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P/ö/H
Vorwort.
Bei der grossen Ausdehnung physiologischer Experimental-
üntersuchungen sind nur wenige Physiologen in der Lage, die
Geschichte ihrer Wissenschaft mit derselben Gründlichkeit wie
diese selbst zu betreiben. Ja eine geschichtliche Entwicklung
der Physiologie, als einer selbständigen, wenn auch von der Heil-
kunde wie von der Anatomie und den exacten Wissenschaften
abhängigen Disciplin zu geben, möchte wohl bisher noch nicht
einmal versucht worden sein. Noch mehr, selbst die Geschichte
der grössten physiologischen Entdeckung, die jemals gemacht wor-
den ist, kann als abgeschlossen keineswegs gelten. Zur Klärung
dieser Frage soll der vorliegende historsich - kritische Versuch
dienen und so einige Handlangerdienste leisten beim Aufbau einer
Geschichte der Physiologie. Namentlich erschien es mir ange-
zeigt, dass dem in der Theologie noch immer viel gescholtenen
genialen Michael Servet wenigstens in dieser Geschichte end-
lich die ihm gebührende hervorragende Stellung eingeräumt werde.
Wenn ich gegen des Spanischen Märtyrers systematische Ver-
ächter bisweilen herb erscheine, so wolle man das dem Eifer
für die so lange verkannte geschichtliche Wahrheit zu gut halten.
In BetreflF der vielen Citate erlaube ich mir die Bemerkung,
dass, wo nicht etwas anderes angegeben ist, mir die Originalien
selber vorgelegen haben, dass jedoch einige (mit P. versehene)
Anmerkungen unter dem Texte auf meine ausdrückliche Bitte von
Herrn Professor Preyer gütigst hinzugefügt worden sind.
Magdeburg, 24. Juni 1876.
Der Verfasser.
"5^
/
mm^mimn ^^~- .^^~
^
Inhalt.
S«ite
Erstes Capitel. Michael Servet: Vom Blutamiauf und vom Gehirn . 1
Zweites Capitel. Michael Servet's Vorgänger und Nachfolger in der
Entdeckung des Blutnmlaufs 21
Drittes Capitel. Ceradini's historisch - kritische Untersuchungen über
die Bntdeckung des Blutumlaufs 49
l™^"^— •^-^^^■^^-«
^
DIE
ENTDECKUNG DE8 BLIJTKEE18LAUF8
DURCH
MICHAEL SERVET
(1511—1553).
Erstes Capitel.
Michael Servet: Yom Blutiuulauf und vom Gehirn.
Motto: Finis omnium est homo, et finis hominis
Dens, Servet: Restitutio S. 245.
Zur Ostermesse 1553 erschien ohne Namen und Druckort ein
Lateinisches Buch von 734 Seiten in 8® unter dem Titel „Des
Christenthum's Wiederherstellung". Es gab keinen Theil des
christlichen Glaubens, der in diesem Buche nicht besprochen würde.
Aber es brachte nicht bloss Theologie. Auch Jurisprudenz, Philo-
sophie, Physik, Astronomie, Meteorologie wurde mit hineingefloch-
ten, und ebenso auch Medicin. Alles musste dem Glauben dienen.
Nur soweit es dem Glauben dient, kam es in Betracht. Der Mit-
telpunct des Eirchenglaubens ist die Trinität. Das Geheimniss
der heiligen Dreieinigkeit führt den Verfasser auf die Lehre vom
heiligen Geist.
Der heilige i&eist ist ihm Gott, sofern er sich dem Menschen-
Geiste mittheilt, ihn zu heiligen. Um diese wesentliche Mitthei-
lung Gottes an den Menschen zu verstehen, muss man das Gom-
plement des göttlichen Geistes verstehen, den Menschengeist. Denn
der Menschengeist ist das reale Complement des Gottesgeistes, wie
der Gottesgeist das ideale, ewige Complement des Menschengeistes
ist. Um nun aber den Menschengeist recht zu verstehen, muss
man den Menschenleib studirt haben.
„Damit Du also, mein lieber Leser", sagt der Verfasser im
5. Buch von der Dreieinigkeit (Restifutio ckristianümi S. 169)
„Dir Rechenschaft geben könnest, wie es überhaupt sich verhält
mit Seele und Geist, so will ich eine dem Göttlichen dienende
Philosophie beifügen, die man leicht verstehen kann, wenn man
Übung hat in der Anatomie.
„Die Rede geht, dass aus der Substanz der drei oberen Ele-
mente (Erde, Feuer, Luft) in uns ein dreifacher Geist sei (triplex
spiritus)y ein natürlicher, ein lebendiger und ein seelischer. Drei
/
/
— 2 —
Gdster sagt Aphrodisaeus ^). Streng genommen aber sind es nicht
drei, sondern zwei^) unterschiedene Geister. Denn es ist ein
Lebensgeist, der durch die Anastomosen von den Arterien
mitgetheilt wird den Venen, wenn man ihn auch in den Venen
natürlichen Geist nennt. Der erste Lebensgeist ist also das Blut,
dessen Sitz in der Leber und in des Körpers Venen ist.
Der zweite ist der Lebensgeiöt, dessen Sitz im Herzen und
in des Körpers Arterien ist. Der dritte Geist ist ein seeli-
scher, wie ein Lichtstrahl, dessen Sitz im Gehirn und in des Kör-
p8rs Nerven ist^). In all' diesen Geistern ist thätig des einigen
Gottesgeistes und einigen Gotteslichtes Energie. ^
„Dass vom Herzen aus mitgetheilt wird an die Leber jener
sog. natürliche Geist, lehrt des Menschen Bildung vom Mutter-
leibe her. Denn eine Arterie zieht sich verbunden mit
einer Vene durch dieNabelschnur des Fötus seibat: und
ebenso wird in uns nachher immer verbunden die Arterie
mit der Vene. In's Herz ist früher als in die Leber eingehaucht
worden von Gott die Seele Adam's und vom Herzen erst ist sie
mitgetheilt worden an die Leber. Durch die Einhauchung in
Mund und Nase ist wirklich eingeführt worden die Seele : die Ein-
athmung aber zielt ab auf das Herz. Das Herz ist das erste,
was lebt, die Quelle der Wärme mitten im Körper. Von
der Leber nimmt die Seele ihren Lebenssaft, gleichsam ihre Ma-
terie, und belebt sie wiederum ihrerseits: gerade wie des Wassers
Flüssigkeit den oberen Elementen die Materie reicht, und von
ihnen, in Verbindung mit dem Lichte, zur Erzeugung der Vege-
tationswelt belebt wird. Aus der Leber Blut bildet sich der Seele
Materie {animae materia) durch eine wunderbare Verarbeitung, die
1) Alexander Aphrodisaeus, der de anima schrieb, problemata medica^ de
febribus caet. lebte nicht, wie Flourens sagt (Uistoire de la circulaiion du sang,
Paris 1867. S. 157) Anfang des 16. Jahrhunderts, sondern Ende des 2., An-
fang des 3. Jahrhunderts als Professor der peripatetischen Philosophie. S.
Jöcher, Gelehrten-Leiukon.
2) Henry druckt denuo statt duo („Leben Calvin's" III, 58).
3) Der natürliche Lebensgeist (oder das Princip) ist also Blut und der 1.
Geist ist das Venenblut, der 2. das Arterienblut, der 8. die Nervenerregung.
Vgl. übrigens V. Gaillard (De la mise en rttppßrt dan$ Pappareil resj^ir^t^ire
de VÜement sanguin avec Vdäment atmospherique, Paris 1864. 4. S. 8 — 17
wie Valentin in seinem Vers. e. physiol. Pathol. des Herzens 1866. S. 471 ci-
tirt mit der Bemerkung, dass obige Ansichten gegen Flourens vertheidigt wer-
den). 'P.
« (Mi)
— 3 —
Du nun hören sollst. Dahef heisst es (in der Bibel), die Seele ist
im Blut, und die Seele selbst ist Blut, oder auch ein blutartiger
Geist {sangiäneus spiritus). Nicht wird gesagt, die Seele sei prin-
cipiell in den Wänden des Herzens noch in dem Körper selber
des Gehirns oder der Leber, sondern im Blute, wie Gott selber
lehrt Genei. 9. (v.4und 6), Lemtll. (v. 11) und Deut. 12. (v. 23).
„Um diesen Sachverhalt recht zu verstehen, muss man zuvor
kennen die substantielle Erzeugung des Lebensgeistes selbst, der
aus der eingeathmeten Luft {Genei. 2, 7) und dem allerfein-
steu Blute zusammengeBetzt und genährt wird. Der Lebensgeist
uimmt seinen Ursprung in ^er linken Herzkammer^ indem
die Lungen ganz besonders mithelfen zu seiner Erzeugung.
Er ist ein feiner Geisteshauch, durch der Wärme Gewalt hervor-
gebracht, von heller (fiavo) Farbe, feuriger Macht, so dass es ge-
wissermaassen ein aus reinerem Blute gebildeter lichtvoller
Schaum ist, der in sich die Substanz enthält von Wasser , Luft
und Feuer. Erzeugt wird er aus der in den Lungen gesche-
henen Vermischung der eingeathmeten Luft mit dem her-
ausgearbeiteten dttnnen Blute^ welches die rechte E.iunmer
des Herzens der Unken mittheilt Es geschieht aber diese
Mittheilung nicht durch die mittlere Herzwand , wie man
gemeinhin glaubt ^)^ sondern auf höchst künstliche Weise
von der rechten Herzkammer aus wird vermittelst einer
langen Leitung durch die Lungen in Bewegung gesetzt das
feingewebte Blut; von den Lungen wird es zubereitet,
hell gemacht^) und von der arteriösen Vene in die venöse
Arterie hinlibergegossen. Darauf wird es in der venösen
Arterie selbst ^) vermischt mit der eingeathmeten Luft, durch
Ausathmung wieder vom Russ {a fuHgine) gereinigt Und
so wird zuletzt von der linken Herzkammer das ganze '
Gemisch durch die Diastole angezogen, nunmehr (dass ich
so sage) ein geeignetes Hausgerätb, um als Lebensgeist zu dienen.
4) ui vulgo creditur,
5) Den Ruhm dieser Entdeckung von 1558 erntete 1669 Lower.
6) Nämlich in ihren Ursprikngen in der Lunge, wie aus dem Folgenden
hervorgeht. Dass übrigens Arteria venosa die Lungenvenen und Vena arteriosa
die Lungenarterie bedeutet, bedarf keiner Erläuterung. P.
im) 1*
~ 4 —
„Dass so durch die Lungen geschieht die Mittheilung und
Zubereitung, lehrt die mannigfache Vereinigung und die Verbin-
dung der arteriösen Vene mit der venösen Arterie in den
Lungen. Es bestätigt dies die bedeutende Grösse der ar-
teriösen Vene, die weder derartig noch so gross gemacht
worden wäre, noch vom Herzen selber eine solche Gewalt
des reinsten Blutes in die Lungen senden würde, wegen
der blossen Ernährung derselben, noch auch würde das Herz
in dieser Weise den Lungen dienen: ganz besonders da vor-
her in dem Embryo die Lungen selber von anderswoher
ernährt zu werdep pflegen, indem jene Üäutchen oder Klap-
pen des Herzens {ob membranulas Was seu valvulas cordis) noch
nicht geöffnet sind bis zur Stunde der Geburt, wie Galen lehrt.
Daher wird zu einem anderen Gebrauch ausgegossen das
Blut vom Herzen in die Lungen zur Stunde der Geburt,
und so reichlich. Desgleichen wird von den Lungen zum
Herzen nicht einfache Luft gesandt, sondern mit Blut ver-
mischte, durch die venöse Arterie: also geschieht in den
Lungen die Mischung. Jene helle Farbe wird dem luft-
haltigen Blut (sanguini spirituoso) vou den Luugcn gegeben,
nicht vom Herzen. In der linken Herzkammer ist kein
Platz, der fähig wäre eine so grosse und so reichliche Ver-
mischung zu fassen noch auch findet da statt eine genügende
Durcharbeitung, um das Blut hellroth zu machen. End-
lich jene Mittelwand, die ja doch der Gefässe und Hülfsmittel
entbehrt, ist nicht geeignet zu jener Überleitung und Ver-
arbeitung, obwohl ja etwas durchschwitzen könnte ^). Auf dieselbe
complicirte Weise, wie in der Leber geschieht die Überleitung
von der Pfortader zu der Hohlvene {a vena parta ad venam cavam)
um des Blutes halber, geschieht auch in der Lunge die Über-
leitung von der arteriösen Vene zur venösen Arterie um des
Geistes halber*). Wenn jemand das vergleicht mit dem,
was Galen schreibt im 6. und 7. Buch von dem Gebrauch
7) Licet aliquid resudare possit: eine Höflichkeit g^gen Galen. P.
8) „Geist" und „Lebensgeist" würde hier und öfters entsprechen dem
„Sauerstoff", bez. „Sauerstoffhaltigen Bhite". P.
C»6)
iTiiftn
— 5 —
der Theile, so wird er die Wahrheit aus dem Grund ver-
steheii; die G-alen selber freilich nicht bemerkt
hat (ad ipso Galeno non animadvertam),
„Jener Lebensgeist also wird von der linken Herz-
kammer nach und nach in die Arterien des ganzen Kör-
pers übergeleitet, so dass, je feiner er ist, er um so mehr nach
oben strebt, wo er noch mehr verarbeitet wird, vomehmh'ch im
netzförmigen Geflecht (tit plexu retiformi\ das unter der Basis des
Gehirns liegt, in welchem er anfängt von blossem Lebensgeist
seelischer Geist zu werden, indem er an den eigentlichen Sitz der
vernünftigen Seele herantritt. Hinwiederum wird jener durch des
Geistes feurige Kraft noch stärker verfeinert, ausgearbeitet und
vervollkommnet in äusserst feinen Gefässen oder CapiUar-
Arterien (capiUaribus arteriis)^ die in den Ader-Geflechten (in pte-
xibm choToidibui) liegen, und den Verstand selber {ipmsimam
mentem) enthalten. Diese Geflechte durchdringen alle inner-
sten Theile des Gehirns und umkleiden innen die Himkammem,
indem sie jene Gefässe mit sich verflochten und verwebt halten,
bis zu den Ursprüngen der Nerven, damit in sie eingeführt
werde die Fähigkeit zu fühlen und sich zu bewegen.
Jene Gefösse, durch ein grosses Wunder äusserst fein ge-
woben, obwohl sie Arterien genannt werden, sind doch
eigentlich die Enden der Arterien, die nach dem Ursprung
der Nerven verlaufen vermittelst der Gehirnhäute {minUterio
meningum). Das ist eine neue Art von Gefässen. Denn wie bei
der Überleitung von den Venen in die Arterien in. der
Lunge sich eine neue Art Gefässe findet aus Vene und
Arterie: geradeso findet sich bei der Überleitung von den Arte-
rien in die Nerven*) eine neue Art Gefässe aus der Arterienhaut
in »^) der Gehirnhaut: um so mehr, da die Gehirnhäute selbst bei
den Nerven*') ihre Hüllen (tunicas), bewahren.
9) & 11) Wenn hier statt tiervos und nervt« gelesen werden dflrfte venas
und venis^ käme ein sehr guter Sinn in diese sonst sinnlose Stelle. Oben wird
schon von den Anastomosen der Arterien und Venen gesprochen, und eben
noch hiessen die neuen äusserst feinen Gefässe Gapillar-Arterien. P.
10) Mosheim (Anderweitiger Versuch einer unparteiischen Ketzergeschichte
S. &00) et meninge.
(iw)
— 6 —
Die Empfindlichkeit der Nerven liegt nicht in ihrer weichen
Materie, ebenso wenig wie beim Hirn (sicut nee in cerebro)^^).
Alle Nerven laufen aus in die feinen Fäden der Membranen {in
filamenla membranarum), welche die vorzüglichste Empfindlichkeit
haben : darum wird an sie immer der Geist abgesandt. Von jenen
Gefässchen der Gehirnhäute oder Adergeflechte aus wird, gleich
als von der Quelle, der leuchtende seelische Geist wie ein Licht-
strahl durch die Nerven ausgegossen in die Augen und in die
anderen Sinneswerkzeuge. Auf demselben Wege kommen ihrer-
seits von aussen der mit den Sinnen wahrgenommenen Dinge
lichtvolle Bilder an und werden zu derselben Quelle hinaufge-
sehickt, um gewissermaassen durch ein lichtvolles Medium nach
innen hindurchzudringen'*).
„Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, dass jene weiche
Masse des Gehirn's nicht im eigentlichen Sinne der Sitz der ver-
nünftigen Seele ist, da ja jene Masse kalt ist und der Empfind-
lichkeit entbehrt. Sondern dass sie gewissermaassen das Polster
ist für die besagten Gefässe, damit sie nicht zerbrochen werden:
und die Wacht für den seelischen Geist, dass er nicht verweht
werde, insofern er ja den Nerven mitgetheilt werden muss: und
dass sie nur kalt ist, um die innerhalb der Gefässe enthaltene
Wärme zu massigen. Daher geschieht es auch, class die den be-
sagten Gefassen gemeinsame häutige Umhüllung {membranae tuni-
cam) in der inneren Höhlung der Nerven bewahrt wird zum treu-
lichen Schutz des Geistes: und wie sie eine nimhüllende Haut er-
halten von der zarten Gehirnhaut (a tenui meninge), so erhalten
sie einen anderen äusseren Überzug von der dicken. Auch jene
leeren Räume der Gehirnkammern, über welche die Philosophen
und Mediciner sich verwundem, enthalten nichts weniger als die
Seele. Sondern die erste Bestimmung jener Gehirnkammern ist
die, die Unreinigkeiten des Gehirns aufzunehmen, gleichsam als
Kloaken, wie die dort aufgenommenen Auswürfe (excrementa) be^
weisen, und die Laufgänge nach Gaumen und Nase, aus denen die
krankhaften Ausflüsse entspringen. Und wenn diese Kammern so
angefüllt werden mit Schleim, dass die Arterien selber des Ader-
Geflechts (choroidii) darin eingetaucht werden, dann plötzlich er-
zeugt sich der Schlagfluss {apoplexia). Wenn nur einen Theil ver-
stopft die schädliche Feuchtigkeit, deren Dampf den Verstand be-
12) Henry 61 ohne nee,
13) Hier, mit iniro penetrantes^ endet Mosheim's Citat.
— 7 —
täubt, so erzeugt sich die Fallsucht (epilepsia), oder eine andere
Krankheit je nach dem Theile, auf welchen der fortgetriebene
Dampf sich niederschlägt. Da also sagen wir wohne der Verstand
(mentem), wo wir deutlich gewahren, dass er betroflfen wird. Aus
der ungemässigten Wärme jener Gefasse oder aus der Entzündung
der Gehirnhäute (meningum) entstehen offenbar die Delirien und
Verrücktheit. Darum schliessen wir aus den plötzlich eintreten-
den Krankheiten, aus der Art der Lage und der Substanz, aus
der Wärme Gewalt und der kunstvollen Schönheit der sie ent-
haltenden Gefasse und aus den darin erscheinenden Thätigkeiten
der Seele immer wieder, dass diese kleinen Gefasse den Vor-
zug haben müssen, sowohl deswegen, weil ihnen alles übrige
Dienste leistet, als auch deswegen, weil die Nerven der Sin-
neswerkzeuge an sie angeknüpft werden^ damit sie daher
Kraft empfangen: endlich deswegen, weil wir wahrnehmen, dass
die Einsicht dort ihre Werkstatt hat, indem jene Arterien bei
starkem Nachdenken bis zu den Schläfen hin in schla-
gender Bewegung sich befinden. Kaum wird es verstehen,
der die Stelle nicht gesehen hat.
,J)ie zweite Bestimmung jener Gehimkammern {ventriculi)
ist die, dass ein Theil der eingeathmeten Luft zu jenen leeren
Räumen durch das Siebbein ij^er o$sa ethmoide) hindurchdringend,
und durch die eigenen Gefasse der Seele (aö ipsis animae
vans) vermöge der Ausdehnung {per diastolen) angezogen, den
darin enthaltenen seelischen Geist erfrische und die Seele in
Schwingung versetze (animam ventilet). In jenen Gefässen ist
Verstand, Seele und feuriger Muth, der einer starken Anfachung
bedarf: sonst würde er, dem äusseren Feuer glefch, eingeschlossen
erstickt werden. Der Anfachung und des Auseinanderblasens
(difflatione) bedarf er, gleich dem Feuer, nicht nur um von der
Luft Nahrung zu nehmen, sondern auch um seinen Russ dahin
auszuspeien **). Wie dieses elementare äussere Feuer mit einem
irdischen dichten Körper wegen der gemeinsamen Trockenheit und
wegen der gemeinsamen Form des Lichtes verbunden wird und
seine Nahrung nimmt von des Körpers Saft, und durch die Luft
auseinander geweht wird und geschürt und genährt: so wird jener
unser feuriger Geist und unsere Seele gleichermaassen mit dem
14) Flourens bemerkt S. 271 bis hierher sei der Verfasser über die Bil-
dung der Geister, die iU>Ue der Adergeflechte, den Sitz der Seele u. s. w. dem
Galen gefolgt, von hier an überlasse er sich seiner eigenen Phantasie.
(»9»)
_ 8 —
Körper verbunden und macht mit ihm ein Ganzes aus und hat
sein Blut zur Nahrung: und wird zugleich von einem luftigen
Geisteshauch durch Einathmung und Ausathmung atiseinander-
geweht, geschürt und genährt, so dass er eine doppelte Nah-
rung hat, eine luftige und eine leibliche
Von der Gefässe guten Bildung und guten Mischung
hängt des Verstandes Schärfe und die Gttte des Gemttths ab?
so dass die eine bessere Seele haben, bei denen jene Gefässe
besser disponirt sind**). Indessen wie durch den guten Geist
jenes eingegossene Licht mehr und mehr erleuchtet wird, so auch
wird es durch den bösen **) verdunkelt. Wenn in jene Gefässe
des Gehirn's zugleich mit unserem lichtvollen Geist ein finsterer
und arger Geist sich eindrängt, dann wirst Du höllische Wuth-
ausbrüche erblicken ^^), gerade wie vermöge des guten Geistes
lichtvolle Offenbarungen. Doch greift jene Gefässe gar leicht an
der böse Geist, der in der Nachbarschaft seinen Sitz aufschlägt,
nämlich in jenen Abgründen der Wasser **) und in jenen Höhlen
der Gehirnkammern. Jener böse Geist, dessen Macht ist in den
Lüften, schreitet ein und aus zugleich mit der von uns ein-
geathmeten Luft frei hindurch durch jene Höhlen, um von dort
aus wie von einer Festung gegen den innerhalb jener Gefässe be-
findlichen Menschengeist einen angestrengten Kampf zu führen.
Ja von allen Seiten belagert er ihn da, so dass dieser kaum im
Stande ist zu athmen, es sei denn, dass gerade das hinzukommende
Licht des Gottes - Geistes den bösen Geist in die Flucht jagt **).
Man sieht, wie sßhr für diesen Ort sich ziemt die Weise des Ge-
müths, des Geistes, der Offenbarung und der Einsicht, sowohl die
eingeborene als die (in der Wiedergeburt) hinzukommende, und
der Streit der höheren Versuchungen,* um hier die anderen jetzt
zu übergehen. Auf eine ähnliche Weise der Einhauchung wird
die Liebe Gottes im Herzen durch den heiligen Geist angezündet
Im Herzen nämlich ist nicht bloss des Lebens Anfang, sondern
15) Hier knüpfte Descartes an.
16) a malo, Henry fälschlich malo.
17) videbis, Henry fälschlich ridebis.
18) Eine in der Apokalypse beliebte Bezeichnung für des bösen Geistes
Wohnung. Apoc. 20, 1. 3. 9, 11.
19) Bei diesem „bösen Geist* ^ könnte die Kohlensäure die Hauptrolle
spielen. P.
(800)
— 9 —
auch das Reich des Willens, und nach den Versuchungen der Ein-
sicht und den Anstachelungen des Fleisches der erste Ursprung
der Sünde, womit Matthaeus übereinstimmt (15, v. 19)*").
„Indess wollen wir doch das, was das Gehirn enthält, erst zu
Ende bringen, ehe wir zum Herzen fortschreiten. Verschieden
sind je nach der Verschiedenheit der Hirngefasse die Thätigkeiten
des inneren Sinnes (wen/ü), gleichermaassen wie auch verschieden
sind die Werkzeuge in den verschiedenen Hirnkammern, wie ich
jetzt darlegen will.
„Jenem seelischen und feurigen Geiste, der in jenen kleinen
Ge fassen {ehotoidU vasculis) des Adergeflechts enthalten ist,
wird mitgetheilt die eingeathmete Luft zu kleinem Theile durch die
Knochen, die man das Siebbein nennt , eben die Luft, die da auf-
stretit zu den beiden früher beschriebenen Stirnhöhlen, welche im
rechten und im linken Theil des Stirnbeins gelegen sind. Und dort
schöpfen die Capillar-Arterien des Ader-Geflechts, indem sie
sich ausdehnen, jene Luft, die da nöthig ist, die Seele anzufachen.
Und auf dieselben übertragen auch die beiden Sehnerven, nachdem
die Vereinigung stattgefunden hat, die Lichtbilder der Dinge, die
man gesehen, sowie auch die Gehörnerven und der anderen Sinne
Nerven, indem der gemeinsame Überzug der Membran immer be-
wahrt wird, zum treulichsten^und sichersten Schutze aller. Denn
wenn in jenen lehren Räumen so hin- und herlaufen wollten die
Vorstellungen (species) und Geister mit der Seele, so müssten sie
durch Ausschnauben insgesammt herausgeworfen werden, oder we-
nigstens doch beim Messen^'). Wenn dort die Seele wäre, so
wäre sie eben nicht im Blute, da Blut sich nicht findet aus-
serhalb der Gefässe. So ruht denn der Verstand (men$) ganz
sicher in des Adergeflechts Gefässen {in vasis choroidum). Ganz
sicher ist die Bedeckung: und auf die besagten Gefässe münden
aus, mit Einem Theil in den Stirnhöhlen (in pri&ribus ventriculis)
gelegen, die hauptsächlichsten Gefühlsnerven (sensorii)^ so dass dort
der Anfang ist für das Gemeingefühl, dort die von den äusseren
Sinnen in's Gemein übertragene Wahrnehmung oder Vorstellung,
indem dortselbst die wahrgenommenen Dinge anfangen mitein-
ander verglichen und vermischt zu werden.
„Nun aber wird jene in das Hirn eingeblasene Luft von den
beiden Stirnhöhlen (ventriculis anteriaribus) in die Mittelkammer
20) Hier endet Henry's Citat.
21) Eine urkomisch-materialistische Phantasie.
(tot)
— 10 —
gebracht oder vielmehr in einen gemeinsamen Laufgang (meatum),
indem die Zusammenkunft unter der Leier (sub psalioide) statt-
findet. Dort ist der lichtvollere und reinere Theil des Verstandes.
Dieser streut die ihm von Gott her eingeborenen Ideenkeime aus*')
und ist im Stande, aus den schon einmal wahrgenommeneu Bil-
dern durch Ähnlichkeit neue Dinge auszudenken oder zusammen-
zusetzen, das Erdachte zu vermischen, aus dem Einen Anderes zu
schliessen, zwischen beiden zu unterscheiden und die reine Wahr-
heit selber aufzufassen, unter der Erleuchtung Gottes. Kleiner ist
dort die Kammer und feiner der Einsicht Weise: weil dort die
Arterien des Adergeflechts reichlicher vorhanden sind; sie er-
neuem ihren feurigen Geist durch die Ausdehnung (diastole) und
ftlhren des Gemeingefühls Wahrnehmungen mehr und mehr zu
einer lichtvollen Begründung, indem jenes geistige Licht inw^dig
eindringt durch die Gefässe, und die Gottheit selber dort wie-
derstrahlt Dort ist kein so grosser leerer Raum vorhanden wie
in den anderen Kammern, so dass man ihn eher einen Laufgang
(meatum) nennen kann, als eine Kammer oder einen langen und
vielgekrümmten Weg der Untersuchung (sci^tinü). Und das ist
mit Weisheit so gemacht, wegen der Schwierigkeit der Unter-
suchung. Kleiner ist darum die Kammer, weil wo der Theil
des inneren Sinnes reiner und lichtvoller ist, da dürfen nicht so
viel Unreinigkeiten ausgesondert werden. Und die dort erzeugt
werden, fallen ohne Mühe in den gerade darunter liegenden Trich-
ter (choana)^ damit sie nicht die Leuchte des Verstandes aus-
löschen noch ihr zur Hinderung gereichen. Zahlreich sind dort
die Gefääse rings um die Zirbeldrüse (conarium) herum"),
zahlreich die Schläge der Arterien^ ganz besonders mächtig dort
des Verstandes und feurigen Muthes Bewegung. Auch wir haben
beobachtet, wie dort neben den Schläfen von aussen und von
innen stärker anschlägt die arbeitende Einsicht, so dass^wir schon
durch diese Erfahrung allein auf den Sitz des Verstandes selber
hingeleitet werden. Nimm hinzu, dass diesem Orte näher ist der
Sinn des Gehörs, der da ist der Sinn der Unterweisung (semm
disciplinae).
