veritatem contradicere, P. 

(8M) 



— 68 ^— 

hatte gegen Ende des Jahres 1574. Harvey bewies, dass die 
Venenklappen sich entgegenstemmen müssen der Centrifugal-Be- 
wegung des Blutes. Aber das Hauptverdienst (il merito piu grande) 
von Harvey bestand in Wirklichkeit darin, dass er unternommen 
und gewonnen hat den Kampf gegen Vorurtheil und Unwissenheit, 
durch Verbreitung der Entdeckung von Cesalpino. 

„Wiederholen wir es : die Entdeckung des Blutumlaufs gehört 
nicht der Schule von Padua, obgleich zweifelsohne Fabricio 
durch Auffindung der Venenklappen und Harvey durch Darlegung 
ihrer wahren Bedeutung beigetragen haben sie zu befestigen. 
Noch weniger gehört sie der Schule von-Bologna. Nein, da 
nicht dazu beitrugen^) weder Vesal noch Vidius noch Faloppia 
noch Colombo, die doch alle, wenn auch nur kurze Zeit an der 
Universität Pisa den Lehrstuhl Gesalpin's eingenommen haben, so 
würde es nicht einmal gerecht sein, sie der Schule von Pisa zu- 
zuschreiben. Seit Galen hat sich diese Entdeckung nicht, wie man 
allgemein glaubt, stufenweise gemacht und durch Mühwaltung 
Vieler, sondern ea: abrupto, als das ausschliessliche und rein per- 
sönliche Werk des Philosophen von Arezzo. Und wir sprechen 
den Wunsch aus, dass die Stadt Pisa, woselbst zu allererst der 
Blutumlauf dargelegt worden ist, die Initiative ergreifen möge für 
eine Feier zu Ehren des Gedächtnisses von Cesalpin gerade an 
dem Tage, wo man zu London das Ehrengedächtniss Harvey's be- 
gehen wird." 

Ceradini schliesst seine „Untersuchungen" mit jenem zwei- 
ten Wunsche, dass am Eingang des alten Athenäum von Pisa in 
semplice stile narrativo die Inschrift angebracht werde mit dem 
vel und etiam und ipsissitna voce usus, die uns zu guter Letzt noch 
die hohe monumentale Tendenz^des Qualche appunto storico-critico 
enthüllt. 

In diesem Resultate Ceradini's kümmert uns wenig, ob Pa- 
dua oder Bologna oder Pisa schöner glänzen ? Dagegen ist Jedem 
höchst auffällig, dass in der Aufzählung der Männer, welche sich 
um die Blutumlaufs-Entdeckung Verdienste erworben haben, ganz 
fehlt der Name des Mannes, dem wir mit Leibniz die Initiative 
zuschreiben, Michael Servet. Hat Ceradini den Servet nicht 
gekannt? Oder von der ihm zugeschriebenen Bedeutung für die 
Physiologie nichts gewusst? Wir können den Genueser Professor 



7) non avenäovi cotUHhuito n^ Vesalio ni Vidio ni Faloppia ni Colombo 

(S. 218). 

(S46) 



— w ~ 

aolcher UnwiAoanheit nicht beschuldige. Oeradini citirt den Spanier 
sidbenzig Mal. Und aus Ceradini kann, wer es noch nicht wüsstc, 
leriaen, wie hoch Andere den Servet gehalten haben ? 

Ich führe einige dahin gehende Beispiele an : Servers Zeitgenosse, 
Petrus Monavius ftus Breslau, 1578 Dr, med. zu Basel, später 
in Breslau Arzt, zuletzt Kaiser Rudolph des Zweiten Hofmedicus, 
schreibt in einem ,,Patavij, Anno 1576" datirten Briefe*) — S. 72 



8) Die auch zur Kennzeichnung der Stellung VesaPs zum Servet charak- 
teristische Stelle lautet wörtlich: ^^%nu$ iamen iiUerea argumentis quibusdam 
Aristotßlicis sQtisfacttmf qnae insignit in hac re ariifex Vesalius contra Gale- 
num vehementer urget. Cum cordis structuram sub manibus huberet, simplici- 
ter affirmabat , acsi id controversum non fuissetj e dextro ventriculo in sini- 
strum sanguinem per sepium interpositum transsudare^ ac foraminula quaedam 
adhibito specillo ostendebat^ quae interstiiio illo medio appareiU. De quo tarnen 
a multis dubitatum video, Ac memini cum ante biennium Figafetta ItaluSf 
et ipse olim Fallopii diMcipnluSy HeydeWergae iissectioni incumberet manifeste 
negasse illum^ fieri posse^ ut per tam densum diaphragma aliquid sanguinis 
deferri ex uno thalamo in alterum posset, . . Se, dum certius aliquid ipse ex- 
periatur, Hispano cuidam secHonis perito^ cuius nunc nomen non occur- 
ritf asseniiri mallcj a quo illtid proditum sity per longissimas ambages et cir- 
cuiitis sanguinerny in dexiro cordis ventriculo praeparalum^ in sinistrum per 
pulmones duci, ut quidem ego conjiciOy venae arterialis ramorum ope et mini- 
sterio.^^ Also 1574 erklärt sich Pigaf etta für die Lehre desbpauiers, dessen 
Name dem Monavius nunc (1576 in Padua) night heifällt. Der Name kann 
nur Servet sein, nicht Valverde, denn letzterer schreibt noch 1589 (Ana- 
tome corp. hum. Venetiis 1589 8. 289): id firmum ratumque habeo ex arieriali 
vena sanguinem in pulmonia jubstantiam resudare ... et hinc in sinistrum 
aordis ventriculum defertur^ crassiori sanguini p ermixtus^ qui a 
dextro cordis ventriculo in sinistrum permeat, si quid tarnen 
ipsius permeat ; mihi enim nunquam hactenus videre contigil qua perduci queat ; 
sed si deducitur, ex utroque hoc sauguine corpus quoddam consurgity 
in vitales Spiritus commutari aptumf Ebenso in der Italienischen Ausgabe 
1560. Also ist Valverde nicht sicher, dass vom rechten Ventrikel in den lin- 
ken kein Blut geht. Servet ist aber sicher, indem er (s. oben 1. Cap.) sagt: 
Fit autem communicatio haec non per parietem cordis medium^ ut vulgo creditur^ 
sed magno artificio a dextro cordis ventriculo^ longo per pulmones ductuy agi- 
tatur sanguis subtiHs ; a pulmonibus praeparatur, flavus efficitur et a vena ar- 
teriosa in arteriam venosam transfundiiur ; . . inspirato aere miscetur , . . 
atque itß tandem a sinistro cordis ventriculo iotum mixtum per diasiolen at- 
irahitur; und hinzufügt : pariesi ille medins^ cum sit vasorum (d. h. beide Herz- 
kammern verbindende Gefässe) et facultatum expers^ non est aptus ad commu- 
nicaiionem et elaborationem illam, licet aliquid resudare ^/ossil (höchstens 
könnte etwas durchschwitzen). Da übrigens Valverde, ein unbedeutender Com- 
pilator, in seinem Compendium den Vesal ausschrieb, wie schon Haller (Bibt. 
anats 1774 Bd^ I. Su 2115 pen$ totum ex Ve^aliQ tramscriptum) bemeikt, so 
liegt es nahe zu vermuthen, er habe hier seinen Landsmann Servet^ dessen 

i9m 



— »6 — 

Wird richtig Joh. CratomU ContU. et Epp. Fräncoft. 1655 S. 344 
citirt -^ an seinen Freund Crato von Kraftheim, den berühmten 
Schlesischen Humanisten*): ein Spanier sei es gewesen, welcher 
schon vor Pigafetta und Faloppia die ündurchdringlichkeit der 
Herzscheidewand gelehrt hätte. Dass Mohavius Valverde's Vor- 
gänger meint, den Michael Servet, liegt so nahe, dass selbst Ce- 
radini (S. 107) äussert: Si potrebbe sospeilare che si trattaue di 
Reves. Und in der That, durfte (falls in Wahrheit der Name dem 
Briefschreiber bekannt war) man 1576 die Restitutio christiani$mi 
ebensowenig nennen in Padua, wie unter den gegen Servet 
Wuth schnaubenden Protestanten in Schlesien, oder in Österreich 
unter den fanatischen Katholiken. Daher wundert die Namensver- 
schweigung Niemand, der da weiss wie leicht damals, wo es keine 
Post gab, aufgefangene Briefe des Freundes den Freund compro- 
mittirt und in Kerker und Tod gebracht haben. Dass aber Crato, 
der Schlesische Briefempfänger^ einst in Verona Professor, den Ser- 
vet kannte und schätzte, das kann selbst Ceradini nicht leugnen. 
Denn da, wo nichts zu riskiren ist, betreff der niemals angefoch- 
tenen Schrift Servet's von den Syrupen, schreibt Crato von Kraft- 
heim an Petrus Monavius 10. Juli 1582, wie Ceradini (S. 107) 
richtig citirt: Uabes de his praeitantem monitorem Michaelem 
FillanotantMi , pii ptaeitantiinmum libetium de coctione humorum 
et usu sgrupörum icripHt*% Der Schluss Ceradini's, weil an 
einer Stelle Crato von Servet nur die Schrift über die Syrupe 
citirt, so könne er unmöglich desselben Verfassers andere Schrift, 
die Reititutio Chrißtianiitni gekannt haben, ist hinfallig; ebenso 
hinfällig, wie der parallele Schluss: ,,Petrus Monavius kannte 1582 
Servet's Schrift von den Syrupen nicht: folglich könne er nicht 
schon 1576 Servet's Reititutio gekannt haben." Servet war ein 
Polyhistor. Er hatte so viel geschrieben, dass davon seine besten 
Freunde zumeist nur einen Theil kannten. 

Neben dem Lobe Servet's, des Spanischen Arztes, aus dem 



ResWutio anonym erschien, mit Reserve benutzt. Auch passt die Notiz des 
Monavius, sein Ungenannter sei sectionis peritus nicht auf Valverde, der (siehe 
HaHer I. c.) üach des Catcanus und Vesal Zeugüiss Corpora hutnana non incidii^ 
wohl aber auf Servet, der anatomes minima impetitus Asdfstent seines Lehrers 
J* Günther war (Haller L c. S. 204 und bes. 174) und für diesen menschliche 
Leichen secirte und demonstrirte, wie Vesal. P. 

9) Vgl. Gillet: Crato von Craftheim. Frankf. a. M. 1860. 2 Bde. 

10) Die Stelle findet man in Jo, Craionis a Kraftheim consiL et epistol. 
liber. Framofutti 159L S. 1^9-^200. P. 