21) Auch Flourens spürt etwas (S. 274) von der Erhabenheit dieser Stelle:
Pei^säe ingenieuse, Vesprit ne decouvre le neuf que par une certaine ressem-
blance quHl lui trouve avec Vinnä.
22) In dieser Bestimmung des Sitzes der Seele folgt ihm Descartes.
Man hat diese Abhängigkeit bisher übersehen, vgl. Schwegler, Geschichte der
Philosophie 1848, S. 101.
(«et)
— 11 —
„Das allergrösste Wunder ist diese Zusammensetzung des
Menschen ^').
„Da sind viele und lange Umwege bis zum kleinen Gehirn
(cerebeilum)^ SO dass in langer Untersuchung alle noch so gewun-
denen Dinge erforscht werden können und die Finsternisse auf-
gehellt, unter Beihülfe auch der Dinge, die vermöge der Erinne-
rungs-Fähigkeit im Gedächtniss früher schon geborgen wurden.
Dort auch wird von dem Pförtner dem Wurm (a janitofe scolü
coide) 2*) und von dem windungsreichen Hinterhirn (sinuotis glutiu\
sobald ein Gedanke beabsichtigt wird, zurückgehalten auf gewisse
/ Weise und vermehrt das Foment der eingehauchten Luft, bis dass
durch sie angefacht und in mächtige Schlagbewegung versetzt wer-
den alle Arterien des Verstandes {mentit arteriu)^^) und so die
Untersuchung vollendet und alles lichtvoll aufgehellt wird. Mit dem
Verstand also, der ja feuriger Natur und des Lichtes theilhaflig
ist, hängt vor allem zusammen jener feurige Ort, und bleibt mit
ihm noch in Verbindung, wenn der Begrift schon geboren ist
Denn auch der Begriff ist von demXicht ein Strahl und ein licht-
volles Bildniss. Auch die äusseren Gestalten der Dinge, die wir
wahrnehmen können, sind, wenn sie das Auge treffen, lichtvoll und
werden von einem lichtvollen Gegenstand oder doch von einem
solchen der die Form des Lichtes hat durch ein lichtvolles Me-
dium entsandt. Darum wird auch der innere Sinn selber mehr
und mehr erleuchtet.
„Doch nicht nur vom Gesicht aus, welches uns mehrere Unter-
schiede der Dinge zeigt, wird die Einsicht geschmückt , sondern auch
von den Gegenständen der anderen Sinne, welche alle mit unserem
lichtvollen Geiste eine gewisse Verwandtschaft haben. Diese Ver-
wandtschaft stammt von der wesentlichen Grundform aller Dinge,
die das Licht ist, und bei den einzelnen Dingen aus der geist-
hauch-artigen Weise, in der sie athmen und wirken. Der Schall
und der Duft haben eilie gewisse Gleichartigkeit mit dem Geist-
hauch; nach Art des Odems (spiritus) werden sie wahrgenommen,
und nach Art des Odems wirken sie in uns. Der gehörten Dinge
Wahrnehmung geschieht durch einen äusseren Hauch, der an das
23) Flourens 275 bemerkt hierzu: Enthousiasme vrat, et de Vhom/me gui a
fall le Premier pas dans i'elude de cette admirable structurey de Vhomme qui
a decouvert la circulation pulmonaire.
24) Unverständlich: Schon dass die Stirnhöhlen als Kammern des Gehirns
gerechnet werden, zeigt wie fest noch die Galenische Tradition haftete. P.
25) Eicpression hardie, sagt Flourens S. 276.
— 12 —
Trommelfell (memhrana) anschlägt und so den inwendigen Geist-
hauch trifft, in dem das Licht der Seele seinen Sitz hat und der
Zusammenklang der geistigen Harmonie, der durch Ausdehnung
und Zusammenziehung {diasiole et Systole) geregelt wird. Mit den
riechenden Dingen verhält es sich auf fast gleiche Weise. Was
aber geschmeckt und berührt wird, obwohl es mehr körperlicher
Art ist, so hat es doch Kräfte , und zwar solche Kräfte , die da
geeignet sind die Seele umzuwandeln, jene durch die Feuchtigkeit,
diese durch den Widerstand: beides stammt gleichfalls aus der
gemeinsamen Grundform des Lichts, wie z. B. aus dem Umstand
^u ersehen ist, dass es einwirkt auf den Geist. Durch ihre Licht-
art wirkt diese ganze Substanz auf die Seele ein, indem sie ihr
eindrückt die Idee des Ganzen. Die Substanzen selber sehen jetzt
die Sophisten, welche früher lehrten, nichts könne man sehen,
weder in Gott noch auch in uns, als Eigenschaften und ge-
schminkte Masken (fucatas larvas). Wir aber, die wir in Christo
schauen das wesentliche Licht, wir gehen auch in anderen Dingen
der Anschauung des wahren Lichtes nach.
„Nachdem er nun all' die angeführten Dinge in der Mittel-
kammer beleuchtet hat, geht der Geist selbst, mit Erlaubniss des
Pförtners (janitor)^ über in die vierte Kammer des Nebengehirns
(parenkephalis) und es folgt ihm das zusammengewehte lichtvolle
Bild, das in dem Lichte der Seele selber gelegen ist. Dort aber,
gewissermaassen in der Tiefe des Gehirns (velut in cerebri fundo),
bewahren jene GefUsse ihren GedächtnissschatÄ mit Hartnäckigkeit
und verbergen dort alles, was sie vermöge sinnlicher Wahrnehmung
oder Schlussfolgerung gefunden haben: nicht als ob sie es dort an
den Wänden aufhingen, sondern sie vertrauen es der Substanz der
Seele selber an wie einem gewissen Stoflf (ut in materia quadam).
Dort besitzt die Seele für den zurückgehaltenen Geisthauch stär-
kere Ge fasse, damit nicht das Gedächtniss leichthin auseinander-
stiebt. Ich übergehe, dass durch diesen Weg (ea via) vermittelst
der grossen Nerven des Rückenmarks die bewegende Fähigkeit
des ganzen Körpers den Muskeln vermittelt wird, indem der see-
lische G^ist gewissermaassen ausstrahlt (spiritu veluti radiante).
Demnach sind im Gehirn vier Kammern und der inneren Sinne
drei. Denn die beiden vorderen Stirnhöhlen enthalten nur den
einen Gemeinsinn (sensum unum comwunem). Die mittlere Kammer
enthält das Denkvermögen (cogitatio) und die hintere das Ge-
dächtniss {memoria). So viel von dem Theil des Geisthauchs, der
(IM)
— 13 —
in das Hirn hinaufgeführt wird, und von den Organen und Mäch-
ten des Gehirns. ....
„Dem grösseren Theile nach wird nun aber die ein-
geathmete Luft durch die Luftröhre in die Lungen geftthrt,
um von ihnen verarbeitet in die venöse Arterie überzu-
gehen, und dort mit dem hellrothen und feinen Blute ver-
mischt und immer weiter verarbeitet zu werden. Darauf wird
das ganze Gemisch von der linken Herzkammer her durch
Ausdehnung (diasiole) angezogen. Durch die dort enthaltene
sehr starke und lebendige Feuerkraft wird es seiner Bestimmung
gemäss (ad suam formam) vervollkommnet, und wird zum Lebens-
geist, nachdem es in jener Bearbeitung vielen räuchriohen
Unrath (fuHginom recrementis) ausgeathmet hat Dieses Ganze
ist gleichsam der Stoflf {materia) für die Seele selbst.
„Über dies ganze Gemisch hinaus giebt es in der Seele noch
zweierlei: etwas Lebendiges, das durch die Athmung geschaffen
oder in dem ihr eigenen Stoff erzeugt ist (in sua materia pro-
ductum): und den Geist selber oder die Gottheit selber (tlivinitas
ipsa\ die durch Hauchen eingepflanzt ist. Und das Alles ist ein
Ganzes und Eine Seele. Das Mittlere, was hauptsächlich Seele
genannt wird, ist Hauch und Geist, auf beiden Seiten mit Hauch
und Geist wesentlich verbunden. Es ist eine ätherische Substanz,
jener urbildlichen tiberelementaren, aber auch dieser niedrigeren
ähnlich: eine einzige natürliche Seele, lebenbringend und seelisch
(vitalis et animalis).
„Da siehst Du nun die ganze Art und Weise der Seele, und
warum alles Fleisches Seele im Blute ist und die Seele selber
Blut ist, wie Gott sagt. Denn unter dem göttlichen Anhauch ist
eingeblasen durch Mund und Nase in Herz und Hirn Adams und
seiher Nachgeborenen jene himmlische Geistesluft oder jener ideale
Funke, der mit dem geistartigen blutigen Stoff innerlich wesen-
haft verbunden, in seinen Eingeweiden zur Seele wurde'*) Gen. 2.
(v.7); Jesaj. 57. (v. 16); Hesek. 37. (v. 14) und Sacharj. 12. (v. 10).
„Dass aber an sich selbst verschiedene Substanzen fähig sind,
auf gedachte Weise zusammenzugehen, lehren uns nach den Ghal-
däern die Akademiker, welche behauptet haben, eine gewisse
ätherische Luft werde von Gott verbunden mit der elementaren
Luft, damit durch dieses Medium in einen dichten Körper der
26) Hier Restitutio S. 178 schliesst Flourens' Citat (S. 279).
(806)
— 14 —
göttliche Geist hineingesandt werden könnte. Es lehren das deut-
lich die heiligen Schriften, indem sie bald die Seele einen Hauch
von Gott nennen, bald den Geist einen Wind."
Diese Wahrheit wird nun mit Schriftzeugnissen und anderen
Autoritäten begründet, bis S. 181, wo es heisst:
„Du darfst also dich nicht scheuen, zu sagen, dass unsere
Seele und der heilige Geist Christi selbst mit sich wesentlich ver-
bunden führen eine derartige elementare Substanz, wie auch das
Wort mit sieh verbunden hat das Fleisch {Joh. 1, 14). Unzer-
trennbar ist die nachbarliche Berührung mit jener Substanz für
das Feuer unserer Seele und für das Feuer unseres Geistes, das
dadurch geschürt und genährt wird: wie wir sehen, dass das
äussere Feuer durch Fett und Luft geschürt und ge-
nährt wird. Und wie nun, sobald diese aufhören, das
Feuer erlischt, so auch erlischt in uns gewissermaas-
sen die Seele, sobald sie der vitalen Wirksamkeit ent-
behrt." Die berühmte Stelle ist zu Ende.
Indess wie Hirn und Herz zueinander stehen , das wird oben
nur angedeutet, näher erläutert aber S. 302 flf., wo es gilt, einen
richtigen physiologischen Untergrund zu gewinnen für die Lehre
vom Glauben und von der Gerechtigkeit des Reiches Christi.
Denn davon handelt das Buch der „Wiederherstellung des Christen-
thums" auf S. 287—313. Und auch hier wieder stellt sich der
Verfasser mit seinen eigenen Beobachtungen in bewussten Ge-
gensatz zu dem 1553 noch allein die Physiologie beherrschenden
Galen. Hören wir den muthigen Mann:
„Nach Galen scheint der Ursprung der Willensbewegung im
Hirn zu liegen, als aus welchem ihren Ausgang nehmen die Ner-
ven und die seelischen Geister. Und in diesen sei jene bewegende
und freiwillige Fertigkeit der Muskeln enthalten. Dort auch sei
der Muth und die Verstandeskraft. Ich antworte: Dem äusseren
Dienst und Forschen steht das Gehirn vor. Abgewartet aber wird
immer des Herzens Befehl und Einwilligung. Und wie einerseits
das Herz seinen Willensentschluss durch den Dienst des Gehirns
nach Berathschlagungen mit der Einsicht zum Abschluss bringt,
so andererseits setzt sich des Herzens Wille erst durch den Dienst
des Gehirns in äussere Wirksamkeit. Jene seelischen Geister ha-
ben ihren Ursprung in den Lebensgeistern, die hervorgehen aus
dem Herzen, in dem der erste Anfang des Lebens und der Seele
sich vorfindet. In den aufregendsten Wahrnehmungen, Furcht und
Schmerzen fohlt man am lebhaftesten den Affect im Herzen, als
(806)
— 15 —
an dem vorzüglichsten Orte. Dort ist ein passenderer Wohnsitz
für Seele und Geist als in den Gefässen des Gehirns. Dennoch
ist es wahr, dass des Herzens Wille nicht in der Weise gebietet
der Vernunft des Denkvermögens, dass er von ihr nicht auch
könnte zurückgedrängt werden.
„So ist denn Ein Hauptvermögen der Seele in dem Hirn zu
finden, die Berathschlagung der Einsicht, für welche, weil sie
schwierig ist, eine erhabene Warte angelegt worden ist und mit
vieler Erfindungskraft (ingenio) verschiedenartige Werkzeuge ge-
bildet sind. Das andere Hauptvermögen ist ein einfaches und liegt
im Herzen, die Überlegung des Willens. Nicht kann das Herz
wollen, ohne dass die Einsicht sie mit einem Gegenstande bedient,
da ja der Wille nicht fortgerissen wird auf unbekannte Dinge.
Der Einsicht Gründe zügeln den Willen des Herzens. Die Ein*
sieht folgt dem was wahr ist oder es doch zu sein scheint: der
Wille dem Guten. Der Wille strebt durch Einsicht und Sinn
draussen nach den Dingen selber auf demselben Wege hin, auf
welchem eben jene Dinge durch Sinn und Einsicht drinnen ihm
nahe gebracht worden sind. Auch ist der Sinnes*£indruck eigent-
lich nicht das Leiden des Organs selber, sondern nur der Finger-
zeig '^) auf das Leiden , das in der Seele vor sich geht : und nur
deswegen erinnert sich später seiner die Seele. Und nach der-
selben Hinsicht ist das Wollen und Einsehen eigentlich in der
Seele, nicht aber im Organ des Herzens oder des Hinis'^): son-
dern in ihnen ist eine gewisse gemeinsame Bewegung: es sind die
ersten Werkzeuge (in denen die Seele wirkt und) die so (gewisser*
maassen) die handelnde Seele enthalten, und deswegen schreibt
man ihnen die Handlung zu.^' . . .
Um nun aber das Verhältniss von Herz und Hirn, und den
Sitz der Seele gründlicher zu beobachten, hat der Verfasser des
Buches von der „Wiederheistellung des Christenthums^S da nur
menschliche Vivisectionen ihm eine annähernde Gewissheit bringen
konnten, diese aber unthunlich sind, seine Studien über den Kreis-
lauf des Fötus zur Ergänzung herangezogen. Ist der Gircubttions-
Process im Fötus derselbe wie im Erwachsenen**^)? Und was ist
27) Gedruckt ist dignitio. Ich lese digiUo»^
28) Die Initiative ist nie materieU.
29) J. H. Knabbe (Disquisitiones fUstorico-criticae de circulatione sanguinis
in foetu matwro. Diss. 4. Bonn 1834. Mit Tafehi. 109 Seiten) f^bt swar
keine Geschichte der £ntdeckaiig des fötalen Kreislaufs, aber eine gute Kritik
(aoT)
— 16 —
»
der Lauf des Chylus ? Diese physiologischen Centralfragen sind hier
in der „Wiederherstellung des Christenthums'' — daran muss man
sich gewöhnen — nur theologische Corollarien. Das physiologische
Experiment und die anatomische Beobachtung sollen zu nichts
anderem dienen als zur Begründung der Bibel-Lehre.
Wo der Verf. Christi jungfräuliche Geburt zu erforschen hat,
bringt er seine Studien über die Anfänge des Menschen-Daseins
im Zusammenhang (S. 250 ff.).
„Der väterliche Same enthält substantiell in sich die elemen-
tare Substanz von Wasser, Luft und Feuer." Doch ist die Mut-
ter dem nicht fremd. „Die drei oberen Elemente stammen von
beiden Eltern. Der Erden-Stoff hingegen stammt von der Mutter
allein. Durch das mütterliche Blut, wie es von der for-
menden Kraft des männlichen Samens umgebildet ist,
wird des Embryo Fleisch in uns gestaltet (piasmatur).
Wenn andererseits im väterlichen Samen dennoch etwas erdisches
sein sollte, so wäre das nur der Wächter für den darin enthalte-
nen Geist, und bemüht sich nur um die äussere Überrindung der
die Frucht umschliessenden häutigen Hülle, die man Chorion
(xo^*öv) nennt. Nicht aber dringt nach aussen noch auch ver-
duftet in der äusseren Luft, nachdem die Pflanzung des Embryo
vollzogen ist, jener Geist des Samens, wie einige behauptet haben,
sondern er wird festgehalten von den Gefässen, wie Galen lehrt in
den Büchern vom Samen. Damit hat es zu thun die zweite Um-
hüllung (sectmdarum incvmtatio) und der Gebärmutter enge Ein-
fassung (uteri arctus amplexm)^ SO dass jener eingeschlossene
Feuerfunke inwendig wallt (ferveat) und arbeitet. Diese feurige
Kraft des Samens, die ein Symbol der Idee, der Seele, der Form
und des göttlichen Lichtes in sich trägt, ist eben jenes formende
Vermögen, ist die die natürlichen Kräfte bewirkende Essenz, nach
der mit Aristoteles und den anderen Philosophen oft geforscht
hat Galen, bis er zuletzt eingesteht, dass er sie nicht kenne."
In der üntersuc]hung über die Bewegung des „Chylus" fühlt
sich der Verfasser auf einem ähnlichen Standpuncte und in einem
ebenso bewussten Gegensatz zu Galen, wie bei seinen Unter-
suchungen über den Lauf des Bluts. Man hat das bisher über-
sehen. Der Verfasser fahrt fort:
„Das bildende Vermögen in den seelischen Wesen bewirkt
hervorragender Ansichten über denselben von Galen /bis Meckol, welche aber
auf Vollständigkeit keinen Anspruch machen kann. P.
— 17 —
die erste Ausbildung gewisser hauptsächlicher Theile mit ihren
Gefässen. Nach der das Naturell bestimmenden {naturale) Leber
und nach dem das Leben gebenden {vitale) Herzen strecken
sich zuerst vom Leib der Mutter her des Fötus Nabel-
geßiÄse {umbilicaria foetus vasa), wie wir in der Anatomie
wahrnehmen. Von der Leber selber aus geschieht die erste
Umbildung des Nahrungssaftes {Ckyli) in Blut, und zwar durch
die Macht des feurigen Lebensgeistes und des der Leber selber
innewohnenden formenden Lichts.
„Wenn nun aber durch die Leber lebt der Embryo in einem
vegetativen Leben, bevor noch das Herz sich der Wirksamkeit der
Ausdehnung und Zusammenziehung {dia»toli$ et syatoUs munere)
bedient^®), so scheint das Herz nicht das erste Lebende zu sein?
Allein es ist das doch nicht durchaus ein Leben der Leber aus
sich. Von anderswoher wird es genährt. Und wenn jenes Leben
gleich ein Leben wäre aus blosser Kraft des Samens, so ist das
doch noch kein Seelenleben. Im Mutterleibe wird der Embryo er-
nährt durch die Seele der Mutter, vom Herzen selber der Miü;ter.
Denn von ihm nehmen ihren Ursprung die Arterien, die
vermittelst der Nabelschnur in den Fötus selber hinein-
gehen und den Lebensgeist in ihn einflössen. Dieses müt-
terlichen Lebensgeistes Lebenswärme, zugleich mit dem dem Samen
eingeborenen Vermögen, bewirkt, dass der Embryo lebt in
einem vegetativen Leben, dann immer noch ohne eine
andere Seele. Das Herz also, wenn es auch der Zeit nach nicht
geradezu das zuerst Lebende genannt werden kann, ist doch das
hauptsächlich Lebendige und das zuerst mit wirklicher Seele
Lebende.
„Was nun die Zeit anbetrifft, in welcher Gott dem Menschen
eine wirkliche Seele einflösst, so ist es die, wo der Mensch an-
fangt zu athmen, also die Stunde der Geburt. Im Mutter-
leibe giebt es weder Einathmung noch Ausathmung: auch
lebt der Fötus nicht durch die eigene Seele, sondern durch die
SO) & 33) Dieser Irrthum beweist, dass die Beobachtungen über den Fötus
nur an Leichen gemacht wurden. Zu jener Zeit wusste niemand, dass das
Herz des Fötus pulsirt Erst Harvey sah das fötale Säugethierherz schlagen
(Exercit de Generaiione Animalium. Auetore Guilielmo Harveo. Editio novis-
Hma a mendis repurgata, Hagae Camitis 1680. S. 461. Die 1. Aufl. erschien
1651). r P.
— 18 —
Seele der Mutter, gleichsam als ein Theil der Mutter, indem
jener Lebensgeist, von dem wir gesprochen haben, durch die
Nabel- Arterien eingeführt wird®*): und durch sie hört der
Geist nicht auf, sich zu bethätigen, bis dass der Mensch geboren
¥drd. Deshalb lebt durch seine Vermittlung immer im Mutter-
leibe der Fötus. Wie ein Zweig ist er dann, der durch die
Geburt erst übergepflanzt wird, dass er ein Baum sei."
Die Autoritäten für diese Ansicht werden aus Gen. 2. (v. 21);
P$. 1. (v. 3) und Jes. 57. (v. 16), sowie aus der Astrol<^e ent-
nommen.
„Demnach scheint des Embryo Seele und Leben, die ja den
Pflanzen gleichen, unserem Leben nicht ähnlich zu sein. Und
in der That gleicht es dem unseren nicht, da in ihm nicht eine
eigene Seele vorhanden ist. Vom Embryo sagt man, dass er
vegetatives Leben führe., bevor Gott ihm eine Seele einhaucht.
Und doch auch in diesem Vorzustande unterscheidet sich seine
Weise von der der Baumwurzeln ^*). Denn durch die Nabel-
schnur zielt die Nahrung ab auf die Leber. Die Wurzeln
des Baumes sind dann nicht Pfortadem (venae partae), sondern
gewissermaassen die Haarfasern der Vielfüssler {p^lypodum capil-
lamenta); nach dem Mutterschoosse hin Zotten (acetabula) oder
Kotyledonen (xozvXi^öoveg)^ wie sie Hippokrates nennt. Von dort
aus fügen sich viele Gefässe in die zweite Haut ein (muUa inde
vascula in sectmdas sese inserunt) und laufen in ZVirei Doppelge-
fä.ssen (dupUcata vasa) zusammen^ welche durch die Nabel-
schnur des Fötus Eingang finden. Bei der Greburt v^erden
die Kindes - Bänder der Kotyledonen (acetabulorum) gelöst,
durch Abwaschung von der Besudelung der Nachgeburt {chorii)
gereinigt, gleich wie ein neuer umgepflanzter Baum. Da also
der Fötus im Mutterleibe weder der Einathmung noch der
Ausathmung sich erfreut, so hat er auch keine eigene Seele.
Denn wie will «ine Seele im Herzen sein, wenn das Herz weder
Ausdehnung (diastole) noch Zusammenziehung (#y«t»fe) haf ). Die
Klappen des Herzens (valmlae) oder jene Häutchen (membranae)
an den Mündungen der Gefässe werden nicht ^er geöffnet, als
31) D. h. dureh das jetzt Nabelvene genannte €tefil«8 emp&Bgt der Fdtns
den Blutsaaerstoff <,Jenen Lebensgeist"). P.
32) Der Vergleich mit den Baumwurzeln findet sich schon bei Galen.
(MO)
- 19 —
bis der Mensch geboren wird. Ein Leben«geist wird bis dahin
durchaus nicht im Herzen erzeugt, sondern nur von dem
allein kann die Rede sein, der von der Mutter eingegos-
sen wird. Auf welche Weise sollte denn da eine eigentbümlißbß
Seele zu Stande kommen ? Es giebt keinen eigenthümlicben Geist,
in dem sie gelegen sein könnte, bis der Mensch geboren wird.
Dann erst geschieht auf höchst kunßtvoUe Weise die Einhauchung
der göttlichen Seele und die Einführung des lufthaltigen (spiritalis)
Blutes.
„Da fragt sich nun, ob denn nicht, auch schon ^he die Seele
eingehaucht wird, im Fötus eine bewegende Kraft ist, welche das
Häutchen zerreisst? Ja warum denn nicht? Das junge Hühnchen
zerbricht ja die Schale, ehe es noch athmet. Verschiedene Pflan-
zen brechen durch ihre Bewegung Mauern und Felsen entzwei,
um sich einen Weg zu bahnen." — Auch ohne Seele ist eine Kraft
in dem Samen. „Ja die Kraft des Samens ist so gross, idass durch
sie in der Seele des Sohnes wiederstrahlen die väterlichen Sitte».
Und das ist nur dadurch möglich, dass die Seele etwas empfangt
vom Samen" (S. 260). Und zwar nicht vom väterlichen allein.
„Aristoteles freilich im 2. Buch „Von der Erzeugung der Thiere"
stellt in Abrede, dass der weibliche Same etwas beitrage zur Er-
zeugung. Aber den Aristoteles widerlegt mit vielen Gründen Ga-
len im 2. Buch von dem Samen. Denn auch dem Weibe eignjen
besondere Samengefässe, gerade wie dem Mann«: au^b siud sie
ebenso kunstvoll construirt; ja die Saraen-Species ist beim Mann
und beim Weibe ein und dieselbe. Aber auch darum muss der
weibliche Same zur Zeugung von Belang sein, weil durch den
blossen Erguss des männlichen Samens allein keine Zeugung geschieht.
Auch sieht ja der Fötus , nach Seele und Leib , der Mutter wie
dem Vater ähnlich, an Sitten, Temperament, Gestalt und anderen
eigenthümlichen Kennzeichen."
Nachdem er nun auch für diese Behauptungen, zur Erhärtung
ihrer Richtigkeit, den Beweis durch Bibelstellen geführt hat, bringt
der Verfasser der „Wiederherstellung des Christenthums" (S. 266)
das Ergebniss : „Unser Same ist Fleisch geworden und mit Fleisch
vermischt sowohl nach der Weise der Idee des Menschen (die
Gott vorschwebt) als auch in Gemässheit der Substanz der Ele-
mente: und die Kraft des idealen Lichtes ist darin vereint nach
Leib und nach Seele." Aber auch (S. 269) „des Mannes und des
Weibes Substanz wachsen zusammen zu dem Einen Fleisch des
Embryo"
#•19 2*
— 20 —
Es ist ein eigenthümlicher Mann, dieser Verfasser der „Wie-
derherstellung des Christenthums". Nichts Physiologisches kann
er beobachten oder behaupten, ohne seine Ergebnisse sofort aus
der Bibel zu legitimiren. Aber auch nichts Theologisches kann er
behaupten, ohne sich für seine Behauptungen nach einem soliden
Untergrund umzusehen in der Anatomie und Physiologie. So geht
es fort durch das ganze Buch. S. 411 — 469 redet er von der
Beschneidung des Herzens. Er knüpft an die Beschneidung der
Vorhaut bei den Juden an, und „die Beschneidung der Vorhaut",
sagt er, „bedeutete nicht bloss das Abschi^eiden der Begehrlich-
keit, sondern sie bewirkte es in der That, indem sie den Sta-
chel der Begehrlichkeit abstumpfte. Denn das Glied wird ge-
schwächt, indem es verwundet und seiner natürlichen Decke be-
raubt wird. Einleuchtend ist das für die, welche den natürlichen
Gebrauch und Nutzen jedes Theiles verstehen." Überall physio-
logische Phantasien im Dienste der Bibel. Selbst in den theolo-
gischen Briefen an den grossen Genfer Theologen, Johann Calvin,
deren 30 der „Wiederherstellung" einverleibt sind, weist er gern
auf seine physiologische Unterlage hin. So S. 586: „Im Samen
nicht nur der seelischen Wesen, sondern jeglichen Stammes wohnt
eine gewisse formende Kraft, welche fähig ist, das Ding auszuge-
stalten, von dessen Art der Same ist: und zwar hat der Same
nicht bloss die Kraft, die bestimmte gleichartige Species, sondern
auch ein bestimmtes gleichartiges Individuum wiederzuerzeugen."
Wer ist der Mann, der 1553 also schreibt?
(m
-^^
Zweites Capitel,
Mehael Servef s Vorgänger und Ifachfolger lii der
Entdeckung des Blutumlaufs.
Motto : Haec aänotavimus^ ne s^^eculaüoni relinquerem^is
sed ut experientia certa veritatem indagare pos-
semus, Servet: Ptolemaeus.
Der anonyme*) Verfasser jener Schrift von der Wiederher-
stellung des Ghristenthums, dem die Physiologie die Entdeckung
des Blutumlaufs verdankt, deutet seinen Namen amSchluss an
durch die Buchstaben M. S. V. Im Werke selber ist ein Theil
ein Zwiegespräch über die heilige Dreieinigkeit Da unterredet
sich ein Michael und ein Petrus. Und als MichaeFs Stimme er-
tönt, sagt Petrus: „Oh da ist er ja. Servet ist da, den ich
suchte. Wehe , wehe! Was sprichst Du so laut mit Dir selber ?"
An vielen anderen Stellen des Buches spielt der Michael's-Name
eine grosse, prophetisch-apokalyptische Rolle. Und im Gerichts-
verhör zu Genf, im Spätsommer 1553 hat Michael Servet ein-
gestehen müssen, dass eben er der Anonymus sei, welcher das
Buch von der „Wiederherstellung des Ghristenthums" verfasst hat.
Das V. endlich neben dem M. S. deutet an, dass Servet identisch
ist mit dem Michel de Villeneufve, unter welchem Namen
der berühmte Arzt sich gegen die Verfolgungen seiner theologi-
schen Widersacher in Frankreich zu verbergen und zu schützen
gesucht hatte. Diese Identität brachte ihm den Tod.
Um nun aber den grossen Entdecker physiologisch in das
rechte geschichtliche Licht zu stellen, fragen wir hier zunächst
nach seinen Vorgängern und Nachfolgern auf dem Gebiet der
Physiologie. Servet ist durch und durch Theologe. Aber das
Gebiet der Anatomie und Physiologie ist für ihn heiliges Land.
1) Maittaire, AnnaL typogr, T. V. P. IL p. 243 sagt irrig: Cet oiwrage
pamt saus le nom d§ Vauteur,
(tit)
— 22 -
Denn „das grösste aller Wunder, sagt er, ist diese Zusammen-
setzung des Menschen" (S. 176). Servet ist begeistert für des
menschlichen Leibes Vollkommenheit. „Denn", sagt er, „des Men-
schen Gebilde ist aller Ideale, Gestalten und Formen vollkom-
menste. Sie hat Gott selbst sich erwählt und den Seinen" (S. 220).
„Als Gott dem Erdkloss seinen eigenen Geist einhauchte", sagt
Servet, „da ist der Erde gegeben worden jene Form, die schon
vorher im Äther war, aller Formen schönste, welche auch von
allen anderen Formen der Wölt verehrt wird, und die Gott auch
ausgewählt für seinen eigenen Sohn" (S. 585). . . .
Bei alP seinen anatomischen und physiologischen Beobachtun-
gen geht Servet trotz seiner Selbständigkeit von zwei Voraus-
setzungen aus : die eine ist die , dass die Bibel immer Recht hat
und es bloss darauf ankommen kann, sie. richtig zu verstehen.
Denn „alle Philosophie und Weisheit suche ich", sagt Servet^),
„in der Bibel" '). Die andere Voraussetzung ist die : Der beste
Leiter in allen physiologischen Dingen ist Galen. „Denn", sagt
Servet, „die ganz erhabene Bestimmung des menschlichen Leibes
und seiner einzelnen Theile ist nachzulesen bei Galen in den Bü-
chern von den Theilen des menschlichen Körpers."
Servet ist Galenist. Das hat er nie geleugnet. Mit Galen
theilt er Freunde und Feinde. Von Galen entlehnt Servet die
ganze physiologische Nomenclatur. Ich will deshalb hier nicht
aburtheilen, ob man weiser thut, das Geheimniss des Lebens „gei-
stige Kräfte" oder „kräftige Geister" zu nennen ? Wenn man sich
über die Sache verständigt, so ist kein Grund, sich über Ausdrücke
ängstlich herumzustreiten. Servet hätte Jedem zugegeben*), dass
man das, was er als bestimmte Kräfte bezeichnet, ^(nämlich bald
als Hauch, Wind, Odem ; bald als Funke, Feuer, Licht), auch eben-
sogut allgemeiner fassen konnte, unter dem Ausdrucke „Kräfte
überhaupt" oder auch „eigenthümliche Kräfte", oder noch allge-
meiner „Ursachen". Den Ausdruck „seelische Hauche" oder „thie-
rische Geister" (ipiritus animaies) verdankt er ja dem seit Galen
allgemein gewordenen Sprachgebrauch. Und lag der Schwerpunct
des ganzen Problems in der Auffindung der eigenthümlichen Kraft
jedes eigenthümlichen Phänomens, in der bestimmten Localisation
2) De Trinitatis errorilms Fol. 781>.
3) Über Michael Servet's Stellung zur Bibel S. meinen Aufsatz in Hil-
gent'eld's Zeitschrift 1875, I.
4) De SyrupOTum ratione Fol. 27^ sagt öervet: €aeterum de vodbus non
anxie contendam, . . . Res vero ipsa ita habet,
(814)
— 28 —
jeder besonderen Lebensäusserong in jedem besonderen organischen
Element, so will ich wahrlich Haller's Verdienst nicht bestreiten;
aber Servet ist es, der auch auf dieses Princip hingewiesen hat,
wie aus dem Ende des I. Capitel hervorgeht und aus anderen Stellen
z. B. (S. 145 fg.): „Die Pflanzen und die Thiere, das ist alle
die Dinge, die da wachsen, könnten unmöglich aus so kleinen
Samen so specifisch (ita spedfice), d. h. zu einer so bestimmten
Species und Grösse und äusseren Form sich herausbilden, wenn
in ihnen nicht präexistirte ein gewisses göttliches ideales form-
gebendes Grundprincip. Vereinigen, sagt Servet, muss sich immer
in einem Object die ihm eigenthümHch innewohnende Kraft mit
einer von aussen hinzukommenden Kraft (S. 252)^). Durch Be-
rührung des Gleichartigen oder durch Zusammenfu&len geschieht
erst die Handlung, durch Widerstand des Ungleichartigen das Lei-
den*). In den eigenthümlichen Ideen (S. 216. 138 u. s.) sind aber
nicht bloss der Dinge Musterbilder, sondern auch die wesentlichen
Gestalten selbst vorhanden, da in dieser idealen Bestimmung der
Dinge (in idei») der Grund sdbst liegt für ihren Nutzen und Be-
stand, und eine natürliche Verwandtschaft stattfindet zwischen den
wirklichen Dingen und ihrer wesOTÜichen Grundform (S. 145).
„Die Grundform ist es, welche drai Dinge das Wesen giebt" (forma
est, quae dat etie rei S. 77). Alles was in der W^elt ist, ist daher
auch fassbar unter irgend einer Gestalt^). So nennen wir die
Luft, die wir wahrnehmen, unsichtbar nur weil sie feiner ist, als
die Schärfe unseres Gesichts ((fma ade nostri vi$m tenuior). Die
himmlischen Geschöpfe nennen wir für uns unsichtbar unter der
Gestalt der Geister ; an sich selber aber sind sie wirklich sichtbar^^
(vero tarnen in se vieibiles Su 583).
Aus den beigebrachten Stellen erhellt dreierlei: 1) dass dem
Servet die Annahme von die Dinge constituirenden eigenthümlichen
Kräften nicht fern lag; 2) dass Servet sich unter Galen's „thieri-
schen Geistern^', ähnlich wie sdn Nachfolger Descartes^), Körper
denkt, die eine formgebende Kraft haben; 3) dass Servet dem
Galen nicht folgt, um ihm nachzuspredien, sondern um sich mit
5) Unio quaedam est tarn in corpora^bus quam in spiritualibus. Uniri
semper oportet subjecto insitam et supervenientem virtuteniy ut unum quid inde
prodeat (Restitutio).
6) Per contactum fit actio et pasno a conPrariis (Syrup, rat Fol. 18<^).
7) Quidquid est in mundo ^ est specie aliqua perceptibile (Restitutio).
8) £. Saisset: Mälanges d'histoire etc. Paris 1859. S. 117—227.— Flourens
165. 153—176.
(816)
— 24 —
seinen Zeitgenossen über das Neue, das er gefunden, besser zu
verständigen.
Was ist nun dieses thatsächlich Neue, was Galen nicht kannte ?
Und mit welchem Recht darf man Michael Servet als den Ent-
decker des Blutumlaufs bezeichnen? Dass Servet der ist, welcher
Harvey zu seinen Forschungen erst angeregt und ihm die rich-
tigen Wege gewiesen hat, erscheint dem grossen Philosophen G. W.
Leibnitz schon ausgemacht^). IndessKurt SprengeP^ nach-
dem er den Zergliederern des 16. Jahrhunderts, und vorzüglich
dem unsterblichen Faloppia, seinen Dank abgestattet, erklärt:
„Die grösste und fruchtbarste Entdeckung aber, die in der Ana-
tomie gemacht werden konnte, die Entdeckung des Kreislaufs des
Bluts, war noch nicht gemacht. Sie war Harvey aufbehalten.^^
Und zweifelsohne ist es ricÜtig, dass man dem die Entdeckung
des Blutumlaufs nicht zuschreiben kann, der noch gamicht wusste
dass das, was den Umlauf hält, eben Blut ist. Eben aus diesem
Grunde bestreitet Graesse**) die Ehre der Entdeckung nicht
dem Servet allein, sondern gleich ihm dem Leonardo da Vinci,
Gaesalpinus und Matthaeus Realdus Columbus. Sie alle
hätten „die Hauptsache übergangen, nämlich das Erfülltsein der
Arterien mit Blut und den Übergang dieses Blutes aus den Enden
der Arterien in die Anfänge der Venen. Glaubten sie doch alle,
die Arterien seien mit Spiritus mtalis gefüllt." Dem widerspricht,
die Urkunde in der Hand, P. Flourens. Er zeigt, dass Servet
der Entdecker ist. Aber nach Flourens hat diese erste Entdeckung
nichts genützt, da sie all seinen Nachfolgern unbekannt geblieben
wäre. Flourens' Gedankengang ist folgender:
Servet, Leonardo da Vinci, Cäsalpin, Colombo, sie alle sind
Galenisten. Auf Galen's Meinung kommt es daher vornehmlich
an. Und da dürfen wir uns nicht verwirren lassen durch Galen's
eigene Unsicherheit. Es ist wahr, dass Galen bald annimmt, die
thierischen Geister oder seelischen Hauche werden bereitet im
netzförmigen Geflecht des Gehirns; bald wieder, dass sie abge-
sondert werden in den vorderen, dann in den mittleren, bald in
den hinteren Kammern des Gehirns. Bald lässt er sie bereitet
9) Dem Michael Servet schreibt Leibnitz die epochemftchende Entdeckung
zu (im IHscowrs de la conformite de la foy avec la raison § XI S. 17 und lAt-
terae Leibn. ad Moshemium 1717, 24. September).
10) III, S. 176.
11) Literärgeschichte III. 1025. . > . .
im)
— 25 —
werden aus den Lebensgeistern, bald aas der eingeathmeten Luft,
bald aus dem Blut.
Aber zweierlei kann bei Galen nicht bestritten werden: und
gerade das nicht, wodurch er die beiden ersten Schritte thut zur
Entdeckung des Blutumlaufs.
Noch der berühmte Zergliederer lebendiger Delinquenten,
Erasistratus vonCea, theilte in Bezug auf den Blutumlauf die
drei Irrthümer des Alterthums 1) dass die Arterien nur Luft ent-
halten ; 2) dass die Scheidewand zwischen den beiden Herzkammern
durchlöchert ist; 3) dass die Venen das Blut den Theilen zufüh-
ren, statt es von den Theilen zurückzuführen.
Anders Oalen.
„Sobald man eine Arterie öfihet'^ sagt er, „strömt Blut her-
aus: Also entweder — oder: Entweder es war darin enthalten,
oder es ist von anderwärts hineingekommen. Kommt es aber von
anderwärts hinein und enthält die Arterie nichts als Luft, so
müsste die Luft ausströmen vor dem Blut. Das geschieht aber
nicht: Blut strömt heraus und nicht Luft: also enthalten die Arte-
rien nichts als Blut" (Fl. S. 15). Ich übergehe seinen anderen
Experimentalbeweis durch Unterbindung der Arterie mit zwei Li-
gaturen und Öffnung des Zwischenstücks (Fl. S. 16).
Galen machte noch einen zweiten Fortschritt. Er unterschei-
det das „geistartige" Blut in den Arterien und in der linken Herz-
kammer von dem „eigentlichen" Blut, dem Blut der Venen und
der rechten Herzkammer. Damit ermöglicht er den weiteren
Schritt von der Unterscheidung des rothen und des schwarzen
Uluts, des arteriellen und venösen Bluts zu der Unterscheidung
des Bluts, das geathmet hat, von dem Blut , das noch nicht ge-
athmet hat (Fl. S. 19).
Allein diesen neuen Schritt thut er nidit. Bildet er sich doch
ein, gesehen zu haben, dass die Scheidewand zwischen beiden
Herzkammern durchlöchert ist, und dass das geistige Blut die
feineren und zarteren Organe speist, wie die Lunge: das venöse
Blut die dichten und groben Organe, wie die Leber. Der Geist
oder Lebensodem ist für Galen eine gewisse Ausathmung des fein-
sten Blutes {exhalatio sanguinis benigni). Er bildet sich in der
linken Herzkammer. Da nun aber auch das venöse Blut, \\m zur
Ernährung dienen zu können, in gewissem Maasse des Geistes oder
Lebensodems bedarf, so muss die Herzkammer des Geistes mit
der Herzkammer des Blutqs in Verbindung stehen , und das ge-
schieht durch die vorausgesetzten Löcher ihrer Scheidewand (FL S. 20).
(817)
— 26 —
Wer thnt den neuen Schritt? Nicht Mondini, Le Vasseur,
Bßrenger de Carpi, sondern Vesal, antwortet Flourens, der grosse
Vesat, der Vater der modernen Anatomie. Vesal allein wagt es
zu sagen, dass jene Löcher in der Scheidewand der Herzkammer
nicht existiren (S. 21 sq.). Nur noch ein Schritt, und der Blut-
Umlauf der Lunge war entdeckt. Diesen vierten Schritt verdanken
wir Servet" (S. 23).
FloHrens geht hier zu schnell. Er liest Vesal's berühmte
Stelle: „Nicht gering dürfen die Forscher achten die Scheidewand
oder Schranke ($eptum) zwischen den Herzkammern, insbesondere
der linken Herzkammer rechte Seite (sinistri ventriculi dexinum
latu8\ welche geradeso fest, compact und dicht ist (aeque crassum^
campactumque ac äensum est) als der übrige Theil des Herzens,
der die linke Herzkammer einnimmt; so dass ich nicht verstehen
kann {ignwem\ wie durch die Substanz jener Scheidewand aus
der rediten Kammer in die linke auch nur das geringste Blut-
theilchen uufgenommen werden kann (ex dextro ventriculo in Hni-
strum rel ndnimum quid sanguinis assumi possity. Die Stelle ist
schön, klar und entschieden. Aber wo hat sie Flourens gefunden ?
In dem Vesal vor Servet's Restitutio (15ö3) oder in dem Vesal
nach Servet's Restitutio? Flourens fand sie in der Gesammt- Aus-
gabe von Vesal's Werken, die Albin *^) 1725 zu Leiden heraus-'
gegeben hat (Opera omma anatomicd). Hätte er der Mühe sich
unterzogen, die früheren Ausgaben nachzuschlagen, Flouiens würde
sich überzeugt haben, dass de humani corporis faMca L. VH
Basil. 1543 L. VL cap, XV. 8.599 bei Vesal die Stelle fehlt, d.h.
dass sie so lange fehlt, als der Druck der Restitutio. Erst, nach-
dem Servet 1553 dem Galen in's Angesicht behauptet hat: Demum
paries ille medius, cum sit vasorum et facultatum expers, non est
aptus ad communicationem et elaborationem illam (cf. Flourens 268) :
da erst in der Baseler Ausgabe vom Augustmonat 1555, Lib.
VI. cap. XV. S. 747 hat auch Vesal den Muth, dem Galen zu
trotzen. Und nach seinem Tode (f Oct. 1564) wird aus der Ed.
von 1555 die berühmte Stelle wieder aufgenommen in die Vene-
diger Ausgabe von 1568 S. 463 (Lib. VL cap. XV). Zum Denk-
mal aber, wie Vesal dachte, so lange er, auf sich angewiesen, und
des Spanischen Freundes Anleitung entbehrte, ist noch in seiner
letzten Au^abe (Leiden 1725), dicht vor der charakteristischen
12) Über die berühmte Mediciner-FaiUilieS. Mittheilungen des Hist. Statist.
Vereins 2U Frankfürt a. d. O. 1873. H. IX S. 14 ff.
(818)
— 27 —
Stelle ^^), stehen geblieben VesaFs Änsserang, dass das Blut zum
grössten Theile {maxima portione) durch die Poren der Herz-
kammerschranke {per ventvicuiorum cordis »epU porös) in die linke
Kammer durchschwitzt (desudare). Die erkannte Wahrheit Ter*
schweigen y um nur ja in der Nomenclatur sich „d^ Dogmen
Galen's zu accommodiren^^ (S. 519), das wäre, nach Servet's An-
griff auf Galen, wenn nicht eine Feigheit, so doch immer ein
Zeichen, dass Vesal seines grossen Freundes Anweisung nicht ganz
verstanden hat, wie er denn auch in dem wichtigsten ^Schritt gegen
Galen, in der Entdeckung des Blutumlaufs, seinem Pariser Studien-
Cameraden zu folgen unterlässt **).
Die Entdeckung, dass das Blut durch die mittlere Herzwand
nicht hindurch kann, weil sie nicht Löcher hat, wie Galen glaubte,
diese Entdeckung gebührt nicht Vesal, sondern Servet
Aber hat er nun, von diesem dritten Schritt aas, den wichtig-
sten gethan, dea Schritt, mit welchem die Epoche der modernen
Physiologie beginnt, zu zeigen, wie denn das Blut strömt, da es
von der einen Herzkammer durchaus nicht hindurch kann in die
andere wegen der undurchdringlichen Zwischenwand? Hat er den
Blutumlauf durch die Lungen entdeckt? Wer jemals die bekannte
Stelle in der Restitutio vollständig gelesen hat, der kann nicht
sagen : Servet hat den Blut-Umlauf nicht entdeckt, denn er wusste
nicht, dass in den Arterien Blut sei. Dass in den Arterien Blut
sei, 'bezeugt schon Galen. Und Servet kennt seinen Galen gründ-
lich, auch im Griechischen Original. Aber noch mehr, mit sokher
Macht betont Servet, dass dieses sich vermittelst der Lungen aus
der einen Herzkammer in die andere Ergtessende eben Blut sei,
dass Flourens, welcher den Theologen Servet und seine Eigenart
nicht kennt, vermuthet, darauf laufe Servet's ganze Absiebt hinaus,
durch den Kreislauf einen Gommentar zu liefern zu dem Bibel-
spruch: Des Menschen Seele ist im Blut
Doch überlassen wir die Würdigung der grössten physiologi-
schen Entdeckung dem Physiologen von Fach.
Flourens sagt : „Galen wusste auch , dass das Blut von der
rechten Herzkammer durch die Lungen - Arterie in die Lungen
dringt. Auch Vesal wusste es. Aber das war nur die Hälfte
13) Die Stelle selbst folgt S. 519.
14) Mir haben die obigen vier Ausgaben des Vesal vorgelegen. Ich finde
die fragliche Stelle nur in den drei letzten von 1555, von 1564 und 1725; in
der ersten von 1543 fehlt sie. Sowohl Vesal als Servet waren Prosectoren
des Günther von Andernach (S. unten). P.
— M —
der Idee, die Hälfte der Thatsache. Die voUständige Idee, die
ganze Idee, welche uns den Umlauf durch die Lungen gegeben
hat, ist die gewesen, dass man verstand, wie das Blut von der
Lungen- Arterie in die Lungen- Vene '*) geht; dass das Blut, wel-
ches aus der rechten Herzkammer kommt, vermittelst der Lungen-
Arterie, zurückströmt zur linken Herzkammer durch die Lungen-
Vene'^); dass das Blut, das vom Herzen ausgeht, zum Herzen
zurückkehrt; dass es demgemäss einen Rundgang giebt, einen
Kreislauf; und diese Idee, diese grosse Idee, diese neue Idee des
Kreislaufs, Servet ist der erste Mensch, der sie gehabt hat"
(S. 24 fg.).
„Alle die Gründe, die Servet dafür vorbringt, sind voller
Scharfsinn, Feinheit und Gründlichkeit: Die Verbindung, die Ver-
einigung der Lungen-Arterie mit der Lungen- Vene in der Lunge
durch unendliche Verzweigungen ; das Galiber der Lungen- Arterie,
welche viel zu gross sein würde, wenn die Arterie zu nichts An-
derem dienen sollte, als zur Ernährung der Lunge ; die Ernährung
dieses Organs, die in dem Embryo geschieht ohne Hülfe des Bluts
der Lungen- Arterie, welche in der That dann nicht das Blut auf-
nimmt: alles das bildet ein Ganzes von entscheidenden, ausge-
zeichneten Gründen, welche eben die Gründe sind, die wir heute
bringen und welche die wahren sind" (S. 26 fg.).
„Beachten wir noch den Farben Wechsel des Bluts, der sich
nicht im Herzen vollzieht, sondern in der Lunge, und der der
Einwirkung der Luft entstammt. Wir wissen heute, dass es nicht
die ganze Luft ist, dass es nur der Sauerstoff der Luft ist, welcher
diese Veränderung hervorbringt. Aber davon abgesehen, von der
Luft- Analyse abgesehen, der Servet nicht vorauslaufen konnte,
wie richtig war doch diese Ideel Servet hat nicht nur entdeckt
den wirklichen Weg des Blutes aus einer Herzkammer in die an-
dere durch die Lunge hindurch; er hat auch entdeckt den wirk-
lichen Ort der Arterialisation des Blutes, der Umwandlung des
Blutes, der Veränderung des Blutes aus schwarzem in rothes"
(S. 27 fg.).
Servet, nicht Harvey, ist der Entdecker des Blut-
umlaufs durch die Lunge. Das leidet keinen Zweifel.
Aber wie ist Servet zu dieser Entdeckung gekommen? Da-
rauf giebt Flourens eine doppelte Antwort, eine negative und eine
15) & 16) Flourens spricht im Anschluss an die früheren Anatomen von
einer Lungenvene statt von vier. P.
(380)
^
— 29 —
positive. Die negative lautet: „Nicht durch Nemesius von Emesa
(S. 149 fg.). Nemesius sagt kein Wort vom Kreislauf durch die
Lungen, den Servet so sauber dargelegt hat. Er spricht vom Puls,
von der thierischen Wärme, vom Lebensgeist, er spricht von dem
allen wie Galen. Er folgt ihm überall." So Flourens. Ich kenne
von dem Bischof von Emesa nur die Stelle, die Flourens in der
Anmerkung bringt. Sie ist allerdings eine hübsche Zusammen-
fassung der aus Galen bekannten Resultate. Von dem Kreislauf
enthält sie nichts. Bringt das Buch De natura hominis oder der
Tractatiis de conjunctione animae et corporis nichts von grösserer
Wichtigkeit, als die angezogene Stelle, so ist Nemesius in der
Physiologie überhaupt kein Entdecker gewesen, geschweige ein so
epochemachender.
Betreffs des Bischofs, den ich nicht studirt, stimme ich Flou-
rens auf Treu und Glauben bei. Nicht so betreffs des Spanischen
Arztes, dessen sämmtliche Werke ich studirt habe.
Flourens führt als positiven Grund, wie Servrf, „sonst ein
so confuser Kopf (S. 153), in einem „so absurden Buche" wie
die Restitutio (S. 149), wie der „arme Servet", der „nur" in jenen
wenigen lichtvollen Zeilen „Genie" zeigt (S. 159), kurz ehe er ver*
brannt wurde, eine „so schöne Entdeckung^^ hat machen können,
nichts an als „Servet's einseitige theologische Verbohrtheit in den
buchstäblichen Sinn" *^). „Weil", sagt Flourens, „die Seele, nach
dem Buchstaben der Bibel, im Blute ist und die Seele selber Blut
ist, so muss man, um zu wissen, wie. die Seele sich bildet, zuvor
wissen, wie sich bildet das Blut ; um zu wissen, wie das Bhit sich
bildet, muss man wissen, wie es sich bewegt ? und so wird er, bei
Gelegenheit der Wiederherstellung des Christenthums geführt auf
die Bildung der Seele, von der Bildung der Seele auf die Bildung
des Bluts, von der Bildung des Bluts auf den Blutumlauf durch
die Lungen" (S. 156).
Bei dieser geistvollen Auseinandersetzung, wie der confuse
Servet zu seiner nichts weniger als confusen Entdeckung kam,
ist nur eins Schade, das nämlich, dass diese Auseinanderset;?ung
eine Hypothese ist, eine Hypothese, die zu einem falschen Sehluss-
resuUat kommt, weil sie aus lauter falschen Einzelschlüssen besteht
Servet ein confuser Kopf? Ja wohl, so sagte Melanchthon.
Und als er das gesagt, studirte er Servet (Servetum multum lego).
17) ... 0» s*aper^oit Men vite du parti quHl a pHs eii thMogiey da s^at-
tacher uniquement et ohstinäment au setis littäral (S. 155 fg.).
(»1)
— 30 —
Und als er ihn stndirt hatte, war der Magister Germaniae von
Grund aus ein anderer geworden'®). Servet ein confuser Kopf,
da» haben alle gesagt, die ihn entweder garnicht gelesen, oder
nur hier oder da einmal durchblättert haben. Servet ist nicht
gemacht zum Durchblättern. Er ist ein Mann aus Einem Guss.
Wer auch nur eins seiner Werke gründlich studirt hat, etwa seinen
„Ptolemaeus" '•), der muss einem seiner neuesten Gegner beistim-
men, dass an geistiger Begabung und Verstandesschärfe Michael
Servet den grössten Geistern seines grossen Jahrhunderts zwei-
felsohne ebenbürtig ist**).
Die BesHiuHo ein absurdes Buch? Es giebt Mediciner die
jedes theologische Bueh absurd nennen, weil ihnen die gesammte
Theologie absurd erscheint. Indess für ein theologisches Buch müssen
wir durchaus einen theologischen Maassstab anlegen. Und von
der Reaiiiutio müssen selbst Servet's entschiedenste theologische
Gegner, soweit sie das Buch gelesen, eingestehen, 1) dass es keine
theologische Lehre giebt, welche in diesem Buche nicht erörtert
wäre; 2) dass sie allesammt Ein geschlossenes System bilden, ge-
tragen von Einem Geist; 3) dass er die ganze Welt des Wissens-
werthen in den Dienst der Bibel stellt; 4) dass «s ihm bei sei-
nem Arbeiten und Beten immer aufrichtig zu thun ist, um Wie-
derherstellung des wahren Ghristenthums ; 5) dass selbst wo er
irrt, allewege „sein Wahnsinn Methode hat*^
Nur in jenen wenigen Zeilen zeigt der arme Servet Genie?
Wir möchten sagen, er beweist Genie überall, wo er auftritt Als
neunzehnjähriger JüngUng schreibt er ein Buch, das die Schweiz,
SüddeutseUand, Frankreich, Italien aufregt, die ganze christliche
Welt in Bewegung bringt; nicht wegen seiner Angriffe — man war
ivg^te von Leo X. und seinem Hof gewohnt — sondern weil es
auf den wundesten Punct der ganzen Reformbewegung hinweist.
Und alle sehen's. Aber Niemand, sage nicht einer, Katholik, Lu-
theraner, Beformirter wagt es, Servet's 7 „Bücher von den Irrun-
gen in der SehuUehre von de^ Dreieinigkeit^' durch eine gedruckte
Gegenschrift zu widerlegen. Servet wird Corrector in eifier Buch-
druckerei (Trechsel), und wo der Corrector hinzieht, da zieht ihm
der Drucker nadi. Servet wird Geograph, und er wird der Grün-
der einer ganz neuen Methode, die Lebensfolut der dürren altem-
18) Näheres in meiner Schrift : Melanchthon und Servet. Berlin bei Meck-
lenburg 1876.
It) Vgl Kon^r, Zeitschrift f. Erilkunde. Berlin 1875 X. 182—222.
20) S. Stäheln: Jobann GaMn I. 428.
(IM)
f
— 31 -
den Wissenschaft in die Adern giesst: Er wird der Stifter der
vergleichenden Geographie. Servet wird Schüler eines Arztes
(Champier), und das Jahr darauf begiebt sich sein Lehrer, eine
ärztliche Gelebrität, in des jungen Fremdlings Schutz, und ftthlt
sich überglücklich, des Michael Villanovanus Apologia pro
Symphoriano Campegio selber herausgeben zu können. Servet wird
Mathematiker, und der Primas von Frankreich sitzt zu seinen Füssen
(Palmier). Seilet wird Astrologe, und nach seiner vierten Vor-
lesung ist halb Paris gegen ihn in Aufruhr, und zwei Facultäten
verklagen ihn, zugleich mit der Inquisition. Doch was soll ich
hier sein aussermedicinisches Leben beschreiben? Jeder Medi-
einer wird mir von vornherein zugeben, dass der Entdecker des
Blutumlaufs so eclatante Erfolge nicht einem Hocuapocus danken
kann, noch einer blossen Charlatanerie, sondern eben nur seiner
wirklich ganz eminenten geistigen Begabung.
„Die Verbohrtheit in den buchstäblichen Sinn'^ nehmen wir
keinem Mediciner übel. Es ist das ein Vorwurf der nicht trifft*
Allegorie ist für einen wissenschaftlichen Interpreten der Bancrott
Es giebt bei allen Schriften, denen es nicht um Dichtu^ m thun
ist, sondern um Wahrheit, nur Einen Sinn, das ist der buchstäb-
liche. Und dieser buchstäbliche Sinn muss gefunden werden nach
den Kegeln der Grammatik und nach dem geschichtliehen Zusaifi-
menhang. Das steht für die gesunde Hermeneutik tßst Der
Theologie den historisch-grammatisch-kritischen, deB buchstäblichen
Sinn rauben wollen, hiesse, sie aus der Zahl der Wissenschaften
verbannen. Nicht das macht der wissenschaftlidie Theologe dem
Servet zum Vorwurf, dass er bei seiner Bibebuslegung den buchr
stäblichen Sinn zu sehr betont, sondern dass er es zu wenig that
in der Restitutioy während er es doch zu thun verstand in den 7
Büchern „Von der Dreieinigkeit".