— 66 — 

Munde Crato's, des Hofarztes von drei Kaisern — Ferdinand I, 
Maximilian IL, Rudolph IL — führt nun Ceradini an das Lob Ser- 
vers von Sievert (Dissert de morbis N. 61) und Jo. Bapt. Mor- 
gagni, ersten anatomischen Professors zu Padua {Epuiolae ana- 
tomicae duae. Lug d. Bat 1728 S. 95). Da es sich um den Mann 
handelt, dem Ceradini jede Bedeutung für die Entdeckung des 
Blutumlaufs abspricht, so setze ich auch diese Stelle her im Latei- 
nischen Original, wörtlich so, wie sie Ceradini (S. 107 und 108) 
citirt. Morgagni schreibt an seinen Freund: verum ut intelHgas, 
me non de hujus — der zu Padua — aut illius academiae laudi- 
buSi sed de vero in medicinae et anatomes hiitoria laborare, sie ha- 
beto: non Colwnbum, quem quidem virum in serie illa incomparabili 
repono summorum anatomicorum, qui Patavii docuerunt ; non Colum- 
bum , inquam , sed nihil ad te aut ad me attinentem — es stank 
also, bemerkt Ceradini, noch immer nach mehr als hundertjähri- 
gem Verlauf vor der heiligen Inquisition das Gedächtniss des 

armen Reves — imo ab utroque nostrum ob insana commenta dam- 
nandum^ quae in religionem invehere conatus est, Hispanum medicum 
Michaelem Servetum sex et viginti annis ante Columbum minorem 
illum circuittim sanguinis diserte (radidisae: quod ex ejus verbis li- 
quet per Cl. Sieverlum (Dissert. de morbis etc. JS, 61 j aliosque ante 
hos annos duodecim evulgatis, ab ipso autem Serveto editis A, 1563,^'' 
So schreibt Morgagni, wie Ceradini berichtet, aus Padua an 
den Iden des April 1726: Morgagni, dessen Hochschätzung des 
Arztes Servet, als welcher den kleinen Blutumlauf entdeckt habe, 
um so unparteiischer erscheint, als ihn und seinen Freund, den 
Adressaten, Grauen erfasst vor des Theologen Servet verdammungs- 
werthen und sinnlosen Unternehmungen. Sievert's Dissertai. de mor- 
bis scheinen 1714 — ante hos annos duodecim, schreibt Morgagni 
1726 — herausgekommen zu sein. Sie steht mir nicht zu Gebot. 
Wohl aber jene alii, auf die Morgagni 1726 anspielt. Nicht dass 
Morgagni den lächerlichen Einfall hätte, Servet's 1553 gedruckte 
Restitutio sei erst 1726 verkauft worden, wie ihm Ceradini supputiren 
möchte (S. 108); sondern Morgagni weiss, was Ceradini unbekannt 
blieb, dass im Jahre 1711 Dr. Mead in London, der frühere 
Besitzer des berühmten Pariser Exemplars, von dem Werke Ser- 
vet's Restitutio chriuianismi einen vorzüglich gelungenen Nachdruck 
herausgab ' *)|: und dass nunmehr, durch die Lettre de Mr, des 
Maizaux ä Mr, Read (Scaligerana, Amstd. 1711), die Restitutio 



11) Die schnelle Confiscation S. bei Mosheim : And. Vers. 372. 

(848) 



— 57 — 

eine vorher nie möglich gewesene öffentliche Verbreitung erhielt. 
Dieser Nachdruck steht S. 40 in der Bibliotheque de Boze und 
No. 914 in der Bibliotheque du duc de la Valliere^ und ist besser 
gelungen als der zweite Nachdruck, den 1791 der Nürnberger 
Wagamtmann Chrph. Geb. von Murr*^) besorgte*^). Seit dem 
Mead 'sehen /2e5*i^tifio- Abdruck von 1711 fing in der Servet-Literatur 
ein neues Leben an. Gleich 1711 im November und im folgen- 
den Jahre publicirte Michael de la Roche, anonym, seine bahn- 
brechenden Servet-Studien in den Memoirs of Literature. Lond. 
Vol. I und n. Und 1715 veröffentlicht Lateinisch Jac. Douglas, 
den auch Geradini oft citirt, zu London sein Bibliographiae ano' 
tomicae specimen, sive Catalogus omnium auctorum, qui ab Hippo- 
craie ad Harveum rem anatomicam illustrarunt. Die falschen Zeich- 
nungen^ des Spanischen Anatomen corrigirt wieder la Roche's 
kundige Hand in der Bibliotheque angloise (Amstd. 1717 S. 303—311). 
Und wieder nur zwei Jahr später publicirt zu Lübeck J. H. van 
Seelen die Notitia librorum Michaelis Serveti de Trinitate* 1719. 
4**. Darauf 1724 beginnt jene Impartial History of Michael Serve- 
tus, die seitdem zu London trotz ihres unwissenschaftlichen Cha- 
rakters vier Auflagen erlebt hat. Endlich 1727 mit Allwoerden's 
Historia Michaelis Serveti, Helmstädt, 4^. fängt die dritte Epoche 
der Servet-Literatur an, die in den Mosheim'schen und Artigny'- 
schen Werken ihren Höhepunct erreicht und in Trechsel, Rilliet, 
Stähelin ihre letzten Ausläufer findet. Die non piccola sorpresa 
beim Durchlesen der Morgagni'schen Stelle aus dem Frühjahr 1726 
datirt daher bei Ceradini (S. 107) nur aus dem Umstand, dass er 
die Servet-Literatur nicht kennt. Dass aber Morgagni schreibt» 
26 Jahre vor Golombo h^be Servet den kleinen Blutumlauf ent- 
deckt, löst sich viel einfacher, als Ceradini denkt. Morgagni hat 
von Realdo Colombo die L. XV de re anatomica nicht in der 
ersten Ausgabe von 1559, die Ceradini citirt (S. 46), sondern in 
der weit häufigeren von 1572 vor sich gehabt, die auch Flourens 
benutzte (S. 30 HisL de la decouv.). Zieht man nun von 1572 
die sechsundzwanzig dös Morgagni ab, so erhält man das Jahr 
1546, d. h. eben das Jahr, von dem durch Calvin's Briefe fest- 
steht, dass in diesem Jahre ihm schon Servet das Manuscript der 
Restitutio zugesandt hat, um Calvin's Urtheil zu hören : eine That- 



12) Red. des Journal zur Kunstgeschichte. Nürnbg. 1775 ff. 
1$ Ich sah davon zwei Exemplare, eines zu München und eines zu Bern 
D. 40. 



(849) 



— 58 — 

Sache, die dem Morgagni ans den Memoirs of Literatwe I. 351. 
Lond. 1711 wohl bekannt sein konnte. 

Der dritte Freund und Lobredner des Spanischen Arztes, den 
wir aus seinem Verächter Ceradini kennen lernen, ist neben dem 
Deutschen Crato von Kraftheim (1582) und Morgagni, dem Italie- 
ner (1728), der Franzose Portal, Verfasser der /lUtöire de Vana- 
tomie et de la Chirurgie (Paris 1778) und eines Coun d'anatomie 
medicaU (Paris 1804). Dieser nun, wo er das Verdienst der ana- 
tomischen Wegebereiter Harvey's abmisst, sagt (Bd. II. S. 20 fg. 
des erstgenannten Werkes), wenn man dem Ceradini (S. 203) 
trauen darf: la communication des arteres et de$ veines a eti d6 
couverte par ServeL . . . Cesalpin tia rien su de plus parUctdiet sur 
la circulation que les autettrs qui tont pricide. 

Ihm schliesst sich chronologisch ein halb Jahrhundert später 
ein vierter Freund Servet's an, mit dem uns Ceradini bekannt 
macht. Er ist wie Portal Franzose. In der Gal&rie des cdlS- 
btiUs mSdicaJes de la renaissance (Gaz. m^d, de Paris XII. 1844. 
No. 36 S. 569, wie Ceradini citirt) erklärt Mich^a: ^^Michel Ser- 
vet fut presque un double martyr. Six ans aprks le jour, oii Calvin 
Im enlevait Vexistence, un midecin italien le depouillait impun^ment 
de ses iddts. Columbus, qui dans la dScouverte de la petite circu- 
lation fia dautres mMtes, que celui de faire revenir des veines pul- 
monaires un sang degage d*esprit vital» Columbus eut Vaudace de $e 
dicemer les palmes du g4nie* Mais le temps a rendu justice ä Mi- 
chel Servet : ce malheureux savant restera teujours le point de dSpart 
de la chatne, dont CSsalpin et Harvey sont les demiers anneaux*'* 

Wer es nicht wüsste, könnte aus Ceradini (S. 8 al. s.) erfah- 
ren, dass auch dreizehn Jahr später wieder ein Franzose, der be- 
rühmte Flourens {Hist. de la däcouv. Par. 1857) den Servet zum 
Ausgang der wichtigsten Entdeckungen macht: Ruini a connu la 
circulation pulmonaire, mais il ne Va connue qu^ apres Servet etc. 

Ein sechster Freund des Spanischen Arztes bei Ceradini S. 9 
(vgl. S. 61) mag den Reigen schliessen. Vor zehn Jahren fasst 
Valentin im „Versuch einer physiologischen Pathologie des Her- 
zens" (Leipzig und Heidelb. 1866 8. 472) sein Resultat dahin zu- 
sammen: „Es ergiebt sich im Ganzen, dass sich Servet 1553 für 
den Lungenkreislauf, und Ruini, vielleicht bekannt mit den 1588 
veröffentlichten Andeutungen von Cesalpin, 1598 für diesen und 
den Körperkreislauf klar und entschieden nach theoretischen Auf- 
fassungen öffentlich ausgesprochen haben. Andreas Cesalpin hob 
schon hervor, dass nur die peripherischen Abschnitte der umter- 



— 5« — 

bundenen Blutadern anschwellen. Er befreite sich aber nicht von 
den Vorstellungen seiner Zeitgenossen, dass Blut durch die Scheide- 
wand des Herzens schwitze, und dasselbe in den grossen Geissen 
nur hin und her schwanke. Er hatte dessen ungeachtet vielleicht 
eine unklare Ahnung des grossen Kreislaufes." — 

Dankbar für die Hülfstruppen, die uns Ceradini geliefert hat, 
wollen wir nun prüfen, warum Ceradini trotz alledem in der Reihe 
der Entdecker des Blutumlaufs keine Stelle frei hält für den un- 
glücklichen Spanier. Seine Antwort ist die, dass er den Servet 
besser kenne als seine Vertheidiger. 

Hören wir Ceradini 1) über Servet's Namen 2) über Servet's 
Geschick 3) über Servet's Werke und 4) über Servet's physiolo- 
gische Ansichten. Ceradini sieht seine Gegner sich sdir genau 
an: er erwirbt diesen dadurch das Anrecht, dass sie ihn selber 
scharf in's Auge nehmen. 