Und wo in aller Welt hat Flourens bei Servet solche AuSr
Sprüche gefunden, wie den: „Um zu wissen, wie das.Bluit sich bil-
det, muss man wissen, wie es sich bewegt'^? Oder wo hat ihm
Servet gesagt, dass er nichts will, als einen gelehrten Gommenttr
liefern zu drei alttestamentlichen Spiücben Gev. 9, 4 und 6, LepiL
17, 11 und Dmi. 12, 23. Diese drei SprMue spieieo inei der
Wiederherstellung des Ghristenthums eine ka^m aoch seeundäM
Rolle.
Nein, worauf es dem Servet ankommt 1553 gerade «de l&SQ»
31, 37 und durch sein ganzes Leben, das ist biblische Revision,
volle, schonungslose, allseitige Revisioadar Grun4^ ujad S)em^Lehre
(SS8)
— 32 —
des kirchlichen Ghristenthams , der Lehre von der Dreieinigkeit.
Nach keiner Seite hin nun greift die Dreieinigkeit so tief in den
Menschen ein als nach der Seite vom heiligen Geist. In gewissem
Sinne ist des heiligen Geistes Person eben der Mensch. Wiefern
nun dies geistleibliche Wesen qualificirt ist, Person des heiligen
Geistes, und so gewissermaassen Werkzeug, Organ, Glied der
Gottheit zu werden**)? darauf kommt es dem Spanier an. Um
des heiligen Geistes willen studirt er dessen Werkstatt, den Men-
schengeist Um die von Gott gewollte und gebaute Wohnung als
ein von ürbeginn wohlgeeignetes Kunstwerk für die Wirksamkeit
des Gottesgeistes, als eine in all' ihren Kammern und Gängen
weise eingerichtete und sorgfältig verwahrte zu beschreiben, er-
scheint er vor uns als Anatom, oder wie man zu seiner Zeit so
schön sagte, hUtariae humanae interpreg, und hält uns eine Vor-
lesung über das Thema: tota animae ratio. So verlockend es da-
her auch sein mag, mit Flourens zu sagen : „Servet will beweisen,
dass die Bibel Becht hat, die Seele sei im Blut, und darum ent-
deckt er den Blutumlauf S so dürfen wir es nicht sagen, weil es
nicht wahr ist.
Servet hat den Blutumlauf nur entdeckt, weil er nirgend hin-
treten kann^ ohne zu entdecken; weil es ihm gleich gilt, ob er
eines Beichtvaters Page, eines Buchdruckers Corrector, eines Erz-
bischofs Leibarzt oder eines Reformators eingekerkerter Bibel-
gegner ist Nur will er das, was er ist, ganz sein; und darum
übt er Auge, Hand, Scharfsinn auch als Anatom. Und tritt aus
fast jedem neuen Gebiet, wenn auch leidend manchmal und schliess-
lich sterbend, als Sieger hervor. Wem das nicht genügt, um
Servers Entdeckung zu erklären, der frage bei den Entdeckern an,
wie sie es machen, genial zu sein?
Michael Servet, der Entdecker des Blutumlaufs hat keine
Vorgänger gehabt Keiner hat auf ihn Einfluss geübt (Flourens
150), auch nicht Vesal. Hat er nun aber auch seinerseits auf
Niemand Einfluss geübt? Ist seine Entdeckung, bis sie Harvey
überboten, unbekannt geblieben, eine nicht berührte Oase in der
Wüste? Flourens behauptet das (S. 149).
Flourens' Grundirrthum in dieser Frage ist, dass Servet's
Restitutio fost ebenso schnell verbrannt worden sei, wie gedruckt
brülS presque aussitdt qu' imprimi (S. 149). Dem ist nicht so.
Und selbst wenn!
21) Schon De TrinUatU erroHbus FoL 28l> (1531).
(8M)
— 33 —
Servet's Restiiutio chrisiianismi ist in derselben Beihenfolge
entstanden, wie sie vor uns liegt. Da folgen zuerst die fünf Bü-
cher von der Dreieinigkeit, dann die beiden Zwiegespräche , nun
die vom Glauben und von der Gerechtigkeit, jetzt von der Wieder-
geburt und darauf erst die 30 Briefe an Calvin. Als Servet An-
fang 1546 mit den Genfer Predigern corfespondirte, hatte er dem
Calvin schon handschriftlich seine Restitutio zugeschickt**): eine
Handschrift, die Calvin später brauchte um den anonymen Spanier
in Vienne zu verrathen. Nach den Briefen an Calvin ordnet Ser-
vet die Wahrzeichen des antichristlichen Beichs, zuletzt die Apo-
logie an Melanchthon. Auch dem Melanchthon sandte er, vor
dem Druck der Apologie, die Restitutio zu, soweit sie fertig war **).
Servet hat bei seinen Lebzeiten viele hohe Freunde gehabt, und
gelehrte Gönner. Unter anderen wissen wir, dass er 1551 fleissig
correspondirt mit dem Arzte Jean de la Vau zu Poitiers. Ein
Mediciner, der 1555 für Servet öffentlich eine Lanze bricht, ist Dr.
J6rome Bolsec**). Ein dritter ist der Leibarzt der Königinnen
von Polen und Ungarn, Giorgio Biandrata (1558 flf.)**). Sollte
der scharfsinnige Spanier nur seinen erklärten Feinden das
Vertrauen der handschriftlichen Übersendung seiner Restitutio
zu ihrer Begutachtung erwiesen, seine Freunde aber ängstlich
umgangen haben ? Das Wahrscheinliche bleibt doch dies, dass er
auch seinen Freunden Abschriften mittheilte. Eine solche Ab-
schrift habe ich in Paris gesehen {Bibliotheque La Valliere 162,
Catalog 912). Sie ist nicht nach dem Druck gemacht, sondern
nach einer späteren Handschrift. Doch ist du Fay's Vermuthung
irrig, dies Eigenthum des Cael. Hör. Cur. rühre von Servet's eige-
ner Hand her. Caelius Horatius Curio, Servet's Zeitgenosse,
der Besitzer {hujm libri possessor steht auf dem alten Deckel
in vergilbtem Papier) ist auch der Abschreiber gewesen. Sein
Vater, der berühmte Caelius Secundus Curio*®) war zu Padua,
wo er studirt hatte, ebenso bekannt wie zu Basel, wo er starb
(1569). Sollte sein Sohn, Horatius Curio, der JBaseler Buchhänd-
ler, es sich nicht haben angelegen sein lassen, wie er Servet's
Restitutio abschrieb, so auch sie weiter zu verbreiten ? Und sollten
22) Servet's Brief an Abel Poupin, z. B. bei Mosheim. A. V. 415.
23) S. meine Schrift: Melanchthon und Servet. Berlin, bei Mecklenburg
1876. 150.
24) Trechsel I. 263, 2.
25) Trechsel U. 53. 303 ff.
26) 27. August 1553 in Opp. Calvini ed, Amstd. IX. 71».
(886) 3
— 34 —
nicht dasselbe gethan haben de la Vau und Biandrata und wem
er sonst etwa seine Handschriften mitgetheilt hat? Gesetzt also
den Fall, dass Flourens Recht hätte, Servers Restitutio wäre eben
so schnell verbrannt, wie gedruckt, so konnte sie doch, selbst in
Padua, verbreitet genug sein, um für alle späteren Entdecker
des Blutumlaufs, der ja schon im ersten Theil der Restitutio
(also 1546) beschrieben war, dort als Same zu dienen.
Allein wir brauchen auf Hypothesen nicht zu recurriren : Ser-
vers Restitutio ist am S.Januar 1553 im Druck vollendet worden.
Hingerichtet wurde Servet in Genf erst den 27. October 1553.
Nur zwei Exemplare seiner Restitutio wurden in Genf mitver-
brannt: ein handschriftliches und ein gedrucktes*^). Erst am 23.
December 1553 wurden durch Vienner Gerichtsurtheil diejenigen
Exemplare der Restitutio verbrannt, deren man jetzt, elf Monate
nach der Vollendung des Drucks, in Vienne noch habhaft werden
konnte. Durch den erschreckten Buchdruckerburschen Thomas
de Straten^ der das Feuer schon auf den Nägeln brennen fühlte,
war dem Vienner Gericht verrathen worden, dass die Restitutio
zu Vienne von Michaelis 1552 bis 3. Januar 1553 gedruckt, am
13. Januar 1553 aber 5 Ballen als „weiss Papier" zur Aufbewah-
rung an Pierre Merrin in Lyon geschickt worden seien. Dort fand
man diese 5 Ballen vor, und sie sind es, die in Vienne verbrannt
wurden. Anderer Exemplare konnte man nicht habhaft werden ***).
Ohne jeden Zweifel hat Servet nicht alle Exemplare an den Schrift-
giesser Merrin geschickt. Man druckt nicht Bücher auf eigene
Kosten, um sie als weiss Papier in irgend einem Winkel lagern
zu lassen. Servet selber gesteht in Genf, 17. August 1553, dass
sein Drucker etwas von der Restitutio nach Frankfurt a. M. gesandt
hat zur Ostermesse ; und dass tausend Exemplare gedruckt worden
seien. Es ist undenkbar, bei den reichen internationalen Beziehun-
gen des Spaniers, dass auf der Messe nicht ein Exemplar ver-
kauft wordea sei. Freilich schreibt Calvin — der Brief ist wohl
vom selben Tage^^) — sofort an den Prediger der Frankfurter
Kirche, wegen Verbrennung des Werkes {Uifrarius nisi fallor exuari
patietur). Und in der Historia de morie ttuoulenia Setveti (1554),
deren Verf. dem Servet befreundet ist, wird geradezu berichtet,
Thomas, der Diener des berühmten Buchdruckers Robert Stepha-
27) Henry: Calvin lU. S. 200.
28) Artigny: Mimoires IL 115 sq.
29) Vgl. Trechiel I. Na. 3 S. 263 al.
(8»)
— Bo-
nus, sei nach Frankfurt geschickt worden, und habe die dort 2ur
Messe feilgehaltenen Bücher Servet's verbrannt, damit sie nicht
verbreitet w&rden (combu8§isse ^ ne distraherentwt). Allein sicher
waren Frankfurt a. M. und Lyon nicht die einzigen Städte, wohin
Servet seine Restitutio senden liess. Er hatte zahlreiche Freunde
in Basel, Bern, Strassburg, Hagenau, Augsburg, Ulm, Speier, Er-
furt. In Genf selber hat schon am 26. Februar 1553 Guillaume
de Trie ein vollständig gedrucktes Exemplar in Händen. Und
sollte Servet nach Venedig und Padua keines geschickt haben?
da doch Calvin es für nöthig hielt, ihn ausdrücklich fragen zu
lassen , sHl ria pas ete ä Venise et ä Padoue (gu. 37 des 28.
August 1553).
Nun würden wir uns ja dabei beruhigen können, dass der
Beweis erbracht ist, Servet's Werk ist hier ein halb Jahr, dort
elf Monat später verbrannt worden, als es im Druck vollendet
wurde; wenn nicht von Flaurens ein weiterer Umstand übersehen
wäre, der wichtige Schlaglichter auf die ganze Reihe der Ent-
decker wirft.
Der erste Zeitgenosse, den wir sich Servet's Restitutio song*
fältig abschreiben sahen, war ein Italiener, aus Turinischem Adel^
in Padua wohl bekannt, Horacio Caelip Gurione. Der erste
Arzt, den wir Servet's Lehre öffentlich vertreten hören, ist ein
Italiener, der sich in der Gegend von Padua und Pavia Umger
aufgehalten hatte, Giorgio Biandrata. Und die Städte, nach
denen allein Servet in Genf namentlich gefragt wird, siad Venedig
und wieder Padua. Was Wunder nun, dass &st alle, die nach
1553 bis auf Harvey vom Blutumlaufe sprechen, Italiener mid, u&d
mit Padua in Beziehung stehen, Colombo, Ceaalpin, Buini, Budio,
Sarpi, Fabrice d'Acquapendente ? Was Wunder, daaa Harvey,
des grossen Blutumlaufs Beschreiber, erst vier Jahre In Pa^dua
Studiren musste (1598'--1602) und in Padua zum Dootor der Me-
dicin promoviren (25. April 1*602)?
Kein Land der Welt hat so viel Herolde der Servetaniftohen
Lehre gestellt als Italien. Ich erinnere an die Biajidrata, Gribaldo,
Gamillo Benato, Occhino, Gentile, Paok) Alciati, an die Serveta-
nischen Seotenstifter Lelio und FauBto Socino, a& di/e P<etrucci,
Camillo Socini, Darius Socini, Francisco Negri, Jacobe de Chiari,
Francisco de Ruego, Nicoiao Paruta, Giulio Trevisana, Turriano,
Camulio, Sadoleti, Ludovico Fieri, Gianandrea de Paravicini, Graf
Celso Massimiliano Martinengo. Als Servet 1531 in Basel wegen
seiner Irrlehre verfolgt wird, sind es Italiener, die ihm zur Seite
(981) 3*
— 36 —
stehen. Als er den Widerruf herausgeben muss (1532), lässt er
ihn erscheinen als Gespräch zwischen ihm und einem Italiener.
Als Dr. Martin Luther 1532 zu Buggenhagen's Ausgabe von
Athanasius' Schrift über die Dreieinigkeit eine Vorrede veröffent-
licht, warnt er vor jenen Italienischen Grammatikern, Rhetoren,
Skeptikern und Epikuräern, welche den Artikel von der heiligen
Dreifaltigkeit in höchst zuversichtlicher Weise (valde confidenter)
verspotten. Zwei Jahre später (1534) muss Melanchthon über
Tisch zu Luther klagen, dass „des Serveti Irrthum in Italien gros-
ses Zufall hätte" ***). Und wieder fünf Jahre später (1539) sieht
sich Melanchthon genöthigt, an den Senat von Venedig einen
sehr ausführlichen Warnbrief zu richten, dass man ja nicht etwa
möchte von Staatswegen die gefährlichen Irrlehren Servet's prote-
giren, oder gar adoptiren. Und ebenso klagt Calvin 1554"). Die
Venetianische Republik war Sammelpunct für Radical-Reform.
Durch die Servetanische Gesinnung der maassgebenden Per-
sönlichkeiten Venedig's wurde aber keine der seiner Herrschaft
unterworfenen Städte so stark beeinflusst, als die Universität
Padua. Dank der zeitgemässen Reform, welche 1530 der freisinnige
Contarini mit dieser für Recht und Arzneikunde altberühmten
Hochschule vorgenommen hatte ■"), hatte sich das Leben der kleinen
Stadt ausserordentlich gehoben. Gross war die Zahl von Deut-
schen, Schweizern, Franzosen; von Freidenkern aus allen Ländern,
die in Padua zusammenströmten. In Padua machte man Front
gegen Papst und Luther zugleich. Und Männer dieser Gesinnung
wurden schon 1540 zum Decanat erhoben, wie z. B. der Verf.
des Memoriale wncrosynodi Norimbergenaia „wider das Lutherisch
Antichristenthumb und geistlich Münchthumb" '^). An den von
allen Altkirchlichen so sehr gefürchteten Vicentiner Conferenzen
nahmen immer Venetianer und Paduaner Theil. Seit der heim-
lich tödtenden Römisch-Bologneser Reaction von 1546 galten Ve-
nedig und Padua, selbst in der freien Schweiz, für die Vororte des
Servetanismus, so dass Calvin den Spanier auskundschaften lässt,
wie lange und zu welcher Zeit er sich dort aufgehalten habe.
Servet schwört, dass er nie in Venedig war. Padua verschweigt
er. Doch wissen wir aus seiner Italienischen Reiseroute, die uns
30) S. Luther und Servet. Berlin 1875 bei Mecklenburg. S. 29. 51.
31) Opp. ed. Baum VIII. 459. 479.
32) Relazioni Veneti VII. 257.
33) 0. Hedio an M. Erbius (Var, MiUq, eecles. Basil II. 54).
(888)
— 37 —
heute Station für Station vorliegt, dass er auch in Padua niemals
gewesen ist. Aber seine Gegenwart war auch für seinen Venetia-
nisch-Paduaner Einfluss nicht nöthig. Statt seiner Person wirkten
seine Schriften. Waren schon die sieben Bücher von den Irrun-
gen in der Schullehre über die Dreieinigkeit in Italien verschlun-
gen worden : was musste erst Servet's grosses Werk, die Restitutio
christianismi, wirken I Es war Servet 'nicht zu verdenken, dass er
den Italienern, die er von Natur nicht gerade liebte, immer ge-
wogener wurde. Hatte er zu Paris im CoUeg der Lombarden ge-
wohnt, und waren es auch dort die Italiener, die öffentlich in
seinem Streit mit der medicinischen Facultät für den Spanier
Partei nahmen, so zeigte sich auch Servet, als er aus Vienne fliehen
musste, entschlossen, in Italien seine letzte Zuflucht zu suchen'*).
Welch' ein Weheruf ging daher durch Italien, als man des
geistigen Heerführers Hinrichtung vernahm! Vor allem ist es
Padua, von wo aus ein förmlicher Ansturm gegen das Savoyische
Korn unternommen wird. Matteo Gribaldo, seit 1548 Padua's ge-
feiertster Rechtslehrer, hatte im Herbst 1553 in Genf der öflfent-
lichen Verbrennung seines Freundes beigewohnt. Laut vor Cal-
vin's Ohren missbilligte er das peinliche Verfahren. Sein Votum
machte Aufsehen rings in der Bunde. Als er nach Padua heim-
kehrte, votirte ihm der Senat von Venedig auf die drei nächsten
Jahre eine Gehaltszulage von 200 Thalem. Gleich den Tag nach
Servet's Hinrichtung langte (nach der Schrift contra liöellum Cal-
vini) aus England Bemardino Occhino an und sagte dem Calvin
in's Gesicht, wie er Servet's Hinrichtung missbillige. Camillo Be-
nato, ein anderer Italiener, veröffentlichte ein Schmähgedicht auf
den Genfer Inquisitor (1554). Die Seele aber der Servetanischen
Bewegung bleibt immer noch der Paduaner Professor Matteo
Gribaldo. In steter Verbindung mit den Freunden Servet?s:
dem Paduaner Gollegen, Bechtslehrer und späteren Bischof Pier-
paolo Vergerio, dem in Padua bekannten Arzte Giorgio Biandrata,
mit Occhino und Valentin Gentile, der später in Bern wegen Ser-
vetanismus hingerichtet wird, kauft er sich das Landgut La Farge,
vor den Thoren Genfs, um von dort aus Servet's Todfeind besser
beobachten zu können; reist selber zwischen Genf und Padua häu-
fig hin und her und bereitet in Padua neue Kräfte vor, um sie
gegen das Galvinische Genf zu werfen. So begab sich Lelio
Socini, der grosse trinitarische Sectenstifter, gleich nach Servet's
84) 28. August 1558 zu Genf im Verhör qu. 28.
im)
— 38 —
Hinrichtung auf mehrere Monate zu Gribaldo nach Padua, aber
nur um im Frühjahr 1554 zum Italienischen Stelldichein in Genf
sich einzufinden, und dortselbst, mit seiner Missbilligung des Justiz-
mordes zugleich, seine Zustimmung zu Servet's Lehre von der Drei-
einigkeit kundzugeben. So wird Padua dank Matteo Gribaldo eine
Pflanzschule des Servetanismus.
Freilich keine öffentliche. Calvin hatte durchaus im Geiste
seiner Zeit gehandelt, als er den Entdecker des Blutumlaufs hin-
richten liess. Nicht durch Bologna, nicht durch den Reichstag
zu Augsburg noch durch die anderen Siege von Kaiser, Ferdinand
und Papst hat die Reaction solche Fortschritte gemacht, als durch
das Pium et memorabile in omnem poMieritatem exemplum^ wie Ser-
vers Hinrichtung von Melanchthon gepriesen wird. Der durch
die protestantische Überbietung im Feuereifer mächtig gestärkte
Jesuitenpapst flösste jetzt selbst der Republik Venedig Schrecken
ein. Der Papstfreundschaft opferte sie ihren berühmten Rechts-
lehrer* Jener Augenzeuge von Servet's Tod und geschickte Ver-
breiter von Servet's Schriften, Matteo Gribaldo, er musste Padua
räumen (22. April 15ö5).
Aus den Flourens' unbekannt gebliebenen Thatsachen fanden
wir es oben erklärlich, warum alle Nachfolger Servet's in der
Entdeckung des Blutumlaufs zu Padua debütiren. Jetzt wo wir
die überall umschleichende jesuitische Inquisition gewahren, wer-
den wir es auch verstehen, warum alle Paduanische Blutumlaufs-
Entdecker so geheim thun, jede Hinweisung darauf vermeidend, als
hätten sie Servet's Buch gelesen. Galt Servet doch bald bei den
Gewalthabern und Jesuiten als aller Ketzer verruchtester.
Hören wir nun die Erklärungen ab. 22. April 1555, andert-
halb Jahr nach der Hinrichtung Michael Servet's, zog Gribaldo
fort von Padua. Mehr als zwanzig Anatomen entdecken den Blut-
umlauf (Flourens S. 126) , oder vielmehr, wie wir sagen würden,
sie lesen Servet's Restitutio^ prüfen, billigen und stimmen ihm bei,
ohne sagen zu dürfen, dass sie Servet kennen.
Der erste nach Servet ist Realdo Colombo. 1559 schreibt
er: „Zwischen beiden Herzkammern ist die Scheidewand, durch
welche fast alle glauben, dass dem Blut ein Zugang von der rech-
ten Kammer in die linke offen stehe: doch irrt man sehr: denn
das Blut geht durch die arteriöse Vene in die Lunge, von wo es
mit der Luft zugleich durch die venöse Arterie in die linke Herz-
kammer geht, was Niemand bislang weder beobachtet noch in
Schrift hinterlassen hat^ ob es gleich gerade von allen beobachtet
(aaw
— 89 *-
werden sollte"'*). Golombo rühmt sich gerne, dennoch ist er der
Entdecker nicht. Vom Entdecker darf er nicht reden. Sonst
öffnet sich der Boden, und Dampf wallt auf. Colombo wittert
den Schwefel. Niemand hat es beobachtet, ausser dem Verbrann-
ten von Genf, der eben nicht mehr ist, in seiner Schrift, die nicht
mehr sein soll, Servet in seiner Restitutio, Die Intoleranz erzieht
zur Lüge und zur jesuitischen Sophistik^*). Wer Ketzer-Prozesse
studirt hat, wird das oft gewahr werden *^).
35) De re ana tomica 1590 S. 325 (wie in der 1. Ausg. 1559). Diese Stelle
zusammen mit mehreren anderen (De re anatom. 1590 S. 327. 411. 351. 352.
354 u. a.) lässt keinem Zweifel Kaum, dass Colombo d^ Servet Restitutio vor
sich hatte wegen der öfters fast wörtlichen Übereinstimmung und auch der
Identität beider in ihren Angaben über das Gehirn. Man vergleiche z.B. nur
folgende Stellen:
Servet 1546 und 1553. i Colombo 1559 und 1590.
Longo per pulmones ductu agitatur Sanguis ob assiduum ptdmonum motum
sanguis.
flavus efficitur . . inspirato aere misce-
twr.
iia tan dem a sinistro cordis veutri-
culo totum mixtum per diastolen
attrahitur.
agitatur,
tenuis redditur et una cum aere misce-
tur.
tandemque ad sinistrum cordis ven-
triculum deferuntur {mixti sanguis
et aer).
Magnitudo insignis venae arterio- Vena arteriosa magna est satis. . . .
sae, quae nee talis, nee tanta esset nee
tantam a corde ipso vim purissimi
Vas est satis insigne.
Vena enim haec arterialis praeterquam
sangutnts tn pulmones emttteret ob . . i. ^
, ^ 1 j n Quod sangutnem pro sut altmento
solum eorum nutrimentum» . . Ergo ^ ^ ^ j , ^ ^ i .
' deferty adeo ampla est ut altus
usus gratia deferre possit.
ad alium usum effundiiwr sanguis
a corde.
Cum sanguis non sit extra vasa.
non adest . . sanguis extra propria vasa.
Die dem Servet eigenthümlichen Ansichten über die Bedeutung der Hirntheile,
namentlich über das Eintreten von Luft durch das Siebbein , Über den Sitz
des Gedächtnisses, über die Entstehung der Lebensgeister im Gehirn, ferner
über den Fötus und den m&nnlichen und weiblichen Samen gibt Colombo zum
grossen Theil für seine Erfindungen, Entdeckungen, Meinungen mit wenig ver-
änderten Worten aus, wie aus lib. VIII, XI, XII zu ersehen, wo sogar die
Ausrufe des Erstaunens über die göttliche Weisheit, wie bei Servet, nicht feh-
len. Man vergleiche nur die Originale: Servet 1553 (das erste Capitel dieser
Abhandlung) und Colombo 1559 oder 1572 oder 1590 (mir steht im Original
nur die letzte Ausgabe zur Verfügung), so ergibt sich, daas in der That Co-
lombo, der ruhmredige, ein anmaassender Plagiator ist. P.
36) Zechinelli und Mich^a nennen deshalb den Healdo Colombo ohne weiteres
einen Plagiator Michael Servet's.
37) Haller (Bibliotheca anatomica 1774 T. I. S. 204) nennt zwar den „in
der Anatomie sehr erfahrenen** Servet „acrt« ingenii vir, quem J» Guintherus
secundo a Vesalio loco inter eos discipulos numerat, qui sibi adjumento fuerint^^
im)
1
i
w
t
— 40 —
Nach Colombo kam G es alpin. Auch Gesalpin verschweigt
Colombo, verschweigt Servet. Flourens (S. 30) schliesst daraus,
Gesalpin habe beide nicht gekannt. Padua ist von Pisa nicht so
weit. Und bald wird auch Flourens überzeugt, Gesalpin müsse
des Paduaner Golombo seit fast 40 Jahren, als Gesalpin schrieb,
classisches Buch kennen (S. 247 cf. S. 126). Aber, wenn er Go-
lombo kannte, warum citirt er ihn nicht? Ganz anders, wenn
Gesalpin unmittelbar aus Servet geschöpft hat, d. h. wenn er seine
physiologische Anregung, wie es die damalige Zeit auffasste, dem
Teufel dankt. Jedenfalls wäre es ein mindestens ebenso grosser
Schritt von Golombo zu Gesalpin, wie von Servet zu Gesalpin.
Gesalpin, dem schon Jöcher „sehr freie und beinahe gottlose
Meinungen" zuschreibt, „auch solche Lehren, wie sie hernach
Spinoza ausgebreitet" — beides wurde oft dem Spanier nach-
gesagt, der nur acht Jahr älter war, als Gesalpin — sagt nicht,
dass er der Entdecker sei. Und gerade deswegen schätzen wir
seine Ehrlichkeit. „Diesem Blutumlauf', sagt er — hier zuerst
das Wort, Circulatio sanguinis — „welcher von der rechten
Herzkammer durch die Lunge in die linke Herzkammer führt,
entspricht durchaus die Disposition der Theile, die man bei der
Section wahrnimmt. Denn zwei Gefässe giebt es, welche in die
rechte Herzkammer, zwei hinwiederum, welche in die linke aus-
laufen {desinentia). Je eines von den Gefässen führt das Blut
herein, je ein anderes lässt es heraus, indem die Klappen für die-
sen Zweck eingerichtet sind. Das Gefäss, das das Blut einführt,
ist die grosse Vene in der rechten Herzkammer, Hohl- Vene ge-
nannt; die kleine aber führt aus der Lunge in die linke Herz-
kammer. Das Gefäss hingegen, das das Blut herauslässt, ist die
grosse Arterie in der linken Herzkammer, Aorta genannt; die
kleine aber in der rechten lässt es zu den Lungen hinaus." Flou-
rens' Übersetzung dieser Stelle (S. 31) ist klarer, als die Ausein-
andersetzung im Original Gesalpin's. Indess Gesalpin geht weiter:
und hebt hervor er setze ^^manifesio^^ den kleinen Kreislauf auseinander, aber
völlig unmotivirt fügt er hinzu, adparet verum vidisse . . . guod paulo prius
Realdo Columbo videlur innotuisse^ quod ne quidem Galenus ignoraverai,
etsi serius magnum invenium a Realdo editum est, nämlich i. J. 1559, während
Servet's Beschreibung des kleinen Kreislaufs 1546 beendigt war (S. oben S. 34)
und einigen bekannt wurde und 1553 erschien. Colombo war Vesal's Schüler,
Freund , Nachfolger und 15 Jahre lang Prosector (Incisor)» in Padua , wo er
1544—46 lehrte, dann in Pisa und Rom. Vgl. Haller 1. c. S. 213—215, wo es
sonderbarer Weise heisst, er habe den kleinen Kreislauf „genauer als Servet
beschrieben'*. Er beschrieb ihn jedenfalls erheblich später. P.
(88S)
— 41 —
von dem kleinen Umlauf durch die Lungen zum grossen Umlauf
durch den ganzen Körper.