I. Über Servet's Namen belehrt uns Ceradini, der Spa- 
nier hiesse eigentlich garnicht Servet. Serveto, das sei das 
Pseudonym, das er erst angenommen habe, als er Autor wurde 
(S. 14). Sein eigentlicher Name sei Reves. Darum citirt ihn 
Ceradini immer unter letzterem Namen. Wie nun aber, wenn der 
Ceradini'schen Behauptung die Mosheim'sche Behauptung sich 
gegenüberstellt: „Er nahm in Frankreich den Namen „Ä«r6«" an 
und legte seinen angeborenen Namen „Serveto''' ab" **). Wie, wenn 
Andere den Ceradini belehren, Rcves sei überhaupt garkein Name, 
sondern ein Anagramm von Serve, oder, wie wieder Andere be- 
haupten, Revet sei ein Spottname aus des Spaniers Toulouser 
Studentenzeit und bedeute sei es „Träume", sei es, wie das 
Spanische Lexikon lehrt, „Rückseite", „Hinterseite", und im figür- 
lichen Sinne, den Unfall, die Widerwärtigkeit und den Wankelmuth ? 
Und in der That kommt in Spanien als Name das Wort IUve$ 
nirgends vor. Wir könnten es nun Ceradini überlassen, bei seiner 
/2ece«-Hypothese, die als Thatsache hingestellt wird, sich mit den 
drei Gegenhypothesen abzufinden. Indess da es uns nicht auf 
Polemik, sondern auf die Wahrheit ankommt, so wollen wir mit 
Unparteilichkeit alle vier Behauptungen prüfen. 

Wo finden wir den Namen Reves? 1) auf dem Titel De Tri- 
nitalis erroribus libri Septem, Per Michaelem Serveto alias Reves 
ab Arragonia Bispanwn. Anna MD XXXI; 2) auf dem Titel Dia- 
logorum de Trinitaie libri duo. De justicia regni Christi capitula 



14) Ander w. Versuch S. 7. 110 f. Vgl. Sandius : BibUotheca AnlUriniiar, S.6. 



— 60 — 

quatuw. Per Michaelem Serveio, alias Reves, ab Arragonia Hispa- 
num. Anno MDXXXH; 3) in der Aufschrift von M. Bucer's 
Brief, datirt Strassburg, 8. Juli (1532): D. Michaeli Reves in Do- 
mino diUcto^^)\ 4) in dem Brief des Guillaume de Trie aus 
Genf an seinen Vetter Antoine Arneys in Lyon, Satirt vom 
letzten März (1553): il s*excu$e de ce quHl s'eit faict nommer Ville- 
neufve, combien que so/i nom soit Servetus alias Retes^^); 5) mit der 

Französirung, im Genfer Process, unter dem 23. August 1553: de 
son nom il sapelle (sie!) Michel et son sumom Servet alias Revers ^^), 

Öfter kommt im Leben Michael Servet's der Name Reves 
nicht vor. Wer die 5 Stellen näher ansieht, wird bemerken : a) 
dass gerade der Name Reves nicht eher erscheint, als bis Ser- 
vet als Schriftsteller auftritt; b) dass der Name Reves meist nur 
vorkommt hinter dem Namen Servet, vier Mal mit diesem in 
eins verbunden durch ein alias; c) in der Bucer'schen Aufschrift 
erscheint er als Abwechslung für Servet. Denn in dem un- 
mittelbar vorangehenden Briefe Bucer's lautet die Aufschrift: 
Martinus Bucerus Serveto'*). 

Steht nun Servet und Reves zu einander niemals im Gegen- 
satz, sondern immer nur in freundschaftlicher Verbindung, so ist 
es unmöglich mit Ceradini anzunehmen, der zweite Name, Reves, 
sei der ältere, eigentliche: eine Vermuthung, gegen welche ins- 
besondere auch spricht, dass der Spanier, mit Ausnahme jener 5 
Stellen (in denen 4 Servet alias Reves), immer nur, wo Lateinisch 
gesprochen wird, Servetus, wo Französisch Servet, in Italien 
Serveto.heisst; oder aber, wo man Französich spricht, nach dem 
Stammschloss seiner Familie Michel de Villeneuve, in Latei- 
nischen Schriften Michael Villanovanus: eine Verbindung, die 
sich in seinem letzten Werke, der Restitutio, am Schluss des Gan- 
zen in den Initialen wiederspiegelt M.(ichael) S.(ervetus) V.(illano- 
vanus). Aber nicht besser, als Ceradini's Vermuthung ist die 
Henry's'*), Reves sei wahrscheinlich Anagramm von Serveto. Denn 
selbst vorausgesetzt, es handle sich nicht um Serveto, sondern 
um Servet, und nicht um Reves, sondern um „Revest" oder 
„Treves", was doch beides niemals vorkommt, aber allein alle 
Buchstaben von Servet enthalten würde: so stimmt eine solche 



15) Corpus Reformatorum. Vol. XXXVI. Brunsw. 1870. ed. Baum, S. 869. 

16) 1. c. S. 843. 

17) 1. c. S. 766. 

18) 1. c. S. 868. 

19) Leben Joh. Calyin's 1. 105. 

(SM) 



— 61 — 

Spielerei doch in keiner Weise weder mit dem heiligen Titel, wo 
sie erscheint: „Sieben Bücher von der Dreieinigkeit", noch mit 
dem ernsten, fast elegischen Sinn des Spanischen Verfassers, dessen 

ingemisco, contremisco^ perharresco, viscera concutiuntur, non po»$wn 
non flere, res trUtissima orbi die Luft erfüllen. Gerade so wenig 
istMosheim's Vermuthung gegründet, ßeves = reves „Träume- 
reien" sei ein Spitzname gewesen aus der Toulouser Studenten- 
zeit. Denn abgesehen davon, dass man RHeur erwartet, und nicht 
Revesy und dass es überhaupt im 16. Jahrhundert keine Sitte war, 
sich gern selber lächerlich zu machen: was konnte der Spanier 
für sich Gutes erhoffen, wenn in einem Buche, das die Kirchen- 
lehre reformiren soll, er sich muthwillig gleich auf dem Titel 
einen Träumer nennt (rives) oder einen verkehrten, unzuverlässi- 
gen, wetterwendischen Menschen (reves): zu geschweigen, dass der 

stolze Titel Per Michaelem Serveio alias Reves ab Arragonia Hispa- 
num schon an sich selber derartige Selbstironisirung ausschliessen 
muss. Nicht glücklicher ist endlich die viel verbreitete Annahme, 
Servet habe sich den Namen Reves erfunden, um verborgen zu 
bleiben und sich gegen drohende Verfolgungen zu schützen. Der 
Spanier wäre ja ein Narr gewesen, wenn er — um verborgen zu 
bleiben — neben Reves seinen Vornamen nennt und seinen Vaters- 
namen und seine Nationalität und sein Königreich. Nein, dem 
zwanzigjährigen Jüngling kam es darauf an, aller Welt recht be- 
kannt zu werden, und darum gerade nennt er sich gleich auf dem 
Titel seiner beiden Erstlingswerke Michael Serveto alias Reves ab 
Arragonia Hispanus, 

Es wird daher keines sonderlichen Scharfsinns bedürfen, um 
das Verhältniss der beiden Namen Servet und Reves zu be- 
stimmen. Die Spanische Sitte liebt die Doppelnamen bei dem 
Adel. Man will damit im Gegensatz gegen die Mauren den echt- 
christlichen Ursprung nach väterlicher und mütterlicher Seite be- 
weisen. Wie die Meryy-Colomb, ReboUedo-y^Monclus , Garcia-y- 
Hermandez, Urries-y-Ayerbe, Manuel- y-Belmonte, Vargas-y-Talavera 
u. V. a., so nannte sich Michael, der Arragonier, weil entsprungen 

von chrStiens d^ancienne race, vivants noblement — Genfer Aus- 
sage vom 23. August 1553*") — Miguel^^) Servet-y- Reves. 

Man kann sich über diese allereinfachste Erklärung schon 



20) Corpus Reformator, 1. c. S. 767. T. XII— XVIII. 

21) E. Saisset, Mälanges, Par. 1859. S. 124 pbantasirt von einer Form 
Micftgl. 



— 62 — 

aus einer Abhandlung in Kahnis, Zeitschrift für historische Theo- 
logie 1875, IV. S. 552 informiren. Dass aber nicht Servetus, 
wie viele Medicraer glauben, noch Serveto, wie meist die 
Theologen annehmen, am wenigsten Servede, wie einige gelehrt 
thun wollen*'), der eigentliche Vatersname MichaePs ist, legt 
schon die Anatogie der anderen Arragonischen Namen nahe. 
Bei Villanueva in den Viaje^^), bei Madramany in der Noöleza 
de Aragon^^) U. a. w. treten die Avi feiet, Benet, Bolet, Bonety 
B&iety Burquet^ Canet, FenoUet, Uaret, Raset, Tabertet und andere 
lange Reihen Arragonier auf .,. et hervor, neben dem einen Fran- 
cisco Mweto^'^): gerade wie in dem so stammverwandten'®) Fran- 
zösischen Süden zu Servet's Zeit die Clevet, Dolet, Feret, Fevet, 
Hervei, Muret^ Rietet, Poiret, Seret u. a. m. '^) ; während Michael's 
Vetter Andreas Serveio, der Professor beider Rechte in Bologna 
und baiserliche Obertribunalsrath , sich auf seinen Italienischen 
Werken Serveto schreibt, gerade wie Michael kurz nach seiner 
Italienischen Reise. Ceradini's Behauptung hat also keinen Grund. 

IL Über Servet's Geschick bringt Ceradini (S. 7& fg.) so 
viel Neues, dass man unentdeckte Quellen bei ihm vermuthen 
könnte. Und doch kennt Ceradini nicht die Cothmentarn faculta- 
Hs medicinae Patisiensis, aus denen die zwischen Franzosen und 
Deutschen, zwischen Katholiken und Protestanten seit anderthalb 
Jahrhunderten schwebende Streitfrage betreffs des Geburtsorts von 
Michael Servet für das Navarrische Tudela entschieden worden 
ist'*). Ceradini kennt nicM die Vandenesse'sche Reiseroute**), 
welche uns jede Station der Italienischen Reise Servet's angicbt 
und es Aber alle Zweifel erhebt, dass Servet nicht in Padua 
war noch in Venedig. Ceradini kennt keinen Servet-Biographen 
ausser Mich^. Desto kühner hält er Gericht über „flagrante 
Anachronismen^^ im Leben Servet's, ohne zu ahnen, dass was er 
an> Anderen rügt, das geschichtlich fest Bezeugte, was er selber 
berichtet, vollständig baltlos ist. 

leb will gern bei Ceradini landläufige Fehler übersäen , wie 



22) Leider auch Göschen : Deutsche Klinik. 1875. S. 68. 

23) MaNMd 185^. 
^) Valencia^ 1788. 

25) XII. 128. 

26) Rosa. St. Hilaire: Histoire d'Espagne. V. 88. 

27) S. z. B. Archive» de Prance, MaUnäes. X. 4909. 

28) Kahnis 1. c S. 547. No. 11. 

29) Bradford : Itinerary of Charles V, S. 495 fg. London 1850. 

0H>4} 



1 

V 



— 63 — 

dass Michael Servet in Villaimeva geboren sei, während es Vila- 
nava ist, seines Vaters Geburtsort, in dem Sprengel von Lerida *®), 
nach dem er seinen Namen wählt; dass er geboren sei 1509, wäh- 
rend er in Wirklichkeit erst 1511 das Licht dieser Weh erblidkt 
hat, und ähnliches mehr. Aber wenn Ceradini den Mann, der nie 
in den Niederlanden gewesen ist, zwei bis drei Jahr in Leiden**) 
zubringen lässt, statt in Lyon, und von Toulouse über Leiden nach 
Paris führt; wenn er Servet's Pariser Lehrer U eelebre Silvio b 
veramente Dubois dt Hanau nennt (S. 75) statt Jacques Dubois 
d'Amiens^^); wenn er Servet 1542 nach Leiden zurückruft behufs 
Beschäftigung als Gorrector in einer Druckerei und ihn von den 
Niederlanden aus, seine erste und einzige Italienisdie Reise vor^ 
nehmen lässt, um sich dadurch für die medicinische Praxis in 
Vienne tüchtig zu machen: so sind das eitle Phantastereien, die 
man in unserem Jahrhundert nicht mehr für möglich gehalten 
hätte und die jeden Kenner lebhaft an Servet's „Reisen nach 
Mawretanien, in die Türkei und zu den Mongolen^* erinnern. Um 
dergleichen Mährchen uns zu ersparen, hätte Geradini die erste 
beste Fita Serveti nachschlagen können, sei es eins der drei Mos* 
heim'schen Werke, sei es Nicöron's Memoire» Par. 1730 XL 224 — 
247, sei es d'Artigny's Nouv. m^moires 1749, 11. Art. 11, odte» das 
NoHveau dictionnaire hisioriqv>e critique von^Ghauffepi^ 1756Am8td. 
(Englisch v. Yair 1771) oder die Biographie vmAotneUt. Par. 1825 
od€r Rilliet, Saisset, Trechsel, Henry, Stähelin, Drummond, Schade 
oder Brunnemann, meiner Abhandlungen^') zu gescfaweigen. 

Statt dessen baut Geradini sein Qumlche appuido it&rieo^-erUieo 
mit der grössten Gelassenheit auf ein luftiges, geschieht»- und 
kritikloses Fundament Er construirt die Geschieht©. Wenn Re- 
ves, sagt Geradini, wie Michea glaubt — und , fügen wir hnizn, 
wie die Geschichte lehrt — schon 1530 aus Italien zurückgekehrt 
ist, so müsste er ja (1509 geboren) schon mit dem zwanzigsten 
Lebensjahre die Universität besucht haben (S^ 75). Dass auch 
Harvey zwanzigjährig die Universität bezogen; dass Melanehthon 
im siebzehnten Jahre die Studien vollendet und die Magister-^Prü- 
fung bestanden hat, dass gerade Servet's Zeitalter an frühreifen 
Naturen und sogen. Wunderkindern reich war: das verseUägt für 



30) Ott. 1 des Verhörs vom 23. August 1668 S. -Cffp* Bef. I. c. 766i 

31) In (Honda S. 76. 

32) Vgl. J. SylvH Opfk. medie. CfentK 1680. Fal 

88) Vgl. Jenaer Literaturzeitung 1876 Art. 16, Thec4ogiich Tijdsehrifl. 
Leiden 1876 S. 388 fg., Studihh en. Btjda-agßn, Amt 1876. S^ 488 %;^ 



— 64 - 

Geradini nichts, da ihm ja von vornherein, ohne jede Untersuchung 
feststeht, dass Harvey, den er anderwärts so heruntersetzt, sich 
von Jugend auf gezeigt habe als un ingegno superiofe (S. 75); 
während Servet, dessen reiche Jünglingskenntnisse Lyncurius, de 
la Roche, Artigny, G. Arnold, Saisset bewundern, und den selbst 
Calvin, Beza, Henry und Stähelin anstaunen, in Ceradini's Augen 
doch nie etwas Verständiges geleistet habe. Geradezu komisch 
aber ist es, vorauszusetzen, dass Servet aus gar keiner anderen 
Ursache Italien besucht haben könne, als um Medicin zu studiren, 
da doch schon aus Servet's Vienner Prozess längst über allen 
Zweifel erhoben ist, dass er als Page des kaiserlichen Beichtvaters 
1529 nach Italien ging und von Italien als Page des kaiserlichen 
Beichtvaters 1530 nach dem Reichstag zu Augsburg^*). Michael 
Servet ^ar nur Ein Mal in Italien , und dies eine Mal hat er in 
Italien weder Philosophie noch Naturwissenschaften, weder Juris- 
prudenz noch Theologie studirt, am allerwenigsten aber Medicin: 
als Page Juan de Quintana's auf der Krönungsreise seines Kai- 
sers vollauf beschäftigt'*). Wie Servet ein Mediciner wurde, vier 
Jahre später zu Lyon unter Symphorien Champier**), das habe 
ich anderswo ''^) gezeigt. 

Ist nun aber Michael Servet 1540—1543 nicht in Padua ge- 
wesen, sondern in Charlieu, Lyon und Vienne '*), so kann er auch 
nicht in Padua, wie Ceradini vermuthet, seinen früheren Mitschü- 
ler, Vesal (S. 76) und Colombo (S. 78), dessen Paduaner Substi- 
tuten, gehört haben, so geistvoll auch sonst die unglücklichen**) 
Gombinationen manchem Unkundigen erscheinen mögen. Auch 
bedauert man die Mühe, welche der Genueser Physiologe sich 
nimmt, um zu Gunsten seiner Gombinationen alle hergebrachte 
Chronologie über den Haufen zu werfen (S. 77). Und um den 
hohen Preis, den Spanischen Ketzer auszumerzen aus der Liste 
derer, die sich Verdienste erworben haben um die Entdeckung 
des Blutumlaufs, lässt Ceradini den Valverde, Michael's Fach- und 
Stammesgenossen, express von Rom, wo er vielleicht (forse) seine 
Studien beendet hatte, 1552 eine Reise nach Paris unternehmen. 



84) Vgl. z. B. Corp, Reformat S. 846. 
35) Magazin d. Auslandes. Berlin 1874. S. 230—233. 259 fg. 
86) Virchow , Archiv f. patholog. Anatomie. Berl. 1874. 377 ff. 
3"^ Göschen, Deutsche Klinik. Stuttg. 1875. 57—59. 65—68. 
38) Vgl. z. B. Artigny, Nouv. Mämoires II. S. 63 fg. 
89) Alles was Ceradini über Vesal, das Brüsseler Kind, fabelt (S. 214. 78. 
Vgl. S. 64), haben wir hier nicht Zeit zu widerlegen. 

im) 



- 65 — 

um dort mit Robert Etienne, dem Drucker seines Werkes de ani- 
mi et corporis sanitate tuenda, zu verhandeln und lässt ihn darum 
— non ci pare iroppo arrischiato il sospetto — seinen CoUegen in 

Vienne besuchen, um (I) dem medicotkeologus in?s Gedächtniss zu- 
rückzurufen, was er vor zehn Jahren zu Padua in den Vorlesungen 
des Colombo gehört hatte von dem Blutumlauf (S. 80). Schade 
nur, dass Servet in Padua nichts gehört hatte, weil er nie in 
Padua gewesen, Valverde aber den Stephanus 1552 nicht in Pa- 
ris besuchen konnte, weil Rob. Stephanus schon im November 
1550 nach Genf zu seinem Freunde Calvin übergesiedelt war*^). 
Auch möchte es zweifelhaft erscheinen, mit welchem Recht Cera- 
dini den Bruder Robert Estienne's den Entdecker der Pfortader- 
Klappen *^) nennt (S. 80). Bekanntlich hat Fabrice d'Acquapen- 
dente die Venenklappen entdeckt*'). Charles Estienne aber, der 
Verfasser des Werks de dissectione partium corporis humani (Paris 
1546 Fol.), als Buchdrucker berühmt genug, als Anatom ein Geg- 
ner des Jacob Sylvius, zeigt durch die Rohheit der seinem Werke 
beigegebenen Abbildungen*^), wie wenig er an Männer wie Vesal, 
Jac. Sylvius und Fabrice d'Acquapendente heranreichte. 

Ebenso schlecht unterrichtet wie über Servet's Lebensschicksale 
zeigt sich Ceradini (S. 112) über seinen Tod. Ein Scheiterhaufen, 
meint er , war damals etwa§ so gewöhnliches , dass er nicht im 
Stande gewesen wäre, dem, der ihm zum Opfer fiel, Berühmtheit 
zu verleihen. Deshalb könne auch Servet's Scheiterhaufen nicht 
die öflfentliche Aufmerksamkeit auf sein Werk gelenkt haben. Wir 
erwidern, dass die behauptete Unmöglichkeit schweigen muss an- 
gesichts der constatirten Thatsache. Und die durch die Weltge- 
schichte constatirte Thatsache ist die, dass in Wirklichkeit seit 
der Reformation kein Scheiterhaufen ein solches Aufsehen gemacht 
hat, als der protestantische des Michael Servet. Darum nimmt denn 
auch in Voltaire's Essai des moeurs der Eine Genfer Scheiterhaufen 
soviel Raum Bin, wie alle andern insgesammt **). Weil von dem 
Lichte dieses Scheiterhaufens ein unerwartet neues Licht fällt auf 
die Tendenzen des damaligen Protestantismus, in dessen Auftrag 



40) Haag, France proiestante, Art. Robert £stienne T. V. S. 7^. 

41) Diese Angabe ist um so auffaUender, als bekanntlicb die Pfortader 
keine Klappen besitzt. P. 

42) Flourens 1. c. S. 86. 

48) Vgl. Graesse, Literärgeschichte des 16. Jahrb. S. 1024. 

44) Vgl. Ilengstenberg, Evangel. Kirchenzeitung 1862, 80. April. S. 409. 

(867) 5 



— 66 — 

Calvin handelte**), so knüpfte sich an Servet's Namen gleich da- 
mals unter den Humanisten, Theologen, Juristen und Medicinem 
eine so überreiche Literatur, dass es 1553—1653 auf den Univer- 
sitäten von Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Italien wohl 
viele gab, welche, in der Erkenntniss der Gefahr des Beistimmens, 
lieber öffentlich ihre Ansicht zurückhielten; keinen aber so leicht, 
der nicht im Herzen Partei genommen hätte für Servet oder wider 
Servet**). Und ganz besonders war dies der Fall in Italien: wo 
durch die Verbrennung im protestantischen Rom die Aufinerk- 
samkeit der ganzen wissenschaftlichen Welt besonders auf die 
Restitutio gerichtet sein musste*^). 