Bisher glaubte man, auch noch Vesal, das Blut gehe durch
die Venen zu den Theilen. Cesalpin zeigte, dass es durch die
Venen von den Theilen zum Herzen geht Und das beweist er
durch eine höchst einfache Beobachtung. „Es ist wohl werth da-
rauf zu achten", sagt Cesalpin, „warum bei Aderlässen die Venen
immer anschwellen jenseits und nicht diesseits des Verbandes.
Denn wer zur Ader lässt, legt den Verband immer diesseits des
Orts an, wo die Ader springen soll und niemals jenseits. Es
müsste aber gerade umgekehrt sein, falls die Bewegung des Blutes
und des Lufthauchs von den Eingeweiden aus (a visceribus) in den
ganzen Körper vor sich ginge" (Fl. S. 34 fg.). Und anderswo
sagt Cesalpin: „Das Blut, das durch die Venen dem Herzen zu-
geführt wird, erhält dort seine letzte Vollendung; und sobald es
die erreicht hat, wird es durch die Arterien in den gesammten
Körper vertheilt, der aus derselben Nahrung im Herzen erzeugt
wird" (S. 35).
Eben der Mann, der in der Botanik die Methode aufgebracht
hat zur Classificirung der Pflanzen je nach den Befruchtungswerk-
zeugen, den Blüthen, Früchten, Körnern, der hat uns auch, sagt
Flourens, zuerst die Idee gegeben von der doppelten Circulation.
Wir fügen hinzu, dass Cesalpin auch für den grossen Umlauf min-
destens ebensoviel Halt finden musste im äervet,'als im Bealdo
Colombo.
1553 war Servet gestorben. 1563 erhielt der Paduaner Stu-
dent Geronimo Fabricio de Acquapendente zu Padua die
medicinische Doctorwürde, 1565 zu Padua die Professur der Ana-
tomie, die er über fünfzig Jahre mit Ehren verwaltet hat (f 1619).
Im Jahre 1574 entdeckte er die Venenklappen und bemerkte
sehr wohl, dass sie dem Herzen zugewendet sind'*). Daher stehen
sie dem entgegen, dass das Blut yqu dem Herzen zu den Theilen
dringe in den Venen: es geht also in den Venen den Weg von
den Theilen zum Herzen hin: im Gegensatz zu dem Vorgang in
den Arterien, in welchen es keine Klappen giebt.
Die Venenklappen sind der anatomische Beweis für den Blut-
umlauf. Fabricio machte die Beobachtung, aber er zog daraus
nicht die wichtige Schlussfolge, die sein Schüler, der grosse Har-
V e y daraus zu ziehen verstanden hat.
38) De venarum ostiolis (p. 160 ed. AUnni),
(888)
— 42 —
Realdo Colombo schreibt den Servet aus und bestätigt ihn.
Colombo ist nicht der Entdecker des kleinen Kreislaufs. Cesalpin
beschreibt den Blutumlauf, ohne sich die Entdeckung zuzuschreiben.
Fabricio schweigt von dem Blutumlauf ganz, selbst wo er die
Venenklappen erörtert.
Wie steht es nun mit Sarpi? Ist Fabricio von ihm abhän-
gig? Dankt er Sarpi die Entdeckung der Venenklappen und hat
Sarpi den Blutumlauf gekannt? Sarpi's Freunde bejahen beides.
Flourens (S. 37 fg. 127 fg.) leugnet beides. Ich meine, das eine
ist wahr, das "andere falsch. Es ist wahr, dass Fabricio der Ent-
decker der Venenklappen ist. Es ist falsch, dass Sarpi vom Blut-
umlauf nichts gewusst. Der gelehrte Fabricio d'Acquapendente
kennt den Sarpi wohl. Auch citirt er ihn gern (z. B. bei Flourens
die Stelle S. 38). Bei den Venenklappen citirt er ihn nicht. Und
nicht Sarpi, Fabricio spricht die Sprache des Entdeckers. Die
Stelle lautet wörtlich: De his itaque in praesentia locuttiris, subit
primum mirari, quomodo ostiola haec ad hanc usque aetatem tarn
priscos quam recentiores anatomicos adeo latuerint , ut non solum
nulla prorsus metitio de ipsis facta sit, sed neque aliquis prius haec
videvil quam anno 1574, quo a me summa cum laetitia inter disse-
candum observata fitere. So Acquapendente. Servet wusste nichts
von den Venenklappen, nichts Colombo, nichts Cesalpin. Fabri-
cio kennt sie und er führt über die Venenklappen die stolze
Sprache, die wir bei dem Spanier hörten , wo er , er selber, den
Blutumlauf entdeckt. Und dass Fabricio d'Acquapendente (f 1619),
ihr berühmter anatomischer Lehrer, venerabilis senex, der Ent-
decker der Venenklappen ist, das bezeugt ihm der unsterbliche
Gaspard Bauhin und Harvöy selbst. Bauhin sagt, 1592, vor
18 Jahren im Amphitheater zu Padua, habe Hieronymus Fabricius
von Acquapendente ihnen, seinen Schülern, die Venenklappen de-
monstrirt (bei Flourens 135). Harvey sagt: Der berühmte Hiero-
nymus Fabricius von Acquapendente habe zuerst in den Venen
die häutigen Klappen (membraneas mlmlas) gezeichnet, jene von
Gestalt sigmoidischen oder halbmondförmigen Theile der inneren
„Tunica" der Venen, die hervorragen, wenn sie gleich äusserst
dünn sind {eminentes et tenuissimas). Doch von des Fabricio
Kenntniss des Blutumlaufs schweigen beide. Soll man daraus
schliessen, er habe ihn nicht gekannt? Ich meine nein. Er ver-
schwieg ihn aus demselben Grunde, aus dem Fra Paolo Sarpi,
der berühmte Geschichtsschreiber des Tridentinischen Concils, seine
Kenntniss vom Blutumlauf so ängstlich geheim hielt
<IM)
— 43 —
Sarpi nämlich hat Servet gelesen, und das ist seine Angst, dass
dieses Verbrechen entdeckt wird. Sehen wir uns Fra Paolo, den
geistvollen Serviten-Mönch, näher an. In der Stadt geboren, die
schon 1539 dem Servetanismus zu verfallen schien und in welcher
die zahlreich cursirenden Exemplare von Servet's Restitutio nicht
so bald verfolgt und verbrannt wurden, wie anderwärts, war Paolo
unter seinen Zeitgenossen bekannt als frühreifer Kopf. 1565,
dreizehnjährig, studirt er Philosophie, Mathematik, Griechische und
Hebräische Sprache. 1566 tritt er in den Orden der Serviten. Im
Jahre 1572 wird er zum Hof-Theologen des Herzogs von Mantua
und zum Lector der dogmatischen und casuistischen Theologie,
auch an seiner Stiftskirche zum Lehrer des Kirchenrechts durch
den Bischof ernannt. Der Erzbischof von Mailand zieht ihn in die
Geheimnisse seines Raths. Jetzt schon wird er verdächtig. Die
Inquisition wirft ihm vor, dass er „Servetaner" sei. Auch habe
Sarpi behauptet, das Geheimniss der Dreieinigkeit könne nicht
aus dem ersten Hauptstück des ersten Buchs Moses erwiesen wer-
den. Sarpi appellirt nach Rom. Dem Inquisitor wird seine Un-
wissenheit verwiesen. Sarpi, jetzt Dr. theol,^ wird an die Univer-
sität Padua berufen, nach demselben Padua, in dem, dank Matteo
Gribaldo, Servet's Geist so lange geherrscht und Servet's Schriften
so fleissig verbreitet wurden. Sarpi (1578) wird Provinzial seines
Ordens für die Provinz Venedig, sechsundzwanzigjährig. Wenige
Jahre nachher als General-Procurator der Serviten ansässig zu
Rom, wird er wiederum des verdächtigen Umgangs mit den Ket-
zern beschuldigt. Das versperrte ihm den Weg zum Bischofsstuhl,
so oft man ihn dazu vorschlug. In dem Streit zwischen Paul V.
und der Republik Venedig, stellt Sarpi seine Feder in Venedig's
Dienst und verfällt in den Bann (1606). Als sich seine Vaterstadt
mit der Curie aussöhnt, wird er auf der Strasse zu Rom „mit
fünfzehn Dolchstichen" durchbohrt, wie es hiess nicht ohne Vor-
wissen der Curie (5. Oct. 1607). Er genas langsam. Und nach-
dem er die Welt mit seinen Werken gefüllt, starb der schwäch-
liche, bescheidene Mann , gleich berühmt als Historiker, Theologe,
Chemiker, Mathematiker und Anatom, den 14. Januar 1623.
Angesichts eines solchen vollen Lebens, dessen frische Früh-
reife nicht der unfruchtbarste Theil war, wie will da Floorens
aus einem völlig undatirten Briefe schliessen, der Brief könne
nicht vor 1574 datiren: denn vor 1574 könne Sarpi nicht nach-
gedacht haben über eine der geheimsten Constractionen des
menschlichen Organismus: sei er doch 1574 erst 22 Jahr alt ge-
— 44 —
wesen. Als Sarpi 22 Jahr alt war, ist er eben schon eine Cele-
brität. Ja mehr noch. Er ist schon verdächtig des Servetanismus.
Wem der Servetanismus so die Carriere verdorben, wie dem Sarpi ;
wem die Venetianisch - Paduanische Freisinnigkeit fünf Dolche in
die Brust gebohrt hat, dem verdenken wir es nicht, besonders
bei schwächlichem Leibe und bescheidenem Geiste, wenn er alles,
was er aus Servet gelernt hat, geheim hält, gar geheim, und doch
es tradirt, aus Liebe zur Wissenschaft.
Aus dieser Kenntniss seines Lebens und seines dogmatischen
Standpuncts fällt ein neues Licht auf Sarpi's berühmte anatomische
Äusserungen.
„Was Eure Ermahnungen betrifft", schreibt Sarpi, „so muss ich
Euch bekennen, dass ich nicht mehr in einer Stellung mich be-
finde, in der ich meine Mussestunden vergnügt hinbringen konnte
mit anatomischen Beobachtungen von Lämmern, Ziegen, Kühen
und anderen Thieren. Könnt' ich es, so würde ich in diesem Au-
genblick begieriger sein als jemals, einige jener Beobachtungen
zu wiederholen, wegen des edlen Geschenks, das Ihr mir gemacht
habt mit dem grossen und schönen Werke des berühmten Vesal.
In der That giebt es eine grosse Ähnlichkeit zwischen den Dingen,
die ich schon bemerkt und aufgeschrieben habe über die Bewegung
des Bluts in dem thierischen Körper und über den Gebrauch der
Klappen, und dem , was ich mit Vergnügen bemerkt sehe , wenn
auch weniger klar, im Buch VII Hauptstück XIX, dieses Werks.
Man kann daraus schliessen", fährt der scharfsinnige Venetianer
fort, „dass durch Einhauchung neuer Luft in die Luftröhre ster-
bender Menschen oder solcher, deren Lebensfunctionen aufgehört
zu haben scheinen, wir im Stande sein würden, ihrem Blute die
verlorene Bewegung wiederzugeben und ihr Leben einige Zeit zu
verlängern. Wenn dem so ist, und man kann nicht mehr daran
zweifeln nach den Erfahrungen dieses grossen Anatomen, so werde
ich mehr als jemals bestärkt in der Meinung, dass die Luft, die
wir einathmen, ein Princip oder Agens enthält, das fähig ist, die
blutige Flüssigkeit neu zu beleben" — heute nennen wir es Sauer-
stoff, — „und ihre Bewegung herzustellen, in denjenigen, die in
tödtlichen Starrkrampf oder in Scheintod verfallen vermöge schäd-
licher aus Grüften aufsteigender Dämpfe, ... ein Agens, mit einem
Wort, so wie es die heilige Schrift angezeigt hat in dem Spruche :
anima omnis camis in sanguine est, wovon auch einige alte Philo-
sophen sprachen und, näher an unsere Zeit, Marsilius Ficin, Picus
von Mirandola etc. etc." (FWurens S. 139).
(886)
— 45 —
Anima est in sanguine, anima ipsa est aanguis, das war, nach
Flourens (S. 156), dasPrincip, aus dem beiServet die Entdeckung
des Blutumlaufs geboren ist. Hier, wo Sarpi, der wegen Anti-
trinitarismus vor die Inquisition gestellte, von Blutbewegung, von
der Luftröhre, von den Klappen, von dem Starrkrampf spricht,
galt für Kenner der Restitutio dies Schrift-Citat mit einem etc. etc.
gleich als ein Hinweis auf die berühmte Stelle von dem Blutumlauf.
Sarpi's antitrinitarische Freunde, die Verehrer des Spanischen
Physiologen, sie verstanden, was Sarpi meinte. Sarpi dachte an
keine andere Blutbewegung als an den Umlauf; und die Klappen
von denen er redet, sind nicht Fabricio's Venenklappen — Sarpi
sagt nie valvulae venarum — , sondern die Herzklappen , valtmlae
cordis. Den Blutumlauf hat der Antitrinitarier Sarpi aus Servet
gekannt : die Venenklappen, die Servet nicht kannte, kannte auch
Sarpi nicht. Sarpi beschreibt nicht den Blutumlauf, weil bei der
Verbreitung der Restitutio im Venetianischen, Inquisitoren zurück-
kehren und Erdolcher ihre Schritte beschleunigen könnten.
Nun werden wir auch verstehen, warum Thomas Bartholin
aus Padua nach Leiden schreibt an den Professor Johann Wa-
laeus: „Von Vesling erhielt ich endlich das Geheimniss von der
Entdeckung des Blutumlaufs, ein Geheimniss, das Niemand mit-
getheilt werden darf: nulH revelandum! nämlich, dass es eine Er-
findung des padre Paolo ist, des Venetianers, von dem Acquapen-
dente auch die Entdeckung der Venenklappen hat, wie ich es
gesehen habe in einer Handschrift des padre Paolo ^ welche in
Venedig aufbewahrt sein Schüler und Nachfolger, der Padre Ful-
gencio.^^ Flourens (S. 131) fragt „warum soll man das Niemand
mittheilen? Warumwar das ein Geheimniss ? War es doch kein
Verbrechen, den Blutumlauf entdeckt zu haben." Flourens weiss
keine Antwort zu geben. Er vergisst, dass in Italien und in der
ganzen katholisch - protestantischen damaligen Welt der für ein
todeswürdiger Verbrecher galt, der das verruchteste aller Bücher
gelesen, Michael Servers Restitutio ckriatianismi.
So haben wir denn von Servet bis zu Harvey nur zwei wirk-
liche Entdecker gefunden, Gesalpin und Acquapendente. Bealdo
Colombo, Sarpi, Peiresc, Pater Fulgentius, Bartholin, Walaeus, le
Vasseur, Eustachio Budio, Buini, sie alle stehen in mittelbarer
oder unmittelbarer Abhängigkeit von Servet Servet hat den
kleinen Blutumlauf entdeckt, Gesalpin ist der Entdeckung des
grossen sehr nahe, Acquapendente entdeckte die Venenklappen.
Harvey, des an grossen Anatomen so reichen Padua berühm-
- 46 -
tester Zögling, bringt die Frage zum Austrag. Acquapendente,
der Entdecker der Venenklappen, sagt nichts von dem Blutumlauf.
Le Vasseur, der den Umlauf kennt, sagt nichts vom Blute '^).
Cesalpin, der den doppelten Umlauf beschreibt, lässt doch das
Blut tbeilweise durch die mittlere Herzwand dringen (partim per
medium septum, partim per medios pulmones). Servet spricht nicht
deutlich genug von dem grossen Kreislauf.
Harvey's Buch ist ein Meisterstück. Flourens nennt dies
kleine Buch von hundert Seiten das schönste Buch in der Physio-
logie (S. 43).
Harvey beginnt***) mit den Bewegungen des Herzens, und
bemerkt, dass der Vorhof und die Kammer jedes Herzens sich
nacheinander zusammenziehen. Wenn der rechte Vorhof sich zu-
sammenzieht, so geht das Blut in die rechte Herzkammer; wenn
die rechte Herzkammer sich zusammenzieht, geht das Blut in die
Lungen-Arterie; v.on der Lungen-Arterie geht es in die Lungen-
Vene, von der Lungen- Vene in den linken Vorhof, der sich zu-
sammenzieht und es in die linke Herzkammer drängt. Diese zieht
sich zusammen und stösst es in die Aorta, von da geht es über
in die Arterien: von diesen geht es in die Venen und durch die
Venen kehrt es zum Herzen zurück, eben zu dem rechten Vorhof,
von dem es ausgegangen war. Und bei jedem Übergang aus einer
Höhlung in die andere giebt es Klappen, Membranen, Thürchen
(ostiola nennt sie Fabrice), die sich öffnen, um es nach der einen
Bichtung hindurchzulassen, und die^ sich schliessen, um es zu ver-
hindern, nach der entgegengesetzten Richtung zu strömen. Die
Klappen der rechten Vorkammer lassen das Blut in die rechte
Herzkammer hindurchdringen und hindern es, in den Vorhof zu-
rückzukehren ; die Klappen der rechten Herzkammer lassen es in
die Lungen-Arterie hindurchdringen und hindern es in die Kam-
mer zurückzukehren; die Klappen des linken Vorhofs lassen es
in die linke Herzkammer hindurchdringen und hindern es, in den
Vorhof zurückzukehren; die Klappen der linken Herzkammer
lassen es in die Aorta dringen und hindern es in die Herzkammer
zurückzukehren; die Klappen der Venen lassen es in die Venen
hindurchdringen und hindern es, in die Arterien zurückzukehren.
89) Le Vasseur nimmt in den Arterien Luft an. S. die Stelle bei Plourens
S. 39.
40) Exercitatio analomica de motu cordis ei sangtiinis. leb folge hier der
Ü%c^setztmg voB FloarenB (S. 48 fg.).
im)
— 47 —
Nach dem Herzen kommen die Arterien. „Wenn man eine
Arterie öffnet", sagt Harvey, „so dringt das Blut heraus in un-
gleichem Sturze ; abwechselnd spritzt es bald schwächer, bald stär-
ker; das stärkste Spritzen entspricht immer nicht der Systole,
sondern der Diastole der Arterie. Demnach ist es der Andrang,
das Anstürmen des Blutes durch welches die Arterie sich aus-
dehnt, durch welches die Arterie schlägt. Wenn die Arterie sich
von selber ausdehnte, so würde es nicht gerade der Augenblick
der Ausdehnung sein, in dem sie das Blut herauswirft mit grös-
serer Kraft."
Und da er gerade einen Fall der Verknöcherung (oBsificatio)
der Schenkel-Arterie beobachtet hat, so weist er darauf hin, dass
die Arterie schlägt unter der Verknöcherung; die Verknöcherung
unterbricht also nicht die von Galen behauptete Schlagkraft (virn
pulsificam) : vielmehr haben die Arterien keine eigene Schlagkraft,
sondern das Schlagen der Arterien kommt allein her von der Be-
wegung des Bluts, von dem Blutandrang gegen die Wände der
Arterien.
Von den Arterien geht Harvey über zu den Venen : und zeigt,
dass die Klappen für die Bewegung nur eine Richtung frd lassen,
die Richtung nach den Klappen hin, also die Bewegung, welche
das Blut von den Theilen zum Herzen führt. Dann kommt er zu
den Experimenten. Harvey führt wenige Experimente an, die er
gemacht hat. Aber sie sind entscheidend. C'est lä le genie, be-
merkt Flourens (49).
„Wenn man ein Glied", sagt Harvey, „leicht verbindet, so
steht das Blut nur in den Venen still, weil die Venen allein auf
der Oberfläche sich befinden. Verbindet man es stärker, so steht
das Blut auch in den Arterien still, die tief liegen.
Wenn man eine Vene unterbindet, so tritt die Anschwellung
über der Ligatur ein; wenn eine Arterie, so tritt sie ein unter
der Ligatur. Das Blut bewegt sich demnach in umgekehrter Rich-
tung in den Venen und in den Arterien : es geht von den Theilen
zum Herzen in den Venen; es geht vom Herzen nach den Thei-
len in den Arterien.
Wenn man irgend eine Arterie öffnet und das Blut fliessen
lässt, so fliesst alles Blut heraus durch diese Öfhung: demnach
stehen alle Theile des Umlaufs-Apparats unter einander in Ver-
bindung, das Herz, die Arterien, die Venen.
Und in der That, wenn man die wunderbare Geschwindigkeit
des Blutlaufs bedenkt, so wird man bald einsehen, dass dem so
— 48 —
sein muss: denn kaum ist das Blut in das Herz gedrungen, so
tritt es schon wieder heraus , um überzugehen in die Arterien ;
kaum ist es in den Arterien, so tritt es heraus, um überzugehen
in die Venen; kaum ist es in den Venen, so geht es über in das
Herz; es geht also fortwährend aus dem Herzen in die Arterien,
aus den Arterien in die Venen, aus den Venen in's Herz: und
diese fortwährende Rückkehr: das ist der Kreislauf (drculatioy^
So ist denn William Harvey, der grosse Physiologe aus
Kent (1577 — 1657) nicht bloss der erste, der, wie Jöcher sagt,
ein besonderes Buch von dem Blutumlauf geschrieben hat, sondern
er ist der erste, der das ganze System des Blutumlaufs durch-
schaut, begriffen und in seinen Consequenzen der Welt dargelegt
hat. Harvey ist ein Meister in der Vivisection und hat viele neue
Versuche angestellt. Harvey ist um so grösser, je mehr ihn die
neidische Mitwelt zu isoliren, zu verkleinern und zu entstellen ge-
sucht hat. Aber der eigentliche Entdecker des Blutumlaufs ist er
nicht Nicht des grossen, den erschloss Gesalpin; nicht des klei-
nen, den entdeckte Servet ; nicht der Venenklappen, die sah zuerst
Fabrice von Acquapendente. Harvey's, des genialen Mannes gröss-
tes Glück war, dass er in Padua studirte, wo ihm Fabrice die
Venen-Klappen demonstrirte und die Entwicklung des Ei's und die
Bildung des Fötus (Flourens 227), in Padua, wo Eustachio Rudio
ihm den kleinen Blutumlauf darlegte und die Klappen des Her-
zens, in Padua, wo Faloppius gelehrt hatte und Colombo und
Vesal: in Padua, der letzten Festung des Servetanismus.
KMO)
Drittes Capitel.
Ceradini's historisch-kritische Untersuchungen über
die Entdeckung des Blutumlaufs.
. . . nisi Studium juvandi rem medicam,
Galenici dogmatis justa defensio ipseque
inprimis veriiatis amor vel nolentem com-
pulisset Servet: Syruporum ratio.
Die Reihe der Entdecker des Blutumlaufs beginnt mit Servet.
Den Servet haben Vesal, Colombo, Faloppius, Fabrice d'Acquapen-
dente, Cesalpin, Ruini, Sarpi, Le Vasseur, Eustachio Rudio, Harvey
gekannt, studirt, mittelbar unmittelbar benutzt und ausgeschrieben :
das war das Ergebniss unserer Untersuchung an der Hand der
geschichtlichen Daten. Da kommt der Spanier Casas di Men-
doza') und behauptet, nicht Servet, ein anderer Spanier sei der
erste Entdecker, der Spanische Thierarzt De la Reyna. Denn
schon 1532, also 20 Jahre vor Servet's Restitutio , habe Reyna
hingewiesen auf die Thatsache, dass wenn man Venen der Glied-
maassen (alcune vene degli arti) eines Pferdes unterbinde, das Blut
aus dem Schnitt unterhalb der Ligatur herausfliesse, nicht ober-
halb u. s. f. Aber, die Thatsache vorausgesetzt, die erste Ausgabe
„5ti/ cflua/Zo" datire von 1532 und bringe schon jene Beobachtung
— was ich so lange nicht glaube, als Reyna's Vertheidiger sich
nur auf die Ausgabe von 1647 berufen — so hat doch Reyna nie
den Schluss auf den Blutumlauf gemacht, ja er weiss auch vom
kleinen Blutumlauf noch nichts, sondern lässt die Venen aus der
Leber entstehen. Reyna ist ungefährlich für Servet, geradeso wie
sein Patron Mendoza. Denn es kommt über beide Ercolani,
der Bologneser Professor, und verlangt von den drei Spaniern den
Löwenantheil für seinen Landsmann Carlo Ruini ^). Seit 7 Jah-
1) BoUetin de Veterinaria, Madrid 1850 nach £. Hering : Repertorium der
Thierheilkunde. 1850. S. 257—59.
2) Carlo Ruini, CurioHtä storiche. Bologna 1878.
(841) 4
— 50 —
ren liest man die marmorne Inschrift an der neuen chirurgischen
Veterinär-Klinik zu Bologna: A Carlo Ruini, setMtore Bologvese^
che primo Varte veterinaria scientificö e primo riveld la circolazione
del sangue questa scuola murata Fanno MDCCCLXIX. GiambaUi-
sta Ercolani dedicava intitolava. Aber was helfen steinerne In-
schriften in unserem Jahrhundert der Kritik und der Entdeckun-
gen? Zwei Jahre nach Ercolani kommt Ceradini'), der Profes-
sor der Physiologie an der Universität Genua, und beweist, dass
Carlo Ruini kein Entdecker^ sondern ein elender Compilator
und Plagiator sei, ein Compilator aus Galen, Colombo und Vi-
dio, und ein Plagiator dee Spaniers Juai de Valverde, des Val-
verde, der seinen Tractat Anatome corpwis kumani zuerst Spanisch
1556, dann 1560 Italienisch zu Born drucken liess, bis Michael
Colombo 1589 davon zu Venedig eine Lateinische (ibersetzung her-
ausgab *). Da könnten sich nun die drei Spanier streiten um die
Priorität der Entdeckung, wenn nicht Ceradini allen dreien den
Lorbeer entrisse, dem Beyna (S. 61), dem Valverde (S. 12. 17)
und dem Servet (S. 74 fg.). Aber auch der Engländer soll
ihn nicht haben. Ceradini theilt den Preis zwischen dem Philo-
sophen von Pergamos und dem Pisaner. Die Entdeckung des
kleinen Blutumlaufs wird dem Galen zugeschrieben, die des gros-
sen dem Ces alpin. Schon rüsten sich die Türken, in Pergamos
dem Entdecker des kleinen Blutumlaufs im Namen Griechenlands
3) Qualche appu/nto storico - critico intorno aüa scoperta della circokaione
del sangue, Genova 1875, (223 Seiten.) S. 12. 15—18. (Auch in Ann, del
Mus, Civ, di St. Nat, di Genova. Vol. VU. 1875).
4) Anatome corporis humani auctore Joanne Valverdo. Nunc primum a
Michaele Columho latine redditu et additis novis aliquot tabuUs exornata, Ve-
neüis 1589, Valverde spricht S. 289, auf Grund seiner mit Kealdo Colombo
zusammen an lebenden Thieren angestellten Zergliederungen, die Hypothese,
dass Blut durch die Lungen vom rechten zum linken Herzen geht, so aus,
dass man zweifeln könnte, ob er sie (1556 oder 1560) selbständig aufgestellt
habe. Da aber der junge Valverde allein von Colombo erfuhr, dass die Lun-
genvenen nicht Luft, sondern Blut zum Herzen führen, so kann ihm nicht zu-
gestanden werden, dass er selbständig den Lungenkreislauf beschrieben habe.
In welchem Jahre die ei:steii gemeinschaftlichen, den Servet bestätigenden Be-
obachtungen und VivisQctionen von B.ealdo Colombo und Valverde angestellt
wurden, ob nicht nur vor 1559, sondern auch vor 1556? ist irrelevant, da sie
— wegen Valverde's Jugend — sicher nach 1546 und höchstwahrscheinlich
nach Servet's Tod angestellt wurden. Die Stelle findet sich aus der Italieni-
schen Ausgabe (1560) bei Ceradini S. 100—101. ^ b^^eiigi übiig^na, dass
Valverde zweifelte (S. unten S. 54), ob Blut nicht auch direct von der rechten
in die linke Kammer gehq (j^^sa) ? P*
im)
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-^ 51 -=
ein Denkmal m errichten. Da erfahren siö rechtzeitig to* Cera-
dini (S. 21), Galeims r= yaXp^og^ seremis, tranqttillua »ei gar kdn
bestimmter Arzt gewesen, sondern unter den Werken Galen's habe
man jene kritische Bibliothek des mediciiiisch Wissetiswertben ver-«
standen, die untcfr Leitung eine» Gelehrte», der „vielleicht" (siö!)
Galen gebeissen*habe, im Äweite» Jabrhirnderl unserer Zeitrech-
nung «US Aristoteles, Erasistratos, Hefophilos, Hippokrates ttÄd
anderen im Alterthun» berühmten Naturforschern Ättsamtoöng^leses
worden sei. Statt des grossen Cempitators von Pergaöioi^ — so
müsste man nach Ceradini den Galen nennen — wird nun dettii
Mann von Arezzo ein aer» perennius in Aussicht gestellt Im Athe*
neum in Pisa soll 2um ewigen Gedäc&ti^, allen Völkerft lest^oi'y
die stolze Inschrift prangen : Andreas Caesalpimti AreHnta^ Pisana in
acaäemia mtdieinae lector, Galeni ärtariöus ds jtcotU venafunf^fke
officio emendatis^ sanguinis detexit per uni9^sum cotpm circuktiiönSM,
quam eliam venarum vmculii adki&iti^ tivisettionikiM patefeciU suis
vero in petipateticis ac medicis quOeUionibui mmo MDLXtX tel
MDXCißi editis ipsissima circuUstionis voce usut plane desefipsif.