Wenn doch auch im freien Genf Kerker und Erstickung un- 
serer wartet, gerade wie im heimischen Italien, dann ist es besser 
in Italien bleiben und schweigen, als auswandern und doch ge- 
waltsam sterben müssen: das war die italienische Parole seit 
Servers Tod, und daraus erklärt sich vollauf das Schwdgen der 
Ck)lombo, Ruini, Gesalpin, Sarpi, Eustachio Rudio und all der 
anderen emsigen, aber heimlichen Leser der Resütmüo Ckristia- 
nismi. 

Doch dies führt mich UL zur Beleuchtung von Geradini's 
Urtheil über Servet's Werke. Von Servet's Werken citirtCe- 
radini vier: a) de TrimiaU$ erroribus; b) Dttdogcrmm de TrmUaU 
UM dmo mit de jusiitia regni Christi; c) de «yra^m S. 77. 107. 108; 
d) CknsUanumi Restitutio S. 75. 80. 82. 107. lOa 139. Unbekannt 
sdieinen ihm alle anderen Werke Servet's zu sein, also die in der 
Erdkunde Epoche machenden ^) Ausgaben des PtoUrnnseus von 1535 
und 1541, die Bremssitna apologia pro Campegio tu Leamardmm 
Fuchsatm 1536, die apologetica disceptaUo pro astroiogm 1538, die 
Biölia Pagnini 1542, die Summu Thomae Aquismüs, die TrmcUiMS 
grammatie. etc. 

Die Schriften von Servet, die Geradini citirt, scheint er fireilich 
desto gründlicher zu kennen. Von den beiden ersten theologisch«[i 
Werken Servefs sagt er ja, dass darin nichts Interessantes entr 



45) S. Luther und Servet. Berlin 1875 bei Meddenbarg. S, 8, 

46) Wie sehr seit 1553—1560, insbesondere in Italien, Serrefs Scheito'- 
hänfen rumorte, da£ hätte Ceradini schon lernen könn^i aiuModieiM: Ander- 
weit Nachricht. S. 233—241. 270—276. 276—302; Trechsel, Antitriutarier L 
263-69. 321—28. U. 52 fg. 

47) Trechsel 1. c. I. 321. 323. 325. 

48) Vgl. Koner's Zeitschrift der GeseUsdiaft fta Erdkunde. Bd. X. Ber- 
lin 1875. S. 162—222. 

(SM) 



— 67 — 

halten sei, als auf dem Titel die Nennung des wahren Namens 
Reves (S. 77), auch nicht die geringste Anspielung auf die Fun- 
ctionen der Lunge noch auch derartige anatomische Erkenntnisse 
darin vorkommen. „Oder^*, fährt Ceradini fort, „sollte uns eine 
solche Anspielung entgangen sein? Doch können wir es nicht 
leicht glauben'* (S. 108). Etwas auffällig ist dabei, dass Ceradini 
von den ersten theologischen Werken des VlUanovaner's spricht, 
da die Werke von 1531 und 1532 datiren, Servet aber erst 1534 
in Lyon, aus Deutschland flüchtig, den Namen Michael Villa- 
novanus, von dem Stammschloss seines Vaters, angenommen hat. 
Auch hat Servet ja bis 1534 nie daran gedacht, Medicin studiren 
zu wollen. Warum also medinische Anspielungen suchen? Wie 
sehr ihn aber dennoch, als einundzwanzigjährigen Laien schon, die 
Bewegung und Bedeutung des Herzens interessirte , das geht aus 
einer Stelle im IV. Cap. de jmticia regni Chriiti a, 1532 S. 85 
hervor: Motus^ sagt Servet da, $pmtH$ eit, gm libere in opera pro^ 
rumpil, ultra omnem volitionem ieu qualitattm intemam: imperatur 
enim actiu extericr ex solo motu cordu spirilus suos ad membra 
mittentis. Et Ute motu$ sive prosecutio sponianea supra ornnem vo- 
litionem est Es ist kein Wunder, dass diese Stelle dem Ce^radini 
entgangen ist. Giebt er doch nirgends einen Beweis, dass er die 
beiden ersten theologischen Schriften des „Villanovaner's'^ in der 
Hand gehabt hat Nicht einmal den Titel scheint er gesehen zu 
haben, sonst hätte er nicht (S. 76) die zweite kurzweg citirt unter 
dem Namen Reves *^). Der Physiologe von Genua kann sich 
hierin freilich mit dem Physiologen von Bern trösten. Denn Va- 
lentin schreibt nella sua opera intitolata, ne sappiamo perche^ Fi- 
siologia putologica del cuore (Leipz. 1866 Bd. L S* 8): „Da das 
Werk von Servet 1531 zum ersten Male erschien, so würden die 
Prioritätsansprüche, die Mendoza für den Thierarzt La Beina an- 
geblich aus dem Jahre 1532 erhoben hat, hin wegfallen, wenn selbst 
die Mittheilungen desselben klarer wären, und sich auf etwas mehr 
als den Blutumlauf einzelner Körpergefässe bezögen." Wunderbar 
genug, dass Ceradini (S. 61), wo er diese Stelle seines Gegners 
citirt, nur darüber sich erlustigt, dass Valentin die Stelle im Spa- 
nischen Thierarzt dunkel und bedeutungslos (oscure e sema impor- 
tanzd) nennt, statt, wenn er wirklich, wie er vorgiebt, Servet's 
Werke gelesen hätte, seinen Bemer CoUegen zu belehren, dass 



49) S. 77 riescono inttressanti per la sola ragione (//) che nel iitolo vi i 
dithiarato U vero nome del aut§re. 

(IM) 5* 



— 68 — 

die ersten fünf Bücher der Restitutio keineswegs ein Auszug sind 
aus Servet's Erstlingswerk von 1531, sondern eine gründliche Um- 
arbeitung der VII Bücher nach neuen Gesichtspuncten und dass 
in den L. VII de Trinitatii erroribui von 1531 sich nicht die ge- 
ringste Spur findet vom Butumlauf. 

In dem trattatello dei siroppi 1537 hat Ceradini auch keine 
Spur von dem Blutumlauf gefunden, obwohl in nessun luogo piü 

opportunamente che in questo avrebbe potuto sviiuppare la dottrina 
della circolazione minore S. 108. Um nun darzuthun, wie pas- 
send in der Lehre vom Gebrauch der Syrupe (I) Servet hätte 
reden können vom kleinen Blutumlauf, giebt Ceradini einen Über- 
blick über die Anordnung dieses Werkes. Es fallt hier schon auf, 
dass Ceradini „die Syrupe" immer ein Werk des Reves nennt, 
während der Verfasser sich als Michael Villanovanus bezeich- 
net. Auch sagt uns Ceradini nirgends, welche der fünf Ausgaben 
er benutzt hat? Ebensowenig erfahren wir von ihm den eigentli- 
chen Titel des Werkes: Syrupomm universa ratio ad Galeni censu- 
ram diligenter expösita caet Auch macht seine Analyse des Werkes 
keineswegs den Eindruck, als hätte es Ceradini wirklich gelesen. 

La prima metä, sagt der Genuese, e förmata da tre termöni „e/e 
concoctione seu maturatione'% che trattanö delle diverse tras forma- 
zioni, che gli alimenti subisconö nelle vie digestive ^ degli escrementi 
dt tutti gli organi, del fegatö e della bile, di sangue crasso e tenue. 
Wer, ich frage, kennt in diesem ad höc zurechtgemachten Expose 
Servet's Eintiieilung wieder? Wer würde aus Ceradini's appunto 
errathen, dass Michael Villanovanus im Sermo I handelt, eandem in 

sanis quam in aegris esse concoquendi rationem eundemque naturae 
scöpum; Sermo II quae praeter naturam sunt, pelli; Sermo III cön- 
coctionem incrassare. Konnte sich Ceradini über die prima metä 
von Servet's Werk von den Syrupen nicht selber unterrichten, weil 
ihm kein Exemplar zu Gebot stand, so hätte er besser gethan, 
statt seine Phantasie walten zu lassen, Kurt Sprengel III. 167— 
171 nachzulesen, den er ja doch sonst (S. 72. 77. 143 — 146. 160) 
citirt, oder Mosheim: „Anderweitiger Versuch" (Heimst. 1748 
S. 339—341). Er hätte sich dann schon überführt, dass Servet's 
Schrift nicht aus drei Abhandlungen besteht, sondern aus sechs. 

Denn der Sermö IV giebt expositio Hippocratici aphorismiy der Vz 
de syruporum eompösitiöne et variö usu, und der VI: quid pöst put" 
gationes agendum? 

Allein wenn nur der Genueser Physiologe sich recht bewan- 
dert zeigte, in dem Werke, welches uns Servet's bekannte Stelle 

(360) 



— 69 — 

über den Blutumlauf bringt, in der Restitutio Ckristianismi ! Cera- 
dini überrascht uns hier. Er spricht von den Brandflecken (le 
traccie delPincendiö), welche das Pariser Exemplar der Restitutio 
noch heute trägt, von dem anderen kostbaren Exemplar der kai- 
serlichen Bibliothek zu Wien. Nur schade, dass Ceradini auch 
diese beiden Exemplare ebensowenig gesehen hat, wie irgend eine 
Schrift Servet's. Vom Pariser redet er auf den Glauben von 
Flourens, dessen Excerpt er herübergenommen hat (abbiamo ri- 
cavato tutti i passi per noi citati [S. 80—82]); vom Wiener auf 
den Glauben Mi Ine Edwa^rds'. Ich habe unter anderen von der 
Schrift de syrupis fünfzehn echte Exemplare, sowie von der Resti- 
tutio u. a. die beiden genannten in Paris und Wien gesehen. Der 
sogen. „Brandfleck" hat die Seite 139^— 154 durchlöchert, am 
stärksten 143 — 150. Ich kann aber versichern, dass es kein Brand- 
fleck ist, sondern einfach ein Wasser-Stockfleck aus der Zeit, wo 
es in einem feuchten Räume verheimlicht worden ist. Die genaue 
Beschreibung, welche la Valliere von diesem Exemplar uns giebt 
(Catalögm theolög. 913) ist zutreffend, bis auf die Brand-Fabel, 
welche nur seinen Kaufwerth erhöhen sollte. Es hat nie Servet's 
Scheiterhaufen gesehen. Das Wiener Exemplar (XV. K. 32) ist 
vollständiger und noch eleganter. Andere echte Exemplare giebt 
es heut nicht mehr, nicht etwa, weil alle anderen in Genf oder 
Vienne verbrannt worden seien *^), sondern aus theologischen Grün- 
den, die nicht hierher gehören. 

IV. Indess wenn sich Geradini nun auch schlecht unterrichtet 
gezeigt hat über Servet's Namen, Schicksal und Werke, so könnte 
er doch immerhin das Richtige getroffen haben über Servet's 
physiologische Ansichten. Wir lernen gem. Und deshalb 
wollen wir in aller Ruhe auch diese Seite der Ceradini'schen Dar- 
stellung prüfen. 

Zunächst macht Ceradini dem Servet den Vorwurf, dass er 
nicht verstanden habe, den kleinen Blutumlauf im Galen zu fin- 
den {egli nön aveva saputo leggere nelk öpere di Galeno S. 78). 

Dieser Vorwurf wird wohl den Servet nicht drücken. Denn auch 
Vesal, Realdo Colombo, Valverde, Ruini, Cesalpin, Rudio, Fabricio 
d'Acquapendente und Harvey selber, ja bis auf Ceradini's Qualche 
appunto (1875) alle medicinischen Geschichtskenner haben den 



50) Die Fabel, dass Servet's Werk sofort verschwundeu und erst über 
zweihundert Jahre nach seinem Erscheinen verbreitet worden sei, aus der 
Ceradini S. 106 fif. 112. Capital schlägt, habe ich schon oben abgethan. 

(861) 



— 70 — 

kleinen Blutumlauf im Galen nicht gefunden ^^). Dass Galen der 
Entdecker sei, ist erst eine Ceradini'sche Idee: iVoi vogliamo qui 
provare che non da Colombo , meno che mai poi da Retes fu tco- 
perta la piccola circolatione, per che essa era nii^a ai tempi di Ga- 
lenö (S. 21). Bis dahin war alles einig, Kurt Sprengel, Valentin, 
Oehl, Mead, Edwards, Zechinelli, Ercolani, Marey, Portal, Longet, 
Flourens: La vdritS est que Gaiien ign&ra completement le retour 
du sang du poumon dans les cavit^s gauches du coeur (S. 49 no. 1). 

Sodann aber, dass Servet sagt, jener Blutumlauf sei im VI. 
und VU. Buch de usu partium von Galen nicht bemerkt worden 
(ab ipfo Galeno non animadversam sc» veritatem\ das nennt Cera- 
dini (S. 83) un sofisma poco conveniente neiia bocea di un teologo 
e di un martire. Denn wenn die Galenischen Lehren nicht ganz 
im VI. und VII. Buch de usu partium stehen, so musste die Wahr- 
heit doch, auf augenscheinlichere Weise, dem Spanier entgegen- 
treten aus der fortgesetzten Leetüre dieses Werkes, sowie aus Ga- 



51) Auch Boerhaave nicht, denn in der von Ceradini (S. 24) angeführten 
Stelle sagt nicht, wie er meint, Boerhaave, sondern dessen Conuneutator A. 
y. Hall er in einer Anmerkung: y,Idem [Galenus] de usu valvtUarum venosarum 
cordis rede sensit^ ei ex iis minorem circulationem eruit^ in eodem de usupar^ 
tium opere^\ (H. Boerhaavi Method. stud. med, emaculata et accessiouibus lo- 
cupletata ab A. ab Ualler, T. L Amstelodami. 1751 (nicht 1771 wie Ceradini 
citirt) S. 304. Nun findet sich aber im ganzen Buch de usu parlium der Lun- 
genkreislauf nicht beschrieben, und Haller sagt (oflfenbar den Galen im Origi- 
nal damals in diesem Puucte nicht genau kennend) in seinen Opera minora 
(Lausanne 1763 T. 1. P. 1, S. 51 Anm. 6) sehr mit Unrecht; i,Ab ea senteuHa 
posteriores scriptores hactenus recesserunt, ut spiritum ad pulmonem e corde 
per arteriam venosam meare existimarent. Contra eos Columbtis de re anat. 
l. VU, eis. 178. 179 veram Galeni senteniiam revocavit; atque omnino san- 
guinem cum spiritu a pulmonibus ad cor ferri per arteriam venosam odseruit.^^ 
Galen behauptet aber nirgends, wie Colombo, dass Blut, sondern nur, dass der 
Spiritus von der Lunge in das Herz geführt werde, die Löcher im Septum 
cordis betonend, und Colombo (Realdi Columbi de re anatomica libri JCF, Fran- 
cofurdi 1590 S. 328) wendet sich gerade im ganzen Hb. VU, cap. 1 in sehr 
starken Ausdrücken gegen Galen, nachdem er gesagt, Blut mit Luft ge- 
mischt gelange durch die „arteria venalis^^ in das linke Herz. Man sieht also 
deutlich genug, dass Haller (vgl. auch seine Bibl, anat. 1774 T. 1. 8. 204 Z. 
19. V. 0^ den Galen und Colombo citirt, ohne sie im Original genau nachge- 
sehen zu haben. Bemerkenswerth ist es jedoch wenn er fortfährt: „Columbi 
experimentis in vlvis animalibus, atque rationibus a valvularum fabrica ductis 
persuasv^ est Valverdus anat corp. hum. p. 230. 289 et Spigelius l. IX. c. VUl 
p, m. Uocque ex fönte forte sua hausit Caesalpinus ! und an 
einer anderen SteUe (Bibl. anat, I. S. 84) von Galen sagt: „Mon videtur auctor 
circuitum sanguinis rede habuisse perspedum, P. 



— 71 — 

len's Abhandlungen de anatomica administratione, de naiurali facul- 
täte, de puhibus, de utilitate respirationis , de ffippocratis et Pia- 
tonü dogmaiibus und aus einigen anderen. „Oder", spottet Cera- 
dini, „hatte etwa Galen erklärt, dass er in jenen beiden Büchern 
alle anatomischen Begriffe aushängen (sciorinare) wollte, die er 
gesammelt hatte über die Function des Bluts, des Herzens, der 
Arterien, der Leber und der Venen?" (S. 84.) Dieser Spott ist 
ebenso wohlfeil wie der Vorwurf des für einen Theologen und 
einen Märtyrer unziemlichen Sophisma. Servet hat es nicht ge- 
wusst, dass Galen den kleinen Blutumlauf gelehrt hat, wie das 
bis Geradini Niemand gewusst hat, und, wir können hinzufügen, 
ausser Ceradini noch heute Niemand glaubt. * 

Indess Ceradini selber glaubt an Servet's sophistische Ver- 
stellung nicht. Weist er doch (S. 81) darauf hin, dass die Werke 
Galen's zum ersten Mal Griechisch gedruckt worden seien 1525 
zu Venedig von Aldi Manutii Erben, Lateinisch aber erst mehrere 
Jahre später ebenfalls zu Venedig bei Giunta, „und konnten sie 
vielleicht von Privatleuten nicht erworben werden, es seien denn 
etwa Fürsten; bis Frohen zu Basel seine drei Ausgaben veröffent- 
lichte, deren letzte erst 1562 vollendet wurde. Es ist daher fraglich, 
ob Servet, selbst wenn er", sagt Ceradini, „seine besten Lebens- 
jahre, in denen er auf der Universität Medicin studirte, hätte 
darauf verwenden wollen, den berühmten Griechischen Arzt zu 
durchforschen, es anders hätte thun können als ganz flüchtig ihn zu 
durchblättern in der Bibliothek irgend eines Klosters. Jedenfalls 
hat er", sagt Ceradini, „Galen's Werke schlecht genug gekannt und 
nennt ihn bloss, um zu zeigen, dass Er von der Wahrheit mehr ge- 
sehen habe, als der Philosoph von Pergamus". Wir könnten hier mit 
Ceradini's Phrase (S. 112) sagen, daseien ebensoviel Irrthümer wie 
Worte. Es ist falsch, dass Aldi Erben den Galen zuerst gedruckt 
hätten 1525: Aldus Manutius selber druckte ihn schon Griechisch 
1500. Es ist falsch, dass Giunta's Ausgabe, dessen Jahr ver- 
schwiegen wird, die erste lateinische gewesen sei. Auch ist nicht 
ersichtlich, welchen Giunta der Genueser meint, den Vater (Luc- 
antonio 1528—1536), den Sohn (Thomas 1550) oder den Enkel 
(Bernhard 1608)? Schon vor dem 10. November 1534 hatte Jo- 
hannes Günther von Andernach, Servet's Pariser Lehrer, plurima 

Galeni opera (et tolam Pauli Aeginetae medicinam) der Lateinischen 
Welt geschenkt, wie die Commentarii facultatis medicinae Parisien- 

sii unter gedachtem Datum melden. Auch wurden weit verbreitet 
Melanchthon's Gaieni opera omnia, die 1537 Griechiscdi mit einer 

(868) 



— 72 — 

Widmung an König Franz I. erschienen**). Gleich das Jahr da- 
rauf erschien ein vierter Griechischer Galen zu Basel 1538 hei 
H. Gemusaeus; 1549 eine neue Baseler Ausgabe, Lateinisch bei 
Jan. Carnarius; um hier des Leonh. Fuchs: Galeni aliquot opera 
cum noiis, und vieler anderer VeröflPentlichungen von bald Griechi- 
schen, bald Lateinischen Theil- Werken Galen's zu geschweigen. So 
wenig ist es wahr, dass erst Frohen — also doch wohl Johann 
Frohen der Sohn — mit seiner dritten Ausgabe von 1562 die 
Werke des Galen allgemeiner zugänglich machte*^), wie Ceradini 
behauptet (S. 81). 

Wie steht es nun aber mit Ceradini's Behauptung, Servet sei 
in den •Werken Galen's ein Ignorant ? Ceradini's Behauptung er- 
klärt sich nur aus dem Umstand, dass er von Servet's Werken 
nichts kennt als Flourens Excerpt aus der Restitutio; darum be- 
hauptet er getrost Servet's Unwissenheit, der Weltgeschichte in's 
Angesicht. Ein vorsichtigerer Geschichtsforscher würde es in sol- 
chen Fällen vorgezogen haben, die eigene Unwissenheit zu be- 
kennen. 

In der Stellung des geschichtlichen Servet zu Galen hat man 
vier Epochen zu unterscheiden 1) seine juristisch-theologische Zeit 
1528—1534, wo er vom Galen nichts wusste ; 2) seine philologisch- 
polyhistorische Zeit 1534 — 1537, wo er, den Galen nur aus Cita- 
ten kennend, sich in die Mitte stellte zwischen Galen und den 
Arabern; 3) die Zeit seiner medicinischen Fachstudien zu Paris 
1537 und 1538, in der er Galen studirt und nichts sein will als 
Galenist; 4) die Zeit seiner medicinischen Praxis 1538—1553 in 
Avignon, Charlieu und Vienne, in der er noch meist dem Galen 
folgt, da aber ihn verlässt, wo seine eigenen sorgfältigen anatomi- 
schen Beobachtungen dem Galen widersprechen. Servet lernte 
den Galen in Paris kennen. Er las ihn im Griechischen Original 
und profitirte von den Interpretationen des berühmten Günther 
von Andernach (de Syrup. fol. 6P). 

Als Michael Villanovanus 1537 die universa ratio syruporum 
beschrieb, machte er sogar Anspruch darauf, den ganzen Galen, 
soweit er 1537 veröflfentlicht war, durchgelesen zu haben. Ich 
werde dafür einige Beispiele anführen mit Servet's eigenen Wor- 
ten, damit Ceradini begreift, dass es sich hier nicht um Interpre- 



52) Bernhard : Melanchthon als Mathematiker und Physiker. Witbg. 1865. 
S. 48. 