Male siöi eonstUuit Harveti» Uli Anglns htmc qui sibi maatimi f^eri*
iatefm momenti ausus anno MDCXXVIIi est deüertierä (S. 21d)L
Ich den^e mir, dass, eh' die Subscription zu Stande kolnmt, die
Lateiner unter den Medieinem in dem mommmium noch diei^ oder
jenes anders wünschen werden; das» sie das etiam streichen, das
teto, das tel; dass sie die Betonung der f>ox rügen und den Höh»
auf Harvey, dass sie. . . . Doch ich könnte mlüg abwarten, ob
nicht die Apotheose des Cesalpin ebenso sehneil durch einen Ita-
liener abgethan sein wird, wie Ercolani's Verherrlichung des Ruini
zwei Jahre später abgethan wurde d«rch den Physi^tegen von
Genua? Indessen da Ceradini auch in Deutschland als eingründ*'
lieber Kenner der Physiologie dös Bhitumlaufo gilt (er hat bei
Ludwig im Leipziger Laboratorium über die Herzthitigkeit ge-
arbeitet), so kommt es darauf ai^, die Bedeutung des gsrnkke ap^
fmnto recht zu würdigen und dadurch jene besonnene Darstellung
der Geschichte der Blutumlaufsentdeckungen, von der sich auch
Ceradini so viel verspricht, zu fördern. „Die Liebe zur Förderung
der medicinischen Wissenschaft, der Wunsch, den» Galen gerecht
zu werden und die Freude an der Erforschung der Wahrheit'"*)
sollen mich zu dem Versuch antreiben, die Ceradini'schen For-
schungen für Deutschland zu verwerthen.
5) Servet in : Syrupisfrvm tmiwrsm foUwf Ptueftk
(mm 4*
— 52 —
Sehen wir uns zunächst des Professor Ceradini Resultat an,
„Schon Galen'^ so schliesst er seine Abhandlung (S. 217—219),
„hatte behauptet, dass das Blut von der rechten Herzkammer zur
linken übergehe mitten durch die Lunge (attraverso U polmone) ®)
und hatte überdies bewiesen, dass die Arterien und die Venen
sich finden unter ihren Anastomosen (fra loro anastomizate) in allen
Organen des Körpers. Realdo Colombo aus Cremona erkannte
zuerst die Bedeutung des Vorhofs (la fumione del atrio) und leug-
nete überdies, dass das Blut von der rechten zur linken Herz-
kammer auch durch die Zwischenwand des Herzens dringe, wie die
Alten vermuthet hatten, eine Vermuthung, deren Absurdität zuerst
Julius Caesar Aranzio aus Bologna dargelegt hatte. Endlich ent-
deckte Andreas Cesalpino aus Arezzo im Jahre 1569 den physio-
logischen und ununterbrochenen Durchgang des Blutes von den
Arterien in die Venen durch die Capillar - Anastomosen in allen
Theilen des Körpers und benannte mit dem Worte Circulation die
fortwährende Bewegung des Blutes von den Venen zur rechten
Herzkammer, von dieser zur Lunge, von der Lunge zur linken
Herzkammer und von dieser zu den Arterien; und hernach im
Jahre 1593 lieferte er den Experimental-Beweis der Circulation
aus der Thatsache, dass die in irgend einem Theile des Körpers
unterbundenen Venen anschwellen zwischen ihren Capillar-Ürsprün-
gen und der Ligatur, und dass sie beim Einschnitt zuerst das
schwarze venöse Blut ausfliessen lassen und nachher das hellrothe
arterielle. Cesalpiii überdies erkannte, dass das Blut in den Ar-
terien zusammengehalten wird mit höherem Druck, als in den Ve-
nen, und dass bei seinem Übergang aus jenen in diese die Capil-
lar-Anastomosen ein grösseres oder geringeres Hinderniss bieten
je nach dem Grade ihrer Erweiterung; und er lehrte alle diese
Dinge von dem Katheder zuerst in Pisa , darauf in Rom , wo er
starb im Jahre 1603. Harvey vermochte im Jahre 1628 nur
Einen neuen Beweis für den Blutumlauf beizubringen aus den
Venenklappen, welche Gerolamo Fabricio d'Acquapendente entdeckt
6) Aus dem mitgetheilten Citat (S. 29) aus Galen, Ve mu partium L VI c.
17 folgt dieses nicht. Überhaupt wird es schwer halten im ganzen Galen auch
nur ^ine Stelle zu finden, wo geschrieben stände, dass das Blut vom rechten
Herzen durch die Lunge zum linken geht. Gerade über diesen fundamentalen
Punct spricht Colombo (De re anat 1590. S. 413), dessen Werk zeigt, wie ge-
nau er den Galen kannte, bei aller Verehrung für den grossen Mann sich
gegen ihn in seiner pompösen Weise mit der grössten Entschiedenheit aus
unter dem Titel: Galeno licet ob veritatem contradicere, P.
(8M)
— 68 ^—
hatte gegen Ende des Jahres 1574. Harvey bewies, dass die
Venenklappen sich entgegenstemmen müssen der Centrifugal-Be-
wegung des Blutes. Aber das Hauptverdienst (il merito piu grande)
von Harvey bestand in Wirklichkeit darin, dass er unternommen
und gewonnen hat den Kampf gegen Vorurtheil und Unwissenheit,
durch Verbreitung der Entdeckung von Cesalpino.
„Wiederholen wir es : die Entdeckung des Blutumlaufs gehört
nicht der Schule von Padua, obgleich zweifelsohne Fabricio
durch Auffindung der Venenklappen und Harvey durch Darlegung
ihrer wahren Bedeutung beigetragen haben sie zu befestigen.
Noch weniger gehört sie der Schule von-Bologna. Nein, da
nicht dazu beitrugen^) weder Vesal noch Vidius noch Faloppia
noch Colombo, die doch alle, wenn auch nur kurze Zeit an der
Universität Pisa den Lehrstuhl Gesalpin's eingenommen haben, so
würde es nicht einmal gerecht sein, sie der Schule von Pisa zu-
zuschreiben. Seit Galen hat sich diese Entdeckung nicht, wie man
allgemein glaubt, stufenweise gemacht und durch Mühwaltung
Vieler, sondern ea: abrupto, als das ausschliessliche und rein per-
sönliche Werk des Philosophen von Arezzo. Und wir sprechen
den Wunsch aus, dass die Stadt Pisa, woselbst zu allererst der
Blutumlauf dargelegt worden ist, die Initiative ergreifen möge für
eine Feier zu Ehren des Gedächtnisses von Cesalpin gerade an
dem Tage, wo man zu London das Ehrengedächtniss Harvey's be-
gehen wird."
Ceradini schliesst seine „Untersuchungen" mit jenem zwei-
ten Wunsche, dass am Eingang des alten Athenäum von Pisa in
semplice stile narrativo die Inschrift angebracht werde mit dem
vel und etiam und ipsissitna voce usus, die uns zu guter Letzt noch
die hohe monumentale Tendenz^des Qualche appunto storico-critico
enthüllt.
In diesem Resultate Ceradini's kümmert uns wenig, ob Pa-
dua oder Bologna oder Pisa schöner glänzen ? Dagegen ist Jedem
höchst auffällig, dass in der Aufzählung der Männer, welche sich
um die Blutumlaufs-Entdeckung Verdienste erworben haben, ganz
fehlt der Name des Mannes, dem wir mit Leibniz die Initiative
zuschreiben, Michael Servet. Hat Ceradini den Servet nicht
gekannt? Oder von der ihm zugeschriebenen Bedeutung für die
Physiologie nichts gewusst? Wir können den Genueser Professor
7) non avenäovi cotUHhuito n^ Vesalio ni Vidio ni Faloppia ni Colombo
(S. 218).
(S46)
— w ~
aolcher UnwiAoanheit nicht beschuldige. Oeradini citirt den Spanier
sidbenzig Mal. Und aus Ceradini kann, wer es noch nicht wüsstc,
leriaen, wie hoch Andere den Servet gehalten haben ?
Ich führe einige dahin gehende Beispiele an : Servers Zeitgenosse,
Petrus Monavius ftus Breslau, 1578 Dr, med. zu Basel, später
in Breslau Arzt, zuletzt Kaiser Rudolph des Zweiten Hofmedicus,
schreibt in einem ,,Patavij, Anno 1576" datirten Briefe*) — S. 72
8) Die auch zur Kennzeichnung der Stellung VesaPs zum Servet charak-
teristische Stelle lautet wörtlich: ^^%nu$ iamen iiUerea argumentis quibusdam
Aristotßlicis sQtisfacttmf qnae insignit in hac re ariifex Vesalius contra Gale-
num vehementer urget. Cum cordis structuram sub manibus huberet, simplici-
ter affirmabat , acsi id controversum non fuissetj e dextro ventriculo in sini-
strum sanguinem per sepium interpositum transsudare^ ac foraminula quaedam
adhibito specillo ostendebat^ quae interstiiio illo medio appareiU. De quo tarnen
a multis dubitatum video, Ac memini cum ante biennium Figafetta ItaluSf
et ipse olim Fallopii diMcipnluSy HeydeWergae iissectioni incumberet manifeste
negasse illum^ fieri posse^ ut per tam densum diaphragma aliquid sanguinis
deferri ex uno thalamo in alterum posset, . . Se, dum certius aliquid ipse ex-
periatur, Hispano cuidam secHonis perito^ cuius nunc nomen non occur-
ritf asseniiri mallcj a quo illtid proditum sity per longissimas ambages et cir-
cuiitis sanguinerny in dexiro cordis ventriculo praeparalum^ in sinistrum per
pulmones duci, ut quidem ego conjiciOy venae arterialis ramorum ope et mini-
sterio.^^ Also 1574 erklärt sich Pigaf etta für die Lehre desbpauiers, dessen
Name dem Monavius nunc (1576 in Padua) night heifällt. Der Name kann
nur Servet sein, nicht Valverde, denn letzterer schreibt noch 1589 (Ana-
tome corp. hum. Venetiis 1589 8. 289): id firmum ratumque habeo ex arieriali
vena sanguinem in pulmonia jubstantiam resudare ... et hinc in sinistrum
aordis ventriculum defertur^ crassiori sanguini p ermixtus^ qui a
dextro cordis ventriculo in sinistrum permeat, si quid tarnen
ipsius permeat ; mihi enim nunquam hactenus videre contigil qua perduci queat ;
sed si deducitur, ex utroque hoc sauguine corpus quoddam consurgity
in vitales Spiritus commutari aptumf Ebenso in der Italienischen Ausgabe
1560. Also ist Valverde nicht sicher, dass vom rechten Ventrikel in den lin-
ken kein Blut geht. Servet ist aber sicher, indem er (s. oben 1. Cap.) sagt:
Fit autem communicatio haec non per parietem cordis medium^ ut vulgo creditur^
sed magno artificio a dextro cordis ventriculo^ longo per pulmones ductuy agi-
tatur sanguis subtiHs ; a pulmonibus praeparatur, flavus efficitur et a vena ar-
teriosa in arteriam venosam transfundiiur ; . . inspirato aere miscetur , . .
atque itß tandem a sinistro cordis ventriculo iotum mixtum per diasiolen at-
irahitur; und hinzufügt : pariesi ille medins^ cum sit vasorum (d. h. beide Herz-
kammern verbindende Gefässe) et facultatum expers^ non est aptus ad commu-
nicaiionem et elaborationem illam, licet aliquid resudare ^/ossil (höchstens
könnte etwas durchschwitzen). Da übrigens Valverde, ein unbedeutender Com-
pilator, in seinem Compendium den Vesal ausschrieb, wie schon Haller (Bibt.
anats 1774 Bd^ I. Su 2115 pen$ totum ex Ve^aliQ tramscriptum) bemeikt, so
liegt es nahe zu vermuthen, er habe hier seinen Landsmann Servet^ dessen
i9m
— »6 —
Wird richtig Joh. CratomU ContU. et Epp. Fräncoft. 1655 S. 344
citirt -^ an seinen Freund Crato von Kraftheim, den berühmten
Schlesischen Humanisten*): ein Spanier sei es gewesen, welcher
schon vor Pigafetta und Faloppia die ündurchdringlichkeit der
Herzscheidewand gelehrt hätte. Dass Mohavius Valverde's Vor-
gänger meint, den Michael Servet, liegt so nahe, dass selbst Ce-
radini (S. 107) äussert: Si potrebbe sospeilare che si trattaue di
Reves. Und in der That, durfte (falls in Wahrheit der Name dem
Briefschreiber bekannt war) man 1576 die Restitutio christiani$mi
ebensowenig nennen in Padua, wie unter den gegen Servet
Wuth schnaubenden Protestanten in Schlesien, oder in Österreich
unter den fanatischen Katholiken. Daher wundert die Namensver-
schweigung Niemand, der da weiss wie leicht damals, wo es keine
Post gab, aufgefangene Briefe des Freundes den Freund compro-
mittirt und in Kerker und Tod gebracht haben. Dass aber Crato,
der Schlesische Briefempfänger^ einst in Verona Professor, den Ser-
vet kannte und schätzte, das kann selbst Ceradini nicht leugnen.
Denn da, wo nichts zu riskiren ist, betreff der niemals angefoch-
tenen Schrift Servet's von den Syrupen, schreibt Crato von Kraft-
heim an Petrus Monavius 10. Juli 1582, wie Ceradini (S. 107)
richtig citirt: Uabes de his praeitantem monitorem Michaelem
FillanotantMi , pii ptaeitantiinmum libetium de coctione humorum
et usu sgrupörum icripHt*% Der Schluss Ceradini's, weil an
einer Stelle Crato von Servet nur die Schrift über die Syrupe
citirt, so könne er unmöglich desselben Verfassers andere Schrift,
die Reititutio Chrißtianiitni gekannt haben, ist hinfallig; ebenso
hinfällig, wie der parallele Schluss: ,,Petrus Monavius kannte 1582
Servet's Schrift von den Syrupen nicht: folglich könne er nicht
schon 1576 Servet's Reititutio gekannt haben." Servet war ein
Polyhistor. Er hatte so viel geschrieben, dass davon seine besten
Freunde zumeist nur einen Theil kannten.
Neben dem Lobe Servet's, des Spanischen Arztes, aus dem
ResWutio anonym erschien, mit Reserve benutzt. Auch passt die Notiz des
Monavius, sein Ungenannter sei sectionis peritus nicht auf Valverde, der (siehe
HaHer I. c.) üach des Catcanus und Vesal Zeugüiss Corpora hutnana non incidii^
wohl aber auf Servet, der anatomes minima impetitus Asdfstent seines Lehrers
J* Günther war (Haller L c. S. 204 und bes. 174) und für diesen menschliche
Leichen secirte und demonstrirte, wie Vesal. P.
9) Vgl. Gillet: Crato von Craftheim. Frankf. a. M. 1860. 2 Bde.
10) Die Stelle findet man in Jo, Craionis a Kraftheim consiL et epistol.
liber. Framofutti 159L S. 1^9-^200. P.
— 66 —
Munde Crato's, des Hofarztes von drei Kaisern — Ferdinand I,
Maximilian IL, Rudolph IL — führt nun Ceradini an das Lob Ser-
vers von Sievert (Dissert de morbis N. 61) und Jo. Bapt. Mor-
gagni, ersten anatomischen Professors zu Padua {Epuiolae ana-
tomicae duae. Lug d. Bat 1728 S. 95). Da es sich um den Mann
handelt, dem Ceradini jede Bedeutung für die Entdeckung des
Blutumlaufs abspricht, so setze ich auch diese Stelle her im Latei-
nischen Original, wörtlich so, wie sie Ceradini (S. 107 und 108)
citirt. Morgagni schreibt an seinen Freund: verum ut intelHgas,
me non de hujus — der zu Padua — aut illius academiae laudi-
buSi sed de vero in medicinae et anatomes hiitoria laborare, sie ha-
beto: non Colwnbum, quem quidem virum in serie illa incomparabili
repono summorum anatomicorum, qui Patavii docuerunt ; non Colum-
bum , inquam , sed nihil ad te aut ad me attinentem — es stank
also, bemerkt Ceradini, noch immer nach mehr als hundertjähri-
gem Verlauf vor der heiligen Inquisition das Gedächtniss des
armen Reves — imo ab utroque nostrum ob insana commenta dam-
nandum^ quae in religionem invehere conatus est, Hispanum medicum
Michaelem Servetum sex et viginti annis ante Columbum minorem
illum circuittim sanguinis diserte (radidisae: quod ex ejus verbis li-
quet per Cl. Sieverlum (Dissert. de morbis etc. JS, 61 j aliosque ante
hos annos duodecim evulgatis, ab ipso autem Serveto editis A, 1563,^''
So schreibt Morgagni, wie Ceradini berichtet, aus Padua an
den Iden des April 1726: Morgagni, dessen Hochschätzung des
Arztes Servet, als welcher den kleinen Blutumlauf entdeckt habe,
um so unparteiischer erscheint, als ihn und seinen Freund, den
Adressaten, Grauen erfasst vor des Theologen Servet verdammungs-
werthen und sinnlosen Unternehmungen. Sievert's Dissertai. de mor-
bis scheinen 1714 — ante hos annos duodecim, schreibt Morgagni
1726 — herausgekommen zu sein. Sie steht mir nicht zu Gebot.
Wohl aber jene alii, auf die Morgagni 1726 anspielt. Nicht dass
Morgagni den lächerlichen Einfall hätte, Servet's 1553 gedruckte
Restitutio sei erst 1726 verkauft worden, wie ihm Ceradini supputiren
möchte (S. 108); sondern Morgagni weiss, was Ceradini unbekannt
blieb, dass im Jahre 1711 Dr. Mead in London, der frühere
Besitzer des berühmten Pariser Exemplars, von dem Werke Ser-
vet's Restitutio chriuianismi einen vorzüglich gelungenen Nachdruck
herausgab ' *)|: und dass nunmehr, durch die Lettre de Mr, des
Maizaux ä Mr, Read (Scaligerana, Amstd. 1711), die Restitutio
11) Die schnelle Confiscation S. bei Mosheim : And. Vers. 372.
(848)
— 57 —
eine vorher nie möglich gewesene öffentliche Verbreitung erhielt.
Dieser Nachdruck steht S. 40 in der Bibliotheque de Boze und
No. 914 in der Bibliotheque du duc de la Valliere^ und ist besser
gelungen als der zweite Nachdruck, den 1791 der Nürnberger
Wagamtmann Chrph. Geb. von Murr*^) besorgte*^). Seit dem
Mead 'sehen /2e5*i^tifio- Abdruck von 1711 fing in der Servet-Literatur
ein neues Leben an. Gleich 1711 im November und im folgen-
den Jahre publicirte Michael de la Roche, anonym, seine bahn-
brechenden Servet-Studien in den Memoirs of Literature. Lond.
Vol. I und n. Und 1715 veröffentlicht Lateinisch Jac. Douglas,
den auch Geradini oft citirt, zu London sein Bibliographiae ano'
tomicae specimen, sive Catalogus omnium auctorum, qui ab Hippo-
craie ad Harveum rem anatomicam illustrarunt. Die falschen Zeich-
nungen^ des Spanischen Anatomen corrigirt wieder la Roche's
kundige Hand in der Bibliotheque angloise (Amstd. 1717 S. 303—311).
Und wieder nur zwei Jahr später publicirt zu Lübeck J. H. van
Seelen die Notitia librorum Michaelis Serveti de Trinitate* 1719.
4**. Darauf 1724 beginnt jene Impartial History of Michael Serve-
tus, die seitdem zu London trotz ihres unwissenschaftlichen Cha-
rakters vier Auflagen erlebt hat. Endlich 1727 mit Allwoerden's
Historia Michaelis Serveti, Helmstädt, 4^. fängt die dritte Epoche
der Servet-Literatur an, die in den Mosheim'schen und Artigny'-
schen Werken ihren Höhepunct erreicht und in Trechsel, Rilliet,
Stähelin ihre letzten Ausläufer findet. Die non piccola sorpresa
beim Durchlesen der Morgagni'schen Stelle aus dem Frühjahr 1726
datirt daher bei Ceradini (S. 107) nur aus dem Umstand, dass er
die Servet-Literatur nicht kennt. Dass aber Morgagni schreibt»
26 Jahre vor Golombo h^be Servet den kleinen Blutumlauf ent-
deckt, löst sich viel einfacher, als Ceradini denkt. Morgagni hat
von Realdo Colombo die L. XV de re anatomica nicht in der
ersten Ausgabe von 1559, die Ceradini citirt (S. 46), sondern in
der weit häufigeren von 1572 vor sich gehabt, die auch Flourens
benutzte (S. 30 HisL de la decouv.). Zieht man nun von 1572
die sechsundzwanzig dös Morgagni ab, so erhält man das Jahr
1546, d. h. eben das Jahr, von dem durch Calvin's Briefe fest-
steht, dass in diesem Jahre ihm schon Servet das Manuscript der
Restitutio zugesandt hat, um Calvin's Urtheil zu hören : eine That-
12) Red. des Journal zur Kunstgeschichte. Nürnbg. 1775 ff.
1$ Ich sah davon zwei Exemplare, eines zu München und eines zu Bern
D. 40.
(849)
— 58 —
Sache, die dem Morgagni ans den Memoirs of Literatwe I. 351.
Lond. 1711 wohl bekannt sein konnte.
Der dritte Freund und Lobredner des Spanischen Arztes, den
wir aus seinem Verächter Ceradini kennen lernen, ist neben dem
Deutschen Crato von Kraftheim (1582) und Morgagni, dem Italie-
ner (1728), der Franzose Portal, Verfasser der /lUtöire de Vana-
tomie et de la Chirurgie (Paris 1778) und eines Coun d'anatomie
medicaU (Paris 1804). Dieser nun, wo er das Verdienst der ana-
tomischen Wegebereiter Harvey's abmisst, sagt (Bd. II. S. 20 fg.
des erstgenannten Werkes), wenn man dem Ceradini (S. 203)
trauen darf: la communication des arteres et de$ veines a eti d6
couverte par ServeL . . . Cesalpin tia rien su de plus parUctdiet sur
la circulation que les autettrs qui tont pricide.
Ihm schliesst sich chronologisch ein halb Jahrhundert später
ein vierter Freund Servet's an, mit dem uns Ceradini bekannt
macht. Er ist wie Portal Franzose. In der Gal&rie des cdlS-
btiUs mSdicaJes de la renaissance (Gaz. m^d, de Paris XII. 1844.
No. 36 S. 569, wie Ceradini citirt) erklärt Mich^a: ^^Michel Ser-
vet fut presque un double martyr. Six ans aprks le jour, oii Calvin
Im enlevait Vexistence, un midecin italien le depouillait impun^ment
de ses iddts. Columbus, qui dans la dScouverte de la petite circu-
lation fia dautres mMtes, que celui de faire revenir des veines pul-
monaires un sang degage d*esprit vital» Columbus eut Vaudace de $e
dicemer les palmes du g4nie* Mais le temps a rendu justice ä Mi-
chel Servet : ce malheureux savant restera teujours le point de dSpart
de la chatne, dont CSsalpin et Harvey sont les demiers anneaux*'*
Wer es nicht wüsste, könnte aus Ceradini (S. 8 al. s.) erfah-
ren, dass auch dreizehn Jahr später wieder ein Franzose, der be-
rühmte Flourens {Hist. de la däcouv. Par. 1857) den Servet zum
Ausgang der wichtigsten Entdeckungen macht: Ruini a connu la
circulation pulmonaire, mais il ne Va connue qu^ apres Servet etc.
Ein sechster Freund des Spanischen Arztes bei Ceradini S. 9
(vgl. S. 61) mag den Reigen schliessen. Vor zehn Jahren fasst
Valentin im „Versuch einer physiologischen Pathologie des Her-
zens" (Leipzig und Heidelb. 1866 8. 472) sein Resultat dahin zu-
sammen: „Es ergiebt sich im Ganzen, dass sich Servet 1553 für
den Lungenkreislauf, und Ruini, vielleicht bekannt mit den 1588
veröffentlichten Andeutungen von Cesalpin, 1598 für diesen und
den Körperkreislauf klar und entschieden nach theoretischen Auf-
fassungen öffentlich ausgesprochen haben. Andreas Cesalpin hob
schon hervor, dass nur die peripherischen Abschnitte der umter-
— 5« —
bundenen Blutadern anschwellen. Er befreite sich aber nicht von
den Vorstellungen seiner Zeitgenossen, dass Blut durch die Scheide-
wand des Herzens schwitze, und dasselbe in den grossen Geissen
nur hin und her schwanke. Er hatte dessen ungeachtet vielleicht
eine unklare Ahnung des grossen Kreislaufes." —
Dankbar für die Hülfstruppen, die uns Ceradini geliefert hat,
wollen wir nun prüfen, warum Ceradini trotz alledem in der Reihe
der Entdecker des Blutumlaufs keine Stelle frei hält für den un-
glücklichen Spanier. Seine Antwort ist die, dass er den Servet
besser kenne als seine Vertheidiger.
Hören wir Ceradini 1) über Servet's Namen 2) über Servet's
Geschick 3) über Servet's Werke und 4) über Servet's physiolo-
gische Ansichten. Ceradini sieht seine Gegner sich sdir genau
an: er erwirbt diesen dadurch das Anrecht, dass sie ihn selber
scharf in's Auge nehmen.
I. Über Servet's Namen belehrt uns Ceradini, der Spa-
nier hiesse eigentlich garnicht Servet. Serveto, das sei das
Pseudonym, das er erst angenommen habe, als er Autor wurde
(S. 14). Sein eigentlicher Name sei Reves. Darum citirt ihn
Ceradini immer unter letzterem Namen. Wie nun aber, wenn der
Ceradini'schen Behauptung die Mosheim'sche Behauptung sich
gegenüberstellt: „Er nahm in Frankreich den Namen „Ä«r6«" an
und legte seinen angeborenen Namen „Serveto''' ab" **). Wie, wenn
Andere den Ceradini belehren, Rcves sei überhaupt garkein Name,
sondern ein Anagramm von Serve, oder, wie wieder Andere be-
haupten, Revet sei ein Spottname aus des Spaniers Toulouser
Studentenzeit und bedeute sei es „Träume", sei es, wie das
Spanische Lexikon lehrt, „Rückseite", „Hinterseite", und im figür-
lichen Sinne, den Unfall, die Widerwärtigkeit und den Wankelmuth ?
Und in der That kommt in Spanien als Name das Wort IUve$
nirgends vor. Wir könnten es nun Ceradini überlassen, bei seiner
/2ece«-Hypothese, die als Thatsache hingestellt wird, sich mit den
drei Gegenhypothesen abzufinden. Indess da es uns nicht auf
Polemik, sondern auf die Wahrheit ankommt, so wollen wir mit
Unparteilichkeit alle vier Behauptungen prüfen.
Wo finden wir den Namen Reves? 1) auf dem Titel De Tri-
nitalis erroribus libri Septem, Per Michaelem Serveto alias Reves
ab Arragonia Bispanwn. Anna MD XXXI; 2) auf dem Titel Dia-
logorum de Trinitaie libri duo. De justicia regni Christi capitula
14) Ander w. Versuch S. 7. 110 f. Vgl. Sandius : BibUotheca AnlUriniiar, S.6.
— 60 —
quatuw. Per Michaelem Serveio, alias Reves, ab Arragonia Hispa-
num. Anno MDXXXH; 3) in der Aufschrift von M. Bucer's
Brief, datirt Strassburg, 8. Juli (1532): D. Michaeli Reves in Do-
mino diUcto^^)\ 4) in dem Brief des Guillaume de Trie aus
Genf an seinen Vetter Antoine Arneys in Lyon, Satirt vom
letzten März (1553): il s*excu$e de ce quHl s'eit faict nommer Ville-
neufve, combien que so/i nom soit Servetus alias Retes^^); 5) mit der
Französirung, im Genfer Process, unter dem 23. August 1553: de
son nom il sapelle (sie!) Michel et son sumom Servet alias Revers ^^),
Öfter kommt im Leben Michael Servet's der Name Reves
nicht vor. Wer die 5 Stellen näher ansieht, wird bemerken : a)
dass gerade der Name Reves nicht eher erscheint, als bis Ser-
vet als Schriftsteller auftritt; b) dass der Name Reves meist nur
vorkommt hinter dem Namen Servet, vier Mal mit diesem in
eins verbunden durch ein alias; c) in der Bucer'schen Aufschrift
erscheint er als Abwechslung für Servet. Denn in dem un-
mittelbar vorangehenden Briefe Bucer's lautet die Aufschrift:
Martinus Bucerus Serveto'*).