53) Ceradini selber benutzt (vgl. S. 25) Froben's Ausgabe von 1549. 

(864) 



— 73 — 

tationen handelt, sondern um die einfache geschichtliche Wahrheit. 
Servet schreibt 1537: Nam si totum (egas Galenum^ nunguam in- 
venies concoqui syncerum humorem (Fol. 13*). Wer Servet's ünab- 
hängigkeitssinn ^*) kennt, wie er sich auf allen Gebieten des mensch- 
lichen Wissens offenbart, der wird wissen, dass, wenn Servet so 
i^edet, es bei ihm nicht ein gedankenloses Nachbeten seines Leh- 
rers Günther von Andernach sein kann, sondern nur eine eigene 
Quellenforschung. Und die Grenzen dieser Forschung verschweigt 
er nicht. Utinam extaret Galeni Über de compo. med. purgantium^ 
cujus meminit in prim, liö. de compo. med. sec. loc. So seufzt 

Servet (Fol. 52») a. 1537, wie er 1531 geklagt hatte, dass er die 
Werke der vornicänischen Kirchenväter nirgends habe auftreiben 
können. Während seiner Pariser Studentenjahre erscheint ihm 
Galen unfehlbar: Quos usus (syruporum) improöare nullus poterit, 
cum a Galeno materiae copiam desumamus (Fol. 52^). Auch steht 

ihm Galen's Autorität höher als die des Aristoteles. Wo z. B. 
letzterer zwei species concoctionis annimmt, alimenti und pwrisy 
Galen aber behauptet nullam differentiam nisi per accidensy da 
lehrt Servet getrost mit Galen: ünica igitur (!) secundum speciem 
erit concoctio (Fol. 5*). Galen ist ihm gewissermaassen für sein 
Fach göttlich inspirirt und die Praxis selber tritt überall für ihn 

ein: Munere guodam divino Galeni yirtair xai nakiyybvtaiavj ad 
varios mortalium casus necessario concessum^ rei ipsius admiratione 
ducli, cogimur (!) profiteri (Fol. 3»). Er ist ihm der Hercules der 
Medicin, geboren alle eingeschlichenen Irrthümer auszurotten: 
Fuit enim antiquis natus, ut medicinam cum suo Hippocrate, pro- 
funda caligine obrutam, in lucem revocando suscitaret^ ut Thessalios, 
Erasistratios et alia id genus portenta (l)^ a quibus ars divina 
fuei'at commaculata et discei'pta^ profligando interime^'et (1. c). 
Schön ist es, wenn Hippocrates gesprochen hat, ita ut ejus 
authoritas non purum subsidü sit nobis allatura (Fol. 11**). Auch 
soll man den Aristoteles nicht verunglimpfen: Nee admittendi 
sunty qui negant Aristotelem sufficienter de concoctione locutum^ 
sed solum de alimenti concoctione (Fol. 13*). Aber das erste 
muss immer sein, dass man des Galen Ansehen heilig halte 
(sacra est autoritas Galeni ^ passim docentis Fol. 10*). Daher 
müssen auch bei den Syrupen, deren Namen zwar Galen nicht 
kennt, unsere Augen zunächst ausschauen nach des Galenus Sinn 



54) über Servet 's Charakter S. meinen Aufsatz in von Holtzendorf s Samm- 
lung gemein verständl. Vorträge, bei Habel, Berlin 1876. 

066J 



— T« — 

(ad GaleiU meutern erpendamus) . Tbut doch jeder klug, sich 
ihn als Schiedsrichter zu wählen (expedit enim primum ita facere 
nt nie fit hujus censnrae regula, Foi. 49* ). Die weise Einrich- 
tung der Natur (toäiis naturae promdentia , nach welcher pat-ti- 
bus concesia est f'unctio' aliqua, cimcessum etiam praevium ad 
eam minüieiium) lernt Servet daher kennen aus Galen (Foi. 27*), 
den rechten usus (Fol. 49') und die experientia (Fol. 27" fg.) aus 
Galen. Wer dem Galen widerspricht, ist nattirae hosüs me hercle 
centendui (Fol. 1 6'). Wer die Medicin fördern will und die Wahr- 
heit lieb hat, der muss gerecbterweise auch eintreten für das 
Dogma des Galen. Deshalb braucht Michael als identisch Studium 
juvandi rem medicam, Galenici dogmatis justa defensio ipseque 
verttaäs amor (Fol. 2*). Jeder „billige Richter" muss daher dem 
Seryet „Recht geben", weil er nichts will, als die neue Streitfrage 
nach dem rechten Gebrauch der Syrupe aus der alten Doctrin 
(ex velei-i dogmate) entscheiden, und weil Galen selber för ihn 
spricht: Galenum mihi ita cunciliasse pnto, ut futurum non du- 
bitem, quin pro nobis sentenlia feralvr , si aeqnus judex nobis 
contingat (Fol. 2*), Nicht auf Champier, seinen Lyonner Leh- 
rer, komme es an, sondern auf Galen: illo diviisso, Galenum ap' 
pello (I. c). Servet's Begeisterung für Galen streift bisweilen an 
die Apotheose: jfd cujus ego censia-am, tanguam ngdg »ö «Je- 
i^BUMOfkivor hanc de syrujHS tractationem redigere lotam contendi 
(l c). Ja darum preist er sein Jahrhundert glücklich, weil es 
den schändlich entstellten Galen zur ursprünglichen Reinheit wie- 
der zurückführt (Galenus renascitur felici nostro seculo, ut setp- 
■ ' ' " ■ ■ ristinum candorem restiluens — Lieh- 
<t Fol. 3»). Dadurch wird die Burg, 
Bber eingenommen hatten, ihnen ent- 
lesudelungen der Barbaren verdorben 
— Nach eben Gemeldetem wird wohl 
,uf hinzuweisen, wie oft Servet in sei- 
riode den Galen zu seinem Beistand 
:r Schrift von den Syrupen Michael's 
, dass der ganze Galen für ihn spricht 
\lenum ligiiido pateat Fol. 21»). Nur 
adini noch aufmerksam machen, dass 
ippokrates die Interpretation schwan- 
lle im Griechischen Original aushebt 
48" ai). Und wenn ihm seine Geg- 
Galen zu oft, so erwidert er ihnen. 



— 75 — 

es würde für die Nutzbarkeit ihrer Schriften besser gewesen sein, 
wenn sie sich nicht durch Eigenliebe hätten verleiten lassen, ihn zu 
verschmähen: Pi'aesttiret a Manardo, Avicenna et aliis omnibus 
freqtientius citari Galeni iocos: quodilii tarnen dedignati mdentw\ 
mit quia non succwTebant^ aut quia fm*san ambiebantj ut suae au- 
thoritati ci'edefi'emtis (Fol. 13^). Jene haben dadurch nur erreicht, 
dass wir sie oft zurückschlagen müssen wegen ihrer ungeschickten 
Verdrehung der Worte ihres Meisters (1. c). 

Allein selbst in seiner letzten medicinischen Periode, in der 
seiner selbständigen Praxis (1538 — 1553) vergisst Servet den ge- 
wohnten rispetto al Pei^gameno (Ceradini S. 85) so wenig, dass er 
noch in der Restitutio an den Stellen der höchsten Begeisterung auf 
Galen recurrirt. So z. B. wo Servet von der idealen Vollkommenheit 
des menschlichen Leibes als der Blüthe der Schöpfung spricht, 
verweist er die, welche sich von der vorzüglichen Zweckmässigkeit 
aller Theile gründlich unterrichten wollen, auf Galen. Ich setze 
um Ceradini's willen die Stelle wieder wörtlich her: Est ea (ho- 
minis) foi'ma omnium idearum^ figurarum et foimarum perfectis" 
sima. Quam sibi et suis Dens elegit. Excellentissima kujus fi- 
gurae et singularium partium munera lege apud Galenum in li- 
bris de usu partium humani corporis (S. 220). Wo Aristoteles 
mit Galen in Conflict kommt, entscheidet sich Servet noch immer 
für Galen. So S. 262: Negat Aristoteles Hb. 2. de generatione 
animalium^ muliebre semen ad genei*ationem facei^e, Sed Aristo- 
telem multis rationibus arguit Galenits lib. 2. de semine, Quia 
sua sunt mulieii^ sicut viro spermatica vasa^ eodem artificio na- 
turalitei* constructa. Doch was soll ich noch mehr Beispiele brin- 
gen? Aus Obigem ist wohl über allen Zweifel erhaben, dass Mi- 
chael Villanovanus, der Galenist von 1537 und 1538, seitdem er 
in die medicinische Praxis getreten ist, die Leetüre der Werke 
Galen's nicht vernachlässigt hat. 

Da nun aber auch nach Ceradini Galen nicht schon alles 
wusste, was man heute weiss, so wird der Genueser Physiologe, 
sobald er über Servet sich weiter unterrichtet hat, es dem Spanier 
wohl nicht verargen, dass er in dieser seiner letzten Lebensperiode, 
auf Grund der eigenen Untersuchungen **), dem Galen bisweilen 
entgegentritt. Und das geschieht keineswegs bloss in der bekann- 

55)^ Als er de syrupu schrieb 1537 hatte er sie noch nicht gemacht. Aus 
diesem einfachen Grunde verschweigt er sie. Das ist die Antwort auf Cera- 
dini's Frage (S. 108). 

(t67) 



— 78 — 

eine besondere Untersuchung erfordern, welche die unsrige nicht 
berührt. 

Nur drei Bemerkungen möchten wir hinzufügen: 1) es ist 
keineswegs neu, und bedarf nicht erst eines Noi ^x)gliamo qui 
provare (8. 21), dass nicht Harvey den grossen Biutumlauf entdeckt 
hat, sondern Cesalpin; obwohl Harvey den Cesalpin verschweigt, 
wie Cesalpin den Golombo und Colombo den Servet. Es geschiebt 
aus dem einfachen Grunde, weil der Nachweis der Continuität 
der Tradition aus Servet — yuzzaoa dunque dt S. Ufficio ancora 
tanto nel secolo scorso la memoria del povero Reves (S. 107) <- 
ihnen in Italien den Erstickungstod zuziehen konnte. Aber wenn 
man darum noch genug Verdienste dem William Harvey zu- 
schreibt, und seinen Werth nicht darin erschöpft sieht, dass er 
Cesalpino's Entdeckung gegen die Vorurtheile seiner Zeit verthei- 
digt und dabei einen neuen Beweis für den grossen Blutumlauf 
aus Fabricio's Yenenklappen entnommen hat (S. 161. 218): so 
braucht man nicht zu den apologisti deW Inglese zu gehören (S. 
204). Ist es doch Harvey der durch sein Buch erst die ungeheure 
Tragweite der Entdeckungen aller seiner Vorgänger in's rechte 
Licht setzt, und ihre revolutionären Folgen für die gesammte An- 
schauung seiner Zeitgenossen offen darlegt, so dass jenes Male 
sibi consuluit Has'veus (S. 219) unpassend wird. 