Steht nun Servet und Reves zu einander niemals im Gegen-
satz, sondern immer nur in freundschaftlicher Verbindung, so ist
es unmöglich mit Ceradini anzunehmen, der zweite Name, Reves,
sei der ältere, eigentliche: eine Vermuthung, gegen welche ins-
besondere auch spricht, dass der Spanier, mit Ausnahme jener 5
Stellen (in denen 4 Servet alias Reves), immer nur, wo Lateinisch
gesprochen wird, Servetus, wo Französisch Servet, in Italien
Serveto.heisst; oder aber, wo man Französich spricht, nach dem
Stammschloss seiner Familie Michel de Villeneuve, in Latei-
nischen Schriften Michael Villanovanus: eine Verbindung, die
sich in seinem letzten Werke, der Restitutio, am Schluss des Gan-
zen in den Initialen wiederspiegelt M.(ichael) S.(ervetus) V.(illano-
vanus). Aber nicht besser, als Ceradini's Vermuthung ist die
Henry's'*), Reves sei wahrscheinlich Anagramm von Serveto. Denn
selbst vorausgesetzt, es handle sich nicht um Serveto, sondern
um Servet, und nicht um Reves, sondern um „Revest" oder
„Treves", was doch beides niemals vorkommt, aber allein alle
Buchstaben von Servet enthalten würde: so stimmt eine solche
15) Corpus Reformatorum. Vol. XXXVI. Brunsw. 1870. ed. Baum, S. 869.
16) 1. c. S. 843.
17) 1. c. S. 766.
18) 1. c. S. 868.
19) Leben Joh. Calyin's 1. 105.
(SM)
— 61 —
Spielerei doch in keiner Weise weder mit dem heiligen Titel, wo
sie erscheint: „Sieben Bücher von der Dreieinigkeit", noch mit
dem ernsten, fast elegischen Sinn des Spanischen Verfassers, dessen
ingemisco, contremisco^ perharresco, viscera concutiuntur, non po»$wn
non flere, res trUtissima orbi die Luft erfüllen. Gerade so wenig
istMosheim's Vermuthung gegründet, ßeves = reves „Träume-
reien" sei ein Spitzname gewesen aus der Toulouser Studenten-
zeit. Denn abgesehen davon, dass man RHeur erwartet, und nicht
Revesy und dass es überhaupt im 16. Jahrhundert keine Sitte war,
sich gern selber lächerlich zu machen: was konnte der Spanier
für sich Gutes erhoffen, wenn in einem Buche, das die Kirchen-
lehre reformiren soll, er sich muthwillig gleich auf dem Titel
einen Träumer nennt (rives) oder einen verkehrten, unzuverlässi-
gen, wetterwendischen Menschen (reves): zu geschweigen, dass der
stolze Titel Per Michaelem Serveio alias Reves ab Arragonia Hispa-
num schon an sich selber derartige Selbstironisirung ausschliessen
muss. Nicht glücklicher ist endlich die viel verbreitete Annahme,
Servet habe sich den Namen Reves erfunden, um verborgen zu
bleiben und sich gegen drohende Verfolgungen zu schützen. Der
Spanier wäre ja ein Narr gewesen, wenn er — um verborgen zu
bleiben — neben Reves seinen Vornamen nennt und seinen Vaters-
namen und seine Nationalität und sein Königreich. Nein, dem
zwanzigjährigen Jüngling kam es darauf an, aller Welt recht be-
kannt zu werden, und darum gerade nennt er sich gleich auf dem
Titel seiner beiden Erstlingswerke Michael Serveto alias Reves ab
Arragonia Hispanus,
Es wird daher keines sonderlichen Scharfsinns bedürfen, um
das Verhältniss der beiden Namen Servet und Reves zu be-
stimmen. Die Spanische Sitte liebt die Doppelnamen bei dem
Adel. Man will damit im Gegensatz gegen die Mauren den echt-
christlichen Ursprung nach väterlicher und mütterlicher Seite be-
weisen. Wie die Meryy-Colomb, ReboUedo-y^Monclus , Garcia-y-
Hermandez, Urries-y-Ayerbe, Manuel- y-Belmonte, Vargas-y-Talavera
u. V. a., so nannte sich Michael, der Arragonier, weil entsprungen
von chrStiens d^ancienne race, vivants noblement — Genfer Aus-
sage vom 23. August 1553*") — Miguel^^) Servet-y- Reves.
Man kann sich über diese allereinfachste Erklärung schon
20) Corpus Reformator, 1. c. S. 767. T. XII— XVIII.
21) E. Saisset, Mälanges, Par. 1859. S. 124 pbantasirt von einer Form
Micftgl.
— 62 —
aus einer Abhandlung in Kahnis, Zeitschrift für historische Theo-
logie 1875, IV. S. 552 informiren. Dass aber nicht Servetus,
wie viele Medicraer glauben, noch Serveto, wie meist die
Theologen annehmen, am wenigsten Servede, wie einige gelehrt
thun wollen*'), der eigentliche Vatersname MichaePs ist, legt
schon die Anatogie der anderen Arragonischen Namen nahe.
Bei Villanueva in den Viaje^^), bei Madramany in der Noöleza
de Aragon^^) U. a. w. treten die Avi feiet, Benet, Bolet, Bonety
B&iety Burquet^ Canet, FenoUet, Uaret, Raset, Tabertet und andere
lange Reihen Arragonier auf .,. et hervor, neben dem einen Fran-
cisco Mweto^'^): gerade wie in dem so stammverwandten'®) Fran-
zösischen Süden zu Servet's Zeit die Clevet, Dolet, Feret, Fevet,
Hervei, Muret^ Rietet, Poiret, Seret u. a. m. '^) ; während Michael's
Vetter Andreas Serveio, der Professor beider Rechte in Bologna
und baiserliche Obertribunalsrath , sich auf seinen Italienischen
Werken Serveto schreibt, gerade wie Michael kurz nach seiner
Italienischen Reise. Ceradini's Behauptung hat also keinen Grund.
IL Über Servet's Geschick bringt Ceradini (S. 7& fg.) so
viel Neues, dass man unentdeckte Quellen bei ihm vermuthen
könnte. Und doch kennt Ceradini nicht die Cothmentarn faculta-
Hs medicinae Patisiensis, aus denen die zwischen Franzosen und
Deutschen, zwischen Katholiken und Protestanten seit anderthalb
Jahrhunderten schwebende Streitfrage betreffs des Geburtsorts von
Michael Servet für das Navarrische Tudela entschieden worden
ist'*). Ceradini kennt nicM die Vandenesse'sche Reiseroute**),
welche uns jede Station der Italienischen Reise Servet's angicbt
und es Aber alle Zweifel erhebt, dass Servet nicht in Padua
war noch in Venedig. Ceradini kennt keinen Servet-Biographen
ausser Mich^. Desto kühner hält er Gericht über „flagrante
Anachronismen^^ im Leben Servet's, ohne zu ahnen, dass was er
an> Anderen rügt, das geschichtlich fest Bezeugte, was er selber
berichtet, vollständig baltlos ist.
leb will gern bei Ceradini landläufige Fehler übersäen , wie
22) Leider auch Göschen : Deutsche Klinik. 1875. S. 68.
23) MaNMd 185^.
^) Valencia^ 1788.
25) XII. 128.
26) Rosa. St. Hilaire: Histoire d'Espagne. V. 88.
27) S. z. B. Archive» de Prance, MaUnäes. X. 4909.
28) Kahnis 1. c S. 547. No. 11.
29) Bradford : Itinerary of Charles V, S. 495 fg. London 1850.
0H>4}
1
V
— 63 —
dass Michael Servet in Villaimeva geboren sei, während es Vila-
nava ist, seines Vaters Geburtsort, in dem Sprengel von Lerida *®),
nach dem er seinen Namen wählt; dass er geboren sei 1509, wäh-
rend er in Wirklichkeit erst 1511 das Licht dieser Weh erblidkt
hat, und ähnliches mehr. Aber wenn Ceradini den Mann, der nie
in den Niederlanden gewesen ist, zwei bis drei Jahr in Leiden**)
zubringen lässt, statt in Lyon, und von Toulouse über Leiden nach
Paris führt; wenn er Servet's Pariser Lehrer U eelebre Silvio b
veramente Dubois dt Hanau nennt (S. 75) statt Jacques Dubois
d'Amiens^^); wenn er Servet 1542 nach Leiden zurückruft behufs
Beschäftigung als Gorrector in einer Druckerei und ihn von den
Niederlanden aus, seine erste und einzige Italienisdie Reise vor^
nehmen lässt, um sich dadurch für die medicinische Praxis in
Vienne tüchtig zu machen: so sind das eitle Phantastereien, die
man in unserem Jahrhundert nicht mehr für möglich gehalten
hätte und die jeden Kenner lebhaft an Servet's „Reisen nach
Mawretanien, in die Türkei und zu den Mongolen^* erinnern. Um
dergleichen Mährchen uns zu ersparen, hätte Geradini die erste
beste Fita Serveti nachschlagen können, sei es eins der drei Mos*
heim'schen Werke, sei es Nicöron's Memoire» Par. 1730 XL 224 —
247, sei es d'Artigny's Nouv. m^moires 1749, 11. Art. 11, odte» das
NoHveau dictionnaire hisioriqv>e critique von^Ghauffepi^ 1756Am8td.
(Englisch v. Yair 1771) oder die Biographie vmAotneUt. Par. 1825
od€r Rilliet, Saisset, Trechsel, Henry, Stähelin, Drummond, Schade
oder Brunnemann, meiner Abhandlungen^') zu gescfaweigen.
Statt dessen baut Geradini sein Qumlche appuido it&rieo^-erUieo
mit der grössten Gelassenheit auf ein luftiges, geschieht»- und
kritikloses Fundament Er construirt die Geschieht©. Wenn Re-
ves, sagt Geradini, wie Michea glaubt — und , fügen wir hnizn,
wie die Geschichte lehrt — schon 1530 aus Italien zurückgekehrt
ist, so müsste er ja (1509 geboren) schon mit dem zwanzigsten
Lebensjahre die Universität besucht haben (S^ 75). Dass auch
Harvey zwanzigjährig die Universität bezogen; dass Melanehthon
im siebzehnten Jahre die Studien vollendet und die Magister-^Prü-
fung bestanden hat, dass gerade Servet's Zeitalter an frühreifen
Naturen und sogen. Wunderkindern reich war: das verseUägt für
30) Ott. 1 des Verhörs vom 23. August 1668 S. -Cffp* Bef. I. c. 766i
31) In (Honda S. 76.
32) Vgl. J. SylvH Opfk. medie. CfentK 1680. Fal
88) Vgl. Jenaer Literaturzeitung 1876 Art. 16, Thec4ogiich Tijdsehrifl.
Leiden 1876 S. 388 fg., Studihh en. Btjda-agßn, Amt 1876. S^ 488 %;^
— 64 -
Geradini nichts, da ihm ja von vornherein, ohne jede Untersuchung
feststeht, dass Harvey, den er anderwärts so heruntersetzt, sich
von Jugend auf gezeigt habe als un ingegno superiofe (S. 75);
während Servet, dessen reiche Jünglingskenntnisse Lyncurius, de
la Roche, Artigny, G. Arnold, Saisset bewundern, und den selbst
Calvin, Beza, Henry und Stähelin anstaunen, in Ceradini's Augen
doch nie etwas Verständiges geleistet habe. Geradezu komisch
aber ist es, vorauszusetzen, dass Servet aus gar keiner anderen
Ursache Italien besucht haben könne, als um Medicin zu studiren,
da doch schon aus Servet's Vienner Prozess längst über allen
Zweifel erhoben ist, dass er als Page des kaiserlichen Beichtvaters
1529 nach Italien ging und von Italien als Page des kaiserlichen
Beichtvaters 1530 nach dem Reichstag zu Augsburg^*). Michael
Servet ^ar nur Ein Mal in Italien , und dies eine Mal hat er in
Italien weder Philosophie noch Naturwissenschaften, weder Juris-
prudenz noch Theologie studirt, am allerwenigsten aber Medicin:
als Page Juan de Quintana's auf der Krönungsreise seines Kai-
sers vollauf beschäftigt'*). Wie Servet ein Mediciner wurde, vier
Jahre später zu Lyon unter Symphorien Champier**), das habe
ich anderswo ''^) gezeigt.
Ist nun aber Michael Servet 1540—1543 nicht in Padua ge-
wesen, sondern in Charlieu, Lyon und Vienne '*), so kann er auch
nicht in Padua, wie Ceradini vermuthet, seinen früheren Mitschü-
ler, Vesal (S. 76) und Colombo (S. 78), dessen Paduaner Substi-
tuten, gehört haben, so geistvoll auch sonst die unglücklichen**)
Gombinationen manchem Unkundigen erscheinen mögen. Auch
bedauert man die Mühe, welche der Genueser Physiologe sich
nimmt, um zu Gunsten seiner Gombinationen alle hergebrachte
Chronologie über den Haufen zu werfen (S. 77). Und um den
hohen Preis, den Spanischen Ketzer auszumerzen aus der Liste
derer, die sich Verdienste erworben haben um die Entdeckung
des Blutumlaufs, lässt Ceradini den Valverde, Michael's Fach- und
Stammesgenossen, express von Rom, wo er vielleicht (forse) seine
Studien beendet hatte, 1552 eine Reise nach Paris unternehmen.
84) Vgl. z. B. Corp, Reformat S. 846.
35) Magazin d. Auslandes. Berlin 1874. S. 230—233. 259 fg.
86) Virchow , Archiv f. patholog. Anatomie. Berl. 1874. 377 ff.
3"^ Göschen, Deutsche Klinik. Stuttg. 1875. 57—59. 65—68.
38) Vgl. z. B. Artigny, Nouv. Mämoires II. S. 63 fg.
89) Alles was Ceradini über Vesal, das Brüsseler Kind, fabelt (S. 214. 78.
Vgl. S. 64), haben wir hier nicht Zeit zu widerlegen.
im)
- 65 —
um dort mit Robert Etienne, dem Drucker seines Werkes de ani-
mi et corporis sanitate tuenda, zu verhandeln und lässt ihn darum
— non ci pare iroppo arrischiato il sospetto — seinen CoUegen in
Vienne besuchen, um (I) dem medicotkeologus in?s Gedächtniss zu-
rückzurufen, was er vor zehn Jahren zu Padua in den Vorlesungen
des Colombo gehört hatte von dem Blutumlauf (S. 80). Schade
nur, dass Servet in Padua nichts gehört hatte, weil er nie in
Padua gewesen, Valverde aber den Stephanus 1552 nicht in Pa-
ris besuchen konnte, weil Rob. Stephanus schon im November
1550 nach Genf zu seinem Freunde Calvin übergesiedelt war*^).
Auch möchte es zweifelhaft erscheinen, mit welchem Recht Cera-
dini den Bruder Robert Estienne's den Entdecker der Pfortader-
Klappen *^) nennt (S. 80). Bekanntlich hat Fabrice d'Acquapen-
dente die Venenklappen entdeckt*'). Charles Estienne aber, der
Verfasser des Werks de dissectione partium corporis humani (Paris
1546 Fol.), als Buchdrucker berühmt genug, als Anatom ein Geg-
ner des Jacob Sylvius, zeigt durch die Rohheit der seinem Werke
beigegebenen Abbildungen*^), wie wenig er an Männer wie Vesal,
Jac. Sylvius und Fabrice d'Acquapendente heranreichte.
Ebenso schlecht unterrichtet wie über Servet's Lebensschicksale
zeigt sich Ceradini (S. 112) über seinen Tod. Ein Scheiterhaufen,
meint er , war damals etwa§ so gewöhnliches , dass er nicht im
Stande gewesen wäre, dem, der ihm zum Opfer fiel, Berühmtheit
zu verleihen. Deshalb könne auch Servet's Scheiterhaufen nicht
die öflfentliche Aufmerksamkeit auf sein Werk gelenkt haben. Wir
erwidern, dass die behauptete Unmöglichkeit schweigen muss an-
gesichts der constatirten Thatsache. Und die durch die Weltge-
schichte constatirte Thatsache ist die, dass in Wirklichkeit seit
der Reformation kein Scheiterhaufen ein solches Aufsehen gemacht
hat, als der protestantische des Michael Servet. Darum nimmt denn
auch in Voltaire's Essai des moeurs der Eine Genfer Scheiterhaufen
soviel Raum Bin, wie alle andern insgesammt **). Weil von dem
Lichte dieses Scheiterhaufens ein unerwartet neues Licht fällt auf
die Tendenzen des damaligen Protestantismus, in dessen Auftrag
40) Haag, France proiestante, Art. Robert £stienne T. V. S. 7^.
41) Diese Angabe ist um so auffaUender, als bekanntlicb die Pfortader
keine Klappen besitzt. P.
42) Flourens 1. c. S. 86.
48) Vgl. Graesse, Literärgeschichte des 16. Jahrb. S. 1024.
44) Vgl. Ilengstenberg, Evangel. Kirchenzeitung 1862, 80. April. S. 409.
(867) 5
— 66 —
Calvin handelte**), so knüpfte sich an Servet's Namen gleich da-
mals unter den Humanisten, Theologen, Juristen und Medicinem
eine so überreiche Literatur, dass es 1553—1653 auf den Univer-
sitäten von Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Italien wohl
viele gab, welche, in der Erkenntniss der Gefahr des Beistimmens,
lieber öffentlich ihre Ansicht zurückhielten; keinen aber so leicht,
der nicht im Herzen Partei genommen hätte für Servet oder wider
Servet**). Und ganz besonders war dies der Fall in Italien: wo
durch die Verbrennung im protestantischen Rom die Aufinerk-
samkeit der ganzen wissenschaftlichen Welt besonders auf die
Restitutio gerichtet sein musste*^).
Wenn doch auch im freien Genf Kerker und Erstickung un-
serer wartet, gerade wie im heimischen Italien, dann ist es besser
in Italien bleiben und schweigen, als auswandern und doch ge-
waltsam sterben müssen: das war die italienische Parole seit
Servers Tod, und daraus erklärt sich vollauf das Schwdgen der
Ck)lombo, Ruini, Gesalpin, Sarpi, Eustachio Rudio und all der
anderen emsigen, aber heimlichen Leser der Resütmüo Ckristia-
nismi.
Doch dies führt mich UL zur Beleuchtung von Geradini's
Urtheil über Servet's Werke. Von Servet's Werken citirtCe-
radini vier: a) de TrimiaU$ erroribus; b) Dttdogcrmm de TrmUaU
UM dmo mit de jusiitia regni Christi; c) de «yra^m S. 77. 107. 108;
d) CknsUanumi Restitutio S. 75. 80. 82. 107. lOa 139. Unbekannt
sdieinen ihm alle anderen Werke Servet's zu sein, also die in der
Erdkunde Epoche machenden ^) Ausgaben des PtoUrnnseus von 1535
und 1541, die Bremssitna apologia pro Campegio tu Leamardmm
Fuchsatm 1536, die apologetica disceptaUo pro astroiogm 1538, die
Biölia Pagnini 1542, die Summu Thomae Aquismüs, die TrmcUiMS
grammatie. etc.
Die Schriften von Servet, die Geradini citirt, scheint er fireilich
desto gründlicher zu kennen. Von den beiden ersten theologisch«[i
Werken Servefs sagt er ja, dass darin nichts Interessantes entr
45) S. Luther und Servet. Berlin 1875 bei Meddenbarg. S, 8,
46) Wie sehr seit 1553—1560, insbesondere in Italien, Serrefs Scheito'-
hänfen rumorte, da£ hätte Ceradini schon lernen könn^i aiuModieiM: Ander-
weit Nachricht. S. 233—241. 270—276. 276—302; Trechsel, Antitriutarier L
263-69. 321—28. U. 52 fg.
47) Trechsel 1. c. I. 321. 323. 325.
48) Vgl. Koner's Zeitschrift der GeseUsdiaft fta Erdkunde. Bd. X. Ber-
lin 1875. S. 162—222.
(SM)
— 67 —
halten sei, als auf dem Titel die Nennung des wahren Namens
Reves (S. 77), auch nicht die geringste Anspielung auf die Fun-
ctionen der Lunge noch auch derartige anatomische Erkenntnisse
darin vorkommen. „Oder^*, fährt Ceradini fort, „sollte uns eine
solche Anspielung entgangen sein? Doch können wir es nicht
leicht glauben'* (S. 108). Etwas auffällig ist dabei, dass Ceradini
von den ersten theologischen Werken des VlUanovaner's spricht,
da die Werke von 1531 und 1532 datiren, Servet aber erst 1534
in Lyon, aus Deutschland flüchtig, den Namen Michael Villa-
novanus, von dem Stammschloss seines Vaters, angenommen hat.
Auch hat Servet ja bis 1534 nie daran gedacht, Medicin studiren
zu wollen. Warum also medinische Anspielungen suchen? Wie
sehr ihn aber dennoch, als einundzwanzigjährigen Laien schon, die
Bewegung und Bedeutung des Herzens interessirte , das geht aus
einer Stelle im IV. Cap. de jmticia regni Chriiti a, 1532 S. 85
hervor: Motus^ sagt Servet da, $pmtH$ eit, gm libere in opera pro^
rumpil, ultra omnem volitionem ieu qualitattm intemam: imperatur
enim actiu extericr ex solo motu cordu spirilus suos ad membra
mittentis. Et Ute motu$ sive prosecutio sponianea supra ornnem vo-
litionem est Es ist kein Wunder, dass diese Stelle dem Ce^radini
entgangen ist. Giebt er doch nirgends einen Beweis, dass er die
beiden ersten theologischen Schriften des „Villanovaner's'^ in der
Hand gehabt hat Nicht einmal den Titel scheint er gesehen zu
haben, sonst hätte er nicht (S. 76) die zweite kurzweg citirt unter
dem Namen Reves *^). Der Physiologe von Genua kann sich
hierin freilich mit dem Physiologen von Bern trösten. Denn Va-
lentin schreibt nella sua opera intitolata, ne sappiamo perche^ Fi-
siologia putologica del cuore (Leipz. 1866 Bd. L S* 8): „Da das
Werk von Servet 1531 zum ersten Male erschien, so würden die
Prioritätsansprüche, die Mendoza für den Thierarzt La Beina an-
geblich aus dem Jahre 1532 erhoben hat, hin wegfallen, wenn selbst
die Mittheilungen desselben klarer wären, und sich auf etwas mehr
als den Blutumlauf einzelner Körpergefässe bezögen." Wunderbar
genug, dass Ceradini (S. 61), wo er diese Stelle seines Gegners
citirt, nur darüber sich erlustigt, dass Valentin die Stelle im Spa-
nischen Thierarzt dunkel und bedeutungslos (oscure e sema impor-
tanzd) nennt, statt, wenn er wirklich, wie er vorgiebt, Servet's
Werke gelesen hätte, seinen Bemer CoUegen zu belehren, dass
49) S. 77 riescono inttressanti per la sola ragione (//) che nel iitolo vi i
dithiarato U vero nome del aut§re.
(IM) 5*
— 68 —
die ersten fünf Bücher der Restitutio keineswegs ein Auszug sind
aus Servet's Erstlingswerk von 1531, sondern eine gründliche Um-
arbeitung der VII Bücher nach neuen Gesichtspuncten und dass
in den L. VII de Trinitatii erroribui von 1531 sich nicht die ge-
ringste Spur findet vom Butumlauf.
In dem trattatello dei siroppi 1537 hat Ceradini auch keine
Spur von dem Blutumlauf gefunden, obwohl in nessun luogo piü
opportunamente che in questo avrebbe potuto sviiuppare la dottrina
della circolazione minore S. 108. Um nun darzuthun, wie pas-
send in der Lehre vom Gebrauch der Syrupe (I) Servet hätte
reden können vom kleinen Blutumlauf, giebt Ceradini einen Über-
blick über die Anordnung dieses Werkes. Es fallt hier schon auf,
dass Ceradini „die Syrupe" immer ein Werk des Reves nennt,
während der Verfasser sich als Michael Villanovanus bezeich-
net. Auch sagt uns Ceradini nirgends, welche der fünf Ausgaben
er benutzt hat? Ebensowenig erfahren wir von ihm den eigentli-
chen Titel des Werkes: Syrupomm universa ratio ad Galeni censu-
ram diligenter expösita caet Auch macht seine Analyse des Werkes
keineswegs den Eindruck, als hätte es Ceradini wirklich gelesen.
La prima metä, sagt der Genuese, e förmata da tre termöni „e/e
concoctione seu maturatione'% che trattanö delle diverse tras forma-
zioni, che gli alimenti subisconö nelle vie digestive ^ degli escrementi
dt tutti gli organi, del fegatö e della bile, di sangue crasso e tenue.
Wer, ich frage, kennt in diesem ad höc zurechtgemachten Expose
Servet's Eintiieilung wieder? Wer würde aus Ceradini's appunto
errathen, dass Michael Villanovanus im Sermo I handelt, eandem in
sanis quam in aegris esse concoquendi rationem eundemque naturae
scöpum; Sermo II quae praeter naturam sunt, pelli; Sermo III cön-
coctionem incrassare. Konnte sich Ceradini über die prima metä
von Servet's Werk von den Syrupen nicht selber unterrichten, weil
ihm kein Exemplar zu Gebot stand, so hätte er besser gethan,
statt seine Phantasie walten zu lassen, Kurt Sprengel III. 167—
171 nachzulesen, den er ja doch sonst (S. 72. 77. 143 — 146. 160)
citirt, oder Mosheim: „Anderweitiger Versuch" (Heimst. 1748
S. 339—341). Er hätte sich dann schon überführt, dass Servet's
Schrift nicht aus drei Abhandlungen besteht, sondern aus sechs.
Denn der Sermö IV giebt expositio Hippocratici aphorismiy der Vz
de syruporum eompösitiöne et variö usu, und der VI: quid pöst put"
gationes agendum?
Allein wenn nur der Genueser Physiologe sich recht bewan-
dert zeigte, in dem Werke, welches uns Servet's bekannte Stelle
(360)
— 69 —
über den Blutumlauf bringt, in der Restitutio Ckristianismi ! Cera-
dini überrascht uns hier. Er spricht von den Brandflecken (le
traccie delPincendiö), welche das Pariser Exemplar der Restitutio
noch heute trägt, von dem anderen kostbaren Exemplar der kai-
serlichen Bibliothek zu Wien. Nur schade, dass Ceradini auch
diese beiden Exemplare ebensowenig gesehen hat, wie irgend eine
Schrift Servet's. Vom Pariser redet er auf den Glauben von
Flourens, dessen Excerpt er herübergenommen hat (abbiamo ri-
cavato tutti i passi per noi citati [S. 80—82]); vom Wiener auf
den Glauben Mi Ine Edwa^rds'. Ich habe unter anderen von der
Schrift de syrupis fünfzehn echte Exemplare, sowie von der Resti-
tutio u. a. die beiden genannten in Paris und Wien gesehen. Der
sogen. „Brandfleck" hat die Seite 139^— 154 durchlöchert, am
stärksten 143 — 150. Ich kann aber versichern, dass es kein Brand-
fleck ist, sondern einfach ein Wasser-Stockfleck aus der Zeit, wo
es in einem feuchten Räume verheimlicht worden ist. Die genaue
Beschreibung, welche la Valliere von diesem Exemplar uns giebt
(Catalögm theolög. 913) ist zutreffend, bis auf die Brand-Fabel,
welche nur seinen Kaufwerth erhöhen sollte. Es hat nie Servet's
Scheiterhaufen gesehen. Das Wiener Exemplar (XV. K. 32) ist
vollständiger und noch eleganter. Andere echte Exemplare giebt
es heut nicht mehr, nicht etwa, weil alle anderen in Genf oder
Vienne verbrannt worden seien *^), sondern aus theologischen Grün-
den, die nicht hierher gehören.
IV. Indess wenn sich Geradini nun auch schlecht unterrichtet
gezeigt hat über Servet's Namen, Schicksal und Werke, so könnte
er doch immerhin das Richtige getroffen haben über Servet's
physiologische Ansichten. Wir lernen gem. Und deshalb
wollen wir in aller Ruhe auch diese Seite der Ceradini'schen Dar-
stellung prüfen.
Zunächst macht Ceradini dem Servet den Vorwurf, dass er
nicht verstanden habe, den kleinen Blutumlauf im Galen zu fin-
den {egli nön aveva saputo leggere nelk öpere di Galeno S. 78).
Dieser Vorwurf wird wohl den Servet nicht drücken. Denn auch
Vesal, Realdo Colombo, Valverde, Ruini, Cesalpin, Rudio, Fabricio
d'Acquapendente und Harvey selber, ja bis auf Ceradini's Qualche
appunto (1875) alle medicinischen Geschichtskenner haben den
50) Die Fabel, dass Servet's Werk sofort verschwundeu und erst über
zweihundert Jahre nach seinem Erscheinen verbreitet worden sei, aus der
Ceradini S. 106 fif. 112. Capital schlägt, habe ich schon oben abgethan.
(861)
— 70 —
kleinen Blutumlauf im Galen nicht gefunden ^^). Dass Galen der
Entdecker sei, ist erst eine Ceradini'sche Idee: iVoi vogliamo qui
provare che non da Colombo , meno che mai poi da Retes fu tco-
perta la piccola circolatione, per che essa era nii^a ai tempi di Ga-
lenö (S. 21). Bis dahin war alles einig, Kurt Sprengel, Valentin,
Oehl, Mead, Edwards, Zechinelli, Ercolani, Marey, Portal, Longet,
Flourens: La vdritS est que Gaiien ign&ra completement le retour
du sang du poumon dans les cavit^s gauches du coeur (S. 49 no. 1).