2) Dass Giulio Cesare Aranzio aus Bologna der erste war, 
welcher die Absurdität der Durchdringlichkeit der mittleren Herz- 
wand bewies (S. 217), sieht Ceradini (S. 21) als das zweite wich- 
tige Resultat seiner Untersuchung an. Er macht sich diese Unter- 
suchung aber gar zu leicht. Gitirt er doch auf den drei Seiten, 
die von Aranzio handeln (S. 96 — 98), nur eine einzige Stelle, die von 
der Zwischenwand des Herzens redet, und gerade diese eine Stelle 
widerspricht nicht einmal der Hypothese Servet's, licet aliquid 
resudare possit Aranzio widerspricht nur dem , dass das Blut 
levi negotio pervadit atqne alimentum Uli — dem septum — tri- 
bvit. Das Durchschwitzen ist aber kein leichtes bequemes Hin- 
durchströmen, wie es Galen wollte. Überdies excerpirt Ceradini 
nicht die Ausgabe von 1587, die er nicht besessen zu haben 
seheint, sondern die von 1595. Was ist da für ein Fortschritt 
bei dem Bolognesen über den Niederländer Vesal, der zwei Jahr 
nach Servet's Tode seine fabrica humani corporis (1555) aus 
Servet corrigirt (S. oben 1. Cap.)? Endlich scheint Ceradini hier 
vergessen zu haben, dass Servet es ist, der zuerst darauf hinge- 
wiesen, j^arie« ille mediusj cum sit vasorum et faoultatum expersy 



— 79 — 

non est aptus ad communicationem et elabarationem illam, und zu 

ignoriren, dass derselbe Servet sich vom 5. November 1529 Ws 
zum 22. März 1530 an der Seite seines Kaisers eben in Bologna 
aufgehalten und gerade dort für sich und seine Werke ein dauern- 
des Interesse hinterlassen hat. Nun aber kann man bei Aranzio 
an ein unmittelbares Schöpfen aus der Restitutio Servet's um 
so eher denken, als der in Bologna selbst, der Krönungsstadt, ge- 
borene Aranzio 1) dreiunddreissig Jahr hintereinander in seiner 
Vaterstadt Anatomie gelehrt hat (1556 — 1589, f 16. April); 2) 
Aranzio in der Restitutio Christianismi von 1553, gerade über die 
Differenzen der Herzbildung beim Fötus und beim Erwachsenen 
manches Neue und Anregende finden musste, und 3) endlich 
Aranzio Servet's unmittelbaren Nachfolger, den Realdo Colombo, 
öffentlich geringschätzte: non equidem ut Realdi Columbia cui 
parum tribuo^ sententiae adhaeream ; sed potius ut praeclara in- 
genia ad tanti negotii^ quod humani ingenii captum snperaU veri- 
tatem indagandam excitentur (S. 96). Es wäre Ceradini's Pflicht 
gewesen, dem Aranzio, wollte er ihn durchaus auf den Schild 
erheben, sorgfältiger nachzugehen, da er ja wusste, dass, wie 
S^nac es auffasst, tont juge desintei'esse doit avouei* qu!on ne 
trouve dans les ecrits d'Arantius qu'un copiste degmse de Ca- 
lumbus (S. 98). 

3) Endlich in Betreff des Galen, so genügte es nicht, auf 
die Autorität Haller's (nicht wie Ceradini irrig sagt Boerhaave's) ge- 
stützt, zu behaupten, dass Galen den Gebrauch der Venenklappen 
richtig erkannt und daraus den kleinen Blutumlauf „gefolgert^' 
habe (S. 24), noch auch die Frage darauf zu reduciren, „wenn 
Galen geschrieben hätte, dass auch nur der hundertste Theil des 
Blutes*"), der zur rechten Herzkammer kommt, um zur linken 
zu gelangen, den Weg durch die Lungen nimmt, mögen immerhin 
die anderen neunundneunzig Theile den Weg dui*ch die mittlere 
Herzwand nehmen, wir schon gezwungen wären einzugestehen, dass 
„Galen den Lungenkreislauf gekannt habe" (S. 23 fg.). Die Frage 
stellt sich vielmehr umgekehrt: Dringt der hundertste Theil des 
Blutes, der zur rechten Herzkammer kommt, um zur linken zu 
gelangen durch die mittlere Scheidewand, ^-^ licet aliqmd resudare 
possit — die anderen neunundneunzig Theile Blutes aber nehmen« 
um von der rechten zur linken Herzkammer zu gelangen, den Weg 



-1" 



60) Vgl. S. 84 die Stelle ü divartQ fra U tearetiche di Reves e queüe di 
Galeno* 

(971j 



/ 



t 



— 80 — 



durch die Lungen — longo per pultnones dncfu — dann ist der 
kleine Blutumlauf entdeckt. St wo, no. Und diesen Beweis 
aus Galen*') ist uns Ceradini schuldig geblieben (vgl. 
S. 24—43. 49—51. 56—58)««). 



61) Für Diejenigen, welchen weder Ceradini noch Galen zut Hand ist, 
füge ich, damit sie sich ein ürtheil bilden können, die hauptsächlichsten Galen- 
Citate Ceradini's bei: Mterum quidem sanguinem in ipsum cor iniromittity alte- 
rum autem ex ipso in pulmonem deducit (S. 25). — In tolo corpore mntua est 
anastomosis atque oscillonim apertio arieriis simul et venis, transumuntque ex 
se$e pariter sanguinem et spiritum per invisibiles quasdam atque angnstas plane 
vias (S. 27). — Venosae arteriae exprimunt quidem quam celerrime qui in se 
ipsis est spiritum , transumunt autem per subtilia illa oscilla sanguinis portio- 
nem aliquam (S. 28). — Quamobrem, quae vena in cor infigitur major ea est, 
quae ab eodem exorilur, tametsi ea fusum jam a cordis calore sanguinem reci- 
pit. Sed quoniam multus is per sepium medium et quae in ipso sunt fo- 
ramina in sinistrum ventriculum transumitur, factum jure est ut quae vena 
in pulmonem inseriiur ea minor esset vena sanguinem in cor introducente. 
Ad eundem autem modum arteria etiam, quae ex pulmone ad cor spiritum 
perducit, multo minor est arteria magnoy propierea quod arteria magna a dex- 
tro ventriculo porlionem aliquam sanguinis adsumit (S. 29). — Neque alius quis- 
piam meatus a pulmone aliorsum tendii, quam unus ad cor (S. 31). — Qui in 
dextro cordis ventriculo sanguis est, non dissimilis ab eo reperitur, qui per 
omnes venas in toto animalis corpore diffunditur ; sicut illum, qui per arterias 
fertur, ab eo, qui in sinistro sino conspicitur, non esse diver sum manifestum est, 
quamquam hie sinistri ventriculi tenuior et flavior plerumque apparet, calidior 
vero semper (S. 84). — Siquidem haec sanguinem continet vaporosum, tenuem ac 
syncerum, non paucum ... (S. 35). [Statt haec, nämlich eine von Eiasistratus 
für blutleer erklärte arteria laevis in der Lunge, setzt Ceradini arteria venosa, 
Galen de usu pari, 1. VII c. 3. Im 9. Cap. dess. Buches heisst es, in die Tra- 
chea gelange (lAxerat , pervenit) Luft ; aus dem rechten Ventrikel (komme ?) 
Blut und aus dem linken mixtum quid ex ambobus. ^Nirgends aber, dass Blut 
von der Lunge in das Herz geht. P.] — Harum (asperarum arteriarum) 
orificia vapori quidem ac spiritui pervia, sanguini vero et crassis similiter sub- 
stantiis invia. Quod si forte aliquo tempore patnla, naturalem amiserint com- 
moderationem, portio aliqua sanguinis in asperas arterias ex laevibus effundi- 
tur, quem casum repente tu>ssis consequitur et sanguinis per os profusio (S. 86). 
— Si quis accepto animali quovis ex iis, quibus amplae apertaeque arteriae 
sunt, magnas multasque Uli arterias vulneret , Universum animalis sanguinem 
per eas exhauriet (S. 42). Im septum cordis lehrt er profunditates quas- 
dam, quae ex latissimo ore magis magisque semper in angustum procedunt. 
Hos tamen Ultimos earum fines, tum propter parvitaiem, tum quod in animali 
jam mortuo omnia sint perfrigerata ac densata, contueri non licet (S. 58). 

62) Auch Pariser (Uistoria opinionum quae de sanguinis circulatione ante 
Uarvaeum viguerint Diss, in. Berlin 1880. S. 40) kommt zu Ifem Kesultat, dass 
nicht von Galen, sondern von Servet prima sanguinis per pulmones circulatio- 
nis mentio facta est. P. 

(372) 



k 



I 



1 



v,^ ^ 



— Bl- 
ich muss Anderen überlassen, die zahlreichen Irrthümer, die 
Nebensachen betreffen, bei Ceradini zu rügen. Mir kam es nur 
darauf an, zu prüfen, ob seine Untersuchungen für die Geschichte 
der Entdeckung des Blutumlaufs von irgend einem Belang sein 
können? Die grobe Art, wie Ceradini seine Collegen abfertigt 
(Ercolani, Landois, Flourens, Valentin u. a.), Hess es mir von An- 
fang an zweifelhaft erscheinen, ob es sich lohne, mit dem Qenueser 
Physiologen auf den Kampfplatz zu treten? Indessen noch die 
letzte Seite •') belehrte mich, dass es auch Ceradini auf die Wahr- 
heit ankommt. Wer sein Werk damit abschliesst, den Leser zu 
bitten, dass er nicht lesen soll fisiologia patologica^ sondern pato- 
logia fisiologica^ nicht V anno 1544, quattro anni, sondern Vanno 
1554 qtiattordici anni^ nicht testo antico falsamente attribuito ad 
Ippocfi'ate^ sondern testo antico presso IppöcJ'ate (Lib, de alimentis); 
nicht 1662, sondern 1652; nicht e di Rudio^ sondern e di tre altri 
pi'ofessori ; nicht secolo XVI^ sondern XI F; nicht 1657, sondern 
1658: wer, sage ich, zu guter Letzt so, wie Ceradini, seine Irr- 
thümer®*) bekennt, der nimmt vielleicht doch auch von einem 
Fremden Belehrung an, des alten Ausspruchs von Schleiermacher 
eingedenk : „In der Wissenschaft kenne ich keine Gegner, sondern 
nur Mitarbeiter." 



■*f^ j 



t 



63) Vgl. auch S. 108 N. a. ^ 

64) Druckfehler sind das ja nicht. I 






(m) 



6 



/ 



/ 



Druck von A. Neuenhahn in Jena. 



i