Sodann aber, dass Servet sagt, jener Blutumlauf sei im VI.
und VU. Buch de usu partium von Galen nicht bemerkt worden
(ab ipfo Galeno non animadversam sc» veritatem\ das nennt Cera-
dini (S. 83) un sofisma poco conveniente neiia bocea di un teologo
e di un martire. Denn wenn die Galenischen Lehren nicht ganz
im VI. und VII. Buch de usu partium stehen, so musste die Wahr-
heit doch, auf augenscheinlichere Weise, dem Spanier entgegen-
treten aus der fortgesetzten Leetüre dieses Werkes, sowie aus Ga-
51) Auch Boerhaave nicht, denn in der von Ceradini (S. 24) angeführten
Stelle sagt nicht, wie er meint, Boerhaave, sondern dessen Conuneutator A.
y. Hall er in einer Anmerkung: y,Idem [Galenus] de usu valvtUarum venosarum
cordis rede sensit^ ei ex iis minorem circulationem eruit^ in eodem de usupar^
tium opere^\ (H. Boerhaavi Method. stud. med, emaculata et accessiouibus lo-
cupletata ab A. ab Ualler, T. L Amstelodami. 1751 (nicht 1771 wie Ceradini
citirt) S. 304. Nun findet sich aber im ganzen Buch de usu parlium der Lun-
genkreislauf nicht beschrieben, und Haller sagt (oflfenbar den Galen im Origi-
nal damals in diesem Puucte nicht genau kennend) in seinen Opera minora
(Lausanne 1763 T. 1. P. 1, S. 51 Anm. 6) sehr mit Unrecht; i,Ab ea senteuHa
posteriores scriptores hactenus recesserunt, ut spiritum ad pulmonem e corde
per arteriam venosam meare existimarent. Contra eos Columbtis de re anat.
l. VU, eis. 178. 179 veram Galeni senteniiam revocavit; atque omnino san-
guinem cum spiritu a pulmonibus ad cor ferri per arteriam venosam odseruit.^^
Galen behauptet aber nirgends, wie Colombo, dass Blut, sondern nur, dass der
Spiritus von der Lunge in das Herz geführt werde, die Löcher im Septum
cordis betonend, und Colombo (Realdi Columbi de re anatomica libri JCF, Fran-
cofurdi 1590 S. 328) wendet sich gerade im ganzen Hb. VU, cap. 1 in sehr
starken Ausdrücken gegen Galen, nachdem er gesagt, Blut mit Luft ge-
mischt gelange durch die „arteria venalis^^ in das linke Herz. Man sieht also
deutlich genug, dass Haller (vgl. auch seine Bibl, anat. 1774 T. 1. 8. 204 Z.
19. V. 0^ den Galen und Colombo citirt, ohne sie im Original genau nachge-
sehen zu haben. Bemerkenswerth ist es jedoch wenn er fortfährt: „Columbi
experimentis in vlvis animalibus, atque rationibus a valvularum fabrica ductis
persuasv^ est Valverdus anat corp. hum. p. 230. 289 et Spigelius l. IX. c. VUl
p, m. Uocque ex fönte forte sua hausit Caesalpinus ! und an
einer anderen SteUe (Bibl. anat, I. S. 84) von Galen sagt: „Mon videtur auctor
circuitum sanguinis rede habuisse perspedum, P.
— 71 —
len's Abhandlungen de anatomica administratione, de naiurali facul-
täte, de puhibus, de utilitate respirationis , de ffippocratis et Pia-
tonü dogmaiibus und aus einigen anderen. „Oder", spottet Cera-
dini, „hatte etwa Galen erklärt, dass er in jenen beiden Büchern
alle anatomischen Begriffe aushängen (sciorinare) wollte, die er
gesammelt hatte über die Function des Bluts, des Herzens, der
Arterien, der Leber und der Venen?" (S. 84.) Dieser Spott ist
ebenso wohlfeil wie der Vorwurf des für einen Theologen und
einen Märtyrer unziemlichen Sophisma. Servet hat es nicht ge-
wusst, dass Galen den kleinen Blutumlauf gelehrt hat, wie das
bis Geradini Niemand gewusst hat, und, wir können hinzufügen,
ausser Ceradini noch heute Niemand glaubt. *
Indess Ceradini selber glaubt an Servet's sophistische Ver-
stellung nicht. Weist er doch (S. 81) darauf hin, dass die Werke
Galen's zum ersten Mal Griechisch gedruckt worden seien 1525
zu Venedig von Aldi Manutii Erben, Lateinisch aber erst mehrere
Jahre später ebenfalls zu Venedig bei Giunta, „und konnten sie
vielleicht von Privatleuten nicht erworben werden, es seien denn
etwa Fürsten; bis Frohen zu Basel seine drei Ausgaben veröffent-
lichte, deren letzte erst 1562 vollendet wurde. Es ist daher fraglich,
ob Servet, selbst wenn er", sagt Ceradini, „seine besten Lebens-
jahre, in denen er auf der Universität Medicin studirte, hätte
darauf verwenden wollen, den berühmten Griechischen Arzt zu
durchforschen, es anders hätte thun können als ganz flüchtig ihn zu
durchblättern in der Bibliothek irgend eines Klosters. Jedenfalls
hat er", sagt Ceradini, „Galen's Werke schlecht genug gekannt und
nennt ihn bloss, um zu zeigen, dass Er von der Wahrheit mehr ge-
sehen habe, als der Philosoph von Pergamus". Wir könnten hier mit
Ceradini's Phrase (S. 112) sagen, daseien ebensoviel Irrthümer wie
Worte. Es ist falsch, dass Aldi Erben den Galen zuerst gedruckt
hätten 1525: Aldus Manutius selber druckte ihn schon Griechisch
1500. Es ist falsch, dass Giunta's Ausgabe, dessen Jahr ver-
schwiegen wird, die erste lateinische gewesen sei. Auch ist nicht
ersichtlich, welchen Giunta der Genueser meint, den Vater (Luc-
antonio 1528—1536), den Sohn (Thomas 1550) oder den Enkel
(Bernhard 1608)? Schon vor dem 10. November 1534 hatte Jo-
hannes Günther von Andernach, Servet's Pariser Lehrer, plurima
Galeni opera (et tolam Pauli Aeginetae medicinam) der Lateinischen
Welt geschenkt, wie die Commentarii facultatis medicinae Parisien-
sii unter gedachtem Datum melden. Auch wurden weit verbreitet
Melanchthon's Gaieni opera omnia, die 1537 Griechiscdi mit einer
(868)
— 72 —
Widmung an König Franz I. erschienen**). Gleich das Jahr da-
rauf erschien ein vierter Griechischer Galen zu Basel 1538 hei
H. Gemusaeus; 1549 eine neue Baseler Ausgabe, Lateinisch bei
Jan. Carnarius; um hier des Leonh. Fuchs: Galeni aliquot opera
cum noiis, und vieler anderer VeröflPentlichungen von bald Griechi-
schen, bald Lateinischen Theil- Werken Galen's zu geschweigen. So
wenig ist es wahr, dass erst Frohen — also doch wohl Johann
Frohen der Sohn — mit seiner dritten Ausgabe von 1562 die
Werke des Galen allgemeiner zugänglich machte*^), wie Ceradini
behauptet (S. 81).
Wie steht es nun aber mit Ceradini's Behauptung, Servet sei
in den •Werken Galen's ein Ignorant ? Ceradini's Behauptung er-
klärt sich nur aus dem Umstand, dass er von Servet's Werken
nichts kennt als Flourens Excerpt aus der Restitutio; darum be-
hauptet er getrost Servet's Unwissenheit, der Weltgeschichte in's
Angesicht. Ein vorsichtigerer Geschichtsforscher würde es in sol-
chen Fällen vorgezogen haben, die eigene Unwissenheit zu be-
kennen.
In der Stellung des geschichtlichen Servet zu Galen hat man
vier Epochen zu unterscheiden 1) seine juristisch-theologische Zeit
1528—1534, wo er vom Galen nichts wusste ; 2) seine philologisch-
polyhistorische Zeit 1534 — 1537, wo er, den Galen nur aus Cita-
ten kennend, sich in die Mitte stellte zwischen Galen und den
Arabern; 3) die Zeit seiner medicinischen Fachstudien zu Paris
1537 und 1538, in der er Galen studirt und nichts sein will als
Galenist; 4) die Zeit seiner medicinischen Praxis 1538—1553 in
Avignon, Charlieu und Vienne, in der er noch meist dem Galen
folgt, da aber ihn verlässt, wo seine eigenen sorgfältigen anatomi-
schen Beobachtungen dem Galen widersprechen. Servet lernte
den Galen in Paris kennen. Er las ihn im Griechischen Original
und profitirte von den Interpretationen des berühmten Günther
von Andernach (de Syrup. fol. 6P).
Als Michael Villanovanus 1537 die universa ratio syruporum
beschrieb, machte er sogar Anspruch darauf, den ganzen Galen,
soweit er 1537 veröflfentlicht war, durchgelesen zu haben. Ich
werde dafür einige Beispiele anführen mit Servet's eigenen Wor-
ten, damit Ceradini begreift, dass es sich hier nicht um Interpre-
52) Bernhard : Melanchthon als Mathematiker und Physiker. Witbg. 1865.
S. 48.
53) Ceradini selber benutzt (vgl. S. 25) Froben's Ausgabe von 1549.
(864)
— 73 —
tationen handelt, sondern um die einfache geschichtliche Wahrheit.
Servet schreibt 1537: Nam si totum (egas Galenum^ nunguam in-
venies concoqui syncerum humorem (Fol. 13*). Wer Servet's ünab-
hängigkeitssinn ^*) kennt, wie er sich auf allen Gebieten des mensch-
lichen Wissens offenbart, der wird wissen, dass, wenn Servet so
i^edet, es bei ihm nicht ein gedankenloses Nachbeten seines Leh-
rers Günther von Andernach sein kann, sondern nur eine eigene
Quellenforschung. Und die Grenzen dieser Forschung verschweigt
er nicht. Utinam extaret Galeni Über de compo. med. purgantium^
cujus meminit in prim, liö. de compo. med. sec. loc. So seufzt
Servet (Fol. 52») a. 1537, wie er 1531 geklagt hatte, dass er die
Werke der vornicänischen Kirchenväter nirgends habe auftreiben
können. Während seiner Pariser Studentenjahre erscheint ihm
Galen unfehlbar: Quos usus (syruporum) improöare nullus poterit,
cum a Galeno materiae copiam desumamus (Fol. 52^). Auch steht
ihm Galen's Autorität höher als die des Aristoteles. Wo z. B.
letzterer zwei species concoctionis annimmt, alimenti und pwrisy
Galen aber behauptet nullam differentiam nisi per accidensy da
lehrt Servet getrost mit Galen: ünica igitur (!) secundum speciem
erit concoctio (Fol. 5*). Galen ist ihm gewissermaassen für sein
Fach göttlich inspirirt und die Praxis selber tritt überall für ihn
ein: Munere guodam divino Galeni yirtair xai nakiyybvtaiavj ad
varios mortalium casus necessario concessum^ rei ipsius admiratione
ducli, cogimur (!) profiteri (Fol. 3»). Er ist ihm der Hercules der
Medicin, geboren alle eingeschlichenen Irrthümer auszurotten:
Fuit enim antiquis natus, ut medicinam cum suo Hippocrate, pro-
funda caligine obrutam, in lucem revocando suscitaret^ ut Thessalios,
Erasistratios et alia id genus portenta (l)^ a quibus ars divina
fuei'at commaculata et discei'pta^ profligando interime^'et (1. c).
Schön ist es, wenn Hippocrates gesprochen hat, ita ut ejus
authoritas non purum subsidü sit nobis allatura (Fol. 11**). Auch
soll man den Aristoteles nicht verunglimpfen: Nee admittendi
sunty qui negant Aristotelem sufficienter de concoctione locutum^
sed solum de alimenti concoctione (Fol. 13*). Aber das erste
muss immer sein, dass man des Galen Ansehen heilig halte
(sacra est autoritas Galeni ^ passim docentis Fol. 10*). Daher
müssen auch bei den Syrupen, deren Namen zwar Galen nicht
kennt, unsere Augen zunächst ausschauen nach des Galenus Sinn
54) über Servet 's Charakter S. meinen Aufsatz in von Holtzendorf s Samm-
lung gemein verständl. Vorträge, bei Habel, Berlin 1876.
066J
— T« —
(ad GaleiU meutern erpendamus) . Tbut doch jeder klug, sich
ihn als Schiedsrichter zu wählen (expedit enim primum ita facere
nt nie fit hujus censnrae regula, Foi. 49* ). Die weise Einrich-
tung der Natur (toäiis naturae promdentia , nach welcher pat-ti-
bus concesia est f'unctio' aliqua, cimcessum etiam praevium ad
eam minüieiium) lernt Servet daher kennen aus Galen (Foi. 27*),
den rechten usus (Fol. 49') und die experientia (Fol. 27" fg.) aus
Galen. Wer dem Galen widerspricht, ist nattirae hosüs me hercle
centendui (Fol. 1 6'). Wer die Medicin fördern will und die Wahr-
heit lieb hat, der muss gerecbterweise auch eintreten für das
Dogma des Galen. Deshalb braucht Michael als identisch Studium
juvandi rem medicam, Galenici dogmatis justa defensio ipseque
verttaäs amor (Fol. 2*). Jeder „billige Richter" muss daher dem
Seryet „Recht geben", weil er nichts will, als die neue Streitfrage
nach dem rechten Gebrauch der Syrupe aus der alten Doctrin
(ex velei-i dogmate) entscheiden, und weil Galen selber för ihn
spricht: Galenum mihi ita cunciliasse pnto, ut futurum non du-
bitem, quin pro nobis sentenlia feralvr , si aeqnus judex nobis
contingat (Fol. 2*), Nicht auf Champier, seinen Lyonner Leh-
rer, komme es an, sondern auf Galen: illo diviisso, Galenum ap'
pello (I. c). Servet's Begeisterung für Galen streift bisweilen an
die Apotheose: jfd cujus ego censia-am, tanguam ngdg »ö «Je-
i^BUMOfkivor hanc de syrujHS tractationem redigere lotam contendi
(l c). Ja darum preist er sein Jahrhundert glücklich, weil es
den schändlich entstellten Galen zur ursprünglichen Reinheit wie-
der zurückführt (Galenus renascitur felici nostro seculo, ut setp-
■ ' ' " ■ ■ ristinum candorem restiluens — Lieh-
<t Fol. 3»). Dadurch wird die Burg,
Bber eingenommen hatten, ihnen ent-
lesudelungen der Barbaren verdorben
— Nach eben Gemeldetem wird wohl
,uf hinzuweisen, wie oft Servet in sei-
riode den Galen zu seinem Beistand
:r Schrift von den Syrupen Michael's
, dass der ganze Galen für ihn spricht
\lenum ligiiido pateat Fol. 21»). Nur
adini noch aufmerksam machen, dass
ippokrates die Interpretation schwan-
lle im Griechischen Original aushebt
48" ai). Und wenn ihm seine Geg-
Galen zu oft, so erwidert er ihnen.
— 75 —
es würde für die Nutzbarkeit ihrer Schriften besser gewesen sein,
wenn sie sich nicht durch Eigenliebe hätten verleiten lassen, ihn zu
verschmähen: Pi'aesttiret a Manardo, Avicenna et aliis omnibus
freqtientius citari Galeni iocos: quodilii tarnen dedignati mdentw\
mit quia non succwTebant^ aut quia fm*san ambiebantj ut suae au-
thoritati ci'edefi'emtis (Fol. 13^). Jene haben dadurch nur erreicht,
dass wir sie oft zurückschlagen müssen wegen ihrer ungeschickten
Verdrehung der Worte ihres Meisters (1. c).
Allein selbst in seiner letzten medicinischen Periode, in der
seiner selbständigen Praxis (1538 — 1553) vergisst Servet den ge-
wohnten rispetto al Pei^gameno (Ceradini S. 85) so wenig, dass er
noch in der Restitutio an den Stellen der höchsten Begeisterung auf
Galen recurrirt. So z. B. wo Servet von der idealen Vollkommenheit
des menschlichen Leibes als der Blüthe der Schöpfung spricht,
verweist er die, welche sich von der vorzüglichen Zweckmässigkeit
aller Theile gründlich unterrichten wollen, auf Galen. Ich setze
um Ceradini's willen die Stelle wieder wörtlich her: Est ea (ho-
minis) foi'ma omnium idearum^ figurarum et foimarum perfectis"
sima. Quam sibi et suis Dens elegit. Excellentissima kujus fi-
gurae et singularium partium munera lege apud Galenum in li-
bris de usu partium humani corporis (S. 220). Wo Aristoteles
mit Galen in Conflict kommt, entscheidet sich Servet noch immer
für Galen. So S. 262: Negat Aristoteles Hb. 2. de generatione
animalium^ muliebre semen ad genei*ationem facei^e, Sed Aristo-
telem multis rationibus arguit Galenits lib. 2. de semine, Quia
sua sunt mulieii^ sicut viro spermatica vasa^ eodem artificio na-
turalitei* constructa. Doch was soll ich noch mehr Beispiele brin-
gen? Aus Obigem ist wohl über allen Zweifel erhaben, dass Mi-
chael Villanovanus, der Galenist von 1537 und 1538, seitdem er
in die medicinische Praxis getreten ist, die Leetüre der Werke
Galen's nicht vernachlässigt hat.
Da nun aber auch nach Ceradini Galen nicht schon alles
wusste, was man heute weiss, so wird der Genueser Physiologe,
sobald er über Servet sich weiter unterrichtet hat, es dem Spanier
wohl nicht verargen, dass er in dieser seiner letzten Lebensperiode,
auf Grund der eigenen Untersuchungen **), dem Galen bisweilen
entgegentritt. Und das geschieht keineswegs bloss in der bekann-
55)^ Als er de syrupu schrieb 1537 hatte er sie noch nicht gemacht. Aus
diesem einfachen Grunde verschweigt er sie. Das ist die Antwort auf Cera-
dini's Frage (S. 108).
(t67)
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eine besondere Untersuchung erfordern, welche die unsrige nicht
berührt.
Nur drei Bemerkungen möchten wir hinzufügen: 1) es ist
keineswegs neu, und bedarf nicht erst eines Noi ^x)gliamo qui
provare (8. 21), dass nicht Harvey den grossen Biutumlauf entdeckt
hat, sondern Cesalpin; obwohl Harvey den Cesalpin verschweigt,
wie Cesalpin den Golombo und Colombo den Servet. Es geschiebt
aus dem einfachen Grunde, weil der Nachweis der Continuität
der Tradition aus Servet — yuzzaoa dunque dt S. Ufficio ancora
tanto nel secolo scorso la memoria del povero Reves (S. 107) <-
ihnen in Italien den Erstickungstod zuziehen konnte. Aber wenn
man darum noch genug Verdienste dem William Harvey zu-
schreibt, und seinen Werth nicht darin erschöpft sieht, dass er
Cesalpino's Entdeckung gegen die Vorurtheile seiner Zeit verthei-
digt und dabei einen neuen Beweis für den grossen Blutumlauf
aus Fabricio's Yenenklappen entnommen hat (S. 161. 218): so
braucht man nicht zu den apologisti deW Inglese zu gehören (S.
204). Ist es doch Harvey der durch sein Buch erst die ungeheure
Tragweite der Entdeckungen aller seiner Vorgänger in's rechte
Licht setzt, und ihre revolutionären Folgen für die gesammte An-
schauung seiner Zeitgenossen offen darlegt, so dass jenes Male
sibi consuluit Has'veus (S. 219) unpassend wird.
2) Dass Giulio Cesare Aranzio aus Bologna der erste war,
welcher die Absurdität der Durchdringlichkeit der mittleren Herz-
wand bewies (S. 217), sieht Ceradini (S. 21) als das zweite wich-
tige Resultat seiner Untersuchung an. Er macht sich diese Unter-
suchung aber gar zu leicht. Gitirt er doch auf den drei Seiten,
die von Aranzio handeln (S. 96 — 98), nur eine einzige Stelle, die von
der Zwischenwand des Herzens redet, und gerade diese eine Stelle
widerspricht nicht einmal der Hypothese Servet's, licet aliquid
resudare possit Aranzio widerspricht nur dem , dass das Blut
levi negotio pervadit atqne alimentum Uli — dem septum — tri-
bvit. Das Durchschwitzen ist aber kein leichtes bequemes Hin-
durchströmen, wie es Galen wollte. Überdies excerpirt Ceradini
nicht die Ausgabe von 1587, die er nicht besessen zu haben
seheint, sondern die von 1595. Was ist da für ein Fortschritt
bei dem Bolognesen über den Niederländer Vesal, der zwei Jahr
nach Servet's Tode seine fabrica humani corporis (1555) aus
Servet corrigirt (S. oben 1. Cap.)? Endlich scheint Ceradini hier
vergessen zu haben, dass Servet es ist, der zuerst darauf hinge-
wiesen, j^arie« ille mediusj cum sit vasorum et faoultatum expersy
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non est aptus ad communicationem et elabarationem illam, und zu
ignoriren, dass derselbe Servet sich vom 5. November 1529 Ws
zum 22. März 1530 an der Seite seines Kaisers eben in Bologna
aufgehalten und gerade dort für sich und seine Werke ein dauern-
des Interesse hinterlassen hat. Nun aber kann man bei Aranzio
an ein unmittelbares Schöpfen aus der Restitutio Servet's um
so eher denken, als der in Bologna selbst, der Krönungsstadt, ge-
borene Aranzio 1) dreiunddreissig Jahr hintereinander in seiner
Vaterstadt Anatomie gelehrt hat (1556 — 1589, f 16. April); 2)
Aranzio in der Restitutio Christianismi von 1553, gerade über die
Differenzen der Herzbildung beim Fötus und beim Erwachsenen
manches Neue und Anregende finden musste, und 3) endlich
Aranzio Servet's unmittelbaren Nachfolger, den Realdo Colombo,
öffentlich geringschätzte: non equidem ut Realdi Columbia cui
parum tribuo^ sententiae adhaeream ; sed potius ut praeclara in-
genia ad tanti negotii^ quod humani ingenii captum snperaU veri-
tatem indagandam excitentur (S. 96). Es wäre Ceradini's Pflicht
gewesen, dem Aranzio, wollte er ihn durchaus auf den Schild
erheben, sorgfältiger nachzugehen, da er ja wusste, dass, wie
S^nac es auffasst, tont juge desintei'esse doit avouei* qu!on ne
trouve dans les ecrits d'Arantius qu'un copiste degmse de Ca-
lumbus (S. 98).
3) Endlich in Betreff des Galen, so genügte es nicht, auf
die Autorität Haller's (nicht wie Ceradini irrig sagt Boerhaave's) ge-
stützt, zu behaupten, dass Galen den Gebrauch der Venenklappen
richtig erkannt und daraus den kleinen Blutumlauf „gefolgert^'
habe (S. 24), noch auch die Frage darauf zu reduciren, „wenn
Galen geschrieben hätte, dass auch nur der hundertste Theil des
Blutes*"), der zur rechten Herzkammer kommt, um zur linken
zu gelangen, den Weg durch die Lungen nimmt, mögen immerhin
die anderen neunundneunzig Theile den Weg dui*ch die mittlere
Herzwand nehmen, wir schon gezwungen wären einzugestehen, dass
„Galen den Lungenkreislauf gekannt habe" (S. 23 fg.). Die Frage
stellt sich vielmehr umgekehrt: Dringt der hundertste Theil des
Blutes, der zur rechten Herzkammer kommt, um zur linken zu
gelangen durch die mittlere Scheidewand, ^-^ licet aliqmd resudare
possit — die anderen neunundneunzig Theile Blutes aber nehmen«
um von der rechten zur linken Herzkammer zu gelangen, den Weg
-1"
60) Vgl. S. 84 die Stelle ü divartQ fra U tearetiche di Reves e queüe di
Galeno*
(971j
/
t
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durch die Lungen — longo per pultnones dncfu — dann ist der
kleine Blutumlauf entdeckt. St wo, no. Und diesen Beweis
aus Galen*') ist uns Ceradini schuldig geblieben (vgl.
S. 24—43. 49—51. 56—58)««).
61) Für Diejenigen, welchen weder Ceradini noch Galen zut Hand ist,
füge ich, damit sie sich ein ürtheil bilden können, die hauptsächlichsten Galen-
Citate Ceradini's bei: Mterum quidem sanguinem in ipsum cor iniromittity alte-
rum autem ex ipso in pulmonem deducit (S. 25). — In tolo corpore mntua est
anastomosis atque oscillonim apertio arieriis simul et venis, transumuntque ex
se$e pariter sanguinem et spiritum per invisibiles quasdam atque angnstas plane
vias (S. 27). — Venosae arteriae exprimunt quidem quam celerrime qui in se
ipsis est spiritum , transumunt autem per subtilia illa oscilla sanguinis portio-
nem aliquam (S. 28). — Quamobrem, quae vena in cor infigitur major ea est,
quae ab eodem exorilur, tametsi ea fusum jam a cordis calore sanguinem reci-
pit. Sed quoniam multus is per sepium medium et quae in ipso sunt fo-
ramina in sinistrum ventriculum transumitur, factum jure est ut quae vena
in pulmonem inseriiur ea minor esset vena sanguinem in cor introducente.
Ad eundem autem modum arteria etiam, quae ex pulmone ad cor spiritum
perducit, multo minor est arteria magnoy propierea quod arteria magna a dex-
tro ventriculo porlionem aliquam sanguinis adsumit (S. 29). — Neque alius quis-
piam meatus a pulmone aliorsum tendii, quam unus ad cor (S. 31). — Qui in
dextro cordis ventriculo sanguis est, non dissimilis ab eo reperitur, qui per
omnes venas in toto animalis corpore diffunditur ; sicut illum, qui per arterias
fertur, ab eo, qui in sinistro sino conspicitur, non esse diver sum manifestum est,
quamquam hie sinistri ventriculi tenuior et flavior plerumque apparet, calidior
vero semper (S. 84). — Siquidem haec sanguinem continet vaporosum, tenuem ac
syncerum, non paucum ... (S. 35). [Statt haec, nämlich eine von Eiasistratus
für blutleer erklärte arteria laevis in der Lunge, setzt Ceradini arteria venosa,
Galen de usu pari, 1. VII c. 3. Im 9. Cap. dess. Buches heisst es, in die Tra-
chea gelange (lAxerat , pervenit) Luft ; aus dem rechten Ventrikel (komme ?)
Blut und aus dem linken mixtum quid ex ambobus. ^Nirgends aber, dass Blut
von der Lunge in das Herz geht. P.] — Harum (asperarum arteriarum)
orificia vapori quidem ac spiritui pervia, sanguini vero et crassis similiter sub-
stantiis invia. Quod si forte aliquo tempore patnla, naturalem amiserint com-
moderationem, portio aliqua sanguinis in asperas arterias ex laevibus effundi-
tur, quem casum repente tu>ssis consequitur et sanguinis per os profusio (S. 86).
— Si quis accepto animali quovis ex iis, quibus amplae apertaeque arteriae
sunt, magnas multasque Uli arterias vulneret , Universum animalis sanguinem
per eas exhauriet (S. 42). Im septum cordis lehrt er profunditates quas-
dam, quae ex latissimo ore magis magisque semper in angustum procedunt.
Hos tamen Ultimos earum fines, tum propter parvitaiem, tum quod in animali
jam mortuo omnia sint perfrigerata ac densata, contueri non licet (S. 58).
62) Auch Pariser (Uistoria opinionum quae de sanguinis circulatione ante
Uarvaeum viguerint Diss, in. Berlin 1880. S. 40) kommt zu Ifem Kesultat, dass
nicht von Galen, sondern von Servet prima sanguinis per pulmones circulatio-
nis mentio facta est. P.
(372)
k
I
1
v,^ ^
— Bl-
ich muss Anderen überlassen, die zahlreichen Irrthümer, die
Nebensachen betreffen, bei Ceradini zu rügen. Mir kam es nur
darauf an, zu prüfen, ob seine Untersuchungen für die Geschichte
der Entdeckung des Blutumlaufs von irgend einem Belang sein
können? Die grobe Art, wie Ceradini seine Collegen abfertigt
(Ercolani, Landois, Flourens, Valentin u. a.), Hess es mir von An-
fang an zweifelhaft erscheinen, ob es sich lohne, mit dem Qenueser
Physiologen auf den Kampfplatz zu treten? Indessen noch die
letzte Seite •') belehrte mich, dass es auch Ceradini auf die Wahr-
heit ankommt. Wer sein Werk damit abschliesst, den Leser zu
bitten, dass er nicht lesen soll fisiologia patologica^ sondern pato-
logia fisiologica^ nicht V anno 1544, quattro anni, sondern Vanno
1554 qtiattordici anni^ nicht testo antico falsamente attribuito ad
Ippocfi'ate^ sondern testo antico presso IppöcJ'ate (Lib, de alimentis);
nicht 1662, sondern 1652; nicht e di Rudio^ sondern e di tre altri
pi'ofessori ; nicht secolo XVI^ sondern XI F; nicht 1657, sondern
1658: wer, sage ich, zu guter Letzt so, wie Ceradini, seine Irr-
thümer®*) bekennt, der nimmt vielleicht doch auch von einem
Fremden Belehrung an, des alten Ausspruchs von Schleiermacher
eingedenk : „In der Wissenschaft kenne ich keine Gegner, sondern
nur Mitarbeiter."
■*f^ j
t
63) Vgl. auch S. 108 N. a. ^
64) Druckfehler sind das ja nicht. I
(m)
6
/
/
Druck von A. Neuenhahn in Jena.
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